Finanzgericht Münster Beschluss, 23. Juni 2015 - 1 V 1012/15 L
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
1
Gründe:
2I.
3Die Antragstellerin begehrt im finanzgerichtlichen Verfahren einstweiligen Rechtsschutz gegen einen vom Antragsgegner erlassenen Lohnsteuerhaftungsbescheid (§ 69 Abs. 3 Finanzgerichtsordnung - FGO).
4Die Antragstellerin ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) mit Sitz in I, die durch Gesellschaftsvertrag vom 25.11.2004 gegründet wurde. Alleiniger Gesellschafter und alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer war zunächst Herr L. Mit Kauf- und Abtretungsvertrag vom 01.04.2010 übertrug Herr L die Gesellschaftsanteile auf Herrn M. Ab dem 21.04.2010 war Herr M dann auch alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer der Antragstellerin. Nach den Erkenntnissen des Hauptzollamtes C und des Finanzamts für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung N (Ermittlungsbehörden) ist Herr L während seiner Zeit als Gesellschafter-Geschäftsführer lediglich als „Strohmann“ eingesetzt worden. De facto soll Herr L als Arbeitnehmer für die Antragstellerin tätig gewesen sein. Die kaufmännische, verwaltungstechnische sowie organisatorische Leitung und damit die faktische Geschäftsführung der Antragstellerin soll seit dem Beginn der gewerblichen Tätigkeit schon immer in den Händen von Herrn M gelegen haben.
5Gegenstand des Unternehmens der Antragstellerin ist nach der Eintragung im Handelsregister die Vermittlung von Arbeiten jeglicher Art sowie Dienstleistungen, Arbeitnehmerüberlassung, Ausführung von Landschaftsbauarbeiten, Industriemontagen und Einbau von genormten Fertigteilen, Bewehrungsarbeiten sowie Trocken- und Akustikbau. Der Schwerpunkt der tatsächlich ausgeführten Arbeiten lag im Streitzeitraum von Januar 2006 bis Oktober 2011 in der Erbringung von Bauleistungen. Die auftragsausführende Antragstellerin war hauptsächlich als Subunternehmer für andere Unternehmen des Bausektors tätig und erzielte aus dieser Tätigkeit ausschließlich Umsätze im Sinne des § 13b Umsatzsteuergesetz (UStG), bei denen der Leistungsempfänger die Umsatzsteuer schuldet (die Umsätze aus dieser Tätigkeit beliefen sich in den Streitjahren 2006 bis 2011 auf 7.373.055,59 EUR und machten damit über 90% der Gesamtumsätze dieses Zeitraums aus).
6In der Vergangenheit fand bei der Antragstellerin ein gemeinsames Ermittlungsverfahren durch das Hauptzollamt C / Finanzkontrolle Schwarzarbeit und das Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung (STRAFA-FA) N statt. Die Prüfungsfeststellungen sind in dem Ermittlungsbericht des Hauptzollamts C vom 06.11.2014, in dem steuerstrafrechtlichen Ermittlungsbericht des STRAFA-FA N vom 14.11.2014 sowie in dem steuerlichen Ermittlungsbericht des STRAFA-FA N vom 28.11.2014 zusammengefasst.
7Nach dem Gesamtergebnis der Ermittlungen konnten die erzielten gewerblichen Umsätze der auftragsausführenden Antragstellerin weder mit den zur Sozialversicherung gemeldeten Arbeitnehmern noch mit dem zur Lohnsteuer angemeldeten Personal erwirtschaftet werden. Die Ermittlungsbehörden gehen vielmehr davon aus, dass die Antragstellerin im Rahmen der von ihr erbrachten Bauleistungen zusätzlich zum offiziell erklärten / gemeldeten Personal umfangreich sog. Schwarzarbeiter (in Gestalt von namentlich nicht bekannten, ganz oder teilweise illegal arbeitenden Personen) eingesetzt hat, um sich den aus einem vollständig ordnungsgemäß erklärten / gemeldeten Arbeitnehmereinsatz resultierenden Verpflichtungen (Leistung von Sozialversicherungsabgaben, Lohnsteuern nebst Annexabgaben, Beiträgen zur Berufsgenossenschaft etc.) zu entziehen. Zur Generierung von Schwarzgeldern und zur Verschleierung der tatsächlich mit illegal beschäftigtem Personal erbrachten Leistungen soll die Antragstellerin in erheblichem Umfang sog. Abdeckrechnungen (Scheinrechnungen) inaktiver Servicefirmen in ihrer Finanzbuchhaltung ausgewiesen haben. Insofern wird der Antragstellerin, vertreten durch ihre Geschäftsführer, neben der Verkürzung von Sozialabgaben vor allem vorgeworfen, unrichtige Lohnsteueranmeldungen i.S. des § 41a Einkommensteuergesetz (EStG) abgegeben zu haben, indem von den an ihr Personal tatsächlich ausgezahlten Löhnen gar keine oder zu geringe Lohnsteuern einbehalten und abgeführt worden sind. Hierdurch soll es zu Steuerverkürzungen zugunsten der Antragstellerin i.S. des § 370 Abs. 4 S. 1 Abgabenordnung (AO) gekommen sein.
8Den Einsatz von Schwarzarbeit durch die Antragstellerin im Streitzeitraum begründeten die Ermittlungsbehörden u.a. mit folgenden (Einzel-)Feststellungen:
9- Feststellung einer „Bruttolohnquote (a)“ für den Betrieb der Antragstellerin von im Streitzeitraum durchschnittlich 48,18 % bei einer branchenüblichen Bruttolohnquote von mindestens 66,67 % bezogen auf die Erbringung von Bauleistungen nach § 13b UStG (vgl. zur Mindest-Bruttolohnquote die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) zu illegalen Beschäftigungsverhältnissen in Form von Schwarzarbeit, insbesondere Urteil v. 10.11.2009, 1 StR 283/09, juris). Die „Bruttolohnquote (a)“ ergibt sich aus dem Verhältnis der von der Antragstellerin selbst verbuchten Bruttolöhne gewerblicher Arbeitnehmer zum selbst erklärten Umsatz durch Arbeitsleistung eigener Arbeitnehmer unter Zugrundlegung des Nettoumsatzes aus betrieblicher Tätigkeit und bereinigt um den eigenen Wareneinsatz sowie den Einsatz von Subunternehmern.
10- Feststellung einer „Bruttolohnquote (b)“ für den Betrieb der Antragstellerin von im Streitzeitraum durchschnittlich 22,39 % bei einer branchenüblichen Bruttolohnquote von mindestens 66,67 % bezogen auf die Erbringung von Bauleistungen nach § 13b UStG. Die „Bruttolohnquote (b)“ ergibt sich aus dem Verhältnis der von der Antragstellerin selbst verbuchten Bruttolöhne gewerblicher Arbeitnehmer zum selbst erklärten Umsatz durch Arbeitsleistung eigener Arbeitnehmer unter Zugrundlegung des Nettoumsatzes aus betrieblicher Tätigkeit und bereinigt um den eigenen Wareneinsatz, allerdings ohne die Anerkennung von in der Finanzbuchhaltung verbuchten Abdeckrechnungen diverser Servicefirmen als Fremdleistungen.
11- Die Antragstellerin soll im Streitzeitraum auf erster Nachunternehmerebene mit den Firmen
12H GmbH,
13B GmbH (vormals A GmbH),
14X Transport B.V./NL,
15Y und
16T Bau Expert GmbH
17inaktive Servicefirmen als vermeintliche Subunternehmer eingeschaltet haben, die ausschließlich dem Zweck dienten, Abdeckrechnungen zu erstellen, um im Rahmen eines allgemeinen Systems des Kettenbetrugs den Einsatz von Schwarzarbeit zu vertuschen. Die Servicefirmen besäßen regelmäßig das juristische Gerüst eines am Markt tätigen Unternehmens, seien aber tatsächlich wirtschaftlich nicht aktiv. Die durch sie erteilten Abdeckrechnungen sollen jeweils nicht leistungshinterlegt gewesen sein. Die in den Abdeckrechnungen ausgewiesenen Beträge sollen in der Finanzbuchhaltung der Antragstellerin als Subunternehmeraufwand erfasst und zumeist per Überweisung, in Einzelfällen auch per Barzahlung an die jeweiligen Serviceunternehmen geleistet worden seien. Von dort aus sollen sie durch zeitnahe Barabhebungen unter Einbehaltung einer Provision (i.d.R. 6 % der Rechnungsbeträge als Entgelt für die Rechnungserteilung und die damit verbundenen Dienstleistungen) an die Antragstellerin in bar zurückgeflossen seien (sog. Kick-Back-Zahlungen), um auf diese Weise Mittel zur Zahlung von Schwarzlöhnen zu generieren. Die Verschleierung des Einsatzes von Schwarzarbeit durch die Antragstellerin mittels der genannten Servicefirmen soll nach den Ermittlungsergebnissen der Zoll- und Steuerfahndungsbehörden immer nach dem gleichen Muster (modus operandi) erfolgt sein. Auf diese Weise soll die Antragstellerin im Streitzeitraum insgesamt Schwarzlohnzahlungen i.H. von 2.870.818,04 EUR verschleiert haben. Die genannten Servicefirmen der ersten Nachunternehmerebene sollen ihrerseits durch Verbuchung nicht leistungshinterlegter Unter-Abdeckrechnungen weiterer inaktiver Serviceunternehmen, nämlich der Firmen X Transport B.V./NL, I AV A/DK sowie A/DK, die gegenüber der Antragstellerin fingierten Subunternehmerleistungen verschleiert haben, allerdings ohne dass es dabei noch zu realen Geldflüssen gekommen sei (zweite Nachunternehmerebene). Die Servicefirmen der zweiten Nachunternehmerebene wiederum sollen ihre vermeintlichen Subunternehmerleistungen durch Unter-Unter-Abdeckrechnungen ausländischer Serviceunternehmen einer dritten Nachunternehmerebene finanzbuchhalterisch verschleiert haben (quasi im Sinne einer „Totabdeckung“). Betroffen hiervon seien die Firmen D (Serbien), F (Slowenien) sowie O (Polen).
18- Unter Einbeziehung des durch Abdeckrechnungen generierten Schwarzgeldes (Kapital aus nicht erbrachten Fremdleistungen) als zum offiziell verbuchten Lohnaufwand zusätzlicher Lohnanteil soll sich für die Antragstellerin in den Streitjahren eine Bruttolohnquote von durchschnittlich 79,68 % ergeben („Bruttolohnquote (c)“). Diese Lohnquote liege über der vom BGH für den lohnintensiven Baubereich angenommenen Mindest-Lohnquote von 66,67% und indiziere damit die Verwendung des mittels der Servicefirmen / Abdeckrechnungen generierten Schwarzgeldes für illegale Lohnzahlungen.
19- Der Einsatz von Schwarzarbeit durch die Antragstellerin soll darüber hinaus durch im Rahmen der Ermittlungen beschlagnahmte Unterlagen (z.B. in Form fragmentarischer Stundenaufzeichnungen) dokumentiert sein. In 74 Einzelfällen sei tatsächlich nachgewiesen, dass die Antragstellerin für von ihr eingesetzte Arbeitnehmer gar keine oder zu geringe Lohnsteuern und Sozialversicherungsabgaben abgeführt habe. In ungefähr der Hälfte dieser Fälle habe die Antragstellerin pro forma ausgestellte Gewerbeanmeldungen für die Arbeitnehmer bereit gehalten, um bei Zollkontrollen bzw. anderen Behördenprüfungen ein tatsächlich bestehendes abhängiges Beschäftigungsverhältnis als gewerbliche Subunternehmertätigkeit zu verdecken.
20- Im Rahmen der Ermittlungen sind bei der Antragstellerin Kalkulationsberechnungen vorgefunden und beschlagnahmt worden, aus denen sich exemplarisch der systematische Einsatz von Schwarzarbeit und die Zahlung von Schwarzlöhnen ergeben soll.
21- Der (faktische) Geschäftsführer der Antragstellerin, Herr M, soll gemeinsam mit Herrn J als „Hintermann“ im Streitfall und in gleichgelagerten Kettenbetrugsfällen eine Vielzahl der inaktiven Serviceunternehmen betrieben bzw. jedenfalls gesteuert haben (etwa die H GmbH, die B GmbH, die I AV A/DK, die A.. A/DK und die V.. GmbH/,). Die Firmen hätten damit nicht nur der Generierung von Schwarzgeld für Schwarzlohnzahlungen der Antragstellerin gedient, sondern seien darüber hinaus von M auch als quasi „zweite Einkommensquelle“ genutzt worden (Vereinnahmung von Provisionen für den systematischen „Verkauf“ von Abdeckrechnungen an Dritte).
22Die Ermittlungsbehörden kamen aufgrund der getroffenen Feststellungen (insbesondere zum Einsatz inaktiver Scheinfirmen) zu dem Ergebnis, dass die von der Antragstellerin im Rahmen ihres Gewerbebetriebs tatsächlich geleisteten Arbeiten gegenüber den Auftraggebern in keiner Weise mit dem zur Sozialversicherung und dem zur Lohnsteuer angemeldeten (eigenen) Personal hätten erbracht werden können. Angesichts der konkreten Nachweise für den Einsatz von Schwarzarbeit in Einzelfällen und unter Berücksichtigung der Ermittlungsergebnisse zum strukturellen Nachweis von Schwarzarbeit anhand von Lohnquotenberechnungen zogen die Ermittlungsbehörden den Schluss, dass die Antragstellerin jedenfalls die an die jeweiligen Servicefirmen tatsächlich geleisteten Beträge abzüglich einer bei den Rechnungsschreibern verbliebenen Provision i.H. von 6 bzw. 20 % zum Einsatz von Schwarzarbeit (Zahlung von Schwarzlöhnen) genutzt haben muss. Da faktisch weder die Identität der jeweiligen illegal eingesetzten Arbeitnehmer noch ihre individuellen persönlichen Verhältnisse im Nachhinein hätten festgestellt werden können und folgerichtig auch keine vollständigen Informationen über tatsächliche Beschäftigungszeiten und Lohnzahlungen im Einzelfall vorlägen, seien die von der Antragstellerin im Streitzeitraum gezahlten Schwarzlöhne im Schätzungswege ermittelt worden (§ 162 AO). Die Berechnung der darauf entfallenden Lohnsteuer sei im Wege der Pauschalierung unter Ansatz des Eingangssteuersatzes der Steuerklasse VI vorgenommen worden.
23Auf der Grundlage der vorgenannten Prüfungsfeststellungen erließ der Antragsgegner am 03.02.2015 den streitgegenständlichen Haftungsbescheid und nahm die Antragstellerin wegen rückständiger Lohnsteuern und Annexsteuern i.H. von insgesamt 479.431,15 EUR in Anspruch. Der Haftungsbetrag sollte bis zum 06.03.2015 gezahlt werden. Zur Begründung des Haftungstatbestandes und zur Berechnung der Haftungsschuld verwies der Antragsgegner auf die Feststellungen des STRAFA-FA N im Bericht vom 28.11.2014, der dem Haftungsbescheid als Anlage beigefügt war. Gemeinsam mit dem Haftungsbescheid (in derselben Urkunde) hob der Antragsgegner ferner den Vorbehalt der Nachprüfung in Bezug auf die von der Antragsgegnerin für den Streitzeitraum bisher abgegebenen Lohnsteueranmeldungen auf.
24Gegen den Haftungsbescheid legte die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 26.02.2015 Einspruch ein, den sie im weiteren Verlauf des Einspruchsverfahrens mit Schriftsatz vom 07.04.2015 näher begründete. Auch gegen die Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung in Bezug auf die für den Streitzeitraum abgegebenen Lohnsteueranmeldungen legte die Antragstellerin mit Schreiben vom 04.03.2015 Einspruch ein. Über beide außergerichtlichen Rechtsbehelfe ist bislang noch nicht entschieden.
25Am 05.03.2015 beantragte die Antragstellerin gegenüber dem Antragsgegner unter Hinweis auf den von ihr eingelegten Einspruch die Aussetzung der Vollziehung des Haftungsbescheides. Mit Schreiben vom 16.03.2015 lehnte der Antragsgegner den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ab. Zur Begründung führte er aus, dass nach der im Aussetzungsverfahren gebotenen summarischen Prüfung keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheides bestünden. Mit Schreiben vom 24.03.2015 legte die Antragstellerin Einspruch gegen die Ablehnung ihres Antrags auf Aussetzung der Vollziehung ein. Auch über diesen Rechtsbehelf ist bislang nicht entschieden.
26Am 27.03.2015 hat die Antragstellerin den vorliegenden gerichtlichen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des Haftungsbescheides gestellt.
27Die Antragstellerin hält den streitgegenständlichen Haftungsbescheid vom 03.02.2015 für nichtig bzw. für rechtswidrig. Die Voraussetzungen für eine Aussetzung der Vollziehung des Haftungsbescheides lägen jedenfalls vor, denn insofern reichten bereits ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit des streitgegenständlichen Verwaltungsaktes. Die Antragstellerin begründet ihre außergerichtlichen Rechtsbehelfe gegen den Haftungsbescheid sowie den vorliegenden gerichtlichen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung im Wesentlichen übereinstimmend wie folgt:
28Nach Ansicht der Antragstellerin ist der Haftungsbescheid bereits wegen inhaltlicher Unbestimmtheit nichtig. Mit der Festsetzung der Haftungsschuld sei gleichzeitig (in einer einheitlichen Urkunde) der Vorbehalt der Nachprüfung in Bezug auf die für den Streitzeitraum abgegebenen Lohnsteueranmeldungen aufgehoben worden. Beide Bescheide stünden in einem Widerspruch zueinander. Voraussetzung für die Haftung sei grundsätzlich eine bestehende Steuerschuld (im Falle der Lohnsteuer eine bestehende Steuerentrichtungsschuld). Die Höhe dieser Schuld sei aus dem streitbefangenen Bescheid aber nicht hinreichend erkennbar. Mit der Aufhebung des Nachprüfungsvorbehalts sei die ursprünglich angemeldete Lohnsteuer erneut (in gleicher Höhe), nun aber endgültig festgesetzt worden (§ 164 Abs. 3 S. 1 AO). Nach der Auffassung des Antragsgegners im Haftungsbescheid habe sich die Lohnsteuer aber durch die Feststellungen der Ermittlungsbehörden gerade geändert. Insofern bestünde ein Widerspruch zwischen der Steuerentrichtungsschuld und der Haftungsschuld, der wegen der strengen Akzessorietät nicht zulässig sei. Sie – die Antragstellerin – könne nicht erkennen, was eigentlich gemeint sei. Vor allem sei unklar, ob die ursprüngliche Steuerentrichtungsschuld erneut festgesetzt werden soll oder ob doch eine neue Steuerentrichtungsschuld gelten soll. Im Übrigen sei eine Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung für Lohnsteueranmeldungszeiträume in 2006 schon gar nicht möglich gewesen, weil der Nachprüfungsvorbehalt insofern über die Regelung des § 164 Abs. 4 AO bereits kraft Gesetzes entfallen sei.
29Darüber hinaus weist die Antragstellerin in formeller Hinsicht darauf hin, dass vor Erlass des Haftungsbescheides keine Anhörung stattgefunden habe. Auch sei ihr – der Antragstellerin – bisher keine Einsicht in die Steuerakten gewährt worden. Im Übrigen hätten die den Ermittlungsberichten zugehörigen 30 Beweisordner aufgrund des zeitlichen Zusammenhangs zwischen dem Abschluss der Ermittlungen und dem Erlass des Haftungsbescheides bisher von ihren Verantwortlichen / Prozessbevollmächtigten allenfalls rudimentär gesichtet werden können.
30In materieller Hinsicht trägt die Antragstellerin zunächst vor, dass der Haftungsbescheid nicht auf Tatsachen, sondern größtenteils auf Vermutungen, Verdachtsmomenten, Pauschalbehauptungen und bloßen Schätzungen der Besteuerungsgrundlagen beruhe. Die vom Antragsgegner angeführten Gründe und vermeintlichen Beweismittel seien nicht von entsprechender Qualität, um eine Schwarzarbeit und eine Nichtabführung von Lohnsteuer ausreichend zu begründen, jedenfalls nicht in dem dargestellten Umfang. Die seitens der Ermittlungsbehörden geschätzten Lohnzahlungen auf der Grundlage behaupteter Abdeckrechnungen seien unrealistisch und de facto nicht erfolgt. Sie – die Antragstellerin – habe Arbeitnehmer in dem vom Hauptzollamt C bzw. vom STRAFA-FA N behaupteten (geschätzten) Umfang niemals beschäftigt. Die Feststellungen der Ermittlungsbehörden beruhten auf bloßen Indizien. Der Sachverhalt sei insofern weder ausermittelt noch entsprächen die Ermittlungsergebnisse der Wahrheit. Ein Nachweis von tatsächlicher Schwarzbeschäftigung in Gestalt des Strengbeweises sei nicht erfolgt. Lediglich in wenigen Einzelfällen mit einer insgesamt geringfügigen Auswirkung gäbe es eine Beweisführung durch Zeugenaussagen. Ob und inwieweit diese Aussagen allerdings glaubhaft seien, habe bisher nicht überprüft werden können. Wenn es in dem Ermittlungsbericht des Hauptzollamtes heiße, dass Unterlagen (etwa Stunden– bzw. Einzelaufzeichnungen) für eingesetzte Schwarzarbeiter lediglich fragmentarisch aufgefunden worden seien, dann werde damit selbst eingestanden, dass ausreichende Nachweise (Strengbeweise bzw. Vollbeweise) für den Einsatz illegal beschäftigter Arbeitnehmer gerade nicht vorliegen. Der Haftungstatbestand werde also überwiegend mit indiziellen / strukturellen Erwägungen begründet, was angesichts der Höhe der Haftungsschuld nicht ausreichen dürfte.
31Als Beispiel für die Unrichtigkeit der Sachverhaltsermittlung verweist die Antragstellerin auf die Berichte des STRAFA-FA N vom 14.11./28.11.2014. Dort werde ausgeführt, dass sie – die Antragstellerin – fast ausschließlich Personalleistungen im Bausektor erbringe und dass es sich bei den Tätigkeiten um reine Lohnarbeiten ohne nennenswerten Einsatz von eigenen Maschinen und Materialien handele. Schon diese grundlegenden Feststellungen seien unzutreffend. Aus den Gewinn- und Verlustrechnungen für die Jahre 2008 bis 2010 sei ersichtlich, dass erhebliche Aufwendungen für Material angefallen seien (Hinweis auf die Verhältnisse im Jahr 2008: Umsatzerlöse: 1.527.000,- EUR, Materialeinsatz: 382.000,- EUR und sonstige Kosten: 179.000,- EUR). Angesichts dieses Beispiels müsse davon ausgegangen werden, dass die Ermittlungsbehörden die Buchhaltungsunterlagen nicht oder jedenfalls nicht hinreichend ausgewertet haben.
32In Bezug auf die Feststellungen der Ermittlungsbehörden zur „Bruttolohnquote“ (behauptete Abweichungen von einer in der Rechtsprechung des BGH anerkannten Mindestlohnquote im Baugewerbe i.H. von 66,67 %) trägt die Antragstellerin vor, dass ein derartiger Vergleichsmaßstab die Besonderheiten ihres Betriebes außer Acht lasse. Ihr Betrieb zeichne sich dadurch aus, dass größtenteils im Akkord und unter Einsatz eigener Materialgestellung bzw. eigenen Materialverkaufs gearbeitet worden sei. Die dem Vergleich mit der Mindestlohnquote zugrunde liegende strukturelle Annahme, zwei Drittel der Umsatzerlöse müssten auf reine Personalkosten entfallen, sei insofern schon grundsätzlich nicht mit ihren spezifischen betrieblichen Verhältnisse kompatibel. Derartige strukturelle Erwägungen mögen Geltung bei einem typisierten Bauunternehmen ohne Akkordarbeit und ohne Materialeinsatz finden, träfen jedoch auf ihr Geschäft gerade nicht zu. Im Hinblick auf die Modalitäten der Lohnquotenberechnung reklamiert die Antragstellerin, dass das Vorgehen nicht den Vorgaben aus der Rechtsprechung des BGH entspräche. Während die Ermittlungsbehörden mit einer „Bruttolohnquote“ argumentierten, rekurriere der BGH in seinem Beschluss vom 11.09.2009 (1 StR 283/09) eindeutig auf eine „Nettolohnquote“.
33Was die von den Ermittlungsbehörden vermeintlich vorgefundenen Kalkulationsberechnungen unter Einbeziehung von Schwarzlohnzahlungen anbelangt, so weist die Antragstellerin darauf hin, dass in der Kalkulation ein „Schwarzlohn“ i.H. von 3.510,- EUR ausgewiesen sei. Es sei daher äußerst fraglich, ob dieser (Einzel-)Beleg insofern zur Beweisführung geeignet sei, als es im Ergebnis darum gehe, einen Haftungsbetrag über Lohnsteuer und Annexabgaben i.H. von 480.000,- EUR zu rechtfertigen.
34Die Antragstellerin bestreitet ausdrücklich die Annahme der Ermittlungsbehörden, bei den von ihr als Subunternehmer eingesetzten Firmen habe es sich lediglich um inaktive Scheinfirmen gehandelt. Sie behauptet stattdessen, die von den Subunternehmern in Rechnung gestellten Leistungen seien auch tatsächlich erbracht worden. Insofern führt die Antragstellerin in Bezug auf ihre grundlegende Kalkulations- und Arbeitsweise erläuternd aus: Ihre Leistungen, insbesondere im Bereich des Trocken- und Pflasterbaus, würden von renommierten großen und mittelständischen Firmen in Anspruch genommen (etwa der H Solutions AG oder der B Hochbau GmbH). Viele ihrer Auftraggeber wüssten aufgrund der Erfahrungen aus der Vergangenheit, dass sie Aufträge gerade im Bereich der (Akkord-)Arbeit zeit- und sachgerecht auszuführen in der Lage sei. Vor diesem Hintergrund würden Auftraggeber häufig von selbst ein Projekt an sie herantragen. Sie – die Antragstellerin – würde dann regelmäßig nur den Projektleiter und bei Bedarf noch einen weiteren Mitarbeiter stellen. In der Regel würde der Projektleiter mit dem Auftraggeber zunächst das jeweilige Leistungsverzeichnis sowie die zeitlichen Vorgaben absprechen. Die eigentlichen Bauarbeiten würden ganz überwiegend von Subunternehmer erledigt, etwa der B GmbH. Die dazu notwendigen Bauhelfer würden von den Subunternehmern in Kolonnenstärke (drei bis sechs Arbeiter) gestellt. Der von ihr – der Antragstellerin – eingesetzte Projektleiter würde regelmäßig stichprobenartig die ordnungsgemäße Meldung der Bauhelfer zur Sozialversicherung (insbesondere die sog. A1-Bescheinigungen bei ausländischen Kräften) kontrollieren (Glaubhaftmachung: Zeugnis des Herr T1. T2.). Im Übrigen gehe sie davon aus, dass die Subunternehmen ihre Arbeitskräfte ordnungsgemäß versichern bzw. anmelden. Eine vollständige Überprüfung durch ihre Geschäftsleitung sei insofern jedoch nicht möglich. Ob – wie von den Ermittlungsbehörden angenommen – einzelne Arbeitnehmer durch die Subunternehmen nicht ordnungsgemäß eingesetzt worden seien, könne von ihr – der Antragstellerin – nicht abschließend beurteilt werden. Diese Frage entziehe sich sowohl ihrer Kenntnis als auch ihrer Verantwortung. Der Einsatz von Subunternehmern an sich sei in der Baubranche absolut üblich und zulässig. Die in Auftrag gegebenen Arbeiten seien durch die jeweiligen Subunternehmer ganz überwiegend zufriedenstellend ausgeführt worden (aus der Sicht der Antragstellerin und ihrer Auftraggeber). Die Abrechnung ihrerseits mit den Subunternehmern erfolge häufig über qm-Preise oder Festpreise. Die von ihr eingesetzten Subunternehmer würden regelmäßige geringere qm-Preise bzw. Festpreise aufrufen. Sie gehe aber davon aus, dass auch die Subunternehmer noch eine „gute Gewinnmarge“ erzielten (möglicherweise auch aufgrund des Einsatzes ausländischer Arbeiter mit niedrigeren Stundenlöhnen). Im Ergebnis bleibe nach alledem festzuhalten, dass die von den Ermittlungsbehörden im Schätzungswege vorgenommene Zurechnung von Bauarbeitskräften der Nachunternehmer als „Schwarzarbeiter“ bei ihr (der Antragstellerin) jedweder Grundlage entbehre.
35Im Übrigen weist die Antragstellerin darauf hin, dass sie auf zahlreichen Großbaustellen in ganz Deutschland tätig gewesen sei und dabei regelmäßig Kontrollen durch die Hauptzollämter durchgeführt worden seien. Bei keiner dieser Kontrollen sei sie in irgendeiner Form aufgefallen. Die von ihr eingesetzten Arbeitnehmer verfügten über die notwendigen Sozialversicherungsausweise, was regelmäßig von der Geschäftsführung überwacht werde. Auch der Umstand, dass einige ihrer Arbeitnehmer Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung bezogen hätten, zeige, dass das von ihr eingesetzte Personal legal beschäftigt worden sei. Dieser Umstand sei den Ermittlungsbehörden auch bekannt, werde in den jeweiligen Ermittlungsberichten jedoch nicht erwähnt.
36Darüber hinaus sei der Erlass des Haftungsbescheides auch ermessenswidrig erfolgt. Der Bescheid enthalte keinerlei Ausführungen zu einer Ausübung des Auswahlermessens durch den Antragsgegner.
37Abschließend weist die Antragstellerin darauf hin, dass im Falle der Ablehnung des Aussetzungsantrags wahrscheinlich ein Insolvenzantrag zu stellen sei. Damit würde ein irreparabler Schaden bei ihr und ihren Gesellschaftern eintreten. Auch zur Erbringung einer Sicherheitsleistung sei sie – die Antragstellerin – wirtschaftlich nicht in der Lage.
38Hinsichtlich des weiteren Vortrags der Antragstellerin wird auf die im gerichtlichen Verfahren ergangenen Schriftsätze vom 27.03. und 22.05.2015 verwiesen.
39Die Antragstellerin beantragt,
40die Vollziehung des Haftungsbescheides über Lohnsteuer, Solidaritätszuschlag, Kirchensteuer und Bergmannsprämie vom 03.02.2015 i.H. von 479.431,15 EUR einschließlich des Leistungsgebotes ab Fälligkeit bis einen Monat nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung auszusetzen.
41Der Antragsgegner beantragt,
42den Antrag abzulehnen.
43In seiner Gegenäußerung vom 14.04.2015 weist der Antragsgegner zunächst den Einwand der Nichtigkeit des Haftungsbescheides zurück. Er habe zulässiger Weise mehrere (zusammengefasste) Bescheide in einer Urkunde erlassen, nämlich den Haftungsbescheid einerseits (nebst Leistungsgebot) sowie den Bescheid über die Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung in Bezug auf die von der Antragstellerin für den Streitzeitraum abgegebenen Lohnsteueranmeldungen andererseits. Der jeweilige Inhalt dieser Verwaltungsakte sei aus Empfängersicht (Antragstellerin) klar und deutlich erkennbar. Insbesondere an der Bestimmtheit des Haftungsbescheides, des Leistungsgebotes und der darauf bezogenen Zahlungsaufforderung bestünden keinerlei Zweifel. Der Bescheid über die Vorbehaltsaufhebung sei mit dem Einspruch angefochten worden. Eine Entscheidung darüber sei einem gesonderten Verwaltungsverfahren vorbehalten.
44Auch ansonsten hält der Antragsgegner den streitgegenständlichen Haftungsbescheid für rechtmäßig. Zur Begründung des Haftungstatbestandes führt er aus, dass die Ermittlungsbehörden den konkreten Nachweis des Einsatzes von Schwarzarbeit durch die Antragstellerin in mehreren Fällen haben führen können, und verweist insofern auf den Bericht des Hauptzollamtes C und die dazu vorgehaltenen Sachbeweisordner. Die sichergestellten Unterlagen belegten, dass die Antragstellerin Löhne für von ihr auf konkreten Baustellen eingesetzte Arbeitnehmer entweder gar nicht oder nur zum Teil in ihrer Lohnbuchführung ausgewiesen und damit versteuert habe. Auch die bei ihr aufgefundene Kalkulationsberechnung zeige beispielhaft, dass und auf welche Art und Weise die Antragstellerin im Rahmen der Ausführungen von Bauleistungen illegal beschäftigte Mitarbeiter eingesetzt habe.
45Darüber hinaus geht der Antragsgegner davon aus, dass der Nachweis des Einsatzes von Schwarzarbeit zusätzlich durch die indiziellen / strukturellen Ermittlungen zur „Bruttolohnquote“ geführt worden sei. Auch insoweit verweist er auf die Feststellungen der Ermittlungsbehörden. Der im steuerstrafrechtlichen Bericht vom 28.11.2014 befindliche Passus, die Antragstellerin habe ausschließlich reine Lohnarbeiten ohne nennenswerten Einsatz von Maschinen und Material ausgeführt, sei dort lediglich versehentlich aufgenommen worden. In den Berechnungen des Hauptzollamtes C zur Ermittlung der „Bruttolohnquote“ würden die Aufwendungen für Material-/Wareneinsatz von den Umsatzerlösen zum Abzug gebracht und damit rechnerisch zutreffend berücksichtigt.
46Darüber hinaus macht der Antragsgegner geltend, dass die Ermittlungsbehörden aus seiner Sicht eindeutige und belegbare Feststellungen zum Servicecharakter der von der Antragstellerin vermeintlich beauftragten Subunternehmer getroffen haben. Aufgrund der detaillierten Prüfung der einzelnen Nachunternehmen stünde fest, dass die in Rechnung gestellten Subunternehmerleistungen tatsächlich nicht erbracht worden seien. Vor diesem Hintergrund sei – im Zusammenspiel mit den konkreten und den strukturellen Nachweisen zum Einsatz von Schwarzarbeit – die Schlussfolgerung gerechtfertigt, dass die Einschaltung inaktiver Servicefirmen aus der Sicht der Antragstellerin dem Zweck geschuldet sei, Schwarzgeld für die Zahlung von Schwarzlöhnen an eigene Arbeitnehmer zu generieren und diese tatsächlichen Verhältnisse durch Abdeckrechnungen buchhalterisch zu verschleiern.
47Schließlich weist der Antragsgegner darauf hin, dass die Ermittlungen durch das Hauptzollamt C darüber hinaus zweifelsfrei ergeben hätten, dass der (faktische) Geschäftsführer der Antragstellerin, Herr M, neben Herrn J als Drahtzieher bzw. Hintermann einer Reihe von Servicefirmen fungiert und zu seinen Gunsten ein umfangreiches Provisionssystem in gleichgelagerten Kettenbetrugsfällen initiiert und aufgebaut habe.
48Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge (Lohnsteueraußenprüfungs- und Rechtsbehelfsakte, Bericht des Hauptzollamtes C vom 06.11.2014 und die dazu übermittelten vier Sachbeweisordner VIII, Band II sowie IX, Bände I bis III) verwiesen.
49II.
50Der Antrag ist zulässig, aber unbegründet.
511.
52Gemäß § 69 Abs. 3 i.V. mit Abs. 2 FGO kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung auf Antrag ganz oder zum Teil aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Ernstliche Zweifel im vorgenannten Sinne bestehen, soweit eine summarische (d.h. überschlägige und nur präsente Beweismittel berücksichtigende) Prüfung ergibt, dass neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Umstände zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung der Tatfragen auslösen (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH, Beschlüsse v. 15.01.1998, IX B 25/97; v. 23.07.1999, VI B 116/99, juris; 27.10.2009, IX B 171/09, juris; v. 22.06.2011 VII S 1/11, juris; v. 23.01.2015, IX S 25/14, juris).
53Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nicht erfüllt. Bei der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen (vorläufigen) Würdigung des Sachverhaltes nach Aktenlage und auf der Basis präsenter Beweismittel bestehen zur Überzeugung des erkennenden Senats keine ernsthaften Zweifel an der Rechtmäßigkeit des mit dem Einspruch angefochtenen Lohnsteuerhaftungsbescheides.
542.
55Das Gericht geht zunächst von der Wirksamkeit des Lohnsteuerhaftungsbescheides aus. Dem Vortrag der Antragstellerin, der Bescheid sei unbestimmt bzw. widersprüchlich und damit bereits nichtig, vermag der Senat nicht zu folgen.
56Ein Verwaltungsakt ist nach der Generalklausel des § 125 Abs. 1 AO nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig ist. Ohne Rücksicht auf das Vorliegen dieser Voraussetzungen ist ein Verwaltungsakts ferner nichtig, wenn er einen der Tatbestände des in § 125 Abs. 2 AO normierten Positivkatalogs erfüllt, so u.a. wenn den Verwaltungsakt aus tatsächlichen Gründen niemand befolgen kann.
57Im Streitfall sind jedoch weder die Nichtigkeits-Generalklausel noch ein Tatbestand des Positivkatalogs erfüllt. Der Lohnsteuerhaftungsbescheid ist schriftlich ergangen und lässt die erlassende Behörde erkennen (§ 119 Abs. 2 u. 3, § 191 Abs. 1 S. 1 u. 3 AO). Dass der Antragsgegner den Lohnsteuerhaftungsbescheid mit weiteren Verwaltungsakten, nämlich mit der Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung in Bezug auf die für den Streitzeitraum von der Antragstellerin bisher abgegebenen Lohnsteueranmeldungen sowie mit einem Leistungsgebot, zusammengefasst hat, führt für sich betrachtet nicht zur Nichtigkeit einer dieser Verwaltungsakte. Die äußerliche Zusammenfassung von Verwaltungsakten in einer Urkunde ist grundsätzlich zulässig, solange die einzelnen Regelungen nach Tenor und Begründung deutlich getrennt werden (vgl. etwa zur äußerlichen Zusammenfassung von Steuer- und Haftungsbescheiden: Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 191 AO Tz. 87). Dies ist vorliegend geschehen. Bereits aus der Überschrift der Urkunde ergibt sich, dass der Antragsgegner mehrere Verwaltungsakte äußerlich zusammengefasst hat (Angekreuzt ist „Haftungsbescheid“ und „Bescheid über die Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung“). Auch der weitere Aufbau der Urkunde trennt in Bezug auf die Tenorierung hinreichend zwischen den Regelungsbereichen „Haftungsbescheid“ (Gliederungspunkt I.), „Zahlungsaufforderung“ (Gliederungspunkt II.) und „Vorbehaltsaufhebung“ (Gliederungspunkte III.). Die Begründung des Haftungsbescheides wiederum erfolgt davon räumlich abgesetzt unter den Gliederungspunkten V. bis VII. Trotz der Zusammenfassung der Verwaltungsakte in einer Urkunde sind die Inhalte der einzelnen Regelungen also hinreichend und auch für den steuerlichen Laien verständlich zu unterscheiden.
58Der Lohnsteuerhaftungsbescheid ist auch inhaltlich hinreichend bestimmt (§ 119 Abs. 1 AO). Aus ihm ergibt sich, wer als Haftungsschuldner in Anspruch genommen wird (Antragstellerin als Arbeitgeberin), dass die Inanspruchnahme als Haftungs- und nicht als Steuerschuldner erfolgt, aufgrund welcher Vorschrift gehaftet wird (§ 42d EStG), welche Steuern und Steuerzeiträume im Einzelnen von der Haftung umfasst sind (Lohnsteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer vom 01.01.2006 bis 31.10.2011) und wie hoch der zu zahlenden Gesamtbetrag ist (Haftungssumme = 479.431,15 EUR).
59Es besteht aus der Sicht des Gerichts auch kein inhaltlicher Widerspruch zwischen der Steuerentrichtungsschuld einerseits und der Haftungsschuld andererseits. Mit der Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung für die im Streitzeitraum abgegebenen Lohnsteueranmeldungen ist die darin enthaltene Lohnsteuer für den jeweiligen Anmeldungszeitraum erneut und zwar endgültig festgesetzt worden (§ 164 Abs. 3 S. 2 AO). Von dieser Festsetzung sind ausschließlich die durch die Antragstellerin bereits bisher angemeldeten Lohnsteuern (für legal beschäftigte Arbeitnehmer) betroffen. Diese Lohnsteuern dürften in der Vergangenheit von der Antragstellerin auch bereits entrichtet worden sein (vgl. § 38 Abs. 1 S. 1 u. Abs. 3 S. 1, § 41a Abs. 1 EStG).
60Der Haftungsbescheid dagegen betrifft die Lohnsteuer, die darüber hinaus nach den aktuellen Feststellungen der Ermittlungsbehörden auf dem illegalen Einsatz von Arbeitnehmern beruht. Diese Lohnsteuer ist – die Ermittlungsergebnisse als wahr unterstellt – bereits entstanden (§ 38 Abs. 2 EStG), aber bisher weder angemeldet noch festgesetzt worden. Sie hätte von der Antragstellerin zeitnah einbehalten und abgeführt werden müssen, was jedoch nicht geschehen ist. Gerade aus eben diesem Grund ist der Haftungstatbestand des § 42d EStG überhaupt einschlägig. Eine Haftungsinanspruchnahme der Antragstellerin in ihrer Eigenschaft als Arbeitgeberin nach dieser Vorschrift setzt lediglich voraus, dass die Lohnsteuer entstanden, nicht aber darüber hinaus, dass sie auch festgesetzt worden ist (etwa durch einen Lohnsteuernachforderungsbescheid, vgl. Krüger in T3., EStG34, § 42d EStG Rz. 2 u. 59). Auch im Allgemeinen ist der Grundsatz der Akzessorietät zwischen Steuer- und Haftungsschuld nicht dahingehend zu verstehen, dass eine Haftungsinanspruchnahme erst erfolgen kann, nachdem die Steuerschuld gegen den Erstschuldner festgesetzt worden ist (arg. ex § 191 Abs. 3 S. 4 AO, vgl. Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 191 AO Tz. 11 ff., 15).
61Dem Einwand der Antragstellerin, im Streitfall bestünde ein unauflösbarer Antagonismus zwischen der Steuerentrichtungsschuld und der Haftungsschuld, vermag der Senat daher nicht zu folgen. Die Steuerentrichtungsschuld setzt sich zusammen aus der bisher durch die Antragstellerin selbst angemeldeten Lohnsteuer und der durch die Ermittlungsbehörden nunmehr zusätzlich im Schätzungswege ermittelten (bisher nicht festgesetzten) Lohnsteuer. Der Haftungsbescheid bezieht sich dagegen offensichtlich nur auf einen Teil dieser Steuerentrichtungsschuld, nämlich auf die bisher nicht angemeldete Lohnsteuer aus dem nunmehr festgestellten Einsatz illegaler Beschäftigung.
62Ob die Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung im Zusammenhang mit den bisher abgegebenen Lohnsteueranmeldungen mit Blick auf die Regelung des § 164 Abs. 4 AO für alle Lohnsteueranmeldungszeiträume (insbesondere aus dem Jahr 2006) rechtmäßig erfolgt ist, braucht der Senat im vorliegenden Verfahren nicht zu entscheiden. Denn Gegenstand des Aussetzungsverfahrens ist lediglich der Lohnsteuerhaftungsbescheid.
633.
64Der Lohnsteuerhaftungsbescheid ist auch im Übrigen formell rechtmäßig ergangen.
65Unerheblich ist, dass die Antragstellerin vor Erlass des Lohnsteuerhaftungsbescheides nicht ausdrücklich angehört worden ist. § 91 Abs. 1 AO ist insofern namentlich als „Soll-Vorschrift“ konzipiert. Ferner kann gemäß § 126 Abs. 1 Nr. 3 i.V. mit Abs. 2 AO die erforderliche Anhörung bis zum Abschluss der Tatsacheninstanz eines finanzgerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden. Im Streitfall hatte die Antragstellerin sowohl im außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren als auch im gerichtlichen Aussetzungsverfahren mehrfach die Gelegenheit, sich zu ihrer Inanspruchnahme als Lohnsteuerhaftungsschuldnerin zu äußern. Sie hat davon bisher auch mit Schreiben vom 05.03.2015 (Begründung des beim Antragsgegner gestellten Antrags auf Aussetzung der Vollziehung) sowie mit Schreiben vom 27.03. und 22.05.2015 (Begründung des gerichtlichen Antrags auf Aussetzung der Vollziehung) Gebrauch gemacht. Ihrem Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs ist damit hinreichend entsprochen worden (vgl. § 91 Abs. 1 AO, § 96 Abs. 2 FGO jeweils i.V. mit § 103 Abs. 1 GG).
66Der Lohnsteuerhaftungsbescheid enthält darüber hinaus eine Begründung, die den Anforderungen des § 121 Abs. 1 AO gerecht wird. Die tatsächlichen und rechtlichen Grundlagen der Haftung werden ausreichend dargelegt. Dass der Antragsgegner dabei auf die Feststellungen der Ermittlungsbehörden Bezug nimmt (etwa auf den Bericht des STRAFA-FA N vom 28.11.2014, der seinerseits an den Bericht des Hauptzollamtes C vom 06.11.2014 anknüpft), ist unproblematisch (zur Möglichkeit und Zulässigkeit einer Bezugnahme auf externe Unterlagen – insbesondere Prüfungsberichte – vgl. Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 191 AO Tz. 87 u. 95).
67Auch der Hinweis der Antragstellerin, ihr sei bis zur Stellung des gerichtlichen Antrags auf Aussetzung der Vollziehung noch keine Einsichtnahme in die Verwaltungsakten gewährt worden, führt nicht zur formellen Rechtswidrigkeit des Lohnsteuerhaftungsbescheides. Einen gebundenen Anspruch auf Akteneinsicht im Besteuerungsverfahren sieht die Abgabenordnung schon generell nicht vor (vgl. Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 91 AO Tz. 25 ff.). Darüber hinaus geht das Gericht davon aus, dass der Antragstellerin bzw. ihren Verantwortlichen und Vertretern sowohl der Bericht des Hauptzollamtes C vom 06.11.2014 als auch die Berichte des STRAFA-FA N vom 14.11. und 28.11.2014 entweder aus dem Besteuerungsverfahren oder aus dem Strafverfahren inhaltlich bekannt sind. Dafür spricht jedenfalls, dass sich die Antragstellerin im Zuge der Begründung des gerichtlichen Aussetzungsantrags ausdrücklich auf Inhalte aus den Ermittlungsberichten bezogen hat (vgl. etwa S. 2 des Schriftsatzes vom 22.05.2015 mit konkreten Ausführungen zum Bericht des Hauptzollamtes C). Schließlich wird darauf hingewiesen, dass die Antragstellerin jedenfalls im Rahmen des gerichtlichen Aussetzungsverfahrens durch das Instrument der Akteneinsicht (§ 78 FGO) die Möglichkeit gehabt hätte, sich selbst (weiter) rechtliches Gehör zu verschaffen (vgl. zum Akteneinsichtsrecht als Ausfluss des Anspruchs auf rechtliches Gehör: Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 96 FGO Tz. 112). Von diesem Recht hat die Antragstellerin jedoch keinen Gebrauch gemacht.
684.
69Der Senat kommt im Rahmen einer summarischen Prüfung des Sach- und Streitstandes und unter ausführlicher Würdigung der Rechtslage zu dem Ergebnis, dass der Lohnsteuerhaftungsbescheid auch materiell rechtmäßig ist.
70a.
71Gemäß § 191 Abs. 1 S. 1 AO kann durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden, wer kraft Gesetzes für eine Steuer haftet. Die Entscheidung über die Inanspruchnahme eines Haftungsschuldners ist dabei zweigliedrig. Das Finanzamt hat zunächst zu prüfen, ob in der Person oder den Personen, die es heranziehen möchte, die tatbestandlichen Voraussetzungen der Haftungsvorschrift erfüllt sind. Dabei handelt es sich um eine vom Gericht in vollem Umfang überprüfbare Rechtsentscheidung. Daran schließt sich die nach § 191 Abs. 1 S. 1 AO zu treffende Ermessensentscheidung des Finanzamts an, ob und wen es als Haftenden in Anspruch nimmt. Diese auf der zweiten Stufe zu treffende Entscheidung ist gerichtlich nur im Rahmen des § 102 S. 1 FGO auf Ermessensfehler (Ermessensüberschreitung, Ermessensfehlgebrauch) überprüfbar.
72Nach § 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG haftet der Arbeitgeber für die Lohnsteuer, die er bei jeder Lohnzahlung vom Arbeitslohn für Rechnung des Arbeitnehmers einzubehalten, anzumelden und abzuführen hat (vgl. § 38 Abs. 3 S. 1, § 41a Abs. 1 S. 1 Nrn. 1 u. 2 EStG). Diesen steuerlichen Pflichten zur Einbehaltung, Anmeldung und rechtzeitigen Abführung der Lohnsteuer ist die Antragstellerin nicht ordnungsgemäß nachgekommen. Denn zur Überzeugung des Gerichts steht fest, dass die Antragstellerin im Streitzeitraum von Januar 2006 bis Oktober 2011 neben den in ihrer Buchhaltung ausgewiesenen Löhnen für ordnungsgemäß gemeldete Arbeitnehmer in erheblichem Umfang sog. Schwarzlöhne an illegal beschäftigte Arbeitnehmer ausgezahlt hat.
73Unter Würdigung der Gesamtumstände des Verfahrens (nach Aktenlage und unter Berücksichtigung der präsenten Beweismittel) ist der Senat in einem ersten Schritt davon überzeugt, dass die von den vermeintlichen Subunternehmern der Antragstellerin erstellten Rechnungen über Fremdleistungen in den Streitjahren nicht leistungshinterlegt waren, sondern lediglich zum Schein ausgestellt wurden und damit die Qualität sog. Abdeckrechnungen besaßen (dazu unter b.). Der Senat geht sodann in einem zweiten Schritt davon aus, dass das durch diese Scheinrechnungen abgedeckte (verschleierte) Kapital von der Antragstellerin selbst zum Einsatz von Schwarzarbeit verwendet worden ist (dazu unter c.). Auch bestehen aus der Sicht des Senats keine Bedenken an der Ermittlung der Schwarzlohnzahlungen im Schätzungswege sowie an der Berechnung der Lohnsteuerhaftungsbeträge der Höhe nach (dazu unter d.). Schließlich hat der Antragsgegner das ihm bei Erlass des Haftungsbescheides eingeräumte Ermessen aus der Sicht des Senats rechtsfehlerfrei ausgeübt (dazu unter e.).
74b.
75Das Gericht hat zunächst die Überzeugung gewonnen, dass die auf der ersten Nachunternehmerebene tätigen Firmen H GmbH, B GmbH (vormals A GmbH), X Transport B.V./NL, Y sowie T Bau Expert GmbH im Streitzeitraum tatsächlich keine Bauleistungen gegenüber der Antragstellerin erbracht haben, sondern lediglich als sog. inaktive Servicefirmen aufgetreten sind und in dieser Funktion sog. Abdeckrechnungen (Scheinrechnungen) über fiktive Subunternehmerleistungen erteilt haben. Gleiches gilt auch für die auf der zweiten und dritten Nachunternehmerebene tätigen Unternehmen. Auch hier geht das Gericht davon aus, dass es sich – jedenfalls in Bezug auf die Bauprojekte der Antragstellerin – um bloße Servicefirmen handelt, deren Rechnungen nicht leistungshinterlegt waren und lediglich zum Schein ausgestellt worden sind.
76Dieses Ergebnis folgt aus den von den Ermittlungsbehörden in Bezug auf die Servicefirmen und deren Verhältnis zur Antragstellerin festgestellten tatsächlichen Gegebenheiten. Die Ermittlungsbehörden haben zu sämtlichen Firmen aller Nachunternehmerebenen dezidierte Recherchen angestellt und dabei detaillierte Feststellungen in allgemeiner Hinsicht (Firmeninformationen) und vor allem in Bezug auf die Geschäftsbeziehungen zur Antragstellerin (Einbindung in deren Bauprojekte) getroffen. Die einzelnen Feststellungen besitzen den Charakter sog. Indizien (Beweisanzeichen). Sie sind – dem Indizienbeweis immanent – dadurch gekennzeichnet, dass sie im Einzelfall mit mehr oder weniger großer Wahrscheinlichkeit auf das Ergebnis der Beweiswürdigung hindeuten (zum Indizienbeweis als Form der mittelbaren Beweisführung, vgl. Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 96 FGO Tz. 35 f.).
77In ihrer Gesamtheit bilden die einzelnen Indizien im Streitfall aber zur Überzeugung des Gerichts eine in sich schlüssige Beweiskette und lassen den sicheren Rückschluss darauf zu, dass die in den Rechnungen der jeweiligen Nachunternehmen ausgewiesenen Leistungen gegenüber der Antragstellerin faktisch nicht erbracht worden sind. Aufgrund der Vielzahl, der Genauigkeit und der Wertigkeit der von den Ermittlungsbehörden herausgearbeiteten Einzelfeststellungen geht das Gericht davon aus, dass die Antragstellerin in großem Umfang den Einkauf von Subunternehmerleistungen vorgetäuscht und damit die tatsächlichen Gegebenheiten rund um die Abwicklung ihrer Bauaufträge permanent zu verschleiern versucht hat.
78Auf folgende Feststellungen der Ermittlungsbehörden wird beispielhaft verwiesen (vgl. insgesamt den Bericht des Hauptzollamtes C vom 06.11.2014 nebst Sachbeweisen, insbesondere die Feststellungen zu den einzelnen „Servicefirmen“ unter 3.2.5.):
79- Mit den Ermittlungsbehörden ist zunächst festzuhalten, dass der in Bezug auf eine Vielzahl von Projekten der Antragstellerin festgestellte Sachverhalt einer „Nachunternehmerkette“ über drei Ebenen bis hin zu vermeintlichen ausländischen Leistungserbringern schon dem Grunde nach „lebensfremd“ ist. Den buchhalterischen Angaben der Antragstellerin zufolge sind für diverse Baustellen (Projekte) in Deutschland immer wieder die gleichen fünf Nachunternehmen erster Ebene eingeschaltet worden (H GmbH, B GmbH, X Transport B.V./NL, Y sowie T Bau Expert GmbH). Zwei dieser Nachunternehmen sollen die jeweiligen Bauleistungen nach den weiteren Ermittlungsergebnissen nicht selbst erbracht, sondern wiederum an drei weitere Nachunternehmen der zweiten Ebene mit Sitz in den Niederlanden und in Dänemark vergeben haben (X Transport B.V./NL, I A/DK sowie A. A/DK). Auffällig ist in diesem Zusammenhang schon, dass die X Transport B.V./NL sowohl als Nachunternehmen auf erster als auch auf zweiter Ebene agiert. Von einem der Nachunternehmen der zweiten Leistungsebene sollen sodann Aufträge in erheblichem Ausmaß an weitere Nachunternehmen mit Sitzen in Serbien, Slowenien und Polen vergeben worden sein (dritte Leistungsebene). Für keines der Bauvorhaben konnte letztlich genau ermittelt werden, wer die gegenüber den Auftraggebern der Antragstellerin tatsächlich ausgeführten Leistungen überhaupt körperlich erbracht hat. Ab der zweiten Nachunternehmerebene fanden auch keine nachvollziehbaren Geldflüsse mehr statt (zu verzeichnen sind lediglich Rechnungsstellungen und Barabhebungen). Ein derartiges Vorgehen, Dienstleistungen auf deutschen Baustellen anzubieten und diese systematisch auf immer die gleichen (ab der zweiten Leistungsebene im europäischen Ausland ansässigen) Nachunternehmen quasi „herunter zu brechen“, ist weder organisatorisch noch wirtschaftlich nachvollziehbar.
80- Die Ermittlungsbehörden haben darüber hinaus eine Reihe von Feststellungen getroffen, aus denen sich nicht nur indiziell, sondern schon unmittelbar ergibt, dass die in einzelnen Rechnungen ausgewiesenen Leistungen faktisch von den jeweiligen Nachunternehmen schon gar nicht haben erbracht werden können:
81-- Obwohl die Firma B GmbH zum 31.12.2009 ihr Gewerbe wegen Veräußerung abgemeldet hatte und im Folgenden keinen tatsächlichen Geschäftsbetrieb mehr unterhielt, gingen bis einschließlich Februar 2011 immer noch Rechnungen für Subunternehmerleistungen bei der Antragstellerin ein. Entsprechende Zahlungen auf diese Rechnungen wurden vom Konto der Antragstellerin geleistet. Die Ermittlungen haben ergeben, dass das Empfängerkonto der B GmbH trotz des Verkaufs der Gesellschaft weiterhin vom bisherigen faktischen Geschäftsführer, Herrn J, genutzt wurde.
82-- Die Firma X Transport BV/NL hatte ihren Betrieb zum 21.07.2004 wegen Konkurses eingestellt. Trotzdem sind im Zeitraum von Februar bis November 2006 Rechnungen für Subunternehmerleistungen im Volumen von 313.858,- EUR gegenüber der Antragstellerin erteilt worden. Die Rechnungsbeträge will die Antragstellerin ausweislich ihrer Buchführung in bar beglichen haben.
83-- Die Firma Y meldete ihr Gewerbe bereits zum 31.12.2006 ab. Zahlungseingänge der Antragstellerin für vermeintliche Subunternehmerleistungen wurden jedoch bis einschließlich März 2007 festgestellt.
84-- Sämtliche der von der I AV A/DK (zweite Nachunternehmerebene) an die H GmbH (erste Nachunternehmerebene) ausgestellten Rechnungen weisen Ausstellungsdaten ab dem 03.11.2010 auf. Zu diesem Zeitpunkt war die Firma I AV A/DK jedoch schon gelöscht (Zwangsauflösung zum 15.09.2010).
85-- Im Zeitraum von Dezember 2008 bis Mai 2009 zahlte die Antragstellerin an die T Bau Expert GmbH insgesamt 106.256,- EUR für in Rechnung gestellte vermeintliche Subunternehmerleistungen. Nach den Feststellungen des Hauptzollamtes Osnabrück handelt es sich bei der T Bau Expert GmbH jedoch um eine inaktive Scheinfirma, die in der Zeit von Mai 2008 bis Dezember 2009 insgesamt Abdeckrechnungen in einem Umfang von über 8.000.000,- EUR an diverse Abnehmer erteilt hat. Der seinerzeitige Geschäftsführer, Herr T, ist mehrfach vorbestraft, heroinsüchtig und wird von den Strafverfolgungsbehörden als hochkriminell eingestuft. Er saß bis August 2007 in Haft und galt seit Juli 2009 unbekannten Aufenthaltes. Im Dezember 2009 wurde die Gesellschaft an einen „Firmenbestatter“ veräußert und später liquidiert.
86-- Die von den serbischen, slowenischen und polnischen Nachunternehmen auf dritter Ebene ausgestellten Rechnungen an die Firma A.. A/DK (zweite Nachunternehmerebene) über auf Baustellen der Antragstellerin erbrachte Subunternehmerleistungen datieren aus dem Jahr 2011. Zu diesem Zeitpunkt sind die Firmen jedoch in Deutschland noch gar nicht aktiv gewesen. Eine steuerliche Erfassung erfolgte ausweislich der Ermittlungsergebnisse erst in den Jahren 2012 und 2013 (Vergabe einer gültigen Steuernummer, Freistellungsbescheinigungen etc.).
87- Die Nachunternehmen zeichneten sich in der Regel durch eine in zeitlicher Hinsicht kurze sowie in tatsächlicher Hinsicht sehr wechselhafte Firmenhistorie aus. Sie wurden wenige Jahre nach ihrer Gründung veräußert, liquidiert oder wegen Vermögenslosigkeit von Amts wegen gelöscht (oftmals nach nur 2 bis 4 Jahren). Während ihres Bestehens kam es in ungewöhnlicher Häufigkeit zu Änderungen des Unternehmensgegenstandes, zu Verlegungen des Firmensitzes und zu Wechseln in der Geschäftsführung (vgl. etwa die Y mit Gewerbeanmeldung vom 07.11.2005, Gewerbeummeldung vom 21.07.2006 und Gewerbeabmeldung vom 31.12.2006; die I AV A/DK mit einem Gewerbezeitraum vom 01.01.2008 bis zum 15.09.2010; die durchaus „bewegte“ Firmenhistorie der B GmbH mit Namensänderung, Sitzwechseln, Änderungen in der Geschäftsleitung, mehrfachen Änderungen der Gewerbeamtsdaten).
88- Die Nachunternehmen verfügten ausweislich ihrer Handelsregistereinträge und Gewerbeanmeldungen jeweils über ein im Wirtschaftsverkehr ungewöhnlich breites Geschäfts- und Betätigungsfeld, was jedenfalls Zweifel an einer ordnungsgemäßen Betriebsführung aufkommen lässt (vgl. beispielhaft den Gegenstand der Firma H GmbH mit folgender Leistungspalette: „Gebäudemanagement, Industriemontage, Arbeitsvermittlung, Autovermietung, Baubetreuung, Bauorganisation, Bauplanung, Verbau von Fertignormteilen [Montagearbeiten], Akustikbau sowie Vermittlung und Ausführung von Arbeiten und Dienstleistungen, insbesondere im Baugewerbe“). Derart breite Fächerungen des Unternehmensgegenstandes sind im legalen Geschäftsverkehr eher ungewöhnlich, allerdings typisch für illegal agierende Servicefirmen, um auf diese Weise den potentiellen Interessenten für sog. Schein- bzw. Abdeckrechnungen ein möglichst vielfältiges Angebotsspektrum zu bieten.
89- Die Nachunternehmen waren ausweislich der erbrachten Leistungen und der erzielten Umsätze bereits kurz nach ihrer Gründung in einer Art und Weise erfolgreich am Markt tätig, die für den allgemeinen Wirtschaftsverkehr untypisch ist. Sie verzeichneten schon während der Startphase - quasi „aus dem Stand heraus“ - sowie kontinuierlich während der ersten Monate des geschäftlichen Wirkens erhebliche Auftragseingänge und Umsatzvolumina. Die typischen Schwierigkeiten, die ein Unternehmen im Zusammenhang mit der Orientierung und Etablierung am Markt hat, gab es nicht. Unternehmerisches Wachstum fand annähernd automatisch statt.
90- Die Nachunternehmen verfügten häufig nicht über einen eigenen (regulären) Firmensitz oder sie übten ihre Aktivitäten lediglich aus kleinsten Geschäftsräumen aus. Teilweise handelte es sich sogar nur um sog. Domizil- oder Briefkastenfirmen (vgl. etwa die B GmbH, die von den häufig wechselnden Wohnsitzen ihres faktischen Geschäftsführers und zeitweise von der Anschrift eines Asylbewerberheims betrieben wurde; die Y, die ihren Sitz in unmittelbarer Nähe der B GmbH hatte [ ]; die A. A/DK, die nicht über einen eigenen Geschäftssitz verfügte, sondern unter der Anschrift des Steuerberaters firmierte; die I AV A/DK, deren Anschrift einer Wirtschaftsprüfungsfirma zuzuordnen war; beim juristischen Firmensitz der F in Slowenien soll es sich um eine Massendomiziladresse handeln).
91- Die Nachunternehmen verfügten nicht über eine ordnungsgemäße (im Geschäftsverkehr übliche) Verwaltung. Es gab keine Hinweise auf das Vorhalten eines funktionsfähigen Büros, Sekretariats oder einer Registratur mit entsprechendem Personal (etwa für Schreibarbeiten, Telefondienste, Aktenverwaltung etc.).
92- Bei den von den Ermittlungsbehörden durchgeführten Durchsuchungen von Geschäftsräumen der Nachunternehmen bzw. von Privatunterkünften der unternehmerisch Verantwortlichen entstand der Eindruck, dass von dort aus keinerlei geschäftliche Aktivitäten entfaltet worden sind (vgl. etwa die Durchsuchungen bei J als im Handelsregister eingetragenen Geschäftsführer der H GmbH).
93- Die geschäftsführend handelnden Personen der Nachunternehmen waren sehr häufig identisch (so war etwa der bereits eben benannte J formaler Geschäftsführer der Firmen H GmbH, B GmbH, Y sowie A.. A/DK; faktischer Geschäftsführer dieser Firmen war nach den Feststellungen der Ermittlungsbehörden jeweils Herr J [Onkel des J]). Die Personenidentität ist ein deutliches Indiz dafür, dass die Firmen insgesamt von denselben Hintermännern gesteuert wurden.
94- In vielen Fällen verfügten die offiziell verantwortlichen Personen nicht über fachspezifische Kenntnisse und Fertigkeiten der Baubranche (waren branchenfremd). Darüber hinaus hatten sie vielfach auch nicht das grundsätzliche Rüstzeug, welches zum selbständigen Führen eines Unternehmens notwendig ist (kaufmännische, organisatorische und wirtschaftliche Kenntnisse). Auch insofern wird auf den bereits zuvor erwähnten J, verwiesen, der parallel einem anderen Hauptberuf nachging und als Vollzeitkraft für die Firma Z Logistics GmbH arbeitete.
95- Nicht selten waren die in der Geschäftsführung eines Nachunternehmens tätigen Personen zugleich als Arbeitnehmer anderer Nachunternehmen gemeldet (vgl. etwa den Geschäftsführer der I AV A/DK, der gleichzeitig als Arbeitnehmer bei der B GmbH angemeldet war; der ehemalige Geschäftsführer der A GmbH [Vorgänger der B GmbH] war als Arbeitnehmer der Antragstellerin tätig).
96- Darüber hinaus lebten die verantwortlichen Personen häufig in einfachen oder allenfalls durchschnittlichen wirtschaftlichen Verhältnissen, obwohl die von ihnen geleiteten Unternehmen teilweise Umsätze in Millionenhöhe erwirtschafteten (vgl. etwa Herrn L, der zunächst als Arbeitnehmer bei einer nicht streitbefangenen Servicefirma – der V.. GmbH/– registriert war, dann mehrere Jahre als vermeintlicher Geschäftsführer der Antragstellerin selbst fungierte und später wieder als „normaler“ Arbeitnehmer der Antragstellerin gemeldet war, nach den Feststellungen der Ermittlungsbehörden jedoch in sehr bescheidenen [ärmlichen] Verhältnissen lebte).
97- Neben den formal geschäftsführungsbefugten Personen nahmen regelmäßig dritte Personen zentrale unternehmerische Befugnisse wahr (Verfügung über Konten, Korrespondenz mit Banken, Behörden und Steuerberatern etc.). Nicht zuletzt dieser Umstand spricht dafür, dass bei den Nachunternehmen häufig sog. Strohmänner in die Unternehmensführung integriert waren, was in der Regel in Fällen illegaler geschäftlicher Tätigkeiten zur Verschleierung der eigentlichen Initiatoren (Hintermänner) geschieht. Typisch für die Hintermänner (faktischen Geschäftsführer der Nachunternehmen) ist wiederum, dass diese sehr häufig ihren Wohnsitz wechselten, um ihren tatsächlichen Aufenthaltsort zu verdecken (so etwa Herr J, der nach den umfassenden Feststellungen der Ermittlungsbehörden faktischer Geschäftsführer der Firmen H GmbH, Y, B GmbH, I AV A/DK und A. A/DK sowie weiterer nicht streitbefangener Servicefirmen – etwa der V. GmbH/– war und innerhalb des Streitzeitraums 15 verschiedene Wohnsitze inne hatte).
98- Eine Reihe der Nachunternehmen kam ihren gesetzlichen – insbesondere steuerrechtlichen – Verpflichtungen in der Vergangenheit nur unzureichend nach (vgl. die Feststellungen der Ermittlungsbehörden zu der Prüfung der H GmbH durch das Finanzamt M, zur Nichtabgabe von Umsatzsteuervoranmeldungen durch die T Bau Expert GmbH gegenüber dem Finanzamt P sowie zum Wechsel der steuerlichen Bevollmächtigten wegen „unangenehmen“ Nachfragen eines Steuerberaters zu den Geschäftsabläufen der H GmbH).
99- Die Nachunternehmen verfügten offensichtlich nicht über die notwendigen Betriebsgrundlagen, um die gegenüber der Antragstellerin in Rechnung gestellten Leistungen tatsächlich erbracht zu haben (Maschinen, Fuhrpark, Werkzeuge, Material, Arbeitsmittel etc.). Eine adäquate Betriebsausstattung, um die jeweils laut Handelsregistereintrag außergewöhnlich breite Palette von Dienstleistungen überhaupt faktisch erbringen zu können, war grundsätzlich nicht vorhanden.
100- Erst Recht verfügten die Nachunternehmen regelmäßig nicht über das entsprechende Personal (Arbeitnehmer), um die in den Rechnungen gegenüber der Antragstellerin ausgewiesenen Subunternehmerleistungen tatsächlich erbracht zu haben. Teilweise waren gar keine Arbeitnehmer registriert (so etwa bei der A.. A/DK), häufig war lediglich ein einzelner Arbeitnehmer angemeldet (so etwa bei der H GmbH), jedenfalls war die Anzahl der Beschäftigten aber keinesfalls ausreichend, um die umfangreichen Subunternehmerleistungen gegenüber der Antragstellerin faktisch bewirkt zu haben (vgl. beispielhaft die Feststellungen des Hauptzollamtes C zu den drei [nicht zeitgleich] gemeldeten „Arbeitnehmern“ der B GmbH). Auffällig ist zudem, dass sämtliche Nachunternehmen nicht über eine für die Baubranche übliche Personalstruktur – zusammen gesetzt aus leitendem bzw. verantwortlichem Personal (Poliere, Bauleiter etc.) einerseits und ausführenden Beschäftigten andererseits – verfügten.
101- Soweit die Ermittlungsbehörden Arbeitnehmer der Nachunternehmen zeugenschaftlich vernommen haben (etwa der T Bau Expert GmbH), konnten diese weder bestätigen, dass ihr Arbeitgeber für die Antragstellerin überhaupt als Subunternehmen tätig war, noch sich daran erinnern, jemals auf einer der von der Antragstellerin konkret betreuten Baustellen eingesetzt worden zu sein.
102- Sowohl bei der Antragstellerin als auch bei den vermeintlichen Subunternehmen fehlen Unterlagen, wie sie bei den in Rechnung gestellten Bauleistungen im Geschäftsverkehr alltäglich sind, z.B. Angebote, Aufmaße, Werkverträge oder sonstige Vertragsunterlagen, Protokolle über erbrachte und abgenommene Leistungen, Mängelanzeigen, Schriftverkehr oder sonstige Korrespondenz. Entsprechende (schriftliche) Unterlagen sind aber – jedenfalls im legalen Bereich der Baubranche – Gang und Gebe und gehören bei der Abwicklung von umfangreichen Bauleistungen unter Einschaltung von Subunternehmern zum üblichen Standard (zur eigenen Absicherung, aber auch zur Rechtfertigung gegenüber dem Auftraggeber). Ihr Fehlen indiziert in besonderem Maße, dass reale Geschäftsbeziehungen zwischen der Antragstellerin und den vermeintlichen Subunternehmern nicht vorgelegen haben. Denn es gehört gerade zu den wesentlichen Merkmalen inaktiver Servicefirmen, dass diese zwar über die im allgemeinen Wirtschaftsverkehr notwendigen Testate verfügen (Handelsregistereintrag, Gewerbeanmeldung, Unbedenklichkeitsbescheinigung etc.), individuelle (das jeweilige Subunternehmervertragsverhältnis betreffende) Dokumente (über die Erbringung spezifischer Leistungen) dagegen nicht aufzufinden sind.
103- Die von den Nachunternehmen gestellten Rechnungen für vermeintliche Subunternehmerleistungen weisen vermehrt diverse Unrichtigkeiten und Unstimmigkeiten auf: Häufig entsprechen sie nicht dem üblichen Standard im Geschäftsverkehr und erst Recht nicht den Anforderungen, die der (Steuer-)Gesetzgeber an entsprechende Eingangsrechnungen stellt. Insbesondere die Angaben zur Art und zum Ort der Leistungserbringung sind entweder nur sehr pauschal oder fehlen ganz, was gegen eine konkrete Ausstellung im Einzelfall und für eine massenhafte Verwendung der Rechnungen spricht. Das Schriftbild der Rechnungen verschiedener Nachunternehmer ist überdies identisch, was auf die Nutzung der Rechnungsformulare durch dieselben Hintermänner schließen lässt. In einigen Fällen wurden Rechnungen mit fehlerhafter Anschrift (Ortsangabe) des rechnungsausstellenden Unternehmens erteilt, was auf ein Versehen desselben Rechnungsstellers als Hintermann bei der Verwendung gleicher Rechnungsvordrucke für verschiedene Nachunternehmen schließen lässt (vgl. insofern etwa die Feststellungen der Ermittlungsbehörden zu den Rechnungen der I AV A/DK und der A. A/DK). Schließlich wurden von ein und demselben Nachunternehmen in Aufbau und Form völlig unterschiedliche Rechnungen erteilt (so etwa die Feststellungen zur F aus Slowenien).
104- Die Zahlung der Rechnungsbeträge durch die Antragstellerin unmittelbar (in kurzer zeitlicher Abfolge) nach Rechnungsstellung, die sofortige und annähernd vollständige Abhebung der überwiesenen Gelder von den Konten der mutmaßlichen Subunternehmen sowie der ungewisse Verbleib des Kapitals stellen weitere ganz wesentliche Indizien für den Charakter der Nachunternehmen als bloße Servicefirmen dar. Ein derartiges Prozedere ist für den legalen Teil der Baubranche nicht üblich. Im Übrigen standen den Barabhebungen augenscheinlich keine entsprechenden Aufwendungen der Servicefirmen gegenüber. Zwar sind bei den Nachunternehmen der ersten Ebene jeweils Rechnungen über Leistungen von Nachunternehmen der zweiten Ebene finanzbuchhalterisch erfasst worden. Ein realer Geldfluss fand insofern jedoch nicht mehr statt. Zudem sind die Ordnungsmäßigkeit und damit die Echtheit gerade der Rechnungen von Firmen der zweiten und dritten Nachunternehmereben häufig angezweifelt worden (etwa von den eigenen Steuerberatern / Wirtschaftsprüfern oder durch die Finanzbehörden).
105- Weiter ist indiziell zu berücksichtigen, dass die Antragstellerin offensichtlich weder die Einschaltung von Subunternehmern an sich noch die Beauftragung konkreter Nachunternehmen gegenüber ihren Auftraggebern angezeigt hat, obwohl eine solche Offenlegung in der Baubranche üblich und häufig auch rechtlich verpflichtend ist. Denn für die Auftraggeber dürfte es regelmäßig von erheblicher Bedeutung sein, ob Bauleistungen durch eigene Arbeitnehmer eines beauftragten Unternehmens oder durch (weitere) Subunternehmer erbracht werden (etwa in Bezug auf die Sachkunde, die Zuverlässigkeit und die wirtschaftliche Situation der Leistenden). Eine Befragung der Auftraggeber (Bauleiter, Poliere etc.) durch die Ermittlungsbehörden hat durchgängig ergeben, dass dort keines der Nachunternehmen im Allgemeinen und erst Recht in Bezug auf die Mitwirkung an einem konkreten Bauprojekt der Antragstellerin bekannt war.
106- Schließlich haben die Ermittlungsbehörden mannigfaltige Feststellungen zu geschäftlichen und vor allem persönlichen Verbindungen zwischen den einzelnen streitbefangenen und weiteren nicht streitbefangenen Nachunternehmen sowie insbesondere zu entsprechenden Verbindungen zwischen den Verantwortlichen dieser Nachunternehmen getroffen (so waren etwa häufig dieselben Arbeitnehmer in verschiedenen Funktionen bei den jeweiligen Nachunternehmen tätig und dort zu unterschiedlichen Zeiten sozialversicherungsrechtlich gemeldet; ferner gab es wechselseitige Anmeldungen der faktischen Geschäftsführer als Arbeitnehmer anderer Nachunternehmen, um krankenversichert zu sein; auch bestanden verwandtschaftliche Beziehungen zwischen Arbeitnehmern, offiziellen und faktischen Geschäftsführern; des weiteren waren Arbeitnehmer und/oder Geschäftsführer einiger Nachunternehmen mit Anschrift am Firmensitz der Antragstellerin bzw. am Wohnort des faktischen Geschäftsführers M gemeldet). Diese Feststellungen deuten darauf hin, dass die beteiligten Firmen und Personen (Hintermänner) jeweils Teil eines Gesamtsystems von inaktiven Servicefirmen waren („Kettenbetrug mit Abdeckrechnungen“). In diesem Zusammenhang wird vor allem darauf hingewiesen, dass der im gesamten Streitzeitraum als faktischer Geschäftsführer der Antragstellerin tätige M ausweislich der Feststellungen im Bericht des Hauptzollamtes C intensive Kontakte zu fast allen Nachunternehmen unterhalten hat (und zwar bis in die dritte Nachunternehmerebene), durch die Weiterleitung von Informationen (etwa zu Banktransaktionen, Korrespondenz mit Banken und Steuerberatern), etwa auf sein Handy, laufend über die geschäftlichen Aktivitäten eines Großteils der Nachunternehmen informiert gewesen ist und darüber hinaus die Geschicke mehrerer Nachunternehmen über entsprechende Kontovollmachten selbst beherrscht bzw. jedenfalls mitgesteuert hat (so verfügte B5. M nicht nur durchgehend über Vollmachten zu den Konten der Antragstellerin selbst, sondern auch über das Privatkonto des vorherigen Geschäftsführers der Antragstellerin [L], über das Geschäftskonto der A GmbH [später B GmbH] sowie über die Geschäftskonten der nicht streitbefangenen V. GmbH/).
107Die soeben angesprochenen Einzelfeststellungen der Ermittlungsbehörden sind jeweils durch Sachmittelbeweise hinterlegt. Sie sind ferner in ihrer Gesamtheit derart umfassend und präzise, dass für das Gericht im Ergebnis keinerlei Zweifel daran bestehen, dass es sich bei sämtlichen Nachunternehmen aller drei Ebenen um bloße Servicefirmen gehandelt hat, deren Abdeckrechnungen nicht leistungshinterlegt waren.
108Den gegenteiligen Vortrag der Antragstellerin, die in ihrer Finanzbuchhaltung verzeichneten Subunternehmerleistungen seien von den in Rede stehenden Nachunternehmen tatsächlich erbracht worden, hält der Senat angesichts der Komplexität der Ermittlungen sowie mit Blick auf die Breite und Tiefe der Ermittlungsergebnisse für nicht glaubhaft. Die im Rahmen der Antragsbegründung als typisch geschilderte Arbeitsweise der Antragstellerin, sie habe für ihre Projekte jeweils den Bauleiter gestellt und die notwendigen Bauhelfer in Kolonnenstärke seien sodann von den Nachunternehmen abgeordnet worden, begegnet angesichts der detaillierten Feststellungen der Ermittlungsbehörden zur Firmenhistorie und zur Ausstattung der Nachunternehmern (größtenteils waren dort gerade keine eigenen Arbeitnehmer gemeldet) erheblichen Zweifeln. Mit den einzelnen Aspekten, die für einen Servicecharakter der Nachunternehmen sprechen, hat sich die Antragstellerin im Übrigen nicht substantiiert auseinander gesetzt. Vor diesem Hintergrund ist es aus der Sicht des Gerichts auch nicht ausreichend, einen der Bauleiter der Antragstellerin (Herrn T1. T2.) als Zeugen für die vermeintliche Zusammenarbeit mit den Nachunternehmen zu benennen, zumal die Entscheidung im vorläufigen Rechtsschutzverfahren grundsätzlich auf präsente Beweismittel beschränkt ist.
109Lediglich nachrichtlich weist das Gericht noch darauf hin, dass ihm einzelne der Nachunternehmen bereits aus einem anderen (Parallel-)Verfahren (mit ähnlichem Verfahrensgegenstand) als Servicefirmen, deren Unternehmensgegenstand annähernd ausschließlich im Vertrieb von Abdeckrechnungen zur Vertuschung des Einsatzes von Schwarzarbeit bestand, bekannt sind (etwa die Firmen H GmbH, I AV A/DK und A. A/DK).
110c.
111Nachdem der Senat in einem ersten Schritt zu der Überzeugung gelangt ist, dass die von der Antragstellerin in ihrer Finanzbuchhaltung erfassten Fremdleistungen der Firmen H GmbH, B GmbH, X Transport B.V./NL, Y sowie T Bau Expert GmbH tatsächlich nicht erbracht worden sind, geht er in einem zweiten Schritt darauf aufbauend davon aus, dass die Antragstellerin das durch die Abdeckrechnungen (den scheinweisen Einsatz von Subunternehmern) verschleierte Kapital (über den Weg der sog. Kick-Back-Zahlung) selbst für Schwarzlohnzahlungen an eigene Arbeitnehmer verwendet hat. Diese Überzeugung erlangt das Gericht aufgrund der Gesamtheit folgender Erwägungen:
112(1) Die Ermittlungsbehörden haben den Nachweis für einen Einsatz von Schwarzarbeit durch die Antragstellerin zunächst strukturell durch die vorgenommenen Lohnquotenberechnungen geführt. Dem System der Lohnquotenermittlung liegt der Gedanke zu Grunde, die jeweilige spezifische Lohnquote eines Betriebes (Verhältnis der gezahlten Löhne zum durch eigene Arbeitnehmer erwirtschafteten Nettoumsatz) mit einer für die jeweilige Branche anerkannten (typisierten) Mindestlohnquote zu vergleichen. Insofern ist für den lohn- und arbeitsintensiven Teil der Baubranche (insbesondere bei der Erbringung von Bauleistungen nach § 13b UStG) eine Mindestlohnquote von 66,67 % allgemein anerkannt (vgl. zur Begründung einer solchen Mindestlohnquote die strenge strafrechtliche Rechtsprechung des BGH, Urteil v. 10.11.2009, 1 StR 283/09, juris).
113Anknüpfend an diese Grundsätze haben die Ermittlungsbehörden auf der Grundlage der eigenen Angaben der Antragstellerin in ihrer Lohn- und Finanzbuchhaltung sowie unter Verwendung des von der Rechtsprechung anerkannten Berechnungsschemas verschiedene Lohnquoten ermittelt, die für sich und im Vergleich miteinander den Einsatz illegaler Beschäftigung jedenfalls indiziell belegen (vgl. die Feststellungen des Hauptzollamtes C im Bericht vom 06.11.2014 unter 3.2.4.2).
114Die Ermittlungsbehörden haben zunächst die sog. erklärte Lohnquote („Lohnquote (a)“) berechnet, bei der davon ausgegangen wird, dass der betriebliche Wareneinsatz und die verbuchten Fremdleistungen tatsächlich (wie erklärt) entstanden ist bzw. bezogen worden sind. Bereits die so berechnete „erklärte“ Lohnquote lag in den Streitjahren bei 68,49 % (2006), 56,22 % (2007), 48,36 % (2008), 36,09 (2009), 48,75 % (2010) und 31,16 % (2011), mithin durchschnittlich bei 48,18 % und damit ca. ein Drittel unter der typisierten Mindestlohnquote von 66,67 %.
115Die Ermittlungsbehörden haben sodann eine weitere Lohnquote ermittelt, bei der sie die aus ihrer Sicht nachweislich nicht bezogenen Fremdleistungen (aus Abdeckrechnungen) unberücksichtigt gelassen haben („Lohnquote (b)“). Diese Lohnquote lag in den Streitjahren bei 32,65 % (2006), 28,94 % (2007), 24,54 % (2008), 14,06 % (2009), 20,63 % (2010) und 13,49 % (2011), mithin durchschnittlich nur bei 22,39 %.
116Beide Lohnquoten belegen schon für sich, dass die Antragstellerin die von ihr gegenüber ihren Auftraggebern tatsächlich erbrachten Bauleistungen mit den in ihrem Unternehmen sozialversicherungsrechtlich und lohnsteuerrechtlich angemeldeten Arbeitnehmern faktisch nicht erbringen konnte. Der „Lohnquote (b)“ kommt dabei insofern erhöhte Bedeutung zu, als auch zur Überzeugung des Gerichts die von den Servicefirmen H GmbH, B GmbH, X Transport B.V./NL, Y sowie T Bau Expert GmbH in Rechnung gestellten Fremdleistungen tatsächlich nicht erbracht worden sind (vgl. die Ausführungen unter II.4.b.).
117Die Ermittlungsbehörden haben sodann eine weitere Lohnquote ermittelt, bei der unterstellt worden ist, dass das durch Abdeckrechnungen verschleierte Kapital (Kapital aus nicht erbrachten Fremdleistungen der benannten Servicefirmen) von der Antragstellerin selbst für Schwarzlohnzahlungen verwendet wurde („Lohnquote (c)“). Diese Lohnquote lag in den Streitjahren bei 81,84 % (2006), 74,55 % (2007), 70,84 % (2008), 70,30 % (2009), 91,78 % (2010) und 88,77 % (2011), mithin durchschnittlich bei 79,68 %.
118Der Umstand, dass bei dieser alternativen Berechnung in sämtlichen Streitjahren die Mindestlohnquote von 66,67 % überschritten wird, belegt jedenfalls strukturell den Einsatz von verschleiertem Kapital für Schwarzlohnzahlungen durch die Antragstellerin.
119Die von der Antragstellerin erhobenen Einwendungen gegen die Feststellungen der Ermittlungsbehörden zur Lohnquote sind aus der Sicht des Senats nicht durchgreifend. Bei der Antragstellerin handelt es sich um ein Unternehmen des Baugewerbes, welches überwiegend lohn- und arbeitsintensive Leistungen i.S. des § 13b UStG erbringt. Vor diesem Hintergrund hält der Senat es grundsätzlich für gerechtfertigt, die von der Rechtsprechung als branchenüblich herausgearbeiteten Vergleichsmaßstäbe auch auf den Betrieb der Antragstellerin anzuwenden. Der Umstand, dass die Antragstellerin nach ihrer Behauptung einen Großteil ihrer Leistungen im Wege von Akkordarbeit erbringt, führt insofern zu keinem anderen Ergebnis. Auch Akkordarbeit ist eine Form von Lohnarbeit, bei der sich der Lohn nicht nach der Anzahl der geleisteten Arbeitsstunden, sondern nach einer erreichten oder produzierten Stückzahl errechnet. Sie ist in der Baubranche nicht unüblich. Warum insofern ein Vergleich mit einer branchenüblichen Lohnquote unzulässig seien soll, erschließt sich dem Gericht nicht.
120Der weitere Vortrag der Antragstellerin, der Vergleich mit einer branchenüblichen Lohnquote des lohn- und arbeitsintensiven Baugewerbes lasse außer Acht, dass von ihr eben nicht nur Personal, sondern in erheblichem Umfang auch Material eingesetzt werde, überzeugt gleichermaßen nicht. Nach Auffassung des Gerichts hat die Antragstellerin schon nicht ausreichend nachgewiesen, dass ihre betrieblichen Verhältnisse sich über den gesamten Streitzeitraum betrachtet gravierend von anderen (typischen) Unternehmen des Baugewerbes unterscheiden. Dazu hätte es substantiierter Ausführungen für sämtliche betroffenen Streitjahre bedurft. Darüber hinaus liegt der Materialeinsatz für das Streitjahr 2008 nach den eigenen Angaben der Antragstellerin gemessen an den Umsatzerlösen bei ca. 25 % (Umsatzerlöse: 1.527.000,- EUR, Materialeinsatz: 382.000,- EUR). Nach Ansicht des Gerichts ist es auch bei einem solchen Verhältnis durchaus noch gerechtfertigt, von einem lohn- und arbeitsintensiven Betrieb zu sprechen. Im Übrigen haben die Ermittlungsbehörden den von der Antragstellerin ausweislich ihrer eigenen Buchführung angefallenen Materialaufwand (betrieblichen Wareneinsatz) bei der Ermittlung der unterschiedlichen Lohnquoten vom Nettoumsatz aus betrieblicher Tätigkeit abgezogen und damit logisch zutreffend berücksichtigt.
121Schließlich begegnet nach Auffassung des Gerichts auch die Art und Weise, wie die Ermittlungsbehörden die Lohnquoten berechnet haben, keinen durchgreifenden Bedenken. Die Modalitäten der Berechnung entsprechen in der Sache den von der Rechtsprechung gemachten Vorgaben (vgl. BGH, Urteil v. 10.11.2009, 1 StR 283/09, juris). Ob die Lohnquote selbst sprachlich als „Bruttolohnquote“ (ausgehend von den erklärten Bruttolöhnen des Unternehmens) oder als „Nettolohnquote“ (Vergleichsmaßstab ist der im Unternehmen erwirtschaftete Nettoumsatz) bezeichnet wird, ist aus der Sicht des Gerichts letztlich nicht streitentscheidend.
122(2) Die Ermittlungsbehörden haben bezogen auf das Unternehmen der Antragstellerin in 74 Fällen Feststellungen zum tatsächlichen Einsatz von illegal eingesetzten Arbeitnehmern getroffen (vgl. die Ausführungen des Hauptzollamtes C im Bericht vom 06.11.2014 unter 3.2.4.1 ff.), wobei die Begehungsformen unterschiedlich waren. Zum Teil sind auf den Baustellen der Antragstellerin Arbeitnehmer eingesetzt worden, die sozialversicherungsrechtlich / lohnsteuerlich gar nicht erfasst wurden. Darüber hinaus sind Arbeitnehmer eingesetzt worden, die zwar grundsätzlich im Lohnkonto der Antragstellerin erfasst waren, deren Lohnsumme im Zeitpunkt des faktischen Einsatzes auf Baustellen jedoch fehlerhaft mit 0,00 EUR angegeben war. Schließlich sind Arbeitnehmer eingesetzt worden, die in der Lohnbuchführung der Antragstellerin erfasst waren, bei denen der auf der Basis der tatsächlich geleisteten Arbeit errechnete Lohnanspruch (anhand des Mindestlohnes) erheblich über dem verbuchten Lohnaufwand lag. Den Feststellungen der Ermittlungsbehörden liegen unterschiedliche Nachweise zugrunde, etwa die Selbstanzeige eines Arbeitnehmer der Antragstellerin, bei der Antragstellerin im Rahmen der strafprozessualen Maßnahmen (Beschlagnahme) vorgefundene Stundennachweise und Bankunterlagen (z.B. über diverse Lohnüberweisungen von einem Privatkonto des Herrn E, der selbst als Arbeitnehmer der Antragstellerin gemeldet war und nach den Feststellungen der Ermittlungsbehörden als „rechte Hand“ des faktischen Geschäftsführers M anzusehen ist; von dort aus erfolgten die Überweisungen teilweise direkt, teilweise aber auch über weitere „Umwege“ [etwa eine Unternehmensberatung / Buchhaltungsservice aus G] an diverse Arbeitnehmer). Im Ermittlungsbericht des Hauptzollamtes C werden exemplarisch einige Beispiele für den tatsächlichen Einsatz von Schwarzarbeit durch die Antragstellerin dargestellt. Darüber hinaus enthalten die dem Gericht vorgelegten Sachbeweisordner IX (Bände I bis III) insofern weitere dezidierte Feststellungen, u.a. einen Einzelvermerk zu jedem der eingesetzten „Schwarzarbeiter“. Die Beweisführung der Ermittlungsbehörden ist damit aus der Sicht des Gerichts überzeugend. Die Antragstellerin hat bisher keine konkreten und substantiierten Einwände erhoben, die geeignet wären, die Beweiskraft der Einzelfeststellungen nachhaltig zu erschüttern.
123Die Feststellungen der Ermittlungsbehörden belegen zunächst Zweierlei: Zum einen zeigen sie exemplarisch, dass die Antragstellerin sich überhaupt des illegalen Instruments der Schwarzarbeit in der Vergangenheit bedient hat, mithin vor dem Einsatz verbotener Mittel dem Grunde nach nicht zurückschreckt. Zum Zweiten ist die Zahl der tatsächlich nachgewiesen Fälle von Schwarzarbeit (74) derart hoch, dass sie aus der Sicht des Gerichts durchaus die Schlussfolgerung auf einen systematischen Einsatz von illegaler Beschäftigung rechtfertigt. Insofern kann nach Auffassung des Senats nicht mehr von „Einzelfällen“, „Ausnahmen“ oder „Ausreißern“ gesprochen werden. Wenn das Hauptzollamt C in seinem Bericht vom 06.11.2014 selbst ausführt, der tatsächliche Nachweis des Einsatzes von Schwarzarbeit habe lediglich „exemplarisch“ bzw. „fragmentarisch“ geführt werden können, dann ist diese Aussage der Länge des Streitzeitraums und der dem Haftungsbescheid zugrunde liegenden Schätzung von Schwarzlohnzahlungen i.H. von insgesamt 2.870.818,04 EUR (netto) geschuldet. Dieser Umstand ändert zur Überzeugung des Gerichts jedoch nichts daran, dass dem tatsächlichen Nachweis des Einsatzes von Schwarzarbeit in einem Umfang von insgesamt 74 Fällen (durchschnittlich 12 Fälle pro Streitjahr) eine derart starke Beweiskraft zukommt, die im Zusammenspiel mit weiteren mittelbaren und unmittelbaren Beweisen auch eine Schätzung in der genannten Größenordnung zu rechtfertigen in der Lage ist.
124Der planmäßige Einsatz von Schwarzarbeit wird ferner noch durch einen zusätzlichen Aspekt verstärkt, den die Ermittlungsbehörden im Zuge ihrer Sachverhaltsfeststellungen aufgedeckt haben. Nach dem Ergebnis der Ermittlungen lagen für eine Vielzahl von durch die Antragstellerin eingesetzten Arbeitnehmern Gewerbeanmeldungen vor. Solche Gewerbeanmeldungen dienen im illegalen Sektor der Baubranche dazu, den Einsatz von abhängig Beschäftigten (vor allem von Ausländern, die die Voraussetzungen zur Erteilung einer Arbeitsgenehmigung nicht erfüllen) zu verschleiern, etwa in Fällen stichprobenartiger Baustellenkontrollen durch die Zollbehörden. Dass sich auch die Antragstellerin dieses Mittels zur Verdeckung von Schwarzarbeit bedient hat, zeigen die weitergehenden Feststellungen der Ermittlungsbehörden, wonach die mit einer Gewerbeanmeldung ausgestatteten Arbeitnehmern weder überhaupt steuerlich als Gewerbetreibende erfasst waren (bis in das Jahr 2013 wurden keine Steuernummern beantragt) noch Rechnungen über die von ihnen erbrachten Leistungen gegenüber der Antragstellerin erteilt haben. Das Vorhalten der Gewerbeanmeldung erfolgte damit offensichtlich nur pro forma. In diesem Zusammenhang verliert auch das von der Antragstellerin gegen den Haftungstatbestand vorgebrachte Argument, sie sei in der Vergangenheit häufig ohne Beanstandungen von den Zollbehörden bei Baustellenkontrollen überprüft worden, ganz erheblich an Aussagekraft.
125(3) Den exemplarischen Einsatz von Schwarzarbeit konnten die Ermittlungsbehörden ferner durch eine bei der Antragstellerin beschlagnahmte Kalkulationsrechnung führen. Auf einem Internet-Banking-Kontoauszug haben die Verantwortlichen der Antragstellerin im Zusammenhang mit dem Geldeingang eines Auftraggebers für ein konkretes Projekt handschriftliche Vermerke zum Lohnaufwand für drei illegal beschäftigte Arbeitnehmer angebracht (vgl. Ermittlungsbericht des Hauptzollamtes C vom 06.11.2014 unter 3.2.4.1.2 nebst dazugehörigem Sachbeweisen). Auch wenn diese Feststellungen und Nachweise lediglich einen einzelnen Auftrag betreffen, so kommt ihnen jedoch eine nicht unbeachtliche indizielle Bedeutung für die Vorgehensweise der Antragstellerin im Zusammenhang mit der Projektabwicklung zu.
126(4) Aus von den Ermittlungsbehörden beschlagnahmten Schreiben der Firma T3. GmbH aus C2. (Auftraggeberin der Antragstellerin) folgt für den Senat, dass die Antragstellerin in der Vergangenheit mehrfach Schwarzarbeiter auf ihren Baustellen eingesetzt hat. Die nachfolgenden Ausführungen in den Schreiben der Firma S GmbH, u.a. vom 29.09.2011 und 05.10.2011, sind aus der Sicht des Gerichts nicht anders zu würdigen (Hervorhebungen durch das Gericht):
127„Wie soeben mit Ihnen besprochen legen wir größten Wert darauf, dass Sie uns zukünftig nur Mitarbeiter auf die Baustellen schicken, die eine Arbeitserlaubnis für Deutschland haben. … Auf der Baustelle in C3. wurden die Mitarbeiter von der Baustelle verwiesen, weil diese nur eine Scheinfirma-Tätigkeit ausführen. Dies ist der Firma H aufgefallen. Das gleiche Problem hatten wir schon einmal. Wir untersagen Ihnen ausdrücklich, Mitarbeiter einzusetzen, die keine gültige Arbeitserlaubnis haben.“
128„Unter Hinweis auf das Telefonat vom gestrigen Tage weisen wir nochmals darauf hin, dass die Mitarbeiter ordnungsgemäß angemeldet sein müssen, der tariflichen Mindestlohn erhalten, und alle Unterlagen auf der Baustelle vorhalten müssen.“
129Den Vortrag der Antragstellerin unterstellt, die Arbeiten auf den Baustellen seien vornehmlich durch Arbeitnehmer von Subunternehmen ausgeführt worden, hätte es entsprechende Beanstandungen durch die Antragstellerin bei ihren Nachunternehmen geben müssen (etwa unter Androhung der Kündigung der Geschäftsbeziehung). Ein legal arbeitendes Unternehmen würde entsprechende Beanstandungen eines Auftraggebers jedenfalls nicht hinnehmen, sondern (schriftliche) Reaktionen zeigen.
130(5) Die Ermittlungsbehörden haben im Rahmen strafprozessualer Maßnahmen (z.B. Durchsuchung von Geschäfts- und Privaträumen) im Zusammenhang mit der Antragstellerin und ihren Nachunternehmen (insbesondere der Servicefirma H GmbH) diverse Unterlagen beschlagnahmt (Abdeckrechnungen und Unter-Abdeckrechnungen, Quittungen, Stundennachweise sowie vor allem handschriftliche Aufzeichnungen des faktischen Geschäftsführers der H GmbH - J - über Geldeingänge, Provisionsberechnungen, Verwendung von Geldern für Personal- und Sachmittel, Geldausgänge etc.), die in Verbindung mit einem Abgleich der Konten der Antragstellerin und der Servicefirmen das System der Generierung von Schwarzgeld unter Nutzung nicht leistungshinterlegter Abdeckrechnungen sowie in Form von „Kick-Back-Zahlungen“ in mehreren Fällen beispielhaft belegen (vgl. die Ausführungen des Hauptzollamtes C im Bericht vom 06.11.2014 unter 3.2.5.1.1.3.1.1 mit einzelnen Beispielen sowie den Sachbeweisordner VIII, Fach 10). Mit Hilfe dieser Unterlagen lassen sich eingehende Zahlungen der Antragstellerin auf Konten der H GmbH und nachfolgende Barabhebungen von diesen Konten einer sachlichen Verwendung der Gelder zum einen als Provisionseinbehalte zugunsten von Herrn J und zum anderen als Kick-Back-Zahlungen an die Antragstellerin konkret zuordnen. Darüber hinaus geben die Unterlagen auch Auskunft darüber, dass die H GmbH einen Teil ihrer betrieblichen Aufwendungen (für Personal- und Sachmittel) mit den Geldeingängen der Antragstellerin finanziert hat (Errechnung der Kick-Back-Zahlungen zugunsten der Antragstellerin unter Abzug von Löhnen, Mietzahlungen, Kfz-Aufwand etc.). Daraus folgt zur Überzeugung des Gerichts, dass die Antragstellerin nicht nur Abdeckrechnungen der H GmbH eingekauft und zur Generierung von Schwarzgeld genutzt hat, sondern dass ihre Verantwortlichen die Servicefirma sogar beherrscht, jedenfalls aber erheblich (mit-)gesteuert haben. Zu diesen ganzen Feststellungen hat sich die Antragstellerin bisher weder außergerichtlich noch im Rahmen des gerichtlichen Aussetzungsverfahrens erkennbar und erst Recht nicht detailliert geäußert.
131(6) Vergleichbare Unterlagen über den Verkauf von Abdeckrechnungen, damit zusammenhängende Zahlungseingänge, Provisionseinbehalte und Kick-Back-Zahlungen haben die Ermittlungsbehörden auch in Bezug auf andere Abnehmer der H GmbH sichergestellt, etwa die Firmen BBau GmbH, KB-Bau GmbH und HD (vgl. Feststellungen des Hauptzollamtes C im Bericht vom 06.11.2014 zu 3.2.5.1.1.3.1.2 und den dazugehörigen Sachbeweisordner VIII, Fächer 1 bis 9). Die im Rahmen dieser Rechnungsverkäufe einbehaltenen Provisionen sind ausweislich der durch die Ermittlungsbehörden vorgefundenen handschriftlichen Aufzeichnungen größtenteils zwischen dem faktischen Geschäftsführer der H GmbH, Herrn J, sowie dem (faktischen) Geschäftsführer der Antragstellerin, Herrn M, hälftig geteilt worden.
132Darüber hinaus haben die Ermittlungsbehörden eine entsprechende Praxis auch im Zusammenhang mit weiteren Servicefirmen feststellen und nachweisen können, etwa in Bezug auf die A. A/DK, die I AV A/DK sowie die nicht streitgegenständliche V.. GmbH/ (vgl. dazu Bericht des Hauptzollamtes C vom 06.11.2014 unter 3.2.5.1.6 sowie die dazugehörigen Beweismittelordner). Auch bei dem Verkauf von Abdeckrechnungen dieser Servicefirmen an Dritte sind die Provisionen häufig zwischen dem faktischen Geschäftsführer der Servicefirma, in den benannten Fällen war dies jeweils Herr J, und dem (faktischen) Geschäftsführer der Antragstellerin, Herrn M, hälftig geteilt worden.
133Auch wenn diese Feststellungen nicht im konkreten Zusammenhang mit dem Einsatz von Schwarzarbeitern durch die Antragstellerin stehen, so zeigen sie jedenfalls, dass der die Antragstellerin beherrschende Verantwortliche (B5. M) maßgeblich in ein komplettes System des Kettenbetrugs mittels Servicefirmen/Abdeckrechnungen verwickelt war. Auch hier weist der Senat nachrichtlich nochmals darauf hin, dass ihm der Einsatz von Schwarzarbeit im Zusammenhang mit erkauften Rechnungen der Firmen A. A/DK und V mbH/ aus einem Parallelverfahren bekannt ist.
134(7) Der Senat verkennt bei seiner Entscheidung über die Zurechnung von Schwarzarbeit zu Lasten der Antragstellerin grundsätzlich nicht, dass das über Scheinrechnungen diverser Servicefirmen verschleierte Kapital im illegalen Sektor der Baubranche theoretisch zu unterschiedlichen Zwecken genutzt werden kann, nämlich einerseits zur Zahlung von Schwarzlöhnen an eigene Arbeitnehmer, andererseits aber auch zur Entlohnung von auf eigene Rechnung arbeitenden dritten Personen (weitere Subunternehmer oder sog. Kolonnenschieber).
135Er hält die theoretische Möglichkeit einer alternativen Leistungserbringung durch Dritte in Bezug auf die Projekte und Baustellen der Antragstellerin jedoch aus mehreren Gründen für nicht wahrscheinlich und einen eventuell dahingehenden Vortrag der Antragstellerin darüber hinaus auch in rechtlicher Hinsicht für unzulässig:
136Es entspricht zunächst allgemeinen Gepflogenheiten im illegalen Teil der Baubranche, dass Abdeckrechnungen in erster Linie dazu genutzt werden, um buchhalterisch Schwarzgeld zu generieren, welches dann wiederum zum Einsatz von eigenen Arbeitnehmern als Schwarzarbeiter (deren Aufwand naturgemäß keinen Eingang in die Finanzbuchhaltung finden kann) genutzt wird. Auf diese Weise wird versucht, den aus einem legalen Arbeitnehmereinsatz resultierenden Lohnnebenkosten, Lohnzusatzkosten und arbeitnehmerbedingten Fixkosten als besonders aufwandintensiven Faktoren aus dem Weg zu gehen. Die Abdeckrechnungen erteilenden Servicefirmen besitzen dabei typischerweise das rechtliche Gerüst einer offiziell am Markt agierenden Firma (Gewerbeanmeldung, Handelsregistereintrag, Unbedenklichkeitsbescheinigung etc.), sind tatsächlich jedoch wirtschaftlich inaktiv. Durch das Verbuchen entsprechender Abdeckrechnungen (fingierter Fremdleistungen) werden die eigenen (schwarz eingesetzten) Arbeitnehmer eines Unternehmens dann im Ergebnis zu Arbeitnehmern des Nachunternehmens, Lohnaufwand wird mithin in vermeintlich bezogene Fremdleistungen um deklariert. Diese Vorgehensweise hat nicht nur die skizzierten wirtschaftlichen Vorteile, sondern bietet dem die Abdeckrechnungen nutzenden Unternehmen im Falle etwaiger Kontrollen durch die Zoll-, Steuer- und Strafverfolgungsbehörden zusätzlich die Möglichkeit, bei der Frage nach der konkreten Ausführung der gegenüber den eigenen Auftraggebern tatsächlich erbrachten Leistungen auf eine außerhalb des eigenen Verantwortungsbereichs liegende Kette von Nachunternehmen zu verwiesen, um sich auf diese Weise pauschal dem Haftungsrisiko des Arbeitgebers beim Einsatz von Schwarzarbeit zu entziehen. Bei genauer Betrachtung widerspricht eine derartige Argumentation jedoch der wirtschaftlichen Vernunft. Denn es dürfte aus der Sicht des die Nachunternehmerkette in Gang setzenden Unternehmens (hier der Antragstellerin) von vorneherein unrealistisch sein, auf legalem Wege erbrachte Subunternehmerleistungen über eine ganze Kette an Nachunternehmen hinweg zu wirtschaftlich vertretbaren Konditionen einkaufen zu können (erst Recht angesichts der Vorgaben zum Mindestlohn). Denn die besonders aufwandintensiven Faktoren (Lohnnebenkosten, Lohnzusatzkosten und arbeitnehmerbedingten Fixkosten) würden – jedenfalls im legalen Bereich des Baugewerbes – notwendigerweise auch an irgend einer Stelle der Nachunternehmerkette anfallen. Vor diesem Hintergrund spricht – wirtschaftlich betrachtet – Einiges dafür, dass der Verwender von rechtswidrig eingekauften Abdeckrechnungen das darin verschleierte Kapital selbst zum Einsatz von Schwarzarbeitern nutzt, um die skizzierten wirtschaftlichen Vorteile im eigenen Betrieb zur Geltung kommen zu lassen.
137Darüber hinaus sind die von den Ermittlungsbehörden festgestellten Indizien zur Inaktivität und damit zum Servicecharakter der von der Antragstellerin eingesetzten Nachunternehmen (etwa zur Firmenhistorie, zur sachlichen und personellen Ausstattung der Firmen, zur Art und Weise der Rechnungsstellung, vgl. dazu ausführlich II.4.b.) derart umfangreich, stichhaltig und jedenfalls in ihrer Gesamtheit von entsprechend hoher Beweiskraft, dass die Antragstellerin unter dem Strich selbst nicht glaubhaft von einer tatsächlichen Leistungserbringung durch die jeweiligen Nachunternehmer ausgehen konnte. Wenn aber die Nichterbringung der verbuchten Subunternehmerleistungen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststeht und auch für die Antragstellerin deutlich erkennbar war, stellt sich die Frage, wer sonst die von der Antragstellerin gegenüber ihren Auftraggebern abgerechneten und erbrachten Leistungen letztendlich ausgeführt hat. Eine hinreichend glaubhafte Antwort auf diese Frage geben die Ausführungen der Antragstellerin im gerichtlichen Aussetzungsverfahren nicht. Der gegenteilige Vortrag der Antragstellerin, sie habe auf die tatsächliche Leistungserbringung durch die in Rede stehenden Nachunternehmen vertraut und die dabei auf Seiten der Subunternehmer eingeschalteten Arbeitnehmer sogar stichprobenartig überprüft, ist angesichts der Feststellungen der Ermittlungsbehörden über die tatsächlichen Gegebenheiten nicht nachvollziehbar und wirkt letztlich als bloße Schutzbehauptung.
138Schließlich ist der Senat der Auffassung, dass sich die Antragstellerin aus rechtlichen Gründen auch nicht auf die theoretische Möglichkeit eines Einsatzes namentlich nicht bekannter Arbeitnehmer von Subunternehmen (etwa sog. Kolonnenschieber) berufen kann. Die Antragstellerin hat mit dem steuermindernden Ausweis von Fremdleistungen in Gestalt von Rechnungen der Nachunternehmen erster Ebene in ihrer Finanzbuchhaltung einen Sachverhalt vorgetragen, der sich nach den vorliegenden Erkenntnissen mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit als falsch herausgestellt hat. Denn die dort im Einzelnen ausgewiesenen Bauleistungen der Nachunternehmen sind von diesen mit großer Sicherheit gerade nicht erbracht worden. Wenn die Antragstellerin nunmehr alternativ vorträgt, die Leistungen seien aber von irgendjemandem – von dritter Seite (fremden Arbeitnehmern) – erbracht worden, so ist sie für diesen (Hilfs-)Vortrag zuvorderst beweispflichtig. Denn zum einen hat sie durch die jedenfalls unreflektierte steuerliche Erfassung eines falschen Ausgangssachverhalts (Verbuchung von Fremdleistungen, an deren tatsächlicher Erbringung bereits nach den objektiven Gegebenheiten und dem Geschäftsgebaren der Subunternehmer erhebliche Zweifel begründet waren) ihre steuerlichen Mitwirkungspflichten in erheblichem Maße verletzt. Zum anderen spielen sich die Vorgänge rund um die Einschaltung von Nachunternehmern ausschließlich in der betrieblichen Sphäre der Antragstellerin (in ihrem Betrachtens und Wissenskreis) ab (zu einer sphärenorientierten Beweisrisikoverteilung im Steuerrecht vgl. Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 76 FGO Tz. 72 ff.; § 96 FGO Tz. 69 ff. u. 89 ff.; ders. in Tipke/Lang, Steuerrecht20, § 22 Rz. 190 f.). Daher trägt die Antragstellerin letztlich die Verantwortung dafür, die Einschaltung von Subunternehmen / Arbeitnehmern im Rahmen der eigenen Leistungserbringung steuerlich hinreichend zu dokumentieren und nachzuweisen. Dieser Rechtsgedanke liegt auch dem § 160 AO zugrunde. Gelingt ihr ein entsprechender Nachweis nicht, ist es gerechtfertigt, dass der Antragsgegner vom Einsatz eigener Arbeitnehmer der Antragstellerin im Wege der Schwarzarbeit ausgeht, zumal dieser Sachverhalt durch eine Vielzahl von Indizien gestützt wird und in konkreten Einzelfällen auch nachgewiesen wurde.
139d.
140Der Antragsgegner war auf der Grundlage der Feststellungen der Ermittlungsbehörden auch zur Schätzung der Besteuerungsgrundlagen (Schwarzlohnzahlungen) berechtigt. Soweit die Finanzbehörde die Besteuerungsgrundlagen nicht ermitteln kann, hat sie diese zu schätzen (§ 162 Abs. 1 S. 1 AO). Zu schätzen ist insbesondere dann, wenn der Steuerpflichtige über seine Angaben keine ausreichenden Aufklärungen zu geben vermag oder seine Mitwirkungspflichten verletzt (§ 162 Abs. 2 S. 1 AO).
141Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt. Nach den Gesamtumständen des Verfahrens ist zur Überzeugung des Gerichts der Schluss gerechtfertigt, dass die Antragstellerin dem Grunde nach neben den ordnungsgemäß gemeldeten Arbeitnehmer in erheblichem Umfang weitere Arbeitnehmer illegal beschäftigt hat. Dass die schwarz entlohnten Arbeitnehmer nicht individualisiert werden können, liegt angesichts der Verschleierung ihres Einsatzes durch nicht erbrachte Fremdleistungen (Abdeckrechnungen) in Gestalt einer Nachunternehmerkette auf drei Ebenen in der Natur der Sache (zu einer entsprechenden Schätzungsbefugnis in Fällen von durch Abdeckrechnungen verschleierter illegaler Beschäftigung vgl. FG München, Beschluss v. 08.05.2012, 8 V 625/12, juris; FG Sachsen-Anhalt, Urteil v. 15.05.2014, 6 K 1169/12, juris; FG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 20.01.2011, 9 K 9217/08, juris).
142Der Einwand der Antragstellerin, die Haftungsinanspruchnahme beruhe nicht auf Tatsachen, sondern größtenteils auf Vermutungen, Verdachtsmomenten und Pauschalbehauptungen („Nach dem Grundsatz in dubio pro reo verbleibt: Nichts!“), ist angesichts der aufgezeigten Ermittlungsergebnisse zurückzuweisen. Aus den umfangreichen und detaillierten Feststellungen der Ermittlungsbehörden nebst Sachbeweisen ergibt sich für den erkennenden Senat vielmehr das Bild eines permanenten Einsatzes von illegal beschäftigten Arbeitnehmern durch die Antragstellerin.
143Die Schätzung ist auch der Höhe nach nicht zu beanstanden, sondern alles in allem als schlüssig, wirtschaftlich möglich und maßvoll zu bezeichnen. Der Antragsgegner ist davon ausgegangen, dass nicht das gesamte in den Scheinrechnungen abgedeckte Kapital, sondern nur die von der Antragstellerin auf die Abdeckrechnungen der Nachunternehmen erster Ebene gezahlten Beträge zur Zahlung von Schwarzlöhnen gedient haben. Zugunsten der Antragstellerin hat der Antragsgegner ferner unterstellt, dass die Servicefirmen von den Rechnungsbeträgen jeweils eine Provision von 6 bzw. 20 % für ihre Dienstleistungen (Rechnungsstellung) einbehalten haben (auf der Grundlage der vorgefundenen handschriftlichen Aufzeichnungen zur Provisionsberechnung), so dass der Antragstellerin letztlich nur die Differenzbeträge zum Einsatz von Schwarzarbeit zur Verfügung gestanden haben. Diese Vorgehensweise ist im Ergebnis nicht zu beanstanden. Konkrete Einwendungen gegen die Höhe der Schätzungen hat die Antragstellerin insofern auch nicht erhoben.
144Auch die pauschale Lohnsteuerberechnung auf der Grundlage des Eingangssteuersatzes der Steuerklasse VI ist nicht zu beanstanden (vgl. FG München, Beschluss v. 08.05.2012, 8 V 625/12, juris; FG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 20.01.2011, 9 K 9217/08, juris; Krüger in T3., EStG34, § 42d EStG Rz. 50).
145Schließlich sind die Schätzungen der Schwarzlohnzahlungen und der darauf entfallenden Lohnsteuern auch insofern nicht rechtswidrig, als sich in den Streitjahren unter Einbeziehung der zugeschätzten Beträge Lohnquoten ergeben, die über den von der Rechtsprechung anerkannten Mindestlohnquoten von 66,67 % des Nettoumsatzes liegen. Zum einen handelt es sich bei den vergleichend heranzuziehenden Rechtsprechungsvorgaben ausdrücklich um „Mindestwerte“, die im Einzelfall auch überschritten werden können. Zum Anderen hat die Antragstellerin durch die von ihr verbuchten, tatsächlich aber nicht erbrachten Fremdleistungen vermeintlicher Nachunternehmer selbst einen entsprechenden Anlass für die Höhe der Schätzungen gesetzt.
146e.
147Die Inanspruchnahme der Antragstellerin war schließlich auch ermessensgerecht. Einen allgemeinen Grundsatz, dass zunächst der Arbeitnehmer als Steuerschuldner der Lohnsteuer in Anspruch zu nehmen ist, gibt es nicht. Eine Inanspruchnahme des Arbeitgebers ist in der Regel ermessensfehlerfrei, wenn der Steuerabzug bewusst oder leichtfertigt versäumt worden ist (vgl. Krüger in T3., EStG33, § 42d EStG Rz. 31). Beim verschleierten Einsatz von Schwarzarbeit ist die Inanspruchnahme des Arbeitgebers erst Recht „vorgeprägt“ bzw. „intendiert“. Der Zweck der Haftung des Arbeitgebers nach § 42d EStG liegt in der Sicherung einer ordnungsgemäßen Besteuerung. Da dem Antragsgegner die Identität der schwarzbeschäftigten Arbeitnehmer im Einzelnen nicht bekannt ist, bedurfte es auch insofern keiner weiteren Begründung des Auswahlermessens. Hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird auf die Ausführungen des Antragsgegners im Haftungsbescheid vom 02.03.2015 verwiesen (Vereinfachungsaspekt, fehlerhaftes Unterlassen vorgeschriebener Aufzeichnungen etc.).
1485.
149Die Vollziehung des Lohnsteuerhaftungsbescheides ist auch nicht wegen unbilliger Härte gemäß § 69 Abs. 3 S. 1, 2. HS i.V. mit Abs. 2 S. 2 FGO auszusetzen.
150Eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte in diesem Sinne liegt vor, wenn dem Steuerpflichtigen durch die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts Nachteile drohen, die durch eine etwaige spätere Rückzahlung des eingezogenen Betrages nicht ausgeglichen werden oder nur schwer gutzumachen sind, oder wenn die Vollziehung zu einer Gefährdung seiner wirtschaftlichen Existenz führen würde (vgl. BFH, Beschlüsse v. 21.02.1990, II B 98/89, juris; v. 05.03.1998, VII B 36/97, juris).
151Diese Voraussetzungen liegen zur Überzeugung des Senats aus mehreren Gründen nicht vor. Die Antragstellerin hat die Gefährdung ihrer wirtschaftlichen Existenz (Insolvenz) allenfalls behauptet, jedoch weder näher konkretisiert noch glaubhaft gemacht. Angesichts der wirtschaftlichen Situation in den Streitjahren (Umsatzerlöse von ca. 8 Mio. EUR) erscheint es auch nicht zwingend, dass die Antragstellerin den Gesamthaftungsbetrag nicht zu leisten in der Lage ist. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass die Antragstellerin nach den eingehenden Feststellungen der Ermittlungsbehörden eine etwaige Härte durch ihr in höchstem Maße rechtswidriges Verhalten selbst herbeigeführt hat, was berechtigte Zweifel an der Unbilligkeit der Vollziehung aufkommen lässt.
1526.
153Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
ra.de-Urteilsbesprechung zu Finanzgericht Münster Beschluss, 23. Juni 2015 - 1 V 1012/15 L
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(1) Durch Erhebung der Klage wird die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts vorbehaltlich des Absatzes 5 nicht gehemmt, insbesondere die Erhebung einer Abgabe nicht aufgehalten. Entsprechendes gilt bei Anfechtung von Grundlagenbescheiden für die darauf beruhenden Folgebescheide.
(2) Die zuständige Finanzbehörde kann die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen. Auf Antrag soll die Aussetzung erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Die Aussetzung kann von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht werden. Soweit die Vollziehung eines Grundlagenbescheides ausgesetzt wird, ist auch die Vollziehung eines Folgebescheides auszusetzen. Der Erlass eines Folgebescheides bleibt zulässig. Über eine Sicherheitsleistung ist bei der Aussetzung eines Folgebescheides zu entscheiden, es sei denn, dass bei der Aussetzung der Vollziehung des Grundlagenbescheides die Sicherheitsleistung ausdrücklich ausgeschlossen worden ist. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, tritt an die Stelle der Aussetzung der Vollziehung die Aufhebung der Vollziehung. Bei Steuerbescheiden sind die Aussetzung und die Aufhebung der Vollziehung auf die festgesetzte Steuer, vermindert um die anzurechnenden Steuerabzugsbeträge, um die anzurechnende Körperschaftsteuer und um die festgesetzten Vorauszahlungen, beschränkt; dies gilt nicht, wenn die Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint.
(3) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen; Absatz 2 Satz 2 bis 6 und § 100 Abs. 2 Satz 2 gelten sinngemäß. Der Antrag kann schon vor Erhebung der Klage gestellt werden. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, kann das Gericht ganz oder teilweise die Aufhebung der Vollziehung, auch gegen Sicherheit, anordnen. Absatz 2 Satz 8 gilt entsprechend. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.
(4) Der Antrag nach Absatz 3 ist nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn
- 1.
die Finanzbehörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder - 2.
eine Vollstreckung droht.
(5) Durch Erhebung der Klage gegen die Untersagung des Gewerbebetriebes oder der Berufsausübung wird die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts gehemmt. Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen hat, kann die hemmende Wirkung durch besondere Anordnung ganz oder zum Teil beseitigen, wenn sie es im öffentlichen Interesse für geboten hält; sie hat das öffentliche Interesse schriftlich zu begründen. Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die hemmende Wirkung wiederherstellen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.
(6) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach den Absätzen 3 und 5 Satz 3 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.
(7) Lehnt die Behörde die Aussetzung der Vollziehung ab, kann das Gericht nur nach den Absätzen 3 und 5 Satz 3 angerufen werden.
(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer
- 1.
den Finanzbehörden oder anderen Behörden über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht, - 2.
die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt oder - 3.
pflichtwidrig die Verwendung von Steuerzeichen oder Steuerstemplern unterlässt
(2) Der Versuch ist strafbar.
(3) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter
- 1.
in großem Ausmaß Steuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt, - 2.
seine Befugnisse oder seine Stellung als Amtsträger oder Europäischer Amtsträger (§ 11 Absatz 1 Nummer 2a des Strafgesetzbuchs) missbraucht, - 3.
die Mithilfe eines Amtsträgers oder Europäischen Amtsträgers (§ 11 Absatz 1 Nummer 2a des Strafgesetzbuchs) ausnutzt, der seine Befugnisse oder seine Stellung missbraucht, - 4.
unter Verwendung nachgemachter oder verfälschter Belege fortgesetzt Steuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt, - 5.
als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung von Taten nach Absatz 1 verbunden hat, Umsatz- oder Verbrauchssteuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Umsatz- oder Verbrauchssteuervorteile erlangt oder - 6.
eine Drittstaat-Gesellschaft im Sinne des § 138 Absatz 3, auf die er alleine oder zusammen mit nahestehenden Personen im Sinne des § 1 Absatz 2 des Außensteuergesetzes unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden oder bestimmenden Einfluss ausüben kann, zur Verschleierung steuerlich erheblicher Tatsachen nutzt und auf diese Weise fortgesetzt Steuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt.
(4) Steuern sind namentlich dann verkürzt, wenn sie nicht, nicht in voller Höhe oder nicht rechtzeitig festgesetzt werden; dies gilt auch dann, wenn die Steuer vorläufig oder unter Vorbehalt der Nachprüfung festgesetzt wird oder eine Steueranmeldung einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung gleichsteht. Steuervorteile sind auch Steuervergütungen; nicht gerechtfertigte Steuervorteile sind erlangt, soweit sie zu Unrecht gewährt oder belassen werden. Die Voraussetzungen der Sätze 1 und 2 sind auch dann erfüllt, wenn die Steuer, auf die sich die Tat bezieht, aus anderen Gründen hätte ermäßigt oder der Steuervorteil aus anderen Gründen hätte beansprucht werden können.
(5) Die Tat kann auch hinsichtlich solcher Waren begangen werden, deren Einfuhr, Ausfuhr oder Durchfuhr verboten ist.
(6) Die Absätze 1 bis 5 gelten auch dann, wenn sich die Tat auf Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben bezieht, die von einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union verwaltet werden oder die einem Mitgliedstaat der Europäischen Freihandelsassoziation oder einem mit dieser assoziierten Staat zustehen. Das Gleiche gilt, wenn sich die Tat auf Umsatzsteuern oder auf die in Artikel 1 Absatz 1 der Richtlinie 2008/118/EG des Rates vom 16. Dezember 2008 über das allgemeine Verbrauchsteuersystem und zur Aufhebung der Richtlinie 92/12/EWG (ABl. L 9 vom 14.1.2009, S. 12) genannten harmonisierten Verbrauchsteuern bezieht, die von einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union verwaltet werden.
(7) Die Absätze 1 bis 6 gelten unabhängig von dem Recht des Tatortes auch für Taten, die außerhalb des Geltungsbereiches dieses Gesetzes begangen werden.
(1) Für nach § 3a Absatz 2 im Inland steuerpflichtige sonstige Leistungen eines im übrigen Gemeinschaftsgebiet ansässigen Unternehmers entsteht die Steuer mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums, in dem die Leistungen ausgeführt worden sind.
(2) Für folgende steuerpflichtige Umsätze entsteht die Steuer mit Ausstellung der Rechnung, spätestens jedoch mit Ablauf des der Ausführung der Leistung folgenden Kalendermonats:
- 1.
Werklieferungen und nicht unter Absatz 1 fallende sonstige Leistungen eines im Ausland ansässigen Unternehmers; - 2.
Lieferungen sicherungsübereigneter Gegenstände durch den Sicherungsgeber an den Sicherungsnehmer außerhalb des Insolvenzverfahrens; - 3.
Umsätze, die unter das Grunderwerbsteuergesetz fallen; - 4.
Bauleistungen, einschließlich Werklieferungen und sonstigen Leistungen im Zusammenhang mit Grundstücken, die der Herstellung, Instandsetzung, Instandhaltung, Änderung oder Beseitigung von Bauwerken dienen, mit Ausnahme von Planungs- und Überwachungsleistungen. Als Grundstücke gelten insbesondere auch Sachen, Ausstattungsgegenstände und Maschinen, die auf Dauer in einem Gebäude oder Bauwerk installiert sind und die nicht bewegt werden können, ohne das Gebäude oder Bauwerk zu zerstören oder zu verändern. Nummer 1 bleibt unberührt; - 5.
Lieferungen - a)
der in § 3g Absatz 1 Satz 1 genannten Gegenstände eines im Ausland ansässigen Unternehmers unter den Bedingungen des § 3g und - b)
von Gas über das Erdgasnetz und von Elektrizität, die nicht unter Buchstabe a fallen;
- 6.
Übertragung von Berechtigungen nach § 3 Nummer 3 des Treibhausgas-Emissionshandelsgesetzes, Emissionsreduktionseinheiten nach § 2 Nummer 20 des Projekt-Mechanismen-Gesetzes, zertifizierten Emissionsreduktionen nach § 2 Nummer 21 des Projekt-Mechanismen-Gesetzes, Emissionszertifikaten nach § 3 Nummer 2 des Brennstoffemissionshandelsgesetzes sowie von Gas- und Elektrizitätszertifikaten; - 7.
Lieferungen der in der Anlage 3 bezeichneten Gegenstände; - 8.
Reinigen von Gebäuden und Gebäudeteilen. Nummer 1 bleibt unberührt; - 9.
Lieferungen von Gold mit einem Feingehalt von mindestens 325 Tausendstel, in Rohform oder als Halbzeug (aus Position 7108 des Zolltarifs) und von Goldplattierungen mit einem Goldfeingehalt von mindestens 325 Tausendstel (aus Position 7109); - 10.
Lieferungen von Mobilfunkgeräten, Tablet-Computern und Spielekonsolen sowie von integrierten Schaltkreisen vor Einbau in einen zur Lieferung auf der Einzelhandelsstufe geeigneten Gegenstand, wenn die Summe der für sie in Rechnung zu stellenden Entgelte im Rahmen eines wirtschaftlichen Vorgangs mindestens 5 000 Euro beträgt; nachträgliche Minderungen des Entgelts bleiben dabei unberücksichtigt; - 11.
Lieferungen der in der Anlage 4 bezeichneten Gegenstände, wenn die Summe der für sie in Rechnung zu stellenden Entgelte im Rahmen eines wirtschaftlichen Vorgangs mindestens 5 000 Euro beträgt; nachträgliche Minderungen des Entgelts bleiben dabei unberücksichtigt; - 12.
sonstige Leistungen auf dem Gebiet der Telekommunikation. Nummer 1 bleibt unberührt.
(3) Abweichend von den Absatz 1 und 2 Nummer 1 entsteht die Steuer für sonstige Leistungen, die dauerhaft über einen Zeitraum von mehr als einem Jahr erbracht werden, spätestens mit Ablauf eines jeden Kalenderjahres, in dem sie tatsächlich erbracht werden.
(4) Bei der Anwendung der Absätze 1 bis 3 gilt § 13 Absatz 1 Nummer 1 Buchstabe a Satz 2 und 3 entsprechend. Wird in den in den Absätzen 1 bis 3 sowie in den in Satz 1 genannten Fällen das Entgelt oder ein Teil des Entgelts vereinnahmt, bevor die Leistung oder die Teilleistung ausgeführt worden ist, entsteht insoweit die Steuer mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums, in dem das Entgelt oder das Teilentgelt vereinnahmt worden ist.
(5) In den in den Absätzen 1 und 2 Nummer 1 bis 3 genannten Fällen schuldet der Leistungsempfänger die Steuer, wenn er ein Unternehmer oder eine juristische Person ist; in den in Absatz 2 Nummer 5 Buchstabe a, Nummer 6, 7, 9 bis 11 genannten Fällen schuldet der Leistungsempfänger die Steuer, wenn er ein Unternehmer ist. In den in Absatz 2 Nummer 4 Satz 1 genannten Fällen schuldet der Leistungsempfänger die Steuer unabhängig davon, ob er sie für eine von ihm erbrachte Leistung im Sinne des Absatzes 2 Nummer 4 Satz 1 verwendet, wenn er ein Unternehmer ist, der nachhaltig entsprechende Leistungen erbringt; davon ist auszugehen, wenn ihm das zuständige Finanzamt eine im Zeitpunkt der Ausführung des Umsatzes gültige auf längstens drei Jahre befristete Bescheinigung, die nur mit Wirkung für die Zukunft widerrufen oder zurückgenommen werden kann, darüber erteilt hat, dass er ein Unternehmer ist, der entsprechende Leistungen erbringt. Bei den in Absatz 2 Nummer 5 Buchstabe b genannten Lieferungen von Erdgas schuldet der Leistungsempfänger die Steuer, wenn er ein Wiederverkäufer von Erdgas im Sinne des § 3g ist. Bei den in Absatz 2 Nummer 5 Buchstabe b genannten Lieferungen von Elektrizität schuldet der Leistungsempfänger in den Fällen die Steuer, in denen der liefernde Unternehmer und der Leistungsempfänger Wiederverkäufer von Elektrizität im Sinne des § 3g sind. In den in Absatz 2 Nummer 8 Satz 1 genannten Fällen schuldet der Leistungsempfänger die Steuer unabhängig davon, ob er sie für eine von ihm erbrachte Leistung im Sinne des Absatzes 2 Nummer 8 Satz 1 verwendet, wenn er ein Unternehmer ist, der nachhaltig entsprechende Leistungen erbringt; davon ist auszugehen, wenn ihm das zuständige Finanzamt eine im Zeitpunkt der Ausführung des Umsatzes gültige auf längstens drei Jahre befristete Bescheinigung, die nur mit Wirkung für die Zukunft widerrufen oder zurückgenommen werden kann, darüber erteilt hat, dass er ein Unternehmer ist, der entsprechende Leistungen erbringt. Bei den in Absatz 2 Nummer 12 Satz 1 genannten Leistungen schuldet der Leistungsempfänger die Steuer, wenn er ein Unternehmer ist, dessen Haupttätigkeit in Bezug auf den Erwerb dieser Leistungen in deren Erbringung besteht und dessen eigener Verbrauch dieser Leistungen von untergeordneter Bedeutung ist; davon ist auszugehen, wenn ihm das zuständige Finanzamt eine im Zeitpunkt der Ausführung des Umsatzes gültige auf längstens drei Jahre befristete Bescheinigung, die nur mit Wirkung für die Zukunft widerrufen oder zurückgenommen werden kann, darüber erteilt hat, dass er ein Unternehmer ist, der entsprechende Leistungen erbringt. Die Sätze 1 bis 6 gelten vorbehaltlich des Satzes 10 auch, wenn die Leistung für den nichtunternehmerischen Bereich bezogen wird. Sind Leistungsempfänger und leistender Unternehmer in Zweifelsfällen übereinstimmend vom Vorliegen der Voraussetzungen des Absatzes 2 Nummer 4, 5 Buchstabe b, Nummer 7 bis 12 ausgegangen, obwohl dies nach der Art der Umsätze unter Anlegung objektiver Kriterien nicht zutreffend war, gilt der Leistungsempfänger dennoch als Steuerschuldner, sofern dadurch keine Steuerausfälle entstehen. Die Sätze 1 bis 7 gelten nicht, wenn bei dem Unternehmer, der die Umsätze ausführt, die Steuer nach § 19 Absatz 1 nicht erhoben wird. Die Sätze 1 bis 9 gelten nicht, wenn ein in Absatz 2 Nummer 2, 7 oder 9 bis 11 genannter Gegenstand von dem Unternehmer, der die Lieferung bewirkt, unter den Voraussetzungen des § 25a geliefert wird. In den in Absatz 2 Nummer 4, 5 Buchstabe b und Nummer 7 bis 12 genannten Fällen schulden juristische Personen des öffentlichen Rechts die Steuer nicht, wenn sie die Leistung für den nichtunternehmerischen Bereich beziehen.
(6) Die Absätze 1 bis 5 finden keine Anwendung, wenn die Leistung des im Ausland ansässigen Unternehmers besteht
- 1.
in einer Personenbeförderung, die der Beförderungseinzelbesteuerung (§ 16 Absatz 5) unterlegen hat, - 2.
in einer Personenbeförderung, die mit einem Fahrzeug im Sinne des § 1b Absatz 2 Satz 1 Nummer 1 durchgeführt worden ist, - 3.
in einer grenzüberschreitenden Personenbeförderung im Luftverkehr, - 4.
in der Einräumung der Eintrittsberechtigung für Messen, Ausstellungen und Kongresse im Inland, - 5.
in einer sonstigen Leistung einer Durchführungsgesellschaft an im Ausland ansässige Unternehmer, soweit diese Leistung im Zusammenhang mit der Veranstaltung von Messen und Ausstellungen im Inland steht, oder - 6.
in der Abgabe von Speisen und Getränken zum Verzehr an Ort und Stelle (Restaurationsleistung), wenn diese Abgabe an Bord eines Schiffs, in einem Luftfahrzeug oder in einer Eisenbahn erfolgt.
(7) Ein im Ausland ansässiger Unternehmer im Sinne des Absatzes 2 Nummer 1 und 5 ist ein Unternehmer, der im Inland, auf der Insel Helgoland und in einem der in § 1 Absatz 3 bezeichneten Gebiete weder einen Wohnsitz, seinen gewöhnlichen Aufenthalt, seinen Sitz, seine Geschäftsleitung noch eine Betriebsstätte hat; dies gilt auch, wenn der Unternehmer ausschließlich einen Wohnsitz oder einen gewöhnlichen Aufenthaltsort im Inland, aber seinen Sitz, den Ort der Geschäftsleitung oder eine Betriebsstätte im Ausland hat. Ein im übrigen Gemeinschaftsgebiet ansässiger Unternehmer ist ein Unternehmer, der in den Gebieten der übrigen Mitgliedstaaten der Europäischen Union, die nach dem Gemeinschaftsrecht als Inland dieser Mitgliedstaaten gelten, einen Wohnsitz, seinen gewöhnlichen Aufenthalt, seinen Sitz, seine Geschäftsleitung oder eine Betriebsstätte hat; dies gilt nicht, wenn der Unternehmer ausschließlich einen Wohnsitz oder einen gewöhnlichen Aufenthaltsort in den Gebieten der übrigen Mitgliedstaaten der Europäischen Union, die nach dem Gemeinschaftsrecht als Inland dieser Mitgliedstaaten gelten, aber seinen Sitz, den Ort der Geschäftsleitung oder eine Betriebsstätte im Drittlandsgebiet hat. Hat der Unternehmer im Inland eine Betriebsstätte und führt er einen Umsatz nach Absatz 1 oder Absatz 2 Nummer 1 oder Nummer 5 aus, gilt er hinsichtlich dieses Umsatzes als im Ausland oder im übrigen Gemeinschaftsgebiet ansässig, wenn die Betriebsstätte an diesem Umsatz nicht beteiligt ist. Maßgebend ist der Zeitpunkt, in dem die Leistung ausgeführt wird. Ist es zweifelhaft, ob der Unternehmer diese Voraussetzungen erfüllt, schuldet der Leistungsempfänger die Steuer nur dann nicht, wenn ihm der Unternehmer durch eine Bescheinigung des nach den abgabenrechtlichen Vorschriften für die Besteuerung seiner Umsätze zuständigen Finanzamts nachweist, dass er kein Unternehmer im Sinne der Sätze 1 und 2 ist.
(8) Bei der Berechnung der Steuer sind die §§ 19 und 24 nicht anzuwenden.
(9) Das Bundesministerium der Finanzen kann mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung bestimmen, unter welchen Voraussetzungen zur Vereinfachung des Besteuerungsverfahrens in den Fällen, in denen ein anderer als der Leistungsempfänger ein Entgelt gewährt (§ 10 Absatz 1 Satz 3), der andere an Stelle des Leistungsempfängers Steuerschuldner nach Absatz 5 ist.
(10) Das Bundesministerium der Finanzen kann mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung den Anwendungsbereich der Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers nach den Absätzen 2 und 5 auf weitere Umsätze erweitern, wenn im Zusammenhang mit diesen Umsätzen in vielen Fällen der Verdacht auf Steuerhinterziehung in einem besonders schweren Fall aufgetreten ist, die voraussichtlich zu erheblichen und unwiederbringlichen Steuermindereinnahmen führen. Voraussetzungen für eine solche Erweiterung sind, dass
- 1.
die Erweiterung frühestens zu dem Zeitpunkt in Kraft treten darf, zu dem die Europäische Kommission entsprechend Artikel 199b Absatz 3 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. L 347 vom 11.12.2006, S. 1) in der Fassung von Artikel 1 Nummer 1 der Richtlinie 2013/42/EU (ABl. L 201 vom 26.7.2013, S. 1) mitgeteilt hat, dass sie keine Einwände gegen die Erweiterung erhebt; - 2.
die Bundesregierung einen Antrag auf eine Ermächtigung durch den Rat entsprechend Artikel 395 der Richtlinie 2006/112/EG in der Fassung von Artikel 1 Nummer 2 der Richtlinie 2013/42/EG (ABl. L 201 vom 26.7.2013, S. 1) gestellt hat, durch die die Bundesrepublik Deutschland ermächtigt werden soll, in Abweichung von Artikel 193 der Richtlinie 2006/112/EG, die zuletzt durch die Richtlinie 2013/61/EU (ABl. L 353 vom 28.12.2013, S. 5) geändert worden ist, die Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers für die von der Erweiterung nach Nummer 1 erfassten Umsätze zur Vermeidung von Steuerhinterziehungen einführen zu dürfen; - 3.
die Verordnung nach neun Monaten außer Kraft tritt, wenn die Ermächtigung nach Nummer 2 nicht erteilt worden ist; wurde die Ermächtigung nach Nummer 2 erteilt, tritt die Verordnung außer Kraft, sobald die gesetzliche Regelung, mit der die Ermächtigung in nationales Recht umgesetzt wird, in Kraft tritt.
(1) Soweit die Finanzbehörde die Besteuerungsgrundlagen nicht ermitteln oder berechnen kann, hat sie sie zu schätzen. Dabei sind alle Umstände zu berücksichtigen, die für die Schätzung von Bedeutung sind.
(2) Zu schätzen ist insbesondere dann, wenn der Steuerpflichtige über seine Angaben keine ausreichenden Aufklärungen zu geben vermag oder weitere Auskunft oder eine Versicherung an Eides statt verweigert oder seine Mitwirkungspflicht nach § 90 Abs. 2 verletzt. Das Gleiche gilt, wenn der Steuerpflichtige Bücher oder Aufzeichnungen, die er nach den Steuergesetzen zu führen hat, nicht vorlegen kann, wenn die Buchführung oder die Aufzeichnungen nach § 158 Absatz 2 nicht der Besteuerung zugrunde gelegt werden oder wenn tatsächliche Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der vom Steuerpflichtigen gemachten Angaben zu steuerpflichtigen Einnahmen oder Betriebsvermögensmehrungen bestehen und der Steuerpflichtige die Zustimmung nach § 93 Abs. 7 Satz 1 Nr. 5 nicht erteilt. Hat der Steuerpflichtige seine Mitwirkungspflichten nach § 12 des Gesetzes zur Abwehr von Steuervermeidung und unfairem Steuerwettbewerb verletzt, so wird widerlegbar vermutet, dass in Deutschland steuerpflichtige Einkünfte in Bezug zu Staaten oder Gebieten im Sinne des § 3 Absatz 1 des Gesetzes zur Abwehr von Steuervermeidung und unfairem Steuerwettbewerb
- 1.
bisher nicht erklärt wurden, tatsächlich aber vorhanden sind, oder - 2.
bisher zwar erklärt wurden, tatsächlich aber höher sind als erklärt.
(3) Verletzt ein Steuerpflichtiger seine Mitwirkungspflichten nach § 90 Absatz 3 dadurch, dass er keine Aufzeichnungen über einen Geschäftsvorfall vorlegt, oder sind die über einen Geschäftsvorfall vorgelegten Aufzeichnungen im Wesentlichen unverwertbar oder wird festgestellt, dass der Steuerpflichtige Aufzeichnungen im Sinne des § 90 Absatz 3 Satz 5 nicht zeitnah erstellt hat, so wird widerlegbar vermutet, dass seine im Inland steuerpflichtigen Einkünfte, zu deren Ermittlung die Aufzeichnungen im Sinne des § 90 Absatz 3 dienen, höher als die von ihm erklärten Einkünfte sind. Hat in solchen Fällen die Finanzbehörde eine Schätzung vorzunehmen und können diese Einkünfte nur innerhalb eines bestimmten Rahmens, insbesondere nur auf Grund von Preisspannen bestimmt werden, kann dieser Rahmen zu Lasten des Steuerpflichtigen ausgeschöpft werden. Bestehen trotz Vorlage verwertbarer Aufzeichnungen durch den Steuerpflichtigen Anhaltspunkte dafür, dass seine Einkünfte bei Beachtung des Fremdvergleichsgrundsatzes höher wären als die auf Grund der Aufzeichnungen erklärten Einkünfte, und können entsprechende Zweifel deswegen nicht aufgeklärt werden, weil eine ausländische, nahe stehende Person ihre Mitwirkungspflichten nach § 90 Abs. 2 oder ihre Auskunftspflichten nach § 93 Abs. 1 nicht erfüllt, ist Satz 2 entsprechend anzuwenden.
(4) Legt ein Steuerpflichtiger über einen Geschäftsvorfall keine Aufzeichnungen im Sinne des § 90 Absatz 3 vor oder sind die über einen Geschäftsvorfall vorgelegten Aufzeichnungen im Wesentlichen unverwertbar, ist ein Zuschlag von 5 000 Euro festzusetzen. Der Zuschlag beträgt mindestens 5 Prozent und höchstens 10 Prozent des Mehrbetrags der Einkünfte, der sich nach einer Berichtigung auf Grund der Anwendung des Absatzes 3 ergibt, wenn sich danach ein Zuschlag von mehr als 5 000 Euro ergibt. Der Zuschlag ist regelmäßig nach Abschluss der Außenprüfung festzusetzen. Bei verspäteter Vorlage von verwertbaren Aufzeichnungen beträgt der Zuschlag bis zu 1 000 000 Euro, mindestens jedoch 100 Euro für jeden vollen Tag der Fristüberschreitung; er kann für volle Wochen und Monate der verspäteten Vorlage in Teilbeträgen festgesetzt werden. Soweit den Finanzbehörden Ermessen hinsichtlich der Höhe des jeweiligen Zuschlags eingeräumt ist, sind neben dem Zweck dieses Zuschlags, den Steuerpflichtigen zur Erstellung und fristgerechten Vorlage der Aufzeichnungen nach § 90 Absatz 3 anzuhalten, insbesondere die von ihm gezogenen Vorteile und bei verspäteter Vorlage auch die Dauer der Fristüberschreitung zu berücksichtigen. Von der Festsetzung eines Zuschlags ist abzusehen, wenn die Nichterfüllung der Pflichten nach § 90 Abs. 3 entschuldbar erscheint oder ein Verschulden nur geringfügig ist. Das Verschulden eines gesetzlichen Vertreters oder eines Erfüllungsgehilfen steht dem eigenen Verschulden gleich.
(4a) Verletzt der Steuerpflichtige seine Mitwirkungspflichten nach § 12 des Steueroasen-Abwehrgesetzes, ist Absatz 4 entsprechend anzuwenden. Von der Festsetzung eines Zuschlags ist abzusehen, wenn die Nichterfüllung der Mitwirkungspflichten entschuldbar erscheint oder das Verschulden nur geringfügig ist. Das Verschulden eines gesetzlichen Vertreters oder eines Erfüllungsgehilfen ist dem Steuerpflichtigen zuzurechnen.
(5) In den Fällen des § 155 Abs. 2 können die in einem Grundlagenbescheid festzustellenden Besteuerungsgrundlagen geschätzt werden.
(1) Die Steuern können, solange der Steuerfall nicht abschließend geprüft ist, allgemein oder im Einzelfall unter dem Vorbehalt der Nachprüfung festgesetzt werden, ohne dass dies einer Begründung bedarf. Die Festsetzung einer Vorauszahlung ist stets eine Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung.
(2) Solange der Vorbehalt wirksam ist, kann die Steuerfestsetzung aufgehoben oder geändert werden. Der Steuerpflichtige kann die Aufhebung oder Änderung der Steuerfestsetzung jederzeit beantragen. Die Entscheidung hierüber kann jedoch bis zur abschließenden Prüfung des Steuerfalls, die innerhalb angemessener Frist vorzunehmen ist, hinausgeschoben werden.
(3) Der Vorbehalt der Nachprüfung kann jederzeit aufgehoben werden. Die Aufhebung steht einer Steuerfestsetzung ohne Vorbehalt der Nachprüfung gleich; § 157 Abs. 1 Satz 1 und 3 gilt sinngemäß. Nach einer Außenprüfung ist der Vorbehalt aufzuheben, wenn sich Änderungen gegenüber der Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung nicht ergeben.
(4) Der Vorbehalt der Nachprüfung entfällt, wenn die Festsetzungsfrist abläuft. § 169 Absatz 2 Satz 2, § 170 Absatz 6 und § 171 Absatz 7, 8 und 10 sind nicht anzuwenden.
Tatbestand
- 1
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I. Der Antragsteller beantragt die Aussetzung der Vollziehung (AdV) der gegen ihn ergangenen Haftungsbescheide während des vom Finanzgericht (FG) zugelassenen Revisionsverfahrens.
- 2
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Der Antragsteller war zunächst zusammen mit einem weiteren Gesellschafter (M) Geschäftsführer einer GmbH, bis M die Geschäftsführung zum 9. Juni 1997 niederlegte. U.a. für die Jahre 1996 und 1997 hatte der Antragsgegner (das Finanzamt --FA--) mangels Abgabe von Umsatzsteuererklärungen gegen die GmbH Schätzungsbescheide erlassen.
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Im April 1999 eröffnete das Amtsgericht das Gesamtvollstreckungsverfahren über das Vermögen der GmbH. Mit Haftungsbescheid vom 30. August 1999 nahm das FA den Antragsteller gemäß §§ 191, 69, 34 der Abgabenordnung (AO) u.a. für Umsatzsteuerschulden der GmbH für die Jahre 1995 bis 1997 in Anspruch. Nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhob der Antragsteller dagegen Klage. Nachdem vom FG wegen Zweifeln am ordnungsgemäß ausgeübten Auswahlermessen AdV gewährt worden war, führte das FA im Sommer 2000 bei der GmbH im Beisein des Antragstellers eine Außenprüfung u.a. für die Umsatzsteuer 1993 bis 1997 durch, die zusätzliche Umsatzsteuerschulden für das Jahr 1996 in Höhe von rd. 105.000 DM und für das Jahr 1997 in Höhe von rd. 150.000 DM ergab.
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Den Haftungsbescheid vom 30. August 1999 hob das FA am 16. März 2001 auf und die Beteiligten erklärten daraufhin den Rechtsstreit vor dem FG für in der Hauptsache erledigt.
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Im Dezember 2001 wurde das Gesamtvollstreckungsverfahren über das Vermögen der GmbH mangels Masse eingestellt.
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Wegen unterlassener Abgabe der Umsatzsteuer-Voranmeldungen für die Monate Oktober bis Dezember 1996 und für die Monate Januar bis August 1997 erließ das FA unter dem 29. Oktober und 10. Dezember 2003 erneut Haftungsbescheide gegen den Antragsteller, weil erst durch die Betriebsprüfung bei der GmbH festgestellte Abschlagszahlungen, die in den Haftungsbescheiden jeweils im Einzelnen aufgeführt waren, nicht zeitgerecht angemeldet und versteuert worden seien.
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Die Einsprüche des Antragstellers blieben erfolglos.
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Die vom Antragsteller gegen die Haftungsbescheide erhobene Klage wies das FG ab. Auf eine von der Rechtsprechung zugelassene Begrenzung seiner Haftung durch eine interne Verteilung von Aufgabenbereichen könne sich der Antragsteller nicht berufen, weil eine solche nicht in der gebotenen Weise klar und eindeutig schriftlich festgelegt worden sei. Als Geschäftsführer sei er verpflichtet gewesen, den nach seinem Vorbringen für den kaufmännischen Bereich zuständigen Mitgeschäftsführer M zu überwachen. Da er nicht einmal versucht habe, sich um die steuerlichen Angelegenheiten der GmbH selbst zu kümmern oder jedenfalls M zu kontrollieren, habe er seine Sorgfaltspflicht in ungewöhnlich hohem Maße verletzt. Soweit der Antragsteller die Höhe der den Haftungsbescheiden zu Grunde liegenden Umsatzsteuern infrage stelle, müsse er zwar nicht die zu Grunde liegenden bestandskräftigen Umsatzsteuerfestsetzungen gegen sich gelten lassen, soweit er während der für die Rechtsbehelfe gegen die Festsetzungen zur Verfügung stehenden Zeit zur Vertretung der GmbH nicht befugt gewesen sei, jedoch sei er seiner Obliegenheit, substantiierte Einwendungen gegen die Steuerfestsetzung im Rahmen seiner Verteidigung gegen die Haftungsbescheide zu erheben, in keiner Weise nachgekommen. Auch habe der Antragsteller versäumt, substantiiert darzulegen, ob und warum das FA die Haftung auf eine angemessene Tilgungsquote habe beschränken müssen. Dies sei erforderlich gewesen, da das FA anhand von Kontoauszügen der GmbH und Aufstellungen über Geldeingänge bei der GmbH festgestellt habe, dass die GmbH in der Lage gewesen wäre, bei fristgerechter Anmeldung der Umsatzsteuer die Steuerschulden auch zu zahlen.
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Die Rücknahme des ursprünglichen Haftungsbescheids vom 30. August 1999 durch Bescheid vom 16. März 2001 habe das FA nicht gehindert, aufgrund des Ergebnisses der 2000 durchgeführten Außenprüfung erneut Haftungsbescheide zu erlassen. Insbesondere sei ein zu Gunsten des Antragstellers wirkender Vertrauenstatbestand deshalb ausgeschlossen, weil er bei der Außenprüfung des FA zugegen gewesen sei und das FA in der Folge ein Strafverfahren gegen ihn eingeleitet habe. Der Antragsteller habe danach keinerlei Anlass gehabt anzunehmen, mit der Aufhebung des ursprünglichen Haftungsbescheids sei die Sache für ihn erledigt.
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Auch durch Eintritt der Festsetzungsverjährung sei das FA nicht gehindert gewesen, den Antragsteller erneut in Haftung zu nehmen.
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Nach Einlegung der vom FG zugelassenen Revision gegen dieses Urteil hat der Antragsteller AdV der angefochtenen Haftungsbescheide beantragt, nachdem das FA einen entsprechenden Antrag mit Bescheid vom 17. Dezember 2010 abgelehnt hatte. Zur Begründung bezieht sich der Antragsteller auf die Revisionsbegründung, mit der er vorträgt:
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Der Inanspruchnahme durch Haftungsbescheid für Steuerschulden der GmbH aus den Jahren 1996 und 1997 stehe der Eintritt der Festsetzungsverjährung entgegen. Die Verjährung bestimme sich nach § 191 Abs. 3 Satz 3 AO. Danach beginne die Verjährung mit der haftungsbegründenden Pflichtverletzung, also mit der Nichtabgabe der Steuererklärungen und der Nichtabführung der sich insoweit ergebenden Zahlungen. Die Umsatzsteuerjahreserklärung habe der Antragsteller in Erfüllung der steuerlichen Pflichten der GmbH gemäß § 18 Abs. 3 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) i.V.m. § 149 Abs. 2 AO spätestens zum 31. Mai des jeweiligen Folgejahres abgeben und die Zahlung bis zum 30. Juni entrichten müssen. Demnach sei die Festsetzungsverjährung bezüglich der Umsatzsteuer 1996 am 31. Dezember 2001 und bezüglich der Umsatzsteuer 1997 am 31. Dezember 2002 eingetreten. Eine Hemmung nach § 191 Abs. 3 Satz 4 AO greife bei der gebotenen teleologischen Auslegung nicht ein, auch wenn vorliegend keine Steuerfestsetzung erfolgt sei. Denn die aufgrund der Außenprüfung festgestellten Mehrsteuern hätten nur deshalb keinen Eingang in eine Steuerfestsetzung gefunden, weil nach Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens eine Steuerfestsetzung auf Basis der Feststellungen der Betriebsprüfung nicht mehr möglich gewesen sei. In diesem Falle greife die Festsetzungsverjährungsfrist ins Leere. Die nach dem Wortlaut des § 191 Abs. 3 Satz 4 1. Variante AO möglicherweise eintretende Ablaufhemmung führe zu einem Rechtsnachteil für den Antragsteller, der mit Sinn und Zweck der Norm nicht vereinbar sei. Die reguläre Haftungsverjährung könne deshalb nicht nach § 191 Abs. 3 Satz 4 1. Variante AO im Ablauf gehemmt sein.
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Abgesehen davon beruhe das Urteil auf einer unzureichenden Sachverhaltsermittlung und das FG habe den Grundsatz der anteiligen Tilgung nicht ausreichend gewürdigt. Die Feststellungslast für eine nicht anteilige, sondern nachteilige Befriedigung des FA trage das FA. Das FG habe --obwohl aufgrund des eröffneten Gesamtvollstreckungsverfahrens erkennbar gewesen sei, dass wegen der sich abzeichnenden Krise die Gläubiger der GmbH nicht vollständig würden befriedigt werden können-- nicht berücksichtigt, dass das FA lediglich geprüft habe, ob die Umsatzsteuerschulden der GmbH nach den jeweiligen Kontoständen aus den vorhandenen Mitteln hätten bezahlt werden können; die aus den Bilanzen der GmbH ersichtlichen Verbindlichkeiten habe das FA außer Acht gelassen und damit den Grundsatz der anteiligen Befriedigung aller Gläubiger "evident" und unter Verletzung der Denkgesetze und Erfahrungssätze missachtet. Für das Vorliegen einer Pflichtverletzung des Antragstellers, die in der Nichtverwendung vorhandener Mittel zur vollen oder anteiligen Befriedigung des FA gelegen habe, trage, was das FG verkannt habe, das FA die objektive Beweislast. Das FG habe ermitteln müssen, mit welcher Quote das FA den Antragsteller habe in Haftung nehmen dürfen.
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Der Antragsteller beantragt, die Vollziehung der Haftungsbescheide des FA in Gestalt der Einspruchsentscheidungen vom 4. Januar 2006 auszusetzen.
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Das FA beantragt, den Antrag abzulehnen.
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Es hält den Antrag und die Revision für unbegründet.
Entscheidungsgründe
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II. Der Antrag, die Vollziehung der Haftungsbescheide auszusetzen, hat keinen Erfolg.
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Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts ganz oder teilweise aussetzen. Die Aussetzung soll erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen (§ 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO).
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Ernstliche Zweifel i.S. von § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO bestehen u.a. dann, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Bescheids neben für seine Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen bewirken (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 10. Februar 1967 III B 9/66, BFHE 87, 447, BStBl III 1967, 182, seitdem ständige Rechtsprechung).
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Derartige ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide bestehen im Streitfall nicht.
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1. Das FA war nicht wegen Festsetzungsverjährung gehindert, die angefochtenen Haftungsbescheide zu erlassen.
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a) Gegenstand der Haftungsbescheide, für welche der Antragsteller Vollziehungsaussetzung begehrt, sind ausschließlich die durch die Betriebsprüfung ermittelten Mehrsteuern, die in den Umsatzsteuerschätzungsbescheiden für 1996 und 1997 nicht erfasst worden sind. Das wird an der betragsmäßigen Übereinstimmung der in der Außenprüfung ermittelten zusätzlichen Umsatzsteuerschulden (104.702 DM --53.533 €-- bzw. 149.862 DM --76.623 €--) und den in den Haftungsbescheiden geltend gemachten Steuern (52.428,40 € bzw. 72.280 €) deutlich und ist vom FA in diesem Verfahren ausdrücklich klargestellt worden. Die vom FG in seinem Urteil erörterte Frage, ob bei Erlass des Haftungsbescheids die Festsetzungsfrist hinsichtlich der Haftung für die nicht erst durch die Betriebsprüfung ermittelten, sondern bereits zuvor (durch Schätzungsbescheid) festgesetzte Steuer abgelaufen war, deretwegen das FG die Revision zugelassen hat, stellt sich mithin weder in diesem noch in dem Revisionsverfahren. Soweit den Ausführungen des FG unter 1.f der Entscheidungsgründe entnommen werden soll, der Antragsteller sei vom FA auch in Haftung für die bereits vom ersten, aufgehobenen Haftungsbescheid erfassten Steuern in Anspruch genommen worden, wäre der beschließende Senat daran in dem Revisionsverfahren nicht gebunden, weil eine solche Feststellung zu den vom FG selbst im Tatbestand seines Urteils getroffenen Feststellungen in Widerspruch steht.
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Hinsichtlich dieser Mehrsteuern hat das FG zutreffend erkannt, dass der Lauf der Haftungsfestsetzungsfrist für die im Jahr 1996 entstandenen Steuern mit Ablauf des Jahres 2003 und für die im Jahr 1997 entstandenen Steuern mit Ablauf des Jahres 2004 endete. Denn nach § 191 Abs. 3 Satz 4 AO endet die Festsetzungsfrist für einen Haftungsbescheid nicht vor Ablauf der für die Steuerfestsetzung geltenden Festsetzungsfrist. Die Festsetzungsfrist für die Umsatzsteuer beginnt, wenn --wie im Streitfall-- keine Steuererklärung eingereicht worden ist, gemäß § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO mit Ablauf des dritten Kalenderjahres, das auf das Kalenderjahr der Entstehung der Steuer folgt. Die Umsatzsteuer entsteht --unbeschadet der Entstehung mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums gemäß § 13 UStG-- als Jahressteuer jedenfalls in dem Zeitpunkt, in dem sie nach § 16 Abs. 1 und Abs. 2 UStG berechenbar ist. Das ist das Ende des Besteuerungszeitraums, mithin das Ende des Kalenderjahres (BFH-Urteil vom 9. Mai 1996 V R 62/94, BFHE 181, 188, BStBl II 1996, 662). Für die im Jahr 1996 entstandenen Steuern begann die Festsetzungsfrist also mit Ablauf des Jahres 1999 und für die im Jahr 1997 entstandenen Steuern mit Ablauf des Jahres 2000. Sie endete gemäß § 191 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO nach vier Jahren, also 2003 bzw. 2004, und damit erst nach Ergehen der Haftungsbescheide.
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b) Entgegen der Auffassung des Antragstellers steht der Anwendung des § 191 Abs. 3 Satz 4 AO nicht entgegen, dass nach Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens eine Steuerfestsetzung auf Basis der Feststellungen der Betriebsprüfung nicht mehr möglich gewesen ist. Zwar ist richtig, dass § 191 Abs. 3 Satz 4 AO darauf abzielt, die Haftungsverjährung nicht vor Ablauf der Steuerfestsetzungsfrist eintreten zu lassen (Klein/ Rüsken, AO, 10. Aufl., § 191 Rz 95 bis 95c, m.w.N.). Gleichwohl ist die Anwendung der Norm nicht deshalb ausgeschlossen, weil mit Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens das Steuerfestsetzungsverfahren unterbrochen ist (vgl. zur Unterbrechung: Hess/Binz/Wienberg, Gesamtvollstreckungsordnung --GesO--, § 5 Rz 43) und deshalb eine Steuerfestsetzung --jedenfalls einstweilen-- nicht erfolgen kann. Denn § 191 Abs. 3 Satz 4 AO ist dahin auszulegen, dass die Festsetzungsfrist für einen Haftungsbescheid nicht endet, solange die Steuer noch geltend gemacht werden kann, sei es durch Festsetzung, sei es in anderer, im Einzelfall durch Gesetz (hier: die Insolvenzordnung) vorgeschriebenen Weise. Deshalb ist hier entscheidend, dass die Feststellung der angemeldeten Steuerforderung zur Tabelle wirkt wie die Steuerfestsetzung, der Feststellungsvermerk der Tabelle gilt als Titel für die nachfolgende Einzelzwangsvollstreckung, wenn bzw. soweit die Forderung im Gesamtvollstreckungsverfahren ausgefallen ist (Hess/Binz/ Wienberg, GesO, § 18 Rz 93, 97).
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Sollte das FA die dem Haftungsbescheid zugrunde liegenden Steuerforderungen wirksam zur Tabelle angemeldet haben --was im Urteil des FG nicht festgestellt, nach den Angaben des FA aber anzunehmen ist-- und damit die einer Steuerfestsetzung vergleichbare Wirkung eingetreten sein, schlösse dies nicht die Anlaufhemmung nach § 191 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO aus.
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§ 191 Abs. 3 Satz 4 2. Variante AO, der das Ende der Festsetzungsfrist für die Haftung in den Fällen, in denen die Steuer festgesetzt ist, entsprechend § 171 Abs. 10 AO bestimmt, steht dem nicht entgegen. Denn danach endet die Festsetzungsfrist nicht vor Ablauf von zwei Jahren nach Bekanntgabe des Steuerbescheids. Die Norm bestimmt demnach keinen absoluten Endzeitpunkt, sondern den frühesten Zeitpunkt des Verjährungseintritts. Auf den Beginn des Fristlaufs hat die Regelung keine Auswirkung.
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c) Die Anlaufhemmung nach § 191 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Nr. 1 AO ist auch --wie das FG zutreffend ausgeführt hat-- trotz der Bestimmung des § 191 Abs. 3 Satz 3 AO zu beachten, wonach die Festsetzungsfrist mit Ablauf des Kalenderjahres beginnt, in dem der Tatbestand verwirklicht worden ist, an den das Gesetz die Haftungsfolge knüpft. Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers knüpft an die Nichtabgabe der Steuererklärung für die GmbH an. Die betreffende Pflicht begründet § 34 AO, und zwar im Rahmen eines eigenen Pflichtverhältnisses zur Finanzverwaltung; die gesetzlichen Vertreter und Geschäftsführer sind Steuerpflichtige i.S. des § 33 Abs. 1 AO kraft eigener steuerrechtlicher Pflichten und nicht kraft abgeleiteter Pflichten (vgl. BFH-Urteil vom 27. Juni 1989 VIII R 73/84, BFHE 158, 103, BStBl II 1989, 955; Klein/Rüsken, a.a.O., § 34 Rz 1 f.). Entgegen der Auffassung des Antragstellers ist die vom FG zitierte BFH-Rechtsprechung folglich entsprechend anwendbar (vgl. Beschluss vom 22. Januar 2003 V B 122/02, BFH/NV 2003, 645; Urteil vom 9. August 2000 I R 95/99, BFHE 193, 12, BStBl II 2001, 13).
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2. Das FG ist auch rechtsfehlerfrei zu dem Ergebnis gelangt, dass das FA den Kläger in voller Höhe der rückständigen Steuern in Haftung nehmen durfte.
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Der Senat hat keinen Zweifel daran, dass das FG die Haftungsvoraussetzungen nach § 69 AO i.V.m. § 34 AO dem Grunde nach zu Recht bejaht und einen auf der Rücknahme des ursprünglichen Haftungsbescheids vom 30. August 1999 beruhenden Vertrauenstatbestand verneint hat. Da der Kläger dagegen keine Einwände erhoben hat, bezieht sich der Senat insoweit auf die Ausführungen im finanzgerichtlichen Urteil.
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Auch die Ausführungen zur vollen Haftung des Klägers ohne Berücksichtigung einer Tilgungsquote halten einer summarischen Überprüfung stand. Anders als der Kläger meint, hat das FG ihm nicht die Feststellungslast für eine nur anteilige, der Befriedigung der übrigen Gläubiger entsprechende Haftung auferlegt. Es hat seiner Entscheidung vielmehr ausdrücklich die Rechtsprechung des erkennenden Senats (Urteil vom 27. Februar 2007 VII R 60/05, BFHE 216, 487, BStBl II 2008, 508) zu Grunde gelegt, dass das FA unter Berücksichtigung der vorhandenen Daten und Zahlen die Haftungsquote zu ermitteln oder --soweit der Sachverhalt nicht aufgeklärt werden kann-- im Schätzungswege die Quote festzustellen habe, die der Wahrscheinlichkeit am nächsten kommt. Dieser demnach dem FA auferlegten Feststellungsverpflichtung ist das FA nach Überzeugung des FG in dem ihm nach Auswertung des Betriebsprüfungsergebnisses möglichen Umfang nachgekommen, indem es anhand von Kontoauszügen der GmbH und Aufstellungen über Geldeingänge bei der GmbH festgestellt habe, dass die GmbH in der Lage gewesen wäre, bei fristgerechten Anmeldungen der Umsatzsteuer die Steuerschulden zu den jeweiligen Fälligkeitsterminen auch zu zahlen. Der Vorwurf des Klägers, das FG habe nicht beachtet, dass das FA wegen Nichtberücksichtigung der aus den Prüferbilanzen ersichtlichen Verbindlichkeiten den Grundsatz der anteiligen Befriedigung aller Gläubiger "evident" und unter Verletzung der Denkgesetze und Erfahrungssätze unberücksichtigt gelassen habe, geht fehl. Da das FG das Vorbringen des Klägers dahin gewürdigt hat, dass er die Richtigkeit der Feststellungen des FA nur unsubstantiiert bezweifele, insbesondere nicht dargelegt habe, ob und warum nur eine Haftung in Höhe eines bestimmten Teils der Umsatzsteuerschulden in Betracht komme, bestand keine Veranlassung für das FG zu weiteren Sachverhaltsermittlungen von Amts wegen nach § 76 FGO. Insbesondere musste sich diese dem FG nicht wegen der Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens im April 1999 aufdrängen, da das FA die Zahlungsfähigkeit zu den Fälligkeitsterminen der Umsatzsteuer-Voranmeldungen 1996 und 1997, also weit vor Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens, ermittelt hatte. Es wäre vielmehr Aufgabe des nach § 90 AO insoweit zur Mitwirkung verpflichteten Klägers gewesen, substantiierte Einwände, wie im Rahmen der Revisionsbegründung angedeutet, spätestens im finanzgerichtlichen Verfahren vorzubringen (vgl. Senatsbeschluss vom 31. März 2000 VII B 187/99, BFH/NV 2000, 1322). Die Folgen der mangelnden Mitwirkung hat der Kläger zu tragen.
Tatbestand
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I. Streitig ist, ob hinsichtlich gesondert und einheitlich festgestellter Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften nach § 22 Nr. 2, § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) ein bestandskräftiger Einkommensteuerbescheid nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) geändert oder nach § 129 AO berichtigt werden kann.
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Die Antragsteller wurden im Streitjahr 2007 beim Antragsgegner (Finanzamt --FA--) zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. In ihrer am 27. Februar 2009 eingereichten Einkommensteuererklärung erklärten die Antragsteller auf der Rückseite der Anlage SO in den Zeilen 58 und 59 ("Anteile an Einkünften --einschließlich des steuerfreien Teils der Einkünfte, für die das Halbeinkünfteverfahren gilt--") unter der Kennziffer (Kz.) 55.134 einen Betrag von 2.095.500 €. In der Zeile 60, Kz. 55.136 ("In Zeile 59 enthaltene Einkünfte, für die das Halbeinkünfteverfahren gilt") war kein Eintrag enthalten. Die "Beteiligungen an privaten Veräußerungsgeschäften 2007" waren in einer gesonderten Anlage zur Einkommensteuererklärung wie folgt erläutert:
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X-/Y-Straße
111/1111/1111
558.707 €
Z-Straße
222/2222/2222
1.536.793 €
Summe
2.095.500 €
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In Bezug auf die übrigen Einkünfte des Antragstellers aus privaten Veräußerungsgeschäften waren die Angaben in den Zeilen 41 bis 50 der Anlage SO in einer insgesamt drei Seiten umfassenden "Ergänzungsliste zur Anlage SO" näher erläutert. Dabei wurden detaillierte Angaben zu den einzelnen Beträgen, die "dem Halbeinkünfteverfahren unterliegen" und die "nicht dem Halbeinkünfteverfahren unterliegen" gemacht.
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Mit Einkommensteuerbescheid 2007 vom 4. September 2009 wurde vom FA die Einkommensteuer auf 0 € festgesetzt. Die Einkünfte des Antragstellers aus privaten Veräußerungsgeschäften wurden mit 1.047.934 € angesetzt. Ursache für diesen --unstreitig fehlerhaften-- Ansatz war der Umstand, dass der in Kz. 55.134 eingetragene Betrag von 2.095.500 € durch den Bearbeiter irrtümlich auch unter der Kz. 55.136 ("In Zeile 59 enthaltene Einkünfte, für die das Halbeinkünfteverfahren gilt") erfasst wurde. Die Einkommensteuerveranlagung der Antragsteller war dabei nicht nur vom zuständigen Sachbearbeiter, sondern auch von der Qualitätssicherungsstelle des FA überprüft worden. Am 28. Dezember 2009 und am 9. September 2010 wurde der Einkommensteuerbescheid aus nicht streitigen Gründen geändert. Die Berücksichtigung der streitigen Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften mit dem Halbeinkünfteverfahren blieb bestehen.
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Das FA A hatte unter der Steuer-Nr. 222/2222/2222 betreffend die "Grundbesitzgesellschaft Z-Straße" mit Feststellungsbescheid vom 22. Januar 2009 die auf den Antragsteller entfallenen Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften in Höhe von 1.536.793,50 € mitgeteilt. Das FA B stellte unter der Steuer-Nr. 111/1111/1111 betreffend die "X-/Y-Straße Grundstücksgemeinschaft" die Einkünfte mit Feststellungsbescheid vom 12. April 2010 fest. Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften wurden für den Antragsteller mit 558.707 € festgestellt. Hinweise oder Feststellungen zur Anwendung des Halbeinkünfteverfahrens enthielten beide Feststellungsbescheide nicht.
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Am 16. März 2011 erließ das FA einen geänderten und auf § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO gestützten Änderungsbescheid, in dem es die Einkünfte des Antragstellers aus privaten Veräußerungsgeschäften mit 2.095.684 € ohne Anwendung des Halbeinkünfteverfahrens ansetzte. Der von den Antragstellern gegen den Änderungsbescheid eingelegte Einspruch blieb ohne Erfolg.
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Das Finanzgericht (FG) wies die von den Antragstellern erhobene Klage als unbegründet ab. Das FA habe zu Recht auf der Grundlage von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO am 16. März 2011 einen geänderten Einkommensteuerbescheid erlassen und die Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften ohne Anwendung des Halbeinkünfteverfahrens angesetzt. Denn in den jeweiligen Feststellungsbescheiden sei mit Bindungswirkung für die Einkommensteuerbescheide konkludent negativ festgestellt worden, dass diese Einkünfte nicht dem Halbeinkünfteverfahren unterlägen. Es spreche einiges dafür, das Halbeinkünfteverfahren auf der Grundlage der "Nettomethode" bereits auf der Ebene der Gesellschaft/Gemeinschaft zu berücksichtigen. Soweit nach der "Bruttomethode" Anteile i.S. des § 3 Nr. 40 EStG lediglich "nachrichtlich" vom Feststellungsfinanzamt dem Festsetzungsfinanzamt gemeldet werden und bei Letzterem die Entscheidung über die Anwendung des Halbeinkünfteverfahrens getroffen werde, sei dem nicht zu folgen. Vielmehr sei die "modifizierte Bruttomethode" vorzuziehen, wonach dem Halbeinkünfteverfahren unterfallende Anteile vom Feststellungsfinanzamt als andere Besteuerungsgrundlagen mit Bindungswirkung für das Festsetzungsfinanzamt festgestellt werden. Daher folge hier bereits aus den Feststellungsbescheiden, dass hinsichtlich der streitigen Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften die Anwendung des Halbeinkünfteverfahrens ausgeschlossen gewesen sei. Darüber hinaus habe aber auch die Befugnis des FA bestanden, den Fehler, der bei Erlass des erstmaligen Einkommensteuerbescheids unterlaufen sei, wegen einer offenbaren Unrichtigkeit nach § 129 Satz 1 AO zu berichtigen. Die zusätzliche Erfassung des nur in der Kz. 55.134 eingetragenen Betrags von 2.095.500 € auch unter der Kz. 55.136 habe nicht auf einem die Berichtigung ausschließenden Tatsachen- oder Rechtsirrtum, sondern auf einem rein mechanischen Versehen beruht. Spuren einer Willensbildung des Bearbeiters seien hierzu nicht ersichtlich. Vielmehr verdeutliche gerade der zeitliche Ablauf der Veranlagung, dass bei der Dateneingabe ein rein mechanisches Versehen vorgelegen habe.
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Mit ihrer dagegen unter dem Aktenzeichen IX B 118/14 erhobenen Nichtzulassungsbeschwerde und ihrem dazu gestellten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) bringen die Antragsteller vor: Die Frage, ob die Anwendung des § 3 Nr. 40 EStG im Verfahren der gesonderten und einheitlichen Feststellung mit Bindungswirkung erfolge oder erst auf der Ebene des Steuerpflichtigen im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung durchzuführen sei, sei von grundsätzlicher Bedeutung. Im Schrifttum werde dazu die Auffassung vertreten, die Anwendung des Halbeinkünfteverfahrens erfolge erst auf der Ebene des Veranlagungsfinanzamts. Zudem sei auch die Frage von grundsätzlicher Bedeutung, ob ein mechanisches Versehen i.S. des § 129 AO auch dann noch vorliegen könne, wenn die Veranlagung von der Qualitätssicherungsstelle des FA geprüft und dieser der Fehler nicht aufgefallen sei. Gehe es um die Frage der Anwendung des Halbeinkünfteverfahrens, liege ein Fehler in der Rechtsanwendung vor, der eine Änderung nach § 129 AO ausschließe. Schließlich liege auch ein Verfahrensfehler vor. Denn ihnen sei die Akteneinsicht in die erstmals in der mündlichen Verhandlung vorgelegten "Einkommensteuerhandakten" verwehrt worden. Dabei sei von ihnen schriftsätzlich ausdrücklich Akteneinsicht beantragt worden. Auch habe das FG von einer Zeugenvernehmung des Sachgebietsleiters der Qualitätssicherungsstelle, die sich in der mündlichen Verhandlung aufgedrängt habe, Abstand genommen. Soweit sich das FG nunmehr auf den Ablauf der Veranlagung stütze, stelle die angegriffene Entscheidung sich als Überraschungsentscheidung dar.
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Am 27. Oktober 2011 und am 24. August 2012 sind aus jeweils nicht streitigen Gründen Änderungsbescheide zur Einkommensteuer 2007 erlassen worden. Ein am 17. Oktober 2014 von den Antragstellern beim FA gestellter Antrag auf AdV ist abgelehnt worden.
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Die Antragsteller beantragen sinngemäß,
die Vollziehung des Einkommensteuerbescheids für 2007 vom 16. März 2011 in Gestalt der Änderungsbescheide vom 27. Oktober 2011 und vom 24. August 2012 ab Fälligkeit in Höhe von 437.675 € auszusetzen.
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Das FA beantragt,
den Antrag auf AdV abzulehnen.
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Nach Auffassung des FA könne die AdV bereits deswegen nicht gewährt werden, weil die eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde unzulässig sei. Denn der geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung sei nicht hinreichend dargelegt worden. Auch habe die Nichtzulassungsbeschwerde in der Sache keine Erfolgsaussichten, so dass auch aus diesem Grund eine AdV ausscheide. Gehe es um die Frage der Einkünftezuordnung bei den einzelnen Gesellschaftern aufgrund von außerhalb der Gesellschaft verwirklichten Besteuerungsmerkmalen, sei dafür das Festsetzungsfinanzamt zuständig. Gehe es darum, die dem Halbeinkünfteverfahren unterfallenden Beträge als sonstige Besteuerungsgrundlagen gesondert festzustellen, sei das Feststellungsfinanzamt zuständig. Die Frage, wann eine offenbare Unrichtigkeit vorliege, sei höchstrichterlich geklärt. Ob dies auch gelte, wenn der Fall zusätzlich von der Qualitätssicherungsstelle punktuell geprüft werde, sei eine Frage des Einzelfalls.
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Mit Beschluss vom heutigen Tag hat der Senat unter dem Aktenzeichen IX B 118/14 die Revision zugelassen. Das Revisionsverfahren hat das Aktenzeichen IX R 4/15 erhalten.
Entscheidungsgründe
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II. Der Antrag auf AdV ist zulässig und begründet.
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1. Der Antrag ist zulässig. Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts ganz oder teilweise aussetzen. Ein diesbezüglicher Antrag ist nach § 69 Abs. 4 FGO nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf AdV ganz oder teilweise abgelehnt hat. Da die Antragsteller eine Nichtzulassungsbeschwerde erhoben haben, ist der Bundesfinanzhof (BFH) das Gericht der Hauptsache i.S. von § 69 Abs. 3 FGO. Auch sind die Zugangsvoraussetzungen des § 69 Abs. 4 FGO für die unmittelbare Anrufung des BFH erfüllt. Das FA hat einen Antrag auf AdV abgelehnt.
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2. Der Antrag ist begründet. Es bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids i.S. des § 69 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO.
- 18
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a) Ernstliche Zweifel liegen vor, wenn bei summarischer Prüfung des Verwaltungsakts gewichtige Umstände zutage treten, die Unentschiedenheit in der Beurteilung der entscheidungserheblichen Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung entscheidungserheblicher Tatfragen bewirken (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 27. Oktober 2009 IX B 171/09, BFH/NV 2010, 409, m.w.N.). Solche ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Steuerbescheids können schon dann bestehen, wenn ernstlich mit einer Zulassung der Revision zu rechnen ist (vgl. z.B. Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 69 Rz 97, m.w.N. aus der Rechtsprechung des BFH). Aufgrund der mit Beschluss vom heutigen Tage erfolgten Zulassung der Revision sind daher ernstliche Zweifel im Sinne der Vorschrift gegeben.
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b) Es ist ernstlich zweifelhaft, ob das FG die streitige Änderung auf § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO und hilfsweise auf § 129 AO stützen konnte. Die Frage, ob die Anwendung des Halbeinkünfteverfahrens bei gesondert und einheitlich festgestellten Einkünften aus privaten Veräußerungsgeschäften auch bei fehlenden Angaben dazu konkludent Inhalt des Feststellungsbescheids ist und auch in Bezug auf die Anwendung des Halbeinkünfteverfahrens zu einer Änderung nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO führen kann oder ob über die volle oder hälftige Besteuerung erst im Folgebescheid zu entscheiden ist, ist bislang höchstrichterlich nicht geklärt. Die Entscheidung des BFH vom 18. Juli 2012 X R 28/10 (BFHE 238, 484, BStBl II 2013, 444) betraf den Fall, dass im Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen bindende Angaben zu den dem Halbeinkünfteverfahren unterfallenden Einkünften vorhanden waren.
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Zwar spricht der Wortlaut des § 3 Nr. 40 Satz 1 Buchst. a bis j EStG in der im Streitjahr 2007 geltenden Fassung nach der im Aussetzungsverfahren gebotenen summarischen Prüfung dafür, dass die hälftige Steuerbefreiung bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen bereits im Rahmen der Einkünfteermittlung und damit auf Ebene des Feststellungsbescheids zu berücksichtigen ist (vgl. Engel, Der Betrieb 2003, 1811, 1815; Nacke in Herrmann/Heuer/Raupach, § 3 Nr. 40 EStG Rz 48). Werden die Einnahmen "brutto" festgestellt, muss für eine Anwendung des Halbeinkünfteverfahrens im Folgebescheid für einen verständigen Empfänger dann aus dem Grundlagenbescheid aber zweifelsfrei erkennbar sein, dass zur Ermittlung der steuerpflichtigen Einkünfte ein weiterer Rechenschritt nötig ist (vgl. Brandis in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 180 AO Rz 56; Griemla, Finanz-Rundschau --FR-- 2005, 719, 723; Isler, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2013, 137 f.; Klein/Ratschow, AO, 12. Aufl., § 180 Rz 15). Fehlende (ergänzende) Angaben zum Halbeinkünfteverfahren im Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung führen dann zwingend zum Ansatz der Einkünfte im Folgebescheid in voller Höhe. In diesem Fall wären aufgrund der Anpassungsverpflichtung nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO vom FA zu Recht die Einkünfte in voller Höhe im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung erfasst worden.
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Im Schrifttum und auch seitens der Finanzverwaltung wird jedoch auch die Auffassung vertreten, über die Anwendung der hälftigen Steuerbefreiung werde bindend erst im Festsetzungsverfahren hinsichtlich des Folgebescheids entschieden (vgl. Blümich/Erhard, § 3 Nr. 40 EStG Rz 5; Scholten/Griemla/Kinalzik, FR 2010, 259, 264; Ministerium für Finanzen und Bundesangelegenheiten des Saarlandes, Verfügung vom 28. Juni 2005 B/2-3-108/2005-S 2120, juris; offen Söhn in Hübschmann/Hepp/ Spitaler, § 180 AO Rz 229a). In diesem Fall stellt sich bei summarischer Prüfung die fehlerhafte Erfassung der Einkünfte unter Anwendung des Halbeinkünfteverfahrens als materiell-rechtlicher Fehler auf der Ebene des Folgebescheids dar, der nicht von der Anpassungspflicht nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO erfasst ist (vgl. für den Fall einer fehlerhaften Anwendung der Tarifbegrenzung des § 32c EStG BFH-Urteil vom 22. August 2007 X R 39/02, BFHE 218, 503, BStBl II 2008, 4). In diesem Fall ist bei summarischer Prüfung auch zweifelhaft, ob die --unstreitig fehlerhafte-- Anwendung des Halbeinkünfteverfahrens die Annahme einer Änderungsmöglichkeit wegen einer offenbaren Unrichtigkeit nach § 129 AO ermöglicht. Dies gilt auch vor dem Hintergrund, dass die Veranlagung der Antragsteller als "I-Fall" sowohl vom Sachbearbeiter der Veranlagungsstelle als auch vom Sachbearbeiter der Qualitätssicherungsstelle sowie vom zuständigen Sachgebietsleiter in vollem Umfang zu prüfen war.
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3. Unentschieden kann daher bleiben, ob auch die von den Antragstellern aufgeworfenen Verfahrensfehler zu einer Zulassung der Revision und damit zur Annahme von ernstlichen Zweifeln geführt hätten.
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
(1) Ein Verwaltungsakt ist nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig ist.
(2) Ohne Rücksicht auf das Vorliegen der Voraussetzungen des Absatzes 1 ist ein Verwaltungsakt nichtig,
- 1.
der schriftlich oder elektronisch erlassen worden ist, die erlassende Finanzbehörde aber nicht erkennen lässt, - 2.
den aus tatsächlichen Gründen niemand befolgen kann, - 3.
der die Begehung einer rechtswidrigen Tat verlangt, die einen Straf- oder Bußgeldtatbestand verwirklicht, - 4.
der gegen die guten Sitten verstößt.
(3) Ein Verwaltungsakt ist nicht schon deshalb nichtig, weil
- 1.
Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit nicht eingehalten worden sind, - 2.
eine nach § 82 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 bis 6 und Satz 2 ausgeschlossene Person mitgewirkt hat, - 3.
ein durch Rechtsvorschrift zur Mitwirkung berufener Ausschuss den für den Erlass des Verwaltungsakts vorgeschriebenen Beschluss nicht gefasst hat oder nicht beschlussfähig war, - 4.
die nach einer Rechtsvorschrift erforderliche Mitwirkung einer anderen Behörde unterblieben ist.
(4) Betrifft die Nichtigkeit nur einen Teil des Verwaltungsakts, so ist er im Ganzen nichtig, wenn der nichtige Teil so wesentlich ist, dass die Finanzbehörde den Verwaltungsakt ohne den nichtigen Teil nicht erlassen hätte.
(5) Die Finanzbehörde kann die Nichtigkeit jederzeit von Amts wegen feststellen; auf Antrag ist sie festzustellen, wenn der Antragsteller hieran ein berechtigtes Interesse hat.
(1) Wer kraft Gesetzes für eine Steuer haftet (Haftungsschuldner), kann durch Haftungsbescheid, wer kraft Gesetzes verpflichtet ist, die Vollstreckung zu dulden, kann durch Duldungsbescheid in Anspruch genommen werden. Die Anfechtung wegen Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis außerhalb des Insolvenzverfahrens erfolgt durch Duldungsbescheid, soweit sie nicht im Wege der Einrede nach § 9 des Anfechtungsgesetzes geltend zu machen ist; bei der Berechnung von Fristen nach den §§ 3 und 4 des Anfechtungsgesetzes steht der Erlass eines Duldungsbescheids der gerichtlichen Geltendmachung der Anfechtung nach § 7 Abs. 1 des Anfechtungsgesetzes gleich. Die Bescheide sind schriftlich oder elektronisch zu erteilen.
(2) Bevor gegen einen Rechtsanwalt, Patentanwalt, Notar, Steuerberater, Steuerbevollmächtigten, Wirtschaftsprüfer oder vereidigten Buchprüfer wegen einer Handlung im Sinne des § 69, die er in Ausübung seines Berufs vorgenommen hat, ein Haftungsbescheid erlassen wird, gibt die Finanzbehörde der zuständigen Berufskammer Gelegenheit, die Gesichtspunkte vorzubringen, die von ihrem Standpunkt für die Entscheidung von Bedeutung sind.
(3) Die Vorschriften über die Festsetzungsfrist sind auf den Erlass von Haftungsbescheiden entsprechend anzuwenden. Die Festsetzungsfrist beträgt vier Jahre, in den Fällen des § 70 bei Steuerhinterziehung zehn Jahre, bei leichtfertiger Steuerverkürzung fünf Jahre, in den Fällen des § 71 zehn Jahre. Die Festsetzungsfrist beginnt mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem der Tatbestand verwirklicht worden ist, an den das Gesetz die Haftungsfolge knüpft. Ist die Steuer, für die gehaftet wird, noch nicht festgesetzt worden, so endet die Festsetzungsfrist für den Haftungsbescheid nicht vor Ablauf der für die Steuerfestsetzung geltenden Festsetzungsfrist; andernfalls gilt § 171 Abs. 10 sinngemäß. In den Fällen der §§ 73 und 74 endet die Festsetzungsfrist nicht, bevor die gegen den Steuerschuldner festgesetzte Steuer verjährt (§ 228) ist.
(4) Ergibt sich die Haftung nicht aus den Steuergesetzen, so kann ein Haftungsbescheid ergehen, solange die Haftungsansprüche nach dem für sie maßgebenden Recht noch nicht verjährt sind.
(5) Ein Haftungsbescheid kann nicht mehr ergehen,
Dies gilt nicht, wenn die Haftung darauf beruht, dass der Haftungsschuldner Steuerhinterziehung oder Steuerhehlerei begangen hat.(1) Ein Verwaltungsakt muss inhaltlich hinreichend bestimmt sein.
(2) Ein Verwaltungsakt kann schriftlich, elektronisch, mündlich oder in anderer Weise erlassen werden. Ein mündlicher Verwaltungsakt ist schriftlich zu bestätigen, wenn hieran ein berechtigtes Interesse besteht und die betroffene Person dies unverzüglich verlangt.
(3) Ein schriftlich oder elektronisch erlassener Verwaltungsakt muss die erlassende Behörde erkennen lassen. Ferner muss er die Unterschrift oder die Namenswiedergabe des Behördenleiters, seines Vertreters oder seines Beauftragten enthalten; dies gilt nicht für einen Verwaltungsakt, der formularmäßig oder mit Hilfe automatischer Einrichtungen erlassen wird. Ist für einen Verwaltungsakt durch Gesetz eine Schriftform angeordnet, so muss bei einem elektronischen Verwaltungsakt auch das der Signatur zugrunde liegende qualifizierte Zertifikat oder ein zugehöriges qualifiziertes Attributzertifikat die erlassende Behörde erkennen lassen. Im Falle des § 87a Absatz 4 Satz 3 muss die Bestätigung nach § 5 Absatz 5 des De-Mail-Gesetzes die erlassende Finanzbehörde als Nutzer des De-Mail-Kontos erkennen lassen.
(1) Der Arbeitgeber haftet
- 1.
für die Lohnsteuer, die er einzubehalten und abzuführen hat, - 2.
für die Lohnsteuer, die er beim Lohnsteuer-Jahresausgleich zu Unrecht erstattet hat, - 3.
für die Einkommensteuer (Lohnsteuer), die auf Grund fehlerhafter Angaben im Lohnkonto oder in der Lohnsteuerbescheinigung verkürzt wird, - 4.
für die Lohnsteuer, die in den Fällen des § 38 Absatz 3a der Dritte zu übernehmen hat.
(2) Der Arbeitgeber haftet nicht, soweit Lohnsteuer nach § 39 Absatz 5 oder § 39a Absatz 5 nachzufordern ist und in den vom Arbeitgeber angezeigten Fällen des § 38 Absatz 4 Satz 2 und 3 und des § 41c Absatz 4.
(3)1Soweit die Haftung des Arbeitgebers reicht, sind der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer Gesamtschuldner.2Das Betriebsstättenfinanzamt kann die Steuerschuld oder Haftungsschuld nach pflichtgemäßem Ermessen gegenüber jedem Gesamtschuldner geltend machen.3Der Arbeitgeber kann auch dann in Anspruch genommen werden, wenn der Arbeitnehmer zur Einkommensteuer veranlagt wird.4Der Arbeitnehmer kann im Rahmen der Gesamtschuldnerschaft nur in Anspruch genommen werden,
- 1.
wenn der Arbeitgeber die Lohnsteuer nicht vorschriftsmäßig vom Arbeitslohn einbehalten hat, - 2.
wenn der Arbeitnehmer weiß, dass der Arbeitgeber die einbehaltene Lohnsteuer nicht vorschriftsmäßig angemeldet hat.2Dies gilt nicht, wenn der Arbeitnehmer den Sachverhalt dem Finanzamt unverzüglich mitgeteilt hat.
(4)1Für die Inanspruchnahme des Arbeitgebers bedarf es keines Haftungsbescheids und keines Leistungsgebots, soweit der Arbeitgeber
- 1.
die einzubehaltende Lohnsteuer angemeldet hat oder - 2.
nach Abschluss einer Lohnsteuer-Außenprüfung seine Zahlungsverpflichtung schriftlich anerkennt.
(5) Von der Geltendmachung der Steuernachforderung oder Haftungsforderung ist abzusehen, wenn diese insgesamt 10 Euro nicht übersteigt.
(6)1Soweit einem Dritten (Entleiher) Arbeitnehmer im Sinne des § 1 Absatz 1 Satz 1 des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 3. Februar 1995 (BGBl. I S. 158), das zuletzt durch Artikel 26 des Gesetzes vom 20. Dezember 2011 (BGBl. I S. 2854) geändert worden ist, zur Arbeitsleistung überlassen werden, haftet er mit Ausnahme der Fälle, in denen eine Arbeitnehmerüberlassung nach § 1 Absatz 3 des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes vorliegt, neben dem Arbeitgeber.2Der Entleiher haftet nicht, wenn der Überlassung eine Erlaubnis nach § 1 des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes in der jeweils geltenden Fassung zugrunde liegt und soweit er nachweist, dass er den nach § 51 Absatz 1 Nummer 2 Buchstabe d vorgesehenen Mitwirkungspflichten nachgekommen ist.3Der Entleiher haftet ferner nicht, wenn er über das Vorliegen einer Arbeitnehmerüberlassung ohne Verschulden irrte.4Die Haftung beschränkt sich auf die Lohnsteuer für die Zeit, für die ihm der Arbeitnehmer überlassen worden ist.5Soweit die Haftung des Entleihers reicht, sind der Arbeitgeber, der Entleiher und der Arbeitnehmer Gesamtschuldner.6Der Entleiher darf auf Zahlung nur in Anspruch genommen werden, soweit die Vollstreckung in das inländische bewegliche Vermögen des Arbeitgebers fehlgeschlagen ist oder keinen Erfolg verspricht; § 219 Satz 2 der Abgabenordnung ist entsprechend anzuwenden.7Ist durch die Umstände der Arbeitnehmerüberlassung die Lohnsteuer schwer zu ermitteln, so ist die Haftungsschuld mit 15 Prozent des zwischen Verleiher und Entleiher vereinbarten Entgelts ohne Umsatzsteuer anzunehmen, solange der Entleiher nicht glaubhaft macht, dass die Lohnsteuer, für die er haftet, niedriger ist.8Die Absätze 1 bis 5 sind entsprechend anzuwenden.9Die Zuständigkeit des Finanzamts richtet sich nach dem Ort der Betriebsstätte des Verleihers.
(7) Soweit der Entleiher Arbeitgeber ist, haftet der Verleiher wie ein Entleiher nach Absatz 6.
(8)1Das Finanzamt kann hinsichtlich der Lohnsteuer der Leiharbeitnehmer anordnen, dass der Entleiher einen bestimmten Teil des mit dem Verleiher vereinbarten Entgelts einzubehalten und abzuführen hat, wenn dies zur Sicherung des Steueranspruchs notwendig ist; Absatz 6 Satz 4 ist anzuwenden.2Der Verwaltungsakt kann auch mündlich erlassen werden.3Die Höhe des einzubehaltenden und abzuführenden Teils des Entgelts bedarf keiner Begründung, wenn der in Absatz 6 Satz 7 genannte Prozentsatz nicht überschritten wird.
(9)1Der Arbeitgeber haftet auch dann, wenn ein Dritter nach § 38 Absatz 3a dessen Pflichten trägt.2In diesen Fällen haftet der Dritte neben dem Arbeitgeber.3Soweit die Haftung des Dritten reicht, sind der Arbeitgeber, der Dritte und der Arbeitnehmer Gesamtschuldner.4Absatz 3 Satz 2 bis 4 ist anzuwenden; Absatz 4 gilt auch für die Inanspruchnahme des Dritten.5Im Fall des § 38 Absatz 3a Satz 2 beschränkt sich die Haftung des Dritten auf die Lohnsteuer, die für die Zeit zu erheben ist, für die er sich gegenüber dem Arbeitgeber zur Vornahme des Lohnsteuerabzugs verpflichtet hat; der maßgebende Zeitraum endet nicht, bevor der Dritte seinem Betriebsstättenfinanzamt die Beendigung seiner Verpflichtung gegenüber dem Arbeitgeber angezeigt hat.6In den Fällen des § 38 Absatz 3a Satz 7 ist als Haftungsschuld der Betrag zu ermitteln, um den die Lohnsteuer, die für den gesamten Arbeitslohn des Lohnzahlungszeitraums zu berechnen und einzubehalten ist, die insgesamt tatsächlich einbehaltene Lohnsteuer übersteigt.7Betrifft die Haftungsschuld mehrere Arbeitgeber, so ist sie bei fehlerhafter Lohnsteuerberechnung nach dem Verhältnis der Arbeitslöhne und für nachträglich zu erfassende Arbeitslohnbeträge nach dem Verhältnis dieser Beträge auf die Arbeitgeber aufzuteilen.8In den Fällen des § 38 Absatz 3a ist das Betriebsstättenfinanzamt des Dritten für die Geltendmachung der Steuer- oder Haftungsschuld zuständig.
(1) Die Steuern können, solange der Steuerfall nicht abschließend geprüft ist, allgemein oder im Einzelfall unter dem Vorbehalt der Nachprüfung festgesetzt werden, ohne dass dies einer Begründung bedarf. Die Festsetzung einer Vorauszahlung ist stets eine Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung.
(2) Solange der Vorbehalt wirksam ist, kann die Steuerfestsetzung aufgehoben oder geändert werden. Der Steuerpflichtige kann die Aufhebung oder Änderung der Steuerfestsetzung jederzeit beantragen. Die Entscheidung hierüber kann jedoch bis zur abschließenden Prüfung des Steuerfalls, die innerhalb angemessener Frist vorzunehmen ist, hinausgeschoben werden.
(3) Der Vorbehalt der Nachprüfung kann jederzeit aufgehoben werden. Die Aufhebung steht einer Steuerfestsetzung ohne Vorbehalt der Nachprüfung gleich; § 157 Abs. 1 Satz 1 und 3 gilt sinngemäß. Nach einer Außenprüfung ist der Vorbehalt aufzuheben, wenn sich Änderungen gegenüber der Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung nicht ergeben.
(4) Der Vorbehalt der Nachprüfung entfällt, wenn die Festsetzungsfrist abläuft. § 169 Absatz 2 Satz 2, § 170 Absatz 6 und § 171 Absatz 7, 8 und 10 sind nicht anzuwenden.
(1)1Der Arbeitgeber hat spätestens am zehnten Tag nach Ablauf eines jeden Lohnsteuer-Anmeldungszeitraums
- 1.
dem Finanzamt, in dessen Bezirk sich die Betriebsstätte (§ 41 Absatz 2) befindet (Betriebsstättenfinanzamt), eine Steuererklärung einzureichen, in der er die Summen der im Lohnsteuer-Anmeldungszeitraum einzubehaltenden und zu übernehmenden Lohnsteuer, getrennt nach den Kalenderjahren in denen der Arbeitslohn bezogen wird oder als bezogen gilt, angibt (Lohnsteuer-Anmeldung), - 2.
die im Lohnsteuer-Anmeldungszeitraum insgesamt einbehaltene und übernommene Lohnsteuer an das Betriebsstättenfinanzamt abzuführen.
(2)1Lohnsteuer-Anmeldungszeitraum ist grundsätzlich der Kalendermonat.2Lohnsteuer-Anmeldungszeitraum ist das Kalendervierteljahr, wenn die abzuführende Lohnsteuer für das vorangegangene Kalenderjahr mehr als 1 080 Euro, aber nicht mehr als 5 000 Euro betragen hat; Lohnsteuer-Anmeldungszeitraum ist das Kalenderjahr, wenn die abzuführende Lohnsteuer für das vorangegangene Kalenderjahr nicht mehr als 1 080 Euro betragen hat.3Hat die Betriebsstätte nicht während des ganzen vorangegangenen Kalenderjahres bestanden, so ist die für das vorangegangene Kalenderjahr abzuführende Lohnsteuer für die Feststellung des Lohnsteuer-Anmeldungszeitraums auf einen Jahresbetrag umzurechnen.4Wenn die Betriebsstätte im vorangegangenen Kalenderjahr noch nicht bestanden hat, ist die auf einen Jahresbetrag umgerechnete für den ersten vollen Kalendermonat nach der Eröffnung der Betriebsstätte abzuführende Lohnsteuer maßgebend.
(3)1Die oberste Finanzbehörde des Landes kann bestimmen, dass die Lohnsteuer nicht dem Betriebsstättenfinanzamt, sondern einer anderen öffentlichen Kasse anzumelden und an diese abzuführen ist; die Kasse erhält insoweit die Stellung einer Landesfinanzbehörde.2Das Betriebsstättenfinanzamt oder die zuständige andere öffentliche Kasse können anordnen, dass die Lohnsteuer abweichend von dem nach Absatz 1 maßgebenden Zeitpunkt anzumelden und abzuführen ist, wenn die Abführung der Lohnsteuer nicht gesichert erscheint.
(4)1Arbeitgeber, die eigene oder gecharterte Handelsschiffe betreiben, dürfen die anzumeldende und abzuführende Lohnsteuer abziehen und einbehalten, die auf den Arbeitslohn entfällt, der an die Besatzungsmitglieder für die Beschäftigungszeiten auf diesen Schiffen gezahlt wird.2Die Handelsschiffe müssen in einem Seeschiffsregister eines Mitgliedstaates der Europäischen Union oder eines Staates, auf den das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum anwendbar ist, eingetragen sein, die Flagge eines dieser Staaten führen und zur Beförderung von Personen oder Gütern im Verkehr mit oder zwischen ausländischen Häfen, innerhalb eines ausländischen Hafens oder zwischen einem ausländischen Hafen und der Hohen See betrieben werden.3Die Sätze 1 und 2 sind entsprechend anzuwenden, wenn Seeschiffe im Wirtschaftsjahr überwiegend außerhalb der deutschen Hoheitsgewässer zum Schleppen, Bergen oder zur Aufsuchung von Bodenschätzen oder zur Vermessung von Energielagerstätten unter dem Meeresboden eingesetzt werden.4Bei Besatzungsmitgliedern, die auf Schiffen, einschließlich Ro-Ro-Fahrgastschiffen, arbeiten, die im regelmäßigen Personenbeförderungsdienst zwischen Häfen im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten der Europäischen Union eingesetzt werden, gelten die Sätze 1 und 2 nur, wenn die Besatzungsmitglieder Staatsangehörige eines Mitgliedstaates der Europäischen Union oder eines Staates sind, auf den das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum anwendbar ist.5Bei Seeschiffen, die für Schlepp- und Baggerarbeiten genutzt werden, gelten die Sätze 1 und 2 nur, wenn es sich um seetüchtige Schlepper und Baggerschiffe mit Eigenantrieb handelt und die Schiffe während mindestens 50 Prozent ihrer Betriebszeit für Tätigkeiten auf See eingesetzt werden.6Ist für den Lohnsteuerabzug die Lohnsteuer nach der Steuerklasse V oder VI zu ermitteln, bemisst sich der Betrag nach Satz 1 nach der Lohnsteuer der Steuerklasse I.
(1)1Bei Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit wird die Einkommensteuer durch Abzug vom Arbeitslohn erhoben (Lohnsteuer), soweit der Arbeitslohn von einem Arbeitgeber gezahlt wird, der
- 1.
im Inland einen Wohnsitz, seinen gewöhnlichen Aufenthalt, seine Geschäftsleitung, seinen Sitz, eine Betriebsstätte oder einen ständigen Vertreter im Sinne der §§ 8 bis 13 der Abgabenordnung hat (inländischer Arbeitgeber) oder - 2.
einem Dritten (Entleiher) Arbeitnehmer gewerbsmäßig zur Arbeitsleistung im Inland überlässt, ohne inländischer Arbeitgeber zu sein (ausländischer Verleiher).
(2)1Der Arbeitnehmer ist Schuldner der Lohnsteuer.2Die Lohnsteuer entsteht in dem Zeitpunkt, in dem der Arbeitslohn dem Arbeitnehmer zufließt.
(3)1Der Arbeitgeber hat die Lohnsteuer für Rechnung des Arbeitnehmers bei jeder Lohnzahlung vom Arbeitslohn einzubehalten.2Bei juristischen Personen des öffentlichen Rechts hat die öffentliche Kasse, die den Arbeitslohn zahlt, die Pflichten des Arbeitgebers.3In den Fällen der nach § 7f Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch an die Deutsche Rentenversicherung Bund übertragenen Wertguthaben hat die Deutsche Rentenversicherung Bund bei Inanspruchnahme des Wertguthabens die Pflichten des Arbeitgebers.
(3a)1Soweit sich aus einem Dienstverhältnis oder einem früheren Dienstverhältnis tarifvertragliche Ansprüche des Arbeitnehmers auf Arbeitslohn unmittelbar gegen einen Dritten mit Wohnsitz, Geschäftsleitung oder Sitz im Inland richten und von diesem durch die Zahlung von Geld erfüllt werden, hat der Dritte die Pflichten des Arbeitgebers.2In anderen Fällen kann das Finanzamt zulassen, dass ein Dritter mit Wohnsitz, Geschäftsleitung oder Sitz im Inland die Pflichten des Arbeitgebers im eigenen Namen erfüllt.3Voraussetzung ist, dass der Dritte
- 1.
sich hierzu gegenüber dem Arbeitgeber verpflichtet hat, - 2.
den Lohn auszahlt oder er nur Arbeitgeberpflichten für von ihm vermittelte Arbeitnehmer übernimmt und - 3.
die Steuererhebung nicht beeinträchtigt wird.
(4)1Wenn der vom Arbeitgeber geschuldete Barlohn zur Deckung der Lohnsteuer nicht ausreicht, hat der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber den Fehlbetrag zur Verfügung zu stellen oder der Arbeitgeber einen entsprechenden Teil der anderen Bezüge des Arbeitnehmers zurückzubehalten.2Soweit der Arbeitnehmer seiner Verpflichtung nicht nachkommt und der Arbeitgeber den Fehlbetrag nicht durch Zurückbehaltung von anderen Bezügen des Arbeitnehmers aufbringen kann, hat der Arbeitgeber dies dem Betriebsstättenfinanzamt (§ 41a Absatz 1 Satz 1 Nummer 1) anzuzeigen.3Der Arbeitnehmer hat dem Arbeitgeber die von einem Dritten gewährten Bezüge (Absatz 1 Satz 3) am Ende des jeweiligen Lohnzahlungszeitraums anzugeben; wenn der Arbeitnehmer keine Angabe oder eine erkennbar unrichtige Angabe macht, hat der Arbeitgeber dies dem Betriebsstättenfinanzamt anzuzeigen.4Das Finanzamt hat die zu wenig erhobene Lohnsteuer vom Arbeitnehmer nachzufordern.
(1) Der Arbeitgeber haftet
- 1.
für die Lohnsteuer, die er einzubehalten und abzuführen hat, - 2.
für die Lohnsteuer, die er beim Lohnsteuer-Jahresausgleich zu Unrecht erstattet hat, - 3.
für die Einkommensteuer (Lohnsteuer), die auf Grund fehlerhafter Angaben im Lohnkonto oder in der Lohnsteuerbescheinigung verkürzt wird, - 4.
für die Lohnsteuer, die in den Fällen des § 38 Absatz 3a der Dritte zu übernehmen hat.
(2) Der Arbeitgeber haftet nicht, soweit Lohnsteuer nach § 39 Absatz 5 oder § 39a Absatz 5 nachzufordern ist und in den vom Arbeitgeber angezeigten Fällen des § 38 Absatz 4 Satz 2 und 3 und des § 41c Absatz 4.
(3)1Soweit die Haftung des Arbeitgebers reicht, sind der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer Gesamtschuldner.2Das Betriebsstättenfinanzamt kann die Steuerschuld oder Haftungsschuld nach pflichtgemäßem Ermessen gegenüber jedem Gesamtschuldner geltend machen.3Der Arbeitgeber kann auch dann in Anspruch genommen werden, wenn der Arbeitnehmer zur Einkommensteuer veranlagt wird.4Der Arbeitnehmer kann im Rahmen der Gesamtschuldnerschaft nur in Anspruch genommen werden,
- 1.
wenn der Arbeitgeber die Lohnsteuer nicht vorschriftsmäßig vom Arbeitslohn einbehalten hat, - 2.
wenn der Arbeitnehmer weiß, dass der Arbeitgeber die einbehaltene Lohnsteuer nicht vorschriftsmäßig angemeldet hat.2Dies gilt nicht, wenn der Arbeitnehmer den Sachverhalt dem Finanzamt unverzüglich mitgeteilt hat.
(4)1Für die Inanspruchnahme des Arbeitgebers bedarf es keines Haftungsbescheids und keines Leistungsgebots, soweit der Arbeitgeber
- 1.
die einzubehaltende Lohnsteuer angemeldet hat oder - 2.
nach Abschluss einer Lohnsteuer-Außenprüfung seine Zahlungsverpflichtung schriftlich anerkennt.
(5) Von der Geltendmachung der Steuernachforderung oder Haftungsforderung ist abzusehen, wenn diese insgesamt 10 Euro nicht übersteigt.
(6)1Soweit einem Dritten (Entleiher) Arbeitnehmer im Sinne des § 1 Absatz 1 Satz 1 des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 3. Februar 1995 (BGBl. I S. 158), das zuletzt durch Artikel 26 des Gesetzes vom 20. Dezember 2011 (BGBl. I S. 2854) geändert worden ist, zur Arbeitsleistung überlassen werden, haftet er mit Ausnahme der Fälle, in denen eine Arbeitnehmerüberlassung nach § 1 Absatz 3 des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes vorliegt, neben dem Arbeitgeber.2Der Entleiher haftet nicht, wenn der Überlassung eine Erlaubnis nach § 1 des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes in der jeweils geltenden Fassung zugrunde liegt und soweit er nachweist, dass er den nach § 51 Absatz 1 Nummer 2 Buchstabe d vorgesehenen Mitwirkungspflichten nachgekommen ist.3Der Entleiher haftet ferner nicht, wenn er über das Vorliegen einer Arbeitnehmerüberlassung ohne Verschulden irrte.4Die Haftung beschränkt sich auf die Lohnsteuer für die Zeit, für die ihm der Arbeitnehmer überlassen worden ist.5Soweit die Haftung des Entleihers reicht, sind der Arbeitgeber, der Entleiher und der Arbeitnehmer Gesamtschuldner.6Der Entleiher darf auf Zahlung nur in Anspruch genommen werden, soweit die Vollstreckung in das inländische bewegliche Vermögen des Arbeitgebers fehlgeschlagen ist oder keinen Erfolg verspricht; § 219 Satz 2 der Abgabenordnung ist entsprechend anzuwenden.7Ist durch die Umstände der Arbeitnehmerüberlassung die Lohnsteuer schwer zu ermitteln, so ist die Haftungsschuld mit 15 Prozent des zwischen Verleiher und Entleiher vereinbarten Entgelts ohne Umsatzsteuer anzunehmen, solange der Entleiher nicht glaubhaft macht, dass die Lohnsteuer, für die er haftet, niedriger ist.8Die Absätze 1 bis 5 sind entsprechend anzuwenden.9Die Zuständigkeit des Finanzamts richtet sich nach dem Ort der Betriebsstätte des Verleihers.
(7) Soweit der Entleiher Arbeitgeber ist, haftet der Verleiher wie ein Entleiher nach Absatz 6.
(8)1Das Finanzamt kann hinsichtlich der Lohnsteuer der Leiharbeitnehmer anordnen, dass der Entleiher einen bestimmten Teil des mit dem Verleiher vereinbarten Entgelts einzubehalten und abzuführen hat, wenn dies zur Sicherung des Steueranspruchs notwendig ist; Absatz 6 Satz 4 ist anzuwenden.2Der Verwaltungsakt kann auch mündlich erlassen werden.3Die Höhe des einzubehaltenden und abzuführenden Teils des Entgelts bedarf keiner Begründung, wenn der in Absatz 6 Satz 7 genannte Prozentsatz nicht überschritten wird.
(9)1Der Arbeitgeber haftet auch dann, wenn ein Dritter nach § 38 Absatz 3a dessen Pflichten trägt.2In diesen Fällen haftet der Dritte neben dem Arbeitgeber.3Soweit die Haftung des Dritten reicht, sind der Arbeitgeber, der Dritte und der Arbeitnehmer Gesamtschuldner.4Absatz 3 Satz 2 bis 4 ist anzuwenden; Absatz 4 gilt auch für die Inanspruchnahme des Dritten.5Im Fall des § 38 Absatz 3a Satz 2 beschränkt sich die Haftung des Dritten auf die Lohnsteuer, die für die Zeit zu erheben ist, für die er sich gegenüber dem Arbeitgeber zur Vornahme des Lohnsteuerabzugs verpflichtet hat; der maßgebende Zeitraum endet nicht, bevor der Dritte seinem Betriebsstättenfinanzamt die Beendigung seiner Verpflichtung gegenüber dem Arbeitgeber angezeigt hat.6In den Fällen des § 38 Absatz 3a Satz 7 ist als Haftungsschuld der Betrag zu ermitteln, um den die Lohnsteuer, die für den gesamten Arbeitslohn des Lohnzahlungszeitraums zu berechnen und einzubehalten ist, die insgesamt tatsächlich einbehaltene Lohnsteuer übersteigt.7Betrifft die Haftungsschuld mehrere Arbeitgeber, so ist sie bei fehlerhafter Lohnsteuerberechnung nach dem Verhältnis der Arbeitslöhne und für nachträglich zu erfassende Arbeitslohnbeträge nach dem Verhältnis dieser Beträge auf die Arbeitgeber aufzuteilen.8In den Fällen des § 38 Absatz 3a ist das Betriebsstättenfinanzamt des Dritten für die Geltendmachung der Steuer- oder Haftungsschuld zuständig.
(1) Wer kraft Gesetzes für eine Steuer haftet (Haftungsschuldner), kann durch Haftungsbescheid, wer kraft Gesetzes verpflichtet ist, die Vollstreckung zu dulden, kann durch Duldungsbescheid in Anspruch genommen werden. Die Anfechtung wegen Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis außerhalb des Insolvenzverfahrens erfolgt durch Duldungsbescheid, soweit sie nicht im Wege der Einrede nach § 9 des Anfechtungsgesetzes geltend zu machen ist; bei der Berechnung von Fristen nach den §§ 3 und 4 des Anfechtungsgesetzes steht der Erlass eines Duldungsbescheids der gerichtlichen Geltendmachung der Anfechtung nach § 7 Abs. 1 des Anfechtungsgesetzes gleich. Die Bescheide sind schriftlich oder elektronisch zu erteilen.
(2) Bevor gegen einen Rechtsanwalt, Patentanwalt, Notar, Steuerberater, Steuerbevollmächtigten, Wirtschaftsprüfer oder vereidigten Buchprüfer wegen einer Handlung im Sinne des § 69, die er in Ausübung seines Berufs vorgenommen hat, ein Haftungsbescheid erlassen wird, gibt die Finanzbehörde der zuständigen Berufskammer Gelegenheit, die Gesichtspunkte vorzubringen, die von ihrem Standpunkt für die Entscheidung von Bedeutung sind.
(3) Die Vorschriften über die Festsetzungsfrist sind auf den Erlass von Haftungsbescheiden entsprechend anzuwenden. Die Festsetzungsfrist beträgt vier Jahre, in den Fällen des § 70 bei Steuerhinterziehung zehn Jahre, bei leichtfertiger Steuerverkürzung fünf Jahre, in den Fällen des § 71 zehn Jahre. Die Festsetzungsfrist beginnt mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem der Tatbestand verwirklicht worden ist, an den das Gesetz die Haftungsfolge knüpft. Ist die Steuer, für die gehaftet wird, noch nicht festgesetzt worden, so endet die Festsetzungsfrist für den Haftungsbescheid nicht vor Ablauf der für die Steuerfestsetzung geltenden Festsetzungsfrist; andernfalls gilt § 171 Abs. 10 sinngemäß. In den Fällen der §§ 73 und 74 endet die Festsetzungsfrist nicht, bevor die gegen den Steuerschuldner festgesetzte Steuer verjährt (§ 228) ist.
(4) Ergibt sich die Haftung nicht aus den Steuergesetzen, so kann ein Haftungsbescheid ergehen, solange die Haftungsansprüche nach dem für sie maßgebenden Recht noch nicht verjährt sind.
(5) Ein Haftungsbescheid kann nicht mehr ergehen,
Dies gilt nicht, wenn die Haftung darauf beruht, dass der Haftungsschuldner Steuerhinterziehung oder Steuerhehlerei begangen hat.(1) Die Steuern können, solange der Steuerfall nicht abschließend geprüft ist, allgemein oder im Einzelfall unter dem Vorbehalt der Nachprüfung festgesetzt werden, ohne dass dies einer Begründung bedarf. Die Festsetzung einer Vorauszahlung ist stets eine Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung.
(2) Solange der Vorbehalt wirksam ist, kann die Steuerfestsetzung aufgehoben oder geändert werden. Der Steuerpflichtige kann die Aufhebung oder Änderung der Steuerfestsetzung jederzeit beantragen. Die Entscheidung hierüber kann jedoch bis zur abschließenden Prüfung des Steuerfalls, die innerhalb angemessener Frist vorzunehmen ist, hinausgeschoben werden.
(3) Der Vorbehalt der Nachprüfung kann jederzeit aufgehoben werden. Die Aufhebung steht einer Steuerfestsetzung ohne Vorbehalt der Nachprüfung gleich; § 157 Abs. 1 Satz 1 und 3 gilt sinngemäß. Nach einer Außenprüfung ist der Vorbehalt aufzuheben, wenn sich Änderungen gegenüber der Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung nicht ergeben.
(4) Der Vorbehalt der Nachprüfung entfällt, wenn die Festsetzungsfrist abläuft. § 169 Absatz 2 Satz 2, § 170 Absatz 6 und § 171 Absatz 7, 8 und 10 sind nicht anzuwenden.
(1) Bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in Rechte eines Beteiligten eingreift, soll diesem Gelegenheit gegeben werden, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Dies gilt insbesondere, wenn von dem in der Steuererklärung erklärten Sachverhalt zuungunsten des Steuerpflichtigen wesentlich abgewichen werden soll.
(2) Von der Anhörung kann abgesehen werden, wenn sie nach den Umständen des Einzelfalls nicht geboten ist, insbesondere wenn
- 1.
eine sofortige Entscheidung wegen Gefahr im Verzug oder im öffentlichen Interesse notwendig erscheint, - 2.
durch die Anhörung die Einhaltung einer für die Entscheidung maßgeblichen Frist in Frage gestellt würde, - 3.
von den tatsächlichen Angaben eines Beteiligten, die dieser in einem Antrag oder einer Erklärung gemacht hat, nicht zu seinen Ungunsten abgewichen werden soll, - 4.
die Finanzbehörde eine Allgemeinverfügung oder gleichartige Verwaltungsakte in größerer Zahl oder Verwaltungsakte mit Hilfe automatischer Einrichtungen erlassen will, - 5.
Maßnahmen in der Vollstreckung getroffen werden sollen.
(3) Eine Anhörung unterbleibt, wenn ihr ein zwingendes öffentliches Interesse entgegensteht.
(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung; die §§ 158, 160, 162 der Abgabenordnung gelten sinngemäß. Das Gericht darf über das Klagebegehren nicht hinausgehen, ist aber an die Fassung der Anträge nicht gebunden. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.
(2) Das Urteil darf nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten.
(1) Ein schriftlicher, elektronischer sowie ein schriftlich oder elektronisch bestätigter Verwaltungsakt ist mit einer Begründung zu versehen, soweit dies zu seinem Verständnis erforderlich ist.
(2) Einer Begründung bedarf es nicht,
- 1.
soweit die Finanzbehörde einem Antrag entspricht oder einer Erklärung folgt und der Verwaltungsakt nicht in Rechte eines anderen eingreift, - 2.
soweit demjenigen, für den der Verwaltungsakt bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, die Auffassung der Finanzbehörde über die Sach- und Rechtslage bereits bekannt oder auch ohne Begründung für ihn ohne weiteres erkennbar ist, - 3.
wenn die Finanzbehörde gleichartige Verwaltungsakte in größerer Zahl oder Verwaltungsakte mit Hilfe automatischer Einrichtungen erlässt und die Begründung nach den Umständen des Einzelfalls nicht geboten ist, - 4.
wenn sich dies aus einer Rechtsvorschrift ergibt, - 5.
wenn eine Allgemeinverfügung öffentlich bekannt gegeben wird.
(1) Wer kraft Gesetzes für eine Steuer haftet (Haftungsschuldner), kann durch Haftungsbescheid, wer kraft Gesetzes verpflichtet ist, die Vollstreckung zu dulden, kann durch Duldungsbescheid in Anspruch genommen werden. Die Anfechtung wegen Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis außerhalb des Insolvenzverfahrens erfolgt durch Duldungsbescheid, soweit sie nicht im Wege der Einrede nach § 9 des Anfechtungsgesetzes geltend zu machen ist; bei der Berechnung von Fristen nach den §§ 3 und 4 des Anfechtungsgesetzes steht der Erlass eines Duldungsbescheids der gerichtlichen Geltendmachung der Anfechtung nach § 7 Abs. 1 des Anfechtungsgesetzes gleich. Die Bescheide sind schriftlich oder elektronisch zu erteilen.
(2) Bevor gegen einen Rechtsanwalt, Patentanwalt, Notar, Steuerberater, Steuerbevollmächtigten, Wirtschaftsprüfer oder vereidigten Buchprüfer wegen einer Handlung im Sinne des § 69, die er in Ausübung seines Berufs vorgenommen hat, ein Haftungsbescheid erlassen wird, gibt die Finanzbehörde der zuständigen Berufskammer Gelegenheit, die Gesichtspunkte vorzubringen, die von ihrem Standpunkt für die Entscheidung von Bedeutung sind.
(3) Die Vorschriften über die Festsetzungsfrist sind auf den Erlass von Haftungsbescheiden entsprechend anzuwenden. Die Festsetzungsfrist beträgt vier Jahre, in den Fällen des § 70 bei Steuerhinterziehung zehn Jahre, bei leichtfertiger Steuerverkürzung fünf Jahre, in den Fällen des § 71 zehn Jahre. Die Festsetzungsfrist beginnt mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem der Tatbestand verwirklicht worden ist, an den das Gesetz die Haftungsfolge knüpft. Ist die Steuer, für die gehaftet wird, noch nicht festgesetzt worden, so endet die Festsetzungsfrist für den Haftungsbescheid nicht vor Ablauf der für die Steuerfestsetzung geltenden Festsetzungsfrist; andernfalls gilt § 171 Abs. 10 sinngemäß. In den Fällen der §§ 73 und 74 endet die Festsetzungsfrist nicht, bevor die gegen den Steuerschuldner festgesetzte Steuer verjährt (§ 228) ist.
(4) Ergibt sich die Haftung nicht aus den Steuergesetzen, so kann ein Haftungsbescheid ergehen, solange die Haftungsansprüche nach dem für sie maßgebenden Recht noch nicht verjährt sind.
(5) Ein Haftungsbescheid kann nicht mehr ergehen,
Dies gilt nicht, wenn die Haftung darauf beruht, dass der Haftungsschuldner Steuerhinterziehung oder Steuerhehlerei begangen hat.(1) Bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in Rechte eines Beteiligten eingreift, soll diesem Gelegenheit gegeben werden, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Dies gilt insbesondere, wenn von dem in der Steuererklärung erklärten Sachverhalt zuungunsten des Steuerpflichtigen wesentlich abgewichen werden soll.
(2) Von der Anhörung kann abgesehen werden, wenn sie nach den Umständen des Einzelfalls nicht geboten ist, insbesondere wenn
- 1.
eine sofortige Entscheidung wegen Gefahr im Verzug oder im öffentlichen Interesse notwendig erscheint, - 2.
durch die Anhörung die Einhaltung einer für die Entscheidung maßgeblichen Frist in Frage gestellt würde, - 3.
von den tatsächlichen Angaben eines Beteiligten, die dieser in einem Antrag oder einer Erklärung gemacht hat, nicht zu seinen Ungunsten abgewichen werden soll, - 4.
die Finanzbehörde eine Allgemeinverfügung oder gleichartige Verwaltungsakte in größerer Zahl oder Verwaltungsakte mit Hilfe automatischer Einrichtungen erlassen will, - 5.
Maßnahmen in der Vollstreckung getroffen werden sollen.
(3) Eine Anhörung unterbleibt, wenn ihr ein zwingendes öffentliches Interesse entgegensteht.
(1) Die Beteiligten können die Gerichtsakte und die dem Gericht vorgelegten Akten einsehen. Beteiligte können sich auf ihre Kosten durch die Geschäftsstelle Ausfertigungen, Auszüge, Ausdrucke und Abschriften erteilen lassen.
(2) Werden die Prozessakten elektronisch geführt, wird Akteneinsicht durch Bereitstellung des Inhalts der Akten zum Abruf oder durch Übermittlung des Inhalts der Akten auf einem sicheren Übermittlungsweg gewährt. Auf besonderen Antrag wird Akteneinsicht durch Einsichtnahme in die Akten in Diensträumen gewährt. Ein Aktenausdruck oder ein Datenträger mit dem Inhalt der Akten wird auf besonders zu begründenden Antrag nur übermittelt, wenn der Antragsteller hieran ein berechtigtes Interesse darlegt. Stehen der Akteneinsicht in der nach Satz 1 vorgesehenen Form wichtige Gründe entgegen, kann die Akteneinsicht in der nach den Sätzen 2 und 3 vorgesehenen Form auch ohne Antrag gewährt werden. Über einen Antrag nach Satz 3 entscheidet der Vorsitzende; die Entscheidung ist unanfechtbar. § 79a Absatz 4 gilt entsprechend.
(3) Werden die Prozessakten in Papierform geführt, wird Akteneinsicht durch Einsichtnahme in die Akten in Diensträumen gewährt. Die Akteneinsicht kann, soweit nicht wichtige Gründe entgegenstehen, auch durch Bereitstellung des Inhalts der Akten zum Abruf oder durch Übermittlung des Inhalts der Akten auf einem sicheren Übermittlungsweg gewährt werden.
(4) Die Entwürfe zu Urteilen, Beschlüssen und Verfügungen, die Arbeiten zu ihrer Vorbereitung, ferner die Dokumente, die Abstimmungen oder Ordnungsstrafen des Gerichts betreffen, werden weder vorgelegt noch abschriftlich mitgeteilt.
(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung; die §§ 158, 160, 162 der Abgabenordnung gelten sinngemäß. Das Gericht darf über das Klagebegehren nicht hinausgehen, ist aber an die Fassung der Anträge nicht gebunden. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.
(2) Das Urteil darf nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten.
(1) Wer kraft Gesetzes für eine Steuer haftet (Haftungsschuldner), kann durch Haftungsbescheid, wer kraft Gesetzes verpflichtet ist, die Vollstreckung zu dulden, kann durch Duldungsbescheid in Anspruch genommen werden. Die Anfechtung wegen Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis außerhalb des Insolvenzverfahrens erfolgt durch Duldungsbescheid, soweit sie nicht im Wege der Einrede nach § 9 des Anfechtungsgesetzes geltend zu machen ist; bei der Berechnung von Fristen nach den §§ 3 und 4 des Anfechtungsgesetzes steht der Erlass eines Duldungsbescheids der gerichtlichen Geltendmachung der Anfechtung nach § 7 Abs. 1 des Anfechtungsgesetzes gleich. Die Bescheide sind schriftlich oder elektronisch zu erteilen.
(2) Bevor gegen einen Rechtsanwalt, Patentanwalt, Notar, Steuerberater, Steuerbevollmächtigten, Wirtschaftsprüfer oder vereidigten Buchprüfer wegen einer Handlung im Sinne des § 69, die er in Ausübung seines Berufs vorgenommen hat, ein Haftungsbescheid erlassen wird, gibt die Finanzbehörde der zuständigen Berufskammer Gelegenheit, die Gesichtspunkte vorzubringen, die von ihrem Standpunkt für die Entscheidung von Bedeutung sind.
(3) Die Vorschriften über die Festsetzungsfrist sind auf den Erlass von Haftungsbescheiden entsprechend anzuwenden. Die Festsetzungsfrist beträgt vier Jahre, in den Fällen des § 70 bei Steuerhinterziehung zehn Jahre, bei leichtfertiger Steuerverkürzung fünf Jahre, in den Fällen des § 71 zehn Jahre. Die Festsetzungsfrist beginnt mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem der Tatbestand verwirklicht worden ist, an den das Gesetz die Haftungsfolge knüpft. Ist die Steuer, für die gehaftet wird, noch nicht festgesetzt worden, so endet die Festsetzungsfrist für den Haftungsbescheid nicht vor Ablauf der für die Steuerfestsetzung geltenden Festsetzungsfrist; andernfalls gilt § 171 Abs. 10 sinngemäß. In den Fällen der §§ 73 und 74 endet die Festsetzungsfrist nicht, bevor die gegen den Steuerschuldner festgesetzte Steuer verjährt (§ 228) ist.
(4) Ergibt sich die Haftung nicht aus den Steuergesetzen, so kann ein Haftungsbescheid ergehen, solange die Haftungsansprüche nach dem für sie maßgebenden Recht noch nicht verjährt sind.
(5) Ein Haftungsbescheid kann nicht mehr ergehen,
Dies gilt nicht, wenn die Haftung darauf beruht, dass der Haftungsschuldner Steuerhinterziehung oder Steuerhehlerei begangen hat.Soweit die Finanzbehörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln oder zu entscheiden, prüft das Gericht auch, ob der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. Die Finanzbehörde kann ihre Ermessenserwägungen hinsichtlich des Verwaltungsaktes bis zum Abschluss der Tatsacheninstanz eines finanzgerichtlichen Verfahrens ergänzen.
(1) Der Arbeitgeber haftet
- 1.
für die Lohnsteuer, die er einzubehalten und abzuführen hat, - 2.
für die Lohnsteuer, die er beim Lohnsteuer-Jahresausgleich zu Unrecht erstattet hat, - 3.
für die Einkommensteuer (Lohnsteuer), die auf Grund fehlerhafter Angaben im Lohnkonto oder in der Lohnsteuerbescheinigung verkürzt wird, - 4.
für die Lohnsteuer, die in den Fällen des § 38 Absatz 3a der Dritte zu übernehmen hat.
(2) Der Arbeitgeber haftet nicht, soweit Lohnsteuer nach § 39 Absatz 5 oder § 39a Absatz 5 nachzufordern ist und in den vom Arbeitgeber angezeigten Fällen des § 38 Absatz 4 Satz 2 und 3 und des § 41c Absatz 4.
(3)1Soweit die Haftung des Arbeitgebers reicht, sind der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer Gesamtschuldner.2Das Betriebsstättenfinanzamt kann die Steuerschuld oder Haftungsschuld nach pflichtgemäßem Ermessen gegenüber jedem Gesamtschuldner geltend machen.3Der Arbeitgeber kann auch dann in Anspruch genommen werden, wenn der Arbeitnehmer zur Einkommensteuer veranlagt wird.4Der Arbeitnehmer kann im Rahmen der Gesamtschuldnerschaft nur in Anspruch genommen werden,
- 1.
wenn der Arbeitgeber die Lohnsteuer nicht vorschriftsmäßig vom Arbeitslohn einbehalten hat, - 2.
wenn der Arbeitnehmer weiß, dass der Arbeitgeber die einbehaltene Lohnsteuer nicht vorschriftsmäßig angemeldet hat.2Dies gilt nicht, wenn der Arbeitnehmer den Sachverhalt dem Finanzamt unverzüglich mitgeteilt hat.
(4)1Für die Inanspruchnahme des Arbeitgebers bedarf es keines Haftungsbescheids und keines Leistungsgebots, soweit der Arbeitgeber
- 1.
die einzubehaltende Lohnsteuer angemeldet hat oder - 2.
nach Abschluss einer Lohnsteuer-Außenprüfung seine Zahlungsverpflichtung schriftlich anerkennt.
(5) Von der Geltendmachung der Steuernachforderung oder Haftungsforderung ist abzusehen, wenn diese insgesamt 10 Euro nicht übersteigt.
(6)1Soweit einem Dritten (Entleiher) Arbeitnehmer im Sinne des § 1 Absatz 1 Satz 1 des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 3. Februar 1995 (BGBl. I S. 158), das zuletzt durch Artikel 26 des Gesetzes vom 20. Dezember 2011 (BGBl. I S. 2854) geändert worden ist, zur Arbeitsleistung überlassen werden, haftet er mit Ausnahme der Fälle, in denen eine Arbeitnehmerüberlassung nach § 1 Absatz 3 des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes vorliegt, neben dem Arbeitgeber.2Der Entleiher haftet nicht, wenn der Überlassung eine Erlaubnis nach § 1 des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes in der jeweils geltenden Fassung zugrunde liegt und soweit er nachweist, dass er den nach § 51 Absatz 1 Nummer 2 Buchstabe d vorgesehenen Mitwirkungspflichten nachgekommen ist.3Der Entleiher haftet ferner nicht, wenn er über das Vorliegen einer Arbeitnehmerüberlassung ohne Verschulden irrte.4Die Haftung beschränkt sich auf die Lohnsteuer für die Zeit, für die ihm der Arbeitnehmer überlassen worden ist.5Soweit die Haftung des Entleihers reicht, sind der Arbeitgeber, der Entleiher und der Arbeitnehmer Gesamtschuldner.6Der Entleiher darf auf Zahlung nur in Anspruch genommen werden, soweit die Vollstreckung in das inländische bewegliche Vermögen des Arbeitgebers fehlgeschlagen ist oder keinen Erfolg verspricht; § 219 Satz 2 der Abgabenordnung ist entsprechend anzuwenden.7Ist durch die Umstände der Arbeitnehmerüberlassung die Lohnsteuer schwer zu ermitteln, so ist die Haftungsschuld mit 15 Prozent des zwischen Verleiher und Entleiher vereinbarten Entgelts ohne Umsatzsteuer anzunehmen, solange der Entleiher nicht glaubhaft macht, dass die Lohnsteuer, für die er haftet, niedriger ist.8Die Absätze 1 bis 5 sind entsprechend anzuwenden.9Die Zuständigkeit des Finanzamts richtet sich nach dem Ort der Betriebsstätte des Verleihers.
(7) Soweit der Entleiher Arbeitgeber ist, haftet der Verleiher wie ein Entleiher nach Absatz 6.
(8)1Das Finanzamt kann hinsichtlich der Lohnsteuer der Leiharbeitnehmer anordnen, dass der Entleiher einen bestimmten Teil des mit dem Verleiher vereinbarten Entgelts einzubehalten und abzuführen hat, wenn dies zur Sicherung des Steueranspruchs notwendig ist; Absatz 6 Satz 4 ist anzuwenden.2Der Verwaltungsakt kann auch mündlich erlassen werden.3Die Höhe des einzubehaltenden und abzuführenden Teils des Entgelts bedarf keiner Begründung, wenn der in Absatz 6 Satz 7 genannte Prozentsatz nicht überschritten wird.
(9)1Der Arbeitgeber haftet auch dann, wenn ein Dritter nach § 38 Absatz 3a dessen Pflichten trägt.2In diesen Fällen haftet der Dritte neben dem Arbeitgeber.3Soweit die Haftung des Dritten reicht, sind der Arbeitgeber, der Dritte und der Arbeitnehmer Gesamtschuldner.4Absatz 3 Satz 2 bis 4 ist anzuwenden; Absatz 4 gilt auch für die Inanspruchnahme des Dritten.5Im Fall des § 38 Absatz 3a Satz 2 beschränkt sich die Haftung des Dritten auf die Lohnsteuer, die für die Zeit zu erheben ist, für die er sich gegenüber dem Arbeitgeber zur Vornahme des Lohnsteuerabzugs verpflichtet hat; der maßgebende Zeitraum endet nicht, bevor der Dritte seinem Betriebsstättenfinanzamt die Beendigung seiner Verpflichtung gegenüber dem Arbeitgeber angezeigt hat.6In den Fällen des § 38 Absatz 3a Satz 7 ist als Haftungsschuld der Betrag zu ermitteln, um den die Lohnsteuer, die für den gesamten Arbeitslohn des Lohnzahlungszeitraums zu berechnen und einzubehalten ist, die insgesamt tatsächlich einbehaltene Lohnsteuer übersteigt.7Betrifft die Haftungsschuld mehrere Arbeitgeber, so ist sie bei fehlerhafter Lohnsteuerberechnung nach dem Verhältnis der Arbeitslöhne und für nachträglich zu erfassende Arbeitslohnbeträge nach dem Verhältnis dieser Beträge auf die Arbeitgeber aufzuteilen.8In den Fällen des § 38 Absatz 3a ist das Betriebsstättenfinanzamt des Dritten für die Geltendmachung der Steuer- oder Haftungsschuld zuständig.
(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung; die §§ 158, 160, 162 der Abgabenordnung gelten sinngemäß. Das Gericht darf über das Klagebegehren nicht hinausgehen, ist aber an die Fassung der Anträge nicht gebunden. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.
(2) Das Urteil darf nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten.
(1) Für nach § 3a Absatz 2 im Inland steuerpflichtige sonstige Leistungen eines im übrigen Gemeinschaftsgebiet ansässigen Unternehmers entsteht die Steuer mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums, in dem die Leistungen ausgeführt worden sind.
(2) Für folgende steuerpflichtige Umsätze entsteht die Steuer mit Ausstellung der Rechnung, spätestens jedoch mit Ablauf des der Ausführung der Leistung folgenden Kalendermonats:
- 1.
Werklieferungen und nicht unter Absatz 1 fallende sonstige Leistungen eines im Ausland ansässigen Unternehmers; - 2.
Lieferungen sicherungsübereigneter Gegenstände durch den Sicherungsgeber an den Sicherungsnehmer außerhalb des Insolvenzverfahrens; - 3.
Umsätze, die unter das Grunderwerbsteuergesetz fallen; - 4.
Bauleistungen, einschließlich Werklieferungen und sonstigen Leistungen im Zusammenhang mit Grundstücken, die der Herstellung, Instandsetzung, Instandhaltung, Änderung oder Beseitigung von Bauwerken dienen, mit Ausnahme von Planungs- und Überwachungsleistungen. Als Grundstücke gelten insbesondere auch Sachen, Ausstattungsgegenstände und Maschinen, die auf Dauer in einem Gebäude oder Bauwerk installiert sind und die nicht bewegt werden können, ohne das Gebäude oder Bauwerk zu zerstören oder zu verändern. Nummer 1 bleibt unberührt; - 5.
Lieferungen - a)
der in § 3g Absatz 1 Satz 1 genannten Gegenstände eines im Ausland ansässigen Unternehmers unter den Bedingungen des § 3g und - b)
von Gas über das Erdgasnetz und von Elektrizität, die nicht unter Buchstabe a fallen;
- 6.
Übertragung von Berechtigungen nach § 3 Nummer 3 des Treibhausgas-Emissionshandelsgesetzes, Emissionsreduktionseinheiten nach § 2 Nummer 20 des Projekt-Mechanismen-Gesetzes, zertifizierten Emissionsreduktionen nach § 2 Nummer 21 des Projekt-Mechanismen-Gesetzes, Emissionszertifikaten nach § 3 Nummer 2 des Brennstoffemissionshandelsgesetzes sowie von Gas- und Elektrizitätszertifikaten; - 7.
Lieferungen der in der Anlage 3 bezeichneten Gegenstände; - 8.
Reinigen von Gebäuden und Gebäudeteilen. Nummer 1 bleibt unberührt; - 9.
Lieferungen von Gold mit einem Feingehalt von mindestens 325 Tausendstel, in Rohform oder als Halbzeug (aus Position 7108 des Zolltarifs) und von Goldplattierungen mit einem Goldfeingehalt von mindestens 325 Tausendstel (aus Position 7109); - 10.
Lieferungen von Mobilfunkgeräten, Tablet-Computern und Spielekonsolen sowie von integrierten Schaltkreisen vor Einbau in einen zur Lieferung auf der Einzelhandelsstufe geeigneten Gegenstand, wenn die Summe der für sie in Rechnung zu stellenden Entgelte im Rahmen eines wirtschaftlichen Vorgangs mindestens 5 000 Euro beträgt; nachträgliche Minderungen des Entgelts bleiben dabei unberücksichtigt; - 11.
Lieferungen der in der Anlage 4 bezeichneten Gegenstände, wenn die Summe der für sie in Rechnung zu stellenden Entgelte im Rahmen eines wirtschaftlichen Vorgangs mindestens 5 000 Euro beträgt; nachträgliche Minderungen des Entgelts bleiben dabei unberücksichtigt; - 12.
sonstige Leistungen auf dem Gebiet der Telekommunikation. Nummer 1 bleibt unberührt.
(3) Abweichend von den Absatz 1 und 2 Nummer 1 entsteht die Steuer für sonstige Leistungen, die dauerhaft über einen Zeitraum von mehr als einem Jahr erbracht werden, spätestens mit Ablauf eines jeden Kalenderjahres, in dem sie tatsächlich erbracht werden.
(4) Bei der Anwendung der Absätze 1 bis 3 gilt § 13 Absatz 1 Nummer 1 Buchstabe a Satz 2 und 3 entsprechend. Wird in den in den Absätzen 1 bis 3 sowie in den in Satz 1 genannten Fällen das Entgelt oder ein Teil des Entgelts vereinnahmt, bevor die Leistung oder die Teilleistung ausgeführt worden ist, entsteht insoweit die Steuer mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums, in dem das Entgelt oder das Teilentgelt vereinnahmt worden ist.
(5) In den in den Absätzen 1 und 2 Nummer 1 bis 3 genannten Fällen schuldet der Leistungsempfänger die Steuer, wenn er ein Unternehmer oder eine juristische Person ist; in den in Absatz 2 Nummer 5 Buchstabe a, Nummer 6, 7, 9 bis 11 genannten Fällen schuldet der Leistungsempfänger die Steuer, wenn er ein Unternehmer ist. In den in Absatz 2 Nummer 4 Satz 1 genannten Fällen schuldet der Leistungsempfänger die Steuer unabhängig davon, ob er sie für eine von ihm erbrachte Leistung im Sinne des Absatzes 2 Nummer 4 Satz 1 verwendet, wenn er ein Unternehmer ist, der nachhaltig entsprechende Leistungen erbringt; davon ist auszugehen, wenn ihm das zuständige Finanzamt eine im Zeitpunkt der Ausführung des Umsatzes gültige auf längstens drei Jahre befristete Bescheinigung, die nur mit Wirkung für die Zukunft widerrufen oder zurückgenommen werden kann, darüber erteilt hat, dass er ein Unternehmer ist, der entsprechende Leistungen erbringt. Bei den in Absatz 2 Nummer 5 Buchstabe b genannten Lieferungen von Erdgas schuldet der Leistungsempfänger die Steuer, wenn er ein Wiederverkäufer von Erdgas im Sinne des § 3g ist. Bei den in Absatz 2 Nummer 5 Buchstabe b genannten Lieferungen von Elektrizität schuldet der Leistungsempfänger in den Fällen die Steuer, in denen der liefernde Unternehmer und der Leistungsempfänger Wiederverkäufer von Elektrizität im Sinne des § 3g sind. In den in Absatz 2 Nummer 8 Satz 1 genannten Fällen schuldet der Leistungsempfänger die Steuer unabhängig davon, ob er sie für eine von ihm erbrachte Leistung im Sinne des Absatzes 2 Nummer 8 Satz 1 verwendet, wenn er ein Unternehmer ist, der nachhaltig entsprechende Leistungen erbringt; davon ist auszugehen, wenn ihm das zuständige Finanzamt eine im Zeitpunkt der Ausführung des Umsatzes gültige auf längstens drei Jahre befristete Bescheinigung, die nur mit Wirkung für die Zukunft widerrufen oder zurückgenommen werden kann, darüber erteilt hat, dass er ein Unternehmer ist, der entsprechende Leistungen erbringt. Bei den in Absatz 2 Nummer 12 Satz 1 genannten Leistungen schuldet der Leistungsempfänger die Steuer, wenn er ein Unternehmer ist, dessen Haupttätigkeit in Bezug auf den Erwerb dieser Leistungen in deren Erbringung besteht und dessen eigener Verbrauch dieser Leistungen von untergeordneter Bedeutung ist; davon ist auszugehen, wenn ihm das zuständige Finanzamt eine im Zeitpunkt der Ausführung des Umsatzes gültige auf längstens drei Jahre befristete Bescheinigung, die nur mit Wirkung für die Zukunft widerrufen oder zurückgenommen werden kann, darüber erteilt hat, dass er ein Unternehmer ist, der entsprechende Leistungen erbringt. Die Sätze 1 bis 6 gelten vorbehaltlich des Satzes 10 auch, wenn die Leistung für den nichtunternehmerischen Bereich bezogen wird. Sind Leistungsempfänger und leistender Unternehmer in Zweifelsfällen übereinstimmend vom Vorliegen der Voraussetzungen des Absatzes 2 Nummer 4, 5 Buchstabe b, Nummer 7 bis 12 ausgegangen, obwohl dies nach der Art der Umsätze unter Anlegung objektiver Kriterien nicht zutreffend war, gilt der Leistungsempfänger dennoch als Steuerschuldner, sofern dadurch keine Steuerausfälle entstehen. Die Sätze 1 bis 7 gelten nicht, wenn bei dem Unternehmer, der die Umsätze ausführt, die Steuer nach § 19 Absatz 1 nicht erhoben wird. Die Sätze 1 bis 9 gelten nicht, wenn ein in Absatz 2 Nummer 2, 7 oder 9 bis 11 genannter Gegenstand von dem Unternehmer, der die Lieferung bewirkt, unter den Voraussetzungen des § 25a geliefert wird. In den in Absatz 2 Nummer 4, 5 Buchstabe b und Nummer 7 bis 12 genannten Fällen schulden juristische Personen des öffentlichen Rechts die Steuer nicht, wenn sie die Leistung für den nichtunternehmerischen Bereich beziehen.
(6) Die Absätze 1 bis 5 finden keine Anwendung, wenn die Leistung des im Ausland ansässigen Unternehmers besteht
- 1.
in einer Personenbeförderung, die der Beförderungseinzelbesteuerung (§ 16 Absatz 5) unterlegen hat, - 2.
in einer Personenbeförderung, die mit einem Fahrzeug im Sinne des § 1b Absatz 2 Satz 1 Nummer 1 durchgeführt worden ist, - 3.
in einer grenzüberschreitenden Personenbeförderung im Luftverkehr, - 4.
in der Einräumung der Eintrittsberechtigung für Messen, Ausstellungen und Kongresse im Inland, - 5.
in einer sonstigen Leistung einer Durchführungsgesellschaft an im Ausland ansässige Unternehmer, soweit diese Leistung im Zusammenhang mit der Veranstaltung von Messen und Ausstellungen im Inland steht, oder - 6.
in der Abgabe von Speisen und Getränken zum Verzehr an Ort und Stelle (Restaurationsleistung), wenn diese Abgabe an Bord eines Schiffs, in einem Luftfahrzeug oder in einer Eisenbahn erfolgt.
(7) Ein im Ausland ansässiger Unternehmer im Sinne des Absatzes 2 Nummer 1 und 5 ist ein Unternehmer, der im Inland, auf der Insel Helgoland und in einem der in § 1 Absatz 3 bezeichneten Gebiete weder einen Wohnsitz, seinen gewöhnlichen Aufenthalt, seinen Sitz, seine Geschäftsleitung noch eine Betriebsstätte hat; dies gilt auch, wenn der Unternehmer ausschließlich einen Wohnsitz oder einen gewöhnlichen Aufenthaltsort im Inland, aber seinen Sitz, den Ort der Geschäftsleitung oder eine Betriebsstätte im Ausland hat. Ein im übrigen Gemeinschaftsgebiet ansässiger Unternehmer ist ein Unternehmer, der in den Gebieten der übrigen Mitgliedstaaten der Europäischen Union, die nach dem Gemeinschaftsrecht als Inland dieser Mitgliedstaaten gelten, einen Wohnsitz, seinen gewöhnlichen Aufenthalt, seinen Sitz, seine Geschäftsleitung oder eine Betriebsstätte hat; dies gilt nicht, wenn der Unternehmer ausschließlich einen Wohnsitz oder einen gewöhnlichen Aufenthaltsort in den Gebieten der übrigen Mitgliedstaaten der Europäischen Union, die nach dem Gemeinschaftsrecht als Inland dieser Mitgliedstaaten gelten, aber seinen Sitz, den Ort der Geschäftsleitung oder eine Betriebsstätte im Drittlandsgebiet hat. Hat der Unternehmer im Inland eine Betriebsstätte und führt er einen Umsatz nach Absatz 1 oder Absatz 2 Nummer 1 oder Nummer 5 aus, gilt er hinsichtlich dieses Umsatzes als im Ausland oder im übrigen Gemeinschaftsgebiet ansässig, wenn die Betriebsstätte an diesem Umsatz nicht beteiligt ist. Maßgebend ist der Zeitpunkt, in dem die Leistung ausgeführt wird. Ist es zweifelhaft, ob der Unternehmer diese Voraussetzungen erfüllt, schuldet der Leistungsempfänger die Steuer nur dann nicht, wenn ihm der Unternehmer durch eine Bescheinigung des nach den abgabenrechtlichen Vorschriften für die Besteuerung seiner Umsätze zuständigen Finanzamts nachweist, dass er kein Unternehmer im Sinne der Sätze 1 und 2 ist.
(8) Bei der Berechnung der Steuer sind die §§ 19 und 24 nicht anzuwenden.
(9) Das Bundesministerium der Finanzen kann mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung bestimmen, unter welchen Voraussetzungen zur Vereinfachung des Besteuerungsverfahrens in den Fällen, in denen ein anderer als der Leistungsempfänger ein Entgelt gewährt (§ 10 Absatz 1 Satz 3), der andere an Stelle des Leistungsempfängers Steuerschuldner nach Absatz 5 ist.
(10) Das Bundesministerium der Finanzen kann mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung den Anwendungsbereich der Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers nach den Absätzen 2 und 5 auf weitere Umsätze erweitern, wenn im Zusammenhang mit diesen Umsätzen in vielen Fällen der Verdacht auf Steuerhinterziehung in einem besonders schweren Fall aufgetreten ist, die voraussichtlich zu erheblichen und unwiederbringlichen Steuermindereinnahmen führen. Voraussetzungen für eine solche Erweiterung sind, dass
- 1.
die Erweiterung frühestens zu dem Zeitpunkt in Kraft treten darf, zu dem die Europäische Kommission entsprechend Artikel 199b Absatz 3 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. L 347 vom 11.12.2006, S. 1) in der Fassung von Artikel 1 Nummer 1 der Richtlinie 2013/42/EU (ABl. L 201 vom 26.7.2013, S. 1) mitgeteilt hat, dass sie keine Einwände gegen die Erweiterung erhebt; - 2.
die Bundesregierung einen Antrag auf eine Ermächtigung durch den Rat entsprechend Artikel 395 der Richtlinie 2006/112/EG in der Fassung von Artikel 1 Nummer 2 der Richtlinie 2013/42/EG (ABl. L 201 vom 26.7.2013, S. 1) gestellt hat, durch die die Bundesrepublik Deutschland ermächtigt werden soll, in Abweichung von Artikel 193 der Richtlinie 2006/112/EG, die zuletzt durch die Richtlinie 2013/61/EU (ABl. L 353 vom 28.12.2013, S. 5) geändert worden ist, die Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers für die von der Erweiterung nach Nummer 1 erfassten Umsätze zur Vermeidung von Steuerhinterziehungen einführen zu dürfen; - 3.
die Verordnung nach neun Monaten außer Kraft tritt, wenn die Ermächtigung nach Nummer 2 nicht erteilt worden ist; wurde die Ermächtigung nach Nummer 2 erteilt, tritt die Verordnung außer Kraft, sobald die gesetzliche Regelung, mit der die Ermächtigung in nationales Recht umgesetzt wird, in Kraft tritt.
(1) Das Gericht erforscht den Sachverhalt von Amts wegen. Die Beteiligten sind dabei heranzuziehen. Sie haben ihre Erklärungen über tatsächliche Umstände vollständig und der Wahrheit gemäß abzugeben und sich auf Anforderung des Gerichts zu den von den anderen Beteiligten vorgebrachten Tatsachen zu erklären. § 90 Abs. 2, § 93 Abs. 3 Satz 2, § 97, §§ 99, 100 der Abgabenordnung gelten sinngemäß. Das Gericht ist an das Vorbringen und an die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden.
(2) Der Vorsitzende hat darauf hinzuwirken, dass Formfehler beseitigt, sachdienliche Anträge gestellt, unklare Anträge erläutert, ungenügende tatsächliche Angaben ergänzt, ferner alle für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts wesentlichen Erklärungen abgegeben werden.
(3) Erklärungen und Beweismittel, die erst nach Ablauf der von der Finanzbehörde nach § 364b Abs. 1 der Abgabenordnung gesetzten Frist im Einspruchsverfahren oder im finanzgerichtlichen Verfahren vorgebracht werden, kann das Gericht zurückweisen und ohne weitere Ermittlungen entscheiden. § 79b Abs. 3 gilt entsprechend.
(4) Die Verpflichtung der Finanzbehörde zur Ermittlung des Sachverhalts (§§ 88, 89 Abs. 1 der Abgabenordnung) wird durch das finanzgerichtliche Verfahren nicht berührt.
(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung; die §§ 158, 160, 162 der Abgabenordnung gelten sinngemäß. Das Gericht darf über das Klagebegehren nicht hinausgehen, ist aber an die Fassung der Anträge nicht gebunden. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.
(2) Das Urteil darf nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten.
(1) Schulden und andere Lasten, Betriebsausgaben, Werbungskosten und andere Ausgaben sind steuerlich regelmäßig nicht zu berücksichtigen, wenn der Steuerpflichtige dem Verlangen der Finanzbehörde nicht nachkommt, die Gläubiger oder die Empfänger genau zu benennen. Das Recht der Finanzbehörde, den Sachverhalt zu ermitteln, bleibt unberührt.
(2) § 102 bleibt unberührt.
(1) Soweit die Finanzbehörde die Besteuerungsgrundlagen nicht ermitteln oder berechnen kann, hat sie sie zu schätzen. Dabei sind alle Umstände zu berücksichtigen, die für die Schätzung von Bedeutung sind.
(2) Zu schätzen ist insbesondere dann, wenn der Steuerpflichtige über seine Angaben keine ausreichenden Aufklärungen zu geben vermag oder weitere Auskunft oder eine Versicherung an Eides statt verweigert oder seine Mitwirkungspflicht nach § 90 Abs. 2 verletzt. Das Gleiche gilt, wenn der Steuerpflichtige Bücher oder Aufzeichnungen, die er nach den Steuergesetzen zu führen hat, nicht vorlegen kann, wenn die Buchführung oder die Aufzeichnungen nach § 158 Absatz 2 nicht der Besteuerung zugrunde gelegt werden oder wenn tatsächliche Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der vom Steuerpflichtigen gemachten Angaben zu steuerpflichtigen Einnahmen oder Betriebsvermögensmehrungen bestehen und der Steuerpflichtige die Zustimmung nach § 93 Abs. 7 Satz 1 Nr. 5 nicht erteilt. Hat der Steuerpflichtige seine Mitwirkungspflichten nach § 12 des Gesetzes zur Abwehr von Steuervermeidung und unfairem Steuerwettbewerb verletzt, so wird widerlegbar vermutet, dass in Deutschland steuerpflichtige Einkünfte in Bezug zu Staaten oder Gebieten im Sinne des § 3 Absatz 1 des Gesetzes zur Abwehr von Steuervermeidung und unfairem Steuerwettbewerb
- 1.
bisher nicht erklärt wurden, tatsächlich aber vorhanden sind, oder - 2.
bisher zwar erklärt wurden, tatsächlich aber höher sind als erklärt.
(3) Verletzt ein Steuerpflichtiger seine Mitwirkungspflichten nach § 90 Absatz 3 dadurch, dass er keine Aufzeichnungen über einen Geschäftsvorfall vorlegt, oder sind die über einen Geschäftsvorfall vorgelegten Aufzeichnungen im Wesentlichen unverwertbar oder wird festgestellt, dass der Steuerpflichtige Aufzeichnungen im Sinne des § 90 Absatz 3 Satz 5 nicht zeitnah erstellt hat, so wird widerlegbar vermutet, dass seine im Inland steuerpflichtigen Einkünfte, zu deren Ermittlung die Aufzeichnungen im Sinne des § 90 Absatz 3 dienen, höher als die von ihm erklärten Einkünfte sind. Hat in solchen Fällen die Finanzbehörde eine Schätzung vorzunehmen und können diese Einkünfte nur innerhalb eines bestimmten Rahmens, insbesondere nur auf Grund von Preisspannen bestimmt werden, kann dieser Rahmen zu Lasten des Steuerpflichtigen ausgeschöpft werden. Bestehen trotz Vorlage verwertbarer Aufzeichnungen durch den Steuerpflichtigen Anhaltspunkte dafür, dass seine Einkünfte bei Beachtung des Fremdvergleichsgrundsatzes höher wären als die auf Grund der Aufzeichnungen erklärten Einkünfte, und können entsprechende Zweifel deswegen nicht aufgeklärt werden, weil eine ausländische, nahe stehende Person ihre Mitwirkungspflichten nach § 90 Abs. 2 oder ihre Auskunftspflichten nach § 93 Abs. 1 nicht erfüllt, ist Satz 2 entsprechend anzuwenden.
(4) Legt ein Steuerpflichtiger über einen Geschäftsvorfall keine Aufzeichnungen im Sinne des § 90 Absatz 3 vor oder sind die über einen Geschäftsvorfall vorgelegten Aufzeichnungen im Wesentlichen unverwertbar, ist ein Zuschlag von 5 000 Euro festzusetzen. Der Zuschlag beträgt mindestens 5 Prozent und höchstens 10 Prozent des Mehrbetrags der Einkünfte, der sich nach einer Berichtigung auf Grund der Anwendung des Absatzes 3 ergibt, wenn sich danach ein Zuschlag von mehr als 5 000 Euro ergibt. Der Zuschlag ist regelmäßig nach Abschluss der Außenprüfung festzusetzen. Bei verspäteter Vorlage von verwertbaren Aufzeichnungen beträgt der Zuschlag bis zu 1 000 000 Euro, mindestens jedoch 100 Euro für jeden vollen Tag der Fristüberschreitung; er kann für volle Wochen und Monate der verspäteten Vorlage in Teilbeträgen festgesetzt werden. Soweit den Finanzbehörden Ermessen hinsichtlich der Höhe des jeweiligen Zuschlags eingeräumt ist, sind neben dem Zweck dieses Zuschlags, den Steuerpflichtigen zur Erstellung und fristgerechten Vorlage der Aufzeichnungen nach § 90 Absatz 3 anzuhalten, insbesondere die von ihm gezogenen Vorteile und bei verspäteter Vorlage auch die Dauer der Fristüberschreitung zu berücksichtigen. Von der Festsetzung eines Zuschlags ist abzusehen, wenn die Nichterfüllung der Pflichten nach § 90 Abs. 3 entschuldbar erscheint oder ein Verschulden nur geringfügig ist. Das Verschulden eines gesetzlichen Vertreters oder eines Erfüllungsgehilfen steht dem eigenen Verschulden gleich.
(4a) Verletzt der Steuerpflichtige seine Mitwirkungspflichten nach § 12 des Steueroasen-Abwehrgesetzes, ist Absatz 4 entsprechend anzuwenden. Von der Festsetzung eines Zuschlags ist abzusehen, wenn die Nichterfüllung der Mitwirkungspflichten entschuldbar erscheint oder das Verschulden nur geringfügig ist. Das Verschulden eines gesetzlichen Vertreters oder eines Erfüllungsgehilfen ist dem Steuerpflichtigen zuzurechnen.
(5) In den Fällen des § 155 Abs. 2 können die in einem Grundlagenbescheid festzustellenden Besteuerungsgrundlagen geschätzt werden.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.
Tatbestand
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Strittig ist die Haftung für Lohnsteuer und Solidaritätszuschlag für den Zeitraum Januar 2006 bis Mai 2010.
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Der Kläger ist Inhaber der Firma K., die als einzelkaufmännisches Unternehmen einen Schrotthandel und Kabelrecycling betreibt.
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Nachdem das Hauptzollamt B. bei einer Überprüfung des Betriebes im Jahr 2010 Anhaltspunkte dafür festgestellt hatte, dass der Kläger über mehrere Jahre illegal polnische Arbeitnehmer ohne gültige Arbeitserlaubnis in seiner Firma beschäftigt hatte, wurde am 07. Mai 2010 gegen den Kläger ein steuerstrafrechtliches Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Lohnsteuerhinterziehung eingeleitet. In der Zeit vom 15. November 2010 bis zum 06. Dezember 2010 fand bei dem Kläger eine Betriebsprüfung statt. Nach den Feststellungen des Hauptzollamtes B. und der Betriebsprüfung lagen dem Großteil der auf dem Konto ... (Wareneingang ohne Vorsteuer) gebuchten Schrotteinkäufe keine tatsächlichen Leistungen zu Grunde. Zur Bezahlung der illegal beschäftigten Arbeitnehmer habe der Kläger Gelder verwendet, die er seinem Betrieb unter Vortäuschung von Schrotteinkäufen zuvor entzogen habe. Bei dem Großteil der Schrottverkäufer habe es sich um Personen gehandelt, die entweder erklärt hätten, keine Schrottverkäufe getätigt zu haben, oder um bereits verstorbene oder überhaupt nicht existente Personen. Auf Grundlage der beim Kläger sichergestellten Beweismittel konnte das Hauptzollamt das Arbeitsvolumen der „schwarz“ beschäftigten polnischen Arbeitskräfte ab dem Jahr 2009 ermitteln, für die Jahre 2006 - 2008 schätzte das Hauptzollamt die Arbeitsstunden und das darauf entfallende Arbeitsentgelt der „schwarz“ beschäftigten Arbeitnehmer. Ausgehend davon, dass es sich beim Kabelrecycling um eine handarbeitsintensive Tätigkeit handelt, ging das Hauptzollamt dabei davon aus, dass in der Regel nur in dem Umfang Altkabel angekauft wurden, wie diese durch das vorhandene Arbeitskräftepersonal bearbeitet werden konnten. Durch Abfrage der Geschäftspartner ermittelte das HZA, welche Mengen an Altkabeln der Kläger ab dem Jahr 2006 zum Recyceln bezogen hatte. Auf Basis dieser gelieferten Menge errechnete es ein Mindestarbeitsstundenvolumen, das zum Recyceln der entsprechenden Mengen notwendig war und aus der Differenz zwischen dem notwendigen Arbeitsstundenvolumen und dem Arbeitsstundenvolumen der offiziellen Mitarbeiter den Arbeitsanteil der „schwarz“ beschäftigten Arbeitnehmer: Im Übrigen wird auf den Betriebsprüfungsbericht vom 13. Dezember 2010 (Bl. 127 ff d. A. „LSt. 5/10“) und den Steuerbericht über die durchgeführte Fahndungsprüfung vom 08. Dezember 2010 Bl. 139 ff d. A. „LSt. 5/10“) sowie auf den Bericht des Hauptzollamtes B. im steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahren vom 30. September 2010 (Bl. 144 ff d. A. „LSt. 5/10“) jeweils Bezug genommen.
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Aufgrund der Feststellungen der Betriebsprüfung und des Hauptzollamtes erließ der Beklagte am 28. April 2011 ein Haftungsbescheid über Lohnsteuer für den Zeitraum Januar 2006 bis Mai 2010 in Höhe von 55.508,40 € und Solidaritätszuschlag in Höhe von 3.052,96 €.
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Seinen hiergegen eingelegten Einspruch begründete der Kläger insbesondere damit, dass in seinem Unternehmen Schwarzarbeit nicht vorliege und - soweit kein Schrottaufkauf erfolgt sei - dieser auch nicht hätte weiterverarbeitet werden können.
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Nachdem der Beklagte den Einspruch mit Einspruchsbescheid vom 10. Oktober 2012 zurückgewiesen hatte, hat der Kläger am 12. November 2012 Klage erhoben. Seinen zeitgleich gestellten Antrag auf gerichtliche Vollziehungsaussetzung hat der Senat mit Beschluss vom 17. Juli 2013 (Az. 6 V 1170/12) abgelehnt.
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Zur Begründung seiner Klage wiederholt der Kläger im Wesentlichen sein Einspruchsvorbringen. Der Kläger beanstandet, dass zum Sachverhalt zwei Prüfberichte vorliegen würden, die – seiner Auffassung nach- inhaltlich voneinander abweichen würden. Die dem Haftungsbescheid zugrundeliegenden „vermeintlichen“ Feststellungen des Hauptzollamtes sowie die Feststellungen der Betriebsprüfung hält der Kläger für „erheblich rechtsfehlerhaft“. Bei der Lohnsumme handele es sich um einen „reinen Schätzbetrag des Hauptzollamtes“, der auf „fiktiven Arbeitnehmerzahlen“ basiere. So erschließe sich ihm nicht, aus welchen Ermittlungen vor Ort und originären Aufzeichnungen sich die zugrunde gelegte Arbeitnehmer- und Stundenzahl ergebe. Letztlich basierten die angeführten Aufzeichnungen, welche die Anzahl von Mitarbeitern im streitgegenständlichen Zeitraum festlegen sollen, „auf vier Zetteln“. Soweit hierzu überhaupt Zeugenaussagen getroffen worden seien, seien diese zueinander widersprüchlich und vage und gäben insbesondere auch keine genaue Mitarbeiteranzahl im streitgegenständlichen Zeitraum an. Zudem sei die Berechnung der fiktiven Arbeitsstunden fehlerhaft. Der vom Hauptzollamt pauschal zugrunde gelegte Arbeitszeitbedarf von 0,022 Tonnen je Stunde für zwei Sorten Rohmaterial habe mit den tatsächlichen Gegebenheiten nichts gemein. So variiere die Arbeitszeit je nach zu verarbeitenden Vielzahl von Rohmaterialien. Weder das Hauptzollamt noch der Beklagte hätten aber Art, Menge und Qualität des angekauften Rohmaterials mit den weiterverkauften Materialien des Klägers verglichen. Das Hauptzollamt habe durch die „nicht nachvollziehbare“ Normstundenzahl den Arbeitszeitaufwand mit 15,9 Stunden je Tonne Material „massiv überhöht“ angesetzt. Der tatsächliche Aufwand liege je nach Rohmaterial bis zu 10 Stunden darunter. Nach allem seien der Betriebsprüfungsbericht sowie der vermeintlichen Feststellungen des Hauptzollamtes als Grundlage für die angefochtenen Bescheide, wegen seiner erheblichen Rechtsfehler, „nicht haltbar“.
- 8
Weitere Ausführungen in der Sache könnten aufgrund des laufenden Ermittlungsverfahrens derzeit nicht erfolgen. Eine Verpflichtung zur Mitwirkung im Besteuerungsverfahren würde gegen den Grundsatz „nemo tenetur se ipsum accusare“ verstoßen. Schon die Gefahr einer möglichen Selbstbelastung genüge, um die steuerliche Erzwingbarkeit von Mitwirkungspflichten entfallen zu lassen.
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Der Kläger beantragt,
den Haftungsbescheid vom 28. April 2011 in Form des Einspruchsbescheides vom 10. Oktober 2013 aufzuheben.
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Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung verweist der Beklagte auf die Begründung im Einspruchsbescheid.
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Der Berichterstatter hat dem Kläger unter Hinweis auf den ablehnenden Aussetzungsbeschluss die Möglichkeit zur Klagerücknahme oder Stellungnahme eingeräumt und die Beteiligten um Zustimmung zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gebeten, die beide erteilt haben.
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Dem Senat hat bei der Entscheidung 1 Band Verwaltungsakten des Beklagten vorgelegen.
Entscheidungsgründe
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Aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung entscheiden, § 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung -FGO -.
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Die Klage ist unbegründet. Der angefochtene Haftungsbescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO.)
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Gemäß § 191 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung - AO - kann durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden, wer kraft Gesetzes für eine Steuer haftet. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH ist die Entscheidung über die Inanspruchnahme eines Haftungsschuldners zweigliedrig (vgl. BFH-Urteil vom 13. April 1978 V R 109/75, BStBl II 1978, 508). Das Finanzamt hat zunächst zu prüfen, ob in der Person oder den Personen, die es heranziehen will, die tatbestandlichen Voraussetzungen der Haftungsvorschrift erfüllt sind. Dabei handelt es sich um eine vom Gericht in vollem Umfang überprüfbare Rechtsentscheidung. Daran schließt sich die nach § 191 Abs. 1 AO zu treffende Ermessensentscheidung des Finanzamtes an, ob und wen es als Haftenden in Anspruch nehmen will. Diese auf der zweiten Stufe zu treffende Entscheidung ist gerichtlich nur im Rahmen des § 102 Satz 1 FGO auf Ermessensfehler (Ermessensüberschreitung, Ermessensfehlgebrauch) überprüfbar.
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Die Voraussetzungen für eine Haftungsinanspruchnahme des Klägers liegen danach im Streitfall vor.
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Nach § 42d Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes –EStG- haftet der Arbeitgeber für die Lohnsteuer, die er nach § 38 Abs. 3 Satz 1 EStG bei jeder Lohnzahlung vom Arbeitslohn für Rechnung des Arbeitnehmers einzubehalten und nach § 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG abzuführen hat. Gemäß § 38 Abs. 2 Satz 2 EStG entsteht die Lohnsteuer in dem Zeitpunkt, in dem der Arbeitslohn dem Arbeitnehmer zufließt. Gemäß § 41 a Abs. 1 EStG hat der Arbeitgeber spätestens am zehnten Tag nach Ablauf eines jeden Lohnsteuer-Anmeldungszeitraums -grundsätzlich der Kalendermonat (§ 41a Abs. 2 S.1 EStG)- dem zuständigen Betriebsstättenfinanzamt eine Steuererklärung einzureichen, in der er die Summen der im Lohnsteuer-Anmeldungszeitraum einzubehaltenden und zu übernehmenden Lohnsteuer angibt (Lohnsteuer-Anmeldung, § 41 a Abs. 2 Nr. 1 EStG) und die im Lohnsteuer-Anmeldungszeitraum insgesamt einbehaltene und übernommene Lohnsteuer an das Betriebsstättenfinanzamt abzuführen (§ 41 a Abs. 2 Nr. 2 EStG).
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Diese steuerliche Verpflichtung zur Einbehaltung, Anmeldung und rechtzeitigen Abführung der Lohnsteuern hatte der Kläger in seiner Eigenschaft als Inhaber und Arbeitgeber zu erfüllen. Entgegen seiner Verpflichtung meldete der Kläger bezogen auf die illegal beschäftigten und nicht in der Buchhaltung erwähnten Arbeitnehmer im Zeitraum Januar 2006 bis Mai 2010 fällige Lohnsteuer entgegen § 41 a Abs. 1 EStG nicht beim Beklagten an und führte im Zeitraum vom 10. Februar 2006 bis 10. Juni 2010 die entstandenen Lohnsteuerabzugsbeträge auch nicht an den Beklagten ab.
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Der Kläger hat im Haftungszeitraum die „Schwarzlohnzahlungen“ an die illegal beschäftigten polnischen Arbeitnehmer durch sog. Abdeckrechnungen verschleiert. Sowohl die hierzu vom Hauptzollamt B. im Rahmen des steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahrens getroffenen Feststellungen als auch die Feststellungen der Betriebsprüfung sind schlüssig.
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So hat das Hauptzollamt B. bereits bei der Durchsuchung der Geschäftsräume des Klägers am 07. Mai 2010 auf dem Betriebsgelände 5 polnische Arbeitnehmer bei Kabelrecyclingarbeiten angetroffen, die weder eine Arbeitsgenehmigung hatten noch zur Sozialversicherung angemeldet waren. Diese Arbeitnehmer haben bei ihren zeugenschaftlichen Vernehmungen übereinstimmend angegeben, bei einer Wochenarbeitszeit von 48 Stunden einen Stundenlohn in Höhe von 6,- € erhalten zu haben. Dabei haben die Zeugen insbesondere übereinstimmend der Einlassung des Klägers widersprochen, es handele sich bei den Arbeitskräften um Praktikanten einer polnischen Firma, an der er beteiligt sei. Die polnischen Arbeitnehmer haben demgegenüber übereinstimmend angegeben, diese polnische Firma, die sich nach den Ermittlungen des Hauptzollamtes zu diesem Zeitpunkt bereits in Liquidation befand, nicht zu kennen und nicht für diese zu arbeiten. Weitere 7 Arbeitnehmer des Klägers haben in ihren zeugenschaftlichen Vernehmungen den permanenten Einsatz von polnischen Arbeitnehmern in den Streitjahren bestätigt, die zumindest die gleichen Arbeitszeiten wie sie selbst gehabt hätten. Des Weiteren konnten durch das Hauptzollamt B. für die Streitjahre 2009 und 2010 handschriftliche Auszahlungsbelege sowie handschriftliche Leistungslohnberechnungen sichergestellt werden, die neben den laut Stundenbüchern ersichtlichen Arbeitsstunden der offiziell beschäftigten Arbeitnehmer weitere Arbeitsstunden von inoffiziell beschäftigten Arbeitnehmern enthielten. Schließlich konnten vom Hauptzollamt zahlreiche Scheinrechnungen über angebliche Ankäufe von Altmetall sichergestellt werden, die nach Überprüfung den Verdacht begründeten, als sog. Abdeckrechnungen die Auszahlung von Arbeitsentgelten an die polnischen Arbeitnehmer verschleiert zu haben. So waren von 34 angeblichen Altmetallverkäufern bereits 5 zum Zeitpunkt der angeblichen Verkäufe verstorben, weitere 11 Verkäufer waren entweder nicht gemeldet oder ihre Anschriften existierten überhaupt nicht und weitere 18 angebliche Verkäufer, die das Hauptzollamt ermitteln konnte, teilten mit, in keinerlei geschäftlichen Kontakt zum Kläger zu stehen.
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Nach alledem war der Beklagte zur Schätzung der Besteuerungsgrundlagen berechtigt. Soweit die Finanzbehörde die Besteuerungsgrundlagen nicht ermitteln kann, hat sie diese zu schätzen (§ 162 Abs. 1 Satz 1 AO). Zu schätzen ist insbesondere dann, wenn der Steuerpflichtige über seine Angaben keine ausreichenden Aufklärungen zu geben vermag (§ 162 Abs. 2 Satz 1 AO). Zwar sind der Besteuerung grundsätzlich die Buchführung und die Aufzeichnungen eines Steuerpflichtigen, die den Vorschriften der §§ 140 bis 148 AO entsprechen, zugrunde zu legen. Dies gilt indessen nur, soweit nach den Umständen des Einzelfalls kein Anlass besteht, ihre sachliche Richtigkeit zu beanstanden (§ 158 AO). Ergibt die Würdigung des Sachverhalts, dass die formell ordnungsmäßige Buchführung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ganz oder teilweise sachlich unrichtig ist, so kann das Ergebnis dieser Buchführung ganz oder teilweise verworfen werden (vgl. BFH-Beschlüsse vom 07. November 1990 III B 449/90, BFH/NV 1991, 724; vom 02. Juli 1999 V B 83/99, BFH/NV 1999, 1450).
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Diese Voraussetzungen stehen aufgrund der Feststellungen des Hauptzollamtes und der Betriebsprüfung zur Überzeugung des Senats fest, so dass der Beklagte unter Berücksichtigung der vorstehenden Grundsätze im Streitfall im Ergebnis zu Recht die Buchführung des Klägers verworfen hat. Da die Gesamtumstände nach alledem den Schluss aufdrängen, dass der Kläger neben den darin aufgeführten und ordnungsgemäß gemeldeten Arbeitnehmern in den Streitjahren durchgehend weitere polnische Arbeitnehmer illegal beschäftigt hat und der Kläger auch nach der Aufdeckung der Beschäftigung illegaler polnischer Arbeitskräfte seiner Verpflichtung zur wahrheitsgemäßen Mitwirkung bei der weiteren Sachverhaltsaufklärung im Streitfall nicht nachgekommen ist, war der Beklagte zur Schätzung der Besteuerungsgrundlagen befugt. So ist das Vorbringen des Klägers, die Feststellungen, die der Beklagte zur Grundlage seines Haftungsbescheides gemacht habe, beruhten auf „Hochrechnungen“, deren Weg sich ihm „nicht erschließe“, jedenfalls unsubstantiiert und ebenso wenig geeignet wie seine nicht näher begründete Auffassung, die Zeugenaussagen seiner vernommenen Arbeitnehmer seien „vage und widersprüchlich“. So ergibt sich – worauf der Beklagte zu Recht verweist - aus den Aussagen der festgestellten polnischen Arbeitnehmer sowie der gemeldeten Arbeitskräfte das Bild einer permanenten Beschäftigung illegaler polnischer Arbeitskräfte neben den angemeldeten Arbeitskräften in den Streitjahren. Die vom Kläger gerügten „Widersprüche“ in den Zeugenaussagen zur Angabe der Anzahl und der Arbeitszeiten der illegal beschäftigten Arbeitnehmer lassen sich dabei ohne weiteres mit den unterschiedlichen Beschäftigungszeiträumen und Arbeitszeiten der befragten Arbeitnehmer erklären.
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Gegen diese und die weiteren Feststellungen der Betriebsprüfung und des Hauptzollamtes - insbesondere auch zu den vorgefundenen handschriftlichen Aufzeichnungen und die Scheinrechnungen über angebliche Schrottankäufe - hat der Kläger im gesamten bisherigen Verfahren keine substantiierten Einwendungen erhoben geschweige denn Nachweise erbracht oder doch zumindest Beweisanträge gestellt. Auch nachdem im Aussetzungsverfahren 6 V 1170/12 der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung durch Beschluss des Senats vom 17. Juli 2013 abgelehnt worden ist, hat der Kläger die ihm eingeräumte und mehrfach verlängerte Stellungnahmefrist nicht zu einer ergänzenden Stellungnahme genutzt. Aufgrund dieser gravierenden, sich durch das gesamte Verfahren ziehenden Verletzung seiner Mitwirkungspflichten durch den Kläger, besteht für den Senat weder Anlass für weitere, eigene Ermittlungen noch bieten sich hierfür irgendwelche Ansatzpunkte. So hängt nach der ständigen Rechtsprechung des BFH der Umfang der gerichtlichen Aufklärungspflicht u. a. davon ab, in welchem Umfange die Verfahrensbeteiligten ihre Mitwirkungspflichten (vgl. §§ 65 Abs. 2, 76 Abs. 1 Satz 2, 79 und 93 Abs.1 FGO) wahrnehmen. Kommen die Beteiligten ihren Mitwirkungspflichten nicht oder nur in ungenügendem Umfang nach, so sind der gerichtlichen Aufklärungspflicht enge Grenzen gesetzt (BFH-Urteile vom 11. November 1986 VII R 87/82, n. v., BFH/NV 1987, 419; vom 3. November 1976 II R 43/67, BFHE 120, 549, BStBl II 1977, 159; vgl. auch BFH-Beschlüsse vom 13. September 2005 X B 8/05, BFH/NV 2005, 2167 und vom 20. November 2002 X B 6/02, juris BFH/NV 2003, 318). Im Streitfall hätte der im Prozess sachkundig vertretene Kläger spätestens seit Ergehen des ablehnenden Aussetzungsbeschlusses des Senats im Verfahren 6 V 1170/12, in welchem bereits der unsubstantiierte Sachvertrag im Einzelnen aufgeführt worden ist, bis zum Ergehen der Entscheidung im vorliegenden Klageverfahren annähernd 10 Monate Zeit gehabt, unter Wahrung seiner Interessen etwaige Verstöße des Finanzamtes bei Erlass des Haftungsbescheides substantiiert darzulegen und hierfür Beweis anzutreten. Er hat stattdessen mit seinem Verzicht auf mündliche Verhandlung zum Ausdruck gebracht, dass eine entsprechende Konkretisierung seines Vortrags entweder nicht möglich oder gewollt ist.
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Entgegen der Auffassung des Klägers war seine Mitwirkungspflicht im Steuerverfahren weder aufgehoben noch eingeschränkt. So folgt aus § 393 Abs. 1 AO, dass die steuerlichen Mitwirkungspflichten des Beschuldigten, der an einem parallel geführten Besteuerungsverfahren beteiligt ist, bestehen bleiben (Hellmann, in Hübschmann/Hepp/Spitaler AO/FGO § 393 AO Rdn. 39). Jede Einschränkung der Mitwirkungspflichten oder der Feststellungslast würde den aus Art. 3 Abs. 1 GG folgenden verfassungsrechtlichen Grundsatz der steuerlichen Belastungsgleichheit verletzen (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 23. Januar 2002 XI R 10, 11/01, XI R 10/01, XI R 11/01, BFHE 198, 7, BStBl II 2002, 328; BFH-Beschluss vom 28. April 1997 X B 123-124/95, X B 123/95, X B 124/95, recherchiert bei JURIS; vgl. a. BVerfG-Urteil vom 10. November 1999 2 BvR 1820/92, BStBl II 2000, 158). Hierzu folgt auch aus der vom Kläger selbst angeführten steuerstrafrechtlichen Kommentarliteratur nichts anderes. So ergibt sich insbesondere aus Joecks, in Franzen/Gast/Joecks Steuerstrafrecht, 4. Auflage (ebenso wie aus der 7. Auflage), § 393 Rz. 20 f lediglich, unter welchen Voraussetzungen die Gefahr einer Selbstbelastung besteht, ohne dass damit an dieser Stelle etwas über die Rechtsfolge ausgeführt wird. Aus Joecks, in Franzen/Gast/Joecks Steuerstrafrecht, 4. Auflage (ebenso wie aus der 7. Auflage), § 393 Rz. 15 und Hilgers-Klautzsch, in Kohlmann, Steuerstrafrecht, § 393 AO Rdn. 20, 37 ergibt sich aber, dass der Beschuldigte grundsätzlich weiterhin den allgemeinen steuerlichen Mitwirkungspflichten unterliegt und dass eine Verletzung dieser Mitwirkungspflichten – wie hier geschehen – eine Schätzung ermöglicht.
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Die Schätzung der Besteuerungsgrundlagen des Beklagten erfüllt auch die weiteren Voraussetzungen, denn sie erscheint schlüssig, wirtschaftlich möglich und vernünftig. So ist es nicht zu beanstanden, wenn das Hauptzollamt wegen der im Vergleich zum Baugewerbe im Altmetallhandel zu verzeichnenden größeren Umsatzschwankungen an den Altmetallbörsen keine Richtsätze des Baugewerbes herangezogen hat. Auch begegnet es keinen Bedenken, wenn das Hauptzollamt davon ausgegangen ist, dass beim Kabelrecycling regelmäßig nur in dem Umfang Altkabel aufgekauft worden sind, wie diese durch das vorhandene Personal bearbeitet werden konnten, da es sich um eine handarbeitsintensive Tätigkeit handele. Der Ansatz, auf der Basis der durch Abfrage bei den Geschäftspartnern ermittelten Gesamtmenge des angekauften Altmetalls ein Mindestarbeitsstundenvolumen zu errechnen, welches zum Recyceln der entsprechenden Menge notwendig ist, erscheint nach alledem schlüssig. Ebenso erscheint es nachvollziehbar, dass nach Abzug des Arbeitsstundenvolumens der offiziell angemeldeten Arbeitnehmer von der Gesamtstundenmenge der verbleibende Anteil von Arbeitsstunden den illegal beschäftigten Arbeitnehmern zugerechnet werden kann. Die hiergegen vom Kläger vorgebrachten Einwände gegen die Berechnung der Stundenzahl greifen nicht durch. Insbesondere hat der Kläger mit dem Einwand, die Berechnung widerspreche den „tatsächlichen Gegebenheiten“, da je nach zu verarbeitendem Rohmaterial die Arbeitszeit variiere, keinen Erfolg. Die Auswahl der Schätzungsmethode steht vielmehr im pflichtgemäßen Ermessen des Finanzamtes. Dabei sind Abweichungen von den tatsächlichen Verhältnissen, die notwendig mit einer Schätzung verbunden sind, vom Steuerpflichtigen hinzunehmen, weil er selbst durch sein Verhalten die Ursache für die Schätzung gesetzt hat (vgl. Tipke/Kruse, AO/FGO, § 162 AO, Rdn. 32f). Der seine Aufzeichnungs- und Mitwirkungspflicht verletzende Steuerpflichtige soll nämlich nicht besser stehen als derjenige, der die Besteuerungsgrundlagen ordnungsgemäß aufzeichnet und erklärt (vgl. BFH-Urteile vom 20. Dezember 2000 I R 50/00, BStBl II 2001, 381; vom 29. März 2001 IV R 67/99, BStBl II 2001, 484). Macht er - wie hier zur Anzahl der beschäftigten Arbeitnehmer - keine oder nur unvollständige Angaben, so kann er sich deshalb auf Schätzungsfehler des Finanzamtes nur in einem eingeschränkten Umfang berufen, weil seine Mitwirkungspflichtverletzung das Beweismaß nach § 162 Abs. 2 AO und entsprechend die Ermittlungspflicht von Finanzbehörde und Finanzgericht bei der Ausübung ihrer Schätzungsbefugnis reduziert (vgl. BFH-Urteile vom 26.Oktober 2011 VII R 22/10, BFH/NV 2012, 777; vom 25. Mai 2004 VII R 8/03, BFH/NV 2004, 1498; vom 7. März 1973 II R 34/66, BFHE 109, 472, BStBl II 1973, 707). Die Besteuerungsgrundlagen sind nach Maßgabe ihrer größten Wahrscheinlichkeit zu schätzen (BFH-Urteil vom 31. August 1967 V 241/64, BStBl III 1967, 686), der Steuerpflichtige hat aber keinen Anspruch auf Anwendung einer bestimmten Schätzungsmethode (BFH-Beschluss vom 3. September 1998 XI B 209/95, BFH/NV 1999, 290, 291). Das Finanzamt kann sich nach alledem an der oberen Grenze des zulässigen Schätzungs-rahmens orientieren (BFH-Urteil vom 15. Mai 2002 X R 33/99, BFH/NV 2002, 1415-1417 Tipke/Kruse, AO/FGO, § 162 AO Rz. 79). Die Schätzung erweist sich erst dann als rechtswidrig, wenn sie den durch die Umstände des Falles gezogenen Schätzungsrahmen verlässt. Für ein Überschreiten des zulässigen Schätzungsrahmens durch den Beklagten bestehen aber im Streitfall keinerlei Anhaltspunkte. Entsprechende Umstände sind hier weder vom Kläger schlüssig vorgetragen geschweige denn nachgewiesen noch sind sie sonst aus den Akten ersichtlich.
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Der Haftungsbescheid und der dazu ergangene Einspruchsbescheid lassen schließlich auch keinen Ermessensfehler erkennen. Dabei kann das Finanzgericht die Ermessensausübung nur nach Maßgabe des § 102 Satz 1 FGO überprüfen. Insbesondere ist die Ausübung des Auswahlermessens nicht zu beanstanden. Die hierzu vom Beklagten angestellten Erwägungen, dass ein Haftungsausschluss nicht vorliege und die Beträge von den Arbeitnehmern nicht nachgefordert werden können, lassen erkennen, dass sich der Beklagte der grundsätzlich bestehenden Auswahl zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, die gemäß § 42 d Abs.1 Nr. 1, Abs. 3 EStG als Gesamtschuldner haften, bewusst gewesen ist. Die Ausführungen des Beklagten, dass die Beträge von den Arbeitnehmern – mithin auch von den 5 namentlich ermittelten illegalen Arbeitnehmern – nicht nachgefordert werden können, begegnet im Ergebnis schon deshalb keinen Bedenken, weil der Beklagte im Einspruchsbescheid im Rahmen der Steuerberechnung Ausführungen zu dem hier vorliegenden Fall gemacht hat, dass die zur Ermittlung der Steuer nach den tatsächlichen Verhältnissen erforderlichen Aufzeichnungen und Unterlagen nicht vorliegen und es deshalb im Streitfall gerade nicht möglich erscheint, die gezahlten Lohnsummen namentlich einzelnen Arbeitnehmern zuzuordnen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
(1) Der Arbeitgeber haftet
- 1.
für die Lohnsteuer, die er einzubehalten und abzuführen hat, - 2.
für die Lohnsteuer, die er beim Lohnsteuer-Jahresausgleich zu Unrecht erstattet hat, - 3.
für die Einkommensteuer (Lohnsteuer), die auf Grund fehlerhafter Angaben im Lohnkonto oder in der Lohnsteuerbescheinigung verkürzt wird, - 4.
für die Lohnsteuer, die in den Fällen des § 38 Absatz 3a der Dritte zu übernehmen hat.
(2) Der Arbeitgeber haftet nicht, soweit Lohnsteuer nach § 39 Absatz 5 oder § 39a Absatz 5 nachzufordern ist und in den vom Arbeitgeber angezeigten Fällen des § 38 Absatz 4 Satz 2 und 3 und des § 41c Absatz 4.
(3)1Soweit die Haftung des Arbeitgebers reicht, sind der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer Gesamtschuldner.2Das Betriebsstättenfinanzamt kann die Steuerschuld oder Haftungsschuld nach pflichtgemäßem Ermessen gegenüber jedem Gesamtschuldner geltend machen.3Der Arbeitgeber kann auch dann in Anspruch genommen werden, wenn der Arbeitnehmer zur Einkommensteuer veranlagt wird.4Der Arbeitnehmer kann im Rahmen der Gesamtschuldnerschaft nur in Anspruch genommen werden,
- 1.
wenn der Arbeitgeber die Lohnsteuer nicht vorschriftsmäßig vom Arbeitslohn einbehalten hat, - 2.
wenn der Arbeitnehmer weiß, dass der Arbeitgeber die einbehaltene Lohnsteuer nicht vorschriftsmäßig angemeldet hat.2Dies gilt nicht, wenn der Arbeitnehmer den Sachverhalt dem Finanzamt unverzüglich mitgeteilt hat.
(4)1Für die Inanspruchnahme des Arbeitgebers bedarf es keines Haftungsbescheids und keines Leistungsgebots, soweit der Arbeitgeber
- 1.
die einzubehaltende Lohnsteuer angemeldet hat oder - 2.
nach Abschluss einer Lohnsteuer-Außenprüfung seine Zahlungsverpflichtung schriftlich anerkennt.
(5) Von der Geltendmachung der Steuernachforderung oder Haftungsforderung ist abzusehen, wenn diese insgesamt 10 Euro nicht übersteigt.
(6)1Soweit einem Dritten (Entleiher) Arbeitnehmer im Sinne des § 1 Absatz 1 Satz 1 des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 3. Februar 1995 (BGBl. I S. 158), das zuletzt durch Artikel 26 des Gesetzes vom 20. Dezember 2011 (BGBl. I S. 2854) geändert worden ist, zur Arbeitsleistung überlassen werden, haftet er mit Ausnahme der Fälle, in denen eine Arbeitnehmerüberlassung nach § 1 Absatz 3 des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes vorliegt, neben dem Arbeitgeber.2Der Entleiher haftet nicht, wenn der Überlassung eine Erlaubnis nach § 1 des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes in der jeweils geltenden Fassung zugrunde liegt und soweit er nachweist, dass er den nach § 51 Absatz 1 Nummer 2 Buchstabe d vorgesehenen Mitwirkungspflichten nachgekommen ist.3Der Entleiher haftet ferner nicht, wenn er über das Vorliegen einer Arbeitnehmerüberlassung ohne Verschulden irrte.4Die Haftung beschränkt sich auf die Lohnsteuer für die Zeit, für die ihm der Arbeitnehmer überlassen worden ist.5Soweit die Haftung des Entleihers reicht, sind der Arbeitgeber, der Entleiher und der Arbeitnehmer Gesamtschuldner.6Der Entleiher darf auf Zahlung nur in Anspruch genommen werden, soweit die Vollstreckung in das inländische bewegliche Vermögen des Arbeitgebers fehlgeschlagen ist oder keinen Erfolg verspricht; § 219 Satz 2 der Abgabenordnung ist entsprechend anzuwenden.7Ist durch die Umstände der Arbeitnehmerüberlassung die Lohnsteuer schwer zu ermitteln, so ist die Haftungsschuld mit 15 Prozent des zwischen Verleiher und Entleiher vereinbarten Entgelts ohne Umsatzsteuer anzunehmen, solange der Entleiher nicht glaubhaft macht, dass die Lohnsteuer, für die er haftet, niedriger ist.8Die Absätze 1 bis 5 sind entsprechend anzuwenden.9Die Zuständigkeit des Finanzamts richtet sich nach dem Ort der Betriebsstätte des Verleihers.
(7) Soweit der Entleiher Arbeitgeber ist, haftet der Verleiher wie ein Entleiher nach Absatz 6.
(8)1Das Finanzamt kann hinsichtlich der Lohnsteuer der Leiharbeitnehmer anordnen, dass der Entleiher einen bestimmten Teil des mit dem Verleiher vereinbarten Entgelts einzubehalten und abzuführen hat, wenn dies zur Sicherung des Steueranspruchs notwendig ist; Absatz 6 Satz 4 ist anzuwenden.2Der Verwaltungsakt kann auch mündlich erlassen werden.3Die Höhe des einzubehaltenden und abzuführenden Teils des Entgelts bedarf keiner Begründung, wenn der in Absatz 6 Satz 7 genannte Prozentsatz nicht überschritten wird.
(9)1Der Arbeitgeber haftet auch dann, wenn ein Dritter nach § 38 Absatz 3a dessen Pflichten trägt.2In diesen Fällen haftet der Dritte neben dem Arbeitgeber.3Soweit die Haftung des Dritten reicht, sind der Arbeitgeber, der Dritte und der Arbeitnehmer Gesamtschuldner.4Absatz 3 Satz 2 bis 4 ist anzuwenden; Absatz 4 gilt auch für die Inanspruchnahme des Dritten.5Im Fall des § 38 Absatz 3a Satz 2 beschränkt sich die Haftung des Dritten auf die Lohnsteuer, die für die Zeit zu erheben ist, für die er sich gegenüber dem Arbeitgeber zur Vornahme des Lohnsteuerabzugs verpflichtet hat; der maßgebende Zeitraum endet nicht, bevor der Dritte seinem Betriebsstättenfinanzamt die Beendigung seiner Verpflichtung gegenüber dem Arbeitgeber angezeigt hat.6In den Fällen des § 38 Absatz 3a Satz 7 ist als Haftungsschuld der Betrag zu ermitteln, um den die Lohnsteuer, die für den gesamten Arbeitslohn des Lohnzahlungszeitraums zu berechnen und einzubehalten ist, die insgesamt tatsächlich einbehaltene Lohnsteuer übersteigt.7Betrifft die Haftungsschuld mehrere Arbeitgeber, so ist sie bei fehlerhafter Lohnsteuerberechnung nach dem Verhältnis der Arbeitslöhne und für nachträglich zu erfassende Arbeitslohnbeträge nach dem Verhältnis dieser Beträge auf die Arbeitgeber aufzuteilen.8In den Fällen des § 38 Absatz 3a ist das Betriebsstättenfinanzamt des Dritten für die Geltendmachung der Steuer- oder Haftungsschuld zuständig.
(1) Der unterliegende Beteiligte trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, soweit er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Besteht der kostenpflichtige Teil aus mehreren Personen, so haften diese nach Kopfteilen. Bei erheblicher Verschiedenheit ihrer Beteiligung kann nach Ermessen des Gerichts die Beteiligung zum Maßstab genommen werden.