Landesarbeitsgericht Düsseldorf Urteil, 13. Juni 2016 - 9 Sa 233/16

ECLI:ECLI:DE:LAGD:2016:0613.9SA233.16.00
bei uns veröffentlicht am13.06.2016

Tenor

1.Die Berufung der Klägerin und die Anschlussberufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 01.02.2016, Az.: 4 Ca 6451/15 werden kostenpflichtig zurückgewiesen.

2.Die Revision wird zugelassen.


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Zivilprozessordnung - ZPO | § 520 Berufungsbegründung


(1) Der Berufungskläger muss die Berufung begründen. (2) Die Frist für die Berufungsbegründung beträgt zwei Monate und beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach der

Kündigungsschutzgesetz - KSchG | § 1 Sozial ungerechtfertigte Kündigungen


(1) Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses gegenüber einem Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis in demselben Betrieb oder Unternehmen ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestanden hat, ist rechtsunwirksam, wenn sie sozial ungerechtfertigt is

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 611 Vertragstypische Pflichten beim Dienstvertrag


(1) Durch den Dienstvertrag wird derjenige, welcher Dienste zusagt, zur Leistung der versprochenen Dienste, der andere Teil zur Gewährung der vereinbarten Vergütung verpflichtet. (2) Gegenstand des Dienstvertrags können Dienste jeder Art sein.

Betriebsverfassungsgesetz


§ 21a idF d. Art. 1 Nr. 51 G v. 23.7.2001 I 1852 dient der Umsetzung des Artikels 6 der Richtlinie 2001/23/EG des Rates vom 12. März 2001 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim

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(1) Die Frist für die Einlegung der Berufung beträgt einen Monat, die Frist für die Begründung der Berufung zwei Monate. Beide Fristen beginnen mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Mona

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 626 Fristlose Kündigung aus wichtigem Grund


(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unte

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(1) Der Betriebsrat ist vor jeder Kündigung zu hören. Der Arbeitgeber hat ihm die Gründe für die Kündigung mitzuteilen. Eine ohne Anhörung des Betriebsrats ausgesprochene Kündigung ist unwirksam. (2) Hat der Betriebsrat gegen eine ordentliche Kün

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Zivilprozessordnung - ZPO | § 322 Materielle Rechtskraft


(1) Urteile sind der Rechtskraft nur insoweit fähig, als über den durch die Klage oder durch die Widerklage erhobenen Anspruch entschieden ist. (2) Hat der Beklagte die Aufrechnung einer Gegenforderung geltend gemacht, so ist die Entscheidung, da

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(1) Das Urteil enthält:1.die Bezeichnung der Parteien, ihrer gesetzlichen Vertreter und der Prozessbevollmächtigten;2.die Bezeichnung des Gerichts und die Namen der Richter, die bei der Entscheidung mitgewirkt haben;3.den Tag, an dem die mündliche Ve

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(1) Der Berufungsbeklagte kann sich der Berufung anschließen. Die Anschließung erfolgt durch Einreichung der Berufungsanschlussschrift bei dem Berufungsgericht. (2) Die Anschließung ist auch statthaft, wenn der Berufungsbeklagte auf die Berufung

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Tenor

1.Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen der Beklagten und der Klägerin nicht durch die mit Schreiben der Beklagten vom 21.10.2015 fristlos erklärte Kündigung aufgelöst worden ist.

2.Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

3.Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Parteien hälftig.

4.Streitwert: 12.750,00 EUR.


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Tenor

Der Beteiligten zu 2. wird aufgegeben, die Beteiligte zu 3. zu

entlassen.


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(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

Hat ein Arbeitnehmer durch gesetzwidriges Verhalten oder durch grobe Verletzung der in § 75 Abs. 1 enthaltenen Grundsätze, insbesondere durch rassistische oder fremdenfeindliche Betätigungen, den Betriebsfrieden wiederholt ernstlich gestört, so kann der Betriebsrat vom Arbeitgeber die Entlassung oder Versetzung verlangen. Gibt das Arbeitsgericht einem Antrag des Betriebsrats statt, dem Arbeitgeber aufzugeben, die Entlassung oder Versetzung durchzuführen, und führt der Arbeitgeber die Entlassung oder Versetzung einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung zuwider nicht durch, so ist auf Antrag des Betriebsrats vom Arbeitsgericht zu erkennen, dass er zur Vornahme der Entlassung oder Versetzung durch Zwangsgeld anzuhalten sei. Das Höchstmaß des Zwangsgeldes beträgt für jeden Tag der Zuwiderhandlung 250 Euro.

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

Hat ein Arbeitnehmer durch gesetzwidriges Verhalten oder durch grobe Verletzung der in § 75 Abs. 1 enthaltenen Grundsätze, insbesondere durch rassistische oder fremdenfeindliche Betätigungen, den Betriebsfrieden wiederholt ernstlich gestört, so kann der Betriebsrat vom Arbeitgeber die Entlassung oder Versetzung verlangen. Gibt das Arbeitsgericht einem Antrag des Betriebsrats statt, dem Arbeitgeber aufzugeben, die Entlassung oder Versetzung durchzuführen, und führt der Arbeitgeber die Entlassung oder Versetzung einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung zuwider nicht durch, so ist auf Antrag des Betriebsrats vom Arbeitsgericht zu erkennen, dass er zur Vornahme der Entlassung oder Versetzung durch Zwangsgeld anzuhalten sei. Das Höchstmaß des Zwangsgeldes beträgt für jeden Tag der Zuwiderhandlung 250 Euro.

(1) Die außerordentliche Kündigung von Mitgliedern des Betriebsrats, der Jugend- und Auszubildendenvertretung, der Bordvertretung und des Seebetriebsrats, des Wahlvorstands sowie von Wahlbewerbern bedarf der Zustimmung des Betriebsrats.

(2) Verweigert der Betriebsrat seine Zustimmung, so kann das Arbeitsgericht sie auf Antrag des Arbeitgebers ersetzen, wenn die außerordentliche Kündigung unter Berücksichtigung aller Umstände gerechtfertigt ist. In dem Verfahren vor dem Arbeitsgericht ist der betroffene Arbeitnehmer Beteiligter.

(2a) Absatz 2 gilt entsprechend, wenn im Betrieb kein Betriebsrat besteht.

(3) Die Versetzung der in Absatz 1 genannten Personen, die zu einem Verlust des Amtes oder der Wählbarkeit führen würde, bedarf der Zustimmung des Betriebsrats; dies gilt nicht, wenn der betroffene Arbeitnehmer mit der Versetzung einverstanden ist. Absatz 2 gilt entsprechend mit der Maßgabe, dass das Arbeitsgericht die Zustimmung zu der Versetzung ersetzen kann, wenn diese auch unter Berücksichtigung der betriebsverfassungsrechtlichen Stellung des betroffenen Arbeitnehmers aus dringenden betrieblichen Gründen notwendig ist.

Hat ein Arbeitnehmer durch gesetzwidriges Verhalten oder durch grobe Verletzung der in § 75 Abs. 1 enthaltenen Grundsätze, insbesondere durch rassistische oder fremdenfeindliche Betätigungen, den Betriebsfrieden wiederholt ernstlich gestört, so kann der Betriebsrat vom Arbeitgeber die Entlassung oder Versetzung verlangen. Gibt das Arbeitsgericht einem Antrag des Betriebsrats statt, dem Arbeitgeber aufzugeben, die Entlassung oder Versetzung durchzuführen, und führt der Arbeitgeber die Entlassung oder Versetzung einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung zuwider nicht durch, so ist auf Antrag des Betriebsrats vom Arbeitsgericht zu erkennen, dass er zur Vornahme der Entlassung oder Versetzung durch Zwangsgeld anzuhalten sei. Das Höchstmaß des Zwangsgeldes beträgt für jeden Tag der Zuwiderhandlung 250 Euro.

(1) Die außerordentliche Kündigung von Mitgliedern des Betriebsrats, der Jugend- und Auszubildendenvertretung, der Bordvertretung und des Seebetriebsrats, des Wahlvorstands sowie von Wahlbewerbern bedarf der Zustimmung des Betriebsrats.

(2) Verweigert der Betriebsrat seine Zustimmung, so kann das Arbeitsgericht sie auf Antrag des Arbeitgebers ersetzen, wenn die außerordentliche Kündigung unter Berücksichtigung aller Umstände gerechtfertigt ist. In dem Verfahren vor dem Arbeitsgericht ist der betroffene Arbeitnehmer Beteiligter.

(2a) Absatz 2 gilt entsprechend, wenn im Betrieb kein Betriebsrat besteht.

(3) Die Versetzung der in Absatz 1 genannten Personen, die zu einem Verlust des Amtes oder der Wählbarkeit führen würde, bedarf der Zustimmung des Betriebsrats; dies gilt nicht, wenn der betroffene Arbeitnehmer mit der Versetzung einverstanden ist. Absatz 2 gilt entsprechend mit der Maßgabe, dass das Arbeitsgericht die Zustimmung zu der Versetzung ersetzen kann, wenn diese auch unter Berücksichtigung der betriebsverfassungsrechtlichen Stellung des betroffenen Arbeitnehmers aus dringenden betrieblichen Gründen notwendig ist.

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

Hat ein Arbeitnehmer durch gesetzwidriges Verhalten oder durch grobe Verletzung der in § 75 Abs. 1 enthaltenen Grundsätze, insbesondere durch rassistische oder fremdenfeindliche Betätigungen, den Betriebsfrieden wiederholt ernstlich gestört, so kann der Betriebsrat vom Arbeitgeber die Entlassung oder Versetzung verlangen. Gibt das Arbeitsgericht einem Antrag des Betriebsrats statt, dem Arbeitgeber aufzugeben, die Entlassung oder Versetzung durchzuführen, und führt der Arbeitgeber die Entlassung oder Versetzung einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung zuwider nicht durch, so ist auf Antrag des Betriebsrats vom Arbeitsgericht zu erkennen, dass er zur Vornahme der Entlassung oder Versetzung durch Zwangsgeld anzuhalten sei. Das Höchstmaß des Zwangsgeldes beträgt für jeden Tag der Zuwiderhandlung 250 Euro.

(1) Die außerordentliche Kündigung von Mitgliedern des Betriebsrats, der Jugend- und Auszubildendenvertretung, der Bordvertretung und des Seebetriebsrats, des Wahlvorstands sowie von Wahlbewerbern bedarf der Zustimmung des Betriebsrats.

(2) Verweigert der Betriebsrat seine Zustimmung, so kann das Arbeitsgericht sie auf Antrag des Arbeitgebers ersetzen, wenn die außerordentliche Kündigung unter Berücksichtigung aller Umstände gerechtfertigt ist. In dem Verfahren vor dem Arbeitsgericht ist der betroffene Arbeitnehmer Beteiligter.

(2a) Absatz 2 gilt entsprechend, wenn im Betrieb kein Betriebsrat besteht.

(3) Die Versetzung der in Absatz 1 genannten Personen, die zu einem Verlust des Amtes oder der Wählbarkeit führen würde, bedarf der Zustimmung des Betriebsrats; dies gilt nicht, wenn der betroffene Arbeitnehmer mit der Versetzung einverstanden ist. Absatz 2 gilt entsprechend mit der Maßgabe, dass das Arbeitsgericht die Zustimmung zu der Versetzung ersetzen kann, wenn diese auch unter Berücksichtigung der betriebsverfassungsrechtlichen Stellung des betroffenen Arbeitnehmers aus dringenden betrieblichen Gründen notwendig ist.

Hat ein Arbeitnehmer durch gesetzwidriges Verhalten oder durch grobe Verletzung der in § 75 Abs. 1 enthaltenen Grundsätze, insbesondere durch rassistische oder fremdenfeindliche Betätigungen, den Betriebsfrieden wiederholt ernstlich gestört, so kann der Betriebsrat vom Arbeitgeber die Entlassung oder Versetzung verlangen. Gibt das Arbeitsgericht einem Antrag des Betriebsrats statt, dem Arbeitgeber aufzugeben, die Entlassung oder Versetzung durchzuführen, und führt der Arbeitgeber die Entlassung oder Versetzung einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung zuwider nicht durch, so ist auf Antrag des Betriebsrats vom Arbeitsgericht zu erkennen, dass er zur Vornahme der Entlassung oder Versetzung durch Zwangsgeld anzuhalten sei. Das Höchstmaß des Zwangsgeldes beträgt für jeden Tag der Zuwiderhandlung 250 Euro.

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

Tenor

1.Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen der Beklagten und der Klägerin nicht durch die mit Schreiben der Beklagten vom 21.10.2015 fristlos erklärte Kündigung aufgelöst worden ist.

2.Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

3.Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Parteien hälftig.

4.Streitwert: 12.750,00 EUR.


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Hat ein Arbeitnehmer durch gesetzwidriges Verhalten oder durch grobe Verletzung der in § 75 Abs. 1 enthaltenen Grundsätze, insbesondere durch rassistische oder fremdenfeindliche Betätigungen, den Betriebsfrieden wiederholt ernstlich gestört, so kann der Betriebsrat vom Arbeitgeber die Entlassung oder Versetzung verlangen. Gibt das Arbeitsgericht einem Antrag des Betriebsrats statt, dem Arbeitgeber aufzugeben, die Entlassung oder Versetzung durchzuführen, und führt der Arbeitgeber die Entlassung oder Versetzung einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung zuwider nicht durch, so ist auf Antrag des Betriebsrats vom Arbeitsgericht zu erkennen, dass er zur Vornahme der Entlassung oder Versetzung durch Zwangsgeld anzuhalten sei. Das Höchstmaß des Zwangsgeldes beträgt für jeden Tag der Zuwiderhandlung 250 Euro.

Tenor

Der Beteiligten zu 2. wird aufgegeben, die Beteiligte zu 3. zu

entlassen.


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Hat ein Arbeitnehmer durch gesetzwidriges Verhalten oder durch grobe Verletzung der in § 75 Abs. 1 enthaltenen Grundsätze, insbesondere durch rassistische oder fremdenfeindliche Betätigungen, den Betriebsfrieden wiederholt ernstlich gestört, so kann der Betriebsrat vom Arbeitgeber die Entlassung oder Versetzung verlangen. Gibt das Arbeitsgericht einem Antrag des Betriebsrats statt, dem Arbeitgeber aufzugeben, die Entlassung oder Versetzung durchzuführen, und führt der Arbeitgeber die Entlassung oder Versetzung einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung zuwider nicht durch, so ist auf Antrag des Betriebsrats vom Arbeitsgericht zu erkennen, dass er zur Vornahme der Entlassung oder Versetzung durch Zwangsgeld anzuhalten sei. Das Höchstmaß des Zwangsgeldes beträgt für jeden Tag der Zuwiderhandlung 250 Euro.

(1) Die außerordentliche Kündigung von Mitgliedern des Betriebsrats, der Jugend- und Auszubildendenvertretung, der Bordvertretung und des Seebetriebsrats, des Wahlvorstands sowie von Wahlbewerbern bedarf der Zustimmung des Betriebsrats.

(2) Verweigert der Betriebsrat seine Zustimmung, so kann das Arbeitsgericht sie auf Antrag des Arbeitgebers ersetzen, wenn die außerordentliche Kündigung unter Berücksichtigung aller Umstände gerechtfertigt ist. In dem Verfahren vor dem Arbeitsgericht ist der betroffene Arbeitnehmer Beteiligter.

(2a) Absatz 2 gilt entsprechend, wenn im Betrieb kein Betriebsrat besteht.

(3) Die Versetzung der in Absatz 1 genannten Personen, die zu einem Verlust des Amtes oder der Wählbarkeit führen würde, bedarf der Zustimmung des Betriebsrats; dies gilt nicht, wenn der betroffene Arbeitnehmer mit der Versetzung einverstanden ist. Absatz 2 gilt entsprechend mit der Maßgabe, dass das Arbeitsgericht die Zustimmung zu der Versetzung ersetzen kann, wenn diese auch unter Berücksichtigung der betriebsverfassungsrechtlichen Stellung des betroffenen Arbeitnehmers aus dringenden betrieblichen Gründen notwendig ist.

Hat ein Arbeitnehmer durch gesetzwidriges Verhalten oder durch grobe Verletzung der in § 75 Abs. 1 enthaltenen Grundsätze, insbesondere durch rassistische oder fremdenfeindliche Betätigungen, den Betriebsfrieden wiederholt ernstlich gestört, so kann der Betriebsrat vom Arbeitgeber die Entlassung oder Versetzung verlangen. Gibt das Arbeitsgericht einem Antrag des Betriebsrats statt, dem Arbeitgeber aufzugeben, die Entlassung oder Versetzung durchzuführen, und führt der Arbeitgeber die Entlassung oder Versetzung einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung zuwider nicht durch, so ist auf Antrag des Betriebsrats vom Arbeitsgericht zu erkennen, dass er zur Vornahme der Entlassung oder Versetzung durch Zwangsgeld anzuhalten sei. Das Höchstmaß des Zwangsgeldes beträgt für jeden Tag der Zuwiderhandlung 250 Euro.

Tenor

Der Beteiligten zu 2. wird aufgegeben, die Beteiligte zu 3. zu

entlassen.


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(1) Die Frist für die Einlegung der Berufung beträgt einen Monat, die Frist für die Begründung der Berufung zwei Monate. Beide Fristen beginnen mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung. Die Berufung muß innerhalb einer Frist von einem Monat nach Zustellung der Berufungsbegründung beantwortet werden. Mit der Zustellung der Berufungsbegründung ist der Berufungsbeklagte auf die Frist für die Berufungsbeantwortung hinzuweisen. Die Fristen zur Begründung der Berufung und zur Berufungsbeantwortung können vom Vorsitzenden einmal auf Antrag verlängert werden, wenn nach seiner freien Überzeugung der Rechtsstreit durch die Verlängerung nicht verzögert wird oder wenn die Partei erhebliche Gründe darlegt.

(2) Die Bestimmung des Termins zur mündlichen Verhandlung muss unverzüglich erfolgen. § 522 Abs. 1 der Zivilprozessordnung bleibt unberührt; die Verwerfung der Berufung ohne mündliche Verhandlung ergeht durch Beschluss des Vorsitzenden. § 522 Abs. 2 und 3 der Zivilprozessordnung findet keine Anwendung.

(1) Der Berufungskläger muss die Berufung begründen.

(2) Die Frist für die Berufungsbegründung beträgt zwei Monate und beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung. Die Frist kann auf Antrag von dem Vorsitzenden verlängert werden, wenn der Gegner einwilligt. Ohne Einwilligung kann die Frist um bis zu einem Monat verlängert werden, wenn nach freier Überzeugung des Vorsitzenden der Rechtsstreit durch die Verlängerung nicht verzögert wird oder wenn der Berufungskläger erhebliche Gründe darlegt.

(3) Die Berufungsbegründung ist, sofern sie nicht bereits in der Berufungsschrift enthalten ist, in einem Schriftsatz bei dem Berufungsgericht einzureichen. Die Berufungsbegründung muss enthalten:

1.
die Erklärung, inwieweit das Urteil angefochten wird und welche Abänderungen des Urteils beantragt werden (Berufungsanträge);
2.
die Bezeichnung der Umstände, aus denen sich die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergibt;
3.
die Bezeichnung konkreter Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen im angefochtenen Urteil begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten;
4.
die Bezeichnung der neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel sowie der Tatsachen, auf Grund derer die neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel nach § 531 Abs. 2 zuzulassen sind.

(4) Die Berufungsbegründung soll ferner enthalten:

1.
die Angabe des Wertes des nicht in einer bestimmten Geldsumme bestehenden Beschwerdegegenstandes, wenn von ihm die Zulässigkeit der Berufung abhängt;
2.
eine Äußerung dazu, ob einer Entscheidung der Sache durch den Einzelrichter Gründe entgegenstehen.

(5) Die allgemeinen Vorschriften über die vorbereitenden Schriftsätze sind auch auf die Berufungsbegründung anzuwenden.

(1) Der Berufungsbeklagte kann sich der Berufung anschließen. Die Anschließung erfolgt durch Einreichung der Berufungsanschlussschrift bei dem Berufungsgericht.

(2) Die Anschließung ist auch statthaft, wenn der Berufungsbeklagte auf die Berufung verzichtet hat oder die Berufungsfrist verstrichen ist. Sie ist zulässig bis zum Ablauf der dem Berufungsbeklagten gesetzten Frist zur Berufungserwiderung. Diese Frist gilt nicht, wenn die Anschließung eine Verurteilung zu künftig fällig werdenden wiederkehrenden Leistungen (§ 323) zum Gegenstand hat.

(3) Die Anschlussberufung muss in der Anschlussschrift begründet werden. Die Vorschriften des § 519 Abs. 2, 4 und des § 520 Abs. 3 sowie des § 521 gelten entsprechend.

(4) Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Berufung zurückgenommen, verworfen oder durch Beschluss zurückgewiesen wird.

(1) Die Frist für die Einlegung der Berufung beträgt einen Monat, die Frist für die Begründung der Berufung zwei Monate. Beide Fristen beginnen mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung. Die Berufung muß innerhalb einer Frist von einem Monat nach Zustellung der Berufungsbegründung beantwortet werden. Mit der Zustellung der Berufungsbegründung ist der Berufungsbeklagte auf die Frist für die Berufungsbeantwortung hinzuweisen. Die Fristen zur Begründung der Berufung und zur Berufungsbeantwortung können vom Vorsitzenden einmal auf Antrag verlängert werden, wenn nach seiner freien Überzeugung der Rechtsstreit durch die Verlängerung nicht verzögert wird oder wenn die Partei erhebliche Gründe darlegt.

(2) Die Bestimmung des Termins zur mündlichen Verhandlung muss unverzüglich erfolgen. § 522 Abs. 1 der Zivilprozessordnung bleibt unberührt; die Verwerfung der Berufung ohne mündliche Verhandlung ergeht durch Beschluss des Vorsitzenden. § 522 Abs. 2 und 3 der Zivilprozessordnung findet keine Anwendung.

(1) Gegen die Urteile der Arbeitsgerichte findet, soweit nicht nach § 78 das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde gegeben ist, die Berufung an die Landesarbeitsgerichte statt.

(2) Die Berufung kann nur eingelegt werden,

a)
wenn sie in dem Urteil des Arbeitsgerichts zugelassen worden ist,
b)
wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600 Euro übersteigt,
c)
in Rechtsstreitigkeiten über das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses oder
d)
wenn es sich um ein Versäumnisurteil handelt, gegen das der Einspruch an sich nicht statthaft ist, wenn die Berufung oder Anschlussberufung darauf gestützt wird, dass der Fall der schuldhaften Versäumung nicht vorgelegen habe.

(3) Das Arbeitsgericht hat die Berufung zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
die Rechtssache Rechtsstreitigkeiten betrifft
a)
zwischen Tarifvertragsparteien aus Tarifverträgen oder über das Bestehen oder Nichtbestehen von Tarifverträgen,
b)
über die Auslegung eines Tarifvertrags, dessen Geltungsbereich sich über den Bezirk eines Arbeitsgerichts hinaus erstreckt, oder
c)
zwischen tariffähigen Parteien oder zwischen diesen und Dritten aus unerlaubten Handlungen, soweit es sich um Maßnahmen zum Zwecke des Arbeitskampfs oder um Fragen der Vereinigungsfreiheit einschließlich des hiermit im Zusammenhang stehenden Betätigungsrechts der Vereinigungen handelt, oder
3.
das Arbeitsgericht in der Auslegung einer Rechtsvorschrift von einem ihm im Verfahren vorgelegten Urteil, das für oder gegen eine Partei des Rechtsstreits ergangen ist, oder von einem Urteil des im Rechtszug übergeordneten Landesarbeitsgerichts abweicht und die Entscheidung auf dieser Abweichung beruht.

(3a) Die Entscheidung des Arbeitsgerichts, ob die Berufung zugelassen oder nicht zugelassen wird, ist in den Urteilstenor aufzunehmen. Ist dies unterblieben, kann binnen zwei Wochen ab Verkündung des Urteils eine entsprechende Ergänzung beantragt werden. Über den Antrag kann die Kammer ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

(4) Das Landesarbeitsgericht ist an die Zulassung gebunden.

(5) Ist die Berufung nicht zugelassen worden, hat der Berufungskläger den Wert des Beschwerdegegenstands glaubhaft zu machen; zur Versicherung an Eides Statt darf er nicht zugelassen werden.

(6) Für das Verfahren vor den Landesarbeitsgerichten gelten, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Berufung entsprechend. Die Vorschriften über das Verfahren vor dem Einzelrichter finden keine Anwendung.

(7) Die Vorschriften der §§ 46c bis 46g, 49 Abs. 1 und 3, des § 50, des § 51 Abs. 1, der §§ 52, 53, 55 Abs. 1 Nr. 1 bis 9, Abs. 2 und 4, des § 54 Absatz 6, des § 54a, der §§ 56 bis 59, 61 Abs. 2 und 3 und der §§ 62 und 63 über den elektronischen Rechtsverkehr, Ablehnung von Gerichtspersonen, Zustellungen, persönliches Erscheinen der Parteien, Öffentlichkeit, Befugnisse des Vorsitzenden und der ehrenamtlichen Richter, Güterichter, Mediation und außergerichtliche Konfliktbeilegung, Vorbereitung der streitigen Verhandlung, Verhandlung vor der Kammer, Beweisaufnahme, Versäumnisverfahren, Inhalt des Urteils, Zwangsvollstreckung und Übersendung von Urteilen in Tarifvertragssachen gelten entsprechend.

(8) Berufungen in Rechtsstreitigkeiten über das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses sind vorrangig zu erledigen.

(1) Der Berufungskläger muss die Berufung begründen.

(2) Die Frist für die Berufungsbegründung beträgt zwei Monate und beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung. Die Frist kann auf Antrag von dem Vorsitzenden verlängert werden, wenn der Gegner einwilligt. Ohne Einwilligung kann die Frist um bis zu einem Monat verlängert werden, wenn nach freier Überzeugung des Vorsitzenden der Rechtsstreit durch die Verlängerung nicht verzögert wird oder wenn der Berufungskläger erhebliche Gründe darlegt.

(3) Die Berufungsbegründung ist, sofern sie nicht bereits in der Berufungsschrift enthalten ist, in einem Schriftsatz bei dem Berufungsgericht einzureichen. Die Berufungsbegründung muss enthalten:

1.
die Erklärung, inwieweit das Urteil angefochten wird und welche Abänderungen des Urteils beantragt werden (Berufungsanträge);
2.
die Bezeichnung der Umstände, aus denen sich die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergibt;
3.
die Bezeichnung konkreter Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen im angefochtenen Urteil begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten;
4.
die Bezeichnung der neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel sowie der Tatsachen, auf Grund derer die neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel nach § 531 Abs. 2 zuzulassen sind.

(4) Die Berufungsbegründung soll ferner enthalten:

1.
die Angabe des Wertes des nicht in einer bestimmten Geldsumme bestehenden Beschwerdegegenstandes, wenn von ihm die Zulässigkeit der Berufung abhängt;
2.
eine Äußerung dazu, ob einer Entscheidung der Sache durch den Einzelrichter Gründe entgegenstehen.

(5) Die allgemeinen Vorschriften über die vorbereitenden Schriftsätze sind auch auf die Berufungsbegründung anzuwenden.

(1) Der Berufungsbeklagte kann sich der Berufung anschließen. Die Anschließung erfolgt durch Einreichung der Berufungsanschlussschrift bei dem Berufungsgericht.

(2) Die Anschließung ist auch statthaft, wenn der Berufungsbeklagte auf die Berufung verzichtet hat oder die Berufungsfrist verstrichen ist. Sie ist zulässig bis zum Ablauf der dem Berufungsbeklagten gesetzten Frist zur Berufungserwiderung. Diese Frist gilt nicht, wenn die Anschließung eine Verurteilung zu künftig fällig werdenden wiederkehrenden Leistungen (§ 323) zum Gegenstand hat.

(3) Die Anschlussberufung muss in der Anschlussschrift begründet werden. Die Vorschriften des § 519 Abs. 2, 4 und des § 520 Abs. 3 sowie des § 521 gelten entsprechend.

(4) Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Berufung zurückgenommen, verworfen oder durch Beschluss zurückgewiesen wird.

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

Tenor

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 28. Mai 2014 - 10 Sa 770/13 - im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, wie es der Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts München vom 19. Juni 2013 - 19 Ca 13099/12 - stattgegeben hat.

2. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts München wird insgesamt zurückgewiesen.

3. Der Kläger hat die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.

2

Der Kläger wurde 1961 geboren, ist verheiratet und zwei Kindern zum Unterhalt verpflichtet. Er war seit 1989 - zunächst als Systemanalytiker und zuletzt als IT-Spezialist - bei der Beklagten beschäftigt. Die vereinbarte Wochenarbeitszeit belief sich auf 35 Stunden. Sein Arbeitsverhältnis war nach § 8 Ziff. 2 Abs. 3 Satz 1 des Manteltarifvertrags für die Arbeitnehmer der bayerischen Metall- und Elektroindustrie (MTV) vom 23. Juni 2008 verhaltensbedingt nur noch aus wichtigem Grund kündbar.

3

Zwischen den Parteien kam es mehrfach zu Unstimmigkeiten über die dem Kläger zugeteilten Aufgaben und sein berufliches Fortkommen. Mit E-Mail vom 30. März 2009 forderte dieser die Beklagte auf, ihn vertragsgemäß zu beschäftigen und sein „Aschenputtel-Dasein“ zu beenden. Die Beklagte übe „Psychoterror“ aus. Sie versuche, ihn zu zermürben und zu demütigen, was bei ihm zu einer seelischen Erkrankung geführt habe. Gleichzeitig kündigte er an, ggf. von einem Zurückbehaltungsrecht gemäß § 273 BGB Gebrauch machen zu wollen. Nach mehreren Gesprächen wurde ihm für die Zeit ab Oktober 2009 einvernehmlich die Tätigkeit eines IT-Chefarchitekten und die Leitung eines Projekts übertragen.

4

Das dem Kläger anvertraute Projekt endete spätestens im September 2011. Im Mai 2011 wurde ihm die Aufgabe eines sog. Blueprint-Vorfilterers und im Februar 2012 diejenige eines „TRM-Koordinators“ jeweils mit seinem Einverständnis übertragen. Nachdem die Einarbeitung abgeschlossen war, lasteten diese Tätigkeiten ihn für drei bis vier Stunden pro Woche aus. Das ihm im Juni 2012 unterbreitete Angebot, zusätzlich im Projekt „SharePoint“ tätig zu werden, lehnte er ab.

5

Mit E-Mail vom 10. September 2012 richtete der Kläger eine Petition an die Personalleitung der Beklagten. In der beigefügten PowerPoint-Präsentation führte er aus, dass seit 1996 eine „massive Entwicklungsblockade“ gegen ihn verhängt worden sei. Trotz seiner „ständig sehr guten Ergebnisse“ und der „mustergültigen Einhaltung aller geltenden Regeln“ sei er nicht befördert worden. Dieses „unternehmensbedingte, großangelegte Mobbing“ habe bei ihm zu „totaler Frustration“ geführt. Seine Arbeitsmoral liege „brach“, die „innere Kündigung (sei) perfekt“. Die Beklagte habe ihn „krank gemacht“, für eine „neue Aufgabe oder Funktion habe (er) keine Kraft mehr“. Er sei „körperlich erschöpft, sowie seelisch und geistig ausgebrannt“. Die Beklagte habe sein „Potenzial definitiv und unwiederbringlich kaputt gemacht“. Man befinde sich in einem Dilemma wie in einer „schlechten Ehe“ und solle sich „lieber heute als morgen voneinander trennen“. Die von ihm „bevorzugte Lösung“ sei deshalb eine „bezahlte Freistellung mit garantiertem Bestandsschutz bis zum Eintritt in die gesetzliche Rente bzw. die Freizeitphase der Altersteilzeit“. In einer weiteren E-Mail vom 20. September 2012 teilte der Kläger der Beklagten mit, ihm sei es nicht mehr möglich und zumutbar, seine Arbeitsleistung zu erbringen. Ab dem 1. Oktober 2012 werde er von einem Leistungsverweigerungsrecht nach § 275 Abs. 2 und Abs. 3 BGB Gebrauch machen.

6

Die Beklagte wies die Vorwürfe mit Schreiben vom 28. September 2012 zurück und ließ den Kläger wissen, dass sie es als schwerwiegende Verletzung seiner Hauptleistungspflicht betrachten und ggf. arbeitsrechtliche Konsequenzen bis hin zu einer Kündigung ziehen werde, wenn er der Arbeit fernbleiben sollte. Zugleich lud sie ihn für den 1. Oktober 2012 zu einem Personalgespräch ein. Der Kläger erwiderte mit E-Mail vom gleichen Tag, er sei „sprachlos“ aufgrund der „inhaltslosen Aussagen“ und „billigen Drohungen“. Die Beklagte habe „die Zusammenarbeit unmöglich gemacht“ und „ihre Glaubwürdigkeit und ihre Integrität restlos und unwiederbringlich kompromittiert“.

7

Der Kläger erschien - wie angekündigt - ab dem 1. Oktober 2012 nicht mehr zur Arbeit. In der Folge entspann sich zwischen den Parteien ein nicht geringer Schrift- und E-Mail-Wechsel, in dessen Zuge die Beklagte den Kläger zweimal wegen Arbeitsverweigerung abmahnte und ihn noch weitere drei Mal vergeblich zu einem Personalgespräch einlud. Im fünften Anlauf kam für den 15. Oktober 2012 ein solches Gespräch zustande, in dem die Parteien keine Einigung erzielen konnten. Mit Schreiben vom 17. Oktober 2012 erteilte die Beklagte dem Kläger eine „letztmalige Abmahnung“. Nachdem auch diese fruchtlos geblieben war, kündigte sie dessen Arbeitsverhältnis - nach Anhörung des Betriebsrats - mit Schreiben vom 26. Oktober 2012 außerordentlich fristlos, hilfsweise außerordentlich mit Auslauffrist zum 31. Mai 2013.

8

Hiergegen hat der Kläger sich rechtzeitig mit der vorliegenden Klage gewandt. Er hat gemeint, er habe seine Arbeitspflicht nicht verletzt, weil er wirksam ein Leistungsverweigerungsrecht geltend gemacht habe. Angesichts der gegen ihn verhängten „Entwicklungsblockade“ und des fortwährenden „Mobbing“ sei es ihm unzumutbar, weiterhin seine Arbeitsleistung zu erbringen. Die Kündigung stelle sich als Maßregelung dar.

9

Der Kläger hat - soweit noch von Interesse - beantragt

        

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die außerordentliche fristlose Kündigung vom 26. Oktober 2012 noch durch die außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist vom 26. Oktober 2012 aufgelöst worden ist.

10

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat gemeint, der Kläger habe seine Arbeitspflicht beharrlich verletzt. Er sei nicht berechtigt gewesen, die Leistung zu verweigern. Die von ihm - ohnehin unsubstantiiert - erhobenen Vorwürfe seien unzutreffend. Der Kläger habe sich auch nicht in einem entschuldbaren Rechtsirrtum befunden. Vielmehr sei er sich des mit seinem Vorgehen verbundenen Risikos bewusst gewesen.

11

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben. Mit der Revision verfolgt die Beklagte das Ziel, das erstinstanzliche Urteil wiederherzustellen.

Entscheidungsgründe

12

Die Revision ist zulässig und begründet.

13

A. Der Senat kann über die Revision entscheiden. Es kommt nicht darauf an, ob der Rechtsstreit deshalb nach § 244 Abs. 1 ZPO unterbrochen gewesen ist, weil der ursprüngliche Prozessbevollmächtigte des Klägers im Laufe des Revisionsverfahrens die Zulassung zur Anwaltschaft und damit gemäß § 11 Abs. 4 ArbGG die Fähigkeit verloren hat, die Vertretung seiner Partei fortzuführen(gegen eine Unterbrechung bei Bestellung eines Abwicklers BFH 10. Februar 1982 - I R 225/78 - BFHE 135, 445; für eine Unterbrechung trotz Bestellung eines Abwicklers OLG Köln 3. Juni 1993 - 12 W 19/93 - zu I der Gründe; Stein/Jonas/Roth ZPO 22. Aufl. § 244 Rn. 9). Eine mögliche Unterbrechung ist jedenfalls dadurch beendet worden, dass der Abwickler der Kanzlei des früheren Prozessbevollmächtigten mit Schriftsatz vom 30. April 2015 seine Bestellung gegenüber dem Bundesarbeitsgericht angezeigt hat und die Anzeige der Beklagten zugestellt worden ist (§ 244 Abs. 1, § 250 ZPO). Bei einem amtlich bestellten Abwickler handelt es sich um einen „bestellten neuen Anwalt“ iSv. § 244 Abs. 1 ZPO(BAG 13. Mai 1997 - 3 AZR 66/96 - zu A der Gründe).

14

B. Die Revision ist zulässig. Entgegen der Ansicht des Klägers ist sie ordnungsgemäß begründet worden.

15

I. Nach § 72 Abs. 5 ArbGG iVm. § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 ZPO gehört zum notwendigen Inhalt der Revisionsbegründung die Angabe der Revisionsgründe. Bei einer Sachrüge muss der vermeintliche Rechtsfehler des Landesarbeitsgerichts so aufgezeigt werden, dass Gegenstand und Richtung des Revisionsangriffs erkennbar sind. Dazu muss die Revisionsbegründung eine Auseinandersetzung mit den Gründen des angefochtenen Urteils enthalten. Das erfordert die genaue Darlegung der Gesichtspunkte, aus denen das angefochtene Urteil rechtsfehlerhaft sein soll (vgl. BAG 29. August 2013 - 2 AZR 273/12 - Rn. 16).

16

II. Diesen Anforderungen wird die Revisionsbegründung gerecht. Die Beklagte wendet sich gegen die Annahme des Landesarbeitsgerichts, unter Abwägung der beiderseitigen Interessen sei es ihr zumutbar, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen. Sie legt dar, welche von ihm festgestellten Umstände es außer Acht gelassen habe und wie daraus ein anderes Ergebnis folge. Diese Sachrüge wäre im Fall ihrer Begründetheit geeignet, das Berufungsurteil - soweit es durch die Beklagte angefochten wird - zu Fall zu bringen. Das reicht als Revisionsangriff aus. Darauf, ob die Beklagte die von ihr zudem erhobenen Verfahrensrügen ausreichend begründet hat, kommt es für die Zulässigkeit der Revision deshalb nicht an.

17

C. Die Revision ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage zu Unrecht stattgegeben. Sie ist unbegründet. Die außerordentliche fristlose Kündigung der Beklagten vom 26. Oktober 2012 hat das Arbeitsverhältnis der Parteien mit ihrem Zugang aufgelöst. Sie ist wirksam.

18

I. Es besteht ein wichtiger Grund iSv. § 626 BGB iVm. § 8 Ziff. 2 Abs. 3 Satz 1 MTV.

19

1. Nach § 8 Ziff. 2 Abs. 3 Satz 1 MTV können die Arbeitsverhältnisse von Arbeitnehmern, die - wie der Kläger - das 50. Lebensjahr vollendet und dem Betrieb oder Unternehmen mindestens 15 Jahre angehört haben, verhaltensbedingt nur noch aus wichtigem Grund gekündigt werden. Mit dem Begriff des „wichtigen Grundes“ knüpft der MTV an die gesetzliche Regelung des § 626 Abs. 1 BGB an(für insoweit vergleichbare Tarifverträge BAG 28. Oktober 2010 - 2 AZR 688/09 - Rn. 31; 12. Januar 2006 - 2 AZR 242/05 - Rn. 24).

20

2. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der - ggf. fiktiven - Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dabei ist zunächst zu untersuchen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“ und damit typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist oder nicht (BAG 23. Oktober 2014 - 2 AZR 865/13 - Rn. 19, BAGE 149, 355; 29. August 2013 - 2 AZR 273/12 - Rn. 19). Bei der Interessenabwägung ist die ordentliche Unkündbarkeit seines Arbeitsverhältnisses - hier: nach § 8 Ziff. 2 Abs. 3 Satz 1 MTV - nicht gesondert zugunsten des Arbeitnehmers zu berücksichtigen (vgl. BAG 27. Januar 2011 - 2 AZR 825/09 - Rn. 48 mwN, BAGE 137, 54).

21

3. Der Kläger hat einen „an sich“ wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB herbeigeführt, indem er die von ihm geschuldete Arbeitsleistung beharrlich verweigerte.

22

a) Die beharrliche Weigerung eines Arbeitnehmers, seine vertraglich geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen, ist „an sich“ geeignet, eine außerordentliche fristlose Kündigung zu rechtfertigen. Ein Arbeitnehmer verweigert die ihm angewiesene Arbeit beharrlich, wenn er sie bewusst und nachdrücklich nicht leisten will. Ob er zur Arbeitsleistung verpflichtet war, entscheidet sich nach der objektiven Rechtslage. Verweigert der Arbeitnehmer die Arbeitsleistung in der Annahme, er handele rechtmäßig, hat grundsätzlich er selbst das Risiko zu tragen, dass sich seine Rechtsauffassung als unzutreffend erweist (BAG 29. August 2013 - 2 AZR 273/12 - Rn. 29, 32).

23

b) Der kündigende Arbeitgeber ist darlegungs- und beweispflichtig für alle Umstände, die einen wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB begründen sollen. Ihn trifft die Darlegungs- und Beweislast auch für diejenigen Tatsachen, die einen vom Gekündigten behaupteten Rechtfertigungsgrund ausschließen. Allerdings hat hierzu der Arbeitnehmer seinerseits nach § 138 Abs. 2 ZPO substantiiert vorzutragen; er muss darlegen, warum sein Fehlen als „entschuldigt“ anzusehen sei. Nur die im Rahmen der insofern abgestuften Darlegungs- und Beweislast vom Arbeitnehmer behaupteten Tatsachen hat der Arbeitgeber zu widerlegen (vgl. BAG 17. Juni 2003 - 2 AZR 123/02 - zu II 2 b aa der Gründe; 21. Mai 1992 - 2 AZR 10/92 - zu II 2 b bb der Gründe, BAGE 70, 262).

24

c) Der Kläger verweigerte seit dem 1. Oktober 2012 die von ihm geschuldete Arbeitsleistung. Er war grundsätzlich verpflichtet, die ihm mit seinem Einverständnis übertragenen Tätigkeiten eines „Blueprint-Vorfilterers“ und eines „TRM-Koordinators“ auszuführen.

25

d) Der Kläger war nicht berechtigt, die Arbeitsleistung zu verweigern, weil es ihm gemäß § 275 Abs. 3 BGB unzumutbar gewesen wäre, sie zu erbringen.

26

aa) Nach § 275 Abs. 3 BGB kann der Schuldner die Leistung verweigern, wenn er sie persönlich zu erbringen hat und sie ihm unter Abwägung des ihr entgegenstehenden Hindernisses mit dem Leistungsinteresse des Gläubigers nicht zugemutet werden kann. Die Vorschrift betrifft das Spannungsverhältnis von Vertragstreue und Unzumutbarkeit der Arbeitsleistung (BAG 13. August 2010 - 1 AZR 173/09 - Rn. 12, BAGE 135, 203). Sie löst es (nur) dann zugunsten des Schuldners auf, wenn für diesen die Leistungserbringung in hohem Maße belastend ist (MüKoBGB/Ernst 6. Aufl. § 275 Rn. 116), weil ein Fall besonderer Leistungserschwerung vorliegt (Alpmann in jurisPK-BGB 7. Aufl. § 275 Rn. 70). Dem Schuldner kann die Erfüllung der von ihm persönlich zu erbringenden Leistung unzumutbar sein, wenn er dadurch Gefahr läuft, in bedeutsamen Rechtsgütern verletzt zu werden (vgl. Staudinger/Caspers (2014) § 275 Rn. 112: Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit). Im Falle einer zur Arbeitsunfähigkeit führenden Erkrankung des Arbeitnehmers selbst - nicht eines seiner nahen Angehörigen - ist umstritten, ob die Leistungsbefreiung automatisch gemäß § 275 Abs. 1 BGB eintritt oder der Betreffende erst von einem Leistungsverweigerungsrecht nach § 275 Abs. 3 BGB Gebrauch machen muss(zum Streitstand siehe Alpmann in jurisPK-BGB 7. Aufl. § 275 Rn. 71; MüKoBGB/Ernst 6. Aufl. § 275 Rn. 118).

27

bb) Dem Kläger war es nicht unzumutbar, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen.

28

(1) Er beruft sich nicht etwa darauf, dass er bereits arbeitsunfähig erkrankt gewesen sei. Eine entsprechende ärztliche Bescheinigung gemäß § 5 EFZG hat er nicht vorgelegt. Es ist auch nicht ersichtlich, dass eine Arbeitsunfähigkeit zumindest zu erwarten gewesen wäre, wenn er seine Tätigkeit fortgesetzt hätte. Zwar hat der Kläger behauptet, an einer psychischen Erkrankung zu leiden. Jedoch hat er diese nur schlagwortartig umschrieben. Es fehlt an Vortrag zu den Symptomen und dazu, wie sich die Krankheit - die ihm offenbar seit Jahren bekannt ist - in der jüngeren Vergangenheit entwickelt hat, welche konkreten Auswirkungen die Situation am Arbeitsplatz hatte und warum es ihm deshalb nicht mehr zugemutet werden konnte, die Arbeitsleistung fortzusetzen.

29

(2) Das Landesarbeitsgericht hat ohne Rechtsfehler angenommen, dass es dem Kläger nicht aufgrund von - drohenden - Persönlichkeitsrechtsverletzungen unzumutbar gewesen sei, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen (zur eingeschränkten Überprüfbarkeit der tatrichterlichen Würdigung vgl. BAG 28. Oktober 2010 - 8 AZR 546/09 - Rn. 20; 24. April 2008 - 8 AZR 347/07 - Rn. 36).

30

(a) Nicht jedes den Arbeitnehmer belastende Verhalten des Arbeitgebers oder eines seiner Repräsentanten (§ 278 BGB) stellt einen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte des Arbeitnehmers oder eine Verletzung vertraglicher Pflichten zur Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB) dar. Persönlichkeitsrechte werden nicht allein dadurch verletzt, dass im Arbeitsleben übliche Konflikte auftreten, die sich durchaus über einen längeren Zeitraum erstrecken können. Sozial- und rechtsadäquates Verhalten muss aufgrund der gebotenen objektiven Betrachtungsweise - dh. ohne Rücksicht auf das subjektive Empfinden des betroffenen Arbeitnehmers - von der rechtlichen Bewertung ausgenommen werden. Mangels entsprechender Systematik und Zielrichtung werden keine Rechte des Arbeitnehmers beeinträchtigt, wenn er von verschiedenen Vorgesetzten, die nicht zusammenwirken und die zeitlich aufeinanderfolgen, in seiner Arbeitsleistung kritisiert oder schlecht beurteilt wird. Dies gilt insbesondere dann, wenn seine Arbeitsleistung nicht nur beanstandet oder ignoriert, sondern auch positiv gewürdigt wird. Ebenso müssen Verhaltensweisen von Arbeitgebern oder Vorgesetzten unberücksichtigt bleiben, die lediglich eine Reaktion auf Provokationen durch den vermeintlich „gemobbten“ Arbeitnehmer darstellen. Insoweit fehlt es an der eindeutigen Täter-Opfer-Konstellation (BAG 16. Mai 2007 - 8 AZR 709/06 - Rn. 86, BAGE 122, 304).

31

(b) Zur Begründung des Vorwurfs, er sei systematisch in seiner beruflichen Entwicklung „blockiert“ worden, beruft der Kläger sich darauf, dass ihm Zwischenzeugnisse mit unrichtigem Inhalt erteilt, ein Telearbeitsplatz verweigert, Leistungspunkte gestrichen, keine herausfordernden Aufgaben übertragen und eine Fortbildung und Beförderung verwehrt worden seien. Weitere Verhaltensweisen der Beklagten hat er nicht konkret dargetan; es ersetzt keinen substantiierten Sachvortrag, Vorschriften zu benennen, gegen die sie verstoßen haben soll.

32

(c) Mit dem Landesarbeitsgericht lassen die vom Kläger geschilderten Verhaltensweisen weder einzeln für sich noch in ihrer Gesamtschau den Schluss auf eine Verletzung seines Persönlichkeitsrechts zu. Zwischen den Parteien bestanden lediglich Konflikte wie sie im Arbeitsleben üblich sind. Sie ergaben sich aus unterschiedlichen Auffassungen über die Qualität der Arbeitsleistung und -ergebnisse des Klägers. Es ist nicht ersichtlich, dass die Beklagte oder einer ihrer Repräsentanten (§ 278 BGB) auch nur in einem Einzelfall die Ebene der Sachlichkeit verlassen hätte. Im Übrigen würde selbst dies nicht ausreichen, um eine Rechtsverletzung anzunehmen (vgl. BAG 16. Mai 2007 - 8 AZR 709/06 - Rn. 76, BAGE 122, 304).

33

(aa) Der Kläger mag es als erniedrigend empfunden haben, dass ehemalige Kollegen zu seinen Vorgesetzten wurden. In diesem Empfinden mag er dadurch bestärkt worden sein, dass seine Arbeitsleistung schlechter beurteilt wurde, als er es für gerechtfertigt hielt. Er hatte jedoch keinen Rechtsanspruch darauf, gleichfalls befördert zu werden (vgl. zur „Fürsorgepflicht“ des Arbeitgebers BAG 23. September 1992 - 5 AZR 526/91 - zu II 6 der Gründe). Die Beklagte hat substantiiert dargetan, dass sie ihn nicht als „Führungskraft“ sehe, weil er aus ihrer Sicht nicht über ausreichende Gestaltungsfähigkeiten bei komplexen, noch unklaren Sachverhalten und nicht über das erforderliche Team- und Kommunikationsverhalten verfüge.

34

(bb) Es ist nicht ersichtlich, dass gegen den Kläger eine „Entwicklungsblockade“ verhängt worden wäre. Ihm sind Angebote zur Fort- und Weiterbildung unterbreitet worden. Diese hat er entweder nicht angenommen oder er hat die begonnenen Schulungen - etwa das sog. Gallup-Stärkentraining - vorzeitig abgebrochen. Wenn Probleme in seinem Arbeitsumfeld aufgetreten sind, hat die Beklagte versucht, Tätigkeiten in anderen Bereichen für ihn zu finden und ihm einen „unbelasteten Neustart“ zu ermöglichen. Nach seinen eigenen Angaben ist er nicht nur kritisiert, sondern verschiedentlich für seine Arbeitsleistung und seine Arbeitsergebnisse auch gelobt worden. Zu keiner Zeit wurde ihm eine Aufgabe entzogen. Die Notwendigkeit, ihm neue Tätigkeiten zuzuweisen, ergab sich vielmehr dadurch, dass die ihm übertragenen Projekte abgeschlossen waren. Dass der Kläger mit den ihm zuletzt übertragenen Tätigkeiten eines „Blueprint-Vorfilterers“ und eines „TRM-Koordinators“ nicht ausgelastet war, lässt nicht den Schluss zu, die Beklagte habe ihn auf das „Abstellgleis“ geschoben. Ihm ist zusätzlich ein Einsatz im Projekt „SharePoint“ angeboten worden. Diesen hat er - mit der Begründung, dass er sich dafür zunächst hätte fortbilden müssen - abgelehnt. Er hat auch im Prozess keine Angaben dazu gemacht, welche möglichen Aufgaben, die den arbeitsvertraglichen Vereinbarungen entsprochen und nicht eine Beförderung bedeutet hätten, die Beklagte ihm „vorenthalten“ habe.

35

(cc) Es kommt hinzu, dass die Auseinandersetzungen um den Telearbeitsplatz und die Streichung von Leistungspunkten bei Beginn der Arbeitsverweigerung bereits im Sinne des Klägers „ausgestanden“ waren. Ihm war ein Telearbeitsplatz eingerichtet worden. Sein Vorgesetzter hatte ihm lediglich nahegelegt, in seinem - des Klägers - eigenen Interesse gleichwohl ausreichend im Unternehmen „präsent“ zu sein. Die nach den bei der Beklagten üblichen Gepflogenheiten anlässlich eines Aufgabenwechsels „gehaltsneutral“ gestrichenen Leistungspunkte waren ihm auf seinen „Protest“ hin wieder gutgeschrieben worden. Das hatte für ihn eine Gehaltserhöhung zur Folge, obwohl er sich in der neuen Tätigkeit noch nicht in der dazu erforderlichen Weise „bewährt“ haben konnte.

36

e) Die Arbeitsverweigerung durch den Kläger war nicht in Ausübung eines Zurückbehaltungsrechts gemäß § 273 Abs. 1 BGB gerechtfertigt.

37

aa) Nach dieser Vorschrift darf der Schuldner, der aus dem gleichen Rechtsverhältnis, auf dem seine Verpflichtung beruht, einen fälligen Anspruch gegen den Gläubiger hat - sofern sich aus dem Schuldverhältnis nichts anderes ergibt -, die geschuldete Leistung verweigern, bis die ihm gebührende Leistung bewirkt wird. Dem Arbeitnehmer kann ein Recht zustehen, die Arbeitsleistung zurückzuhalten, wenn der Arbeitgeber seine aus dem Arbeitsverhältnis folgenden Haupt- oder Nebenpflichten schuldhaft nicht erfüllt. So liegt es beispielsweise, wenn der Arbeitgeber oder einer seiner Repräsentanten (§ 278 BGB) die Gesundheit des Arbeitnehmers oder dessen Persönlichkeitsrecht in erheblicher Weise verletzt und mit weiteren Verletzungen zu rechnen ist. Die Ausübung des Zurückbehaltungsrechts steht unter dem Gebot von Treu und Glauben nach § 242 BGB und unterliegt dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Dementsprechend muss der Arbeitnehmer unter Angabe des Grundes dem Arbeitgeber klar und eindeutig mitteilen, er werde dieses Recht mit Blick auf eine ganz bestimmte, konkrete Gegenforderung wahrnehmen. Nur so wird dem Arbeitgeber die Möglichkeit eröffnet, den möglichen Anspruch des Arbeitnehmers zu prüfen und ggf. zu erfüllen. Wenn der Arbeitnehmer berechtigterweise von einem Zurückbehaltungsrecht Gebrauch macht, liegt keine Arbeitsverweigerung vor (vgl. BAG 13. März 2008 - 2 AZR 88/07 - Rn. 39 ff. mwN).

38

bb) Entgegen der Annahme des Landesarbeitsgerichts hat der Kläger kein Zurückbehaltungsrecht nach § 273 Abs. 1 BGB geltend gemacht. Obwohl ihm ausweislich vorheriger Mitteilungen - etwa in der E-Mail vom 30. März 2009 - der Unterschied zwischen beiden Normen bestens bekannt war, hat er die Beklagte mit E-Mail vom 20. September 2012 (lediglich) wissen lassen, dass ihm die weitere Arbeitsleistung unzumutbar sei und er ab dem 1. Oktober 2012 von seinem Leistungsverweigerungsrecht nach § 275 Abs. 2 und Abs. 3 BGB Gebrauch machen werde. Noch in der Klageschrift hat er sich ausschließlich auf § 275 BGB bezogen. Dementsprechend hat er von der Beklagten nicht etwa verlangt, bestimmte Ansprüche zu erfüllen, Maßnahmen zu ergreifen oder Zustände zu beenden. Mithilfe der Weigerung, seine Arbeitsleistung zu erbringen, wollte er weder eine vertragsgemäße Beschäftigung noch die Unterlassung von weiterem „Mobbing“ erreichen. Vielmehr hat er lediglich „vorgeschlagen“, ihn unter Fortzahlung der Vergütung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze von der Arbeitsleistung freizustellen. Darin erblickte er nicht mehr als die Festschreibung dessen, was nach § 275 Abs. 3 iVm. § 326 Abs. 2 BGB ohnehin - unveränderlich - gelte.

39

cc) Gemäß den Ausführungen zu § 275 Abs. 3 BGB bestanden im Übrigen keine Gegenansprüche, auf die der Kläger ein Recht, seine Arbeitsleistung zurückzuhalten, erfolgreich hätte stützen können. Zwar hatte er einen Anspruch auf vertragsgemäße Beschäftigung im Umfang von 35 Wochenstunden. Auch wurde dieser von der Beklagten bei weitem nicht vollständig erfüllt, weil der Kläger nach den tatsächlichen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts mit den ihm zuletzt übertragenen Tätigkeiten eines „Blueprint-Vorfilterers“ und eines „TRM-Koordinators“ nur im Umfang von drei bis vier Stunden pro Woche ausgelastet war. Die „Unterbeschäftigung“ beruhte jedoch darauf, dass der Kläger die ihm ergänzend angetragene Tätigkeit im Projekt „SharePoint“ nicht hatte übernehmen wollen. Unter diesen Umständen wäre es rechtsmissbräuchlich iSv. § 242 BGB, die Arbeitsleistung mit dem Ziel zurückzuhalten, weitere Aufgaben zugewiesen zu bekommen.

40

f) Der Kläger hat seine geschuldete Arbeitsleistung bewusst und nachhaltig verweigert.

41

aa) Obgleich die Beklagte ihn mit Schreiben vom 28. September 2012 darauf hingewiesen hatte, dass sie dies als schwerwiegenden Verstoß gegen seine Hauptleistungspflicht betrachten und ggf. arbeitsrechtliche Konsequenzen ziehen werde, blieb er ab dem 1. Oktober 2012 der Arbeit fern und nahm sie trotz dreier Abmahnungen und mehrerer Aufforderungen der Beklagten bis zum Kündigungszeitpunkt - über mehr als dreieinhalb Wochen - nicht wieder auf.

42

bb) Der Kläger befand sich nicht in einem entschuldbaren Rechtsirrtum.

43

(1) Der Geltungsanspruch des Rechts bewirkt, dass der Schuldner das Risiko eines Rechtsirrtums grundsätzlich selbst trägt und es nicht dem Gläubiger überbürden kann (BAG 19. August 2015 - 5 AZR 975/13 - Rn. 31). Ein unverschuldeter Rechtsirrtum liegt nur vor, wenn der Schuldner seinen Irrtum auch unter Anwendung der zu beachtenden Sorgfalt nicht erkennen konnte. Dabei sind strenge Maßstäbe anzulegen. Es reicht nicht aus, dass er sich für seine eigene Rechtsauffassung auf eine eigene Prüfung und fachkundige Beratung stützen kann. Ein Unterliegen in einem möglichen Rechtsstreit muss zwar nicht undenkbar sein (vgl. BAG 12. November 1992 - 8 AZR 503/91 - zu I 1 der Gründe, BAGE 71, 350). Gleichwohl liegt ein entschuldbarer Rechtsirrtum nur dann vor, wenn der Schuldner damit nach sorgfältiger Prüfung der Sach- und Rechtslage nicht zu rechnen brauchte; ein normales Prozessrisiko entlastet ihn nicht (vgl. BAG 29. August 2013 - 2 AZR 273/12 - Rn. 34; BGH 6. Dezember 2006 - IV ZR 34/05 - zu II 1 a aa der Gründe; 27. September 1989 - IVa ZR 156/88 -).

44

(2) Der Kläger hat sich nicht fachkundig beraten lassen, bevor er die Arbeitsleistung verweigert hat. Nach seinem eigenen Vorbringen war er sich des Risikos, dass ein Leistungsverweigerungsrecht von den Gerichten verneint werden könnte, vollauf bewusst. Unter diesen Umständen kann von einem entschuldbaren, unvermeidbaren Rechtsirrtum keine Rede sein.

45

4. Bei der abschließenden Interessenabwägung überwiegt - entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts - das Interesse der Beklagten an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Dessen Fortsetzung war ihr selbst für den Lauf der - fiktiven - ordentlichen Kündigungsfrist von sieben Monaten zum Schluss eines Kalendermonats (§ 8 Ziff. 2 Abs. 2 Satz 1 MTV) nicht zuzumuten.

46

a) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der - fiktiven - Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Dabei lassen sich die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumindest bis zum Ende der Frist für eine ordentliche Kündigung zuzumuten war oder nicht, nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind. Sie scheidet aus, wenn es ein „schonenderes“ Gestaltungsmittel - etwa Abmahnung, Versetzung, ordentliche Kündigung - gibt, das ebenfalls geeignet ist, den mit einer außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck - nicht die Sanktion des pflichtwidrigen Verhaltens, sondern die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen des Arbeitsverhältnisses - zu erreichen (vgl. BAG 20. November 2014 - 2 AZR 651/13 - Rn. 21; 23. Oktober 2014 - 2 AZR 865/13 - Rn. 47, BAGE 149, 355).

47

b) Dem Berufungsgericht kommt bei dieser Prüfung und Interessenabwägung - obwohl es sich um Rechtsanwendung handelt - ein gewisser Beurteilungsspielraum zu. Seine Würdigung wird in der Revisionsinstanz aber daraufhin überprüft, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnormen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob es alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände widerspruchsfrei berücksichtigt hat (BAG 20. November 2014 - 2 AZR 651/13 - Rn. 24; 27. September 2012 - 2 AZR 646/11 - Rn. 42). Eine eigene Abwägung durch das Revisionsgericht ist dann möglich, wenn die des Berufungsgerichts fehlerhaft oder unvollständig ist und sämtliche relevanten Tatsachen feststehen (BAG 27. September 2012 - 2 AZR 646/11 - aaO; 19. April 2012 - 2 AZR 258/11 - Rn. 16).

48

c) Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, der Beklagten sei die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zuzumuten gewesen, hält der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht in allen Punkten stand.

49

aa) Die vom Landesarbeitsgericht vorgenommene Interessenabwägung ist insoweit nicht zu beanstanden, wie es zugunsten des Klägers die lange Dauer des Arbeitsverhältnisses, dessen von erheblichen Pflichtverletzungen freien Verlauf, seine Unterhaltspflichten und den Umstand berücksichtigt hat, dass die Beklagte nicht nach weiteren Möglichkeiten gesucht hat, ihn vertragsgemäß in Vollzeit zu beschäftigen. Dass der Kläger einen Einsatz im Projekt „SharePoint“ abgelehnt hatte, führte zwar dazu, dass er seine Arbeitsleistung nicht mit dem Ziel zurückhalten durfte, man möge ihm weitere Aufgaben übertragen. Dies entband die Beklagte jedoch nicht davon, „von sich aus“ andere bzw. zusätzliche Tätigkeiten für ihn zu suchen.

50

bb) Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht auf der anderen Seite die Schwere der Pflichtverletzung und den Grad des ihn treffenden Verschuldens zulasten des Klägers berücksichtigt.

51

(1) Die Pflichtverletzung des Klägers war schwerwiegend. Er hat gegen seine Hauptleistungspflicht verstoßen und es der Beklagten unmöglich gemacht, mit der von ihm geschuldeten Arbeitsleistung zu planen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob und ggf. welche Arbeiten aufgrund seiner Abwesenheit nicht erledigt wurden (vgl. dazu BAG 29. August 2013 - 2 AZR 273/12 - Rn. 43). Ebenso wenig ist es von Belang, dass er mit den Tätigkeiten als „Blueprint-Vorfilterer“ und „TRM-Koordinator“ lediglich für drei bis vier Wochenstunden ausgelastet war. Wollte man dies anders sehen, müssten geringfügig Beschäftigte selbst dann nicht mit einer Kündigung rechnen, wenn sie die Arbeitsleistung noch so beharrlich verweigern sollten.

52

(2) Den Kläger traf ein erhebliches Verschulden. Er war sich des mit seinem Vorgehen verbundenen Risikos nach eigenem Bekunden hinlänglich bewusst. Die Möglichkeit einer außerordentlichen fristlosen Kündigung hatte er ausdrücklich ins Kalkül gezogen.

53

cc) Das Landesarbeitsgericht durfte angesichts aller Umstände nicht annehmen, die Interessen des Klägers überwögen, weil der Beklagten eine mildere Reaktionsmöglichkeit zur Verfügung gestanden habe.

54

(1) Es hat gemeint, die Beklagte habe dem Kläger spätestens in dem Personalgespräch am 15. Oktober 2012 eine Verbesserung der von ihm als unerträglich empfundenen Arbeitssituation in Aussicht stellen und ihm so „den Weg zurück (…) ebnen“ müssen. Es könne „nicht von vornherein ausgeschlossen“ werden, „dass (er) ein solches Angebot wahrgenommen hätte“. Es sei ihm „gerade um eine angemessene Beschäftigung“ gegangen. Der Beklagten sei es deshalb zumutbar gewesen, dem Kläger zunächst „ein Entgegenkommen bei der Übernahme weiterer Aufgaben zu zeigen“.

55

(2) Die Annahme, darin habe ein milderes Mittel bestanden, das geeignet gewesen wäre, die Arbeitsverweigerung zu beenden, ist rechtsfehlerhaft. Sie steht im Widerspruch zu der Intention des Klägers, wie sie aus dessen vorangegangenen Bekundungen und - diese bestätigend - seinem Prozessvortrag deutlich geworden ist.

56

(a) Ausweislich seiner E-Mails vom 10., 20. und 28. September 2012 hielt der Kläger es für unzumutbar iSv. § 275 Abs. 3 BGB, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen. In Festschreibung dessen, was gemäß § 326 Abs. 2 BGB ohnehin gelte, „bevorzuge“ er eine bezahlte Freistellung bis zum Eintritt in die Regelaltersrente. Er war danach unter keinen Umständen (mehr) bereit, den bestehenden Arbeitsvertrag zu erfüllen. Die Beklagte musste mit Blick auf diese Äußerungen annehmen, dass sie ihn nicht dazu hätte bewegen können, seine ablehnende Haltung aufzugeben, indem sie ihm die Übernahme weiterer, den Vereinbarungen der Parteien entsprechender Aufgaben anböte. Eine „angemessene Beschäftigung“ wäre vielmehr in den Augen des Klägers - so musste es sich ihr darstellen - allenfalls eine solche gewesen, die eine Beförderung in den Bereich der „AT-Angestellten“ bzw. der „Führungskräfte“ bedeutet hätte. Und selbst das musste zweifelhaft erscheinen, nachdem er mit der E-Mail vom 28. September 2012 mitgeteilt hatte, die „innere Kündigung“ sei „perfekt“, für eine „neue Aufgabe oder Funktion habe (er) keine Kraft mehr“, die Beklagte habe „die Zusammenarbeit unmöglich gemacht“ und „ihre Glaubwürdigkeit und ihre Integrität restlos und unwiederbringlich kompromittiert“.

57

(b) Dass er schlechterdings nicht (mehr) bereit war, den bestehenden Arbeitsvertrag zu erfüllen, hat der Kläger durch seinen prozessualen Vortrag untermauert. So hat er im Schriftsatz vom 28. Mai 2013 ausgeführt, es sei „offensichtlich“, dass die „Vertrauensbasis nicht wiederhergestellt“ werden könne und die Prognose für eine erfolgreiche Zusammenarbeit „negativ“ sei. In seinem Schriftsatz vom 10. Juni 2013 hat er die einzigen Wege beschrieben, die er als gangbar ansehe, um den Konflikt der Parteien zu lösen: entweder eine bezahlte Freistellung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze oder die Zahlung einer Abfindung iHv. 1.502.550,00 Euro zzgl. einer Betriebsrente iHv. 600,00 Euro pro Monate. Als „worst case“ komme auch eine Fortführung des Arbeitsverhältnisses in Betracht, allerdings nur bei Gewährung einer Gehaltserhöhung, Zusage von Altersteilzeit und Androhung eines Ordnungsgelds für die Beklagte.

58

d) Gab es demnach kein milderes Mittel, um den Kläger dazu zu bewegen, künftig seinen Arbeitsvertrag zu erfüllen, überwog das Interesse der Beklagten daran, das Arbeitsverhältnis sofort zu beenden. Da der Kläger bei vollem Risikobewusstsein seine Hauptleistungspflicht nachhaltig verletzt und deren weitere Erfüllung abgelehnt hatte, ohne dass die Aussicht bestanden hätte, ihn „zur Umkehr“ bewegen zu können, hat er der Beklagten selbst die befristete Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar gemacht. Nicht anders läge es, wenn er sie - im Sinne des von ihm beschriebenen „worst-case“-Szenarios - dazu hätte „nötigen“ wollen, ihn zu befördern, ihm Altersteilzeit zu bewilligen und ihm eine Betriebsrente in der geforderten Höhe zu zahlen.

59

5. Die Beklagte hat die Erklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB gewahrt. Sie hat die Kündigung damit begründet, der Kläger weigere sich beharrlich, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen. Damit hat sie einen Dauertatbestand geltend gemacht, der sich fortlaufend neu verwirklichte (vgl. BAG 29. August 2013 - 2 AZR 273/12 - Rn. 45; 13. Mai 2004 - 2 AZR 36/04 - zu II 1 der Gründe).

60

II. Die Kündigung ist nicht deshalb nach § 134 BGB nichtig, weil sie gegen das Maßregelungsverbot des § 612a BGB verstieße. So läge es nur, wenn tragender Beweggrund, dh. wesentliches Motiv für sie eine zulässige Rechtsausübung gewesen wäre (vgl. BAG 20. Dezember 2012 - 2 AZR 867/11 - Rn. 45; 19. April 2012 - 2 AZR 233/11 - Rn. 47). Das wiederum setzte voraus, dass das geltend gemachte Recht tatsächlich existierte (ErfK/Preis 15. Aufl. § 612a BGB Rn. 5; KR/Treber 10. Aufl. § 612a BGB Rn. 6). Dem Kläger stand aber weder ein Leistungsverweigerungsrecht nach § 275 Abs. 3 BGB noch ein Zurückbehaltungsrecht nach § 273 Abs. 1 BGB zu. Er hat kein Recht in zulässiger Weise ausgeübt, sondern beharrlich die von ihm geschuldete Arbeitsleistung verweigert.

61

III. Die Kündigung ist nicht nach § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam. Der Betriebsrat ist ordnungsgemäß angehört worden. Hierüber besteht zwischen den Parteien kein Streit.

62

D. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1, § 97 Abs. 1 ZPO.

        

    Kreft    

        

    Rachor    

        

    Niemann    

        

        

        

    Krichel    

        

    Jan Eulen    

                 

Tenor

1. Auf die Revision des beklagten Landes wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Sachsen-Anhalt vom 19. Dezember 2014 - 4 Sa 10/14 - aufgehoben.

2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an eine andere Kammer des Landesarbeitsgerichts zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen und einer hilfsweise ordentlichen Kündigung.

2

Der 1954 geborene Kläger war bei dem beklagten Land seit Februar 1992 als Justizangestellter beschäftigt. Zuletzt war er am Oberlandesgericht N als „IT-Verantwortlicher“ tätig. Zu seinen Aufgaben gehörten die System- und Netzwerkbetreuung, die Verwaltung des sog. ADV-Depots, die Wartung, Pflege und Betreuung der Hard- und Software, die technische Unterstützung der Nutzer des Hauses, die Administration der elektronischen Berechtigungen und die Passwortvergabe. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien fand zuletzt der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) Anwendung.

3

Am 6. und am 19. März 2013 führte der Geschäftsleiter des Oberlandesgerichts mit dem Leiter der Wachtmeisterei - im Beisein der Vorsitzenden des örtlichen Personalrats - ein Personalgespräch. Dem Beamten wurde vorgehalten, unbefugt dienstliche Farbdrucker für die Erstellung sog. CD-Cover genutzt zu haben. In dem ersten Gespräch soll er laut eines „Besprechungsvermerks“ den Kläger als diejenige Person benannt haben, die für die Bestellung des Zubehörs für den EDV-Raum - einschließlich DVDs und CDs - verantwortlich gewesen sei.

4

Am 14. März 2013 unterzog der Geschäftsleiter den Arbeitsbereich des Klägers und den eines Justizhauptsekretärs, der sich mit dem Kläger das Dienstzimmer teilte, einer Geschäftsprüfung. In einem Vermerk des Geschäftsleiters vom 11. April 2013 („Prüfungsbericht“) heißt es, in der Zeit vom 1. Juli 2008 bis zum 31. Dezember 2012 seien für das Oberlandesgericht 2.325 DVDs und 1.500 CDs bestellt worden. Nach den eigenen Angaben des Klägers - so der Vermerk - seien zu dienstlichen Zwecken nur 150 bis 200 DVDs und etwa 50 CDs jährlich benötigt worden. Der Verbleib des restlichen Materials sei nicht aufzuklären. Auf einem mit dem Netzwerk des Oberlandesgerichts nicht verbundenen Computer sei lediglich der Kläger als „lokaler Admin“ und Nutzer festzustellen. Auf einer der Festplatten des Rechners seien nach Wiederherstellung vom Nutzer gelöschter Dateien 2.466 elektronische Bücher, 2.378 Bilddateien, 834 Audiodateien und 230 Videodateien gefunden worden. Ferner seien auf dem Rechner vier Programme installiert gewesen, die zum Umwandeln und Kopieren von DVDs und CDs geeignet seien. In der Zeit vom 6. Oktober 2010 bis zum 14. März 2013 sei eines von ihnen 1.128 Mal zur Bearbeitung von DVDs genutzt worden. Auf zwei weiteren externen Festplatten seien zusätzlich 41.242 Audiodateien, 1.822 Cover und 41 DVD-Kopien gefunden worden. Eine dritte externe Festplatte habe einen Ordner „Private Rechner“ enthalten. In den Schränken des Dienstzimmers hätten sich verschiedene leere und gefüllte „CD-Spindeln“ unterschiedlicher Größe, gebrannte Musik-CDs und leere DVDs befunden.

5

Mit Schreiben vom 16. April 2013 hörte das beklagte Land den örtlichen Personalrat zu einer beabsichtigten außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Parteien an.

6

Am 17. April 2013 fand zwischen dem Geschäftsleiter, einer Richterin am Oberlandesgericht und dem Kläger ein Personalgespräch statt. Dabei soll der Kläger - laut Vermerk - „sinngemäß“ erklärt haben, „alles, was auf dem Rechner bezüglich der DVDs“ sei, habe er „gemacht“. Er habe den Rechner mit nach Hause nehmen dürfen. „Natürlich [hätten sie] auch kopiert“. „Was das für DVDs und CDs“ gewesen seien, wisse er nicht mehr. Er habe „den Leuten einen Gefallen getan“. Er habe „manchmal“ festgestellt, dass sein Rechner von anderen Personen benutzt worden sei. Dies habe er nicht mitgeteilt, da es sich „nur“ um den „Test-Rechner“ gehandelt habe. Seit etwa Dezember 2012 habe er ein Passwort vergeben. Dieses sei aber für jeden, der seine Familie kenne, zu „knacken“ gewesen. Er habe „hundertprozentig“ keine „privaten Sachen“ für sich selbst „im Dienst gemacht“, sondern nur „für andere Leute aus dem OLG“.

7

Mit Schreiben vom 18. April 2013 informierte das beklagte Land den örtlichen Personalrat über den Inhalt des Gesprächs vom Vortag und über die Verwendungsmöglichkeiten des zur Bearbeitung von DVDs benutzten Umwandlungs- und Kopierprogramms. Zugleich teilte es mit, der Kläger habe sich nicht weiter geäußert. Mit Schreiben vom selben Tag erklärte der Personalrat, er habe die Angelegenheit „zur Kenntnis genommen“.

8

Mit Schreiben vom 18. April 2013, das dem Kläger am 22. April 2013 durch den Geschäftsleiter übergeben wurde, kündigte das beklagte Land das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos. In einem Vermerk heißt es, der Kläger habe bei Aushändigung der Kündigung erklärt, er nehme seine „zuvor getätigten Aussagen“ zurück. Er habe Kollegen und Vorgesetzte schützen wollen.

9

Am 22. April 2013 führte der Geschäftsleiter mit dem Bediensteten, auf dessen Arbeitsplatz sich die Geschäftsprüfung erstreckt hatte, im Beisein der Personalratsvorsitzenden ein Personalgespräch. Laut Vermerk soll der Mitarbeiter eingeräumt haben, CDs und DVDs für Musik und Filme jeweils „im mittleren dreistelligen Bereich … gebrannt“ zu haben. Die Vorlagen habe er in regelmäßigen Abständen vom Leiter der Wachtmeisterei und dem Kläger erhalten. Er habe das Kopierprogramm „für DVDs privat genutzt“. Die bei der zentralen Beschaffungsstelle des beklagten Landes bestellten DVDs und CDs seien in einem verschlossenen Schrank aufbewahrt worden. Der Schlüssel sei vom Kläger verwahrt und „immer mitgenommen“ worden.

10

Nach erneuter Anhörung des örtlichen Personalrats und mit dessen Zustimmung kündigte das beklagte Land das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Schreiben vom 13. Mai 2013, das dem Kläger zwei Tage später zuging, ordentlich zum 31. Dezember 2013.

11

Der Kläger hat sich mit der vorliegenden Klage rechtzeitig gegen beide Kündigungen gewandt. Er hat geltend gemacht, die fristlose Kündigung sei mangels wichtigen Grundes unwirksam, die ordentliche Kündigung sei sozial ungerechtfertigt. Das Kopierprogramm und andere auf dem „Test-Rechner“ installierte Software habe er nicht in dem zutage getretenen Umfang genutzt. Zwar habe er sich ihrer gelegentlich bedient. Dies stelle aber keine schwerwiegende Pflichtverletzung dar, zumal ihm die Nutzung dienstlicher Computer, auch von Zuhause aus, zu privaten Zwecken in geringem Umfang durchaus erlaubt gewesen sei. Im Dienst durchgeführte Kopiervorgänge hätten jeweils nur wenige Sekunden in Anspruch genommen. Sie hätten seine Arbeitszeit insgesamt nicht verkürzt. Jedenfalls habe er keine „illegalen Kopien“ gefertigt. Keiner der beanstandeten Brennvorgänge sei ihm persönlich zuzuordnen. Wer den „Test-Rechner“ wann genutzt habe, stehe nicht fest. Auch andere Bedienstete hätten sich Zugang zu ihm verschaffen können. Das Passwort sei allgemein bekannt gewesen. Eine erhebliche Zahl der beanstandeten Nutzungen falle in eine Zeit, in der er selbst krankheits- oder urlaubsbedingt abwesend gewesen sei. Das beklagte Land gehe selbst davon aus, dass ein Kollege Brennvorgänge in nicht geringem Umfang durchgeführt habe. Ohnehin befänden sich auf dem „Server“ des Gerichts tausende von privaten Dateien, ohne dass dies je zu Beanstandungen geführt habe. Den hohen Verbrauch von Büromaterialien habe er nicht zu vertreten. Im Übrigen sei die Frist des § 626 Abs. 2 BGB nicht gewahrt. Auch sei der Personalrat nicht ordnungsgemäß unterrichtet worden. Jedenfalls zu einem gegen ihn gerichteten Verdacht als Kündigungsgrund sei dieser nicht angehört worden.

12

Der Kläger hat beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die außerordentliche Kündigung des beklagten Landes vom 18. April 2013 noch durch dessen ordentliche Kündigung vom 13. Mai 2013 beendet worden ist;

        

2.    

das beklagte Land zu verurteilen, ihn zu unveränderten Bedingungen als Angestellten im Oberlandesgericht N im Rahmen der zuletzt ausgeübten - von ihm näher beschriebenen - Tätigkeit weiterzubeschäftigen.

13

Das beklagte Land hat beantragt, die Klage abzuweisen. Es hat die Kündigungen - auch wegen eines gegen den Kläger gerichteten Verdachts - als wirksam verteidigt. Der Kläger habe den ihm dienstlich anvertrauten Rechner während der Arbeitszeit umfangreich und unerlaubt zu privaten Zwecken - dem Kopieren und Brennen von DVDs und CDs mithilfe spezifischer, nicht zu dienstlichen Zwecken bestimmter Programme - genutzt. In 630 Fällen seien entsprechende Vorgänge zu Zeiten erfolgt, in denen er im Dienst gewesen sei. Die fraglichen Programme habe er zumindest während dieser Zeiten selbst genutzt. Dadurch habe er seine Vertragspflichten über einen langen Zeitraum in grober Weise verletzt. Durch das Herstellen illegaler Kopien habe er sich überdies strafbar gemacht. Zudem habe er „Arbeitszeitbetrug“ begangen. Auch habe er über 2.000 DVDs und über 1.000 CDs auf seine - des beklagten Landes - Kosten bestellt und privat verwendet. Mit seinem Verhalten habe er das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses notwendige Vertrauen unwiederbringlich zerstört. Die Frist zur Erklärung der Kündigung sei gewahrt. Der zur Kündigung berechtigte Präsident des Oberlandesgerichts habe vom Kündigungssachverhalt erst durch den Prüfbericht des Geschäftsleiters vom 11. April 2013 Kenntnis erlangt. Die Beteiligung des Personalrats sei in jeder Hinsicht ordnungsgemäß erfolgt.

14

Das Arbeitsgericht hat der Klage - hinsichtlich des Weiterbeschäftigungsantrags mit Einschränkungen - stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des beklagten Landes zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt das beklagte Land sein Begehren weiter, die Klage abzuweisen.

Entscheidungsgründe

15

Die zulässige Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil war aufzuheben. Die Sache war zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 ZPO).

16

A. Die Revision ist zulässig. Sie ist ordnungsgemäß innerhalb der Frist des § 74 Abs. 1 ArbGG begründet worden.

17

I. Nach § 72 Abs. 5 ArbGG iVm. § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 ZPO gehört zum notwendigen Inhalt der Revisionsbegründung die Angabe der Revisionsgründe. Bei einer Sachrüge muss die Revisionsbegründung den Rechtsfehler des Landesarbeitsgerichts so aufzeigen, dass Gegenstand und Richtung des Revisionsangriffs erkennbar sind. Dazu muss die Revisionsbegründung eine Auseinandersetzung mit den Gründen des angefochtenen Urteils enthalten. Dies erfordert die genaue Darlegung der Gründe, aus denen das angefochtene Urteil rechtsfehlerhaft sein soll (BAG 2. Mai 2014 - 2 AZR 490/13 - Rn. 15; 13. November 2013 - 10 AZR 639/13 - Rn. 11).

18

II. Diesen Anforderungen wird die Revisionsbegründung gerecht. Das beklagte Land setzt sich im Schriftsatz vom 7. April 2015 mit allen die angefochtene Entscheidung selbständig tragenden Begründungen des Landesarbeitsgerichts auseinander. Es zeigt auf, warum die Erwägungen sachlich unzutreffend sein sollen. Die Ausführungen zum wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB greift es mit der Begründung an, das Landesarbeitsgericht habe, soweit es die Kündigung unter dem Gesichtspunkt einer Tatkündigung für unwirksam erachtet habe, die den Kläger treffende, abgestufte Darlegungslast verkannt. Die Annahme des Gerichts, die Frist des § 626 Abs. 2 BGB sei nicht gewahrt, beruhe auf unzutreffenden Erwägungen zum Fristbeginn. Insbesondere habe das Landesarbeitsgericht nicht - wie geboten - auf die Person des Kündigungsberechtigten und dessen Kenntnis abgestellt. Soweit es auf die Möglichkeit verwiesen habe, strafrechtliche Ermittlungen zu veranlassen und deren Ergebnis abzuwarten, sei dies sachfremd. Soweit es gemeint habe, die Anhörung des Personalrats sei aufgrund von Äußerungen eines anderen Bediensteten vom 22. April 2013 nicht ordnungsgemäß, habe es den Grundsatz der subjektiven Determinierung verkannt. Diese Sachrügen wären im Falle ihrer Begründetheit geeignet, die angefochtene Entscheidung insgesamt, auch mit Blick auf die vorsorglich erklärte ordentliche Kündigung, zu Fall zubringen. Das reicht als Revisionsangriff aus, ohne dass es auf die Verfahrensrügen des beklagten Landes ankäme.

19

B. Die Revision ist begründet. Auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen durfte das Landesarbeitsgericht der Klage nicht stattgeben. Der Senat kann mangels zureichender Tatsachenfeststellungen nicht beurteilen, ob das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die außerordentliche fristlose Kündigung vom 18. April 2013 aufgelöst worden ist.

20

I. Die bisherigen Feststellungen tragen nicht das Ergebnis, ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB liege nicht vor.

21

1. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dabei ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“ und damit typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (BAG 8. Mai 2014 - 2 AZR 249/13 - Rn. 16; 29. August 2013 - 2 AZR 273/12 - Rn. 19 mwN).

22

2. Die Prüfung der Voraussetzungen des wichtigen Grundes ist in erster Linie Sache der Tatsacheninstanzen. Dennoch geht es um Rechtsanwendung, nicht um bloße Tatsachenfeststellung. Die Würdigung des Berufungsgerichts wird in der Revisionsinstanz darauf hin überprüft, ob es anzuwendende Rechtsbegriffe in ihrer allgemeinen Bedeutung verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnormen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob es alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände widerspruchsfrei berücksichtigt hat (BAG 26. September 2013 - 2 AZR 682/12 - Rn. 45, BAGE 146, 161; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 17, BAGE 134, 349).

23

3. Dieser Überprüfung hält die angefochtene Entscheidung nicht stand.

24

a) Revisionsrechtlich nicht zu beanstanden ist die Annahme des Landesarbeitsgerichts, die fristlose Kündigung sei nicht als sog. Verdachtskündigung gerechtfertigt (zu dieser und ihren Voraussetzungen vgl. BAG 23. Mai 2013 - 2 AZR 102/12 - Rn. 20; 24. Mai 2012 - 2 AZR 206/11 - Rn. 16 mwN). Dagegen wendet sich das beklagte Land nicht. Ein Rechtsfehler ist auch objektiv - im Ergebnis - nicht zu erkennen.

25

aa) Will der Arbeitgeber seine Kündigung auf den dringenden Verdacht einer erheblichen arbeitsvertraglichen Pflichtverletzung stützen, muss er dies dem Betriebs- oder Personalrat mitteilen und die Umstände angeben, aus denen sich dieser Verdacht ergeben soll. Informiert er das Gremium lediglich über eine - aus seiner Sicht tatsächlich erfolgte - Vertragspflichtverletzung des Arbeitnehmers, kann er sich im späteren Kündigungsschutzprozess zur Begründung der Kündigung nicht mehr auf den bloßen Verdacht einer entsprechenden Handlung stützen, wenn ihm die Verdachtsmomente bei Ausspruch der Kündigung bereits bekannt waren (für die Anhörung des Betriebsrats vgl. BAG 18. Juni 2015 - 2 AZR 256/14 - Rn. 47; 23. April 2008 - 2 ABR 71/07 - Rn. 24 mwN; für die Beteiligung des Personalrats nach § 79 Abs. 1 Satz 1 BPersVG vgl. BAG 10. April 2014 - 2 AZR 684/13 - Rn. 21). Nur wenn dem Arbeitgeber nachträglich neue Verdachtstatsachen bekannt geworden sind, ist ein Nachschieben des Verdachts als Kündigungsgrund - zumindest dann, wenn die maßgebenden Verdachtsmomente objektiv schon vor Zugang der Kündigung vorlagen - möglich. Weitere Voraussetzung ist, dass der Arbeitgeber den Betriebs- bzw. Personalrat zuvor in analoger Anwendung der maßgebenden Bestimmungen zu seiner entsprechenden Absicht angehört hat (vgl. BAG 23. Mai 2013 - 2 AZR 102/12 - Rn. 32; 11. April 1985 - 2 AZR 239/84 - zu B I 2 b ee der Gründe, BAGE 49, 39).

26

bb) Das Vorbringen des beklagten Landes lässt nicht den Schluss zu, es habe den Personalrat vor Zugang der Kündigung über seine Absicht unterrichtet, das Arbeitsverhältnis (auch) wegen des Verdachts einer pflichtwidrigen Handlung zu kündigen. Die Anschreiben an den Personalrat vom 16. und 18. April 2013 enthalten keine entsprechende Mitteilung. Das beklagte Land hat nicht geltend gemacht, dass ihm einzelne der in den Rechtsstreit eingeführten Verdachtstatsachen erst nach Zugang der Kündigung bekannt geworden seien. Dafür spricht auch objektiv nichts.

27

b) Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, die Kündigung sei auch unter dem Gesichtspunkt einer verwirklichten Pflichtverletzung - dh. einer „Tat“ - nicht berechtigt, ist rechtsfehlerhaft. Ihr ist schon nicht zu entnehmen, welchen tatsächlichen Sachverhalt das Landesarbeitsgericht seiner Beurteilung zugrunde gelegt hat.

28

aa) Im Tatbestand der angefochtenen Entscheidung hat sich das Landesarbeitsgericht in weiten Teilen auf die Wiedergabe von Vermerken des beklagten Landes beschränkt. Ob es die darin festgehaltenen Umstände einschließlich der Äußerungen des Klägers für wahr erachtet hat, ist nicht zweifelsfrei erkennbar.

29

bb) In den Entscheidungsgründen hat das Landesarbeitsgericht unter Wiederholung der Erwägungen des Arbeitsgerichts ausgeführt, trotz Vorliegens „gewisser Verdachtsmomente“ sei es letztlich eine unbewiesene Behauptung des beklagten Landes, es seien (alle) vorgefundenen Privatdateien dem Kläger zuzurechnen, dieser (allein) habe die Privatnutzungen und damit auch mögliche (nach § 106 UrhG strafbare) Vervielfältigungen und Brennvorgänge vorgenommen bzw. durchgeführt. Keiner der dokumentierten Vorgänge lasse sich einzelnen Personen - etwa dem Kläger - zuordnen. Es sei auch „nicht bewiesen“, dass es gerade dieser gewesen sei, der die Kopierprogramme installiert habe. „Allein die Tatsache“, dass zahlreiche dokumentierte „Vorgänge“ Zeiten beträfen, während derer sich der Kläger nicht am Arbeitsplatz aufgehalten habe, beweise, dass andere Personen sowohl Zugriff auf den Rechner gehabt hätten als auch in der Lage gewesen seien, die Kopierprogramme zu nutzen. Auch diesen Ausführungen ist nicht zu entnehmen, von welchem konkreten, seiner Meinung nach feststehenden Sachverhalt das Landesarbeitsgericht ausgegangen ist. Es ist insbesondere nicht ersichtlich, worin es die - für nicht ausreichend erachteten - „Verdachtsmomente“ erblickt hat.

30

c) Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts kann selbst dann keinen Bestand haben, wenn unterstellt wird, es habe den Inhalt der Vermerke und das sonstige Vorbringen des beklagten Landes als wahr unterstellt. Unter dieser Prämisse verletzt seine Würdigung die Vorschrift des § 626 Abs. 1 BGB. Es fehlt an einer nachprüfbaren Unterordnung des behaupteten Kündigungssachverhalts unter die Norm.

31

aa) Die Beurteilung des Landesarbeitsgerichts, die Kündigung sei auch als sog. Tatkündigung nicht berechtigt, ist schon im Ansatz nicht nachzuvollziehen. Sie lässt nicht erkennen, wie es den von der Beklagten unterbreiteten Kündigungssachverhalt materiell-rechtlich eingeordnet, dh. welche konkreten, möglicherweise als wichtiger Grund geeigneten Pflichtverletzungen es in Betracht gezogen hat. Zudem ist nicht erkennbar, dass es seine Würdigung in tatsächlicher Hinsicht auf alle in Frage kommenden Kündigungsgründe ausgerichtet hätte.

32

(1) Nach dem Vorbringen des beklagten Landes kommt eine Berechtigung der fristlosen Kündigung unter mehreren Gesichtspunkten in Betracht. Vorrangig erhebt das Land den Vorwurf, der Kläger habe - sei es als Allein-, sei es als Mittäter - wiederholt unter Nutzung dienstlicher Ressourcen urheberrechtswidrig Musik- und Audiodateien vervielfältigt. Ein solches Verhalten ist als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB „an sich“ geeignet. Ein Arbeitgeber hat, zumal wenn es sich bei ihm um eine Justizbehörde handelt, ein offenkundiges Interesse daran, dass nicht dienstliche Rechner dazu benutzt werden, unter Umgehung eines Kopierschutzes Vervielfältigungen privat beschaffter Musik- oder Film-CDs/DVDs herzustellen. Das gilt losgelöst von einer möglichen Strafbarkeit der Vorgänge (zur Problematik vgl. Treppehl/Schmidl NZA 2009, 985 ff.) und unabhängig davon, ob die Handlungen während der Arbeitszeit vorgenommen wurden. Eine Strafbarkeit der Kopier- und Brennvorgänge oder ein damit einhergehender „Arbeitszeitbetrug“ wäre allerdings geeignet, das Gewicht des Kündigungsgrundes noch zu verstärken. Dies wiederum kann für das Erfordernis einer Abmahnung und die weitere Interessenabwägung Bedeutung gewinnen. Darüber hinaus kann die dem Kläger angelastete zweckwidrige Verwendung von CD- und/oder DVD-Rohlingen, die auf Kosten des beklagten Landes bestellt wurden, als eigenständiger Kündigungsgrund Bedeutung erlangen.

33

(2) Die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts lassen nicht erkennen, dass es die Wirksamkeit der fristlosen Kündigung unter jedem dieser Gesichtspunkte überprüft und seine Würdigung - soweit es „Verdachtsmomente“ gewichtet hat - hierauf ausgerichtet hätte.

34

bb) Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, das beklagte Land habe weder eine strafbare Urheberrechtsverletzung noch eine ähnlich schwerwiegende Vertragspflichtverletzung nachgewiesen, ist auch aus anderen Gründen rechtsfehlerhaft.

35

(1) Gemäß § 286 Abs. 1 ZPO haben die Tatsacheninstanzen unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlung und des Ergebnisses einer ggf. durchgeführten Beweisaufnahme nach ihrer freien Überzeugung darüber zu befinden, ob sie eine tatsächliche Behauptung für wahr erachten oder nicht. Die Beweiswürdigung muss vollständig, widerspruchsfrei und umfassend sein. Mögliche Zweifel müssen überwunden, brauchen aber nicht völlig ausgeschlossen zu werden (vgl. BAG 23. Oktober 2014 - 2 AZR 865/13 - Rn. 44; 31. Mai 2007 - 2 AZR 276/06 - Rn. 42, BAGE 123, 1). Soll ein Vortrag mittels Indizien bewiesen werden, hat das Gericht zu prüfen, ob es die vorgetragenen Hilfstatsachen - deren Richtigkeit unterstellt - von der Wahrheit der Haupttatsache überzeugen. Das Gericht hat die insoweit maßgebenden Umstände vollständig und verfahrensrechtlich einwandfrei zu ermitteln und alle Beweisanzeichen erschöpfend zu würdigen (BGH 16. Januar 1990 - VI ZR 109/89 - zu II 2 der Gründe; 4. Juli 1989 - VI ZR 309/88 - zu II 2 der Gründe). Dabei sind die Tatsacheninstanzen grundsätzlich frei darin, welche Beweiskraft sie den behaupteten Indiztatsachen im Einzelnen und in einer Gesamtschau beimessen (BAG 18. Juni 2015 - 2 AZR 480/14 - Rn. 35; allgemein zum Indizienbeweis BAG 23. Oktober 2014 - 2 AZR 865/13 - Rn. 43). Revisionsrechtlich ist ihre Würdigung allein darauf hin zu überprüfen, ob alle Umstände vollständig berücksichtigt und nicht Denk- und Erfahrungsgrundsätze verletzt wurden. Um diese Überprüfung zu ermöglichen, haben die Tatsachengerichte nach § 286 Abs. 1 Satz 2 ZPO die wesentlichen Grundlagen ihrer Überzeugungsbildung nachvollziehbar darzulegen(BAG 19. April 2005 - 9 AZR 184/04 - zu II 3 der Gründe; BGH 31. Juli 2013 - VII ZR 11/12 - Rn. 10; 22. November 2006 - IV ZR 21/05 - Rn. 11; 22. Januar 1991 - VI ZR 97/90 - zu II 1 der Gründe).

36

(2) Danach rügt das beklagte Land zu Recht eine Verletzung von § 286 ZPO. Der Würdigung des Landesarbeitsgerichts ist nicht zu entnehmen, welche möglichen Indiztatsachen („Verdachtsmomente“) es in seine Beurteilung einbezogen und welchen Beweiswert es ihnen beigemessen hat. Damit ist nicht erkennbar, ob es den Vortrag des beklagten Landes vollständig zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat.

37

(3) Der Annahme eines wichtigen Grundes steht nicht entgegen, dass das beklagte Land den Sachverhalt - jedenfalls bis zum Zeitpunkt der Kündigungserklärung - selbst ermittelt hat. Das mindert weder den Beweiswert der in Rede stehenden Indizien, noch ist die Kündigung deshalb unwirksam, weil polizeiliche oder staatsanwaltschaftliche Ermittlungen möglicherweise zu weitergehenden Ergebnissen geführt hätten. Soweit das Landesarbeitsgericht gemeint hat, das beklagte Land habe zu bestimmten, potentiell entlastenden Umständen nicht ausreichend vorgetragen, wird seine Rechtsanwendung überdies der den Kläger insoweit treffenden abgestuften Darlegungslast (§ 138 Abs. 2 ZPO) nicht gerecht.

38

(a) Die Rechtfertigung einer „Tatkündigung“ hängt allein davon ab, ob im Kündigungszeitpunkt objektiv Tatsachen vorlagen, die zu der Annahme berechtigen, dem Kündigenden sei die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses - im Fall der außerordentlichen Kündigung bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - unzumutbar gewesen. Vor diesem Hintergrund mag eine umfassende, der Kündigung vorausgehende Sachverhaltsaufklärung im eigenen Interesse des Arbeitgebers liegen. Unterlässt er sie, geht er aber „nur“ das Risiko ein, die behauptete Pflichtverletzung im Prozess nicht beweisen zu können. Anders als bei der Verdachtskündigung ist der Arbeitgeber vor Ausspruch einer „Tatkündigung“ nicht verpflichtet, alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts - auch mit Blick auf den Arbeitnehmer möglicherweise entlastende Umstände - zu unternehmen. Ob der behauptete Kündigungsgrund vorliegt, beurteilt sich allein danach, ob die ihn tragenden und im Prozess mitgeteilten Tatsachen bewiesen sind oder nicht (vgl. BAG 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 57, BAGE 131, 155; 18. September 1997 - 2 AZR 36/97 - zu II 2 a der Gründe; zur Verdachtskündigung siehe demgegenüber BAG 25. Oktober 2012 - 2 AZR 700/11 - Rn. 13 mwN, BAGE 143, 244). Im Übrigen braucht der Arbeitgeber selbst bei der Verdachtskündigung nicht jeder noch so entfernten Möglichkeit einer Entlastung des Arbeitnehmers nachzugehen, insbesondere dann nicht, wenn sich der Arbeitnehmer im Rahmen seiner Anhörung auf entsprechende Umstände nicht berufen hat.

39

(b) Auf der Grundlage des bisherigen Parteivorbringens durfte das Landesarbeitsgericht nicht davon ausgehen, das beklagte Land sei seiner prozessualen Darlegungslast mit Blick auf mögliche Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründe nicht hinreichend nachgekommen.

40

(aa) Im Kündigungsschutzprozess obliegt dem Arbeitgeber die volle Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen eines Kündigungsgrundes (BAG 8. Mai 2014 - 2 AZR 75/13 - Rn. 30, BAGE 148, 129). Für Umstände, die das Verhalten des Arbeitnehmers rechtfertigen oder entschuldigen könnten, ist seine Darlegungslast allerdings abgestuft. Der Arbeitgeber darf sich zunächst darauf beschränken, den objektiven Tatbestand einer Arbeitspflichtverletzung vorzutragen. Er muss nicht jeden erdenklichen Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgrund vorbeugend ausschließen (BAG 3. November 2011 - 2 AZR 748/10 - Rn. 23; 21. Mai 1992 - 2 AZR 10/92 - zu II 2 b bb der Gründe, BAGE 70, 262). Es ist vielmehr Sache des Arbeitnehmers, für das Eingreifen solcher Gründe - soweit sie sich nicht unmittelbar aufdrängen - zumindest greifbare Anhaltspunkte zu benennen.

41

(bb) Schon auf der Tatbestandsebene des wichtigen Grundes kann den Arbeitnehmer darüber hinaus eine sekundäre Darlegungslast treffen. Dies kommt insbesondere dann in Betracht, wenn der Arbeitgeber als primär darlegungsbelastete Partei außerhalb des fraglichen Geschehensablaufs steht, während der Arbeitnehmer aufgrund seiner Sachnähe die wesentlichen Tatsachen kennt. In einer solchen Situation kann der Arbeitnehmer gehalten sein, dem Arbeitgeber durch nähere Angaben weiteren Sachvortrag zu ermöglichen (BAG 21. Juni 2012 - 2 AZR 694/11 - Rn. 52, BAGE 142, 188; 18. September 2008 - 2 AZR 1039/06 - Rn. 31). Kommt er in einer solchen Prozesslage seiner sekundären Darlegungslast nicht nach, gilt das tatsächliche Vorbringen des Arbeitgebers - soweit es nicht völlig „aus der Luft gegriffen“ ist - iSv. § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden(vgl. BAG 18. September 2008 - 2 AZR 1039/06 - aaO). Dabei dürfen an die sekundäre Behauptungslast des Arbeitnehmers keine überzogenen Anforderungen gestellt werden. Sie dient lediglich dazu, es dem kündigenden Arbeitgeber als primär darlegungs- und beweispflichtiger Partei zu ermöglichen, weitere Nachforschungen anzustellen und sodann substantiiert zum Kündigungsgrund vorzutragen und ggf. Beweis anzutreten (zu den Einzelheiten vgl. BAG 18. September 2008 - 2 AZR 1039/06 - Rn. 33).

42

(cc) Danach musste das beklagte Land nicht von sich aus denkbare Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe auf Seiten des Klägers ausschließen. Die gegenteilige Sichtweise des Landesarbeitsgerichts überspannt die Anforderungen an die Darlegungslast des Arbeitgebers und geht von einer Ermittlungspflicht aus, die zumindest bei einer „Tatkündigung“ nicht besteht.

43

(dd) Das Landesarbeitsgericht hat zwar einzelne Gesichtspunkte angesprochen, die einer weiteren Aufklärung zugänglich gewesen sein sollen. Es hat aber nicht aufgezeigt, warum sie einer möglichen Entlastung des Klägers hätten dienen können. Das ist auch nicht unmittelbar ersichtlich.

44

(aaa) Das Landesarbeitsgericht hat auf Äußerungen anderer Bediensteter verwiesen, die ausweislich vorliegender Besprechungsvermerke eingeräumt hätten, „an den hier streitgegenständlichen Geschehnissen im OLG“ beteiligt gewesen zu sein. Der im gleichen Dienstzimmer wie der Kläger tätige Justizhauptsekretär habe „sozusagen“ in Teilen ein „Geständnis“ abgelegt. Weshalb diese Erklärungen den Vorwurf sollten entkräften können, der Kläger habe während seiner Anwesenheitszeiten im Gericht in erheblichem Umfang Kopier- und Brennvorgänge eigenhändig vorgenommen, erschließt sich nicht. Das gilt erst recht unter Berücksichtigung des Vorhalts des beklagten Landes, der Kläger habe mit anderen Bediensteten arbeitsteilig zusammengewirkt oder sie bei ihrem pflichtwidrigen Verhalten maßgeblich unterstützt. Ebenso wenig erschließt sich die Relevanz der Äußerungen mit Blick auf den Vorwurf, der Kläger habe in erheblichem Umfang Verbrauchsmaterialien auf Kosten des beklagten Landes bestellt, ohne dass dafür ein dienstlicher Anlass bestanden hätte und ihr Verbleib geklärt wäre.

45

(bbb) Der Kläger hat - soweit ersichtlich - nicht behauptet, der Inhalt eines bei der Geschäftsprüfung im Schrank eines anderen Bediensteten vorgefundenen, verschlossenen Kartons habe zu seiner Entlastung beitragen können. Es ist deshalb nicht ersichtlich, inwieweit das Unterbleiben einer Aufklärung dem beklagten Land zum Nachteil gereichen könnte. Die Erwägungen des Landesarbeitsgerichts bewegen sich im Bereich der Spekulation.

46

(ccc) Soweit das Landesarbeitsgericht „Erläuterungen“ zu den Aufgaben des Klägers, insbesondere hinsichtlich einer „technischen Unterstützung der Nutzer des Hauses“ und zur Verteilung der Aufgaben und Verantwortlichkeiten auf insgesamt vier Administratoren vermisst hat, bleiben seine Ausführungen im Vagen haften. Es hat nicht festgestellt, dass beim Kläger aufgrund der ihm eingeräumten Befugnisse der Eindruck habe entstehen können, er dürfe im Dienst auf dienstlichen Rechnern unter Umgehung von Kopierschutz Vervielfältigungen privat beschaffter CDs und DVDs vornehmen und Verbrauchsmaterialien in erheblichem Umfang zu ausschließlich privaten Zwecken bestellen und verwenden oder sie Dritten zur privaten Nutzung überlassen. Eine solche Annahme liegt auch fern. Das Gleiche gilt für die Behauptung des Klägers, ein zwischenzeitlich außer Dienst getretener Referatsleiter habe ihm erlaubt, sich während der Arbeitszeit um die „Privatrechner“ der Bediensteten und ihrer Angehörigen „zu kümmern“. Daraus durfte der Kläger jedenfalls nicht schließen, er habe urheberrechtsverletzende Kopier- und Brennvorgänge auf dienstlichen Computern vornehmen und dienstliche Materialien privat verwenden dürfen. Auf die Verfahrensrüge, mit der sich das beklagte Land gegen die Feststellungen des Landesarbeitsgerichts zum Inhalt der fraglichen Erlaubnis wendet, kommt es hierfür nicht an.

47

(ddd) Unklar bleibt, welche den Kläger entlastenden Schlussfolgerungen daraus zu ziehen sein sollen, dass die in Rede stehende Nutzung des „Test-Rechners“ lange Zeit unbemerkt blieb. Die entsprechende Erwägung des Landesarbeitsgerichts berücksichtigt zudem nicht, dass das beanstandete Verhalten des Klägers auf Heimlichkeit angelegt und der fragliche Computer an das Netzwerk des Oberlandesgerichts nicht angeschlossen war.

48

(eee) Das beklagte Land hat unter Beweisantritt vorgebracht, der Kläger sei für die Verwaltung des „ADV-Depots“ zuständig und für die Bestellung der „EDV-Verbrauchsmittel“ verantwortlich gewesen. Es hat die Anzahl der von ihm ermittelten Bestellungen für die Zeit von Juli 2008 bis Dezember 2012 genannt und dem die Behauptung des Klägers gegenüber gestellt, bei ihm seien „seit Einführung von Juris“ - wohl im Jahr 2006 - „kaum“ DVDs und CDs „von Bediensteten“ abgefordert worden. Außerdem hat es auf den Geschäftsprüfungsbericht und dessen Anlage 3 verwiesen und behauptet, daraus gehe hervor, dass im fraglichen Zeitraum für das Oberlandesgericht mehr als die doppelte Zahl von CD- und DVD-Rohlingen bestellt worden sei als für die in M ansässige „ADV-Stelle Justiz“. Zudem hat es behauptet, der Kläger habe die Verbrauchsmaterialien unter Verschluss gehalten, soweit er sie nicht an Dritte herausgegeben habe, und habe erklärt, zum Verbleib der Materialien keine Angaben machen zu können. Das Landesarbeitsgericht hat sich mit diesem Vorbringen nicht auseinandergesetzt. Es hat sich darauf beschränkt, pauschal auf die Möglichkeit weiterer Ermittlungen zu „Bestellvorgänge[n], Zeichnung und Gegenzeichnung unter Beteiligung welcher Bediensteter des OLG, ggf. nebst Kostenvergleichen anderer vergleichbarer Behörden“ zu verweisen. Dem Hinweis ist nicht zu entnehmen, dass - und ggf. warum - es den Vortrag des beklagten Landes selbst unter der Prämisse für erläuterungsbedürftig erachtet hat, er sei wahr.

49

(fff) Es kommt hinzu, dass der Kläger laut Gesprächsvermerk vom 17. April 2013 eingeräumt haben soll, er habe - wie andere Bedienstete auch - „natürlich auch kopiert“. Im Prozess hat er vorgetragen, „die Programme … gelegentlich“ privat genutzt zu haben, nur nicht in dem vom beklagten Land behaupteten Umfang und nicht in „illegaler“ Weise. Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts berücksichtigt nicht, dass der Kläger damit der ihn treffenden sekundären Behauptungslast nicht nachgekommen ist. Die Kopiervorgänge bewegten sich nach der Behauptung des beklagten Landes außerhalb des Wahrnehmungsbereichs seiner Repräsentanten. Das Gegenteil hat das Landesarbeitsgericht nicht festgestellt; der Sachvortrag des Klägers gibt insoweit nichts her. Er hätte deshalb konkretisieren müssen, was er unter „gelegentlichen“ Kopiervorgängen versteht. Außerdem hätte er - unter Ausschöpfung seines Erinnerungsvermögens - beschreiben müssen, um Kopien welcher Musik-/Film-CDs/DVDs es sich gehandelt habe, welche Programme er dafür eingesetzt und welche „Rohlinge“ er genutzt habe. Ebenso wenig durfte das Landesarbeitsgericht annehmen, dem Kläger seien die auf dem „Test-Rechner“ erfolgten Brenn- und Kopiervorgänge nicht zweifelsfrei zuzurechnen, ohne sich mit der Frage befasst zu haben, welche Rückschlüsse aus der Erklärung des Klägers vom 17. April 2013, „alles, was auf dem Rechner bezüglich der DVDs [sei], habe [er] gemacht“, und dem Umstand zu ziehen sind, dass er von dieser Äußerung später wieder Abstand genommen hat. Soweit das Landesarbeitsgericht gemeint hat, die behauptete Aussage eines anderen Bediensteten vom 22. April 2013, „CDs und DVDs im mittleren dreistelligen Bereich gebrannt [zu haben]“, sei „möglicherweise“ geeignet, den Kläger zu entlasten, fehlt es an einer eindeutigen richterlichen Würdigung. Auch dürfte eine wie auch immer geartete „Entlastung“ angesichts des in Rede stehenden Umfangs der Kopier- und Brennvorgänge und der behaupteten ausschließlichen Verwaltung der Rohlinge durch den Kläger schwerlich begründbar sein. Näher liegt es - wie das Landesarbeitsgericht an anderer Stelle selbst ausgeführt hat - in den fraglichen Umständen Anhaltspunkte für ein mittäterschaftliches Zusammenwirken zu erblicken. Dann wiederum könnte sich der Kläger nach dem Rechtsgedanken des § 830 BGB ohnehin nicht darauf beschränken vorzutragen, er wisse nicht mehr, welche Taten von wem begangen worden seien(ähnlich BAG 5. März 1981 - 3 AZR 559/78 - zu II 3 a der Gründe).

50

II. Dies führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht. Beidem unterliegt auch die Entscheidung über die vorsorglich erklärte ordentliche Kündigung und den (Hilfs-)Antrag des Klägers auf vorläufige Weiterbeschäftigung.

51

1. Der Senat kann nicht abschließend beurteilen, ob ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB vorliegt. Das Landesarbeitsgericht hat den Kündigungssachverhalt nicht festgestellt und an der Norm des § 626 Abs. 1 BGB gemessen. Die erforderliche Beurteilung kann der Senat nicht selbst vornehmen. Sie verlangt weitere Sachaufklärung. In Anbetracht der Vielzahl der gegen den Kläger sprechenden Indizien ist nicht auszuschließen, dass sich die gegen ihn erhobenen Vorwürfe als berechtigt erweisen.

52

2. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts stellt sich nicht aus anderen Gründen als richtig dar. Seine Auffassung, das beklagte Land habe die Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB versäumt und den Personalrat nicht ordnungsgemäß beteiligt, ist rechtsfehlerhaft.

53

a) Die außerordentliche Kündigung ist auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen nicht außerhalb der Frist des § 626 Abs. 2 BGB erklärt worden.

54

aa) Die Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB beginnt nach Satz 2 der Vorschrift mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Dies ist der Fall, sobald er eine zuverlässige und hinreichend vollständige Kenntnis der einschlägigen Tatsachen hat, die ihm die Entscheidung darüber ermöglicht, ob er das Arbeitsverhältnis fortsetzen soll oder nicht. Selbst eine grob fahrlässige Unkenntnis setzt die Frist nicht in Gang (BAG 12. Februar 2015 - 6 AZR 845/13 - Rn. 94 mwN; 22. November 2012 - 2 AZR 732/11 - Rn. 30 mwN). Zu den maßgebenden Tatsachen gehören sowohl die für als auch die gegen die Kündigung sprechenden Umstände. Der Kündigungsberechtigte, der gewisse Anhaltspunkte für einen Sachverhalt hat, der zur außerordentlichen Kündigung berechtigen könnte, kann nach pflichtgemäßem Ermessen weitere Ermittlungen anstellen und dazu auch den Betroffenen anhören, ohne dass die Frist des § 626 Abs. 2 BGB zu laufen begänne. Dies gilt allerdings nur solange, wie er aus verständigen Gründen und mit der gebotenen Eile Ermittlungen durchführt, die ihm eine umfassende und zuverlässige Kenntnis des Kündigungssachverhalts verschaffen sollen. Soll der Kündigungsgegner angehört werden, muss dies innerhalb einer kurzen Frist erfolgen. Sie darf im Allgemeinen nicht mehr als eine Woche betragen und nur bei Vorliegen besonderer Umstände überschritten werden (BAG 31. Juli 2014 - 2 AZR 407/13 - Rn. 40; 20. März 2014 - 2 AZR 1037/12 - Rn. 14). Für die übrigen Ermittlungen gilt keine Regelfrist. Bei ihnen ist fallbezogen zu beurteilen, ob sie hinreichend zügig betrieben wurden (BAG 31. März 1993 - 2 AZR 492/92 - zu II 1 der Gründe, BAGE 73, 42; 10. Juni 1988 - 2 AZR 25/88 - zu III 3 c der Gründe).

55

bb) Neben den Mitgliedern der Organe von juristischen Personen und Körperschaften gehören zu den Kündigungsberechtigten auch die Mitarbeiter, denen der Arbeitgeber das Recht zur außerordentlichen Kündigung übertragen hat. Dagegen ist die Kenntnis anderer Personen für den Lauf der Ausschlussfrist grundsätzlich unbeachtlich. Dies gilt auch dann, wenn ihnen Aufsichtsfunktionen übertragen worden sind. Nur ausnahmsweise muss sich der Arbeitgeber auch ihre Kenntnis nach Treu und Glauben zurechnen lassen. Dazu müssen diese Personen eine herausgehobene Position und Funktion im Betrieb oder in der Verwaltung innehaben sowie tatsächlich und rechtlich in der Lage sein, den Sachverhalt so umfassend zu klären, dass mit ihrem Bericht an den Kündigungsberechtigten dieser ohne weitere Nachforschungen seine (Kündigungs-)Entscheidung abgewogen treffen kann. Voraussetzung dafür, dem Arbeitgeber solche Kenntnisse zuzurechnen, ist ferner, dass die Verspätung, mit der er in eigener Person Kenntnis erlangt hat, auf einer unsachgemäßen Organisation des Betriebs oder der Verwaltung beruht (BAG 21. Februar 2013 - 2 AZR 433/12 - Rn. 28; 23. Oktober 2008 - 2 AZR 388/07 - Rn. 22).

56

cc) Diese Vorgaben hat das Landesarbeitsgericht nicht beachtet.

57

(1) Die Kündigungsbefugnis lag nach Teil 3 Ziff. 12.3 Satz 1 PersBef-AV iVm. Teil 1 Ziff. 2 Satz 1 Buchst. a PersBef-AV beim Präsidenten des Oberlandesgerichts. Gemäß dem - streitigen - Vorbringen des beklagten Landes ist dieser am 11. April 2013 über die Vorgänge und das Ergebnis der Ermittlungen in Kenntnis gesetzt worden. Dann wäre die Erklärungsfrist bei Zugang der Kündigung am 22. April 2013 allemal gewahrt gewesen. Den bisherigen Feststellungen ist nicht zu entnehmen, dass eine nicht kündigungsberechtigte Person schon vor dem 11. April 2013 von den Kündigungsgründen Kenntnis erlangt und eine Funktion innegehabt hätte, die es rechtlich erlaubte, ihre Kenntnisse dem Präsidenten des Oberlandesgerichts zuzurechnen.

58

(2) Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, das beklagte Land habe Ermittlungen nicht mit der gebotenen Eile durchgeführt, verletzt § 626 Abs. 2 BGB iVm. § 138 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO. Die Würdigung verkennt die Voraussetzungen, unter denen Ermittlungen als „zügig“ anzusehen sind. Überdies hat es zu hohe Anforderungen an den betreffenden Sachvortrag des beklagten Landes gestellt.

59

(a) Soweit das Landesarbeitsgericht darauf abhebt, das beklagte Land habe umgehend die Strafverfolgungsbehörden einschalten und - ohne Nachteile mit Blick auf die Frist des § 626 Abs. 2 BGB befürchten zu müssen - den Aus- und Fortgang des Ermittlungs- und Strafverfahrens abwarten können, ist dies zwar zutreffend(vgl. BAG 22. November 2012 - 2 AZR 732/11 - Rn. 31; 27. Januar 2011 - 2 AZR 825/09 - Rn. 16, BAGE 137, 54). Daraus folgt für das Land aber keine Beschränkung in der Wahl seiner Mittel zur Aufklärung. Dem Arbeitgeber steht es frei, eigene Ermittlungen anzustellen und die Strafverfolgungsbehörden nicht unmittelbar einzuschalten. Auch „private“ Ermittlungen hemmen - zügig vorangetrieben - den Lauf der Frist.

60

(b) Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, das beklagte Land habe den Kläger nicht binnen Wochenfrist angehört, ist nicht nachvollziehbar. Es fehlt an Feststellungen, wann diese Frist zu laufen begonnen habe. Falls der Präsident des Oberlandesgerichts - wie vom beklagten Land behauptet - erst am 11. April 2013 Kenntnis erlangt hat, wäre die Wochenfrist mit der Anhörung vom 17. April 2013 eingehalten.

61

(c) Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, das insoweit darlegungsbelastete Land (vgl. dazu BAG 1. Februar 2007 - 2 AZR 333/06 - Rn. 21) habe nicht aufgezeigt, dass es die Ermittlungen nach Durchführung der Geschäftsprüfung zügig vorangetrieben habe, ist nicht tragfähig. Das beklagte Land hat geltend gemacht, es sei erst aufgrund einer außerhalb des Oberlandesgerichts durchgeführten Überprüfung der vom Kläger genutzten Rechner und Festplatten in der Lage gewesen, das Ausmaß der Privatnutzung zu bestimmen. Dies habe bis zum 8. April 2013 Zeit beansprucht, weil Hardware nach M habe verbracht und umfangreiches Datenmaterial, teils unter Wiederherstellung gelöschter Dateien, habe gesichtet werden müssen. Außerdem seien die Osterfeiertage in die Zeit gefallen. Die Ausführungen sind geeignet, die Dauer der Untersuchung plausibel zu machen. Unter Berücksichtigung der wenigen zusätzlichen Tage, welche die Erstellung des Prüfberichts in Anspruch genommen hat, ergeben sich auf der Basis der bisherigen Feststellungen keine Anhaltspunkte für ein nur zögerliches Vorantreiben der Ermittlungen.

62

b) Die außerordentliche Kündigung vom 18. April 2013 ist nicht mangels ordnungsgemäßer Anhörung des Personalrats nach § 108 Abs. 2 BPersVG, § 67 Abs. 2 Satz 4 PersVG LSA unwirksam.

63

aa) Gemäß § 67 Abs. 2 Satz 1 PersVG LSA ist der Personalrat vor der außerordentlichen Kündigung eines Arbeitnehmers anzuhören. Die Leitung der Dienststelle hat die beabsichtigte Maßnahme nach § 67 Abs. 2 Satz 2 PersVG LSA zu begründen. Insoweit gelten die gleichen Anforderungen wie an eine Anhörung des Betriebsrats gemäß § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG(vgl. BAG 23. Oktober 2014 - 2 AZR 865/13 - Rn. 57 mwN). Nach dem Grundsatz der subjektiven Determinierung muss der Arbeitgeber dem Personalrat die Umstände mitteilen, die seinen Kündigungsentschluss tatsächlich bestimmt haben. Dem kommt er dann nicht nach, wenn er ihm einen schon aus seiner eigenen Sicht unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt darstellt. Zu einer vollständigen und wahrheitsgemäßen Information gehört darüber hinaus die Unterrichtung über Tatsachen, die ihm - dem Arbeitgeber - bekannt und für eine Stellungnahme des Betriebsrats möglicherweise bedeutsam sind, weil sie den Arbeitnehmer entlasten und deshalb gegen eine Kündigung sprechen können (BAG 23. Oktober 2014 - 2 AZR 736/13 - Rn. 14; 19. Juli 2012 - 2 AZR 352/11 - Rn. 41 mwN, BAGE 142, 339).

64

bb) Nach diesen Grundsätzen war die Anhörung zur fristlosen Kündigung mit Schreiben vom 16. April 2013 ordnungsgemäß.

65

(1) Dem Personalrat war das Ergebnis der Geschäftsprüfung vom 14. März 2013 unter Vorlage des betreffenden Vermerks zur Kenntnis gebracht worden. Im Anhörungsschreiben selbst heißt es, hieraus ergebe sich eine „ausschweifende“ Privatnutzung des dienstlichen Rechners unter Verwendung eines den Kopierschutz umgehenden Programms während der Dienstzeit und ein nicht erklärlicher Umgang mit dienstlich bestelltem Material (DVDs und CDs). Ungeachtet der Frage, ob es einer solchen Information bedarf (vgl. KR-Etzel 10. Aufl. § 102 BetrVG Rn. 64; APS-Koch 4. Aufl. § 102 BetrVG Rn. 129), konnte der Personalrat nach den ihm erteilten Informationen nachvollziehen, dass das beklagte Land der eigenen Ansicht zufolge den Kündigungssachverhalt jedenfalls nicht vor dem 8. April 2013 erfassen konnte. Der Personalrat vermochte sich anhand dessen ein eigenes Bild von der Einhaltung der Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB zu verschaffen. Das reicht aus. Eine nähere Begründung der den Kündigungsentschluss tragenden Abwägung ist wegen des Grundsatzes der subjektiven Determinierung regelmäßig nicht erforderlich. Die Anhörung zu der Absicht, das Arbeitsverhältnis (fristlos) zu kündigen, impliziert eine Abwägung zu Lasten des Arbeitnehmers (BAG 23. Oktober 2014 - 2 AZR 736/13 - Rn. 15; 21. November 2013 - 2 AZR 797/11 - Rn. 27, BAGE 146, 303).

66

(2) Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts ist die Anhörung nicht deshalb unvollständig, weil das beklagte Land es unterlassen hat, den Personalrat über den Inhalt eines am 22. April 2013 mit einem anderen Bediensteten geführten Personalgesprächs zu unterrichten. Dabei kann zugunsten des Klägers unterstellt werden, dass diese Unterredung vor Übergabe des Kündigungsschreibens stattfand und sich aus der Einlassung des Bediensteten Anhaltspunkte dafür ergaben, dass dieser Kopier- und Brennvorgänge im Zusammenwirken mit ihm - dem Kläger - durchgeführt hat. Das beklagte Land ging bei Einleitung des Anhörungsverfahrens - für den Personalrat erkennbar - davon aus, der Kläger selbst habe das fragliche Programm wiederholt zu privaten Zwecken während der Dienstzeit genutzt. Sowohl aus der subjektiven Sicht des beklagten Landes als auch aus objektiver Sicht handelt es sich bei der aus dem Personalgespräch deutlich gewordenen Möglichkeit, der Kläger und der andere Bedienstete hätten zusammengewirkt, keineswegs um einen entlastenden Umstand, wie das Landesarbeitsgericht gemeint hat. Allein- und Mittäterschaft sind in ihrem Unrechtsgehalt gleichwertig und im Rahmen einer kündigungsrechtlichen Beurteilung regelmäßig gleich zu gewichten.

67

(3) Die Äußerungsfrist von drei Arbeitstagen (§ 67 Abs. 2 Satz 3 PersVG LSA) hat das beklagte Land - auch unter Berücksichtigung der dem Personalrat am 18. April 2013 unterbreiteten ergänzenden Informationen - gewahrt.

68

(a) Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts ist dem Personalrat das Schreiben vom 16. April 2013 am selben Tag zugegangen. Gemäß § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 1 BGB lief die Frist von drei Arbeitstagen am 19. April 2013 (einem Freitag), 24:00 Uhr ab. Zwar wurde das Kündigungsschreiben bereits am 18. April 2013 ausgefertigt und dem Geschäftsleiter des Oberlandesgerichts als Erklärungsboten des beklagten Landes zwecks persönlicher Übergabe an den Kläger ausgehändigt. Ein Treffen zwischen dem Geschäftsleiter und dem Kläger war aber - schon zuvor - erst für den 22. April 2013 vereinbart worden. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte das Kündigungsschreiben den Machtbereich des Präsidenten des Oberlandesgerichts nicht verlassen und war es diesem möglich, die Kündigung anzuhalten, falls der Personalrat gewichtige und aus Sicht des beklagten Landes überzeugende Argumente gegen sie vorbrächte. Der Fall liegt insoweit nicht anders, als wenn der Präsident des Oberlandesgerichts das Kündigungsschreiben zwar am 18. April 2013 unterschrieben, jedoch bis zum 22. April 2013 weiter selbst verwahrt hätte.

69

(b) Das Anhörungsverfahren war bei Übergabe des Kündigungsschreibens an den Kläger - anders als dieser meint - nicht deshalb noch nicht abgeschlossen, weil das beklagte Land dem Personalrat mit Schreiben vom 18. April 2013 ergänzende Informationen hat zukommen lassen. Auf der Grundlage der Darlegungen des beklagten Landes ist davon auszugehen, dass das Anhörungsverfahren durch das vorbezeichnete Schreiben nicht neu in Gang gesetzt worden ist.

70

(aa) Vor Ausspruch der Kündigung kann der Arbeitgeber seine Informationen gegenüber dem Betriebs- oder Personalrat jederzeit ergänzen. Die Beurteilung, ob aufgrund der nachträglichen Unterrichtung die Äußerungsfrist neu anläuft, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Dabei ist auch auf den Gegenstand der nachgereichten Informationen Bedacht zu nehmen (vgl. BAG 23. Oktober 2014 - 2 AZR 736/13 - Rn. 27).

71

(bb) Im Streitfall ist das Schreiben vom 18. April 2013 ausdrücklich als „Ergänzung“ und nicht, wie das Schreiben vom 16. April 2013, als „Anhörung“ bezeichnet worden. Bereits dies spricht gegen die Annahme, das beklagte Land habe das Verfahren neu in Gang setzen wollen. Eine andere Interpretation ist auch nicht wegen des Inhalts der zusätzlichen Informationen geboten. Mittels der Vorlage der protokollierten Kopiervorgänge und des Journals der Arbeitszeit wurden lediglich die im Schreiben vom 16. April 2013 bereits geschilderten Vorgänge vertiefend dargestellt und erläutert, nicht aber ein Sachverhalt unterbreitet, der den bisher bekannten Sachverhalt in einem gänzlich neuen Licht erscheinen ließe. Im Ergebnis nichts anderes gilt für die Unterrichtung über den Inhalt des mit dem Kläger am 17. April 2013 geführten Gesprächs und die ihm bis zum 18. April 2013, 9:00 Uhr eingeräumte Möglichkeit zur weitergehenden Stellungnahme. Auch diese Mitteilung diente der Vervollständigung der Information des Personalrats, nicht aber der Einführung eines neuen Sachverhalts. Das gilt jedenfalls mit Blick auf die hier interessierende „Tatkündigung“, bei der die Anhörung des Arbeitnehmers nicht Wirksamkeitsvoraussetzung für die Kündigung ist, und unter Berücksichtigung des Umstands, dass das Gespräch vom 17. April 2013 keine Erkenntnisse zutage förderte, die den Kläger entscheidend hätten entlasten können.

72

III. Bei der neuen Verhandlung wird das Landesarbeitsgericht zunächst zu prüfen und zu bewerten haben, ob ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB gegeben und ob die Frist des § 626 Abs. 2 BGB gewahrt ist. Dazu wird es die erforderlichen Feststellungen zu treffen haben. Sollte es zu dem Ergebnis gelangen, die Kündigung sei iSv. § 626 BGB wirksam, wird es auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen davon ausgehen können, dass der Personalrat zur außerordentlichen Kündigung ordnungsgemäß beteiligt worden ist. Die Klage dürfte in diesem Fall abzuweisen sein, ohne dass der auf die ordentliche Kündigung bezogene Feststellungsantrag und der Antrag auf Weiterbeschäftigung noch zur Entscheidung anfielen. Sollte das Landesarbeitsgericht die Kündigung für unwirksam erachten, wird es über die ordentliche Kündigung zu befinden haben, je nach Ausgang dieses Streits auch über den (Hilfs-)Antrag des Klägers auf vorläufige Weiterbeschäftigung. Für die weitere Sachbehandlung weist der Senat auf Folgendes hin:

73

1. Bei der Prüfung von § 626 Abs. 1 BGB wird das Landesarbeitsgericht - unter Berücksichtigung der zu B. I. und II. dargestellten Rechtsauffassung des Senats - zu würdigen haben, ob die vorgetragenen Indizien ausreichen, ihm die erforderliche Überzeugung zu vermitteln, der Kläger habe seine vertraglichen Pflichten verletzt. Über streitige Tatsachen wird ggf. Beweis zu erheben sein. Dabei hat sich das Gericht mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad an Gewissheit zu begnügen, der Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig ausschließen zu müssen (BAG 29. Januar 2015 - 2 AZR 280/14 - Rn. 30 mwN; BGH 11. November 2014 - VI ZR 76/13 - Rn. 23 mwN).

74

2. Im Hinblick auf eine ggf. vorzunehmende Würdigung der Umstände des Einzelfalls und Interessenabwägung wird zu berücksichtigen sein, dass die vom Landesarbeitsgericht bisher - im Rahmen der Überprüfung der ordentlichen Kündigung - zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit angestellten Erwägungen nicht tragen.

75

a) Die Wertung, es habe deshalb einer Abmahnung bedurft, weil „fast alle Bediensteten einschließlich der Richterschaft […] offenbar von der Tätigkeit des Klägers profitiert und dieser auch nicht widersprochen [hätten]“ und daraus auf ein mangelndes Unrechtsbewusstsein - auch des Klägers - zu schließen sei, entbehrt der Tatsachenbasis. Es ist unklar, auf welche Handlungen des Klägers sich das Landesarbeitsgericht bezogen und welche Personen es vor Augen gehabt hat, die aus den nicht näher konkretisierten Aktivitäten des Klägers einen bisher nicht definierten Nutzen gezogen haben sollen.

76

b) Für die vom Landesarbeitsgericht mit Blick auf den Umgang mit beschäftigten Beamten ins Spiel gebrachte Heranziehung des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes fehlt es an einer rechtlichen Grundlage. Zwar mögen bei der Interessenabwägung nach § 626 Abs. 1 BGB ähnliche Erwägungen anzustellen sein wie im Rahmen einer disziplinarrechtlichen Würdigung. Daraus kann aber nicht - wie das Landesarbeitsgericht offenbar gemeint hat - abgeleitet werden, der Arbeitgeber dürfe gegenüber einem Arbeitnehmer, der seine Pflichten in gemeinschaftlichem Zusammenwirken mit Beamten verletzt hat, nicht zum Mittel der Kündigung greifen, solange er nicht auch die Entlassung der Beamten initiiere oder doch andere disziplinarische Maßnahmen ihnen gegenüber ergreife. Die Erwägung lässt außer Acht, dass sich Wertungen, wie sie aus dem in der Regel auf Lebenszeit angelegten, durch besondere Treue- und Fürsorgepflichten geprägten Dienstverhältnis der Beamten folgen, nicht auf eine privatrechtliche Leistungsbeziehung übertragen lassen (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 29, BAGE 134, 349; 17. Juni 1993 - 6 AZR 620/92 - zu B II 2 d bb der Gründe, BAGE 73, 262). Selbst im Verhältnis von Arbeitnehmern untereinander scheidet mit Blick auf verhaltensbedingte Kündigungen eine Anwendung des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes weitgehend aus (BAG 8. Dezember 1994 - 2 AZR 470/93 - zu B II 5 g der Gründe; zu eng begrenzten Ausnahmekonstellationen vgl. BAG 22. Februar 1979 - 2 AZR 115/78 - zu 2 a der Gründe). Die fraglichen Erwägungen des Landesarbeitsgerichts lassen überdies die herausgehobene Position des Klägers als „IT-Verantwortlicher“ außer Acht. Unbeschadet der unterschiedlichen Rechtsstellung von Beamten und Angestellten widerspricht auch dies - neben weiteren in Betracht zu ziehenden Unterschieden - einer Vergleichbarkeit der Sachverhalte.

77

c) Das Landesarbeitsgericht wird, sollte es auf die Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung ankommen, weiterhin davon ausgehen können, dass deren soziale Rechtfertigung (§ 1 Abs. 1 und Abs. 2 KSchG) unter dem Gesichtspunkt des Verdachts nicht in Betracht kommt - auch deshalb, weil der Personalrat dazu laut Schreiben vom 23. April 2013 nicht beteiligt worden ist. Die Prüfung, ob die Kündigung als Tatkündigung durch Gründe iSv. § 1 Abs. 2 KSchG bedingt ist, wird das Landesarbeitsgericht neu vorzunehmen und die erforderlichen Feststellungen zu treffen haben. Was die Frage betrifft, ob die Beteiligung des Personalrats zu einer ordentlichen Kündigung nach § 67 Abs. 1 Nr. 8 PersVG LSA ordnungsgemäß erfolgt ist, wird zu beachten sein, dass die in der angefochtenen Entscheidung vertretene Auffassung, die Anhörung sei unwirksam, weil das beklagte Land dem Personalrat mögliche Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe nicht mitgeteilt habe, auf der Basis der bisherigen Feststellungen nicht haltbar ist. Um welche, nach dem Grundsatz der subjektiven Determiniertheit beachtlichen Tatsachen es sich insoweit handeln soll, ist nicht nachzuvollziehen.

78

IV. Der Senat hat bei der Zurückverweisung von der Möglichkeit des § 563 Abs. 1 Satz 2 ZPO Gebrauch gemacht.

        

    Kreft    

        

    Rachor    

        

    Berger    

        

        

        

    Perreng    

        

    Der ehrenamtliche Richter Dr. Bartz ist wegen des Endes seiner Amtszeit verhindert, seine Unterschrift beizufügen.
Kreft    

                 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 7. April 2011 - 11 Sa 58/11 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.

2

Die 1956 geborene Klägerin war seit Mai 1982 bei der Beklagten - einer Bank für Privatkunden - als Kundenbetreuerin tätig. Seit Dezember 2006 war sie in einer Filiale in R eingesetzt. Die Zweigstelle gehört zum Vertriebsbereich D, für den ein Betriebsrat gewählt ist. Die regelmäßige Arbeitszeit der Klägerin betrug zuletzt 15 Wochenstunden.

3

Im Jahr 2009 mahnte die Beklagte die Klägerin dreimal ab. Zwei Abmahnungen wurden zwischenzeitlich - in einem Fall nach gerichtlicher Entscheidung, im anderen Fall aufgrund eines Vergleichs - aus deren Personalakte entfernt. Die dritte Abmahnung wurde von der Klägerin nicht gerichtlich angegriffen.

4

Am 17. März 2010 war die Klägerin an der Kasse eingesetzt, als zwei Kunden - wohl ein Ehepaar - die R Filiale betraten. Diese wollten ein aktuelles Festgeldangebot nutzen und wandten sich für eine Beratung an die Kundenbetreuerin K. Im Verlauf des Gesprächs kam es zu Unstimmigkeiten. Die Kundenbetreuerin hatte wegen einer ungewöhnlichen Farbschattierung Zweifel an der Echtheit eines der beiden Personalausweise, die ihr zu Identifikationszwecken vorgelegt wurden. Gegen 13:00 bis 13:10 Uhr setzte der Filialleiter die Betreuung der Kunden fort und bat diese in sein Büro. Die Mitarbeiterin K trat ihre Mittagspause an und begab sich zunächst in einen angrenzenden Sozialraum. Dort traf sie die Klägerin und eine andere Kollegin an. Nachdem Frau K ihre Arbeit wieder aufgenommen hatte, übergab ihr der Filialleiter Unterlagen aus dem Kundengespräch zur weiteren Bearbeitung. Beigefügt waren Fotokopien von zwei Ausweisdokumenten, die den Vermerk trugen, das Original habe vorgelegen.

5

Mit Schreiben vom 22. März 2010 wandte sich die Klägerin unter dem Betreff „Meldung eines Verstoßes gegen Sicherheitsrichtlinien“ an die „Zentrale Revision“ der Beklagten. Sie teilte - auszugsweise - Folgendes mit:

        

„...   

        

ich zeige Ihnen hiermit einen schweren und vorsätzlichen Verstoß gegen die Sicherheitsrichtlinien der T und ggfls. gegen gesetzliche Richtlinien an.

        

Datum:

Mittwoch, 17.03.2010

        

Ort:   

Filiale R

        

Verursacher:

Filialleiter …

        

Tathergang:

        

... An dem besagten Tage war ich an der Kasse eingesetzt. …

        

… Dabei stellte sich heraus, dass der Kunde statt eines Bundespersonalausweises nur eine Kopie davon mit bei sich hatte. Als die Kollegin dies bemängelte, übernahm der Zweigstellenleiter diesen Fall und bat den Kunden in einen separaten Raum. … Dabei kam es zu dem eklatanten Verstoß gegen die Sicherheitsregel: Der Kunde konnte keinen gültigen Personalausweis vorlegen: Er hatte wohl eine Fotokopie bei der Hand.

        

Der Zweigstellenleiter kopierte die Kopie und soll eigenhändig den Vermerk aufgeschrieben haben, das Original habe vorgelegen.

        

Letzteres durch Aussage der mit dem Fall befassten Kollegin.

        

Es obliegt Ihnen, die Schwere des Vergehens zusammen mit der erschwerenden Vorsätzlichkeit zu werten.

        

Zeugnis zur möglicherweise notwendigen Befragung: Kollegin … K“

6

Am 7. April 2010 wurde die Klägerin vom Personalreferenten der Beklagten zu dem Vorfall befragt. Sie sollte sich ua. dazu äußern, ob und inwieweit sie von der Kasse aus habe erkennen können, dass es sich um einen „falschen“ Ausweis gehandelt habe. Sie gab an, diese Beobachtung habe ihre Kollegin gemacht. Die gleichfalls befragte Mitarbeiterin K führte in einer schriftlichen Stellungnahme vom 16. April 2010 aus, der männliche Kunde habe auf ihre Bitte, sich zu legitimieren, verärgert und „offensichtlich ertappt“ reagiert. Auf ihren Versuch, die Ausweise zu kontrollieren, sei sie von beiden Kunden „in lautem, unverschämten Ton“ „angepöbelt“ worden. Dem Filialleiter, der daraufhin das Beratungsgespräch fortgeführt habe, seien die Papiere ebenfalls auffällig vorgekommen.

7

Am 30. April 2010 hörte die Beklagte den Filialleiter, der in der Zeit vom 23. März 2010 bis zum 12. April 2010 urlaubsabwesend war, zu den Vorwürfen an. Dieser erklärte, er habe die Ausweise unter einer im Kassenbereich angebrachten UV-Lampe überprüft. Dabei und bei der Datenaufnahme im Kundensystem habe er keine Unregelmäßigkeiten feststellen können.

8

Am 24. Juni 2010 unterhielten sich zwei Vertreter der Beklagten - darunter der Personalreferent - mit der Klägerin über das sich stetig verschlechternde Arbeitsklima in der Filiale. Dabei kam erneut die Anzeige vom 22. März 2010 zur Sprache. Diesbezüglich wurde ein weiteres Personalgespräch für den 13. Juli 2010 verabredet. Am 25. Juni 2010 fasste die Mitarbeiterin K auf Bitten der Beklagten nochmals die Vorgänge vom 17. März 2010 zusammen. Sie gab an, nach „Übernahme“ der Kunden durch den Filialleiter - „aufgeregt und erschrocken darüber“, dass dieser ihr in einer „so kniffligen Situation“ in den Rücken gefallen sei - „in die Küche“ gelaufen zu sein. Gegenüber ihren dort bereits anwesenden Kolleginnen - darunter die Klägerin - habe sie geäußert, die Kunden seien ihr „auf Anhieb komisch“ vorgekommen. Einer der Ausweise habe „so komisch“ ausgesehen als wäre er nicht echt; sie habe diesen nicht geprüft und wisse auch nicht, ob der Filialleiter, der die Kunden jetzt bediene, „das noch mache“. Sie habe nichts mehr mit dem Fall zu tun.

9

Am 26. Juni 2010 erhielt die Klägerin eine förmliche Einladung mit Tagesordnung zu dem anstehenden Gespräch. Mit E-Mail vom 28. Juni 2010 schrieb sie dem Personalreferenten, die Frage nach ihrer Motivation für die Anzeige vom 22. März 2010 habe in ihr „tiefste Zweifel“ ausgelöst. Das sei doch ihre „heiligste Pflicht“ gewesen. Sie habe eigentlich „Anerkennung für Pflichterfüllung … erwartet“. Sie habe bereits vorgehabt nachzufragen, ob die Sache nicht verfolgt würde oder „im Sande verlaufen sei“. Dies werde sie nunmehr „in Richtung Geschäftsführung/Zentralrevision“ erfragen.

10

Die Beklagte zog daraufhin das Personalgespräch auf den 2. Juli 2010 vor. An ihm nahmen neben einer weiteren Person der Personaldirektor der Beklagten, der Direktor „Human Resources Arbeitsrecht und Mitbestimmung“ und ein Mitglied des Betriebsrats teil. Der Klägerin wurde unter Fristsetzung aufgegeben, sich abschließend schriftlich zu dem Geschehen am 17. März 2010 zu äußern. Nach Eingang der Erklärung wollte die Beklagte über mögliche „arbeitsrechtliche Konsequenzen“ entscheiden. Die am 4. Juli 2010 verfasste und an die vorgenannten Direktoren der Beklagten adressierte Stellungnahme der Klägerin ging am 5. Juli 2010 auf einem allgemein zugänglichen Faxgerät der Filiale R ein. Parallel leitete die Klägerin die Erklärung allen Gesprächsteilnehmern vom 2. Juli 2010 und der Geschäftsleitung der Beklagten zu. Ihrer Kollegin K und einer weiteren Filialmitarbeiterin überreichte sie jeweils eine Abschrift. Inhaltlich verwahrte sie sich gegen den Vorwurf, in ihrer Anzeige falsche Angaben gemacht zu haben. Sie führte aus, eine bankinterne Überprüfung des verdächtigen Ausweises sei während ihrer Anwesenheit unterblieben. Weiter schrieb sie: „Obwohl Sie die Ankündigung eines Verfahrens wegen ‚übler Nachrede‘ wohl eher als Drohung verstanden wissen wollten, bin ich mit einem Strafverfahren nach § 186 StGB mehr als einverstanden. … Ich bedanke mich für den … vorgeschlagenen Weg der externen Klärungsmöglichkeit und erwarte nunmehr Ihre angekündigte Anzeige wegen übler Nachrede innerhalb eines angemessenen Zeitraums …“

11

Die Beklagte forderte die Klägerin auf, die Behauptung, ihr sei mit einer Strafanzeige gedroht worden, unter Richtigstellung des Sachverhalts zu widerrufen. Mit E-Mail vom 6. Juli 2010 erklärte diese, die Worte „üble Nachrede“ seien von Vertretern der Beklagten in den Raum gestellt worden. In Ermangelung eines gemeinsamen Gesprächsprotokolls sei sie aber bereit, einzelne Darstellungen in der Sache oder der Tendenz nach zu revidieren, falls der Beklagten diese als falsch erschienen.

12

Am Folgetag stellte die Beklagte die Klägerin von der Arbeitsleistung frei. Mit Schreiben vom 14. Juli 2010 kündigte sie das Arbeitsverhältnis - nach Anhörung des Betriebsrats und mit dessen Zustimmung - außerordentlich fristlos, hilfsweise außerordentlich mit „sozialer Auslauffrist“ zum 31. März 2011.

13

Die Klägerin hat fristgerecht Kündigungsschutzklage erhoben. Sie hat geltend gemacht, die Kündigungen seien unwirksam. Sie habe nicht bewusst falsche Anschuldigungen gegen den Filialleiter erhoben. Vielmehr habe sie über einen Vorfall berichtet, den die Beklagte bis zuletzt nicht vollständig aufgeklärt habe. Etwas anderes sei auch nicht ihrer im Vorprozess abgegebenen Erklärung zu entnehmen, sie habe „schon einige Filialleiter der Beklagten kommen und gehen sehen“ und werde auch den derzeitigen „aussitzen“. Sie habe sich durch die in kurzer zeitlicher Folge erteilten Abmahnungen unberechtigt angegriffen gefühlt und überreagiert. Ebenso wenig sei die Kündigung wegen ihres Verhaltens im Zusammenhang mit der Stellungnahme vom 4. Juli 2010 gerechtfertigt. Während des Gesprächs am 2. Juli 2010 habe sie den Eindruck gewonnen, die Beklagte beabsichtige, sie wegen vermeintlich übler Nachrede anzuzeigen. Sie sei weiterhin bereit, die Aussage, ihr sei ein Strafverfahren „angedroht“ worden, zu korrigieren.

14

Die Klägerin hat beantragt

        

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 14. Juli 2010 weder mit sofortiger Wirkung noch zum 31. März 2011 aufgelöst worden ist.

15

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, ein wichtiger Grund zur Kündigung iSd. § 626 Abs. 1 BGB liege vor. Die Klägerin habe den Filialleiter im Schreiben vom 22. März 2010 sinngemäß eines Verstoßes gegen das Geldwäschegesetz bezichtigt. Dabei habe sie den Eindruck vermittelt, der beschriebene „Tathergang“ sei Gegenstand ihrer eigenen Wahrnehmung, obwohl die Anschuldigungen tatsächlich auf reinen Mutmaßungen beruhten. Am 7. April 2010 habe sie erklärt, mit Sicherheit ausschließen zu können, dass der Filialleiter die Ausweise vorschriftsmäßig geprüft habe. Dabei sei ihr bewusst gewesen, dass auch ihre als Zeugin benannte Kollegin den Vorfall nicht durchgängig beobachtet habe. In den nachfolgenden Gesprächen habe sie unverändert an ihrem Standpunkt festgehalten. Erstmals mit ihrer Stellungnahme vom 4. Juli 2010 habe sie ihre Behauptungen auf die Zeit ihrer Anwesenheit beschränkt. Allerdings habe sie zugleich unzutreffend und wider besseres Wissen behauptet, ihr sei in dem vorausgegangenen Personalgespräch durch Vertreter der Beklagten mit einer Strafanzeige gedroht worden. Einer Abmahnung habe es nicht bedurft. Die Klägerin habe ihre Vertragspflichten grob verletzt. Ihre falschen Anschuldigungen habe sie gegenüber einem sich stetig vergrößernden Empfängerkreis wiederholt bzw. publik gemacht und keine Einsicht gezeigt. Damit habe sie das Ansehen des Filialleiters beschädigt und nachhaltig den Betriebsfrieden gestört. Ein Festhalten an dem Arbeitsverhältnis sei ihr - der Beklagten - unzumutbar. Die Anhörung des Betriebsrats sei ordnungsgemäß erfolgt. Die Frist des § 626 Abs. 2 BGB sei gewahrt.

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Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit ihrer Revision begehrt die Beklagte weiterhin, die Klage abzuweisen.

Entscheidungsgründe

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Die Revision ist unbegründet. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die Kündigung vom 14. Juli 2010 weder mit sofortiger Wirkung noch mit Ablauf einer der fiktiven ordentlichen Kündigungsfrist entsprechenden Auslauffrist aufgelöst worden.

18

I. Die fristlose Kündigung ist gemäß § 626 Abs. 1 BGB iVm. § 17 Ziff. 3 Abs. 1 Alt. 1 Manteltarifvertrag für das private Bankgewerbe und die öffentlichen Banken (MTV) unwirksam. Dies hat das Landesarbeitsgericht rechtsfehlerfrei erkannt.

19

1. Dem übereinstimmenden Vorbringen der Parteien zufolge fanden auf das Arbeitsverhältnis die jeweils geltenden Tarifverträge für das private Bankgewerbe und die öffentlichen Banken Anwendung. Gemäß § 17 Ziff. 3 Abs. 1 Alt. 1 MTV (in der maßgebenden, ab 22. April 2009 geltenden Fassung) sind Arbeitnehmer, die ihr 50. Lebensjahr bereits vollendet haben und dem Betrieb mindestens zehn Jahre ununterbrochen angehören - vorbehaltlich im Streitfall nicht einschlägiger Ausnahmetatbestände - nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes kündbar. Die Regelung, deren persönliche Voraussetzungen die Klägerin im Kündigungszeitpunkt erfüllte, nimmt auf § 626 BGB Bezug(vgl. zu § 17 Ziff. 3 Abs. 1 MTV in der ab 1. Oktober 1997 geltenden Fassung: BAG 10. Oktober 2002 - 2 AZR 418/01 - zu B I 1 der Gründe, EzA BGB 2002 § 626 Unkündbarkeit Nr. 1; allgemein zur Bedeutung des Begriffs „wichtiger Grund“ in Tarifverträgen: bspw. BAG 28. Oktober 2010 - 2 AZR 688/09 - Rn. 31, AP KSchG 1969 § 2 Nr. 148 = EzA KSchG § 2 Nr. 80; 12. Januar 2006 - 2 AZR 242/05 - Rn. 24, AP BGB § 626 Krankheit Nr. 13 = EzA BGB 2002 § 626 Unkündbarkeit Nr. 9).

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2. Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Bei ordentlicher Unkündbarkeit des Arbeitnehmers ist für die Beurteilung, ob ein Grund zur fristlosen Kündigung des Arbeitsverhältnisses vorliegt, auf den Ablauf der fiktiven ordentlichen Kündigungsfrist abzustellen (BAG 27. April 2006 - 2 AZR 386/05 - Rn. 34, BAGE 118, 104). Aus § 17 Ziff. 3 Abs. 1 Alt. 1 MTV ergeben sich insoweit keine Besonderheiten.

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3. Dabei ist zunächst zu untersuchen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“ und damit typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile jedenfalls bis zum Ablauf der (fiktiven) Kündigungsfrist zumutbar ist oder nicht (BAG 19. Juli 2012 - 2 AZR 989/11 - Rn. 38, NZA 2013, 143; 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 14, AP BGB § 626 Nr. 236 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 36; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 16, BAGE 134, 349).

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4. Einen in diesem Sinne die fristlose Kündigung „an sich“ rechtfertigenden Grund stellen ua. grobe Beleidigungen des Arbeitgebers oder seiner Vertreter und Repräsentanten oder von Arbeitskollegen dar, die nach Form und Inhalt eine erhebliche Ehrverletzung für den Betroffenen bedeuten (BAG 10. Dezember 2009 - 2 AZR 534/08 - Rn. 17 mwN, AP BGB § 626 Nr. 226 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 29). Entsprechendes gilt, wenn der Arbeitnehmer bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen über seinen Arbeitgeber oder Vorgesetzte bzw. Kollegen aufstellt, insbesondere wenn die Erklärungen den Tatbestand der üblen Nachrede erfüllen. Der Arbeitnehmer kann sich für ein solches Verhalten regelmäßig nicht auf sein Recht zur freien Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 GG) berufen. Das Grundrecht ist nicht schrankenlos gewährleistet (vgl. BAG 7. Dezember 2006 - 2 AZR 400/05 - AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 55 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 70). Die Meinungsfreiheit wird durch das Recht der persönlichen Ehre gemäß Art. 5 Abs. 2 GG beschränkt und muss mit diesem in ein ausgeglichenes Verhältnis gebracht werden. Zwar dürfen Arbeitnehmer - auch unternehmensöffentlich - Kritik am Arbeitgeber, ihren Vorgesetzten und den betrieblichen Verhältnissen üben und sich dabei auch überspitzt äußern. In grobem Maße unsachliche Angriffe, die zur Untergrabung der Position eines Vorgesetzten führen können, muss der Arbeitgeber aber nicht hinnehmen (vgl. BAG 10. Dezember 2009 - 2 AZR 534/08 - aaO; 24. November 2005 - 2 AZR 584/04 - Rn. 22, AP BGB § 626 Nr. 198 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 13; 10. Oktober 2002 - 2 AZR 418/01 - zu B I 3 a der Gründe, EzA BGB 2002 § 626 Unkündbarkeit Nr. 1; zur ordentlichen Kündigung: 12. Januar 2006 - 2 AZR 21/05 - Rn. 45, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 53 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 67).

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5. Von diesen Grundsätzen geht auch das Landesarbeitsgericht aus. Seine Auffassung, das Verhalten der Klägerin stelle schon keinen die fristlose Kündigung rechtfertigenden Grund „an sich“ dar, ist revisionsrechtlich zumindest insoweit nicht zu beanstanden, wie es davon ausgeht, die Klägerin habe weder im Zusammenhang mit dem Schreiben vom 22. März 2010 noch im Rahmen ihrer Stellungnahme zum Personalgespräch vom 2. Juli 2010 bewusst falsche Tatsachenbehauptungen aufgestellt.

24

a) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, dem Schreiben vom 22. März 2010 sei unschwer zu entnehmen, dass die Anschuldigungen nicht durchgängig auf eigener Wahrnehmung der Klägerin beruhten. Das gelte insbesondere für die durch Fettdruck hervorgehobene Behauptung, hinsichtlich derer die Klägerin auf das Zeugnis der „mit dem Fall befassten Kollegin“ verwiesen habe. Spätestens aufgrund der anschließenden Befragungen habe der Beklagten klar sein müssen, dass weder die Klägerin noch die benannte Kollegin aus eigener Wahrnehmung hätten angeben können, der Filialleiter habe die erforderliche Kontrolle nicht vorgenommen. Verbleibende Zweifel habe die Beklagte durch eine persönliche Gegenüberstellung der Klägerin und des Filialleiters ausräumen können, was unterblieben sei. Unabhängig davon habe die Beklagte nicht dargetan, dass die Anschuldigungen, was die behaupteten Versäumnisse des Filialleiters im Rahmen der Legitimationsprüfung anbelange, unrichtig seien. Eine mögliche und zumutbare Befragung der Kunden sei nicht erfolgt. Was die Äußerungen der Klägerin im Rahmen ihrer Stellungnahme vom 4. Juli 2010 betreffe, sei nicht auszuschließen, dass sie die ihr gemachten Vorhaltungen als - konkludente - Drohung mit der Erstattung einer Strafanzeige missverstanden habe.

25

b) Die dieser Würdigung zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen sind nach § 286 ZPO nur daraufhin überprüfbar, ob das Berufungsgericht von den zutreffenden Beurteilungsmaßstäben ausgegangen ist, die wesentlichen Umstände berücksichtigt und keine Denkgesetze, Erfahrungssätze oder Verfahrensvorschriften verletzt hat(vgl. BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 381/10 - Rn. 16 mwN, AP BGB § 626 Nr. 234 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 35; 16. Dezember 2010 - 2 AZR 485/08 - Rn. 21 mwN, AP BGB § 626 Nr. 232 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 33). Gemessen daran zeigt die Beklagte keinen revisionsrechtlich relevanten Rechtsfehler auf.

26

aa) Soweit die Wertung des Landesarbeitsgerichts auf einer Auslegung der Erklärungen im Schreiben vom 22. März 2010 beruht, ist diese möglich. Die Klägerin beschrieb in ihrer „Anzeige“ einen Sachverhalt, für den sie sich im maßgebenden Punkt - dem behaupteten Verstoß gegen Sicherheitsrichtlinien bei der Legitimationsprüfung von Ausweispapieren - auf die Aussage einer Arbeitskollegin berief. Außerdem überließ sie es ausdrücklich weiteren Ermittlungen der Beklagten, die „Schwere des Vergehens zusammen mit der erschwerenden Vorsätzlichkeit zu werten“. Das lässt nicht - schon gar nicht zwingend - den Schluss zu, die Klägerin habe behaupten wollen, ihre Angaben beruhten insgesamt auf eigener Wahrnehmung. Ebenso wenig ist dem Schreiben mit der gebotenen Eindeutigkeit zu entnehmen, die Klägerin habe bewusst den - falschen - Eindruck erweckt oder erwecken wollen, unmittelbare Wahrnehmungen ihrer Kollegin K wiederzugeben. Gegen eine solche Interpretation als einzig mögliche Deutung spricht, dass die Klägerin für eine „möglicherweise notwendige“ Befragung auf das Zeugnis der betreffenden Mitarbeiterin verwies. Ein verständiger Empfänger der „Anzeige“ musste angesichts dieser Angaben in Rechnung stellen, dass die Klägerin lediglich Umstände beschrieb, die sie zwar nicht selbst kannte, von denen sie aber annahm, sie aufgrund greifbarer Anhaltspunkte vermuten zu dürfen.

27

bb) Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts einschließlich der ihr zugrunde liegenden Auslegung lässt, anders als die Revision meint, nicht den Inhalt der nachfolgend geführten Personalgespräche außer Acht. Dabei kann zugunsten der Beklagten unterstellt werden, dass die Klägerin bei den Unterredungen am 7. April 2010, am 24. Juni 2010 und am 2. Juli 2010 jeweils an ihrer Anschuldigung festgehalten hat, der Filialleiter habe die Ausweise nicht wie vorgeschrieben überprüft. Auch dies ist kein evidentes, vernünftige Zweifel ausschließendes Indiz dafür, dass die Klägerin behaupten wollte, sie selbst habe dies beobachtet. Trotz der allgemein gehaltenen Formulierung kann den Umständen nach nicht ausgeschlossen werden, dass sie ihre Aussage in der Annahme, dies sei der Beklagten klar, stillschweigend auf Zeiten ihrer Anwesenheit im Verkaufsraum der Filiale bezogen hat. Dafür sprechen jedenfalls ihre klarstellenden Ausführungen in der Stellungnahme vom 4. Juli 2010. Überdies konnte die Klägerin davon ausgehen, dass der Beklagten ihr zeitweiliger Aufenthalt im Sozialraum bzw. der Küche bekannt war. Selbst wenn die Erklärung so zu verstehen sein sollte, die Klägerin habe behaupten wollen, der Filialleiter habe die fragliche Prüfung zu keiner Zeit, auch nicht während der Zeit ihrer Abwesenheit vom Arbeitsplatz vorgenommen, folgte daraus nicht - zumindest nicht zwingend -, dass sie bewusst über den Gegenstand ihrer eigenen Wahrnehmung oder den der Beobachtungen ihrer Kollegin zu täuschen versucht hätte. Ebenso gut kann es sein, dass sie - im Sinne einer wertenden Schlussfolgerung - auf der Grundlage der Angaben ihrer Kollegin zum äußeren Erscheinungsbild der Ausweise und dem Verhalten der Kunden zu dem Ergebnis gelangt ist, die vorgeschriebene Überprüfung der Ausweise könne nicht wirklich stattgefunden haben.

28

cc) Die Beklagte zeigt keinen materiellen Rechtsfehler auf, soweit sie sich gegen die Annahme des Landesarbeitsgerichts wendet, sie habe den Wahrheitsgehalt der Anschuldigungen nicht hinreichend aufgeklärt, sodass nicht davon ausgegangen werden könne, die Behauptungen der Klägerin seien unwahr. Damit hat das Landesarbeitsgericht weder grundlegend die Darlegungs- und Beweislast verkannt, noch hat es überzogene Anforderungen an den Vortrag der Beklagten gestellt. Diese ist für den Kündigungsgrund darlegungs- und beweispflichtig (vgl. BAG 3. November 2011 - 2 AZR 748/10 - Rn. 23 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 65 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 79). Das schließt die Darlegungslast für das Fehlen von Umständen ein, die den Arbeitnehmer entlasten (zur Darlegungslast bezüglich behaupteter Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründe: BAG 3. November 2011 - 2 AZR 748/10 - aaO; 18. September 2008 - 2 AZR 1039/06 - EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 13). Es war somit grundsätzlich Sache der Beklagten, die Unwahrheit der Behauptungen der Klägerin darzutun, dh. aufzuzeigen, dass eine hinreichende Legitimationsprüfung stattgefunden hat. Ob etwas anderes zu gelten hätte, wenn es an Anhaltspunkten für ein - mögliches - pflichtwidriges Verhalten des Filialleiters gänzlich gefehlt hätte, kann dahinstehen. So liegt der vorliegende Fall nicht. Die Klägerin hat ihre Vorwürfe nicht vollkommen „aus der Luft gegriffen“. Vielmehr stritten gewisse, wenngleich nicht zwingende Verdachtsmomente dafür, dass es sich bei einem der beiden Ausweispapiere nicht um ein echtes Dokument handelte. Wenn das Landesarbeitsgericht unter diesen Umständen angenommen hat, die Erklärung des Filialleiters, er habe die Ausweise unter der UV-Lampe im Kassenbereich geprüft, sei für sich genommen noch kein ausreichendes Indiz für die Einhaltung der Sicherheitsrichtlinien, ist dies jedenfalls vertretbar. Dies gilt umso mehr, als die Beklagte es unterlassen hat, ihre Aufklärungsmöglichkeiten auszuschöpfen. Eine solche Möglichkeit bestand objektiv in der Befragung der Kunden, von denen die Papiere stammten. Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte auch bei vorsichtig formulierter Nachfrage mit einer konkreten Gefährdung der Geschäftsbeziehung hätte rechnen müssen und ihr deshalb eine weitere Aufklärung unzumutbar gewesen wäre, sind weder dargelegt noch sonst ersichtlich. Da sich schon aus dem Unterlassen einer Nachfrage bei den Kunden ergibt, dass die Beklagte ihre Informationsmöglichkeiten nicht ausgeschöpft hat, kann dahinstehen, ob überdies eine persönliche „Gegenüberstellung“ der Klägerin und des Filialleiters angezeigt war, wie das Landesarbeitsgericht gemeint hat.

29

dd) Die Beklagte bringt vor, das Landesarbeitsgericht habe auf der Grundlage seiner Feststellungen nicht davon ausgehen dürfen, die Behauptung der Klägerin, ihr sei im Personalgespräch am 2. Juli 2010 mit einer Strafanzeige gedroht worden, beruhe auf einem Missverständnis. Insbesondere böten die Erklärungen der Klägerin in der E-Mail vom 6. Juli 2010 dafür keinen genügenden Anhaltspunkt. Damit zeigt die Beklagte keinen revisiblen Rechtsfehler auf. Sie will nur ihre eigene Bewertung der fraglichen individuellen Äußerungen an die Stelle einer zumindest vertretbaren Würdigung des Landesarbeitsgerichts setzen.

30

ee) Mit ihren Verfahrensrügen dringt die Revision nicht durch.

31

(1) Soweit die Beklagte geltend macht, das Landesarbeitsgericht habe sie ausdrücklich darauf hinweisen müssen, dass es von der Zumutbarkeit einer Befragung des Kundenehepaars ausgehe, ist ihr Angriff unzulässig. Wird gerügt, das Berufungsgericht sei seiner richterlichen Hinweispflicht (§ 139 ZPO)nicht nachgekommen, muss der Rechtsmittelführer ua. im Einzelnen angeben, wie er auf einen entsprechenden Hinweis reagiert hätte. Der zunächst unterbliebene Vortrag muss nachgeholt werden. Mit der Verfahrensrüge muss er für die erforderliche Schlüssigkeit bzw. Substantiierung seines Vortrags sorgen (BAG 25. April 2006 - 3 AZR 78/05 - Rn. 39, AP BetrAVG § 7 Nr. 111 = EzA BetrAVG § 2 Nr. 27). Darüber hinaus muss er die Entscheidungserheblichkeit der Verletzung der Hinweispflicht dartun (BAG 14. März 2005 - 1 AZN 1002/04 - zu II 2 a der Gründe, BAGE 114, 67). Diesen Anforderungen wird die Revisionsbegründung nicht gerecht. Die Beklagte legt nicht dar, welchen - erheblichen - Vortrag sie im Hinblick auf den vermissten Hinweis hin geleistet und zu welchem entscheidungserheblichen Gesichtspunkt sie die Kunden als Zeugen benannt hätte.

32

(2) Die Beklagte beanstandet weiter, das Landesarbeitsgericht habe es ohne Begründung unterlassen, ihren unter I 2.1 bis 2.4 der Revisionsbegründung näher bezeichneten Beweisangeboten nachzugehen. Dadurch habe es ihren Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt und gegen das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 GG) verstoßen. Das trifft nicht zu.

33

(a) Die Rüge ist unzulässig, soweit die Beklagte meint, die Vernehmung einer weiteren namentlich genannten Filialmitarbeiterin hätte „zur Widerlegung der falschen Behauptungen der Klägerin beitragen können“. Es fehlt an der Darlegung, im Hinblick auf welche Tatsachen sie sich in welchem Schriftsatz auf das Zeugnis der betreffenden Arbeitnehmerin berufen hatte (zu den Anforderungen an die Rüge des Übergehens eines Beweisantritts: vgl. BAG 24. April 2008 - 8 AZR 347/07 - Rn. 20, AP BGB § 611 Haftung des Arbeitgebers Nr. 42 = EzA BGB 2002 § 611 Persönlichkeitsrecht Nr. 8). Entsprechendes gilt für die Rüge, das Landesarbeitsgericht habe es versäumt, die Teilnehmer des Gesprächs vom 2. Juli 2010 (nicht: 2011) zum Inhalt der Äußerungen ihrer Vertreter zu hören. Die Beklagte zeigt nicht auf, wo genau ihr vermeintlich übergangener Beweisantritt in den vorinstanzlichen Schriftsätzen zu finden sein soll und auf welchen dort gehaltenen Vortrag er sich bezieht.

34

(b) Die weiteren Angriffe der Revision sind - ihre Zulässigkeit unterstellt - unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat unterstellt, dass die Klägerin noch im Gespräch vom 2. Juli 2010 an ihren Anschuldigungen gegenüber dem Filialleiter festgehalten hat. Den Inhalt der Stellungnahmen der Mitarbeiterin K hat es für unstreitig erachtet. Es brauchte deshalb den vermeintlich übergangenen Beweisantritten nicht nachzugehen.

35

(3) Dem Berufungsurteil sind keine Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, dass das Landesarbeitsgericht davon ausgegangen wäre, die Klägerin habe objektiv die Möglichkeit gehabt zu beobachten, ob der Filialleiter eine Überprüfung der Echtheit der Personalausweise mittels UV-Lampe vorgenommen habe. Ebenso wenig enthält es tatbestandliche Feststellungen, die den Ausführungen der Beklagten zu einem Aufenthalt der Klägerin und ihrer Kolleginnen im Sozialraum während der Mittagspause widersprechen. Soweit die Beklagte beanstandet, entgegen den Feststellungen im Berufungsurteil habe ihr Filialleiter seinen Urlaub nicht am 23. März 2010, sondern bereits am 22. März 2010 angetreten, fehlt es an der Darlegung, wo genau der betreffende Vortrag zu finden sein soll. Darüber hinaus fehlt es - auch unter Berücksichtigung der offenbar postalisch erfolgten Übermittlung der „Anzeige“ der Klägerin vom 22. März 2010 - an der Darlegung, inwieweit der Zeitpunkt des Urlaubsantritts entscheidungserheblich war. Aus diesen Gründen greift auch die Erwägung der Beklagten nicht, bei Urteilszustellung binnen der Dreimonatsfrist des § 320 Abs. 2 Satz 3 ZPO wäre ein Antrag auf Tatbestandsberichtigung möglich gewesen.

36

6. Das Landesarbeitsgericht hat nicht näher geprüft, ob die Klägerin, auch wenn sie nicht bewusst falsche Tatsachenbehauptungen aufgestellt haben mag, ihre arbeitsvertragliche Pflicht zur Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB)dadurch verletzt hat, dass sie ihre Anschuldigungen nicht vorsichtiger vorgebracht, sondern ohne weitere Prüfung die rechtliche Schlussfolgerung eines „schweren und vorsätzlichen Verstoßes“ gegen Sicherheitsrichtlinien und ggf. „gesetzliche Richtlinien“ gezogen hat. Ebenso wenig hat es sich auf der ersten Prüfungsstufe des wichtigen Grundes mit der Frage befasst, ob die Klägerin ihre „Anzeige“ in der vorrangigen Absicht erstattet hat, ihrem Vorgesetzten zu schaden oder sich an diesem für die aus ihrer Sicht unberechtigten Abmahnungen zu rächen. Für eine solche Motivation könnte der Umstand sprechen, dass sie nicht das Gespräch mit dem Filialleiter gesucht hat. Überdies lassen ihre Ausführungen in der E-Mail vom 28. Juni 2010 eine erhebliche Belastungstendenz erkennen. Es erscheint nicht ausgeschlossen, in einem solchen Verhalten „an sich“ einen wichtigen Grund zur Kündigung zu erkennen.

37

a) Im Fall der Erstattung von Anzeigen bei Strafverfolgungsbehörden oder anderen zuständigen Stellen („Whistleblowing“) ist eine vertragswidrige Pflichtverletzung nicht stets schon dann zu verneinen, wenn der Arbeitnehmer die Anzeige erstattet, ohne dabei wissentlich oder leichtfertig falsche Angaben zu machen (BAG 7. Dezember 2006 - 2 AZR 400/05 - Rn. 18, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 55 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 70; 3. Juli 2003 - 2 AZR 235/02 - zu II 3 b der Gründe, BAGE 107, 36). Eine Anzeige kann unabhängig vom Nachweis der mitgeteilten Verfehlung und ihrer Strafbarkeit ein Grund zur Kündigung sein, wenn sie sich als eine unverhältnismäßige Reaktion auf das Verhalten des Arbeitgebers oder eines seiner Repräsentanten darstellt. Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, nach der Strafanzeigen gegen den Arbeitgeber mit dem Ziel, Missstände in Unternehmen oder Institutionen offenzulegen, grundsätzlich in den Anwendungsbereich des Art. 10 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten fallen(EGMR 21. Juli 2011 - 28274/08 - [Heinisch] Rn. 63 ff., AP BGB § 626 Nr. 235 = EzA BGB 2002 § 626 Anzeige gegen Arbeitgeber Nr. 1), schließt eine solche Bewertung nicht generell aus.

38

b) Es spricht einiges dafür, diese Grundsätze sinngemäß auf den Bereich innerbetrieblicher „Anzeigen“ zu übertragen. Auch unterhalb der Schwelle eines strafbaren Verhaltens muss ein Arbeitnehmer bei der Mitteilung vermeintlicher Missstände im Betrieb angemessen auf Persönlichkeitsrechte seiner Arbeitskollegen und Vorgesetzten Rücksicht nehmen. Das folgt schon aus dem berechtigten Interesse des Arbeitgebers an der Wahrung des Betriebsfriedens.

39

c) Die damit zusammenhängenden tatsächlichen und rechtlichen Fragen bedürfen im Streitfall keiner vertieften Erörterung. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die fristlose Kündigung erweise sich zumindest im Rahmen einer ggf. vorzunehmenden Einzelfallbeurteilung und Interessenabwägung als nicht gerechtfertigt. Das hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand.

40

aa) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen (st. Rspr., zuletzt bspw. BAG 19. Juli 2012 - 2 AZR 989/11 - Rn. 43, NZA 2013, 143; 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 26, AP BGB § 626 Nr. 236 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 36).

41

bb) Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 27, AP BGB § 626 Nr. 236 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 36; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 34, BAGE 134, 349). Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - aaO; 16. Dezember 2010 - 2 AZR 485/08 - Rn. 24, AP BGB § 626 Nr. 232 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 33). Als mildere Mittel gegenüber der außerordentlichen Kündigung sind - neben der hier ausgeschlossenen ordentlichen Kündigung - auch Abmahnung und Versetzung anzusehen (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - aaO; 30. Mai 1978 - 2 AZR 630/76 - BAGE 30, 309). Sie sind dann alternative Gestaltungsmittel, wenn schon sie geeignet sind, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck - die Vermeidung künftiger Störungen - zu erreichen. Einer Abmahnung bedarf es demnach nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach Abmahnung nicht zu erwarten steht, oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist (BAG 19. April 2012 - 2 AZR 186/11 - Rn. 22 mwN, EzA BGB 2002 § 626 Nr. 40; 9. Juni 2011 - 2 AZR 284/10 - Rn. 35 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 64 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 37).

42

cc) Dem Berufungsgericht kommt bei der Einzelfallprüfung und Interessenabwägung ein Beurteilungsspielraum zu. Seine Würdigung wird in der Revisionsinstanz daraufhin überprüft, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnormen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob es alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände widerspruchsfrei berücksichtigt hat (BAG 19. April 2012 - 2 AZR 258/11 - Rn. 16, EzA BGB 2002 § 626 Nr. 39; 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 29, AP BGB § 626 Nr. 236 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 36; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 17, BAGE 134, 349). Eine eigene Abwägung durch das Revisionsgericht ist dann möglich, wenn die des Berufungsgerichts fehlerhaft oder unvollständig ist und sämtliche relevanten Tatsachen feststehen (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - aaO; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 33, aaO). Daran gemessen liegt kein Abwägungsfehler des Landesarbeitsgerichts vor. Es hat die Kündigung - hinsichtlich beider Kündigungssachverhalte - als unverhältnismäßig angesehen. Die Beklagte sei verpflichtet gewesen, die Klägerin vorrangig abzumahnen. Damit hat das Landesarbeitsgericht seinen Beurteilungsspielraum nicht verletzt. Die in Rede stehenden Pflichtverletzungen der Klägerin wiegen nicht so schwer, dass eine Abmahnung entbehrlich gewesen wäre. Ebenso wenig liegen Umstände vor, die zu der Annahme berechtigten, auch ohne Abmahnung sei von einer negativen Zukunftsprognose auszugehen.

43

(1) Den Nachweis falscher Tatsachenbehauptungen hat die Beklagte nicht geführt. Die Anschuldigungen der Klägerin betreffend ein pflichtwidriges Verhalten des Filialleiters mögen auf „dürftigen“ Verdachtsmomenten beruht haben. Gleichwohl hat die Klägerin sie nicht „ins Blaue hinein“ erhoben. Ihre Pflicht zur Diskretion hat sie zumindest insofern gewahrt, als sie sich an die „Zentrale Revision“ der Beklagten gewandt hat. Selbst wenn die Klägerin - weil sie eine Pflichtverletzung allenfalls vermuten konnte - lediglich einen Verdacht hätte äußern dürfen, musste sie doch ihre Bedenken gegen ein ordnungsgemäßes Verhalten des Filialleiters nicht vollkommen zurückstellen. Einer damit möglicherweise verbundenen Pflichtverletzung der Klägerin hätte mit einer Abmahnung erfolgversprechend begegnet werden können. Das gilt auch dann, wenn der „Anzeige“ sachfremde Motive der Klägerin zugrunde gelegen haben sollten. Daraus folgt für sich genommen nicht, dass sie sich eine Abmahnung nicht hätte zur Warnung gereichen lassen, um künftig zurückhaltender vorzugehen und ggf. genauer zwischen eigenen Beobachtungen und subjektiven Schlussfolgerungen zu unterscheiden. Dies vermag der Senat, sollte das Landesarbeitsgericht diesen Aspekt bei seiner Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht genügend berücksichtigt haben, selbst zu entscheiden.

44

(2) Eine Abmahnung war auch nicht mit Blick auf die Behauptung der Klägerin entbehrlich, ihr sei im Personalgespräch vom 2. Juli 2010 eine Strafanzeige wegen übler Nachrede angedroht worden. Dabei kann zugunsten der Beklagten unterstellt werden, dass die Klägerin das ihr von den Vorinstanzen zugutegehaltene Missverständnis bei genauerer Prüfung hätte vermeiden können. Ihr Irrtum wäre auch dann nicht bedeutungslos (vgl. dazu BAG 14. Februar 1996 - 2 AZR 274/95 - zu II 4 der Gründe, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 26 = EzA BGB § 626 nF Nr. 160). Überdies hat die Klägerin mit ihrer E-Mail vom 6. Juli 2010 eine gewisse Einsicht gezeigt. Dass das Arbeitsverhältnis vor diesem Hintergrund durch das in Rede stehende Fehlverhalten so stark belastet wäre, dass eine Wiederherstellung des Vertrauens in ein künftig redliches Vorgehen der Klägerin selbst nach einer Abmahnung ausgeschlossen erschiene, ist nicht erkennbar.

45

(3) Dieser Bewertung steht nicht entgegen, dass die Klägerin ihre Stellungnahme vom 4. Juli 2010 Personen zugänglich gemacht hat, die an dem vorhergehenden Personalgespräch nicht beteiligt waren. Unabhängig davon, ob darin eine Pflichtverletzung liegt, steht auch dies einem Abmahnungserfordernis nicht entgegen. Die Beklagte beruft sich auf eine tiefgreifende Störung des Betriebsfriedens. Den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts zufolge hat sie es aber versäumt aufzuzeigen, dass eine entsprechende Störung tatsächlich eingetreten wäre. Dessen hätte es bedurft, da die Darlegung der bloßen Möglichkeit einer Störung eine verhaltensbedingte Kündigung nicht zu rechtfertigen vermag (vgl. BAG 12. Mai 2011 - 2 AZR 479/09 - Rn. 71 mwN, AP BGB § 123 Nr. 69 = EzA BGB 2002 § 123 Nr. 10). Soweit die Beklagte demgegenüber geltend macht, das Landesarbeitsgericht habe Vorbringen übergangen, zeigt sie nicht auf, wo genau sie welchen entscheidungserheblichen Vortrag zu einer konkreten Störung des Betriebsfriedens geleistet haben will. Soweit sie einen richterlichen Hinweis vermisst, fehlt es an der Darlegung, was sie hierauf Entscheidungserhebliches vorgetragen hätte. Schon aus diesen Gründen bleiben ihre Verfahrensrügen erfolglos.

46

(4) Eine einschlägige Abmahnung liegt nicht vor. Die in der Personalakte verbliebene Abmahnung aus dem Jahr 2009 hatte - soweit ersichtlich - ein verspätetes Erscheinen der Klägerin zu einem Personalgespräch zum Gegenstand.

47

(5) Erweist sich die Kündigung wegen Fehlens einer Abmahnung als unverhältnismäßig, kann offenbleiben, ob die Beklagte vorrangig auch eine Versetzung der Klägerin hätte in Betracht ziehen müssen, wie das Landesarbeitsgericht gemeint hat. Einer Auseinandersetzung mit den hiergegen gerichteten Revisionsrügen bedarf es nicht.

48

II. Die hilfsweise zum 31. März 2011 erklärte außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist ist gleichfalls unwirksam. Auch insoweit fehlt es an einem wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB iVm. § 17 Ziff. 3 Abs. 1 MTV. Das Landesarbeitsgericht geht fehlerfrei davon aus, dass es dem Gebot der Verhältnismäßigkeit entsprochen hätte, die Klägerin vor Ausspruch einer Kündigung abzumahnen. Ohne eine solche Warnung war es der Beklagten nicht - weder bis zum Ablauf einer (fiktiven) ordentlichen Kündigungsfrist noch auf Dauer - unzumutbar, das Arbeitsverhältnis mit ihr fortzusetzen. Schon aus diesem Grund kann auch eine außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist keinen Bestand haben (zur Problematik: vgl. BAG 21. Juni 2012 - 2 AZR 343/11 - Rn. 18, 20, NZA 2013, 224).

49

III. Die Beklagte hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen.

        

    Berger    

        

    Rinck    

        

    Rachor    

        

        

        

    Gans    

        

    Pitsch    

                 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 9. November 2011 - 12 Sa 956/11 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.

2

Der 1957 geborene, verheiratete und vier Kindern zum Unterhalt verpflichtete Kläger war seit dem 1. April 1987 bei der Beklagten als Hilfskraft im Tiefdruck beschäftigt. Sein monatliches Bruttoeinkommen betrug 3.200,00 Euro. Er war das erste Ersatzmitglied der „Alternativen Liste H“, deren ordentliches Mitglied in dem bei der Beklagten gebildeten Betriebsrat Herr H war.

3

Die Beklagte betreibt in M eine Druckerei. Beim Druckvorgang werden leicht entzündliche Lösungsmittel verwendet, die sich beim Trocknungsprozess mit Luft mischen. Ferner stellen der Papierstaub sowie die Papierprodukte Brandlasten dar. In der Vergangenheit kam es mehrfach zu Bränden mit ungeklärter Ursache. Im Betrieb der Beklagten bestand seit langem ein Rauchverbot, auf das durch entsprechende Aushänge hingewiesen wird. Zuletzt wurde es in der „Betriebsvereinbarung 1/2009 Rauchverbot und Raucherzonen“ näher geregelt, welche eine Betriebsvereinbarung aus dem Jahr 1998 ersetzte. Das Rauchen war danach auf dem gesamten Betriebsgelände untersagt, sofern es nicht in bestimmten markierten Bereichen - den „Raucherzonen“ - ausdrücklich erlaubt war.

4

Die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit im Werk der Beklagten betrug 35 Stunden, verteilt auf fünf Tage in der Regel von Montag bis Freitag. Im Bereich Tiefdruck waren pro Mitarbeiter und Jahr zusätzliche neun Samstagsschichten zulässig.

5

Die Beklagte erteilte dem Kläger mehrere Abmahnungen wegen Verstoßes gegen das betriebliche Rauchverbot. In den Abmahnungen vom 11. September 1996 und 7. Januar 2003 hieß es:

        

„Wir weisen Sie ausdrücklich darauf hin, daß Sie im Wiederholungsfalle bei einem gleichgelagerten oder einem ähnlichen Verhalten mit einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechnen müssen.“

6

Die Abmahnungen vom 17. August 2007 und 22. September 2009 enthielten den Hinweis:

        

„Dieses Verhalten stellt eine Verletzung Ihrer arbeitsvertraglichen Pflichten dar, die wir nicht akzeptieren können. Wir weisen Sie ausdrücklich darauf hin, dass Sie im Wiederholungsfalle bei einem gleichgelagerten oder einem ähnlichen Verhalten mit weiteren arbeitsrechtlichen Schritten bis hin zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechnen müssen.“

7

Am 5. April 2011 wurde der Kläger gegen 17:30 Uhr erneut rauchend außerhalb der Raucherzone in der Halle mit der Rotationsmaschine 9 angetroffen. Am Dienstag, dem 12. April 2011 wurde er zur Betriebsratssitzung für Donnerstag, den 14. April 2011 geladen, weil Herr H an diesem Tag abwesend war.

8

Mit Schreiben vom 12. April 2011 hörte die Beklagte den Betriebsrat zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger an. Der Betriebsrat behandelte die Angelegenheit im Rahmen der wöchentlichen Betriebsratssitzung am 14. April 2011 ohne den Kläger. Am Vormittag des 15. April 2011 teilte die Betriebsratsvorsitzende der Geschäftsführung mit, der Betriebsrat habe beschlossen, keine Stellungnahme abzugeben. Auf eine weitere Äußerung brauche die Beklagte nicht zu warten.

9

Mit Schreiben vom 15. April 2011 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien außerordentlich und fristlos. Das Schreiben wurde durch einen Boten am selben Tag um 15:10 Uhr in den Briefkasten des Klägers eingelegt.

10

Der Kläger arbeitete an diesem 15. April 2011 bis 14:00 Uhr in der Frühschicht, Herr H in der Spätschicht von 14:00 Uhr bis 22:00 Uhr. Für den folgenden Tag, einen Samstag, war der Kläger ebenfalls zur Arbeit eingeteilt, Herr H nicht. Ab Montag, dem 18. April 2011, hatte Herr H für mehrere Wochen Urlaub.

11

Der Kläger hat mit seiner Kündigungsschutzklage geltend gemacht, die Kündigung sei mangels Zustimmung des Betriebsrats unwirksam. Er sei wegen des Urlaubs von Herrn H fortlaufend dafür vorgesehen gewesen, an Betriebsratssitzungen teilzunehmen und das Amt aktiv wahrzunehmen. Ihm habe deshalb der volle Kündigungsschutz aus § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG iVm. § 103 BetrVG zugestanden. Maßgebend seien die Verhältnisse am 12. April 2011, dem Zeitpunkt der Anhörung des Betriebsrats. Selbst wenn es auf den Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung ankomme, ergebe sich nichts anderes. Der Zugang sei nicht am Freitag, dem 15. April 2011 erfolgt. Seinen Hausbriefkasten leere er im Falle seines Einsatzes in der Frühschicht regelmäßig unmittelbar bei Rückkehr von der Arbeit, und im Falle seiner Einteilung in der Spätschicht vor Schichtbeginn. Zu dieser Zeit seien die Tagespost und auch die Post der privaten Zusteller regelmäßig schon eingegangen. So habe er erstmals am Samstagmorgen im Betrieb von der Kündigung erfahren. An diesem Tag habe ihm der Schutz des § 103 BetrVG zugestanden. Es habe sich um einen mit regelmäßiger Arbeitszeit belegten Tag gehandelt. Herr Heisters, der nicht zur Arbeit eingeteilt gewesen sei, habe seinen ab dem 18. April 2011 bewilligten Urlaub tatsächlich bereits am 16. April 2011 angetreten und sei von da an verhindert gewesen, Betriebsratstätigkeiten zu verrichten.

12

Es fehle zudem an einem wichtigen Grund zur Kündigung. Er habe nicht in einem Gefahrenbereich geraucht und damit seine arbeitsvertraglichen Pflichten jedenfalls nicht erheblich verletzt. Auch bei dem der letzten Abmahnung vom 22. September 2009 zugrunde liegenden Verstoß gegen das Rauchverbot habe es sich allenfalls um eine geringfügige Pflichtverletzung gehandelt. Er habe sich in der Raucherecke in Halle 7 befunden. Dort sei er vom Maschinenführer angesprochen worden mit der Bitte, sich kurz den Arbeitsablauf anzusehen. Daraufhin habe er sich höchstens zwei Meter aus der Raucherecke zur Maschine hin bewegt und dabei die Zigarette nicht aus der Hand gelegt, sondern zur Seite gehalten, als der Produktionsleiter dies bemerkt habe. Aufgrund des Inhalts der beiden letzten Abmahnungen habe er nicht ohne Weiteres mit einer Kündigung rechnen müssen. Außerdem hätten die Abmahnungen angesichts ihrer Häufung ihre Warnfunktion verloren. Ohne eindringliche letzte Warnung sei die Kündigung unverhältnismäßig. Jedenfalls die Interessenabwägung müsse zu seinen Gunsten ausfallen. Im Übrigen hat der Kläger die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats gerügt.

13

Der Kläger hat beantragt

        

festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung vom 15. April 2011 beendet wurde.

14

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat gemeint, es habe keiner Zustimmung des Betriebsrats zur Kündigung bedurft. Entscheidend hierfür sei der Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung. Dieser sei - auch unter Berücksichtigung einer gewandelten Verkehrsüblichkeit bei den Postzustellzeiten - bereits am 15. April 2011 erfolgt. Selbst wenn die Kündigung erst am 16. April 2011 zugegangen sei, stehe dem Kläger nicht der volle Sonderkündigungsschutz aus § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG zu, weil Herr H an diesem Tag noch keinen Urlaub gehabt habe und der Kläger deshalb noch nicht - wieder - in den Betriebsrat nachgerückt gewesen sei. Die Voraussetzungen des § 626 BGB lägen vor. Insoweit hat die Beklagte behauptet, außerhalb der Raucherbereiche sei keine ordnungsgemäße Entsorgung der Zigaretten gewährleistet. Am 5. April 2011 sei der Kläger etwa 15 bis 20 Meter entfernt von der Raucherecke rauchend angetroffen worden. Er habe dabei das bedruckte Papier gestapelt. Die Kündigungsandrohung sei nicht wegen zu vieler Abmahnungen entwertet gewesen. Die außerordentliche Kündigung habe auch nicht konkret angekündigt werden müssen.

15

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben, das Landesarbeitsgericht hat sie abgewiesen. Mit seiner Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.

Entscheidungsgründe

16

Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die fristlose Kündigung der Beklagten vom 15. April 2011 zu Recht als wirksam angesehen.

17

I. Die Kündigung ist nicht gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG iVm. § 103 Abs. 1 BetrVG unwirksam. Dem Kläger stand im maßgebenden Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung nur der nachwirkende Kündigungsschutz aus § 15 Abs. 1 Satz 2 KSchG zu. Dieser verlangt nicht die Zustimmung des Betriebsrats zur Kündigung.

18

1. Gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG ist die Kündigung eines Mitglieds des Betriebsrats unzulässig, es sei denn, dass Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber zur außerordentlichen Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen, und dass die nach § 103 BetrVG erforderliche Zustimmung des Betriebsrats vorliegt oder durch gerichtliche Entscheidung ersetzt ist.Dieser besondere Kündigungsschutz gilt auch für Ersatzmitglieder, soweit und solange sie ein verhindertes ordentliches Betriebsratsmitglied vertreten ( BAG 8. September 2011 - 2 AZR 388/10 - Rn. 22, AP KSchG 1969 § 15 Nr. 70 = EzA BetrVG 2001 § 25 Nr. 3 ).

19

2. Nach § 25 Abs. 1 Satz 1 BetrVG rückt ein Ersatzmitglied in den Betriebsrat nach, sofern ein ordentliches Mitglied aus diesem ausscheidet. Das gilt nach § 25 Abs. 1 Satz 2 BetrVG entsprechend für die Dauer der Stellvertretung eines zeitweilig verhinderten ordentlichen Mitglieds. Eine zeitweilige Verhinderung in diesem Sinne liegt vor, wenn ein Betriebsratsmitglied aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht in der Lage ist, sein Amt auszuüben ( BAG 8. September 2011 - 2 AZR 388/10 - Rn. 24, AP KSchG 1969 § 15 Nr. 70 = EzA BetrVG 2001 § 25 Nr. 3; 23. August 1984 - 2 AZR 391/83  - zu B II 1 a der Gründe, BAGE 46, 258 ). Diese Voraussetzung ist während des Erholungsurlaubs eines Betriebsratsmitglieds jedenfalls dann erfüllt, wenn es nicht zuvor seine Bereitschaft angezeigt hat, trotz des Urlaubs für Betriebsratstätigkeiten zur Verfügung zu stehen ( BAG 8. September 2011 - 2 AZR 388/10 - aaO). Dem Betriebsratsmitglied wird zwar aufgrund des Erholungsurlaubs die Verrichtung seiner Amtspflichten nicht ohne Weiteres objektiv unmöglich, grundsätzlich aber unzumutbar. Das beurlaubte Betriebsratsmitglied gilt zumindest so lange als zeitweilig verhindert, bis es seine Bereitschaft, gleichwohl Betriebsratstätigkeiten zu verrichten, positiv anzeigt (BAG 8. September 2011 - 2 AZR 388/10 - Rn. 29, aaO ).

20

3. Für die Frage, ob Sonderkündigungsschutz nach § 103 Abs. 1 BetrVG besteht, ist auf den Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung iSv. § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB abzustellen( BAG 8. September 2011 - 2 AZR 388/10 - Rn. 43, AP KSchG 1969 § 15 Nr. 70 = EzA BetrVG 2001 § 25 Nr. 3; Raab GK-BetrVG 9. Aufl. Bd. II § 103 Rn. 19; Richardi/Thüsing BetrVG 13. Aufl. § 103 Rn. 16; Schwarze/Eylert/Schrader/Eylert KSchG § 15 Rn. 34; Fischermeier ZTR 1998, 433).

21

a) Bei der Kündigung handelt es sich um ein einseitiges empfangsbedürftiges Rechtsgeschäft (BAG 28. Oktober 2010 - 2 AZR 794/09 - Rn. 40, BAGE 136, 131; 20. August 1997 - 2 AZR 518/96 - zu II 1 der Gründe, AP BGB § 620 Kündigungserklärung Nr. 11 = EzA BGB § 174 Nr. 12). Dieses bleibt unvollständig und entfaltet keine Wirksamkeit, solange die Kündigungserklärung nicht gem. § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB zugegangen ist(BAG 28. Oktober 2010 - 2 AZR 794/09 - aaO ).

22

b) Die Anknüpfung an den Zugangszeitpunkt entspricht Sinn und Zweck des Zustimmungserfordernisses.

23

aa) Das Zustimmungserfordernis nach § 103 Abs. 1 BetrVG dient primär dem Schutz der Arbeit und Funktionsfähigkeit der betriebsverfassungsrechtlichen Organe, welche vor Eingriffen des Arbeitgebers bewahrt werden sollen( BAG 8. September 2011 - 2 AZR 388/10 - Rn. 38, AP KSchG 1969 § 15 Nr. 70 = EzA BetrVG 2001 § 25 Nr. 3; 17. März 2005 - 2 AZR 275/04 - zu B II 1 der Gründe, AP BetrVG 1972 § 27 Nr. 6 = EzA BetrVG 2001 § 28 Nr. 1 ). Es soll verhindern, dass das demokratisch gewählte Gremium durch den Verlust einzelner Mitglieder in seiner Funktionsfähigkeit und in der Kontinuität seiner Amtsführung beeinträchtigt wird.

24

bb) Einen Eingriff in die Zusammensetzung des Betriebsrats stellt die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines ordentlichen oder nachgerückten Mitglieds erst mit ihrem Zugang dar. Davor entfaltet sie keine Rechtswirkungen. Soweit das Landesarbeitsgericht (ebenso Fitting 26. Aufl. § 103 Rn. 9; KR-Etzel 9. Aufl. § 103 BetrVG Rn. 62) demgegenüber auf den Zeitpunkt abstellen will, zu dem die Kündigung den Machtbereich des Arbeitgebers verlässt, überzeugt dies nicht. Der Schutz des Gremiums erfordert das Eingreifen des Zustimmungserfordernisses nach § 103 BetrVG in Fällen, in denen das Ersatzmitglied im Zugangszeitpunkt ein verhindertes ordentliches Mitglied vertritt, unabhängig davon, ob der Vertretungsfall schon zu dem Zeitpunkt vorlag, zu dem die Kündigung den Machtbereich des Arbeitgebers verlassen hat. Darin liegt auch keine unzumutbare Benachteiligung des Arbeitgebers, der ein Nachrücken im Zwischenzeitraum bis zum Zugang der Kündigung uU nicht vorhersehen kann. Als der die Kündigung Erklärende trägt der Arbeitgeber das Risiko einer Veränderung der maßgeblichen Umstände zwischen Abgabe und Zugang der Kündigungserklärung. Er hat es dabei in der Hand, den Zugang zeitnah sicherzustellen und dadurch das Risiko zu begrenzen. Der Gefahr eines Rechtsmissbrauchs auf Seiten des Ersatzmitglieds kann mit Hilfe von § 242 BGB sachgerecht begegnet werden. Danach kann die Berufung auf den besonderen Kündigungsschutz im Einzelfall ausgeschlossen sein. Davon wäre in der Regel auszugehen, wenn ein Verhinderungsfall kollusiv zu dem Zweck herbeigeführt würde, dem Ersatzmitglied den besonderen Kündigungsschutz zu verschaffen (vgl. BAG 8. September 2011 - 2 AZR 388/10 - Rn. 39, AP KSchG 1969 § 15 Nr. 70 = EzA BetrVG 2001 § 25 Nr. 3; 12. Februar 2004 - 2 AZR 163/03 - zu B I 2 der Gründe, AP KSchG 1969 § 15 Ersatzmitglied Nr. 1 = EzA KSchG § 15 nF Nr. 56).

25

cc) Etwas anderes folgt nicht daraus, dass eine Anhörung des Betriebsrats nach § 102 Abs. 1 BetrVG abgeschlossen sein muss, bevor die Kündigung den Machtbereich des Arbeitgebers verlässt. Die Anhörung soll eine Beeinflussung der Willensbildung des Arbeitgebers vor Ausspruch der Kündigung ermöglichen (BAG 27. November 2003 - 2 AZR 654/02 - zu B I der Gründe, AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 136 = EzA BetrVG 2001 § 102 Nr. 6; 8. April 2003 - 2 AZR 515/02 - zu II 1 a und c aa der Gründe, BAGE 106, 14; Fischermeier ZTR 1998, 433, 434). Diese Möglichkeit muss während des gesamten Laufs der Äußerungsfrist bestehen. Eine Willensbeeinflussung ist ab dem Zeitpunkt ausgeschlossen, zu dem die schriftliche Kündigung den Machtbereich des Arbeitgebers verlässt.

26

dd) Für das Eingreifen des Zustimmungserfordernisses nach § 103 BetrVG ist entgegen der Auffassung des Klägers nicht auf den Zeitpunkt des Beginns der Anhörung des Betriebsrats abzustellen. Die Erwägung, das Ersatzmitglied sei anderenfalls unter dem Druck einer unmittelbar bevorstehenden außerordentlichen Kündigung in der Ausübung seines Amtes eingeschränkt, vermag dies nicht zu rechtfertigen. Seine Unabhängigkeit bei der Amtsführung ist durch § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG und den nachwirkenden Kündigungsschutz gemäß § 15 Abs. 1 Satz 2 KSchG gesichert. Die letztgenannte Regelung gewährleistet eine „Abkühlungsphase“ in der Beziehung zwischen dem ehemaligen Betriebsratsmitglied und dem Arbeitgeber, indem sie für gewisse Zeit die ordentliche Kündigung - vorbehaltlich der Regelungen in § 15 Abs. 4 und Abs. 5 KSchG - ausschließt. Dieser Schutz steht auch Ersatzmitgliedern zu, soweit sie während der Vertretungszeit Betriebsratsaufgaben wahrgenommen haben (BAG 19. April 2012 - 2 AZR 233/11 - Rn. 41, NZA 2012, 1449; 8. September 2011 - 2 AZR 388/10 - Rn. 40, AP KSchG 1969 § 15 Nr. 70 = EzA BetrVG 2001 § 25 Nr. 3).

27

4. Danach bedurfte es im Streitfall keiner Zustimmung des Betriebsrats nach § 103 Abs. 1 BetrVG. Unabhängig davon, ob die Kündigung dem Kläger gemäß § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB noch am 15. oder erst am 16. April 2011 zugegangen ist, bestand mangels Verhinderung des ordentlichen Betriebsratsmitglieds für den Kläger kein Sonderkündigungsschutz nach § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG.

28

a) Das Zustimmungserfordernis ergibt sich nicht schon aus der Betriebsratstätigkeit des Klägers am 14. April 2011. Der Verhinderungsfall, der dieser Tätigkeit zugrunde lag, nämlich die Ortsabwesenheit des ordentlichen Betriebsratsmitglieds Herrn H, endete mit diesem Tag. Am 15. April 2011 arbeitete Herr H wieder. Der Kläger konnte sich aufgrund seiner Betriebsratstätigkeit am 14. April 2011 demzufolge nur auf den nachwirkenden Kündigungsschutz aus § 15 Abs. 1 Satz 2 KSchG berufen, ohne dass es auch der Zustimmung des Betriebsrats bedurft hätte(vgl. BAG 8. September 2011 - 2 AZR 388/10 - Rn. 19, AP KSchG 1969 § 15 Nr. 70 = EzA BetrVG 2001 § 25 Nr. 3; 18. Mai 2006 - 6 AZR 627/05 - Rn. 22 f. mwN, AP KSchG 1969 § 15 Ersatzmitglied Nr. 2 = EzA ArbGG 1979 § 69 Nr. 5).

29

b) Der Kläger war am 16. April 2011 noch nicht erneut in den Betriebsrat nachgerückt.

30

aa) Das Landesarbeitsgericht hat keine Umstände festgestellt, aufgrund derer am 16. April 2011 eine Verhinderung des ordentlichen Betriebsratsmitglieds Herrn H vorgelegen hätte. Herr H hatte Erholungsurlaub erst ab dem 18. April 2011. Dass er aus anderen tatsächlichen oder rechtlichen Gründen bereits am 16. April 2011 verhindert gewesen wäre, Betriebsratsaufgaben wahrzunehmen, hat der Kläger nicht hinreichend dargelegt. Sein Vorbringen erschöpft sich in der nicht näher substantiierten Behauptung, Herr H habe seinen Urlaub tatsächlich bereits am 16. April 2011 angetreten. Ab wann genau und in welcher Weise dies geschehen sei mit der Folge, dass Herr H an der Ausübung von Betriebsratstätigkeit gehindert gewesen sei, hat der Kläger nicht vorgetragen. Er hat - auch nachdem ihm das Landesarbeitsgericht Gelegenheit zur Substantiierung gegeben hatte - lediglich behauptet, Herr H habe sich „schon in Urlaub“ befunden und als Betriebsratsmitglied nicht mehr zur Verfügung gestanden. Dies genügt den an die Darlegung einer zeitweiligen Verhinderung iSv. § 25 Abs. 1 Satz 2 BetrVG zu stellenden Anforderungen nicht.

31

bb) Herr H war am 16. April 2011 nicht deshalb iSv. § 25 Abs. 1 Satz 2 BetrVG zeitweilig verhindert, weil er arbeitsfrei hatte. Anders als im Falle bewilligten Erholungsurlaubs ist einem Betriebsratsmitglied die Wahrnehmung von Betriebsratsaufgaben außerhalb der persönlichen Arbeitszeit nicht grundsätzlich unzumutbar (vgl. für den Fall der einseitigen Freistellung von der Arbeit BAG 8. September 2011 - 2 AZR 388/10 - Rn. 46, AP KSchG 1969 § 15 Nr. 70 = EzA BetrVG 2001 § 25 Nr. 3). Es muss vielmehr ein tatsächlicher Verhinderungsgrund vorliegen und vom Ersatzmitglied, das sich auf ein Nachrücken und das Eingreifen von Sonderkündigungsschutz gem. § 103 BetrVG beruft, dargelegt werden. Daran fehlt es im Streitfall.

32

c) Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte den Kläger lediglich im Hinblick auf den - wie ihr bekannt - ab 18. April 2011 erneut eintretenden Vertretungsfall gekündigt hätte, gibt es nicht. Die Beklagte hat sich auf den Verstoß des Klägers gegen das betriebliche Rauchverbot am 5. April 2011 berufen. Da die Kündigung dem Kläger in der Zeit zwischen zwei Vertretungsfällen zuging, war eine Zustimmung des Betriebsrats von Rechts wegen nicht erforderlich.

33

II. Die außerordentliche Kündigung vom 15. April 2011 erfolgte aus wichtigem Grund iSv. § 15 Abs. 1 Satz 2 KSchG, § 626 Abs. 1 BGB. Dies hat das Landesarbeitsgericht fehlerfrei erkannt.

34

1. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann(zum Prüfungsmaßstab vgl. BAG 19. Juli 2012 - 2 AZR 989/11 - Rn. 38; 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10  - Rn. 14, AP BGB § 626 Nr. 236 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 36). Stützt der Arbeitgeber den wichtigen Grund bei einem Betriebsratsmitglied auf dessen Verhalten, muss dieses sich als Verletzung von Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis darstellen ( BAG 19. Juli 2012 - 2 AZR 989/11 - Rn. 39; 12. Mai 2010 - 2 AZR 587/08  - Rn. 15 f., AP KSchG 1969 § 15 Nr. 67 = EzA KSchG § 15 nF Nr. 67).

35

2. Danach hat das Landesarbeitsgericht zu Recht angenommen, das Verhalten des Klägers rechtfertige „an sich“ eine außerordentliche Kündigung. Der Kläger hat gegen das Rauchverbot im Betrieb der Beklagten verstoßen und damit seine Nebenpflichten aus dem Arbeitsverhältnis erheblich verletzt. Umstände, aus denen sich die Unwirksamkeit des Verbots ergeben könnte, sind nicht dargetan. Sie sind auch objektiv nicht erkennbar (zur Eignung eines Verstoßes gegen ein wirksames Rauchverbot als wichtiger Grund vgl. ErfK/Müller-Glöge 12. Aufl. § 626 BGB Rn. 127; KR-Fischermeier 9. Aufl. § 626 Rn. 440). Es handelt sich um ein Rauchverbot aus Sicherheitsgründen. Die Beklagte hat eine aufgrund der Brandgefahr in ihrem Betrieb bestehende besondere Gefahrensituation zum Anlass genommen, unter Wahrung der Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats das Rauchverbot zu erlassen. Die dazu bestehenden Regelungen galten absolut. Danach war das Rauchen ausschließlich in den markierten Raucherzonen gestattet.

36

3. Die Kündigung ist auch unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen gerechtfertigt.

37

a) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen ( BAG 19. Juli 2012 - 2 AZR 989/11 - Rn. 42; 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10  - Rn. 26, AP BGB § 626 Nr. 236 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 36).

38

b) Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf ( BAG 19. Juli 2012 - 2 AZR 989/11 - Rn. 43; 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10  - Rn. 27, AP BGB § 626 Nr. 236 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 36). Auch Unterhaltspflichten und der Familienstand können - je nach Lage des Falls - Bedeutung gewinnen. Sie sind jedenfalls bei der Interessenabwägung nicht generell ausgeschlossen und können zu berücksichtigen sein ( BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10  - aaO; 16. Dezember 2004 -  2 ABR 7/04  - zu B II 3 b aa der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 191 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 7). Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind ( BAG 19. Juli 2012 - 2 AZR 989/11 - Rn. 43; 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10  - aaO).

39

c) Für die Beurteilung, ob Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber iSv. § 15 Abs. 1, Abs. 2 KSchG, § 626 Abs. 1 BGB aus wichtigem Grund zur Kündigung berechtigen, ist auf die Unzumutbarkeit einer Weiterbeschäftigung bis zum Ablauf der fiktiven ordentlichen Kündigungsfrist abzustellen. Ist eine Weiterbeschäftigung bis dahin zumutbar, ist die Kündigung unwirksam ( BAG 19. Juli 2012 - 2 AZR 989/11 - Rn. 44; 12. Mai 2010 - 2 AZR 587/08  - Rn. 17, AP KSchG 1969 § 15 Nr. 67 = EzA KSchG § 15 nF Nr. 67).

40

d) Danach lässt die Einzelfallprüfung und Interessenabwägung des Landesarbeitsgerichts, bei der ihm ein Beurteilungsspielraum zukommt (dazu BAG 1 9. Juli 2012 - 2 AZR 989/11 - Rn. 45; 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10  - Rn. 29, AP BGB § 626 Nr. 236 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 36), keinen Rechtsfehler erkennen.

41

aa) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, auch unter Berücksichtigung der Dauer der Betriebszugehörigkeit des Klägers, seines Alters und seiner Unterhaltspflichten überwögen die Interessen der Beklagten an einer sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Der Kläger habe selbst dann, wenn er entsprechend seiner Behauptung nur vier bis fünf Meter von der Raucherzone entfernt geraucht habe, die Markierung nicht nur versehentlich oder geringfügig übertreten, sondern bewusst gegen das Rauchverbot verstoßen. Auch wenn er dadurch konkret keine Brandgefahr ausgelöst habe, wiege der Verstoß schwer. Die Beklagte sei darauf angewiesen, dass die Raucherzonen eingehalten würden. Bei einem Brand drohten erhebliche Personen- und Sachschäden. Dennoch habe der Kläger beharrlich außerhalb der Raucherzone geraucht. Er habe bewusst seine eigene Einschätzung der Sicherheitserfordernisse an die Stelle derjenigen gesetzt, die von der Beklagten im Einvernehmen mit dem Sicherheitsbeauftragten und dem Betriebsrat gefunden worden sei. Im Kündigungszeitpunkt sei davon auszugehen gewesen, dass er dieses Verhalten wiederholen werde. Das habe die Beklagte zum Schutz der übrigen Belegschaft auch nur für den Lauf der fiktiven Kündigungsfrist nicht akzeptieren können. Der Kläger sei mehrfach einschlägig abgemahnt worden. Unter keinem Gesichtspunkt habe es einer weiteren Abmahnung bedurft, um ihm die sich aus einer Wiederholung des Verhaltens ergebenden nachteiligen Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses aufzuzeigen.

42

bb) Dies hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand. Das Landesarbeitsgericht hat alle relevanten Umstände des Einzelfalls berücksichtigt und vertretbar gegeneinander abgewogen.

43

(1) Ohne Rechtsfehler hat es eine Weiterbeschäftigung des Klägers auch nur bis zum Ablauf der fiktiven Kündigungsfrist insbesondere aufgrund der Beharrlichkeit seiner Pflichtverletzungen und der nicht ausgeräumten Wiederholungsgefahr für unzumutbar gehalten. Zwar ist nicht festgestellt, dass das Verhalten des Klägers die Brandgefahr konkret erhöht hätte. Es ist aber nicht zu beanstanden, dem Interesse der Beklagten an der strikten Einhaltung des Rauchverbots und einer Beschränkung des Rauchens auf die erlaubten Zonen unabhängig hiervon allein wegen des im Betrieb gegebenen generell hohen Gefahrenpotenzials eine erhebliche Bedeutung beizumessen.

44

(2) Das Landesarbeitsgericht hat den Abmahnungen wegen früherer Verstöße des Klägers gegen das Rauchverbot zu Recht eine hinreichende Warnfunktion entnommen.

45

(a) Der Arbeitgeber muss für den Wiederholungsfall nicht ausdrücklich (auch) eine außerordentliche Kündigung androhen. Es reicht aus, dass der Arbeitnehmer erkennen kann, dass bei einem erneuten Verstoß der Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdet ist (BAG 19. April 2012 - 2 AZR 258/11 - Rn. 23, DB 2012, 2404). Dies war nach der nicht zu beanstandenden Würdigung des Landesarbeitsgerichts bei den dem Kläger wegen Verstoßes gegen das Rauchverbot erteilten Abmahnungen der Fall, weil darin ausdrücklich zumindest auch die Möglichkeit einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses angedroht worden war.

46

(b) Die Warnfunktion der Kündigungsandrohung in den letzten beiden Abmahnungen ist nicht wegen der im Vergleich zu den früheren Abmahnungen anderen Wortwahl als geringer anzusehen. Nach beiden Formulierungen musste der Kläger im Wiederholungsfall mit einer Kündigung rechnen. In den letzten Abmahnungen wird zwar ausdrücklich auf die Möglichkeit anderer arbeitsrechtlicher Maßnahmen hingewiesen. Diese waren aber auch nach der früheren Formulierung nicht ausgeschlossen.

47

(c) Eine Abschwächung der Warnfunktion ist nicht dadurch eingetreten, dass die Beklagte den Kläger insgesamt vier Mal wegen Verstoßes gegen das Rauchverbot abgemahnt hat. Zwar können Abmahnungen ihre Warnfunktion einbüßen, wenn der Arbeitgeber trotz ständig neuer Pflichtverletzungen des Arbeitnehmers weiterhin nur abmahnt. Der Arbeitnehmer muss die in der Abmahnung enthaltene Drohung noch ernst nehmen können; es darf sich nicht um eine „leere“ Drohung handeln (BAG 16. September 2004 - 2 AZR 406/03 - zu B I 4 a der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 50 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 64; 15. November 2001 - 2 AZR 609/00 - zu II 3 a aa der Gründe, BAGE 99, 340). Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht aber im Streitfall einen solchen Sachverhalt nicht als gegeben angesehen, weil insbesondere zwischen den ersten beiden Abmahnungen ein erheblicher Zeitraum lag. Die Beklagte konnte bei Ausspruch der zweiten Abmahnung berechtigterweise annehmen, der Zeitablauf mache es erforderlich, dem Kläger die möglichen Folgen einer Missachtung des Rauchverbots nochmals vor Augen zu führen (vgl. zum Verlust der Warnfunktion einer Abmahnung nach längerer Zeit einwandfreier Führung des Arbeitnehmers BAG 19. Juli 2012 - 2 AZR 782/11 - Rn. 20, NZA 2013, 91; 18. November 1986 - 7 AZR 674/84 - zu II 5 der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17 = EzA BGB § 611 Abmahnung Nr. 4 ). Unter Einbeziehung der zweiten Abmahnung hat die Beklagte den Kläger bis zur Kündigung insgesamt drei Mal hinreichend zeitnah wegen einer Verletzung des Rauchverbots abgemahnt. Es hält sich im Bewertungsspielraum des Landesarbeitsgerichts, wenn es angenommen hat, bei dieser Anzahl könne die Drohung mit einer Kündigung noch nicht als „leer“ angesehen werden (vgl. auch BAG 16. September 2004 - 2 AZR 406/03 - zu B I 4 b bb (1) der Gründe, aaO). Das gilt umso mehr, als es sich bei dem mit der letzten Abmahnung vom 22. September 2009 gerügten Verstoß um eine schlichte Nachlässigkeit des Klägers gehandelt haben konnte und eine Kündigung zum damaligen Zeitpunkt mit dem Risiko der Unverhältnismäßigkeit behaftet gewesen wäre. Soweit die Beklagte dem Kläger wegen anderer Pflichtverletzungen in den Jahren 1998 bis 2005 vier zusätzliche Abmahnungen erteilt hatte, hat das Landesarbeitsgericht diesen im gegebenen Zusammenhang zu Recht keine Bedeutung beigemessen. Die Warnfunktion einer Abmahnung erstreckt sich nur auf gleichartige Pflichtverletzungen (vgl. BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 31, AP BGB § 626 Nr. 236 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 36; 13. Dezember 2007 - 2 AZR 818/06 - Rn. 41, AP KSchG 1969 § 4 Nr. 64 = EzA KSchG § 4 nF Nr. 82). Sie wird durch Abmahnungen aus anderen Gründen regelmäßig nicht beeinträchtigt (vgl. auch BAG 16. September 2004 - 2 AZR 406/03 - zu B I 4 b aa der Gründe, aaO).

48

(3) Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, der Kläger habe beharrlich gegen das betriebliche Rauchverbot verstoßen, steht nicht im Widerspruch zu seiner Annahme, dem abgemahnten Verhalten vom 22. September 2009 könne schlichte Nachlässigkeit zugrunde gelegen haben. Der Kläger hatte das Rauchverbot außerdem schon drei weitere Male verletzt und dies trotz der Abmahnungen wiederholt.

49

(4) Soweit sich der Kläger im Revisionsverfahren darauf beruft, die vom Landesarbeitsgericht für gegeben erachtete negative Prognose decke sich nicht mit seiner „gelebten Einsicht“, hat er keine zulässige Verfahrensrüge erhoben. Er hat nicht dargelegt, aus welchen mit welchem Schriftsatz vorgetragenen Umständen sich bereits für den Zeitpunkt des Kündigungszugangs das Vorliegen einer solchen Einsicht ergeben habe.

50

III. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht angenommen, die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB sei durch die spätestens am 16. April 2011 zugegangene Kündigung eingehalten. Der Kläger hatte zuletzt am 5. April 2011 gegen das Rauchverbot verstoßen.

51

IV. Die Kündigung ist nicht wegen fehlerhafter Betriebsratsanhörung gemäß § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam. Nachdem der Kläger die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats in der Klageschrift gerügt hatte, hat die Beklagte hierzu im Einzelnen unter Bezugnahme auf die schriftliche Anhörung vom 12. April 2011 vorgetragen. Hierüber hätte sich der Kläger nach § 138 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO im Einzelnen erklären müssen(vgl. BAG 23. Juni 2005 - 2 AZR 193/04 - zu II 1 b der Gründe, AP ZPO § 138 Nr. 11 = EzA BetrVG 2001 § 102 Nr. 12). Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, an solchem Vorbringen habe es im Streitfall gefehlt, so dass der Vortrag der Beklagten gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden zu gelten habe, greift die Revision nicht mit Verfahrensrügen an. Ein materieller Rechtsfehler ist angesichts der Schlüssigkeit des Vorbringens der Beklagten nicht zu erkennen (zum Erfordernis einer solchen Schlüssigkeitsprüfung vgl. BAG 24. Mai 2012 - 2 AZR 206/11 - Rn. 48 ff., NZA 2013, 137).

52

V. Die Kosten des Revisionsverfahrens hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO der Kläger zu tragen.

        

    Berger    

        

    Rinck    

        

    Rachor    

        

        

        

    Gans    

        

    Pitsch    

                 

Tenor

1. Auf die Revision des beklagten Landes wird das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 3. November 2010 - 2 Sa 979/10 - im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als es auf die Berufung des Klägers das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 31. März 2010 - 7 Ca 3503/09 - abgeändert und festgestellt hat, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung des beklagten Landes vom 13. November 2009 nicht aufgelöst worden ist.

2. Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen fristlosen Kündigung, hilfsweise einer außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist.

2

Der im Jahr 1957 geborene Kläger ist verheiratet, gehbehindert und mit einem Grad von 80 als schwerbehinderter Mensch anerkannt. Er war beim beklagten Land seit 1989 als Verwaltungsangestellter beschäftigt. Seit dem Jahr 2005 war er beim staatlichen Immobilienmanagement, Niederlassung W (im Folgenden: Immobilienmanagement), tätig. Auf das Arbeitsverhältnis fand kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme der Bundesangestellten-Tarifvertrag (BAT) Anwendung. Nach § 53 BAT war der Kläger ordentlich nicht mehr kündbar.

3

Im Jahr 2007 beschwerte sich eine beim Immobilienmanagement als Leiharbeitnehmerin beschäftigte Mitarbeiterin bei der Leitung der Niederlassung über den Kläger. Sie fühlte sich von ihm belästigt. Es kam zu einem Verfahren vor der Beschwerdestelle nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Mit Schreiben vom 19. April 2007 teilte die Beschwerdestelle dem Kläger mit, dass die Mitarbeiterin weder dienstlich noch privat Kontakt mit ihm wünsche und dieser Wunsch vorbehaltlos zu respektieren sei. Eine unmittelbare dienstliche Kontaktaufnahme mit der Mitarbeiterin habe „auf jeden Fall zur Vermeidung arbeitsrechtlicher Konsequenzen zu unterbleiben“.

4

Mit Schreiben vom 8. Oktober 2009 wandte sich eine andere, seit Februar 2009 beim Immobilienmanagement als Leiharbeitnehmerin beschäftigte Mitarbeiterin an dessen Direktor. Dieser leitete das Schreiben am 12. Oktober 2009 an die zuständige Personalabteilung in der Zentrale weiter. In dem Schreiben erklärte die Mitarbeiterin, dass sie sich durch den Kläger in unerträglicher Art und Weise belästigt und bedrängt fühle. Obwohl sie sich ihm gegenüber deutlich abweisend geäußert habe, suche er weiterhin Kontakt zu ihr. In der Zeit von Mitte Juni 2009 bis Anfang Oktober 2009 hatte der Kläger - unstreitig - insgesamt mehr als 120 E-Mails, MMS und SMS an die Mitarbeiterin versandt. Das beklagte Land teilte dem Kläger am 13. Oktober 2009 mit, dass eine Beschwerde gegen ihn vorliege, der Sachverhalt aber noch aufgeklärt werden müsse. Als „Sofortmaßnahme“ ordnete es an, dass der Kläger mit sofortiger Wirkung jeden dienstlichen und privaten Verkehr mit der Beschwerdeführerin zu unterlassen habe und nur in dienstlichen Dingen über Dritte Kontakt zu ihr aufnehmen dürfe. Am 15. Oktober 2009 hörte das beklagte Land die Mitarbeiterin an, die ihm am 16. Oktober 2009 den gesamten E-Mail-Verkehr mit dem Kläger überließ. Noch am selben Tag wurde der Kläger schriftlich über die gegen ihn erhobenen Vorwürfe informiert. Er erhielt Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 23. Oktober 2009. Mit Schreiben von diesem Tage, das beim beklagten Land am 26. Oktober 2009 einging, nahm er zu den Vorwürfen Stellung.

5

Mit Schreiben vom 29. Oktober 2009 hörte das beklagte Land den Personalrat der Niederlassung W zu einer - nach noch einzuholender Zustimmung des Integrationsamts - beabsichtigten außerordentlichen fristlosen Tat-, hilfsweise Verdachtskündigung, hilfsweise jeweils mit sozialer Auslauffrist bis zum 30. Juni 2010 an. Der Personalrat stimmte der Kündigung tags darauf zu. Mit Schreiben vom 30. Oktober 2009 hörte das beklagte Land auch die örtliche Schwerbehindertenvertretung an. Mit weiterem Schreiben vom selben Tage beantragte es beim Integrationsamt die Zustimmung, die dieses am 13. November 2009 erteilte.

6

Noch mit Schreiben vom 13. November 2009 erklärte das beklagte Land gegenüber dem Kläger die außerordentliche fristlose Kündigung, hilfsweise die außerordentliche Kündigung unter Einhaltung einer sozialen Auslauffrist zum 30. Juni 2010.

7

Dagegen hat der Kläger rechtzeitig Klage erhoben. Er hat die Ansicht vertreten, die Voraussetzungen für eine außerordentliche Kündigung lägen nicht vor. Das beklagte Land habe die Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB nicht gewahrt. Im Übrigen fehle es an einem wichtigen Grund. Nachdem die betreffende Mitarbeiterin Anfang September 2009 erklärt habe, keinen privaten Kontakt mehr mit ihm zu wünschen, habe er nur noch wenige Male den Kontakt zu ihr gesucht. Das beklagte Land habe ihn allenfalls abmahnen dürfen. Dass er zu einer Verhaltensänderung in der Lage sei, zeige sein Verhalten nach Erhalt des Schreibens vom 19. April 2007, welches freilich seinerseits gerade keine Abmahnung darstelle. Im Übrigen sei der Personalrat nicht ordnungsgemäß beteiligt worden.

8

Der Kläger hat - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - beantragt

        

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die außerordentliche Kündigung des beklagten Landes vom 13. November 2009 weder fristlos noch mit Ablauf des 30. Juni 2010 beendet worden ist.

9

Das beklagte Land hat beantragt, die Klage abzuweisen. Es hat die Auffassung vertreten, bereits die außerordentliche fristlose Kündigung sei unter allen rechtlichen Gesichtspunkten wirksam. Ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung liege vor. Einer (weiteren) Abmahnung habe es nicht bedurft, nachdem der Kläger sich bereits im Jahr 2007 in vergleichbarer Weise pflichtwidrig verhalten habe.

10

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben. Mit der Revision begehrt das beklagte Land die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.

Entscheidungsgründe

11

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils (§ 562 Abs. 1 ZPO) und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Mit der von ihm gegebenen Begründung durfte das Landesarbeitsgericht der Klage nicht stattgeben. Ob die Kündigung das Arbeitsverhältnis der Parteien beendet hat, steht noch nicht fest.

12

I. Auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen durfte das Landesarbeitsgericht nicht annehmen, es fehle für die außerordentliche Kündigung vom 13. November 2009 an einem wichtigen Grund iSv. § 54 Abs. 1 BAT, § 626 Abs. 1 BGB.

13

1. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB - und dem inhaltsgleichen § 54 Abs. 1 BAT - kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 14, AP BGB § 626 Nr. 236 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 36; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 16, BAGE 134, 349).

14

a) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen ( BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 26, AP BGB § 626 Rn. 236 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 36 ; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 34, BAGE 134, 349). Dabei lassen sich die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf ( BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 27, aaO ; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 34, aaO ). Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind ( BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 27, aaO; 16. Dezember 2010 - 2 AZR 485/08  - Rn. 24, AP BGB § 626 Nr. 232 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 33; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 34, aaO).

15

b) Einer Abmahnung bedarf es in Ansehung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft selbst nach Abmahnung nicht zu erwarten steht oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass eine Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 381/10 - Rn. 18, AP BGB § 626 Nr. 234 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 35; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09  - Rn. 37, BAGE 134, 349). Dies gilt grundsätzlich auch bei Störungen im Vertrauensbereich ( BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 381/10 - Rn. 18, aaO ; 12. Mai 2010 - 2 AZR 845/08  - Rn. 29, AP BGB § 626 Nr. 230 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 31).

16

c) Dem Berufungsgericht kommt bei der im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB vorzunehmenden Interessenabwägung ein Beurteilungsspielraum zu. Die Würdigung des Berufungsgerichts wird in der Revisionsinstanz daraufhin überprüft, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnormen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob es alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände widerspruchsfrei berücksichtigt hat (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 29, AP BGB § 626 Nr. 236 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 36; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 17, BAGE 134, 349). Eine eigene Abwägung durch das Revisionsgericht ist dann möglich, wenn die des Berufungsgerichts fehlerhaft oder unvollständig ist und sämtliche relevanten Tatsachen feststehen (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 29, aaO; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 33, aaO).

17

2. Auch unter Berücksichtigung dieses eingeschränkten Prüfungsmaßstabs hält die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, mangels einschlägiger Abmahnung sei die Kündigung des beklagten Landes vom 13. November 2009 wegen Fehlens eines wichtigen Grundes iSv. § 54 Abs. 1 BAT, § 626 Abs. 1 BGB unwirksam, auf der Basis seiner bisher getroffenen Feststellungen einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Die Annahme, eine Abmahnung sei im Streitfall nicht entbehrlich gewesen, wird von den bisherigen Feststellungen nicht getragen.

18

a) Im Ergebnis zutreffend hat das Landesarbeitsgericht angenommen, bei dem Schreiben der Beschwerdestelle vom 19. April 2007 habe es sich nicht um eine Abmahnung gehandelt.

19

aa) Dies folgt entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts allerdings nicht daraus, dass das Schreiben nicht auf die Änderung eines generellen Verhaltens auch gegenüber anderen Beschäftigten des beklagten Landes abzielte. Für die Erfüllung der Warnfunktion einer Abmahnung ist es nicht erforderlich, dass der Arbeitgeber die zu unterlassende Pflichtverletzung losgelöst vom konkreten Verstoß generalisierend beschreibt. Der mit einer Abmahnung verbundene Hinweis auf eine Bestandsgefährdung des Arbeitsverhältnisses im Wiederholungsfall erstreckt sich grundsätzlich auch auf vergleichbare Pflichtverletzungen. Es reicht aus, dass die jeweiligen Pflichtwidrigkeiten aus demselben Bereich stammen und somit gegebene Abmahnungs- und potentielle Kündigungsgründe in einem inneren Zusammenhang stehen (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 31, AP BGB § 626 Nr. 236 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 36 ; 13. Dezember 2007 - 2 AZR 818/06 - Rn. 41, AP KSchG 1969 § 4 Nr. 64 = EzA KSchG § 4 nF Nr. 82).

20

bb) Entgegen der - Teilen des Schrifttums folgenden - Auffassung des Klägers fehlt dem Schreiben vom 19. April 2007 auch nicht deshalb der Abmahnungscharakter, weil die darin für den Wiederholungsfall enthaltene Androhung von „arbeitsrechtlichen Konsequenzen“ zur Erfüllung der Warnfunktion einer Abmahnung nicht ausreichend wäre.

21

(1) Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gehört zu den unverzichtbaren Voraussetzungen einer ordnungsgemäßen Abmahnung neben der Rüge eines genau zu bezeichnenden Fehlverhaltens (Rügefunktion) der Hinweis auf die Bestands- oder Inhaltsgefährdung des Arbeitsverhältnisses für den Wiederholungsfall (kündigungsrechtliche Warnfunktion) (BAG 18. November 1986 - 7 AZR 674/84 - zu II 5 der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17 = EzA BGB § 611 Abmahnung Nr. 4). Der Arbeitgeber muss in einer für den Arbeitnehmer hinreichend deutlich erkennbaren Art und Weise seine Beanstandungen vorbringen und damit deutlich - wenn auch nicht expressis verbis - den Hinweis verbinden, im Wiederholungsfall sei der Inhalt oder der Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdet (BAG 17. Februar 1994 - 2 AZR 616/93 - zu II 1 der Gründe, BAGE 76, 35). Der Senat hat einer „ordnungsgemäßen Abmahnung“ ein „nur als Abmahnung bezeichnetes Schreiben“ gegenübergestellt, in welchem nicht ausdrücklich auf kündigungsrechtliche Konsequenzen hingewiesen, sondern nur „mit weiteren rechtlichen Schritten“ für den Wiederholungsfall gedroht worden war (vgl. BAG 15. März 2001 - 2 AZR 147/00 - EzA BGB § 626 nF Nr. 185; vgl. auch 8. Dezember 1988 - 2 AZR 294/88 - EzAÜG AÜG § 10 Fiktion Nr. 60). Die Androhung „arbeitsrechtlicher Schritte“ sei zur Erfüllung der Warnfunktion hingegen ausreichend (BAG 31. Januar 1985 - 2 AZR 486/83 - zu B I 2 der Gründe, AP MuSchG 1968 § 8a Nr. 6 mit zust. Anm. Bemm; vgl. auch 30. Mai 1996 - 6 AZR 537/95 - zu II 1 der Gründe, AP BGB § 611 Nebentätigkeit Nr. 2 = EzA BGB § 611 Abmahnung Nr. 34: Androhung „individualrechtlicher Konsequenzen“).

22

(2) Im Schrifttum wird zumeist in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts verlangt, dass die Abmahnung einen Hinweis auf die Gefährdung von Inhalt oder Bestand des Arbeitsverhältnisses enthalten muss, um ihre kündigungsrechtliche Warnfunktion zu erfüllen (Adam AuR 2001, 41; Kittner/Däubler/Zwanziger-Deinert 8. Aufl. KSchR § 314 BGB Rn. 56; APS/Dörner/Vossen 4. Aufl. § 1 KSchG Rn. 348; HaKo-Fiebig/Zimmermann 4. Aufl. § 1 KSchG Rn. 244; KR-Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 270; v. Hoyningen-Huene RdA 1990, 193, 198; Thüsing/Laux/Lembke, Liebscher KSchG 2. Aufl. § 1 Rn. 389; v. Hoyningen-Huene/Linck KSchG 14. Aufl. § 1 Rn. 495; ErfK/Müller-Glöge 12. Aufl. § 626 BGB Rn. 25; SPV/Preis 10. Aufl. Rn. 8, 1205). Dafür sei zwar nicht unbedingt die ausdrückliche Androhung einer Kündigung notwendig, der Arbeitgeber müsse aber in einer dem Arbeitnehmer deutlich erkennbaren Art und Weise konkret bestimmte Leistungs- oder Verhaltensmängel beanstanden und damit den eindeutigen und unmissverständlichen Hinweis verbinden, bei künftigen gleichartigen Vertragsverletzungen seien Inhalt und Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdet (HaKo-Fiebig/Zimmermann aaO; KR-Fischermeier § 626 BGB Rn. 273 mwN ua. auf BAG 15. August 1984 - 7 AZR 228/82 - BAGE 46, 163; v. Hoyningen-Huene/Linck KSchG § 1 Rn. 497). Das Inaussichtstellen konkreter kündigungsrechtlicher Maßnahmen, etwa einer außerordentlichen oder ordentlichen Kündigung bzw. einer Beendigungs- oder Änderungskündigung, sei hingegen nicht erforderlich (Kittner/Däubler/Zwanziger-Deinert aaO; APS/Dörner/Vossen aaO; HaKo-Fiebig/Zimmermann aaO; Thüsing/Laux/Lembke, Liebscher aaO); es reiche die Androhung „kündigungsrechtlicher Konsequenzen“ (HaKo-Fiebig/Zimmermann aaO; Thüsing/Laux/Lembke, Liebscher aaO). Zum Teil wird auch der Hinweis auf „arbeitsrechtliche Konsequenzen“ für ausreichend gehalten (Beckerle Die Abmahnung 10. Aufl. S. 127 ff.; Kittner/Däubler/Zwanziger-Deinert KSchR § 314 BGB Rn. 60) oder, jedenfalls unter besonderen Umständen, die Ankündigung „arbeitsrechtlicher Schritte“ (v. Hoyningen-Huene/Linck KSchG § 1 Rn. 497 unter Hinweis auf BAG 31. Januar 1985 - 2 AZR 486/83 - AP MuSchG 1968 § 8a Nr. 6; Th. Wolf Zur Abmahnung als Voraussetzung der verhaltensbedingten Kündigung durch den Arbeitgeber S. 164). Nach anderer Ansicht genügt die Ankündigung „arbeitsrechtlicher Konsequenzen“ nicht, da dadurch nicht hinreichend deutlich gemacht werde, dass der Bestand des Arbeitsverhältnisses als solcher auf dem Spiel stehe; arbeitsrechtliche Konsequenzen könnten auch Versetzungen, Umsetzungen oder weitere Abmahnungen sein (HaKo-Fiebig/Zimmermann aaO; Thüsing/Laux/Lembke, Liebscher aaO).

23

(3) Nach zutreffender Auffassung kann schon die Androhung „arbeitsrechtlicher Konsequenzen“ eine hinreichende Warnung vor einer Bestandsgefährdung des Arbeitsverhältnisses sein. Mit einer solchen Formulierung wird ausgedrückt, dass der Arbeitnehmer im Wiederholungsfall mit allen denkbaren arbeitsrechtlichen Folgen bis hin zu einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses rechnen muss. Eine ausdrückliche Kündigungsandrohung ist dafür nicht erforderlich. Es ist ausreichend, wenn der Arbeitnehmer erkennen kann, der Arbeitgeber werde im Wiederholungsfall möglicherweise auch mit einer Kündigung reagieren.

24

cc) Das Schreiben vom 19. April 2007 stellt gleichwohl keine Abmahnung dar. Es fehlt an einer Rüge vorherigen Fehlverhaltens. In dem Schreiben ist als Ergebnis des Beschwerdeverfahrens lediglich dokumentiert, dass die betroffene Mitarbeiterin keinen Kontakt mehr mit dem Kläger wünsche. Zwar wird außerdem - zur Vermeidung „arbeitsrechtlicher Konsequenzen“ - die Beachtung dieses Wunsches der Mitarbeiterin für die Zukunft verlangt. Das Schreiben enthält aber nicht die eindeutige Bewertung, dass das vorangegangene Verhalten des Klägers eine Pflichtverletzung dargestellt habe.

25

b) Die weitere Annahme des Landesarbeitsgerichts, eine Abmahnung sei im Streitfall auch nicht entbehrlich gewesen, hält dagegen - auf der Basis der bisher getroffenen Feststellungen - einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.

26

aa) Es steht nicht fest, welchen Kündigungssachverhalt das Landesarbeitsgericht dieser Würdigung zugrunde gelegt hat. Es hat dahingestellt sein lassen, ob das Verhalten des Klägers gegenüber der betroffenen Mitarbeiterin eine Straftat oder jedenfalls eine schwerwiegende Pflichtverletzung dargestellt oder zumindest einen entsprechenden Verdacht begründet habe. Es hat angenommen, der Kläger habe, selbst wenn nur sein Sachvortrag als wahr unterstellt werde, die ihm aufgrund des Arbeitsvertrags obliegenden Verhaltenspflichten in jedem Fall verletzt. Es hat aber nicht gewürdigt, ob nicht auf Basis des Vorbringens des beklagten Landes von einer erheblich schwerer wiegenden Pflichtverletzung auszugehen wäre. Festgestellt sind nur die mehr als 120 vom Kläger an die betroffene Mitarbeiterin gesandten Nachrichten. Nach dem vom Landesarbeitsgericht in Bezug genommenen erstinstanzlichen Vorbringen des beklagten Landes hatte sich der Kläger jedoch immer wieder auch auf andere Weise, wie etwa durch unerwünschte persönliche Kontaktaufnahmen, aufgedrängt. Das beklagte Land hat ua. geltend gemacht, der Kläger habe sich gegen den ausdrücklich erklärten Willen der Mitarbeiterin wiederholt und zunehmend aggressiv und aufdringlich in ihr Privatleben eingemischt. Um sie zu weiterem privaten Kontakt mit ihm zu bewegen, habe er ihr ua. damit gedroht, er könne dafür sorgen, dass sie keine Anstellung beim Land bekomme, und werde ihren Ehemann, der über keine unbefristete Aufenthaltserlaubnis verfügte, bei der Polizei und der Ausländerbehörde anzeigen. Bei der Mitarbeiterin habe dies massive Angstzustände verursacht.

27

bb) Soweit das Landesarbeitsgericht angenommen hat, dem Kläger habe die Distanzlosigkeit seines Verhaltens und die damit einhergehende Pflichtverletzung „aufgrund des schleichenden Prozesses“ entgehen können, steht dies im Widerspruch zu seiner Feststellung, die betroffene Mitarbeiterin habe dem Kläger Anfang September 2009 den „eindeutigen“ Hinweis gegeben, nur noch im unbedingt notwendigen dienstlichen Rahmen mit ihm Kontakt haben zu wollen. Warum dem Kläger die Pflichtwidrigkeit und der bedrängende Charakter seines Verhaltens auch nach diesem Hinweis nicht erkennbar gewesen sein sollen, ist nicht ersichtlich. Nach dem vom Arbeitsgericht zugrunde gelegten Sachverhalt war aus den dem Hinweis nachfolgenden Nachrichten gerade nicht herauszulesen, der Kläger habe, wie von ihm behauptet, weiterhin lediglich einen rein freundschaftlichen Kontakt gewollt. Die Nachrichten hätten vielmehr einen drohenden Charakter angenommen. Abweichende Feststellungen hat das Landesarbeitsgericht nicht getroffen.

28

cc) Das Landesarbeitsgericht hat zudem nicht ausreichend geprüft, ob eine Abmahnung im Streitfall deshalb entbehrlich war, weil dem Kläger schon aufgrund des im Jahr 2007 durchgeführten Beschwerdeverfahrens und des Schreibens der Beschwerdestelle vom 19. April 2007 bewusst sein musste, dass die Verletzung der Privatsphäre von Mitarbeiterinnen durch beharrliche Kontaktaufnahme gegen deren Willen eine schwerwiegende Pflichtverletzung darstellte, deren abermalige Hinnahme durch das beklagte Land ausgeschlossen wäre. Dem stünde nicht entgegen, dass sich das Schreiben nur mit dem zu respektierenden Wunsch der damals betroffenen Mitarbeiterin befasste. Der Kläger konnte nicht annehmen, das beklagte Land würde den entsprechenden Wunsch einer anderen Mitarbeiterin nicht für gleichermaßen verbindlich halten.

29

c) Auch die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, das Fehlverhalten des Klägers stelle sich nicht als so gravierend dar, dass seine Weiterbeschäftigung dem beklagten Land „unter keinen Umständen zuzumuten“ sei, hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Es ist erneut nicht ersichtlich, welches Fehlverhalten das Landesarbeitsgericht seiner Bewertung zugrunde gelegt hat. Der Unzumutbarkeit einer Weiterbeschäftigung des Klägers steht jedenfalls nicht notwendig entgegen, dass dieser auf die entsprechende Aufforderung des beklagten Landes vom 13. Oktober 2009 hin jegliche Kontaktaufnahme mit der betroffenen Mitarbeiterin unterlassen hat. Dadurch ist nicht ausgeschlossen, dass der Kläger den Wunsch einer anderen Mitarbeiterin, ihre Privatsphäre zu respektieren, künftig wiederum solange missachten wird, wie ihn das beklagte Land nicht auffordert, ihm nachzukommen.

30

II. Die angegriffene Entscheidung erweist sich nicht aus anderen Gründen als richtig oder sonst zur Endentscheidung reif. Ob die Kündigung des beklagten Landes vom 13. November 2009 das Arbeitsverhältnis der Parteien aufgelöst hat, kann noch nicht beurteilt werden.

31

1. Der Senat kann nicht selbst entscheiden, ob dem beklagten Land unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile eine Weiterbeschäftigung des Klägers iSv. § 54 Abs. 1 BAT, § 626 Abs. 1 BGB unzumutbar war.

32

a) Der Kündigungssachverhalt ist bisher nicht umfassend festgestellt. Ob eine Abmahnung angesichts der Schwere der Pflichtverletzungen des Klägers und des im Jahr 2007 durchgeführten Beschwerdeverfahrens entbehrlich war, kann der Senat daher nicht abschließend würdigen. Für die neue Verhandlung und Entscheidung wird das Landesarbeitsgericht die nachfolgenden Erwägungen zu berücksichtigen haben.

33

b) Stellt ein Arbeitnehmer einer Kollegin unter bewusster Missachtung ihres entgegenstehenden Willens im Betrieb oder im Zusammenhang mit der geschuldeten Tätigkeit beharrlich nach, ist dies an sich als wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung iSv. § 626 Abs. 1 BGB geeignet. Dabei kommt es nicht entscheidend auf die strafrechtliche Würdigung an (vgl. § 238 StGB), sondern auf die mit diesem Verhalten verbundene Störung des Betriebsfriedens. In einem derartigen Verhalten liegt nicht nur eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts der Betroffenen, sondern zugleich eine erhebliche Verletzung der Pflicht zur Rücksichtnahme auf die berechtigten Interessen des Arbeitgebers gemäß § 241 Abs. 2 BGB. Dieser hat die Integritätsinteressen seiner Mitarbeiter zu schützen. Ob das Nachstellen zur außerordentlichen Kündigung berechtigt, ist abhängig von den Umständen des Einzelfalls, insbesondere vom Ausmaß und von der Intensität der Pflichtverletzung und deren Folgen - vor allem für die betroffenen Mitarbeiter -, einer etwaigen Wiederholungsgefahr und dem Grad des Verschuldens. Die für diese Würdigung relevanten Umstände sind deshalb festzustellen.

34

2. Das Landesarbeitsgericht hat - nach seiner Rechtsauffassung konsequent - bislang nicht geprüft, ob das beklagte Land die Kündigungserklärungsfrist gemäß § 54 Abs. 2 BAT, § 626 Abs. 2 BGB, § 91 Abs. 5 SGB IX gewahrt und den Personalrat ordnungsgemäß beteiligt hat. Sollte es bei der neuen Verhandlung und Entscheidung zu dem Ergebnis kommen, dass ein wichtiger Grund für die außerordentliche Kündigung iSv. § 54 Abs. 1 BAT, § 626 Abs. 1 BGB bestand, wird es dies nachzuholen haben.

        

    Kreft    

        

    Eylert    

        

    Rachor    

        

        

        

    Frey    

        

    Grimberg    

                 

Tenor

1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 24. Februar 2009 - 7 Sa 2017/08 - aufgehoben.

2. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 21. August 2008 - 2 Ca 3632/08 - abgeändert:

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die fristlose Kündigung, noch durch die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung vom 22. Februar 2008 aufgelöst worden ist.

3. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung.

2

Die 1958 geborene Klägerin war seit April 1977 bei der Beklagten und deren Rechtsvorgängerinnen als Verkäuferin mit Kassentätigkeit beschäftigt.

3

Die Beklagte ist ein überregional vertretenes Einzelhandelsunternehmen. In einigen ihrer Filialen, so auch in der Beschäftigungsfiliale der Klägerin, besteht die Möglichkeit, Leergut an einem Automaten gegen Ausstellung eines Leergutbons zurückzugeben. Wird ein solcher Bon an der Kasse eingelöst, ist er von der Kassiererin/dem Kassierer abzuzeichnen. Mitarbeiter der Filiale sind angewiesen, mitgebrachtes Leergut beim Betreten des Markts dem Filialleiter vorzuzeigen und einen am Automaten erstellten Leergutbon durch den Leiter gesondert abzeichnen zu lassen, bevor sie den Bon an der Kasse einlösen. Dort wird er wie ein Kundenbon ein weiteres Mal abgezeichnet. Diese Regelungen, die Manipulationen beim Umgang mit Leergut ausschließen sollen, sind der Klägerin bekannt.

4

Im Herbst 2007 beteiligte sich die Klägerin mit weiteren sieben von insgesamt 36 Beschäftigten ihrer Filiale an einem gewerkschaftlich getragenen Streik. Während die Streikbereitschaft anderer Arbeitnehmer mit der Zeit nachließ, nahm die Klägerin bis zuletzt an den Maßnahmen teil. Im Januar 2008 lud der Filialleiter Beschäftigte, die sich nicht am Arbeitskampf beteiligt hatten, zu einer Feier außer Hause ein. Aus diesem Grund wurde er später von der Beklagten abgemahnt und in eine andere Filiale versetzt.

5

Am 12. Januar 2008 fand eine Mitarbeiterin im Kassenbereich einer separaten Backtheke zwei nicht abgezeichnete Leergutbons im Wert von 0,48 Euro und 0,82 Euro. Sie trugen das Datum des Tages und waren im Abstand von ca. einer Dreiviertelstunde am Automaten erstellt worden. Die Mitarbeiterin legte die Bons dem Filialleiter vor. Dieser reichte sie an die Klägerin mit der Maßgabe weiter, sie im Kassenbüro aufzubewahren für den Fall, dass sich noch ein Kunde melden und Anspruch darauf erheben würde; andernfalls sollten sie als „Fehlbons“ verbucht werden. Die Klägerin legte die Bons auf eine - für alle Mitarbeiter zugängliche und einsehbare - Ablage im Kassenbüro.

6

Am 22. Januar 2008 kaufte die Klägerin in der Filiale außerhalb ihrer Arbeitszeit privat ein. An der Kasse überreichte sie ihrer Kollegin zwei nicht abgezeichnete Leergutbons. Laut Kassenjournal wurden diese mit Werten von 0,48 Euro und 0,82 Euro registriert. Beim Kassieren war auch die Kassenleiterin und Vorgesetzte der Klägerin anwesend.

7

Zur Klärung der Herkunft der eingereichten Bons führte die Beklagte mit der Klägerin ab dem 25. Januar 2008 insgesamt vier Gespräche, an denen - außer am ersten Gespräch - jeweils zwei Mitglieder des Betriebsrats teilnahmen. Sie hielt ihr vor, die eingelösten Bons seien nicht abgezeichnet gewesen und stimmten hinsichtlich Wert und Ausgabedatum mit den im Kassenbüro aufbewahrten Bons überein. Es bestehe der dringende Verdacht, dass sie - die Klägerin - die dort abgelegten „Kundenbons“ an sich genommen und zu ihrem Vorteil verwendet habe. Die Klägerin bestritt dies und erklärte, selbst wenn die Bons übereinstimmten, bestehe die Möglichkeit, dass ihr entsprechende Bons durch eine ihrer Töchter oder durch Dritte zugesteckt worden seien. Beispielsweise habe sie am 21. oder 22. Januar 2008 einer Arbeitskollegin ihre Geldbörse ausgehändigt mit der Bitte, diese in ihren Spind zu legen. Die Beklagte legte der Klägerin nahe, zur Untermauerung ihrer Behauptung eine eidesstattliche Erklärung einer Tochter beizubringen. Außerdem befragte sie die benannte Kollegin, die die Angaben der Klägerin bestritt. Beim letzten, am 15. Februar 2008 geführten Gespräch überreichte die Klägerin eine schriftliche Erklärung, mit der eine ihrer Töchter bestätigte, bei der Beklagten hin und wieder für ihre Mutter einzukaufen, dabei auch Leergut einzulösen und „Umgang“ mit der Geldbörse ihrer Mutter „pflegen zu dürfen“.

8

Mit Schreiben vom 18. Februar 2008 hörte die Beklagte den Betriebsrat zu einer beabsichtigten außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung, gestützt auf den Verdacht der Einlösung der Bons, an. Der Betriebsrat äußerte Bedenken gegen die fristlose Kündigung, einer ordentlichen Kündigung widersprach er und verwies auf die Möglichkeit einer gegen die Klägerin gerichteten Intrige.

9

Mit Schreiben vom 22. Februar 2008 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos, hilfsweise fristgemäß zum 30. September 2008.

10

Die Klägerin hat Kündigungsschutzklage erhoben. Sie hat behauptet, sie habe jedenfalls nicht bewusst Leergutbons eingelöst, die ihr nicht gehörten. Sollte es sich bei den registrierten Bons tatsächlich um die im Kassenbüro abgelegten Bons gehandelt haben, müsse auch die Möglichkeit eines Austauschs der Bons während des Kassiervorgangs in Betracht gezogen werden. Denkbares Motiv hierfür sei ihre Streikteilnahme, die ohnehin der wahre Grund für die Kündigung sei. Anders sei nicht zu erklären, weshalb ihre Kollegin und die Vorgesetzte sie - unstreitig - nicht bereits beim Kassieren oder unmittelbar anschließend auf die fehlende Abzeichnung der überreichten Leergutbons angesprochen hätten. Angesichts der streikbedingt aufgetretenen Spannungen unter den Filialmitarbeitern sei es lebensfremd anzunehmen, sie habe ausgerechnet bei einer Kollegin, mit der sie im Streit gestanden habe, und in Anwesenheit ihrer Vorgesetzten die im Kassenbüro verwahrten, nicht abgezeichneten Bons eingelöst. Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, eine Verdachtskündigung sei wegen der in Art. 6 Abs. 2 EMRK verankerten Unschuldsvermutung ohnehin unzulässig. Das gelte in besonderem Maße, wenn sich der Verdacht auf die Entwendung einer nur geringwertigen Sache beziehe. Selbst bei nachgewiesener Tat sei in einem solchen Fall ein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB nicht gegeben. Zumindest sei in ihrem Fall die Kündigung in Anbetracht der Einmaligkeit des Vorfalls und ihrer langen Betriebszugehörigkeit unangemessen, zumal der Beklagten kein Schaden entstanden sei.

11

Die Klägerin hat beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis weder durch die fristlose, noch durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 22. Februar 2008 aufgelöst worden ist;

        

2.    

die Beklagte zu verurteilen, sie entsprechend den arbeitsvertraglichen Bedingungen als Verkäuferin mit Kassentätigkeit zu beschäftigen.

12

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat geltend gemacht, es bestehe der dringende Verdacht, dass die Klägerin die im Kassenbüro hinterlegten Leergutbons für sich verwendet habe. Dafür sprächen die in der Anhörung angeführten Tatsachen sowie der Umstand, dass diese Bons bei einer unmittelbar nach dem Einkauf der Klägerin durchgeführten Suche nicht mehr auffindbar gewesen seien. Es sei auch das mehrfach geänderte Verteidigungsvorbringen der Klägerin zu berücksichtigen, das sich in keinem Punkt als haltbar erwiesen habe. Damit sei das Vertrauen in die redliche Ausführung der Arbeitsaufgaben durch die Klägerin unwiederbringlich zerstört. Das Arbeitsverhältnis sei auch nicht unbelastet verlaufen. Sie habe die Klägerin im Jahr 2005 wegen ungebührlichen Verhaltens gegenüber einem Arbeitskollegen abgemahnt. Außerdem habe die Klägerin, wie ihr erst nachträglich bekannt geworden sei, am 22. November 2007 bei einem privaten Einkauf einen Sondercoupon aus einem Bonussystem eingelöst, obwohl die Einkaufssumme den dafür erforderlichen Betrag nicht erreicht habe. Derselbe Coupon sei dreimal „über die Kasse gezogen“ worden. Dadurch seien der Klägerin zu Unrecht Punkte im Wert von 3,00 Euro gutgeschrieben worden. Deren Behauptung, ihre Vorgesetzte habe sie zu einer derartigen Manipulation - vergeblich - verleiten wollen, sei nicht plausibel; die Vorgesetzte habe an dem betreffenden Tag - wie zuletzt unstreitig - nicht gearbeitet.

13

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit ihrer durch das Bundesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe

14

Die Revision ist begründet. Die Vorinstanzen haben die Klage zu Unrecht abgewiesen. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist weder durch die außerordentliche noch durch die ordentliche Kündigung vom 22. Februar 2008 aufgelöst worden. Das Urteil des Landesarbeitsgerichts war deshalb aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Einer Zurückverweisung bedurfte es nicht. Die Sache war nach dem festgestellten Sachverhältnis zur Endentscheidung reif (§ 563 Abs. 3 ZPO).

15

A. Die außerordentliche Kündigung ist unwirksam. Es fehlt an einem wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB.

16

I. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Das Gesetz kennt folglich keine „absoluten“ Kündigungsgründe. Vielmehr ist jeder Einzelfall gesondert zu beurteilen. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (st. Rspr., Senat 26. März 2009 - 2 AZR 953/07 - Rn. 21 mwN, AP BGB § 626 Nr. 220; 27. April 2006 - 2 AZR 386/05 - Rn. 19, BAGE 118, 104).

17

II. Die Prüfung der Voraussetzungen des wichtigen Grundes ist in erster Linie Sache der Tatsacheninstanzen. Dennoch geht es um Rechtsanwendung, nicht um Tatsachenfeststellung. Die Würdigung des Berufungsgerichts wird in der Revisionsinstanz darauf hin überprüft, ob es den anzuwendenden Rechtsbegriff in seiner allgemeinen Bedeutung verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnormen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob es alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände widerspruchsfrei berücksichtigt hat (st. Rspr., Senat 27. November 2008 - 2 AZR 193/07 - Rn. 22, AP BGB § 626 Nr. 219; 6. September 2007 - 2 AZR 722/06 - Rn. 40, BAGE 124, 59).

18

III. Auch unter Beachtung eines in diesem Sinne eingeschränkten Maßstabs hält die Würdigung des Landesarbeitsgerichts einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand. Zwar liegt nach dem festgestellten Sachverhalt „an sich“ ein wichtiger Grund zur Kündigung vor. Das Landesarbeitsgericht hat jedoch bei der vorzunehmenden Einzelfallprüfung und Interessenabwägung nicht alle wesentlichen Gesichtspunkte einbezogen und zutreffend abgewogen.

19

1. Entgegen der Auffassung der Revision ist die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts nicht deshalb zu beanstanden, weil dieses seiner rechtlichen Würdigung die fragliche Pflichtverletzung im Sinne einer erwiesenen Tat und nicht nur - wie die Beklagte selbst - einen entsprechenden Verdacht zugrunde gelegt hat.

20

a) Das Landesarbeitsgericht ist vom Fund zweier Leergutbons am 12. Januar 2008 und deren Aushändigung an die Klägerin durch den Marktleiter ausgegangen. Nach Beweisaufnahme hat es zudem für wahr erachtet, dass die Klägerin die beiden zunächst im Kassenbüro abgelegten Bons im Wert von 0,48 Euro und 0,82 Euro zu einem unbestimmten Zeitpunkt an sich nahm und am 22. Januar 2008 bei einem Einkauf zu ihren Gunsten einlöste; dadurch ermäßigte sich die Kaufsumme für sie um 1,30 Euro. Darin hat es ein vorsätzliches, pflichtwidriges Verhalten der Klägerin erblickt.

21

b) An die vom Landesarbeitsgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen ist der Senat gemäß § 559 Abs. 2 ZPO gebunden. Die Klägerin hat - auch wenn sie vorsätzliches Fehlverhalten weiterhin in Abrede stellt - von Angriffen gegen die Beweiswürdigung des Landesarbeitsgerichts ausdrücklich abgesehen.

22

c) Einer Würdigung des Geschehens unter der Annahme, die Klägerin habe sich nachweislich pflichtwidrig verhalten, steht nicht entgegen, dass die Beklagte sich zur Rechtfertigung der Kündigung nur auf einen entsprechenden Verdacht berufen und den Betriebsrat auch nur zu einer Verdachtskündigung angehört hat.

23

aa) Das Landesarbeitsgericht hat auf diese Weise nicht etwa Vortrag berücksichtigt, den die Beklagte nicht gehalten hätte. Der Verdacht eines pflichtwidrigen Verhaltens stellt zwar gegenüber dem Tatvorwurf einen eigenständigen Kündigungsgrund dar (st. Rspr., Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 55 mwN, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 47 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 8). Beide Gründe stehen jedoch nicht beziehungslos nebeneinander. Wird die Kündigung mit dem Verdacht pflichtwidrigen Verhaltens begründet, steht indessen zur Überzeugung des Gerichts die Pflichtwidrigkeit tatsächlich fest, lässt dies die materiell-rechtliche Wirksamkeit der Kündigung unberührt. Maßgebend ist allein der objektive Sachverhalt, wie er sich dem Gericht nach Parteivorbringen und ggf. Beweisaufnahme darstellt. Ergibt sich daraus nach tatrichterlicher Würdigung das Vorliegen einer Pflichtwidrigkeit, ist das Gericht nicht gehindert, dies seiner Entscheidung zugrunde zu legen. Es ist nicht erforderlich, dass der Arbeitgeber sich während des Prozesses darauf berufen hat, er stütze die Kündigung auch auf die erwiesene Tat (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - aaO mwN).

24

bb) Der Umstand, dass der Betriebsrat ausschließlich zu einer beabsichtigten Verdachtskündigung gehört wurde, steht dem nicht entgegen. Die gerichtliche Berücksichtigung des Geschehens als erwiesene Tat setzt voraus, dass dem Betriebsrat - ggf. im Rahmen zulässigen „Nachschiebens“ - diejenigen Umstände mitgeteilt worden sind, welche nicht nur den Tatverdacht, sondern zur Überzeugung des Gerichts auch den Tatvorwurf begründen (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 59 mwN, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 47 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 8). Bei dieser Sachlage ist dem Normzweck des § 102 Abs. 1 BetrVG auch durch eine Anhörung nur zur Verdachtskündigung genüge getan. Dem Betriebsrat wird dadurch nichts vorenthalten. Die Mitteilung des Arbeitgebers, einem Arbeitnehmer solle schon und allein wegen des Verdachts einer pflichtwidrigen Handlung gekündigt werden, gibt ihm sogar weit stärkeren Anlass für ein umfassendes Tätigwerden als eine Anhörung wegen einer als erwiesen behaupteten Tat (Senat 3. April 1986 - 2 AZR 324/85 - zu II 1 c cc der Gründe, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 18 = EzA BetrVG 1972 § 102 Nr. 63; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 217). Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt. Das Landesarbeitsgericht hat seiner Entscheidung ausschließlich solche - aus seiner Sicht bewiesene - Tatsachen zugrunde gelegt, die Gegenstand der Betriebsratsanhörung waren.

25

2. Der vom Landesarbeitsgericht festgestellte Sachverhalt ist „an sich“ als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB geeignet. Zum Nachteil des Arbeitgebers begangene Eigentums- oder Vermögensdelikte, aber auch nicht strafbare, ähnlich schwerwiegende Handlungen unmittelbar gegen das Vermögen des Arbeitgebers kommen typischerweise - unabhängig vom Wert des Tatobjekts und der Höhe eines eingetretenen Schadens - als Grund für eine außerordentliche Kündigung in Betracht.

26

a) Begeht der Arbeitnehmer bei oder im Zusammenhang mit seiner Arbeit rechtswidrige und vorsätzliche - ggf. strafbare - Handlungen unmittelbar gegen das Vermögen seines Arbeitgebers, verletzt er zugleich in schwerwiegender Weise seine schuldrechtliche Pflicht zur Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB) und missbraucht das in ihn gesetzte Vertrauen. Ein solches Verhalten kann auch dann einen wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB darstellen, wenn die rechtswidrige Handlung Sachen von nur geringem Wert betrifft oder zu einem nur geringfügigen, möglicherweise zu gar keinem Schaden geführt hat(Senat 13. Dezember 2007 - 2 AZR 537/06 - Rn. 16, 17, AP BGB § 626 Nr. 210 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 20; 12. August 1999 - 2 AZR 923/98 - zu II 2 b aa der Gründe, BAGE 92, 184; 17. Mai 1984 - 2 AZR 3/83 - zu II 1 der Gründe, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 14 = EzA BGB § 626 nF Nr. 90).

27

b) An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest. Die entgegenstehende Ansicht, die Pflichtverletzungen im Vermögensbereich bei Geringfügigkeit bereits aus dem Anwendungsbereich des § 626 Abs. 1 BGB herausnehmen will(so LAG Köln 30. September 1999 - 5 Sa 872/99 - zu 2 der Gründe, NZA-RR 2001, 83; LAG Hamburg 8. Juli 1998 - 4 Sa 38/97 - zu II 3 a aa der Gründe, NZA-RR 1999, 469; ArbG Reutlingen 4. Juni 1996 - 1 Ca 73/96 - RzK I 6 d Nr. 12; Däubler Das Arbeitsrecht 2 12. Aufl. Rn. 1128; eingeschränkt Gerhards BB 1996, 794, 796), überzeugt nicht. Ein Arbeitnehmer, der die Integrität von Eigentum und Vermögen seines Arbeitgebers vorsätzlich und rechtswidrig verletzt, zeigt ein Verhalten, das geeignet ist, die Zumutbarkeit seiner Weiterbeschäftigung in Frage zu stellen. Die durch ein solches Verhalten ausgelöste „Erschütterung“ der für die Vertragsbeziehung notwendigen Vertrauensgrundlage tritt unabhängig davon ein, welche konkreten wirtschaftlichen Schäden mit ihm verbunden sind. Aus diesem Grund ist die Festlegung einer nach dem Wert bestimmten Relevanzschwelle mit dem offen gestalteten Tatbestand des § 626 Abs. 1 BGB nicht zu vereinbaren. Sie würfe im Übrigen mannigfache Folgeprobleme auf - etwa das einer exakten Wertberechnung, das der Folgen mehrfacher, für sich betrachtet „irrelevanter“ Verstöße sowie das der Behandlung nur marginaler Grenzüberschreitungen - und vermöchte schon deshalb einem angemessenen Interessenausgleich schwerlich zu dienen.

28

c) Mit seiner Auffassung setzt sich der Senat nicht in Widerspruch zu der in § 248a StGB getroffenen Wertung. Nach dieser Bestimmung werden Diebstahl und Unterschlagung geringwertiger Sachen nur auf Antrag oder bei besonderem öffentlichem Interesse verfolgt. Der Vorschrift liegt eine Einschätzung des Gesetzgebers darüber zugrunde, ab welcher Grenze staatliche Sanktionen für Rechtsverstöße in diesem Bereich zwingend geboten sind. Ein solcher Ansatz ist dem Schuldrecht fremd. Hier geht es um störungsfreien Leistungsaustausch. Die Berechtigung einer verhaltensbedingten Kündigung ist nicht daran zu messen, ob diese - vergleichbar einer staatlichen Maßnahme - als Sanktion für den fraglichen Vertragsverstoß angemessen ist. Statt des Sanktions- gilt das Prognoseprinzip. Eine verhaltensbedingte Kündigung ist gerechtfertigt, wenn eine störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten steht, künftigen Pflichtverstößen demnach nur durch die Beendigung der Vertragsbeziehung begegnet werden kann (st. Rspr., Senat 26. November 2009 - 2 AZR 751/08 - Rn. 10, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 61 = EzA BGB 2002 § 611 Abmahnung Nr. 5; 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 32, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17).

29

d) Ebenso wenig besteht ein Wertungswiderspruch zwischen der Auffassung des Senats und der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Dieses erkennt zwar bei der disziplinarrechtlichen Beurteilung vergleichbarer Dienstvergehen eines Beamten die Geringwertigkeit der betroffenen Vermögensobjekte als Milderungsgrund an (BVerwG 13. Februar 2008 - 2 WD 9/07 - DÖV 2008, 1056; 24. November 1992 - 1 D 66/91 - zu 3 der Gründe, BVerwGE 93, 314; bei kassenverwaltender Tätigkeit: BVerwG 11. November 2003 - 1 D 5/03 - zu 4 b der Gründe). Dies geschieht jedoch vor dem Hintergrund einer abgestuften Reihe von disziplinarischen Reaktionsmöglichkeiten des Dienstherrn. Diese reichen von der Anordnung einer Geldbuße (§ 7 BDG) über die Kürzung von Dienstbezügen (§ 8 BDG) und die Zurückstufung (§ 9 BDG) bis zur Entfernung aus dem Dienst (§ 13 Abs. 2 BDG). Eine solche Reaktionsbreite kennt das Arbeitsrecht nicht. Der Arbeitgeber könnte auf die „Entfernung aus dem Dienst“ nicht zugunsten einer Kürzung der Vergütung verzichten. Wertungen, wie sie für das in der Regel auf Lebenszeit angelegte, durch besondere Treue- und Fürsorgepflichten geprägte Dienstverhältnis der Beamten und Soldaten getroffen werden, lassen sich deshalb auf eine privatrechtliche Leistungsbeziehung regelmäßig nicht übertragen (Keiser JR 2010, 55, 57 ff.; Reuter NZA 2009, 594, 595).

30

e) Das Landesarbeitsgericht hat das Verhalten der Klägerin als „Vermögensdelikt“ zulasten der Beklagten gewürdigt, hat aber offen gelassen, welchen straf- und/oder zivilrechtlichen Deliktstatbestand es als erfüllt ansieht. Das ist im Ergebnis unschädlich. Das Verhalten der Klägerin kommt auch dann als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB in Betracht, wenn es - wie die Revision im Anschluss an Äußerungen in der Literatur (Hüpers Jura 2010, 52 ff.; Schlösser HRRS 2009, 509 ff.) meint - nicht strafbar sein sollte, jedenfalls nicht im Sinne eines Vermögensdelikts zum Nachteil der Beklagten. Für die kündigungsrechtliche Beurteilung ist weder die strafrechtliche noch die sachenrechtliche Bewertung maßgebend. Entscheidend ist der Verstoß gegen vertragliche Haupt- oder Nebenpflichten und der mit ihm verbundene Vertrauensbruch (Senat 19. April 2007 - 2 AZR 78/06 - Rn. 28, AP BGB § 611 Direktionsrecht Nr. 77 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 8; 2. März 2006 - 2 AZR 53/05 - Rn. 29, AP BGB § 626 Krankheit Nr. 14 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 16; 21. April 2005 - 2 AZR 255/04 - zu B II 1 der Gründe, BAGE 114, 264; Preis AuR 2010, 242 f.). Auch eine nicht strafbare, gleichwohl erhebliche Verletzung der sich aus dem Arbeitsverhältnis ergebenden Pflichten kann deshalb ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB sein. Das gilt insbesondere in Fällen, in denen die Pflichtverletzung mit einem vorsätzlichen Verstoß gegen eine den unmittelbaren Vermögensinteressen des Arbeitgebers dienende Weisung einhergeht (KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 459).

31

f) Danach liegt eine erhebliche, die Schwelle zum wichtigen Grund überschreitende Pflichtverletzung vor. Die Klägerin hat sich mit dem Einlösen der Leergutbons gegenüber der Beklagten einen Vermögensvorteil verschafft, der ihr nicht zustand. Ihr Verhalten wiegt umso schwerer, als sie eine konkrete Anordnung des Marktleiters zum Umgang mit den Bons missachtet hat. Es kommt nicht darauf an, ob sie damit schon gegen ihre Hauptleistungspflichten als Kassiererin oder gegen ihre Pflicht zur Rücksichtnahme aus § 241 Abs. 2 BGB verstoßen hat. In jedem Fall gehört die Pflicht zur einschränkungslosen Wahrung der Vermögensinteressen der Beklagten zum Kernbereich ihrer Arbeitsaufgaben. Die Schwere der Pflichtverletzung hängt von einer exakten Zuordnung nicht ab. Die Vorgabe des Marktleiters, die Bons nach einer gewissen Zeit als „Fehlbons“ zu verbuchen, sollte sicherstellen, dass die Beklagte insoweit nicht mehr in Anspruch genommen würde. Ob damit den Interessen der Kunden ausreichend Rechnung getragen wurde, ist im Verhältnis der Parteien ohne Bedeutung. Die Klägerin jedenfalls durfte die Bons nicht zum eigenen Vorteil einlösen.

32

3. Die fristlose Kündigung ist bei Beachtung aller Umstände des vorliegenden Falls und nach Abwägung der widerstreitenden Interessen gleichwohl nicht gerechtfertigt. Als Reaktion der Beklagten auf das Fehlverhalten der Klägerin hätte eine Abmahnung ausgereicht. Dies vermag der Senat selbst zu entscheiden.

33

a) Dem Berufungsgericht kommt bei der im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB vorzunehmenden Interessenabwägung zwar ein Beurteilungsspielraum zu(Senat 11. Dezember 2003 - 2 AZR 36/03 - zu II 1 f der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 179 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 5). Eine eigene Abwägung durch das Revisionsgericht ist aber möglich, wenn die des Berufungsgerichts fehlerhaft oder unvollständig ist und sämtliche relevanten Tatsachen feststehen (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 36, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17; 12. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 61, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Ein solcher Fall liegt hier vor.

34

b) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung - etwa im Hinblick auf das Maß eines durch sie bewirkten Vertrauensverlusts und ihre wirtschaftlichen Folgen -, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf (Senat 28. Januar 2010 - 2 AZR 1008/08 - Rn. 26 mwN, DB 2010, 1709; 10. November 2005 - 2 AZR 623/04 - Rn. 38 mwN, AP BGB § 626 Nr. 196 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 11). Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind (st. Rspr., Senat 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 45, AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7). Als mildere Reaktionen sind insbesondere Abmahnung und ordentliche Kündigung anzusehen. Sie sind dann alternative Gestaltungsmittel, wenn schon sie geeignet sind, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck - die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen - zu erreichen (KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 251 mwN).

35

c) Die Notwendigkeit der Prüfung, ob eine fristgerechte Kündigung als Reaktion ausgereicht hätte, folgt schon aus dem Wortlaut des § 626 Abs. 1 BGB. Das Erfordernis weitergehend zu prüfen, ob nicht schon eine Abmahnung ausreichend gewesen wäre, folgt aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (die Kündigung als „ultima ratio“) und trägt zugleich dem Prognoseprinzip bei der verhaltensbedingten Kündigung Rechnung (Senat 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 47 f., AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7; 12. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 55 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Das Erfordernis gilt auch bei Störungen im Vertrauensbereich. Es ist nicht stets und von vorneherein ausgeschlossen, verlorenes Vertrauen durch künftige Vertragstreue zurückzugewinnen (Senat 4. Juni 1997 - 2 AZR 526/96 - zu II 1 b der Gründe, BAGE 86, 95).

36

aa) Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann (Schlachter NZA 2005, 433, 436). Die ordentliche wie die außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus. Sie dient der Objektivierung der negativen Prognose (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 283/08 - Rn. 14 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Abmahnung Nr. 5 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 75; Staudinger/Preis <2002> § 626 BGB Rn. 109). Ist der Arbeitnehmer ordnungsgemäß abgemahnt worden und verletzt er dennoch seine arbeitsvertraglichen Pflichten erneut, kann regelmäßig davon ausgegangen werden, es werde auch zukünftig zu weiteren Vertragsstörungen kommen (Senat 13. Dezember 2007 - 2 AZR 818/06 - Rn. 38, AP KSchG 1969 § 4 Nr. 64 = EzA KSchG § 4 nF Nr. 82).

37

bb) Nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist eine Kündigung nicht gerechtfertigt, wenn es mildere Mittel gibt, eine Vertragsstörung zukünftig zu beseitigen. Dieser Aspekt hat durch die Regelung des § 314 Abs. 2 BGB iVm. § 323 Abs. 2 BGB eine gesetzgeberische Bestätigung erfahren(Senat 12. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 56 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Einer Abmahnung bedarf es in Ansehung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes deshalb nur dann nicht, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft selbst nach Abmahnung nicht zu erwarten steht oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass eine Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist (vgl. Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 33, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17; 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 48 mwN, AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7).

38

cc) Diese Grundsätze gelten uneingeschränkt selbst bei Störungen des Vertrauensbereichs durch Straftaten gegen Vermögen oder Eigentum des Arbeitgebers (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 33, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17; 27. April 2006 - 2 AZR 415/05 - Rn. 19, AP BGB § 626 Nr. 203 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 17). Auch in diesem Bereich gibt es keine „absoluten“ Kündigungsgründe. Stets ist konkret zu prüfen, ob nicht objektiv die Prognose berechtigt ist, der Arbeitnehmer werde sich jedenfalls nach einer Abmahnung künftig wieder vertragstreu verhalten (vgl. auch Erman/Belling BGB 12. Aufl. § 626 Rn. 62; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 264; Preis AuR 2010, 242, 244; Reichel AuR 2004, 252; Schlachter NZA 2005, 433, 437).

39

d) Danach war eine Abmahnung hier nicht entbehrlich.

40

aa) Das Landesarbeitsgericht geht zunächst zutreffend davon aus, dass es einer Abmahnung nicht deshalb bedurfte, um bei der Klägerin die mögliche Annahme zu beseitigen, die Beklagte könnte mit der eigennützigen Verwendung der Bons einverstanden sein. Einer mutmaßlichen Einwilligung - die in anderen Fällen, etwa der Verwendung wertloser, als Abfall deklarierter Gegenstände zum Eigenverbrauch oder zur Weitergabe an Hilfsbedürftige oder dem Aufladen eines Mobiltelefons im Stromnetz des Arbeitgebers, naheliegend sein mag - stand im Streitfall die Weisung des Filialleiters entgegen, die keine Zweifel über den von der Beklagten gewünschten Umgang mit den Bons aufkommen ließ. Auf mögliche Unklarheiten in den allgemeinen Anweisungen der Beklagten zur Behandlung von Fundsachen und Fundgeld kommt es deshalb nicht an.

41

bb) Mit Recht hat das Landesarbeitsgericht zudem angenommen, das Verhalten der Klägerin stelle eine objektiv schwerwiegende, das Vertrauensverhältnis der Parteien erheblich belastende Pflichtverletzung dar.

42

(1) Mit der eigennützigen Verwendung der Leergutbons hat sich die Klägerin bewusst gegen die Anordnung des Filialleiters gestellt. Schon dies ist geeignet, das Vertrauen der Beklagten in die zuverlässige Erfüllung der ihr übertragenen Aufgaben als Kassiererin zu erschüttern. Erschwerend kommt hinzu, dass die Bons gerade ihr zur Verwahrung und ggf. Buchung als „Fehlbons“ übergeben worden waren. Das Fehlverhalten der Klägerin berührt damit den Kernbereich ihrer Arbeitsaufgaben. Sie war als Verkäuferin mit Kassentätigkeit beschäftigt. Als solche hat sie den weisungsgemäßen Umgang mit Leergutbons gleichermaßen sicher zu stellen wie den mit ihr anvertrautem Geld. Die Beklagte muss sich auf die Zuverlässigkeit und Ehrlichkeit einer mit Kassentätigkeiten betrauten Arbeitnehmerin in besonderem Maße verlassen dürfen. Sie muss davon ausgehen können, dass ihre Weisungen zum Umgang mit Sach- und Vermögenswerten unabhängig von deren Wert und den jeweiligen Eigentumsverhältnissen korrekt eingehalten werden. Als Einzelhandelsunternehmen ist die Beklagte besonders anfällig dafür, in der Summe hohe Einbußen durch eine Vielzahl für sich genommen geringfügiger Schädigungen zu erleiden. Verstößt eine Arbeitnehmerin, deren originäre Aufgabe es ist, Einnahmen zu sichern und zu verbuchen, vorsätzlich und zur persönlichen Bereicherung gegen eine Pflicht, die gerade dem Schutz des Eigentums und Vermögens des Arbeitgebers oder eines Kunden dient, liegt darin regelmäßig ein erheblicher, das Vertrauen in ihre Redlichkeit beeinträchtigender Vertragsverstoß.

43

(2) Der Einwand der Klägerin, ein Vertrauen auf Seiten der Beklagten bestehe ohnehin nicht, wie die in den Märkten praktizierte Videoüberwachung zeige, geht fehl. Jeder Arbeitnehmer hat die Pflicht, sich so zu verhalten, dass es um seinetwillen einer Kontrolle nicht bedürfte. Erweist sich ein zunächst unspezifisches, nicht auf konkrete Personen bezogenes, generelles „Misstrauen“ des Arbeitgebers schließlich im Hinblick auf einen bestimmten Mitarbeiter als berechtigt, wird erst und nur dadurch das Vertrauen in dessen Redlichkeit tatsächlich erschüttert.

44

cc) Auch wenn deshalb das Verhalten der Klägerin das Vertrauensverhältnis zur Beklagten erheblich belastet hat, so hat das Landesarbeitsgericht doch den für die Klägerin sprechenden Besonderheiten nicht hinreichend Rechnung getragen.

45

(1) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Klägerin habe nicht damit rechnen können, die Beklagte werde ihr Verhalten auch nur einmalig hinnehmen, ohne eine Kündigung auszusprechen. Die Klägerin habe ihre Pflichten als Kassiererin „auf das Schwerste“ verletzt. Mit dieser Würdigung ist es den Besonderheiten des Streitfalls nicht ausreichend gerecht geworden. Die Klägerin hat an der Kasse in unmittelbarer Anwesenheit ihrer Vorgesetzten bei einer nicht befreundeten Kollegin unabgezeichnete Leergutbons eingelöst. Dass sie mangels Abzeichnung nach den betrieblichen Regelungen keinen Anspruch auf eine Gutschrift hatte, war für die Kassenmitarbeiterin und die Vorgesetzte offenkundig und nicht zu übersehen. Das wusste auch die Klägerin, die deshalb aus ihrer Sicht unweigerlich würde Aufmerksamkeit erregen und Nachfragen auslösen müssen. Das zeigt, dass sie ihr Verhalten - fälschlich - als notfalls tolerabel oder jedenfalls korrigierbar eingeschätzt haben mag und sich eines gravierenden Unrechts offenbar nicht bewusst war. Für den Grad des Verschuldens und die Möglichkeit einer Wiederherstellung des Vertrauens macht es objektiv einen Unterschied, ob es sich bei einer Pflichtverletzung um ein Verhalten handelt, das insgesamt - wie etwa der vermeintlich unbeobachtete Griff in die Kasse - auf Heimlichkeit angelegt ist oder nicht.

46

(2) Das Landesarbeitsgericht hat die Einmaligkeit der Pflichtverletzung und die als beanstandungsfrei unterstellte Betriebszugehörigkeit der Klägerin von gut drei Jahrzehnten zwar erwähnt, ihnen aber kein ausreichendes Gewicht beigemessen.

47

(a) Für die Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung kann es von erheblicher Bedeutung sein, ob der Arbeitnehmer bereits geraume Zeit in einer Vertrauensstellung beschäftigt war, ohne vergleichbare Pflichtverletzungen begangen zu haben. Das gilt auch bei Pflichtverstößen im unmittelbaren Vermögensbereich (Senat 13. Dezember 1984 - 2 AZR 454/83 - zu III 3 a der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 81 = EzA BGB § 626 nF Nr. 94). Eine für lange Jahre ungestörte Vertrauensbeziehung zweier Vertragspartner wird nicht notwendig schon durch eine erstmalige Vertrauensenttäuschung vollständig und unwiederbringlich zerstört. Je länger eine Vertragsbeziehung ungestört bestanden hat, desto eher kann die Prognose berechtigt sein, dass der dadurch erarbeitete Vorrat an Vertrauen durch einen erstmaligen Vorfall nicht vollständig aufgezehrt wird. Dabei kommt es nicht auf die subjektive Befindlichkeit und Einschätzung des Arbeitgebers oder bestimmter für ihn handelnder Personen an. Entscheidend ist ein objektiver Maßstab. Maßgeblich ist nicht, ob der Arbeitgeber hinreichendes Vertrauen in den Arbeitnehmer tatsächlich noch hat. Maßgeblich ist, ob er es aus der Sicht eines objektiven Betrachters haben müsste. Im Arbeitsverhältnis geht es nicht um ein umfassendes wechselseitiges Vertrauen in die moralischen Qualitäten der je anderen Vertragspartei. Es geht allein um die von einem objektiven Standpunkt aus zu beantwortende Frage, ob mit einer korrekten Erfüllung der Vertragspflichten zu rechnen ist.

48

(b) Die Klägerin hat durch eine beanstandungsfreie Tätigkeit als Verkäuferin und Kassiererin über dreißig Jahre hinweg Loyalität zur Beklagten gezeigt.

49

(aa) Der Senat hatte davon auszugehen, dass diese Zeit ohne rechtlich relevante Beanstandungen verlaufen ist. Gegenstand einer der Klägerin erteilten Abmahnung war eine vor Kunden abgegebene, abfällige Äußerung gegenüber einem Arbeitskollegen. Dieses Verhalten steht mit dem Kündigungsvorwurf in keinerlei Zusammenhang; im Übrigen wurde die Abmahnung ein Jahr später aus der Personalakte entfernt. Schon aus tatsächlichen Gründen unbeachtlich ist das Geschehen im Zusammenhang mit der Einlösung eines Sondercoupons im November 2007. Die Klägerin hat im Einzelnen und plausibel dargelegt, weshalb ihr dabei im Ergebnis keine Bonuspunkte zugeschrieben worden seien, die ihr nicht zugestanden hätten. Dem ist die Beklagte nicht hinreichend substantiiert entgegengetreten.

50

(bb) Das in dieser Beschäftigungszeit von der Klägerin erworbene Maß an Vertrauen in die Korrektheit ihrer Aufgabenerfüllung und in die Achtung der Vermögensinteressen der Beklagten schlägt hoch zu Buche. Angesichts des Umstands, dass nach zehn Tagen Wartezeit mit einer Nachfrage der in Wahrheit berechtigten Kunden nach dem Verbleib von Leergutbons über Cent-Beträge aller Erfahrung nach nicht mehr zu rechnen war, und der wirtschaftlichen Geringfügigkeit eines der Beklagten entstandenen Nachteils ist es höher zu bewerten als deren Wunsch, nur eine solche Mitarbeiterin weiterzubeschäftigen, die in jeder Hinsicht und ausnahmslos ohne Fehl und Tadel ist. Dieser als solcher berechtigte Wunsch macht der Beklagten die Weiterbeschäftigung der Klägerin trotz ihres Pflichtenverstoßes mit Blick auf die bisherige Zusammenarbeit nicht unzumutbar. Objektiv ist das Vertrauen in die Zuverlässigkeit der Klägerin nicht derart erschüttert, dass dessen vollständige Wiederherstellung und ein künftig erneut störungsfreies Miteinander der Parteien nicht in Frage käme.

51

(3) Das prozessuale Verteidigungsvorbringen der Klägerin steht dieser Würdigung nicht entgegen.

52

(a) Die Wirksamkeit einer Kündigung ist grundsätzlich nach den objektiven Verhältnissen im Zeitpunkt ihres Zugangs zu beurteilen. Dieser Zeitpunkt ist im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB sowohl für die Prüfung des Kündigungsgrundes als auch für die Interessenabwägung maßgebend. Umstände, die erst danach entstanden sind, können die bereits erklärte Kündigung nicht rechtfertigen. Sie können allenfalls als Grundlage für eine weitere Kündigung oder einen Auflösungsantrag nach §§ 9, 10 KSchG dienen(Senat 28. Oktober 1971 - 2 AZR 15/71 - zu II 2 d der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 62 = EzA BGB § 626 nF Nr. 9; 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - zu III der Gründe, BAGE 2, 245).

53

(b) Nachträglich eingetretene Umstände können nach der Rechtsprechung des Senats für die gerichtliche Beurteilung allerdings insoweit von Bedeutung sein, wie sie die Vorgänge, die zur Kündigung geführt haben, in einem neuen Licht erscheinen lassen (Senat 13. Oktober 1977 - 2 AZR 387/76 - zu III 3 d der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 1 = EzA BetrVG 1972 § 74 Nr. 3; 28. Oktober 1971 - 2 AZR 15/71 - zu II 2 d der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 62 = EzA BGB § 626 nF Nr. 9; 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - zu III der Gründe, BAGE 2, 245). Dazu müssen zwischen den neuen Vorgängen und den alten Gründen so enge innere Beziehungen bestehen, dass jene nicht außer Acht gelassen werden können, ohne dass ein einheitlicher Lebensvorgang zerrissen würde (Senat 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - aaO; ErfK/Müller-Glöge 10. Aufl. § 626 Rn. 54; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 177; SPV/Preis 10. Aufl. Rn. 551; vgl. auch Walker NZA 2009, 921, 922). Es darf aber nicht etwa eine ursprünglich unbegründete Kündigung durch die Berücksichtigung späteren Verhaltens rückwirkend zu einer begründeten werden (Senat 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - aaO). Außerdem ist genau zu prüfen, welche konkreten Rückschlüsse auf den Kündigungsgrund späteres Verhalten wirklich erlaubt. Im Hinblick auf prozessuales Vorbringen (vgl. Senatsentscheidungen vom 24. November 2005 - 2 AZR 39/05 - AP BGB § 626 Nr. 197 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 12 und 3. Juli 2003 - 2 AZR 437/02 - AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 38 = EzA KSchG § 1 Verdachtskündigung Nr. 2)gilt nichts anderes.

54

(c) Danach kommt dem Prozessverhalten der Klägerin keine ihre Pflichtverletzung verstärkende Bedeutung zu. Es ist nicht geeignet, den Kündigungssachverhalt als solchen zu erhellen. Der besteht darin, dass die Klägerin unberechtigterweise ihr nicht gehörende Leergutbons zweier Kunden zum eigenen Vorteil eingelöst hat.

55

(aa) Dieser Vorgang erscheint insbesondere im Hinblick auf eine Wiederholungsgefahr nicht dadurch in einem anderen, für die Klägerin ungünstigeren Licht, dass diese zunächst die Identität der von ihr eingelösten und der im Kassenbüro aufbewahrten Bons bestritten hat. Das Gleiche gilt im Hinblick darauf, dass die Klägerin auch noch im Prozessverlauf die Möglichkeit bestimmter Geschehensabläufe ins Spiel gebracht hat, die erklären könnten, weshalb sie - wie sie stets behauptet hat - selbst bei Identität der Bons nicht wusste, dass sie ihr nicht gehörende Bons einlöste. Die von der Klägerin aufgezeigten Möglichkeiten einschließlich der einer gegen sie geführten Intrige mögen sich wegen der erforderlich gewordenen Befragungen der betroffenen Arbeitnehmer nachteilig auf den Betriebsfrieden ausgewirkt haben. Dies war aber nicht Kündigungsgrund. Unabhängig davon zielte das Verteidigungsvorbringen der Klägerin erkennbar nicht darauf, Dritte einer konkreten Pflichtverletzung zu bezichtigen. Der Kündigungsgrund wird auch nicht dadurch klarer, dass die Klägerin die Rechtsauffassung vertreten hat, erstmalige Vermögensdelikte zulasten des Arbeitgebers könnten bei geringem wirtschaftlichem Schaden eine außerordentliche Kündigung ohne vorausgegangene Abmahnung nicht rechtfertigen. Damit hat sie lediglich in einer rechtlich umstrittenen Frage einen für sie günstigen Standpunkt eingenommen. Daraus kann nicht abgeleitet werden, sie werde sich künftig bei Gelegenheit in gleicher Weise vertragswidrig verhalten.

56

(bb) Das Prozessverhalten der Klägerin mindert ebenso wenig das bei der Interessenabwägung zu berücksichtigende Maß des verbliebenen Vertrauens. Auch für dessen Ermittlung ist auf den Zeitpunkt des Kündigungszugangs abzustellen. Aus dieser Perspektive und im Hinblick auf den bis dahin verwirklichten Kündigungssachverhalt ist zu fragen, ob mit der Wiederherstellung des Vertrauens in eine künftig korrekte Vertragserfüllung gerechnet werden kann. In dieser Hinsicht ist das Verteidigungsvorbringen der Klägerin ohne Aussagekraft. Ihr wechselnder Vortrag und beharrliches Leugnen einer vorsätzlichen Pflichtwidrigkeit lassen keine Rückschlüsse auf ihre künftige Zuverlässigkeit als Kassiererin zu. Das gilt gleichermaßen für mögliche, während des Prozesses aufgestellte Behauptungen der Klägerin über eine ihr angeblich von der Kassenleiterin angetragene Manipulation im Zusammenhang mit der Einlösung von Sondercoupons im November 2007 und mögliche Äußerungen gegenüber Pressevertretern.

57

(cc) Anders als die Beklagte meint, wird dadurch nicht Verstößen gegen die prozessuale Wahrheitspflicht „Tür und Tor geöffnet“. Im Fall eines bewusst wahrheitswidrigen Vorbringens besteht die Möglichkeit, eine weitere Kündigung auszusprechen oder einen Auflösungsantrag nach §§ 9, 10 KSchG anzubringen. Dabei kann nicht jeder unzutreffende Parteivortrag als „Lüge“ bezeichnet werden. Die Wahrnehmung eines Geschehens ist generell nicht unbeeinflusst vom äußeren und inneren Standpunkt des Wahrnehmenden. Gleiches gilt für Erinnerung und Wiedergabe, zumal in einem von starker Polarität geprägten Verhältnis, wie es zwischen Prozessparteien häufig besteht. Wenn sich das Gericht nach den Regeln des Prozessrechts in §§ 138, 286 ZPO die - rechtlich bindende, aber um deswillen nicht der Gefahr des Irrtums enthobene - Überzeugung bildet, ein bestimmter Sachverhalt habe sich so und nicht anders zugetragen, ist damit die frühere, möglicherweise abweichende Darstellung einer Partei nicht zugleich als gezielte Irreführung des Gerichts oder der Gegenpartei ausgewiesen. Es bedarf vielmehr besonderer Anhaltspunkte, um einen solchen - schweren - Vorwurf zu begründen.

58

B. Die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung zum 30. September 2008 ist unwirksam. Auch dies vermag der Senat selbst zu entscheiden. Die Kündigung ist sozial ungerechtfertigt. Sie ist nicht durch Gründe im Verhalten der Klägerin iSv. § 1 Abs. 2 KSchG bedingt. Sie ist auf denselben Lebenssachverhalt gestützt wie die außerordentliche Kündigung. Der Beklagten war es aus den dargelegten Gründen zuzumuten, auf das mildere Mittel der Abmahnung zurückzugreifen.

59

C. Der Antrag auf Beschäftigung, der sich ersichtlich auf die Dauer des Kündigungsrechtsstreits beschränkte, kommt wegen der Beendigung des Verfahrens nicht mehr zum Tragen.

        

    Kreft    

        

    Schmitz-Scholemann    

        

    Berger    

        

        

        

    Torsten Falke    

        

    Bartz    

                 

Tenor

1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Thüringer Landesarbeitsgerichts vom 14. Mai 2008 - 4 Sa 508/07 - teilweise aufgehoben.

2. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Erfurt vom 6. August 2007 - 2 Ca 295/07 - teilweise abgeändert:

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung des Beklagten vom 23. Februar 2007 nicht mit sofortiger Wirkung, sondern erst mit Ablauf des 30. April 2007 beendet worden ist.

3. Im Übrigen wird die Revision zurückgewiesen.

4. Die Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger zu 2/3 und der Beklagte zu 1/3 zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen und einer während der Kündigungsfrist erklärten fristlosen Kündigung.

2

Der 1957 geborene Kläger ist verheiratet und einem Kind zum Unterhalt verpflichtet. Seit August 2001 war er bei dem Beklagten als Oberstufenlehrer für Kunst und Kunstgeschichte tätig.

3

Der Beklagte ist Träger einer Waldorfschule, einer genehmigten Ersatzschule im Sinne des Thüringer Gesetzes über Schulen in freier Trägerschaft idF der Bekanntmachung vom 30. April 2003 (GVBl. 2003, S. 150). Er beschäftigt etwa 60 Arbeitnehmer. Seine Selbstverwaltung erfolgt über Konferenzen - Klassenkonferenzen, Mentorenkonferenzen, Oberstufenkonferenzen und Schulführungskonferenzen -, wobei der jeweils „ranghöheren“ Konferenz das Recht zusteht, einen zu regelnden Sachverhalt an sich zu ziehen.

4

Im Arbeitsvertrag der Parteien heißt es auszugsweise:

        

„4. … 

        

Zur Tätigkeit eines Lehrers an einer Waldorfschule gehören auch die Teilnahme an den Aufgaben der Selbstverwaltung der Schule (Konferenzen) sowie die Elternarbeit und die Belange des Bundes der Freien Waldorfschulen. …

        

5. Es gilt eine beidseitige Kündigungsfrist von 6 Monaten zum 31. Juli.

        

Verändert sich die gesetzliche Kündigungsfrist eines Partners, so gilt dasselbe auch für den anderen Partner.

        

…       

        

Die Vertragsparteien sind sich darüber einig, dass die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses insbesondere dann nicht mehr möglich ist, wenn es kein Vertrauen mehr in die Erziehungsarbeit oder in die Mitwirkung bei der Selbstverwaltung gibt. Das Vertragsverhältnis ist dann entsprechend den gesetzlichen Kündigungsfristen kündbar.

        

Bei etwaigen, die hier vereinbarte Zusammenarbeit betreffenden Streitigkeiten verpflichten sich die Beteiligten, zunächst das interne Schlichtungsverfahren einzuleiten und rechtliche Schritte nur im Hinblick auf notwendige Fristeinhaltungen vorzunehmen.“

5

Schüler des Beklagten haben in der zwölften Klassenstufe eine sog. Jahresarbeit anzufertigen, mit der sie regelmäßig bereits in der elften Klasse beginnen. Die Arbeit wird durch eine Lehrkraft als Mentor betreut. Nach Fertigstellung sind mindestens zwei Ausfertigungen der Arbeit in der Schule abzugeben. Ein Exemplar ist als Korrekturexemplar für den Mentor bestimmt. Das weitere - gebundene - Exemplar erhält die Schule. Etwa 14 Tage später findet eine öffentliche Präsentation/Verteidigung der Arbeit vor der interessierten Schulöffentlichkeit und Elternschaft statt. Außerdem sind bei der Veranstaltung neben dem Mentor der zuständige Klassenbetreuer und ein Elternvertreter anwesend, die in das Bewertungsverfahren eingebunden sind. Anschließend folgt ein Auswertungsgespräch unter Beteiligung aller drei vorgenannten Personen in Anwesenheit des Schülers. Nach diesem Gespräch verbleibt das Schulexemplar in der Schulbibliothek zur öffentlichen Einsicht. Der Mentor hat dann die Aufgabe, die Jahresarbeit unter Berücksichtigung der Ergebnisse des Auswertungsgesprächs zu bewerten. Bei bestehenden Differenzen ist die Mentorenkonferenz einzuschalten.

6

Seit dem Jahr 2004 kam es zu Auseinandersetzungen der Parteien über die Verpflichtung des Klägers, an der schulischen Selbstverwaltung teilzunehmen. In diesem Zusammenhang erteilte der Beklagte dem Kläger am 2. Juli 2004 zwei schriftliche Abmahnungen.

7

Beginnend mit dem Jahr 2006 betreute der Kläger als Mentor die Jahresarbeit des Schülers S. zum Thema: „Homepageprogrammierung auf HTML-Basis“. Im Januar 2007 gab S. zwei Exemplare seiner Arbeit in der Schule ab. Die Präsentation folgte am 27. Januar 2007. Im Auswertungsgespräch vom 30. Januar 2007 vertrat die zuständige Klassenbetreuerin - anders als der Kläger - die Auffassung, die Arbeit sei wegen inhaltlicher Mängel nicht anerkennungsfähig. Nach dem Gespräch nahm der Kläger - ohne Rücksprache - das Schulexemplar mit nach Hause, das Mentorenexemplar in Form einer Loseblattsammlung hatte er bereits.

8

Am 31. Januar 2007 wurde der Kläger zu einer für diesen Tag anberaumten Sonderkonferenz geladen. Er sagte, ua. wegen der Kurzfristigkeit der Ladung, seine Teilnahme ab; zugleich bat er, ihm „den Antrag auf die Aberkennung der Jahresarbeit“ von S. „bald schriftlich mitzuteilen“.

9

Mit Schreiben vom 31. Januar 2007 kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis daraufhin ordentlich zum 31. Juli 2007. Am 1. Februar 2007 beurlaubte er den Kläger bis zu einem für den 5. Februar 2007 vereinbarten Schlichtungsgespräch. Zugleich erteilte er ihm Hausverbot. Während des Schlichtungsgesprächs forderte er den Kläger auf, der Schulführungskonferenz das (Schul-)Exemplar der Jahresarbeit zur Verfügung zu stellen. Mit Schreiben vom 7. Februar 2007 wiederholte er sein Verlangen unter Fristsetzung bis 9. Februar 2007. Darauf teilte der Kläger schriftlich mit: „Im Hinblick auf die Jahresarbeit können Sie sich an Frau G. wenden, die für das Schulexemplar zuständig ist.“. Auf erneutes, nunmehr anwaltliches Herausgabeverlangen des Beklagten gab er das Schulexemplar am 15. Februar 2007 zurück, nachdem er zuvor aus der Arbeit die Seite 17 entfernt hatte.

10

Am 19. Februar 2007 führten die Parteien ein weiteres Schlichtungsgespräch. Mit Schreiben vom 23. Februar 2007 kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos.

11

Der Kläger hat gegen beide Kündigungen Kündigungsschutzklage erhoben und geltend gemacht, er habe seine Vertragspflichten allenfalls unwesentlich verletzt. Das Schulexemplar der Jahresarbeit von S. sei ihm anlässlich des Auswertungsgesprächs durch den Elternvertreter zur Aufbewahrung übergeben worden. Die Rückgabe der Arbeit sei für ihn deshalb „ein Problem“ gewesen, weil sich die Klassenbetreuerin im Auswertungsgespräch zur Qualität der Arbeit geäußert habe, ohne deren Inhalt genau zu kennen. Er habe verhindern wollen, dass seine Kollegin nachträglich Gelegenheit erhalte, die Arbeit zu lesen und dadurch ihr „voreingenommenes und negatives Urteil abzusichern“. Als zuständiger Mentor sei er bis zur abschließenden Bewertung berechtigt gewesen, die - inhaltlich im Übrigen bedeutungslose - Seite 17 zu entfernen. Sein Vorgehen sei, nachdem auf dieser Seite aufgeführte Zitate zu Beanstandungen durch Kollegen geführt hätten, zweckmäßig und mit dem Schüler abgestimmt gewesen. Die Kündigungen seien unverhältnismäßig. Im Übrigen fehle es an der ordnungsgemäßen Durchführung des vorgesehenen Schlichtungsverfahrens.

12

Der Kläger hat - soweit noch von Bedeutung - beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 31. Januar 2007 nicht aufgelöst worden ist;

        

2.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 23. Februar 2007 weder fristlos noch ordentlich aufgelöst worden ist.

13

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat die Auffassung vertreten, schon die fristlose Kündigung sei gerechtfertigt. Der Kläger habe das Schulexemplar der Jahresarbeit von S. unbefugt entwendet, rechtswidrig zurückgehalten und gefälscht. Dies wiege angesichts bestehender Differenzen über die Bewertung der Arbeit besonders schwer. Außerdem habe sich der Kläger über das erteilte Hausverbot hinweggesetzt und die gesetzlichen Vorschriften für Abiturprüfungen für Waldorfschulen missachtet. Die Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB sei gewahrt. Jedenfalls habe das Arbeitsverhältnis mit Ablauf der Kündigungsfrist geendet. Einer Abmahnung habe es nicht bedurft. Die Durchführung des in der Schulordnung vorgesehenen Schlichtungsverfahrens sei keine Wirksamkeitsvoraussetzung für eine Kündigung. Die Ausübung des Kündigungsrechts sei kein „Konfliktfall“ im Sinne der dortigen Regelungen. Außerdem sei das Verfahren auch durchgeführt worden, es sei nur gescheitert.

14

Das Arbeitsgericht hat die fristlose Kündigung für gerechtfertigt erachtet und die Klage insgesamt abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe

15

Die Revision des Klägers ist teilweise begründet. Das Arbeitsverhältnis ist durch die Kündigung vom 23. Februar 2007 nicht mit sofortiger Wirkung aufgelöst worden. Es hat aufgrund dieser Kündigung aber nach Ablauf der gesetzlichen Kündigungsfrist von zwei Monaten zum Monatsende am 30. April 2007 geendet. Auf die Wirksamkeit der zum 31. Juli 2007 erklärten ordentlichen Kündigung vom 31. Januar 2007 kommt es nicht an.

16

I. Die außerordentliche Kündigung vom 23. Februar 2007 ist unwirksam. Es fehlt an einem wichtigen Grund zur Kündigung iSv. § 626 Abs. 1 BGB. Ob die Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB gewahrt ist, kann dahinstehen.

17

1. Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann.

18

2. Das Berufungsurteil hält einer revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht in jeder Hinsicht stand. Zwar liegt eine erhebliche Vertragspflichtverletzung des Klägers und damit „an sich“ ein wichtiger Grund zur Kündigung vor. Auch geht das Berufungsgericht zutreffend davon aus, dass es vor Ausspruch der Kündigung keiner Abmahnung bedurfte. Dennoch erweist sich die fristlose Kündigung als unverhältnismäßig. Aufgrund der besonderen, vom Landesarbeitsgericht nicht hinreichend beachteten Umstände des Einzelfalls war es dem Beklagten zumutbar, das Arbeitsverhältnis bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist fortzusetzen.

19

a) Ein wichtiger Grund zur Kündigung kann nicht nur in einer erheblichen Verletzung der vertraglichen Hauptleistungspflichten liegen. Auch die schuldhafte Verletzung von Nebenpflichten kann ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung sein (Senat 2. März 2006 - 2 AZR 53/05 - Rn. 21, AP BGB § 626 Krankheit Nr. 14 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 16; BAG 15. Januar 1986 - 7 AZR 128/83 - zu 2 b der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 93 = EzA BGB § 626 nF Nr. 100). Da die ordentliche Kündigung die übliche und grundsätzlich ausreichende Reaktion auf die Verletzung einer Nebenpflicht ist, kommt eine außerordentliche Kündigung nur in Betracht, wenn das Gewicht dieser Pflichtverletzung durch erschwerende Umstände verstärkt wird (BAG 15. Januar 1986 - 7 AZR 128/83 - aaO; SPV/Preis 10. Aufl. Rn. 603; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 146).

20

b) Als Vertragspflichtverletzung, die grundsätzlich eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen vermag, ist ein nachhaltiger Verstoß des Arbeitnehmers gegen berechtigte Weisungen des Arbeitgebers anzusehen (KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 459 mwN). Ebenso kann die erhebliche Verletzung der den Arbeitnehmer gemäß § 241 Abs. 2 BGB treffenden Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitgebers einen wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB bilden. Der konkrete Inhalt dieser Pflicht ergibt sich aus dem jeweiligen Arbeitsverhältnis und seinen spezifischen Anforderungen (st. Rspr., bspw. Senat 26. März 2009 - 2 AZR 953/07 - Rn. 24, AP BGB § 626 Nr. 220 mwN). Einer besonderen Vereinbarung bedarf es insoweit nicht.

21

c) Im Streitfall kann offenbleiben, ob der Kläger seine Vertragspflichten bereits dadurch erheblich verletzt hat, dass er das Schulexemplar der Jahresarbeit nach dem Auswertungsgespräch ohne Einverständnis des Beklagten in seine Wohnung verbrachte und dem Zugriff des Beklagten entzog. Eine erhebliche Pflichtverletzung des Klägers liegt, wie die Vorinstanzen zutreffend ausgeführt haben, jedenfalls darin, dass er das Schulexemplar entgegen wiederholter, ausdrücklicher Weisung des Beklagten nicht termingerecht, sondern erst nach anwaltlicher Aufforderung zurückgab und außerdem zuvor die Seite 17 der Jahresarbeit entfernt hatte.

22

aa) Der Beklagte war berechtigt, die sofortige Rückgabe des Schulexemplars zu verlangen. Ein Besitzrecht des Klägers bestand nicht. Die eingeräumte Herausgabefrist war ausreichend, um der Aufforderung nachzukommen. Der rechtmäßigen Weisung des Beklagten hat sich der Kläger auch nach seinem eigenen Vorbringen zumindest zeitweise vorsätzlich und nachhaltig widersetzt. Zudem hat er mit dem Schreiben vom 7. Februar 2007 gegenüber dem Beklagten bewusst den Eindruck erwecken wollen, gar nicht im Besitz des Schulexemplars zu sein. Anders lässt sich seine Erklärung, der Beklagte möge sich wegen des Schulexemplars an Frau G. wenden, nicht verstehen. Darüber hinaus war sein Verhalten, wie er selbst einräumt, darauf angelegt, die Bewertung der Arbeit durch die mitbeurteilende Klassenbetreuerin zu erschweren und vorübergehend unmöglich zu machen. Ein solches Vorgehen ist geeignet, das Vertrauen des Beklagten in die zuverlässige und pflichtgemäße Erfüllung der Arbeitsaufgaben des Klägers erheblich zu erschüttern.

23

bb) Eine weitere erhebliche Pflichtverletzung des Klägers liegt darin, dass er eine Seite aus der Jahresarbeit entfernte und diese damit verfälschte.

24

(1) Die schriftliche Arbeit eines Schülers ist nach ihrer förmlichen Abgabe zur Bewertung grundsätzlich keiner inhaltlichen Änderung mehr zugänglich. Das zeigt auch das beim Beklagten praktizierte Beurteilungsverfahren. Grundlage der mündlichen Verteidigung der Arbeit, des Auswertungsgesprächs und der abschließenden Beurteilung durch den Mentor kann nur ein und dieselbe Leistung des Schülers sein, zumal die Präsentation der Arbeit, die auf der schriftlichen Ausarbeitung beruht, in die abschließende Bewertung einzufließen hat. Dementsprechend dient die Vorgabe, der Schule neben dem für den Mentor bestimmten Korrekturexemplar mindestens ein weiteres - gebundenes - Exemplar der Arbeit zu übergeben, erkennbar auch dazu, die Vollständigkeit der Arbeit zu gewährleisten und nachträgliche Veränderungen auszuschließen. Unterdrückt ein Lehrer in Kenntnis dieser Umstände Teile des Schulexemplars, verletzt er seine arbeitsvertraglichen Pflichten erheblich. Ein solches Fehlverhalten betrifft den Kernbereich seiner Arbeitsaufgaben und berührt unmittelbar das Vertrauen in deren zuverlässige Ausführung.

25

(2) Sein Fehlverhalten ist dem Kläger vorwerfbar. Seine Einlassung, er sei davon ausgegangen, die Jahresarbeit in Absprache mit dem Schüler auch noch nach ihrer Abgabe inhaltlich verändern zu dürfen, hat das Landesarbeitsgericht - unter Bezugnahme auf die Ausführungen des Arbeitsgerichts - als Schutzbehauptung gewertet. Dies hält sich im Bewertungsspielraum der Tatsacheninstanz. Ein Verbotsirrtum des Klägers wäre jedenfalls vermeidbar gewesen. Es kommt nicht darauf an, ob die entfernte Seite für das behandelte Thema inhaltlich von Bedeutung war oder nicht. Der Schüler hatte die dort enthaltenen „Gedächtnisprotokolle zu Kommentaren der Lehrer“ zum Gegenstand der Arbeit gemacht und im Inhaltsverzeichnis ausdrücklich erwähnt. Hinzu kommt, dass die aufgeführten Zitate bereits Anstoß bei Lehrkräften erregt hatten. Für den Kläger war erkennbar, dass mit der Herausnahme der Seite auch die Nachprüfung einer Berechtigung dieser Beanstandungen wesentlich erschwert würde.

26

(3) Darauf, ob das Verhalten des Klägers strafrechtlich als Urkundenfälschung (§ 267 Abs. 1 StGB) und/oder Urkundenunterdrückung (§ 274 Abs. 1 Nr. 1 StGB) zu bewerten ist, kommt es, wie die Vorinstanzen richtig gesehen haben, nicht an. Für die kündigungsrechtliche Bewertung ist nicht die strafrechtliche Beurteilung maßgeblich, sondern die Schwere der Vertragspflichtverletzung (st. Rspr., bspw. Senat 24. November 2005 - 2 AZR 39/05 - Rn. 18, AP BGB § 626 Nr. 197 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 12; 12. August 1999 - 2 AZR 832/98 - zu II 3 der Gründe, AP BGB § 123 Nr. 51 = EzA BGB § 123 Nr. 53).

27

d) Liegt - wie hier - ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung „an sich“ vor, bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls und der Abwägung der Interessen beider Vertragsteile jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist oder nicht. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn mildere Mittel als Reaktion auf die eingetretene Vertragsstörung ausscheiden (st. Rspr., bspw. Senat 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 45, AP BGB § 174 Nr. 20). Mildere Mittel sind insbesondere die Abmahnung und die ordentliche Kündigung. Im Hinblick darauf ist die ausgesprochene außerordentliche Kündigung unverhältnismäßig.

28

aa) Dies ist sie nicht deshalb, weil es vorrangig einer Abmahnung bedurft hätte.

29

(1) Zwar gilt das durch § 314 Abs. 2 BGB konkretisierte Erfordernis einer Abmahnung grundsätzlich auch bei Störungen im Vertrauensbereich(vgl. Senat 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 48 mwN, AP BGB § 174 Nr. 20). Die Abmahnung ist aber, wie § 314 Abs. 2 Satz 2 BGB iVm. § 323 Abs. 2 BGB zeigt, unter besonderen Umständen entbehrlich. Das ist der Fall, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft trotz Abmahnung nicht erwartet werden kann oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass die Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich - für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 32, 33 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59; 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - aaO; 15. November 2001 - 2 AZR 605/00 - zu II 4 der Gründe, BAGE 99, 331).

30

(2) Danach war eine Abmahnung entbehrlich. Der Kläger hat seine Arbeitsaufgaben im Kernbereich seiner Tätigkeit als Lehrkraft vorsätzlich und nachhaltig verletzt. Das gilt auch in Anbetracht der vorausgegangenen Auseinandersetzungen mit der Klassenbetreuerin über die Anerkennungsfähigkeit der Arbeit und der Bedenken von Kollegen gegen den Inhalt der entfernten Seite. Diese Umstände sind nicht geeignet, den mit der Pflichtverletzung verbundenen Vertrauensverlust abzuschwächen. Im Gegenteil: Gerade wegen dieser Konflikte musste der Kläger dem Beklagten möglichst zügig eine eigene Beurteilung der Arbeit und der umstrittenen Zitate ermöglichen. Stattdessen zeigt sein Bestreben, durch ein Zurückhalten der Arbeit die Klassenbetreuerin als nicht kompetent darzustellen, dass es ihm nicht um ein objektives und gerechtes Urteil über die Qualität der Arbeit ging, sondern um die Verfolgung sachfremder Motive. Dies zeigt ein Verständnis vom Inhalt seiner Arbeitsaufgaben und der eigenen Kompetenzen, das durch den Ausspruch einer Abmahnung den gesamten Umständen nach nicht zu beeinflussen ist. Eine Verhaltensänderung des Klägers stand deshalb auch nach einer Abmahnung nicht zu erwarten.

31

(3) Dennoch erweist sich die fristlose Kündigung als unwirksam. Dem Beklagten war es unter Beachtung der Besonderheiten des Einzelfalls und der gebotenen Abwägung der Interessen beider Vertragsteile zuzumuten, das Arbeitsverhältnis noch bis zum Ablauf der maßgebenden Kündigungsfrist fortzusetzen. Die gegenteilige Auffassung des Landesarbeitsgerichts, das sich die Erwägungen des Arbeitsgerichts zur Interessenabwägung nach § 69 Abs. 2 ArbGG zu eigen gemacht hat, berücksichtigt nicht alle wesentlichen Gesichtspunkte.

32

(a) Zwar spricht zulasten des Klägers der Umstand, dass das Arbeitsverhältnis auch aus anderen Gründen nicht beanstandungsfrei verlaufen ist. Das Arbeitsgericht hat auf Pflichtwidrigkeiten bezüglich der Teilnahme an Konferenzen hingewiesen. Dies wird, zumal der Kläger ein Fehlverhalten insoweit teilweise eingeräumt hatte, von der Revision nicht angegriffen. Auch konnte im Rahmen der Abwägung nicht unberücksichtigt bleiben, dass der Kläger im Schlichtungsgespräch vom 19. Februar 2007 keine Einsicht in die Vertragswidrigkeit seines Verhaltens gezeigt hat. Dies muss als Indiz für eine Wiederholungsgefahr angesehen werden.

33

(b) Zum einen ist jedoch zu bedenken, dass die zur außerordentlichen Kündigung führende Pflichtwidrigkeit im Zusammenhang mit schriftlichen Prüfungsleistungen der Schüler stand, die in den Monaten nach Kündigungsanspruch nicht mehr anfielen. Zum anderen ist das Landesarbeitsgericht von einer unzutreffenden Frist ausgegangen, die der Beklagte bei Ausspruch einer ordentlichen Kündigung einzuhalten hätte. Dies ist nicht die Frist von sechs Monaten jeweils zum 31. Juli des Jahres nach Nr. 5 Satz 1 des Arbeitsvertrages, sondern die gesetzliche Frist von zwei Monaten zum Monatsende nach Nr. 5 Satz 6 des Vertrags. Zumindest für die Dauer dieses Zeitraums war dem Beklagten die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zuzumuten.

34

(aa) Das Landesarbeitsgericht hat die arbeitsvertraglichen Vereinbarungen zu den Kündigungsfristen nicht ausgelegt. Es hat auch nicht festgestellt, ob es sich dabei um typische oder untypische Klauseln handelt. Selbst wenn unterstellt wird, dass sie untypisch sind, kann der Senat sie eigenständig auslegen. Es geht um die Auslegung von Urkunden, ohne dass besondere Umstände des Einzelfalls, die der Auslegung eine bestimmte, der Beurteilung des Revisionsgerichts entzogene Richtung geben könnten, vorlägen (vgl. dazu BAG 5. Februar 2009 - 6 AZR 151/08 - Rn. 33, AP KSchG 1969 § 4 Nr. 69 = EzA KSchG § 4 nF Nr. 87; 28. Februar 1990 - 7 AZR 143/89 - zu II 2 a der Gründe, BAGE 64, 220).

35

(bb) Der Arbeitsvertrag differenziert in Nr. 5 zwischen einer regulären Kündigungsfrist von sechs Monaten zum 31. Juli (Nr. 5 Satz 1) und einer für den Fall mangelnden Vertrauens in die Erziehungsarbeit oder in die Mitwirkung bei der Selbstverwaltung vorgesehenen „Kündbarkeit entsprechend den gesetzlichen Kündigungsfristen“ (Nr. 5 Satz 6). Dabei ist davon auszugehen, dass die beiden Regelungen jeweils abschließend und vollständig sind. So ist das Arbeitsverhältnis im Fall von Nr. 5 Satz 6 nicht nur zum 31. Juli kündbar. Die Festlegung dieses Termins in Nr. 5 Satz 1 beruht, ebenso wie die - lange - Dauer der dort bestimmten Kündigungsfrist von sechs Monaten erkennbar auf dem Bedürfnis nach personeller Kontinuität in der Lehrerschaft während eines laufenden Schuljahrs. Soweit es in den Fällen von Nr. 5 Satz 6 des Vertrags stattdessen bei den gesetzlichen Kündigungsfristen verbleiben soll, betrifft dies Sachverhalte, die das pädagogische Selbstverständnis und die Tendenz des Beklagten als freier Schulträger berühren. Der offensichtliche Zweck der Regelung, Pflichtverletzungen in diesem Bereich mit einer möglichst kurzfristigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses begegnen zu können, liefe weitgehend leer, wäre eine Kündigung auch dann - wenn auch mit kürzerer Frist - nur zum 31. Juli möglich.

36

(cc) Die in Rede stehende Pflichtverletzung ist aufgrund ihres Bezugs zur Erziehungsarbeit ein Anwendungsfall von Nr. 5 Satz 6 des Vertrags. Bei einer Betriebszugehörigkeit des Klägers von etwas mehr als fünf Jahren gilt für ihn gemäß § 622 Abs. 2 Nr. 2 BGB eine Kündigungsfrist von zwei Monaten zum Monatsende.

37

3. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO). Der Beklagte hat sich allerdings zur Rechtfertigung der außerordentlichen Kündigung ergänzend auf Verstöße gegen ein dem Kläger am 1. Februar 2007 erteiltes Hausverbot vom 7. Februar und 19. Februar 2007 sowie eine Missachtung der gesetzlichen Vorschriften für Abiturprüfungen an Waldorfschulen berufen. Insoweit fehlt es aber schon nach seinem eigenen Vorbringen an einem wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB. Das Hausverbot war zunächst - unstreitig - bis 5. Februar 2007 ausgesprochen worden. Zwar hat der Beklagte behauptet, im Schlichtungsgespräch von diesem Tag sei vereinbart worden, dass es bis auf Weiteres bei den „Festlegungen vom 1. Februar 2007“ verbleiben solle. Es ist jedoch gut vorstellbar, dass der Kläger dies lediglich auf die ebenfalls am 1. Februar 2007 angeordnete Beurlaubung, nicht aber das Hausverbot bezogen hat, so dass eine Abmahnung schon zum Ausschluss eines nahe liegenden Irrtums des Klägers erforderlich war. Ähnliche Erwägungen gelten für die behauptete Nichtbeachtung gesetzlicher Vorschriften im Hinblick auf die Vorbereitung der Schüler auf Abiturprüfungen. Soweit in dem Verhalten des Klägers überhaupt eine Pflichtverletzung liegt, erreicht diese nicht das für einen Kündigungsgrund iSv. § 626 Abs. 1 BGB erforderliche Gewicht.

38

II. Ist das Arbeitsverhältnis aufgrund der Kündigung vom 23. Februar 2007 nicht mit sofortiger Wirkung aufgelöst worden, kommt es darauf an, ob es - wie vom Beklagten geltend gemacht - durch ordentliche Kündigung beendet worden ist. Hierüber kann der Senat selbst entscheiden. Die Kündigung vom 23. Februar 2007 ist als ordentliche Kündigung sozial gerechtfertigt iSv. § 1 Abs. 1, Abs. 2 KSchG und damit wirksam.

39

1. Eine nach § 626 Abs. 1 BGB unwirksame außerordentliche Kündigung kann in eine ordentliche Kündigung nach § 140 BGB umgedeutet werden, wenn dies dem mutmaßlichen Willen des Kündigenden entspricht und dieser Wille dem Kündigungsempfänger im Zeitpunkt des Kündigungszugangs erkennbar ist(Senat 23. Oktober 2008 - 2 AZR 388/07 - Rn. 33 mwN, AP BGB § 626 Nr. 217 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 23; 15. November 2001 - 2 AZR 310/00 - zu B I 1 a der Gründe, AP BGB § 140 Nr. 13 = EzA BGB § 140 Nr. 24).

40

2. Die Prüfung, ob diese Voraussetzungen vorliegen, obliegt zwar grundsätzlich der Tatsacheninstanz (vgl. BGH 24. September 1980 - VIII ZR 299/79 - zu II 2 b der Gründe, NJW 1981, 43). Sie kann bei feststehendem Sachverhalt aber auch in der Revisionsinstanz erfolgen. Im Streitfall ist von einer derartigen Sachlage auszugehen. Auch hat sich der Beklagte ausdrücklich auf eine Umdeutung der fristlosen in eine ordentliche Kündigung berufen.

41

a) Der Inhalt des Kündigungsschreibens vom 23. Februar 2007, mit dem der Beklagte das Arbeitsverhältnis „fristlos“ gekündigt hat, ließ für den Kläger den unbedingten Beendigungswillen des Beklagten erkennen. Hinzu kommt, dass der Beklagte das Arbeitsverhältnis bereits zuvor ordentlich gekündigt hatte. Der Kläger musste davon ausgehen, dass es dem Beklagten darauf ankam, sich möglichst bald von ihm zu trennen.

42

b) Besondere Umstände, die den Schluss zuließen, der Beklagte habe mit der Kündigung vom 23. Februar 2007 ausschließlich die außerordentliche fristlose Beendigung des Arbeitsverhältnisses herbeiführen wollen, und die deshalb einer Umdeutung entgegenstünden (Senat 15. November 2001 - 2 AZR 310/00 - zu B I 2 c der Gründe mwN, AP BGB § 140 Nr. 13 = EzA BGB § 140 Nr. 24), hat der Kläger nicht aufgezeigt.

43

3. Die Pflichtverletzung des Klägers im Zusammenhang mit der Jahresarbeit von S. rechtfertigt aus den angeführten Gründen die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses iSv. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG. Eine Abmahnung war, wie ausgeführt, entbehrlich. Besondere Umstände des Einzelfalls, die ein anderes Ergebnis rechtfertigten, sind nicht ersichtlich.

44

4. Sonstige Unwirksamkeitsgründe liegen nicht vor. Die Kündigung ist nicht deshalb unwirksam, weil das interne Schlichtungsverfahren nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden wäre. Dabei kann zugunsten des Klägers unterstellt werden, dass nach der Regelung in Nr. 5 des Arbeitsvertrags das Schlichtungsverfahren zumindest bei einer beabsichtigten ordentlichen Kündigung eingreifen soll. Der Arbeitsvertrag verlangt im Fall der „die Zusammenarbeit betreffenden Streitigkeiten“ lediglich die „Einleitung“ des Verfahrens und nicht dessen Durchführung mit sämtlichen in der Schulordnung vorgesehenen Schritten. Das steht im Einklang mit der für das Schlichtungsverfahren getroffenen Regelung, wonach „jeder der angeführten Punkte zum Abbruch des Verfahrens führen kann“ und es somit an einer zwingenden Ausgestaltung des Verfahrens fehlt. Die Einleitung des Verfahrens war vor Ausspruch der - außerordentlichen - Kündigung unstreitig erfolgt. Das Schlichtungsgespräch vom 19. Februar 2007, in das auch die Vorfälle um die Jahresarbeit einbezogen wurden, war erfolglos geblieben.

45

III. Hat das Arbeitsverhältnis aufgrund der Kündigung vom 23. Februar 2007 mit Ablauf des 30. April 2007 geendet, kommt es auf die Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung vom 31. Januar 2007 nicht mehr an.

        

    Kreft    

        

    Eylert    

        

    Berger    

        

        

    zugleich für ehrenamtlichen Richter Dr. Bartel,
der an einer Unterzeichnung wegen des Endes
seiner Amtszeit verhindert ist    

        

        

    Jan Eulen    

                 

(1) Durch den Dienstvertrag wird derjenige, welcher Dienste zusagt, zur Leistung der versprochenen Dienste, der andere Teil zur Gewährung der vereinbarten Vergütung verpflichtet.

(2) Gegenstand des Dienstvertrags können Dienste jeder Art sein.

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

Tenor

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 28. Mai 2014 - 10 Sa 770/13 - im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, wie es der Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts München vom 19. Juni 2013 - 19 Ca 13099/12 - stattgegeben hat.

2. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts München wird insgesamt zurückgewiesen.

3. Der Kläger hat die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.

2

Der Kläger wurde 1961 geboren, ist verheiratet und zwei Kindern zum Unterhalt verpflichtet. Er war seit 1989 - zunächst als Systemanalytiker und zuletzt als IT-Spezialist - bei der Beklagten beschäftigt. Die vereinbarte Wochenarbeitszeit belief sich auf 35 Stunden. Sein Arbeitsverhältnis war nach § 8 Ziff. 2 Abs. 3 Satz 1 des Manteltarifvertrags für die Arbeitnehmer der bayerischen Metall- und Elektroindustrie (MTV) vom 23. Juni 2008 verhaltensbedingt nur noch aus wichtigem Grund kündbar.

3

Zwischen den Parteien kam es mehrfach zu Unstimmigkeiten über die dem Kläger zugeteilten Aufgaben und sein berufliches Fortkommen. Mit E-Mail vom 30. März 2009 forderte dieser die Beklagte auf, ihn vertragsgemäß zu beschäftigen und sein „Aschenputtel-Dasein“ zu beenden. Die Beklagte übe „Psychoterror“ aus. Sie versuche, ihn zu zermürben und zu demütigen, was bei ihm zu einer seelischen Erkrankung geführt habe. Gleichzeitig kündigte er an, ggf. von einem Zurückbehaltungsrecht gemäß § 273 BGB Gebrauch machen zu wollen. Nach mehreren Gesprächen wurde ihm für die Zeit ab Oktober 2009 einvernehmlich die Tätigkeit eines IT-Chefarchitekten und die Leitung eines Projekts übertragen.

4

Das dem Kläger anvertraute Projekt endete spätestens im September 2011. Im Mai 2011 wurde ihm die Aufgabe eines sog. Blueprint-Vorfilterers und im Februar 2012 diejenige eines „TRM-Koordinators“ jeweils mit seinem Einverständnis übertragen. Nachdem die Einarbeitung abgeschlossen war, lasteten diese Tätigkeiten ihn für drei bis vier Stunden pro Woche aus. Das ihm im Juni 2012 unterbreitete Angebot, zusätzlich im Projekt „SharePoint“ tätig zu werden, lehnte er ab.

5

Mit E-Mail vom 10. September 2012 richtete der Kläger eine Petition an die Personalleitung der Beklagten. In der beigefügten PowerPoint-Präsentation führte er aus, dass seit 1996 eine „massive Entwicklungsblockade“ gegen ihn verhängt worden sei. Trotz seiner „ständig sehr guten Ergebnisse“ und der „mustergültigen Einhaltung aller geltenden Regeln“ sei er nicht befördert worden. Dieses „unternehmensbedingte, großangelegte Mobbing“ habe bei ihm zu „totaler Frustration“ geführt. Seine Arbeitsmoral liege „brach“, die „innere Kündigung (sei) perfekt“. Die Beklagte habe ihn „krank gemacht“, für eine „neue Aufgabe oder Funktion habe (er) keine Kraft mehr“. Er sei „körperlich erschöpft, sowie seelisch und geistig ausgebrannt“. Die Beklagte habe sein „Potenzial definitiv und unwiederbringlich kaputt gemacht“. Man befinde sich in einem Dilemma wie in einer „schlechten Ehe“ und solle sich „lieber heute als morgen voneinander trennen“. Die von ihm „bevorzugte Lösung“ sei deshalb eine „bezahlte Freistellung mit garantiertem Bestandsschutz bis zum Eintritt in die gesetzliche Rente bzw. die Freizeitphase der Altersteilzeit“. In einer weiteren E-Mail vom 20. September 2012 teilte der Kläger der Beklagten mit, ihm sei es nicht mehr möglich und zumutbar, seine Arbeitsleistung zu erbringen. Ab dem 1. Oktober 2012 werde er von einem Leistungsverweigerungsrecht nach § 275 Abs. 2 und Abs. 3 BGB Gebrauch machen.

6

Die Beklagte wies die Vorwürfe mit Schreiben vom 28. September 2012 zurück und ließ den Kläger wissen, dass sie es als schwerwiegende Verletzung seiner Hauptleistungspflicht betrachten und ggf. arbeitsrechtliche Konsequenzen bis hin zu einer Kündigung ziehen werde, wenn er der Arbeit fernbleiben sollte. Zugleich lud sie ihn für den 1. Oktober 2012 zu einem Personalgespräch ein. Der Kläger erwiderte mit E-Mail vom gleichen Tag, er sei „sprachlos“ aufgrund der „inhaltslosen Aussagen“ und „billigen Drohungen“. Die Beklagte habe „die Zusammenarbeit unmöglich gemacht“ und „ihre Glaubwürdigkeit und ihre Integrität restlos und unwiederbringlich kompromittiert“.

7

Der Kläger erschien - wie angekündigt - ab dem 1. Oktober 2012 nicht mehr zur Arbeit. In der Folge entspann sich zwischen den Parteien ein nicht geringer Schrift- und E-Mail-Wechsel, in dessen Zuge die Beklagte den Kläger zweimal wegen Arbeitsverweigerung abmahnte und ihn noch weitere drei Mal vergeblich zu einem Personalgespräch einlud. Im fünften Anlauf kam für den 15. Oktober 2012 ein solches Gespräch zustande, in dem die Parteien keine Einigung erzielen konnten. Mit Schreiben vom 17. Oktober 2012 erteilte die Beklagte dem Kläger eine „letztmalige Abmahnung“. Nachdem auch diese fruchtlos geblieben war, kündigte sie dessen Arbeitsverhältnis - nach Anhörung des Betriebsrats - mit Schreiben vom 26. Oktober 2012 außerordentlich fristlos, hilfsweise außerordentlich mit Auslauffrist zum 31. Mai 2013.

8

Hiergegen hat der Kläger sich rechtzeitig mit der vorliegenden Klage gewandt. Er hat gemeint, er habe seine Arbeitspflicht nicht verletzt, weil er wirksam ein Leistungsverweigerungsrecht geltend gemacht habe. Angesichts der gegen ihn verhängten „Entwicklungsblockade“ und des fortwährenden „Mobbing“ sei es ihm unzumutbar, weiterhin seine Arbeitsleistung zu erbringen. Die Kündigung stelle sich als Maßregelung dar.

9

Der Kläger hat - soweit noch von Interesse - beantragt

        

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die außerordentliche fristlose Kündigung vom 26. Oktober 2012 noch durch die außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist vom 26. Oktober 2012 aufgelöst worden ist.

10

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat gemeint, der Kläger habe seine Arbeitspflicht beharrlich verletzt. Er sei nicht berechtigt gewesen, die Leistung zu verweigern. Die von ihm - ohnehin unsubstantiiert - erhobenen Vorwürfe seien unzutreffend. Der Kläger habe sich auch nicht in einem entschuldbaren Rechtsirrtum befunden. Vielmehr sei er sich des mit seinem Vorgehen verbundenen Risikos bewusst gewesen.

11

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben. Mit der Revision verfolgt die Beklagte das Ziel, das erstinstanzliche Urteil wiederherzustellen.

Entscheidungsgründe

12

Die Revision ist zulässig und begründet.

13

A. Der Senat kann über die Revision entscheiden. Es kommt nicht darauf an, ob der Rechtsstreit deshalb nach § 244 Abs. 1 ZPO unterbrochen gewesen ist, weil der ursprüngliche Prozessbevollmächtigte des Klägers im Laufe des Revisionsverfahrens die Zulassung zur Anwaltschaft und damit gemäß § 11 Abs. 4 ArbGG die Fähigkeit verloren hat, die Vertretung seiner Partei fortzuführen(gegen eine Unterbrechung bei Bestellung eines Abwicklers BFH 10. Februar 1982 - I R 225/78 - BFHE 135, 445; für eine Unterbrechung trotz Bestellung eines Abwicklers OLG Köln 3. Juni 1993 - 12 W 19/93 - zu I der Gründe; Stein/Jonas/Roth ZPO 22. Aufl. § 244 Rn. 9). Eine mögliche Unterbrechung ist jedenfalls dadurch beendet worden, dass der Abwickler der Kanzlei des früheren Prozessbevollmächtigten mit Schriftsatz vom 30. April 2015 seine Bestellung gegenüber dem Bundesarbeitsgericht angezeigt hat und die Anzeige der Beklagten zugestellt worden ist (§ 244 Abs. 1, § 250 ZPO). Bei einem amtlich bestellten Abwickler handelt es sich um einen „bestellten neuen Anwalt“ iSv. § 244 Abs. 1 ZPO(BAG 13. Mai 1997 - 3 AZR 66/96 - zu A der Gründe).

14

B. Die Revision ist zulässig. Entgegen der Ansicht des Klägers ist sie ordnungsgemäß begründet worden.

15

I. Nach § 72 Abs. 5 ArbGG iVm. § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 ZPO gehört zum notwendigen Inhalt der Revisionsbegründung die Angabe der Revisionsgründe. Bei einer Sachrüge muss der vermeintliche Rechtsfehler des Landesarbeitsgerichts so aufgezeigt werden, dass Gegenstand und Richtung des Revisionsangriffs erkennbar sind. Dazu muss die Revisionsbegründung eine Auseinandersetzung mit den Gründen des angefochtenen Urteils enthalten. Das erfordert die genaue Darlegung der Gesichtspunkte, aus denen das angefochtene Urteil rechtsfehlerhaft sein soll (vgl. BAG 29. August 2013 - 2 AZR 273/12 - Rn. 16).

16

II. Diesen Anforderungen wird die Revisionsbegründung gerecht. Die Beklagte wendet sich gegen die Annahme des Landesarbeitsgerichts, unter Abwägung der beiderseitigen Interessen sei es ihr zumutbar, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen. Sie legt dar, welche von ihm festgestellten Umstände es außer Acht gelassen habe und wie daraus ein anderes Ergebnis folge. Diese Sachrüge wäre im Fall ihrer Begründetheit geeignet, das Berufungsurteil - soweit es durch die Beklagte angefochten wird - zu Fall zu bringen. Das reicht als Revisionsangriff aus. Darauf, ob die Beklagte die von ihr zudem erhobenen Verfahrensrügen ausreichend begründet hat, kommt es für die Zulässigkeit der Revision deshalb nicht an.

17

C. Die Revision ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage zu Unrecht stattgegeben. Sie ist unbegründet. Die außerordentliche fristlose Kündigung der Beklagten vom 26. Oktober 2012 hat das Arbeitsverhältnis der Parteien mit ihrem Zugang aufgelöst. Sie ist wirksam.

18

I. Es besteht ein wichtiger Grund iSv. § 626 BGB iVm. § 8 Ziff. 2 Abs. 3 Satz 1 MTV.

19

1. Nach § 8 Ziff. 2 Abs. 3 Satz 1 MTV können die Arbeitsverhältnisse von Arbeitnehmern, die - wie der Kläger - das 50. Lebensjahr vollendet und dem Betrieb oder Unternehmen mindestens 15 Jahre angehört haben, verhaltensbedingt nur noch aus wichtigem Grund gekündigt werden. Mit dem Begriff des „wichtigen Grundes“ knüpft der MTV an die gesetzliche Regelung des § 626 Abs. 1 BGB an(für insoweit vergleichbare Tarifverträge BAG 28. Oktober 2010 - 2 AZR 688/09 - Rn. 31; 12. Januar 2006 - 2 AZR 242/05 - Rn. 24).

20

2. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der - ggf. fiktiven - Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dabei ist zunächst zu untersuchen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“ und damit typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist oder nicht (BAG 23. Oktober 2014 - 2 AZR 865/13 - Rn. 19, BAGE 149, 355; 29. August 2013 - 2 AZR 273/12 - Rn. 19). Bei der Interessenabwägung ist die ordentliche Unkündbarkeit seines Arbeitsverhältnisses - hier: nach § 8 Ziff. 2 Abs. 3 Satz 1 MTV - nicht gesondert zugunsten des Arbeitnehmers zu berücksichtigen (vgl. BAG 27. Januar 2011 - 2 AZR 825/09 - Rn. 48 mwN, BAGE 137, 54).

21

3. Der Kläger hat einen „an sich“ wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB herbeigeführt, indem er die von ihm geschuldete Arbeitsleistung beharrlich verweigerte.

22

a) Die beharrliche Weigerung eines Arbeitnehmers, seine vertraglich geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen, ist „an sich“ geeignet, eine außerordentliche fristlose Kündigung zu rechtfertigen. Ein Arbeitnehmer verweigert die ihm angewiesene Arbeit beharrlich, wenn er sie bewusst und nachdrücklich nicht leisten will. Ob er zur Arbeitsleistung verpflichtet war, entscheidet sich nach der objektiven Rechtslage. Verweigert der Arbeitnehmer die Arbeitsleistung in der Annahme, er handele rechtmäßig, hat grundsätzlich er selbst das Risiko zu tragen, dass sich seine Rechtsauffassung als unzutreffend erweist (BAG 29. August 2013 - 2 AZR 273/12 - Rn. 29, 32).

23

b) Der kündigende Arbeitgeber ist darlegungs- und beweispflichtig für alle Umstände, die einen wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB begründen sollen. Ihn trifft die Darlegungs- und Beweislast auch für diejenigen Tatsachen, die einen vom Gekündigten behaupteten Rechtfertigungsgrund ausschließen. Allerdings hat hierzu der Arbeitnehmer seinerseits nach § 138 Abs. 2 ZPO substantiiert vorzutragen; er muss darlegen, warum sein Fehlen als „entschuldigt“ anzusehen sei. Nur die im Rahmen der insofern abgestuften Darlegungs- und Beweislast vom Arbeitnehmer behaupteten Tatsachen hat der Arbeitgeber zu widerlegen (vgl. BAG 17. Juni 2003 - 2 AZR 123/02 - zu II 2 b aa der Gründe; 21. Mai 1992 - 2 AZR 10/92 - zu II 2 b bb der Gründe, BAGE 70, 262).

24

c) Der Kläger verweigerte seit dem 1. Oktober 2012 die von ihm geschuldete Arbeitsleistung. Er war grundsätzlich verpflichtet, die ihm mit seinem Einverständnis übertragenen Tätigkeiten eines „Blueprint-Vorfilterers“ und eines „TRM-Koordinators“ auszuführen.

25

d) Der Kläger war nicht berechtigt, die Arbeitsleistung zu verweigern, weil es ihm gemäß § 275 Abs. 3 BGB unzumutbar gewesen wäre, sie zu erbringen.

26

aa) Nach § 275 Abs. 3 BGB kann der Schuldner die Leistung verweigern, wenn er sie persönlich zu erbringen hat und sie ihm unter Abwägung des ihr entgegenstehenden Hindernisses mit dem Leistungsinteresse des Gläubigers nicht zugemutet werden kann. Die Vorschrift betrifft das Spannungsverhältnis von Vertragstreue und Unzumutbarkeit der Arbeitsleistung (BAG 13. August 2010 - 1 AZR 173/09 - Rn. 12, BAGE 135, 203). Sie löst es (nur) dann zugunsten des Schuldners auf, wenn für diesen die Leistungserbringung in hohem Maße belastend ist (MüKoBGB/Ernst 6. Aufl. § 275 Rn. 116), weil ein Fall besonderer Leistungserschwerung vorliegt (Alpmann in jurisPK-BGB 7. Aufl. § 275 Rn. 70). Dem Schuldner kann die Erfüllung der von ihm persönlich zu erbringenden Leistung unzumutbar sein, wenn er dadurch Gefahr läuft, in bedeutsamen Rechtsgütern verletzt zu werden (vgl. Staudinger/Caspers (2014) § 275 Rn. 112: Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit). Im Falle einer zur Arbeitsunfähigkeit führenden Erkrankung des Arbeitnehmers selbst - nicht eines seiner nahen Angehörigen - ist umstritten, ob die Leistungsbefreiung automatisch gemäß § 275 Abs. 1 BGB eintritt oder der Betreffende erst von einem Leistungsverweigerungsrecht nach § 275 Abs. 3 BGB Gebrauch machen muss(zum Streitstand siehe Alpmann in jurisPK-BGB 7. Aufl. § 275 Rn. 71; MüKoBGB/Ernst 6. Aufl. § 275 Rn. 118).

27

bb) Dem Kläger war es nicht unzumutbar, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen.

28

(1) Er beruft sich nicht etwa darauf, dass er bereits arbeitsunfähig erkrankt gewesen sei. Eine entsprechende ärztliche Bescheinigung gemäß § 5 EFZG hat er nicht vorgelegt. Es ist auch nicht ersichtlich, dass eine Arbeitsunfähigkeit zumindest zu erwarten gewesen wäre, wenn er seine Tätigkeit fortgesetzt hätte. Zwar hat der Kläger behauptet, an einer psychischen Erkrankung zu leiden. Jedoch hat er diese nur schlagwortartig umschrieben. Es fehlt an Vortrag zu den Symptomen und dazu, wie sich die Krankheit - die ihm offenbar seit Jahren bekannt ist - in der jüngeren Vergangenheit entwickelt hat, welche konkreten Auswirkungen die Situation am Arbeitsplatz hatte und warum es ihm deshalb nicht mehr zugemutet werden konnte, die Arbeitsleistung fortzusetzen.

29

(2) Das Landesarbeitsgericht hat ohne Rechtsfehler angenommen, dass es dem Kläger nicht aufgrund von - drohenden - Persönlichkeitsrechtsverletzungen unzumutbar gewesen sei, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen (zur eingeschränkten Überprüfbarkeit der tatrichterlichen Würdigung vgl. BAG 28. Oktober 2010 - 8 AZR 546/09 - Rn. 20; 24. April 2008 - 8 AZR 347/07 - Rn. 36).

30

(a) Nicht jedes den Arbeitnehmer belastende Verhalten des Arbeitgebers oder eines seiner Repräsentanten (§ 278 BGB) stellt einen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte des Arbeitnehmers oder eine Verletzung vertraglicher Pflichten zur Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB) dar. Persönlichkeitsrechte werden nicht allein dadurch verletzt, dass im Arbeitsleben übliche Konflikte auftreten, die sich durchaus über einen längeren Zeitraum erstrecken können. Sozial- und rechtsadäquates Verhalten muss aufgrund der gebotenen objektiven Betrachtungsweise - dh. ohne Rücksicht auf das subjektive Empfinden des betroffenen Arbeitnehmers - von der rechtlichen Bewertung ausgenommen werden. Mangels entsprechender Systematik und Zielrichtung werden keine Rechte des Arbeitnehmers beeinträchtigt, wenn er von verschiedenen Vorgesetzten, die nicht zusammenwirken und die zeitlich aufeinanderfolgen, in seiner Arbeitsleistung kritisiert oder schlecht beurteilt wird. Dies gilt insbesondere dann, wenn seine Arbeitsleistung nicht nur beanstandet oder ignoriert, sondern auch positiv gewürdigt wird. Ebenso müssen Verhaltensweisen von Arbeitgebern oder Vorgesetzten unberücksichtigt bleiben, die lediglich eine Reaktion auf Provokationen durch den vermeintlich „gemobbten“ Arbeitnehmer darstellen. Insoweit fehlt es an der eindeutigen Täter-Opfer-Konstellation (BAG 16. Mai 2007 - 8 AZR 709/06 - Rn. 86, BAGE 122, 304).

31

(b) Zur Begründung des Vorwurfs, er sei systematisch in seiner beruflichen Entwicklung „blockiert“ worden, beruft der Kläger sich darauf, dass ihm Zwischenzeugnisse mit unrichtigem Inhalt erteilt, ein Telearbeitsplatz verweigert, Leistungspunkte gestrichen, keine herausfordernden Aufgaben übertragen und eine Fortbildung und Beförderung verwehrt worden seien. Weitere Verhaltensweisen der Beklagten hat er nicht konkret dargetan; es ersetzt keinen substantiierten Sachvortrag, Vorschriften zu benennen, gegen die sie verstoßen haben soll.

32

(c) Mit dem Landesarbeitsgericht lassen die vom Kläger geschilderten Verhaltensweisen weder einzeln für sich noch in ihrer Gesamtschau den Schluss auf eine Verletzung seines Persönlichkeitsrechts zu. Zwischen den Parteien bestanden lediglich Konflikte wie sie im Arbeitsleben üblich sind. Sie ergaben sich aus unterschiedlichen Auffassungen über die Qualität der Arbeitsleistung und -ergebnisse des Klägers. Es ist nicht ersichtlich, dass die Beklagte oder einer ihrer Repräsentanten (§ 278 BGB) auch nur in einem Einzelfall die Ebene der Sachlichkeit verlassen hätte. Im Übrigen würde selbst dies nicht ausreichen, um eine Rechtsverletzung anzunehmen (vgl. BAG 16. Mai 2007 - 8 AZR 709/06 - Rn. 76, BAGE 122, 304).

33

(aa) Der Kläger mag es als erniedrigend empfunden haben, dass ehemalige Kollegen zu seinen Vorgesetzten wurden. In diesem Empfinden mag er dadurch bestärkt worden sein, dass seine Arbeitsleistung schlechter beurteilt wurde, als er es für gerechtfertigt hielt. Er hatte jedoch keinen Rechtsanspruch darauf, gleichfalls befördert zu werden (vgl. zur „Fürsorgepflicht“ des Arbeitgebers BAG 23. September 1992 - 5 AZR 526/91 - zu II 6 der Gründe). Die Beklagte hat substantiiert dargetan, dass sie ihn nicht als „Führungskraft“ sehe, weil er aus ihrer Sicht nicht über ausreichende Gestaltungsfähigkeiten bei komplexen, noch unklaren Sachverhalten und nicht über das erforderliche Team- und Kommunikationsverhalten verfüge.

34

(bb) Es ist nicht ersichtlich, dass gegen den Kläger eine „Entwicklungsblockade“ verhängt worden wäre. Ihm sind Angebote zur Fort- und Weiterbildung unterbreitet worden. Diese hat er entweder nicht angenommen oder er hat die begonnenen Schulungen - etwa das sog. Gallup-Stärkentraining - vorzeitig abgebrochen. Wenn Probleme in seinem Arbeitsumfeld aufgetreten sind, hat die Beklagte versucht, Tätigkeiten in anderen Bereichen für ihn zu finden und ihm einen „unbelasteten Neustart“ zu ermöglichen. Nach seinen eigenen Angaben ist er nicht nur kritisiert, sondern verschiedentlich für seine Arbeitsleistung und seine Arbeitsergebnisse auch gelobt worden. Zu keiner Zeit wurde ihm eine Aufgabe entzogen. Die Notwendigkeit, ihm neue Tätigkeiten zuzuweisen, ergab sich vielmehr dadurch, dass die ihm übertragenen Projekte abgeschlossen waren. Dass der Kläger mit den ihm zuletzt übertragenen Tätigkeiten eines „Blueprint-Vorfilterers“ und eines „TRM-Koordinators“ nicht ausgelastet war, lässt nicht den Schluss zu, die Beklagte habe ihn auf das „Abstellgleis“ geschoben. Ihm ist zusätzlich ein Einsatz im Projekt „SharePoint“ angeboten worden. Diesen hat er - mit der Begründung, dass er sich dafür zunächst hätte fortbilden müssen - abgelehnt. Er hat auch im Prozess keine Angaben dazu gemacht, welche möglichen Aufgaben, die den arbeitsvertraglichen Vereinbarungen entsprochen und nicht eine Beförderung bedeutet hätten, die Beklagte ihm „vorenthalten“ habe.

35

(cc) Es kommt hinzu, dass die Auseinandersetzungen um den Telearbeitsplatz und die Streichung von Leistungspunkten bei Beginn der Arbeitsverweigerung bereits im Sinne des Klägers „ausgestanden“ waren. Ihm war ein Telearbeitsplatz eingerichtet worden. Sein Vorgesetzter hatte ihm lediglich nahegelegt, in seinem - des Klägers - eigenen Interesse gleichwohl ausreichend im Unternehmen „präsent“ zu sein. Die nach den bei der Beklagten üblichen Gepflogenheiten anlässlich eines Aufgabenwechsels „gehaltsneutral“ gestrichenen Leistungspunkte waren ihm auf seinen „Protest“ hin wieder gutgeschrieben worden. Das hatte für ihn eine Gehaltserhöhung zur Folge, obwohl er sich in der neuen Tätigkeit noch nicht in der dazu erforderlichen Weise „bewährt“ haben konnte.

36

e) Die Arbeitsverweigerung durch den Kläger war nicht in Ausübung eines Zurückbehaltungsrechts gemäß § 273 Abs. 1 BGB gerechtfertigt.

37

aa) Nach dieser Vorschrift darf der Schuldner, der aus dem gleichen Rechtsverhältnis, auf dem seine Verpflichtung beruht, einen fälligen Anspruch gegen den Gläubiger hat - sofern sich aus dem Schuldverhältnis nichts anderes ergibt -, die geschuldete Leistung verweigern, bis die ihm gebührende Leistung bewirkt wird. Dem Arbeitnehmer kann ein Recht zustehen, die Arbeitsleistung zurückzuhalten, wenn der Arbeitgeber seine aus dem Arbeitsverhältnis folgenden Haupt- oder Nebenpflichten schuldhaft nicht erfüllt. So liegt es beispielsweise, wenn der Arbeitgeber oder einer seiner Repräsentanten (§ 278 BGB) die Gesundheit des Arbeitnehmers oder dessen Persönlichkeitsrecht in erheblicher Weise verletzt und mit weiteren Verletzungen zu rechnen ist. Die Ausübung des Zurückbehaltungsrechts steht unter dem Gebot von Treu und Glauben nach § 242 BGB und unterliegt dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Dementsprechend muss der Arbeitnehmer unter Angabe des Grundes dem Arbeitgeber klar und eindeutig mitteilen, er werde dieses Recht mit Blick auf eine ganz bestimmte, konkrete Gegenforderung wahrnehmen. Nur so wird dem Arbeitgeber die Möglichkeit eröffnet, den möglichen Anspruch des Arbeitnehmers zu prüfen und ggf. zu erfüllen. Wenn der Arbeitnehmer berechtigterweise von einem Zurückbehaltungsrecht Gebrauch macht, liegt keine Arbeitsverweigerung vor (vgl. BAG 13. März 2008 - 2 AZR 88/07 - Rn. 39 ff. mwN).

38

bb) Entgegen der Annahme des Landesarbeitsgerichts hat der Kläger kein Zurückbehaltungsrecht nach § 273 Abs. 1 BGB geltend gemacht. Obwohl ihm ausweislich vorheriger Mitteilungen - etwa in der E-Mail vom 30. März 2009 - der Unterschied zwischen beiden Normen bestens bekannt war, hat er die Beklagte mit E-Mail vom 20. September 2012 (lediglich) wissen lassen, dass ihm die weitere Arbeitsleistung unzumutbar sei und er ab dem 1. Oktober 2012 von seinem Leistungsverweigerungsrecht nach § 275 Abs. 2 und Abs. 3 BGB Gebrauch machen werde. Noch in der Klageschrift hat er sich ausschließlich auf § 275 BGB bezogen. Dementsprechend hat er von der Beklagten nicht etwa verlangt, bestimmte Ansprüche zu erfüllen, Maßnahmen zu ergreifen oder Zustände zu beenden. Mithilfe der Weigerung, seine Arbeitsleistung zu erbringen, wollte er weder eine vertragsgemäße Beschäftigung noch die Unterlassung von weiterem „Mobbing“ erreichen. Vielmehr hat er lediglich „vorgeschlagen“, ihn unter Fortzahlung der Vergütung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze von der Arbeitsleistung freizustellen. Darin erblickte er nicht mehr als die Festschreibung dessen, was nach § 275 Abs. 3 iVm. § 326 Abs. 2 BGB ohnehin - unveränderlich - gelte.

39

cc) Gemäß den Ausführungen zu § 275 Abs. 3 BGB bestanden im Übrigen keine Gegenansprüche, auf die der Kläger ein Recht, seine Arbeitsleistung zurückzuhalten, erfolgreich hätte stützen können. Zwar hatte er einen Anspruch auf vertragsgemäße Beschäftigung im Umfang von 35 Wochenstunden. Auch wurde dieser von der Beklagten bei weitem nicht vollständig erfüllt, weil der Kläger nach den tatsächlichen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts mit den ihm zuletzt übertragenen Tätigkeiten eines „Blueprint-Vorfilterers“ und eines „TRM-Koordinators“ nur im Umfang von drei bis vier Stunden pro Woche ausgelastet war. Die „Unterbeschäftigung“ beruhte jedoch darauf, dass der Kläger die ihm ergänzend angetragene Tätigkeit im Projekt „SharePoint“ nicht hatte übernehmen wollen. Unter diesen Umständen wäre es rechtsmissbräuchlich iSv. § 242 BGB, die Arbeitsleistung mit dem Ziel zurückzuhalten, weitere Aufgaben zugewiesen zu bekommen.

40

f) Der Kläger hat seine geschuldete Arbeitsleistung bewusst und nachhaltig verweigert.

41

aa) Obgleich die Beklagte ihn mit Schreiben vom 28. September 2012 darauf hingewiesen hatte, dass sie dies als schwerwiegenden Verstoß gegen seine Hauptleistungspflicht betrachten und ggf. arbeitsrechtliche Konsequenzen ziehen werde, blieb er ab dem 1. Oktober 2012 der Arbeit fern und nahm sie trotz dreier Abmahnungen und mehrerer Aufforderungen der Beklagten bis zum Kündigungszeitpunkt - über mehr als dreieinhalb Wochen - nicht wieder auf.

42

bb) Der Kläger befand sich nicht in einem entschuldbaren Rechtsirrtum.

43

(1) Der Geltungsanspruch des Rechts bewirkt, dass der Schuldner das Risiko eines Rechtsirrtums grundsätzlich selbst trägt und es nicht dem Gläubiger überbürden kann (BAG 19. August 2015 - 5 AZR 975/13 - Rn. 31). Ein unverschuldeter Rechtsirrtum liegt nur vor, wenn der Schuldner seinen Irrtum auch unter Anwendung der zu beachtenden Sorgfalt nicht erkennen konnte. Dabei sind strenge Maßstäbe anzulegen. Es reicht nicht aus, dass er sich für seine eigene Rechtsauffassung auf eine eigene Prüfung und fachkundige Beratung stützen kann. Ein Unterliegen in einem möglichen Rechtsstreit muss zwar nicht undenkbar sein (vgl. BAG 12. November 1992 - 8 AZR 503/91 - zu I 1 der Gründe, BAGE 71, 350). Gleichwohl liegt ein entschuldbarer Rechtsirrtum nur dann vor, wenn der Schuldner damit nach sorgfältiger Prüfung der Sach- und Rechtslage nicht zu rechnen brauchte; ein normales Prozessrisiko entlastet ihn nicht (vgl. BAG 29. August 2013 - 2 AZR 273/12 - Rn. 34; BGH 6. Dezember 2006 - IV ZR 34/05 - zu II 1 a aa der Gründe; 27. September 1989 - IVa ZR 156/88 -).

44

(2) Der Kläger hat sich nicht fachkundig beraten lassen, bevor er die Arbeitsleistung verweigert hat. Nach seinem eigenen Vorbringen war er sich des Risikos, dass ein Leistungsverweigerungsrecht von den Gerichten verneint werden könnte, vollauf bewusst. Unter diesen Umständen kann von einem entschuldbaren, unvermeidbaren Rechtsirrtum keine Rede sein.

45

4. Bei der abschließenden Interessenabwägung überwiegt - entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts - das Interesse der Beklagten an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Dessen Fortsetzung war ihr selbst für den Lauf der - fiktiven - ordentlichen Kündigungsfrist von sieben Monaten zum Schluss eines Kalendermonats (§ 8 Ziff. 2 Abs. 2 Satz 1 MTV) nicht zuzumuten.

46

a) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der - fiktiven - Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Dabei lassen sich die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumindest bis zum Ende der Frist für eine ordentliche Kündigung zuzumuten war oder nicht, nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind. Sie scheidet aus, wenn es ein „schonenderes“ Gestaltungsmittel - etwa Abmahnung, Versetzung, ordentliche Kündigung - gibt, das ebenfalls geeignet ist, den mit einer außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck - nicht die Sanktion des pflichtwidrigen Verhaltens, sondern die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen des Arbeitsverhältnisses - zu erreichen (vgl. BAG 20. November 2014 - 2 AZR 651/13 - Rn. 21; 23. Oktober 2014 - 2 AZR 865/13 - Rn. 47, BAGE 149, 355).

47

b) Dem Berufungsgericht kommt bei dieser Prüfung und Interessenabwägung - obwohl es sich um Rechtsanwendung handelt - ein gewisser Beurteilungsspielraum zu. Seine Würdigung wird in der Revisionsinstanz aber daraufhin überprüft, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnormen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob es alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände widerspruchsfrei berücksichtigt hat (BAG 20. November 2014 - 2 AZR 651/13 - Rn. 24; 27. September 2012 - 2 AZR 646/11 - Rn. 42). Eine eigene Abwägung durch das Revisionsgericht ist dann möglich, wenn die des Berufungsgerichts fehlerhaft oder unvollständig ist und sämtliche relevanten Tatsachen feststehen (BAG 27. September 2012 - 2 AZR 646/11 - aaO; 19. April 2012 - 2 AZR 258/11 - Rn. 16).

48

c) Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, der Beklagten sei die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zuzumuten gewesen, hält der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht in allen Punkten stand.

49

aa) Die vom Landesarbeitsgericht vorgenommene Interessenabwägung ist insoweit nicht zu beanstanden, wie es zugunsten des Klägers die lange Dauer des Arbeitsverhältnisses, dessen von erheblichen Pflichtverletzungen freien Verlauf, seine Unterhaltspflichten und den Umstand berücksichtigt hat, dass die Beklagte nicht nach weiteren Möglichkeiten gesucht hat, ihn vertragsgemäß in Vollzeit zu beschäftigen. Dass der Kläger einen Einsatz im Projekt „SharePoint“ abgelehnt hatte, führte zwar dazu, dass er seine Arbeitsleistung nicht mit dem Ziel zurückhalten durfte, man möge ihm weitere Aufgaben übertragen. Dies entband die Beklagte jedoch nicht davon, „von sich aus“ andere bzw. zusätzliche Tätigkeiten für ihn zu suchen.

50

bb) Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht auf der anderen Seite die Schwere der Pflichtverletzung und den Grad des ihn treffenden Verschuldens zulasten des Klägers berücksichtigt.

51

(1) Die Pflichtverletzung des Klägers war schwerwiegend. Er hat gegen seine Hauptleistungspflicht verstoßen und es der Beklagten unmöglich gemacht, mit der von ihm geschuldeten Arbeitsleistung zu planen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob und ggf. welche Arbeiten aufgrund seiner Abwesenheit nicht erledigt wurden (vgl. dazu BAG 29. August 2013 - 2 AZR 273/12 - Rn. 43). Ebenso wenig ist es von Belang, dass er mit den Tätigkeiten als „Blueprint-Vorfilterer“ und „TRM-Koordinator“ lediglich für drei bis vier Wochenstunden ausgelastet war. Wollte man dies anders sehen, müssten geringfügig Beschäftigte selbst dann nicht mit einer Kündigung rechnen, wenn sie die Arbeitsleistung noch so beharrlich verweigern sollten.

52

(2) Den Kläger traf ein erhebliches Verschulden. Er war sich des mit seinem Vorgehen verbundenen Risikos nach eigenem Bekunden hinlänglich bewusst. Die Möglichkeit einer außerordentlichen fristlosen Kündigung hatte er ausdrücklich ins Kalkül gezogen.

53

cc) Das Landesarbeitsgericht durfte angesichts aller Umstände nicht annehmen, die Interessen des Klägers überwögen, weil der Beklagten eine mildere Reaktionsmöglichkeit zur Verfügung gestanden habe.

54

(1) Es hat gemeint, die Beklagte habe dem Kläger spätestens in dem Personalgespräch am 15. Oktober 2012 eine Verbesserung der von ihm als unerträglich empfundenen Arbeitssituation in Aussicht stellen und ihm so „den Weg zurück (…) ebnen“ müssen. Es könne „nicht von vornherein ausgeschlossen“ werden, „dass (er) ein solches Angebot wahrgenommen hätte“. Es sei ihm „gerade um eine angemessene Beschäftigung“ gegangen. Der Beklagten sei es deshalb zumutbar gewesen, dem Kläger zunächst „ein Entgegenkommen bei der Übernahme weiterer Aufgaben zu zeigen“.

55

(2) Die Annahme, darin habe ein milderes Mittel bestanden, das geeignet gewesen wäre, die Arbeitsverweigerung zu beenden, ist rechtsfehlerhaft. Sie steht im Widerspruch zu der Intention des Klägers, wie sie aus dessen vorangegangenen Bekundungen und - diese bestätigend - seinem Prozessvortrag deutlich geworden ist.

56

(a) Ausweislich seiner E-Mails vom 10., 20. und 28. September 2012 hielt der Kläger es für unzumutbar iSv. § 275 Abs. 3 BGB, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen. In Festschreibung dessen, was gemäß § 326 Abs. 2 BGB ohnehin gelte, „bevorzuge“ er eine bezahlte Freistellung bis zum Eintritt in die Regelaltersrente. Er war danach unter keinen Umständen (mehr) bereit, den bestehenden Arbeitsvertrag zu erfüllen. Die Beklagte musste mit Blick auf diese Äußerungen annehmen, dass sie ihn nicht dazu hätte bewegen können, seine ablehnende Haltung aufzugeben, indem sie ihm die Übernahme weiterer, den Vereinbarungen der Parteien entsprechender Aufgaben anböte. Eine „angemessene Beschäftigung“ wäre vielmehr in den Augen des Klägers - so musste es sich ihr darstellen - allenfalls eine solche gewesen, die eine Beförderung in den Bereich der „AT-Angestellten“ bzw. der „Führungskräfte“ bedeutet hätte. Und selbst das musste zweifelhaft erscheinen, nachdem er mit der E-Mail vom 28. September 2012 mitgeteilt hatte, die „innere Kündigung“ sei „perfekt“, für eine „neue Aufgabe oder Funktion habe (er) keine Kraft mehr“, die Beklagte habe „die Zusammenarbeit unmöglich gemacht“ und „ihre Glaubwürdigkeit und ihre Integrität restlos und unwiederbringlich kompromittiert“.

57

(b) Dass er schlechterdings nicht (mehr) bereit war, den bestehenden Arbeitsvertrag zu erfüllen, hat der Kläger durch seinen prozessualen Vortrag untermauert. So hat er im Schriftsatz vom 28. Mai 2013 ausgeführt, es sei „offensichtlich“, dass die „Vertrauensbasis nicht wiederhergestellt“ werden könne und die Prognose für eine erfolgreiche Zusammenarbeit „negativ“ sei. In seinem Schriftsatz vom 10. Juni 2013 hat er die einzigen Wege beschrieben, die er als gangbar ansehe, um den Konflikt der Parteien zu lösen: entweder eine bezahlte Freistellung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze oder die Zahlung einer Abfindung iHv. 1.502.550,00 Euro zzgl. einer Betriebsrente iHv. 600,00 Euro pro Monate. Als „worst case“ komme auch eine Fortführung des Arbeitsverhältnisses in Betracht, allerdings nur bei Gewährung einer Gehaltserhöhung, Zusage von Altersteilzeit und Androhung eines Ordnungsgelds für die Beklagte.

58

d) Gab es demnach kein milderes Mittel, um den Kläger dazu zu bewegen, künftig seinen Arbeitsvertrag zu erfüllen, überwog das Interesse der Beklagten daran, das Arbeitsverhältnis sofort zu beenden. Da der Kläger bei vollem Risikobewusstsein seine Hauptleistungspflicht nachhaltig verletzt und deren weitere Erfüllung abgelehnt hatte, ohne dass die Aussicht bestanden hätte, ihn „zur Umkehr“ bewegen zu können, hat er der Beklagten selbst die befristete Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar gemacht. Nicht anders läge es, wenn er sie - im Sinne des von ihm beschriebenen „worst-case“-Szenarios - dazu hätte „nötigen“ wollen, ihn zu befördern, ihm Altersteilzeit zu bewilligen und ihm eine Betriebsrente in der geforderten Höhe zu zahlen.

59

5. Die Beklagte hat die Erklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB gewahrt. Sie hat die Kündigung damit begründet, der Kläger weigere sich beharrlich, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen. Damit hat sie einen Dauertatbestand geltend gemacht, der sich fortlaufend neu verwirklichte (vgl. BAG 29. August 2013 - 2 AZR 273/12 - Rn. 45; 13. Mai 2004 - 2 AZR 36/04 - zu II 1 der Gründe).

60

II. Die Kündigung ist nicht deshalb nach § 134 BGB nichtig, weil sie gegen das Maßregelungsverbot des § 612a BGB verstieße. So läge es nur, wenn tragender Beweggrund, dh. wesentliches Motiv für sie eine zulässige Rechtsausübung gewesen wäre (vgl. BAG 20. Dezember 2012 - 2 AZR 867/11 - Rn. 45; 19. April 2012 - 2 AZR 233/11 - Rn. 47). Das wiederum setzte voraus, dass das geltend gemachte Recht tatsächlich existierte (ErfK/Preis 15. Aufl. § 612a BGB Rn. 5; KR/Treber 10. Aufl. § 612a BGB Rn. 6). Dem Kläger stand aber weder ein Leistungsverweigerungsrecht nach § 275 Abs. 3 BGB noch ein Zurückbehaltungsrecht nach § 273 Abs. 1 BGB zu. Er hat kein Recht in zulässiger Weise ausgeübt, sondern beharrlich die von ihm geschuldete Arbeitsleistung verweigert.

61

III. Die Kündigung ist nicht nach § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam. Der Betriebsrat ist ordnungsgemäß angehört worden. Hierüber besteht zwischen den Parteien kein Streit.

62

D. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1, § 97 Abs. 1 ZPO.

        

    Kreft    

        

    Rachor    

        

    Niemann    

        

        

        

    Krichel    

        

    Jan Eulen    

                 

Tenor

1. Auf die Revision des beklagten Landes wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Sachsen-Anhalt vom 19. Dezember 2014 - 4 Sa 10/14 - aufgehoben.

2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an eine andere Kammer des Landesarbeitsgerichts zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen und einer hilfsweise ordentlichen Kündigung.

2

Der 1954 geborene Kläger war bei dem beklagten Land seit Februar 1992 als Justizangestellter beschäftigt. Zuletzt war er am Oberlandesgericht N als „IT-Verantwortlicher“ tätig. Zu seinen Aufgaben gehörten die System- und Netzwerkbetreuung, die Verwaltung des sog. ADV-Depots, die Wartung, Pflege und Betreuung der Hard- und Software, die technische Unterstützung der Nutzer des Hauses, die Administration der elektronischen Berechtigungen und die Passwortvergabe. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien fand zuletzt der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) Anwendung.

3

Am 6. und am 19. März 2013 führte der Geschäftsleiter des Oberlandesgerichts mit dem Leiter der Wachtmeisterei - im Beisein der Vorsitzenden des örtlichen Personalrats - ein Personalgespräch. Dem Beamten wurde vorgehalten, unbefugt dienstliche Farbdrucker für die Erstellung sog. CD-Cover genutzt zu haben. In dem ersten Gespräch soll er laut eines „Besprechungsvermerks“ den Kläger als diejenige Person benannt haben, die für die Bestellung des Zubehörs für den EDV-Raum - einschließlich DVDs und CDs - verantwortlich gewesen sei.

4

Am 14. März 2013 unterzog der Geschäftsleiter den Arbeitsbereich des Klägers und den eines Justizhauptsekretärs, der sich mit dem Kläger das Dienstzimmer teilte, einer Geschäftsprüfung. In einem Vermerk des Geschäftsleiters vom 11. April 2013 („Prüfungsbericht“) heißt es, in der Zeit vom 1. Juli 2008 bis zum 31. Dezember 2012 seien für das Oberlandesgericht 2.325 DVDs und 1.500 CDs bestellt worden. Nach den eigenen Angaben des Klägers - so der Vermerk - seien zu dienstlichen Zwecken nur 150 bis 200 DVDs und etwa 50 CDs jährlich benötigt worden. Der Verbleib des restlichen Materials sei nicht aufzuklären. Auf einem mit dem Netzwerk des Oberlandesgerichts nicht verbundenen Computer sei lediglich der Kläger als „lokaler Admin“ und Nutzer festzustellen. Auf einer der Festplatten des Rechners seien nach Wiederherstellung vom Nutzer gelöschter Dateien 2.466 elektronische Bücher, 2.378 Bilddateien, 834 Audiodateien und 230 Videodateien gefunden worden. Ferner seien auf dem Rechner vier Programme installiert gewesen, die zum Umwandeln und Kopieren von DVDs und CDs geeignet seien. In der Zeit vom 6. Oktober 2010 bis zum 14. März 2013 sei eines von ihnen 1.128 Mal zur Bearbeitung von DVDs genutzt worden. Auf zwei weiteren externen Festplatten seien zusätzlich 41.242 Audiodateien, 1.822 Cover und 41 DVD-Kopien gefunden worden. Eine dritte externe Festplatte habe einen Ordner „Private Rechner“ enthalten. In den Schränken des Dienstzimmers hätten sich verschiedene leere und gefüllte „CD-Spindeln“ unterschiedlicher Größe, gebrannte Musik-CDs und leere DVDs befunden.

5

Mit Schreiben vom 16. April 2013 hörte das beklagte Land den örtlichen Personalrat zu einer beabsichtigten außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Parteien an.

6

Am 17. April 2013 fand zwischen dem Geschäftsleiter, einer Richterin am Oberlandesgericht und dem Kläger ein Personalgespräch statt. Dabei soll der Kläger - laut Vermerk - „sinngemäß“ erklärt haben, „alles, was auf dem Rechner bezüglich der DVDs“ sei, habe er „gemacht“. Er habe den Rechner mit nach Hause nehmen dürfen. „Natürlich [hätten sie] auch kopiert“. „Was das für DVDs und CDs“ gewesen seien, wisse er nicht mehr. Er habe „den Leuten einen Gefallen getan“. Er habe „manchmal“ festgestellt, dass sein Rechner von anderen Personen benutzt worden sei. Dies habe er nicht mitgeteilt, da es sich „nur“ um den „Test-Rechner“ gehandelt habe. Seit etwa Dezember 2012 habe er ein Passwort vergeben. Dieses sei aber für jeden, der seine Familie kenne, zu „knacken“ gewesen. Er habe „hundertprozentig“ keine „privaten Sachen“ für sich selbst „im Dienst gemacht“, sondern nur „für andere Leute aus dem OLG“.

7

Mit Schreiben vom 18. April 2013 informierte das beklagte Land den örtlichen Personalrat über den Inhalt des Gesprächs vom Vortag und über die Verwendungsmöglichkeiten des zur Bearbeitung von DVDs benutzten Umwandlungs- und Kopierprogramms. Zugleich teilte es mit, der Kläger habe sich nicht weiter geäußert. Mit Schreiben vom selben Tag erklärte der Personalrat, er habe die Angelegenheit „zur Kenntnis genommen“.

8

Mit Schreiben vom 18. April 2013, das dem Kläger am 22. April 2013 durch den Geschäftsleiter übergeben wurde, kündigte das beklagte Land das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos. In einem Vermerk heißt es, der Kläger habe bei Aushändigung der Kündigung erklärt, er nehme seine „zuvor getätigten Aussagen“ zurück. Er habe Kollegen und Vorgesetzte schützen wollen.

9

Am 22. April 2013 führte der Geschäftsleiter mit dem Bediensteten, auf dessen Arbeitsplatz sich die Geschäftsprüfung erstreckt hatte, im Beisein der Personalratsvorsitzenden ein Personalgespräch. Laut Vermerk soll der Mitarbeiter eingeräumt haben, CDs und DVDs für Musik und Filme jeweils „im mittleren dreistelligen Bereich … gebrannt“ zu haben. Die Vorlagen habe er in regelmäßigen Abständen vom Leiter der Wachtmeisterei und dem Kläger erhalten. Er habe das Kopierprogramm „für DVDs privat genutzt“. Die bei der zentralen Beschaffungsstelle des beklagten Landes bestellten DVDs und CDs seien in einem verschlossenen Schrank aufbewahrt worden. Der Schlüssel sei vom Kläger verwahrt und „immer mitgenommen“ worden.

10

Nach erneuter Anhörung des örtlichen Personalrats und mit dessen Zustimmung kündigte das beklagte Land das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Schreiben vom 13. Mai 2013, das dem Kläger zwei Tage später zuging, ordentlich zum 31. Dezember 2013.

11

Der Kläger hat sich mit der vorliegenden Klage rechtzeitig gegen beide Kündigungen gewandt. Er hat geltend gemacht, die fristlose Kündigung sei mangels wichtigen Grundes unwirksam, die ordentliche Kündigung sei sozial ungerechtfertigt. Das Kopierprogramm und andere auf dem „Test-Rechner“ installierte Software habe er nicht in dem zutage getretenen Umfang genutzt. Zwar habe er sich ihrer gelegentlich bedient. Dies stelle aber keine schwerwiegende Pflichtverletzung dar, zumal ihm die Nutzung dienstlicher Computer, auch von Zuhause aus, zu privaten Zwecken in geringem Umfang durchaus erlaubt gewesen sei. Im Dienst durchgeführte Kopiervorgänge hätten jeweils nur wenige Sekunden in Anspruch genommen. Sie hätten seine Arbeitszeit insgesamt nicht verkürzt. Jedenfalls habe er keine „illegalen Kopien“ gefertigt. Keiner der beanstandeten Brennvorgänge sei ihm persönlich zuzuordnen. Wer den „Test-Rechner“ wann genutzt habe, stehe nicht fest. Auch andere Bedienstete hätten sich Zugang zu ihm verschaffen können. Das Passwort sei allgemein bekannt gewesen. Eine erhebliche Zahl der beanstandeten Nutzungen falle in eine Zeit, in der er selbst krankheits- oder urlaubsbedingt abwesend gewesen sei. Das beklagte Land gehe selbst davon aus, dass ein Kollege Brennvorgänge in nicht geringem Umfang durchgeführt habe. Ohnehin befänden sich auf dem „Server“ des Gerichts tausende von privaten Dateien, ohne dass dies je zu Beanstandungen geführt habe. Den hohen Verbrauch von Büromaterialien habe er nicht zu vertreten. Im Übrigen sei die Frist des § 626 Abs. 2 BGB nicht gewahrt. Auch sei der Personalrat nicht ordnungsgemäß unterrichtet worden. Jedenfalls zu einem gegen ihn gerichteten Verdacht als Kündigungsgrund sei dieser nicht angehört worden.

12

Der Kläger hat beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die außerordentliche Kündigung des beklagten Landes vom 18. April 2013 noch durch dessen ordentliche Kündigung vom 13. Mai 2013 beendet worden ist;

        

2.    

das beklagte Land zu verurteilen, ihn zu unveränderten Bedingungen als Angestellten im Oberlandesgericht N im Rahmen der zuletzt ausgeübten - von ihm näher beschriebenen - Tätigkeit weiterzubeschäftigen.

13

Das beklagte Land hat beantragt, die Klage abzuweisen. Es hat die Kündigungen - auch wegen eines gegen den Kläger gerichteten Verdachts - als wirksam verteidigt. Der Kläger habe den ihm dienstlich anvertrauten Rechner während der Arbeitszeit umfangreich und unerlaubt zu privaten Zwecken - dem Kopieren und Brennen von DVDs und CDs mithilfe spezifischer, nicht zu dienstlichen Zwecken bestimmter Programme - genutzt. In 630 Fällen seien entsprechende Vorgänge zu Zeiten erfolgt, in denen er im Dienst gewesen sei. Die fraglichen Programme habe er zumindest während dieser Zeiten selbst genutzt. Dadurch habe er seine Vertragspflichten über einen langen Zeitraum in grober Weise verletzt. Durch das Herstellen illegaler Kopien habe er sich überdies strafbar gemacht. Zudem habe er „Arbeitszeitbetrug“ begangen. Auch habe er über 2.000 DVDs und über 1.000 CDs auf seine - des beklagten Landes - Kosten bestellt und privat verwendet. Mit seinem Verhalten habe er das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses notwendige Vertrauen unwiederbringlich zerstört. Die Frist zur Erklärung der Kündigung sei gewahrt. Der zur Kündigung berechtigte Präsident des Oberlandesgerichts habe vom Kündigungssachverhalt erst durch den Prüfbericht des Geschäftsleiters vom 11. April 2013 Kenntnis erlangt. Die Beteiligung des Personalrats sei in jeder Hinsicht ordnungsgemäß erfolgt.

14

Das Arbeitsgericht hat der Klage - hinsichtlich des Weiterbeschäftigungsantrags mit Einschränkungen - stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des beklagten Landes zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt das beklagte Land sein Begehren weiter, die Klage abzuweisen.

Entscheidungsgründe

15

Die zulässige Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil war aufzuheben. Die Sache war zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 ZPO).

16

A. Die Revision ist zulässig. Sie ist ordnungsgemäß innerhalb der Frist des § 74 Abs. 1 ArbGG begründet worden.

17

I. Nach § 72 Abs. 5 ArbGG iVm. § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 ZPO gehört zum notwendigen Inhalt der Revisionsbegründung die Angabe der Revisionsgründe. Bei einer Sachrüge muss die Revisionsbegründung den Rechtsfehler des Landesarbeitsgerichts so aufzeigen, dass Gegenstand und Richtung des Revisionsangriffs erkennbar sind. Dazu muss die Revisionsbegründung eine Auseinandersetzung mit den Gründen des angefochtenen Urteils enthalten. Dies erfordert die genaue Darlegung der Gründe, aus denen das angefochtene Urteil rechtsfehlerhaft sein soll (BAG 2. Mai 2014 - 2 AZR 490/13 - Rn. 15; 13. November 2013 - 10 AZR 639/13 - Rn. 11).

18

II. Diesen Anforderungen wird die Revisionsbegründung gerecht. Das beklagte Land setzt sich im Schriftsatz vom 7. April 2015 mit allen die angefochtene Entscheidung selbständig tragenden Begründungen des Landesarbeitsgerichts auseinander. Es zeigt auf, warum die Erwägungen sachlich unzutreffend sein sollen. Die Ausführungen zum wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB greift es mit der Begründung an, das Landesarbeitsgericht habe, soweit es die Kündigung unter dem Gesichtspunkt einer Tatkündigung für unwirksam erachtet habe, die den Kläger treffende, abgestufte Darlegungslast verkannt. Die Annahme des Gerichts, die Frist des § 626 Abs. 2 BGB sei nicht gewahrt, beruhe auf unzutreffenden Erwägungen zum Fristbeginn. Insbesondere habe das Landesarbeitsgericht nicht - wie geboten - auf die Person des Kündigungsberechtigten und dessen Kenntnis abgestellt. Soweit es auf die Möglichkeit verwiesen habe, strafrechtliche Ermittlungen zu veranlassen und deren Ergebnis abzuwarten, sei dies sachfremd. Soweit es gemeint habe, die Anhörung des Personalrats sei aufgrund von Äußerungen eines anderen Bediensteten vom 22. April 2013 nicht ordnungsgemäß, habe es den Grundsatz der subjektiven Determinierung verkannt. Diese Sachrügen wären im Falle ihrer Begründetheit geeignet, die angefochtene Entscheidung insgesamt, auch mit Blick auf die vorsorglich erklärte ordentliche Kündigung, zu Fall zubringen. Das reicht als Revisionsangriff aus, ohne dass es auf die Verfahrensrügen des beklagten Landes ankäme.

19

B. Die Revision ist begründet. Auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen durfte das Landesarbeitsgericht der Klage nicht stattgeben. Der Senat kann mangels zureichender Tatsachenfeststellungen nicht beurteilen, ob das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die außerordentliche fristlose Kündigung vom 18. April 2013 aufgelöst worden ist.

20

I. Die bisherigen Feststellungen tragen nicht das Ergebnis, ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB liege nicht vor.

21

1. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dabei ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“ und damit typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (BAG 8. Mai 2014 - 2 AZR 249/13 - Rn. 16; 29. August 2013 - 2 AZR 273/12 - Rn. 19 mwN).

22

2. Die Prüfung der Voraussetzungen des wichtigen Grundes ist in erster Linie Sache der Tatsacheninstanzen. Dennoch geht es um Rechtsanwendung, nicht um bloße Tatsachenfeststellung. Die Würdigung des Berufungsgerichts wird in der Revisionsinstanz darauf hin überprüft, ob es anzuwendende Rechtsbegriffe in ihrer allgemeinen Bedeutung verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnormen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob es alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände widerspruchsfrei berücksichtigt hat (BAG 26. September 2013 - 2 AZR 682/12 - Rn. 45, BAGE 146, 161; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 17, BAGE 134, 349).

23

3. Dieser Überprüfung hält die angefochtene Entscheidung nicht stand.

24

a) Revisionsrechtlich nicht zu beanstanden ist die Annahme des Landesarbeitsgerichts, die fristlose Kündigung sei nicht als sog. Verdachtskündigung gerechtfertigt (zu dieser und ihren Voraussetzungen vgl. BAG 23. Mai 2013 - 2 AZR 102/12 - Rn. 20; 24. Mai 2012 - 2 AZR 206/11 - Rn. 16 mwN). Dagegen wendet sich das beklagte Land nicht. Ein Rechtsfehler ist auch objektiv - im Ergebnis - nicht zu erkennen.

25

aa) Will der Arbeitgeber seine Kündigung auf den dringenden Verdacht einer erheblichen arbeitsvertraglichen Pflichtverletzung stützen, muss er dies dem Betriebs- oder Personalrat mitteilen und die Umstände angeben, aus denen sich dieser Verdacht ergeben soll. Informiert er das Gremium lediglich über eine - aus seiner Sicht tatsächlich erfolgte - Vertragspflichtverletzung des Arbeitnehmers, kann er sich im späteren Kündigungsschutzprozess zur Begründung der Kündigung nicht mehr auf den bloßen Verdacht einer entsprechenden Handlung stützen, wenn ihm die Verdachtsmomente bei Ausspruch der Kündigung bereits bekannt waren (für die Anhörung des Betriebsrats vgl. BAG 18. Juni 2015 - 2 AZR 256/14 - Rn. 47; 23. April 2008 - 2 ABR 71/07 - Rn. 24 mwN; für die Beteiligung des Personalrats nach § 79 Abs. 1 Satz 1 BPersVG vgl. BAG 10. April 2014 - 2 AZR 684/13 - Rn. 21). Nur wenn dem Arbeitgeber nachträglich neue Verdachtstatsachen bekannt geworden sind, ist ein Nachschieben des Verdachts als Kündigungsgrund - zumindest dann, wenn die maßgebenden Verdachtsmomente objektiv schon vor Zugang der Kündigung vorlagen - möglich. Weitere Voraussetzung ist, dass der Arbeitgeber den Betriebs- bzw. Personalrat zuvor in analoger Anwendung der maßgebenden Bestimmungen zu seiner entsprechenden Absicht angehört hat (vgl. BAG 23. Mai 2013 - 2 AZR 102/12 - Rn. 32; 11. April 1985 - 2 AZR 239/84 - zu B I 2 b ee der Gründe, BAGE 49, 39).

26

bb) Das Vorbringen des beklagten Landes lässt nicht den Schluss zu, es habe den Personalrat vor Zugang der Kündigung über seine Absicht unterrichtet, das Arbeitsverhältnis (auch) wegen des Verdachts einer pflichtwidrigen Handlung zu kündigen. Die Anschreiben an den Personalrat vom 16. und 18. April 2013 enthalten keine entsprechende Mitteilung. Das beklagte Land hat nicht geltend gemacht, dass ihm einzelne der in den Rechtsstreit eingeführten Verdachtstatsachen erst nach Zugang der Kündigung bekannt geworden seien. Dafür spricht auch objektiv nichts.

27

b) Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, die Kündigung sei auch unter dem Gesichtspunkt einer verwirklichten Pflichtverletzung - dh. einer „Tat“ - nicht berechtigt, ist rechtsfehlerhaft. Ihr ist schon nicht zu entnehmen, welchen tatsächlichen Sachverhalt das Landesarbeitsgericht seiner Beurteilung zugrunde gelegt hat.

28

aa) Im Tatbestand der angefochtenen Entscheidung hat sich das Landesarbeitsgericht in weiten Teilen auf die Wiedergabe von Vermerken des beklagten Landes beschränkt. Ob es die darin festgehaltenen Umstände einschließlich der Äußerungen des Klägers für wahr erachtet hat, ist nicht zweifelsfrei erkennbar.

29

bb) In den Entscheidungsgründen hat das Landesarbeitsgericht unter Wiederholung der Erwägungen des Arbeitsgerichts ausgeführt, trotz Vorliegens „gewisser Verdachtsmomente“ sei es letztlich eine unbewiesene Behauptung des beklagten Landes, es seien (alle) vorgefundenen Privatdateien dem Kläger zuzurechnen, dieser (allein) habe die Privatnutzungen und damit auch mögliche (nach § 106 UrhG strafbare) Vervielfältigungen und Brennvorgänge vorgenommen bzw. durchgeführt. Keiner der dokumentierten Vorgänge lasse sich einzelnen Personen - etwa dem Kläger - zuordnen. Es sei auch „nicht bewiesen“, dass es gerade dieser gewesen sei, der die Kopierprogramme installiert habe. „Allein die Tatsache“, dass zahlreiche dokumentierte „Vorgänge“ Zeiten beträfen, während derer sich der Kläger nicht am Arbeitsplatz aufgehalten habe, beweise, dass andere Personen sowohl Zugriff auf den Rechner gehabt hätten als auch in der Lage gewesen seien, die Kopierprogramme zu nutzen. Auch diesen Ausführungen ist nicht zu entnehmen, von welchem konkreten, seiner Meinung nach feststehenden Sachverhalt das Landesarbeitsgericht ausgegangen ist. Es ist insbesondere nicht ersichtlich, worin es die - für nicht ausreichend erachteten - „Verdachtsmomente“ erblickt hat.

30

c) Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts kann selbst dann keinen Bestand haben, wenn unterstellt wird, es habe den Inhalt der Vermerke und das sonstige Vorbringen des beklagten Landes als wahr unterstellt. Unter dieser Prämisse verletzt seine Würdigung die Vorschrift des § 626 Abs. 1 BGB. Es fehlt an einer nachprüfbaren Unterordnung des behaupteten Kündigungssachverhalts unter die Norm.

31

aa) Die Beurteilung des Landesarbeitsgerichts, die Kündigung sei auch als sog. Tatkündigung nicht berechtigt, ist schon im Ansatz nicht nachzuvollziehen. Sie lässt nicht erkennen, wie es den von der Beklagten unterbreiteten Kündigungssachverhalt materiell-rechtlich eingeordnet, dh. welche konkreten, möglicherweise als wichtiger Grund geeigneten Pflichtverletzungen es in Betracht gezogen hat. Zudem ist nicht erkennbar, dass es seine Würdigung in tatsächlicher Hinsicht auf alle in Frage kommenden Kündigungsgründe ausgerichtet hätte.

32

(1) Nach dem Vorbringen des beklagten Landes kommt eine Berechtigung der fristlosen Kündigung unter mehreren Gesichtspunkten in Betracht. Vorrangig erhebt das Land den Vorwurf, der Kläger habe - sei es als Allein-, sei es als Mittäter - wiederholt unter Nutzung dienstlicher Ressourcen urheberrechtswidrig Musik- und Audiodateien vervielfältigt. Ein solches Verhalten ist als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB „an sich“ geeignet. Ein Arbeitgeber hat, zumal wenn es sich bei ihm um eine Justizbehörde handelt, ein offenkundiges Interesse daran, dass nicht dienstliche Rechner dazu benutzt werden, unter Umgehung eines Kopierschutzes Vervielfältigungen privat beschaffter Musik- oder Film-CDs/DVDs herzustellen. Das gilt losgelöst von einer möglichen Strafbarkeit der Vorgänge (zur Problematik vgl. Treppehl/Schmidl NZA 2009, 985 ff.) und unabhängig davon, ob die Handlungen während der Arbeitszeit vorgenommen wurden. Eine Strafbarkeit der Kopier- und Brennvorgänge oder ein damit einhergehender „Arbeitszeitbetrug“ wäre allerdings geeignet, das Gewicht des Kündigungsgrundes noch zu verstärken. Dies wiederum kann für das Erfordernis einer Abmahnung und die weitere Interessenabwägung Bedeutung gewinnen. Darüber hinaus kann die dem Kläger angelastete zweckwidrige Verwendung von CD- und/oder DVD-Rohlingen, die auf Kosten des beklagten Landes bestellt wurden, als eigenständiger Kündigungsgrund Bedeutung erlangen.

33

(2) Die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts lassen nicht erkennen, dass es die Wirksamkeit der fristlosen Kündigung unter jedem dieser Gesichtspunkte überprüft und seine Würdigung - soweit es „Verdachtsmomente“ gewichtet hat - hierauf ausgerichtet hätte.

34

bb) Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, das beklagte Land habe weder eine strafbare Urheberrechtsverletzung noch eine ähnlich schwerwiegende Vertragspflichtverletzung nachgewiesen, ist auch aus anderen Gründen rechtsfehlerhaft.

35

(1) Gemäß § 286 Abs. 1 ZPO haben die Tatsacheninstanzen unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlung und des Ergebnisses einer ggf. durchgeführten Beweisaufnahme nach ihrer freien Überzeugung darüber zu befinden, ob sie eine tatsächliche Behauptung für wahr erachten oder nicht. Die Beweiswürdigung muss vollständig, widerspruchsfrei und umfassend sein. Mögliche Zweifel müssen überwunden, brauchen aber nicht völlig ausgeschlossen zu werden (vgl. BAG 23. Oktober 2014 - 2 AZR 865/13 - Rn. 44; 31. Mai 2007 - 2 AZR 276/06 - Rn. 42, BAGE 123, 1). Soll ein Vortrag mittels Indizien bewiesen werden, hat das Gericht zu prüfen, ob es die vorgetragenen Hilfstatsachen - deren Richtigkeit unterstellt - von der Wahrheit der Haupttatsache überzeugen. Das Gericht hat die insoweit maßgebenden Umstände vollständig und verfahrensrechtlich einwandfrei zu ermitteln und alle Beweisanzeichen erschöpfend zu würdigen (BGH 16. Januar 1990 - VI ZR 109/89 - zu II 2 der Gründe; 4. Juli 1989 - VI ZR 309/88 - zu II 2 der Gründe). Dabei sind die Tatsacheninstanzen grundsätzlich frei darin, welche Beweiskraft sie den behaupteten Indiztatsachen im Einzelnen und in einer Gesamtschau beimessen (BAG 18. Juni 2015 - 2 AZR 480/14 - Rn. 35; allgemein zum Indizienbeweis BAG 23. Oktober 2014 - 2 AZR 865/13 - Rn. 43). Revisionsrechtlich ist ihre Würdigung allein darauf hin zu überprüfen, ob alle Umstände vollständig berücksichtigt und nicht Denk- und Erfahrungsgrundsätze verletzt wurden. Um diese Überprüfung zu ermöglichen, haben die Tatsachengerichte nach § 286 Abs. 1 Satz 2 ZPO die wesentlichen Grundlagen ihrer Überzeugungsbildung nachvollziehbar darzulegen(BAG 19. April 2005 - 9 AZR 184/04 - zu II 3 der Gründe; BGH 31. Juli 2013 - VII ZR 11/12 - Rn. 10; 22. November 2006 - IV ZR 21/05 - Rn. 11; 22. Januar 1991 - VI ZR 97/90 - zu II 1 der Gründe).

36

(2) Danach rügt das beklagte Land zu Recht eine Verletzung von § 286 ZPO. Der Würdigung des Landesarbeitsgerichts ist nicht zu entnehmen, welche möglichen Indiztatsachen („Verdachtsmomente“) es in seine Beurteilung einbezogen und welchen Beweiswert es ihnen beigemessen hat. Damit ist nicht erkennbar, ob es den Vortrag des beklagten Landes vollständig zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat.

37

(3) Der Annahme eines wichtigen Grundes steht nicht entgegen, dass das beklagte Land den Sachverhalt - jedenfalls bis zum Zeitpunkt der Kündigungserklärung - selbst ermittelt hat. Das mindert weder den Beweiswert der in Rede stehenden Indizien, noch ist die Kündigung deshalb unwirksam, weil polizeiliche oder staatsanwaltschaftliche Ermittlungen möglicherweise zu weitergehenden Ergebnissen geführt hätten. Soweit das Landesarbeitsgericht gemeint hat, das beklagte Land habe zu bestimmten, potentiell entlastenden Umständen nicht ausreichend vorgetragen, wird seine Rechtsanwendung überdies der den Kläger insoweit treffenden abgestuften Darlegungslast (§ 138 Abs. 2 ZPO) nicht gerecht.

38

(a) Die Rechtfertigung einer „Tatkündigung“ hängt allein davon ab, ob im Kündigungszeitpunkt objektiv Tatsachen vorlagen, die zu der Annahme berechtigen, dem Kündigenden sei die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses - im Fall der außerordentlichen Kündigung bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - unzumutbar gewesen. Vor diesem Hintergrund mag eine umfassende, der Kündigung vorausgehende Sachverhaltsaufklärung im eigenen Interesse des Arbeitgebers liegen. Unterlässt er sie, geht er aber „nur“ das Risiko ein, die behauptete Pflichtverletzung im Prozess nicht beweisen zu können. Anders als bei der Verdachtskündigung ist der Arbeitgeber vor Ausspruch einer „Tatkündigung“ nicht verpflichtet, alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts - auch mit Blick auf den Arbeitnehmer möglicherweise entlastende Umstände - zu unternehmen. Ob der behauptete Kündigungsgrund vorliegt, beurteilt sich allein danach, ob die ihn tragenden und im Prozess mitgeteilten Tatsachen bewiesen sind oder nicht (vgl. BAG 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 57, BAGE 131, 155; 18. September 1997 - 2 AZR 36/97 - zu II 2 a der Gründe; zur Verdachtskündigung siehe demgegenüber BAG 25. Oktober 2012 - 2 AZR 700/11 - Rn. 13 mwN, BAGE 143, 244). Im Übrigen braucht der Arbeitgeber selbst bei der Verdachtskündigung nicht jeder noch so entfernten Möglichkeit einer Entlastung des Arbeitnehmers nachzugehen, insbesondere dann nicht, wenn sich der Arbeitnehmer im Rahmen seiner Anhörung auf entsprechende Umstände nicht berufen hat.

39

(b) Auf der Grundlage des bisherigen Parteivorbringens durfte das Landesarbeitsgericht nicht davon ausgehen, das beklagte Land sei seiner prozessualen Darlegungslast mit Blick auf mögliche Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründe nicht hinreichend nachgekommen.

40

(aa) Im Kündigungsschutzprozess obliegt dem Arbeitgeber die volle Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen eines Kündigungsgrundes (BAG 8. Mai 2014 - 2 AZR 75/13 - Rn. 30, BAGE 148, 129). Für Umstände, die das Verhalten des Arbeitnehmers rechtfertigen oder entschuldigen könnten, ist seine Darlegungslast allerdings abgestuft. Der Arbeitgeber darf sich zunächst darauf beschränken, den objektiven Tatbestand einer Arbeitspflichtverletzung vorzutragen. Er muss nicht jeden erdenklichen Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgrund vorbeugend ausschließen (BAG 3. November 2011 - 2 AZR 748/10 - Rn. 23; 21. Mai 1992 - 2 AZR 10/92 - zu II 2 b bb der Gründe, BAGE 70, 262). Es ist vielmehr Sache des Arbeitnehmers, für das Eingreifen solcher Gründe - soweit sie sich nicht unmittelbar aufdrängen - zumindest greifbare Anhaltspunkte zu benennen.

41

(bb) Schon auf der Tatbestandsebene des wichtigen Grundes kann den Arbeitnehmer darüber hinaus eine sekundäre Darlegungslast treffen. Dies kommt insbesondere dann in Betracht, wenn der Arbeitgeber als primär darlegungsbelastete Partei außerhalb des fraglichen Geschehensablaufs steht, während der Arbeitnehmer aufgrund seiner Sachnähe die wesentlichen Tatsachen kennt. In einer solchen Situation kann der Arbeitnehmer gehalten sein, dem Arbeitgeber durch nähere Angaben weiteren Sachvortrag zu ermöglichen (BAG 21. Juni 2012 - 2 AZR 694/11 - Rn. 52, BAGE 142, 188; 18. September 2008 - 2 AZR 1039/06 - Rn. 31). Kommt er in einer solchen Prozesslage seiner sekundären Darlegungslast nicht nach, gilt das tatsächliche Vorbringen des Arbeitgebers - soweit es nicht völlig „aus der Luft gegriffen“ ist - iSv. § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden(vgl. BAG 18. September 2008 - 2 AZR 1039/06 - aaO). Dabei dürfen an die sekundäre Behauptungslast des Arbeitnehmers keine überzogenen Anforderungen gestellt werden. Sie dient lediglich dazu, es dem kündigenden Arbeitgeber als primär darlegungs- und beweispflichtiger Partei zu ermöglichen, weitere Nachforschungen anzustellen und sodann substantiiert zum Kündigungsgrund vorzutragen und ggf. Beweis anzutreten (zu den Einzelheiten vgl. BAG 18. September 2008 - 2 AZR 1039/06 - Rn. 33).

42

(cc) Danach musste das beklagte Land nicht von sich aus denkbare Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe auf Seiten des Klägers ausschließen. Die gegenteilige Sichtweise des Landesarbeitsgerichts überspannt die Anforderungen an die Darlegungslast des Arbeitgebers und geht von einer Ermittlungspflicht aus, die zumindest bei einer „Tatkündigung“ nicht besteht.

43

(dd) Das Landesarbeitsgericht hat zwar einzelne Gesichtspunkte angesprochen, die einer weiteren Aufklärung zugänglich gewesen sein sollen. Es hat aber nicht aufgezeigt, warum sie einer möglichen Entlastung des Klägers hätten dienen können. Das ist auch nicht unmittelbar ersichtlich.

44

(aaa) Das Landesarbeitsgericht hat auf Äußerungen anderer Bediensteter verwiesen, die ausweislich vorliegender Besprechungsvermerke eingeräumt hätten, „an den hier streitgegenständlichen Geschehnissen im OLG“ beteiligt gewesen zu sein. Der im gleichen Dienstzimmer wie der Kläger tätige Justizhauptsekretär habe „sozusagen“ in Teilen ein „Geständnis“ abgelegt. Weshalb diese Erklärungen den Vorwurf sollten entkräften können, der Kläger habe während seiner Anwesenheitszeiten im Gericht in erheblichem Umfang Kopier- und Brennvorgänge eigenhändig vorgenommen, erschließt sich nicht. Das gilt erst recht unter Berücksichtigung des Vorhalts des beklagten Landes, der Kläger habe mit anderen Bediensteten arbeitsteilig zusammengewirkt oder sie bei ihrem pflichtwidrigen Verhalten maßgeblich unterstützt. Ebenso wenig erschließt sich die Relevanz der Äußerungen mit Blick auf den Vorwurf, der Kläger habe in erheblichem Umfang Verbrauchsmaterialien auf Kosten des beklagten Landes bestellt, ohne dass dafür ein dienstlicher Anlass bestanden hätte und ihr Verbleib geklärt wäre.

45

(bbb) Der Kläger hat - soweit ersichtlich - nicht behauptet, der Inhalt eines bei der Geschäftsprüfung im Schrank eines anderen Bediensteten vorgefundenen, verschlossenen Kartons habe zu seiner Entlastung beitragen können. Es ist deshalb nicht ersichtlich, inwieweit das Unterbleiben einer Aufklärung dem beklagten Land zum Nachteil gereichen könnte. Die Erwägungen des Landesarbeitsgerichts bewegen sich im Bereich der Spekulation.

46

(ccc) Soweit das Landesarbeitsgericht „Erläuterungen“ zu den Aufgaben des Klägers, insbesondere hinsichtlich einer „technischen Unterstützung der Nutzer des Hauses“ und zur Verteilung der Aufgaben und Verantwortlichkeiten auf insgesamt vier Administratoren vermisst hat, bleiben seine Ausführungen im Vagen haften. Es hat nicht festgestellt, dass beim Kläger aufgrund der ihm eingeräumten Befugnisse der Eindruck habe entstehen können, er dürfe im Dienst auf dienstlichen Rechnern unter Umgehung von Kopierschutz Vervielfältigungen privat beschaffter CDs und DVDs vornehmen und Verbrauchsmaterialien in erheblichem Umfang zu ausschließlich privaten Zwecken bestellen und verwenden oder sie Dritten zur privaten Nutzung überlassen. Eine solche Annahme liegt auch fern. Das Gleiche gilt für die Behauptung des Klägers, ein zwischenzeitlich außer Dienst getretener Referatsleiter habe ihm erlaubt, sich während der Arbeitszeit um die „Privatrechner“ der Bediensteten und ihrer Angehörigen „zu kümmern“. Daraus durfte der Kläger jedenfalls nicht schließen, er habe urheberrechtsverletzende Kopier- und Brennvorgänge auf dienstlichen Computern vornehmen und dienstliche Materialien privat verwenden dürfen. Auf die Verfahrensrüge, mit der sich das beklagte Land gegen die Feststellungen des Landesarbeitsgerichts zum Inhalt der fraglichen Erlaubnis wendet, kommt es hierfür nicht an.

47

(ddd) Unklar bleibt, welche den Kläger entlastenden Schlussfolgerungen daraus zu ziehen sein sollen, dass die in Rede stehende Nutzung des „Test-Rechners“ lange Zeit unbemerkt blieb. Die entsprechende Erwägung des Landesarbeitsgerichts berücksichtigt zudem nicht, dass das beanstandete Verhalten des Klägers auf Heimlichkeit angelegt und der fragliche Computer an das Netzwerk des Oberlandesgerichts nicht angeschlossen war.

48

(eee) Das beklagte Land hat unter Beweisantritt vorgebracht, der Kläger sei für die Verwaltung des „ADV-Depots“ zuständig und für die Bestellung der „EDV-Verbrauchsmittel“ verantwortlich gewesen. Es hat die Anzahl der von ihm ermittelten Bestellungen für die Zeit von Juli 2008 bis Dezember 2012 genannt und dem die Behauptung des Klägers gegenüber gestellt, bei ihm seien „seit Einführung von Juris“ - wohl im Jahr 2006 - „kaum“ DVDs und CDs „von Bediensteten“ abgefordert worden. Außerdem hat es auf den Geschäftsprüfungsbericht und dessen Anlage 3 verwiesen und behauptet, daraus gehe hervor, dass im fraglichen Zeitraum für das Oberlandesgericht mehr als die doppelte Zahl von CD- und DVD-Rohlingen bestellt worden sei als für die in M ansässige „ADV-Stelle Justiz“. Zudem hat es behauptet, der Kläger habe die Verbrauchsmaterialien unter Verschluss gehalten, soweit er sie nicht an Dritte herausgegeben habe, und habe erklärt, zum Verbleib der Materialien keine Angaben machen zu können. Das Landesarbeitsgericht hat sich mit diesem Vorbringen nicht auseinandergesetzt. Es hat sich darauf beschränkt, pauschal auf die Möglichkeit weiterer Ermittlungen zu „Bestellvorgänge[n], Zeichnung und Gegenzeichnung unter Beteiligung welcher Bediensteter des OLG, ggf. nebst Kostenvergleichen anderer vergleichbarer Behörden“ zu verweisen. Dem Hinweis ist nicht zu entnehmen, dass - und ggf. warum - es den Vortrag des beklagten Landes selbst unter der Prämisse für erläuterungsbedürftig erachtet hat, er sei wahr.

49

(fff) Es kommt hinzu, dass der Kläger laut Gesprächsvermerk vom 17. April 2013 eingeräumt haben soll, er habe - wie andere Bedienstete auch - „natürlich auch kopiert“. Im Prozess hat er vorgetragen, „die Programme … gelegentlich“ privat genutzt zu haben, nur nicht in dem vom beklagten Land behaupteten Umfang und nicht in „illegaler“ Weise. Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts berücksichtigt nicht, dass der Kläger damit der ihn treffenden sekundären Behauptungslast nicht nachgekommen ist. Die Kopiervorgänge bewegten sich nach der Behauptung des beklagten Landes außerhalb des Wahrnehmungsbereichs seiner Repräsentanten. Das Gegenteil hat das Landesarbeitsgericht nicht festgestellt; der Sachvortrag des Klägers gibt insoweit nichts her. Er hätte deshalb konkretisieren müssen, was er unter „gelegentlichen“ Kopiervorgängen versteht. Außerdem hätte er - unter Ausschöpfung seines Erinnerungsvermögens - beschreiben müssen, um Kopien welcher Musik-/Film-CDs/DVDs es sich gehandelt habe, welche Programme er dafür eingesetzt und welche „Rohlinge“ er genutzt habe. Ebenso wenig durfte das Landesarbeitsgericht annehmen, dem Kläger seien die auf dem „Test-Rechner“ erfolgten Brenn- und Kopiervorgänge nicht zweifelsfrei zuzurechnen, ohne sich mit der Frage befasst zu haben, welche Rückschlüsse aus der Erklärung des Klägers vom 17. April 2013, „alles, was auf dem Rechner bezüglich der DVDs [sei], habe [er] gemacht“, und dem Umstand zu ziehen sind, dass er von dieser Äußerung später wieder Abstand genommen hat. Soweit das Landesarbeitsgericht gemeint hat, die behauptete Aussage eines anderen Bediensteten vom 22. April 2013, „CDs und DVDs im mittleren dreistelligen Bereich gebrannt [zu haben]“, sei „möglicherweise“ geeignet, den Kläger zu entlasten, fehlt es an einer eindeutigen richterlichen Würdigung. Auch dürfte eine wie auch immer geartete „Entlastung“ angesichts des in Rede stehenden Umfangs der Kopier- und Brennvorgänge und der behaupteten ausschließlichen Verwaltung der Rohlinge durch den Kläger schwerlich begründbar sein. Näher liegt es - wie das Landesarbeitsgericht an anderer Stelle selbst ausgeführt hat - in den fraglichen Umständen Anhaltspunkte für ein mittäterschaftliches Zusammenwirken zu erblicken. Dann wiederum könnte sich der Kläger nach dem Rechtsgedanken des § 830 BGB ohnehin nicht darauf beschränken vorzutragen, er wisse nicht mehr, welche Taten von wem begangen worden seien(ähnlich BAG 5. März 1981 - 3 AZR 559/78 - zu II 3 a der Gründe).

50

II. Dies führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht. Beidem unterliegt auch die Entscheidung über die vorsorglich erklärte ordentliche Kündigung und den (Hilfs-)Antrag des Klägers auf vorläufige Weiterbeschäftigung.

51

1. Der Senat kann nicht abschließend beurteilen, ob ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB vorliegt. Das Landesarbeitsgericht hat den Kündigungssachverhalt nicht festgestellt und an der Norm des § 626 Abs. 1 BGB gemessen. Die erforderliche Beurteilung kann der Senat nicht selbst vornehmen. Sie verlangt weitere Sachaufklärung. In Anbetracht der Vielzahl der gegen den Kläger sprechenden Indizien ist nicht auszuschließen, dass sich die gegen ihn erhobenen Vorwürfe als berechtigt erweisen.

52

2. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts stellt sich nicht aus anderen Gründen als richtig dar. Seine Auffassung, das beklagte Land habe die Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB versäumt und den Personalrat nicht ordnungsgemäß beteiligt, ist rechtsfehlerhaft.

53

a) Die außerordentliche Kündigung ist auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen nicht außerhalb der Frist des § 626 Abs. 2 BGB erklärt worden.

54

aa) Die Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB beginnt nach Satz 2 der Vorschrift mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Dies ist der Fall, sobald er eine zuverlässige und hinreichend vollständige Kenntnis der einschlägigen Tatsachen hat, die ihm die Entscheidung darüber ermöglicht, ob er das Arbeitsverhältnis fortsetzen soll oder nicht. Selbst eine grob fahrlässige Unkenntnis setzt die Frist nicht in Gang (BAG 12. Februar 2015 - 6 AZR 845/13 - Rn. 94 mwN; 22. November 2012 - 2 AZR 732/11 - Rn. 30 mwN). Zu den maßgebenden Tatsachen gehören sowohl die für als auch die gegen die Kündigung sprechenden Umstände. Der Kündigungsberechtigte, der gewisse Anhaltspunkte für einen Sachverhalt hat, der zur außerordentlichen Kündigung berechtigen könnte, kann nach pflichtgemäßem Ermessen weitere Ermittlungen anstellen und dazu auch den Betroffenen anhören, ohne dass die Frist des § 626 Abs. 2 BGB zu laufen begänne. Dies gilt allerdings nur solange, wie er aus verständigen Gründen und mit der gebotenen Eile Ermittlungen durchführt, die ihm eine umfassende und zuverlässige Kenntnis des Kündigungssachverhalts verschaffen sollen. Soll der Kündigungsgegner angehört werden, muss dies innerhalb einer kurzen Frist erfolgen. Sie darf im Allgemeinen nicht mehr als eine Woche betragen und nur bei Vorliegen besonderer Umstände überschritten werden (BAG 31. Juli 2014 - 2 AZR 407/13 - Rn. 40; 20. März 2014 - 2 AZR 1037/12 - Rn. 14). Für die übrigen Ermittlungen gilt keine Regelfrist. Bei ihnen ist fallbezogen zu beurteilen, ob sie hinreichend zügig betrieben wurden (BAG 31. März 1993 - 2 AZR 492/92 - zu II 1 der Gründe, BAGE 73, 42; 10. Juni 1988 - 2 AZR 25/88 - zu III 3 c der Gründe).

55

bb) Neben den Mitgliedern der Organe von juristischen Personen und Körperschaften gehören zu den Kündigungsberechtigten auch die Mitarbeiter, denen der Arbeitgeber das Recht zur außerordentlichen Kündigung übertragen hat. Dagegen ist die Kenntnis anderer Personen für den Lauf der Ausschlussfrist grundsätzlich unbeachtlich. Dies gilt auch dann, wenn ihnen Aufsichtsfunktionen übertragen worden sind. Nur ausnahmsweise muss sich der Arbeitgeber auch ihre Kenntnis nach Treu und Glauben zurechnen lassen. Dazu müssen diese Personen eine herausgehobene Position und Funktion im Betrieb oder in der Verwaltung innehaben sowie tatsächlich und rechtlich in der Lage sein, den Sachverhalt so umfassend zu klären, dass mit ihrem Bericht an den Kündigungsberechtigten dieser ohne weitere Nachforschungen seine (Kündigungs-)Entscheidung abgewogen treffen kann. Voraussetzung dafür, dem Arbeitgeber solche Kenntnisse zuzurechnen, ist ferner, dass die Verspätung, mit der er in eigener Person Kenntnis erlangt hat, auf einer unsachgemäßen Organisation des Betriebs oder der Verwaltung beruht (BAG 21. Februar 2013 - 2 AZR 433/12 - Rn. 28; 23. Oktober 2008 - 2 AZR 388/07 - Rn. 22).

56

cc) Diese Vorgaben hat das Landesarbeitsgericht nicht beachtet.

57

(1) Die Kündigungsbefugnis lag nach Teil 3 Ziff. 12.3 Satz 1 PersBef-AV iVm. Teil 1 Ziff. 2 Satz 1 Buchst. a PersBef-AV beim Präsidenten des Oberlandesgerichts. Gemäß dem - streitigen - Vorbringen des beklagten Landes ist dieser am 11. April 2013 über die Vorgänge und das Ergebnis der Ermittlungen in Kenntnis gesetzt worden. Dann wäre die Erklärungsfrist bei Zugang der Kündigung am 22. April 2013 allemal gewahrt gewesen. Den bisherigen Feststellungen ist nicht zu entnehmen, dass eine nicht kündigungsberechtigte Person schon vor dem 11. April 2013 von den Kündigungsgründen Kenntnis erlangt und eine Funktion innegehabt hätte, die es rechtlich erlaubte, ihre Kenntnisse dem Präsidenten des Oberlandesgerichts zuzurechnen.

58

(2) Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, das beklagte Land habe Ermittlungen nicht mit der gebotenen Eile durchgeführt, verletzt § 626 Abs. 2 BGB iVm. § 138 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO. Die Würdigung verkennt die Voraussetzungen, unter denen Ermittlungen als „zügig“ anzusehen sind. Überdies hat es zu hohe Anforderungen an den betreffenden Sachvortrag des beklagten Landes gestellt.

59

(a) Soweit das Landesarbeitsgericht darauf abhebt, das beklagte Land habe umgehend die Strafverfolgungsbehörden einschalten und - ohne Nachteile mit Blick auf die Frist des § 626 Abs. 2 BGB befürchten zu müssen - den Aus- und Fortgang des Ermittlungs- und Strafverfahrens abwarten können, ist dies zwar zutreffend(vgl. BAG 22. November 2012 - 2 AZR 732/11 - Rn. 31; 27. Januar 2011 - 2 AZR 825/09 - Rn. 16, BAGE 137, 54). Daraus folgt für das Land aber keine Beschränkung in der Wahl seiner Mittel zur Aufklärung. Dem Arbeitgeber steht es frei, eigene Ermittlungen anzustellen und die Strafverfolgungsbehörden nicht unmittelbar einzuschalten. Auch „private“ Ermittlungen hemmen - zügig vorangetrieben - den Lauf der Frist.

60

(b) Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, das beklagte Land habe den Kläger nicht binnen Wochenfrist angehört, ist nicht nachvollziehbar. Es fehlt an Feststellungen, wann diese Frist zu laufen begonnen habe. Falls der Präsident des Oberlandesgerichts - wie vom beklagten Land behauptet - erst am 11. April 2013 Kenntnis erlangt hat, wäre die Wochenfrist mit der Anhörung vom 17. April 2013 eingehalten.

61

(c) Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, das insoweit darlegungsbelastete Land (vgl. dazu BAG 1. Februar 2007 - 2 AZR 333/06 - Rn. 21) habe nicht aufgezeigt, dass es die Ermittlungen nach Durchführung der Geschäftsprüfung zügig vorangetrieben habe, ist nicht tragfähig. Das beklagte Land hat geltend gemacht, es sei erst aufgrund einer außerhalb des Oberlandesgerichts durchgeführten Überprüfung der vom Kläger genutzten Rechner und Festplatten in der Lage gewesen, das Ausmaß der Privatnutzung zu bestimmen. Dies habe bis zum 8. April 2013 Zeit beansprucht, weil Hardware nach M habe verbracht und umfangreiches Datenmaterial, teils unter Wiederherstellung gelöschter Dateien, habe gesichtet werden müssen. Außerdem seien die Osterfeiertage in die Zeit gefallen. Die Ausführungen sind geeignet, die Dauer der Untersuchung plausibel zu machen. Unter Berücksichtigung der wenigen zusätzlichen Tage, welche die Erstellung des Prüfberichts in Anspruch genommen hat, ergeben sich auf der Basis der bisherigen Feststellungen keine Anhaltspunkte für ein nur zögerliches Vorantreiben der Ermittlungen.

62

b) Die außerordentliche Kündigung vom 18. April 2013 ist nicht mangels ordnungsgemäßer Anhörung des Personalrats nach § 108 Abs. 2 BPersVG, § 67 Abs. 2 Satz 4 PersVG LSA unwirksam.

63

aa) Gemäß § 67 Abs. 2 Satz 1 PersVG LSA ist der Personalrat vor der außerordentlichen Kündigung eines Arbeitnehmers anzuhören. Die Leitung der Dienststelle hat die beabsichtigte Maßnahme nach § 67 Abs. 2 Satz 2 PersVG LSA zu begründen. Insoweit gelten die gleichen Anforderungen wie an eine Anhörung des Betriebsrats gemäß § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG(vgl. BAG 23. Oktober 2014 - 2 AZR 865/13 - Rn. 57 mwN). Nach dem Grundsatz der subjektiven Determinierung muss der Arbeitgeber dem Personalrat die Umstände mitteilen, die seinen Kündigungsentschluss tatsächlich bestimmt haben. Dem kommt er dann nicht nach, wenn er ihm einen schon aus seiner eigenen Sicht unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt darstellt. Zu einer vollständigen und wahrheitsgemäßen Information gehört darüber hinaus die Unterrichtung über Tatsachen, die ihm - dem Arbeitgeber - bekannt und für eine Stellungnahme des Betriebsrats möglicherweise bedeutsam sind, weil sie den Arbeitnehmer entlasten und deshalb gegen eine Kündigung sprechen können (BAG 23. Oktober 2014 - 2 AZR 736/13 - Rn. 14; 19. Juli 2012 - 2 AZR 352/11 - Rn. 41 mwN, BAGE 142, 339).

64

bb) Nach diesen Grundsätzen war die Anhörung zur fristlosen Kündigung mit Schreiben vom 16. April 2013 ordnungsgemäß.

65

(1) Dem Personalrat war das Ergebnis der Geschäftsprüfung vom 14. März 2013 unter Vorlage des betreffenden Vermerks zur Kenntnis gebracht worden. Im Anhörungsschreiben selbst heißt es, hieraus ergebe sich eine „ausschweifende“ Privatnutzung des dienstlichen Rechners unter Verwendung eines den Kopierschutz umgehenden Programms während der Dienstzeit und ein nicht erklärlicher Umgang mit dienstlich bestelltem Material (DVDs und CDs). Ungeachtet der Frage, ob es einer solchen Information bedarf (vgl. KR-Etzel 10. Aufl. § 102 BetrVG Rn. 64; APS-Koch 4. Aufl. § 102 BetrVG Rn. 129), konnte der Personalrat nach den ihm erteilten Informationen nachvollziehen, dass das beklagte Land der eigenen Ansicht zufolge den Kündigungssachverhalt jedenfalls nicht vor dem 8. April 2013 erfassen konnte. Der Personalrat vermochte sich anhand dessen ein eigenes Bild von der Einhaltung der Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB zu verschaffen. Das reicht aus. Eine nähere Begründung der den Kündigungsentschluss tragenden Abwägung ist wegen des Grundsatzes der subjektiven Determinierung regelmäßig nicht erforderlich. Die Anhörung zu der Absicht, das Arbeitsverhältnis (fristlos) zu kündigen, impliziert eine Abwägung zu Lasten des Arbeitnehmers (BAG 23. Oktober 2014 - 2 AZR 736/13 - Rn. 15; 21. November 2013 - 2 AZR 797/11 - Rn. 27, BAGE 146, 303).

66

(2) Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts ist die Anhörung nicht deshalb unvollständig, weil das beklagte Land es unterlassen hat, den Personalrat über den Inhalt eines am 22. April 2013 mit einem anderen Bediensteten geführten Personalgesprächs zu unterrichten. Dabei kann zugunsten des Klägers unterstellt werden, dass diese Unterredung vor Übergabe des Kündigungsschreibens stattfand und sich aus der Einlassung des Bediensteten Anhaltspunkte dafür ergaben, dass dieser Kopier- und Brennvorgänge im Zusammenwirken mit ihm - dem Kläger - durchgeführt hat. Das beklagte Land ging bei Einleitung des Anhörungsverfahrens - für den Personalrat erkennbar - davon aus, der Kläger selbst habe das fragliche Programm wiederholt zu privaten Zwecken während der Dienstzeit genutzt. Sowohl aus der subjektiven Sicht des beklagten Landes als auch aus objektiver Sicht handelt es sich bei der aus dem Personalgespräch deutlich gewordenen Möglichkeit, der Kläger und der andere Bedienstete hätten zusammengewirkt, keineswegs um einen entlastenden Umstand, wie das Landesarbeitsgericht gemeint hat. Allein- und Mittäterschaft sind in ihrem Unrechtsgehalt gleichwertig und im Rahmen einer kündigungsrechtlichen Beurteilung regelmäßig gleich zu gewichten.

67

(3) Die Äußerungsfrist von drei Arbeitstagen (§ 67 Abs. 2 Satz 3 PersVG LSA) hat das beklagte Land - auch unter Berücksichtigung der dem Personalrat am 18. April 2013 unterbreiteten ergänzenden Informationen - gewahrt.

68

(a) Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts ist dem Personalrat das Schreiben vom 16. April 2013 am selben Tag zugegangen. Gemäß § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 1 BGB lief die Frist von drei Arbeitstagen am 19. April 2013 (einem Freitag), 24:00 Uhr ab. Zwar wurde das Kündigungsschreiben bereits am 18. April 2013 ausgefertigt und dem Geschäftsleiter des Oberlandesgerichts als Erklärungsboten des beklagten Landes zwecks persönlicher Übergabe an den Kläger ausgehändigt. Ein Treffen zwischen dem Geschäftsleiter und dem Kläger war aber - schon zuvor - erst für den 22. April 2013 vereinbart worden. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte das Kündigungsschreiben den Machtbereich des Präsidenten des Oberlandesgerichts nicht verlassen und war es diesem möglich, die Kündigung anzuhalten, falls der Personalrat gewichtige und aus Sicht des beklagten Landes überzeugende Argumente gegen sie vorbrächte. Der Fall liegt insoweit nicht anders, als wenn der Präsident des Oberlandesgerichts das Kündigungsschreiben zwar am 18. April 2013 unterschrieben, jedoch bis zum 22. April 2013 weiter selbst verwahrt hätte.

69

(b) Das Anhörungsverfahren war bei Übergabe des Kündigungsschreibens an den Kläger - anders als dieser meint - nicht deshalb noch nicht abgeschlossen, weil das beklagte Land dem Personalrat mit Schreiben vom 18. April 2013 ergänzende Informationen hat zukommen lassen. Auf der Grundlage der Darlegungen des beklagten Landes ist davon auszugehen, dass das Anhörungsverfahren durch das vorbezeichnete Schreiben nicht neu in Gang gesetzt worden ist.

70

(aa) Vor Ausspruch der Kündigung kann der Arbeitgeber seine Informationen gegenüber dem Betriebs- oder Personalrat jederzeit ergänzen. Die Beurteilung, ob aufgrund der nachträglichen Unterrichtung die Äußerungsfrist neu anläuft, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Dabei ist auch auf den Gegenstand der nachgereichten Informationen Bedacht zu nehmen (vgl. BAG 23. Oktober 2014 - 2 AZR 736/13 - Rn. 27).

71

(bb) Im Streitfall ist das Schreiben vom 18. April 2013 ausdrücklich als „Ergänzung“ und nicht, wie das Schreiben vom 16. April 2013, als „Anhörung“ bezeichnet worden. Bereits dies spricht gegen die Annahme, das beklagte Land habe das Verfahren neu in Gang setzen wollen. Eine andere Interpretation ist auch nicht wegen des Inhalts der zusätzlichen Informationen geboten. Mittels der Vorlage der protokollierten Kopiervorgänge und des Journals der Arbeitszeit wurden lediglich die im Schreiben vom 16. April 2013 bereits geschilderten Vorgänge vertiefend dargestellt und erläutert, nicht aber ein Sachverhalt unterbreitet, der den bisher bekannten Sachverhalt in einem gänzlich neuen Licht erscheinen ließe. Im Ergebnis nichts anderes gilt für die Unterrichtung über den Inhalt des mit dem Kläger am 17. April 2013 geführten Gesprächs und die ihm bis zum 18. April 2013, 9:00 Uhr eingeräumte Möglichkeit zur weitergehenden Stellungnahme. Auch diese Mitteilung diente der Vervollständigung der Information des Personalrats, nicht aber der Einführung eines neuen Sachverhalts. Das gilt jedenfalls mit Blick auf die hier interessierende „Tatkündigung“, bei der die Anhörung des Arbeitnehmers nicht Wirksamkeitsvoraussetzung für die Kündigung ist, und unter Berücksichtigung des Umstands, dass das Gespräch vom 17. April 2013 keine Erkenntnisse zutage förderte, die den Kläger entscheidend hätten entlasten können.

72

III. Bei der neuen Verhandlung wird das Landesarbeitsgericht zunächst zu prüfen und zu bewerten haben, ob ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB gegeben und ob die Frist des § 626 Abs. 2 BGB gewahrt ist. Dazu wird es die erforderlichen Feststellungen zu treffen haben. Sollte es zu dem Ergebnis gelangen, die Kündigung sei iSv. § 626 BGB wirksam, wird es auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen davon ausgehen können, dass der Personalrat zur außerordentlichen Kündigung ordnungsgemäß beteiligt worden ist. Die Klage dürfte in diesem Fall abzuweisen sein, ohne dass der auf die ordentliche Kündigung bezogene Feststellungsantrag und der Antrag auf Weiterbeschäftigung noch zur Entscheidung anfielen. Sollte das Landesarbeitsgericht die Kündigung für unwirksam erachten, wird es über die ordentliche Kündigung zu befinden haben, je nach Ausgang dieses Streits auch über den (Hilfs-)Antrag des Klägers auf vorläufige Weiterbeschäftigung. Für die weitere Sachbehandlung weist der Senat auf Folgendes hin:

73

1. Bei der Prüfung von § 626 Abs. 1 BGB wird das Landesarbeitsgericht - unter Berücksichtigung der zu B. I. und II. dargestellten Rechtsauffassung des Senats - zu würdigen haben, ob die vorgetragenen Indizien ausreichen, ihm die erforderliche Überzeugung zu vermitteln, der Kläger habe seine vertraglichen Pflichten verletzt. Über streitige Tatsachen wird ggf. Beweis zu erheben sein. Dabei hat sich das Gericht mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad an Gewissheit zu begnügen, der Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig ausschließen zu müssen (BAG 29. Januar 2015 - 2 AZR 280/14 - Rn. 30 mwN; BGH 11. November 2014 - VI ZR 76/13 - Rn. 23 mwN).

74

2. Im Hinblick auf eine ggf. vorzunehmende Würdigung der Umstände des Einzelfalls und Interessenabwägung wird zu berücksichtigen sein, dass die vom Landesarbeitsgericht bisher - im Rahmen der Überprüfung der ordentlichen Kündigung - zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit angestellten Erwägungen nicht tragen.

75

a) Die Wertung, es habe deshalb einer Abmahnung bedurft, weil „fast alle Bediensteten einschließlich der Richterschaft […] offenbar von der Tätigkeit des Klägers profitiert und dieser auch nicht widersprochen [hätten]“ und daraus auf ein mangelndes Unrechtsbewusstsein - auch des Klägers - zu schließen sei, entbehrt der Tatsachenbasis. Es ist unklar, auf welche Handlungen des Klägers sich das Landesarbeitsgericht bezogen und welche Personen es vor Augen gehabt hat, die aus den nicht näher konkretisierten Aktivitäten des Klägers einen bisher nicht definierten Nutzen gezogen haben sollen.

76

b) Für die vom Landesarbeitsgericht mit Blick auf den Umgang mit beschäftigten Beamten ins Spiel gebrachte Heranziehung des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes fehlt es an einer rechtlichen Grundlage. Zwar mögen bei der Interessenabwägung nach § 626 Abs. 1 BGB ähnliche Erwägungen anzustellen sein wie im Rahmen einer disziplinarrechtlichen Würdigung. Daraus kann aber nicht - wie das Landesarbeitsgericht offenbar gemeint hat - abgeleitet werden, der Arbeitgeber dürfe gegenüber einem Arbeitnehmer, der seine Pflichten in gemeinschaftlichem Zusammenwirken mit Beamten verletzt hat, nicht zum Mittel der Kündigung greifen, solange er nicht auch die Entlassung der Beamten initiiere oder doch andere disziplinarische Maßnahmen ihnen gegenüber ergreife. Die Erwägung lässt außer Acht, dass sich Wertungen, wie sie aus dem in der Regel auf Lebenszeit angelegten, durch besondere Treue- und Fürsorgepflichten geprägten Dienstverhältnis der Beamten folgen, nicht auf eine privatrechtliche Leistungsbeziehung übertragen lassen (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 29, BAGE 134, 349; 17. Juni 1993 - 6 AZR 620/92 - zu B II 2 d bb der Gründe, BAGE 73, 262). Selbst im Verhältnis von Arbeitnehmern untereinander scheidet mit Blick auf verhaltensbedingte Kündigungen eine Anwendung des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes weitgehend aus (BAG 8. Dezember 1994 - 2 AZR 470/93 - zu B II 5 g der Gründe; zu eng begrenzten Ausnahmekonstellationen vgl. BAG 22. Februar 1979 - 2 AZR 115/78 - zu 2 a der Gründe). Die fraglichen Erwägungen des Landesarbeitsgerichts lassen überdies die herausgehobene Position des Klägers als „IT-Verantwortlicher“ außer Acht. Unbeschadet der unterschiedlichen Rechtsstellung von Beamten und Angestellten widerspricht auch dies - neben weiteren in Betracht zu ziehenden Unterschieden - einer Vergleichbarkeit der Sachverhalte.

77

c) Das Landesarbeitsgericht wird, sollte es auf die Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung ankommen, weiterhin davon ausgehen können, dass deren soziale Rechtfertigung (§ 1 Abs. 1 und Abs. 2 KSchG) unter dem Gesichtspunkt des Verdachts nicht in Betracht kommt - auch deshalb, weil der Personalrat dazu laut Schreiben vom 23. April 2013 nicht beteiligt worden ist. Die Prüfung, ob die Kündigung als Tatkündigung durch Gründe iSv. § 1 Abs. 2 KSchG bedingt ist, wird das Landesarbeitsgericht neu vorzunehmen und die erforderlichen Feststellungen zu treffen haben. Was die Frage betrifft, ob die Beteiligung des Personalrats zu einer ordentlichen Kündigung nach § 67 Abs. 1 Nr. 8 PersVG LSA ordnungsgemäß erfolgt ist, wird zu beachten sein, dass die in der angefochtenen Entscheidung vertretene Auffassung, die Anhörung sei unwirksam, weil das beklagte Land dem Personalrat mögliche Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe nicht mitgeteilt habe, auf der Basis der bisherigen Feststellungen nicht haltbar ist. Um welche, nach dem Grundsatz der subjektiven Determiniertheit beachtlichen Tatsachen es sich insoweit handeln soll, ist nicht nachzuvollziehen.

78

IV. Der Senat hat bei der Zurückverweisung von der Möglichkeit des § 563 Abs. 1 Satz 2 ZPO Gebrauch gemacht.

        

    Kreft    

        

    Rachor    

        

    Berger    

        

        

        

    Perreng    

        

    Der ehrenamtliche Richter Dr. Bartz ist wegen des Endes seiner Amtszeit verhindert, seine Unterschrift beizufügen.
Kreft    

                 

Tenor

1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 24. Februar 2009 - 7 Sa 2017/08 - aufgehoben.

2. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 21. August 2008 - 2 Ca 3632/08 - abgeändert:

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die fristlose Kündigung, noch durch die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung vom 22. Februar 2008 aufgelöst worden ist.

3. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung.

2

Die 1958 geborene Klägerin war seit April 1977 bei der Beklagten und deren Rechtsvorgängerinnen als Verkäuferin mit Kassentätigkeit beschäftigt.

3

Die Beklagte ist ein überregional vertretenes Einzelhandelsunternehmen. In einigen ihrer Filialen, so auch in der Beschäftigungsfiliale der Klägerin, besteht die Möglichkeit, Leergut an einem Automaten gegen Ausstellung eines Leergutbons zurückzugeben. Wird ein solcher Bon an der Kasse eingelöst, ist er von der Kassiererin/dem Kassierer abzuzeichnen. Mitarbeiter der Filiale sind angewiesen, mitgebrachtes Leergut beim Betreten des Markts dem Filialleiter vorzuzeigen und einen am Automaten erstellten Leergutbon durch den Leiter gesondert abzeichnen zu lassen, bevor sie den Bon an der Kasse einlösen. Dort wird er wie ein Kundenbon ein weiteres Mal abgezeichnet. Diese Regelungen, die Manipulationen beim Umgang mit Leergut ausschließen sollen, sind der Klägerin bekannt.

4

Im Herbst 2007 beteiligte sich die Klägerin mit weiteren sieben von insgesamt 36 Beschäftigten ihrer Filiale an einem gewerkschaftlich getragenen Streik. Während die Streikbereitschaft anderer Arbeitnehmer mit der Zeit nachließ, nahm die Klägerin bis zuletzt an den Maßnahmen teil. Im Januar 2008 lud der Filialleiter Beschäftigte, die sich nicht am Arbeitskampf beteiligt hatten, zu einer Feier außer Hause ein. Aus diesem Grund wurde er später von der Beklagten abgemahnt und in eine andere Filiale versetzt.

5

Am 12. Januar 2008 fand eine Mitarbeiterin im Kassenbereich einer separaten Backtheke zwei nicht abgezeichnete Leergutbons im Wert von 0,48 Euro und 0,82 Euro. Sie trugen das Datum des Tages und waren im Abstand von ca. einer Dreiviertelstunde am Automaten erstellt worden. Die Mitarbeiterin legte die Bons dem Filialleiter vor. Dieser reichte sie an die Klägerin mit der Maßgabe weiter, sie im Kassenbüro aufzubewahren für den Fall, dass sich noch ein Kunde melden und Anspruch darauf erheben würde; andernfalls sollten sie als „Fehlbons“ verbucht werden. Die Klägerin legte die Bons auf eine - für alle Mitarbeiter zugängliche und einsehbare - Ablage im Kassenbüro.

6

Am 22. Januar 2008 kaufte die Klägerin in der Filiale außerhalb ihrer Arbeitszeit privat ein. An der Kasse überreichte sie ihrer Kollegin zwei nicht abgezeichnete Leergutbons. Laut Kassenjournal wurden diese mit Werten von 0,48 Euro und 0,82 Euro registriert. Beim Kassieren war auch die Kassenleiterin und Vorgesetzte der Klägerin anwesend.

7

Zur Klärung der Herkunft der eingereichten Bons führte die Beklagte mit der Klägerin ab dem 25. Januar 2008 insgesamt vier Gespräche, an denen - außer am ersten Gespräch - jeweils zwei Mitglieder des Betriebsrats teilnahmen. Sie hielt ihr vor, die eingelösten Bons seien nicht abgezeichnet gewesen und stimmten hinsichtlich Wert und Ausgabedatum mit den im Kassenbüro aufbewahrten Bons überein. Es bestehe der dringende Verdacht, dass sie - die Klägerin - die dort abgelegten „Kundenbons“ an sich genommen und zu ihrem Vorteil verwendet habe. Die Klägerin bestritt dies und erklärte, selbst wenn die Bons übereinstimmten, bestehe die Möglichkeit, dass ihr entsprechende Bons durch eine ihrer Töchter oder durch Dritte zugesteckt worden seien. Beispielsweise habe sie am 21. oder 22. Januar 2008 einer Arbeitskollegin ihre Geldbörse ausgehändigt mit der Bitte, diese in ihren Spind zu legen. Die Beklagte legte der Klägerin nahe, zur Untermauerung ihrer Behauptung eine eidesstattliche Erklärung einer Tochter beizubringen. Außerdem befragte sie die benannte Kollegin, die die Angaben der Klägerin bestritt. Beim letzten, am 15. Februar 2008 geführten Gespräch überreichte die Klägerin eine schriftliche Erklärung, mit der eine ihrer Töchter bestätigte, bei der Beklagten hin und wieder für ihre Mutter einzukaufen, dabei auch Leergut einzulösen und „Umgang“ mit der Geldbörse ihrer Mutter „pflegen zu dürfen“.

8

Mit Schreiben vom 18. Februar 2008 hörte die Beklagte den Betriebsrat zu einer beabsichtigten außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung, gestützt auf den Verdacht der Einlösung der Bons, an. Der Betriebsrat äußerte Bedenken gegen die fristlose Kündigung, einer ordentlichen Kündigung widersprach er und verwies auf die Möglichkeit einer gegen die Klägerin gerichteten Intrige.

9

Mit Schreiben vom 22. Februar 2008 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos, hilfsweise fristgemäß zum 30. September 2008.

10

Die Klägerin hat Kündigungsschutzklage erhoben. Sie hat behauptet, sie habe jedenfalls nicht bewusst Leergutbons eingelöst, die ihr nicht gehörten. Sollte es sich bei den registrierten Bons tatsächlich um die im Kassenbüro abgelegten Bons gehandelt haben, müsse auch die Möglichkeit eines Austauschs der Bons während des Kassiervorgangs in Betracht gezogen werden. Denkbares Motiv hierfür sei ihre Streikteilnahme, die ohnehin der wahre Grund für die Kündigung sei. Anders sei nicht zu erklären, weshalb ihre Kollegin und die Vorgesetzte sie - unstreitig - nicht bereits beim Kassieren oder unmittelbar anschließend auf die fehlende Abzeichnung der überreichten Leergutbons angesprochen hätten. Angesichts der streikbedingt aufgetretenen Spannungen unter den Filialmitarbeitern sei es lebensfremd anzunehmen, sie habe ausgerechnet bei einer Kollegin, mit der sie im Streit gestanden habe, und in Anwesenheit ihrer Vorgesetzten die im Kassenbüro verwahrten, nicht abgezeichneten Bons eingelöst. Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, eine Verdachtskündigung sei wegen der in Art. 6 Abs. 2 EMRK verankerten Unschuldsvermutung ohnehin unzulässig. Das gelte in besonderem Maße, wenn sich der Verdacht auf die Entwendung einer nur geringwertigen Sache beziehe. Selbst bei nachgewiesener Tat sei in einem solchen Fall ein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB nicht gegeben. Zumindest sei in ihrem Fall die Kündigung in Anbetracht der Einmaligkeit des Vorfalls und ihrer langen Betriebszugehörigkeit unangemessen, zumal der Beklagten kein Schaden entstanden sei.

11

Die Klägerin hat beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis weder durch die fristlose, noch durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 22. Februar 2008 aufgelöst worden ist;

        

2.    

die Beklagte zu verurteilen, sie entsprechend den arbeitsvertraglichen Bedingungen als Verkäuferin mit Kassentätigkeit zu beschäftigen.

12

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat geltend gemacht, es bestehe der dringende Verdacht, dass die Klägerin die im Kassenbüro hinterlegten Leergutbons für sich verwendet habe. Dafür sprächen die in der Anhörung angeführten Tatsachen sowie der Umstand, dass diese Bons bei einer unmittelbar nach dem Einkauf der Klägerin durchgeführten Suche nicht mehr auffindbar gewesen seien. Es sei auch das mehrfach geänderte Verteidigungsvorbringen der Klägerin zu berücksichtigen, das sich in keinem Punkt als haltbar erwiesen habe. Damit sei das Vertrauen in die redliche Ausführung der Arbeitsaufgaben durch die Klägerin unwiederbringlich zerstört. Das Arbeitsverhältnis sei auch nicht unbelastet verlaufen. Sie habe die Klägerin im Jahr 2005 wegen ungebührlichen Verhaltens gegenüber einem Arbeitskollegen abgemahnt. Außerdem habe die Klägerin, wie ihr erst nachträglich bekannt geworden sei, am 22. November 2007 bei einem privaten Einkauf einen Sondercoupon aus einem Bonussystem eingelöst, obwohl die Einkaufssumme den dafür erforderlichen Betrag nicht erreicht habe. Derselbe Coupon sei dreimal „über die Kasse gezogen“ worden. Dadurch seien der Klägerin zu Unrecht Punkte im Wert von 3,00 Euro gutgeschrieben worden. Deren Behauptung, ihre Vorgesetzte habe sie zu einer derartigen Manipulation - vergeblich - verleiten wollen, sei nicht plausibel; die Vorgesetzte habe an dem betreffenden Tag - wie zuletzt unstreitig - nicht gearbeitet.

13

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit ihrer durch das Bundesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe

14

Die Revision ist begründet. Die Vorinstanzen haben die Klage zu Unrecht abgewiesen. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist weder durch die außerordentliche noch durch die ordentliche Kündigung vom 22. Februar 2008 aufgelöst worden. Das Urteil des Landesarbeitsgerichts war deshalb aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Einer Zurückverweisung bedurfte es nicht. Die Sache war nach dem festgestellten Sachverhältnis zur Endentscheidung reif (§ 563 Abs. 3 ZPO).

15

A. Die außerordentliche Kündigung ist unwirksam. Es fehlt an einem wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB.

16

I. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Das Gesetz kennt folglich keine „absoluten“ Kündigungsgründe. Vielmehr ist jeder Einzelfall gesondert zu beurteilen. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (st. Rspr., Senat 26. März 2009 - 2 AZR 953/07 - Rn. 21 mwN, AP BGB § 626 Nr. 220; 27. April 2006 - 2 AZR 386/05 - Rn. 19, BAGE 118, 104).

17

II. Die Prüfung der Voraussetzungen des wichtigen Grundes ist in erster Linie Sache der Tatsacheninstanzen. Dennoch geht es um Rechtsanwendung, nicht um Tatsachenfeststellung. Die Würdigung des Berufungsgerichts wird in der Revisionsinstanz darauf hin überprüft, ob es den anzuwendenden Rechtsbegriff in seiner allgemeinen Bedeutung verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnormen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob es alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände widerspruchsfrei berücksichtigt hat (st. Rspr., Senat 27. November 2008 - 2 AZR 193/07 - Rn. 22, AP BGB § 626 Nr. 219; 6. September 2007 - 2 AZR 722/06 - Rn. 40, BAGE 124, 59).

18

III. Auch unter Beachtung eines in diesem Sinne eingeschränkten Maßstabs hält die Würdigung des Landesarbeitsgerichts einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand. Zwar liegt nach dem festgestellten Sachverhalt „an sich“ ein wichtiger Grund zur Kündigung vor. Das Landesarbeitsgericht hat jedoch bei der vorzunehmenden Einzelfallprüfung und Interessenabwägung nicht alle wesentlichen Gesichtspunkte einbezogen und zutreffend abgewogen.

19

1. Entgegen der Auffassung der Revision ist die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts nicht deshalb zu beanstanden, weil dieses seiner rechtlichen Würdigung die fragliche Pflichtverletzung im Sinne einer erwiesenen Tat und nicht nur - wie die Beklagte selbst - einen entsprechenden Verdacht zugrunde gelegt hat.

20

a) Das Landesarbeitsgericht ist vom Fund zweier Leergutbons am 12. Januar 2008 und deren Aushändigung an die Klägerin durch den Marktleiter ausgegangen. Nach Beweisaufnahme hat es zudem für wahr erachtet, dass die Klägerin die beiden zunächst im Kassenbüro abgelegten Bons im Wert von 0,48 Euro und 0,82 Euro zu einem unbestimmten Zeitpunkt an sich nahm und am 22. Januar 2008 bei einem Einkauf zu ihren Gunsten einlöste; dadurch ermäßigte sich die Kaufsumme für sie um 1,30 Euro. Darin hat es ein vorsätzliches, pflichtwidriges Verhalten der Klägerin erblickt.

21

b) An die vom Landesarbeitsgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen ist der Senat gemäß § 559 Abs. 2 ZPO gebunden. Die Klägerin hat - auch wenn sie vorsätzliches Fehlverhalten weiterhin in Abrede stellt - von Angriffen gegen die Beweiswürdigung des Landesarbeitsgerichts ausdrücklich abgesehen.

22

c) Einer Würdigung des Geschehens unter der Annahme, die Klägerin habe sich nachweislich pflichtwidrig verhalten, steht nicht entgegen, dass die Beklagte sich zur Rechtfertigung der Kündigung nur auf einen entsprechenden Verdacht berufen und den Betriebsrat auch nur zu einer Verdachtskündigung angehört hat.

23

aa) Das Landesarbeitsgericht hat auf diese Weise nicht etwa Vortrag berücksichtigt, den die Beklagte nicht gehalten hätte. Der Verdacht eines pflichtwidrigen Verhaltens stellt zwar gegenüber dem Tatvorwurf einen eigenständigen Kündigungsgrund dar (st. Rspr., Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 55 mwN, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 47 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 8). Beide Gründe stehen jedoch nicht beziehungslos nebeneinander. Wird die Kündigung mit dem Verdacht pflichtwidrigen Verhaltens begründet, steht indessen zur Überzeugung des Gerichts die Pflichtwidrigkeit tatsächlich fest, lässt dies die materiell-rechtliche Wirksamkeit der Kündigung unberührt. Maßgebend ist allein der objektive Sachverhalt, wie er sich dem Gericht nach Parteivorbringen und ggf. Beweisaufnahme darstellt. Ergibt sich daraus nach tatrichterlicher Würdigung das Vorliegen einer Pflichtwidrigkeit, ist das Gericht nicht gehindert, dies seiner Entscheidung zugrunde zu legen. Es ist nicht erforderlich, dass der Arbeitgeber sich während des Prozesses darauf berufen hat, er stütze die Kündigung auch auf die erwiesene Tat (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - aaO mwN).

24

bb) Der Umstand, dass der Betriebsrat ausschließlich zu einer beabsichtigten Verdachtskündigung gehört wurde, steht dem nicht entgegen. Die gerichtliche Berücksichtigung des Geschehens als erwiesene Tat setzt voraus, dass dem Betriebsrat - ggf. im Rahmen zulässigen „Nachschiebens“ - diejenigen Umstände mitgeteilt worden sind, welche nicht nur den Tatverdacht, sondern zur Überzeugung des Gerichts auch den Tatvorwurf begründen (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 59 mwN, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 47 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 8). Bei dieser Sachlage ist dem Normzweck des § 102 Abs. 1 BetrVG auch durch eine Anhörung nur zur Verdachtskündigung genüge getan. Dem Betriebsrat wird dadurch nichts vorenthalten. Die Mitteilung des Arbeitgebers, einem Arbeitnehmer solle schon und allein wegen des Verdachts einer pflichtwidrigen Handlung gekündigt werden, gibt ihm sogar weit stärkeren Anlass für ein umfassendes Tätigwerden als eine Anhörung wegen einer als erwiesen behaupteten Tat (Senat 3. April 1986 - 2 AZR 324/85 - zu II 1 c cc der Gründe, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 18 = EzA BetrVG 1972 § 102 Nr. 63; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 217). Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt. Das Landesarbeitsgericht hat seiner Entscheidung ausschließlich solche - aus seiner Sicht bewiesene - Tatsachen zugrunde gelegt, die Gegenstand der Betriebsratsanhörung waren.

25

2. Der vom Landesarbeitsgericht festgestellte Sachverhalt ist „an sich“ als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB geeignet. Zum Nachteil des Arbeitgebers begangene Eigentums- oder Vermögensdelikte, aber auch nicht strafbare, ähnlich schwerwiegende Handlungen unmittelbar gegen das Vermögen des Arbeitgebers kommen typischerweise - unabhängig vom Wert des Tatobjekts und der Höhe eines eingetretenen Schadens - als Grund für eine außerordentliche Kündigung in Betracht.

26

a) Begeht der Arbeitnehmer bei oder im Zusammenhang mit seiner Arbeit rechtswidrige und vorsätzliche - ggf. strafbare - Handlungen unmittelbar gegen das Vermögen seines Arbeitgebers, verletzt er zugleich in schwerwiegender Weise seine schuldrechtliche Pflicht zur Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB) und missbraucht das in ihn gesetzte Vertrauen. Ein solches Verhalten kann auch dann einen wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB darstellen, wenn die rechtswidrige Handlung Sachen von nur geringem Wert betrifft oder zu einem nur geringfügigen, möglicherweise zu gar keinem Schaden geführt hat(Senat 13. Dezember 2007 - 2 AZR 537/06 - Rn. 16, 17, AP BGB § 626 Nr. 210 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 20; 12. August 1999 - 2 AZR 923/98 - zu II 2 b aa der Gründe, BAGE 92, 184; 17. Mai 1984 - 2 AZR 3/83 - zu II 1 der Gründe, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 14 = EzA BGB § 626 nF Nr. 90).

27

b) An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest. Die entgegenstehende Ansicht, die Pflichtverletzungen im Vermögensbereich bei Geringfügigkeit bereits aus dem Anwendungsbereich des § 626 Abs. 1 BGB herausnehmen will(so LAG Köln 30. September 1999 - 5 Sa 872/99 - zu 2 der Gründe, NZA-RR 2001, 83; LAG Hamburg 8. Juli 1998 - 4 Sa 38/97 - zu II 3 a aa der Gründe, NZA-RR 1999, 469; ArbG Reutlingen 4. Juni 1996 - 1 Ca 73/96 - RzK I 6 d Nr. 12; Däubler Das Arbeitsrecht 2 12. Aufl. Rn. 1128; eingeschränkt Gerhards BB 1996, 794, 796), überzeugt nicht. Ein Arbeitnehmer, der die Integrität von Eigentum und Vermögen seines Arbeitgebers vorsätzlich und rechtswidrig verletzt, zeigt ein Verhalten, das geeignet ist, die Zumutbarkeit seiner Weiterbeschäftigung in Frage zu stellen. Die durch ein solches Verhalten ausgelöste „Erschütterung“ der für die Vertragsbeziehung notwendigen Vertrauensgrundlage tritt unabhängig davon ein, welche konkreten wirtschaftlichen Schäden mit ihm verbunden sind. Aus diesem Grund ist die Festlegung einer nach dem Wert bestimmten Relevanzschwelle mit dem offen gestalteten Tatbestand des § 626 Abs. 1 BGB nicht zu vereinbaren. Sie würfe im Übrigen mannigfache Folgeprobleme auf - etwa das einer exakten Wertberechnung, das der Folgen mehrfacher, für sich betrachtet „irrelevanter“ Verstöße sowie das der Behandlung nur marginaler Grenzüberschreitungen - und vermöchte schon deshalb einem angemessenen Interessenausgleich schwerlich zu dienen.

28

c) Mit seiner Auffassung setzt sich der Senat nicht in Widerspruch zu der in § 248a StGB getroffenen Wertung. Nach dieser Bestimmung werden Diebstahl und Unterschlagung geringwertiger Sachen nur auf Antrag oder bei besonderem öffentlichem Interesse verfolgt. Der Vorschrift liegt eine Einschätzung des Gesetzgebers darüber zugrunde, ab welcher Grenze staatliche Sanktionen für Rechtsverstöße in diesem Bereich zwingend geboten sind. Ein solcher Ansatz ist dem Schuldrecht fremd. Hier geht es um störungsfreien Leistungsaustausch. Die Berechtigung einer verhaltensbedingten Kündigung ist nicht daran zu messen, ob diese - vergleichbar einer staatlichen Maßnahme - als Sanktion für den fraglichen Vertragsverstoß angemessen ist. Statt des Sanktions- gilt das Prognoseprinzip. Eine verhaltensbedingte Kündigung ist gerechtfertigt, wenn eine störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten steht, künftigen Pflichtverstößen demnach nur durch die Beendigung der Vertragsbeziehung begegnet werden kann (st. Rspr., Senat 26. November 2009 - 2 AZR 751/08 - Rn. 10, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 61 = EzA BGB 2002 § 611 Abmahnung Nr. 5; 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 32, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17).

29

d) Ebenso wenig besteht ein Wertungswiderspruch zwischen der Auffassung des Senats und der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Dieses erkennt zwar bei der disziplinarrechtlichen Beurteilung vergleichbarer Dienstvergehen eines Beamten die Geringwertigkeit der betroffenen Vermögensobjekte als Milderungsgrund an (BVerwG 13. Februar 2008 - 2 WD 9/07 - DÖV 2008, 1056; 24. November 1992 - 1 D 66/91 - zu 3 der Gründe, BVerwGE 93, 314; bei kassenverwaltender Tätigkeit: BVerwG 11. November 2003 - 1 D 5/03 - zu 4 b der Gründe). Dies geschieht jedoch vor dem Hintergrund einer abgestuften Reihe von disziplinarischen Reaktionsmöglichkeiten des Dienstherrn. Diese reichen von der Anordnung einer Geldbuße (§ 7 BDG) über die Kürzung von Dienstbezügen (§ 8 BDG) und die Zurückstufung (§ 9 BDG) bis zur Entfernung aus dem Dienst (§ 13 Abs. 2 BDG). Eine solche Reaktionsbreite kennt das Arbeitsrecht nicht. Der Arbeitgeber könnte auf die „Entfernung aus dem Dienst“ nicht zugunsten einer Kürzung der Vergütung verzichten. Wertungen, wie sie für das in der Regel auf Lebenszeit angelegte, durch besondere Treue- und Fürsorgepflichten geprägte Dienstverhältnis der Beamten und Soldaten getroffen werden, lassen sich deshalb auf eine privatrechtliche Leistungsbeziehung regelmäßig nicht übertragen (Keiser JR 2010, 55, 57 ff.; Reuter NZA 2009, 594, 595).

30

e) Das Landesarbeitsgericht hat das Verhalten der Klägerin als „Vermögensdelikt“ zulasten der Beklagten gewürdigt, hat aber offen gelassen, welchen straf- und/oder zivilrechtlichen Deliktstatbestand es als erfüllt ansieht. Das ist im Ergebnis unschädlich. Das Verhalten der Klägerin kommt auch dann als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB in Betracht, wenn es - wie die Revision im Anschluss an Äußerungen in der Literatur (Hüpers Jura 2010, 52 ff.; Schlösser HRRS 2009, 509 ff.) meint - nicht strafbar sein sollte, jedenfalls nicht im Sinne eines Vermögensdelikts zum Nachteil der Beklagten. Für die kündigungsrechtliche Beurteilung ist weder die strafrechtliche noch die sachenrechtliche Bewertung maßgebend. Entscheidend ist der Verstoß gegen vertragliche Haupt- oder Nebenpflichten und der mit ihm verbundene Vertrauensbruch (Senat 19. April 2007 - 2 AZR 78/06 - Rn. 28, AP BGB § 611 Direktionsrecht Nr. 77 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 8; 2. März 2006 - 2 AZR 53/05 - Rn. 29, AP BGB § 626 Krankheit Nr. 14 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 16; 21. April 2005 - 2 AZR 255/04 - zu B II 1 der Gründe, BAGE 114, 264; Preis AuR 2010, 242 f.). Auch eine nicht strafbare, gleichwohl erhebliche Verletzung der sich aus dem Arbeitsverhältnis ergebenden Pflichten kann deshalb ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB sein. Das gilt insbesondere in Fällen, in denen die Pflichtverletzung mit einem vorsätzlichen Verstoß gegen eine den unmittelbaren Vermögensinteressen des Arbeitgebers dienende Weisung einhergeht (KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 459).

31

f) Danach liegt eine erhebliche, die Schwelle zum wichtigen Grund überschreitende Pflichtverletzung vor. Die Klägerin hat sich mit dem Einlösen der Leergutbons gegenüber der Beklagten einen Vermögensvorteil verschafft, der ihr nicht zustand. Ihr Verhalten wiegt umso schwerer, als sie eine konkrete Anordnung des Marktleiters zum Umgang mit den Bons missachtet hat. Es kommt nicht darauf an, ob sie damit schon gegen ihre Hauptleistungspflichten als Kassiererin oder gegen ihre Pflicht zur Rücksichtnahme aus § 241 Abs. 2 BGB verstoßen hat. In jedem Fall gehört die Pflicht zur einschränkungslosen Wahrung der Vermögensinteressen der Beklagten zum Kernbereich ihrer Arbeitsaufgaben. Die Schwere der Pflichtverletzung hängt von einer exakten Zuordnung nicht ab. Die Vorgabe des Marktleiters, die Bons nach einer gewissen Zeit als „Fehlbons“ zu verbuchen, sollte sicherstellen, dass die Beklagte insoweit nicht mehr in Anspruch genommen würde. Ob damit den Interessen der Kunden ausreichend Rechnung getragen wurde, ist im Verhältnis der Parteien ohne Bedeutung. Die Klägerin jedenfalls durfte die Bons nicht zum eigenen Vorteil einlösen.

32

3. Die fristlose Kündigung ist bei Beachtung aller Umstände des vorliegenden Falls und nach Abwägung der widerstreitenden Interessen gleichwohl nicht gerechtfertigt. Als Reaktion der Beklagten auf das Fehlverhalten der Klägerin hätte eine Abmahnung ausgereicht. Dies vermag der Senat selbst zu entscheiden.

33

a) Dem Berufungsgericht kommt bei der im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB vorzunehmenden Interessenabwägung zwar ein Beurteilungsspielraum zu(Senat 11. Dezember 2003 - 2 AZR 36/03 - zu II 1 f der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 179 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 5). Eine eigene Abwägung durch das Revisionsgericht ist aber möglich, wenn die des Berufungsgerichts fehlerhaft oder unvollständig ist und sämtliche relevanten Tatsachen feststehen (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 36, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17; 12. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 61, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Ein solcher Fall liegt hier vor.

34

b) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung - etwa im Hinblick auf das Maß eines durch sie bewirkten Vertrauensverlusts und ihre wirtschaftlichen Folgen -, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf (Senat 28. Januar 2010 - 2 AZR 1008/08 - Rn. 26 mwN, DB 2010, 1709; 10. November 2005 - 2 AZR 623/04 - Rn. 38 mwN, AP BGB § 626 Nr. 196 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 11). Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind (st. Rspr., Senat 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 45, AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7). Als mildere Reaktionen sind insbesondere Abmahnung und ordentliche Kündigung anzusehen. Sie sind dann alternative Gestaltungsmittel, wenn schon sie geeignet sind, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck - die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen - zu erreichen (KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 251 mwN).

35

c) Die Notwendigkeit der Prüfung, ob eine fristgerechte Kündigung als Reaktion ausgereicht hätte, folgt schon aus dem Wortlaut des § 626 Abs. 1 BGB. Das Erfordernis weitergehend zu prüfen, ob nicht schon eine Abmahnung ausreichend gewesen wäre, folgt aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (die Kündigung als „ultima ratio“) und trägt zugleich dem Prognoseprinzip bei der verhaltensbedingten Kündigung Rechnung (Senat 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 47 f., AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7; 12. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 55 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Das Erfordernis gilt auch bei Störungen im Vertrauensbereich. Es ist nicht stets und von vorneherein ausgeschlossen, verlorenes Vertrauen durch künftige Vertragstreue zurückzugewinnen (Senat 4. Juni 1997 - 2 AZR 526/96 - zu II 1 b der Gründe, BAGE 86, 95).

36

aa) Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann (Schlachter NZA 2005, 433, 436). Die ordentliche wie die außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus. Sie dient der Objektivierung der negativen Prognose (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 283/08 - Rn. 14 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Abmahnung Nr. 5 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 75; Staudinger/Preis <2002> § 626 BGB Rn. 109). Ist der Arbeitnehmer ordnungsgemäß abgemahnt worden und verletzt er dennoch seine arbeitsvertraglichen Pflichten erneut, kann regelmäßig davon ausgegangen werden, es werde auch zukünftig zu weiteren Vertragsstörungen kommen (Senat 13. Dezember 2007 - 2 AZR 818/06 - Rn. 38, AP KSchG 1969 § 4 Nr. 64 = EzA KSchG § 4 nF Nr. 82).

37

bb) Nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist eine Kündigung nicht gerechtfertigt, wenn es mildere Mittel gibt, eine Vertragsstörung zukünftig zu beseitigen. Dieser Aspekt hat durch die Regelung des § 314 Abs. 2 BGB iVm. § 323 Abs. 2 BGB eine gesetzgeberische Bestätigung erfahren(Senat 12. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 56 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Einer Abmahnung bedarf es in Ansehung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes deshalb nur dann nicht, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft selbst nach Abmahnung nicht zu erwarten steht oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass eine Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist (vgl. Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 33, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17; 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 48 mwN, AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7).

38

cc) Diese Grundsätze gelten uneingeschränkt selbst bei Störungen des Vertrauensbereichs durch Straftaten gegen Vermögen oder Eigentum des Arbeitgebers (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 33, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17; 27. April 2006 - 2 AZR 415/05 - Rn. 19, AP BGB § 626 Nr. 203 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 17). Auch in diesem Bereich gibt es keine „absoluten“ Kündigungsgründe. Stets ist konkret zu prüfen, ob nicht objektiv die Prognose berechtigt ist, der Arbeitnehmer werde sich jedenfalls nach einer Abmahnung künftig wieder vertragstreu verhalten (vgl. auch Erman/Belling BGB 12. Aufl. § 626 Rn. 62; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 264; Preis AuR 2010, 242, 244; Reichel AuR 2004, 252; Schlachter NZA 2005, 433, 437).

39

d) Danach war eine Abmahnung hier nicht entbehrlich.

40

aa) Das Landesarbeitsgericht geht zunächst zutreffend davon aus, dass es einer Abmahnung nicht deshalb bedurfte, um bei der Klägerin die mögliche Annahme zu beseitigen, die Beklagte könnte mit der eigennützigen Verwendung der Bons einverstanden sein. Einer mutmaßlichen Einwilligung - die in anderen Fällen, etwa der Verwendung wertloser, als Abfall deklarierter Gegenstände zum Eigenverbrauch oder zur Weitergabe an Hilfsbedürftige oder dem Aufladen eines Mobiltelefons im Stromnetz des Arbeitgebers, naheliegend sein mag - stand im Streitfall die Weisung des Filialleiters entgegen, die keine Zweifel über den von der Beklagten gewünschten Umgang mit den Bons aufkommen ließ. Auf mögliche Unklarheiten in den allgemeinen Anweisungen der Beklagten zur Behandlung von Fundsachen und Fundgeld kommt es deshalb nicht an.

41

bb) Mit Recht hat das Landesarbeitsgericht zudem angenommen, das Verhalten der Klägerin stelle eine objektiv schwerwiegende, das Vertrauensverhältnis der Parteien erheblich belastende Pflichtverletzung dar.

42

(1) Mit der eigennützigen Verwendung der Leergutbons hat sich die Klägerin bewusst gegen die Anordnung des Filialleiters gestellt. Schon dies ist geeignet, das Vertrauen der Beklagten in die zuverlässige Erfüllung der ihr übertragenen Aufgaben als Kassiererin zu erschüttern. Erschwerend kommt hinzu, dass die Bons gerade ihr zur Verwahrung und ggf. Buchung als „Fehlbons“ übergeben worden waren. Das Fehlverhalten der Klägerin berührt damit den Kernbereich ihrer Arbeitsaufgaben. Sie war als Verkäuferin mit Kassentätigkeit beschäftigt. Als solche hat sie den weisungsgemäßen Umgang mit Leergutbons gleichermaßen sicher zu stellen wie den mit ihr anvertrautem Geld. Die Beklagte muss sich auf die Zuverlässigkeit und Ehrlichkeit einer mit Kassentätigkeiten betrauten Arbeitnehmerin in besonderem Maße verlassen dürfen. Sie muss davon ausgehen können, dass ihre Weisungen zum Umgang mit Sach- und Vermögenswerten unabhängig von deren Wert und den jeweiligen Eigentumsverhältnissen korrekt eingehalten werden. Als Einzelhandelsunternehmen ist die Beklagte besonders anfällig dafür, in der Summe hohe Einbußen durch eine Vielzahl für sich genommen geringfügiger Schädigungen zu erleiden. Verstößt eine Arbeitnehmerin, deren originäre Aufgabe es ist, Einnahmen zu sichern und zu verbuchen, vorsätzlich und zur persönlichen Bereicherung gegen eine Pflicht, die gerade dem Schutz des Eigentums und Vermögens des Arbeitgebers oder eines Kunden dient, liegt darin regelmäßig ein erheblicher, das Vertrauen in ihre Redlichkeit beeinträchtigender Vertragsverstoß.

43

(2) Der Einwand der Klägerin, ein Vertrauen auf Seiten der Beklagten bestehe ohnehin nicht, wie die in den Märkten praktizierte Videoüberwachung zeige, geht fehl. Jeder Arbeitnehmer hat die Pflicht, sich so zu verhalten, dass es um seinetwillen einer Kontrolle nicht bedürfte. Erweist sich ein zunächst unspezifisches, nicht auf konkrete Personen bezogenes, generelles „Misstrauen“ des Arbeitgebers schließlich im Hinblick auf einen bestimmten Mitarbeiter als berechtigt, wird erst und nur dadurch das Vertrauen in dessen Redlichkeit tatsächlich erschüttert.

44

cc) Auch wenn deshalb das Verhalten der Klägerin das Vertrauensverhältnis zur Beklagten erheblich belastet hat, so hat das Landesarbeitsgericht doch den für die Klägerin sprechenden Besonderheiten nicht hinreichend Rechnung getragen.

45

(1) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Klägerin habe nicht damit rechnen können, die Beklagte werde ihr Verhalten auch nur einmalig hinnehmen, ohne eine Kündigung auszusprechen. Die Klägerin habe ihre Pflichten als Kassiererin „auf das Schwerste“ verletzt. Mit dieser Würdigung ist es den Besonderheiten des Streitfalls nicht ausreichend gerecht geworden. Die Klägerin hat an der Kasse in unmittelbarer Anwesenheit ihrer Vorgesetzten bei einer nicht befreundeten Kollegin unabgezeichnete Leergutbons eingelöst. Dass sie mangels Abzeichnung nach den betrieblichen Regelungen keinen Anspruch auf eine Gutschrift hatte, war für die Kassenmitarbeiterin und die Vorgesetzte offenkundig und nicht zu übersehen. Das wusste auch die Klägerin, die deshalb aus ihrer Sicht unweigerlich würde Aufmerksamkeit erregen und Nachfragen auslösen müssen. Das zeigt, dass sie ihr Verhalten - fälschlich - als notfalls tolerabel oder jedenfalls korrigierbar eingeschätzt haben mag und sich eines gravierenden Unrechts offenbar nicht bewusst war. Für den Grad des Verschuldens und die Möglichkeit einer Wiederherstellung des Vertrauens macht es objektiv einen Unterschied, ob es sich bei einer Pflichtverletzung um ein Verhalten handelt, das insgesamt - wie etwa der vermeintlich unbeobachtete Griff in die Kasse - auf Heimlichkeit angelegt ist oder nicht.

46

(2) Das Landesarbeitsgericht hat die Einmaligkeit der Pflichtverletzung und die als beanstandungsfrei unterstellte Betriebszugehörigkeit der Klägerin von gut drei Jahrzehnten zwar erwähnt, ihnen aber kein ausreichendes Gewicht beigemessen.

47

(a) Für die Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung kann es von erheblicher Bedeutung sein, ob der Arbeitnehmer bereits geraume Zeit in einer Vertrauensstellung beschäftigt war, ohne vergleichbare Pflichtverletzungen begangen zu haben. Das gilt auch bei Pflichtverstößen im unmittelbaren Vermögensbereich (Senat 13. Dezember 1984 - 2 AZR 454/83 - zu III 3 a der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 81 = EzA BGB § 626 nF Nr. 94). Eine für lange Jahre ungestörte Vertrauensbeziehung zweier Vertragspartner wird nicht notwendig schon durch eine erstmalige Vertrauensenttäuschung vollständig und unwiederbringlich zerstört. Je länger eine Vertragsbeziehung ungestört bestanden hat, desto eher kann die Prognose berechtigt sein, dass der dadurch erarbeitete Vorrat an Vertrauen durch einen erstmaligen Vorfall nicht vollständig aufgezehrt wird. Dabei kommt es nicht auf die subjektive Befindlichkeit und Einschätzung des Arbeitgebers oder bestimmter für ihn handelnder Personen an. Entscheidend ist ein objektiver Maßstab. Maßgeblich ist nicht, ob der Arbeitgeber hinreichendes Vertrauen in den Arbeitnehmer tatsächlich noch hat. Maßgeblich ist, ob er es aus der Sicht eines objektiven Betrachters haben müsste. Im Arbeitsverhältnis geht es nicht um ein umfassendes wechselseitiges Vertrauen in die moralischen Qualitäten der je anderen Vertragspartei. Es geht allein um die von einem objektiven Standpunkt aus zu beantwortende Frage, ob mit einer korrekten Erfüllung der Vertragspflichten zu rechnen ist.

48

(b) Die Klägerin hat durch eine beanstandungsfreie Tätigkeit als Verkäuferin und Kassiererin über dreißig Jahre hinweg Loyalität zur Beklagten gezeigt.

49

(aa) Der Senat hatte davon auszugehen, dass diese Zeit ohne rechtlich relevante Beanstandungen verlaufen ist. Gegenstand einer der Klägerin erteilten Abmahnung war eine vor Kunden abgegebene, abfällige Äußerung gegenüber einem Arbeitskollegen. Dieses Verhalten steht mit dem Kündigungsvorwurf in keinerlei Zusammenhang; im Übrigen wurde die Abmahnung ein Jahr später aus der Personalakte entfernt. Schon aus tatsächlichen Gründen unbeachtlich ist das Geschehen im Zusammenhang mit der Einlösung eines Sondercoupons im November 2007. Die Klägerin hat im Einzelnen und plausibel dargelegt, weshalb ihr dabei im Ergebnis keine Bonuspunkte zugeschrieben worden seien, die ihr nicht zugestanden hätten. Dem ist die Beklagte nicht hinreichend substantiiert entgegengetreten.

50

(bb) Das in dieser Beschäftigungszeit von der Klägerin erworbene Maß an Vertrauen in die Korrektheit ihrer Aufgabenerfüllung und in die Achtung der Vermögensinteressen der Beklagten schlägt hoch zu Buche. Angesichts des Umstands, dass nach zehn Tagen Wartezeit mit einer Nachfrage der in Wahrheit berechtigten Kunden nach dem Verbleib von Leergutbons über Cent-Beträge aller Erfahrung nach nicht mehr zu rechnen war, und der wirtschaftlichen Geringfügigkeit eines der Beklagten entstandenen Nachteils ist es höher zu bewerten als deren Wunsch, nur eine solche Mitarbeiterin weiterzubeschäftigen, die in jeder Hinsicht und ausnahmslos ohne Fehl und Tadel ist. Dieser als solcher berechtigte Wunsch macht der Beklagten die Weiterbeschäftigung der Klägerin trotz ihres Pflichtenverstoßes mit Blick auf die bisherige Zusammenarbeit nicht unzumutbar. Objektiv ist das Vertrauen in die Zuverlässigkeit der Klägerin nicht derart erschüttert, dass dessen vollständige Wiederherstellung und ein künftig erneut störungsfreies Miteinander der Parteien nicht in Frage käme.

51

(3) Das prozessuale Verteidigungsvorbringen der Klägerin steht dieser Würdigung nicht entgegen.

52

(a) Die Wirksamkeit einer Kündigung ist grundsätzlich nach den objektiven Verhältnissen im Zeitpunkt ihres Zugangs zu beurteilen. Dieser Zeitpunkt ist im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB sowohl für die Prüfung des Kündigungsgrundes als auch für die Interessenabwägung maßgebend. Umstände, die erst danach entstanden sind, können die bereits erklärte Kündigung nicht rechtfertigen. Sie können allenfalls als Grundlage für eine weitere Kündigung oder einen Auflösungsantrag nach §§ 9, 10 KSchG dienen(Senat 28. Oktober 1971 - 2 AZR 15/71 - zu II 2 d der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 62 = EzA BGB § 626 nF Nr. 9; 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - zu III der Gründe, BAGE 2, 245).

53

(b) Nachträglich eingetretene Umstände können nach der Rechtsprechung des Senats für die gerichtliche Beurteilung allerdings insoweit von Bedeutung sein, wie sie die Vorgänge, die zur Kündigung geführt haben, in einem neuen Licht erscheinen lassen (Senat 13. Oktober 1977 - 2 AZR 387/76 - zu III 3 d der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 1 = EzA BetrVG 1972 § 74 Nr. 3; 28. Oktober 1971 - 2 AZR 15/71 - zu II 2 d der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 62 = EzA BGB § 626 nF Nr. 9; 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - zu III der Gründe, BAGE 2, 245). Dazu müssen zwischen den neuen Vorgängen und den alten Gründen so enge innere Beziehungen bestehen, dass jene nicht außer Acht gelassen werden können, ohne dass ein einheitlicher Lebensvorgang zerrissen würde (Senat 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - aaO; ErfK/Müller-Glöge 10. Aufl. § 626 Rn. 54; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 177; SPV/Preis 10. Aufl. Rn. 551; vgl. auch Walker NZA 2009, 921, 922). Es darf aber nicht etwa eine ursprünglich unbegründete Kündigung durch die Berücksichtigung späteren Verhaltens rückwirkend zu einer begründeten werden (Senat 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - aaO). Außerdem ist genau zu prüfen, welche konkreten Rückschlüsse auf den Kündigungsgrund späteres Verhalten wirklich erlaubt. Im Hinblick auf prozessuales Vorbringen (vgl. Senatsentscheidungen vom 24. November 2005 - 2 AZR 39/05 - AP BGB § 626 Nr. 197 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 12 und 3. Juli 2003 - 2 AZR 437/02 - AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 38 = EzA KSchG § 1 Verdachtskündigung Nr. 2)gilt nichts anderes.

54

(c) Danach kommt dem Prozessverhalten der Klägerin keine ihre Pflichtverletzung verstärkende Bedeutung zu. Es ist nicht geeignet, den Kündigungssachverhalt als solchen zu erhellen. Der besteht darin, dass die Klägerin unberechtigterweise ihr nicht gehörende Leergutbons zweier Kunden zum eigenen Vorteil eingelöst hat.

55

(aa) Dieser Vorgang erscheint insbesondere im Hinblick auf eine Wiederholungsgefahr nicht dadurch in einem anderen, für die Klägerin ungünstigeren Licht, dass diese zunächst die Identität der von ihr eingelösten und der im Kassenbüro aufbewahrten Bons bestritten hat. Das Gleiche gilt im Hinblick darauf, dass die Klägerin auch noch im Prozessverlauf die Möglichkeit bestimmter Geschehensabläufe ins Spiel gebracht hat, die erklären könnten, weshalb sie - wie sie stets behauptet hat - selbst bei Identität der Bons nicht wusste, dass sie ihr nicht gehörende Bons einlöste. Die von der Klägerin aufgezeigten Möglichkeiten einschließlich der einer gegen sie geführten Intrige mögen sich wegen der erforderlich gewordenen Befragungen der betroffenen Arbeitnehmer nachteilig auf den Betriebsfrieden ausgewirkt haben. Dies war aber nicht Kündigungsgrund. Unabhängig davon zielte das Verteidigungsvorbringen der Klägerin erkennbar nicht darauf, Dritte einer konkreten Pflichtverletzung zu bezichtigen. Der Kündigungsgrund wird auch nicht dadurch klarer, dass die Klägerin die Rechtsauffassung vertreten hat, erstmalige Vermögensdelikte zulasten des Arbeitgebers könnten bei geringem wirtschaftlichem Schaden eine außerordentliche Kündigung ohne vorausgegangene Abmahnung nicht rechtfertigen. Damit hat sie lediglich in einer rechtlich umstrittenen Frage einen für sie günstigen Standpunkt eingenommen. Daraus kann nicht abgeleitet werden, sie werde sich künftig bei Gelegenheit in gleicher Weise vertragswidrig verhalten.

56

(bb) Das Prozessverhalten der Klägerin mindert ebenso wenig das bei der Interessenabwägung zu berücksichtigende Maß des verbliebenen Vertrauens. Auch für dessen Ermittlung ist auf den Zeitpunkt des Kündigungszugangs abzustellen. Aus dieser Perspektive und im Hinblick auf den bis dahin verwirklichten Kündigungssachverhalt ist zu fragen, ob mit der Wiederherstellung des Vertrauens in eine künftig korrekte Vertragserfüllung gerechnet werden kann. In dieser Hinsicht ist das Verteidigungsvorbringen der Klägerin ohne Aussagekraft. Ihr wechselnder Vortrag und beharrliches Leugnen einer vorsätzlichen Pflichtwidrigkeit lassen keine Rückschlüsse auf ihre künftige Zuverlässigkeit als Kassiererin zu. Das gilt gleichermaßen für mögliche, während des Prozesses aufgestellte Behauptungen der Klägerin über eine ihr angeblich von der Kassenleiterin angetragene Manipulation im Zusammenhang mit der Einlösung von Sondercoupons im November 2007 und mögliche Äußerungen gegenüber Pressevertretern.

57

(cc) Anders als die Beklagte meint, wird dadurch nicht Verstößen gegen die prozessuale Wahrheitspflicht „Tür und Tor geöffnet“. Im Fall eines bewusst wahrheitswidrigen Vorbringens besteht die Möglichkeit, eine weitere Kündigung auszusprechen oder einen Auflösungsantrag nach §§ 9, 10 KSchG anzubringen. Dabei kann nicht jeder unzutreffende Parteivortrag als „Lüge“ bezeichnet werden. Die Wahrnehmung eines Geschehens ist generell nicht unbeeinflusst vom äußeren und inneren Standpunkt des Wahrnehmenden. Gleiches gilt für Erinnerung und Wiedergabe, zumal in einem von starker Polarität geprägten Verhältnis, wie es zwischen Prozessparteien häufig besteht. Wenn sich das Gericht nach den Regeln des Prozessrechts in §§ 138, 286 ZPO die - rechtlich bindende, aber um deswillen nicht der Gefahr des Irrtums enthobene - Überzeugung bildet, ein bestimmter Sachverhalt habe sich so und nicht anders zugetragen, ist damit die frühere, möglicherweise abweichende Darstellung einer Partei nicht zugleich als gezielte Irreführung des Gerichts oder der Gegenpartei ausgewiesen. Es bedarf vielmehr besonderer Anhaltspunkte, um einen solchen - schweren - Vorwurf zu begründen.

58

B. Die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung zum 30. September 2008 ist unwirksam. Auch dies vermag der Senat selbst zu entscheiden. Die Kündigung ist sozial ungerechtfertigt. Sie ist nicht durch Gründe im Verhalten der Klägerin iSv. § 1 Abs. 2 KSchG bedingt. Sie ist auf denselben Lebenssachverhalt gestützt wie die außerordentliche Kündigung. Der Beklagten war es aus den dargelegten Gründen zuzumuten, auf das mildere Mittel der Abmahnung zurückzugreifen.

59

C. Der Antrag auf Beschäftigung, der sich ersichtlich auf die Dauer des Kündigungsrechtsstreits beschränkte, kommt wegen der Beendigung des Verfahrens nicht mehr zum Tragen.

        

    Kreft    

        

    Schmitz-Scholemann    

        

    Berger    

        

        

        

    Torsten Falke    

        

    Bartz    

                 

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

Tenor

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 28. Mai 2014 - 10 Sa 770/13 - im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, wie es der Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts München vom 19. Juni 2013 - 19 Ca 13099/12 - stattgegeben hat.

2. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts München wird insgesamt zurückgewiesen.

3. Der Kläger hat die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.

2

Der Kläger wurde 1961 geboren, ist verheiratet und zwei Kindern zum Unterhalt verpflichtet. Er war seit 1989 - zunächst als Systemanalytiker und zuletzt als IT-Spezialist - bei der Beklagten beschäftigt. Die vereinbarte Wochenarbeitszeit belief sich auf 35 Stunden. Sein Arbeitsverhältnis war nach § 8 Ziff. 2 Abs. 3 Satz 1 des Manteltarifvertrags für die Arbeitnehmer der bayerischen Metall- und Elektroindustrie (MTV) vom 23. Juni 2008 verhaltensbedingt nur noch aus wichtigem Grund kündbar.

3

Zwischen den Parteien kam es mehrfach zu Unstimmigkeiten über die dem Kläger zugeteilten Aufgaben und sein berufliches Fortkommen. Mit E-Mail vom 30. März 2009 forderte dieser die Beklagte auf, ihn vertragsgemäß zu beschäftigen und sein „Aschenputtel-Dasein“ zu beenden. Die Beklagte übe „Psychoterror“ aus. Sie versuche, ihn zu zermürben und zu demütigen, was bei ihm zu einer seelischen Erkrankung geführt habe. Gleichzeitig kündigte er an, ggf. von einem Zurückbehaltungsrecht gemäß § 273 BGB Gebrauch machen zu wollen. Nach mehreren Gesprächen wurde ihm für die Zeit ab Oktober 2009 einvernehmlich die Tätigkeit eines IT-Chefarchitekten und die Leitung eines Projekts übertragen.

4

Das dem Kläger anvertraute Projekt endete spätestens im September 2011. Im Mai 2011 wurde ihm die Aufgabe eines sog. Blueprint-Vorfilterers und im Februar 2012 diejenige eines „TRM-Koordinators“ jeweils mit seinem Einverständnis übertragen. Nachdem die Einarbeitung abgeschlossen war, lasteten diese Tätigkeiten ihn für drei bis vier Stunden pro Woche aus. Das ihm im Juni 2012 unterbreitete Angebot, zusätzlich im Projekt „SharePoint“ tätig zu werden, lehnte er ab.

5

Mit E-Mail vom 10. September 2012 richtete der Kläger eine Petition an die Personalleitung der Beklagten. In der beigefügten PowerPoint-Präsentation führte er aus, dass seit 1996 eine „massive Entwicklungsblockade“ gegen ihn verhängt worden sei. Trotz seiner „ständig sehr guten Ergebnisse“ und der „mustergültigen Einhaltung aller geltenden Regeln“ sei er nicht befördert worden. Dieses „unternehmensbedingte, großangelegte Mobbing“ habe bei ihm zu „totaler Frustration“ geführt. Seine Arbeitsmoral liege „brach“, die „innere Kündigung (sei) perfekt“. Die Beklagte habe ihn „krank gemacht“, für eine „neue Aufgabe oder Funktion habe (er) keine Kraft mehr“. Er sei „körperlich erschöpft, sowie seelisch und geistig ausgebrannt“. Die Beklagte habe sein „Potenzial definitiv und unwiederbringlich kaputt gemacht“. Man befinde sich in einem Dilemma wie in einer „schlechten Ehe“ und solle sich „lieber heute als morgen voneinander trennen“. Die von ihm „bevorzugte Lösung“ sei deshalb eine „bezahlte Freistellung mit garantiertem Bestandsschutz bis zum Eintritt in die gesetzliche Rente bzw. die Freizeitphase der Altersteilzeit“. In einer weiteren E-Mail vom 20. September 2012 teilte der Kläger der Beklagten mit, ihm sei es nicht mehr möglich und zumutbar, seine Arbeitsleistung zu erbringen. Ab dem 1. Oktober 2012 werde er von einem Leistungsverweigerungsrecht nach § 275 Abs. 2 und Abs. 3 BGB Gebrauch machen.

6

Die Beklagte wies die Vorwürfe mit Schreiben vom 28. September 2012 zurück und ließ den Kläger wissen, dass sie es als schwerwiegende Verletzung seiner Hauptleistungspflicht betrachten und ggf. arbeitsrechtliche Konsequenzen bis hin zu einer Kündigung ziehen werde, wenn er der Arbeit fernbleiben sollte. Zugleich lud sie ihn für den 1. Oktober 2012 zu einem Personalgespräch ein. Der Kläger erwiderte mit E-Mail vom gleichen Tag, er sei „sprachlos“ aufgrund der „inhaltslosen Aussagen“ und „billigen Drohungen“. Die Beklagte habe „die Zusammenarbeit unmöglich gemacht“ und „ihre Glaubwürdigkeit und ihre Integrität restlos und unwiederbringlich kompromittiert“.

7

Der Kläger erschien - wie angekündigt - ab dem 1. Oktober 2012 nicht mehr zur Arbeit. In der Folge entspann sich zwischen den Parteien ein nicht geringer Schrift- und E-Mail-Wechsel, in dessen Zuge die Beklagte den Kläger zweimal wegen Arbeitsverweigerung abmahnte und ihn noch weitere drei Mal vergeblich zu einem Personalgespräch einlud. Im fünften Anlauf kam für den 15. Oktober 2012 ein solches Gespräch zustande, in dem die Parteien keine Einigung erzielen konnten. Mit Schreiben vom 17. Oktober 2012 erteilte die Beklagte dem Kläger eine „letztmalige Abmahnung“. Nachdem auch diese fruchtlos geblieben war, kündigte sie dessen Arbeitsverhältnis - nach Anhörung des Betriebsrats - mit Schreiben vom 26. Oktober 2012 außerordentlich fristlos, hilfsweise außerordentlich mit Auslauffrist zum 31. Mai 2013.

8

Hiergegen hat der Kläger sich rechtzeitig mit der vorliegenden Klage gewandt. Er hat gemeint, er habe seine Arbeitspflicht nicht verletzt, weil er wirksam ein Leistungsverweigerungsrecht geltend gemacht habe. Angesichts der gegen ihn verhängten „Entwicklungsblockade“ und des fortwährenden „Mobbing“ sei es ihm unzumutbar, weiterhin seine Arbeitsleistung zu erbringen. Die Kündigung stelle sich als Maßregelung dar.

9

Der Kläger hat - soweit noch von Interesse - beantragt

        

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die außerordentliche fristlose Kündigung vom 26. Oktober 2012 noch durch die außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist vom 26. Oktober 2012 aufgelöst worden ist.

10

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat gemeint, der Kläger habe seine Arbeitspflicht beharrlich verletzt. Er sei nicht berechtigt gewesen, die Leistung zu verweigern. Die von ihm - ohnehin unsubstantiiert - erhobenen Vorwürfe seien unzutreffend. Der Kläger habe sich auch nicht in einem entschuldbaren Rechtsirrtum befunden. Vielmehr sei er sich des mit seinem Vorgehen verbundenen Risikos bewusst gewesen.

11

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben. Mit der Revision verfolgt die Beklagte das Ziel, das erstinstanzliche Urteil wiederherzustellen.

Entscheidungsgründe

12

Die Revision ist zulässig und begründet.

13

A. Der Senat kann über die Revision entscheiden. Es kommt nicht darauf an, ob der Rechtsstreit deshalb nach § 244 Abs. 1 ZPO unterbrochen gewesen ist, weil der ursprüngliche Prozessbevollmächtigte des Klägers im Laufe des Revisionsverfahrens die Zulassung zur Anwaltschaft und damit gemäß § 11 Abs. 4 ArbGG die Fähigkeit verloren hat, die Vertretung seiner Partei fortzuführen(gegen eine Unterbrechung bei Bestellung eines Abwicklers BFH 10. Februar 1982 - I R 225/78 - BFHE 135, 445; für eine Unterbrechung trotz Bestellung eines Abwicklers OLG Köln 3. Juni 1993 - 12 W 19/93 - zu I der Gründe; Stein/Jonas/Roth ZPO 22. Aufl. § 244 Rn. 9). Eine mögliche Unterbrechung ist jedenfalls dadurch beendet worden, dass der Abwickler der Kanzlei des früheren Prozessbevollmächtigten mit Schriftsatz vom 30. April 2015 seine Bestellung gegenüber dem Bundesarbeitsgericht angezeigt hat und die Anzeige der Beklagten zugestellt worden ist (§ 244 Abs. 1, § 250 ZPO). Bei einem amtlich bestellten Abwickler handelt es sich um einen „bestellten neuen Anwalt“ iSv. § 244 Abs. 1 ZPO(BAG 13. Mai 1997 - 3 AZR 66/96 - zu A der Gründe).

14

B. Die Revision ist zulässig. Entgegen der Ansicht des Klägers ist sie ordnungsgemäß begründet worden.

15

I. Nach § 72 Abs. 5 ArbGG iVm. § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 ZPO gehört zum notwendigen Inhalt der Revisionsbegründung die Angabe der Revisionsgründe. Bei einer Sachrüge muss der vermeintliche Rechtsfehler des Landesarbeitsgerichts so aufgezeigt werden, dass Gegenstand und Richtung des Revisionsangriffs erkennbar sind. Dazu muss die Revisionsbegründung eine Auseinandersetzung mit den Gründen des angefochtenen Urteils enthalten. Das erfordert die genaue Darlegung der Gesichtspunkte, aus denen das angefochtene Urteil rechtsfehlerhaft sein soll (vgl. BAG 29. August 2013 - 2 AZR 273/12 - Rn. 16).

16

II. Diesen Anforderungen wird die Revisionsbegründung gerecht. Die Beklagte wendet sich gegen die Annahme des Landesarbeitsgerichts, unter Abwägung der beiderseitigen Interessen sei es ihr zumutbar, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen. Sie legt dar, welche von ihm festgestellten Umstände es außer Acht gelassen habe und wie daraus ein anderes Ergebnis folge. Diese Sachrüge wäre im Fall ihrer Begründetheit geeignet, das Berufungsurteil - soweit es durch die Beklagte angefochten wird - zu Fall zu bringen. Das reicht als Revisionsangriff aus. Darauf, ob die Beklagte die von ihr zudem erhobenen Verfahrensrügen ausreichend begründet hat, kommt es für die Zulässigkeit der Revision deshalb nicht an.

17

C. Die Revision ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage zu Unrecht stattgegeben. Sie ist unbegründet. Die außerordentliche fristlose Kündigung der Beklagten vom 26. Oktober 2012 hat das Arbeitsverhältnis der Parteien mit ihrem Zugang aufgelöst. Sie ist wirksam.

18

I. Es besteht ein wichtiger Grund iSv. § 626 BGB iVm. § 8 Ziff. 2 Abs. 3 Satz 1 MTV.

19

1. Nach § 8 Ziff. 2 Abs. 3 Satz 1 MTV können die Arbeitsverhältnisse von Arbeitnehmern, die - wie der Kläger - das 50. Lebensjahr vollendet und dem Betrieb oder Unternehmen mindestens 15 Jahre angehört haben, verhaltensbedingt nur noch aus wichtigem Grund gekündigt werden. Mit dem Begriff des „wichtigen Grundes“ knüpft der MTV an die gesetzliche Regelung des § 626 Abs. 1 BGB an(für insoweit vergleichbare Tarifverträge BAG 28. Oktober 2010 - 2 AZR 688/09 - Rn. 31; 12. Januar 2006 - 2 AZR 242/05 - Rn. 24).

20

2. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der - ggf. fiktiven - Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dabei ist zunächst zu untersuchen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“ und damit typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist oder nicht (BAG 23. Oktober 2014 - 2 AZR 865/13 - Rn. 19, BAGE 149, 355; 29. August 2013 - 2 AZR 273/12 - Rn. 19). Bei der Interessenabwägung ist die ordentliche Unkündbarkeit seines Arbeitsverhältnisses - hier: nach § 8 Ziff. 2 Abs. 3 Satz 1 MTV - nicht gesondert zugunsten des Arbeitnehmers zu berücksichtigen (vgl. BAG 27. Januar 2011 - 2 AZR 825/09 - Rn. 48 mwN, BAGE 137, 54).

21

3. Der Kläger hat einen „an sich“ wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB herbeigeführt, indem er die von ihm geschuldete Arbeitsleistung beharrlich verweigerte.

22

a) Die beharrliche Weigerung eines Arbeitnehmers, seine vertraglich geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen, ist „an sich“ geeignet, eine außerordentliche fristlose Kündigung zu rechtfertigen. Ein Arbeitnehmer verweigert die ihm angewiesene Arbeit beharrlich, wenn er sie bewusst und nachdrücklich nicht leisten will. Ob er zur Arbeitsleistung verpflichtet war, entscheidet sich nach der objektiven Rechtslage. Verweigert der Arbeitnehmer die Arbeitsleistung in der Annahme, er handele rechtmäßig, hat grundsätzlich er selbst das Risiko zu tragen, dass sich seine Rechtsauffassung als unzutreffend erweist (BAG 29. August 2013 - 2 AZR 273/12 - Rn. 29, 32).

23

b) Der kündigende Arbeitgeber ist darlegungs- und beweispflichtig für alle Umstände, die einen wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB begründen sollen. Ihn trifft die Darlegungs- und Beweislast auch für diejenigen Tatsachen, die einen vom Gekündigten behaupteten Rechtfertigungsgrund ausschließen. Allerdings hat hierzu der Arbeitnehmer seinerseits nach § 138 Abs. 2 ZPO substantiiert vorzutragen; er muss darlegen, warum sein Fehlen als „entschuldigt“ anzusehen sei. Nur die im Rahmen der insofern abgestuften Darlegungs- und Beweislast vom Arbeitnehmer behaupteten Tatsachen hat der Arbeitgeber zu widerlegen (vgl. BAG 17. Juni 2003 - 2 AZR 123/02 - zu II 2 b aa der Gründe; 21. Mai 1992 - 2 AZR 10/92 - zu II 2 b bb der Gründe, BAGE 70, 262).

24

c) Der Kläger verweigerte seit dem 1. Oktober 2012 die von ihm geschuldete Arbeitsleistung. Er war grundsätzlich verpflichtet, die ihm mit seinem Einverständnis übertragenen Tätigkeiten eines „Blueprint-Vorfilterers“ und eines „TRM-Koordinators“ auszuführen.

25

d) Der Kläger war nicht berechtigt, die Arbeitsleistung zu verweigern, weil es ihm gemäß § 275 Abs. 3 BGB unzumutbar gewesen wäre, sie zu erbringen.

26

aa) Nach § 275 Abs. 3 BGB kann der Schuldner die Leistung verweigern, wenn er sie persönlich zu erbringen hat und sie ihm unter Abwägung des ihr entgegenstehenden Hindernisses mit dem Leistungsinteresse des Gläubigers nicht zugemutet werden kann. Die Vorschrift betrifft das Spannungsverhältnis von Vertragstreue und Unzumutbarkeit der Arbeitsleistung (BAG 13. August 2010 - 1 AZR 173/09 - Rn. 12, BAGE 135, 203). Sie löst es (nur) dann zugunsten des Schuldners auf, wenn für diesen die Leistungserbringung in hohem Maße belastend ist (MüKoBGB/Ernst 6. Aufl. § 275 Rn. 116), weil ein Fall besonderer Leistungserschwerung vorliegt (Alpmann in jurisPK-BGB 7. Aufl. § 275 Rn. 70). Dem Schuldner kann die Erfüllung der von ihm persönlich zu erbringenden Leistung unzumutbar sein, wenn er dadurch Gefahr läuft, in bedeutsamen Rechtsgütern verletzt zu werden (vgl. Staudinger/Caspers (2014) § 275 Rn. 112: Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit). Im Falle einer zur Arbeitsunfähigkeit führenden Erkrankung des Arbeitnehmers selbst - nicht eines seiner nahen Angehörigen - ist umstritten, ob die Leistungsbefreiung automatisch gemäß § 275 Abs. 1 BGB eintritt oder der Betreffende erst von einem Leistungsverweigerungsrecht nach § 275 Abs. 3 BGB Gebrauch machen muss(zum Streitstand siehe Alpmann in jurisPK-BGB 7. Aufl. § 275 Rn. 71; MüKoBGB/Ernst 6. Aufl. § 275 Rn. 118).

27

bb) Dem Kläger war es nicht unzumutbar, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen.

28

(1) Er beruft sich nicht etwa darauf, dass er bereits arbeitsunfähig erkrankt gewesen sei. Eine entsprechende ärztliche Bescheinigung gemäß § 5 EFZG hat er nicht vorgelegt. Es ist auch nicht ersichtlich, dass eine Arbeitsunfähigkeit zumindest zu erwarten gewesen wäre, wenn er seine Tätigkeit fortgesetzt hätte. Zwar hat der Kläger behauptet, an einer psychischen Erkrankung zu leiden. Jedoch hat er diese nur schlagwortartig umschrieben. Es fehlt an Vortrag zu den Symptomen und dazu, wie sich die Krankheit - die ihm offenbar seit Jahren bekannt ist - in der jüngeren Vergangenheit entwickelt hat, welche konkreten Auswirkungen die Situation am Arbeitsplatz hatte und warum es ihm deshalb nicht mehr zugemutet werden konnte, die Arbeitsleistung fortzusetzen.

29

(2) Das Landesarbeitsgericht hat ohne Rechtsfehler angenommen, dass es dem Kläger nicht aufgrund von - drohenden - Persönlichkeitsrechtsverletzungen unzumutbar gewesen sei, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen (zur eingeschränkten Überprüfbarkeit der tatrichterlichen Würdigung vgl. BAG 28. Oktober 2010 - 8 AZR 546/09 - Rn. 20; 24. April 2008 - 8 AZR 347/07 - Rn. 36).

30

(a) Nicht jedes den Arbeitnehmer belastende Verhalten des Arbeitgebers oder eines seiner Repräsentanten (§ 278 BGB) stellt einen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte des Arbeitnehmers oder eine Verletzung vertraglicher Pflichten zur Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB) dar. Persönlichkeitsrechte werden nicht allein dadurch verletzt, dass im Arbeitsleben übliche Konflikte auftreten, die sich durchaus über einen längeren Zeitraum erstrecken können. Sozial- und rechtsadäquates Verhalten muss aufgrund der gebotenen objektiven Betrachtungsweise - dh. ohne Rücksicht auf das subjektive Empfinden des betroffenen Arbeitnehmers - von der rechtlichen Bewertung ausgenommen werden. Mangels entsprechender Systematik und Zielrichtung werden keine Rechte des Arbeitnehmers beeinträchtigt, wenn er von verschiedenen Vorgesetzten, die nicht zusammenwirken und die zeitlich aufeinanderfolgen, in seiner Arbeitsleistung kritisiert oder schlecht beurteilt wird. Dies gilt insbesondere dann, wenn seine Arbeitsleistung nicht nur beanstandet oder ignoriert, sondern auch positiv gewürdigt wird. Ebenso müssen Verhaltensweisen von Arbeitgebern oder Vorgesetzten unberücksichtigt bleiben, die lediglich eine Reaktion auf Provokationen durch den vermeintlich „gemobbten“ Arbeitnehmer darstellen. Insoweit fehlt es an der eindeutigen Täter-Opfer-Konstellation (BAG 16. Mai 2007 - 8 AZR 709/06 - Rn. 86, BAGE 122, 304).

31

(b) Zur Begründung des Vorwurfs, er sei systematisch in seiner beruflichen Entwicklung „blockiert“ worden, beruft der Kläger sich darauf, dass ihm Zwischenzeugnisse mit unrichtigem Inhalt erteilt, ein Telearbeitsplatz verweigert, Leistungspunkte gestrichen, keine herausfordernden Aufgaben übertragen und eine Fortbildung und Beförderung verwehrt worden seien. Weitere Verhaltensweisen der Beklagten hat er nicht konkret dargetan; es ersetzt keinen substantiierten Sachvortrag, Vorschriften zu benennen, gegen die sie verstoßen haben soll.

32

(c) Mit dem Landesarbeitsgericht lassen die vom Kläger geschilderten Verhaltensweisen weder einzeln für sich noch in ihrer Gesamtschau den Schluss auf eine Verletzung seines Persönlichkeitsrechts zu. Zwischen den Parteien bestanden lediglich Konflikte wie sie im Arbeitsleben üblich sind. Sie ergaben sich aus unterschiedlichen Auffassungen über die Qualität der Arbeitsleistung und -ergebnisse des Klägers. Es ist nicht ersichtlich, dass die Beklagte oder einer ihrer Repräsentanten (§ 278 BGB) auch nur in einem Einzelfall die Ebene der Sachlichkeit verlassen hätte. Im Übrigen würde selbst dies nicht ausreichen, um eine Rechtsverletzung anzunehmen (vgl. BAG 16. Mai 2007 - 8 AZR 709/06 - Rn. 76, BAGE 122, 304).

33

(aa) Der Kläger mag es als erniedrigend empfunden haben, dass ehemalige Kollegen zu seinen Vorgesetzten wurden. In diesem Empfinden mag er dadurch bestärkt worden sein, dass seine Arbeitsleistung schlechter beurteilt wurde, als er es für gerechtfertigt hielt. Er hatte jedoch keinen Rechtsanspruch darauf, gleichfalls befördert zu werden (vgl. zur „Fürsorgepflicht“ des Arbeitgebers BAG 23. September 1992 - 5 AZR 526/91 - zu II 6 der Gründe). Die Beklagte hat substantiiert dargetan, dass sie ihn nicht als „Führungskraft“ sehe, weil er aus ihrer Sicht nicht über ausreichende Gestaltungsfähigkeiten bei komplexen, noch unklaren Sachverhalten und nicht über das erforderliche Team- und Kommunikationsverhalten verfüge.

34

(bb) Es ist nicht ersichtlich, dass gegen den Kläger eine „Entwicklungsblockade“ verhängt worden wäre. Ihm sind Angebote zur Fort- und Weiterbildung unterbreitet worden. Diese hat er entweder nicht angenommen oder er hat die begonnenen Schulungen - etwa das sog. Gallup-Stärkentraining - vorzeitig abgebrochen. Wenn Probleme in seinem Arbeitsumfeld aufgetreten sind, hat die Beklagte versucht, Tätigkeiten in anderen Bereichen für ihn zu finden und ihm einen „unbelasteten Neustart“ zu ermöglichen. Nach seinen eigenen Angaben ist er nicht nur kritisiert, sondern verschiedentlich für seine Arbeitsleistung und seine Arbeitsergebnisse auch gelobt worden. Zu keiner Zeit wurde ihm eine Aufgabe entzogen. Die Notwendigkeit, ihm neue Tätigkeiten zuzuweisen, ergab sich vielmehr dadurch, dass die ihm übertragenen Projekte abgeschlossen waren. Dass der Kläger mit den ihm zuletzt übertragenen Tätigkeiten eines „Blueprint-Vorfilterers“ und eines „TRM-Koordinators“ nicht ausgelastet war, lässt nicht den Schluss zu, die Beklagte habe ihn auf das „Abstellgleis“ geschoben. Ihm ist zusätzlich ein Einsatz im Projekt „SharePoint“ angeboten worden. Diesen hat er - mit der Begründung, dass er sich dafür zunächst hätte fortbilden müssen - abgelehnt. Er hat auch im Prozess keine Angaben dazu gemacht, welche möglichen Aufgaben, die den arbeitsvertraglichen Vereinbarungen entsprochen und nicht eine Beförderung bedeutet hätten, die Beklagte ihm „vorenthalten“ habe.

35

(cc) Es kommt hinzu, dass die Auseinandersetzungen um den Telearbeitsplatz und die Streichung von Leistungspunkten bei Beginn der Arbeitsverweigerung bereits im Sinne des Klägers „ausgestanden“ waren. Ihm war ein Telearbeitsplatz eingerichtet worden. Sein Vorgesetzter hatte ihm lediglich nahegelegt, in seinem - des Klägers - eigenen Interesse gleichwohl ausreichend im Unternehmen „präsent“ zu sein. Die nach den bei der Beklagten üblichen Gepflogenheiten anlässlich eines Aufgabenwechsels „gehaltsneutral“ gestrichenen Leistungspunkte waren ihm auf seinen „Protest“ hin wieder gutgeschrieben worden. Das hatte für ihn eine Gehaltserhöhung zur Folge, obwohl er sich in der neuen Tätigkeit noch nicht in der dazu erforderlichen Weise „bewährt“ haben konnte.

36

e) Die Arbeitsverweigerung durch den Kläger war nicht in Ausübung eines Zurückbehaltungsrechts gemäß § 273 Abs. 1 BGB gerechtfertigt.

37

aa) Nach dieser Vorschrift darf der Schuldner, der aus dem gleichen Rechtsverhältnis, auf dem seine Verpflichtung beruht, einen fälligen Anspruch gegen den Gläubiger hat - sofern sich aus dem Schuldverhältnis nichts anderes ergibt -, die geschuldete Leistung verweigern, bis die ihm gebührende Leistung bewirkt wird. Dem Arbeitnehmer kann ein Recht zustehen, die Arbeitsleistung zurückzuhalten, wenn der Arbeitgeber seine aus dem Arbeitsverhältnis folgenden Haupt- oder Nebenpflichten schuldhaft nicht erfüllt. So liegt es beispielsweise, wenn der Arbeitgeber oder einer seiner Repräsentanten (§ 278 BGB) die Gesundheit des Arbeitnehmers oder dessen Persönlichkeitsrecht in erheblicher Weise verletzt und mit weiteren Verletzungen zu rechnen ist. Die Ausübung des Zurückbehaltungsrechts steht unter dem Gebot von Treu und Glauben nach § 242 BGB und unterliegt dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Dementsprechend muss der Arbeitnehmer unter Angabe des Grundes dem Arbeitgeber klar und eindeutig mitteilen, er werde dieses Recht mit Blick auf eine ganz bestimmte, konkrete Gegenforderung wahrnehmen. Nur so wird dem Arbeitgeber die Möglichkeit eröffnet, den möglichen Anspruch des Arbeitnehmers zu prüfen und ggf. zu erfüllen. Wenn der Arbeitnehmer berechtigterweise von einem Zurückbehaltungsrecht Gebrauch macht, liegt keine Arbeitsverweigerung vor (vgl. BAG 13. März 2008 - 2 AZR 88/07 - Rn. 39 ff. mwN).

38

bb) Entgegen der Annahme des Landesarbeitsgerichts hat der Kläger kein Zurückbehaltungsrecht nach § 273 Abs. 1 BGB geltend gemacht. Obwohl ihm ausweislich vorheriger Mitteilungen - etwa in der E-Mail vom 30. März 2009 - der Unterschied zwischen beiden Normen bestens bekannt war, hat er die Beklagte mit E-Mail vom 20. September 2012 (lediglich) wissen lassen, dass ihm die weitere Arbeitsleistung unzumutbar sei und er ab dem 1. Oktober 2012 von seinem Leistungsverweigerungsrecht nach § 275 Abs. 2 und Abs. 3 BGB Gebrauch machen werde. Noch in der Klageschrift hat er sich ausschließlich auf § 275 BGB bezogen. Dementsprechend hat er von der Beklagten nicht etwa verlangt, bestimmte Ansprüche zu erfüllen, Maßnahmen zu ergreifen oder Zustände zu beenden. Mithilfe der Weigerung, seine Arbeitsleistung zu erbringen, wollte er weder eine vertragsgemäße Beschäftigung noch die Unterlassung von weiterem „Mobbing“ erreichen. Vielmehr hat er lediglich „vorgeschlagen“, ihn unter Fortzahlung der Vergütung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze von der Arbeitsleistung freizustellen. Darin erblickte er nicht mehr als die Festschreibung dessen, was nach § 275 Abs. 3 iVm. § 326 Abs. 2 BGB ohnehin - unveränderlich - gelte.

39

cc) Gemäß den Ausführungen zu § 275 Abs. 3 BGB bestanden im Übrigen keine Gegenansprüche, auf die der Kläger ein Recht, seine Arbeitsleistung zurückzuhalten, erfolgreich hätte stützen können. Zwar hatte er einen Anspruch auf vertragsgemäße Beschäftigung im Umfang von 35 Wochenstunden. Auch wurde dieser von der Beklagten bei weitem nicht vollständig erfüllt, weil der Kläger nach den tatsächlichen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts mit den ihm zuletzt übertragenen Tätigkeiten eines „Blueprint-Vorfilterers“ und eines „TRM-Koordinators“ nur im Umfang von drei bis vier Stunden pro Woche ausgelastet war. Die „Unterbeschäftigung“ beruhte jedoch darauf, dass der Kläger die ihm ergänzend angetragene Tätigkeit im Projekt „SharePoint“ nicht hatte übernehmen wollen. Unter diesen Umständen wäre es rechtsmissbräuchlich iSv. § 242 BGB, die Arbeitsleistung mit dem Ziel zurückzuhalten, weitere Aufgaben zugewiesen zu bekommen.

40

f) Der Kläger hat seine geschuldete Arbeitsleistung bewusst und nachhaltig verweigert.

41

aa) Obgleich die Beklagte ihn mit Schreiben vom 28. September 2012 darauf hingewiesen hatte, dass sie dies als schwerwiegenden Verstoß gegen seine Hauptleistungspflicht betrachten und ggf. arbeitsrechtliche Konsequenzen ziehen werde, blieb er ab dem 1. Oktober 2012 der Arbeit fern und nahm sie trotz dreier Abmahnungen und mehrerer Aufforderungen der Beklagten bis zum Kündigungszeitpunkt - über mehr als dreieinhalb Wochen - nicht wieder auf.

42

bb) Der Kläger befand sich nicht in einem entschuldbaren Rechtsirrtum.

43

(1) Der Geltungsanspruch des Rechts bewirkt, dass der Schuldner das Risiko eines Rechtsirrtums grundsätzlich selbst trägt und es nicht dem Gläubiger überbürden kann (BAG 19. August 2015 - 5 AZR 975/13 - Rn. 31). Ein unverschuldeter Rechtsirrtum liegt nur vor, wenn der Schuldner seinen Irrtum auch unter Anwendung der zu beachtenden Sorgfalt nicht erkennen konnte. Dabei sind strenge Maßstäbe anzulegen. Es reicht nicht aus, dass er sich für seine eigene Rechtsauffassung auf eine eigene Prüfung und fachkundige Beratung stützen kann. Ein Unterliegen in einem möglichen Rechtsstreit muss zwar nicht undenkbar sein (vgl. BAG 12. November 1992 - 8 AZR 503/91 - zu I 1 der Gründe, BAGE 71, 350). Gleichwohl liegt ein entschuldbarer Rechtsirrtum nur dann vor, wenn der Schuldner damit nach sorgfältiger Prüfung der Sach- und Rechtslage nicht zu rechnen brauchte; ein normales Prozessrisiko entlastet ihn nicht (vgl. BAG 29. August 2013 - 2 AZR 273/12 - Rn. 34; BGH 6. Dezember 2006 - IV ZR 34/05 - zu II 1 a aa der Gründe; 27. September 1989 - IVa ZR 156/88 -).

44

(2) Der Kläger hat sich nicht fachkundig beraten lassen, bevor er die Arbeitsleistung verweigert hat. Nach seinem eigenen Vorbringen war er sich des Risikos, dass ein Leistungsverweigerungsrecht von den Gerichten verneint werden könnte, vollauf bewusst. Unter diesen Umständen kann von einem entschuldbaren, unvermeidbaren Rechtsirrtum keine Rede sein.

45

4. Bei der abschließenden Interessenabwägung überwiegt - entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts - das Interesse der Beklagten an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Dessen Fortsetzung war ihr selbst für den Lauf der - fiktiven - ordentlichen Kündigungsfrist von sieben Monaten zum Schluss eines Kalendermonats (§ 8 Ziff. 2 Abs. 2 Satz 1 MTV) nicht zuzumuten.

46

a) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der - fiktiven - Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Dabei lassen sich die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumindest bis zum Ende der Frist für eine ordentliche Kündigung zuzumuten war oder nicht, nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind. Sie scheidet aus, wenn es ein „schonenderes“ Gestaltungsmittel - etwa Abmahnung, Versetzung, ordentliche Kündigung - gibt, das ebenfalls geeignet ist, den mit einer außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck - nicht die Sanktion des pflichtwidrigen Verhaltens, sondern die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen des Arbeitsverhältnisses - zu erreichen (vgl. BAG 20. November 2014 - 2 AZR 651/13 - Rn. 21; 23. Oktober 2014 - 2 AZR 865/13 - Rn. 47, BAGE 149, 355).

47

b) Dem Berufungsgericht kommt bei dieser Prüfung und Interessenabwägung - obwohl es sich um Rechtsanwendung handelt - ein gewisser Beurteilungsspielraum zu. Seine Würdigung wird in der Revisionsinstanz aber daraufhin überprüft, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnormen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob es alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände widerspruchsfrei berücksichtigt hat (BAG 20. November 2014 - 2 AZR 651/13 - Rn. 24; 27. September 2012 - 2 AZR 646/11 - Rn. 42). Eine eigene Abwägung durch das Revisionsgericht ist dann möglich, wenn die des Berufungsgerichts fehlerhaft oder unvollständig ist und sämtliche relevanten Tatsachen feststehen (BAG 27. September 2012 - 2 AZR 646/11 - aaO; 19. April 2012 - 2 AZR 258/11 - Rn. 16).

48

c) Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, der Beklagten sei die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zuzumuten gewesen, hält der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht in allen Punkten stand.

49

aa) Die vom Landesarbeitsgericht vorgenommene Interessenabwägung ist insoweit nicht zu beanstanden, wie es zugunsten des Klägers die lange Dauer des Arbeitsverhältnisses, dessen von erheblichen Pflichtverletzungen freien Verlauf, seine Unterhaltspflichten und den Umstand berücksichtigt hat, dass die Beklagte nicht nach weiteren Möglichkeiten gesucht hat, ihn vertragsgemäß in Vollzeit zu beschäftigen. Dass der Kläger einen Einsatz im Projekt „SharePoint“ abgelehnt hatte, führte zwar dazu, dass er seine Arbeitsleistung nicht mit dem Ziel zurückhalten durfte, man möge ihm weitere Aufgaben übertragen. Dies entband die Beklagte jedoch nicht davon, „von sich aus“ andere bzw. zusätzliche Tätigkeiten für ihn zu suchen.

50

bb) Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht auf der anderen Seite die Schwere der Pflichtverletzung und den Grad des ihn treffenden Verschuldens zulasten des Klägers berücksichtigt.

51

(1) Die Pflichtverletzung des Klägers war schwerwiegend. Er hat gegen seine Hauptleistungspflicht verstoßen und es der Beklagten unmöglich gemacht, mit der von ihm geschuldeten Arbeitsleistung zu planen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob und ggf. welche Arbeiten aufgrund seiner Abwesenheit nicht erledigt wurden (vgl. dazu BAG 29. August 2013 - 2 AZR 273/12 - Rn. 43). Ebenso wenig ist es von Belang, dass er mit den Tätigkeiten als „Blueprint-Vorfilterer“ und „TRM-Koordinator“ lediglich für drei bis vier Wochenstunden ausgelastet war. Wollte man dies anders sehen, müssten geringfügig Beschäftigte selbst dann nicht mit einer Kündigung rechnen, wenn sie die Arbeitsleistung noch so beharrlich verweigern sollten.

52

(2) Den Kläger traf ein erhebliches Verschulden. Er war sich des mit seinem Vorgehen verbundenen Risikos nach eigenem Bekunden hinlänglich bewusst. Die Möglichkeit einer außerordentlichen fristlosen Kündigung hatte er ausdrücklich ins Kalkül gezogen.

53

cc) Das Landesarbeitsgericht durfte angesichts aller Umstände nicht annehmen, die Interessen des Klägers überwögen, weil der Beklagten eine mildere Reaktionsmöglichkeit zur Verfügung gestanden habe.

54

(1) Es hat gemeint, die Beklagte habe dem Kläger spätestens in dem Personalgespräch am 15. Oktober 2012 eine Verbesserung der von ihm als unerträglich empfundenen Arbeitssituation in Aussicht stellen und ihm so „den Weg zurück (…) ebnen“ müssen. Es könne „nicht von vornherein ausgeschlossen“ werden, „dass (er) ein solches Angebot wahrgenommen hätte“. Es sei ihm „gerade um eine angemessene Beschäftigung“ gegangen. Der Beklagten sei es deshalb zumutbar gewesen, dem Kläger zunächst „ein Entgegenkommen bei der Übernahme weiterer Aufgaben zu zeigen“.

55

(2) Die Annahme, darin habe ein milderes Mittel bestanden, das geeignet gewesen wäre, die Arbeitsverweigerung zu beenden, ist rechtsfehlerhaft. Sie steht im Widerspruch zu der Intention des Klägers, wie sie aus dessen vorangegangenen Bekundungen und - diese bestätigend - seinem Prozessvortrag deutlich geworden ist.

56

(a) Ausweislich seiner E-Mails vom 10., 20. und 28. September 2012 hielt der Kläger es für unzumutbar iSv. § 275 Abs. 3 BGB, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen. In Festschreibung dessen, was gemäß § 326 Abs. 2 BGB ohnehin gelte, „bevorzuge“ er eine bezahlte Freistellung bis zum Eintritt in die Regelaltersrente. Er war danach unter keinen Umständen (mehr) bereit, den bestehenden Arbeitsvertrag zu erfüllen. Die Beklagte musste mit Blick auf diese Äußerungen annehmen, dass sie ihn nicht dazu hätte bewegen können, seine ablehnende Haltung aufzugeben, indem sie ihm die Übernahme weiterer, den Vereinbarungen der Parteien entsprechender Aufgaben anböte. Eine „angemessene Beschäftigung“ wäre vielmehr in den Augen des Klägers - so musste es sich ihr darstellen - allenfalls eine solche gewesen, die eine Beförderung in den Bereich der „AT-Angestellten“ bzw. der „Führungskräfte“ bedeutet hätte. Und selbst das musste zweifelhaft erscheinen, nachdem er mit der E-Mail vom 28. September 2012 mitgeteilt hatte, die „innere Kündigung“ sei „perfekt“, für eine „neue Aufgabe oder Funktion habe (er) keine Kraft mehr“, die Beklagte habe „die Zusammenarbeit unmöglich gemacht“ und „ihre Glaubwürdigkeit und ihre Integrität restlos und unwiederbringlich kompromittiert“.

57

(b) Dass er schlechterdings nicht (mehr) bereit war, den bestehenden Arbeitsvertrag zu erfüllen, hat der Kläger durch seinen prozessualen Vortrag untermauert. So hat er im Schriftsatz vom 28. Mai 2013 ausgeführt, es sei „offensichtlich“, dass die „Vertrauensbasis nicht wiederhergestellt“ werden könne und die Prognose für eine erfolgreiche Zusammenarbeit „negativ“ sei. In seinem Schriftsatz vom 10. Juni 2013 hat er die einzigen Wege beschrieben, die er als gangbar ansehe, um den Konflikt der Parteien zu lösen: entweder eine bezahlte Freistellung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze oder die Zahlung einer Abfindung iHv. 1.502.550,00 Euro zzgl. einer Betriebsrente iHv. 600,00 Euro pro Monate. Als „worst case“ komme auch eine Fortführung des Arbeitsverhältnisses in Betracht, allerdings nur bei Gewährung einer Gehaltserhöhung, Zusage von Altersteilzeit und Androhung eines Ordnungsgelds für die Beklagte.

58

d) Gab es demnach kein milderes Mittel, um den Kläger dazu zu bewegen, künftig seinen Arbeitsvertrag zu erfüllen, überwog das Interesse der Beklagten daran, das Arbeitsverhältnis sofort zu beenden. Da der Kläger bei vollem Risikobewusstsein seine Hauptleistungspflicht nachhaltig verletzt und deren weitere Erfüllung abgelehnt hatte, ohne dass die Aussicht bestanden hätte, ihn „zur Umkehr“ bewegen zu können, hat er der Beklagten selbst die befristete Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar gemacht. Nicht anders läge es, wenn er sie - im Sinne des von ihm beschriebenen „worst-case“-Szenarios - dazu hätte „nötigen“ wollen, ihn zu befördern, ihm Altersteilzeit zu bewilligen und ihm eine Betriebsrente in der geforderten Höhe zu zahlen.

59

5. Die Beklagte hat die Erklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB gewahrt. Sie hat die Kündigung damit begründet, der Kläger weigere sich beharrlich, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen. Damit hat sie einen Dauertatbestand geltend gemacht, der sich fortlaufend neu verwirklichte (vgl. BAG 29. August 2013 - 2 AZR 273/12 - Rn. 45; 13. Mai 2004 - 2 AZR 36/04 - zu II 1 der Gründe).

60

II. Die Kündigung ist nicht deshalb nach § 134 BGB nichtig, weil sie gegen das Maßregelungsverbot des § 612a BGB verstieße. So läge es nur, wenn tragender Beweggrund, dh. wesentliches Motiv für sie eine zulässige Rechtsausübung gewesen wäre (vgl. BAG 20. Dezember 2012 - 2 AZR 867/11 - Rn. 45; 19. April 2012 - 2 AZR 233/11 - Rn. 47). Das wiederum setzte voraus, dass das geltend gemachte Recht tatsächlich existierte (ErfK/Preis 15. Aufl. § 612a BGB Rn. 5; KR/Treber 10. Aufl. § 612a BGB Rn. 6). Dem Kläger stand aber weder ein Leistungsverweigerungsrecht nach § 275 Abs. 3 BGB noch ein Zurückbehaltungsrecht nach § 273 Abs. 1 BGB zu. Er hat kein Recht in zulässiger Weise ausgeübt, sondern beharrlich die von ihm geschuldete Arbeitsleistung verweigert.

61

III. Die Kündigung ist nicht nach § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam. Der Betriebsrat ist ordnungsgemäß angehört worden. Hierüber besteht zwischen den Parteien kein Streit.

62

D. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1, § 97 Abs. 1 ZPO.

        

    Kreft    

        

    Rachor    

        

    Niemann    

        

        

        

    Krichel    

        

    Jan Eulen    

                 

Tenor

1. Auf die Revision des beklagten Landes wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Sachsen-Anhalt vom 19. Dezember 2014 - 4 Sa 10/14 - aufgehoben.

2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an eine andere Kammer des Landesarbeitsgerichts zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen und einer hilfsweise ordentlichen Kündigung.

2

Der 1954 geborene Kläger war bei dem beklagten Land seit Februar 1992 als Justizangestellter beschäftigt. Zuletzt war er am Oberlandesgericht N als „IT-Verantwortlicher“ tätig. Zu seinen Aufgaben gehörten die System- und Netzwerkbetreuung, die Verwaltung des sog. ADV-Depots, die Wartung, Pflege und Betreuung der Hard- und Software, die technische Unterstützung der Nutzer des Hauses, die Administration der elektronischen Berechtigungen und die Passwortvergabe. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien fand zuletzt der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) Anwendung.

3

Am 6. und am 19. März 2013 führte der Geschäftsleiter des Oberlandesgerichts mit dem Leiter der Wachtmeisterei - im Beisein der Vorsitzenden des örtlichen Personalrats - ein Personalgespräch. Dem Beamten wurde vorgehalten, unbefugt dienstliche Farbdrucker für die Erstellung sog. CD-Cover genutzt zu haben. In dem ersten Gespräch soll er laut eines „Besprechungsvermerks“ den Kläger als diejenige Person benannt haben, die für die Bestellung des Zubehörs für den EDV-Raum - einschließlich DVDs und CDs - verantwortlich gewesen sei.

4

Am 14. März 2013 unterzog der Geschäftsleiter den Arbeitsbereich des Klägers und den eines Justizhauptsekretärs, der sich mit dem Kläger das Dienstzimmer teilte, einer Geschäftsprüfung. In einem Vermerk des Geschäftsleiters vom 11. April 2013 („Prüfungsbericht“) heißt es, in der Zeit vom 1. Juli 2008 bis zum 31. Dezember 2012 seien für das Oberlandesgericht 2.325 DVDs und 1.500 CDs bestellt worden. Nach den eigenen Angaben des Klägers - so der Vermerk - seien zu dienstlichen Zwecken nur 150 bis 200 DVDs und etwa 50 CDs jährlich benötigt worden. Der Verbleib des restlichen Materials sei nicht aufzuklären. Auf einem mit dem Netzwerk des Oberlandesgerichts nicht verbundenen Computer sei lediglich der Kläger als „lokaler Admin“ und Nutzer festzustellen. Auf einer der Festplatten des Rechners seien nach Wiederherstellung vom Nutzer gelöschter Dateien 2.466 elektronische Bücher, 2.378 Bilddateien, 834 Audiodateien und 230 Videodateien gefunden worden. Ferner seien auf dem Rechner vier Programme installiert gewesen, die zum Umwandeln und Kopieren von DVDs und CDs geeignet seien. In der Zeit vom 6. Oktober 2010 bis zum 14. März 2013 sei eines von ihnen 1.128 Mal zur Bearbeitung von DVDs genutzt worden. Auf zwei weiteren externen Festplatten seien zusätzlich 41.242 Audiodateien, 1.822 Cover und 41 DVD-Kopien gefunden worden. Eine dritte externe Festplatte habe einen Ordner „Private Rechner“ enthalten. In den Schränken des Dienstzimmers hätten sich verschiedene leere und gefüllte „CD-Spindeln“ unterschiedlicher Größe, gebrannte Musik-CDs und leere DVDs befunden.

5

Mit Schreiben vom 16. April 2013 hörte das beklagte Land den örtlichen Personalrat zu einer beabsichtigten außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Parteien an.

6

Am 17. April 2013 fand zwischen dem Geschäftsleiter, einer Richterin am Oberlandesgericht und dem Kläger ein Personalgespräch statt. Dabei soll der Kläger - laut Vermerk - „sinngemäß“ erklärt haben, „alles, was auf dem Rechner bezüglich der DVDs“ sei, habe er „gemacht“. Er habe den Rechner mit nach Hause nehmen dürfen. „Natürlich [hätten sie] auch kopiert“. „Was das für DVDs und CDs“ gewesen seien, wisse er nicht mehr. Er habe „den Leuten einen Gefallen getan“. Er habe „manchmal“ festgestellt, dass sein Rechner von anderen Personen benutzt worden sei. Dies habe er nicht mitgeteilt, da es sich „nur“ um den „Test-Rechner“ gehandelt habe. Seit etwa Dezember 2012 habe er ein Passwort vergeben. Dieses sei aber für jeden, der seine Familie kenne, zu „knacken“ gewesen. Er habe „hundertprozentig“ keine „privaten Sachen“ für sich selbst „im Dienst gemacht“, sondern nur „für andere Leute aus dem OLG“.

7

Mit Schreiben vom 18. April 2013 informierte das beklagte Land den örtlichen Personalrat über den Inhalt des Gesprächs vom Vortag und über die Verwendungsmöglichkeiten des zur Bearbeitung von DVDs benutzten Umwandlungs- und Kopierprogramms. Zugleich teilte es mit, der Kläger habe sich nicht weiter geäußert. Mit Schreiben vom selben Tag erklärte der Personalrat, er habe die Angelegenheit „zur Kenntnis genommen“.

8

Mit Schreiben vom 18. April 2013, das dem Kläger am 22. April 2013 durch den Geschäftsleiter übergeben wurde, kündigte das beklagte Land das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos. In einem Vermerk heißt es, der Kläger habe bei Aushändigung der Kündigung erklärt, er nehme seine „zuvor getätigten Aussagen“ zurück. Er habe Kollegen und Vorgesetzte schützen wollen.

9

Am 22. April 2013 führte der Geschäftsleiter mit dem Bediensteten, auf dessen Arbeitsplatz sich die Geschäftsprüfung erstreckt hatte, im Beisein der Personalratsvorsitzenden ein Personalgespräch. Laut Vermerk soll der Mitarbeiter eingeräumt haben, CDs und DVDs für Musik und Filme jeweils „im mittleren dreistelligen Bereich … gebrannt“ zu haben. Die Vorlagen habe er in regelmäßigen Abständen vom Leiter der Wachtmeisterei und dem Kläger erhalten. Er habe das Kopierprogramm „für DVDs privat genutzt“. Die bei der zentralen Beschaffungsstelle des beklagten Landes bestellten DVDs und CDs seien in einem verschlossenen Schrank aufbewahrt worden. Der Schlüssel sei vom Kläger verwahrt und „immer mitgenommen“ worden.

10

Nach erneuter Anhörung des örtlichen Personalrats und mit dessen Zustimmung kündigte das beklagte Land das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Schreiben vom 13. Mai 2013, das dem Kläger zwei Tage später zuging, ordentlich zum 31. Dezember 2013.

11

Der Kläger hat sich mit der vorliegenden Klage rechtzeitig gegen beide Kündigungen gewandt. Er hat geltend gemacht, die fristlose Kündigung sei mangels wichtigen Grundes unwirksam, die ordentliche Kündigung sei sozial ungerechtfertigt. Das Kopierprogramm und andere auf dem „Test-Rechner“ installierte Software habe er nicht in dem zutage getretenen Umfang genutzt. Zwar habe er sich ihrer gelegentlich bedient. Dies stelle aber keine schwerwiegende Pflichtverletzung dar, zumal ihm die Nutzung dienstlicher Computer, auch von Zuhause aus, zu privaten Zwecken in geringem Umfang durchaus erlaubt gewesen sei. Im Dienst durchgeführte Kopiervorgänge hätten jeweils nur wenige Sekunden in Anspruch genommen. Sie hätten seine Arbeitszeit insgesamt nicht verkürzt. Jedenfalls habe er keine „illegalen Kopien“ gefertigt. Keiner der beanstandeten Brennvorgänge sei ihm persönlich zuzuordnen. Wer den „Test-Rechner“ wann genutzt habe, stehe nicht fest. Auch andere Bedienstete hätten sich Zugang zu ihm verschaffen können. Das Passwort sei allgemein bekannt gewesen. Eine erhebliche Zahl der beanstandeten Nutzungen falle in eine Zeit, in der er selbst krankheits- oder urlaubsbedingt abwesend gewesen sei. Das beklagte Land gehe selbst davon aus, dass ein Kollege Brennvorgänge in nicht geringem Umfang durchgeführt habe. Ohnehin befänden sich auf dem „Server“ des Gerichts tausende von privaten Dateien, ohne dass dies je zu Beanstandungen geführt habe. Den hohen Verbrauch von Büromaterialien habe er nicht zu vertreten. Im Übrigen sei die Frist des § 626 Abs. 2 BGB nicht gewahrt. Auch sei der Personalrat nicht ordnungsgemäß unterrichtet worden. Jedenfalls zu einem gegen ihn gerichteten Verdacht als Kündigungsgrund sei dieser nicht angehört worden.

12

Der Kläger hat beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die außerordentliche Kündigung des beklagten Landes vom 18. April 2013 noch durch dessen ordentliche Kündigung vom 13. Mai 2013 beendet worden ist;

        

2.    

das beklagte Land zu verurteilen, ihn zu unveränderten Bedingungen als Angestellten im Oberlandesgericht N im Rahmen der zuletzt ausgeübten - von ihm näher beschriebenen - Tätigkeit weiterzubeschäftigen.

13

Das beklagte Land hat beantragt, die Klage abzuweisen. Es hat die Kündigungen - auch wegen eines gegen den Kläger gerichteten Verdachts - als wirksam verteidigt. Der Kläger habe den ihm dienstlich anvertrauten Rechner während der Arbeitszeit umfangreich und unerlaubt zu privaten Zwecken - dem Kopieren und Brennen von DVDs und CDs mithilfe spezifischer, nicht zu dienstlichen Zwecken bestimmter Programme - genutzt. In 630 Fällen seien entsprechende Vorgänge zu Zeiten erfolgt, in denen er im Dienst gewesen sei. Die fraglichen Programme habe er zumindest während dieser Zeiten selbst genutzt. Dadurch habe er seine Vertragspflichten über einen langen Zeitraum in grober Weise verletzt. Durch das Herstellen illegaler Kopien habe er sich überdies strafbar gemacht. Zudem habe er „Arbeitszeitbetrug“ begangen. Auch habe er über 2.000 DVDs und über 1.000 CDs auf seine - des beklagten Landes - Kosten bestellt und privat verwendet. Mit seinem Verhalten habe er das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses notwendige Vertrauen unwiederbringlich zerstört. Die Frist zur Erklärung der Kündigung sei gewahrt. Der zur Kündigung berechtigte Präsident des Oberlandesgerichts habe vom Kündigungssachverhalt erst durch den Prüfbericht des Geschäftsleiters vom 11. April 2013 Kenntnis erlangt. Die Beteiligung des Personalrats sei in jeder Hinsicht ordnungsgemäß erfolgt.

14

Das Arbeitsgericht hat der Klage - hinsichtlich des Weiterbeschäftigungsantrags mit Einschränkungen - stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des beklagten Landes zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt das beklagte Land sein Begehren weiter, die Klage abzuweisen.

Entscheidungsgründe

15

Die zulässige Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil war aufzuheben. Die Sache war zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 ZPO).

16

A. Die Revision ist zulässig. Sie ist ordnungsgemäß innerhalb der Frist des § 74 Abs. 1 ArbGG begründet worden.

17

I. Nach § 72 Abs. 5 ArbGG iVm. § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 ZPO gehört zum notwendigen Inhalt der Revisionsbegründung die Angabe der Revisionsgründe. Bei einer Sachrüge muss die Revisionsbegründung den Rechtsfehler des Landesarbeitsgerichts so aufzeigen, dass Gegenstand und Richtung des Revisionsangriffs erkennbar sind. Dazu muss die Revisionsbegründung eine Auseinandersetzung mit den Gründen des angefochtenen Urteils enthalten. Dies erfordert die genaue Darlegung der Gründe, aus denen das angefochtene Urteil rechtsfehlerhaft sein soll (BAG 2. Mai 2014 - 2 AZR 490/13 - Rn. 15; 13. November 2013 - 10 AZR 639/13 - Rn. 11).

18

II. Diesen Anforderungen wird die Revisionsbegründung gerecht. Das beklagte Land setzt sich im Schriftsatz vom 7. April 2015 mit allen die angefochtene Entscheidung selbständig tragenden Begründungen des Landesarbeitsgerichts auseinander. Es zeigt auf, warum die Erwägungen sachlich unzutreffend sein sollen. Die Ausführungen zum wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB greift es mit der Begründung an, das Landesarbeitsgericht habe, soweit es die Kündigung unter dem Gesichtspunkt einer Tatkündigung für unwirksam erachtet habe, die den Kläger treffende, abgestufte Darlegungslast verkannt. Die Annahme des Gerichts, die Frist des § 626 Abs. 2 BGB sei nicht gewahrt, beruhe auf unzutreffenden Erwägungen zum Fristbeginn. Insbesondere habe das Landesarbeitsgericht nicht - wie geboten - auf die Person des Kündigungsberechtigten und dessen Kenntnis abgestellt. Soweit es auf die Möglichkeit verwiesen habe, strafrechtliche Ermittlungen zu veranlassen und deren Ergebnis abzuwarten, sei dies sachfremd. Soweit es gemeint habe, die Anhörung des Personalrats sei aufgrund von Äußerungen eines anderen Bediensteten vom 22. April 2013 nicht ordnungsgemäß, habe es den Grundsatz der subjektiven Determinierung verkannt. Diese Sachrügen wären im Falle ihrer Begründetheit geeignet, die angefochtene Entscheidung insgesamt, auch mit Blick auf die vorsorglich erklärte ordentliche Kündigung, zu Fall zubringen. Das reicht als Revisionsangriff aus, ohne dass es auf die Verfahrensrügen des beklagten Landes ankäme.

19

B. Die Revision ist begründet. Auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen durfte das Landesarbeitsgericht der Klage nicht stattgeben. Der Senat kann mangels zureichender Tatsachenfeststellungen nicht beurteilen, ob das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die außerordentliche fristlose Kündigung vom 18. April 2013 aufgelöst worden ist.

20

I. Die bisherigen Feststellungen tragen nicht das Ergebnis, ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB liege nicht vor.

21

1. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dabei ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“ und damit typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (BAG 8. Mai 2014 - 2 AZR 249/13 - Rn. 16; 29. August 2013 - 2 AZR 273/12 - Rn. 19 mwN).

22

2. Die Prüfung der Voraussetzungen des wichtigen Grundes ist in erster Linie Sache der Tatsacheninstanzen. Dennoch geht es um Rechtsanwendung, nicht um bloße Tatsachenfeststellung. Die Würdigung des Berufungsgerichts wird in der Revisionsinstanz darauf hin überprüft, ob es anzuwendende Rechtsbegriffe in ihrer allgemeinen Bedeutung verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnormen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob es alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände widerspruchsfrei berücksichtigt hat (BAG 26. September 2013 - 2 AZR 682/12 - Rn. 45, BAGE 146, 161; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 17, BAGE 134, 349).

23

3. Dieser Überprüfung hält die angefochtene Entscheidung nicht stand.

24

a) Revisionsrechtlich nicht zu beanstanden ist die Annahme des Landesarbeitsgerichts, die fristlose Kündigung sei nicht als sog. Verdachtskündigung gerechtfertigt (zu dieser und ihren Voraussetzungen vgl. BAG 23. Mai 2013 - 2 AZR 102/12 - Rn. 20; 24. Mai 2012 - 2 AZR 206/11 - Rn. 16 mwN). Dagegen wendet sich das beklagte Land nicht. Ein Rechtsfehler ist auch objektiv - im Ergebnis - nicht zu erkennen.

25

aa) Will der Arbeitgeber seine Kündigung auf den dringenden Verdacht einer erheblichen arbeitsvertraglichen Pflichtverletzung stützen, muss er dies dem Betriebs- oder Personalrat mitteilen und die Umstände angeben, aus denen sich dieser Verdacht ergeben soll. Informiert er das Gremium lediglich über eine - aus seiner Sicht tatsächlich erfolgte - Vertragspflichtverletzung des Arbeitnehmers, kann er sich im späteren Kündigungsschutzprozess zur Begründung der Kündigung nicht mehr auf den bloßen Verdacht einer entsprechenden Handlung stützen, wenn ihm die Verdachtsmomente bei Ausspruch der Kündigung bereits bekannt waren (für die Anhörung des Betriebsrats vgl. BAG 18. Juni 2015 - 2 AZR 256/14 - Rn. 47; 23. April 2008 - 2 ABR 71/07 - Rn. 24 mwN; für die Beteiligung des Personalrats nach § 79 Abs. 1 Satz 1 BPersVG vgl. BAG 10. April 2014 - 2 AZR 684/13 - Rn. 21). Nur wenn dem Arbeitgeber nachträglich neue Verdachtstatsachen bekannt geworden sind, ist ein Nachschieben des Verdachts als Kündigungsgrund - zumindest dann, wenn die maßgebenden Verdachtsmomente objektiv schon vor Zugang der Kündigung vorlagen - möglich. Weitere Voraussetzung ist, dass der Arbeitgeber den Betriebs- bzw. Personalrat zuvor in analoger Anwendung der maßgebenden Bestimmungen zu seiner entsprechenden Absicht angehört hat (vgl. BAG 23. Mai 2013 - 2 AZR 102/12 - Rn. 32; 11. April 1985 - 2 AZR 239/84 - zu B I 2 b ee der Gründe, BAGE 49, 39).

26

bb) Das Vorbringen des beklagten Landes lässt nicht den Schluss zu, es habe den Personalrat vor Zugang der Kündigung über seine Absicht unterrichtet, das Arbeitsverhältnis (auch) wegen des Verdachts einer pflichtwidrigen Handlung zu kündigen. Die Anschreiben an den Personalrat vom 16. und 18. April 2013 enthalten keine entsprechende Mitteilung. Das beklagte Land hat nicht geltend gemacht, dass ihm einzelne der in den Rechtsstreit eingeführten Verdachtstatsachen erst nach Zugang der Kündigung bekannt geworden seien. Dafür spricht auch objektiv nichts.

27

b) Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, die Kündigung sei auch unter dem Gesichtspunkt einer verwirklichten Pflichtverletzung - dh. einer „Tat“ - nicht berechtigt, ist rechtsfehlerhaft. Ihr ist schon nicht zu entnehmen, welchen tatsächlichen Sachverhalt das Landesarbeitsgericht seiner Beurteilung zugrunde gelegt hat.

28

aa) Im Tatbestand der angefochtenen Entscheidung hat sich das Landesarbeitsgericht in weiten Teilen auf die Wiedergabe von Vermerken des beklagten Landes beschränkt. Ob es die darin festgehaltenen Umstände einschließlich der Äußerungen des Klägers für wahr erachtet hat, ist nicht zweifelsfrei erkennbar.

29

bb) In den Entscheidungsgründen hat das Landesarbeitsgericht unter Wiederholung der Erwägungen des Arbeitsgerichts ausgeführt, trotz Vorliegens „gewisser Verdachtsmomente“ sei es letztlich eine unbewiesene Behauptung des beklagten Landes, es seien (alle) vorgefundenen Privatdateien dem Kläger zuzurechnen, dieser (allein) habe die Privatnutzungen und damit auch mögliche (nach § 106 UrhG strafbare) Vervielfältigungen und Brennvorgänge vorgenommen bzw. durchgeführt. Keiner der dokumentierten Vorgänge lasse sich einzelnen Personen - etwa dem Kläger - zuordnen. Es sei auch „nicht bewiesen“, dass es gerade dieser gewesen sei, der die Kopierprogramme installiert habe. „Allein die Tatsache“, dass zahlreiche dokumentierte „Vorgänge“ Zeiten beträfen, während derer sich der Kläger nicht am Arbeitsplatz aufgehalten habe, beweise, dass andere Personen sowohl Zugriff auf den Rechner gehabt hätten als auch in der Lage gewesen seien, die Kopierprogramme zu nutzen. Auch diesen Ausführungen ist nicht zu entnehmen, von welchem konkreten, seiner Meinung nach feststehenden Sachverhalt das Landesarbeitsgericht ausgegangen ist. Es ist insbesondere nicht ersichtlich, worin es die - für nicht ausreichend erachteten - „Verdachtsmomente“ erblickt hat.

30

c) Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts kann selbst dann keinen Bestand haben, wenn unterstellt wird, es habe den Inhalt der Vermerke und das sonstige Vorbringen des beklagten Landes als wahr unterstellt. Unter dieser Prämisse verletzt seine Würdigung die Vorschrift des § 626 Abs. 1 BGB. Es fehlt an einer nachprüfbaren Unterordnung des behaupteten Kündigungssachverhalts unter die Norm.

31

aa) Die Beurteilung des Landesarbeitsgerichts, die Kündigung sei auch als sog. Tatkündigung nicht berechtigt, ist schon im Ansatz nicht nachzuvollziehen. Sie lässt nicht erkennen, wie es den von der Beklagten unterbreiteten Kündigungssachverhalt materiell-rechtlich eingeordnet, dh. welche konkreten, möglicherweise als wichtiger Grund geeigneten Pflichtverletzungen es in Betracht gezogen hat. Zudem ist nicht erkennbar, dass es seine Würdigung in tatsächlicher Hinsicht auf alle in Frage kommenden Kündigungsgründe ausgerichtet hätte.

32

(1) Nach dem Vorbringen des beklagten Landes kommt eine Berechtigung der fristlosen Kündigung unter mehreren Gesichtspunkten in Betracht. Vorrangig erhebt das Land den Vorwurf, der Kläger habe - sei es als Allein-, sei es als Mittäter - wiederholt unter Nutzung dienstlicher Ressourcen urheberrechtswidrig Musik- und Audiodateien vervielfältigt. Ein solches Verhalten ist als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB „an sich“ geeignet. Ein Arbeitgeber hat, zumal wenn es sich bei ihm um eine Justizbehörde handelt, ein offenkundiges Interesse daran, dass nicht dienstliche Rechner dazu benutzt werden, unter Umgehung eines Kopierschutzes Vervielfältigungen privat beschaffter Musik- oder Film-CDs/DVDs herzustellen. Das gilt losgelöst von einer möglichen Strafbarkeit der Vorgänge (zur Problematik vgl. Treppehl/Schmidl NZA 2009, 985 ff.) und unabhängig davon, ob die Handlungen während der Arbeitszeit vorgenommen wurden. Eine Strafbarkeit der Kopier- und Brennvorgänge oder ein damit einhergehender „Arbeitszeitbetrug“ wäre allerdings geeignet, das Gewicht des Kündigungsgrundes noch zu verstärken. Dies wiederum kann für das Erfordernis einer Abmahnung und die weitere Interessenabwägung Bedeutung gewinnen. Darüber hinaus kann die dem Kläger angelastete zweckwidrige Verwendung von CD- und/oder DVD-Rohlingen, die auf Kosten des beklagten Landes bestellt wurden, als eigenständiger Kündigungsgrund Bedeutung erlangen.

33

(2) Die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts lassen nicht erkennen, dass es die Wirksamkeit der fristlosen Kündigung unter jedem dieser Gesichtspunkte überprüft und seine Würdigung - soweit es „Verdachtsmomente“ gewichtet hat - hierauf ausgerichtet hätte.

34

bb) Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, das beklagte Land habe weder eine strafbare Urheberrechtsverletzung noch eine ähnlich schwerwiegende Vertragspflichtverletzung nachgewiesen, ist auch aus anderen Gründen rechtsfehlerhaft.

35

(1) Gemäß § 286 Abs. 1 ZPO haben die Tatsacheninstanzen unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlung und des Ergebnisses einer ggf. durchgeführten Beweisaufnahme nach ihrer freien Überzeugung darüber zu befinden, ob sie eine tatsächliche Behauptung für wahr erachten oder nicht. Die Beweiswürdigung muss vollständig, widerspruchsfrei und umfassend sein. Mögliche Zweifel müssen überwunden, brauchen aber nicht völlig ausgeschlossen zu werden (vgl. BAG 23. Oktober 2014 - 2 AZR 865/13 - Rn. 44; 31. Mai 2007 - 2 AZR 276/06 - Rn. 42, BAGE 123, 1). Soll ein Vortrag mittels Indizien bewiesen werden, hat das Gericht zu prüfen, ob es die vorgetragenen Hilfstatsachen - deren Richtigkeit unterstellt - von der Wahrheit der Haupttatsache überzeugen. Das Gericht hat die insoweit maßgebenden Umstände vollständig und verfahrensrechtlich einwandfrei zu ermitteln und alle Beweisanzeichen erschöpfend zu würdigen (BGH 16. Januar 1990 - VI ZR 109/89 - zu II 2 der Gründe; 4. Juli 1989 - VI ZR 309/88 - zu II 2 der Gründe). Dabei sind die Tatsacheninstanzen grundsätzlich frei darin, welche Beweiskraft sie den behaupteten Indiztatsachen im Einzelnen und in einer Gesamtschau beimessen (BAG 18. Juni 2015 - 2 AZR 480/14 - Rn. 35; allgemein zum Indizienbeweis BAG 23. Oktober 2014 - 2 AZR 865/13 - Rn. 43). Revisionsrechtlich ist ihre Würdigung allein darauf hin zu überprüfen, ob alle Umstände vollständig berücksichtigt und nicht Denk- und Erfahrungsgrundsätze verletzt wurden. Um diese Überprüfung zu ermöglichen, haben die Tatsachengerichte nach § 286 Abs. 1 Satz 2 ZPO die wesentlichen Grundlagen ihrer Überzeugungsbildung nachvollziehbar darzulegen(BAG 19. April 2005 - 9 AZR 184/04 - zu II 3 der Gründe; BGH 31. Juli 2013 - VII ZR 11/12 - Rn. 10; 22. November 2006 - IV ZR 21/05 - Rn. 11; 22. Januar 1991 - VI ZR 97/90 - zu II 1 der Gründe).

36

(2) Danach rügt das beklagte Land zu Recht eine Verletzung von § 286 ZPO. Der Würdigung des Landesarbeitsgerichts ist nicht zu entnehmen, welche möglichen Indiztatsachen („Verdachtsmomente“) es in seine Beurteilung einbezogen und welchen Beweiswert es ihnen beigemessen hat. Damit ist nicht erkennbar, ob es den Vortrag des beklagten Landes vollständig zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat.

37

(3) Der Annahme eines wichtigen Grundes steht nicht entgegen, dass das beklagte Land den Sachverhalt - jedenfalls bis zum Zeitpunkt der Kündigungserklärung - selbst ermittelt hat. Das mindert weder den Beweiswert der in Rede stehenden Indizien, noch ist die Kündigung deshalb unwirksam, weil polizeiliche oder staatsanwaltschaftliche Ermittlungen möglicherweise zu weitergehenden Ergebnissen geführt hätten. Soweit das Landesarbeitsgericht gemeint hat, das beklagte Land habe zu bestimmten, potentiell entlastenden Umständen nicht ausreichend vorgetragen, wird seine Rechtsanwendung überdies der den Kläger insoweit treffenden abgestuften Darlegungslast (§ 138 Abs. 2 ZPO) nicht gerecht.

38

(a) Die Rechtfertigung einer „Tatkündigung“ hängt allein davon ab, ob im Kündigungszeitpunkt objektiv Tatsachen vorlagen, die zu der Annahme berechtigen, dem Kündigenden sei die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses - im Fall der außerordentlichen Kündigung bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - unzumutbar gewesen. Vor diesem Hintergrund mag eine umfassende, der Kündigung vorausgehende Sachverhaltsaufklärung im eigenen Interesse des Arbeitgebers liegen. Unterlässt er sie, geht er aber „nur“ das Risiko ein, die behauptete Pflichtverletzung im Prozess nicht beweisen zu können. Anders als bei der Verdachtskündigung ist der Arbeitgeber vor Ausspruch einer „Tatkündigung“ nicht verpflichtet, alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts - auch mit Blick auf den Arbeitnehmer möglicherweise entlastende Umstände - zu unternehmen. Ob der behauptete Kündigungsgrund vorliegt, beurteilt sich allein danach, ob die ihn tragenden und im Prozess mitgeteilten Tatsachen bewiesen sind oder nicht (vgl. BAG 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 57, BAGE 131, 155; 18. September 1997 - 2 AZR 36/97 - zu II 2 a der Gründe; zur Verdachtskündigung siehe demgegenüber BAG 25. Oktober 2012 - 2 AZR 700/11 - Rn. 13 mwN, BAGE 143, 244). Im Übrigen braucht der Arbeitgeber selbst bei der Verdachtskündigung nicht jeder noch so entfernten Möglichkeit einer Entlastung des Arbeitnehmers nachzugehen, insbesondere dann nicht, wenn sich der Arbeitnehmer im Rahmen seiner Anhörung auf entsprechende Umstände nicht berufen hat.

39

(b) Auf der Grundlage des bisherigen Parteivorbringens durfte das Landesarbeitsgericht nicht davon ausgehen, das beklagte Land sei seiner prozessualen Darlegungslast mit Blick auf mögliche Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründe nicht hinreichend nachgekommen.

40

(aa) Im Kündigungsschutzprozess obliegt dem Arbeitgeber die volle Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen eines Kündigungsgrundes (BAG 8. Mai 2014 - 2 AZR 75/13 - Rn. 30, BAGE 148, 129). Für Umstände, die das Verhalten des Arbeitnehmers rechtfertigen oder entschuldigen könnten, ist seine Darlegungslast allerdings abgestuft. Der Arbeitgeber darf sich zunächst darauf beschränken, den objektiven Tatbestand einer Arbeitspflichtverletzung vorzutragen. Er muss nicht jeden erdenklichen Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgrund vorbeugend ausschließen (BAG 3. November 2011 - 2 AZR 748/10 - Rn. 23; 21. Mai 1992 - 2 AZR 10/92 - zu II 2 b bb der Gründe, BAGE 70, 262). Es ist vielmehr Sache des Arbeitnehmers, für das Eingreifen solcher Gründe - soweit sie sich nicht unmittelbar aufdrängen - zumindest greifbare Anhaltspunkte zu benennen.

41

(bb) Schon auf der Tatbestandsebene des wichtigen Grundes kann den Arbeitnehmer darüber hinaus eine sekundäre Darlegungslast treffen. Dies kommt insbesondere dann in Betracht, wenn der Arbeitgeber als primär darlegungsbelastete Partei außerhalb des fraglichen Geschehensablaufs steht, während der Arbeitnehmer aufgrund seiner Sachnähe die wesentlichen Tatsachen kennt. In einer solchen Situation kann der Arbeitnehmer gehalten sein, dem Arbeitgeber durch nähere Angaben weiteren Sachvortrag zu ermöglichen (BAG 21. Juni 2012 - 2 AZR 694/11 - Rn. 52, BAGE 142, 188; 18. September 2008 - 2 AZR 1039/06 - Rn. 31). Kommt er in einer solchen Prozesslage seiner sekundären Darlegungslast nicht nach, gilt das tatsächliche Vorbringen des Arbeitgebers - soweit es nicht völlig „aus der Luft gegriffen“ ist - iSv. § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden(vgl. BAG 18. September 2008 - 2 AZR 1039/06 - aaO). Dabei dürfen an die sekundäre Behauptungslast des Arbeitnehmers keine überzogenen Anforderungen gestellt werden. Sie dient lediglich dazu, es dem kündigenden Arbeitgeber als primär darlegungs- und beweispflichtiger Partei zu ermöglichen, weitere Nachforschungen anzustellen und sodann substantiiert zum Kündigungsgrund vorzutragen und ggf. Beweis anzutreten (zu den Einzelheiten vgl. BAG 18. September 2008 - 2 AZR 1039/06 - Rn. 33).

42

(cc) Danach musste das beklagte Land nicht von sich aus denkbare Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe auf Seiten des Klägers ausschließen. Die gegenteilige Sichtweise des Landesarbeitsgerichts überspannt die Anforderungen an die Darlegungslast des Arbeitgebers und geht von einer Ermittlungspflicht aus, die zumindest bei einer „Tatkündigung“ nicht besteht.

43

(dd) Das Landesarbeitsgericht hat zwar einzelne Gesichtspunkte angesprochen, die einer weiteren Aufklärung zugänglich gewesen sein sollen. Es hat aber nicht aufgezeigt, warum sie einer möglichen Entlastung des Klägers hätten dienen können. Das ist auch nicht unmittelbar ersichtlich.

44

(aaa) Das Landesarbeitsgericht hat auf Äußerungen anderer Bediensteter verwiesen, die ausweislich vorliegender Besprechungsvermerke eingeräumt hätten, „an den hier streitgegenständlichen Geschehnissen im OLG“ beteiligt gewesen zu sein. Der im gleichen Dienstzimmer wie der Kläger tätige Justizhauptsekretär habe „sozusagen“ in Teilen ein „Geständnis“ abgelegt. Weshalb diese Erklärungen den Vorwurf sollten entkräften können, der Kläger habe während seiner Anwesenheitszeiten im Gericht in erheblichem Umfang Kopier- und Brennvorgänge eigenhändig vorgenommen, erschließt sich nicht. Das gilt erst recht unter Berücksichtigung des Vorhalts des beklagten Landes, der Kläger habe mit anderen Bediensteten arbeitsteilig zusammengewirkt oder sie bei ihrem pflichtwidrigen Verhalten maßgeblich unterstützt. Ebenso wenig erschließt sich die Relevanz der Äußerungen mit Blick auf den Vorwurf, der Kläger habe in erheblichem Umfang Verbrauchsmaterialien auf Kosten des beklagten Landes bestellt, ohne dass dafür ein dienstlicher Anlass bestanden hätte und ihr Verbleib geklärt wäre.

45

(bbb) Der Kläger hat - soweit ersichtlich - nicht behauptet, der Inhalt eines bei der Geschäftsprüfung im Schrank eines anderen Bediensteten vorgefundenen, verschlossenen Kartons habe zu seiner Entlastung beitragen können. Es ist deshalb nicht ersichtlich, inwieweit das Unterbleiben einer Aufklärung dem beklagten Land zum Nachteil gereichen könnte. Die Erwägungen des Landesarbeitsgerichts bewegen sich im Bereich der Spekulation.

46

(ccc) Soweit das Landesarbeitsgericht „Erläuterungen“ zu den Aufgaben des Klägers, insbesondere hinsichtlich einer „technischen Unterstützung der Nutzer des Hauses“ und zur Verteilung der Aufgaben und Verantwortlichkeiten auf insgesamt vier Administratoren vermisst hat, bleiben seine Ausführungen im Vagen haften. Es hat nicht festgestellt, dass beim Kläger aufgrund der ihm eingeräumten Befugnisse der Eindruck habe entstehen können, er dürfe im Dienst auf dienstlichen Rechnern unter Umgehung von Kopierschutz Vervielfältigungen privat beschaffter CDs und DVDs vornehmen und Verbrauchsmaterialien in erheblichem Umfang zu ausschließlich privaten Zwecken bestellen und verwenden oder sie Dritten zur privaten Nutzung überlassen. Eine solche Annahme liegt auch fern. Das Gleiche gilt für die Behauptung des Klägers, ein zwischenzeitlich außer Dienst getretener Referatsleiter habe ihm erlaubt, sich während der Arbeitszeit um die „Privatrechner“ der Bediensteten und ihrer Angehörigen „zu kümmern“. Daraus durfte der Kläger jedenfalls nicht schließen, er habe urheberrechtsverletzende Kopier- und Brennvorgänge auf dienstlichen Computern vornehmen und dienstliche Materialien privat verwenden dürfen. Auf die Verfahrensrüge, mit der sich das beklagte Land gegen die Feststellungen des Landesarbeitsgerichts zum Inhalt der fraglichen Erlaubnis wendet, kommt es hierfür nicht an.

47

(ddd) Unklar bleibt, welche den Kläger entlastenden Schlussfolgerungen daraus zu ziehen sein sollen, dass die in Rede stehende Nutzung des „Test-Rechners“ lange Zeit unbemerkt blieb. Die entsprechende Erwägung des Landesarbeitsgerichts berücksichtigt zudem nicht, dass das beanstandete Verhalten des Klägers auf Heimlichkeit angelegt und der fragliche Computer an das Netzwerk des Oberlandesgerichts nicht angeschlossen war.

48

(eee) Das beklagte Land hat unter Beweisantritt vorgebracht, der Kläger sei für die Verwaltung des „ADV-Depots“ zuständig und für die Bestellung der „EDV-Verbrauchsmittel“ verantwortlich gewesen. Es hat die Anzahl der von ihm ermittelten Bestellungen für die Zeit von Juli 2008 bis Dezember 2012 genannt und dem die Behauptung des Klägers gegenüber gestellt, bei ihm seien „seit Einführung von Juris“ - wohl im Jahr 2006 - „kaum“ DVDs und CDs „von Bediensteten“ abgefordert worden. Außerdem hat es auf den Geschäftsprüfungsbericht und dessen Anlage 3 verwiesen und behauptet, daraus gehe hervor, dass im fraglichen Zeitraum für das Oberlandesgericht mehr als die doppelte Zahl von CD- und DVD-Rohlingen bestellt worden sei als für die in M ansässige „ADV-Stelle Justiz“. Zudem hat es behauptet, der Kläger habe die Verbrauchsmaterialien unter Verschluss gehalten, soweit er sie nicht an Dritte herausgegeben habe, und habe erklärt, zum Verbleib der Materialien keine Angaben machen zu können. Das Landesarbeitsgericht hat sich mit diesem Vorbringen nicht auseinandergesetzt. Es hat sich darauf beschränkt, pauschal auf die Möglichkeit weiterer Ermittlungen zu „Bestellvorgänge[n], Zeichnung und Gegenzeichnung unter Beteiligung welcher Bediensteter des OLG, ggf. nebst Kostenvergleichen anderer vergleichbarer Behörden“ zu verweisen. Dem Hinweis ist nicht zu entnehmen, dass - und ggf. warum - es den Vortrag des beklagten Landes selbst unter der Prämisse für erläuterungsbedürftig erachtet hat, er sei wahr.

49

(fff) Es kommt hinzu, dass der Kläger laut Gesprächsvermerk vom 17. April 2013 eingeräumt haben soll, er habe - wie andere Bedienstete auch - „natürlich auch kopiert“. Im Prozess hat er vorgetragen, „die Programme … gelegentlich“ privat genutzt zu haben, nur nicht in dem vom beklagten Land behaupteten Umfang und nicht in „illegaler“ Weise. Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts berücksichtigt nicht, dass der Kläger damit der ihn treffenden sekundären Behauptungslast nicht nachgekommen ist. Die Kopiervorgänge bewegten sich nach der Behauptung des beklagten Landes außerhalb des Wahrnehmungsbereichs seiner Repräsentanten. Das Gegenteil hat das Landesarbeitsgericht nicht festgestellt; der Sachvortrag des Klägers gibt insoweit nichts her. Er hätte deshalb konkretisieren müssen, was er unter „gelegentlichen“ Kopiervorgängen versteht. Außerdem hätte er - unter Ausschöpfung seines Erinnerungsvermögens - beschreiben müssen, um Kopien welcher Musik-/Film-CDs/DVDs es sich gehandelt habe, welche Programme er dafür eingesetzt und welche „Rohlinge“ er genutzt habe. Ebenso wenig durfte das Landesarbeitsgericht annehmen, dem Kläger seien die auf dem „Test-Rechner“ erfolgten Brenn- und Kopiervorgänge nicht zweifelsfrei zuzurechnen, ohne sich mit der Frage befasst zu haben, welche Rückschlüsse aus der Erklärung des Klägers vom 17. April 2013, „alles, was auf dem Rechner bezüglich der DVDs [sei], habe [er] gemacht“, und dem Umstand zu ziehen sind, dass er von dieser Äußerung später wieder Abstand genommen hat. Soweit das Landesarbeitsgericht gemeint hat, die behauptete Aussage eines anderen Bediensteten vom 22. April 2013, „CDs und DVDs im mittleren dreistelligen Bereich gebrannt [zu haben]“, sei „möglicherweise“ geeignet, den Kläger zu entlasten, fehlt es an einer eindeutigen richterlichen Würdigung. Auch dürfte eine wie auch immer geartete „Entlastung“ angesichts des in Rede stehenden Umfangs der Kopier- und Brennvorgänge und der behaupteten ausschließlichen Verwaltung der Rohlinge durch den Kläger schwerlich begründbar sein. Näher liegt es - wie das Landesarbeitsgericht an anderer Stelle selbst ausgeführt hat - in den fraglichen Umständen Anhaltspunkte für ein mittäterschaftliches Zusammenwirken zu erblicken. Dann wiederum könnte sich der Kläger nach dem Rechtsgedanken des § 830 BGB ohnehin nicht darauf beschränken vorzutragen, er wisse nicht mehr, welche Taten von wem begangen worden seien(ähnlich BAG 5. März 1981 - 3 AZR 559/78 - zu II 3 a der Gründe).

50

II. Dies führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht. Beidem unterliegt auch die Entscheidung über die vorsorglich erklärte ordentliche Kündigung und den (Hilfs-)Antrag des Klägers auf vorläufige Weiterbeschäftigung.

51

1. Der Senat kann nicht abschließend beurteilen, ob ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB vorliegt. Das Landesarbeitsgericht hat den Kündigungssachverhalt nicht festgestellt und an der Norm des § 626 Abs. 1 BGB gemessen. Die erforderliche Beurteilung kann der Senat nicht selbst vornehmen. Sie verlangt weitere Sachaufklärung. In Anbetracht der Vielzahl der gegen den Kläger sprechenden Indizien ist nicht auszuschließen, dass sich die gegen ihn erhobenen Vorwürfe als berechtigt erweisen.

52

2. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts stellt sich nicht aus anderen Gründen als richtig dar. Seine Auffassung, das beklagte Land habe die Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB versäumt und den Personalrat nicht ordnungsgemäß beteiligt, ist rechtsfehlerhaft.

53

a) Die außerordentliche Kündigung ist auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen nicht außerhalb der Frist des § 626 Abs. 2 BGB erklärt worden.

54

aa) Die Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB beginnt nach Satz 2 der Vorschrift mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Dies ist der Fall, sobald er eine zuverlässige und hinreichend vollständige Kenntnis der einschlägigen Tatsachen hat, die ihm die Entscheidung darüber ermöglicht, ob er das Arbeitsverhältnis fortsetzen soll oder nicht. Selbst eine grob fahrlässige Unkenntnis setzt die Frist nicht in Gang (BAG 12. Februar 2015 - 6 AZR 845/13 - Rn. 94 mwN; 22. November 2012 - 2 AZR 732/11 - Rn. 30 mwN). Zu den maßgebenden Tatsachen gehören sowohl die für als auch die gegen die Kündigung sprechenden Umstände. Der Kündigungsberechtigte, der gewisse Anhaltspunkte für einen Sachverhalt hat, der zur außerordentlichen Kündigung berechtigen könnte, kann nach pflichtgemäßem Ermessen weitere Ermittlungen anstellen und dazu auch den Betroffenen anhören, ohne dass die Frist des § 626 Abs. 2 BGB zu laufen begänne. Dies gilt allerdings nur solange, wie er aus verständigen Gründen und mit der gebotenen Eile Ermittlungen durchführt, die ihm eine umfassende und zuverlässige Kenntnis des Kündigungssachverhalts verschaffen sollen. Soll der Kündigungsgegner angehört werden, muss dies innerhalb einer kurzen Frist erfolgen. Sie darf im Allgemeinen nicht mehr als eine Woche betragen und nur bei Vorliegen besonderer Umstände überschritten werden (BAG 31. Juli 2014 - 2 AZR 407/13 - Rn. 40; 20. März 2014 - 2 AZR 1037/12 - Rn. 14). Für die übrigen Ermittlungen gilt keine Regelfrist. Bei ihnen ist fallbezogen zu beurteilen, ob sie hinreichend zügig betrieben wurden (BAG 31. März 1993 - 2 AZR 492/92 - zu II 1 der Gründe, BAGE 73, 42; 10. Juni 1988 - 2 AZR 25/88 - zu III 3 c der Gründe).

55

bb) Neben den Mitgliedern der Organe von juristischen Personen und Körperschaften gehören zu den Kündigungsberechtigten auch die Mitarbeiter, denen der Arbeitgeber das Recht zur außerordentlichen Kündigung übertragen hat. Dagegen ist die Kenntnis anderer Personen für den Lauf der Ausschlussfrist grundsätzlich unbeachtlich. Dies gilt auch dann, wenn ihnen Aufsichtsfunktionen übertragen worden sind. Nur ausnahmsweise muss sich der Arbeitgeber auch ihre Kenntnis nach Treu und Glauben zurechnen lassen. Dazu müssen diese Personen eine herausgehobene Position und Funktion im Betrieb oder in der Verwaltung innehaben sowie tatsächlich und rechtlich in der Lage sein, den Sachverhalt so umfassend zu klären, dass mit ihrem Bericht an den Kündigungsberechtigten dieser ohne weitere Nachforschungen seine (Kündigungs-)Entscheidung abgewogen treffen kann. Voraussetzung dafür, dem Arbeitgeber solche Kenntnisse zuzurechnen, ist ferner, dass die Verspätung, mit der er in eigener Person Kenntnis erlangt hat, auf einer unsachgemäßen Organisation des Betriebs oder der Verwaltung beruht (BAG 21. Februar 2013 - 2 AZR 433/12 - Rn. 28; 23. Oktober 2008 - 2 AZR 388/07 - Rn. 22).

56

cc) Diese Vorgaben hat das Landesarbeitsgericht nicht beachtet.

57

(1) Die Kündigungsbefugnis lag nach Teil 3 Ziff. 12.3 Satz 1 PersBef-AV iVm. Teil 1 Ziff. 2 Satz 1 Buchst. a PersBef-AV beim Präsidenten des Oberlandesgerichts. Gemäß dem - streitigen - Vorbringen des beklagten Landes ist dieser am 11. April 2013 über die Vorgänge und das Ergebnis der Ermittlungen in Kenntnis gesetzt worden. Dann wäre die Erklärungsfrist bei Zugang der Kündigung am 22. April 2013 allemal gewahrt gewesen. Den bisherigen Feststellungen ist nicht zu entnehmen, dass eine nicht kündigungsberechtigte Person schon vor dem 11. April 2013 von den Kündigungsgründen Kenntnis erlangt und eine Funktion innegehabt hätte, die es rechtlich erlaubte, ihre Kenntnisse dem Präsidenten des Oberlandesgerichts zuzurechnen.

58

(2) Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, das beklagte Land habe Ermittlungen nicht mit der gebotenen Eile durchgeführt, verletzt § 626 Abs. 2 BGB iVm. § 138 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO. Die Würdigung verkennt die Voraussetzungen, unter denen Ermittlungen als „zügig“ anzusehen sind. Überdies hat es zu hohe Anforderungen an den betreffenden Sachvortrag des beklagten Landes gestellt.

59

(a) Soweit das Landesarbeitsgericht darauf abhebt, das beklagte Land habe umgehend die Strafverfolgungsbehörden einschalten und - ohne Nachteile mit Blick auf die Frist des § 626 Abs. 2 BGB befürchten zu müssen - den Aus- und Fortgang des Ermittlungs- und Strafverfahrens abwarten können, ist dies zwar zutreffend(vgl. BAG 22. November 2012 - 2 AZR 732/11 - Rn. 31; 27. Januar 2011 - 2 AZR 825/09 - Rn. 16, BAGE 137, 54). Daraus folgt für das Land aber keine Beschränkung in der Wahl seiner Mittel zur Aufklärung. Dem Arbeitgeber steht es frei, eigene Ermittlungen anzustellen und die Strafverfolgungsbehörden nicht unmittelbar einzuschalten. Auch „private“ Ermittlungen hemmen - zügig vorangetrieben - den Lauf der Frist.

60

(b) Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, das beklagte Land habe den Kläger nicht binnen Wochenfrist angehört, ist nicht nachvollziehbar. Es fehlt an Feststellungen, wann diese Frist zu laufen begonnen habe. Falls der Präsident des Oberlandesgerichts - wie vom beklagten Land behauptet - erst am 11. April 2013 Kenntnis erlangt hat, wäre die Wochenfrist mit der Anhörung vom 17. April 2013 eingehalten.

61

(c) Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, das insoweit darlegungsbelastete Land (vgl. dazu BAG 1. Februar 2007 - 2 AZR 333/06 - Rn. 21) habe nicht aufgezeigt, dass es die Ermittlungen nach Durchführung der Geschäftsprüfung zügig vorangetrieben habe, ist nicht tragfähig. Das beklagte Land hat geltend gemacht, es sei erst aufgrund einer außerhalb des Oberlandesgerichts durchgeführten Überprüfung der vom Kläger genutzten Rechner und Festplatten in der Lage gewesen, das Ausmaß der Privatnutzung zu bestimmen. Dies habe bis zum 8. April 2013 Zeit beansprucht, weil Hardware nach M habe verbracht und umfangreiches Datenmaterial, teils unter Wiederherstellung gelöschter Dateien, habe gesichtet werden müssen. Außerdem seien die Osterfeiertage in die Zeit gefallen. Die Ausführungen sind geeignet, die Dauer der Untersuchung plausibel zu machen. Unter Berücksichtigung der wenigen zusätzlichen Tage, welche die Erstellung des Prüfberichts in Anspruch genommen hat, ergeben sich auf der Basis der bisherigen Feststellungen keine Anhaltspunkte für ein nur zögerliches Vorantreiben der Ermittlungen.

62

b) Die außerordentliche Kündigung vom 18. April 2013 ist nicht mangels ordnungsgemäßer Anhörung des Personalrats nach § 108 Abs. 2 BPersVG, § 67 Abs. 2 Satz 4 PersVG LSA unwirksam.

63

aa) Gemäß § 67 Abs. 2 Satz 1 PersVG LSA ist der Personalrat vor der außerordentlichen Kündigung eines Arbeitnehmers anzuhören. Die Leitung der Dienststelle hat die beabsichtigte Maßnahme nach § 67 Abs. 2 Satz 2 PersVG LSA zu begründen. Insoweit gelten die gleichen Anforderungen wie an eine Anhörung des Betriebsrats gemäß § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG(vgl. BAG 23. Oktober 2014 - 2 AZR 865/13 - Rn. 57 mwN). Nach dem Grundsatz der subjektiven Determinierung muss der Arbeitgeber dem Personalrat die Umstände mitteilen, die seinen Kündigungsentschluss tatsächlich bestimmt haben. Dem kommt er dann nicht nach, wenn er ihm einen schon aus seiner eigenen Sicht unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt darstellt. Zu einer vollständigen und wahrheitsgemäßen Information gehört darüber hinaus die Unterrichtung über Tatsachen, die ihm - dem Arbeitgeber - bekannt und für eine Stellungnahme des Betriebsrats möglicherweise bedeutsam sind, weil sie den Arbeitnehmer entlasten und deshalb gegen eine Kündigung sprechen können (BAG 23. Oktober 2014 - 2 AZR 736/13 - Rn. 14; 19. Juli 2012 - 2 AZR 352/11 - Rn. 41 mwN, BAGE 142, 339).

64

bb) Nach diesen Grundsätzen war die Anhörung zur fristlosen Kündigung mit Schreiben vom 16. April 2013 ordnungsgemäß.

65

(1) Dem Personalrat war das Ergebnis der Geschäftsprüfung vom 14. März 2013 unter Vorlage des betreffenden Vermerks zur Kenntnis gebracht worden. Im Anhörungsschreiben selbst heißt es, hieraus ergebe sich eine „ausschweifende“ Privatnutzung des dienstlichen Rechners unter Verwendung eines den Kopierschutz umgehenden Programms während der Dienstzeit und ein nicht erklärlicher Umgang mit dienstlich bestelltem Material (DVDs und CDs). Ungeachtet der Frage, ob es einer solchen Information bedarf (vgl. KR-Etzel 10. Aufl. § 102 BetrVG Rn. 64; APS-Koch 4. Aufl. § 102 BetrVG Rn. 129), konnte der Personalrat nach den ihm erteilten Informationen nachvollziehen, dass das beklagte Land der eigenen Ansicht zufolge den Kündigungssachverhalt jedenfalls nicht vor dem 8. April 2013 erfassen konnte. Der Personalrat vermochte sich anhand dessen ein eigenes Bild von der Einhaltung der Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB zu verschaffen. Das reicht aus. Eine nähere Begründung der den Kündigungsentschluss tragenden Abwägung ist wegen des Grundsatzes der subjektiven Determinierung regelmäßig nicht erforderlich. Die Anhörung zu der Absicht, das Arbeitsverhältnis (fristlos) zu kündigen, impliziert eine Abwägung zu Lasten des Arbeitnehmers (BAG 23. Oktober 2014 - 2 AZR 736/13 - Rn. 15; 21. November 2013 - 2 AZR 797/11 - Rn. 27, BAGE 146, 303).

66

(2) Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts ist die Anhörung nicht deshalb unvollständig, weil das beklagte Land es unterlassen hat, den Personalrat über den Inhalt eines am 22. April 2013 mit einem anderen Bediensteten geführten Personalgesprächs zu unterrichten. Dabei kann zugunsten des Klägers unterstellt werden, dass diese Unterredung vor Übergabe des Kündigungsschreibens stattfand und sich aus der Einlassung des Bediensteten Anhaltspunkte dafür ergaben, dass dieser Kopier- und Brennvorgänge im Zusammenwirken mit ihm - dem Kläger - durchgeführt hat. Das beklagte Land ging bei Einleitung des Anhörungsverfahrens - für den Personalrat erkennbar - davon aus, der Kläger selbst habe das fragliche Programm wiederholt zu privaten Zwecken während der Dienstzeit genutzt. Sowohl aus der subjektiven Sicht des beklagten Landes als auch aus objektiver Sicht handelt es sich bei der aus dem Personalgespräch deutlich gewordenen Möglichkeit, der Kläger und der andere Bedienstete hätten zusammengewirkt, keineswegs um einen entlastenden Umstand, wie das Landesarbeitsgericht gemeint hat. Allein- und Mittäterschaft sind in ihrem Unrechtsgehalt gleichwertig und im Rahmen einer kündigungsrechtlichen Beurteilung regelmäßig gleich zu gewichten.

67

(3) Die Äußerungsfrist von drei Arbeitstagen (§ 67 Abs. 2 Satz 3 PersVG LSA) hat das beklagte Land - auch unter Berücksichtigung der dem Personalrat am 18. April 2013 unterbreiteten ergänzenden Informationen - gewahrt.

68

(a) Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts ist dem Personalrat das Schreiben vom 16. April 2013 am selben Tag zugegangen. Gemäß § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 1 BGB lief die Frist von drei Arbeitstagen am 19. April 2013 (einem Freitag), 24:00 Uhr ab. Zwar wurde das Kündigungsschreiben bereits am 18. April 2013 ausgefertigt und dem Geschäftsleiter des Oberlandesgerichts als Erklärungsboten des beklagten Landes zwecks persönlicher Übergabe an den Kläger ausgehändigt. Ein Treffen zwischen dem Geschäftsleiter und dem Kläger war aber - schon zuvor - erst für den 22. April 2013 vereinbart worden. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte das Kündigungsschreiben den Machtbereich des Präsidenten des Oberlandesgerichts nicht verlassen und war es diesem möglich, die Kündigung anzuhalten, falls der Personalrat gewichtige und aus Sicht des beklagten Landes überzeugende Argumente gegen sie vorbrächte. Der Fall liegt insoweit nicht anders, als wenn der Präsident des Oberlandesgerichts das Kündigungsschreiben zwar am 18. April 2013 unterschrieben, jedoch bis zum 22. April 2013 weiter selbst verwahrt hätte.

69

(b) Das Anhörungsverfahren war bei Übergabe des Kündigungsschreibens an den Kläger - anders als dieser meint - nicht deshalb noch nicht abgeschlossen, weil das beklagte Land dem Personalrat mit Schreiben vom 18. April 2013 ergänzende Informationen hat zukommen lassen. Auf der Grundlage der Darlegungen des beklagten Landes ist davon auszugehen, dass das Anhörungsverfahren durch das vorbezeichnete Schreiben nicht neu in Gang gesetzt worden ist.

70

(aa) Vor Ausspruch der Kündigung kann der Arbeitgeber seine Informationen gegenüber dem Betriebs- oder Personalrat jederzeit ergänzen. Die Beurteilung, ob aufgrund der nachträglichen Unterrichtung die Äußerungsfrist neu anläuft, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Dabei ist auch auf den Gegenstand der nachgereichten Informationen Bedacht zu nehmen (vgl. BAG 23. Oktober 2014 - 2 AZR 736/13 - Rn. 27).

71

(bb) Im Streitfall ist das Schreiben vom 18. April 2013 ausdrücklich als „Ergänzung“ und nicht, wie das Schreiben vom 16. April 2013, als „Anhörung“ bezeichnet worden. Bereits dies spricht gegen die Annahme, das beklagte Land habe das Verfahren neu in Gang setzen wollen. Eine andere Interpretation ist auch nicht wegen des Inhalts der zusätzlichen Informationen geboten. Mittels der Vorlage der protokollierten Kopiervorgänge und des Journals der Arbeitszeit wurden lediglich die im Schreiben vom 16. April 2013 bereits geschilderten Vorgänge vertiefend dargestellt und erläutert, nicht aber ein Sachverhalt unterbreitet, der den bisher bekannten Sachverhalt in einem gänzlich neuen Licht erscheinen ließe. Im Ergebnis nichts anderes gilt für die Unterrichtung über den Inhalt des mit dem Kläger am 17. April 2013 geführten Gesprächs und die ihm bis zum 18. April 2013, 9:00 Uhr eingeräumte Möglichkeit zur weitergehenden Stellungnahme. Auch diese Mitteilung diente der Vervollständigung der Information des Personalrats, nicht aber der Einführung eines neuen Sachverhalts. Das gilt jedenfalls mit Blick auf die hier interessierende „Tatkündigung“, bei der die Anhörung des Arbeitnehmers nicht Wirksamkeitsvoraussetzung für die Kündigung ist, und unter Berücksichtigung des Umstands, dass das Gespräch vom 17. April 2013 keine Erkenntnisse zutage förderte, die den Kläger entscheidend hätten entlasten können.

72

III. Bei der neuen Verhandlung wird das Landesarbeitsgericht zunächst zu prüfen und zu bewerten haben, ob ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB gegeben und ob die Frist des § 626 Abs. 2 BGB gewahrt ist. Dazu wird es die erforderlichen Feststellungen zu treffen haben. Sollte es zu dem Ergebnis gelangen, die Kündigung sei iSv. § 626 BGB wirksam, wird es auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen davon ausgehen können, dass der Personalrat zur außerordentlichen Kündigung ordnungsgemäß beteiligt worden ist. Die Klage dürfte in diesem Fall abzuweisen sein, ohne dass der auf die ordentliche Kündigung bezogene Feststellungsantrag und der Antrag auf Weiterbeschäftigung noch zur Entscheidung anfielen. Sollte das Landesarbeitsgericht die Kündigung für unwirksam erachten, wird es über die ordentliche Kündigung zu befinden haben, je nach Ausgang dieses Streits auch über den (Hilfs-)Antrag des Klägers auf vorläufige Weiterbeschäftigung. Für die weitere Sachbehandlung weist der Senat auf Folgendes hin:

73

1. Bei der Prüfung von § 626 Abs. 1 BGB wird das Landesarbeitsgericht - unter Berücksichtigung der zu B. I. und II. dargestellten Rechtsauffassung des Senats - zu würdigen haben, ob die vorgetragenen Indizien ausreichen, ihm die erforderliche Überzeugung zu vermitteln, der Kläger habe seine vertraglichen Pflichten verletzt. Über streitige Tatsachen wird ggf. Beweis zu erheben sein. Dabei hat sich das Gericht mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad an Gewissheit zu begnügen, der Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig ausschließen zu müssen (BAG 29. Januar 2015 - 2 AZR 280/14 - Rn. 30 mwN; BGH 11. November 2014 - VI ZR 76/13 - Rn. 23 mwN).

74

2. Im Hinblick auf eine ggf. vorzunehmende Würdigung der Umstände des Einzelfalls und Interessenabwägung wird zu berücksichtigen sein, dass die vom Landesarbeitsgericht bisher - im Rahmen der Überprüfung der ordentlichen Kündigung - zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit angestellten Erwägungen nicht tragen.

75

a) Die Wertung, es habe deshalb einer Abmahnung bedurft, weil „fast alle Bediensteten einschließlich der Richterschaft […] offenbar von der Tätigkeit des Klägers profitiert und dieser auch nicht widersprochen [hätten]“ und daraus auf ein mangelndes Unrechtsbewusstsein - auch des Klägers - zu schließen sei, entbehrt der Tatsachenbasis. Es ist unklar, auf welche Handlungen des Klägers sich das Landesarbeitsgericht bezogen und welche Personen es vor Augen gehabt hat, die aus den nicht näher konkretisierten Aktivitäten des Klägers einen bisher nicht definierten Nutzen gezogen haben sollen.

76

b) Für die vom Landesarbeitsgericht mit Blick auf den Umgang mit beschäftigten Beamten ins Spiel gebrachte Heranziehung des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes fehlt es an einer rechtlichen Grundlage. Zwar mögen bei der Interessenabwägung nach § 626 Abs. 1 BGB ähnliche Erwägungen anzustellen sein wie im Rahmen einer disziplinarrechtlichen Würdigung. Daraus kann aber nicht - wie das Landesarbeitsgericht offenbar gemeint hat - abgeleitet werden, der Arbeitgeber dürfe gegenüber einem Arbeitnehmer, der seine Pflichten in gemeinschaftlichem Zusammenwirken mit Beamten verletzt hat, nicht zum Mittel der Kündigung greifen, solange er nicht auch die Entlassung der Beamten initiiere oder doch andere disziplinarische Maßnahmen ihnen gegenüber ergreife. Die Erwägung lässt außer Acht, dass sich Wertungen, wie sie aus dem in der Regel auf Lebenszeit angelegten, durch besondere Treue- und Fürsorgepflichten geprägten Dienstverhältnis der Beamten folgen, nicht auf eine privatrechtliche Leistungsbeziehung übertragen lassen (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 29, BAGE 134, 349; 17. Juni 1993 - 6 AZR 620/92 - zu B II 2 d bb der Gründe, BAGE 73, 262). Selbst im Verhältnis von Arbeitnehmern untereinander scheidet mit Blick auf verhaltensbedingte Kündigungen eine Anwendung des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes weitgehend aus (BAG 8. Dezember 1994 - 2 AZR 470/93 - zu B II 5 g der Gründe; zu eng begrenzten Ausnahmekonstellationen vgl. BAG 22. Februar 1979 - 2 AZR 115/78 - zu 2 a der Gründe). Die fraglichen Erwägungen des Landesarbeitsgerichts lassen überdies die herausgehobene Position des Klägers als „IT-Verantwortlicher“ außer Acht. Unbeschadet der unterschiedlichen Rechtsstellung von Beamten und Angestellten widerspricht auch dies - neben weiteren in Betracht zu ziehenden Unterschieden - einer Vergleichbarkeit der Sachverhalte.

77

c) Das Landesarbeitsgericht wird, sollte es auf die Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung ankommen, weiterhin davon ausgehen können, dass deren soziale Rechtfertigung (§ 1 Abs. 1 und Abs. 2 KSchG) unter dem Gesichtspunkt des Verdachts nicht in Betracht kommt - auch deshalb, weil der Personalrat dazu laut Schreiben vom 23. April 2013 nicht beteiligt worden ist. Die Prüfung, ob die Kündigung als Tatkündigung durch Gründe iSv. § 1 Abs. 2 KSchG bedingt ist, wird das Landesarbeitsgericht neu vorzunehmen und die erforderlichen Feststellungen zu treffen haben. Was die Frage betrifft, ob die Beteiligung des Personalrats zu einer ordentlichen Kündigung nach § 67 Abs. 1 Nr. 8 PersVG LSA ordnungsgemäß erfolgt ist, wird zu beachten sein, dass die in der angefochtenen Entscheidung vertretene Auffassung, die Anhörung sei unwirksam, weil das beklagte Land dem Personalrat mögliche Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe nicht mitgeteilt habe, auf der Basis der bisherigen Feststellungen nicht haltbar ist. Um welche, nach dem Grundsatz der subjektiven Determiniertheit beachtlichen Tatsachen es sich insoweit handeln soll, ist nicht nachzuvollziehen.

78

IV. Der Senat hat bei der Zurückverweisung von der Möglichkeit des § 563 Abs. 1 Satz 2 ZPO Gebrauch gemacht.

        

    Kreft    

        

    Rachor    

        

    Berger    

        

        

        

    Perreng    

        

    Der ehrenamtliche Richter Dr. Bartz ist wegen des Endes seiner Amtszeit verhindert, seine Unterschrift beizufügen.
Kreft    

                 

Tenor

1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 24. Februar 2009 - 7 Sa 2017/08 - aufgehoben.

2. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 21. August 2008 - 2 Ca 3632/08 - abgeändert:

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die fristlose Kündigung, noch durch die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung vom 22. Februar 2008 aufgelöst worden ist.

3. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung.

2

Die 1958 geborene Klägerin war seit April 1977 bei der Beklagten und deren Rechtsvorgängerinnen als Verkäuferin mit Kassentätigkeit beschäftigt.

3

Die Beklagte ist ein überregional vertretenes Einzelhandelsunternehmen. In einigen ihrer Filialen, so auch in der Beschäftigungsfiliale der Klägerin, besteht die Möglichkeit, Leergut an einem Automaten gegen Ausstellung eines Leergutbons zurückzugeben. Wird ein solcher Bon an der Kasse eingelöst, ist er von der Kassiererin/dem Kassierer abzuzeichnen. Mitarbeiter der Filiale sind angewiesen, mitgebrachtes Leergut beim Betreten des Markts dem Filialleiter vorzuzeigen und einen am Automaten erstellten Leergutbon durch den Leiter gesondert abzeichnen zu lassen, bevor sie den Bon an der Kasse einlösen. Dort wird er wie ein Kundenbon ein weiteres Mal abgezeichnet. Diese Regelungen, die Manipulationen beim Umgang mit Leergut ausschließen sollen, sind der Klägerin bekannt.

4

Im Herbst 2007 beteiligte sich die Klägerin mit weiteren sieben von insgesamt 36 Beschäftigten ihrer Filiale an einem gewerkschaftlich getragenen Streik. Während die Streikbereitschaft anderer Arbeitnehmer mit der Zeit nachließ, nahm die Klägerin bis zuletzt an den Maßnahmen teil. Im Januar 2008 lud der Filialleiter Beschäftigte, die sich nicht am Arbeitskampf beteiligt hatten, zu einer Feier außer Hause ein. Aus diesem Grund wurde er später von der Beklagten abgemahnt und in eine andere Filiale versetzt.

5

Am 12. Januar 2008 fand eine Mitarbeiterin im Kassenbereich einer separaten Backtheke zwei nicht abgezeichnete Leergutbons im Wert von 0,48 Euro und 0,82 Euro. Sie trugen das Datum des Tages und waren im Abstand von ca. einer Dreiviertelstunde am Automaten erstellt worden. Die Mitarbeiterin legte die Bons dem Filialleiter vor. Dieser reichte sie an die Klägerin mit der Maßgabe weiter, sie im Kassenbüro aufzubewahren für den Fall, dass sich noch ein Kunde melden und Anspruch darauf erheben würde; andernfalls sollten sie als „Fehlbons“ verbucht werden. Die Klägerin legte die Bons auf eine - für alle Mitarbeiter zugängliche und einsehbare - Ablage im Kassenbüro.

6

Am 22. Januar 2008 kaufte die Klägerin in der Filiale außerhalb ihrer Arbeitszeit privat ein. An der Kasse überreichte sie ihrer Kollegin zwei nicht abgezeichnete Leergutbons. Laut Kassenjournal wurden diese mit Werten von 0,48 Euro und 0,82 Euro registriert. Beim Kassieren war auch die Kassenleiterin und Vorgesetzte der Klägerin anwesend.

7

Zur Klärung der Herkunft der eingereichten Bons führte die Beklagte mit der Klägerin ab dem 25. Januar 2008 insgesamt vier Gespräche, an denen - außer am ersten Gespräch - jeweils zwei Mitglieder des Betriebsrats teilnahmen. Sie hielt ihr vor, die eingelösten Bons seien nicht abgezeichnet gewesen und stimmten hinsichtlich Wert und Ausgabedatum mit den im Kassenbüro aufbewahrten Bons überein. Es bestehe der dringende Verdacht, dass sie - die Klägerin - die dort abgelegten „Kundenbons“ an sich genommen und zu ihrem Vorteil verwendet habe. Die Klägerin bestritt dies und erklärte, selbst wenn die Bons übereinstimmten, bestehe die Möglichkeit, dass ihr entsprechende Bons durch eine ihrer Töchter oder durch Dritte zugesteckt worden seien. Beispielsweise habe sie am 21. oder 22. Januar 2008 einer Arbeitskollegin ihre Geldbörse ausgehändigt mit der Bitte, diese in ihren Spind zu legen. Die Beklagte legte der Klägerin nahe, zur Untermauerung ihrer Behauptung eine eidesstattliche Erklärung einer Tochter beizubringen. Außerdem befragte sie die benannte Kollegin, die die Angaben der Klägerin bestritt. Beim letzten, am 15. Februar 2008 geführten Gespräch überreichte die Klägerin eine schriftliche Erklärung, mit der eine ihrer Töchter bestätigte, bei der Beklagten hin und wieder für ihre Mutter einzukaufen, dabei auch Leergut einzulösen und „Umgang“ mit der Geldbörse ihrer Mutter „pflegen zu dürfen“.

8

Mit Schreiben vom 18. Februar 2008 hörte die Beklagte den Betriebsrat zu einer beabsichtigten außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung, gestützt auf den Verdacht der Einlösung der Bons, an. Der Betriebsrat äußerte Bedenken gegen die fristlose Kündigung, einer ordentlichen Kündigung widersprach er und verwies auf die Möglichkeit einer gegen die Klägerin gerichteten Intrige.

9

Mit Schreiben vom 22. Februar 2008 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos, hilfsweise fristgemäß zum 30. September 2008.

10

Die Klägerin hat Kündigungsschutzklage erhoben. Sie hat behauptet, sie habe jedenfalls nicht bewusst Leergutbons eingelöst, die ihr nicht gehörten. Sollte es sich bei den registrierten Bons tatsächlich um die im Kassenbüro abgelegten Bons gehandelt haben, müsse auch die Möglichkeit eines Austauschs der Bons während des Kassiervorgangs in Betracht gezogen werden. Denkbares Motiv hierfür sei ihre Streikteilnahme, die ohnehin der wahre Grund für die Kündigung sei. Anders sei nicht zu erklären, weshalb ihre Kollegin und die Vorgesetzte sie - unstreitig - nicht bereits beim Kassieren oder unmittelbar anschließend auf die fehlende Abzeichnung der überreichten Leergutbons angesprochen hätten. Angesichts der streikbedingt aufgetretenen Spannungen unter den Filialmitarbeitern sei es lebensfremd anzunehmen, sie habe ausgerechnet bei einer Kollegin, mit der sie im Streit gestanden habe, und in Anwesenheit ihrer Vorgesetzten die im Kassenbüro verwahrten, nicht abgezeichneten Bons eingelöst. Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, eine Verdachtskündigung sei wegen der in Art. 6 Abs. 2 EMRK verankerten Unschuldsvermutung ohnehin unzulässig. Das gelte in besonderem Maße, wenn sich der Verdacht auf die Entwendung einer nur geringwertigen Sache beziehe. Selbst bei nachgewiesener Tat sei in einem solchen Fall ein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB nicht gegeben. Zumindest sei in ihrem Fall die Kündigung in Anbetracht der Einmaligkeit des Vorfalls und ihrer langen Betriebszugehörigkeit unangemessen, zumal der Beklagten kein Schaden entstanden sei.

11

Die Klägerin hat beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis weder durch die fristlose, noch durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 22. Februar 2008 aufgelöst worden ist;

        

2.    

die Beklagte zu verurteilen, sie entsprechend den arbeitsvertraglichen Bedingungen als Verkäuferin mit Kassentätigkeit zu beschäftigen.

12

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat geltend gemacht, es bestehe der dringende Verdacht, dass die Klägerin die im Kassenbüro hinterlegten Leergutbons für sich verwendet habe. Dafür sprächen die in der Anhörung angeführten Tatsachen sowie der Umstand, dass diese Bons bei einer unmittelbar nach dem Einkauf der Klägerin durchgeführten Suche nicht mehr auffindbar gewesen seien. Es sei auch das mehrfach geänderte Verteidigungsvorbringen der Klägerin zu berücksichtigen, das sich in keinem Punkt als haltbar erwiesen habe. Damit sei das Vertrauen in die redliche Ausführung der Arbeitsaufgaben durch die Klägerin unwiederbringlich zerstört. Das Arbeitsverhältnis sei auch nicht unbelastet verlaufen. Sie habe die Klägerin im Jahr 2005 wegen ungebührlichen Verhaltens gegenüber einem Arbeitskollegen abgemahnt. Außerdem habe die Klägerin, wie ihr erst nachträglich bekannt geworden sei, am 22. November 2007 bei einem privaten Einkauf einen Sondercoupon aus einem Bonussystem eingelöst, obwohl die Einkaufssumme den dafür erforderlichen Betrag nicht erreicht habe. Derselbe Coupon sei dreimal „über die Kasse gezogen“ worden. Dadurch seien der Klägerin zu Unrecht Punkte im Wert von 3,00 Euro gutgeschrieben worden. Deren Behauptung, ihre Vorgesetzte habe sie zu einer derartigen Manipulation - vergeblich - verleiten wollen, sei nicht plausibel; die Vorgesetzte habe an dem betreffenden Tag - wie zuletzt unstreitig - nicht gearbeitet.

13

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit ihrer durch das Bundesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe

14

Die Revision ist begründet. Die Vorinstanzen haben die Klage zu Unrecht abgewiesen. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist weder durch die außerordentliche noch durch die ordentliche Kündigung vom 22. Februar 2008 aufgelöst worden. Das Urteil des Landesarbeitsgerichts war deshalb aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Einer Zurückverweisung bedurfte es nicht. Die Sache war nach dem festgestellten Sachverhältnis zur Endentscheidung reif (§ 563 Abs. 3 ZPO).

15

A. Die außerordentliche Kündigung ist unwirksam. Es fehlt an einem wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB.

16

I. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Das Gesetz kennt folglich keine „absoluten“ Kündigungsgründe. Vielmehr ist jeder Einzelfall gesondert zu beurteilen. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (st. Rspr., Senat 26. März 2009 - 2 AZR 953/07 - Rn. 21 mwN, AP BGB § 626 Nr. 220; 27. April 2006 - 2 AZR 386/05 - Rn. 19, BAGE 118, 104).

17

II. Die Prüfung der Voraussetzungen des wichtigen Grundes ist in erster Linie Sache der Tatsacheninstanzen. Dennoch geht es um Rechtsanwendung, nicht um Tatsachenfeststellung. Die Würdigung des Berufungsgerichts wird in der Revisionsinstanz darauf hin überprüft, ob es den anzuwendenden Rechtsbegriff in seiner allgemeinen Bedeutung verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnormen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob es alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände widerspruchsfrei berücksichtigt hat (st. Rspr., Senat 27. November 2008 - 2 AZR 193/07 - Rn. 22, AP BGB § 626 Nr. 219; 6. September 2007 - 2 AZR 722/06 - Rn. 40, BAGE 124, 59).

18

III. Auch unter Beachtung eines in diesem Sinne eingeschränkten Maßstabs hält die Würdigung des Landesarbeitsgerichts einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand. Zwar liegt nach dem festgestellten Sachverhalt „an sich“ ein wichtiger Grund zur Kündigung vor. Das Landesarbeitsgericht hat jedoch bei der vorzunehmenden Einzelfallprüfung und Interessenabwägung nicht alle wesentlichen Gesichtspunkte einbezogen und zutreffend abgewogen.

19

1. Entgegen der Auffassung der Revision ist die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts nicht deshalb zu beanstanden, weil dieses seiner rechtlichen Würdigung die fragliche Pflichtverletzung im Sinne einer erwiesenen Tat und nicht nur - wie die Beklagte selbst - einen entsprechenden Verdacht zugrunde gelegt hat.

20

a) Das Landesarbeitsgericht ist vom Fund zweier Leergutbons am 12. Januar 2008 und deren Aushändigung an die Klägerin durch den Marktleiter ausgegangen. Nach Beweisaufnahme hat es zudem für wahr erachtet, dass die Klägerin die beiden zunächst im Kassenbüro abgelegten Bons im Wert von 0,48 Euro und 0,82 Euro zu einem unbestimmten Zeitpunkt an sich nahm und am 22. Januar 2008 bei einem Einkauf zu ihren Gunsten einlöste; dadurch ermäßigte sich die Kaufsumme für sie um 1,30 Euro. Darin hat es ein vorsätzliches, pflichtwidriges Verhalten der Klägerin erblickt.

21

b) An die vom Landesarbeitsgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen ist der Senat gemäß § 559 Abs. 2 ZPO gebunden. Die Klägerin hat - auch wenn sie vorsätzliches Fehlverhalten weiterhin in Abrede stellt - von Angriffen gegen die Beweiswürdigung des Landesarbeitsgerichts ausdrücklich abgesehen.

22

c) Einer Würdigung des Geschehens unter der Annahme, die Klägerin habe sich nachweislich pflichtwidrig verhalten, steht nicht entgegen, dass die Beklagte sich zur Rechtfertigung der Kündigung nur auf einen entsprechenden Verdacht berufen und den Betriebsrat auch nur zu einer Verdachtskündigung angehört hat.

23

aa) Das Landesarbeitsgericht hat auf diese Weise nicht etwa Vortrag berücksichtigt, den die Beklagte nicht gehalten hätte. Der Verdacht eines pflichtwidrigen Verhaltens stellt zwar gegenüber dem Tatvorwurf einen eigenständigen Kündigungsgrund dar (st. Rspr., Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 55 mwN, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 47 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 8). Beide Gründe stehen jedoch nicht beziehungslos nebeneinander. Wird die Kündigung mit dem Verdacht pflichtwidrigen Verhaltens begründet, steht indessen zur Überzeugung des Gerichts die Pflichtwidrigkeit tatsächlich fest, lässt dies die materiell-rechtliche Wirksamkeit der Kündigung unberührt. Maßgebend ist allein der objektive Sachverhalt, wie er sich dem Gericht nach Parteivorbringen und ggf. Beweisaufnahme darstellt. Ergibt sich daraus nach tatrichterlicher Würdigung das Vorliegen einer Pflichtwidrigkeit, ist das Gericht nicht gehindert, dies seiner Entscheidung zugrunde zu legen. Es ist nicht erforderlich, dass der Arbeitgeber sich während des Prozesses darauf berufen hat, er stütze die Kündigung auch auf die erwiesene Tat (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - aaO mwN).

24

bb) Der Umstand, dass der Betriebsrat ausschließlich zu einer beabsichtigten Verdachtskündigung gehört wurde, steht dem nicht entgegen. Die gerichtliche Berücksichtigung des Geschehens als erwiesene Tat setzt voraus, dass dem Betriebsrat - ggf. im Rahmen zulässigen „Nachschiebens“ - diejenigen Umstände mitgeteilt worden sind, welche nicht nur den Tatverdacht, sondern zur Überzeugung des Gerichts auch den Tatvorwurf begründen (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 59 mwN, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 47 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 8). Bei dieser Sachlage ist dem Normzweck des § 102 Abs. 1 BetrVG auch durch eine Anhörung nur zur Verdachtskündigung genüge getan. Dem Betriebsrat wird dadurch nichts vorenthalten. Die Mitteilung des Arbeitgebers, einem Arbeitnehmer solle schon und allein wegen des Verdachts einer pflichtwidrigen Handlung gekündigt werden, gibt ihm sogar weit stärkeren Anlass für ein umfassendes Tätigwerden als eine Anhörung wegen einer als erwiesen behaupteten Tat (Senat 3. April 1986 - 2 AZR 324/85 - zu II 1 c cc der Gründe, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 18 = EzA BetrVG 1972 § 102 Nr. 63; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 217). Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt. Das Landesarbeitsgericht hat seiner Entscheidung ausschließlich solche - aus seiner Sicht bewiesene - Tatsachen zugrunde gelegt, die Gegenstand der Betriebsratsanhörung waren.

25

2. Der vom Landesarbeitsgericht festgestellte Sachverhalt ist „an sich“ als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB geeignet. Zum Nachteil des Arbeitgebers begangene Eigentums- oder Vermögensdelikte, aber auch nicht strafbare, ähnlich schwerwiegende Handlungen unmittelbar gegen das Vermögen des Arbeitgebers kommen typischerweise - unabhängig vom Wert des Tatobjekts und der Höhe eines eingetretenen Schadens - als Grund für eine außerordentliche Kündigung in Betracht.

26

a) Begeht der Arbeitnehmer bei oder im Zusammenhang mit seiner Arbeit rechtswidrige und vorsätzliche - ggf. strafbare - Handlungen unmittelbar gegen das Vermögen seines Arbeitgebers, verletzt er zugleich in schwerwiegender Weise seine schuldrechtliche Pflicht zur Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB) und missbraucht das in ihn gesetzte Vertrauen. Ein solches Verhalten kann auch dann einen wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB darstellen, wenn die rechtswidrige Handlung Sachen von nur geringem Wert betrifft oder zu einem nur geringfügigen, möglicherweise zu gar keinem Schaden geführt hat(Senat 13. Dezember 2007 - 2 AZR 537/06 - Rn. 16, 17, AP BGB § 626 Nr. 210 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 20; 12. August 1999 - 2 AZR 923/98 - zu II 2 b aa der Gründe, BAGE 92, 184; 17. Mai 1984 - 2 AZR 3/83 - zu II 1 der Gründe, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 14 = EzA BGB § 626 nF Nr. 90).

27

b) An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest. Die entgegenstehende Ansicht, die Pflichtverletzungen im Vermögensbereich bei Geringfügigkeit bereits aus dem Anwendungsbereich des § 626 Abs. 1 BGB herausnehmen will(so LAG Köln 30. September 1999 - 5 Sa 872/99 - zu 2 der Gründe, NZA-RR 2001, 83; LAG Hamburg 8. Juli 1998 - 4 Sa 38/97 - zu II 3 a aa der Gründe, NZA-RR 1999, 469; ArbG Reutlingen 4. Juni 1996 - 1 Ca 73/96 - RzK I 6 d Nr. 12; Däubler Das Arbeitsrecht 2 12. Aufl. Rn. 1128; eingeschränkt Gerhards BB 1996, 794, 796), überzeugt nicht. Ein Arbeitnehmer, der die Integrität von Eigentum und Vermögen seines Arbeitgebers vorsätzlich und rechtswidrig verletzt, zeigt ein Verhalten, das geeignet ist, die Zumutbarkeit seiner Weiterbeschäftigung in Frage zu stellen. Die durch ein solches Verhalten ausgelöste „Erschütterung“ der für die Vertragsbeziehung notwendigen Vertrauensgrundlage tritt unabhängig davon ein, welche konkreten wirtschaftlichen Schäden mit ihm verbunden sind. Aus diesem Grund ist die Festlegung einer nach dem Wert bestimmten Relevanzschwelle mit dem offen gestalteten Tatbestand des § 626 Abs. 1 BGB nicht zu vereinbaren. Sie würfe im Übrigen mannigfache Folgeprobleme auf - etwa das einer exakten Wertberechnung, das der Folgen mehrfacher, für sich betrachtet „irrelevanter“ Verstöße sowie das der Behandlung nur marginaler Grenzüberschreitungen - und vermöchte schon deshalb einem angemessenen Interessenausgleich schwerlich zu dienen.

28

c) Mit seiner Auffassung setzt sich der Senat nicht in Widerspruch zu der in § 248a StGB getroffenen Wertung. Nach dieser Bestimmung werden Diebstahl und Unterschlagung geringwertiger Sachen nur auf Antrag oder bei besonderem öffentlichem Interesse verfolgt. Der Vorschrift liegt eine Einschätzung des Gesetzgebers darüber zugrunde, ab welcher Grenze staatliche Sanktionen für Rechtsverstöße in diesem Bereich zwingend geboten sind. Ein solcher Ansatz ist dem Schuldrecht fremd. Hier geht es um störungsfreien Leistungsaustausch. Die Berechtigung einer verhaltensbedingten Kündigung ist nicht daran zu messen, ob diese - vergleichbar einer staatlichen Maßnahme - als Sanktion für den fraglichen Vertragsverstoß angemessen ist. Statt des Sanktions- gilt das Prognoseprinzip. Eine verhaltensbedingte Kündigung ist gerechtfertigt, wenn eine störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten steht, künftigen Pflichtverstößen demnach nur durch die Beendigung der Vertragsbeziehung begegnet werden kann (st. Rspr., Senat 26. November 2009 - 2 AZR 751/08 - Rn. 10, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 61 = EzA BGB 2002 § 611 Abmahnung Nr. 5; 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 32, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17).

29

d) Ebenso wenig besteht ein Wertungswiderspruch zwischen der Auffassung des Senats und der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Dieses erkennt zwar bei der disziplinarrechtlichen Beurteilung vergleichbarer Dienstvergehen eines Beamten die Geringwertigkeit der betroffenen Vermögensobjekte als Milderungsgrund an (BVerwG 13. Februar 2008 - 2 WD 9/07 - DÖV 2008, 1056; 24. November 1992 - 1 D 66/91 - zu 3 der Gründe, BVerwGE 93, 314; bei kassenverwaltender Tätigkeit: BVerwG 11. November 2003 - 1 D 5/03 - zu 4 b der Gründe). Dies geschieht jedoch vor dem Hintergrund einer abgestuften Reihe von disziplinarischen Reaktionsmöglichkeiten des Dienstherrn. Diese reichen von der Anordnung einer Geldbuße (§ 7 BDG) über die Kürzung von Dienstbezügen (§ 8 BDG) und die Zurückstufung (§ 9 BDG) bis zur Entfernung aus dem Dienst (§ 13 Abs. 2 BDG). Eine solche Reaktionsbreite kennt das Arbeitsrecht nicht. Der Arbeitgeber könnte auf die „Entfernung aus dem Dienst“ nicht zugunsten einer Kürzung der Vergütung verzichten. Wertungen, wie sie für das in der Regel auf Lebenszeit angelegte, durch besondere Treue- und Fürsorgepflichten geprägte Dienstverhältnis der Beamten und Soldaten getroffen werden, lassen sich deshalb auf eine privatrechtliche Leistungsbeziehung regelmäßig nicht übertragen (Keiser JR 2010, 55, 57 ff.; Reuter NZA 2009, 594, 595).

30

e) Das Landesarbeitsgericht hat das Verhalten der Klägerin als „Vermögensdelikt“ zulasten der Beklagten gewürdigt, hat aber offen gelassen, welchen straf- und/oder zivilrechtlichen Deliktstatbestand es als erfüllt ansieht. Das ist im Ergebnis unschädlich. Das Verhalten der Klägerin kommt auch dann als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB in Betracht, wenn es - wie die Revision im Anschluss an Äußerungen in der Literatur (Hüpers Jura 2010, 52 ff.; Schlösser HRRS 2009, 509 ff.) meint - nicht strafbar sein sollte, jedenfalls nicht im Sinne eines Vermögensdelikts zum Nachteil der Beklagten. Für die kündigungsrechtliche Beurteilung ist weder die strafrechtliche noch die sachenrechtliche Bewertung maßgebend. Entscheidend ist der Verstoß gegen vertragliche Haupt- oder Nebenpflichten und der mit ihm verbundene Vertrauensbruch (Senat 19. April 2007 - 2 AZR 78/06 - Rn. 28, AP BGB § 611 Direktionsrecht Nr. 77 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 8; 2. März 2006 - 2 AZR 53/05 - Rn. 29, AP BGB § 626 Krankheit Nr. 14 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 16; 21. April 2005 - 2 AZR 255/04 - zu B II 1 der Gründe, BAGE 114, 264; Preis AuR 2010, 242 f.). Auch eine nicht strafbare, gleichwohl erhebliche Verletzung der sich aus dem Arbeitsverhältnis ergebenden Pflichten kann deshalb ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB sein. Das gilt insbesondere in Fällen, in denen die Pflichtverletzung mit einem vorsätzlichen Verstoß gegen eine den unmittelbaren Vermögensinteressen des Arbeitgebers dienende Weisung einhergeht (KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 459).

31

f) Danach liegt eine erhebliche, die Schwelle zum wichtigen Grund überschreitende Pflichtverletzung vor. Die Klägerin hat sich mit dem Einlösen der Leergutbons gegenüber der Beklagten einen Vermögensvorteil verschafft, der ihr nicht zustand. Ihr Verhalten wiegt umso schwerer, als sie eine konkrete Anordnung des Marktleiters zum Umgang mit den Bons missachtet hat. Es kommt nicht darauf an, ob sie damit schon gegen ihre Hauptleistungspflichten als Kassiererin oder gegen ihre Pflicht zur Rücksichtnahme aus § 241 Abs. 2 BGB verstoßen hat. In jedem Fall gehört die Pflicht zur einschränkungslosen Wahrung der Vermögensinteressen der Beklagten zum Kernbereich ihrer Arbeitsaufgaben. Die Schwere der Pflichtverletzung hängt von einer exakten Zuordnung nicht ab. Die Vorgabe des Marktleiters, die Bons nach einer gewissen Zeit als „Fehlbons“ zu verbuchen, sollte sicherstellen, dass die Beklagte insoweit nicht mehr in Anspruch genommen würde. Ob damit den Interessen der Kunden ausreichend Rechnung getragen wurde, ist im Verhältnis der Parteien ohne Bedeutung. Die Klägerin jedenfalls durfte die Bons nicht zum eigenen Vorteil einlösen.

32

3. Die fristlose Kündigung ist bei Beachtung aller Umstände des vorliegenden Falls und nach Abwägung der widerstreitenden Interessen gleichwohl nicht gerechtfertigt. Als Reaktion der Beklagten auf das Fehlverhalten der Klägerin hätte eine Abmahnung ausgereicht. Dies vermag der Senat selbst zu entscheiden.

33

a) Dem Berufungsgericht kommt bei der im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB vorzunehmenden Interessenabwägung zwar ein Beurteilungsspielraum zu(Senat 11. Dezember 2003 - 2 AZR 36/03 - zu II 1 f der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 179 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 5). Eine eigene Abwägung durch das Revisionsgericht ist aber möglich, wenn die des Berufungsgerichts fehlerhaft oder unvollständig ist und sämtliche relevanten Tatsachen feststehen (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 36, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17; 12. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 61, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Ein solcher Fall liegt hier vor.

34

b) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung - etwa im Hinblick auf das Maß eines durch sie bewirkten Vertrauensverlusts und ihre wirtschaftlichen Folgen -, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf (Senat 28. Januar 2010 - 2 AZR 1008/08 - Rn. 26 mwN, DB 2010, 1709; 10. November 2005 - 2 AZR 623/04 - Rn. 38 mwN, AP BGB § 626 Nr. 196 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 11). Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind (st. Rspr., Senat 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 45, AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7). Als mildere Reaktionen sind insbesondere Abmahnung und ordentliche Kündigung anzusehen. Sie sind dann alternative Gestaltungsmittel, wenn schon sie geeignet sind, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck - die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen - zu erreichen (KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 251 mwN).

35

c) Die Notwendigkeit der Prüfung, ob eine fristgerechte Kündigung als Reaktion ausgereicht hätte, folgt schon aus dem Wortlaut des § 626 Abs. 1 BGB. Das Erfordernis weitergehend zu prüfen, ob nicht schon eine Abmahnung ausreichend gewesen wäre, folgt aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (die Kündigung als „ultima ratio“) und trägt zugleich dem Prognoseprinzip bei der verhaltensbedingten Kündigung Rechnung (Senat 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 47 f., AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7; 12. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 55 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Das Erfordernis gilt auch bei Störungen im Vertrauensbereich. Es ist nicht stets und von vorneherein ausgeschlossen, verlorenes Vertrauen durch künftige Vertragstreue zurückzugewinnen (Senat 4. Juni 1997 - 2 AZR 526/96 - zu II 1 b der Gründe, BAGE 86, 95).

36

aa) Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann (Schlachter NZA 2005, 433, 436). Die ordentliche wie die außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus. Sie dient der Objektivierung der negativen Prognose (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 283/08 - Rn. 14 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Abmahnung Nr. 5 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 75; Staudinger/Preis <2002> § 626 BGB Rn. 109). Ist der Arbeitnehmer ordnungsgemäß abgemahnt worden und verletzt er dennoch seine arbeitsvertraglichen Pflichten erneut, kann regelmäßig davon ausgegangen werden, es werde auch zukünftig zu weiteren Vertragsstörungen kommen (Senat 13. Dezember 2007 - 2 AZR 818/06 - Rn. 38, AP KSchG 1969 § 4 Nr. 64 = EzA KSchG § 4 nF Nr. 82).

37

bb) Nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist eine Kündigung nicht gerechtfertigt, wenn es mildere Mittel gibt, eine Vertragsstörung zukünftig zu beseitigen. Dieser Aspekt hat durch die Regelung des § 314 Abs. 2 BGB iVm. § 323 Abs. 2 BGB eine gesetzgeberische Bestätigung erfahren(Senat 12. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 56 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Einer Abmahnung bedarf es in Ansehung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes deshalb nur dann nicht, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft selbst nach Abmahnung nicht zu erwarten steht oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass eine Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist (vgl. Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 33, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17; 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 48 mwN, AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7).

38

cc) Diese Grundsätze gelten uneingeschränkt selbst bei Störungen des Vertrauensbereichs durch Straftaten gegen Vermögen oder Eigentum des Arbeitgebers (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 33, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17; 27. April 2006 - 2 AZR 415/05 - Rn. 19, AP BGB § 626 Nr. 203 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 17). Auch in diesem Bereich gibt es keine „absoluten“ Kündigungsgründe. Stets ist konkret zu prüfen, ob nicht objektiv die Prognose berechtigt ist, der Arbeitnehmer werde sich jedenfalls nach einer Abmahnung künftig wieder vertragstreu verhalten (vgl. auch Erman/Belling BGB 12. Aufl. § 626 Rn. 62; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 264; Preis AuR 2010, 242, 244; Reichel AuR 2004, 252; Schlachter NZA 2005, 433, 437).

39

d) Danach war eine Abmahnung hier nicht entbehrlich.

40

aa) Das Landesarbeitsgericht geht zunächst zutreffend davon aus, dass es einer Abmahnung nicht deshalb bedurfte, um bei der Klägerin die mögliche Annahme zu beseitigen, die Beklagte könnte mit der eigennützigen Verwendung der Bons einverstanden sein. Einer mutmaßlichen Einwilligung - die in anderen Fällen, etwa der Verwendung wertloser, als Abfall deklarierter Gegenstände zum Eigenverbrauch oder zur Weitergabe an Hilfsbedürftige oder dem Aufladen eines Mobiltelefons im Stromnetz des Arbeitgebers, naheliegend sein mag - stand im Streitfall die Weisung des Filialleiters entgegen, die keine Zweifel über den von der Beklagten gewünschten Umgang mit den Bons aufkommen ließ. Auf mögliche Unklarheiten in den allgemeinen Anweisungen der Beklagten zur Behandlung von Fundsachen und Fundgeld kommt es deshalb nicht an.

41

bb) Mit Recht hat das Landesarbeitsgericht zudem angenommen, das Verhalten der Klägerin stelle eine objektiv schwerwiegende, das Vertrauensverhältnis der Parteien erheblich belastende Pflichtverletzung dar.

42

(1) Mit der eigennützigen Verwendung der Leergutbons hat sich die Klägerin bewusst gegen die Anordnung des Filialleiters gestellt. Schon dies ist geeignet, das Vertrauen der Beklagten in die zuverlässige Erfüllung der ihr übertragenen Aufgaben als Kassiererin zu erschüttern. Erschwerend kommt hinzu, dass die Bons gerade ihr zur Verwahrung und ggf. Buchung als „Fehlbons“ übergeben worden waren. Das Fehlverhalten der Klägerin berührt damit den Kernbereich ihrer Arbeitsaufgaben. Sie war als Verkäuferin mit Kassentätigkeit beschäftigt. Als solche hat sie den weisungsgemäßen Umgang mit Leergutbons gleichermaßen sicher zu stellen wie den mit ihr anvertrautem Geld. Die Beklagte muss sich auf die Zuverlässigkeit und Ehrlichkeit einer mit Kassentätigkeiten betrauten Arbeitnehmerin in besonderem Maße verlassen dürfen. Sie muss davon ausgehen können, dass ihre Weisungen zum Umgang mit Sach- und Vermögenswerten unabhängig von deren Wert und den jeweiligen Eigentumsverhältnissen korrekt eingehalten werden. Als Einzelhandelsunternehmen ist die Beklagte besonders anfällig dafür, in der Summe hohe Einbußen durch eine Vielzahl für sich genommen geringfügiger Schädigungen zu erleiden. Verstößt eine Arbeitnehmerin, deren originäre Aufgabe es ist, Einnahmen zu sichern und zu verbuchen, vorsätzlich und zur persönlichen Bereicherung gegen eine Pflicht, die gerade dem Schutz des Eigentums und Vermögens des Arbeitgebers oder eines Kunden dient, liegt darin regelmäßig ein erheblicher, das Vertrauen in ihre Redlichkeit beeinträchtigender Vertragsverstoß.

43

(2) Der Einwand der Klägerin, ein Vertrauen auf Seiten der Beklagten bestehe ohnehin nicht, wie die in den Märkten praktizierte Videoüberwachung zeige, geht fehl. Jeder Arbeitnehmer hat die Pflicht, sich so zu verhalten, dass es um seinetwillen einer Kontrolle nicht bedürfte. Erweist sich ein zunächst unspezifisches, nicht auf konkrete Personen bezogenes, generelles „Misstrauen“ des Arbeitgebers schließlich im Hinblick auf einen bestimmten Mitarbeiter als berechtigt, wird erst und nur dadurch das Vertrauen in dessen Redlichkeit tatsächlich erschüttert.

44

cc) Auch wenn deshalb das Verhalten der Klägerin das Vertrauensverhältnis zur Beklagten erheblich belastet hat, so hat das Landesarbeitsgericht doch den für die Klägerin sprechenden Besonderheiten nicht hinreichend Rechnung getragen.

45

(1) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Klägerin habe nicht damit rechnen können, die Beklagte werde ihr Verhalten auch nur einmalig hinnehmen, ohne eine Kündigung auszusprechen. Die Klägerin habe ihre Pflichten als Kassiererin „auf das Schwerste“ verletzt. Mit dieser Würdigung ist es den Besonderheiten des Streitfalls nicht ausreichend gerecht geworden. Die Klägerin hat an der Kasse in unmittelbarer Anwesenheit ihrer Vorgesetzten bei einer nicht befreundeten Kollegin unabgezeichnete Leergutbons eingelöst. Dass sie mangels Abzeichnung nach den betrieblichen Regelungen keinen Anspruch auf eine Gutschrift hatte, war für die Kassenmitarbeiterin und die Vorgesetzte offenkundig und nicht zu übersehen. Das wusste auch die Klägerin, die deshalb aus ihrer Sicht unweigerlich würde Aufmerksamkeit erregen und Nachfragen auslösen müssen. Das zeigt, dass sie ihr Verhalten - fälschlich - als notfalls tolerabel oder jedenfalls korrigierbar eingeschätzt haben mag und sich eines gravierenden Unrechts offenbar nicht bewusst war. Für den Grad des Verschuldens und die Möglichkeit einer Wiederherstellung des Vertrauens macht es objektiv einen Unterschied, ob es sich bei einer Pflichtverletzung um ein Verhalten handelt, das insgesamt - wie etwa der vermeintlich unbeobachtete Griff in die Kasse - auf Heimlichkeit angelegt ist oder nicht.

46

(2) Das Landesarbeitsgericht hat die Einmaligkeit der Pflichtverletzung und die als beanstandungsfrei unterstellte Betriebszugehörigkeit der Klägerin von gut drei Jahrzehnten zwar erwähnt, ihnen aber kein ausreichendes Gewicht beigemessen.

47

(a) Für die Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung kann es von erheblicher Bedeutung sein, ob der Arbeitnehmer bereits geraume Zeit in einer Vertrauensstellung beschäftigt war, ohne vergleichbare Pflichtverletzungen begangen zu haben. Das gilt auch bei Pflichtverstößen im unmittelbaren Vermögensbereich (Senat 13. Dezember 1984 - 2 AZR 454/83 - zu III 3 a der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 81 = EzA BGB § 626 nF Nr. 94). Eine für lange Jahre ungestörte Vertrauensbeziehung zweier Vertragspartner wird nicht notwendig schon durch eine erstmalige Vertrauensenttäuschung vollständig und unwiederbringlich zerstört. Je länger eine Vertragsbeziehung ungestört bestanden hat, desto eher kann die Prognose berechtigt sein, dass der dadurch erarbeitete Vorrat an Vertrauen durch einen erstmaligen Vorfall nicht vollständig aufgezehrt wird. Dabei kommt es nicht auf die subjektive Befindlichkeit und Einschätzung des Arbeitgebers oder bestimmter für ihn handelnder Personen an. Entscheidend ist ein objektiver Maßstab. Maßgeblich ist nicht, ob der Arbeitgeber hinreichendes Vertrauen in den Arbeitnehmer tatsächlich noch hat. Maßgeblich ist, ob er es aus der Sicht eines objektiven Betrachters haben müsste. Im Arbeitsverhältnis geht es nicht um ein umfassendes wechselseitiges Vertrauen in die moralischen Qualitäten der je anderen Vertragspartei. Es geht allein um die von einem objektiven Standpunkt aus zu beantwortende Frage, ob mit einer korrekten Erfüllung der Vertragspflichten zu rechnen ist.

48

(b) Die Klägerin hat durch eine beanstandungsfreie Tätigkeit als Verkäuferin und Kassiererin über dreißig Jahre hinweg Loyalität zur Beklagten gezeigt.

49

(aa) Der Senat hatte davon auszugehen, dass diese Zeit ohne rechtlich relevante Beanstandungen verlaufen ist. Gegenstand einer der Klägerin erteilten Abmahnung war eine vor Kunden abgegebene, abfällige Äußerung gegenüber einem Arbeitskollegen. Dieses Verhalten steht mit dem Kündigungsvorwurf in keinerlei Zusammenhang; im Übrigen wurde die Abmahnung ein Jahr später aus der Personalakte entfernt. Schon aus tatsächlichen Gründen unbeachtlich ist das Geschehen im Zusammenhang mit der Einlösung eines Sondercoupons im November 2007. Die Klägerin hat im Einzelnen und plausibel dargelegt, weshalb ihr dabei im Ergebnis keine Bonuspunkte zugeschrieben worden seien, die ihr nicht zugestanden hätten. Dem ist die Beklagte nicht hinreichend substantiiert entgegengetreten.

50

(bb) Das in dieser Beschäftigungszeit von der Klägerin erworbene Maß an Vertrauen in die Korrektheit ihrer Aufgabenerfüllung und in die Achtung der Vermögensinteressen der Beklagten schlägt hoch zu Buche. Angesichts des Umstands, dass nach zehn Tagen Wartezeit mit einer Nachfrage der in Wahrheit berechtigten Kunden nach dem Verbleib von Leergutbons über Cent-Beträge aller Erfahrung nach nicht mehr zu rechnen war, und der wirtschaftlichen Geringfügigkeit eines der Beklagten entstandenen Nachteils ist es höher zu bewerten als deren Wunsch, nur eine solche Mitarbeiterin weiterzubeschäftigen, die in jeder Hinsicht und ausnahmslos ohne Fehl und Tadel ist. Dieser als solcher berechtigte Wunsch macht der Beklagten die Weiterbeschäftigung der Klägerin trotz ihres Pflichtenverstoßes mit Blick auf die bisherige Zusammenarbeit nicht unzumutbar. Objektiv ist das Vertrauen in die Zuverlässigkeit der Klägerin nicht derart erschüttert, dass dessen vollständige Wiederherstellung und ein künftig erneut störungsfreies Miteinander der Parteien nicht in Frage käme.

51

(3) Das prozessuale Verteidigungsvorbringen der Klägerin steht dieser Würdigung nicht entgegen.

52

(a) Die Wirksamkeit einer Kündigung ist grundsätzlich nach den objektiven Verhältnissen im Zeitpunkt ihres Zugangs zu beurteilen. Dieser Zeitpunkt ist im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB sowohl für die Prüfung des Kündigungsgrundes als auch für die Interessenabwägung maßgebend. Umstände, die erst danach entstanden sind, können die bereits erklärte Kündigung nicht rechtfertigen. Sie können allenfalls als Grundlage für eine weitere Kündigung oder einen Auflösungsantrag nach §§ 9, 10 KSchG dienen(Senat 28. Oktober 1971 - 2 AZR 15/71 - zu II 2 d der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 62 = EzA BGB § 626 nF Nr. 9; 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - zu III der Gründe, BAGE 2, 245).

53

(b) Nachträglich eingetretene Umstände können nach der Rechtsprechung des Senats für die gerichtliche Beurteilung allerdings insoweit von Bedeutung sein, wie sie die Vorgänge, die zur Kündigung geführt haben, in einem neuen Licht erscheinen lassen (Senat 13. Oktober 1977 - 2 AZR 387/76 - zu III 3 d der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 1 = EzA BetrVG 1972 § 74 Nr. 3; 28. Oktober 1971 - 2 AZR 15/71 - zu II 2 d der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 62 = EzA BGB § 626 nF Nr. 9; 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - zu III der Gründe, BAGE 2, 245). Dazu müssen zwischen den neuen Vorgängen und den alten Gründen so enge innere Beziehungen bestehen, dass jene nicht außer Acht gelassen werden können, ohne dass ein einheitlicher Lebensvorgang zerrissen würde (Senat 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - aaO; ErfK/Müller-Glöge 10. Aufl. § 626 Rn. 54; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 177; SPV/Preis 10. Aufl. Rn. 551; vgl. auch Walker NZA 2009, 921, 922). Es darf aber nicht etwa eine ursprünglich unbegründete Kündigung durch die Berücksichtigung späteren Verhaltens rückwirkend zu einer begründeten werden (Senat 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - aaO). Außerdem ist genau zu prüfen, welche konkreten Rückschlüsse auf den Kündigungsgrund späteres Verhalten wirklich erlaubt. Im Hinblick auf prozessuales Vorbringen (vgl. Senatsentscheidungen vom 24. November 2005 - 2 AZR 39/05 - AP BGB § 626 Nr. 197 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 12 und 3. Juli 2003 - 2 AZR 437/02 - AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 38 = EzA KSchG § 1 Verdachtskündigung Nr. 2)gilt nichts anderes.

54

(c) Danach kommt dem Prozessverhalten der Klägerin keine ihre Pflichtverletzung verstärkende Bedeutung zu. Es ist nicht geeignet, den Kündigungssachverhalt als solchen zu erhellen. Der besteht darin, dass die Klägerin unberechtigterweise ihr nicht gehörende Leergutbons zweier Kunden zum eigenen Vorteil eingelöst hat.

55

(aa) Dieser Vorgang erscheint insbesondere im Hinblick auf eine Wiederholungsgefahr nicht dadurch in einem anderen, für die Klägerin ungünstigeren Licht, dass diese zunächst die Identität der von ihr eingelösten und der im Kassenbüro aufbewahrten Bons bestritten hat. Das Gleiche gilt im Hinblick darauf, dass die Klägerin auch noch im Prozessverlauf die Möglichkeit bestimmter Geschehensabläufe ins Spiel gebracht hat, die erklären könnten, weshalb sie - wie sie stets behauptet hat - selbst bei Identität der Bons nicht wusste, dass sie ihr nicht gehörende Bons einlöste. Die von der Klägerin aufgezeigten Möglichkeiten einschließlich der einer gegen sie geführten Intrige mögen sich wegen der erforderlich gewordenen Befragungen der betroffenen Arbeitnehmer nachteilig auf den Betriebsfrieden ausgewirkt haben. Dies war aber nicht Kündigungsgrund. Unabhängig davon zielte das Verteidigungsvorbringen der Klägerin erkennbar nicht darauf, Dritte einer konkreten Pflichtverletzung zu bezichtigen. Der Kündigungsgrund wird auch nicht dadurch klarer, dass die Klägerin die Rechtsauffassung vertreten hat, erstmalige Vermögensdelikte zulasten des Arbeitgebers könnten bei geringem wirtschaftlichem Schaden eine außerordentliche Kündigung ohne vorausgegangene Abmahnung nicht rechtfertigen. Damit hat sie lediglich in einer rechtlich umstrittenen Frage einen für sie günstigen Standpunkt eingenommen. Daraus kann nicht abgeleitet werden, sie werde sich künftig bei Gelegenheit in gleicher Weise vertragswidrig verhalten.

56

(bb) Das Prozessverhalten der Klägerin mindert ebenso wenig das bei der Interessenabwägung zu berücksichtigende Maß des verbliebenen Vertrauens. Auch für dessen Ermittlung ist auf den Zeitpunkt des Kündigungszugangs abzustellen. Aus dieser Perspektive und im Hinblick auf den bis dahin verwirklichten Kündigungssachverhalt ist zu fragen, ob mit der Wiederherstellung des Vertrauens in eine künftig korrekte Vertragserfüllung gerechnet werden kann. In dieser Hinsicht ist das Verteidigungsvorbringen der Klägerin ohne Aussagekraft. Ihr wechselnder Vortrag und beharrliches Leugnen einer vorsätzlichen Pflichtwidrigkeit lassen keine Rückschlüsse auf ihre künftige Zuverlässigkeit als Kassiererin zu. Das gilt gleichermaßen für mögliche, während des Prozesses aufgestellte Behauptungen der Klägerin über eine ihr angeblich von der Kassenleiterin angetragene Manipulation im Zusammenhang mit der Einlösung von Sondercoupons im November 2007 und mögliche Äußerungen gegenüber Pressevertretern.

57

(cc) Anders als die Beklagte meint, wird dadurch nicht Verstößen gegen die prozessuale Wahrheitspflicht „Tür und Tor geöffnet“. Im Fall eines bewusst wahrheitswidrigen Vorbringens besteht die Möglichkeit, eine weitere Kündigung auszusprechen oder einen Auflösungsantrag nach §§ 9, 10 KSchG anzubringen. Dabei kann nicht jeder unzutreffende Parteivortrag als „Lüge“ bezeichnet werden. Die Wahrnehmung eines Geschehens ist generell nicht unbeeinflusst vom äußeren und inneren Standpunkt des Wahrnehmenden. Gleiches gilt für Erinnerung und Wiedergabe, zumal in einem von starker Polarität geprägten Verhältnis, wie es zwischen Prozessparteien häufig besteht. Wenn sich das Gericht nach den Regeln des Prozessrechts in §§ 138, 286 ZPO die - rechtlich bindende, aber um deswillen nicht der Gefahr des Irrtums enthobene - Überzeugung bildet, ein bestimmter Sachverhalt habe sich so und nicht anders zugetragen, ist damit die frühere, möglicherweise abweichende Darstellung einer Partei nicht zugleich als gezielte Irreführung des Gerichts oder der Gegenpartei ausgewiesen. Es bedarf vielmehr besonderer Anhaltspunkte, um einen solchen - schweren - Vorwurf zu begründen.

58

B. Die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung zum 30. September 2008 ist unwirksam. Auch dies vermag der Senat selbst zu entscheiden. Die Kündigung ist sozial ungerechtfertigt. Sie ist nicht durch Gründe im Verhalten der Klägerin iSv. § 1 Abs. 2 KSchG bedingt. Sie ist auf denselben Lebenssachverhalt gestützt wie die außerordentliche Kündigung. Der Beklagten war es aus den dargelegten Gründen zuzumuten, auf das mildere Mittel der Abmahnung zurückzugreifen.

59

C. Der Antrag auf Beschäftigung, der sich ersichtlich auf die Dauer des Kündigungsrechtsstreits beschränkte, kommt wegen der Beendigung des Verfahrens nicht mehr zum Tragen.

        

    Kreft    

        

    Schmitz-Scholemann    

        

    Berger    

        

        

        

    Torsten Falke    

        

    Bartz    

                 

Tenor

1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Thüringer Landesarbeitsgerichts vom 14. Mai 2008 - 4 Sa 508/07 - teilweise aufgehoben.

2. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Erfurt vom 6. August 2007 - 2 Ca 295/07 - teilweise abgeändert:

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung des Beklagten vom 23. Februar 2007 nicht mit sofortiger Wirkung, sondern erst mit Ablauf des 30. April 2007 beendet worden ist.

3. Im Übrigen wird die Revision zurückgewiesen.

4. Die Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger zu 2/3 und der Beklagte zu 1/3 zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen und einer während der Kündigungsfrist erklärten fristlosen Kündigung.

2

Der 1957 geborene Kläger ist verheiratet und einem Kind zum Unterhalt verpflichtet. Seit August 2001 war er bei dem Beklagten als Oberstufenlehrer für Kunst und Kunstgeschichte tätig.

3

Der Beklagte ist Träger einer Waldorfschule, einer genehmigten Ersatzschule im Sinne des Thüringer Gesetzes über Schulen in freier Trägerschaft idF der Bekanntmachung vom 30. April 2003 (GVBl. 2003, S. 150). Er beschäftigt etwa 60 Arbeitnehmer. Seine Selbstverwaltung erfolgt über Konferenzen - Klassenkonferenzen, Mentorenkonferenzen, Oberstufenkonferenzen und Schulführungskonferenzen -, wobei der jeweils „ranghöheren“ Konferenz das Recht zusteht, einen zu regelnden Sachverhalt an sich zu ziehen.

4

Im Arbeitsvertrag der Parteien heißt es auszugsweise:

        

„4. … 

        

Zur Tätigkeit eines Lehrers an einer Waldorfschule gehören auch die Teilnahme an den Aufgaben der Selbstverwaltung der Schule (Konferenzen) sowie die Elternarbeit und die Belange des Bundes der Freien Waldorfschulen. …

        

5. Es gilt eine beidseitige Kündigungsfrist von 6 Monaten zum 31. Juli.

        

Verändert sich die gesetzliche Kündigungsfrist eines Partners, so gilt dasselbe auch für den anderen Partner.

        

…       

        

Die Vertragsparteien sind sich darüber einig, dass die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses insbesondere dann nicht mehr möglich ist, wenn es kein Vertrauen mehr in die Erziehungsarbeit oder in die Mitwirkung bei der Selbstverwaltung gibt. Das Vertragsverhältnis ist dann entsprechend den gesetzlichen Kündigungsfristen kündbar.

        

Bei etwaigen, die hier vereinbarte Zusammenarbeit betreffenden Streitigkeiten verpflichten sich die Beteiligten, zunächst das interne Schlichtungsverfahren einzuleiten und rechtliche Schritte nur im Hinblick auf notwendige Fristeinhaltungen vorzunehmen.“

5

Schüler des Beklagten haben in der zwölften Klassenstufe eine sog. Jahresarbeit anzufertigen, mit der sie regelmäßig bereits in der elften Klasse beginnen. Die Arbeit wird durch eine Lehrkraft als Mentor betreut. Nach Fertigstellung sind mindestens zwei Ausfertigungen der Arbeit in der Schule abzugeben. Ein Exemplar ist als Korrekturexemplar für den Mentor bestimmt. Das weitere - gebundene - Exemplar erhält die Schule. Etwa 14 Tage später findet eine öffentliche Präsentation/Verteidigung der Arbeit vor der interessierten Schulöffentlichkeit und Elternschaft statt. Außerdem sind bei der Veranstaltung neben dem Mentor der zuständige Klassenbetreuer und ein Elternvertreter anwesend, die in das Bewertungsverfahren eingebunden sind. Anschließend folgt ein Auswertungsgespräch unter Beteiligung aller drei vorgenannten Personen in Anwesenheit des Schülers. Nach diesem Gespräch verbleibt das Schulexemplar in der Schulbibliothek zur öffentlichen Einsicht. Der Mentor hat dann die Aufgabe, die Jahresarbeit unter Berücksichtigung der Ergebnisse des Auswertungsgesprächs zu bewerten. Bei bestehenden Differenzen ist die Mentorenkonferenz einzuschalten.

6

Seit dem Jahr 2004 kam es zu Auseinandersetzungen der Parteien über die Verpflichtung des Klägers, an der schulischen Selbstverwaltung teilzunehmen. In diesem Zusammenhang erteilte der Beklagte dem Kläger am 2. Juli 2004 zwei schriftliche Abmahnungen.

7

Beginnend mit dem Jahr 2006 betreute der Kläger als Mentor die Jahresarbeit des Schülers S. zum Thema: „Homepageprogrammierung auf HTML-Basis“. Im Januar 2007 gab S. zwei Exemplare seiner Arbeit in der Schule ab. Die Präsentation folgte am 27. Januar 2007. Im Auswertungsgespräch vom 30. Januar 2007 vertrat die zuständige Klassenbetreuerin - anders als der Kläger - die Auffassung, die Arbeit sei wegen inhaltlicher Mängel nicht anerkennungsfähig. Nach dem Gespräch nahm der Kläger - ohne Rücksprache - das Schulexemplar mit nach Hause, das Mentorenexemplar in Form einer Loseblattsammlung hatte er bereits.

8

Am 31. Januar 2007 wurde der Kläger zu einer für diesen Tag anberaumten Sonderkonferenz geladen. Er sagte, ua. wegen der Kurzfristigkeit der Ladung, seine Teilnahme ab; zugleich bat er, ihm „den Antrag auf die Aberkennung der Jahresarbeit“ von S. „bald schriftlich mitzuteilen“.

9

Mit Schreiben vom 31. Januar 2007 kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis daraufhin ordentlich zum 31. Juli 2007. Am 1. Februar 2007 beurlaubte er den Kläger bis zu einem für den 5. Februar 2007 vereinbarten Schlichtungsgespräch. Zugleich erteilte er ihm Hausverbot. Während des Schlichtungsgesprächs forderte er den Kläger auf, der Schulführungskonferenz das (Schul-)Exemplar der Jahresarbeit zur Verfügung zu stellen. Mit Schreiben vom 7. Februar 2007 wiederholte er sein Verlangen unter Fristsetzung bis 9. Februar 2007. Darauf teilte der Kläger schriftlich mit: „Im Hinblick auf die Jahresarbeit können Sie sich an Frau G. wenden, die für das Schulexemplar zuständig ist.“. Auf erneutes, nunmehr anwaltliches Herausgabeverlangen des Beklagten gab er das Schulexemplar am 15. Februar 2007 zurück, nachdem er zuvor aus der Arbeit die Seite 17 entfernt hatte.

10

Am 19. Februar 2007 führten die Parteien ein weiteres Schlichtungsgespräch. Mit Schreiben vom 23. Februar 2007 kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos.

11

Der Kläger hat gegen beide Kündigungen Kündigungsschutzklage erhoben und geltend gemacht, er habe seine Vertragspflichten allenfalls unwesentlich verletzt. Das Schulexemplar der Jahresarbeit von S. sei ihm anlässlich des Auswertungsgesprächs durch den Elternvertreter zur Aufbewahrung übergeben worden. Die Rückgabe der Arbeit sei für ihn deshalb „ein Problem“ gewesen, weil sich die Klassenbetreuerin im Auswertungsgespräch zur Qualität der Arbeit geäußert habe, ohne deren Inhalt genau zu kennen. Er habe verhindern wollen, dass seine Kollegin nachträglich Gelegenheit erhalte, die Arbeit zu lesen und dadurch ihr „voreingenommenes und negatives Urteil abzusichern“. Als zuständiger Mentor sei er bis zur abschließenden Bewertung berechtigt gewesen, die - inhaltlich im Übrigen bedeutungslose - Seite 17 zu entfernen. Sein Vorgehen sei, nachdem auf dieser Seite aufgeführte Zitate zu Beanstandungen durch Kollegen geführt hätten, zweckmäßig und mit dem Schüler abgestimmt gewesen. Die Kündigungen seien unverhältnismäßig. Im Übrigen fehle es an der ordnungsgemäßen Durchführung des vorgesehenen Schlichtungsverfahrens.

12

Der Kläger hat - soweit noch von Bedeutung - beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 31. Januar 2007 nicht aufgelöst worden ist;

        

2.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 23. Februar 2007 weder fristlos noch ordentlich aufgelöst worden ist.

13

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat die Auffassung vertreten, schon die fristlose Kündigung sei gerechtfertigt. Der Kläger habe das Schulexemplar der Jahresarbeit von S. unbefugt entwendet, rechtswidrig zurückgehalten und gefälscht. Dies wiege angesichts bestehender Differenzen über die Bewertung der Arbeit besonders schwer. Außerdem habe sich der Kläger über das erteilte Hausverbot hinweggesetzt und die gesetzlichen Vorschriften für Abiturprüfungen für Waldorfschulen missachtet. Die Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB sei gewahrt. Jedenfalls habe das Arbeitsverhältnis mit Ablauf der Kündigungsfrist geendet. Einer Abmahnung habe es nicht bedurft. Die Durchführung des in der Schulordnung vorgesehenen Schlichtungsverfahrens sei keine Wirksamkeitsvoraussetzung für eine Kündigung. Die Ausübung des Kündigungsrechts sei kein „Konfliktfall“ im Sinne der dortigen Regelungen. Außerdem sei das Verfahren auch durchgeführt worden, es sei nur gescheitert.

14

Das Arbeitsgericht hat die fristlose Kündigung für gerechtfertigt erachtet und die Klage insgesamt abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe

15

Die Revision des Klägers ist teilweise begründet. Das Arbeitsverhältnis ist durch die Kündigung vom 23. Februar 2007 nicht mit sofortiger Wirkung aufgelöst worden. Es hat aufgrund dieser Kündigung aber nach Ablauf der gesetzlichen Kündigungsfrist von zwei Monaten zum Monatsende am 30. April 2007 geendet. Auf die Wirksamkeit der zum 31. Juli 2007 erklärten ordentlichen Kündigung vom 31. Januar 2007 kommt es nicht an.

16

I. Die außerordentliche Kündigung vom 23. Februar 2007 ist unwirksam. Es fehlt an einem wichtigen Grund zur Kündigung iSv. § 626 Abs. 1 BGB. Ob die Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB gewahrt ist, kann dahinstehen.

17

1. Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann.

18

2. Das Berufungsurteil hält einer revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht in jeder Hinsicht stand. Zwar liegt eine erhebliche Vertragspflichtverletzung des Klägers und damit „an sich“ ein wichtiger Grund zur Kündigung vor. Auch geht das Berufungsgericht zutreffend davon aus, dass es vor Ausspruch der Kündigung keiner Abmahnung bedurfte. Dennoch erweist sich die fristlose Kündigung als unverhältnismäßig. Aufgrund der besonderen, vom Landesarbeitsgericht nicht hinreichend beachteten Umstände des Einzelfalls war es dem Beklagten zumutbar, das Arbeitsverhältnis bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist fortzusetzen.

19

a) Ein wichtiger Grund zur Kündigung kann nicht nur in einer erheblichen Verletzung der vertraglichen Hauptleistungspflichten liegen. Auch die schuldhafte Verletzung von Nebenpflichten kann ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung sein (Senat 2. März 2006 - 2 AZR 53/05 - Rn. 21, AP BGB § 626 Krankheit Nr. 14 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 16; BAG 15. Januar 1986 - 7 AZR 128/83 - zu 2 b der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 93 = EzA BGB § 626 nF Nr. 100). Da die ordentliche Kündigung die übliche und grundsätzlich ausreichende Reaktion auf die Verletzung einer Nebenpflicht ist, kommt eine außerordentliche Kündigung nur in Betracht, wenn das Gewicht dieser Pflichtverletzung durch erschwerende Umstände verstärkt wird (BAG 15. Januar 1986 - 7 AZR 128/83 - aaO; SPV/Preis 10. Aufl. Rn. 603; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 146).

20

b) Als Vertragspflichtverletzung, die grundsätzlich eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen vermag, ist ein nachhaltiger Verstoß des Arbeitnehmers gegen berechtigte Weisungen des Arbeitgebers anzusehen (KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 459 mwN). Ebenso kann die erhebliche Verletzung der den Arbeitnehmer gemäß § 241 Abs. 2 BGB treffenden Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitgebers einen wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB bilden. Der konkrete Inhalt dieser Pflicht ergibt sich aus dem jeweiligen Arbeitsverhältnis und seinen spezifischen Anforderungen (st. Rspr., bspw. Senat 26. März 2009 - 2 AZR 953/07 - Rn. 24, AP BGB § 626 Nr. 220 mwN). Einer besonderen Vereinbarung bedarf es insoweit nicht.

21

c) Im Streitfall kann offenbleiben, ob der Kläger seine Vertragspflichten bereits dadurch erheblich verletzt hat, dass er das Schulexemplar der Jahresarbeit nach dem Auswertungsgespräch ohne Einverständnis des Beklagten in seine Wohnung verbrachte und dem Zugriff des Beklagten entzog. Eine erhebliche Pflichtverletzung des Klägers liegt, wie die Vorinstanzen zutreffend ausgeführt haben, jedenfalls darin, dass er das Schulexemplar entgegen wiederholter, ausdrücklicher Weisung des Beklagten nicht termingerecht, sondern erst nach anwaltlicher Aufforderung zurückgab und außerdem zuvor die Seite 17 der Jahresarbeit entfernt hatte.

22

aa) Der Beklagte war berechtigt, die sofortige Rückgabe des Schulexemplars zu verlangen. Ein Besitzrecht des Klägers bestand nicht. Die eingeräumte Herausgabefrist war ausreichend, um der Aufforderung nachzukommen. Der rechtmäßigen Weisung des Beklagten hat sich der Kläger auch nach seinem eigenen Vorbringen zumindest zeitweise vorsätzlich und nachhaltig widersetzt. Zudem hat er mit dem Schreiben vom 7. Februar 2007 gegenüber dem Beklagten bewusst den Eindruck erwecken wollen, gar nicht im Besitz des Schulexemplars zu sein. Anders lässt sich seine Erklärung, der Beklagte möge sich wegen des Schulexemplars an Frau G. wenden, nicht verstehen. Darüber hinaus war sein Verhalten, wie er selbst einräumt, darauf angelegt, die Bewertung der Arbeit durch die mitbeurteilende Klassenbetreuerin zu erschweren und vorübergehend unmöglich zu machen. Ein solches Vorgehen ist geeignet, das Vertrauen des Beklagten in die zuverlässige und pflichtgemäße Erfüllung der Arbeitsaufgaben des Klägers erheblich zu erschüttern.

23

bb) Eine weitere erhebliche Pflichtverletzung des Klägers liegt darin, dass er eine Seite aus der Jahresarbeit entfernte und diese damit verfälschte.

24

(1) Die schriftliche Arbeit eines Schülers ist nach ihrer förmlichen Abgabe zur Bewertung grundsätzlich keiner inhaltlichen Änderung mehr zugänglich. Das zeigt auch das beim Beklagten praktizierte Beurteilungsverfahren. Grundlage der mündlichen Verteidigung der Arbeit, des Auswertungsgesprächs und der abschließenden Beurteilung durch den Mentor kann nur ein und dieselbe Leistung des Schülers sein, zumal die Präsentation der Arbeit, die auf der schriftlichen Ausarbeitung beruht, in die abschließende Bewertung einzufließen hat. Dementsprechend dient die Vorgabe, der Schule neben dem für den Mentor bestimmten Korrekturexemplar mindestens ein weiteres - gebundenes - Exemplar der Arbeit zu übergeben, erkennbar auch dazu, die Vollständigkeit der Arbeit zu gewährleisten und nachträgliche Veränderungen auszuschließen. Unterdrückt ein Lehrer in Kenntnis dieser Umstände Teile des Schulexemplars, verletzt er seine arbeitsvertraglichen Pflichten erheblich. Ein solches Fehlverhalten betrifft den Kernbereich seiner Arbeitsaufgaben und berührt unmittelbar das Vertrauen in deren zuverlässige Ausführung.

25

(2) Sein Fehlverhalten ist dem Kläger vorwerfbar. Seine Einlassung, er sei davon ausgegangen, die Jahresarbeit in Absprache mit dem Schüler auch noch nach ihrer Abgabe inhaltlich verändern zu dürfen, hat das Landesarbeitsgericht - unter Bezugnahme auf die Ausführungen des Arbeitsgerichts - als Schutzbehauptung gewertet. Dies hält sich im Bewertungsspielraum der Tatsacheninstanz. Ein Verbotsirrtum des Klägers wäre jedenfalls vermeidbar gewesen. Es kommt nicht darauf an, ob die entfernte Seite für das behandelte Thema inhaltlich von Bedeutung war oder nicht. Der Schüler hatte die dort enthaltenen „Gedächtnisprotokolle zu Kommentaren der Lehrer“ zum Gegenstand der Arbeit gemacht und im Inhaltsverzeichnis ausdrücklich erwähnt. Hinzu kommt, dass die aufgeführten Zitate bereits Anstoß bei Lehrkräften erregt hatten. Für den Kläger war erkennbar, dass mit der Herausnahme der Seite auch die Nachprüfung einer Berechtigung dieser Beanstandungen wesentlich erschwert würde.

26

(3) Darauf, ob das Verhalten des Klägers strafrechtlich als Urkundenfälschung (§ 267 Abs. 1 StGB) und/oder Urkundenunterdrückung (§ 274 Abs. 1 Nr. 1 StGB) zu bewerten ist, kommt es, wie die Vorinstanzen richtig gesehen haben, nicht an. Für die kündigungsrechtliche Bewertung ist nicht die strafrechtliche Beurteilung maßgeblich, sondern die Schwere der Vertragspflichtverletzung (st. Rspr., bspw. Senat 24. November 2005 - 2 AZR 39/05 - Rn. 18, AP BGB § 626 Nr. 197 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 12; 12. August 1999 - 2 AZR 832/98 - zu II 3 der Gründe, AP BGB § 123 Nr. 51 = EzA BGB § 123 Nr. 53).

27

d) Liegt - wie hier - ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung „an sich“ vor, bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls und der Abwägung der Interessen beider Vertragsteile jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist oder nicht. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn mildere Mittel als Reaktion auf die eingetretene Vertragsstörung ausscheiden (st. Rspr., bspw. Senat 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 45, AP BGB § 174 Nr. 20). Mildere Mittel sind insbesondere die Abmahnung und die ordentliche Kündigung. Im Hinblick darauf ist die ausgesprochene außerordentliche Kündigung unverhältnismäßig.

28

aa) Dies ist sie nicht deshalb, weil es vorrangig einer Abmahnung bedurft hätte.

29

(1) Zwar gilt das durch § 314 Abs. 2 BGB konkretisierte Erfordernis einer Abmahnung grundsätzlich auch bei Störungen im Vertrauensbereich(vgl. Senat 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 48 mwN, AP BGB § 174 Nr. 20). Die Abmahnung ist aber, wie § 314 Abs. 2 Satz 2 BGB iVm. § 323 Abs. 2 BGB zeigt, unter besonderen Umständen entbehrlich. Das ist der Fall, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft trotz Abmahnung nicht erwartet werden kann oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass die Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich - für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 32, 33 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59; 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - aaO; 15. November 2001 - 2 AZR 605/00 - zu II 4 der Gründe, BAGE 99, 331).

30

(2) Danach war eine Abmahnung entbehrlich. Der Kläger hat seine Arbeitsaufgaben im Kernbereich seiner Tätigkeit als Lehrkraft vorsätzlich und nachhaltig verletzt. Das gilt auch in Anbetracht der vorausgegangenen Auseinandersetzungen mit der Klassenbetreuerin über die Anerkennungsfähigkeit der Arbeit und der Bedenken von Kollegen gegen den Inhalt der entfernten Seite. Diese Umstände sind nicht geeignet, den mit der Pflichtverletzung verbundenen Vertrauensverlust abzuschwächen. Im Gegenteil: Gerade wegen dieser Konflikte musste der Kläger dem Beklagten möglichst zügig eine eigene Beurteilung der Arbeit und der umstrittenen Zitate ermöglichen. Stattdessen zeigt sein Bestreben, durch ein Zurückhalten der Arbeit die Klassenbetreuerin als nicht kompetent darzustellen, dass es ihm nicht um ein objektives und gerechtes Urteil über die Qualität der Arbeit ging, sondern um die Verfolgung sachfremder Motive. Dies zeigt ein Verständnis vom Inhalt seiner Arbeitsaufgaben und der eigenen Kompetenzen, das durch den Ausspruch einer Abmahnung den gesamten Umständen nach nicht zu beeinflussen ist. Eine Verhaltensänderung des Klägers stand deshalb auch nach einer Abmahnung nicht zu erwarten.

31

(3) Dennoch erweist sich die fristlose Kündigung als unwirksam. Dem Beklagten war es unter Beachtung der Besonderheiten des Einzelfalls und der gebotenen Abwägung der Interessen beider Vertragsteile zuzumuten, das Arbeitsverhältnis noch bis zum Ablauf der maßgebenden Kündigungsfrist fortzusetzen. Die gegenteilige Auffassung des Landesarbeitsgerichts, das sich die Erwägungen des Arbeitsgerichts zur Interessenabwägung nach § 69 Abs. 2 ArbGG zu eigen gemacht hat, berücksichtigt nicht alle wesentlichen Gesichtspunkte.

32

(a) Zwar spricht zulasten des Klägers der Umstand, dass das Arbeitsverhältnis auch aus anderen Gründen nicht beanstandungsfrei verlaufen ist. Das Arbeitsgericht hat auf Pflichtwidrigkeiten bezüglich der Teilnahme an Konferenzen hingewiesen. Dies wird, zumal der Kläger ein Fehlverhalten insoweit teilweise eingeräumt hatte, von der Revision nicht angegriffen. Auch konnte im Rahmen der Abwägung nicht unberücksichtigt bleiben, dass der Kläger im Schlichtungsgespräch vom 19. Februar 2007 keine Einsicht in die Vertragswidrigkeit seines Verhaltens gezeigt hat. Dies muss als Indiz für eine Wiederholungsgefahr angesehen werden.

33

(b) Zum einen ist jedoch zu bedenken, dass die zur außerordentlichen Kündigung führende Pflichtwidrigkeit im Zusammenhang mit schriftlichen Prüfungsleistungen der Schüler stand, die in den Monaten nach Kündigungsanspruch nicht mehr anfielen. Zum anderen ist das Landesarbeitsgericht von einer unzutreffenden Frist ausgegangen, die der Beklagte bei Ausspruch einer ordentlichen Kündigung einzuhalten hätte. Dies ist nicht die Frist von sechs Monaten jeweils zum 31. Juli des Jahres nach Nr. 5 Satz 1 des Arbeitsvertrages, sondern die gesetzliche Frist von zwei Monaten zum Monatsende nach Nr. 5 Satz 6 des Vertrags. Zumindest für die Dauer dieses Zeitraums war dem Beklagten die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zuzumuten.

34

(aa) Das Landesarbeitsgericht hat die arbeitsvertraglichen Vereinbarungen zu den Kündigungsfristen nicht ausgelegt. Es hat auch nicht festgestellt, ob es sich dabei um typische oder untypische Klauseln handelt. Selbst wenn unterstellt wird, dass sie untypisch sind, kann der Senat sie eigenständig auslegen. Es geht um die Auslegung von Urkunden, ohne dass besondere Umstände des Einzelfalls, die der Auslegung eine bestimmte, der Beurteilung des Revisionsgerichts entzogene Richtung geben könnten, vorlägen (vgl. dazu BAG 5. Februar 2009 - 6 AZR 151/08 - Rn. 33, AP KSchG 1969 § 4 Nr. 69 = EzA KSchG § 4 nF Nr. 87; 28. Februar 1990 - 7 AZR 143/89 - zu II 2 a der Gründe, BAGE 64, 220).

35

(bb) Der Arbeitsvertrag differenziert in Nr. 5 zwischen einer regulären Kündigungsfrist von sechs Monaten zum 31. Juli (Nr. 5 Satz 1) und einer für den Fall mangelnden Vertrauens in die Erziehungsarbeit oder in die Mitwirkung bei der Selbstverwaltung vorgesehenen „Kündbarkeit entsprechend den gesetzlichen Kündigungsfristen“ (Nr. 5 Satz 6). Dabei ist davon auszugehen, dass die beiden Regelungen jeweils abschließend und vollständig sind. So ist das Arbeitsverhältnis im Fall von Nr. 5 Satz 6 nicht nur zum 31. Juli kündbar. Die Festlegung dieses Termins in Nr. 5 Satz 1 beruht, ebenso wie die - lange - Dauer der dort bestimmten Kündigungsfrist von sechs Monaten erkennbar auf dem Bedürfnis nach personeller Kontinuität in der Lehrerschaft während eines laufenden Schuljahrs. Soweit es in den Fällen von Nr. 5 Satz 6 des Vertrags stattdessen bei den gesetzlichen Kündigungsfristen verbleiben soll, betrifft dies Sachverhalte, die das pädagogische Selbstverständnis und die Tendenz des Beklagten als freier Schulträger berühren. Der offensichtliche Zweck der Regelung, Pflichtverletzungen in diesem Bereich mit einer möglichst kurzfristigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses begegnen zu können, liefe weitgehend leer, wäre eine Kündigung auch dann - wenn auch mit kürzerer Frist - nur zum 31. Juli möglich.

36

(cc) Die in Rede stehende Pflichtverletzung ist aufgrund ihres Bezugs zur Erziehungsarbeit ein Anwendungsfall von Nr. 5 Satz 6 des Vertrags. Bei einer Betriebszugehörigkeit des Klägers von etwas mehr als fünf Jahren gilt für ihn gemäß § 622 Abs. 2 Nr. 2 BGB eine Kündigungsfrist von zwei Monaten zum Monatsende.

37

3. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO). Der Beklagte hat sich allerdings zur Rechtfertigung der außerordentlichen Kündigung ergänzend auf Verstöße gegen ein dem Kläger am 1. Februar 2007 erteiltes Hausverbot vom 7. Februar und 19. Februar 2007 sowie eine Missachtung der gesetzlichen Vorschriften für Abiturprüfungen an Waldorfschulen berufen. Insoweit fehlt es aber schon nach seinem eigenen Vorbringen an einem wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB. Das Hausverbot war zunächst - unstreitig - bis 5. Februar 2007 ausgesprochen worden. Zwar hat der Beklagte behauptet, im Schlichtungsgespräch von diesem Tag sei vereinbart worden, dass es bis auf Weiteres bei den „Festlegungen vom 1. Februar 2007“ verbleiben solle. Es ist jedoch gut vorstellbar, dass der Kläger dies lediglich auf die ebenfalls am 1. Februar 2007 angeordnete Beurlaubung, nicht aber das Hausverbot bezogen hat, so dass eine Abmahnung schon zum Ausschluss eines nahe liegenden Irrtums des Klägers erforderlich war. Ähnliche Erwägungen gelten für die behauptete Nichtbeachtung gesetzlicher Vorschriften im Hinblick auf die Vorbereitung der Schüler auf Abiturprüfungen. Soweit in dem Verhalten des Klägers überhaupt eine Pflichtverletzung liegt, erreicht diese nicht das für einen Kündigungsgrund iSv. § 626 Abs. 1 BGB erforderliche Gewicht.

38

II. Ist das Arbeitsverhältnis aufgrund der Kündigung vom 23. Februar 2007 nicht mit sofortiger Wirkung aufgelöst worden, kommt es darauf an, ob es - wie vom Beklagten geltend gemacht - durch ordentliche Kündigung beendet worden ist. Hierüber kann der Senat selbst entscheiden. Die Kündigung vom 23. Februar 2007 ist als ordentliche Kündigung sozial gerechtfertigt iSv. § 1 Abs. 1, Abs. 2 KSchG und damit wirksam.

39

1. Eine nach § 626 Abs. 1 BGB unwirksame außerordentliche Kündigung kann in eine ordentliche Kündigung nach § 140 BGB umgedeutet werden, wenn dies dem mutmaßlichen Willen des Kündigenden entspricht und dieser Wille dem Kündigungsempfänger im Zeitpunkt des Kündigungszugangs erkennbar ist(Senat 23. Oktober 2008 - 2 AZR 388/07 - Rn. 33 mwN, AP BGB § 626 Nr. 217 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 23; 15. November 2001 - 2 AZR 310/00 - zu B I 1 a der Gründe, AP BGB § 140 Nr. 13 = EzA BGB § 140 Nr. 24).

40

2. Die Prüfung, ob diese Voraussetzungen vorliegen, obliegt zwar grundsätzlich der Tatsacheninstanz (vgl. BGH 24. September 1980 - VIII ZR 299/79 - zu II 2 b der Gründe, NJW 1981, 43). Sie kann bei feststehendem Sachverhalt aber auch in der Revisionsinstanz erfolgen. Im Streitfall ist von einer derartigen Sachlage auszugehen. Auch hat sich der Beklagte ausdrücklich auf eine Umdeutung der fristlosen in eine ordentliche Kündigung berufen.

41

a) Der Inhalt des Kündigungsschreibens vom 23. Februar 2007, mit dem der Beklagte das Arbeitsverhältnis „fristlos“ gekündigt hat, ließ für den Kläger den unbedingten Beendigungswillen des Beklagten erkennen. Hinzu kommt, dass der Beklagte das Arbeitsverhältnis bereits zuvor ordentlich gekündigt hatte. Der Kläger musste davon ausgehen, dass es dem Beklagten darauf ankam, sich möglichst bald von ihm zu trennen.

42

b) Besondere Umstände, die den Schluss zuließen, der Beklagte habe mit der Kündigung vom 23. Februar 2007 ausschließlich die außerordentliche fristlose Beendigung des Arbeitsverhältnisses herbeiführen wollen, und die deshalb einer Umdeutung entgegenstünden (Senat 15. November 2001 - 2 AZR 310/00 - zu B I 2 c der Gründe mwN, AP BGB § 140 Nr. 13 = EzA BGB § 140 Nr. 24), hat der Kläger nicht aufgezeigt.

43

3. Die Pflichtverletzung des Klägers im Zusammenhang mit der Jahresarbeit von S. rechtfertigt aus den angeführten Gründen die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses iSv. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG. Eine Abmahnung war, wie ausgeführt, entbehrlich. Besondere Umstände des Einzelfalls, die ein anderes Ergebnis rechtfertigten, sind nicht ersichtlich.

44

4. Sonstige Unwirksamkeitsgründe liegen nicht vor. Die Kündigung ist nicht deshalb unwirksam, weil das interne Schlichtungsverfahren nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden wäre. Dabei kann zugunsten des Klägers unterstellt werden, dass nach der Regelung in Nr. 5 des Arbeitsvertrags das Schlichtungsverfahren zumindest bei einer beabsichtigten ordentlichen Kündigung eingreifen soll. Der Arbeitsvertrag verlangt im Fall der „die Zusammenarbeit betreffenden Streitigkeiten“ lediglich die „Einleitung“ des Verfahrens und nicht dessen Durchführung mit sämtlichen in der Schulordnung vorgesehenen Schritten. Das steht im Einklang mit der für das Schlichtungsverfahren getroffenen Regelung, wonach „jeder der angeführten Punkte zum Abbruch des Verfahrens führen kann“ und es somit an einer zwingenden Ausgestaltung des Verfahrens fehlt. Die Einleitung des Verfahrens war vor Ausspruch der - außerordentlichen - Kündigung unstreitig erfolgt. Das Schlichtungsgespräch vom 19. Februar 2007, in das auch die Vorfälle um die Jahresarbeit einbezogen wurden, war erfolglos geblieben.

45

III. Hat das Arbeitsverhältnis aufgrund der Kündigung vom 23. Februar 2007 mit Ablauf des 30. April 2007 geendet, kommt es auf die Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung vom 31. Januar 2007 nicht mehr an.

        

    Kreft    

        

    Eylert    

        

    Berger    

        

        

    zugleich für ehrenamtlichen Richter Dr. Bartel,
der an einer Unterzeichnung wegen des Endes
seiner Amtszeit verhindert ist    

        

        

    Jan Eulen    

                 

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

Tenor

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 28. Mai 2014 - 10 Sa 770/13 - im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, wie es der Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts München vom 19. Juni 2013 - 19 Ca 13099/12 - stattgegeben hat.

2. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts München wird insgesamt zurückgewiesen.

3. Der Kläger hat die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.

2

Der Kläger wurde 1961 geboren, ist verheiratet und zwei Kindern zum Unterhalt verpflichtet. Er war seit 1989 - zunächst als Systemanalytiker und zuletzt als IT-Spezialist - bei der Beklagten beschäftigt. Die vereinbarte Wochenarbeitszeit belief sich auf 35 Stunden. Sein Arbeitsverhältnis war nach § 8 Ziff. 2 Abs. 3 Satz 1 des Manteltarifvertrags für die Arbeitnehmer der bayerischen Metall- und Elektroindustrie (MTV) vom 23. Juni 2008 verhaltensbedingt nur noch aus wichtigem Grund kündbar.

3

Zwischen den Parteien kam es mehrfach zu Unstimmigkeiten über die dem Kläger zugeteilten Aufgaben und sein berufliches Fortkommen. Mit E-Mail vom 30. März 2009 forderte dieser die Beklagte auf, ihn vertragsgemäß zu beschäftigen und sein „Aschenputtel-Dasein“ zu beenden. Die Beklagte übe „Psychoterror“ aus. Sie versuche, ihn zu zermürben und zu demütigen, was bei ihm zu einer seelischen Erkrankung geführt habe. Gleichzeitig kündigte er an, ggf. von einem Zurückbehaltungsrecht gemäß § 273 BGB Gebrauch machen zu wollen. Nach mehreren Gesprächen wurde ihm für die Zeit ab Oktober 2009 einvernehmlich die Tätigkeit eines IT-Chefarchitekten und die Leitung eines Projekts übertragen.

4

Das dem Kläger anvertraute Projekt endete spätestens im September 2011. Im Mai 2011 wurde ihm die Aufgabe eines sog. Blueprint-Vorfilterers und im Februar 2012 diejenige eines „TRM-Koordinators“ jeweils mit seinem Einverständnis übertragen. Nachdem die Einarbeitung abgeschlossen war, lasteten diese Tätigkeiten ihn für drei bis vier Stunden pro Woche aus. Das ihm im Juni 2012 unterbreitete Angebot, zusätzlich im Projekt „SharePoint“ tätig zu werden, lehnte er ab.

5

Mit E-Mail vom 10. September 2012 richtete der Kläger eine Petition an die Personalleitung der Beklagten. In der beigefügten PowerPoint-Präsentation führte er aus, dass seit 1996 eine „massive Entwicklungsblockade“ gegen ihn verhängt worden sei. Trotz seiner „ständig sehr guten Ergebnisse“ und der „mustergültigen Einhaltung aller geltenden Regeln“ sei er nicht befördert worden. Dieses „unternehmensbedingte, großangelegte Mobbing“ habe bei ihm zu „totaler Frustration“ geführt. Seine Arbeitsmoral liege „brach“, die „innere Kündigung (sei) perfekt“. Die Beklagte habe ihn „krank gemacht“, für eine „neue Aufgabe oder Funktion habe (er) keine Kraft mehr“. Er sei „körperlich erschöpft, sowie seelisch und geistig ausgebrannt“. Die Beklagte habe sein „Potenzial definitiv und unwiederbringlich kaputt gemacht“. Man befinde sich in einem Dilemma wie in einer „schlechten Ehe“ und solle sich „lieber heute als morgen voneinander trennen“. Die von ihm „bevorzugte Lösung“ sei deshalb eine „bezahlte Freistellung mit garantiertem Bestandsschutz bis zum Eintritt in die gesetzliche Rente bzw. die Freizeitphase der Altersteilzeit“. In einer weiteren E-Mail vom 20. September 2012 teilte der Kläger der Beklagten mit, ihm sei es nicht mehr möglich und zumutbar, seine Arbeitsleistung zu erbringen. Ab dem 1. Oktober 2012 werde er von einem Leistungsverweigerungsrecht nach § 275 Abs. 2 und Abs. 3 BGB Gebrauch machen.

6

Die Beklagte wies die Vorwürfe mit Schreiben vom 28. September 2012 zurück und ließ den Kläger wissen, dass sie es als schwerwiegende Verletzung seiner Hauptleistungspflicht betrachten und ggf. arbeitsrechtliche Konsequenzen bis hin zu einer Kündigung ziehen werde, wenn er der Arbeit fernbleiben sollte. Zugleich lud sie ihn für den 1. Oktober 2012 zu einem Personalgespräch ein. Der Kläger erwiderte mit E-Mail vom gleichen Tag, er sei „sprachlos“ aufgrund der „inhaltslosen Aussagen“ und „billigen Drohungen“. Die Beklagte habe „die Zusammenarbeit unmöglich gemacht“ und „ihre Glaubwürdigkeit und ihre Integrität restlos und unwiederbringlich kompromittiert“.

7

Der Kläger erschien - wie angekündigt - ab dem 1. Oktober 2012 nicht mehr zur Arbeit. In der Folge entspann sich zwischen den Parteien ein nicht geringer Schrift- und E-Mail-Wechsel, in dessen Zuge die Beklagte den Kläger zweimal wegen Arbeitsverweigerung abmahnte und ihn noch weitere drei Mal vergeblich zu einem Personalgespräch einlud. Im fünften Anlauf kam für den 15. Oktober 2012 ein solches Gespräch zustande, in dem die Parteien keine Einigung erzielen konnten. Mit Schreiben vom 17. Oktober 2012 erteilte die Beklagte dem Kläger eine „letztmalige Abmahnung“. Nachdem auch diese fruchtlos geblieben war, kündigte sie dessen Arbeitsverhältnis - nach Anhörung des Betriebsrats - mit Schreiben vom 26. Oktober 2012 außerordentlich fristlos, hilfsweise außerordentlich mit Auslauffrist zum 31. Mai 2013.

8

Hiergegen hat der Kläger sich rechtzeitig mit der vorliegenden Klage gewandt. Er hat gemeint, er habe seine Arbeitspflicht nicht verletzt, weil er wirksam ein Leistungsverweigerungsrecht geltend gemacht habe. Angesichts der gegen ihn verhängten „Entwicklungsblockade“ und des fortwährenden „Mobbing“ sei es ihm unzumutbar, weiterhin seine Arbeitsleistung zu erbringen. Die Kündigung stelle sich als Maßregelung dar.

9

Der Kläger hat - soweit noch von Interesse - beantragt

        

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die außerordentliche fristlose Kündigung vom 26. Oktober 2012 noch durch die außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist vom 26. Oktober 2012 aufgelöst worden ist.

10

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat gemeint, der Kläger habe seine Arbeitspflicht beharrlich verletzt. Er sei nicht berechtigt gewesen, die Leistung zu verweigern. Die von ihm - ohnehin unsubstantiiert - erhobenen Vorwürfe seien unzutreffend. Der Kläger habe sich auch nicht in einem entschuldbaren Rechtsirrtum befunden. Vielmehr sei er sich des mit seinem Vorgehen verbundenen Risikos bewusst gewesen.

11

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben. Mit der Revision verfolgt die Beklagte das Ziel, das erstinstanzliche Urteil wiederherzustellen.

Entscheidungsgründe

12

Die Revision ist zulässig und begründet.

13

A. Der Senat kann über die Revision entscheiden. Es kommt nicht darauf an, ob der Rechtsstreit deshalb nach § 244 Abs. 1 ZPO unterbrochen gewesen ist, weil der ursprüngliche Prozessbevollmächtigte des Klägers im Laufe des Revisionsverfahrens die Zulassung zur Anwaltschaft und damit gemäß § 11 Abs. 4 ArbGG die Fähigkeit verloren hat, die Vertretung seiner Partei fortzuführen(gegen eine Unterbrechung bei Bestellung eines Abwicklers BFH 10. Februar 1982 - I R 225/78 - BFHE 135, 445; für eine Unterbrechung trotz Bestellung eines Abwicklers OLG Köln 3. Juni 1993 - 12 W 19/93 - zu I der Gründe; Stein/Jonas/Roth ZPO 22. Aufl. § 244 Rn. 9). Eine mögliche Unterbrechung ist jedenfalls dadurch beendet worden, dass der Abwickler der Kanzlei des früheren Prozessbevollmächtigten mit Schriftsatz vom 30. April 2015 seine Bestellung gegenüber dem Bundesarbeitsgericht angezeigt hat und die Anzeige der Beklagten zugestellt worden ist (§ 244 Abs. 1, § 250 ZPO). Bei einem amtlich bestellten Abwickler handelt es sich um einen „bestellten neuen Anwalt“ iSv. § 244 Abs. 1 ZPO(BAG 13. Mai 1997 - 3 AZR 66/96 - zu A der Gründe).

14

B. Die Revision ist zulässig. Entgegen der Ansicht des Klägers ist sie ordnungsgemäß begründet worden.

15

I. Nach § 72 Abs. 5 ArbGG iVm. § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 ZPO gehört zum notwendigen Inhalt der Revisionsbegründung die Angabe der Revisionsgründe. Bei einer Sachrüge muss der vermeintliche Rechtsfehler des Landesarbeitsgerichts so aufgezeigt werden, dass Gegenstand und Richtung des Revisionsangriffs erkennbar sind. Dazu muss die Revisionsbegründung eine Auseinandersetzung mit den Gründen des angefochtenen Urteils enthalten. Das erfordert die genaue Darlegung der Gesichtspunkte, aus denen das angefochtene Urteil rechtsfehlerhaft sein soll (vgl. BAG 29. August 2013 - 2 AZR 273/12 - Rn. 16).

16

II. Diesen Anforderungen wird die Revisionsbegründung gerecht. Die Beklagte wendet sich gegen die Annahme des Landesarbeitsgerichts, unter Abwägung der beiderseitigen Interessen sei es ihr zumutbar, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen. Sie legt dar, welche von ihm festgestellten Umstände es außer Acht gelassen habe und wie daraus ein anderes Ergebnis folge. Diese Sachrüge wäre im Fall ihrer Begründetheit geeignet, das Berufungsurteil - soweit es durch die Beklagte angefochten wird - zu Fall zu bringen. Das reicht als Revisionsangriff aus. Darauf, ob die Beklagte die von ihr zudem erhobenen Verfahrensrügen ausreichend begründet hat, kommt es für die Zulässigkeit der Revision deshalb nicht an.

17

C. Die Revision ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage zu Unrecht stattgegeben. Sie ist unbegründet. Die außerordentliche fristlose Kündigung der Beklagten vom 26. Oktober 2012 hat das Arbeitsverhältnis der Parteien mit ihrem Zugang aufgelöst. Sie ist wirksam.

18

I. Es besteht ein wichtiger Grund iSv. § 626 BGB iVm. § 8 Ziff. 2 Abs. 3 Satz 1 MTV.

19

1. Nach § 8 Ziff. 2 Abs. 3 Satz 1 MTV können die Arbeitsverhältnisse von Arbeitnehmern, die - wie der Kläger - das 50. Lebensjahr vollendet und dem Betrieb oder Unternehmen mindestens 15 Jahre angehört haben, verhaltensbedingt nur noch aus wichtigem Grund gekündigt werden. Mit dem Begriff des „wichtigen Grundes“ knüpft der MTV an die gesetzliche Regelung des § 626 Abs. 1 BGB an(für insoweit vergleichbare Tarifverträge BAG 28. Oktober 2010 - 2 AZR 688/09 - Rn. 31; 12. Januar 2006 - 2 AZR 242/05 - Rn. 24).

20

2. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der - ggf. fiktiven - Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dabei ist zunächst zu untersuchen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“ und damit typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist oder nicht (BAG 23. Oktober 2014 - 2 AZR 865/13 - Rn. 19, BAGE 149, 355; 29. August 2013 - 2 AZR 273/12 - Rn. 19). Bei der Interessenabwägung ist die ordentliche Unkündbarkeit seines Arbeitsverhältnisses - hier: nach § 8 Ziff. 2 Abs. 3 Satz 1 MTV - nicht gesondert zugunsten des Arbeitnehmers zu berücksichtigen (vgl. BAG 27. Januar 2011 - 2 AZR 825/09 - Rn. 48 mwN, BAGE 137, 54).

21

3. Der Kläger hat einen „an sich“ wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB herbeigeführt, indem er die von ihm geschuldete Arbeitsleistung beharrlich verweigerte.

22

a) Die beharrliche Weigerung eines Arbeitnehmers, seine vertraglich geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen, ist „an sich“ geeignet, eine außerordentliche fristlose Kündigung zu rechtfertigen. Ein Arbeitnehmer verweigert die ihm angewiesene Arbeit beharrlich, wenn er sie bewusst und nachdrücklich nicht leisten will. Ob er zur Arbeitsleistung verpflichtet war, entscheidet sich nach der objektiven Rechtslage. Verweigert der Arbeitnehmer die Arbeitsleistung in der Annahme, er handele rechtmäßig, hat grundsätzlich er selbst das Risiko zu tragen, dass sich seine Rechtsauffassung als unzutreffend erweist (BAG 29. August 2013 - 2 AZR 273/12 - Rn. 29, 32).

23

b) Der kündigende Arbeitgeber ist darlegungs- und beweispflichtig für alle Umstände, die einen wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB begründen sollen. Ihn trifft die Darlegungs- und Beweislast auch für diejenigen Tatsachen, die einen vom Gekündigten behaupteten Rechtfertigungsgrund ausschließen. Allerdings hat hierzu der Arbeitnehmer seinerseits nach § 138 Abs. 2 ZPO substantiiert vorzutragen; er muss darlegen, warum sein Fehlen als „entschuldigt“ anzusehen sei. Nur die im Rahmen der insofern abgestuften Darlegungs- und Beweislast vom Arbeitnehmer behaupteten Tatsachen hat der Arbeitgeber zu widerlegen (vgl. BAG 17. Juni 2003 - 2 AZR 123/02 - zu II 2 b aa der Gründe; 21. Mai 1992 - 2 AZR 10/92 - zu II 2 b bb der Gründe, BAGE 70, 262).

24

c) Der Kläger verweigerte seit dem 1. Oktober 2012 die von ihm geschuldete Arbeitsleistung. Er war grundsätzlich verpflichtet, die ihm mit seinem Einverständnis übertragenen Tätigkeiten eines „Blueprint-Vorfilterers“ und eines „TRM-Koordinators“ auszuführen.

25

d) Der Kläger war nicht berechtigt, die Arbeitsleistung zu verweigern, weil es ihm gemäß § 275 Abs. 3 BGB unzumutbar gewesen wäre, sie zu erbringen.

26

aa) Nach § 275 Abs. 3 BGB kann der Schuldner die Leistung verweigern, wenn er sie persönlich zu erbringen hat und sie ihm unter Abwägung des ihr entgegenstehenden Hindernisses mit dem Leistungsinteresse des Gläubigers nicht zugemutet werden kann. Die Vorschrift betrifft das Spannungsverhältnis von Vertragstreue und Unzumutbarkeit der Arbeitsleistung (BAG 13. August 2010 - 1 AZR 173/09 - Rn. 12, BAGE 135, 203). Sie löst es (nur) dann zugunsten des Schuldners auf, wenn für diesen die Leistungserbringung in hohem Maße belastend ist (MüKoBGB/Ernst 6. Aufl. § 275 Rn. 116), weil ein Fall besonderer Leistungserschwerung vorliegt (Alpmann in jurisPK-BGB 7. Aufl. § 275 Rn. 70). Dem Schuldner kann die Erfüllung der von ihm persönlich zu erbringenden Leistung unzumutbar sein, wenn er dadurch Gefahr läuft, in bedeutsamen Rechtsgütern verletzt zu werden (vgl. Staudinger/Caspers (2014) § 275 Rn. 112: Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit). Im Falle einer zur Arbeitsunfähigkeit führenden Erkrankung des Arbeitnehmers selbst - nicht eines seiner nahen Angehörigen - ist umstritten, ob die Leistungsbefreiung automatisch gemäß § 275 Abs. 1 BGB eintritt oder der Betreffende erst von einem Leistungsverweigerungsrecht nach § 275 Abs. 3 BGB Gebrauch machen muss(zum Streitstand siehe Alpmann in jurisPK-BGB 7. Aufl. § 275 Rn. 71; MüKoBGB/Ernst 6. Aufl. § 275 Rn. 118).

27

bb) Dem Kläger war es nicht unzumutbar, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen.

28

(1) Er beruft sich nicht etwa darauf, dass er bereits arbeitsunfähig erkrankt gewesen sei. Eine entsprechende ärztliche Bescheinigung gemäß § 5 EFZG hat er nicht vorgelegt. Es ist auch nicht ersichtlich, dass eine Arbeitsunfähigkeit zumindest zu erwarten gewesen wäre, wenn er seine Tätigkeit fortgesetzt hätte. Zwar hat der Kläger behauptet, an einer psychischen Erkrankung zu leiden. Jedoch hat er diese nur schlagwortartig umschrieben. Es fehlt an Vortrag zu den Symptomen und dazu, wie sich die Krankheit - die ihm offenbar seit Jahren bekannt ist - in der jüngeren Vergangenheit entwickelt hat, welche konkreten Auswirkungen die Situation am Arbeitsplatz hatte und warum es ihm deshalb nicht mehr zugemutet werden konnte, die Arbeitsleistung fortzusetzen.

29

(2) Das Landesarbeitsgericht hat ohne Rechtsfehler angenommen, dass es dem Kläger nicht aufgrund von - drohenden - Persönlichkeitsrechtsverletzungen unzumutbar gewesen sei, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen (zur eingeschränkten Überprüfbarkeit der tatrichterlichen Würdigung vgl. BAG 28. Oktober 2010 - 8 AZR 546/09 - Rn. 20; 24. April 2008 - 8 AZR 347/07 - Rn. 36).

30

(a) Nicht jedes den Arbeitnehmer belastende Verhalten des Arbeitgebers oder eines seiner Repräsentanten (§ 278 BGB) stellt einen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte des Arbeitnehmers oder eine Verletzung vertraglicher Pflichten zur Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB) dar. Persönlichkeitsrechte werden nicht allein dadurch verletzt, dass im Arbeitsleben übliche Konflikte auftreten, die sich durchaus über einen längeren Zeitraum erstrecken können. Sozial- und rechtsadäquates Verhalten muss aufgrund der gebotenen objektiven Betrachtungsweise - dh. ohne Rücksicht auf das subjektive Empfinden des betroffenen Arbeitnehmers - von der rechtlichen Bewertung ausgenommen werden. Mangels entsprechender Systematik und Zielrichtung werden keine Rechte des Arbeitnehmers beeinträchtigt, wenn er von verschiedenen Vorgesetzten, die nicht zusammenwirken und die zeitlich aufeinanderfolgen, in seiner Arbeitsleistung kritisiert oder schlecht beurteilt wird. Dies gilt insbesondere dann, wenn seine Arbeitsleistung nicht nur beanstandet oder ignoriert, sondern auch positiv gewürdigt wird. Ebenso müssen Verhaltensweisen von Arbeitgebern oder Vorgesetzten unberücksichtigt bleiben, die lediglich eine Reaktion auf Provokationen durch den vermeintlich „gemobbten“ Arbeitnehmer darstellen. Insoweit fehlt es an der eindeutigen Täter-Opfer-Konstellation (BAG 16. Mai 2007 - 8 AZR 709/06 - Rn. 86, BAGE 122, 304).

31

(b) Zur Begründung des Vorwurfs, er sei systematisch in seiner beruflichen Entwicklung „blockiert“ worden, beruft der Kläger sich darauf, dass ihm Zwischenzeugnisse mit unrichtigem Inhalt erteilt, ein Telearbeitsplatz verweigert, Leistungspunkte gestrichen, keine herausfordernden Aufgaben übertragen und eine Fortbildung und Beförderung verwehrt worden seien. Weitere Verhaltensweisen der Beklagten hat er nicht konkret dargetan; es ersetzt keinen substantiierten Sachvortrag, Vorschriften zu benennen, gegen die sie verstoßen haben soll.

32

(c) Mit dem Landesarbeitsgericht lassen die vom Kläger geschilderten Verhaltensweisen weder einzeln für sich noch in ihrer Gesamtschau den Schluss auf eine Verletzung seines Persönlichkeitsrechts zu. Zwischen den Parteien bestanden lediglich Konflikte wie sie im Arbeitsleben üblich sind. Sie ergaben sich aus unterschiedlichen Auffassungen über die Qualität der Arbeitsleistung und -ergebnisse des Klägers. Es ist nicht ersichtlich, dass die Beklagte oder einer ihrer Repräsentanten (§ 278 BGB) auch nur in einem Einzelfall die Ebene der Sachlichkeit verlassen hätte. Im Übrigen würde selbst dies nicht ausreichen, um eine Rechtsverletzung anzunehmen (vgl. BAG 16. Mai 2007 - 8 AZR 709/06 - Rn. 76, BAGE 122, 304).

33

(aa) Der Kläger mag es als erniedrigend empfunden haben, dass ehemalige Kollegen zu seinen Vorgesetzten wurden. In diesem Empfinden mag er dadurch bestärkt worden sein, dass seine Arbeitsleistung schlechter beurteilt wurde, als er es für gerechtfertigt hielt. Er hatte jedoch keinen Rechtsanspruch darauf, gleichfalls befördert zu werden (vgl. zur „Fürsorgepflicht“ des Arbeitgebers BAG 23. September 1992 - 5 AZR 526/91 - zu II 6 der Gründe). Die Beklagte hat substantiiert dargetan, dass sie ihn nicht als „Führungskraft“ sehe, weil er aus ihrer Sicht nicht über ausreichende Gestaltungsfähigkeiten bei komplexen, noch unklaren Sachverhalten und nicht über das erforderliche Team- und Kommunikationsverhalten verfüge.

34

(bb) Es ist nicht ersichtlich, dass gegen den Kläger eine „Entwicklungsblockade“ verhängt worden wäre. Ihm sind Angebote zur Fort- und Weiterbildung unterbreitet worden. Diese hat er entweder nicht angenommen oder er hat die begonnenen Schulungen - etwa das sog. Gallup-Stärkentraining - vorzeitig abgebrochen. Wenn Probleme in seinem Arbeitsumfeld aufgetreten sind, hat die Beklagte versucht, Tätigkeiten in anderen Bereichen für ihn zu finden und ihm einen „unbelasteten Neustart“ zu ermöglichen. Nach seinen eigenen Angaben ist er nicht nur kritisiert, sondern verschiedentlich für seine Arbeitsleistung und seine Arbeitsergebnisse auch gelobt worden. Zu keiner Zeit wurde ihm eine Aufgabe entzogen. Die Notwendigkeit, ihm neue Tätigkeiten zuzuweisen, ergab sich vielmehr dadurch, dass die ihm übertragenen Projekte abgeschlossen waren. Dass der Kläger mit den ihm zuletzt übertragenen Tätigkeiten eines „Blueprint-Vorfilterers“ und eines „TRM-Koordinators“ nicht ausgelastet war, lässt nicht den Schluss zu, die Beklagte habe ihn auf das „Abstellgleis“ geschoben. Ihm ist zusätzlich ein Einsatz im Projekt „SharePoint“ angeboten worden. Diesen hat er - mit der Begründung, dass er sich dafür zunächst hätte fortbilden müssen - abgelehnt. Er hat auch im Prozess keine Angaben dazu gemacht, welche möglichen Aufgaben, die den arbeitsvertraglichen Vereinbarungen entsprochen und nicht eine Beförderung bedeutet hätten, die Beklagte ihm „vorenthalten“ habe.

35

(cc) Es kommt hinzu, dass die Auseinandersetzungen um den Telearbeitsplatz und die Streichung von Leistungspunkten bei Beginn der Arbeitsverweigerung bereits im Sinne des Klägers „ausgestanden“ waren. Ihm war ein Telearbeitsplatz eingerichtet worden. Sein Vorgesetzter hatte ihm lediglich nahegelegt, in seinem - des Klägers - eigenen Interesse gleichwohl ausreichend im Unternehmen „präsent“ zu sein. Die nach den bei der Beklagten üblichen Gepflogenheiten anlässlich eines Aufgabenwechsels „gehaltsneutral“ gestrichenen Leistungspunkte waren ihm auf seinen „Protest“ hin wieder gutgeschrieben worden. Das hatte für ihn eine Gehaltserhöhung zur Folge, obwohl er sich in der neuen Tätigkeit noch nicht in der dazu erforderlichen Weise „bewährt“ haben konnte.

36

e) Die Arbeitsverweigerung durch den Kläger war nicht in Ausübung eines Zurückbehaltungsrechts gemäß § 273 Abs. 1 BGB gerechtfertigt.

37

aa) Nach dieser Vorschrift darf der Schuldner, der aus dem gleichen Rechtsverhältnis, auf dem seine Verpflichtung beruht, einen fälligen Anspruch gegen den Gläubiger hat - sofern sich aus dem Schuldverhältnis nichts anderes ergibt -, die geschuldete Leistung verweigern, bis die ihm gebührende Leistung bewirkt wird. Dem Arbeitnehmer kann ein Recht zustehen, die Arbeitsleistung zurückzuhalten, wenn der Arbeitgeber seine aus dem Arbeitsverhältnis folgenden Haupt- oder Nebenpflichten schuldhaft nicht erfüllt. So liegt es beispielsweise, wenn der Arbeitgeber oder einer seiner Repräsentanten (§ 278 BGB) die Gesundheit des Arbeitnehmers oder dessen Persönlichkeitsrecht in erheblicher Weise verletzt und mit weiteren Verletzungen zu rechnen ist. Die Ausübung des Zurückbehaltungsrechts steht unter dem Gebot von Treu und Glauben nach § 242 BGB und unterliegt dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Dementsprechend muss der Arbeitnehmer unter Angabe des Grundes dem Arbeitgeber klar und eindeutig mitteilen, er werde dieses Recht mit Blick auf eine ganz bestimmte, konkrete Gegenforderung wahrnehmen. Nur so wird dem Arbeitgeber die Möglichkeit eröffnet, den möglichen Anspruch des Arbeitnehmers zu prüfen und ggf. zu erfüllen. Wenn der Arbeitnehmer berechtigterweise von einem Zurückbehaltungsrecht Gebrauch macht, liegt keine Arbeitsverweigerung vor (vgl. BAG 13. März 2008 - 2 AZR 88/07 - Rn. 39 ff. mwN).

38

bb) Entgegen der Annahme des Landesarbeitsgerichts hat der Kläger kein Zurückbehaltungsrecht nach § 273 Abs. 1 BGB geltend gemacht. Obwohl ihm ausweislich vorheriger Mitteilungen - etwa in der E-Mail vom 30. März 2009 - der Unterschied zwischen beiden Normen bestens bekannt war, hat er die Beklagte mit E-Mail vom 20. September 2012 (lediglich) wissen lassen, dass ihm die weitere Arbeitsleistung unzumutbar sei und er ab dem 1. Oktober 2012 von seinem Leistungsverweigerungsrecht nach § 275 Abs. 2 und Abs. 3 BGB Gebrauch machen werde. Noch in der Klageschrift hat er sich ausschließlich auf § 275 BGB bezogen. Dementsprechend hat er von der Beklagten nicht etwa verlangt, bestimmte Ansprüche zu erfüllen, Maßnahmen zu ergreifen oder Zustände zu beenden. Mithilfe der Weigerung, seine Arbeitsleistung zu erbringen, wollte er weder eine vertragsgemäße Beschäftigung noch die Unterlassung von weiterem „Mobbing“ erreichen. Vielmehr hat er lediglich „vorgeschlagen“, ihn unter Fortzahlung der Vergütung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze von der Arbeitsleistung freizustellen. Darin erblickte er nicht mehr als die Festschreibung dessen, was nach § 275 Abs. 3 iVm. § 326 Abs. 2 BGB ohnehin - unveränderlich - gelte.

39

cc) Gemäß den Ausführungen zu § 275 Abs. 3 BGB bestanden im Übrigen keine Gegenansprüche, auf die der Kläger ein Recht, seine Arbeitsleistung zurückzuhalten, erfolgreich hätte stützen können. Zwar hatte er einen Anspruch auf vertragsgemäße Beschäftigung im Umfang von 35 Wochenstunden. Auch wurde dieser von der Beklagten bei weitem nicht vollständig erfüllt, weil der Kläger nach den tatsächlichen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts mit den ihm zuletzt übertragenen Tätigkeiten eines „Blueprint-Vorfilterers“ und eines „TRM-Koordinators“ nur im Umfang von drei bis vier Stunden pro Woche ausgelastet war. Die „Unterbeschäftigung“ beruhte jedoch darauf, dass der Kläger die ihm ergänzend angetragene Tätigkeit im Projekt „SharePoint“ nicht hatte übernehmen wollen. Unter diesen Umständen wäre es rechtsmissbräuchlich iSv. § 242 BGB, die Arbeitsleistung mit dem Ziel zurückzuhalten, weitere Aufgaben zugewiesen zu bekommen.

40

f) Der Kläger hat seine geschuldete Arbeitsleistung bewusst und nachhaltig verweigert.

41

aa) Obgleich die Beklagte ihn mit Schreiben vom 28. September 2012 darauf hingewiesen hatte, dass sie dies als schwerwiegenden Verstoß gegen seine Hauptleistungspflicht betrachten und ggf. arbeitsrechtliche Konsequenzen ziehen werde, blieb er ab dem 1. Oktober 2012 der Arbeit fern und nahm sie trotz dreier Abmahnungen und mehrerer Aufforderungen der Beklagten bis zum Kündigungszeitpunkt - über mehr als dreieinhalb Wochen - nicht wieder auf.

42

bb) Der Kläger befand sich nicht in einem entschuldbaren Rechtsirrtum.

43

(1) Der Geltungsanspruch des Rechts bewirkt, dass der Schuldner das Risiko eines Rechtsirrtums grundsätzlich selbst trägt und es nicht dem Gläubiger überbürden kann (BAG 19. August 2015 - 5 AZR 975/13 - Rn. 31). Ein unverschuldeter Rechtsirrtum liegt nur vor, wenn der Schuldner seinen Irrtum auch unter Anwendung der zu beachtenden Sorgfalt nicht erkennen konnte. Dabei sind strenge Maßstäbe anzulegen. Es reicht nicht aus, dass er sich für seine eigene Rechtsauffassung auf eine eigene Prüfung und fachkundige Beratung stützen kann. Ein Unterliegen in einem möglichen Rechtsstreit muss zwar nicht undenkbar sein (vgl. BAG 12. November 1992 - 8 AZR 503/91 - zu I 1 der Gründe, BAGE 71, 350). Gleichwohl liegt ein entschuldbarer Rechtsirrtum nur dann vor, wenn der Schuldner damit nach sorgfältiger Prüfung der Sach- und Rechtslage nicht zu rechnen brauchte; ein normales Prozessrisiko entlastet ihn nicht (vgl. BAG 29. August 2013 - 2 AZR 273/12 - Rn. 34; BGH 6. Dezember 2006 - IV ZR 34/05 - zu II 1 a aa der Gründe; 27. September 1989 - IVa ZR 156/88 -).

44

(2) Der Kläger hat sich nicht fachkundig beraten lassen, bevor er die Arbeitsleistung verweigert hat. Nach seinem eigenen Vorbringen war er sich des Risikos, dass ein Leistungsverweigerungsrecht von den Gerichten verneint werden könnte, vollauf bewusst. Unter diesen Umständen kann von einem entschuldbaren, unvermeidbaren Rechtsirrtum keine Rede sein.

45

4. Bei der abschließenden Interessenabwägung überwiegt - entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts - das Interesse der Beklagten an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Dessen Fortsetzung war ihr selbst für den Lauf der - fiktiven - ordentlichen Kündigungsfrist von sieben Monaten zum Schluss eines Kalendermonats (§ 8 Ziff. 2 Abs. 2 Satz 1 MTV) nicht zuzumuten.

46

a) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der - fiktiven - Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Dabei lassen sich die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumindest bis zum Ende der Frist für eine ordentliche Kündigung zuzumuten war oder nicht, nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind. Sie scheidet aus, wenn es ein „schonenderes“ Gestaltungsmittel - etwa Abmahnung, Versetzung, ordentliche Kündigung - gibt, das ebenfalls geeignet ist, den mit einer außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck - nicht die Sanktion des pflichtwidrigen Verhaltens, sondern die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen des Arbeitsverhältnisses - zu erreichen (vgl. BAG 20. November 2014 - 2 AZR 651/13 - Rn. 21; 23. Oktober 2014 - 2 AZR 865/13 - Rn. 47, BAGE 149, 355).

47

b) Dem Berufungsgericht kommt bei dieser Prüfung und Interessenabwägung - obwohl es sich um Rechtsanwendung handelt - ein gewisser Beurteilungsspielraum zu. Seine Würdigung wird in der Revisionsinstanz aber daraufhin überprüft, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnormen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob es alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände widerspruchsfrei berücksichtigt hat (BAG 20. November 2014 - 2 AZR 651/13 - Rn. 24; 27. September 2012 - 2 AZR 646/11 - Rn. 42). Eine eigene Abwägung durch das Revisionsgericht ist dann möglich, wenn die des Berufungsgerichts fehlerhaft oder unvollständig ist und sämtliche relevanten Tatsachen feststehen (BAG 27. September 2012 - 2 AZR 646/11 - aaO; 19. April 2012 - 2 AZR 258/11 - Rn. 16).

48

c) Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, der Beklagten sei die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zuzumuten gewesen, hält der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht in allen Punkten stand.

49

aa) Die vom Landesarbeitsgericht vorgenommene Interessenabwägung ist insoweit nicht zu beanstanden, wie es zugunsten des Klägers die lange Dauer des Arbeitsverhältnisses, dessen von erheblichen Pflichtverletzungen freien Verlauf, seine Unterhaltspflichten und den Umstand berücksichtigt hat, dass die Beklagte nicht nach weiteren Möglichkeiten gesucht hat, ihn vertragsgemäß in Vollzeit zu beschäftigen. Dass der Kläger einen Einsatz im Projekt „SharePoint“ abgelehnt hatte, führte zwar dazu, dass er seine Arbeitsleistung nicht mit dem Ziel zurückhalten durfte, man möge ihm weitere Aufgaben übertragen. Dies entband die Beklagte jedoch nicht davon, „von sich aus“ andere bzw. zusätzliche Tätigkeiten für ihn zu suchen.

50

bb) Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht auf der anderen Seite die Schwere der Pflichtverletzung und den Grad des ihn treffenden Verschuldens zulasten des Klägers berücksichtigt.

51

(1) Die Pflichtverletzung des Klägers war schwerwiegend. Er hat gegen seine Hauptleistungspflicht verstoßen und es der Beklagten unmöglich gemacht, mit der von ihm geschuldeten Arbeitsleistung zu planen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob und ggf. welche Arbeiten aufgrund seiner Abwesenheit nicht erledigt wurden (vgl. dazu BAG 29. August 2013 - 2 AZR 273/12 - Rn. 43). Ebenso wenig ist es von Belang, dass er mit den Tätigkeiten als „Blueprint-Vorfilterer“ und „TRM-Koordinator“ lediglich für drei bis vier Wochenstunden ausgelastet war. Wollte man dies anders sehen, müssten geringfügig Beschäftigte selbst dann nicht mit einer Kündigung rechnen, wenn sie die Arbeitsleistung noch so beharrlich verweigern sollten.

52

(2) Den Kläger traf ein erhebliches Verschulden. Er war sich des mit seinem Vorgehen verbundenen Risikos nach eigenem Bekunden hinlänglich bewusst. Die Möglichkeit einer außerordentlichen fristlosen Kündigung hatte er ausdrücklich ins Kalkül gezogen.

53

cc) Das Landesarbeitsgericht durfte angesichts aller Umstände nicht annehmen, die Interessen des Klägers überwögen, weil der Beklagten eine mildere Reaktionsmöglichkeit zur Verfügung gestanden habe.

54

(1) Es hat gemeint, die Beklagte habe dem Kläger spätestens in dem Personalgespräch am 15. Oktober 2012 eine Verbesserung der von ihm als unerträglich empfundenen Arbeitssituation in Aussicht stellen und ihm so „den Weg zurück (…) ebnen“ müssen. Es könne „nicht von vornherein ausgeschlossen“ werden, „dass (er) ein solches Angebot wahrgenommen hätte“. Es sei ihm „gerade um eine angemessene Beschäftigung“ gegangen. Der Beklagten sei es deshalb zumutbar gewesen, dem Kläger zunächst „ein Entgegenkommen bei der Übernahme weiterer Aufgaben zu zeigen“.

55

(2) Die Annahme, darin habe ein milderes Mittel bestanden, das geeignet gewesen wäre, die Arbeitsverweigerung zu beenden, ist rechtsfehlerhaft. Sie steht im Widerspruch zu der Intention des Klägers, wie sie aus dessen vorangegangenen Bekundungen und - diese bestätigend - seinem Prozessvortrag deutlich geworden ist.

56

(a) Ausweislich seiner E-Mails vom 10., 20. und 28. September 2012 hielt der Kläger es für unzumutbar iSv. § 275 Abs. 3 BGB, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen. In Festschreibung dessen, was gemäß § 326 Abs. 2 BGB ohnehin gelte, „bevorzuge“ er eine bezahlte Freistellung bis zum Eintritt in die Regelaltersrente. Er war danach unter keinen Umständen (mehr) bereit, den bestehenden Arbeitsvertrag zu erfüllen. Die Beklagte musste mit Blick auf diese Äußerungen annehmen, dass sie ihn nicht dazu hätte bewegen können, seine ablehnende Haltung aufzugeben, indem sie ihm die Übernahme weiterer, den Vereinbarungen der Parteien entsprechender Aufgaben anböte. Eine „angemessene Beschäftigung“ wäre vielmehr in den Augen des Klägers - so musste es sich ihr darstellen - allenfalls eine solche gewesen, die eine Beförderung in den Bereich der „AT-Angestellten“ bzw. der „Führungskräfte“ bedeutet hätte. Und selbst das musste zweifelhaft erscheinen, nachdem er mit der E-Mail vom 28. September 2012 mitgeteilt hatte, die „innere Kündigung“ sei „perfekt“, für eine „neue Aufgabe oder Funktion habe (er) keine Kraft mehr“, die Beklagte habe „die Zusammenarbeit unmöglich gemacht“ und „ihre Glaubwürdigkeit und ihre Integrität restlos und unwiederbringlich kompromittiert“.

57

(b) Dass er schlechterdings nicht (mehr) bereit war, den bestehenden Arbeitsvertrag zu erfüllen, hat der Kläger durch seinen prozessualen Vortrag untermauert. So hat er im Schriftsatz vom 28. Mai 2013 ausgeführt, es sei „offensichtlich“, dass die „Vertrauensbasis nicht wiederhergestellt“ werden könne und die Prognose für eine erfolgreiche Zusammenarbeit „negativ“ sei. In seinem Schriftsatz vom 10. Juni 2013 hat er die einzigen Wege beschrieben, die er als gangbar ansehe, um den Konflikt der Parteien zu lösen: entweder eine bezahlte Freistellung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze oder die Zahlung einer Abfindung iHv. 1.502.550,00 Euro zzgl. einer Betriebsrente iHv. 600,00 Euro pro Monate. Als „worst case“ komme auch eine Fortführung des Arbeitsverhältnisses in Betracht, allerdings nur bei Gewährung einer Gehaltserhöhung, Zusage von Altersteilzeit und Androhung eines Ordnungsgelds für die Beklagte.

58

d) Gab es demnach kein milderes Mittel, um den Kläger dazu zu bewegen, künftig seinen Arbeitsvertrag zu erfüllen, überwog das Interesse der Beklagten daran, das Arbeitsverhältnis sofort zu beenden. Da der Kläger bei vollem Risikobewusstsein seine Hauptleistungspflicht nachhaltig verletzt und deren weitere Erfüllung abgelehnt hatte, ohne dass die Aussicht bestanden hätte, ihn „zur Umkehr“ bewegen zu können, hat er der Beklagten selbst die befristete Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar gemacht. Nicht anders läge es, wenn er sie - im Sinne des von ihm beschriebenen „worst-case“-Szenarios - dazu hätte „nötigen“ wollen, ihn zu befördern, ihm Altersteilzeit zu bewilligen und ihm eine Betriebsrente in der geforderten Höhe zu zahlen.

59

5. Die Beklagte hat die Erklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB gewahrt. Sie hat die Kündigung damit begründet, der Kläger weigere sich beharrlich, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen. Damit hat sie einen Dauertatbestand geltend gemacht, der sich fortlaufend neu verwirklichte (vgl. BAG 29. August 2013 - 2 AZR 273/12 - Rn. 45; 13. Mai 2004 - 2 AZR 36/04 - zu II 1 der Gründe).

60

II. Die Kündigung ist nicht deshalb nach § 134 BGB nichtig, weil sie gegen das Maßregelungsverbot des § 612a BGB verstieße. So läge es nur, wenn tragender Beweggrund, dh. wesentliches Motiv für sie eine zulässige Rechtsausübung gewesen wäre (vgl. BAG 20. Dezember 2012 - 2 AZR 867/11 - Rn. 45; 19. April 2012 - 2 AZR 233/11 - Rn. 47). Das wiederum setzte voraus, dass das geltend gemachte Recht tatsächlich existierte (ErfK/Preis 15. Aufl. § 612a BGB Rn. 5; KR/Treber 10. Aufl. § 612a BGB Rn. 6). Dem Kläger stand aber weder ein Leistungsverweigerungsrecht nach § 275 Abs. 3 BGB noch ein Zurückbehaltungsrecht nach § 273 Abs. 1 BGB zu. Er hat kein Recht in zulässiger Weise ausgeübt, sondern beharrlich die von ihm geschuldete Arbeitsleistung verweigert.

61

III. Die Kündigung ist nicht nach § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam. Der Betriebsrat ist ordnungsgemäß angehört worden. Hierüber besteht zwischen den Parteien kein Streit.

62

D. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1, § 97 Abs. 1 ZPO.

        

    Kreft    

        

    Rachor    

        

    Niemann    

        

        

        

    Krichel    

        

    Jan Eulen    

                 

Tenor

1. Auf die Revision des beklagten Landes wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Sachsen-Anhalt vom 19. Dezember 2014 - 4 Sa 10/14 - aufgehoben.

2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an eine andere Kammer des Landesarbeitsgerichts zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen und einer hilfsweise ordentlichen Kündigung.

2

Der 1954 geborene Kläger war bei dem beklagten Land seit Februar 1992 als Justizangestellter beschäftigt. Zuletzt war er am Oberlandesgericht N als „IT-Verantwortlicher“ tätig. Zu seinen Aufgaben gehörten die System- und Netzwerkbetreuung, die Verwaltung des sog. ADV-Depots, die Wartung, Pflege und Betreuung der Hard- und Software, die technische Unterstützung der Nutzer des Hauses, die Administration der elektronischen Berechtigungen und die Passwortvergabe. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien fand zuletzt der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) Anwendung.

3

Am 6. und am 19. März 2013 führte der Geschäftsleiter des Oberlandesgerichts mit dem Leiter der Wachtmeisterei - im Beisein der Vorsitzenden des örtlichen Personalrats - ein Personalgespräch. Dem Beamten wurde vorgehalten, unbefugt dienstliche Farbdrucker für die Erstellung sog. CD-Cover genutzt zu haben. In dem ersten Gespräch soll er laut eines „Besprechungsvermerks“ den Kläger als diejenige Person benannt haben, die für die Bestellung des Zubehörs für den EDV-Raum - einschließlich DVDs und CDs - verantwortlich gewesen sei.

4

Am 14. März 2013 unterzog der Geschäftsleiter den Arbeitsbereich des Klägers und den eines Justizhauptsekretärs, der sich mit dem Kläger das Dienstzimmer teilte, einer Geschäftsprüfung. In einem Vermerk des Geschäftsleiters vom 11. April 2013 („Prüfungsbericht“) heißt es, in der Zeit vom 1. Juli 2008 bis zum 31. Dezember 2012 seien für das Oberlandesgericht 2.325 DVDs und 1.500 CDs bestellt worden. Nach den eigenen Angaben des Klägers - so der Vermerk - seien zu dienstlichen Zwecken nur 150 bis 200 DVDs und etwa 50 CDs jährlich benötigt worden. Der Verbleib des restlichen Materials sei nicht aufzuklären. Auf einem mit dem Netzwerk des Oberlandesgerichts nicht verbundenen Computer sei lediglich der Kläger als „lokaler Admin“ und Nutzer festzustellen. Auf einer der Festplatten des Rechners seien nach Wiederherstellung vom Nutzer gelöschter Dateien 2.466 elektronische Bücher, 2.378 Bilddateien, 834 Audiodateien und 230 Videodateien gefunden worden. Ferner seien auf dem Rechner vier Programme installiert gewesen, die zum Umwandeln und Kopieren von DVDs und CDs geeignet seien. In der Zeit vom 6. Oktober 2010 bis zum 14. März 2013 sei eines von ihnen 1.128 Mal zur Bearbeitung von DVDs genutzt worden. Auf zwei weiteren externen Festplatten seien zusätzlich 41.242 Audiodateien, 1.822 Cover und 41 DVD-Kopien gefunden worden. Eine dritte externe Festplatte habe einen Ordner „Private Rechner“ enthalten. In den Schränken des Dienstzimmers hätten sich verschiedene leere und gefüllte „CD-Spindeln“ unterschiedlicher Größe, gebrannte Musik-CDs und leere DVDs befunden.

5

Mit Schreiben vom 16. April 2013 hörte das beklagte Land den örtlichen Personalrat zu einer beabsichtigten außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Parteien an.

6

Am 17. April 2013 fand zwischen dem Geschäftsleiter, einer Richterin am Oberlandesgericht und dem Kläger ein Personalgespräch statt. Dabei soll der Kläger - laut Vermerk - „sinngemäß“ erklärt haben, „alles, was auf dem Rechner bezüglich der DVDs“ sei, habe er „gemacht“. Er habe den Rechner mit nach Hause nehmen dürfen. „Natürlich [hätten sie] auch kopiert“. „Was das für DVDs und CDs“ gewesen seien, wisse er nicht mehr. Er habe „den Leuten einen Gefallen getan“. Er habe „manchmal“ festgestellt, dass sein Rechner von anderen Personen benutzt worden sei. Dies habe er nicht mitgeteilt, da es sich „nur“ um den „Test-Rechner“ gehandelt habe. Seit etwa Dezember 2012 habe er ein Passwort vergeben. Dieses sei aber für jeden, der seine Familie kenne, zu „knacken“ gewesen. Er habe „hundertprozentig“ keine „privaten Sachen“ für sich selbst „im Dienst gemacht“, sondern nur „für andere Leute aus dem OLG“.

7

Mit Schreiben vom 18. April 2013 informierte das beklagte Land den örtlichen Personalrat über den Inhalt des Gesprächs vom Vortag und über die Verwendungsmöglichkeiten des zur Bearbeitung von DVDs benutzten Umwandlungs- und Kopierprogramms. Zugleich teilte es mit, der Kläger habe sich nicht weiter geäußert. Mit Schreiben vom selben Tag erklärte der Personalrat, er habe die Angelegenheit „zur Kenntnis genommen“.

8

Mit Schreiben vom 18. April 2013, das dem Kläger am 22. April 2013 durch den Geschäftsleiter übergeben wurde, kündigte das beklagte Land das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos. In einem Vermerk heißt es, der Kläger habe bei Aushändigung der Kündigung erklärt, er nehme seine „zuvor getätigten Aussagen“ zurück. Er habe Kollegen und Vorgesetzte schützen wollen.

9

Am 22. April 2013 führte der Geschäftsleiter mit dem Bediensteten, auf dessen Arbeitsplatz sich die Geschäftsprüfung erstreckt hatte, im Beisein der Personalratsvorsitzenden ein Personalgespräch. Laut Vermerk soll der Mitarbeiter eingeräumt haben, CDs und DVDs für Musik und Filme jeweils „im mittleren dreistelligen Bereich … gebrannt“ zu haben. Die Vorlagen habe er in regelmäßigen Abständen vom Leiter der Wachtmeisterei und dem Kläger erhalten. Er habe das Kopierprogramm „für DVDs privat genutzt“. Die bei der zentralen Beschaffungsstelle des beklagten Landes bestellten DVDs und CDs seien in einem verschlossenen Schrank aufbewahrt worden. Der Schlüssel sei vom Kläger verwahrt und „immer mitgenommen“ worden.

10

Nach erneuter Anhörung des örtlichen Personalrats und mit dessen Zustimmung kündigte das beklagte Land das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Schreiben vom 13. Mai 2013, das dem Kläger zwei Tage später zuging, ordentlich zum 31. Dezember 2013.

11

Der Kläger hat sich mit der vorliegenden Klage rechtzeitig gegen beide Kündigungen gewandt. Er hat geltend gemacht, die fristlose Kündigung sei mangels wichtigen Grundes unwirksam, die ordentliche Kündigung sei sozial ungerechtfertigt. Das Kopierprogramm und andere auf dem „Test-Rechner“ installierte Software habe er nicht in dem zutage getretenen Umfang genutzt. Zwar habe er sich ihrer gelegentlich bedient. Dies stelle aber keine schwerwiegende Pflichtverletzung dar, zumal ihm die Nutzung dienstlicher Computer, auch von Zuhause aus, zu privaten Zwecken in geringem Umfang durchaus erlaubt gewesen sei. Im Dienst durchgeführte Kopiervorgänge hätten jeweils nur wenige Sekunden in Anspruch genommen. Sie hätten seine Arbeitszeit insgesamt nicht verkürzt. Jedenfalls habe er keine „illegalen Kopien“ gefertigt. Keiner der beanstandeten Brennvorgänge sei ihm persönlich zuzuordnen. Wer den „Test-Rechner“ wann genutzt habe, stehe nicht fest. Auch andere Bedienstete hätten sich Zugang zu ihm verschaffen können. Das Passwort sei allgemein bekannt gewesen. Eine erhebliche Zahl der beanstandeten Nutzungen falle in eine Zeit, in der er selbst krankheits- oder urlaubsbedingt abwesend gewesen sei. Das beklagte Land gehe selbst davon aus, dass ein Kollege Brennvorgänge in nicht geringem Umfang durchgeführt habe. Ohnehin befänden sich auf dem „Server“ des Gerichts tausende von privaten Dateien, ohne dass dies je zu Beanstandungen geführt habe. Den hohen Verbrauch von Büromaterialien habe er nicht zu vertreten. Im Übrigen sei die Frist des § 626 Abs. 2 BGB nicht gewahrt. Auch sei der Personalrat nicht ordnungsgemäß unterrichtet worden. Jedenfalls zu einem gegen ihn gerichteten Verdacht als Kündigungsgrund sei dieser nicht angehört worden.

12

Der Kläger hat beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die außerordentliche Kündigung des beklagten Landes vom 18. April 2013 noch durch dessen ordentliche Kündigung vom 13. Mai 2013 beendet worden ist;

        

2.    

das beklagte Land zu verurteilen, ihn zu unveränderten Bedingungen als Angestellten im Oberlandesgericht N im Rahmen der zuletzt ausgeübten - von ihm näher beschriebenen - Tätigkeit weiterzubeschäftigen.

13

Das beklagte Land hat beantragt, die Klage abzuweisen. Es hat die Kündigungen - auch wegen eines gegen den Kläger gerichteten Verdachts - als wirksam verteidigt. Der Kläger habe den ihm dienstlich anvertrauten Rechner während der Arbeitszeit umfangreich und unerlaubt zu privaten Zwecken - dem Kopieren und Brennen von DVDs und CDs mithilfe spezifischer, nicht zu dienstlichen Zwecken bestimmter Programme - genutzt. In 630 Fällen seien entsprechende Vorgänge zu Zeiten erfolgt, in denen er im Dienst gewesen sei. Die fraglichen Programme habe er zumindest während dieser Zeiten selbst genutzt. Dadurch habe er seine Vertragspflichten über einen langen Zeitraum in grober Weise verletzt. Durch das Herstellen illegaler Kopien habe er sich überdies strafbar gemacht. Zudem habe er „Arbeitszeitbetrug“ begangen. Auch habe er über 2.000 DVDs und über 1.000 CDs auf seine - des beklagten Landes - Kosten bestellt und privat verwendet. Mit seinem Verhalten habe er das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses notwendige Vertrauen unwiederbringlich zerstört. Die Frist zur Erklärung der Kündigung sei gewahrt. Der zur Kündigung berechtigte Präsident des Oberlandesgerichts habe vom Kündigungssachverhalt erst durch den Prüfbericht des Geschäftsleiters vom 11. April 2013 Kenntnis erlangt. Die Beteiligung des Personalrats sei in jeder Hinsicht ordnungsgemäß erfolgt.

14

Das Arbeitsgericht hat der Klage - hinsichtlich des Weiterbeschäftigungsantrags mit Einschränkungen - stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des beklagten Landes zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt das beklagte Land sein Begehren weiter, die Klage abzuweisen.

Entscheidungsgründe

15

Die zulässige Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil war aufzuheben. Die Sache war zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 ZPO).

16

A. Die Revision ist zulässig. Sie ist ordnungsgemäß innerhalb der Frist des § 74 Abs. 1 ArbGG begründet worden.

17

I. Nach § 72 Abs. 5 ArbGG iVm. § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 ZPO gehört zum notwendigen Inhalt der Revisionsbegründung die Angabe der Revisionsgründe. Bei einer Sachrüge muss die Revisionsbegründung den Rechtsfehler des Landesarbeitsgerichts so aufzeigen, dass Gegenstand und Richtung des Revisionsangriffs erkennbar sind. Dazu muss die Revisionsbegründung eine Auseinandersetzung mit den Gründen des angefochtenen Urteils enthalten. Dies erfordert die genaue Darlegung der Gründe, aus denen das angefochtene Urteil rechtsfehlerhaft sein soll (BAG 2. Mai 2014 - 2 AZR 490/13 - Rn. 15; 13. November 2013 - 10 AZR 639/13 - Rn. 11).

18

II. Diesen Anforderungen wird die Revisionsbegründung gerecht. Das beklagte Land setzt sich im Schriftsatz vom 7. April 2015 mit allen die angefochtene Entscheidung selbständig tragenden Begründungen des Landesarbeitsgerichts auseinander. Es zeigt auf, warum die Erwägungen sachlich unzutreffend sein sollen. Die Ausführungen zum wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB greift es mit der Begründung an, das Landesarbeitsgericht habe, soweit es die Kündigung unter dem Gesichtspunkt einer Tatkündigung für unwirksam erachtet habe, die den Kläger treffende, abgestufte Darlegungslast verkannt. Die Annahme des Gerichts, die Frist des § 626 Abs. 2 BGB sei nicht gewahrt, beruhe auf unzutreffenden Erwägungen zum Fristbeginn. Insbesondere habe das Landesarbeitsgericht nicht - wie geboten - auf die Person des Kündigungsberechtigten und dessen Kenntnis abgestellt. Soweit es auf die Möglichkeit verwiesen habe, strafrechtliche Ermittlungen zu veranlassen und deren Ergebnis abzuwarten, sei dies sachfremd. Soweit es gemeint habe, die Anhörung des Personalrats sei aufgrund von Äußerungen eines anderen Bediensteten vom 22. April 2013 nicht ordnungsgemäß, habe es den Grundsatz der subjektiven Determinierung verkannt. Diese Sachrügen wären im Falle ihrer Begründetheit geeignet, die angefochtene Entscheidung insgesamt, auch mit Blick auf die vorsorglich erklärte ordentliche Kündigung, zu Fall zubringen. Das reicht als Revisionsangriff aus, ohne dass es auf die Verfahrensrügen des beklagten Landes ankäme.

19

B. Die Revision ist begründet. Auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen durfte das Landesarbeitsgericht der Klage nicht stattgeben. Der Senat kann mangels zureichender Tatsachenfeststellungen nicht beurteilen, ob das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die außerordentliche fristlose Kündigung vom 18. April 2013 aufgelöst worden ist.

20

I. Die bisherigen Feststellungen tragen nicht das Ergebnis, ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB liege nicht vor.

21

1. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dabei ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“ und damit typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (BAG 8. Mai 2014 - 2 AZR 249/13 - Rn. 16; 29. August 2013 - 2 AZR 273/12 - Rn. 19 mwN).

22

2. Die Prüfung der Voraussetzungen des wichtigen Grundes ist in erster Linie Sache der Tatsacheninstanzen. Dennoch geht es um Rechtsanwendung, nicht um bloße Tatsachenfeststellung. Die Würdigung des Berufungsgerichts wird in der Revisionsinstanz darauf hin überprüft, ob es anzuwendende Rechtsbegriffe in ihrer allgemeinen Bedeutung verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnormen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob es alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände widerspruchsfrei berücksichtigt hat (BAG 26. September 2013 - 2 AZR 682/12 - Rn. 45, BAGE 146, 161; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 17, BAGE 134, 349).

23

3. Dieser Überprüfung hält die angefochtene Entscheidung nicht stand.

24

a) Revisionsrechtlich nicht zu beanstanden ist die Annahme des Landesarbeitsgerichts, die fristlose Kündigung sei nicht als sog. Verdachtskündigung gerechtfertigt (zu dieser und ihren Voraussetzungen vgl. BAG 23. Mai 2013 - 2 AZR 102/12 - Rn. 20; 24. Mai 2012 - 2 AZR 206/11 - Rn. 16 mwN). Dagegen wendet sich das beklagte Land nicht. Ein Rechtsfehler ist auch objektiv - im Ergebnis - nicht zu erkennen.

25

aa) Will der Arbeitgeber seine Kündigung auf den dringenden Verdacht einer erheblichen arbeitsvertraglichen Pflichtverletzung stützen, muss er dies dem Betriebs- oder Personalrat mitteilen und die Umstände angeben, aus denen sich dieser Verdacht ergeben soll. Informiert er das Gremium lediglich über eine - aus seiner Sicht tatsächlich erfolgte - Vertragspflichtverletzung des Arbeitnehmers, kann er sich im späteren Kündigungsschutzprozess zur Begründung der Kündigung nicht mehr auf den bloßen Verdacht einer entsprechenden Handlung stützen, wenn ihm die Verdachtsmomente bei Ausspruch der Kündigung bereits bekannt waren (für die Anhörung des Betriebsrats vgl. BAG 18. Juni 2015 - 2 AZR 256/14 - Rn. 47; 23. April 2008 - 2 ABR 71/07 - Rn. 24 mwN; für die Beteiligung des Personalrats nach § 79 Abs. 1 Satz 1 BPersVG vgl. BAG 10. April 2014 - 2 AZR 684/13 - Rn. 21). Nur wenn dem Arbeitgeber nachträglich neue Verdachtstatsachen bekannt geworden sind, ist ein Nachschieben des Verdachts als Kündigungsgrund - zumindest dann, wenn die maßgebenden Verdachtsmomente objektiv schon vor Zugang der Kündigung vorlagen - möglich. Weitere Voraussetzung ist, dass der Arbeitgeber den Betriebs- bzw. Personalrat zuvor in analoger Anwendung der maßgebenden Bestimmungen zu seiner entsprechenden Absicht angehört hat (vgl. BAG 23. Mai 2013 - 2 AZR 102/12 - Rn. 32; 11. April 1985 - 2 AZR 239/84 - zu B I 2 b ee der Gründe, BAGE 49, 39).

26

bb) Das Vorbringen des beklagten Landes lässt nicht den Schluss zu, es habe den Personalrat vor Zugang der Kündigung über seine Absicht unterrichtet, das Arbeitsverhältnis (auch) wegen des Verdachts einer pflichtwidrigen Handlung zu kündigen. Die Anschreiben an den Personalrat vom 16. und 18. April 2013 enthalten keine entsprechende Mitteilung. Das beklagte Land hat nicht geltend gemacht, dass ihm einzelne der in den Rechtsstreit eingeführten Verdachtstatsachen erst nach Zugang der Kündigung bekannt geworden seien. Dafür spricht auch objektiv nichts.

27

b) Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, die Kündigung sei auch unter dem Gesichtspunkt einer verwirklichten Pflichtverletzung - dh. einer „Tat“ - nicht berechtigt, ist rechtsfehlerhaft. Ihr ist schon nicht zu entnehmen, welchen tatsächlichen Sachverhalt das Landesarbeitsgericht seiner Beurteilung zugrunde gelegt hat.

28

aa) Im Tatbestand der angefochtenen Entscheidung hat sich das Landesarbeitsgericht in weiten Teilen auf die Wiedergabe von Vermerken des beklagten Landes beschränkt. Ob es die darin festgehaltenen Umstände einschließlich der Äußerungen des Klägers für wahr erachtet hat, ist nicht zweifelsfrei erkennbar.

29

bb) In den Entscheidungsgründen hat das Landesarbeitsgericht unter Wiederholung der Erwägungen des Arbeitsgerichts ausgeführt, trotz Vorliegens „gewisser Verdachtsmomente“ sei es letztlich eine unbewiesene Behauptung des beklagten Landes, es seien (alle) vorgefundenen Privatdateien dem Kläger zuzurechnen, dieser (allein) habe die Privatnutzungen und damit auch mögliche (nach § 106 UrhG strafbare) Vervielfältigungen und Brennvorgänge vorgenommen bzw. durchgeführt. Keiner der dokumentierten Vorgänge lasse sich einzelnen Personen - etwa dem Kläger - zuordnen. Es sei auch „nicht bewiesen“, dass es gerade dieser gewesen sei, der die Kopierprogramme installiert habe. „Allein die Tatsache“, dass zahlreiche dokumentierte „Vorgänge“ Zeiten beträfen, während derer sich der Kläger nicht am Arbeitsplatz aufgehalten habe, beweise, dass andere Personen sowohl Zugriff auf den Rechner gehabt hätten als auch in der Lage gewesen seien, die Kopierprogramme zu nutzen. Auch diesen Ausführungen ist nicht zu entnehmen, von welchem konkreten, seiner Meinung nach feststehenden Sachverhalt das Landesarbeitsgericht ausgegangen ist. Es ist insbesondere nicht ersichtlich, worin es die - für nicht ausreichend erachteten - „Verdachtsmomente“ erblickt hat.

30

c) Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts kann selbst dann keinen Bestand haben, wenn unterstellt wird, es habe den Inhalt der Vermerke und das sonstige Vorbringen des beklagten Landes als wahr unterstellt. Unter dieser Prämisse verletzt seine Würdigung die Vorschrift des § 626 Abs. 1 BGB. Es fehlt an einer nachprüfbaren Unterordnung des behaupteten Kündigungssachverhalts unter die Norm.

31

aa) Die Beurteilung des Landesarbeitsgerichts, die Kündigung sei auch als sog. Tatkündigung nicht berechtigt, ist schon im Ansatz nicht nachzuvollziehen. Sie lässt nicht erkennen, wie es den von der Beklagten unterbreiteten Kündigungssachverhalt materiell-rechtlich eingeordnet, dh. welche konkreten, möglicherweise als wichtiger Grund geeigneten Pflichtverletzungen es in Betracht gezogen hat. Zudem ist nicht erkennbar, dass es seine Würdigung in tatsächlicher Hinsicht auf alle in Frage kommenden Kündigungsgründe ausgerichtet hätte.

32

(1) Nach dem Vorbringen des beklagten Landes kommt eine Berechtigung der fristlosen Kündigung unter mehreren Gesichtspunkten in Betracht. Vorrangig erhebt das Land den Vorwurf, der Kläger habe - sei es als Allein-, sei es als Mittäter - wiederholt unter Nutzung dienstlicher Ressourcen urheberrechtswidrig Musik- und Audiodateien vervielfältigt. Ein solches Verhalten ist als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB „an sich“ geeignet. Ein Arbeitgeber hat, zumal wenn es sich bei ihm um eine Justizbehörde handelt, ein offenkundiges Interesse daran, dass nicht dienstliche Rechner dazu benutzt werden, unter Umgehung eines Kopierschutzes Vervielfältigungen privat beschaffter Musik- oder Film-CDs/DVDs herzustellen. Das gilt losgelöst von einer möglichen Strafbarkeit der Vorgänge (zur Problematik vgl. Treppehl/Schmidl NZA 2009, 985 ff.) und unabhängig davon, ob die Handlungen während der Arbeitszeit vorgenommen wurden. Eine Strafbarkeit der Kopier- und Brennvorgänge oder ein damit einhergehender „Arbeitszeitbetrug“ wäre allerdings geeignet, das Gewicht des Kündigungsgrundes noch zu verstärken. Dies wiederum kann für das Erfordernis einer Abmahnung und die weitere Interessenabwägung Bedeutung gewinnen. Darüber hinaus kann die dem Kläger angelastete zweckwidrige Verwendung von CD- und/oder DVD-Rohlingen, die auf Kosten des beklagten Landes bestellt wurden, als eigenständiger Kündigungsgrund Bedeutung erlangen.

33

(2) Die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts lassen nicht erkennen, dass es die Wirksamkeit der fristlosen Kündigung unter jedem dieser Gesichtspunkte überprüft und seine Würdigung - soweit es „Verdachtsmomente“ gewichtet hat - hierauf ausgerichtet hätte.

34

bb) Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, das beklagte Land habe weder eine strafbare Urheberrechtsverletzung noch eine ähnlich schwerwiegende Vertragspflichtverletzung nachgewiesen, ist auch aus anderen Gründen rechtsfehlerhaft.

35

(1) Gemäß § 286 Abs. 1 ZPO haben die Tatsacheninstanzen unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlung und des Ergebnisses einer ggf. durchgeführten Beweisaufnahme nach ihrer freien Überzeugung darüber zu befinden, ob sie eine tatsächliche Behauptung für wahr erachten oder nicht. Die Beweiswürdigung muss vollständig, widerspruchsfrei und umfassend sein. Mögliche Zweifel müssen überwunden, brauchen aber nicht völlig ausgeschlossen zu werden (vgl. BAG 23. Oktober 2014 - 2 AZR 865/13 - Rn. 44; 31. Mai 2007 - 2 AZR 276/06 - Rn. 42, BAGE 123, 1). Soll ein Vortrag mittels Indizien bewiesen werden, hat das Gericht zu prüfen, ob es die vorgetragenen Hilfstatsachen - deren Richtigkeit unterstellt - von der Wahrheit der Haupttatsache überzeugen. Das Gericht hat die insoweit maßgebenden Umstände vollständig und verfahrensrechtlich einwandfrei zu ermitteln und alle Beweisanzeichen erschöpfend zu würdigen (BGH 16. Januar 1990 - VI ZR 109/89 - zu II 2 der Gründe; 4. Juli 1989 - VI ZR 309/88 - zu II 2 der Gründe). Dabei sind die Tatsacheninstanzen grundsätzlich frei darin, welche Beweiskraft sie den behaupteten Indiztatsachen im Einzelnen und in einer Gesamtschau beimessen (BAG 18. Juni 2015 - 2 AZR 480/14 - Rn. 35; allgemein zum Indizienbeweis BAG 23. Oktober 2014 - 2 AZR 865/13 - Rn. 43). Revisionsrechtlich ist ihre Würdigung allein darauf hin zu überprüfen, ob alle Umstände vollständig berücksichtigt und nicht Denk- und Erfahrungsgrundsätze verletzt wurden. Um diese Überprüfung zu ermöglichen, haben die Tatsachengerichte nach § 286 Abs. 1 Satz 2 ZPO die wesentlichen Grundlagen ihrer Überzeugungsbildung nachvollziehbar darzulegen(BAG 19. April 2005 - 9 AZR 184/04 - zu II 3 der Gründe; BGH 31. Juli 2013 - VII ZR 11/12 - Rn. 10; 22. November 2006 - IV ZR 21/05 - Rn. 11; 22. Januar 1991 - VI ZR 97/90 - zu II 1 der Gründe).

36

(2) Danach rügt das beklagte Land zu Recht eine Verletzung von § 286 ZPO. Der Würdigung des Landesarbeitsgerichts ist nicht zu entnehmen, welche möglichen Indiztatsachen („Verdachtsmomente“) es in seine Beurteilung einbezogen und welchen Beweiswert es ihnen beigemessen hat. Damit ist nicht erkennbar, ob es den Vortrag des beklagten Landes vollständig zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat.

37

(3) Der Annahme eines wichtigen Grundes steht nicht entgegen, dass das beklagte Land den Sachverhalt - jedenfalls bis zum Zeitpunkt der Kündigungserklärung - selbst ermittelt hat. Das mindert weder den Beweiswert der in Rede stehenden Indizien, noch ist die Kündigung deshalb unwirksam, weil polizeiliche oder staatsanwaltschaftliche Ermittlungen möglicherweise zu weitergehenden Ergebnissen geführt hätten. Soweit das Landesarbeitsgericht gemeint hat, das beklagte Land habe zu bestimmten, potentiell entlastenden Umständen nicht ausreichend vorgetragen, wird seine Rechtsanwendung überdies der den Kläger insoweit treffenden abgestuften Darlegungslast (§ 138 Abs. 2 ZPO) nicht gerecht.

38

(a) Die Rechtfertigung einer „Tatkündigung“ hängt allein davon ab, ob im Kündigungszeitpunkt objektiv Tatsachen vorlagen, die zu der Annahme berechtigen, dem Kündigenden sei die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses - im Fall der außerordentlichen Kündigung bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - unzumutbar gewesen. Vor diesem Hintergrund mag eine umfassende, der Kündigung vorausgehende Sachverhaltsaufklärung im eigenen Interesse des Arbeitgebers liegen. Unterlässt er sie, geht er aber „nur“ das Risiko ein, die behauptete Pflichtverletzung im Prozess nicht beweisen zu können. Anders als bei der Verdachtskündigung ist der Arbeitgeber vor Ausspruch einer „Tatkündigung“ nicht verpflichtet, alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts - auch mit Blick auf den Arbeitnehmer möglicherweise entlastende Umstände - zu unternehmen. Ob der behauptete Kündigungsgrund vorliegt, beurteilt sich allein danach, ob die ihn tragenden und im Prozess mitgeteilten Tatsachen bewiesen sind oder nicht (vgl. BAG 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 57, BAGE 131, 155; 18. September 1997 - 2 AZR 36/97 - zu II 2 a der Gründe; zur Verdachtskündigung siehe demgegenüber BAG 25. Oktober 2012 - 2 AZR 700/11 - Rn. 13 mwN, BAGE 143, 244). Im Übrigen braucht der Arbeitgeber selbst bei der Verdachtskündigung nicht jeder noch so entfernten Möglichkeit einer Entlastung des Arbeitnehmers nachzugehen, insbesondere dann nicht, wenn sich der Arbeitnehmer im Rahmen seiner Anhörung auf entsprechende Umstände nicht berufen hat.

39

(b) Auf der Grundlage des bisherigen Parteivorbringens durfte das Landesarbeitsgericht nicht davon ausgehen, das beklagte Land sei seiner prozessualen Darlegungslast mit Blick auf mögliche Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründe nicht hinreichend nachgekommen.

40

(aa) Im Kündigungsschutzprozess obliegt dem Arbeitgeber die volle Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen eines Kündigungsgrundes (BAG 8. Mai 2014 - 2 AZR 75/13 - Rn. 30, BAGE 148, 129). Für Umstände, die das Verhalten des Arbeitnehmers rechtfertigen oder entschuldigen könnten, ist seine Darlegungslast allerdings abgestuft. Der Arbeitgeber darf sich zunächst darauf beschränken, den objektiven Tatbestand einer Arbeitspflichtverletzung vorzutragen. Er muss nicht jeden erdenklichen Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgrund vorbeugend ausschließen (BAG 3. November 2011 - 2 AZR 748/10 - Rn. 23; 21. Mai 1992 - 2 AZR 10/92 - zu II 2 b bb der Gründe, BAGE 70, 262). Es ist vielmehr Sache des Arbeitnehmers, für das Eingreifen solcher Gründe - soweit sie sich nicht unmittelbar aufdrängen - zumindest greifbare Anhaltspunkte zu benennen.

41

(bb) Schon auf der Tatbestandsebene des wichtigen Grundes kann den Arbeitnehmer darüber hinaus eine sekundäre Darlegungslast treffen. Dies kommt insbesondere dann in Betracht, wenn der Arbeitgeber als primär darlegungsbelastete Partei außerhalb des fraglichen Geschehensablaufs steht, während der Arbeitnehmer aufgrund seiner Sachnähe die wesentlichen Tatsachen kennt. In einer solchen Situation kann der Arbeitnehmer gehalten sein, dem Arbeitgeber durch nähere Angaben weiteren Sachvortrag zu ermöglichen (BAG 21. Juni 2012 - 2 AZR 694/11 - Rn. 52, BAGE 142, 188; 18. September 2008 - 2 AZR 1039/06 - Rn. 31). Kommt er in einer solchen Prozesslage seiner sekundären Darlegungslast nicht nach, gilt das tatsächliche Vorbringen des Arbeitgebers - soweit es nicht völlig „aus der Luft gegriffen“ ist - iSv. § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden(vgl. BAG 18. September 2008 - 2 AZR 1039/06 - aaO). Dabei dürfen an die sekundäre Behauptungslast des Arbeitnehmers keine überzogenen Anforderungen gestellt werden. Sie dient lediglich dazu, es dem kündigenden Arbeitgeber als primär darlegungs- und beweispflichtiger Partei zu ermöglichen, weitere Nachforschungen anzustellen und sodann substantiiert zum Kündigungsgrund vorzutragen und ggf. Beweis anzutreten (zu den Einzelheiten vgl. BAG 18. September 2008 - 2 AZR 1039/06 - Rn. 33).

42

(cc) Danach musste das beklagte Land nicht von sich aus denkbare Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe auf Seiten des Klägers ausschließen. Die gegenteilige Sichtweise des Landesarbeitsgerichts überspannt die Anforderungen an die Darlegungslast des Arbeitgebers und geht von einer Ermittlungspflicht aus, die zumindest bei einer „Tatkündigung“ nicht besteht.

43

(dd) Das Landesarbeitsgericht hat zwar einzelne Gesichtspunkte angesprochen, die einer weiteren Aufklärung zugänglich gewesen sein sollen. Es hat aber nicht aufgezeigt, warum sie einer möglichen Entlastung des Klägers hätten dienen können. Das ist auch nicht unmittelbar ersichtlich.

44

(aaa) Das Landesarbeitsgericht hat auf Äußerungen anderer Bediensteter verwiesen, die ausweislich vorliegender Besprechungsvermerke eingeräumt hätten, „an den hier streitgegenständlichen Geschehnissen im OLG“ beteiligt gewesen zu sein. Der im gleichen Dienstzimmer wie der Kläger tätige Justizhauptsekretär habe „sozusagen“ in Teilen ein „Geständnis“ abgelegt. Weshalb diese Erklärungen den Vorwurf sollten entkräften können, der Kläger habe während seiner Anwesenheitszeiten im Gericht in erheblichem Umfang Kopier- und Brennvorgänge eigenhändig vorgenommen, erschließt sich nicht. Das gilt erst recht unter Berücksichtigung des Vorhalts des beklagten Landes, der Kläger habe mit anderen Bediensteten arbeitsteilig zusammengewirkt oder sie bei ihrem pflichtwidrigen Verhalten maßgeblich unterstützt. Ebenso wenig erschließt sich die Relevanz der Äußerungen mit Blick auf den Vorwurf, der Kläger habe in erheblichem Umfang Verbrauchsmaterialien auf Kosten des beklagten Landes bestellt, ohne dass dafür ein dienstlicher Anlass bestanden hätte und ihr Verbleib geklärt wäre.

45

(bbb) Der Kläger hat - soweit ersichtlich - nicht behauptet, der Inhalt eines bei der Geschäftsprüfung im Schrank eines anderen Bediensteten vorgefundenen, verschlossenen Kartons habe zu seiner Entlastung beitragen können. Es ist deshalb nicht ersichtlich, inwieweit das Unterbleiben einer Aufklärung dem beklagten Land zum Nachteil gereichen könnte. Die Erwägungen des Landesarbeitsgerichts bewegen sich im Bereich der Spekulation.

46

(ccc) Soweit das Landesarbeitsgericht „Erläuterungen“ zu den Aufgaben des Klägers, insbesondere hinsichtlich einer „technischen Unterstützung der Nutzer des Hauses“ und zur Verteilung der Aufgaben und Verantwortlichkeiten auf insgesamt vier Administratoren vermisst hat, bleiben seine Ausführungen im Vagen haften. Es hat nicht festgestellt, dass beim Kläger aufgrund der ihm eingeräumten Befugnisse der Eindruck habe entstehen können, er dürfe im Dienst auf dienstlichen Rechnern unter Umgehung von Kopierschutz Vervielfältigungen privat beschaffter CDs und DVDs vornehmen und Verbrauchsmaterialien in erheblichem Umfang zu ausschließlich privaten Zwecken bestellen und verwenden oder sie Dritten zur privaten Nutzung überlassen. Eine solche Annahme liegt auch fern. Das Gleiche gilt für die Behauptung des Klägers, ein zwischenzeitlich außer Dienst getretener Referatsleiter habe ihm erlaubt, sich während der Arbeitszeit um die „Privatrechner“ der Bediensteten und ihrer Angehörigen „zu kümmern“. Daraus durfte der Kläger jedenfalls nicht schließen, er habe urheberrechtsverletzende Kopier- und Brennvorgänge auf dienstlichen Computern vornehmen und dienstliche Materialien privat verwenden dürfen. Auf die Verfahrensrüge, mit der sich das beklagte Land gegen die Feststellungen des Landesarbeitsgerichts zum Inhalt der fraglichen Erlaubnis wendet, kommt es hierfür nicht an.

47

(ddd) Unklar bleibt, welche den Kläger entlastenden Schlussfolgerungen daraus zu ziehen sein sollen, dass die in Rede stehende Nutzung des „Test-Rechners“ lange Zeit unbemerkt blieb. Die entsprechende Erwägung des Landesarbeitsgerichts berücksichtigt zudem nicht, dass das beanstandete Verhalten des Klägers auf Heimlichkeit angelegt und der fragliche Computer an das Netzwerk des Oberlandesgerichts nicht angeschlossen war.

48

(eee) Das beklagte Land hat unter Beweisantritt vorgebracht, der Kläger sei für die Verwaltung des „ADV-Depots“ zuständig und für die Bestellung der „EDV-Verbrauchsmittel“ verantwortlich gewesen. Es hat die Anzahl der von ihm ermittelten Bestellungen für die Zeit von Juli 2008 bis Dezember 2012 genannt und dem die Behauptung des Klägers gegenüber gestellt, bei ihm seien „seit Einführung von Juris“ - wohl im Jahr 2006 - „kaum“ DVDs und CDs „von Bediensteten“ abgefordert worden. Außerdem hat es auf den Geschäftsprüfungsbericht und dessen Anlage 3 verwiesen und behauptet, daraus gehe hervor, dass im fraglichen Zeitraum für das Oberlandesgericht mehr als die doppelte Zahl von CD- und DVD-Rohlingen bestellt worden sei als für die in M ansässige „ADV-Stelle Justiz“. Zudem hat es behauptet, der Kläger habe die Verbrauchsmaterialien unter Verschluss gehalten, soweit er sie nicht an Dritte herausgegeben habe, und habe erklärt, zum Verbleib der Materialien keine Angaben machen zu können. Das Landesarbeitsgericht hat sich mit diesem Vorbringen nicht auseinandergesetzt. Es hat sich darauf beschränkt, pauschal auf die Möglichkeit weiterer Ermittlungen zu „Bestellvorgänge[n], Zeichnung und Gegenzeichnung unter Beteiligung welcher Bediensteter des OLG, ggf. nebst Kostenvergleichen anderer vergleichbarer Behörden“ zu verweisen. Dem Hinweis ist nicht zu entnehmen, dass - und ggf. warum - es den Vortrag des beklagten Landes selbst unter der Prämisse für erläuterungsbedürftig erachtet hat, er sei wahr.

49

(fff) Es kommt hinzu, dass der Kläger laut Gesprächsvermerk vom 17. April 2013 eingeräumt haben soll, er habe - wie andere Bedienstete auch - „natürlich auch kopiert“. Im Prozess hat er vorgetragen, „die Programme … gelegentlich“ privat genutzt zu haben, nur nicht in dem vom beklagten Land behaupteten Umfang und nicht in „illegaler“ Weise. Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts berücksichtigt nicht, dass der Kläger damit der ihn treffenden sekundären Behauptungslast nicht nachgekommen ist. Die Kopiervorgänge bewegten sich nach der Behauptung des beklagten Landes außerhalb des Wahrnehmungsbereichs seiner Repräsentanten. Das Gegenteil hat das Landesarbeitsgericht nicht festgestellt; der Sachvortrag des Klägers gibt insoweit nichts her. Er hätte deshalb konkretisieren müssen, was er unter „gelegentlichen“ Kopiervorgängen versteht. Außerdem hätte er - unter Ausschöpfung seines Erinnerungsvermögens - beschreiben müssen, um Kopien welcher Musik-/Film-CDs/DVDs es sich gehandelt habe, welche Programme er dafür eingesetzt und welche „Rohlinge“ er genutzt habe. Ebenso wenig durfte das Landesarbeitsgericht annehmen, dem Kläger seien die auf dem „Test-Rechner“ erfolgten Brenn- und Kopiervorgänge nicht zweifelsfrei zuzurechnen, ohne sich mit der Frage befasst zu haben, welche Rückschlüsse aus der Erklärung des Klägers vom 17. April 2013, „alles, was auf dem Rechner bezüglich der DVDs [sei], habe [er] gemacht“, und dem Umstand zu ziehen sind, dass er von dieser Äußerung später wieder Abstand genommen hat. Soweit das Landesarbeitsgericht gemeint hat, die behauptete Aussage eines anderen Bediensteten vom 22. April 2013, „CDs und DVDs im mittleren dreistelligen Bereich gebrannt [zu haben]“, sei „möglicherweise“ geeignet, den Kläger zu entlasten, fehlt es an einer eindeutigen richterlichen Würdigung. Auch dürfte eine wie auch immer geartete „Entlastung“ angesichts des in Rede stehenden Umfangs der Kopier- und Brennvorgänge und der behaupteten ausschließlichen Verwaltung der Rohlinge durch den Kläger schwerlich begründbar sein. Näher liegt es - wie das Landesarbeitsgericht an anderer Stelle selbst ausgeführt hat - in den fraglichen Umständen Anhaltspunkte für ein mittäterschaftliches Zusammenwirken zu erblicken. Dann wiederum könnte sich der Kläger nach dem Rechtsgedanken des § 830 BGB ohnehin nicht darauf beschränken vorzutragen, er wisse nicht mehr, welche Taten von wem begangen worden seien(ähnlich BAG 5. März 1981 - 3 AZR 559/78 - zu II 3 a der Gründe).

50

II. Dies führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht. Beidem unterliegt auch die Entscheidung über die vorsorglich erklärte ordentliche Kündigung und den (Hilfs-)Antrag des Klägers auf vorläufige Weiterbeschäftigung.

51

1. Der Senat kann nicht abschließend beurteilen, ob ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB vorliegt. Das Landesarbeitsgericht hat den Kündigungssachverhalt nicht festgestellt und an der Norm des § 626 Abs. 1 BGB gemessen. Die erforderliche Beurteilung kann der Senat nicht selbst vornehmen. Sie verlangt weitere Sachaufklärung. In Anbetracht der Vielzahl der gegen den Kläger sprechenden Indizien ist nicht auszuschließen, dass sich die gegen ihn erhobenen Vorwürfe als berechtigt erweisen.

52

2. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts stellt sich nicht aus anderen Gründen als richtig dar. Seine Auffassung, das beklagte Land habe die Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB versäumt und den Personalrat nicht ordnungsgemäß beteiligt, ist rechtsfehlerhaft.

53

a) Die außerordentliche Kündigung ist auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen nicht außerhalb der Frist des § 626 Abs. 2 BGB erklärt worden.

54

aa) Die Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB beginnt nach Satz 2 der Vorschrift mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Dies ist der Fall, sobald er eine zuverlässige und hinreichend vollständige Kenntnis der einschlägigen Tatsachen hat, die ihm die Entscheidung darüber ermöglicht, ob er das Arbeitsverhältnis fortsetzen soll oder nicht. Selbst eine grob fahrlässige Unkenntnis setzt die Frist nicht in Gang (BAG 12. Februar 2015 - 6 AZR 845/13 - Rn. 94 mwN; 22. November 2012 - 2 AZR 732/11 - Rn. 30 mwN). Zu den maßgebenden Tatsachen gehören sowohl die für als auch die gegen die Kündigung sprechenden Umstände. Der Kündigungsberechtigte, der gewisse Anhaltspunkte für einen Sachverhalt hat, der zur außerordentlichen Kündigung berechtigen könnte, kann nach pflichtgemäßem Ermessen weitere Ermittlungen anstellen und dazu auch den Betroffenen anhören, ohne dass die Frist des § 626 Abs. 2 BGB zu laufen begänne. Dies gilt allerdings nur solange, wie er aus verständigen Gründen und mit der gebotenen Eile Ermittlungen durchführt, die ihm eine umfassende und zuverlässige Kenntnis des Kündigungssachverhalts verschaffen sollen. Soll der Kündigungsgegner angehört werden, muss dies innerhalb einer kurzen Frist erfolgen. Sie darf im Allgemeinen nicht mehr als eine Woche betragen und nur bei Vorliegen besonderer Umstände überschritten werden (BAG 31. Juli 2014 - 2 AZR 407/13 - Rn. 40; 20. März 2014 - 2 AZR 1037/12 - Rn. 14). Für die übrigen Ermittlungen gilt keine Regelfrist. Bei ihnen ist fallbezogen zu beurteilen, ob sie hinreichend zügig betrieben wurden (BAG 31. März 1993 - 2 AZR 492/92 - zu II 1 der Gründe, BAGE 73, 42; 10. Juni 1988 - 2 AZR 25/88 - zu III 3 c der Gründe).

55

bb) Neben den Mitgliedern der Organe von juristischen Personen und Körperschaften gehören zu den Kündigungsberechtigten auch die Mitarbeiter, denen der Arbeitgeber das Recht zur außerordentlichen Kündigung übertragen hat. Dagegen ist die Kenntnis anderer Personen für den Lauf der Ausschlussfrist grundsätzlich unbeachtlich. Dies gilt auch dann, wenn ihnen Aufsichtsfunktionen übertragen worden sind. Nur ausnahmsweise muss sich der Arbeitgeber auch ihre Kenntnis nach Treu und Glauben zurechnen lassen. Dazu müssen diese Personen eine herausgehobene Position und Funktion im Betrieb oder in der Verwaltung innehaben sowie tatsächlich und rechtlich in der Lage sein, den Sachverhalt so umfassend zu klären, dass mit ihrem Bericht an den Kündigungsberechtigten dieser ohne weitere Nachforschungen seine (Kündigungs-)Entscheidung abgewogen treffen kann. Voraussetzung dafür, dem Arbeitgeber solche Kenntnisse zuzurechnen, ist ferner, dass die Verspätung, mit der er in eigener Person Kenntnis erlangt hat, auf einer unsachgemäßen Organisation des Betriebs oder der Verwaltung beruht (BAG 21. Februar 2013 - 2 AZR 433/12 - Rn. 28; 23. Oktober 2008 - 2 AZR 388/07 - Rn. 22).

56

cc) Diese Vorgaben hat das Landesarbeitsgericht nicht beachtet.

57

(1) Die Kündigungsbefugnis lag nach Teil 3 Ziff. 12.3 Satz 1 PersBef-AV iVm. Teil 1 Ziff. 2 Satz 1 Buchst. a PersBef-AV beim Präsidenten des Oberlandesgerichts. Gemäß dem - streitigen - Vorbringen des beklagten Landes ist dieser am 11. April 2013 über die Vorgänge und das Ergebnis der Ermittlungen in Kenntnis gesetzt worden. Dann wäre die Erklärungsfrist bei Zugang der Kündigung am 22. April 2013 allemal gewahrt gewesen. Den bisherigen Feststellungen ist nicht zu entnehmen, dass eine nicht kündigungsberechtigte Person schon vor dem 11. April 2013 von den Kündigungsgründen Kenntnis erlangt und eine Funktion innegehabt hätte, die es rechtlich erlaubte, ihre Kenntnisse dem Präsidenten des Oberlandesgerichts zuzurechnen.

58

(2) Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, das beklagte Land habe Ermittlungen nicht mit der gebotenen Eile durchgeführt, verletzt § 626 Abs. 2 BGB iVm. § 138 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO. Die Würdigung verkennt die Voraussetzungen, unter denen Ermittlungen als „zügig“ anzusehen sind. Überdies hat es zu hohe Anforderungen an den betreffenden Sachvortrag des beklagten Landes gestellt.

59

(a) Soweit das Landesarbeitsgericht darauf abhebt, das beklagte Land habe umgehend die Strafverfolgungsbehörden einschalten und - ohne Nachteile mit Blick auf die Frist des § 626 Abs. 2 BGB befürchten zu müssen - den Aus- und Fortgang des Ermittlungs- und Strafverfahrens abwarten können, ist dies zwar zutreffend(vgl. BAG 22. November 2012 - 2 AZR 732/11 - Rn. 31; 27. Januar 2011 - 2 AZR 825/09 - Rn. 16, BAGE 137, 54). Daraus folgt für das Land aber keine Beschränkung in der Wahl seiner Mittel zur Aufklärung. Dem Arbeitgeber steht es frei, eigene Ermittlungen anzustellen und die Strafverfolgungsbehörden nicht unmittelbar einzuschalten. Auch „private“ Ermittlungen hemmen - zügig vorangetrieben - den Lauf der Frist.

60

(b) Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, das beklagte Land habe den Kläger nicht binnen Wochenfrist angehört, ist nicht nachvollziehbar. Es fehlt an Feststellungen, wann diese Frist zu laufen begonnen habe. Falls der Präsident des Oberlandesgerichts - wie vom beklagten Land behauptet - erst am 11. April 2013 Kenntnis erlangt hat, wäre die Wochenfrist mit der Anhörung vom 17. April 2013 eingehalten.

61

(c) Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, das insoweit darlegungsbelastete Land (vgl. dazu BAG 1. Februar 2007 - 2 AZR 333/06 - Rn. 21) habe nicht aufgezeigt, dass es die Ermittlungen nach Durchführung der Geschäftsprüfung zügig vorangetrieben habe, ist nicht tragfähig. Das beklagte Land hat geltend gemacht, es sei erst aufgrund einer außerhalb des Oberlandesgerichts durchgeführten Überprüfung der vom Kläger genutzten Rechner und Festplatten in der Lage gewesen, das Ausmaß der Privatnutzung zu bestimmen. Dies habe bis zum 8. April 2013 Zeit beansprucht, weil Hardware nach M habe verbracht und umfangreiches Datenmaterial, teils unter Wiederherstellung gelöschter Dateien, habe gesichtet werden müssen. Außerdem seien die Osterfeiertage in die Zeit gefallen. Die Ausführungen sind geeignet, die Dauer der Untersuchung plausibel zu machen. Unter Berücksichtigung der wenigen zusätzlichen Tage, welche die Erstellung des Prüfberichts in Anspruch genommen hat, ergeben sich auf der Basis der bisherigen Feststellungen keine Anhaltspunkte für ein nur zögerliches Vorantreiben der Ermittlungen.

62

b) Die außerordentliche Kündigung vom 18. April 2013 ist nicht mangels ordnungsgemäßer Anhörung des Personalrats nach § 108 Abs. 2 BPersVG, § 67 Abs. 2 Satz 4 PersVG LSA unwirksam.

63

aa) Gemäß § 67 Abs. 2 Satz 1 PersVG LSA ist der Personalrat vor der außerordentlichen Kündigung eines Arbeitnehmers anzuhören. Die Leitung der Dienststelle hat die beabsichtigte Maßnahme nach § 67 Abs. 2 Satz 2 PersVG LSA zu begründen. Insoweit gelten die gleichen Anforderungen wie an eine Anhörung des Betriebsrats gemäß § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG(vgl. BAG 23. Oktober 2014 - 2 AZR 865/13 - Rn. 57 mwN). Nach dem Grundsatz der subjektiven Determinierung muss der Arbeitgeber dem Personalrat die Umstände mitteilen, die seinen Kündigungsentschluss tatsächlich bestimmt haben. Dem kommt er dann nicht nach, wenn er ihm einen schon aus seiner eigenen Sicht unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt darstellt. Zu einer vollständigen und wahrheitsgemäßen Information gehört darüber hinaus die Unterrichtung über Tatsachen, die ihm - dem Arbeitgeber - bekannt und für eine Stellungnahme des Betriebsrats möglicherweise bedeutsam sind, weil sie den Arbeitnehmer entlasten und deshalb gegen eine Kündigung sprechen können (BAG 23. Oktober 2014 - 2 AZR 736/13 - Rn. 14; 19. Juli 2012 - 2 AZR 352/11 - Rn. 41 mwN, BAGE 142, 339).

64

bb) Nach diesen Grundsätzen war die Anhörung zur fristlosen Kündigung mit Schreiben vom 16. April 2013 ordnungsgemäß.

65

(1) Dem Personalrat war das Ergebnis der Geschäftsprüfung vom 14. März 2013 unter Vorlage des betreffenden Vermerks zur Kenntnis gebracht worden. Im Anhörungsschreiben selbst heißt es, hieraus ergebe sich eine „ausschweifende“ Privatnutzung des dienstlichen Rechners unter Verwendung eines den Kopierschutz umgehenden Programms während der Dienstzeit und ein nicht erklärlicher Umgang mit dienstlich bestelltem Material (DVDs und CDs). Ungeachtet der Frage, ob es einer solchen Information bedarf (vgl. KR-Etzel 10. Aufl. § 102 BetrVG Rn. 64; APS-Koch 4. Aufl. § 102 BetrVG Rn. 129), konnte der Personalrat nach den ihm erteilten Informationen nachvollziehen, dass das beklagte Land der eigenen Ansicht zufolge den Kündigungssachverhalt jedenfalls nicht vor dem 8. April 2013 erfassen konnte. Der Personalrat vermochte sich anhand dessen ein eigenes Bild von der Einhaltung der Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB zu verschaffen. Das reicht aus. Eine nähere Begründung der den Kündigungsentschluss tragenden Abwägung ist wegen des Grundsatzes der subjektiven Determinierung regelmäßig nicht erforderlich. Die Anhörung zu der Absicht, das Arbeitsverhältnis (fristlos) zu kündigen, impliziert eine Abwägung zu Lasten des Arbeitnehmers (BAG 23. Oktober 2014 - 2 AZR 736/13 - Rn. 15; 21. November 2013 - 2 AZR 797/11 - Rn. 27, BAGE 146, 303).

66

(2) Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts ist die Anhörung nicht deshalb unvollständig, weil das beklagte Land es unterlassen hat, den Personalrat über den Inhalt eines am 22. April 2013 mit einem anderen Bediensteten geführten Personalgesprächs zu unterrichten. Dabei kann zugunsten des Klägers unterstellt werden, dass diese Unterredung vor Übergabe des Kündigungsschreibens stattfand und sich aus der Einlassung des Bediensteten Anhaltspunkte dafür ergaben, dass dieser Kopier- und Brennvorgänge im Zusammenwirken mit ihm - dem Kläger - durchgeführt hat. Das beklagte Land ging bei Einleitung des Anhörungsverfahrens - für den Personalrat erkennbar - davon aus, der Kläger selbst habe das fragliche Programm wiederholt zu privaten Zwecken während der Dienstzeit genutzt. Sowohl aus der subjektiven Sicht des beklagten Landes als auch aus objektiver Sicht handelt es sich bei der aus dem Personalgespräch deutlich gewordenen Möglichkeit, der Kläger und der andere Bedienstete hätten zusammengewirkt, keineswegs um einen entlastenden Umstand, wie das Landesarbeitsgericht gemeint hat. Allein- und Mittäterschaft sind in ihrem Unrechtsgehalt gleichwertig und im Rahmen einer kündigungsrechtlichen Beurteilung regelmäßig gleich zu gewichten.

67

(3) Die Äußerungsfrist von drei Arbeitstagen (§ 67 Abs. 2 Satz 3 PersVG LSA) hat das beklagte Land - auch unter Berücksichtigung der dem Personalrat am 18. April 2013 unterbreiteten ergänzenden Informationen - gewahrt.

68

(a) Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts ist dem Personalrat das Schreiben vom 16. April 2013 am selben Tag zugegangen. Gemäß § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 1 BGB lief die Frist von drei Arbeitstagen am 19. April 2013 (einem Freitag), 24:00 Uhr ab. Zwar wurde das Kündigungsschreiben bereits am 18. April 2013 ausgefertigt und dem Geschäftsleiter des Oberlandesgerichts als Erklärungsboten des beklagten Landes zwecks persönlicher Übergabe an den Kläger ausgehändigt. Ein Treffen zwischen dem Geschäftsleiter und dem Kläger war aber - schon zuvor - erst für den 22. April 2013 vereinbart worden. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte das Kündigungsschreiben den Machtbereich des Präsidenten des Oberlandesgerichts nicht verlassen und war es diesem möglich, die Kündigung anzuhalten, falls der Personalrat gewichtige und aus Sicht des beklagten Landes überzeugende Argumente gegen sie vorbrächte. Der Fall liegt insoweit nicht anders, als wenn der Präsident des Oberlandesgerichts das Kündigungsschreiben zwar am 18. April 2013 unterschrieben, jedoch bis zum 22. April 2013 weiter selbst verwahrt hätte.

69

(b) Das Anhörungsverfahren war bei Übergabe des Kündigungsschreibens an den Kläger - anders als dieser meint - nicht deshalb noch nicht abgeschlossen, weil das beklagte Land dem Personalrat mit Schreiben vom 18. April 2013 ergänzende Informationen hat zukommen lassen. Auf der Grundlage der Darlegungen des beklagten Landes ist davon auszugehen, dass das Anhörungsverfahren durch das vorbezeichnete Schreiben nicht neu in Gang gesetzt worden ist.

70

(aa) Vor Ausspruch der Kündigung kann der Arbeitgeber seine Informationen gegenüber dem Betriebs- oder Personalrat jederzeit ergänzen. Die Beurteilung, ob aufgrund der nachträglichen Unterrichtung die Äußerungsfrist neu anläuft, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Dabei ist auch auf den Gegenstand der nachgereichten Informationen Bedacht zu nehmen (vgl. BAG 23. Oktober 2014 - 2 AZR 736/13 - Rn. 27).

71

(bb) Im Streitfall ist das Schreiben vom 18. April 2013 ausdrücklich als „Ergänzung“ und nicht, wie das Schreiben vom 16. April 2013, als „Anhörung“ bezeichnet worden. Bereits dies spricht gegen die Annahme, das beklagte Land habe das Verfahren neu in Gang setzen wollen. Eine andere Interpretation ist auch nicht wegen des Inhalts der zusätzlichen Informationen geboten. Mittels der Vorlage der protokollierten Kopiervorgänge und des Journals der Arbeitszeit wurden lediglich die im Schreiben vom 16. April 2013 bereits geschilderten Vorgänge vertiefend dargestellt und erläutert, nicht aber ein Sachverhalt unterbreitet, der den bisher bekannten Sachverhalt in einem gänzlich neuen Licht erscheinen ließe. Im Ergebnis nichts anderes gilt für die Unterrichtung über den Inhalt des mit dem Kläger am 17. April 2013 geführten Gesprächs und die ihm bis zum 18. April 2013, 9:00 Uhr eingeräumte Möglichkeit zur weitergehenden Stellungnahme. Auch diese Mitteilung diente der Vervollständigung der Information des Personalrats, nicht aber der Einführung eines neuen Sachverhalts. Das gilt jedenfalls mit Blick auf die hier interessierende „Tatkündigung“, bei der die Anhörung des Arbeitnehmers nicht Wirksamkeitsvoraussetzung für die Kündigung ist, und unter Berücksichtigung des Umstands, dass das Gespräch vom 17. April 2013 keine Erkenntnisse zutage förderte, die den Kläger entscheidend hätten entlasten können.

72

III. Bei der neuen Verhandlung wird das Landesarbeitsgericht zunächst zu prüfen und zu bewerten haben, ob ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB gegeben und ob die Frist des § 626 Abs. 2 BGB gewahrt ist. Dazu wird es die erforderlichen Feststellungen zu treffen haben. Sollte es zu dem Ergebnis gelangen, die Kündigung sei iSv. § 626 BGB wirksam, wird es auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen davon ausgehen können, dass der Personalrat zur außerordentlichen Kündigung ordnungsgemäß beteiligt worden ist. Die Klage dürfte in diesem Fall abzuweisen sein, ohne dass der auf die ordentliche Kündigung bezogene Feststellungsantrag und der Antrag auf Weiterbeschäftigung noch zur Entscheidung anfielen. Sollte das Landesarbeitsgericht die Kündigung für unwirksam erachten, wird es über die ordentliche Kündigung zu befinden haben, je nach Ausgang dieses Streits auch über den (Hilfs-)Antrag des Klägers auf vorläufige Weiterbeschäftigung. Für die weitere Sachbehandlung weist der Senat auf Folgendes hin:

73

1. Bei der Prüfung von § 626 Abs. 1 BGB wird das Landesarbeitsgericht - unter Berücksichtigung der zu B. I. und II. dargestellten Rechtsauffassung des Senats - zu würdigen haben, ob die vorgetragenen Indizien ausreichen, ihm die erforderliche Überzeugung zu vermitteln, der Kläger habe seine vertraglichen Pflichten verletzt. Über streitige Tatsachen wird ggf. Beweis zu erheben sein. Dabei hat sich das Gericht mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad an Gewissheit zu begnügen, der Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig ausschließen zu müssen (BAG 29. Januar 2015 - 2 AZR 280/14 - Rn. 30 mwN; BGH 11. November 2014 - VI ZR 76/13 - Rn. 23 mwN).

74

2. Im Hinblick auf eine ggf. vorzunehmende Würdigung der Umstände des Einzelfalls und Interessenabwägung wird zu berücksichtigen sein, dass die vom Landesarbeitsgericht bisher - im Rahmen der Überprüfung der ordentlichen Kündigung - zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit angestellten Erwägungen nicht tragen.

75

a) Die Wertung, es habe deshalb einer Abmahnung bedurft, weil „fast alle Bediensteten einschließlich der Richterschaft […] offenbar von der Tätigkeit des Klägers profitiert und dieser auch nicht widersprochen [hätten]“ und daraus auf ein mangelndes Unrechtsbewusstsein - auch des Klägers - zu schließen sei, entbehrt der Tatsachenbasis. Es ist unklar, auf welche Handlungen des Klägers sich das Landesarbeitsgericht bezogen und welche Personen es vor Augen gehabt hat, die aus den nicht näher konkretisierten Aktivitäten des Klägers einen bisher nicht definierten Nutzen gezogen haben sollen.

76

b) Für die vom Landesarbeitsgericht mit Blick auf den Umgang mit beschäftigten Beamten ins Spiel gebrachte Heranziehung des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes fehlt es an einer rechtlichen Grundlage. Zwar mögen bei der Interessenabwägung nach § 626 Abs. 1 BGB ähnliche Erwägungen anzustellen sein wie im Rahmen einer disziplinarrechtlichen Würdigung. Daraus kann aber nicht - wie das Landesarbeitsgericht offenbar gemeint hat - abgeleitet werden, der Arbeitgeber dürfe gegenüber einem Arbeitnehmer, der seine Pflichten in gemeinschaftlichem Zusammenwirken mit Beamten verletzt hat, nicht zum Mittel der Kündigung greifen, solange er nicht auch die Entlassung der Beamten initiiere oder doch andere disziplinarische Maßnahmen ihnen gegenüber ergreife. Die Erwägung lässt außer Acht, dass sich Wertungen, wie sie aus dem in der Regel auf Lebenszeit angelegten, durch besondere Treue- und Fürsorgepflichten geprägten Dienstverhältnis der Beamten folgen, nicht auf eine privatrechtliche Leistungsbeziehung übertragen lassen (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 29, BAGE 134, 349; 17. Juni 1993 - 6 AZR 620/92 - zu B II 2 d bb der Gründe, BAGE 73, 262). Selbst im Verhältnis von Arbeitnehmern untereinander scheidet mit Blick auf verhaltensbedingte Kündigungen eine Anwendung des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes weitgehend aus (BAG 8. Dezember 1994 - 2 AZR 470/93 - zu B II 5 g der Gründe; zu eng begrenzten Ausnahmekonstellationen vgl. BAG 22. Februar 1979 - 2 AZR 115/78 - zu 2 a der Gründe). Die fraglichen Erwägungen des Landesarbeitsgerichts lassen überdies die herausgehobene Position des Klägers als „IT-Verantwortlicher“ außer Acht. Unbeschadet der unterschiedlichen Rechtsstellung von Beamten und Angestellten widerspricht auch dies - neben weiteren in Betracht zu ziehenden Unterschieden - einer Vergleichbarkeit der Sachverhalte.

77

c) Das Landesarbeitsgericht wird, sollte es auf die Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung ankommen, weiterhin davon ausgehen können, dass deren soziale Rechtfertigung (§ 1 Abs. 1 und Abs. 2 KSchG) unter dem Gesichtspunkt des Verdachts nicht in Betracht kommt - auch deshalb, weil der Personalrat dazu laut Schreiben vom 23. April 2013 nicht beteiligt worden ist. Die Prüfung, ob die Kündigung als Tatkündigung durch Gründe iSv. § 1 Abs. 2 KSchG bedingt ist, wird das Landesarbeitsgericht neu vorzunehmen und die erforderlichen Feststellungen zu treffen haben. Was die Frage betrifft, ob die Beteiligung des Personalrats zu einer ordentlichen Kündigung nach § 67 Abs. 1 Nr. 8 PersVG LSA ordnungsgemäß erfolgt ist, wird zu beachten sein, dass die in der angefochtenen Entscheidung vertretene Auffassung, die Anhörung sei unwirksam, weil das beklagte Land dem Personalrat mögliche Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe nicht mitgeteilt habe, auf der Basis der bisherigen Feststellungen nicht haltbar ist. Um welche, nach dem Grundsatz der subjektiven Determiniertheit beachtlichen Tatsachen es sich insoweit handeln soll, ist nicht nachzuvollziehen.

78

IV. Der Senat hat bei der Zurückverweisung von der Möglichkeit des § 563 Abs. 1 Satz 2 ZPO Gebrauch gemacht.

        

    Kreft    

        

    Rachor    

        

    Berger    

        

        

        

    Perreng    

        

    Der ehrenamtliche Richter Dr. Bartz ist wegen des Endes seiner Amtszeit verhindert, seine Unterschrift beizufügen.
Kreft    

                 

Tenor

1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 24. Februar 2009 - 7 Sa 2017/08 - aufgehoben.

2. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 21. August 2008 - 2 Ca 3632/08 - abgeändert:

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die fristlose Kündigung, noch durch die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung vom 22. Februar 2008 aufgelöst worden ist.

3. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung.

2

Die 1958 geborene Klägerin war seit April 1977 bei der Beklagten und deren Rechtsvorgängerinnen als Verkäuferin mit Kassentätigkeit beschäftigt.

3

Die Beklagte ist ein überregional vertretenes Einzelhandelsunternehmen. In einigen ihrer Filialen, so auch in der Beschäftigungsfiliale der Klägerin, besteht die Möglichkeit, Leergut an einem Automaten gegen Ausstellung eines Leergutbons zurückzugeben. Wird ein solcher Bon an der Kasse eingelöst, ist er von der Kassiererin/dem Kassierer abzuzeichnen. Mitarbeiter der Filiale sind angewiesen, mitgebrachtes Leergut beim Betreten des Markts dem Filialleiter vorzuzeigen und einen am Automaten erstellten Leergutbon durch den Leiter gesondert abzeichnen zu lassen, bevor sie den Bon an der Kasse einlösen. Dort wird er wie ein Kundenbon ein weiteres Mal abgezeichnet. Diese Regelungen, die Manipulationen beim Umgang mit Leergut ausschließen sollen, sind der Klägerin bekannt.

4

Im Herbst 2007 beteiligte sich die Klägerin mit weiteren sieben von insgesamt 36 Beschäftigten ihrer Filiale an einem gewerkschaftlich getragenen Streik. Während die Streikbereitschaft anderer Arbeitnehmer mit der Zeit nachließ, nahm die Klägerin bis zuletzt an den Maßnahmen teil. Im Januar 2008 lud der Filialleiter Beschäftigte, die sich nicht am Arbeitskampf beteiligt hatten, zu einer Feier außer Hause ein. Aus diesem Grund wurde er später von der Beklagten abgemahnt und in eine andere Filiale versetzt.

5

Am 12. Januar 2008 fand eine Mitarbeiterin im Kassenbereich einer separaten Backtheke zwei nicht abgezeichnete Leergutbons im Wert von 0,48 Euro und 0,82 Euro. Sie trugen das Datum des Tages und waren im Abstand von ca. einer Dreiviertelstunde am Automaten erstellt worden. Die Mitarbeiterin legte die Bons dem Filialleiter vor. Dieser reichte sie an die Klägerin mit der Maßgabe weiter, sie im Kassenbüro aufzubewahren für den Fall, dass sich noch ein Kunde melden und Anspruch darauf erheben würde; andernfalls sollten sie als „Fehlbons“ verbucht werden. Die Klägerin legte die Bons auf eine - für alle Mitarbeiter zugängliche und einsehbare - Ablage im Kassenbüro.

6

Am 22. Januar 2008 kaufte die Klägerin in der Filiale außerhalb ihrer Arbeitszeit privat ein. An der Kasse überreichte sie ihrer Kollegin zwei nicht abgezeichnete Leergutbons. Laut Kassenjournal wurden diese mit Werten von 0,48 Euro und 0,82 Euro registriert. Beim Kassieren war auch die Kassenleiterin und Vorgesetzte der Klägerin anwesend.

7

Zur Klärung der Herkunft der eingereichten Bons führte die Beklagte mit der Klägerin ab dem 25. Januar 2008 insgesamt vier Gespräche, an denen - außer am ersten Gespräch - jeweils zwei Mitglieder des Betriebsrats teilnahmen. Sie hielt ihr vor, die eingelösten Bons seien nicht abgezeichnet gewesen und stimmten hinsichtlich Wert und Ausgabedatum mit den im Kassenbüro aufbewahrten Bons überein. Es bestehe der dringende Verdacht, dass sie - die Klägerin - die dort abgelegten „Kundenbons“ an sich genommen und zu ihrem Vorteil verwendet habe. Die Klägerin bestritt dies und erklärte, selbst wenn die Bons übereinstimmten, bestehe die Möglichkeit, dass ihr entsprechende Bons durch eine ihrer Töchter oder durch Dritte zugesteckt worden seien. Beispielsweise habe sie am 21. oder 22. Januar 2008 einer Arbeitskollegin ihre Geldbörse ausgehändigt mit der Bitte, diese in ihren Spind zu legen. Die Beklagte legte der Klägerin nahe, zur Untermauerung ihrer Behauptung eine eidesstattliche Erklärung einer Tochter beizubringen. Außerdem befragte sie die benannte Kollegin, die die Angaben der Klägerin bestritt. Beim letzten, am 15. Februar 2008 geführten Gespräch überreichte die Klägerin eine schriftliche Erklärung, mit der eine ihrer Töchter bestätigte, bei der Beklagten hin und wieder für ihre Mutter einzukaufen, dabei auch Leergut einzulösen und „Umgang“ mit der Geldbörse ihrer Mutter „pflegen zu dürfen“.

8

Mit Schreiben vom 18. Februar 2008 hörte die Beklagte den Betriebsrat zu einer beabsichtigten außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung, gestützt auf den Verdacht der Einlösung der Bons, an. Der Betriebsrat äußerte Bedenken gegen die fristlose Kündigung, einer ordentlichen Kündigung widersprach er und verwies auf die Möglichkeit einer gegen die Klägerin gerichteten Intrige.

9

Mit Schreiben vom 22. Februar 2008 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos, hilfsweise fristgemäß zum 30. September 2008.

10

Die Klägerin hat Kündigungsschutzklage erhoben. Sie hat behauptet, sie habe jedenfalls nicht bewusst Leergutbons eingelöst, die ihr nicht gehörten. Sollte es sich bei den registrierten Bons tatsächlich um die im Kassenbüro abgelegten Bons gehandelt haben, müsse auch die Möglichkeit eines Austauschs der Bons während des Kassiervorgangs in Betracht gezogen werden. Denkbares Motiv hierfür sei ihre Streikteilnahme, die ohnehin der wahre Grund für die Kündigung sei. Anders sei nicht zu erklären, weshalb ihre Kollegin und die Vorgesetzte sie - unstreitig - nicht bereits beim Kassieren oder unmittelbar anschließend auf die fehlende Abzeichnung der überreichten Leergutbons angesprochen hätten. Angesichts der streikbedingt aufgetretenen Spannungen unter den Filialmitarbeitern sei es lebensfremd anzunehmen, sie habe ausgerechnet bei einer Kollegin, mit der sie im Streit gestanden habe, und in Anwesenheit ihrer Vorgesetzten die im Kassenbüro verwahrten, nicht abgezeichneten Bons eingelöst. Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, eine Verdachtskündigung sei wegen der in Art. 6 Abs. 2 EMRK verankerten Unschuldsvermutung ohnehin unzulässig. Das gelte in besonderem Maße, wenn sich der Verdacht auf die Entwendung einer nur geringwertigen Sache beziehe. Selbst bei nachgewiesener Tat sei in einem solchen Fall ein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB nicht gegeben. Zumindest sei in ihrem Fall die Kündigung in Anbetracht der Einmaligkeit des Vorfalls und ihrer langen Betriebszugehörigkeit unangemessen, zumal der Beklagten kein Schaden entstanden sei.

11

Die Klägerin hat beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis weder durch die fristlose, noch durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 22. Februar 2008 aufgelöst worden ist;

        

2.    

die Beklagte zu verurteilen, sie entsprechend den arbeitsvertraglichen Bedingungen als Verkäuferin mit Kassentätigkeit zu beschäftigen.

12

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat geltend gemacht, es bestehe der dringende Verdacht, dass die Klägerin die im Kassenbüro hinterlegten Leergutbons für sich verwendet habe. Dafür sprächen die in der Anhörung angeführten Tatsachen sowie der Umstand, dass diese Bons bei einer unmittelbar nach dem Einkauf der Klägerin durchgeführten Suche nicht mehr auffindbar gewesen seien. Es sei auch das mehrfach geänderte Verteidigungsvorbringen der Klägerin zu berücksichtigen, das sich in keinem Punkt als haltbar erwiesen habe. Damit sei das Vertrauen in die redliche Ausführung der Arbeitsaufgaben durch die Klägerin unwiederbringlich zerstört. Das Arbeitsverhältnis sei auch nicht unbelastet verlaufen. Sie habe die Klägerin im Jahr 2005 wegen ungebührlichen Verhaltens gegenüber einem Arbeitskollegen abgemahnt. Außerdem habe die Klägerin, wie ihr erst nachträglich bekannt geworden sei, am 22. November 2007 bei einem privaten Einkauf einen Sondercoupon aus einem Bonussystem eingelöst, obwohl die Einkaufssumme den dafür erforderlichen Betrag nicht erreicht habe. Derselbe Coupon sei dreimal „über die Kasse gezogen“ worden. Dadurch seien der Klägerin zu Unrecht Punkte im Wert von 3,00 Euro gutgeschrieben worden. Deren Behauptung, ihre Vorgesetzte habe sie zu einer derartigen Manipulation - vergeblich - verleiten wollen, sei nicht plausibel; die Vorgesetzte habe an dem betreffenden Tag - wie zuletzt unstreitig - nicht gearbeitet.

13

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit ihrer durch das Bundesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe

14

Die Revision ist begründet. Die Vorinstanzen haben die Klage zu Unrecht abgewiesen. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist weder durch die außerordentliche noch durch die ordentliche Kündigung vom 22. Februar 2008 aufgelöst worden. Das Urteil des Landesarbeitsgerichts war deshalb aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Einer Zurückverweisung bedurfte es nicht. Die Sache war nach dem festgestellten Sachverhältnis zur Endentscheidung reif (§ 563 Abs. 3 ZPO).

15

A. Die außerordentliche Kündigung ist unwirksam. Es fehlt an einem wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB.

16

I. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Das Gesetz kennt folglich keine „absoluten“ Kündigungsgründe. Vielmehr ist jeder Einzelfall gesondert zu beurteilen. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (st. Rspr., Senat 26. März 2009 - 2 AZR 953/07 - Rn. 21 mwN, AP BGB § 626 Nr. 220; 27. April 2006 - 2 AZR 386/05 - Rn. 19, BAGE 118, 104).

17

II. Die Prüfung der Voraussetzungen des wichtigen Grundes ist in erster Linie Sache der Tatsacheninstanzen. Dennoch geht es um Rechtsanwendung, nicht um Tatsachenfeststellung. Die Würdigung des Berufungsgerichts wird in der Revisionsinstanz darauf hin überprüft, ob es den anzuwendenden Rechtsbegriff in seiner allgemeinen Bedeutung verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnormen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob es alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände widerspruchsfrei berücksichtigt hat (st. Rspr., Senat 27. November 2008 - 2 AZR 193/07 - Rn. 22, AP BGB § 626 Nr. 219; 6. September 2007 - 2 AZR 722/06 - Rn. 40, BAGE 124, 59).

18

III. Auch unter Beachtung eines in diesem Sinne eingeschränkten Maßstabs hält die Würdigung des Landesarbeitsgerichts einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand. Zwar liegt nach dem festgestellten Sachverhalt „an sich“ ein wichtiger Grund zur Kündigung vor. Das Landesarbeitsgericht hat jedoch bei der vorzunehmenden Einzelfallprüfung und Interessenabwägung nicht alle wesentlichen Gesichtspunkte einbezogen und zutreffend abgewogen.

19

1. Entgegen der Auffassung der Revision ist die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts nicht deshalb zu beanstanden, weil dieses seiner rechtlichen Würdigung die fragliche Pflichtverletzung im Sinne einer erwiesenen Tat und nicht nur - wie die Beklagte selbst - einen entsprechenden Verdacht zugrunde gelegt hat.

20

a) Das Landesarbeitsgericht ist vom Fund zweier Leergutbons am 12. Januar 2008 und deren Aushändigung an die Klägerin durch den Marktleiter ausgegangen. Nach Beweisaufnahme hat es zudem für wahr erachtet, dass die Klägerin die beiden zunächst im Kassenbüro abgelegten Bons im Wert von 0,48 Euro und 0,82 Euro zu einem unbestimmten Zeitpunkt an sich nahm und am 22. Januar 2008 bei einem Einkauf zu ihren Gunsten einlöste; dadurch ermäßigte sich die Kaufsumme für sie um 1,30 Euro. Darin hat es ein vorsätzliches, pflichtwidriges Verhalten der Klägerin erblickt.

21

b) An die vom Landesarbeitsgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen ist der Senat gemäß § 559 Abs. 2 ZPO gebunden. Die Klägerin hat - auch wenn sie vorsätzliches Fehlverhalten weiterhin in Abrede stellt - von Angriffen gegen die Beweiswürdigung des Landesarbeitsgerichts ausdrücklich abgesehen.

22

c) Einer Würdigung des Geschehens unter der Annahme, die Klägerin habe sich nachweislich pflichtwidrig verhalten, steht nicht entgegen, dass die Beklagte sich zur Rechtfertigung der Kündigung nur auf einen entsprechenden Verdacht berufen und den Betriebsrat auch nur zu einer Verdachtskündigung angehört hat.

23

aa) Das Landesarbeitsgericht hat auf diese Weise nicht etwa Vortrag berücksichtigt, den die Beklagte nicht gehalten hätte. Der Verdacht eines pflichtwidrigen Verhaltens stellt zwar gegenüber dem Tatvorwurf einen eigenständigen Kündigungsgrund dar (st. Rspr., Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 55 mwN, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 47 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 8). Beide Gründe stehen jedoch nicht beziehungslos nebeneinander. Wird die Kündigung mit dem Verdacht pflichtwidrigen Verhaltens begründet, steht indessen zur Überzeugung des Gerichts die Pflichtwidrigkeit tatsächlich fest, lässt dies die materiell-rechtliche Wirksamkeit der Kündigung unberührt. Maßgebend ist allein der objektive Sachverhalt, wie er sich dem Gericht nach Parteivorbringen und ggf. Beweisaufnahme darstellt. Ergibt sich daraus nach tatrichterlicher Würdigung das Vorliegen einer Pflichtwidrigkeit, ist das Gericht nicht gehindert, dies seiner Entscheidung zugrunde zu legen. Es ist nicht erforderlich, dass der Arbeitgeber sich während des Prozesses darauf berufen hat, er stütze die Kündigung auch auf die erwiesene Tat (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - aaO mwN).

24

bb) Der Umstand, dass der Betriebsrat ausschließlich zu einer beabsichtigten Verdachtskündigung gehört wurde, steht dem nicht entgegen. Die gerichtliche Berücksichtigung des Geschehens als erwiesene Tat setzt voraus, dass dem Betriebsrat - ggf. im Rahmen zulässigen „Nachschiebens“ - diejenigen Umstände mitgeteilt worden sind, welche nicht nur den Tatverdacht, sondern zur Überzeugung des Gerichts auch den Tatvorwurf begründen (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 59 mwN, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 47 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 8). Bei dieser Sachlage ist dem Normzweck des § 102 Abs. 1 BetrVG auch durch eine Anhörung nur zur Verdachtskündigung genüge getan. Dem Betriebsrat wird dadurch nichts vorenthalten. Die Mitteilung des Arbeitgebers, einem Arbeitnehmer solle schon und allein wegen des Verdachts einer pflichtwidrigen Handlung gekündigt werden, gibt ihm sogar weit stärkeren Anlass für ein umfassendes Tätigwerden als eine Anhörung wegen einer als erwiesen behaupteten Tat (Senat 3. April 1986 - 2 AZR 324/85 - zu II 1 c cc der Gründe, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 18 = EzA BetrVG 1972 § 102 Nr. 63; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 217). Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt. Das Landesarbeitsgericht hat seiner Entscheidung ausschließlich solche - aus seiner Sicht bewiesene - Tatsachen zugrunde gelegt, die Gegenstand der Betriebsratsanhörung waren.

25

2. Der vom Landesarbeitsgericht festgestellte Sachverhalt ist „an sich“ als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB geeignet. Zum Nachteil des Arbeitgebers begangene Eigentums- oder Vermögensdelikte, aber auch nicht strafbare, ähnlich schwerwiegende Handlungen unmittelbar gegen das Vermögen des Arbeitgebers kommen typischerweise - unabhängig vom Wert des Tatobjekts und der Höhe eines eingetretenen Schadens - als Grund für eine außerordentliche Kündigung in Betracht.

26

a) Begeht der Arbeitnehmer bei oder im Zusammenhang mit seiner Arbeit rechtswidrige und vorsätzliche - ggf. strafbare - Handlungen unmittelbar gegen das Vermögen seines Arbeitgebers, verletzt er zugleich in schwerwiegender Weise seine schuldrechtliche Pflicht zur Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB) und missbraucht das in ihn gesetzte Vertrauen. Ein solches Verhalten kann auch dann einen wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB darstellen, wenn die rechtswidrige Handlung Sachen von nur geringem Wert betrifft oder zu einem nur geringfügigen, möglicherweise zu gar keinem Schaden geführt hat(Senat 13. Dezember 2007 - 2 AZR 537/06 - Rn. 16, 17, AP BGB § 626 Nr. 210 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 20; 12. August 1999 - 2 AZR 923/98 - zu II 2 b aa der Gründe, BAGE 92, 184; 17. Mai 1984 - 2 AZR 3/83 - zu II 1 der Gründe, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 14 = EzA BGB § 626 nF Nr. 90).

27

b) An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest. Die entgegenstehende Ansicht, die Pflichtverletzungen im Vermögensbereich bei Geringfügigkeit bereits aus dem Anwendungsbereich des § 626 Abs. 1 BGB herausnehmen will(so LAG Köln 30. September 1999 - 5 Sa 872/99 - zu 2 der Gründe, NZA-RR 2001, 83; LAG Hamburg 8. Juli 1998 - 4 Sa 38/97 - zu II 3 a aa der Gründe, NZA-RR 1999, 469; ArbG Reutlingen 4. Juni 1996 - 1 Ca 73/96 - RzK I 6 d Nr. 12; Däubler Das Arbeitsrecht 2 12. Aufl. Rn. 1128; eingeschränkt Gerhards BB 1996, 794, 796), überzeugt nicht. Ein Arbeitnehmer, der die Integrität von Eigentum und Vermögen seines Arbeitgebers vorsätzlich und rechtswidrig verletzt, zeigt ein Verhalten, das geeignet ist, die Zumutbarkeit seiner Weiterbeschäftigung in Frage zu stellen. Die durch ein solches Verhalten ausgelöste „Erschütterung“ der für die Vertragsbeziehung notwendigen Vertrauensgrundlage tritt unabhängig davon ein, welche konkreten wirtschaftlichen Schäden mit ihm verbunden sind. Aus diesem Grund ist die Festlegung einer nach dem Wert bestimmten Relevanzschwelle mit dem offen gestalteten Tatbestand des § 626 Abs. 1 BGB nicht zu vereinbaren. Sie würfe im Übrigen mannigfache Folgeprobleme auf - etwa das einer exakten Wertberechnung, das der Folgen mehrfacher, für sich betrachtet „irrelevanter“ Verstöße sowie das der Behandlung nur marginaler Grenzüberschreitungen - und vermöchte schon deshalb einem angemessenen Interessenausgleich schwerlich zu dienen.

28

c) Mit seiner Auffassung setzt sich der Senat nicht in Widerspruch zu der in § 248a StGB getroffenen Wertung. Nach dieser Bestimmung werden Diebstahl und Unterschlagung geringwertiger Sachen nur auf Antrag oder bei besonderem öffentlichem Interesse verfolgt. Der Vorschrift liegt eine Einschätzung des Gesetzgebers darüber zugrunde, ab welcher Grenze staatliche Sanktionen für Rechtsverstöße in diesem Bereich zwingend geboten sind. Ein solcher Ansatz ist dem Schuldrecht fremd. Hier geht es um störungsfreien Leistungsaustausch. Die Berechtigung einer verhaltensbedingten Kündigung ist nicht daran zu messen, ob diese - vergleichbar einer staatlichen Maßnahme - als Sanktion für den fraglichen Vertragsverstoß angemessen ist. Statt des Sanktions- gilt das Prognoseprinzip. Eine verhaltensbedingte Kündigung ist gerechtfertigt, wenn eine störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten steht, künftigen Pflichtverstößen demnach nur durch die Beendigung der Vertragsbeziehung begegnet werden kann (st. Rspr., Senat 26. November 2009 - 2 AZR 751/08 - Rn. 10, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 61 = EzA BGB 2002 § 611 Abmahnung Nr. 5; 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 32, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17).

29

d) Ebenso wenig besteht ein Wertungswiderspruch zwischen der Auffassung des Senats und der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Dieses erkennt zwar bei der disziplinarrechtlichen Beurteilung vergleichbarer Dienstvergehen eines Beamten die Geringwertigkeit der betroffenen Vermögensobjekte als Milderungsgrund an (BVerwG 13. Februar 2008 - 2 WD 9/07 - DÖV 2008, 1056; 24. November 1992 - 1 D 66/91 - zu 3 der Gründe, BVerwGE 93, 314; bei kassenverwaltender Tätigkeit: BVerwG 11. November 2003 - 1 D 5/03 - zu 4 b der Gründe). Dies geschieht jedoch vor dem Hintergrund einer abgestuften Reihe von disziplinarischen Reaktionsmöglichkeiten des Dienstherrn. Diese reichen von der Anordnung einer Geldbuße (§ 7 BDG) über die Kürzung von Dienstbezügen (§ 8 BDG) und die Zurückstufung (§ 9 BDG) bis zur Entfernung aus dem Dienst (§ 13 Abs. 2 BDG). Eine solche Reaktionsbreite kennt das Arbeitsrecht nicht. Der Arbeitgeber könnte auf die „Entfernung aus dem Dienst“ nicht zugunsten einer Kürzung der Vergütung verzichten. Wertungen, wie sie für das in der Regel auf Lebenszeit angelegte, durch besondere Treue- und Fürsorgepflichten geprägte Dienstverhältnis der Beamten und Soldaten getroffen werden, lassen sich deshalb auf eine privatrechtliche Leistungsbeziehung regelmäßig nicht übertragen (Keiser JR 2010, 55, 57 ff.; Reuter NZA 2009, 594, 595).

30

e) Das Landesarbeitsgericht hat das Verhalten der Klägerin als „Vermögensdelikt“ zulasten der Beklagten gewürdigt, hat aber offen gelassen, welchen straf- und/oder zivilrechtlichen Deliktstatbestand es als erfüllt ansieht. Das ist im Ergebnis unschädlich. Das Verhalten der Klägerin kommt auch dann als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB in Betracht, wenn es - wie die Revision im Anschluss an Äußerungen in der Literatur (Hüpers Jura 2010, 52 ff.; Schlösser HRRS 2009, 509 ff.) meint - nicht strafbar sein sollte, jedenfalls nicht im Sinne eines Vermögensdelikts zum Nachteil der Beklagten. Für die kündigungsrechtliche Beurteilung ist weder die strafrechtliche noch die sachenrechtliche Bewertung maßgebend. Entscheidend ist der Verstoß gegen vertragliche Haupt- oder Nebenpflichten und der mit ihm verbundene Vertrauensbruch (Senat 19. April 2007 - 2 AZR 78/06 - Rn. 28, AP BGB § 611 Direktionsrecht Nr. 77 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 8; 2. März 2006 - 2 AZR 53/05 - Rn. 29, AP BGB § 626 Krankheit Nr. 14 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 16; 21. April 2005 - 2 AZR 255/04 - zu B II 1 der Gründe, BAGE 114, 264; Preis AuR 2010, 242 f.). Auch eine nicht strafbare, gleichwohl erhebliche Verletzung der sich aus dem Arbeitsverhältnis ergebenden Pflichten kann deshalb ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB sein. Das gilt insbesondere in Fällen, in denen die Pflichtverletzung mit einem vorsätzlichen Verstoß gegen eine den unmittelbaren Vermögensinteressen des Arbeitgebers dienende Weisung einhergeht (KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 459).

31

f) Danach liegt eine erhebliche, die Schwelle zum wichtigen Grund überschreitende Pflichtverletzung vor. Die Klägerin hat sich mit dem Einlösen der Leergutbons gegenüber der Beklagten einen Vermögensvorteil verschafft, der ihr nicht zustand. Ihr Verhalten wiegt umso schwerer, als sie eine konkrete Anordnung des Marktleiters zum Umgang mit den Bons missachtet hat. Es kommt nicht darauf an, ob sie damit schon gegen ihre Hauptleistungspflichten als Kassiererin oder gegen ihre Pflicht zur Rücksichtnahme aus § 241 Abs. 2 BGB verstoßen hat. In jedem Fall gehört die Pflicht zur einschränkungslosen Wahrung der Vermögensinteressen der Beklagten zum Kernbereich ihrer Arbeitsaufgaben. Die Schwere der Pflichtverletzung hängt von einer exakten Zuordnung nicht ab. Die Vorgabe des Marktleiters, die Bons nach einer gewissen Zeit als „Fehlbons“ zu verbuchen, sollte sicherstellen, dass die Beklagte insoweit nicht mehr in Anspruch genommen würde. Ob damit den Interessen der Kunden ausreichend Rechnung getragen wurde, ist im Verhältnis der Parteien ohne Bedeutung. Die Klägerin jedenfalls durfte die Bons nicht zum eigenen Vorteil einlösen.

32

3. Die fristlose Kündigung ist bei Beachtung aller Umstände des vorliegenden Falls und nach Abwägung der widerstreitenden Interessen gleichwohl nicht gerechtfertigt. Als Reaktion der Beklagten auf das Fehlverhalten der Klägerin hätte eine Abmahnung ausgereicht. Dies vermag der Senat selbst zu entscheiden.

33

a) Dem Berufungsgericht kommt bei der im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB vorzunehmenden Interessenabwägung zwar ein Beurteilungsspielraum zu(Senat 11. Dezember 2003 - 2 AZR 36/03 - zu II 1 f der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 179 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 5). Eine eigene Abwägung durch das Revisionsgericht ist aber möglich, wenn die des Berufungsgerichts fehlerhaft oder unvollständig ist und sämtliche relevanten Tatsachen feststehen (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 36, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17; 12. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 61, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Ein solcher Fall liegt hier vor.

34

b) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung - etwa im Hinblick auf das Maß eines durch sie bewirkten Vertrauensverlusts und ihre wirtschaftlichen Folgen -, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf (Senat 28. Januar 2010 - 2 AZR 1008/08 - Rn. 26 mwN, DB 2010, 1709; 10. November 2005 - 2 AZR 623/04 - Rn. 38 mwN, AP BGB § 626 Nr. 196 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 11). Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind (st. Rspr., Senat 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 45, AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7). Als mildere Reaktionen sind insbesondere Abmahnung und ordentliche Kündigung anzusehen. Sie sind dann alternative Gestaltungsmittel, wenn schon sie geeignet sind, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck - die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen - zu erreichen (KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 251 mwN).

35

c) Die Notwendigkeit der Prüfung, ob eine fristgerechte Kündigung als Reaktion ausgereicht hätte, folgt schon aus dem Wortlaut des § 626 Abs. 1 BGB. Das Erfordernis weitergehend zu prüfen, ob nicht schon eine Abmahnung ausreichend gewesen wäre, folgt aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (die Kündigung als „ultima ratio“) und trägt zugleich dem Prognoseprinzip bei der verhaltensbedingten Kündigung Rechnung (Senat 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 47 f., AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7; 12. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 55 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Das Erfordernis gilt auch bei Störungen im Vertrauensbereich. Es ist nicht stets und von vorneherein ausgeschlossen, verlorenes Vertrauen durch künftige Vertragstreue zurückzugewinnen (Senat 4. Juni 1997 - 2 AZR 526/96 - zu II 1 b der Gründe, BAGE 86, 95).

36

aa) Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann (Schlachter NZA 2005, 433, 436). Die ordentliche wie die außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus. Sie dient der Objektivierung der negativen Prognose (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 283/08 - Rn. 14 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Abmahnung Nr. 5 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 75; Staudinger/Preis <2002> § 626 BGB Rn. 109). Ist der Arbeitnehmer ordnungsgemäß abgemahnt worden und verletzt er dennoch seine arbeitsvertraglichen Pflichten erneut, kann regelmäßig davon ausgegangen werden, es werde auch zukünftig zu weiteren Vertragsstörungen kommen (Senat 13. Dezember 2007 - 2 AZR 818/06 - Rn. 38, AP KSchG 1969 § 4 Nr. 64 = EzA KSchG § 4 nF Nr. 82).

37

bb) Nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist eine Kündigung nicht gerechtfertigt, wenn es mildere Mittel gibt, eine Vertragsstörung zukünftig zu beseitigen. Dieser Aspekt hat durch die Regelung des § 314 Abs. 2 BGB iVm. § 323 Abs. 2 BGB eine gesetzgeberische Bestätigung erfahren(Senat 12. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 56 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Einer Abmahnung bedarf es in Ansehung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes deshalb nur dann nicht, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft selbst nach Abmahnung nicht zu erwarten steht oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass eine Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist (vgl. Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 33, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17; 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 48 mwN, AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7).

38

cc) Diese Grundsätze gelten uneingeschränkt selbst bei Störungen des Vertrauensbereichs durch Straftaten gegen Vermögen oder Eigentum des Arbeitgebers (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 33, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17; 27. April 2006 - 2 AZR 415/05 - Rn. 19, AP BGB § 626 Nr. 203 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 17). Auch in diesem Bereich gibt es keine „absoluten“ Kündigungsgründe. Stets ist konkret zu prüfen, ob nicht objektiv die Prognose berechtigt ist, der Arbeitnehmer werde sich jedenfalls nach einer Abmahnung künftig wieder vertragstreu verhalten (vgl. auch Erman/Belling BGB 12. Aufl. § 626 Rn. 62; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 264; Preis AuR 2010, 242, 244; Reichel AuR 2004, 252; Schlachter NZA 2005, 433, 437).

39

d) Danach war eine Abmahnung hier nicht entbehrlich.

40

aa) Das Landesarbeitsgericht geht zunächst zutreffend davon aus, dass es einer Abmahnung nicht deshalb bedurfte, um bei der Klägerin die mögliche Annahme zu beseitigen, die Beklagte könnte mit der eigennützigen Verwendung der Bons einverstanden sein. Einer mutmaßlichen Einwilligung - die in anderen Fällen, etwa der Verwendung wertloser, als Abfall deklarierter Gegenstände zum Eigenverbrauch oder zur Weitergabe an Hilfsbedürftige oder dem Aufladen eines Mobiltelefons im Stromnetz des Arbeitgebers, naheliegend sein mag - stand im Streitfall die Weisung des Filialleiters entgegen, die keine Zweifel über den von der Beklagten gewünschten Umgang mit den Bons aufkommen ließ. Auf mögliche Unklarheiten in den allgemeinen Anweisungen der Beklagten zur Behandlung von Fundsachen und Fundgeld kommt es deshalb nicht an.

41

bb) Mit Recht hat das Landesarbeitsgericht zudem angenommen, das Verhalten der Klägerin stelle eine objektiv schwerwiegende, das Vertrauensverhältnis der Parteien erheblich belastende Pflichtverletzung dar.

42

(1) Mit der eigennützigen Verwendung der Leergutbons hat sich die Klägerin bewusst gegen die Anordnung des Filialleiters gestellt. Schon dies ist geeignet, das Vertrauen der Beklagten in die zuverlässige Erfüllung der ihr übertragenen Aufgaben als Kassiererin zu erschüttern. Erschwerend kommt hinzu, dass die Bons gerade ihr zur Verwahrung und ggf. Buchung als „Fehlbons“ übergeben worden waren. Das Fehlverhalten der Klägerin berührt damit den Kernbereich ihrer Arbeitsaufgaben. Sie war als Verkäuferin mit Kassentätigkeit beschäftigt. Als solche hat sie den weisungsgemäßen Umgang mit Leergutbons gleichermaßen sicher zu stellen wie den mit ihr anvertrautem Geld. Die Beklagte muss sich auf die Zuverlässigkeit und Ehrlichkeit einer mit Kassentätigkeiten betrauten Arbeitnehmerin in besonderem Maße verlassen dürfen. Sie muss davon ausgehen können, dass ihre Weisungen zum Umgang mit Sach- und Vermögenswerten unabhängig von deren Wert und den jeweiligen Eigentumsverhältnissen korrekt eingehalten werden. Als Einzelhandelsunternehmen ist die Beklagte besonders anfällig dafür, in der Summe hohe Einbußen durch eine Vielzahl für sich genommen geringfügiger Schädigungen zu erleiden. Verstößt eine Arbeitnehmerin, deren originäre Aufgabe es ist, Einnahmen zu sichern und zu verbuchen, vorsätzlich und zur persönlichen Bereicherung gegen eine Pflicht, die gerade dem Schutz des Eigentums und Vermögens des Arbeitgebers oder eines Kunden dient, liegt darin regelmäßig ein erheblicher, das Vertrauen in ihre Redlichkeit beeinträchtigender Vertragsverstoß.

43

(2) Der Einwand der Klägerin, ein Vertrauen auf Seiten der Beklagten bestehe ohnehin nicht, wie die in den Märkten praktizierte Videoüberwachung zeige, geht fehl. Jeder Arbeitnehmer hat die Pflicht, sich so zu verhalten, dass es um seinetwillen einer Kontrolle nicht bedürfte. Erweist sich ein zunächst unspezifisches, nicht auf konkrete Personen bezogenes, generelles „Misstrauen“ des Arbeitgebers schließlich im Hinblick auf einen bestimmten Mitarbeiter als berechtigt, wird erst und nur dadurch das Vertrauen in dessen Redlichkeit tatsächlich erschüttert.

44

cc) Auch wenn deshalb das Verhalten der Klägerin das Vertrauensverhältnis zur Beklagten erheblich belastet hat, so hat das Landesarbeitsgericht doch den für die Klägerin sprechenden Besonderheiten nicht hinreichend Rechnung getragen.

45

(1) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Klägerin habe nicht damit rechnen können, die Beklagte werde ihr Verhalten auch nur einmalig hinnehmen, ohne eine Kündigung auszusprechen. Die Klägerin habe ihre Pflichten als Kassiererin „auf das Schwerste“ verletzt. Mit dieser Würdigung ist es den Besonderheiten des Streitfalls nicht ausreichend gerecht geworden. Die Klägerin hat an der Kasse in unmittelbarer Anwesenheit ihrer Vorgesetzten bei einer nicht befreundeten Kollegin unabgezeichnete Leergutbons eingelöst. Dass sie mangels Abzeichnung nach den betrieblichen Regelungen keinen Anspruch auf eine Gutschrift hatte, war für die Kassenmitarbeiterin und die Vorgesetzte offenkundig und nicht zu übersehen. Das wusste auch die Klägerin, die deshalb aus ihrer Sicht unweigerlich würde Aufmerksamkeit erregen und Nachfragen auslösen müssen. Das zeigt, dass sie ihr Verhalten - fälschlich - als notfalls tolerabel oder jedenfalls korrigierbar eingeschätzt haben mag und sich eines gravierenden Unrechts offenbar nicht bewusst war. Für den Grad des Verschuldens und die Möglichkeit einer Wiederherstellung des Vertrauens macht es objektiv einen Unterschied, ob es sich bei einer Pflichtverletzung um ein Verhalten handelt, das insgesamt - wie etwa der vermeintlich unbeobachtete Griff in die Kasse - auf Heimlichkeit angelegt ist oder nicht.

46

(2) Das Landesarbeitsgericht hat die Einmaligkeit der Pflichtverletzung und die als beanstandungsfrei unterstellte Betriebszugehörigkeit der Klägerin von gut drei Jahrzehnten zwar erwähnt, ihnen aber kein ausreichendes Gewicht beigemessen.

47

(a) Für die Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung kann es von erheblicher Bedeutung sein, ob der Arbeitnehmer bereits geraume Zeit in einer Vertrauensstellung beschäftigt war, ohne vergleichbare Pflichtverletzungen begangen zu haben. Das gilt auch bei Pflichtverstößen im unmittelbaren Vermögensbereich (Senat 13. Dezember 1984 - 2 AZR 454/83 - zu III 3 a der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 81 = EzA BGB § 626 nF Nr. 94). Eine für lange Jahre ungestörte Vertrauensbeziehung zweier Vertragspartner wird nicht notwendig schon durch eine erstmalige Vertrauensenttäuschung vollständig und unwiederbringlich zerstört. Je länger eine Vertragsbeziehung ungestört bestanden hat, desto eher kann die Prognose berechtigt sein, dass der dadurch erarbeitete Vorrat an Vertrauen durch einen erstmaligen Vorfall nicht vollständig aufgezehrt wird. Dabei kommt es nicht auf die subjektive Befindlichkeit und Einschätzung des Arbeitgebers oder bestimmter für ihn handelnder Personen an. Entscheidend ist ein objektiver Maßstab. Maßgeblich ist nicht, ob der Arbeitgeber hinreichendes Vertrauen in den Arbeitnehmer tatsächlich noch hat. Maßgeblich ist, ob er es aus der Sicht eines objektiven Betrachters haben müsste. Im Arbeitsverhältnis geht es nicht um ein umfassendes wechselseitiges Vertrauen in die moralischen Qualitäten der je anderen Vertragspartei. Es geht allein um die von einem objektiven Standpunkt aus zu beantwortende Frage, ob mit einer korrekten Erfüllung der Vertragspflichten zu rechnen ist.

48

(b) Die Klägerin hat durch eine beanstandungsfreie Tätigkeit als Verkäuferin und Kassiererin über dreißig Jahre hinweg Loyalität zur Beklagten gezeigt.

49

(aa) Der Senat hatte davon auszugehen, dass diese Zeit ohne rechtlich relevante Beanstandungen verlaufen ist. Gegenstand einer der Klägerin erteilten Abmahnung war eine vor Kunden abgegebene, abfällige Äußerung gegenüber einem Arbeitskollegen. Dieses Verhalten steht mit dem Kündigungsvorwurf in keinerlei Zusammenhang; im Übrigen wurde die Abmahnung ein Jahr später aus der Personalakte entfernt. Schon aus tatsächlichen Gründen unbeachtlich ist das Geschehen im Zusammenhang mit der Einlösung eines Sondercoupons im November 2007. Die Klägerin hat im Einzelnen und plausibel dargelegt, weshalb ihr dabei im Ergebnis keine Bonuspunkte zugeschrieben worden seien, die ihr nicht zugestanden hätten. Dem ist die Beklagte nicht hinreichend substantiiert entgegengetreten.

50

(bb) Das in dieser Beschäftigungszeit von der Klägerin erworbene Maß an Vertrauen in die Korrektheit ihrer Aufgabenerfüllung und in die Achtung der Vermögensinteressen der Beklagten schlägt hoch zu Buche. Angesichts des Umstands, dass nach zehn Tagen Wartezeit mit einer Nachfrage der in Wahrheit berechtigten Kunden nach dem Verbleib von Leergutbons über Cent-Beträge aller Erfahrung nach nicht mehr zu rechnen war, und der wirtschaftlichen Geringfügigkeit eines der Beklagten entstandenen Nachteils ist es höher zu bewerten als deren Wunsch, nur eine solche Mitarbeiterin weiterzubeschäftigen, die in jeder Hinsicht und ausnahmslos ohne Fehl und Tadel ist. Dieser als solcher berechtigte Wunsch macht der Beklagten die Weiterbeschäftigung der Klägerin trotz ihres Pflichtenverstoßes mit Blick auf die bisherige Zusammenarbeit nicht unzumutbar. Objektiv ist das Vertrauen in die Zuverlässigkeit der Klägerin nicht derart erschüttert, dass dessen vollständige Wiederherstellung und ein künftig erneut störungsfreies Miteinander der Parteien nicht in Frage käme.

51

(3) Das prozessuale Verteidigungsvorbringen der Klägerin steht dieser Würdigung nicht entgegen.

52

(a) Die Wirksamkeit einer Kündigung ist grundsätzlich nach den objektiven Verhältnissen im Zeitpunkt ihres Zugangs zu beurteilen. Dieser Zeitpunkt ist im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB sowohl für die Prüfung des Kündigungsgrundes als auch für die Interessenabwägung maßgebend. Umstände, die erst danach entstanden sind, können die bereits erklärte Kündigung nicht rechtfertigen. Sie können allenfalls als Grundlage für eine weitere Kündigung oder einen Auflösungsantrag nach §§ 9, 10 KSchG dienen(Senat 28. Oktober 1971 - 2 AZR 15/71 - zu II 2 d der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 62 = EzA BGB § 626 nF Nr. 9; 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - zu III der Gründe, BAGE 2, 245).

53

(b) Nachträglich eingetretene Umstände können nach der Rechtsprechung des Senats für die gerichtliche Beurteilung allerdings insoweit von Bedeutung sein, wie sie die Vorgänge, die zur Kündigung geführt haben, in einem neuen Licht erscheinen lassen (Senat 13. Oktober 1977 - 2 AZR 387/76 - zu III 3 d der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 1 = EzA BetrVG 1972 § 74 Nr. 3; 28. Oktober 1971 - 2 AZR 15/71 - zu II 2 d der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 62 = EzA BGB § 626 nF Nr. 9; 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - zu III der Gründe, BAGE 2, 245). Dazu müssen zwischen den neuen Vorgängen und den alten Gründen so enge innere Beziehungen bestehen, dass jene nicht außer Acht gelassen werden können, ohne dass ein einheitlicher Lebensvorgang zerrissen würde (Senat 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - aaO; ErfK/Müller-Glöge 10. Aufl. § 626 Rn. 54; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 177; SPV/Preis 10. Aufl. Rn. 551; vgl. auch Walker NZA 2009, 921, 922). Es darf aber nicht etwa eine ursprünglich unbegründete Kündigung durch die Berücksichtigung späteren Verhaltens rückwirkend zu einer begründeten werden (Senat 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - aaO). Außerdem ist genau zu prüfen, welche konkreten Rückschlüsse auf den Kündigungsgrund späteres Verhalten wirklich erlaubt. Im Hinblick auf prozessuales Vorbringen (vgl. Senatsentscheidungen vom 24. November 2005 - 2 AZR 39/05 - AP BGB § 626 Nr. 197 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 12 und 3. Juli 2003 - 2 AZR 437/02 - AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 38 = EzA KSchG § 1 Verdachtskündigung Nr. 2)gilt nichts anderes.

54

(c) Danach kommt dem Prozessverhalten der Klägerin keine ihre Pflichtverletzung verstärkende Bedeutung zu. Es ist nicht geeignet, den Kündigungssachverhalt als solchen zu erhellen. Der besteht darin, dass die Klägerin unberechtigterweise ihr nicht gehörende Leergutbons zweier Kunden zum eigenen Vorteil eingelöst hat.

55

(aa) Dieser Vorgang erscheint insbesondere im Hinblick auf eine Wiederholungsgefahr nicht dadurch in einem anderen, für die Klägerin ungünstigeren Licht, dass diese zunächst die Identität der von ihr eingelösten und der im Kassenbüro aufbewahrten Bons bestritten hat. Das Gleiche gilt im Hinblick darauf, dass die Klägerin auch noch im Prozessverlauf die Möglichkeit bestimmter Geschehensabläufe ins Spiel gebracht hat, die erklären könnten, weshalb sie - wie sie stets behauptet hat - selbst bei Identität der Bons nicht wusste, dass sie ihr nicht gehörende Bons einlöste. Die von der Klägerin aufgezeigten Möglichkeiten einschließlich der einer gegen sie geführten Intrige mögen sich wegen der erforderlich gewordenen Befragungen der betroffenen Arbeitnehmer nachteilig auf den Betriebsfrieden ausgewirkt haben. Dies war aber nicht Kündigungsgrund. Unabhängig davon zielte das Verteidigungsvorbringen der Klägerin erkennbar nicht darauf, Dritte einer konkreten Pflichtverletzung zu bezichtigen. Der Kündigungsgrund wird auch nicht dadurch klarer, dass die Klägerin die Rechtsauffassung vertreten hat, erstmalige Vermögensdelikte zulasten des Arbeitgebers könnten bei geringem wirtschaftlichem Schaden eine außerordentliche Kündigung ohne vorausgegangene Abmahnung nicht rechtfertigen. Damit hat sie lediglich in einer rechtlich umstrittenen Frage einen für sie günstigen Standpunkt eingenommen. Daraus kann nicht abgeleitet werden, sie werde sich künftig bei Gelegenheit in gleicher Weise vertragswidrig verhalten.

56

(bb) Das Prozessverhalten der Klägerin mindert ebenso wenig das bei der Interessenabwägung zu berücksichtigende Maß des verbliebenen Vertrauens. Auch für dessen Ermittlung ist auf den Zeitpunkt des Kündigungszugangs abzustellen. Aus dieser Perspektive und im Hinblick auf den bis dahin verwirklichten Kündigungssachverhalt ist zu fragen, ob mit der Wiederherstellung des Vertrauens in eine künftig korrekte Vertragserfüllung gerechnet werden kann. In dieser Hinsicht ist das Verteidigungsvorbringen der Klägerin ohne Aussagekraft. Ihr wechselnder Vortrag und beharrliches Leugnen einer vorsätzlichen Pflichtwidrigkeit lassen keine Rückschlüsse auf ihre künftige Zuverlässigkeit als Kassiererin zu. Das gilt gleichermaßen für mögliche, während des Prozesses aufgestellte Behauptungen der Klägerin über eine ihr angeblich von der Kassenleiterin angetragene Manipulation im Zusammenhang mit der Einlösung von Sondercoupons im November 2007 und mögliche Äußerungen gegenüber Pressevertretern.

57

(cc) Anders als die Beklagte meint, wird dadurch nicht Verstößen gegen die prozessuale Wahrheitspflicht „Tür und Tor geöffnet“. Im Fall eines bewusst wahrheitswidrigen Vorbringens besteht die Möglichkeit, eine weitere Kündigung auszusprechen oder einen Auflösungsantrag nach §§ 9, 10 KSchG anzubringen. Dabei kann nicht jeder unzutreffende Parteivortrag als „Lüge“ bezeichnet werden. Die Wahrnehmung eines Geschehens ist generell nicht unbeeinflusst vom äußeren und inneren Standpunkt des Wahrnehmenden. Gleiches gilt für Erinnerung und Wiedergabe, zumal in einem von starker Polarität geprägten Verhältnis, wie es zwischen Prozessparteien häufig besteht. Wenn sich das Gericht nach den Regeln des Prozessrechts in §§ 138, 286 ZPO die - rechtlich bindende, aber um deswillen nicht der Gefahr des Irrtums enthobene - Überzeugung bildet, ein bestimmter Sachverhalt habe sich so und nicht anders zugetragen, ist damit die frühere, möglicherweise abweichende Darstellung einer Partei nicht zugleich als gezielte Irreführung des Gerichts oder der Gegenpartei ausgewiesen. Es bedarf vielmehr besonderer Anhaltspunkte, um einen solchen - schweren - Vorwurf zu begründen.

58

B. Die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung zum 30. September 2008 ist unwirksam. Auch dies vermag der Senat selbst zu entscheiden. Die Kündigung ist sozial ungerechtfertigt. Sie ist nicht durch Gründe im Verhalten der Klägerin iSv. § 1 Abs. 2 KSchG bedingt. Sie ist auf denselben Lebenssachverhalt gestützt wie die außerordentliche Kündigung. Der Beklagten war es aus den dargelegten Gründen zuzumuten, auf das mildere Mittel der Abmahnung zurückzugreifen.

59

C. Der Antrag auf Beschäftigung, der sich ersichtlich auf die Dauer des Kündigungsrechtsstreits beschränkte, kommt wegen der Beendigung des Verfahrens nicht mehr zum Tragen.

        

    Kreft    

        

    Schmitz-Scholemann    

        

    Berger    

        

        

        

    Torsten Falke    

        

    Bartz    

                 

Tenor

1. Die Revisionen der Beklagten und der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 13. November 2008 - 11 Sa 820/08 - werden zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Revisionsverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit zweier außerordentlicher, hilfsweise ordentlicher Kündigungen.

2

Die Beklagte betreibt einen ambulanten Pflegedienst. Die Klägerin war bei ihr seit dem 1. Juli 2006 als Diplomsozialarbeiterin beschäftigt. Sie betreute psychisch kranke Menschen und Suchtkranke in deren Wohnungen(ambulant betreutes Wohnen) und hatte zuletzt einen regelmäßigen Patientenstamm von elf Personen.

3

Die Klägerin reichte im September 2007 eine „Überlastungsanzeige“ ein. Daraufhin kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 20. September 2007 fristlos, hilfsweise fristgemäß wegen „bestehender Differenzen“ und „mangelnder Fähigkeit“ der Klägerin, sich in bestehende Strukturen einzufinden. Die Klägerin erhob Kündigungsschutzklage.

4

Am 21. September 2007 kündigten sieben von der Klägerin betreute Patienten ihren mit der Beklagten bestehenden Betreuungsvertrag fristlos. Die von den Patienten handschriftlich verfassten Kündigungsschreiben hatte die Klägerin zur Post gegeben. Am gleichen Tag erhielt die Klägerin von einem Konkurrenzunternehmen der Beklagten, der Firma „S“, per E-Mail eine Einstellungszusage, in der von einer „Übernahme“ namentlich genannter Patienten der Klägerin die Rede war. Mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 24. September 2007 forderte die Beklagte die Klägerin auf, den Kontakt zu ihren Patienten und deren Betreuern sofort einzustellen sowie das Abwerben von Klienten zu unterlassen. Nachdem die Beklagte die Kündigung vom 20. September 2007 mit Zustimmung der Klägerin zurückgezogen hatte, nahm diese ihre Kündigungsschutzklage zurück.

5

Am 19. Oktober 2007 wurde die Beklagte darüber informiert, dass eine von der Klägerin betreute Patientin zur Firma „S“ gewechselt sei. Die rechtliche Betreuerin dieser Patientin übermittelte der Beklagten eine von der Klägerin verfasste E-Mail vom 24. September 2007, in der diese sich dafür entschuldigt hatte, den Wechsel zur Firma „S“ ohne vorherige Rücksprache mit ihr - der Betreuerin - durchgeführt zu haben. Der E-Mail war ein Betreuungsvertrag der Firma „S“ beigefügt.

6

Mit Schreiben vom 24. Oktober 2007 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien außerordentlich, hilfsweise ordentlich zum 30. November 2007.

7

Am 31. Oktober 2007 erhielt die Beklagte Kenntnis von einer weiteren E-Mail der Klägerin, die diese an die Betreuerin gerichtet hatte. Darin teilte sie mit, dass eine Beschäftigung bei der Firma „S“ nicht zustande gekommen sei, sie einen Antrag auf Zulassung als Leistungsanbieter für ambulantes betreutes Wohnen gestellt habe und sie ihre (ehemaligen) Patienten bei der Regelung ihres Alltags weiterhin - unentgeltlich - unterstützen werde. Die Beklagte kündigte daraufhin das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 2. November 2007 erneut fristlos, hilfsweise ordentlich zum 30. November 2007.

8

Die Klägerin hat sich mit ihrer Kündigungsschutzklage gegen beide Kündigungen gewandt und die Auffassung vertreten, ein Grund zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses liege nicht vor. Sie habe weder eine Konkurrenztätigkeit ausgeübt oder vorbereitet noch aktiv Patienten abgeworben. Sie habe auch die Kündigungen der Betreuungsverträge durch ihre Patienten nicht forciert; diese hätten aus Unzufriedenheit und wegen des ständigen Wechsels der Bezugspersonen aus eigenem Entschluss gekündigt. Sie sei lediglich gebeten worden, die Kündigungsschreiben zur Post zu bringen. Das Angebot der Firma „S“ habe sie angenommen, um einen Verzugsschaden im Interesse der Beklagten gering zu halten. Im Übrigen sei die außerordentliche Kündigung schon wegen Versäumung der zweiwöchigen Ausschlussfrist unwirksam. Die Beklagte habe bereits bei der Teambesprechung am 21. September 2007 von den aus ihrer Sicht kündigungsrelevanten Tatsachen Kenntnis gehabt. Das Schreiben des Prozessbevollmächtigten der Beklagten vom 24. September 2007 zeige, dass dieser der Kündigungssachverhalt spätestens am 24. September 2007 bekannt gewesen sei.

9

Die Klägerin hat - soweit in der Revisionsinstanz noch von Bedeutung - beantragt

        

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die Kündigung vom 24. Oktober 2007 noch durch die Kündigung vom 2. November 2007 beendet worden ist.

10

Die Beklagte hat die Abweisung der Klage beantragt. Sie hat die Ansicht vertreten, sie habe das Arbeitsverhältnis wegen schwerwiegender Vertragspflichtverletzungen fristlos beenden dürfen. Die Klägerin sei zu einem Konkurrenzunternehmen gewechselt und habe diesem Patientendaten weitergegeben sowie Betreuungsverträge ihrer ehemaligen Patienten vermittelt. Davon habe sie erst am 19. Oktober 2007 erfahren. Die fristlose Kündigung vom 2. November 2007 sei berechtigt, weil die Klägerin sich habe selbständig machen und dazu ihre Patienten habe mitnehmen wollen.

11

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landesarbeitsgericht festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die außerordentlichen Kündigungen vom 24. Oktober 2007 und 2. November 2007 nicht aufgelöst worden ist, hat aber im Übrigen die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Dagegen haben beide Parteien Revision eingelegt. Die Klägerin begehrt, ihrer Klage in vollem Umfang stattzugeben, die Beklagte, das Urteil des Arbeitsgerichts vollständig wiederherzustellen.

Entscheidungsgründe

12

Die Revisionen haben keinen Erfolg.

13

A. Die Revisionen sind zulässig. Das gilt auch für die Revision der Beklagten. Deren Revisionsbegründung ist zwar erst einen Tag nach Ablauf der bis zum 2. März 2009 verlängerten Revisionsbegründungsfrist beim Bundesarbeitsgericht eingegangen. Ihr war aber nach § 233 ZPO Wiedereinsetzung in diese Frist zu gewähren.

14

Die Beklagte war ohne ihr Verschulden verhindert, die Frist zur Revisionsbegründung nach § 74 Abs. 1 ArbGG einzuhalten. Sie hat glaubhaft gemacht, dass ihr Prozessbevollmächtigter einen korrekt adressierten, die Revisionsbegründung enthaltenden Brief am 26. Februar 2009 der Deutschen Post AG übergeben hat, sodass er bei normaler Postlaufzeit vor Fristablauf am 2. März 2009 beim Revisionsgericht hätte rechtzeitig eingehen müssen. Die versäumte Frist ist somit allein auf eine verzögerte Zustellung zurückzuführen. Der Beklagten sind solche Verzögerungen nicht zuzurechnen. Sie durfte darauf vertrauen, dass die von der Deutschen Post AG für den Normalfall zugesagten Postlaufzeiten eingehalten würden. In ihrem Verantwortungsbereich lag es allein, das Schriftstück ordnungsgemäß und so rechtzeitig aufzugeben, dass es nach den organisatorischen und betrieblichen Vorkehrungen der Deutschen Post AG das Revisionsgericht fristgerecht erreichen konnte(vgl. BVerfG 7. Januar 2003 - 2 BvR 447/02 - zu II 1 der Gründe, NJW 2003, 1516; BAG 7. Juni 2000 - 10 AZR 419/99 - zu II der Gründe; BGH 20. Mai 2009 - IV ZB 2/08 - Rn. 8, NJW 2009, 2379).

15

B. Die Revisionen sind nicht begründet. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht angenommen, dass die außerordentlichen fristlosen Kündigungen vom 24. Oktober 2007 und vom 2. November 2007 rechtsunwirksam sind, das Arbeitsverhältnis der Parteien aber durch die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung vom 24. Oktober 2007 mit dem 30. November 2007 beendet worden ist.

16

I. Die außerordentliche fristlose Kündigung vom 24. Oktober 2007 ist rechtsunwirksam. Es liegt kein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB vor.

17

1. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann.

18

a) Die erforderliche Prüfung, ob ein gegebener Lebenssachverhalt einen wichtigen Grund in diesem Sinne darstellt, vollzieht sich zweistufig. Zunächst ist zu prüfen, ob ein bestimmter Sachverhalt ohne die besonderen Umstände des Einzelfalls als wichtiger Kündigungsgrund an sich geeignet ist. Ist dies der Fall, bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist oder nicht(st. Rspr., vgl. Senat 10. Dezember 2009 - 2 AZR 534/08 - Rn. 13 mwN, DB 2010, 1128).

19

b) Die Anwendung des unbestimmten Rechtsbegriffs des wichtigen Grundes ist vorrangig Sache des Tatsachengerichts. Sie wird im Revisionsverfahren nur daraufhin überprüft, ob das angefochtene Urteil den Rechtsbegriff selbst verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnorm Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob es alle vernünftigerweise in Betracht kommenden Umstände, die für oder gegen die außerordentliche Kündigung sprechen, widerspruchsfrei beachtet hat(Senat 10. Dezember 2009 - 2 AZR 534/08 - Rn. 14, DB 2010, 1128; 2. März 2006 - 2 AZR 53/05 - AP BGB § 626 Krankheit Nr. 14 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 16).

20

2. Diesem eingeschränkten Prüfungsmaßstab hält die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts stand. Zwar hat die Klägerin ihre vertraglichen Pflichten verletzt, indem sie mit der Annahme des Vertragsangebots und Übergabe der Patientendaten an die Firma „S“ der Beklagten noch während des laufenden Kündigungsschutzprozesses Konkurrenz gemacht hat. Ein solcher Pflichtenverstoß kommt als wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB in Betracht(Senat 26. Juni 2008 - 2 AZR 190/07 - Rn. 15, AP BGB § 626 Nr. 213 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 21; 21. November 1996 - 2 AZR 852/95 - Rn. 20, EzA BGB § 626 nF Nr. 162). Gleichwohl ist die Ansicht des Landesarbeitsgerichts, eine außerordentliche Kündigung sei unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls nicht gerechtfertigt, revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

21

a) Der Arbeitnehmer verletzt seine Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitgebers aus § 241 Abs. 2 BGB erheblich, wenn er während des bestehenden Arbeitsverhältnisses eine Konkurrenztätigkeit ausübt.

22

aa) Während des rechtlichen Bestehens eines Arbeitsverhältnisses ist einem Arbeitnehmer grundsätzlich jede Konkurrenztätigkeit zum Nachteil seines Arbeitgebers untersagt(st. Rspr., Senat 26. Juni 2008 - 2 AZR 190/07 - Rn. 15 mwN, AP BGB § 626 Nr. 213 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 21). Die für Handlungsgehilfen geltende Regelung des § 60 Abs. 1 HGB konkretisiert einen allgemeinen Rechtsgedanken. Der Arbeitgeber soll vor Wettbewerbshandlungen seines Arbeitnehmers geschützt werden. Der Arbeitnehmer darf im Marktbereich seines Arbeitgebers Dienste und Leistungen nicht Dritten anbieten. Dem Arbeitgeber soll dieser Bereich uneingeschränkt und ohne die Gefahr einer nachteiligen Beeinflussung durch den Arbeitnehmer offenstehen (Senat 21. November 1996 - 2 AZR 852/95 - Rn. 20, EzA BGB § 626 nF Nr. 162; 26. Januar 1995 - 2 AZR 355/94 - Rn. 21, EzA BGB § 626 nF Nr. 155). Dem Arbeitnehmer ist aufgrund des Wettbewerbsverbots nicht nur eine Konkurrenztätigkeit im eigenen Namen und Interesse untersagt. Ihm ist ebenso wenig gestattet, einen Wettbewerber des Arbeitgebers zu unterstützen (Senat 21. November 1996 - 2 AZR 852/95 - Rn. 20, aaO; BAG 16. Januar 1975 - 3 AZR 72/74 - AP HGB § 60 Nr. 8). Allerdings darf er, wenn ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot nach § 74 HGB nicht vereinbart ist, schon vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses für die Zeit nach seinem Ausscheiden die Gründung eines eigenen Unternehmens oder den Wechsel zu einem Konkurrenzunternehmen vorbereiten(vgl. Senat 26. Juni 2008 - 2 AZR 190/07 - Rn. 15 mwN, aaO). Verboten ist lediglich die Aufnahme einer werbenden Tätigkeit, zB durch Vermittlung von Konkurrenzgeschäften oder aktives Abwerben von Kunden. Bloße Vorbereitungshandlungen, die in die Interessen des Arbeitgebers nicht unmittelbar eingreifen, erfüllen diese Voraussetzungen nicht (Senat 26. Juni 2008 - 2 AZR 190/07 - Rn. 15, aaO).

23

bb) Das vertragliche Wettbewerbsverbot gilt während der gesamten rechtlichen Dauer des Arbeitsverhältnisses. Deshalb darf ein Arbeitnehmer grundsätzlich auch nach Ausspruch einer von ihm gerichtlich angegriffenen außerordentlichen Kündigung des Arbeitgebers keine Konkurrenztätigkeit ausgeübt haben, wenn die Kündigung sich später als unwirksam herausstellt. Er ist in der Regel auch während des Kündigungsschutzprozesses an das vertragliche Wettbewerbsverbot gebunden(Senat 25. April 1991 - 2 AZR 624/90 - AP BGB § 626 Nr. 104 = EzA BGB § 626 nF Nr. 140). Dies gilt unabhängig davon, ob eine Karenzentschädigung angeboten (aA LAG Köln 4. Juli 1995 - 9 Sa 484/95 - zu II der Gründe, AP HGB § 75 Nr. 9; APS/Dörner 3. Aufl. § 1 KSchG Rn. 325) oder er vorläufig weiterbeschäftigt wird (aA MünchKommBGB/Henssler 5. Aufl. § 626 BGB Rn. 124).

24

b) Ob das Wettbewerbsverbot im gekündigten Arbeitsverhältnis in jeder Hinsicht gleich weit reicht wie in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis braucht im Streitfall nicht entschieden zu werden. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht angenommen, dass die Klägerin jedenfalls durch die Weitergabe der persönlichen Daten von Patienten an die Firma „S“ ihre Vertragspflichten schuldhaft verletzt hat(§ 241 Abs. 2 BGB). Auf diese Weise hat sie nicht lediglich ihre Arbeitskraft verwertet, sondern die berechtigten wirtschaftlichen Interessen der Beklagten unmittelbar gefährdet. Es bestand zu befürchten, dass die Patienten dauerhaft zu dem (vermeintlich) neuen Arbeitgeber der Klägerin und somit zu einem Konkurrenzunternehmen wechseln würden. Dieses Verhalten der Klägerin ist nicht wegen § 615 Satz 2 BGB gerechtfertigt. Im Unterlassen vertragswidriger Konkurrenztätigkeit liegt kein böswilliges Unterlassen anderweitigen Erwerbs. Die Klägerin war deshalb nicht etwa gehalten, das Angebot der Firma „S“ anzunehmen, insbesondere nicht, dieser Patientendaten zur Verfügung zu stellen.

25

c) Dennoch durfte das Landesarbeitsgericht annehmen, dass der Beklagten unter Berücksichtigung der beiderseitigen Interessen eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zumindest bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zuzumuten war.

26

aa) Die bei der Interessenabwägung zu berücksichtigenden Umstände lassen sich nicht abschließend und für alle Fälle einheitlich festlegen. Geht es um die Beurteilung rechtswidrigen schuldhaften Verhaltens des Arbeitnehmers, sind aber stets die beanstandungsfreie Dauer des Arbeitsverhältnisses, das Gewicht und die nachteiligen Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, eine mögliche Wiederholungsgefahr und der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers zu berücksichtigen(vgl. Senat 26. März 2009 - 2 AZR 953/07 - Rn. 28, AP BGB § 626 Nr. 220; 10. November 2005 - 2 AZR 623/04 - Rn. 38, AP BGB § 626 Nr. 196 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 11).

27

bb) Dem wird die Interessenabwägung des Landesarbeitsgerichts gerecht. Entgegen der Ansicht der Beklagten lässt sie keine wesentlichen Umstände außer Acht. Das Landesarbeitsgericht hat das Gewicht und die negativen Auswirkungen der Vertragspflichtverletzung für die Beklagte und den Grad des Verschuldens der Klägerin beachtet. Es hat nicht übersehen, dass die Klägerin versucht hat, die von ihr betreuten Patienten - gleichsam als „Startkapital“ - zur Firma „S“ mitzunehmen. Zwar hat es sich in seiner Abwägung mit diesem Gesichtspunkt nicht ausdrücklich auseinandergesetzt. Dennoch hat es ihn tatsächlich berücksichtigt. Dies zeigen seine Ausführungen unter B I 2 der Entscheidungsgründe, wo - wenn auch in anderem Zusammenhang - die „Mitnahme von Patientendaten“ als ein gewichtiger Umstand gegen die Klägerin in Ansatz gebracht wird. Die Beklagte zeigt nicht auf, dass das Landesarbeitsgericht diesen Umstand auch angesichts der schwierigen Situation, in die sie selbst die Klägerin durch den Ausspruch der später zurückgezogenen fristlosen Kündigung gebracht hatte, unzureichend gewichtet hätte.

28

II. Die außerordentliche fristlose Kündigung vom 2. November 2007 ist aus den gleichen Gründen rechtsunwirksam. Soweit die Beklagte sie ergänzend darauf gestützt hat, dass die Klägerin beim Landschaftsverband einen Antrag auf Zulassung als „Leistungsanbieter im ambulant betreuten Wohnen“ gestellt und damit eine konkurrierende Selbständigkeit geplant habe, liegt kein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB vor. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht darin noch keine unzulässige Konkurrenztätigkeit, sondern lediglich eine zulässige Vorbereitungshandlung gesehen.

29

Dem Arbeitnehmer ist es, wie dargelegt, während der rechtlichen Dauer des Arbeitsverhältnisses grundsätzlich nicht untersagt, eine spätere konkurrierende Selbständigkeit vorzubereiten, solange er nicht eine werbende Tätigkeit bereits aufnimmt(siehe B I 2 a aa der Gründe). Allein mit dem Antrag beim Landschaftsverband, sie als Leistungserbringerin zuzulassen, hat die Klägerin im Geschäftszweig der Beklagten noch nicht aktiv Wettbewerb betrieben und ihr Konkurrenz gemacht. Damit ist keine - weitere - Vertragspflichtverletzung gegeben, die die Beklagte zur außerordentlichen, fristlosen Kündigung des Arbeitsverhältnisses berechtigen würde.

30

III. Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung der Beklagten vom 24. Oktober 2007 mit Ablauf der gesetzlichen Kündigungsfrist am 30. November 2007 rechtswirksam beendet worden. Die Kündigung ist durch Gründe im Verhalten der Klägerin iSd. § 1 Abs. 2 KSchG bedingt.

31

1. Eine Kündigung ist aus Gründen im Verhalten des Arbeitnehmers iSv. § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt, wenn der Arbeitnehmer eine Vertragspflicht - in der Regel schuldhaft - erheblich verletzt hat, das Arbeitsverhältnis dadurch auch künftig konkret beeinträchtigt wird, eine zumutbare Möglichkeit einer anderen, weitere Störungen zuverlässig ausschließenden Beschäftigung nicht besteht und die Lösung des Arbeitsverhältnisses in Abwägung der Interessen beider Vertragsteile billigenswert und angemessen erscheint(Senat 10. September 2009 - 2 AZR 257/08 - Rn. 12, EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 77; 31. Mai 2007 - 2 AZR 200/06 - Rn. 14, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 57 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 71).

32

2. Auf der Basis des vom Landesarbeitsgericht festgestellten Sachverhalts sind die Voraussetzungen für die soziale Rechtfertigung einer verhaltensbedingten Kündigung erfüllt.

33

a) Die Klägerin hat - wie dargelegt - durch die Übermittlung der Daten der von ihr betreuten Patienten an ein Konkurrenzunternehmen ihre sich aus § 241 Abs. 2 BGB ergebende Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Belange der Beklagten verletzt.

34

b) Es bedurfte vor dem Ausspruch der Kündigung keiner vorherigen Abmahnung. Sie war entbehrlich, weil die Beklagte angesichts der von der Klägerin begangenen Pflichtverletzung annehmen durfte, die Klägerin werde sich in einer vergleichbaren Situation auch künftig und auch nach der vorausgegangenen Androhung einer Kündigung nicht anders verhalten. Der Klägerin war die Rechtswidrigkeit ihres Handelns ohne Weiteres erkennbar. Selbst mit einer erstmaligen Hinnahme ihres Verhaltens durch die Beklagte konnte sie nicht rechnen.

35

c) Die im Rahmen des § 1 Abs. 2 KSchG erforderliche Interessenabwägung führt nicht zur Sozialwidrigkeit der Kündigung. Die vom Landesarbeitsgericht vorgenommene Abwägung hält sich innerhalb des tatrichterlichen Beurteilungsspielraums.

36

Das Berufungsgericht hat alle wesentlichen Umstände in Erwägung gezogen. Zugunsten der Klägerin hat es auch die durch den Ausspruch der später zurückgezogenen ersten Kündigung verursachte finanzielle Zwangslage berücksichtigt. Seine Bewertung, der Beklagten könne gleichwohl eine dauerhafte Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Landesarbeitsgericht hat den Grad des Verschuldens der Klägerin und deren relativ kurze Betriebszugehörigkeit berücksichtigt und in vertretbarer Weise gegen die Belange der Beklagten abgewogen.

37

Soweit die Klägerin geltend macht, das Landesarbeitsgericht hätte berücksichtigen müssen, dass zwischen ihr und ihren ehemaligen Patienten ein besonderes Vertrauensverhältnis bestanden habe, zeigt sie kein Abwägungsdefizit auf. Das besondere Vertrauensverhältnis zu den Patienten hat keinen Einfluss auf die sich aus dem Arbeitsvertrag ergebenden Verpflichtungen der Parteien. Dass sie zur Abwendung einer ansonsten drohende unmittelbaren Gefahr für die Patienten überhaupt nicht anders hätte handeln können, hat die Klägerin nicht dargelegt.

38

C. Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 ZPO.

        

    Kreft    

        

    Schmitz-Scholemann    

        

    Eylert    

        

        

        

    Röder    

        

    Niebler    

                 

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

Tenor

1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 24. Februar 2009 - 7 Sa 2017/08 - aufgehoben.

2. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 21. August 2008 - 2 Ca 3632/08 - abgeändert:

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die fristlose Kündigung, noch durch die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung vom 22. Februar 2008 aufgelöst worden ist.

3. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung.

2

Die 1958 geborene Klägerin war seit April 1977 bei der Beklagten und deren Rechtsvorgängerinnen als Verkäuferin mit Kassentätigkeit beschäftigt.

3

Die Beklagte ist ein überregional vertretenes Einzelhandelsunternehmen. In einigen ihrer Filialen, so auch in der Beschäftigungsfiliale der Klägerin, besteht die Möglichkeit, Leergut an einem Automaten gegen Ausstellung eines Leergutbons zurückzugeben. Wird ein solcher Bon an der Kasse eingelöst, ist er von der Kassiererin/dem Kassierer abzuzeichnen. Mitarbeiter der Filiale sind angewiesen, mitgebrachtes Leergut beim Betreten des Markts dem Filialleiter vorzuzeigen und einen am Automaten erstellten Leergutbon durch den Leiter gesondert abzeichnen zu lassen, bevor sie den Bon an der Kasse einlösen. Dort wird er wie ein Kundenbon ein weiteres Mal abgezeichnet. Diese Regelungen, die Manipulationen beim Umgang mit Leergut ausschließen sollen, sind der Klägerin bekannt.

4

Im Herbst 2007 beteiligte sich die Klägerin mit weiteren sieben von insgesamt 36 Beschäftigten ihrer Filiale an einem gewerkschaftlich getragenen Streik. Während die Streikbereitschaft anderer Arbeitnehmer mit der Zeit nachließ, nahm die Klägerin bis zuletzt an den Maßnahmen teil. Im Januar 2008 lud der Filialleiter Beschäftigte, die sich nicht am Arbeitskampf beteiligt hatten, zu einer Feier außer Hause ein. Aus diesem Grund wurde er später von der Beklagten abgemahnt und in eine andere Filiale versetzt.

5

Am 12. Januar 2008 fand eine Mitarbeiterin im Kassenbereich einer separaten Backtheke zwei nicht abgezeichnete Leergutbons im Wert von 0,48 Euro und 0,82 Euro. Sie trugen das Datum des Tages und waren im Abstand von ca. einer Dreiviertelstunde am Automaten erstellt worden. Die Mitarbeiterin legte die Bons dem Filialleiter vor. Dieser reichte sie an die Klägerin mit der Maßgabe weiter, sie im Kassenbüro aufzubewahren für den Fall, dass sich noch ein Kunde melden und Anspruch darauf erheben würde; andernfalls sollten sie als „Fehlbons“ verbucht werden. Die Klägerin legte die Bons auf eine - für alle Mitarbeiter zugängliche und einsehbare - Ablage im Kassenbüro.

6

Am 22. Januar 2008 kaufte die Klägerin in der Filiale außerhalb ihrer Arbeitszeit privat ein. An der Kasse überreichte sie ihrer Kollegin zwei nicht abgezeichnete Leergutbons. Laut Kassenjournal wurden diese mit Werten von 0,48 Euro und 0,82 Euro registriert. Beim Kassieren war auch die Kassenleiterin und Vorgesetzte der Klägerin anwesend.

7

Zur Klärung der Herkunft der eingereichten Bons führte die Beklagte mit der Klägerin ab dem 25. Januar 2008 insgesamt vier Gespräche, an denen - außer am ersten Gespräch - jeweils zwei Mitglieder des Betriebsrats teilnahmen. Sie hielt ihr vor, die eingelösten Bons seien nicht abgezeichnet gewesen und stimmten hinsichtlich Wert und Ausgabedatum mit den im Kassenbüro aufbewahrten Bons überein. Es bestehe der dringende Verdacht, dass sie - die Klägerin - die dort abgelegten „Kundenbons“ an sich genommen und zu ihrem Vorteil verwendet habe. Die Klägerin bestritt dies und erklärte, selbst wenn die Bons übereinstimmten, bestehe die Möglichkeit, dass ihr entsprechende Bons durch eine ihrer Töchter oder durch Dritte zugesteckt worden seien. Beispielsweise habe sie am 21. oder 22. Januar 2008 einer Arbeitskollegin ihre Geldbörse ausgehändigt mit der Bitte, diese in ihren Spind zu legen. Die Beklagte legte der Klägerin nahe, zur Untermauerung ihrer Behauptung eine eidesstattliche Erklärung einer Tochter beizubringen. Außerdem befragte sie die benannte Kollegin, die die Angaben der Klägerin bestritt. Beim letzten, am 15. Februar 2008 geführten Gespräch überreichte die Klägerin eine schriftliche Erklärung, mit der eine ihrer Töchter bestätigte, bei der Beklagten hin und wieder für ihre Mutter einzukaufen, dabei auch Leergut einzulösen und „Umgang“ mit der Geldbörse ihrer Mutter „pflegen zu dürfen“.

8

Mit Schreiben vom 18. Februar 2008 hörte die Beklagte den Betriebsrat zu einer beabsichtigten außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung, gestützt auf den Verdacht der Einlösung der Bons, an. Der Betriebsrat äußerte Bedenken gegen die fristlose Kündigung, einer ordentlichen Kündigung widersprach er und verwies auf die Möglichkeit einer gegen die Klägerin gerichteten Intrige.

9

Mit Schreiben vom 22. Februar 2008 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos, hilfsweise fristgemäß zum 30. September 2008.

10

Die Klägerin hat Kündigungsschutzklage erhoben. Sie hat behauptet, sie habe jedenfalls nicht bewusst Leergutbons eingelöst, die ihr nicht gehörten. Sollte es sich bei den registrierten Bons tatsächlich um die im Kassenbüro abgelegten Bons gehandelt haben, müsse auch die Möglichkeit eines Austauschs der Bons während des Kassiervorgangs in Betracht gezogen werden. Denkbares Motiv hierfür sei ihre Streikteilnahme, die ohnehin der wahre Grund für die Kündigung sei. Anders sei nicht zu erklären, weshalb ihre Kollegin und die Vorgesetzte sie - unstreitig - nicht bereits beim Kassieren oder unmittelbar anschließend auf die fehlende Abzeichnung der überreichten Leergutbons angesprochen hätten. Angesichts der streikbedingt aufgetretenen Spannungen unter den Filialmitarbeitern sei es lebensfremd anzunehmen, sie habe ausgerechnet bei einer Kollegin, mit der sie im Streit gestanden habe, und in Anwesenheit ihrer Vorgesetzten die im Kassenbüro verwahrten, nicht abgezeichneten Bons eingelöst. Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, eine Verdachtskündigung sei wegen der in Art. 6 Abs. 2 EMRK verankerten Unschuldsvermutung ohnehin unzulässig. Das gelte in besonderem Maße, wenn sich der Verdacht auf die Entwendung einer nur geringwertigen Sache beziehe. Selbst bei nachgewiesener Tat sei in einem solchen Fall ein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB nicht gegeben. Zumindest sei in ihrem Fall die Kündigung in Anbetracht der Einmaligkeit des Vorfalls und ihrer langen Betriebszugehörigkeit unangemessen, zumal der Beklagten kein Schaden entstanden sei.

11

Die Klägerin hat beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis weder durch die fristlose, noch durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 22. Februar 2008 aufgelöst worden ist;

        

2.    

die Beklagte zu verurteilen, sie entsprechend den arbeitsvertraglichen Bedingungen als Verkäuferin mit Kassentätigkeit zu beschäftigen.

12

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat geltend gemacht, es bestehe der dringende Verdacht, dass die Klägerin die im Kassenbüro hinterlegten Leergutbons für sich verwendet habe. Dafür sprächen die in der Anhörung angeführten Tatsachen sowie der Umstand, dass diese Bons bei einer unmittelbar nach dem Einkauf der Klägerin durchgeführten Suche nicht mehr auffindbar gewesen seien. Es sei auch das mehrfach geänderte Verteidigungsvorbringen der Klägerin zu berücksichtigen, das sich in keinem Punkt als haltbar erwiesen habe. Damit sei das Vertrauen in die redliche Ausführung der Arbeitsaufgaben durch die Klägerin unwiederbringlich zerstört. Das Arbeitsverhältnis sei auch nicht unbelastet verlaufen. Sie habe die Klägerin im Jahr 2005 wegen ungebührlichen Verhaltens gegenüber einem Arbeitskollegen abgemahnt. Außerdem habe die Klägerin, wie ihr erst nachträglich bekannt geworden sei, am 22. November 2007 bei einem privaten Einkauf einen Sondercoupon aus einem Bonussystem eingelöst, obwohl die Einkaufssumme den dafür erforderlichen Betrag nicht erreicht habe. Derselbe Coupon sei dreimal „über die Kasse gezogen“ worden. Dadurch seien der Klägerin zu Unrecht Punkte im Wert von 3,00 Euro gutgeschrieben worden. Deren Behauptung, ihre Vorgesetzte habe sie zu einer derartigen Manipulation - vergeblich - verleiten wollen, sei nicht plausibel; die Vorgesetzte habe an dem betreffenden Tag - wie zuletzt unstreitig - nicht gearbeitet.

13

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit ihrer durch das Bundesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe

14

Die Revision ist begründet. Die Vorinstanzen haben die Klage zu Unrecht abgewiesen. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist weder durch die außerordentliche noch durch die ordentliche Kündigung vom 22. Februar 2008 aufgelöst worden. Das Urteil des Landesarbeitsgerichts war deshalb aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Einer Zurückverweisung bedurfte es nicht. Die Sache war nach dem festgestellten Sachverhältnis zur Endentscheidung reif (§ 563 Abs. 3 ZPO).

15

A. Die außerordentliche Kündigung ist unwirksam. Es fehlt an einem wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB.

16

I. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Das Gesetz kennt folglich keine „absoluten“ Kündigungsgründe. Vielmehr ist jeder Einzelfall gesondert zu beurteilen. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (st. Rspr., Senat 26. März 2009 - 2 AZR 953/07 - Rn. 21 mwN, AP BGB § 626 Nr. 220; 27. April 2006 - 2 AZR 386/05 - Rn. 19, BAGE 118, 104).

17

II. Die Prüfung der Voraussetzungen des wichtigen Grundes ist in erster Linie Sache der Tatsacheninstanzen. Dennoch geht es um Rechtsanwendung, nicht um Tatsachenfeststellung. Die Würdigung des Berufungsgerichts wird in der Revisionsinstanz darauf hin überprüft, ob es den anzuwendenden Rechtsbegriff in seiner allgemeinen Bedeutung verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnormen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob es alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände widerspruchsfrei berücksichtigt hat (st. Rspr., Senat 27. November 2008 - 2 AZR 193/07 - Rn. 22, AP BGB § 626 Nr. 219; 6. September 2007 - 2 AZR 722/06 - Rn. 40, BAGE 124, 59).

18

III. Auch unter Beachtung eines in diesem Sinne eingeschränkten Maßstabs hält die Würdigung des Landesarbeitsgerichts einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand. Zwar liegt nach dem festgestellten Sachverhalt „an sich“ ein wichtiger Grund zur Kündigung vor. Das Landesarbeitsgericht hat jedoch bei der vorzunehmenden Einzelfallprüfung und Interessenabwägung nicht alle wesentlichen Gesichtspunkte einbezogen und zutreffend abgewogen.

19

1. Entgegen der Auffassung der Revision ist die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts nicht deshalb zu beanstanden, weil dieses seiner rechtlichen Würdigung die fragliche Pflichtverletzung im Sinne einer erwiesenen Tat und nicht nur - wie die Beklagte selbst - einen entsprechenden Verdacht zugrunde gelegt hat.

20

a) Das Landesarbeitsgericht ist vom Fund zweier Leergutbons am 12. Januar 2008 und deren Aushändigung an die Klägerin durch den Marktleiter ausgegangen. Nach Beweisaufnahme hat es zudem für wahr erachtet, dass die Klägerin die beiden zunächst im Kassenbüro abgelegten Bons im Wert von 0,48 Euro und 0,82 Euro zu einem unbestimmten Zeitpunkt an sich nahm und am 22. Januar 2008 bei einem Einkauf zu ihren Gunsten einlöste; dadurch ermäßigte sich die Kaufsumme für sie um 1,30 Euro. Darin hat es ein vorsätzliches, pflichtwidriges Verhalten der Klägerin erblickt.

21

b) An die vom Landesarbeitsgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen ist der Senat gemäß § 559 Abs. 2 ZPO gebunden. Die Klägerin hat - auch wenn sie vorsätzliches Fehlverhalten weiterhin in Abrede stellt - von Angriffen gegen die Beweiswürdigung des Landesarbeitsgerichts ausdrücklich abgesehen.

22

c) Einer Würdigung des Geschehens unter der Annahme, die Klägerin habe sich nachweislich pflichtwidrig verhalten, steht nicht entgegen, dass die Beklagte sich zur Rechtfertigung der Kündigung nur auf einen entsprechenden Verdacht berufen und den Betriebsrat auch nur zu einer Verdachtskündigung angehört hat.

23

aa) Das Landesarbeitsgericht hat auf diese Weise nicht etwa Vortrag berücksichtigt, den die Beklagte nicht gehalten hätte. Der Verdacht eines pflichtwidrigen Verhaltens stellt zwar gegenüber dem Tatvorwurf einen eigenständigen Kündigungsgrund dar (st. Rspr., Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 55 mwN, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 47 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 8). Beide Gründe stehen jedoch nicht beziehungslos nebeneinander. Wird die Kündigung mit dem Verdacht pflichtwidrigen Verhaltens begründet, steht indessen zur Überzeugung des Gerichts die Pflichtwidrigkeit tatsächlich fest, lässt dies die materiell-rechtliche Wirksamkeit der Kündigung unberührt. Maßgebend ist allein der objektive Sachverhalt, wie er sich dem Gericht nach Parteivorbringen und ggf. Beweisaufnahme darstellt. Ergibt sich daraus nach tatrichterlicher Würdigung das Vorliegen einer Pflichtwidrigkeit, ist das Gericht nicht gehindert, dies seiner Entscheidung zugrunde zu legen. Es ist nicht erforderlich, dass der Arbeitgeber sich während des Prozesses darauf berufen hat, er stütze die Kündigung auch auf die erwiesene Tat (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - aaO mwN).

24

bb) Der Umstand, dass der Betriebsrat ausschließlich zu einer beabsichtigten Verdachtskündigung gehört wurde, steht dem nicht entgegen. Die gerichtliche Berücksichtigung des Geschehens als erwiesene Tat setzt voraus, dass dem Betriebsrat - ggf. im Rahmen zulässigen „Nachschiebens“ - diejenigen Umstände mitgeteilt worden sind, welche nicht nur den Tatverdacht, sondern zur Überzeugung des Gerichts auch den Tatvorwurf begründen (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 59 mwN, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 47 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 8). Bei dieser Sachlage ist dem Normzweck des § 102 Abs. 1 BetrVG auch durch eine Anhörung nur zur Verdachtskündigung genüge getan. Dem Betriebsrat wird dadurch nichts vorenthalten. Die Mitteilung des Arbeitgebers, einem Arbeitnehmer solle schon und allein wegen des Verdachts einer pflichtwidrigen Handlung gekündigt werden, gibt ihm sogar weit stärkeren Anlass für ein umfassendes Tätigwerden als eine Anhörung wegen einer als erwiesen behaupteten Tat (Senat 3. April 1986 - 2 AZR 324/85 - zu II 1 c cc der Gründe, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 18 = EzA BetrVG 1972 § 102 Nr. 63; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 217). Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt. Das Landesarbeitsgericht hat seiner Entscheidung ausschließlich solche - aus seiner Sicht bewiesene - Tatsachen zugrunde gelegt, die Gegenstand der Betriebsratsanhörung waren.

25

2. Der vom Landesarbeitsgericht festgestellte Sachverhalt ist „an sich“ als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB geeignet. Zum Nachteil des Arbeitgebers begangene Eigentums- oder Vermögensdelikte, aber auch nicht strafbare, ähnlich schwerwiegende Handlungen unmittelbar gegen das Vermögen des Arbeitgebers kommen typischerweise - unabhängig vom Wert des Tatobjekts und der Höhe eines eingetretenen Schadens - als Grund für eine außerordentliche Kündigung in Betracht.

26

a) Begeht der Arbeitnehmer bei oder im Zusammenhang mit seiner Arbeit rechtswidrige und vorsätzliche - ggf. strafbare - Handlungen unmittelbar gegen das Vermögen seines Arbeitgebers, verletzt er zugleich in schwerwiegender Weise seine schuldrechtliche Pflicht zur Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB) und missbraucht das in ihn gesetzte Vertrauen. Ein solches Verhalten kann auch dann einen wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB darstellen, wenn die rechtswidrige Handlung Sachen von nur geringem Wert betrifft oder zu einem nur geringfügigen, möglicherweise zu gar keinem Schaden geführt hat(Senat 13. Dezember 2007 - 2 AZR 537/06 - Rn. 16, 17, AP BGB § 626 Nr. 210 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 20; 12. August 1999 - 2 AZR 923/98 - zu II 2 b aa der Gründe, BAGE 92, 184; 17. Mai 1984 - 2 AZR 3/83 - zu II 1 der Gründe, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 14 = EzA BGB § 626 nF Nr. 90).

27

b) An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest. Die entgegenstehende Ansicht, die Pflichtverletzungen im Vermögensbereich bei Geringfügigkeit bereits aus dem Anwendungsbereich des § 626 Abs. 1 BGB herausnehmen will(so LAG Köln 30. September 1999 - 5 Sa 872/99 - zu 2 der Gründe, NZA-RR 2001, 83; LAG Hamburg 8. Juli 1998 - 4 Sa 38/97 - zu II 3 a aa der Gründe, NZA-RR 1999, 469; ArbG Reutlingen 4. Juni 1996 - 1 Ca 73/96 - RzK I 6 d Nr. 12; Däubler Das Arbeitsrecht 2 12. Aufl. Rn. 1128; eingeschränkt Gerhards BB 1996, 794, 796), überzeugt nicht. Ein Arbeitnehmer, der die Integrität von Eigentum und Vermögen seines Arbeitgebers vorsätzlich und rechtswidrig verletzt, zeigt ein Verhalten, das geeignet ist, die Zumutbarkeit seiner Weiterbeschäftigung in Frage zu stellen. Die durch ein solches Verhalten ausgelöste „Erschütterung“ der für die Vertragsbeziehung notwendigen Vertrauensgrundlage tritt unabhängig davon ein, welche konkreten wirtschaftlichen Schäden mit ihm verbunden sind. Aus diesem Grund ist die Festlegung einer nach dem Wert bestimmten Relevanzschwelle mit dem offen gestalteten Tatbestand des § 626 Abs. 1 BGB nicht zu vereinbaren. Sie würfe im Übrigen mannigfache Folgeprobleme auf - etwa das einer exakten Wertberechnung, das der Folgen mehrfacher, für sich betrachtet „irrelevanter“ Verstöße sowie das der Behandlung nur marginaler Grenzüberschreitungen - und vermöchte schon deshalb einem angemessenen Interessenausgleich schwerlich zu dienen.

28

c) Mit seiner Auffassung setzt sich der Senat nicht in Widerspruch zu der in § 248a StGB getroffenen Wertung. Nach dieser Bestimmung werden Diebstahl und Unterschlagung geringwertiger Sachen nur auf Antrag oder bei besonderem öffentlichem Interesse verfolgt. Der Vorschrift liegt eine Einschätzung des Gesetzgebers darüber zugrunde, ab welcher Grenze staatliche Sanktionen für Rechtsverstöße in diesem Bereich zwingend geboten sind. Ein solcher Ansatz ist dem Schuldrecht fremd. Hier geht es um störungsfreien Leistungsaustausch. Die Berechtigung einer verhaltensbedingten Kündigung ist nicht daran zu messen, ob diese - vergleichbar einer staatlichen Maßnahme - als Sanktion für den fraglichen Vertragsverstoß angemessen ist. Statt des Sanktions- gilt das Prognoseprinzip. Eine verhaltensbedingte Kündigung ist gerechtfertigt, wenn eine störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten steht, künftigen Pflichtverstößen demnach nur durch die Beendigung der Vertragsbeziehung begegnet werden kann (st. Rspr., Senat 26. November 2009 - 2 AZR 751/08 - Rn. 10, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 61 = EzA BGB 2002 § 611 Abmahnung Nr. 5; 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 32, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17).

29

d) Ebenso wenig besteht ein Wertungswiderspruch zwischen der Auffassung des Senats und der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Dieses erkennt zwar bei der disziplinarrechtlichen Beurteilung vergleichbarer Dienstvergehen eines Beamten die Geringwertigkeit der betroffenen Vermögensobjekte als Milderungsgrund an (BVerwG 13. Februar 2008 - 2 WD 9/07 - DÖV 2008, 1056; 24. November 1992 - 1 D 66/91 - zu 3 der Gründe, BVerwGE 93, 314; bei kassenverwaltender Tätigkeit: BVerwG 11. November 2003 - 1 D 5/03 - zu 4 b der Gründe). Dies geschieht jedoch vor dem Hintergrund einer abgestuften Reihe von disziplinarischen Reaktionsmöglichkeiten des Dienstherrn. Diese reichen von der Anordnung einer Geldbuße (§ 7 BDG) über die Kürzung von Dienstbezügen (§ 8 BDG) und die Zurückstufung (§ 9 BDG) bis zur Entfernung aus dem Dienst (§ 13 Abs. 2 BDG). Eine solche Reaktionsbreite kennt das Arbeitsrecht nicht. Der Arbeitgeber könnte auf die „Entfernung aus dem Dienst“ nicht zugunsten einer Kürzung der Vergütung verzichten. Wertungen, wie sie für das in der Regel auf Lebenszeit angelegte, durch besondere Treue- und Fürsorgepflichten geprägte Dienstverhältnis der Beamten und Soldaten getroffen werden, lassen sich deshalb auf eine privatrechtliche Leistungsbeziehung regelmäßig nicht übertragen (Keiser JR 2010, 55, 57 ff.; Reuter NZA 2009, 594, 595).

30

e) Das Landesarbeitsgericht hat das Verhalten der Klägerin als „Vermögensdelikt“ zulasten der Beklagten gewürdigt, hat aber offen gelassen, welchen straf- und/oder zivilrechtlichen Deliktstatbestand es als erfüllt ansieht. Das ist im Ergebnis unschädlich. Das Verhalten der Klägerin kommt auch dann als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB in Betracht, wenn es - wie die Revision im Anschluss an Äußerungen in der Literatur (Hüpers Jura 2010, 52 ff.; Schlösser HRRS 2009, 509 ff.) meint - nicht strafbar sein sollte, jedenfalls nicht im Sinne eines Vermögensdelikts zum Nachteil der Beklagten. Für die kündigungsrechtliche Beurteilung ist weder die strafrechtliche noch die sachenrechtliche Bewertung maßgebend. Entscheidend ist der Verstoß gegen vertragliche Haupt- oder Nebenpflichten und der mit ihm verbundene Vertrauensbruch (Senat 19. April 2007 - 2 AZR 78/06 - Rn. 28, AP BGB § 611 Direktionsrecht Nr. 77 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 8; 2. März 2006 - 2 AZR 53/05 - Rn. 29, AP BGB § 626 Krankheit Nr. 14 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 16; 21. April 2005 - 2 AZR 255/04 - zu B II 1 der Gründe, BAGE 114, 264; Preis AuR 2010, 242 f.). Auch eine nicht strafbare, gleichwohl erhebliche Verletzung der sich aus dem Arbeitsverhältnis ergebenden Pflichten kann deshalb ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB sein. Das gilt insbesondere in Fällen, in denen die Pflichtverletzung mit einem vorsätzlichen Verstoß gegen eine den unmittelbaren Vermögensinteressen des Arbeitgebers dienende Weisung einhergeht (KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 459).

31

f) Danach liegt eine erhebliche, die Schwelle zum wichtigen Grund überschreitende Pflichtverletzung vor. Die Klägerin hat sich mit dem Einlösen der Leergutbons gegenüber der Beklagten einen Vermögensvorteil verschafft, der ihr nicht zustand. Ihr Verhalten wiegt umso schwerer, als sie eine konkrete Anordnung des Marktleiters zum Umgang mit den Bons missachtet hat. Es kommt nicht darauf an, ob sie damit schon gegen ihre Hauptleistungspflichten als Kassiererin oder gegen ihre Pflicht zur Rücksichtnahme aus § 241 Abs. 2 BGB verstoßen hat. In jedem Fall gehört die Pflicht zur einschränkungslosen Wahrung der Vermögensinteressen der Beklagten zum Kernbereich ihrer Arbeitsaufgaben. Die Schwere der Pflichtverletzung hängt von einer exakten Zuordnung nicht ab. Die Vorgabe des Marktleiters, die Bons nach einer gewissen Zeit als „Fehlbons“ zu verbuchen, sollte sicherstellen, dass die Beklagte insoweit nicht mehr in Anspruch genommen würde. Ob damit den Interessen der Kunden ausreichend Rechnung getragen wurde, ist im Verhältnis der Parteien ohne Bedeutung. Die Klägerin jedenfalls durfte die Bons nicht zum eigenen Vorteil einlösen.

32

3. Die fristlose Kündigung ist bei Beachtung aller Umstände des vorliegenden Falls und nach Abwägung der widerstreitenden Interessen gleichwohl nicht gerechtfertigt. Als Reaktion der Beklagten auf das Fehlverhalten der Klägerin hätte eine Abmahnung ausgereicht. Dies vermag der Senat selbst zu entscheiden.

33

a) Dem Berufungsgericht kommt bei der im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB vorzunehmenden Interessenabwägung zwar ein Beurteilungsspielraum zu(Senat 11. Dezember 2003 - 2 AZR 36/03 - zu II 1 f der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 179 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 5). Eine eigene Abwägung durch das Revisionsgericht ist aber möglich, wenn die des Berufungsgerichts fehlerhaft oder unvollständig ist und sämtliche relevanten Tatsachen feststehen (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 36, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17; 12. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 61, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Ein solcher Fall liegt hier vor.

34

b) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung - etwa im Hinblick auf das Maß eines durch sie bewirkten Vertrauensverlusts und ihre wirtschaftlichen Folgen -, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf (Senat 28. Januar 2010 - 2 AZR 1008/08 - Rn. 26 mwN, DB 2010, 1709; 10. November 2005 - 2 AZR 623/04 - Rn. 38 mwN, AP BGB § 626 Nr. 196 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 11). Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind (st. Rspr., Senat 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 45, AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7). Als mildere Reaktionen sind insbesondere Abmahnung und ordentliche Kündigung anzusehen. Sie sind dann alternative Gestaltungsmittel, wenn schon sie geeignet sind, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck - die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen - zu erreichen (KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 251 mwN).

35

c) Die Notwendigkeit der Prüfung, ob eine fristgerechte Kündigung als Reaktion ausgereicht hätte, folgt schon aus dem Wortlaut des § 626 Abs. 1 BGB. Das Erfordernis weitergehend zu prüfen, ob nicht schon eine Abmahnung ausreichend gewesen wäre, folgt aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (die Kündigung als „ultima ratio“) und trägt zugleich dem Prognoseprinzip bei der verhaltensbedingten Kündigung Rechnung (Senat 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 47 f., AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7; 12. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 55 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Das Erfordernis gilt auch bei Störungen im Vertrauensbereich. Es ist nicht stets und von vorneherein ausgeschlossen, verlorenes Vertrauen durch künftige Vertragstreue zurückzugewinnen (Senat 4. Juni 1997 - 2 AZR 526/96 - zu II 1 b der Gründe, BAGE 86, 95).

36

aa) Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann (Schlachter NZA 2005, 433, 436). Die ordentliche wie die außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus. Sie dient der Objektivierung der negativen Prognose (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 283/08 - Rn. 14 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Abmahnung Nr. 5 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 75; Staudinger/Preis <2002> § 626 BGB Rn. 109). Ist der Arbeitnehmer ordnungsgemäß abgemahnt worden und verletzt er dennoch seine arbeitsvertraglichen Pflichten erneut, kann regelmäßig davon ausgegangen werden, es werde auch zukünftig zu weiteren Vertragsstörungen kommen (Senat 13. Dezember 2007 - 2 AZR 818/06 - Rn. 38, AP KSchG 1969 § 4 Nr. 64 = EzA KSchG § 4 nF Nr. 82).

37

bb) Nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist eine Kündigung nicht gerechtfertigt, wenn es mildere Mittel gibt, eine Vertragsstörung zukünftig zu beseitigen. Dieser Aspekt hat durch die Regelung des § 314 Abs. 2 BGB iVm. § 323 Abs. 2 BGB eine gesetzgeberische Bestätigung erfahren(Senat 12. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 56 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Einer Abmahnung bedarf es in Ansehung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes deshalb nur dann nicht, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft selbst nach Abmahnung nicht zu erwarten steht oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass eine Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist (vgl. Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 33, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17; 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 48 mwN, AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7).

38

cc) Diese Grundsätze gelten uneingeschränkt selbst bei Störungen des Vertrauensbereichs durch Straftaten gegen Vermögen oder Eigentum des Arbeitgebers (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 33, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17; 27. April 2006 - 2 AZR 415/05 - Rn. 19, AP BGB § 626 Nr. 203 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 17). Auch in diesem Bereich gibt es keine „absoluten“ Kündigungsgründe. Stets ist konkret zu prüfen, ob nicht objektiv die Prognose berechtigt ist, der Arbeitnehmer werde sich jedenfalls nach einer Abmahnung künftig wieder vertragstreu verhalten (vgl. auch Erman/Belling BGB 12. Aufl. § 626 Rn. 62; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 264; Preis AuR 2010, 242, 244; Reichel AuR 2004, 252; Schlachter NZA 2005, 433, 437).

39

d) Danach war eine Abmahnung hier nicht entbehrlich.

40

aa) Das Landesarbeitsgericht geht zunächst zutreffend davon aus, dass es einer Abmahnung nicht deshalb bedurfte, um bei der Klägerin die mögliche Annahme zu beseitigen, die Beklagte könnte mit der eigennützigen Verwendung der Bons einverstanden sein. Einer mutmaßlichen Einwilligung - die in anderen Fällen, etwa der Verwendung wertloser, als Abfall deklarierter Gegenstände zum Eigenverbrauch oder zur Weitergabe an Hilfsbedürftige oder dem Aufladen eines Mobiltelefons im Stromnetz des Arbeitgebers, naheliegend sein mag - stand im Streitfall die Weisung des Filialleiters entgegen, die keine Zweifel über den von der Beklagten gewünschten Umgang mit den Bons aufkommen ließ. Auf mögliche Unklarheiten in den allgemeinen Anweisungen der Beklagten zur Behandlung von Fundsachen und Fundgeld kommt es deshalb nicht an.

41

bb) Mit Recht hat das Landesarbeitsgericht zudem angenommen, das Verhalten der Klägerin stelle eine objektiv schwerwiegende, das Vertrauensverhältnis der Parteien erheblich belastende Pflichtverletzung dar.

42

(1) Mit der eigennützigen Verwendung der Leergutbons hat sich die Klägerin bewusst gegen die Anordnung des Filialleiters gestellt. Schon dies ist geeignet, das Vertrauen der Beklagten in die zuverlässige Erfüllung der ihr übertragenen Aufgaben als Kassiererin zu erschüttern. Erschwerend kommt hinzu, dass die Bons gerade ihr zur Verwahrung und ggf. Buchung als „Fehlbons“ übergeben worden waren. Das Fehlverhalten der Klägerin berührt damit den Kernbereich ihrer Arbeitsaufgaben. Sie war als Verkäuferin mit Kassentätigkeit beschäftigt. Als solche hat sie den weisungsgemäßen Umgang mit Leergutbons gleichermaßen sicher zu stellen wie den mit ihr anvertrautem Geld. Die Beklagte muss sich auf die Zuverlässigkeit und Ehrlichkeit einer mit Kassentätigkeiten betrauten Arbeitnehmerin in besonderem Maße verlassen dürfen. Sie muss davon ausgehen können, dass ihre Weisungen zum Umgang mit Sach- und Vermögenswerten unabhängig von deren Wert und den jeweiligen Eigentumsverhältnissen korrekt eingehalten werden. Als Einzelhandelsunternehmen ist die Beklagte besonders anfällig dafür, in der Summe hohe Einbußen durch eine Vielzahl für sich genommen geringfügiger Schädigungen zu erleiden. Verstößt eine Arbeitnehmerin, deren originäre Aufgabe es ist, Einnahmen zu sichern und zu verbuchen, vorsätzlich und zur persönlichen Bereicherung gegen eine Pflicht, die gerade dem Schutz des Eigentums und Vermögens des Arbeitgebers oder eines Kunden dient, liegt darin regelmäßig ein erheblicher, das Vertrauen in ihre Redlichkeit beeinträchtigender Vertragsverstoß.

43

(2) Der Einwand der Klägerin, ein Vertrauen auf Seiten der Beklagten bestehe ohnehin nicht, wie die in den Märkten praktizierte Videoüberwachung zeige, geht fehl. Jeder Arbeitnehmer hat die Pflicht, sich so zu verhalten, dass es um seinetwillen einer Kontrolle nicht bedürfte. Erweist sich ein zunächst unspezifisches, nicht auf konkrete Personen bezogenes, generelles „Misstrauen“ des Arbeitgebers schließlich im Hinblick auf einen bestimmten Mitarbeiter als berechtigt, wird erst und nur dadurch das Vertrauen in dessen Redlichkeit tatsächlich erschüttert.

44

cc) Auch wenn deshalb das Verhalten der Klägerin das Vertrauensverhältnis zur Beklagten erheblich belastet hat, so hat das Landesarbeitsgericht doch den für die Klägerin sprechenden Besonderheiten nicht hinreichend Rechnung getragen.

45

(1) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Klägerin habe nicht damit rechnen können, die Beklagte werde ihr Verhalten auch nur einmalig hinnehmen, ohne eine Kündigung auszusprechen. Die Klägerin habe ihre Pflichten als Kassiererin „auf das Schwerste“ verletzt. Mit dieser Würdigung ist es den Besonderheiten des Streitfalls nicht ausreichend gerecht geworden. Die Klägerin hat an der Kasse in unmittelbarer Anwesenheit ihrer Vorgesetzten bei einer nicht befreundeten Kollegin unabgezeichnete Leergutbons eingelöst. Dass sie mangels Abzeichnung nach den betrieblichen Regelungen keinen Anspruch auf eine Gutschrift hatte, war für die Kassenmitarbeiterin und die Vorgesetzte offenkundig und nicht zu übersehen. Das wusste auch die Klägerin, die deshalb aus ihrer Sicht unweigerlich würde Aufmerksamkeit erregen und Nachfragen auslösen müssen. Das zeigt, dass sie ihr Verhalten - fälschlich - als notfalls tolerabel oder jedenfalls korrigierbar eingeschätzt haben mag und sich eines gravierenden Unrechts offenbar nicht bewusst war. Für den Grad des Verschuldens und die Möglichkeit einer Wiederherstellung des Vertrauens macht es objektiv einen Unterschied, ob es sich bei einer Pflichtverletzung um ein Verhalten handelt, das insgesamt - wie etwa der vermeintlich unbeobachtete Griff in die Kasse - auf Heimlichkeit angelegt ist oder nicht.

46

(2) Das Landesarbeitsgericht hat die Einmaligkeit der Pflichtverletzung und die als beanstandungsfrei unterstellte Betriebszugehörigkeit der Klägerin von gut drei Jahrzehnten zwar erwähnt, ihnen aber kein ausreichendes Gewicht beigemessen.

47

(a) Für die Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung kann es von erheblicher Bedeutung sein, ob der Arbeitnehmer bereits geraume Zeit in einer Vertrauensstellung beschäftigt war, ohne vergleichbare Pflichtverletzungen begangen zu haben. Das gilt auch bei Pflichtverstößen im unmittelbaren Vermögensbereich (Senat 13. Dezember 1984 - 2 AZR 454/83 - zu III 3 a der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 81 = EzA BGB § 626 nF Nr. 94). Eine für lange Jahre ungestörte Vertrauensbeziehung zweier Vertragspartner wird nicht notwendig schon durch eine erstmalige Vertrauensenttäuschung vollständig und unwiederbringlich zerstört. Je länger eine Vertragsbeziehung ungestört bestanden hat, desto eher kann die Prognose berechtigt sein, dass der dadurch erarbeitete Vorrat an Vertrauen durch einen erstmaligen Vorfall nicht vollständig aufgezehrt wird. Dabei kommt es nicht auf die subjektive Befindlichkeit und Einschätzung des Arbeitgebers oder bestimmter für ihn handelnder Personen an. Entscheidend ist ein objektiver Maßstab. Maßgeblich ist nicht, ob der Arbeitgeber hinreichendes Vertrauen in den Arbeitnehmer tatsächlich noch hat. Maßgeblich ist, ob er es aus der Sicht eines objektiven Betrachters haben müsste. Im Arbeitsverhältnis geht es nicht um ein umfassendes wechselseitiges Vertrauen in die moralischen Qualitäten der je anderen Vertragspartei. Es geht allein um die von einem objektiven Standpunkt aus zu beantwortende Frage, ob mit einer korrekten Erfüllung der Vertragspflichten zu rechnen ist.

48

(b) Die Klägerin hat durch eine beanstandungsfreie Tätigkeit als Verkäuferin und Kassiererin über dreißig Jahre hinweg Loyalität zur Beklagten gezeigt.

49

(aa) Der Senat hatte davon auszugehen, dass diese Zeit ohne rechtlich relevante Beanstandungen verlaufen ist. Gegenstand einer der Klägerin erteilten Abmahnung war eine vor Kunden abgegebene, abfällige Äußerung gegenüber einem Arbeitskollegen. Dieses Verhalten steht mit dem Kündigungsvorwurf in keinerlei Zusammenhang; im Übrigen wurde die Abmahnung ein Jahr später aus der Personalakte entfernt. Schon aus tatsächlichen Gründen unbeachtlich ist das Geschehen im Zusammenhang mit der Einlösung eines Sondercoupons im November 2007. Die Klägerin hat im Einzelnen und plausibel dargelegt, weshalb ihr dabei im Ergebnis keine Bonuspunkte zugeschrieben worden seien, die ihr nicht zugestanden hätten. Dem ist die Beklagte nicht hinreichend substantiiert entgegengetreten.

50

(bb) Das in dieser Beschäftigungszeit von der Klägerin erworbene Maß an Vertrauen in die Korrektheit ihrer Aufgabenerfüllung und in die Achtung der Vermögensinteressen der Beklagten schlägt hoch zu Buche. Angesichts des Umstands, dass nach zehn Tagen Wartezeit mit einer Nachfrage der in Wahrheit berechtigten Kunden nach dem Verbleib von Leergutbons über Cent-Beträge aller Erfahrung nach nicht mehr zu rechnen war, und der wirtschaftlichen Geringfügigkeit eines der Beklagten entstandenen Nachteils ist es höher zu bewerten als deren Wunsch, nur eine solche Mitarbeiterin weiterzubeschäftigen, die in jeder Hinsicht und ausnahmslos ohne Fehl und Tadel ist. Dieser als solcher berechtigte Wunsch macht der Beklagten die Weiterbeschäftigung der Klägerin trotz ihres Pflichtenverstoßes mit Blick auf die bisherige Zusammenarbeit nicht unzumutbar. Objektiv ist das Vertrauen in die Zuverlässigkeit der Klägerin nicht derart erschüttert, dass dessen vollständige Wiederherstellung und ein künftig erneut störungsfreies Miteinander der Parteien nicht in Frage käme.

51

(3) Das prozessuale Verteidigungsvorbringen der Klägerin steht dieser Würdigung nicht entgegen.

52

(a) Die Wirksamkeit einer Kündigung ist grundsätzlich nach den objektiven Verhältnissen im Zeitpunkt ihres Zugangs zu beurteilen. Dieser Zeitpunkt ist im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB sowohl für die Prüfung des Kündigungsgrundes als auch für die Interessenabwägung maßgebend. Umstände, die erst danach entstanden sind, können die bereits erklärte Kündigung nicht rechtfertigen. Sie können allenfalls als Grundlage für eine weitere Kündigung oder einen Auflösungsantrag nach §§ 9, 10 KSchG dienen(Senat 28. Oktober 1971 - 2 AZR 15/71 - zu II 2 d der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 62 = EzA BGB § 626 nF Nr. 9; 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - zu III der Gründe, BAGE 2, 245).

53

(b) Nachträglich eingetretene Umstände können nach der Rechtsprechung des Senats für die gerichtliche Beurteilung allerdings insoweit von Bedeutung sein, wie sie die Vorgänge, die zur Kündigung geführt haben, in einem neuen Licht erscheinen lassen (Senat 13. Oktober 1977 - 2 AZR 387/76 - zu III 3 d der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 1 = EzA BetrVG 1972 § 74 Nr. 3; 28. Oktober 1971 - 2 AZR 15/71 - zu II 2 d der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 62 = EzA BGB § 626 nF Nr. 9; 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - zu III der Gründe, BAGE 2, 245). Dazu müssen zwischen den neuen Vorgängen und den alten Gründen so enge innere Beziehungen bestehen, dass jene nicht außer Acht gelassen werden können, ohne dass ein einheitlicher Lebensvorgang zerrissen würde (Senat 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - aaO; ErfK/Müller-Glöge 10. Aufl. § 626 Rn. 54; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 177; SPV/Preis 10. Aufl. Rn. 551; vgl. auch Walker NZA 2009, 921, 922). Es darf aber nicht etwa eine ursprünglich unbegründete Kündigung durch die Berücksichtigung späteren Verhaltens rückwirkend zu einer begründeten werden (Senat 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - aaO). Außerdem ist genau zu prüfen, welche konkreten Rückschlüsse auf den Kündigungsgrund späteres Verhalten wirklich erlaubt. Im Hinblick auf prozessuales Vorbringen (vgl. Senatsentscheidungen vom 24. November 2005 - 2 AZR 39/05 - AP BGB § 626 Nr. 197 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 12 und 3. Juli 2003 - 2 AZR 437/02 - AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 38 = EzA KSchG § 1 Verdachtskündigung Nr. 2)gilt nichts anderes.

54

(c) Danach kommt dem Prozessverhalten der Klägerin keine ihre Pflichtverletzung verstärkende Bedeutung zu. Es ist nicht geeignet, den Kündigungssachverhalt als solchen zu erhellen. Der besteht darin, dass die Klägerin unberechtigterweise ihr nicht gehörende Leergutbons zweier Kunden zum eigenen Vorteil eingelöst hat.

55

(aa) Dieser Vorgang erscheint insbesondere im Hinblick auf eine Wiederholungsgefahr nicht dadurch in einem anderen, für die Klägerin ungünstigeren Licht, dass diese zunächst die Identität der von ihr eingelösten und der im Kassenbüro aufbewahrten Bons bestritten hat. Das Gleiche gilt im Hinblick darauf, dass die Klägerin auch noch im Prozessverlauf die Möglichkeit bestimmter Geschehensabläufe ins Spiel gebracht hat, die erklären könnten, weshalb sie - wie sie stets behauptet hat - selbst bei Identität der Bons nicht wusste, dass sie ihr nicht gehörende Bons einlöste. Die von der Klägerin aufgezeigten Möglichkeiten einschließlich der einer gegen sie geführten Intrige mögen sich wegen der erforderlich gewordenen Befragungen der betroffenen Arbeitnehmer nachteilig auf den Betriebsfrieden ausgewirkt haben. Dies war aber nicht Kündigungsgrund. Unabhängig davon zielte das Verteidigungsvorbringen der Klägerin erkennbar nicht darauf, Dritte einer konkreten Pflichtverletzung zu bezichtigen. Der Kündigungsgrund wird auch nicht dadurch klarer, dass die Klägerin die Rechtsauffassung vertreten hat, erstmalige Vermögensdelikte zulasten des Arbeitgebers könnten bei geringem wirtschaftlichem Schaden eine außerordentliche Kündigung ohne vorausgegangene Abmahnung nicht rechtfertigen. Damit hat sie lediglich in einer rechtlich umstrittenen Frage einen für sie günstigen Standpunkt eingenommen. Daraus kann nicht abgeleitet werden, sie werde sich künftig bei Gelegenheit in gleicher Weise vertragswidrig verhalten.

56

(bb) Das Prozessverhalten der Klägerin mindert ebenso wenig das bei der Interessenabwägung zu berücksichtigende Maß des verbliebenen Vertrauens. Auch für dessen Ermittlung ist auf den Zeitpunkt des Kündigungszugangs abzustellen. Aus dieser Perspektive und im Hinblick auf den bis dahin verwirklichten Kündigungssachverhalt ist zu fragen, ob mit der Wiederherstellung des Vertrauens in eine künftig korrekte Vertragserfüllung gerechnet werden kann. In dieser Hinsicht ist das Verteidigungsvorbringen der Klägerin ohne Aussagekraft. Ihr wechselnder Vortrag und beharrliches Leugnen einer vorsätzlichen Pflichtwidrigkeit lassen keine Rückschlüsse auf ihre künftige Zuverlässigkeit als Kassiererin zu. Das gilt gleichermaßen für mögliche, während des Prozesses aufgestellte Behauptungen der Klägerin über eine ihr angeblich von der Kassenleiterin angetragene Manipulation im Zusammenhang mit der Einlösung von Sondercoupons im November 2007 und mögliche Äußerungen gegenüber Pressevertretern.

57

(cc) Anders als die Beklagte meint, wird dadurch nicht Verstößen gegen die prozessuale Wahrheitspflicht „Tür und Tor geöffnet“. Im Fall eines bewusst wahrheitswidrigen Vorbringens besteht die Möglichkeit, eine weitere Kündigung auszusprechen oder einen Auflösungsantrag nach §§ 9, 10 KSchG anzubringen. Dabei kann nicht jeder unzutreffende Parteivortrag als „Lüge“ bezeichnet werden. Die Wahrnehmung eines Geschehens ist generell nicht unbeeinflusst vom äußeren und inneren Standpunkt des Wahrnehmenden. Gleiches gilt für Erinnerung und Wiedergabe, zumal in einem von starker Polarität geprägten Verhältnis, wie es zwischen Prozessparteien häufig besteht. Wenn sich das Gericht nach den Regeln des Prozessrechts in §§ 138, 286 ZPO die - rechtlich bindende, aber um deswillen nicht der Gefahr des Irrtums enthobene - Überzeugung bildet, ein bestimmter Sachverhalt habe sich so und nicht anders zugetragen, ist damit die frühere, möglicherweise abweichende Darstellung einer Partei nicht zugleich als gezielte Irreführung des Gerichts oder der Gegenpartei ausgewiesen. Es bedarf vielmehr besonderer Anhaltspunkte, um einen solchen - schweren - Vorwurf zu begründen.

58

B. Die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung zum 30. September 2008 ist unwirksam. Auch dies vermag der Senat selbst zu entscheiden. Die Kündigung ist sozial ungerechtfertigt. Sie ist nicht durch Gründe im Verhalten der Klägerin iSv. § 1 Abs. 2 KSchG bedingt. Sie ist auf denselben Lebenssachverhalt gestützt wie die außerordentliche Kündigung. Der Beklagten war es aus den dargelegten Gründen zuzumuten, auf das mildere Mittel der Abmahnung zurückzugreifen.

59

C. Der Antrag auf Beschäftigung, der sich ersichtlich auf die Dauer des Kündigungsrechtsstreits beschränkte, kommt wegen der Beendigung des Verfahrens nicht mehr zum Tragen.

        

    Kreft    

        

    Schmitz-Scholemann    

        

    Berger    

        

        

        

    Torsten Falke    

        

    Bartz    

                 

Ein einseitiges Rechtsgeschäft, das ein Bevollmächtigter einem anderen gegenüber vornimmt, ist unwirksam, wenn der Bevollmächtigte eine Vollmachtsurkunde nicht vorlegt und der andere das Rechtsgeschäft aus diesem Grunde unverzüglich zurückweist. Die Zurückweisung ist ausgeschlossen, wenn der Vollmachtgeber den anderen von der Bevollmächtigung in Kenntnis gesetzt hatte.

Tenor

1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 24. Februar 2009 - 7 Sa 2017/08 - aufgehoben.

2. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 21. August 2008 - 2 Ca 3632/08 - abgeändert:

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die fristlose Kündigung, noch durch die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung vom 22. Februar 2008 aufgelöst worden ist.

3. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung.

2

Die 1958 geborene Klägerin war seit April 1977 bei der Beklagten und deren Rechtsvorgängerinnen als Verkäuferin mit Kassentätigkeit beschäftigt.

3

Die Beklagte ist ein überregional vertretenes Einzelhandelsunternehmen. In einigen ihrer Filialen, so auch in der Beschäftigungsfiliale der Klägerin, besteht die Möglichkeit, Leergut an einem Automaten gegen Ausstellung eines Leergutbons zurückzugeben. Wird ein solcher Bon an der Kasse eingelöst, ist er von der Kassiererin/dem Kassierer abzuzeichnen. Mitarbeiter der Filiale sind angewiesen, mitgebrachtes Leergut beim Betreten des Markts dem Filialleiter vorzuzeigen und einen am Automaten erstellten Leergutbon durch den Leiter gesondert abzeichnen zu lassen, bevor sie den Bon an der Kasse einlösen. Dort wird er wie ein Kundenbon ein weiteres Mal abgezeichnet. Diese Regelungen, die Manipulationen beim Umgang mit Leergut ausschließen sollen, sind der Klägerin bekannt.

4

Im Herbst 2007 beteiligte sich die Klägerin mit weiteren sieben von insgesamt 36 Beschäftigten ihrer Filiale an einem gewerkschaftlich getragenen Streik. Während die Streikbereitschaft anderer Arbeitnehmer mit der Zeit nachließ, nahm die Klägerin bis zuletzt an den Maßnahmen teil. Im Januar 2008 lud der Filialleiter Beschäftigte, die sich nicht am Arbeitskampf beteiligt hatten, zu einer Feier außer Hause ein. Aus diesem Grund wurde er später von der Beklagten abgemahnt und in eine andere Filiale versetzt.

5

Am 12. Januar 2008 fand eine Mitarbeiterin im Kassenbereich einer separaten Backtheke zwei nicht abgezeichnete Leergutbons im Wert von 0,48 Euro und 0,82 Euro. Sie trugen das Datum des Tages und waren im Abstand von ca. einer Dreiviertelstunde am Automaten erstellt worden. Die Mitarbeiterin legte die Bons dem Filialleiter vor. Dieser reichte sie an die Klägerin mit der Maßgabe weiter, sie im Kassenbüro aufzubewahren für den Fall, dass sich noch ein Kunde melden und Anspruch darauf erheben würde; andernfalls sollten sie als „Fehlbons“ verbucht werden. Die Klägerin legte die Bons auf eine - für alle Mitarbeiter zugängliche und einsehbare - Ablage im Kassenbüro.

6

Am 22. Januar 2008 kaufte die Klägerin in der Filiale außerhalb ihrer Arbeitszeit privat ein. An der Kasse überreichte sie ihrer Kollegin zwei nicht abgezeichnete Leergutbons. Laut Kassenjournal wurden diese mit Werten von 0,48 Euro und 0,82 Euro registriert. Beim Kassieren war auch die Kassenleiterin und Vorgesetzte der Klägerin anwesend.

7

Zur Klärung der Herkunft der eingereichten Bons führte die Beklagte mit der Klägerin ab dem 25. Januar 2008 insgesamt vier Gespräche, an denen - außer am ersten Gespräch - jeweils zwei Mitglieder des Betriebsrats teilnahmen. Sie hielt ihr vor, die eingelösten Bons seien nicht abgezeichnet gewesen und stimmten hinsichtlich Wert und Ausgabedatum mit den im Kassenbüro aufbewahrten Bons überein. Es bestehe der dringende Verdacht, dass sie - die Klägerin - die dort abgelegten „Kundenbons“ an sich genommen und zu ihrem Vorteil verwendet habe. Die Klägerin bestritt dies und erklärte, selbst wenn die Bons übereinstimmten, bestehe die Möglichkeit, dass ihr entsprechende Bons durch eine ihrer Töchter oder durch Dritte zugesteckt worden seien. Beispielsweise habe sie am 21. oder 22. Januar 2008 einer Arbeitskollegin ihre Geldbörse ausgehändigt mit der Bitte, diese in ihren Spind zu legen. Die Beklagte legte der Klägerin nahe, zur Untermauerung ihrer Behauptung eine eidesstattliche Erklärung einer Tochter beizubringen. Außerdem befragte sie die benannte Kollegin, die die Angaben der Klägerin bestritt. Beim letzten, am 15. Februar 2008 geführten Gespräch überreichte die Klägerin eine schriftliche Erklärung, mit der eine ihrer Töchter bestätigte, bei der Beklagten hin und wieder für ihre Mutter einzukaufen, dabei auch Leergut einzulösen und „Umgang“ mit der Geldbörse ihrer Mutter „pflegen zu dürfen“.

8

Mit Schreiben vom 18. Februar 2008 hörte die Beklagte den Betriebsrat zu einer beabsichtigten außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung, gestützt auf den Verdacht der Einlösung der Bons, an. Der Betriebsrat äußerte Bedenken gegen die fristlose Kündigung, einer ordentlichen Kündigung widersprach er und verwies auf die Möglichkeit einer gegen die Klägerin gerichteten Intrige.

9

Mit Schreiben vom 22. Februar 2008 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos, hilfsweise fristgemäß zum 30. September 2008.

10

Die Klägerin hat Kündigungsschutzklage erhoben. Sie hat behauptet, sie habe jedenfalls nicht bewusst Leergutbons eingelöst, die ihr nicht gehörten. Sollte es sich bei den registrierten Bons tatsächlich um die im Kassenbüro abgelegten Bons gehandelt haben, müsse auch die Möglichkeit eines Austauschs der Bons während des Kassiervorgangs in Betracht gezogen werden. Denkbares Motiv hierfür sei ihre Streikteilnahme, die ohnehin der wahre Grund für die Kündigung sei. Anders sei nicht zu erklären, weshalb ihre Kollegin und die Vorgesetzte sie - unstreitig - nicht bereits beim Kassieren oder unmittelbar anschließend auf die fehlende Abzeichnung der überreichten Leergutbons angesprochen hätten. Angesichts der streikbedingt aufgetretenen Spannungen unter den Filialmitarbeitern sei es lebensfremd anzunehmen, sie habe ausgerechnet bei einer Kollegin, mit der sie im Streit gestanden habe, und in Anwesenheit ihrer Vorgesetzten die im Kassenbüro verwahrten, nicht abgezeichneten Bons eingelöst. Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, eine Verdachtskündigung sei wegen der in Art. 6 Abs. 2 EMRK verankerten Unschuldsvermutung ohnehin unzulässig. Das gelte in besonderem Maße, wenn sich der Verdacht auf die Entwendung einer nur geringwertigen Sache beziehe. Selbst bei nachgewiesener Tat sei in einem solchen Fall ein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB nicht gegeben. Zumindest sei in ihrem Fall die Kündigung in Anbetracht der Einmaligkeit des Vorfalls und ihrer langen Betriebszugehörigkeit unangemessen, zumal der Beklagten kein Schaden entstanden sei.

11

Die Klägerin hat beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis weder durch die fristlose, noch durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 22. Februar 2008 aufgelöst worden ist;

        

2.    

die Beklagte zu verurteilen, sie entsprechend den arbeitsvertraglichen Bedingungen als Verkäuferin mit Kassentätigkeit zu beschäftigen.

12

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat geltend gemacht, es bestehe der dringende Verdacht, dass die Klägerin die im Kassenbüro hinterlegten Leergutbons für sich verwendet habe. Dafür sprächen die in der Anhörung angeführten Tatsachen sowie der Umstand, dass diese Bons bei einer unmittelbar nach dem Einkauf der Klägerin durchgeführten Suche nicht mehr auffindbar gewesen seien. Es sei auch das mehrfach geänderte Verteidigungsvorbringen der Klägerin zu berücksichtigen, das sich in keinem Punkt als haltbar erwiesen habe. Damit sei das Vertrauen in die redliche Ausführung der Arbeitsaufgaben durch die Klägerin unwiederbringlich zerstört. Das Arbeitsverhältnis sei auch nicht unbelastet verlaufen. Sie habe die Klägerin im Jahr 2005 wegen ungebührlichen Verhaltens gegenüber einem Arbeitskollegen abgemahnt. Außerdem habe die Klägerin, wie ihr erst nachträglich bekannt geworden sei, am 22. November 2007 bei einem privaten Einkauf einen Sondercoupon aus einem Bonussystem eingelöst, obwohl die Einkaufssumme den dafür erforderlichen Betrag nicht erreicht habe. Derselbe Coupon sei dreimal „über die Kasse gezogen“ worden. Dadurch seien der Klägerin zu Unrecht Punkte im Wert von 3,00 Euro gutgeschrieben worden. Deren Behauptung, ihre Vorgesetzte habe sie zu einer derartigen Manipulation - vergeblich - verleiten wollen, sei nicht plausibel; die Vorgesetzte habe an dem betreffenden Tag - wie zuletzt unstreitig - nicht gearbeitet.

13

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit ihrer durch das Bundesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe

14

Die Revision ist begründet. Die Vorinstanzen haben die Klage zu Unrecht abgewiesen. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist weder durch die außerordentliche noch durch die ordentliche Kündigung vom 22. Februar 2008 aufgelöst worden. Das Urteil des Landesarbeitsgerichts war deshalb aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Einer Zurückverweisung bedurfte es nicht. Die Sache war nach dem festgestellten Sachverhältnis zur Endentscheidung reif (§ 563 Abs. 3 ZPO).

15

A. Die außerordentliche Kündigung ist unwirksam. Es fehlt an einem wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB.

16

I. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Das Gesetz kennt folglich keine „absoluten“ Kündigungsgründe. Vielmehr ist jeder Einzelfall gesondert zu beurteilen. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (st. Rspr., Senat 26. März 2009 - 2 AZR 953/07 - Rn. 21 mwN, AP BGB § 626 Nr. 220; 27. April 2006 - 2 AZR 386/05 - Rn. 19, BAGE 118, 104).

17

II. Die Prüfung der Voraussetzungen des wichtigen Grundes ist in erster Linie Sache der Tatsacheninstanzen. Dennoch geht es um Rechtsanwendung, nicht um Tatsachenfeststellung. Die Würdigung des Berufungsgerichts wird in der Revisionsinstanz darauf hin überprüft, ob es den anzuwendenden Rechtsbegriff in seiner allgemeinen Bedeutung verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnormen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob es alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände widerspruchsfrei berücksichtigt hat (st. Rspr., Senat 27. November 2008 - 2 AZR 193/07 - Rn. 22, AP BGB § 626 Nr. 219; 6. September 2007 - 2 AZR 722/06 - Rn. 40, BAGE 124, 59).

18

III. Auch unter Beachtung eines in diesem Sinne eingeschränkten Maßstabs hält die Würdigung des Landesarbeitsgerichts einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand. Zwar liegt nach dem festgestellten Sachverhalt „an sich“ ein wichtiger Grund zur Kündigung vor. Das Landesarbeitsgericht hat jedoch bei der vorzunehmenden Einzelfallprüfung und Interessenabwägung nicht alle wesentlichen Gesichtspunkte einbezogen und zutreffend abgewogen.

19

1. Entgegen der Auffassung der Revision ist die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts nicht deshalb zu beanstanden, weil dieses seiner rechtlichen Würdigung die fragliche Pflichtverletzung im Sinne einer erwiesenen Tat und nicht nur - wie die Beklagte selbst - einen entsprechenden Verdacht zugrunde gelegt hat.

20

a) Das Landesarbeitsgericht ist vom Fund zweier Leergutbons am 12. Januar 2008 und deren Aushändigung an die Klägerin durch den Marktleiter ausgegangen. Nach Beweisaufnahme hat es zudem für wahr erachtet, dass die Klägerin die beiden zunächst im Kassenbüro abgelegten Bons im Wert von 0,48 Euro und 0,82 Euro zu einem unbestimmten Zeitpunkt an sich nahm und am 22. Januar 2008 bei einem Einkauf zu ihren Gunsten einlöste; dadurch ermäßigte sich die Kaufsumme für sie um 1,30 Euro. Darin hat es ein vorsätzliches, pflichtwidriges Verhalten der Klägerin erblickt.

21

b) An die vom Landesarbeitsgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen ist der Senat gemäß § 559 Abs. 2 ZPO gebunden. Die Klägerin hat - auch wenn sie vorsätzliches Fehlverhalten weiterhin in Abrede stellt - von Angriffen gegen die Beweiswürdigung des Landesarbeitsgerichts ausdrücklich abgesehen.

22

c) Einer Würdigung des Geschehens unter der Annahme, die Klägerin habe sich nachweislich pflichtwidrig verhalten, steht nicht entgegen, dass die Beklagte sich zur Rechtfertigung der Kündigung nur auf einen entsprechenden Verdacht berufen und den Betriebsrat auch nur zu einer Verdachtskündigung angehört hat.

23

aa) Das Landesarbeitsgericht hat auf diese Weise nicht etwa Vortrag berücksichtigt, den die Beklagte nicht gehalten hätte. Der Verdacht eines pflichtwidrigen Verhaltens stellt zwar gegenüber dem Tatvorwurf einen eigenständigen Kündigungsgrund dar (st. Rspr., Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 55 mwN, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 47 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 8). Beide Gründe stehen jedoch nicht beziehungslos nebeneinander. Wird die Kündigung mit dem Verdacht pflichtwidrigen Verhaltens begründet, steht indessen zur Überzeugung des Gerichts die Pflichtwidrigkeit tatsächlich fest, lässt dies die materiell-rechtliche Wirksamkeit der Kündigung unberührt. Maßgebend ist allein der objektive Sachverhalt, wie er sich dem Gericht nach Parteivorbringen und ggf. Beweisaufnahme darstellt. Ergibt sich daraus nach tatrichterlicher Würdigung das Vorliegen einer Pflichtwidrigkeit, ist das Gericht nicht gehindert, dies seiner Entscheidung zugrunde zu legen. Es ist nicht erforderlich, dass der Arbeitgeber sich während des Prozesses darauf berufen hat, er stütze die Kündigung auch auf die erwiesene Tat (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - aaO mwN).

24

bb) Der Umstand, dass der Betriebsrat ausschließlich zu einer beabsichtigten Verdachtskündigung gehört wurde, steht dem nicht entgegen. Die gerichtliche Berücksichtigung des Geschehens als erwiesene Tat setzt voraus, dass dem Betriebsrat - ggf. im Rahmen zulässigen „Nachschiebens“ - diejenigen Umstände mitgeteilt worden sind, welche nicht nur den Tatverdacht, sondern zur Überzeugung des Gerichts auch den Tatvorwurf begründen (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 59 mwN, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 47 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 8). Bei dieser Sachlage ist dem Normzweck des § 102 Abs. 1 BetrVG auch durch eine Anhörung nur zur Verdachtskündigung genüge getan. Dem Betriebsrat wird dadurch nichts vorenthalten. Die Mitteilung des Arbeitgebers, einem Arbeitnehmer solle schon und allein wegen des Verdachts einer pflichtwidrigen Handlung gekündigt werden, gibt ihm sogar weit stärkeren Anlass für ein umfassendes Tätigwerden als eine Anhörung wegen einer als erwiesen behaupteten Tat (Senat 3. April 1986 - 2 AZR 324/85 - zu II 1 c cc der Gründe, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 18 = EzA BetrVG 1972 § 102 Nr. 63; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 217). Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt. Das Landesarbeitsgericht hat seiner Entscheidung ausschließlich solche - aus seiner Sicht bewiesene - Tatsachen zugrunde gelegt, die Gegenstand der Betriebsratsanhörung waren.

25

2. Der vom Landesarbeitsgericht festgestellte Sachverhalt ist „an sich“ als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB geeignet. Zum Nachteil des Arbeitgebers begangene Eigentums- oder Vermögensdelikte, aber auch nicht strafbare, ähnlich schwerwiegende Handlungen unmittelbar gegen das Vermögen des Arbeitgebers kommen typischerweise - unabhängig vom Wert des Tatobjekts und der Höhe eines eingetretenen Schadens - als Grund für eine außerordentliche Kündigung in Betracht.

26

a) Begeht der Arbeitnehmer bei oder im Zusammenhang mit seiner Arbeit rechtswidrige und vorsätzliche - ggf. strafbare - Handlungen unmittelbar gegen das Vermögen seines Arbeitgebers, verletzt er zugleich in schwerwiegender Weise seine schuldrechtliche Pflicht zur Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB) und missbraucht das in ihn gesetzte Vertrauen. Ein solches Verhalten kann auch dann einen wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB darstellen, wenn die rechtswidrige Handlung Sachen von nur geringem Wert betrifft oder zu einem nur geringfügigen, möglicherweise zu gar keinem Schaden geführt hat(Senat 13. Dezember 2007 - 2 AZR 537/06 - Rn. 16, 17, AP BGB § 626 Nr. 210 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 20; 12. August 1999 - 2 AZR 923/98 - zu II 2 b aa der Gründe, BAGE 92, 184; 17. Mai 1984 - 2 AZR 3/83 - zu II 1 der Gründe, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 14 = EzA BGB § 626 nF Nr. 90).

27

b) An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest. Die entgegenstehende Ansicht, die Pflichtverletzungen im Vermögensbereich bei Geringfügigkeit bereits aus dem Anwendungsbereich des § 626 Abs. 1 BGB herausnehmen will(so LAG Köln 30. September 1999 - 5 Sa 872/99 - zu 2 der Gründe, NZA-RR 2001, 83; LAG Hamburg 8. Juli 1998 - 4 Sa 38/97 - zu II 3 a aa der Gründe, NZA-RR 1999, 469; ArbG Reutlingen 4. Juni 1996 - 1 Ca 73/96 - RzK I 6 d Nr. 12; Däubler Das Arbeitsrecht 2 12. Aufl. Rn. 1128; eingeschränkt Gerhards BB 1996, 794, 796), überzeugt nicht. Ein Arbeitnehmer, der die Integrität von Eigentum und Vermögen seines Arbeitgebers vorsätzlich und rechtswidrig verletzt, zeigt ein Verhalten, das geeignet ist, die Zumutbarkeit seiner Weiterbeschäftigung in Frage zu stellen. Die durch ein solches Verhalten ausgelöste „Erschütterung“ der für die Vertragsbeziehung notwendigen Vertrauensgrundlage tritt unabhängig davon ein, welche konkreten wirtschaftlichen Schäden mit ihm verbunden sind. Aus diesem Grund ist die Festlegung einer nach dem Wert bestimmten Relevanzschwelle mit dem offen gestalteten Tatbestand des § 626 Abs. 1 BGB nicht zu vereinbaren. Sie würfe im Übrigen mannigfache Folgeprobleme auf - etwa das einer exakten Wertberechnung, das der Folgen mehrfacher, für sich betrachtet „irrelevanter“ Verstöße sowie das der Behandlung nur marginaler Grenzüberschreitungen - und vermöchte schon deshalb einem angemessenen Interessenausgleich schwerlich zu dienen.

28

c) Mit seiner Auffassung setzt sich der Senat nicht in Widerspruch zu der in § 248a StGB getroffenen Wertung. Nach dieser Bestimmung werden Diebstahl und Unterschlagung geringwertiger Sachen nur auf Antrag oder bei besonderem öffentlichem Interesse verfolgt. Der Vorschrift liegt eine Einschätzung des Gesetzgebers darüber zugrunde, ab welcher Grenze staatliche Sanktionen für Rechtsverstöße in diesem Bereich zwingend geboten sind. Ein solcher Ansatz ist dem Schuldrecht fremd. Hier geht es um störungsfreien Leistungsaustausch. Die Berechtigung einer verhaltensbedingten Kündigung ist nicht daran zu messen, ob diese - vergleichbar einer staatlichen Maßnahme - als Sanktion für den fraglichen Vertragsverstoß angemessen ist. Statt des Sanktions- gilt das Prognoseprinzip. Eine verhaltensbedingte Kündigung ist gerechtfertigt, wenn eine störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten steht, künftigen Pflichtverstößen demnach nur durch die Beendigung der Vertragsbeziehung begegnet werden kann (st. Rspr., Senat 26. November 2009 - 2 AZR 751/08 - Rn. 10, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 61 = EzA BGB 2002 § 611 Abmahnung Nr. 5; 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 32, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17).

29

d) Ebenso wenig besteht ein Wertungswiderspruch zwischen der Auffassung des Senats und der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Dieses erkennt zwar bei der disziplinarrechtlichen Beurteilung vergleichbarer Dienstvergehen eines Beamten die Geringwertigkeit der betroffenen Vermögensobjekte als Milderungsgrund an (BVerwG 13. Februar 2008 - 2 WD 9/07 - DÖV 2008, 1056; 24. November 1992 - 1 D 66/91 - zu 3 der Gründe, BVerwGE 93, 314; bei kassenverwaltender Tätigkeit: BVerwG 11. November 2003 - 1 D 5/03 - zu 4 b der Gründe). Dies geschieht jedoch vor dem Hintergrund einer abgestuften Reihe von disziplinarischen Reaktionsmöglichkeiten des Dienstherrn. Diese reichen von der Anordnung einer Geldbuße (§ 7 BDG) über die Kürzung von Dienstbezügen (§ 8 BDG) und die Zurückstufung (§ 9 BDG) bis zur Entfernung aus dem Dienst (§ 13 Abs. 2 BDG). Eine solche Reaktionsbreite kennt das Arbeitsrecht nicht. Der Arbeitgeber könnte auf die „Entfernung aus dem Dienst“ nicht zugunsten einer Kürzung der Vergütung verzichten. Wertungen, wie sie für das in der Regel auf Lebenszeit angelegte, durch besondere Treue- und Fürsorgepflichten geprägte Dienstverhältnis der Beamten und Soldaten getroffen werden, lassen sich deshalb auf eine privatrechtliche Leistungsbeziehung regelmäßig nicht übertragen (Keiser JR 2010, 55, 57 ff.; Reuter NZA 2009, 594, 595).

30

e) Das Landesarbeitsgericht hat das Verhalten der Klägerin als „Vermögensdelikt“ zulasten der Beklagten gewürdigt, hat aber offen gelassen, welchen straf- und/oder zivilrechtlichen Deliktstatbestand es als erfüllt ansieht. Das ist im Ergebnis unschädlich. Das Verhalten der Klägerin kommt auch dann als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB in Betracht, wenn es - wie die Revision im Anschluss an Äußerungen in der Literatur (Hüpers Jura 2010, 52 ff.; Schlösser HRRS 2009, 509 ff.) meint - nicht strafbar sein sollte, jedenfalls nicht im Sinne eines Vermögensdelikts zum Nachteil der Beklagten. Für die kündigungsrechtliche Beurteilung ist weder die strafrechtliche noch die sachenrechtliche Bewertung maßgebend. Entscheidend ist der Verstoß gegen vertragliche Haupt- oder Nebenpflichten und der mit ihm verbundene Vertrauensbruch (Senat 19. April 2007 - 2 AZR 78/06 - Rn. 28, AP BGB § 611 Direktionsrecht Nr. 77 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 8; 2. März 2006 - 2 AZR 53/05 - Rn. 29, AP BGB § 626 Krankheit Nr. 14 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 16; 21. April 2005 - 2 AZR 255/04 - zu B II 1 der Gründe, BAGE 114, 264; Preis AuR 2010, 242 f.). Auch eine nicht strafbare, gleichwohl erhebliche Verletzung der sich aus dem Arbeitsverhältnis ergebenden Pflichten kann deshalb ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB sein. Das gilt insbesondere in Fällen, in denen die Pflichtverletzung mit einem vorsätzlichen Verstoß gegen eine den unmittelbaren Vermögensinteressen des Arbeitgebers dienende Weisung einhergeht (KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 459).

31

f) Danach liegt eine erhebliche, die Schwelle zum wichtigen Grund überschreitende Pflichtverletzung vor. Die Klägerin hat sich mit dem Einlösen der Leergutbons gegenüber der Beklagten einen Vermögensvorteil verschafft, der ihr nicht zustand. Ihr Verhalten wiegt umso schwerer, als sie eine konkrete Anordnung des Marktleiters zum Umgang mit den Bons missachtet hat. Es kommt nicht darauf an, ob sie damit schon gegen ihre Hauptleistungspflichten als Kassiererin oder gegen ihre Pflicht zur Rücksichtnahme aus § 241 Abs. 2 BGB verstoßen hat. In jedem Fall gehört die Pflicht zur einschränkungslosen Wahrung der Vermögensinteressen der Beklagten zum Kernbereich ihrer Arbeitsaufgaben. Die Schwere der Pflichtverletzung hängt von einer exakten Zuordnung nicht ab. Die Vorgabe des Marktleiters, die Bons nach einer gewissen Zeit als „Fehlbons“ zu verbuchen, sollte sicherstellen, dass die Beklagte insoweit nicht mehr in Anspruch genommen würde. Ob damit den Interessen der Kunden ausreichend Rechnung getragen wurde, ist im Verhältnis der Parteien ohne Bedeutung. Die Klägerin jedenfalls durfte die Bons nicht zum eigenen Vorteil einlösen.

32

3. Die fristlose Kündigung ist bei Beachtung aller Umstände des vorliegenden Falls und nach Abwägung der widerstreitenden Interessen gleichwohl nicht gerechtfertigt. Als Reaktion der Beklagten auf das Fehlverhalten der Klägerin hätte eine Abmahnung ausgereicht. Dies vermag der Senat selbst zu entscheiden.

33

a) Dem Berufungsgericht kommt bei der im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB vorzunehmenden Interessenabwägung zwar ein Beurteilungsspielraum zu(Senat 11. Dezember 2003 - 2 AZR 36/03 - zu II 1 f der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 179 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 5). Eine eigene Abwägung durch das Revisionsgericht ist aber möglich, wenn die des Berufungsgerichts fehlerhaft oder unvollständig ist und sämtliche relevanten Tatsachen feststehen (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 36, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17; 12. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 61, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Ein solcher Fall liegt hier vor.

34

b) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung - etwa im Hinblick auf das Maß eines durch sie bewirkten Vertrauensverlusts und ihre wirtschaftlichen Folgen -, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf (Senat 28. Januar 2010 - 2 AZR 1008/08 - Rn. 26 mwN, DB 2010, 1709; 10. November 2005 - 2 AZR 623/04 - Rn. 38 mwN, AP BGB § 626 Nr. 196 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 11). Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind (st. Rspr., Senat 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 45, AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7). Als mildere Reaktionen sind insbesondere Abmahnung und ordentliche Kündigung anzusehen. Sie sind dann alternative Gestaltungsmittel, wenn schon sie geeignet sind, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck - die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen - zu erreichen (KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 251 mwN).

35

c) Die Notwendigkeit der Prüfung, ob eine fristgerechte Kündigung als Reaktion ausgereicht hätte, folgt schon aus dem Wortlaut des § 626 Abs. 1 BGB. Das Erfordernis weitergehend zu prüfen, ob nicht schon eine Abmahnung ausreichend gewesen wäre, folgt aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (die Kündigung als „ultima ratio“) und trägt zugleich dem Prognoseprinzip bei der verhaltensbedingten Kündigung Rechnung (Senat 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 47 f., AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7; 12. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 55 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Das Erfordernis gilt auch bei Störungen im Vertrauensbereich. Es ist nicht stets und von vorneherein ausgeschlossen, verlorenes Vertrauen durch künftige Vertragstreue zurückzugewinnen (Senat 4. Juni 1997 - 2 AZR 526/96 - zu II 1 b der Gründe, BAGE 86, 95).

36

aa) Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann (Schlachter NZA 2005, 433, 436). Die ordentliche wie die außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus. Sie dient der Objektivierung der negativen Prognose (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 283/08 - Rn. 14 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Abmahnung Nr. 5 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 75; Staudinger/Preis <2002> § 626 BGB Rn. 109). Ist der Arbeitnehmer ordnungsgemäß abgemahnt worden und verletzt er dennoch seine arbeitsvertraglichen Pflichten erneut, kann regelmäßig davon ausgegangen werden, es werde auch zukünftig zu weiteren Vertragsstörungen kommen (Senat 13. Dezember 2007 - 2 AZR 818/06 - Rn. 38, AP KSchG 1969 § 4 Nr. 64 = EzA KSchG § 4 nF Nr. 82).

37

bb) Nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist eine Kündigung nicht gerechtfertigt, wenn es mildere Mittel gibt, eine Vertragsstörung zukünftig zu beseitigen. Dieser Aspekt hat durch die Regelung des § 314 Abs. 2 BGB iVm. § 323 Abs. 2 BGB eine gesetzgeberische Bestätigung erfahren(Senat 12. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 56 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Einer Abmahnung bedarf es in Ansehung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes deshalb nur dann nicht, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft selbst nach Abmahnung nicht zu erwarten steht oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass eine Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist (vgl. Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 33, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17; 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 48 mwN, AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7).

38

cc) Diese Grundsätze gelten uneingeschränkt selbst bei Störungen des Vertrauensbereichs durch Straftaten gegen Vermögen oder Eigentum des Arbeitgebers (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 33, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17; 27. April 2006 - 2 AZR 415/05 - Rn. 19, AP BGB § 626 Nr. 203 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 17). Auch in diesem Bereich gibt es keine „absoluten“ Kündigungsgründe. Stets ist konkret zu prüfen, ob nicht objektiv die Prognose berechtigt ist, der Arbeitnehmer werde sich jedenfalls nach einer Abmahnung künftig wieder vertragstreu verhalten (vgl. auch Erman/Belling BGB 12. Aufl. § 626 Rn. 62; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 264; Preis AuR 2010, 242, 244; Reichel AuR 2004, 252; Schlachter NZA 2005, 433, 437).

39

d) Danach war eine Abmahnung hier nicht entbehrlich.

40

aa) Das Landesarbeitsgericht geht zunächst zutreffend davon aus, dass es einer Abmahnung nicht deshalb bedurfte, um bei der Klägerin die mögliche Annahme zu beseitigen, die Beklagte könnte mit der eigennützigen Verwendung der Bons einverstanden sein. Einer mutmaßlichen Einwilligung - die in anderen Fällen, etwa der Verwendung wertloser, als Abfall deklarierter Gegenstände zum Eigenverbrauch oder zur Weitergabe an Hilfsbedürftige oder dem Aufladen eines Mobiltelefons im Stromnetz des Arbeitgebers, naheliegend sein mag - stand im Streitfall die Weisung des Filialleiters entgegen, die keine Zweifel über den von der Beklagten gewünschten Umgang mit den Bons aufkommen ließ. Auf mögliche Unklarheiten in den allgemeinen Anweisungen der Beklagten zur Behandlung von Fundsachen und Fundgeld kommt es deshalb nicht an.

41

bb) Mit Recht hat das Landesarbeitsgericht zudem angenommen, das Verhalten der Klägerin stelle eine objektiv schwerwiegende, das Vertrauensverhältnis der Parteien erheblich belastende Pflichtverletzung dar.

42

(1) Mit der eigennützigen Verwendung der Leergutbons hat sich die Klägerin bewusst gegen die Anordnung des Filialleiters gestellt. Schon dies ist geeignet, das Vertrauen der Beklagten in die zuverlässige Erfüllung der ihr übertragenen Aufgaben als Kassiererin zu erschüttern. Erschwerend kommt hinzu, dass die Bons gerade ihr zur Verwahrung und ggf. Buchung als „Fehlbons“ übergeben worden waren. Das Fehlverhalten der Klägerin berührt damit den Kernbereich ihrer Arbeitsaufgaben. Sie war als Verkäuferin mit Kassentätigkeit beschäftigt. Als solche hat sie den weisungsgemäßen Umgang mit Leergutbons gleichermaßen sicher zu stellen wie den mit ihr anvertrautem Geld. Die Beklagte muss sich auf die Zuverlässigkeit und Ehrlichkeit einer mit Kassentätigkeiten betrauten Arbeitnehmerin in besonderem Maße verlassen dürfen. Sie muss davon ausgehen können, dass ihre Weisungen zum Umgang mit Sach- und Vermögenswerten unabhängig von deren Wert und den jeweiligen Eigentumsverhältnissen korrekt eingehalten werden. Als Einzelhandelsunternehmen ist die Beklagte besonders anfällig dafür, in der Summe hohe Einbußen durch eine Vielzahl für sich genommen geringfügiger Schädigungen zu erleiden. Verstößt eine Arbeitnehmerin, deren originäre Aufgabe es ist, Einnahmen zu sichern und zu verbuchen, vorsätzlich und zur persönlichen Bereicherung gegen eine Pflicht, die gerade dem Schutz des Eigentums und Vermögens des Arbeitgebers oder eines Kunden dient, liegt darin regelmäßig ein erheblicher, das Vertrauen in ihre Redlichkeit beeinträchtigender Vertragsverstoß.

43

(2) Der Einwand der Klägerin, ein Vertrauen auf Seiten der Beklagten bestehe ohnehin nicht, wie die in den Märkten praktizierte Videoüberwachung zeige, geht fehl. Jeder Arbeitnehmer hat die Pflicht, sich so zu verhalten, dass es um seinetwillen einer Kontrolle nicht bedürfte. Erweist sich ein zunächst unspezifisches, nicht auf konkrete Personen bezogenes, generelles „Misstrauen“ des Arbeitgebers schließlich im Hinblick auf einen bestimmten Mitarbeiter als berechtigt, wird erst und nur dadurch das Vertrauen in dessen Redlichkeit tatsächlich erschüttert.

44

cc) Auch wenn deshalb das Verhalten der Klägerin das Vertrauensverhältnis zur Beklagten erheblich belastet hat, so hat das Landesarbeitsgericht doch den für die Klägerin sprechenden Besonderheiten nicht hinreichend Rechnung getragen.

45

(1) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Klägerin habe nicht damit rechnen können, die Beklagte werde ihr Verhalten auch nur einmalig hinnehmen, ohne eine Kündigung auszusprechen. Die Klägerin habe ihre Pflichten als Kassiererin „auf das Schwerste“ verletzt. Mit dieser Würdigung ist es den Besonderheiten des Streitfalls nicht ausreichend gerecht geworden. Die Klägerin hat an der Kasse in unmittelbarer Anwesenheit ihrer Vorgesetzten bei einer nicht befreundeten Kollegin unabgezeichnete Leergutbons eingelöst. Dass sie mangels Abzeichnung nach den betrieblichen Regelungen keinen Anspruch auf eine Gutschrift hatte, war für die Kassenmitarbeiterin und die Vorgesetzte offenkundig und nicht zu übersehen. Das wusste auch die Klägerin, die deshalb aus ihrer Sicht unweigerlich würde Aufmerksamkeit erregen und Nachfragen auslösen müssen. Das zeigt, dass sie ihr Verhalten - fälschlich - als notfalls tolerabel oder jedenfalls korrigierbar eingeschätzt haben mag und sich eines gravierenden Unrechts offenbar nicht bewusst war. Für den Grad des Verschuldens und die Möglichkeit einer Wiederherstellung des Vertrauens macht es objektiv einen Unterschied, ob es sich bei einer Pflichtverletzung um ein Verhalten handelt, das insgesamt - wie etwa der vermeintlich unbeobachtete Griff in die Kasse - auf Heimlichkeit angelegt ist oder nicht.

46

(2) Das Landesarbeitsgericht hat die Einmaligkeit der Pflichtverletzung und die als beanstandungsfrei unterstellte Betriebszugehörigkeit der Klägerin von gut drei Jahrzehnten zwar erwähnt, ihnen aber kein ausreichendes Gewicht beigemessen.

47

(a) Für die Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung kann es von erheblicher Bedeutung sein, ob der Arbeitnehmer bereits geraume Zeit in einer Vertrauensstellung beschäftigt war, ohne vergleichbare Pflichtverletzungen begangen zu haben. Das gilt auch bei Pflichtverstößen im unmittelbaren Vermögensbereich (Senat 13. Dezember 1984 - 2 AZR 454/83 - zu III 3 a der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 81 = EzA BGB § 626 nF Nr. 94). Eine für lange Jahre ungestörte Vertrauensbeziehung zweier Vertragspartner wird nicht notwendig schon durch eine erstmalige Vertrauensenttäuschung vollständig und unwiederbringlich zerstört. Je länger eine Vertragsbeziehung ungestört bestanden hat, desto eher kann die Prognose berechtigt sein, dass der dadurch erarbeitete Vorrat an Vertrauen durch einen erstmaligen Vorfall nicht vollständig aufgezehrt wird. Dabei kommt es nicht auf die subjektive Befindlichkeit und Einschätzung des Arbeitgebers oder bestimmter für ihn handelnder Personen an. Entscheidend ist ein objektiver Maßstab. Maßgeblich ist nicht, ob der Arbeitgeber hinreichendes Vertrauen in den Arbeitnehmer tatsächlich noch hat. Maßgeblich ist, ob er es aus der Sicht eines objektiven Betrachters haben müsste. Im Arbeitsverhältnis geht es nicht um ein umfassendes wechselseitiges Vertrauen in die moralischen Qualitäten der je anderen Vertragspartei. Es geht allein um die von einem objektiven Standpunkt aus zu beantwortende Frage, ob mit einer korrekten Erfüllung der Vertragspflichten zu rechnen ist.

48

(b) Die Klägerin hat durch eine beanstandungsfreie Tätigkeit als Verkäuferin und Kassiererin über dreißig Jahre hinweg Loyalität zur Beklagten gezeigt.

49

(aa) Der Senat hatte davon auszugehen, dass diese Zeit ohne rechtlich relevante Beanstandungen verlaufen ist. Gegenstand einer der Klägerin erteilten Abmahnung war eine vor Kunden abgegebene, abfällige Äußerung gegenüber einem Arbeitskollegen. Dieses Verhalten steht mit dem Kündigungsvorwurf in keinerlei Zusammenhang; im Übrigen wurde die Abmahnung ein Jahr später aus der Personalakte entfernt. Schon aus tatsächlichen Gründen unbeachtlich ist das Geschehen im Zusammenhang mit der Einlösung eines Sondercoupons im November 2007. Die Klägerin hat im Einzelnen und plausibel dargelegt, weshalb ihr dabei im Ergebnis keine Bonuspunkte zugeschrieben worden seien, die ihr nicht zugestanden hätten. Dem ist die Beklagte nicht hinreichend substantiiert entgegengetreten.

50

(bb) Das in dieser Beschäftigungszeit von der Klägerin erworbene Maß an Vertrauen in die Korrektheit ihrer Aufgabenerfüllung und in die Achtung der Vermögensinteressen der Beklagten schlägt hoch zu Buche. Angesichts des Umstands, dass nach zehn Tagen Wartezeit mit einer Nachfrage der in Wahrheit berechtigten Kunden nach dem Verbleib von Leergutbons über Cent-Beträge aller Erfahrung nach nicht mehr zu rechnen war, und der wirtschaftlichen Geringfügigkeit eines der Beklagten entstandenen Nachteils ist es höher zu bewerten als deren Wunsch, nur eine solche Mitarbeiterin weiterzubeschäftigen, die in jeder Hinsicht und ausnahmslos ohne Fehl und Tadel ist. Dieser als solcher berechtigte Wunsch macht der Beklagten die Weiterbeschäftigung der Klägerin trotz ihres Pflichtenverstoßes mit Blick auf die bisherige Zusammenarbeit nicht unzumutbar. Objektiv ist das Vertrauen in die Zuverlässigkeit der Klägerin nicht derart erschüttert, dass dessen vollständige Wiederherstellung und ein künftig erneut störungsfreies Miteinander der Parteien nicht in Frage käme.

51

(3) Das prozessuale Verteidigungsvorbringen der Klägerin steht dieser Würdigung nicht entgegen.

52

(a) Die Wirksamkeit einer Kündigung ist grundsätzlich nach den objektiven Verhältnissen im Zeitpunkt ihres Zugangs zu beurteilen. Dieser Zeitpunkt ist im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB sowohl für die Prüfung des Kündigungsgrundes als auch für die Interessenabwägung maßgebend. Umstände, die erst danach entstanden sind, können die bereits erklärte Kündigung nicht rechtfertigen. Sie können allenfalls als Grundlage für eine weitere Kündigung oder einen Auflösungsantrag nach §§ 9, 10 KSchG dienen(Senat 28. Oktober 1971 - 2 AZR 15/71 - zu II 2 d der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 62 = EzA BGB § 626 nF Nr. 9; 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - zu III der Gründe, BAGE 2, 245).

53

(b) Nachträglich eingetretene Umstände können nach der Rechtsprechung des Senats für die gerichtliche Beurteilung allerdings insoweit von Bedeutung sein, wie sie die Vorgänge, die zur Kündigung geführt haben, in einem neuen Licht erscheinen lassen (Senat 13. Oktober 1977 - 2 AZR 387/76 - zu III 3 d der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 1 = EzA BetrVG 1972 § 74 Nr. 3; 28. Oktober 1971 - 2 AZR 15/71 - zu II 2 d der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 62 = EzA BGB § 626 nF Nr. 9; 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - zu III der Gründe, BAGE 2, 245). Dazu müssen zwischen den neuen Vorgängen und den alten Gründen so enge innere Beziehungen bestehen, dass jene nicht außer Acht gelassen werden können, ohne dass ein einheitlicher Lebensvorgang zerrissen würde (Senat 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - aaO; ErfK/Müller-Glöge 10. Aufl. § 626 Rn. 54; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 177; SPV/Preis 10. Aufl. Rn. 551; vgl. auch Walker NZA 2009, 921, 922). Es darf aber nicht etwa eine ursprünglich unbegründete Kündigung durch die Berücksichtigung späteren Verhaltens rückwirkend zu einer begründeten werden (Senat 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - aaO). Außerdem ist genau zu prüfen, welche konkreten Rückschlüsse auf den Kündigungsgrund späteres Verhalten wirklich erlaubt. Im Hinblick auf prozessuales Vorbringen (vgl. Senatsentscheidungen vom 24. November 2005 - 2 AZR 39/05 - AP BGB § 626 Nr. 197 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 12 und 3. Juli 2003 - 2 AZR 437/02 - AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 38 = EzA KSchG § 1 Verdachtskündigung Nr. 2)gilt nichts anderes.

54

(c) Danach kommt dem Prozessverhalten der Klägerin keine ihre Pflichtverletzung verstärkende Bedeutung zu. Es ist nicht geeignet, den Kündigungssachverhalt als solchen zu erhellen. Der besteht darin, dass die Klägerin unberechtigterweise ihr nicht gehörende Leergutbons zweier Kunden zum eigenen Vorteil eingelöst hat.

55

(aa) Dieser Vorgang erscheint insbesondere im Hinblick auf eine Wiederholungsgefahr nicht dadurch in einem anderen, für die Klägerin ungünstigeren Licht, dass diese zunächst die Identität der von ihr eingelösten und der im Kassenbüro aufbewahrten Bons bestritten hat. Das Gleiche gilt im Hinblick darauf, dass die Klägerin auch noch im Prozessverlauf die Möglichkeit bestimmter Geschehensabläufe ins Spiel gebracht hat, die erklären könnten, weshalb sie - wie sie stets behauptet hat - selbst bei Identität der Bons nicht wusste, dass sie ihr nicht gehörende Bons einlöste. Die von der Klägerin aufgezeigten Möglichkeiten einschließlich der einer gegen sie geführten Intrige mögen sich wegen der erforderlich gewordenen Befragungen der betroffenen Arbeitnehmer nachteilig auf den Betriebsfrieden ausgewirkt haben. Dies war aber nicht Kündigungsgrund. Unabhängig davon zielte das Verteidigungsvorbringen der Klägerin erkennbar nicht darauf, Dritte einer konkreten Pflichtverletzung zu bezichtigen. Der Kündigungsgrund wird auch nicht dadurch klarer, dass die Klägerin die Rechtsauffassung vertreten hat, erstmalige Vermögensdelikte zulasten des Arbeitgebers könnten bei geringem wirtschaftlichem Schaden eine außerordentliche Kündigung ohne vorausgegangene Abmahnung nicht rechtfertigen. Damit hat sie lediglich in einer rechtlich umstrittenen Frage einen für sie günstigen Standpunkt eingenommen. Daraus kann nicht abgeleitet werden, sie werde sich künftig bei Gelegenheit in gleicher Weise vertragswidrig verhalten.

56

(bb) Das Prozessverhalten der Klägerin mindert ebenso wenig das bei der Interessenabwägung zu berücksichtigende Maß des verbliebenen Vertrauens. Auch für dessen Ermittlung ist auf den Zeitpunkt des Kündigungszugangs abzustellen. Aus dieser Perspektive und im Hinblick auf den bis dahin verwirklichten Kündigungssachverhalt ist zu fragen, ob mit der Wiederherstellung des Vertrauens in eine künftig korrekte Vertragserfüllung gerechnet werden kann. In dieser Hinsicht ist das Verteidigungsvorbringen der Klägerin ohne Aussagekraft. Ihr wechselnder Vortrag und beharrliches Leugnen einer vorsätzlichen Pflichtwidrigkeit lassen keine Rückschlüsse auf ihre künftige Zuverlässigkeit als Kassiererin zu. Das gilt gleichermaßen für mögliche, während des Prozesses aufgestellte Behauptungen der Klägerin über eine ihr angeblich von der Kassenleiterin angetragene Manipulation im Zusammenhang mit der Einlösung von Sondercoupons im November 2007 und mögliche Äußerungen gegenüber Pressevertretern.

57

(cc) Anders als die Beklagte meint, wird dadurch nicht Verstößen gegen die prozessuale Wahrheitspflicht „Tür und Tor geöffnet“. Im Fall eines bewusst wahrheitswidrigen Vorbringens besteht die Möglichkeit, eine weitere Kündigung auszusprechen oder einen Auflösungsantrag nach §§ 9, 10 KSchG anzubringen. Dabei kann nicht jeder unzutreffende Parteivortrag als „Lüge“ bezeichnet werden. Die Wahrnehmung eines Geschehens ist generell nicht unbeeinflusst vom äußeren und inneren Standpunkt des Wahrnehmenden. Gleiches gilt für Erinnerung und Wiedergabe, zumal in einem von starker Polarität geprägten Verhältnis, wie es zwischen Prozessparteien häufig besteht. Wenn sich das Gericht nach den Regeln des Prozessrechts in §§ 138, 286 ZPO die - rechtlich bindende, aber um deswillen nicht der Gefahr des Irrtums enthobene - Überzeugung bildet, ein bestimmter Sachverhalt habe sich so und nicht anders zugetragen, ist damit die frühere, möglicherweise abweichende Darstellung einer Partei nicht zugleich als gezielte Irreführung des Gerichts oder der Gegenpartei ausgewiesen. Es bedarf vielmehr besonderer Anhaltspunkte, um einen solchen - schweren - Vorwurf zu begründen.

58

B. Die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung zum 30. September 2008 ist unwirksam. Auch dies vermag der Senat selbst zu entscheiden. Die Kündigung ist sozial ungerechtfertigt. Sie ist nicht durch Gründe im Verhalten der Klägerin iSv. § 1 Abs. 2 KSchG bedingt. Sie ist auf denselben Lebenssachverhalt gestützt wie die außerordentliche Kündigung. Der Beklagten war es aus den dargelegten Gründen zuzumuten, auf das mildere Mittel der Abmahnung zurückzugreifen.

59

C. Der Antrag auf Beschäftigung, der sich ersichtlich auf die Dauer des Kündigungsrechtsstreits beschränkte, kommt wegen der Beendigung des Verfahrens nicht mehr zum Tragen.

        

    Kreft    

        

    Schmitz-Scholemann    

        

    Berger    

        

        

        

    Torsten Falke    

        

    Bartz    

                 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Nürnberg vom 5. Januar 2010 - 3 Sa 253/09 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.

2

Der Kläger war bei der Beklagten, einem Unternehmen für Vertriebs- und Servicedienstleistungen, seit dem 2. November 1999 als „Leiter IT/TK Department“ beschäftigt. Er war zuständig für die Betreuung der Hard- und Software. In § 8 Abs. 9 des Arbeitsvertrags ist geregelt, dass eine „Geheimhaltungs- und Verpflichtungserklärung“ sowie „Regeln über die Anwendung von Computerprogrammen“ Bestandteile des Vertrags sind. In der „Geheimhaltungs- und Verpflichtungserklärung“ vom 27. Oktober 1999 sagte der Kläger Verschwiegenheit hinsichtlich aller dienstlichen Angelegenheiten zu. Nach Ziff. 6 der „Regeln für die Anwendung von Computerprogrammen und die Behandlung von Dateien“ vom 27. Oktober 1999 ist es den Mitarbeitern nicht erlaubt, persönliche Software von zu Hause mitzubringen und auf den Computern des Unternehmens zu nutzen. Ebensowenig dürfen Programme des Unternehmens mit nach Hause genommen und auf einem eigenen Computer benutzt werden. Auf die Notwendigkeit der Einhaltung der zur Computersicherheit geltenden Regelungen hatte der Kläger als Leiter der IT-Abteilung die Mitarbeiter unter Hinweis auf arbeitsrechtliche Konsequenzen bei einer Zuwiderhandlung mehrfach hingewiesen.

3

Im Jahr 2008 stellte die Beklagte fest, dass sich der Kläger seit Mai 2007 nicht mehr in ihrem Netzwerk angemeldet habe. Eine Anmeldung ist erforderlich, um auf dem firmeneigenen Laptop gespeicherte Daten auf dem zentralen Server des Netzwerks abzuspeichern und zu hinterlegen. Nur auf die dort in digitalisierter Form hinterlegten Arbeitsergebnisse ist ein direkter Zugriff der Beklagten möglich. Am 25. August 2008 sprach der Personalleiter der Beklagten den Kläger auf diesen Umstand an. Der Kläger bestätigte, dass er die Daten auf einer privaten Festplatte sichere und abspeichere. Daraufhin stellte die Beklagte ihn von seiner Arbeitsleistung frei.

4

Am 27. August 2008 untersuchte die Beklagte den firmeneigenen Laptop des Klägers und seine private Festplatte. Auf der Festplatte waren auch Dateien der Beklagten gespeichert. Auf dem Laptop befanden sich neben einer Vielzahl von Unternehmensdaten, Passwörtern und Zugriffsdaten für den Server der Beklagten, Angeboten an Kunden, Mitarbeiterbeurteilungen, Bewerbungsunterlagen und Kostenaufstellungen auch private Dateien, bestehend aus Videos, Bildern und MP-3-Dateien. Die gesamten Daten waren unverschlüsselt abgespeichert.

5

Die Beklagte sah darin einen massiven Verstoß des Klägers gegen seine Obhuts- und Rücksichtnahmepflichten (§ 241 Abs. 2 BGB). Nachdem sie den Betriebsrat angehört hatte, kündigte sie mit Schreiben vom 2. September 2008 das Arbeitsverhältnis der Parteien außerordentlich, hilfsweise ordentlich und fristgerecht zum 31. Dezember 2008.

6

Der Kläger hat hiergegen rechtzeitig Klage erhoben. Er hat die Auffassung vertreten, es bestehe kein Grund für die außerordentliche Kündigung. Auch seien die Frist gemäß § 626 Abs. 2 BGB nicht eingehalten und der Betriebsrat nicht ordnungsgemäß beteiligt worden. Die Kündigung sei auch als ordentliche nicht sozial gerechtfertigt.

7

Der Kläger hat beantragt

        

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 2. September 2008 weder fristlos noch mit Ablauf des 31. Dezember 2008 aufgelöst worden ist.

8

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, der Kläger habe ihr durch sein Verhalten eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auch nur bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist unzumutbar gemacht. Die Frist des § 626 Abs. 2 BGB sei gewahrt. Der Betriebsrat sei ordnungsgemäß angehört worden.

9

Das Arbeitsgericht hat mit Teilurteil nur über die Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung entschieden und der Klage insoweit stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt diese ihren Antrag weiter, die Klage abzuweisen.

Entscheidungsgründe

10

Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht entschieden, dass die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 2. September 2008 das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht aufgelöst hat. Es fehlt an einem wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB. Darauf, ob die Frist des § 626 Abs. 2 BGB gewahrt oder die Kündigung nach § 102 Abs. 1 BetrVG unwirksam ist, kommt es daher nicht an. Über die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung zum 31. Dezember 2008 war nicht zu entscheiden.

11

I. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann.

12

1. Ein wichtiger Grund zur Kündigung kann sowohl in einer erheblichen Verletzung von vertraglichen Hauptleistungspflichten als auch in der von Nebenpflichten liegen (BAG 12. Mai 2010 - 2 AZR 845/08 - Rn. 19, EzA BGB 2002 § 626 Nr. 31; 2. März 2006 - 2 AZR 53/05 - Rn. 21, AP BGB § 626 Krankheit Nr. 14 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 16). Als Vertragspflichtverletzung, die eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen vermag, ist ein nachhaltiger Verstoß des Arbeitnehmers gegen berechtigte Weisungen des Arbeitgebers anzusehen (BAG 12. Mai 2010 - 2 AZR 845/08 - Rn. 20, aaO; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 459 mwN). Ebenso kann die erhebliche Verletzung der Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitgebers gemäß § 241 Abs. 2 BGB einen wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB bilden. Der konkrete Inhalt dieser Pflicht ergibt sich aus dem jeweiligen Arbeitsverhältnis und seinen spezifischen Anforderungen (BAG 12. Mai 2010 - 2 AZR 845/08 - aaO; 26. März 2009 - 2 AZR 953/07 - Rn. 24, AP BGB § 626 Nr. 220). Einer besonderen Vereinbarung bedarf es insoweit nicht (BAG 12. Mai 2010 - 2 AZR 845/08 - aaO).

13

2. Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 34, EzA BGB 2002 § 626 Nr. 32).

14

a) Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - EzA BGB 2002 § 626 Nr. 32; 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 45, AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7). Als mildere Reaktionen sind insbesondere Abmahnung und ordentliche Kündigung anzusehen. Sie sind dann alternative Gestaltungsmittel, wenn schon sie geeignet sind, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck - die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen - zu erreichen (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - aaO; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 251 mwN). Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 36, aaO; Schlachter NZA 2005, 433, 436). Ordentliche und außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus. Sie dient zugleich der Objektivierung der negativen Prognose (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - aaO; 23. Juni 2009 - 2 AZR 283/08 - Rn. 14 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Abmahnung Nr. 5 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 75; Staudinger/Preis <2002> § 626 BGB Rn. 109).

15

b) Nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist eine Kündigung nicht gerechtfertigt, wenn es mildere Mittel gibt, eine Vertragsstörung zukünftig zu beseitigen (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 37, EzA BGB 2002 § 626 Nr. 32). Dieser Aspekt hat durch die Regelung des § 314 Abs. 2 BGB iVm. § 323 Abs. 2 BGB eine gesetzgeberische Bestätigung erfahren. Einer Abmahnung bedarf es in Ansehung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes deshalb nur dann nicht, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft selbst nach Abmahnung nicht zu erwarten steht oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass eine Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 56, aaO; vgl. auch BAG 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 33, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17).

16

3. Die Prüfung der Voraussetzungen des wichtigen Grundes ist in erster Linie Sache der Tatsacheninstanzen. Dennoch geht es um Rechtsanwendung, nicht um Tatsachenfeststellung. Die Würdigung des Berufungsgerichts wird in der Revisionsinstanz darauf hin überprüft, ob es den anzuwendenden Rechtsbegriff in seiner allgemeinen Bedeutung verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnormen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob es alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände widerspruchsfrei berücksichtigt hat (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 17, EzA BGB 2002 § 626 Nr. 32; 27. November 2008 - 2 AZR 193/07 - Rn. 22, AP BGB § 626 Nr. 219).

17

II. Bei Anwendung dieser Grundsätze hält die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand.

18

1. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Beklagte habe die Pflichtverletzung des Klägers, unter Verstoß gegen die „Regeln für die Anwendung von Computerprogrammen und die Behandlung von Dateien“ private Dateien auf dem Firmenlaptop gespeichert zu haben, zunächst abmahnen müssen. Dies ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Fehlverhalten des Klägers wiegt nicht so schwer, dass es ohne Weiteres eine fristlose Beendigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen könnte.

19

a) In der Speicherung privater Dateien auf dem Firmen-Laptop liegt keine Pflichtverletzung des Klägers, bei der eine Hinnahme des Verhaltens durch den Arbeitgeber offensichtlich ausgeschlossen wäre. Zwar ist auf den Computern der Beklagten laut Ziff. 6 Abs. 1 Satz 3 der „Regeln über die Anwendung von Computerprogrammen und die Behandlung von Dateien“ die Verwendung privater Software untersagt. Das Landesarbeitsgericht hat aber zutreffend berücksichtigt, dass der Kläger die privaten Dateien nach seinem unwidersprochenen Vorbringen nicht aus dem Internet heruntergeladen, sondern von eigenen Datenträgern überspielt hat. Die Beklagte hat weder behauptet, dass es sich dabei um strafrechtlich relevantes oder sonst anrüchiges Material gehandelt habe, noch lässt sich ihrem Vorbringen entnehmen, dass konkrete Beeinträchtigungen der Funktionen des Laptops oder des Netzwerks eingetreten wären. Dass der Kläger die auf dem Laptop installierte private Software während der Arbeitszeit zu privaten Zwecken genutzt habe, hat die Beklagte ebenso wenig geltend gemacht.

20

Auch die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, die Stellung des Klägers als Leiter der IT-Abteilung und Vorgesetzter rechtfertige keine andere Beurteilung, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Zwar zeigen die Hinweise des Klägers an die Mitarbeiter, dass er sich der Gefahren eines Regelverstoßes für die Sicherheit und Funktion der IT-Systeme bewusst war. Wenn er selbst die Regeln nicht eingehalten hat, stellt dies aber kein Verhalten dar, dessen auch nur erstmalige Hinnahme durch die Beklagte offensichtlich ausgeschlossen war.

21

2. Eine Abmahnung war auch nicht deshalb entbehrlich, weil der Kläger Unternehmensdaten auf dem Laptop nur durch ein einfaches Passwort gesichert hatte. Ob der Kläger insoweit überhaupt pflichtwidrig gehandelt hat, bedarf keiner Klärung. Die Beklagte hat nicht behauptet, es habe eine ausdrückliche Anordnung gegeben, weitergehende Sicherungen vorzunehmen. Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, eine Abmahnung hätte zukünftig ein vertragsgerechtes Verhalten des Klägers erwarten lassen, ist unter diesen Umständen revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Dies gilt auch, soweit die Beklagte geltend gemacht hat, es sei gerade Aufgabe des Klägers gewesen, für weitergehende Sicherungsmaßnahmen zu sorgen. Damit rügt sie eine Schlechtleistung des Klägers, welche ihrerseits einer Abmahnung bedurft hätte.

22

3. Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht angenommen, auch die Speicherung unternehmensbezogener Dateien auf einer privaten Festplatte und ohne Sicherung gegen unbefugten Zugriff wiege im Streitfall nicht so schwer, dass sie die außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen könne.

23

a) Allerdings kann durch eine unerlaubte Speicherung unternehmensbezogener Daten auf einer privaten Festplatte die Pflicht zur Rücksichtnahme aus § 241 Abs. 2 BGB verletzt sein. Sollten personenbezogene Daten iSv. § 3 Abs. 1 BDSG betroffen gewesen sein, kommt zudem ein Verstoß gegen § 5 Satz 1 BDSG in Betracht. Die Beklagte beruft sich außerdem darauf, der Kläger habe seine Vertragspflichten dadurch verletzt, dass er die Daten nicht auch auf dem Netzwerkserver hinterlegt habe.

24

aa) Eine Verletzung von Urheberrechten ist mit dem Verhalten des Klägers nicht verbunden. Die Beklagte hat keine Tatsachen vorgetragen, die die Annahme rechtfertigten, bei den vom Kläger auf seine private Festplatte kopierten Dateien habe es sich um urheberrechtlich geschützte Werke gehandelt. Es kann daher dahinstehen, ob die Herstellung von Sicherungskopien bereits eine unerlaubte Vervielfältigung darstellt (vgl. dazu § 15 Abs. 1 Nr. 1, §§ 16, 69c, 69d UrhG). Zwar sind Computerprogramme nach Maßgabe der §§ 69a ff. UrhG urheberrechtlich geschützt. Daten oder in Dateien gespeicherte Datenbestände sind für sich genommen aber keine Computerprogramme in diesem Sinne, da sie keine Befehls- oder Steuerungsanweisungen an den Computer enthalten (vgl. Fromm/Nordemann/Czychowski Urheberrecht 10. Aufl. § 69a UrhG Rn. 12; Dreier/Schulze/Dreier UrhG 3. Aufl. § 69a Rn. 12; Wandtke/Bullinger/Grützmacher UrhR 3. Aufl. § 69a UrhG Rn. 17 ). Ein Computerprogramm ist eine Folge von Befehlen, die nach Aufnahme in einen maschinellen Träger fähig sind zu bewirken, dass eine Maschine mit informationsverarbeitenden Fähigkeiten eine bestimmte Funktion oder Aufgabe oder ein bestimmtes Ergebnis anzeigt, ausführt oder erzielt (vgl. BGH 9. Mai 1985 - I ZR 52/83 - zu II 2 a aa der Gründe, BGHZ 94, 276). Bloße Daten oder Datensammlungen sind regelmäßig auch keine urheberrechtlich geschützten Schriftwerke (Fromm/Nordemann/Nordemann Urheberrecht 10. Aufl. § 2 UrhG Rn. 76). Der Schutz als Schriftwerk iSv. § 2 Abs. 1 Nr. 1 UrhG verlangt gemäß § 2 Abs. 2 UrhG, dass das Werk Ergebnis einer persönlichen geistigen Schöpfung ist. Selbst wenn eine Sammlung von Daten auf einer inhaltlichen Verarbeitung und Auswahl von Erkenntnissen beruht, findet diese möglicherweise schöpferische Tätigkeit keine gestalterische Darstellung in den Daten selbst (Nordemann aaO).

25

bb) Auch ein Verstoß gegen Ziff. 6 Abs. 2 der betrieblichen „Regeln über die Anwendung von Computerprogrammen und die Behandlung von Dateien“ liegt entgegen der Ansicht der Beklagten nicht vor. Danach ist es untersagt, Programme des Unternehmens mit nach Hause zu nehmen und auf einem eigenen Computer zu nutzen. Die Regeln differenzieren ebenfalls zwischen Computerprogrammen und Dateien. Die Beklagte hat weder dargelegt, dass es sich bei den vom Kläger kopierten Dateien um Computerprogramme gehandelt, noch dass der Kläger andere „Programme des Unternehmens“ auf seinem eigenen Computer genutzt habe.

26

b) Es kann offenbleiben, ob der Kläger gegen § 241 Abs. 2 BGB, ggf. iVm. § 5 BDSG, tatsächlich verstoßen hat. Jedenfalls ist es revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das Landesarbeitsgericht mögliche Pflichtverletzungen des Klägers durch das Kopieren unternehmensbezogener Daten auf eine private Festplatte nicht als hinreichenden Kündigungsgrund angesehen hat. Dies gilt auch dann, wenn das tatsächliche Vorbringen der Beklagten im Schriftsatz vom 14. Dezember 2009 als wahr unterstellt wird.

27

aa) Der Umstand, dass der Kläger unternehmensbezogene Dateien auf seiner privaten Festplatte gespeichert hat, rechtfertigt nicht die Annahme, er habe die fraglichen Daten unterdrücken oder der Beklagten vorenthalten wollen. Diese selbst hat im Schriftsatz vom 14. Dezember 2009 vorgetragen, dass die Dateien überwiegend auch auf dem firmeneigenen Laptop gespeichert waren. Soweit sie geltend gemacht hat, Dateien im Zusammenhang mit zwei ausländischen Standorten seien ausschließlich auf der privaten Festplatte des Klägers gespeichert gewesen, stützt sie den Vorwurf des Unterdrückens bzw. Vorenthaltens der Daten lediglich darauf, dass der Kläger diese Arbeitsergebnisse nicht zusätzlich auf ihrem Netzwerkserver hinterlegt habe. Die Schlussfolgerung der Beklagten wird durch die behaupteten Indiztatsachen nicht getragen. Sie ist auch dann nicht berechtigt, wenn die Behauptung, der Kläger sei seit Mai 2007 nicht mehr im betrieblichen Netzwerk eingeloggt gewesen, und das weitere Vorbringen im Schriftsatz vom 14. Dezember 2009 mitbedacht werden. Das Landesarbeitsgericht hat deshalb im Ergebnis zu Recht keine Veranlassung zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung gesehen.

28

(1) Die Beklagte hat nicht vorgetragen, dass und welche konkreten Weisungen sie zur Hinterlegung von Arbeitsergebnissen im Firmennetz erteilt habe. Sie hat zwar vorgebracht, zur Datensicherung müssten Änderungen an Dateien auf ihrem Netzwerkserver abgespeichert werden. Nur so sei gewährleistet, dass Daten nicht verloren gingen oder in die Hände Unbefugter gelangten. Dass es entsprechende ausdrückliche Anordnungen gegeben habe, hat sie aber nicht behauptet. Soweit sie darauf verweist, der Kläger selbst habe Regeln für die Benutzung eines Firmenlaptops formuliert, handelte es sich bei diesen nach ihrem eigenen Vorbringen nur um einen nicht weiter verfolgten Regelungsentwurf.

29

(2) Soweit die Beklagte vorgebracht hat, der Kläger sei auch ohne ausdrückliche Anordnung verpflichtet gewesen, ihr einen digitalen Zugriff auf seine Arbeitsergebnisse zu ermöglichen, hat sie nicht dargelegt, inwiefern dem Kläger dies in Bezug auf die nicht hinterlegten Daten hätte bewusst sein müssen. Im Übrigen ist es nach ihrem eigenen Vorbringen durch die Unterlassungen des Klägers nicht zu Beeinträchtigungen ihrer Tätigkeit gekommen.

30

bb) Die mögliche Unzulänglichkeit der Sicherung der auf der privaten Festplatte des Klägers gespeicherten Daten rechtfertigt eine Kündigung ebensowenig. Ein damit verbundener Verstoß gegen die Pflicht zur Rücksichtnahme aus § 241 Abs. 2 BGB, ggf. iVm. § 5 BDSG, wiegt nicht so schwer, dass eine vorherige Abmahnung entbehrlich gewesen wäre. Zwar hat der Kläger die Sicherheit der Daten durch das Kopieren auf seine private Festplatte möglicherweise gefährdet. Dass er aber geradezu leichtfertig mit den gespeicherten Daten umgegangen wäre, ist nicht ersichtlich. Die Beklagte hat nicht behauptet, dass Dritte tatsächlich Zugriff auf sie hätten nehmen können.

31

4. War hinsichtlich der Einzelvorwürfe eine Abmahnung nicht entbehrlich, sind diese auch in ihrer Gesamtheit nicht geeignet, die außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen.

32

III. Als unterlegene Partei hat die Beklagte gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Revision zu tragen.

        

    Kreft    

        

    Berger    

        

    Rachor    

        

        

        

    Gans    

        

    Pitsch    

        

        

Tenor

1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 24. Februar 2009 - 7 Sa 2017/08 - aufgehoben.

2. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 21. August 2008 - 2 Ca 3632/08 - abgeändert:

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die fristlose Kündigung, noch durch die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung vom 22. Februar 2008 aufgelöst worden ist.

3. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung.

2

Die 1958 geborene Klägerin war seit April 1977 bei der Beklagten und deren Rechtsvorgängerinnen als Verkäuferin mit Kassentätigkeit beschäftigt.

3

Die Beklagte ist ein überregional vertretenes Einzelhandelsunternehmen. In einigen ihrer Filialen, so auch in der Beschäftigungsfiliale der Klägerin, besteht die Möglichkeit, Leergut an einem Automaten gegen Ausstellung eines Leergutbons zurückzugeben. Wird ein solcher Bon an der Kasse eingelöst, ist er von der Kassiererin/dem Kassierer abzuzeichnen. Mitarbeiter der Filiale sind angewiesen, mitgebrachtes Leergut beim Betreten des Markts dem Filialleiter vorzuzeigen und einen am Automaten erstellten Leergutbon durch den Leiter gesondert abzeichnen zu lassen, bevor sie den Bon an der Kasse einlösen. Dort wird er wie ein Kundenbon ein weiteres Mal abgezeichnet. Diese Regelungen, die Manipulationen beim Umgang mit Leergut ausschließen sollen, sind der Klägerin bekannt.

4

Im Herbst 2007 beteiligte sich die Klägerin mit weiteren sieben von insgesamt 36 Beschäftigten ihrer Filiale an einem gewerkschaftlich getragenen Streik. Während die Streikbereitschaft anderer Arbeitnehmer mit der Zeit nachließ, nahm die Klägerin bis zuletzt an den Maßnahmen teil. Im Januar 2008 lud der Filialleiter Beschäftigte, die sich nicht am Arbeitskampf beteiligt hatten, zu einer Feier außer Hause ein. Aus diesem Grund wurde er später von der Beklagten abgemahnt und in eine andere Filiale versetzt.

5

Am 12. Januar 2008 fand eine Mitarbeiterin im Kassenbereich einer separaten Backtheke zwei nicht abgezeichnete Leergutbons im Wert von 0,48 Euro und 0,82 Euro. Sie trugen das Datum des Tages und waren im Abstand von ca. einer Dreiviertelstunde am Automaten erstellt worden. Die Mitarbeiterin legte die Bons dem Filialleiter vor. Dieser reichte sie an die Klägerin mit der Maßgabe weiter, sie im Kassenbüro aufzubewahren für den Fall, dass sich noch ein Kunde melden und Anspruch darauf erheben würde; andernfalls sollten sie als „Fehlbons“ verbucht werden. Die Klägerin legte die Bons auf eine - für alle Mitarbeiter zugängliche und einsehbare - Ablage im Kassenbüro.

6

Am 22. Januar 2008 kaufte die Klägerin in der Filiale außerhalb ihrer Arbeitszeit privat ein. An der Kasse überreichte sie ihrer Kollegin zwei nicht abgezeichnete Leergutbons. Laut Kassenjournal wurden diese mit Werten von 0,48 Euro und 0,82 Euro registriert. Beim Kassieren war auch die Kassenleiterin und Vorgesetzte der Klägerin anwesend.

7

Zur Klärung der Herkunft der eingereichten Bons führte die Beklagte mit der Klägerin ab dem 25. Januar 2008 insgesamt vier Gespräche, an denen - außer am ersten Gespräch - jeweils zwei Mitglieder des Betriebsrats teilnahmen. Sie hielt ihr vor, die eingelösten Bons seien nicht abgezeichnet gewesen und stimmten hinsichtlich Wert und Ausgabedatum mit den im Kassenbüro aufbewahrten Bons überein. Es bestehe der dringende Verdacht, dass sie - die Klägerin - die dort abgelegten „Kundenbons“ an sich genommen und zu ihrem Vorteil verwendet habe. Die Klägerin bestritt dies und erklärte, selbst wenn die Bons übereinstimmten, bestehe die Möglichkeit, dass ihr entsprechende Bons durch eine ihrer Töchter oder durch Dritte zugesteckt worden seien. Beispielsweise habe sie am 21. oder 22. Januar 2008 einer Arbeitskollegin ihre Geldbörse ausgehändigt mit der Bitte, diese in ihren Spind zu legen. Die Beklagte legte der Klägerin nahe, zur Untermauerung ihrer Behauptung eine eidesstattliche Erklärung einer Tochter beizubringen. Außerdem befragte sie die benannte Kollegin, die die Angaben der Klägerin bestritt. Beim letzten, am 15. Februar 2008 geführten Gespräch überreichte die Klägerin eine schriftliche Erklärung, mit der eine ihrer Töchter bestätigte, bei der Beklagten hin und wieder für ihre Mutter einzukaufen, dabei auch Leergut einzulösen und „Umgang“ mit der Geldbörse ihrer Mutter „pflegen zu dürfen“.

8

Mit Schreiben vom 18. Februar 2008 hörte die Beklagte den Betriebsrat zu einer beabsichtigten außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung, gestützt auf den Verdacht der Einlösung der Bons, an. Der Betriebsrat äußerte Bedenken gegen die fristlose Kündigung, einer ordentlichen Kündigung widersprach er und verwies auf die Möglichkeit einer gegen die Klägerin gerichteten Intrige.

9

Mit Schreiben vom 22. Februar 2008 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos, hilfsweise fristgemäß zum 30. September 2008.

10

Die Klägerin hat Kündigungsschutzklage erhoben. Sie hat behauptet, sie habe jedenfalls nicht bewusst Leergutbons eingelöst, die ihr nicht gehörten. Sollte es sich bei den registrierten Bons tatsächlich um die im Kassenbüro abgelegten Bons gehandelt haben, müsse auch die Möglichkeit eines Austauschs der Bons während des Kassiervorgangs in Betracht gezogen werden. Denkbares Motiv hierfür sei ihre Streikteilnahme, die ohnehin der wahre Grund für die Kündigung sei. Anders sei nicht zu erklären, weshalb ihre Kollegin und die Vorgesetzte sie - unstreitig - nicht bereits beim Kassieren oder unmittelbar anschließend auf die fehlende Abzeichnung der überreichten Leergutbons angesprochen hätten. Angesichts der streikbedingt aufgetretenen Spannungen unter den Filialmitarbeitern sei es lebensfremd anzunehmen, sie habe ausgerechnet bei einer Kollegin, mit der sie im Streit gestanden habe, und in Anwesenheit ihrer Vorgesetzten die im Kassenbüro verwahrten, nicht abgezeichneten Bons eingelöst. Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, eine Verdachtskündigung sei wegen der in Art. 6 Abs. 2 EMRK verankerten Unschuldsvermutung ohnehin unzulässig. Das gelte in besonderem Maße, wenn sich der Verdacht auf die Entwendung einer nur geringwertigen Sache beziehe. Selbst bei nachgewiesener Tat sei in einem solchen Fall ein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB nicht gegeben. Zumindest sei in ihrem Fall die Kündigung in Anbetracht der Einmaligkeit des Vorfalls und ihrer langen Betriebszugehörigkeit unangemessen, zumal der Beklagten kein Schaden entstanden sei.

11

Die Klägerin hat beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis weder durch die fristlose, noch durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 22. Februar 2008 aufgelöst worden ist;

        

2.    

die Beklagte zu verurteilen, sie entsprechend den arbeitsvertraglichen Bedingungen als Verkäuferin mit Kassentätigkeit zu beschäftigen.

12

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat geltend gemacht, es bestehe der dringende Verdacht, dass die Klägerin die im Kassenbüro hinterlegten Leergutbons für sich verwendet habe. Dafür sprächen die in der Anhörung angeführten Tatsachen sowie der Umstand, dass diese Bons bei einer unmittelbar nach dem Einkauf der Klägerin durchgeführten Suche nicht mehr auffindbar gewesen seien. Es sei auch das mehrfach geänderte Verteidigungsvorbringen der Klägerin zu berücksichtigen, das sich in keinem Punkt als haltbar erwiesen habe. Damit sei das Vertrauen in die redliche Ausführung der Arbeitsaufgaben durch die Klägerin unwiederbringlich zerstört. Das Arbeitsverhältnis sei auch nicht unbelastet verlaufen. Sie habe die Klägerin im Jahr 2005 wegen ungebührlichen Verhaltens gegenüber einem Arbeitskollegen abgemahnt. Außerdem habe die Klägerin, wie ihr erst nachträglich bekannt geworden sei, am 22. November 2007 bei einem privaten Einkauf einen Sondercoupon aus einem Bonussystem eingelöst, obwohl die Einkaufssumme den dafür erforderlichen Betrag nicht erreicht habe. Derselbe Coupon sei dreimal „über die Kasse gezogen“ worden. Dadurch seien der Klägerin zu Unrecht Punkte im Wert von 3,00 Euro gutgeschrieben worden. Deren Behauptung, ihre Vorgesetzte habe sie zu einer derartigen Manipulation - vergeblich - verleiten wollen, sei nicht plausibel; die Vorgesetzte habe an dem betreffenden Tag - wie zuletzt unstreitig - nicht gearbeitet.

13

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit ihrer durch das Bundesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe

14

Die Revision ist begründet. Die Vorinstanzen haben die Klage zu Unrecht abgewiesen. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist weder durch die außerordentliche noch durch die ordentliche Kündigung vom 22. Februar 2008 aufgelöst worden. Das Urteil des Landesarbeitsgerichts war deshalb aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Einer Zurückverweisung bedurfte es nicht. Die Sache war nach dem festgestellten Sachverhältnis zur Endentscheidung reif (§ 563 Abs. 3 ZPO).

15

A. Die außerordentliche Kündigung ist unwirksam. Es fehlt an einem wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB.

16

I. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Das Gesetz kennt folglich keine „absoluten“ Kündigungsgründe. Vielmehr ist jeder Einzelfall gesondert zu beurteilen. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (st. Rspr., Senat 26. März 2009 - 2 AZR 953/07 - Rn. 21 mwN, AP BGB § 626 Nr. 220; 27. April 2006 - 2 AZR 386/05 - Rn. 19, BAGE 118, 104).

17

II. Die Prüfung der Voraussetzungen des wichtigen Grundes ist in erster Linie Sache der Tatsacheninstanzen. Dennoch geht es um Rechtsanwendung, nicht um Tatsachenfeststellung. Die Würdigung des Berufungsgerichts wird in der Revisionsinstanz darauf hin überprüft, ob es den anzuwendenden Rechtsbegriff in seiner allgemeinen Bedeutung verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnormen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob es alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände widerspruchsfrei berücksichtigt hat (st. Rspr., Senat 27. November 2008 - 2 AZR 193/07 - Rn. 22, AP BGB § 626 Nr. 219; 6. September 2007 - 2 AZR 722/06 - Rn. 40, BAGE 124, 59).

18

III. Auch unter Beachtung eines in diesem Sinne eingeschränkten Maßstabs hält die Würdigung des Landesarbeitsgerichts einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand. Zwar liegt nach dem festgestellten Sachverhalt „an sich“ ein wichtiger Grund zur Kündigung vor. Das Landesarbeitsgericht hat jedoch bei der vorzunehmenden Einzelfallprüfung und Interessenabwägung nicht alle wesentlichen Gesichtspunkte einbezogen und zutreffend abgewogen.

19

1. Entgegen der Auffassung der Revision ist die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts nicht deshalb zu beanstanden, weil dieses seiner rechtlichen Würdigung die fragliche Pflichtverletzung im Sinne einer erwiesenen Tat und nicht nur - wie die Beklagte selbst - einen entsprechenden Verdacht zugrunde gelegt hat.

20

a) Das Landesarbeitsgericht ist vom Fund zweier Leergutbons am 12. Januar 2008 und deren Aushändigung an die Klägerin durch den Marktleiter ausgegangen. Nach Beweisaufnahme hat es zudem für wahr erachtet, dass die Klägerin die beiden zunächst im Kassenbüro abgelegten Bons im Wert von 0,48 Euro und 0,82 Euro zu einem unbestimmten Zeitpunkt an sich nahm und am 22. Januar 2008 bei einem Einkauf zu ihren Gunsten einlöste; dadurch ermäßigte sich die Kaufsumme für sie um 1,30 Euro. Darin hat es ein vorsätzliches, pflichtwidriges Verhalten der Klägerin erblickt.

21

b) An die vom Landesarbeitsgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen ist der Senat gemäß § 559 Abs. 2 ZPO gebunden. Die Klägerin hat - auch wenn sie vorsätzliches Fehlverhalten weiterhin in Abrede stellt - von Angriffen gegen die Beweiswürdigung des Landesarbeitsgerichts ausdrücklich abgesehen.

22

c) Einer Würdigung des Geschehens unter der Annahme, die Klägerin habe sich nachweislich pflichtwidrig verhalten, steht nicht entgegen, dass die Beklagte sich zur Rechtfertigung der Kündigung nur auf einen entsprechenden Verdacht berufen und den Betriebsrat auch nur zu einer Verdachtskündigung angehört hat.

23

aa) Das Landesarbeitsgericht hat auf diese Weise nicht etwa Vortrag berücksichtigt, den die Beklagte nicht gehalten hätte. Der Verdacht eines pflichtwidrigen Verhaltens stellt zwar gegenüber dem Tatvorwurf einen eigenständigen Kündigungsgrund dar (st. Rspr., Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 55 mwN, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 47 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 8). Beide Gründe stehen jedoch nicht beziehungslos nebeneinander. Wird die Kündigung mit dem Verdacht pflichtwidrigen Verhaltens begründet, steht indessen zur Überzeugung des Gerichts die Pflichtwidrigkeit tatsächlich fest, lässt dies die materiell-rechtliche Wirksamkeit der Kündigung unberührt. Maßgebend ist allein der objektive Sachverhalt, wie er sich dem Gericht nach Parteivorbringen und ggf. Beweisaufnahme darstellt. Ergibt sich daraus nach tatrichterlicher Würdigung das Vorliegen einer Pflichtwidrigkeit, ist das Gericht nicht gehindert, dies seiner Entscheidung zugrunde zu legen. Es ist nicht erforderlich, dass der Arbeitgeber sich während des Prozesses darauf berufen hat, er stütze die Kündigung auch auf die erwiesene Tat (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - aaO mwN).

24

bb) Der Umstand, dass der Betriebsrat ausschließlich zu einer beabsichtigten Verdachtskündigung gehört wurde, steht dem nicht entgegen. Die gerichtliche Berücksichtigung des Geschehens als erwiesene Tat setzt voraus, dass dem Betriebsrat - ggf. im Rahmen zulässigen „Nachschiebens“ - diejenigen Umstände mitgeteilt worden sind, welche nicht nur den Tatverdacht, sondern zur Überzeugung des Gerichts auch den Tatvorwurf begründen (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 59 mwN, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 47 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 8). Bei dieser Sachlage ist dem Normzweck des § 102 Abs. 1 BetrVG auch durch eine Anhörung nur zur Verdachtskündigung genüge getan. Dem Betriebsrat wird dadurch nichts vorenthalten. Die Mitteilung des Arbeitgebers, einem Arbeitnehmer solle schon und allein wegen des Verdachts einer pflichtwidrigen Handlung gekündigt werden, gibt ihm sogar weit stärkeren Anlass für ein umfassendes Tätigwerden als eine Anhörung wegen einer als erwiesen behaupteten Tat (Senat 3. April 1986 - 2 AZR 324/85 - zu II 1 c cc der Gründe, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 18 = EzA BetrVG 1972 § 102 Nr. 63; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 217). Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt. Das Landesarbeitsgericht hat seiner Entscheidung ausschließlich solche - aus seiner Sicht bewiesene - Tatsachen zugrunde gelegt, die Gegenstand der Betriebsratsanhörung waren.

25

2. Der vom Landesarbeitsgericht festgestellte Sachverhalt ist „an sich“ als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB geeignet. Zum Nachteil des Arbeitgebers begangene Eigentums- oder Vermögensdelikte, aber auch nicht strafbare, ähnlich schwerwiegende Handlungen unmittelbar gegen das Vermögen des Arbeitgebers kommen typischerweise - unabhängig vom Wert des Tatobjekts und der Höhe eines eingetretenen Schadens - als Grund für eine außerordentliche Kündigung in Betracht.

26

a) Begeht der Arbeitnehmer bei oder im Zusammenhang mit seiner Arbeit rechtswidrige und vorsätzliche - ggf. strafbare - Handlungen unmittelbar gegen das Vermögen seines Arbeitgebers, verletzt er zugleich in schwerwiegender Weise seine schuldrechtliche Pflicht zur Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB) und missbraucht das in ihn gesetzte Vertrauen. Ein solches Verhalten kann auch dann einen wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB darstellen, wenn die rechtswidrige Handlung Sachen von nur geringem Wert betrifft oder zu einem nur geringfügigen, möglicherweise zu gar keinem Schaden geführt hat(Senat 13. Dezember 2007 - 2 AZR 537/06 - Rn. 16, 17, AP BGB § 626 Nr. 210 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 20; 12. August 1999 - 2 AZR 923/98 - zu II 2 b aa der Gründe, BAGE 92, 184; 17. Mai 1984 - 2 AZR 3/83 - zu II 1 der Gründe, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 14 = EzA BGB § 626 nF Nr. 90).

27

b) An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest. Die entgegenstehende Ansicht, die Pflichtverletzungen im Vermögensbereich bei Geringfügigkeit bereits aus dem Anwendungsbereich des § 626 Abs. 1 BGB herausnehmen will(so LAG Köln 30. September 1999 - 5 Sa 872/99 - zu 2 der Gründe, NZA-RR 2001, 83; LAG Hamburg 8. Juli 1998 - 4 Sa 38/97 - zu II 3 a aa der Gründe, NZA-RR 1999, 469; ArbG Reutlingen 4. Juni 1996 - 1 Ca 73/96 - RzK I 6 d Nr. 12; Däubler Das Arbeitsrecht 2 12. Aufl. Rn. 1128; eingeschränkt Gerhards BB 1996, 794, 796), überzeugt nicht. Ein Arbeitnehmer, der die Integrität von Eigentum und Vermögen seines Arbeitgebers vorsätzlich und rechtswidrig verletzt, zeigt ein Verhalten, das geeignet ist, die Zumutbarkeit seiner Weiterbeschäftigung in Frage zu stellen. Die durch ein solches Verhalten ausgelöste „Erschütterung“ der für die Vertragsbeziehung notwendigen Vertrauensgrundlage tritt unabhängig davon ein, welche konkreten wirtschaftlichen Schäden mit ihm verbunden sind. Aus diesem Grund ist die Festlegung einer nach dem Wert bestimmten Relevanzschwelle mit dem offen gestalteten Tatbestand des § 626 Abs. 1 BGB nicht zu vereinbaren. Sie würfe im Übrigen mannigfache Folgeprobleme auf - etwa das einer exakten Wertberechnung, das der Folgen mehrfacher, für sich betrachtet „irrelevanter“ Verstöße sowie das der Behandlung nur marginaler Grenzüberschreitungen - und vermöchte schon deshalb einem angemessenen Interessenausgleich schwerlich zu dienen.

28

c) Mit seiner Auffassung setzt sich der Senat nicht in Widerspruch zu der in § 248a StGB getroffenen Wertung. Nach dieser Bestimmung werden Diebstahl und Unterschlagung geringwertiger Sachen nur auf Antrag oder bei besonderem öffentlichem Interesse verfolgt. Der Vorschrift liegt eine Einschätzung des Gesetzgebers darüber zugrunde, ab welcher Grenze staatliche Sanktionen für Rechtsverstöße in diesem Bereich zwingend geboten sind. Ein solcher Ansatz ist dem Schuldrecht fremd. Hier geht es um störungsfreien Leistungsaustausch. Die Berechtigung einer verhaltensbedingten Kündigung ist nicht daran zu messen, ob diese - vergleichbar einer staatlichen Maßnahme - als Sanktion für den fraglichen Vertragsverstoß angemessen ist. Statt des Sanktions- gilt das Prognoseprinzip. Eine verhaltensbedingte Kündigung ist gerechtfertigt, wenn eine störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten steht, künftigen Pflichtverstößen demnach nur durch die Beendigung der Vertragsbeziehung begegnet werden kann (st. Rspr., Senat 26. November 2009 - 2 AZR 751/08 - Rn. 10, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 61 = EzA BGB 2002 § 611 Abmahnung Nr. 5; 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 32, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17).

29

d) Ebenso wenig besteht ein Wertungswiderspruch zwischen der Auffassung des Senats und der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Dieses erkennt zwar bei der disziplinarrechtlichen Beurteilung vergleichbarer Dienstvergehen eines Beamten die Geringwertigkeit der betroffenen Vermögensobjekte als Milderungsgrund an (BVerwG 13. Februar 2008 - 2 WD 9/07 - DÖV 2008, 1056; 24. November 1992 - 1 D 66/91 - zu 3 der Gründe, BVerwGE 93, 314; bei kassenverwaltender Tätigkeit: BVerwG 11. November 2003 - 1 D 5/03 - zu 4 b der Gründe). Dies geschieht jedoch vor dem Hintergrund einer abgestuften Reihe von disziplinarischen Reaktionsmöglichkeiten des Dienstherrn. Diese reichen von der Anordnung einer Geldbuße (§ 7 BDG) über die Kürzung von Dienstbezügen (§ 8 BDG) und die Zurückstufung (§ 9 BDG) bis zur Entfernung aus dem Dienst (§ 13 Abs. 2 BDG). Eine solche Reaktionsbreite kennt das Arbeitsrecht nicht. Der Arbeitgeber könnte auf die „Entfernung aus dem Dienst“ nicht zugunsten einer Kürzung der Vergütung verzichten. Wertungen, wie sie für das in der Regel auf Lebenszeit angelegte, durch besondere Treue- und Fürsorgepflichten geprägte Dienstverhältnis der Beamten und Soldaten getroffen werden, lassen sich deshalb auf eine privatrechtliche Leistungsbeziehung regelmäßig nicht übertragen (Keiser JR 2010, 55, 57 ff.; Reuter NZA 2009, 594, 595).

30

e) Das Landesarbeitsgericht hat das Verhalten der Klägerin als „Vermögensdelikt“ zulasten der Beklagten gewürdigt, hat aber offen gelassen, welchen straf- und/oder zivilrechtlichen Deliktstatbestand es als erfüllt ansieht. Das ist im Ergebnis unschädlich. Das Verhalten der Klägerin kommt auch dann als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB in Betracht, wenn es - wie die Revision im Anschluss an Äußerungen in der Literatur (Hüpers Jura 2010, 52 ff.; Schlösser HRRS 2009, 509 ff.) meint - nicht strafbar sein sollte, jedenfalls nicht im Sinne eines Vermögensdelikts zum Nachteil der Beklagten. Für die kündigungsrechtliche Beurteilung ist weder die strafrechtliche noch die sachenrechtliche Bewertung maßgebend. Entscheidend ist der Verstoß gegen vertragliche Haupt- oder Nebenpflichten und der mit ihm verbundene Vertrauensbruch (Senat 19. April 2007 - 2 AZR 78/06 - Rn. 28, AP BGB § 611 Direktionsrecht Nr. 77 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 8; 2. März 2006 - 2 AZR 53/05 - Rn. 29, AP BGB § 626 Krankheit Nr. 14 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 16; 21. April 2005 - 2 AZR 255/04 - zu B II 1 der Gründe, BAGE 114, 264; Preis AuR 2010, 242 f.). Auch eine nicht strafbare, gleichwohl erhebliche Verletzung der sich aus dem Arbeitsverhältnis ergebenden Pflichten kann deshalb ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB sein. Das gilt insbesondere in Fällen, in denen die Pflichtverletzung mit einem vorsätzlichen Verstoß gegen eine den unmittelbaren Vermögensinteressen des Arbeitgebers dienende Weisung einhergeht (KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 459).

31

f) Danach liegt eine erhebliche, die Schwelle zum wichtigen Grund überschreitende Pflichtverletzung vor. Die Klägerin hat sich mit dem Einlösen der Leergutbons gegenüber der Beklagten einen Vermögensvorteil verschafft, der ihr nicht zustand. Ihr Verhalten wiegt umso schwerer, als sie eine konkrete Anordnung des Marktleiters zum Umgang mit den Bons missachtet hat. Es kommt nicht darauf an, ob sie damit schon gegen ihre Hauptleistungspflichten als Kassiererin oder gegen ihre Pflicht zur Rücksichtnahme aus § 241 Abs. 2 BGB verstoßen hat. In jedem Fall gehört die Pflicht zur einschränkungslosen Wahrung der Vermögensinteressen der Beklagten zum Kernbereich ihrer Arbeitsaufgaben. Die Schwere der Pflichtverletzung hängt von einer exakten Zuordnung nicht ab. Die Vorgabe des Marktleiters, die Bons nach einer gewissen Zeit als „Fehlbons“ zu verbuchen, sollte sicherstellen, dass die Beklagte insoweit nicht mehr in Anspruch genommen würde. Ob damit den Interessen der Kunden ausreichend Rechnung getragen wurde, ist im Verhältnis der Parteien ohne Bedeutung. Die Klägerin jedenfalls durfte die Bons nicht zum eigenen Vorteil einlösen.

32

3. Die fristlose Kündigung ist bei Beachtung aller Umstände des vorliegenden Falls und nach Abwägung der widerstreitenden Interessen gleichwohl nicht gerechtfertigt. Als Reaktion der Beklagten auf das Fehlverhalten der Klägerin hätte eine Abmahnung ausgereicht. Dies vermag der Senat selbst zu entscheiden.

33

a) Dem Berufungsgericht kommt bei der im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB vorzunehmenden Interessenabwägung zwar ein Beurteilungsspielraum zu(Senat 11. Dezember 2003 - 2 AZR 36/03 - zu II 1 f der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 179 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 5). Eine eigene Abwägung durch das Revisionsgericht ist aber möglich, wenn die des Berufungsgerichts fehlerhaft oder unvollständig ist und sämtliche relevanten Tatsachen feststehen (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 36, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17; 12. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 61, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Ein solcher Fall liegt hier vor.

34

b) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung - etwa im Hinblick auf das Maß eines durch sie bewirkten Vertrauensverlusts und ihre wirtschaftlichen Folgen -, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf (Senat 28. Januar 2010 - 2 AZR 1008/08 - Rn. 26 mwN, DB 2010, 1709; 10. November 2005 - 2 AZR 623/04 - Rn. 38 mwN, AP BGB § 626 Nr. 196 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 11). Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind (st. Rspr., Senat 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 45, AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7). Als mildere Reaktionen sind insbesondere Abmahnung und ordentliche Kündigung anzusehen. Sie sind dann alternative Gestaltungsmittel, wenn schon sie geeignet sind, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck - die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen - zu erreichen (KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 251 mwN).

35

c) Die Notwendigkeit der Prüfung, ob eine fristgerechte Kündigung als Reaktion ausgereicht hätte, folgt schon aus dem Wortlaut des § 626 Abs. 1 BGB. Das Erfordernis weitergehend zu prüfen, ob nicht schon eine Abmahnung ausreichend gewesen wäre, folgt aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (die Kündigung als „ultima ratio“) und trägt zugleich dem Prognoseprinzip bei der verhaltensbedingten Kündigung Rechnung (Senat 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 47 f., AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7; 12. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 55 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Das Erfordernis gilt auch bei Störungen im Vertrauensbereich. Es ist nicht stets und von vorneherein ausgeschlossen, verlorenes Vertrauen durch künftige Vertragstreue zurückzugewinnen (Senat 4. Juni 1997 - 2 AZR 526/96 - zu II 1 b der Gründe, BAGE 86, 95).

36

aa) Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann (Schlachter NZA 2005, 433, 436). Die ordentliche wie die außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus. Sie dient der Objektivierung der negativen Prognose (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 283/08 - Rn. 14 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Abmahnung Nr. 5 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 75; Staudinger/Preis <2002> § 626 BGB Rn. 109). Ist der Arbeitnehmer ordnungsgemäß abgemahnt worden und verletzt er dennoch seine arbeitsvertraglichen Pflichten erneut, kann regelmäßig davon ausgegangen werden, es werde auch zukünftig zu weiteren Vertragsstörungen kommen (Senat 13. Dezember 2007 - 2 AZR 818/06 - Rn. 38, AP KSchG 1969 § 4 Nr. 64 = EzA KSchG § 4 nF Nr. 82).

37

bb) Nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist eine Kündigung nicht gerechtfertigt, wenn es mildere Mittel gibt, eine Vertragsstörung zukünftig zu beseitigen. Dieser Aspekt hat durch die Regelung des § 314 Abs. 2 BGB iVm. § 323 Abs. 2 BGB eine gesetzgeberische Bestätigung erfahren(Senat 12. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 56 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Einer Abmahnung bedarf es in Ansehung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes deshalb nur dann nicht, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft selbst nach Abmahnung nicht zu erwarten steht oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass eine Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist (vgl. Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 33, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17; 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 48 mwN, AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7).

38

cc) Diese Grundsätze gelten uneingeschränkt selbst bei Störungen des Vertrauensbereichs durch Straftaten gegen Vermögen oder Eigentum des Arbeitgebers (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 33, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17; 27. April 2006 - 2 AZR 415/05 - Rn. 19, AP BGB § 626 Nr. 203 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 17). Auch in diesem Bereich gibt es keine „absoluten“ Kündigungsgründe. Stets ist konkret zu prüfen, ob nicht objektiv die Prognose berechtigt ist, der Arbeitnehmer werde sich jedenfalls nach einer Abmahnung künftig wieder vertragstreu verhalten (vgl. auch Erman/Belling BGB 12. Aufl. § 626 Rn. 62; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 264; Preis AuR 2010, 242, 244; Reichel AuR 2004, 252; Schlachter NZA 2005, 433, 437).

39

d) Danach war eine Abmahnung hier nicht entbehrlich.

40

aa) Das Landesarbeitsgericht geht zunächst zutreffend davon aus, dass es einer Abmahnung nicht deshalb bedurfte, um bei der Klägerin die mögliche Annahme zu beseitigen, die Beklagte könnte mit der eigennützigen Verwendung der Bons einverstanden sein. Einer mutmaßlichen Einwilligung - die in anderen Fällen, etwa der Verwendung wertloser, als Abfall deklarierter Gegenstände zum Eigenverbrauch oder zur Weitergabe an Hilfsbedürftige oder dem Aufladen eines Mobiltelefons im Stromnetz des Arbeitgebers, naheliegend sein mag - stand im Streitfall die Weisung des Filialleiters entgegen, die keine Zweifel über den von der Beklagten gewünschten Umgang mit den Bons aufkommen ließ. Auf mögliche Unklarheiten in den allgemeinen Anweisungen der Beklagten zur Behandlung von Fundsachen und Fundgeld kommt es deshalb nicht an.

41

bb) Mit Recht hat das Landesarbeitsgericht zudem angenommen, das Verhalten der Klägerin stelle eine objektiv schwerwiegende, das Vertrauensverhältnis der Parteien erheblich belastende Pflichtverletzung dar.

42

(1) Mit der eigennützigen Verwendung der Leergutbons hat sich die Klägerin bewusst gegen die Anordnung des Filialleiters gestellt. Schon dies ist geeignet, das Vertrauen der Beklagten in die zuverlässige Erfüllung der ihr übertragenen Aufgaben als Kassiererin zu erschüttern. Erschwerend kommt hinzu, dass die Bons gerade ihr zur Verwahrung und ggf. Buchung als „Fehlbons“ übergeben worden waren. Das Fehlverhalten der Klägerin berührt damit den Kernbereich ihrer Arbeitsaufgaben. Sie war als Verkäuferin mit Kassentätigkeit beschäftigt. Als solche hat sie den weisungsgemäßen Umgang mit Leergutbons gleichermaßen sicher zu stellen wie den mit ihr anvertrautem Geld. Die Beklagte muss sich auf die Zuverlässigkeit und Ehrlichkeit einer mit Kassentätigkeiten betrauten Arbeitnehmerin in besonderem Maße verlassen dürfen. Sie muss davon ausgehen können, dass ihre Weisungen zum Umgang mit Sach- und Vermögenswerten unabhängig von deren Wert und den jeweiligen Eigentumsverhältnissen korrekt eingehalten werden. Als Einzelhandelsunternehmen ist die Beklagte besonders anfällig dafür, in der Summe hohe Einbußen durch eine Vielzahl für sich genommen geringfügiger Schädigungen zu erleiden. Verstößt eine Arbeitnehmerin, deren originäre Aufgabe es ist, Einnahmen zu sichern und zu verbuchen, vorsätzlich und zur persönlichen Bereicherung gegen eine Pflicht, die gerade dem Schutz des Eigentums und Vermögens des Arbeitgebers oder eines Kunden dient, liegt darin regelmäßig ein erheblicher, das Vertrauen in ihre Redlichkeit beeinträchtigender Vertragsverstoß.

43

(2) Der Einwand der Klägerin, ein Vertrauen auf Seiten der Beklagten bestehe ohnehin nicht, wie die in den Märkten praktizierte Videoüberwachung zeige, geht fehl. Jeder Arbeitnehmer hat die Pflicht, sich so zu verhalten, dass es um seinetwillen einer Kontrolle nicht bedürfte. Erweist sich ein zunächst unspezifisches, nicht auf konkrete Personen bezogenes, generelles „Misstrauen“ des Arbeitgebers schließlich im Hinblick auf einen bestimmten Mitarbeiter als berechtigt, wird erst und nur dadurch das Vertrauen in dessen Redlichkeit tatsächlich erschüttert.

44

cc) Auch wenn deshalb das Verhalten der Klägerin das Vertrauensverhältnis zur Beklagten erheblich belastet hat, so hat das Landesarbeitsgericht doch den für die Klägerin sprechenden Besonderheiten nicht hinreichend Rechnung getragen.

45

(1) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Klägerin habe nicht damit rechnen können, die Beklagte werde ihr Verhalten auch nur einmalig hinnehmen, ohne eine Kündigung auszusprechen. Die Klägerin habe ihre Pflichten als Kassiererin „auf das Schwerste“ verletzt. Mit dieser Würdigung ist es den Besonderheiten des Streitfalls nicht ausreichend gerecht geworden. Die Klägerin hat an der Kasse in unmittelbarer Anwesenheit ihrer Vorgesetzten bei einer nicht befreundeten Kollegin unabgezeichnete Leergutbons eingelöst. Dass sie mangels Abzeichnung nach den betrieblichen Regelungen keinen Anspruch auf eine Gutschrift hatte, war für die Kassenmitarbeiterin und die Vorgesetzte offenkundig und nicht zu übersehen. Das wusste auch die Klägerin, die deshalb aus ihrer Sicht unweigerlich würde Aufmerksamkeit erregen und Nachfragen auslösen müssen. Das zeigt, dass sie ihr Verhalten - fälschlich - als notfalls tolerabel oder jedenfalls korrigierbar eingeschätzt haben mag und sich eines gravierenden Unrechts offenbar nicht bewusst war. Für den Grad des Verschuldens und die Möglichkeit einer Wiederherstellung des Vertrauens macht es objektiv einen Unterschied, ob es sich bei einer Pflichtverletzung um ein Verhalten handelt, das insgesamt - wie etwa der vermeintlich unbeobachtete Griff in die Kasse - auf Heimlichkeit angelegt ist oder nicht.

46

(2) Das Landesarbeitsgericht hat die Einmaligkeit der Pflichtverletzung und die als beanstandungsfrei unterstellte Betriebszugehörigkeit der Klägerin von gut drei Jahrzehnten zwar erwähnt, ihnen aber kein ausreichendes Gewicht beigemessen.

47

(a) Für die Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung kann es von erheblicher Bedeutung sein, ob der Arbeitnehmer bereits geraume Zeit in einer Vertrauensstellung beschäftigt war, ohne vergleichbare Pflichtverletzungen begangen zu haben. Das gilt auch bei Pflichtverstößen im unmittelbaren Vermögensbereich (Senat 13. Dezember 1984 - 2 AZR 454/83 - zu III 3 a der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 81 = EzA BGB § 626 nF Nr. 94). Eine für lange Jahre ungestörte Vertrauensbeziehung zweier Vertragspartner wird nicht notwendig schon durch eine erstmalige Vertrauensenttäuschung vollständig und unwiederbringlich zerstört. Je länger eine Vertragsbeziehung ungestört bestanden hat, desto eher kann die Prognose berechtigt sein, dass der dadurch erarbeitete Vorrat an Vertrauen durch einen erstmaligen Vorfall nicht vollständig aufgezehrt wird. Dabei kommt es nicht auf die subjektive Befindlichkeit und Einschätzung des Arbeitgebers oder bestimmter für ihn handelnder Personen an. Entscheidend ist ein objektiver Maßstab. Maßgeblich ist nicht, ob der Arbeitgeber hinreichendes Vertrauen in den Arbeitnehmer tatsächlich noch hat. Maßgeblich ist, ob er es aus der Sicht eines objektiven Betrachters haben müsste. Im Arbeitsverhältnis geht es nicht um ein umfassendes wechselseitiges Vertrauen in die moralischen Qualitäten der je anderen Vertragspartei. Es geht allein um die von einem objektiven Standpunkt aus zu beantwortende Frage, ob mit einer korrekten Erfüllung der Vertragspflichten zu rechnen ist.

48

(b) Die Klägerin hat durch eine beanstandungsfreie Tätigkeit als Verkäuferin und Kassiererin über dreißig Jahre hinweg Loyalität zur Beklagten gezeigt.

49

(aa) Der Senat hatte davon auszugehen, dass diese Zeit ohne rechtlich relevante Beanstandungen verlaufen ist. Gegenstand einer der Klägerin erteilten Abmahnung war eine vor Kunden abgegebene, abfällige Äußerung gegenüber einem Arbeitskollegen. Dieses Verhalten steht mit dem Kündigungsvorwurf in keinerlei Zusammenhang; im Übrigen wurde die Abmahnung ein Jahr später aus der Personalakte entfernt. Schon aus tatsächlichen Gründen unbeachtlich ist das Geschehen im Zusammenhang mit der Einlösung eines Sondercoupons im November 2007. Die Klägerin hat im Einzelnen und plausibel dargelegt, weshalb ihr dabei im Ergebnis keine Bonuspunkte zugeschrieben worden seien, die ihr nicht zugestanden hätten. Dem ist die Beklagte nicht hinreichend substantiiert entgegengetreten.

50

(bb) Das in dieser Beschäftigungszeit von der Klägerin erworbene Maß an Vertrauen in die Korrektheit ihrer Aufgabenerfüllung und in die Achtung der Vermögensinteressen der Beklagten schlägt hoch zu Buche. Angesichts des Umstands, dass nach zehn Tagen Wartezeit mit einer Nachfrage der in Wahrheit berechtigten Kunden nach dem Verbleib von Leergutbons über Cent-Beträge aller Erfahrung nach nicht mehr zu rechnen war, und der wirtschaftlichen Geringfügigkeit eines der Beklagten entstandenen Nachteils ist es höher zu bewerten als deren Wunsch, nur eine solche Mitarbeiterin weiterzubeschäftigen, die in jeder Hinsicht und ausnahmslos ohne Fehl und Tadel ist. Dieser als solcher berechtigte Wunsch macht der Beklagten die Weiterbeschäftigung der Klägerin trotz ihres Pflichtenverstoßes mit Blick auf die bisherige Zusammenarbeit nicht unzumutbar. Objektiv ist das Vertrauen in die Zuverlässigkeit der Klägerin nicht derart erschüttert, dass dessen vollständige Wiederherstellung und ein künftig erneut störungsfreies Miteinander der Parteien nicht in Frage käme.

51

(3) Das prozessuale Verteidigungsvorbringen der Klägerin steht dieser Würdigung nicht entgegen.

52

(a) Die Wirksamkeit einer Kündigung ist grundsätzlich nach den objektiven Verhältnissen im Zeitpunkt ihres Zugangs zu beurteilen. Dieser Zeitpunkt ist im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB sowohl für die Prüfung des Kündigungsgrundes als auch für die Interessenabwägung maßgebend. Umstände, die erst danach entstanden sind, können die bereits erklärte Kündigung nicht rechtfertigen. Sie können allenfalls als Grundlage für eine weitere Kündigung oder einen Auflösungsantrag nach §§ 9, 10 KSchG dienen(Senat 28. Oktober 1971 - 2 AZR 15/71 - zu II 2 d der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 62 = EzA BGB § 626 nF Nr. 9; 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - zu III der Gründe, BAGE 2, 245).

53

(b) Nachträglich eingetretene Umstände können nach der Rechtsprechung des Senats für die gerichtliche Beurteilung allerdings insoweit von Bedeutung sein, wie sie die Vorgänge, die zur Kündigung geführt haben, in einem neuen Licht erscheinen lassen (Senat 13. Oktober 1977 - 2 AZR 387/76 - zu III 3 d der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 1 = EzA BetrVG 1972 § 74 Nr. 3; 28. Oktober 1971 - 2 AZR 15/71 - zu II 2 d der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 62 = EzA BGB § 626 nF Nr. 9; 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - zu III der Gründe, BAGE 2, 245). Dazu müssen zwischen den neuen Vorgängen und den alten Gründen so enge innere Beziehungen bestehen, dass jene nicht außer Acht gelassen werden können, ohne dass ein einheitlicher Lebensvorgang zerrissen würde (Senat 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - aaO; ErfK/Müller-Glöge 10. Aufl. § 626 Rn. 54; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 177; SPV/Preis 10. Aufl. Rn. 551; vgl. auch Walker NZA 2009, 921, 922). Es darf aber nicht etwa eine ursprünglich unbegründete Kündigung durch die Berücksichtigung späteren Verhaltens rückwirkend zu einer begründeten werden (Senat 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - aaO). Außerdem ist genau zu prüfen, welche konkreten Rückschlüsse auf den Kündigungsgrund späteres Verhalten wirklich erlaubt. Im Hinblick auf prozessuales Vorbringen (vgl. Senatsentscheidungen vom 24. November 2005 - 2 AZR 39/05 - AP BGB § 626 Nr. 197 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 12 und 3. Juli 2003 - 2 AZR 437/02 - AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 38 = EzA KSchG § 1 Verdachtskündigung Nr. 2)gilt nichts anderes.

54

(c) Danach kommt dem Prozessverhalten der Klägerin keine ihre Pflichtverletzung verstärkende Bedeutung zu. Es ist nicht geeignet, den Kündigungssachverhalt als solchen zu erhellen. Der besteht darin, dass die Klägerin unberechtigterweise ihr nicht gehörende Leergutbons zweier Kunden zum eigenen Vorteil eingelöst hat.

55

(aa) Dieser Vorgang erscheint insbesondere im Hinblick auf eine Wiederholungsgefahr nicht dadurch in einem anderen, für die Klägerin ungünstigeren Licht, dass diese zunächst die Identität der von ihr eingelösten und der im Kassenbüro aufbewahrten Bons bestritten hat. Das Gleiche gilt im Hinblick darauf, dass die Klägerin auch noch im Prozessverlauf die Möglichkeit bestimmter Geschehensabläufe ins Spiel gebracht hat, die erklären könnten, weshalb sie - wie sie stets behauptet hat - selbst bei Identität der Bons nicht wusste, dass sie ihr nicht gehörende Bons einlöste. Die von der Klägerin aufgezeigten Möglichkeiten einschließlich der einer gegen sie geführten Intrige mögen sich wegen der erforderlich gewordenen Befragungen der betroffenen Arbeitnehmer nachteilig auf den Betriebsfrieden ausgewirkt haben. Dies war aber nicht Kündigungsgrund. Unabhängig davon zielte das Verteidigungsvorbringen der Klägerin erkennbar nicht darauf, Dritte einer konkreten Pflichtverletzung zu bezichtigen. Der Kündigungsgrund wird auch nicht dadurch klarer, dass die Klägerin die Rechtsauffassung vertreten hat, erstmalige Vermögensdelikte zulasten des Arbeitgebers könnten bei geringem wirtschaftlichem Schaden eine außerordentliche Kündigung ohne vorausgegangene Abmahnung nicht rechtfertigen. Damit hat sie lediglich in einer rechtlich umstrittenen Frage einen für sie günstigen Standpunkt eingenommen. Daraus kann nicht abgeleitet werden, sie werde sich künftig bei Gelegenheit in gleicher Weise vertragswidrig verhalten.

56

(bb) Das Prozessverhalten der Klägerin mindert ebenso wenig das bei der Interessenabwägung zu berücksichtigende Maß des verbliebenen Vertrauens. Auch für dessen Ermittlung ist auf den Zeitpunkt des Kündigungszugangs abzustellen. Aus dieser Perspektive und im Hinblick auf den bis dahin verwirklichten Kündigungssachverhalt ist zu fragen, ob mit der Wiederherstellung des Vertrauens in eine künftig korrekte Vertragserfüllung gerechnet werden kann. In dieser Hinsicht ist das Verteidigungsvorbringen der Klägerin ohne Aussagekraft. Ihr wechselnder Vortrag und beharrliches Leugnen einer vorsätzlichen Pflichtwidrigkeit lassen keine Rückschlüsse auf ihre künftige Zuverlässigkeit als Kassiererin zu. Das gilt gleichermaßen für mögliche, während des Prozesses aufgestellte Behauptungen der Klägerin über eine ihr angeblich von der Kassenleiterin angetragene Manipulation im Zusammenhang mit der Einlösung von Sondercoupons im November 2007 und mögliche Äußerungen gegenüber Pressevertretern.

57

(cc) Anders als die Beklagte meint, wird dadurch nicht Verstößen gegen die prozessuale Wahrheitspflicht „Tür und Tor geöffnet“. Im Fall eines bewusst wahrheitswidrigen Vorbringens besteht die Möglichkeit, eine weitere Kündigung auszusprechen oder einen Auflösungsantrag nach §§ 9, 10 KSchG anzubringen. Dabei kann nicht jeder unzutreffende Parteivortrag als „Lüge“ bezeichnet werden. Die Wahrnehmung eines Geschehens ist generell nicht unbeeinflusst vom äußeren und inneren Standpunkt des Wahrnehmenden. Gleiches gilt für Erinnerung und Wiedergabe, zumal in einem von starker Polarität geprägten Verhältnis, wie es zwischen Prozessparteien häufig besteht. Wenn sich das Gericht nach den Regeln des Prozessrechts in §§ 138, 286 ZPO die - rechtlich bindende, aber um deswillen nicht der Gefahr des Irrtums enthobene - Überzeugung bildet, ein bestimmter Sachverhalt habe sich so und nicht anders zugetragen, ist damit die frühere, möglicherweise abweichende Darstellung einer Partei nicht zugleich als gezielte Irreführung des Gerichts oder der Gegenpartei ausgewiesen. Es bedarf vielmehr besonderer Anhaltspunkte, um einen solchen - schweren - Vorwurf zu begründen.

58

B. Die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung zum 30. September 2008 ist unwirksam. Auch dies vermag der Senat selbst zu entscheiden. Die Kündigung ist sozial ungerechtfertigt. Sie ist nicht durch Gründe im Verhalten der Klägerin iSv. § 1 Abs. 2 KSchG bedingt. Sie ist auf denselben Lebenssachverhalt gestützt wie die außerordentliche Kündigung. Der Beklagten war es aus den dargelegten Gründen zuzumuten, auf das mildere Mittel der Abmahnung zurückzugreifen.

59

C. Der Antrag auf Beschäftigung, der sich ersichtlich auf die Dauer des Kündigungsrechtsstreits beschränkte, kommt wegen der Beendigung des Verfahrens nicht mehr zum Tragen.

        

    Kreft    

        

    Schmitz-Scholemann    

        

    Berger    

        

        

        

    Torsten Falke    

        

    Bartz    

                 

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

Tenor

1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 24. Februar 2009 - 7 Sa 2017/08 - aufgehoben.

2. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 21. August 2008 - 2 Ca 3632/08 - abgeändert:

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die fristlose Kündigung, noch durch die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung vom 22. Februar 2008 aufgelöst worden ist.

3. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung.

2

Die 1958 geborene Klägerin war seit April 1977 bei der Beklagten und deren Rechtsvorgängerinnen als Verkäuferin mit Kassentätigkeit beschäftigt.

3

Die Beklagte ist ein überregional vertretenes Einzelhandelsunternehmen. In einigen ihrer Filialen, so auch in der Beschäftigungsfiliale der Klägerin, besteht die Möglichkeit, Leergut an einem Automaten gegen Ausstellung eines Leergutbons zurückzugeben. Wird ein solcher Bon an der Kasse eingelöst, ist er von der Kassiererin/dem Kassierer abzuzeichnen. Mitarbeiter der Filiale sind angewiesen, mitgebrachtes Leergut beim Betreten des Markts dem Filialleiter vorzuzeigen und einen am Automaten erstellten Leergutbon durch den Leiter gesondert abzeichnen zu lassen, bevor sie den Bon an der Kasse einlösen. Dort wird er wie ein Kundenbon ein weiteres Mal abgezeichnet. Diese Regelungen, die Manipulationen beim Umgang mit Leergut ausschließen sollen, sind der Klägerin bekannt.

4

Im Herbst 2007 beteiligte sich die Klägerin mit weiteren sieben von insgesamt 36 Beschäftigten ihrer Filiale an einem gewerkschaftlich getragenen Streik. Während die Streikbereitschaft anderer Arbeitnehmer mit der Zeit nachließ, nahm die Klägerin bis zuletzt an den Maßnahmen teil. Im Januar 2008 lud der Filialleiter Beschäftigte, die sich nicht am Arbeitskampf beteiligt hatten, zu einer Feier außer Hause ein. Aus diesem Grund wurde er später von der Beklagten abgemahnt und in eine andere Filiale versetzt.

5

Am 12. Januar 2008 fand eine Mitarbeiterin im Kassenbereich einer separaten Backtheke zwei nicht abgezeichnete Leergutbons im Wert von 0,48 Euro und 0,82 Euro. Sie trugen das Datum des Tages und waren im Abstand von ca. einer Dreiviertelstunde am Automaten erstellt worden. Die Mitarbeiterin legte die Bons dem Filialleiter vor. Dieser reichte sie an die Klägerin mit der Maßgabe weiter, sie im Kassenbüro aufzubewahren für den Fall, dass sich noch ein Kunde melden und Anspruch darauf erheben würde; andernfalls sollten sie als „Fehlbons“ verbucht werden. Die Klägerin legte die Bons auf eine - für alle Mitarbeiter zugängliche und einsehbare - Ablage im Kassenbüro.

6

Am 22. Januar 2008 kaufte die Klägerin in der Filiale außerhalb ihrer Arbeitszeit privat ein. An der Kasse überreichte sie ihrer Kollegin zwei nicht abgezeichnete Leergutbons. Laut Kassenjournal wurden diese mit Werten von 0,48 Euro und 0,82 Euro registriert. Beim Kassieren war auch die Kassenleiterin und Vorgesetzte der Klägerin anwesend.

7

Zur Klärung der Herkunft der eingereichten Bons führte die Beklagte mit der Klägerin ab dem 25. Januar 2008 insgesamt vier Gespräche, an denen - außer am ersten Gespräch - jeweils zwei Mitglieder des Betriebsrats teilnahmen. Sie hielt ihr vor, die eingelösten Bons seien nicht abgezeichnet gewesen und stimmten hinsichtlich Wert und Ausgabedatum mit den im Kassenbüro aufbewahrten Bons überein. Es bestehe der dringende Verdacht, dass sie - die Klägerin - die dort abgelegten „Kundenbons“ an sich genommen und zu ihrem Vorteil verwendet habe. Die Klägerin bestritt dies und erklärte, selbst wenn die Bons übereinstimmten, bestehe die Möglichkeit, dass ihr entsprechende Bons durch eine ihrer Töchter oder durch Dritte zugesteckt worden seien. Beispielsweise habe sie am 21. oder 22. Januar 2008 einer Arbeitskollegin ihre Geldbörse ausgehändigt mit der Bitte, diese in ihren Spind zu legen. Die Beklagte legte der Klägerin nahe, zur Untermauerung ihrer Behauptung eine eidesstattliche Erklärung einer Tochter beizubringen. Außerdem befragte sie die benannte Kollegin, die die Angaben der Klägerin bestritt. Beim letzten, am 15. Februar 2008 geführten Gespräch überreichte die Klägerin eine schriftliche Erklärung, mit der eine ihrer Töchter bestätigte, bei der Beklagten hin und wieder für ihre Mutter einzukaufen, dabei auch Leergut einzulösen und „Umgang“ mit der Geldbörse ihrer Mutter „pflegen zu dürfen“.

8

Mit Schreiben vom 18. Februar 2008 hörte die Beklagte den Betriebsrat zu einer beabsichtigten außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung, gestützt auf den Verdacht der Einlösung der Bons, an. Der Betriebsrat äußerte Bedenken gegen die fristlose Kündigung, einer ordentlichen Kündigung widersprach er und verwies auf die Möglichkeit einer gegen die Klägerin gerichteten Intrige.

9

Mit Schreiben vom 22. Februar 2008 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos, hilfsweise fristgemäß zum 30. September 2008.

10

Die Klägerin hat Kündigungsschutzklage erhoben. Sie hat behauptet, sie habe jedenfalls nicht bewusst Leergutbons eingelöst, die ihr nicht gehörten. Sollte es sich bei den registrierten Bons tatsächlich um die im Kassenbüro abgelegten Bons gehandelt haben, müsse auch die Möglichkeit eines Austauschs der Bons während des Kassiervorgangs in Betracht gezogen werden. Denkbares Motiv hierfür sei ihre Streikteilnahme, die ohnehin der wahre Grund für die Kündigung sei. Anders sei nicht zu erklären, weshalb ihre Kollegin und die Vorgesetzte sie - unstreitig - nicht bereits beim Kassieren oder unmittelbar anschließend auf die fehlende Abzeichnung der überreichten Leergutbons angesprochen hätten. Angesichts der streikbedingt aufgetretenen Spannungen unter den Filialmitarbeitern sei es lebensfremd anzunehmen, sie habe ausgerechnet bei einer Kollegin, mit der sie im Streit gestanden habe, und in Anwesenheit ihrer Vorgesetzten die im Kassenbüro verwahrten, nicht abgezeichneten Bons eingelöst. Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, eine Verdachtskündigung sei wegen der in Art. 6 Abs. 2 EMRK verankerten Unschuldsvermutung ohnehin unzulässig. Das gelte in besonderem Maße, wenn sich der Verdacht auf die Entwendung einer nur geringwertigen Sache beziehe. Selbst bei nachgewiesener Tat sei in einem solchen Fall ein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB nicht gegeben. Zumindest sei in ihrem Fall die Kündigung in Anbetracht der Einmaligkeit des Vorfalls und ihrer langen Betriebszugehörigkeit unangemessen, zumal der Beklagten kein Schaden entstanden sei.

11

Die Klägerin hat beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis weder durch die fristlose, noch durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 22. Februar 2008 aufgelöst worden ist;

        

2.    

die Beklagte zu verurteilen, sie entsprechend den arbeitsvertraglichen Bedingungen als Verkäuferin mit Kassentätigkeit zu beschäftigen.

12

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat geltend gemacht, es bestehe der dringende Verdacht, dass die Klägerin die im Kassenbüro hinterlegten Leergutbons für sich verwendet habe. Dafür sprächen die in der Anhörung angeführten Tatsachen sowie der Umstand, dass diese Bons bei einer unmittelbar nach dem Einkauf der Klägerin durchgeführten Suche nicht mehr auffindbar gewesen seien. Es sei auch das mehrfach geänderte Verteidigungsvorbringen der Klägerin zu berücksichtigen, das sich in keinem Punkt als haltbar erwiesen habe. Damit sei das Vertrauen in die redliche Ausführung der Arbeitsaufgaben durch die Klägerin unwiederbringlich zerstört. Das Arbeitsverhältnis sei auch nicht unbelastet verlaufen. Sie habe die Klägerin im Jahr 2005 wegen ungebührlichen Verhaltens gegenüber einem Arbeitskollegen abgemahnt. Außerdem habe die Klägerin, wie ihr erst nachträglich bekannt geworden sei, am 22. November 2007 bei einem privaten Einkauf einen Sondercoupon aus einem Bonussystem eingelöst, obwohl die Einkaufssumme den dafür erforderlichen Betrag nicht erreicht habe. Derselbe Coupon sei dreimal „über die Kasse gezogen“ worden. Dadurch seien der Klägerin zu Unrecht Punkte im Wert von 3,00 Euro gutgeschrieben worden. Deren Behauptung, ihre Vorgesetzte habe sie zu einer derartigen Manipulation - vergeblich - verleiten wollen, sei nicht plausibel; die Vorgesetzte habe an dem betreffenden Tag - wie zuletzt unstreitig - nicht gearbeitet.

13

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit ihrer durch das Bundesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe

14

Die Revision ist begründet. Die Vorinstanzen haben die Klage zu Unrecht abgewiesen. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist weder durch die außerordentliche noch durch die ordentliche Kündigung vom 22. Februar 2008 aufgelöst worden. Das Urteil des Landesarbeitsgerichts war deshalb aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Einer Zurückverweisung bedurfte es nicht. Die Sache war nach dem festgestellten Sachverhältnis zur Endentscheidung reif (§ 563 Abs. 3 ZPO).

15

A. Die außerordentliche Kündigung ist unwirksam. Es fehlt an einem wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB.

16

I. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Das Gesetz kennt folglich keine „absoluten“ Kündigungsgründe. Vielmehr ist jeder Einzelfall gesondert zu beurteilen. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (st. Rspr., Senat 26. März 2009 - 2 AZR 953/07 - Rn. 21 mwN, AP BGB § 626 Nr. 220; 27. April 2006 - 2 AZR 386/05 - Rn. 19, BAGE 118, 104).

17

II. Die Prüfung der Voraussetzungen des wichtigen Grundes ist in erster Linie Sache der Tatsacheninstanzen. Dennoch geht es um Rechtsanwendung, nicht um Tatsachenfeststellung. Die Würdigung des Berufungsgerichts wird in der Revisionsinstanz darauf hin überprüft, ob es den anzuwendenden Rechtsbegriff in seiner allgemeinen Bedeutung verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnormen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob es alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände widerspruchsfrei berücksichtigt hat (st. Rspr., Senat 27. November 2008 - 2 AZR 193/07 - Rn. 22, AP BGB § 626 Nr. 219; 6. September 2007 - 2 AZR 722/06 - Rn. 40, BAGE 124, 59).

18

III. Auch unter Beachtung eines in diesem Sinne eingeschränkten Maßstabs hält die Würdigung des Landesarbeitsgerichts einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand. Zwar liegt nach dem festgestellten Sachverhalt „an sich“ ein wichtiger Grund zur Kündigung vor. Das Landesarbeitsgericht hat jedoch bei der vorzunehmenden Einzelfallprüfung und Interessenabwägung nicht alle wesentlichen Gesichtspunkte einbezogen und zutreffend abgewogen.

19

1. Entgegen der Auffassung der Revision ist die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts nicht deshalb zu beanstanden, weil dieses seiner rechtlichen Würdigung die fragliche Pflichtverletzung im Sinne einer erwiesenen Tat und nicht nur - wie die Beklagte selbst - einen entsprechenden Verdacht zugrunde gelegt hat.

20

a) Das Landesarbeitsgericht ist vom Fund zweier Leergutbons am 12. Januar 2008 und deren Aushändigung an die Klägerin durch den Marktleiter ausgegangen. Nach Beweisaufnahme hat es zudem für wahr erachtet, dass die Klägerin die beiden zunächst im Kassenbüro abgelegten Bons im Wert von 0,48 Euro und 0,82 Euro zu einem unbestimmten Zeitpunkt an sich nahm und am 22. Januar 2008 bei einem Einkauf zu ihren Gunsten einlöste; dadurch ermäßigte sich die Kaufsumme für sie um 1,30 Euro. Darin hat es ein vorsätzliches, pflichtwidriges Verhalten der Klägerin erblickt.

21

b) An die vom Landesarbeitsgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen ist der Senat gemäß § 559 Abs. 2 ZPO gebunden. Die Klägerin hat - auch wenn sie vorsätzliches Fehlverhalten weiterhin in Abrede stellt - von Angriffen gegen die Beweiswürdigung des Landesarbeitsgerichts ausdrücklich abgesehen.

22

c) Einer Würdigung des Geschehens unter der Annahme, die Klägerin habe sich nachweislich pflichtwidrig verhalten, steht nicht entgegen, dass die Beklagte sich zur Rechtfertigung der Kündigung nur auf einen entsprechenden Verdacht berufen und den Betriebsrat auch nur zu einer Verdachtskündigung angehört hat.

23

aa) Das Landesarbeitsgericht hat auf diese Weise nicht etwa Vortrag berücksichtigt, den die Beklagte nicht gehalten hätte. Der Verdacht eines pflichtwidrigen Verhaltens stellt zwar gegenüber dem Tatvorwurf einen eigenständigen Kündigungsgrund dar (st. Rspr., Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 55 mwN, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 47 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 8). Beide Gründe stehen jedoch nicht beziehungslos nebeneinander. Wird die Kündigung mit dem Verdacht pflichtwidrigen Verhaltens begründet, steht indessen zur Überzeugung des Gerichts die Pflichtwidrigkeit tatsächlich fest, lässt dies die materiell-rechtliche Wirksamkeit der Kündigung unberührt. Maßgebend ist allein der objektive Sachverhalt, wie er sich dem Gericht nach Parteivorbringen und ggf. Beweisaufnahme darstellt. Ergibt sich daraus nach tatrichterlicher Würdigung das Vorliegen einer Pflichtwidrigkeit, ist das Gericht nicht gehindert, dies seiner Entscheidung zugrunde zu legen. Es ist nicht erforderlich, dass der Arbeitgeber sich während des Prozesses darauf berufen hat, er stütze die Kündigung auch auf die erwiesene Tat (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - aaO mwN).

24

bb) Der Umstand, dass der Betriebsrat ausschließlich zu einer beabsichtigten Verdachtskündigung gehört wurde, steht dem nicht entgegen. Die gerichtliche Berücksichtigung des Geschehens als erwiesene Tat setzt voraus, dass dem Betriebsrat - ggf. im Rahmen zulässigen „Nachschiebens“ - diejenigen Umstände mitgeteilt worden sind, welche nicht nur den Tatverdacht, sondern zur Überzeugung des Gerichts auch den Tatvorwurf begründen (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 59 mwN, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 47 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 8). Bei dieser Sachlage ist dem Normzweck des § 102 Abs. 1 BetrVG auch durch eine Anhörung nur zur Verdachtskündigung genüge getan. Dem Betriebsrat wird dadurch nichts vorenthalten. Die Mitteilung des Arbeitgebers, einem Arbeitnehmer solle schon und allein wegen des Verdachts einer pflichtwidrigen Handlung gekündigt werden, gibt ihm sogar weit stärkeren Anlass für ein umfassendes Tätigwerden als eine Anhörung wegen einer als erwiesen behaupteten Tat (Senat 3. April 1986 - 2 AZR 324/85 - zu II 1 c cc der Gründe, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 18 = EzA BetrVG 1972 § 102 Nr. 63; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 217). Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt. Das Landesarbeitsgericht hat seiner Entscheidung ausschließlich solche - aus seiner Sicht bewiesene - Tatsachen zugrunde gelegt, die Gegenstand der Betriebsratsanhörung waren.

25

2. Der vom Landesarbeitsgericht festgestellte Sachverhalt ist „an sich“ als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB geeignet. Zum Nachteil des Arbeitgebers begangene Eigentums- oder Vermögensdelikte, aber auch nicht strafbare, ähnlich schwerwiegende Handlungen unmittelbar gegen das Vermögen des Arbeitgebers kommen typischerweise - unabhängig vom Wert des Tatobjekts und der Höhe eines eingetretenen Schadens - als Grund für eine außerordentliche Kündigung in Betracht.

26

a) Begeht der Arbeitnehmer bei oder im Zusammenhang mit seiner Arbeit rechtswidrige und vorsätzliche - ggf. strafbare - Handlungen unmittelbar gegen das Vermögen seines Arbeitgebers, verletzt er zugleich in schwerwiegender Weise seine schuldrechtliche Pflicht zur Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB) und missbraucht das in ihn gesetzte Vertrauen. Ein solches Verhalten kann auch dann einen wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB darstellen, wenn die rechtswidrige Handlung Sachen von nur geringem Wert betrifft oder zu einem nur geringfügigen, möglicherweise zu gar keinem Schaden geführt hat(Senat 13. Dezember 2007 - 2 AZR 537/06 - Rn. 16, 17, AP BGB § 626 Nr. 210 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 20; 12. August 1999 - 2 AZR 923/98 - zu II 2 b aa der Gründe, BAGE 92, 184; 17. Mai 1984 - 2 AZR 3/83 - zu II 1 der Gründe, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 14 = EzA BGB § 626 nF Nr. 90).

27

b) An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest. Die entgegenstehende Ansicht, die Pflichtverletzungen im Vermögensbereich bei Geringfügigkeit bereits aus dem Anwendungsbereich des § 626 Abs. 1 BGB herausnehmen will(so LAG Köln 30. September 1999 - 5 Sa 872/99 - zu 2 der Gründe, NZA-RR 2001, 83; LAG Hamburg 8. Juli 1998 - 4 Sa 38/97 - zu II 3 a aa der Gründe, NZA-RR 1999, 469; ArbG Reutlingen 4. Juni 1996 - 1 Ca 73/96 - RzK I 6 d Nr. 12; Däubler Das Arbeitsrecht 2 12. Aufl. Rn. 1128; eingeschränkt Gerhards BB 1996, 794, 796), überzeugt nicht. Ein Arbeitnehmer, der die Integrität von Eigentum und Vermögen seines Arbeitgebers vorsätzlich und rechtswidrig verletzt, zeigt ein Verhalten, das geeignet ist, die Zumutbarkeit seiner Weiterbeschäftigung in Frage zu stellen. Die durch ein solches Verhalten ausgelöste „Erschütterung“ der für die Vertragsbeziehung notwendigen Vertrauensgrundlage tritt unabhängig davon ein, welche konkreten wirtschaftlichen Schäden mit ihm verbunden sind. Aus diesem Grund ist die Festlegung einer nach dem Wert bestimmten Relevanzschwelle mit dem offen gestalteten Tatbestand des § 626 Abs. 1 BGB nicht zu vereinbaren. Sie würfe im Übrigen mannigfache Folgeprobleme auf - etwa das einer exakten Wertberechnung, das der Folgen mehrfacher, für sich betrachtet „irrelevanter“ Verstöße sowie das der Behandlung nur marginaler Grenzüberschreitungen - und vermöchte schon deshalb einem angemessenen Interessenausgleich schwerlich zu dienen.

28

c) Mit seiner Auffassung setzt sich der Senat nicht in Widerspruch zu der in § 248a StGB getroffenen Wertung. Nach dieser Bestimmung werden Diebstahl und Unterschlagung geringwertiger Sachen nur auf Antrag oder bei besonderem öffentlichem Interesse verfolgt. Der Vorschrift liegt eine Einschätzung des Gesetzgebers darüber zugrunde, ab welcher Grenze staatliche Sanktionen für Rechtsverstöße in diesem Bereich zwingend geboten sind. Ein solcher Ansatz ist dem Schuldrecht fremd. Hier geht es um störungsfreien Leistungsaustausch. Die Berechtigung einer verhaltensbedingten Kündigung ist nicht daran zu messen, ob diese - vergleichbar einer staatlichen Maßnahme - als Sanktion für den fraglichen Vertragsverstoß angemessen ist. Statt des Sanktions- gilt das Prognoseprinzip. Eine verhaltensbedingte Kündigung ist gerechtfertigt, wenn eine störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten steht, künftigen Pflichtverstößen demnach nur durch die Beendigung der Vertragsbeziehung begegnet werden kann (st. Rspr., Senat 26. November 2009 - 2 AZR 751/08 - Rn. 10, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 61 = EzA BGB 2002 § 611 Abmahnung Nr. 5; 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 32, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17).

29

d) Ebenso wenig besteht ein Wertungswiderspruch zwischen der Auffassung des Senats und der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Dieses erkennt zwar bei der disziplinarrechtlichen Beurteilung vergleichbarer Dienstvergehen eines Beamten die Geringwertigkeit der betroffenen Vermögensobjekte als Milderungsgrund an (BVerwG 13. Februar 2008 - 2 WD 9/07 - DÖV 2008, 1056; 24. November 1992 - 1 D 66/91 - zu 3 der Gründe, BVerwGE 93, 314; bei kassenverwaltender Tätigkeit: BVerwG 11. November 2003 - 1 D 5/03 - zu 4 b der Gründe). Dies geschieht jedoch vor dem Hintergrund einer abgestuften Reihe von disziplinarischen Reaktionsmöglichkeiten des Dienstherrn. Diese reichen von der Anordnung einer Geldbuße (§ 7 BDG) über die Kürzung von Dienstbezügen (§ 8 BDG) und die Zurückstufung (§ 9 BDG) bis zur Entfernung aus dem Dienst (§ 13 Abs. 2 BDG). Eine solche Reaktionsbreite kennt das Arbeitsrecht nicht. Der Arbeitgeber könnte auf die „Entfernung aus dem Dienst“ nicht zugunsten einer Kürzung der Vergütung verzichten. Wertungen, wie sie für das in der Regel auf Lebenszeit angelegte, durch besondere Treue- und Fürsorgepflichten geprägte Dienstverhältnis der Beamten und Soldaten getroffen werden, lassen sich deshalb auf eine privatrechtliche Leistungsbeziehung regelmäßig nicht übertragen (Keiser JR 2010, 55, 57 ff.; Reuter NZA 2009, 594, 595).

30

e) Das Landesarbeitsgericht hat das Verhalten der Klägerin als „Vermögensdelikt“ zulasten der Beklagten gewürdigt, hat aber offen gelassen, welchen straf- und/oder zivilrechtlichen Deliktstatbestand es als erfüllt ansieht. Das ist im Ergebnis unschädlich. Das Verhalten der Klägerin kommt auch dann als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB in Betracht, wenn es - wie die Revision im Anschluss an Äußerungen in der Literatur (Hüpers Jura 2010, 52 ff.; Schlösser HRRS 2009, 509 ff.) meint - nicht strafbar sein sollte, jedenfalls nicht im Sinne eines Vermögensdelikts zum Nachteil der Beklagten. Für die kündigungsrechtliche Beurteilung ist weder die strafrechtliche noch die sachenrechtliche Bewertung maßgebend. Entscheidend ist der Verstoß gegen vertragliche Haupt- oder Nebenpflichten und der mit ihm verbundene Vertrauensbruch (Senat 19. April 2007 - 2 AZR 78/06 - Rn. 28, AP BGB § 611 Direktionsrecht Nr. 77 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 8; 2. März 2006 - 2 AZR 53/05 - Rn. 29, AP BGB § 626 Krankheit Nr. 14 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 16; 21. April 2005 - 2 AZR 255/04 - zu B II 1 der Gründe, BAGE 114, 264; Preis AuR 2010, 242 f.). Auch eine nicht strafbare, gleichwohl erhebliche Verletzung der sich aus dem Arbeitsverhältnis ergebenden Pflichten kann deshalb ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB sein. Das gilt insbesondere in Fällen, in denen die Pflichtverletzung mit einem vorsätzlichen Verstoß gegen eine den unmittelbaren Vermögensinteressen des Arbeitgebers dienende Weisung einhergeht (KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 459).

31

f) Danach liegt eine erhebliche, die Schwelle zum wichtigen Grund überschreitende Pflichtverletzung vor. Die Klägerin hat sich mit dem Einlösen der Leergutbons gegenüber der Beklagten einen Vermögensvorteil verschafft, der ihr nicht zustand. Ihr Verhalten wiegt umso schwerer, als sie eine konkrete Anordnung des Marktleiters zum Umgang mit den Bons missachtet hat. Es kommt nicht darauf an, ob sie damit schon gegen ihre Hauptleistungspflichten als Kassiererin oder gegen ihre Pflicht zur Rücksichtnahme aus § 241 Abs. 2 BGB verstoßen hat. In jedem Fall gehört die Pflicht zur einschränkungslosen Wahrung der Vermögensinteressen der Beklagten zum Kernbereich ihrer Arbeitsaufgaben. Die Schwere der Pflichtverletzung hängt von einer exakten Zuordnung nicht ab. Die Vorgabe des Marktleiters, die Bons nach einer gewissen Zeit als „Fehlbons“ zu verbuchen, sollte sicherstellen, dass die Beklagte insoweit nicht mehr in Anspruch genommen würde. Ob damit den Interessen der Kunden ausreichend Rechnung getragen wurde, ist im Verhältnis der Parteien ohne Bedeutung. Die Klägerin jedenfalls durfte die Bons nicht zum eigenen Vorteil einlösen.

32

3. Die fristlose Kündigung ist bei Beachtung aller Umstände des vorliegenden Falls und nach Abwägung der widerstreitenden Interessen gleichwohl nicht gerechtfertigt. Als Reaktion der Beklagten auf das Fehlverhalten der Klägerin hätte eine Abmahnung ausgereicht. Dies vermag der Senat selbst zu entscheiden.

33

a) Dem Berufungsgericht kommt bei der im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB vorzunehmenden Interessenabwägung zwar ein Beurteilungsspielraum zu(Senat 11. Dezember 2003 - 2 AZR 36/03 - zu II 1 f der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 179 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 5). Eine eigene Abwägung durch das Revisionsgericht ist aber möglich, wenn die des Berufungsgerichts fehlerhaft oder unvollständig ist und sämtliche relevanten Tatsachen feststehen (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 36, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17; 12. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 61, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Ein solcher Fall liegt hier vor.

34

b) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung - etwa im Hinblick auf das Maß eines durch sie bewirkten Vertrauensverlusts und ihre wirtschaftlichen Folgen -, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf (Senat 28. Januar 2010 - 2 AZR 1008/08 - Rn. 26 mwN, DB 2010, 1709; 10. November 2005 - 2 AZR 623/04 - Rn. 38 mwN, AP BGB § 626 Nr. 196 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 11). Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind (st. Rspr., Senat 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 45, AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7). Als mildere Reaktionen sind insbesondere Abmahnung und ordentliche Kündigung anzusehen. Sie sind dann alternative Gestaltungsmittel, wenn schon sie geeignet sind, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck - die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen - zu erreichen (KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 251 mwN).

35

c) Die Notwendigkeit der Prüfung, ob eine fristgerechte Kündigung als Reaktion ausgereicht hätte, folgt schon aus dem Wortlaut des § 626 Abs. 1 BGB. Das Erfordernis weitergehend zu prüfen, ob nicht schon eine Abmahnung ausreichend gewesen wäre, folgt aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (die Kündigung als „ultima ratio“) und trägt zugleich dem Prognoseprinzip bei der verhaltensbedingten Kündigung Rechnung (Senat 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 47 f., AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7; 12. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 55 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Das Erfordernis gilt auch bei Störungen im Vertrauensbereich. Es ist nicht stets und von vorneherein ausgeschlossen, verlorenes Vertrauen durch künftige Vertragstreue zurückzugewinnen (Senat 4. Juni 1997 - 2 AZR 526/96 - zu II 1 b der Gründe, BAGE 86, 95).

36

aa) Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann (Schlachter NZA 2005, 433, 436). Die ordentliche wie die außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus. Sie dient der Objektivierung der negativen Prognose (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 283/08 - Rn. 14 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Abmahnung Nr. 5 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 75; Staudinger/Preis <2002> § 626 BGB Rn. 109). Ist der Arbeitnehmer ordnungsgemäß abgemahnt worden und verletzt er dennoch seine arbeitsvertraglichen Pflichten erneut, kann regelmäßig davon ausgegangen werden, es werde auch zukünftig zu weiteren Vertragsstörungen kommen (Senat 13. Dezember 2007 - 2 AZR 818/06 - Rn. 38, AP KSchG 1969 § 4 Nr. 64 = EzA KSchG § 4 nF Nr. 82).

37

bb) Nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist eine Kündigung nicht gerechtfertigt, wenn es mildere Mittel gibt, eine Vertragsstörung zukünftig zu beseitigen. Dieser Aspekt hat durch die Regelung des § 314 Abs. 2 BGB iVm. § 323 Abs. 2 BGB eine gesetzgeberische Bestätigung erfahren(Senat 12. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 56 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Einer Abmahnung bedarf es in Ansehung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes deshalb nur dann nicht, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft selbst nach Abmahnung nicht zu erwarten steht oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass eine Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist (vgl. Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 33, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17; 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 48 mwN, AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7).

38

cc) Diese Grundsätze gelten uneingeschränkt selbst bei Störungen des Vertrauensbereichs durch Straftaten gegen Vermögen oder Eigentum des Arbeitgebers (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 33, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17; 27. April 2006 - 2 AZR 415/05 - Rn. 19, AP BGB § 626 Nr. 203 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 17). Auch in diesem Bereich gibt es keine „absoluten“ Kündigungsgründe. Stets ist konkret zu prüfen, ob nicht objektiv die Prognose berechtigt ist, der Arbeitnehmer werde sich jedenfalls nach einer Abmahnung künftig wieder vertragstreu verhalten (vgl. auch Erman/Belling BGB 12. Aufl. § 626 Rn. 62; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 264; Preis AuR 2010, 242, 244; Reichel AuR 2004, 252; Schlachter NZA 2005, 433, 437).

39

d) Danach war eine Abmahnung hier nicht entbehrlich.

40

aa) Das Landesarbeitsgericht geht zunächst zutreffend davon aus, dass es einer Abmahnung nicht deshalb bedurfte, um bei der Klägerin die mögliche Annahme zu beseitigen, die Beklagte könnte mit der eigennützigen Verwendung der Bons einverstanden sein. Einer mutmaßlichen Einwilligung - die in anderen Fällen, etwa der Verwendung wertloser, als Abfall deklarierter Gegenstände zum Eigenverbrauch oder zur Weitergabe an Hilfsbedürftige oder dem Aufladen eines Mobiltelefons im Stromnetz des Arbeitgebers, naheliegend sein mag - stand im Streitfall die Weisung des Filialleiters entgegen, die keine Zweifel über den von der Beklagten gewünschten Umgang mit den Bons aufkommen ließ. Auf mögliche Unklarheiten in den allgemeinen Anweisungen der Beklagten zur Behandlung von Fundsachen und Fundgeld kommt es deshalb nicht an.

41

bb) Mit Recht hat das Landesarbeitsgericht zudem angenommen, das Verhalten der Klägerin stelle eine objektiv schwerwiegende, das Vertrauensverhältnis der Parteien erheblich belastende Pflichtverletzung dar.

42

(1) Mit der eigennützigen Verwendung der Leergutbons hat sich die Klägerin bewusst gegen die Anordnung des Filialleiters gestellt. Schon dies ist geeignet, das Vertrauen der Beklagten in die zuverlässige Erfüllung der ihr übertragenen Aufgaben als Kassiererin zu erschüttern. Erschwerend kommt hinzu, dass die Bons gerade ihr zur Verwahrung und ggf. Buchung als „Fehlbons“ übergeben worden waren. Das Fehlverhalten der Klägerin berührt damit den Kernbereich ihrer Arbeitsaufgaben. Sie war als Verkäuferin mit Kassentätigkeit beschäftigt. Als solche hat sie den weisungsgemäßen Umgang mit Leergutbons gleichermaßen sicher zu stellen wie den mit ihr anvertrautem Geld. Die Beklagte muss sich auf die Zuverlässigkeit und Ehrlichkeit einer mit Kassentätigkeiten betrauten Arbeitnehmerin in besonderem Maße verlassen dürfen. Sie muss davon ausgehen können, dass ihre Weisungen zum Umgang mit Sach- und Vermögenswerten unabhängig von deren Wert und den jeweiligen Eigentumsverhältnissen korrekt eingehalten werden. Als Einzelhandelsunternehmen ist die Beklagte besonders anfällig dafür, in der Summe hohe Einbußen durch eine Vielzahl für sich genommen geringfügiger Schädigungen zu erleiden. Verstößt eine Arbeitnehmerin, deren originäre Aufgabe es ist, Einnahmen zu sichern und zu verbuchen, vorsätzlich und zur persönlichen Bereicherung gegen eine Pflicht, die gerade dem Schutz des Eigentums und Vermögens des Arbeitgebers oder eines Kunden dient, liegt darin regelmäßig ein erheblicher, das Vertrauen in ihre Redlichkeit beeinträchtigender Vertragsverstoß.

43

(2) Der Einwand der Klägerin, ein Vertrauen auf Seiten der Beklagten bestehe ohnehin nicht, wie die in den Märkten praktizierte Videoüberwachung zeige, geht fehl. Jeder Arbeitnehmer hat die Pflicht, sich so zu verhalten, dass es um seinetwillen einer Kontrolle nicht bedürfte. Erweist sich ein zunächst unspezifisches, nicht auf konkrete Personen bezogenes, generelles „Misstrauen“ des Arbeitgebers schließlich im Hinblick auf einen bestimmten Mitarbeiter als berechtigt, wird erst und nur dadurch das Vertrauen in dessen Redlichkeit tatsächlich erschüttert.

44

cc) Auch wenn deshalb das Verhalten der Klägerin das Vertrauensverhältnis zur Beklagten erheblich belastet hat, so hat das Landesarbeitsgericht doch den für die Klägerin sprechenden Besonderheiten nicht hinreichend Rechnung getragen.

45

(1) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Klägerin habe nicht damit rechnen können, die Beklagte werde ihr Verhalten auch nur einmalig hinnehmen, ohne eine Kündigung auszusprechen. Die Klägerin habe ihre Pflichten als Kassiererin „auf das Schwerste“ verletzt. Mit dieser Würdigung ist es den Besonderheiten des Streitfalls nicht ausreichend gerecht geworden. Die Klägerin hat an der Kasse in unmittelbarer Anwesenheit ihrer Vorgesetzten bei einer nicht befreundeten Kollegin unabgezeichnete Leergutbons eingelöst. Dass sie mangels Abzeichnung nach den betrieblichen Regelungen keinen Anspruch auf eine Gutschrift hatte, war für die Kassenmitarbeiterin und die Vorgesetzte offenkundig und nicht zu übersehen. Das wusste auch die Klägerin, die deshalb aus ihrer Sicht unweigerlich würde Aufmerksamkeit erregen und Nachfragen auslösen müssen. Das zeigt, dass sie ihr Verhalten - fälschlich - als notfalls tolerabel oder jedenfalls korrigierbar eingeschätzt haben mag und sich eines gravierenden Unrechts offenbar nicht bewusst war. Für den Grad des Verschuldens und die Möglichkeit einer Wiederherstellung des Vertrauens macht es objektiv einen Unterschied, ob es sich bei einer Pflichtverletzung um ein Verhalten handelt, das insgesamt - wie etwa der vermeintlich unbeobachtete Griff in die Kasse - auf Heimlichkeit angelegt ist oder nicht.

46

(2) Das Landesarbeitsgericht hat die Einmaligkeit der Pflichtverletzung und die als beanstandungsfrei unterstellte Betriebszugehörigkeit der Klägerin von gut drei Jahrzehnten zwar erwähnt, ihnen aber kein ausreichendes Gewicht beigemessen.

47

(a) Für die Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung kann es von erheblicher Bedeutung sein, ob der Arbeitnehmer bereits geraume Zeit in einer Vertrauensstellung beschäftigt war, ohne vergleichbare Pflichtverletzungen begangen zu haben. Das gilt auch bei Pflichtverstößen im unmittelbaren Vermögensbereich (Senat 13. Dezember 1984 - 2 AZR 454/83 - zu III 3 a der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 81 = EzA BGB § 626 nF Nr. 94). Eine für lange Jahre ungestörte Vertrauensbeziehung zweier Vertragspartner wird nicht notwendig schon durch eine erstmalige Vertrauensenttäuschung vollständig und unwiederbringlich zerstört. Je länger eine Vertragsbeziehung ungestört bestanden hat, desto eher kann die Prognose berechtigt sein, dass der dadurch erarbeitete Vorrat an Vertrauen durch einen erstmaligen Vorfall nicht vollständig aufgezehrt wird. Dabei kommt es nicht auf die subjektive Befindlichkeit und Einschätzung des Arbeitgebers oder bestimmter für ihn handelnder Personen an. Entscheidend ist ein objektiver Maßstab. Maßgeblich ist nicht, ob der Arbeitgeber hinreichendes Vertrauen in den Arbeitnehmer tatsächlich noch hat. Maßgeblich ist, ob er es aus der Sicht eines objektiven Betrachters haben müsste. Im Arbeitsverhältnis geht es nicht um ein umfassendes wechselseitiges Vertrauen in die moralischen Qualitäten der je anderen Vertragspartei. Es geht allein um die von einem objektiven Standpunkt aus zu beantwortende Frage, ob mit einer korrekten Erfüllung der Vertragspflichten zu rechnen ist.

48

(b) Die Klägerin hat durch eine beanstandungsfreie Tätigkeit als Verkäuferin und Kassiererin über dreißig Jahre hinweg Loyalität zur Beklagten gezeigt.

49

(aa) Der Senat hatte davon auszugehen, dass diese Zeit ohne rechtlich relevante Beanstandungen verlaufen ist. Gegenstand einer der Klägerin erteilten Abmahnung war eine vor Kunden abgegebene, abfällige Äußerung gegenüber einem Arbeitskollegen. Dieses Verhalten steht mit dem Kündigungsvorwurf in keinerlei Zusammenhang; im Übrigen wurde die Abmahnung ein Jahr später aus der Personalakte entfernt. Schon aus tatsächlichen Gründen unbeachtlich ist das Geschehen im Zusammenhang mit der Einlösung eines Sondercoupons im November 2007. Die Klägerin hat im Einzelnen und plausibel dargelegt, weshalb ihr dabei im Ergebnis keine Bonuspunkte zugeschrieben worden seien, die ihr nicht zugestanden hätten. Dem ist die Beklagte nicht hinreichend substantiiert entgegengetreten.

50

(bb) Das in dieser Beschäftigungszeit von der Klägerin erworbene Maß an Vertrauen in die Korrektheit ihrer Aufgabenerfüllung und in die Achtung der Vermögensinteressen der Beklagten schlägt hoch zu Buche. Angesichts des Umstands, dass nach zehn Tagen Wartezeit mit einer Nachfrage der in Wahrheit berechtigten Kunden nach dem Verbleib von Leergutbons über Cent-Beträge aller Erfahrung nach nicht mehr zu rechnen war, und der wirtschaftlichen Geringfügigkeit eines der Beklagten entstandenen Nachteils ist es höher zu bewerten als deren Wunsch, nur eine solche Mitarbeiterin weiterzubeschäftigen, die in jeder Hinsicht und ausnahmslos ohne Fehl und Tadel ist. Dieser als solcher berechtigte Wunsch macht der Beklagten die Weiterbeschäftigung der Klägerin trotz ihres Pflichtenverstoßes mit Blick auf die bisherige Zusammenarbeit nicht unzumutbar. Objektiv ist das Vertrauen in die Zuverlässigkeit der Klägerin nicht derart erschüttert, dass dessen vollständige Wiederherstellung und ein künftig erneut störungsfreies Miteinander der Parteien nicht in Frage käme.

51

(3) Das prozessuale Verteidigungsvorbringen der Klägerin steht dieser Würdigung nicht entgegen.

52

(a) Die Wirksamkeit einer Kündigung ist grundsätzlich nach den objektiven Verhältnissen im Zeitpunkt ihres Zugangs zu beurteilen. Dieser Zeitpunkt ist im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB sowohl für die Prüfung des Kündigungsgrundes als auch für die Interessenabwägung maßgebend. Umstände, die erst danach entstanden sind, können die bereits erklärte Kündigung nicht rechtfertigen. Sie können allenfalls als Grundlage für eine weitere Kündigung oder einen Auflösungsantrag nach §§ 9, 10 KSchG dienen(Senat 28. Oktober 1971 - 2 AZR 15/71 - zu II 2 d der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 62 = EzA BGB § 626 nF Nr. 9; 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - zu III der Gründe, BAGE 2, 245).

53

(b) Nachträglich eingetretene Umstände können nach der Rechtsprechung des Senats für die gerichtliche Beurteilung allerdings insoweit von Bedeutung sein, wie sie die Vorgänge, die zur Kündigung geführt haben, in einem neuen Licht erscheinen lassen (Senat 13. Oktober 1977 - 2 AZR 387/76 - zu III 3 d der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 1 = EzA BetrVG 1972 § 74 Nr. 3; 28. Oktober 1971 - 2 AZR 15/71 - zu II 2 d der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 62 = EzA BGB § 626 nF Nr. 9; 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - zu III der Gründe, BAGE 2, 245). Dazu müssen zwischen den neuen Vorgängen und den alten Gründen so enge innere Beziehungen bestehen, dass jene nicht außer Acht gelassen werden können, ohne dass ein einheitlicher Lebensvorgang zerrissen würde (Senat 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - aaO; ErfK/Müller-Glöge 10. Aufl. § 626 Rn. 54; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 177; SPV/Preis 10. Aufl. Rn. 551; vgl. auch Walker NZA 2009, 921, 922). Es darf aber nicht etwa eine ursprünglich unbegründete Kündigung durch die Berücksichtigung späteren Verhaltens rückwirkend zu einer begründeten werden (Senat 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - aaO). Außerdem ist genau zu prüfen, welche konkreten Rückschlüsse auf den Kündigungsgrund späteres Verhalten wirklich erlaubt. Im Hinblick auf prozessuales Vorbringen (vgl. Senatsentscheidungen vom 24. November 2005 - 2 AZR 39/05 - AP BGB § 626 Nr. 197 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 12 und 3. Juli 2003 - 2 AZR 437/02 - AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 38 = EzA KSchG § 1 Verdachtskündigung Nr. 2)gilt nichts anderes.

54

(c) Danach kommt dem Prozessverhalten der Klägerin keine ihre Pflichtverletzung verstärkende Bedeutung zu. Es ist nicht geeignet, den Kündigungssachverhalt als solchen zu erhellen. Der besteht darin, dass die Klägerin unberechtigterweise ihr nicht gehörende Leergutbons zweier Kunden zum eigenen Vorteil eingelöst hat.

55

(aa) Dieser Vorgang erscheint insbesondere im Hinblick auf eine Wiederholungsgefahr nicht dadurch in einem anderen, für die Klägerin ungünstigeren Licht, dass diese zunächst die Identität der von ihr eingelösten und der im Kassenbüro aufbewahrten Bons bestritten hat. Das Gleiche gilt im Hinblick darauf, dass die Klägerin auch noch im Prozessverlauf die Möglichkeit bestimmter Geschehensabläufe ins Spiel gebracht hat, die erklären könnten, weshalb sie - wie sie stets behauptet hat - selbst bei Identität der Bons nicht wusste, dass sie ihr nicht gehörende Bons einlöste. Die von der Klägerin aufgezeigten Möglichkeiten einschließlich der einer gegen sie geführten Intrige mögen sich wegen der erforderlich gewordenen Befragungen der betroffenen Arbeitnehmer nachteilig auf den Betriebsfrieden ausgewirkt haben. Dies war aber nicht Kündigungsgrund. Unabhängig davon zielte das Verteidigungsvorbringen der Klägerin erkennbar nicht darauf, Dritte einer konkreten Pflichtverletzung zu bezichtigen. Der Kündigungsgrund wird auch nicht dadurch klarer, dass die Klägerin die Rechtsauffassung vertreten hat, erstmalige Vermögensdelikte zulasten des Arbeitgebers könnten bei geringem wirtschaftlichem Schaden eine außerordentliche Kündigung ohne vorausgegangene Abmahnung nicht rechtfertigen. Damit hat sie lediglich in einer rechtlich umstrittenen Frage einen für sie günstigen Standpunkt eingenommen. Daraus kann nicht abgeleitet werden, sie werde sich künftig bei Gelegenheit in gleicher Weise vertragswidrig verhalten.

56

(bb) Das Prozessverhalten der Klägerin mindert ebenso wenig das bei der Interessenabwägung zu berücksichtigende Maß des verbliebenen Vertrauens. Auch für dessen Ermittlung ist auf den Zeitpunkt des Kündigungszugangs abzustellen. Aus dieser Perspektive und im Hinblick auf den bis dahin verwirklichten Kündigungssachverhalt ist zu fragen, ob mit der Wiederherstellung des Vertrauens in eine künftig korrekte Vertragserfüllung gerechnet werden kann. In dieser Hinsicht ist das Verteidigungsvorbringen der Klägerin ohne Aussagekraft. Ihr wechselnder Vortrag und beharrliches Leugnen einer vorsätzlichen Pflichtwidrigkeit lassen keine Rückschlüsse auf ihre künftige Zuverlässigkeit als Kassiererin zu. Das gilt gleichermaßen für mögliche, während des Prozesses aufgestellte Behauptungen der Klägerin über eine ihr angeblich von der Kassenleiterin angetragene Manipulation im Zusammenhang mit der Einlösung von Sondercoupons im November 2007 und mögliche Äußerungen gegenüber Pressevertretern.

57

(cc) Anders als die Beklagte meint, wird dadurch nicht Verstößen gegen die prozessuale Wahrheitspflicht „Tür und Tor geöffnet“. Im Fall eines bewusst wahrheitswidrigen Vorbringens besteht die Möglichkeit, eine weitere Kündigung auszusprechen oder einen Auflösungsantrag nach §§ 9, 10 KSchG anzubringen. Dabei kann nicht jeder unzutreffende Parteivortrag als „Lüge“ bezeichnet werden. Die Wahrnehmung eines Geschehens ist generell nicht unbeeinflusst vom äußeren und inneren Standpunkt des Wahrnehmenden. Gleiches gilt für Erinnerung und Wiedergabe, zumal in einem von starker Polarität geprägten Verhältnis, wie es zwischen Prozessparteien häufig besteht. Wenn sich das Gericht nach den Regeln des Prozessrechts in §§ 138, 286 ZPO die - rechtlich bindende, aber um deswillen nicht der Gefahr des Irrtums enthobene - Überzeugung bildet, ein bestimmter Sachverhalt habe sich so und nicht anders zugetragen, ist damit die frühere, möglicherweise abweichende Darstellung einer Partei nicht zugleich als gezielte Irreführung des Gerichts oder der Gegenpartei ausgewiesen. Es bedarf vielmehr besonderer Anhaltspunkte, um einen solchen - schweren - Vorwurf zu begründen.

58

B. Die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung zum 30. September 2008 ist unwirksam. Auch dies vermag der Senat selbst zu entscheiden. Die Kündigung ist sozial ungerechtfertigt. Sie ist nicht durch Gründe im Verhalten der Klägerin iSv. § 1 Abs. 2 KSchG bedingt. Sie ist auf denselben Lebenssachverhalt gestützt wie die außerordentliche Kündigung. Der Beklagten war es aus den dargelegten Gründen zuzumuten, auf das mildere Mittel der Abmahnung zurückzugreifen.

59

C. Der Antrag auf Beschäftigung, der sich ersichtlich auf die Dauer des Kündigungsrechtsstreits beschränkte, kommt wegen der Beendigung des Verfahrens nicht mehr zum Tragen.

        

    Kreft    

        

    Schmitz-Scholemann    

        

    Berger    

        

        

        

    Torsten Falke    

        

    Bartz    

                 

Tenor

1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Thüringer Landesarbeitsgerichts vom 14. Mai 2008 - 4 Sa 508/07 - teilweise aufgehoben.

2. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Erfurt vom 6. August 2007 - 2 Ca 295/07 - teilweise abgeändert:

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung des Beklagten vom 23. Februar 2007 nicht mit sofortiger Wirkung, sondern erst mit Ablauf des 30. April 2007 beendet worden ist.

3. Im Übrigen wird die Revision zurückgewiesen.

4. Die Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger zu 2/3 und der Beklagte zu 1/3 zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen und einer während der Kündigungsfrist erklärten fristlosen Kündigung.

2

Der 1957 geborene Kläger ist verheiratet und einem Kind zum Unterhalt verpflichtet. Seit August 2001 war er bei dem Beklagten als Oberstufenlehrer für Kunst und Kunstgeschichte tätig.

3

Der Beklagte ist Träger einer Waldorfschule, einer genehmigten Ersatzschule im Sinne des Thüringer Gesetzes über Schulen in freier Trägerschaft idF der Bekanntmachung vom 30. April 2003 (GVBl. 2003, S. 150). Er beschäftigt etwa 60 Arbeitnehmer. Seine Selbstverwaltung erfolgt über Konferenzen - Klassenkonferenzen, Mentorenkonferenzen, Oberstufenkonferenzen und Schulführungskonferenzen -, wobei der jeweils „ranghöheren“ Konferenz das Recht zusteht, einen zu regelnden Sachverhalt an sich zu ziehen.

4

Im Arbeitsvertrag der Parteien heißt es auszugsweise:

        

„4. … 

        

Zur Tätigkeit eines Lehrers an einer Waldorfschule gehören auch die Teilnahme an den Aufgaben der Selbstverwaltung der Schule (Konferenzen) sowie die Elternarbeit und die Belange des Bundes der Freien Waldorfschulen. …

        

5. Es gilt eine beidseitige Kündigungsfrist von 6 Monaten zum 31. Juli.

        

Verändert sich die gesetzliche Kündigungsfrist eines Partners, so gilt dasselbe auch für den anderen Partner.

        

…       

        

Die Vertragsparteien sind sich darüber einig, dass die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses insbesondere dann nicht mehr möglich ist, wenn es kein Vertrauen mehr in die Erziehungsarbeit oder in die Mitwirkung bei der Selbstverwaltung gibt. Das Vertragsverhältnis ist dann entsprechend den gesetzlichen Kündigungsfristen kündbar.

        

Bei etwaigen, die hier vereinbarte Zusammenarbeit betreffenden Streitigkeiten verpflichten sich die Beteiligten, zunächst das interne Schlichtungsverfahren einzuleiten und rechtliche Schritte nur im Hinblick auf notwendige Fristeinhaltungen vorzunehmen.“

5

Schüler des Beklagten haben in der zwölften Klassenstufe eine sog. Jahresarbeit anzufertigen, mit der sie regelmäßig bereits in der elften Klasse beginnen. Die Arbeit wird durch eine Lehrkraft als Mentor betreut. Nach Fertigstellung sind mindestens zwei Ausfertigungen der Arbeit in der Schule abzugeben. Ein Exemplar ist als Korrekturexemplar für den Mentor bestimmt. Das weitere - gebundene - Exemplar erhält die Schule. Etwa 14 Tage später findet eine öffentliche Präsentation/Verteidigung der Arbeit vor der interessierten Schulöffentlichkeit und Elternschaft statt. Außerdem sind bei der Veranstaltung neben dem Mentor der zuständige Klassenbetreuer und ein Elternvertreter anwesend, die in das Bewertungsverfahren eingebunden sind. Anschließend folgt ein Auswertungsgespräch unter Beteiligung aller drei vorgenannten Personen in Anwesenheit des Schülers. Nach diesem Gespräch verbleibt das Schulexemplar in der Schulbibliothek zur öffentlichen Einsicht. Der Mentor hat dann die Aufgabe, die Jahresarbeit unter Berücksichtigung der Ergebnisse des Auswertungsgesprächs zu bewerten. Bei bestehenden Differenzen ist die Mentorenkonferenz einzuschalten.

6

Seit dem Jahr 2004 kam es zu Auseinandersetzungen der Parteien über die Verpflichtung des Klägers, an der schulischen Selbstverwaltung teilzunehmen. In diesem Zusammenhang erteilte der Beklagte dem Kläger am 2. Juli 2004 zwei schriftliche Abmahnungen.

7

Beginnend mit dem Jahr 2006 betreute der Kläger als Mentor die Jahresarbeit des Schülers S. zum Thema: „Homepageprogrammierung auf HTML-Basis“. Im Januar 2007 gab S. zwei Exemplare seiner Arbeit in der Schule ab. Die Präsentation folgte am 27. Januar 2007. Im Auswertungsgespräch vom 30. Januar 2007 vertrat die zuständige Klassenbetreuerin - anders als der Kläger - die Auffassung, die Arbeit sei wegen inhaltlicher Mängel nicht anerkennungsfähig. Nach dem Gespräch nahm der Kläger - ohne Rücksprache - das Schulexemplar mit nach Hause, das Mentorenexemplar in Form einer Loseblattsammlung hatte er bereits.

8

Am 31. Januar 2007 wurde der Kläger zu einer für diesen Tag anberaumten Sonderkonferenz geladen. Er sagte, ua. wegen der Kurzfristigkeit der Ladung, seine Teilnahme ab; zugleich bat er, ihm „den Antrag auf die Aberkennung der Jahresarbeit“ von S. „bald schriftlich mitzuteilen“.

9

Mit Schreiben vom 31. Januar 2007 kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis daraufhin ordentlich zum 31. Juli 2007. Am 1. Februar 2007 beurlaubte er den Kläger bis zu einem für den 5. Februar 2007 vereinbarten Schlichtungsgespräch. Zugleich erteilte er ihm Hausverbot. Während des Schlichtungsgesprächs forderte er den Kläger auf, der Schulführungskonferenz das (Schul-)Exemplar der Jahresarbeit zur Verfügung zu stellen. Mit Schreiben vom 7. Februar 2007 wiederholte er sein Verlangen unter Fristsetzung bis 9. Februar 2007. Darauf teilte der Kläger schriftlich mit: „Im Hinblick auf die Jahresarbeit können Sie sich an Frau G. wenden, die für das Schulexemplar zuständig ist.“. Auf erneutes, nunmehr anwaltliches Herausgabeverlangen des Beklagten gab er das Schulexemplar am 15. Februar 2007 zurück, nachdem er zuvor aus der Arbeit die Seite 17 entfernt hatte.

10

Am 19. Februar 2007 führten die Parteien ein weiteres Schlichtungsgespräch. Mit Schreiben vom 23. Februar 2007 kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos.

11

Der Kläger hat gegen beide Kündigungen Kündigungsschutzklage erhoben und geltend gemacht, er habe seine Vertragspflichten allenfalls unwesentlich verletzt. Das Schulexemplar der Jahresarbeit von S. sei ihm anlässlich des Auswertungsgesprächs durch den Elternvertreter zur Aufbewahrung übergeben worden. Die Rückgabe der Arbeit sei für ihn deshalb „ein Problem“ gewesen, weil sich die Klassenbetreuerin im Auswertungsgespräch zur Qualität der Arbeit geäußert habe, ohne deren Inhalt genau zu kennen. Er habe verhindern wollen, dass seine Kollegin nachträglich Gelegenheit erhalte, die Arbeit zu lesen und dadurch ihr „voreingenommenes und negatives Urteil abzusichern“. Als zuständiger Mentor sei er bis zur abschließenden Bewertung berechtigt gewesen, die - inhaltlich im Übrigen bedeutungslose - Seite 17 zu entfernen. Sein Vorgehen sei, nachdem auf dieser Seite aufgeführte Zitate zu Beanstandungen durch Kollegen geführt hätten, zweckmäßig und mit dem Schüler abgestimmt gewesen. Die Kündigungen seien unverhältnismäßig. Im Übrigen fehle es an der ordnungsgemäßen Durchführung des vorgesehenen Schlichtungsverfahrens.

12

Der Kläger hat - soweit noch von Bedeutung - beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 31. Januar 2007 nicht aufgelöst worden ist;

        

2.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 23. Februar 2007 weder fristlos noch ordentlich aufgelöst worden ist.

13

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat die Auffassung vertreten, schon die fristlose Kündigung sei gerechtfertigt. Der Kläger habe das Schulexemplar der Jahresarbeit von S. unbefugt entwendet, rechtswidrig zurückgehalten und gefälscht. Dies wiege angesichts bestehender Differenzen über die Bewertung der Arbeit besonders schwer. Außerdem habe sich der Kläger über das erteilte Hausverbot hinweggesetzt und die gesetzlichen Vorschriften für Abiturprüfungen für Waldorfschulen missachtet. Die Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB sei gewahrt. Jedenfalls habe das Arbeitsverhältnis mit Ablauf der Kündigungsfrist geendet. Einer Abmahnung habe es nicht bedurft. Die Durchführung des in der Schulordnung vorgesehenen Schlichtungsverfahrens sei keine Wirksamkeitsvoraussetzung für eine Kündigung. Die Ausübung des Kündigungsrechts sei kein „Konfliktfall“ im Sinne der dortigen Regelungen. Außerdem sei das Verfahren auch durchgeführt worden, es sei nur gescheitert.

14

Das Arbeitsgericht hat die fristlose Kündigung für gerechtfertigt erachtet und die Klage insgesamt abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe

15

Die Revision des Klägers ist teilweise begründet. Das Arbeitsverhältnis ist durch die Kündigung vom 23. Februar 2007 nicht mit sofortiger Wirkung aufgelöst worden. Es hat aufgrund dieser Kündigung aber nach Ablauf der gesetzlichen Kündigungsfrist von zwei Monaten zum Monatsende am 30. April 2007 geendet. Auf die Wirksamkeit der zum 31. Juli 2007 erklärten ordentlichen Kündigung vom 31. Januar 2007 kommt es nicht an.

16

I. Die außerordentliche Kündigung vom 23. Februar 2007 ist unwirksam. Es fehlt an einem wichtigen Grund zur Kündigung iSv. § 626 Abs. 1 BGB. Ob die Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB gewahrt ist, kann dahinstehen.

17

1. Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann.

18

2. Das Berufungsurteil hält einer revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht in jeder Hinsicht stand. Zwar liegt eine erhebliche Vertragspflichtverletzung des Klägers und damit „an sich“ ein wichtiger Grund zur Kündigung vor. Auch geht das Berufungsgericht zutreffend davon aus, dass es vor Ausspruch der Kündigung keiner Abmahnung bedurfte. Dennoch erweist sich die fristlose Kündigung als unverhältnismäßig. Aufgrund der besonderen, vom Landesarbeitsgericht nicht hinreichend beachteten Umstände des Einzelfalls war es dem Beklagten zumutbar, das Arbeitsverhältnis bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist fortzusetzen.

19

a) Ein wichtiger Grund zur Kündigung kann nicht nur in einer erheblichen Verletzung der vertraglichen Hauptleistungspflichten liegen. Auch die schuldhafte Verletzung von Nebenpflichten kann ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung sein (Senat 2. März 2006 - 2 AZR 53/05 - Rn. 21, AP BGB § 626 Krankheit Nr. 14 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 16; BAG 15. Januar 1986 - 7 AZR 128/83 - zu 2 b der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 93 = EzA BGB § 626 nF Nr. 100). Da die ordentliche Kündigung die übliche und grundsätzlich ausreichende Reaktion auf die Verletzung einer Nebenpflicht ist, kommt eine außerordentliche Kündigung nur in Betracht, wenn das Gewicht dieser Pflichtverletzung durch erschwerende Umstände verstärkt wird (BAG 15. Januar 1986 - 7 AZR 128/83 - aaO; SPV/Preis 10. Aufl. Rn. 603; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 146).

20

b) Als Vertragspflichtverletzung, die grundsätzlich eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen vermag, ist ein nachhaltiger Verstoß des Arbeitnehmers gegen berechtigte Weisungen des Arbeitgebers anzusehen (KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 459 mwN). Ebenso kann die erhebliche Verletzung der den Arbeitnehmer gemäß § 241 Abs. 2 BGB treffenden Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitgebers einen wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB bilden. Der konkrete Inhalt dieser Pflicht ergibt sich aus dem jeweiligen Arbeitsverhältnis und seinen spezifischen Anforderungen (st. Rspr., bspw. Senat 26. März 2009 - 2 AZR 953/07 - Rn. 24, AP BGB § 626 Nr. 220 mwN). Einer besonderen Vereinbarung bedarf es insoweit nicht.

21

c) Im Streitfall kann offenbleiben, ob der Kläger seine Vertragspflichten bereits dadurch erheblich verletzt hat, dass er das Schulexemplar der Jahresarbeit nach dem Auswertungsgespräch ohne Einverständnis des Beklagten in seine Wohnung verbrachte und dem Zugriff des Beklagten entzog. Eine erhebliche Pflichtverletzung des Klägers liegt, wie die Vorinstanzen zutreffend ausgeführt haben, jedenfalls darin, dass er das Schulexemplar entgegen wiederholter, ausdrücklicher Weisung des Beklagten nicht termingerecht, sondern erst nach anwaltlicher Aufforderung zurückgab und außerdem zuvor die Seite 17 der Jahresarbeit entfernt hatte.

22

aa) Der Beklagte war berechtigt, die sofortige Rückgabe des Schulexemplars zu verlangen. Ein Besitzrecht des Klägers bestand nicht. Die eingeräumte Herausgabefrist war ausreichend, um der Aufforderung nachzukommen. Der rechtmäßigen Weisung des Beklagten hat sich der Kläger auch nach seinem eigenen Vorbringen zumindest zeitweise vorsätzlich und nachhaltig widersetzt. Zudem hat er mit dem Schreiben vom 7. Februar 2007 gegenüber dem Beklagten bewusst den Eindruck erwecken wollen, gar nicht im Besitz des Schulexemplars zu sein. Anders lässt sich seine Erklärung, der Beklagte möge sich wegen des Schulexemplars an Frau G. wenden, nicht verstehen. Darüber hinaus war sein Verhalten, wie er selbst einräumt, darauf angelegt, die Bewertung der Arbeit durch die mitbeurteilende Klassenbetreuerin zu erschweren und vorübergehend unmöglich zu machen. Ein solches Vorgehen ist geeignet, das Vertrauen des Beklagten in die zuverlässige und pflichtgemäße Erfüllung der Arbeitsaufgaben des Klägers erheblich zu erschüttern.

23

bb) Eine weitere erhebliche Pflichtverletzung des Klägers liegt darin, dass er eine Seite aus der Jahresarbeit entfernte und diese damit verfälschte.

24

(1) Die schriftliche Arbeit eines Schülers ist nach ihrer förmlichen Abgabe zur Bewertung grundsätzlich keiner inhaltlichen Änderung mehr zugänglich. Das zeigt auch das beim Beklagten praktizierte Beurteilungsverfahren. Grundlage der mündlichen Verteidigung der Arbeit, des Auswertungsgesprächs und der abschließenden Beurteilung durch den Mentor kann nur ein und dieselbe Leistung des Schülers sein, zumal die Präsentation der Arbeit, die auf der schriftlichen Ausarbeitung beruht, in die abschließende Bewertung einzufließen hat. Dementsprechend dient die Vorgabe, der Schule neben dem für den Mentor bestimmten Korrekturexemplar mindestens ein weiteres - gebundenes - Exemplar der Arbeit zu übergeben, erkennbar auch dazu, die Vollständigkeit der Arbeit zu gewährleisten und nachträgliche Veränderungen auszuschließen. Unterdrückt ein Lehrer in Kenntnis dieser Umstände Teile des Schulexemplars, verletzt er seine arbeitsvertraglichen Pflichten erheblich. Ein solches Fehlverhalten betrifft den Kernbereich seiner Arbeitsaufgaben und berührt unmittelbar das Vertrauen in deren zuverlässige Ausführung.

25

(2) Sein Fehlverhalten ist dem Kläger vorwerfbar. Seine Einlassung, er sei davon ausgegangen, die Jahresarbeit in Absprache mit dem Schüler auch noch nach ihrer Abgabe inhaltlich verändern zu dürfen, hat das Landesarbeitsgericht - unter Bezugnahme auf die Ausführungen des Arbeitsgerichts - als Schutzbehauptung gewertet. Dies hält sich im Bewertungsspielraum der Tatsacheninstanz. Ein Verbotsirrtum des Klägers wäre jedenfalls vermeidbar gewesen. Es kommt nicht darauf an, ob die entfernte Seite für das behandelte Thema inhaltlich von Bedeutung war oder nicht. Der Schüler hatte die dort enthaltenen „Gedächtnisprotokolle zu Kommentaren der Lehrer“ zum Gegenstand der Arbeit gemacht und im Inhaltsverzeichnis ausdrücklich erwähnt. Hinzu kommt, dass die aufgeführten Zitate bereits Anstoß bei Lehrkräften erregt hatten. Für den Kläger war erkennbar, dass mit der Herausnahme der Seite auch die Nachprüfung einer Berechtigung dieser Beanstandungen wesentlich erschwert würde.

26

(3) Darauf, ob das Verhalten des Klägers strafrechtlich als Urkundenfälschung (§ 267 Abs. 1 StGB) und/oder Urkundenunterdrückung (§ 274 Abs. 1 Nr. 1 StGB) zu bewerten ist, kommt es, wie die Vorinstanzen richtig gesehen haben, nicht an. Für die kündigungsrechtliche Bewertung ist nicht die strafrechtliche Beurteilung maßgeblich, sondern die Schwere der Vertragspflichtverletzung (st. Rspr., bspw. Senat 24. November 2005 - 2 AZR 39/05 - Rn. 18, AP BGB § 626 Nr. 197 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 12; 12. August 1999 - 2 AZR 832/98 - zu II 3 der Gründe, AP BGB § 123 Nr. 51 = EzA BGB § 123 Nr. 53).

27

d) Liegt - wie hier - ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung „an sich“ vor, bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls und der Abwägung der Interessen beider Vertragsteile jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist oder nicht. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn mildere Mittel als Reaktion auf die eingetretene Vertragsstörung ausscheiden (st. Rspr., bspw. Senat 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 45, AP BGB § 174 Nr. 20). Mildere Mittel sind insbesondere die Abmahnung und die ordentliche Kündigung. Im Hinblick darauf ist die ausgesprochene außerordentliche Kündigung unverhältnismäßig.

28

aa) Dies ist sie nicht deshalb, weil es vorrangig einer Abmahnung bedurft hätte.

29

(1) Zwar gilt das durch § 314 Abs. 2 BGB konkretisierte Erfordernis einer Abmahnung grundsätzlich auch bei Störungen im Vertrauensbereich(vgl. Senat 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 48 mwN, AP BGB § 174 Nr. 20). Die Abmahnung ist aber, wie § 314 Abs. 2 Satz 2 BGB iVm. § 323 Abs. 2 BGB zeigt, unter besonderen Umständen entbehrlich. Das ist der Fall, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft trotz Abmahnung nicht erwartet werden kann oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass die Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich - für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 32, 33 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59; 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - aaO; 15. November 2001 - 2 AZR 605/00 - zu II 4 der Gründe, BAGE 99, 331).

30

(2) Danach war eine Abmahnung entbehrlich. Der Kläger hat seine Arbeitsaufgaben im Kernbereich seiner Tätigkeit als Lehrkraft vorsätzlich und nachhaltig verletzt. Das gilt auch in Anbetracht der vorausgegangenen Auseinandersetzungen mit der Klassenbetreuerin über die Anerkennungsfähigkeit der Arbeit und der Bedenken von Kollegen gegen den Inhalt der entfernten Seite. Diese Umstände sind nicht geeignet, den mit der Pflichtverletzung verbundenen Vertrauensverlust abzuschwächen. Im Gegenteil: Gerade wegen dieser Konflikte musste der Kläger dem Beklagten möglichst zügig eine eigene Beurteilung der Arbeit und der umstrittenen Zitate ermöglichen. Stattdessen zeigt sein Bestreben, durch ein Zurückhalten der Arbeit die Klassenbetreuerin als nicht kompetent darzustellen, dass es ihm nicht um ein objektives und gerechtes Urteil über die Qualität der Arbeit ging, sondern um die Verfolgung sachfremder Motive. Dies zeigt ein Verständnis vom Inhalt seiner Arbeitsaufgaben und der eigenen Kompetenzen, das durch den Ausspruch einer Abmahnung den gesamten Umständen nach nicht zu beeinflussen ist. Eine Verhaltensänderung des Klägers stand deshalb auch nach einer Abmahnung nicht zu erwarten.

31

(3) Dennoch erweist sich die fristlose Kündigung als unwirksam. Dem Beklagten war es unter Beachtung der Besonderheiten des Einzelfalls und der gebotenen Abwägung der Interessen beider Vertragsteile zuzumuten, das Arbeitsverhältnis noch bis zum Ablauf der maßgebenden Kündigungsfrist fortzusetzen. Die gegenteilige Auffassung des Landesarbeitsgerichts, das sich die Erwägungen des Arbeitsgerichts zur Interessenabwägung nach § 69 Abs. 2 ArbGG zu eigen gemacht hat, berücksichtigt nicht alle wesentlichen Gesichtspunkte.

32

(a) Zwar spricht zulasten des Klägers der Umstand, dass das Arbeitsverhältnis auch aus anderen Gründen nicht beanstandungsfrei verlaufen ist. Das Arbeitsgericht hat auf Pflichtwidrigkeiten bezüglich der Teilnahme an Konferenzen hingewiesen. Dies wird, zumal der Kläger ein Fehlverhalten insoweit teilweise eingeräumt hatte, von der Revision nicht angegriffen. Auch konnte im Rahmen der Abwägung nicht unberücksichtigt bleiben, dass der Kläger im Schlichtungsgespräch vom 19. Februar 2007 keine Einsicht in die Vertragswidrigkeit seines Verhaltens gezeigt hat. Dies muss als Indiz für eine Wiederholungsgefahr angesehen werden.

33

(b) Zum einen ist jedoch zu bedenken, dass die zur außerordentlichen Kündigung führende Pflichtwidrigkeit im Zusammenhang mit schriftlichen Prüfungsleistungen der Schüler stand, die in den Monaten nach Kündigungsanspruch nicht mehr anfielen. Zum anderen ist das Landesarbeitsgericht von einer unzutreffenden Frist ausgegangen, die der Beklagte bei Ausspruch einer ordentlichen Kündigung einzuhalten hätte. Dies ist nicht die Frist von sechs Monaten jeweils zum 31. Juli des Jahres nach Nr. 5 Satz 1 des Arbeitsvertrages, sondern die gesetzliche Frist von zwei Monaten zum Monatsende nach Nr. 5 Satz 6 des Vertrags. Zumindest für die Dauer dieses Zeitraums war dem Beklagten die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zuzumuten.

34

(aa) Das Landesarbeitsgericht hat die arbeitsvertraglichen Vereinbarungen zu den Kündigungsfristen nicht ausgelegt. Es hat auch nicht festgestellt, ob es sich dabei um typische oder untypische Klauseln handelt. Selbst wenn unterstellt wird, dass sie untypisch sind, kann der Senat sie eigenständig auslegen. Es geht um die Auslegung von Urkunden, ohne dass besondere Umstände des Einzelfalls, die der Auslegung eine bestimmte, der Beurteilung des Revisionsgerichts entzogene Richtung geben könnten, vorlägen (vgl. dazu BAG 5. Februar 2009 - 6 AZR 151/08 - Rn. 33, AP KSchG 1969 § 4 Nr. 69 = EzA KSchG § 4 nF Nr. 87; 28. Februar 1990 - 7 AZR 143/89 - zu II 2 a der Gründe, BAGE 64, 220).

35

(bb) Der Arbeitsvertrag differenziert in Nr. 5 zwischen einer regulären Kündigungsfrist von sechs Monaten zum 31. Juli (Nr. 5 Satz 1) und einer für den Fall mangelnden Vertrauens in die Erziehungsarbeit oder in die Mitwirkung bei der Selbstverwaltung vorgesehenen „Kündbarkeit entsprechend den gesetzlichen Kündigungsfristen“ (Nr. 5 Satz 6). Dabei ist davon auszugehen, dass die beiden Regelungen jeweils abschließend und vollständig sind. So ist das Arbeitsverhältnis im Fall von Nr. 5 Satz 6 nicht nur zum 31. Juli kündbar. Die Festlegung dieses Termins in Nr. 5 Satz 1 beruht, ebenso wie die - lange - Dauer der dort bestimmten Kündigungsfrist von sechs Monaten erkennbar auf dem Bedürfnis nach personeller Kontinuität in der Lehrerschaft während eines laufenden Schuljahrs. Soweit es in den Fällen von Nr. 5 Satz 6 des Vertrags stattdessen bei den gesetzlichen Kündigungsfristen verbleiben soll, betrifft dies Sachverhalte, die das pädagogische Selbstverständnis und die Tendenz des Beklagten als freier Schulträger berühren. Der offensichtliche Zweck der Regelung, Pflichtverletzungen in diesem Bereich mit einer möglichst kurzfristigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses begegnen zu können, liefe weitgehend leer, wäre eine Kündigung auch dann - wenn auch mit kürzerer Frist - nur zum 31. Juli möglich.

36

(cc) Die in Rede stehende Pflichtverletzung ist aufgrund ihres Bezugs zur Erziehungsarbeit ein Anwendungsfall von Nr. 5 Satz 6 des Vertrags. Bei einer Betriebszugehörigkeit des Klägers von etwas mehr als fünf Jahren gilt für ihn gemäß § 622 Abs. 2 Nr. 2 BGB eine Kündigungsfrist von zwei Monaten zum Monatsende.

37

3. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO). Der Beklagte hat sich allerdings zur Rechtfertigung der außerordentlichen Kündigung ergänzend auf Verstöße gegen ein dem Kläger am 1. Februar 2007 erteiltes Hausverbot vom 7. Februar und 19. Februar 2007 sowie eine Missachtung der gesetzlichen Vorschriften für Abiturprüfungen an Waldorfschulen berufen. Insoweit fehlt es aber schon nach seinem eigenen Vorbringen an einem wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB. Das Hausverbot war zunächst - unstreitig - bis 5. Februar 2007 ausgesprochen worden. Zwar hat der Beklagte behauptet, im Schlichtungsgespräch von diesem Tag sei vereinbart worden, dass es bis auf Weiteres bei den „Festlegungen vom 1. Februar 2007“ verbleiben solle. Es ist jedoch gut vorstellbar, dass der Kläger dies lediglich auf die ebenfalls am 1. Februar 2007 angeordnete Beurlaubung, nicht aber das Hausverbot bezogen hat, so dass eine Abmahnung schon zum Ausschluss eines nahe liegenden Irrtums des Klägers erforderlich war. Ähnliche Erwägungen gelten für die behauptete Nichtbeachtung gesetzlicher Vorschriften im Hinblick auf die Vorbereitung der Schüler auf Abiturprüfungen. Soweit in dem Verhalten des Klägers überhaupt eine Pflichtverletzung liegt, erreicht diese nicht das für einen Kündigungsgrund iSv. § 626 Abs. 1 BGB erforderliche Gewicht.

38

II. Ist das Arbeitsverhältnis aufgrund der Kündigung vom 23. Februar 2007 nicht mit sofortiger Wirkung aufgelöst worden, kommt es darauf an, ob es - wie vom Beklagten geltend gemacht - durch ordentliche Kündigung beendet worden ist. Hierüber kann der Senat selbst entscheiden. Die Kündigung vom 23. Februar 2007 ist als ordentliche Kündigung sozial gerechtfertigt iSv. § 1 Abs. 1, Abs. 2 KSchG und damit wirksam.

39

1. Eine nach § 626 Abs. 1 BGB unwirksame außerordentliche Kündigung kann in eine ordentliche Kündigung nach § 140 BGB umgedeutet werden, wenn dies dem mutmaßlichen Willen des Kündigenden entspricht und dieser Wille dem Kündigungsempfänger im Zeitpunkt des Kündigungszugangs erkennbar ist(Senat 23. Oktober 2008 - 2 AZR 388/07 - Rn. 33 mwN, AP BGB § 626 Nr. 217 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 23; 15. November 2001 - 2 AZR 310/00 - zu B I 1 a der Gründe, AP BGB § 140 Nr. 13 = EzA BGB § 140 Nr. 24).

40

2. Die Prüfung, ob diese Voraussetzungen vorliegen, obliegt zwar grundsätzlich der Tatsacheninstanz (vgl. BGH 24. September 1980 - VIII ZR 299/79 - zu II 2 b der Gründe, NJW 1981, 43). Sie kann bei feststehendem Sachverhalt aber auch in der Revisionsinstanz erfolgen. Im Streitfall ist von einer derartigen Sachlage auszugehen. Auch hat sich der Beklagte ausdrücklich auf eine Umdeutung der fristlosen in eine ordentliche Kündigung berufen.

41

a) Der Inhalt des Kündigungsschreibens vom 23. Februar 2007, mit dem der Beklagte das Arbeitsverhältnis „fristlos“ gekündigt hat, ließ für den Kläger den unbedingten Beendigungswillen des Beklagten erkennen. Hinzu kommt, dass der Beklagte das Arbeitsverhältnis bereits zuvor ordentlich gekündigt hatte. Der Kläger musste davon ausgehen, dass es dem Beklagten darauf ankam, sich möglichst bald von ihm zu trennen.

42

b) Besondere Umstände, die den Schluss zuließen, der Beklagte habe mit der Kündigung vom 23. Februar 2007 ausschließlich die außerordentliche fristlose Beendigung des Arbeitsverhältnisses herbeiführen wollen, und die deshalb einer Umdeutung entgegenstünden (Senat 15. November 2001 - 2 AZR 310/00 - zu B I 2 c der Gründe mwN, AP BGB § 140 Nr. 13 = EzA BGB § 140 Nr. 24), hat der Kläger nicht aufgezeigt.

43

3. Die Pflichtverletzung des Klägers im Zusammenhang mit der Jahresarbeit von S. rechtfertigt aus den angeführten Gründen die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses iSv. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG. Eine Abmahnung war, wie ausgeführt, entbehrlich. Besondere Umstände des Einzelfalls, die ein anderes Ergebnis rechtfertigten, sind nicht ersichtlich.

44

4. Sonstige Unwirksamkeitsgründe liegen nicht vor. Die Kündigung ist nicht deshalb unwirksam, weil das interne Schlichtungsverfahren nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden wäre. Dabei kann zugunsten des Klägers unterstellt werden, dass nach der Regelung in Nr. 5 des Arbeitsvertrags das Schlichtungsverfahren zumindest bei einer beabsichtigten ordentlichen Kündigung eingreifen soll. Der Arbeitsvertrag verlangt im Fall der „die Zusammenarbeit betreffenden Streitigkeiten“ lediglich die „Einleitung“ des Verfahrens und nicht dessen Durchführung mit sämtlichen in der Schulordnung vorgesehenen Schritten. Das steht im Einklang mit der für das Schlichtungsverfahren getroffenen Regelung, wonach „jeder der angeführten Punkte zum Abbruch des Verfahrens führen kann“ und es somit an einer zwingenden Ausgestaltung des Verfahrens fehlt. Die Einleitung des Verfahrens war vor Ausspruch der - außerordentlichen - Kündigung unstreitig erfolgt. Das Schlichtungsgespräch vom 19. Februar 2007, in das auch die Vorfälle um die Jahresarbeit einbezogen wurden, war erfolglos geblieben.

45

III. Hat das Arbeitsverhältnis aufgrund der Kündigung vom 23. Februar 2007 mit Ablauf des 30. April 2007 geendet, kommt es auf die Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung vom 31. Januar 2007 nicht mehr an.

        

    Kreft    

        

    Eylert    

        

    Berger    

        

        

    zugleich für ehrenamtlichen Richter Dr. Bartel,
der an einer Unterzeichnung wegen des Endes
seiner Amtszeit verhindert ist    

        

        

    Jan Eulen    

                 

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

Tenor

1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 24. Februar 2009 - 7 Sa 2017/08 - aufgehoben.

2. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 21. August 2008 - 2 Ca 3632/08 - abgeändert:

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die fristlose Kündigung, noch durch die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung vom 22. Februar 2008 aufgelöst worden ist.

3. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung.

2

Die 1958 geborene Klägerin war seit April 1977 bei der Beklagten und deren Rechtsvorgängerinnen als Verkäuferin mit Kassentätigkeit beschäftigt.

3

Die Beklagte ist ein überregional vertretenes Einzelhandelsunternehmen. In einigen ihrer Filialen, so auch in der Beschäftigungsfiliale der Klägerin, besteht die Möglichkeit, Leergut an einem Automaten gegen Ausstellung eines Leergutbons zurückzugeben. Wird ein solcher Bon an der Kasse eingelöst, ist er von der Kassiererin/dem Kassierer abzuzeichnen. Mitarbeiter der Filiale sind angewiesen, mitgebrachtes Leergut beim Betreten des Markts dem Filialleiter vorzuzeigen und einen am Automaten erstellten Leergutbon durch den Leiter gesondert abzeichnen zu lassen, bevor sie den Bon an der Kasse einlösen. Dort wird er wie ein Kundenbon ein weiteres Mal abgezeichnet. Diese Regelungen, die Manipulationen beim Umgang mit Leergut ausschließen sollen, sind der Klägerin bekannt.

4

Im Herbst 2007 beteiligte sich die Klägerin mit weiteren sieben von insgesamt 36 Beschäftigten ihrer Filiale an einem gewerkschaftlich getragenen Streik. Während die Streikbereitschaft anderer Arbeitnehmer mit der Zeit nachließ, nahm die Klägerin bis zuletzt an den Maßnahmen teil. Im Januar 2008 lud der Filialleiter Beschäftigte, die sich nicht am Arbeitskampf beteiligt hatten, zu einer Feier außer Hause ein. Aus diesem Grund wurde er später von der Beklagten abgemahnt und in eine andere Filiale versetzt.

5

Am 12. Januar 2008 fand eine Mitarbeiterin im Kassenbereich einer separaten Backtheke zwei nicht abgezeichnete Leergutbons im Wert von 0,48 Euro und 0,82 Euro. Sie trugen das Datum des Tages und waren im Abstand von ca. einer Dreiviertelstunde am Automaten erstellt worden. Die Mitarbeiterin legte die Bons dem Filialleiter vor. Dieser reichte sie an die Klägerin mit der Maßgabe weiter, sie im Kassenbüro aufzubewahren für den Fall, dass sich noch ein Kunde melden und Anspruch darauf erheben würde; andernfalls sollten sie als „Fehlbons“ verbucht werden. Die Klägerin legte die Bons auf eine - für alle Mitarbeiter zugängliche und einsehbare - Ablage im Kassenbüro.

6

Am 22. Januar 2008 kaufte die Klägerin in der Filiale außerhalb ihrer Arbeitszeit privat ein. An der Kasse überreichte sie ihrer Kollegin zwei nicht abgezeichnete Leergutbons. Laut Kassenjournal wurden diese mit Werten von 0,48 Euro und 0,82 Euro registriert. Beim Kassieren war auch die Kassenleiterin und Vorgesetzte der Klägerin anwesend.

7

Zur Klärung der Herkunft der eingereichten Bons führte die Beklagte mit der Klägerin ab dem 25. Januar 2008 insgesamt vier Gespräche, an denen - außer am ersten Gespräch - jeweils zwei Mitglieder des Betriebsrats teilnahmen. Sie hielt ihr vor, die eingelösten Bons seien nicht abgezeichnet gewesen und stimmten hinsichtlich Wert und Ausgabedatum mit den im Kassenbüro aufbewahrten Bons überein. Es bestehe der dringende Verdacht, dass sie - die Klägerin - die dort abgelegten „Kundenbons“ an sich genommen und zu ihrem Vorteil verwendet habe. Die Klägerin bestritt dies und erklärte, selbst wenn die Bons übereinstimmten, bestehe die Möglichkeit, dass ihr entsprechende Bons durch eine ihrer Töchter oder durch Dritte zugesteckt worden seien. Beispielsweise habe sie am 21. oder 22. Januar 2008 einer Arbeitskollegin ihre Geldbörse ausgehändigt mit der Bitte, diese in ihren Spind zu legen. Die Beklagte legte der Klägerin nahe, zur Untermauerung ihrer Behauptung eine eidesstattliche Erklärung einer Tochter beizubringen. Außerdem befragte sie die benannte Kollegin, die die Angaben der Klägerin bestritt. Beim letzten, am 15. Februar 2008 geführten Gespräch überreichte die Klägerin eine schriftliche Erklärung, mit der eine ihrer Töchter bestätigte, bei der Beklagten hin und wieder für ihre Mutter einzukaufen, dabei auch Leergut einzulösen und „Umgang“ mit der Geldbörse ihrer Mutter „pflegen zu dürfen“.

8

Mit Schreiben vom 18. Februar 2008 hörte die Beklagte den Betriebsrat zu einer beabsichtigten außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung, gestützt auf den Verdacht der Einlösung der Bons, an. Der Betriebsrat äußerte Bedenken gegen die fristlose Kündigung, einer ordentlichen Kündigung widersprach er und verwies auf die Möglichkeit einer gegen die Klägerin gerichteten Intrige.

9

Mit Schreiben vom 22. Februar 2008 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos, hilfsweise fristgemäß zum 30. September 2008.

10

Die Klägerin hat Kündigungsschutzklage erhoben. Sie hat behauptet, sie habe jedenfalls nicht bewusst Leergutbons eingelöst, die ihr nicht gehörten. Sollte es sich bei den registrierten Bons tatsächlich um die im Kassenbüro abgelegten Bons gehandelt haben, müsse auch die Möglichkeit eines Austauschs der Bons während des Kassiervorgangs in Betracht gezogen werden. Denkbares Motiv hierfür sei ihre Streikteilnahme, die ohnehin der wahre Grund für die Kündigung sei. Anders sei nicht zu erklären, weshalb ihre Kollegin und die Vorgesetzte sie - unstreitig - nicht bereits beim Kassieren oder unmittelbar anschließend auf die fehlende Abzeichnung der überreichten Leergutbons angesprochen hätten. Angesichts der streikbedingt aufgetretenen Spannungen unter den Filialmitarbeitern sei es lebensfremd anzunehmen, sie habe ausgerechnet bei einer Kollegin, mit der sie im Streit gestanden habe, und in Anwesenheit ihrer Vorgesetzten die im Kassenbüro verwahrten, nicht abgezeichneten Bons eingelöst. Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, eine Verdachtskündigung sei wegen der in Art. 6 Abs. 2 EMRK verankerten Unschuldsvermutung ohnehin unzulässig. Das gelte in besonderem Maße, wenn sich der Verdacht auf die Entwendung einer nur geringwertigen Sache beziehe. Selbst bei nachgewiesener Tat sei in einem solchen Fall ein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB nicht gegeben. Zumindest sei in ihrem Fall die Kündigung in Anbetracht der Einmaligkeit des Vorfalls und ihrer langen Betriebszugehörigkeit unangemessen, zumal der Beklagten kein Schaden entstanden sei.

11

Die Klägerin hat beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis weder durch die fristlose, noch durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 22. Februar 2008 aufgelöst worden ist;

        

2.    

die Beklagte zu verurteilen, sie entsprechend den arbeitsvertraglichen Bedingungen als Verkäuferin mit Kassentätigkeit zu beschäftigen.

12

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat geltend gemacht, es bestehe der dringende Verdacht, dass die Klägerin die im Kassenbüro hinterlegten Leergutbons für sich verwendet habe. Dafür sprächen die in der Anhörung angeführten Tatsachen sowie der Umstand, dass diese Bons bei einer unmittelbar nach dem Einkauf der Klägerin durchgeführten Suche nicht mehr auffindbar gewesen seien. Es sei auch das mehrfach geänderte Verteidigungsvorbringen der Klägerin zu berücksichtigen, das sich in keinem Punkt als haltbar erwiesen habe. Damit sei das Vertrauen in die redliche Ausführung der Arbeitsaufgaben durch die Klägerin unwiederbringlich zerstört. Das Arbeitsverhältnis sei auch nicht unbelastet verlaufen. Sie habe die Klägerin im Jahr 2005 wegen ungebührlichen Verhaltens gegenüber einem Arbeitskollegen abgemahnt. Außerdem habe die Klägerin, wie ihr erst nachträglich bekannt geworden sei, am 22. November 2007 bei einem privaten Einkauf einen Sondercoupon aus einem Bonussystem eingelöst, obwohl die Einkaufssumme den dafür erforderlichen Betrag nicht erreicht habe. Derselbe Coupon sei dreimal „über die Kasse gezogen“ worden. Dadurch seien der Klägerin zu Unrecht Punkte im Wert von 3,00 Euro gutgeschrieben worden. Deren Behauptung, ihre Vorgesetzte habe sie zu einer derartigen Manipulation - vergeblich - verleiten wollen, sei nicht plausibel; die Vorgesetzte habe an dem betreffenden Tag - wie zuletzt unstreitig - nicht gearbeitet.

13

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit ihrer durch das Bundesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe

14

Die Revision ist begründet. Die Vorinstanzen haben die Klage zu Unrecht abgewiesen. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist weder durch die außerordentliche noch durch die ordentliche Kündigung vom 22. Februar 2008 aufgelöst worden. Das Urteil des Landesarbeitsgerichts war deshalb aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Einer Zurückverweisung bedurfte es nicht. Die Sache war nach dem festgestellten Sachverhältnis zur Endentscheidung reif (§ 563 Abs. 3 ZPO).

15

A. Die außerordentliche Kündigung ist unwirksam. Es fehlt an einem wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB.

16

I. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Das Gesetz kennt folglich keine „absoluten“ Kündigungsgründe. Vielmehr ist jeder Einzelfall gesondert zu beurteilen. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (st. Rspr., Senat 26. März 2009 - 2 AZR 953/07 - Rn. 21 mwN, AP BGB § 626 Nr. 220; 27. April 2006 - 2 AZR 386/05 - Rn. 19, BAGE 118, 104).

17

II. Die Prüfung der Voraussetzungen des wichtigen Grundes ist in erster Linie Sache der Tatsacheninstanzen. Dennoch geht es um Rechtsanwendung, nicht um Tatsachenfeststellung. Die Würdigung des Berufungsgerichts wird in der Revisionsinstanz darauf hin überprüft, ob es den anzuwendenden Rechtsbegriff in seiner allgemeinen Bedeutung verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnormen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob es alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände widerspruchsfrei berücksichtigt hat (st. Rspr., Senat 27. November 2008 - 2 AZR 193/07 - Rn. 22, AP BGB § 626 Nr. 219; 6. September 2007 - 2 AZR 722/06 - Rn. 40, BAGE 124, 59).

18

III. Auch unter Beachtung eines in diesem Sinne eingeschränkten Maßstabs hält die Würdigung des Landesarbeitsgerichts einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand. Zwar liegt nach dem festgestellten Sachverhalt „an sich“ ein wichtiger Grund zur Kündigung vor. Das Landesarbeitsgericht hat jedoch bei der vorzunehmenden Einzelfallprüfung und Interessenabwägung nicht alle wesentlichen Gesichtspunkte einbezogen und zutreffend abgewogen.

19

1. Entgegen der Auffassung der Revision ist die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts nicht deshalb zu beanstanden, weil dieses seiner rechtlichen Würdigung die fragliche Pflichtverletzung im Sinne einer erwiesenen Tat und nicht nur - wie die Beklagte selbst - einen entsprechenden Verdacht zugrunde gelegt hat.

20

a) Das Landesarbeitsgericht ist vom Fund zweier Leergutbons am 12. Januar 2008 und deren Aushändigung an die Klägerin durch den Marktleiter ausgegangen. Nach Beweisaufnahme hat es zudem für wahr erachtet, dass die Klägerin die beiden zunächst im Kassenbüro abgelegten Bons im Wert von 0,48 Euro und 0,82 Euro zu einem unbestimmten Zeitpunkt an sich nahm und am 22. Januar 2008 bei einem Einkauf zu ihren Gunsten einlöste; dadurch ermäßigte sich die Kaufsumme für sie um 1,30 Euro. Darin hat es ein vorsätzliches, pflichtwidriges Verhalten der Klägerin erblickt.

21

b) An die vom Landesarbeitsgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen ist der Senat gemäß § 559 Abs. 2 ZPO gebunden. Die Klägerin hat - auch wenn sie vorsätzliches Fehlverhalten weiterhin in Abrede stellt - von Angriffen gegen die Beweiswürdigung des Landesarbeitsgerichts ausdrücklich abgesehen.

22

c) Einer Würdigung des Geschehens unter der Annahme, die Klägerin habe sich nachweislich pflichtwidrig verhalten, steht nicht entgegen, dass die Beklagte sich zur Rechtfertigung der Kündigung nur auf einen entsprechenden Verdacht berufen und den Betriebsrat auch nur zu einer Verdachtskündigung angehört hat.

23

aa) Das Landesarbeitsgericht hat auf diese Weise nicht etwa Vortrag berücksichtigt, den die Beklagte nicht gehalten hätte. Der Verdacht eines pflichtwidrigen Verhaltens stellt zwar gegenüber dem Tatvorwurf einen eigenständigen Kündigungsgrund dar (st. Rspr., Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 55 mwN, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 47 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 8). Beide Gründe stehen jedoch nicht beziehungslos nebeneinander. Wird die Kündigung mit dem Verdacht pflichtwidrigen Verhaltens begründet, steht indessen zur Überzeugung des Gerichts die Pflichtwidrigkeit tatsächlich fest, lässt dies die materiell-rechtliche Wirksamkeit der Kündigung unberührt. Maßgebend ist allein der objektive Sachverhalt, wie er sich dem Gericht nach Parteivorbringen und ggf. Beweisaufnahme darstellt. Ergibt sich daraus nach tatrichterlicher Würdigung das Vorliegen einer Pflichtwidrigkeit, ist das Gericht nicht gehindert, dies seiner Entscheidung zugrunde zu legen. Es ist nicht erforderlich, dass der Arbeitgeber sich während des Prozesses darauf berufen hat, er stütze die Kündigung auch auf die erwiesene Tat (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - aaO mwN).

24

bb) Der Umstand, dass der Betriebsrat ausschließlich zu einer beabsichtigten Verdachtskündigung gehört wurde, steht dem nicht entgegen. Die gerichtliche Berücksichtigung des Geschehens als erwiesene Tat setzt voraus, dass dem Betriebsrat - ggf. im Rahmen zulässigen „Nachschiebens“ - diejenigen Umstände mitgeteilt worden sind, welche nicht nur den Tatverdacht, sondern zur Überzeugung des Gerichts auch den Tatvorwurf begründen (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 59 mwN, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 47 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 8). Bei dieser Sachlage ist dem Normzweck des § 102 Abs. 1 BetrVG auch durch eine Anhörung nur zur Verdachtskündigung genüge getan. Dem Betriebsrat wird dadurch nichts vorenthalten. Die Mitteilung des Arbeitgebers, einem Arbeitnehmer solle schon und allein wegen des Verdachts einer pflichtwidrigen Handlung gekündigt werden, gibt ihm sogar weit stärkeren Anlass für ein umfassendes Tätigwerden als eine Anhörung wegen einer als erwiesen behaupteten Tat (Senat 3. April 1986 - 2 AZR 324/85 - zu II 1 c cc der Gründe, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 18 = EzA BetrVG 1972 § 102 Nr. 63; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 217). Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt. Das Landesarbeitsgericht hat seiner Entscheidung ausschließlich solche - aus seiner Sicht bewiesene - Tatsachen zugrunde gelegt, die Gegenstand der Betriebsratsanhörung waren.

25

2. Der vom Landesarbeitsgericht festgestellte Sachverhalt ist „an sich“ als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB geeignet. Zum Nachteil des Arbeitgebers begangene Eigentums- oder Vermögensdelikte, aber auch nicht strafbare, ähnlich schwerwiegende Handlungen unmittelbar gegen das Vermögen des Arbeitgebers kommen typischerweise - unabhängig vom Wert des Tatobjekts und der Höhe eines eingetretenen Schadens - als Grund für eine außerordentliche Kündigung in Betracht.

26

a) Begeht der Arbeitnehmer bei oder im Zusammenhang mit seiner Arbeit rechtswidrige und vorsätzliche - ggf. strafbare - Handlungen unmittelbar gegen das Vermögen seines Arbeitgebers, verletzt er zugleich in schwerwiegender Weise seine schuldrechtliche Pflicht zur Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB) und missbraucht das in ihn gesetzte Vertrauen. Ein solches Verhalten kann auch dann einen wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB darstellen, wenn die rechtswidrige Handlung Sachen von nur geringem Wert betrifft oder zu einem nur geringfügigen, möglicherweise zu gar keinem Schaden geführt hat(Senat 13. Dezember 2007 - 2 AZR 537/06 - Rn. 16, 17, AP BGB § 626 Nr. 210 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 20; 12. August 1999 - 2 AZR 923/98 - zu II 2 b aa der Gründe, BAGE 92, 184; 17. Mai 1984 - 2 AZR 3/83 - zu II 1 der Gründe, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 14 = EzA BGB § 626 nF Nr. 90).

27

b) An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest. Die entgegenstehende Ansicht, die Pflichtverletzungen im Vermögensbereich bei Geringfügigkeit bereits aus dem Anwendungsbereich des § 626 Abs. 1 BGB herausnehmen will(so LAG Köln 30. September 1999 - 5 Sa 872/99 - zu 2 der Gründe, NZA-RR 2001, 83; LAG Hamburg 8. Juli 1998 - 4 Sa 38/97 - zu II 3 a aa der Gründe, NZA-RR 1999, 469; ArbG Reutlingen 4. Juni 1996 - 1 Ca 73/96 - RzK I 6 d Nr. 12; Däubler Das Arbeitsrecht 2 12. Aufl. Rn. 1128; eingeschränkt Gerhards BB 1996, 794, 796), überzeugt nicht. Ein Arbeitnehmer, der die Integrität von Eigentum und Vermögen seines Arbeitgebers vorsätzlich und rechtswidrig verletzt, zeigt ein Verhalten, das geeignet ist, die Zumutbarkeit seiner Weiterbeschäftigung in Frage zu stellen. Die durch ein solches Verhalten ausgelöste „Erschütterung“ der für die Vertragsbeziehung notwendigen Vertrauensgrundlage tritt unabhängig davon ein, welche konkreten wirtschaftlichen Schäden mit ihm verbunden sind. Aus diesem Grund ist die Festlegung einer nach dem Wert bestimmten Relevanzschwelle mit dem offen gestalteten Tatbestand des § 626 Abs. 1 BGB nicht zu vereinbaren. Sie würfe im Übrigen mannigfache Folgeprobleme auf - etwa das einer exakten Wertberechnung, das der Folgen mehrfacher, für sich betrachtet „irrelevanter“ Verstöße sowie das der Behandlung nur marginaler Grenzüberschreitungen - und vermöchte schon deshalb einem angemessenen Interessenausgleich schwerlich zu dienen.

28

c) Mit seiner Auffassung setzt sich der Senat nicht in Widerspruch zu der in § 248a StGB getroffenen Wertung. Nach dieser Bestimmung werden Diebstahl und Unterschlagung geringwertiger Sachen nur auf Antrag oder bei besonderem öffentlichem Interesse verfolgt. Der Vorschrift liegt eine Einschätzung des Gesetzgebers darüber zugrunde, ab welcher Grenze staatliche Sanktionen für Rechtsverstöße in diesem Bereich zwingend geboten sind. Ein solcher Ansatz ist dem Schuldrecht fremd. Hier geht es um störungsfreien Leistungsaustausch. Die Berechtigung einer verhaltensbedingten Kündigung ist nicht daran zu messen, ob diese - vergleichbar einer staatlichen Maßnahme - als Sanktion für den fraglichen Vertragsverstoß angemessen ist. Statt des Sanktions- gilt das Prognoseprinzip. Eine verhaltensbedingte Kündigung ist gerechtfertigt, wenn eine störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten steht, künftigen Pflichtverstößen demnach nur durch die Beendigung der Vertragsbeziehung begegnet werden kann (st. Rspr., Senat 26. November 2009 - 2 AZR 751/08 - Rn. 10, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 61 = EzA BGB 2002 § 611 Abmahnung Nr. 5; 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 32, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17).

29

d) Ebenso wenig besteht ein Wertungswiderspruch zwischen der Auffassung des Senats und der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Dieses erkennt zwar bei der disziplinarrechtlichen Beurteilung vergleichbarer Dienstvergehen eines Beamten die Geringwertigkeit der betroffenen Vermögensobjekte als Milderungsgrund an (BVerwG 13. Februar 2008 - 2 WD 9/07 - DÖV 2008, 1056; 24. November 1992 - 1 D 66/91 - zu 3 der Gründe, BVerwGE 93, 314; bei kassenverwaltender Tätigkeit: BVerwG 11. November 2003 - 1 D 5/03 - zu 4 b der Gründe). Dies geschieht jedoch vor dem Hintergrund einer abgestuften Reihe von disziplinarischen Reaktionsmöglichkeiten des Dienstherrn. Diese reichen von der Anordnung einer Geldbuße (§ 7 BDG) über die Kürzung von Dienstbezügen (§ 8 BDG) und die Zurückstufung (§ 9 BDG) bis zur Entfernung aus dem Dienst (§ 13 Abs. 2 BDG). Eine solche Reaktionsbreite kennt das Arbeitsrecht nicht. Der Arbeitgeber könnte auf die „Entfernung aus dem Dienst“ nicht zugunsten einer Kürzung der Vergütung verzichten. Wertungen, wie sie für das in der Regel auf Lebenszeit angelegte, durch besondere Treue- und Fürsorgepflichten geprägte Dienstverhältnis der Beamten und Soldaten getroffen werden, lassen sich deshalb auf eine privatrechtliche Leistungsbeziehung regelmäßig nicht übertragen (Keiser JR 2010, 55, 57 ff.; Reuter NZA 2009, 594, 595).

30

e) Das Landesarbeitsgericht hat das Verhalten der Klägerin als „Vermögensdelikt“ zulasten der Beklagten gewürdigt, hat aber offen gelassen, welchen straf- und/oder zivilrechtlichen Deliktstatbestand es als erfüllt ansieht. Das ist im Ergebnis unschädlich. Das Verhalten der Klägerin kommt auch dann als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB in Betracht, wenn es - wie die Revision im Anschluss an Äußerungen in der Literatur (Hüpers Jura 2010, 52 ff.; Schlösser HRRS 2009, 509 ff.) meint - nicht strafbar sein sollte, jedenfalls nicht im Sinne eines Vermögensdelikts zum Nachteil der Beklagten. Für die kündigungsrechtliche Beurteilung ist weder die strafrechtliche noch die sachenrechtliche Bewertung maßgebend. Entscheidend ist der Verstoß gegen vertragliche Haupt- oder Nebenpflichten und der mit ihm verbundene Vertrauensbruch (Senat 19. April 2007 - 2 AZR 78/06 - Rn. 28, AP BGB § 611 Direktionsrecht Nr. 77 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 8; 2. März 2006 - 2 AZR 53/05 - Rn. 29, AP BGB § 626 Krankheit Nr. 14 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 16; 21. April 2005 - 2 AZR 255/04 - zu B II 1 der Gründe, BAGE 114, 264; Preis AuR 2010, 242 f.). Auch eine nicht strafbare, gleichwohl erhebliche Verletzung der sich aus dem Arbeitsverhältnis ergebenden Pflichten kann deshalb ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB sein. Das gilt insbesondere in Fällen, in denen die Pflichtverletzung mit einem vorsätzlichen Verstoß gegen eine den unmittelbaren Vermögensinteressen des Arbeitgebers dienende Weisung einhergeht (KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 459).

31

f) Danach liegt eine erhebliche, die Schwelle zum wichtigen Grund überschreitende Pflichtverletzung vor. Die Klägerin hat sich mit dem Einlösen der Leergutbons gegenüber der Beklagten einen Vermögensvorteil verschafft, der ihr nicht zustand. Ihr Verhalten wiegt umso schwerer, als sie eine konkrete Anordnung des Marktleiters zum Umgang mit den Bons missachtet hat. Es kommt nicht darauf an, ob sie damit schon gegen ihre Hauptleistungspflichten als Kassiererin oder gegen ihre Pflicht zur Rücksichtnahme aus § 241 Abs. 2 BGB verstoßen hat. In jedem Fall gehört die Pflicht zur einschränkungslosen Wahrung der Vermögensinteressen der Beklagten zum Kernbereich ihrer Arbeitsaufgaben. Die Schwere der Pflichtverletzung hängt von einer exakten Zuordnung nicht ab. Die Vorgabe des Marktleiters, die Bons nach einer gewissen Zeit als „Fehlbons“ zu verbuchen, sollte sicherstellen, dass die Beklagte insoweit nicht mehr in Anspruch genommen würde. Ob damit den Interessen der Kunden ausreichend Rechnung getragen wurde, ist im Verhältnis der Parteien ohne Bedeutung. Die Klägerin jedenfalls durfte die Bons nicht zum eigenen Vorteil einlösen.

32

3. Die fristlose Kündigung ist bei Beachtung aller Umstände des vorliegenden Falls und nach Abwägung der widerstreitenden Interessen gleichwohl nicht gerechtfertigt. Als Reaktion der Beklagten auf das Fehlverhalten der Klägerin hätte eine Abmahnung ausgereicht. Dies vermag der Senat selbst zu entscheiden.

33

a) Dem Berufungsgericht kommt bei der im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB vorzunehmenden Interessenabwägung zwar ein Beurteilungsspielraum zu(Senat 11. Dezember 2003 - 2 AZR 36/03 - zu II 1 f der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 179 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 5). Eine eigene Abwägung durch das Revisionsgericht ist aber möglich, wenn die des Berufungsgerichts fehlerhaft oder unvollständig ist und sämtliche relevanten Tatsachen feststehen (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 36, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17; 12. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 61, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Ein solcher Fall liegt hier vor.

34

b) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung - etwa im Hinblick auf das Maß eines durch sie bewirkten Vertrauensverlusts und ihre wirtschaftlichen Folgen -, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf (Senat 28. Januar 2010 - 2 AZR 1008/08 - Rn. 26 mwN, DB 2010, 1709; 10. November 2005 - 2 AZR 623/04 - Rn. 38 mwN, AP BGB § 626 Nr. 196 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 11). Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind (st. Rspr., Senat 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 45, AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7). Als mildere Reaktionen sind insbesondere Abmahnung und ordentliche Kündigung anzusehen. Sie sind dann alternative Gestaltungsmittel, wenn schon sie geeignet sind, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck - die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen - zu erreichen (KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 251 mwN).

35

c) Die Notwendigkeit der Prüfung, ob eine fristgerechte Kündigung als Reaktion ausgereicht hätte, folgt schon aus dem Wortlaut des § 626 Abs. 1 BGB. Das Erfordernis weitergehend zu prüfen, ob nicht schon eine Abmahnung ausreichend gewesen wäre, folgt aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (die Kündigung als „ultima ratio“) und trägt zugleich dem Prognoseprinzip bei der verhaltensbedingten Kündigung Rechnung (Senat 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 47 f., AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7; 12. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 55 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Das Erfordernis gilt auch bei Störungen im Vertrauensbereich. Es ist nicht stets und von vorneherein ausgeschlossen, verlorenes Vertrauen durch künftige Vertragstreue zurückzugewinnen (Senat 4. Juni 1997 - 2 AZR 526/96 - zu II 1 b der Gründe, BAGE 86, 95).

36

aa) Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann (Schlachter NZA 2005, 433, 436). Die ordentliche wie die außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus. Sie dient der Objektivierung der negativen Prognose (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 283/08 - Rn. 14 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Abmahnung Nr. 5 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 75; Staudinger/Preis <2002> § 626 BGB Rn. 109). Ist der Arbeitnehmer ordnungsgemäß abgemahnt worden und verletzt er dennoch seine arbeitsvertraglichen Pflichten erneut, kann regelmäßig davon ausgegangen werden, es werde auch zukünftig zu weiteren Vertragsstörungen kommen (Senat 13. Dezember 2007 - 2 AZR 818/06 - Rn. 38, AP KSchG 1969 § 4 Nr. 64 = EzA KSchG § 4 nF Nr. 82).

37

bb) Nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist eine Kündigung nicht gerechtfertigt, wenn es mildere Mittel gibt, eine Vertragsstörung zukünftig zu beseitigen. Dieser Aspekt hat durch die Regelung des § 314 Abs. 2 BGB iVm. § 323 Abs. 2 BGB eine gesetzgeberische Bestätigung erfahren(Senat 12. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 56 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Einer Abmahnung bedarf es in Ansehung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes deshalb nur dann nicht, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft selbst nach Abmahnung nicht zu erwarten steht oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass eine Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist (vgl. Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 33, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17; 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 48 mwN, AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7).

38

cc) Diese Grundsätze gelten uneingeschränkt selbst bei Störungen des Vertrauensbereichs durch Straftaten gegen Vermögen oder Eigentum des Arbeitgebers (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 33, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17; 27. April 2006 - 2 AZR 415/05 - Rn. 19, AP BGB § 626 Nr. 203 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 17). Auch in diesem Bereich gibt es keine „absoluten“ Kündigungsgründe. Stets ist konkret zu prüfen, ob nicht objektiv die Prognose berechtigt ist, der Arbeitnehmer werde sich jedenfalls nach einer Abmahnung künftig wieder vertragstreu verhalten (vgl. auch Erman/Belling BGB 12. Aufl. § 626 Rn. 62; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 264; Preis AuR 2010, 242, 244; Reichel AuR 2004, 252; Schlachter NZA 2005, 433, 437).

39

d) Danach war eine Abmahnung hier nicht entbehrlich.

40

aa) Das Landesarbeitsgericht geht zunächst zutreffend davon aus, dass es einer Abmahnung nicht deshalb bedurfte, um bei der Klägerin die mögliche Annahme zu beseitigen, die Beklagte könnte mit der eigennützigen Verwendung der Bons einverstanden sein. Einer mutmaßlichen Einwilligung - die in anderen Fällen, etwa der Verwendung wertloser, als Abfall deklarierter Gegenstände zum Eigenverbrauch oder zur Weitergabe an Hilfsbedürftige oder dem Aufladen eines Mobiltelefons im Stromnetz des Arbeitgebers, naheliegend sein mag - stand im Streitfall die Weisung des Filialleiters entgegen, die keine Zweifel über den von der Beklagten gewünschten Umgang mit den Bons aufkommen ließ. Auf mögliche Unklarheiten in den allgemeinen Anweisungen der Beklagten zur Behandlung von Fundsachen und Fundgeld kommt es deshalb nicht an.

41

bb) Mit Recht hat das Landesarbeitsgericht zudem angenommen, das Verhalten der Klägerin stelle eine objektiv schwerwiegende, das Vertrauensverhältnis der Parteien erheblich belastende Pflichtverletzung dar.

42

(1) Mit der eigennützigen Verwendung der Leergutbons hat sich die Klägerin bewusst gegen die Anordnung des Filialleiters gestellt. Schon dies ist geeignet, das Vertrauen der Beklagten in die zuverlässige Erfüllung der ihr übertragenen Aufgaben als Kassiererin zu erschüttern. Erschwerend kommt hinzu, dass die Bons gerade ihr zur Verwahrung und ggf. Buchung als „Fehlbons“ übergeben worden waren. Das Fehlverhalten der Klägerin berührt damit den Kernbereich ihrer Arbeitsaufgaben. Sie war als Verkäuferin mit Kassentätigkeit beschäftigt. Als solche hat sie den weisungsgemäßen Umgang mit Leergutbons gleichermaßen sicher zu stellen wie den mit ihr anvertrautem Geld. Die Beklagte muss sich auf die Zuverlässigkeit und Ehrlichkeit einer mit Kassentätigkeiten betrauten Arbeitnehmerin in besonderem Maße verlassen dürfen. Sie muss davon ausgehen können, dass ihre Weisungen zum Umgang mit Sach- und Vermögenswerten unabhängig von deren Wert und den jeweiligen Eigentumsverhältnissen korrekt eingehalten werden. Als Einzelhandelsunternehmen ist die Beklagte besonders anfällig dafür, in der Summe hohe Einbußen durch eine Vielzahl für sich genommen geringfügiger Schädigungen zu erleiden. Verstößt eine Arbeitnehmerin, deren originäre Aufgabe es ist, Einnahmen zu sichern und zu verbuchen, vorsätzlich und zur persönlichen Bereicherung gegen eine Pflicht, die gerade dem Schutz des Eigentums und Vermögens des Arbeitgebers oder eines Kunden dient, liegt darin regelmäßig ein erheblicher, das Vertrauen in ihre Redlichkeit beeinträchtigender Vertragsverstoß.

43

(2) Der Einwand der Klägerin, ein Vertrauen auf Seiten der Beklagten bestehe ohnehin nicht, wie die in den Märkten praktizierte Videoüberwachung zeige, geht fehl. Jeder Arbeitnehmer hat die Pflicht, sich so zu verhalten, dass es um seinetwillen einer Kontrolle nicht bedürfte. Erweist sich ein zunächst unspezifisches, nicht auf konkrete Personen bezogenes, generelles „Misstrauen“ des Arbeitgebers schließlich im Hinblick auf einen bestimmten Mitarbeiter als berechtigt, wird erst und nur dadurch das Vertrauen in dessen Redlichkeit tatsächlich erschüttert.

44

cc) Auch wenn deshalb das Verhalten der Klägerin das Vertrauensverhältnis zur Beklagten erheblich belastet hat, so hat das Landesarbeitsgericht doch den für die Klägerin sprechenden Besonderheiten nicht hinreichend Rechnung getragen.

45

(1) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Klägerin habe nicht damit rechnen können, die Beklagte werde ihr Verhalten auch nur einmalig hinnehmen, ohne eine Kündigung auszusprechen. Die Klägerin habe ihre Pflichten als Kassiererin „auf das Schwerste“ verletzt. Mit dieser Würdigung ist es den Besonderheiten des Streitfalls nicht ausreichend gerecht geworden. Die Klägerin hat an der Kasse in unmittelbarer Anwesenheit ihrer Vorgesetzten bei einer nicht befreundeten Kollegin unabgezeichnete Leergutbons eingelöst. Dass sie mangels Abzeichnung nach den betrieblichen Regelungen keinen Anspruch auf eine Gutschrift hatte, war für die Kassenmitarbeiterin und die Vorgesetzte offenkundig und nicht zu übersehen. Das wusste auch die Klägerin, die deshalb aus ihrer Sicht unweigerlich würde Aufmerksamkeit erregen und Nachfragen auslösen müssen. Das zeigt, dass sie ihr Verhalten - fälschlich - als notfalls tolerabel oder jedenfalls korrigierbar eingeschätzt haben mag und sich eines gravierenden Unrechts offenbar nicht bewusst war. Für den Grad des Verschuldens und die Möglichkeit einer Wiederherstellung des Vertrauens macht es objektiv einen Unterschied, ob es sich bei einer Pflichtverletzung um ein Verhalten handelt, das insgesamt - wie etwa der vermeintlich unbeobachtete Griff in die Kasse - auf Heimlichkeit angelegt ist oder nicht.

46

(2) Das Landesarbeitsgericht hat die Einmaligkeit der Pflichtverletzung und die als beanstandungsfrei unterstellte Betriebszugehörigkeit der Klägerin von gut drei Jahrzehnten zwar erwähnt, ihnen aber kein ausreichendes Gewicht beigemessen.

47

(a) Für die Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung kann es von erheblicher Bedeutung sein, ob der Arbeitnehmer bereits geraume Zeit in einer Vertrauensstellung beschäftigt war, ohne vergleichbare Pflichtverletzungen begangen zu haben. Das gilt auch bei Pflichtverstößen im unmittelbaren Vermögensbereich (Senat 13. Dezember 1984 - 2 AZR 454/83 - zu III 3 a der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 81 = EzA BGB § 626 nF Nr. 94). Eine für lange Jahre ungestörte Vertrauensbeziehung zweier Vertragspartner wird nicht notwendig schon durch eine erstmalige Vertrauensenttäuschung vollständig und unwiederbringlich zerstört. Je länger eine Vertragsbeziehung ungestört bestanden hat, desto eher kann die Prognose berechtigt sein, dass der dadurch erarbeitete Vorrat an Vertrauen durch einen erstmaligen Vorfall nicht vollständig aufgezehrt wird. Dabei kommt es nicht auf die subjektive Befindlichkeit und Einschätzung des Arbeitgebers oder bestimmter für ihn handelnder Personen an. Entscheidend ist ein objektiver Maßstab. Maßgeblich ist nicht, ob der Arbeitgeber hinreichendes Vertrauen in den Arbeitnehmer tatsächlich noch hat. Maßgeblich ist, ob er es aus der Sicht eines objektiven Betrachters haben müsste. Im Arbeitsverhältnis geht es nicht um ein umfassendes wechselseitiges Vertrauen in die moralischen Qualitäten der je anderen Vertragspartei. Es geht allein um die von einem objektiven Standpunkt aus zu beantwortende Frage, ob mit einer korrekten Erfüllung der Vertragspflichten zu rechnen ist.

48

(b) Die Klägerin hat durch eine beanstandungsfreie Tätigkeit als Verkäuferin und Kassiererin über dreißig Jahre hinweg Loyalität zur Beklagten gezeigt.

49

(aa) Der Senat hatte davon auszugehen, dass diese Zeit ohne rechtlich relevante Beanstandungen verlaufen ist. Gegenstand einer der Klägerin erteilten Abmahnung war eine vor Kunden abgegebene, abfällige Äußerung gegenüber einem Arbeitskollegen. Dieses Verhalten steht mit dem Kündigungsvorwurf in keinerlei Zusammenhang; im Übrigen wurde die Abmahnung ein Jahr später aus der Personalakte entfernt. Schon aus tatsächlichen Gründen unbeachtlich ist das Geschehen im Zusammenhang mit der Einlösung eines Sondercoupons im November 2007. Die Klägerin hat im Einzelnen und plausibel dargelegt, weshalb ihr dabei im Ergebnis keine Bonuspunkte zugeschrieben worden seien, die ihr nicht zugestanden hätten. Dem ist die Beklagte nicht hinreichend substantiiert entgegengetreten.

50

(bb) Das in dieser Beschäftigungszeit von der Klägerin erworbene Maß an Vertrauen in die Korrektheit ihrer Aufgabenerfüllung und in die Achtung der Vermögensinteressen der Beklagten schlägt hoch zu Buche. Angesichts des Umstands, dass nach zehn Tagen Wartezeit mit einer Nachfrage der in Wahrheit berechtigten Kunden nach dem Verbleib von Leergutbons über Cent-Beträge aller Erfahrung nach nicht mehr zu rechnen war, und der wirtschaftlichen Geringfügigkeit eines der Beklagten entstandenen Nachteils ist es höher zu bewerten als deren Wunsch, nur eine solche Mitarbeiterin weiterzubeschäftigen, die in jeder Hinsicht und ausnahmslos ohne Fehl und Tadel ist. Dieser als solcher berechtigte Wunsch macht der Beklagten die Weiterbeschäftigung der Klägerin trotz ihres Pflichtenverstoßes mit Blick auf die bisherige Zusammenarbeit nicht unzumutbar. Objektiv ist das Vertrauen in die Zuverlässigkeit der Klägerin nicht derart erschüttert, dass dessen vollständige Wiederherstellung und ein künftig erneut störungsfreies Miteinander der Parteien nicht in Frage käme.

51

(3) Das prozessuale Verteidigungsvorbringen der Klägerin steht dieser Würdigung nicht entgegen.

52

(a) Die Wirksamkeit einer Kündigung ist grundsätzlich nach den objektiven Verhältnissen im Zeitpunkt ihres Zugangs zu beurteilen. Dieser Zeitpunkt ist im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB sowohl für die Prüfung des Kündigungsgrundes als auch für die Interessenabwägung maßgebend. Umstände, die erst danach entstanden sind, können die bereits erklärte Kündigung nicht rechtfertigen. Sie können allenfalls als Grundlage für eine weitere Kündigung oder einen Auflösungsantrag nach §§ 9, 10 KSchG dienen(Senat 28. Oktober 1971 - 2 AZR 15/71 - zu II 2 d der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 62 = EzA BGB § 626 nF Nr. 9; 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - zu III der Gründe, BAGE 2, 245).

53

(b) Nachträglich eingetretene Umstände können nach der Rechtsprechung des Senats für die gerichtliche Beurteilung allerdings insoweit von Bedeutung sein, wie sie die Vorgänge, die zur Kündigung geführt haben, in einem neuen Licht erscheinen lassen (Senat 13. Oktober 1977 - 2 AZR 387/76 - zu III 3 d der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 1 = EzA BetrVG 1972 § 74 Nr. 3; 28. Oktober 1971 - 2 AZR 15/71 - zu II 2 d der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 62 = EzA BGB § 626 nF Nr. 9; 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - zu III der Gründe, BAGE 2, 245). Dazu müssen zwischen den neuen Vorgängen und den alten Gründen so enge innere Beziehungen bestehen, dass jene nicht außer Acht gelassen werden können, ohne dass ein einheitlicher Lebensvorgang zerrissen würde (Senat 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - aaO; ErfK/Müller-Glöge 10. Aufl. § 626 Rn. 54; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 177; SPV/Preis 10. Aufl. Rn. 551; vgl. auch Walker NZA 2009, 921, 922). Es darf aber nicht etwa eine ursprünglich unbegründete Kündigung durch die Berücksichtigung späteren Verhaltens rückwirkend zu einer begründeten werden (Senat 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - aaO). Außerdem ist genau zu prüfen, welche konkreten Rückschlüsse auf den Kündigungsgrund späteres Verhalten wirklich erlaubt. Im Hinblick auf prozessuales Vorbringen (vgl. Senatsentscheidungen vom 24. November 2005 - 2 AZR 39/05 - AP BGB § 626 Nr. 197 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 12 und 3. Juli 2003 - 2 AZR 437/02 - AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 38 = EzA KSchG § 1 Verdachtskündigung Nr. 2)gilt nichts anderes.

54

(c) Danach kommt dem Prozessverhalten der Klägerin keine ihre Pflichtverletzung verstärkende Bedeutung zu. Es ist nicht geeignet, den Kündigungssachverhalt als solchen zu erhellen. Der besteht darin, dass die Klägerin unberechtigterweise ihr nicht gehörende Leergutbons zweier Kunden zum eigenen Vorteil eingelöst hat.

55

(aa) Dieser Vorgang erscheint insbesondere im Hinblick auf eine Wiederholungsgefahr nicht dadurch in einem anderen, für die Klägerin ungünstigeren Licht, dass diese zunächst die Identität der von ihr eingelösten und der im Kassenbüro aufbewahrten Bons bestritten hat. Das Gleiche gilt im Hinblick darauf, dass die Klägerin auch noch im Prozessverlauf die Möglichkeit bestimmter Geschehensabläufe ins Spiel gebracht hat, die erklären könnten, weshalb sie - wie sie stets behauptet hat - selbst bei Identität der Bons nicht wusste, dass sie ihr nicht gehörende Bons einlöste. Die von der Klägerin aufgezeigten Möglichkeiten einschließlich der einer gegen sie geführten Intrige mögen sich wegen der erforderlich gewordenen Befragungen der betroffenen Arbeitnehmer nachteilig auf den Betriebsfrieden ausgewirkt haben. Dies war aber nicht Kündigungsgrund. Unabhängig davon zielte das Verteidigungsvorbringen der Klägerin erkennbar nicht darauf, Dritte einer konkreten Pflichtverletzung zu bezichtigen. Der Kündigungsgrund wird auch nicht dadurch klarer, dass die Klägerin die Rechtsauffassung vertreten hat, erstmalige Vermögensdelikte zulasten des Arbeitgebers könnten bei geringem wirtschaftlichem Schaden eine außerordentliche Kündigung ohne vorausgegangene Abmahnung nicht rechtfertigen. Damit hat sie lediglich in einer rechtlich umstrittenen Frage einen für sie günstigen Standpunkt eingenommen. Daraus kann nicht abgeleitet werden, sie werde sich künftig bei Gelegenheit in gleicher Weise vertragswidrig verhalten.

56

(bb) Das Prozessverhalten der Klägerin mindert ebenso wenig das bei der Interessenabwägung zu berücksichtigende Maß des verbliebenen Vertrauens. Auch für dessen Ermittlung ist auf den Zeitpunkt des Kündigungszugangs abzustellen. Aus dieser Perspektive und im Hinblick auf den bis dahin verwirklichten Kündigungssachverhalt ist zu fragen, ob mit der Wiederherstellung des Vertrauens in eine künftig korrekte Vertragserfüllung gerechnet werden kann. In dieser Hinsicht ist das Verteidigungsvorbringen der Klägerin ohne Aussagekraft. Ihr wechselnder Vortrag und beharrliches Leugnen einer vorsätzlichen Pflichtwidrigkeit lassen keine Rückschlüsse auf ihre künftige Zuverlässigkeit als Kassiererin zu. Das gilt gleichermaßen für mögliche, während des Prozesses aufgestellte Behauptungen der Klägerin über eine ihr angeblich von der Kassenleiterin angetragene Manipulation im Zusammenhang mit der Einlösung von Sondercoupons im November 2007 und mögliche Äußerungen gegenüber Pressevertretern.

57

(cc) Anders als die Beklagte meint, wird dadurch nicht Verstößen gegen die prozessuale Wahrheitspflicht „Tür und Tor geöffnet“. Im Fall eines bewusst wahrheitswidrigen Vorbringens besteht die Möglichkeit, eine weitere Kündigung auszusprechen oder einen Auflösungsantrag nach §§ 9, 10 KSchG anzubringen. Dabei kann nicht jeder unzutreffende Parteivortrag als „Lüge“ bezeichnet werden. Die Wahrnehmung eines Geschehens ist generell nicht unbeeinflusst vom äußeren und inneren Standpunkt des Wahrnehmenden. Gleiches gilt für Erinnerung und Wiedergabe, zumal in einem von starker Polarität geprägten Verhältnis, wie es zwischen Prozessparteien häufig besteht. Wenn sich das Gericht nach den Regeln des Prozessrechts in §§ 138, 286 ZPO die - rechtlich bindende, aber um deswillen nicht der Gefahr des Irrtums enthobene - Überzeugung bildet, ein bestimmter Sachverhalt habe sich so und nicht anders zugetragen, ist damit die frühere, möglicherweise abweichende Darstellung einer Partei nicht zugleich als gezielte Irreführung des Gerichts oder der Gegenpartei ausgewiesen. Es bedarf vielmehr besonderer Anhaltspunkte, um einen solchen - schweren - Vorwurf zu begründen.

58

B. Die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung zum 30. September 2008 ist unwirksam. Auch dies vermag der Senat selbst zu entscheiden. Die Kündigung ist sozial ungerechtfertigt. Sie ist nicht durch Gründe im Verhalten der Klägerin iSv. § 1 Abs. 2 KSchG bedingt. Sie ist auf denselben Lebenssachverhalt gestützt wie die außerordentliche Kündigung. Der Beklagten war es aus den dargelegten Gründen zuzumuten, auf das mildere Mittel der Abmahnung zurückzugreifen.

59

C. Der Antrag auf Beschäftigung, der sich ersichtlich auf die Dauer des Kündigungsrechtsstreits beschränkte, kommt wegen der Beendigung des Verfahrens nicht mehr zum Tragen.

        

    Kreft    

        

    Schmitz-Scholemann    

        

    Berger    

        

        

        

    Torsten Falke    

        

    Bartz    

                 

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

(1) Eingliederungshilfe erhält, wer die erforderliche Leistung nicht von anderen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält.

(2) Verpflichtungen anderer, insbesondere der Träger anderer Sozialleistungen, bleiben unberührt. Leistungen anderer dürfen nicht deshalb versagt werden, weil dieser Teil entsprechende Leistungen vorsieht; dies gilt insbesondere bei einer gesetzlichen Verpflichtung der Träger anderer Sozialleistungen oder anderer Stellen, in ihrem Verantwortungsbereich die Verwirklichung der Rechte für Menschen mit Behinderungen zu gewährleisten oder zu fördern.

(3) Das Verhältnis der Leistungen der Pflegeversicherung und der Leistungen der Eingliederungshilfe bestimmt sich nach § 13 Absatz 3 des Elften Buches.

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

(1) Der Betriebsrat ist vor jeder Kündigung zu hören. Der Arbeitgeber hat ihm die Gründe für die Kündigung mitzuteilen. Eine ohne Anhörung des Betriebsrats ausgesprochene Kündigung ist unwirksam.

(2) Hat der Betriebsrat gegen eine ordentliche Kündigung Bedenken, so hat er diese unter Angabe der Gründe dem Arbeitgeber spätestens innerhalb einer Woche schriftlich mitzuteilen. Äußert er sich innerhalb dieser Frist nicht, gilt seine Zustimmung zur Kündigung als erteilt. Hat der Betriebsrat gegen eine außerordentliche Kündigung Bedenken, so hat er diese unter Angabe der Gründe dem Arbeitgeber unverzüglich, spätestens jedoch innerhalb von drei Tagen, schriftlich mitzuteilen. Der Betriebsrat soll, soweit dies erforderlich erscheint, vor seiner Stellungnahme den betroffenen Arbeitnehmer hören. § 99 Abs. 1 Satz 3 gilt entsprechend.

(3) Der Betriebsrat kann innerhalb der Frist des Absatzes 2 Satz 1 der ordentlichen Kündigung widersprechen, wenn

1.
der Arbeitgeber bei der Auswahl des zu kündigenden Arbeitnehmers soziale Gesichtspunkte nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat,
2.
die Kündigung gegen eine Richtlinie nach § 95 verstößt,
3.
der zu kündigende Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz im selben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden kann,
4.
die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nach zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen möglich ist oder
5.
eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers unter geänderten Vertragsbedingungen möglich ist und der Arbeitnehmer sein Einverständnis hiermit erklärt hat.

(4) Kündigt der Arbeitgeber, obwohl der Betriebsrat nach Absatz 3 der Kündigung widersprochen hat, so hat er dem Arbeitnehmer mit der Kündigung eine Abschrift der Stellungnahme des Betriebsrats zuzuleiten.

(5) Hat der Betriebsrat einer ordentlichen Kündigung frist- und ordnungsgemäß widersprochen, und hat der Arbeitnehmer nach dem Kündigungsschutzgesetz Klage auf Feststellung erhoben, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist, so muss der Arbeitgeber auf Verlangen des Arbeitnehmers diesen nach Ablauf der Kündigungsfrist bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits bei unveränderten Arbeitsbedingungen weiterbeschäftigen. Auf Antrag des Arbeitgebers kann das Gericht ihn durch einstweilige Verfügung von der Verpflichtung zur Weiterbeschäftigung nach Satz 1 entbinden, wenn

1.
die Klage des Arbeitnehmers keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet oder mutwillig erscheint oder
2.
die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers zu einer unzumutbaren wirtschaftlichen Belastung des Arbeitgebers führen würde oder
3.
der Widerspruch des Betriebsrats offensichtlich unbegründet war.

(6) Arbeitgeber und Betriebsrat können vereinbaren, dass Kündigungen der Zustimmung des Betriebsrats bedürfen und dass bei Meinungsverschiedenheiten über die Berechtigung der Nichterteilung der Zustimmung die Einigungsstelle entscheidet.

(7) Die Vorschriften über die Beteiligung des Betriebsrats nach dem Kündigungsschutzgesetz bleiben unberührt.

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

(1) Der Betriebsrat ist vor jeder Kündigung zu hören. Der Arbeitgeber hat ihm die Gründe für die Kündigung mitzuteilen. Eine ohne Anhörung des Betriebsrats ausgesprochene Kündigung ist unwirksam.

(2) Hat der Betriebsrat gegen eine ordentliche Kündigung Bedenken, so hat er diese unter Angabe der Gründe dem Arbeitgeber spätestens innerhalb einer Woche schriftlich mitzuteilen. Äußert er sich innerhalb dieser Frist nicht, gilt seine Zustimmung zur Kündigung als erteilt. Hat der Betriebsrat gegen eine außerordentliche Kündigung Bedenken, so hat er diese unter Angabe der Gründe dem Arbeitgeber unverzüglich, spätestens jedoch innerhalb von drei Tagen, schriftlich mitzuteilen. Der Betriebsrat soll, soweit dies erforderlich erscheint, vor seiner Stellungnahme den betroffenen Arbeitnehmer hören. § 99 Abs. 1 Satz 3 gilt entsprechend.

(3) Der Betriebsrat kann innerhalb der Frist des Absatzes 2 Satz 1 der ordentlichen Kündigung widersprechen, wenn

1.
der Arbeitgeber bei der Auswahl des zu kündigenden Arbeitnehmers soziale Gesichtspunkte nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat,
2.
die Kündigung gegen eine Richtlinie nach § 95 verstößt,
3.
der zu kündigende Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz im selben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden kann,
4.
die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nach zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen möglich ist oder
5.
eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers unter geänderten Vertragsbedingungen möglich ist und der Arbeitnehmer sein Einverständnis hiermit erklärt hat.

(4) Kündigt der Arbeitgeber, obwohl der Betriebsrat nach Absatz 3 der Kündigung widersprochen hat, so hat er dem Arbeitnehmer mit der Kündigung eine Abschrift der Stellungnahme des Betriebsrats zuzuleiten.

(5) Hat der Betriebsrat einer ordentlichen Kündigung frist- und ordnungsgemäß widersprochen, und hat der Arbeitnehmer nach dem Kündigungsschutzgesetz Klage auf Feststellung erhoben, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist, so muss der Arbeitgeber auf Verlangen des Arbeitnehmers diesen nach Ablauf der Kündigungsfrist bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits bei unveränderten Arbeitsbedingungen weiterbeschäftigen. Auf Antrag des Arbeitgebers kann das Gericht ihn durch einstweilige Verfügung von der Verpflichtung zur Weiterbeschäftigung nach Satz 1 entbinden, wenn

1.
die Klage des Arbeitnehmers keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet oder mutwillig erscheint oder
2.
die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers zu einer unzumutbaren wirtschaftlichen Belastung des Arbeitgebers führen würde oder
3.
der Widerspruch des Betriebsrats offensichtlich unbegründet war.

(6) Arbeitgeber und Betriebsrat können vereinbaren, dass Kündigungen der Zustimmung des Betriebsrats bedürfen und dass bei Meinungsverschiedenheiten über die Berechtigung der Nichterteilung der Zustimmung die Einigungsstelle entscheidet.

(7) Die Vorschriften über die Beteiligung des Betriebsrats nach dem Kündigungsschutzgesetz bleiben unberührt.

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

Hat ein Arbeitnehmer durch gesetzwidriges Verhalten oder durch grobe Verletzung der in § 75 Abs. 1 enthaltenen Grundsätze, insbesondere durch rassistische oder fremdenfeindliche Betätigungen, den Betriebsfrieden wiederholt ernstlich gestört, so kann der Betriebsrat vom Arbeitgeber die Entlassung oder Versetzung verlangen. Gibt das Arbeitsgericht einem Antrag des Betriebsrats statt, dem Arbeitgeber aufzugeben, die Entlassung oder Versetzung durchzuführen, und führt der Arbeitgeber die Entlassung oder Versetzung einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung zuwider nicht durch, so ist auf Antrag des Betriebsrats vom Arbeitsgericht zu erkennen, dass er zur Vornahme der Entlassung oder Versetzung durch Zwangsgeld anzuhalten sei. Das Höchstmaß des Zwangsgeldes beträgt für jeden Tag der Zuwiderhandlung 250 Euro.

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

Hat ein Arbeitnehmer durch gesetzwidriges Verhalten oder durch grobe Verletzung der in § 75 Abs. 1 enthaltenen Grundsätze, insbesondere durch rassistische oder fremdenfeindliche Betätigungen, den Betriebsfrieden wiederholt ernstlich gestört, so kann der Betriebsrat vom Arbeitgeber die Entlassung oder Versetzung verlangen. Gibt das Arbeitsgericht einem Antrag des Betriebsrats statt, dem Arbeitgeber aufzugeben, die Entlassung oder Versetzung durchzuführen, und führt der Arbeitgeber die Entlassung oder Versetzung einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung zuwider nicht durch, so ist auf Antrag des Betriebsrats vom Arbeitsgericht zu erkennen, dass er zur Vornahme der Entlassung oder Versetzung durch Zwangsgeld anzuhalten sei. Das Höchstmaß des Zwangsgeldes beträgt für jeden Tag der Zuwiderhandlung 250 Euro.

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

Hat ein Arbeitnehmer durch gesetzwidriges Verhalten oder durch grobe Verletzung der in § 75 Abs. 1 enthaltenen Grundsätze, insbesondere durch rassistische oder fremdenfeindliche Betätigungen, den Betriebsfrieden wiederholt ernstlich gestört, so kann der Betriebsrat vom Arbeitgeber die Entlassung oder Versetzung verlangen. Gibt das Arbeitsgericht einem Antrag des Betriebsrats statt, dem Arbeitgeber aufzugeben, die Entlassung oder Versetzung durchzuführen, und führt der Arbeitgeber die Entlassung oder Versetzung einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung zuwider nicht durch, so ist auf Antrag des Betriebsrats vom Arbeitsgericht zu erkennen, dass er zur Vornahme der Entlassung oder Versetzung durch Zwangsgeld anzuhalten sei. Das Höchstmaß des Zwangsgeldes beträgt für jeden Tag der Zuwiderhandlung 250 Euro.

(1) Das Urteil enthält:

1.
die Bezeichnung der Parteien, ihrer gesetzlichen Vertreter und der Prozessbevollmächtigten;
2.
die Bezeichnung des Gerichts und die Namen der Richter, die bei der Entscheidung mitgewirkt haben;
3.
den Tag, an dem die mündliche Verhandlung geschlossen worden ist;
4.
die Urteilsformel;
5.
den Tatbestand;
6.
die Entscheidungsgründe.

(2) Im Tatbestand sollen die erhobenen Ansprüche und die dazu vorgebrachten Angriffs- und Verteidigungsmittel unter Hervorhebung der gestellten Anträge nur ihrem wesentlichen Inhalt nach knapp dargestellt werden. Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes soll auf Schriftsätze, Protokolle und andere Unterlagen verwiesen werden.

(3) Die Entscheidungsgründe enthalten eine kurze Zusammenfassung der Erwägungen, auf denen die Entscheidung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht beruht.

(1) Urteile sind der Rechtskraft nur insoweit fähig, als über den durch die Klage oder durch die Widerklage erhobenen Anspruch entschieden ist.

(2) Hat der Beklagte die Aufrechnung einer Gegenforderung geltend gemacht, so ist die Entscheidung, dass die Gegenforderung nicht besteht, bis zur Höhe des Betrages, für den die Aufrechnung geltend gemacht worden ist, der Rechtskraft fähig.

Tenor

1. Die Revision des beklagten Landes gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 19. April 2012 - 14 Sa 179/12 - wird zurückgewiesen.

2. Der Tenor des Urteils des Landesarbeitsgerichts wird insoweit neu gefasst, als anstelle der festgestellten Verpflichtung des beklagten Landes zum Abschluss eines Arbeitsvertrags mit der Klägerin die Verpflichtung des beklagten Landes festgestellt wird, ein Angebot der Klägerin zum Abschluss eines Arbeitsvertrags mit den im Urteilstenor des Landesarbeitsgerichts genannten Arbeitsbedingungen anzunehmen.

3. Das beklagte Land hat die Kosten der Revision zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Begründung eines Arbeitsverhältnisses.

2

Zwischen den Parteien bestand bis zum 31. Dezember 1998 ein Arbeitsverhältnis. Die Klägerin erbrachte im Rahmen einer Personalgestellung ihre Arbeitsleistung bei der Betriebskrankenkasse des beklagten Landes, einer Körperschaft des öffentlichen Rechts (im Folgenden: BKK Berlin). Im August 1995 lehnte das beklagte Land gegenüber dem Vorstand der BKK Berlin die weitere Übernahme der Personalkosten für die Führung der Krankenkasse ab.

3

Die Klägerin erhielt ein schriftliches Arbeitsvertragsangebot von der BKK Berlin. Mit Schreiben vom 20. April 1998 gab das beklagte Land, vertreten durch den damaligen Senator für Inneres, gegenüber der Klägerin und den anderen ca. 200 betroffenen Arbeitnehmern folgende Erklärung ab:

„…

die BKK Berlin hat Ihnen aufgrund des Arbeitgeberwechsels zum 01.01.1999 einen neuen Arbeitsvertrag ausgehändigt.

Vorausgesetzt, dass Sie dem Übergang Ihres Arbeitsverhältnisses auf die BKK Berlin zugestimmt haben, freue ich mich, Ihnen mitteilen zu können, dass der Senat von Berlin Ihnen ein unbefristetes Rückkehrrecht zum Land Berlin für den Fall der Schließung/Auflösung der BKK Berlin einräumt.

…“

4

Die Klägerin unterzeichnete den Arbeitsvertrag mit der BKK Berlin.

5

Das beklagte Land schloss mit der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV) und der Deutschen Angestellten-Gewerkschaft (DAG) am 12. August 1998 eine Vereinbarung zur Beschäftigungssicherung (im Folgenden: VBSV BKK). Diese enthielt ua. folgende Regelungen:

        

㤠1

        

Anwendungsbereich

        

Die nachfolgenden Regelungen gelten für den Übergang der Arbeitnehmer des Landes Berlin auf die Betriebskrankenkasse des Landes Berlin (BKK Berlin).

                 
        

§ 2

        

Übergang der Beschäftigungsverhältnisse und

        

Rückkehrrecht

        

…       

        

(2)     

Die Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnisse aufgrund des § 147 Abs. 2 SGB V vom Land Berlin auf die BKK Berlin übergegangen sind, haben das Recht, im Falle einer Vereinigung (§ 150 SGB V), soweit sie selbst von Personalfreisetzungen im Zuge der Vereinigung betroffen sind, einer Auflösung (§ 152 SGB V) und einer Schließung (§ 153 SGB V) in ein Arbeitsverhältnis zum Land Berlin zurückzukehren.

                 

…       

        

(3)     

Scheidet ein Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis nach § 147 Abs. 2 SGB V vom Land Berlin auf die BKK Berlin übergegangen ist, aus dem Arbeitsverhältnis bei der BKK Berlin aus und wird im unmittelbaren Anschluss daran ein neues Arbeitsverhältnis zum Land Berlin begründet, wird das Land Berlin die bei der BKK Berlin verbrachte Zeit als Beschäftigungszeit nach § 19 BAT/BAT-O bzw. § 6 BMT-G/ BMT-G-O und als Dienstzeit nach § 20 BAT berücksichtigen.

        

(4)     

Die Veränderungen nach Absatz 2, Unterabsatz 1 sind jedem Arbeitnehmer persönlich und unverzüglich in schriftlicher Form mitzuteilen. ...

        

…       

        
                          
        

§ 3

        

Feststellung nach der Beschäftigungssicherungsvereinbarung

        

Diese Vereinbarung ist eine Vereinbarung im Sinne der Nr. 2 Abs. 3 Satz 3 der Vereinbarung über den Umgang mit der Personalüberhangsituation zur Beschäftigungssicherung vom 29. Mai 1997. Zwischen den Parteien besteht Einvernehmen, dass die in Nr. 2 Abs. 3 Satz 3 dieser Vereinbarung getroffene Regelung ebenso für Fälle einer Nichtzustimmung nach § 147 Abs. 2 SGB V gilt.“

6

Die Klägerin erhielt vom beklagten Land eine schriftliche Mitteilung vom 20. August 1998, in der es heißt:

„…

wie wir Ihnen bereits in unserem Schreiben vom 20.4.1998 mitgeteilt haben, wird Ihnen als Beschäftigte/r der BKK unter bestimmten Voraussetzungen ein unbefristetes Rückkehrrecht zum Land Berlin gewährt. Dieses Rückkehrrecht ist zwischenzeitlich in einer Vereinbarung, die zwischen den Gewerkschaften ÖTV und DAG und dem Land Berlin, vertreten durch die Senatsverwaltung für Inneres, abgeschlossen wurde, zusätzlich abgesichert und konkretisiert worden. ...“

7

Zum 1. Januar 2004 erfolgte eine freiwillige Vereinigung der BKK Berlin mit der BKK Hamburg zur City BKK. Das beklagte Land teilte der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) mit Schreiben vom 13. Mai 2004 mit, dass nach der Fusion der Fortbestand der VBSV BKK nicht erforderlich erscheine, und bat um Mitteilung, ob eine einvernehmliche Aufhebung möglich sei. Darauf antwortete ver.di dem beklagten Land im Juni 2004 ua. Folgendes:

„… Aufgrund dieser Fusion zum 1. Januar 2004 und der sie ergänzenden tariflichen Verständigung mit der City BKK sehen wir die Grundlage der VBSV BKK als nicht mehr gegeben an, so dass sie mit Wirkung der Fusion der beiden BKKen in Berlin und Hamburg zur City BKK entbehrlich geworden ist.

Hinsichtlich der in § 3 Absatz 1 der VBSV BKK getroffenen Regelung bezüglich der Berücksichtigung von in der BKK Berlin erbrachten Beschäftigungs- und Dienstzeiten würde es uns der Einfachheit halber genügen, wenn Sie uns schriftlich bestätigen, dass Sie diese Regelung inhaltlich ggf. zur Anwendung brächten. Mithin würde die VBSV BKK vom 12.8.1998 mit Wirkung des 1.1.2004 keine Anwendung mehr finden.

Sollten Sie wie wir mit dem Eintreten der Fusion zum 1.1.2004 die Wirkung der VBSV BKK vom 12.8.1998 als beendet ansehen und mit der unbürokratischen Verfahrensweise bezüglich einer möglichen Anwendung der sinngemäßen Regelungen hinsichtlich der in der BKK Berlin erbrachten Beschäftigungs- und Dienstzeiten einverstanden sein, bitten wir Sie lediglich um eine kurze schriftliche Bestätigung.“

8

Das beklagte Land erwiderte hierauf mit Schreiben vom 21. Juni 2004:

        

„…    

        

unter Bezugnahme auf Ihr o. g. Schreiben bestätige ich Ihnen, dass mit dem Eintreten der Fusion der BKK Berlin mit der BKK Hamburg zur City BKK zum 01.01.2004 die Beschäftigungssicherungsvereinbarung BKK (VBSV BKK) vom 12. August 1998 als beendet angesehen wird.

        

Die bisher in § 2 Abs. 3 VBSV BKK getroffene Regelung bezüglich der Berücksichtigung von in der BKK Berlin erbrachter Beschäftigungs- und Dienstzeiten wird infolge der Fusion künftig ggf. wie folgt zur Anwendung kommen:

                 

‚Scheidet ein Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis nach § 147 Abs. 2 SGB V vom Land Berlin auf die BKK Berlin übergangen ist, aus dem Arbeitsverhältnis bei der City BKK aus und wird in unmittelbarem Anschluss daran ein neues Arbeitsverhältnis zum Land Berlin begründet, wird das Land Berlin die bis zum 31.12.2003 bei der BKK Berlin verbrachte Zeit als Beschäftigungszeit nach § 19 BAT/BAT-O bzw. § 6 BMT-G-O und als Dienstzeit nach § 20 BAT berücksichtigen.‘

        
        

…“    

                 
9

Zum 1. Januar 2005 fusionierte die City BKK mit der BKK Bauknecht und der BeneVita BKK. Die dadurch entstandene Betriebskrankenkasse führte ebenfalls den Namen City BKK. Mit Bescheid vom 4. Mai 2011 ordnete das Bundesversicherungsamt die Schließung der City BKK mit Ablauf des 30. Juni 2011 an. Diese teilte der Klägerin Anfang Mai 2011 mit, dass ihr Arbeitsverhältnis nach § 164 Abs. 4 SGB V mit Ablauf des 30. Juni 2011 ende. Vorsorglich kündigte sie das Arbeitsverhältnis zum 30. Juni 2011 sowie hilfsweise zum 31. Dezember 2011. Die Klägerin verfolgt in einem gesonderten Verfahren die Feststellung des Fortbestands ihres Arbeitsverhältnisses zur City BKK.

10

Im Mai 2011 machte die Klägerin unter Hinweis auf das Schreiben des beklagten Landes vom 20. April 1998 und die VBSV BKK schriftlich ihr Rückkehrrecht gegenüber dem beklagten Land geltend. Dieses lehnte mit Schreiben vom 7. Juni 2011 die von der Klägerin beantragte Wiedereinstellung ab.

11

Die Klägerin ist der Auffassung, die Voraussetzungen der Rückkehrzusage des beklagten Landes vom 20. April 1998 seien erfüllt. Sie behauptet, sie habe dem Wechsel zur BKK Berlin nur wegen dieser Zusage zugestimmt. Nach dieser sei sie so zu stellen, als wäre sie über den 31. Dezember 1998 hinaus beim Land Berlin weiterbeschäftigt worden.

12

Die Klägerin hat erstinstanzlich zuletzt beantragt

festzustellen, dass das beklagte Land verpflichtet ist, mit Wirkung ab dem 1. Juli 2011 mit der Klägerin unter Anrechnung ihrer Beschäftigungsdauer seit dem 5. April 1993 unter Berücksichtigung der zwischenzeitlich bei der BKK Berlin und der City BKK verbrachten Betriebszugehörigkeit ein Beschäftigungsverhältnis mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 19,25 Stunden zu begründen und zwar für eine Beschäftigung als Angestellte mit der Vergütungsgruppe VIb BAT mit der entsprechenden Überleitung in den Tarifvertrag L in der für das Land Berlin nach dem Anwendungstarifvertrag vom 14. Oktober 2010 geltenden Fassung.

13

Das beklagte Land hat zu seinem Klageabweisungsantrag die Ansicht vertreten, der Fall der Schließung der City BKK sei von seiner Rückkehrzusage nicht umfasst. Diese habe sich ausschließlich auf die Schließung/Auflösung der BKK Berlin bezogen. Dementsprechend sei auch die VBSV BKK im Einvernehmen mit ver.di aufgehoben worden. Soweit die Klägerin die Berücksichtigung von Zeiten verlange, in denen sie in einem Arbeitsverhältnis zu den Betriebskrankenkassen gestanden habe, sei dies zu pauschal. Jedenfalls sei für dieses Begehren keine Anspruchsgrundlage ersichtlich. Die im Schreiben vom 21. Juni 2004 an ver.di erfolgte Zusage der Anerkennung von Beschäftigungs- und Dienstzeiten habe sich nur auf die durch die Vereinigung mit der BKK Hamburg entstandene City BKK, nicht aber auf die Betriebskrankenkasse gleichen Namens bezogen, die durch die spätere Vereinigung mit den weiteren zwei Kassen entstanden sei.

14

Das Arbeitsgericht hat dem Klageantrag stattgegeben, wobei es davon ausging, dass der Klageantrag auf die Abgabe einer Willenserklärung gerichtet und auch hinreichend bestimmt sei. Auf die Berufung des beklagten Landes hat das Landesarbeitsgericht den Klageantrag ausgelegt. Es hat das erstinstanzliche Urteil teilweise abgeändert und festgestellt, dass das beklagte Land verpflichtet ist, mit Wirkung ab dem 1. Juli 2011 mit der Klägerin einen Arbeitsvertrag abzuschließen mit einer Tätigkeit als Angestellte mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 19,25 Stunden und einer Vergütung nach Vergütungsgruppe VIb BAT nach Maßgabe des Tarifvertrags zur Angleichung des Tarifrechts des Landes Berlin an das Tarifrecht der Tarifgemeinschaft deutscher Länder vom 14. Oktober 2010 unter Berücksichtigung der bei dem beklagten Land vom 5. April 1993 bis zum 31. Dezember 1998 und bei der BKK Berlin vom 1. Januar 1999 bis zum 31. Dezember 2003 verbrachten Beschäftigungs-/Dienstzeit nach §§ 19, 20 BAT. Im Übrigen hat das Landesarbeitsgericht - unter Zurückweisung der Berufung des beklagten Landes im Übrigen - die Klage abgewiesen, dh. betreffend der Berücksichtigung der Beschäftigungszeit der Klägerin vom 1. Januar 2004 bis zum 30. Juni 2011. Mit seiner Revision verfolgt das beklagte Land seinen Klageabweisungsantrag weiter.

Entscheidungsgründe

15

Die zulässige Revision des beklagten Landes ist unbegründet.

16

A. Das angefochtene Urteil verstößt nicht gegen § 313 Abs. 1 Nr. 4 ZPO. Es ist nicht allein schon deswegen aufzuheben, weil es einen unbestimmten Urteilstenor enthielte. Der Tenor bedarf jedoch der Klarstellung.

17

I. Nach § 313 Abs. 1 Nr. 4 ZPO enthält ein verfahrensbeendendes Urteil eine Urteilsformel. Diese muss hinreichend deutlich gefasst sein. Das Erfordernis der - von Amts wegen zu prüfenden - Bestimmtheit des Urteilsausspruchs dient der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit. Der Umfang der materiellen Rechtskraft iSv. § 322 Abs. 1 ZPO und damit die Entscheidungswirkungen müssen festgestellt werden können(BAG 14. März 2012 - 7 AZR 147/11 - Rn. 19 mwN). Bei diesen Feststellungen sind Tatbestand und Entscheidungsgründe ergänzend heranzuziehen, wenn die Urteilsformel den Streitgegenstand und damit den Umfang der Rechtskraft für sich gesehen nicht erkennen lässt (für eine klageabweisende Entscheidung: vgl. BAG 19. Januar 2010 - 1 ABR 55/08 - Rn. 15 mwN, BAGE 133, 75). Zur Ermittlung des Inhalts einer auslegungsbedürftigen Urteilsformel kann ein Rückgriff auf Tatbestand und Entscheidungsgründe erforderlich sein. Geht es um den Abschluss eines Arbeitsvertrags, muss die anzunehmende Willenserklärung den für eine Vertragseinigung notwendigen Mindestinhalt (essentialia negotii) umfassen (vgl. BAG 14. März 2012 - 7 AZR 147/11 - aaO mwN).

18

II. Aus der Urteilsformel des Landesarbeitsgerichts lässt sich nicht ohne Weiteres entnehmen, ob die Verpflichtung des beklagten Landes festgestellt werden soll, der Klägerin ein Vertragsangebot mit den im Tenor genannten Arbeitsbedingungen zu unterbreiten, oder ob die Verpflichtung des beklagten Landes festgestellt werden soll, ein Vertragsangebot der Klägerin mit den im Tenor genannten Arbeitsbedingungen anzunehmen. Allerdings folgt aus den Ausführungen des Landesarbeitsgerichts unter B I der Entscheidungsgründe, dass es das Feststellungsbegehren auf die Annahme eines Vertragsangebots der Klägerin bezogen hat. Das Landesarbeitsgericht ist davon ausgegangen, dass das beklagte Land als Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes auch einem Feststellungsurteil nachkommen und den sich daraus ergebenden Leistungsanspruch - hier die Annahme des Angebots der Klägerin - erfüllen werde.

19

B. Das Landesarbeitsgericht hat auch § 308 Abs. 1 ZPO nicht verletzt. Der Ausspruch in dem angefochtenen Urteil betrifft keinen anderen Streitgegenstand als den von der Klägerin zur Entscheidung gestellten.

20

I. Nach § 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist ein Gericht nicht befugt, einer Partei etwas zuzusprechen, was nicht beantragt ist. Umgekehrt darf die beklagte Partei nicht zu etwas anderem verurteilt werden als zu dem, worauf sie ihre Verteidigung einrichten musste (vgl. BAG 11. Dezember 2001 - 9 AZR 435/00 - zu II 2 a der Gründe mwN). Das Gericht darf und muss aber ein Weniger zuerkennen, wenn ein solches Begehren im jeweiligen Sachantrag enthalten ist (vgl. BAG 24. Februar 2010 - 4 AZR 657/08 - Rn. 15). Etwas anderes gilt, wenn es sich nicht um ein Weniger, sondern um etwas anderes (aliud) handelt. Ob dies der Fall ist, hängt von den konkreten Umständen und Ansprüchen sowie dem erkennbaren Begehren des Klägers ab. Entscheidend sind nicht allein die wörtlichen Formulierungen in Antrag und Urteilsausspruch, sondern deren - ggf. durch Auslegung zu ermittelnden - streitgegenständlichen Inhalte (vgl. BAG 14. März 2012 - 7 AZR 147/11 - Rn. 22 mwN).

21

II. Das Landesarbeitsgericht hat der Klägerin weniger, nicht aber etwas anderes als beantragt zugesprochen. Hinsichtlich des Beginns des Arbeitsverhältnisses, des Inhalts und des Umfangs der Arbeitsleistung entspricht der Urteilsausspruch dem Klageantrag. Das gilt auch hinsichtlich des Anknüpfungspunkts für die zukünftige Vergütung, nämlich der letzten Eingruppierung in den BAT im Dezember 1998. Allein hinsichtlich der Berücksichtigung der Vorbeschäftigungszeiten bleibt der Tenor hinter dem Antrag insoweit zurück, als eine Berücksichtigung der Betriebszugehörigkeit zur City BKK nicht ausgeurteilt wurde. Hierbei handelt es sich um ein Minus.

22

C. Die Klägerin hat entgegen der Rechtsansicht des beklagten Landes einen Anspruch auf Annahme ihres Vertragsangebots zur Begründung eines Arbeitsverhältnisses.

23

I. Der auf die Feststellung der Verpflichtung des beklagten Landes zur Abgabe einer Annahmeerklärung gerichtete Klageantrag ist zulässig.

24

1. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend angenommen, dass der Klageantrag dem Bestimmtheitserfordernis des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO genügt.

25

a) Geht es um den Abschluss eines Arbeitsvertrags, muss die abzugebende Willenserklärung den für einen solchen Vertrag notwendigen Mindestinhalt (essentialia negotii) umfassen. Nach § 611 Abs. 1 BGB gehören hierzu die „versprochenen Dienste“ und damit Art und Beginn der Arbeitsleistung. Die Art der Arbeitsleistung kann sich - mittelbar - auch über die Angabe einer Eingruppierung in ein kollektives Entgeltschema erschließen, wenn dieses bestimmte Tätigkeiten einer Entgelt- oder Vergütungsgruppe zuordnet (BAG 13. Juni 2012 - 7 AZR 169/11 - Rn. 20). Eine Einigung über weitere Inhalte ist grundsätzlich nicht erforderlich, sofern klar ist, dass die Arbeitsleistung vergütet werden soll. Der Umfang der Arbeitsleistung und die Dauer des Arbeitsverhältnisses bestimmen sich ggf. nach den üblichen Umständen. Ist die Höhe der Vergütung nicht bestimmt, ist gemäß § 612 Abs. 2 BGB die übliche Vergütung als vereinbart anzusehen(vgl. BAG 13. März 2013 - 7 AZR 344/11 - Rn. 16; 14. März 2012 - 7 AZR 147/11 - Rn. 19 mwN).

26

b) Daran gemessen hat die Klägerin den Inhalt des beanspruchten Arbeitsvertrags hinreichend bestimmt beschrieben.

27

aa) Der Vertrag soll mit Wirkung zum 1. Juli 2011 geschlossen werden. Die von der Klägerin verlangte Beschäftigung als Angestellte mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 19,25 Stunden führt nicht zur Unbestimmtheit des Klageantrags, sondern zu einem entsprechend weiten Direktionsrecht des Arbeitgebers (vgl. BAG 13. Juni 2012 - 7 AZR 169/11 - Rn. 20), das allerdings durch die Angabe der Vergütungsgruppe eingeschränkt wird. Der öffentliche Arbeitgeber ist nicht berechtigt, dem Arbeitnehmer (auf Dauer) eine Tätigkeit einer niedrigeren als der vereinbarten Vergütungsgruppe zu übertragen (vgl. BAG 23. November 2004 - 2 AZR 38/04 - zu B I 3 a bb der Gründe, BAGE 112, 361).

28

bb) Soweit die Klägerin die Vergütung nach Maßgabe des Tarifvertrags zur Angleichung des Tarifrechts des Landes Berlin an das Tarifrecht der Tarifgemeinschaft deutscher Länder vom 14. Oktober 2010 (Angleichungs-TV Land Berlin) unter Berücksichtigung der bei der BKK Berlin sowie der City BKK zurückgelegten Betriebszugehörigkeit begehrt, ergibt sich aus der Klagebegründung hinreichend deutlich, mit welchem Inhalt der Arbeitsvertrag zustande kommen soll. Im Hinblick auf § 2 Abs. 3 VBSV BKK begehrt die Klägerin nur die Berücksichtigung der Zeiten als Beschäftigungszeit iSd. § 19 BAT bzw. Dienstzeit nach § 20 BAT. Für die Zulässigkeit der Klage unerheblich ist der Umstand, dass Dienst- und Beschäftigungszeiten im TV-L nicht mehr die Bedeutung zukommt, die sie bei Geltung des BAT hatten (vgl. BeckOK TV-L/Eylert Stand 1. September 2013 TV-L § 34 Rn. 60).

29

2. Dem Feststellungsantrag steht auch nicht der Vorrang der Leistungsklage entgegen, obwohl die auf Abgabe einer Annahmeerklärung gerichtete Leistungsklage dem Regelfall des mit einer sog. Wiedereinstellungsklage bekundeten Willens eines Arbeitnehmers entspricht (BAG 24. April 2013 - 7 AZR 523/11 - Rn. 13 mwN) und die Klägerin auch die Möglichkeit gehabt hätte, die mit dem Feststellungsbegehren begehrte Verpflichtung mittels einer Leistungsklage geltend zu machen. Zwar hat aus Gründen der Prozesswirtschaftlichkeit eine Leistungsklage grundsätzlich Vorrang vor einer Feststellungsklage. Dennoch kann ein Feststellungsinteresse iSd. § 256 Abs. 1 ZPO bestehen, wenn das angestrebte Urteil trotz seiner der Vollstreckung nicht zugänglichen Wirkung geeignet ist, den Konflikt der Parteien endgültig zu lösen und weitere Prozesse zwischen ihnen zu vermeiden. Dies gilt jedenfalls dann, wenn sich eine Feststellungsklage - so wie im Streitfalle - gegen einen Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes richtet. Dem liegt die Erwartung zugrunde, dass dieser Arbeitgeber einem gegen ihn ergangenen Feststellungsurteil nachkommen und die sich daraus ergebenden Leistungsansprüche erfüllen wird (BAG 22. Oktober 2009 - 8 AZR 889/08 - Rn. 32; 6. Mai 2009 - 10 AZR 313/08 - Rn. 27; vgl. auch 29. September 2004 - 5 AZR 528/03 - zu I 2 der Gründe, BAGE 112, 112, jeweils mwN). Vorliegend hat das Landesarbeitsgericht weder Umstände festgestellt, dass das beklagte Land einer festgestellten Verpflichtung nicht Folge leisten würde, noch sind derartige Umstände sonst ersichtlich.

30

II. Die Klage ist auch begründet.

31

1. Der Begründetheit des Antrags steht nicht entgegen, dass der zwischen den Parteien abzuschließende Vertrag zum 1. Juli 2011 wirken soll.

32

a) Seit dem Inkrafttreten des § 311a Abs. 1 BGB idF des Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts vom 26. November 2001 (BGBl. I S. 3138) kommt auch die Verurteilung zur Abgabe einer Willenserklärung in Betracht, die auf eine Vertragsänderung oder einen Vertragsschluss zu einem in der Vergangenheit liegenden Zeitpunkt gerichtet ist. Nach § 275 Abs. 1 BGB ist der Anspruch auf die Leistung zwar ausgeschlossen, soweit diese für den Schuldner oder jedermann unmöglich ist. Im Unterschied zum alten Recht ist in § 311a Abs. 1 BGB aber klargestellt, dass ein Vertrag selbst dann nicht nichtig ist, wenn er in der Vergangenheit tatsächlich nicht durchgeführt werden kann(vgl. BAG 9. Februar 2011 - 7 AZR 91/10 - Rn. 26 mwN). Die rückwirkende Begründung eines Arbeitsverhältnisses ist daher zulässig. Ausgeschlossen ist lediglich eine gerichtliche Entscheidung, mit der ein Arbeitsverhältnis mit Rückwirkung zu einem Zeitpunkt vor Abgabe des Angebots begründet werden soll (BAG 24. April 2013 - 7 AZR 523/11 - Rn. 17; 4. Mai 2010 - 9 AZR 155/09 - Rn. 35, BAGE 134, 223). Die Pflicht zur Begründung eines Arbeitsverhältnisses durch Annahme eines Vertragsangebots setzt grundsätzlich den Zugang des Angebots voraus.

33

b) Dieses Erfordernis ist erfüllt. Dem beklagten Land ist das Vertragsangebot der Klägerin auf Neubegründung des Arbeitsverhältnisses vor dem 1. Juli 2011 zugegangen. Die Klägerin hat im Mai 2011 gegenüber dem beklagten Land unter Hinweis auf dessen Rückkehrzusage ihre Wiedereinstellung beantragt.

34

Der Wortlaut des Schreibens, mit dem die Klägerin ihr Rückkehrrecht geltend machte, hindert die Annahme eines Vertragsangebots iSv. § 145 BGB nicht. Seine Auslegung gemäß den §§ 133, 157 BGB führt zu einem hinreichend konkreten Angebot auf Abschluss eines Arbeitsvertrags. Aus dem Hinweis auf die Schließung der City BKK mit Ablauf des 30. Juni 2011 wurde deutlich, dass die Klägerin unmittelbar nach diesem Zeitpunkt und damit ab dem 1. Juli 2011 wieder ein Arbeitsverhältnis mit dem beklagten Land eingehen wollte. Die Geltendmachung des Rückkehrrechts gemäß der Rückkehrzusage des beklagten Landes kann nur so verstanden werden, dass die Klägerin zu den vom beklagten Land für den Fall der Rückkehr zugesagten Arbeitsbedingungen beschäftigt werden wollte. Diese, zB die wöchentliche Arbeitszeit und die Eingruppierung der Klägerin, waren dem beklagten Land bekannt und mussten von der Klägerin daher nicht näher angegeben werden. Das hat auch das beklagte Land selbst so gesehen. Es hat die Geltendmachung des Rückkehrrechts unter Hinweis auf seine Rückkehrzusage vom 20. April 1998 ausweislich des Ablehnungsschreibens vom Juni 2011 als Angebot der Klägerin auf Abschluss eines Arbeitsvertrags verstanden und die beantragte Wiedereinstellung iSv. § 146 BGB abgelehnt.

35

2. Das beklagte Land ist aufgrund des in seinem Schreiben vom 20. April 1998 zugesagten Rückkehrrechts zur Annahme des Vertragsangebots der Klägerin verpflichtet.

36

a) Das Schreiben enthält eine rechtsverbindliche Erklärung des beklagten Landes. Es begründet unter den genannten Voraussetzungen die Verpflichtung des beklagten Landes zum Abschluss eines Arbeitsvertrags mit rückkehrwilligen Arbeitnehmern. Darüber besteht kein Streit.

37

b) Die gemäß § 151 Satz 1 BGB auch ohne ausdrückliche Annahmeerklärung der Klägerin zustande gekommene Vereinbarung über ihr Rückkehrrecht ist nicht nach § 4 Abs. 2 BAT iVm. §§ 125, 126 BGB nichtig. Es handelt sich nicht um eine dem Schriftformerfordernis unterliegende Nebenabrede zum Arbeitsvertrag iSd. § 4 Abs. 2 BAT, die in Bezug auf das vormals bestehende Arbeitsverhältnis nur sekundäre Rechte und Pflichten der Vertragsparteien regelte(vgl. dazu BAG 7. Mai 1986 - 4 AZR 556/83 - zu 2 der Gründe, BAGE 52, 33). Vielmehr wurde mit der Vereinbarung ein Anspruch der Klägerin auf Neuabschluss eines Arbeitsverhältnisses unter den genannten Bedingungen begründet. Aus der Annahme, dass ein Arbeitgeber aufgrund einer vertraglichen Nebenpflicht den Arbeitnehmer unter bestimmten Voraussetzungen nach Ausspruch einer Kündigung wieder einstellen muss (vgl. BAG 25. Oktober 2007 - 8 AZR 989/06 - Rn. 21), folgt entgegen der Ansicht des beklagten Landes nicht, dass eine entsprechende Vereinbarung der Parteien über ein Rückkehrrecht als Nebenabrede iSd. § 4 Abs. 2 BAT anzusehen ist. Deshalb kann dahinstehen, ob es dem beklagten Land nach den Grundsätzen von Treu und Glauben verwehrt wäre, sich auf eine Unwirksamkeit der Zusage wegen Nichteinhaltung des Schriftformerfordernisses zu berufen.

38

c) Die Schließung der City BKK durch das Bundesversicherungsamt mit Ablauf des 30. Juni 2011 löste das Rückkehrrecht gemäß § 158 Abs. 1 BGB aus.

39

aa) Bei dem Schreiben vom 20. April 1998 handelt es sich um eine typische Erklärung, die vom beklagten Land für eine Vielzahl von Fällen formuliert wurde. Das an die Klägerin gerichtete Schreiben entspricht - mit Ausnahme der Anrede - wortgleich den Schreiben, mit denen das beklagte Land den anderen betroffenen Arbeitnehmern das Rückkehrrecht einräumte.

40

bb) Typische Willenserklärungen sind nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden werden. Das Revisionsgericht kann den Inhalt von solchen Mustererklärungen, die keine individuellen Besonderheiten enthalten, uneingeschränkt selbstständig auslegen (vgl. BAG 18. Januar 2012 - 10 AZR 670/10 - Rn. 26; 20. Mai 2008 - 9 AZR 271/07 - Rn. 18).

41

cc) Entgegen der Rechtsauffassung des beklagten Landes ist ein Rückkehrrecht entstanden, obwohl die vom Bundesversicherungsamt zum 30. Juni 2011 geschlossene Arbeitgeberin der Klägerin unter dem Namen City BKK im Rechtsverkehr auftrat und aus dem Zusammenschluss der BKK Berlin mit anderen Betriebskrankenkassen hervorgegangen war.

42

(1) Der Wortlaut der Erklärung steht diesem Verständnis nicht entgegen. Zwar ist im Schreiben vom 20. April 1998 nur der Fall der Schließung/Auflösung der BKK Berlin ausdrücklich genannt. Für die Erklärungsempfänger war aus dieser Formulierung jedoch nicht zu entnehmen, dass ein Rückkehrrecht nur im Falle der Schließung/Auflösung der im Zeitpunkt der Zusage bestehenden und unter „BKK Berlin“ firmierenden Betriebskrankenkasse entstehen und die Schließung einer - ggf. unter anderem Namen auftretenden - Rechtsnachfolgerin nicht erfasst sein sollte. Zum Zeitpunkt der Einräumung des Rückkehrrechts existierten die Rechtsnachfolgerinnen noch nicht. Die BKK Berlin konnte auch als „Platzhalter“ für mögliche Rechtsnachfolgerinnen verstanden werden. Entgegen der Ansicht des beklagten Landes hat die Erklärung insoweit keinen eindeutigen Inhalt. Ob eine empfangsbedürftige Willenserklärung eindeutig ist, steht erst als Ergebnis einer Auslegung fest (vgl. BAG 20. Juli 2004 - 9 AZR 626/03 - zu B II 2 a der Gründe, BAGE 111, 260; BGH 8. Dezember 1982 - IVa ZR 94/81 - zu II 1 der Gründe, BGHZ 86, 41; Palandt/Ellenberger 72. Aufl. § 133 BGB Rn. 6; MüKoBGB/Busche 6. Aufl. § 133 Rn. 53). Der Beschränkung des Rückkehrrechts auf den Fall der Schließung/Auflösung der „BKK Berlin“ im wörtlichen Sinn steht schon die Möglichkeit der Namensänderung der Betriebskrankenkasse entgegen. Das eingeräumte Rückkehrrecht wäre praktisch wertlos, wenn der Bedingungseintritt durch eine bloße Umbenennung der Körperschaft hätte ausgeschlossen werden können. Letzteres hat auch das beklagte Land in der Revisionsverhandlung so gesehen.

43

(2) Vor allem der von dem beklagten Land mit der Erteilung der Wiedereinstellungszusage verfolgte Zweck gebietet ein Verständnis, dass das Rückkehrrecht durch den Zusammenschluss mit einer anderen Betriebskrankenkasse weder ausgelöst wurde noch unterging.

44

(a) Das beklagte Land weist zwar zutreffend darauf hin, dass kein Recht auf Rückkehr von einer im Wege einer Vereinigung entstandenen neuen Betriebskrankenkasse bestünde, wenn bereits die freiwillige Vereinigung der BKK Berlin mit einer anderen Betriebskrankenkasse das Rückkehrrecht ausgelöst hätte (vgl. zum Vorbehalt der Konzernzugehörigkeit: BAG 24. April 2013 - 7 AZR 523/11 - Rn. 37). Die Erklärung vom 20. April 1998 begründet jedoch entgegen der Ansicht des beklagten Landes für den Fall einer solchen Vereinigung kein Rückkehrrecht. Aus dem Umstand, dass nach den Vorschriften des SGB V Rechtsfolge einer Vereinigung zweier Betriebskrankenkassen ist, dass diese geschlossen sind, folgt nicht, dass bereits die Vereinigung der BKK Berlin mit der BKK Hamburg das Rückkehrrecht auslöste. Mit der Formulierung „für den Fall der Schließung/Auflösung“ stellte die Rückkehrzusage des beklagten Landes nicht auf die in § 150 SGB V geregelte freiwillige Vereinigung von Betriebskrankenkassen ab, sondern auf die Regelungen in §§ 152, 153 SGB V, die die Auflösung und Schließung von Betriebskrankenkassen betreffen. Das wird schon daraus deutlich, dass die Vereinigung von Betriebskrankenkassen regelmäßig nicht per se zu einem Verlust von Arbeitsplätzen führt, den das Rückkehrrecht ausgleichen soll. Die Vereinigung führt vielmehr zu einer Gesamtrechtsnachfolge, die auch die Arbeitsverhältnisse der Arbeitnehmer der fusionierten Krankenkassen erfasst (BAG 29. September 2010 - 10 AZR 588/09 - Rn. 25, BAGE 135, 327).

45

(b) Dass nach dem Willen des beklagten Landes die Vereinigung mit einer anderen Betriebskrankenkasse das im Schreiben vom 20. April 1998 zugesagte Rückkehrrecht grundsätzlich noch nicht auslösen sollte, zeigt auch die Regelung in § 2 Abs. 2 VBSV BKK. Danach besteht ein Recht zur Rückkehr in ein Arbeitsverhältnis zum beklagten Land zwar ausdrücklich auch für den Fall der Vereinigung iSd. § 150 SGB V, jedoch nur, wenn die Arbeitnehmer selbst von „Personalfreisetzungen im Zuge der Vereinigung betroffen sind“.

46

(c) Der Zweck der Einräumung des Rückkehrrechts gebietet ein Verständnis, das auch die Schließung einer Rechtsnachfolgerin umfasst, die in die Arbeitsverhältnisse im Wege der Gesamtrechtsnachfolge eingetreten ist. Das Rückkehrrecht sollte dem Umstand Rechnung tragen, dass die betroffenen Arbeitnehmer mit dem beklagten Land im Vergleich zu der BKK Berlin, die unstreitig bereits im Zeitpunkt des Zugangs des Schreibens vom 20. April 1998 wirtschaftliche Probleme hatte, einen „sicheren“ Arbeitgeber verloren. Für den damit vom beklagten Land verfolgten Zweck, den zur BKK Berlin wechselnden Arbeitnehmern bei einem Verlust ihres Arbeitsplatzes einen Arbeitsplatz bei ihm zu garantieren, ist es ohne Bedeutung, wenn an die Stelle der „BKK Berlin“ im Wege der Gesamtrechtsnachfolge nach § 150 Abs. 2 Satz 1 iVm. § 144 Abs. 4 Satz 2 SGB V ein anderer Arbeitgeber getreten ist(vgl. zur Rechtsnachfolge gemäß § 613a BGB: BAG 24. April 2013 - 7 AZR 523/11 - Rn. 41).

47

(d) Wirtschaftliche Interessen des beklagten Landes geben kein anderes Auslegungsergebnis vor. Zwar ist bei der Auslegung einer Willenserklärung neben den Verständnismöglichkeiten des Empfängers auch das Interesse des Erklärenden daran zu berücksichtigen, dass sich der Empfänger darum bemüht, die Erklärung nicht misszuverstehen (BAG 15. Dezember 2005 - 2 AZR 148/05 - Rn. 25, BAGE 116, 336). Auch muss ein Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes grundsätzlich davon ausgehen, dass ihm sein Arbeitgeber nur die Leistungen gewähren will, zu denen dieser rechtlich verpflichtet ist (BAG 29. September 2004 - 5 AZR 528/03 - zu II 3 b der Gründe mwN, BAGE 112, 112). Allerdings war das beklagte Land nicht zur Einräumung des Rückkehrrechts verpflichtet. Die Rückkehrzusage lag freilich in seinem wirtschaftlichen Interesse. Das beklagte Land hatte bis 1998 die Arbeitnehmer der BKK Berlin gestellt. Es hatte jedoch gegenüber dem Vorstand der BKK Berlin erklärt, es lehne die weitere Übernahme der Kosten des für die Führung der Geschäfte erforderlichen Personals ab. Gemäß § 147 Abs. 2 Satz 4 SGB V hatte dies zur Folge, dass die BKK Berlin die bisher mit der Führung der Geschäfte der Betriebskrankenkasse beauftragten Personen übernahm. Der Übergang der Arbeitsverhältnisse hing jedoch von der Zustimmung der betroffenen Arbeitnehmer ab. Die Rückkehrzusage diente dazu, diese Zustimmung zu erreichen. Das beklagte Land nahm in seinem Schreiben vom 20. April 1998 ausdrücklich auf den von der BKK Berlin an die Arbeitnehmer übersandten Arbeitsvertragsentwurf Bezug und räumte das Rückkehrrecht für den Fall des Abschlusses eines Arbeitsvertrags ein.

48

(e) Vor diesem Hintergrund kann die Formulierung „unbefristetes Rückkehrrecht“ aus der Sicht der betroffenen Arbeitnehmer nur so verstanden werden, dass auch die Schließung oder Auflösung einer Rechtsnachfolgerin der BKK Berlin dieses Recht auslöst. Insofern unterscheidet sich die Zusage des beklagten Landes erheblich von der Zusage, über deren Auslegung das Bundesarbeitsgericht am 19. Oktober 2005 (- 7 AZR 32/05 -) zu entscheiden hatte. Jene Zusage war in einer Betriebsvereinbarung enthalten, die im Wesentlichen nur eine befristete Beibehaltung der bisher bei der Arbeitgeberin geltenden Arbeitsbedingungen und Vergünstigungen vorsah (vgl. BAG 19. Oktober 2005 - 7 AZR 32/05 - Rn. 20). Die Erstreckung der Rückkehrzusage auch auf den Fall der Schließung einer aufgrund von Vereinigungen entstandenen Rechtsnachfolgerin der BKK Berlin stellte auch kein unkalkulierbares Risiko für das beklagte Land dar (vgl. zum Risikoaspekt: BAG 19. Oktober 2005 - 7 AZR 32/05 - Rn. 25). Typischerweise sinkt die Zahl der Anspruchsberechtigten im Laufe der Zeit aufgrund altersbedingten Ausscheidens aus dem Arbeitsverhältnis. Im Übrigen ging das beklagte Land das verbleibende Risiko bewusst ein. Bereits die Einflussmöglichkeiten des beklagten Landes auf die BKK Berlin, auf die sich das Rückkehrrecht unstreitig bezog, waren aufgrund der Regelungen zum Verwaltungsrat der Betriebskrankenkasse wesentlich geringer als der Einfluss einer herrschenden Gesellschaft auf eine Tochtergesellschaft im Konzern.

49

(3) Das vom beklagten Land eingeräumte Rückkehrrecht steht nicht unter der Bedingung (§ 158 Abs. 1 BGB), dass das mit der BKK Berlin bzw. ihrer Rechtsnachfolgerin begründete Arbeitsverhältnis infolge der Schließung beendet ist. Bereits ihrem Wortlaut nach knüpft die Erklärung vom 20. April 1998 an die Schließung/Auflösung der Betriebskrankenkasse und nicht an die Beendigung des einzelnen Arbeitsverhältnisses an. Dies ist auch interessengerecht. So stellt die Schließung einer Betriebskrankenkasse eine konkrete Gefahr für den Fortbestand der Arbeitsverhältnisse dar. Zwar enthielt § 155 SGB V aF noch keinen Verweis auf § 164 Abs. 2 bis Abs. 4 SGB V. Spätestens nach der Abwicklung der Geschäfte durch den Vorstand entfällt jedoch typischerweise der Beschäftigungsbedarf für die Arbeitnehmer. Es dient zudem der Rechtssicherheit, für die Frage des Bedingungseintritts nach § 158 Abs. 1 BGB nicht an die unter Umständen erst durch ein gerichtliches Verfahren zu klärende Frage der Beendigung des konkreten Arbeitsverhältnisses anzuknüpfen, sondern an die Schließung/Auflösung der Betriebskrankenkasse und die damit verbundene typische Gefahr für den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses.

50

3. Die Klägerin hat auch einen Anspruch darauf, unter Berücksichtigung ihrer im Dezember 1998 zuletzt bestehenden Eingruppierung so gestellt zu werden, als habe sie über den 31. Dezember 1998 hinaus bis zum 31. Dezember 2003 in einem Arbeitsverhältnis zum beklagten Land gestanden. Auch dies folgt bereits aus der Zusage des beklagten Landes vom 20. April 1998.

51

a) Das beklagte Land wollte mit der Rückkehrzusage bewirken, dass die betroffenen Arbeitnehmer dem Übergang ihrer Arbeitsverhältnisse iSd. § 147 Abs. 2 Satz 4 SGB V zustimmen. Insofern unterscheidet sich die Situation von der eines Betriebsübergangs, in der die Arbeitsverhältnisse auf den neuen Inhaber nach § 613a Abs. 1 BGB übergehen, wenn die Arbeitnehmer passiv bleiben und dem Betriebsübergang nicht widersprechen. Nach § 147 Abs. 2 Satz 4 SGB V bedurfte es zum Übergang der Arbeitsverhältnisse der Zustimmung und damit eines aktiven Tuns der betroffenen Arbeitnehmer. Hierzu lag diesen ein Arbeitsvertragsangebot der BKK Berlin vor. Es war für das beklagte Land erkennbar, dass die Arbeitnehmer ihren beim beklagten Land erreichten sozialen Besitzstand nur dann aufgeben würden, wenn sie im Falle einer Schließung oder Auflösung der Betriebskrankenkasse die Folgen ihrer Zustimmung rückgängig machen konnten. Wenn das beklagte Land in dieser Situation ohne weitere Vorbehalte ein Rückkehrrecht einräumte, durften die betroffenen Arbeitnehmer die Rückkehrzusage so verstehen, dass sie im Falle ihrer Rückkehr so gestellt werden, als wären sie durchgehend beim beklagten Land beschäftigt gewesen. Auch wenn diese Rechtsfolge nicht jeder Rückkehrzusage immanent ist (vgl. zu § 17 Satz 1 HVFG: BAG 19. Oktober 2011 - 5 AZR 138/10 - Rn. 29), folgt dies aus den Besonderheiten der Situation im Jahre 1998. Ins Gewicht fällt, dass die betroffenen Arbeitnehmer aufgrund der Personalgestellung durch das beklagte Land bereits seit Jahren bei der BKK Berlin tätig waren. Ohne die Ablehnungserklärung des beklagten Landes iSd. § 147 Abs. 2 Satz 4 SGB V gegenüber dem Vorstand der BKK Berlin hätte diese Form der gespaltenen Arbeitgeberstellung fortgeführt werden können. Die Ausübung des Rückkehrrechts stellt also nur die Situation her, die ohne die Ablehnungserklärung des beklagten Landes und die Zustimmung der Arbeitnehmer gemäß § 147 Abs. 2 SGB V bestanden hätte. Eine Besserstellung der zur BKK Berlin gewechselten Arbeitnehmer ist mit ihrer Rückkehr zum beklagten Land entgegen dessen Ansicht nicht verbunden.

52

b) Selbst wenn davon ausgegangen wird, dass die Rückkehrzusage die zur BKK Berlin gewechselten Arbeitnehmer im Falle ihrer Rückkehr zum beklagten Land nicht so stellen sollte, als wären sie bei diesem durchgehend beschäftigt gewesen, führte dies zu keinem anderen Ergebnis. Nach dem Inkrafttreten des Angleichungs-TV Land Berlin wird anders als unter der Geltung des BAT das Entgelt in den einzelnen Entgeltgruppen nicht nach Lebensaltersstufen bemessen, sodass das Alter für die Höhe der Vergütung ohne Bedeutung ist. Dies konnten weder das beklagte Land noch die zur BKK Berlin gewechselten Arbeitnehmer voraussehen. Die durch das Inkrafttreten des Angleichungs-TV Land Berlin nachträglich entstandene Regelungslücke in der Wiedereinstellungszusage kann nach den Grundsätzen der ergänzenden Vertragsauslegung nur so geschlossen werden, dass die Stufenzuordnung mithilfe des (fiktiven) Vergleichsentgelts vorzunehmen ist. Ist eine vertragliche Regelung planwidrig unvollständig, tritt im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung an die Stelle der lückenhaften Vertragsbestimmung diejenige Gestaltung, die die Parteien bei einer angemessenen Abwägung der beiderseitigen Interessen nach Treu und Glauben als redliche Vertragsparteien vereinbart hätten, wenn ihnen die Lückenhaftigkeit des Vertrags bekannt gewesen wäre (BAG 23. April 2013 - 3 AZR 512/11 - Rn. 34 mwN). Zunächst ist hierfür an den Vertrag selbst anzuknüpfen. Die in ihm enthaltenen Regelungen und Wertungen, sein Sinn und Zweck sind Ausgangspunkt der Vertragsergänzung. Soweit irgend möglich, sind danach Lücken im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung in der Weise auszufüllen, dass die Grundzüge des konkreten Vertrags „zu Ende gedacht“ werden (BAG 17. April 2012 - 3 AZR 803/09 - Rn. 31 mwN). Die Arbeitnehmer sollten durch den Wechsel zur BKK Berlin nicht Gefahr laufen, ihren bei dem beklagten Land erworbenen sozialen Besitzstand im Falle einer Auflösung oder Schließung der sie beschäftigenden Betriebskrankenkasse zu verlieren. Diesem Regelungszweck der Rückkehrzusage wird eine Stufenzuordnung nach § 16 TV-L nicht gerecht. Im Jahre 1998 erfolgte die Vergütung der betroffenen Arbeitnehmer nach dem BAT. Nach § 27 BAT bemaß sich die Grundvergütung in den Vergütungsgruppen des BAT nach Lebensaltersstufen(vgl. BAG 10. November 2011 - 6 AZR 148/09 - BAGE 140, 1). Die vom Übergang nach § 147 Abs. 2 SGB V betroffenen Arbeitnehmer durften berechtigt darauf vertrauen, dass die Bemessung der Vergütung nach erreichten Lebensaltersstufen auch nach der Rückkehr zum beklagten Land Berücksichtigung findet. Dies ist nur bei einer Überleitung anhand des fiktiven Vergleichsentgelts gewährleistet.

53

c) Danach hat die Klägerin an sich einen Anspruch, in dem neu begründeten Arbeitsverhältnis so gestellt zu werden, als habe über den 31. Dezember 1998 hinaus ein ununterbrochenes Arbeitsverhältnis zum beklagten Land bestanden. Das Landesarbeitsgericht hat ihrer Klage bezüglich der beanspruchten Anerkennung von Beschäftigungszeiten jedoch nicht in vollem Umfang stattgegeben. Es hat entschieden, dass nur die bis zum 31. Dezember 1998 beim beklagten Land und die bis zum 31. Dezember 2003 bei der BKK Berlin zurückgelegte Beschäftigungs- bzw. Dienstzeit zu berücksichtigen ist. Dabei besteht zwischen den Parteien Einigkeit, dass auf das zu begründende Arbeitsverhältnis nicht der BAT, sondern der Angleichungs-TV Land Berlin zur Anwendung kommen wird. Die Anerkennung von Dienstzeiten wird daher ohne Bedeutung sein (vgl. BeckOK TV-L/Eylert TV-L § 34 Rn. 60).

54

D. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

        

    Brühler    

        

    Krasshöfer    

        

    Klose    

        

        

        

    M. Lücke    

        

    Kranzusch    

                 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 30. November 2010 - 1 Sa 367/10 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens bis zur Rücknahme der Revision des Klägers haben der Kläger zu 1/4 und die Beklagte zu 3/4 zu tragen. Im Übrigen hat die Beklagte die Kosten der Revision zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten zuletzt noch über eine Verpflichtung der Beklagten, mit dem Kläger (wieder) ein Arbeitsverhältnis zu begründen.

2

Der Kläger war bei der Beklagten seit dem 1. Januar 1980 als Servicetechniker beschäftigt. Zum 1. Januar 1987 gliederte die Beklagte ihr Geschäftsfeld der kompatiblen Großcomputer und Peripheriesysteme aus und überführte es in die C I GmbH, einem von der Beklagten und der S AG neu gegründeten Joint Venture. Die Firmenbezeichnung dieser Gesellschaft stand Ende 1986 noch nicht fest; die Beklagte hielt nach ihrer Darstellung zunächst 66,5 % sowie die S AG 33,5 % der Gesellschaftsanteile.

3

In einem an den Kläger gerichteten Schreiben vom 4. November 1986 informierte die Beklagte ihn - wie auch die anderen für einen Wechsel in die C I GmbH vorgesehenen Mitarbeiter - über das Ausgliederungsvorhaben und führte wörtlich ua. aus:

        

„Hinsichtlich der vorgesehenen vertraglichen Rahmenbedingungen möchten wir Ihnen folgendes mitteilen:

        

○       

...     

        

○       

… Am 01.01.1987 treten Sie in unserem Interesse in ein Arbeitsverhältnis zur neuen Gesellschaft über. Dabei ist sichergestellt, daß bestehende arbeitsvertragliche und betriebliche Regelungen der B Aktiengesellschaft Bestandteil ihres Arbeitsvertrages mit der neuen Gesellschaft werden.

        

○       

Für den Fall, daß aus betrieblichen Gründen das Arbeitsverhältnis mit der neuen Gesellschaft endet, wird Ihnen die Wiedereinstellung bei der B Aktiengesellschaft angeboten. Über die Annahme dieses Angebotes haben Sie die B Aktiengesellschaft spätestens einen Monat vor Beendigung Ihres Arbeitsverhältnisses mit der neuen Gesellschaft zu unterrichten. Im Falle des Wiedereintritts gelten die dann bei der B Aktiengesellschaft üblichen vertraglichen Bedingungen und Ihre letzten Gehaltsbezüge bei der neuen Gesellschaft.

        

In den nächsten Tagen werden wir im Rahmen von Informationsveranstaltungen zu den Fragen Stellung nehmen, die für Sie von allgemeinem und besonderem Interesse sind.“

4

Die Beklagte und der bei ihr bestehende Betriebsrat führten vor der Ausgliederung Verhandlungen über deren Folgen. Am 4. Dezember 1986 schlossen sie eine mit „Rahmenbedingungen für in das Joint-venture B/S übertretende B AG-Mitarbeiter“ (im Folgenden: JVR 1986) überschriebene Vereinbarung. Sie hat folgenden Wortlaut:

        

„Aus Anlaß der Ausgliederung des Geschäfts mit kompatiblen Großcomputern und Peripheriesystemen aus der B AG zum 01.01.87 wird zwischen Unternehmensleitung und Betriebsrat folgendes vereinbart:

        

1.    

Die neue Gesellschaft, die ihren Sitz in Ma haben wird, wird die bisherigen Standorte der zur Ausgliederung aus der B AG anstehenden Betriebsteile in Ma und L ab 01.01.87 beibehalten. Standortveränderungen für die Verkaufsbüros sind z. Zt. nicht beabsichtigt. Bei den Standorten H und M kann es mittelfristig zu Umzügen innerhalb der Standorte kommen.

        

2.    

Die neue Gesellschaft wird Mitglied des Arbeitgeberverbands Chemie Baden-Württemberg e. V.

        

3.    

Alle Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen (künftig nur: Mitarbeiter), deren Arbeitsverhältnisse am 01.01.87 auf die neue Gesellschaft übergehen, erhalten von der B AG eine entsprechende - mit dem Betriebsrat abgestimmte - schriftliche Mitteilung. Betroffen hiervon sind grundsätzlich alle derzeit in dem Geschäft mit kompatiblen Großcomputern und Peripheriesystemen tätigen Mitarbeiter. Sonderfälle sind zwischen Mitarbeiter, Betriebsrat und Unternehmensleitung der B AG mit dem ernsthaften Willen zur Einigung zu beraten.

        

4.    

Ungeachtet der Bestimmung von Ziff. 3 Satz 3 kann jeder Mitarbeiter, der eine Mitteilung gem. Ziff. 3 erhalten hat, dem Übergang des Arbeitsverhältnisses bis spätestens 31.12.86 schriftlich widersprechen. Der Widerspruch hat zur Folge, daß das mit der B AG bestehende Arbeitsverhältnis nicht auf die neue Gesellschaft übergeht.

        

5.    

Im Falle des Widerspruchs eines Mitarbeiters ist die B AG verpflichtet, diesem unter Berücksichtigung der arbeitsvertraglichen Vereinbarungen im Rahmen der bestehenden Möglichkeiten einen adäquaten Arbeitsplatz anzubieten. Sofern ein solcher nicht vorhanden oder frei ist, wird das Arbeitsverhältnis regelmäßig einvernehmlich (Aufhebungsvertrag) oder - unter Beachtung der gesetzlichen Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats bei personellen Einzelmaßnahmen - durch einseitige Gestaltungserklärung (Kündigung des Mitarbeiters oder des Arbeitgebers) enden. Im Falle einer Kündigung durch den Mitarbeiter ist die B AG grundsätzlich bereit, auf die Einhaltung der Kündigungsfrist über den 31.12.86 hinaus zu verzichten. Die Gewährung der Jahresprämie 1986 wird dadurch nicht berührt.

        

6.    

Mitarbeiter mit mindestens 25 Dienstjahren, die zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs das 55. Lebensjahr vollendet haben und die nicht mehr in die neue Gesellschaft überwechseln wollen, können auf Wunsch in der B AG verbleiben oder durch Aufhebungsvertrag aus der B AG ausscheiden.

        

7.    

Bezüglich der arbeitsvertraglichen Rechte und Pflichten derjenigen Mitarbeiter, deren Arbeitsverhältnisse am 01.01.87 auf die neue Gesellschaft übergehen, gilt folgendes:

                 

a)    

Durch den Wechsel in die neue Gesellschaft ändert sich die Tätigkeit der Mitarbeiter in der Regel nicht. Sofern dies im Einzelfall doch der Fall ist, wird die Tätigkeit des Mitarbeiters in der neuen Gesellschaft seiner bisherigen in der B AG zumindest adäquat sein.

                 

b)    

Die mit der B AG abgeschlossenen schriftlichen Arbeitsverträge gehen zum 01.01.87 vollinhaltlich auf die neue Gesellschaft über. Dies gilt insbesondere auch für die in Teilzeit beschäftigten Mitarbeiter.

                 

c)    

Alle in der B AG zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs bestehenden kollektiven Regelungen (Betriebsvereinbarungen, Regelungsabreden, betriebliche Übungen), aus denen sich Rechte und Pflichten der Mitarbeiter ergeben, werden mit Wirkung vom 01.01.87 zusätzlicher Bestandteil der jeweiligen Einzelarbeitsverträge der in die neue Gesellschaft überwechselnden Mitarbeiter (§ 613 a BGB). In Ergänzung und Konkretisierung hierzu wird folgendes festgelegt:

                          

aa)     

Die nachfolgend im einzelnen aufgeführten Regelungen gelten für die am 01.01.87 übertretenden B-Mitarbeiter bis zu ihrem Ausscheiden aus der neuen Gesellschaft fort. Verbesserungen und/oder Verschlechterungen dieser Betriebsvereinbarungen in der B AG nach 1987 führen unmittelbar zu einer entsprechenden Verbesserung/Verschlechterung für die zum 01.01.87 überwechselnden B-Mitarbeiter. Im einzelnen handelt es sich hierbei um folgende Regelungen:

                                   

•       

B-Altersversorgung

                                   

•       

Betriebsvereinbarung Nr. 3 (Regelungen für Mitarbeiter mit politischen Mandaten und ehrenamtlichen Tätigkeiten)

                                   

•       

Betriebsvereinbarung Nr. 13 (Jubiläumsgaben und Dienstaltersprämien)

                                   

•       

Betriebsvereinbarung Nr. 14 (Leistungen bei unverschuldeter Arbeitsunfähigkeit sowie bei Heilverfahren)

                                   

•       

Betriebsvereinbarung Nr. 32 (Entlohnungsgrundsätze für außertarifliche Angestellte) mit der Maßgabe, daß als Bezugsgröße die Bestimmungen der Tarifverträge für Baden-Württemberg gelten.

                                   

•       

Altersteilzeit und Altersfreizeit für AT-Mitarbeiter

                                   

•       

Programm ‚Eltern und Kind’

                                   

•       

‚Absprache zur Behandlung der WSZ bei tariflichen Alters- und Meisterjahressprüngen, bei C.3-Zulagen und Umgruppierungen’, unter Berücksichtigung der baden-württembergischen Tarifgruppenstruktur

                          

bb)     

Ziff. 7 c) aa) gilt entsprechend für folgende, nicht in förmlichen Betriebsvereinbarungen oder Regelungsabreden festgelegte Regelungen:

                                   

•       

Die Erhöhung der WSZ bei Tarifmitarbeitern erfolgt bis einschließlich 1992 nach den jährlich in der B AG geltenden Vorgaben.

                                   

•       

Allgemeine Gesundheitsvorsorgemaßnahmen nach Gruppe II

                                   

•       

Gewährung von Hypothekendarlehen der Pensionskasse sowie von Belegschaftsdarlehen und zinslosen Darlehen durch die B AG

                                   

•       

Urlaubsgeldpauschalen für außertarifliche und schwerbehinderte Mitarbeiter

                                   

•       

Gewährung von Pensionierungsurlaub

                                   

•       

Gewährung von Vorzugsaktien für AT-Mitarbeiter (anstelle vermögenswirksamer Leistungen)

                                   

•       

Möglichkeit des Bezugs von B-Aktien im Rahmen der Netto-Jahresprämie

                                   

•       

Gewährung von Zusatzurlaub für die den Schwerbehinderten gleichgestellten Mitarbeiter

                                   

•       

Mehrarbeitspauschale und Dienstwagenregelung für Außendienst-Mitarbeiter

                                   

•       

‚Richtlinien für Dienstwagen’ sowie für ‚Bereitschaft, Noteinsätze, Meldung von Überstunden und Abfeiern’ (ORGA)

                          

cc)     

Die zum 01.01.87 übertretenden B-Mitarbeiter werden folgende Leistungen entsprechend Ziff. 7 c) aa) - jeweils nach den in der B AG geltenden Regelungen - weiterhin in Anspruch nehmen können:

                                   

•       

Werksärztlicher Dienst der B AG

                                   

•       

Leistungen der Br-Stiftung entsprechend der Satzung

                                   

•       

Werkbücherei

                                   

•       

Privatabgabestellen mit Ausnahme des Technischen Lagers (Schrottlager)

                                   

•       

Belegschaftsrabatt im Verkaufs-Center (Z 23)

                                   

•       

Derzeitiges Kantinenangebot bzw. Essensgeldzuschußzahlung

                                   

•       

Freizeit-/und Abendkursangebot

                          

dd)     

Die B Betriebskrankenkasse wird gesetzliche Pflichtkrankenkasse der neuen Gesellschaft. Freiwillig Versicherte können ihre Mitgliedschaft in der Betriebskrankenkasse fortführen. Mitgliedschaften in der Sterbekasse bleiben unberührt.

                          

ee)     

Bis einschließlich 1990 erhalten die von der B AG in die neue Gesellschaft überwechselnden Mitarbeiter eine Jahresprämie in Höhe der B AG-Jahresprämie.

                          

ff)     

Die B AG wird sicherstellen, daß die neue Gesellschaft den übertretenden B-Mitarbeitern den in der B AG üblichen Unfallversicherungsschutz (Invaliditätsfall, Todesfall) gewährt.

                          

gg)     

Soweit ein Mitarbeiter, dessen Arbeitsverhältnis am 01.01.87 auf die neue Gesellschaft übergeht, Mieter einer G/E-Wohnung ist oder ein zinsloses oder verzinsliches Darlehen von der B AG oder der Pensionskasse erhalten hat, werden die Rechte und Pflichten der Mitarbeiter (Mietvertrag, Darlehensbedingungen) durch den Übertritt in die neue Gesellschaft nicht berührt.

        

8.    

Hinsichtlich der Dienstreiserichtlinien, der Umzugskostenregelung einschl. der Bedingungen für die Gewährung eines Mietzuschusses sowie der Versetzungs- und Entsendungsrichtlinien verbleibt es für die übertretenden B-Mitarbeiter ab 01.01.87 bei den bisherigen (B-)Regelungen. Die neue Gesellschaft wird diese Regelungen im Interesse einer Vereinheitlichung neu fassen. Die Neufassung darf und wird jedoch insgesamt nicht zu einer Schlechterstellung der übertretenden B-Mitarbeiter führen.

        

9.    

Die vorstehenden Ausführungen (Ziff. 8) gelten entsprechend für die derzeit für die übertretenden Mitarbeiter gültige Gleitzeitregelung.

        

10.     

Mitarbeitern, die dem Schutz des Schwerbehindertengesetzes unterliegen, dürfen durch den Übertritt in die neue Gesellschaft keine Nachteile entstehen. Bei notwendigen Umsetzungen schwerbehinderter Mitarbeiter gilt das in der B AG für Umschulungen praktizierte Verfahren.

        

11.     

Die übertretenden Mitarbeiter können sich bis einschließlich 1992 zu den in der B AG geltenden Bedingungen an der internen Stellenausschreibung in der BASF-Werkszeitung beteiligen. Danach gelten die Regeln für Inlandsgruppengesellschaften.

        

12.     

Die Ausbildungsleistungen, welche die B bislang für den ausgegliederten Betriebsteil erbracht hat, werden durch die Ausgliederung nicht berührt. Darüber hinaus wird die neue Gesellschaft zur Deckung ihres Personalbedarfs vorrangig B-Ausgebildete einstellen.

        

13.     

Über die zuvor ausdrücklich angesprochenen, mit dem Übertritt in die neue Gesellschaft für die Mitarbeiter verbundenen Rechte und Pflichten hinaus werden die Unternehmensleitung und der Betriebsrat der B AG im Rahmen ihrer Möglichkeiten sicherstellen, daß nach Gründung der neuen Gesellschaft Betriebsrat und Unternehmensleitung dieser Gesellschaft in angemessener Frist ein alle nicht ausdrücklich erwähnte Betriebsvereinbarungen, Regelungsabreden und betriebliche Übungen einschließendes eigenständiges kollektives Regelwerk erstellen, welches für die zum 01.01.87 übertretenden B-Mitarbeiter insgesamt im Vergleich zu den zum Übertrittszeitpunkt in der B AG geltenden Regelungen nicht zu einer Schlechterstellung führen darf.

        

14.     

Die Eingruppierung und das Entgelt der in die neue Gesellschaft übertretenden B-Mitarbeiter richten sich nach dem Gehaltsrahmen-Tarifvertrag Baden-Württemberg für die chemische Industrie sowie dem am 01.01.87 geltenden Gehaltstarifvertrag. Dabei wird sichergestellt, daß sich die Mitarbeiter bei ihrem Übertritt insgesamt nicht schlechter stellen als nach den bisher für sie geltenden Tarifverträgen des Tarifbezirkes Rheinland-Pfalz. Die tarifliche Eingruppierung sowie die Höhe des Entgelts ergeben sich aus der unter Ziff. 3 genannten schriftlichen Mitteilung an die Mitarbeiter, welche diese spätestens am 10.12.86 erhalten sollen.

                 

Für außertarifliche Mitarbeiter ergibt sich die Höhe des Entgelts unter Berücksichtigung der weitergeltenden BV 32 (vgl. Ziff. 7 c) aa)) aus dem übergehenden Einzelarbeitsvertrag.

        

15.     

Die B AG garantiert den am 01.01.87 in die neue Gesellschaft überwechselnden Mitarbeitern ein Rückkehrrecht auf einen adäquaten Arbeitsplatz in der B AG, sofern eine Weiterbeschäftigung innerhalb der neuen Gesellschaft aus betrieblichen Gründen nicht mehr möglich ist.

        

…“    

5

Mit Schreiben vom 9. Dezember 1986 unterrichtete die Beklagte den Kläger über den Abschluss der JVR 1986 und händigte ihm eine Abschrift hiervon aus. In dem vom Kläger gegengezeichneten und in der Zweitschrift an die Beklagte zurückgesandten Schreiben heißt es, dass er die sich „aus dem Übergang des Arbeitsverhältnisses ergebenden Rechte und Pflichten den Rahmenbedingungen entnehmen“ könne. Mit Wirkung zum 1. Januar 1987 ging das Arbeitsverhältnis des Klägers nach § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB auf die C I GmbH über.

6

In den Folgejahren erwarb die Beklagte von der S AG sukzessive deren Geschäftsanteile an der C I GmbH. In drei Tranchen - zum 1. Mai 1996, am 16. Juli 1998 sowie am 25. Oktober 1999 - veräußerte sie die Anteile an die P GmbH, die später in C H GmbH umfirmierte. Im Sommer 2003 informierte die C I GmbH die Beklagte über eine beabsichtigte Verschmelzung auf die C H GmbH, die noch vor der Umwandlung in C GmbH umfirmierte. Auf der Grundlage einer vorherigen Anfrage der C I GmbH erhielten die ehemaligen Mitarbeiter - darunter auch der Kläger - ein Schreiben der Beklagten vom 12. Dezember 2003. In diesem ist ua. ausgeführt:

        

„… auf Anfrage von C … bestätigen wir Ihnen für den Fall der uns von C mitgeteilten geplanten Verschmelzung … gerne auch persönlich folgendes:

        

Sofern Sie von dem genannten Verschmelzungsvorhaben erfasst sind und für Sie die Joint-Venture-Regelung vom 04.12.1986 anwendbar ist, bleibt bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen eine nach Maßgabe von Ziffer 15 der Joint-Venture-Regelung etwa begründete Rechtsposition von dem Verschmelzungsvorhaben unberührt.“

7

Zum 1. Februar 2004 verschmolz die C I GmbH auf die C GmbH. Diese informierte Anfang 2005 die Beklagte über die geplante Versetzung mehrerer ihrer ehemaligen Mitarbeiter in neu gegründete Regionalgesellschaften. In diesem Zusammenhang erklärte die Beklagte in einem an ihre - jedenfalls von der Versetzung in die C Nord GmbH & Co. KG und in die C West GmbH & Co. KG betroffenen - ehemaligen Mitarbeiter gerichteten Schreiben vom 10. Februar 2005:

        

„… Sofern auf Sie die Joint-Venture-Regelung vom 04.12.1986 anwendbar ist, bleibt bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen eine nach Maßgabe von Ziffer 15 der Joint-Venture-Regelung etwa begründete Rechtsposition von der Versetzung unberührt.“

8

Auch der Kläger erhielt dieses Schreiben vom 10. Februar 2005. Zum Ablauf des Jahres 2008 verschmolzen einige Regionalgesellschaften auf die C GmbH.

9

Das Arbeitsverhältnis des Klägers ging im Zuge der Verschmelzung der C I GmbH auf die C GmbH über. Anfang 2005 wechselte der Kläger aufgrund der Ausgliederung in Regionalgesellschaften zu der C R GmbH & Co. KG. Anlässlich der Verschmelzung der Regionalgesellschaften auf die C GmbH zum Ablauf des Jahres 2008 wechselte er wiederum zu dieser Arbeitgeberin und war dort zuletzt als Systemberater beschäftigt.

10

Mit Beschluss vom 1. Oktober 2009 wurde über das Vermögen der C GmbH das Insolvenzverfahren eröffnet. Der Insolvenzverwalter kündigte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger am 12. Oktober 2009 zum 31. Januar 2010. Über die hiergegen vom Kläger erhobene Kündigungsschutzklage war im Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung noch nicht rechtskräftig befunden; jedenfalls war der Betrieb der Insolvenzschuldnerin stillgelegt. Mit Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 5. Oktober 2009 machte der Kläger gegenüber der Beklagten die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses sowie seine Wiedereinstellung geltend, was diese ablehnte.

11

Mit seiner der Beklagten am 1. April 2010 zugestellten Erweiterung der ursprünglich nur auf eine Verurteilung zur Beschäftigung gerichteten Klage hat der Kläger die Auffassung vertreten, die Beklagte sei zu einer Neubegründung des Arbeitsverhältnisses verpflichtet. Ziffer 15 der JVR 1986 beinhalte ein zeitlich nicht befristetes Rückkehrrecht allein unter der - nunmehr eingetretenen - Bedingung, dass eine Weiterbeschäftigung in der neuen Gesellschaft aus betrieblichen Gründen nicht mehr möglich sei. Die Bestimmung stehe nicht unter dem Vorbehalt, dass die neue Gesellschaft im Zeitpunkt der Rückkehr noch zum Konzern der Beklagten gehören müsse; dies zeigten auch die Schreiben der Beklagten an ihn aus den Jahren 2003 und 2005. Mit diesen Schreiben sei überdies eine einzelvertragliche Wiedereinstellungszusage erklärt worden.

12

Der Kläger hat - soweit für das Revisionsverfahren zuletzt noch von Bedeutung - beantragt,

        

        

die Beklagte zu verurteilen, sein Angebot auf Wiedereinstellung mit Wirkung ab dem 1. Oktober 2009 als Systemberater/technischer Angestellter zu den bei der B üblichen Arbeitsbedingungen mit einer Jahresvergütung in Höhe von 60.000,00 Euro brutto zuzüglich variabler Vergütung unter Anrechnung einer Betriebszugehörigkeit seit dem 1. Januar 1980 anzunehmen.

13

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat sich auf den Standpunkt gestellt, es bestehe kein kollektiv-rechtlicher Rückkehranspruch. Mit Ziffer 15 der JVR 1986 hätten die Betriebspartner außerhalb ihrer Normsetzungsbefugnis gehandelt und außerdem im Hinblick auf den Wiedereinstellungsanspruch nach § 13 Abschn. VI des für die Beklagte geltenden Manteltarifvertrags Bergbau, Chemie, Energie (MTV) den Tarifvorrang von § 77 Abs. 3 BetrVG verkannt. Ungeachtet dessen seien die Voraussetzungen für einen kollektiv-rechtlichen Wiedereinstellungsanspruch nicht gegeben. Das in Ziffer 15 der JVR 1986 vorgesehene Rückkehrrecht sei - wie die gesamten Rahmenbedingungen - auf den Zeitraum befristet, in dem die „neue Gesellschaft“ dem Konzernverbund der Beklagten angehöre. Sachlich sei es auf einen Verlust der Beschäftigungsmöglichkeit in einer Gesellschaft beschränkt, in der der Kläger zuletzt nicht mehr beschäftigt gewesen sei. Ein Wiedereinstellungsanspruch könne nicht auf die Korrespondenz mit den betroffenen Mitarbeitern nach dem Ausscheiden der C I GmbH aus dem Konzernverbund der Beklagten gestützt werden. Die Beklagte habe in ihren Schreiben stets auf eine „etwa begründete Rechtsposition“ verwiesen; eine solche habe dem Kläger bereits im Zeitpunkt der Schreiben nicht (mehr) zugestanden.

14

Das Arbeitsgericht hat dem - in der I. Instanz äußerst hilfsweise gestellten - Begehren auf Wiedereinstellung in der Fassung der Antragstellung entsprochen und die ursprünglich vom Kläger in erster Linie sowie hilfsweise verfolgten Beschäftigungsanträge abgewiesen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht - unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen - die arbeitsgerichtliche Entscheidung zT abgeändert und den Urteilstenor „zur Klarstellung“ wie folgt gefasst:

        

„Die Beklagte wird verurteilt, das Angebot des Klägers auf Abschluss eines Arbeitsvertrages ab dem 1. Februar 2010 auf einem adäquaten Arbeitsplatz in der B zu den bei der Beklagten üblichen Bedingungen anzunehmen.“

15

Die die Abweisung der Beschäftigungsanträge betreffende Anschlussberufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht zurückgewiesen. Der Kläger hat seine - nur diese Anträge betreffende - Revision in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat zurückgenommen. Die Beklagte begehrt mit ihrer ua. auf die Rügen einer Verletzung von § 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO und von § 313 Abs. 1 Nr. 4 iVm. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO gestützten Revision die Abweisung(auch) des Wiedereinstellungsantrags. Der Kläger beantragt die Zurückweisung der Revision.

Entscheidungsgründe

16

Die zulässige Revision der Beklagten ist unbegründet. Das angefochtene Urteil ist nicht verfahrensfehlerhaft. Der Entscheidungsausspruch ist weder unbestimmt, noch hat das Berufungsgericht dem Kläger unter Verstoß gegen § 308 Abs. 1 ZPO etwas zuerkannt, was dieser nicht beantragt hat. Der Antrag in der vom Landesarbeitsgericht tenorierten Fassung ist zulässig und begründet. Der Anspruch des Klägers auf Abschluss eines Arbeitsvertrags mit der Beklagten folgt aus Ziffer 15 der JVR 1986 iVm. den Schreiben der Beklagten vom 12. Dezember 2003 und vom 10. Februar 2005.

17

A. Die Revision rügt ohne Erfolg, dass der Ausspruch des Berufungsgerichts unbestimmt ist und darüber hinaus dem Kläger etwas zugesprochen hat, was nicht Gegenstand der Klage war.

18

I. Das angefochtene Urteil verstößt nicht gegen § 313 Abs. 1 Nr. 4 ZPO.

19

1. Nach § 313 Abs. 1 Nr. 4 ZPO enthält ein verfahrensbeendendes Urteil eine Urteilsformel. Diese muss hinreichend deutlich gefasst sein. Das Erfordernis der - von Amts wegen zu prüfenden - Bestimmtheit des Urteilsausspruchs dient der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit. Der Umfang der materiellen Rechtskraft iSv. § 322 Abs. 1 ZPO und damit die Entscheidungswirkungen müssen festgestellt werden können(vgl. für den Entscheidungsausspruch im Beschlussverfahren BAG 12. Januar 2011 - 7 ABR 25/09 - Rn. 19, AP BetrVG 1972 § 99 Eingruppierung Nr. 48 = EzA BetrVG 2001 § 99 Nr. 21). Bei diesen Feststellungen sind Tatbestand und Entscheidungsgründe ergänzend heranzuziehen, wenn die Urteilsformel den Streitgegenstand und damit den Umfang der Rechtskraft nicht für sich gesehen erkennen lässt (für eine klageabweisende Entscheidung vgl. BAG 19. Januar 2010 - 1 ABR 55/08 - Rn. 15 mwN, BAGE 133, 75; BGH 19. Mai 2011 - I ZB 57/10 - Rn. 7 mwN, BGHZ 190, 1). Insbesondere bei einer Verurteilung zu einer Willenserklärung kann zur Ermittlung des Inhalts einer auslegungsbedürftigen Urteilsformel ein Rückgriff auf Tatbestand und Entscheidungsgründe erforderlich sein (vgl. BGH 8. Juni 2011 - VIII ZR 204/10 - Rn. 9 mwN, NJW-RR 2011, 1382). Ein auf die Abgabe einer Willenserklärung gerichteter Urteilsspruch ist nur dann bestimmt, wenn er so gefasst ist, dass der Inhalt der nach § 894 Satz 1 ZPO fingierten Erklärung klar ist(vgl. BGH 19. Mai 2011 - I ZB 57/10 - Rn. 7 mwN, aaO). Geht es um den Abschluss eines Arbeitsvertrags, muss die nach der speziellen Vollstreckungsregel des § 894 Satz 1 ZPO als abgegeben geltende Willenserklärung den für eine Vertragseinigung notwendigen Mindestinhalt(essentialia negotii) umfassen. Nach § 611 Abs. 1 BGB gehören hierzu die „versprochenen Dienste“, also Art und Beginn der Arbeitsleistung. Eine Einigung über weitere Inhalte ist nicht erforderlich, sofern klar ist, dass die Arbeitsleistung überhaupt vergütet werden soll (vgl. Schaub/Linck ArbR-Hdb. 14. Aufl. § 32 Rn. 4; Küttner/Röller Personalbuch 2012 19. Aufl. Arbeitsvertrag Rn. 7). Der Umfang der Arbeitsleistung und die Dauer des Arbeitsverhältnisses bestimmen sich ggf. nach den üblichen Umständen; die Vergütung folgt ggf. aus § 612 BGB.

20

2. Hiernach ist die Entscheidungsformel im landesarbeitsgerichtlichen Urteil hinreichend bestimmt. Die Verurteilung zur Annahme eines Angebots auf Abschluss eines Arbeitsvertrags benennt den Zeitpunkt des begehrten Vertragsschlusses. Der Umfang der geschuldeten Arbeitsleistung in dem mit der Verurteilung zustande gekommenen Vertrag lässt sich ausreichend deutlich klären. Mangels gegenteiliger Anhaltspunkte handelt es sich um eine unbefristete Vollzeitbeschäftigung. Auch der Inhalt der Tätigkeit ist ausreichend beschrieben. Zwar eröffnet die Formulierung „auf einem adäquaten Arbeitsplatz“ einen Interpretationsspielraum. Entgegen der eigenen Ansicht des Landesarbeitsgerichts ist damit aber keine „weitgehend unbestimmte Verurteilung der Beklagten vorgenommen“. Unter Hinzuziehung von Tatbestand und Entscheidungsgründen ist deutlich, dass die tenorierte Willenserklärung eine Arbeitsleistung des Klägers als Systemberater/technischer Angestellter umfasst. In dieser Tätigkeit war der Kläger zuletzt bei der C GmbH beschäftigt; diese Aufgaben hat auch das Landesarbeitsgericht als „in allererster Linie naheliegend“ erachtet. Mit seinem Ausdruck „adäquater Arbeitsplatz“ meint es zwar einen weiter gefassten Beschäftigungsbereich; auch nach den Gründen der angefochtenen Entscheidung muss dieser aber der Tätigkeit eines „Systemberaters/technischen Angestellten“ gleichwertig sein. Damit ist letztlich ein weites Direktionsrecht der Beklagten eröffnet. Sie kann dem Kläger bei solch einer Verurteilung alle Aufgaben zuweisen, die ein „Systemberater/technischer Angestellter“ schuldet. Eine „weit gefasste“ Beschreibung der Tätigkeit führt zu einem größeren Spielraum bei den arbeitgeberseitigen Weisungsrechten und nicht zu deren Unklarheit. Die ausgesprochene Verurteilung ist damit ebenso wenig unbestimmt, wie ein Vertrag mit der Beklagten über eine Tätigkeit als „Systemberater/technischer Angestellter“ unwirksam wäre. Auch ein solcher Vertrag enthielte eine Einigung über die „essentialia negotii“.

21

II. Das Landesarbeitsgericht hat § 308 Abs. 1 ZPO nicht verletzt. Der Ausspruch in dem angefochtenen Urteil betrifft keinen anderen Streitgegenstand als den vom Kläger zur Entscheidung gestellten.

22

1. Nach § 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist ein Gericht nicht befugt, einer Partei etwas zuzusprechen, was nicht beantragt ist. Umgekehrt darf die beklagte Partei nicht zu etwas anderem verurteilt werden als zu dem, worauf sie ihre Verteidigung einrichten musste (vgl. BAG 11. Dezember 2001 - 9 AZR 435/00 - zu II 2 a der Gründe mwN, EzA ZPO § 256 Nr. 59). Das Gericht darf und muss aber ein Weniger zuerkennen, wenn ein solches Begehren im jeweiligen Sachantrag enthalten ist (vgl. BAG 24. Februar 2010 - 4 AZR 657/08 - Rn. 15 mwN, AP ZPO § 551 Nr. 68). Etwas anderes gilt, wenn es sich nicht um ein Weniger, sondern um ein Aliud handelt. Ob dies der Fall ist, hängt von den konkreten Umständen und Ansprüchen sowie dem erkennbaren Begehren des Klägers ab (vgl. BAG 6. Juni 2007 - 4 AZR 505/06 - Rn. 17, AP BAT 1975 §§ 22, 23 Nr. 308). Entscheidend sind nicht allein die wörtlichen Ausdrücke von Antrag und Urteilsausspruch, sondern deren - ggf. durch Auslegung zu ermittelnde - streitgegenständlichen Inhalte (ähnlich BGH 3. April 2003 - I ZR 1/01 - zu II 1 a der Gründe mwN, BGHZ 154, 342).

23

2. Danach hat das Landesarbeitsgericht § 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO nicht verletzt. Der vom Kläger - in den Tatsacheninstanzen äußerst hilfsweise zur Entscheidung - gestellte Antrag ist nach seinem Wortlaut unzweifelhaft auf die Verurteilung der Beklagten zur Abgabe einer Annahmeerklärung gerichtet. Ihm geht es mit der erstrebten Fiktion der Abgabe der Annahmeerklärung nach § 894 Satz 1 ZPO um das endgültige Zustandekommen eines Arbeitsvertrags mit der Beklagten, das er mit übereinstimmenden Willenserklärungen - Antrag und Annahme(§§ 145 bis 147 BGB) - erwirken möchte. Die Abgabe eines Angebots ist in dem Anwaltsschreiben vom 5. Oktober 2009 zu sehen. Die auf Abgabe der Annahmeerklärung gerichtete Klage entspricht dem Regelfall des mit einer sog. Wiedereinstellungsklage bekundeten Willens des Arbeitnehmers (vgl. zB BAG 19. Oktober 2011 - 7 AZR 743/10 - Rn. 16; 21. August 2008 - 8 AZR 201/07 - Rn. 54, AP BGB § 613a Nr. 353 = EzA BGB 2002 § 613a Nr. 95; 25. Oktober 2007 - 8 AZR 989/06 - Rn. 14, AP BGB § 613a Wiedereinstellung Nr. 2 = EzA BGB 2002 § 613a Nr. 80; 14. August 2007 - 9 AZR 943/06 - Rn. 11, BAGE 123, 358). Der Kläger hat den Inhalt des mit der erstrebten Annahmeerklärung zustande kommenden Arbeitsvertrags näher beschrieben. Er hat den Zeitpunkt des Vertragsbeginns, die Tätigkeit, die Vergütung sowie eine anzurechnende Betriebszugehörigkeit angegeben. Hinsichtlich der für einen Arbeitsvertragsschluss notwendigen Bestandteile - der nach § 611 Abs. 1 BGB „versprochenen Dienste“ - hat das Berufungsgericht keine anderen Bedingungen zuerkannt. Eine Modifizierung (und wegen der beschränkten Revisionseinlegung des Klägers insoweit rechtskräftige teilweise Klageabweisung) liegt allenfalls in der zugesprochenen Vergütung und anzurechnenden Betriebszugehörigkeit. Da diese Bestandteile nicht unverzichtbar für die Annahme eines wirksamen Vertragsschlusses sind, liegt hierin aber keine Änderung des Streitgegenstands. Auch der vom Landesarbeitsgericht zuerkannte spätere Beginn des Arbeitsverhältnisses ist eine Einschränkung und keine Änderung des Klagebegehrens (vgl. zu diesem Aspekt BAG 2. Juli 2003 - 7 AZR 529/02 - zu II 1 der Gründe, BAGE 107, 18).

24

B. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht dem Klageantrag - in dem in der Revision noch angefallenen Umfang - entsprochen. Das zulässige Begehren des Klägers ist begründet.

25

I. Der durch die Revision der Beklagten noch anhängige Antrag ist auch in der Fassung, die er durch die Tenorierung des Landesarbeitsgerichts erfahren hat, zulässig. Er ist - wie ausgeführt - in dieser Fassung hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Der Inhalt des (anzunehmenden) Arbeitsvertrags ist ausreichend konkretisiert. Der Zeitpunkt der Wirkung der Abgabe der Annahmeerklärung - der 1. Februar 2010 - ist genannt. Die wesentlichen Vertragsbestandteile, insbesondere Art und Beginn der Tätigkeit, sind bezeichnet. Die im Klagebegehren angeführten „bei der Beklagten üblichen Bedingungen“ sind nicht unerlässlich für die Bestimmtheit, stehen aber auch außer Streit.

26

II. Der Antrag ist begründet. Die Beklagte ist verpflichtet, die vom Kläger begehrte Willenserklärung abzugeben.

27

1. Der Antrag ist entgegen der Ansicht der Beklagten nicht schon deswegen unbegründet, weil die Verurteilung der Beklagten zur Abgabe der Annahmeerklärung zum 1. Februar 2010 (rück-)wirken soll.

28

a) Mit der Abgabe der Annahmeerklärung kommt das Arbeitsverhältnis mit der Beklagten zustande, denn mit Rechtskraft eines obsiegenden Urteils gilt die Erklärung nach § 894 Satz 1 ZPO als abgegeben. Zu welchem Zeitpunkt die fingierte Annahmeerklärung wirkt, beurteilt sich nach materiellem Recht. Seit Inkrafttreten des § 311a Abs. 1 BGB idF des Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts vom 26. November 2001 (BGBl. I S. 3138) kommt auch die Verurteilung zur Abgabe einer Willenserklärung in Betracht, die auf eine Vertragsänderung oder einen Vertragsschluss zu einem in der Vergangenheit liegenden Zeitpunkt gerichtet ist. Nach § 275 Abs. 1 BGB ist der Anspruch auf die Leistung zwar ausgeschlossen, soweit diese für den Schuldner oder jedermann unmöglich ist. Im Unterschied zum alten Recht ist in § 311a Abs. 1 BGB aber klargestellt, dass ein Vertrag selbst dann nicht nichtig ist, wenn er in der Vergangenheit tatsächlich nicht durchgeführt werden kann(vgl. BAG 9. Februar 2011 - 7 AZR 91/10 - Rn. 26 mwN, AP BGB § 307 Nr. 52 = EzA BGB 2002 § 311a Nr. 2). Die rückwirkende Begründung eines Arbeitsverhältnisses durch Urteil, die mit der Fiktion der Annahmeerklärung greift, ist daher zulässig. Ausgeschlossen ist lediglich eine gerichtliche Entscheidung, mit der ein Arbeitsverhältnis mit Rückwirkung zu einem Zeitpunkt vor Abgabe des Angebots begründet werden soll (vgl. BAG 4. Mai 2010 - 9 AZR 155/09 - Rn. 17 und 35, BAGE 134, 223).

29

b) Hiernach kann der Kläger die Begründung eines am 1. Februar 2010 beginnenden Arbeitsverhältnisses verlangen. Das Anwaltsschreiben vom 5. Oktober 2009 enthält ein Angebot zum Abschluss eines Arbeitsvertrags. Die Annahme dieses Angebots ist mit einer gerichtlichen Entscheidung nach § 894 Satz 1 ZPO fingiert. Das Arbeitsverhältnis gilt nicht zu einem Zeitpunkt vor Abgabe des Angebots als geschlossen.

30

2. Entgegen der Auffassung des Klägers folgt sein Anspruch auf Abschluss eines Arbeitsvertrags nicht aus dem Schreiben der Beklagten vom 4. November 1986. Es kann offenbleiben, ob dieses Schreiben überhaupt ein selbständiges Wiedereinstellungsversprechen enthielte. Selbst wenn man hiervon zu Gunsten des Klägers ausginge, wäre die Zusage mit dem späteren Schreiben der Beklagten vom 9. Dezember 1986, welches der Kläger gegengezeichnet hat, einvernehmlich aufgehoben. Die Beklagte hat in diesem Schreiben auf die JVR 1986 und die dort niedergelegten Rechte und Pflichten verwiesen. Der Kläger hat mit der Gegenzeichnung der Zweitschrift des Schreibens sein Einverständnis damit bekundet, dass nunmehr die JVR 1986 Rechtsgrundlage eventueller nachvertraglicher Verpflichtungen der Beklagten ist und ggf. früher gegebene Versprechen überholt sein sollen.

31

3. Der Anspruch des Klägers auf Abgabe der vom Landesarbeitsgericht zugesprochenen Annahmeerklärung folgt aber aus Ziffer 15 der JVR 1986 iVm. den Schreiben der Beklagten vom 12. Dezember 2003 und vom 10. Februar 2005. In Ziffer 15 der JVR 1986 haben die Betriebsparteien für die unter den Geltungsbereich der Betriebsvereinbarung fallenden Arbeitnehmer das Recht zu einer Rückkehr zu der Beklagten unter der aufschiebenden Bedingung geregelt, dass eine Weiterbeschäftigung innerhalb der „neuen Gesellschaft“ aus betrieblichen Gründen nicht mehr möglich ist. Diesem kollektiv-rechtlichen Wiedereinstellungsversprechen begegnen entgegen der Auffassung der Beklagten keine grundsätzlichen Wirksamkeitsbedenken. Das aufschiebend bedingte Rückkehrrecht steht nicht unter dem - ungeschriebenen - Vorbehalt der Zugehörigkeit der C I GmbH zum Konzernverbund der Beklagten. Dies ergibt die Auslegung von Ziffer 15 der JVR 1986. Ob sich die Wiedereinstellungszusage sachlich auf den Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit bei der C I GmbH beschränkt oder auch auf einen solchen bei deren Rechtsnachfolgern erstreckt, kann offenbleiben. Das - aufschiebend bedingte - Recht auf eine Rückkehr endete weder mit der Verschmelzung der C I GmbH auf die C GmbH noch mit dem Wechsel des Klägers zu der C R GmbH & Co. KG. Dies folgt jedenfalls aus den an ihn gerichteten Schreiben der Beklagten vom 12. Dezember 2003 und vom 10. Februar 2005. Die Voraussetzungen des Rückkehrrechts sind erfüllt. Der Unmöglichkeitseinwand der Beklagten ist unbegründet.

32

a) Ziffer 15 der JVR 1986 regelt in zulässiger Weise für die zum 1. Januar 1987 in die C I GmbH wechselnden Arbeitnehmer das Recht einer Rückkehr zur Beklagten, sofern eine Weiterbeschäftigung innerhalb der neuen Gesellschaft aus betrieblichen Gründen nicht mehr möglich ist.

33

aa) Die JVR 1986 gilt für die Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnisse zum 1. Januar 1987 von der Beklagten auf die C I GmbH übergegangen sind. Der Kläger gehört zu diesem Personenkreis.

34

bb) Das in Ziffer 15 der JVR 1986 „garantierte“ Rückkehrrecht ist nicht aus kollektiv-rechtlichen Gründen unwirksam. Die Betriebsparteien sind nicht grundsätzlich gehindert, einen Wiedereinstellungsanspruch für Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnisse aufgrund eines bevorstehenden Betriebsteilübergangs nach § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB auf einen anderen Arbeitgeber übergehen, zu regeln. Eine etwaige Unwirksamkeit anderer Bestimmungen in den JVR 1986 führte jedenfalls nicht zu ihrer Gesamtunwirksamkeit. Ziffer 15 der JVR 1986 verstößt schließlich nicht gegen die Regelungssperre des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG.

35

(1) Mit Ziffer 15 der JVR 1986 in ihrem Verständnis als Wiedereinstellungsanspruch haben die Betriebsparteien ihre Regelungskompetenz nicht überschritten.

36

(a) Bei den JVR 1986 handelt es sich um eine Betriebsvereinbarung iSe. kollektiv-rechtlichen Normenvertrags zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber. Eine Betriebsvereinbarung kann über alle Fragen und Angelegenheiten abgeschlossen werden, die nach dem Gesetz der Zuständigkeit des Betriebsrats unterliegen. Dies ist in erster Linie bei mitbestimmungspflichtigen Tatbeständen der Fall. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kommt den Betriebsparteien aber auch eine umfassende Kompetenz zu, durch freiwillige Betriebsvereinbarungen Regelungen über den Inhalt, den Abschluss und die Beendigung von Arbeitsverhältnissen zu treffen (vgl. ausf. BAG 12. Dezember 2006 -  1 AZR 96/06 - Rn. 13 ff., BAGE 120, 308; grundlegend BAG GS 7. November 1989 - GS 3/85 - zu C I 2 der Gründe, BAGE 63, 211; vgl. auch Linsenmaier RdA 2008, 1; kritisch zur „globalen Regelungskompetenz“ Richardi BetrVG 13. Aufl. § 77 Rn. 67).

37

(b) Hiernach betrifft Ziffer 15 der JVR 1986 im Verständnis eines - aufschiebend bedingten - Rückkehrrechts für die von einem Übergang ihrer Arbeitsverhältnisse zur „neuen Gesellschaft“ mit Wirkung ab dem 1. Januar 1987 betroffenen Arbeitnehmer einen zulässigen Regelungsgegenstand. Ein Wiedereinstellungsversprechen kann als Abschlussnorm grundsätzlich zulässiger Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein (vgl. BAG 19. Oktober 2005 - 7 AZR 32/05 - zu II 2 der Gründe, AP BetrVG 1972 § 77 Betriebsvereinbarung Nr. 26 = EzA BetrVG 2001 § 77 Nr. 13; vgl. ferner auch 5. Juli 1984 - 2 AZR 246/83 - ohne ausdrückliche Problematisierung bei einem Wiedereinstellungsanspruch aus einem Sozialplan; grds. aA Diehn Rückkehrzusagen beim Betriebsübergang S. 49 ff.).

38

(aa) Die Argumentation der Revision, eine entsprechende Regelungsbefugnis könne nicht auf § 88 BetrVG gestützt werden, vernachlässigt, dass freiwillige Betriebsvereinbarungen nicht auf die dort ausdrücklich genannten Gegenstände beschränkt sind, sondern - wie sich aus dem Wort „insbesondere“ ergibt - auch über andere Gegenstände möglich sein sollen. Außerdem zeigt die Regelung in § 77 Abs. 3 Satz 1 und Satz 2 BetrVG, dass der Gesetzgeber dort, wo die Tarifvertragsparteien ihre Befugnis zur Regelung von Arbeitsbedingungen nicht wahrnehmen, von einer Regelungskompetenz der Betriebsparteien ausgeht(vgl. näher BAG 12. Dezember 20061 AZR 96/06 - Rn. 14, BAGE 120, 308).

39

(bb) Auch der Verweis der Revision, den Betriebsparteien käme keine auf den Abschluss eines Arbeitsvertrags gerichtete Normsetzungsbefugnis zu, weil Regelungen zum Arbeitsverhältnis ein solches begriffsnotwendig voraussetzten, geht fehl. Bei Wiedereinstellungsbestimmungen, die - wie im vorliegenden Streitfall - Arbeitnehmer betreffen, die (noch) in einem Arbeitsverhältnis stehen, treffen die Betriebsparteien Regelungen zu diesen Arbeitsverhältnissen. Die von der Beklagten angeführten Legitimationsprobleme bestehen daher nicht.

40

(cc) Der Regelungsgegenstand unterliegt der sachlich-funktionellen Zuständigkeit des Betriebsrats. Es ist erforderlich, aber auch ausreichend, dass er sich auf den Betrieb und auf die Interessen der vom Betriebsrat vertretenen Arbeitnehmer bezieht (vgl. BAG 19. Oktober 2005 - 7 AZR 32/05 - zu II 2 der Gründe, AP BetrVG 1972 § 77 Betriebsvereinbarung Nr. 26 = EzA BetrVG 2001 § 77 Nr. 13). Dies ist vorliegend der Fall. Bei Abschluss der JVR 1986 waren die von ihrer Ziffer 15 erfassten Arbeitnehmer (noch) vom Betriebsrat repräsentiert. Die Vorschrift richtet sich nicht an eine „betriebsfremde Belegschaft“. Die Bestimmung in der Betriebsvereinbarung regelt damit nicht in unzulässiger Weise eine Arbeitsbedingung in einem Betrieb eines anderen Arbeitgebers, für deren Gestaltung der Betriebsrat nicht sachlich legitimiert wäre. Sie knüpft zwar - hinsichtlich der aufschiebenden Bedingung des Wegfalls einer Weiterbeschäftigungsmöglichkeit innerhalb der „neuen Gesellschaft“ aus betrieblichen Gründen - an einen Sachverhalt an, der sich bei einer anderen Gesellschaft stellt. Die Rechtsfolge der Verpflichtung zur (Wieder-)Begründung des Arbeitsverhältnisses betrifft aber allein die Beklagte. Dies unterfällt der Regelungskompetenz des bei ihr bestehenden Betriebsrats. Die Rückkehrklausel regelt keinen Erwerbertatbestand, sondern einen den Betriebsteilveräußerer - die Beklagte - anbelangenden Sachverhalt.

41

(2) Eine etwaige Unwirksamkeit anderer Bestimmungen in der JVR 1986 hinderte die Annahme der Wirksamkeit von deren Ziffer 15 nicht. Die teilweise Unwirksamkeit der JVR 1986 hat nicht deren Gesamtnichtigkeit zur Folge.

42

(a) Nach § 139 BGB ist ein ganzes Rechtsgeschäft nichtig, wenn nicht anzunehmen ist, dass es auch ohne den nichtigen Teil vorgenommen sein würde. Bei den nach § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG unmittelbar und zwingend wirkenden Betriebsvereinbarungen tritt die Rechtsfolge der Gesamtnichtigkeit wegen des Normencharakters allerdings nur dann ein, wenn der verbleibende Teil ohne den unwirksamen Teil keine sinnvolle und in sich geschlossene Regelung mehr darstellt(vgl. BAG 19. Februar 2008 - 1 AZR 1004/06 - Rn. 40 mwN, BAGE 125, 366).

43

(b) Selbst wenn alle anderen Bestimmungen der JVR 1986 wegfielen, stellte die Rückkehrbestimmung noch eine sinnvolle und in sich geschlossene Regelung dar. Darauf, ob die Betriebsparteien bei Kenntnis selbst einer überwiegenden Teilunwirksamkeit der JVR 1986 deren Ziffer 15 in gleicher Weise vereinbart hätten, kommt es nicht an (ähnlich im Fall eines Einigungsstellenspruchs BAG 26. August 2008 - 1 ABR 16/07 - Rn. 57, BAGE 127, 276). Es kann daher auf sich beruhen, ob andere Normen der JVR 1986 die „neue Gesellschaft“ außerhalb der Normsetzungsbefugnis der Betriebsparteien unzulässig unmittelbar verpflichten.

44

(3) Ziffer 15 der JVR 1986 ist nicht - anders als die Revision meint - wegen des Vorrangs einer tariflichen Bestimmung nach § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG unwirksam. Sie betrifft keinen Sachverhalt, der (mittlerweile) durch einen Tarifvertrag geregelt ist.

45

(a) Nach § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG können Arbeitsentgelte und sonstige Arbeitsbedingungen, die durch Tarifvertrag geregelt sind oder üblicherweise geregelt werden, nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein. Die Vorschrift gewährleistet die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie. Dazu räumt sie den Tarifvertragsparteien den Vorrang zur Regelung von Arbeitsbedingungen ein. Diese Befugnis soll nicht durch ergänzende oder abweichende Regelungen der Betriebsparteien ausgehöhlt werden können. Eine gegen die Regelungssperre des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG verstoßende Betriebsvereinbarung ist unwirksam. Etwas anderes gilt nach § 77 Abs. 3 Satz 2 BetrVG dann, wenn der Tarifvertrag den Abschluss ergänzender Betriebsvereinbarungen ausdrücklich zulässt(vgl. zB BAG 29. April 2004 - 1 ABR 30/02 - zu B II 2 a der Gründe mwN, BAGE 110, 252).

46

(b) Hiernach verstößt Ziffer 15 der JVR 1986 nicht gegen die Regelungssperre des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG. Gegenstand der Betriebsvereinbarungsbestimmung ist keine durch den Manteltarifvertrag Bergbau, Chemie, Energie vom 24. Juni 1992 - zuletzt in der Fassung vom 16. März 2009 - (MTV) geregelte Arbeitsbedingung. Die einzig in Betracht kommende Bestimmung nach § 13 Abschn. VI Ziff. 1 des MTV lautet:

        

„Wiedereinstellung und betriebsbedingte Umsetzungen

        

Aus betriebsbedingten Gründen entlassene Arbeitnehmer, die länger als 12 Monate dem Betrieb angehört haben und deren Entlassung nicht mehr als 12 Monate zurückliegt, werden im Falle der Neubesetzung von für sie geeigneten Arbeitsplätzen bevorzugt wieder eingestellt.

        

Kommen mehr entlassene Arbeitnehmer in Betracht, als Arbeitsplätze wieder zur Verfügung stehen, hat der Arbeitgeber unter Beachtung des Mitbestimmungsrechtes des Betriebsrates gemäß § 99 BetrVG eine sachgerechte Auswahl zu treffen.“

47

Damit regelt § 13 Abschn. VI Ziff. 1 MTV nach seinem unmissverständlichen Wortlaut sowie seinem Sinn und Zweck zwar auch einen Wiedereinstellungsanspruch. Dieser ist aber von vornherein auf eine andere Sachmaterie bezogen als die von Ziffer 15 der JVR 1986 geregelte. Während § 13 Abschn. VI Ziff. 1 MTV eine Wiedereinstellung im Zusammenhang mit betriebsbedingten Kündigungen vorsieht, legt die Betriebsvereinbarungsbestimmung einen solchen im Zusammenhang mit einem bevorstehenden Übergang von Arbeitsverhältnissen auf eine „andere Gesellschaft“ fest. Tarifnorm und Betriebsvereinbarungsregel ordnen damit zwar die gleiche Rechtsfolge an, regeln aber nicht die gleichen Sachverhalte.

48

b) Das Ausscheiden der C I GmbH aus dem Konzernverbund der Beklagten beendete das aufschiebend bedingte Rückkehrrecht nicht. Wie die gebotene Auslegung ergibt, ist die „Garantie eines Rückkehrrechts“ nach Ziffer 15 der JVR 1986 nicht für die Zeit der Zugehörigkeit der C I GmbH zum Konzernverbund der Beklagten befristet.

49

aa) Betriebsvereinbarungen sind wegen ihres normativen Charakters wie Tarifverträge und Gesetze auszulegen. Auszugehen ist danach vom Wortlaut der Bestimmung und dem durch ihn vermittelten Wortsinn. Insbesondere bei unbestimmtem Wortsinn sind der wirkliche Wille der Betriebsparteien und der von ihnen beabsichtigte Zweck zu berücksichtigen, sofern und soweit sie im Text ihren Niederschlag gefunden haben. Abzustellen ist ferner auf den Gesamtzusammenhang und die Systematik der Regelungen. Im Zweifel gebührt derjenigen Auslegung der Vorzug, die zu einem sachgerechten, zweckorientierten, praktisch brauchbaren und gesetzeskonformen Verständnis der Bestimmung führt (vgl. zB BAG 27. Juli 2010 - 1 AZR 67/09 - Rn. 9, AP BetrVG 1972 § 77 Betriebsvereinbarung Nr. 52 = EzA BetrVG 2001 § 77 Nr. 31).

50

bb) Hiernach steht die Geltung der Rückkehrzusage nicht unter dem Vorbehalt einer Zugehörigkeit der „neuen Gesellschaft“ zum Konzernverbund der Beklagten. Dies hat das Landesarbeitsgericht richtig erkannt.

51

(1) Der Wortlaut von Ziffer 15 der JVR 1986 gibt keine Anhaltspunkte für eine solche Annahme. Das Rückkehrrecht bezieht sich auf die in die „neue Gesellschaft“ überwechselnden Mitarbeiter. Andere Voraussetzungen oder Bedingungen als der Wegfall einer Weiterbeschäftigungsmöglichkeit aus betrieblichen Gründen in dieser „neuen Gesellschaft“ sind nicht explizit ausgedrückt.

52

(2) Der Gesamtzusammenhang und die Regelungssystematik deuten nicht zwingend darauf, das Rückkehrrecht zur Beklagten auf die Zeit der Zugehörigkeit der „neuen Gesellschaft“ zum B-Konzern zu beschränken. Die JVR 1986 enthält zahlreiche Bestimmungen, die - ungeachtet ihrer jeweiligen kollektiv-rechtlichen Wirksamkeit - die Beibehaltung der bisher bei der Beklagten geltenden Arbeitsbedingungen einschließlich deren Verschlechterungen und Vergünstigungen zeitlich nicht begrenzen. Damit unterscheidet sich die JVR 1986 von der gleichfalls ein Rückkehrrecht beinhaltenden Betriebsvereinbarung, die von der Beklagten mit den zuständigen Betriebsräten am 4. Dezember 1990 anlässlich der Ausgliederung ihrer Magnetproduktaktivitäten in ein Tochterunternehmen geschlossen worden ist und die der Entscheidung des Senats vom 19. Oktober 2005 zugrunde lag (- 7 AZR 32/05 - [Magnetic] AP BetrVG 1972 § 77 Betriebsvereinbarung Nr. 26 = EzA BetrVG 2001 § 77 Nr. 13). Zwar sind die Geltung der „Erhöhung der WSZ bei Tarifmitarbeitern“ nach Ziffer 7 c) bb) erster Punkt der JVR 1986 und die Jahresprämienbestimmung nach Ziffer 7 c) ee) in zeitlicher Hinsicht ebenso limitiert wie die Beteiligung der zur „neuen Gesellschaft“ gewechselten Mitarbeiter an internen Stellenausschreibungen der Beklagten nach Ziffer 11 der JVR 1986. Die in Ziffer 7 c) aa) der JVR 1986 vorgesehene Fortgeltung von bei der Beklagten bestehenden Betriebsvereinbarungen einschließlich deren späteren Verbesserungen oder Verschlechterungen enthält aber keine zeitlich beschriebene „Veränderungsgrenze“. Auch die entsprechende Anwendung anderer bei der Beklagten geltender kollektiver Regelungen ist unbeschränkt niedergelegt. Den weiter geregelten Möglichkeiten der Inanspruchnahme von unternehmens- und konzernbezogenen Sozialeinrichtungen und Leistungen mag die Vorstellung eines Verbleibs der C I GmbH in der B-Gruppe zugrunde liegen, was jedenfalls in Ziffer 11 Satz 2 der JVR 1986 auch seinen sprachlichen Niederschlag gefunden hat („Regeln für Inlandsgruppengesellschaften“). Notwendig erscheint diese Annahme aber nicht. Augenscheinlich haben die Betriebspartner in dem Wissen darum, dass es sich bei der Gesellschaft, in die das Geschäftsfeld der kompatiblen Großcomputer und Peripheriesysteme zum 1. Januar 1987 ausgegliedert worden ist, um ein Joint Venture mit der S AG handelte, den wechselnden Arbeitnehmern das bei der Beklagten bestehende Niveau der Arbeitsbedingungen sichern wollen. Ein alleiniger Einfluss der Beklagten auf die C I GmbH war bereits bei Abschluss der JVR 1986 ausgeschlossen. Dies kann dafür sprechen, dass die in der JVR 1986 geregelten Leistungen für die wechselnden Arbeitnehmer - ungeachtet ihrer Wirksamkeit und Durchsetzbarkeit - nach der Vorstellung der Betriebspartner nur so lange gelten sollten, wie die Beklagte überhaupt eine Einflussmöglichkeit auf die C I GmbH als konzernzugehöriges Unternehmen hat. Selbst wenn dies der Fall gewesen sein sollte, muss eine ggf. anzunehmende konzernzugehörigkeitsbegrenzte Reichweite der geregelten Leistungen aber nicht auch für die Rückkehrzusage gelten.

53

cc) Sinn und Zweck des in Ziffer 15 der JVR 1986 geregelten Rückkehrrechts sprechen deutlich dafür, dieses nicht unter dem ungeschriebenen Vorbehalt eines Verbleibs der „neuen Gesellschaft“ in der B-Gruppe zu verstehen. Die Betriebspartner haben die Konditionen eines Wechsels von Arbeitnehmern zu einer anderen Vertragsarbeitgeberin festgelegt, vor allem aber den Ausgleich der Nachteile geregelt, die den überwechselnden Arbeitnehmern durch die Ausgliederung des Geschäftsfelds der kompatiblen Großcomputer und Peripheriesysteme ggf. entstehen können. Die Ausgleichsnotwendigkeit ist durch den Wegfall des Arbeitsplatzes der betroffenen Arbeitnehmer bei der Beklagten veranlasst. Entscheidend ist weniger die Kompensation von Nachteilen wegen eines Wechsels zu einer ganz bestimmten (konzernzugehörigen) Arbeitgeberin, sondern wegen der Nichtfortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit der Beklagten. Hierfür haben die Betriebspartner ein Äquivalent in der Form einer Wiedereinstellungszusicherung geschaffen und die Bedingung hierfür folgerichtig allein an das Fehlen einer Weiterbeschäftigungsmöglichkeit aus betrieblichen Gründen innerhalb der „neuen Gesellschaft“ geknüpft. Gegen den ungeschriebenen Vorbehalt eines Verbleibs der „neuen Gesellschaft“ in der B-Gruppe spricht auch, dass es anderenfalls die Beklagte als beherrschendes Unternehmen weitgehend in der Hand hätte, allein durch die Veräußerung ihrer Gesellschaftsanteile die Rückkehransprüche der begünstigten Arbeitnehmer kompensationslos zu beseitigen. Deren Rechtspositionen könnten von der Konzernmutter der Beklagten durch einseitige Maßnahmen ersatzlos entwertet werden. Anderes würde nur dann gelten, wenn in einem solchen Fall des Ausscheidens aus der B-Gruppe der Eintritt einer aufschiebenden Bedingung des Rückkehrrechts gelegen und dieses somit - bereits - zu diesem Zeitpunkt entstanden wäre. So kann Ziffer 15 der JVR 1986 aber nicht verstanden werden. Auch die Beklagte beruft sich nicht auf eine derartige Deutung. Bei einem ungeschriebenen Vorbehalt der Verbleibs der „neuen Gesellschaft“ in der B-Gruppe bliebe schließlich völlig unklar, ob ein solcher Verbleib bereits mit dem Verlust der Mehrheitsanteile und der Beendigung des Konzernverhältnisses oder erst mit der Aufgabe jeglicher Beteiligung an der „neuen Gesellschaft“ endete. Auch dies spricht gegen einen derartigen ungeschriebenen Vorbehalt.

54

c) Das für den Kläger geltende Rückkehrrecht endete nicht mit dem Wechsel seines Arbeitsverhältnisses zur C GmbH, auf die die C I GmbH mit Wirkung zum 1. Februar 2004 verschmolzen ist.

55

aa) Ob sich das Rückkehrrecht der zu der C I GmbH gewechselten Arbeitnehmer bereits nach Ziffer 15 der JVR 1986 sachlich auch auf den Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit bei einem Rechtsnachfolger dieser „neuen Gesellschaft“ erstreckt, kann offenbleiben. Es erscheint einerseits klar, dass die Betriebspartner mit „neuer Gesellschaft“ allein die C I GmbH gemeint haben. Der Ausdruck wurde nur deshalb gewählt, weil die Firmenbezeichnung des Joint Venture im Zeitpunkt des Abschlusses der JVR 1986 noch nicht feststand. Der das Rückkehrrecht auslösende Wegfall der Weiterbeschäftigung aus betrieblichen Gründen „innerhalb der neuen Gesellschaft“ mag daher allein auf einen solchen bei der C I GmbH - und nicht bei rechtsnachfolgenden Gesellschaften - verstanden werden können. Andererseits deutet der bereits dargestellte Zweck des Rückkehrrechts darauf, dass mit ihm weniger der Nachteil wegen des Wechsels der betroffenen Arbeitnehmer zu der „neuen Gesellschaft“ als einem ganz bestimmten Betriebsteilerwerber ausgeglichen werden sollte, sondern es um eine Kompensation dafür ging, die Beklagte als „sichere“ Arbeitgeberin zu verlieren. Die Betriebsparteien bezweckten die Absicherung der ehemaligen Mitarbeiter der Beklagten für den Fall eines späteren Verlustes ihres (neuen) Arbeitsplatzes aus betrieblichen Gründen. Das Rückkehrrecht kann daher so verstanden werden, dass es sich auch auf die fehlende Beschäftigungsmöglichkeit bei einem anderen Rechtsträger erstreckt, auf die die Arbeitsverhältnisse der vormaligen Mitarbeiter der Beklagten infolge von betrieblichen und gesellschaftsrechtlichen Umstrukturierungen der „neuen Gesellschaft“ mittlerweile übergegangen sind. Ein solches Verständnis erscheint jedenfalls bei einer gesellschaftsrechtlichen Umwandlung der „neuen Gesellschaft“, die keine Widerspruchsmöglichkeit für die Arbeitnehmer nach § 613a Abs. 6 BGB gegen den Übergang oder den Wechsel ihrer Arbeitsverhältnisse auf eine „andere Gesellschaft“ aufgrund einer Gesamtrechtsnachfolge eröffnet, naheliegend. Dies ist der Fall, wenn - wie vorliegend im Zuge der Verschmelzung der C I GmbH auf die C GmbH - der bisherige Rechtsträger erlischt (vgl. zum Nichtbestehen eines Widerspruchsrechts ausf. BAG 21. Februar 2008 - 8 AZR 157/07 - Rn. 18 ff., BAGE 126, 105). Der betroffene Arbeitnehmer kann bei solch einer Konstellation den Übergang seines Arbeitsverhältnisses nicht verhindern. Er würde also allein durch umwandlungsrechtliche Maßnahmen auf Seiten seines Arbeitgebers, die er nicht beeinflussen und deren Rechtsfolgen er nicht abwenden kann, ersatzlos eine wesentliche, ihm günstige Rechtsposition verlieren. Die Frage kann vorliegend jedoch letztlich dahinstehen.

56

bb) Der Kläger hat jedenfalls aufgrund des Schreibens der Beklagten vom 12. Dezember 2003 auch nach seinem Wechsel zur C GmbH gegenüber der Beklagten ein individualrechtlich versprochenes Rückkehrrecht entsprechend der Ziffer 15 der JVR 1986. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht in diesem Schreiben eine Zusage der Weitergeltung der Rückkehrmöglichkeit auch bei einem Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit aus betrieblichen Gründen bei der C GmbH gesehen.

57

(1) Es kann dahinstehen, ob, wofür vieles spricht, das Schreiben vom 12. Dezember 2003 typische Erklärungen beinhaltet, deren Auslegung durch das Revisionsgericht uneingeschränkt kontrollierbar ist - auch hinsichtlich der Frage, ob mit ihnen überhaupt eine rechtsgeschäftliche Bindung eingegangen werden soll - (vgl. dazu zB BAG 29. September 2010 -  3 AZR 546/08 - Rn. 17 mwN, AP BetrAVG § 9 Nr. 23 ), oder ob eine nichttypische Regelung vorliegt, deren Auslegung durch die Tatsachengerichte in der Revisionsinstanz nur darauf überprüfbar ist, ob sie gegen gesetzliche Auslegungsregeln, anerkannte Auslegungsgrundsätze, Denkgesetze, Erfahrungssätze oder Verfahrensvorschriften verstößt oder wesentliche Umstände unberücksichtigt lässt und ob sie rechtlich möglich ist (vgl. dazu zB BAG 23. Mai 2007 - 10 AZR 29/07 - Rn. 16 mwN). Die Auslegung des Schreibens durch das Landesarbeitsgericht hielte auch einer uneingeschränkten revisionsrechtlichen Prüfung stand.

58

(2) Das Schreiben der Beklagten vom 12. Dezember 2003 ist nicht lediglich eine Wissenserklärung ohne rechtliche Bindung.

59

(a) Willenserklärungen sind nach §§ 133, 157 BGB so auszulegen, wie sie der Empfänger aufgrund des aus der Erklärung erkennbaren Willens unter Berücksichtigung der Verkehrssitte und der Grundsätze von Treu und Glauben(§ 242 BGB) und unter Berücksichtigung aller ihm bekannten Begleitumstände vernünftigerweise verstehen durfte. Ob der Erklärende einen entsprechenden Geschäftswillen hat, ist für den Eintritt der Wirkung einer Willenserklärung im Rechtsverkehr nicht ausschlaggebend. Maßgeblich ist vielmehr, ob der Empfänger aus einem bestimmten Erklärungsverhalten auf einen Bindungswillen schließen durfte. Erforderlich ist weiterhin, dass der Erklärende bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte erkennen und vermeiden können, dass sein Verhalten als Willenserklärung aufgefasst werden konnte, und dass der Erklärungsempfänger es tatsächlich so verstanden hat (vgl. BAG 17. Juni 2003 - 3 AZR 462/02 - zu III 1 der Gründe mwN, EzA BetrAVG § 2 Nr. 20).

60

(b) Die Beklagte hat sich gegenüber dem Kläger - wie auch gegenüber den anderen ehemaligen Mitarbeitern - dahingehend geäußert, dass „eine nach Maßgabe von Ziffer 15 der Joint-Venture-Regelung etwa begründete Rechtsposition“ von der Verschmelzungsmaßnahme „unberührt“ bleibe. Die Formulierung „unberührt bleibt“ lässt aus der Sicht des Klägers - wie auch der anderen Empfänger dieses Schreibens - auf einen Verpflichtungswillen der Beklagten dahingehend schließen, dass jedenfalls dann, wenn der betroffene Mitarbeiter dem aufschiebend bedingten Rückkehrrecht nach Ziffer 15 der JVR 1986 unterfällt, dieses nicht wegen der gesellschaftsrechtlichen Umwandlung der C I GmbH und des damit verbundenen Wechsels der Arbeitgeberin beseitigt sein soll. Hierfür sprechen auch die Begleitumstände des Erklärungsverhaltens der Beklagten, die sich auf Anfrage der C I GmbH in persönlichen Einzelschreiben an ihre ehemaligen Arbeitnehmer gewandt und die Nichtrelevanz der geplanten Verschmelzung für eine auf der Grundlage der Ziffer 15 der JVR 1986 „etwa begründete Rechtsposition“ „bestätigt“ hat, ohne dass es auf die vom Landesarbeitsgericht angeführte und von der Beklagten in Abrede gestellte Motivation für dieses Schreiben (Verhinderung des - ohnehin nicht gegebenen - Widerspruchs gegen den Übergang des Arbeitsverhältnisses) ankäme. Die Betroffenen - also ua. der Kläger - konnten das Schreiben nur so verstehen, dass die Beklagte zwar kein von den Voraussetzungen nach Ziffer 15 der JVR 1986 unabhängiges Rückkehrrecht zusichern wollte, der Wechsel ihres Arbeitsverhältnisses zu der C GmbH diesem aber nicht entgegenstehen soll. Das aufschiebend bedingte Recht einer Rückkehr, das der Kläger in diesem Zeitpunkt immer noch innehatte, war somit nicht wegen der gesellschaftsrechtlichen Umstrukturierung erloschen.

61

d) Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht weiter angenommen, dass die Beklagte an ihre Zusage vom 12. Dezember 2003 gebunden ist. Mit der „Versetzung“ des Klägers - es handelte sich wohl eher um einen Übergang seines Arbeitsverhältnisses - zu der C R GmbH & Co. KG hat die Geltungsdauer des Rückkehrrechts nicht geendet. Die Beklagte hat in diesem Zusammenhang dem Kläger gegenüber mit Schreiben vom 10. Februar 2005 erklärt, dass die „nach Maßgabe von Ziffer 15 der Joint-Venture-Regelung etwa begründete Rechtsposition von der Versetzung unberührt“ bleibe. Auch diese Erklärung beinhaltet eine bindende Zusage dahingehend, den Status als „Rückkehrberechtigten“ trotz eines Wechsels in ausgegliederte Regionalgesellschaften zu sichern. Ist - wie beim Kläger - eine Rechtsposition begründet, sollte nach dem verlautbarten Willen der Beklagten die „Versetzung“ zu einer anderen Gesellschaft den Anspruch auf eine Rückkehr zu ihr nicht tangieren.

62

e) Schließlich bewirkte der (Rück-)Wechsel des Klägers zur C GmbH keinen Untergang des Rückkehrrechts. Hinsichtlich dieser Gesellschaft war dem Kläger mit Schreiben vom 12. Dezember 2003 versprochen, dass eine nach Ziffer 15 der JVR 1986 „etwa begründete“ Rechtsposition (die der Kläger tatsächlich noch innehatte) erhalten bleibt.

63

f) Die Voraussetzungen für den Rückkehranspruch liegen vor. Dessen aufschiebende Bedingung ist eingetreten. Eine Weiterbeschäftigung des Klägers bei der C GmbH ist aus betrieblichen Gründen nicht möglich. Deren Betrieb ist stillgelegt. Die Rückkehrbestimmung ist entgegen der Auffassung der Beklagten nicht so zu interpretieren, dass sie nur bei einer rechtswirksamen betriebsbedingten Kündigung greift. Der Wiedereinstellungsanspruch setzt nur die Unmöglichkeit einer Weiterbeschäftigung aus betrieblichen Gründen voraus. Weder Wortlaut, Systematik noch Sinn und Zweck der Regelung enthalten Anhaltspunkte dafür, dass die Wirksamkeit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit der „neuen Gesellschaft“ den Anforderungen nach § 1 Abs. 2 und Abs. 3 KSchG entsprechen - und ggf. sogar einer gerichtlichen Prüfung unterzogen sein - muss. In einem solchen Verständnis hielte das Rückkehrrecht im Übrigen auch der Binnenschranke einer Verhältnismäßigkeitskontrolle nicht stand. Es handelte sich um eine dem Arbeitnehmer unzumutbare, mit § 75 Abs. 1 BetrVG unvereinbare Bedingung(vgl. BAG 22. November 2005 - 1 AZR 458/04 - Rn. 28, AP BetrVG 1972 § 112 Nr. 176 = EzA BetrVG 2001 § 112 Nr. 15; 22. Juli 2003 - 1 AZR 575/02 - zu III 1 der Gründe, BAGE 107, 100; zur Angemessenheitskontrolle einer einzelvertraglichen Wiedereinstellungszusage in vorformulierten Vertragsbedingungen vgl. BAG 9. Februar 2011 - 7 AZR 91/10 - Rn. 44 ff., AP BGB § 307 Nr. 52 = EzA BGB 2002 § 311a Nr. 2).

64

g) Die von der Beklagten geltend gemachte Unmöglichkeit einer Beschäftigung des Klägers zu den Konditionen des begehrten Arbeitsvertrags steht dem auf die Abgabe einer Willenserklärung gerichteten Klageanspruch nicht entgegen. Mit Rechtskraft der den Vertrag begründenden Annahmeerklärung steht der Vertragsmindestinhalt fest; die Abgabe einer solchen Erklärung ist der Beklagten nicht unmöglich. Allenfalls der - in der Revisionsinstanz nicht (mehr) streitgegenständlichen - Beschäftigungsverpflichtung könnte die Beklagte mit dem Unmöglichkeitseinwand begegnen.

65

C. Die Kostenentscheidung beruht für die Zeit bis zur Rücknahme der Revision des Klägers auf § 91 Abs. 1, § 97 Abs. 1, § 565 iVm. § 516 Abs. 3 Satz 1 ZPO, im Übrigen auf § 97 Abs. 1 ZPO.

        

    Linsenmaier    

        

    Kiel    

        

    Schmidt    

        

        

        

    Günther Metzinger    

        

    Willms    

                 

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats wird der Beschluss des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 13. Mai 2008 - 4 TaBV 4/08 - aufgehoben. Die Beschwerde der Arbeitgeberin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 11. Oktober 2007 - 11 BV 232/07 - wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Tenor des Arbeitsgerichts zu Ziffer 1, wie folgt neu gefasst wird:

Der Arbeitgeberin wird es für jeden Fall der Zuwiderhandlung unter Androhung eines Ordnungsgeldes in Höhe von bis zu 10.000,00 Euro untersagt, Arbeitnehmer in einer anderen Filiale ohne vorherige Beteiligung des Betriebsrats zu beschäftigen, wenn der Einsatz voraussichtlich die Zeitdauer von einem Monat überschreiten soll, es sei denn, die Arbeitgeberin macht sachliche Gründe, die eine solche Maßnahme dringend erforderlich machen, geltend und leitet, falls der Betriebsrat dies bestreitet, hiernach innerhalb von drei Tagen das arbeitsgerichtliche Verfahren nach § 100 BetrVG ein.

Gründe

1

A. Die Beteiligten streiten über einen Anspruch auf Unterlassung bestimmter personeller Einzelmaßnahmen.

2

Die Arbeitgeberin erbringt Finanzdienstleistungen. Antragsteller ist der aufgrund eines Zuordnungstarifvertrags für den Regionalbetrieb F gebildete Betriebsrat. Dieser leitete seit Ende 2004 beim Arbeitsgericht Frankfurt am Main eine Vielzahl von Beschlussverfahren ein, in denen er jeweils von der Arbeitgeberin die Unterlassung von mitbestimmungswidrig durchgeführten Versetzungen verlangte. Die Beteiligten schlossen zwischen dem 3. Mai 2005 und dem 24. Oktober 2005 in elf Beschlussverfahren gerichtliche Vergleiche. In diesen räumte die Arbeitgeberin eine Verletzung des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats bei Versetzungen nach §§ 99 f. BetrVG ein und/oder erklärte, das Mitbestimmungsrecht in Zukunft wahren zu wollen. Der Betriebsrat leitete bis Anfang 2006 aufgrund weiterer Anlassfälle aus dem Jahr 2005 insgesamt zehn Verfahren ein, in denen er die künftige Unterlassung von mitbestimmungswidrig vorgenommenen Versetzungen beantragte. Diese Verfahren wurden - wie zwei andere Verfahren aus dem Jahr 2007 - nach der Verkündung der erstinstanzlichen Entscheidung im vorliegenden Verfahren ausgesetzt.

3

Die Arbeitgeberin beantragte am 21. März 2005 die Zustimmung des Betriebsrats zu einer vom 21. März 2005 bis zum 30. Juni 2005 befristeten Versetzung der Arbeitnehmerin K von der Filiale Ka in die Filiale G. Diesem Antrag stimmte der Betriebsrat nur für die Zeit bis zum 19. Juni 2005 zu. Die Arbeitgeberin beschäftigte Frau K über den 30. Juni 2005 hinaus zunächst in der Filiale G weiter. In der Zeit vom 22. bis zum 28. August 2005 war Frau K in der Filiale L tätig. Mit Schreiben vom 30. August 2005 beantragte die Arbeitgeberin die Zustimmung des Betriebsrats für den Einsatz von Frau K in der Filiale G für die Zeit vom 20. Juni 2005 bis zum 31. Oktober 2005. Diesem Antrag stimmte der Betriebsrat zu und leitete anschließend erneut ein Beschlussverfahren mit dem Ziel ein, die Arbeitgeberin zukünftig zur Unterlassung von mitbestimmungswidrig vorgenommenen Versetzungen anzuhalten. In der Antragsschrift stützte er sein Begehren auf seine unterbliebene Beteiligung bei dem Einsatz von Frau K in der Filiale L. Das Arbeitsgericht Frankfurt am Main wies den Unterlassungsantrag durch Beschluss vom 4. April 2007 (- 22 BV 984/05 -) als unbegründet zurück. Die hiergegen eingelegte Beschwerde des Betriebsrats nahm dieser mit Schriftsatz vom 4. Februar 2008 zurück.

4

Die zuständige Filialgebietsleitung D beabsichtigte Anfang März 2007 einen „Ringtausch“ der in ihren Filialen in N, Dr und H eingesetzten Beamten B und La sowie der Arbeitnehmerin K vorzunehmen. Anlass hierfür war, dass sich Herr B mit der Führung der Masterkasse in der Filiale N überfordert fühlte und auf seine Umsetzung drängte. Herr B sollte zunächst vom 1. April 2007 bis zum 30. Juni 2007 in der Filiale H eingesetzt werden und Frau Ko von H nach Dr sowie Frau La von Dr nach N umgesetzt werden.

5

Die Filialgebietsleitung D unterrichtete die Personalabteilung der Arbeitgeberin am 12. März 2007 über den beabsichtigten Wechsel der Einsatzfilialen. Da der Antrag nach Ansicht der Personalabteilung in der nächsten turnusmäßigen Betriebsratssitzung nicht mehr behandelt werden konnte, sollten die Maßnahmen nach der Betriebsratsvorlage vom 14. März 2007 erst ab dem 16. April 2007 vorgenommen werden. Tatsächlich führte sie der zuständige Regionalgebietsleiter Bi bereits am 19. März 2007 durch.

6

Der Betriebsrat hat - soweit für das Rechtsbeschwerdeverfahren noch von Bedeutung - zuletzt beantragt,

        

der Arbeitgeberin unter Androhung eines Ordnungsgeldes in Höhe von bis zu 10.000,00 Euro für jeden Fall der Zuwiderhandlung aufzugeben, es zu unterlassen ohne vorherige erteilte, als erteilt geltende oder gerichtlich ersetzte Zustimmung des Betriebsrats Versetzungen von Mitarbeitern der Arbeitgeberin von einer Filiale zu einer anderen Filiale vorzunehmen, es sei denn, die Arbeitgeberin macht sachliche Gründe, die eine Versetzung dringend erforderlich machen, geltend und leitet, falls der Betriebsrat dies bestreitet, hiernach innerhalb von drei Tagen das arbeitsgerichtliche Verfahren nach § 100 BetrVG ein.

7

Die Arbeitgeberin hat beantragt, den Antrag abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, aufgrund der von Herrn B geäußerten dringenden Bitte nach einer Umsetzung habe aus Sicht des Regionalgebietsleiters ein Notfall vorgelegen, der zum Wegfall der Beteiligungspflicht nach § 99 BetrVG geführt habe.

8

Das Arbeitsgericht hat dem Unterlassungsantrag des Betriebsrats entsprochen. Das Landesarbeitsgericht hat ihn abgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt der Betriebsrat seinen Unterlassungsantrag weiter.

9

B. Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat den allein noch anhängigen Unterlassungsantrag des Betriebsrats zu Unrecht abgewiesen. Der Betriebsrat kann verlangen, dass es die Arbeitgeberin unterlässt, ohne seine vorherige Beteiligung Arbeitnehmer in einer anderen Filiale zu beschäftigen, wenn deren Einsatz voraussichtlich die Zeitdauer von einem Monat überschreiten soll und die Voraussetzungen für die vorläufige Durchführung nach § 100 BetrVG nicht vorliegen.

10

I. Der Antrag ist zulässig.

11

1. Der Antrag bedarf der Auslegung.

12

Nach seinem Wortlaut ist er darauf gerichtet, dass es die Arbeitgeberin unter den im Antrag genannten Bedingungen unterlassen soll, Arbeitnehmer von einer Filiale zu einer anderen Filiale zu versetzen. Damit würden auch solche personelle Maßnahmen erfasst werden, bei denen die Arbeitgeberin ein Zustimmungsverfahren nach § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG eingeleitet hat und bei denen der Wechsel der Einsatzfiliale die Dauer von einem Monat voraussichtlich nicht überschreiten soll. Ein solches Antragsverständnis würde dem Begehren des Betriebsrats jedoch nicht gerecht. Dieser hat sich zur Begründung seines Antrags auf seine unterbliebene Beteiligung bei den gegenüber den Mitarbeitern B, Ko und La ab dem 19. März 2007 durchgeführten personellen Maßnahmen berufen. Diese waren dadurch gekennzeichnet, dass die genannten Beschäftigten ohne vorherige Zustimmung des Betriebsrats für einen Zeitraum von mehr als einen Monat in einer anderen Filiale beschäftigt werden sollten. Nach der vom Betriebsrat angeführten Anlasshandlung war sein Antragsziel daher von vornherein auf eine Verurteilung der Arbeitgeberin beschränkt, die es ihr untersagt, eine solche personelle Maßnahme ohne seine vorherige Beteiligung durchzuführen, sofern die Voraussetzungen nach § 100 BetrVG nicht vorliegen. Dies hat der Betriebsrat in der Anhörung vor dem Senat ausdrücklich klargestellt.

13

2. Mit diesem Inhalt ist der Antrag hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO und ggf. vollstreckungsfähig gem. § 85 Abs. 1 Satz 1, Satz 3 ArbGG iVm. § 888 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Bei einer dem Antrag stattgebenden Entscheidung kann die Arbeitgeberin eindeutig erkennen, welcher Handlungen sie sich enthalten soll und wann sie wegen eines Verstoßes mit der Verhängung eines Ordnungsgeldes rechnen muss.

14

3. Entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts steht dem Antrag der Einwand der Rechtskraft nicht entgegen.

15

a) Nach dem auch im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren anwendbaren § 322 Abs. 1 ZPO sind Beschlüsse der Rechtskraft fähig, soweit über den durch den Antrag erhobenen Anspruch entschieden ist (BAG 6. Juni 2000 - 1 ABR 21/99 - zu B II 1 der Gründe mwN, BAGE 95, 47). Die materielle Rechtskraftwirkung solcher Beschlüsse hindert grundsätzlich, dass bei Identität der Beteiligten und des Sachverhalts die bereits rechtskräftig entschiedene Frage den Gerichten zur erneuten Entscheidung unterbreitet werden kann. Der Begriff des Anspruchs in § 322 Abs. 1 ZPO bezeichnet den prozessualen Anspruch im Sinne der Streitgegenstandslehre. Die objektiven Grenzen der Rechtskraft des Entscheidungsgegenstandes werden durch den Streitgegenstand des vorangehenden Verfahrens bestimmt (BAG 20. März 1996 - 7 ABR 41/95 - zu B II 2 der Gründe, BAGE 82, 291). Dieser richtet sich nach dem zur Entscheidung gestellten Antrag (Klageziel) und dem zugehörigen Lebenssachverhalt (Klagegrund), aus dem die begehrte Rechtsfolge hergeleitet wird (BAG 1. Februar 1983 - 1 ABR 33/78 - zu B II 1 der Gründe, BAGE 41, 316). Zur Rechtskraftwirkung gehört auch die Präklusion der im vorangegangenen Verfahren vorgetragenen Tatsachen. Diese erstreckt sich auch auf die dort nicht vorgetragenen Tatsachen, sofern diese nicht erst nach Schluss der Anhörung im Erstverfahren entstanden sind, sondern bei natürlicher Anschauung zu dem in diesem vorgetragenen Lebenssachverhalt gehören (BGH 19. November 2003 - VIII ZR 60/03 - BGHZ 157, 47, 51 mwN). Dabei sind Tatbestand und Entscheidungsgründe, erforderlichenfalls auch das Parteivorbringen, ergänzend heranzuziehen, wenn die Urteilsformel, wie insbesondere bei einer klageabweisenden Entscheidung, den Streitgegenstand und damit den Umfang der Rechtskraft nicht erkennen lässt (BGH 23. September 1992 - I ZR 224/90 - NJW 1993, 333, 334).

16

b) Bei einem Unterlassungsantrag besteht die begehrte Rechtsfolge in dem Verbot einer bestimmten - als rechtswidrig angegriffenen - Verhaltensweise (Verletzungsform), die der Antragsteller in seinem Antrag abstrahierend beschreiben muss. Die Rechtskraft der vorangegangenen Entscheidung wird durch den Klageantrag und die vom Antragsteller vorgetragene und vom Gericht dieser Entscheidung zugrunde gelegte Verletzungshandlung begrenzt. Diese stellt den Klagegrund dar, durch den der Streitgegenstand der Unterlassungsklage neben dem Klageziel bestimmt wird. Mehrere in das Verfahren eingeführte gleichartige Verletzungshandlungen, auf die ein Unterlassungsantrag mit einem bestimmten Antragsziel gestützt wird, bilden dabei einen einheitlichen Klagegrund. In Rechtskraft erwächst der in die Zukunft gerichtete Verbotsausspruch nicht als solcher, sondern nur in seinem Bezug auf die vom Gericht festgestellte(n) Verletzungshandlung(en) (BGH 23. Februar 2006 - I ZR 272/02 - BGHZ 166, 253, 258 ff.).

17

c) Der Streitgegenstand des Verfahrens - 22 BV 984/05 -, über den das Arbeitsgericht in seinem Beschluss vom 4. April 2007 entschieden hat, ist nicht mit dem des vorliegenden Verfahrens identisch. Der Betriebsrat kann sich daher zur Begründung seines Antrags auf seine unterbliebene Beteiligung bei den gegenüber den Beschäftigten B, Ko und La ab dem 19. März 2007 durchgeführten personellen Maßnahmen berufen, obwohl die maßgeblichen Tatsachen bereits vor der Anhörung im Verfahren - 22 BV 984/05 - entstanden sind.

18

aa) Der Betriebsrat hat seinen Unterlassungsantrag im Erstverfahren auf seine unterbliebene Beteiligung bei dem Einsatz der Arbeitnehmerin K in der Filiale L in der Zeit vom 22. bis zum 28. August 2005 gestützt. Diese Anlasshandlung war dadurch gekennzeichnet, dass die Arbeitnehmerin für einen Zeitraum von weniger als einem Monat in einer anderen Filiale beschäftigt war, ohne dass die Arbeitgeberin dafür die Zustimmung des Betriebsrats beantragt hat oder die Voraussetzungen für die vorläufige Durchführung nach § 100 BetrVG vorlagen. Der Betriebsrat hat hierin einen Verstoß gegen sein Beteiligungsrecht aus § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG gesehen, wobei er offensichtlich davon ausgegangen ist, dass der kurzfristige Einsatz in der Filiale L die Voraussetzungen des § 95 Abs. 3 Satz 1 2. Alt. BetrVG erfüllt. Sein Antragsziel in dem Verfahren - 22 BV 984/05 - war nach dem angeführten Klagegrund darauf gerichtet, der Arbeitgeberin den kurzzeitigen Einsatz von Arbeitnehmern unter den im Antrag genannten Bedingungen zu untersagen. Über diesen Streitgegenstand ist das Arbeitsgericht in seinem Beschluss vom 4. April 2007 entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts nicht hinausgegangen. In diesem hat es nicht auf ein Gesamtverhalten der Arbeitgeberin und die Gesamtzahl der gerichtsbekannten Verstöße abgestellt. Es hat vielmehr das Verhalten des Betriebsrats als widersprüchlich angesehen, der einerseits einen mehr als zweimonatigen mitbestimmungswidrigen Einsatz von Frau K in der Filiale G rückwirkend genehmigte und andererseits seinen Unterlassungsantrag auf ihre nur wenige Tage andauernde Beschäftigung in der Filiale L gestützt hat.

19

bb) Zwischen den im Verfahren - 22 BV 984/05 - und im vorliegenden Verfahren geltend gemachten prozessualen Ansprüchen bestand wegen der voneinander abweichenden Antragsziele und der zu ihrer Begründung angeführten Verletzungshandlungen keine Übereinstimmung. Dies hat das Landesarbeitsgericht verkannt. In dem Verfahren - 22 BV 984/05 - hat das Arbeitsgericht entsprechend dem angeführten Anlassfall nur über eine Verletzungsform entschieden, die durch einen kurzzeitigen Wechsel der Einsatzfiliale gekennzeichnet war. Der im vorliegenden Verfahren zu beurteilende Anlassfall betrifft hingegen eine personelle Maßnahme, die für länger als einen Monat beabsichtigt war. Die in beiden Verfahren gestellten Anträge waren danach trotz ihres nahezu identischen Wortlauts auf unterschiedliche Antragsziele gerichtet. Der Antrag des Betriebsrats in dem Verfahren - 22 BV 984/05 - betraf nach der dem Anlassfall zugrunde liegenden Verletzungshandlung nur die Untersagung eines kurzzeitigen Wechsels der Einsatzfiliale. Zudem fehlt es an einem einheitlichen Klagegrund. Die in beiden Verfahren zu beurteilenden Verletzungshandlungen waren weder gleich noch gleichartig. Das diesen zugrunde liegende mitbestimmungswidrige Verhalten der Arbeitgeberin wird maßgeblich gekennzeichnet durch die Dauer der beabsichtigten Zuweisung des anderen Arbeitsbereichs. Dies folgt aus den unterschiedlichen Tatbestandsvoraussetzungen der für das Beteiligungsrecht des Betriebsrats maßgeblichen gesetzlichen Vorschriften. Eine Versetzung iSd. § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG liegt bei kurzzeitigen Maßnahmen nur vor, wenn sie mit einer erheblichen Änderung der Umstände verbunden ist, unter denen die Arbeit zu leisten ist ( § 95 Abs. 3 Satz 1 2. Alt BetrVG) . Fehlt es hieran, ist die Zustimmung des Betriebsrats nur erforderlich, wenn die Zuweisung des anderen Arbeitsbereichs voraussichtlich die Dauer von einem Monat überschreitet ( § 95 Abs. 3 Satz 1 1. Alt. BetrVG ).

20

4. Dem Antrag steht das Verfahrenshindernis der Rechtshängigkeit nicht entgegen.

21

a) Nach dem auch im Beschlussverfahren anwendbaren § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO bewirkt die Rechtshängigkeit einer Streitsache, dass sie von keiner Partei anderweitig anhängig gemacht werden kann. Dieses Verfahrenshindernis ist in jeder Lage des Verfahrens, auch noch in der Rechtsbeschwerdeinstanz, von Amts wegen zu beachten. Die zeitlich frühere Rechtshängigkeit eines Verfahrens ist aber nur beachtlich, wenn die Streitgegenstände in dem früheren und dem gegenwärtigen Verfahren identisch sind.

22

b) Der Senat musste nicht ermitteln, ob die im Hinblick auf den vorliegenden Rechtsstreit ausgesetzten Verfahren denselben Streitgegenstand betreffen. Amtsprüfung bedeutet keine Amtsermittlung. Die Prüfung von Amts wegen beschränkt sich auf den dem Gericht vorliegenden oder offenkundigen Verfahrensstoff (BGH 5. November 1975 - VIII ZR 73/75 - NJW 1976, 149). Besteht nach dem Vortrag der Beteiligten Anlass zu dem Bedenken, es könnte ein Verfahrenshindernis bestehen, kann das Gericht aber zu einem entsprechenden Hinweis nach § 139 Abs. 2 ZPO verpflichtet sein (BGH 20. Januar 1989 - V ZR 173/87 - NJW 1989, 2064, 2065). Die Vorinstanzen haben zwar keine Feststellungen zum Streitgegenstand der ausgesetzten Verfahren getroffen. Einer hierauf gestützten Zurückverweisung bedurfte es aber nicht. Die Beteiligten haben trotz des in der angefochtenen Entscheidung enthaltenen Hinweises ihren Vortrag in Bezug auf den Streitgegenstand der ausgesetzten Verfahren nicht ergänzt.

23

II. Der Antrag ist begründet. Die Arbeitgeberin hat die Arbeitnehmerin Ko ohne die erforderliche Zustimmung des Betriebsrats von der Filiale H in die Filiale Dr versetzt und damit grob gegen ihre Pflicht aus dem BetrVG verstoßen.

24

1. Nach § 23 Abs. 3 Satz 1 BetrVG kann ua. der Betriebsrat dem Arbeitgeber bei einem groben Verstoß gegen seine Verpflichtungen aus dem BetrVG durch das Arbeitsgericht aufgeben lassen, eine Handlung zu unterlassen.

25

2. Diese Voraussetzungen liegen vor.

26

a) Die Arbeitgeberin hat den Betriebsrat bei dem ab dem 19. März 2007 durchgeführten „Ringtausch“ nicht beteiligt. Es kann dahinstehen, ob es sich dabei in Bezug auf die im Rahmen eines Beamtenverhältnisses beschäftigten Mitarbeiter B und La um eine Maßnahme nach § 76 Abs. 1 Nr. 4 oder 5 BPersVG gehandelt hat, bei der sich die Beteiligung des Betriebsrats nicht nach § 99 BetrVG, sondern nach § 28 Abs. 1, § 29 Abs. 1 bis 3 PostPersRG richtet (dazu BAG 12. August 1997 - 1 ABR 7/97 - zu B I 2 der Gründe, BAGE 86, 198). Der Betriebsrat war jedenfalls hinsichtlich der Arbeitnehmerin Ko nach § 99 Abs. 1 Satz 1, § 95 Abs. 3 Satz 1 1. Alt. BetrVG zu beteiligen. Die mit dem Wechsel der Einsatzfiliale verbundene Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs war bis zum 30. Juni 2007 und damit für die Dauer von mehr als einem Monat vorgesehen. Dies wird von der Arbeitgeberin nicht in Frage gestellt; ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats war somit unzweifelhaft gegeben.

27

b) Der Pflichtverstoß der Arbeitgeberin war auch grob iSd. § 23 Abs. 3 Satz 1 BetrVG.

28

aa) Ein grober Verstoß des Arbeitgebers gegen seine sich aus dem BetrVG ergebenden Pflichten liegt vor, wenn es sich um eine objektiv erhebliche und offensichtlich schwerwiegende Pflichtverletzung handelt, wobei es auf ein Verschulden nicht ankommt (BAG 29. April 2004 - 1 ABR 30/02 - zu B IV 2 b bb der Gründe, BAGE 110, 252). Allerdings scheidet ein grober Verstoß des Arbeitgebers dann aus, wenn er seine Rechtsposition in einer schwierigen und ungeklärten Rechtsfrage verteidigt (BAG 8. August 1989 - 1 ABR 63/88 - zu B III der Gründe, BAGE 62, 314).

29

bb) Der Pflichtverstoß der Arbeitgeberin ist objektiv erheblich. Die unterbliebene Beteiligung des Betriebsrats führt dazu, dass dieser über die Ausübung seines Zustimmungsverweigerungsrechts nicht befinden konnte. Die Arbeitgeberin konnte auch nicht ernsthaft in Betracht ziehen, das Beteiligungsrecht sei aufgrund eines Notfalls entfallen. Zwar hat der Senat in seiner bisherigen Rechtsprechung erwogen, dass das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats in Extremsituationen eingeschränkt oder ausgeschlossen sein kann. Ein solcher Notfall könne etwa in einer unvorhersehbaren und schwerwiegenden Situation gegeben sein, in welcher der Betriebsrat entweder nicht erreichbar oder nicht zur rechtzeitigen Beschlussfassung in der Lage ist, der Arbeitgeber aber sofort handeln muss, um vom Betrieb oder den Arbeitnehmern nicht wiedergutzumachende Schäden abzuwenden (BAG 17. November 1998 - 1 ABR 12/98 - zu B II 1 c der Gründe mwN, BAGE 90, 194). Das Bestehen einer solchen Ausnahmesituation hat die Arbeitgeberin in Bezug auf den in Aussicht genommenen „Ringtausch“ nicht behauptet. Darüber hinaus ist das Beteiligungsrecht aus § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG bei Beschlussunfähigkeit des Betriebsrats oder seiner fehlenden Erreichbarkeit nicht eingeschränkt oder ausgeschlossen. Nach § 100 Abs. 1 und 2 BetrVG kann der Arbeitgeber eine personelle Einzelmaßnahme iSd. § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG zunächst ohne die Zustimmung des Betriebsrats vornehmen. Das Gesetz verlangt dafür neben der Aufklärung des Arbeitnehmers über die Sach- und Rechtslage (§ 100 Abs. 1 Satz 2 BetrVG) lediglich die unverzügliche Unterrichtung des Betriebsrats über die vorläufige Durchführung (§ 100 Abs. 2 Satz 1 BetrVG). Mit dieser Regelung wird dem Interesse des Arbeitgebers an der Vornahme einer dringend notwendigen personellen Einzelmaßnahme ausreichend Rechnung getragen. Einer weitergehenden Beschränkung der in §§ 99 ff. BetrVG normierten Beteiligungsrechte bedarf es offenkundig nicht.

        

    Schmidt    

        

    Linck    

        

    Koch    

        

        

        

    Olaf Kunz    

        

    Hann    

                 

Tenor

1. Die Revision des beklagten Landes gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 19. April 2012 - 14 Sa 179/12 - wird zurückgewiesen.

2. Der Tenor des Urteils des Landesarbeitsgerichts wird insoweit neu gefasst, als anstelle der festgestellten Verpflichtung des beklagten Landes zum Abschluss eines Arbeitsvertrags mit der Klägerin die Verpflichtung des beklagten Landes festgestellt wird, ein Angebot der Klägerin zum Abschluss eines Arbeitsvertrags mit den im Urteilstenor des Landesarbeitsgerichts genannten Arbeitsbedingungen anzunehmen.

3. Das beklagte Land hat die Kosten der Revision zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Begründung eines Arbeitsverhältnisses.

2

Zwischen den Parteien bestand bis zum 31. Dezember 1998 ein Arbeitsverhältnis. Die Klägerin erbrachte im Rahmen einer Personalgestellung ihre Arbeitsleistung bei der Betriebskrankenkasse des beklagten Landes, einer Körperschaft des öffentlichen Rechts (im Folgenden: BKK Berlin). Im August 1995 lehnte das beklagte Land gegenüber dem Vorstand der BKK Berlin die weitere Übernahme der Personalkosten für die Führung der Krankenkasse ab.

3

Die Klägerin erhielt ein schriftliches Arbeitsvertragsangebot von der BKK Berlin. Mit Schreiben vom 20. April 1998 gab das beklagte Land, vertreten durch den damaligen Senator für Inneres, gegenüber der Klägerin und den anderen ca. 200 betroffenen Arbeitnehmern folgende Erklärung ab:

„…

die BKK Berlin hat Ihnen aufgrund des Arbeitgeberwechsels zum 01.01.1999 einen neuen Arbeitsvertrag ausgehändigt.

Vorausgesetzt, dass Sie dem Übergang Ihres Arbeitsverhältnisses auf die BKK Berlin zugestimmt haben, freue ich mich, Ihnen mitteilen zu können, dass der Senat von Berlin Ihnen ein unbefristetes Rückkehrrecht zum Land Berlin für den Fall der Schließung/Auflösung der BKK Berlin einräumt.

…“

4

Die Klägerin unterzeichnete den Arbeitsvertrag mit der BKK Berlin.

5

Das beklagte Land schloss mit der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV) und der Deutschen Angestellten-Gewerkschaft (DAG) am 12. August 1998 eine Vereinbarung zur Beschäftigungssicherung (im Folgenden: VBSV BKK). Diese enthielt ua. folgende Regelungen:

        

㤠1

        

Anwendungsbereich

        

Die nachfolgenden Regelungen gelten für den Übergang der Arbeitnehmer des Landes Berlin auf die Betriebskrankenkasse des Landes Berlin (BKK Berlin).

                 
        

§ 2

        

Übergang der Beschäftigungsverhältnisse und

        

Rückkehrrecht

        

…       

        

(2)     

Die Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnisse aufgrund des § 147 Abs. 2 SGB V vom Land Berlin auf die BKK Berlin übergegangen sind, haben das Recht, im Falle einer Vereinigung (§ 150 SGB V), soweit sie selbst von Personalfreisetzungen im Zuge der Vereinigung betroffen sind, einer Auflösung (§ 152 SGB V) und einer Schließung (§ 153 SGB V) in ein Arbeitsverhältnis zum Land Berlin zurückzukehren.

                 

…       

        

(3)     

Scheidet ein Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis nach § 147 Abs. 2 SGB V vom Land Berlin auf die BKK Berlin übergegangen ist, aus dem Arbeitsverhältnis bei der BKK Berlin aus und wird im unmittelbaren Anschluss daran ein neues Arbeitsverhältnis zum Land Berlin begründet, wird das Land Berlin die bei der BKK Berlin verbrachte Zeit als Beschäftigungszeit nach § 19 BAT/BAT-O bzw. § 6 BMT-G/ BMT-G-O und als Dienstzeit nach § 20 BAT berücksichtigen.

        

(4)     

Die Veränderungen nach Absatz 2, Unterabsatz 1 sind jedem Arbeitnehmer persönlich und unverzüglich in schriftlicher Form mitzuteilen. ...

        

…       

        
                          
        

§ 3

        

Feststellung nach der Beschäftigungssicherungsvereinbarung

        

Diese Vereinbarung ist eine Vereinbarung im Sinne der Nr. 2 Abs. 3 Satz 3 der Vereinbarung über den Umgang mit der Personalüberhangsituation zur Beschäftigungssicherung vom 29. Mai 1997. Zwischen den Parteien besteht Einvernehmen, dass die in Nr. 2 Abs. 3 Satz 3 dieser Vereinbarung getroffene Regelung ebenso für Fälle einer Nichtzustimmung nach § 147 Abs. 2 SGB V gilt.“

6

Die Klägerin erhielt vom beklagten Land eine schriftliche Mitteilung vom 20. August 1998, in der es heißt:

„…

wie wir Ihnen bereits in unserem Schreiben vom 20.4.1998 mitgeteilt haben, wird Ihnen als Beschäftigte/r der BKK unter bestimmten Voraussetzungen ein unbefristetes Rückkehrrecht zum Land Berlin gewährt. Dieses Rückkehrrecht ist zwischenzeitlich in einer Vereinbarung, die zwischen den Gewerkschaften ÖTV und DAG und dem Land Berlin, vertreten durch die Senatsverwaltung für Inneres, abgeschlossen wurde, zusätzlich abgesichert und konkretisiert worden. ...“

7

Zum 1. Januar 2004 erfolgte eine freiwillige Vereinigung der BKK Berlin mit der BKK Hamburg zur City BKK. Das beklagte Land teilte der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) mit Schreiben vom 13. Mai 2004 mit, dass nach der Fusion der Fortbestand der VBSV BKK nicht erforderlich erscheine, und bat um Mitteilung, ob eine einvernehmliche Aufhebung möglich sei. Darauf antwortete ver.di dem beklagten Land im Juni 2004 ua. Folgendes:

„… Aufgrund dieser Fusion zum 1. Januar 2004 und der sie ergänzenden tariflichen Verständigung mit der City BKK sehen wir die Grundlage der VBSV BKK als nicht mehr gegeben an, so dass sie mit Wirkung der Fusion der beiden BKKen in Berlin und Hamburg zur City BKK entbehrlich geworden ist.

Hinsichtlich der in § 3 Absatz 1 der VBSV BKK getroffenen Regelung bezüglich der Berücksichtigung von in der BKK Berlin erbrachten Beschäftigungs- und Dienstzeiten würde es uns der Einfachheit halber genügen, wenn Sie uns schriftlich bestätigen, dass Sie diese Regelung inhaltlich ggf. zur Anwendung brächten. Mithin würde die VBSV BKK vom 12.8.1998 mit Wirkung des 1.1.2004 keine Anwendung mehr finden.

Sollten Sie wie wir mit dem Eintreten der Fusion zum 1.1.2004 die Wirkung der VBSV BKK vom 12.8.1998 als beendet ansehen und mit der unbürokratischen Verfahrensweise bezüglich einer möglichen Anwendung der sinngemäßen Regelungen hinsichtlich der in der BKK Berlin erbrachten Beschäftigungs- und Dienstzeiten einverstanden sein, bitten wir Sie lediglich um eine kurze schriftliche Bestätigung.“

8

Das beklagte Land erwiderte hierauf mit Schreiben vom 21. Juni 2004:

        

„…    

        

unter Bezugnahme auf Ihr o. g. Schreiben bestätige ich Ihnen, dass mit dem Eintreten der Fusion der BKK Berlin mit der BKK Hamburg zur City BKK zum 01.01.2004 die Beschäftigungssicherungsvereinbarung BKK (VBSV BKK) vom 12. August 1998 als beendet angesehen wird.

        

Die bisher in § 2 Abs. 3 VBSV BKK getroffene Regelung bezüglich der Berücksichtigung von in der BKK Berlin erbrachter Beschäftigungs- und Dienstzeiten wird infolge der Fusion künftig ggf. wie folgt zur Anwendung kommen:

                 

‚Scheidet ein Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis nach § 147 Abs. 2 SGB V vom Land Berlin auf die BKK Berlin übergangen ist, aus dem Arbeitsverhältnis bei der City BKK aus und wird in unmittelbarem Anschluss daran ein neues Arbeitsverhältnis zum Land Berlin begründet, wird das Land Berlin die bis zum 31.12.2003 bei der BKK Berlin verbrachte Zeit als Beschäftigungszeit nach § 19 BAT/BAT-O bzw. § 6 BMT-G-O und als Dienstzeit nach § 20 BAT berücksichtigen.‘

        
        

…“    

                 
9

Zum 1. Januar 2005 fusionierte die City BKK mit der BKK Bauknecht und der BeneVita BKK. Die dadurch entstandene Betriebskrankenkasse führte ebenfalls den Namen City BKK. Mit Bescheid vom 4. Mai 2011 ordnete das Bundesversicherungsamt die Schließung der City BKK mit Ablauf des 30. Juni 2011 an. Diese teilte der Klägerin Anfang Mai 2011 mit, dass ihr Arbeitsverhältnis nach § 164 Abs. 4 SGB V mit Ablauf des 30. Juni 2011 ende. Vorsorglich kündigte sie das Arbeitsverhältnis zum 30. Juni 2011 sowie hilfsweise zum 31. Dezember 2011. Die Klägerin verfolgt in einem gesonderten Verfahren die Feststellung des Fortbestands ihres Arbeitsverhältnisses zur City BKK.

10

Im Mai 2011 machte die Klägerin unter Hinweis auf das Schreiben des beklagten Landes vom 20. April 1998 und die VBSV BKK schriftlich ihr Rückkehrrecht gegenüber dem beklagten Land geltend. Dieses lehnte mit Schreiben vom 7. Juni 2011 die von der Klägerin beantragte Wiedereinstellung ab.

11

Die Klägerin ist der Auffassung, die Voraussetzungen der Rückkehrzusage des beklagten Landes vom 20. April 1998 seien erfüllt. Sie behauptet, sie habe dem Wechsel zur BKK Berlin nur wegen dieser Zusage zugestimmt. Nach dieser sei sie so zu stellen, als wäre sie über den 31. Dezember 1998 hinaus beim Land Berlin weiterbeschäftigt worden.

12

Die Klägerin hat erstinstanzlich zuletzt beantragt

festzustellen, dass das beklagte Land verpflichtet ist, mit Wirkung ab dem 1. Juli 2011 mit der Klägerin unter Anrechnung ihrer Beschäftigungsdauer seit dem 5. April 1993 unter Berücksichtigung der zwischenzeitlich bei der BKK Berlin und der City BKK verbrachten Betriebszugehörigkeit ein Beschäftigungsverhältnis mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 19,25 Stunden zu begründen und zwar für eine Beschäftigung als Angestellte mit der Vergütungsgruppe VIb BAT mit der entsprechenden Überleitung in den Tarifvertrag L in der für das Land Berlin nach dem Anwendungstarifvertrag vom 14. Oktober 2010 geltenden Fassung.

13

Das beklagte Land hat zu seinem Klageabweisungsantrag die Ansicht vertreten, der Fall der Schließung der City BKK sei von seiner Rückkehrzusage nicht umfasst. Diese habe sich ausschließlich auf die Schließung/Auflösung der BKK Berlin bezogen. Dementsprechend sei auch die VBSV BKK im Einvernehmen mit ver.di aufgehoben worden. Soweit die Klägerin die Berücksichtigung von Zeiten verlange, in denen sie in einem Arbeitsverhältnis zu den Betriebskrankenkassen gestanden habe, sei dies zu pauschal. Jedenfalls sei für dieses Begehren keine Anspruchsgrundlage ersichtlich. Die im Schreiben vom 21. Juni 2004 an ver.di erfolgte Zusage der Anerkennung von Beschäftigungs- und Dienstzeiten habe sich nur auf die durch die Vereinigung mit der BKK Hamburg entstandene City BKK, nicht aber auf die Betriebskrankenkasse gleichen Namens bezogen, die durch die spätere Vereinigung mit den weiteren zwei Kassen entstanden sei.

14

Das Arbeitsgericht hat dem Klageantrag stattgegeben, wobei es davon ausging, dass der Klageantrag auf die Abgabe einer Willenserklärung gerichtet und auch hinreichend bestimmt sei. Auf die Berufung des beklagten Landes hat das Landesarbeitsgericht den Klageantrag ausgelegt. Es hat das erstinstanzliche Urteil teilweise abgeändert und festgestellt, dass das beklagte Land verpflichtet ist, mit Wirkung ab dem 1. Juli 2011 mit der Klägerin einen Arbeitsvertrag abzuschließen mit einer Tätigkeit als Angestellte mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 19,25 Stunden und einer Vergütung nach Vergütungsgruppe VIb BAT nach Maßgabe des Tarifvertrags zur Angleichung des Tarifrechts des Landes Berlin an das Tarifrecht der Tarifgemeinschaft deutscher Länder vom 14. Oktober 2010 unter Berücksichtigung der bei dem beklagten Land vom 5. April 1993 bis zum 31. Dezember 1998 und bei der BKK Berlin vom 1. Januar 1999 bis zum 31. Dezember 2003 verbrachten Beschäftigungs-/Dienstzeit nach §§ 19, 20 BAT. Im Übrigen hat das Landesarbeitsgericht - unter Zurückweisung der Berufung des beklagten Landes im Übrigen - die Klage abgewiesen, dh. betreffend der Berücksichtigung der Beschäftigungszeit der Klägerin vom 1. Januar 2004 bis zum 30. Juni 2011. Mit seiner Revision verfolgt das beklagte Land seinen Klageabweisungsantrag weiter.

Entscheidungsgründe

15

Die zulässige Revision des beklagten Landes ist unbegründet.

16

A. Das angefochtene Urteil verstößt nicht gegen § 313 Abs. 1 Nr. 4 ZPO. Es ist nicht allein schon deswegen aufzuheben, weil es einen unbestimmten Urteilstenor enthielte. Der Tenor bedarf jedoch der Klarstellung.

17

I. Nach § 313 Abs. 1 Nr. 4 ZPO enthält ein verfahrensbeendendes Urteil eine Urteilsformel. Diese muss hinreichend deutlich gefasst sein. Das Erfordernis der - von Amts wegen zu prüfenden - Bestimmtheit des Urteilsausspruchs dient der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit. Der Umfang der materiellen Rechtskraft iSv. § 322 Abs. 1 ZPO und damit die Entscheidungswirkungen müssen festgestellt werden können(BAG 14. März 2012 - 7 AZR 147/11 - Rn. 19 mwN). Bei diesen Feststellungen sind Tatbestand und Entscheidungsgründe ergänzend heranzuziehen, wenn die Urteilsformel den Streitgegenstand und damit den Umfang der Rechtskraft für sich gesehen nicht erkennen lässt (für eine klageabweisende Entscheidung: vgl. BAG 19. Januar 2010 - 1 ABR 55/08 - Rn. 15 mwN, BAGE 133, 75). Zur Ermittlung des Inhalts einer auslegungsbedürftigen Urteilsformel kann ein Rückgriff auf Tatbestand und Entscheidungsgründe erforderlich sein. Geht es um den Abschluss eines Arbeitsvertrags, muss die anzunehmende Willenserklärung den für eine Vertragseinigung notwendigen Mindestinhalt (essentialia negotii) umfassen (vgl. BAG 14. März 2012 - 7 AZR 147/11 - aaO mwN).

18

II. Aus der Urteilsformel des Landesarbeitsgerichts lässt sich nicht ohne Weiteres entnehmen, ob die Verpflichtung des beklagten Landes festgestellt werden soll, der Klägerin ein Vertragsangebot mit den im Tenor genannten Arbeitsbedingungen zu unterbreiten, oder ob die Verpflichtung des beklagten Landes festgestellt werden soll, ein Vertragsangebot der Klägerin mit den im Tenor genannten Arbeitsbedingungen anzunehmen. Allerdings folgt aus den Ausführungen des Landesarbeitsgerichts unter B I der Entscheidungsgründe, dass es das Feststellungsbegehren auf die Annahme eines Vertragsangebots der Klägerin bezogen hat. Das Landesarbeitsgericht ist davon ausgegangen, dass das beklagte Land als Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes auch einem Feststellungsurteil nachkommen und den sich daraus ergebenden Leistungsanspruch - hier die Annahme des Angebots der Klägerin - erfüllen werde.

19

B. Das Landesarbeitsgericht hat auch § 308 Abs. 1 ZPO nicht verletzt. Der Ausspruch in dem angefochtenen Urteil betrifft keinen anderen Streitgegenstand als den von der Klägerin zur Entscheidung gestellten.

20

I. Nach § 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist ein Gericht nicht befugt, einer Partei etwas zuzusprechen, was nicht beantragt ist. Umgekehrt darf die beklagte Partei nicht zu etwas anderem verurteilt werden als zu dem, worauf sie ihre Verteidigung einrichten musste (vgl. BAG 11. Dezember 2001 - 9 AZR 435/00 - zu II 2 a der Gründe mwN). Das Gericht darf und muss aber ein Weniger zuerkennen, wenn ein solches Begehren im jeweiligen Sachantrag enthalten ist (vgl. BAG 24. Februar 2010 - 4 AZR 657/08 - Rn. 15). Etwas anderes gilt, wenn es sich nicht um ein Weniger, sondern um etwas anderes (aliud) handelt. Ob dies der Fall ist, hängt von den konkreten Umständen und Ansprüchen sowie dem erkennbaren Begehren des Klägers ab. Entscheidend sind nicht allein die wörtlichen Formulierungen in Antrag und Urteilsausspruch, sondern deren - ggf. durch Auslegung zu ermittelnden - streitgegenständlichen Inhalte (vgl. BAG 14. März 2012 - 7 AZR 147/11 - Rn. 22 mwN).

21

II. Das Landesarbeitsgericht hat der Klägerin weniger, nicht aber etwas anderes als beantragt zugesprochen. Hinsichtlich des Beginns des Arbeitsverhältnisses, des Inhalts und des Umfangs der Arbeitsleistung entspricht der Urteilsausspruch dem Klageantrag. Das gilt auch hinsichtlich des Anknüpfungspunkts für die zukünftige Vergütung, nämlich der letzten Eingruppierung in den BAT im Dezember 1998. Allein hinsichtlich der Berücksichtigung der Vorbeschäftigungszeiten bleibt der Tenor hinter dem Antrag insoweit zurück, als eine Berücksichtigung der Betriebszugehörigkeit zur City BKK nicht ausgeurteilt wurde. Hierbei handelt es sich um ein Minus.

22

C. Die Klägerin hat entgegen der Rechtsansicht des beklagten Landes einen Anspruch auf Annahme ihres Vertragsangebots zur Begründung eines Arbeitsverhältnisses.

23

I. Der auf die Feststellung der Verpflichtung des beklagten Landes zur Abgabe einer Annahmeerklärung gerichtete Klageantrag ist zulässig.

24

1. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend angenommen, dass der Klageantrag dem Bestimmtheitserfordernis des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO genügt.

25

a) Geht es um den Abschluss eines Arbeitsvertrags, muss die abzugebende Willenserklärung den für einen solchen Vertrag notwendigen Mindestinhalt (essentialia negotii) umfassen. Nach § 611 Abs. 1 BGB gehören hierzu die „versprochenen Dienste“ und damit Art und Beginn der Arbeitsleistung. Die Art der Arbeitsleistung kann sich - mittelbar - auch über die Angabe einer Eingruppierung in ein kollektives Entgeltschema erschließen, wenn dieses bestimmte Tätigkeiten einer Entgelt- oder Vergütungsgruppe zuordnet (BAG 13. Juni 2012 - 7 AZR 169/11 - Rn. 20). Eine Einigung über weitere Inhalte ist grundsätzlich nicht erforderlich, sofern klar ist, dass die Arbeitsleistung vergütet werden soll. Der Umfang der Arbeitsleistung und die Dauer des Arbeitsverhältnisses bestimmen sich ggf. nach den üblichen Umständen. Ist die Höhe der Vergütung nicht bestimmt, ist gemäß § 612 Abs. 2 BGB die übliche Vergütung als vereinbart anzusehen(vgl. BAG 13. März 2013 - 7 AZR 344/11 - Rn. 16; 14. März 2012 - 7 AZR 147/11 - Rn. 19 mwN).

26

b) Daran gemessen hat die Klägerin den Inhalt des beanspruchten Arbeitsvertrags hinreichend bestimmt beschrieben.

27

aa) Der Vertrag soll mit Wirkung zum 1. Juli 2011 geschlossen werden. Die von der Klägerin verlangte Beschäftigung als Angestellte mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 19,25 Stunden führt nicht zur Unbestimmtheit des Klageantrags, sondern zu einem entsprechend weiten Direktionsrecht des Arbeitgebers (vgl. BAG 13. Juni 2012 - 7 AZR 169/11 - Rn. 20), das allerdings durch die Angabe der Vergütungsgruppe eingeschränkt wird. Der öffentliche Arbeitgeber ist nicht berechtigt, dem Arbeitnehmer (auf Dauer) eine Tätigkeit einer niedrigeren als der vereinbarten Vergütungsgruppe zu übertragen (vgl. BAG 23. November 2004 - 2 AZR 38/04 - zu B I 3 a bb der Gründe, BAGE 112, 361).

28

bb) Soweit die Klägerin die Vergütung nach Maßgabe des Tarifvertrags zur Angleichung des Tarifrechts des Landes Berlin an das Tarifrecht der Tarifgemeinschaft deutscher Länder vom 14. Oktober 2010 (Angleichungs-TV Land Berlin) unter Berücksichtigung der bei der BKK Berlin sowie der City BKK zurückgelegten Betriebszugehörigkeit begehrt, ergibt sich aus der Klagebegründung hinreichend deutlich, mit welchem Inhalt der Arbeitsvertrag zustande kommen soll. Im Hinblick auf § 2 Abs. 3 VBSV BKK begehrt die Klägerin nur die Berücksichtigung der Zeiten als Beschäftigungszeit iSd. § 19 BAT bzw. Dienstzeit nach § 20 BAT. Für die Zulässigkeit der Klage unerheblich ist der Umstand, dass Dienst- und Beschäftigungszeiten im TV-L nicht mehr die Bedeutung zukommt, die sie bei Geltung des BAT hatten (vgl. BeckOK TV-L/Eylert Stand 1. September 2013 TV-L § 34 Rn. 60).

29

2. Dem Feststellungsantrag steht auch nicht der Vorrang der Leistungsklage entgegen, obwohl die auf Abgabe einer Annahmeerklärung gerichtete Leistungsklage dem Regelfall des mit einer sog. Wiedereinstellungsklage bekundeten Willens eines Arbeitnehmers entspricht (BAG 24. April 2013 - 7 AZR 523/11 - Rn. 13 mwN) und die Klägerin auch die Möglichkeit gehabt hätte, die mit dem Feststellungsbegehren begehrte Verpflichtung mittels einer Leistungsklage geltend zu machen. Zwar hat aus Gründen der Prozesswirtschaftlichkeit eine Leistungsklage grundsätzlich Vorrang vor einer Feststellungsklage. Dennoch kann ein Feststellungsinteresse iSd. § 256 Abs. 1 ZPO bestehen, wenn das angestrebte Urteil trotz seiner der Vollstreckung nicht zugänglichen Wirkung geeignet ist, den Konflikt der Parteien endgültig zu lösen und weitere Prozesse zwischen ihnen zu vermeiden. Dies gilt jedenfalls dann, wenn sich eine Feststellungsklage - so wie im Streitfalle - gegen einen Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes richtet. Dem liegt die Erwartung zugrunde, dass dieser Arbeitgeber einem gegen ihn ergangenen Feststellungsurteil nachkommen und die sich daraus ergebenden Leistungsansprüche erfüllen wird (BAG 22. Oktober 2009 - 8 AZR 889/08 - Rn. 32; 6. Mai 2009 - 10 AZR 313/08 - Rn. 27; vgl. auch 29. September 2004 - 5 AZR 528/03 - zu I 2 der Gründe, BAGE 112, 112, jeweils mwN). Vorliegend hat das Landesarbeitsgericht weder Umstände festgestellt, dass das beklagte Land einer festgestellten Verpflichtung nicht Folge leisten würde, noch sind derartige Umstände sonst ersichtlich.

30

II. Die Klage ist auch begründet.

31

1. Der Begründetheit des Antrags steht nicht entgegen, dass der zwischen den Parteien abzuschließende Vertrag zum 1. Juli 2011 wirken soll.

32

a) Seit dem Inkrafttreten des § 311a Abs. 1 BGB idF des Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts vom 26. November 2001 (BGBl. I S. 3138) kommt auch die Verurteilung zur Abgabe einer Willenserklärung in Betracht, die auf eine Vertragsänderung oder einen Vertragsschluss zu einem in der Vergangenheit liegenden Zeitpunkt gerichtet ist. Nach § 275 Abs. 1 BGB ist der Anspruch auf die Leistung zwar ausgeschlossen, soweit diese für den Schuldner oder jedermann unmöglich ist. Im Unterschied zum alten Recht ist in § 311a Abs. 1 BGB aber klargestellt, dass ein Vertrag selbst dann nicht nichtig ist, wenn er in der Vergangenheit tatsächlich nicht durchgeführt werden kann(vgl. BAG 9. Februar 2011 - 7 AZR 91/10 - Rn. 26 mwN). Die rückwirkende Begründung eines Arbeitsverhältnisses ist daher zulässig. Ausgeschlossen ist lediglich eine gerichtliche Entscheidung, mit der ein Arbeitsverhältnis mit Rückwirkung zu einem Zeitpunkt vor Abgabe des Angebots begründet werden soll (BAG 24. April 2013 - 7 AZR 523/11 - Rn. 17; 4. Mai 2010 - 9 AZR 155/09 - Rn. 35, BAGE 134, 223). Die Pflicht zur Begründung eines Arbeitsverhältnisses durch Annahme eines Vertragsangebots setzt grundsätzlich den Zugang des Angebots voraus.

33

b) Dieses Erfordernis ist erfüllt. Dem beklagten Land ist das Vertragsangebot der Klägerin auf Neubegründung des Arbeitsverhältnisses vor dem 1. Juli 2011 zugegangen. Die Klägerin hat im Mai 2011 gegenüber dem beklagten Land unter Hinweis auf dessen Rückkehrzusage ihre Wiedereinstellung beantragt.

34

Der Wortlaut des Schreibens, mit dem die Klägerin ihr Rückkehrrecht geltend machte, hindert die Annahme eines Vertragsangebots iSv. § 145 BGB nicht. Seine Auslegung gemäß den §§ 133, 157 BGB führt zu einem hinreichend konkreten Angebot auf Abschluss eines Arbeitsvertrags. Aus dem Hinweis auf die Schließung der City BKK mit Ablauf des 30. Juni 2011 wurde deutlich, dass die Klägerin unmittelbar nach diesem Zeitpunkt und damit ab dem 1. Juli 2011 wieder ein Arbeitsverhältnis mit dem beklagten Land eingehen wollte. Die Geltendmachung des Rückkehrrechts gemäß der Rückkehrzusage des beklagten Landes kann nur so verstanden werden, dass die Klägerin zu den vom beklagten Land für den Fall der Rückkehr zugesagten Arbeitsbedingungen beschäftigt werden wollte. Diese, zB die wöchentliche Arbeitszeit und die Eingruppierung der Klägerin, waren dem beklagten Land bekannt und mussten von der Klägerin daher nicht näher angegeben werden. Das hat auch das beklagte Land selbst so gesehen. Es hat die Geltendmachung des Rückkehrrechts unter Hinweis auf seine Rückkehrzusage vom 20. April 1998 ausweislich des Ablehnungsschreibens vom Juni 2011 als Angebot der Klägerin auf Abschluss eines Arbeitsvertrags verstanden und die beantragte Wiedereinstellung iSv. § 146 BGB abgelehnt.

35

2. Das beklagte Land ist aufgrund des in seinem Schreiben vom 20. April 1998 zugesagten Rückkehrrechts zur Annahme des Vertragsangebots der Klägerin verpflichtet.

36

a) Das Schreiben enthält eine rechtsverbindliche Erklärung des beklagten Landes. Es begründet unter den genannten Voraussetzungen die Verpflichtung des beklagten Landes zum Abschluss eines Arbeitsvertrags mit rückkehrwilligen Arbeitnehmern. Darüber besteht kein Streit.

37

b) Die gemäß § 151 Satz 1 BGB auch ohne ausdrückliche Annahmeerklärung der Klägerin zustande gekommene Vereinbarung über ihr Rückkehrrecht ist nicht nach § 4 Abs. 2 BAT iVm. §§ 125, 126 BGB nichtig. Es handelt sich nicht um eine dem Schriftformerfordernis unterliegende Nebenabrede zum Arbeitsvertrag iSd. § 4 Abs. 2 BAT, die in Bezug auf das vormals bestehende Arbeitsverhältnis nur sekundäre Rechte und Pflichten der Vertragsparteien regelte(vgl. dazu BAG 7. Mai 1986 - 4 AZR 556/83 - zu 2 der Gründe, BAGE 52, 33). Vielmehr wurde mit der Vereinbarung ein Anspruch der Klägerin auf Neuabschluss eines Arbeitsverhältnisses unter den genannten Bedingungen begründet. Aus der Annahme, dass ein Arbeitgeber aufgrund einer vertraglichen Nebenpflicht den Arbeitnehmer unter bestimmten Voraussetzungen nach Ausspruch einer Kündigung wieder einstellen muss (vgl. BAG 25. Oktober 2007 - 8 AZR 989/06 - Rn. 21), folgt entgegen der Ansicht des beklagten Landes nicht, dass eine entsprechende Vereinbarung der Parteien über ein Rückkehrrecht als Nebenabrede iSd. § 4 Abs. 2 BAT anzusehen ist. Deshalb kann dahinstehen, ob es dem beklagten Land nach den Grundsätzen von Treu und Glauben verwehrt wäre, sich auf eine Unwirksamkeit der Zusage wegen Nichteinhaltung des Schriftformerfordernisses zu berufen.

38

c) Die Schließung der City BKK durch das Bundesversicherungsamt mit Ablauf des 30. Juni 2011 löste das Rückkehrrecht gemäß § 158 Abs. 1 BGB aus.

39

aa) Bei dem Schreiben vom 20. April 1998 handelt es sich um eine typische Erklärung, die vom beklagten Land für eine Vielzahl von Fällen formuliert wurde. Das an die Klägerin gerichtete Schreiben entspricht - mit Ausnahme der Anrede - wortgleich den Schreiben, mit denen das beklagte Land den anderen betroffenen Arbeitnehmern das Rückkehrrecht einräumte.

40

bb) Typische Willenserklärungen sind nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden werden. Das Revisionsgericht kann den Inhalt von solchen Mustererklärungen, die keine individuellen Besonderheiten enthalten, uneingeschränkt selbstständig auslegen (vgl. BAG 18. Januar 2012 - 10 AZR 670/10 - Rn. 26; 20. Mai 2008 - 9 AZR 271/07 - Rn. 18).

41

cc) Entgegen der Rechtsauffassung des beklagten Landes ist ein Rückkehrrecht entstanden, obwohl die vom Bundesversicherungsamt zum 30. Juni 2011 geschlossene Arbeitgeberin der Klägerin unter dem Namen City BKK im Rechtsverkehr auftrat und aus dem Zusammenschluss der BKK Berlin mit anderen Betriebskrankenkassen hervorgegangen war.

42

(1) Der Wortlaut der Erklärung steht diesem Verständnis nicht entgegen. Zwar ist im Schreiben vom 20. April 1998 nur der Fall der Schließung/Auflösung der BKK Berlin ausdrücklich genannt. Für die Erklärungsempfänger war aus dieser Formulierung jedoch nicht zu entnehmen, dass ein Rückkehrrecht nur im Falle der Schließung/Auflösung der im Zeitpunkt der Zusage bestehenden und unter „BKK Berlin“ firmierenden Betriebskrankenkasse entstehen und die Schließung einer - ggf. unter anderem Namen auftretenden - Rechtsnachfolgerin nicht erfasst sein sollte. Zum Zeitpunkt der Einräumung des Rückkehrrechts existierten die Rechtsnachfolgerinnen noch nicht. Die BKK Berlin konnte auch als „Platzhalter“ für mögliche Rechtsnachfolgerinnen verstanden werden. Entgegen der Ansicht des beklagten Landes hat die Erklärung insoweit keinen eindeutigen Inhalt. Ob eine empfangsbedürftige Willenserklärung eindeutig ist, steht erst als Ergebnis einer Auslegung fest (vgl. BAG 20. Juli 2004 - 9 AZR 626/03 - zu B II 2 a der Gründe, BAGE 111, 260; BGH 8. Dezember 1982 - IVa ZR 94/81 - zu II 1 der Gründe, BGHZ 86, 41; Palandt/Ellenberger 72. Aufl. § 133 BGB Rn. 6; MüKoBGB/Busche 6. Aufl. § 133 Rn. 53). Der Beschränkung des Rückkehrrechts auf den Fall der Schließung/Auflösung der „BKK Berlin“ im wörtlichen Sinn steht schon die Möglichkeit der Namensänderung der Betriebskrankenkasse entgegen. Das eingeräumte Rückkehrrecht wäre praktisch wertlos, wenn der Bedingungseintritt durch eine bloße Umbenennung der Körperschaft hätte ausgeschlossen werden können. Letzteres hat auch das beklagte Land in der Revisionsverhandlung so gesehen.

43

(2) Vor allem der von dem beklagten Land mit der Erteilung der Wiedereinstellungszusage verfolgte Zweck gebietet ein Verständnis, dass das Rückkehrrecht durch den Zusammenschluss mit einer anderen Betriebskrankenkasse weder ausgelöst wurde noch unterging.

44

(a) Das beklagte Land weist zwar zutreffend darauf hin, dass kein Recht auf Rückkehr von einer im Wege einer Vereinigung entstandenen neuen Betriebskrankenkasse bestünde, wenn bereits die freiwillige Vereinigung der BKK Berlin mit einer anderen Betriebskrankenkasse das Rückkehrrecht ausgelöst hätte (vgl. zum Vorbehalt der Konzernzugehörigkeit: BAG 24. April 2013 - 7 AZR 523/11 - Rn. 37). Die Erklärung vom 20. April 1998 begründet jedoch entgegen der Ansicht des beklagten Landes für den Fall einer solchen Vereinigung kein Rückkehrrecht. Aus dem Umstand, dass nach den Vorschriften des SGB V Rechtsfolge einer Vereinigung zweier Betriebskrankenkassen ist, dass diese geschlossen sind, folgt nicht, dass bereits die Vereinigung der BKK Berlin mit der BKK Hamburg das Rückkehrrecht auslöste. Mit der Formulierung „für den Fall der Schließung/Auflösung“ stellte die Rückkehrzusage des beklagten Landes nicht auf die in § 150 SGB V geregelte freiwillige Vereinigung von Betriebskrankenkassen ab, sondern auf die Regelungen in §§ 152, 153 SGB V, die die Auflösung und Schließung von Betriebskrankenkassen betreffen. Das wird schon daraus deutlich, dass die Vereinigung von Betriebskrankenkassen regelmäßig nicht per se zu einem Verlust von Arbeitsplätzen führt, den das Rückkehrrecht ausgleichen soll. Die Vereinigung führt vielmehr zu einer Gesamtrechtsnachfolge, die auch die Arbeitsverhältnisse der Arbeitnehmer der fusionierten Krankenkassen erfasst (BAG 29. September 2010 - 10 AZR 588/09 - Rn. 25, BAGE 135, 327).

45

(b) Dass nach dem Willen des beklagten Landes die Vereinigung mit einer anderen Betriebskrankenkasse das im Schreiben vom 20. April 1998 zugesagte Rückkehrrecht grundsätzlich noch nicht auslösen sollte, zeigt auch die Regelung in § 2 Abs. 2 VBSV BKK. Danach besteht ein Recht zur Rückkehr in ein Arbeitsverhältnis zum beklagten Land zwar ausdrücklich auch für den Fall der Vereinigung iSd. § 150 SGB V, jedoch nur, wenn die Arbeitnehmer selbst von „Personalfreisetzungen im Zuge der Vereinigung betroffen sind“.

46

(c) Der Zweck der Einräumung des Rückkehrrechts gebietet ein Verständnis, das auch die Schließung einer Rechtsnachfolgerin umfasst, die in die Arbeitsverhältnisse im Wege der Gesamtrechtsnachfolge eingetreten ist. Das Rückkehrrecht sollte dem Umstand Rechnung tragen, dass die betroffenen Arbeitnehmer mit dem beklagten Land im Vergleich zu der BKK Berlin, die unstreitig bereits im Zeitpunkt des Zugangs des Schreibens vom 20. April 1998 wirtschaftliche Probleme hatte, einen „sicheren“ Arbeitgeber verloren. Für den damit vom beklagten Land verfolgten Zweck, den zur BKK Berlin wechselnden Arbeitnehmern bei einem Verlust ihres Arbeitsplatzes einen Arbeitsplatz bei ihm zu garantieren, ist es ohne Bedeutung, wenn an die Stelle der „BKK Berlin“ im Wege der Gesamtrechtsnachfolge nach § 150 Abs. 2 Satz 1 iVm. § 144 Abs. 4 Satz 2 SGB V ein anderer Arbeitgeber getreten ist(vgl. zur Rechtsnachfolge gemäß § 613a BGB: BAG 24. April 2013 - 7 AZR 523/11 - Rn. 41).

47

(d) Wirtschaftliche Interessen des beklagten Landes geben kein anderes Auslegungsergebnis vor. Zwar ist bei der Auslegung einer Willenserklärung neben den Verständnismöglichkeiten des Empfängers auch das Interesse des Erklärenden daran zu berücksichtigen, dass sich der Empfänger darum bemüht, die Erklärung nicht misszuverstehen (BAG 15. Dezember 2005 - 2 AZR 148/05 - Rn. 25, BAGE 116, 336). Auch muss ein Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes grundsätzlich davon ausgehen, dass ihm sein Arbeitgeber nur die Leistungen gewähren will, zu denen dieser rechtlich verpflichtet ist (BAG 29. September 2004 - 5 AZR 528/03 - zu II 3 b der Gründe mwN, BAGE 112, 112). Allerdings war das beklagte Land nicht zur Einräumung des Rückkehrrechts verpflichtet. Die Rückkehrzusage lag freilich in seinem wirtschaftlichen Interesse. Das beklagte Land hatte bis 1998 die Arbeitnehmer der BKK Berlin gestellt. Es hatte jedoch gegenüber dem Vorstand der BKK Berlin erklärt, es lehne die weitere Übernahme der Kosten des für die Führung der Geschäfte erforderlichen Personals ab. Gemäß § 147 Abs. 2 Satz 4 SGB V hatte dies zur Folge, dass die BKK Berlin die bisher mit der Führung der Geschäfte der Betriebskrankenkasse beauftragten Personen übernahm. Der Übergang der Arbeitsverhältnisse hing jedoch von der Zustimmung der betroffenen Arbeitnehmer ab. Die Rückkehrzusage diente dazu, diese Zustimmung zu erreichen. Das beklagte Land nahm in seinem Schreiben vom 20. April 1998 ausdrücklich auf den von der BKK Berlin an die Arbeitnehmer übersandten Arbeitsvertragsentwurf Bezug und räumte das Rückkehrrecht für den Fall des Abschlusses eines Arbeitsvertrags ein.

48

(e) Vor diesem Hintergrund kann die Formulierung „unbefristetes Rückkehrrecht“ aus der Sicht der betroffenen Arbeitnehmer nur so verstanden werden, dass auch die Schließung oder Auflösung einer Rechtsnachfolgerin der BKK Berlin dieses Recht auslöst. Insofern unterscheidet sich die Zusage des beklagten Landes erheblich von der Zusage, über deren Auslegung das Bundesarbeitsgericht am 19. Oktober 2005 (- 7 AZR 32/05 -) zu entscheiden hatte. Jene Zusage war in einer Betriebsvereinbarung enthalten, die im Wesentlichen nur eine befristete Beibehaltung der bisher bei der Arbeitgeberin geltenden Arbeitsbedingungen und Vergünstigungen vorsah (vgl. BAG 19. Oktober 2005 - 7 AZR 32/05 - Rn. 20). Die Erstreckung der Rückkehrzusage auch auf den Fall der Schließung einer aufgrund von Vereinigungen entstandenen Rechtsnachfolgerin der BKK Berlin stellte auch kein unkalkulierbares Risiko für das beklagte Land dar (vgl. zum Risikoaspekt: BAG 19. Oktober 2005 - 7 AZR 32/05 - Rn. 25). Typischerweise sinkt die Zahl der Anspruchsberechtigten im Laufe der Zeit aufgrund altersbedingten Ausscheidens aus dem Arbeitsverhältnis. Im Übrigen ging das beklagte Land das verbleibende Risiko bewusst ein. Bereits die Einflussmöglichkeiten des beklagten Landes auf die BKK Berlin, auf die sich das Rückkehrrecht unstreitig bezog, waren aufgrund der Regelungen zum Verwaltungsrat der Betriebskrankenkasse wesentlich geringer als der Einfluss einer herrschenden Gesellschaft auf eine Tochtergesellschaft im Konzern.

49

(3) Das vom beklagten Land eingeräumte Rückkehrrecht steht nicht unter der Bedingung (§ 158 Abs. 1 BGB), dass das mit der BKK Berlin bzw. ihrer Rechtsnachfolgerin begründete Arbeitsverhältnis infolge der Schließung beendet ist. Bereits ihrem Wortlaut nach knüpft die Erklärung vom 20. April 1998 an die Schließung/Auflösung der Betriebskrankenkasse und nicht an die Beendigung des einzelnen Arbeitsverhältnisses an. Dies ist auch interessengerecht. So stellt die Schließung einer Betriebskrankenkasse eine konkrete Gefahr für den Fortbestand der Arbeitsverhältnisse dar. Zwar enthielt § 155 SGB V aF noch keinen Verweis auf § 164 Abs. 2 bis Abs. 4 SGB V. Spätestens nach der Abwicklung der Geschäfte durch den Vorstand entfällt jedoch typischerweise der Beschäftigungsbedarf für die Arbeitnehmer. Es dient zudem der Rechtssicherheit, für die Frage des Bedingungseintritts nach § 158 Abs. 1 BGB nicht an die unter Umständen erst durch ein gerichtliches Verfahren zu klärende Frage der Beendigung des konkreten Arbeitsverhältnisses anzuknüpfen, sondern an die Schließung/Auflösung der Betriebskrankenkasse und die damit verbundene typische Gefahr für den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses.

50

3. Die Klägerin hat auch einen Anspruch darauf, unter Berücksichtigung ihrer im Dezember 1998 zuletzt bestehenden Eingruppierung so gestellt zu werden, als habe sie über den 31. Dezember 1998 hinaus bis zum 31. Dezember 2003 in einem Arbeitsverhältnis zum beklagten Land gestanden. Auch dies folgt bereits aus der Zusage des beklagten Landes vom 20. April 1998.

51

a) Das beklagte Land wollte mit der Rückkehrzusage bewirken, dass die betroffenen Arbeitnehmer dem Übergang ihrer Arbeitsverhältnisse iSd. § 147 Abs. 2 Satz 4 SGB V zustimmen. Insofern unterscheidet sich die Situation von der eines Betriebsübergangs, in der die Arbeitsverhältnisse auf den neuen Inhaber nach § 613a Abs. 1 BGB übergehen, wenn die Arbeitnehmer passiv bleiben und dem Betriebsübergang nicht widersprechen. Nach § 147 Abs. 2 Satz 4 SGB V bedurfte es zum Übergang der Arbeitsverhältnisse der Zustimmung und damit eines aktiven Tuns der betroffenen Arbeitnehmer. Hierzu lag diesen ein Arbeitsvertragsangebot der BKK Berlin vor. Es war für das beklagte Land erkennbar, dass die Arbeitnehmer ihren beim beklagten Land erreichten sozialen Besitzstand nur dann aufgeben würden, wenn sie im Falle einer Schließung oder Auflösung der Betriebskrankenkasse die Folgen ihrer Zustimmung rückgängig machen konnten. Wenn das beklagte Land in dieser Situation ohne weitere Vorbehalte ein Rückkehrrecht einräumte, durften die betroffenen Arbeitnehmer die Rückkehrzusage so verstehen, dass sie im Falle ihrer Rückkehr so gestellt werden, als wären sie durchgehend beim beklagten Land beschäftigt gewesen. Auch wenn diese Rechtsfolge nicht jeder Rückkehrzusage immanent ist (vgl. zu § 17 Satz 1 HVFG: BAG 19. Oktober 2011 - 5 AZR 138/10 - Rn. 29), folgt dies aus den Besonderheiten der Situation im Jahre 1998. Ins Gewicht fällt, dass die betroffenen Arbeitnehmer aufgrund der Personalgestellung durch das beklagte Land bereits seit Jahren bei der BKK Berlin tätig waren. Ohne die Ablehnungserklärung des beklagten Landes iSd. § 147 Abs. 2 Satz 4 SGB V gegenüber dem Vorstand der BKK Berlin hätte diese Form der gespaltenen Arbeitgeberstellung fortgeführt werden können. Die Ausübung des Rückkehrrechts stellt also nur die Situation her, die ohne die Ablehnungserklärung des beklagten Landes und die Zustimmung der Arbeitnehmer gemäß § 147 Abs. 2 SGB V bestanden hätte. Eine Besserstellung der zur BKK Berlin gewechselten Arbeitnehmer ist mit ihrer Rückkehr zum beklagten Land entgegen dessen Ansicht nicht verbunden.

52

b) Selbst wenn davon ausgegangen wird, dass die Rückkehrzusage die zur BKK Berlin gewechselten Arbeitnehmer im Falle ihrer Rückkehr zum beklagten Land nicht so stellen sollte, als wären sie bei diesem durchgehend beschäftigt gewesen, führte dies zu keinem anderen Ergebnis. Nach dem Inkrafttreten des Angleichungs-TV Land Berlin wird anders als unter der Geltung des BAT das Entgelt in den einzelnen Entgeltgruppen nicht nach Lebensaltersstufen bemessen, sodass das Alter für die Höhe der Vergütung ohne Bedeutung ist. Dies konnten weder das beklagte Land noch die zur BKK Berlin gewechselten Arbeitnehmer voraussehen. Die durch das Inkrafttreten des Angleichungs-TV Land Berlin nachträglich entstandene Regelungslücke in der Wiedereinstellungszusage kann nach den Grundsätzen der ergänzenden Vertragsauslegung nur so geschlossen werden, dass die Stufenzuordnung mithilfe des (fiktiven) Vergleichsentgelts vorzunehmen ist. Ist eine vertragliche Regelung planwidrig unvollständig, tritt im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung an die Stelle der lückenhaften Vertragsbestimmung diejenige Gestaltung, die die Parteien bei einer angemessenen Abwägung der beiderseitigen Interessen nach Treu und Glauben als redliche Vertragsparteien vereinbart hätten, wenn ihnen die Lückenhaftigkeit des Vertrags bekannt gewesen wäre (BAG 23. April 2013 - 3 AZR 512/11 - Rn. 34 mwN). Zunächst ist hierfür an den Vertrag selbst anzuknüpfen. Die in ihm enthaltenen Regelungen und Wertungen, sein Sinn und Zweck sind Ausgangspunkt der Vertragsergänzung. Soweit irgend möglich, sind danach Lücken im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung in der Weise auszufüllen, dass die Grundzüge des konkreten Vertrags „zu Ende gedacht“ werden (BAG 17. April 2012 - 3 AZR 803/09 - Rn. 31 mwN). Die Arbeitnehmer sollten durch den Wechsel zur BKK Berlin nicht Gefahr laufen, ihren bei dem beklagten Land erworbenen sozialen Besitzstand im Falle einer Auflösung oder Schließung der sie beschäftigenden Betriebskrankenkasse zu verlieren. Diesem Regelungszweck der Rückkehrzusage wird eine Stufenzuordnung nach § 16 TV-L nicht gerecht. Im Jahre 1998 erfolgte die Vergütung der betroffenen Arbeitnehmer nach dem BAT. Nach § 27 BAT bemaß sich die Grundvergütung in den Vergütungsgruppen des BAT nach Lebensaltersstufen(vgl. BAG 10. November 2011 - 6 AZR 148/09 - BAGE 140, 1). Die vom Übergang nach § 147 Abs. 2 SGB V betroffenen Arbeitnehmer durften berechtigt darauf vertrauen, dass die Bemessung der Vergütung nach erreichten Lebensaltersstufen auch nach der Rückkehr zum beklagten Land Berücksichtigung findet. Dies ist nur bei einer Überleitung anhand des fiktiven Vergleichsentgelts gewährleistet.

53

c) Danach hat die Klägerin an sich einen Anspruch, in dem neu begründeten Arbeitsverhältnis so gestellt zu werden, als habe über den 31. Dezember 1998 hinaus ein ununterbrochenes Arbeitsverhältnis zum beklagten Land bestanden. Das Landesarbeitsgericht hat ihrer Klage bezüglich der beanspruchten Anerkennung von Beschäftigungszeiten jedoch nicht in vollem Umfang stattgegeben. Es hat entschieden, dass nur die bis zum 31. Dezember 1998 beim beklagten Land und die bis zum 31. Dezember 2003 bei der BKK Berlin zurückgelegte Beschäftigungs- bzw. Dienstzeit zu berücksichtigen ist. Dabei besteht zwischen den Parteien Einigkeit, dass auf das zu begründende Arbeitsverhältnis nicht der BAT, sondern der Angleichungs-TV Land Berlin zur Anwendung kommen wird. Die Anerkennung von Dienstzeiten wird daher ohne Bedeutung sein (vgl. BeckOK TV-L/Eylert TV-L § 34 Rn. 60).

54

D. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

        

    Brühler    

        

    Krasshöfer    

        

    Klose    

        

        

        

    M. Lücke    

        

    Kranzusch    

                 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 30. November 2010 - 1 Sa 367/10 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens bis zur Rücknahme der Revision des Klägers haben der Kläger zu 1/4 und die Beklagte zu 3/4 zu tragen. Im Übrigen hat die Beklagte die Kosten der Revision zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten zuletzt noch über eine Verpflichtung der Beklagten, mit dem Kläger (wieder) ein Arbeitsverhältnis zu begründen.

2

Der Kläger war bei der Beklagten seit dem 1. Januar 1980 als Servicetechniker beschäftigt. Zum 1. Januar 1987 gliederte die Beklagte ihr Geschäftsfeld der kompatiblen Großcomputer und Peripheriesysteme aus und überführte es in die C I GmbH, einem von der Beklagten und der S AG neu gegründeten Joint Venture. Die Firmenbezeichnung dieser Gesellschaft stand Ende 1986 noch nicht fest; die Beklagte hielt nach ihrer Darstellung zunächst 66,5 % sowie die S AG 33,5 % der Gesellschaftsanteile.

3

In einem an den Kläger gerichteten Schreiben vom 4. November 1986 informierte die Beklagte ihn - wie auch die anderen für einen Wechsel in die C I GmbH vorgesehenen Mitarbeiter - über das Ausgliederungsvorhaben und führte wörtlich ua. aus:

        

„Hinsichtlich der vorgesehenen vertraglichen Rahmenbedingungen möchten wir Ihnen folgendes mitteilen:

        

○       

...     

        

○       

… Am 01.01.1987 treten Sie in unserem Interesse in ein Arbeitsverhältnis zur neuen Gesellschaft über. Dabei ist sichergestellt, daß bestehende arbeitsvertragliche und betriebliche Regelungen der B Aktiengesellschaft Bestandteil ihres Arbeitsvertrages mit der neuen Gesellschaft werden.

        

○       

Für den Fall, daß aus betrieblichen Gründen das Arbeitsverhältnis mit der neuen Gesellschaft endet, wird Ihnen die Wiedereinstellung bei der B Aktiengesellschaft angeboten. Über die Annahme dieses Angebotes haben Sie die B Aktiengesellschaft spätestens einen Monat vor Beendigung Ihres Arbeitsverhältnisses mit der neuen Gesellschaft zu unterrichten. Im Falle des Wiedereintritts gelten die dann bei der B Aktiengesellschaft üblichen vertraglichen Bedingungen und Ihre letzten Gehaltsbezüge bei der neuen Gesellschaft.

        

In den nächsten Tagen werden wir im Rahmen von Informationsveranstaltungen zu den Fragen Stellung nehmen, die für Sie von allgemeinem und besonderem Interesse sind.“

4

Die Beklagte und der bei ihr bestehende Betriebsrat führten vor der Ausgliederung Verhandlungen über deren Folgen. Am 4. Dezember 1986 schlossen sie eine mit „Rahmenbedingungen für in das Joint-venture B/S übertretende B AG-Mitarbeiter“ (im Folgenden: JVR 1986) überschriebene Vereinbarung. Sie hat folgenden Wortlaut:

        

„Aus Anlaß der Ausgliederung des Geschäfts mit kompatiblen Großcomputern und Peripheriesystemen aus der B AG zum 01.01.87 wird zwischen Unternehmensleitung und Betriebsrat folgendes vereinbart:

        

1.    

Die neue Gesellschaft, die ihren Sitz in Ma haben wird, wird die bisherigen Standorte der zur Ausgliederung aus der B AG anstehenden Betriebsteile in Ma und L ab 01.01.87 beibehalten. Standortveränderungen für die Verkaufsbüros sind z. Zt. nicht beabsichtigt. Bei den Standorten H und M kann es mittelfristig zu Umzügen innerhalb der Standorte kommen.

        

2.    

Die neue Gesellschaft wird Mitglied des Arbeitgeberverbands Chemie Baden-Württemberg e. V.

        

3.    

Alle Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen (künftig nur: Mitarbeiter), deren Arbeitsverhältnisse am 01.01.87 auf die neue Gesellschaft übergehen, erhalten von der B AG eine entsprechende - mit dem Betriebsrat abgestimmte - schriftliche Mitteilung. Betroffen hiervon sind grundsätzlich alle derzeit in dem Geschäft mit kompatiblen Großcomputern und Peripheriesystemen tätigen Mitarbeiter. Sonderfälle sind zwischen Mitarbeiter, Betriebsrat und Unternehmensleitung der B AG mit dem ernsthaften Willen zur Einigung zu beraten.

        

4.    

Ungeachtet der Bestimmung von Ziff. 3 Satz 3 kann jeder Mitarbeiter, der eine Mitteilung gem. Ziff. 3 erhalten hat, dem Übergang des Arbeitsverhältnisses bis spätestens 31.12.86 schriftlich widersprechen. Der Widerspruch hat zur Folge, daß das mit der B AG bestehende Arbeitsverhältnis nicht auf die neue Gesellschaft übergeht.

        

5.    

Im Falle des Widerspruchs eines Mitarbeiters ist die B AG verpflichtet, diesem unter Berücksichtigung der arbeitsvertraglichen Vereinbarungen im Rahmen der bestehenden Möglichkeiten einen adäquaten Arbeitsplatz anzubieten. Sofern ein solcher nicht vorhanden oder frei ist, wird das Arbeitsverhältnis regelmäßig einvernehmlich (Aufhebungsvertrag) oder - unter Beachtung der gesetzlichen Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats bei personellen Einzelmaßnahmen - durch einseitige Gestaltungserklärung (Kündigung des Mitarbeiters oder des Arbeitgebers) enden. Im Falle einer Kündigung durch den Mitarbeiter ist die B AG grundsätzlich bereit, auf die Einhaltung der Kündigungsfrist über den 31.12.86 hinaus zu verzichten. Die Gewährung der Jahresprämie 1986 wird dadurch nicht berührt.

        

6.    

Mitarbeiter mit mindestens 25 Dienstjahren, die zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs das 55. Lebensjahr vollendet haben und die nicht mehr in die neue Gesellschaft überwechseln wollen, können auf Wunsch in der B AG verbleiben oder durch Aufhebungsvertrag aus der B AG ausscheiden.

        

7.    

Bezüglich der arbeitsvertraglichen Rechte und Pflichten derjenigen Mitarbeiter, deren Arbeitsverhältnisse am 01.01.87 auf die neue Gesellschaft übergehen, gilt folgendes:

                 

a)    

Durch den Wechsel in die neue Gesellschaft ändert sich die Tätigkeit der Mitarbeiter in der Regel nicht. Sofern dies im Einzelfall doch der Fall ist, wird die Tätigkeit des Mitarbeiters in der neuen Gesellschaft seiner bisherigen in der B AG zumindest adäquat sein.

                 

b)    

Die mit der B AG abgeschlossenen schriftlichen Arbeitsverträge gehen zum 01.01.87 vollinhaltlich auf die neue Gesellschaft über. Dies gilt insbesondere auch für die in Teilzeit beschäftigten Mitarbeiter.

                 

c)    

Alle in der B AG zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs bestehenden kollektiven Regelungen (Betriebsvereinbarungen, Regelungsabreden, betriebliche Übungen), aus denen sich Rechte und Pflichten der Mitarbeiter ergeben, werden mit Wirkung vom 01.01.87 zusätzlicher Bestandteil der jeweiligen Einzelarbeitsverträge der in die neue Gesellschaft überwechselnden Mitarbeiter (§ 613 a BGB). In Ergänzung und Konkretisierung hierzu wird folgendes festgelegt:

                          

aa)     

Die nachfolgend im einzelnen aufgeführten Regelungen gelten für die am 01.01.87 übertretenden B-Mitarbeiter bis zu ihrem Ausscheiden aus der neuen Gesellschaft fort. Verbesserungen und/oder Verschlechterungen dieser Betriebsvereinbarungen in der B AG nach 1987 führen unmittelbar zu einer entsprechenden Verbesserung/Verschlechterung für die zum 01.01.87 überwechselnden B-Mitarbeiter. Im einzelnen handelt es sich hierbei um folgende Regelungen:

                                   

•       

B-Altersversorgung

                                   

•       

Betriebsvereinbarung Nr. 3 (Regelungen für Mitarbeiter mit politischen Mandaten und ehrenamtlichen Tätigkeiten)

                                   

•       

Betriebsvereinbarung Nr. 13 (Jubiläumsgaben und Dienstaltersprämien)

                                   

•       

Betriebsvereinbarung Nr. 14 (Leistungen bei unverschuldeter Arbeitsunfähigkeit sowie bei Heilverfahren)

                                   

•       

Betriebsvereinbarung Nr. 32 (Entlohnungsgrundsätze für außertarifliche Angestellte) mit der Maßgabe, daß als Bezugsgröße die Bestimmungen der Tarifverträge für Baden-Württemberg gelten.

                                   

•       

Altersteilzeit und Altersfreizeit für AT-Mitarbeiter

                                   

•       

Programm ‚Eltern und Kind’

                                   

•       

‚Absprache zur Behandlung der WSZ bei tariflichen Alters- und Meisterjahressprüngen, bei C.3-Zulagen und Umgruppierungen’, unter Berücksichtigung der baden-württembergischen Tarifgruppenstruktur

                          

bb)     

Ziff. 7 c) aa) gilt entsprechend für folgende, nicht in förmlichen Betriebsvereinbarungen oder Regelungsabreden festgelegte Regelungen:

                                   

•       

Die Erhöhung der WSZ bei Tarifmitarbeitern erfolgt bis einschließlich 1992 nach den jährlich in der B AG geltenden Vorgaben.

                                   

•       

Allgemeine Gesundheitsvorsorgemaßnahmen nach Gruppe II

                                   

•       

Gewährung von Hypothekendarlehen der Pensionskasse sowie von Belegschaftsdarlehen und zinslosen Darlehen durch die B AG

                                   

•       

Urlaubsgeldpauschalen für außertarifliche und schwerbehinderte Mitarbeiter

                                   

•       

Gewährung von Pensionierungsurlaub

                                   

•       

Gewährung von Vorzugsaktien für AT-Mitarbeiter (anstelle vermögenswirksamer Leistungen)

                                   

•       

Möglichkeit des Bezugs von B-Aktien im Rahmen der Netto-Jahresprämie

                                   

•       

Gewährung von Zusatzurlaub für die den Schwerbehinderten gleichgestellten Mitarbeiter

                                   

•       

Mehrarbeitspauschale und Dienstwagenregelung für Außendienst-Mitarbeiter

                                   

•       

‚Richtlinien für Dienstwagen’ sowie für ‚Bereitschaft, Noteinsätze, Meldung von Überstunden und Abfeiern’ (ORGA)

                          

cc)     

Die zum 01.01.87 übertretenden B-Mitarbeiter werden folgende Leistungen entsprechend Ziff. 7 c) aa) - jeweils nach den in der B AG geltenden Regelungen - weiterhin in Anspruch nehmen können:

                                   

•       

Werksärztlicher Dienst der B AG

                                   

•       

Leistungen der Br-Stiftung entsprechend der Satzung

                                   

•       

Werkbücherei

                                   

•       

Privatabgabestellen mit Ausnahme des Technischen Lagers (Schrottlager)

                                   

•       

Belegschaftsrabatt im Verkaufs-Center (Z 23)

                                   

•       

Derzeitiges Kantinenangebot bzw. Essensgeldzuschußzahlung

                                   

•       

Freizeit-/und Abendkursangebot

                          

dd)     

Die B Betriebskrankenkasse wird gesetzliche Pflichtkrankenkasse der neuen Gesellschaft. Freiwillig Versicherte können ihre Mitgliedschaft in der Betriebskrankenkasse fortführen. Mitgliedschaften in der Sterbekasse bleiben unberührt.

                          

ee)     

Bis einschließlich 1990 erhalten die von der B AG in die neue Gesellschaft überwechselnden Mitarbeiter eine Jahresprämie in Höhe der B AG-Jahresprämie.

                          

ff)     

Die B AG wird sicherstellen, daß die neue Gesellschaft den übertretenden B-Mitarbeitern den in der B AG üblichen Unfallversicherungsschutz (Invaliditätsfall, Todesfall) gewährt.

                          

gg)     

Soweit ein Mitarbeiter, dessen Arbeitsverhältnis am 01.01.87 auf die neue Gesellschaft übergeht, Mieter einer G/E-Wohnung ist oder ein zinsloses oder verzinsliches Darlehen von der B AG oder der Pensionskasse erhalten hat, werden die Rechte und Pflichten der Mitarbeiter (Mietvertrag, Darlehensbedingungen) durch den Übertritt in die neue Gesellschaft nicht berührt.

        

8.    

Hinsichtlich der Dienstreiserichtlinien, der Umzugskostenregelung einschl. der Bedingungen für die Gewährung eines Mietzuschusses sowie der Versetzungs- und Entsendungsrichtlinien verbleibt es für die übertretenden B-Mitarbeiter ab 01.01.87 bei den bisherigen (B-)Regelungen. Die neue Gesellschaft wird diese Regelungen im Interesse einer Vereinheitlichung neu fassen. Die Neufassung darf und wird jedoch insgesamt nicht zu einer Schlechterstellung der übertretenden B-Mitarbeiter führen.

        

9.    

Die vorstehenden Ausführungen (Ziff. 8) gelten entsprechend für die derzeit für die übertretenden Mitarbeiter gültige Gleitzeitregelung.

        

10.     

Mitarbeitern, die dem Schutz des Schwerbehindertengesetzes unterliegen, dürfen durch den Übertritt in die neue Gesellschaft keine Nachteile entstehen. Bei notwendigen Umsetzungen schwerbehinderter Mitarbeiter gilt das in der B AG für Umschulungen praktizierte Verfahren.

        

11.     

Die übertretenden Mitarbeiter können sich bis einschließlich 1992 zu den in der B AG geltenden Bedingungen an der internen Stellenausschreibung in der BASF-Werkszeitung beteiligen. Danach gelten die Regeln für Inlandsgruppengesellschaften.

        

12.     

Die Ausbildungsleistungen, welche die B bislang für den ausgegliederten Betriebsteil erbracht hat, werden durch die Ausgliederung nicht berührt. Darüber hinaus wird die neue Gesellschaft zur Deckung ihres Personalbedarfs vorrangig B-Ausgebildete einstellen.

        

13.     

Über die zuvor ausdrücklich angesprochenen, mit dem Übertritt in die neue Gesellschaft für die Mitarbeiter verbundenen Rechte und Pflichten hinaus werden die Unternehmensleitung und der Betriebsrat der B AG im Rahmen ihrer Möglichkeiten sicherstellen, daß nach Gründung der neuen Gesellschaft Betriebsrat und Unternehmensleitung dieser Gesellschaft in angemessener Frist ein alle nicht ausdrücklich erwähnte Betriebsvereinbarungen, Regelungsabreden und betriebliche Übungen einschließendes eigenständiges kollektives Regelwerk erstellen, welches für die zum 01.01.87 übertretenden B-Mitarbeiter insgesamt im Vergleich zu den zum Übertrittszeitpunkt in der B AG geltenden Regelungen nicht zu einer Schlechterstellung führen darf.

        

14.     

Die Eingruppierung und das Entgelt der in die neue Gesellschaft übertretenden B-Mitarbeiter richten sich nach dem Gehaltsrahmen-Tarifvertrag Baden-Württemberg für die chemische Industrie sowie dem am 01.01.87 geltenden Gehaltstarifvertrag. Dabei wird sichergestellt, daß sich die Mitarbeiter bei ihrem Übertritt insgesamt nicht schlechter stellen als nach den bisher für sie geltenden Tarifverträgen des Tarifbezirkes Rheinland-Pfalz. Die tarifliche Eingruppierung sowie die Höhe des Entgelts ergeben sich aus der unter Ziff. 3 genannten schriftlichen Mitteilung an die Mitarbeiter, welche diese spätestens am 10.12.86 erhalten sollen.

                 

Für außertarifliche Mitarbeiter ergibt sich die Höhe des Entgelts unter Berücksichtigung der weitergeltenden BV 32 (vgl. Ziff. 7 c) aa)) aus dem übergehenden Einzelarbeitsvertrag.

        

15.     

Die B AG garantiert den am 01.01.87 in die neue Gesellschaft überwechselnden Mitarbeitern ein Rückkehrrecht auf einen adäquaten Arbeitsplatz in der B AG, sofern eine Weiterbeschäftigung innerhalb der neuen Gesellschaft aus betrieblichen Gründen nicht mehr möglich ist.

        

…“    

5

Mit Schreiben vom 9. Dezember 1986 unterrichtete die Beklagte den Kläger über den Abschluss der JVR 1986 und händigte ihm eine Abschrift hiervon aus. In dem vom Kläger gegengezeichneten und in der Zweitschrift an die Beklagte zurückgesandten Schreiben heißt es, dass er die sich „aus dem Übergang des Arbeitsverhältnisses ergebenden Rechte und Pflichten den Rahmenbedingungen entnehmen“ könne. Mit Wirkung zum 1. Januar 1987 ging das Arbeitsverhältnis des Klägers nach § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB auf die C I GmbH über.

6

In den Folgejahren erwarb die Beklagte von der S AG sukzessive deren Geschäftsanteile an der C I GmbH. In drei Tranchen - zum 1. Mai 1996, am 16. Juli 1998 sowie am 25. Oktober 1999 - veräußerte sie die Anteile an die P GmbH, die später in C H GmbH umfirmierte. Im Sommer 2003 informierte die C I GmbH die Beklagte über eine beabsichtigte Verschmelzung auf die C H GmbH, die noch vor der Umwandlung in C GmbH umfirmierte. Auf der Grundlage einer vorherigen Anfrage der C I GmbH erhielten die ehemaligen Mitarbeiter - darunter auch der Kläger - ein Schreiben der Beklagten vom 12. Dezember 2003. In diesem ist ua. ausgeführt:

        

„… auf Anfrage von C … bestätigen wir Ihnen für den Fall der uns von C mitgeteilten geplanten Verschmelzung … gerne auch persönlich folgendes:

        

Sofern Sie von dem genannten Verschmelzungsvorhaben erfasst sind und für Sie die Joint-Venture-Regelung vom 04.12.1986 anwendbar ist, bleibt bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen eine nach Maßgabe von Ziffer 15 der Joint-Venture-Regelung etwa begründete Rechtsposition von dem Verschmelzungsvorhaben unberührt.“

7

Zum 1. Februar 2004 verschmolz die C I GmbH auf die C GmbH. Diese informierte Anfang 2005 die Beklagte über die geplante Versetzung mehrerer ihrer ehemaligen Mitarbeiter in neu gegründete Regionalgesellschaften. In diesem Zusammenhang erklärte die Beklagte in einem an ihre - jedenfalls von der Versetzung in die C Nord GmbH & Co. KG und in die C West GmbH & Co. KG betroffenen - ehemaligen Mitarbeiter gerichteten Schreiben vom 10. Februar 2005:

        

„… Sofern auf Sie die Joint-Venture-Regelung vom 04.12.1986 anwendbar ist, bleibt bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen eine nach Maßgabe von Ziffer 15 der Joint-Venture-Regelung etwa begründete Rechtsposition von der Versetzung unberührt.“

8

Auch der Kläger erhielt dieses Schreiben vom 10. Februar 2005. Zum Ablauf des Jahres 2008 verschmolzen einige Regionalgesellschaften auf die C GmbH.

9

Das Arbeitsverhältnis des Klägers ging im Zuge der Verschmelzung der C I GmbH auf die C GmbH über. Anfang 2005 wechselte der Kläger aufgrund der Ausgliederung in Regionalgesellschaften zu der C R GmbH & Co. KG. Anlässlich der Verschmelzung der Regionalgesellschaften auf die C GmbH zum Ablauf des Jahres 2008 wechselte er wiederum zu dieser Arbeitgeberin und war dort zuletzt als Systemberater beschäftigt.

10

Mit Beschluss vom 1. Oktober 2009 wurde über das Vermögen der C GmbH das Insolvenzverfahren eröffnet. Der Insolvenzverwalter kündigte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger am 12. Oktober 2009 zum 31. Januar 2010. Über die hiergegen vom Kläger erhobene Kündigungsschutzklage war im Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung noch nicht rechtskräftig befunden; jedenfalls war der Betrieb der Insolvenzschuldnerin stillgelegt. Mit Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 5. Oktober 2009 machte der Kläger gegenüber der Beklagten die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses sowie seine Wiedereinstellung geltend, was diese ablehnte.

11

Mit seiner der Beklagten am 1. April 2010 zugestellten Erweiterung der ursprünglich nur auf eine Verurteilung zur Beschäftigung gerichteten Klage hat der Kläger die Auffassung vertreten, die Beklagte sei zu einer Neubegründung des Arbeitsverhältnisses verpflichtet. Ziffer 15 der JVR 1986 beinhalte ein zeitlich nicht befristetes Rückkehrrecht allein unter der - nunmehr eingetretenen - Bedingung, dass eine Weiterbeschäftigung in der neuen Gesellschaft aus betrieblichen Gründen nicht mehr möglich sei. Die Bestimmung stehe nicht unter dem Vorbehalt, dass die neue Gesellschaft im Zeitpunkt der Rückkehr noch zum Konzern der Beklagten gehören müsse; dies zeigten auch die Schreiben der Beklagten an ihn aus den Jahren 2003 und 2005. Mit diesen Schreiben sei überdies eine einzelvertragliche Wiedereinstellungszusage erklärt worden.

12

Der Kläger hat - soweit für das Revisionsverfahren zuletzt noch von Bedeutung - beantragt,

        

        

die Beklagte zu verurteilen, sein Angebot auf Wiedereinstellung mit Wirkung ab dem 1. Oktober 2009 als Systemberater/technischer Angestellter zu den bei der B üblichen Arbeitsbedingungen mit einer Jahresvergütung in Höhe von 60.000,00 Euro brutto zuzüglich variabler Vergütung unter Anrechnung einer Betriebszugehörigkeit seit dem 1. Januar 1980 anzunehmen.

13

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat sich auf den Standpunkt gestellt, es bestehe kein kollektiv-rechtlicher Rückkehranspruch. Mit Ziffer 15 der JVR 1986 hätten die Betriebspartner außerhalb ihrer Normsetzungsbefugnis gehandelt und außerdem im Hinblick auf den Wiedereinstellungsanspruch nach § 13 Abschn. VI des für die Beklagte geltenden Manteltarifvertrags Bergbau, Chemie, Energie (MTV) den Tarifvorrang von § 77 Abs. 3 BetrVG verkannt. Ungeachtet dessen seien die Voraussetzungen für einen kollektiv-rechtlichen Wiedereinstellungsanspruch nicht gegeben. Das in Ziffer 15 der JVR 1986 vorgesehene Rückkehrrecht sei - wie die gesamten Rahmenbedingungen - auf den Zeitraum befristet, in dem die „neue Gesellschaft“ dem Konzernverbund der Beklagten angehöre. Sachlich sei es auf einen Verlust der Beschäftigungsmöglichkeit in einer Gesellschaft beschränkt, in der der Kläger zuletzt nicht mehr beschäftigt gewesen sei. Ein Wiedereinstellungsanspruch könne nicht auf die Korrespondenz mit den betroffenen Mitarbeitern nach dem Ausscheiden der C I GmbH aus dem Konzernverbund der Beklagten gestützt werden. Die Beklagte habe in ihren Schreiben stets auf eine „etwa begründete Rechtsposition“ verwiesen; eine solche habe dem Kläger bereits im Zeitpunkt der Schreiben nicht (mehr) zugestanden.

14

Das Arbeitsgericht hat dem - in der I. Instanz äußerst hilfsweise gestellten - Begehren auf Wiedereinstellung in der Fassung der Antragstellung entsprochen und die ursprünglich vom Kläger in erster Linie sowie hilfsweise verfolgten Beschäftigungsanträge abgewiesen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht - unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen - die arbeitsgerichtliche Entscheidung zT abgeändert und den Urteilstenor „zur Klarstellung“ wie folgt gefasst:

        

„Die Beklagte wird verurteilt, das Angebot des Klägers auf Abschluss eines Arbeitsvertrages ab dem 1. Februar 2010 auf einem adäquaten Arbeitsplatz in der B zu den bei der Beklagten üblichen Bedingungen anzunehmen.“

15

Die die Abweisung der Beschäftigungsanträge betreffende Anschlussberufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht zurückgewiesen. Der Kläger hat seine - nur diese Anträge betreffende - Revision in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat zurückgenommen. Die Beklagte begehrt mit ihrer ua. auf die Rügen einer Verletzung von § 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO und von § 313 Abs. 1 Nr. 4 iVm. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO gestützten Revision die Abweisung(auch) des Wiedereinstellungsantrags. Der Kläger beantragt die Zurückweisung der Revision.

Entscheidungsgründe

16

Die zulässige Revision der Beklagten ist unbegründet. Das angefochtene Urteil ist nicht verfahrensfehlerhaft. Der Entscheidungsausspruch ist weder unbestimmt, noch hat das Berufungsgericht dem Kläger unter Verstoß gegen § 308 Abs. 1 ZPO etwas zuerkannt, was dieser nicht beantragt hat. Der Antrag in der vom Landesarbeitsgericht tenorierten Fassung ist zulässig und begründet. Der Anspruch des Klägers auf Abschluss eines Arbeitsvertrags mit der Beklagten folgt aus Ziffer 15 der JVR 1986 iVm. den Schreiben der Beklagten vom 12. Dezember 2003 und vom 10. Februar 2005.

17

A. Die Revision rügt ohne Erfolg, dass der Ausspruch des Berufungsgerichts unbestimmt ist und darüber hinaus dem Kläger etwas zugesprochen hat, was nicht Gegenstand der Klage war.

18

I. Das angefochtene Urteil verstößt nicht gegen § 313 Abs. 1 Nr. 4 ZPO.

19

1. Nach § 313 Abs. 1 Nr. 4 ZPO enthält ein verfahrensbeendendes Urteil eine Urteilsformel. Diese muss hinreichend deutlich gefasst sein. Das Erfordernis der - von Amts wegen zu prüfenden - Bestimmtheit des Urteilsausspruchs dient der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit. Der Umfang der materiellen Rechtskraft iSv. § 322 Abs. 1 ZPO und damit die Entscheidungswirkungen müssen festgestellt werden können(vgl. für den Entscheidungsausspruch im Beschlussverfahren BAG 12. Januar 2011 - 7 ABR 25/09 - Rn. 19, AP BetrVG 1972 § 99 Eingruppierung Nr. 48 = EzA BetrVG 2001 § 99 Nr. 21). Bei diesen Feststellungen sind Tatbestand und Entscheidungsgründe ergänzend heranzuziehen, wenn die Urteilsformel den Streitgegenstand und damit den Umfang der Rechtskraft nicht für sich gesehen erkennen lässt (für eine klageabweisende Entscheidung vgl. BAG 19. Januar 2010 - 1 ABR 55/08 - Rn. 15 mwN, BAGE 133, 75; BGH 19. Mai 2011 - I ZB 57/10 - Rn. 7 mwN, BGHZ 190, 1). Insbesondere bei einer Verurteilung zu einer Willenserklärung kann zur Ermittlung des Inhalts einer auslegungsbedürftigen Urteilsformel ein Rückgriff auf Tatbestand und Entscheidungsgründe erforderlich sein (vgl. BGH 8. Juni 2011 - VIII ZR 204/10 - Rn. 9 mwN, NJW-RR 2011, 1382). Ein auf die Abgabe einer Willenserklärung gerichteter Urteilsspruch ist nur dann bestimmt, wenn er so gefasst ist, dass der Inhalt der nach § 894 Satz 1 ZPO fingierten Erklärung klar ist(vgl. BGH 19. Mai 2011 - I ZB 57/10 - Rn. 7 mwN, aaO). Geht es um den Abschluss eines Arbeitsvertrags, muss die nach der speziellen Vollstreckungsregel des § 894 Satz 1 ZPO als abgegeben geltende Willenserklärung den für eine Vertragseinigung notwendigen Mindestinhalt(essentialia negotii) umfassen. Nach § 611 Abs. 1 BGB gehören hierzu die „versprochenen Dienste“, also Art und Beginn der Arbeitsleistung. Eine Einigung über weitere Inhalte ist nicht erforderlich, sofern klar ist, dass die Arbeitsleistung überhaupt vergütet werden soll (vgl. Schaub/Linck ArbR-Hdb. 14. Aufl. § 32 Rn. 4; Küttner/Röller Personalbuch 2012 19. Aufl. Arbeitsvertrag Rn. 7). Der Umfang der Arbeitsleistung und die Dauer des Arbeitsverhältnisses bestimmen sich ggf. nach den üblichen Umständen; die Vergütung folgt ggf. aus § 612 BGB.

20

2. Hiernach ist die Entscheidungsformel im landesarbeitsgerichtlichen Urteil hinreichend bestimmt. Die Verurteilung zur Annahme eines Angebots auf Abschluss eines Arbeitsvertrags benennt den Zeitpunkt des begehrten Vertragsschlusses. Der Umfang der geschuldeten Arbeitsleistung in dem mit der Verurteilung zustande gekommenen Vertrag lässt sich ausreichend deutlich klären. Mangels gegenteiliger Anhaltspunkte handelt es sich um eine unbefristete Vollzeitbeschäftigung. Auch der Inhalt der Tätigkeit ist ausreichend beschrieben. Zwar eröffnet die Formulierung „auf einem adäquaten Arbeitsplatz“ einen Interpretationsspielraum. Entgegen der eigenen Ansicht des Landesarbeitsgerichts ist damit aber keine „weitgehend unbestimmte Verurteilung der Beklagten vorgenommen“. Unter Hinzuziehung von Tatbestand und Entscheidungsgründen ist deutlich, dass die tenorierte Willenserklärung eine Arbeitsleistung des Klägers als Systemberater/technischer Angestellter umfasst. In dieser Tätigkeit war der Kläger zuletzt bei der C GmbH beschäftigt; diese Aufgaben hat auch das Landesarbeitsgericht als „in allererster Linie naheliegend“ erachtet. Mit seinem Ausdruck „adäquater Arbeitsplatz“ meint es zwar einen weiter gefassten Beschäftigungsbereich; auch nach den Gründen der angefochtenen Entscheidung muss dieser aber der Tätigkeit eines „Systemberaters/technischen Angestellten“ gleichwertig sein. Damit ist letztlich ein weites Direktionsrecht der Beklagten eröffnet. Sie kann dem Kläger bei solch einer Verurteilung alle Aufgaben zuweisen, die ein „Systemberater/technischer Angestellter“ schuldet. Eine „weit gefasste“ Beschreibung der Tätigkeit führt zu einem größeren Spielraum bei den arbeitgeberseitigen Weisungsrechten und nicht zu deren Unklarheit. Die ausgesprochene Verurteilung ist damit ebenso wenig unbestimmt, wie ein Vertrag mit der Beklagten über eine Tätigkeit als „Systemberater/technischer Angestellter“ unwirksam wäre. Auch ein solcher Vertrag enthielte eine Einigung über die „essentialia negotii“.

21

II. Das Landesarbeitsgericht hat § 308 Abs. 1 ZPO nicht verletzt. Der Ausspruch in dem angefochtenen Urteil betrifft keinen anderen Streitgegenstand als den vom Kläger zur Entscheidung gestellten.

22

1. Nach § 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist ein Gericht nicht befugt, einer Partei etwas zuzusprechen, was nicht beantragt ist. Umgekehrt darf die beklagte Partei nicht zu etwas anderem verurteilt werden als zu dem, worauf sie ihre Verteidigung einrichten musste (vgl. BAG 11. Dezember 2001 - 9 AZR 435/00 - zu II 2 a der Gründe mwN, EzA ZPO § 256 Nr. 59). Das Gericht darf und muss aber ein Weniger zuerkennen, wenn ein solches Begehren im jeweiligen Sachantrag enthalten ist (vgl. BAG 24. Februar 2010 - 4 AZR 657/08 - Rn. 15 mwN, AP ZPO § 551 Nr. 68). Etwas anderes gilt, wenn es sich nicht um ein Weniger, sondern um ein Aliud handelt. Ob dies der Fall ist, hängt von den konkreten Umständen und Ansprüchen sowie dem erkennbaren Begehren des Klägers ab (vgl. BAG 6. Juni 2007 - 4 AZR 505/06 - Rn. 17, AP BAT 1975 §§ 22, 23 Nr. 308). Entscheidend sind nicht allein die wörtlichen Ausdrücke von Antrag und Urteilsausspruch, sondern deren - ggf. durch Auslegung zu ermittelnde - streitgegenständlichen Inhalte (ähnlich BGH 3. April 2003 - I ZR 1/01 - zu II 1 a der Gründe mwN, BGHZ 154, 342).

23

2. Danach hat das Landesarbeitsgericht § 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO nicht verletzt. Der vom Kläger - in den Tatsacheninstanzen äußerst hilfsweise zur Entscheidung - gestellte Antrag ist nach seinem Wortlaut unzweifelhaft auf die Verurteilung der Beklagten zur Abgabe einer Annahmeerklärung gerichtet. Ihm geht es mit der erstrebten Fiktion der Abgabe der Annahmeerklärung nach § 894 Satz 1 ZPO um das endgültige Zustandekommen eines Arbeitsvertrags mit der Beklagten, das er mit übereinstimmenden Willenserklärungen - Antrag und Annahme(§§ 145 bis 147 BGB) - erwirken möchte. Die Abgabe eines Angebots ist in dem Anwaltsschreiben vom 5. Oktober 2009 zu sehen. Die auf Abgabe der Annahmeerklärung gerichtete Klage entspricht dem Regelfall des mit einer sog. Wiedereinstellungsklage bekundeten Willens des Arbeitnehmers (vgl. zB BAG 19. Oktober 2011 - 7 AZR 743/10 - Rn. 16; 21. August 2008 - 8 AZR 201/07 - Rn. 54, AP BGB § 613a Nr. 353 = EzA BGB 2002 § 613a Nr. 95; 25. Oktober 2007 - 8 AZR 989/06 - Rn. 14, AP BGB § 613a Wiedereinstellung Nr. 2 = EzA BGB 2002 § 613a Nr. 80; 14. August 2007 - 9 AZR 943/06 - Rn. 11, BAGE 123, 358). Der Kläger hat den Inhalt des mit der erstrebten Annahmeerklärung zustande kommenden Arbeitsvertrags näher beschrieben. Er hat den Zeitpunkt des Vertragsbeginns, die Tätigkeit, die Vergütung sowie eine anzurechnende Betriebszugehörigkeit angegeben. Hinsichtlich der für einen Arbeitsvertragsschluss notwendigen Bestandteile - der nach § 611 Abs. 1 BGB „versprochenen Dienste“ - hat das Berufungsgericht keine anderen Bedingungen zuerkannt. Eine Modifizierung (und wegen der beschränkten Revisionseinlegung des Klägers insoweit rechtskräftige teilweise Klageabweisung) liegt allenfalls in der zugesprochenen Vergütung und anzurechnenden Betriebszugehörigkeit. Da diese Bestandteile nicht unverzichtbar für die Annahme eines wirksamen Vertragsschlusses sind, liegt hierin aber keine Änderung des Streitgegenstands. Auch der vom Landesarbeitsgericht zuerkannte spätere Beginn des Arbeitsverhältnisses ist eine Einschränkung und keine Änderung des Klagebegehrens (vgl. zu diesem Aspekt BAG 2. Juli 2003 - 7 AZR 529/02 - zu II 1 der Gründe, BAGE 107, 18).

24

B. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht dem Klageantrag - in dem in der Revision noch angefallenen Umfang - entsprochen. Das zulässige Begehren des Klägers ist begründet.

25

I. Der durch die Revision der Beklagten noch anhängige Antrag ist auch in der Fassung, die er durch die Tenorierung des Landesarbeitsgerichts erfahren hat, zulässig. Er ist - wie ausgeführt - in dieser Fassung hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Der Inhalt des (anzunehmenden) Arbeitsvertrags ist ausreichend konkretisiert. Der Zeitpunkt der Wirkung der Abgabe der Annahmeerklärung - der 1. Februar 2010 - ist genannt. Die wesentlichen Vertragsbestandteile, insbesondere Art und Beginn der Tätigkeit, sind bezeichnet. Die im Klagebegehren angeführten „bei der Beklagten üblichen Bedingungen“ sind nicht unerlässlich für die Bestimmtheit, stehen aber auch außer Streit.

26

II. Der Antrag ist begründet. Die Beklagte ist verpflichtet, die vom Kläger begehrte Willenserklärung abzugeben.

27

1. Der Antrag ist entgegen der Ansicht der Beklagten nicht schon deswegen unbegründet, weil die Verurteilung der Beklagten zur Abgabe der Annahmeerklärung zum 1. Februar 2010 (rück-)wirken soll.

28

a) Mit der Abgabe der Annahmeerklärung kommt das Arbeitsverhältnis mit der Beklagten zustande, denn mit Rechtskraft eines obsiegenden Urteils gilt die Erklärung nach § 894 Satz 1 ZPO als abgegeben. Zu welchem Zeitpunkt die fingierte Annahmeerklärung wirkt, beurteilt sich nach materiellem Recht. Seit Inkrafttreten des § 311a Abs. 1 BGB idF des Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts vom 26. November 2001 (BGBl. I S. 3138) kommt auch die Verurteilung zur Abgabe einer Willenserklärung in Betracht, die auf eine Vertragsänderung oder einen Vertragsschluss zu einem in der Vergangenheit liegenden Zeitpunkt gerichtet ist. Nach § 275 Abs. 1 BGB ist der Anspruch auf die Leistung zwar ausgeschlossen, soweit diese für den Schuldner oder jedermann unmöglich ist. Im Unterschied zum alten Recht ist in § 311a Abs. 1 BGB aber klargestellt, dass ein Vertrag selbst dann nicht nichtig ist, wenn er in der Vergangenheit tatsächlich nicht durchgeführt werden kann(vgl. BAG 9. Februar 2011 - 7 AZR 91/10 - Rn. 26 mwN, AP BGB § 307 Nr. 52 = EzA BGB 2002 § 311a Nr. 2). Die rückwirkende Begründung eines Arbeitsverhältnisses durch Urteil, die mit der Fiktion der Annahmeerklärung greift, ist daher zulässig. Ausgeschlossen ist lediglich eine gerichtliche Entscheidung, mit der ein Arbeitsverhältnis mit Rückwirkung zu einem Zeitpunkt vor Abgabe des Angebots begründet werden soll (vgl. BAG 4. Mai 2010 - 9 AZR 155/09 - Rn. 17 und 35, BAGE 134, 223).

29

b) Hiernach kann der Kläger die Begründung eines am 1. Februar 2010 beginnenden Arbeitsverhältnisses verlangen. Das Anwaltsschreiben vom 5. Oktober 2009 enthält ein Angebot zum Abschluss eines Arbeitsvertrags. Die Annahme dieses Angebots ist mit einer gerichtlichen Entscheidung nach § 894 Satz 1 ZPO fingiert. Das Arbeitsverhältnis gilt nicht zu einem Zeitpunkt vor Abgabe des Angebots als geschlossen.

30

2. Entgegen der Auffassung des Klägers folgt sein Anspruch auf Abschluss eines Arbeitsvertrags nicht aus dem Schreiben der Beklagten vom 4. November 1986. Es kann offenbleiben, ob dieses Schreiben überhaupt ein selbständiges Wiedereinstellungsversprechen enthielte. Selbst wenn man hiervon zu Gunsten des Klägers ausginge, wäre die Zusage mit dem späteren Schreiben der Beklagten vom 9. Dezember 1986, welches der Kläger gegengezeichnet hat, einvernehmlich aufgehoben. Die Beklagte hat in diesem Schreiben auf die JVR 1986 und die dort niedergelegten Rechte und Pflichten verwiesen. Der Kläger hat mit der Gegenzeichnung der Zweitschrift des Schreibens sein Einverständnis damit bekundet, dass nunmehr die JVR 1986 Rechtsgrundlage eventueller nachvertraglicher Verpflichtungen der Beklagten ist und ggf. früher gegebene Versprechen überholt sein sollen.

31

3. Der Anspruch des Klägers auf Abgabe der vom Landesarbeitsgericht zugesprochenen Annahmeerklärung folgt aber aus Ziffer 15 der JVR 1986 iVm. den Schreiben der Beklagten vom 12. Dezember 2003 und vom 10. Februar 2005. In Ziffer 15 der JVR 1986 haben die Betriebsparteien für die unter den Geltungsbereich der Betriebsvereinbarung fallenden Arbeitnehmer das Recht zu einer Rückkehr zu der Beklagten unter der aufschiebenden Bedingung geregelt, dass eine Weiterbeschäftigung innerhalb der „neuen Gesellschaft“ aus betrieblichen Gründen nicht mehr möglich ist. Diesem kollektiv-rechtlichen Wiedereinstellungsversprechen begegnen entgegen der Auffassung der Beklagten keine grundsätzlichen Wirksamkeitsbedenken. Das aufschiebend bedingte Rückkehrrecht steht nicht unter dem - ungeschriebenen - Vorbehalt der Zugehörigkeit der C I GmbH zum Konzernverbund der Beklagten. Dies ergibt die Auslegung von Ziffer 15 der JVR 1986. Ob sich die Wiedereinstellungszusage sachlich auf den Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit bei der C I GmbH beschränkt oder auch auf einen solchen bei deren Rechtsnachfolgern erstreckt, kann offenbleiben. Das - aufschiebend bedingte - Recht auf eine Rückkehr endete weder mit der Verschmelzung der C I GmbH auf die C GmbH noch mit dem Wechsel des Klägers zu der C R GmbH & Co. KG. Dies folgt jedenfalls aus den an ihn gerichteten Schreiben der Beklagten vom 12. Dezember 2003 und vom 10. Februar 2005. Die Voraussetzungen des Rückkehrrechts sind erfüllt. Der Unmöglichkeitseinwand der Beklagten ist unbegründet.

32

a) Ziffer 15 der JVR 1986 regelt in zulässiger Weise für die zum 1. Januar 1987 in die C I GmbH wechselnden Arbeitnehmer das Recht einer Rückkehr zur Beklagten, sofern eine Weiterbeschäftigung innerhalb der neuen Gesellschaft aus betrieblichen Gründen nicht mehr möglich ist.

33

aa) Die JVR 1986 gilt für die Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnisse zum 1. Januar 1987 von der Beklagten auf die C I GmbH übergegangen sind. Der Kläger gehört zu diesem Personenkreis.

34

bb) Das in Ziffer 15 der JVR 1986 „garantierte“ Rückkehrrecht ist nicht aus kollektiv-rechtlichen Gründen unwirksam. Die Betriebsparteien sind nicht grundsätzlich gehindert, einen Wiedereinstellungsanspruch für Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnisse aufgrund eines bevorstehenden Betriebsteilübergangs nach § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB auf einen anderen Arbeitgeber übergehen, zu regeln. Eine etwaige Unwirksamkeit anderer Bestimmungen in den JVR 1986 führte jedenfalls nicht zu ihrer Gesamtunwirksamkeit. Ziffer 15 der JVR 1986 verstößt schließlich nicht gegen die Regelungssperre des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG.

35

(1) Mit Ziffer 15 der JVR 1986 in ihrem Verständnis als Wiedereinstellungsanspruch haben die Betriebsparteien ihre Regelungskompetenz nicht überschritten.

36

(a) Bei den JVR 1986 handelt es sich um eine Betriebsvereinbarung iSe. kollektiv-rechtlichen Normenvertrags zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber. Eine Betriebsvereinbarung kann über alle Fragen und Angelegenheiten abgeschlossen werden, die nach dem Gesetz der Zuständigkeit des Betriebsrats unterliegen. Dies ist in erster Linie bei mitbestimmungspflichtigen Tatbeständen der Fall. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kommt den Betriebsparteien aber auch eine umfassende Kompetenz zu, durch freiwillige Betriebsvereinbarungen Regelungen über den Inhalt, den Abschluss und die Beendigung von Arbeitsverhältnissen zu treffen (vgl. ausf. BAG 12. Dezember 2006 -  1 AZR 96/06 - Rn. 13 ff., BAGE 120, 308; grundlegend BAG GS 7. November 1989 - GS 3/85 - zu C I 2 der Gründe, BAGE 63, 211; vgl. auch Linsenmaier RdA 2008, 1; kritisch zur „globalen Regelungskompetenz“ Richardi BetrVG 13. Aufl. § 77 Rn. 67).

37

(b) Hiernach betrifft Ziffer 15 der JVR 1986 im Verständnis eines - aufschiebend bedingten - Rückkehrrechts für die von einem Übergang ihrer Arbeitsverhältnisse zur „neuen Gesellschaft“ mit Wirkung ab dem 1. Januar 1987 betroffenen Arbeitnehmer einen zulässigen Regelungsgegenstand. Ein Wiedereinstellungsversprechen kann als Abschlussnorm grundsätzlich zulässiger Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein (vgl. BAG 19. Oktober 2005 - 7 AZR 32/05 - zu II 2 der Gründe, AP BetrVG 1972 § 77 Betriebsvereinbarung Nr. 26 = EzA BetrVG 2001 § 77 Nr. 13; vgl. ferner auch 5. Juli 1984 - 2 AZR 246/83 - ohne ausdrückliche Problematisierung bei einem Wiedereinstellungsanspruch aus einem Sozialplan; grds. aA Diehn Rückkehrzusagen beim Betriebsübergang S. 49 ff.).

38

(aa) Die Argumentation der Revision, eine entsprechende Regelungsbefugnis könne nicht auf § 88 BetrVG gestützt werden, vernachlässigt, dass freiwillige Betriebsvereinbarungen nicht auf die dort ausdrücklich genannten Gegenstände beschränkt sind, sondern - wie sich aus dem Wort „insbesondere“ ergibt - auch über andere Gegenstände möglich sein sollen. Außerdem zeigt die Regelung in § 77 Abs. 3 Satz 1 und Satz 2 BetrVG, dass der Gesetzgeber dort, wo die Tarifvertragsparteien ihre Befugnis zur Regelung von Arbeitsbedingungen nicht wahrnehmen, von einer Regelungskompetenz der Betriebsparteien ausgeht(vgl. näher BAG 12. Dezember 20061 AZR 96/06 - Rn. 14, BAGE 120, 308).

39

(bb) Auch der Verweis der Revision, den Betriebsparteien käme keine auf den Abschluss eines Arbeitsvertrags gerichtete Normsetzungsbefugnis zu, weil Regelungen zum Arbeitsverhältnis ein solches begriffsnotwendig voraussetzten, geht fehl. Bei Wiedereinstellungsbestimmungen, die - wie im vorliegenden Streitfall - Arbeitnehmer betreffen, die (noch) in einem Arbeitsverhältnis stehen, treffen die Betriebsparteien Regelungen zu diesen Arbeitsverhältnissen. Die von der Beklagten angeführten Legitimationsprobleme bestehen daher nicht.

40

(cc) Der Regelungsgegenstand unterliegt der sachlich-funktionellen Zuständigkeit des Betriebsrats. Es ist erforderlich, aber auch ausreichend, dass er sich auf den Betrieb und auf die Interessen der vom Betriebsrat vertretenen Arbeitnehmer bezieht (vgl. BAG 19. Oktober 2005 - 7 AZR 32/05 - zu II 2 der Gründe, AP BetrVG 1972 § 77 Betriebsvereinbarung Nr. 26 = EzA BetrVG 2001 § 77 Nr. 13). Dies ist vorliegend der Fall. Bei Abschluss der JVR 1986 waren die von ihrer Ziffer 15 erfassten Arbeitnehmer (noch) vom Betriebsrat repräsentiert. Die Vorschrift richtet sich nicht an eine „betriebsfremde Belegschaft“. Die Bestimmung in der Betriebsvereinbarung regelt damit nicht in unzulässiger Weise eine Arbeitsbedingung in einem Betrieb eines anderen Arbeitgebers, für deren Gestaltung der Betriebsrat nicht sachlich legitimiert wäre. Sie knüpft zwar - hinsichtlich der aufschiebenden Bedingung des Wegfalls einer Weiterbeschäftigungsmöglichkeit innerhalb der „neuen Gesellschaft“ aus betrieblichen Gründen - an einen Sachverhalt an, der sich bei einer anderen Gesellschaft stellt. Die Rechtsfolge der Verpflichtung zur (Wieder-)Begründung des Arbeitsverhältnisses betrifft aber allein die Beklagte. Dies unterfällt der Regelungskompetenz des bei ihr bestehenden Betriebsrats. Die Rückkehrklausel regelt keinen Erwerbertatbestand, sondern einen den Betriebsteilveräußerer - die Beklagte - anbelangenden Sachverhalt.

41

(2) Eine etwaige Unwirksamkeit anderer Bestimmungen in der JVR 1986 hinderte die Annahme der Wirksamkeit von deren Ziffer 15 nicht. Die teilweise Unwirksamkeit der JVR 1986 hat nicht deren Gesamtnichtigkeit zur Folge.

42

(a) Nach § 139 BGB ist ein ganzes Rechtsgeschäft nichtig, wenn nicht anzunehmen ist, dass es auch ohne den nichtigen Teil vorgenommen sein würde. Bei den nach § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG unmittelbar und zwingend wirkenden Betriebsvereinbarungen tritt die Rechtsfolge der Gesamtnichtigkeit wegen des Normencharakters allerdings nur dann ein, wenn der verbleibende Teil ohne den unwirksamen Teil keine sinnvolle und in sich geschlossene Regelung mehr darstellt(vgl. BAG 19. Februar 2008 - 1 AZR 1004/06 - Rn. 40 mwN, BAGE 125, 366).

43

(b) Selbst wenn alle anderen Bestimmungen der JVR 1986 wegfielen, stellte die Rückkehrbestimmung noch eine sinnvolle und in sich geschlossene Regelung dar. Darauf, ob die Betriebsparteien bei Kenntnis selbst einer überwiegenden Teilunwirksamkeit der JVR 1986 deren Ziffer 15 in gleicher Weise vereinbart hätten, kommt es nicht an (ähnlich im Fall eines Einigungsstellenspruchs BAG 26. August 2008 - 1 ABR 16/07 - Rn. 57, BAGE 127, 276). Es kann daher auf sich beruhen, ob andere Normen der JVR 1986 die „neue Gesellschaft“ außerhalb der Normsetzungsbefugnis der Betriebsparteien unzulässig unmittelbar verpflichten.

44

(3) Ziffer 15 der JVR 1986 ist nicht - anders als die Revision meint - wegen des Vorrangs einer tariflichen Bestimmung nach § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG unwirksam. Sie betrifft keinen Sachverhalt, der (mittlerweile) durch einen Tarifvertrag geregelt ist.

45

(a) Nach § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG können Arbeitsentgelte und sonstige Arbeitsbedingungen, die durch Tarifvertrag geregelt sind oder üblicherweise geregelt werden, nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein. Die Vorschrift gewährleistet die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie. Dazu räumt sie den Tarifvertragsparteien den Vorrang zur Regelung von Arbeitsbedingungen ein. Diese Befugnis soll nicht durch ergänzende oder abweichende Regelungen der Betriebsparteien ausgehöhlt werden können. Eine gegen die Regelungssperre des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG verstoßende Betriebsvereinbarung ist unwirksam. Etwas anderes gilt nach § 77 Abs. 3 Satz 2 BetrVG dann, wenn der Tarifvertrag den Abschluss ergänzender Betriebsvereinbarungen ausdrücklich zulässt(vgl. zB BAG 29. April 2004 - 1 ABR 30/02 - zu B II 2 a der Gründe mwN, BAGE 110, 252).

46

(b) Hiernach verstößt Ziffer 15 der JVR 1986 nicht gegen die Regelungssperre des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG. Gegenstand der Betriebsvereinbarungsbestimmung ist keine durch den Manteltarifvertrag Bergbau, Chemie, Energie vom 24. Juni 1992 - zuletzt in der Fassung vom 16. März 2009 - (MTV) geregelte Arbeitsbedingung. Die einzig in Betracht kommende Bestimmung nach § 13 Abschn. VI Ziff. 1 des MTV lautet:

        

„Wiedereinstellung und betriebsbedingte Umsetzungen

        

Aus betriebsbedingten Gründen entlassene Arbeitnehmer, die länger als 12 Monate dem Betrieb angehört haben und deren Entlassung nicht mehr als 12 Monate zurückliegt, werden im Falle der Neubesetzung von für sie geeigneten Arbeitsplätzen bevorzugt wieder eingestellt.

        

Kommen mehr entlassene Arbeitnehmer in Betracht, als Arbeitsplätze wieder zur Verfügung stehen, hat der Arbeitgeber unter Beachtung des Mitbestimmungsrechtes des Betriebsrates gemäß § 99 BetrVG eine sachgerechte Auswahl zu treffen.“

47

Damit regelt § 13 Abschn. VI Ziff. 1 MTV nach seinem unmissverständlichen Wortlaut sowie seinem Sinn und Zweck zwar auch einen Wiedereinstellungsanspruch. Dieser ist aber von vornherein auf eine andere Sachmaterie bezogen als die von Ziffer 15 der JVR 1986 geregelte. Während § 13 Abschn. VI Ziff. 1 MTV eine Wiedereinstellung im Zusammenhang mit betriebsbedingten Kündigungen vorsieht, legt die Betriebsvereinbarungsbestimmung einen solchen im Zusammenhang mit einem bevorstehenden Übergang von Arbeitsverhältnissen auf eine „andere Gesellschaft“ fest. Tarifnorm und Betriebsvereinbarungsregel ordnen damit zwar die gleiche Rechtsfolge an, regeln aber nicht die gleichen Sachverhalte.

48

b) Das Ausscheiden der C I GmbH aus dem Konzernverbund der Beklagten beendete das aufschiebend bedingte Rückkehrrecht nicht. Wie die gebotene Auslegung ergibt, ist die „Garantie eines Rückkehrrechts“ nach Ziffer 15 der JVR 1986 nicht für die Zeit der Zugehörigkeit der C I GmbH zum Konzernverbund der Beklagten befristet.

49

aa) Betriebsvereinbarungen sind wegen ihres normativen Charakters wie Tarifverträge und Gesetze auszulegen. Auszugehen ist danach vom Wortlaut der Bestimmung und dem durch ihn vermittelten Wortsinn. Insbesondere bei unbestimmtem Wortsinn sind der wirkliche Wille der Betriebsparteien und der von ihnen beabsichtigte Zweck zu berücksichtigen, sofern und soweit sie im Text ihren Niederschlag gefunden haben. Abzustellen ist ferner auf den Gesamtzusammenhang und die Systematik der Regelungen. Im Zweifel gebührt derjenigen Auslegung der Vorzug, die zu einem sachgerechten, zweckorientierten, praktisch brauchbaren und gesetzeskonformen Verständnis der Bestimmung führt (vgl. zB BAG 27. Juli 2010 - 1 AZR 67/09 - Rn. 9, AP BetrVG 1972 § 77 Betriebsvereinbarung Nr. 52 = EzA BetrVG 2001 § 77 Nr. 31).

50

bb) Hiernach steht die Geltung der Rückkehrzusage nicht unter dem Vorbehalt einer Zugehörigkeit der „neuen Gesellschaft“ zum Konzernverbund der Beklagten. Dies hat das Landesarbeitsgericht richtig erkannt.

51

(1) Der Wortlaut von Ziffer 15 der JVR 1986 gibt keine Anhaltspunkte für eine solche Annahme. Das Rückkehrrecht bezieht sich auf die in die „neue Gesellschaft“ überwechselnden Mitarbeiter. Andere Voraussetzungen oder Bedingungen als der Wegfall einer Weiterbeschäftigungsmöglichkeit aus betrieblichen Gründen in dieser „neuen Gesellschaft“ sind nicht explizit ausgedrückt.

52

(2) Der Gesamtzusammenhang und die Regelungssystematik deuten nicht zwingend darauf, das Rückkehrrecht zur Beklagten auf die Zeit der Zugehörigkeit der „neuen Gesellschaft“ zum B-Konzern zu beschränken. Die JVR 1986 enthält zahlreiche Bestimmungen, die - ungeachtet ihrer jeweiligen kollektiv-rechtlichen Wirksamkeit - die Beibehaltung der bisher bei der Beklagten geltenden Arbeitsbedingungen einschließlich deren Verschlechterungen und Vergünstigungen zeitlich nicht begrenzen. Damit unterscheidet sich die JVR 1986 von der gleichfalls ein Rückkehrrecht beinhaltenden Betriebsvereinbarung, die von der Beklagten mit den zuständigen Betriebsräten am 4. Dezember 1990 anlässlich der Ausgliederung ihrer Magnetproduktaktivitäten in ein Tochterunternehmen geschlossen worden ist und die der Entscheidung des Senats vom 19. Oktober 2005 zugrunde lag (- 7 AZR 32/05 - [Magnetic] AP BetrVG 1972 § 77 Betriebsvereinbarung Nr. 26 = EzA BetrVG 2001 § 77 Nr. 13). Zwar sind die Geltung der „Erhöhung der WSZ bei Tarifmitarbeitern“ nach Ziffer 7 c) bb) erster Punkt der JVR 1986 und die Jahresprämienbestimmung nach Ziffer 7 c) ee) in zeitlicher Hinsicht ebenso limitiert wie die Beteiligung der zur „neuen Gesellschaft“ gewechselten Mitarbeiter an internen Stellenausschreibungen der Beklagten nach Ziffer 11 der JVR 1986. Die in Ziffer 7 c) aa) der JVR 1986 vorgesehene Fortgeltung von bei der Beklagten bestehenden Betriebsvereinbarungen einschließlich deren späteren Verbesserungen oder Verschlechterungen enthält aber keine zeitlich beschriebene „Veränderungsgrenze“. Auch die entsprechende Anwendung anderer bei der Beklagten geltender kollektiver Regelungen ist unbeschränkt niedergelegt. Den weiter geregelten Möglichkeiten der Inanspruchnahme von unternehmens- und konzernbezogenen Sozialeinrichtungen und Leistungen mag die Vorstellung eines Verbleibs der C I GmbH in der B-Gruppe zugrunde liegen, was jedenfalls in Ziffer 11 Satz 2 der JVR 1986 auch seinen sprachlichen Niederschlag gefunden hat („Regeln für Inlandsgruppengesellschaften“). Notwendig erscheint diese Annahme aber nicht. Augenscheinlich haben die Betriebspartner in dem Wissen darum, dass es sich bei der Gesellschaft, in die das Geschäftsfeld der kompatiblen Großcomputer und Peripheriesysteme zum 1. Januar 1987 ausgegliedert worden ist, um ein Joint Venture mit der S AG handelte, den wechselnden Arbeitnehmern das bei der Beklagten bestehende Niveau der Arbeitsbedingungen sichern wollen. Ein alleiniger Einfluss der Beklagten auf die C I GmbH war bereits bei Abschluss der JVR 1986 ausgeschlossen. Dies kann dafür sprechen, dass die in der JVR 1986 geregelten Leistungen für die wechselnden Arbeitnehmer - ungeachtet ihrer Wirksamkeit und Durchsetzbarkeit - nach der Vorstellung der Betriebspartner nur so lange gelten sollten, wie die Beklagte überhaupt eine Einflussmöglichkeit auf die C I GmbH als konzernzugehöriges Unternehmen hat. Selbst wenn dies der Fall gewesen sein sollte, muss eine ggf. anzunehmende konzernzugehörigkeitsbegrenzte Reichweite der geregelten Leistungen aber nicht auch für die Rückkehrzusage gelten.

53

cc) Sinn und Zweck des in Ziffer 15 der JVR 1986 geregelten Rückkehrrechts sprechen deutlich dafür, dieses nicht unter dem ungeschriebenen Vorbehalt eines Verbleibs der „neuen Gesellschaft“ in der B-Gruppe zu verstehen. Die Betriebspartner haben die Konditionen eines Wechsels von Arbeitnehmern zu einer anderen Vertragsarbeitgeberin festgelegt, vor allem aber den Ausgleich der Nachteile geregelt, die den überwechselnden Arbeitnehmern durch die Ausgliederung des Geschäftsfelds der kompatiblen Großcomputer und Peripheriesysteme ggf. entstehen können. Die Ausgleichsnotwendigkeit ist durch den Wegfall des Arbeitsplatzes der betroffenen Arbeitnehmer bei der Beklagten veranlasst. Entscheidend ist weniger die Kompensation von Nachteilen wegen eines Wechsels zu einer ganz bestimmten (konzernzugehörigen) Arbeitgeberin, sondern wegen der Nichtfortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit der Beklagten. Hierfür haben die Betriebspartner ein Äquivalent in der Form einer Wiedereinstellungszusicherung geschaffen und die Bedingung hierfür folgerichtig allein an das Fehlen einer Weiterbeschäftigungsmöglichkeit aus betrieblichen Gründen innerhalb der „neuen Gesellschaft“ geknüpft. Gegen den ungeschriebenen Vorbehalt eines Verbleibs der „neuen Gesellschaft“ in der B-Gruppe spricht auch, dass es anderenfalls die Beklagte als beherrschendes Unternehmen weitgehend in der Hand hätte, allein durch die Veräußerung ihrer Gesellschaftsanteile die Rückkehransprüche der begünstigten Arbeitnehmer kompensationslos zu beseitigen. Deren Rechtspositionen könnten von der Konzernmutter der Beklagten durch einseitige Maßnahmen ersatzlos entwertet werden. Anderes würde nur dann gelten, wenn in einem solchen Fall des Ausscheidens aus der B-Gruppe der Eintritt einer aufschiebenden Bedingung des Rückkehrrechts gelegen und dieses somit - bereits - zu diesem Zeitpunkt entstanden wäre. So kann Ziffer 15 der JVR 1986 aber nicht verstanden werden. Auch die Beklagte beruft sich nicht auf eine derartige Deutung. Bei einem ungeschriebenen Vorbehalt der Verbleibs der „neuen Gesellschaft“ in der B-Gruppe bliebe schließlich völlig unklar, ob ein solcher Verbleib bereits mit dem Verlust der Mehrheitsanteile und der Beendigung des Konzernverhältnisses oder erst mit der Aufgabe jeglicher Beteiligung an der „neuen Gesellschaft“ endete. Auch dies spricht gegen einen derartigen ungeschriebenen Vorbehalt.

54

c) Das für den Kläger geltende Rückkehrrecht endete nicht mit dem Wechsel seines Arbeitsverhältnisses zur C GmbH, auf die die C I GmbH mit Wirkung zum 1. Februar 2004 verschmolzen ist.

55

aa) Ob sich das Rückkehrrecht der zu der C I GmbH gewechselten Arbeitnehmer bereits nach Ziffer 15 der JVR 1986 sachlich auch auf den Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit bei einem Rechtsnachfolger dieser „neuen Gesellschaft“ erstreckt, kann offenbleiben. Es erscheint einerseits klar, dass die Betriebspartner mit „neuer Gesellschaft“ allein die C I GmbH gemeint haben. Der Ausdruck wurde nur deshalb gewählt, weil die Firmenbezeichnung des Joint Venture im Zeitpunkt des Abschlusses der JVR 1986 noch nicht feststand. Der das Rückkehrrecht auslösende Wegfall der Weiterbeschäftigung aus betrieblichen Gründen „innerhalb der neuen Gesellschaft“ mag daher allein auf einen solchen bei der C I GmbH - und nicht bei rechtsnachfolgenden Gesellschaften - verstanden werden können. Andererseits deutet der bereits dargestellte Zweck des Rückkehrrechts darauf, dass mit ihm weniger der Nachteil wegen des Wechsels der betroffenen Arbeitnehmer zu der „neuen Gesellschaft“ als einem ganz bestimmten Betriebsteilerwerber ausgeglichen werden sollte, sondern es um eine Kompensation dafür ging, die Beklagte als „sichere“ Arbeitgeberin zu verlieren. Die Betriebsparteien bezweckten die Absicherung der ehemaligen Mitarbeiter der Beklagten für den Fall eines späteren Verlustes ihres (neuen) Arbeitsplatzes aus betrieblichen Gründen. Das Rückkehrrecht kann daher so verstanden werden, dass es sich auch auf die fehlende Beschäftigungsmöglichkeit bei einem anderen Rechtsträger erstreckt, auf die die Arbeitsverhältnisse der vormaligen Mitarbeiter der Beklagten infolge von betrieblichen und gesellschaftsrechtlichen Umstrukturierungen der „neuen Gesellschaft“ mittlerweile übergegangen sind. Ein solches Verständnis erscheint jedenfalls bei einer gesellschaftsrechtlichen Umwandlung der „neuen Gesellschaft“, die keine Widerspruchsmöglichkeit für die Arbeitnehmer nach § 613a Abs. 6 BGB gegen den Übergang oder den Wechsel ihrer Arbeitsverhältnisse auf eine „andere Gesellschaft“ aufgrund einer Gesamtrechtsnachfolge eröffnet, naheliegend. Dies ist der Fall, wenn - wie vorliegend im Zuge der Verschmelzung der C I GmbH auf die C GmbH - der bisherige Rechtsträger erlischt (vgl. zum Nichtbestehen eines Widerspruchsrechts ausf. BAG 21. Februar 2008 - 8 AZR 157/07 - Rn. 18 ff., BAGE 126, 105). Der betroffene Arbeitnehmer kann bei solch einer Konstellation den Übergang seines Arbeitsverhältnisses nicht verhindern. Er würde also allein durch umwandlungsrechtliche Maßnahmen auf Seiten seines Arbeitgebers, die er nicht beeinflussen und deren Rechtsfolgen er nicht abwenden kann, ersatzlos eine wesentliche, ihm günstige Rechtsposition verlieren. Die Frage kann vorliegend jedoch letztlich dahinstehen.

56

bb) Der Kläger hat jedenfalls aufgrund des Schreibens der Beklagten vom 12. Dezember 2003 auch nach seinem Wechsel zur C GmbH gegenüber der Beklagten ein individualrechtlich versprochenes Rückkehrrecht entsprechend der Ziffer 15 der JVR 1986. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht in diesem Schreiben eine Zusage der Weitergeltung der Rückkehrmöglichkeit auch bei einem Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit aus betrieblichen Gründen bei der C GmbH gesehen.

57

(1) Es kann dahinstehen, ob, wofür vieles spricht, das Schreiben vom 12. Dezember 2003 typische Erklärungen beinhaltet, deren Auslegung durch das Revisionsgericht uneingeschränkt kontrollierbar ist - auch hinsichtlich der Frage, ob mit ihnen überhaupt eine rechtsgeschäftliche Bindung eingegangen werden soll - (vgl. dazu zB BAG 29. September 2010 -  3 AZR 546/08 - Rn. 17 mwN, AP BetrAVG § 9 Nr. 23 ), oder ob eine nichttypische Regelung vorliegt, deren Auslegung durch die Tatsachengerichte in der Revisionsinstanz nur darauf überprüfbar ist, ob sie gegen gesetzliche Auslegungsregeln, anerkannte Auslegungsgrundsätze, Denkgesetze, Erfahrungssätze oder Verfahrensvorschriften verstößt oder wesentliche Umstände unberücksichtigt lässt und ob sie rechtlich möglich ist (vgl. dazu zB BAG 23. Mai 2007 - 10 AZR 29/07 - Rn. 16 mwN). Die Auslegung des Schreibens durch das Landesarbeitsgericht hielte auch einer uneingeschränkten revisionsrechtlichen Prüfung stand.

58

(2) Das Schreiben der Beklagten vom 12. Dezember 2003 ist nicht lediglich eine Wissenserklärung ohne rechtliche Bindung.

59

(a) Willenserklärungen sind nach §§ 133, 157 BGB so auszulegen, wie sie der Empfänger aufgrund des aus der Erklärung erkennbaren Willens unter Berücksichtigung der Verkehrssitte und der Grundsätze von Treu und Glauben(§ 242 BGB) und unter Berücksichtigung aller ihm bekannten Begleitumstände vernünftigerweise verstehen durfte. Ob der Erklärende einen entsprechenden Geschäftswillen hat, ist für den Eintritt der Wirkung einer Willenserklärung im Rechtsverkehr nicht ausschlaggebend. Maßgeblich ist vielmehr, ob der Empfänger aus einem bestimmten Erklärungsverhalten auf einen Bindungswillen schließen durfte. Erforderlich ist weiterhin, dass der Erklärende bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte erkennen und vermeiden können, dass sein Verhalten als Willenserklärung aufgefasst werden konnte, und dass der Erklärungsempfänger es tatsächlich so verstanden hat (vgl. BAG 17. Juni 2003 - 3 AZR 462/02 - zu III 1 der Gründe mwN, EzA BetrAVG § 2 Nr. 20).

60

(b) Die Beklagte hat sich gegenüber dem Kläger - wie auch gegenüber den anderen ehemaligen Mitarbeitern - dahingehend geäußert, dass „eine nach Maßgabe von Ziffer 15 der Joint-Venture-Regelung etwa begründete Rechtsposition“ von der Verschmelzungsmaßnahme „unberührt“ bleibe. Die Formulierung „unberührt bleibt“ lässt aus der Sicht des Klägers - wie auch der anderen Empfänger dieses Schreibens - auf einen Verpflichtungswillen der Beklagten dahingehend schließen, dass jedenfalls dann, wenn der betroffene Mitarbeiter dem aufschiebend bedingten Rückkehrrecht nach Ziffer 15 der JVR 1986 unterfällt, dieses nicht wegen der gesellschaftsrechtlichen Umwandlung der C I GmbH und des damit verbundenen Wechsels der Arbeitgeberin beseitigt sein soll. Hierfür sprechen auch die Begleitumstände des Erklärungsverhaltens der Beklagten, die sich auf Anfrage der C I GmbH in persönlichen Einzelschreiben an ihre ehemaligen Arbeitnehmer gewandt und die Nichtrelevanz der geplanten Verschmelzung für eine auf der Grundlage der Ziffer 15 der JVR 1986 „etwa begründete Rechtsposition“ „bestätigt“ hat, ohne dass es auf die vom Landesarbeitsgericht angeführte und von der Beklagten in Abrede gestellte Motivation für dieses Schreiben (Verhinderung des - ohnehin nicht gegebenen - Widerspruchs gegen den Übergang des Arbeitsverhältnisses) ankäme. Die Betroffenen - also ua. der Kläger - konnten das Schreiben nur so verstehen, dass die Beklagte zwar kein von den Voraussetzungen nach Ziffer 15 der JVR 1986 unabhängiges Rückkehrrecht zusichern wollte, der Wechsel ihres Arbeitsverhältnisses zu der C GmbH diesem aber nicht entgegenstehen soll. Das aufschiebend bedingte Recht einer Rückkehr, das der Kläger in diesem Zeitpunkt immer noch innehatte, war somit nicht wegen der gesellschaftsrechtlichen Umstrukturierung erloschen.

61

d) Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht weiter angenommen, dass die Beklagte an ihre Zusage vom 12. Dezember 2003 gebunden ist. Mit der „Versetzung“ des Klägers - es handelte sich wohl eher um einen Übergang seines Arbeitsverhältnisses - zu der C R GmbH & Co. KG hat die Geltungsdauer des Rückkehrrechts nicht geendet. Die Beklagte hat in diesem Zusammenhang dem Kläger gegenüber mit Schreiben vom 10. Februar 2005 erklärt, dass die „nach Maßgabe von Ziffer 15 der Joint-Venture-Regelung etwa begründete Rechtsposition von der Versetzung unberührt“ bleibe. Auch diese Erklärung beinhaltet eine bindende Zusage dahingehend, den Status als „Rückkehrberechtigten“ trotz eines Wechsels in ausgegliederte Regionalgesellschaften zu sichern. Ist - wie beim Kläger - eine Rechtsposition begründet, sollte nach dem verlautbarten Willen der Beklagten die „Versetzung“ zu einer anderen Gesellschaft den Anspruch auf eine Rückkehr zu ihr nicht tangieren.

62

e) Schließlich bewirkte der (Rück-)Wechsel des Klägers zur C GmbH keinen Untergang des Rückkehrrechts. Hinsichtlich dieser Gesellschaft war dem Kläger mit Schreiben vom 12. Dezember 2003 versprochen, dass eine nach Ziffer 15 der JVR 1986 „etwa begründete“ Rechtsposition (die der Kläger tatsächlich noch innehatte) erhalten bleibt.

63

f) Die Voraussetzungen für den Rückkehranspruch liegen vor. Dessen aufschiebende Bedingung ist eingetreten. Eine Weiterbeschäftigung des Klägers bei der C GmbH ist aus betrieblichen Gründen nicht möglich. Deren Betrieb ist stillgelegt. Die Rückkehrbestimmung ist entgegen der Auffassung der Beklagten nicht so zu interpretieren, dass sie nur bei einer rechtswirksamen betriebsbedingten Kündigung greift. Der Wiedereinstellungsanspruch setzt nur die Unmöglichkeit einer Weiterbeschäftigung aus betrieblichen Gründen voraus. Weder Wortlaut, Systematik noch Sinn und Zweck der Regelung enthalten Anhaltspunkte dafür, dass die Wirksamkeit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit der „neuen Gesellschaft“ den Anforderungen nach § 1 Abs. 2 und Abs. 3 KSchG entsprechen - und ggf. sogar einer gerichtlichen Prüfung unterzogen sein - muss. In einem solchen Verständnis hielte das Rückkehrrecht im Übrigen auch der Binnenschranke einer Verhältnismäßigkeitskontrolle nicht stand. Es handelte sich um eine dem Arbeitnehmer unzumutbare, mit § 75 Abs. 1 BetrVG unvereinbare Bedingung(vgl. BAG 22. November 2005 - 1 AZR 458/04 - Rn. 28, AP BetrVG 1972 § 112 Nr. 176 = EzA BetrVG 2001 § 112 Nr. 15; 22. Juli 2003 - 1 AZR 575/02 - zu III 1 der Gründe, BAGE 107, 100; zur Angemessenheitskontrolle einer einzelvertraglichen Wiedereinstellungszusage in vorformulierten Vertragsbedingungen vgl. BAG 9. Februar 2011 - 7 AZR 91/10 - Rn. 44 ff., AP BGB § 307 Nr. 52 = EzA BGB 2002 § 311a Nr. 2).

64

g) Die von der Beklagten geltend gemachte Unmöglichkeit einer Beschäftigung des Klägers zu den Konditionen des begehrten Arbeitsvertrags steht dem auf die Abgabe einer Willenserklärung gerichteten Klageanspruch nicht entgegen. Mit Rechtskraft der den Vertrag begründenden Annahmeerklärung steht der Vertragsmindestinhalt fest; die Abgabe einer solchen Erklärung ist der Beklagten nicht unmöglich. Allenfalls der - in der Revisionsinstanz nicht (mehr) streitgegenständlichen - Beschäftigungsverpflichtung könnte die Beklagte mit dem Unmöglichkeitseinwand begegnen.

65

C. Die Kostenentscheidung beruht für die Zeit bis zur Rücknahme der Revision des Klägers auf § 91 Abs. 1, § 97 Abs. 1, § 565 iVm. § 516 Abs. 3 Satz 1 ZPO, im Übrigen auf § 97 Abs. 1 ZPO.

        

    Linsenmaier    

        

    Kiel    

        

    Schmidt    

        

        

        

    Günther Metzinger    

        

    Willms    

                 

(1) Das Beschlußverfahren findet in den in § 2a bezeichneten Fällen Anwendung.

(2) Für das Beschlussverfahren des ersten Rechtszugs gelten die für das Urteilsverfahren des ersten Rechtszugs maßgebenden Vorschriften entsprechend, soweit sich aus den §§ 81 bis 84 nichts anderes ergibt. Der Vorsitzende kann ein Güteverfahren ansetzen; die für das Urteilsverfahren des ersten Rechtszugs maßgebenden Vorschriften über das Güteverfahren gelten entsprechend.

(3) § 48 Abs. 1 findet entsprechende Anwendung.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats wird der Beschluss des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 13. Mai 2008 - 4 TaBV 4/08 - aufgehoben. Die Beschwerde der Arbeitgeberin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 11. Oktober 2007 - 11 BV 232/07 - wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Tenor des Arbeitsgerichts zu Ziffer 1, wie folgt neu gefasst wird:

Der Arbeitgeberin wird es für jeden Fall der Zuwiderhandlung unter Androhung eines Ordnungsgeldes in Höhe von bis zu 10.000,00 Euro untersagt, Arbeitnehmer in einer anderen Filiale ohne vorherige Beteiligung des Betriebsrats zu beschäftigen, wenn der Einsatz voraussichtlich die Zeitdauer von einem Monat überschreiten soll, es sei denn, die Arbeitgeberin macht sachliche Gründe, die eine solche Maßnahme dringend erforderlich machen, geltend und leitet, falls der Betriebsrat dies bestreitet, hiernach innerhalb von drei Tagen das arbeitsgerichtliche Verfahren nach § 100 BetrVG ein.

Gründe

1

A. Die Beteiligten streiten über einen Anspruch auf Unterlassung bestimmter personeller Einzelmaßnahmen.

2

Die Arbeitgeberin erbringt Finanzdienstleistungen. Antragsteller ist der aufgrund eines Zuordnungstarifvertrags für den Regionalbetrieb F gebildete Betriebsrat. Dieser leitete seit Ende 2004 beim Arbeitsgericht Frankfurt am Main eine Vielzahl von Beschlussverfahren ein, in denen er jeweils von der Arbeitgeberin die Unterlassung von mitbestimmungswidrig durchgeführten Versetzungen verlangte. Die Beteiligten schlossen zwischen dem 3. Mai 2005 und dem 24. Oktober 2005 in elf Beschlussverfahren gerichtliche Vergleiche. In diesen räumte die Arbeitgeberin eine Verletzung des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats bei Versetzungen nach §§ 99 f. BetrVG ein und/oder erklärte, das Mitbestimmungsrecht in Zukunft wahren zu wollen. Der Betriebsrat leitete bis Anfang 2006 aufgrund weiterer Anlassfälle aus dem Jahr 2005 insgesamt zehn Verfahren ein, in denen er die künftige Unterlassung von mitbestimmungswidrig vorgenommenen Versetzungen beantragte. Diese Verfahren wurden - wie zwei andere Verfahren aus dem Jahr 2007 - nach der Verkündung der erstinstanzlichen Entscheidung im vorliegenden Verfahren ausgesetzt.

3

Die Arbeitgeberin beantragte am 21. März 2005 die Zustimmung des Betriebsrats zu einer vom 21. März 2005 bis zum 30. Juni 2005 befristeten Versetzung der Arbeitnehmerin K von der Filiale Ka in die Filiale G. Diesem Antrag stimmte der Betriebsrat nur für die Zeit bis zum 19. Juni 2005 zu. Die Arbeitgeberin beschäftigte Frau K über den 30. Juni 2005 hinaus zunächst in der Filiale G weiter. In der Zeit vom 22. bis zum 28. August 2005 war Frau K in der Filiale L tätig. Mit Schreiben vom 30. August 2005 beantragte die Arbeitgeberin die Zustimmung des Betriebsrats für den Einsatz von Frau K in der Filiale G für die Zeit vom 20. Juni 2005 bis zum 31. Oktober 2005. Diesem Antrag stimmte der Betriebsrat zu und leitete anschließend erneut ein Beschlussverfahren mit dem Ziel ein, die Arbeitgeberin zukünftig zur Unterlassung von mitbestimmungswidrig vorgenommenen Versetzungen anzuhalten. In der Antragsschrift stützte er sein Begehren auf seine unterbliebene Beteiligung bei dem Einsatz von Frau K in der Filiale L. Das Arbeitsgericht Frankfurt am Main wies den Unterlassungsantrag durch Beschluss vom 4. April 2007 (- 22 BV 984/05 -) als unbegründet zurück. Die hiergegen eingelegte Beschwerde des Betriebsrats nahm dieser mit Schriftsatz vom 4. Februar 2008 zurück.

4

Die zuständige Filialgebietsleitung D beabsichtigte Anfang März 2007 einen „Ringtausch“ der in ihren Filialen in N, Dr und H eingesetzten Beamten B und La sowie der Arbeitnehmerin K vorzunehmen. Anlass hierfür war, dass sich Herr B mit der Führung der Masterkasse in der Filiale N überfordert fühlte und auf seine Umsetzung drängte. Herr B sollte zunächst vom 1. April 2007 bis zum 30. Juni 2007 in der Filiale H eingesetzt werden und Frau Ko von H nach Dr sowie Frau La von Dr nach N umgesetzt werden.

5

Die Filialgebietsleitung D unterrichtete die Personalabteilung der Arbeitgeberin am 12. März 2007 über den beabsichtigten Wechsel der Einsatzfilialen. Da der Antrag nach Ansicht der Personalabteilung in der nächsten turnusmäßigen Betriebsratssitzung nicht mehr behandelt werden konnte, sollten die Maßnahmen nach der Betriebsratsvorlage vom 14. März 2007 erst ab dem 16. April 2007 vorgenommen werden. Tatsächlich führte sie der zuständige Regionalgebietsleiter Bi bereits am 19. März 2007 durch.

6

Der Betriebsrat hat - soweit für das Rechtsbeschwerdeverfahren noch von Bedeutung - zuletzt beantragt,

        

der Arbeitgeberin unter Androhung eines Ordnungsgeldes in Höhe von bis zu 10.000,00 Euro für jeden Fall der Zuwiderhandlung aufzugeben, es zu unterlassen ohne vorherige erteilte, als erteilt geltende oder gerichtlich ersetzte Zustimmung des Betriebsrats Versetzungen von Mitarbeitern der Arbeitgeberin von einer Filiale zu einer anderen Filiale vorzunehmen, es sei denn, die Arbeitgeberin macht sachliche Gründe, die eine Versetzung dringend erforderlich machen, geltend und leitet, falls der Betriebsrat dies bestreitet, hiernach innerhalb von drei Tagen das arbeitsgerichtliche Verfahren nach § 100 BetrVG ein.

7

Die Arbeitgeberin hat beantragt, den Antrag abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, aufgrund der von Herrn B geäußerten dringenden Bitte nach einer Umsetzung habe aus Sicht des Regionalgebietsleiters ein Notfall vorgelegen, der zum Wegfall der Beteiligungspflicht nach § 99 BetrVG geführt habe.

8

Das Arbeitsgericht hat dem Unterlassungsantrag des Betriebsrats entsprochen. Das Landesarbeitsgericht hat ihn abgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt der Betriebsrat seinen Unterlassungsantrag weiter.

9

B. Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat den allein noch anhängigen Unterlassungsantrag des Betriebsrats zu Unrecht abgewiesen. Der Betriebsrat kann verlangen, dass es die Arbeitgeberin unterlässt, ohne seine vorherige Beteiligung Arbeitnehmer in einer anderen Filiale zu beschäftigen, wenn deren Einsatz voraussichtlich die Zeitdauer von einem Monat überschreiten soll und die Voraussetzungen für die vorläufige Durchführung nach § 100 BetrVG nicht vorliegen.

10

I. Der Antrag ist zulässig.

11

1. Der Antrag bedarf der Auslegung.

12

Nach seinem Wortlaut ist er darauf gerichtet, dass es die Arbeitgeberin unter den im Antrag genannten Bedingungen unterlassen soll, Arbeitnehmer von einer Filiale zu einer anderen Filiale zu versetzen. Damit würden auch solche personelle Maßnahmen erfasst werden, bei denen die Arbeitgeberin ein Zustimmungsverfahren nach § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG eingeleitet hat und bei denen der Wechsel der Einsatzfiliale die Dauer von einem Monat voraussichtlich nicht überschreiten soll. Ein solches Antragsverständnis würde dem Begehren des Betriebsrats jedoch nicht gerecht. Dieser hat sich zur Begründung seines Antrags auf seine unterbliebene Beteiligung bei den gegenüber den Mitarbeitern B, Ko und La ab dem 19. März 2007 durchgeführten personellen Maßnahmen berufen. Diese waren dadurch gekennzeichnet, dass die genannten Beschäftigten ohne vorherige Zustimmung des Betriebsrats für einen Zeitraum von mehr als einen Monat in einer anderen Filiale beschäftigt werden sollten. Nach der vom Betriebsrat angeführten Anlasshandlung war sein Antragsziel daher von vornherein auf eine Verurteilung der Arbeitgeberin beschränkt, die es ihr untersagt, eine solche personelle Maßnahme ohne seine vorherige Beteiligung durchzuführen, sofern die Voraussetzungen nach § 100 BetrVG nicht vorliegen. Dies hat der Betriebsrat in der Anhörung vor dem Senat ausdrücklich klargestellt.

13

2. Mit diesem Inhalt ist der Antrag hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO und ggf. vollstreckungsfähig gem. § 85 Abs. 1 Satz 1, Satz 3 ArbGG iVm. § 888 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Bei einer dem Antrag stattgebenden Entscheidung kann die Arbeitgeberin eindeutig erkennen, welcher Handlungen sie sich enthalten soll und wann sie wegen eines Verstoßes mit der Verhängung eines Ordnungsgeldes rechnen muss.

14

3. Entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts steht dem Antrag der Einwand der Rechtskraft nicht entgegen.

15

a) Nach dem auch im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren anwendbaren § 322 Abs. 1 ZPO sind Beschlüsse der Rechtskraft fähig, soweit über den durch den Antrag erhobenen Anspruch entschieden ist (BAG 6. Juni 2000 - 1 ABR 21/99 - zu B II 1 der Gründe mwN, BAGE 95, 47). Die materielle Rechtskraftwirkung solcher Beschlüsse hindert grundsätzlich, dass bei Identität der Beteiligten und des Sachverhalts die bereits rechtskräftig entschiedene Frage den Gerichten zur erneuten Entscheidung unterbreitet werden kann. Der Begriff des Anspruchs in § 322 Abs. 1 ZPO bezeichnet den prozessualen Anspruch im Sinne der Streitgegenstandslehre. Die objektiven Grenzen der Rechtskraft des Entscheidungsgegenstandes werden durch den Streitgegenstand des vorangehenden Verfahrens bestimmt (BAG 20. März 1996 - 7 ABR 41/95 - zu B II 2 der Gründe, BAGE 82, 291). Dieser richtet sich nach dem zur Entscheidung gestellten Antrag (Klageziel) und dem zugehörigen Lebenssachverhalt (Klagegrund), aus dem die begehrte Rechtsfolge hergeleitet wird (BAG 1. Februar 1983 - 1 ABR 33/78 - zu B II 1 der Gründe, BAGE 41, 316). Zur Rechtskraftwirkung gehört auch die Präklusion der im vorangegangenen Verfahren vorgetragenen Tatsachen. Diese erstreckt sich auch auf die dort nicht vorgetragenen Tatsachen, sofern diese nicht erst nach Schluss der Anhörung im Erstverfahren entstanden sind, sondern bei natürlicher Anschauung zu dem in diesem vorgetragenen Lebenssachverhalt gehören (BGH 19. November 2003 - VIII ZR 60/03 - BGHZ 157, 47, 51 mwN). Dabei sind Tatbestand und Entscheidungsgründe, erforderlichenfalls auch das Parteivorbringen, ergänzend heranzuziehen, wenn die Urteilsformel, wie insbesondere bei einer klageabweisenden Entscheidung, den Streitgegenstand und damit den Umfang der Rechtskraft nicht erkennen lässt (BGH 23. September 1992 - I ZR 224/90 - NJW 1993, 333, 334).

16

b) Bei einem Unterlassungsantrag besteht die begehrte Rechtsfolge in dem Verbot einer bestimmten - als rechtswidrig angegriffenen - Verhaltensweise (Verletzungsform), die der Antragsteller in seinem Antrag abstrahierend beschreiben muss. Die Rechtskraft der vorangegangenen Entscheidung wird durch den Klageantrag und die vom Antragsteller vorgetragene und vom Gericht dieser Entscheidung zugrunde gelegte Verletzungshandlung begrenzt. Diese stellt den Klagegrund dar, durch den der Streitgegenstand der Unterlassungsklage neben dem Klageziel bestimmt wird. Mehrere in das Verfahren eingeführte gleichartige Verletzungshandlungen, auf die ein Unterlassungsantrag mit einem bestimmten Antragsziel gestützt wird, bilden dabei einen einheitlichen Klagegrund. In Rechtskraft erwächst der in die Zukunft gerichtete Verbotsausspruch nicht als solcher, sondern nur in seinem Bezug auf die vom Gericht festgestellte(n) Verletzungshandlung(en) (BGH 23. Februar 2006 - I ZR 272/02 - BGHZ 166, 253, 258 ff.).

17

c) Der Streitgegenstand des Verfahrens - 22 BV 984/05 -, über den das Arbeitsgericht in seinem Beschluss vom 4. April 2007 entschieden hat, ist nicht mit dem des vorliegenden Verfahrens identisch. Der Betriebsrat kann sich daher zur Begründung seines Antrags auf seine unterbliebene Beteiligung bei den gegenüber den Beschäftigten B, Ko und La ab dem 19. März 2007 durchgeführten personellen Maßnahmen berufen, obwohl die maßgeblichen Tatsachen bereits vor der Anhörung im Verfahren - 22 BV 984/05 - entstanden sind.

18

aa) Der Betriebsrat hat seinen Unterlassungsantrag im Erstverfahren auf seine unterbliebene Beteiligung bei dem Einsatz der Arbeitnehmerin K in der Filiale L in der Zeit vom 22. bis zum 28. August 2005 gestützt. Diese Anlasshandlung war dadurch gekennzeichnet, dass die Arbeitnehmerin für einen Zeitraum von weniger als einem Monat in einer anderen Filiale beschäftigt war, ohne dass die Arbeitgeberin dafür die Zustimmung des Betriebsrats beantragt hat oder die Voraussetzungen für die vorläufige Durchführung nach § 100 BetrVG vorlagen. Der Betriebsrat hat hierin einen Verstoß gegen sein Beteiligungsrecht aus § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG gesehen, wobei er offensichtlich davon ausgegangen ist, dass der kurzfristige Einsatz in der Filiale L die Voraussetzungen des § 95 Abs. 3 Satz 1 2. Alt. BetrVG erfüllt. Sein Antragsziel in dem Verfahren - 22 BV 984/05 - war nach dem angeführten Klagegrund darauf gerichtet, der Arbeitgeberin den kurzzeitigen Einsatz von Arbeitnehmern unter den im Antrag genannten Bedingungen zu untersagen. Über diesen Streitgegenstand ist das Arbeitsgericht in seinem Beschluss vom 4. April 2007 entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts nicht hinausgegangen. In diesem hat es nicht auf ein Gesamtverhalten der Arbeitgeberin und die Gesamtzahl der gerichtsbekannten Verstöße abgestellt. Es hat vielmehr das Verhalten des Betriebsrats als widersprüchlich angesehen, der einerseits einen mehr als zweimonatigen mitbestimmungswidrigen Einsatz von Frau K in der Filiale G rückwirkend genehmigte und andererseits seinen Unterlassungsantrag auf ihre nur wenige Tage andauernde Beschäftigung in der Filiale L gestützt hat.

19

bb) Zwischen den im Verfahren - 22 BV 984/05 - und im vorliegenden Verfahren geltend gemachten prozessualen Ansprüchen bestand wegen der voneinander abweichenden Antragsziele und der zu ihrer Begründung angeführten Verletzungshandlungen keine Übereinstimmung. Dies hat das Landesarbeitsgericht verkannt. In dem Verfahren - 22 BV 984/05 - hat das Arbeitsgericht entsprechend dem angeführten Anlassfall nur über eine Verletzungsform entschieden, die durch einen kurzzeitigen Wechsel der Einsatzfiliale gekennzeichnet war. Der im vorliegenden Verfahren zu beurteilende Anlassfall betrifft hingegen eine personelle Maßnahme, die für länger als einen Monat beabsichtigt war. Die in beiden Verfahren gestellten Anträge waren danach trotz ihres nahezu identischen Wortlauts auf unterschiedliche Antragsziele gerichtet. Der Antrag des Betriebsrats in dem Verfahren - 22 BV 984/05 - betraf nach der dem Anlassfall zugrunde liegenden Verletzungshandlung nur die Untersagung eines kurzzeitigen Wechsels der Einsatzfiliale. Zudem fehlt es an einem einheitlichen Klagegrund. Die in beiden Verfahren zu beurteilenden Verletzungshandlungen waren weder gleich noch gleichartig. Das diesen zugrunde liegende mitbestimmungswidrige Verhalten der Arbeitgeberin wird maßgeblich gekennzeichnet durch die Dauer der beabsichtigten Zuweisung des anderen Arbeitsbereichs. Dies folgt aus den unterschiedlichen Tatbestandsvoraussetzungen der für das Beteiligungsrecht des Betriebsrats maßgeblichen gesetzlichen Vorschriften. Eine Versetzung iSd. § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG liegt bei kurzzeitigen Maßnahmen nur vor, wenn sie mit einer erheblichen Änderung der Umstände verbunden ist, unter denen die Arbeit zu leisten ist ( § 95 Abs. 3 Satz 1 2. Alt BetrVG) . Fehlt es hieran, ist die Zustimmung des Betriebsrats nur erforderlich, wenn die Zuweisung des anderen Arbeitsbereichs voraussichtlich die Dauer von einem Monat überschreitet ( § 95 Abs. 3 Satz 1 1. Alt. BetrVG ).

20

4. Dem Antrag steht das Verfahrenshindernis der Rechtshängigkeit nicht entgegen.

21

a) Nach dem auch im Beschlussverfahren anwendbaren § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO bewirkt die Rechtshängigkeit einer Streitsache, dass sie von keiner Partei anderweitig anhängig gemacht werden kann. Dieses Verfahrenshindernis ist in jeder Lage des Verfahrens, auch noch in der Rechtsbeschwerdeinstanz, von Amts wegen zu beachten. Die zeitlich frühere Rechtshängigkeit eines Verfahrens ist aber nur beachtlich, wenn die Streitgegenstände in dem früheren und dem gegenwärtigen Verfahren identisch sind.

22

b) Der Senat musste nicht ermitteln, ob die im Hinblick auf den vorliegenden Rechtsstreit ausgesetzten Verfahren denselben Streitgegenstand betreffen. Amtsprüfung bedeutet keine Amtsermittlung. Die Prüfung von Amts wegen beschränkt sich auf den dem Gericht vorliegenden oder offenkundigen Verfahrensstoff (BGH 5. November 1975 - VIII ZR 73/75 - NJW 1976, 149). Besteht nach dem Vortrag der Beteiligten Anlass zu dem Bedenken, es könnte ein Verfahrenshindernis bestehen, kann das Gericht aber zu einem entsprechenden Hinweis nach § 139 Abs. 2 ZPO verpflichtet sein (BGH 20. Januar 1989 - V ZR 173/87 - NJW 1989, 2064, 2065). Die Vorinstanzen haben zwar keine Feststellungen zum Streitgegenstand der ausgesetzten Verfahren getroffen. Einer hierauf gestützten Zurückverweisung bedurfte es aber nicht. Die Beteiligten haben trotz des in der angefochtenen Entscheidung enthaltenen Hinweises ihren Vortrag in Bezug auf den Streitgegenstand der ausgesetzten Verfahren nicht ergänzt.

23

II. Der Antrag ist begründet. Die Arbeitgeberin hat die Arbeitnehmerin Ko ohne die erforderliche Zustimmung des Betriebsrats von der Filiale H in die Filiale Dr versetzt und damit grob gegen ihre Pflicht aus dem BetrVG verstoßen.

24

1. Nach § 23 Abs. 3 Satz 1 BetrVG kann ua. der Betriebsrat dem Arbeitgeber bei einem groben Verstoß gegen seine Verpflichtungen aus dem BetrVG durch das Arbeitsgericht aufgeben lassen, eine Handlung zu unterlassen.

25

2. Diese Voraussetzungen liegen vor.

26

a) Die Arbeitgeberin hat den Betriebsrat bei dem ab dem 19. März 2007 durchgeführten „Ringtausch“ nicht beteiligt. Es kann dahinstehen, ob es sich dabei in Bezug auf die im Rahmen eines Beamtenverhältnisses beschäftigten Mitarbeiter B und La um eine Maßnahme nach § 76 Abs. 1 Nr. 4 oder 5 BPersVG gehandelt hat, bei der sich die Beteiligung des Betriebsrats nicht nach § 99 BetrVG, sondern nach § 28 Abs. 1, § 29 Abs. 1 bis 3 PostPersRG richtet (dazu BAG 12. August 1997 - 1 ABR 7/97 - zu B I 2 der Gründe, BAGE 86, 198). Der Betriebsrat war jedenfalls hinsichtlich der Arbeitnehmerin Ko nach § 99 Abs. 1 Satz 1, § 95 Abs. 3 Satz 1 1. Alt. BetrVG zu beteiligen. Die mit dem Wechsel der Einsatzfiliale verbundene Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs war bis zum 30. Juni 2007 und damit für die Dauer von mehr als einem Monat vorgesehen. Dies wird von der Arbeitgeberin nicht in Frage gestellt; ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats war somit unzweifelhaft gegeben.

27

b) Der Pflichtverstoß der Arbeitgeberin war auch grob iSd. § 23 Abs. 3 Satz 1 BetrVG.

28

aa) Ein grober Verstoß des Arbeitgebers gegen seine sich aus dem BetrVG ergebenden Pflichten liegt vor, wenn es sich um eine objektiv erhebliche und offensichtlich schwerwiegende Pflichtverletzung handelt, wobei es auf ein Verschulden nicht ankommt (BAG 29. April 2004 - 1 ABR 30/02 - zu B IV 2 b bb der Gründe, BAGE 110, 252). Allerdings scheidet ein grober Verstoß des Arbeitgebers dann aus, wenn er seine Rechtsposition in einer schwierigen und ungeklärten Rechtsfrage verteidigt (BAG 8. August 1989 - 1 ABR 63/88 - zu B III der Gründe, BAGE 62, 314).

29

bb) Der Pflichtverstoß der Arbeitgeberin ist objektiv erheblich. Die unterbliebene Beteiligung des Betriebsrats führt dazu, dass dieser über die Ausübung seines Zustimmungsverweigerungsrechts nicht befinden konnte. Die Arbeitgeberin konnte auch nicht ernsthaft in Betracht ziehen, das Beteiligungsrecht sei aufgrund eines Notfalls entfallen. Zwar hat der Senat in seiner bisherigen Rechtsprechung erwogen, dass das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats in Extremsituationen eingeschränkt oder ausgeschlossen sein kann. Ein solcher Notfall könne etwa in einer unvorhersehbaren und schwerwiegenden Situation gegeben sein, in welcher der Betriebsrat entweder nicht erreichbar oder nicht zur rechtzeitigen Beschlussfassung in der Lage ist, der Arbeitgeber aber sofort handeln muss, um vom Betrieb oder den Arbeitnehmern nicht wiedergutzumachende Schäden abzuwenden (BAG 17. November 1998 - 1 ABR 12/98 - zu B II 1 c der Gründe mwN, BAGE 90, 194). Das Bestehen einer solchen Ausnahmesituation hat die Arbeitgeberin in Bezug auf den in Aussicht genommenen „Ringtausch“ nicht behauptet. Darüber hinaus ist das Beteiligungsrecht aus § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG bei Beschlussunfähigkeit des Betriebsrats oder seiner fehlenden Erreichbarkeit nicht eingeschränkt oder ausgeschlossen. Nach § 100 Abs. 1 und 2 BetrVG kann der Arbeitgeber eine personelle Einzelmaßnahme iSd. § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG zunächst ohne die Zustimmung des Betriebsrats vornehmen. Das Gesetz verlangt dafür neben der Aufklärung des Arbeitnehmers über die Sach- und Rechtslage (§ 100 Abs. 1 Satz 2 BetrVG) lediglich die unverzügliche Unterrichtung des Betriebsrats über die vorläufige Durchführung (§ 100 Abs. 2 Satz 1 BetrVG). Mit dieser Regelung wird dem Interesse des Arbeitgebers an der Vornahme einer dringend notwendigen personellen Einzelmaßnahme ausreichend Rechnung getragen. Einer weitergehenden Beschränkung der in §§ 99 ff. BetrVG normierten Beteiligungsrechte bedarf es offenkundig nicht.

        

    Schmidt    

        

    Linck    

        

    Koch    

        

        

        

    Olaf Kunz    

        

    Hann    

                 

Hat ein Arbeitnehmer durch gesetzwidriges Verhalten oder durch grobe Verletzung der in § 75 Abs. 1 enthaltenen Grundsätze, insbesondere durch rassistische oder fremdenfeindliche Betätigungen, den Betriebsfrieden wiederholt ernstlich gestört, so kann der Betriebsrat vom Arbeitgeber die Entlassung oder Versetzung verlangen. Gibt das Arbeitsgericht einem Antrag des Betriebsrats statt, dem Arbeitgeber aufzugeben, die Entlassung oder Versetzung durchzuführen, und führt der Arbeitgeber die Entlassung oder Versetzung einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung zuwider nicht durch, so ist auf Antrag des Betriebsrats vom Arbeitsgericht zu erkennen, dass er zur Vornahme der Entlassung oder Versetzung durch Zwangsgeld anzuhalten sei. Das Höchstmaß des Zwangsgeldes beträgt für jeden Tag der Zuwiderhandlung 250 Euro.

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

Hat ein Arbeitnehmer durch gesetzwidriges Verhalten oder durch grobe Verletzung der in § 75 Abs. 1 enthaltenen Grundsätze, insbesondere durch rassistische oder fremdenfeindliche Betätigungen, den Betriebsfrieden wiederholt ernstlich gestört, so kann der Betriebsrat vom Arbeitgeber die Entlassung oder Versetzung verlangen. Gibt das Arbeitsgericht einem Antrag des Betriebsrats statt, dem Arbeitgeber aufzugeben, die Entlassung oder Versetzung durchzuführen, und führt der Arbeitgeber die Entlassung oder Versetzung einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung zuwider nicht durch, so ist auf Antrag des Betriebsrats vom Arbeitsgericht zu erkennen, dass er zur Vornahme der Entlassung oder Versetzung durch Zwangsgeld anzuhalten sei. Das Höchstmaß des Zwangsgeldes beträgt für jeden Tag der Zuwiderhandlung 250 Euro.

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

(1) Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses gegenüber einem Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis in demselben Betrieb oder Unternehmen ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestanden hat, ist rechtsunwirksam, wenn sie sozial ungerechtfertigt ist.

(2) Sozial ungerechtfertigt ist die Kündigung, wenn sie nicht durch Gründe, die in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, oder durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist. Die Kündigung ist auch sozial ungerechtfertigt, wenn

1.
in Betrieben des privaten Rechts
a)
die Kündigung gegen eine Richtlinie nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes verstößt,
b)
der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in demselben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden kann
und der Betriebsrat oder eine andere nach dem Betriebsverfassungsgesetz insoweit zuständige Vertretung der Arbeitnehmer aus einem dieser Gründe der Kündigung innerhalb der Frist des § 102 Abs. 2 Satz 1 des Betriebsverfassungsgesetzes schriftlich widersprochen hat,
2.
in Betrieben und Verwaltungen des öffentlichen Rechts
a)
die Kündigung gegen eine Richtlinie über die personelle Auswahl bei Kündigungen verstößt,
b)
der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in derselben Dienststelle oder in einer anderen Dienststelle desselben Verwaltungszweigs an demselben Dienstort einschließlich seines Einzugsgebiets weiterbeschäftigt werden kann
und die zuständige Personalvertretung aus einem dieser Gründe fristgerecht gegen die Kündigung Einwendungen erhoben hat, es sei denn, daß die Stufenvertretung in der Verhandlung mit der übergeordneten Dienststelle die Einwendungen nicht aufrechterhalten hat.
Satz 2 gilt entsprechend, wenn die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nach zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen oder eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers unter geänderten Arbeitsbedingungen möglich ist und der Arbeitnehmer sein Einverständnis hiermit erklärt hat. Der Arbeitgeber hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung bedingen.

(3) Ist einem Arbeitnehmer aus dringenden betrieblichen Erfordernissen im Sinne des Absatzes 2 gekündigt worden, so ist die Kündigung trotzdem sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat; auf Verlangen des Arbeitnehmers hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Gründe anzugeben, die zu der getroffenen sozialen Auswahl geführt haben. In die soziale Auswahl nach Satz 1 sind Arbeitnehmer nicht einzubeziehen, deren Weiterbeschäftigung, insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebes, im berechtigten betrieblichen Interesse liegt. Der Arbeitnehmer hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung als sozial ungerechtfertigt im Sinne des Satzes 1 erscheinen lassen.

(4) Ist in einem Tarifvertrag, in einer Betriebsvereinbarung nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes oder in einer entsprechenden Richtlinie nach den Personalvertretungsgesetzen festgelegt, wie die sozialen Gesichtspunkte nach Absatz 3 Satz 1 im Verhältnis zueinander zu bewerten sind, so kann die Bewertung nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden.

(5) Sind bei einer Kündigung auf Grund einer Betriebsänderung nach § 111 des Betriebsverfassungsgesetzes die Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll, in einem Interessenausgleich zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat namentlich bezeichnet, so wird vermutet, dass die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne des Absatzes 2 bedingt ist. Die soziale Auswahl der Arbeitnehmer kann nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht, soweit sich die Sachlage nach Zustandekommen des Interessenausgleichs wesentlich geändert hat. Der Interessenausgleich nach Satz 1 ersetzt die Stellungnahme des Betriebsrates nach § 17 Abs. 3 Satz 2.

Hält der Arbeitnehmer eine Kündigung für sozial ungerechtfertigt, so kann er binnen einer Woche nach der Kündigung Einspruch beim Betriebsrat einlegen. Erachtet der Betriebsrat den Einspruch für begründet, so hat er zu versuchen, eine Verständigung mit dem Arbeitgeber herbeizuführen. Er hat seine Stellungnahme zu dem Einspruch dem Arbeitnehmer und dem Arbeitgeber auf Verlangen schriftlich mitzuteilen.

Will ein Arbeitnehmer geltend machen, dass eine Kündigung sozial ungerechtfertigt oder aus anderen Gründen rechtsunwirksam ist, so muss er innerhalb von drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung Klage beim Arbeitsgericht auf Feststellung erheben, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist. Im Falle des § 2 ist die Klage auf Feststellung zu erheben, daß die Änderung der Arbeitsbedingungen sozial ungerechtfertigt oder aus anderen Gründen rechtsunwirksam ist. Hat der Arbeitnehmer Einspruch beim Betriebsrat eingelegt (§ 3), so soll er der Klage die Stellungnahme des Betriebsrats beifügen. Soweit die Kündigung der Zustimmung einer Behörde bedarf, läuft die Frist zur Anrufung des Arbeitsgerichts erst von der Bekanntgabe der Entscheidung der Behörde an den Arbeitnehmer ab.

(1) Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses gegenüber einem Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis in demselben Betrieb oder Unternehmen ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestanden hat, ist rechtsunwirksam, wenn sie sozial ungerechtfertigt ist.

(2) Sozial ungerechtfertigt ist die Kündigung, wenn sie nicht durch Gründe, die in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, oder durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist. Die Kündigung ist auch sozial ungerechtfertigt, wenn

1.
in Betrieben des privaten Rechts
a)
die Kündigung gegen eine Richtlinie nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes verstößt,
b)
der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in demselben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden kann
und der Betriebsrat oder eine andere nach dem Betriebsverfassungsgesetz insoweit zuständige Vertretung der Arbeitnehmer aus einem dieser Gründe der Kündigung innerhalb der Frist des § 102 Abs. 2 Satz 1 des Betriebsverfassungsgesetzes schriftlich widersprochen hat,
2.
in Betrieben und Verwaltungen des öffentlichen Rechts
a)
die Kündigung gegen eine Richtlinie über die personelle Auswahl bei Kündigungen verstößt,
b)
der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in derselben Dienststelle oder in einer anderen Dienststelle desselben Verwaltungszweigs an demselben Dienstort einschließlich seines Einzugsgebiets weiterbeschäftigt werden kann
und die zuständige Personalvertretung aus einem dieser Gründe fristgerecht gegen die Kündigung Einwendungen erhoben hat, es sei denn, daß die Stufenvertretung in der Verhandlung mit der übergeordneten Dienststelle die Einwendungen nicht aufrechterhalten hat.
Satz 2 gilt entsprechend, wenn die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nach zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen oder eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers unter geänderten Arbeitsbedingungen möglich ist und der Arbeitnehmer sein Einverständnis hiermit erklärt hat. Der Arbeitgeber hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung bedingen.

(3) Ist einem Arbeitnehmer aus dringenden betrieblichen Erfordernissen im Sinne des Absatzes 2 gekündigt worden, so ist die Kündigung trotzdem sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat; auf Verlangen des Arbeitnehmers hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Gründe anzugeben, die zu der getroffenen sozialen Auswahl geführt haben. In die soziale Auswahl nach Satz 1 sind Arbeitnehmer nicht einzubeziehen, deren Weiterbeschäftigung, insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebes, im berechtigten betrieblichen Interesse liegt. Der Arbeitnehmer hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung als sozial ungerechtfertigt im Sinne des Satzes 1 erscheinen lassen.

(4) Ist in einem Tarifvertrag, in einer Betriebsvereinbarung nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes oder in einer entsprechenden Richtlinie nach den Personalvertretungsgesetzen festgelegt, wie die sozialen Gesichtspunkte nach Absatz 3 Satz 1 im Verhältnis zueinander zu bewerten sind, so kann die Bewertung nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden.

(5) Sind bei einer Kündigung auf Grund einer Betriebsänderung nach § 111 des Betriebsverfassungsgesetzes die Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll, in einem Interessenausgleich zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat namentlich bezeichnet, so wird vermutet, dass die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne des Absatzes 2 bedingt ist. Die soziale Auswahl der Arbeitnehmer kann nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht, soweit sich die Sachlage nach Zustandekommen des Interessenausgleichs wesentlich geändert hat. Der Interessenausgleich nach Satz 1 ersetzt die Stellungnahme des Betriebsrates nach § 17 Abs. 3 Satz 2.

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

(1) Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses gegenüber einem Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis in demselben Betrieb oder Unternehmen ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestanden hat, ist rechtsunwirksam, wenn sie sozial ungerechtfertigt ist.

(2) Sozial ungerechtfertigt ist die Kündigung, wenn sie nicht durch Gründe, die in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, oder durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist. Die Kündigung ist auch sozial ungerechtfertigt, wenn

1.
in Betrieben des privaten Rechts
a)
die Kündigung gegen eine Richtlinie nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes verstößt,
b)
der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in demselben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden kann
und der Betriebsrat oder eine andere nach dem Betriebsverfassungsgesetz insoweit zuständige Vertretung der Arbeitnehmer aus einem dieser Gründe der Kündigung innerhalb der Frist des § 102 Abs. 2 Satz 1 des Betriebsverfassungsgesetzes schriftlich widersprochen hat,
2.
in Betrieben und Verwaltungen des öffentlichen Rechts
a)
die Kündigung gegen eine Richtlinie über die personelle Auswahl bei Kündigungen verstößt,
b)
der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in derselben Dienststelle oder in einer anderen Dienststelle desselben Verwaltungszweigs an demselben Dienstort einschließlich seines Einzugsgebiets weiterbeschäftigt werden kann
und die zuständige Personalvertretung aus einem dieser Gründe fristgerecht gegen die Kündigung Einwendungen erhoben hat, es sei denn, daß die Stufenvertretung in der Verhandlung mit der übergeordneten Dienststelle die Einwendungen nicht aufrechterhalten hat.
Satz 2 gilt entsprechend, wenn die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nach zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen oder eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers unter geänderten Arbeitsbedingungen möglich ist und der Arbeitnehmer sein Einverständnis hiermit erklärt hat. Der Arbeitgeber hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung bedingen.

(3) Ist einem Arbeitnehmer aus dringenden betrieblichen Erfordernissen im Sinne des Absatzes 2 gekündigt worden, so ist die Kündigung trotzdem sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat; auf Verlangen des Arbeitnehmers hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Gründe anzugeben, die zu der getroffenen sozialen Auswahl geführt haben. In die soziale Auswahl nach Satz 1 sind Arbeitnehmer nicht einzubeziehen, deren Weiterbeschäftigung, insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebes, im berechtigten betrieblichen Interesse liegt. Der Arbeitnehmer hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung als sozial ungerechtfertigt im Sinne des Satzes 1 erscheinen lassen.

(4) Ist in einem Tarifvertrag, in einer Betriebsvereinbarung nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes oder in einer entsprechenden Richtlinie nach den Personalvertretungsgesetzen festgelegt, wie die sozialen Gesichtspunkte nach Absatz 3 Satz 1 im Verhältnis zueinander zu bewerten sind, so kann die Bewertung nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden.

(5) Sind bei einer Kündigung auf Grund einer Betriebsänderung nach § 111 des Betriebsverfassungsgesetzes die Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll, in einem Interessenausgleich zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat namentlich bezeichnet, so wird vermutet, dass die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne des Absatzes 2 bedingt ist. Die soziale Auswahl der Arbeitnehmer kann nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht, soweit sich die Sachlage nach Zustandekommen des Interessenausgleichs wesentlich geändert hat. Der Interessenausgleich nach Satz 1 ersetzt die Stellungnahme des Betriebsrates nach § 17 Abs. 3 Satz 2.

Hat ein Arbeitnehmer durch gesetzwidriges Verhalten oder durch grobe Verletzung der in § 75 Abs. 1 enthaltenen Grundsätze, insbesondere durch rassistische oder fremdenfeindliche Betätigungen, den Betriebsfrieden wiederholt ernstlich gestört, so kann der Betriebsrat vom Arbeitgeber die Entlassung oder Versetzung verlangen. Gibt das Arbeitsgericht einem Antrag des Betriebsrats statt, dem Arbeitgeber aufzugeben, die Entlassung oder Versetzung durchzuführen, und führt der Arbeitgeber die Entlassung oder Versetzung einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung zuwider nicht durch, so ist auf Antrag des Betriebsrats vom Arbeitsgericht zu erkennen, dass er zur Vornahme der Entlassung oder Versetzung durch Zwangsgeld anzuhalten sei. Das Höchstmaß des Zwangsgeldes beträgt für jeden Tag der Zuwiderhandlung 250 Euro.

Tenor

1. Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Sachsen-Anhalt vom 29. März 2012 - 3 Sa 426/10 - teilweise aufgehoben, soweit es die Berufung des Beklagten gegen die Feststellung des Arbeitsgerichts, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die ordentliche Kündigung des Beklagten vom 2. März 2010 nicht aufgelöst wurde, zurückgewiesen hat.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten im Revisionsverfahren noch um die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung.

2

Der Kläger war seit Beginn der 1990iger Jahre Gesellschafter und teilweise Geschäftsführer von drei Gesellschaften, welche das Hotel H in A betrieben. Die das Hotel tragenden Gesellschaften gerieten in wirtschaftliche Schwierigkeiten. Im Mai 2007 übernahm die H R GmbH (im Folgenden: Schuldnerin) den Betrieb des Hotels.

3

Unter dem 1. August 2007 schlossen die Schuldnerin und der Kläger einen als Arbeitsvertrag bezeichneten Vertrag. Demnach wurde der Kläger als „Mitarbeiter für Verkauf und Gastbetreuung“ ab 1. August 2007 eingestellt.

4

Mit Beschluss des Amtsgerichts Magdeburg - Insolvenzgericht - vom 1. März 2010 (- 340 IN 83/10 (351) -) wurde an diesem Tag das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt. Der Termin zur Gläubigerversammlung wurde auf den 12. Mai 2010 festgesetzt.

5

Mit Schreiben vom 2. März 2010, welches dem Kläger noch am selben Tag zuging, kündigte der Beklagte das Vertragsverhältnis mit dem Kläger zum 30. April 2010. Der Beklagte rechtfertigt die Kündigung damit, dass die Grundpfandgläubigerin H (im Folgenden: Sparkasse) nur unter der Bedingung der Beendigung der Vertragsverhältnisse mit dem Kläger und seiner Ehefrau bereit gewesen sei, zur Ermöglichung der Fortführung des Betriebs eine Verlustübernahmeerklärung abzugeben. Ohne die Abgabe einer solchen Verlustübernahmeerklärung hätte der Betrieb stillgelegt werden müssen.

6

Mit Schriftsatz vom 23. März 2010, welcher per Telefax am selben Tag beim Arbeitsgericht einging, erhob der Prozessbevollmächtigte des Klägers „wegen Kündigungsschutzes“ gegen den Beklagten die Klage mit dem Antrag „festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 2.3.2010 nicht beendet ist“. Als Begründung der Klage führte er lediglich an, dass der Kläger Arbeitnehmer der Schuldnerin sei und der Beklagte als deren Insolvenzverwalter das Arbeitsverhältnis „per 2.3.2010“ gekündigt habe.

7

Mit Schreiben vom 20. April 2010, welches dem Kläger am 21. April 2010 übergeben wurde, kündigte der Beklagte dem Kläger außerordentlich fristlos. Der Kläger habe die ihm von der Schuldnerin für Ankäufe zugunsten des Hotelbetriebs zur Verfügung gestellte EC-Karte missbraucht und mit ihr Privateinkäufe bezahlt. Zudem habe er trotz Aufforderung mit Schreiben vom 15. März 2010 den Firmenwagen nicht herausgegeben, sondern weiter unberechtigt privat genutzt.

8

Mit bei Gericht am 7. Mai 2010 eingegangener Klageerweiterung vom 5. Mai 2010 hat der Kläger auch die außerordentliche Kündigung angegriffen.

9

Der Kläger hält sowohl die außerordentliche als auch die ordentliche Kündigung für unwirksam. Er habe mit der EC-Karte keine privaten Einkäufe getätigt und das Firmenfahrzeug nicht für Privatfahrten genutzt. Bis zur Erstattung der von ihm für betriebliche Fahrten verauslagten Benzinkosten sei er nicht zur Herausgabe des Fahrzeugs verpflichtet gewesen. Die Sparkasse habe keinen Grund gehabt, seine Entlassung zu verlangen.

10

Der Kläger hat zuletzt beantragt

        

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die ordentliche Kündigung des Beklagten vom 2. März 2010 noch durch die außerordentliche Kündigung des Beklagten vom 20. April 2010 aufgelöst worden ist.

11

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

12

Er hat die Auffassung vertreten, der Kläger könne sich gegen die Kündigungen schon deshalb nicht zur Wehr setzen, weil er entgegen der Bezeichnung im Vertrag vom 1. August 2007 tatsächlich kein Arbeitnehmer gewesen sei. Er habe ohne Einbindung in die Organisation des Hotelbetriebs frei über seine Arbeitszeit bestimmt und sei auch sonst nicht dem Direktionsrecht unterlegen.

13

Bei Unterstellung der Arbeitnehmereigenschaft habe die außerordentliche Kündigung das Arbeitsverhältnis fristlos beendet. Hinsichtlich der ordentlichen Kündigung habe der Kläger keine ordnungsgemäße Kündigungsschutzklage erhoben. Die Klageschrift vom 23. März 2010 enthalte keine hinreichende Begründung der angeblichen Unwirksamkeit der ordentlichen Kündigung. Dessen ungeachtet sei die ordentliche Kündigung sozial gerechtfertigt. Die zur Begründung der außerordentlichen Kündigung angeführten Umstände würden auch die ordentliche Kündigung rechtfertigen. Zur Ermöglichung der Fortführung des Betriebs sei es zudem unabdingbar gewesen, einem Verlangen der Sparkasse nach Entlassung des Klägers zu entsprechen. Die Sparkasse habe die Hotelimmobilie und die Wellnessanlage finanziert. Nach dem Auftreten wirtschaftlicher Schwierigkeiten hätten der Kläger und dessen Ehefrau die weitere Zusammenarbeit mit der Sparkasse verweigert, um einen Schuldenerlass über eine andere Bank zu finanzieren. Dies sei nicht gelungen. Nach der Kündigung der Geschäftsbeziehung wegen Rückständen und Überziehungen hätten der Kläger und seine Ehefrau alles unternommen, um die Verwertung der Sicherheiten zu verhindern. Aufgrund dieser Ereignisse sei die Sparkasse bei Verbleib der Eheleute im Betrieb nicht bereit gewesen, eine Verlustübernahmeerklärung von bis zu 100.000,00 Euro abzugeben. Diese sei aber unbedingt erforderlich gewesen, um die Fortführung des Betriebs zu ermöglichen. Die Prognose für die Zeit von März 2010 bis zum 31. Dezember 2010 habe einen wahrscheinlichen Verlust von 99.100,00 Euro ergeben. Ohne die entsprechende Verlustübernahmeerklärung durch die Sparkasse hätte der Betrieb eingestellt werden müssen. Er (der Beklagte) habe versucht, die Sparkasse von ihrer Forderung nach Entlassung des Klägers abzubringen. Die Forderung sei aber nicht verhandelbar gewesen.

14

Diese Drucksituation bestehe unverändert. Der Beklagte hat deshalb im Berufungsverfahren für den Fall des Obsiegens des Klägers mit der Kündigungsschutzklage hilfsweise beantragt, das Arbeitsverhältnis aufzulösen. Nach Ansicht des Klägers liegt kein Auflösungsgrund vor.

15

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen und den Auflösungsantrag abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision wendet sich der Beklagte gegen die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts, soweit sie die ordentliche Kündigung betrifft. Die außerordentliche Kündigung und der Auflösungsantrag sind somit nicht Gegenstand des Revisionsverfahrens.

Entscheidungsgründe

16

Die Revision ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat mit unzutreffender Begründung das Vorliegen der Voraussetzungen einer ordentlichen Druckkündigung verneint. Die Entscheidung stellt sich nicht aus anderen Gründen als richtig dar. Da der festgestellte Sachverhalt keine abschließende Entscheidung erlaubt, ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Es bedarf daher keiner Entscheidung über die von der Revision erhobenen Verfahrensrügen.

17

I. Zwischen dem Kläger und der Schuldnerin wurde auf der Grundlage des ausdrücklich als Arbeitsvertrag bezeichneten Vertrags vom 1. August 2007 ein Arbeitsverhältnis begründet. Dies hat das Landesarbeitsgericht nach Durchführung einer Beweisaufnahme und deren Würdigung rechtsfehlerfrei entschieden. Es berücksichtigte hierbei die ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, wonach Arbeitnehmer ist, wer aufgrund eines privatrechtlichen Vertrags im Dienste eines Anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist (vgl. BAG 29. August 2012 - 10 AZR 499/11 - Rn. 14 und 15 mwN). Die Revision erhebt hiergegen keine Rügen.

18

II. Die Kündigung vom 2. März 2010 gilt nicht gemäß § 7 Halbs. 1 KSchG als von Anfang an rechtswirksam. Entgegen der Auffassung der Revision hat der Kläger mit der Klageschrift vom 23. März 2010 fristwahrend eine Kündigungsschutzklage gemäß § 4 Satz 1 KSchG erhoben.

19

1. Will ein Arbeitnehmer geltend machen, dass eine Kündigung sozial ungerechtfertigt oder aus anderen Gründen rechtsunwirksam ist, so muss er innerhalb von drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung Klage beim Arbeitsgericht auf Feststellung erheben, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist (§ 4 Satz 1 KSchG). Der dem Gesetzeswortlaut entsprechende Klageantrag ist dann auch bestimmt iSd. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Als Prozesshandlung ist eine Klageschrift ebenso wie eine private Willenserklärung auslegungsfähig. Entscheidend ist der geäußerte Parteiwille, wie er aus der Klageschrift und den sonstigen Umständen erkennbar wird. Dabei ist gerade im arbeitsgerichtlichen Verfahren ein großzügiger Maßstab anzulegen. Dies entspricht auch dem Zweck der weit auszulegenden Vorschrift des § 6 KSchG(vgl. BAG 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 28, BAGE 131, 155). Zweck des § 6 KSchG ist es, im Zusammenspiel mit § 4 KSchG frühzeitig Rechtsklarheit und -sicherheit zu schaffen. § 6 KSchG will den - häufig rechtsunkundigen - Arbeitnehmer vor einem unnötigen Verlust seines Kündigungsschutzes aus formalen Gründen schützen. Der Arbeitnehmer ist nach §§ 4, 6 KSchG nur verpflichtet, durch eine rechtzeitige Anrufung des Arbeitsgerichts seinen Willen, sich gegen die Wirksamkeit einer Kündigung zu wehren, genügend klar zum Ausdruck zu bringen(BAG 23. April 2008 - 2 AZR 699/06 - Rn. 24). Es genügt, dass aus der Klage ersichtlich ist, gegen wen sie sich richtet, wo der Kläger tätig war und vor allem, dass er seine Kündigung nicht als berechtigt anerkennen will (BAG 13. Dezember 2007 - 2 AZR 818/06 - Rn. 20 mwN).

20

Die Darlegung aller klagebegründenden Tatsachen, wie die Erfüllung der kündigungsschutzrechtlichen Voraussetzungen nach § 1 Abs. 1 KSchG und § 23 Abs. 1 KSchG, gehört nicht zur Zulässigkeit der Kündigungsschutzklage, sondern zur Schlüssigkeit des Sachvortrags; ihr Fehlen führt demnach nicht zur Unzulässigkeit der Kündigungsschutzklage, sondern zu deren Unbegründetheit (KR/Friedrich 10. Aufl. § 4 KSchG Rn. 159; Linck in vHH/L KSchG 15. Aufl. § 4 Rn. 37).

21

2. Die Klageschrift vom 23. März 2010 genügt den Anforderungen an die Erhebung einer Kündigungsschutzklage. Der Antrag entspricht der Vorgabe des § 4 Satz 1 KSchG. Die ausdrücklich „wegen Kündigungsschutzes“ erhobene Klage macht deutlich, dass der Kläger sich als Arbeitnehmer der Schuldnerin sieht und die von dem Beklagten als Insolvenzverwalter erklärte Kündigung vom 2. März 2010 nicht akzeptieren will. Dies ist entgegen der Auffassung der Revision ausreichend. Die Revision verkennt, dass es im vorliegenden Fall, anders als in dem mit Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 13. Dezember 2007 - 2 AZR 818/06 - entschiedenen Fall, nicht um die Auslegung der Klageschrift geht. Die von der Revision thematisierte Problematik unterschiedlicher Auslegungsmaßstäbe von Klageschriften, die von sachkundigen Prozessbevollmächtigten erstellt wurden, in Abgrenzung zu Klageschriften, die von rechtsunkundigen Parteien verfasst wurden, stellt sich nicht. Die Klageschrift ist eindeutig formuliert. Soweit die Revision eine unzureichende Klagebegründung rügt, wirft sie ein Problem der Begründetheit der Klage auf.

22

Die Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG wurde unstreitig gewahrt. Die Kündigung ging dem Kläger noch am 2. März 2010 zu. Die am 23. März 2010 als Telefax bei Gericht eingegangene Klage hielt die Frist ein. Der 23. März 2010 war der Tag des Fristablaufs (§ 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 BGB).

23

III. Das Landesarbeitsgericht sieht die streitgegenständliche Kündigung als sozial ungerechtfertigt gemäß § 1 Abs. 2 KSchG und die Klage damit als begründet an. Das Vorliegen verhaltensbedingter Gründe hat das Landesarbeitsgericht rechtsfehlerfrei verneint. Die Revision rügt jedoch zu Recht die Verkennung des Kündigungsgrundes, soweit die Kündigung als Druckkündigung gerechtfertigt wurde.

24

1. Die Voraussetzungen der Anwendbarkeit des allgemeinen Kündigungsschutzes gemäß § 1 Abs. 1 KSchG und § 23 Abs. 1 KSchG liegen unstreitig vor. Die ordentliche Kündigung vom 2. März 2010 bedarf daher der sozialen Rechtfertigung (§ 1 Abs. 2 KSchG).

25

2. Die streitgegenständliche Kündigung ist nicht durch Gründe, die im Verhalten des Klägers liegen, sozial gerechtfertigt.

26

a) Das Landesarbeitsgericht hat im Verhalten des Klägers keine hinreichenden Kündigungsgründe erkannt. In Frage stehen die zur Rechtfertigung der außerordentlichen Kündigung angeführten Gründe (Missbrauch der EC-Karte für Privateinkäufe; Verweigerung der Herausgabe des Firmenwagens). Bezüglich der Einkäufe zulasten des Kontos der Schuldnerin ist das Landesarbeitsgericht nach Vernehmung des vormaligen Geschäftsführers der Schuldnerin zu der Auffassung gelangt, dass dieser die Einkäufe angewiesen und überprüft hat und damit kein Pflichtverstoß der klagenden Partei festzustellen ist. Hinsichtlich des Firmenwagens hat sich das Landesarbeitsgericht der Auffassung des Arbeitsgerichts angeschlossen, wonach es vor Erklärung der Kündigung einer entsprechenden Abmahnung bedurft hätte.

27

b) Diese Ausführungen des Landesarbeitsgerichts lassen keinen revisiblen Rechtsfehler erkennen. Der tatrichterliche Beurteilungsspielraum wurde nicht überschritten. Die Revision erhebt insoweit auch keine Rügen. Zudem könnte die verweigerte Herausgabe des Fahrzeugs die Kündigung vom 2. März 2010 nicht rechtfertigen, da die Herausgabe erst mit Schreiben vom 15. März 2010 verlangt wurde. Kündigungsgründe, die erst nach dem Zugang der Kündigung entstanden sind, können eine bereits ausgesprochene Kündigung nicht sozial rechtfertigen (KR/Griebeling 10. Aufl. § 1 KSchG Rn. 246).

28

3. Zu Recht rügt die Revision allerdings Rechtsfehler des Landesarbeitsgerichts bei der Beurteilung der ordentlichen Kündigung als betriebsbedingte Druckkündigung.

29

a) Hinsichtlich der Druckkündigung hat das Landesarbeitsgericht Beweis erhoben durch Vernehmung eines Mitarbeiters des Beklagten zur wirtschaftlichen Situation der Schuldnerin ab dem Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung und zur Forderung der Sparkasse nach Entlassung des Klägers und seiner Ehefrau. Das Landesarbeitsgericht hat dann aber ohne Würdigung der durchgeführten Beweisaufnahme entschieden, dass die Voraussetzungen einer betriebsbedingten Druckkündigung nicht vorliegen. Der Kündigung liege nicht der erforderliche ernsthafte und endgültige Kündigungswille zugrunde. Die Kündigung beruhe auf einem „prognostischen Element“, denn es hätte der Gläubigerversammlung am 12. Mai 2010 oblegen, über die Fortführung des Betriebs zu entscheiden. Zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung sei noch nicht entschieden gewesen, ob der Betrieb der Schuldnerin fortgeführt werde und es auf die Gewährung eines Darlehens durch die Sparkasse überhaupt ankommen werde. Ein Grund für den Ausspruch einer Druckkündigung habe deshalb bei Kündigungserklärung nicht bestanden.

30

b) Mit dieser Begründung kann die Druckkündigung nicht als sozial ungerechtfertigt gemäß § 1 Abs. 2 KSchG angesehen werden.

31

aa) Das Landesarbeitsgericht hat den Kündigungsgrund verkannt. Der Beklagte hat die Kündigung nicht mit der Stilllegung des Betriebs begründet. Er rechtfertigt die Kündigung vielmehr damit, dass er davon ausging, dass ohne Verlustübernahmeerklärung der Sparkasse keine Alternative zur Stilllegung mehr bestand, und er zur Erreichung der Verlustübernahmeerklärung deshalb dem auf die Entlassung des Klägers gerichteten Druck der Sparkasse nachgeben musste. Er führt eine Drucksituation im Vorfeld einer Entscheidung über die Stilllegung oder Fortführung an.

32

bb) Die vom Beklagten behauptete Drucksituation und die darauf basierende Kündigungsentscheidung berühren nicht die Befugnisse der Gläubigerversammlung gemäß § 157 InsO.

33

(1) Nach dieser Vorschrift beschließt die Gläubigerversammlung im Berichtstermin, ob das Unternehmen des Schuldners stillgelegt oder vorläufig fortgeführt werden soll. Die Gläubiger haben demnach autonom über die Stilllegung, vorläufige Fortführung und einen Insolvenzplan zu befinden (vgl. MünchKommInsO/Görg 2. Aufl. § 157 Rn. 5 ff.). Der Insolvenzverwalter hat gemäß § 156 InsO den Berichtstermin vorzubereiten, da er im Berichtstermin über die wirtschaftliche Lage des Schuldners und ihre Ursachen zu berichten hat(§ 156 Abs. 1 Satz 1 InsO). Gemäß § 156 Abs. 1 Satz 2 InsO hat der Insolvenzverwalter zudem darzulegen, ob Aussichten bestehen, das Unternehmen des Schuldners im Ganzen oder in Teilen zu erhalten, welche Möglichkeiten für einen Insolvenzplan bestehen und welche Auswirkungen jeweils für die Befriedigung der Gläubiger eintreten würden. Der Verwalter hat im Berichtstermin die fortführende oder übertragende Sanierung als Alternative zur Liquidation zu erörtern und gegebenenfalls einen Sanierungsplan vorzulegen (Uhlenbruck/Uhlenbruck 13. Aufl. § 156 InsO Rn. 9).

34

(2) Die Frage der Gewährung einer Verlustübernahmeerklärung durch die Sparkasse war nach Darstellung des Beklagten wesentlich für die Beurteilung der Sanierungsaussichten. Dabei handelte es sich um das entscheidende Merkmal für die Vorbereitung des Berichtstermins. Ohne das Eintreten der Sparkasse hätte der Beklagte der Gläubigerversammlung nach seiner Darstellung die Stilllegung des Betriebs vorschlagen müssen. Bei Gewährung der Verlustübernahmeerklärung hingegen kam eine Fortführung in Betracht. Damit entstand im Vorfeld der Gläubigerversammlung der Druck, den der Beklagte zur Rechtfertigung der Kündigung anführt. Ohne Entlassung des Klägers und seiner Ehefrau wäre die Absicherung durch die Sparkasse nicht erreichbar gewesen. Erst durch die Verlustübernahmeerklärung wurde der Gläubigerversammlung eine Wahl zwischen Stilllegung und vorläufiger Fortführung ermöglicht.

35

cc) Am Kündigungswillen des Beklagten besteht entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts kein Zweifel. Er hat ihn durch die Erklärung der Kündigung verwirklicht (vgl. BAG 21. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 46).

36

IV. Das Urteil des Landesarbeitsgerichts stellt sich nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO). Dies wäre nur dann der Fall, wenn eine sogenannte „echte Druckkündigung“ als betriebsbedingte Kündigung gemäß § 1 Abs. 2 KSchG entgegen der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts generell als unzulässig anzusehen wäre. Dies vertreten einige Stimmen des juristischen Schrifttums. Der Senat hält aber an der bisherigen Rechtsprechung fest.

37

1. Eine Druckkündigung liegt nach der Rechtsprechung vor, wenn Dritte unter Androhung von Nachteilen für den Arbeitgeber von diesem die Entlassung eines bestimmten Arbeitnehmers verlangen. Dabei sind zwei Fallgestaltungen zu unterscheiden:

38

a) Das Verlangen des Dritten kann gegenüber dem Arbeitgeber durch ein Verhalten des Arbeitnehmers oder einen personenbedingten Grund objektiv gerechtfertigt sein. In diesem Fall liegt es im Ermessen des Arbeitgebers, ob er eine personen- oder eine verhaltensbedingte Kündigung erklärt (BAG 19. Juni 1986 - 2 AZR 563/85 - zu B II 2 a der Gründe). Eine solche Kündigung wird auch als „unechte Druckkündigung“ bezeichnet. Die Kündigung wird nicht primär wegen des durch den Dritten erzeugten Drucks erklärt, sondern wegen des personen- oder verhaltensbedingten Kündigungsgrundes.

39

b) Fehlt es hingegen an einer solchen objektiven Rechtfertigung der Drohung, so kommt nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts eine Kündigung aus betriebsbedingten Gründen in Betracht. An die Zulässigkeit einer sogenannten „echten Druckkündigung“ sind allerdings strenge Anforderungen zu stellen. Der Arbeitgeber hat sich in diesem Fall zunächst schützend vor den betroffenen Arbeitnehmer zu stellen. Nur wenn auf diese Weise die Drohung nicht abgewendet werden kann und bei Verwirklichung der Drohung schwere wirtschaftliche Schäden für den Arbeitgeber drohen, kann die Kündigung sozial gerechtfertigt sein. Dabei ist jedoch Voraussetzung, dass die Kündigung das einzig praktisch in Betracht kommende Mittel ist, um die Schäden abzuwenden (BAG 19. Juni 1986 - 2 AZR 563/85 - zu B II 2 b aa der Gründe). Zu berücksichtigen ist hierbei auch, inwieweit der Arbeitgeber die Drucksituation selbst in vorwerfbarer Weise herbeigeführt hat (BAG 4. Oktober 1990 - 2 AZR 201/90 - zu II 3 der Gründe). Typische Fälle einer echten Druckkündigung sind Drohungen der Belegschaft mit Streik oder Massenkündigungen oder die Androhung des Abbruchs von Geschäftsbeziehungen für den Fall der Weiterbeschäftigung eines bestimmten Arbeitnehmers (zur Abgrenzung zwischen betriebsbedingter Druckkündigung und personenbedingter Kündigung vgl. BAG 26. Juni 1997 - 2 AZR 502/96 - zu B I 3 der Gründe; 31. Januar 1996 - 2 AZR 158/95 - zu II 5 a und b der Gründe, BAGE 82, 124).

40

2. Diese Rechtsprechung ist in der Literatur neben Zustimmung auch auf Kritik gestoßen.

41

a) Ein Teil des Schrifttums sieht eine Druckkündigung als betriebsbedingte Kündigung entsprechend der Rechtsprechung als sozial gerechtfertigt an, wenn dem Arbeitgeber anderenfalls schwere wirtschaftliche Schäden drohen (KR/Griebeling 10. Aufl. § 1 KSchG Rn. 586a; DFL/Kaiser 5. Aufl. § 1 KSchG Rn. 19; Löwisch/Spinner KSchG 9. Aufl. § 1 Rn. 334; ErfK/Müller-Glöge 13. Aufl. § 626 BGB Rn. 185; MüKoBGB/Henssler 6. Aufl. § 626 Rn. 255; zu etwaigen Schadensersatzansprüchen des betroffenen Arbeitnehmers vgl. KR/Fischermeier § 626 BGB Rn. 209 mwN).

42

b) Zum Teil wird eingewendet, dass es sich um keinen Fall der betriebsbedingten Kündigung handle, da keine arbeitsplatzbezogenen Beschäftigungsmöglichkeiten entfielen (so APS/Kiel 4. Aufl. § 1 KSchG Rn. 521 mwN; Berkowsky Die betriebsbedingte Kündigung 6. Aufl. Rn. 106). Die Druckkündigung könne nur der personenbedingten Kündigung zugerechnet werden. Die Person des Arbeitnehmers sei der eigentliche Anlass für den von Dritten ausgeübten Druck (Krause in vHH/L KSchG 15. Aufl. § 1 Rn. 346; ErfK/Oetker 13. Aufl. § 1 KSchG Rn. 184).

43

c) Andere Autoren lehnen die echte Druckkündigung gänzlich ab. Es liege kein Kündigungsgrund vor. Habe sich der Arbeitnehmer nichts zuschulden kommen lassen, dürfe das Mittel der betriebsbedingten Kündigung nicht dazu führen, dass der Arbeitnehmer wegen einer ungerechtfertigen Drohung seinen Arbeitsplatz verliere. Das Recht brauche dem Unrecht nicht zu weichen (Stahlhacke/Preis 10. Aufl. Rn. 970; Kittner/Däubler/Zwanziger/Deinert KSchR 8. Aufl. § 1 KSchG Rn. 469; ablehnend auch HK/Weller/Dorndorf KSchG 4. Aufl. § 1 Rn. 997; zur Problematik diskriminierender Entlassungsverlangen vgl. Deinert RdA 2007, 275 ff.).

44

3. Die in der Literatur geäußerten Bedenken gegen die Einstufung einer echten Druckkündigung als betriebsbedingte Kündigung iSd. § 1 Abs. 2 KSchG tragen nicht.

45

Dringende betriebliche Erfordernisse für eine Kündigung können sich aus innerbetrieblichen oder außerbetrieblichen Gründen ergeben (st. Rspr., vgl. BAG 24. Mai 2012 - 2 AZR 124/11 - Rn. 21). In beiden Konstellationen liegt der Kündigungsgrund in der Sphäre des Arbeitgebers, der entweder agiert, dh. eine Organisationsentscheidung trifft, oder auf eine bestimmte Situation reagiert. Letzteres ist insbesondere der Fall, wenn der Arbeitgeber einen Auftrag verliert und den Personalbestand an die noch verbleibende Arbeitsmenge anpassen muss (vgl. BAG 18. Mai 2006 - 2 AZR 412/05 - Rn. 17). Bei einem Auftragsverlust entsteht für den Arbeitgeber eine Drucksituation, auf die er unternehmerisch reagieren muss, um den Fortbestand des Betriebs zu sichern.

46

Bei der echten Druckkündigung ist die Lage insoweit vergleichbar. Entstünden bei Verwirklichung der Drohung schwere wirtschaftliche Schäden für den Arbeitgeber, muss dieser aus wirtschaftlichen Gründen handeln. Der Kündigungsgrund ist damit seiner Sphäre zuzuordnen. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Druck von Vertragspartnern des Arbeitgebers ausgeübt wird (HWK/Quecke 5. Aufl. § 1 KSchG Rn. 257). Die Person des zur Kündigung anstehenden Arbeitnehmers ist nur mittelbarer Anlass für den eigentlichen Kündigungsgrund, dass von dritter Seite Druck auf den Arbeitgeber ausgeübt wird. Wird der Druck als betriebliches Erfordernis verstanden, kommt es nicht darauf an, ob die Forderung nach der Entlassung berechtigt oder unberechtigt ist (HaKo/Gallner KSchR 4. Aufl. § 1 Rn. 528). Der Arbeitgeber sieht sich mit der Druckausübung konfrontiert, auch wenn sie inhaltlich unberechtigt sein sollte (vgl. BAG 4. Oktober 1990 - 2 AZR 201/90 - zu III 1 b bb der Gründe). Er muss abwägen, ob er dem Druck nachgibt oder nicht. Das Argument, dass der Beschäftigungsbedarf für den betroffenen Arbeitnehmer nicht entfällt, verliert dann an Gewicht, wenn bei Verwirklichung der Drohung der Beschäftigungsbedarf für Teile der oder sogar für die gesamte Belegschaft in Frage steht. Dies wird deutlich im Fall des angedrohten Auftragsentzugs: Reagiert der Arbeitgeber nicht und entzieht der Dritte den Auftrag, können wegen Wegfalls des Beschäftigungsbedürfnisses betriebsbedingte Kündigungen erforderlich werden. Die Erklärung einer Druckkündigung kann dies unter Umständen verhindern. Auch dies spricht für die Einstufung als betriebsbedingte Kündigung, die sozial gerechtfertigt sein kann.

47

Der vorliegende Fall zeigt zudem, dass die Zielsetzung der sanierenden Insolvenz konterkariert würde, wenn wegen des generellen Ausschlusses der betriebsbedingten Druckkündigung die Fortführung eines Unternehmens verhindert würde.

48

V. Das Urteil des Landesarbeitsgerichts ist gemäß § 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen. Die festgestellten Tatsachen reichen zur Beurteilung der ordentlichen Druckkündigung nicht aus. Das Landesarbeitsgericht wird unter Wahrung des Gebots des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 GG) die von ihm durchgeführte Beweisaufnahme gemäß § 286 Abs. 1 ZPO zu würdigen oder die Beweisaufnahme zu wiederholen haben.

        

    Fischermeier    

        

    Spelge    

        

    Krumbiegel    

      

        

        

    Kreis    

        

    Kammann    

                 

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

(1) Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses gegenüber einem Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis in demselben Betrieb oder Unternehmen ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestanden hat, ist rechtsunwirksam, wenn sie sozial ungerechtfertigt ist.

(2) Sozial ungerechtfertigt ist die Kündigung, wenn sie nicht durch Gründe, die in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, oder durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist. Die Kündigung ist auch sozial ungerechtfertigt, wenn

1.
in Betrieben des privaten Rechts
a)
die Kündigung gegen eine Richtlinie nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes verstößt,
b)
der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in demselben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden kann
und der Betriebsrat oder eine andere nach dem Betriebsverfassungsgesetz insoweit zuständige Vertretung der Arbeitnehmer aus einem dieser Gründe der Kündigung innerhalb der Frist des § 102 Abs. 2 Satz 1 des Betriebsverfassungsgesetzes schriftlich widersprochen hat,
2.
in Betrieben und Verwaltungen des öffentlichen Rechts
a)
die Kündigung gegen eine Richtlinie über die personelle Auswahl bei Kündigungen verstößt,
b)
der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in derselben Dienststelle oder in einer anderen Dienststelle desselben Verwaltungszweigs an demselben Dienstort einschließlich seines Einzugsgebiets weiterbeschäftigt werden kann
und die zuständige Personalvertretung aus einem dieser Gründe fristgerecht gegen die Kündigung Einwendungen erhoben hat, es sei denn, daß die Stufenvertretung in der Verhandlung mit der übergeordneten Dienststelle die Einwendungen nicht aufrechterhalten hat.
Satz 2 gilt entsprechend, wenn die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nach zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen oder eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers unter geänderten Arbeitsbedingungen möglich ist und der Arbeitnehmer sein Einverständnis hiermit erklärt hat. Der Arbeitgeber hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung bedingen.

(3) Ist einem Arbeitnehmer aus dringenden betrieblichen Erfordernissen im Sinne des Absatzes 2 gekündigt worden, so ist die Kündigung trotzdem sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat; auf Verlangen des Arbeitnehmers hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Gründe anzugeben, die zu der getroffenen sozialen Auswahl geführt haben. In die soziale Auswahl nach Satz 1 sind Arbeitnehmer nicht einzubeziehen, deren Weiterbeschäftigung, insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebes, im berechtigten betrieblichen Interesse liegt. Der Arbeitnehmer hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung als sozial ungerechtfertigt im Sinne des Satzes 1 erscheinen lassen.

(4) Ist in einem Tarifvertrag, in einer Betriebsvereinbarung nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes oder in einer entsprechenden Richtlinie nach den Personalvertretungsgesetzen festgelegt, wie die sozialen Gesichtspunkte nach Absatz 3 Satz 1 im Verhältnis zueinander zu bewerten sind, so kann die Bewertung nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden.

(5) Sind bei einer Kündigung auf Grund einer Betriebsänderung nach § 111 des Betriebsverfassungsgesetzes die Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll, in einem Interessenausgleich zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat namentlich bezeichnet, so wird vermutet, dass die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne des Absatzes 2 bedingt ist. Die soziale Auswahl der Arbeitnehmer kann nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht, soweit sich die Sachlage nach Zustandekommen des Interessenausgleichs wesentlich geändert hat. Der Interessenausgleich nach Satz 1 ersetzt die Stellungnahme des Betriebsrates nach § 17 Abs. 3 Satz 2.

Tenor

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 2. Dezember 2010 - 11 Sa 649/10 - im Kostenausspruch und insoweit aufgehoben, wie es die Beklagte zur Zahlung von 16.854,00 Euro brutto nebst Zinsen verurteilt hat.

2. Die Anschlussberufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Oberhausen vom 24. März 2010 - 1 Ca 2392/09 - wird als unzulässig verworfen.

3. Die weitergehende Revision der Beklagten wird zurückgewiesen.

4. Die Kosten der Berufungsinstanz haben der Kläger zu 1/6, die Beklagte zu 5/6 und die Kosten der Revision haben der Kläger zu 1/5, die Beklagte zu 4/5 zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen, auf betriebsbedingte Gründe gestützten Kündigung und damit in Zusammenhang stehende Ansprüche.

2

Die Beklagte ist ein Tochterunternehmen eines amerikanischen Konzerns. Sie hat in Deutschland drei Produktionsstätten. In ihrem Werk O beschäftigte sie regelmäßig etwa 85 Arbeitnehmer.

3

Der im August 1954 geborene Kläger ist promovierter Chemiker und seit April 1986 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin beschäftigt. Seit Dezember 2006 ist er als „Betriebsleiter GUR“ Leiter der Kunststoffgranulat-Produktion in O. Anfang Februar 2007 wurde ihm zusätzlich die Leitung des gesamten Standorts übertragen. Laut § 1 des im Juni/Juli 2004 geschlossenen Anstellungsvertrags sieht ihn die Beklagte als leitenden Angestellten iSv. § 5 Abs. 3 BetrVG an. Seine Vergütung richtete sich nach einem unternehmensweit angewandten „Vertragsstufensystem für leitende Angestellte“. Danach bezog er ein Bruttomonatsgehalt von etwa 9.860,00 Euro, das sich aus einem Fixum und Bonuszahlungen zusammensetzte.

4

Im August 2009 stellte die Beklagte den Kläger unter Berufung auf anstehende seinen Arbeitsplatz betreffende Veränderungen von seiner Verpflichtung zur Arbeitsleistung frei. Mit Schreiben vom 24. September 2009 kündigte sie das Arbeitsverhältnis der Parteien ordentlich zum 30. April 2010, „vorsorglich ... zum zulässigen Termin“. Der „vorsorglich“ zur Kündigung angehörte Betriebsrat des Werks O hatte der Kündigung mit der Begründung widersprochen, die Beschäftigungsmöglichkeiten für den Kläger seien nicht weggefallen.

5

Der Kläger hat gegen die Kündigung rechtzeitig die vorliegende Klage erhoben. Er hat die Auffassung vertreten, ein dringendes betriebliches Erfordernis für eine Kündigung liege nicht vor. Sein Arbeitsplatz sei bei im Wesentlichen gleich gebliebenen Aufgaben lediglich neu besetzt worden. Eine Verlagerung bisher durch ihn erledigter Aufgaben auf andere in O beschäftigte Arbeitnehmer sei nicht ohne deren überobligatorische Inanspruchnahme möglich gewesen. Auch habe die Möglichkeit bestanden, ihn auf dem frei gewordenen Arbeitsplatz des „Forschungsleiters“ weiter zu beschäftigen.

6

Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 24. September 2009 nicht aufgelöst worden ist;

        

2.    

für den Fall des Obsiegens mit dem Antrag zu 1. die Beklagte zu verurteilen, ihn bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens zu unveränderten Arbeitsbedingungen weiter zu beschäftigen;

        

3.    

für den Fall des Obsiegens mit dem Antrag zu 1. die Beklagte zu verurteilen, ihm ein wohlwollendes Zwischenzeugnis zu erteilen, das sich auf Führung und Leistung erstreckt;

        

4.    

für den Fall der Abweisung des Antrags zu 1. die Beklagte zu verurteilen, ihm ein „endgültiges“ wohlwollendes Zeugnis zu erteilen, das sich auf Führung und Leistung erstreckt.

7

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat behauptet, im September 2009 sei auf Konzernebene die - anschließend durch ihren Geschäftsführer umgesetzte - unternehmerische Entscheidung getroffen worden, Produktionsstandorte zusammenzulegen sowie Funktionen und Zuständigkeiten zu bündeln. In diesem Zusammenhang sei die globale Verantwortlichkeit für die Prozessentwicklung und das Qualitätsmanagement in O angesiedelt worden. An diese Funktion habe sie die Hälfte der bisher vom Kläger wahrgenommenen Leitungsaufgaben „angekoppelt“; die Stelle habe sie mit Frau K besetzt, die zuvor Geschäftsführerin eines anderen Konzernunternehmens gewesen sei. Die andere Hälfte der Tätigkeiten habe sie auf insgesamt sieben, dem Kläger bisher nachgeordnete Arbeitnehmer verteilt, die auch in der Lage seien, das zusätzliche Pensum zu bewältigen. Der Kläger sei fachlich nicht in der Lage, die neu zugeschnittene Leitungsstelle auszufüllen. Er verfüge, anders als Frau K, die neben ihrem Chemie- ein Ingenieurstudium absolviert habe, nicht über die erforderlichen Kenntnisse und die notwendige Berufserfahrung auf dem Gebiet der Prozessentwicklung und des Qualitätsmanagements. Außerdem sei die Stelle mit einem Aufgaben- und Kompetenzzuwachs verbunden, der sich in veränderten Berichtspflichten unmittelbar gegenüber dem Management der Beklagten und der Zuordnung des Arbeitsplatzes zu einem höheren „Gehaltslevel“ ausdrücke. Zur Weiterbeschäftigung des Klägers auf einer solchen „Beförderungsstelle“ sei sie nicht verpflichtet.

8

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Dagegen hat die Beklagte Berufung eingelegt. Der Kläger hat in der Berufungsinstanz zusätzlich beantragt, an ihn 16.854,00 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten aus jeweils 8.427,00 Euro brutto seit dem 1. November 2010 und seit dem 1. Dezember 2010 zu zahlen. Er hat die Auffassung vertreten, das damit geforderte Gehalt für die Monate Oktober und November 2010 stehe ihm unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs zu. Die Beklagte hat gerügt, die Klageerweiterung sei unzulässig. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und diese zur Gehaltszahlung in beantragter Höhe verurteilt. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Begehren weiter, die Klage - ausgenommen den Anspruch auf Erteilung eines Zwischenzeugnisses - abzuweisen.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Revision ist begründet, soweit die Beklagte ihre Verurteilung zur Zahlung von Vergütung für die Monate Oktober und November 2010 angreift (I.). Im Übrigen bleibt die Revision ohne Erfolg. Die Kündigung vom 24. September 2009 ist unwirksam und hat das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgelöst (II.). Die (Hilfs-)Anträge auf vorläufige Weiterbeschäftigung und auf Erteilung eines Endzeugnisses sind dem Senat nicht zur Entscheidung angefallen (III.).

10

I. Mit Erfolg wendet sich die Beklagte gegen ihre Verurteilung zur Gehaltszahlung, die der Kläger erstmals in der Berufungsinstanz geltend gemacht hat. Die Revision ist insoweit aus prozessualen Gründen erfolgreich. Bei der Klageerweiterung handelt es sich um eine nach § 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO iVm. § 64 Abs. 6 Satz 1, § 66 Abs. 1 Satz 3 ArbGG verspätete und deshalb unzulässige Anschlussberufung. Das hat das Revisionsgericht von Amts wegen zu prüfen (BGH 24. Oktober 2007 - IV ZR 12/07 - Rn. 7, MDR 2008, 159).

11

1. Dem Kläger stand für eine Erweiterung der Klage im Berufungsrechtszug nur der Weg der Anschlussberufung zur Verfügung. Als solche ist sein Zahlungsbegehren deshalb zu behandeln; einer ausdrücklichen Bezeichnung als Anschlussberufung bedarf es dazu nicht (BAG 28. Juni 2011 - 3 AZR 282/09 - Rn. 20, EzA BetrAVG § 16 Nr. 59; 30. Mai 2006 - 1 AZR 111/05 - Rn. 42, BAGE 118, 211). Es genügt, dass schriftsätzlich klar und deutlich der Wille zum Ausdruck gebracht wird, eine Änderung des vorinstanzlichen Urteils auch als Rechtsmittelbeklagter zu erreichen. Dazu reicht es, dass der Rechtsmittelbeklagte die Klage - wie im Streitfall mit Schriftsatz vom 19. November 2010 geschehen - erweitert. Einer Beschwer bedarf es für die Anschlussberufung grundsätzlich nicht (vgl. BAG 10. Februar 2009 - 3 AZR 728/07 - Rn. 11, AE 2009, 331).

12

2. Nach § 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO iVm. § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG ist eine Anschlussberufung zulässig bis zum Ablauf der dem Berufungsbeklagten gesetzten Frist zur Berufungserwiderung. Im arbeitsgerichtlichen Verfahren wird zwar - anders als nach § 521 Abs. 2 Satz 1 ZPO - dem Berufungsbeklagten vom Gericht keine Frist zur Berufungserwiderung „gesetzt“; vielmehr gilt für die Berufungsbeantwortung die durch § 66 Abs. 1 Satz 3 ArbGG bestimmte gesetzliche Frist von einem Monat. Gleichwohl ist § 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO gemäß § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG im Berufungsverfahren vor den Landesarbeitsgerichten entsprechend anwendbar. Eine Anschlussberufung, die nicht innerhalb eines Monats nach Zustellung der Berufungsbegründung - bei Verlängerung der Berufungsbeantwortungsfrist nach § 66 Abs. 1 Satz 5 ArbGG innerhalb der dann geltenden Frist(vgl. GK-ArbGG/Vossen Stand April 2012 § 64 Rn. 105; GMP/Germelmann ArbGG 7. Aufl. § 64 Rn. 106) - eingeht, ist entsprechend § 522 Abs. 1 ZPO als unzulässig zu verwerfen(BAG 30. Mai 2006 - 1 AZR 111/05 - Rn. 45, BAGE 118, 211).

13

3. Danach war die Anschlussberufung des Klägers verspätet.

14

a) Der betreffende Schriftsatz ist am 22. November 2010 beim Landesarbeitsgericht eingegangen. Zu diesem Zeitpunkt war seit der am 26. Juli 2010 bewirkten Zustellung der Berufungsbegründung weit mehr als ein Monat vergangen. Die Frist zur Berufungsbeantwortung war nicht verlängert worden. Ein Fall des § 524 Abs. 2 Satz 3 ZPO liegt nicht vor.

15

b) Die Frist zur Berufungsbeantwortung ist ordnungsgemäß in Lauf gesetzt worden. Insbesondere ist der nach § 66 Abs. 1 Satz 4 ArbGG gebotene Hinweis erfolgt. Dies konnte der Senat selbst im Wege des Freibeweises klären (vgl. BAG 18. Januar 2012 - 7 AZR 211/09 - Rn. 17, NZA 2012, 691).

16

aa) Die Verwerfung der Anschlussberufung wegen Fristversäumnis setzt voraus, dass der Berufungsgegner mit der Zustellung der Berufungsbegründung gemäß § 66 Abs. 1 Satz 4 ArbGG auf die gesetzliche Verpflichtung hingewiesen wurde, die Berufung binnen eines Monats nach Zustellung der Berufungsbegründung zu beantworten. Fehlt es an einem solchen Hinweis, wird weder die Frist zur Berufungsbeantwortung noch die zur Einlegung der Anschlussberufung in Lauf gesetzt (BA G 30. Mai 2006 - 1 AZR 111/05 - Rn. 45, BAGE 118, 211).

17

bb) Der Klägervertreter hat mit Empfangsbekenntnis vom 26. Juli 2010 den Erhalt der Berufungsbegründung bestätigt. Laut Empfangsbekenntnis ist ihm neben der Berufungsbegründung ein „Hinweis gemäß § 66 Abs. 1 Satz 3 ArbGG“ zugestellt worden. Dies bezieht sich auf ein zugleich übermitteltes, vom Kläger in Kopie zur Senatsakte gereichtes gerichtliches Begleitschreiben vom 16. Juli 2010, das - auszugsweise - wie folgt lautet:

        

„Gemäß § 66 Abs. 1 Satz 3 Arbeitsgerichtsgesetzmuss die Berufung innerhalb einer Frist von einem Monat nach Zustellung anliegender Berufungsbegründung b e a n t w o r t e t werden.

                 
        

Werden Angriffs- oder Verteidigungsmittel in der Berufungsbeantwortung nicht rechtzeitig vorgebracht, so lässt sie das Gericht nur zu, wenn nach seiner freien Überzeugung ihre Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits nicht verzögern würde oder die Verspätung genügend entschuldigt wird.“

18

cc) Dieser Hinweis war mit Blick auf die Anschlussberufung ausreichend. Insoweit geht es vor allem um die Klarstellung, zu welchem Zeitpunkt die Frist des § 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO iVm. § 66 Abs. 1 Satz 3 ArbGG in Gang gesetzt worden ist. Über die Möglichkeit der Anschließung als solche braucht hingegen nicht belehrt zu werden. Ob das gerichtliche Schreiben eine hinreichende Belehrung über die Präklusionsvorschrift des § 67 ArbGG und mögliche Folgen aus einer Versäumung der Beantwortungsfrist enthält, kann offenbleiben. Auf die Präklusionsregelung kommt es für die Frage, ob die Anschlussberufung frist- und formgerecht erhoben worden ist, nicht an. Überdies handelt es sich bei der Klageerweiterung als solche nicht um ein Angriffs- oder Verteidigungsmittel iSv. § 67 ArbGG, sondern um den Angriff selbst(BAG 11. April 2006 - 9 AZN 892/05 - Rn. 12, BAGE 117, 370).

19

dd) Den Akten ist nicht zu entnehmen, ob das gerichtliche Schreiben vom 16. Juli 2010 oder auch nur die Verfügung, mit der die Zustellung der Berufungsbegründung „mit Belehrung über die Frist gem. § 66 I 3 ArbGG“ veranlasst worden ist, vom Vorsitzenden der Kammer unterzeichnet war. Das ist unschädlich. Der Hinweis hat von Gesetzes wegen „mit der Zustellung der Berufungsbegründung“ zu erfolgen (§ 66 Abs. 1 Satz 4 ArbGG). Ein Tätigwerden des Gerichts bzw. seines Vorsitzenden in jedem Einzelfall ist damit nicht verlangt. Es reicht, dass der Hinweis auf allgemeine Anordnung hin durch die Geschäftsstelle erfolgt. Dieser obliegt ohnehin die Ausführung der Zustellung (§ 168 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Zudem besteht hinsichtlich der Erteilung des Hinweises kein Ermessensspielraum; die Regelung des § 66 Abs. 1 Satz 4 ArbGG ist zwingend. Die Anschlussberufung war damit als unzulässig zu verwerfen.

20

II. Die Revision ist unbegründet, soweit sie sich gegen die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts über den Feststellungsantrag richtet. Diesem hat das Landesarbeitsgericht zu Recht stattgegeben. Die Kündigungsschutzklage ist begründet. Die ordentliche Kündigung vom 24. September 2009 ist sozial ungerechtfertigt. Sie ist nicht durch dringende betriebliche Erfordernisse iSd. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG bedingt.

21

1. Dringende betriebliche Erfordernisse für eine Kündigung iSv. § 1 Abs. 2 KSchG können sich aus innerbetrieblichen oder außerbetrieblichen Gründen ergeben. Innerbetriebliche Gründe liegen vor, wenn sich der Arbeitgeber zu einer organisatorischen Maßnahme entschließt, bei deren Umsetzung das Bedürfnis für die Weiterbeschäftigung eines oder mehrerer Arbeitnehmer entfällt. Eine solche unternehmerische Entscheidung ist gerichtlich nicht auf ihre sachliche Rechtfertigung oder ihre Zweckmäßigkeit hin zu überprüfen, sondern nur darauf, ob sie offensichtlich unsachlich, unvernünftig oder willkürlich ist (BAG 23. Februar 2012 - 2 AZR 548/10 - Rn. 17, NZA 2012, 852; 16. Dezember 2010 - 2 AZR 770/09 - Rn. 13, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 186 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 165). Nachzuprüfen ist aber, ob die fragliche Entscheidung tatsächlich umgesetzt wurde und dadurch das Beschäftigungsbedürfnis für einzelne Arbeitnehmer entfallen ist (BAG 23. Februar 2012 - 2 AZR 548/10 - aaO; 16. Dezember 2010 - 2 AZR 770/09 - aaO).

22

2. Allerdings kann in Fällen, in denen die Organisationsentscheidung des Arbeitgebers und sein Kündigungsentschluss praktisch deckungsgleich sind, die ansonsten berechtigte Vermutung, die fragliche Entscheidung sei aus sachlichen Gründen erfolgt, nicht unbesehen greifen. Da die Kündigung nach dem Gesetz an das Vorliegen von Gründen gebunden ist, die außerhalb ihrer selbst liegen, muss der Arbeitgeber in solchen Fällen seine Entscheidung hinsichtlich ihrer organisatorischen Durchführbarkeit und zeitlichen Nachhaltigkeit verdeutlichen (BAG 16. Dezember 2010 - 2 AZR 770/09 - Rn. 14, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 186 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 165; 17. Juni 1999 - 2 AZR 522/98 - zu II 1 c der Gründe, BAGE 92, 61). Daran fehlt es, wenn die Kündigung zu einer rechtswidrigen Überforderung oder Benachteiligung des im Betrieb verbliebenen Personals führte (vgl. Rost Jahrbuch des Arbeitsrechts Bd. 39 S. 83) oder die zugrunde liegende unternehmerische Entscheidung lediglich Vorwand dafür wäre, bestimmte Arbeitnehmer aus dem Betrieb zu drängen, obwohl Beschäftigungsbedarf und Beschäftigungsmöglichkeiten objektiv fortbestehen und etwa nur der Inhalt des Arbeitsvertrags als zu belastend angesehen wird (BAG 23. Februar 2012 - 2 AZR 548/10 - Rn. 18, NZA 2012, 852; 22. Mai 2003 - 2 AZR 326/02 - zu B I 3 d (1) der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 128 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 126).

23

Läuft die unternehmerische Entscheidung auf den Abbau einer Hierarchieebene oder die Streichung eines einzelnen Arbeitsplatzes hinaus verbunden mit einer Umverteilung der dem betroffenen Arbeitnehmer bisher zugewiesenen Aufgaben, muss der Arbeitgeber konkret erläutern, in welchem Umfang und aufgrund welcher Maßnahmen die bisher vom gekündigten Arbeitnehmer ausgeübten Tätigkeiten für diesen zukünftig entfallen. Nur so kann geprüft werden, ob die Entscheidung den dargestellten Voraussetzungen genügt. Der Arbeitgeber muss die Auswirkungen seiner unternehmerischen Vorgaben und Planungen auf das erwartete Arbeitsvolumen anhand einer schlüssigen Prognose im Einzelnen darstellen und angeben, wie die anfallenden Arbeiten vom verbliebenen Personal ohne überobligationsmäßige Leistungen, dh. im Rahmen ihrer vertraglich geschuldeten regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit erledigt werden können (BAG 23. Februar 2012 - 2 AZR 548/10 - Rn. 18, NZA 2012, 852; 13. Februar 2008 - 2 AZR 1041/06 - Rn. 16, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 174 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 158).

24

3. Zu den nur auf Willkür zu überprüfenden Organisationsentscheidungen des Arbeitgebers zählt die Festlegung des Anforderungsprofils einer Stelle. Das Bestreben des Arbeitgebers, bestimmte Tätigkeiten nur von Arbeitnehmern mit bestimmten Qualifikationen ausführen zu lassen, ist grundsätzlich hinzunehmen (BAG 18. März 2010 - 2 AZR 337/08 - Rn. 19, AP BGB § 626 Nr. 228 = EzA BGB 2002 § 626 Unkündbarkeit Nr. 17). Schafft der Arbeitgeber neu zugeschnittene Arbeitsplätze, ist dies jedenfalls dann zu respektieren, wenn die Qualifikationsmerkmale einen nachvollziehbaren Bezug zur Organisation der auszuführenden Arbeiten haben (BAG 10. Juli 2008 - 2 AZR 1111/06 - Rn. 25, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 181 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 163; 7. Juli 2005 - 2 AZR 399/04 - Rn. 32 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 138 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 138).

25

a) Erhöhte Anforderungen an die Darlegungslast sind dabei mit Blick auf § 1 Abs. 2 KSchG dann zu stellen, wenn der Arbeitgeber das Anforderungsprofil für Arbeitsplätze ändert, die bereits mit langjährig beschäftigten Arbeitnehmern besetzt sind. Der Arbeitgeber kann nicht unter Berufung auf eine gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbare Unternehmerentscheidung den Kündigungsschutz des betreffenden Arbeitnehmers dadurch umgehen, dass er in sachlich nicht gebotener Weise die Anforderungen an die Kenntnisse des Arbeitsplatzinhabers verschärft (BAG 10. Juli 2008 - 2 AZR 1111/06 - Rn. 26, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 181 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 163; 7. Juli 2005 - 2 AZR 399/04 - Rn. 33, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 138 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 138).

26

b) Der Arbeitgeber muss deshalb, will er dem Vorwurf des Missbrauchs entgehen, dartun, dass es sich bei der zusätzlich geforderten Qualifikation für die Ausführung der Tätigkeit nicht nur um eine „wünschenswerte Voraussetzung”, sondern um ein sachlich gebotenes, arbeitsplatzbezogenes Kriterium für das Stellenprofil handelt (BAG 10. Juli 2008 - 2 AZR 1111/06 - Rn. 26, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 181 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 163; 24. Juni 2004 - 2 AZR 326/03 - zu B II 2 a der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Nr. 76 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 132). Die Änderung des Anforderungsprofils muss im Zusammenhang mit einer organisatorischen Maßnahme des Arbeitgebers stehen, die nach ihrer Durchführung angesichts eines veränderten Beschäftigungsbedarfs - etwa aufgrund von Änderungen des Arbeitsvolumens oder des Inhalts der Tätigkeit - auch die Anforderungen an den Arbeitsplatzinhaber erfasst (BAG 10. Juli 2008 - 2 AZR 1111/06 - Rn. 31, aaO). Gestaltet der Arbeitgeber lediglich Arbeitsabläufe um, ohne dass sich die Tätigkeit inhaltlich ändert, und ist der bisherige Stelleninhaber aufgrund seiner Fähigkeiten und Ausbildung in der Lage, die künftig anfallenden Arbeiten zu verrichten, so ist eine auf betriebliche Gründe gestützte Kündigung selbst dann nicht sozial gerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber die Änderungen zum Anlass nimmt, die Stelle in eine „Beförderungsstelle“ umzuwandeln (ähnlich BAG 10. November 1994 - 2 AZR 242/94 - zu B I 2 der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 65 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 77). Das gleiche gilt, wenn der Arbeitgeber die auf dem Arbeitsplatz bislang zu verrichtende Tätigkeit um zusätzliche Aufgaben erweitert, der dadurch veränderte Arbeitsplatz aber nach Bedeutung und Verantwortung nicht um so viel anspruchsvoller ist, dass insgesamt ein anderer Arbeitsbereich entstanden wäre (BAG 30. August 1995 - 1 ABR 11/95 - zu A II 3 b bb der Gründe, AP BetrVG 1972 § 99 Versetzung Nr. 5 = EzA BetrVG 1972 § 99 Nr. 130).

27

4. Daran gemessen hat das Landesarbeitsgericht an die Darlegungslast der Beklagten zu Recht erhöhte Anforderungen gestellt. Dabei macht es keinen Unterschied, ob sich die behauptete Umstrukturierung als Umgestaltung des bisherigen Arbeitsplatzes des Klägers oder als Abbau dieser Stelle bei gleichzeitiger Einrichtung eines neuen, als Beförderungsstelle zu qualifizierenden Arbeitsplatzes darstellt. In beiden Fällen liegt die Organisationsentscheidung nahe am Kündigungsentschluss. Hinzu kommt, dass nach dem eigenen Vorbringen der Beklagten die bisherigen Aufgaben des Klägers weiterhin anfallen. Die Beklagte musste deshalb zum einen aufzeigen, dass durch die behauptete Bündelung von Funktionen und Zuständigkeiten auf der Leitungsebene tatsächlich ein anderer Arbeitsbereich entstanden ist. Zum anderen war sie gehalten, ihren Entschluss zur Umverteilung der anfallenden Tätigkeiten hinsichtlich seiner Durchführbarkeit und Nachhaltigkeit durch konkreten Tatsachenvortrag zu verdeutlichen.

28

5. Dem wird das Vorbringen der Beklagten nicht gerecht. Sie hat nicht nachvollziehbar dargelegt, dass zum Zeitpunkt der Kündigung die Prognose gerechtfertigt war, die Hälfte der bisherigen Arbeitsaufgaben des Klägers könnten von dem ihm bislang nachgeordneten Personal im Rahmen regulärer zeitlicher Verpflichtungen erledigt werden. Bereits dies führt zur Unwirksamkeit der Kündigung.

29

a) Die Beklagte hat durchaus im Einzelnen vorgetragen, welche konkreten Aufgaben aus den Bereichen „Betriebsleitung GUR“ und „Standortleitung“ in welchem zeitlichen Umfang künftig durch Frau K und weitere sieben namentlich benannte Arbeitnehmer übernommen werden sollten. Sie hat es aber versäumt schlüssig darzutun, dass die fraglichen sieben Personen über hinreichend freie Arbeitszeitkapazität verfügten, um das zusätzliche Pensum von täglich bis zu einer Stunde ohne überobligationsmäßige Leistungen zu bewältigen. Sie hat dies lediglich pauschal behauptet ohne aufzuzeigen, worauf sich ihre Einschätzung stützt. Spätestens nachdem der Kläger die mangelnde Schlüssigkeit ihres Vorbringens beanstandet und sich beispielhaft unter Angabe von Beginn und Ende täglicher Arbeitszeiten darauf berufen hatte, zwei der betroffenen Mitarbeiter seien bereits in der Zeit vor seiner Freistellung voll ausgelastet gewesen, hätte die Beklagte ihren Vortrag im Rahmen der abgestuften Darlegungslast substantiieren müssen. Das ist nicht geschehen. Sie hat nur ihren nicht weiter einlassungsfähigen Vortrag wiederholt, einer der Genannten sei „genau wie alle anderen Mitarbeiter in der Lage, die ihm übertragenen Aufgaben ohne überobligatorische Verpflichtung zu übernehmen“, die Arbeitszeit eines anderen werde vom Kläger unzutreffend dargestellt. Stattdessen hätte sie, um ihrer Vortragslast zu genügen, die zutreffenden Arbeitszeiten der fraglichen Mitarbeiter nebst der Möglichkeit, „freie“ Kapazitäten für die Übertragung weiterer Arbeiten zu nutzen, darstellen müssen.

30

b) Eine Konkretisierung ihres Vorbringens war auch dann nicht entbehrlich, wenn es sich - wie die Beklagte geltend macht - bei den fraglichen Arbeitnehmern um „leitende Angestellte“ oder zumindest außertariflich vergütete Arbeitnehmer handeln sollte. Aus beidem folgt nicht, dass mit diesen keine vertraglichen Vereinbarungen hinsichtlich des Umfangs der zu leistenden Arbeitszeit bestanden. Im Übrigen unterliegen auch sog. AT-Mitarbeiter den Grenzen des Arbeitszeitgesetzes und nimmt nach § 18 Abs. 1 Nr. 1 ArbZG nur leitende Angestellte iSv. § 5 Abs. 3 BetrVG aus seinem Anwendungsbereich aus(vgl. BAG 6. Mai 2003 - 1 ABR 13/02 - zu B II 2 b aa der Gründe, BAGE 106, 111). Inwieweit diese Voraussetzungen bei einzelnen Arbeitnehmern erfüllt sind, ist dem Vorbringen der Beklagten nicht zu entnehmen.

31

c) In welcher Weise ein Arbeitgeber darlegt, dass die Umverteilung von Arbeitsaufgaben nicht zu einer überobligatorischen Beanspruchung im Betrieb verbliebener Arbeitnehmer führt, bleibt ihm überlassen. Handelt es sich um nicht taktgebundene Arbeiten, muss nicht in jedem Fall und minutiös dargelegt werden, welche einzelnen Tätigkeiten die fraglichen Mitarbeiter künftig mit welchen Zeitanteilen täglich zu verrichten haben. Es kann ausreichend sein, wenn der Arbeitgeber die getroffenen Vereinbarungen zu Umfang und Verteilung der Arbeitszeit darstellt und Anhaltspunkte dafür darlegt, dass Freiräume für die Übernahme zusätzlicher Aufgaben vorhanden sind. Im Streitfall hat die Beklagte auch dies unterlassen. Soweit das Landesarbeitsgericht noch strengere Anforderungen an ihr Vorbringen gestellt hat, wirkt sich dies im Ergebnis nicht aus.

32

d) Die Rüge der Beklagten, das Landesarbeitsgericht habe sie auf die Mängel in ihrem Vortrag hinweisen müssen, ist unberechtigt.

33

aa) Ein Verstoß gegen die richterliche Hinweispflicht (§ 139 ZPO) liegt schon deshalb nicht vor, weil die Beklagte darauf durch die erstinstanzliche Entscheidung und die Ausführungen der Gegenseite aufmerksam gemacht wurde (vgl. BGH 23. April 2009 - IX ZR 95/06 - Rn. 6 mwN, NJW-RR 2010, 70). Das Arbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage mit der Begründung stattgegeben, die Beklagte sei ihrer Darlegungslast nicht nachgekommen. Sie habe es ua. versäumt deutlich zu machen, in welchem Umfang die anderen Mitarbeiter, auf die nunmehr neue Aufgaben zukämen, bisher ausgelastet gewesen seien und warum sie in der Lage sein sollten, die neuen Arbeitsaufgaben ohne überobligatorischen Aufwand zu bewältigen. Dies hat der Kläger aufgegriffen und geltend gemacht, das Vorbringen der Beklagten in ihrer Berufungsbegründung sei „immer noch“ unsubstantiiert. Überdies stützen sich die Entscheidungen der Vorinstanzen insoweit auf die ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts. Die Beklagte war daher auch ohne richterlichen Hinweis gehalten, deutlich konkreter vorzutragen.

34

bb) Ob der im Rahmen der Revision nachgeholte Vortrag den Anforderungen an eine substantiierte Darlegung entspricht, kann dahinstehen. Allerdings handelt es sich bei der Vereinbarung einer „Vertrauensarbeitszeit“, auf die die Beklagte hinsichtlich einzelner Arbeitnehmer verweist, typischerweise um ein Arbeitszeitmodell, bei dem der Arbeitgeber lediglich auf die Festlegung von Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit verzichtet und darauf vertraut, dass die Arbeitnehmer ihre Arbeitsverpflichtung auch ohne Kontrolle erfüllen (vgl. BAG 6. Mai 2003 - 1 ABR 13/02 - Rn. 65, BAGE 106, 111; Schaub/Vogelsang ArbR-Hdb. 14. Aufl. § 160 Rn. 33). Aus der Vereinbarung einer „Vertrauensarbeitszeit“ folgt dagegen nicht, dass es an arbeits- oder tarifvertraglichen Vorgaben zur wöchentlichen Arbeitszeit fehlt und die Beklagte über die tatsächlich erbrachte Arbeitszeit hinaus Arbeitsleistungen im Umfang von bis zu einer Stunde täglich verlangen konnte.

35

e) Dringende betriebliche Erfordernisse, die die Kündigung bedingen, hat die Beklagte damit nicht dargelegt. Unerheblich ist, dass das in Rede stehende zu verteilende Arbeitsvolumen - ausgehend vom Vorbringen der Beklagten - lediglich 50 Prozent der bislang dem Kläger zugewiesenen Arbeitsaufgaben umfasst. Auch wenn die Übertragung der anderen 50 Prozent auf Frau K kündigungsrechtlich nicht zu beanstanden sein sollte, hätte die Beklagte dem Kläger zumindest eine Weiterbeschäftigung im entsprechend reduzierten Umfang anbieten müssen. Dafür, dass ein solches Angebot wegen „Unannehmbarkeit“ hätte unterbleiben können (vgl. dazu BAG 23. Februar 2010 - 2 AZR 656/08 - Rn. 57, BAGE 133, 226; 21. September 2006 - 2 AZR 607/05 - Rn. 34, AP KSchG 1969 § 2 Nr. 130 = EzA KSchG § 2 Nr. 62), fehlt es an Anhaltspunkten. Im Übrigen kann der Vortrag der Beklagten so verstanden werden, dass ihre gesamte Organisationsentscheidung mit der Möglichkeit der Umverteilung von Aufgaben auf nachgeordnete Mitarbeiter „steht und fällt“.

36

III. Der Antrag auf Weiterbeschäftigung bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Feststellungsantrag ist dem Senat nicht angefallen. Der Kündigungsrechtsstreit ist rechtskräftig entschieden. Der Antrag auf Erteilung eines Endzeugnisses ist nur für den Fall des Unterliegens mit dem Feststellungsantrag gestellt. Diese Bedingung ist nicht eingetreten.

37

IV. Die Kosten der Berufungsinstanz und der Revision waren im Verhältnis von jeweiligem Obsiegen und Unterliegen der Parteien zu teilen (§ 97 Abs. 1 iVm. § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

        

    Kreft    

        

    Koch    

        

    Berger    

        

        

        

    Gans    

        

    F. Löllgen    

                 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 16. November 2010 - 16 Sa 411/10 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen betriebsbedingten Kündigung.

2

Der 1954 geborene Kläger ist bei der Beklagten, die mit mehr als 200 Arbeitnehmern Messingprodukte produziert und verarbeitet, seit dem 1. Januar 1998 als „Produktionsmitarbeiter in der Abteilung Rohrlinie“ beschäftigt. Er arbeitete zuletzt in der Funktion eines „Ziehers an einer 15to-Ziehbank/Anfasers/Einteilsägers“ im Bereich Rohrlinie.

3

Anfang 2009 verhandelten die Beklagte und der in ihrem Betrieb gebildete Betriebsrat vor dem Hintergrund eines beabsichtigten Personalabbaus im Umfang von 48 Stellen über einen Interessenausgleich und einen Sozialplan. In einer Absichtserklärung vom 13. Februar 2009 beschrieben die Betriebsparteien bestimmte Maßnahmen als erstrebenswerte Alternativen zu den erwogenen Entlassungen; ua. war die Einführung von Kurzarbeit mit Wirkung zum 1. März 2009 bei einer maximalen Laufzeit von 18 Monaten und verteilt auf jeweils sechs Monate vorgesehen.

4

Am 27. Februar 2009 schlossen die Betriebsparteien mehrere Betriebsvereinbarungen. Mit der Betriebsvereinbarung Nr. 163 wurde in den Produktionsbereichen Gießerei, Rohrlinie und Indirektlinie für die Zeit vom 1. März 2009 bis zum 31. August 2009 Kurzarbeit eingeführt. Der Umfang der in der jeweiligen Abteilung verringerten Wochenarbeitszeit ergab sich aus der Anlage 1 zur Betriebsvereinbarung. Diese sah ua. für die „Rohrlinie und die Zieherei Allgemein“ eine Reduzierung der Arbeitszeit auf 14 Stunden/Woche vor. Mit der Betriebsvereinbarung Nr. 164 verschoben die Betriebsparteien die zweite Stufe einer Tariferhöhung. Mit der Betriebsvereinbarung Nr. 165 führten sie ein Prämienentgelt und eine außertarifliche Leistungszulage ein. Ab dem 1. Mai 2009 sollte für bestimmte Produktionsmitarbeiter, zu denen auch der Kläger gehörte, eine neue Leistungsentgeltstruktur in Form der Entgeltmethode „Prämie“ gelten. Durch die Absenkung der Vergütung für die betroffenen Arbeitnehmer sollte eine Kostenersparnis im Umfang von 22 Produktionsarbeitsplätzen eintreten. Für die bereits Beschäftigten sollte die Anwendung der neuen Entgeltstruktur durch den Abschluss von Änderungsverträgen umgesetzt werden. Ziff. 11 der Betriebsvereinbarung Nr. 165 sah weiter vor, dass die Beklagte gegenüber denjenigen Arbeitnehmern, die das Angebot eines solchen Änderungsvertrags annähmen, bis zur vollständigen Beendigung der in der Produktion durchgeführten Kurzarbeit auf den Ausspruch von ordentlichen betriebsbedingten Kündigungen verzichte. Auf dieser Grundlage bot die Beklagte im März 2009 den in Frage kommenden 127 Arbeitnehmern den Abschluss entsprechender Änderungsverträge an. Das Angebot nahmen 111 Arbeitnehmer an. Der Kläger lehnte es ab.

5

Angesichts weiter rückläufiger Aufträge entschloss sich die Beklagte am 19. Mai 2009, zahlreiche Arbeitsplätze, darunter den eines „Ziehers 15to-Ziehbank/Anfasers/Einteilsägers“, ab 1. Oktober 2009 wegfallen zu lassen. Von der Streichung waren fast ausschließlich Arbeitsplätze von Arbeitnehmern betroffen, die das Angebot auf Abschluss eines Änderungsvertrags abgelehnt hatten.

6

Nach Anhörung des Betriebsrats kündigte die Beklagte mit Schreiben vom 29. Mai 2009 das Arbeitsverhältnis der Parteien zum 30. September 2009.

7

Mit seiner rechtzeitig erhobenen Klage hat sich der Kläger gegen diese Kündigung gewandt und seine vorläufige Weiterbeschäftigung als Produktionsmitarbeiter zu den bisherigen Vertragsbedingungen begehrt. Er hat die Auffassung vertreten, die Entscheidung der Beklagten laufe auf einen bloßen Stellenabbau verbunden mit einer Neuverteilung der bisherigen Tätigkeiten hinaus. Einen dauerhaften Rückgang der Produktion und eine Reduzierung des Arbeitsvolumens habe die Beklagte nicht hinreichend dargelegt. Ein Vergleich der Auftrags- und Arbeitsstundenzahlen von Januar bis Mai 2009 mit den gleichen Monaten des Vorjahrs reiche hierfür nicht aus; nur ein längerer Betrachtungszeitraum könne die Basis für eine nachhaltige Prognose bilden. Zudem habe die Beklagte nicht berücksichtigt, dass ab 1. März 2009 kurzgearbeitet worden sei. Die spätere Entwicklung belege die Fehlerhaftigkeit der Prognose. Die Beklagte habe auch nicht dargelegt, wer welche seiner bisherigen Tätigkeiten in welchem Umfang ohne eine übermäßige dauerhafte Beanspruchung habe übernehmen können. Im Übrigen sei die Sozialauswahl fehlerhaft. Statt seiner hätten andere Arbeitnehmer mit deutlich schlechteren Sozialdaten gekündigt werden müssen. Sie seien mit ihm vergleichbar, selbst wenn deren Kündigung nach der Betriebsvereinbarung Nr. 165 ausgeschlossen sei. Der einzelvertraglich gewährte Sonderkündigungsschutz sei mit ihnen in unzulässiger Weise zu seinen Lasten vereinbart worden. Unter diesem Aspekt stelle sich die Kündigung als eine Maßregelung dar.

8

Der Kläger hat beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung vom 29. Mai 2009 aufgelöst worden ist,

                 

hilfsweise

                 

die Beklagte zu verurteilen, ihn als Produktionsmitarbeiter zu den Bedingungen des am 1. Januar 2009 geschlossenen Arbeitsvertrags wieder einzustellen,

        

2.    

die Beklagte zu verurteilen, ihn bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Kündigungsschutzantrag als Produktionsmitarbeiter weiterzubeschäftigen.

9

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat vorgetragen, Anfang 2009 habe sie geplant, den Personalbestand zu reduzieren, da die Mitarbeiter in der Produktion schon im Jahr 2008 nicht ausgelastet gewesen seien. Zwar habe sie zur Vermeidung dieses Personalabbaus mit dem Betriebsrat die Betriebsvereinbarungen Nr. 163 bis Nr. 165 geschlossen. Zu diesem Zeitpunkt sei der Auftragsbestand aber erst um ca. 25 % geringer gewesen. Nach Einführung der Kurzarbeit habe sich die Auftrags- und Auslastungssituation weiter verschlechtert. Ab der 14. Kalenderwoche 2009 sei die Auslastung auf rund 60 % derjenigen des Vorjahrs zurückgegangen, die (Grundlagen-)Produktion in der Gießerei habe sich im Zeitraum von Januar bis Mai 2009 um etwa 36 % reduziert.

10

Vom Rückgang der Grundlagenproduktion seien sämtliche nachgeordneten Bereiche betroffen gewesen. Sowohl im Bereich Rohrzieherei als auch im Bereich Rohrlinie sei die Arbeitsmenge im Zeitraum von Januar 2009 bis Mai 2009 um 34,5 % zurückgegangen, was einem um etwa 33 % bzw. ca. 30 % (Rohrzieherei) verminderten Arbeitskräftebedarf entspreche. Bei einer durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit von 35 Stunden würden je Arbeitnehmer im Durchschnitt 12,2 Arbeitsstunden wöchentlich nicht mehr benötigt. Zur Sicherung ihrer Wettbewerbsfähigkeit und zur Steigerung der Effizienz habe sie deshalb die Stelle eines „Ziehers 15to-Ziehbank/Anfasers/Einteilsägers“ gestrichen und dessen Arbeit auf - neun namentlich genannte - Mitarbeiter verteilt. Aufgrund des Rückgangs ihrer eigenen Tätigkeiten seien diese Mitarbeiter nicht mehr ausgelastet gewesen und hätten die Aufgabe des Klägers ohne Weiteres mitübernehmen können. Den Rückgang der Arbeitsmenge habe sie im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung als dauerhaft angesehen, Anhaltspunkte für eine Besserung habe es nicht gegeben.

11

Die Sozialauswahl sei zutreffend, da die vom Kläger benannten Mitarbeiter aufgrund ihres Sonderkündigungsschutzes nicht in die Auswahl einzubeziehen gewesen seien.

12

Das Arbeitsgericht hat der Klage in vollem Umfang stattgegeben. Die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.

Entscheidungsgründe

13

Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat rechtsfehlerfrei entschieden, dass die Kündigung der Beklagten vom 29. Mai 2009 das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht beendet hat.

14

I. Die Klage ist begründet. Die Kündigung vom 29. Mai 2009 ist nicht aus dringenden betrieblichen Erfordernissen iSv. § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt.

15

1. Eine Kündigung ist durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt, wenn der Bedarf für eine Weiterbeschäftigung des gekündigten Arbeitnehmers im Betrieb voraussichtlich dauerhaft entfallen ist. Auf der Grundlage der betrieblichen Dispositionen des Arbeitgebers müssen im Tätigkeitsbereich des Gekündigten mehr Arbeitnehmer beschäftigt sein, als zur Erledigung der anfallenden Arbeiten benötigt werden. Dieser Überhang muss auf Dauer zu erwarten sein. Regelmäßig entsteht ein Überhang an Arbeitskräften nicht allein und unmittelbar durch bestimmte wirtschaftliche Entwicklungen (Produktions- oder Umsatzrückgang etc.), sondern aufgrund einer - oftmals durch diese Entwicklungen veranlassten - Organisationsentscheidung des Arbeitgebers (unternehmerische Entscheidung).

16

a) Betriebliche Erfordernisse, die eine Kündigung bedingen, können sich aus außerbetrieblichen Umständen ergeben. Passt der Arbeitgeber im Fall eines Auftragsverlustes oder eines reduzierten Auftragsbestands die Anzahl der benötigten Arbeitnehmer unmittelbar an die verbliebene Arbeitsmenge an, kann sich daraus ein dringendes betriebliches Erfordernis zur Kündigung ergeben, wenn der Arbeitsanfall - dauerhaft - so zurückgegangen ist, dass zukünftig für einen oder mehrere Arbeitnehmer kein Bedürfnis für eine Weiterbeschäftigung mehr besteht (BAG 17. Juni 1999 - 2 AZR 141/99 - BAGE 92, 71 und - 2 AZR 456/98 - BAGE 92, 79). Behauptet der Arbeitgeber, das Bedürfnis für eine Weiterbeschäftigung sei wegen eines solchen Auftragsrückgangs entfallen, kann das Gericht in vollem Umfang nachprüfen, ob die außerbetrieblichen Umstände für die Kündigung zum Zeitpunkt der Kündigung tatsächlich vorlagen und zu einem dauerhaften Rückgang des Beschäftigungsvolumens führen. Dabei reicht ein bloßer Hinweis auf auslaufende Aufträge und das Fehlen von Anschlussaufträgen regelmäßig nicht aus, um einen dauerhaften Wegfall des Beschäftigungsbedürfnisses zu begründen. Der Arbeitgeber muss vielmehr anhand seiner Auftrags- und Personalplanung im Einzelnen darstellen, warum nicht nur eine - kurzfristige - Auftragsschwankung vorliegt, sondern ein dauerhafter Auftragsrückgang zu erwarten ist (BAG 18. Mai 2006 - 2 AZR 412/05 - Rn. 18, AP AÜG § 9 Nr. 7 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 146).

17

b) Ein Rückgang des Arbeitskräftebedarfs kann sich auch daraus ergeben, dass sich eine im Betrieb tatsächlich umgesetzte unternehmerische Organisationsentscheidung auf die Anzahl der verbliebenen Arbeitsplätze auswirkt. Eine unternehmerische Organisationsentscheidung kann etwa in der Bestimmung der Zahl der Belegschaftsmitglieder liegen, mit denen die im Betrieb anfallende Arbeitsmenge erledigt werden soll (vgl. BAG 2. Juni 2005 - 2 AZR 480/04 - mwN, BAGE 115, 92). Unternehmerische Entscheidungen sind von den Gerichten nicht auf ihre sachliche Rechtfertigung oder Zweckmäßigkeit hin zu überprüfen, sondern nur darauf, ob sie offensichtlich unsachlich, unvernünftig oder willkürlich sind (BAG 16. Dezember 2010 - 2 AZR 770/09 - Rn. 13, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 186 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 165; 10. Juli 2008 - 2 AZR 1111/06 - Rn. 24, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 181 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 163). Nachzuprüfen ist aber, ob die fragliche Entscheidung tatsächlich umgesetzt wurde und dadurch das Beschäftigungsbedürfnis für einzelne Arbeitnehmer entfallen ist (BAG 16. Dezember 2010 - 2 AZR 770/09 - Rn. 13, aaO; 10. Juli 2008 - 2 AZR 1111/06 - Rn. 24, aaO).

18

c) Führen die außer- oder innerbetrieblichen Umstände nicht zu einer dauerhaften Reduzierung des Arbeitskräftebedarfs im Betrieb, so besteht kein dringendes betriebliches Erfordernis zur Beendigung eines Arbeitsverhältnisses. Erschöpft sich die unternehmerische Entscheidung des Arbeitgebers im Wesentlichen darin, Personal einzusparen, so ist sie vom Kündigungsentschluss selbst kaum zu unterscheiden. Da die Kündigung nach dem Gesetz an das Vorliegen von Gründen gebunden ist, die außerhalb ihrer selbst liegen, muss der Arbeitgeber in solchen Fällen seine Entscheidung hinsichtlich ihrer organisatorischen Durchführbarkeit und zeitlichen Nachhaltigkeit verdeutlichen. Nur so kann das Gericht prüfen, ob sie missbräuchlich ausgesprochen worden ist (BAG 16. Dezember 2010 - 2 AZR 770/09 - Rn. 14, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 186 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 165; 17. Juni 1999 - 2 AZR 522/98 - BAGE 92, 61). Das wäre der Fall, wenn die Kündigung zu einer rechtswidrigen Überforderung oder Benachteiligung des im Betrieb verbleibenden Personals führte (Rost Jahrbuch des Arbeitsrechts Bd. 39 S. 83) oder die zugrunde liegende unternehmerische Entscheidung lediglich Vorwand dafür wäre, bestimmte Arbeitnehmer aus dem Betrieb zu drängen, obwohl Beschäftigungsbedarf und Beschäftigungsmöglichkeiten objektiv fortbestehen und etwa nur der Inhalt des Arbeitsvertrags als zu belastend angesehen wird (BAG 22. Mai 2003 - 2 AZR 326/02 - AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 128 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 126). Der Arbeitgeber muss deshalb konkret erläutern, in welchem Umfang und aufgrund welcher Maßnahmen die bisher vom gekündigten Arbeitnehmer ausgeübten Tätigkeiten für diesen zukünftig entfallen. Er muss die Auswirkungen seiner unternehmerischen Vorgaben und Planungen auf das erwartete Arbeitsvolumen anhand einer schlüssigen Prognose konkret darstellen und angeben, wie die anfallenden Arbeiten vom verbliebenen Personal ohne überobligationsmäßige Leistungen, dh. im Rahmen ihrer vertraglich geschuldeten regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit, erledigt werden können (BAG 16. Dezember 2010 - 2 AZR 770/09 - Rn. 15, aaO; 13. Februar 2008 - 2 AZR 1041/06 - Rn. 16, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 174 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 158).

19

d) Wird die Kündigung auf eine zu erwartende künftige Entwicklung der betrieblichen Verhältnisse gestützt, braucht diese bei Kündigungsausspruch noch nicht tatsächlich eingetreten zu sein. Es genügt, dass sie sich konkret und greifbar abzeichnet (vgl. BAG 9. September 2010 - 2 AZR 493/09 - AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 185 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 164; 13. Februar 2008 - 2 AZR 79/06 - Rn. 21, 22; 26. Mai 2011 - 8 AZR 37/10 - Rn. 27, EzA BGB 2002 § 613a Nr. 125). Das ist der Fall, wenn im Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung die auf Tatsachen gestützte, vernünftige betriebswirtschaftliche Prognose gerechtfertigt ist, mit Ablauf der Kündigungsfrist werde mit einiger Sicherheit ein die Entlassung erforderlich machender betrieblicher Grund vorliegen (BAG 23. Februar 2010 - 2 AZR 268/08 - Rn. 18, BAGE 133, 240; 27. November 2003 - 2 AZR 48/03 - BAGE 109, 40; 12. April 2002 - 2 AZR 256/01 - zu II 2 a der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 120 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 118). Dabei muss eine der entsprechenden Prognose zugrunde liegende eigene unternehmerische Entscheidung des Arbeitgebers aber bereits im Kündigungszeitpunkt endgültig getroffen worden sein. Andernfalls kann eine zum Wegfall des Arbeitsplatzes führende Entscheidung nicht sicher prognostiziert werden.

20

aa) Der Arbeitgeber hat die Tatsachen näher darzulegen, aus denen sich ergeben soll, dass zukünftig auf Dauer mit einem reduzierten Arbeitsvolumen und Beschäftigungsbedarf zu rechnen ist. Das Vorliegen von möglicherweise nur kurzfristigen Produktions- oder Auftragsschwankungen muss ausgeschlossen sein (BAG 18. Mai 2006 - 2 AZR 412/05 - Rn. 18, AP AÜG § 9 Nr. 7 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 146). Dem muss der Inhalt und die Substanz des Sachvortrags Rechnung tragen. Der Arbeitgeber hat den dauerhaften Rückgang des Arbeitsvolumens nachvollziehbar darzustellen, indem er die einschlägigen Daten aus repräsentativen Referenzperioden miteinander vergleicht (BAG 18. Mai 2006 - 2 AZR 412/05 - Rn. 17, aaO).

21

bb) Für die Zukunftsprognose ist auch von Bedeutung, ob die Kündigung im zeitlichen Zusammenhang mit einer vereinbarten oder prognostizierten Kurzarbeit erfolgt. Wird Kurzarbeit geleistet, so spricht dies dafür, dass die Betriebsparteien nur von einem vorübergehenden Arbeitsmangel und nicht von einem dauerhaft gesunkenen Beschäftigungsbedarf ausgehen. Ein nur vorübergehender Arbeitsmangel wiederum kann eine betriebsbedingte Kündigung nicht rechtfertigen. Dieses aus der Kurzarbeit folgende Indiz kann der Arbeitgeber durch konkreten Sachvortrag entkräften (BAG 26. Juni 1997 - 2 AZR 494/96 - AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 86 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 93). Entfällt die Beschäftigungsmöglichkeit für einzelne von der Kurzarbeit betroffene Arbeitnehmer aufgrund später eingetretener weiterer Umstände oder veränderter wirtschaftlicher und/oder organisatorischer Rahmenbedingungen auf Dauer, so kann trotz der Kurzarbeit ein dringendes betriebliches Erfordernis für eine Kündigung bestehen (BAG 26. Juni 1997 - 2 AZR 494/96 - aaO).

22

Da die betrieblichen Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des gekündigten Arbeitnehmers entgegenstehen, dringend sein müssen, die Kündigung im Interesse des Betriebs also unvermeidbar sein muss, hat der Arbeitgeber zuvor alle Möglichkeiten auszuschöpfen, die mit dem Ziel geschaffen worden sind und bestehen, durch eine Flexibilisierung der Arbeitszeit betriebsbedingte Kündigungen in Zeiten geringeren Arbeitsanfalls zu vermeiden (BAG 8. November 2007 - 2 AZR 418/06 - Rn. 16, EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 157, zur Inanspruchnahme von Arbeitszeitkonten). Haben die Betriebsparteien durch die Einführung von Kurzarbeit den Umfang der vertraglich geschuldeten Arbeitszeit auf ein Niveau abgesenkt, dass den Ausspruch betriebsbedingter Kündigungen gerade überflüssig macht, so kann ein dringendes betriebliches Kündigungserfordernis regelmäßig erst dann angenommen werden, wenn der Arbeitgeber die Möglichkeit zur Arbeitszeitreduzierung voll ausgeschöpft hat und gleichwohl noch ein Beschäftigungsüberhang besteht (vgl. BAG 8. November 2007 - 2 AZR 418/06 - aaO).

23

2. Unter Beachtung der vorstehenden Grundsätze hält die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, die Beklagte habe für die Zeit nach Ablauf der Kündigungsfrist keine dringenden betrieblichen Erfordernisse iSd. § 1 Abs. 2 KSchG dargelegt, der revisionsrechtlichen Überprüfung stand. Bei Ausspruch der Kündigung war die Prognose noch nicht sicher gerechtfertigt, der Bedarf für eine Weiterbeschäftigung des Klägers sei zum 1. Oktober 2009 auf Dauer entfallen. Das hat das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt. Einen revisionsrechtlich relevanten Fehler im Zusammenhang mit dieser Würdigung hat die Beklagte nicht aufgezeigt.

24

a) Aus dem Vortrag der Beklagten lässt sich - auch unter Berücksichtigung ihres Vorbringens in der Revisionsbegründung - nicht hinreichend konkret entnehmen, dass ein dringendes betriebliches Erfordernis zur Kündigung des Klägers vorgelegen hat. Ihr Entschluss, die Stelle eines „Ziehers 15to-Ziehbank/Anfasers/Einteilsägers“ zu streichen und dessen Tätigkeiten auf mehrere Mitarbeiter der Rohrzieherei zu verteilen, lag nahe an der Kündigungsentscheidung. Die Beklagte musste demnach die Möglichkeit, ihre Organisationsentscheidung tatsächlich umzusetzen, näher erläutern.

25

b) Die Beklagte hat nicht dargetan, dass zum Zeitpunkt der Kündigung die Prognose gerechtfertigt war, die bisher vom Kläger ausgeübten Tätigkeiten könnten von den verbliebenen Mitarbeitern ab dem 1. Oktober 2009 im Rahmen ihrer normalen Verpflichtungen (mit-)übernommen werden. Sie hat zwar das vom Kläger und den fraglichen neun Mitarbeitern zum Kündigungszeitpunkt zu erledigende Arbeitsvolumen dargestellt. Danach waren sie in der Phase der Kurzarbeit bezogen auf ihre vertraglich geschuldete Arbeitszeit sämtlich nicht voll ausgelastet. Das Landesarbeitsgericht hat aber zu Recht darauf hingewiesen, dass die Beklagte zur Dauerhaftigkeit und Nachhaltigkeit eines nur geringeren - und damit auf andere Arbeitnehmer aufteilbaren - Arbeitsvolumens des Klägers nicht hinreichend vorgetragen hat. Sie hat sich auf den pauschalen Vortrag beschränkt, das Volumen habe sich zum 30. September 2009 dauerhaft reduziert, Anhaltspunkte für eine Besserung habe sie zum Zeitpunkt der Kündigung nicht gehabt, auch seien keine Überstunden geleistet worden. Damit hat sie ihrer Darlegungslast nicht genügt. Bestimmte Tatsachen, aus denen zu schließen wäre, der mögliche Rückgang der Arbeitsmenge im Kündigungszeitpunkt sei als dauerhaft anzusehen, hat sie auf diese Weise nicht behauptet. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass es sich bei diesem Rückgang nur um einen kurzzeitigen, nicht nachhaltigen Trend gehandelt hat. Aus dem Rückgang der Produktion in den ersten Monaten des Jahres 2009 im Vergleich zum selben Zeitraum im Jahr 2008 lässt sich nicht hinreichend sicher folgern, diese Entwicklung werde sich auch im weiteren Verlauf des Jahres fortsetzen. Hierzu hätte es eines näher substantiierten, detaillierten Vortrags bedurft, dem beispielsweise die üblichen Auftragseingangszahlen und Bearbeitungsabläufe aus den Vorjahren zu entnehmen gewesen wären. So kann sich die Situation bei kurzfristig erfolgenden Auftragsabrufen anders darstellen als bei langfristigen und planbaren Auftragserteilungen.

26

c) Zudem bleibt unklar, ob sich selbst bei Ausschöpfung der vereinbarten Optionen für Kurzarbeit das Arbeitsvolumen so verringert hat, dass ein dringendes Erfordernis für eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger bestand. Immerhin erlaubten es die Betriebsvereinbarung Nr. 163 und ihre Ergänzungen der Beklagten, die wöchentlich geschuldete Arbeitszeit der Mitarbeiter auf 14 Stunden abzusenken. Im Streitfall geht es deshalb nicht darum, ob der Arbeitgeber rechtlich gezwungen sein kann, vor dem Ausspruch der Kündigung die Einführung von Kurzarbeit zu betreiben. Hier besaß die Beklagte vielmehr bei Ausspruch der Kündigung bereits die Möglichkeit, die Arbeitszeit der Mitarbeiter rechtswirksam bis auf 14 Wochenstunden zu reduzieren. Von ihr hatte sie wegen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes Gebrauch zu machen. Dass auch dann noch ein Arbeitskräfteüberhang bestanden hätte, ergibt sich aus ihrem Vortrag nicht. Auch hat sie nicht dargelegt, dass die fraglichen neun Arbeitnehmer ausgehend von einem durch Kurzarbeit absenkbaren Arbeitszeitumfang überhaupt in der Lage gewesen wären, die verbliebenen Tätigkeiten des Klägers ohne Überschreitung dieses Zeitumfangs mitzuerledigen.

27

d) Schließlich ist offen, ob im umgekehrten Fall - bei Aufhebung der Kurzarbeit - die fraglichen neun Mitarbeiter die Arbeiten des Klägers weiterhin ohne überobligationsmäßige Zusatzleistungen würden übernehmen können. Die Betriebsparteien gingen, wie die Betriebsvereinbarung Nr. 163 und ihre Ergänzungen zeigen, von einer vorübergehenden, 18-monatigen Reduzierung des Beschäftigungsbedarfs aus. Dies spricht dafür, dass sie erwarteten, das frühere oder zumindest ein deutlich höheres Arbeitsvolumen als in den ersten Monaten des Jahres 2009 würde in absehbarer Zeit wieder erreicht.

28

II. Da die Kündigung vom 29. Mai 2009 das Arbeitsverhältnis des Klägers wegen Fehlens dringender betrieblicher Erfordernisse iSv. § 1 Abs. 2 KSchG nicht rechtswirksam beendet hat, bedurfte es keiner Auseinandersetzung mit der Frage, ob die Sozialauswahl fehlerhaft iSv. § 1 Abs. 3 KSchG und die Kündigung eine unzulässige Maßregelung war.

29

III. Der Antrag auf Weiterbeschäftigung bis zur rechtskräftigen Entscheidung über das Feststellungsbegehren ist dem Senat nicht mehr angefallen. Der Kündigungsrechtsstreit ist rechtskräftig entschieden.

30

IV. Die Beklagte hat die Kosten ihrer erfolglosen Revision gemäß § 97 Abs. 1 ZPO zu tragen.

        

    Kreft    

        

    Berger    

        

    Eylert    

        

        

        

    A. Claes    

        

    Wolf    

                 

(1) Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses gegenüber einem Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis in demselben Betrieb oder Unternehmen ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestanden hat, ist rechtsunwirksam, wenn sie sozial ungerechtfertigt ist.

(2) Sozial ungerechtfertigt ist die Kündigung, wenn sie nicht durch Gründe, die in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, oder durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist. Die Kündigung ist auch sozial ungerechtfertigt, wenn

1.
in Betrieben des privaten Rechts
a)
die Kündigung gegen eine Richtlinie nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes verstößt,
b)
der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in demselben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden kann
und der Betriebsrat oder eine andere nach dem Betriebsverfassungsgesetz insoweit zuständige Vertretung der Arbeitnehmer aus einem dieser Gründe der Kündigung innerhalb der Frist des § 102 Abs. 2 Satz 1 des Betriebsverfassungsgesetzes schriftlich widersprochen hat,
2.
in Betrieben und Verwaltungen des öffentlichen Rechts
a)
die Kündigung gegen eine Richtlinie über die personelle Auswahl bei Kündigungen verstößt,
b)
der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in derselben Dienststelle oder in einer anderen Dienststelle desselben Verwaltungszweigs an demselben Dienstort einschließlich seines Einzugsgebiets weiterbeschäftigt werden kann
und die zuständige Personalvertretung aus einem dieser Gründe fristgerecht gegen die Kündigung Einwendungen erhoben hat, es sei denn, daß die Stufenvertretung in der Verhandlung mit der übergeordneten Dienststelle die Einwendungen nicht aufrechterhalten hat.
Satz 2 gilt entsprechend, wenn die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nach zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen oder eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers unter geänderten Arbeitsbedingungen möglich ist und der Arbeitnehmer sein Einverständnis hiermit erklärt hat. Der Arbeitgeber hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung bedingen.

(3) Ist einem Arbeitnehmer aus dringenden betrieblichen Erfordernissen im Sinne des Absatzes 2 gekündigt worden, so ist die Kündigung trotzdem sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat; auf Verlangen des Arbeitnehmers hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Gründe anzugeben, die zu der getroffenen sozialen Auswahl geführt haben. In die soziale Auswahl nach Satz 1 sind Arbeitnehmer nicht einzubeziehen, deren Weiterbeschäftigung, insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebes, im berechtigten betrieblichen Interesse liegt. Der Arbeitnehmer hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung als sozial ungerechtfertigt im Sinne des Satzes 1 erscheinen lassen.

(4) Ist in einem Tarifvertrag, in einer Betriebsvereinbarung nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes oder in einer entsprechenden Richtlinie nach den Personalvertretungsgesetzen festgelegt, wie die sozialen Gesichtspunkte nach Absatz 3 Satz 1 im Verhältnis zueinander zu bewerten sind, so kann die Bewertung nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden.

(5) Sind bei einer Kündigung auf Grund einer Betriebsänderung nach § 111 des Betriebsverfassungsgesetzes die Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll, in einem Interessenausgleich zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat namentlich bezeichnet, so wird vermutet, dass die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne des Absatzes 2 bedingt ist. Die soziale Auswahl der Arbeitnehmer kann nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht, soweit sich die Sachlage nach Zustandekommen des Interessenausgleichs wesentlich geändert hat. Der Interessenausgleich nach Satz 1 ersetzt die Stellungnahme des Betriebsrates nach § 17 Abs. 3 Satz 2.

Tenor

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 2. Dezember 2010 - 11 Sa 649/10 - im Kostenausspruch und insoweit aufgehoben, wie es die Beklagte zur Zahlung von 16.854,00 Euro brutto nebst Zinsen verurteilt hat.

2. Die Anschlussberufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Oberhausen vom 24. März 2010 - 1 Ca 2392/09 - wird als unzulässig verworfen.

3. Die weitergehende Revision der Beklagten wird zurückgewiesen.

4. Die Kosten der Berufungsinstanz haben der Kläger zu 1/6, die Beklagte zu 5/6 und die Kosten der Revision haben der Kläger zu 1/5, die Beklagte zu 4/5 zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen, auf betriebsbedingte Gründe gestützten Kündigung und damit in Zusammenhang stehende Ansprüche.

2

Die Beklagte ist ein Tochterunternehmen eines amerikanischen Konzerns. Sie hat in Deutschland drei Produktionsstätten. In ihrem Werk O beschäftigte sie regelmäßig etwa 85 Arbeitnehmer.

3

Der im August 1954 geborene Kläger ist promovierter Chemiker und seit April 1986 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin beschäftigt. Seit Dezember 2006 ist er als „Betriebsleiter GUR“ Leiter der Kunststoffgranulat-Produktion in O. Anfang Februar 2007 wurde ihm zusätzlich die Leitung des gesamten Standorts übertragen. Laut § 1 des im Juni/Juli 2004 geschlossenen Anstellungsvertrags sieht ihn die Beklagte als leitenden Angestellten iSv. § 5 Abs. 3 BetrVG an. Seine Vergütung richtete sich nach einem unternehmensweit angewandten „Vertragsstufensystem für leitende Angestellte“. Danach bezog er ein Bruttomonatsgehalt von etwa 9.860,00 Euro, das sich aus einem Fixum und Bonuszahlungen zusammensetzte.

4

Im August 2009 stellte die Beklagte den Kläger unter Berufung auf anstehende seinen Arbeitsplatz betreffende Veränderungen von seiner Verpflichtung zur Arbeitsleistung frei. Mit Schreiben vom 24. September 2009 kündigte sie das Arbeitsverhältnis der Parteien ordentlich zum 30. April 2010, „vorsorglich ... zum zulässigen Termin“. Der „vorsorglich“ zur Kündigung angehörte Betriebsrat des Werks O hatte der Kündigung mit der Begründung widersprochen, die Beschäftigungsmöglichkeiten für den Kläger seien nicht weggefallen.

5

Der Kläger hat gegen die Kündigung rechtzeitig die vorliegende Klage erhoben. Er hat die Auffassung vertreten, ein dringendes betriebliches Erfordernis für eine Kündigung liege nicht vor. Sein Arbeitsplatz sei bei im Wesentlichen gleich gebliebenen Aufgaben lediglich neu besetzt worden. Eine Verlagerung bisher durch ihn erledigter Aufgaben auf andere in O beschäftigte Arbeitnehmer sei nicht ohne deren überobligatorische Inanspruchnahme möglich gewesen. Auch habe die Möglichkeit bestanden, ihn auf dem frei gewordenen Arbeitsplatz des „Forschungsleiters“ weiter zu beschäftigen.

6

Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 24. September 2009 nicht aufgelöst worden ist;

        

2.    

für den Fall des Obsiegens mit dem Antrag zu 1. die Beklagte zu verurteilen, ihn bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens zu unveränderten Arbeitsbedingungen weiter zu beschäftigen;

        

3.    

für den Fall des Obsiegens mit dem Antrag zu 1. die Beklagte zu verurteilen, ihm ein wohlwollendes Zwischenzeugnis zu erteilen, das sich auf Führung und Leistung erstreckt;

        

4.    

für den Fall der Abweisung des Antrags zu 1. die Beklagte zu verurteilen, ihm ein „endgültiges“ wohlwollendes Zeugnis zu erteilen, das sich auf Führung und Leistung erstreckt.

7

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat behauptet, im September 2009 sei auf Konzernebene die - anschließend durch ihren Geschäftsführer umgesetzte - unternehmerische Entscheidung getroffen worden, Produktionsstandorte zusammenzulegen sowie Funktionen und Zuständigkeiten zu bündeln. In diesem Zusammenhang sei die globale Verantwortlichkeit für die Prozessentwicklung und das Qualitätsmanagement in O angesiedelt worden. An diese Funktion habe sie die Hälfte der bisher vom Kläger wahrgenommenen Leitungsaufgaben „angekoppelt“; die Stelle habe sie mit Frau K besetzt, die zuvor Geschäftsführerin eines anderen Konzernunternehmens gewesen sei. Die andere Hälfte der Tätigkeiten habe sie auf insgesamt sieben, dem Kläger bisher nachgeordnete Arbeitnehmer verteilt, die auch in der Lage seien, das zusätzliche Pensum zu bewältigen. Der Kläger sei fachlich nicht in der Lage, die neu zugeschnittene Leitungsstelle auszufüllen. Er verfüge, anders als Frau K, die neben ihrem Chemie- ein Ingenieurstudium absolviert habe, nicht über die erforderlichen Kenntnisse und die notwendige Berufserfahrung auf dem Gebiet der Prozessentwicklung und des Qualitätsmanagements. Außerdem sei die Stelle mit einem Aufgaben- und Kompetenzzuwachs verbunden, der sich in veränderten Berichtspflichten unmittelbar gegenüber dem Management der Beklagten und der Zuordnung des Arbeitsplatzes zu einem höheren „Gehaltslevel“ ausdrücke. Zur Weiterbeschäftigung des Klägers auf einer solchen „Beförderungsstelle“ sei sie nicht verpflichtet.

8

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Dagegen hat die Beklagte Berufung eingelegt. Der Kläger hat in der Berufungsinstanz zusätzlich beantragt, an ihn 16.854,00 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten aus jeweils 8.427,00 Euro brutto seit dem 1. November 2010 und seit dem 1. Dezember 2010 zu zahlen. Er hat die Auffassung vertreten, das damit geforderte Gehalt für die Monate Oktober und November 2010 stehe ihm unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs zu. Die Beklagte hat gerügt, die Klageerweiterung sei unzulässig. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und diese zur Gehaltszahlung in beantragter Höhe verurteilt. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Begehren weiter, die Klage - ausgenommen den Anspruch auf Erteilung eines Zwischenzeugnisses - abzuweisen.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Revision ist begründet, soweit die Beklagte ihre Verurteilung zur Zahlung von Vergütung für die Monate Oktober und November 2010 angreift (I.). Im Übrigen bleibt die Revision ohne Erfolg. Die Kündigung vom 24. September 2009 ist unwirksam und hat das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgelöst (II.). Die (Hilfs-)Anträge auf vorläufige Weiterbeschäftigung und auf Erteilung eines Endzeugnisses sind dem Senat nicht zur Entscheidung angefallen (III.).

10

I. Mit Erfolg wendet sich die Beklagte gegen ihre Verurteilung zur Gehaltszahlung, die der Kläger erstmals in der Berufungsinstanz geltend gemacht hat. Die Revision ist insoweit aus prozessualen Gründen erfolgreich. Bei der Klageerweiterung handelt es sich um eine nach § 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO iVm. § 64 Abs. 6 Satz 1, § 66 Abs. 1 Satz 3 ArbGG verspätete und deshalb unzulässige Anschlussberufung. Das hat das Revisionsgericht von Amts wegen zu prüfen (BGH 24. Oktober 2007 - IV ZR 12/07 - Rn. 7, MDR 2008, 159).

11

1. Dem Kläger stand für eine Erweiterung der Klage im Berufungsrechtszug nur der Weg der Anschlussberufung zur Verfügung. Als solche ist sein Zahlungsbegehren deshalb zu behandeln; einer ausdrücklichen Bezeichnung als Anschlussberufung bedarf es dazu nicht (BAG 28. Juni 2011 - 3 AZR 282/09 - Rn. 20, EzA BetrAVG § 16 Nr. 59; 30. Mai 2006 - 1 AZR 111/05 - Rn. 42, BAGE 118, 211). Es genügt, dass schriftsätzlich klar und deutlich der Wille zum Ausdruck gebracht wird, eine Änderung des vorinstanzlichen Urteils auch als Rechtsmittelbeklagter zu erreichen. Dazu reicht es, dass der Rechtsmittelbeklagte die Klage - wie im Streitfall mit Schriftsatz vom 19. November 2010 geschehen - erweitert. Einer Beschwer bedarf es für die Anschlussberufung grundsätzlich nicht (vgl. BAG 10. Februar 2009 - 3 AZR 728/07 - Rn. 11, AE 2009, 331).

12

2. Nach § 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO iVm. § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG ist eine Anschlussberufung zulässig bis zum Ablauf der dem Berufungsbeklagten gesetzten Frist zur Berufungserwiderung. Im arbeitsgerichtlichen Verfahren wird zwar - anders als nach § 521 Abs. 2 Satz 1 ZPO - dem Berufungsbeklagten vom Gericht keine Frist zur Berufungserwiderung „gesetzt“; vielmehr gilt für die Berufungsbeantwortung die durch § 66 Abs. 1 Satz 3 ArbGG bestimmte gesetzliche Frist von einem Monat. Gleichwohl ist § 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO gemäß § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG im Berufungsverfahren vor den Landesarbeitsgerichten entsprechend anwendbar. Eine Anschlussberufung, die nicht innerhalb eines Monats nach Zustellung der Berufungsbegründung - bei Verlängerung der Berufungsbeantwortungsfrist nach § 66 Abs. 1 Satz 5 ArbGG innerhalb der dann geltenden Frist(vgl. GK-ArbGG/Vossen Stand April 2012 § 64 Rn. 105; GMP/Germelmann ArbGG 7. Aufl. § 64 Rn. 106) - eingeht, ist entsprechend § 522 Abs. 1 ZPO als unzulässig zu verwerfen(BAG 30. Mai 2006 - 1 AZR 111/05 - Rn. 45, BAGE 118, 211).

13

3. Danach war die Anschlussberufung des Klägers verspätet.

14

a) Der betreffende Schriftsatz ist am 22. November 2010 beim Landesarbeitsgericht eingegangen. Zu diesem Zeitpunkt war seit der am 26. Juli 2010 bewirkten Zustellung der Berufungsbegründung weit mehr als ein Monat vergangen. Die Frist zur Berufungsbeantwortung war nicht verlängert worden. Ein Fall des § 524 Abs. 2 Satz 3 ZPO liegt nicht vor.

15

b) Die Frist zur Berufungsbeantwortung ist ordnungsgemäß in Lauf gesetzt worden. Insbesondere ist der nach § 66 Abs. 1 Satz 4 ArbGG gebotene Hinweis erfolgt. Dies konnte der Senat selbst im Wege des Freibeweises klären (vgl. BAG 18. Januar 2012 - 7 AZR 211/09 - Rn. 17, NZA 2012, 691).

16

aa) Die Verwerfung der Anschlussberufung wegen Fristversäumnis setzt voraus, dass der Berufungsgegner mit der Zustellung der Berufungsbegründung gemäß § 66 Abs. 1 Satz 4 ArbGG auf die gesetzliche Verpflichtung hingewiesen wurde, die Berufung binnen eines Monats nach Zustellung der Berufungsbegründung zu beantworten. Fehlt es an einem solchen Hinweis, wird weder die Frist zur Berufungsbeantwortung noch die zur Einlegung der Anschlussberufung in Lauf gesetzt (BA G 30. Mai 2006 - 1 AZR 111/05 - Rn. 45, BAGE 118, 211).

17

bb) Der Klägervertreter hat mit Empfangsbekenntnis vom 26. Juli 2010 den Erhalt der Berufungsbegründung bestätigt. Laut Empfangsbekenntnis ist ihm neben der Berufungsbegründung ein „Hinweis gemäß § 66 Abs. 1 Satz 3 ArbGG“ zugestellt worden. Dies bezieht sich auf ein zugleich übermitteltes, vom Kläger in Kopie zur Senatsakte gereichtes gerichtliches Begleitschreiben vom 16. Juli 2010, das - auszugsweise - wie folgt lautet:

        

„Gemäß § 66 Abs. 1 Satz 3 Arbeitsgerichtsgesetzmuss die Berufung innerhalb einer Frist von einem Monat nach Zustellung anliegender Berufungsbegründung b e a n t w o r t e t werden.

                 
        

Werden Angriffs- oder Verteidigungsmittel in der Berufungsbeantwortung nicht rechtzeitig vorgebracht, so lässt sie das Gericht nur zu, wenn nach seiner freien Überzeugung ihre Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits nicht verzögern würde oder die Verspätung genügend entschuldigt wird.“

18

cc) Dieser Hinweis war mit Blick auf die Anschlussberufung ausreichend. Insoweit geht es vor allem um die Klarstellung, zu welchem Zeitpunkt die Frist des § 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO iVm. § 66 Abs. 1 Satz 3 ArbGG in Gang gesetzt worden ist. Über die Möglichkeit der Anschließung als solche braucht hingegen nicht belehrt zu werden. Ob das gerichtliche Schreiben eine hinreichende Belehrung über die Präklusionsvorschrift des § 67 ArbGG und mögliche Folgen aus einer Versäumung der Beantwortungsfrist enthält, kann offenbleiben. Auf die Präklusionsregelung kommt es für die Frage, ob die Anschlussberufung frist- und formgerecht erhoben worden ist, nicht an. Überdies handelt es sich bei der Klageerweiterung als solche nicht um ein Angriffs- oder Verteidigungsmittel iSv. § 67 ArbGG, sondern um den Angriff selbst(BAG 11. April 2006 - 9 AZN 892/05 - Rn. 12, BAGE 117, 370).

19

dd) Den Akten ist nicht zu entnehmen, ob das gerichtliche Schreiben vom 16. Juli 2010 oder auch nur die Verfügung, mit der die Zustellung der Berufungsbegründung „mit Belehrung über die Frist gem. § 66 I 3 ArbGG“ veranlasst worden ist, vom Vorsitzenden der Kammer unterzeichnet war. Das ist unschädlich. Der Hinweis hat von Gesetzes wegen „mit der Zustellung der Berufungsbegründung“ zu erfolgen (§ 66 Abs. 1 Satz 4 ArbGG). Ein Tätigwerden des Gerichts bzw. seines Vorsitzenden in jedem Einzelfall ist damit nicht verlangt. Es reicht, dass der Hinweis auf allgemeine Anordnung hin durch die Geschäftsstelle erfolgt. Dieser obliegt ohnehin die Ausführung der Zustellung (§ 168 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Zudem besteht hinsichtlich der Erteilung des Hinweises kein Ermessensspielraum; die Regelung des § 66 Abs. 1 Satz 4 ArbGG ist zwingend. Die Anschlussberufung war damit als unzulässig zu verwerfen.

20

II. Die Revision ist unbegründet, soweit sie sich gegen die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts über den Feststellungsantrag richtet. Diesem hat das Landesarbeitsgericht zu Recht stattgegeben. Die Kündigungsschutzklage ist begründet. Die ordentliche Kündigung vom 24. September 2009 ist sozial ungerechtfertigt. Sie ist nicht durch dringende betriebliche Erfordernisse iSd. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG bedingt.

21

1. Dringende betriebliche Erfordernisse für eine Kündigung iSv. § 1 Abs. 2 KSchG können sich aus innerbetrieblichen oder außerbetrieblichen Gründen ergeben. Innerbetriebliche Gründe liegen vor, wenn sich der Arbeitgeber zu einer organisatorischen Maßnahme entschließt, bei deren Umsetzung das Bedürfnis für die Weiterbeschäftigung eines oder mehrerer Arbeitnehmer entfällt. Eine solche unternehmerische Entscheidung ist gerichtlich nicht auf ihre sachliche Rechtfertigung oder ihre Zweckmäßigkeit hin zu überprüfen, sondern nur darauf, ob sie offensichtlich unsachlich, unvernünftig oder willkürlich ist (BAG 23. Februar 2012 - 2 AZR 548/10 - Rn. 17, NZA 2012, 852; 16. Dezember 2010 - 2 AZR 770/09 - Rn. 13, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 186 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 165). Nachzuprüfen ist aber, ob die fragliche Entscheidung tatsächlich umgesetzt wurde und dadurch das Beschäftigungsbedürfnis für einzelne Arbeitnehmer entfallen ist (BAG 23. Februar 2012 - 2 AZR 548/10 - aaO; 16. Dezember 2010 - 2 AZR 770/09 - aaO).

22

2. Allerdings kann in Fällen, in denen die Organisationsentscheidung des Arbeitgebers und sein Kündigungsentschluss praktisch deckungsgleich sind, die ansonsten berechtigte Vermutung, die fragliche Entscheidung sei aus sachlichen Gründen erfolgt, nicht unbesehen greifen. Da die Kündigung nach dem Gesetz an das Vorliegen von Gründen gebunden ist, die außerhalb ihrer selbst liegen, muss der Arbeitgeber in solchen Fällen seine Entscheidung hinsichtlich ihrer organisatorischen Durchführbarkeit und zeitlichen Nachhaltigkeit verdeutlichen (BAG 16. Dezember 2010 - 2 AZR 770/09 - Rn. 14, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 186 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 165; 17. Juni 1999 - 2 AZR 522/98 - zu II 1 c der Gründe, BAGE 92, 61). Daran fehlt es, wenn die Kündigung zu einer rechtswidrigen Überforderung oder Benachteiligung des im Betrieb verbliebenen Personals führte (vgl. Rost Jahrbuch des Arbeitsrechts Bd. 39 S. 83) oder die zugrunde liegende unternehmerische Entscheidung lediglich Vorwand dafür wäre, bestimmte Arbeitnehmer aus dem Betrieb zu drängen, obwohl Beschäftigungsbedarf und Beschäftigungsmöglichkeiten objektiv fortbestehen und etwa nur der Inhalt des Arbeitsvertrags als zu belastend angesehen wird (BAG 23. Februar 2012 - 2 AZR 548/10 - Rn. 18, NZA 2012, 852; 22. Mai 2003 - 2 AZR 326/02 - zu B I 3 d (1) der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 128 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 126).

23

Läuft die unternehmerische Entscheidung auf den Abbau einer Hierarchieebene oder die Streichung eines einzelnen Arbeitsplatzes hinaus verbunden mit einer Umverteilung der dem betroffenen Arbeitnehmer bisher zugewiesenen Aufgaben, muss der Arbeitgeber konkret erläutern, in welchem Umfang und aufgrund welcher Maßnahmen die bisher vom gekündigten Arbeitnehmer ausgeübten Tätigkeiten für diesen zukünftig entfallen. Nur so kann geprüft werden, ob die Entscheidung den dargestellten Voraussetzungen genügt. Der Arbeitgeber muss die Auswirkungen seiner unternehmerischen Vorgaben und Planungen auf das erwartete Arbeitsvolumen anhand einer schlüssigen Prognose im Einzelnen darstellen und angeben, wie die anfallenden Arbeiten vom verbliebenen Personal ohne überobligationsmäßige Leistungen, dh. im Rahmen ihrer vertraglich geschuldeten regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit erledigt werden können (BAG 23. Februar 2012 - 2 AZR 548/10 - Rn. 18, NZA 2012, 852; 13. Februar 2008 - 2 AZR 1041/06 - Rn. 16, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 174 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 158).

24

3. Zu den nur auf Willkür zu überprüfenden Organisationsentscheidungen des Arbeitgebers zählt die Festlegung des Anforderungsprofils einer Stelle. Das Bestreben des Arbeitgebers, bestimmte Tätigkeiten nur von Arbeitnehmern mit bestimmten Qualifikationen ausführen zu lassen, ist grundsätzlich hinzunehmen (BAG 18. März 2010 - 2 AZR 337/08 - Rn. 19, AP BGB § 626 Nr. 228 = EzA BGB 2002 § 626 Unkündbarkeit Nr. 17). Schafft der Arbeitgeber neu zugeschnittene Arbeitsplätze, ist dies jedenfalls dann zu respektieren, wenn die Qualifikationsmerkmale einen nachvollziehbaren Bezug zur Organisation der auszuführenden Arbeiten haben (BAG 10. Juli 2008 - 2 AZR 1111/06 - Rn. 25, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 181 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 163; 7. Juli 2005 - 2 AZR 399/04 - Rn. 32 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 138 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 138).

25

a) Erhöhte Anforderungen an die Darlegungslast sind dabei mit Blick auf § 1 Abs. 2 KSchG dann zu stellen, wenn der Arbeitgeber das Anforderungsprofil für Arbeitsplätze ändert, die bereits mit langjährig beschäftigten Arbeitnehmern besetzt sind. Der Arbeitgeber kann nicht unter Berufung auf eine gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbare Unternehmerentscheidung den Kündigungsschutz des betreffenden Arbeitnehmers dadurch umgehen, dass er in sachlich nicht gebotener Weise die Anforderungen an die Kenntnisse des Arbeitsplatzinhabers verschärft (BAG 10. Juli 2008 - 2 AZR 1111/06 - Rn. 26, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 181 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 163; 7. Juli 2005 - 2 AZR 399/04 - Rn. 33, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 138 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 138).

26

b) Der Arbeitgeber muss deshalb, will er dem Vorwurf des Missbrauchs entgehen, dartun, dass es sich bei der zusätzlich geforderten Qualifikation für die Ausführung der Tätigkeit nicht nur um eine „wünschenswerte Voraussetzung”, sondern um ein sachlich gebotenes, arbeitsplatzbezogenes Kriterium für das Stellenprofil handelt (BAG 10. Juli 2008 - 2 AZR 1111/06 - Rn. 26, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 181 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 163; 24. Juni 2004 - 2 AZR 326/03 - zu B II 2 a der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Nr. 76 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 132). Die Änderung des Anforderungsprofils muss im Zusammenhang mit einer organisatorischen Maßnahme des Arbeitgebers stehen, die nach ihrer Durchführung angesichts eines veränderten Beschäftigungsbedarfs - etwa aufgrund von Änderungen des Arbeitsvolumens oder des Inhalts der Tätigkeit - auch die Anforderungen an den Arbeitsplatzinhaber erfasst (BAG 10. Juli 2008 - 2 AZR 1111/06 - Rn. 31, aaO). Gestaltet der Arbeitgeber lediglich Arbeitsabläufe um, ohne dass sich die Tätigkeit inhaltlich ändert, und ist der bisherige Stelleninhaber aufgrund seiner Fähigkeiten und Ausbildung in der Lage, die künftig anfallenden Arbeiten zu verrichten, so ist eine auf betriebliche Gründe gestützte Kündigung selbst dann nicht sozial gerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber die Änderungen zum Anlass nimmt, die Stelle in eine „Beförderungsstelle“ umzuwandeln (ähnlich BAG 10. November 1994 - 2 AZR 242/94 - zu B I 2 der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 65 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 77). Das gleiche gilt, wenn der Arbeitgeber die auf dem Arbeitsplatz bislang zu verrichtende Tätigkeit um zusätzliche Aufgaben erweitert, der dadurch veränderte Arbeitsplatz aber nach Bedeutung und Verantwortung nicht um so viel anspruchsvoller ist, dass insgesamt ein anderer Arbeitsbereich entstanden wäre (BAG 30. August 1995 - 1 ABR 11/95 - zu A II 3 b bb der Gründe, AP BetrVG 1972 § 99 Versetzung Nr. 5 = EzA BetrVG 1972 § 99 Nr. 130).

27

4. Daran gemessen hat das Landesarbeitsgericht an die Darlegungslast der Beklagten zu Recht erhöhte Anforderungen gestellt. Dabei macht es keinen Unterschied, ob sich die behauptete Umstrukturierung als Umgestaltung des bisherigen Arbeitsplatzes des Klägers oder als Abbau dieser Stelle bei gleichzeitiger Einrichtung eines neuen, als Beförderungsstelle zu qualifizierenden Arbeitsplatzes darstellt. In beiden Fällen liegt die Organisationsentscheidung nahe am Kündigungsentschluss. Hinzu kommt, dass nach dem eigenen Vorbringen der Beklagten die bisherigen Aufgaben des Klägers weiterhin anfallen. Die Beklagte musste deshalb zum einen aufzeigen, dass durch die behauptete Bündelung von Funktionen und Zuständigkeiten auf der Leitungsebene tatsächlich ein anderer Arbeitsbereich entstanden ist. Zum anderen war sie gehalten, ihren Entschluss zur Umverteilung der anfallenden Tätigkeiten hinsichtlich seiner Durchführbarkeit und Nachhaltigkeit durch konkreten Tatsachenvortrag zu verdeutlichen.

28

5. Dem wird das Vorbringen der Beklagten nicht gerecht. Sie hat nicht nachvollziehbar dargelegt, dass zum Zeitpunkt der Kündigung die Prognose gerechtfertigt war, die Hälfte der bisherigen Arbeitsaufgaben des Klägers könnten von dem ihm bislang nachgeordneten Personal im Rahmen regulärer zeitlicher Verpflichtungen erledigt werden. Bereits dies führt zur Unwirksamkeit der Kündigung.

29

a) Die Beklagte hat durchaus im Einzelnen vorgetragen, welche konkreten Aufgaben aus den Bereichen „Betriebsleitung GUR“ und „Standortleitung“ in welchem zeitlichen Umfang künftig durch Frau K und weitere sieben namentlich benannte Arbeitnehmer übernommen werden sollten. Sie hat es aber versäumt schlüssig darzutun, dass die fraglichen sieben Personen über hinreichend freie Arbeitszeitkapazität verfügten, um das zusätzliche Pensum von täglich bis zu einer Stunde ohne überobligationsmäßige Leistungen zu bewältigen. Sie hat dies lediglich pauschal behauptet ohne aufzuzeigen, worauf sich ihre Einschätzung stützt. Spätestens nachdem der Kläger die mangelnde Schlüssigkeit ihres Vorbringens beanstandet und sich beispielhaft unter Angabe von Beginn und Ende täglicher Arbeitszeiten darauf berufen hatte, zwei der betroffenen Mitarbeiter seien bereits in der Zeit vor seiner Freistellung voll ausgelastet gewesen, hätte die Beklagte ihren Vortrag im Rahmen der abgestuften Darlegungslast substantiieren müssen. Das ist nicht geschehen. Sie hat nur ihren nicht weiter einlassungsfähigen Vortrag wiederholt, einer der Genannten sei „genau wie alle anderen Mitarbeiter in der Lage, die ihm übertragenen Aufgaben ohne überobligatorische Verpflichtung zu übernehmen“, die Arbeitszeit eines anderen werde vom Kläger unzutreffend dargestellt. Stattdessen hätte sie, um ihrer Vortragslast zu genügen, die zutreffenden Arbeitszeiten der fraglichen Mitarbeiter nebst der Möglichkeit, „freie“ Kapazitäten für die Übertragung weiterer Arbeiten zu nutzen, darstellen müssen.

30

b) Eine Konkretisierung ihres Vorbringens war auch dann nicht entbehrlich, wenn es sich - wie die Beklagte geltend macht - bei den fraglichen Arbeitnehmern um „leitende Angestellte“ oder zumindest außertariflich vergütete Arbeitnehmer handeln sollte. Aus beidem folgt nicht, dass mit diesen keine vertraglichen Vereinbarungen hinsichtlich des Umfangs der zu leistenden Arbeitszeit bestanden. Im Übrigen unterliegen auch sog. AT-Mitarbeiter den Grenzen des Arbeitszeitgesetzes und nimmt nach § 18 Abs. 1 Nr. 1 ArbZG nur leitende Angestellte iSv. § 5 Abs. 3 BetrVG aus seinem Anwendungsbereich aus(vgl. BAG 6. Mai 2003 - 1 ABR 13/02 - zu B II 2 b aa der Gründe, BAGE 106, 111). Inwieweit diese Voraussetzungen bei einzelnen Arbeitnehmern erfüllt sind, ist dem Vorbringen der Beklagten nicht zu entnehmen.

31

c) In welcher Weise ein Arbeitgeber darlegt, dass die Umverteilung von Arbeitsaufgaben nicht zu einer überobligatorischen Beanspruchung im Betrieb verbliebener Arbeitnehmer führt, bleibt ihm überlassen. Handelt es sich um nicht taktgebundene Arbeiten, muss nicht in jedem Fall und minutiös dargelegt werden, welche einzelnen Tätigkeiten die fraglichen Mitarbeiter künftig mit welchen Zeitanteilen täglich zu verrichten haben. Es kann ausreichend sein, wenn der Arbeitgeber die getroffenen Vereinbarungen zu Umfang und Verteilung der Arbeitszeit darstellt und Anhaltspunkte dafür darlegt, dass Freiräume für die Übernahme zusätzlicher Aufgaben vorhanden sind. Im Streitfall hat die Beklagte auch dies unterlassen. Soweit das Landesarbeitsgericht noch strengere Anforderungen an ihr Vorbringen gestellt hat, wirkt sich dies im Ergebnis nicht aus.

32

d) Die Rüge der Beklagten, das Landesarbeitsgericht habe sie auf die Mängel in ihrem Vortrag hinweisen müssen, ist unberechtigt.

33

aa) Ein Verstoß gegen die richterliche Hinweispflicht (§ 139 ZPO) liegt schon deshalb nicht vor, weil die Beklagte darauf durch die erstinstanzliche Entscheidung und die Ausführungen der Gegenseite aufmerksam gemacht wurde (vgl. BGH 23. April 2009 - IX ZR 95/06 - Rn. 6 mwN, NJW-RR 2010, 70). Das Arbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage mit der Begründung stattgegeben, die Beklagte sei ihrer Darlegungslast nicht nachgekommen. Sie habe es ua. versäumt deutlich zu machen, in welchem Umfang die anderen Mitarbeiter, auf die nunmehr neue Aufgaben zukämen, bisher ausgelastet gewesen seien und warum sie in der Lage sein sollten, die neuen Arbeitsaufgaben ohne überobligatorischen Aufwand zu bewältigen. Dies hat der Kläger aufgegriffen und geltend gemacht, das Vorbringen der Beklagten in ihrer Berufungsbegründung sei „immer noch“ unsubstantiiert. Überdies stützen sich die Entscheidungen der Vorinstanzen insoweit auf die ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts. Die Beklagte war daher auch ohne richterlichen Hinweis gehalten, deutlich konkreter vorzutragen.

34

bb) Ob der im Rahmen der Revision nachgeholte Vortrag den Anforderungen an eine substantiierte Darlegung entspricht, kann dahinstehen. Allerdings handelt es sich bei der Vereinbarung einer „Vertrauensarbeitszeit“, auf die die Beklagte hinsichtlich einzelner Arbeitnehmer verweist, typischerweise um ein Arbeitszeitmodell, bei dem der Arbeitgeber lediglich auf die Festlegung von Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit verzichtet und darauf vertraut, dass die Arbeitnehmer ihre Arbeitsverpflichtung auch ohne Kontrolle erfüllen (vgl. BAG 6. Mai 2003 - 1 ABR 13/02 - Rn. 65, BAGE 106, 111; Schaub/Vogelsang ArbR-Hdb. 14. Aufl. § 160 Rn. 33). Aus der Vereinbarung einer „Vertrauensarbeitszeit“ folgt dagegen nicht, dass es an arbeits- oder tarifvertraglichen Vorgaben zur wöchentlichen Arbeitszeit fehlt und die Beklagte über die tatsächlich erbrachte Arbeitszeit hinaus Arbeitsleistungen im Umfang von bis zu einer Stunde täglich verlangen konnte.

35

e) Dringende betriebliche Erfordernisse, die die Kündigung bedingen, hat die Beklagte damit nicht dargelegt. Unerheblich ist, dass das in Rede stehende zu verteilende Arbeitsvolumen - ausgehend vom Vorbringen der Beklagten - lediglich 50 Prozent der bislang dem Kläger zugewiesenen Arbeitsaufgaben umfasst. Auch wenn die Übertragung der anderen 50 Prozent auf Frau K kündigungsrechtlich nicht zu beanstanden sein sollte, hätte die Beklagte dem Kläger zumindest eine Weiterbeschäftigung im entsprechend reduzierten Umfang anbieten müssen. Dafür, dass ein solches Angebot wegen „Unannehmbarkeit“ hätte unterbleiben können (vgl. dazu BAG 23. Februar 2010 - 2 AZR 656/08 - Rn. 57, BAGE 133, 226; 21. September 2006 - 2 AZR 607/05 - Rn. 34, AP KSchG 1969 § 2 Nr. 130 = EzA KSchG § 2 Nr. 62), fehlt es an Anhaltspunkten. Im Übrigen kann der Vortrag der Beklagten so verstanden werden, dass ihre gesamte Organisationsentscheidung mit der Möglichkeit der Umverteilung von Aufgaben auf nachgeordnete Mitarbeiter „steht und fällt“.

36

III. Der Antrag auf Weiterbeschäftigung bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Feststellungsantrag ist dem Senat nicht angefallen. Der Kündigungsrechtsstreit ist rechtskräftig entschieden. Der Antrag auf Erteilung eines Endzeugnisses ist nur für den Fall des Unterliegens mit dem Feststellungsantrag gestellt. Diese Bedingung ist nicht eingetreten.

37

IV. Die Kosten der Berufungsinstanz und der Revision waren im Verhältnis von jeweiligem Obsiegen und Unterliegen der Parteien zu teilen (§ 97 Abs. 1 iVm. § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

        

    Kreft    

        

    Koch    

        

    Berger    

        

        

        

    Gans    

        

    F. Löllgen    

                 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 16. November 2010 - 16 Sa 411/10 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen betriebsbedingten Kündigung.

2

Der 1954 geborene Kläger ist bei der Beklagten, die mit mehr als 200 Arbeitnehmern Messingprodukte produziert und verarbeitet, seit dem 1. Januar 1998 als „Produktionsmitarbeiter in der Abteilung Rohrlinie“ beschäftigt. Er arbeitete zuletzt in der Funktion eines „Ziehers an einer 15to-Ziehbank/Anfasers/Einteilsägers“ im Bereich Rohrlinie.

3

Anfang 2009 verhandelten die Beklagte und der in ihrem Betrieb gebildete Betriebsrat vor dem Hintergrund eines beabsichtigten Personalabbaus im Umfang von 48 Stellen über einen Interessenausgleich und einen Sozialplan. In einer Absichtserklärung vom 13. Februar 2009 beschrieben die Betriebsparteien bestimmte Maßnahmen als erstrebenswerte Alternativen zu den erwogenen Entlassungen; ua. war die Einführung von Kurzarbeit mit Wirkung zum 1. März 2009 bei einer maximalen Laufzeit von 18 Monaten und verteilt auf jeweils sechs Monate vorgesehen.

4

Am 27. Februar 2009 schlossen die Betriebsparteien mehrere Betriebsvereinbarungen. Mit der Betriebsvereinbarung Nr. 163 wurde in den Produktionsbereichen Gießerei, Rohrlinie und Indirektlinie für die Zeit vom 1. März 2009 bis zum 31. August 2009 Kurzarbeit eingeführt. Der Umfang der in der jeweiligen Abteilung verringerten Wochenarbeitszeit ergab sich aus der Anlage 1 zur Betriebsvereinbarung. Diese sah ua. für die „Rohrlinie und die Zieherei Allgemein“ eine Reduzierung der Arbeitszeit auf 14 Stunden/Woche vor. Mit der Betriebsvereinbarung Nr. 164 verschoben die Betriebsparteien die zweite Stufe einer Tariferhöhung. Mit der Betriebsvereinbarung Nr. 165 führten sie ein Prämienentgelt und eine außertarifliche Leistungszulage ein. Ab dem 1. Mai 2009 sollte für bestimmte Produktionsmitarbeiter, zu denen auch der Kläger gehörte, eine neue Leistungsentgeltstruktur in Form der Entgeltmethode „Prämie“ gelten. Durch die Absenkung der Vergütung für die betroffenen Arbeitnehmer sollte eine Kostenersparnis im Umfang von 22 Produktionsarbeitsplätzen eintreten. Für die bereits Beschäftigten sollte die Anwendung der neuen Entgeltstruktur durch den Abschluss von Änderungsverträgen umgesetzt werden. Ziff. 11 der Betriebsvereinbarung Nr. 165 sah weiter vor, dass die Beklagte gegenüber denjenigen Arbeitnehmern, die das Angebot eines solchen Änderungsvertrags annähmen, bis zur vollständigen Beendigung der in der Produktion durchgeführten Kurzarbeit auf den Ausspruch von ordentlichen betriebsbedingten Kündigungen verzichte. Auf dieser Grundlage bot die Beklagte im März 2009 den in Frage kommenden 127 Arbeitnehmern den Abschluss entsprechender Änderungsverträge an. Das Angebot nahmen 111 Arbeitnehmer an. Der Kläger lehnte es ab.

5

Angesichts weiter rückläufiger Aufträge entschloss sich die Beklagte am 19. Mai 2009, zahlreiche Arbeitsplätze, darunter den eines „Ziehers 15to-Ziehbank/Anfasers/Einteilsägers“, ab 1. Oktober 2009 wegfallen zu lassen. Von der Streichung waren fast ausschließlich Arbeitsplätze von Arbeitnehmern betroffen, die das Angebot auf Abschluss eines Änderungsvertrags abgelehnt hatten.

6

Nach Anhörung des Betriebsrats kündigte die Beklagte mit Schreiben vom 29. Mai 2009 das Arbeitsverhältnis der Parteien zum 30. September 2009.

7

Mit seiner rechtzeitig erhobenen Klage hat sich der Kläger gegen diese Kündigung gewandt und seine vorläufige Weiterbeschäftigung als Produktionsmitarbeiter zu den bisherigen Vertragsbedingungen begehrt. Er hat die Auffassung vertreten, die Entscheidung der Beklagten laufe auf einen bloßen Stellenabbau verbunden mit einer Neuverteilung der bisherigen Tätigkeiten hinaus. Einen dauerhaften Rückgang der Produktion und eine Reduzierung des Arbeitsvolumens habe die Beklagte nicht hinreichend dargelegt. Ein Vergleich der Auftrags- und Arbeitsstundenzahlen von Januar bis Mai 2009 mit den gleichen Monaten des Vorjahrs reiche hierfür nicht aus; nur ein längerer Betrachtungszeitraum könne die Basis für eine nachhaltige Prognose bilden. Zudem habe die Beklagte nicht berücksichtigt, dass ab 1. März 2009 kurzgearbeitet worden sei. Die spätere Entwicklung belege die Fehlerhaftigkeit der Prognose. Die Beklagte habe auch nicht dargelegt, wer welche seiner bisherigen Tätigkeiten in welchem Umfang ohne eine übermäßige dauerhafte Beanspruchung habe übernehmen können. Im Übrigen sei die Sozialauswahl fehlerhaft. Statt seiner hätten andere Arbeitnehmer mit deutlich schlechteren Sozialdaten gekündigt werden müssen. Sie seien mit ihm vergleichbar, selbst wenn deren Kündigung nach der Betriebsvereinbarung Nr. 165 ausgeschlossen sei. Der einzelvertraglich gewährte Sonderkündigungsschutz sei mit ihnen in unzulässiger Weise zu seinen Lasten vereinbart worden. Unter diesem Aspekt stelle sich die Kündigung als eine Maßregelung dar.

8

Der Kläger hat beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung vom 29. Mai 2009 aufgelöst worden ist,

                 

hilfsweise

                 

die Beklagte zu verurteilen, ihn als Produktionsmitarbeiter zu den Bedingungen des am 1. Januar 2009 geschlossenen Arbeitsvertrags wieder einzustellen,

        

2.    

die Beklagte zu verurteilen, ihn bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Kündigungsschutzantrag als Produktionsmitarbeiter weiterzubeschäftigen.

9

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat vorgetragen, Anfang 2009 habe sie geplant, den Personalbestand zu reduzieren, da die Mitarbeiter in der Produktion schon im Jahr 2008 nicht ausgelastet gewesen seien. Zwar habe sie zur Vermeidung dieses Personalabbaus mit dem Betriebsrat die Betriebsvereinbarungen Nr. 163 bis Nr. 165 geschlossen. Zu diesem Zeitpunkt sei der Auftragsbestand aber erst um ca. 25 % geringer gewesen. Nach Einführung der Kurzarbeit habe sich die Auftrags- und Auslastungssituation weiter verschlechtert. Ab der 14. Kalenderwoche 2009 sei die Auslastung auf rund 60 % derjenigen des Vorjahrs zurückgegangen, die (Grundlagen-)Produktion in der Gießerei habe sich im Zeitraum von Januar bis Mai 2009 um etwa 36 % reduziert.

10

Vom Rückgang der Grundlagenproduktion seien sämtliche nachgeordneten Bereiche betroffen gewesen. Sowohl im Bereich Rohrzieherei als auch im Bereich Rohrlinie sei die Arbeitsmenge im Zeitraum von Januar 2009 bis Mai 2009 um 34,5 % zurückgegangen, was einem um etwa 33 % bzw. ca. 30 % (Rohrzieherei) verminderten Arbeitskräftebedarf entspreche. Bei einer durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit von 35 Stunden würden je Arbeitnehmer im Durchschnitt 12,2 Arbeitsstunden wöchentlich nicht mehr benötigt. Zur Sicherung ihrer Wettbewerbsfähigkeit und zur Steigerung der Effizienz habe sie deshalb die Stelle eines „Ziehers 15to-Ziehbank/Anfasers/Einteilsägers“ gestrichen und dessen Arbeit auf - neun namentlich genannte - Mitarbeiter verteilt. Aufgrund des Rückgangs ihrer eigenen Tätigkeiten seien diese Mitarbeiter nicht mehr ausgelastet gewesen und hätten die Aufgabe des Klägers ohne Weiteres mitübernehmen können. Den Rückgang der Arbeitsmenge habe sie im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung als dauerhaft angesehen, Anhaltspunkte für eine Besserung habe es nicht gegeben.

11

Die Sozialauswahl sei zutreffend, da die vom Kläger benannten Mitarbeiter aufgrund ihres Sonderkündigungsschutzes nicht in die Auswahl einzubeziehen gewesen seien.

12

Das Arbeitsgericht hat der Klage in vollem Umfang stattgegeben. Die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.

Entscheidungsgründe

13

Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat rechtsfehlerfrei entschieden, dass die Kündigung der Beklagten vom 29. Mai 2009 das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht beendet hat.

14

I. Die Klage ist begründet. Die Kündigung vom 29. Mai 2009 ist nicht aus dringenden betrieblichen Erfordernissen iSv. § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt.

15

1. Eine Kündigung ist durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt, wenn der Bedarf für eine Weiterbeschäftigung des gekündigten Arbeitnehmers im Betrieb voraussichtlich dauerhaft entfallen ist. Auf der Grundlage der betrieblichen Dispositionen des Arbeitgebers müssen im Tätigkeitsbereich des Gekündigten mehr Arbeitnehmer beschäftigt sein, als zur Erledigung der anfallenden Arbeiten benötigt werden. Dieser Überhang muss auf Dauer zu erwarten sein. Regelmäßig entsteht ein Überhang an Arbeitskräften nicht allein und unmittelbar durch bestimmte wirtschaftliche Entwicklungen (Produktions- oder Umsatzrückgang etc.), sondern aufgrund einer - oftmals durch diese Entwicklungen veranlassten - Organisationsentscheidung des Arbeitgebers (unternehmerische Entscheidung).

16

a) Betriebliche Erfordernisse, die eine Kündigung bedingen, können sich aus außerbetrieblichen Umständen ergeben. Passt der Arbeitgeber im Fall eines Auftragsverlustes oder eines reduzierten Auftragsbestands die Anzahl der benötigten Arbeitnehmer unmittelbar an die verbliebene Arbeitsmenge an, kann sich daraus ein dringendes betriebliches Erfordernis zur Kündigung ergeben, wenn der Arbeitsanfall - dauerhaft - so zurückgegangen ist, dass zukünftig für einen oder mehrere Arbeitnehmer kein Bedürfnis für eine Weiterbeschäftigung mehr besteht (BAG 17. Juni 1999 - 2 AZR 141/99 - BAGE 92, 71 und - 2 AZR 456/98 - BAGE 92, 79). Behauptet der Arbeitgeber, das Bedürfnis für eine Weiterbeschäftigung sei wegen eines solchen Auftragsrückgangs entfallen, kann das Gericht in vollem Umfang nachprüfen, ob die außerbetrieblichen Umstände für die Kündigung zum Zeitpunkt der Kündigung tatsächlich vorlagen und zu einem dauerhaften Rückgang des Beschäftigungsvolumens führen. Dabei reicht ein bloßer Hinweis auf auslaufende Aufträge und das Fehlen von Anschlussaufträgen regelmäßig nicht aus, um einen dauerhaften Wegfall des Beschäftigungsbedürfnisses zu begründen. Der Arbeitgeber muss vielmehr anhand seiner Auftrags- und Personalplanung im Einzelnen darstellen, warum nicht nur eine - kurzfristige - Auftragsschwankung vorliegt, sondern ein dauerhafter Auftragsrückgang zu erwarten ist (BAG 18. Mai 2006 - 2 AZR 412/05 - Rn. 18, AP AÜG § 9 Nr. 7 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 146).

17

b) Ein Rückgang des Arbeitskräftebedarfs kann sich auch daraus ergeben, dass sich eine im Betrieb tatsächlich umgesetzte unternehmerische Organisationsentscheidung auf die Anzahl der verbliebenen Arbeitsplätze auswirkt. Eine unternehmerische Organisationsentscheidung kann etwa in der Bestimmung der Zahl der Belegschaftsmitglieder liegen, mit denen die im Betrieb anfallende Arbeitsmenge erledigt werden soll (vgl. BAG 2. Juni 2005 - 2 AZR 480/04 - mwN, BAGE 115, 92). Unternehmerische Entscheidungen sind von den Gerichten nicht auf ihre sachliche Rechtfertigung oder Zweckmäßigkeit hin zu überprüfen, sondern nur darauf, ob sie offensichtlich unsachlich, unvernünftig oder willkürlich sind (BAG 16. Dezember 2010 - 2 AZR 770/09 - Rn. 13, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 186 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 165; 10. Juli 2008 - 2 AZR 1111/06 - Rn. 24, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 181 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 163). Nachzuprüfen ist aber, ob die fragliche Entscheidung tatsächlich umgesetzt wurde und dadurch das Beschäftigungsbedürfnis für einzelne Arbeitnehmer entfallen ist (BAG 16. Dezember 2010 - 2 AZR 770/09 - Rn. 13, aaO; 10. Juli 2008 - 2 AZR 1111/06 - Rn. 24, aaO).

18

c) Führen die außer- oder innerbetrieblichen Umstände nicht zu einer dauerhaften Reduzierung des Arbeitskräftebedarfs im Betrieb, so besteht kein dringendes betriebliches Erfordernis zur Beendigung eines Arbeitsverhältnisses. Erschöpft sich die unternehmerische Entscheidung des Arbeitgebers im Wesentlichen darin, Personal einzusparen, so ist sie vom Kündigungsentschluss selbst kaum zu unterscheiden. Da die Kündigung nach dem Gesetz an das Vorliegen von Gründen gebunden ist, die außerhalb ihrer selbst liegen, muss der Arbeitgeber in solchen Fällen seine Entscheidung hinsichtlich ihrer organisatorischen Durchführbarkeit und zeitlichen Nachhaltigkeit verdeutlichen. Nur so kann das Gericht prüfen, ob sie missbräuchlich ausgesprochen worden ist (BAG 16. Dezember 2010 - 2 AZR 770/09 - Rn. 14, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 186 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 165; 17. Juni 1999 - 2 AZR 522/98 - BAGE 92, 61). Das wäre der Fall, wenn die Kündigung zu einer rechtswidrigen Überforderung oder Benachteiligung des im Betrieb verbleibenden Personals führte (Rost Jahrbuch des Arbeitsrechts Bd. 39 S. 83) oder die zugrunde liegende unternehmerische Entscheidung lediglich Vorwand dafür wäre, bestimmte Arbeitnehmer aus dem Betrieb zu drängen, obwohl Beschäftigungsbedarf und Beschäftigungsmöglichkeiten objektiv fortbestehen und etwa nur der Inhalt des Arbeitsvertrags als zu belastend angesehen wird (BAG 22. Mai 2003 - 2 AZR 326/02 - AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 128 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 126). Der Arbeitgeber muss deshalb konkret erläutern, in welchem Umfang und aufgrund welcher Maßnahmen die bisher vom gekündigten Arbeitnehmer ausgeübten Tätigkeiten für diesen zukünftig entfallen. Er muss die Auswirkungen seiner unternehmerischen Vorgaben und Planungen auf das erwartete Arbeitsvolumen anhand einer schlüssigen Prognose konkret darstellen und angeben, wie die anfallenden Arbeiten vom verbliebenen Personal ohne überobligationsmäßige Leistungen, dh. im Rahmen ihrer vertraglich geschuldeten regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit, erledigt werden können (BAG 16. Dezember 2010 - 2 AZR 770/09 - Rn. 15, aaO; 13. Februar 2008 - 2 AZR 1041/06 - Rn. 16, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 174 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 158).

19

d) Wird die Kündigung auf eine zu erwartende künftige Entwicklung der betrieblichen Verhältnisse gestützt, braucht diese bei Kündigungsausspruch noch nicht tatsächlich eingetreten zu sein. Es genügt, dass sie sich konkret und greifbar abzeichnet (vgl. BAG 9. September 2010 - 2 AZR 493/09 - AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 185 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 164; 13. Februar 2008 - 2 AZR 79/06 - Rn. 21, 22; 26. Mai 2011 - 8 AZR 37/10 - Rn. 27, EzA BGB 2002 § 613a Nr. 125). Das ist der Fall, wenn im Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung die auf Tatsachen gestützte, vernünftige betriebswirtschaftliche Prognose gerechtfertigt ist, mit Ablauf der Kündigungsfrist werde mit einiger Sicherheit ein die Entlassung erforderlich machender betrieblicher Grund vorliegen (BAG 23. Februar 2010 - 2 AZR 268/08 - Rn. 18, BAGE 133, 240; 27. November 2003 - 2 AZR 48/03 - BAGE 109, 40; 12. April 2002 - 2 AZR 256/01 - zu II 2 a der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 120 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 118). Dabei muss eine der entsprechenden Prognose zugrunde liegende eigene unternehmerische Entscheidung des Arbeitgebers aber bereits im Kündigungszeitpunkt endgültig getroffen worden sein. Andernfalls kann eine zum Wegfall des Arbeitsplatzes führende Entscheidung nicht sicher prognostiziert werden.

20

aa) Der Arbeitgeber hat die Tatsachen näher darzulegen, aus denen sich ergeben soll, dass zukünftig auf Dauer mit einem reduzierten Arbeitsvolumen und Beschäftigungsbedarf zu rechnen ist. Das Vorliegen von möglicherweise nur kurzfristigen Produktions- oder Auftragsschwankungen muss ausgeschlossen sein (BAG 18. Mai 2006 - 2 AZR 412/05 - Rn. 18, AP AÜG § 9 Nr. 7 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 146). Dem muss der Inhalt und die Substanz des Sachvortrags Rechnung tragen. Der Arbeitgeber hat den dauerhaften Rückgang des Arbeitsvolumens nachvollziehbar darzustellen, indem er die einschlägigen Daten aus repräsentativen Referenzperioden miteinander vergleicht (BAG 18. Mai 2006 - 2 AZR 412/05 - Rn. 17, aaO).

21

bb) Für die Zukunftsprognose ist auch von Bedeutung, ob die Kündigung im zeitlichen Zusammenhang mit einer vereinbarten oder prognostizierten Kurzarbeit erfolgt. Wird Kurzarbeit geleistet, so spricht dies dafür, dass die Betriebsparteien nur von einem vorübergehenden Arbeitsmangel und nicht von einem dauerhaft gesunkenen Beschäftigungsbedarf ausgehen. Ein nur vorübergehender Arbeitsmangel wiederum kann eine betriebsbedingte Kündigung nicht rechtfertigen. Dieses aus der Kurzarbeit folgende Indiz kann der Arbeitgeber durch konkreten Sachvortrag entkräften (BAG 26. Juni 1997 - 2 AZR 494/96 - AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 86 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 93). Entfällt die Beschäftigungsmöglichkeit für einzelne von der Kurzarbeit betroffene Arbeitnehmer aufgrund später eingetretener weiterer Umstände oder veränderter wirtschaftlicher und/oder organisatorischer Rahmenbedingungen auf Dauer, so kann trotz der Kurzarbeit ein dringendes betriebliches Erfordernis für eine Kündigung bestehen (BAG 26. Juni 1997 - 2 AZR 494/96 - aaO).

22

Da die betrieblichen Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des gekündigten Arbeitnehmers entgegenstehen, dringend sein müssen, die Kündigung im Interesse des Betriebs also unvermeidbar sein muss, hat der Arbeitgeber zuvor alle Möglichkeiten auszuschöpfen, die mit dem Ziel geschaffen worden sind und bestehen, durch eine Flexibilisierung der Arbeitszeit betriebsbedingte Kündigungen in Zeiten geringeren Arbeitsanfalls zu vermeiden (BAG 8. November 2007 - 2 AZR 418/06 - Rn. 16, EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 157, zur Inanspruchnahme von Arbeitszeitkonten). Haben die Betriebsparteien durch die Einführung von Kurzarbeit den Umfang der vertraglich geschuldeten Arbeitszeit auf ein Niveau abgesenkt, dass den Ausspruch betriebsbedingter Kündigungen gerade überflüssig macht, so kann ein dringendes betriebliches Kündigungserfordernis regelmäßig erst dann angenommen werden, wenn der Arbeitgeber die Möglichkeit zur Arbeitszeitreduzierung voll ausgeschöpft hat und gleichwohl noch ein Beschäftigungsüberhang besteht (vgl. BAG 8. November 2007 - 2 AZR 418/06 - aaO).

23

2. Unter Beachtung der vorstehenden Grundsätze hält die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, die Beklagte habe für die Zeit nach Ablauf der Kündigungsfrist keine dringenden betrieblichen Erfordernisse iSd. § 1 Abs. 2 KSchG dargelegt, der revisionsrechtlichen Überprüfung stand. Bei Ausspruch der Kündigung war die Prognose noch nicht sicher gerechtfertigt, der Bedarf für eine Weiterbeschäftigung des Klägers sei zum 1. Oktober 2009 auf Dauer entfallen. Das hat das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt. Einen revisionsrechtlich relevanten Fehler im Zusammenhang mit dieser Würdigung hat die Beklagte nicht aufgezeigt.

24

a) Aus dem Vortrag der Beklagten lässt sich - auch unter Berücksichtigung ihres Vorbringens in der Revisionsbegründung - nicht hinreichend konkret entnehmen, dass ein dringendes betriebliches Erfordernis zur Kündigung des Klägers vorgelegen hat. Ihr Entschluss, die Stelle eines „Ziehers 15to-Ziehbank/Anfasers/Einteilsägers“ zu streichen und dessen Tätigkeiten auf mehrere Mitarbeiter der Rohrzieherei zu verteilen, lag nahe an der Kündigungsentscheidung. Die Beklagte musste demnach die Möglichkeit, ihre Organisationsentscheidung tatsächlich umzusetzen, näher erläutern.

25

b) Die Beklagte hat nicht dargetan, dass zum Zeitpunkt der Kündigung die Prognose gerechtfertigt war, die bisher vom Kläger ausgeübten Tätigkeiten könnten von den verbliebenen Mitarbeitern ab dem 1. Oktober 2009 im Rahmen ihrer normalen Verpflichtungen (mit-)übernommen werden. Sie hat zwar das vom Kläger und den fraglichen neun Mitarbeitern zum Kündigungszeitpunkt zu erledigende Arbeitsvolumen dargestellt. Danach waren sie in der Phase der Kurzarbeit bezogen auf ihre vertraglich geschuldete Arbeitszeit sämtlich nicht voll ausgelastet. Das Landesarbeitsgericht hat aber zu Recht darauf hingewiesen, dass die Beklagte zur Dauerhaftigkeit und Nachhaltigkeit eines nur geringeren - und damit auf andere Arbeitnehmer aufteilbaren - Arbeitsvolumens des Klägers nicht hinreichend vorgetragen hat. Sie hat sich auf den pauschalen Vortrag beschränkt, das Volumen habe sich zum 30. September 2009 dauerhaft reduziert, Anhaltspunkte für eine Besserung habe sie zum Zeitpunkt der Kündigung nicht gehabt, auch seien keine Überstunden geleistet worden. Damit hat sie ihrer Darlegungslast nicht genügt. Bestimmte Tatsachen, aus denen zu schließen wäre, der mögliche Rückgang der Arbeitsmenge im Kündigungszeitpunkt sei als dauerhaft anzusehen, hat sie auf diese Weise nicht behauptet. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass es sich bei diesem Rückgang nur um einen kurzzeitigen, nicht nachhaltigen Trend gehandelt hat. Aus dem Rückgang der Produktion in den ersten Monaten des Jahres 2009 im Vergleich zum selben Zeitraum im Jahr 2008 lässt sich nicht hinreichend sicher folgern, diese Entwicklung werde sich auch im weiteren Verlauf des Jahres fortsetzen. Hierzu hätte es eines näher substantiierten, detaillierten Vortrags bedurft, dem beispielsweise die üblichen Auftragseingangszahlen und Bearbeitungsabläufe aus den Vorjahren zu entnehmen gewesen wären. So kann sich die Situation bei kurzfristig erfolgenden Auftragsabrufen anders darstellen als bei langfristigen und planbaren Auftragserteilungen.

26

c) Zudem bleibt unklar, ob sich selbst bei Ausschöpfung der vereinbarten Optionen für Kurzarbeit das Arbeitsvolumen so verringert hat, dass ein dringendes Erfordernis für eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger bestand. Immerhin erlaubten es die Betriebsvereinbarung Nr. 163 und ihre Ergänzungen der Beklagten, die wöchentlich geschuldete Arbeitszeit der Mitarbeiter auf 14 Stunden abzusenken. Im Streitfall geht es deshalb nicht darum, ob der Arbeitgeber rechtlich gezwungen sein kann, vor dem Ausspruch der Kündigung die Einführung von Kurzarbeit zu betreiben. Hier besaß die Beklagte vielmehr bei Ausspruch der Kündigung bereits die Möglichkeit, die Arbeitszeit der Mitarbeiter rechtswirksam bis auf 14 Wochenstunden zu reduzieren. Von ihr hatte sie wegen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes Gebrauch zu machen. Dass auch dann noch ein Arbeitskräfteüberhang bestanden hätte, ergibt sich aus ihrem Vortrag nicht. Auch hat sie nicht dargelegt, dass die fraglichen neun Arbeitnehmer ausgehend von einem durch Kurzarbeit absenkbaren Arbeitszeitumfang überhaupt in der Lage gewesen wären, die verbliebenen Tätigkeiten des Klägers ohne Überschreitung dieses Zeitumfangs mitzuerledigen.

27

d) Schließlich ist offen, ob im umgekehrten Fall - bei Aufhebung der Kurzarbeit - die fraglichen neun Mitarbeiter die Arbeiten des Klägers weiterhin ohne überobligationsmäßige Zusatzleistungen würden übernehmen können. Die Betriebsparteien gingen, wie die Betriebsvereinbarung Nr. 163 und ihre Ergänzungen zeigen, von einer vorübergehenden, 18-monatigen Reduzierung des Beschäftigungsbedarfs aus. Dies spricht dafür, dass sie erwarteten, das frühere oder zumindest ein deutlich höheres Arbeitsvolumen als in den ersten Monaten des Jahres 2009 würde in absehbarer Zeit wieder erreicht.

28

II. Da die Kündigung vom 29. Mai 2009 das Arbeitsverhältnis des Klägers wegen Fehlens dringender betrieblicher Erfordernisse iSv. § 1 Abs. 2 KSchG nicht rechtswirksam beendet hat, bedurfte es keiner Auseinandersetzung mit der Frage, ob die Sozialauswahl fehlerhaft iSv. § 1 Abs. 3 KSchG und die Kündigung eine unzulässige Maßregelung war.

29

III. Der Antrag auf Weiterbeschäftigung bis zur rechtskräftigen Entscheidung über das Feststellungsbegehren ist dem Senat nicht mehr angefallen. Der Kündigungsrechtsstreit ist rechtskräftig entschieden.

30

IV. Die Beklagte hat die Kosten ihrer erfolglosen Revision gemäß § 97 Abs. 1 ZPO zu tragen.

        

    Kreft    

        

    Berger    

        

    Eylert    

        

        

        

    A. Claes    

        

    Wolf    

                 

(1) Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses gegenüber einem Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis in demselben Betrieb oder Unternehmen ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestanden hat, ist rechtsunwirksam, wenn sie sozial ungerechtfertigt ist.

(2) Sozial ungerechtfertigt ist die Kündigung, wenn sie nicht durch Gründe, die in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, oder durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist. Die Kündigung ist auch sozial ungerechtfertigt, wenn

1.
in Betrieben des privaten Rechts
a)
die Kündigung gegen eine Richtlinie nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes verstößt,
b)
der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in demselben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden kann
und der Betriebsrat oder eine andere nach dem Betriebsverfassungsgesetz insoweit zuständige Vertretung der Arbeitnehmer aus einem dieser Gründe der Kündigung innerhalb der Frist des § 102 Abs. 2 Satz 1 des Betriebsverfassungsgesetzes schriftlich widersprochen hat,
2.
in Betrieben und Verwaltungen des öffentlichen Rechts
a)
die Kündigung gegen eine Richtlinie über die personelle Auswahl bei Kündigungen verstößt,
b)
der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in derselben Dienststelle oder in einer anderen Dienststelle desselben Verwaltungszweigs an demselben Dienstort einschließlich seines Einzugsgebiets weiterbeschäftigt werden kann
und die zuständige Personalvertretung aus einem dieser Gründe fristgerecht gegen die Kündigung Einwendungen erhoben hat, es sei denn, daß die Stufenvertretung in der Verhandlung mit der übergeordneten Dienststelle die Einwendungen nicht aufrechterhalten hat.
Satz 2 gilt entsprechend, wenn die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nach zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen oder eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers unter geänderten Arbeitsbedingungen möglich ist und der Arbeitnehmer sein Einverständnis hiermit erklärt hat. Der Arbeitgeber hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung bedingen.

(3) Ist einem Arbeitnehmer aus dringenden betrieblichen Erfordernissen im Sinne des Absatzes 2 gekündigt worden, so ist die Kündigung trotzdem sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat; auf Verlangen des Arbeitnehmers hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Gründe anzugeben, die zu der getroffenen sozialen Auswahl geführt haben. In die soziale Auswahl nach Satz 1 sind Arbeitnehmer nicht einzubeziehen, deren Weiterbeschäftigung, insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebes, im berechtigten betrieblichen Interesse liegt. Der Arbeitnehmer hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung als sozial ungerechtfertigt im Sinne des Satzes 1 erscheinen lassen.

(4) Ist in einem Tarifvertrag, in einer Betriebsvereinbarung nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes oder in einer entsprechenden Richtlinie nach den Personalvertretungsgesetzen festgelegt, wie die sozialen Gesichtspunkte nach Absatz 3 Satz 1 im Verhältnis zueinander zu bewerten sind, so kann die Bewertung nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden.

(5) Sind bei einer Kündigung auf Grund einer Betriebsänderung nach § 111 des Betriebsverfassungsgesetzes die Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll, in einem Interessenausgleich zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat namentlich bezeichnet, so wird vermutet, dass die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne des Absatzes 2 bedingt ist. Die soziale Auswahl der Arbeitnehmer kann nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht, soweit sich die Sachlage nach Zustandekommen des Interessenausgleichs wesentlich geändert hat. Der Interessenausgleich nach Satz 1 ersetzt die Stellungnahme des Betriebsrates nach § 17 Abs. 3 Satz 2.

Tenor

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 2. Dezember 2010 - 11 Sa 649/10 - im Kostenausspruch und insoweit aufgehoben, wie es die Beklagte zur Zahlung von 16.854,00 Euro brutto nebst Zinsen verurteilt hat.

2. Die Anschlussberufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Oberhausen vom 24. März 2010 - 1 Ca 2392/09 - wird als unzulässig verworfen.

3. Die weitergehende Revision der Beklagten wird zurückgewiesen.

4. Die Kosten der Berufungsinstanz haben der Kläger zu 1/6, die Beklagte zu 5/6 und die Kosten der Revision haben der Kläger zu 1/5, die Beklagte zu 4/5 zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen, auf betriebsbedingte Gründe gestützten Kündigung und damit in Zusammenhang stehende Ansprüche.

2

Die Beklagte ist ein Tochterunternehmen eines amerikanischen Konzerns. Sie hat in Deutschland drei Produktionsstätten. In ihrem Werk O beschäftigte sie regelmäßig etwa 85 Arbeitnehmer.

3

Der im August 1954 geborene Kläger ist promovierter Chemiker und seit April 1986 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin beschäftigt. Seit Dezember 2006 ist er als „Betriebsleiter GUR“ Leiter der Kunststoffgranulat-Produktion in O. Anfang Februar 2007 wurde ihm zusätzlich die Leitung des gesamten Standorts übertragen. Laut § 1 des im Juni/Juli 2004 geschlossenen Anstellungsvertrags sieht ihn die Beklagte als leitenden Angestellten iSv. § 5 Abs. 3 BetrVG an. Seine Vergütung richtete sich nach einem unternehmensweit angewandten „Vertragsstufensystem für leitende Angestellte“. Danach bezog er ein Bruttomonatsgehalt von etwa 9.860,00 Euro, das sich aus einem Fixum und Bonuszahlungen zusammensetzte.

4

Im August 2009 stellte die Beklagte den Kläger unter Berufung auf anstehende seinen Arbeitsplatz betreffende Veränderungen von seiner Verpflichtung zur Arbeitsleistung frei. Mit Schreiben vom 24. September 2009 kündigte sie das Arbeitsverhältnis der Parteien ordentlich zum 30. April 2010, „vorsorglich ... zum zulässigen Termin“. Der „vorsorglich“ zur Kündigung angehörte Betriebsrat des Werks O hatte der Kündigung mit der Begründung widersprochen, die Beschäftigungsmöglichkeiten für den Kläger seien nicht weggefallen.

5

Der Kläger hat gegen die Kündigung rechtzeitig die vorliegende Klage erhoben. Er hat die Auffassung vertreten, ein dringendes betriebliches Erfordernis für eine Kündigung liege nicht vor. Sein Arbeitsplatz sei bei im Wesentlichen gleich gebliebenen Aufgaben lediglich neu besetzt worden. Eine Verlagerung bisher durch ihn erledigter Aufgaben auf andere in O beschäftigte Arbeitnehmer sei nicht ohne deren überobligatorische Inanspruchnahme möglich gewesen. Auch habe die Möglichkeit bestanden, ihn auf dem frei gewordenen Arbeitsplatz des „Forschungsleiters“ weiter zu beschäftigen.

6

Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 24. September 2009 nicht aufgelöst worden ist;

        

2.    

für den Fall des Obsiegens mit dem Antrag zu 1. die Beklagte zu verurteilen, ihn bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens zu unveränderten Arbeitsbedingungen weiter zu beschäftigen;

        

3.    

für den Fall des Obsiegens mit dem Antrag zu 1. die Beklagte zu verurteilen, ihm ein wohlwollendes Zwischenzeugnis zu erteilen, das sich auf Führung und Leistung erstreckt;

        

4.    

für den Fall der Abweisung des Antrags zu 1. die Beklagte zu verurteilen, ihm ein „endgültiges“ wohlwollendes Zeugnis zu erteilen, das sich auf Führung und Leistung erstreckt.

7

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat behauptet, im September 2009 sei auf Konzernebene die - anschließend durch ihren Geschäftsführer umgesetzte - unternehmerische Entscheidung getroffen worden, Produktionsstandorte zusammenzulegen sowie Funktionen und Zuständigkeiten zu bündeln. In diesem Zusammenhang sei die globale Verantwortlichkeit für die Prozessentwicklung und das Qualitätsmanagement in O angesiedelt worden. An diese Funktion habe sie die Hälfte der bisher vom Kläger wahrgenommenen Leitungsaufgaben „angekoppelt“; die Stelle habe sie mit Frau K besetzt, die zuvor Geschäftsführerin eines anderen Konzernunternehmens gewesen sei. Die andere Hälfte der Tätigkeiten habe sie auf insgesamt sieben, dem Kläger bisher nachgeordnete Arbeitnehmer verteilt, die auch in der Lage seien, das zusätzliche Pensum zu bewältigen. Der Kläger sei fachlich nicht in der Lage, die neu zugeschnittene Leitungsstelle auszufüllen. Er verfüge, anders als Frau K, die neben ihrem Chemie- ein Ingenieurstudium absolviert habe, nicht über die erforderlichen Kenntnisse und die notwendige Berufserfahrung auf dem Gebiet der Prozessentwicklung und des Qualitätsmanagements. Außerdem sei die Stelle mit einem Aufgaben- und Kompetenzzuwachs verbunden, der sich in veränderten Berichtspflichten unmittelbar gegenüber dem Management der Beklagten und der Zuordnung des Arbeitsplatzes zu einem höheren „Gehaltslevel“ ausdrücke. Zur Weiterbeschäftigung des Klägers auf einer solchen „Beförderungsstelle“ sei sie nicht verpflichtet.

8

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Dagegen hat die Beklagte Berufung eingelegt. Der Kläger hat in der Berufungsinstanz zusätzlich beantragt, an ihn 16.854,00 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten aus jeweils 8.427,00 Euro brutto seit dem 1. November 2010 und seit dem 1. Dezember 2010 zu zahlen. Er hat die Auffassung vertreten, das damit geforderte Gehalt für die Monate Oktober und November 2010 stehe ihm unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs zu. Die Beklagte hat gerügt, die Klageerweiterung sei unzulässig. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und diese zur Gehaltszahlung in beantragter Höhe verurteilt. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Begehren weiter, die Klage - ausgenommen den Anspruch auf Erteilung eines Zwischenzeugnisses - abzuweisen.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Revision ist begründet, soweit die Beklagte ihre Verurteilung zur Zahlung von Vergütung für die Monate Oktober und November 2010 angreift (I.). Im Übrigen bleibt die Revision ohne Erfolg. Die Kündigung vom 24. September 2009 ist unwirksam und hat das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgelöst (II.). Die (Hilfs-)Anträge auf vorläufige Weiterbeschäftigung und auf Erteilung eines Endzeugnisses sind dem Senat nicht zur Entscheidung angefallen (III.).

10

I. Mit Erfolg wendet sich die Beklagte gegen ihre Verurteilung zur Gehaltszahlung, die der Kläger erstmals in der Berufungsinstanz geltend gemacht hat. Die Revision ist insoweit aus prozessualen Gründen erfolgreich. Bei der Klageerweiterung handelt es sich um eine nach § 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO iVm. § 64 Abs. 6 Satz 1, § 66 Abs. 1 Satz 3 ArbGG verspätete und deshalb unzulässige Anschlussberufung. Das hat das Revisionsgericht von Amts wegen zu prüfen (BGH 24. Oktober 2007 - IV ZR 12/07 - Rn. 7, MDR 2008, 159).

11

1. Dem Kläger stand für eine Erweiterung der Klage im Berufungsrechtszug nur der Weg der Anschlussberufung zur Verfügung. Als solche ist sein Zahlungsbegehren deshalb zu behandeln; einer ausdrücklichen Bezeichnung als Anschlussberufung bedarf es dazu nicht (BAG 28. Juni 2011 - 3 AZR 282/09 - Rn. 20, EzA BetrAVG § 16 Nr. 59; 30. Mai 2006 - 1 AZR 111/05 - Rn. 42, BAGE 118, 211). Es genügt, dass schriftsätzlich klar und deutlich der Wille zum Ausdruck gebracht wird, eine Änderung des vorinstanzlichen Urteils auch als Rechtsmittelbeklagter zu erreichen. Dazu reicht es, dass der Rechtsmittelbeklagte die Klage - wie im Streitfall mit Schriftsatz vom 19. November 2010 geschehen - erweitert. Einer Beschwer bedarf es für die Anschlussberufung grundsätzlich nicht (vgl. BAG 10. Februar 2009 - 3 AZR 728/07 - Rn. 11, AE 2009, 331).

12

2. Nach § 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO iVm. § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG ist eine Anschlussberufung zulässig bis zum Ablauf der dem Berufungsbeklagten gesetzten Frist zur Berufungserwiderung. Im arbeitsgerichtlichen Verfahren wird zwar - anders als nach § 521 Abs. 2 Satz 1 ZPO - dem Berufungsbeklagten vom Gericht keine Frist zur Berufungserwiderung „gesetzt“; vielmehr gilt für die Berufungsbeantwortung die durch § 66 Abs. 1 Satz 3 ArbGG bestimmte gesetzliche Frist von einem Monat. Gleichwohl ist § 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO gemäß § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG im Berufungsverfahren vor den Landesarbeitsgerichten entsprechend anwendbar. Eine Anschlussberufung, die nicht innerhalb eines Monats nach Zustellung der Berufungsbegründung - bei Verlängerung der Berufungsbeantwortungsfrist nach § 66 Abs. 1 Satz 5 ArbGG innerhalb der dann geltenden Frist(vgl. GK-ArbGG/Vossen Stand April 2012 § 64 Rn. 105; GMP/Germelmann ArbGG 7. Aufl. § 64 Rn. 106) - eingeht, ist entsprechend § 522 Abs. 1 ZPO als unzulässig zu verwerfen(BAG 30. Mai 2006 - 1 AZR 111/05 - Rn. 45, BAGE 118, 211).

13

3. Danach war die Anschlussberufung des Klägers verspätet.

14

a) Der betreffende Schriftsatz ist am 22. November 2010 beim Landesarbeitsgericht eingegangen. Zu diesem Zeitpunkt war seit der am 26. Juli 2010 bewirkten Zustellung der Berufungsbegründung weit mehr als ein Monat vergangen. Die Frist zur Berufungsbeantwortung war nicht verlängert worden. Ein Fall des § 524 Abs. 2 Satz 3 ZPO liegt nicht vor.

15

b) Die Frist zur Berufungsbeantwortung ist ordnungsgemäß in Lauf gesetzt worden. Insbesondere ist der nach § 66 Abs. 1 Satz 4 ArbGG gebotene Hinweis erfolgt. Dies konnte der Senat selbst im Wege des Freibeweises klären (vgl. BAG 18. Januar 2012 - 7 AZR 211/09 - Rn. 17, NZA 2012, 691).

16

aa) Die Verwerfung der Anschlussberufung wegen Fristversäumnis setzt voraus, dass der Berufungsgegner mit der Zustellung der Berufungsbegründung gemäß § 66 Abs. 1 Satz 4 ArbGG auf die gesetzliche Verpflichtung hingewiesen wurde, die Berufung binnen eines Monats nach Zustellung der Berufungsbegründung zu beantworten. Fehlt es an einem solchen Hinweis, wird weder die Frist zur Berufungsbeantwortung noch die zur Einlegung der Anschlussberufung in Lauf gesetzt (BA G 30. Mai 2006 - 1 AZR 111/05 - Rn. 45, BAGE 118, 211).

17

bb) Der Klägervertreter hat mit Empfangsbekenntnis vom 26. Juli 2010 den Erhalt der Berufungsbegründung bestätigt. Laut Empfangsbekenntnis ist ihm neben der Berufungsbegründung ein „Hinweis gemäß § 66 Abs. 1 Satz 3 ArbGG“ zugestellt worden. Dies bezieht sich auf ein zugleich übermitteltes, vom Kläger in Kopie zur Senatsakte gereichtes gerichtliches Begleitschreiben vom 16. Juli 2010, das - auszugsweise - wie folgt lautet:

        

„Gemäß § 66 Abs. 1 Satz 3 Arbeitsgerichtsgesetzmuss die Berufung innerhalb einer Frist von einem Monat nach Zustellung anliegender Berufungsbegründung b e a n t w o r t e t werden.

                 
        

Werden Angriffs- oder Verteidigungsmittel in der Berufungsbeantwortung nicht rechtzeitig vorgebracht, so lässt sie das Gericht nur zu, wenn nach seiner freien Überzeugung ihre Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits nicht verzögern würde oder die Verspätung genügend entschuldigt wird.“

18

cc) Dieser Hinweis war mit Blick auf die Anschlussberufung ausreichend. Insoweit geht es vor allem um die Klarstellung, zu welchem Zeitpunkt die Frist des § 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO iVm. § 66 Abs. 1 Satz 3 ArbGG in Gang gesetzt worden ist. Über die Möglichkeit der Anschließung als solche braucht hingegen nicht belehrt zu werden. Ob das gerichtliche Schreiben eine hinreichende Belehrung über die Präklusionsvorschrift des § 67 ArbGG und mögliche Folgen aus einer Versäumung der Beantwortungsfrist enthält, kann offenbleiben. Auf die Präklusionsregelung kommt es für die Frage, ob die Anschlussberufung frist- und formgerecht erhoben worden ist, nicht an. Überdies handelt es sich bei der Klageerweiterung als solche nicht um ein Angriffs- oder Verteidigungsmittel iSv. § 67 ArbGG, sondern um den Angriff selbst(BAG 11. April 2006 - 9 AZN 892/05 - Rn. 12, BAGE 117, 370).

19

dd) Den Akten ist nicht zu entnehmen, ob das gerichtliche Schreiben vom 16. Juli 2010 oder auch nur die Verfügung, mit der die Zustellung der Berufungsbegründung „mit Belehrung über die Frist gem. § 66 I 3 ArbGG“ veranlasst worden ist, vom Vorsitzenden der Kammer unterzeichnet war. Das ist unschädlich. Der Hinweis hat von Gesetzes wegen „mit der Zustellung der Berufungsbegründung“ zu erfolgen (§ 66 Abs. 1 Satz 4 ArbGG). Ein Tätigwerden des Gerichts bzw. seines Vorsitzenden in jedem Einzelfall ist damit nicht verlangt. Es reicht, dass der Hinweis auf allgemeine Anordnung hin durch die Geschäftsstelle erfolgt. Dieser obliegt ohnehin die Ausführung der Zustellung (§ 168 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Zudem besteht hinsichtlich der Erteilung des Hinweises kein Ermessensspielraum; die Regelung des § 66 Abs. 1 Satz 4 ArbGG ist zwingend. Die Anschlussberufung war damit als unzulässig zu verwerfen.

20

II. Die Revision ist unbegründet, soweit sie sich gegen die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts über den Feststellungsantrag richtet. Diesem hat das Landesarbeitsgericht zu Recht stattgegeben. Die Kündigungsschutzklage ist begründet. Die ordentliche Kündigung vom 24. September 2009 ist sozial ungerechtfertigt. Sie ist nicht durch dringende betriebliche Erfordernisse iSd. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG bedingt.

21

1. Dringende betriebliche Erfordernisse für eine Kündigung iSv. § 1 Abs. 2 KSchG können sich aus innerbetrieblichen oder außerbetrieblichen Gründen ergeben. Innerbetriebliche Gründe liegen vor, wenn sich der Arbeitgeber zu einer organisatorischen Maßnahme entschließt, bei deren Umsetzung das Bedürfnis für die Weiterbeschäftigung eines oder mehrerer Arbeitnehmer entfällt. Eine solche unternehmerische Entscheidung ist gerichtlich nicht auf ihre sachliche Rechtfertigung oder ihre Zweckmäßigkeit hin zu überprüfen, sondern nur darauf, ob sie offensichtlich unsachlich, unvernünftig oder willkürlich ist (BAG 23. Februar 2012 - 2 AZR 548/10 - Rn. 17, NZA 2012, 852; 16. Dezember 2010 - 2 AZR 770/09 - Rn. 13, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 186 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 165). Nachzuprüfen ist aber, ob die fragliche Entscheidung tatsächlich umgesetzt wurde und dadurch das Beschäftigungsbedürfnis für einzelne Arbeitnehmer entfallen ist (BAG 23. Februar 2012 - 2 AZR 548/10 - aaO; 16. Dezember 2010 - 2 AZR 770/09 - aaO).

22

2. Allerdings kann in Fällen, in denen die Organisationsentscheidung des Arbeitgebers und sein Kündigungsentschluss praktisch deckungsgleich sind, die ansonsten berechtigte Vermutung, die fragliche Entscheidung sei aus sachlichen Gründen erfolgt, nicht unbesehen greifen. Da die Kündigung nach dem Gesetz an das Vorliegen von Gründen gebunden ist, die außerhalb ihrer selbst liegen, muss der Arbeitgeber in solchen Fällen seine Entscheidung hinsichtlich ihrer organisatorischen Durchführbarkeit und zeitlichen Nachhaltigkeit verdeutlichen (BAG 16. Dezember 2010 - 2 AZR 770/09 - Rn. 14, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 186 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 165; 17. Juni 1999 - 2 AZR 522/98 - zu II 1 c der Gründe, BAGE 92, 61). Daran fehlt es, wenn die Kündigung zu einer rechtswidrigen Überforderung oder Benachteiligung des im Betrieb verbliebenen Personals führte (vgl. Rost Jahrbuch des Arbeitsrechts Bd. 39 S. 83) oder die zugrunde liegende unternehmerische Entscheidung lediglich Vorwand dafür wäre, bestimmte Arbeitnehmer aus dem Betrieb zu drängen, obwohl Beschäftigungsbedarf und Beschäftigungsmöglichkeiten objektiv fortbestehen und etwa nur der Inhalt des Arbeitsvertrags als zu belastend angesehen wird (BAG 23. Februar 2012 - 2 AZR 548/10 - Rn. 18, NZA 2012, 852; 22. Mai 2003 - 2 AZR 326/02 - zu B I 3 d (1) der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 128 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 126).

23

Läuft die unternehmerische Entscheidung auf den Abbau einer Hierarchieebene oder die Streichung eines einzelnen Arbeitsplatzes hinaus verbunden mit einer Umverteilung der dem betroffenen Arbeitnehmer bisher zugewiesenen Aufgaben, muss der Arbeitgeber konkret erläutern, in welchem Umfang und aufgrund welcher Maßnahmen die bisher vom gekündigten Arbeitnehmer ausgeübten Tätigkeiten für diesen zukünftig entfallen. Nur so kann geprüft werden, ob die Entscheidung den dargestellten Voraussetzungen genügt. Der Arbeitgeber muss die Auswirkungen seiner unternehmerischen Vorgaben und Planungen auf das erwartete Arbeitsvolumen anhand einer schlüssigen Prognose im Einzelnen darstellen und angeben, wie die anfallenden Arbeiten vom verbliebenen Personal ohne überobligationsmäßige Leistungen, dh. im Rahmen ihrer vertraglich geschuldeten regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit erledigt werden können (BAG 23. Februar 2012 - 2 AZR 548/10 - Rn. 18, NZA 2012, 852; 13. Februar 2008 - 2 AZR 1041/06 - Rn. 16, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 174 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 158).

24

3. Zu den nur auf Willkür zu überprüfenden Organisationsentscheidungen des Arbeitgebers zählt die Festlegung des Anforderungsprofils einer Stelle. Das Bestreben des Arbeitgebers, bestimmte Tätigkeiten nur von Arbeitnehmern mit bestimmten Qualifikationen ausführen zu lassen, ist grundsätzlich hinzunehmen (BAG 18. März 2010 - 2 AZR 337/08 - Rn. 19, AP BGB § 626 Nr. 228 = EzA BGB 2002 § 626 Unkündbarkeit Nr. 17). Schafft der Arbeitgeber neu zugeschnittene Arbeitsplätze, ist dies jedenfalls dann zu respektieren, wenn die Qualifikationsmerkmale einen nachvollziehbaren Bezug zur Organisation der auszuführenden Arbeiten haben (BAG 10. Juli 2008 - 2 AZR 1111/06 - Rn. 25, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 181 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 163; 7. Juli 2005 - 2 AZR 399/04 - Rn. 32 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 138 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 138).

25

a) Erhöhte Anforderungen an die Darlegungslast sind dabei mit Blick auf § 1 Abs. 2 KSchG dann zu stellen, wenn der Arbeitgeber das Anforderungsprofil für Arbeitsplätze ändert, die bereits mit langjährig beschäftigten Arbeitnehmern besetzt sind. Der Arbeitgeber kann nicht unter Berufung auf eine gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbare Unternehmerentscheidung den Kündigungsschutz des betreffenden Arbeitnehmers dadurch umgehen, dass er in sachlich nicht gebotener Weise die Anforderungen an die Kenntnisse des Arbeitsplatzinhabers verschärft (BAG 10. Juli 2008 - 2 AZR 1111/06 - Rn. 26, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 181 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 163; 7. Juli 2005 - 2 AZR 399/04 - Rn. 33, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 138 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 138).

26

b) Der Arbeitgeber muss deshalb, will er dem Vorwurf des Missbrauchs entgehen, dartun, dass es sich bei der zusätzlich geforderten Qualifikation für die Ausführung der Tätigkeit nicht nur um eine „wünschenswerte Voraussetzung”, sondern um ein sachlich gebotenes, arbeitsplatzbezogenes Kriterium für das Stellenprofil handelt (BAG 10. Juli 2008 - 2 AZR 1111/06 - Rn. 26, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 181 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 163; 24. Juni 2004 - 2 AZR 326/03 - zu B II 2 a der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Nr. 76 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 132). Die Änderung des Anforderungsprofils muss im Zusammenhang mit einer organisatorischen Maßnahme des Arbeitgebers stehen, die nach ihrer Durchführung angesichts eines veränderten Beschäftigungsbedarfs - etwa aufgrund von Änderungen des Arbeitsvolumens oder des Inhalts der Tätigkeit - auch die Anforderungen an den Arbeitsplatzinhaber erfasst (BAG 10. Juli 2008 - 2 AZR 1111/06 - Rn. 31, aaO). Gestaltet der Arbeitgeber lediglich Arbeitsabläufe um, ohne dass sich die Tätigkeit inhaltlich ändert, und ist der bisherige Stelleninhaber aufgrund seiner Fähigkeiten und Ausbildung in der Lage, die künftig anfallenden Arbeiten zu verrichten, so ist eine auf betriebliche Gründe gestützte Kündigung selbst dann nicht sozial gerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber die Änderungen zum Anlass nimmt, die Stelle in eine „Beförderungsstelle“ umzuwandeln (ähnlich BAG 10. November 1994 - 2 AZR 242/94 - zu B I 2 der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 65 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 77). Das gleiche gilt, wenn der Arbeitgeber die auf dem Arbeitsplatz bislang zu verrichtende Tätigkeit um zusätzliche Aufgaben erweitert, der dadurch veränderte Arbeitsplatz aber nach Bedeutung und Verantwortung nicht um so viel anspruchsvoller ist, dass insgesamt ein anderer Arbeitsbereich entstanden wäre (BAG 30. August 1995 - 1 ABR 11/95 - zu A II 3 b bb der Gründe, AP BetrVG 1972 § 99 Versetzung Nr. 5 = EzA BetrVG 1972 § 99 Nr. 130).

27

4. Daran gemessen hat das Landesarbeitsgericht an die Darlegungslast der Beklagten zu Recht erhöhte Anforderungen gestellt. Dabei macht es keinen Unterschied, ob sich die behauptete Umstrukturierung als Umgestaltung des bisherigen Arbeitsplatzes des Klägers oder als Abbau dieser Stelle bei gleichzeitiger Einrichtung eines neuen, als Beförderungsstelle zu qualifizierenden Arbeitsplatzes darstellt. In beiden Fällen liegt die Organisationsentscheidung nahe am Kündigungsentschluss. Hinzu kommt, dass nach dem eigenen Vorbringen der Beklagten die bisherigen Aufgaben des Klägers weiterhin anfallen. Die Beklagte musste deshalb zum einen aufzeigen, dass durch die behauptete Bündelung von Funktionen und Zuständigkeiten auf der Leitungsebene tatsächlich ein anderer Arbeitsbereich entstanden ist. Zum anderen war sie gehalten, ihren Entschluss zur Umverteilung der anfallenden Tätigkeiten hinsichtlich seiner Durchführbarkeit und Nachhaltigkeit durch konkreten Tatsachenvortrag zu verdeutlichen.

28

5. Dem wird das Vorbringen der Beklagten nicht gerecht. Sie hat nicht nachvollziehbar dargelegt, dass zum Zeitpunkt der Kündigung die Prognose gerechtfertigt war, die Hälfte der bisherigen Arbeitsaufgaben des Klägers könnten von dem ihm bislang nachgeordneten Personal im Rahmen regulärer zeitlicher Verpflichtungen erledigt werden. Bereits dies führt zur Unwirksamkeit der Kündigung.

29

a) Die Beklagte hat durchaus im Einzelnen vorgetragen, welche konkreten Aufgaben aus den Bereichen „Betriebsleitung GUR“ und „Standortleitung“ in welchem zeitlichen Umfang künftig durch Frau K und weitere sieben namentlich benannte Arbeitnehmer übernommen werden sollten. Sie hat es aber versäumt schlüssig darzutun, dass die fraglichen sieben Personen über hinreichend freie Arbeitszeitkapazität verfügten, um das zusätzliche Pensum von täglich bis zu einer Stunde ohne überobligationsmäßige Leistungen zu bewältigen. Sie hat dies lediglich pauschal behauptet ohne aufzuzeigen, worauf sich ihre Einschätzung stützt. Spätestens nachdem der Kläger die mangelnde Schlüssigkeit ihres Vorbringens beanstandet und sich beispielhaft unter Angabe von Beginn und Ende täglicher Arbeitszeiten darauf berufen hatte, zwei der betroffenen Mitarbeiter seien bereits in der Zeit vor seiner Freistellung voll ausgelastet gewesen, hätte die Beklagte ihren Vortrag im Rahmen der abgestuften Darlegungslast substantiieren müssen. Das ist nicht geschehen. Sie hat nur ihren nicht weiter einlassungsfähigen Vortrag wiederholt, einer der Genannten sei „genau wie alle anderen Mitarbeiter in der Lage, die ihm übertragenen Aufgaben ohne überobligatorische Verpflichtung zu übernehmen“, die Arbeitszeit eines anderen werde vom Kläger unzutreffend dargestellt. Stattdessen hätte sie, um ihrer Vortragslast zu genügen, die zutreffenden Arbeitszeiten der fraglichen Mitarbeiter nebst der Möglichkeit, „freie“ Kapazitäten für die Übertragung weiterer Arbeiten zu nutzen, darstellen müssen.

30

b) Eine Konkretisierung ihres Vorbringens war auch dann nicht entbehrlich, wenn es sich - wie die Beklagte geltend macht - bei den fraglichen Arbeitnehmern um „leitende Angestellte“ oder zumindest außertariflich vergütete Arbeitnehmer handeln sollte. Aus beidem folgt nicht, dass mit diesen keine vertraglichen Vereinbarungen hinsichtlich des Umfangs der zu leistenden Arbeitszeit bestanden. Im Übrigen unterliegen auch sog. AT-Mitarbeiter den Grenzen des Arbeitszeitgesetzes und nimmt nach § 18 Abs. 1 Nr. 1 ArbZG nur leitende Angestellte iSv. § 5 Abs. 3 BetrVG aus seinem Anwendungsbereich aus(vgl. BAG 6. Mai 2003 - 1 ABR 13/02 - zu B II 2 b aa der Gründe, BAGE 106, 111). Inwieweit diese Voraussetzungen bei einzelnen Arbeitnehmern erfüllt sind, ist dem Vorbringen der Beklagten nicht zu entnehmen.

31

c) In welcher Weise ein Arbeitgeber darlegt, dass die Umverteilung von Arbeitsaufgaben nicht zu einer überobligatorischen Beanspruchung im Betrieb verbliebener Arbeitnehmer führt, bleibt ihm überlassen. Handelt es sich um nicht taktgebundene Arbeiten, muss nicht in jedem Fall und minutiös dargelegt werden, welche einzelnen Tätigkeiten die fraglichen Mitarbeiter künftig mit welchen Zeitanteilen täglich zu verrichten haben. Es kann ausreichend sein, wenn der Arbeitgeber die getroffenen Vereinbarungen zu Umfang und Verteilung der Arbeitszeit darstellt und Anhaltspunkte dafür darlegt, dass Freiräume für die Übernahme zusätzlicher Aufgaben vorhanden sind. Im Streitfall hat die Beklagte auch dies unterlassen. Soweit das Landesarbeitsgericht noch strengere Anforderungen an ihr Vorbringen gestellt hat, wirkt sich dies im Ergebnis nicht aus.

32

d) Die Rüge der Beklagten, das Landesarbeitsgericht habe sie auf die Mängel in ihrem Vortrag hinweisen müssen, ist unberechtigt.

33

aa) Ein Verstoß gegen die richterliche Hinweispflicht (§ 139 ZPO) liegt schon deshalb nicht vor, weil die Beklagte darauf durch die erstinstanzliche Entscheidung und die Ausführungen der Gegenseite aufmerksam gemacht wurde (vgl. BGH 23. April 2009 - IX ZR 95/06 - Rn. 6 mwN, NJW-RR 2010, 70). Das Arbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage mit der Begründung stattgegeben, die Beklagte sei ihrer Darlegungslast nicht nachgekommen. Sie habe es ua. versäumt deutlich zu machen, in welchem Umfang die anderen Mitarbeiter, auf die nunmehr neue Aufgaben zukämen, bisher ausgelastet gewesen seien und warum sie in der Lage sein sollten, die neuen Arbeitsaufgaben ohne überobligatorischen Aufwand zu bewältigen. Dies hat der Kläger aufgegriffen und geltend gemacht, das Vorbringen der Beklagten in ihrer Berufungsbegründung sei „immer noch“ unsubstantiiert. Überdies stützen sich die Entscheidungen der Vorinstanzen insoweit auf die ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts. Die Beklagte war daher auch ohne richterlichen Hinweis gehalten, deutlich konkreter vorzutragen.

34

bb) Ob der im Rahmen der Revision nachgeholte Vortrag den Anforderungen an eine substantiierte Darlegung entspricht, kann dahinstehen. Allerdings handelt es sich bei der Vereinbarung einer „Vertrauensarbeitszeit“, auf die die Beklagte hinsichtlich einzelner Arbeitnehmer verweist, typischerweise um ein Arbeitszeitmodell, bei dem der Arbeitgeber lediglich auf die Festlegung von Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit verzichtet und darauf vertraut, dass die Arbeitnehmer ihre Arbeitsverpflichtung auch ohne Kontrolle erfüllen (vgl. BAG 6. Mai 2003 - 1 ABR 13/02 - Rn. 65, BAGE 106, 111; Schaub/Vogelsang ArbR-Hdb. 14. Aufl. § 160 Rn. 33). Aus der Vereinbarung einer „Vertrauensarbeitszeit“ folgt dagegen nicht, dass es an arbeits- oder tarifvertraglichen Vorgaben zur wöchentlichen Arbeitszeit fehlt und die Beklagte über die tatsächlich erbrachte Arbeitszeit hinaus Arbeitsleistungen im Umfang von bis zu einer Stunde täglich verlangen konnte.

35

e) Dringende betriebliche Erfordernisse, die die Kündigung bedingen, hat die Beklagte damit nicht dargelegt. Unerheblich ist, dass das in Rede stehende zu verteilende Arbeitsvolumen - ausgehend vom Vorbringen der Beklagten - lediglich 50 Prozent der bislang dem Kläger zugewiesenen Arbeitsaufgaben umfasst. Auch wenn die Übertragung der anderen 50 Prozent auf Frau K kündigungsrechtlich nicht zu beanstanden sein sollte, hätte die Beklagte dem Kläger zumindest eine Weiterbeschäftigung im entsprechend reduzierten Umfang anbieten müssen. Dafür, dass ein solches Angebot wegen „Unannehmbarkeit“ hätte unterbleiben können (vgl. dazu BAG 23. Februar 2010 - 2 AZR 656/08 - Rn. 57, BAGE 133, 226; 21. September 2006 - 2 AZR 607/05 - Rn. 34, AP KSchG 1969 § 2 Nr. 130 = EzA KSchG § 2 Nr. 62), fehlt es an Anhaltspunkten. Im Übrigen kann der Vortrag der Beklagten so verstanden werden, dass ihre gesamte Organisationsentscheidung mit der Möglichkeit der Umverteilung von Aufgaben auf nachgeordnete Mitarbeiter „steht und fällt“.

36

III. Der Antrag auf Weiterbeschäftigung bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Feststellungsantrag ist dem Senat nicht angefallen. Der Kündigungsrechtsstreit ist rechtskräftig entschieden. Der Antrag auf Erteilung eines Endzeugnisses ist nur für den Fall des Unterliegens mit dem Feststellungsantrag gestellt. Diese Bedingung ist nicht eingetreten.

37

IV. Die Kosten der Berufungsinstanz und der Revision waren im Verhältnis von jeweiligem Obsiegen und Unterliegen der Parteien zu teilen (§ 97 Abs. 1 iVm. § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

        

    Kreft    

        

    Koch    

        

    Berger    

        

        

        

    Gans    

        

    F. Löllgen    

                 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 16. November 2010 - 16 Sa 411/10 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen betriebsbedingten Kündigung.

2

Der 1954 geborene Kläger ist bei der Beklagten, die mit mehr als 200 Arbeitnehmern Messingprodukte produziert und verarbeitet, seit dem 1. Januar 1998 als „Produktionsmitarbeiter in der Abteilung Rohrlinie“ beschäftigt. Er arbeitete zuletzt in der Funktion eines „Ziehers an einer 15to-Ziehbank/Anfasers/Einteilsägers“ im Bereich Rohrlinie.

3

Anfang 2009 verhandelten die Beklagte und der in ihrem Betrieb gebildete Betriebsrat vor dem Hintergrund eines beabsichtigten Personalabbaus im Umfang von 48 Stellen über einen Interessenausgleich und einen Sozialplan. In einer Absichtserklärung vom 13. Februar 2009 beschrieben die Betriebsparteien bestimmte Maßnahmen als erstrebenswerte Alternativen zu den erwogenen Entlassungen; ua. war die Einführung von Kurzarbeit mit Wirkung zum 1. März 2009 bei einer maximalen Laufzeit von 18 Monaten und verteilt auf jeweils sechs Monate vorgesehen.

4

Am 27. Februar 2009 schlossen die Betriebsparteien mehrere Betriebsvereinbarungen. Mit der Betriebsvereinbarung Nr. 163 wurde in den Produktionsbereichen Gießerei, Rohrlinie und Indirektlinie für die Zeit vom 1. März 2009 bis zum 31. August 2009 Kurzarbeit eingeführt. Der Umfang der in der jeweiligen Abteilung verringerten Wochenarbeitszeit ergab sich aus der Anlage 1 zur Betriebsvereinbarung. Diese sah ua. für die „Rohrlinie und die Zieherei Allgemein“ eine Reduzierung der Arbeitszeit auf 14 Stunden/Woche vor. Mit der Betriebsvereinbarung Nr. 164 verschoben die Betriebsparteien die zweite Stufe einer Tariferhöhung. Mit der Betriebsvereinbarung Nr. 165 führten sie ein Prämienentgelt und eine außertarifliche Leistungszulage ein. Ab dem 1. Mai 2009 sollte für bestimmte Produktionsmitarbeiter, zu denen auch der Kläger gehörte, eine neue Leistungsentgeltstruktur in Form der Entgeltmethode „Prämie“ gelten. Durch die Absenkung der Vergütung für die betroffenen Arbeitnehmer sollte eine Kostenersparnis im Umfang von 22 Produktionsarbeitsplätzen eintreten. Für die bereits Beschäftigten sollte die Anwendung der neuen Entgeltstruktur durch den Abschluss von Änderungsverträgen umgesetzt werden. Ziff. 11 der Betriebsvereinbarung Nr. 165 sah weiter vor, dass die Beklagte gegenüber denjenigen Arbeitnehmern, die das Angebot eines solchen Änderungsvertrags annähmen, bis zur vollständigen Beendigung der in der Produktion durchgeführten Kurzarbeit auf den Ausspruch von ordentlichen betriebsbedingten Kündigungen verzichte. Auf dieser Grundlage bot die Beklagte im März 2009 den in Frage kommenden 127 Arbeitnehmern den Abschluss entsprechender Änderungsverträge an. Das Angebot nahmen 111 Arbeitnehmer an. Der Kläger lehnte es ab.

5

Angesichts weiter rückläufiger Aufträge entschloss sich die Beklagte am 19. Mai 2009, zahlreiche Arbeitsplätze, darunter den eines „Ziehers 15to-Ziehbank/Anfasers/Einteilsägers“, ab 1. Oktober 2009 wegfallen zu lassen. Von der Streichung waren fast ausschließlich Arbeitsplätze von Arbeitnehmern betroffen, die das Angebot auf Abschluss eines Änderungsvertrags abgelehnt hatten.

6

Nach Anhörung des Betriebsrats kündigte die Beklagte mit Schreiben vom 29. Mai 2009 das Arbeitsverhältnis der Parteien zum 30. September 2009.

7

Mit seiner rechtzeitig erhobenen Klage hat sich der Kläger gegen diese Kündigung gewandt und seine vorläufige Weiterbeschäftigung als Produktionsmitarbeiter zu den bisherigen Vertragsbedingungen begehrt. Er hat die Auffassung vertreten, die Entscheidung der Beklagten laufe auf einen bloßen Stellenabbau verbunden mit einer Neuverteilung der bisherigen Tätigkeiten hinaus. Einen dauerhaften Rückgang der Produktion und eine Reduzierung des Arbeitsvolumens habe die Beklagte nicht hinreichend dargelegt. Ein Vergleich der Auftrags- und Arbeitsstundenzahlen von Januar bis Mai 2009 mit den gleichen Monaten des Vorjahrs reiche hierfür nicht aus; nur ein längerer Betrachtungszeitraum könne die Basis für eine nachhaltige Prognose bilden. Zudem habe die Beklagte nicht berücksichtigt, dass ab 1. März 2009 kurzgearbeitet worden sei. Die spätere Entwicklung belege die Fehlerhaftigkeit der Prognose. Die Beklagte habe auch nicht dargelegt, wer welche seiner bisherigen Tätigkeiten in welchem Umfang ohne eine übermäßige dauerhafte Beanspruchung habe übernehmen können. Im Übrigen sei die Sozialauswahl fehlerhaft. Statt seiner hätten andere Arbeitnehmer mit deutlich schlechteren Sozialdaten gekündigt werden müssen. Sie seien mit ihm vergleichbar, selbst wenn deren Kündigung nach der Betriebsvereinbarung Nr. 165 ausgeschlossen sei. Der einzelvertraglich gewährte Sonderkündigungsschutz sei mit ihnen in unzulässiger Weise zu seinen Lasten vereinbart worden. Unter diesem Aspekt stelle sich die Kündigung als eine Maßregelung dar.

8

Der Kläger hat beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung vom 29. Mai 2009 aufgelöst worden ist,

                 

hilfsweise

                 

die Beklagte zu verurteilen, ihn als Produktionsmitarbeiter zu den Bedingungen des am 1. Januar 2009 geschlossenen Arbeitsvertrags wieder einzustellen,

        

2.    

die Beklagte zu verurteilen, ihn bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Kündigungsschutzantrag als Produktionsmitarbeiter weiterzubeschäftigen.

9

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat vorgetragen, Anfang 2009 habe sie geplant, den Personalbestand zu reduzieren, da die Mitarbeiter in der Produktion schon im Jahr 2008 nicht ausgelastet gewesen seien. Zwar habe sie zur Vermeidung dieses Personalabbaus mit dem Betriebsrat die Betriebsvereinbarungen Nr. 163 bis Nr. 165 geschlossen. Zu diesem Zeitpunkt sei der Auftragsbestand aber erst um ca. 25 % geringer gewesen. Nach Einführung der Kurzarbeit habe sich die Auftrags- und Auslastungssituation weiter verschlechtert. Ab der 14. Kalenderwoche 2009 sei die Auslastung auf rund 60 % derjenigen des Vorjahrs zurückgegangen, die (Grundlagen-)Produktion in der Gießerei habe sich im Zeitraum von Januar bis Mai 2009 um etwa 36 % reduziert.

10

Vom Rückgang der Grundlagenproduktion seien sämtliche nachgeordneten Bereiche betroffen gewesen. Sowohl im Bereich Rohrzieherei als auch im Bereich Rohrlinie sei die Arbeitsmenge im Zeitraum von Januar 2009 bis Mai 2009 um 34,5 % zurückgegangen, was einem um etwa 33 % bzw. ca. 30 % (Rohrzieherei) verminderten Arbeitskräftebedarf entspreche. Bei einer durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit von 35 Stunden würden je Arbeitnehmer im Durchschnitt 12,2 Arbeitsstunden wöchentlich nicht mehr benötigt. Zur Sicherung ihrer Wettbewerbsfähigkeit und zur Steigerung der Effizienz habe sie deshalb die Stelle eines „Ziehers 15to-Ziehbank/Anfasers/Einteilsägers“ gestrichen und dessen Arbeit auf - neun namentlich genannte - Mitarbeiter verteilt. Aufgrund des Rückgangs ihrer eigenen Tätigkeiten seien diese Mitarbeiter nicht mehr ausgelastet gewesen und hätten die Aufgabe des Klägers ohne Weiteres mitübernehmen können. Den Rückgang der Arbeitsmenge habe sie im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung als dauerhaft angesehen, Anhaltspunkte für eine Besserung habe es nicht gegeben.

11

Die Sozialauswahl sei zutreffend, da die vom Kläger benannten Mitarbeiter aufgrund ihres Sonderkündigungsschutzes nicht in die Auswahl einzubeziehen gewesen seien.

12

Das Arbeitsgericht hat der Klage in vollem Umfang stattgegeben. Die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.

Entscheidungsgründe

13

Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat rechtsfehlerfrei entschieden, dass die Kündigung der Beklagten vom 29. Mai 2009 das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht beendet hat.

14

I. Die Klage ist begründet. Die Kündigung vom 29. Mai 2009 ist nicht aus dringenden betrieblichen Erfordernissen iSv. § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt.

15

1. Eine Kündigung ist durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt, wenn der Bedarf für eine Weiterbeschäftigung des gekündigten Arbeitnehmers im Betrieb voraussichtlich dauerhaft entfallen ist. Auf der Grundlage der betrieblichen Dispositionen des Arbeitgebers müssen im Tätigkeitsbereich des Gekündigten mehr Arbeitnehmer beschäftigt sein, als zur Erledigung der anfallenden Arbeiten benötigt werden. Dieser Überhang muss auf Dauer zu erwarten sein. Regelmäßig entsteht ein Überhang an Arbeitskräften nicht allein und unmittelbar durch bestimmte wirtschaftliche Entwicklungen (Produktions- oder Umsatzrückgang etc.), sondern aufgrund einer - oftmals durch diese Entwicklungen veranlassten - Organisationsentscheidung des Arbeitgebers (unternehmerische Entscheidung).

16

a) Betriebliche Erfordernisse, die eine Kündigung bedingen, können sich aus außerbetrieblichen Umständen ergeben. Passt der Arbeitgeber im Fall eines Auftragsverlustes oder eines reduzierten Auftragsbestands die Anzahl der benötigten Arbeitnehmer unmittelbar an die verbliebene Arbeitsmenge an, kann sich daraus ein dringendes betriebliches Erfordernis zur Kündigung ergeben, wenn der Arbeitsanfall - dauerhaft - so zurückgegangen ist, dass zukünftig für einen oder mehrere Arbeitnehmer kein Bedürfnis für eine Weiterbeschäftigung mehr besteht (BAG 17. Juni 1999 - 2 AZR 141/99 - BAGE 92, 71 und - 2 AZR 456/98 - BAGE 92, 79). Behauptet der Arbeitgeber, das Bedürfnis für eine Weiterbeschäftigung sei wegen eines solchen Auftragsrückgangs entfallen, kann das Gericht in vollem Umfang nachprüfen, ob die außerbetrieblichen Umstände für die Kündigung zum Zeitpunkt der Kündigung tatsächlich vorlagen und zu einem dauerhaften Rückgang des Beschäftigungsvolumens führen. Dabei reicht ein bloßer Hinweis auf auslaufende Aufträge und das Fehlen von Anschlussaufträgen regelmäßig nicht aus, um einen dauerhaften Wegfall des Beschäftigungsbedürfnisses zu begründen. Der Arbeitgeber muss vielmehr anhand seiner Auftrags- und Personalplanung im Einzelnen darstellen, warum nicht nur eine - kurzfristige - Auftragsschwankung vorliegt, sondern ein dauerhafter Auftragsrückgang zu erwarten ist (BAG 18. Mai 2006 - 2 AZR 412/05 - Rn. 18, AP AÜG § 9 Nr. 7 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 146).

17

b) Ein Rückgang des Arbeitskräftebedarfs kann sich auch daraus ergeben, dass sich eine im Betrieb tatsächlich umgesetzte unternehmerische Organisationsentscheidung auf die Anzahl der verbliebenen Arbeitsplätze auswirkt. Eine unternehmerische Organisationsentscheidung kann etwa in der Bestimmung der Zahl der Belegschaftsmitglieder liegen, mit denen die im Betrieb anfallende Arbeitsmenge erledigt werden soll (vgl. BAG 2. Juni 2005 - 2 AZR 480/04 - mwN, BAGE 115, 92). Unternehmerische Entscheidungen sind von den Gerichten nicht auf ihre sachliche Rechtfertigung oder Zweckmäßigkeit hin zu überprüfen, sondern nur darauf, ob sie offensichtlich unsachlich, unvernünftig oder willkürlich sind (BAG 16. Dezember 2010 - 2 AZR 770/09 - Rn. 13, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 186 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 165; 10. Juli 2008 - 2 AZR 1111/06 - Rn. 24, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 181 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 163). Nachzuprüfen ist aber, ob die fragliche Entscheidung tatsächlich umgesetzt wurde und dadurch das Beschäftigungsbedürfnis für einzelne Arbeitnehmer entfallen ist (BAG 16. Dezember 2010 - 2 AZR 770/09 - Rn. 13, aaO; 10. Juli 2008 - 2 AZR 1111/06 - Rn. 24, aaO).

18

c) Führen die außer- oder innerbetrieblichen Umstände nicht zu einer dauerhaften Reduzierung des Arbeitskräftebedarfs im Betrieb, so besteht kein dringendes betriebliches Erfordernis zur Beendigung eines Arbeitsverhältnisses. Erschöpft sich die unternehmerische Entscheidung des Arbeitgebers im Wesentlichen darin, Personal einzusparen, so ist sie vom Kündigungsentschluss selbst kaum zu unterscheiden. Da die Kündigung nach dem Gesetz an das Vorliegen von Gründen gebunden ist, die außerhalb ihrer selbst liegen, muss der Arbeitgeber in solchen Fällen seine Entscheidung hinsichtlich ihrer organisatorischen Durchführbarkeit und zeitlichen Nachhaltigkeit verdeutlichen. Nur so kann das Gericht prüfen, ob sie missbräuchlich ausgesprochen worden ist (BAG 16. Dezember 2010 - 2 AZR 770/09 - Rn. 14, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 186 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 165; 17. Juni 1999 - 2 AZR 522/98 - BAGE 92, 61). Das wäre der Fall, wenn die Kündigung zu einer rechtswidrigen Überforderung oder Benachteiligung des im Betrieb verbleibenden Personals führte (Rost Jahrbuch des Arbeitsrechts Bd. 39 S. 83) oder die zugrunde liegende unternehmerische Entscheidung lediglich Vorwand dafür wäre, bestimmte Arbeitnehmer aus dem Betrieb zu drängen, obwohl Beschäftigungsbedarf und Beschäftigungsmöglichkeiten objektiv fortbestehen und etwa nur der Inhalt des Arbeitsvertrags als zu belastend angesehen wird (BAG 22. Mai 2003 - 2 AZR 326/02 - AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 128 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 126). Der Arbeitgeber muss deshalb konkret erläutern, in welchem Umfang und aufgrund welcher Maßnahmen die bisher vom gekündigten Arbeitnehmer ausgeübten Tätigkeiten für diesen zukünftig entfallen. Er muss die Auswirkungen seiner unternehmerischen Vorgaben und Planungen auf das erwartete Arbeitsvolumen anhand einer schlüssigen Prognose konkret darstellen und angeben, wie die anfallenden Arbeiten vom verbliebenen Personal ohne überobligationsmäßige Leistungen, dh. im Rahmen ihrer vertraglich geschuldeten regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit, erledigt werden können (BAG 16. Dezember 2010 - 2 AZR 770/09 - Rn. 15, aaO; 13. Februar 2008 - 2 AZR 1041/06 - Rn. 16, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 174 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 158).

19

d) Wird die Kündigung auf eine zu erwartende künftige Entwicklung der betrieblichen Verhältnisse gestützt, braucht diese bei Kündigungsausspruch noch nicht tatsächlich eingetreten zu sein. Es genügt, dass sie sich konkret und greifbar abzeichnet (vgl. BAG 9. September 2010 - 2 AZR 493/09 - AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 185 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 164; 13. Februar 2008 - 2 AZR 79/06 - Rn. 21, 22; 26. Mai 2011 - 8 AZR 37/10 - Rn. 27, EzA BGB 2002 § 613a Nr. 125). Das ist der Fall, wenn im Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung die auf Tatsachen gestützte, vernünftige betriebswirtschaftliche Prognose gerechtfertigt ist, mit Ablauf der Kündigungsfrist werde mit einiger Sicherheit ein die Entlassung erforderlich machender betrieblicher Grund vorliegen (BAG 23. Februar 2010 - 2 AZR 268/08 - Rn. 18, BAGE 133, 240; 27. November 2003 - 2 AZR 48/03 - BAGE 109, 40; 12. April 2002 - 2 AZR 256/01 - zu II 2 a der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 120 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 118). Dabei muss eine der entsprechenden Prognose zugrunde liegende eigene unternehmerische Entscheidung des Arbeitgebers aber bereits im Kündigungszeitpunkt endgültig getroffen worden sein. Andernfalls kann eine zum Wegfall des Arbeitsplatzes führende Entscheidung nicht sicher prognostiziert werden.

20

aa) Der Arbeitgeber hat die Tatsachen näher darzulegen, aus denen sich ergeben soll, dass zukünftig auf Dauer mit einem reduzierten Arbeitsvolumen und Beschäftigungsbedarf zu rechnen ist. Das Vorliegen von möglicherweise nur kurzfristigen Produktions- oder Auftragsschwankungen muss ausgeschlossen sein (BAG 18. Mai 2006 - 2 AZR 412/05 - Rn. 18, AP AÜG § 9 Nr. 7 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 146). Dem muss der Inhalt und die Substanz des Sachvortrags Rechnung tragen. Der Arbeitgeber hat den dauerhaften Rückgang des Arbeitsvolumens nachvollziehbar darzustellen, indem er die einschlägigen Daten aus repräsentativen Referenzperioden miteinander vergleicht (BAG 18. Mai 2006 - 2 AZR 412/05 - Rn. 17, aaO).

21

bb) Für die Zukunftsprognose ist auch von Bedeutung, ob die Kündigung im zeitlichen Zusammenhang mit einer vereinbarten oder prognostizierten Kurzarbeit erfolgt. Wird Kurzarbeit geleistet, so spricht dies dafür, dass die Betriebsparteien nur von einem vorübergehenden Arbeitsmangel und nicht von einem dauerhaft gesunkenen Beschäftigungsbedarf ausgehen. Ein nur vorübergehender Arbeitsmangel wiederum kann eine betriebsbedingte Kündigung nicht rechtfertigen. Dieses aus der Kurzarbeit folgende Indiz kann der Arbeitgeber durch konkreten Sachvortrag entkräften (BAG 26. Juni 1997 - 2 AZR 494/96 - AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 86 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 93). Entfällt die Beschäftigungsmöglichkeit für einzelne von der Kurzarbeit betroffene Arbeitnehmer aufgrund später eingetretener weiterer Umstände oder veränderter wirtschaftlicher und/oder organisatorischer Rahmenbedingungen auf Dauer, so kann trotz der Kurzarbeit ein dringendes betriebliches Erfordernis für eine Kündigung bestehen (BAG 26. Juni 1997 - 2 AZR 494/96 - aaO).

22

Da die betrieblichen Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des gekündigten Arbeitnehmers entgegenstehen, dringend sein müssen, die Kündigung im Interesse des Betriebs also unvermeidbar sein muss, hat der Arbeitgeber zuvor alle Möglichkeiten auszuschöpfen, die mit dem Ziel geschaffen worden sind und bestehen, durch eine Flexibilisierung der Arbeitszeit betriebsbedingte Kündigungen in Zeiten geringeren Arbeitsanfalls zu vermeiden (BAG 8. November 2007 - 2 AZR 418/06 - Rn. 16, EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 157, zur Inanspruchnahme von Arbeitszeitkonten). Haben die Betriebsparteien durch die Einführung von Kurzarbeit den Umfang der vertraglich geschuldeten Arbeitszeit auf ein Niveau abgesenkt, dass den Ausspruch betriebsbedingter Kündigungen gerade überflüssig macht, so kann ein dringendes betriebliches Kündigungserfordernis regelmäßig erst dann angenommen werden, wenn der Arbeitgeber die Möglichkeit zur Arbeitszeitreduzierung voll ausgeschöpft hat und gleichwohl noch ein Beschäftigungsüberhang besteht (vgl. BAG 8. November 2007 - 2 AZR 418/06 - aaO).

23

2. Unter Beachtung der vorstehenden Grundsätze hält die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, die Beklagte habe für die Zeit nach Ablauf der Kündigungsfrist keine dringenden betrieblichen Erfordernisse iSd. § 1 Abs. 2 KSchG dargelegt, der revisionsrechtlichen Überprüfung stand. Bei Ausspruch der Kündigung war die Prognose noch nicht sicher gerechtfertigt, der Bedarf für eine Weiterbeschäftigung des Klägers sei zum 1. Oktober 2009 auf Dauer entfallen. Das hat das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt. Einen revisionsrechtlich relevanten Fehler im Zusammenhang mit dieser Würdigung hat die Beklagte nicht aufgezeigt.

24

a) Aus dem Vortrag der Beklagten lässt sich - auch unter Berücksichtigung ihres Vorbringens in der Revisionsbegründung - nicht hinreichend konkret entnehmen, dass ein dringendes betriebliches Erfordernis zur Kündigung des Klägers vorgelegen hat. Ihr Entschluss, die Stelle eines „Ziehers 15to-Ziehbank/Anfasers/Einteilsägers“ zu streichen und dessen Tätigkeiten auf mehrere Mitarbeiter der Rohrzieherei zu verteilen, lag nahe an der Kündigungsentscheidung. Die Beklagte musste demnach die Möglichkeit, ihre Organisationsentscheidung tatsächlich umzusetzen, näher erläutern.

25

b) Die Beklagte hat nicht dargetan, dass zum Zeitpunkt der Kündigung die Prognose gerechtfertigt war, die bisher vom Kläger ausgeübten Tätigkeiten könnten von den verbliebenen Mitarbeitern ab dem 1. Oktober 2009 im Rahmen ihrer normalen Verpflichtungen (mit-)übernommen werden. Sie hat zwar das vom Kläger und den fraglichen neun Mitarbeitern zum Kündigungszeitpunkt zu erledigende Arbeitsvolumen dargestellt. Danach waren sie in der Phase der Kurzarbeit bezogen auf ihre vertraglich geschuldete Arbeitszeit sämtlich nicht voll ausgelastet. Das Landesarbeitsgericht hat aber zu Recht darauf hingewiesen, dass die Beklagte zur Dauerhaftigkeit und Nachhaltigkeit eines nur geringeren - und damit auf andere Arbeitnehmer aufteilbaren - Arbeitsvolumens des Klägers nicht hinreichend vorgetragen hat. Sie hat sich auf den pauschalen Vortrag beschränkt, das Volumen habe sich zum 30. September 2009 dauerhaft reduziert, Anhaltspunkte für eine Besserung habe sie zum Zeitpunkt der Kündigung nicht gehabt, auch seien keine Überstunden geleistet worden. Damit hat sie ihrer Darlegungslast nicht genügt. Bestimmte Tatsachen, aus denen zu schließen wäre, der mögliche Rückgang der Arbeitsmenge im Kündigungszeitpunkt sei als dauerhaft anzusehen, hat sie auf diese Weise nicht behauptet. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass es sich bei diesem Rückgang nur um einen kurzzeitigen, nicht nachhaltigen Trend gehandelt hat. Aus dem Rückgang der Produktion in den ersten Monaten des Jahres 2009 im Vergleich zum selben Zeitraum im Jahr 2008 lässt sich nicht hinreichend sicher folgern, diese Entwicklung werde sich auch im weiteren Verlauf des Jahres fortsetzen. Hierzu hätte es eines näher substantiierten, detaillierten Vortrags bedurft, dem beispielsweise die üblichen Auftragseingangszahlen und Bearbeitungsabläufe aus den Vorjahren zu entnehmen gewesen wären. So kann sich die Situation bei kurzfristig erfolgenden Auftragsabrufen anders darstellen als bei langfristigen und planbaren Auftragserteilungen.

26

c) Zudem bleibt unklar, ob sich selbst bei Ausschöpfung der vereinbarten Optionen für Kurzarbeit das Arbeitsvolumen so verringert hat, dass ein dringendes Erfordernis für eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger bestand. Immerhin erlaubten es die Betriebsvereinbarung Nr. 163 und ihre Ergänzungen der Beklagten, die wöchentlich geschuldete Arbeitszeit der Mitarbeiter auf 14 Stunden abzusenken. Im Streitfall geht es deshalb nicht darum, ob der Arbeitgeber rechtlich gezwungen sein kann, vor dem Ausspruch der Kündigung die Einführung von Kurzarbeit zu betreiben. Hier besaß die Beklagte vielmehr bei Ausspruch der Kündigung bereits die Möglichkeit, die Arbeitszeit der Mitarbeiter rechtswirksam bis auf 14 Wochenstunden zu reduzieren. Von ihr hatte sie wegen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes Gebrauch zu machen. Dass auch dann noch ein Arbeitskräfteüberhang bestanden hätte, ergibt sich aus ihrem Vortrag nicht. Auch hat sie nicht dargelegt, dass die fraglichen neun Arbeitnehmer ausgehend von einem durch Kurzarbeit absenkbaren Arbeitszeitumfang überhaupt in der Lage gewesen wären, die verbliebenen Tätigkeiten des Klägers ohne Überschreitung dieses Zeitumfangs mitzuerledigen.

27

d) Schließlich ist offen, ob im umgekehrten Fall - bei Aufhebung der Kurzarbeit - die fraglichen neun Mitarbeiter die Arbeiten des Klägers weiterhin ohne überobligationsmäßige Zusatzleistungen würden übernehmen können. Die Betriebsparteien gingen, wie die Betriebsvereinbarung Nr. 163 und ihre Ergänzungen zeigen, von einer vorübergehenden, 18-monatigen Reduzierung des Beschäftigungsbedarfs aus. Dies spricht dafür, dass sie erwarteten, das frühere oder zumindest ein deutlich höheres Arbeitsvolumen als in den ersten Monaten des Jahres 2009 würde in absehbarer Zeit wieder erreicht.

28

II. Da die Kündigung vom 29. Mai 2009 das Arbeitsverhältnis des Klägers wegen Fehlens dringender betrieblicher Erfordernisse iSv. § 1 Abs. 2 KSchG nicht rechtswirksam beendet hat, bedurfte es keiner Auseinandersetzung mit der Frage, ob die Sozialauswahl fehlerhaft iSv. § 1 Abs. 3 KSchG und die Kündigung eine unzulässige Maßregelung war.

29

III. Der Antrag auf Weiterbeschäftigung bis zur rechtskräftigen Entscheidung über das Feststellungsbegehren ist dem Senat nicht mehr angefallen. Der Kündigungsrechtsstreit ist rechtskräftig entschieden.

30

IV. Die Beklagte hat die Kosten ihrer erfolglosen Revision gemäß § 97 Abs. 1 ZPO zu tragen.

        

    Kreft    

        

    Berger    

        

    Eylert    

        

        

        

    A. Claes    

        

    Wolf    

                 

(1) Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses gegenüber einem Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis in demselben Betrieb oder Unternehmen ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestanden hat, ist rechtsunwirksam, wenn sie sozial ungerechtfertigt ist.

(2) Sozial ungerechtfertigt ist die Kündigung, wenn sie nicht durch Gründe, die in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, oder durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist. Die Kündigung ist auch sozial ungerechtfertigt, wenn

1.
in Betrieben des privaten Rechts
a)
die Kündigung gegen eine Richtlinie nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes verstößt,
b)
der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in demselben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden kann
und der Betriebsrat oder eine andere nach dem Betriebsverfassungsgesetz insoweit zuständige Vertretung der Arbeitnehmer aus einem dieser Gründe der Kündigung innerhalb der Frist des § 102 Abs. 2 Satz 1 des Betriebsverfassungsgesetzes schriftlich widersprochen hat,
2.
in Betrieben und Verwaltungen des öffentlichen Rechts
a)
die Kündigung gegen eine Richtlinie über die personelle Auswahl bei Kündigungen verstößt,
b)
der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in derselben Dienststelle oder in einer anderen Dienststelle desselben Verwaltungszweigs an demselben Dienstort einschließlich seines Einzugsgebiets weiterbeschäftigt werden kann
und die zuständige Personalvertretung aus einem dieser Gründe fristgerecht gegen die Kündigung Einwendungen erhoben hat, es sei denn, daß die Stufenvertretung in der Verhandlung mit der übergeordneten Dienststelle die Einwendungen nicht aufrechterhalten hat.
Satz 2 gilt entsprechend, wenn die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nach zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen oder eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers unter geänderten Arbeitsbedingungen möglich ist und der Arbeitnehmer sein Einverständnis hiermit erklärt hat. Der Arbeitgeber hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung bedingen.

(3) Ist einem Arbeitnehmer aus dringenden betrieblichen Erfordernissen im Sinne des Absatzes 2 gekündigt worden, so ist die Kündigung trotzdem sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat; auf Verlangen des Arbeitnehmers hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Gründe anzugeben, die zu der getroffenen sozialen Auswahl geführt haben. In die soziale Auswahl nach Satz 1 sind Arbeitnehmer nicht einzubeziehen, deren Weiterbeschäftigung, insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebes, im berechtigten betrieblichen Interesse liegt. Der Arbeitnehmer hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung als sozial ungerechtfertigt im Sinne des Satzes 1 erscheinen lassen.

(4) Ist in einem Tarifvertrag, in einer Betriebsvereinbarung nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes oder in einer entsprechenden Richtlinie nach den Personalvertretungsgesetzen festgelegt, wie die sozialen Gesichtspunkte nach Absatz 3 Satz 1 im Verhältnis zueinander zu bewerten sind, so kann die Bewertung nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden.

(5) Sind bei einer Kündigung auf Grund einer Betriebsänderung nach § 111 des Betriebsverfassungsgesetzes die Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll, in einem Interessenausgleich zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat namentlich bezeichnet, so wird vermutet, dass die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne des Absatzes 2 bedingt ist. Die soziale Auswahl der Arbeitnehmer kann nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht, soweit sich die Sachlage nach Zustandekommen des Interessenausgleichs wesentlich geändert hat. Der Interessenausgleich nach Satz 1 ersetzt die Stellungnahme des Betriebsrates nach § 17 Abs. 3 Satz 2.

Tenor

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 2. Dezember 2010 - 11 Sa 649/10 - im Kostenausspruch und insoweit aufgehoben, wie es die Beklagte zur Zahlung von 16.854,00 Euro brutto nebst Zinsen verurteilt hat.

2. Die Anschlussberufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Oberhausen vom 24. März 2010 - 1 Ca 2392/09 - wird als unzulässig verworfen.

3. Die weitergehende Revision der Beklagten wird zurückgewiesen.

4. Die Kosten der Berufungsinstanz haben der Kläger zu 1/6, die Beklagte zu 5/6 und die Kosten der Revision haben der Kläger zu 1/5, die Beklagte zu 4/5 zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen, auf betriebsbedingte Gründe gestützten Kündigung und damit in Zusammenhang stehende Ansprüche.

2

Die Beklagte ist ein Tochterunternehmen eines amerikanischen Konzerns. Sie hat in Deutschland drei Produktionsstätten. In ihrem Werk O beschäftigte sie regelmäßig etwa 85 Arbeitnehmer.

3

Der im August 1954 geborene Kläger ist promovierter Chemiker und seit April 1986 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin beschäftigt. Seit Dezember 2006 ist er als „Betriebsleiter GUR“ Leiter der Kunststoffgranulat-Produktion in O. Anfang Februar 2007 wurde ihm zusätzlich die Leitung des gesamten Standorts übertragen. Laut § 1 des im Juni/Juli 2004 geschlossenen Anstellungsvertrags sieht ihn die Beklagte als leitenden Angestellten iSv. § 5 Abs. 3 BetrVG an. Seine Vergütung richtete sich nach einem unternehmensweit angewandten „Vertragsstufensystem für leitende Angestellte“. Danach bezog er ein Bruttomonatsgehalt von etwa 9.860,00 Euro, das sich aus einem Fixum und Bonuszahlungen zusammensetzte.

4

Im August 2009 stellte die Beklagte den Kläger unter Berufung auf anstehende seinen Arbeitsplatz betreffende Veränderungen von seiner Verpflichtung zur Arbeitsleistung frei. Mit Schreiben vom 24. September 2009 kündigte sie das Arbeitsverhältnis der Parteien ordentlich zum 30. April 2010, „vorsorglich ... zum zulässigen Termin“. Der „vorsorglich“ zur Kündigung angehörte Betriebsrat des Werks O hatte der Kündigung mit der Begründung widersprochen, die Beschäftigungsmöglichkeiten für den Kläger seien nicht weggefallen.

5

Der Kläger hat gegen die Kündigung rechtzeitig die vorliegende Klage erhoben. Er hat die Auffassung vertreten, ein dringendes betriebliches Erfordernis für eine Kündigung liege nicht vor. Sein Arbeitsplatz sei bei im Wesentlichen gleich gebliebenen Aufgaben lediglich neu besetzt worden. Eine Verlagerung bisher durch ihn erledigter Aufgaben auf andere in O beschäftigte Arbeitnehmer sei nicht ohne deren überobligatorische Inanspruchnahme möglich gewesen. Auch habe die Möglichkeit bestanden, ihn auf dem frei gewordenen Arbeitsplatz des „Forschungsleiters“ weiter zu beschäftigen.

6

Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 24. September 2009 nicht aufgelöst worden ist;

        

2.    

für den Fall des Obsiegens mit dem Antrag zu 1. die Beklagte zu verurteilen, ihn bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens zu unveränderten Arbeitsbedingungen weiter zu beschäftigen;

        

3.    

für den Fall des Obsiegens mit dem Antrag zu 1. die Beklagte zu verurteilen, ihm ein wohlwollendes Zwischenzeugnis zu erteilen, das sich auf Führung und Leistung erstreckt;

        

4.    

für den Fall der Abweisung des Antrags zu 1. die Beklagte zu verurteilen, ihm ein „endgültiges“ wohlwollendes Zeugnis zu erteilen, das sich auf Führung und Leistung erstreckt.

7

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat behauptet, im September 2009 sei auf Konzernebene die - anschließend durch ihren Geschäftsführer umgesetzte - unternehmerische Entscheidung getroffen worden, Produktionsstandorte zusammenzulegen sowie Funktionen und Zuständigkeiten zu bündeln. In diesem Zusammenhang sei die globale Verantwortlichkeit für die Prozessentwicklung und das Qualitätsmanagement in O angesiedelt worden. An diese Funktion habe sie die Hälfte der bisher vom Kläger wahrgenommenen Leitungsaufgaben „angekoppelt“; die Stelle habe sie mit Frau K besetzt, die zuvor Geschäftsführerin eines anderen Konzernunternehmens gewesen sei. Die andere Hälfte der Tätigkeiten habe sie auf insgesamt sieben, dem Kläger bisher nachgeordnete Arbeitnehmer verteilt, die auch in der Lage seien, das zusätzliche Pensum zu bewältigen. Der Kläger sei fachlich nicht in der Lage, die neu zugeschnittene Leitungsstelle auszufüllen. Er verfüge, anders als Frau K, die neben ihrem Chemie- ein Ingenieurstudium absolviert habe, nicht über die erforderlichen Kenntnisse und die notwendige Berufserfahrung auf dem Gebiet der Prozessentwicklung und des Qualitätsmanagements. Außerdem sei die Stelle mit einem Aufgaben- und Kompetenzzuwachs verbunden, der sich in veränderten Berichtspflichten unmittelbar gegenüber dem Management der Beklagten und der Zuordnung des Arbeitsplatzes zu einem höheren „Gehaltslevel“ ausdrücke. Zur Weiterbeschäftigung des Klägers auf einer solchen „Beförderungsstelle“ sei sie nicht verpflichtet.

8

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Dagegen hat die Beklagte Berufung eingelegt. Der Kläger hat in der Berufungsinstanz zusätzlich beantragt, an ihn 16.854,00 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten aus jeweils 8.427,00 Euro brutto seit dem 1. November 2010 und seit dem 1. Dezember 2010 zu zahlen. Er hat die Auffassung vertreten, das damit geforderte Gehalt für die Monate Oktober und November 2010 stehe ihm unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs zu. Die Beklagte hat gerügt, die Klageerweiterung sei unzulässig. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und diese zur Gehaltszahlung in beantragter Höhe verurteilt. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Begehren weiter, die Klage - ausgenommen den Anspruch auf Erteilung eines Zwischenzeugnisses - abzuweisen.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Revision ist begründet, soweit die Beklagte ihre Verurteilung zur Zahlung von Vergütung für die Monate Oktober und November 2010 angreift (I.). Im Übrigen bleibt die Revision ohne Erfolg. Die Kündigung vom 24. September 2009 ist unwirksam und hat das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgelöst (II.). Die (Hilfs-)Anträge auf vorläufige Weiterbeschäftigung und auf Erteilung eines Endzeugnisses sind dem Senat nicht zur Entscheidung angefallen (III.).

10

I. Mit Erfolg wendet sich die Beklagte gegen ihre Verurteilung zur Gehaltszahlung, die der Kläger erstmals in der Berufungsinstanz geltend gemacht hat. Die Revision ist insoweit aus prozessualen Gründen erfolgreich. Bei der Klageerweiterung handelt es sich um eine nach § 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO iVm. § 64 Abs. 6 Satz 1, § 66 Abs. 1 Satz 3 ArbGG verspätete und deshalb unzulässige Anschlussberufung. Das hat das Revisionsgericht von Amts wegen zu prüfen (BGH 24. Oktober 2007 - IV ZR 12/07 - Rn. 7, MDR 2008, 159).

11

1. Dem Kläger stand für eine Erweiterung der Klage im Berufungsrechtszug nur der Weg der Anschlussberufung zur Verfügung. Als solche ist sein Zahlungsbegehren deshalb zu behandeln; einer ausdrücklichen Bezeichnung als Anschlussberufung bedarf es dazu nicht (BAG 28. Juni 2011 - 3 AZR 282/09 - Rn. 20, EzA BetrAVG § 16 Nr. 59; 30. Mai 2006 - 1 AZR 111/05 - Rn. 42, BAGE 118, 211). Es genügt, dass schriftsätzlich klar und deutlich der Wille zum Ausdruck gebracht wird, eine Änderung des vorinstanzlichen Urteils auch als Rechtsmittelbeklagter zu erreichen. Dazu reicht es, dass der Rechtsmittelbeklagte die Klage - wie im Streitfall mit Schriftsatz vom 19. November 2010 geschehen - erweitert. Einer Beschwer bedarf es für die Anschlussberufung grundsätzlich nicht (vgl. BAG 10. Februar 2009 - 3 AZR 728/07 - Rn. 11, AE 2009, 331).

12

2. Nach § 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO iVm. § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG ist eine Anschlussberufung zulässig bis zum Ablauf der dem Berufungsbeklagten gesetzten Frist zur Berufungserwiderung. Im arbeitsgerichtlichen Verfahren wird zwar - anders als nach § 521 Abs. 2 Satz 1 ZPO - dem Berufungsbeklagten vom Gericht keine Frist zur Berufungserwiderung „gesetzt“; vielmehr gilt für die Berufungsbeantwortung die durch § 66 Abs. 1 Satz 3 ArbGG bestimmte gesetzliche Frist von einem Monat. Gleichwohl ist § 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO gemäß § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG im Berufungsverfahren vor den Landesarbeitsgerichten entsprechend anwendbar. Eine Anschlussberufung, die nicht innerhalb eines Monats nach Zustellung der Berufungsbegründung - bei Verlängerung der Berufungsbeantwortungsfrist nach § 66 Abs. 1 Satz 5 ArbGG innerhalb der dann geltenden Frist(vgl. GK-ArbGG/Vossen Stand April 2012 § 64 Rn. 105; GMP/Germelmann ArbGG 7. Aufl. § 64 Rn. 106) - eingeht, ist entsprechend § 522 Abs. 1 ZPO als unzulässig zu verwerfen(BAG 30. Mai 2006 - 1 AZR 111/05 - Rn. 45, BAGE 118, 211).

13

3. Danach war die Anschlussberufung des Klägers verspätet.

14

a) Der betreffende Schriftsatz ist am 22. November 2010 beim Landesarbeitsgericht eingegangen. Zu diesem Zeitpunkt war seit der am 26. Juli 2010 bewirkten Zustellung der Berufungsbegründung weit mehr als ein Monat vergangen. Die Frist zur Berufungsbeantwortung war nicht verlängert worden. Ein Fall des § 524 Abs. 2 Satz 3 ZPO liegt nicht vor.

15

b) Die Frist zur Berufungsbeantwortung ist ordnungsgemäß in Lauf gesetzt worden. Insbesondere ist der nach § 66 Abs. 1 Satz 4 ArbGG gebotene Hinweis erfolgt. Dies konnte der Senat selbst im Wege des Freibeweises klären (vgl. BAG 18. Januar 2012 - 7 AZR 211/09 - Rn. 17, NZA 2012, 691).

16

aa) Die Verwerfung der Anschlussberufung wegen Fristversäumnis setzt voraus, dass der Berufungsgegner mit der Zustellung der Berufungsbegründung gemäß § 66 Abs. 1 Satz 4 ArbGG auf die gesetzliche Verpflichtung hingewiesen wurde, die Berufung binnen eines Monats nach Zustellung der Berufungsbegründung zu beantworten. Fehlt es an einem solchen Hinweis, wird weder die Frist zur Berufungsbeantwortung noch die zur Einlegung der Anschlussberufung in Lauf gesetzt (BA G 30. Mai 2006 - 1 AZR 111/05 - Rn. 45, BAGE 118, 211).

17

bb) Der Klägervertreter hat mit Empfangsbekenntnis vom 26. Juli 2010 den Erhalt der Berufungsbegründung bestätigt. Laut Empfangsbekenntnis ist ihm neben der Berufungsbegründung ein „Hinweis gemäß § 66 Abs. 1 Satz 3 ArbGG“ zugestellt worden. Dies bezieht sich auf ein zugleich übermitteltes, vom Kläger in Kopie zur Senatsakte gereichtes gerichtliches Begleitschreiben vom 16. Juli 2010, das - auszugsweise - wie folgt lautet:

        

„Gemäß § 66 Abs. 1 Satz 3 Arbeitsgerichtsgesetzmuss die Berufung innerhalb einer Frist von einem Monat nach Zustellung anliegender Berufungsbegründung b e a n t w o r t e t werden.

                 
        

Werden Angriffs- oder Verteidigungsmittel in der Berufungsbeantwortung nicht rechtzeitig vorgebracht, so lässt sie das Gericht nur zu, wenn nach seiner freien Überzeugung ihre Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits nicht verzögern würde oder die Verspätung genügend entschuldigt wird.“

18

cc) Dieser Hinweis war mit Blick auf die Anschlussberufung ausreichend. Insoweit geht es vor allem um die Klarstellung, zu welchem Zeitpunkt die Frist des § 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO iVm. § 66 Abs. 1 Satz 3 ArbGG in Gang gesetzt worden ist. Über die Möglichkeit der Anschließung als solche braucht hingegen nicht belehrt zu werden. Ob das gerichtliche Schreiben eine hinreichende Belehrung über die Präklusionsvorschrift des § 67 ArbGG und mögliche Folgen aus einer Versäumung der Beantwortungsfrist enthält, kann offenbleiben. Auf die Präklusionsregelung kommt es für die Frage, ob die Anschlussberufung frist- und formgerecht erhoben worden ist, nicht an. Überdies handelt es sich bei der Klageerweiterung als solche nicht um ein Angriffs- oder Verteidigungsmittel iSv. § 67 ArbGG, sondern um den Angriff selbst(BAG 11. April 2006 - 9 AZN 892/05 - Rn. 12, BAGE 117, 370).

19

dd) Den Akten ist nicht zu entnehmen, ob das gerichtliche Schreiben vom 16. Juli 2010 oder auch nur die Verfügung, mit der die Zustellung der Berufungsbegründung „mit Belehrung über die Frist gem. § 66 I 3 ArbGG“ veranlasst worden ist, vom Vorsitzenden der Kammer unterzeichnet war. Das ist unschädlich. Der Hinweis hat von Gesetzes wegen „mit der Zustellung der Berufungsbegründung“ zu erfolgen (§ 66 Abs. 1 Satz 4 ArbGG). Ein Tätigwerden des Gerichts bzw. seines Vorsitzenden in jedem Einzelfall ist damit nicht verlangt. Es reicht, dass der Hinweis auf allgemeine Anordnung hin durch die Geschäftsstelle erfolgt. Dieser obliegt ohnehin die Ausführung der Zustellung (§ 168 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Zudem besteht hinsichtlich der Erteilung des Hinweises kein Ermessensspielraum; die Regelung des § 66 Abs. 1 Satz 4 ArbGG ist zwingend. Die Anschlussberufung war damit als unzulässig zu verwerfen.

20

II. Die Revision ist unbegründet, soweit sie sich gegen die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts über den Feststellungsantrag richtet. Diesem hat das Landesarbeitsgericht zu Recht stattgegeben. Die Kündigungsschutzklage ist begründet. Die ordentliche Kündigung vom 24. September 2009 ist sozial ungerechtfertigt. Sie ist nicht durch dringende betriebliche Erfordernisse iSd. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG bedingt.

21

1. Dringende betriebliche Erfordernisse für eine Kündigung iSv. § 1 Abs. 2 KSchG können sich aus innerbetrieblichen oder außerbetrieblichen Gründen ergeben. Innerbetriebliche Gründe liegen vor, wenn sich der Arbeitgeber zu einer organisatorischen Maßnahme entschließt, bei deren Umsetzung das Bedürfnis für die Weiterbeschäftigung eines oder mehrerer Arbeitnehmer entfällt. Eine solche unternehmerische Entscheidung ist gerichtlich nicht auf ihre sachliche Rechtfertigung oder ihre Zweckmäßigkeit hin zu überprüfen, sondern nur darauf, ob sie offensichtlich unsachlich, unvernünftig oder willkürlich ist (BAG 23. Februar 2012 - 2 AZR 548/10 - Rn. 17, NZA 2012, 852; 16. Dezember 2010 - 2 AZR 770/09 - Rn. 13, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 186 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 165). Nachzuprüfen ist aber, ob die fragliche Entscheidung tatsächlich umgesetzt wurde und dadurch das Beschäftigungsbedürfnis für einzelne Arbeitnehmer entfallen ist (BAG 23. Februar 2012 - 2 AZR 548/10 - aaO; 16. Dezember 2010 - 2 AZR 770/09 - aaO).

22

2. Allerdings kann in Fällen, in denen die Organisationsentscheidung des Arbeitgebers und sein Kündigungsentschluss praktisch deckungsgleich sind, die ansonsten berechtigte Vermutung, die fragliche Entscheidung sei aus sachlichen Gründen erfolgt, nicht unbesehen greifen. Da die Kündigung nach dem Gesetz an das Vorliegen von Gründen gebunden ist, die außerhalb ihrer selbst liegen, muss der Arbeitgeber in solchen Fällen seine Entscheidung hinsichtlich ihrer organisatorischen Durchführbarkeit und zeitlichen Nachhaltigkeit verdeutlichen (BAG 16. Dezember 2010 - 2 AZR 770/09 - Rn. 14, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 186 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 165; 17. Juni 1999 - 2 AZR 522/98 - zu II 1 c der Gründe, BAGE 92, 61). Daran fehlt es, wenn die Kündigung zu einer rechtswidrigen Überforderung oder Benachteiligung des im Betrieb verbliebenen Personals führte (vgl. Rost Jahrbuch des Arbeitsrechts Bd. 39 S. 83) oder die zugrunde liegende unternehmerische Entscheidung lediglich Vorwand dafür wäre, bestimmte Arbeitnehmer aus dem Betrieb zu drängen, obwohl Beschäftigungsbedarf und Beschäftigungsmöglichkeiten objektiv fortbestehen und etwa nur der Inhalt des Arbeitsvertrags als zu belastend angesehen wird (BAG 23. Februar 2012 - 2 AZR 548/10 - Rn. 18, NZA 2012, 852; 22. Mai 2003 - 2 AZR 326/02 - zu B I 3 d (1) der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 128 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 126).

23

Läuft die unternehmerische Entscheidung auf den Abbau einer Hierarchieebene oder die Streichung eines einzelnen Arbeitsplatzes hinaus verbunden mit einer Umverteilung der dem betroffenen Arbeitnehmer bisher zugewiesenen Aufgaben, muss der Arbeitgeber konkret erläutern, in welchem Umfang und aufgrund welcher Maßnahmen die bisher vom gekündigten Arbeitnehmer ausgeübten Tätigkeiten für diesen zukünftig entfallen. Nur so kann geprüft werden, ob die Entscheidung den dargestellten Voraussetzungen genügt. Der Arbeitgeber muss die Auswirkungen seiner unternehmerischen Vorgaben und Planungen auf das erwartete Arbeitsvolumen anhand einer schlüssigen Prognose im Einzelnen darstellen und angeben, wie die anfallenden Arbeiten vom verbliebenen Personal ohne überobligationsmäßige Leistungen, dh. im Rahmen ihrer vertraglich geschuldeten regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit erledigt werden können (BAG 23. Februar 2012 - 2 AZR 548/10 - Rn. 18, NZA 2012, 852; 13. Februar 2008 - 2 AZR 1041/06 - Rn. 16, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 174 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 158).

24

3. Zu den nur auf Willkür zu überprüfenden Organisationsentscheidungen des Arbeitgebers zählt die Festlegung des Anforderungsprofils einer Stelle. Das Bestreben des Arbeitgebers, bestimmte Tätigkeiten nur von Arbeitnehmern mit bestimmten Qualifikationen ausführen zu lassen, ist grundsätzlich hinzunehmen (BAG 18. März 2010 - 2 AZR 337/08 - Rn. 19, AP BGB § 626 Nr. 228 = EzA BGB 2002 § 626 Unkündbarkeit Nr. 17). Schafft der Arbeitgeber neu zugeschnittene Arbeitsplätze, ist dies jedenfalls dann zu respektieren, wenn die Qualifikationsmerkmale einen nachvollziehbaren Bezug zur Organisation der auszuführenden Arbeiten haben (BAG 10. Juli 2008 - 2 AZR 1111/06 - Rn. 25, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 181 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 163; 7. Juli 2005 - 2 AZR 399/04 - Rn. 32 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 138 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 138).

25

a) Erhöhte Anforderungen an die Darlegungslast sind dabei mit Blick auf § 1 Abs. 2 KSchG dann zu stellen, wenn der Arbeitgeber das Anforderungsprofil für Arbeitsplätze ändert, die bereits mit langjährig beschäftigten Arbeitnehmern besetzt sind. Der Arbeitgeber kann nicht unter Berufung auf eine gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbare Unternehmerentscheidung den Kündigungsschutz des betreffenden Arbeitnehmers dadurch umgehen, dass er in sachlich nicht gebotener Weise die Anforderungen an die Kenntnisse des Arbeitsplatzinhabers verschärft (BAG 10. Juli 2008 - 2 AZR 1111/06 - Rn. 26, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 181 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 163; 7. Juli 2005 - 2 AZR 399/04 - Rn. 33, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 138 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 138).

26

b) Der Arbeitgeber muss deshalb, will er dem Vorwurf des Missbrauchs entgehen, dartun, dass es sich bei der zusätzlich geforderten Qualifikation für die Ausführung der Tätigkeit nicht nur um eine „wünschenswerte Voraussetzung”, sondern um ein sachlich gebotenes, arbeitsplatzbezogenes Kriterium für das Stellenprofil handelt (BAG 10. Juli 2008 - 2 AZR 1111/06 - Rn. 26, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 181 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 163; 24. Juni 2004 - 2 AZR 326/03 - zu B II 2 a der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Nr. 76 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 132). Die Änderung des Anforderungsprofils muss im Zusammenhang mit einer organisatorischen Maßnahme des Arbeitgebers stehen, die nach ihrer Durchführung angesichts eines veränderten Beschäftigungsbedarfs - etwa aufgrund von Änderungen des Arbeitsvolumens oder des Inhalts der Tätigkeit - auch die Anforderungen an den Arbeitsplatzinhaber erfasst (BAG 10. Juli 2008 - 2 AZR 1111/06 - Rn. 31, aaO). Gestaltet der Arbeitgeber lediglich Arbeitsabläufe um, ohne dass sich die Tätigkeit inhaltlich ändert, und ist der bisherige Stelleninhaber aufgrund seiner Fähigkeiten und Ausbildung in der Lage, die künftig anfallenden Arbeiten zu verrichten, so ist eine auf betriebliche Gründe gestützte Kündigung selbst dann nicht sozial gerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber die Änderungen zum Anlass nimmt, die Stelle in eine „Beförderungsstelle“ umzuwandeln (ähnlich BAG 10. November 1994 - 2 AZR 242/94 - zu B I 2 der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 65 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 77). Das gleiche gilt, wenn der Arbeitgeber die auf dem Arbeitsplatz bislang zu verrichtende Tätigkeit um zusätzliche Aufgaben erweitert, der dadurch veränderte Arbeitsplatz aber nach Bedeutung und Verantwortung nicht um so viel anspruchsvoller ist, dass insgesamt ein anderer Arbeitsbereich entstanden wäre (BAG 30. August 1995 - 1 ABR 11/95 - zu A II 3 b bb der Gründe, AP BetrVG 1972 § 99 Versetzung Nr. 5 = EzA BetrVG 1972 § 99 Nr. 130).

27

4. Daran gemessen hat das Landesarbeitsgericht an die Darlegungslast der Beklagten zu Recht erhöhte Anforderungen gestellt. Dabei macht es keinen Unterschied, ob sich die behauptete Umstrukturierung als Umgestaltung des bisherigen Arbeitsplatzes des Klägers oder als Abbau dieser Stelle bei gleichzeitiger Einrichtung eines neuen, als Beförderungsstelle zu qualifizierenden Arbeitsplatzes darstellt. In beiden Fällen liegt die Organisationsentscheidung nahe am Kündigungsentschluss. Hinzu kommt, dass nach dem eigenen Vorbringen der Beklagten die bisherigen Aufgaben des Klägers weiterhin anfallen. Die Beklagte musste deshalb zum einen aufzeigen, dass durch die behauptete Bündelung von Funktionen und Zuständigkeiten auf der Leitungsebene tatsächlich ein anderer Arbeitsbereich entstanden ist. Zum anderen war sie gehalten, ihren Entschluss zur Umverteilung der anfallenden Tätigkeiten hinsichtlich seiner Durchführbarkeit und Nachhaltigkeit durch konkreten Tatsachenvortrag zu verdeutlichen.

28

5. Dem wird das Vorbringen der Beklagten nicht gerecht. Sie hat nicht nachvollziehbar dargelegt, dass zum Zeitpunkt der Kündigung die Prognose gerechtfertigt war, die Hälfte der bisherigen Arbeitsaufgaben des Klägers könnten von dem ihm bislang nachgeordneten Personal im Rahmen regulärer zeitlicher Verpflichtungen erledigt werden. Bereits dies führt zur Unwirksamkeit der Kündigung.

29

a) Die Beklagte hat durchaus im Einzelnen vorgetragen, welche konkreten Aufgaben aus den Bereichen „Betriebsleitung GUR“ und „Standortleitung“ in welchem zeitlichen Umfang künftig durch Frau K und weitere sieben namentlich benannte Arbeitnehmer übernommen werden sollten. Sie hat es aber versäumt schlüssig darzutun, dass die fraglichen sieben Personen über hinreichend freie Arbeitszeitkapazität verfügten, um das zusätzliche Pensum von täglich bis zu einer Stunde ohne überobligationsmäßige Leistungen zu bewältigen. Sie hat dies lediglich pauschal behauptet ohne aufzuzeigen, worauf sich ihre Einschätzung stützt. Spätestens nachdem der Kläger die mangelnde Schlüssigkeit ihres Vorbringens beanstandet und sich beispielhaft unter Angabe von Beginn und Ende täglicher Arbeitszeiten darauf berufen hatte, zwei der betroffenen Mitarbeiter seien bereits in der Zeit vor seiner Freistellung voll ausgelastet gewesen, hätte die Beklagte ihren Vortrag im Rahmen der abgestuften Darlegungslast substantiieren müssen. Das ist nicht geschehen. Sie hat nur ihren nicht weiter einlassungsfähigen Vortrag wiederholt, einer der Genannten sei „genau wie alle anderen Mitarbeiter in der Lage, die ihm übertragenen Aufgaben ohne überobligatorische Verpflichtung zu übernehmen“, die Arbeitszeit eines anderen werde vom Kläger unzutreffend dargestellt. Stattdessen hätte sie, um ihrer Vortragslast zu genügen, die zutreffenden Arbeitszeiten der fraglichen Mitarbeiter nebst der Möglichkeit, „freie“ Kapazitäten für die Übertragung weiterer Arbeiten zu nutzen, darstellen müssen.

30

b) Eine Konkretisierung ihres Vorbringens war auch dann nicht entbehrlich, wenn es sich - wie die Beklagte geltend macht - bei den fraglichen Arbeitnehmern um „leitende Angestellte“ oder zumindest außertariflich vergütete Arbeitnehmer handeln sollte. Aus beidem folgt nicht, dass mit diesen keine vertraglichen Vereinbarungen hinsichtlich des Umfangs der zu leistenden Arbeitszeit bestanden. Im Übrigen unterliegen auch sog. AT-Mitarbeiter den Grenzen des Arbeitszeitgesetzes und nimmt nach § 18 Abs. 1 Nr. 1 ArbZG nur leitende Angestellte iSv. § 5 Abs. 3 BetrVG aus seinem Anwendungsbereich aus(vgl. BAG 6. Mai 2003 - 1 ABR 13/02 - zu B II 2 b aa der Gründe, BAGE 106, 111). Inwieweit diese Voraussetzungen bei einzelnen Arbeitnehmern erfüllt sind, ist dem Vorbringen der Beklagten nicht zu entnehmen.

31

c) In welcher Weise ein Arbeitgeber darlegt, dass die Umverteilung von Arbeitsaufgaben nicht zu einer überobligatorischen Beanspruchung im Betrieb verbliebener Arbeitnehmer führt, bleibt ihm überlassen. Handelt es sich um nicht taktgebundene Arbeiten, muss nicht in jedem Fall und minutiös dargelegt werden, welche einzelnen Tätigkeiten die fraglichen Mitarbeiter künftig mit welchen Zeitanteilen täglich zu verrichten haben. Es kann ausreichend sein, wenn der Arbeitgeber die getroffenen Vereinbarungen zu Umfang und Verteilung der Arbeitszeit darstellt und Anhaltspunkte dafür darlegt, dass Freiräume für die Übernahme zusätzlicher Aufgaben vorhanden sind. Im Streitfall hat die Beklagte auch dies unterlassen. Soweit das Landesarbeitsgericht noch strengere Anforderungen an ihr Vorbringen gestellt hat, wirkt sich dies im Ergebnis nicht aus.

32

d) Die Rüge der Beklagten, das Landesarbeitsgericht habe sie auf die Mängel in ihrem Vortrag hinweisen müssen, ist unberechtigt.

33

aa) Ein Verstoß gegen die richterliche Hinweispflicht (§ 139 ZPO) liegt schon deshalb nicht vor, weil die Beklagte darauf durch die erstinstanzliche Entscheidung und die Ausführungen der Gegenseite aufmerksam gemacht wurde (vgl. BGH 23. April 2009 - IX ZR 95/06 - Rn. 6 mwN, NJW-RR 2010, 70). Das Arbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage mit der Begründung stattgegeben, die Beklagte sei ihrer Darlegungslast nicht nachgekommen. Sie habe es ua. versäumt deutlich zu machen, in welchem Umfang die anderen Mitarbeiter, auf die nunmehr neue Aufgaben zukämen, bisher ausgelastet gewesen seien und warum sie in der Lage sein sollten, die neuen Arbeitsaufgaben ohne überobligatorischen Aufwand zu bewältigen. Dies hat der Kläger aufgegriffen und geltend gemacht, das Vorbringen der Beklagten in ihrer Berufungsbegründung sei „immer noch“ unsubstantiiert. Überdies stützen sich die Entscheidungen der Vorinstanzen insoweit auf die ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts. Die Beklagte war daher auch ohne richterlichen Hinweis gehalten, deutlich konkreter vorzutragen.

34

bb) Ob der im Rahmen der Revision nachgeholte Vortrag den Anforderungen an eine substantiierte Darlegung entspricht, kann dahinstehen. Allerdings handelt es sich bei der Vereinbarung einer „Vertrauensarbeitszeit“, auf die die Beklagte hinsichtlich einzelner Arbeitnehmer verweist, typischerweise um ein Arbeitszeitmodell, bei dem der Arbeitgeber lediglich auf die Festlegung von Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit verzichtet und darauf vertraut, dass die Arbeitnehmer ihre Arbeitsverpflichtung auch ohne Kontrolle erfüllen (vgl. BAG 6. Mai 2003 - 1 ABR 13/02 - Rn. 65, BAGE 106, 111; Schaub/Vogelsang ArbR-Hdb. 14. Aufl. § 160 Rn. 33). Aus der Vereinbarung einer „Vertrauensarbeitszeit“ folgt dagegen nicht, dass es an arbeits- oder tarifvertraglichen Vorgaben zur wöchentlichen Arbeitszeit fehlt und die Beklagte über die tatsächlich erbrachte Arbeitszeit hinaus Arbeitsleistungen im Umfang von bis zu einer Stunde täglich verlangen konnte.

35

e) Dringende betriebliche Erfordernisse, die die Kündigung bedingen, hat die Beklagte damit nicht dargelegt. Unerheblich ist, dass das in Rede stehende zu verteilende Arbeitsvolumen - ausgehend vom Vorbringen der Beklagten - lediglich 50 Prozent der bislang dem Kläger zugewiesenen Arbeitsaufgaben umfasst. Auch wenn die Übertragung der anderen 50 Prozent auf Frau K kündigungsrechtlich nicht zu beanstanden sein sollte, hätte die Beklagte dem Kläger zumindest eine Weiterbeschäftigung im entsprechend reduzierten Umfang anbieten müssen. Dafür, dass ein solches Angebot wegen „Unannehmbarkeit“ hätte unterbleiben können (vgl. dazu BAG 23. Februar 2010 - 2 AZR 656/08 - Rn. 57, BAGE 133, 226; 21. September 2006 - 2 AZR 607/05 - Rn. 34, AP KSchG 1969 § 2 Nr. 130 = EzA KSchG § 2 Nr. 62), fehlt es an Anhaltspunkten. Im Übrigen kann der Vortrag der Beklagten so verstanden werden, dass ihre gesamte Organisationsentscheidung mit der Möglichkeit der Umverteilung von Aufgaben auf nachgeordnete Mitarbeiter „steht und fällt“.

36

III. Der Antrag auf Weiterbeschäftigung bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Feststellungsantrag ist dem Senat nicht angefallen. Der Kündigungsrechtsstreit ist rechtskräftig entschieden. Der Antrag auf Erteilung eines Endzeugnisses ist nur für den Fall des Unterliegens mit dem Feststellungsantrag gestellt. Diese Bedingung ist nicht eingetreten.

37

IV. Die Kosten der Berufungsinstanz und der Revision waren im Verhältnis von jeweiligem Obsiegen und Unterliegen der Parteien zu teilen (§ 97 Abs. 1 iVm. § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

        

    Kreft    

        

    Koch    

        

    Berger    

        

        

        

    Gans    

        

    F. Löllgen    

                 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 16. November 2010 - 16 Sa 411/10 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen betriebsbedingten Kündigung.

2

Der 1954 geborene Kläger ist bei der Beklagten, die mit mehr als 200 Arbeitnehmern Messingprodukte produziert und verarbeitet, seit dem 1. Januar 1998 als „Produktionsmitarbeiter in der Abteilung Rohrlinie“ beschäftigt. Er arbeitete zuletzt in der Funktion eines „Ziehers an einer 15to-Ziehbank/Anfasers/Einteilsägers“ im Bereich Rohrlinie.

3

Anfang 2009 verhandelten die Beklagte und der in ihrem Betrieb gebildete Betriebsrat vor dem Hintergrund eines beabsichtigten Personalabbaus im Umfang von 48 Stellen über einen Interessenausgleich und einen Sozialplan. In einer Absichtserklärung vom 13. Februar 2009 beschrieben die Betriebsparteien bestimmte Maßnahmen als erstrebenswerte Alternativen zu den erwogenen Entlassungen; ua. war die Einführung von Kurzarbeit mit Wirkung zum 1. März 2009 bei einer maximalen Laufzeit von 18 Monaten und verteilt auf jeweils sechs Monate vorgesehen.

4

Am 27. Februar 2009 schlossen die Betriebsparteien mehrere Betriebsvereinbarungen. Mit der Betriebsvereinbarung Nr. 163 wurde in den Produktionsbereichen Gießerei, Rohrlinie und Indirektlinie für die Zeit vom 1. März 2009 bis zum 31. August 2009 Kurzarbeit eingeführt. Der Umfang der in der jeweiligen Abteilung verringerten Wochenarbeitszeit ergab sich aus der Anlage 1 zur Betriebsvereinbarung. Diese sah ua. für die „Rohrlinie und die Zieherei Allgemein“ eine Reduzierung der Arbeitszeit auf 14 Stunden/Woche vor. Mit der Betriebsvereinbarung Nr. 164 verschoben die Betriebsparteien die zweite Stufe einer Tariferhöhung. Mit der Betriebsvereinbarung Nr. 165 führten sie ein Prämienentgelt und eine außertarifliche Leistungszulage ein. Ab dem 1. Mai 2009 sollte für bestimmte Produktionsmitarbeiter, zu denen auch der Kläger gehörte, eine neue Leistungsentgeltstruktur in Form der Entgeltmethode „Prämie“ gelten. Durch die Absenkung der Vergütung für die betroffenen Arbeitnehmer sollte eine Kostenersparnis im Umfang von 22 Produktionsarbeitsplätzen eintreten. Für die bereits Beschäftigten sollte die Anwendung der neuen Entgeltstruktur durch den Abschluss von Änderungsverträgen umgesetzt werden. Ziff. 11 der Betriebsvereinbarung Nr. 165 sah weiter vor, dass die Beklagte gegenüber denjenigen Arbeitnehmern, die das Angebot eines solchen Änderungsvertrags annähmen, bis zur vollständigen Beendigung der in der Produktion durchgeführten Kurzarbeit auf den Ausspruch von ordentlichen betriebsbedingten Kündigungen verzichte. Auf dieser Grundlage bot die Beklagte im März 2009 den in Frage kommenden 127 Arbeitnehmern den Abschluss entsprechender Änderungsverträge an. Das Angebot nahmen 111 Arbeitnehmer an. Der Kläger lehnte es ab.

5

Angesichts weiter rückläufiger Aufträge entschloss sich die Beklagte am 19. Mai 2009, zahlreiche Arbeitsplätze, darunter den eines „Ziehers 15to-Ziehbank/Anfasers/Einteilsägers“, ab 1. Oktober 2009 wegfallen zu lassen. Von der Streichung waren fast ausschließlich Arbeitsplätze von Arbeitnehmern betroffen, die das Angebot auf Abschluss eines Änderungsvertrags abgelehnt hatten.

6

Nach Anhörung des Betriebsrats kündigte die Beklagte mit Schreiben vom 29. Mai 2009 das Arbeitsverhältnis der Parteien zum 30. September 2009.

7

Mit seiner rechtzeitig erhobenen Klage hat sich der Kläger gegen diese Kündigung gewandt und seine vorläufige Weiterbeschäftigung als Produktionsmitarbeiter zu den bisherigen Vertragsbedingungen begehrt. Er hat die Auffassung vertreten, die Entscheidung der Beklagten laufe auf einen bloßen Stellenabbau verbunden mit einer Neuverteilung der bisherigen Tätigkeiten hinaus. Einen dauerhaften Rückgang der Produktion und eine Reduzierung des Arbeitsvolumens habe die Beklagte nicht hinreichend dargelegt. Ein Vergleich der Auftrags- und Arbeitsstundenzahlen von Januar bis Mai 2009 mit den gleichen Monaten des Vorjahrs reiche hierfür nicht aus; nur ein längerer Betrachtungszeitraum könne die Basis für eine nachhaltige Prognose bilden. Zudem habe die Beklagte nicht berücksichtigt, dass ab 1. März 2009 kurzgearbeitet worden sei. Die spätere Entwicklung belege die Fehlerhaftigkeit der Prognose. Die Beklagte habe auch nicht dargelegt, wer welche seiner bisherigen Tätigkeiten in welchem Umfang ohne eine übermäßige dauerhafte Beanspruchung habe übernehmen können. Im Übrigen sei die Sozialauswahl fehlerhaft. Statt seiner hätten andere Arbeitnehmer mit deutlich schlechteren Sozialdaten gekündigt werden müssen. Sie seien mit ihm vergleichbar, selbst wenn deren Kündigung nach der Betriebsvereinbarung Nr. 165 ausgeschlossen sei. Der einzelvertraglich gewährte Sonderkündigungsschutz sei mit ihnen in unzulässiger Weise zu seinen Lasten vereinbart worden. Unter diesem Aspekt stelle sich die Kündigung als eine Maßregelung dar.

8

Der Kläger hat beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung vom 29. Mai 2009 aufgelöst worden ist,

                 

hilfsweise

                 

die Beklagte zu verurteilen, ihn als Produktionsmitarbeiter zu den Bedingungen des am 1. Januar 2009 geschlossenen Arbeitsvertrags wieder einzustellen,

        

2.    

die Beklagte zu verurteilen, ihn bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Kündigungsschutzantrag als Produktionsmitarbeiter weiterzubeschäftigen.

9

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat vorgetragen, Anfang 2009 habe sie geplant, den Personalbestand zu reduzieren, da die Mitarbeiter in der Produktion schon im Jahr 2008 nicht ausgelastet gewesen seien. Zwar habe sie zur Vermeidung dieses Personalabbaus mit dem Betriebsrat die Betriebsvereinbarungen Nr. 163 bis Nr. 165 geschlossen. Zu diesem Zeitpunkt sei der Auftragsbestand aber erst um ca. 25 % geringer gewesen. Nach Einführung der Kurzarbeit habe sich die Auftrags- und Auslastungssituation weiter verschlechtert. Ab der 14. Kalenderwoche 2009 sei die Auslastung auf rund 60 % derjenigen des Vorjahrs zurückgegangen, die (Grundlagen-)Produktion in der Gießerei habe sich im Zeitraum von Januar bis Mai 2009 um etwa 36 % reduziert.

10

Vom Rückgang der Grundlagenproduktion seien sämtliche nachgeordneten Bereiche betroffen gewesen. Sowohl im Bereich Rohrzieherei als auch im Bereich Rohrlinie sei die Arbeitsmenge im Zeitraum von Januar 2009 bis Mai 2009 um 34,5 % zurückgegangen, was einem um etwa 33 % bzw. ca. 30 % (Rohrzieherei) verminderten Arbeitskräftebedarf entspreche. Bei einer durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit von 35 Stunden würden je Arbeitnehmer im Durchschnitt 12,2 Arbeitsstunden wöchentlich nicht mehr benötigt. Zur Sicherung ihrer Wettbewerbsfähigkeit und zur Steigerung der Effizienz habe sie deshalb die Stelle eines „Ziehers 15to-Ziehbank/Anfasers/Einteilsägers“ gestrichen und dessen Arbeit auf - neun namentlich genannte - Mitarbeiter verteilt. Aufgrund des Rückgangs ihrer eigenen Tätigkeiten seien diese Mitarbeiter nicht mehr ausgelastet gewesen und hätten die Aufgabe des Klägers ohne Weiteres mitübernehmen können. Den Rückgang der Arbeitsmenge habe sie im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung als dauerhaft angesehen, Anhaltspunkte für eine Besserung habe es nicht gegeben.

11

Die Sozialauswahl sei zutreffend, da die vom Kläger benannten Mitarbeiter aufgrund ihres Sonderkündigungsschutzes nicht in die Auswahl einzubeziehen gewesen seien.

12

Das Arbeitsgericht hat der Klage in vollem Umfang stattgegeben. Die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.

Entscheidungsgründe

13

Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat rechtsfehlerfrei entschieden, dass die Kündigung der Beklagten vom 29. Mai 2009 das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht beendet hat.

14

I. Die Klage ist begründet. Die Kündigung vom 29. Mai 2009 ist nicht aus dringenden betrieblichen Erfordernissen iSv. § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt.

15

1. Eine Kündigung ist durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt, wenn der Bedarf für eine Weiterbeschäftigung des gekündigten Arbeitnehmers im Betrieb voraussichtlich dauerhaft entfallen ist. Auf der Grundlage der betrieblichen Dispositionen des Arbeitgebers müssen im Tätigkeitsbereich des Gekündigten mehr Arbeitnehmer beschäftigt sein, als zur Erledigung der anfallenden Arbeiten benötigt werden. Dieser Überhang muss auf Dauer zu erwarten sein. Regelmäßig entsteht ein Überhang an Arbeitskräften nicht allein und unmittelbar durch bestimmte wirtschaftliche Entwicklungen (Produktions- oder Umsatzrückgang etc.), sondern aufgrund einer - oftmals durch diese Entwicklungen veranlassten - Organisationsentscheidung des Arbeitgebers (unternehmerische Entscheidung).

16

a) Betriebliche Erfordernisse, die eine Kündigung bedingen, können sich aus außerbetrieblichen Umständen ergeben. Passt der Arbeitgeber im Fall eines Auftragsverlustes oder eines reduzierten Auftragsbestands die Anzahl der benötigten Arbeitnehmer unmittelbar an die verbliebene Arbeitsmenge an, kann sich daraus ein dringendes betriebliches Erfordernis zur Kündigung ergeben, wenn der Arbeitsanfall - dauerhaft - so zurückgegangen ist, dass zukünftig für einen oder mehrere Arbeitnehmer kein Bedürfnis für eine Weiterbeschäftigung mehr besteht (BAG 17. Juni 1999 - 2 AZR 141/99 - BAGE 92, 71 und - 2 AZR 456/98 - BAGE 92, 79). Behauptet der Arbeitgeber, das Bedürfnis für eine Weiterbeschäftigung sei wegen eines solchen Auftragsrückgangs entfallen, kann das Gericht in vollem Umfang nachprüfen, ob die außerbetrieblichen Umstände für die Kündigung zum Zeitpunkt der Kündigung tatsächlich vorlagen und zu einem dauerhaften Rückgang des Beschäftigungsvolumens führen. Dabei reicht ein bloßer Hinweis auf auslaufende Aufträge und das Fehlen von Anschlussaufträgen regelmäßig nicht aus, um einen dauerhaften Wegfall des Beschäftigungsbedürfnisses zu begründen. Der Arbeitgeber muss vielmehr anhand seiner Auftrags- und Personalplanung im Einzelnen darstellen, warum nicht nur eine - kurzfristige - Auftragsschwankung vorliegt, sondern ein dauerhafter Auftragsrückgang zu erwarten ist (BAG 18. Mai 2006 - 2 AZR 412/05 - Rn. 18, AP AÜG § 9 Nr. 7 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 146).

17

b) Ein Rückgang des Arbeitskräftebedarfs kann sich auch daraus ergeben, dass sich eine im Betrieb tatsächlich umgesetzte unternehmerische Organisationsentscheidung auf die Anzahl der verbliebenen Arbeitsplätze auswirkt. Eine unternehmerische Organisationsentscheidung kann etwa in der Bestimmung der Zahl der Belegschaftsmitglieder liegen, mit denen die im Betrieb anfallende Arbeitsmenge erledigt werden soll (vgl. BAG 2. Juni 2005 - 2 AZR 480/04 - mwN, BAGE 115, 92). Unternehmerische Entscheidungen sind von den Gerichten nicht auf ihre sachliche Rechtfertigung oder Zweckmäßigkeit hin zu überprüfen, sondern nur darauf, ob sie offensichtlich unsachlich, unvernünftig oder willkürlich sind (BAG 16. Dezember 2010 - 2 AZR 770/09 - Rn. 13, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 186 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 165; 10. Juli 2008 - 2 AZR 1111/06 - Rn. 24, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 181 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 163). Nachzuprüfen ist aber, ob die fragliche Entscheidung tatsächlich umgesetzt wurde und dadurch das Beschäftigungsbedürfnis für einzelne Arbeitnehmer entfallen ist (BAG 16. Dezember 2010 - 2 AZR 770/09 - Rn. 13, aaO; 10. Juli 2008 - 2 AZR 1111/06 - Rn. 24, aaO).

18

c) Führen die außer- oder innerbetrieblichen Umstände nicht zu einer dauerhaften Reduzierung des Arbeitskräftebedarfs im Betrieb, so besteht kein dringendes betriebliches Erfordernis zur Beendigung eines Arbeitsverhältnisses. Erschöpft sich die unternehmerische Entscheidung des Arbeitgebers im Wesentlichen darin, Personal einzusparen, so ist sie vom Kündigungsentschluss selbst kaum zu unterscheiden. Da die Kündigung nach dem Gesetz an das Vorliegen von Gründen gebunden ist, die außerhalb ihrer selbst liegen, muss der Arbeitgeber in solchen Fällen seine Entscheidung hinsichtlich ihrer organisatorischen Durchführbarkeit und zeitlichen Nachhaltigkeit verdeutlichen. Nur so kann das Gericht prüfen, ob sie missbräuchlich ausgesprochen worden ist (BAG 16. Dezember 2010 - 2 AZR 770/09 - Rn. 14, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 186 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 165; 17. Juni 1999 - 2 AZR 522/98 - BAGE 92, 61). Das wäre der Fall, wenn die Kündigung zu einer rechtswidrigen Überforderung oder Benachteiligung des im Betrieb verbleibenden Personals führte (Rost Jahrbuch des Arbeitsrechts Bd. 39 S. 83) oder die zugrunde liegende unternehmerische Entscheidung lediglich Vorwand dafür wäre, bestimmte Arbeitnehmer aus dem Betrieb zu drängen, obwohl Beschäftigungsbedarf und Beschäftigungsmöglichkeiten objektiv fortbestehen und etwa nur der Inhalt des Arbeitsvertrags als zu belastend angesehen wird (BAG 22. Mai 2003 - 2 AZR 326/02 - AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 128 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 126). Der Arbeitgeber muss deshalb konkret erläutern, in welchem Umfang und aufgrund welcher Maßnahmen die bisher vom gekündigten Arbeitnehmer ausgeübten Tätigkeiten für diesen zukünftig entfallen. Er muss die Auswirkungen seiner unternehmerischen Vorgaben und Planungen auf das erwartete Arbeitsvolumen anhand einer schlüssigen Prognose konkret darstellen und angeben, wie die anfallenden Arbeiten vom verbliebenen Personal ohne überobligationsmäßige Leistungen, dh. im Rahmen ihrer vertraglich geschuldeten regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit, erledigt werden können (BAG 16. Dezember 2010 - 2 AZR 770/09 - Rn. 15, aaO; 13. Februar 2008 - 2 AZR 1041/06 - Rn. 16, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 174 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 158).

19

d) Wird die Kündigung auf eine zu erwartende künftige Entwicklung der betrieblichen Verhältnisse gestützt, braucht diese bei Kündigungsausspruch noch nicht tatsächlich eingetreten zu sein. Es genügt, dass sie sich konkret und greifbar abzeichnet (vgl. BAG 9. September 2010 - 2 AZR 493/09 - AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 185 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 164; 13. Februar 2008 - 2 AZR 79/06 - Rn. 21, 22; 26. Mai 2011 - 8 AZR 37/10 - Rn. 27, EzA BGB 2002 § 613a Nr. 125). Das ist der Fall, wenn im Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung die auf Tatsachen gestützte, vernünftige betriebswirtschaftliche Prognose gerechtfertigt ist, mit Ablauf der Kündigungsfrist werde mit einiger Sicherheit ein die Entlassung erforderlich machender betrieblicher Grund vorliegen (BAG 23. Februar 2010 - 2 AZR 268/08 - Rn. 18, BAGE 133, 240; 27. November 2003 - 2 AZR 48/03 - BAGE 109, 40; 12. April 2002 - 2 AZR 256/01 - zu II 2 a der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 120 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 118). Dabei muss eine der entsprechenden Prognose zugrunde liegende eigene unternehmerische Entscheidung des Arbeitgebers aber bereits im Kündigungszeitpunkt endgültig getroffen worden sein. Andernfalls kann eine zum Wegfall des Arbeitsplatzes führende Entscheidung nicht sicher prognostiziert werden.

20

aa) Der Arbeitgeber hat die Tatsachen näher darzulegen, aus denen sich ergeben soll, dass zukünftig auf Dauer mit einem reduzierten Arbeitsvolumen und Beschäftigungsbedarf zu rechnen ist. Das Vorliegen von möglicherweise nur kurzfristigen Produktions- oder Auftragsschwankungen muss ausgeschlossen sein (BAG 18. Mai 2006 - 2 AZR 412/05 - Rn. 18, AP AÜG § 9 Nr. 7 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 146). Dem muss der Inhalt und die Substanz des Sachvortrags Rechnung tragen. Der Arbeitgeber hat den dauerhaften Rückgang des Arbeitsvolumens nachvollziehbar darzustellen, indem er die einschlägigen Daten aus repräsentativen Referenzperioden miteinander vergleicht (BAG 18. Mai 2006 - 2 AZR 412/05 - Rn. 17, aaO).

21

bb) Für die Zukunftsprognose ist auch von Bedeutung, ob die Kündigung im zeitlichen Zusammenhang mit einer vereinbarten oder prognostizierten Kurzarbeit erfolgt. Wird Kurzarbeit geleistet, so spricht dies dafür, dass die Betriebsparteien nur von einem vorübergehenden Arbeitsmangel und nicht von einem dauerhaft gesunkenen Beschäftigungsbedarf ausgehen. Ein nur vorübergehender Arbeitsmangel wiederum kann eine betriebsbedingte Kündigung nicht rechtfertigen. Dieses aus der Kurzarbeit folgende Indiz kann der Arbeitgeber durch konkreten Sachvortrag entkräften (BAG 26. Juni 1997 - 2 AZR 494/96 - AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 86 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 93). Entfällt die Beschäftigungsmöglichkeit für einzelne von der Kurzarbeit betroffene Arbeitnehmer aufgrund später eingetretener weiterer Umstände oder veränderter wirtschaftlicher und/oder organisatorischer Rahmenbedingungen auf Dauer, so kann trotz der Kurzarbeit ein dringendes betriebliches Erfordernis für eine Kündigung bestehen (BAG 26. Juni 1997 - 2 AZR 494/96 - aaO).

22

Da die betrieblichen Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des gekündigten Arbeitnehmers entgegenstehen, dringend sein müssen, die Kündigung im Interesse des Betriebs also unvermeidbar sein muss, hat der Arbeitgeber zuvor alle Möglichkeiten auszuschöpfen, die mit dem Ziel geschaffen worden sind und bestehen, durch eine Flexibilisierung der Arbeitszeit betriebsbedingte Kündigungen in Zeiten geringeren Arbeitsanfalls zu vermeiden (BAG 8. November 2007 - 2 AZR 418/06 - Rn. 16, EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 157, zur Inanspruchnahme von Arbeitszeitkonten). Haben die Betriebsparteien durch die Einführung von Kurzarbeit den Umfang der vertraglich geschuldeten Arbeitszeit auf ein Niveau abgesenkt, dass den Ausspruch betriebsbedingter Kündigungen gerade überflüssig macht, so kann ein dringendes betriebliches Kündigungserfordernis regelmäßig erst dann angenommen werden, wenn der Arbeitgeber die Möglichkeit zur Arbeitszeitreduzierung voll ausgeschöpft hat und gleichwohl noch ein Beschäftigungsüberhang besteht (vgl. BAG 8. November 2007 - 2 AZR 418/06 - aaO).

23

2. Unter Beachtung der vorstehenden Grundsätze hält die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, die Beklagte habe für die Zeit nach Ablauf der Kündigungsfrist keine dringenden betrieblichen Erfordernisse iSd. § 1 Abs. 2 KSchG dargelegt, der revisionsrechtlichen Überprüfung stand. Bei Ausspruch der Kündigung war die Prognose noch nicht sicher gerechtfertigt, der Bedarf für eine Weiterbeschäftigung des Klägers sei zum 1. Oktober 2009 auf Dauer entfallen. Das hat das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt. Einen revisionsrechtlich relevanten Fehler im Zusammenhang mit dieser Würdigung hat die Beklagte nicht aufgezeigt.

24

a) Aus dem Vortrag der Beklagten lässt sich - auch unter Berücksichtigung ihres Vorbringens in der Revisionsbegründung - nicht hinreichend konkret entnehmen, dass ein dringendes betriebliches Erfordernis zur Kündigung des Klägers vorgelegen hat. Ihr Entschluss, die Stelle eines „Ziehers 15to-Ziehbank/Anfasers/Einteilsägers“ zu streichen und dessen Tätigkeiten auf mehrere Mitarbeiter der Rohrzieherei zu verteilen, lag nahe an der Kündigungsentscheidung. Die Beklagte musste demnach die Möglichkeit, ihre Organisationsentscheidung tatsächlich umzusetzen, näher erläutern.

25

b) Die Beklagte hat nicht dargetan, dass zum Zeitpunkt der Kündigung die Prognose gerechtfertigt war, die bisher vom Kläger ausgeübten Tätigkeiten könnten von den verbliebenen Mitarbeitern ab dem 1. Oktober 2009 im Rahmen ihrer normalen Verpflichtungen (mit-)übernommen werden. Sie hat zwar das vom Kläger und den fraglichen neun Mitarbeitern zum Kündigungszeitpunkt zu erledigende Arbeitsvolumen dargestellt. Danach waren sie in der Phase der Kurzarbeit bezogen auf ihre vertraglich geschuldete Arbeitszeit sämtlich nicht voll ausgelastet. Das Landesarbeitsgericht hat aber zu Recht darauf hingewiesen, dass die Beklagte zur Dauerhaftigkeit und Nachhaltigkeit eines nur geringeren - und damit auf andere Arbeitnehmer aufteilbaren - Arbeitsvolumens des Klägers nicht hinreichend vorgetragen hat. Sie hat sich auf den pauschalen Vortrag beschränkt, das Volumen habe sich zum 30. September 2009 dauerhaft reduziert, Anhaltspunkte für eine Besserung habe sie zum Zeitpunkt der Kündigung nicht gehabt, auch seien keine Überstunden geleistet worden. Damit hat sie ihrer Darlegungslast nicht genügt. Bestimmte Tatsachen, aus denen zu schließen wäre, der mögliche Rückgang der Arbeitsmenge im Kündigungszeitpunkt sei als dauerhaft anzusehen, hat sie auf diese Weise nicht behauptet. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass es sich bei diesem Rückgang nur um einen kurzzeitigen, nicht nachhaltigen Trend gehandelt hat. Aus dem Rückgang der Produktion in den ersten Monaten des Jahres 2009 im Vergleich zum selben Zeitraum im Jahr 2008 lässt sich nicht hinreichend sicher folgern, diese Entwicklung werde sich auch im weiteren Verlauf des Jahres fortsetzen. Hierzu hätte es eines näher substantiierten, detaillierten Vortrags bedurft, dem beispielsweise die üblichen Auftragseingangszahlen und Bearbeitungsabläufe aus den Vorjahren zu entnehmen gewesen wären. So kann sich die Situation bei kurzfristig erfolgenden Auftragsabrufen anders darstellen als bei langfristigen und planbaren Auftragserteilungen.

26

c) Zudem bleibt unklar, ob sich selbst bei Ausschöpfung der vereinbarten Optionen für Kurzarbeit das Arbeitsvolumen so verringert hat, dass ein dringendes Erfordernis für eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger bestand. Immerhin erlaubten es die Betriebsvereinbarung Nr. 163 und ihre Ergänzungen der Beklagten, die wöchentlich geschuldete Arbeitszeit der Mitarbeiter auf 14 Stunden abzusenken. Im Streitfall geht es deshalb nicht darum, ob der Arbeitgeber rechtlich gezwungen sein kann, vor dem Ausspruch der Kündigung die Einführung von Kurzarbeit zu betreiben. Hier besaß die Beklagte vielmehr bei Ausspruch der Kündigung bereits die Möglichkeit, die Arbeitszeit der Mitarbeiter rechtswirksam bis auf 14 Wochenstunden zu reduzieren. Von ihr hatte sie wegen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes Gebrauch zu machen. Dass auch dann noch ein Arbeitskräfteüberhang bestanden hätte, ergibt sich aus ihrem Vortrag nicht. Auch hat sie nicht dargelegt, dass die fraglichen neun Arbeitnehmer ausgehend von einem durch Kurzarbeit absenkbaren Arbeitszeitumfang überhaupt in der Lage gewesen wären, die verbliebenen Tätigkeiten des Klägers ohne Überschreitung dieses Zeitumfangs mitzuerledigen.

27

d) Schließlich ist offen, ob im umgekehrten Fall - bei Aufhebung der Kurzarbeit - die fraglichen neun Mitarbeiter die Arbeiten des Klägers weiterhin ohne überobligationsmäßige Zusatzleistungen würden übernehmen können. Die Betriebsparteien gingen, wie die Betriebsvereinbarung Nr. 163 und ihre Ergänzungen zeigen, von einer vorübergehenden, 18-monatigen Reduzierung des Beschäftigungsbedarfs aus. Dies spricht dafür, dass sie erwarteten, das frühere oder zumindest ein deutlich höheres Arbeitsvolumen als in den ersten Monaten des Jahres 2009 würde in absehbarer Zeit wieder erreicht.

28

II. Da die Kündigung vom 29. Mai 2009 das Arbeitsverhältnis des Klägers wegen Fehlens dringender betrieblicher Erfordernisse iSv. § 1 Abs. 2 KSchG nicht rechtswirksam beendet hat, bedurfte es keiner Auseinandersetzung mit der Frage, ob die Sozialauswahl fehlerhaft iSv. § 1 Abs. 3 KSchG und die Kündigung eine unzulässige Maßregelung war.

29

III. Der Antrag auf Weiterbeschäftigung bis zur rechtskräftigen Entscheidung über das Feststellungsbegehren ist dem Senat nicht mehr angefallen. Der Kündigungsrechtsstreit ist rechtskräftig entschieden.

30

IV. Die Beklagte hat die Kosten ihrer erfolglosen Revision gemäß § 97 Abs. 1 ZPO zu tragen.

        

    Kreft    

        

    Berger    

        

    Eylert    

        

        

        

    A. Claes    

        

    Wolf    

                 

(1) Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses gegenüber einem Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis in demselben Betrieb oder Unternehmen ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestanden hat, ist rechtsunwirksam, wenn sie sozial ungerechtfertigt ist.

(2) Sozial ungerechtfertigt ist die Kündigung, wenn sie nicht durch Gründe, die in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, oder durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist. Die Kündigung ist auch sozial ungerechtfertigt, wenn

1.
in Betrieben des privaten Rechts
a)
die Kündigung gegen eine Richtlinie nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes verstößt,
b)
der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in demselben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden kann
und der Betriebsrat oder eine andere nach dem Betriebsverfassungsgesetz insoweit zuständige Vertretung der Arbeitnehmer aus einem dieser Gründe der Kündigung innerhalb der Frist des § 102 Abs. 2 Satz 1 des Betriebsverfassungsgesetzes schriftlich widersprochen hat,
2.
in Betrieben und Verwaltungen des öffentlichen Rechts
a)
die Kündigung gegen eine Richtlinie über die personelle Auswahl bei Kündigungen verstößt,
b)
der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in derselben Dienststelle oder in einer anderen Dienststelle desselben Verwaltungszweigs an demselben Dienstort einschließlich seines Einzugsgebiets weiterbeschäftigt werden kann
und die zuständige Personalvertretung aus einem dieser Gründe fristgerecht gegen die Kündigung Einwendungen erhoben hat, es sei denn, daß die Stufenvertretung in der Verhandlung mit der übergeordneten Dienststelle die Einwendungen nicht aufrechterhalten hat.
Satz 2 gilt entsprechend, wenn die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nach zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen oder eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers unter geänderten Arbeitsbedingungen möglich ist und der Arbeitnehmer sein Einverständnis hiermit erklärt hat. Der Arbeitgeber hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung bedingen.

(3) Ist einem Arbeitnehmer aus dringenden betrieblichen Erfordernissen im Sinne des Absatzes 2 gekündigt worden, so ist die Kündigung trotzdem sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat; auf Verlangen des Arbeitnehmers hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Gründe anzugeben, die zu der getroffenen sozialen Auswahl geführt haben. In die soziale Auswahl nach Satz 1 sind Arbeitnehmer nicht einzubeziehen, deren Weiterbeschäftigung, insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebes, im berechtigten betrieblichen Interesse liegt. Der Arbeitnehmer hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung als sozial ungerechtfertigt im Sinne des Satzes 1 erscheinen lassen.

(4) Ist in einem Tarifvertrag, in einer Betriebsvereinbarung nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes oder in einer entsprechenden Richtlinie nach den Personalvertretungsgesetzen festgelegt, wie die sozialen Gesichtspunkte nach Absatz 3 Satz 1 im Verhältnis zueinander zu bewerten sind, so kann die Bewertung nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden.

(5) Sind bei einer Kündigung auf Grund einer Betriebsänderung nach § 111 des Betriebsverfassungsgesetzes die Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll, in einem Interessenausgleich zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat namentlich bezeichnet, so wird vermutet, dass die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne des Absatzes 2 bedingt ist. Die soziale Auswahl der Arbeitnehmer kann nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht, soweit sich die Sachlage nach Zustandekommen des Interessenausgleichs wesentlich geändert hat. Der Interessenausgleich nach Satz 1 ersetzt die Stellungnahme des Betriebsrates nach § 17 Abs. 3 Satz 2.

Tenor

Der Beteiligten zu 2. wird aufgegeben, die Beteiligte zu 3. zu

entlassen.


1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71 72 73 74 75 76 77 78

Hat ein Arbeitnehmer durch gesetzwidriges Verhalten oder durch grobe Verletzung der in § 75 Abs. 1 enthaltenen Grundsätze, insbesondere durch rassistische oder fremdenfeindliche Betätigungen, den Betriebsfrieden wiederholt ernstlich gestört, so kann der Betriebsrat vom Arbeitgeber die Entlassung oder Versetzung verlangen. Gibt das Arbeitsgericht einem Antrag des Betriebsrats statt, dem Arbeitgeber aufzugeben, die Entlassung oder Versetzung durchzuführen, und führt der Arbeitgeber die Entlassung oder Versetzung einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung zuwider nicht durch, so ist auf Antrag des Betriebsrats vom Arbeitsgericht zu erkennen, dass er zur Vornahme der Entlassung oder Versetzung durch Zwangsgeld anzuhalten sei. Das Höchstmaß des Zwangsgeldes beträgt für jeden Tag der Zuwiderhandlung 250 Euro.

Tenor

Der Beteiligten zu 2. wird aufgegeben, die Beteiligte zu 3. zu

entlassen.


1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71 72 73 74 75 76 77 78

(1) Das Gericht erforscht den Sachverhalt im Rahmen der gestellten Anträge von Amts wegen. Die am Verfahren Beteiligten haben an der Aufklärung des Sachverhalts mitzuwirken.

(1a) Der Vorsitzende kann den Beteiligten eine Frist für ihr Vorbringen setzen. Nach Ablauf einer nach Satz 1 gesetzten Frist kann das Vorbringen zurückgewiesen werden, wenn nach der freien Überzeugung des Gerichts seine Zulassung die Erledigung des Beschlussverfahrens verzögern würde und der Beteiligte die Verspätung nicht genügend entschuldigt. Die Beteiligten sind über die Folgen der Versäumung der nach Satz 1 gesetzten Frist zu belehren.

(2) Zur Aufklärung des Sachverhalts können Urkunden eingesehen, Auskünfte eingeholt, Zeugen, Sachverständige und Beteiligte vernommen und der Augenschein eingenommen werden.

(3) In dem Verfahren sind der Arbeitgeber, die Arbeitnehmer und die Stellen zu hören, die nach dem Betriebsverfassungsgesetz, dem Sprecherausschussgesetz, dem Mitbestimmungsgesetz, dem Mitbestimmungsergänzungsgesetz, dem Drittelbeteiligungsgesetz, den §§ 177, 178 und 222 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch, dem § 18a des Berufsbildungsgesetzes und den zu diesen Gesetzen ergangenen Rechtsverordnungen sowie nach dem Gesetz über Europäische Betriebsräte, dem SE-Beteiligungsgesetz, dem SCE-Beteiligungsgesetz, dem Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei einer grenzüberschreitenden Verschmelzung und dem Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei grenzüberschreitendem Formwechsel und grenzüberschreitender Spaltung im einzelnen Fall beteiligt sind.

(4) Die Beteiligten können sich schriftlich äußern. Bleibt ein Beteiligter auf Ladung unentschuldigt aus, so ist der Pflicht zur Anhörung genügt; hierauf ist in der Ladung hinzuweisen. Mit Einverständnis der Beteiligten kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

(5) Gegen Beschlüsse und Verfügungen des Arbeitsgerichts oder seines Vorsitzenden findet die Beschwerde nach Maßgabe des § 78 statt.

Hat ein Arbeitnehmer durch gesetzwidriges Verhalten oder durch grobe Verletzung der in § 75 Abs. 1 enthaltenen Grundsätze, insbesondere durch rassistische oder fremdenfeindliche Betätigungen, den Betriebsfrieden wiederholt ernstlich gestört, so kann der Betriebsrat vom Arbeitgeber die Entlassung oder Versetzung verlangen. Gibt das Arbeitsgericht einem Antrag des Betriebsrats statt, dem Arbeitgeber aufzugeben, die Entlassung oder Versetzung durchzuführen, und führt der Arbeitgeber die Entlassung oder Versetzung einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung zuwider nicht durch, so ist auf Antrag des Betriebsrats vom Arbeitsgericht zu erkennen, dass er zur Vornahme der Entlassung oder Versetzung durch Zwangsgeld anzuhalten sei. Das Höchstmaß des Zwangsgeldes beträgt für jeden Tag der Zuwiderhandlung 250 Euro.

(1) Die außerordentliche Kündigung von Mitgliedern des Betriebsrats, der Jugend- und Auszubildendenvertretung, der Bordvertretung und des Seebetriebsrats, des Wahlvorstands sowie von Wahlbewerbern bedarf der Zustimmung des Betriebsrats.

(2) Verweigert der Betriebsrat seine Zustimmung, so kann das Arbeitsgericht sie auf Antrag des Arbeitgebers ersetzen, wenn die außerordentliche Kündigung unter Berücksichtigung aller Umstände gerechtfertigt ist. In dem Verfahren vor dem Arbeitsgericht ist der betroffene Arbeitnehmer Beteiligter.

(2a) Absatz 2 gilt entsprechend, wenn im Betrieb kein Betriebsrat besteht.

(3) Die Versetzung der in Absatz 1 genannten Personen, die zu einem Verlust des Amtes oder der Wählbarkeit führen würde, bedarf der Zustimmung des Betriebsrats; dies gilt nicht, wenn der betroffene Arbeitnehmer mit der Versetzung einverstanden ist. Absatz 2 gilt entsprechend mit der Maßgabe, dass das Arbeitsgericht die Zustimmung zu der Versetzung ersetzen kann, wenn diese auch unter Berücksichtigung der betriebsverfassungsrechtlichen Stellung des betroffenen Arbeitnehmers aus dringenden betrieblichen Gründen notwendig ist.

Hat ein Arbeitnehmer durch gesetzwidriges Verhalten oder durch grobe Verletzung der in § 75 Abs. 1 enthaltenen Grundsätze, insbesondere durch rassistische oder fremdenfeindliche Betätigungen, den Betriebsfrieden wiederholt ernstlich gestört, so kann der Betriebsrat vom Arbeitgeber die Entlassung oder Versetzung verlangen. Gibt das Arbeitsgericht einem Antrag des Betriebsrats statt, dem Arbeitgeber aufzugeben, die Entlassung oder Versetzung durchzuführen, und führt der Arbeitgeber die Entlassung oder Versetzung einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung zuwider nicht durch, so ist auf Antrag des Betriebsrats vom Arbeitsgericht zu erkennen, dass er zur Vornahme der Entlassung oder Versetzung durch Zwangsgeld anzuhalten sei. Das Höchstmaß des Zwangsgeldes beträgt für jeden Tag der Zuwiderhandlung 250 Euro.

(1) Urteile sind der Rechtskraft nur insoweit fähig, als über den durch die Klage oder durch die Widerklage erhobenen Anspruch entschieden ist.

(2) Hat der Beklagte die Aufrechnung einer Gegenforderung geltend gemacht, so ist die Entscheidung, dass die Gegenforderung nicht besteht, bis zur Höhe des Betrages, für den die Aufrechnung geltend gemacht worden ist, der Rechtskraft fähig.

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 29. November 2013 - 10 Sa 696/13 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Zulässigkeit der Anrechnung tariflicher Entgelterhöhungen auf eine übertarifliche Zulage.

2

Der Kläger ist als Projektingenieur in E (Nordrhein-Westfalen) beschäftigt. Nach einer am 14./20. Januar 1988 mit der Rechtsvorgängerin der Beklagten geschlossenen „Anstellungsvereinbarung“ setzte sich seine Vergütung aus einem monatlichen Grundgehalt nach dem „Manteltarifvertrag der Hessischen Metallindustrie“ und einer „freiwilligen, jederzeit widerruflichen übertariflichen Zulage“ iHv. 1.686,00 DM brutto zusammen. Im Übrigen heißt es dort, dass sich „alle weiteren das Arbeitsverhältnis betreffenden Punkte … nach den jeweils gültigen Bestimmungen des Tarifvertrages der Hessischen Metallindustrie …“ richten.

3

Mit Wirkung vom 1. April 2007 ging das Arbeitsverhältnis aufgrund eines Betriebsübergangs auf die nicht tarifgebundene Beklagte über. Zu diesem Zeitpunkt erhielt der Kläger ein Tarifentgelt iHv. 3.802,00 Euro brutto, eine Leistungszulage iHv. 25 % des Tarifentgelts (940,50 Euro brutto) und eine - von beiden Parteien so bezeichnete - „freiwillige übertarifliche Zulage (FÜZ)“ iHv. 325,18 Euro brutto. Die zwischen der Industriegewerkschaft Metall und dem Verband der Metall- und Elektrounternehmen Hessen eV vereinbarten Tarifentgelterhöhungen ab 1. Juni 2007 bis einschließlich 1. April 2011 gab die Beklagte nicht an den Kläger weiter. Nachdem das Bundesarbeitsgericht in einem von einem Kollegen des Klägers angestrengten Rechtsstreit zu einer inhaltsgleichen Verweisungsklausel rechtskräftig festgestellt hatte, dass die Beklagte als Betriebserwerberin verpflichtet ist, die Entgelttarifverträge für die Hessische Metallindustrie in der jeweils gültigen Fassung anzuwenden (21. Oktober 2009 - 4 AZR 396/08 -), traf diese am 29. Juni 2010 die - auch andere Arbeitnehmer betreffende - Entscheidung, die tariflichen Entgelterhöhungen auf die freiwillige übertarifliche Zulage anzurechnen.

4

Der in dem Betrieb E gebildete Betriebsrat leitete daraufhin ein Beschlussverfahren mit dem Antrag ein, ua. „festzustellen, dass ihm ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG bei der ungleichmäßigen Verrechnung der … freiwilligen (übertariflichen) Zulage (FÜZ) durch die Antragsgegnerin zusteht“. Das Arbeitsgericht Düsseldorf wies den Feststellungsantrag mit Beschluss vom 28. Juli 2011 ab (- 5 BV 62/11 -). Die Beschwerde des Betriebsrats vor dem Landesarbeitsgericht Düsseldorf (9. Februar 2012 5 TaBV 74/11 -) blieb ebenso ohne Erfolg wie seine Nichtzulassungsbeschwerde (BAG 24. Juli 2012 - 1 ABN 42/12 -).

5

Anlässlich der Anhebung des Tarifentgelts ab dem 1. Mai 2012 erhöhte die Beklagte das Entgelt und die Leistungszulage des Klägers um 4,3 %, kürzte allerdings die freiwillige übertarifliche Zulage um den Steigerungsbetrag.

6

Mit seiner Klage hat der Kläger - soweit für die Revision noch von Bedeutung - die ungekürzte Zahlung der freiwilligen übertariflichen Zulage für die Zeit von Oktober 2008 bis Oktober 2012 iHv. insgesamt 14.242,89 Euro brutto sowie für den Zeitraum vom Mai 2012 bis Oktober 2012 iHv. weiteren 1.226,16 Euro brutto geltend gemacht. Er hat die Auffassung vertreten, die Anrechnung der Tarifentgelterhöhung sei mangels Beteiligung des Betriebsrats unwirksam. Die rechtskräftige Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 9. Februar 2012 (- 5 TaBV 74/11 -) sei für den vorliegenden Rechtsstreit ohne Einfluss. Er sei an diesem Beschlussverfahren nicht beteiligt gewesen.

7

Der Kläger hat - soweit für das Revisionsverfahren noch von Bedeutung - in der Sache - beantragt,

        

die Beklagte zu verurteilen,

        

1.    

an ihn (weitere) 14.242,89 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 30. November 2012 zu zahlen,

        

2.    

an ihn 1.226,16 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 30. November 2012 zu zahlen.

8

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.

9

Das Arbeitsgericht hat dem Antrag zu 1., mit dem der Kläger erstinstanzlich eine Gesamtforderung von 27.236,74 Euro erhoben hat, in Höhe von 12.993,85 Euro stattgegeben; dies betrifft die Differenz zwischen dem für die Zeit Oktober 2008 bis Oktober 2012 beanspruchten tariflichen Entgelt einschließlich einer in ihrer Höhe davon abhängigen Leistungszulage unter Anrechnung der Tariferhöhung auf die freiwillige übertarifliche Zulage zuzüglich der für diesen Zeitraum beanspruchten tariflichen Sonderzahlungen und der Differenzen zwischen tariflichem und gezahltem Weihnachtsgeld sowie Urlaubsgeld, bei denen die Beklagte keine Verrechnung mit der Zulage angebracht hat. Das Landesarbeitsgericht hat die nur von dem Kläger eingelegte Berufung mit der klarstellenden Maßgabe zurückgewiesen, dass die Klage im Übrigen abgewiesen wird. Mit seiner Revision verfolgt der Kläger die von seinen Anträgen zu 1. und zu 2. umfassten ursprünglichen Zahlungsziele weiter.

Entscheidungsgründe

10

Die zulässige Revision des Klägers ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben dem Klageantrag zu 1. zu Recht nicht in der geltend gemachten Höhe entsprochen. Bei dem Klageantrag zu 2. ist die Revision bereits deshalb unbegründet, weil es insoweit an einer zulässigen Berufung des Klägers gegen die arbeitsgerichtliche Entscheidung fehlt.

11

I. Der Kläger kann die mit dem Klageantrag zu 1. verfolgte ungekürzte Zahlung der freiwilligen übertariflichen Zulage unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt beanspruchen.

12

1. Er hat im Streitzeitraum keinen vertraglichen Anspruch auf die erstrebte weitere Vergütung.

13

a) Vereinbaren die Arbeitsvertragsparteien ein Entgelt, das sich aus einem Tarifentgelt und einer Zulage zusammensetzt, und erweist sich später das Tarifentgelt aus Rechtsgründen als zu niedrig angesetzt, besteht ein Anspruch des Arbeitnehmers auf Leistung der unverminderten Zulage neben dem erhöhten Tarifentgelt nur dann, wenn die Zulage als selbständiger, anrechnungsfester Bestandteil der Gesamtvergütung vereinbart ist (vgl. BAG 3. September 2014 - 5 AZR 109/13 - Rn. 12, BAGE 149, 78).

14

b) Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht erkannt, dass die Parteien keinen eigenständigen und damit anrechnungsfesten Vergütungsbestandteil „freiwillige übertarifliche Zulage (FÜZ)“ iHv. 325,18 Euro brutto monatlich vereinbart haben. Dafür fehlt es nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts an Anhaltspunkten, zumal die Gesamtvergütung des Klägers - jedenfalls seit dem Zeitpunkt des Betriebsübergangs auf die Beklagte - auch eine „Leistungszulage“ enthielt. Dies hindert die Annahme eines besonderen Leistungszwecks der freiwilligen übertariflichen Zulage, der einer Anrechenbarkeit entgegenstehen könnte. Weiterhin hat das Landesarbeitsgericht rechtsfehlerfrei erkannt, dass die Anrechnung individualrechtlich zulässig war. Gegenteiliges macht der Kläger mit seiner Revision auch nicht mehr geltend.

15

2. Die Beklagte ist auch nicht nach der Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung verpflichtet, dem Kläger die begehrte ungekürzte freiwillige übertarifliche Zulage zu zahlen.

16

a) Nach der Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung führt die Verletzung von Mitbestimmungsrechten des Betriebsrats im Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer jedenfalls zur Unwirksamkeit von Maßnahmen oder Rechtsgeschäften, die den Arbeitnehmer belasten. Das soll verhindern, dass der Arbeitgeber dem Einigungszwang mit dem Betriebsrat durch Rückgriff auf arbeitsvertragliche Gestaltungsmöglichkeiten ausweicht. Dem Arbeitgeber darf aus einer betriebsverfassungsrechtlichen Pflichtwidrigkeit auch im Rahmen des Arbeitsverhältnisses kein Vorteil erwachsen (BAG 22. Oktober 2014 - 5 AZR 731/12 - Rn. 31, BAGE 149, 343). Verletzt der Arbeitgeber bei einer Anrechnung von Tarifsteigerungen auf Zulagen das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats, hat dies die Unwirksamkeit der Anrechnung zur Folge (vgl. BAG 22. Mai 2012 - 1 AZR 94/11 - Rn. 29 mwN).

17

b) Die Beklagte hat bei der Anrechnung der Tarifentgelterhöhungen auf die freiwillige übertarifliche Zulage kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats verletzt. Dies steht aufgrund der rechtskräftigen Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf (9. Februar 2012 - 5 TaBV 74/11 -) in dem vom Betriebsrat angestrengten Beschlussverfahren fest und schließt eine abweichende gerichtliche Beurteilung zu einem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei der Anrechnungsentscheidung der Beklagten im vorliegenden Rechtsstreit aus.

18

aa) Der Betriebsrat hatte bei der Anrechnungsentscheidung der Arbeitgeberin nach rechtskräftiger Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf nicht nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG mitzubestimmen.

19

(1) Nach dem auch im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren anwendbaren § 322 Abs. 1 ZPO sind Beschlüsse der Rechtskraft fähig, soweit über den durch den Antrag erhobenen Anspruch entschieden ist(BAG 5. März 2013 - 1 ABR 75/11 - Rn. 12 mwN). Der Begriff des Anspruchs in § 322 Abs. 1 ZPO bezeichnet den prozessualen Anspruch im Sinn der Streitgegenstandslehre. Dieser richtet sich nach dem zur Entscheidung gestellten Antrag und dem zugehörigen Lebenssachverhalt, aus dem die begehrte Rechtsfolge hergeleitet wird. Dabei sind die Gründe des Beschlusses ergänzend heranzuziehen, wenn die Entscheidungsformel, wie insbesondere bei einer den Antrag abweisenden Entscheidung, den Streitgegenstand und damit den Umfang der Rechtskraft nicht erkennen lässt (BAG 5. März 2013 - 1 ABR 75/11 - Rn. 13 mwN).

20

(2) Das Landesarbeitsgericht hat rechtskräftig über das Nichtbestehen eines Mitbestimmungsrechts bei vergangenheits-, gegenwarts- und zukunftsbezogenen Anrechnungen von Tariflohnerhöhungen auf die freiwillige übertarifliche Zulage entschieden. In dem von ihm eingeleiteten Beschlussverfahren hat der Betriebsrat des E Betriebs ua. ein Mitbestimmungsrecht bei der „ungleichmäßigen Verrechnung der … freiwilligen (übertariflichen) Zulage“ (FÜZ) durch die Arbeitgeberin reklamiert. Die erstrebte Feststellung bezog sich - zumindest auch - auf die am 29. Juni 2010 getroffene Entscheidung der Beklagten, Tariferhöhungen auf übertarifliche Zulagen anzurechnen. Für diese Angelegenheit ist mit der rechtskräftigen Antragsabweisung ein Mitbestimmungsrecht verneint worden.

21

bb) Der Kläger muss das rechtskräftige Ergebnis über ein fehlendes Beteiligungsrecht des Betriebsrat bei der Anrechnungsentscheidung gegen sich gelten lassen. Dem Beschluss des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 9. Februar 2012 (- 5 TaBV 74/11 -) kommt insoweit eine präjudizielle Bindungswirkung zu.

22

(1) Rechtskräftige Beschlüsse im Beschlussverfahren über betriebsverfassungsrechtliche Streitigkeiten können für spätere Individualstreitigkeiten auch dann präjudizielle Bindungswirkung entfalten, wenn der Arbeitnehmer am Beschlussverfahren nicht beteiligt gewesen ist. So ist etwa bei Entscheidungen über die Mitbestimmungspflichtigkeit einer Betriebsänderung für nachfolgende Ansprüche auf Nachteilsausgleich (§ 113 Abs. 3 BetrVG) oder eine Maßnahme des Arbeitgebers nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG eine aus der Rechtskraft folgende Präklusionswirkung anzunehmen(vgl. BAG 10. März 1998 - 1 AZR 658/97 -; 31. Januar 1990 - 1 ABR 39/89 - BAGE 65, 28; 10. November 1987 - 1 AZR 360/86 - BAGE 56, 304). Unabhängig von Abgrenzungsfragen und terminologischen Unterschieden im Einzelnen ist eine präjudizielle Bindungswirkung oder Präklusionswirkung - auch außerhalb vom Bestehen ausdrücklicher Präklusionsnormen und des vom Wortlaut des § 325 ZPO vorgegebenen Rahmens - dann gerechtfertigt, wenn die Rechtslage des Arbeitnehmers primär durch eine kollektivrechtliche Vorfrage geprägt und daher seine individuelle Position in ein übergreifendes Bezugssystem eingebettet ist(vgl. BAG 18. Oktober 2006 - 2 AZR 434/05 - Rn. 44). Insoweit gründet sich die Bindungswirkung von Entscheidungen im Beschlussverfahren für einen nachfolgenden Individualrechtsstreit vor allem in der materiell- und verfahrensrechtlichen Kompetenz der Betriebsparteien. Allein dem Betriebsrat und nicht dem einzelnen Arbeitnehmer ist die Mitbestimmung in sozialen, personellen und wirtschaftlichen Angelegenheiten zugewiesen. In der Folge können einzelne Arbeitnehmer nicht gegenüber dem Betriebsrat verlangen, in einem bestimmten Sinn tätig zu werden, also etwa die Zustimmung zu einer mitzubestimmenden Maßnahme zu verweigern. Nur den Betriebsparteien - nicht den jeweiligen Arbeitnehmern - kommt die Befugnis zu, in einem Beschlussverfahren das (Nicht-)Bestehen von Mitbestimmungsrechten klären zu lassen. Entsprechend kann sich der einzelne Arbeitnehmer auch dann, wenn er an dem vorherigen Beschlussverfahren nicht beteiligt war, im nachfolgenden Individualprozess nicht darauf berufen, die Entscheidung über die kollektivrechtliche Streitfrage, die als Vorfrage auch im Individualprozess zu beantworten ist, sei unrichtig entschieden (vgl. BAG 10. März 1998 - 1 AZR 658/97 - zu III 2 a bb der Gründe; 3. Juli 1996 - 2 AZR 813/95 - zu II 2 b der Gründe, BAGE 83, 267; 23. November 1993 - 1 AZR 441/93 - zu I 1 a der Gründe; 17. Februar 1992 - 10 AZR 448/91 - BAGE 69, 367; 10. November 1987 - 1 AZR 360/86 - zu 2 c der Gründe, BAGE 56, 304).

23

(2) Von einer präjudiziellen Wirkung ist daher auch auszugehen, wenn - wie im vorliegenden Rechtsstreit - in einem vorangegangenen Beschlussverfahren rechtskräftig über das Nichtbestehen eines Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG bei der Anrechnung von Tarifentgelterhöhungen auf freiwillige übertarifliche Zulagen befunden worden ist. Der Arbeitnehmer kann den auf die kollektivrechtliche Unwirksamkeit der Anrechnung gestützten Anspruch auf ungekürzte Zulagenzahlung nicht unabhängig von der für die Betriebsparteien rechtskräftigen betriebsverfassungsrechtlichen Beurteilung des Anrechnungstatbestands geltend machen. Die Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung bezweckt den Schutz des Mitbestimmungsrechts. Ein hierauf gestützter Anspruch setzt ein mitbestimmungswidriges Verhalten des Arbeitgebers voraus. Ist in einem Beschlussverfahren allerdings rechtskräftig geklärt, dass kein Beteiligungsrecht des Betriebsrats besteht, fehlt es an einem zu schützenden Mitbestimmungsrecht, das durch die Anerkennung der (individualrechtlich wirkenden) Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung zu flankieren oder zu sichern wäre.

24

(3) Die Präjudizialität der rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung über das Nichtbestehen eines Mitbestimmungsrechts bei der Anrechnung der Tarifentgelterhöhungen auf die freiwillige übertarifliche Zulage verletzt den am Beschlussverfahren nicht beteiligten Kläger - entgegen der Auffassung der Revision - nicht in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG). Sind auf die Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung gestützte Ansprüche eines Arbeitnehmers auf eine ungeschmälerte Zulagenzahlung allein von der kollektivrechtlichen Beteiligung des Betriebsrats bei der Anrechnung von Tariferhöhungen abhängig, betrifft der Streit der Betriebsparteien über den Bestand eines Mitbestimmungsrechts und eine gerichtliche Entscheidung hierüber nur die Betriebsparteien. In einem solchen Beschlussverfahren sind die Arbeitnehmer ebenso wenig aus Gründen des rechtlichen Gehörs zu beteiligen, wie sie etwa vom Betriebsrat vor einer Zustimmung zur Anrechnung gehört werden müssten. Die Bindung an die in einem Beschlussverfahren ergangene Entscheidung verkürzt auch keine originäre individuelle Rechtsposition der Arbeitnehmer. Sie bewirkt lediglich, dass im Hinblick auf die abschließend geklärte betriebsverfassungsrechtliche Fragestellung kein Anwendungsfall der Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung vorliegt.

25

(4) Der Präjudizialität einer rechtskräftigen Entscheidung über den Bestand eines Mitbestimmungsrechts bei der Anrechnung steht die Entscheidung des Sechsten Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 15. Januar 1987 (- 6 AZR 589/84 -) nicht entgegen. Zwar hat der Sechste Senat hierin ausgeführt, trotz rechtskräftiger Abweisung eines Antrags des Personalrats auf Feststellung, der Arbeitgeber habe bei der Kürzung eines Essenzuschusses Mitbestimmungsrechte verletzt, seien die Gerichte für Arbeitssachen befugt, im Individualrechtsstreit selbständig zu prüfen, ob solche Mitbestimmungsrechte bestünden oder nicht. Seine Ausführungen zur Ablehnung einer Bindungswirkung waren aber nicht tragend; seine die Klage abweisende Entscheidung beruhte auf anderen Gründen.

26

II. Die Revision ist in Bezug auf den Klageantrag zu 2. bereits deshalb unbegründet, weil insoweit die Berufung des Klägers gegen das arbeitsgerichtliche Urteil unzulässig war. Es fehlt damit an einer - vom Revisionsgericht von Amts wegen zu prüfenden - Prozessfortsetzungsvoraussetzung. Unerheblich ist, dass das Landesarbeitsgericht die Berufung des Klägers insgesamt als zulässig angesehen hat (BAG 13. Oktober 2015 - 1 AZR 429/14 - Rn. 35 mwN).

27

1. Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO muss die Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich die Rechtsverletzung durch das angefochtene Urteil und deren Erheblichkeit für das Ergebnis der Entscheidung ergibt. Erforderlich ist eine hinreichende Darstellung der Gründe, aus denen sich die Rechtsfehlerhaftigkeit der angefochtenen Entscheidung ergeben soll. Bezieht sich das Rechtsmittel auf mehrere Ansprüche im prozessualen Sinn, ist zu jedem Anspruch eine ausreichende Begründung zu geben. Fehlen Ausführungen zu einem Anspruch, ist das Rechtsmittel insoweit unzulässig (BAG 13. Oktober 2015 - 1 AZR 429/14 - Rn. 36).

28

2. Diesen Grundsätzen genügte die Berufungsbegründung des Klägers bezogen auf den mit dem Antrag zu 2. eigenständig erhobenen Streitgegenstand nicht. Das Arbeitsgericht hat hierzu ausgeführt, die tatsächliche Entgelterhöhung im Mai 2012 sei nicht anspruchserhöhend zu werten, denn der Kläger habe die jeweiligen Tariferhöhungen bereits bei seiner Berechnung der monatlichen Entgeltdifferenzen ab Mai 2012 berücksichtigt. Damit setzt sich die Berufungsbegründung nicht auseinander.

        

    Schmidt    

        

    Treber    

        

    K. Schmidt    

        

        

        

    Sibylle Spoo    

        

    Hann    

                 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats gegen den Schlussbeschluss des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 7. Juli 2011 - 9 TaBV 168/10 - wird zurückgewiesen.

Gründe

1

A. Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit von Altersgrenzenregelungen in Betriebsvereinbarungen.

2

Antragsteller ist der Betriebsrat eines am Standort W bestehenden Gemeinschaftsbetriebs. Dessen Inhaber sind seit einem am 1. Juli 2010 vollzogenen Betriebsinhaberwechsel die zu 2. (PGM) und zu 3. (PGS) beteiligten Arbeitgeberinnen. In dem Gemeinschaftsbetrieb finden kraft deren Tarifbindung die Tarifverträge der Chemischen Industrie Anwendung. Zu diesen gehört auch der im Jahr 2008 abgeschlossene Tarifvertrag „Lebensarbeitszeit und Demografie“ (TVLD). Dieser enthält ua. Regelungen über die Durchführung einer Demografieanalyse in den Betrieben und die Gestaltung von Arbeitszeitmodellen.

3

Die PGM schloss mit ihrem zu 4. beteiligten Gesamtbetriebsrat am 24. November 2009 eine „Freiwillige Gesamtbetriebsvereinbarung Umsetzung des Demografietarifvertrags“ (GBV 2009) ab. Deren § 5 enthält eine auf das Erreichen des Regelrentenalters bezogene Altersgrenze. Eine inhaltsgleiche Altersgrenzenregelung vereinbarte auch die PGS mit ihrem zu 5. beteiligten Gesamtbetriebsrat.

4

Im Gemeinschaftsbetrieb W bestand seit dem 12. Dezember 2008 eine zwischen den vormaligen Betriebsinhaberinnen und dem Betriebsrat vereinbarte Betriebsordnung (BO 2008). Nach deren Nr. 11.1 endete das Arbeitsverhältnis ohne Kündigung mit Ablauf des Kalendermonats, in dem das jeweils gültige gesetzliche Rentenalter vollendet wird. Am 23. Dezember 2009 schloss der Betriebsrat W eine „Freiwillige Betriebsvereinbarung Umsetzung des Demografietarifvertrags“ (BV 2009). § 4 BV 2009 enthält eine mit § 5 GBV 2009 übereinstimmende Altersgrenzenregelung.

5

Der Betriebsrat W hat die von ihm abgeschlossenen betrieblichen Altersgrenzenregelungen wie auch § 5 GBV 2009 für unwirksam gehalten. Altersgrenzenvereinbarungen in Betriebsvereinbarungen seien generell unzulässig. Jedenfalls sei ein Gesamtbetriebsrat hierfür nicht zuständig.

6

Der Betriebsrat W hat - soweit für die Rechtsbeschwerde von Bedeutung - zuletzt beantragt,

        

a)    

festzustellen, dass § 4 der Betriebsvereinbarung „Umsetzung des Demografietarifvertrags“ vom 23. Dezember 2009 und Ziffer 11.1 der Betriebsordnung vom 8. Dezember 2009 rechtsunwirksam sind und keine Rechtswirkung entfalten,

        

b)    

…       

        

c)    

festzustellen, dass § 5 GBV „Umsetzung des Demografietarifvertrags“ zwischen der Geschäftsleitung der Beteiligten zu 2. und dem Beteiligten zu 4. und § 5 GBV „Umsetzung des Demografietarifvertrags“ zwischen der Geschäftsleitung der Beteiligten zu 3. und dem Beteiligten zu 5. rechtsunwirksam sind und keine Rechtswirkung entfalten.

7

Die Arbeitgeberinnen haben die Abweisung der Anträge beantragt.

8

Das Arbeitsgericht hat den dort allein gestellten Antrag zu a) abgewiesen. Dagegen hat der Betriebsrat W Beschwerde eingelegt und sein Begehren um den Antrag zu c) erweitert. Das Landesarbeitsgericht hat die Beschwerde zurückgewiesen und den Antrag zu c) abgewiesen. Es hat die Rechtsbeschwerde nur in Bezug auf den Antrag zu c) zugelassen und darüber hinaus auf die Frage der Wirksamkeit der zwischen der PGM und ihrem Gesamtbetriebsrat in § 5 GBV 2009 vereinbarten Altersgrenzenregelung beschränkt. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt der Betriebsrat W entsprechend der zweitinstanzlichen Zulassungsentscheidung seinen Antrag zu c) weiter. Daneben hat er den vom Landesarbeitsgericht abgewiesenen Antrag zu a) im Wege der Antragserweiterung zur Entscheidung gestellt.

9

B. Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Beide Anträge des Betriebsrats sind unzulässig.

10

I. Gegenstand des Rechtsbeschwerdeverfahrens ist der auf Feststellung der Unwirksamkeit von § 5 GBV 2009 gerichtete Antrag des Betriebsrats W. Für diesen hat das Landesarbeitsgericht die Rechtsbeschwerde ausdrücklich zugelassen. Daneben hat der Betriebsrat W seinen vom Beschwerdegericht abgewiesenen Antrag zur Geltung von § 4 BV 2009 sowie Nr. 11.1 BO 2008 im Wege der Antragserweiterung in das Rechtsbeschwerdeverfahren eingeführt.

11

II. Der auf die Feststellung der Unwirksamkeit von § 4 BV 2009 und Nr. 11.1 BO 2008 gerichtete Antrag ist unzulässig. Einer erneuten Sachentscheidung steht der Einwand der Rechtskraft (§ 322 Abs. 1 ZPO) entgegen.

12

1. Nach dem auch im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren anwendbaren § 322 Abs. 1 ZPO sind Beschlüsse der Rechtskraft fähig, soweit über den durch den Antrag erhobenen Anspruch entschieden ist(BAG 6. Juni 2000 - 1 ABR 21/99 - zu B II 1 der Gründe, BAGE 95, 47). Die materielle Rechtskraftwirkung solcher Beschlüsse hindert grundsätzlich, dass bei Identität der Beteiligten und des Sachverhalts die bereits rechtskräftig entschiedene Frage den Gerichten zur erneuten Entscheidung unterbreitet werden kann. Das ist als negative Prozessvoraussetzung auch in der Rechtsbeschwerdeinstanz von Amts wegen zu beachten.

13

Der Begriff des Anspruchs in § 322 Abs. 1 ZPO bezeichnet den prozessualen Anspruch im Sinne der Streitgegenstandslehre. Die objektiven Grenzen der Rechtskraft des Entscheidungsgegenstandes werden durch den Streitgegenstand des vorangehenden Verfahrens bestimmt. Dieser richtet sich nach dem zur Entscheidung gestellten Antrag und dem zugehörigen Lebenssachverhalt, aus dem die begehrte Rechtsfolge hergeleitet wird (BAG 19. Januar 2010 - 1 ABR 55/08 - Rn. 15, BAGE 133, 75). Dabei sind Tatbestand und Entscheidungsgründe, erforderlichenfalls auch das Parteivorbringen, ergänzend heranzuziehen, wenn die Entscheidungsformel, wie insbesondere bei einer den Antrag abweisenden Entscheidung, den Streitgegenstand und damit den Umfang der Rechtskraft nicht erkennen lässt (BAG 19. Januar 2010 - 1 ABR 55/08 - aaO).

14

2. Danach ist der vom Betriebsrat in der Rechtsbeschwerdeinstanz im Wege der Antragserweiterung eingeführte Feststellungsantrag unzulässig. Über diesen hat das Beschwerdegericht bereits rechtskräftig entschieden.

15

Das Arbeitsgericht hat den auf Feststellung der Unwirksamkeit von § 4 BV 2009 und Nr. 11.1 BO 2008 gerichteten Antrag abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die dagegen gerichtete Beschwerde des Betriebsrats zurückgewiesen und gegen diesen Teil seiner Entscheidung die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen. Hiergegen hat der Betriebsrat keine Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt. Die Entscheidung des Beschwerdegerichts ist insoweit in Rechtskraft erwachsen. Es ist weder ersichtlich noch vom Betriebsrat geltend gemacht, dass die beschränkte Rechtsbeschwerdezulassung unbeachtlich ist und die Rechtsbeschwerde unbeschränkt eingelegt werden kann. Die Wirksamkeit der vom Gesamtbetriebsrat abgeschlossenen Altersgrenzenregelung in der GBV 2009 betrifft einen abtrennbaren selbständigen Teil des Gesamtstreitstoffs, über den gesondert und unabhängig von dem verbleibenden Verfahrensgegenstand entschieden werden konnte.

16

III. Auch der auf die Feststellung der Unwirksamkeit von § 5 GBV 2009 gerichtete Antrag ist unzulässig. Dem Betriebsrat fehlt bereits die erforderliche Antragsbefugnis iSv. § 81 Abs. 1 ArbGG.

17

1. Im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren ist ein Beteiligter antragsbefugt, wenn er eigene Rechte geltend macht. Antragsbefugnis und die Beteiligtenstellung fallen nicht notwendig zusammen; § 83 Abs. 3 ArbGG besagt nichts darüber, ob ein Beteiligter im Beschlussverfahren einen Antrag stellen kann. Die Antragsbefugnis ist vielmehr nach den Regeln über die Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens zu bestimmen (§ 81 Abs. 1 ArbGG). Regelmäßig kann nur derjenige ein gerichtliches Verfahren einleiten, der vorträgt, Träger des streitbefangenen Rechts zu sein. Ausnahmen gelten im Fall einer zulässigen Prozessstandschaft. Die Prozessführungsbefugnis im Urteilsverfahren und die Antragsbefugnis im Beschlussverfahren dienen dazu, Popularklagen auszuschließen. Im Beschlussverfahren ist die Antragsbefugnis nur gegeben, wenn der Antragsteller durch die begehrte Entscheidung in seiner kollektivrechtlichen Rechtsposition betroffen sein kann. Das ist regelmäßig nur dann der Fall, wenn er eigene Rechte geltend macht und dies nicht von vornherein als aussichtslos erscheint (BAG 17. Juni 2009 - 7 ABR 96/07 - Rn. 9).

18

2. Ein Betriebsrat kann die Unwirksamkeit einer von einer anderen Arbeitnehmervertretung abgeschlossenen Betriebsvereinbarung nicht unabhängig von einem Eingriff in seine eigene betriebsverfassungsrechtliche Rechtsposition geltend machen. Weder das BetrVG noch das ArbGG sehen ein inhaltliches Normenkontrollrecht der auf den unterschiedlichen Ebenen im Unternehmen und Konzern errichteten Arbeitnehmervertretungen vor. Die gerichtliche Überprüfung einer nicht selbst abgeschlossenen Betriebsvereinbarung kann von einem antragstellenden Betriebsrat nur in Hinblick auf eine Verletzung gerade seiner Regelungsbefugnis erfolgen. Fehlt dem abschließenden Betriebsrat insoweit die Zuständigkeit, erweist sich die Betriebsvereinbarung als Eingriff in die betriebsverfassungsrechtliche Rechtsposition des Antragstellers. Eine von einem unzuständigen Betriebsrat getroffene Vereinbarung ist unwirksam. Nur für den Ausspruch der darauf gestützten Rechtsfolge ist der für den Abschluss der Betriebsvereinbarung tatsächlich zuständige Betriebsrat antragsbefugt.

19

3. Danach fehlt dem Betriebsrat W die Antragsbefugnis. Er kann die Wirksamkeit von § 5 GBV 2009 nicht zur gerichtlichen Überprüfung stellen. Ein solcher Antrag wäre nur zulässig, wenn der Betriebsrat W geltend machen könnte, dass nicht der Gesamtbetriebsrat, sondern er für den Abschluss einer Altersgrenzenregelung zuständig sei. Nur dann wäre er von der unternehmensbezogenen Altersgrenzenregelung in einer eigenen betriebsverfassungsrechtlichen Rechtsposition betroffen. Dies ist nicht der Fall. Der Senat hat aufgrund der mit der rechtskräftigen Abweisung des Antrags zu a) verbundenen Bindungswirkung von der fehlenden Zuständigkeit des Betriebsrats Weiterstadt für den Abschluss einer betrieblichen Altersgrenzenregelung auszugehen.

20

a) Rechtskräftige Beschlüsse entfalten gemäß § 322 Abs. 1 ZPO Bindungswirkung für ein nachfolgendes Verfahren, soweit über den mit dem Antrag erhobenen Anspruch entschieden worden ist. Die Bindungswirkung beschränkt sich auf den unmittelbaren Gegenstand des Beschlusses, dh. auf die Rechtsfolge, die aufgrund eines bestimmten Sachverhalts bei Schluss der mündlichen Verhandlung den Entscheidungssatz bildet. Einzelne Urteilselemente, tatsächliche Feststellungen und rechtliche Folgerungen, auf denen die getroffene Entscheidung aufbaut, werden dagegen von der Rechtskraft nicht erfasst (BGH 26. Juni 2003 - I ZR 269/00 - zu II 1 a der Gründe, NJW 2003, 3058). Das Gericht ist an die im Vorprozess getroffene Entscheidung gebunden, wenn deren Inhalt zum Tatbestand der im neuen Verfahren geltend gemachten Rechtsfolge gehört (Rosenberg/Schwab/Gottwald Zivilprozessrecht 17. Aufl. § 154 Rn. 8). Die im ersten Verfahren rechtskräftig entschiedene Rechtsfolge ist im zweiten Verfahren zugrunde zu legen, wenn diese dort eine Vorfrage darstellt. Bei einer den Antrag abweisenden Entscheidung ist der aus der Begründung zu ermittelnde, die Rechtsfolge bestimmende, ausschlaggebende Abweisungsgrund Teil des in Rechtskraft erwachsenden Entscheidungssatzes und nicht allein ein Element der Entscheidungsbegründung (BAG 20. November 2012 - 1 AZR 611/11 - Rn. 89).

21

b) Das Landesarbeitsgericht hat im Rahmen seiner Begründung zu den im Betrieb W bestehenden Regelungen entschieden, dass § 4 BV 2009 nach dem Betriebsübergang zum 1. Juli 2010 aufgrund der bei der PGM geltenden GBV 2009 unwirksam geworden ist. In seiner Begründung hat es die Regelungsbefugnis des Betriebsrats W für den Abschluss einer auf den Gemeinschaftsbetrieb beschränkten Altersgrenzenregelung für den Zeitraum nach Wirksamwerden des Betriebsübergangs verneint. Es hat die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats PGM nach § 50 Abs. 1 BetrVG bejaht und den Feststellungsantrag aus diesem Grund abgewiesen.

22

c) Danach ist der Betriebsrat W für den Antrag zu c) nicht antragsbefugt. Er wird durch die Geltung von § 5 GBV 2009 nicht in einer eigenen betriebsverfassungsrechtlichen Rechtsposition betroffen. Dem Betriebsrat W fehlte zum Zeitpunkt der Anhörung vor dem Beschwerdegericht die Regelungsbefugnis für den Abschluss einer Betriebsvereinbarung über eine Altersgrenze. Dies folgt aus der Bindungswirkung der abweisenden Entscheidung des Landesarbeitsgerichts. Die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats nach § 50 Abs. 1 BetrVG war für das Beschwerdegericht der tragende Abweisungsgrund und nicht allein ein Element seiner Entscheidungsbegründung. Dies steht einer erneuten Prüfung der Regelungsbefugnis des Betriebsrats W im vorliegenden Verfahren entgegen.

23

d) Der Betriebsrat W ist auch nicht in Hinblick auf sein Überwachungsrecht (§ 80 Abs. 1 BetrVG) in seiner betriebsverfassungsrechtlichen Position betroffen.

24

Nach dieser Bestimmung kann der Betriebsrat den Arbeitgeber zur Einhaltung der zugunsten der Arbeitnehmer geltenden Schutzvorschriften auffordern. Das Überwachungsrecht des Betriebsrats ist darauf beschränkt, eine Nichtbeachtung oder fehlerhafte Durchführung der Vorschriften beim Arbeitgeber zu beanstanden und auf Abhilfe zu drängen (BAG 18. Mai 2010 - 1 ABR 6/09 - Rn. 21, BAGE 134, 249). Aus der Überwachungsaufgabe des Betriebsrats folgt indes kein Recht zur Normenkontrolle der nicht von ihm abgeschlossenen Normen.

        

    Schmidt    

        

    Linck    

        

    Koch    

        

        

        

    Manfred Gentz    

        

    Berg    

                 

(1) Urteile sind der Rechtskraft nur insoweit fähig, als über den durch die Klage oder durch die Widerklage erhobenen Anspruch entschieden ist.

(2) Hat der Beklagte die Aufrechnung einer Gegenforderung geltend gemacht, so ist die Entscheidung, dass die Gegenforderung nicht besteht, bis zur Höhe des Betrages, für den die Aufrechnung geltend gemacht worden ist, der Rechtskraft fähig.

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 29. November 2013 - 10 Sa 696/13 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Zulässigkeit der Anrechnung tariflicher Entgelterhöhungen auf eine übertarifliche Zulage.

2

Der Kläger ist als Projektingenieur in E (Nordrhein-Westfalen) beschäftigt. Nach einer am 14./20. Januar 1988 mit der Rechtsvorgängerin der Beklagten geschlossenen „Anstellungsvereinbarung“ setzte sich seine Vergütung aus einem monatlichen Grundgehalt nach dem „Manteltarifvertrag der Hessischen Metallindustrie“ und einer „freiwilligen, jederzeit widerruflichen übertariflichen Zulage“ iHv. 1.686,00 DM brutto zusammen. Im Übrigen heißt es dort, dass sich „alle weiteren das Arbeitsverhältnis betreffenden Punkte … nach den jeweils gültigen Bestimmungen des Tarifvertrages der Hessischen Metallindustrie …“ richten.

3

Mit Wirkung vom 1. April 2007 ging das Arbeitsverhältnis aufgrund eines Betriebsübergangs auf die nicht tarifgebundene Beklagte über. Zu diesem Zeitpunkt erhielt der Kläger ein Tarifentgelt iHv. 3.802,00 Euro brutto, eine Leistungszulage iHv. 25 % des Tarifentgelts (940,50 Euro brutto) und eine - von beiden Parteien so bezeichnete - „freiwillige übertarifliche Zulage (FÜZ)“ iHv. 325,18 Euro brutto. Die zwischen der Industriegewerkschaft Metall und dem Verband der Metall- und Elektrounternehmen Hessen eV vereinbarten Tarifentgelterhöhungen ab 1. Juni 2007 bis einschließlich 1. April 2011 gab die Beklagte nicht an den Kläger weiter. Nachdem das Bundesarbeitsgericht in einem von einem Kollegen des Klägers angestrengten Rechtsstreit zu einer inhaltsgleichen Verweisungsklausel rechtskräftig festgestellt hatte, dass die Beklagte als Betriebserwerberin verpflichtet ist, die Entgelttarifverträge für die Hessische Metallindustrie in der jeweils gültigen Fassung anzuwenden (21. Oktober 2009 - 4 AZR 396/08 -), traf diese am 29. Juni 2010 die - auch andere Arbeitnehmer betreffende - Entscheidung, die tariflichen Entgelterhöhungen auf die freiwillige übertarifliche Zulage anzurechnen.

4

Der in dem Betrieb E gebildete Betriebsrat leitete daraufhin ein Beschlussverfahren mit dem Antrag ein, ua. „festzustellen, dass ihm ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG bei der ungleichmäßigen Verrechnung der … freiwilligen (übertariflichen) Zulage (FÜZ) durch die Antragsgegnerin zusteht“. Das Arbeitsgericht Düsseldorf wies den Feststellungsantrag mit Beschluss vom 28. Juli 2011 ab (- 5 BV 62/11 -). Die Beschwerde des Betriebsrats vor dem Landesarbeitsgericht Düsseldorf (9. Februar 2012 5 TaBV 74/11 -) blieb ebenso ohne Erfolg wie seine Nichtzulassungsbeschwerde (BAG 24. Juli 2012 - 1 ABN 42/12 -).

5

Anlässlich der Anhebung des Tarifentgelts ab dem 1. Mai 2012 erhöhte die Beklagte das Entgelt und die Leistungszulage des Klägers um 4,3 %, kürzte allerdings die freiwillige übertarifliche Zulage um den Steigerungsbetrag.

6

Mit seiner Klage hat der Kläger - soweit für die Revision noch von Bedeutung - die ungekürzte Zahlung der freiwilligen übertariflichen Zulage für die Zeit von Oktober 2008 bis Oktober 2012 iHv. insgesamt 14.242,89 Euro brutto sowie für den Zeitraum vom Mai 2012 bis Oktober 2012 iHv. weiteren 1.226,16 Euro brutto geltend gemacht. Er hat die Auffassung vertreten, die Anrechnung der Tarifentgelterhöhung sei mangels Beteiligung des Betriebsrats unwirksam. Die rechtskräftige Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 9. Februar 2012 (- 5 TaBV 74/11 -) sei für den vorliegenden Rechtsstreit ohne Einfluss. Er sei an diesem Beschlussverfahren nicht beteiligt gewesen.

7

Der Kläger hat - soweit für das Revisionsverfahren noch von Bedeutung - in der Sache - beantragt,

        

die Beklagte zu verurteilen,

        

1.    

an ihn (weitere) 14.242,89 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 30. November 2012 zu zahlen,

        

2.    

an ihn 1.226,16 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 30. November 2012 zu zahlen.

8

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.

9

Das Arbeitsgericht hat dem Antrag zu 1., mit dem der Kläger erstinstanzlich eine Gesamtforderung von 27.236,74 Euro erhoben hat, in Höhe von 12.993,85 Euro stattgegeben; dies betrifft die Differenz zwischen dem für die Zeit Oktober 2008 bis Oktober 2012 beanspruchten tariflichen Entgelt einschließlich einer in ihrer Höhe davon abhängigen Leistungszulage unter Anrechnung der Tariferhöhung auf die freiwillige übertarifliche Zulage zuzüglich der für diesen Zeitraum beanspruchten tariflichen Sonderzahlungen und der Differenzen zwischen tariflichem und gezahltem Weihnachtsgeld sowie Urlaubsgeld, bei denen die Beklagte keine Verrechnung mit der Zulage angebracht hat. Das Landesarbeitsgericht hat die nur von dem Kläger eingelegte Berufung mit der klarstellenden Maßgabe zurückgewiesen, dass die Klage im Übrigen abgewiesen wird. Mit seiner Revision verfolgt der Kläger die von seinen Anträgen zu 1. und zu 2. umfassten ursprünglichen Zahlungsziele weiter.

Entscheidungsgründe

10

Die zulässige Revision des Klägers ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben dem Klageantrag zu 1. zu Recht nicht in der geltend gemachten Höhe entsprochen. Bei dem Klageantrag zu 2. ist die Revision bereits deshalb unbegründet, weil es insoweit an einer zulässigen Berufung des Klägers gegen die arbeitsgerichtliche Entscheidung fehlt.

11

I. Der Kläger kann die mit dem Klageantrag zu 1. verfolgte ungekürzte Zahlung der freiwilligen übertariflichen Zulage unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt beanspruchen.

12

1. Er hat im Streitzeitraum keinen vertraglichen Anspruch auf die erstrebte weitere Vergütung.

13

a) Vereinbaren die Arbeitsvertragsparteien ein Entgelt, das sich aus einem Tarifentgelt und einer Zulage zusammensetzt, und erweist sich später das Tarifentgelt aus Rechtsgründen als zu niedrig angesetzt, besteht ein Anspruch des Arbeitnehmers auf Leistung der unverminderten Zulage neben dem erhöhten Tarifentgelt nur dann, wenn die Zulage als selbständiger, anrechnungsfester Bestandteil der Gesamtvergütung vereinbart ist (vgl. BAG 3. September 2014 - 5 AZR 109/13 - Rn. 12, BAGE 149, 78).

14

b) Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht erkannt, dass die Parteien keinen eigenständigen und damit anrechnungsfesten Vergütungsbestandteil „freiwillige übertarifliche Zulage (FÜZ)“ iHv. 325,18 Euro brutto monatlich vereinbart haben. Dafür fehlt es nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts an Anhaltspunkten, zumal die Gesamtvergütung des Klägers - jedenfalls seit dem Zeitpunkt des Betriebsübergangs auf die Beklagte - auch eine „Leistungszulage“ enthielt. Dies hindert die Annahme eines besonderen Leistungszwecks der freiwilligen übertariflichen Zulage, der einer Anrechenbarkeit entgegenstehen könnte. Weiterhin hat das Landesarbeitsgericht rechtsfehlerfrei erkannt, dass die Anrechnung individualrechtlich zulässig war. Gegenteiliges macht der Kläger mit seiner Revision auch nicht mehr geltend.

15

2. Die Beklagte ist auch nicht nach der Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung verpflichtet, dem Kläger die begehrte ungekürzte freiwillige übertarifliche Zulage zu zahlen.

16

a) Nach der Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung führt die Verletzung von Mitbestimmungsrechten des Betriebsrats im Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer jedenfalls zur Unwirksamkeit von Maßnahmen oder Rechtsgeschäften, die den Arbeitnehmer belasten. Das soll verhindern, dass der Arbeitgeber dem Einigungszwang mit dem Betriebsrat durch Rückgriff auf arbeitsvertragliche Gestaltungsmöglichkeiten ausweicht. Dem Arbeitgeber darf aus einer betriebsverfassungsrechtlichen Pflichtwidrigkeit auch im Rahmen des Arbeitsverhältnisses kein Vorteil erwachsen (BAG 22. Oktober 2014 - 5 AZR 731/12 - Rn. 31, BAGE 149, 343). Verletzt der Arbeitgeber bei einer Anrechnung von Tarifsteigerungen auf Zulagen das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats, hat dies die Unwirksamkeit der Anrechnung zur Folge (vgl. BAG 22. Mai 2012 - 1 AZR 94/11 - Rn. 29 mwN).

17

b) Die Beklagte hat bei der Anrechnung der Tarifentgelterhöhungen auf die freiwillige übertarifliche Zulage kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats verletzt. Dies steht aufgrund der rechtskräftigen Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf (9. Februar 2012 - 5 TaBV 74/11 -) in dem vom Betriebsrat angestrengten Beschlussverfahren fest und schließt eine abweichende gerichtliche Beurteilung zu einem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei der Anrechnungsentscheidung der Beklagten im vorliegenden Rechtsstreit aus.

18

aa) Der Betriebsrat hatte bei der Anrechnungsentscheidung der Arbeitgeberin nach rechtskräftiger Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf nicht nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG mitzubestimmen.

19

(1) Nach dem auch im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren anwendbaren § 322 Abs. 1 ZPO sind Beschlüsse der Rechtskraft fähig, soweit über den durch den Antrag erhobenen Anspruch entschieden ist(BAG 5. März 2013 - 1 ABR 75/11 - Rn. 12 mwN). Der Begriff des Anspruchs in § 322 Abs. 1 ZPO bezeichnet den prozessualen Anspruch im Sinn der Streitgegenstandslehre. Dieser richtet sich nach dem zur Entscheidung gestellten Antrag und dem zugehörigen Lebenssachverhalt, aus dem die begehrte Rechtsfolge hergeleitet wird. Dabei sind die Gründe des Beschlusses ergänzend heranzuziehen, wenn die Entscheidungsformel, wie insbesondere bei einer den Antrag abweisenden Entscheidung, den Streitgegenstand und damit den Umfang der Rechtskraft nicht erkennen lässt (BAG 5. März 2013 - 1 ABR 75/11 - Rn. 13 mwN).

20

(2) Das Landesarbeitsgericht hat rechtskräftig über das Nichtbestehen eines Mitbestimmungsrechts bei vergangenheits-, gegenwarts- und zukunftsbezogenen Anrechnungen von Tariflohnerhöhungen auf die freiwillige übertarifliche Zulage entschieden. In dem von ihm eingeleiteten Beschlussverfahren hat der Betriebsrat des E Betriebs ua. ein Mitbestimmungsrecht bei der „ungleichmäßigen Verrechnung der … freiwilligen (übertariflichen) Zulage“ (FÜZ) durch die Arbeitgeberin reklamiert. Die erstrebte Feststellung bezog sich - zumindest auch - auf die am 29. Juni 2010 getroffene Entscheidung der Beklagten, Tariferhöhungen auf übertarifliche Zulagen anzurechnen. Für diese Angelegenheit ist mit der rechtskräftigen Antragsabweisung ein Mitbestimmungsrecht verneint worden.

21

bb) Der Kläger muss das rechtskräftige Ergebnis über ein fehlendes Beteiligungsrecht des Betriebsrat bei der Anrechnungsentscheidung gegen sich gelten lassen. Dem Beschluss des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 9. Februar 2012 (- 5 TaBV 74/11 -) kommt insoweit eine präjudizielle Bindungswirkung zu.

22

(1) Rechtskräftige Beschlüsse im Beschlussverfahren über betriebsverfassungsrechtliche Streitigkeiten können für spätere Individualstreitigkeiten auch dann präjudizielle Bindungswirkung entfalten, wenn der Arbeitnehmer am Beschlussverfahren nicht beteiligt gewesen ist. So ist etwa bei Entscheidungen über die Mitbestimmungspflichtigkeit einer Betriebsänderung für nachfolgende Ansprüche auf Nachteilsausgleich (§ 113 Abs. 3 BetrVG) oder eine Maßnahme des Arbeitgebers nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG eine aus der Rechtskraft folgende Präklusionswirkung anzunehmen(vgl. BAG 10. März 1998 - 1 AZR 658/97 -; 31. Januar 1990 - 1 ABR 39/89 - BAGE 65, 28; 10. November 1987 - 1 AZR 360/86 - BAGE 56, 304). Unabhängig von Abgrenzungsfragen und terminologischen Unterschieden im Einzelnen ist eine präjudizielle Bindungswirkung oder Präklusionswirkung - auch außerhalb vom Bestehen ausdrücklicher Präklusionsnormen und des vom Wortlaut des § 325 ZPO vorgegebenen Rahmens - dann gerechtfertigt, wenn die Rechtslage des Arbeitnehmers primär durch eine kollektivrechtliche Vorfrage geprägt und daher seine individuelle Position in ein übergreifendes Bezugssystem eingebettet ist(vgl. BAG 18. Oktober 2006 - 2 AZR 434/05 - Rn. 44). Insoweit gründet sich die Bindungswirkung von Entscheidungen im Beschlussverfahren für einen nachfolgenden Individualrechtsstreit vor allem in der materiell- und verfahrensrechtlichen Kompetenz der Betriebsparteien. Allein dem Betriebsrat und nicht dem einzelnen Arbeitnehmer ist die Mitbestimmung in sozialen, personellen und wirtschaftlichen Angelegenheiten zugewiesen. In der Folge können einzelne Arbeitnehmer nicht gegenüber dem Betriebsrat verlangen, in einem bestimmten Sinn tätig zu werden, also etwa die Zustimmung zu einer mitzubestimmenden Maßnahme zu verweigern. Nur den Betriebsparteien - nicht den jeweiligen Arbeitnehmern - kommt die Befugnis zu, in einem Beschlussverfahren das (Nicht-)Bestehen von Mitbestimmungsrechten klären zu lassen. Entsprechend kann sich der einzelne Arbeitnehmer auch dann, wenn er an dem vorherigen Beschlussverfahren nicht beteiligt war, im nachfolgenden Individualprozess nicht darauf berufen, die Entscheidung über die kollektivrechtliche Streitfrage, die als Vorfrage auch im Individualprozess zu beantworten ist, sei unrichtig entschieden (vgl. BAG 10. März 1998 - 1 AZR 658/97 - zu III 2 a bb der Gründe; 3. Juli 1996 - 2 AZR 813/95 - zu II 2 b der Gründe, BAGE 83, 267; 23. November 1993 - 1 AZR 441/93 - zu I 1 a der Gründe; 17. Februar 1992 - 10 AZR 448/91 - BAGE 69, 367; 10. November 1987 - 1 AZR 360/86 - zu 2 c der Gründe, BAGE 56, 304).

23

(2) Von einer präjudiziellen Wirkung ist daher auch auszugehen, wenn - wie im vorliegenden Rechtsstreit - in einem vorangegangenen Beschlussverfahren rechtskräftig über das Nichtbestehen eines Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG bei der Anrechnung von Tarifentgelterhöhungen auf freiwillige übertarifliche Zulagen befunden worden ist. Der Arbeitnehmer kann den auf die kollektivrechtliche Unwirksamkeit der Anrechnung gestützten Anspruch auf ungekürzte Zulagenzahlung nicht unabhängig von der für die Betriebsparteien rechtskräftigen betriebsverfassungsrechtlichen Beurteilung des Anrechnungstatbestands geltend machen. Die Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung bezweckt den Schutz des Mitbestimmungsrechts. Ein hierauf gestützter Anspruch setzt ein mitbestimmungswidriges Verhalten des Arbeitgebers voraus. Ist in einem Beschlussverfahren allerdings rechtskräftig geklärt, dass kein Beteiligungsrecht des Betriebsrats besteht, fehlt es an einem zu schützenden Mitbestimmungsrecht, das durch die Anerkennung der (individualrechtlich wirkenden) Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung zu flankieren oder zu sichern wäre.

24

(3) Die Präjudizialität der rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung über das Nichtbestehen eines Mitbestimmungsrechts bei der Anrechnung der Tarifentgelterhöhungen auf die freiwillige übertarifliche Zulage verletzt den am Beschlussverfahren nicht beteiligten Kläger - entgegen der Auffassung der Revision - nicht in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG). Sind auf die Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung gestützte Ansprüche eines Arbeitnehmers auf eine ungeschmälerte Zulagenzahlung allein von der kollektivrechtlichen Beteiligung des Betriebsrats bei der Anrechnung von Tariferhöhungen abhängig, betrifft der Streit der Betriebsparteien über den Bestand eines Mitbestimmungsrechts und eine gerichtliche Entscheidung hierüber nur die Betriebsparteien. In einem solchen Beschlussverfahren sind die Arbeitnehmer ebenso wenig aus Gründen des rechtlichen Gehörs zu beteiligen, wie sie etwa vom Betriebsrat vor einer Zustimmung zur Anrechnung gehört werden müssten. Die Bindung an die in einem Beschlussverfahren ergangene Entscheidung verkürzt auch keine originäre individuelle Rechtsposition der Arbeitnehmer. Sie bewirkt lediglich, dass im Hinblick auf die abschließend geklärte betriebsverfassungsrechtliche Fragestellung kein Anwendungsfall der Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung vorliegt.

25

(4) Der Präjudizialität einer rechtskräftigen Entscheidung über den Bestand eines Mitbestimmungsrechts bei der Anrechnung steht die Entscheidung des Sechsten Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 15. Januar 1987 (- 6 AZR 589/84 -) nicht entgegen. Zwar hat der Sechste Senat hierin ausgeführt, trotz rechtskräftiger Abweisung eines Antrags des Personalrats auf Feststellung, der Arbeitgeber habe bei der Kürzung eines Essenzuschusses Mitbestimmungsrechte verletzt, seien die Gerichte für Arbeitssachen befugt, im Individualrechtsstreit selbständig zu prüfen, ob solche Mitbestimmungsrechte bestünden oder nicht. Seine Ausführungen zur Ablehnung einer Bindungswirkung waren aber nicht tragend; seine die Klage abweisende Entscheidung beruhte auf anderen Gründen.

26

II. Die Revision ist in Bezug auf den Klageantrag zu 2. bereits deshalb unbegründet, weil insoweit die Berufung des Klägers gegen das arbeitsgerichtliche Urteil unzulässig war. Es fehlt damit an einer - vom Revisionsgericht von Amts wegen zu prüfenden - Prozessfortsetzungsvoraussetzung. Unerheblich ist, dass das Landesarbeitsgericht die Berufung des Klägers insgesamt als zulässig angesehen hat (BAG 13. Oktober 2015 - 1 AZR 429/14 - Rn. 35 mwN).

27

1. Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO muss die Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich die Rechtsverletzung durch das angefochtene Urteil und deren Erheblichkeit für das Ergebnis der Entscheidung ergibt. Erforderlich ist eine hinreichende Darstellung der Gründe, aus denen sich die Rechtsfehlerhaftigkeit der angefochtenen Entscheidung ergeben soll. Bezieht sich das Rechtsmittel auf mehrere Ansprüche im prozessualen Sinn, ist zu jedem Anspruch eine ausreichende Begründung zu geben. Fehlen Ausführungen zu einem Anspruch, ist das Rechtsmittel insoweit unzulässig (BAG 13. Oktober 2015 - 1 AZR 429/14 - Rn. 36).

28

2. Diesen Grundsätzen genügte die Berufungsbegründung des Klägers bezogen auf den mit dem Antrag zu 2. eigenständig erhobenen Streitgegenstand nicht. Das Arbeitsgericht hat hierzu ausgeführt, die tatsächliche Entgelterhöhung im Mai 2012 sei nicht anspruchserhöhend zu werten, denn der Kläger habe die jeweiligen Tariferhöhungen bereits bei seiner Berechnung der monatlichen Entgeltdifferenzen ab Mai 2012 berücksichtigt. Damit setzt sich die Berufungsbegründung nicht auseinander.

        

    Schmidt    

        

    Treber    

        

    K. Schmidt    

        

        

        

    Sibylle Spoo    

        

    Hann    

                 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats gegen den Schlussbeschluss des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 7. Juli 2011 - 9 TaBV 168/10 - wird zurückgewiesen.

Gründe

1

A. Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit von Altersgrenzenregelungen in Betriebsvereinbarungen.

2

Antragsteller ist der Betriebsrat eines am Standort W bestehenden Gemeinschaftsbetriebs. Dessen Inhaber sind seit einem am 1. Juli 2010 vollzogenen Betriebsinhaberwechsel die zu 2. (PGM) und zu 3. (PGS) beteiligten Arbeitgeberinnen. In dem Gemeinschaftsbetrieb finden kraft deren Tarifbindung die Tarifverträge der Chemischen Industrie Anwendung. Zu diesen gehört auch der im Jahr 2008 abgeschlossene Tarifvertrag „Lebensarbeitszeit und Demografie“ (TVLD). Dieser enthält ua. Regelungen über die Durchführung einer Demografieanalyse in den Betrieben und die Gestaltung von Arbeitszeitmodellen.

3

Die PGM schloss mit ihrem zu 4. beteiligten Gesamtbetriebsrat am 24. November 2009 eine „Freiwillige Gesamtbetriebsvereinbarung Umsetzung des Demografietarifvertrags“ (GBV 2009) ab. Deren § 5 enthält eine auf das Erreichen des Regelrentenalters bezogene Altersgrenze. Eine inhaltsgleiche Altersgrenzenregelung vereinbarte auch die PGS mit ihrem zu 5. beteiligten Gesamtbetriebsrat.

4

Im Gemeinschaftsbetrieb W bestand seit dem 12. Dezember 2008 eine zwischen den vormaligen Betriebsinhaberinnen und dem Betriebsrat vereinbarte Betriebsordnung (BO 2008). Nach deren Nr. 11.1 endete das Arbeitsverhältnis ohne Kündigung mit Ablauf des Kalendermonats, in dem das jeweils gültige gesetzliche Rentenalter vollendet wird. Am 23. Dezember 2009 schloss der Betriebsrat W eine „Freiwillige Betriebsvereinbarung Umsetzung des Demografietarifvertrags“ (BV 2009). § 4 BV 2009 enthält eine mit § 5 GBV 2009 übereinstimmende Altersgrenzenregelung.

5

Der Betriebsrat W hat die von ihm abgeschlossenen betrieblichen Altersgrenzenregelungen wie auch § 5 GBV 2009 für unwirksam gehalten. Altersgrenzenvereinbarungen in Betriebsvereinbarungen seien generell unzulässig. Jedenfalls sei ein Gesamtbetriebsrat hierfür nicht zuständig.

6

Der Betriebsrat W hat - soweit für die Rechtsbeschwerde von Bedeutung - zuletzt beantragt,

        

a)    

festzustellen, dass § 4 der Betriebsvereinbarung „Umsetzung des Demografietarifvertrags“ vom 23. Dezember 2009 und Ziffer 11.1 der Betriebsordnung vom 8. Dezember 2009 rechtsunwirksam sind und keine Rechtswirkung entfalten,

        

b)    

…       

        

c)    

festzustellen, dass § 5 GBV „Umsetzung des Demografietarifvertrags“ zwischen der Geschäftsleitung der Beteiligten zu 2. und dem Beteiligten zu 4. und § 5 GBV „Umsetzung des Demografietarifvertrags“ zwischen der Geschäftsleitung der Beteiligten zu 3. und dem Beteiligten zu 5. rechtsunwirksam sind und keine Rechtswirkung entfalten.

7

Die Arbeitgeberinnen haben die Abweisung der Anträge beantragt.

8

Das Arbeitsgericht hat den dort allein gestellten Antrag zu a) abgewiesen. Dagegen hat der Betriebsrat W Beschwerde eingelegt und sein Begehren um den Antrag zu c) erweitert. Das Landesarbeitsgericht hat die Beschwerde zurückgewiesen und den Antrag zu c) abgewiesen. Es hat die Rechtsbeschwerde nur in Bezug auf den Antrag zu c) zugelassen und darüber hinaus auf die Frage der Wirksamkeit der zwischen der PGM und ihrem Gesamtbetriebsrat in § 5 GBV 2009 vereinbarten Altersgrenzenregelung beschränkt. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt der Betriebsrat W entsprechend der zweitinstanzlichen Zulassungsentscheidung seinen Antrag zu c) weiter. Daneben hat er den vom Landesarbeitsgericht abgewiesenen Antrag zu a) im Wege der Antragserweiterung zur Entscheidung gestellt.

9

B. Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Beide Anträge des Betriebsrats sind unzulässig.

10

I. Gegenstand des Rechtsbeschwerdeverfahrens ist der auf Feststellung der Unwirksamkeit von § 5 GBV 2009 gerichtete Antrag des Betriebsrats W. Für diesen hat das Landesarbeitsgericht die Rechtsbeschwerde ausdrücklich zugelassen. Daneben hat der Betriebsrat W seinen vom Beschwerdegericht abgewiesenen Antrag zur Geltung von § 4 BV 2009 sowie Nr. 11.1 BO 2008 im Wege der Antragserweiterung in das Rechtsbeschwerdeverfahren eingeführt.

11

II. Der auf die Feststellung der Unwirksamkeit von § 4 BV 2009 und Nr. 11.1 BO 2008 gerichtete Antrag ist unzulässig. Einer erneuten Sachentscheidung steht der Einwand der Rechtskraft (§ 322 Abs. 1 ZPO) entgegen.

12

1. Nach dem auch im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren anwendbaren § 322 Abs. 1 ZPO sind Beschlüsse der Rechtskraft fähig, soweit über den durch den Antrag erhobenen Anspruch entschieden ist(BAG 6. Juni 2000 - 1 ABR 21/99 - zu B II 1 der Gründe, BAGE 95, 47). Die materielle Rechtskraftwirkung solcher Beschlüsse hindert grundsätzlich, dass bei Identität der Beteiligten und des Sachverhalts die bereits rechtskräftig entschiedene Frage den Gerichten zur erneuten Entscheidung unterbreitet werden kann. Das ist als negative Prozessvoraussetzung auch in der Rechtsbeschwerdeinstanz von Amts wegen zu beachten.

13

Der Begriff des Anspruchs in § 322 Abs. 1 ZPO bezeichnet den prozessualen Anspruch im Sinne der Streitgegenstandslehre. Die objektiven Grenzen der Rechtskraft des Entscheidungsgegenstandes werden durch den Streitgegenstand des vorangehenden Verfahrens bestimmt. Dieser richtet sich nach dem zur Entscheidung gestellten Antrag und dem zugehörigen Lebenssachverhalt, aus dem die begehrte Rechtsfolge hergeleitet wird (BAG 19. Januar 2010 - 1 ABR 55/08 - Rn. 15, BAGE 133, 75). Dabei sind Tatbestand und Entscheidungsgründe, erforderlichenfalls auch das Parteivorbringen, ergänzend heranzuziehen, wenn die Entscheidungsformel, wie insbesondere bei einer den Antrag abweisenden Entscheidung, den Streitgegenstand und damit den Umfang der Rechtskraft nicht erkennen lässt (BAG 19. Januar 2010 - 1 ABR 55/08 - aaO).

14

2. Danach ist der vom Betriebsrat in der Rechtsbeschwerdeinstanz im Wege der Antragserweiterung eingeführte Feststellungsantrag unzulässig. Über diesen hat das Beschwerdegericht bereits rechtskräftig entschieden.

15

Das Arbeitsgericht hat den auf Feststellung der Unwirksamkeit von § 4 BV 2009 und Nr. 11.1 BO 2008 gerichteten Antrag abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die dagegen gerichtete Beschwerde des Betriebsrats zurückgewiesen und gegen diesen Teil seiner Entscheidung die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen. Hiergegen hat der Betriebsrat keine Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt. Die Entscheidung des Beschwerdegerichts ist insoweit in Rechtskraft erwachsen. Es ist weder ersichtlich noch vom Betriebsrat geltend gemacht, dass die beschränkte Rechtsbeschwerdezulassung unbeachtlich ist und die Rechtsbeschwerde unbeschränkt eingelegt werden kann. Die Wirksamkeit der vom Gesamtbetriebsrat abgeschlossenen Altersgrenzenregelung in der GBV 2009 betrifft einen abtrennbaren selbständigen Teil des Gesamtstreitstoffs, über den gesondert und unabhängig von dem verbleibenden Verfahrensgegenstand entschieden werden konnte.

16

III. Auch der auf die Feststellung der Unwirksamkeit von § 5 GBV 2009 gerichtete Antrag ist unzulässig. Dem Betriebsrat fehlt bereits die erforderliche Antragsbefugnis iSv. § 81 Abs. 1 ArbGG.

17

1. Im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren ist ein Beteiligter antragsbefugt, wenn er eigene Rechte geltend macht. Antragsbefugnis und die Beteiligtenstellung fallen nicht notwendig zusammen; § 83 Abs. 3 ArbGG besagt nichts darüber, ob ein Beteiligter im Beschlussverfahren einen Antrag stellen kann. Die Antragsbefugnis ist vielmehr nach den Regeln über die Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens zu bestimmen (§ 81 Abs. 1 ArbGG). Regelmäßig kann nur derjenige ein gerichtliches Verfahren einleiten, der vorträgt, Träger des streitbefangenen Rechts zu sein. Ausnahmen gelten im Fall einer zulässigen Prozessstandschaft. Die Prozessführungsbefugnis im Urteilsverfahren und die Antragsbefugnis im Beschlussverfahren dienen dazu, Popularklagen auszuschließen. Im Beschlussverfahren ist die Antragsbefugnis nur gegeben, wenn der Antragsteller durch die begehrte Entscheidung in seiner kollektivrechtlichen Rechtsposition betroffen sein kann. Das ist regelmäßig nur dann der Fall, wenn er eigene Rechte geltend macht und dies nicht von vornherein als aussichtslos erscheint (BAG 17. Juni 2009 - 7 ABR 96/07 - Rn. 9).

18

2. Ein Betriebsrat kann die Unwirksamkeit einer von einer anderen Arbeitnehmervertretung abgeschlossenen Betriebsvereinbarung nicht unabhängig von einem Eingriff in seine eigene betriebsverfassungsrechtliche Rechtsposition geltend machen. Weder das BetrVG noch das ArbGG sehen ein inhaltliches Normenkontrollrecht der auf den unterschiedlichen Ebenen im Unternehmen und Konzern errichteten Arbeitnehmervertretungen vor. Die gerichtliche Überprüfung einer nicht selbst abgeschlossenen Betriebsvereinbarung kann von einem antragstellenden Betriebsrat nur in Hinblick auf eine Verletzung gerade seiner Regelungsbefugnis erfolgen. Fehlt dem abschließenden Betriebsrat insoweit die Zuständigkeit, erweist sich die Betriebsvereinbarung als Eingriff in die betriebsverfassungsrechtliche Rechtsposition des Antragstellers. Eine von einem unzuständigen Betriebsrat getroffene Vereinbarung ist unwirksam. Nur für den Ausspruch der darauf gestützten Rechtsfolge ist der für den Abschluss der Betriebsvereinbarung tatsächlich zuständige Betriebsrat antragsbefugt.

19

3. Danach fehlt dem Betriebsrat W die Antragsbefugnis. Er kann die Wirksamkeit von § 5 GBV 2009 nicht zur gerichtlichen Überprüfung stellen. Ein solcher Antrag wäre nur zulässig, wenn der Betriebsrat W geltend machen könnte, dass nicht der Gesamtbetriebsrat, sondern er für den Abschluss einer Altersgrenzenregelung zuständig sei. Nur dann wäre er von der unternehmensbezogenen Altersgrenzenregelung in einer eigenen betriebsverfassungsrechtlichen Rechtsposition betroffen. Dies ist nicht der Fall. Der Senat hat aufgrund der mit der rechtskräftigen Abweisung des Antrags zu a) verbundenen Bindungswirkung von der fehlenden Zuständigkeit des Betriebsrats Weiterstadt für den Abschluss einer betrieblichen Altersgrenzenregelung auszugehen.

20

a) Rechtskräftige Beschlüsse entfalten gemäß § 322 Abs. 1 ZPO Bindungswirkung für ein nachfolgendes Verfahren, soweit über den mit dem Antrag erhobenen Anspruch entschieden worden ist. Die Bindungswirkung beschränkt sich auf den unmittelbaren Gegenstand des Beschlusses, dh. auf die Rechtsfolge, die aufgrund eines bestimmten Sachverhalts bei Schluss der mündlichen Verhandlung den Entscheidungssatz bildet. Einzelne Urteilselemente, tatsächliche Feststellungen und rechtliche Folgerungen, auf denen die getroffene Entscheidung aufbaut, werden dagegen von der Rechtskraft nicht erfasst (BGH 26. Juni 2003 - I ZR 269/00 - zu II 1 a der Gründe, NJW 2003, 3058). Das Gericht ist an die im Vorprozess getroffene Entscheidung gebunden, wenn deren Inhalt zum Tatbestand der im neuen Verfahren geltend gemachten Rechtsfolge gehört (Rosenberg/Schwab/Gottwald Zivilprozessrecht 17. Aufl. § 154 Rn. 8). Die im ersten Verfahren rechtskräftig entschiedene Rechtsfolge ist im zweiten Verfahren zugrunde zu legen, wenn diese dort eine Vorfrage darstellt. Bei einer den Antrag abweisenden Entscheidung ist der aus der Begründung zu ermittelnde, die Rechtsfolge bestimmende, ausschlaggebende Abweisungsgrund Teil des in Rechtskraft erwachsenden Entscheidungssatzes und nicht allein ein Element der Entscheidungsbegründung (BAG 20. November 2012 - 1 AZR 611/11 - Rn. 89).

21

b) Das Landesarbeitsgericht hat im Rahmen seiner Begründung zu den im Betrieb W bestehenden Regelungen entschieden, dass § 4 BV 2009 nach dem Betriebsübergang zum 1. Juli 2010 aufgrund der bei der PGM geltenden GBV 2009 unwirksam geworden ist. In seiner Begründung hat es die Regelungsbefugnis des Betriebsrats W für den Abschluss einer auf den Gemeinschaftsbetrieb beschränkten Altersgrenzenregelung für den Zeitraum nach Wirksamwerden des Betriebsübergangs verneint. Es hat die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats PGM nach § 50 Abs. 1 BetrVG bejaht und den Feststellungsantrag aus diesem Grund abgewiesen.

22

c) Danach ist der Betriebsrat W für den Antrag zu c) nicht antragsbefugt. Er wird durch die Geltung von § 5 GBV 2009 nicht in einer eigenen betriebsverfassungsrechtlichen Rechtsposition betroffen. Dem Betriebsrat W fehlte zum Zeitpunkt der Anhörung vor dem Beschwerdegericht die Regelungsbefugnis für den Abschluss einer Betriebsvereinbarung über eine Altersgrenze. Dies folgt aus der Bindungswirkung der abweisenden Entscheidung des Landesarbeitsgerichts. Die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats nach § 50 Abs. 1 BetrVG war für das Beschwerdegericht der tragende Abweisungsgrund und nicht allein ein Element seiner Entscheidungsbegründung. Dies steht einer erneuten Prüfung der Regelungsbefugnis des Betriebsrats W im vorliegenden Verfahren entgegen.

23

d) Der Betriebsrat W ist auch nicht in Hinblick auf sein Überwachungsrecht (§ 80 Abs. 1 BetrVG) in seiner betriebsverfassungsrechtlichen Position betroffen.

24

Nach dieser Bestimmung kann der Betriebsrat den Arbeitgeber zur Einhaltung der zugunsten der Arbeitnehmer geltenden Schutzvorschriften auffordern. Das Überwachungsrecht des Betriebsrats ist darauf beschränkt, eine Nichtbeachtung oder fehlerhafte Durchführung der Vorschriften beim Arbeitgeber zu beanstanden und auf Abhilfe zu drängen (BAG 18. Mai 2010 - 1 ABR 6/09 - Rn. 21, BAGE 134, 249). Aus der Überwachungsaufgabe des Betriebsrats folgt indes kein Recht zur Normenkontrolle der nicht von ihm abgeschlossenen Normen.

        

    Schmidt    

        

    Linck    

        

    Koch    

        

        

        

    Manfred Gentz    

        

    Berg    

                 

(1) Das rechtskräftige Urteil wirkt für und gegen die Parteien und die Personen, die nach dem Eintritt der Rechtshängigkeit Rechtsnachfolger der Parteien geworden sind oder den Besitz der in Streit befangenen Sache in solcher Weise erlangt haben, dass eine der Parteien oder ihr Rechtsnachfolger mittelbarer Besitzer geworden ist.

(2) Die Vorschriften des bürgerlichen Rechts zugunsten derjenigen, die Rechte von einem Nichtberechtigten herleiten, gelten entsprechend.

(3) Betrifft das Urteil einen Anspruch aus einer eingetragenen Reallast, Hypothek, Grundschuld oder Rentenschuld, so wirkt es im Falle einer Veräußerung des belasteten Grundstücks in Ansehung des Grundstücks gegen den Rechtsnachfolger auch dann, wenn dieser die Rechtshängigkeit nicht gekannt hat. Gegen den Ersteher eines im Wege der Zwangsversteigerung veräußerten Grundstücks wirkt das Urteil nur dann, wenn die Rechtshängigkeit spätestens im Versteigerungstermin vor der Aufforderung zur Abgabe von Geboten angemeldet worden ist.

(4) Betrifft das Urteil einen Anspruch aus einer eingetragenen Schiffshypothek, so gilt Absatz 3 Satz 1 entsprechend.

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 29. November 2013 - 10 Sa 696/13 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Zulässigkeit der Anrechnung tariflicher Entgelterhöhungen auf eine übertarifliche Zulage.

2

Der Kläger ist als Projektingenieur in E (Nordrhein-Westfalen) beschäftigt. Nach einer am 14./20. Januar 1988 mit der Rechtsvorgängerin der Beklagten geschlossenen „Anstellungsvereinbarung“ setzte sich seine Vergütung aus einem monatlichen Grundgehalt nach dem „Manteltarifvertrag der Hessischen Metallindustrie“ und einer „freiwilligen, jederzeit widerruflichen übertariflichen Zulage“ iHv. 1.686,00 DM brutto zusammen. Im Übrigen heißt es dort, dass sich „alle weiteren das Arbeitsverhältnis betreffenden Punkte … nach den jeweils gültigen Bestimmungen des Tarifvertrages der Hessischen Metallindustrie …“ richten.

3

Mit Wirkung vom 1. April 2007 ging das Arbeitsverhältnis aufgrund eines Betriebsübergangs auf die nicht tarifgebundene Beklagte über. Zu diesem Zeitpunkt erhielt der Kläger ein Tarifentgelt iHv. 3.802,00 Euro brutto, eine Leistungszulage iHv. 25 % des Tarifentgelts (940,50 Euro brutto) und eine - von beiden Parteien so bezeichnete - „freiwillige übertarifliche Zulage (FÜZ)“ iHv. 325,18 Euro brutto. Die zwischen der Industriegewerkschaft Metall und dem Verband der Metall- und Elektrounternehmen Hessen eV vereinbarten Tarifentgelterhöhungen ab 1. Juni 2007 bis einschließlich 1. April 2011 gab die Beklagte nicht an den Kläger weiter. Nachdem das Bundesarbeitsgericht in einem von einem Kollegen des Klägers angestrengten Rechtsstreit zu einer inhaltsgleichen Verweisungsklausel rechtskräftig festgestellt hatte, dass die Beklagte als Betriebserwerberin verpflichtet ist, die Entgelttarifverträge für die Hessische Metallindustrie in der jeweils gültigen Fassung anzuwenden (21. Oktober 2009 - 4 AZR 396/08 -), traf diese am 29. Juni 2010 die - auch andere Arbeitnehmer betreffende - Entscheidung, die tariflichen Entgelterhöhungen auf die freiwillige übertarifliche Zulage anzurechnen.

4

Der in dem Betrieb E gebildete Betriebsrat leitete daraufhin ein Beschlussverfahren mit dem Antrag ein, ua. „festzustellen, dass ihm ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG bei der ungleichmäßigen Verrechnung der … freiwilligen (übertariflichen) Zulage (FÜZ) durch die Antragsgegnerin zusteht“. Das Arbeitsgericht Düsseldorf wies den Feststellungsantrag mit Beschluss vom 28. Juli 2011 ab (- 5 BV 62/11 -). Die Beschwerde des Betriebsrats vor dem Landesarbeitsgericht Düsseldorf (9. Februar 2012 5 TaBV 74/11 -) blieb ebenso ohne Erfolg wie seine Nichtzulassungsbeschwerde (BAG 24. Juli 2012 - 1 ABN 42/12 -).

5

Anlässlich der Anhebung des Tarifentgelts ab dem 1. Mai 2012 erhöhte die Beklagte das Entgelt und die Leistungszulage des Klägers um 4,3 %, kürzte allerdings die freiwillige übertarifliche Zulage um den Steigerungsbetrag.

6

Mit seiner Klage hat der Kläger - soweit für die Revision noch von Bedeutung - die ungekürzte Zahlung der freiwilligen übertariflichen Zulage für die Zeit von Oktober 2008 bis Oktober 2012 iHv. insgesamt 14.242,89 Euro brutto sowie für den Zeitraum vom Mai 2012 bis Oktober 2012 iHv. weiteren 1.226,16 Euro brutto geltend gemacht. Er hat die Auffassung vertreten, die Anrechnung der Tarifentgelterhöhung sei mangels Beteiligung des Betriebsrats unwirksam. Die rechtskräftige Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 9. Februar 2012 (- 5 TaBV 74/11 -) sei für den vorliegenden Rechtsstreit ohne Einfluss. Er sei an diesem Beschlussverfahren nicht beteiligt gewesen.

7

Der Kläger hat - soweit für das Revisionsverfahren noch von Bedeutung - in der Sache - beantragt,

        

die Beklagte zu verurteilen,

        

1.    

an ihn (weitere) 14.242,89 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 30. November 2012 zu zahlen,

        

2.    

an ihn 1.226,16 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 30. November 2012 zu zahlen.

8

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.

9

Das Arbeitsgericht hat dem Antrag zu 1., mit dem der Kläger erstinstanzlich eine Gesamtforderung von 27.236,74 Euro erhoben hat, in Höhe von 12.993,85 Euro stattgegeben; dies betrifft die Differenz zwischen dem für die Zeit Oktober 2008 bis Oktober 2012 beanspruchten tariflichen Entgelt einschließlich einer in ihrer Höhe davon abhängigen Leistungszulage unter Anrechnung der Tariferhöhung auf die freiwillige übertarifliche Zulage zuzüglich der für diesen Zeitraum beanspruchten tariflichen Sonderzahlungen und der Differenzen zwischen tariflichem und gezahltem Weihnachtsgeld sowie Urlaubsgeld, bei denen die Beklagte keine Verrechnung mit der Zulage angebracht hat. Das Landesarbeitsgericht hat die nur von dem Kläger eingelegte Berufung mit der klarstellenden Maßgabe zurückgewiesen, dass die Klage im Übrigen abgewiesen wird. Mit seiner Revision verfolgt der Kläger die von seinen Anträgen zu 1. und zu 2. umfassten ursprünglichen Zahlungsziele weiter.

Entscheidungsgründe

10

Die zulässige Revision des Klägers ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben dem Klageantrag zu 1. zu Recht nicht in der geltend gemachten Höhe entsprochen. Bei dem Klageantrag zu 2. ist die Revision bereits deshalb unbegründet, weil es insoweit an einer zulässigen Berufung des Klägers gegen die arbeitsgerichtliche Entscheidung fehlt.

11

I. Der Kläger kann die mit dem Klageantrag zu 1. verfolgte ungekürzte Zahlung der freiwilligen übertariflichen Zulage unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt beanspruchen.

12

1. Er hat im Streitzeitraum keinen vertraglichen Anspruch auf die erstrebte weitere Vergütung.

13

a) Vereinbaren die Arbeitsvertragsparteien ein Entgelt, das sich aus einem Tarifentgelt und einer Zulage zusammensetzt, und erweist sich später das Tarifentgelt aus Rechtsgründen als zu niedrig angesetzt, besteht ein Anspruch des Arbeitnehmers auf Leistung der unverminderten Zulage neben dem erhöhten Tarifentgelt nur dann, wenn die Zulage als selbständiger, anrechnungsfester Bestandteil der Gesamtvergütung vereinbart ist (vgl. BAG 3. September 2014 - 5 AZR 109/13 - Rn. 12, BAGE 149, 78).

14

b) Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht erkannt, dass die Parteien keinen eigenständigen und damit anrechnungsfesten Vergütungsbestandteil „freiwillige übertarifliche Zulage (FÜZ)“ iHv. 325,18 Euro brutto monatlich vereinbart haben. Dafür fehlt es nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts an Anhaltspunkten, zumal die Gesamtvergütung des Klägers - jedenfalls seit dem Zeitpunkt des Betriebsübergangs auf die Beklagte - auch eine „Leistungszulage“ enthielt. Dies hindert die Annahme eines besonderen Leistungszwecks der freiwilligen übertariflichen Zulage, der einer Anrechenbarkeit entgegenstehen könnte. Weiterhin hat das Landesarbeitsgericht rechtsfehlerfrei erkannt, dass die Anrechnung individualrechtlich zulässig war. Gegenteiliges macht der Kläger mit seiner Revision auch nicht mehr geltend.

15

2. Die Beklagte ist auch nicht nach der Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung verpflichtet, dem Kläger die begehrte ungekürzte freiwillige übertarifliche Zulage zu zahlen.

16

a) Nach der Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung führt die Verletzung von Mitbestimmungsrechten des Betriebsrats im Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer jedenfalls zur Unwirksamkeit von Maßnahmen oder Rechtsgeschäften, die den Arbeitnehmer belasten. Das soll verhindern, dass der Arbeitgeber dem Einigungszwang mit dem Betriebsrat durch Rückgriff auf arbeitsvertragliche Gestaltungsmöglichkeiten ausweicht. Dem Arbeitgeber darf aus einer betriebsverfassungsrechtlichen Pflichtwidrigkeit auch im Rahmen des Arbeitsverhältnisses kein Vorteil erwachsen (BAG 22. Oktober 2014 - 5 AZR 731/12 - Rn. 31, BAGE 149, 343). Verletzt der Arbeitgeber bei einer Anrechnung von Tarifsteigerungen auf Zulagen das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats, hat dies die Unwirksamkeit der Anrechnung zur Folge (vgl. BAG 22. Mai 2012 - 1 AZR 94/11 - Rn. 29 mwN).

17

b) Die Beklagte hat bei der Anrechnung der Tarifentgelterhöhungen auf die freiwillige übertarifliche Zulage kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats verletzt. Dies steht aufgrund der rechtskräftigen Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf (9. Februar 2012 - 5 TaBV 74/11 -) in dem vom Betriebsrat angestrengten Beschlussverfahren fest und schließt eine abweichende gerichtliche Beurteilung zu einem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei der Anrechnungsentscheidung der Beklagten im vorliegenden Rechtsstreit aus.

18

aa) Der Betriebsrat hatte bei der Anrechnungsentscheidung der Arbeitgeberin nach rechtskräftiger Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf nicht nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG mitzubestimmen.

19

(1) Nach dem auch im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren anwendbaren § 322 Abs. 1 ZPO sind Beschlüsse der Rechtskraft fähig, soweit über den durch den Antrag erhobenen Anspruch entschieden ist(BAG 5. März 2013 - 1 ABR 75/11 - Rn. 12 mwN). Der Begriff des Anspruchs in § 322 Abs. 1 ZPO bezeichnet den prozessualen Anspruch im Sinn der Streitgegenstandslehre. Dieser richtet sich nach dem zur Entscheidung gestellten Antrag und dem zugehörigen Lebenssachverhalt, aus dem die begehrte Rechtsfolge hergeleitet wird. Dabei sind die Gründe des Beschlusses ergänzend heranzuziehen, wenn die Entscheidungsformel, wie insbesondere bei einer den Antrag abweisenden Entscheidung, den Streitgegenstand und damit den Umfang der Rechtskraft nicht erkennen lässt (BAG 5. März 2013 - 1 ABR 75/11 - Rn. 13 mwN).

20

(2) Das Landesarbeitsgericht hat rechtskräftig über das Nichtbestehen eines Mitbestimmungsrechts bei vergangenheits-, gegenwarts- und zukunftsbezogenen Anrechnungen von Tariflohnerhöhungen auf die freiwillige übertarifliche Zulage entschieden. In dem von ihm eingeleiteten Beschlussverfahren hat der Betriebsrat des E Betriebs ua. ein Mitbestimmungsrecht bei der „ungleichmäßigen Verrechnung der … freiwilligen (übertariflichen) Zulage“ (FÜZ) durch die Arbeitgeberin reklamiert. Die erstrebte Feststellung bezog sich - zumindest auch - auf die am 29. Juni 2010 getroffene Entscheidung der Beklagten, Tariferhöhungen auf übertarifliche Zulagen anzurechnen. Für diese Angelegenheit ist mit der rechtskräftigen Antragsabweisung ein Mitbestimmungsrecht verneint worden.

21

bb) Der Kläger muss das rechtskräftige Ergebnis über ein fehlendes Beteiligungsrecht des Betriebsrat bei der Anrechnungsentscheidung gegen sich gelten lassen. Dem Beschluss des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 9. Februar 2012 (- 5 TaBV 74/11 -) kommt insoweit eine präjudizielle Bindungswirkung zu.

22

(1) Rechtskräftige Beschlüsse im Beschlussverfahren über betriebsverfassungsrechtliche Streitigkeiten können für spätere Individualstreitigkeiten auch dann präjudizielle Bindungswirkung entfalten, wenn der Arbeitnehmer am Beschlussverfahren nicht beteiligt gewesen ist. So ist etwa bei Entscheidungen über die Mitbestimmungspflichtigkeit einer Betriebsänderung für nachfolgende Ansprüche auf Nachteilsausgleich (§ 113 Abs. 3 BetrVG) oder eine Maßnahme des Arbeitgebers nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG eine aus der Rechtskraft folgende Präklusionswirkung anzunehmen(vgl. BAG 10. März 1998 - 1 AZR 658/97 -; 31. Januar 1990 - 1 ABR 39/89 - BAGE 65, 28; 10. November 1987 - 1 AZR 360/86 - BAGE 56, 304). Unabhängig von Abgrenzungsfragen und terminologischen Unterschieden im Einzelnen ist eine präjudizielle Bindungswirkung oder Präklusionswirkung - auch außerhalb vom Bestehen ausdrücklicher Präklusionsnormen und des vom Wortlaut des § 325 ZPO vorgegebenen Rahmens - dann gerechtfertigt, wenn die Rechtslage des Arbeitnehmers primär durch eine kollektivrechtliche Vorfrage geprägt und daher seine individuelle Position in ein übergreifendes Bezugssystem eingebettet ist(vgl. BAG 18. Oktober 2006 - 2 AZR 434/05 - Rn. 44). Insoweit gründet sich die Bindungswirkung von Entscheidungen im Beschlussverfahren für einen nachfolgenden Individualrechtsstreit vor allem in der materiell- und verfahrensrechtlichen Kompetenz der Betriebsparteien. Allein dem Betriebsrat und nicht dem einzelnen Arbeitnehmer ist die Mitbestimmung in sozialen, personellen und wirtschaftlichen Angelegenheiten zugewiesen. In der Folge können einzelne Arbeitnehmer nicht gegenüber dem Betriebsrat verlangen, in einem bestimmten Sinn tätig zu werden, also etwa die Zustimmung zu einer mitzubestimmenden Maßnahme zu verweigern. Nur den Betriebsparteien - nicht den jeweiligen Arbeitnehmern - kommt die Befugnis zu, in einem Beschlussverfahren das (Nicht-)Bestehen von Mitbestimmungsrechten klären zu lassen. Entsprechend kann sich der einzelne Arbeitnehmer auch dann, wenn er an dem vorherigen Beschlussverfahren nicht beteiligt war, im nachfolgenden Individualprozess nicht darauf berufen, die Entscheidung über die kollektivrechtliche Streitfrage, die als Vorfrage auch im Individualprozess zu beantworten ist, sei unrichtig entschieden (vgl. BAG 10. März 1998 - 1 AZR 658/97 - zu III 2 a bb der Gründe; 3. Juli 1996 - 2 AZR 813/95 - zu II 2 b der Gründe, BAGE 83, 267; 23. November 1993 - 1 AZR 441/93 - zu I 1 a der Gründe; 17. Februar 1992 - 10 AZR 448/91 - BAGE 69, 367; 10. November 1987 - 1 AZR 360/86 - zu 2 c der Gründe, BAGE 56, 304).

23

(2) Von einer präjudiziellen Wirkung ist daher auch auszugehen, wenn - wie im vorliegenden Rechtsstreit - in einem vorangegangenen Beschlussverfahren rechtskräftig über das Nichtbestehen eines Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG bei der Anrechnung von Tarifentgelterhöhungen auf freiwillige übertarifliche Zulagen befunden worden ist. Der Arbeitnehmer kann den auf die kollektivrechtliche Unwirksamkeit der Anrechnung gestützten Anspruch auf ungekürzte Zulagenzahlung nicht unabhängig von der für die Betriebsparteien rechtskräftigen betriebsverfassungsrechtlichen Beurteilung des Anrechnungstatbestands geltend machen. Die Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung bezweckt den Schutz des Mitbestimmungsrechts. Ein hierauf gestützter Anspruch setzt ein mitbestimmungswidriges Verhalten des Arbeitgebers voraus. Ist in einem Beschlussverfahren allerdings rechtskräftig geklärt, dass kein Beteiligungsrecht des Betriebsrats besteht, fehlt es an einem zu schützenden Mitbestimmungsrecht, das durch die Anerkennung der (individualrechtlich wirkenden) Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung zu flankieren oder zu sichern wäre.

24

(3) Die Präjudizialität der rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung über das Nichtbestehen eines Mitbestimmungsrechts bei der Anrechnung der Tarifentgelterhöhungen auf die freiwillige übertarifliche Zulage verletzt den am Beschlussverfahren nicht beteiligten Kläger - entgegen der Auffassung der Revision - nicht in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG). Sind auf die Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung gestützte Ansprüche eines Arbeitnehmers auf eine ungeschmälerte Zulagenzahlung allein von der kollektivrechtlichen Beteiligung des Betriebsrats bei der Anrechnung von Tariferhöhungen abhängig, betrifft der Streit der Betriebsparteien über den Bestand eines Mitbestimmungsrechts und eine gerichtliche Entscheidung hierüber nur die Betriebsparteien. In einem solchen Beschlussverfahren sind die Arbeitnehmer ebenso wenig aus Gründen des rechtlichen Gehörs zu beteiligen, wie sie etwa vom Betriebsrat vor einer Zustimmung zur Anrechnung gehört werden müssten. Die Bindung an die in einem Beschlussverfahren ergangene Entscheidung verkürzt auch keine originäre individuelle Rechtsposition der Arbeitnehmer. Sie bewirkt lediglich, dass im Hinblick auf die abschließend geklärte betriebsverfassungsrechtliche Fragestellung kein Anwendungsfall der Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung vorliegt.

25

(4) Der Präjudizialität einer rechtskräftigen Entscheidung über den Bestand eines Mitbestimmungsrechts bei der Anrechnung steht die Entscheidung des Sechsten Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 15. Januar 1987 (- 6 AZR 589/84 -) nicht entgegen. Zwar hat der Sechste Senat hierin ausgeführt, trotz rechtskräftiger Abweisung eines Antrags des Personalrats auf Feststellung, der Arbeitgeber habe bei der Kürzung eines Essenzuschusses Mitbestimmungsrechte verletzt, seien die Gerichte für Arbeitssachen befugt, im Individualrechtsstreit selbständig zu prüfen, ob solche Mitbestimmungsrechte bestünden oder nicht. Seine Ausführungen zur Ablehnung einer Bindungswirkung waren aber nicht tragend; seine die Klage abweisende Entscheidung beruhte auf anderen Gründen.

26

II. Die Revision ist in Bezug auf den Klageantrag zu 2. bereits deshalb unbegründet, weil insoweit die Berufung des Klägers gegen das arbeitsgerichtliche Urteil unzulässig war. Es fehlt damit an einer - vom Revisionsgericht von Amts wegen zu prüfenden - Prozessfortsetzungsvoraussetzung. Unerheblich ist, dass das Landesarbeitsgericht die Berufung des Klägers insgesamt als zulässig angesehen hat (BAG 13. Oktober 2015 - 1 AZR 429/14 - Rn. 35 mwN).

27

1. Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO muss die Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich die Rechtsverletzung durch das angefochtene Urteil und deren Erheblichkeit für das Ergebnis der Entscheidung ergibt. Erforderlich ist eine hinreichende Darstellung der Gründe, aus denen sich die Rechtsfehlerhaftigkeit der angefochtenen Entscheidung ergeben soll. Bezieht sich das Rechtsmittel auf mehrere Ansprüche im prozessualen Sinn, ist zu jedem Anspruch eine ausreichende Begründung zu geben. Fehlen Ausführungen zu einem Anspruch, ist das Rechtsmittel insoweit unzulässig (BAG 13. Oktober 2015 - 1 AZR 429/14 - Rn. 36).

28

2. Diesen Grundsätzen genügte die Berufungsbegründung des Klägers bezogen auf den mit dem Antrag zu 2. eigenständig erhobenen Streitgegenstand nicht. Das Arbeitsgericht hat hierzu ausgeführt, die tatsächliche Entgelterhöhung im Mai 2012 sei nicht anspruchserhöhend zu werten, denn der Kläger habe die jeweiligen Tariferhöhungen bereits bei seiner Berechnung der monatlichen Entgeltdifferenzen ab Mai 2012 berücksichtigt. Damit setzt sich die Berufungsbegründung nicht auseinander.

        

    Schmidt    

        

    Treber    

        

    K. Schmidt    

        

        

        

    Sibylle Spoo    

        

    Hann    

                 

Hat ein Arbeitnehmer durch gesetzwidriges Verhalten oder durch grobe Verletzung der in § 75 Abs. 1 enthaltenen Grundsätze, insbesondere durch rassistische oder fremdenfeindliche Betätigungen, den Betriebsfrieden wiederholt ernstlich gestört, so kann der Betriebsrat vom Arbeitgeber die Entlassung oder Versetzung verlangen. Gibt das Arbeitsgericht einem Antrag des Betriebsrats statt, dem Arbeitgeber aufzugeben, die Entlassung oder Versetzung durchzuführen, und führt der Arbeitgeber die Entlassung oder Versetzung einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung zuwider nicht durch, so ist auf Antrag des Betriebsrats vom Arbeitsgericht zu erkennen, dass er zur Vornahme der Entlassung oder Versetzung durch Zwangsgeld anzuhalten sei. Das Höchstmaß des Zwangsgeldes beträgt für jeden Tag der Zuwiderhandlung 250 Euro.

(1) Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses gegenüber einem Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis in demselben Betrieb oder Unternehmen ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestanden hat, ist rechtsunwirksam, wenn sie sozial ungerechtfertigt ist.

(2) Sozial ungerechtfertigt ist die Kündigung, wenn sie nicht durch Gründe, die in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, oder durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist. Die Kündigung ist auch sozial ungerechtfertigt, wenn

1.
in Betrieben des privaten Rechts
a)
die Kündigung gegen eine Richtlinie nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes verstößt,
b)
der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in demselben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden kann
und der Betriebsrat oder eine andere nach dem Betriebsverfassungsgesetz insoweit zuständige Vertretung der Arbeitnehmer aus einem dieser Gründe der Kündigung innerhalb der Frist des § 102 Abs. 2 Satz 1 des Betriebsverfassungsgesetzes schriftlich widersprochen hat,
2.
in Betrieben und Verwaltungen des öffentlichen Rechts
a)
die Kündigung gegen eine Richtlinie über die personelle Auswahl bei Kündigungen verstößt,
b)
der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in derselben Dienststelle oder in einer anderen Dienststelle desselben Verwaltungszweigs an demselben Dienstort einschließlich seines Einzugsgebiets weiterbeschäftigt werden kann
und die zuständige Personalvertretung aus einem dieser Gründe fristgerecht gegen die Kündigung Einwendungen erhoben hat, es sei denn, daß die Stufenvertretung in der Verhandlung mit der übergeordneten Dienststelle die Einwendungen nicht aufrechterhalten hat.
Satz 2 gilt entsprechend, wenn die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nach zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen oder eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers unter geänderten Arbeitsbedingungen möglich ist und der Arbeitnehmer sein Einverständnis hiermit erklärt hat. Der Arbeitgeber hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung bedingen.

(3) Ist einem Arbeitnehmer aus dringenden betrieblichen Erfordernissen im Sinne des Absatzes 2 gekündigt worden, so ist die Kündigung trotzdem sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat; auf Verlangen des Arbeitnehmers hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Gründe anzugeben, die zu der getroffenen sozialen Auswahl geführt haben. In die soziale Auswahl nach Satz 1 sind Arbeitnehmer nicht einzubeziehen, deren Weiterbeschäftigung, insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebes, im berechtigten betrieblichen Interesse liegt. Der Arbeitnehmer hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung als sozial ungerechtfertigt im Sinne des Satzes 1 erscheinen lassen.

(4) Ist in einem Tarifvertrag, in einer Betriebsvereinbarung nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes oder in einer entsprechenden Richtlinie nach den Personalvertretungsgesetzen festgelegt, wie die sozialen Gesichtspunkte nach Absatz 3 Satz 1 im Verhältnis zueinander zu bewerten sind, so kann die Bewertung nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden.

(5) Sind bei einer Kündigung auf Grund einer Betriebsänderung nach § 111 des Betriebsverfassungsgesetzes die Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll, in einem Interessenausgleich zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat namentlich bezeichnet, so wird vermutet, dass die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne des Absatzes 2 bedingt ist. Die soziale Auswahl der Arbeitnehmer kann nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht, soweit sich die Sachlage nach Zustandekommen des Interessenausgleichs wesentlich geändert hat. Der Interessenausgleich nach Satz 1 ersetzt die Stellungnahme des Betriebsrates nach § 17 Abs. 3 Satz 2.

Hat ein Arbeitnehmer durch gesetzwidriges Verhalten oder durch grobe Verletzung der in § 75 Abs. 1 enthaltenen Grundsätze, insbesondere durch rassistische oder fremdenfeindliche Betätigungen, den Betriebsfrieden wiederholt ernstlich gestört, so kann der Betriebsrat vom Arbeitgeber die Entlassung oder Versetzung verlangen. Gibt das Arbeitsgericht einem Antrag des Betriebsrats statt, dem Arbeitgeber aufzugeben, die Entlassung oder Versetzung durchzuführen, und führt der Arbeitgeber die Entlassung oder Versetzung einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung zuwider nicht durch, so ist auf Antrag des Betriebsrats vom Arbeitsgericht zu erkennen, dass er zur Vornahme der Entlassung oder Versetzung durch Zwangsgeld anzuhalten sei. Das Höchstmaß des Zwangsgeldes beträgt für jeden Tag der Zuwiderhandlung 250 Euro.

Tenor

Der Beteiligten zu 2. wird aufgegeben, die Beteiligte zu 3. zu

entlassen.


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(1) Der Betriebsrat ist vor jeder Kündigung zu hören. Der Arbeitgeber hat ihm die Gründe für die Kündigung mitzuteilen. Eine ohne Anhörung des Betriebsrats ausgesprochene Kündigung ist unwirksam.

(2) Hat der Betriebsrat gegen eine ordentliche Kündigung Bedenken, so hat er diese unter Angabe der Gründe dem Arbeitgeber spätestens innerhalb einer Woche schriftlich mitzuteilen. Äußert er sich innerhalb dieser Frist nicht, gilt seine Zustimmung zur Kündigung als erteilt. Hat der Betriebsrat gegen eine außerordentliche Kündigung Bedenken, so hat er diese unter Angabe der Gründe dem Arbeitgeber unverzüglich, spätestens jedoch innerhalb von drei Tagen, schriftlich mitzuteilen. Der Betriebsrat soll, soweit dies erforderlich erscheint, vor seiner Stellungnahme den betroffenen Arbeitnehmer hören. § 99 Abs. 1 Satz 3 gilt entsprechend.

(3) Der Betriebsrat kann innerhalb der Frist des Absatzes 2 Satz 1 der ordentlichen Kündigung widersprechen, wenn

1.
der Arbeitgeber bei der Auswahl des zu kündigenden Arbeitnehmers soziale Gesichtspunkte nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat,
2.
die Kündigung gegen eine Richtlinie nach § 95 verstößt,
3.
der zu kündigende Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz im selben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden kann,
4.
die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nach zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen möglich ist oder
5.
eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers unter geänderten Vertragsbedingungen möglich ist und der Arbeitnehmer sein Einverständnis hiermit erklärt hat.

(4) Kündigt der Arbeitgeber, obwohl der Betriebsrat nach Absatz 3 der Kündigung widersprochen hat, so hat er dem Arbeitnehmer mit der Kündigung eine Abschrift der Stellungnahme des Betriebsrats zuzuleiten.

(5) Hat der Betriebsrat einer ordentlichen Kündigung frist- und ordnungsgemäß widersprochen, und hat der Arbeitnehmer nach dem Kündigungsschutzgesetz Klage auf Feststellung erhoben, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist, so muss der Arbeitgeber auf Verlangen des Arbeitnehmers diesen nach Ablauf der Kündigungsfrist bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits bei unveränderten Arbeitsbedingungen weiterbeschäftigen. Auf Antrag des Arbeitgebers kann das Gericht ihn durch einstweilige Verfügung von der Verpflichtung zur Weiterbeschäftigung nach Satz 1 entbinden, wenn

1.
die Klage des Arbeitnehmers keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet oder mutwillig erscheint oder
2.
die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers zu einer unzumutbaren wirtschaftlichen Belastung des Arbeitgebers führen würde oder
3.
der Widerspruch des Betriebsrats offensichtlich unbegründet war.

(6) Arbeitgeber und Betriebsrat können vereinbaren, dass Kündigungen der Zustimmung des Betriebsrats bedürfen und dass bei Meinungsverschiedenheiten über die Berechtigung der Nichterteilung der Zustimmung die Einigungsstelle entscheidet.

(7) Die Vorschriften über die Beteiligung des Betriebsrats nach dem Kündigungsschutzgesetz bleiben unberührt.

Kündigt der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis und bietet er dem Arbeitnehmer im Zusammenhang mit der Kündigung die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu geänderten Arbeitsbedingungen an, so kann der Arbeitnehmer dieses Angebot unter dem Vorbehalt annehmen, daß die Änderung der Arbeitsbedingungen nicht sozial ungerechtfertigt ist (§ 1 Abs. 2 Satz 1 bis 3, Abs. 3 Satz 1 und 2). Diesen Vorbehalt muß der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber innerhalb der Kündigungsfrist, spätestens jedoch innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung erklären.

(1) Der Betriebsrat ist vor jeder Kündigung zu hören. Der Arbeitgeber hat ihm die Gründe für die Kündigung mitzuteilen. Eine ohne Anhörung des Betriebsrats ausgesprochene Kündigung ist unwirksam.

(2) Hat der Betriebsrat gegen eine ordentliche Kündigung Bedenken, so hat er diese unter Angabe der Gründe dem Arbeitgeber spätestens innerhalb einer Woche schriftlich mitzuteilen. Äußert er sich innerhalb dieser Frist nicht, gilt seine Zustimmung zur Kündigung als erteilt. Hat der Betriebsrat gegen eine außerordentliche Kündigung Bedenken, so hat er diese unter Angabe der Gründe dem Arbeitgeber unverzüglich, spätestens jedoch innerhalb von drei Tagen, schriftlich mitzuteilen. Der Betriebsrat soll, soweit dies erforderlich erscheint, vor seiner Stellungnahme den betroffenen Arbeitnehmer hören. § 99 Abs. 1 Satz 3 gilt entsprechend.

(3) Der Betriebsrat kann innerhalb der Frist des Absatzes 2 Satz 1 der ordentlichen Kündigung widersprechen, wenn

1.
der Arbeitgeber bei der Auswahl des zu kündigenden Arbeitnehmers soziale Gesichtspunkte nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat,
2.
die Kündigung gegen eine Richtlinie nach § 95 verstößt,
3.
der zu kündigende Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz im selben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden kann,
4.
die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nach zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen möglich ist oder
5.
eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers unter geänderten Vertragsbedingungen möglich ist und der Arbeitnehmer sein Einverständnis hiermit erklärt hat.

(4) Kündigt der Arbeitgeber, obwohl der Betriebsrat nach Absatz 3 der Kündigung widersprochen hat, so hat er dem Arbeitnehmer mit der Kündigung eine Abschrift der Stellungnahme des Betriebsrats zuzuleiten.

(5) Hat der Betriebsrat einer ordentlichen Kündigung frist- und ordnungsgemäß widersprochen, und hat der Arbeitnehmer nach dem Kündigungsschutzgesetz Klage auf Feststellung erhoben, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist, so muss der Arbeitgeber auf Verlangen des Arbeitnehmers diesen nach Ablauf der Kündigungsfrist bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits bei unveränderten Arbeitsbedingungen weiterbeschäftigen. Auf Antrag des Arbeitgebers kann das Gericht ihn durch einstweilige Verfügung von der Verpflichtung zur Weiterbeschäftigung nach Satz 1 entbinden, wenn

1.
die Klage des Arbeitnehmers keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet oder mutwillig erscheint oder
2.
die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers zu einer unzumutbaren wirtschaftlichen Belastung des Arbeitgebers führen würde oder
3.
der Widerspruch des Betriebsrats offensichtlich unbegründet war.

(6) Arbeitgeber und Betriebsrat können vereinbaren, dass Kündigungen der Zustimmung des Betriebsrats bedürfen und dass bei Meinungsverschiedenheiten über die Berechtigung der Nichterteilung der Zustimmung die Einigungsstelle entscheidet.

(7) Die Vorschriften über die Beteiligung des Betriebsrats nach dem Kündigungsschutzgesetz bleiben unberührt.

Hat ein Arbeitnehmer durch gesetzwidriges Verhalten oder durch grobe Verletzung der in § 75 Abs. 1 enthaltenen Grundsätze, insbesondere durch rassistische oder fremdenfeindliche Betätigungen, den Betriebsfrieden wiederholt ernstlich gestört, so kann der Betriebsrat vom Arbeitgeber die Entlassung oder Versetzung verlangen. Gibt das Arbeitsgericht einem Antrag des Betriebsrats statt, dem Arbeitgeber aufzugeben, die Entlassung oder Versetzung durchzuführen, und führt der Arbeitgeber die Entlassung oder Versetzung einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung zuwider nicht durch, so ist auf Antrag des Betriebsrats vom Arbeitsgericht zu erkennen, dass er zur Vornahme der Entlassung oder Versetzung durch Zwangsgeld anzuhalten sei. Das Höchstmaß des Zwangsgeldes beträgt für jeden Tag der Zuwiderhandlung 250 Euro.

(1) Gegen die Urteile der Arbeitsgerichte findet, soweit nicht nach § 78 das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde gegeben ist, die Berufung an die Landesarbeitsgerichte statt.

(2) Die Berufung kann nur eingelegt werden,

a)
wenn sie in dem Urteil des Arbeitsgerichts zugelassen worden ist,
b)
wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600 Euro übersteigt,
c)
in Rechtsstreitigkeiten über das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses oder
d)
wenn es sich um ein Versäumnisurteil handelt, gegen das der Einspruch an sich nicht statthaft ist, wenn die Berufung oder Anschlussberufung darauf gestützt wird, dass der Fall der schuldhaften Versäumung nicht vorgelegen habe.

(3) Das Arbeitsgericht hat die Berufung zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
die Rechtssache Rechtsstreitigkeiten betrifft
a)
zwischen Tarifvertragsparteien aus Tarifverträgen oder über das Bestehen oder Nichtbestehen von Tarifverträgen,
b)
über die Auslegung eines Tarifvertrags, dessen Geltungsbereich sich über den Bezirk eines Arbeitsgerichts hinaus erstreckt, oder
c)
zwischen tariffähigen Parteien oder zwischen diesen und Dritten aus unerlaubten Handlungen, soweit es sich um Maßnahmen zum Zwecke des Arbeitskampfs oder um Fragen der Vereinigungsfreiheit einschließlich des hiermit im Zusammenhang stehenden Betätigungsrechts der Vereinigungen handelt, oder
3.
das Arbeitsgericht in der Auslegung einer Rechtsvorschrift von einem ihm im Verfahren vorgelegten Urteil, das für oder gegen eine Partei des Rechtsstreits ergangen ist, oder von einem Urteil des im Rechtszug übergeordneten Landesarbeitsgerichts abweicht und die Entscheidung auf dieser Abweichung beruht.

(3a) Die Entscheidung des Arbeitsgerichts, ob die Berufung zugelassen oder nicht zugelassen wird, ist in den Urteilstenor aufzunehmen. Ist dies unterblieben, kann binnen zwei Wochen ab Verkündung des Urteils eine entsprechende Ergänzung beantragt werden. Über den Antrag kann die Kammer ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

(4) Das Landesarbeitsgericht ist an die Zulassung gebunden.

(5) Ist die Berufung nicht zugelassen worden, hat der Berufungskläger den Wert des Beschwerdegegenstands glaubhaft zu machen; zur Versicherung an Eides Statt darf er nicht zugelassen werden.

(6) Für das Verfahren vor den Landesarbeitsgerichten gelten, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Berufung entsprechend. Die Vorschriften über das Verfahren vor dem Einzelrichter finden keine Anwendung.

(7) Die Vorschriften der §§ 46c bis 46g, 49 Abs. 1 und 3, des § 50, des § 51 Abs. 1, der §§ 52, 53, 55 Abs. 1 Nr. 1 bis 9, Abs. 2 und 4, des § 54 Absatz 6, des § 54a, der §§ 56 bis 59, 61 Abs. 2 und 3 und der §§ 62 und 63 über den elektronischen Rechtsverkehr, Ablehnung von Gerichtspersonen, Zustellungen, persönliches Erscheinen der Parteien, Öffentlichkeit, Befugnisse des Vorsitzenden und der ehrenamtlichen Richter, Güterichter, Mediation und außergerichtliche Konfliktbeilegung, Vorbereitung der streitigen Verhandlung, Verhandlung vor der Kammer, Beweisaufnahme, Versäumnisverfahren, Inhalt des Urteils, Zwangsvollstreckung und Übersendung von Urteilen in Tarifvertragssachen gelten entsprechend.

(8) Berufungen in Rechtsstreitigkeiten über das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses sind vorrangig zu erledigen.

(1) Gegen das Endurteil eines Landesarbeitsgerichts findet die Revision an das Bundesarbeitsgericht statt, wenn sie in dem Urteil des Landesarbeitsgerichts oder in dem Beschluß des Bundesarbeitsgerichts nach § 72a Abs. 5 Satz 2 zugelassen worden ist. § 64 Abs. 3a ist entsprechend anzuwenden.

(2) Die Revision ist zuzulassen, wenn

1.
eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, von einer Entscheidung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes, von einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts oder, solange eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts in der Rechtsfrage nicht ergangen ist, von einer Entscheidung einer anderen Kammer desselben Landesarbeitsgerichts oder eines anderen Landesarbeitsgerichts abweicht und die Entscheidung auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein absoluter Revisionsgrund gemäß § 547 Nr. 1 bis 5 der Zivilprozessordnung oder eine entscheidungserhebliche Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend gemacht wird und vorliegt.

(3) Das Bundesarbeitsgericht ist an die Zulassung der Revision durch das Landesarbeitsgericht gebunden.

(4) Gegen Urteile, durch die über die Anordnung, Abänderung oder Aufhebung eines Arrests oder einer einstweiligen Verfügung entschieden wird, ist die Revision nicht zulässig.

(5) Für das Verfahren vor dem Bundesarbeitsgericht gelten, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Revision mit Ausnahme des § 566 entsprechend.

(6) Die Vorschriften der §§ 46c bis 46g, 49 Abs. 1, der §§ 50, 52 und 53, des § 57 Abs. 2, des § 61 Abs. 2 und des § 63 dieses Gesetzes über den elektronischen Rechtsverkehr, Ablehnung von Gerichtspersonen, Zustellung, Öffentlichkeit, Befugnisse des Vorsitzenden und der ehrenamtlichen Richter, gütliche Erledigung des Rechtsstreits sowie Inhalt des Urteils und Übersendung von Urteilen in Tarifvertragssachen und des § 169 Absatz 3 und 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes über die Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen sowie Ton- und Filmaufnahmen bei der Entscheidungsverkündung gelten entsprechend.