Bundesverfassungsgericht Stattgebender Kammerbeschluss, 18. Dez. 2017 - 2 BvR 2259/17

ECLI:ECLI:DE:BVerfG:2017:rk20171218.2bvr225917
bei uns veröffentlicht am18.12.2017

Tenor

Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Gießen vom 21. September 2017 - 8 L 6810/17.GI.A - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 19 Absatz 4 Satz 1 in Verbindung mit Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes. Der Beschluss wird aufgehoben. Der Beschluss vom 14. November 2017 - 8 L 7779/17.GI.A - ist gegenstandslos. Die Sache wird an das Verwaltungsgericht Gießen zurückverwiesen.

Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

Das Land Hessen hat dem Beschwerdeführer ein Drittel seiner notwendigen Auslagen für das Verfassungsbeschwerdeverfahren und die Auslagen für das Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu erstatten.

Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit wird für das Verfassungsbeschwerdeverfahren auf 10.000 € (in Worten: zehntausend Euro) und für das Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung auf 5.000 € (in Worten: fünftausend Euro) festgesetzt.

Gründe

I.

1

1. Der am 20. April 1987 in Rüsselsheim geborene Beschwerdeführer ist türkischer Staatsangehöriger. Er verbrachte seine Kindheit und Jugend in Deutschland und heiratete im Februar 2008 eine türkische Staatsangehörige. Aus der Ehe sind zwei Söhne hervorgegangen, die (auch) die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen. Seit dem Jahr 2011 wandte sich der Beschwerdeführer dem muslimischen Glauben zu und nahm Kontakt zu salafistischen Kreisen auf. Im Sommer 2013 reiste der Beschwerdeführer mehrfach, teilweise zusammen mit seiner Familie, in die Türkei und von dort weiter nach Syrien, wo er in einem von der terroristischen Vereinigung Junud al-Sham beherrschten Dorf lebte und der Organisation Geld und einen geländetauglichen PKW zur Verfügung stellte. Nach seiner Rückkehr nach Deutschland überwies er über Mittelsmänner einen Geldbetrag auf ein Konto des sogenannten "Islamischen Staates", nachdem er zuvor unter Vorspiegelung falscher Tatsachen bei einer Bank einen Kredit von 25.000 € aufgenommen hatte.

2

Der Beschwerdeführer wurde am 31. März 2014 in Haft genommen und vom Kammergericht mit Urteil vom 6. Juli 2015 unter anderem wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt.

3

2. Die Ausländerbehörde wies den Beschwerdeführer mit Bescheid vom 3. Juni 2016 aus der Bundesrepublik aus, drohte die Abschiebung in die Türkei an und ordnete die sofortige Vollziehung an. Die nach dem § 53 AufenthG durchzuführende Interessenabwägung führe zum Überwiegen des Ausweisungsinteresses.

4

3. Der Beschwerdeführer erhob gegen den Bescheid Klage und beantragte die Anordnung ihrer aufschiebenden Wirkung. Das Verwaltungsgericht lehnte den Eilantrag mit Beschluss vom 29. Mai 2017 ab, da der Ausweisungsbescheid offensichtlich rechtmäßig sei. Von dem Beschwerdeführer gehe weiterhin eine erhebliche Gefahr für die Allgemeinheit aus; insbesondere sei er noch nicht ausreichend stabil, um Anreizen für eine Rückkehr in sein früheres Leben zu widerstehen. Es liege auch kein Abschiebungsverbot für den Beschwerdeführer vor, da die Behauptung, ihm drohe in der Türkei Folter, unsubstantiiert sei. Selbst wenn in der Türkei bekannt geworden sein sollte, dass der Beschwerdeführer in der Bundesrepublik Deutschland wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung verurteilt worden sei, rechtfertige dies nicht den Schluss, dass ihm in der Türkei Verhaftung und Folter drohten.

5

4. Der Beschwerdeführer legte gegen den Beschluss Beschwerde ein, die der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 31. August 2017 zurückwies. Es bestehe keine beachtliche Wahrscheinlichkeit dafür, dass dem Beschwerdeführer, dessen terroristische Aktivitäten in der Türkei möglicherweise bekannt geworden seien, einer Gefahr von Folter oder einer anderen menschenrechtswidrigen Behandlung ausgesetzt sei. Dies entnehme der Senat dem Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19. Februar 2017. Danach sei es zwar nicht gänzlich ausgeschlossen, dass Anhänger der PKK und der Gülen-Bewegung solchen Behandlungen ausgesetzt seien. Für eine die Strafverfolgung wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung überschreitende Gefahr von Folter oder menschenrechtswidriger Behandlung fehlten jedoch bei islamistischen Kämpfern jegliche Anhaltspunkte. Auch das möglicherweise gegen den Beschwerdeführer geführte Ermittlungsverfahren führe nicht zu einer anderen Beurteilung.

6

5. Der Beschwerdeführer hatte schon unter dem 15. August 2017 einen Asylantrag gestellt. Er müsse bei einer Abschiebung in die Türkei mit Inhaftierung und Folter rechnen. Er habe im Juli erfahren, dass in der Türkei gegen ihn wegen einer angeblichen Mitgliedschaft bei Al-Qaida ermittelt werde; die entsprechende Anklageschrift könne er jedenfalls teilweise vorlegen.

7

Das Bundesamt lehnte den Antrag mit Bescheid vom 23. August 2017 gemäß § 30 Abs. 4 AsylG als offensichtlich unbegründet ab. Zur Begründung führte es insbesondere aus, dass die Zuerkennung internationalen Schutzes aufgrund der Ausschlusstatbestände der § 3 Abs. 2 und § 4 Abs. 2 AsylG ausscheide. Die Voraussetzungen für die Anerkennung als Asylberechtigter seien noch enger, so dass auch diese ausscheide. Es lägen auch keine Abschiebungsverbote vor, da nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit von einer menschenrechtswidrigen Behandlung in der Türkei auszugehen sei. Zu erwarten sei allenfalls eine kurzfristige Festnahme des Beschwerdeführers, jedoch nach den Erkenntnissen des Auswärtigen Amts keine Folter oder sonstige unmenschliche Behandlung.

8

6. Am 30. August 2017 erhob der Beschwerdeführer gegen den Bescheid des Bundesamts Klage und beantragte die Anordnung der aufschiebenden Wirkung. Er führte unter anderem aus, die Begründung des Offensichtlichkeitsurteils sei unzureichend. Ihm drohe politische Verfolgung, da die Strafverfolgung wegen eines politischen Delikts erfolge. Zudem stünden ihm Abschiebungsverbote zur Seite. Aufgrund der laufenden Ermittlungen würde er bei einer Abschiebung in die Türkei für unbestimmte Zeit in Polizeigewahrsam oder Untersuchungshaft genommen, in deren Verlauf er möglicherweise gefoltert werde. Auch im Auslieferungsverkehr werde zwischenzeitlich davon ausgegangen, dass Auslieferungen in die Türkei nur bei konkreten Zusicherungen bezüglich der Haftbedingungen zulässig seien. Mit Schreiben vom 5. September 2017 legte der Beschwerdeführer ein Schreiben von amnesty international vor, in dem ausgeführt wurde, amnesty international lägen zwar keine eigenen Erkenntnisse über die Folter von Islamisten in der Türkei vor. Die deutsche Sektion von amnesty international habe jedoch Ende Juli 2017 eine E-Mail eines in Deutschland lebenden Vaters eines seit Oktober 2016 in der Türkei inhaftierten türkischen Staatsangehörigen erhalten. Dieser habe berichtet, sein Sohn sei in einem Gefängnis in Corum inhaftiert, wo er seit einiger Zeit zusammen mit den Mitgefangenen schwer geschlagen und gefoltert werde. Ärztliche Versorgung werde den Gefangenen vollständig verweigert; sie müssten in Zellen für Behinderte schlafen, die voll seien mit menschlichen Fäkalien.

9

Das Verwaltungsgericht lehnte den Eilantrag mit Beschluss vom 21. September 2017 ab. Die Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet sei nicht zu beanstanden, da die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 Satz 1 AsylG vorlägen. Die Vorschrift sei in Fällen, in denen Handlungen des internationalen Terrorismus in Rede stünden, nicht eng auszulegen. Zudem lägen auch keine Abschiebungsverbote vor. Der Verwaltungsgerichtshof habe dies im ausweisungsrechtlichen Verfahren zu Recht festgestellt. Die drohende Inhaftierung begründe nicht den Verdacht einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung. Lediglich Angehörigen der PKK oder der Gülen-Bewegung drohe Folter, ansonsten seien die Gefängnisse massiv überbelegt, wodurch sich nach dem Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 19. Mai 2017 die schon zuvor ungenügenden Bedingungen weiter verschlechtert hätten. Da jedoch nur Berichte über Folter an PKK und Gülen-Anhängern vorlägen, fehle es an jeglichen Anhaltspunkten für eine beachtliche Gefahr von Folter oder menschenrechtswidriger Behandlung im Falle des Beschwerdeführers.

10

7. Der Beschwerdeführer erhob unter dem 3. Oktober 2017 Anhörungsrüge. Er führte unter anderem aus, das Verwaltungsgericht habe das Schreiben von amnesty international vom 5. September 2017 nicht berücksichtigt.

11

Das Verwaltungsgericht wies die Anhörungsrüge mit Beschluss vom 14. November 2017 zurück, vom Beschwerdeführer am 22. November 2017 vorgelegt. Ein Gehörsverstoß liege nicht vor. Das Gericht habe den amnesty international Report 2017 zur Kenntnis genommen, dieser entspreche aber weitgehend dem ausgewerteten Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe. Dem Schreiben von amnesty international vom 5. September 2017 lasse sich ebenfalls keine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer menschenrechtswidrigen Behandlung entnehmen. Die Schilderung zweier Folterfälle in dem Schreiben lasse sich nicht verifizieren; im Übrigen könne das Gericht nicht erkennen, was an einer Nutzung einer Zelle für behinderte Menschen menschenrechtswidrig sein solle.

II.

12

1. Der Beschwerdeführer hat Verfassungsbeschwerde erhoben und den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt. Mit einstweiliger Anordnung vom 21. September 2017 hat das Bundesverfassungsgericht der zuständigen Ausländerbehörde bis zum Erlass einer Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde - längstens bis zum 30. November 2017 - untersagt, den Beschwerdeführer in die Türkei abzuschieben.

13

2. Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung der Art. 2 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1, Art. 16a Abs. 1, Art. 19 Abs. 4, Art. 3 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2, Art. 101 Abs. 1 Satz 2 und Art. 103 Abs. 1 GG. Sowohl im ausweisungsrechtlichen als auch im asylrechtlichen Eilverfahren hätten die Gerichte einen unzutreffenden Prognosemaßstab, jenen der beachtlichen Wahrscheinlichkeit, der nur im Hauptsacheverfahren Anwendung finde, für die dem Beschwerdeführer drohenden Gefahren angenommen. Insbesondere bei Foltergefahr seien die Fachgerichte nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte angehalten, besonders sorgfältig zu prüfen. Dabei dürften dem Betroffenen, der sich bezüglich der Verhältnisse in seinem Heimatland typischerweise in Beweisnot befinde, keine zu hohen Darlegungslasten auferlegt werden. Seiner Darlegungslast sei der Beschwerdeführer nachgekommen und habe insbesondere auf die drohende Inhaftierung bei einer polizeibegleiteten Abschiebung in die Türkei hingewiesen. Ob tatsächlich, wie Bundesamt und Verwaltungsgericht annähmen, nur Kurden und Gülen-Anhänger in türkischen Gefängnissen gefoltert würden, sei jedenfalls hoch zweifelhaft. Auch im Auslieferungsverkehr werde derzeit verbreitet die Gefahr einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung bei der Auslieferung in die Türkei angenommen. Weiterhin sei den vorgelegten Berichten zu entnehmen gewesen, dass sich zum einen in der Türkei seit dem Putschversuch die Berichte über Folter gehäuft hätten. Auch türkische Offizielle hätten unverhohlen von Folter gegenüber Feinden der AKP gesprochen. Ein Bericht des Komitees des Europarats zur Verhütung der Folter, welches mit einer sechsköpfigen Delegation die Türkei bereist hätte, sei aufgrund des Widerspruchs der Türkei nicht veröffentlicht worden. Weiterhin habe das Verwaltungsgericht Art. 16a GG verletzt, da es nicht berücksichtigt habe, dass gegen den Beschwerdeführer in der Türkei aufgrund eines offensichtlich manipulierten Strafvorwurfs ermittelt werde. Manipulierte Strafvorwürfe indizierten eine politische Verfolgung im Sinne des Art. 16a GG. Zudem habe das Verwaltungsgericht den Ausschluss des § 3 Abs. 2 AsylG zu Unrecht auch auf das Asylgrundrecht erstreckt. Zwar könne auch die Anerkennung als Asylberechtigter versagt werden, wenn der Asylsuchende seine politische Überzeugung durch terroristische Mittel betätigt habe. Eigene terroristische Aktivitäten würden dem Beschwerdeführer jedoch nicht vorgeworfen. Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG sei ferner deshalb verletzt, weil die Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet nicht hinreichend begründet worden sei. Die strafgerichtliche Verurteilung entfalte keine Bindungswirkung, sondern habe allenfalls Indizcharakter. Weiterhin verstoße die Entscheidung gegen das Willkürverbot, weil die Frage der Asylgewährung mit jener des Flüchtlingsschutzes gleichgesetzt worden sei. Schließlich habe das Verwaltungsgericht Art. 103 Abs. 1 GG verletzt, indem es das Schreiben von amnesty international vom 5. September 2017 nicht berücksichtigt und es zu Unrecht unterlassen habe, Auskünfte des Auswärtigen Amts dazu einzuholen. Auch Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG sei verletzt, weil das Verwaltungsgericht durch die unanfechtbare Eilantragsabweisung und die dadurch bedingte Schaffung vollendeter Tatsachen den Weg zum Europäischen Gerichtshof versperrt habe. Dieser habe jedoch zu entscheiden gehabt, ob der Ausschluss der Flüchtlingsanerkennung gegriffen habe. Schließlich sei bei der Prüfung der Ausweisung das Bleibeinteresse des Beschwerdeführers nicht ausreichend berücksichtigt worden.

14

3. Die Akten der Ausgangsverfahren haben dem Bundesverfassungsgericht vorgelegen. Die Bundesregierung und das Land Hessen haben von ihrem Äußerungsrecht Gebrauch gemacht.

III.

15

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang zur Entscheidung an und gibt ihr in diesem Umfang statt, weil dies zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte des Beschwerdeführers angezeigt ist (§ 93b i.V.m. § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Das Bundesverfassungsgericht hat die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits entschieden (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).

16

1. Die Verfassungsbeschwerde ist in einer die Entscheidungskompetenz der Kammer eröffnenden Weise offensichtlich begründet im Sinne von § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts vom 21. September 2017 verletzt das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, indem sie ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheids des Bundesamts auch bezüglich der geltend gemachten Abschiebungsverbote aus § 60 Abs. 5 AufenthG in Verbindung mit Art. 3 EMRK im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ohne weitere Sachaufklärung verneint.

17

a) Den schutzwürdigen Interessen des Betroffenen muss im Anwendungsbereich des Art. 2 Abs. 2 GG wirksam Rechnung getragen werden (vgl. BVerfGK 10, 108 <112 f.>). Die Verfahrensgewährleistung des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG beschränkt sich nicht auf die Einräumung der Möglichkeit, die Gerichte gegen Akte der öffentlichen Gewalt anzurufen; sie gibt dem Bürger darüber hinaus einen Anspruch auf eine wirksame gerichtliche Kontrolle. Das Gebot effektiven Rechtsschutzes verlangt nicht nur, dass jeder potenziell rechtsverletzende Akt der Exekutive in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht der richterlichen Prüfung unterstellt werden kann; vielmehr müssen die Gerichte den betroffenen Rechten auch tatsächliche Wirksamkeit verschaffen (vgl. BVerfGE 35, 263 <274>; 40, 272 <275>; 67, 43 <58>; 84, 34 <49>; stRspr). Das Maß dessen, was wirkungsvoller Rechtsschutz ist, bestimmt sich entscheidend auch nach dem sachlichen Gehalt des als verletzt behaupteten Rechts (vgl. BVerfGE 60, 253 <297>), hier - angesichts der in Rede stehenden Foltergefahr und der Gefahr unmenschlicher und entwürdigender Inhaftierungsbedingungen -, der Menschenwürde sowie des Rechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit in Verbindung mit der Gewährleistung des Art. 3 EMRK im Lichte der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte.

18

b) Die verfahrensrechtlichen Anforderungen an die Sachverhaltsaufklärung haben dem hohen Wert dieser Rechte Rechnung zu tragen (vgl. zu den Anforderungen an einen wirkungsvollen Rechtsschutz im Zusammenhang mit Art. 2 Abs. 2 GG; BVerfGE 117, 71 <106 f.>) und die Vorgaben der Europäischen Menschenrechtskonvention zu berücksichtigen (vgl. BVerfGE 111, 307 <323 ff.>). In Fällen, in denen die möglicherweise bestehende Gefahr, Folter oder unmenschlichen Haftbedingungen ausgesetzt zu sein, in Rede steht, kommt der verfahrensrechtlichen Sachaufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) verfassungsrechtliches Gewicht zu. Dies gilt insbesondere in Situationen, in denen sich der Betroffene auf eine in seinem Abschiebungszielstaat bestehende Foltergefahr beruft und für diese auch ernsthafte Anhaltspunkte bestehen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. Mai 1996 - 2 BvR 528/96 -, juris, Rn. 27 ff.).

19

c) Sowohl verfassungsrechtlich als auch konventionsrechtlich ist es in solchen Konstellationen geboten, dass sich die zuständigen Behörden und Gerichte vor einer Rückführung in den Zielstaat über die dortigen Verhältnisse informieren und gegebenenfalls Zusicherungen der zuständigen Behörden einholen (vgl. BVerfGE 94, 49 <100>; EGMR, Urteil vom 17. Januar 2012 - 8139/09 - Othman ./. U.K., Rn. 187). Diese Zusicherungen müssen geeignet sein, eine ansonsten bestehende beachtliche Gefahr einer Art. 3 EMRK verletzenden Behandlung wirksam auszuschließen (zu den diesbezüglichen Anforderungen vgl. zuletzt BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 24. Juli 2017 - 2 BvR 1487/17 -, juris, Rn. 46 ff.; EGMR, Urteil vom 17. Januar 2012 - 8139/09 - Othman ./. U.K., Rn. 188 f.); andernfalls kann es zur Sicherung effektiven Rechtsschutzes geboten sein, die aufschiebende Wirkung der Klage - zunächst - anzuordnen (vgl. zur Bedeutung des Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes für das Grundrecht aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1; BVerfGE 126, 1 <27 ff.>; zuletzt BVerfG, Beschlüsse der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 17. Januar 2017 - 2 BvR 2013/16 -, juris, Rn. 17 und vom 14. Dezember 2017 - 2 BvR 1872/17 -).

20

2. Diesen Maßgaben wird die angegriffene Entscheidung vom 21. September 2017 nicht gerecht.

21

a) Dies gilt zum einen für die Annahme des Verwaltungsgerichts, es bestünden keine Anhaltspunkte dafür, dass dem Beschwerdeführer im Falle seiner Abschiebung in die Türkei mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Folter drohe. Mit menschenrechtswidriger Behandlung müssten nur kurdische Aktivisten und Anhänger der Gülen-Bewegung rechnen; dass auch Anhänger des "Islamischen Staates" oder Al-Qaidas gefoltert würden, sei nicht ersichtlich. Die ins Verfahren eingeführten entgegenstehenden Behauptungen von amnesty international seien nicht verifizierbar.

22

Mit dieser Begründung verfehlt das Verwaltungsgericht die verfassungsrechtlichen Vorgaben. Es bestand im Hinblick auf das vom Beschwerdeführer überreichte Schreiben von amnesty international vom 5. September 2017 vor dem Hintergrund der als gerichtsbekannt einzustufenden allgemeinen Erkenntnisse zur politischen Situation in der Türkei von Verfassungs wegen Anlass zu weiterer Sachaufklärung oder zur Einholung von Zusicherungen der türkischen Behörden zur Behandlung des Beschwerdeführers. Denn es bestanden hinreichende Anhaltspunkte für das Bestehen einer Foltergefahr auch im Zusammenhang mit dem Vorwurf der Unterstützung des "Islamischen Staates" und damit auch in Bezug auf den Beschwerdeführer. In dem Schreiben vom 5. September 2017 ist von ausgedehnter Folter von Terrorverdächtigen sowie davon die Rede, dass die Zellen, in denen die Betroffenen untergebracht waren, voller menschlicher Fäkalien gewesen seien. Diese mit eine Nachprüfung ermöglichenden Einzelheiten belegten Angaben hätten einer Überprüfung bedurft; jedenfalls konnte sich das Verwaltungsgericht nicht darauf beschränken, die in dem Schreiben ebenfalls erwähnte Unterbringung in einer Zelle für Behinderte für sich genommen als nicht menschenrechtswidrig zu bewerten. Vor dem Hintergrund dieser Besonderheiten des vorliegenden Falles kommt es für das Verfassungsbeschwerdeverfahren nicht auf die generelle Frage an, ob Personen, die wegen politischer Straftaten verdächtigt oder inhaftiert werden, auch dann Folter droht, wenn es sich nicht um kurdische Aktivisten oder Anhänger der Gülen-Bewegung handelt.

23

b) Entsprechendes gilt für die Frage der Haftbedingungen. Hierzu hat das Verwaltungsgericht sich zwar auf Quellen bezogen, die eine deutliche Verschlechterung der Haftbedingungen in der Türkei beschreiben. Es hat jedoch nicht eigenständig begründet, warum bei dem Beschwerdeführer eine der Europäischen Menschenrechtskonvention genügende Inhaftierung gewährleistet sein soll und deshalb ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG in Verbindung mit Art. 3 EMRK ausscheidet. In Anbetracht der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in einem Verfahren nach § 58a AufenthG (Beschluss vom 19. September 2017 - 1 VR 7/17 -, juris, Rn. 56) und zahlreicher Oberlandesgerichte in Auslieferungssachen zu den in der Türkei derzeit herrschenden Haftbedingungen (vgl. zuletzt OLG Celle, Beschluss vom 2. Juni 2017 - 2 AR (Ausl) 44/17 -, juris und Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen, Beschluss vom 28. September 2017 - 1 Ausl. A 13/17 -, juris) konnte das Verwaltungsgericht auch insoweit nicht ohne Weiteres davon ausgehen, dass dem Beschwerdeführer im Falle der Abschiebung keine menschenrechtswidrige Behandlung drohte.

24

c) Das Verwaltungsgericht war vor diesem Hintergrund verpflichtet, den Sachverhalt weiter aufzuklären oder eine Abschiebung an die Einholung von geeigneten Zusicherungen der türkischen Stellen hinsichtlich einer menschenrechtskonformen Behandlung des Beschwerdeführers zu binden (vgl. dazu BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 24. Juli 2017 - 2 BvR 1487/17 -, juris, Rn. 50). Im Hinblick auf den festgestellten Verstoß gegen die aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG sich ergebende Aufklärungspflicht bedarf die Frage, ob neben dem Beschwerdeführer andere oder alle dem "Islamischen Staat" zuzurechnenden Personen nach einer Abschiebung in die Türkei generell mit Folter zu rechnen haben (Art. 2 Abs. 2 GG), im vorliegenden Verfassungsbeschwerdeverfahren keiner Entscheidung.

25

3. Die Kammer hebt den Beschluss nach § 93c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 BVerfGG auf und verweist die Sache an das Verwaltungsgericht zur erneuten Entscheidung zurück, da der Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 21. September 2017 auf der Grundrechtsverletzung beruht.

26

4. Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen. Von einer Begründung wird insoweit abgesehen (§ 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG).

27

5. Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG, die Festsetzung des Werts des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit auf § 37 Abs. 2 Satz 2 RVG.

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Verwaltungsgericht Augsburg Urteil, 09. Okt. 2018 - Au 6 K 17.33922

bei uns veröffentlicht am 09.10.2018

Tenor I. Die Klage wird abgewiesen. II. Der Kläger hat die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens zu tragen. III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch di

Verwaltungsgericht Augsburg Urteil, 04. Sept. 2018 - Au 6 K 18.30664

bei uns veröffentlicht am 04.09.2018

Tenor I. Die Klage wird abgewiesen. II. Der Kläger hat die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens zu tragen. III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch di

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 02. Mai 2019 - 10 CS 19.854

bei uns veröffentlicht am 02.05.2019

Tenor I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen. II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,- EUR festgesetzt. Gründe D

Verwaltungsgericht Augsburg Beschluss, 21. Jan. 2019 - Au 6 S 19.30006

bei uns veröffentlicht am 21.01.2019

Tenor I. Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen die in Ziffer 5 des Bescheids der Antragsgegnerin vom 17. Dezember 2018 ausgesprochene Abschiebungsandrohung in die Türkei wird angeordnet. II. Die Antragsgegn

Referenzen

(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.

(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn

1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder
2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.

(1) Ein Asylantrag ist offensichtlich unbegründet, wenn die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter und die Voraussetzungen für die Zuerkennung des internationalen Schutzes offensichtlich nicht vorliegen.

(2) Ein Asylantrag ist insbesondere offensichtlich unbegründet, wenn nach den Umständen des Einzelfalles offensichtlich ist, dass sich der Ausländer nur aus wirtschaftlichen Gründen oder um einer allgemeinen Notsituation zu entgehen, im Bundesgebiet aufhält.

(3) Ein unbegründeter Asylantrag ist als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn

1.
in wesentlichen Punkten das Vorbringen des Ausländers nicht substantiiert oder in sich widersprüchlich ist, offenkundig den Tatsachen nicht entspricht oder auf gefälschte oder verfälschte Beweismittel gestützt wird,
2.
der Ausländer im Asylverfahren über seine Identität oder Staatsangehörigkeit täuscht oder diese Angaben verweigert,
3.
er unter Angabe anderer Personalien einen weiteren Asylantrag oder ein weiteres Asylbegehren anhängig gemacht hat,
4.
er den Asylantrag gestellt hat, um eine drohende Aufenthaltsbeendigung abzuwenden, obwohl er zuvor ausreichend Gelegenheit hatte, einen Asylantrag zu stellen,
5.
er seine Mitwirkungspflichten nach § 13 Abs. 3 Satz 2, § 15 Abs. 2 Nr. 3 bis 5 oder § 25 Abs. 1 gröblich verletzt hat, es sei denn, er hat die Verletzung der Mitwirkungspflichten nicht zu vertreten oder ihm war die Einhaltung der Mitwirkungspflichten aus wichtigen Gründen nicht möglich,
6.
er nach §§ 53, 54 des Aufenthaltsgesetzes vollziehbar ausgewiesen ist oder
7.
er für einen nach diesem Gesetz handlungsunfähigen Ausländer gestellt wird oder nach § 14a als gestellt gilt, nachdem zuvor Asylanträge der Eltern oder des allein personensorgeberechtigten Elternteils unanfechtbar abgelehnt worden sind.

(4) Ein Asylantrag ist ferner als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder des § 3 Abs. 2 vorliegen oder wenn das Bundesamt nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen hat.

(5) Ein beim Bundesamt gestellter Antrag ist auch dann als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn es sich nach seinem Inhalt nicht um einen Asylantrag im Sinne des § 13 Abs. 1 handelt.

(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich

1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,
2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder
3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.

(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er

1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder
2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
Wird der Schutz oder Beistand nach Satz 1 Nummer 1 nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig erklärt worden ist, sind die Absätze 1 und 2 anwendbar.

(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.

(1) Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt:

1.
die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe,
2.
Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder
3.
eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.

(2) Ein Ausländer ist von der Zuerkennung subsidiären Schutzes nach Absatz 1 ausgeschlossen, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen hat, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen festzulegen,
2.
eine schwere Straftat begangen hat,
3.
sich Handlungen zuschulden kommen lassen hat, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen (BGBl. 1973 II S. 430, 431) verankert sind, zuwiderlaufen oder
4.
eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt.
Diese Ausschlussgründe gelten auch für Ausländer, die andere zu den genannten Straftaten oder Handlungen anstiften oder sich in sonstiger Weise daran beteiligen.

(3) Die §§ 3c bis 3e gelten entsprechend. An die Stelle der Verfolgung, des Schutzes vor Verfolgung beziehungsweise der begründeten Furcht vor Verfolgung treten die Gefahr eines ernsthaften Schadens, der Schutz vor einem ernsthaften Schaden beziehungsweise die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens; an die Stelle der Flüchtlingseigenschaft tritt der subsidiäre Schutz.

(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich

1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,
2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder
3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.

(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er

1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder
2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
Wird der Schutz oder Beistand nach Satz 1 Nummer 1 nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig erklärt worden ist, sind die Absätze 1 und 2 anwendbar.

(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

(1) Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.

(2) Auf Absatz 1 kann sich nicht berufen, wer aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften oder aus einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist. Die Staaten außerhalb der Europäischen Gemeinschaften, auf die die Voraussetzungen des Satzes 1 zutreffen, werden durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, bestimmt. In den Fällen des Satzes 1 können aufenthaltsbeendende Maßnahmen unabhängig von einem hiergegen eingelegten Rechtsbehelf vollzogen werden.

(3) Durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, können Staaten bestimmt werden, bei denen auf Grund der Rechtslage, der Rechtsanwendung und der allgemeinen politischen Verhältnisse gewährleistet erscheint, daß dort weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet. Es wird vermutet, daß ein Ausländer aus einem solchen Staat nicht verfolgt wird, solange er nicht Tatsachen vorträgt, die die Annahme begründen, daß er entgegen dieser Vermutung politisch verfolgt wird.

(4) Die Vollziehung aufenthaltsbeendender Maßnahmen wird in den Fällen des Absatzes 3 und in anderen Fällen, die offensichtlich unbegründet sind oder als offensichtlich unbegründet gelten, durch das Gericht nur ausgesetzt, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Maßnahme bestehen; der Prüfungsumfang kann eingeschränkt werden und verspätetes Vorbringen unberücksichtigt bleiben. Das Nähere ist durch Gesetz zu bestimmen.

(5) Die Absätze 1 bis 4 stehen völkerrechtlichen Verträgen von Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften untereinander und mit dritten Staaten nicht entgegen, die unter Beachtung der Verpflichtungen aus dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, deren Anwendung in den Vertragsstaaten sichergestellt sein muß, Zuständigkeitsregelungen für die Prüfung von Asylbegehren einschließlich der gegenseitigen Anerkennung von Asylentscheidungen treffen.

(1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen.

(2) In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.

(3) Die Grundrechte gelten auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind.

(4) Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen. Soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Artikel 10 Abs. 2 Satz 2 bleibt unberührt.

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

(1) Ausnahmegerichte sind unzulässig. Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden.

(2) Gerichte für besondere Sachgebiete können nur durch Gesetz errichtet werden.

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

(1) Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.

(2) Auf Absatz 1 kann sich nicht berufen, wer aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften oder aus einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist. Die Staaten außerhalb der Europäischen Gemeinschaften, auf die die Voraussetzungen des Satzes 1 zutreffen, werden durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, bestimmt. In den Fällen des Satzes 1 können aufenthaltsbeendende Maßnahmen unabhängig von einem hiergegen eingelegten Rechtsbehelf vollzogen werden.

(3) Durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, können Staaten bestimmt werden, bei denen auf Grund der Rechtslage, der Rechtsanwendung und der allgemeinen politischen Verhältnisse gewährleistet erscheint, daß dort weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet. Es wird vermutet, daß ein Ausländer aus einem solchen Staat nicht verfolgt wird, solange er nicht Tatsachen vorträgt, die die Annahme begründen, daß er entgegen dieser Vermutung politisch verfolgt wird.

(4) Die Vollziehung aufenthaltsbeendender Maßnahmen wird in den Fällen des Absatzes 3 und in anderen Fällen, die offensichtlich unbegründet sind oder als offensichtlich unbegründet gelten, durch das Gericht nur ausgesetzt, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Maßnahme bestehen; der Prüfungsumfang kann eingeschränkt werden und verspätetes Vorbringen unberücksichtigt bleiben. Das Nähere ist durch Gesetz zu bestimmen.

(5) Die Absätze 1 bis 4 stehen völkerrechtlichen Verträgen von Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften untereinander und mit dritten Staaten nicht entgegen, die unter Beachtung der Verpflichtungen aus dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, deren Anwendung in den Vertragsstaaten sichergestellt sein muß, Zuständigkeitsregelungen für die Prüfung von Asylbegehren einschließlich der gegenseitigen Anerkennung von Asylentscheidungen treffen.

(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich

1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,
2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder
3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.

(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er

1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder
2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
Wird der Schutz oder Beistand nach Satz 1 Nummer 1 nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig erklärt worden ist, sind die Absätze 1 und 2 anwendbar.

(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.

(1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen.

(2) In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.

(3) Die Grundrechte gelten auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind.

(4) Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen. Soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Artikel 10 Abs. 2 Satz 2 bleibt unberührt.

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

(1) Ausnahmegerichte sind unzulässig. Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden.

(2) Gerichte für besondere Sachgebiete können nur durch Gesetz errichtet werden.

(1) Jedermann kann mit der Behauptung, durch die öffentliche Gewalt in einem seiner Grundrechte oder in einem seiner in Artikel 20 Abs. 4, Artikel 33, 38, 101, 103 und 104 des Grundgesetzes enthaltenen Rechte verletzt zu sein, die Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht erheben.

(2) Ist gegen die Verletzung der Rechtsweg zulässig, so kann die Verfassungsbeschwerde erst nach Erschöpfung des Rechtswegs erhoben werden. Das Bundesverfassungsgericht kann jedoch über eine vor Erschöpfung des Rechtswegs eingelegte Verfassungsbeschwerde sofort entscheiden, wenn sie von allgemeiner Bedeutung ist oder wenn dem Beschwerdeführer ein schwerer und unabwendbarer Nachteil entstünde, falls er zunächst auf den Rechtsweg verwiesen würde.

(3) Das Recht, eine Verfassungsbeschwerde an das Landesverfassungsgericht nach dem Recht der Landesverfassung zu erheben, bleibt unberührt.

(1) Liegen die Voraussetzungen des § 93a Abs. 2 Buchstabe b vor und ist die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgebliche verfassungsrechtliche Frage durch das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden, kann die Kammer der Verfassungsbeschwerde stattgeben, wenn sie offensichtlich begründet ist. Der Beschluß steht einer Entscheidung des Senats gleich. Eine Entscheidung, die mit der Wirkung des § 31 Abs. 2 ausspricht, daß ein Gesetz mit dem Grundgesetz oder sonstigem Bundesrecht unvereinbar oder nichtig ist, bleibt dem Senat vorbehalten.

(2) Auf das Verfahren finden § 94 Abs. 2 und 3 und § 95 Abs. 1 und 2 Anwendung.

(1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen.

(2) In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.

(3) Die Grundrechte gelten auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind.

(4) Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen. Soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Artikel 10 Abs. 2 Satz 2 bleibt unberührt.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen.

(2) In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.

(3) Die Grundrechte gelten auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind.

(4) Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen. Soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Artikel 10 Abs. 2 Satz 2 bleibt unberührt.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Das Gericht erforscht den Sachverhalt von Amts wegen; die Beteiligten sind dabei heranzuziehen. Es ist an das Vorbringen und an die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden.

(2) Ein in der mündlichen Verhandlung gestellter Beweisantrag kann nur durch einen Gerichtsbeschluß, der zu begründen ist, abgelehnt werden.

(3) Der Vorsitzende hat darauf hinzuwirken, daß Formfehler beseitigt, unklare Anträge erläutert, sachdienliche Anträge gestellt, ungenügende tatsächliche Angaben ergänzt, ferner alle für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts wesentlichen Erklärungen abgegeben werden.

(4) Die Beteiligten sollen zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung Schriftsätze einreichen. Hierzu kann sie der Vorsitzende unter Fristsetzung auffordern. Die Schriftsätze sind den Beteiligten von Amts wegen zu übermitteln.

(5) Den Schriftsätzen sind die Urkunden oder elektronischen Dokumente, auf die Bezug genommen wird, in Abschrift ganz oder im Auszug beizufügen. Sind die Urkunden dem Gegner bereits bekannt oder sehr umfangreich, so genügt die genaue Bezeichnung mit dem Anerbieten, Einsicht bei Gericht zu gewähren.

Tenor

Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Frankfurt (Oder) vom 25. August 2016 - VG 2 L 170/16.A - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 19 Absatz 4 des Grundgesetzes.

Der Beschluss wird aufgehoben und die Sache an das Verwaltungsgericht Frankfurt (Oder) zurückverwiesen.

Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

Das Land Brandenburg hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen für das Verfassungsbeschwerdeverfahren und für das Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu erstatten.

Damit erledigt sich der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung von Rechtsanwältin K… .

Der Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit wird für das Verfassungsbeschwerdeverfahren auf 10.000 € (in Worten: zehntausend Euro) und für den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung auf 5.000 € (in Worten: fünftausend Euro) festgesetzt.

Gründe

I.

1

1. Der am 1. Januar 1992 geborene Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger. Er reiste am 7. September 2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am 10. Oktober 2015 meldete er sich als Asylsuchender und erhielt die entsprechende Bescheinigung. Seine Registrierung in der Außenstelle des Bundesamts fand am 12. Januar 2016 statt, und er stellte einen Asylantrag. Eine mündliche Anhörung wurde nicht durchgeführt. Aufgrund eines Eurodac-Treffers stellte das Bundesamt am 9. März 2016 ein Übernahmegesuch an Bulgarien. Es erklärte hierin, dass der Beschwerdeführer am 12. Januar 2016 seinen Asylantrag gestellt habe. Bulgarien akzeptierte die Übernahme mit Schreiben vom 17. März 2016 gemäß Art. 20 Abs. 5 der Verordnung Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin-III-VO) und teilte mit, dass der Beschwerdeführer nach Stellung des Asylantrags untergetaucht und der Antrag daraufhin abgelehnt worden sei.

2

Mit Bescheid vom 27. April 2016 - zugestellt am 3. Mai 2016 - lehnte das Bundesamt den Asylantrag als unzulässig ab, ordnete die Abschiebung nach Bulgarien an und befristete das Einreiseverbot auf zwölf Monate. Bulgarien sei nach Art. 18 Abs. 1 Buchstabe b Dublin-III-VO für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig. Gründe für einen Selbsteintritt seien nicht ersichtlich.

3

2. a) Der Beschwerdeführer erhob am 5. Mai 2016 Klage gegen den Bescheid und beantragte die Anordnung ihrer aufschiebenden Wirkung. Mit Schreiben vom 12. Mai 2016 begründete er Klage und Eilantrag dahingehend, dass er bei seiner Flucht aus Afghanistan durch Bulgarien gereist sei. Er sei schwer erkrankt gewesen und bei der Ankunft in Bulgarien ohnmächtig gewesen. Er sei inhaftiert und schlecht behandelt worden. Die dringend erforderliche medizinische Behandlung habe er nicht erhalten; zur Stellung eines Asylantrags sei er gezwungen worden. Einen wirksamen Asylantrag habe er aber nicht gestellt. Nach seiner Einreise nach Deutschland sei keine persönliche Anhörung gemäß Art. 5 Dublin-III-VO durchgeführt worden. Schon dieser Verstoß führe zum Erfolg des Eilantrags, da die Dublin-III-VO anders als die Dublin-II-VO zum Schutz der Interessen des Asylbewerbers - von nicht einschlägigen Ausnahmefällen abgesehen - eine persönliche Anhörung vorsehe. Die Vorschrift sei auch drittschützend, gegebenenfalls sei die Frage nach dem Drittschutz dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) vorzulegen.

4

Im Übrigen habe Bulgarien aufgrund der fehlenden Information über die Meldung als Asylsuchender am 10. Oktober 2015 keine wirksame Zustimmung abgegeben. Zudem sei die Frist zur Stellung des Aufnahmegesuchs beziehungsweise des Wiederaufnahmegesuchs abgelaufen. Richtigerweise sei von einem Aufnahmeverfahren auszugehen, da der in Bulgarien gestellte Asylantrag unwirksam gewesen sei. Die Frist für das Aufnahmegesuch nach Art. 21 Abs. 1 UAbs. 2 Dublin-III-VO habe gemäß Art. 20 Abs. 2 Dublin-III-VO mit der Meldung als Asylsuchender am 10. Oktober 2015 begonnen und sei mithin am 10. Januar 2016 abgelaufen. Es sei europarechtlich eindeutig, dass es nicht darauf ankomme, wann das Bundesamt den förmlichen Asylantrag nach § 14 AsylG entgegennehme. Auch wenn man von einem Wiederaufnahmeersuchen gemäß Art. 23 Dublin-III-VO ausgehe, seien die Fristen abgelaufen. Das Gesuch sei jedenfalls nicht "so bald wie möglich" gestellt worden. Soweit das Gericht dieser Auslegung nicht folgen wolle, sei jedenfalls eine Vorabentscheidung des EuGH einzuholen. Entweder habe dies im Eilverfahren zu erfolgen oder dem Eilantrag sei stattzugeben, um den Vorlagebeschluss im Hauptsacheverfahren fassen zu können.

5

Schließlich sei nach der Rechtsprechung zahlreicher Verwaltungsgerichte die Abschiebung nach Bulgarien wegen dort bestehender systemischer Mängel auszusetzen. Dem Beschwerdeführer drohe bei einer Rückkehr nach Bulgarien zum einen eine rechtswidrige Inhaftierung sowie die Rückschiebung nach Afghanistan. Außerdem sei er an Tuberkulose erkrankt, und eine ausreichende medizinische Behandlung sei in Bulgarien nicht gewährleistet. Mit Schriftsatz vom 23. Mai 2016 wies der Beschwerdeführer darauf hin, dass er aufgrund einer allergischen Reaktion auf die verschriebenen Medikamente stationär in ein Klinikum aufgenommen worden sei und sich die Behandlung als äußerst kompliziert erweise.

6

b) Mit Beschluss vom 26. Mai 2016 gab das Verwaltungsgericht dem Eilantrag statt, da das Bundesamt die Verwaltungsvorgänge nicht vorgelegt habe.

7

c) Mit Beschluss vom 25. August 2016 - den Verfahrensbevollmächtigten des Beschwerdeführers am 31. August 2016 zugegangen - änderte das Verwaltungsgericht den Beschluss vom 26. Mai 2016 gemäß § 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO von Amts wegen und lehnte den Eilantrag ab. Das persönliche Gespräch gemäß Art. 5 Dublin-III-VO hätte zwar grundsätzlich durchgeführt werden müssen; dies sei nicht erfolgt. Dieser Verfahrensfehler sei jedoch bei der gebundenen Entscheidung über den Asylantrag gemäß § 46 VwVfG unbeachtlich, da die unterlassene Anhörung offensichtlich keinen Einfluss auf die Entscheidung gehabt habe. Im Asylverfahren, das nur gebundene Entscheidungen kenne, könne allein eine fehlende Anhörung die Aufhebung des Bescheids nie rechtfertigen. Systemische Mängel des Asylsystems in Bulgarien verneinte das Verwaltungsgericht im Anschluss an die Rechtsprechung anderer Verwaltungsgerichte. Auch aus einer Nichteinhaltung der Fristen zur Stellung des Aufnahme- beziehungsweise Wiederaufnahmegesuchs gemäß Art. 21 Abs. 1, 23 Abs. 3 Dublin-III-VO ergebe sich keine Begründetheit des Antrags. Die Überstellungsfrist gemäß Art. 29 Dublin-III-VO sei ebenfalls nicht abgelaufen, da die stattgebende Entscheidung des Verwaltungsgerichts diese unterbrochen habe. Es liege schließlich kein Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 7 AufenthG vor, da davon auszugehen sei, dass die in Osteuropa weitverbreitete Tuberkulose in Bulgarien behandelbar sei. Die Reisefähigkeit des Beschwerdeführers sei durch die Tuberkulose nicht eingeschränkt.

II.

8

1. Der Beschwerdeführer hat am 27. September 2016 Verfassungsbeschwerde erhoben, mit der er eine Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 GG, des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG und des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG rügt. Er hat weiter beantragt, die Vollziehung des Bescheids des Bundesamts bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde auszusetzen und ihm Prozesskostenhilfe für das Verfassungsbeschwerdeverfahren zu bewilligen.

9

Die Verfassungsbeschwerde sei zulässig. Er habe insbesondere keine Anhörungsrüge erheben müssen, da er keine Verletzung des rechtlichen Gehörs rüge. Die Verfassungsbeschwerde sei auch begründet. Das Verwaltungsgericht habe ihn seinem gesetzlichen Richter entzogen, indem es die entscheidungserheblichen Fragen der Auslegung des Unionsrechts nicht dem EuGH vorgelegt habe. Dies gelte zum einen für die Heilbarkeit eines Verstoßes gegen Art. 5 Dublin-III-VO nach § 46 VwVfG. Der Beschwerdeführer habe in der Klage- und Antragsbegründung die Erforderlichkeit einer Vorlagefrage an den EuGH nach dem drittschützenden Charakter des Art. 5 Dublin-III-VO aufgezeigt. Das Verwaltungsgericht habe sich damit nicht auseinandergesetzt, sondern schlicht die Unbeachtlichkeit des Verstoßes nach § 46 VwVfG angenommen. Auch diese Frage habe es jedoch dem EuGH vorlegen müssen, da keineswegs geklärt sei, dass Europarecht die Heilbarkeit von Verstößen gegen Unionsrecht in diesem Umfang zulasse. Im Übrigen habe das Verwaltungsgericht auch zu Unrecht bejaht, dass der Mangel "offensichtlich" an dem Ergebnis nichts geändert habe. Weiterhin sei die Auslegung des Art. 20 Abs. 2 Dublin-III-VO hinsichtlich des Begriffs eines Antrags auf internationalen Schutz entscheidungserheblich, und dies sei im fachgerichtlichen Verfahren auch dargelegt worden. Aus dem Gesamtsystem des europäischen Asylrechts folge unzweifelhaft, dass schon die Meldung als Asylsuchender ein Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des Unionsrechts sei, der die Frist zur Stellung des Aufnahmegesuchs auslöse. Gleiches gelte, soweit man ein Wiederaufnahmegesuch im Sinne des Art. 23 Abs. 2 Dublin-III-VO annehme, da auch dieses spätestens drei Monate nach dem Antrag auf internationalen Schutz zu stellen sei. Auch diese entscheidungserheblichen und im fachgerichtlichen Verfahren formulierten Fragen habe das Verwaltungsgericht nicht dem EuGH vorgelegt. Das Verwaltungsgericht sei hierzu jedoch verpflichtet gewesen, da es im Asylverfahren im Eilrechtsschutz letztinstanzlich tätig und damit wegen Art. 267 AEUV vorlagepflichtig sei. Sollte man davon ausgehen, dass eine Vorlagepflicht ausschließlich im Hauptsacheverfahren bestehen könne, so sei Art. 19 Abs. 4 GG verletzt, da in diesem Fall die aufschiebende Wirkung bis zu einer Entscheidung über die Vorlage im Hauptsacheverfahren anzuordnen sei, um die Schaffung endgültiger Tatsachen zu vermeiden. Im Übrigen habe die Frage zu Art. 20 Abs. 2 Dublin-III-VO grundsätzliche Bedeutung gehabt, so dass nach § 76 Abs. 4 Satz 2 AsylG eine Übertragung durch den Einzelrichter auf die Kammer erforderlich gewesen sei.

10

Weiterhin verletze die Entscheidung sein Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG. Das Verwaltungsgericht habe seine ausgesprochen kompliziert verlaufene Tuberkulose-Erkrankung nicht hinreichend berücksichtigt. Die Behandelbarkeit der Tuberkulose habe der erkennende Richter nicht belegt, sondern allenfalls vermutet. Dabei sei zu berücksichtigen gewesen, dass nach der aktuellen Auskunftslage - eine grundsätzlich noch adäquate medizinische Versorgung in Bulgarien unterstellt - jedenfalls für inhaftierte oder in Aufnahmeeinrichtungen untergebrachte Asylbewerber praktisch keine medizinische Versorgung gewährleistet sei. Weiterhin drohe in Bulgarien eine Kettenabschiebung nach Afghanistan. Schließlich verletze die Entscheidung das Freiheitsrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG, da er nach seiner Abschiebung nach Bulgarien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit willkürlich inhaftiert werde. Selbst wenn ihm keine Haft drohen sollte, gelte seit Januar 2016, dass Personen, die wie der Antragsteller einen Folgeantrag stellen müssten, völlig rechtlos seien.

11

2. Das Land Brandenburg und das Bundesministerium des Innern hatten Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Akten des Ausgangsverfahrens und des Asylverfahrens haben dem Bundesverfassungsgericht vorgelegen.

III.

12

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt. Die Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist zur Durchsetzung des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 19 Abs. 4 GG angezeigt. Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen hat das Bundesverfassungsgericht bereits geklärt. Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich begründet.

13

Zwar liegt kein Entzug des gesetzlichen Richters gemäß Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG durch Unterlassen einer Vorlage an den EuGH vor (1.). Der Beschluss des Verwaltungsgerichts verletzt aber das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG (2.). Ob die weiteren geltend gemachten Grundrechtsverstöße vorliegen, bedarf keiner Entscheidung (3.).

14

1. Es liegt kein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG vor. Eine Vorlagepflicht im Eilverfahren besteht nach der bisherigen Rechtsprechung des EuGH grundsätzlich nicht, so dass eine Nichtvorlage des im Asyl-Eilverfahren letztinstanzlich entscheidenden Verwaltungsgerichts keinen Entzug des EuGH als gesetzlichen Richter darstellt.

15

Es entspricht der bisher ganz herrschenden Auffassung, dass eine Nichtvorlage an den EuGH im Eilverfahren keinen Verstoß gegen den gesetzlichen Richter begründen kann (vgl. BVerfGK 5, 196 <201>; BVerfGK 9, 330 <334 f.>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 29. November 1991 - 2 BvR 1642/91 -, NVwZ 1992, S. 360; offen gelassen in BVerfGK 10, 48 <53>; aus der Literatur statt vieler Degenhart, in Sachs, GG, 7. Aufl. 2014, Art. 101 Rn. 19). Dies folgt daraus, dass nach der Rechtsprechung des EuGH in Eilverfahren auch für das letztinstanzlich entscheidende Gericht keine Vorlagepflicht nach Art. 267 Abs. 3 AEUV besteht (vgl. EuGH, Urteil vom 24. Mai 1977 - C-107/76 - Hoffmann La Roche, juris, Rn. 5; Urteil vom 27. Oktober 1982 - C-35/82 - Morson und Jhanjan, juris, Rn. 8 f.). Es ist ausreichend - allerdings auch erforderlich -, dass die Rechtsfrage im sich anschließenden Hauptsacheverfahren ohne Präjudiz durch die Eilentscheidung dem EuGH vorgelegt werden kann. Denn das Vorlageverfahren soll insbesondere verhindern, dass sich in einem Mitgliedstaat eine nationale Rechtsprechung herausbildet, die mit den Normen des Unionsrechts nicht im Einklang steht.

16

Es kann dahin stehen, ob diese Rechtsprechung angesichts der Bedeutung des Vorlageverfahrens für den Individualrechtsschutz (vgl. statt vieler Gaitanides, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, Art. 267 AEUV, Rn. 12) zukünftig der Modifizierung bedarf, falls durch eine Eilentscheidung nicht umkehrbare Fakten geschaffen werden könnten. Soweit im Rahmen eines dem Hauptsacheverfahren vorgeschalteten Eilverfahrens prozessuale Gestaltungen denkbar sind, die die Möglichkeit einer Klärung unionsrechtlicher Zweifelsfragen im Hauptsacheverfahren erhalten, stellt es jedenfalls keinen Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG dar, wenn eine Vorlage nicht schon im Eilverfahren an den EuGH gerichtet wird.

17

2. a) Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts verstößt jedoch gegen das Gebot effektiven Rechtsschutzes. Art. 19 Abs. 4 GG gewährt nicht nur das formelle Recht, die Gerichte anzurufen, sondern auch die Effektivität des Rechtsschutzes (vgl. BVerfGE 93, 1 <13>; stRspr). Den Anforderungen an die Gewährung effektiven Rechtsschutzes müssen die Gerichte auch bei der Auslegung und Anwendung der Vorschriften über den verwaltungsgerichtlichen Eilrechtsschutz Rechnung tragen (vgl. BVerfGE 79, 69 <74>), da dieser in besonderer Weise der Sicherung grundrechtlicher Freiheit dient. Dabei ist es von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, wenn sich die vorzunehmende Interessenabwägung in erster Linie an der voraussichtlichen Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts orientiert (vgl. BVerfGK 15, 102 <107>; zuletzt BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 14. September 2016 - 1 BvR 1335/13 -, juris). Kommt diese Prüfung bei einem von Gesetzes wegen sofort vollziehbaren Bescheid zu dem Ergebnis, dass an dessen Rechtmäßigkeit keine ernsthaften Zweifel bestehen oder dieser sogar offensichtlich rechtmäßig ist, kann der Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO - hier in Verbindung mit § 34a Abs. 2 AsylG - abgelehnt werden.

18

Stellt sich bei dieser Rechtsprüfung jedoch eine Frage, die im Hauptsacheverfahren voraussichtlich eine Vorlage des dann letztinstanzlich entscheidenden Gerichts an den EuGH erfordert, so lassen sich weder - ohne Weiteres - ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit verneinen, noch kann die offensichtliche Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bejaht werden (vgl. zu ähnlichen Situationen BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 27. April 2005 - 1 BvR 223/05 -, juris; BVerfGK 11, 153 <158 f.>; einfach-rechtlich auch VGH Baden Württemberg, Beschluss vom 9. Oktober 2012 - 11 S 1843/12 -, juris, Rn. 23). In diesen Fällen wird eine Antragsablehnung mit Blick auf Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG nur dann Bestand haben können, wenn dieser Umstand - über die notwendig nur vorläufige rechtliche Einschätzung des Gerichts hinausgehend - in die Abwägung des Bleibeinteresses des Antragstellers mit dem öffentlichen Vollzugsinteresse einbezogen wird.

19

Im Anwendungsbereich der Dublin-III-VO ist dabei die Wertung des europäischen Rechts zu beachten, dass grundsätzlich in jedem Mitgliedstaat angemessene, durch das Unionsrecht vereinheitlichte Aufnahmebedingungen herrschen, die Mindeststandards festlegen (vgl. EuGH, Urteil vom 7. Juni 2016 - C-63/15 - Ghezelbash -, juris, Rn. 60). Ein Überwiegen des Suspensivinteresses wird bei einer unionsrechtlich nicht geklärten Rechtsfrage, die das Verwaltungsgericht im Eilverfahren vorläufig zu Lasten des Asylbewerbers entscheidet, deshalb nur dann zu bejahen sein, wenn besondere, in der Person des Asylbewerbers liegende Gründe die Rücküberstellung in einen anderen Mitgliedstaat mit der Folge, dass das Hauptsacheverfahren in Deutschland von dort aus betrieben werden muss, unzumutbar erscheinen lassen.

20

b) Gemessen an diesen Maßstäben verletzt die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts beruht auf der Auffassung, ein Verstoß gegen Art. 5 Dublin-III-VO sei nach § 46 VwVfG stets unbeachtlich. Diese Rechtsmeinung ist weder durch die EuGH-Rechtsprechung im Sinne einer Übereinstimmung mit dem Unionsrecht geklärt, noch handelt es sich um einen acte clair oder um einen acte éclairé. Unionsrechtlich spricht nach den den Drittschutz von Bestimmungen der Dublin-III-VO stärkenden Entscheidungen des EuGH vom 7. Juni 2016 (C-63/15 - Ghezelbash -, juris, Rn. 34 ff. und C-155/15 - Karim -, juris, Rn. 19 ff.) vielmehr manches dafür, dass das erstmals in der Dublin-III-VO eingeführte obligatorische persönliche Gespräch mit dem Asylbewerber für die Frage der Rechtmäßigkeit des Bescheids beachtlich ist. Denn in einem solchen Gespräch können sowohl die Voraussetzungen für vorrangige Zuständigkeitsgründe nach Art. 8 ff. Dublin-III-VO als auch für eine Ausübung des Selbsteintrittsrecht nach Art. 17 Dublin-III-VO geklärt werden (vgl. Erwägungsgrund 17 und 18 der Dublin-III-VO). Es greift zu kurz, wenn das Verwaltungsgericht auf die allgemeine Anwendbarkeit des nationalen Verfahrensrechts einschließlich des § 46 VwVfG beim nationalen Vollzug von Unionsrecht hinweist. Dies beantwortet gerade nicht die hier interessierende Frage, inwieweit Art. 5 Dublin-III-VO mit der in Absatz 2 enthaltenen Normierung von Fallgruppen, in denen von dem Gespräch abgesehen werden darf, eine spezielle und insoweit abschließende Regelung des Verfahrens darstellt. Die Auffassung des Verwaltungsgerichts, die in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung umstritten ist (vgl. etwa abweichend und auf die europarechtliche Klärungsbedürftigkeit hinweisend VG Frankfurt ), Beschluss vom 22. September 2016 - VG 2 L 300/16.A -, juris, Rn. 31; VG Cottbus, Beschluss vom 21. Oktober 2016 - 1 L 397/16.A -, juris, Rn. 15), läuft deshalb Gefahr, die praktische Wirksamkeit von Art. 5 Dublin-III-VO in Frage zu stellen. Es ist im Übrigen gerade im vorliegenden Fall nicht ausgeschlossen, dass nach einem Gespräch mit dem Beschwerdeführer, in dem dieser seine schwer behandelbare Krankheit geschildert hätte, das Bundesamt von dem Selbsteintrittsrecht Gebrauch gemacht hätte. Unabhängig von der Frage, ob dem Flüchtling insoweit ein Recht auf ermessensfehlerfreie Entscheidung zusteht, dürfte dann jedenfalls für die Anwendung des § 46 VwVfG kein Raum mehr bestehen.

21

Stand mithin (zumindest) eine ungeklärte unionsrechtliche Rechtsfrage im Raum, bei der im Hauptsacheverfahren eine Vorlage an den EuGH nahelag, hätte sich das Verwaltungsgericht nicht mit einer summarischen Prüfung der Erfolgsaussichten zufrieden geben dürfen, sondern hätte darüber hinaus eine Interessenabwägung unter besonderer Berücksichtigung der Situation des Beschwerdeführers bei einer Abschiebung nach Bulgarien durchführen müssen. In die Abwägung wäre unter anderem einzustellen gewesen, dass der Beschwerdeführer einen durch Unverträglichkeitsreaktionen komplizierten Krankheitsverlauf vorgetragen hat und die medizinische Versorgung von Flüchtlingen in Bulgarien, auch wenn sie nach Auffassung des Verwaltungsgerichts noch nicht den Schluss auf systemische Mängel zulässt, für schwerwiegend erkrankte Flüchtlinge erhebliche Lücken aufweist. Ob es dem Beschwerdeführer vor diesem Hintergrund zumutbar war, das Hauptsacheverfahren aus Bulgarien und dort nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts gegebenenfalls aus der Obdachlosigkeit oder Haft heraus weiter zu betreiben, hätte genauerer Begründung bedurft.

22

Vor diesem Hintergrund kann offen bleiben, ob auch die weitere Frage, wann der Asylantrag europarechtlich als gestellt gilt und wann deshalb die Frist für die Stellung des Aufnahmegesuchs gemäß Art. 21 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 2 Satz 1 Dublin-III-VO oder des Wiederaufnahmegesuchs gemäß Art. 23 Abs. 2 Dublin-III-VO in Verbindung mit Art. 9 der Eurodac-VO zu laufen beginnt, klärungsbedürftig im Sinne des Art. 267 AEUV ist. Das Verwaltungsgericht hat einen entscheidungsrelevanten Fristablauf mit einem Satz verneint, ohne zu erkennen zu geben, ob es von einem Aufnahme- oder einem Wiederaufnahmefall ausgeht und warum die Frist nicht abgelaufen ist. Die Auffassungen in der Verwaltungsgerichtsbarkeit zu dem Beginn der Frist für die Stellung des Aufnahme- und Wiederaufnahmegesuchs des ersuchenden an den ersuchten Mitgliedstaat sind geteilt (vgl. VG Köln, Beschluss vom 16. August 2016 - 20 L 1609/16.A -, juris einerseits und VG Minden, Beschluss vom 24. August 2016 - 1 L 1299/16.A -, juris andererseits). Für einen Fristbeginn schon mit dem Vorliegen eines Asylantrags im Sinne des § 13 Abs. 1 AsylG und nicht erst mit der den Anforderungen des § 14 AsylG genügenden Antragstellung könnte jedoch das Ziel der Dublin-III-VO sprechen, eine möglichst schnelle, an enge Fristen gebundene Klärung des zuständigen Mitgliedstaats zu erreichen (vgl. Erwägungsgrund 5 der Dublin-III-VO).

23

3. Hat die Verfassungsbeschwerde schon wegen des Verstoßes gegen Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG Erfolg, bedarf es keiner Entscheidung, ob die Nichtübertragung des Verfahrens auf die Kammer nach § 76 Abs. 4 Satz 2 AsylG einen Verstoß gegen die Gewährleistung des gesetzlichen Richters begründet. Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass es mit Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht vereinbar sein dürfte, wenn ein Einzelrichter der Kammer von der Rechtsprechung eines anderen Kammermitglieds zu einer grundsätzlich klärungsfähigen Rechtsfrage entscheidungserheblich abweicht, anstatt die Frage auf die Kammer zu übertragen. Die Pflicht zur Rückübertragung auf die Kammer gemäß § 76 Abs. 4 Satz 2 AsylG wird dann in nicht mehr vertretbarer Weise gehandhabt.

24

Ebenso wenig bedarf es einer Entscheidung, ob die pauschale Annahme, Tuberkulose sei in Osteuropa weit verbreitet und mithin behandelbar, angesichts des schweren Krankheitsverlaufs bei dem Beschwerdeführer und der vom Verwaltungsgericht selbst angenommenen schwierigen Erreichbarkeit von medizinischer Behandlung in Bulgarien den Anforderungen aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 GG genügte.

IV.

25

Das Land Brandenburg hat dem Beschwerdeführer gemäß § 34a Abs. 2 BVerfGG die notwendigen Auslagen zu erstatten. Damit erledigt sich der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe. Die Festsetzung des Werts des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 RVG (vgl. dazu auch BVerfGE 79, 365 <366 ff.>).

Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

Gründe

I.

1

1. Die am 1. November 1967 geborene Beschwerdeführerin ist armenische Staatsangehörige. Sie reiste am 5. Januar 2017 gemeinsam mit ihrem Ehemann mit einem italienischen Visum in die Bundesrepublik Deutschland ein, wo sie einen Tag später einen Asylantrag stellte.

2

2. Mit Bescheid vom 7. Juni 2017 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) den Asylantrag der Beschwerdeführerin als unzulässig ab, stellte fest, dass Abschiebungsverbote nicht vorlägen, und ordnete die Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Italien an. Italien sei aufgrund des von den italienischen Behörden ausgestellten Visums nach der Dublin-III-VO für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig. Das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in Italien wiesen keine systemischen Mängel auf.

3

3. Hiergegen erhob die Beschwerdeführerin mit Schriftsatz vom 19. Juni 2017 Klage beim Verwaltungsgericht Münster und beantragte die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage. Zur Begründung führte sie an, dass sie an einer Herzerkrankung leide. Zu dieser Erkrankung kündigte sie weiteren Vortrag an, weil nach ihren Angaben ein Facharzttermin erst am 21. Juni 2017 stattfinden sollte. Es fehle eine Garantieerklärung Italiens zu Unterbringung und Versorgung der Beschwerdeführerin. Bei einer Überstellung nach Italien habe sie eine menschenrechtswidrige Behandlung zu befürchten. Aus näher bezeichneten und zitierten verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen, unter anderem aus dem Vorabentscheidungsersuchen des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) vom 15. März 2017 - A 11 S 2151/16 - und näher benannten Erkenntnisquellen ergebe sich, dass Betroffene in Italien insbesondere nach einer Statuszuerkennung Obdach- und Mittellosigkeit zu erwarten hätten. Der Vorlagebeschluss des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg erfordere eine Aussetzung der Überstellung nach Italien bis zur Klärung der Fragen durch den EuGH. Aus der Begründung des angefochtenen Bescheides ergebe sich nicht, ob in Italien über einen Asylantrag der Beschwerdeführerin entschieden worden sei.

4

Mit Beschluss vom 28. Juni 2017 lehnte das Verwaltungsgericht den Eilantrag und den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe ab. Zur Begründung führte es an, dass der Asylantrag der Beschwerdeführerin unzulässig sei, weil Italien wegen des durch italienische Behörden ausgestellten Visums für die Durchführung ihres Asylverfahrens zuständig sei. Die Zuständigkeit zur Prüfung des Asylantrages sei auch nicht deshalb auf die Bundesrepublik Deutschland übergegangen, weil die Frist für das Überstellungsgesuch abgelaufen sei. Das Bundesamt habe Italien am 14. März 2017 und damit innerhalb der dreimonatigen Frist seit Asylantragstellung um Übernahme ersucht. Auch die Überstellungsfrist sei im Zeitpunkt der Stellung des Eilantrages nicht abgelaufen und seitdem unterbrochen; mit ablehnendem Beschluss im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes werde sie erneut in Gang gesetzt. Das Asyl- und Aufnahmeverfahren in Italien weise keine systemischen Mängel auf. Das italienische Asylsystem sei trotz der hohen Zahlen von Einwanderern nach Italien prinzipiell funktionsfähig. Diesbezüglich verwies das Verwaltungsgericht auf Urteile des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen von Juni und Juli 2016. Der Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe von August 2016 weise auf bekannte, vereinzelte Unzulänglichkeiten im italienischen Asylsystem hin, die nicht die Annahme systemischer Mängel rechtfertigten, und stelle zugleich deutliche Verbesserungen für Schutzsuchende fest. Schließlich habe die Beschwerdeführerin keine gesundheitlichen Beeinträchtigungen dargelegt, die einer Rückkehr nach Italien entgegenstehen könnten.

5

4. Die Beschwerdeführerin erhob unter dem 4. Juli 2017 Anhörungsrüge und beantragte die Abänderung des Beschlusses vom 28. Juni 2017. Sie machte geltend, dass das Verwaltungsgericht den Vorlagebeschluss des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg nicht zur Kenntnis genommen und gewürdigt habe. Das Bundesverwaltungsgericht gehe angesichts seines Vorabentscheidungsersuchens an den EuGH durch Beschluss vom 27. Juni 2017 - 1 C 26.16 - davon aus, dass die Verhältnisse in Italien für anerkannte Flüchtlinge den Anforderungen der Anerkennungsrichtlinie nicht gerecht würden. Auch hiermit habe sich das Verwaltungsgericht nicht auseinandergesetzt.

6

Mit Beschluss vom 19. Juli 2017, zugestellt am 20. Juli 2017, wies das Verwaltungsgericht die Anhörungsrüge zurück. Die Beschwerdeführerin beanstande lediglich die materiell-rechtliche Einschätzung des Verwaltungsgerichts, was keinen Verstoß gegen das Gebot des rechtlichen Gehörs begründen könne. Dies gelte auch hinsichtlich der gerügten fehlenden Auseinandersetzung mit den Beschlüssen des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg und des Bundesverwaltungsgerichts.

7

Mit Beschluss vom gleichen Tag, zugestellt am 20. Juli 2017, wies das Verwaltungsgericht den Abänderungsantrag ab. Es liege keine beachtliche Änderung der Sach- oder Rechtslage vor, weil die Beschwerdeführerin bereits mit ihrem Eilantrag zu den Vorlagefragen an den EuGH vorgetragen habe und sich in der Sache lediglich gegen die materiell-rechtliche Einschätzung des Verwaltungsgerichts wende.

II.

8

1. Die Beschwerdeführerin hat gegen die Beschlüsse des Verwaltungsgerichts vom 19. Juli 2017 und vom 28. Juni 2017 am 21. August 2017 Verfassungsbeschwerde erhoben und den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt. Zudem hat sie beantragt, die Erstattung ihrer notwendigen Auslagen anzuordnen. Sie rügt die Verletzung ihrer Rechte aus Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip, aus Art. 19 Abs. 4 GG und aus Art. 103 Abs. 1 GG.

9

Die angegriffenen Beschlüsse verletzten sie in ihrem Recht auf effektiven Rechtsschutz, weil das Verwaltungsgericht im Rahmen der im Eilrechtsschutz gebotenen Folgenabschätzung nachträglich nicht zu behebende Nachteile nicht berücksichtigt habe. Es habe sich nicht - unter Beachtung der Vorlagen des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg und des Bundesverwaltungsgerichts an den EuGH - mit den Folgen einer Überstellung der Beschwerdeführerin nach Italien auseinandergesetzt. Jedenfalls der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württem-berg habe dem EuGH die Frage vorgelegt, ob die Lebensaussichten in Italien nach der Anerkennung auch die Zulässigkeit einer Überstellung im Dublin-Verfahren - also vor einer Anerkennung - in Zweifel ziehen könnten. Die in den Beschlüssen aufgeworfenen Rechtsfragen könnten offensichtlich nicht im Eilverfahren beantwortet werden, weil sie dem EuGH zur Entscheidung vorlägen.

10

Zudem sei das Recht der Beschwerdeführerin auf rechtliches Gehör verletzt, weil das Verwaltungsgericht die genannten Vorlagebeschlüsse trotz Hinweises der Beschwerdeführerin nicht berücksichtigt habe. Das Verwaltungsgericht habe schließlich gegen das Willkürverbot verstoßen, weil es unter keinem Gesichtspunkt vertretbar gewesen sei, die genannten Vorlagebeschlüsse nicht zu berücksichtigen.

11

Mit Schriftsatz vom 28. August 2017 hat die Beschwerdeführerin erneut die Abänderung des Beschlusses vom 28. Juni 2017 beantragt. Hierüber wird das Verwaltungsgericht nach eigener Auskunft und im Einverständnis der Beschwerdeführerin erst nach Abschluss jedenfalls des Verfahrens auf Erlass einer einstweiligen Anordnung vor dem Bundesverfassungsgericht entscheiden.

12

2. Die Akten des Ausgangsverfahrens haben dem Bundesverfassungsgericht vorgelegen. Das Bundesamt hat von seinem Recht zur Äußerung Gebrauch gemacht.

III.

13

Die Voraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor. Der Verfassungsbeschwerde kommt keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu. Ihre Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt. Die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg (vgl. BVerfGE 90, 22 <25 f.>). Sie ist unzulässig.

14

Die Begründung der Verfassungsbeschwerde genügt nicht den Vorgaben aus § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG. Nach diesen Vorschriften ist der Sachverhalt, aus dem sich die Grundrechtsverletzung ergeben soll, substantiiert und schlüssig darzulegen. Ferner muss sich die Verfassungsbeschwerde mit dem zugrundeliegenden einfachen Recht sowie mit der verfassungsrechtlichen Beurteilung des vorgetragenen Sachverhalts auseinandersetzen. Aus dem Vortrag eines Beschwerdeführers muss sich mit hinreichender Deutlichkeit die Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung ergeben (vgl. BVerfGE 78, 320 <329>). Bei einer gegen eine gerichtliche Entscheidung gerichteten Verfassungsbeschwerde hat der Beschwerdeführer sich mit dieser inhaltlich auseinanderzusetzen (vgl. BVerfGE 82, 43 <49>; 86, 122 <127>; 130, 1 <21>).

15

Diesen Anforderungen wird die Verfassungsbeschwerde nicht gerecht.

16

1. Die Beschwerdeführerin hat einen Verstoß gegen Art. 19 Abs. 4 GG nicht hinreichend substantiiert dargelegt.

17

a) Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet nicht nur das formelle Recht, die Gerichte anzurufen, sondern auch die Effektivität des Rechtsschutzes (vgl. BVerfGE 93, 1 <13>; stRspr). Den Anforderungen an die Gewährung effektiven Rechtsschutzes müssen die Gerichte auch bei der Auslegung und Anwendung der Vorschriften über den verwaltungsgerichtlichen Eilrechtsschutz Rechnung tragen (vgl. BVerfGE 79, 69 <74>), da dieser in besonderer Weise der Sicherung grundrechtlicher Freiheit dient. Dabei ist es von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, wenn sich die vorzunehmende Interessenabwägung in erster Linie an der voraussichtlichen Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts orientiert (vgl. BVerfGK 15, 102 <107>). Kommt diese Prüfung bei einem von Gesetzes wegen sofort vollziehbaren Bescheid zu dem Ergebnis, dass an dessen Rechtmäßigkeit keine ernstlichen Zweifel bestehen oder dieser sogar offensichtlich rechtmäßig ist, steht Art. 19 Abs. 4 GG einer Ablehnung des Eilrechtsschutzbegehrens nicht entgegen.

18

Stellt sich bei dieser Rechtsprüfung eine entscheidungserhebliche unionsrechtliche Frage, die im Hauptsacheverfahren voraussichtlich eine Vorlage des dann letztinstanzlich entscheidenden Gerichts an den EuGH erfordert (zu den Anforderungen an die Handhabung der Vorlagepflicht nach Art. 267 Abs. 3 AEUV vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 20. Februar 2017 - 2 BvR 63/15 -, juris Rn. 8), so gebietet Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG, dies im Eilverfahren bei der Prüfung der Erfolgsaussichten zu berücksichtigen. Regelmäßig wird dann jedenfalls die offensichtliche Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts - unabhängig von der eigenen, notwendig nur vorläufigen rechtlichen Einschätzung des entscheidenden Gerichts - nicht bejaht werden können (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 17. Januar 2017 - 2 BvR 2013/16 -, juris Rn. 18).

19

Bei der im Falle offener Erfolgsaussichten durchzuführenden weiteren Interessenabwägung ist im Anwendungsbereich der Dublin-III-VO die Wertung des europäischen Rechts zu beachten, dass grundsätzlich in jedem Mitgliedstaat angemessene, durch das Unionsrecht vereinheitlichte Aufnahmebedingungen herrschen, die Mindeststandards festlegen und die Grundlage für das Prinzip gegenseitigen Vertrauens zwischen den Mitgliedstaaten im Gemeinsamen Europäischen Asylsystem bilden (vgl. EuGH, Urteil vom 7. Juni 2016 - C-63/15 - Ghezelbash -, juris, Rn. 60). Diese vereinheitlichten Aufnahmebedingungen ermöglichen es regelmäßig auch, von dem anderen Mitgliedstaat aus das Hauptsacheverfahren in Deutschland einschließlich eines erforderlichen Vorabentscheidungsverfahrens durchzuführen. Liegen aber Gründe vor, die nach der Überstellung in den anderen Mitgliedstaat die Rechtsverfolgung in der Hauptsache und die Vorlage der maßgeblichen Frage an den EuGH unmöglich machen oder unzumutbar erschweren würden, so gebietet Art. 19 Abs. 4 GG, ein Überwiegen des Suspensivinteresses anzunehmen und dem Eilrechtsschutzbegehren zu entsprechen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 17. Januar 2017 - 2 BvR 2013/16 - , juris, Rn. 18).

20

Diese Grundsätze gelten auch, wenn sich ein Beschwerdeführer auf eine bereits in einem anderen Verfahren erfolgte Vorlage an den EuGH beruft. Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass die Vorlagefrage auch in seinem eigenen Verfahren entscheidungserheblich und eine Vorlage des dann letztinstanzlich entscheidenden Gerichts an den EuGH im Hauptsacheverfahren - vorbehaltlich der Möglichkeit der Aussetzung im Hinblick auf die in dem bereits vorgelegten anderen Verfahren zu erwartende Klärung - erforderlich (vgl. oben Rn. 18) ist.

21

b) Nach diesen Maßstäben hat die Beschwerdeführerin nicht dargelegt, dass die fehlende Auseinandersetzung des Verwaltungsgerichts mit den Vorlagebeschlüssen des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Juni 2017 (Az.: 1 C 26.16) und des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 15. März 2017 (Az.: A 11 S 2151/16) gegen Art. 19 Abs. 4 GG verstößt.

22

aa) Sie hat schon nicht hinreichend erklärt, dass eine der darin aufgeworfenen Fragen für ihr Verfahren entscheidungserheblich ist und das Verwaltungsgericht deshalb das Vorliegen unionsrechtlich ungeklärter Rechtsfragen im Rahmen einer offenen Abwägungsentscheidung hätte berücksichtigen müssen.

23

(1) Die Fragen, die das Bundesverwaltungsgericht in seinem Beschluss vom 27. Juni 2017 dem EuGH zur Beantwortung vorgelegt hat, betreffen die Beschwerdeführerin bereits deshalb nicht, weil diese ausschließlich die Situation der in einem anderen Mitgliedstaat anerkannt Schutzberechtigten beziehungsweise Verfahrensfragen bei einer unterbliebenen Anhörung zum Gegenstand haben. Die Beschwerdeführerin hat in Italien keinen Schutzstatus erhalten und macht keine Anhörungsmängel geltend.

24

(2) Gleiches gilt im Ergebnis für die vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg mit Beschluss vom 15. März 2017 unter Ziffer 3. vorgelegte Frage, ob die Überstellung eines Asylbewerbers in den zuständigen Mitgliedstaat zur Durchführung des Asylverfahrens unzulässig ist, wenn im Falle einer Zuerkennung internationalen Schutzes aufgrund der dortigen Lebensumstände das ernsthafte Risiko einer Behandlung entgegen Art. 4 der EU-Grundrechtecharta besteht. Zwar kann diese Rechtsfrage für die Beschwerdeführerin grundsätzlich relevant werden, weil in Betracht kommt, dass ihr nach einer Rücküberstellung nach Italien dort internationaler Schutz zuerkannt wird. Entscheidungserheblich für das Verfahren der Beschwerdeführerin wäre diese Frage jedoch nur, wenn der Beschwerdeführerin für den Fall einer Zuerkennung internationalen Schutzes in Italien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit tatsächlich eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung drohte. Sollte dies nicht der Fall sein, wären die Vorlagefrage und ihre Beantwortung durch den EuGH für die Beschwerdeführerin ohne Bedeutung.

25

Zu den tatsächlichen Umständen einer nach Zuerkennung eines Schutzstatus drohenden unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung hat die Beschwerdeführerin jedoch weder im fachgerichtlichen Verfahren noch mit der Verfassungsbeschwerde substantiiert vorgetragen. Sie hat nicht hinreichend dargelegt, dass in Italien anerkannt Schutzberechtigten dort allgemein eine gegen Art. 3 EMRK, Art. 4 EU-Grundrechtecharta verstoßende Behandlung droht. Die Beschwerdeführerin hat im fachgerichtlichen Verfahren lediglich zu den allgemeinen Aufnahmebedingungen für Asylsuchende in Italien vorgetragen, nicht jedoch zur Situation der dort anerkannt Schutzberechtigten. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin geht auch der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg in seinem Beschluss vom 15. März 2017 nicht von dem Risiko einer unmenschlichen, erniedrigenden Behandlung für alle in Italien anerkannt Schutzberechtigten aus. Dem Vorlagebeschluss ist keine entsprechende Würdigung der tatsächlichen Umstände in Italien zu entnehmen. Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hat dem EuGH unter Ziffer 3. ausschließlich eine Rechtsfrage vorgelegt, die eine Bewertung der tatsächlichen Lage von in Italien anerkannt Schutzberechtigten offen lässt.

26

Auch individuelle Umstände, die zur Annahme einer bei Rücküberstellung nach Italien und Zuerkennung internationalen Schutzes ihr konkret drohenden Gefahr berechtigten, hat die Beschwerdeführerin nicht dargetan. Die im fachgerichtlichen Verfahren geltend gemachte Herzerkrankung hat sie weder nach Art und Ausmaß der damit einhergehenden Beschwerden beschrieben noch durch Vorlage eines ärztlichen Attestes nachgewiesen. Sie hat ihren Vortrag hierzu auch nicht nach dem von ihr für den 21. Juni 2017 angekündigten Facharzttermin ergänzt. Die mit Schriftsatz vom 23. Oktober 2017 vorgetragene psychische Erkrankung und die ärztlichen Stellungnahmen hierzu haben die Beschwerdeführerin veranlasst, einen weiteren Abänderungsantrag nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO zu stellen; über diesen Antrag hat zunächst das Verwaltungsgericht zu entscheiden, was vor Abschluss des Verfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht nicht der Fall sein wird.

27

bb) Hiervon unabhängig hat die Beschwerdeführerin nicht substantiiert dargelegt, dass es ihr vor dem Hintergrund ihres Rechts aus Art. 19 Abs. 4 GG unzumutbar wäre, das Hauptsacheverfahren in Deutschland von Italien aus zu betreiben. Sie hat keine außergewöhnlichen Umstände geschildert, die die Annahme rechtfertigen, dass sie in Italien keinen Rechtsschutz wird erreichen können; auch fehlt jeder Vortrag zu den allgemeinen Möglichkeiten, von Italien aus Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen. Mangels substantiierter Darlegung der von ihr geltend gemachten Erkrankung ist auch diese nicht als Hindernis für die Erreichbarkeit von Rechtsschutz in Italien zu werten.

28

2. Auch einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG hat die Beschwerdeführerin nicht substantiiert dargelegt.

29

Das Gebot des rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Art. 103 Abs. 1 GG ist allerdings erst verletzt, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist. Denn grundsätzlich geht das Bundesverfassungsgericht davon aus, dass die Gerichte das von ihnen entgegengenommene Parteivorbringen zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben. Sie sind dabei nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen, namentlich nicht bei letztinstanzlichen, mit ordentlichen Rechtsmitteln nicht mehr angreifbaren Entscheidungen. Deshalb müssen, damit das Bundesverfassungsgericht einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG feststellen kann, im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist (vgl. BVerfGE 65, 293 <295>; 70, 288 <293>; 86, 133 <145 f.>). Geht das Gericht auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags einer Partei zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, in den Entscheidungsgründen nicht ein, so lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder aber offensichtlich unsubstantiiert war (vgl. auch BVerfGE 47, 182 <189>; 86, 133 <146>).

30

Die Beschwerdeführerin hat nicht dargelegt, dass das Verwaltungsgericht nach diesen Maßstäben ihr Recht auf rechtliches Gehör verletzt hat. Sie hat nicht erläutert, dass es sich mit ihrem Vorbringen zu den Vorlagebeschlüssen des Bundesverwaltungsgerichts und des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg in den Beschlussgründen explizit hätte auseinandersetzen müssen. Es fehlt an einer Darlegung, dass ihr nicht ausdrücklich gewürdigter Vortrag insoweit für das Verfahren von zentraler Bedeutung gewesen ist. Nach den vorstehenden Ausführungen hat die Beschwerdeführerin nicht erklärt, dass die an den EuGH gerichteten Vorabentscheidungsersuchen der beiden Gerichte Fragen enthalten, die für ihr Verfahren entscheidungserheblich gewesen sind.

31

3. Schließlich ist auch ein Verstoß gegen das Willkürverbot aus Art. 3 Abs. 1 GG nicht hinreichend substantiiert dargelegt.

32

Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebietet, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln (vgl. BVerfGE 1, 14 <52>; 98, 365 <385>; stRspr). Nicht jede fehlerhafte Anwendung des einfachen Rechts durch die Rechtsprechung stellt einen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz dar. Von Willkür kann nicht gesprochen werden, wenn das Gericht sich mit der Rechtslage eingehend auseinandersetzt und seine Auffassung nicht jedes sachlichen Grundes entbehrt (vgl. BVerfGE 87, 273 <278 f.>; 96, 189 <203>). Ein Richterspruch ist jedoch willkürlich und verstößt damit gegen Art. 3 Abs. 1 GG, wenn er unter keinem rechtlichen Aspekt vertretbar ist (vgl. BVerfGE 70, 93 <97>; 96, 189 <203>).

33

Daran gemessen hat die Beschwerdeführerin nicht substantiiert dargelegt, dass die unterbliebene Würdigung ihres Vorbringens zu den unionsrechtlich ungeklärten Rechtsfragen gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstößt. Sie hat das Fehlen einer sachlichen Rechtfertigung der fehlenden Auseinandersetzung nicht nachvollziehbar erläutert, weil sie wiederum nicht aufgezeigt hat, dass die dem EuGH vorgelegten Fragen für ihr Verfahren entscheidungserheblich waren.

34

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Die oberste Landesbehörde kann gegen einen Ausländer auf Grund einer auf Tatsachen gestützten Prognose zur Abwehr einer besonderen Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ohne vorhergehende Ausweisung eine Abschiebungsanordnung erlassen. Die Abschiebungsanordnung ist sofort vollziehbar; einer Abschiebungsandrohung bedarf es nicht.

(2) Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat kann die Übernahme der Zuständigkeit erklären, wenn ein besonderes Interesse des Bundes besteht. Die oberste Landesbehörde ist hierüber zu unterrichten. Abschiebungsanordnungen des Bundes werden von der Bundespolizei vollzogen.

(3) Eine Abschiebungsanordnung darf nicht vollzogen werden, wenn die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 1 bis 8 gegeben sind. § 59 Abs. 2 und 3 ist entsprechend anzuwenden. Die Prüfung obliegt der über die Abschiebungsanordnung entscheidenden Behörde, die nicht an hierzu getroffene Feststellungen aus anderen Verfahren gebunden ist.

(4) Dem Ausländer ist nach Bekanntgabe der Abschiebungsanordnung unverzüglich Gelegenheit zu geben, mit einem Rechtsbeistand seiner Wahl Verbindung aufzunehmen, es sei denn, er hat sich zuvor anwaltlichen Beistands versichert; er ist hierauf, auf die Rechtsfolgen der Abschiebungsanordnung und die gegebenen Rechtsbehelfe hinzuweisen. Ein Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach der Verwaltungsgerichtsordnung ist innerhalb von sieben Tagen nach Bekanntgabe der Abschiebungsanordnung zu stellen. Die Abschiebung darf bis zum Ablauf der Frist nach Satz 2 und im Falle der rechtzeitigen Antragstellung bis zur Entscheidung des Gerichts über den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz nicht vollzogen werden.

Gründe

I

1

Der Antragsteller, ein in Deutschland geborener und aufgewachsener 21-jähriger türkischer Staatsangehöriger, begehrt einstweiligen Rechtsschutz im Hinblick auf die Anordnung seiner Abschiebung in die Türkei.

2

Mit Verfügung vom 27. Juni 2017 ordnete das Ministerium für Inneres und Kommunales des Landes Nordrhein-Westfalen - gestützt auf § 58a AufenthG - die Abschiebung des Antragstellers in die Türkei an. Es begründete seine Entscheidung damit, dass der Antragsteller enge Kontakte in radikal-islamistische Kreise pflege, mit der terroristischen Vereinigung "Islamischer Staat (IS)" sympathisiere und gewillt sei, die Ziele des "IS" auch aktiv durch Gewaltakte zu unterstützen. Daraus ergebe sich die auf Tatsachen gestützte Prognose, dass vom Antragsteller die Gefahr ausgehe, für sein Vorbild "Islamischer Staat" Anschläge gegen "staatliche Funktionen" oder gegen Unbeteiligte in Deutschland zu verüben. Gegen ihn wurde im März 2017 ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat gemäß § 89a und § 89b StGB eingeleitet und am 28. März 2017 durch das Amtsgericht Dortmund Untersuchungshaft gegen ihn angeordnet. Am 20. Juli 2017 hat die Staatsanwaltschaft Anklage beim Landgericht Düsseldorf erhoben (601 Js 34/17). Am 13. Juli 2017 hat das Amtsgericht Dortmund zudem Sicherungshaft zur Sicherung der Abschiebung angeordnet (810 XIV(B) 57/17).

3

Mit Schriftsatz vom 28. Juli 2017 hat der Antragsteller beim Bundesverwaltungsgericht Klage gegen die Abschiebungsanordnung erhoben und am 1. August 2017 einen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 VwGO gestellt und diesen Antrag mit Schriftsatz vom 18. September 2017 näher begründet. Er hält die Verfügung für rechtswidrig. Der Antragsteller sei vor Erlass der Verfügung nicht hinreichend angehört worden. Vom Antragsteller gehe keine terroristische Gefahr aus. Die ihm vorgeworfenen Äußerungen ergäben sich nicht aus Chat-Protokollen und seinen eigenen Angaben gegenüber der Haftrichterin. Die Antragsgegnerin stütze sich vielmehr auf die Angaben der Polizeibeamten der Kriminalinspektion Polizeilicher Staatsschutz (KIST) beim Polizeipräsidium B., die möglicherweise von der Vorbereitung der Abschiebungsanordnung gewusst und daher die Sätze geliefert hätten, die hierfür erforderlich seien, nämlich das Bekenntnis zum "IS" und "in Deutschland etwas machen" zu wollen. Da diese Äußerungen nicht durch andere Quellen belegt werden könnten, begegneten sie erheblichen Zweifeln. Der Senat könne die Glaubwürdigkeit der Beamten nicht ohne deren Anhörung einschätzen. Was die vorgeworfene Planung einer Weiterreise nach Syrien betrifft, belegten die Chat-Protokolle das Gegenteil. Die vermeintliche Bedrohung jesidischer Bürger habe der Antragsteller stets bestritten und bestreite sie weiterhin. Im Übrigen stünden einer Abschiebung in die Türkei die dortigen Haftbedingungen entgegen. Der Antragsteller müsse damit rechnen, dort in Haft genommen zu werden. Das OLG Celle habe in einem Beschluss vom 2. Juni 2017 die Auslieferung einer Person zum Zweck der Strafverfolgung wegen der dortigen Verhältnisse in den Gefängnissen abgelehnt.

4

Der Senat hat eine Liste mit Erkenntnismitteln über die abschiebungsrelevante Lage in der Türkei erstellt und ergänzend eine Auskunft des Auswärtigen Amtes (AA) und von Amnesty International (AI) eingeholt. Die in der Liste aufgeführten Erkenntnismittel und die auf die Anfrage des Senats eingegangene Auskunft des AA vom 5. September 2017 und von AI vom 29. August 2017 wurden den Beteiligten zur Kenntnis gebracht.

II

5

Der Antrag des Antragstellers, die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen die Abschiebungsanordnung des Ministeriums für Inneres und Kommunales des Landes Nordrhein-Westfalen vom 27. Juni 2017 anzuordnen, ist zulässig (§ 58a Abs. 4 Satz 2 AufenthG, § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO), auch ist das Bundesverwaltungsgericht als Gericht der Hauptsache zuständig (§ 50 Abs. 1 Nr. 3 VwGO).

6

Der Antrag ist aber unbegründet. Bei der gebotenen Abwägung zwischen dem Interesse des Antragstellers, bis zum Abschluss des Klageverfahrens in Deutschland zu bleiben, und dem öffentlichen Interesse an einer sofortigen Aufenthaltsbeendigung überwiegt das öffentliche Interesse. An der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Abschiebungsanordnung bestehen keine ernstlichen Zweifel (1.). Zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote, die einer Abschiebung des Antragstellers in die Türkei entgegenstehen könnten, liegen nicht vor.

7

1. Die Abschiebungsanordnung findet ihre Rechtsgrundlage in § 58a Abs. 1 AufenthG. Danach kann die oberste Landesbehörde gegen einen Ausländer auf Grund einer auf Tatsachen gestützten Prognose zur Abwehr einer besonderen Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ohne vorhergehende Ausweisung eine Abschiebungsanordnung erlassen. Diese Regelung ist formell und materiell verfassungsgemäß (vgl. BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 24. Juli 2017 - 2 BvR 1487/17 - juris und vom 26. Juli 2017 - 2 BvR 1606/17 - juris).

8

a) Die angegriffene Abschiebungsanordnung ist bei der hier gebotenen umfassenden Prüfung (BVerwG, Beschluss vom 21. März 2017 - 1 VR 1.17 - NVwZ 2017, 1057 Rn. 13) nicht zu beanstanden.

9

Die Verfügung begegnet in formeller Hinsicht keinen Bedenken. Es kann offen bleiben, ob hier von einer Anhörung abgesehen werden konnte, weil eine sofortige Entscheidung zumindest im öffentlichen Interesse notwendig war (§ 28 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG NRW). Denn der Antragsteller ist am 2. Juni 2017 in der Justizvollzugsanstalt D. zu der beabsichtigten Abschiebungsanordnung gemäß § 28 VwVfG NRW durch den Mitarbeiter N. der Zentralen Ausländerbehörde D. in der Justizvollzugsanstalt angehört worden. Der Ausländerbehörde war zuvor der Entwurf der Abschiebungsanordnung übermittelt worden. Im Rahmen der Anhörung erklärte der Antragsteller, er sei mit einer Abschiebung in die Türkei nicht einverstanden. Er gab an, dass "alles zwar schön geschrieben sei und er diesen Worten nicht widersprechen könne", seine Meinung jedoch feststehe. Dann verließ er die Anhörung.

10

b) Die Verfügung ist auch materiell nicht zu beanstanden. Die Abschiebungsanordnung ist gegenüber der Ausweisung nach §§ 53 ff. AufenthG eine selbstständige ausländerrechtliche Maßnahme der Gefahrenabwehr. Sie zielt auf die Abwehr einer besonderen Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und/oder einer terroristischen Gefahr.

11

aa) Der Begriff der "Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland" ist - wie die wortgleiche Formulierung in § 54 Abs. 1 Nr. 2 und § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG - nach der Rechtsprechung des Senats enger zu verstehen als der Begriff der öffentlichen Sicherheit im Sinne des allgemeinem Polizeirechts. Die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland umfasst die innere und äußere Sicherheit und schützt nach innen den Bestand und die Funktionstüchtigkeit des Staates und seiner Einrichtungen. Das schließt den Schutz vor Einwirkungen durch Gewalt und Drohungen mit Gewalt auf die Wahrnehmung staatlicher Funktionen ein (BVerwG, Urteil vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <120> = juris Rn. 17). In diesem Sinne richten sich auch Gewaltanschläge gegen Unbeteiligte zum Zwecke der Verbreitung allgemeiner Unsicherheit gegen die innere Sicherheit des Staates (BVerwG, Beschlüsse vom 21. März 2017 - 1 VR 1.17 - NVwZ 2017, 1057 Rn. 15 und - 1 VR 2.17 - juris Rn. 17).

12

Der Begriff der "terroristischen Gefahr" knüpft an die neuartigen Bedrohungen an, die sich nach dem 11. September 2001 herausgebildet haben. Diese sind in ihrem Aktionsradius nicht territorial begrenzt und gefährden die Sicherheitsinteressen auch anderer Staaten. Im Aufenthaltsgesetz findet sich zwar keine Definition, was unter Terrorismus zu verstehen ist, die aufenthaltsrechtlichen Vorschriften zur Bekämpfung des Terrorismus setzen aber einen der Rechtsanwendung fähigen Begriff des Terrorismus voraus. Auch wenn bisher die Versuche, auf völkerrechtlicher Ebene eine allgemein anerkannte vertragliche Definition des Terrorismus zu entwickeln, nicht in vollem Umfang erfolgreich gewesen sind, ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts doch im Grundsatz geklärt, unter welchen Voraussetzungen die - völkerrechtlich geächtete - Verfolgung politischer Ziele mit terroristischen Mitteln anzunehmen ist. Wesentliche Kriterien können insbesondere aus der Definition terroristischer Straftaten in Art. 2 Abs. 1 Buchst. b des Internationalen Übereinkommens zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus vom 9. Dezember 1999 (BGBl. 2003 II S. 1923), aus der Definition terroristischer Straftaten auf der Ebene der Europäischen Gemeinschaft im Beschluss des Rates Nr. 2002/475/JI vom 13. Juni 2002 (ABl. L 164 S. 3) sowie dem Gemeinsamen Standpunkt des Rates Nr. 2001/931/GASP über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus vom 27. Dezember 2001 (ABl. L 344 S. 93) gewonnen werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <129 f.>). Trotz einer gewissen definitorischen Unschärfe des Terrorismusbegriffs liegt nach der Rechtsprechung des Senats eine völkerrechtlich geächtete Verfolgung politischer Ziele mit terroristischen Mitteln jedenfalls dann vor, wenn politische Ziele unter Einsatz gemeingefährlicher Waffen oder durch Angriffe auf das Leben Unbeteiligter verfolgt werden (BVerwG, Urteil vom 25. Oktober 2011 - 1 C 13.10 - BVerwGE 141, 100 Rn. 19 m.w.N.). Entsprechendes gilt bei der Verfolgung ideologischer Ziele. Eine terroristische Gefahr kann nicht nur von Organisationen, sondern auch von Einzelpersonen ausgehen, die nicht als Mitglieder oder Unterstützer in eine terroristische Organisation eingebunden sind oder in einer entsprechenden Beziehung zu einer solchen stehen. Erfasst sind grundsätzlich auch Zwischenstufen lose verkoppelter Netzwerke, (virtueller oder realer) Kommunikationszusammenhänge oder "Szeneeinbindungen", die auf die Realitätswahrnehmung einwirken und die Bereitschaft im Einzelfall zu wecken oder zu fördern geeignet sind (BVerwG, Beschlüsse vom 21. März 2017 - 1 VR 1.17 - NVwZ 2017, 1057 Rn. 16 und - 1 VR 2.17 - juris Rn. 18).

13

Das Erfordernis einer "besonderen" Gefahr bei der ersten Alternative bezieht sich allein auf das Gewicht und die Bedeutung der gefährdeten Rechtsgüter sowie das Gewicht der befürchteten Tathandlungen des Betroffenen, nicht auf die zeitliche Eintrittswahrscheinlichkeit. In diesem Sinne muss die besondere Gefahr für die innere Sicherheit aufgrund der gleichen Eingriffsvoraussetzungen eine mit der terroristischen Gefahr vergleichbare Gefahrendimension erreichen. Dafür spricht auch die Regelung in § 11 Abs. 5 AufenthG, die die Abschiebungsanordnung in eine Reihe mit Verbrechen gegen den Frieden, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit stellt. Geht es um die Verhinderung schwerster Straftaten, durch die im "politischen/ideologischen Kampf" die Bevölkerung in Deutschland verunsichert und/oder staatliche Organe der Bundesrepublik Deutschland zu bestimmten Handlungen genötigt werden sollen, ist regelmäßig von einer besonderen Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und jedenfalls von einer terroristischen Gefahr auszugehen. Da es um die Verhinderung derartiger Straftaten geht, ist nicht erforderlich, dass mit deren Vorbereitung oder Ausführung in einer Weise begonnen wurde, die einen Straftatbestand erfüllt und etwa bereits zur Einleitung strafrechtlicher Ermittlungen geführt hat (BVerwG, Beschlüsse vom 21. März 2017 - 1 VR 1.17 - NVwZ 2017, 1057 Rn. 17 und - 1 VR 2.17 - juris Rn. 19).

14

Die für § 58a AufenthG erforderliche besondere Gefahrenlage muss sich aufgrund einer auf Tatsachen gestützten Prognose ergeben. Aus Sinn und Zweck der Regelung ergibt sich, dass die Bedrohungssituation unmittelbar vom Ausländer ausgehen muss, in dessen Freiheitsrechte sie eingreift. Ungeachtet ihrer tatbestandlichen Verselbstständigung ähnelt die Abschiebungsanordnung in ihren Wirkungen einer für sofort vollziehbar erklärten Ausweisung nebst Abschiebungsandrohung. Zum Zwecke der Verfahrensbeschleunigung ist sie aber mit Verkürzungen im Verfahren und beim Rechtsschutz verbunden. Insbesondere ist die Abschiebungsanordnung kraft Gesetzes sofort vollziehbar (§ 58a Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 AufenthG). Da es keiner Abschiebungsandrohung bedarf (§ 58a Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 AufenthG), erübrigt sich auch die Bestimmung einer Frist zur freiwilligen Ausreise. Zuständig sind nicht die Ausländerbehörden, sondern grundsätzlich die obersten Landesbehörden (§ 58a Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 AufenthG). Die Zuständigkeit für den Erlass einer Abschiebungsanordnung begründet nach § 58a Abs. 3 Satz 3 AufenthG zugleich eine eigene Zuständigkeit für die Prüfung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 1 bis 8 AufenthG ohne Bindung an hierzu getroffene Feststellungen aus anderen Verfahren. Die gerichtliche Kontrolle einer Abschiebungsanordnung und ihrer Vollziehung unterliegt in erster und letzter Instanz dem Bundesverwaltungsgericht (§ 50 Abs. 1 Nr. 3 VwGO), ein Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes muss innerhalb einer Frist von sieben Tagen gestellt werden (§ 58a Abs. 4 Satz 2 AufenthG). Die mit dieser Ausgestaltung des Verfahrens verbundenen Abweichungen gegenüber einer Ausweisung lassen sich nur mit einer direkt vom Ausländer ausgehenden terroristischen und/oder dem gleichzustellenden Bedrohungssituation für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland rechtfertigen (BVerwG, Beschlüsse vom 21. März 2017 - 1 VR 1.17 - NVwZ 2017, 1057 Rn. 18 und - 1 VR 2.17 - juris Rn. 20).

15

Die vom Ausländer ausgehende Bedrohung muss aber nicht bereits die Schwelle einer konkreten Gefahr im Sinne des polizeilichen Gefahrenabwehrrechts überschreiten, bei der bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eine Verletzung des geschützten Rechtsguts zu erwarten ist. Dies ergibt sich nicht nur aus dem Wortlaut der Vorschrift, die zur Abwehr einer besonderen Gefahr lediglich eine auf Tatsachen gestützte Prognose verlangt. Auch Sinn und Zweck der Regelung sprechen angesichts des hohen Schutzguts und der vom Terrorismus ausgehenden neuartigen Bedrohungen für einen abgesenkten Gefahrenmaßstab, weil seit den Anschlägen von 11. September 2001 damit zu rechnen ist, dass ein Terroranschlag mit hohem Personenschaden ohne großen Vorbereitungsaufwand und mit Hilfe allgemein verfügbarer Mittel jederzeit und überall verwirklicht werden kann. Eine Abschiebungsanordnung ist daher schon dann möglich, wenn aufgrund konkreter tatsächlicher Anhaltspunkte ein beachtliches Risiko dafür besteht, dass sich eine terroristische Gefahr und/oder eine dem gleichzustellende Gefahr für die innere Sicherheit der Bundesrepublik in der Person des Ausländers jederzeit aktualisieren kann, sofern nicht eingeschritten wird (BVerwG, Beschlüsse vom 21. März 2017 - 1 VR 1.17 - NVwZ 2017, 1057 Rn. 19 und - 1 VR 2.17 - juris Rn. 21).

16

Diese Auslegung steht trotz der Schwere aufenthaltsbeendender Maßnahmen im Einklang mit dem Grundgesetz. Der Gesetzgeber ist von Verfassungs wegen nicht von vornherein für jede Art der Aufgabenwahrnehmung auf die Schaffung von Eingriffstatbeständen beschränkt, die dem tradierten sicherheitsrechtlichen Modell der Abwehr konkreter, unmittelbar bevorstehender oder gegenwärtiger Gefahren entsprechen. Vielmehr kann er die Grenzen für bestimmte Bereiche der Gefahrenabwehr mit dem Ziel schon der Straftatenverhinderung auch weiter ziehen, indem er die Anforderungen an die Vorhersehbarkeit des Kausalverlaufs reduziert. Dann bedarf es aber zumindest einer hinreichend konkretisierten Gefahr in dem Sinne, dass tatsächliche Anhaltspunkte für die Entstehung einer konkreten Gefahr bestehen. Hierfür reichen allgemeine Erfahrungssätze nicht aus, vielmehr müssen bestimmte Tatsachen im Einzelfall die Prognose eines Geschehens tragen, das zu einer zurechenbaren Verletzung gewichtiger Schutzgüter führt. Eine hinreichend konkretisierte Gefahr in diesem Sinne kann schon bestehen, wenn sich der zum Schaden führende Kausalverlauf noch nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit vorhersehen lässt, aber bereits bestimmte Tatsachen auf eine im Einzelfall drohende Gefahr für ein überragend wichtiges Rechtsgut hinweisen. In Bezug auf terroristische Straftaten, die oft von bisher nicht straffällig gewordenen Einzelnen an nicht vorhersehbaren Orten und in ganz verschiedener Weise verübt werden, kann dies schon dann der Fall sein, wenn zwar noch nicht ein seiner Art nach konkretisiertes und zeitlich absehbares Geschehen erkennbar ist, jedoch das individuelle Verhalten einer Person die konkrete Wahrscheinlichkeit begründet, dass sie solche Straftaten in überschaubarer Zukunft begehen wird. Angesichts der Schwere aufenthaltsbeendender Maßnahmen ist eine Verlagerung der Eingriffsschwelle in das Vorfeldstadium dagegen verfassungsrechtlich nicht hinnehmbar, wenn nur relativ diffuse Anhaltspunkte für mögliche Gefahren bestehen, etwa allein die Erkenntnis, dass sich eine Person zu einem fundamentalistischen Religionsverständnis hingezogen fühlt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 31. Mai 2017 - 1 VR 4.17 - juris Rn. 20 unter Hinweis auf BVerfG, Urteil vom 20. April 2016 - 1 BvR 966/09 u.a. - BVerfGE 141, 220 Rn. 112 f.). Allerdings kann in Fällen, in denen sich eine Person in hohem Maße mit einer militanten, gewaltbereiten Auslegung des Islam identifiziert, den Einsatz von Gewalt zur Durchsetzung dieser radikal-islamischen Auffassung für gerechtfertigt und die Teilnahme am sogenannten "Jihad" als verpflichtend ansieht, von einer hinreichend konkreten Gefahr auszugehen sein, dass diese Person terroristische Straftaten begeht.

17

Für diese "Gefahrenprognose" bedarf es - wie bei jeder Prognose - zunächst einer hinreichend zuverlässigen Tatsachengrundlage. Der Hinweis auf eine auf Tatsachen gestützte Prognose dient der Klarstellung, dass ein bloßer (Gefahren-)Verdacht oder Vermutungen bzw. Spekulationen nicht ausreichen. Zugleich definiert dieser Hinweis einen eigenen Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Abweichend von dem sonst im Gefahrenabwehrrecht geltenden Prognosemaßstab der hinreichenden Eintrittswahrscheinlichkeit mit seinem nach Art und Ausmaß des zu erwartenden Schadens differenzierenden Wahrscheinlichkeitsmaßstab muss für ein Einschreiten nach § 58a AufenthG eine bestimmte Entwicklung nicht wahrscheinlicher sein als eine andere. Vielmehr genügt angesichts der besonderen Gefahrenlage, der § 58a AufenthG durch die tatbestandliche Verselbstständigung begegnen soll, dass sich aus den festgestellten Tatsachen ein beachtliches Risiko dafür ergibt, dass die von einem Ausländer ausgehende Bedrohungssituation sich jederzeit aktualisieren und in eine konkrete terroristische Gefahr und/oder eine dem gleichzustellende Gefahr für die innere Sicherheit der Bundesrepublik umschlagen kann (BVerwG, Beschlüsse vom 21. März 2017 - 1 VR 1.17 - NVwZ 2017, 1057 Rn. 20 und - 1 VR 2.17 - juris Rn. 22).

18

Dieses beachtliche Eintrittsrisiko kann sich auch aus Umständen ergeben, denen (noch) keine strafrechtliche Relevanz zukommt, etwa wenn ein Ausländer fest entschlossen ist, in Deutschland einen mit niedrigem Vorbereitungsaufwand möglichen schweren Anschlag zu verüben, auch wenn er noch nicht mit konkreten Vorbereitungs- oder Ausführungshandlungen begonnen hat und die näheren Tatumstände nach Ort, Zeitpunkt, Tatmittel und Angriffsziel noch nicht feststehen. Eine hinreichende Bedrohungssituation kann sich aber auch aus anderen Umständen ergeben. In jedem Fall bedarf es einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Ausländers, seines bisherigen Verhaltens, seiner nach außen erkennbaren oder geäußerten inneren Einstellung, seiner Verbindungen zu anderen Personen und Gruppierungen, von denen eine terroristische Gefahr und/oder eine Gefahr für die innere Sicherheit der Bundesrepublik ausgeht sowie sonstiger Umstände, die geeignet sind, den Ausländer in seinem gefahrträchtigen Denken oder Handeln zu belassen oder zu bekräftigen. Dabei kann sich - abhängig von den Umständen des Einzelfalls - in der Gesamtschau ein beachtliches Risiko, das ohne ein Einschreiten jederzeit in eine konkrete Gefahr umschlagen kann, auch schon daraus ergeben, dass sich ein im Grundsatz gewaltbereiter und auf Identitätssuche befindlicher Ausländer in besonderem Maße mit dem radikal-extremistischen Islamismus in seinen verschiedenen Ausprägungen bis hin zum ausschließlich auf Gewalt setzenden jihadistischen Islamismus identifiziert, über enge Kontakte zu gleichgesinnten, möglicherweise bereits anschlagsbereiten Personen verfügt und sich mit diesen in "religiösen" Fragen regelmäßig austauscht (BVerwG, Beschlüsse vom 21. März 2017 - 1 VR 1.17 - NVwZ 2017, 1057 Rn. 21 und - 1 VR 2.17 - juris Rn. 23).

19

Der obersten Landesbehörde steht bei der für eine Abschiebungsanordnung nach § 58a AufenthG erforderlichen Gefahrenprognose aber keine Einschätzungsprärogative zu. Als Teil der Exekutive ist sie beim Erlass einer Abschiebungsanordnung - wie jede andere staatliche Stelle - an Recht und Gesetz, insbesondere an die Grundrechte, gebunden (Art. 1 Abs. 3, Art. 20 Abs. 3 GG) und unterliegt ihr Handeln nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG der vollen gerichtlichen Kontrolle. Weder Wortlaut noch Sinn und Zweck der Vorschrift sprechen für einen der gerichtlichen Überprüfung entzogenen behördlichen Beurteilungsspielraum. Auch wenn die im Rahmen des § 58a AufenthG erforderliche Prognose besondere Kenntnisse und Erfahrungswissen erfordert, ist sie nicht derart außergewöhnlich und von einem bestimmten Fachwissen abhängig, über das nur oberste (Landes-)Behörden verfügen. Vergleichbare Aufklärungsschwierigkeiten treten auch in anderen Zusammenhängen auf. Der hohe Rang der geschützten Rechtsgüter und die Eilbedürftigkeit der Entscheidung erfordern ebenfalls keine Einschätzungsprärogative der Behörde (BVerwG, Beschluss vom 21. März 2017 - 1 VR 1.17 - NVwZ 2017, 1057 Rn. 22; BVerfG, Kammerbeschluss vom 24. Juli 2017 - 2 BvR 1487/17 - juris Rn. 42).

20

bb) In Anwendung dieser Grundsätze ist davon auszugehen, dass vom Antragsteller derzeit aufgrund einer auf Tatsachen gestützten Prognose ein beachtliches Risiko im Sinne des § 58a AufenthG ausgeht, auch wenn den Sicherheitsbehörden kein konkreter Plan des Antragstellers zur Ausführung einer terroristischen Gewalttat bekannt geworden ist. Es besteht ein zeitlich und sachlich beachtliches Risiko, dass er einen terroristischen Anschlag begeht oder sich an einem solchen beteiligt, bei dem Unbeteiligte ums Leben kämen.

21

Für die Beurteilung des Senats sind vor allem folgende Umstände maßgeblich, die sich aus der nicht mit Blattzahlen versehenen Ausländerakte des Antragstellers (AA), der ebenfalls nicht mit Blattzahlen versehenen Akte des Ministeriums für Inneres und Kommunales des Landes Nordrhein-Westfalen (MI), den beigezogenen Strafakten sowie dem Vorbringen des Antragstellers und des Antragsgegners im vorliegenden Verfahren ergeben:

22

(1) Nach den Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden hat sich der Antragsteller seit 2013 zunehmend islamistisch radikalisiert. Er hat sich seit 2013 intensiv an der Koranverteilungsaktion der mittlerweile verbotenen Vereinigung "Die wahre Religion" in der B. Innenstadt beteiligt. Diese wurde im Oktober 2016 durch das Bundesministerium des Innern verboten und aufgelöst, weil sie eine Ideologie vertreten hat, die die verfassungsmäßige Ordnung ersatzlos verdrängte, den bewaffneten Jihad befürwortete und ein bundesweit einzigartiges Rekrutierungs- und Sammelbecken für jihadistische Islamisten sowie für Personen darstellte, die aus jihadistisch-islamistischer Motivation nach Syrien bzw. in den Irak ausreisen wollten. Bereits im August 2015 ist der Antragsteller von der Gruppe, mit der er die Koran-Verteilaktionen durchgeführt hatte, ausgeschlossen worden. Als Grund wurden Handgreiflichkeiten gegenüber (augenscheinlich jesidischstämmigen) Kritikern dieser Aktion angegeben. Auch hat sich der Antragsteller bei Mitgliedern der Koranverteilungsgruppe nach dem "IS" und der AI-Nusra Front erkundigt. Man hat ihm aber davon abgeraten, nach Syrien zu gehen und sich dort einer Gruppe anzuschließen.

23

Nach Angaben seines Vaters gegenüber der Polizei hat sich der Antragsteller im zeitlichen Zusammenhang mit dem Ablegen des Abiturs im April 2014 zunehmend religiösen Themen zugewandt, das vorher professionell betriebene Fußballspielen aufgegeben, das geplante Informatikstudium nicht begonnen und sich mit islamistischen Predigern wie V. Od. und S. Y. beschäftigt. Er hat die arabische Moschee in P. in der S.straße besucht, wo es Besucher gab, die erkennbar salafistisch ausgerichtet waren. Er begann, arabisch zu lernen. Der Antragsteller heiratete dann am 28. November 2015 nach islamischem Ritus. An der Hochzeitsfeier nahmen vier Personen teil, die wegen ihrer salafistischen Einstellung und Einwirkung auf den Antragsteller von dessen Vater für gefährlich gehalten wurden. Als ein Wortführer ist dort D. J. aufgetreten, der nach Erkenntnissen des Landesverfassungsschutzes NRW seit vielen Jahren in der salafistisch-jihadistischen Szene aktiv ist. Es besteht der Verdacht, dass J. junge Männer anwirbt, indoktriniert und sie von einer Ausreise nach Syrien/Irak überzeugt, um dort für den sog. "Islamischen Staat (IS)" tätig zu werden. In der Vergangenheit sind bereits mehrere männliche Personen erfolgreich angeworben worden. Zumindest in einem Fall habe sich ein angeworbener junger Mann in den Irak begeben und dort ein Selbstmordattentat verübt, bei dem zahlreiche Menschen getötet oder verletzt wurden.

24

Der Antragsteller entzog sich nach der Hochzeit zunehmend dem Einfluss seiner eher westlich orientierten Eltern, die ihn nicht mehr erreichen konnten. Der Vater wandte sich wenige Tage nach der Hochzeit wegen seiner Sorgen an die Polizei in B. Im Herbst des Jahres 2016 wurde dem Antragsteller aufgrund seiner fundamentalen religiösen Einstellung von Seiten seines Ausbildungsbetriebes (Stadtwerke B.) gekündigt. Sein Vater berichtete dann weiter, dass aus dem Zimmer des Antragstellers in der elterlichen Wohnung fortlaufend religiöse Kampfgesänge (Naschids) zu hören waren und dass der Antragsteller seinen Vater als Ungläubigen (Kuffar) bezeichnete. Zudem ist der Antragsteller mehrfach nach H. zum Deutschsprachigen Islamkreis e.V. gereist, in welchem D. Z., ein bekannter islamischer Hassprediger, predigte. Gegenüber seiner Mutter ist der Antragsteller auch handgreiflich geworden, was einen Polizeieinsatz zur Folge hatte. Die Verletzungen der Mutter unterhalb des linken Auges sind kriminalpolizeilich dokumentiert (BA 12, Strafanzeige vom 18. Dezember 2016 Bl. 11). Einen Baseballschläger habe er in der Hand gehalten, jedoch nicht eingesetzt. Ende Januar 2017 hat er sich im Bereich A. mit dem nigerianischen Staatsangehörigen F. H. getroffen, der als islamistischer Gefährder eingestuft war und wenige Monate später aufgrund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a AufenthG, die mittlerweile rechtskräftig ist, abgeschoben wurde.

25

Am 4. November 2016 wurde sein Sohn L. geboren. Der Antragsteller hat im Rahmen des Besuchs seiner Ehefrau auf der Entbindungsstation des Klinikums D. am 6. November 2016 gegenüber einer Jesidin gestisch das Durchschneiden ihrer Kehle angedeutet. Aus den polizeilichen Ermittlungen ergibt sich, dass Frau V. R., eine türkische Jesidin, gegenüber mehreren Zeuginnen angegeben hat, dass der Kläger ihr gegenüber auf dem Flur der Entbindungsstation die Kopfabschneide-Geste gemacht hat. Zuvor war es zu Auseinandersetzungen zwischen der jesidischen Familie R. und dem Kläger gekommen, weil Familie R. Angst vor dem Kläger hatte, den sie aufgrund seines Äußeren dem "IS" zurechnete und als "Daisch" bezeichnete. Wie die Zeuginnen K. R. (entbindende Schwiegertochter) und U. Ol. (Patientin im gleichen Krankenzimmer) bekundeten, berichtete ihnen Frau V. R. davon, dass der Kläger ihr gegenüber dreimal die Kopfabschneide-Geste gemacht habe, indem er sich mit einem Finger quer über die Kehle strich. Die Zeugin K. R., die Schwiegertochter der V. R., hat nach ihrer Aussage das schnalzende Geräusch gehört, das der Kläger bei seiner Geste verwendete (Schnalzlaut mit der Zunge). Allerdings hat der Kläger vor der Tür des Krankenzimmers gestanden, so dass die frisch entbundene K. R. aus dem Krankenzimmer heraus die Geste nicht hat sehen, sondern nur das Geräusch hat vernehmen können. Die Zeugin K. R. bekundete aber, dass Frau V. R. nach dem Vorfall am ganzen Körper gezittert habe, richtig rot im Gesicht geworden sei und geweint habe. Ihre Tochter D. R. erschien wegen des Vorfalls in den späten Abendstunden des 6. November 2016 auf der Polizeiwache D. und schilderte den Sachverhalt. Der diensthabende Polizeibeamte suchte noch am Abend die Familie auf und verstand den Vorfall als konkrete Morddrohung (Zeichen für Enthauptung). Die Familie hatte allerdings große Angst und wollte deshalb keine Strafanzeige erstatten. Dies ist auch deshalb gut nachvollziehbar, weil Jesiden in Syrien und im Irak in großem Umfang Opfer von Misshandlungen durch den "IS" geworden sind.

26

Die Zeugenvernehmung der Frau V. R. am 8. November 2016 musste wegen dieser Angst abgebrochen werden. Nach dem polizeilichen Protokoll wiederholte Frau V. R. mehrfach mit ihrer Hand die Geste des Kopfabschneidens und gab zur Kenntnis, dass sie seit diesem Vorfall große Angst habe. Die Tochter D. R. gab an, dass ihre Mutter seit zwei Tagen kaum geschlafen habe. Außerdem habe ihre Mutter seit dem Vorfall aus Angst nicht mehr die Wohnung verlassen. Frau V. R. äußerte die Sorge, dass der Tatverdächtige oder andere Angehörige der Terrororganisation "Islamischer Staat" sie oder Mitglieder der Familie identifizieren und töten könnte. Trotz längerer Erörterung sei diese Angst der Geschädigten nicht zu nehmen gewesen. Daher wurde das Strafverfahren wegen Bedrohung im Ergebnis eingestellt.

27

Der Kläger bestätigte im Rahmen seiner polizeilichen Vernehmung am 27. Februar 2017 (BA 9 und 16 Bl. 50 - 55), dass es eine verbale Auseinandersetzung mit den jesidischen Frauen der Familie R. auf der Entbindungsstation gegeben und Frau V. R. behauptet habe, er habe sie bedroht. Er habe sich zwar auf dem Flur befunden, Frau V. R. habe auf ihn eingeredet, er glaube nicht, überhaupt ein Wort geantwortet zu haben. Auf die Frage, ob er sich gegenüber Frau R. dreimal mit dem Finger quer über die Kehle gestrichen habe, antworte der Kläger zweimal ausweichend, dazu habe er sich schon geäußert.

28

Der Senat geht bei der Würdigung der Aussagen davon aus, dass Frau V. R. am 6. November 2016 tatsächlich von dem Kläger mit der dreimaligen Geste des Kopfabschneidens bedroht worden ist. Nur so sind ihre spontanen Vorwürfe zu erklären, die sie den Zeuginnen im Krankenzimmer schilderte. Ohne den Vorfall lassen sich auch ihre ausgeprägten Angstzustände mit körperlichen Folgeerscheinungen nicht erklären, denen sie seit dem Vorfall und noch Tage danach ausgesetzt war. Auch der Umstand, dass sich die Tochter noch am späten Abend des Tages auf die Polizeistation begeben hatte, um den Vorfall zu Protokoll zu erklären, lässt sich nur so erklären. Das Verhalten ist für den Kläger auch nicht wesensfremd, war er doch schon im August 2015 von der Gruppe, mit der er die Koran-Verteilaktionen durchgeführt hatte, wegen Handgreiflichkeiten gegenüber (augenscheinlich jesidischstämmigen) Kritikern dieser Aktion ausgeschlossen worden.

29

Für die Einschätzung der vom Antragsteller ausgehenden Gefahr ist weiterhin sein Ausreiseversuch nach Ägypten im März 2017 von Bedeutung. Im November 2016 meldete sich der Vater des Antragstellers bei der B. Kriminalinspektion Polizeilicher Staatsschutz (KIST) und gab an, dass der Antragsteller gegenüber seiner nach islamischem Ritus angetrauten Ehefrau geäußert habe, nach Ägypten reisen zu wollen, um dort in einer Moschee in Kairo den Islam zu studieren. Hierzu habe er Kontakt zu einem Imam namens P. Do. Dg. aufnehmen wollen.

30

Der Antragsteller hat Ende November 2016, unter Mitnahme aller persönlichen Gegenstände einschließlich seines Reisepasses, sein Elternhaus verlassen. Im Februar 2017 beantragte er einen Kinderausweis für seinen Sohn L. und gab an, eine Reise nach Ägypten zu planen. In diesem Zusammenhang wurde ein ägyptischer Visumseintrag in seinem türkischen Pass festgestellt. Im Rahmen einer Gefährderansprache durch den Staatsschutz des PP B. stritt der Antragsteller Ausreiseabsichten in ein Kriegsgebiet zum Anschluss an den "Jihad" vehement ab. Vielmehr wolle er mit seiner Frau und seinem Sohn nach Kairo reisen, um dort den Islam zu studieren. Vorher wolle er, ebenfalls in Ägypten, die arabische Sprache intensiv lernen, um eine Grundlage für das Studium zu schaffen. In der Folgezeit kam es zur Trennung des Antragstellers von seiner Frau, die seitdem das alleinige Sorgerecht für den gemeinsamen Sohn L. ausübt.

31

Am 21. März 2017 reiste der Antragsteller von F. nach Kairo mit Zwischenstopp in Athen. Auf Befragen gab er an, dort für die Dauer von etwa einem Monat Freunde besuchen zu wollen. Er hatte ein Gepäckstück aufgegeben. Am Morgen des 22. März 2017 wurde er in Kairo beim Einreiseversuch aufgrund seines Erscheinungsbildes kontrolliert, worauf ihm die Einreise nach Ägypten verweigert wurde. Befragt durch den ägyptischen Staatssicherheitsdienst NSS gab er an, Urlaub in Kairo machen und bei einem Freund namens P. De. Dü. wohnen zu wollen. Nach Erkenntnissen der ägyptischen Behörden steht Herr De. Dü. mit relevanten Personen aus dem terroristischen Milieu in Ägypten in Kontakt. Mittlerweile lebt Herr De. Dü. wieder in Deutschland (Göttingen, BA 8 Bl. 479), hatte aber in der Zeit vom 1. September 2014 bis zum 1. Juni 2016 in Kairo studiert (BA 8 Bl. 480).

32

Nachdem dem Antragsteller die Einreise nach Ägypten nicht gestattet worden war, flog er nach Deutschland zurück. Bei der am Flughafen Frankfurt am Main durchgeführten Untersuchung seines Gepäcks wurden rund 6 000 € Bargeld, militärisch anmutende Tarnbekleidung, diverse Kontoauszüge, Western-Union Überweisungen, Gegenstände, die eine Sympathie zum sogenannten "Islamischen Staat" vermuten lassen sowie die Geburtsurkunde des Antragstellers gefunden. Zu den mitgeführten Gegenständen gehörte eine Kopfbedeckung mit einer Symbolik des "Islamischen Staates". Bei der Sichtung seines Mobiltelefons durch Polizeikräfte wurden zahlreiche Propagandavideos des "Islamischen Staates", Bilder von Koranverteilungen in London sowie Bilder mehrerer unbekannter Personen mit salafistischem Erscheinungsbild entdeckt. In der Folgezeit bis zur Inhaftierung des Antragstellers wurden weitere Videodateien auf seinem Mobiltelefon ausgewertet. Sie zeigen nach dem derzeitigen Stand der Ermittlungen u.a. Kriegshandlungen, mutmaßlich des "IS", die in verherrlichender Weise zusammengeschnitten wurden. Darunter befinden sich auffallend oft Szenen mit Selbstmordattentätern, die im Film als Helden dargestellt werden und die für den sogenannten "IS" ihr Leben opfern. In diversen Filmen werden brutalste Hinrichtungen gezeigt, Enthauptungen, Erschießungen, Verbrennen von lebenden Menschen sowie regelrechte "Schlachtungen" von Menschen, denen die Kehle aufgeschnitten wird, um sie anschließend an den Füßen hängend ausbluten zu lassen. Bei einigen Hinrichtungsszenen waren erkennbar Kinder bei dem Geschehen zugegen.

33

Gegenüber Beamten des PP B. (u.a. KHK V.) hat der Antragsteller im Zusammenhang mit der Durchsuchung seines Gepäcks am Flughafen unter anderem folgende Äußerungen gemacht (BA 6 Bl. 76 ff.):

"Der Islam steht über allem, über meiner Familie und sogar meinen Eltern."

„Ich möchte als richtiger Muslim sterben und dafür werde ich alles tun."

"Glaubt ihr, dass ihr uns auf unserem Weg aufhalten könnt mit dem, was ihr hier macht? Wir werden immer mehr."

"Was sich nicht nach dem Islam richtet, gilt nicht für mich."

34

Auf die Frage, ob er hinter der Al-Nusra-Front und dem sogenannten "Islamischen Staat" stehe, hat er gegenüber dem Polizeibeamten V. geantwortet "eintausendprozentig ja" (BA 6 Bl. 77). Bei seiner richterlichen Anhörung am 29. März 2017 stritt der Antragsteller diese Äußerung allerdings ab (BA 6 Bl. 106). Auf die Frage, ob er beabsichtigt habe, wieder nach Deutschland zurückzukehren, hat er geantwortet „eintausendprozentig nein“ (BA 6 Bl. 77). Im weiteren Verlauf des Gesprächs äußerte er immer wieder Hass gegenüber Kurden. Es gäbe zu viele in Deutschland und die würden den Islam bekämpfen.

35

Während der Rückfahrt nach Nordrhein-Westfalen mit dem Zug hat der Antragsteller am Bahnhof K.-D. gegenüber den Beamten weiterhin erklärt, dass der Westen den muslimischen Ländern mit Waffen die Demokratie aufzwingen wolle und sich damit gegen den Islam stelle. Das würden sich die Muslime nicht gefallen lassen. Man müsse also verstehen, dass ein Muslim etwas machen müsse, wenn er sieht, dass in Syrien Kinder durch Bomben getötet würden. Man müsse doch verstehen, wenn auch die Muslime mal etwas in Amerika oder Deutschland machten.

36

Aus den gegenüber den Polizeibeamten nach Rückkehr aus Ägypten getätigten Äußerungen des Antragstellers ergibt sich seine uneingeschränkte Identifikation mit dem "IS" und dem gewaltsamen "Jihad" im Nahen Osten sowie mit dessen Anschlägen in Europa. Der Senat hat keinen Anlass, an den detailreichen Angaben des KHK V. in dessen Vermerk vom 28. März 2017 (BA 6 Bl. 76 ff.) zu zweifeln. Die Glaubwürdigkeit der Angaben "der Polizeibeamten der KIST des PP B.", die der Bevollmächtigte in seinem Schriftsatz vom 18. September 2017 - korrigiert im Schriftsatz vom 19. September 2017 - in Zweifel zieht, wird nicht dadurch erschüttert, dass KHK V. Äußerungen des Antragstellers wiedergibt, die sich nachteilig für ihn auswirken. Die in den Äußerungen zum Ausdruck kommende Identifikation des Antragstellers mit dem "IS" ergibt sich für den Senat zudem aus den auf seinem Mobiltelefon sichergestellten Propagandavideos, den in der elterlichen Wohnung gehörten religiösen Kampfgesängen und weiteren bereits aufgeführten Tatsachen sowie aus den bei seinem Ausreiseversuch mitgeführten Kleidungsstücken, u.a. aus der Kopfbedeckung mit einer Symbolik des "Islamischen Staates". Aus den Chat-Protokollen ergibt sich jedenfalls nichts Gegenteiliges. Das Bestreiten des Antragstellers wertet der Senat demgegenüber als bloße Schutzbehauptung, um strafrechtlichen und ausländerrechtlichen Maßnahmen zu entgehen.

37

Offen ist hingegen für den Senat nach derzeitigem Erkenntnisstand, ob der Antragsteller ausschließlich nach Ägypten oder von dort auch weiter ins syrisch-irakische Kriegsgebiet reisen wollte. Zwar können die Art der mitgeführten Kleidung und einige Äußerungen des Antragstellers dahin ausgelegt werden, dass eine Weiterreise ins Kriegsgebiet beabsichtigt war. So soll er bei seiner Vernehmung in F. im Anschluss an die zollrechtliche Untersuchung gesagt haben, er sei nach Ägypten ausgereist, weil Freunde von ihm aus D. in die Türkei ausgereist seien und dort zurückgewiesen worden waren. Er habe sich daher für eine Ausreise nach Ägypten entschieden (BA 6 Bl. 77 f.). Bei seiner richterlichen Anhörung am 29. März 2017 gab der Antragsteller aber an, diese Äußerung sei aus dem Zusammenhang gerissen (BA 6 Bl. 106). Andererseits sah er auch Ägypten unter der Militärregierung nicht als gottgefälligen Staat an (BA 6 Bl. 74). Der Haftbefehl des Amtsgerichts Dortmund vom 28. März 2017 wird unter anderem darauf gestützt, es sei davon auszugehen, dass der Antragsteller von Ägypten aus den Weg über die Sinai-Halbinsel in das Krisengebiet habe nehmen wollen, um eine Zurückweisung in der Türkei zu vermeiden (BA 6 Bl. 100). Bei seiner richterlichen Vernehmung am 31. März 2017 stritt der Antragsteller aber ab, eine Weiterreise in das Kampfgebiet geplant zu haben (BA 6 Bl. 161). Für eine Ausreise allein nach Ägypten sprechen die vom Mobiltelefon des Antragstellers ausgelesenen Telefonate und Chats. Diese sprechen eher dafür, dass er tatsächlich in Kairo die arabische Sprache und islamische Theologie studieren wollte, wie dies sein "Mentor" P. De. Dü. getan hatte, der in der Zeit vom 1. September 2014 bis zum 1. Juni 2016 in Kairo studiert hatte und dann wieder nach Deutschland zurückgekehrt war. Entsprechend hatte sich der Antragsteller auch gegenüber seinem Vater und der Mutter seines Sohnes geäußert.

38

(2) Angesichts der vorstehend festgestellten Tatsachen, die sich auf Erkenntnisse der Sicherheitsbehörden und Zeugenaussagen in strafrechtlichen Ermittlungsverfahren stützen, hält es der Senat hier für hinreichend wahrscheinlich, dass der Antragsteller seinen über einen langen Zeitraum gebildeten und bekundeten Überzeugungen auch Taten folgen lässt und einen - ohne großen Vorbereitungsaufwand möglichen - Terroranschlag in Deutschland begeht. Die von ihm ausgehende Bedrohungssituation kann sich jederzeit aktualisieren und in eine konkrete terroristische Gefahr und/oder eine dem gleichzustellende Gefahr für die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland umschlagen.

39

Die Gesamtschau der den Antragsteller betreffenden Erkenntnisse ergibt, dass es sich bei ihm um eine Person handelt, die der radikal-islamistischen Szene salafistischer Ausrichtung angehört, sich uneingeschränkt mit dem "IS" identifiziert und sich für dessen Ziele einsetzt. Er kleidet sich in einer Weise, die ihn für außenstehende Dritte, wie die jesidische Familie R., als "IS"-Anhänger (Daesch) ausweist, besitzt eine Kopfbedeckung mit "IS"-Symbolik, hörte in seinem Zimmer in der elterlichen Wohnung fortlaufend religiöse Kampfgesänge (Naschids) und erklärte gegenüber den Polizeibeamten am F. Flughafen, er identifiziere sich "eintausendprozentig" mit dem "IS". Er hat sich von seinem säkularen Umfeld vollständig isoliert, bezeichnet seinen Vater als Ungläubigen (Kuffar), ist gegenüber seiner Mutter handgreiflich geworden, gab seinen zuvor professionell betriebenen Sport auf, nahm nach dem Abitur kein Studium auf, musste die Lehre bei den Stadtwerken wegen seines islamistischen Erscheinungsbildes abbrechen. Stattdessen bewegt er sich in radikal-islamistischen Kreisen und pflegt Kontakt zu terroristischen Gefährdern wie dem nigerianischen Staatsangehörigen F. H. sowie D. J., der nach Erkenntnissen des Landesverfassungsschutzes NRW seit vielen Jahren in der salafistisch-jihadistischen Szene aktiv sein soll und verdächtigt wird, junge Männer anzuwerben, zu indoktrinieren und sie von einer Ausreise nach Syrien/Irak zu überzeugen, um dort für den "Islamischen Staat (IS)" tätig zu werden. Er hatte sich intensiv an der Koranverteilungsaktion der mittlerweile verbotenen Vereinigung "Die wahre Religion" in der B. Innenstadt beteiligt, die im Oktober 2016 verboten wurde, u.a. weil sie den bewaffneten "Jihad" befürwortete und ein bundesweit einzigartiges Rekrutierungs- und Sammelbecken für jihadistische Islamisten sowie für Personen darstellte, die aus jihadistisch-islamistischer Motivation nach Syrien bzw. in den Irak ausreisen wollten.

40

In der Gesamtschau ist hier nicht lediglich vom Vorliegen einer verfestigten, innerlich unbedingt verpflichtenden extremen ideologischen Überzeugung bei dem Antragsteller auszugehen, sondern von einer in relevantem Umfang erhöhten Bereitschaft, seine uneingeschränkte Identifikation mit dem "IS" durch gewaltsame oder terroristische Methoden in die Tat umzusetzen. Der "IS" erwartet von jedem seiner Anhänger die Mitwirkung am "Jihad", eine Trennung in steuernde "Paten" und ausführende Attentäter gibt es beim "IS" nicht. Zudem äußerte der Antragsteller gegenüber der Polizei sein Verständnis dafür, dass ein Muslim in Europa oder Amerika "etwas machen müsse", wenn er sehe, dass in Syrien Kinder durch Bomben getötet würden. Der Antragsteller hat ferner der Jesidin V. R. mit eindeutiger Zeichensprache die Enthauptung angedroht, eine Tötung wie sie auf "IS"-Videos in brutaler Weise dargestellt wird, von denen der Antragsteller zahlreiche auf seinem Mobilfunkgerät verfügbar gehalten hat. Dass er vor Gewaltakten nicht zurückschreckt, hat er durch die begangene Körperverletzung gegenüber seiner eigenen Mutter gezeigt.

41

Das Risiko eines terroristischen Anschlags durch den Antragsteller ist auch nicht durch dessen Bindung an seine ihm nach islamischem Ritus angetraute Lebensgefährtin, seinen knapp einjährigen Sohn L. oder sonstige Umstände verringert. Seine Lebensgefährtin hat sich von ihm getrennt und übt das alleinige Sorgerecht für den Sohn aus. Zudem ist nicht erkennbar und wird auch nicht behauptet, dass die Lebensgefährtin einen mäßigenden Einfluss auf ihn hat. Ein mäßigender Einfluss von den (nicht radikalisierten) Mitgliedern der Familie des Antragstellers ist ebenfalls nicht zu erwarten, da er sich von diesen bewusst distanziert hat.

42

cc) Selbst wenn man unterstellt, dass die Abschiebungsanordnung eine dem Anwendungsbereich der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. L 348 S. 98) unterfallende Rückkehrentscheidung darstellt, ist sie mit den sich hieraus ergebenden unionsrechtlichen Vorgaben zu vereinbaren.

43

Insbesondere musste dem Antragsteller keine Frist zur freiwilligen Ausreise eingeräumt werden, da von ihm eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung und die nationale Sicherheit ausgeht (Art. 7 Abs. 4 der Richtlinie 2008/115/EG). Der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsanordnung steht bei unterstellter Anwendbarkeit der Richtlinie 2008/115/EG auch nicht entgegen, dass der Antragsgegner unter Ziffer 4. des angegriffenen Bescheids ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet hat (vgl. hierzu die Ausführungen des Senats im Verweisungsbeschluss vom 22. August 2017 - 1 A 10.17). Die Regelung in § 11 Abs. 1, 2 und 5 AufenthG, wonach bei jeder Abschiebung kraft Gesetzes ein Einreise- und Aufenthaltsverbot eintritt, das von der Ausländerbehörde beim Vollzug einer Abschiebungsanordnung nach § 58a AufenthG nicht befristet werden darf, solange die oberste Landesbehörde nicht im Einzelfall eine Ausnahme zulässt, stünde dann zwar nicht im Einklang mit Art. 11 Abs. 2 Richtlinie 2008/115/EG. Denn danach bedarf ein mit einer Rückkehrentscheidung einhergehendes Einreiseverbot immer einer Einzelfallentscheidung zu seiner Dauer. Diese unionsrechtliche Vorgabe hätte im Falle ihrer Anwendbarkeit zur Folge, dass bei einer Abschiebungsanordnung allein durch eine Abschiebung ohne eine solche Einzelfallentscheidung kein Einreise- und Aufenthaltsverbot entstehen würde. Auch eine fehlerhafte behördliche Entscheidung zur Dauer des Einreiseverbots würde indes nicht zur Rechtswidrigkeit der Abschiebungsanordnung führen, da es sich hierbei um eine eigenständige und selbstständig anfechtbare Entscheidung zu den Rechtsfolgen einer vollzogenen Abschiebungsanordnung handelt. Die hiermit verbundene Frage des nationalen und des Unionsrechts können hier mithin offenbleiben.

44

dd) Die Abschiebungsanordnung ist auch nicht ermessensfehlerhaft und genügt dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Es ist nicht zu beanstanden, dass der Antragsgegner dem öffentlichen Interesse an der Abwehr der vom Antragsteller ausgehenden terroristischen Gefahr ein höheres Gewicht beimisst als dessen Interesse am Verbleib in Deutschland. Der Schutz der Allgemeinheit vor Terroranschlägen gehört zu den wichtigsten öffentlichen Aufgaben und kann auch sehr weitreichende Eingriffe in die Rechte Einzelner rechtfertigen (BVerfG, Beschluss vom 18. Juli 1973 - 1 BvR 23/73, 1 BvR 155/73 - BVerfGE 35, 382 <402 f.>; Urteil vom 20. April 2016 - 1 BvR 966/09 u.a. - BVerfGE 141, 220 Rn. 96, 132).

45

Der Antragsgegner hat bei seiner Entscheidung gewürdigt, dass der Antragsteller seit seiner Geburt in Deutschland lebt, im Besitz einer Niederlassungserlaubnis und assoziationsberechtigt nach dem Abkommen EWG-Türkei ist, indem er sich auf Art. 7 ARB 1/80 berufen kann. Damit kann der Aufenthalt des Antragstellers nur unter den Voraussetzungen des § 53 Abs. 3 AufenthG beendet werden, d.h. sein persönliches Verhalten muss gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Aufenthaltsbeendigung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist (vgl. EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 - C-371/08 [ECLI:EU:C:2011:809], Ziebell - NVwZ 2012, 422 Rn. 80 ff.). Diese Voraussetzungen liegen hier vor, da der vom Antragsteller ausgehenden Gefahr eines jederzeit möglichen terroristischen Anschlags nicht auf andere Weise gleich wirksam begegnet werden kann wie durch die Beendigung des Aufenthalts. Das nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zu erfüllende Erfordernis einer gegenwärtigen "konkreten Gefährdung" der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit (EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 - C-371/98 - Rn. 84) bedeutet, dass aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht auf vergangenes strafbares Verhalten gestützt werden dürfen, sondern gegenwärtig noch eine konkrete Bedrohung für hochrangige Rechtsgüter ausgehen muss. Eine "konkrete Gefahr" im Sinne des deutschen Polizeirechts wird damit nicht gefordert, vielmehr reicht eine terroristische Gefahr im Sinne von § 58a Abs. 1 AufenthG aus, die gegenwärtig ist und sich jederzeit realisieren kann.

46

Bei der Ermessensentscheidung hat der Antragsgegner auch gewürdigt, dass der Antragsteller in Deutschland zur Schule gegangen ist und die deutsche Sprache beherrscht. Außerdem leben seine Eltern und sein Sohn L. in Deutschland, der Sohn allerdings getrennt von ihm bei der das alleinige Sorgerecht ausübenden Mutter. Zudem gelang dem Antragsteller allenfalls eine partielle Integration in die hiesigen Lebensverhältnisse, da er auf Grund seiner ideologischen Einstellung die hier gültige Gesellschaftsordnung und die staatlichen Institutionen der Bundesrepublik Deutschland ablehnt und mit Hilfe der von ihm vertretenen islamistischen Weltanschauung zu überwinden trachtet. Seine sozialen Kontakte beschränken sich auf Personen, die ebenfalls Teil der radikal-islamistischen Szene sind; mit dem Teil seiner Familie, der seine radikal-islamistischen Einstellung ablehnt, hat der Antragsteller gebrochen. Auch ist dem Antragsteller eine Integration in die Lebensverhältnisse seines Herkunftslandes zumutbar, zumal er über grundlegende türkische Sprachkenntnisse verfügt.

47

2. Dem Vollzug der Abschiebungsanordnung stehen auch keine zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbote entgegen. Das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 1 bis 8 AufenthG hindert den Erlass einer Abschiebungsanordnung nicht, es führt aber dazu, dass der Betroffene nicht in diesen Staat abgeschoben werden darf (§ 58a Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 59 Abs. 2 und 3 AufenthG in entsprechender Anwendung). Aus diesem Grund hat die zuständige Behörde beim Erlass einer Abschiebungsanordnung in eigener Verantwortung zu prüfen, ob der beabsichtigten Abschiebung ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 1 bis 8 AufenthG entgegensteht. Dies umfasst sowohl die Frage, ob die Voraussetzungen für die Gewährung von Abschiebungsschutz als Flüchtling (§ 60 Abs. 1 AufenthG) oder als subsidiär Schutzberechtigter (§ 60 Abs. 2 AufenthG) vorliegen, als auch die Prüfung nationaler Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG.

48

Für eine Verfolgung des Antragstellers wegen dessen Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Überzeugung im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG liegen keine Anhaltspunkte vor. Eine mögliche Bestrafung wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung oder terroristischer Betätigung stellt keine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG dar. Der Antragsteller selbst trägt eine solche Gefahr im Übrigen auch selbst nicht vor.

49

Der Antragsteller hält es nicht für ausgeschlossen, dass ihm in der Türkei die Haft droht. Die türkischen Sicherheitsbehörden und die türkische Justiz gingen nicht nur gegen vermeintliche PKK- und Gülen-Anhänger vor, vielmehr würden möglicherweise auch vermeintliche Anhänger oder Sympathisanten des "IS" verfolgt. Da der Inhalt der Abschiebungsanordnung den Antragsteller in die Nähe des "IS" rücke, müsse er befürchten, im Zuge der Abschiebung in türkische Haft zu kommen. Die dortigen Haftbedingungen würden im Hinblick auf die aktuelle politische Lage in der Türkei nicht den menschenrechtlichen Mindestanforderungen entsprechen. Der Kläger verweist in diesem Zusammenhang auf einen Beschluss des OLG Celle vom 2. Juni 2017 (2 AR (Ausl) 44/17), der deshalb entsprechende Zusicherungen für die Rechtmäßigkeit einer Auslieferung verlange.

50

Nach den dem Senat vorliegenden Erkenntnissen werden Anhänger des sogenannten "Islamischen Staats" in der Türkei strafrechtlich verfolgt. Aus der Antwort des Auswärtigen Amtes auf Fragen des Senats ergibt sich, dass sich im Februar 2017 nach Angaben des türkischen Justizministeriums insgesamt 498 ausländische "IS"-Anhänger in türkischen Haftanstalten befunden haben sollen, davon 470 in Untersuchungshaft und 28 im Strafvollzug. Zahlen zu türkischen Staatsangehörigen liegen dem Auswärtigen Amt nicht vor. Es verfügt auch nicht über offizielle Angaben zu den angewandten Strafvorschriften und zur Strafhöhe. Nach Pressemeldungen zu Einzelfällen seien Artikel·309 tStGB und Artikel 314 tStGB angewandt worden. Amnesty International hat auf die Fragen des Senats mitgeteilt, sie verfügten über keine eigenen Erkenntnisse darüber, in welchem Ausmaß, mit welcher Konsequenz und ab welchem Grad der Unterstützungsaktivität "IS"-Anhänger in der Türkei verfolgt würden. Nach der Auskunft des Auswärtigen Amtes geht der Senat allerdings davon aus, dass eine Strafverfolgung des Antragstellers auch wegen seiner Aktivitäten außerhalb der Türkei möglich erscheint.

51

a) Was die Konsequenzen einer Inhaftierung anbetrifft, liegt keine beachtliche Wahrscheinlichkeit dafür vor, dass dem Antragsteller in der Haft oder im Polizeigewahrsam eine gegen Art. 3 EMRK verstoßende Behandlung droht. Wie das Auswärtige Amt mitgeteilt hat, sind Verstöße gegen Art. 3 EMRK im Rahmen der Durchführung von Ermittlungs- und Strafverfahren gegen "IS"-Anhänger nicht bekannt geworden. Auch sind dem Auswärtigen Amt keine Hinweise auf eine Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung außerhalb von Ermittlungs- oder Strafverfahren spezifisch gegenüber "IS"-Anhängern bekannt. Vielmehr gilt seine Erkenntnis aus dem Lagebericht vom 19. Februar 2017 (S. 29) fort, die lautet:

52

"Dem Auswärtigen Amt und türkischen Menschenrechtsorganisationen, zu denen die Deutsche Botschaft engen Kontakt unterhält, ist in den letzten Jahren kein Fall bekannt geworden, in dem ein aus Deutschland in die Türkei zurückgekehrter Asylbewerber im Zusammenhang mit früheren Aktivitäten - dies gilt auch für exponierte Mitglieder und führende Persönlichkeiten terroristischer Organisationen - gefoltert oder misshandelt worden ist. Zu demselben Ergebnis kommen andere EU-Staaten und die USA."

53

Zwar gebe es Hinweise auf Einzelfälle, in denen - im Rahmen des Vorgehens gegen mutmaßliche terroristische Täter zur Gefahrenabwehr oder bei Ermittlungshandlungen - Verstöße gegen Art. 3 EMRK von Betroffenen oder ihren Rechtsanwälten behauptet worden seien. Allerdings verfügt auch Amnesty International zur Frage, ob "IS"-Anhänger Opfer von Folter wurden, über keine Informationen. Berücksichtigt man, dass Amnesty International über Informationen über die Betroffenheit anderer Personenkreise von Folter in der Türkei verfügt - besonders häufig betroffen sind danach Personen, die der Unterstützung der PKK bezichtigt werden, sowie Personen, die der Beteiligung am Putschversuch im letzten Jahr beschuldigt werden - liegen keine hinreichenden Anhaltspunkte für die Gefahr einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung zum Nachteil des Antragstellers vor.

54

Diese Beurteilung gilt auch unter Berücksichtigung der von Amnesty International hervorgehobenen Tatsache, dass Berichte über Folter in Polizeigewahrsam seit der Aufkündigung des Friedensprozesses zwischen der türkischen Regierung und der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) im Juli 2015 und insbesondere seit dem gescheiterten Putschversuch im Juli 2016 drastisch zugenommen haben. Es erscheint unwahrscheinlich, dass Folter gegenüber vermeintlichen "IS"-Anhängern nicht bekannt geworden sein sollte. Dieser Beurteilung steht die Tatsache nicht entgegen, dass sich die Einstellung der türkischen Regierung gegenüber dem "IS" zum Negativen verändert hat, seit "IS"-Mitglieder im Sommer 2014 Geiseln im türkischen Konsulat in Mosul genommen, die Türkei ihre Enklave Süleyman Shah in Syrien im Februar 2015 räumen musste und der türkische Außenminister die Durchreise von fremden "IS"-Kämpfern durch die Türkei im Januar 2015 als "greatest threat" für sein Land bezeichnete.

55

Fehlt es an der beachtlichen Wahrscheinlichkeit für eine Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung zum Nachteil des Antragstellers, kommt es für die Entscheidung des Senats nicht darauf an, ob und inwieweit Schutzmaßnahmen gegen Folter unter dem nach wie vor geltenden Ausnahmezustand systematisch abgebaut wurden. Daher ist auch nicht entscheidungserheblich, in welchem Umfang türkischen Behörden Informationen über ausländische Aktivitäten vermeintlicher "IS"-Anhänger bekannt sind.

56

b) Allerdings ergibt sich aus Beschlüssen von Oberlandesgerichten in Auslieferungssachen, u.a. aus dem vom Bevollmächtigten des Antragstellers zitierten Beschluss des OLG Celle vom 2. Juni 2016, dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Haftbedingungen in der Türkei nach dem Putschversuch im Juli 2016 aufgrund der massenhaften Inhaftierungen den in Art. 3 EMRK verankerten menschenrechtlichen Mindestanforderungen widersprechen (OLG Celle, Beschluss vom 2. Juni 2016 - 2 AR (Ausl) 44/17 - StraFo 2017, 292 = juris Rn. 10; OLG München, Beschluss vom 16. August 2016, 1 AR 252/16 - NStZ-RR 2016, 323 <324>; KG Berlin, Beschluss vom 17. Januar 2017 - (4) 151 AuslA 11/16 (10/17) - StraFo 2017, 70). Im Hinblick auf Art. 3 EMRK müssen die Hafträume nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte bestimmte Bedingungen aufweisen, insbesondere müssen die vorhandenen Tageslichtverhältnisse und die vorhandenen Sanitärzellen ausreichend sein. Auch das Niveau der Beleuchtung, der Heizung, der Lüftung und der medizinischen Versorgung sowie der Ernährung der Häftlinge ist insoweit von Bedeutung. Dem Häftling muss in der Regel eine Fläche von 3 m² in einem Gemeinschaftshaftraum ohne Berücksichtigung des Mobiliars zur Verfügung stehen (vgl. BVerfG, Einstweilige Anordnung vom 18. August 2017 - 2 BvR 424/17 - juris Rn. 37 m.w.N). Die zitierten mit Auslieferungssachen befassten Gerichte sehen die Gefahr, dass Betroffene im Falle ihrer Auslieferung wegen der Überbelegung der Haftzellen einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt sein könnten, was ein Zulässigkeitshindernis nach § 73 Satz 1 IRG begründet. Dieses Zulässigkeitshindernis kann nach der zitierten Rechtsprechung jedoch dadurch ausgeräumt werden, dass die türkischen Behörden eine völkerrechtlich verbindliche Zusicherung in Bezug auf die Haftbedingungen abgeben, unter denen der Betroffene nach erfolgter Auslieferung inhaftiert sein wird. Diese Rechtsprechung lässt sich auf das Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 5 AufenthG übertragen, weshalb der Senat die Abschiebung nur mit der Maßgabe zulässt, dass die türkischen Behörden zusichern, dass die räumliche Unterbringung und die sonstige Gestaltung der Haftbedingungen im Fall einer Inhaftierung des Antragstellers wegen seines Verhaltens vor der Abschiebung den europäischen Mindeststandards entsprechen. Darüber hinaus ist von den türkischen Behörden zuzusichern, dass Besuche durch diplomatische oder konsularische Vertreter der Bundesrepublik Deutschland beim Antragsteller zur Kontrolle seiner Haftbedingungen während der Dauer einer möglichen Inhaftierung möglich sind (entsprechend OLG Celle, Beschluss vom 2. Juni 2016 - 2 AR (Ausl) 44/17 - StraFo 2017, 292 = juris Rn. 11 f.; OLG München, Beschluss vom 16. August 2016, 1 AR 252/16 - NStZ-RR 2016, 323 <324>; KG Berlin, Beschluss vom 17. Januar 2017 - (4) 151 AuslA 11/16 (10/17) - StraFo 2017, 70 = juris Rn. 8 ff.).

57

Im Fall des Antragstellers erscheint eine Inhaftierung bei Rückführung in die Türkei deshalb beachtlich wahrscheinlich, weil ihm vorgeworfen wird, in Deutschland eine Straftat nach § 89a StGB (Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat) begangen zu haben. Sollte sich in der am 19. September 2017 beginnenden Hauptverhandlung der Tatvorwurf nicht bestätigen, ist auch das Risiko einer Inhaftierung in der Türkei einer Neubewertung zu unterziehen.

58

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 2, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG. Da die Entscheidung im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes die Entscheidung in der Hauptsache praktisch vorwegnimmt, war der Streitwert auf die Höhe des für das Hauptsacheverfahren anzunehmenden Streitwerts anzuheben.

(1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen.

(2) In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.

(3) Die Grundrechte gelten auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind.

(4) Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen. Soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Artikel 10 Abs. 2 Satz 2 bleibt unberührt.

(1) Wird der Verfassungsbeschwerde stattgegeben, so ist in der Entscheidung festzustellen, welche Vorschrift des Grundgesetzes und durch welche Handlung oder Unterlassung sie verletzt wurde. Das Bundesverfassungsgericht kann zugleich aussprechen, daß auch jede Wiederholung der beanstandeten Maßnahme das Grundgesetz verletzt.

(2) Wird der Verfassungsbeschwerde gegen eine Entscheidung stattgegeben, so hebt das Bundesverfassungsgericht die Entscheidung auf, in den Fällen des § 90 Abs. 2 Satz 1 verweist es die Sache an ein zuständiges Gericht zurück.

(3) Wird der Verfassungsbeschwerde gegen ein Gesetz stattgegeben, so ist das Gesetz für nichtig zu erklären. Das gleiche gilt, wenn der Verfassungsbeschwerde gemäß Absatz 2 stattgegeben wird, weil die aufgehobene Entscheidung auf einem verfassungswidrigen Gesetz beruht. Die Vorschrift des § 79 gilt entsprechend.

(1) Die Entscheidung nach § 93b und § 93c ergeht ohne mündliche Verhandlung. Sie ist unanfechtbar. Die Ablehnung der Annahme der Verfassungsbeschwerde bedarf keiner Begründung.

(2) Solange und soweit der Senat nicht über die Annahme der Verfassungsbeschwerde entschieden hat, kann die Kammer alle das Verfassungsbeschwerdeverfahren betreffenden Entscheidungen erlassen. Eine einstweilige Anordnung, mit der die Anwendung eines Gesetzes ganz oder teilweise ausgesetzt wird, kann nur der Senat treffen; § 32 Abs. 7 bleibt unberührt. Der Senat entscheidet auch in den Fällen des § 32 Abs. 3.

(3) Die Entscheidungen der Kammer ergehen durch einstimmigen Beschluß. Die Annahme durch den Senat ist beschlossen, wenn mindestens drei Richter ihr zustimmen.

(1) Erweist sich der Antrag auf Verwirkung der Grundrechte (§ 13 Nr. 1), die Anklage gegen den Bundespräsidenten (§ 13 Nr. 4) oder einen Richter (§ 13 Nr. 9) als unbegründet, so sind dem Antragsgegner oder dem Angeklagten die notwendigen Auslagen einschließlich der Kosten der Verteidigung zu ersetzen.

(2) Erweist sich eine Verfassungsbeschwerde als begründet, so sind dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen ganz oder teilweise zu erstatten.

(3) In den übrigen Fällen kann das Bundesverfassungsgericht volle oder teilweise Erstattung der Auslagen anordnen.

(1) Die Vorschriften für die Revision in Teil 4 Abschnitt 1 Unterabschnitt 3 des Vergütungsverzeichnisses gelten entsprechend in folgenden Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht oder dem Verfassungsgericht (Verfassungsgerichtshof, Staatsgerichtshof) eines Landes:

1.
Verfahren über die Verwirkung von Grundrechten, den Verlust des Stimmrechts, den Ausschluss von Wahlen und Abstimmungen,
2.
Verfahren über die Verfassungswidrigkeit von Parteien,
3.
Verfahren über Anklagen gegen den Bundespräsidenten, gegen ein Regierungsmitglied eines Landes oder gegen einen Abgeordneten oder Richter und
4.
Verfahren über sonstige Gegenstände, die in einem dem Strafprozess ähnlichen Verfahren behandelt werden.

(2) In sonstigen Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht oder dem Verfassungsgericht eines Landes gelten die Vorschriften in Teil 3 Abschnitt 2 Unterabschnitt 2 des Vergütungsverzeichnisses entsprechend. Der Gegenstandswert ist unter Berücksichtigung der in § 14 Absatz 1 genannten Umstände nach billigem Ermessen zu bestimmen; er beträgt mindestens 5 000 Euro.