Bundesverfassungsgericht Ablehnung einstweilige Anordnung, 12. Sept. 2012 - 2 BvE 6/12, 2 BvR 1390/12, 2 BvR 1421/12, 2 BvR 1438/12, 2 BvR 1439/12, 2 BvR 1440/12

ECLI:ECLI:DE:BVerfG:2012:rs20120912.2bvr139012
12.09.2012

Tenor

Die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung werden mit der Maßgabe abgelehnt, dass die Ratifikation des Vertrages zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus (Bundestagsdrucksache 17/9045, Seite 6 ff.) nur erfolgen darf, wenn zugleich völkerrechtlich sichergestellt wird, dass

1. die Regelung des Artikel 8 Absatz 5 Satz 1 des Vertrages zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus sämtliche Zahlungsverpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland aus diesem Vertrag der Höhe nach auf die in Anhang II des Vertrages genannte Summe in dem Sinne begrenzt, dass keine Vorschrift dieses Vertrages so ausgelegt werden kann, dass für die Bundesrepublik Deutschland ohne Zustimmung des deutschen Vertreters höhere Zahlungsverpflichtungen begründet werden;

2. die Regelungen der Artikel 32 Absatz 5, Artikel 34 und Artikel 35 Absatz 1 des Vertrages zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus nicht der umfassenden Unterrichtung des Bundestages und des Bundesrates entgegenstehen.

Gründe

A.

1

Die Antragsteller begehren mit ihren Anträgen auf Erlass einer einstweiligen Anordnung im Wesentlichen, dass dem Bundespräsidenten bis zur Entscheidung über die jeweilige Hauptsache untersagt wird, die von Bundestag und Bundesrat am 29. Juni 2012 als Maßnahmen zur Bewältigung der Staatsschuldenkrise im Euro-Währungsgebiet beschlossenen Gesetze auszufertigen und die mit ihnen gebilligten völkerrechtlichen Verträge zu ratifizieren.

I.

2

1. Mit dem Vertrag über die Europäische Union vom 7. Februar 1992 (ABl EG Nr. C 191; BGBl II S. 1253), dem sogenannten Vertrag von Maastricht, wurde eine gemeinsame Währungspolitik der Mitgliedstaaten vereinbart, die stufenweise eine Europäische Währungsunion begründen und schließlich die Währungspolitik in der Hand des Europäischen Systems der Zentralbanken (ESZB) vergemeinschaften sollte. Auf der dritten Stufe dieses Prozesses wurde der Euro als einheitliche Währung eingeführt. Um Finanzdisziplin zur Unterstützung der einheitlichen Geldpolitik zu gewährleisten, wurde gleichzeitig der Stabilitäts- und Wachstumspakt (Entschließung des Europäischen Rates über den Stabilitäts- und Wachstumspakt Amsterdam, 17. Juni 1997, ABl EG Nr. C 236) beschlossen, der eine Neuverschuldung von maximal 3 % des Bruttoinlandsproduktes (BIP) und einen Schuldenstand von maximal 60 % des BIP vorsieht und in den Jahren 2005 und 2011 geändert worden ist.

3

2. Am 23. April 2010 beantragte Griechenland als Mitgliedstaat des Euro-Währungsgebietes Finanzhilfen der Europäischen Union und des Internationalen Währungsfonds (IWF). Daraufhin gewährten die Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes Griechenland koordinierte bilaterale Finanzhilfen. Um die erforderlichen Maßnahmen auf nationaler Ebene zu treffen, verabschiedete der Deutsche Bundestag das Gesetz zur Übernahme von Gewährleistungen zum Erhalt der für die Finanzstabilität in der Währungsunion erforderlichen Zahlungsfähigkeit der Hellenischen Republik (Währungsunion-Finanzstabilitätsgesetz - WFStG) vom 7. Mai 2010 (BGBl I S. 537). Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Beschluss des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 7. Mai 2010 (BVerfGE 125, 385 ff.) sowie das Urteil des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 7. September 2011 (BVerfGE 129, 124 <128 ff.>) verwiesen.

4

3. In der Folge beschlossen der Europäische Rat und der Rat für Wirtschaft und Finanzen (ECOFIN-Rat) die Schaffung eines europäischen Stabilisierungsmechanismus ("Euro-Rettungsschirm"), der sich aus zwei Komponenten zusammensetzen sollte: dem auf eine Verordnung gestützten Europäischen Finanzstabilisierungsmechanismus (EFSM) und der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF), einer auf zwischenstaatlicher Vereinbarung der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes beruhenden Zweckgesellschaft. Zur Umsetzung dieser Beschlüsse erließ der Rat am 11. Mai 2010 auf Vorschlag der Europäischen Kommission gestützt auf Art. 122 Abs. 2 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) die Verordnung (EU) Nr. 407/2010 zur Einführung eines europäischen Finanzstabilisierungsmechanismus (ABl EU Nr. L 118 vom 12. Mai 2010, S. 1). Daneben wurde am 7. Juni 2010 die Europäische Finanzstabilisierungsfazilität, eine Aktiengesellschaft nach luxemburgischem Recht, gegründet. Ihr Zweck ist die Emission von Anleihen sowie die Gewährung von Darlehen und Kreditlinien zur Deckung des Finanzierungsbedarfs von in finanziellen Schwierigkeiten befindlichen Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes unter Auflagen. Die Garantien für die Zweckgesellschaft werden anteilig unter den Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes entsprechend ihrer Beteiligung am Kapital der Europäischen Zentralbank aufgeteilt. Die Laufzeit der Zweckgesellschaft ist begrenzt auf drei Jahre. Mit dem Gesetz zur Übernahme von Gewährleistungen im Rahmen eines europäischen Stabilisierungsmechanismus (Stabilisierungsmechanismusgesetz - StabMechG) vom 22. Mai 2010 (BGBl I S. 627) schuf der Bundesgesetzgeber auf nationaler Ebene die Voraussetzungen für die Leistung finanziellen Beistands durch die Europäische Finanzstabilisierungsfazilität. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Beschluss des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 7. Mai 2010 (BVerfGE 125, 385 ff.), den Beschluss des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 9. Juni 2010 (BVerfGE 126, 158 ff.) und das Urteil des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 7. September 2011 (BVerfGE 129, 124 <133 ff.>) verwiesen.

5

4. Die fortdauernd angespannte Situation auf den Finanzmärkten veranlasste die Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes, die Europäische Finanzstabilisierungsfazilität mit zusätzlichen, flexibleren Instrumenten auszustatten, um eine wirksame Hilfe für die überschuldeten Mitgliedstaaten zu ermöglichen. Die Staats- und Regierungschefs beschlossen auf dem Europäischen Rat vom 21. Juli 2011, die ursprünglich vereinbarte maximale Darlehenskapazität der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität von 440 Milliarden Euro in vollem Umfang bereitzustellen. Die EFSF sollte unter anderem auch Aufkäufe von Staatsanleihen sowohl auf dem Primär- als auch auf dem Sekundärmarkt vornehmen können. Mit Art. 1 des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Übernahme von Gewährleistungen im Rahmen eines europäischen Stabilisierungsmechanismus vom 9. Oktober 2011 (BGBl I S. 1992) änderte der Deutsche Bundestag das Stabilisierungsmechanismusgesetz und passte es an die veränderte Rechtslage an. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Urteil des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 28. Februar 2012 - 2 BvE 8/11 - (NVwZ 2012, S. 495 ff.) verwiesen.

6

5. Mit Schreiben vom 8. Februar 2012 bat Griechenland den Präsidenten der Gruppe der Finanzminister der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes (Eurogruppe) um weitere Nothilfedarlehen - erstmals - aus der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität. Dem zweiten Griechenlandhilfspaket stimmte der Deutsche Bundestag am 27. Februar 2012 gemäß § 3 Abs. 1 StabMechG zu (BTDrucks 17/8730).

7

6. Bereits seit Ende 2010 streben die Mitgliedstaaten der Europäischen Union - über den bisherigen "Euro-Rettungsschirm" hinaus - auch einen dauerhaften Krisenbewältigungsmechanismus an. Auf der Tagung des Europäischen Rates vom 28./29. Oktober 2010 einigten sich die Staats- und Regierungschefs auf die Errichtung eines "ständigen Krisenmechanismus zur Wahrung der Finanzstabilität des Euro-Währungsgebiets insgesamt" (EUCO 25/1/10 REV 1, Schlussfolgerungen, S. 2). Am 28. November 2010 vereinbarten die Finanzminister der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes die allgemeinen Merkmale des künftigen Krisenmechanismus.

8

a) Der Europäische Rat einigte sich am 16./17. Dezember 2010 grundsätzlich auf eine Änderung des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union, nach der Art. 136 ein neuer Absatz 3 hinzugefügt werden soll. Am 17. März 2011 nahm der Deutsche Bundestag den Antrag der Fraktionen von CDU/CSU und FDP zur Herstellung des Einvernehmens von Deutschem Bundestag und Bundesregierung zur Ergänzung von Art. 136 AEUV an (BTDrucks 17/4880; BTPlenprot Nr. 17/96, S. 11015 C). Am 25. März 2011 beschloss der Europäische Rat den (endgültigen) Entwurf eines künftigen Art. 136 Abs. 3 AEUV mit folgendem Wortlaut (EUCO 10/11, Schlussfolgerungen, Anlage II, S. 21 ff.):

9

(3) Die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist, können einen Stabilitätsmechanismus einrichten, der aktiviert wird, wenn dies unabdingbar ist, um die Stabilität des Euro-Währungsgebiets insgesamt zu wahren. Die Gewährung aller erforderlichen Finanzhilfen im Rahmen des Mechanismus wird strengen Auflagen unterliegen.

10

b) Den in der Folge erarbeiteten - ersten - Entwurf eines Vertrages zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESMV) unterzeichneten die Wirtschafts- und Finanzminister der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes am 11. Juli 2011. Als auch im Verlauf des Jahres 2011 die erhoffte Beruhigung auf den Finanzmärkten ausblieb, kamen die Staats- und Regierungschefs des Euro-Währungsgebietes am 21. Juli 2011 überein, neben der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität auch den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) mit weiteren Instrumenten auszustatten. Die entsprechenden Nachverhandlungen des Vertrages wurden am 2. Februar 2012 mit der erneuten Unterzeichnung des - zweiten - Entwurfs des Vertrages zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus abgeschlossen.

11

Durch den Vertrag zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus gründen die Vertragsparteien (ESM-Mitglieder) den Europäischen Stabilitätsmechanismus als internationale Finanzinstitution (Art. 1 ESMV). Wenn dies zur Wahrung der Finanzstabilität des Euro-Währungsgebietes insgesamt und seiner Mitgliedstaaten unabdingbar erscheint, soll der ESM einem ESM-Mitglied unter strengen, dem gewählten Finanzhilfeinstrument angemessenen Auflagen Stabilitätshilfe gewähren dürfen (Art. 12 ESMV); in Betracht kommen "vorsorgliche Finanzhilfen" in Form einer vorsorglichen bedingten Kreditlinie oder einer Kreditlinie mit erweiterten Bedingungen (Art. 14 ESMV), Finanzhilfen mittels Darlehen zum Zwecke der Rekapitalisierung von Finanzinstituten (Art. 15 ESMV) oder allgemein zugunsten eines ESM-Mitglieds (Art. 16 ESMV) sowie der Ankauf von Staatsanleihen eines ESM-Mitglieds am Primär- oder Sekundärmarkt (Art. 17, 18 ESMV). Für das Verfahren ist in Art. 13 ESMV vorgesehen, dass nach dem Eingang des Stabilitätshilfeersuchens von der Europäischen Kommission im Benehmen mit der Europäischen Zentralbank das Bestehen einer Gefahr für die Finanzstabilität des Euro-Währungsgebietes insgesamt oder seiner Mitgliedstaaten, die Tragfähigkeit der Staatsverschuldung und der tatsächliche oder potenzielle Finanzierungsbedarf des betreffenden ESM-Mitglieds bewertet werden. Auf der Grundlage des Ersuchens und der Bewertung beschließt der Gouverneursrat (vgl. Art. 5 ESMV) sodann, ob dem betroffenen ESM-Mitglied eine Stabilitätshilfe zu gewähren ist. Fällt die Entscheidung positiv aus, so handelt die Europäische Kommission - im Benehmen mit der Europäischen Zentralbank und nach Möglichkeit zusammen mit dem Internationalen Währungsfonds - mit dem betreffenden ESM-Mitglied ein Memorandum of Understanding (MoU) aus, in dem die mit der Finanzhilfe verbundenen Auflagen im Einzelnen ausgeführt werden. Die Europäische Kommission unterzeichnet das Memorandum of Understanding im Namen des Europäischen Stabilitätsmechanismus, vorbehaltlich der Zustimmung des Gouverneursrates. Die Europäische Kommission wird - im Benehmen mit der Europäischen Zentralbank und nach Möglichkeit zusammen mit dem Internationalen Währungsfonds - damit betraut, die Einhaltung der mit der Finanzhilfe verbundenen wirtschaftspolitischen Auflagen zu überwachen. Die für das vorliegende Verfahren wesentlichen Bestimmungen lauten (vgl. BTDrucks 17/9045, S. 6 ff.):

12

Artikel 3

Zweck

Zweck des ESM ist es, Finanzmittel zu mobilisieren und ESM-Mitgliedern, die schwerwiegende Finanzierungsprobleme haben oder denen solche Probleme drohen, unter strikten, dem gewählten Finanzhilfeinstrument angemessenen Auflagen eine Stabilitätshilfe bereitzustellen, wenn dies zur Wahrung der Finanzstabilität des Euro-Währungsgebiets insgesamt und seiner Mitgliedstaaten unabdingbar ist. Zu diesem Zweck ist der ESM berechtigt, Mittel aufzunehmen, indem er Finanzinstrumente begibt oder mit ESM-Mitgliedern, Finanzinstituten oder sonstigen Dritten finanzielle oder sonstige Vereinbarungen oder Übereinkünfte schließt.

13

Artikel 4

Aufbau und Abstimmungsregeln

(1) Der ESM hat einen Gouverneursrat und ein Direktorium sowie einen Geschäftsführenden Direktor [...].

(2) Der Gouverneursrat und das Direktorium beschließen nach Maßgabe dieses Vertrags in gegenseitigem Einvernehmen, mit qualifizierter Mehrheit oder mit einfacher Mehrheit. [...]

(3) Die Annahme eines Beschlusses in gegenseitigem Einvernehmen erfordert die Einstimmigkeit der an der Abstimmung teilnehmenden Mitglieder. […]

(5) Für die Annahme eines Beschlusses mit qualifizierter Mehrheit sind 80 % der abgegebenen Stimmen erforderlich.

(6) Für die Annahme eines Beschlusses mit einfacher Mehrheit ist die Mehrheit der abgegebenen Stimmen erforderlich.

(7) Die Stimmrechte eines jeden ESM-Mitglieds, die von dessen Beauftragten oder dem Vertreter des Letztgenannten im Gouverneursrat oder im Direktorium ausgeübt werden, entsprechen der Zahl der Anteile, die dem betreffenden Mitglied gemäß Anhang II am genehmigten Stammkapital des ESM zugeteilt wurden.

(8) Versäumt es ein ESM-Mitglied, den Betrag, der aufgrund seiner Verpflichtungen im Zusammenhang mit eingezahlten Anteilen oder Kapitalabrufen nach Maßgabe der Artikel 8, 9 und 10 oder im Zusammenhang mit der Rückzahlung der Finanzhilfe nach Maßgabe der Artikel 16 oder 17 fällig werden, in voller Höhe zu begleichen, so werden sämtliche Stimmrechte dieses ESM-Mitglieds so lange ausgesetzt, bis die Zahlung erfolgt ist. Die Stimmrechtsschwellen werden entsprechend neu berechnet.

14

Artikel 5

Gouverneursrat

(1) Jedes ESM-Mitglied ernennt ein Mitglied des Gouverneursrats und ein stellvertretendes Mitglied des Gouverneursrats. [...] Das Mitglied des Gouverneursrats ist ein Regierungsmitglied des jeweiligen ESM-Mitglieds mit Zuständigkeit für die Finanzen. [...]

(6) Der Gouverneursrat fasst die folgenden Beschlüsse im gegenseitigen Einvernehmen: [...]

b) Auflage neuer Anteile zu anderen Konditionen als zum Nennwert nach Maßgabe des Artikels 8 Absatz 2; [...]

f) Gewährung von Stabilitätshilfe durch den ESM einschließlich der in dem Memorandum of Understanding nach Artikel 13 Absatz 3 festgelegten wirtschaftspolitischen Auflagen sowie Wahl der Instrumente und Festlegung der Finanzierungsbedingungen nach Maßgabe der Artikel 12 bis 18; [...]

i) Änderungen an der Liste der Finanzhilfeinstrumente, die der ESM nutzen kann, nach Maßgabe des Artikels 19; [...]

m) Übertragung der in diesem Artikel genannten Aufgaben auf das Direktorium.

15

Artikel 6

Direktorium

(1) Jedes Mitglied des Gouverneursrats ernennt aus einem Personenkreis mit großem Sachverstand im Bereich der Wirtschaft und der Finanzen ein Mitglied und ein stellvertretendes Mitglied des Direktoriums. [...]

(5) Soweit in diesem Vertrag nicht anders vorgesehen, beschließt das Direktorium mit qualifizierter Mehrheit. Beschlüsse, die auf Grundlage von Befugnissen, die der Gouverneursrat delegiert hat, zu fassen sind, werden gemäß den einschlägigen Abstimmungsregeln in Artikel 5 Absätze 6 und 7 angenommen. [...]

16

Artikel 7

Geschäftsführender Direktor

(1) Der Geschäftsführende Direktor wird vom Gouverneursrat aus einem Kreis von Kandidaten ernannt, die die Staatsangehörigkeit eines ESM-Mitglieds, einschlägige internationale Erfahrung und großen Sachverstand im Bereich der Wirtschaft und der Finanzen besitzen. Der Geschäftsführende Direktor darf während seiner Amtszeit weder Mitglied noch stellvertretendes Mitglied des Gouverneursrats oder des Direktoriums sein. [...]

17

Artikel 8

Genehmigtes Stammkapital

(1) Das genehmigte Stammkapital beträgt 700 Milliarden EUR. [...]

(2) Das genehmigte Stammkapital wird in eingezahlte Anteile und abrufbare Anteile unterteilt. Der anfängliche Gesamtnennwert der eingezahlten Anteile beläuft sich auf 80 Milliarden EUR. Die Anteile des genehmigten Stammkapitals am anfänglich gezeichneten Stammkapital werden zum Nennwert ausgegeben. Andere Anteile werden zum Nennwert ausgegeben, sofern der Gouverneursrat nicht unter besonderen Umständen eine anderweitige Ausgabe beschließt. [...]

(4) Die ESM-Mitglieder verpflichten sich unwiderruflich und uneingeschränkt, ihren Beitrag zum genehmigten Stammkapital gemäß ihrem Beitragsschlüssel in Anhang I zu leisten. Sie kommen sämtlichen Kapitalabrufen gemäß den Bedingungen dieses Vertrages fristgerecht nach.

(5) Die Haftung eines jeden ESM-Mitglieds bleibt unter allen Umständen auf seinen Anteil am genehmigten Stammkapital zum Ausgabekurs begrenzt. Kein ESM-Mitglied haftet aufgrund seiner Mitgliedschaft für die Verpflichtungen des ESM. Die Verpflichtung der ESM-Mitglieder zur Leistung von Kapitalbeiträgen zum genehmigten Stammkapital gemäß diesem Vertrag bleibt unberührt, falls ein ESM-Mitglied Finanzhilfe vom ESM erhält oder die Voraussetzungen dafür erfüllt.

18

Artikel 9

Kapitalabrufe

(1) Der Gouverneursrat kann genehmigtes nicht eingezahltes Kapital jederzeit abrufen und den ESM-Mitgliedern eine angemessene Frist für dessen Einzahlung setzen.

(2) Das Direktorium kann genehmigtes nicht eingezahltes Kapital durch Beschluss mit einfacher Mehrheit abrufen, um die Höhe des eingezahlten Kapitals wiederherzustellen, wenn diese durch das Auffangen von Verlusten unter den in Artikel 8 Absatz 2 festgelegten Betrag - der vom Gouverneursrat gemäß dem Verfahren nach Artikel 10 geändert werden kann - abgesunken ist, und den ESM-Mitgliedern eine angemessene Frist für dessen Einzahlung setzen.

(3) Der Geschäftsführende Direktor ruft genehmigtes nicht eingezahltes Kapital rechtzeitig ab, falls dies notwendig ist, damit der ESM bei planmäßigen oder sonstigen fälligen Zahlungsverpflichtungen gegenüber Gläubigern des ESM nicht in Verzug gerät. Der Geschäftsführende Direktor setzt das Direktorium und den Gouverneursrat über jeden derartigen Abruf in Kenntnis. Wird ein potenzieller Fehlbetrag in den Mitteln des ESM entdeckt, so führt der Geschäftsführende Direktor (einen) entsprechende(n) Abruf(e) baldmöglichst durch, um sicherzustellen, dass der ESM über ausreichende Mittel verfügt, um fällige Zahlungen an Gläubiger fristgerecht und in voller Höhe leisten zu können. Die ESM-Mitglieder verpflichten sich unwiderruflich und uneingeschränkt, Kapital, das der Geschäftsführende Direktor gemäß diesem Absatz von ihnen abruft, innerhalb von sieben Tagen ab Erhalt der Aufforderung einzuzahlen. [...]

19

Artikel 10

Veränderungen des genehmigten Stammkapitals

(1) Der Gouverneursrat überprüft das maximale Darlehensvolumen und die Angemessenheit des genehmigten Stammkapitals des ESM regelmäßig, mindestens jedoch alle fünf Jahre. Er kann beschließen, das genehmigte Stammkapital zu verändern und Artikel 8 und Anhang II entsprechend zu ändern. Dieser Beschluss tritt in Kraft, nachdem die ESM-Mitglieder dem Verwahrer den Abschluss ihrer jeweiligen nationalen Verfahren notifiziert haben. Die neuen Anteile werden den ESM-Mitgliedern nach dem in Artikel 11 und Anhang I vorgesehenen Beitragsschlüssel zugeteilt. […]

20

Artikel 25

Deckung von Verlusten

(1) Verluste aus den Operationen des ESM werden beglichen

a) zunächst aus dem Reservefonds,

b) sodann aus dem eingezahlten Kapital und

c) an letzter Stelle mit einem angemessenen Betrag des genehmigten nicht eingezahlten Kapitals, der nach Maßgabe des Artikels 9 Absatz 3 abgerufen wird.

(2) Nimmt ein ESM-Mitglied die aufgrund eines Kapitalabrufs gemäß Artikel 9 Absätze 2 oder 3 erforderliche Einzahlung nicht vor, so ergeht an alle ESM-Mitglieder ein revidierter erhöhter Kapitalabruf, um sicherzustellen, dass der ESM die Kapitaleinzahlung in voller Höhe erhält. Der Gouverneursrat beschließt geeignete Schritte, um sicherzustellen, dass das betreffende ESM-Mitglied seine Schuld gegenüber dem ESM innerhalb vertretbarer Zeit begleicht. Der Gouverneursrat hat das Recht, auf den überfälligen Betrag Verzugszinsen zu erheben.

(3) Begleicht ein ESM-Mitglied eine in Absatz 2 genannte Schuld gegenüber dem ESM, so wird das überschüssige Kapital gemäß den vom Gouverneursrat zu beschließenden Vorschriften an die anderen ESM-Mitglieder zurückgezahlt. [...]

21

Artikel 32

Rechtsstatus, Vorrechte und Befreiungen

[...] (5) Die Archive des ESM und sämtliche Unterlagen, die sich im Eigentum oder im Besitz des ESM befinden, sind unverletzlich.

(6) Die Geschäftsräume des ESM sind unverletzlich. [...]

(9) Der ESM ist von jeglicher Zulassungs- oder Lizenzierungspflicht, die nach dem Recht eines ESM-Mitglieds für Kreditinstitute, Finanzdienstleistungsunternehmen oder sonstige der Zulassungs- oder Lizenzierungspflicht sowie der Regulierung unterliegende Unternehmen gilt, befreit. [...]

22

Artikel 34

Berufliche Schweigepflicht

Die Mitglieder und früheren Mitglieder des Gouverneursrats und des Direktoriums sowie alle anderen Personen, die für den ESM oder in Zusammenhang damit tätig sind oder tätig waren, geben keine der beruflichen Schweigepflicht unterliegenden Informationen weiter. Auch nach Beendigung ihrer Tätigkeit dürfen sie keine der beruflichen Schweigepflicht unterliegenden Informationen weitergeben.

23

Artikel 35

Persönliche Immunitäten

(1) Im Interesse des ESM genießen der Vorsitzende des Gouverneursrats, die Mitglieder des Gouverneursrats, die stellvertretenden Mitglieder des Gouverneursrats, die Mitglieder des Direktoriums, die stellvertretenden Mitglieder des Direktoriums sowie der Geschäftsführende Direktor und die anderen Bediensteten des ESM Immunität von der Gerichtsbarkeit hinsichtlich ihrer in amtlicher Eigenschaft vorgenommenen Handlungen und Unverletzlichkeit hinsichtlich ihrer amtlichen Schriftstücke und Unterlagen.

(2) Der Gouverneursrat kann die durch diesen Artikel gewährten Immunitäten des Vorsitzenden des Gouverneursrats, der Mitglieder des Gouverneursrats, der stellvertretenden Mitglieder des Gouverneursrats, der Mitglieder des Direktoriums, der stellvertretenden Mitglieder des Direktoriums sowie des Geschäftsführenden Direktors in dem Maße und zu den Bedingungen, die er bestimmt, aufheben.

(3) Der Geschäftsführende Direktor kann diese Immunität hinsichtlich eines jeden Bediensteten des ESM außer seiner selbst aufheben.

(4) Jedes ESM-Mitglied trifft unverzüglich alle Maßnahmen, die erforderlich sind, um diesen Artikel in seinem eigenen Recht in Kraft zu setzen, und unterrichtet den ESM entsprechend. [...]

24

Ein ausdrückliches Austritts- oder Kündigungsrecht enthält der Vertrag zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus nicht.

25

7. Am 2. März 2012 wurde als weitere Maßnahme zur Beilegung der Staatsschuldenkrise der Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion (SKSV) unterzeichnet, dessen Vertragstext auszugsweise wie folgt lautet (BTDrucks 17/9046, S. 6 ff.):

26

Artikel 1

(1) Mit diesem Vertrag kommen die Vertragsparteien als Mitgliedstaaten der Europäischen Union überein, die wirtschaftliche Säule der Wirtschafts- und Währungsunion durch Verabschiedung einer Reihe von Vorschriften zu stärken, die die Haushaltsdisziplin durch einen fiskalpolitischen Pakt fördern, die Koordinierung ihrer Wirtschaftspolitiken verstärken und die Steuerung des Euro-Währungsgebiets verbessern sollen und dadurch zur Erreichung der Ziele der Europäischen Union für nachhaltiges Wachstum, Beschäftigung, Wettbewerbsfähigkeit und sozialen Zusammenhalt beitragen. [...]

27

Artikel 2

(1) Dieser Vertrag wird von den Vertragsparteien in Übereinstimmung mit den Verträgen, auf denen die Europäische Union beruht, insbesondere mit Artikel 4 Absatz 3 des Vertrags über die Europäische Union, und mit dem Recht der Europäischen Union, einschließlich dem Verfahrensrecht, wann immer der Erlass von Sekundärgesetzgebung erforderlich ist, angewandt und ausgelegt.

(2) Dieser Vertrag gilt insoweit, wie er mit den Verträgen, auf denen die Europäische Union beruht, und mit dem Recht der Europäischen Union vereinbar ist. Er lässt die Handlungsbefugnisse der Union auf dem Gebiet der Wirtschaftsunion unberührt.

28

Artikel 3

(1) Die Vertragsparteien wenden zusätzlich zu ihren sich aus dem Recht der Europäischen Union ergebenden Verpflichtungen und unbeschadet dieser Verpflichtungen die in diesem Absatz festgelegten Vorschriften an:

a) Der gesamtstaatliche Haushalt einer Vertragspartei ist ausgeglichen oder weist einen Überschuss auf.

b) Die Regel unter Buchstabe a gilt als eingehalten, wenn der jährliche strukturelle Saldo des Gesamtstaats dem länderspezifischen mittelfristigen Ziel im Sinne des geänderten Stabilitäts- und Wachstumspakts, mit einer Untergrenze von einem strukturellen Defizit von 0,5 % des Bruttoinlandsprodukts zu Marktpreisen, entspricht. Die Vertragsparteien stellen eine rasche Annäherung an ihr jeweiliges mittelfristiges Ziel sicher. Der zeitliche Rahmen für diese Annäherung wird von der Europäischen Kommission unter Berücksichtigung der länderspezifischen Risiken für die langfristige Tragfähigkeit vorgeschlagen werden. Die Fortschritte in Richtung auf das mittelfristige Ziel und dessen Einhaltung werden dem geänderten Stabilitäts- und Wachstumspakt entsprechend auf der Grundlage einer Gesamtbewertung evaluiert, bei der der strukturelle Haushaltssaldo als Referenz dient und die eine Analyse der Ausgaben ohne Anrechnung diskretionärer einnahmenseitiger Maßnahmen einschließt.

c) Die Vertragsparteien dürfen nur unter den in Absatz 3 Buchstabe b festgelegten außergewöhnlichen Umständen vorübergehend von ihrem jeweiligen mittelfristigen Ziel oder dem dorthin führenden Anpassungspfad abweichen.

d) Liegt das Verhältnis zwischen öffentlichem Schuldenstand und Bruttoinlandsprodukt zu Marktpreisen erheblich unter 60 % und sind die Risiken für die langfristige Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen gering, so kann die Untergrenze des in Buchstabe b angegebenen mittelfristigen Ziels ein strukturelles Defizit von maximal 1,0 % des Bruttoinlandsprodukts zu Marktpreisen erreichen.

e) Erhebliche Abweichungen vom mittelfristigen Ziel oder dem dorthin führenden Anpassungspfad lösen automatisch einen Korrekturmechanismus aus. Dieser Mechanismus schließt die Verpflichtung der betreffenden Vertragspartei ein, zur Korrektur der Abweichungen innerhalb eines festgelegten Zeitraums Maßnahmen zu treffen.

(2) Die Regelungen nach Absatz 1 werden im einzelstaatlichen Recht der Vertragsparteien in Form von Bestimmungen, die verbindlicher und dauerhafter Art sind, vorzugsweise mit Verfassungsrang, oder deren vollständige Einhaltung und Befolgung im gesamten nationalen Haushaltsverfahren auf andere Weise garantiert ist, spätestens ein Jahr nach Inkrafttreten dieses Vertrags wirksam. Die Vertragsparteien richten auf nationaler Ebene den in Absatz 1 Buchstabe e genannten Korrekturmechanismus ein und stützen sich dabei auf gemeinsame, von der Europäischen Kommission vorzuschlagende Grundsätze, die insbesondere die Art, den Umfang und den zeitlichen Rahmen der - auch unter außergewöhnlichen Umständen - zu treffenden Korrekturmaßnahmen sowie die Rolle und Unabhängigkeit der auf nationaler Ebene für die Überwachung der Einhaltung der in Absatz 1 genannten Regelungen zuständigen Institutionen betreffen. Dieser Korrekturmechanismus wahrt uneingeschränkt die Vorrechte der nationalen Parlamente.

(3) Für die Zwecke dieses Artikels gelten die Begriffsbestimmungen, die in Artikel 2 des den Verträgen zur Europäischen Union beigefügten Protokolls (Nr. 12) über das Verfahren bei einem übermäßigen Defizit festgelegt sind.

Zusätzlich dazu gelten für die Zwecke dieses Artikels die folgenden Begriffsbestimmungen:

a) "Jährlicher struktureller Saldo des Gesamtstaats" ist der konjunkturbereinigte jährliche Saldo ohne Anrechnung einmaliger und befristeter Maßnahmen.

b) "Außergewöhnliche Umstände" sind ein außergewöhnliches Ereignis, das sich der Kontrolle der betreffenden Vertragspartei entzieht und erhebliche Auswirkungen auf die Lage der öffentlichen Finanzen hat, oder ein schwerer Konjunkturabschwung im Sinne des geänderten Stabilitäts- und Wachstumspakts, vorausgesetzt, die vorübergehende Abweichung der betreffenden Vertragspartei gefährdet nicht die mittelfristige Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen.

29

Artikel 4

Geht das Verhältnis zwischen dem gesamtstaatlichen Schuldenstand einer Vertragspartei und dem Bruttoinlandsprodukt über den in Artikel 1 des den Verträgen zur Europäischen Union beigefügten Protokolls (Nr. 12) über das Verfahren bei einem übermäßigen Defizit genannten Referenzwert von 60 % hinaus, so verringert diese Vertragspartei es gemäß Artikel 2 der Verordnung (EG) Nr. 1467/97 des Rates vom 7. Juli 1997 über die Beschleunigung und Klärung des Verfahrens bei einem übermäßigen Defizit in der durch die Verordnung (EU) Nr. 1177/2011 des Rates vom 8. November 2011 geänderten Fassung als Richtwert um durchschnittlich ein Zwanzigstel jährlich. Das Bestehen eines übermäßigen Defizits durch die Verletzung des Schuldenkriteriums wird vom Rat nach dem Verfahren des Artikels 126 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union festgestellt werden.

30

Artikel 5

(1) Eine Vertragspartei, die gemäß den Verträgen, auf denen die Europäische Union beruht, Gegenstand eines Defizitverfahrens ist, legt ein Haushalts- und Wirtschaftspartnerschaftsprogramm auf, das eine detaillierte Beschreibung der Strukturreformen enthält, die zur Gewährleistung einer wirksamen und dauerhaften Korrektur ihres übermäßigen Defizits zu beschließen und umzusetzen sind. Inhalt und Form dieser Programme werden im Recht der Europäischen Union festgelegt. Sie werden dem Rat der Europäischen Union und der Europäischen Kommission im Rahmen der bestehenden Überwachungsverfahren des Stabilitäts- und Wachstumspakts zur Genehmigung vorgelegt werden und auch innerhalb dieses Rahmens überwacht werden.

(2) Die Umsetzung des Haushalts- und Wirtschaftspartnerschaftsprogramms und die mit diesem Programm in Einklang stehenden jährlichen Haushaltspläne werden vom Rat der Europäischen Union und der Europäischen Kommission überwacht werden. [...]

31

Artikel 7

Die Vertragsparteien, deren Währung der Euro ist, verpflichten sich unter uneingeschränkter Einhaltung der Verfahrensvorschriften der Verträge, auf denen die Europäische Union beruht, zur Unterstützung der Vorschläge oder Empfehlungen der Europäischen Kommission, in denen diese die Auffassung vertritt, dass ein Mitgliedstaat der Europäischen Union, dessen Währung der Euro ist, im Rahmen eines Verfahrens bei einem übermäßigen Defizit gegen das Defizit-Kriterium verstößt. Diese Verpflichtung entfällt, wenn zwischen den Vertragsparteien, deren Währung der Euro ist, feststeht, dass eine analog zu den einschlägigen Bestimmungen der Verträge, auf denen die Europäische Union beruht, unter Auslassung des Standpunkts der betroffenen Vertragspartei ermittelte qualifizierte Mehrheit von ihnen gegen den vorgeschlagenen oder empfohlenen Beschluss ist.

32

Artikel 8

(1) Die Europäische Kommission wird aufgefordert, den Vertragsparteien zu gegebener Zeit einen Bericht über die Bestimmungen vorzulegen, die jede von ihnen gemäß Artikel 3 Absatz 2 erlassen hat. Gelangt die Europäische Kommission, nachdem sie der betreffenden Vertragspartei Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat, in ihrem Bericht zu dem Schluss, dass diese Vertragspartei Artikel 3 Absatz 2 nicht nachgekommen ist, wird der Gerichtshof der Europäischen Union von einer oder mehreren Vertragsparteien mit der Angelegenheit befasst werden. Ist eine Vertragspartei unabhängig vom Bericht der Kommission der Auffassung, dass eine andere Vertragspartei Artikel 3 Absatz 2 nicht nachgekommen ist, so kann sie den Gerichtshof mit der Angelegenheit befassen. In beiden Fällen ist das Urteil des Gerichtshofs für die Verfahrensbeteiligten verbindlich, und diese müssen innerhalb einer vom Gerichtshof festgelegten Frist die erforderlichen Maßnahmen treffen, um dem Urteil nachzukommen.

(2) Ist eine Vertragspartei nach eigener Einschätzung oder aufgrund der Bewertung der Europäischen Kommission der Auffassung, dass eine andere Vertragspartei nicht die in Absatz 1 genannten erforderlichen Maßnahmen getroffen hat, um dem Urteil des Gerichtshofs nachzukommen, so kann sie den Gerichtshof mit der Sache befassen und die Verhängung finanzieller Sanktionen gemäß den von der Europäischen Kommission im Rahmen von Artikel 260 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union festgelegten Kriterien verlangen. Stellt der Gerichtshof fest, dass die betreffende Vertragspartei seinem Urteil nicht nachgekommen ist, so kann er gegen diese Vertragspartei einen Pauschalbetrag oder ein Zwangsgeld verhängen, der/das den Umständen angemessen ist und nicht über 0,1 % ihres Bruttoinlandsprodukts hinausgeht. Die gegen eine Vertragspartei, deren Währung der Euro ist, verhängten Beträge sind an den Europäischen Stabilitätsmechanismus zu entrichten. Anderenfalls werden die Zahlungen an den Gesamthaushaltsplan der Europäischen Union entrichtet.

(3) Dieser Artikel stellt einen Schiedsvertrag zwischen den Vertragsparteien im Sinne des Artikels 273 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union dar. [...]

33

Artikel 16

Binnen höchstens fünf Jahren ab dem Inkrafttreten dieses Vertrags werden auf der Grundlage einer Bewertung der Erfahrungen mit der Umsetzung des Vertrags gemäß dem Vertrag über die Europäische Union und dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union die notwendigen Schritte mit dem Ziel unternommen, den Inhalt dieses Vertrags in den Rechtsrahmen der Europäischen Union zu überführen.

34

Ein ausdrückliches Kündigungs- oder Austrittsrecht enthält der Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion nicht.

35

8. Am 29. Juni 2012 stimmten der Deutsche Bundestag und der Bundesrat dem Entwurf eines Gesetzes zu dem Beschluss des Europäischen Rates vom 25. März 2011 zur Änderung des Artikels 136 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union hinsichtlich eines Stabilitätsmechanismus für die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist (BTDrucks 17/9047), dem Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. Februar 2012 zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus in der Fassung der Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses (BTDrucks 17/9045; 17/10126; 17/10172) und dem Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. März 2012 über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion in der Fassung der vom Haushaltsausschuss beschlossenen Änderungsvorschläge vom 27. Juni 2012 (BTDrucks 17/9046; 17/10125; 17/10171) jeweils mit Zweidrittelmehrheit zu. Der jeweilige Artikel 1 dieser Gesetze enthält die Zustimmung zu dem entsprechenden Vertrag oder Beschluss. Ergänzend bestimmt das Gesetz zu dem Vertrag vom 2. Februar 2012 zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus im Wesentlichen:

36

Artikel 2

(1) Erhöhungen des genehmigten Stammkapitals nach Artikel 10 Absatz 1 des Vertrags bedürfen zum Inkrafttreten einer bundesgesetzlichen Ermächtigung zur Bereitstellung weiteren Kapitals.

(2) Der deutsche Gouverneur im Gouverneursrat des Europäischen Stabilitätsmechanismus und im Falle einer Delegation der Entscheidung nach Artikel 5 Absatz 6 Buchstabe m des Vertrags der deutsche Direktor im Direktorium des Europäischen Stabilitätsmechanismus dürfen einem Beschlussvorschlag zur Änderung der Finanzhilfeinstrumente nach Artikel 19 des Vertrags nur zustimmen oder sich bei der Abstimmung über einen solchen Beschlussvorschlag der Stimme enthalten, wenn hierzu zuvor durch Bundesgesetz ermächtigt wurde.

(3) Änderungen des Stammkapitals nach Artikel 10 Absatz 3 des Vertrags und Änderungen des Beitragsschlüssels nach Artikel 11 Absatz 3 und 4 in Verbindung mit Artikel 11 Absatz 6 und Anhang I des Vertrags sind im Bundesgesetzblatt zu veröffentlichen.

37

9. Ebenfalls am 29. Juni 2012 beschloss der Deutsche Bundestag den Entwurf eines Gesetzes zur finanziellen Beteiligung am Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM-Finanzierungsgesetz - ESMFinG) in der Fassung der Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses (BTDrucks 17/9048; 17/10126). Der Bundesrat stimmte dem zu. Gemäß § 1 ESMFinG beteiligt sich die Bundesrepublik Deutschland am Gesamtbetrag des einzuzahlenden Kapitals des Europäischen Stabilitätsmechanismus mit einem Betrag in Höhe von 21,71712 Milliarden Euro sowie am Gesamtbetrag des abrufbaren Kapitals mit einem Betrag in Höhe von 168,30768 Milliarden Euro. Das Bundesministerium der Finanzen wird ermächtigt, für das abrufbare Kapital in Höhe von 168,30768 Milliarden Euro Gewährleistungen zu übernehmen. Die Vorschriften des Gesetzes zur finanziellen Beteiligung am Europäischen Stabilitätsmechanismus lauten - auszugsweise - im Übrigen:

38

§ 4

Parlamentsvorbehalt für Entscheidungen im Europäischen Stabilitätsmechanismus

(1) In Angelegenheiten des Europäischen Stabilitätsmechanismus, die die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Deutschen Bundestages betreffen, wird diese vom Plenum des Deutschen Bundestages wahrgenommen. Die haushaltspolitische Gesamtverantwortung ist insbesondere betroffen

1. bei der Entscheidung nach Artikel 13 Absatz 2 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus, einer Vertragspartei des Europäischen Stabilitätsmechanismus auf deren Hilfeersuchen Stabilitätshilfe in Form einer im Vertrag vorgesehenen Finanzhilfefazilität zu gewähren,

2. bei der Annahme einer Vereinbarung über die Finanzhilfefazilität nach Artikel 13 Absatz 3 Satz 3 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus und einer Zustimmung zu einem entsprechenden Memorandum of Understanding nach Artikel 13 Absatz 4 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus,

3. bei Beschlüssen im Rahmen des Europäischen Stabilitätsmechanismus zur Veränderung des genehmigten Stammkapitals sowie des maximalen Darlehensvolumens nach Artikel 10 Absatz 1 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus; Artikel 2 Absatz 1 des Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. Februar 2012 zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus bleibt unberührt.

(2) In den Fällen, die die haushaltspolitische Gesamtverantwortung betreffen, darf die Bundesregierung einem Beschlussvorschlag in Angelegenheiten des Europäischen Stabilitätsmechanismus durch ihren Vertreter nur zustimmen oder sich bei einer Beschlussfassung enthalten, nachdem das Plenum hierzu einen zustimmenden Beschluss gefasst hat. Ohne einen solchen Beschluss des Plenums muss der deutsche Vertreter den Beschlussvorschlag ablehnen. Der Vertreter der Bundesregierung hat an der Beschlussfassung teilzunehmen.

(3) Werden gemäß Artikel 5 Absatz 6 Buchstabe m des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus Aufgaben des Gouverneursrates auf das Direktorium übertragen, gelten die §§ 3 bis 6 entsprechend.

39

§ 5

Beteiligung des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages

(1) In allen sonstigen die Haushaltsverantwortung des Deutschen Bundestages berührenden Angelegenheiten des Europäischen Stabilitätsmechanismus, in denen eine Entscheidung des Plenums gemäß § 4 nicht vorgesehen ist, wird der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages beteiligt. Der Haushaltsausschuss überwacht die Vorbereitung und Durchführung der Vereinbarungen über Stabilitätshilfen.

(2) Der vorherigen Zustimmung des Haushaltsausschusses bedürfen:

1. Entscheidungen über die Bereitstellung zusätzlicher Instrumente ohne Änderung des Gesamtfinanzierungsvolumens einer bestehenden Finanzhilfefazilität oder wesentliche Änderungen der Bedingungen der Finanzhilfefazilität,

2. Beschlüsse über den Abruf von Kapital nach Artikel 9 Absatz 1 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus sowie die Annahme oder wesentliche Änderung der Regelungen und Bedingungen, die für Kapitalabrufe nach Artikel 9 Absatz 4 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus gelten,

3. die Annahme oder wesentliche Änderung der Leitlinien für die Durchführungsmodalitäten der einzelnen Finanzhilfefazilitäten nach den Artikeln 14 bis 18, der Preisgestaltungsleitlinien nach Artikel 20 Absatz 2, der Leitlinien für Anleiheoperationen nach Artikel 21 Absatz 2, der Leitlinien für die Anlagepolitik nach Artikel 22 Absatz 1, der Leitlinien für die Dividendenpolitik nach Artikel 23 Absatz 3 und der Vorschriften für die Einrichtung, Verwaltung und Verwendung weiterer Fonds nach Artikel 24 Absatz 4 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus,

4. die ausführlichen Regelungen und Bedingungen für Kapitalveränderungen nach Artikel 10 Absatz 2 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus,

5. die Annahme von Bestimmungen oder Auslegungen zur Regelung der beruflichen Schweigepflicht nach Artikel 34 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus.

Die Bundesregierung darf in diesen Fällen einem Beschlussvorschlag in Angelegenheiten des Europäischen Stabilitätsmechanismus durch ihren Vertreter nur zustimmen oder sich bei einer Beschlussfassung enthalten, nachdem der Haushaltsausschuss hierzu einen zustimmenden Beschluss gefasst hat. Einen entsprechenden Antrag im Haushaltsausschuss kann auch die Bundesregierung stellen. Ohne einen solchen Beschluss des Haushaltsausschusses muss der deutsche Vertreter den Beschlussvorschlag ablehnen. Der Vertreter der Bundesregierung hat an der Beschlussfassung teilzunehmen.

(3) In den nicht von Absatz 2 erfassten Fällen, die die Haushaltsverantwortung des Deutschen Bundestages berühren, hat die Bundesregierung den Haushaltsausschuss zu beteiligen und seine Stellungnahmen zu berücksichtigen. Dies gilt insbesondere bei Beschlüssen über die Auszahlung einzelner Tranchen der gewährten Stabilitätshilfe.

(4) Der von Deutschland nach Artikel 5 Absatz 1 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus ernannte Gouverneur und dessen Stellvertreter sind verpflichtet, den Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages auf Verlangen mindestens eines Viertels seiner Mitglieder, das mindestens von zwei Fraktionen im Ausschuss unterstützt werden muss, zu informieren und Auskünfte zu erteilen, soweit nicht Tatbestände nach § 6 dieses Gesetzes betroffen sind.

(5) Das Plenum des Deutschen Bundestags kann die Befugnisse des Haushaltsausschusses jederzeit durch einen mit einfacher Mehrheit gefassten Beschluss an sich ziehen und durch einfachen Beschluss ausüben.

(6) Ein Antrag oder eine Vorlage der Bundesregierung gelten als dem Haushaltsausschuss überwiesen im Sinne der Geschäftsordnung des Bundestages. § 70 der Geschäftsordnung gilt entsprechend, wobei das Verlangen eines Viertels der Mitglieder des Haushaltsausschusses von mindestens zwei Fraktionen im Ausschuss unterstützt werden muss.

40

§ 6

Beteiligung durch ein Sondergremium

(1) Soweit ein Aufkauf von Staatsanleihen auf dem Sekundärmarkt nach Artikel 18 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus geplant ist, kann die Bundesregierung die besondere Vertraulichkeit der Angelegenheit geltend machen. Die besondere Vertraulichkeit liegt vor, sofern bereits die Tatsache der Beratung oder Beschlussfassung geheim gehalten werden muss, um den Erfolg der Maßnahme nicht zu vereiteln. Die Annahme der besonderen Vertraulichkeit ist von der Bundesregierung zu begründen.

(2) In diesem Fall können die in den §§ 4 und 5 bezeichneten Beteiligungsrechte von Mitgliedern des Haushaltsausschusses wahrgenommen werden, die vom Deutschen Bundestag für die Dauer einer Legislaturperiode in geheimer Wahl mit der Mehrheit der Mitglieder des Deutschen Bundestages gewählt werden (Sondergremium). [...]

41

§ 7

Unterrichtung durch die Bundesregierung

(1) Die Bundesregierung hat den Deutschen Bundestag und den Bundesrat in Angelegenheiten dieses Gesetzes umfassend, zum frühestmöglichen Zeitpunkt, fortlaufend und in der Regel schriftlich zu unterrichten. Sie hat dem Deutschen Bundestag in Angelegenheiten, die seine Kompetenzen betreffen, Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben und seine Stellungnahmen zu berücksichtigen.

(2) Die Bundesregierung übermittelt dem Deutschen Bundestag alle ihr zur Verfügung stehenden Dokumente zur Ausübung der Beteiligungsrechte des Deutschen Bundestages. Sie übermittelt diese Dokumente auch dem Bundesrat. [...]

(9) Die von Deutschland oder vom deutschen Gouverneur ernannten Vertreter im ESM dürfen sich gegenüber einem Auskunftsverlangen des Deutschen Bundestages sowie seiner Ausschüsse und Mitglieder nicht auf die Schweigepflicht nach Artikel 34 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus berufen.

(10) Die Rechte des Deutschen Bundestages aus dem Gesetz über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union und die Rechte des Bundesrates aus dem Gesetz über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union bleiben unberührt.

II.

42

Die Antragsteller zu I. bis V. sind im Wesentlichen der Auffassung, die angegriffenen Gesetze verletzten - je für sich sowie in ihrem Zusammenwirken - ihre Rechte aus Art. 38 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 und Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG. Darüber hinaus rügen der Antragsteller zu I. die Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG und die Antragsteller zu II. die Verletzung von Art. 14 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 4 GG.

43

Die Antragstellerin zu VI. sieht sich durch den Beschluss des Deutschen Bundestages über die angegriffenen Gesetze in ihren Rechten aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2, Art. 23 Abs. 1 und Abs. 2 sowie Art. 79 Abs. 3 GG und Art. 23 Abs. 2 Satz 1 GG verletzt und rügt eine Verletzung von Rechten des Deutschen Bundestages.

44

Zur Begründung machen die Antragsteller - mit unterschiedlicher Gewichtung im Einzelnen - geltend:

45

1. Art. 136 Abs. 3 AEUV habe nicht nur klarstellende, sondern konstitutive Bedeutung. Durch ihn werde das sogenannte Bail-out-Verbot (Art. 125 AEUV) weitgehend entwertet und damit eine notwendige Bedingung zur Sicherung der parlamentarischen Entscheidungsfreiheit in Haushaltsangelegenheiten beseitigt. Dies bedeute nicht nur einen grundlegenden währungspolitischen Wechsel in Richtung auf eine Transfer- und Haftungsgemeinschaft, sondern stelle darüber hinaus einen weiteren Integrationsschritt dar, der den Charakter der Europäischen Union grundsätzlich verändere. Das Verbot des unmittelbaren Erwerbs von Schuldtiteln öffentlicher Einrichtungen durch die Europäische Zentralbank und das Verbot der Haftungsübernahme als entscheidende Eckpfeiler der Wirtschafts- und Währungsunion würden aus der Stabilitätsgemeinschaft herausgebrochen. Die Vorschrift sei zudem vollkommen unbestimmt. Die Änderung des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union sei überdies zu Unrecht im vereinfachten Verfahren nach Art. 48 Abs. 6 EUV erfolgt.

46

Die Antragstellerin zu VI. rügt, dass bei einer Vertragsänderung von dieser Tragweite die Einberufung eines Konvents erforderlich gewesen wäre, die eine Beteiligung der nationalen Parlamente ermöglicht hätte.

47

2. Die Zustimmung zum Vertrag zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus bewirke eine mit den Strukturprinzipien des Grundgesetzes, insbesondere mit dem Demokratieprinzip, nicht vereinbare Übertragung wesentlicher Aufgaben und Befugnisse auf den Europäischen Stabilitätsmechanismus. Damit entäußere sich der Deutsche Bundestag in verfassungswidriger Weise seiner Haushaltsautonomie. Er beschneide auch die Haushaltsautonomie künftiger Bundestage, indem er einen Haftungs- und Leistungsautomatismus in Gang setze, dem sich diese nicht mehr entziehen könnten. Das Instrumentarium der Stabilitätshilfe werde gegenüber der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität wesentlich erweitert. Im Rahmen der umfassenden Aufgabenzuweisungsnorm des Art. 3 ESMV sei der Europäische Stabilitätsmechanismus befugt, weitreichende Entscheidungen mit äußerst gravierenden und nur schwer absehbaren Konsequenzen für die Haushalte der Mitgliedstaaten zu treffen. So werde er letztlich zu einer Finanzierungsbank, ohne jedoch einer Bankenaufsicht zu unterliegen. Wenn der Europäische Stabilitätsmechanismus eine Banklizenz erhalte, könne er sich in praktisch unbegrenzter Höhe gegen Hinterlegung von Staatsanleihen bei der Europäischen Zentralbank Kredit beschaffen, für deren Ausfall Deutschland mit seinem Anteil am Kapital der Europäischen Zentralbank mithafte.

48

a) Vor dem Hintergrund der aus anderen Euro-Rettungsmaßnahmen bereits bestehenden Haftungsrisiken überschreite das zusätzlich durch den Vertrag zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus und das Gesetz zur finanziellen Beteiligung am Europäischen Stabilitätsmechanismus begründete Haftungsvolumen den Rahmen des Verantwortbaren evident. Deutschland gehe Risiken in einer Größenordnung ein, die das Maß des verfassungsrechtlich Zulässigen überschritten. Zudem seien die aus dem ESM-Vertrag resultierenden Verpflichtungen mit der Schuldenbremse des Grundgesetzes (Art. 109 Abs. 3, Art. 115 Abs. 2 GG) unvereinbar.

49

b) Die Übertragung von Entscheidungsbefugnissen mit Haushaltsrelevanz auf Organe des Europäischen Stabilitätsmechanismus sei mit dem Demokratieprinzip des Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG nur vereinbar, wenn durch Parlamentsvorbehalt sichergestellt sei, dass deren Entscheidungen der konstitutiven Zustimmung des Bundestages bedürften. Derartige Parlamentsvorbehalte fehlten jedoch im Vertrag; soweit das Zustimmungsgesetz und das Gesetz zur finanziellen Beteiligung am Europäischen Stabilitätsmechanismus Vorbehalte enthielten, seien diese lückenhaft oder inhaltlich unzureichend.

50

aa) Art. 8 Abs. 5 ESMV begrenze die Haftung der Mitgliedstaaten nicht. Der scheinbar eindeutige Wortlaut der Regelung stehe im Widerspruch zu den ausdrücklich in den Bestimmungen über Kapitalabruf und Verlustausgleich der Art. 9 Abs. 2 und Abs. 3, Art. 25 Abs. 2 ESMV geregelten Nachschusspflichten, durch die die Beschränkung des Haftungsrisikos konterkariert werde. Werde ein Mitglied zahlungsunfähig, müssten die noch zahlungsfähigen Mitglieder erhöhte Zahlungen leisten, um den Ausfall anteilig auszugleichen. Für das Eintreten derartiger Nachschusspflichten bestehe schon jetzt eine hohe Wahrscheinlichkeit. Der Europäische Stabilitätsmechanismus führe so jedenfalls indirekt zu einer Vergemeinschaftung der Staatsschulden. Durch eine Ausgabe von Anteilen über dem Nennwert gemäß Art. 8 Abs. 2 ESMV könne zudem eine Hebelung der Mittel des Europäischen Stabilitätsmechanismus ermöglicht werden. Die tatsächlichen Risiken reichten somit weit über das ausdrücklich einzuzahlende Kapital und die abrufbare Summe hinaus. Der Umfang des von Deutschland einzuzahlenden Kapitals sei daher letztlich nicht im Vertrag bestimmt, sondern von Entscheidungen anderer Staaten abhängig.

51

bb) Es gebe keine völkerrechtlichen Vorbehalte zugunsten des Deutschen Bundestages. So könnten gegen den Willen Deutschlands und ohne konstitutive Ermächtigung des Bundestages das Direktorium und der Geschäftsführende Direktor Kapitalabrufe für hohe Milliardenbeträge beschließen. Aber auch im Hinblick auf die Art und Weise der Mittelverwendung seien keine ausreichenden Kontroll- und Mitwirkungsrechte des Deutschen Bundestages vorgesehen, obwohl die Art der Vergabe der Mittel und ihr Umfang denkbar unbestimmt seien und in Art. 19 ESMV zudem die Schaffung weiterer Finanzhilfeinstrumente vorgesehen sei. Die nationalen Parlamente gerieten so, selbst wenn ihre Zustimmung erforderlich sei, in die Rolle des Nachvollzugs.

52

cc) Nach Art. 4 Abs. 8 ESMV könne das Stimmrecht automatisch entzogen werden, und zwar selbst bei einem nur kurzfristigen Zahlungsverzug oder bei extrem hohen und möglicherweise unberechtigten Kapitalabrufen. Der Verlust sämtlicher Stimmrechte sei ein grober Verstoß gegen das Demokratieprinzip. Bei einer Suspendierung des deutschen Stimmrechts könnten der Gouverneursrat und das Direktorium Beschlüsse fassen, die die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Bundestages in schwerwiegender Weise beeinträchtigen könnten.

53

dd) Der Europäische Stabilitätsmechanismus erhalte über die Mitglieder des Gouverneursrates und des Direktoriums zwar eine demokratische Rückkoppelung an die nationalen Parlamente. Es sei aber nicht sichergestellt, dass eine parlamentarische Verantwortlichkeit des deutschen Direktoriumsmitglieds bestehe. Den Organmitgliedern sei eine Schweigepflicht auferlegt (Art. 34 ESMV); so könnten sie ihre Informationspflichten aus Art. 23 Abs. 2 GG nicht erfüllen.

54

c) Durch die dauerhafte Bindung an den Vertrag zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus werde schließlich die Staatlichkeit Deutschlands angetastet. Der Vertrag enthalte keine Kündigungsklausel und sei damit faktisch unkündbar. Die clausula rebus sic stantibus (Art. 62 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge vom 23. Mai 1969 ) könne nur unter engen Voraussetzungen zur Anwendung kommen. Angesichts der langfristigen Bindung könne es zudem zu einer Änderung der Mehrheitsverhältnisse kommen, in deren Folge Deutschland seine Vetoposition verliere.

55

d) Der Antragsteller zu I. macht zudem geltend, die Immunität der Mitglieder des Gouverneursrates und des Direktoriums sowie ihrer Stellvertreter nach Art. 35 ESMV verstoße gegen Art. 3 Abs. 1 GG.

56

3. Das Gesetz zur finanziellen Beteiligung am Europäischen Stabilitätsmechanismus sei mangels einer Art. 76 Abs. 1 und Abs. 2 GG entsprechenden Einbringung schon formell verfassungswidrig, weil der Gesetzentwurf an der Stelle, an der Beteiligungsrechte zu regeln gewesen wären, eine Leerstelle enthalten habe. Es sichere in seinen §§ 3 bis 7 die Beteiligungs- und Informationsrechte des Deutschen Bundestages zudem nur unzureichend ab. Überdies wirke in vielen Fällen lediglich der Haushaltsausschuss mit, obwohl es sich um wesentliche Entscheidungen handele, die die haushaltspolitische Gesamtverantwortung berührten und für die das Plenum zuständig sei.

57

4. Durch den Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion verpflichte sich die Bundesrepublik Deutschland, die in das Grundgesetz aufgenommene Schuldenbremse auf Dauer beizubehalten, wodurch diese der Sache nach in den unabänderlichen Verfassungskern aufgenommen werde. Selbst wenn der Vertrag keine wesentlichen Änderungen gegenüber der bisherigen Rechtslage enthalten sollte, erhielten die bestehenden Bindungen durch unionales Sekundärrecht sowie durch die im Grundgesetz bereits enthaltene Schuldenbremse aufgrund ihrer völkerrechtlichen Festlegung eine neue rechtliche Qualität.

58

a) Der Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion habe konstitutive Wirkungen. Aus Art. 3 Abs. 1 Buchstabe b Satz 1 SKSV folge mit dem 0,5 %-Kriterium eine gegenüber dem Sekundärrecht strengere Vorgabe für das mittelfristige Haushaltsziel. Im Falle wesentlicher Abweichungen vom mittelfristigen Haushaltsziel oder dem dorthin führenden Anpassungspfad sei darüber hinaus ein automatischer Korrekturmechanismus vorgesehen, der auf von der Europäischen Kommission vorgeschlagenen gemeinsamen Grundsätzen hinsichtlich Art, Umfang und Überwachung der zu ergreifenden Korrekturmaßnahmen beruhen müsse. Weiter sehe der Vertrag einen verbindlichen Bericht der Europäischen Kommission vor, der evaluiere, ob die Vertragsstaaten den Schuldenbegrenzungsmechanismus effektiv in nationales Recht umgesetzt hätten, sowie die Verpflichtung, sich bei der Formulierung von Ausnahmen und insbesondere hinsichtlich der Instrumente der möglichen Korrekturmaßnahmen an den Vorschlägen der Kommission auszurichten. Der Vertrag ändere zudem die materielle Verfassungslage. Eine gesamtstaatliche Verschuldungsgrenze, die Kommunen und Sozialversicherungsträger einbeziehe, kenne das Grundgesetz bislang ebenso wenig wie einen automatischen Mechanismus. Zudem müssten die Staaten, deren Gesamtverschuldung das Maastricht-Kriterium von 60 % des Bruttoinlandsproduktes überschreite, Kürzungsmaßnahmen ergreifen, mit dem Ziel den über 60 % liegenden Anteil um durchschnittlich ein Zwanzigstel pro Jahr abzubauen.

59

b) Art. 4 SKSV verpflichte Deutschland zu einer jährlichen Schuldenreduzierung in Höhe von 26 Milliarden Euro. Das sei mit Art. 109 Abs. 3, Art. 115 Abs. 2, Art. 143d Abs. 1 GG unvereinbar und verlange eine Änderung des Grundgesetzes, weil die Haushaltsverfassung nur den Defizitabbau, nicht aber den Abbau der Staatsverschuldung regle.

60

c) Die Haushaltsautonomie werde insbesondere durch die Regelung des Art. 5 SKSV ausgehöhlt. Dort sei vorgesehen, dass die Europäische Kommission Haushalts- und Wirtschaftspartnerschaftsprogramme genehmigen müsse, die über einen längeren Zeitraum als eine Legislaturperiode liefen und geeignet seien, die Entscheidungsmöglichkeiten des Parlaments einzuschränken. Dies gehe über die geltenden sekundärrechtlichen Vorgaben und Sanktionsmöglichkeiten hinaus. Auch der automatische Korrekturmechanismus werde dazu führen, dass Vorgaben der Europäischen Kommission die Haushaltshoheit der Mitgliedstaaten aushöhlten.

61

d) Schließlich verstoße die Irreversibilität der Verpflichtung gegen die Verfassung. Eine Kündigung sei nicht zugelassen oder aus der Natur des Vertrages herzuleiten. Die Beendigung des multilateralen Vertrages sei daher nur einvernehmlich möglich. Der Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion installiere so nicht nur dauerhaft angelegte Kontroll- und Sanktionsmechanismen, sondern enthalte auch eine unumkehrbare Festlegung der Vertragsstaaten in ihrer Wirtschaftspolitik.

62

5. Zu den Anträgen auf Erlass einstweiliger Anordnungen wird ausgeführt, die Folgenabwägung gebiete deren Erlass, weil die Ratifikation der Verträge völkerrechtlich nicht mehr rückgängig gemacht werden könne und Deutschland gezwungen wäre, die völkerrechtliche Verbindlichkeit zu missachten, gäbe das Bundesverfassungsgericht den Anträgen in der Hauptsache statt. Der Erlass sei unabdingbar, um zu verhindern, dass das Bundesverfassungsgericht sich bei der Entscheidung über die Hauptsache vor vollendete Tatsachen gestellt sehe.

III.

63

Der Bundespräsident, der Deutsche Bundestag, der Bundesrat, die Bundesregierung und alle Landesregierungen haben Gelegenheit zur Äußerung erhalten.

64

1. Die Bundesregierung hält sowohl die Verfassungsbeschwerden als auch den Antrag im Organstreitverfahren für offensichtlich unbegründet und die Anträge auf Erlass einstweiliger Anordnungen deshalb für unzulässig, jedenfalls aber für unbegründet.

65

a) Art. 136 Abs. 3 AEUV bewirke keine Neuausrichtung der Währungsunion und beseitige auch das in Art. 125 AEUV enthaltene Verbot des Eintretens für Verbindlichkeiten anderer Mitgliedstaaten nicht, sondern enthalte nur eine Klarstellung. Die Stabilitätshilfen der Mitgliedstaaten seien keine währungsrechtlichen Maßnahmen, für die die Europäische Union nach Art. 3 Abs. 1 Buchstabe c AEUV zuständig wäre. Bei der Gewährung von Finanzhilfen handele es sich um wirtschaftspolitische Vorgänge, für die die Mitgliedstaaten zuständig seien.

66

b) Der Europäische Stabilitätsmechanismus sei im Wesentlichen der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität nachgebildet, wegen seiner Kapitalstruktur aber effizienter. Für die Beteiligung des Deutschen Bundestages stellten sich somit die gleichen Fragen wie im Zusammenhang mit der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität nach Maßgabe der Urteile des Bundesverfassungsgerichts vom 7. September 2011 und vom 28. Februar 2012. Diesen Vorgaben entspreche das Gesetz zur finanziellen Beteiligung am Europäischen Stabilitätsmechanismus. Ein Haftungsautomatismus sei aufgrund dieser Regelungen ausgeschlossen. Der Vertrag zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus sehe für Abstimmungen im Gouverneursrat entweder Einvernehmlichkeit - und damit Einstimmigkeit - oder eine qualifizierte Mehrheit von 80 % der abgegebenen Stimmen vor. Da der Bundesfinanzminister in den Gouverneursrat und ein Staatssekretär in das Direktorium entsandt würden, sei zusammen mit dem Gesetz zur finanziellen Beteiligung am Europäischen Stabilitätsmechanismus sichergestellt, dass die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Deutschen Bundestages gewahrt bleibe.

67

Die Vorschriften des Vertrages zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus begrenzten die Haftung auf den Anteil eines Landes am Stammkapital, das ohne Zustimmung des Deutschen Bundestages nicht erhöht werden könne. Ausdrücklich sehe Art. 8 Abs. 5 ESMV vor, dass die Haftung unter allen Umständen auf den Anteil am genehmigten Stammkapital zum Ausgabekurs begrenzt bleibe und kein Staat aufgrund seiner Mitgliedschaft für die Verpflichtungen des Europäischen Stabilitätsmechanismus hafte. Der maximale Betrag, für den Deutschland haften müsse, liege somit bei etwa 190 Milliarden Euro. Dies - wie auch das vorübergehende Hinzutreten der Gewährleistungen für die Europäische Finanzstabilisierungsfazilität - führe zu keiner Überschreitung einer aus dem Grundgesetz ableitbaren Obergrenze oder einer Entleerung des Budgetrechts. Es gebe zudem keine risikolose Alternative zu diesen Hilfsmaßnahmen. So würden nach den Einschätzungen der Deutschen Bundesbank, der Europäischen Zentralbank, der Europäischen Kommission und des Internationalen Währungsfonds weit größere politische und wirtschaftliche Schäden durch die Zahlungsunfähigkeit einzelner Mitgliedstaaten entstehen. Der Europäische Stabilitätsmechanismus stelle auch keinen Einstieg in eine Transferunion dar; finanzausgleichsähnliche Dauerleistungen seien nach wie vor ausgeschlossen.

68

c) Das Gesetz zur finanziellen Beteiligung am Europäischen Stabilitätsmechanismus sei formell verfassungskonform. Auch wenn es ohne die Regelung zur Beteiligung des Bundestages eingebracht worden sei, habe es sich doch um einen vollständigen Gesetzesentwurf gehandelt, der unter anderem die nach Art. 115 Abs. 1 GG erforderliche gesetzliche Ermächtigung enthalten habe. Die Beteiligungsrechte des Bundestages hätten nicht notwendig in diesem Gesetz geregelt werden müssen.

69

§ 4 ESMFinG stelle alle Angelegenheiten des Europäischen Stabilitätsmechanismus, die die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Deutschen Bundestages betreffen, unter den Zustimmungsvorbehalt des Bundestagsplenums. § 7 ESMFinG sehe umfassende Informationsrechte des Deutschen Bundestages in Angelegenheiten des Europäischen Stabilitätsmechanismus vor. Eine doppelte Absicherung gebe es bei einer Erhöhung des Stammkapitals. Für eine Änderung der Finanzhilfeinstrumente bedürfe der deutsche Vertreter nach dem Zustimmungsgesetz einer bundesgesetzlichen Ermächtigung. Daneben sei für Änderungen der Bedingungen für Finanzhilfen, die keine Auswirkungen auf das Gesamtfinanzierungsvolumen haben, sowie bei der Bereitstellung zusätzlicher Instrumente im Rahmen bestehender Finanzhilfen eine Zustimmung des Haushaltsausschusses in § 5 Abs. 2 Nr. 2 ESMFinG vorgesehen. Der Haushaltsausschuss überwache die Durchführung der für die Gewährung von Finanzhilfen getroffenen Vereinbarungen. Schließlich sei in § 6 ESMFinG ein Sondergremium für den Aufkauf von Staatsanleihen am Sekundärmarkt vorgesehen, das jedoch nur bei besonderen Vertraulichkeitsanforderungen zur Entscheidung berufen sei. Der Verzicht auf ein Vetorecht für Deutschland in den Fällen des Kapitalabrufes nach Art. 9 Abs. 2 und Abs. 3 ESMV sei sachgerecht und sichere die Kreditwürdigkeit des Europäischen Stabilitätsmechanismus.

70

d) Der Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion bezwecke eine verstärkte Stabilitätsorientierung, denn er verpflichte die Vertragsparteien in seinen zentralen Bestimmungen, das Gebot der Haushaltsdisziplin in ihrem nationalen Recht - vorzugsweise im Verfassungsrecht - festzuschreiben. Art. 3 SKSV begründe keine wesentliche neue Einschränkung der Haushaltsautonomie der Mitgliedstaaten, sondern konkretisiere die bereits bestehenden unionsrechtlichen Bestimmungen. Außerdem beuge der Vertrag übermäßiger staatlicher Verschuldung vor und verhindere somit künftige weitere Staatsfinanzkrisen, womit er auch inhaltlich-funktional den Vertrag zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus ergänze. Die in Art. 5 SKSV vorgesehene Überwachung der Haushalts- und Wirtschaftspartnerschaftsprogramme der Mitgliedstaaten stelle keine unzulässige Einschränkung der Gestaltungsspielräume des Haushaltsgesetzgebers dar. Auch die in Art. 5 Abs. 1 Satz 3 SKSV geregelte Pflicht zur Vorlage von Haushalts- und Wirtschaftspartnerschaftsprogrammen an den Rat der Europäischen Union und die Europäische Kommission bedeute mangels damit verknüpfter Rechtsfolgen keine Einschränkung. Die Limitierung der staatlichen Kreditaufnahme sei mit dem Grundgesetz vereinbar, da es sich insoweit nur um die Vorgabe eines von den Mitgliedstaaten auszufüllenden Rahmens handele und dieser gerade dem Vorbild der deutschen Schuldenbremse entspreche. Die nach Art. 3 Abs. 2 SKSV von der Europäischen Kommission abzugebenden Vorschläge zu gemeinsamen Grundsätzen für nationale Korrekturmechanismen und zu dem Zeitrahmen für die Anpassung an das mittelfristige Haushaltsziel nach Art. 3 Abs. 1 Buchstabe b Satz 3 SKSV seien lediglich normkonkretisierende Auslegungshilfen.

71

Die unbefristete Dauer des Vertrages über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion - wie auch des Vertrages zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus - begründe keinen Verfassungsverstoß. Es sei keinesfalls unüblich, wichtige völkerrechtliche Verträge ohne Befristung oder Kündigungsklausel abzuschließen. Auch ein unbefristet geschlossener Vertrag könne jederzeit von allen Vertragsparteien einvernehmlich aufgehoben werden. Bei grundlegenden Änderungen der bei Vertragsschluss vorliegenden Umstände könne außerdem die Lösung aus der vertraglichen Bindung auf der Grundlage von Art. 62 WVK erfolgen.

72

e) Die Anträge auf Erlass einstweiliger Anordnungen seien abzulehnen. Eine deutlich verzögerte Ratifizierung der beiden Verträge sei in der derzeit fragilen Situation mit massiven Folgen für einige Mitgliedstaaten verbunden. Da auf die Bundesrepublik Deutschland ein Anteil von etwas mehr als 27 % des Kapitals am Europäischen Stabilitätsmechanismus entfalle, könne dieser ohne Hinterlegung der deutschen Ratifikationsurkunde nicht in Kraft treten. Die Bundesregierung gehe davon aus, dass es dringend geboten sei, keine mehr als nur kurzfristige Unsicherheit über den Fortgang des deutschen Ratifizierungsverfahrens entstehen zu lassen. Das Bundesverfassungsgericht habe bereits mehrfach in besonderen Fällen schon im Verfahren über den Erlass einstweiliger Anordnungen die Erfolgsaussichten in der Hauptsache berücksichtigt; um dieses Vorgehen werde auch hier gebeten.

73

2. Der Deutsche Bundestag hält die Anträge in der Hauptsache für unzulässig, soweit sie sich gegen das Zustimmungsgesetz zu Art. 136 Abs. 3 AEUV richten und eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1, Art. 14 und Art. 20 GG geltend machen; insoweit fehle es den Antragstellern an der Antragsbefugnis. Im Übrigen seien die Anträge in der Hauptsache offensichtlich unbegründet.

74

a) Das Zustimmungsgesetz zu dem Beschluss des Europäischen Rates zur Änderung des Artikels 136 AEUV beeinträchtige die im Grundgesetz verankerte Stellung des Deutschen Bundestages nicht. Art. 125 AEUV stehe nach einvernehmlicher Auffassung der Mitgliedstaaten der Europäischen Union einer freiwilligen Hilfsgewährleistung nicht entgegen. Art. 136 Abs. 3 AEUV stelle diese Rechtslage insoweit nochmals klar und sei hinreichend bestimmt. Die Norm diene der Sicherung der Stabilität der Währungsunion und ermögliche gerade nicht die Einführung einer umfassenden Haftungs- und Transferunion, sondern ermächtige punktuell in einer hinreichend klar erkennbaren Situation zu zeitlich begrenzten Hilfsaktionen; zudem sehe er eine strenge Konditionalität vor. Die Rüge, es hätte ein Konventverfahren durchgeführt werden müssen, gehe fehl, weil mit Art. 136 Abs. 3 AEUV keine Ausdehnung der Zuständigkeit der Europäischen Union bewirkt werde.

75

b) Das Zustimmungsgesetz zu dem Vertrag zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus und das Gesetz zur finanziellen Beteiligung am Europäischen Stabilitätsmechanismus beeinträchtigten nicht die Budgetverantwortung des Haushaltsgesetzgebers. Der Vertrag zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus lasse hinreichend genau erkennen, welche Belastungen durch ihn entstehen. Das Bestimmtheitserfordernis schließe nicht aus, dass die Bestimmungen des Vertrages autonom fortentwickelt würden, sondern ziele darauf ab, dass das Parlament den Entwicklungsprozess hinreichend verfolgen und effektiv steuern könne.

76

Die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Bundestages sei nicht gefährdet. Der Europäische Stabilitätsmechanismus könne keine haushaltsbedeutsamen Entscheidungen treffen, die nicht bereits mit dem Vertrag vom Gesetzgeber gebilligt worden seien oder im weiteren Verlauf gesetzgeberischer Entscheidung bedürften. Die Befugnis zur Generierung von Fremdkapital sei daher ebenso wenig bedenklich wie die Befugnis, Finanzhilfen als Darlehen und in anderen Formen gewähren zu können. Kapitalabrufe führten lediglich zur Erfüllung einer bereits begründeten Verpflichtung. Zu einer Erhöhung der der Bundesrepublik Deutschland zugewiesenen Anteile gegen ihren Willen oder ohne ihre Zustimmung könne es nicht kommen, denn nach Art. 8 Abs. 5 ESMV werde die Haftung eines Mitgliedstaates "unter allen Umständen" auf seinen Anteil am genehmigten Stammkapital begrenzt. Diese Regelung könne insbesondere nicht durch die Bestimmungen über den revidierten erhöhten Kapitalabruf (Art. 25 Abs. 2 ESMV) überspielt werden. Auch die Folgewirkungen seien überschaubar; Einsatzzweck, Operationsbreite und das zur Verfügung stehende Eigenkapital des ESM seien eindeutig begrenzt. Die Gefahr eines Automatismus werde vertraglich und prozedural ausgeschlossen. Zwar sei der Europäische Stabilitätsmechanismus auf Dauer angelegt, nicht jedoch die Hilfemaßnahmen. Diese zielten auf eine Rückkehr zu vollständigem Selbststand und seien aufgrund der Konditionalität notwendig zeitlich begrenzt. Die von den Mitgliedstaaten zu leistenden Beträge belasteten den Haushalt nicht sofort, sondern seien allenfalls in zeitlicher Stufung zu leisten. Eine Erhöhung des Spielraums durch Überprüfung der Angemessenheit des maximalen Darlehensvolumens nach Maßgabe des Art. 10 ESMV sei zwar möglich, bedürfe allerdings der Mitwirkung des Gesetzgebers. Die Gefahr von erheblichen Verlusten bei der Durchführung von Operationen nach Art. 21 ESMV sei so gering, dass sie außer Betracht bleiben könne.

77

Selbst in dem unwahrscheinlichen Fall, dass die Bundesrepublik Deutschland ihre Stammeinlagen vollständig geleistet habe und eine schlagartige Entwertung der Kapitalanteile erfolge, würden die daraus entstehenden Belastungen das deutsche Staatsdefizit lediglich um etwa acht Prozentpunkte erhöhen. Die Bundesrepublik Deutschland hätte dann einen Schuldenstand von circa 90 % des Bruttoinlandsproduktes, was künftigen Haushaltsgesetzgebern nicht jeglichen Spielraum nähme. Eine Einhaltung der Schuldenbremse wäre unter diesen Voraussetzungen allerdings nur unter Berufung auf die Notlagenklausel möglich. Nach den Berechnungen des Bundesfinanzministeriums und des Bundesrechnungshofes ergebe sich aus allen Rettungsmaßnahmen derzeit eine denkbare Höchstbelastung von circa 310 Milliarden Euro, mit deren schlagartiger Realisierung nicht zu rechnen sei. Ein Verzicht auf die in Rede stehenden Hilfsmaßnahmen würde mit hoher Wahrscheinlichkeit einen Prozess in Gang setzen, der für diesen und für künftige Haushaltsgesetzgeber gleich hohe oder höhere Belastungen mit sich bringen würde.

78

Die demokratische Kontrolle der Tätigkeit des Europäischen Stabilitätsmechanismus werde vorwiegend über Zustimmungs- und Mitwirkungsrechte entfaltet. Die grundlegenden Entscheidungen des Europäischen Stabilitätsmechanismus bedürften der Billigung im Deutschen Bundestag. Die an Entscheidungen des Europäischen Stabilitätsmechanismus beteiligten Amtswalter unterlägen hinreichender parlamentarischer Kontrolle und seien damit demokratisch legitimiert. Auf einer zweiten Stufe bedürfe das Handeln der deutschen Vertreter der Zustimmung des Haushaltsausschusses, wobei das Plenum die Sache jederzeit an sich ziehen könne. Die Steuerungs- und Kontrollmechanismen seien so weit vorgelagert, dass das Parlament schon zu einem frühen Zeitpunkt auf den Prozess der Entscheidung über eine Hilfegewährung Einfluss nehmen könne.

79

c) Die Vorgaben des Vertrages über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion stellten keine Verkürzung der Budgethoheit dar, sondern dienten der Begrenzung des deutschen Haftungsrisikos. Der Vertrag beziehe sich auf das Recht der Europäischen Union, ohne dieses ändern zu sollen. So entstünden keine unmittelbaren Rechtswirkungen für die Haushalte der Mitgliedstaaten, sondern nur mittelbar über die Sanktionen; ein Haushaltsgesetz, das gegen den Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion verstoße, verliere nicht seine Rechtswirksamkeit.

80

Wegen der föderalen Gliederung der Bundesrepublik Deutschland weise der Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion gegenüber der Schuldenbremse im Grundgesetz Unterschiede auf, die allerdings nicht zu einem davon wesentlich abweichenden Regelungskonzept führten. Verpflichtet sei der Gesamtstaat, also Bund, Länder und Gemeinden sowie alle weiteren öffentlichen Haushalte. Sanktionen der Organe der Europäischen Union könnten sich ausschließlich an den Bund richten; für einen Durchgriff auf Länder oder Gemeinden sei kein Raum. Den im Grundgesetz vorgesehenen Pfad der Entschuldung definiere Art. 143d Abs. 1 GG, während der Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion ihn der Europäischen Kommission zur Konkretisierung überlasse. Es sei zwar nicht sicher, dass die Europäische Kommission im Ergebnis zu einem identischen Entschuldungspfad kommen werde, wie ihn das Grundgesetz vorsehe; die Kommission sei allerdings verpflichtet, auf länderspezifische Risiken Rücksicht zu nehmen und dürfe sich insoweit an der Rechtslage des jeweiligen Mitgliedstaates orientieren.

81

Die inhaltlichen Vorgaben des Vertrages über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion brächten kaum Zuwachs an materiellen Bindungen. Die Mitgliedstaaten übernähmen die Verpflichtungen aus eigenem Antrieb und würden zur Teilnahme nicht - auch nicht faktisch - gezwungen. Der Vertrag veranlasse die autonome Durchsetzung vertraglich eingegangener Selbstverpflichtungen und decke sich mit bereits bestehenden unionsrechtlichen Vorgaben. Zwar bedeute Art. 7 SKSV mit seiner "umgekehrten" qualifizierten Mehrheitsregel eine Neuerung, die jedoch ohne verfassungsrechtliche Relevanz für die Budgethoheit der nationalen Parlamente bleibe; die Vereinbarung eines bestimmten Abstimmungsverhaltens modifiziere das Defizitverfahren inhaltlich nicht. Es finde auch keine Übertragung von materiellen Definitionskompetenzen auf andere Hoheitsträger statt. Dem Gerichtshof sei in Art. 8 SKSV lediglich in Bezug auf die Einhaltung von Art. 3 Abs. 2 SKSV die Kompetenz eingeräumt, über Klagen der Vertragsparteien zu entscheiden und gegen eine Vertragspartei im Fall eines Verstoßes ein Zwangsgeld zu verhängen.

82

Zwar enthalte der Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion keine ausdrückliche Klausel zu seiner Beendigung oder Kündigung, doch schließe dies die Anwendung der allgemeinen Kündigungsregeln des Völkerrechts nicht aus.

IV.

83

Die Bundesregierung hat gemäß § 65 Abs. 1, § 94 Abs. 5 BVerfGG den Beitritt zu allen im Rubrum genannten Verfahren erklärt, wobei sie dem Verfahren zu VI. auf Seiten des Deutschen Bundestages beitreten möchte. Dieser hat seinerseits erklärt, gemäß § 94 Abs. 5 BVerfGG den Verfahren zu I. bis V. beizutreten.

V.

84

In der mündlichen Verhandlung vom 10. Juli 2012 haben die Beteiligten ihr Vorbringen bekräftigt und vertieft. Der Senat hat außerdem den Präsidenten der Deutschen Bundesbank Dr. Jens Weidmann, den Präsidenten des Bundesrechnungshofes Prof. Dr. Dieter Engels, die Herren Rolf Strauch und Ralf Jansen von der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität, Prof. Dr. Dres. h.c. Hans-Werner Sinn (ifo-Institut), Dr. Friedrich Heinemann (ZEW) und Prof. Dr. Clemens Fuest (University of Oxford) als sachverständige Auskunftspersonen gehört. Diese haben insbesondere zum Umfang der mit dem Inkrafttreten des Europäischen Stabilitätsmechanismus verbundenen Gesamtbelastung des Bundeshaushaltes, möglicher Nachschusspflichten und Spekulationsverluste, der deutschen Haftungsrisiken aus der Beteiligung an der Europäischen Zentralbank, zu dem vorhandenen Finanzierungsvolumen der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität sowie zu den Risiken eines verspäteten Inkrafttretens des Europäischen Stabilitätsmechanismus Stellung genommen.

B.

85

Die zulässigen Anträge sind überwiegend unbegründet.

I.

86

1. Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Bei der Prüfung, ob die Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 BVerfGG gegeben sind, ist wegen der weittragenden Folgen einer einstweiligen Anordnung regelmäßig ein strenger Maßstab anzulegen (vgl. BVerfGE 55, 1 <3>; 82, 310 <312>; 94, 166 <216 f.>; 104, 23 <27>; 106, 51 <58>). Dieser wird noch weiter verschärft, wenn eine Maßnahme mit völkerrechtlichen oder außenpolitischen Auswirkungen in Rede steht (vgl. BVerfGE 35, 193 <196 f.>; 83, 162 <171 f.>; 88, 173 <179>; 89, 38 <43>; 108, 34 <41>; 118, 111 <122>; 125, 385 <393>; 126, 158 <167>; 129, 284 <298>).

87

Bei der Entscheidung über die einstweilige Anordnung haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Maßnahmen vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, die in der Hauptsache begehrte Feststellung oder der in der Hauptsache gestellte Antrag erwiese sich als von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet (vgl. BVerfGE 89, 38 <44>; 103, 41 <42>; 118, 111 <122>; stRspr). Erweist sich der Ausgang des Hauptsacheverfahrens als offen, so hat das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich lediglich im Rahmen einer Folgenabwägung die Nachteile abzuwägen, die einträten, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde oder der Antrag im Organstreitverfahren aber in der Hauptsache Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, in der Hauptsache aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 105, 365 <371>; 106, 351 <355>; 108, 238 <246>; 125, 385 <393>; 126, 158 <168>; 129, 284 <298>; stRspr).

88

2. a) Wird jedoch im Hauptsacheverfahren das Zustimmungsgesetz zu einem völkerrechtlichen Vertrag zur Prüfung gestellt, kann es angezeigt sein, sich nicht auf eine reine Folgenabwägung zu beschränken, sondern bereits im Verfahren nach § 32 Abs. 1 BVerfGG eine summarische Prüfung anzustellen, ob die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Vertragsgesetzes vorgetragenen Gründe mit einem hohen Grad an Wahrscheinlichkeit erwarten lassen, dass das Bundesverfassungsgericht das Vertragsgesetz für verfassungswidrig erklären wird (vgl. BVerfGE 35, 193 <196 f.>). So kann zum einen sichergestellt werden, dass die Bundesrepublik Deutschland keine völkerrechtlichen Bindungen eingeht, die mit dem Grundgesetz nicht vereinbar sind. Zum anderen kann auf diese Weise verhindert werden, dass eine mögliche Rechtsverletzung bei Verweigerung einstweiligen Rechtsschutzes nicht mehr rückgängig gemacht werden könnte, die Entscheidung in der Hauptsache also zu spät käme (vgl. BVerfGE 46, 160 <164>; 111, 147 <153>), wie dies nach der Hinterlegung der Ratifikationsurkunde zu einem völkerrechtlichen Vertrag typischerweise der Fall ist. Eine summarische Prüfung der Rechtslage ist in solchen Fällen insbesondere geboten, wenn eine Verletzung der Schutzgüter des Art. 79 Abs. 3 GG in Rede steht. In einer derartigen Situation muss es Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts sein, die Identität der Verfassung zu schützen. Ergibt die summarische Prüfung im Eilrechtsschutzverfahren, dass eine behauptete Verletzung von Art. 79 Abs. 3 GG mit hoher Wahrscheinlichkeit gegeben ist, läge in der Nichtgewährung von Rechtsschutz ein schwerer Nachteil für das gemeine Wohl im Sinne des § 32 Abs. 1 BVerfGG (vgl. BVerfGE 111, 147 <153>).

89

b) Auch begleitende gesetzliche Regelungen können diesem Prüfungsmaßstab unterfallen und einer summarischen Prüfung unterzogen werden, wenn ein enger Sachzusammenhang mit der zugleich angegriffenen völkerrechtlichen Vereinbarung besteht. Das ist namentlich dann anzunehmen, wenn das Gesetz die von Verfassungs wegen grundsätzlich gebotene parlamentarische Rückanbindung der völkerrechtlich vereinbarten Maßnahme sicherstellen soll und eine getrennte Betrachtung des Zustimmungsgesetzes und der Begleitgesetzgebung ebenso eine künstliche Aufspaltung eines einheitlichen Sachverhalts darstellte wie ihre Unterwerfung unter unterschiedliche Maßstäbe.

90

3. Nach diesen Grundsätzen sind hier die in den Verfassungsbeschwerden und dem Organstreitverfahren angegriffenen völkerrechtlichen Verträge einschließlich der Begleitgesetzgebung summarisch daraufhin zu überprüfen, ob die von den Antragstellern zulässigerweise geltend gemachten Rechtsverletzungen vorliegen, soweit diese für das mit dem Antrag auf Erlass einstweiliger Anordnungen verfolgte Rechtsschutzziel erheblich sind. Mit der Ratifikation der Verträge geht die Bundesrepublik Deutschland völkerrechtliche Bindungen ein, von denen sie sich, sollten Verfassungsverstöße festzustellen sein, nicht ohne weiteres lösen könnte. Die wirtschaftlichen und politischen Nachteile, die sich aus einem verzögerten Inkrafttreten der angegriffenen Gesetze ergeben können, mögen von hohem Gewicht sein, gleichwohl können sie nicht in Abwägung zu dem durch Art. 79 Abs. 3 GG abgesicherten Schutzgut der Demokratie gebracht werden. Das Gesetz zur finanziellen Beteiligung am Europäischen Stabilitätsmechanismus enthält die innerstaatlichen Vorkehrungen für die Wahrung der Haushaltsautonomie des Deutschen Bundestages in Bezug auf den Europäischen Stabilitätsmechanismus und muss in die summarische Prüfung einbezogen werden.

II.

91

1. Die Verfassungsbeschwerden sind nicht von vornherein unzulässig, soweit die Antragsteller eine Verletzung in ihren Rechten aus Art. 38 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG geltend machen; hinsichtlich der übrigen Rügen sind die Verfassungsbeschwerden dagegen unzulässig.

92

a) Die Verfassungsbeschwerden rügen im Wesentlichen, dass der Deutsche Bundestag durch die angegriffenen Gesetze unkalkulierbare Risiken eingehe, demokratische Entscheidungsprozesse auf die supranationale oder intergouvernementale Ebene verlagert würden und eine Wahrnehmung der haushaltspolitischen Gesamtverantwortung durch den Deutschen Bundestag nicht länger möglich sei. Damit legen die Antragsteller hinreichend substantiiert dar, dass die dauerhafte Haushaltsautonomie des Deutschen Bundestages beeinträchtigt werde und sie deshalb in ihren Rechten aus Art. 38 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG verletzt seien (zur Zulässigkeit und zu den Anforderungen an die Substantiierung dieser Rüge vgl. BVerfGE 129, 124 <167 ff.>).

93

b) Im Übrigen sind die Rügen unzulässig.

94

aa) Soweit der Antragsteller zu I. rügt, das ESM-Finanzierungsgesetz sei mangels ordnungsgemäßer Einbringung in den Deutschen Bundestag formell verfassungswidrig, hat er nicht substantiiert dargelegt, dass sein Recht aus Art. 38 Abs. 1 GG dadurch entleert sein könnte (vgl. BVerfGE 129, 124 <170>).

95

bb) Soweit er darüber hinaus rügt, dass die Regelung des Art. 35 Abs. 1 ESMV, der den Amtswaltern des Europäischen Stabilitätsmechanismus persönliche Immunität von der Gerichtsbarkeit hinsichtlich ihrer amtlichen Handlungen zuerkennt, willkürlich sei und gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verstoße, ist der Antragsteller zu I. durch diese Regelung nicht nachteilig betroffen und kommt deshalb eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG nicht in Betracht (vgl. BVerfGE 63, 255 <265 f.>). Der Antragsteller zu I. macht der Sache nach einen allgemeinen Gesetzesvollziehungsanspruch geltend. Ein solcher lässt sich aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ebenso wenig ableiten wie aus Art. 19 Abs. 4 GG oder Art. 2 Abs. 1 GG (vgl. Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 122 ; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Bd. 1, 2. Aufl. 2004, Art. 19 Abs. 4 Rn. 70). Wird ein Grundrechtsträger durch eine Maßnahme oder durch ein Unterlassen nicht in seiner eigenen Rechtsstellung betroffen - hat die Maßnahme beziehungsweise das Unterlassen also keinerlei Auswirkungen auf seine rechtlich geschützten Interessen -, kann er aus Art. 3 Abs. 1 GG weder Abwehr- noch Leistungsansprüche ableiten (vgl. Rüfner, in: Bonner Kommentar, Bd. 1, Art. 3 Abs. 1 Rn. 148 ff., 158 ; Heun, in: Dreier, GG, Bd. 1, 2. Aufl. 2004, Art. 3 Rn. 45). Dies ist bei der Regelung des Art. 35 Abs. 1 ESMV der Fall.

96

cc) Die Verfassungsbeschwerde der Antragsteller zu II. ist unzulässig, soweit diese eine Verletzung ihres Grundrechts aus Art. 14 Abs. 1 GG im Hinblick auf inflationäre Entwicklungen durch den Vertrag zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus und die Begleitgesetzgebung sowie aufgrund von Handlungen der Europäischen Zentralbank geltend machen. Eine Kontrolle wirtschafts- und finanzpolitischer Maßnahmen auf negative Folgen für die Geldwertstabilität durch das Bundesverfassungsgericht kommt allenfalls in Fällen einer evidenten Minderung des Geldwerts in Betracht (vgl. BVerfGE 129, 124 <174>). Hinreichende Tatsachen, die zu einer Kontrolle durch das Bundesverfassungsgericht Anlass geben könnten, haben die Antragsteller zu II. nicht vorgetragen.

97

dd) Auch die Rüge einer Verletzung des grundrechtsgleichen Rechts aus Art. 20 Abs. 4 GG durch die Antragsteller zu II. ist unzulässig. Das Widerstandsrecht ist ein subsidiäres Ausnahmerecht, das - wie der Senat ausgeführt hat (BVerfGE 123, 267 <333>) - in Fällen wie dem vorliegenden nicht geltend gemacht werden kann.

98

c) Soweit die Antragsteller zu II. gegen Maßnahmen der Europäischen Zentralbank zur Eurorettung, insbesondere den Ankauf von Staatsanleihen am Sekundärmarkt, einwenden, diese seien ausbrechende Rechtsakte, ist ihr entsprechender Feststellungsantrag bei verständiger Auslegung nicht von dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mitumfasst und bleibt damit einer Prüfung im Hauptsacheverfahren vorbehalten.

99

2. Der Antrag im Organstreitverfahren ist unzulässig, soweit die Antragstellerin mit Blick auf das Gesetz zu dem Beschluss des Europäischen Rates vom 25. März 2011 zur Änderung des Artikels 136 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union hinsichtlich eines Stabilitätsmechanismus für die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist, eine Verletzung ihrer Rechte aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG rügt. Im Übrigen ist der Antrag zulässig.

100

a) Die Antragstellerin macht im Zusammenhang mit dem Gesetz zu dem Beschluss des Europäischen Rates vom 25. März 2011 zur Änderung des Artikels 136 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union hinsichtlich eines Stabilitätsmechanismus für die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist, geltend, durch die Wahl des vereinfachten Vertragsänderungsverfahrens sei sie in ihrem Recht aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt worden, an einem Konvent im Rahmen des ordentlichen Vertragsänderungsverfahrens nach Art. 48 Abs. 2 bis Abs. 5 EUV teilzunehmen.

101

Die Antragstellerin hat bereits nicht dargetan, inwiefern aus dem Grundgesetz ein Recht des Deutschen Bundestages oder der Antragstellerin selbst zur Teilnahme an einem Konvent nach Art. 48 EUV abzuleiten sein könnte, und somit nicht dargelegt, welches durch das Grundgesetz gewährte Recht im Sinne des § 64 BVerfGG betroffen sein soll. Darüber hinaus fehlt es an der substantiierten Darlegung der behaupteten Rechtsverletzung. Das Recht der Europäischen Union sieht für die Parlamente der Mitgliedstaaten keine Mitwirkungsbefugnisse bei der Auswahl des Änderungsverfahrens vor. Nach Art. 48 Abs. 3 Unterabsatz 2 EUV kann der Europäische Rat vielmehr mit einfacher Mehrheit nach Zustimmung des Europäischen Parlaments beschließen, für eine Vertragsänderung im ordentlichen Verfahren keinen Konvent einzuberufen, wenn seine Einberufung aufgrund des Umfangs der geplanten Änderungen nicht gerechtfertigt ist. Wie sich aus der Zusammenschau mit Art. 48 Abs. 3 Unterabsatz 1 Satz 2 EUV ergibt, gilt das auch für institutionelle Änderungen im Währungsbereich. Eine Verletzung von Rechten des Deutschen Bundestages käme danach allenfalls in Betracht, wenn im Falle des ordentlichen Vertragsänderungsverfahrens nach Art. 48 Abs. 2 bis Abs. 5 EUV ein Konventverfahren überhaupt stattgefunden hätte, an dem teilzunehmen dem Deutschen Bundestag verwehrt worden wäre. Zu keiner dieser Voraussetzungen im Zusammenhang mit der Änderung von Art. 136 AEUV hat die Antragstellerin vorgetragen.

102

b) Im Übrigen ist der Antrag im Organstreitverfahren zulässig. Insbesondere ist die Antragstellerin als Fraktion des Deutschen Bundestages befugt, für diesen geltend zu machen, durch die angegriffenen Gesetze entäußere sich der Deutsche Bundestag seiner haushaltspolitischen Gesamtverantwortung (vgl. BVerfGE 123, 267 <338 f.>).

III.

103

Die Anträge in den Hauptsacheverfahren werden, soweit sie im Hinblick auf den Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung hier zu beurteilen sind, nach summarischer Prüfung überwiegend ohne Erfolg bleiben.

104

1. a) Das Wahlrecht (Art. 38 Abs. 1 GG) gewährleistet als grundrechtsgleiches Recht die Selbstbestimmung der Bürger und garantiert die freie und gleiche Teilhabe an der in Deutschland ausgeübten Staatsgewalt (vgl. BVerfGE 37, 271 <279>; 73, 339 <375>; 123, 267 <340>). Sein Gewährleistungsgehalt umfasst die Grundsätze des Demokratiegebots im Sinne von Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG, die Art. 79 Abs. 3 GG als Identität der Verfassung auch vor dem Zugriff durch den verfassungsändernden Gesetzgeber schützt (vgl. BVerfGE 123, 267 <340>; 129, 124 <177>).

105

aa) Das Grundgesetz untersagt nicht nur die Übertragung der Kompetenz-Kompetenz auf die Europäische Union oder im Zusammenhang mit ihr geschaffene Einrichtungen (vgl. BVerfGE 89, 155 <187 f., 192, 199>; vgl. auch BVerfGE 58, 1 <37>; 104, 151 <210>; 123, 267 <349>). Auch Blankettermächtigungen zur Ausübung öffentlicher Gewalt dürfen die deutschen Verfassungsorgane nicht erteilen (vgl. BVerfGE 58, 1 <37>; 89, 155 <183 f., 187>; 123, 267 <351>). Es ist deshalb von Verfassungs wegen gefordert, entweder dynamische Vertragsvorschriften mit Blankettcharakter nicht zu vereinbaren oder, wenn sie noch in einer Weise ausgelegt werden können, die die Integrationsverantwortung wahrt, jedenfalls geeignete Sicherungen zur effektiven Wahrnehmung dieser Verantwortung zu treffen. Das Zustimmungsgesetz zu einem völkerrechtlichen Vertrag und die innerstaatliche Begleitgesetzgebung müssen demnach so beschaffen sein, dass die europäische Integration weiter nach dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung erfolgt, ohne dass die Europäische Union oder im Zusammenhang mit ihr geschaffene Einrichtungen die Möglichkeit besitzen, sich der Kompetenz-Kompetenz zu bemächtigen oder sonst die integrationsfeste Verfassungsidentität des Grundgesetzes zu verletzen. Für Grenzfälle des noch verfassungsrechtlich Zulässigen muss der deutsche Gesetzgeber gegebenenfalls mit seinen die Zustimmung begleitenden Gesetzen wirksame Vorkehrungen dafür treffen, dass die Integrationsverantwortung der Gesetzgebungsorgane sich hinreichend entfalten kann (BVerfGE 123, 267 <353>).

106

bb) Art. 38 Abs. 1 GG wird namentlich verletzt, wenn sich der Deutsche Bundestag seiner parlamentarischen Haushaltsverantwortung dadurch entäußert, dass er oder zukünftige Bundestage das Budgetrecht nicht mehr in eigener Verantwortung ausüben können (BVerfGE 129, 124<177>). Die Entscheidung über Einnahmen und Ausgaben der öffentlichen Hand ist grundlegender Teil der demokratischen Selbstgestaltungsfähigkeit im Verfassungsstaat (vgl. BVerfGE 123, 267 <359>). Der Deutsche Bundestag muss deshalb dem Volk gegenüber verantwortlich über Einnahmen und Ausgaben entscheiden. Insofern stellt das Budgetrecht ein zentrales Element der demokratischen Willensbildung dar (vgl. BVerfGE 70, 324 <355 f.>; 79, 311 <329>; 129, 124 <177>).

107

(1) Auch in einem System intergouvernementalen Regierens müssen die gewählten Abgeordneten des Deutschen Bundestages als Repräsentanten des Volkes die Kontrolle über grundlegende haushaltspolitische Entscheidungen behalten. Mit der Öffnung für die internationale Zusammenarbeit, Systeme kollektiver Sicherheit und die europäische Integration bindet sich die Bundesrepublik Deutschland nicht nur rechtlich, sondern auch finanzpolitisch. Selbst dann, wenn solche Bindungen einen erheblichen Umfang annehmen, wird das Budgetrecht nicht ohne weiteres in einer mit Art. 38 Abs. 1 GG rügefähigen Weise verletzt. Für die Einhaltung der Grundsätze der Demokratie kommt es vielmehr entscheidend darauf an, dass der Deutsche Bundestag der Ort bleibt, an dem eigenverantwortlich über Einnahmen und Ausgaben entschieden wird, auch im Hinblick auf internationale und europäische Verbindlichkeiten (vgl. BVerfGE 129, 124 <177>; BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 28. Februar 2012 - 2 BvE 8/11 -, NVwZ 2012, S. 495 <497>; Urteil des Zweiten Senats vom 19. Juni 2012 - 2 BvE 4/11 -, juris Rn. 114). Würde über wesentliche haushaltspolitische Fragen ohne konstitutive Zustimmung des Bundestages entschieden oder würden überstaatliche Rechtspflichten ohne entsprechende Willensentscheidung des Bundestages begründet, so geriete das Parlament in die Rolle des bloßen Nachvollzuges und könnte die haushaltspolitische Gesamtverantwortung im Rahmen seines Budgetrechts nicht mehr wahrnehmen (BVerfGE 129, 124 <178 f.>).

108

(2) In seinem Urteil vom 7. September 2011 (BVerfGE 129, 124) hat der Senat im Einzelnen dargelegt, dass der Deutsche Bundestag seine Budgetverantwortung nicht durch unbestimmte haushaltspolitische Ermächtigungen auf andere Akteure übertragen darf. Je größer das finanzielle Ausmaß von Haftungsübernahmen oder Verpflichtungsermächtigungen ist, umso wirksamer müssen Zustimmungs- und Ablehnungsrechte sowie Kontrollbefugnisse des Deutschen Bundestages ausge-staltet werden. Insbesondere darf dieser sich keinen finanzwirksamen Mechanismen ausliefern, die - sei es aufgrund ihrer Gesamtkonzeption, sei es aufgrund einer Gesamtwürdigung der Einzelmaßnahmen - zu nicht überschaubaren haushaltsbedeutsamen Belastungen ohne vorherige konstitutive Zustimmung führen können, seien es Ausgaben oder Einnahmeausfälle. Dieses Verbot, sich der Budgetverantwortung zu entäußern, beschränkt nicht etwa unzulässig die Haushaltskompetenz des Gesetzgebers, sondern zielt gerade auf deren Bewahrung (vgl. BVerfGE 129, 124 <179>).

109

(3) Eine notwendige Bedingung für die Sicherung politischer Freiräume im Sinne des Identitätskerns der Verfassung (Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2, Art. 79 Abs. 3 GG) besteht darin, dass der Haushaltsgesetzgeber seine Entscheidungen über Einnahmen und Ausgaben frei von Fremdbestimmung seitens der Organe und anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Union trifft und dauerhaft "Herr seiner Entschlüsse" bleibt (vgl. BVerfGE 129, 124 <179 f.>). Es ist zwar in erster Linie Sache des Bundestages selbst, in Abwägung aktueller Bedürfnisse mit den Risiken mittel- und langfristiger Gewährleistungen darüber zu befinden, in welcher Gesamthöhe Gewährleistungssummen noch verantwortbar sind (vgl. BVerfGE 79, 311 <343>; 119, 96 <142 f.>). Aus der demokratischen Verankerung der Haushaltsautonomie folgt jedoch, dass der Bundestag einem intergouvernemental oder supranational vereinbarten, nicht an strikte Vorgaben gebundenen und in seinen Auswirkungen nicht begrenzten Bürgschafts- oder Leistungsautomatismus nicht zustimmen darf, der - einmal in Gang gesetzt - seiner Kontrolle und Einwirkung entzogen ist (BVerfGE 129, 124 <180>).

110

(4) Es dürfen zudem keine dauerhaften völkervertragsrechtlichen Mechanismen begründet werden, die auf eine Haftungsübernahme für Willensentscheidungen anderer Staaten hinauslaufen, vor allem wenn sie mit schwer kalkulierbaren Folgewirkungen verbunden sind. Jede ausgabenwirksame solidarische Hilfsmaßnahme des Bundes größeren Umfangs im internationalen oder unionalen Bereich muss vom Bundestag im Einzelnen bewilligt werden. Soweit überstaatliche Vereinbarungen getroffen werden, die aufgrund ihrer Größenordnungen für das Budgetrecht von struktureller Bedeutung sein können, etwa durch Übernahme von Bürgschaften, deren Einlösung die Haushaltsautonomie gefährden kann, oder durch Beteiligung an entsprechenden Finanzsicherungssystemen, bedarf nicht nur jede einzelne Disposition der Zustimmung des Bundestages; es muss darüber hinaus gesichert sein, dass weiterhin hinreichender parlamentarischer Einfluss auf die Art und Weise des Umgangs mit den zur Verfügung gestellten Mitteln besteht (vgl. BVerfGE 129, 124 <180 f.>). Die den Deutschen Bundestag im Hinblick auf die Übertragung von Kompetenzen auf die Europäische Union treffende Integrationsverantwortung (vgl. BVerfGE 123, 267 <356 ff.>) findet hierin ihre Entsprechung für haushaltswirksame Maßnahmen vergleichbaren Gewichts (BVerfGE 129, 124 <181>).

111

(5) Der Deutsche Bundestag kann seine haushaltspolitische Gesamtverantwortung nicht ohne ausreichende Informationen über die von ihm zu verantwortenden Entscheidungen von haushaltsrechtlicher Bedeutung wahrnehmen. Das Demokratieprinzip des Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG gebietet daher, dass der Deutsche Bundestag an diejenigen Informationen gelangen kann, die er für eine Abschätzung der wesentlichen Grundlagen und Konsequenzen seiner Entscheidung benötigt (vgl. nur Art. 43 Abs. 1, Art. 44 GG sowie BVerfGE 67, 100<130>; 77, 1 <48>; 110, 199 <225>; 124, 78 <114>). In seinem Kern ist dieser parlamentarische Unterrichtungsanspruch deshalb auch in Art. 79 Abs. 3 GG verankert. Die ausreichende Information des Parlaments durch die Regierung ist daher notwendige Voraussetzung einer effektiven Vorbereitung seiner Entscheidungen und der Ausübung seiner Kontrollfunktion (vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 19. Juni 2012 - 2 BvE 4/11 -, a.a.O., Rn. 107). Dieser Grundsatz gilt nicht nur im nationalen Haushaltsrecht (vgl. etwa Art. 114 GG), sondern auch in Angelegenheiten der Europäischen Union (vgl. Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG).

112

cc) Ob und inwieweit sich unmittelbar aus dem Demokratieprinzip eine justiziable Begrenzung der Übernahme von Zahlungsverpflichtungen oder Haftungszusagen herleiten lässt, hat der Senat in seinem Urteil vom 7. September 2011 offen gelassen (vgl. BVerfGE 129, 124 <182>). Jedenfalls kommt es im vorliegenden Zusammenhang mit seiner allgemeinen Maßstäblichkeit aus dem Demokratieprinzip nur auf eine evidente Überschreitung von äußersten Grenzen an (BVerfGE 129, 124 <182>). Eine unmittelbar aus dem Demokratieprinzip folgende Obergrenze könnte allenfalls überschritten sein, wenn sich die Zahlungsverpflichtungen und Haftungszusagen im Eintrittsfall so auswirkten, dass die Haushaltsautonomie jedenfalls für einen nennenswerten Zeitraum nicht nur eingeschränkt würde, sondern praktisch vollständig leerliefe (vgl. BVerfGE 129, 124 <183>).

113

Bei der Prüfung, ob der Umfang von Zahlungsverpflichtungen und Haftungszusagen zu einer Entäußerung der Haushaltsautonomie des Bundestages führt, verfügt der Gesetzgeber namentlich mit Blick auf die Frage der Eintrittsrisiken und die zu erwartenden Folgen für die Handlungsfreiheit des Haushaltsgesetzgebers über einen weiten Einschätzungsspielraum, den das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich zu respektieren hat. Das gilt auch für die Abschätzung der künftigen Tragfähigkeit des Bundeshaushaltes und des wirtschaftlichen Leistungsvermögens der Bundesrepublik Deutschland (vgl. BVerfGE 129, 124 <182 f.>), einschließlich der Berücksichtigung der Folgen alternativer Handlungsoptionen.

114

dd) Die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Deutschen Bundestages wird seit dem Eintritt in die dritte Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion nicht zuletzt durch die Bestimmungen des Vertrages über die Europäische Union und des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union abgesichert. Diese Bestimmungen stehen der nationalen Haushaltsautonomie als einer wesentlichen, nicht entäußerbaren Kompetenz der unmittelbar demokratisch legitimierten Parlamente der Mitgliedstaaten nicht entgegen, sondern setzen sie voraus.

115

(1) Das geltende Integrationsprogramm gestaltet die Währungsunion als Stabilitätsgemeinschaft aus. Dies ist, wie das Bundesverfassungsgericht wiederholt hervorgehoben hat (vgl. BVerfGE 89, 155 <205>; 97, 350 <369>; 129, 124 <181 f.>), wesentliche Grundlage für die Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland an der Währungsunion. Die Verträge laufen dabei nicht nur hinsichtlich der Währungsstabilität mit den Anforderungen des Art. 88 Satz 2 GG, gegebenenfalls auch des Art. 14 Abs. 1 GG, parallel, der die Beachtung der Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank und das vorrangige Ziel der Preisstabilität zu dauerhaft geltenden Verfassungsanforderungen der deutschen Beteiligung an der Währungsunion macht (vgl. Art. 127 Abs. 1, Art. 130 AEUV); auch weitere zentrale Vorschriften zur Ausgestaltung der Währungsunion sichern die verfassungsrechtlichen Anforderungen unionsrechtlich ab. Das gilt insbesondere für das Verbot monetärer Haushaltsfinanzierung durch die Europäische Zentralbank, das Verbot der Haftungsübernahme (Bail-out-Klausel) und die Stabilitätskriterien für eine tragfähige Haushaltswirtschaft (Art. 123 bis Art. 126, Art. 136 AEUV; vgl. BVerfGE 129, 124 <181>).

116

Die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Deutschen Bundestages wird in Ansehung der Übertragung der Währungshoheit auf das Europäische System der Zentralbanken namentlich durch die Unterwerfung der Europäischen Zentralbank unter die strengen Kriterien des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union und der Satzung des Europäischen Systems der Zentralbanken hinsichtlich der Unabhängigkeit der Zentralbank und der Priorität der Geldwertstabilität gesichert (vgl. BVerfGE 89, 155 <204 f., 207 ff.>; 129, 124 <181 f.>). Ein wesentliches Element zur unionsrechtlichen Absicherung der verfassungsrechtlichen Anforderungen aus Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG ist insoweit das Verbot monetärer Haushaltsfinanzierung durch die Europäische Zentralbank (vgl. BVerfGE 89, 155 <204 f.>; 129, 124 <181 f.>).

117

(2) Die bisherige vertragliche Ausgestaltung der Währungsunion als Stabilitätsgemeinschaft bedeutet indes nicht, dass eine demokratisch legitimierte Änderung in der konkreten Ausgestaltung der unionsrechtlichen Stabilitätsvorgaben von vornherein mit Art. 79 Abs. 3 GG unvereinbar wäre. Nicht jede einzelne Ausprägung dieser Stabilitätsgemeinschaft ist durch die hier allein maßgeblichen Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG garantiert.

118

Art. 79 Abs. 3 GG gewährleistet nicht den unveränderten Bestand des geltenden Rechts, sondern Strukturen und Verfahren, die den demokratischen Prozess offen halten und dabei auch die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Parlaments sichern. Schon in seinem Maastricht-Urteil hat das Bundesverfassungsgericht ausgesprochen, dass eine kontinuierliche Fortentwicklung der Währungsunion zur Erfüllung des Stabilitätsauftrags erforderlich werden kann, wenn andernfalls die Konzeption der als Stabilitätsgemeinschaft angelegten Währungsunion verlassen werden würde (vgl. BVerfGE 89, 155 <205>). Wenn sich die Währungsunion mit dem geltenden Integrationsprogramm in ihrer ursprünglichen Struktur nicht verwirklichen lässt, bedarf es erneuter politischer Entscheidungen, wie weiter vorgegangen werden soll (vgl. BVerfGE 89, 155 <207>; 97, 350 <369>). Es ist Sache des Gesetzgebers, darüber zu befinden, wie etwaigen Schwächen der Währungsunion durch eine Änderung des Unionsrechts entgegen gewirkt werden soll.

119

ee) Auch eine dauerhafte Beschränkung der Haushaltsautonomie durch die Übertragung wesentlicher haushaltspolitischer Entscheidungen auf Organe einer supra- oder internationalen Organisation oder andere Staaten, oder die Übernahme entsprechender völkerrechtlicher Verpflichtungen kann das auf prinzipielle rechtliche Reversibilität angelegte Demokratieprinzip aus Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG verletzen.

120

(1) Die Verpflichtung des Haushaltsgesetzgebers auf eine bestimmte Haushalts- und Fiskalpolitik ist allerdings nicht von vornherein demokratiewidrig (vgl. BVerfGE 79, 311 <331 ff.>; 119, 96 <137 ff.>). Der verfassungsändernde Gesetzgeber hat durch die tatbestandliche Konkretisierung und sachliche Verschärfung der Regeln für die Kreditaufnahme von Bund und Ländern (insbesondere Art. 109 Abs. 3 und Abs. 5, Art. 109a, Art. 115 GG n.F., Art. 143d Abs. 1 GG) klargestellt, dass eine Selbstbindung der Parlamente und die damit verbundene fühlbare Beschränkung ihrer haushaltspolitischen Handlungsfähigkeit gerade im Interesse langfristiger Erhaltung der demokratischen Gestaltungsfähigkeit notwendig sein können (BVerfGE 129, 124<170>). Mag eine derartige Bindung die demokratischen Gestaltungsspielräume in der Gegenwart auch beschränken, so dient sie doch zugleich deren Sicherung für die Zukunft. Zwar stellt auch eine langfristig besorgniserregende Entwicklung des Schuldenstandes keine verfassungsrechtlich relevante Beeinträchtigung der Kompetenz des Gesetzgebers zu einer situationsabhängigen diskretionären Fiskalpolitik dar. Dennoch führt sie zu einer faktischen Verengung von Entscheidungsspielräumen (vgl. BVerfGE 119, 96 <147>). Deren Offenhaltung ist ein legitimes (verfassungs-)gesetzgeberisches Ziel.

121

(2) Die Verpflichtung des Haushaltsgesetzgebers auf eine bestimmte Haushalts- und Fiskalpolitik kann auch auf der Basis des Unions- oder Völkerrechts erfolgen.

122

(a) Die im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union niedergelegten Anforderungen an eine tragfähige Haushaltswirtschaft (Art. 123 bis Art. 126, Art. 136 AEUV) begrenzen den Spielraum des nationalen Gesetzgebers bei der Wahrnehmung seiner haushaltspolitischen Gesamtverantwortung. Vergleichbares gilt - seine Übereinstimmung mit dem Primärrecht, die hier nicht zu untersuchen ist, unterstellt - für das unionale Sekundärrecht (vgl. insbesondere das sog. Six-Pack: Verordnung Nr. 1173/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. November 2011 über die wirksame Durchsetzung der haushaltspolitischen Überwachung im Euro-Währungsgebiet, ABl EU Nr. L 306 vom 23. November 2011, S. 1; Verordnung Nr. 1174/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. November 2011 über Durchsetzungsmaßnahmen zur Korrektur übermäßiger makroökonomischer Ungleichgewichte im Euro-Währungsgebiet, ABl EU Nr. L 306 vom 23. November 2011, S. 8; Verordnung Nr. 1175/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. November 2011 zur Änderung der Verordnung Nr. 1466/97 des Rates über den Ausbau der haushaltspolitischen Überwachung und der Überwachung und Koordinierung der Wirtschaftspolitiken, ABl EU Nr. L 306 vom 23. November 2011, S. 12; Verordnung Nr. 1176/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. November 2011 über die Vermeidung und Korrektur makro-ökonomischer Ungleichgewichte, ABl EU Nr. L 306 vom 23. November 2011, S. 25; Verordnung Nr. 1177/2011 des Rates vom 8. November 2011 zur Änderung der Verordnung Nr. 1467/97 über die Beschleunigung und Klärung des Verfahrens bei einem übermäßigen Defizit, ABl EU Nr. L 306 vom 23. November 2011, S. 33; Richtlinie 2011/85/EU des Rates vom 8. November 2011 über die Anforderungen an die haushaltspolitischen Rahmen der Mitgliedstaaten, ABl EU Nr. L 306 vom 23. November 2011, S. 41).

123

(b) Es steht den Mitgliedstaaten im Übrigen frei, über die bestehenden wirtschafts- und haushaltspolitischen Bindungen des Unionsrechts hinaus weitere Bindungen einzugehen, soweit diese nicht in Widerspruch zu den unionsrechtlichen Vorgaben geraten (vgl. Art. 4 Abs. 3 EUV). Die Bundesrepublik Deutschland kann daher innerstaatlich strengere Regelungen für ihre Haushaltspolitik einführen und sich auch entsprechend vertraglich verpflichten (vgl. BVerfGE 129, 124 <181 f.>).

124

(3) Dabei ist es in erster Linie Sache des Gesetzgebers abzuwägen, ob und in welchem Umfang zur Erhaltung demokratischer Gestaltungs- und Entscheidungsspielräume auch für die Zukunft Bindungen in Bezug auf das Ausgabeverhalten geboten und deshalb - spiegelbildlich - eine Verringerung des Gestaltungs- und Entscheidungsspielraums in der Gegenwart hinzunehmen ist. Das Bundesverfassungsgericht kann sich hier nicht mit eigener Sachkompetenz an die Stelle der dazu zuvörderst berufenen Gesetzgebungskörperschaften setzen (BVerfGE 129, 124 <183>). Es hat jedoch sicherzustellen, dass der demokratische Prozess offen bleibt, aufgrund anderer Mehrheitsentscheidungen rechtliche Umwertungen erfolgen können (vgl. BVerfGE 5, 85 <198 f.>; 44, 125 <142>; 123, 267 <367>; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 20. Aufl. 1995, Rn. 143; Hofmann/Dreier, Repräsentation, Mehrheitsprinzip und Minderheitenschutz, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, § 5 Rn. 58; Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 20 Rn. 86) und eine irreversible rechtliche Präjudizierung künftiger Generationen vermieden wird (Kotzur, VVDStRL 69 <2010>, S. 173 <192 f.>).

125

b) Die Rüge, der Deutsche Bundestag werde in seinem Recht verletzt, die haushaltspolitische Gesamtverantwortung wahrzunehmen, kann auch von einer Fraktion des Deutschen Bundestages in einem Organstreitverfahren erhoben werden. Der Prüfungsmaßstab entspricht insoweit demjenigen der Verfassungsbeschwerde (Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 i.V.m. Art. 79 Abs. 3 GG).

126

2. Nach diesen Maßstäben erweisen sich die Anträge als überwiegend unbegründet.

127

a) Das Gesetz zu dem Beschluss des Europäischen Rates vom 25. März 2011 zur Änderung des Artikels 136 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union hinsichtlich eines Stabilitätsmechanismus für die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist, verstößt bei summarischer Prüfung nicht gegen Art. 38 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG.

128

aa) (1) Die Einführung von Art. 136 Abs. 3 AEUV bedeutet zwar eine grundlegende Umgestaltung der bisherigen Wirtschafts- und Währungsunion (vgl. Calliess, ZEuS 2011, S. 213 <279>; Kube, WM 2012, S. 245 <247>). Seit Inkrafttreten der dritten Stufe der Währungsunion durch den Vertrag von Maastricht (Vertrag vom 7. Februar 1992 über die Europäische Union, BGBl II S. 1253) sind im Rahmen des Unionsrechts Hilfezahlungen einzelner Mitgliedstaaten der Europäischen Union nur noch an solche Mitgliedstaaten vorgesehen, deren Währung nicht der Euro ist (nunmehr Art. 143 Abs. 2 Satz 2 Buchstabe c AEUV). Die Einrichtung eines dauerhaften Mechanismus zur gegenseitigen Hilfeleistung der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes außerhalb des Rahmens der Europäischen Union löst sich, wenn auch noch nicht vollständig, von dem die Währungsunion bislang charakterisierenden Prinzip der Eigenständigkeit der nationalen Haushalte (vgl. dazu BVerfGE 129, 124 <181 f.>). Denn sie relativiert die mit diesem Prinzip verbundene Marktabhängigkeit in Bezug auf die staatlichen Refinanzierungsmöglichkeiten, indem Hilfeleistungen auch zwischen den Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes zugelassen werden, wenn dies zur Stabilisierung des Euro-Währungsgebietes insgesamt unabdingbar ist.

129

(2) Mit der Aufnahme von Art. 136 Abs. 3 AEUV in das Unionsrecht wird die stabilitätsgerichtete Ausrichtung der Währungsunion jedoch nicht aufgegeben. Wesentliche Bestandteile der Stabilitätsarchitektur bleiben auch in Ansehung dieser Öffnungsklausel unangetastet. So werden insbesondere die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank, ihre Verpflichtung auf das vorrangige Ziel der Preisstabilität (vgl. Art. 127, 130 AEUV) und das Verbot monetärer Haushaltsfinanzierung (Art. 123 AEUV) nicht berührt; im Gegenteil bekräftigt die Ermächtigung des Art. 136 Abs. 3 AEUV, einen dauerhaften Mechanismus zur Gewährung von Finanzhilfen einzurichten, den Willen der Europäischen Union und ihrer Mitgliedstaaten, die Aufgaben der Europäischen Zentralbank strikt auf den ihr unionsrechtlich vorgegebenen Rahmen zu begrenzen. Ebenso wenig befreit Art. 136 Abs. 3 AEUV von der Verpflichtung zur Haushaltsdisziplin (vgl. Art. 126, Art. 136 Abs. 1 AEUV). Allein im Bereich der in Art. 125 Abs. 1 AEUV normierten Haftungsausschlüsse lässt Art. 136 Abs. 3 AEUV nunmehr freiwillige Finanzhilfen zu, die allerdings nicht losgelöst von weiteren Anforderungen und nicht zu beliebigen Zwecken gewährt werden können. Vielmehr legt Art. 136 Abs. 3 AEUV sowohl den Ermächtigungszweck als auch den Charakter als Ausnahmevorschrift fest, indem die Finanzhilfen der Währungsstabilität dienen müssen und überdies nur aktiviert werden dürfen, wenn dies zur Stabilisierung des Euro-Währungsgebietes insgesamt unabdingbar ist.

130

Die Entscheidung des Gesetzgebers, die auch weiterhin auf Stabilität ausgerichtete Struktur der Währungsunion neben den bisherigen Elementen einer unabhängigen, der Preisstabilität verpflichteten Zentralbank (Art. 127 Abs. 1, Art. 130 AEUV), der Verpflichtung zur Haushaltsdisziplin (vgl. Art. 126, Art. 136 Abs. 1 AEUV) und der auf Marktanreize setzenden Eigenverantwortlichkeit der nationalen Haushalte (Art. 123 bis Art. 125 AEUV) um die Möglichkeit aktiver Stabilisierungsmaßnahmen zu ergänzen, sowie die damit verbundene Prognose, mit solchen Maßnahmen die Stabilität der Währungsunion gewährleisten und fortentwickeln zu können, hat das Bundesverfassungsgericht angesichts des - die Beurteilung der Risiken alternativer Handlungsoptionen einschließenden - Einschätzungsspielraums der zuständigen Verfassungsorgane (vgl. B.II.1.b)cc)) grundsätzlich auch insoweit zu respektieren, als Risiken für die Preisstabilität aufgrund dieser Entscheidung nicht auszuschließen sind.

131

bb) Die im Anschluss an die Einführung des Art. 136 Abs. 3 AEUV unionsrechtlich ausdrücklich eröffnete Möglichkeit, auf völkerrechtlicher Grundlage einen Stabilitätsmechanismus einzurichten, führt nicht zu einem Verlust der nationalen Haushaltsautonomie.

132

Mit dem Zustimmungsgesetz zu Art. 136 Abs. 3 AEUV überträgt der Deutsche Bundestag keine haushaltspolitischen Ermächtigungen auf andere Akteure. Es besteht nicht die Gefahr, dass die Bundesrepublik Deutschland ohne vorherige konstitutive Zustimmung des Deutschen Bundestages einem finanzwirksamen Mechanismus ausgeliefert wird, der zu nicht überschaubaren haushaltsbedeutsamen Belastungen führen kann oder auf eine unbeeinflussbare Haftungsübernahme für Willensentscheidungen anderer Staaten hinausläuft. Art. 136 Abs. 3 AEUV setzt selbst keinen Stabilitätsmechanismus ins Werk, sondern eröffnet den Mitgliedstaaten lediglich die Möglichkeit, entsprechende Mechanismen auf völkervertraglicher Grundlage zu installieren. Damit werden jedenfalls keine Kompetenzen auf die Organe der Europäischen Union übertragen; es sollen vielmehr mitgliedstaatliche Kompetenzen aufgegriffen und deren Verhältnis zum währungsrechtlichen Regelwerk der Union festgelegt werden. Gleichzeitig wird über den Weg eines völkervertragsrechtlichen Stabilitätsmechanismus gewährleistet, dass nur solche Mitgliedstaaten haften, die an ihm teilhaben. So betrachtet bestätigt Art. 136 Abs. 3 AEUV die Souveränität der Mitgliedstaaten, indem er ihnen die Entscheidung überantwortet, ob und in welcher Weise ein Stabilitätsmechanismus eingerichtet wird.

133

Damit scheidet eine Beeinträchtigung des Demokratiegebots durch die Zustimmung zur Einführung des Art. 136 Abs. 3 AEUV schon deshalb aus, weil mit dem Ratifizierungserfordernis für die Einrichtung des Stabilitätsmechanismus eine Mitwirkung der Gesetzgebungsorgane vor dessen Inkrafttreten vorausgesetzt wird. In diesem Fall erfährt der über Art. 136 Abs. 3 AEUV installierte Stabilitätsmechanismus selbst eine demokratische Legitimation, mit der der parlamentarische Gesetzgeber auch die konkrete Ausgestaltung verantwortet. Inwieweit die Ausgestaltung des vom Gesetzgeber gebilligten Mechanismus verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt, betrifft nicht die hier maßgebliche Frage, ob der Deutsche Bundestag der Einführung des Art. 136 Abs. 3 AEUV unter Wahrung des durch Art. 79 Abs. 3 GG geschützten Kernbereichs zustimmen durfte.

134

cc) Art. 136 Abs. 3 AEUV ist bei summarischer Prüfung auch hinreichend bestimmt. Da durch Art. 136 Abs. 3 AEUV keine Hoheitsrechte übertragen werden (vgl. dazu BVerfGE 89, 155 <204>), sind unter dem Blickwinkel von Art. 38 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG keine die Integrationsverantwortung der Gesetzgebungsorgane sichernden Anforderungen an die Bestimmtheit der Ermächtigung zu stellen. Art. 136 Abs. 3 AEUV bestimmt den Einsatz des Stabilitätsmechanismus und unterwirft ihn restriktiven Bedingungen. Dagegen ist bei summarischer Prüfung nichts zu erinnern.

135

b) Das Gesetz zu dem Vertrag vom 2. Februar 2012 zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus trägt bei summarischer Prüfung den Anforderungen der Art. 38 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG im Wesentlichen Rechnung.

136

Allerdings könnte aufgrund bestimmter Auslegungen der Regelungen über den revidierten erhöhten Kapitalabruf (Art. 9 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Art. 25 Abs. 2 ESMV) sowie der Regelungen über die Unverletzlichkeit der Unterlagen (Art. 32 Abs. 5, Art. 35 Abs. 1 ESMV) und die berufliche Schweigepflicht der Organwalter (Art. 34 ESMV) die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Bundestages verletzt werden. Dies ist bei der Ratifizierung durch völkerrechtliche Erklärungen wirksam auszuschließen (aa). Die Regelungen über die Aussetzung der Stimmrechte nach Art. 4 Abs. 8 ESMV in den Fällen des Art. 5 Abs. 6 Buchstaben b, f und i ESMV sind dagegen im Ergebnis verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (bb). Dasselbe gilt für die absolute Höhe der beabsichtigten und bereits eingegangenen Zahlungs- und Gewährleistungspflichten (cc). Andere Vorschriften des Vertrages zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus berühren die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Bundestages bei summarischer Prüfung ebenfalls nicht (dd).

137

aa) In seinem Urteil vom 7. September 2011 hat der Senat die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Deutschen Bundestages bei der Übernahme von Gewährleistungen im Rahmen der Griechenlandhilfe und der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität als gesichert angesehen, weil das finanzielle Gesamtengagement der Bundesrepublik Deutschland der Höhe nach begrenzt war, der Deutsche Bundestag jeder Hilfsmaßnahme größeren Umfangs im Einzelnen zustimmen musste, ihm die Kontrolle über die Konditionalität der Hilfen zustand und diese Hilfen zeitlich begrenzt waren (vgl. BVerfGE 129, 124 <185 f.>). Diesen Anforderungen wird der ESM-Vertrag mit Blick auf das damit verbundene finanzielle Gesamtengagement der Bundesrepublik Deutschland (1) und die für die Wahrung der haushaltspolitischen Gesamtverantwortung des Bundestages notwendigen Informationsrechte (2) nur bei verfassungskonformer Auslegung gerecht.

138

(1) Das genehmigte Stammkapital des Europäischen Stabilitätsmechanismus beträgt 700 Milliarden Euro (Art. 8 Abs. 1 ESMV), wovon Anteile im Gesamtnennwert von 190.024.800.000 Euro auf die Bundesrepublik Deutschland entfallen (Anhang II zum ESM-Vertrag). Wie sich aus Art. 8 Abs. 5 ESMV ergibt, bildet der Anteil am genehmigten Stammkapital die Obergrenze für sämtliche aus dem ESM-Vertrag erwachsenden Zahlungspflichten und damit auch für die maximale Belastung des Bundeshaushaltes ((a)). Diese Obergrenze dürfte auch bei Kapitalabrufen nach Art. 9 und Art. 25 Abs. 2 ESMV gelten ((b)). Da der ESM-Vertrag insoweit auch einer anderen Auslegung zugänglich sein könnte, muss die Bundesrepublik Deutschland im Rahmen des Ratifikationsverfahrens für die gebotene Klarstellung sorgen ((c)).

139

(a) Die in Art. 8 Abs. 5 Satz 1 ESMV geregelte ausdrückliche Haftungsbeschränkung der ESM-Mitglieder auf ihren jeweiligen Anteil am genehmigten Stammkapital dürfte die haushaltswirksamen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland im Zusammenhang mit den Aktivitäten des Europäischen Stabilitätsmechanismus verbindlich auf 190.024.800.000 Euro begrenzen.

140

(aa) Nach dem Wortlaut des Art. 8 Abs. 5 Satz 1 ESMV bleibt die Haftung eines jeden ESM-Mitglieds "unter allen Umständen auf seinen Anteil am genehmigten Stammkapital zum Ausgabekurs begrenzt". Art. 8 Abs. 5 Satz 1 ESMV bekräftigt somit die sich bereits aus Art. 8 Abs. 4 ESMV ergebende Limitierung der Leistungspflichten auf den jeweiligen Anteil der ESM-Mitglieder am genehmigten Stammkapital. Dass Art. 8 Abs. 5 Satz 1 ESMV eine Belastung der Bundesrepublik Deutschland über den Betrag von 190.024.800.000 Euro hinaus ausschließen soll, haben im Rahmen der mündlichen Verhandlung auch der Bundesminister der Finanzen und der Präsident des Bundesrechnungshofes bestätigt. Vorbehaltlich einer Kapitalerhöhung nach Art. 10 ESMV und der nach Art. 8 Abs. 2 Satz 4 ESMV zu treffenden Entscheidungen (vgl. B.III.2.b)aa)(1)(a)(bb)) sollen mit der vollständigen Einzahlung dieses Betrages sämtliche Zahlungspflichten der Bundesrepublik Deutschland aus dem ESM-Vertrag erfüllt sein. Auf der Grundlage dieser Auslegung des Vertrages hat der Deutsche Bundestag das Vertragsgesetz beschlossen (vgl. BTDrucks 17/9045, S. 5).

141

(bb) Dieser summenmäßigen Begrenzung dürfte auch nicht die in Art. 8 Abs. 2 Satz 4 ESMV vorgesehene Möglichkeit entgegenstehen, Anteile am Stammkapital des Europäischen Stabilitätsmechanismus zu einem höheren als dem Nennwert auszugeben. Zwar lässt Art. 8 Abs. 5 Satz 1 in Verbindung mit Abs. 2 Satz 4 ESMV eine Ausweitung der Haftungs- beziehungsweise Zahlungspflicht über die Erhöhung des Ausgabekurses grundsätzlich zu. Dies dürfte jedoch nicht die Ausgabe der Anteile des anfänglich gezeichneten Stammkapitals betreffen, das heißt der Anteile des genehmigten Stammkapitals im Sinne von Art. 8 Abs. 1 Satz 1 ESMV in Höhe von 700 Milliarden Euro (Art. 8 Abs. 2 Satz 3 ESMV), sondern nur die Ausgabe anderer Anteile am Stammkapital nach Kapitalerhöhungen, die ihrerseits jedoch einen einstimmigen Beschluss des Gouverneursrates voraussetzen (Art. 5 Abs. 6 Buchstabe b ESMV; vgl. B.III.2.a)bb)(1)(d)(aa)). Vorbehaltlich einer derartigen Erhöhung des genehmigten Stammkapitals nach Art. 10 ESMV dürfte eine Haftungsausweitung über den Betrag von 190.024.800.000 Euro hinaus derzeit somit ausgeschlossen sein.

142

(b) Die höhenmäßige Begrenzung der haushaltsrelevanten Belastungen auf 190.024.800.000 Euro dürfte auch für die aus Art. 8 Abs. 4 Satz 2 ESMV folgenden Einzahlungspflichten der Bundesrepublik Deutschland als Folge von Kapitalabrufen nach Art. 9 ESMV gelten ((aa)), und zwar auch, wenn diese als "revidierte erhöhte" Kapitalabrufe nach Art. 25 Abs. 2 ESMV ergehen ((bb)).

143

(aa) Neben der Befugnis des Gouverneursrates, allgemeine Kapitalabrufe zu beschließen (Art. 9 Abs. 1 i.V.m. Art. 5 Abs. 6 Buchstabe c ESMV), enthält der ESM-Vertrag in Art. 9 Abs. 2 und Abs. 3 auch Bestimmungen, die dem Direktorium beziehungsweise dem Geschäftsführenden Direktor die Befugnis verleihen, genehmigtes Kapital abzurufen.

144

Nach Art. 9 Abs. 2 ESMV kann das Direktorium mit einfacher Mehrheit genehmigtes, aber noch nicht eingezahltes Kapital der ESM-Mitglieder abrufen, um den in Art. 8 Abs. 2 ESMV festgelegten Betrag des eingezahlten Kapitals wiederherzustellen, wenn dieser durch die Deckung von Verlusten aus den Operationen des Europäischen Stabilitätsmechanismus unter den festgelegten Betrag gefallen ist (vgl. auch Art. 25 Abs. 1 Buchstabe b ESMV). Der Umfang eines Kapitalabrufes nach Art. 9 Abs. 2 ESMV bemisst sich nach der Höhe der mit eingezahltem Kapital beglichenen Verluste. Nach Art. 9 Abs. 3 Satz 1 ESMV ruft der Geschäftsführende Direktor genehmigtes, aber nicht eingezahltes Kapital ab, falls die Gefahr besteht, dass der Europäische Stabilitätsmechanismus gegenüber seinen Gläubigern in Zahlungsverzug gerät. Für einen Abruf nach Art. 9 Abs. 3 ESMV ist keine spezifische Obergrenze vorgesehen. Er dient zur Deckung aller planmäßigen oder sonstigen fälligen Zahlungsverpflichtungen gegenüber Gläubigern des ESM und kann sich damit auf sämtliche Zahlungsverpflichtungen des Europäischen Stabilitätsmechanismus beziehen, die angesichts seiner Handlungsmöglichkeiten (vgl. Art. 12 ff., Art. 21 f. ESMV) aus einer nicht überschaubaren Bandbreite und Vielzahl von Rechtsgeschäften herrühren und erhebliche Summen erreichen können.

145

Die Einzahlungspflicht dürfte aber sowohl nach dem Wortlaut der Art. 9 Abs. 2 und Abs. 3 ESMV ("genehmigtes nicht eingezahltes Kapital") als auch nach der vertraglichen Systematik durch den Nennwert des jeweiligen Anteils am genehmigten Stammkapital begrenzt sein, denn nur insoweit sind die Anteile überhaupt "abrufbar" (vgl. Art. 8 Abs. 2 Satz 1 ESMV). Sollte die Situation eintreten, dass der Umfang der durch einen Kapitalabruf nach Art. 9 Abs. 2 ESMV zu deckenden Verluste oder der durch einen Kapitalabruf nach Art. 9 Abs. 3 ESMV zu begleichenden Zahlungspflichten den Gesamtnennwert des noch vorhandenen abrufbaren Kapitals übersteigt, entsteht nach dieser Auslegung eine Zahlungspflicht für die Mitgliedstaaten nur unter der Voraussetzung, dass rechtzeitig vor dem Kapitalabruf das genehmigte Stammkapital durch einstimmigen Beschluss des Gouverneursrates nach Art. 10 Abs. 1, Art. 5 Abs. 6 Buchstabe d ESMV erhöht wurde.

146

(bb) Eine den deutschen Anteil am genehmigten Stammkapital in Höhe von 190.024.800.000 Euro übersteigende Zahlungspflicht dürfte sich wohl auch nicht aus der in Art. 25 Abs. 2 ESMV geregelten Möglichkeit eines revidierten erhöhten Kapitalabrufes ergeben. Zwar kann ein solcher Kapitalabruf dazu führen, dass die Bundesrepublik Deutschland Mittel aufbringen muss, die nach den Regelungen des Vertrages eigentlich von anderen Mitgliedstaaten aufzubringen wären. Sollte ein ESM-Mitglied einem Kapitalabruf nach Art. 9 Abs. 2 oder Abs. 3 ESMV nicht nachkommen (können), ergeht an alle Mitgliedstaaten ein revidierter erhöhter Kapitalabruf, der nach dem Vertragstext ausdrücklich die Funktion hat, die Einzahlung des erforderlichen Kapitals in voller Höhe zu gewährleisten, was naturgemäß nur durch eine höhere Belastung der leistungsfähigen und -willigen Mitgliedstaaten sichergestellt werden kann. Daraus wird man jedoch nicht schließen können, dass eine Inanspruchnahme dieser Mitgliedstaaten auch jenseits der durch Art. 8 Abs. 5 Satz 1 ESMV bestimmten Obergrenze ermöglicht werden soll. Die Obergrenze wäre anderenfalls funktionslos. Insbesondere kann schwerlich davon ausgegangen werden, dass Art. 8 Abs. 5 Satz 1 ESMV allein die Haftung der Mitgliedstaaten im Verhältnis zu den Gläubigern des Europäischen Stabilitätsmechanismus, nicht dagegen auch die Verpflichtungen gegenüber diesem selbst begrenzen soll, denn eine Haftung der Mitgliedstaaten im Außenverhältnis sieht der Vertrag von vornherein nicht vor. Vielmehr schließt Art. 8 Abs. 5 Satz 2 ESMV eine Haftung der Mitgliedstaaten für Verbindlichkeiten des Europäischen Stabilitätsmechanismus ausdrücklich aus. Der Vertrag begründet den Europäischen Stabilitätsmechanismus als Institution mit voller Rechtspersönlichkeit (Art. 32 Abs. 2 ESMV), neben der die Mitgliedstaaten nicht zum Vertragspartner potentieller Gläubiger werden sollen.

147

(c) Wie die mündliche Verhandlung gezeigt hat, kann die von Art. 8 Abs. 5 Satz 1 ESMV beabsichtigte und von Bundestag und Bundesregierung noch einmal ausdrücklich bekräftigte kategorische Haftungsbeschränkung im Zusammenhang mit den Vorschriften über die "revidierten erhöhten" Kapitalabrufe (Art. 9 Abs. 2 und Abs. 3 i.V.m. Art. 25 Abs. 2 ESMV) mit systematischen und teleologischen Argumenten aber auch einer Auslegung zugeführt werden, die mit der verfassungsrechtlichen Vorgabe, die haushaltsmäßigen Belastungen klar und abschließend festzulegen, nicht mehr vereinbar wäre ((aa)). Insofern ist es geboten, dass die Bundesrepublik Deutschland entsprechende Auslegungszweifel im Rahmen des völkerrechtlichen Ratifikationsverfahrens ausräumt ((bb)).

148

(aa) Da eine strikte höhenmäßige Begrenzung der deutschen Zahlungspflichten bei Anwendung der Vorschriften über revidierte erhöhte Kapitalabrufe nach Art. 9 Abs. 2 und Abs. 3 in Verbindung mit Art. 25 Abs. 2 ESMV jedenfalls nicht dem Wortlaut des Art. 25 Abs. 2 ESMV zu entnehmen ist, ist auch eine Auslegung nicht ausgeschlossen, die Art. 8 Abs. 5 Satz 1 ESMV auf diesen Fall für nicht anwendbar hält, so dass das Gesamtengagement Deutschlands im Rahmen des Europäischen Stabilitätsmechanismus mit dem vertraglich verankerten Betrag von 190.024.800.000 Euro nicht vollständig festgelegt wäre. Denkbar erscheint in diesem Zusammenhang eine Rechtfertigung mit dem Argument, selbst bei höheren Einzahlungen liege keine Überschreitung dieser Obergrenze vor, weil der in Vorleistung tretende Mitgliedstaat Ersatzansprüche gegen den Europäischen Stabilitätsmechanismus erhalte und damit ein hinreichender Gegenwert zur Verfügung stehe (vgl. Art. 25 Abs. 3 ESMV, BTDrucks 17/9045, S. 33). Da die revidierten erhöhten Kapitalabrufe für unerwartete Notsituationen konzipiert sind, um auch sehr kurzfristig eine die Arbeitsfähigkeit des Europäischen Stabilitätsmechanismus beeinträchtigende Kapitalunterdeckung beheben zu können, könnten auch teleologische Erwägungen auf eine restriktive Interpretation von Art. 8 Abs. 5 Satz 1 ESMV hinauslaufen. So könnte etwa behauptet werden, dass es die Erreichung des von Art. 25 Abs. 2 ESMV verfolgten Zwecks, dem Europäischen Stabilitätsmechanismus unter allen Umständen und jederzeit die bestmögliche Bonität zu sichern und damit seine Handlungsfähigkeit zu gewährleisten, erschweren könne, wenn ein Mitgliedstaat die für erforderlich erachtete Einzahlung bis zur Wirksamkeit einer Kapitalerhöhung nach Art. 10 ESMV mit der Begründung verweigern dürfte, er habe seine Anteile am genehmigten Stammkapital bereits vollständig eingezahlt.

149

(bb) Erfordert die durch Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG geschützte haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Deutschen Bundestages, dass die Haftung der Bundesrepublik Deutschland im Rahmen des Europäischen Stabilitätsmechanismus nicht ohne Zustimmung des Bundestages über 190.024.800.000 Euro hinaus erhöht werden kann, so ist nach alldem eine Ratifizierung des ESM-Vertrages nur zulässig, wenn die Bundesrepublik Deutschland sicherstellt, dass Art. 8 Abs. 5 Satz 1 ESMV, vorbehaltlich von Entscheidungen nach Art. 10 Abs. 1 und Art. 8 Abs. 2 Satz 4 ESMV, sämtliche Zahlungsverpflichtungen aus diesem Vertrag der Höhe nach auf die in Anhang II des Vertrages genannte Summe begrenzt und dass Vorschriften dieses Vertrages, insbesondere Art. 9 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 1 in Verbindung mit Art. 25 Abs. 2 Satz 1 ESMV nur so ausgelegt oder angewandt werden können, dass für die Bundesrepublik Deutschland keine höheren Zahlungsverpflichtungen begründet werden. Die Bundesrepublik Deutschland muss deutlich zum Ausdruck bringen, dass sie an den ESM-Vertrag insgesamt nicht gebunden sein kann, falls sich der von ihr geltend gemachte Vorbehalt als unwirksam erweisen sollte.

150

(2) Die Bestimmungen der Art. 32 Abs. 5, Art. 34 und Art. 35 Abs. 1 ESMV dürften nach summarischer Prüfung nicht gegen den durch Art. 79 Abs. 3 GG geschützten Kern des Wahlrechts aus Art. 38 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG verstoßen, weil sie eine Auslegung zulassen, die eine hinreichende parlamentarische Kontrolle des Europäischen Stabilitätsmechanismus durch den Deutschen Bundestag ermöglicht ((a)). Angesichts denkbarer anderer Auslegungen ((b)) bedarf es jedoch auch hier der völkerrechtlichen Sicherstellung einer mit dem Grundgesetz vereinbaren Auslegung ((c)).

151

(a) Nach Art. 32 Abs. 5 ESMV sind sämtliche amtlichen Schriftstücke und Unterlagen des Europäischen Stabilitätsmechanismus unverletzlich und können daher jedenfalls nicht ohne oder gegen den Willen des Europäischen Stabilitätsmechanismus herausverlangt oder eingesehen werden. Art. 34 ESMV unterwirft die Organmitglieder und Mitarbeiter des Europäischen Stabilitätsmechanismus einer beruflichen Schweigepflicht, während Art. 35 Abs. 1 ESMV ihnen Immunität von der Gerichtsbarkeit hinsichtlich ihrer in amtlicher Eigenschaft vorgenommenen Handlungen und Unverletzlichkeit hinsichtlich ihrer amtlichen Schriftstücke und Unterlagen zuspricht. Nach ihrem Wortlaut gelten die in Art. 32 Abs. 5, Art. 34 und Art. 35 Abs. 1 ESMV niedergelegten Pflichten, Vorrechte und Befreiungen umfassend.

152

Ausnahmen zugunsten der nationalen Parlamente sieht der Vertrag nicht vor. Eine spezielle Regelung zur Information über die Mittelverwendung und Rechnungslegung des Europäischen Stabilitätsmechanismus gegenüber nationalen Parlamenten und Rechnungshöfen findet sich lediglich in Art. 30 Abs. 5 ESMV. Dagegen werden die nationalen Parlamente in Art. 32 Abs. 5, Art. 34 und Art. 35 Abs. 1 ESMV nicht ausdrücklich erwähnt. Deren umfassende Information dürfte damit jedoch nicht ausgeschlossen sein. Wenn in einem Mitgliedstaat Beschlüsse des Europäischen Stabilitätsmechanismus nicht nur der Behandlung auf der Ebene der Regierung, der die nötigen Informationen stets zugänglich sind, sondern auch der Erörterung und Billigung in parlamentarischen Gremien bedürfen, ist es unausweichlich, dass diese ebenfalls unterrichtet werden.

153

Dass die Erwähnung der nationalen Parlamente in Art. 30 Abs. 5 ESMV nicht den Gegenschluss rechtfertigen dürfte, in anderen Fällen sei deren Information ausgeschlossen, dürften auch Sinn und Zweck der Art. 32 Abs. 5, Art. 34 und Art. 35 Abs. 1 ESMV belegen. Es spricht viel dafür, dass diese Regelungen vor allem Informationsflüsse an unberechtigte Dritte, etwa Beteiligte am Kapitalmarkt, unterbinden wollen, nicht jedoch an die Träger des Europäischen Stabilitätsmechanismus selbst. Die Parlamente der Mitgliedstaaten, und mit ihnen der Deutsche Bundestag, gehören als Träger der Budgethoheit, die die auf dem ESM-Vertrag beruhenden Bindungen auch im weiteren Vertragsvollzug gegenüber ihren Bürgern verantworten müssen (vgl. BVerfGE 104, 151 <209>; 123, 267 <434 f.>), nicht zu den vom Informationsfluss auszuschließenden Dritten. Darüber hinaus ist von Bedeutung, dass eine die effektive und umfassende Information der nationalen Parlamente ermöglichende restriktive Auslegung der hier in Rede stehenden Bestimmungen über Pflichten, Vorrechte und Befreiungen auch durch die für den Europäischen Stabilitätsmechanismus verpflichtende Kohärenz mit dem Unionsrecht (vgl. BTDrucks 17/9045, S. 29; 17/9047, S. 4; Rathke, DÖV 2011, S. 753 <759 f.>; Kube, WM 2012, S. 245 <246 ff.>; Calliess, NVwZ 2012, S. 1 <1 f.>) nahegelegt wird. Danach ist nicht nur die Verfassungsidentität der Mitgliedstaaten zu achten (vgl. Art. 4 Abs. 2 Satz 1 EUV), was hier mit Blick auf die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Deutschen Bundestages von Bedeutung ist. Auch die Stellung der nationalen Parlamente im Institutionengefüge der Europäischen Union ist in den vergangenen Jahren immer wieder gestärkt worden, um ihr Legitimationsreservoir für europäische Prozesse fruchtbar zu machen (vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 19. Juni 2012 - 2 BvE 4/11 -, juris Rn. 98 m.w.N.). Das ist - was den Vertragsparteien auch klar sein musste - im vorliegenden Zusammenhang von umso größerer Bedeutung, als aufgrund der gewählten Gestaltungsform - völkerrechtlicher Vertrag zur Ergänzung des unionalen Integrationsprogramms (vgl. auch Lorz/Sauer, DÖV 2012, S. 573 <575>: "völkerrechtliches Ersatzunionsrecht") - keine Kontrolle durch das Europäische Parlament möglich ist (vgl. BVerfGE 123, 267 <353 ff.>).

154

(b) Freilich handelt es sich insoweit nur um eine mögliche, wenn auch nahe liegende Auslegung der Art. 32 Abs. 5, Art. 34 und Art. 35 Abs. 1 ESMV, die sich mit der Sichtweise des Europäischen Stabilitätsmechanismus und anderer Mitgliedstaaten keineswegs decken muss, zumal die Verfassungsrechtslage in Bezug auf Beteiligungs- und Informationsrechte des Parlaments in den Mitgliedstaaten verschieden ist und aufgrund unterschiedlicher rechtlicher und tatsächlicher Gegebenheiten, etwa parlamentarische Geheimhaltungsvorkehrungen betreffend, die Beurteilung der Folgen einer Weitergabe auch solcher Informationen, die von den Kapitalmärkten ferngehalten werden sollen, an die Parlamente unterschiedlich ausfallen kann.

155

(c) Erfordert die durch Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG geschützte haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Deutschen Bundestages, dass dieser diejenigen Informationen erhalten kann, die er für eine Abschätzung der wesentlichen Grundlagen und Konsequenzen seiner Entscheidungen benötigt (vgl. B.III.1.a)bb)(5)), so ist eine Ratifizierung des ESM-Vertrages nur zulässig, wenn die Bundesrepublik Deutschland eine Vertragsauslegung sicherstellt, die gewährleistet, dass Bundestag und Bundesrat bei ihren Entscheidungen die für ihre Willensbildung erforderlichen Informationen erhalten. Die Bundesrepublik Deutschland muss deutlich zum Ausdruck bringen, dass sie an den ESM-Vertrag insgesamt nicht gebunden sein kann, falls sich der von ihr geltend gemachte Vorbehalt als unwirksam erweisen sollte.

156

(d) Sind Art. 32 Abs. 5, Art. 34 und Art. 35 Abs. 1 ESMV demnach so auszulegen, dass sie der Unterrichtung des Deutschen Bundestages nicht entgegenstehen, kommt eine Verletzung des allein im Rahmen des Organstreitverfahrens rügefähigen Anspruchs des Deutschen Bundestages auf frühestmögliche und umfassende Unterrichtung aus Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG (vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 19. Juni 2012 - 2 BvE 4/11 -, juris Rn. 107) nicht in Betracht.

157

bb) Die Aussetzung der Stimmrechte der Mitgliedstaaten nach Art. 4 Abs. 8 ESMV erscheint zwar im Hinblick auf ihre potentiell weitreichenden Folgen unter dem Gesichtspunkt der haushaltspolitischen Gesamtverantwortung als nicht unproblematisch (1). Die Regelung zur Stimmrechtsaussetzung unterscheidet sich jedoch nach Funktion und Anwendungsbedingungen von anderen Regelungen mit potentiell weitreichenden Haushaltsfolgen in einer Weise, die es erlaubt, sie als verfassungsmäßig zu beurteilen (2).

158

(1) Nach Art. 4 Abs. 8 ESMV werden sämtliche Stimmrechte eines Mitgliedstaates ausgesetzt, wenn dieser seinen Einzahlungspflichten gegenüber dem Europäischen Stabilitätsmechanismus nicht vollumfänglich nachkommt. Der betroffene Mitgliedstaat verliert bis zur Zahlung der geforderten Kapitalanteile ipso iure sämtliche Stimmrechte in allen Kollegialorganen des Europäischen Stabilitätsmechanismus, kann also für die Dauer seiner Säumnis auf die Entscheidungen des Gouverneursrates und des Direktoriums - auch wenn sie mit der umstrittenen Zahlungsverpflichtung nichts zu tun haben - keinen Einfluss mehr nehmen. Die vertraglich vereinbarten Stimmrechtsschwellen, die sich auf die Beschlussfähigkeit der Organe (Art. 4 Abs. 2 Satz 2 ESMV) und die jeweils erforderlichen Mehrheiten (Art. 4 Abs. 4 bis Abs. 6 ESMV) beziehen, werden für die Dauer der Aussetzung der Stimmrechte eines oder mehrerer Mitglieder nach Art. 4 Abs. 8 Satz 2 ESMV entsprechend neu berechnet. Die Stimmrechtsaussetzung führt also - unabhängig von der Zahl der ausgesetzten Stimmrechte - unter keinen Umständen zur Beschlussunfähigkeit oder dazu, dass in den Organen bestimmte Mehrheiten nicht mehr erreicht werden können.

159

(a) Von Art. 4 Abs. 8 ESMV erfasst werden sämtliche Zahlungspflichten der Mitgliedstaaten im Zusammenhang mit eingezahlten Anteilen und Kapitalabrufen nach Maßgabe der Art. 8, Art. 9 und Art. 10 ESMV sowie im Zusammenhang mit der Rückzahlung von gewährten Finanzhilfen. Problematisch im Hinblick auf die Haushaltsverantwortung des Bundestages sind dabei insbesondere die Auflage neuer Anteile zu anderen Konditionen als zum Nennwert nach Art. 8 Abs. 2 Satz 3 und Satz 4 ESMV sowie Kapitalabrufe nach Art. 9 ESMV (gegebenenfalls in Verbindung mit Art. 25 Abs. 2 ESMV).

160

Da die Aussetzung der Stimmrechte zu einer Neuberechnung der Stimmrechtsschwellen führt (Art. 4 Abs. 8 Satz 2 ESMV), können - mit Ausnahme der Beschlüsse über Veränderungen des genehmigten Stammkapitals (vgl. Art. 10 Abs. 1 Satz 2 und Satz 3 ESMV) - sämtliche Entscheidungen des Europäischen Stabilitätsmechanismus einschließlich der Beschlüsse über die Gewährung von Stabilitätshilfen im Einzelfall und ihre Konditionierung (Art. 13 ff. ESMV) oder über eine Änderung der Liste der Finanzhilfeinstrumente (Art. 19 ESMV) ohne Mitwirkung der Mitgliedstaaten, deren Stimmrechte nach Art. 4 Abs. 8 Satz 1 ESMV ausgesetzt sind, gefasst werden.

161

(b) Einen Rechtsbehelf gegen die Aussetzung der Stimmrechte nach Art. 4 Abs. 8 Satz 1 ESMV mit aufschiebender Wirkung sieht der ESM-Vertrag nicht vor. Soweit ein einseitiger Widerspruch gegen die Aussetzung der Stimmrechte als "Streitigkeit zwischen einem ESM-Mitglied und dem ESM" gewertet würde, entschiede hierüber - allerdings wiederum unter Aussetzung der Stimmrechte des betroffenen Mitglieds (Art. 37 Abs. 2 Satz 2 ESMV) - der Gouverneursrat mit qualifizierter Mehrheit; dessen Entscheidung könnte vor dem Gerichtshof der Europäischen Union angefochten werden (Art. 37 Abs. 3 ESMV). Nach Wortlaut und Systematik des Vertrages dürfte davon auszugehen sein, dass die Aussetzung der Stimmrechte während der gesamten Verfahrensdauer bestehen bleibt.

162

(c) Kommt es zu einer Aussetzung der Stimmrechte von ESM-Mitgliedern nach Art. 4 Abs. 8 Satz 1 ESMV, sind die jeweiligen Vertreter im Gouverneursrat (Art. 5 Abs. 1 ESMV) und im Direktorium (Art. 6 Abs. 1 ESMV) von der Abstimmung ausgeschlossen. Infolgedessen liefe auch die innerstaatlich vorgesehene Beteiligung des Deutschen Bundestages an den Entscheidungen der deutschen Vertreter in den Organen des Europäischen Stabilitätsmechanismus leer. Damit entfiele zugleich die Legitimation und Kontrolle der in diesem Zeitraum getroffenen Entscheidungen des Europäischen Stabilitätsmechanismus durch den Deutschen Bundestag, und zwar unabhängig davon, welche Abstimmungsregeln der Vertrag für die konkret zu treffenden Entscheidungen vorsieht. Dies beträfe auch Entscheidungen, die die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Deutschen Bundestages berühren und daher grundsätzlich der Mitwirkung des Deutschen Bundestages bedürfen (vgl. BVerfGE 129, 124 <179 ff.>), wie über die Ausgabe von Anteilen zu einem anderen Kurs als zum Nennwert (Art. 8 Abs. 2 Satz 4 ESMV), über die Gewährung von Stabilitätshilfen einschließlich der Festlegung wirtschaftspolitischer Auflagen in dem Memorandum of Understanding nach Art. 13 Abs. 3 ESMV sowie über die Wahl der Instrumente und die Festlegung der Finanzierungsbedingungen nach Maßgabe der Art. 12 bis Art. 18 ESMV, und über die Änderung der Liste der Finanzhilfeinstrumente, die der Europäische Stabilitätsmechanismus nutzen kann (Art. 19 ESMV).

163

(2) Art. 4 Abs. 8 ESMV verstößt gleichwohl nicht gegen Art. 38 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG.

164

(a) Der Deutsche Bundestag hat den auf die Bundesrepublik Deutschland entfallenden, in Art. 8 Abs. 2 Satz 2 ESMV geregelten Anteil am anfänglich einzuzahlenden Kapital im Haushalt bereitzustellen und im gebotenen Umfang sicherzustellen, dass die weiteren, auf Deutschland entfallenden Anteile am genehmigten Stammkapital nach Art. 8 Abs. 1 ESMV im Fall von Abrufen nach Art. 9 ESMV, gegebenenfalls in Verbindung mit Art. 25 Abs. 2 ESMV jederzeit fristgerecht und vollständig eingezahlt werden können (vgl. Art. 110 Abs. 1 GG, § 22 HGrG, § 16 BHO). Damit kann eine Aussetzung der deutschen Stimmrechte praktisch ausgeschlossen werden.

165

(b) Dies gilt auch für die Fälle, in denen unterschiedliche Auffassungen über die Berechtigung eines Kapitalabrufes oder seine Höhe bestehen. So kann es zu unterschiedlichen Auffassungen darüber kommen, ob Deutschland seinen Anteil am genehmigten Stammkapital vollständig eingezahlt hat, ob die Tatbestandsvoraussetzungen für einen Kapitalabruf nach Art. 9 Abs. 2 und Abs. 3 (gegebenenfalls in Verbindung mit Art. 25 Abs. 2) ESMV vorliegen, ob dabei der deutsche Anteil richtig festgelegt worden ist oder ob es im Falle des Art. 25 Abs. 3 ESMV zu einer Rückzahlung kommen muss. In derartigen Fällen muss die Bundesrepublik Deutschland dem Kapitalabruf nachkommen, um die Aussetzung ihrer Stimmrechte zu verhindern. Für die Geltendmachung ihrer Rechtsauffassung ist sie auf das Verfahren nach Art. 37 Abs. 2 und Abs. 3 ESMV verwiesen; gegebenenfalls kann sie - unbeschadet des Art. 8 Abs. 4 ESMV, der solche Konstellationen erkennbar nicht erfassen soll - eine Zahlung jedoch auch unter dem Vorbehalt des Widerrufs leisten, von Verrechnungsmöglichkeiten Gebrauch machen oder Sicherheiten fordern.

166

(c) Auch ansonsten ist unter allen Umständen zu gewährleisten, dass der Legitimationszusammenhang zwischen dem Parlament und dem Europäischen Stabilitätsmechanismus nicht unterbrochen wird. Bundesregierung und Bundestag haben gegebenenfalls rechtzeitig Vorkehrungen dafür zu treffen, dass es nicht zu einer Aussetzung der Stimmrechte kommt.

167

cc) Die Einschätzung des Gesetzgebers, die in § 1 Abs. 1 ESMFinG aufgeführte und in Abs. 2 als "Gewährleistungsermächtigung" bezeichnete Zahlungspflicht für Anteile am Europäischen Stabilitätsmechanismus im Gesamtnennwert von 190.024.800.000 Euro führe nicht zu einem vollständigen Leerlaufen der Haushaltsautonomie, ist nach den obigen Maßstäben (vgl. B.III.1.a)cc)) vom Bundesverfassungsgericht hinzunehmen. Das gilt auch, wenn man in die Berechnung des deutschen Gesamtengagements für die Stabilisierung der Europäischen Währungsgemeinschaft die deutsche Beteiligung an der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität, bilaterale Hilfen zugunsten von Griechenland, Risiken aus der Teilnahme am Europäischen System der Zentralbanken und dem Internationalen Währungsfonds einstellt. Bundestag und Bundesregierung haben in der mündlichen Verhandlung näher dargelegt, dass mit der Zurverfügungstellung der deutschen Anteile am Europäischen Stabilitätsmechanismus noch überschaubare Risiken eingegangen würden, während ohne die Gewährung von Finanzfazilitäten durch den Europäischen Stabilitätsmechanismus nicht absehbare, schwerwiegende Konsequenzen für das gesamte Wirtschafts- und Sozialsystem drohten. Auch wenn diese Annahmen unter Wirtschaftsfachleuten äußerst umstritten sind, sind sie jedenfalls nicht evident fehlerhaft. Deshalb darf das Bundesverfassungsgericht seine Einschätzung nicht an die Stelle derjenigen des Gesetzgebers setzen.

168

dd) Keine Beeinträchtigung der haushaltspolitischen Gesamtverantwortung droht bei summarischer Prüfung schließlich von der Möglichkeit einer Ausgabe künftiger Kapitalanteile über dem Nennwert nach Art. 8 Abs. 2 Satz 4 ESMV ((1)), von Kapitalabrufen nach Art. 9 Abs. 2 und Abs. 3 ESMV ((2)), von einem etwaigen Zusammenwirken von Europäischem Stabilitätsmechanismus und Europäischer Zentralbank ((3)) und vom Fehlen eines ausdrücklichen Austritts- und Kündigungsrechts ((4)).

169

(1) Die Möglichkeit einer Ausgabe des Stammkapitals zu einem über dem Nennwert liegenden Kurs (Art. 8 Abs. 2 Satz 4 ESMV) beeinträchtigt die haushaltspolitische Gesamtverantwortung nicht. Über eine Änderung des Ausgabekurses beschließt nach Art. 8 Abs. 2 Satz 4 ESMV der Gouverneursrat. Der Beschluss ist nach Art. 5 Abs. 6 Buchstabe b ESMV im gegenseitigen Einvernehmen zu fassen. Eine Entscheidung ohne Mitwirkung des deutschen Vertreters ist auch für den Fall einer Übertragung der Entscheidungsbefugnis auf das Direktorium ausgeschlossen (Art. 5 Abs. 6 Buchstabe m i.V.m. Art. 6 Abs. 5 ESMV). Die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Bundestages kann daher in diesem Punkt durch dessen Beteiligung an der vom jeweiligen deutschen Vertreter in den Organen des Europäischen Stabilitätsmechanismus zu treffenden Entscheidung gewahrt werden und wird folglich nicht durch den Vertrag beeinträchtigt.

170

(2) Keine Beeinträchtigung der haushaltspolitischen Gesamtverantwortung ergibt sich des Weiteren aus den Befugnissen zum Kapitalabruf nach Art. 9 Abs. 2 und Abs. 3 ESMV. Zwar entscheidet über Abrufe nach Art. 9 Abs. 2 ESMV das Direktorium mit einfacher Mehrheit und über Abrufe nach Art. 9 Abs. 3 ESMV der Geschäftsführende Direktor, so dass die deutschen Vertreter in den Organen des Europäischen Stabilitätsmechanismus insoweit über keine Sperrminorität verfügen. Bei der verfassungsrechtlichen Würdigung dieser Instrumente ist jedoch zu beachten, dass ihnen nicht nur die abstrakte Billigung des deutschen Gesamtengagements durch den Bundestag im ESM-Vertrag (Art. 8 Abs. 1, Anhänge I und II) und § 1 Abs. 1 und Abs. 2 ESMFinG zugrunde liegt, sondern dass jede einzelne Stabilitätshilfe nach Art. 13 Abs. 2 ESMV sowie die Unterzeichnung des jeweiligen Memorandum of Understanding nach Art. 13 Abs. 4 ESMV einer einvernehmlichen Beschlussfassung des Gouverneursrates bedürfen und insoweit auch an die Zustimmung des Deutschen Bundestages gebunden werden können und tatsächlich gebunden sind. Da der Bundestag durch seine Zustimmung zu Stabilitätshilfen den verfassungsrechtlich gebotenen Einfluss ausüben und Höhe, Konditionalität und Dauer der Stabilitätshilfen zugunsten hilfesuchender Mitgliedstaaten mitbestimmen kann, legt er selbst die wichtigste Grundlage für später möglicherweise erfolgende Kapitalabrufe nach Art. 9 Abs. 2 ESMV.

171

Im Hinblick auf mögliche Verluste aus der Geschäftstätigkeit des Europäischen Stabilitätsmechanismus bestehen zwar keine vergleichbaren Einwirkungsmöglichkeiten des Bundestages. Er kann jedoch über die Leitlinien für Anleiheoperationen (Art. 21 Abs. 2 ESMV) und die Anlagepolitik (Art. 22 Abs. 1 ESMV) Einfluss auf die Geschäftstätigkeit des Europäischen Stabilitätsmechanismus nehmen. Zudem sind nach Einschätzung der Bundesregierung, der die Antragsteller nicht substantiiert entgegengetreten sind, solche Verluste mit Blick auf die Erfahrungen mit anderen internationalen Finanzinstitutionen nicht zu erwarten.

172

(3) Gegen den ESM-Vertrag kann - entgegen dem Vorbringen der Antragsteller zu I. und II. - auch nicht eingewandt werden, dass der Europäische Stabilitätsmechanismus zum Vehikel einer verfassungswidrigen Staatsfinanzierung durch die Europäische Zentralbank werden könnte. Das Verbot monetärer Haushaltsfinanzierung als wesentliches Element zur unionsrechtlichen Sicherung der verfassungsrechtlichen Anforderungen des Demokratiegebotes (vgl. oben B.III.1.a)dd)) wird durch den ESM-Vertrag nicht tangiert. Im geltenden Primärrecht findet dieses Verbot monetärer Haushaltsfinanzierung seinen Ausdruck in Art. 123 AEUV. Dieser enthält das Verbot von Überziehungs- oder anderen Kreditfazilitäten bei der Europäischen Zentralbank oder den Zentralbanken der Mitgliedstaaten für Organe, Einrichtungen oder sonstige Stellen der Union, Zentralregierungen, regionale oder lokale Gebietskörperschaften oder andere öffentlich-rechtliche Körperschaften, sonstige Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder öffentliche Unternehmen der Mitgliedstaaten sowie des unmittelbaren Erwerbs von Schuldtiteln von diesen durch die Europäische Zentralbank oder die nationalen Zentralbanken. Es kann dahinstehen, ob eine Kreditaufnahme des Europäischen Stabilitätsmechanismus bei der Europäischen Zentralbank bereits durch Art. 21 Abs. 1 ESMV ausgeschlossen ist, der lediglich eine Kapitalaufnahme "an den Kapitalmärkten" vorsieht. Als internes Abkommen zwischen Mitgliedstaaten der Europäischen Union ist der ESM-Vertrag jedenfalls unionsrechtskonform auszulegen (vgl. EuGH, Rs. C-235/87, Matteucci, Slg. 1988, S. 5589, Rn. 19; Kube, WM 2012, S. 245 <246 ff.>; BTDrucks 17/9045, S. 29; 17/9047, S. 4; zum Bezug des ESMV auf das Unionsrecht siehe Rathke, DÖV 2011, S. 753 <759 f.>; Calliess, NVwZ 2012, S. 1 <1 f.>). Da eine Aufnahme von Kapital durch den Europäischen Stabilitätsmechanismus bei der Europäischen Zentralbank allein oder in Verbindung mit der Hinterlegung von Staatsanleihen mit Unionsrecht nicht vereinbar wäre, kann der Vertrag nur so verstanden werden, dass er derartige Anleiheoperationen nicht zulässt.

173

Der Europäische Stabilitätsmechanismus unterfällt als eine dem öffentlichen Sektor im Sinne von Art. 3 Verordnung (EG) Nr. 3603/93 des Rates vom 13. Dezember 1993 (ABl EG Nr. L 332 vom 31. Dezember 1993, S. 1) zugehörige Finanzinstitution den in Art. 123 Abs. 1 AEUV genannten Institutionen, an welche keine Kredite vergeben werden dürfen. Aufgrund seiner Zielsetzung ist er auch nicht gemäß Art. 123 Abs. 2 AEUV vom Verbot monetärer Haushaltsfinanzierung ausgenommen. Nach dieser Vorschrift gelten die Bestimmungen des Art. 123 Abs. 1 AEUV nicht für Kreditinstitute in öffentlichem Eigentum. Unter Art. 123 Abs. 2 AEUV fallen jedoch keine Institutionen, deren Finanzmittel unmittelbar Mitgliedstaaten der Europäischen Union zugutekommen, weil sonst das Verbot des Art. 123 Abs. 1 AEUV umgangen würde. Dies wäre beim Europäischen Stabilitätsmechanismus der Fall. Gemäß Art. 3 Satz 1 ESMV dient der Europäische Stabilitätsmechanismus der konditionierten Bereitstellung von Stabilitätshilfen für ESM-Mitglieder. Er verwendet die ihm zur Verfügung stehenden Mittel zur - der Europäischen Zentralbank nach Art. 123 Abs. 1 AEUV verwehrten - direkten finanziellen Stabilisierung der Mitgliedstaaten. Dementsprechend geht auch die Europäische Zentralbank in ihrer Stellungnahme vom 17. März 2011 (CON/2011/24, ABl EG C 140 vom 11. Mai 2011, S. 8, Anmerkung 9) davon aus, dass Art. 123 AEUV dem Europäischen Stabilitätsmechanismus nicht erlaubt, ein Geschäftspartner des Eurosystems im Sinne von Art. 18 der ESZB-Satzung zu werden.

174

Auch eine Hinterlegung von Staatsanleihen durch den Europäischen Stabilitätsmechanismus bei der Europäischen Zentralbank als Sicherheit für Kredite würde gegen das Verbot unmittelbaren Erwerbs von Schuldtiteln öffentlicher Stellen verstoßen. Dabei kann offen bleiben, ob hierin eine Übernahme von Schuldtiteln direkt vom öffentlichen Emittenten am Primärmarkt läge oder nach dem Zwischenerwerb durch den Europäischen Stabilitätsmechanismus einem Erwerb am Sekundärmarkt entsprechen würde. Denn ein Erwerb von Staatsanleihen am Sekundärmarkt durch die Europäische Zentralbank, der auf von den Kapitalmärkten unabhängige Finanzierung der Haushalte der Mitgliedstaaten zielte, ist als Umgehung des Verbotes monetärer Haushaltsfinanzierung ebenfalls untersagt (vgl. auch 7. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 3603/93 des Rates vom 13. Dezember 1993 ). Dem trägt der ESM-Vertrag Rechnung, dessen 4. Erwägungsgrund die strikte Einhaltung des Rahmens der Europäischen Union, der integrierten makroökonomischen Überwachung, insbesondere des Stabilitäts- und Wachstumspaktes, des Rahmens für makroökonomische Ungleichgewichte und der Vorschriften für die wirtschaftspolitische Steuerung der Europäischen Union anmahnt. Hierzu zählt Art. 123 AEUV.

175

(4) Eine Beeinträchtigung der haushaltspolitischen Gesamtverantwortung des Deutschen Bundestages ergibt sich schließlich auch nicht aus dem Umstand, dass der ESM-Vertrag keine ausdrücklichen Kündigungs- oder Austrittsrechte vorsieht. Angesichts der durch einen entsprechenden Vorbehalt zu sichernden verbindlichen Begrenzung der haushaltsrelevanten Belastungen auf 190.024.800.000 Euro bedarf es im Hinblick auf die Wahrung der haushaltspolitischen Gesamtverantwortung des Bundestages keiner vertraglichen Regelung eines besonderen Kündigungs- oder Austrittsrechts. Die Haftungsbegrenzung stellt hinreichend sicher, dass durch das Inkrafttreten des Vertrages allein kein irreversibler Zahlungs- und Gewährleistungsautomatismus begründet wird. Vielmehr bedarf es für jede neue Zahlungsverpflichtung oder Haftungszusage einer erneuten konstitutiven Entscheidung des Deutschen Bundestages. Im Übrigen gelten insoweit die allgemeinen Regelungen.

176

c) Die Vorschriften über die Einbindung des Deutschen Bundestages in die Entscheidungsprozesse des Europäischen Stabilitätsmechanismus, die sich aus dem Gesetz zu dem Vertrag zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus und dem ESM-Finanzierungsgesetz ergeben, genügen bei summarischer Prüfung im Wesentlichen den Anforderungen aus Art. 38 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG an die Ausgestaltung der Beteiligungsrechte und Einwirkungsmöglichkeiten des Deutschen Bundestages zur Sicherung einer demokratischen Steuerung des Europäischen Stabilitätsmechanismus sowie zur Sicherung seiner haushaltspolitischen Gesamtverantwortung (aa). Näherer Würdigung im Hauptsacheverfahren bedürfen allerdings die Ausgabe von Anteilen am Stammkapital des Europäischen Stabilitätsmechanismus über dem Nennwert (Art. 8 Abs. 2 Satz 4 ESMV) sowie die haushalterische Sicherstellung, dass es nicht zu einer Anwendung des Art. 4 Abs. 8 ESMV auf die Bundesrepublik Deutschland kommt. Insoweit ist jedoch eine einstweilige Anordnung nicht erforderlich (bb). Soweit das Gesetz über die Zustimmung zu dem Vertrag zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus und das ESM-Finanzierungsgesetz nach vorläufiger Einschätzung eine verfassungsmäßige funktionale Zuständigkeitsverteilung zwischen den Gremien des Bundestages nicht in vollem Umfang gewährleisten, ist fraglich, ob dadurch der durch Art. 38 Abs. 1 Satz 1, Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG geschützte Kern des Wahlrechts verletzt wird; jedenfalls bedarf es auch insoweit keiner einstweiligen Anordnung (cc).

177

aa) Die Anforderungen an die innerstaatliche Absicherung des Demokratieprinzips werden sowohl im Hinblick auf die Mitwirkungsrechte des Bundestages ((1)) als auch auf seine Informationsrechte ((2)) und die personelle Legitimation der deutschen Vertreter in den Organen des Europäischen Stabilitätsmechanismus ((3)) im Wesentlichen erfüllt.

178

(1) Die Begleitgesetzgebung hat die Funktion, die verfassungsrechtlich gebotenen Beteiligungsrechte der gesetzgebenden Körperschaften an der Tätigkeit des Europäischen Stabilitätsmechanismus im nationalen Recht abzubilden und zu konkretisieren (vgl. BVerfGE 123, 267 <433>). Sie hat sicherzustellen, dass der Bundestag - vermittelt über die Bundesregierung - einen bestimmenden Einfluss auf das Handeln des Europäischen Stabilitätsmechanismus ausüben kann (vgl. BVerfGE 123, 267 <356, 433 ff.>) und hierdurch seine haushaltspolitische Gesamtverantwortung sowie die Integrationsverantwortung wahrzunehmen in der Lage ist (vgl. BVerfGE 129, 124 <177 ff., 186>).

179

Es ist bei summarischer Prüfung nicht erkennbar, dass der Gesetzgeber es - vom Fall des Art. 8 Abs. 2 Satz 4 ESMV abgesehen (vgl. dazu B.III.2.b)aa)(1)(a)(bb) sowie B.III.2.c)bb)(1)) - unterlassen hätte, praktisch folgenreiche und damit für die Wahrnehmung der haushaltspolitischen Gesamtverantwortung wesentliche Entscheidungen des Europäischen Stabilitätsmechanismus an eine Beteiligung des Bundestages zu knüpfen. Die verfassungsrechtlich geforderte Mitwirkung des Deutschen Bundestages ist im Gesetz zu dem Vertrag zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus und im ESM-Finanzierungsgesetz grundsätzlich ausreichend geregelt. Der Gesetzgeber hat für die Entscheidungen des Europäischen Stabilitätsmechanismus, die für die haushaltspolitische Gesamtverantwortung eine Rolle spielen, eine parlamentarische Rückbindung vorgesehen, indem er in Art. 2 des Zustimmungsgesetzes zum ESM-Vertrag, in § 4 Abs. 2 ESMFinG und in § 5 Abs. 2 ESMFinG festgelegt hat, dass die deutschen Mitglieder im Gouverneursrat und Direktorium an den Sitzungen der Organe des Europäischen Stabilitätsmechanismus teilzunehmen haben und die Beschlüsse des Deutschen Bundestages durch ihr Abstimmungsverhalten in den Organen umzusetzen haben. Dass einige der zu erwartenden Entscheidungen an das Votum des Plenums (vgl. § 4 Abs. 1 ESMFinG), andere lediglich an dasjenige des Haushaltsausschusses (vgl. § 5 Abs. 2 ESMFinG) geknüpft sind, betrifft nicht die grundsätzliche Frage der Beteiligung des Deutschen Bundestages.

180

Die vom ESM-Vertrag vorgesehene Fortentwicklung der Instrumente (vgl. Art. 19 ESMV) lässt es nicht zu, alle Fälle, in denen eine Parlamentsbeteiligung angezeigt sein wird, schon jetzt im Einzelnen zu erfassen und zu regeln. Die Beteiligungsrechte müssen jedoch - sei es durch Gesetzesänderung, sei es durch Auslegung - mit der Vertragsentwicklung Schritt halten, so dass die effektive Wahrnehmung der parlamentarischen Haushalts- und Integrationsverantwortung in jedem Fall sichergestellt ist. Vor diesem Hintergrund hat der Gesetzgeber eine Änderung der Finanzhilfeinstrumente nach Art. 19 ESMV an das Erfordernis einer bundesgesetzlichen Ermächtigung gebunden (Art. 2 Abs. 2 des Zustimmungsgesetzes zum ESM-Vertrag). Sollte sich im Vollzug des ESM-Vertrages ergeben, dass weitere wesentliche Mitwirkungserfordernisse nicht ausdrücklich geregelt sind, bietet die Regelung des § 4 Abs. 1 ESMFinG, die lediglich exemplarisch ("insbesondere") drei Entscheidungsfelder des Europäischen Stabilitätsmechanismus nennt, in denen das Plenum zu entscheiden hat, hinreichenden Raum für eine verfassungskonforme Handhabung. Entsprechendes gilt für die Auffangvorschrift des § 5 Abs. 3 ESMFinG, die die Bundesregierung in allen nicht anderweitig geregelten Fällen, in denen nicht die haushaltspolitische Gesamtverantwortung, sondern nur die Haushaltsverantwortung des Bundestages berührt wird, zur Beteiligung des Haushaltsausschusses des Bundestages und zur Berücksichtigung seiner Stellungnahmen verpflichtet.

181

(2) Die im ESM-Finanzierungsgesetz enthaltenen Informationsrechte des Deutschen Bundestages genügen bei summarischer Prüfung den Anforderungen des - im Organstreitverfahren maßstäblichen - Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG (zu der insbesondere durch Art. 34 ESMV nicht ausgeschlossenen Möglichkeit der Unterrichtung der nationalen Parlamente siehe oben B.III.1.a)bb)(5)).

182

Die Tätigkeit des Europäischen Stabilitätsmechanismus ist eine Angelegenheit der Europäischen Union im Sinne des Art. 23 Abs. 2 GG und löst ebenso wie dessen Errichtung und Ausgestaltung Mitwirkungs- und Informationsrechte des Bundestages aus (vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 19. Juni 2012 - 2 BvE 4/11 -, juris Rn. 90 ff.). § 7 Abs. 1 bis Abs. 3 ESMFinG geben die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Anforderungen aus Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG an die Informationspflichten der Bundesregierung wieder und gewährleisten damit das parlamentarische Informationsrecht. Zudem verweist § 7 Abs. 10 ESMFinG auf weitergehende Rechte aus dem Gesetz über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union.

183

(3) Auch unter dem Gesichtspunkt personeller demokratischer Legitimation ist gegen die Ausgestaltung der Vertretung Deutschlands im Europäischen Stabilitätsmechanismus nichts zu erinnern. Zu dem gemäß Art. 79 Abs. 3 GG nicht antastbaren Gehalt des Demokratieprinzips gehört es, dass die Wahrnehmung staatlicher Aufgaben und die Ausübung staatlicher Befugnisse sich auf das Staatsvolk zurückführen lassen und die Entscheidungen grundsätzlich ihm gegenüber verantwortet werden. Entscheidend ist insoweit, dass der Bundestag auf das seine Haushaltsverantwortung betreffende Entscheidungsverhalten der deutschen Vertreter in den Organen des Europäischen Stabilitätsmechanismus maßgeblichen Einfluss behält (vgl. BVerfGE 89, 155 <182>; 107, 59 <94>). Dies erfordert deren Bindung an die Beschlüsse des Bundestages. In welcher Weise der Gesetzgeber dabei sicherstellt, dass die Sachentscheidungen des Deutschen Bundestages durch die jeweiligen Vertreter in den Organen zutreffend umgesetzt werden, wird durch die Verfassung nicht vorgegeben. Parlamentarische Verantwortung und Weisungsabhängigkeit der deutschen Vertreter in den Organen des Europäischen Stabilitätsmechanismus sind insoweit gleichwohl eine entscheidende Vorkehrung. Von Verfassungs wegen ist zumindest zu verlangen, dass der Bundesminister der Finanzen als Mitglied des Gouverneursrates und das deutsche Direktoriumsmitglied gegenüber dem Deutschen Bundestag rechenschaftspflichtig sind und diesem so eine effektive Wahrnehmung seiner Integrations- und Haushaltsverantwortung ermöglicht wird.

184

Dem steht der ESM-Vertrag nicht entgegen. Er geht - insbesondere auf der Grundlage der verfassungsrechtlich gebotenen und völkerrechtlich sicherzustellenden Auslegung der Regelungen über die Schweigepflicht (Art. 34 ESMV) und die persönliche Immunität (Art. 35 ESMV) - von der parlamentarischen Verantwortlichkeit seiner Organmitglieder aus. Das ergibt sich bereits aus dem Umstand, dass im Gouverneursrat die Finanzminister der ESM-Mitglieder vertreten sind (Art. 5 Abs. 1 Satz 3 ESMV), und aus deren - an keinerlei Bedingungen geknüpfter - Befugnis, ein Mitglied des Direktoriums und dessen Stellvertreter vorzuschlagen und zu entlassen (Art. 6 Abs. 1 Satz 2, Art. 43 ESMV). Die Regelung ermöglicht es, eine Bindung an Weisungen der nationalen Regierung durchzusetzen und damit den Einfluss des Parlaments sicherzustellen.

185

Das ESM-Finanzierungsgesetz setzt ersichtlich voraus, dass die deutschen Vertreter an die Beschlüsse des Bundestages gebunden und ihm gegenüber rechenschaftspflichtig sind. Deutsches Mitglied im Gouverneursrat ist der Bundesminister der Finanzen (Art. 5 Abs. 1 Satz 3 ESMV), der nicht nur mittelbar vom Vertrauen des Bundestages abhängig (Art. 64 Abs. 1, Art. 67 Abs. 1 GG), sondern diesem gegenüber auch rechenschaftspflichtig ist (Art. 114 GG). In der mündlichen Verhandlung hat die Bundesregierung darüber hinaus erklärt, dass ein Staatssekretär mit der Funktion des deutschen Direktoriumsmitglieds betraut werde. Schließlich geht das ESM-Finanzierungsgesetz, indem es vorsieht, dass die deutschen Vertreter haushaltsrelevante Entscheidungen des Europäischen Stabilitätsmechanismus abzulehnen haben, wenn kein zustimmender Beschluss des Deutschen Bundestages vorliegt (§ 4 Abs. 2 und Abs. 3, § 5 Abs. 2 Satz 4 ESMFinG), ersichtlich davon aus, dass sie an die parlamentarischen Vorgaben gebunden sind.

186

bb) Im Hinblick auf die Ausgabe von Anteilen am Stammkapital des Europäischen Stabilitätsmechanismus über dem Nennwert nach Art. 8 Abs. 2 Satz 4 ESMV (1) sowie bei der haushalterischen Sicherstellung, dass es nicht zu einer Anwendung des Art. 4 Abs. 8 ESMV auf die Bundesrepublik Deutschland kommt (2), bedarf es einer vertieften Würdigung im Hauptsacheverfahren.

187

(1) Die Ausgabe von Anteilen am Stammkapital des Europäischen Stabilitätsmechanismus über dem Nennwert nach Art. 8 Abs. 2 Satz 4 ESMV kann ein entscheidender Faktor für die Belastung des Bundeshaushaltes sein und unterscheidet sich in ihren Wirkungen nicht wesentlich von der in Art. 2 Abs. 1 des Zustimmungsgesetzes zum ESM-Vertrag geregelten Erhöhung des Stammkapitals. Diese hat der Gesetzgeber an das Erfordernis einer bundesgesetzlichen Ermächtigung geknüpft, weil sie die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Deutschen Bundestages berührt (vgl. auch BVerfGE 129, 124 <177 f.>). Für den Tatbestand des Art. 8 Abs. 2 Satz 4 ESMV und die entsprechende Zuständigkeit des Gouverneursrates (Art. 5 Abs. 6 Buchstabe b ESMV) fehlt es hingegen an einer ausdrücklichen Regelung.

188

Da sich § 4 Abs. 1 ESMFinG angesichts seines nicht abschließenden Charakters ("insbesondere"), wie oben dargelegt (vgl. B.III.2.c)aa)(1)), jedoch verfassungskonform so auslegen lässt, dass er auch auf Beschlüsse nach Art. 5 Abs. 6 Buchstabe b ESMV Anwendung finden kann, bedarf es - unabhängig von der Frage, inwieweit hier eine ausdrückliche Regelung geboten wäre - jedenfalls nicht des Erlasses einer einstweiligen Anordnung.

189

(2) Der Gesetzgeber hat durch § 1 Abs. 1 ESMFinG, das Nachtragshaushaltsgesetz vom 14. Juni 2012 (BTDrucks 17/9650, 17/9651) und § 1 Abs. 2 Satz 1 ESMFinG Mittel in einem Umfang von 21,71712 Milliarden Euro bereitgestellt und das Bundesministerium der Finanzen ermächtigt, für das abrufbare Kapital in Höhe von 168,30768 Milliarden Euro Gewährleistungen zu übernehmen. Ob dies mit hinreichender Sicherheit gewährleistet, dass die Bundesrepublik Deutschland sämtlichen, auch kurzfristigen Kapitalabrufen (Art. 9 Abs. 3 ESMV) nachkommen und einen Verlust der Stimmrechte ausschließen kann, muss der Entscheidung über die Hauptsache vorbehalten bleiben.

190

cc) Unter welchen Voraussetzungen ein Beschwerdeführer die Zuständigkeitsverteilung zwischen Plenum, Haushaltsausschuss und anderen Untergremien des Deutschen Bundestages bei der Wahrnehmung seiner Beteiligungsrechte in Angelegenheiten der Europäischen Union (vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 28. Februar 2012 - 2 BvE 8/11 -, NVwZ 2012, S. 495 <498> m.w.N.) als Verletzung des durch Art. 38 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG geschützten Kerns des Wahlrechts rügen kann, hat das Bundesverfassungsgericht noch nicht entschieden. Die Klärung dieser Frage ist ebenso dem Hauptsacheverfahren vorbehalten wie die Prüfung der in den Organklagen insoweit geltend gemachten, jedoch nicht in den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung einbezogenen Rüge einer Verletzung von Abgeordnetenrechten. Denn eine einstweilige Anordnung ist bereits deshalb nicht zu erlassen, weil das Plenum des Deutschen Bundestages durch Ausübung seines Revokationsrechts nach § 5 Abs. 5 ESMFinG Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der Zuordnung von Beteiligungsrechten an den Haushaltsausschuss begegnen kann. Das Budgetrecht und die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Deutschen Bundestages werden grundsätzlich durch Verhandlung und Beschlussfassung im Plenum wahrgenommen (vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 28. Februar 2012 - 2 BvE 8/11 -, a.a.O., S. 495 <498> m.w.N.). Soweit überstaatliche Vereinbarungen getroffen werden, die aufgrund ihrer Größenordnung für das Budgetrecht von struktureller Bedeutung sein können, hat der Deutsche Bundestag im Plenum über jede ausgabenwirksame Maßnahme größeren Umfangs sowie grundsätzliche Fragen der Art und Weise des Umgangs mit den zur Verfügung gestellten Mitteln zu entscheiden. Eine selbständige und plenarersetzende Tätigkeit des Haushaltsausschusses darf demgemäß lediglich bei untergeordneten oder bereits ausreichend klar durch das Plenum vorherbestimmten Entscheidungen erfolgen.

191

Der Gesetzgeber hat sich bei der Zuordnung der Beteiligungsrechte zu Plenum, Haushaltsausschuss und Sondergremium an diesen Kriterien orientiert.

192

(1) Er hat Angelegenheiten, die die haushaltspolitische Gesamtverantwortung betreffen, entweder schon im Gesetz selbst geregelt (Art. 2 des Gesetzes zu dem Vertrag zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus) oder sie dem Plenum zugewiesen (§ 4 ESMFinG). Anwendungsfälle des § 4 Abs. 1 Satz 1 ESMFinG werden in § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bis Nr. 3 ESMFinG exemplarisch konkretisiert. Damit wird zugleich der Begriff der haushaltspolitischen Gesamtverantwortung für den vorliegenden Zusammenhang in ausreichendem Maße konturiert. Soweit lediglich die Haushaltsverantwortung betroffen ist, ist nach § 5 ESMFinG der Haushaltsausschuss zur Entscheidung berufen. Der Gesetzgeber hat die Entscheidungen über die Gewährung und Konditionierung einer Stabilitätshilfe zwar dem Plenum zugewiesen, die Durchführungsmodalitäten ohne wesentliche Auswirkungen auf Haftungsvolumen und -risiken jedoch dem Haushaltsausschuss überlassen (§ 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ESMFinG) und zugleich bestimmt, dass im Fall einer Erhöhung des Volumens gegenüber dem Grundsatzbeschluss nach Art. 13 Abs. 2 ESMV wieder das Plenum zuständig ist (Haushaltsausschuss-Drucks 4410 der 17. Wahlperiode, Begründung zu § 5 ESMFinG). Die darin zum Ausdruck kommende Gewichtung findet eine Entsprechung in der Regelung des § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 ESMFinG, nach der die ausführlichen Regelungen und Bedingungen für Kapitalveränderungen gemäß Art. 10 Abs. 2 ESMV lediglich der Zustimmung des Haushaltsausschusses bedürfen, weil die Veränderung des Stammkapitals nach Art. 10 Abs. 1 ESMV einem Gesetzesvorbehalt unterliegt. Verfassungsrechtliche Bedenken bestehen insoweit nicht.

193

(2) Dagegen könnten in § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und Nr. 3 ESMFinG dem Haushaltsausschuss Befugnisse zugewiesen sein, die wegen ihrer Tragweite vom Plenum wahrzunehmen sind.

194

§ 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ESMFinG betrifft Beschlüsse des Gouverneursrates über Kapitalabrufe (Art. 9 Abs. 1 ESMV) und die Annahme oder wesentliche Änderung der Regelungen und Bedingungen ("terms and conditions"), die nach Art. 9 Abs. 4 ESMV gelten. In § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ESMFinG sind die Annahme oder wesentliche Änderung der Durchführungsmodalitäten der einzelnen Finanzhilfefazilitäten nach Art. 14 bis Art. 18 ESMV, der Preisgestaltungsleitlinien nach Art. 20 Abs. 2 ESMV, der Leitlinien für Anleiheoperationen nach Art. 21 Abs. 2 ESMV, der Leitlinien für die Anlagepolitik nach Art. 22 Abs. 1 ESMV, der Leitlinien für die Dividendenpolitik nach Art. 23 Abs. 3 ESMV und der Vorschriften für die Einrichtung, Verwaltung und Verwendung weiterer Fonds nach Art. 24 Abs. 4 ESMV angesprochen. Die genannten Entscheidungen sind vor dem Hintergrund zu würdigen, dass es sich beim ESM-Vertrag um einen Rechtsrahmen handelt, der eine Fülle von Entwicklungsmöglichkeiten sowie Raum für Konkretisierungen lässt, sei es durch die Satzung, sei es durch Leitlinien (guidelines) oder Regelungen und Bedingungen (terms and conditions). Die Auslegung der abstrakten Befugnisse und deren Ausübung werden jedoch beispielsweise im Bereich der Anlagepolitik typischerweise Rückwirkungen auf die haushaltspolitische Gesamtverantwortung entfalten, die vom Plenum des Bundestages wahrzunehmen ist.

195

Anhand von Kapitalabrufen nach Art. 9 Abs. 1 ESMV lässt sich verdeutlichen, dass es insoweit vertiefter Erwägungen bedarf. Auch wenn der Abruf des vom Gesetzgeber bereits "bewilligten" Kapitals die haushaltspolitische Gesamtverantwortung selbst typischerweise nicht (mehr) berühren wird, so liegen die Dinge hinsichtlich der in Art. 9 Abs. 4 ESMV aufgeführten Regelungen und Bedingungen wohl anders. Sie werden, wie ein dem Gericht durch den Bevollmächtigten der Bundesregierung übermitteltes Entwurfsdokument belegt, beispielsweise Genehmigungsverfahren festlegen, die den jeweiligen Sitzungen vorangehen. Sie sollen Zeitrahmen festlegen, innerhalb derer die Mitglieder der ESM-Organe entsprechende Vorschläge für Kapitalabrufe erhalten, und konkrete Einzahlungsfristen festsetzen. Weiter werden die Anwendungsbereiche der unterschiedlichen Varianten des Kapitalabrufes durch Gouverneursrat (Art. 9 Abs. 1 ESMV), Direktorium (Art. 9 Abs. 2 ESMV) und Geschäftsführenden Direktor (Art. 9 Abs. 3 ESMV), die sich hinsichtlich der Qualität der möglichen Parlamentsbeteiligung unterscheiden, konkretisiert. So ist in dem vorgelegten Entwurfsdokument etwa vorgesehen, dass die Kapitalabrufe nach Art. 9 Abs. 3 ESMV, mit denen nach der Systematik der Vorschrift selten zu rechnen sein sollte, "während der Anfangsphase" auch die beschleunigte Einzahlung von Kapital nach Art. 41 Abs. 2 ESMV umfassen sollen. Die Entscheidung über die Regelungen und Bedingungen nach Art. 9 Abs. 4 ESMV kann die Befugnisse der Organe zu Kapitalabrufen nach Art. 9 ESMV somit gegenständlich oder größenmäßig eingrenzen oder auch über den vorhersehbaren Wortlaut der Normen hinaus erweitern. Angesichts der Bedeutung dieser Abgrenzungen für den Bundestag, der als Inhaber des Budgetrechts rechtzeitig von geplanten Abrufen und deren Höhe erfahren muss, und im Hinblick auf die Risiken für die Stimmrechte nach Art. 4 Abs. 8 ESMV, die bei nicht rechtzeitiger Zahlung ausgesetzt werden, berühren die ergänzenden abstrakt-generellen Regelungen die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Deutschen Bundestages.

196

d) Das Gesetz zu dem Vertrag vom 2. März 2012 über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion verstößt bei summarischer Prüfung ebenfalls nicht gegen Art. 38 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG. Der Regelungsgehalt des Vertrages deckt sich weitgehend mit bereits bestehenden verfassungsrechtlichen Vorgaben und mit primärrechtlichen Verpflichtungen aus dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (aa). Er räumt den Organen der Europäischen Union keine Befugnisse ein, die die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Deutschen Bundestages berühren (bb) und zwingt die Bundesrepublik Deutschland nicht zu einer dauerhaften, nicht mehr reversiblen Festlegung ihrer Wirtschaftspolitik (cc).

197

aa) Ziel des Vertrages über Stabilität, Koordinierung und Steuerung der Wirtschafts- und Währungsunion ist ausweislich seines Artikels 1 und des in Titel III geregelten "Fiskalpolitischen Paktes" die Stärkung der wirtschaftlichen Säule der Wirtschafts- und Währungsunion durch die Förderung der Haushaltsdisziplin. Er deckt sich teils mit den Anforderungen aus Art. 109, 115 und 143d GG in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes vom 29. Juli 2009 (BGBl I S. 2248) ((1)), teils mit den im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union enthaltenen Vorgaben für die Haushaltswirtschaft der Mitgliedstaaten, insbesondere mit den in Art. 126 AEUV und den ihn ergänzenden Protokollen (vor allem Protokoll über das Verfahren bei einem übermäßigen Defizit und Protokoll über die Konvergenzkriterien) niedergelegten Regelungen ((2)). Die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Deutschen Bundestages berührt dies nicht ((3)).

198

(1) Die völkerrechtlichen Verpflichtungen aus Art. 3 SKSV, der an mehreren Stellen Begriffe und Regelungsgehalte aus dem sekundärrechtlichen "Six-Pack" aufgreift, sind den in Art. 109, 109a, 115 und 143d GG enthaltenen Vorgaben, deren Zielsetzung bereits der Europäischen Stabilitätspolitik entlehnt ist, im Wesentlichen strukturell gleichgeartet. Die verfassungsrechtlichen Verschuldungsregeln sind im Jahr 2009 reformiert worden, weil die bis dahin geltenden Regelungen des Grundgesetzes das Auflaufen eines übermäßigen Schuldenstandes nicht verhindern konnten (vgl. auch BVerfGE 119, 96 <141 f.>) und der Gesetzgeber sich von den Ansätzen des präventiven wie des korrektiven Arms des Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes (Verordnungen Nr. 1466/97 und Nr. 1467/97) eine größere Durchschlagskraft versprach (vgl. BTDrucks 16/12410, S. 1, 5 f., 10; siehe auch Kube, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 109 Rn. 24 f. ; Pünder, in: Friauf/Höfling, Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 115 Rn. 17 f., 34; Gregor Kirchhof, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 3, 6. Aufl. 2010, Art. 109 Rn. 28 f.; Siekmann, in: Sachs, GG, 6. Aufl. 2011, Art. 109 Rn. 83; Christ, NVwZ 2009, S. 1333 <1337>; Scholl, DÖV 2010, S. 160 <164>).

199

(a) Art. 3 Abs. 1 Buchstabe a SKSV verlangt die Vorlage eines mindestens ausgeglichenen Haushaltes. Ein solcher gilt nach Art. 3 Abs. 1 Buchstabe b SKSV auch als erreicht, wenn der jährliche strukturelle Saldo dem durch die Mitgliedstaaten selbst festzulegenden mittelfristigen Ziel im Sinne des geänderten Stabilitäts- und Wachstumspaktes (vgl. Art. 2a Abs. 2 der Verordnung Nr. 1466/97 in der Fassung der Verordnung Nr. 1175/2011), mit der Untergrenze eines strukturellen Defizits von 0,5 % des Bruttoinlandsproduktes, entspricht. Diese Defizitgrenzen müssen nicht sogleich erreicht werden. Die Vertragsparteien sind nach Art. 3 Abs. 1 Buchstabe b Satz 2 und Satz 3 SKSV jedoch verpflichtet, sich ihrem jeweiligen mittelfristigen Ziel innerhalb eines individuellen Zeitrahmens zu nähern. Die wesentlichen Merkmale dieses sogenannten Anpassungspfades ergeben sich aus dem Sekundärrecht (Art. 3 Abs. 2 Buchstabe a, Art. 5 Abs. 1 UAbs. 2 ff. der Verordnung Nr. 1466/97 in der Fassung der Verordnung Nr. 1175/2011). Bei einem Schuldenstand von bis zu 60 % des Bruttoinlandsproduktes ist der Haushaltssaldo um einen Richtwert von jährlich 0,5 % des Bruttoinlandsproduktes zu verbessern. Bei einem höheren Schuldenstand liegt der Richtwert über 0,5 %. Im Falle außergewöhnlicher Umstände lässt der Vertrag Abweichungen vom mittelfristigen Ziel beziehungsweise dem dorthin führenden Anpassungspfad zu (Art. 3 Abs. 1 Buchstabe c SKSV). Hierunter werden schwere Konjunkturabschwünge und andere außergewöhnliche Ereignisse verstanden, die sich der Kontrolle der betreffenden Vertragspartei entziehen (Art. 3 Abs. 3 Satz 2 Buchstabe b SKSV).

200

Erhebliche Abweichungen vom mittelfristigen Ziel oder dem dorthin führenden Anpassungspfad lösen gemäß Art. 3 Abs. 1 Buchstabe e SKSV automatisch einen Korrekturmechanismus aus. Ob eine erhebliche Abweichung vorliegt, wird auf der Grundlage einer Gesamtbewertung evaluiert, wobei das mittelfristige Ziel beziehungsweise der Anpassungspfad um bis zu 0,5 % des Bruttoinlandsproduktes unterschritten werden dürfen (Art. 6 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1466/97 in der Fassung der Verordnung Nr. 1175/2011). Der Korrekturmechanismus ist von den Vertragsparteien auf nationaler Ebene in institutionalisierter Form einzurichten (Art. 3 Abs. 2 Satz 2 SKSV). Bei dessen Einrichtung ("dabei") stützen sich die Vertragsparteien auf von der Europäischen Kommission vorzuschlagende Grundsätze.

201

(b) Auch nach Art. 109 Abs. 3 Satz 1 GG ist der Haushalt grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen. Dem entspricht die Kernforderung der europäischen Schuldenbremse aus Art. 3 Abs. 1 Buchstabe a SKSV.

202

(aa) Wie Art. 3 Abs. 1 Buchstabe b SKSV stellt auch Art. 109 Abs. 3 Satz 4 in Verbindung mit Art. 115 Abs. 2 Satz 2 GG eine gesetzliche Fiktion für das Erreichen eines ausgeglichenen Haushaltes auf, wenn dieses Ziel nur geringfügig verfehlt wird. Der in Art. 3 Abs. 1 Buchstabe b Satz 2 und Satz 3 SKSV vorgesehene Anpassungspfad spiegelt sich in Art. 143d Abs. 1 Satz 5, Satz 6 und Satz 7 GG wider. Auch nach den Vorgaben des Grundgesetzes muss das Ziel eines ausgeglichenen Haushaltes nicht sofort erreicht werden; vorgesehen ist vielmehr die kontinuierliche Rückführung des Defizits innerhalb eines konkreten Zeitrahmens. Wie nach dem Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung der Wirtschafts- und Währungsunion genügt als deren Endpunkt das Erreichen der gesetzlichen Fiktion. Ob das Grundgesetz Verschuldungsgrenzen nur für den Bund und die Länder normiert, wie die Antragsteller zu IV. geltend machen, während nach europäischem Recht auch Gemeinden und Sozialversicherungen in die Betrachtung einzubeziehen sind (vgl. die zum Six-Pack zählende Richtlinie 2011/85/EU vom 8. November 2011, 23. Erwägungsgrund), kann offenbleiben. An der strukturellen Vergleichbarkeit der Regelungen würde sich dadurch nichts ändern. Ein Unterschied im finanziellen Volumen würde sich nicht anders auswirken als im Rahmen der bereits bestehenden Defizitregelungen von Art. 126 AEUV.

203

(bb) Nach Art. 109 Abs. 3 Satz 2 in Verbindung mit Art. 115 Abs. 2 Satz 3 GG kann bei einer konjunkturellen Entwicklung, die von der Normallage abweicht, sowie bei Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen, von den Defizitvorgaben abgewichen werden. Auch Art. 3 Abs. 1 Buchstabe c in Verbindung mit Abs. 3 Satz 2 Buchstabe b SKSV nennt als Abweichungsgrund einen schweren Konjunkturabschwung sowie ein "außergewöhnliches Ereignis, das sich der Kontrolle der betreffenden Vertragspartei entzieht und erhebliche Auswirkungen auf die Lage der öffentlichen Finanzen hat". Den Hauptanwendungsfall des auf völkerrechtlicher Ebene abstrakt umschriebenen zuletzt genannten Abweichungsgrundes benennt das Grundgesetz konkret mit Naturkatastrophen.

204

(cc) Art. 109a Satz 1 Nr. 1 GG in Verbindung mit dem hierzu ergangenen Stabilitätsratsgesetz (BGBl I 2009 S. 2702) sieht zur Vermeidung von Haushaltsnotlagen die Einrichtung eines Stabilitätsrates zur fortlaufenden Überwachung der Haushaltswirtschaft vor, mithin - wie Art. 3 Abs. 2 Satz 2 SKSV - eine institutionalisierte Form der Überwachung der materiellen Haushaltskriterien. Eine Überschreitung der Defizitgrenzen des Grundgesetzes löst nach Art. 115 Abs. 2 Satz 4 GG in Verbindung mit dem hierzu ergangenen nationalen Ausführungsgesetz (BGBl I 2009 S. 2704) bei Erreichen eines bestimmten Schwellenwerts automatisch die Verpflichtung zur konjunkturgerechten Rückführung des Defizits aus und ähnelt insoweit den Vorgaben des Art. 3 Abs. 1 Buchstabe e SKSV.

205

(2) Für die verfassungsrechtliche Beurteilung von Bedeutung ist ferner, dass die Regelungen des Vertrages über Stabilität, Koordinierung und Steuerung der Wirtschafts- und Währungsunion Vorschriften des Unionsrechts wiederholen oder näher konkretisieren.

206

(a) So verpflichtet Art. 4 Satz 1 SKSV die Vertragsstaaten, bei Überschreitung des Referenzwertes für den Schuldenstand von 60 % des Bruttoinlandsproduktes (Art. 126 Abs. 2 Satz 2 Buchstabe b, Satz 3 AEUV i.V.m. Art. 1 des Protokolls über das Verfahren bei einem übermäßigen Defizit) das Verhältnis zwischen beiden als Richtwert um durchschnittlich ein Zwanzigstel jährlich zu verringern. Wie sich aus dem Verweis auf Art. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1467/97 in der Fassung der Verordnung (EU) Nr. 1177/2011 ergibt, dürfte dies auf die Verpflichtung hinauslaufen, den einen Schuldenstand von 60% des Bruttoinlandsproduktes übersteigenden Teil um ein Zwanzigstel jährlich zu reduzieren (so auch BTDrucks 17/9046, S. 21). Dies konkretisiert im Ergebnis den insoweit unbestimmten Art. 126 Abs. 2 Satz 2 Buchstabe b AEUV, dessen Überwachung jedoch weiterhin Kommission und Rat nach dem in Art. 126 AEUV geregelten Verfahren obliegt (Art. 4 Satz 2 SKSV).

207

(b) Die Verpflichtung zur Vorlage von genehmigungsbedürftigen Haushalts- und Wirtschaftspartnerschaftsprogrammen nach Art. 5 Abs. 1 SKSV ist in das primärrechtlich geregelte Defizitverfahren (Art. 126 AEUV) eingebettet. Dessen Ablauf ändert Art. 5 Abs. 1 SKSV lediglich in die Vertragsstaaten begünstigender Weise. Diese sind nicht mehr darauf beschränkt, auf sanktionsbewehrte Empfehlungen der europäischen Organe zu reagieren, sondern können nunmehr mit der Vorlage des Haushaltsprogramms selbst gestaltend tätig werden. Dieser Gedanke kommt nicht zuletzt auch in den Erwägungsgründen der hier maßgeblichen Sekundärrechtsakte zum Ausdruck, die durchgängig die Notwendigkeit einer größeren nationalen Eigenverantwortung für die Einhaltung gemeinsam beschlossener Regeln betonen (vgl. Verordnung Nr. 1175/2011, 8. Erwägungsgrund; Verordnung Nr. 1177/2011, 4. Erwägungsgrund sowie die Richtlinie 2011/85/EU, 1. Erwägungsgrund). Ein unmittelbarer "Durchgriff" der Organe auf die nationale Haushaltsgesetzgebung ist in Art. 5 SKSV nicht vorgesehen (vgl. auch Conseil constitutionnel, Décision n°2012-653 DC vom 9. August 2012, cons. 32).

208

(c) Auch Art. 7 SKSV fügt sich in das Verfahren nach Art. 126 AEUV ein. Art. 7 SKSV, der von dem "Defizit-Kriterium" im Singular spricht, betrifft allein das in Art. 126 Abs. 2 Satz 2 Buchstabe a AEUV genannte Kriterium des öffentlichen Defizits (Referenzwert 3 %) und verpflichtet die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist, zur Unterstützung der Vorschläge oder Empfehlungen der Europäischen Kommission im Rahmen eines Verfahrens nach Art. 126 AEUV (Satz 1). Die Verpflichtung entfällt gemäß Art. 7 Satz 2 SKSV, wenn sich eine qualifizierte Mehrheit der Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist, im Rat gegen die vorgeschlagene oder empfohlene Beschlussfassung entscheidet. Den in Art. 126 AEUV geregelten Verfahrensablauf ändert Art. 7 SKSV nicht. Er bindet jedoch die politische Entscheidungsfreiheit der Vertragspartner im Rat und stärkt damit rechtlich wie faktisch den Einfluss der Europäischen Kommission im Defizitverfahren. Ob die Regelung von Art. 7 SKSV mit Unionsrecht vereinbar ist, kann hier dahinstehen; eine Beeinträchtigung der Budgethoheit des Deutschen Bundestages ist mit ihr jedenfalls nicht verbunden.

209

(3) Die haushaltsspezifischen Regelungen des Vertrages über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion decken sich somit im Grundsatz mit den Art. 109, 109a, 115, 143d GG und mit Art. 126 AEUV, der nicht nur vom Bundesverfassungsgericht mehrfach gebilligt worden ist (vgl. BVerfGE 89, 155 <204 f.>; 129, 124 <181 f.>), sondern auf den der verfassungsändernde Gesetzgeber in Art. 109 Abs. 2 GG ausdrücklich Bezug genommen hat. Angesichts dieser weitgehenden Deckungsgleichheit mit der "Schuldenbremse" des Grundgesetzes und den Defizitregelungen des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union, deren Verfassungsmäßigkeit in den Verfassungsbeschwerden nicht in Frage gestellt wurde, haben die Antragsteller keine Anhaltspunkte für einen Verstoß der inhaltlichen Vorgaben des Vertrages über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion gegen den durch Art. 79 Abs. 3 GG geschützten Kern des Wahlrechts und des Demokratieprinzips aus Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG aufgezeigt.

210

bb) Der Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion räumt Organen der Europäischen Union bei summarischer Prüfung keine Befugnisse ein, die die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Deutschen Bundestages berühren.

211

(1) Art. 3 Abs. 2 Satz 2 SKSV beeinträchtigt bei summarischer Prüfung nicht die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Deutschen Bundestages. Nach dieser Bestimmung stützen sich die Vertragsparteien bei der Einrichtung des Korrekturmechanismus auf gemeinsame, von der Europäischen Kommission vorzuschlagende Grundsätze, die insbesondere die Art, den Umfang und den zeitlichen Rahmen der auch unter außergewöhnlichen Umständen zu treffenden Korrekturmaßnahmen sowie die Rolle und Unabhängigkeit der auf nationaler Ebene für die Überwachung der Defizit- und Schuldenstandskriterien zuständigen Institutionen betreffen. Art. 3 Abs. 2 Satz 3 SKSV betont allerdings, dass dieser Korrekturmechanismus die Vorrechte der nationalen Parlamente uneingeschränkt wahren muss. Art. 3 Abs. 2 Satz 2 SKSV kann daher nur so verstanden werden, dass er sich auf die institutionellen Bestimmungen beschränkt und der Europäischen Kommission keine Befugnis zu konkreten materiellen Vorgaben für die Gestaltung der Haushalte verleiht (vgl. auch Conseil constitutionnel, Décision n°2012-653 DC vom 9. August 2012, cons. 25). Damit ist eine teilweise Übertragung der Budgetverantwortung auf die Europäische Kommission von vornherein ausgeschlossen (in diesem Sinne auch Mitteilung der Kommission vom 20. Juni 2012, KOM <2012> 342 endg., nach BTDrucks 17/10069 am 26. Juni 2012 an verschiedene Ausschüsse des Bundestages überwiesen).

212

(2) Nach Art. 8 Abs. 1 SKSV kann der Gerichtshof der Europäischen Union mit einer Verletzung der Verpflichtungen aus Art. 3 Abs. 2 SKSV befasst werden. Die Zuständigkeit des Gerichtshofes ist dabei von vornherein auf die Überprüfung der Inkorporation der Defizitgrenzen und des Anpassungspfades sowie des Korrekturmechanismus in die nationale Rechtsordnung beschränkt (Art. 8 Abs. 1 Satz 2 SKSV). Sie erstreckt sich damit nur auf die Kodifikation dieser Instrumente, nicht aber auf ihre konkrete Anwendung. Damit sichert Art. 8 SKSV lediglich die, wie dargelegt, verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden Verpflichtungen aus Art. 3 Abs. 2 SKSV prozessual ab.

213

Die konkrete Ausgestaltung dieser prozessualen Absicherung begegnet bei summarischer Prüfung keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Die gerichtliche Kontrolle ist dem zweistufigen Vertragsverletzungsverfahren der Art. 259 f. AEUV nachgebildet. In der ersten Verfahrensstufe kann der Gerichtshof zunächst lediglich einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 2 SKSV feststellen. Auch die in der zweiten Verfahrensstufe mögliche Verhängung einer finanziellen Sanktion führt nicht zu einem unmittelbaren Durchgriff der Organe der Europäischen Union auf die konkrete Gestaltungsfreiheit des nationalen Haushaltsgesetzgebers.

214

cc) Mit der Ratifizierung des Vertrages über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion geht die Bundesrepublik Deutschland schließlich keine irreversible Bindung an eine bestimmte Haushaltspolitik ein.

215

Nach Art. 3 Abs. 2 Satz 1 SKSV sollen die Regelungen nach Absatz 1 (Defizitgrenzen, Anpassungspfad und Korrekturmechanismus) im einzelstaatlichen Recht der Vertragsparteien in Form von Bestimmungen, die verbindlicher und dauerhafter Art sind, vorzugsweise mit Verfassungsrang, oder deren vollständige Einhaltung und Befolgung im gesamten nationalen Haushaltsverfahren auf andere Weise garantiert ist, spätestens ein Jahr nach Inkrafttreten des Vertrages über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion wirksam werden. Unabhängig davon, ob Art. 3 Abs. 2 Satz 1 SKSV den verfassungsändernden Gesetzgeber tatsächlich daran hindert, die bestehende "Schuldenbremse" nach Art. 109 Abs. 3, Art. 109a, Art. 115 Abs. 2 und Art. 143d GG wieder zu streichen, scheidet eine irreversible Bindung der Bundesrepublik Deutschland an diese Anforderungen schon deshalb aus, weil eine Lösung von dem Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion möglich ist. Zwar sieht der Vertrag ein Austritts- oder Kündigungsrecht für die Vertragsstaaten nicht vor. Ob er es ungeachtet der in Art. 16 SKSV enthaltenen Evaluierungsklausel - danach soll auf der Grundlage der in den nächsten fünf Jahren gewonnenen Erfahrungen seine Überführung in das Unionsrecht angestrebt werden - dauerhaft ausschließen will, kann letztlich jedoch ebenso dahinstehen wie die Frage, ob Verträgen, die die Wirtschafts- und Sozialverfassung der Vertragsparteien im Kern betreffen, nicht schon aus Demokratiegründen ein Kündigungsrecht nach Art. 56 Abs. 1 Buchstabe b WVK immanent ist (vgl. Fulda, Demokratie und pacta sunt servanda, 2002, S. 209). Es ist völkergewohnheitsrechtlich anerkannt, dass der einvernehmliche Austritt aus einem Vertrag immer, ein einseitiger Austritt jedenfalls bei einer grundlegenden Veränderung der bei Vertragsschluss maßgeblichen Umstände möglich ist (vgl. Art. 62 WVK). In diesem Zusammenhang ist von besonderer Bedeutung, dass auch der Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion die Mitgliedschaft in der Europäischen Union voraussetzt (1. und 5. Erwägungsgrund; Art. 1 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1, Art. 15 Satz 1 SKSV). Bei einem Austritt aus der Europäischen Union (vgl. BVerfGE 123, 267 <350, 396>) würde die Grundlage für die weitere Teilnahme an den wechselseitigen Verpflichtungen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union durch den Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion entfallen (vgl. Art. 1 SKSV). Auch die fortdauernde Zugehörigkeit zur einheitlichen Währung ist wesentliche Grundlage für die Bindung der Bundesrepublik Deutschland an die Vorgaben der Art. 3 ff. SKSV (vgl. Art. 14 Abs. 5 SKSV), die bei einem Ausscheiden aus der Währungsunion (vgl. dazu BVerfGE 89, 155 <205>) entfiele.

ra.de-Urteilsbesprechung zu Bundesverfassungsgericht Ablehnung einstweilige Anordnung, 12. Sept. 2012 - 2 BvE 6/12, 2 BvR 1390/12, 2 BvR 1421/12, 2 BvR 1438/12, 2 BvR 1439/12, 2 BvR 1440/12

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Referenzen - Gesetze

Bundesverfassungsgericht Ablehnung einstweilige Anordnung, 12. Sept. 2012 - 2 BvE 6/12, 2 BvR 1390/12, 2 BvR 1421/12, 2 BvR 1438/12, 2 BvR 1439/12, 2 BvR 1440/12 zitiert 37 §§.

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 3


(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. (2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin. (3) Ni

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 2


(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. (2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unver

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 14


(1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt. (2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen. (3) Eine Enteignung ist nur zum Wohle der All

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 19


(1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 20


(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat. (2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der

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(1) Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen. (2) W

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(1) Zur Verwirklichung eines vereinten Europas wirkt die Bundesrepublik Deutschland bei der Entwicklung der Europäischen Union mit, die demokratischen, rechtsstaatlichen, sozialen und föderativen Grundsätzen und dem Grundsatz der Subsidiarität verpfl

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(1) Das Grundgesetz kann nur durch ein Gesetz geändert werden, das den Wortlaut des Grundgesetzes ausdrücklich ändert oder ergänzt. Bei völkerrechtlichen Verträgen, die eine Friedensregelung, die Vorbereitung einer Friedensregelung oder den Abbau ein

Bundesverfassungsgerichtsgesetz - BVerfGG | § 64


(1) Der Antrag ist nur zulässig, wenn der Antragsteller geltend macht, daß er oder das Organ, dem er angehört, durch eine Maßnahme oder Unterlassung des Antragsgegners in seinen ihm durch das Grundgesetz übertragenen Rechten und Pflichten verletzt od

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(1) Bund und Länder sind in ihrer Haushaltswirtschaft selbständig und voneinander unabhängig. (2) Bund und Länder erfüllen gemeinsam die Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland aus Rechtsakten der Europäischen Gemeinschaft auf Grund des Artik

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(1) Der Bundestag hat das Recht und auf Antrag eines Viertels seiner Mitglieder die Pflicht, einen Untersuchungsausschuß einzusetzen, der in öffentlicher Verhandlung die erforderlichen Beweise erhebt. Die Öffentlichkeit kann ausgeschlossen werden. (

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 76


(1) Gesetzesvorlagen werden beim Bundestage durch die Bundesregierung, aus der Mitte des Bundestages oder durch den Bundesrat eingebracht. (2) Vorlagen der Bundesregierung sind zunächst dem Bundesrat zuzuleiten. Der Bundesrat ist berechtigt, innerha

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 110


(1) Alle Einnahmen und Ausgaben des Bundes sind in den Haushaltsplan einzustellen; bei Bundesbetrieben und bei Sondervermögen brauchen nur die Zuführungen oder die Ablieferungen eingestellt zu werden. Der Haushaltsplan ist in Einnahme und Ausgabe aus

Bundesverfassungsgerichtsgesetz - BVerfGG | § 94


(1) Das Bundesverfassungsgericht gibt dem Verfassungsorgan des Bundes oder des Landes, dessen Handlung oder Unterlassung in der Verfassungsbeschwerde beanstandet wird, Gelegenheit, sich binnen einer zu bestimmenden Frist zu äußern. (2) Ging die Hand

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 143d


(1) Artikel 109 und 115 in der bis zum 31. Juli 2009 geltenden Fassung sind letztmals auf das Haushaltsjahr 2010 anzuwenden. Artikel 109 und 115 in der ab dem 1. August 2009 geltenden Fassung sind erstmals für das Haushaltsjahr 2011 anzuwenden; am 31

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 114


(1) Der Bundesminister der Finanzen hat dem Bundestage und dem Bundesrate über alle Einnahmen und Ausgaben sowie über das Vermögen und die Schulden im Laufe des nächsten Rechnungsjahres zur Entlastung der Bundesregierung Rechnung zu legen. (2) Der B

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 115


(1) Die Aufnahme von Krediten sowie die Übernahme von Bürgschaften, Garantien oder sonstigen Gewährleistungen, die zu Ausgaben in künftigen Rechnungsjahren führen können, bedürfen einer der Höhe nach bestimmten oder bestimmbaren Ermächtigung durch Bu

ESM-Finanzierungsgesetz - ESMFinG | § 5 Beteiligung des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages


(1) In allen sonstigen die Haushaltsverantwortung des Deutschen Bundestages berührenden Angelegenheiten des Europäischen Stabilitätsmechanismus, in denen eine Entscheidung des Plenums gemäß § 4 nicht vorgesehen ist, wird der Haushaltsausschuss des De

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 43


(1) Der Bundestag und seine Ausschüsse können die Anwesenheit jedes Mitgliedes der Bundesregierung verlangen. (2) Die Mitglieder des Bundesrates und der Bundesregierung sowie ihre Beauftragten haben zu allen Sitzungen des Bundestages und seiner Auss

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 88


Der Bund errichtet eine Währungs- und Notenbank als Bundesbank. Ihre Aufgaben und Befugnisse können im Rahmen der Europäischen Union der Europäischen Zentralbank übertragen werden, die unabhängig ist und dem vorrangigen Ziel der Sicherung der Preisst

ESM-Finanzierungsgesetz - ESMFinG | § 4 Parlamentsvorbehalt für Entscheidungen im Europäischen Stabilitätsmechanismus


(1) In Angelegenheiten des Europäischen Stabilitätsmechanismus, die die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Deutschen Bundestages betreffen, wird diese vom Plenum des Deutschen Bundestages wahrgenommen. Die haushaltspolitische Gesamtverantwor

Stabilisierungsmechanismusgesetz - StabMechG | § 3 Parlamentsvorbehalt für Entscheidungen in der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität


(1) Die Bundesregierung darf in Angelegenheiten der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität einem Beschlussvorschlag, der die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Deutschen Bundestages berührt, durch ihren Vertreter nur zustimmen oder sich

Bundesverfassungsgerichtsgesetz - BVerfGG | § 65


(1) Dem Antragsteller und dem Antragsgegner können in jeder Lage des Verfahrens andere in § 63 genannte Antragsberechtigte beitreten, wenn die Entscheidung auch für die Abgrenzung ihrer Zuständigkeiten von Bedeutung ist. (2) Das Bundesverfassungsger

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 67


(1) Der Bundestag kann dem Bundeskanzler das Mißtrauen nur dadurch aussprechen, daß er mit der Mehrheit seiner Mitglieder einen Nachfolger wählt und den Bundespräsidenten ersucht, den Bundeskanzler zu entlassen. Der Bundespräsident muß dem Ersuchen e

ESM-Finanzierungsgesetz - ESMFinG | § 1 Übernahme des deutschen Anteils am Stammkapital des Europäischen Stabilitätsmechanismus; Veränderung des konsolidierten Darlehensvolumens von Europäischem Stabilitätsmechanismus und Europäischer Finanzstabilisierungsfazilität


(1) Zur Erfüllung der Verpflichtungen aus dem Beitritt zum Europäischen Stabilitätsmechanismus beteiligt sich die Bundesrepublik Deutschland am Gesamtbetrag des einzuzahlenden Kapitals des Europäischen Stabilitätsmechanismus in Höhe von 80 Milliarden

ESM-Finanzierungsgesetz - ESMFinG | § 7 Unterrichtung durch die Bundesregierung


(1) Die Bundesregierung hat den Deutschen Bundestag und den Bundesrat in Angelegenheiten dieses Gesetzes umfassend, zum frühestmöglichen Zeitpunkt, fortlaufend und in der Regel schriftlich zu unterrichten. Sie hat dem Deutschen Bundestag in Angelegen

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 109a


(1) Zur Vermeidung von Haushaltsnotlagen regelt ein Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, 1. die fortlaufende Überwachung der Haushaltswirtschaft von Bund und Ländern durch ein gemeinsames Gremium (Stabilitätsrat),2. die Voraussetz

ESM-Finanzierungsgesetz - ESMFinG | § 6 Beteiligung durch ein Sondergremium


(1) Soweit ein Aufkauf von Staatsanleihen auf dem Sekundärmarkt nach Artikel 18 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus geplant ist, kann die Bundesregierung die besondere Vertraulichkeit der Angelegenheit geltend machen.

Bundeshaushaltsordnung - BHO | § 16 Verpflichtungsermächtigungen


Die Verpflichtungsermächtigungen sind bei den jeweiligen Ausgaben gesondert zu veranschlagen. Wenn Verpflichtungen zu Lasten mehrerer Haushaltsjahre eingegangen werden können, sollen die Jahresbeträge im Haushaltsplan angegeben werden.

Haushaltsgrundsätzegesetz - HGrG | § 22 Verpflichtungsermächtigungen


(1) Maßnahmen, die den Bund oder das Land zur Leistung von Ausgaben in künftigen Haushaltsjahren verpflichten können, sind nur zulässig, wenn der Haushaltsplan dazu ermächtigt. Im Falle eines unvorhergesehenen und unabweisbaren Bedürfnisses kann das

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Bundesverfassungsgericht Ablehnung einstweilige Anordnung, 12. Sept. 2012 - 2 BvE 6/12, 2 BvR 1390/12, 2 BvR 1421/12, 2 BvR 1438/12, 2 BvR 1439/12, 2 BvR 1440/12 zitiert oder wird zitiert von 1 Urteil(en).

Bundesverfassungsgericht Ablehnung einstweilige Anordnung, 12. Sept. 2012 - 2 BvE 6/12, 2 BvR 1390/12, 2 BvR 1421/12, 2 BvR 1438/12, 2 BvR 1439/12, 2 BvR 1440/12 zitiert 1 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundesverfassungsgericht Urteil, 19. Juni 2012 - 2 BvE 4/11

bei uns veröffentlicht am 19.06.2012

Tenor 1. Die Antragsgegnerin hat den Deutschen Bundestag in seinem Unterrichtungsrecht aus Artikel 23 Absatz 2 Satz 2 des Grundgesetzes verletzt, indem sie es unterlassen hat, ihm einen ihr a

Referenzen

(1) Die Bundesregierung darf in Angelegenheiten der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität einem Beschlussvorschlag, der die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Deutschen Bundestages berührt, durch ihren Vertreter nur zustimmen oder sich bei einer Beschlussfassung enthalten, nachdem der Deutsche Bundestag hierzu einen zustimmenden Beschluss gefasst hat. Ohne einen solchen Beschluss des Deutschen Bundestages muss der deutsche Vertreter den Beschlussvorschlag ablehnen.

(2) Die haushaltspolitische Gesamtverantwortung ist insbesondere berührt

1.
beim Abschluss einer Vereinbarung über eine Notmaßnahme der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität auf Antrag eines Mitgliedstaates des Euro-Währungsgebietes,
2.
bei einer wesentlichen Änderung einer Vereinbarung über eine Notmaßnahme, einer Änderung ihrer Instrumente und Bedingungen und bei einer Änderung, die Auswirkungen auf die Höhe des deutschen Gewährleistungsrahmens hat,
3.
bei Änderungen des Rahmenvertrags der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität,
4.
bei der Überführung von Rechten und Verpflichtungen aus der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität in den Europäischen Stabilitätsmechanismus und
5.
bei der Annahme oder einer wesentlichen Änderung der Leitlinien des Direktoriums der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität durch die Bundesregierung.

(3) Soweit ein Aufkauf von Staatsanleihen auf dem Sekundärmarkt geplant ist, kann die Bundesregierung die besondere Vertraulichkeit der Angelegenheit geltend machen. In diesem Fall werden die in Absatz 1 bezeichneten Beteiligungsrechte des Deutschen Bundestages von Mitgliedern des Haushaltsausschusses wahrgenommen, die vom Deutschen Bundestag für eine Legislaturperiode mit der Mehrheit seiner Mitglieder in geheimer Wahl gewählt werden. Die Anzahl der Mitglieder und eine gleich große Anzahl von Stellvertretern ist die kleinstmögliche, bei der jede Fraktion zumindest ein Mitglied benennen kann, die Mehrheitsverhältnisse gewahrt werden und bei der die Zusammensetzung des Plenums widergespiegelt wird (Sondergremium). Das Sondergremium kann der Annahme der besonderen Vertraulichkeit widersprechen. Im Falle des Widerspruchs nimmt der Deutsche Bundestag die in Absatz 1 bezeichneten Beteiligungsrechte wahr. Das Sondergremium berichtet dem Deutschen Bundestag über Inhalt und Ergebnis seiner Beratungen unverzüglich nach Fortfall der besonderen Vertraulichkeit.

(1) Zur Erfüllung der Verpflichtungen aus dem Beitritt zum Europäischen Stabilitätsmechanismus beteiligt sich die Bundesrepublik Deutschland am Gesamtbetrag des einzuzahlenden Kapitals des Europäischen Stabilitätsmechanismus in Höhe von 80 Milliarden Euro mit einem Betrag in Höhe von 21,71712 Milliarden Euro sowie am Gesamtbetrag des abrufbaren Kapitals des Europäischen Stabilitätsmechanismus in Höhe von 620 Milliarden Euro mit einem Betrag in Höhe von 168,30768 Milliarden Euro.

(2) Das Bundesministerium der Finanzen wird ermächtigt, für das abrufbare Kapital in Höhe von 168,30768 Milliarden Euro Gewährleistungen zu übernehmen. Zahlungen auf das abrufbare Kapital sind im Rahmen des Bundeshaushalts zu leisten

1.
nach Artikel 9 Absatz 2 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus zur Wiederherstellung der ursprünglichen Höhe des eingezahlten Kapitals, wenn das eingezahlte Kapital durch den Ausgleich eines Zahlungsausfalls unter die vereinbarte Summe von 80 Milliarden Euro fällt;
2.
nach Artikel 9 Absatz 3 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus zur Vermeidung eines Verzugs des Europäischen Stabilitätsmechanismus bei der Erfüllung seiner Zahlungsverpflichtungen;
3.
nach Artikel 25 Absatz 2 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus im Rahmen eines vorübergehend revidierten erhöhten Kapitalabrufs;
4.
nach Artikel 9 Absatz 1 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus aufgrund eines einstimmigen Beschlusses des Gouverneursrates des Europäischen Stabilitätsmechanismus.

(3) Die Bundesregierung wird ermächtigt, durch ihren Vertreter im Gouverneursrat einem Beschluss nach Artikel 10 Absatz 1 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus zur Veränderung des konsolidierten Darlehensvolumens von Europäischem Stabilitätsmechanismus und Europäischer Finanzstabilisierungsfazilität im Sinne des Artikels 39 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus insoweit zuzustimmen, als Finanzmittel, die für die Durchführung der von der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität bis zum 30. März 2012 zugesagten Notmaßnahmen erforderlich sind, bis zu einer Höhe von 200 Milliarden Euro bei der Berechnung des konsolidierten Darlehensvolumens im Sinne des Artikels 39 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus nicht in Abzug gebracht werden.

(1) Das Grundgesetz kann nur durch ein Gesetz geändert werden, das den Wortlaut des Grundgesetzes ausdrücklich ändert oder ergänzt. Bei völkerrechtlichen Verträgen, die eine Friedensregelung, die Vorbereitung einer Friedensregelung oder den Abbau einer besatzungsrechtlichen Ordnung zum Gegenstand haben oder der Verteidigung der Bundesrepublik zu dienen bestimmt sind, genügt zur Klarstellung, daß die Bestimmungen des Grundgesetzes dem Abschluß und dem Inkraftsetzen der Verträge nicht entgegenstehen, eine Ergänzung des Wortlautes des Grundgesetzes, die sich auf diese Klarstellung beschränkt.

(2) Ein solches Gesetz bedarf der Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages und zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrates.

(3) Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

(1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt.

(2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.

(3) Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen. Wegen der Höhe der Entschädigung steht im Streitfalle der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offen.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

(1) Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.

(2) Wahlberechtigt ist, wer das achtzehnte Lebensjahr vollendet hat; wählbar ist, wer das Alter erreicht hat, mit dem die Volljährigkeit eintritt.

(3) Das Nähere bestimmt ein Bundesgesetz.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

(1) Zur Verwirklichung eines vereinten Europas wirkt die Bundesrepublik Deutschland bei der Entwicklung der Europäischen Union mit, die demokratischen, rechtsstaatlichen, sozialen und föderativen Grundsätzen und dem Grundsatz der Subsidiarität verpflichtet ist und einen diesem Grundgesetz im wesentlichen vergleichbaren Grundrechtsschutz gewährleistet. Der Bund kann hierzu durch Gesetz mit Zustimmung des Bundesrates Hoheitsrechte übertragen. Für die Begründung der Europäischen Union sowie für Änderungen ihrer vertraglichen Grundlagen und vergleichbare Regelungen, durch die dieses Grundgesetz seinem Inhalt nach geändert oder ergänzt wird oder solche Änderungen oder Ergänzungen ermöglicht werden, gilt Artikel 79 Abs. 2 und 3.

(1a) Der Bundestag und der Bundesrat haben das Recht, wegen Verstoßes eines Gesetzgebungsakts der Europäischen Union gegen das Subsidiaritätsprinzip vor dem Gerichtshof der Europäischen Union Klage zu erheben. Der Bundestag ist hierzu auf Antrag eines Viertels seiner Mitglieder verpflichtet. Durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, können für die Wahrnehmung der Rechte, die dem Bundestag und dem Bundesrat in den vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union eingeräumt sind, Ausnahmen von Artikel 42 Abs. 2 Satz 1 und Artikel 52 Abs. 3 Satz 1 zugelassen werden.

(2) In Angelegenheiten der Europäischen Union wirken der Bundestag und durch den Bundesrat die Länder mit. Die Bundesregierung hat den Bundestag und den Bundesrat umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu unterrichten.

(3) Die Bundesregierung gibt dem Bundestag Gelegenheit zur Stellungnahme vor ihrer Mitwirkung an Rechtsetzungsakten der Europäischen Union. Die Bundesregierung berücksichtigt die Stellungnahmen des Bundestages bei den Verhandlungen. Das Nähere regelt ein Gesetz.

(4) Der Bundesrat ist an der Willensbildung des Bundes zu beteiligen, soweit er an einer entsprechenden innerstaatlichen Maßnahme mitzuwirken hätte oder soweit die Länder innerstaatlich zuständig wären.

(5) Soweit in einem Bereich ausschließlicher Zuständigkeiten des Bundes Interessen der Länder berührt sind oder soweit im übrigen der Bund das Recht zur Gesetzgebung hat, berücksichtigt die Bundesregierung die Stellungnahme des Bundesrates. Wenn im Schwerpunkt Gesetzgebungsbefugnisse der Länder, die Einrichtung ihrer Behörden oder ihre Verwaltungsverfahren betroffen sind, ist bei der Willensbildung des Bundes insoweit die Auffassung des Bundesrates maßgeblich zu berücksichtigen; dabei ist die gesamtstaatliche Verantwortung des Bundes zu wahren. In Angelegenheiten, die zu Ausgabenerhöhungen oder Einnahmeminderungen für den Bund führen können, ist die Zustimmung der Bundesregierung erforderlich.

(6) Wenn im Schwerpunkt ausschließliche Gesetzgebungsbefugnisse der Länder auf den Gebieten der schulischen Bildung, der Kultur oder des Rundfunks betroffen sind, wird die Wahrnehmung der Rechte, die der Bundesrepublik Deutschland als Mitgliedstaat der Europäischen Union zustehen, vom Bund auf einen vom Bundesrat benannten Vertreter der Länder übertragen. Die Wahrnehmung der Rechte erfolgt unter Beteiligung und in Abstimmung mit der Bundesregierung; dabei ist die gesamtstaatliche Verantwortung des Bundes zu wahren.

(7) Das Nähere zu den Absätzen 4 bis 6 regelt ein Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf.

(1) Das Grundgesetz kann nur durch ein Gesetz geändert werden, das den Wortlaut des Grundgesetzes ausdrücklich ändert oder ergänzt. Bei völkerrechtlichen Verträgen, die eine Friedensregelung, die Vorbereitung einer Friedensregelung oder den Abbau einer besatzungsrechtlichen Ordnung zum Gegenstand haben oder der Verteidigung der Bundesrepublik zu dienen bestimmt sind, genügt zur Klarstellung, daß die Bestimmungen des Grundgesetzes dem Abschluß und dem Inkraftsetzen der Verträge nicht entgegenstehen, eine Ergänzung des Wortlautes des Grundgesetzes, die sich auf diese Klarstellung beschränkt.

(2) Ein solches Gesetz bedarf der Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages und zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrates.

(3) Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig.

(1) Zur Verwirklichung eines vereinten Europas wirkt die Bundesrepublik Deutschland bei der Entwicklung der Europäischen Union mit, die demokratischen, rechtsstaatlichen, sozialen und föderativen Grundsätzen und dem Grundsatz der Subsidiarität verpflichtet ist und einen diesem Grundgesetz im wesentlichen vergleichbaren Grundrechtsschutz gewährleistet. Der Bund kann hierzu durch Gesetz mit Zustimmung des Bundesrates Hoheitsrechte übertragen. Für die Begründung der Europäischen Union sowie für Änderungen ihrer vertraglichen Grundlagen und vergleichbare Regelungen, durch die dieses Grundgesetz seinem Inhalt nach geändert oder ergänzt wird oder solche Änderungen oder Ergänzungen ermöglicht werden, gilt Artikel 79 Abs. 2 und 3.

(1a) Der Bundestag und der Bundesrat haben das Recht, wegen Verstoßes eines Gesetzgebungsakts der Europäischen Union gegen das Subsidiaritätsprinzip vor dem Gerichtshof der Europäischen Union Klage zu erheben. Der Bundestag ist hierzu auf Antrag eines Viertels seiner Mitglieder verpflichtet. Durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, können für die Wahrnehmung der Rechte, die dem Bundestag und dem Bundesrat in den vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union eingeräumt sind, Ausnahmen von Artikel 42 Abs. 2 Satz 1 und Artikel 52 Abs. 3 Satz 1 zugelassen werden.

(2) In Angelegenheiten der Europäischen Union wirken der Bundestag und durch den Bundesrat die Länder mit. Die Bundesregierung hat den Bundestag und den Bundesrat umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu unterrichten.

(3) Die Bundesregierung gibt dem Bundestag Gelegenheit zur Stellungnahme vor ihrer Mitwirkung an Rechtsetzungsakten der Europäischen Union. Die Bundesregierung berücksichtigt die Stellungnahmen des Bundestages bei den Verhandlungen. Das Nähere regelt ein Gesetz.

(4) Der Bundesrat ist an der Willensbildung des Bundes zu beteiligen, soweit er an einer entsprechenden innerstaatlichen Maßnahme mitzuwirken hätte oder soweit die Länder innerstaatlich zuständig wären.

(5) Soweit in einem Bereich ausschließlicher Zuständigkeiten des Bundes Interessen der Länder berührt sind oder soweit im übrigen der Bund das Recht zur Gesetzgebung hat, berücksichtigt die Bundesregierung die Stellungnahme des Bundesrates. Wenn im Schwerpunkt Gesetzgebungsbefugnisse der Länder, die Einrichtung ihrer Behörden oder ihre Verwaltungsverfahren betroffen sind, ist bei der Willensbildung des Bundes insoweit die Auffassung des Bundesrates maßgeblich zu berücksichtigen; dabei ist die gesamtstaatliche Verantwortung des Bundes zu wahren. In Angelegenheiten, die zu Ausgabenerhöhungen oder Einnahmeminderungen für den Bund führen können, ist die Zustimmung der Bundesregierung erforderlich.

(6) Wenn im Schwerpunkt ausschließliche Gesetzgebungsbefugnisse der Länder auf den Gebieten der schulischen Bildung, der Kultur oder des Rundfunks betroffen sind, wird die Wahrnehmung der Rechte, die der Bundesrepublik Deutschland als Mitgliedstaat der Europäischen Union zustehen, vom Bund auf einen vom Bundesrat benannten Vertreter der Länder übertragen. Die Wahrnehmung der Rechte erfolgt unter Beteiligung und in Abstimmung mit der Bundesregierung; dabei ist die gesamtstaatliche Verantwortung des Bundes zu wahren.

(7) Das Nähere zu den Absätzen 4 bis 6 regelt ein Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf.

(1) Bund und Länder sind in ihrer Haushaltswirtschaft selbständig und voneinander unabhängig.

(2) Bund und Länder erfüllen gemeinsam die Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland aus Rechtsakten der Europäischen Gemeinschaft auf Grund des Artikels 104 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft zur Einhaltung der Haushaltsdisziplin und tragen in diesem Rahmen den Erfordernissen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts Rechnung.

(3) Die Haushalte von Bund und Ländern sind grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen. Bund und Länder können Regelungen zur im Auf- und Abschwung symmetrischen Berücksichtigung der Auswirkungen einer von der Normallage abweichenden konjunkturellen Entwicklung sowie eine Ausnahmeregelung für Naturkatastrophen oder außergewöhnliche Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen, vorsehen. Für die Ausnahmeregelung ist eine entsprechende Tilgungsregelung vorzusehen. Die nähere Ausgestaltung regelt für den Haushalt des Bundes Artikel 115 mit der Maßgabe, dass Satz 1 entsprochen ist, wenn die Einnahmen aus Krediten 0,35 vom Hundert im Verhältnis zum nominalen Bruttoinlandsprodukt nicht überschreiten. Die nähere Ausgestaltung für die Haushalte der Länder regeln diese im Rahmen ihrer verfassungsrechtlichen Kompetenzen mit der Maßgabe, dass Satz 1 nur dann entsprochen ist, wenn keine Einnahmen aus Krediten zugelassen werden.

(4) Durch Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, können für Bund und Länder gemeinsam geltende Grundsätze für das Haushaltsrecht, für eine konjunkturgerechte Haushaltswirtschaft und für eine mehrjährige Finanzplanung aufgestellt werden.

(5) Sanktionsmaßnahmen der Europäischen Gemeinschaft im Zusammenhang mit den Bestimmungen in Artikel 104 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft zur Einhaltung der Haushaltsdisziplin tragen Bund und Länder im Verhältnis 65 zu 35. Die Ländergesamtheit trägt solidarisch 35 vom Hundert der auf die Länder entfallenden Lasten entsprechend ihrer Einwohnerzahl; 65 vom Hundert der auf die Länder entfallenden Lasten tragen die Länder entsprechend ihrem Verursachungsbeitrag. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf.

(1) Die Aufnahme von Krediten sowie die Übernahme von Bürgschaften, Garantien oder sonstigen Gewährleistungen, die zu Ausgaben in künftigen Rechnungsjahren führen können, bedürfen einer der Höhe nach bestimmten oder bestimmbaren Ermächtigung durch Bundesgesetz.

(2) Einnahmen und Ausgaben sind grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen. Diesem Grundsatz ist entsprochen, wenn die Einnahmen aus Krediten 0,35 vom Hundert im Verhältnis zum nominalen Bruttoinlandsprodukt nicht überschreiten. Zusätzlich sind bei einer von der Normallage abweichenden konjunkturellen Entwicklung die Auswirkungen auf den Haushalt im Auf- und Abschwung symmetrisch zu berücksichtigen. Abweichungen der tatsächlichen Kreditaufnahme von der nach den Sätzen 1 bis 3 zulässigen Kreditobergrenze werden auf einem Kontrollkonto erfasst; Belastungen, die den Schwellenwert von 1,5 vom Hundert im Verhältnis zum nominalen Bruttoinlandsprodukt überschreiten, sind konjunkturgerecht zurückzuführen. Näheres, insbesondere die Bereinigung der Einnahmen und Ausgaben um finanzielle Transaktionen und das Verfahren zur Berechnung der Obergrenze der jährlichen Nettokreditaufnahme unter Berücksichtigung der konjunkturellen Entwicklung auf der Grundlage eines Konjunkturbereinigungsverfahrens sowie die Kontrolle und den Ausgleich von Abweichungen der tatsächlichen Kreditaufnahme von der Regelgrenze, regelt ein Bundesgesetz. Im Falle von Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen, können diese Kreditobergrenzen auf Grund eines Beschlusses der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages überschritten werden. Der Beschluss ist mit einem Tilgungsplan zu verbinden. Die Rückführung der nach Satz 6 aufgenommenen Kredite hat binnen eines angemessenen Zeitraumes zu erfolgen.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

(1) Zur Verwirklichung eines vereinten Europas wirkt die Bundesrepublik Deutschland bei der Entwicklung der Europäischen Union mit, die demokratischen, rechtsstaatlichen, sozialen und föderativen Grundsätzen und dem Grundsatz der Subsidiarität verpflichtet ist und einen diesem Grundgesetz im wesentlichen vergleichbaren Grundrechtsschutz gewährleistet. Der Bund kann hierzu durch Gesetz mit Zustimmung des Bundesrates Hoheitsrechte übertragen. Für die Begründung der Europäischen Union sowie für Änderungen ihrer vertraglichen Grundlagen und vergleichbare Regelungen, durch die dieses Grundgesetz seinem Inhalt nach geändert oder ergänzt wird oder solche Änderungen oder Ergänzungen ermöglicht werden, gilt Artikel 79 Abs. 2 und 3.

(1a) Der Bundestag und der Bundesrat haben das Recht, wegen Verstoßes eines Gesetzgebungsakts der Europäischen Union gegen das Subsidiaritätsprinzip vor dem Gerichtshof der Europäischen Union Klage zu erheben. Der Bundestag ist hierzu auf Antrag eines Viertels seiner Mitglieder verpflichtet. Durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, können für die Wahrnehmung der Rechte, die dem Bundestag und dem Bundesrat in den vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union eingeräumt sind, Ausnahmen von Artikel 42 Abs. 2 Satz 1 und Artikel 52 Abs. 3 Satz 1 zugelassen werden.

(2) In Angelegenheiten der Europäischen Union wirken der Bundestag und durch den Bundesrat die Länder mit. Die Bundesregierung hat den Bundestag und den Bundesrat umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu unterrichten.

(3) Die Bundesregierung gibt dem Bundestag Gelegenheit zur Stellungnahme vor ihrer Mitwirkung an Rechtsetzungsakten der Europäischen Union. Die Bundesregierung berücksichtigt die Stellungnahmen des Bundestages bei den Verhandlungen. Das Nähere regelt ein Gesetz.

(4) Der Bundesrat ist an der Willensbildung des Bundes zu beteiligen, soweit er an einer entsprechenden innerstaatlichen Maßnahme mitzuwirken hätte oder soweit die Länder innerstaatlich zuständig wären.

(5) Soweit in einem Bereich ausschließlicher Zuständigkeiten des Bundes Interessen der Länder berührt sind oder soweit im übrigen der Bund das Recht zur Gesetzgebung hat, berücksichtigt die Bundesregierung die Stellungnahme des Bundesrates. Wenn im Schwerpunkt Gesetzgebungsbefugnisse der Länder, die Einrichtung ihrer Behörden oder ihre Verwaltungsverfahren betroffen sind, ist bei der Willensbildung des Bundes insoweit die Auffassung des Bundesrates maßgeblich zu berücksichtigen; dabei ist die gesamtstaatliche Verantwortung des Bundes zu wahren. In Angelegenheiten, die zu Ausgabenerhöhungen oder Einnahmeminderungen für den Bund führen können, ist die Zustimmung der Bundesregierung erforderlich.

(6) Wenn im Schwerpunkt ausschließliche Gesetzgebungsbefugnisse der Länder auf den Gebieten der schulischen Bildung, der Kultur oder des Rundfunks betroffen sind, wird die Wahrnehmung der Rechte, die der Bundesrepublik Deutschland als Mitgliedstaat der Europäischen Union zustehen, vom Bund auf einen vom Bundesrat benannten Vertreter der Länder übertragen. Die Wahrnehmung der Rechte erfolgt unter Beteiligung und in Abstimmung mit der Bundesregierung; dabei ist die gesamtstaatliche Verantwortung des Bundes zu wahren.

(7) Das Nähere zu den Absätzen 4 bis 6 regelt ein Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf.

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

(1) Gesetzesvorlagen werden beim Bundestage durch die Bundesregierung, aus der Mitte des Bundestages oder durch den Bundesrat eingebracht.

(2) Vorlagen der Bundesregierung sind zunächst dem Bundesrat zuzuleiten. Der Bundesrat ist berechtigt, innerhalb von sechs Wochen zu diesen Vorlagen Stellung zu nehmen. Verlangt er aus wichtigem Grunde, insbesondere mit Rücksicht auf den Umfang einer Vorlage, eine Fristverlängerung, so beträgt die Frist neun Wochen. Die Bundesregierung kann eine Vorlage, die sie bei der Zuleitung an den Bundesrat ausnahmsweise als besonders eilbedürftig bezeichnet hat, nach drei Wochen oder, wenn der Bundesrat ein Verlangen nach Satz 3 geäußert hat, nach sechs Wochen dem Bundestag zuleiten, auch wenn die Stellungnahme des Bundesrates noch nicht bei ihr eingegangen ist; sie hat die Stellungnahme des Bundesrates unverzüglich nach Eingang dem Bundestag nachzureichen. Bei Vorlagen zur Änderung dieses Grundgesetzes und zur Übertragung von Hoheitsrechten nach Artikel 23 oder Artikel 24 beträgt die Frist zur Stellungnahme neun Wochen; Satz 4 findet keine Anwendung.

(3) Vorlagen des Bundesrates sind dem Bundestag durch die Bundesregierung innerhalb von sechs Wochen zuzuleiten. Sie soll hierbei ihre Auffassung darlegen. Verlangt sie aus wichtigem Grunde, insbesondere mit Rücksicht auf den Umfang einer Vorlage, eine Fristverlängerung, so beträgt die Frist neun Wochen. Wenn der Bundesrat eine Vorlage ausnahmsweise als besonders eilbedürftig bezeichnet hat, beträgt die Frist drei Wochen oder, wenn die Bundesregierung ein Verlangen nach Satz 3 geäußert hat, sechs Wochen. Bei Vorlagen zur Änderung dieses Grundgesetzes und zur Übertragung von Hoheitsrechten nach Artikel 23 oder Artikel 24 beträgt die Frist neun Wochen; Satz 4 findet keine Anwendung. Der Bundestag hat über die Vorlagen in angemessener Frist zu beraten und Beschluß zu fassen.

(1) Bund und Länder sind in ihrer Haushaltswirtschaft selbständig und voneinander unabhängig.

(2) Bund und Länder erfüllen gemeinsam die Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland aus Rechtsakten der Europäischen Gemeinschaft auf Grund des Artikels 104 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft zur Einhaltung der Haushaltsdisziplin und tragen in diesem Rahmen den Erfordernissen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts Rechnung.

(3) Die Haushalte von Bund und Ländern sind grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen. Bund und Länder können Regelungen zur im Auf- und Abschwung symmetrischen Berücksichtigung der Auswirkungen einer von der Normallage abweichenden konjunkturellen Entwicklung sowie eine Ausnahmeregelung für Naturkatastrophen oder außergewöhnliche Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen, vorsehen. Für die Ausnahmeregelung ist eine entsprechende Tilgungsregelung vorzusehen. Die nähere Ausgestaltung regelt für den Haushalt des Bundes Artikel 115 mit der Maßgabe, dass Satz 1 entsprochen ist, wenn die Einnahmen aus Krediten 0,35 vom Hundert im Verhältnis zum nominalen Bruttoinlandsprodukt nicht überschreiten. Die nähere Ausgestaltung für die Haushalte der Länder regeln diese im Rahmen ihrer verfassungsrechtlichen Kompetenzen mit der Maßgabe, dass Satz 1 nur dann entsprochen ist, wenn keine Einnahmen aus Krediten zugelassen werden.

(4) Durch Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, können für Bund und Länder gemeinsam geltende Grundsätze für das Haushaltsrecht, für eine konjunkturgerechte Haushaltswirtschaft und für eine mehrjährige Finanzplanung aufgestellt werden.

(5) Sanktionsmaßnahmen der Europäischen Gemeinschaft im Zusammenhang mit den Bestimmungen in Artikel 104 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft zur Einhaltung der Haushaltsdisziplin tragen Bund und Länder im Verhältnis 65 zu 35. Die Ländergesamtheit trägt solidarisch 35 vom Hundert der auf die Länder entfallenden Lasten entsprechend ihrer Einwohnerzahl; 65 vom Hundert der auf die Länder entfallenden Lasten tragen die Länder entsprechend ihrem Verursachungsbeitrag. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf.

(1) Die Aufnahme von Krediten sowie die Übernahme von Bürgschaften, Garantien oder sonstigen Gewährleistungen, die zu Ausgaben in künftigen Rechnungsjahren führen können, bedürfen einer der Höhe nach bestimmten oder bestimmbaren Ermächtigung durch Bundesgesetz.

(2) Einnahmen und Ausgaben sind grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen. Diesem Grundsatz ist entsprochen, wenn die Einnahmen aus Krediten 0,35 vom Hundert im Verhältnis zum nominalen Bruttoinlandsprodukt nicht überschreiten. Zusätzlich sind bei einer von der Normallage abweichenden konjunkturellen Entwicklung die Auswirkungen auf den Haushalt im Auf- und Abschwung symmetrisch zu berücksichtigen. Abweichungen der tatsächlichen Kreditaufnahme von der nach den Sätzen 1 bis 3 zulässigen Kreditobergrenze werden auf einem Kontrollkonto erfasst; Belastungen, die den Schwellenwert von 1,5 vom Hundert im Verhältnis zum nominalen Bruttoinlandsprodukt überschreiten, sind konjunkturgerecht zurückzuführen. Näheres, insbesondere die Bereinigung der Einnahmen und Ausgaben um finanzielle Transaktionen und das Verfahren zur Berechnung der Obergrenze der jährlichen Nettokreditaufnahme unter Berücksichtigung der konjunkturellen Entwicklung auf der Grundlage eines Konjunkturbereinigungsverfahrens sowie die Kontrolle und den Ausgleich von Abweichungen der tatsächlichen Kreditaufnahme von der Regelgrenze, regelt ein Bundesgesetz. Im Falle von Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen, können diese Kreditobergrenzen auf Grund eines Beschlusses der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages überschritten werden. Der Beschluss ist mit einem Tilgungsplan zu verbinden. Die Rückführung der nach Satz 6 aufgenommenen Kredite hat binnen eines angemessenen Zeitraumes zu erfolgen.

(1) Artikel 109 und 115 in der bis zum 31. Juli 2009 geltenden Fassung sind letztmals auf das Haushaltsjahr 2010 anzuwenden. Artikel 109 und 115 in der ab dem 1. August 2009 geltenden Fassung sind erstmals für das Haushaltsjahr 2011 anzuwenden; am 31. Dezember 2010 bestehende Kreditermächtigungen für bereits eingerichtete Sondervermögen bleiben unberührt. Die Länder dürfen im Zeitraum vom 1. Januar 2011 bis zum 31. Dezember 2019 nach Maßgabe der geltenden landesrechtlichen Regelungen von den Vorgaben des Artikels 109 Absatz 3 abweichen. Die Haushalte der Länder sind so aufzustellen, dass im Haushaltsjahr 2020 die Vorgabe aus Artikel 109 Absatz 3 Satz 5 erfüllt wird. Der Bund kann im Zeitraum vom 1. Januar 2011 bis zum 31. Dezember 2015 von der Vorgabe des Artikels 115 Absatz 2 Satz 2 abweichen. Mit dem Abbau des bestehenden Defizits soll im Haushaltsjahr 2011 begonnen werden. Die jährlichen Haushalte sind so aufzustellen, dass im Haushaltsjahr 2016 die Vorgabe aus Artikel 115 Absatz 2 Satz 2 erfüllt wird; das Nähere regelt ein Bundesgesetz.

(2) Als Hilfe zur Einhaltung der Vorgaben des Artikels 109 Absatz 3 ab dem 1. Januar 2020 können den Ländern Berlin, Bremen, Saarland, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein für den Zeitraum 2011 bis 2019 Konsolidierungshilfen aus dem Haushalt des Bundes in Höhe von insgesamt 800 Millionen Euro jährlich gewährt werden. Davon entfallen auf Bremen 300 Millionen Euro, auf das Saarland 260 Millionen Euro und auf Berlin, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein jeweils 80 Millionen Euro. Die Hilfen werden auf der Grundlage einer Verwaltungsvereinbarung nach Maßgabe eines Bundesgesetzes mit Zustimmung des Bundesrates geleistet. Die Gewährung der Hilfen setzt einen vollständigen Abbau der Finanzierungsdefizite bis zum Jahresende 2020 voraus. Das Nähere, insbesondere die jährlichen Abbauschritte der Finanzierungsdefizite, die Überwachung des Abbaus der Finanzierungsdefizite durch den Stabilitätsrat sowie die Konsequenzen im Falle der Nichteinhaltung der Abbauschritte, wird durch Bundesgesetz mit Zustimmung des Bundesrates und durch Verwaltungsvereinbarung geregelt. Die gleichzeitige Gewährung der Konsolidierungshilfen und Sanierungshilfen auf Grund einer extremen Haushaltsnotlage ist ausgeschlossen.

(3) Die sich aus der Gewährung der Konsolidierungshilfen ergebende Finanzierungslast wird hälftig von Bund und Ländern, von letzteren aus ihrem Umsatzsteueranteil, getragen. Das Nähere wird durch Bundesgesetz mit Zustimmung des Bundesrates geregelt.

(4) Als Hilfe zur künftig eigenständigen Einhaltung der Vorgaben des Artikels 109 Absatz 3 können den Ländern Bremen und Saarland ab dem 1. Januar 2020 Sanierungshilfen in Höhe von jährlich insgesamt 800 Millionen Euro aus dem Haushalt des Bundes gewährt werden. Die Länder ergreifen hierzu Maßnahmen zum Abbau der übermäßigen Verschuldung sowie zur Stärkung der Wirtschafts- und Finanzkraft. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf. Die gleichzeitige Gewährung der Sanierungshilfen und Sanierungshilfen auf Grund einer extremen Haushaltsnotlage ist ausgeschlossen.

(1) Die Aufnahme von Krediten sowie die Übernahme von Bürgschaften, Garantien oder sonstigen Gewährleistungen, die zu Ausgaben in künftigen Rechnungsjahren führen können, bedürfen einer der Höhe nach bestimmten oder bestimmbaren Ermächtigung durch Bundesgesetz.

(2) Einnahmen und Ausgaben sind grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen. Diesem Grundsatz ist entsprochen, wenn die Einnahmen aus Krediten 0,35 vom Hundert im Verhältnis zum nominalen Bruttoinlandsprodukt nicht überschreiten. Zusätzlich sind bei einer von der Normallage abweichenden konjunkturellen Entwicklung die Auswirkungen auf den Haushalt im Auf- und Abschwung symmetrisch zu berücksichtigen. Abweichungen der tatsächlichen Kreditaufnahme von der nach den Sätzen 1 bis 3 zulässigen Kreditobergrenze werden auf einem Kontrollkonto erfasst; Belastungen, die den Schwellenwert von 1,5 vom Hundert im Verhältnis zum nominalen Bruttoinlandsprodukt überschreiten, sind konjunkturgerecht zurückzuführen. Näheres, insbesondere die Bereinigung der Einnahmen und Ausgaben um finanzielle Transaktionen und das Verfahren zur Berechnung der Obergrenze der jährlichen Nettokreditaufnahme unter Berücksichtigung der konjunkturellen Entwicklung auf der Grundlage eines Konjunkturbereinigungsverfahrens sowie die Kontrolle und den Ausgleich von Abweichungen der tatsächlichen Kreditaufnahme von der Regelgrenze, regelt ein Bundesgesetz. Im Falle von Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen, können diese Kreditobergrenzen auf Grund eines Beschlusses der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages überschritten werden. Der Beschluss ist mit einem Tilgungsplan zu verbinden. Die Rückführung der nach Satz 6 aufgenommenen Kredite hat binnen eines angemessenen Zeitraumes zu erfolgen.

(1) In Angelegenheiten des Europäischen Stabilitätsmechanismus, die die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Deutschen Bundestages betreffen, wird diese vom Plenum des Deutschen Bundestages wahrgenommen. Die haushaltspolitische Gesamtverantwortung ist insbesondere betroffen

1.
bei der Entscheidung nach Artikel 13 Absatz 2 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus, einer Vertragspartei des Europäischen Stabilitätsmechanismus auf deren Hilfeersuchen Stabilitätshilfe in Form einer im Vertrag zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus vorgesehenen Finanzhilfefazilität zu gewähren,
2.
bei der Annahme einer Vereinbarung über die Finanzhilfefazilität nach Artikel 13 Absatz 3 Satz 3 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus, einer Zustimmung zu einem entsprechenden Memorandum of Understanding nach Artikel 13 Absatz 4 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus und im Falle der Gewährung einer direkt an Finanzinstitute gewährten Finanzhilfe bei der Annahme einer institutsspezifischen Vereinbarung,
3.
bei Beschlüssen im Rahmen des Europäischen Stabilitätsmechanismus zur Veränderung des genehmigten Stammkapitals sowie des maximalen Darlehensvolumens nach Artikel 10 Absatz 1 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus; Artikel 2 Absatz 1 des Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. Februar 2012 zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus bleibt unberührt,
4.
bei Beschlüssen im Rahmen des Europäischen Stabilitätsmechanismus über die Festlegung und Änderung von Obergrenzen der für ein bestimmtes Finanzhilfeinstrument insgesamt zur Verfügung stehenden Mittel.

(2) In den Fällen, die die haushaltspolitische Gesamtverantwortung betreffen, darf die Bundesregierung einem Beschlussvorschlag in Angelegenheiten des Europäischen Stabilitätsmechanismus durch ihren Vertreter nur zustimmen oder sich bei einer Beschlussfassung enthalten, nachdem das Plenum hierzu einen zustimmenden Beschluss gefasst hat. Ohne einen solchen Beschluss des Plenums muss der deutsche Vertreter den Beschlussvorschlag ablehnen. Der Vertreter der Bundesregierung hat an der Beschlussfassung teilzunehmen.

(3) Werden gemäß Artikel 5 Absatz 6 Buchstabe m des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus Aufgaben des Gouverneursrates auf das Direktorium übertragen, gelten die §§ 3 bis 6 entsprechend.

(1) Die Bundesregierung hat den Deutschen Bundestag und den Bundesrat in Angelegenheiten dieses Gesetzes umfassend, zum frühestmöglichen Zeitpunkt, fortlaufend und in der Regel schriftlich zu unterrichten. Sie hat dem Deutschen Bundestag in Angelegenheiten, die seine Kompetenzen betreffen, Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben und seine Stellungnahmen zu berücksichtigen.

(2) Die Bundesregierung übermittelt dem Deutschen Bundestag alle ihr zur Verfügung stehenden Dokumente zur Ausübung der Beteiligungsrechte des Deutschen Bundestages. Sie übermittelt diese Dokumente auch dem Bundesrat.

(3) Dem besonderen Schutzbedürfnis laufender vertraulicher Verhandlungen tragen der Deutsche Bundestag und der Bundesrat durch eine vertrauliche Behandlung Rechnung.

(4) Im Falle des Stabilitätshilfeersuchens einer Vertragspartei des Europäischen Stabilitätsmechanismus nach Artikel 13 Absatz 1 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus übermittelt die Bundesregierung dem Deutschen Bundestag und dem Bundesrat binnen sieben Tagen nach Antragstellung eine erste Einschätzung zu Inhalt und Umfang der beantragten Hilfen. Beabsichtigt die Bundesregierung, der Gewährung von Stabilitätshilfe nach Artikel 13 Absatz 2 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus zuzustimmen, übermittelt sie rechtzeitig eine umfassende Einschätzung zu Inhalt und Umfang der beantragten Hilfen sowie eine Stellungnahme zu der Bewertung der Europäischen Kommission nach Artikel 13 Absatz 1 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus und eine Abschätzung der finanziellen Folgen.

(5) Der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages ist darüber hinaus regelmäßig über das Finanzmanagement des Europäischen Stabilitätsmechanismus im Sinne des Kapitels 5 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus schriftlich zu unterrichten. Die Bundesregierung übermittelt ihm zudem die nach Artikel 27 Absatz 2 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus zusammengefassten Quartalsabschlüsse sowie die Gewinn- und Verlustrechnung des Europäischen Stabilitätsmechanismus.

(6) Die fortlaufende Unterrichtung der Bundesregierung enthält auch Angaben zur jeweiligen Berücksichtigung der nach diesem Gesetz abgegebenen Stellungnahmen des Deutschen Bundestages und des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages bei den Verhandlungen.

(7) Die Unterrichtungspflichten nach den Absätzen 1 bis 6 können in Fällen besonderer Vertraulichkeit nach § 6 Absatz 1 auf die Mitglieder des Sondergremiums beschränkt werden, solange die Gründe für die besondere Vertraulichkeit bestehen. Nach Fortfall dieser Gründe holt die Bundesregierung die Unterrichtung des Deutschen Bundestages unverzüglich nach.

(8) Die Informationen zur Unterrichtung nach Absatz 5 lässt die Bundesregierung dem Bundesrat ebenfalls zukommen. Die fortlaufende Unterrichtung der Bundesregierung enthält auch Angaben zur jeweiligen Berücksichtigung von Stellungnahmen des Bundesrates in Angelegenheiten dieses Gesetzes. In den Fällen des Absatzes 7 wird der Bundesrat dann informiert, wenn die Gründe für die besondere Vertraulichkeit nicht mehr vorliegen.

(9) Die von Deutschland oder vom deutschen Gouverneur ernannten Vertreter im Europäischen Stabilitätsmechanismus dürfen sich gegenüber einem Auskunftsverlangen des Deutschen Bundestages sowie seiner Ausschüsse und Mitglieder nicht auf die Schweigepflicht nach Artikel 34 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus berufen.

(10) Die Rechte des Deutschen Bundestages aus dem Gesetz über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union und die Rechte des Bundesrates aus dem Gesetz über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union bleiben unberührt.

(1) In allen sonstigen die Haushaltsverantwortung des Deutschen Bundestages berührenden Angelegenheiten des Europäischen Stabilitätsmechanismus, in denen eine Entscheidung des Plenums gemäß § 4 nicht vorgesehen ist, wird der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages beteiligt. Der Haushaltsausschuss überwacht die Vorbereitung und Durchführung der Vereinbarungen über Stabilitätshilfen.

(2) Der vorherigen Zustimmung des Haushaltsausschusses bedürfen:

1.
Entscheidungen über die Bereitstellung zusätzlicher Instrumente ohne Änderung des Gesamtfinanzierungsvolumens einer bestehenden Finanzhilfefazilität oder wesentliche Änderungen der Bedingungen der Finanzhilfefazilität,
2.
Beschlüsse über den Abruf von Kapital nach Artikel 9 Absatz 1 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus sowie die Annahme oder wesentliche Änderung der Regelungen und Bedingungen, die für Kapitalabrufe nach Artikel 9 Absatz 4 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus gelten,
3.
die Annahme oder wesentliche Änderung der Leitlinien für die Durchführungsmodalitäten der einzelnen dem Europäischen Stabilitätsmechanismus nach den Artikeln 14 bis 18 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus sowie gemäß einem Beschluss nach Artikel 19 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus zur Verfügung stehenden Finanzhilfeinstrumente, der Preisgestaltungsleitlinien nach Artikel 20 Absatz 2 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus, der Leitlinien für Anleiheoperationen nach Artikel 21 Absatz 2 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus, der Leitlinien für die Anlagepolitik nach Artikel 22 Absatz 1 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus, der Leitlinien für die Dividendenpolitik nach Artikel 23 Absatz 3 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus und der Vorschriften für die Einrichtung, Verwaltung und Verwendung weiterer Fonds nach Artikel 24 Absatz 4 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus,
4.
die ausführlichen Regelungen und Bedingungen für Kapitalveränderungen nach Artikel 10 Absatz 2 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus,
5.
die Annahme von Bestimmungen oder Auslegungen zur Regelung der beruflichen Schweigepflicht nach Artikel 34 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus.
Die Bundesregierung darf in diesen Fällen einem Beschlussvorschlag in Angelegenheiten des Europäischen Stabilitätsmechanismus durch ihren Vertreter nur zustimmen oder sich bei einer Beschlussfassung enthalten, nachdem der Haushaltsausschuss hierzu einen zustimmenden Beschluss gefasst hat. Einen entsprechenden Antrag im Haushaltsausschuss kann auch die Bundesregierung stellen. Ohne einen solchen Beschluss des Haushaltsausschusses muss der deutsche Vertreter den Beschlussvorschlag ablehnen. Der Vertreter der Bundesregierung hat an der Beschlussfassung teilzunehmen.

(3) In den nicht von Absatz 2 erfassten Fällen, die die Haushaltsverantwortung des Deutschen Bundestages berühren, hat die Bundesregierung den Haushaltsausschuss zu beteiligen und seine Stellungnahmen zu berücksichtigen. Dies gilt insbesondere bei Beschlüssen über die Auszahlung einzelner Tranchen der gewährten Stabilitätshilfe.

(4) Der von Deutschland nach Artikel 5 Absatz 1 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus ernannte Gouverneur und dessen Stellvertreter sind verpflichtet, den Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages auf Verlangen mindestens eines Viertels seiner Mitglieder, das mindestens von zwei Fraktionen im Ausschuss unterstützt werden muss, zu informieren und Auskünfte zu erteilen, soweit nicht Tatbestände nach § 6 dieses Gesetzes betroffen sind.

(5) Das Plenum des Deutschen Bundestags kann die Befugnisse des Haushaltsausschusses jederzeit durch einen mit einfacher Mehrheit gefassten Beschluss an sich ziehen und durch einfachen Beschluss ausüben.

(6) Ein Antrag oder eine Vorlage der Bundesregierung gilt als dem Haushaltsausschuss überwiesen im Sinne der Geschäftsordnung des Bundestages. § 70 der Geschäftsordnung gilt entsprechend, wobei das Verlangen eines Viertels der Mitglieder des Haushaltsausschusses von mindestens zwei Fraktionen im Ausschuss unterstützt werden muss.

(1) Soweit ein Aufkauf von Staatsanleihen auf dem Sekundärmarkt nach Artikel 18 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus geplant ist, kann die Bundesregierung die besondere Vertraulichkeit der Angelegenheit geltend machen. Die besondere Vertraulichkeit liegt vor, sofern bereits die Tatsache der Beratung oder Beschlussfassung geheim gehalten werden muss, um den Erfolg der Maßnahme nicht zu vereiteln. Die Annahme der besonderen Vertraulichkeit ist von der Bundesregierung zu begründen.

(2) In diesem Fall können die in den §§ 4 und 5 bezeichneten Beteiligungsrechte von Mitgliedern des Haushaltsausschusses wahrgenommen werden, die vom Deutschen Bundestag für die Dauer einer Legislaturperiode in geheimer Wahl mit der Mehrheit der Mitglieder des Deutschen Bundestages gewählt werden (Sondergremium). Die Anzahl der Mitglieder und eine gleich große Anzahl von Stellvertretern ist die kleinstmögliche, bei der jede Fraktion zumindest ein Mitglied benennen kann, die Mehrheitsverhältnisse gewahrt werden und bei der die Zusammensetzung des Plenums widergespiegelt wird. Das nach § 3 Absatz 3 des Stabilisierungsmechanismusgesetzes gewählte Sondergremium nimmt die Rechte nach diesem Gesetz wahr. Eine Wahl nach den Sätzen 1 und 2 findet erstmals in der Wahlperiode statt, in der nach Außerkrafttreten des Stabilisierungsmechanismusgesetzes kein Gremium nach § 3 Absatz 3 des Stabilisierungsmechanismusgesetzes gewählt werden kann.

(3) Das Sondergremium kann der Annahme der besonderen Vertraulichkeit unverzüglich widersprechen. Im Falle des Widerspruchs nehmen das Plenum die in § 4 und der Haushaltsausschuss die in § 5 bezeichneten Beteiligungsrechte wahr.

(4) Das Sondergremium berichtet dem Deutschen Bundestag über Inhalt und Ergebnis seiner Beratungen, sobald die Gründe für die besondere Vertraulichkeit entfallen sind.

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

(1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt.

(2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.

(3) Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen. Wegen der Höhe der Entschädigung steht im Streitfalle der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offen.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

(1) Artikel 109 und 115 in der bis zum 31. Juli 2009 geltenden Fassung sind letztmals auf das Haushaltsjahr 2010 anzuwenden. Artikel 109 und 115 in der ab dem 1. August 2009 geltenden Fassung sind erstmals für das Haushaltsjahr 2011 anzuwenden; am 31. Dezember 2010 bestehende Kreditermächtigungen für bereits eingerichtete Sondervermögen bleiben unberührt. Die Länder dürfen im Zeitraum vom 1. Januar 2011 bis zum 31. Dezember 2019 nach Maßgabe der geltenden landesrechtlichen Regelungen von den Vorgaben des Artikels 109 Absatz 3 abweichen. Die Haushalte der Länder sind so aufzustellen, dass im Haushaltsjahr 2020 die Vorgabe aus Artikel 109 Absatz 3 Satz 5 erfüllt wird. Der Bund kann im Zeitraum vom 1. Januar 2011 bis zum 31. Dezember 2015 von der Vorgabe des Artikels 115 Absatz 2 Satz 2 abweichen. Mit dem Abbau des bestehenden Defizits soll im Haushaltsjahr 2011 begonnen werden. Die jährlichen Haushalte sind so aufzustellen, dass im Haushaltsjahr 2016 die Vorgabe aus Artikel 115 Absatz 2 Satz 2 erfüllt wird; das Nähere regelt ein Bundesgesetz.

(2) Als Hilfe zur Einhaltung der Vorgaben des Artikels 109 Absatz 3 ab dem 1. Januar 2020 können den Ländern Berlin, Bremen, Saarland, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein für den Zeitraum 2011 bis 2019 Konsolidierungshilfen aus dem Haushalt des Bundes in Höhe von insgesamt 800 Millionen Euro jährlich gewährt werden. Davon entfallen auf Bremen 300 Millionen Euro, auf das Saarland 260 Millionen Euro und auf Berlin, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein jeweils 80 Millionen Euro. Die Hilfen werden auf der Grundlage einer Verwaltungsvereinbarung nach Maßgabe eines Bundesgesetzes mit Zustimmung des Bundesrates geleistet. Die Gewährung der Hilfen setzt einen vollständigen Abbau der Finanzierungsdefizite bis zum Jahresende 2020 voraus. Das Nähere, insbesondere die jährlichen Abbauschritte der Finanzierungsdefizite, die Überwachung des Abbaus der Finanzierungsdefizite durch den Stabilitätsrat sowie die Konsequenzen im Falle der Nichteinhaltung der Abbauschritte, wird durch Bundesgesetz mit Zustimmung des Bundesrates und durch Verwaltungsvereinbarung geregelt. Die gleichzeitige Gewährung der Konsolidierungshilfen und Sanierungshilfen auf Grund einer extremen Haushaltsnotlage ist ausgeschlossen.

(3) Die sich aus der Gewährung der Konsolidierungshilfen ergebende Finanzierungslast wird hälftig von Bund und Ländern, von letzteren aus ihrem Umsatzsteueranteil, getragen. Das Nähere wird durch Bundesgesetz mit Zustimmung des Bundesrates geregelt.

(4) Als Hilfe zur künftig eigenständigen Einhaltung der Vorgaben des Artikels 109 Absatz 3 können den Ländern Bremen und Saarland ab dem 1. Januar 2020 Sanierungshilfen in Höhe von jährlich insgesamt 800 Millionen Euro aus dem Haushalt des Bundes gewährt werden. Die Länder ergreifen hierzu Maßnahmen zum Abbau der übermäßigen Verschuldung sowie zur Stärkung der Wirtschafts- und Finanzkraft. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf. Die gleichzeitige Gewährung der Sanierungshilfen und Sanierungshilfen auf Grund einer extremen Haushaltsnotlage ist ausgeschlossen.

(1) Dem Antragsteller und dem Antragsgegner können in jeder Lage des Verfahrens andere in § 63 genannte Antragsberechtigte beitreten, wenn die Entscheidung auch für die Abgrenzung ihrer Zuständigkeiten von Bedeutung ist.

(2) Das Bundesverfassungsgericht gibt von der Einleitung des Verfahrens dem Bundespräsidenten, dem Bundestag, dem Bundesrat und der Bundesregierung Kenntnis.

(1) Das Bundesverfassungsgericht gibt dem Verfassungsorgan des Bundes oder des Landes, dessen Handlung oder Unterlassung in der Verfassungsbeschwerde beanstandet wird, Gelegenheit, sich binnen einer zu bestimmenden Frist zu äußern.

(2) Ging die Handlung oder Unterlassung von einem Minister oder einer Behörde des Bundes oder des Landes aus, so ist dem zuständigen Minister Gelegenheit zur Äußerung zu geben.

(3) Richtet sich die Verfassungsbeschwerde gegen eine gerichtliche Entscheidung, so gibt das Bundesverfassungsgericht auch dem durch die Entscheidung Begünstigten Gelegenheit zur Äußerung.

(4) Richtet sich die Verfassungsbeschwerde unmittelbar oder mittelbar gegen ein Gesetz, so ist § 77 entsprechend anzuwenden.

(5) Die in den Absätzen 1, 2 und 4 genannten Verfassungsorgane können dem Verfahren beitreten. Das Bundesverfassungsgericht kann von mündlicher Verhandlung absehen, wenn von ihr keine weitere Förderung des Verfahrens zu erwarten ist und die zur Äußerung berechtigten Verfassungsorgane, die dem Verfahren beigetreten sind, auf mündliche Verhandlung verzichten.

(1) Das Bundesverfassungsgericht kann im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist.

(2) Die einstweilige Anordnung kann ohne mündliche Verhandlung ergehen. Bei besonderer Dringlichkeit kann das Bundesverfassungsgericht davon absehen, den am Verfahren zur Hauptsache Beteiligten, zum Beitritt Berechtigten oder Äußerungsberechtigten Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.

(3) Wird die einstweilige Anordnung durch Beschluß erlassen oder abgelehnt, so kann Widerspruch erhoben werden. Das gilt nicht für den Beschwerdeführer im Verfahren der Verfassungsbeschwerde. Über den Widerspruch entscheidet das Bundesverfassungsgericht nach mündlicher Verhandlung. Diese muß binnen zwei Wochen nach dem Eingang der Begründung des Widerspruchs stattfinden.

(4) Der Widerspruch gegen die einstweilige Anordnung hat keine aufschiebende Wirkung. Das Bundesverfassungsgericht kann die Vollziehung der einstweiligen Anordnung aussetzen.

(5) Das Bundesverfassungsgericht kann die Entscheidung über die einstweilige Anordnung oder über den Widerspruch ohne Begründung bekanntgeben. In diesem Fall ist die Begründung den Beteiligten gesondert zu übermitteln.

(6) Die einstweilige Anordnung tritt nach sechs Monaten außer Kraft. Sie kann mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der Stimmen wiederholt werden.

(7) Ist ein Senat nicht beschlußfähig, so kann die einstweilige Anordnung bei besonderer Dringlichkeit erlassen werden, wenn mindestens drei Richter anwesend sind und der Beschluß einstimmig gefaßt wird. Sie tritt nach einem Monat außer Kraft. Wird sie durch den Senat bestätigt, so tritt sie sechs Monate nach ihrem Erlaß außer Kraft.

(1) Das Grundgesetz kann nur durch ein Gesetz geändert werden, das den Wortlaut des Grundgesetzes ausdrücklich ändert oder ergänzt. Bei völkerrechtlichen Verträgen, die eine Friedensregelung, die Vorbereitung einer Friedensregelung oder den Abbau einer besatzungsrechtlichen Ordnung zum Gegenstand haben oder der Verteidigung der Bundesrepublik zu dienen bestimmt sind, genügt zur Klarstellung, daß die Bestimmungen des Grundgesetzes dem Abschluß und dem Inkraftsetzen der Verträge nicht entgegenstehen, eine Ergänzung des Wortlautes des Grundgesetzes, die sich auf diese Klarstellung beschränkt.

(2) Ein solches Gesetz bedarf der Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages und zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrates.

(3) Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig.

(1) Das Bundesverfassungsgericht kann im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist.

(2) Die einstweilige Anordnung kann ohne mündliche Verhandlung ergehen. Bei besonderer Dringlichkeit kann das Bundesverfassungsgericht davon absehen, den am Verfahren zur Hauptsache Beteiligten, zum Beitritt Berechtigten oder Äußerungsberechtigten Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.

(3) Wird die einstweilige Anordnung durch Beschluß erlassen oder abgelehnt, so kann Widerspruch erhoben werden. Das gilt nicht für den Beschwerdeführer im Verfahren der Verfassungsbeschwerde. Über den Widerspruch entscheidet das Bundesverfassungsgericht nach mündlicher Verhandlung. Diese muß binnen zwei Wochen nach dem Eingang der Begründung des Widerspruchs stattfinden.

(4) Der Widerspruch gegen die einstweilige Anordnung hat keine aufschiebende Wirkung. Das Bundesverfassungsgericht kann die Vollziehung der einstweiligen Anordnung aussetzen.

(5) Das Bundesverfassungsgericht kann die Entscheidung über die einstweilige Anordnung oder über den Widerspruch ohne Begründung bekanntgeben. In diesem Fall ist die Begründung den Beteiligten gesondert zu übermitteln.

(6) Die einstweilige Anordnung tritt nach sechs Monaten außer Kraft. Sie kann mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der Stimmen wiederholt werden.

(7) Ist ein Senat nicht beschlußfähig, so kann die einstweilige Anordnung bei besonderer Dringlichkeit erlassen werden, wenn mindestens drei Richter anwesend sind und der Beschluß einstimmig gefaßt wird. Sie tritt nach einem Monat außer Kraft. Wird sie durch den Senat bestätigt, so tritt sie sechs Monate nach ihrem Erlaß außer Kraft.

(1) Das Grundgesetz kann nur durch ein Gesetz geändert werden, das den Wortlaut des Grundgesetzes ausdrücklich ändert oder ergänzt. Bei völkerrechtlichen Verträgen, die eine Friedensregelung, die Vorbereitung einer Friedensregelung oder den Abbau einer besatzungsrechtlichen Ordnung zum Gegenstand haben oder der Verteidigung der Bundesrepublik zu dienen bestimmt sind, genügt zur Klarstellung, daß die Bestimmungen des Grundgesetzes dem Abschluß und dem Inkraftsetzen der Verträge nicht entgegenstehen, eine Ergänzung des Wortlautes des Grundgesetzes, die sich auf diese Klarstellung beschränkt.

(2) Ein solches Gesetz bedarf der Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages und zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrates.

(3) Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig.

(1) Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.

(2) Wahlberechtigt ist, wer das achtzehnte Lebensjahr vollendet hat; wählbar ist, wer das Alter erreicht hat, mit dem die Volljährigkeit eintritt.

(3) Das Nähere bestimmt ein Bundesgesetz.

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

(1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen.

(2) In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.

(3) Die Grundrechte gelten auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind.

(4) Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen. Soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Artikel 10 Abs. 2 Satz 2 bleibt unberührt.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

(1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt.

(2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.

(3) Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen. Wegen der Höhe der Entschädigung steht im Streitfalle der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offen.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

(1) Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.

(2) Wahlberechtigt ist, wer das achtzehnte Lebensjahr vollendet hat; wählbar ist, wer das Alter erreicht hat, mit dem die Volljährigkeit eintritt.

(3) Das Nähere bestimmt ein Bundesgesetz.

(1) Der Antrag ist nur zulässig, wenn der Antragsteller geltend macht, daß er oder das Organ, dem er angehört, durch eine Maßnahme oder Unterlassung des Antragsgegners in seinen ihm durch das Grundgesetz übertragenen Rechten und Pflichten verletzt oder unmittelbar gefährdet ist.

(2) Im Antrag ist die Bestimmung des Grundgesetzes zu bezeichnen, gegen die durch die beanstandete Maßnahme oder Unterlassung des Antragsgegners verstoßen wird.

(3) Der Antrag muß binnen sechs Monaten, nachdem die beanstandete Maßnahme oder Unterlassung dem Antragsteller bekannt geworden ist, gestellt werden.

(4) Soweit die Frist bei Inkrafttreten dieses Gesetzes verstrichen ist, kann der Antrag noch binnen drei Monaten nach Inkrafttreten gestellt werden.

(1) Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.

(2) Wahlberechtigt ist, wer das achtzehnte Lebensjahr vollendet hat; wählbar ist, wer das Alter erreicht hat, mit dem die Volljährigkeit eintritt.

(3) Das Nähere bestimmt ein Bundesgesetz.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

(1) Das Grundgesetz kann nur durch ein Gesetz geändert werden, das den Wortlaut des Grundgesetzes ausdrücklich ändert oder ergänzt. Bei völkerrechtlichen Verträgen, die eine Friedensregelung, die Vorbereitung einer Friedensregelung oder den Abbau einer besatzungsrechtlichen Ordnung zum Gegenstand haben oder der Verteidigung der Bundesrepublik zu dienen bestimmt sind, genügt zur Klarstellung, daß die Bestimmungen des Grundgesetzes dem Abschluß und dem Inkraftsetzen der Verträge nicht entgegenstehen, eine Ergänzung des Wortlautes des Grundgesetzes, die sich auf diese Klarstellung beschränkt.

(2) Ein solches Gesetz bedarf der Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages und zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrates.

(3) Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig.

(1) Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.

(2) Wahlberechtigt ist, wer das achtzehnte Lebensjahr vollendet hat; wählbar ist, wer das Alter erreicht hat, mit dem die Volljährigkeit eintritt.

(3) Das Nähere bestimmt ein Bundesgesetz.

Tenor

1. Die Antragsgegnerin hat den Deutschen Bundestag in seinem Unterrichtungsrecht aus Artikel 23 Absatz 2 Satz 2 des Grundgesetzes verletzt, indem sie es unterlassen hat, ihm einen ihr am 21. Februar 2011 vorliegenden Text der Europäischen Kommission über die Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus sowie den Entwurf eines Vertrages über den Europäischen Stabilitätsmechanismus vom 6. April 2011 zuzuleiten.

2. Die Antragsgegnerin hat den Deutschen Bundestag ferner in seinem Unterrichtungsrecht aus Artikel 23 Absatz 2 Satz 2 des Grundgesetzes verletzt, indem sie es unterlassen hat, ihn über die am 4. Februar 2011 öffentlich vorgestellte Initiative für den Beschluss eines Paktes für Wettbewerbsfähigkeit vorab zu informieren sowie ihm das inoffizielle Dokument der Präsidenten der Europäischen Kommission und des Europäischen Rates vom 25. Februar 2011 mit der Bezeichnung "Enhanced Economic Policy Coordination in the Euro Area - Main Features and Concepts" zuzuleiten.

Gründe

A.

1

Das Organstreitverfahren betrifft die Verpflichtung der Bundesregierung aus Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG zur Unterrichtung des Deutschen Bundestages in Angelegenheiten der Europäischen Union im Zusammenhang mit dem "Europäischen Stabilitätsmechanismus" (ESM) und dem "Euro-Plus-Pakt".

I.

2

1. Als Reaktion auf die Staatsschuldenkrise im Gebiet der Europäischen Währungsunion gewährten die Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes zunächst Griechenland koordinierte, bilaterale Finanzhilfen und schufen anschließend den sogenannten "Rettungsschirm", dessen Kern eine privatrechtlich organisierte Zweckgesellschaft, die Europäische Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF; vgl. hierzu Urteil des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 7. September 2011 - 2 BvR 987/10, 2 BvR 1485/10, 2 BvR 1099/10 -, NJW 2011, S. 2946 ff.) bildet. Ihre Maßnahmen sind zeitlich befristet und sollen nur der vorübergehenden Unterstützung betroffener Mitgliedstaaten dienen.

3

2. Seit Ende 2010 streben die Mitgliedstaaten der Europäischen Union einen dauerhaften Krisenbewältigungsmechanismus an. Dazu soll ein permanenter Europäischer Stabilisierungs- beziehungsweise Stabilitätsmechanismus etabliert werden.

4

Erste Ideen für einen solchen Krisenbewältigungsmechanismus wurden in der vom Europäischen Rat im März 2010 eingesetzten Arbeitsgruppe zur Reform des Regelwerks der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion unter Vorsitz des Präsidenten des Europäischen Rates entwickelt. Auf der Tagung des Europäischen Rates vom 28./29. Oktober 2010 einigten sich die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten auf die Errichtung eines "ständigen Krisenmechanismus zur Wahrung der Finanzstabilität des Euro-Währungsgebiets insgesamt" (EUCO 25/1/10 REV 1, Schlussfolgerungen, S. 2). Am 28. November 2010 vereinbarten die Finanzminister der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes die allgemeinen Merkmale des künftigen Krisenmechanismus. Zur Vorbereitung des Europäischen Rates vom 16./17. Dezember 2010 legte dessen Präsident am 10. Dezember 2010 einen Vorschlag für eine Änderung der Verträge vor. Der Europäische Rat einigte sich auf seiner Tagung vom 16./17. Dezember 2010 auf eine erste Fassung der avisierten Vertragsänderung, die Art. 136 AEUV einen neuen Absatz 3 hinzufügen sollte, billigte die von den Finanzministern der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes am 28. November 2010 vereinbarten allgemeinen Merkmale des Europäischen Stabilitätsmechanismus und beauftragte diese sowie die Europäische Kommission mit der weiteren Konkretisierung der Bestimmungen (EUCO 30/1/10 REV 1, S. 1 f. mit Anlage 1). Der Europäische Stabilitätsmechanismus sollte im Primärrecht verankert werden und die zeitlich befristete Europäische Finanzstabilisierungsfazilität sowie den ebenfalls zeitlich befristeten Europäischen Finanzstabilisierungsmechanismus (EFSM) ablösen. Am 20. Dezember 2010 übersandte das Bundeskanzleramt dem Deutschen Bundestag einen schriftlichen Ergebnisbericht zu der Tagung des Europäischen Rates.

5

a) In ihrer Ausgabe vom 23. Dezember 2010 berichtete die Süddeutsche Zeitung über ein ihr vorliegendes inoffizielles Dokument (non paper) der Bundesregierung zur Konzeption des Europäischen Stabilitätsmechanismus, das zur Vorbereitung des nächsten Treffens der Finanzminister der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes Mitte Januar dienen solle. Unter anderem wurde berichtet, dass der geplante Europäische Stabilitätsmechanismus als eigenständige Institution neben die Europäische Zentralbank treten und den Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes politisch weitgehend unabhängig "Hilfen in der Not" anbieten solle. Er solle grundsätzlich "unbegrenzt refinanzierungsfähig" sein, wofür die Mitgliedstaaten anteilige Bürgschaften bereitstellen müssten. Hilfen sollten nur unter strengen Bedingungen und gegen werthaltige Sicherheiten wie Goldreserven oder staatliche Unternehmensanteile gewährt werden (Süddeutsche Zeitung, 23. Dezember 2010, "Neuer Vorstoß zur Rettung des Euro" und "Doppelter Schutz für den Euro" ).

6

Am 17. Januar 2011 forderte der Deutsche Bundestag mit Blick auf die für den 4. Februar 2011 geplante Tagung des Europäischen Rates beim Bundesministerium der Finanzen Dokumente bezüglich der Konkretisierung der Merkmale des Europäischen Stabilitätsmechanismus an. Das Bundesministerium der Finanzen kündigte daraufhin an, entsprechende Papiere zu übermitteln, sobald sie vorlägen. Außerdem teilte es mit, bei dem in der Süddeutschen Zeitung vom 23. Dezember 2010 angesprochenen inoffiziellen Dokument handele es sich nicht um ein abgestimmtes Positionspapier der Bundesregierung für die Organe der Europäischen Union, sondern um eine Zusammenstellung von internen Papieren der Arbeitsebene. Ein Zuleitungserfordernis bestehe daher nicht.

7

Der Deutsche Bundestag forderte am 19. Januar 2011 beim Bundesministerium der Finanzen unter Hinweis auf einen Bericht im Handelsblatt (Handelsblatt, 19. Januar 2011 , "EU-Kommission will klammen Ländern großzügiger helfen") ein siebenseitiges Papier der Europäischen Kommission mit Überlegungen zum Europäischen Stabilitätsmechanismus an, das dem ECOFIN-Rat vom 18. Januar 2011 vorgelegen habe. Dies lehnte ein Referatsleiter im Bundesministerium der Finanzen mit E-Mail vom gleichen Tage mit der Begründung ab, dem ECOFIN-Rat sei kein Papier zum Europäischen Stabilitätsmechanismus vorgelegt worden; Presseberichte, wonach die Europäische Kommission ein siebenseitiges Papier präsentiert habe, könnten nicht bestätigt werden. Bei der Entwicklung des Europäischen Stabilitätsmechanismus handele es sich zudem "um die Vorbereitung eines zwischenstaatlichen Instruments der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets und nicht um ein Vorhaben der Europäischen Union". Die Bundesregierung werde "über die Arbeiten an dem permanenten ESM" wie bisher regelmäßig unterrichten.

8

Ebenfalls am 19. Januar 2011 berichtete ein Beamter des Bundesministeriums der Finanzen sowohl dem Finanzausschuss des Deutschen Bundestages (Protokoll Nr. 17/39 der 39. Sitzung des Finanzausschusses vom 19. Januar 2011, S. 23 ff.) als auch dem Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union mündlich über die Ergebnisse der Sitzungen der Euro-Gruppe vom 17. Januar 2011 sowie des ECOFIN-Rates vom 18. Januar 2011. Es seien insbesondere Fragen zur Ausgestaltung des Europäischen Stabilitätsmechanismus diskutiert, Beschlüsse aber nicht gefasst worden. Die Bundesregierung handele dabei auf der Grundlage des Mandats des Europäischen Rates vom Dezember 2010. Der Deutsche Bundestag werde beteiligt, sobald eine Position der Bundesregierung vorliege. Nicht abgestimmte Papiere seien nicht vorlagepflichtig. Zwar gebe es "Papiere und Überlegungen der EU-Kommission" zur Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität und zum Europäischen Stabilitätsmechanismus; diese entsprächen aber den Vorgaben des Europäischen Rates (Protokoll Nr. 17/29 der 29. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 19. Januar 2011, S. 15 ff.). Der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen berichtete am selben Tag dem Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages über die Tagungen der Euro-Gruppe und des ECOFIN-Rates und betonte, dass die Bundesregierung ergebnisoffen in die Verhandlungen gegangen sei. Die Vorbereitung des Europäischen Rates im Februar/März 2011 und die Verhandlungen über die Ausgestaltung des sogenannten "comprehensive package" seien noch in vollem Gange (Protokoll Nr. 17/43 der 43. Sitzung des Haushaltsausschusses vom 19. Januar 2011, S. 42 ff.).

9

Am 24. Januar 2011 fand ein weiteres Treffen der Euro-Gruppe statt. Darüber berichtete der Bundesminister der Finanzen dem Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union am 26. Januar 2011. Er führte unter anderem aus, dass die Bundesregierung im Hinblick auf den Europäischen Stabilitätsmechanismus und die anderen in der Diskussion befindlichen Maßnahmen zur Euro-Rettung von einer abschließenden Gesamtentscheidung im März 2011 ausgehe. Mehrere Abgeordnete wiesen darauf hin, dass die Europäische Kommission der Euro-Gruppe angeblich ein inoffizielles Dokument (non paper) mit Inhalten und Plänen zum "Gesamtpaket" (comprehensive package) übermittelt habe. Für die Diskussion im Deutschen Bundestag sei eine Weiterleitung dieses Papiers hilfreich. Der Bundesminister der Finanzen trat dem Ersuchen mit der Begründung entgegen, im Hinblick auf Sitzungen der Finanzminister der Eurogruppe sei eine mündliche Unterrichtung ausreichend. Eine offene Kommunikation mit dem Deutschen Bundestag sei von großer Bedeutung, finde ihre Grenzen aber in der Handlungsfähigkeit der Bundesregierung (Protokoll Nr. 17/30 der 30. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 26. Januar 2011, S. 12 f.).

10

Am 2. Februar 2011 setzte der Präsident des Europäischen Rates das Thema "Wirtschafts- und Währungsunion" kurzfristig auf die Tagesordnung für die Tagung des Europäischen Rates am 4. Februar 2011 (vgl. Protokoll Nr. 17/31 der 31. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 9. Februar 2011, S. 14). Der Deutsche Bundestag erhielt am selben Tag einen schriftlichen Vorbericht des Bundeskanzleramtes. Darin wurde ausgeführt, die Beratungen der Staats- und Regierungschefs hätten "vor allem eine Verständigung über die Stärkung der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität, eine Entscheidung über die Vertragsänderung sowie eine Einigung über die Ausgestaltung des künftigen Europäischen Stabilisierungsmechanismus" zum Gegenstand. Entscheidungen in der Sache würden nicht erwartet. Am 3. Februar 2011 unterrichtete der Staatsminister des Bundeskanzleramtes die Obleute des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union mündlich über die bevorstehende Tagung des Europäischen Rates (vgl. Protokoll Nr. 17/31 der 31. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 9. Februar 2011, S. 11). Der Europäische Rat kündigte am 4. Februar 2011 unter anderem die "Festlegung der praktischen Merkmale des Europäischen Stabilitätsmechanismus unter dem Vorsitz des Präsidenten der Euro-Gruppe entsprechend dem im Dezember erteilten Auftrag" an (EUCO 2/1/11 REV 1, Schlussfolgerungen, Anlage I, S. 12). Der Deutsche Bundestag erhielt am 7. Februar 2011 einen schriftlichen Nachbericht zu dieser Tagung.

11

Am 9. Februar 2011 informierte ein Beamter des Bundesministeriums der Finanzen den Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union über die aktuelle Entwicklung des Euro-Währungsgebietes und teilte mit, im Mittelpunkt der Sitzungen der Euro-Gruppe und des ECOFIN-Rates am 14. und 15. Februar 2011 würden die bestehenden Reformprogramme, etwaige Änderungen der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität und die Ausgestaltung des Europäischen Stabilitätsmechanismus stehen. Auf Nachfrage führte er aus, hinsichtlich der Ausgestaltung eines "Instrumentenkastens" für den Europäischen Stabilitätsmechanismus gebe es noch keine abgeschlossene Position der Bundesregierung und keine Beschlüsse auf europäischer Ebene (Protokoll Nr. 17/31 der 31. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 9. Februar 2011, S. 15 f.). Ebenfalls am 9. Februar 2011 erklärte der Parlamentarische Staatssekretär des Bundesministeriums der Finanzen gegenüber dem Haushaltsausschuss auf Nachfrage, über das auf europäischer Ebene beratene "Gesamtpaket" werde das Parlament unterrichtet, sobald man zu einer Einigung gekommen sei (Protokoll Nr. 17/45 der 45. Sitzung des Haushaltsausschusses vom 9. Februar 2011, S. 59).

12

Am 17. Februar 2011 forderte der Deutsche Bundestag die Bundesregierung auf, ihm die vorbereitenden Papiere der Europäischen Kommission zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus zur Verfügung zu stellen. Dabei verwies er auf einen Artikel der Wochenzeitschrift "Der Spiegel", in dem auf ein solches Papier Bezug genommen worden war ("Jagd auf den Yeti", Heft 7/2011 vom 14. Februar 2011). Das Verbindungsbüro des Deutschen Bundestages in Brüssel teilte in einem internen Bericht vom 21. Februar 2011 ebenfalls mit, im Rat der Europäischen Union fänden Beratungen über die Ausgestaltung des Europäischen Stabilitätsmechanismus auf der Grundlage eines Textes der Europäischen Kommission statt. Das Bundesministerium der Finanzen kam der Aufforderung des Deutschen Bundestages nicht nach. In seinem Antwortschreiben vom 22. Februar 2011 wies es darauf hin, die zuständigen Ausschüsse des Deutschen Bundestages seien über Sitzungen der Euro-Gruppe nur mündlich zu unterrichten.

13

In der 32. Sitzung des Bundestagsausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 23. Februar 2011 informierte ein Beamter des Auswärtigen Amtes über die geplante Vertragsänderung im Zusammenhang mit der Errichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus. Auf welcher Rechtsgrundlage dessen konkrete Ausgestaltung erfolgen werde, stehe noch nicht fest. Bei dem Treffen der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes am 11. März 2011 würden die Themen Europäische Finanzstabilisierungsfazilität und Europäischer Stabilitätsmechanismus wahrscheinlich ebenfalls diskutiert. Es werde dabei aber wohl nur um die Grundlinien gehen; die endgültigen Entscheidungen seien erst beim Europäischen Rat Ende März 2011 zu erwarten (Protokoll Nr. 17/32 der 32. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 23. Februar 2011, S. 10 ff.). Der Ausschussvorsitzende und mehrere Abgeordnete rügten die Unterrichtung durch die Bundesregierung als ungenügend und verlangten übereinstimmend, frühzeitig und detailliert unterrichtet zu werden. Mit Blick auf die weitreichenden Auswirkungen auf die nationalen Haushalte sei der Deutsche Bundestag "von Beginn an in die Schaffung des ESM einzubeziehen" (Protokoll Nr. 17/32 der 32. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 23. Februar 2011, S. 12 f.).

14

Am 10. März 2011 berichtete die Bundeskanzlerin dem Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union über die für den Folgetag geplante informelle Tagung der Staats- und Regierungschefs des Euro-Währungsgebietes. Themen der Tagung seien unter anderem die Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus und der weitere Umgang mit der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität. Die Bundeskanzlerin erklärte, sie könne noch nicht sagen, ob das Treffen lediglich den Europäischen Rat am 24./25. März 2011 vorbereiten werde oder ob Beschlüsse gefasst würden. Im Übrigen würden informelle Treffen der Euro-Gruppe auch nicht von der gesetzlichen Unterrichtungspflicht der Bundesregierung gegenüber dem Deutschen Bundestag erfasst (Protokoll Nr. 17/33 der 33. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 10. März 2011, S. 10 ff.). Auf die Rüge eines Abgeordneten, das Parlament habe auf der Grundlage der Unterrichtungspraxis der Bundesregierung keine ausreichende Möglichkeit, die Entscheidungen zum Themenkreis der Eurostabilisierung nachzuvollziehen, erklärte die Bundeskanzlerin, die gegenwärtige Situation sei aufgrund täglicher Änderungen der Umstände und Tatsachen einzigartig, so dass die Bundesregierung dem Parlament nur Informationen mit einer "endlichen Halbwertszeit" geben und für den Europäischen Rat am 24./25. März 2011 lediglich Ergebnisoptionen benennen könne. Die Bundesregierung unterrichte den Deutschen Bundestag über die Sitzungen der Euro-Gruppe. Jedoch müssten bestimmte interne Beratungen, die von besonderer Marktrelevanz seien, differenziert behandelt werden (Protokoll Nr. 17/33 der 33. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 10. März 2011, S. 15 f.).

15

Am 16. März 2011 erklärte der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen im Finanzausschuss des Deutschen Bundestages, dass nach gegenwärtigem Verhandlungsstand der zukünftige Europäische Stabilitätsmechanismus auf völkerrechtlicher Grundlage errichtet werde und dieser Vertrag vom Deutschen Bundestag gemäß den Bestimmungen des Grundgesetzes zu ratifizieren sei (Protokoll Nr. 17/45 der 45. Sitzung des Finanzausschusses vom 16. März 2011, S. 27). Am gleichen Tag informierte der Bundesminister der Finanzen den Haushaltsausschuss über die voraussichtliche Höhe des effektiven Kreditvolumens des Europäischen Stabilitätsmechanismus. Man werde dieses jedoch erst im Zusammenhang mit der Entscheidung über die Form des Europäischen Stabilitätsmechanismus endgültig festlegen (Protokoll Nr. 17/49 der 49. Sitzung des Haushaltsausschusses vom 16. März 2011, S. 20 f.). Ebenfalls am 16. März 2011 informierte ein Beamter des Bundesministeriums der Finanzen den Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union über die Diskussionen der Euro-Gruppe und des ECOFIN-Rates zur Höhe des Garantievolumens von Europäischer Finanzstabilisierungsfazilität und Europäischem Stabilitätsmechanismus. Die Finanzminister hätten insbesondere verabredet, die Entscheidungen zur Ertüchtigung beider Institutionen nicht "kleckerweise" den nationalen Parlamenten vorzulegen, sondern in einem Paket (Protokoll Nr. 17/34 der 34. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 16. März 2011, S. 5 ff.).

16

Am 17. März 2011 nahm der Deutsche Bundestag den Antrag der Fraktionen von CDU/CSU und FDP zur Herstellung des Einvernehmens von Deutschem Bundestag und Bundesregierung zur Ergänzung von Art. 136 AEUV (BTDrucks 17/4880) an (Plenarprotokoll Nr. 17/96 der 96. Sitzung des Deutschen Bundestages vom 17. März 2011, S. 11015 C).

17

Auf ihrer Sitzung am 21. März 2011 einigte sich die Euro-Gruppe auf die Grundsätze des Europäischen Stabilitätsmechanismus. Im Bericht des Verbindungsbüros des Deutschen Bundestages in Brüssel vom gleichen Tag über den Stand der Diskussion im Nachgang zur Sondertagung des Europäischen Rates vom 11. März 2011 sowie zur Tagung des ECOFIN-Rates vom 14./15. März 2011 wurde ausgeführt, die Mitgliedstaaten hätten sich bereits auf einige wichtige Aspekte des Europäischen Stabilitätsmechanismus geeinigt. Zahlreiche Fragen - wie die Konditionalität der Gewährung von Finanzhilfen, die institutionelle Form und Struktur der Organisation, die Einbeziehung des Internationalen Währungsfonds oder die Beteiligung der Nicht-Euroländer - würden aber derzeit noch diskutiert und nach Ansicht von Beobachtern erst am 24./25. März 2011 von den Staats- und Regierungschefs entschieden (Bericht aus Brüssel 06/2011 vom 21. März 2011, S. 3 f.).

18

Am 23. März 2011 erstattete das Bundeskanzleramt dem Deutschen Bundestag einen schriftlichen Vorbericht zur Tagung des Europäischen Rates am 24./25. März 2011. Darin kündigte es mehrere Beschlüsse im "Gesamtpaket" zur dauerhaften Stabilisierung des Euro-Währungsgebietes an, darunter die "Finalisierung der Arbeiten zur Ausgestaltung des künftigen Stabilitätsmechanismus (ESM)". Am gleichen Tag informierte ein Beamter des Bundesministeriums der Finanzen den Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union über die aktuellen Entwicklungen im Euro-Währungsgebiet und übergab ein Papier zu den Grundsätzen des Europäischen Stabilitätsmechanismus in englischer Sprache ("term sheet") als Tischvorlage. Dass keine deutsche Übersetzung vorgelegt werde, sei zum einen der Kurzfristigkeit geschuldet, zum anderen aber auch dem besseren Verständnis, da der englische Text "Vorteile gegenüber einer deutschen Übersetzung" biete (Protokoll Nr. 17/35 der 35. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 23. März 2011, S. 9). Auf Nachfrage erklärte der Beamte, die Bundesregierung werte die Unterrichtung des Ausschusses als "mündliche Unterrichtung" entsprechend § 5 Abs. 4 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union (im Folgenden: EUZBBG) vom 12. März 1993 (BGBl I S. 311), zuletzt geändert durch Gesetz vom 22. September 2009 (BGBl I S. 3026). Die Vorlage des "term sheet" sei nicht auf der Grundlage dieses Gesetzes erfolgt und runde die mündliche Unterrichtung ab (Protokoll Nr. 17/35 der 35. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 23. März 2011, S. 13, 16).

19

Ebenfalls am 23. März 2011 forderte der Abgeordnete Manuel Sarrazin in einem Schreiben an den Bundesminister der Finanzen die Überlassung von Dokumenten über die Ausgestaltung des Europäischen Stabilitätsmechanismus. Aus einem Brief des Präsidenten der Euro-Gruppe an die Mitglieder des Europäischen Parlaments vom 22. März 2011 gehe hervor, dass das Europäische Parlament im Rahmen des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens an einer Verordnung im Zusammenhang mit dem Europäischen Stabilitätsmechanismus beteiligt werden solle. Damit würden die vorbereitenden Dokumente der Europäischen Kommission, deren Zuleitung die Bundesregierung bislang verweigere, von der Weiterleitungspflicht nach Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG erfasst. Eine mündliche Unterrichtung hierüber reiche nicht aus.

20

Am 24. März 2011 gab die Bundeskanzlerin im Hinblick auf die Tagung des Europäischen Rates am 24./25. März 2011 im Deutschen Bundestag eine Regierungserklärung ab. Die Bundesregierung habe auf europäischer Ebene durchgesetzt, dass der dauerhafte Europäische Stabilitätsmechanismus für ein ausgewogenes Verhältnis von Eigenverantwortung und Solidarität sorgen werde. Kredite dürften nur als letztes Mittel vergeben werden, und über die Vergabe werde durch einstimmigen Beschluss entschieden. Außerdem müsse sich der entsprechende Mitgliedstaat Auflagen unterwerfen. Die Haftung Deutschlands sei nach oben begrenzt (Plenarprotokoll Nr. 17/99 der 99. Sitzung des Deutschen Bundestages vom 24. März 2011, S. 11255 A f.).

21

b) Auf seiner Tagung vom 24./25. März 2011 beschloss der Europäische Rat sodann den Entwurf eines künftigen Art. 136 Abs. 3 AEUV, der als primärrechtliche Grundlage für den Europäischen Stabilitätsmechanismus dienen und folgenden Wortlaut haben soll:

22

Die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist, können einen Stabilitätsmechanismus einrichten, der aktiviert wird, wenn dies unabdingbar ist, um die Stabilität des Euro-Währungsgebiets insgesamt zu wahren. Die Gewährung aller erforderlichen Finanzhilfen im Rahmen des Mechanismus wird strengen Auflagen unterliegen (EUCO 10/11, Schlussfolgerungen, Anlage II, S. 21 ff.).

23

In den Schlussfolgerungen ist davon die Rede, dass die Ergänzung des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union im vereinfachten Änderungsverfahren nach Art. 48 Abs. 6 EUV erfolgen solle und daher nicht zu einer Ausdehnung der der Europäischen Union im Rahmen der Verträge übertragenen Zuständigkeiten führen dürfe (vgl. Art. 48 Abs. 6 UAbs. 3 EUV). Vor diesem Hintergrund solle der Europäische Stabilitätsmechanismus als zwischenstaatliche Einrichtung ausgestaltet werden. Seinen Schlussfolgerungen fügte der Europäische Rat die Anlage II mit der "Vereinbarung über die Merkmale des ESM" bei (EUCO 10/11, S. 21 ff.). Darin machte er deutlich, dass sein Einvernehmen über die Einrichtung des "ständigen" Europäischen Stabilitätsmechanismus an die Beschlussfassung über den Entwurf eines neuen Art. 136 Abs. 3 AEUV gekoppelt sei (EUCO 10/11, S. 21). Über die Ergebnisse des Europäischen Rates vom 24./25. März 2011 informierte der Staatsminister des Bundeskanzleramtes am 28. März 2011 die Obleute des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union telefonisch. Zugleich übermittelte das Bundeskanzleramt dem Deutschen Bundestag einen schriftlichen Ergebnisbericht.

24

Dem Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union berichtete ein Beamter des Bundesministeriums der Finanzen am 6. April 2011. Zu den Ergebnissen des Europäischen Rates vom 24./25. März 2011 erklärte er, man habe "ambitionierte Zeitvorgaben" für die Ertüchtigung der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität und den Errichtungs- und Finanzierungsvertrag für den Europäischen Stabilitätsmechanismus vereinbart (Protokoll Nr. 17/36 der 36. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 6. April 2011, S. 5 ff.). Bezogen auf die nationalen Umsetzungsgesetze im Zusammenhang mit der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität und dem Europäischen Stabilitätsmechanismus erklärte er, die Bundesregierung versuche, den Deutschen Bundestag zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu beteiligen (Protokoll Nr. 17/36 der 36. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 6. April 2011, S. 8). Am gleichen Tag berichtete der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen dem Haushaltsausschuss mündlich über die Ergebnisse des Europäischen Rates und über den Fortgang der Verhandlungen zum Europäischen Stabilitätsmechanismus (Protokoll Nr. 17/52 der 52. Sitzung des Haushaltsausschusses vom 6. April 2011, S. 9). Derzeit werde der Vertrag über den Europäischen Stabilitätsmechanismus weiter ausgearbeitet, um ihn vor Ende Juli 2011 paraphieren zu können. Danach solle die Ratifizierung in den Mitgliedstaaten erfolgen. Dies bedeute eine vollumfängliche parlamentarische Beteiligung des Deutschen Bundestages (Protokoll Nr. 17/52 der 52. Sitzung des Haushaltsausschusses vom 6. April 2011, S. 12). Die Rüge eines Abgeordneten, dass die Bundesregierung dem Ausschuss in der vorangegangen Sitzung am 23. März 2011 lediglich eine englische Fassung des "term sheet" vorgelegt habe, obwohl dieses zum Zeitpunkt der Sitzung bereits 48 Stunden alt gewesen sei, wies er zurück (Protokoll Nr. 17/52 der 52. Sitzung des Haushaltsausschusses vom 6. April 2011, S. 16 f.).

25

Einen auf den 6. April 2011 datierenden Entwurf eines Vertrages zur Errichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus ("Draft Treaty Establishing the European Stability Mechanism") erhielt der Deutsche Bundestag aus informellen Quellen. Eine Zuleitung dieses Textes durch die Bundesregierung erfolgte nicht.

26

Im schriftlichen Vorbericht zum informellen Treffen des ECOFIN-Rates am 8./9. April 2011 informierte das Bundesministerium der Finanzen am 4. April 2011 den Finanzausschuss, den Haushaltsausschuss und den Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union darüber, dass der Rat unter anderem diskutieren wolle, wie die Ausarbeitung des Vertrages über den Europäischen Stabilitätsmechanismus rechtzeitig abgeschlossen werden könne. Über den Verlauf der Tagung berichtete der Bundesminister der Finanzen dem Haushaltsausschuss mündlich am 13. April 2011. Zum geplanten Europäischen Stabilitätsmechanismus erklärte er, die Einzelheiten seiner Ausgestaltung seien in einem Vertrag erst noch zu regeln. Dieser Vertrag bedürfe der Ratifizierung durch die nationalen Gesetzgeber. Im Zuge dieser Ratifizierung werde dann auch die Parlamentsbeteiligung im Rahmen des Stabilitätsmechanismus zu beraten sein (Protokoll Nr. 17/53 der 53. Sitzung des Haushaltsausschusses vom 13. April 2011, S. 10 ff.). Auf die Rüge eines Abgeordneten, eine Äußerungsmöglichkeit des Deutschen Bundestages erst nach Vorlage des Gesetzentwurfs komme zu spät, da zu diesem Zeitpunkt die europäischen Vereinbarungen bereits getroffen sein würden, ging der Bundesminister der Finanzen nicht ein (Protokoll Nr. 17/53 der 53. Sitzung des Haushaltsausschusses vom 13. April 2011, S. 14 ff.). Im Hinblick auf das Anliegen einer möglichst weitgehenden Parlamentsbeteiligung gab er zu bedenken, dass die Leistungsfähigkeit eines Mechanismus durch ein Übermaß an Beteiligungen herabgesetzt werde (Protokoll Nr. 17/53 der 53. Sitzung des Haushaltsausschusses vom 13. April 2011, S. 27 ff.).

27

Ebenfalls am 13. April 2011 informierte der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen den Finanzausschuss des Deutschen Bundestages mündlich darüber, dass die Bundesregierung bestrebt sei, alle vom Parlament im Zusammenhang mit der Aufstockung der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität und der Schaffung des Europäischen Stabilitätsmechanismus zu treffenden Entscheidungen in einem Gesamtpaket vorzulegen. Die Zuleitung an den Deutschen Bundestag werde so rechtzeitig erfolgen, dass das Gesetzespaket noch vor Jahresende verabschiedet werden könne. Auf europäischer Ebene solle noch vor der Sommerpause eine abschließende Entscheidung fallen (Protokoll Nr. 17/49 der 49. Sitzung des Finanzausschusses vom 13. April 2011, S. 25 f.). Das Bundesministerium der Finanzen übersandte den drei Ausschüssen am 19. April 2011 zudem einen schriftlichen Ergebnisbericht zu dem informellen Treffen des ECOFIN-Rates.

28

Am 6. Mai 2011 informierte der Bundesminister der Finanzen die Obleute des Haushaltsausschusses und des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union über den aktuellen Sachstand. Mit Schreiben seines Vorsitzenden vom 12. Mai 2011 forderte der Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union den Bundesminister der Finanzen erneut auf, den jeweils aktuell zur Verhandlung stehenden Vertragsentwurf zu übermitteln. Nur die Vorlage des Textes stelle zusammen mit den mündlichen Unterrichtungen vor der anstehenden Beschlussfassung auf europäischer Ebene die nach Art. 23 GG erforderliche Beteiligung des Deutschen Bundestages sicher. Es sei aus der Sicht der Abgeordneten nicht hinnehmbar, die verschiedenen Entwürfe - wie geschehen - in Österreich anfordern zu müssen, wo der Nationalrat entsprechende Entwürfe von der österreichischen Bundesregierung bereits zugeleitet bekommen hatte (vgl. hierzu die Beratungen des Hauptausschusses in Angelegenheiten der Europäischen Union des Nationalrates XXIV. GP vom 23. März 2011, Stenographisches Protokoll, Seite 2). Nach weiteren Vorstößen - unter anderem des parlamentarischen Geschäftsführers der Antragstellerin - übermittelte das Bundesministerium der Finanzen am 17. Mai 2011 dem Deutschen Bundestag einen englischsprachigen Vertragsentwurf und am Folgetag dessen deutsche Übersetzung.

29

3. Parallel zu den Vorbereitungen für einen Vertrag über den Europäischen Stabilitätsmechanismus und zur Änderung des Art. 136 AEUV wurden auf Initiative der Bundeskanzlerin und des französischen Staatspräsidenten Leitlinien für eine verstärkte wirtschaftspolitische Koordinierung der Mitglieder des Euro-Währungsgebietes entwickelt, die zunächst unter der Bezeichnung "Pakt für Wettbewerbsfähigkeit" zusammengefasst und letztlich als "Euro-Plus-Pakt" beschlossen wurden. Ziel war es, den Problemen entgegenzuwirken, die sich nach Auffassung der Initiatoren aus der asymmetrischen Konstruktion der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion - vollständige Vergemeinschaftung der Währungspolitik bei gleichzeitiger Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für die Wirtschaftspolitik - ergeben.

30

a) In der Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 26. Januar 2011 teilte der Staatsminister des Bundeskanzleramtes auf eine entsprechende Frage mit, dass auf dem anstehenden Europäischen Rat über den Euro gesprochen werde, mit Beschlüssen aber nicht zu rechnen sei (Protokoll Nr. 17/30 der 30. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 26. Januar 2011, S. 9). In derselben Sitzung nahm der Bundesminister der Finanzen zum weiteren Vorgehen Stellung (vgl. hierzu A.I.2.).

31

Am 31. Januar 2011 erschien in der Wochenzeitschrift "Der Spiegel" unter dem Titel "Agenda für Europa" ein Artikel, in dem über ein Gespräch der Bundeskanzlerin mit dem Präsidenten der Europäischen Kommission über einen "Pakt für Wettbewerbsfähigkeit" berichtet wurde, den sie zusammen mit dem französischen Staatschef dem nächsten Europäischen Rat "vertraulich und informell beim Mittagessen" vorstellen wolle, ohne dass dies auf der Tagesordnung erscheine. Ziel solle sein, das Euro-Währungsgebiet zukünftig besser vor Krisen zu schützen. In einem Papier seien als Maßnahmen unter anderem die Angleichung von Steuern, die Anpassung des Renteneintrittsalters und die Einführung einer Schuldenbremse genannt ("Der Spiegel", "Agenda für Europa", Heft 5/2011 vom 31. Januar 2011). Auf der Internetseite www.euractiv.de war eine Entwurfsfassung dieses Paktes abrufbar. Am 1. Februar 2011 bat der Deutsche Bundestag das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie unter Bezugnahme auf die Berichterstattung des "Spiegels" sowie mehrerer Tageszeitungen um die Übermittlung der "Papiere und Informationen, auf deren Basis die Bundesregierung ihre Initiative vorstellen" werde. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie teilte dem Deutschen Bundestag mit E-Mail vom 2. Februar 2011 mit, dass die angeführten Zeitungsartikel auf einen "Abstimmungsprozess in der Bundesregierung Bezug nähmen, der noch nicht abgeschlossen" sei. In der Regierungspressekonferenz am gleichen Tag kündigte der Regierungssprecher an, dass auf der Tagung des Europäischen Rates am 4. Februar 2011 tatsächlich auch über Fragen der wirtschaftspolitischen Koordinierung in der Euro-Währungszone geredet werden solle, und fügte hinzu: "Dazu wird es eine abgestimmte Haltung der Bundesregierung geben" (vgl. Mitschrift der Regierungspressekonferenz vom 2. Februar 2011, abrufbar im Internet unter http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/2011/02/2011-2-02-regpk.html). In ihrem Vorbericht zum Europäischen Rat vom 2. Februar 2011 erklärte die Bundesregierung, die Bundeskanzlerin werde für "ein starkes Signal" eintreten, die wirtschaftspolitische Koordinierung im Euro-Währungsgebiet zu verbessern, um die Wettbewerbsfähigkeit insgesamt zu erhöhen und die Kohärenz im Euro-Währungsgebiet zu stärken. Weitere Dokumente stellte sie dem Deutschen Bundestag nicht zur Verfügung.

32

Am 3. Februar 2011 erklärte der Staatsminister des Bundeskanzleramtes den Obleuten des Ausschusses für Angelegenheiten der Europäischen Union telefonisch, ungeachtet der Presseberichterstattung zur geplanten Initiative für einen "Pakt für Wettbewerbsfähigkeit" bestehe zu dem Thema noch keine abgestimmte Position der Bundesregierung und werde dementsprechend auch keine abgestimmte Position beim Europäischen Rat beschlossen (vgl. Protokoll Nr. 17/31 der 31. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 9. Februar 2011, S. 11).

33

Am 4. Februar 2011 kündigte die Bundeskanzlerin in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem französischen Staatspräsidenten an, die europäischen Partner über Details der deutsch-französischen Initiative unterrichten zu wollen. Auf getrennten Pressekonferenzen teilten sowohl die Bundeskanzlerin als auch der französische Staatspräsident anschließend mit, sie hätten beim Mittagessen den anderen Mitgliedern des Europäischen Rates ihre Ideen für einen "Pakt für Wettbewerbsfähigkeit" eröffnet und den Präsidenten des Europäischen Rates gebeten, auf der Basis dieser Ideen Konsultationen mit den Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes zu führen. In den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 4. Februar 2011 ist von dem Ziel einer "neuen Qualität der wirtschaftspolitischen Koordinierung im Euro-Währungsgebiet zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit" die Rede; der Präsident des Europäischen Rates werde mit den Staats- und Regierungschefs der dem Euro-Währungsgebiet angehörenden Mitgliedstaaten Konsultationen führen und darüber einen Bericht erstellen, in dem im Einklang mit dem Vertrag konkrete künftige Schritte aufgezeigt werden sollten (EUCO 2/1/11 REV 1, Anlage I, S. 13).

34

Ab dem 5. Februar 2011 bemühte sich die Bundesregierung in bilateralen Konsultationen mit den Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes und dem Präsidenten des Europäischen Rates um die nähere Ausarbeitung der Initiative. Auf schriftliche Fragen des Abgeordneten Sarrazin zu Inhalt und Stand der Verhandlungen verwies sie auf die Tagung des Europäischen Rates vom 4. Februar 2011 und die Schlussfolgerungen sowie auf mündliche Darstellungen. Schriftliche Unterlagen legte sie nicht vor. In der Sitzung des Ausschusses für Angelegenheiten der Europäischen Union am 9. Februar 2011 teilte der Staatsminister des Bundeskanzleramtes mit, der Europäische Rat habe am 4. Februar 2011 keine bindenden Beschlüsse hinsichtlich des "Pakts für Wettbewerbsfähigkeit" gefasst. Es fehle noch immer an einer abgestimmten Position innerhalb der Bundesregierung sowie an einem gemeinsamen Papier; die Punkte befänden sich noch in der Diskussion. Einzelne Elemente der wirtschaftspolitischen Koordinierung seien aber bereits vor dem 4. Februar 2011 bei den deutsch-spanischen Konsultationen und beim Treffen der Staats- und Regierungschefs im Format des "Weimarer Dreiecks" erörtert worden, wie zum Beispiel das Renteneintrittsalter, die Bemessungsgrundlage für die Körperschaftssteuer, die Lohnindexierung sowie die Aufnahme einer Schuldenbremse in die nationalen Verfassungen. Seitens der Bundesregierung sei kein "Pakt für Wettbewerbsfähigkeit" an die Presse gegeben worden. Die veröffentlichten Dokumente zeugten bereits durch den Hinweis "Gesamtvorbehalt" davon, dass es sich nicht um ein abgestimmtes Papier der Bundesregierung handele (Protokoll Nr. 17/31 der 31. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 9. Februar 2011, S. 13 ff.).

35

Am 25. Februar 2011 wurde dem Deutschen Bundestag ein vom gleichen Tag datierendes nicht offizielles Dokument (non paper) der Präsidenten der Europäischen Kommission und des Europäischen Rates mit der Überschrift "Enhanced Economic Policy Coordination in the Euro Area - Main Features and Concepts" zugespielt, das wesentliche Inhalte des geplanten Paktes für Wettbewerbsfähigkeit beschrieb. Nachdem auch in der Presse über ein solches Papier berichtet worden war, forderte der Deutsche Bundestag am 3. März 2011 dieses unter Hinweis auf die Unterrichtungspflicht nach § 5 Abs. 3 EUZBBG per E-Mail beim Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie an. Am 9. März 2011 ging beim Deutschen Bundestag ein Drahtbericht des Auswärtigen Amtes ein, aus dem sich ergab, dass auf einem informellen Treffen der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes am 11. März 2011 eine Einigung über den "Pakt für Wettbewerbsfähigkeit" erzielt werden solle, damit dieser bei der Tagung des Europäischen Rates am 24./25. März 2011 endgültig gebilligt werden könne.

36

Ebenfalls am 9. März 2011 wandte sich der Präsident des Deutschen Bundestages an die Bundeskanzlerin und bemängelte, dass die Information über den "Pakt für Wettbewerbsfähigkeit" den Bestimmungen des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union nicht oder allenfalls unzureichend gerecht werde. Der lediglich zweiseitige Vorbericht vom 2. Februar 2011 sei recht vage gewesen, während die Medien bereits detailliert über die konkrete Initiative berichtet hätten. Der Bitte der Bundestagsverwaltung vom 1. Februar 2011, einschlägige Dokumente und Informationen zu übermitteln, sei nicht oder allenfalls sehr unvollständig entsprochen worden. Er bitte sie, die Informationen im konkreten Fall nachzuholen. Mit Antwortschreiben vom 10. März 2011 erwiderte die Bundeskanzlerin, dass die Bundesregierung ihren gesetzlichen Verpflichtungen auch im konkreten Fall bestmöglich nachkomme.

37

Die Bundeskanzlerin besuchte am gleichen Tag die 33. Sitzung des Ausschusses für Angelegenheiten der Europäischen Union. Dort berichtete sie, dass Gegenstand des informellen Treffens der Staats- und Regierungschefs des Euro-Währungsgebietes am 11. März 2011 neben dem Europäischen Stabilitätsmechanismus auch der Pakt für Wettbewerbsfähigkeit sein werde. Der Pakt sei seit dem 11. Februar 2011 weiterentwickelt worden, aber noch nicht so detailliert, wie sie es sich wünsche. Eckpfeiler bildeten die Themen Wettbewerbsfähigkeit, Beschäftigung, Haushalte und Finanzstabilität. Die genannten Politikbereiche fielen in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten und sollten künftig von der Europäischen Kommission überwacht werden. Maßstab der Unterrichtung des Bundestages seien nicht Presseberichte, sondern offizielle Dokumente. Ein solches habe es zum Pakt für Wettbewerbsfähigkeit nicht gegeben, weder innerhalb der Bundesregierung noch gemeinsam mit Frankreich. Offizielle Dokumente seien dem Deutschen Bundestag nicht vorenthalten worden (vgl. Protokoll Nr. 17/33 der 33. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 10. März 2011, S. 11 ff.).

38

b) Das Bundeskanzleramt leitete den Entwurf eines "Paktes für Wettbewerbsfähigkeit" dem Bundestag am Morgen des 11. März 2011 per E-Mail zu. Am selben Tag stellten die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes in den Schlussfolgerungen ihres Treffens zu der nunmehr "Pakt für den Euro" genannten Vereinbarung fest:

39

Der (in der Anlage wiedergegebene) Pakt für den Euro, mit dem eine stärkere wirtschaftspolitische Koordinierung im Hinblick auf Wettbewerbsfähigkeit und Konvergenz festgelegt wird, wurde gebilligt. Er wird dem Europäischen Rat auf seiner Tagung am 24./25. März 2011 vorgelegt, damit die nicht dem Euro-Währungsgebiet angehörenden Mitgliedstaaten mitteilen können, ob sie beabsichtigen, sich an dem Pakt zu beteiligen. Gleichzeitig werden die dem Euro-Währungsgebiet angehörenden Mitgliedstaaten erste Maßnahmen darlegen, zu deren Durchführung sie sich im Rahmen des Paktes für das nächste Jahr verpflichten (Schlussfolgerungen der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets vom 11. März 2011, S. 1).

40

Ausweislich des Vertragstextes und der Schlussfolgerungen soll der "Pakt für den Euro" darauf abzielen, die wirtschaftliche Säule der Währungsunion zu stärken, eine neue Qualität der wirtschaftspolitischen Koordinierung zwischen den Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes zu erreichen, ihre Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern und dadurch einen höheren Grad an Konvergenz zu erreichen. Der Schwerpunkt soll vor allem auf die Politikbereiche gelegt werden, die in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fallen und die für die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit und die Vermeidung schädlicher Ungleichgewichte von entscheidender Bedeutung sind. Die nicht dem Euro-Währungsgebiet angehörenden Mitgliedstaaten wurden ausdrücklich eingeladen, sich auf freiwilliger Basis zu beteiligen (vgl. Schlussfolgerungen der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes vom 11. März 2011, Anlage I, Seite 6 ff.). Die vorgesehenen Maßnahmen ("Anstrengungen") sollen vier Leitlinien beachten: Sie sollen im Einklang mit der bestehenden wirtschaftspolitischen Steuerung in der Europäischen Union stehen und ihrer Verstärkung dienen, mit den bereits bestehenden Instrumenten der Europäischen Union - der Strategie Europa 2020, dem Europäischen Semester, den Integrierten Leitlinien, dem Stabilitäts- und Wachstumspakt und dem neuen Rahmen für die Überwachung der Wirtschaftspolitik - vereinbar sein und auf ihnen aufbauen. Dabei soll der Europäischen Kommission eine zentrale Rolle bei der Überwachung der Erfüllung der Verpflichtungen zukommen. Die Anstrengungen sollen die Politikbereiche abdecken, die für die Förderung von Wettbewerbsfähigkeit und Konvergenz von maßgeblicher Bedeutung sind. Sie sollen sich auf Maßnahmen konzentrieren, die in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fallen, wobei in diesen Politikbereichen auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs gemeinsame Ziele vereinbart werden, die teilnehmenden Mitgliedstaaten diese aber selbständig verfolgen sollen. Es ist darüber hinaus vorgesehen, dass alle Staats- und Regierungschefs jedes Jahr konkrete nationale Verpflichtungen eingehen und sich dabei an den Leistungsstärksten innerhalb Europas und unter den strategischen Partnern orientieren. Die Erfüllung dieser Verpflichtungen und die Fortschritte bei der Verwirklichung der gemeinsamen politischen Ziele sollen jährlich einem Monitoring auf politischer Ebene unterzogen werden, das sich auf einen Bericht der Europäischen Kommission stützen soll. Schließlich seien die dem Euro-Währungsgebiet angehörenden Mitgliedstaaten uneingeschränkt der Vollendung des Binnenmarkts verpflichtet. Die dem Euro-Währungsgebiet angehörenden Mitgliedstaaten verpflichten sich in dem Pakt für den Euro, alle Maßnahmen zu ergreifen, die für die Verwirklichung der Ziele einer Förderung der Wettbewerbsfähigkeit, der Beschäftigung, der langfristigen Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen und der Stärkung der Finanzstabilität erforderlich sind. Als Gegenstände der Koordinierung werden unter anderem die Verfahren der Lohnbildung und Tarifabschlüsse im öffentlichen Sektor, die Verbesserung der Bildungssysteme, die unternehmerfreundlichere Gestaltung des Handels- und Insolvenzrechts, Arbeitsmarktreformen zur Förderung der "Flexicurity" und Anpassungen der Rentensysteme genannt. Ein besonderes Augenmerk soll in diesen Zusammenhang auch auf die Koordinierung der Steuerpolitik gerichtet werden (vgl. Schlussfolgerungen der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes vom 11. März 2011, Anlage I, S. 6 ff.). Die Vereinbarung war Gegenstand der Befassung mehrerer Ausschüsse des Deutschen Bundestages (Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union, Protokoll Nr. 17/34 vom 16. März 2011, S. 10 f.; Haushaltsausschuss, Protokoll Nr. 17/49 vom 16. März 2011, S. 49; Finanzausschuss, Protokoll Nr. 17/45 vom 16. März 2011, S. 60).

41

c) Auf der Tagung des Europäischen Rates vom 24./25. März 2011 traten Bulgarien, Dänemark, Lettland, Litauen, Polen und Rumänien der nunmehr "Euro-Plus-Pakt" genannten Vereinbarung bei. Eine inhaltliche Änderung des Paktes erfolgte nicht mehr. Am 28. März 2011 erhielt der Deutsche Bundestag die Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 24./25. März 2011 (EUCO 10/11), die in Anlage 1 den "Euro-Plus-Pakt" enthielten. Die Europäische Kommission bezog den Euro-Plus-Pakt in der Folge auch in die "neue Europäische Ordnungspolitik" ein und stellte klar, dass die neuen Verpflichtungen aus dem Pakt in die nationalen Reform- und Stabilitätsprogramme aufgenommen und dem regulären EU-Überwachungsverfahren unterworfen würden (Mitteilung der Kommission vom 7. Juni 2011 zum Abschluss des ersten Europäischen Semesters für die Koordinierung der Wirtschaftspolitik, KOM (2011) 400 endgültig, S. 9). Unter dem Dach des Paktes findet sich zudem die ausdrückliche Verpflichtung der teilnehmenden Staaten, "die im Stabilitäts- und Wachstumspakt enthaltenen Haushaltsvorschriften der Europäischen Union in nationales Recht umzusetzen" (EUCO 10/11, S. 19).

42

d) Im November 2011 verabschiedete die Europäische Union fünf Verordnungen und eine Richtlinie - das sogenannte "Sixpack" -, die teilweise der Umsetzung des Euro-Plus-Paktes dienen, zum Teil aber auch unabhängig davon eine Fortentwicklung des bereits sekundärrechtlich verankerten Stabilitäts- und Wachstumspaktes darstellen (Verordnung (EU) Nr. 1173/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. November 2011 über die wirksame Durchsetzung der haushaltspolitischen Überwachung im Euro-Währungsgebiet, ABl. EU Nr. L 306 vom 23. November 2011, S. 1; Verordnung (EU) Nr. 1174/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. November 2011 über Durchsetzungsmaßnahmen zur Korrektur übermäßiger makroökonomischer Ungleichgewichte im Euro-Währungsgebiet, ABl. EU Nr. L 306 vom 23. November 2011, S. 8; Verordnung (EU) Nr. 1175/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. November 2011 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1466/97 des Rates über den Ausbau der haushaltspolitischen Überwachung und der Überwachung und Koordinierung der Wirtschaftspolitiken, ABl. EU Nr. L 306 vom 23. November 2011, S. 12; Verordnung (EU) Nr. 1176/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. November 2011 über die Vermeidung und Korrektur makroökonomischer Ungleichgewichte, ABl. EU Nr. L 306 vom 23. November 2011, S. 25; Verordnung (EU) Nr. 1177/2011 des Rates vom 8. November 2011 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1467/97 über die Beschleunigung und Klärung des Verfahrens bei einem übermäßigen Defizit, ABl. EU Nr. L 306 vom 23. November 2011, S. 33; Richtlinie 2011/85/EU des Rates vom 8. November 2011 über die Anforderungen an den haushaltspolitischen Rahmen der Mitgliedstaaten, ABl. EU Nr. L 306 vom 23. November 2011, S. 41).

II.

43

Mit ihren im Rubrum wiedergegebenen Anträgen begehrt die Antragstellerin die Feststellung, dass die Antragsgegnerin die Rechte des Deutschen Bundestages aus Art. 23 Abs. 2 GG verletzt habe, indem sie diesen über den Europäischen Stabilitätsmechanismus und über den Euro-Plus-Pakt nicht hinreichend und nicht rechtzeitig unterrichtet habe.

44

1. a) Die Frist des § 64 Abs. 3 BVerfGG sei gewahrt. Das Organstreitverfahren betreffe ein Unterlassen der Bundesregierung, so dass die Frist frühestens in dem Zeitpunkt zu laufen begonnen habe, in dem sich die Antragsgegnerin erkennbar und endgültig geweigert habe, die gebotene Handlung vorzunehmen. Eine solche Weigerung, den Deutschen Bundestag zu unterrichten, sei nicht vor der Tagung des Europäischen Rates am 4. Februar 2011 zum Ausdruck gebracht worden.

45

b) Der Antrag sei auch begründet. So habe die Antragsgegnerin den Deutschen Bundestag über die Ausgestaltung des Europäischen Stabilitätsmechanismus nicht umfassend, frühestmöglich und fortlaufend unterrichtet.

46

aa) Beim Europäischen Stabilitätsmechanismus handele es sich um eine Angelegenheit der Europäischen Union im Sinne von Art. 23 Abs. 2 Satz 1 GG. Der Begriff der Angelegenheit der Europäischen Union sei weit zu verstehen und orientiere sich nicht allein an der formellen Einordnung der Rechtsgrundlage in den supranationalen Integrationsverbund. Der geplante Art. 136 Abs. 3 AEUV und der auf seiner Grundlage zu errichtende Europäische Stabilitätsmechanismus hätten erhebliche Auswirkungen auf die Wirtschafts- und Währungsunion. Die Ermächtigung der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes zur Einrichtung eines ständigen Stabilitätsmechanismus ergänze den bisherigen Charakter der Wirtschafts- und Währungsunion. Die hiermit einhergehenden Pflichten hätten erhebliche Rückwirkungen auf das nationale Haushaltsverfassungsrecht und beträfen damit einen Kernbereich parlamentarischer Verantwortung. Der Umbau der Wirtschafts- und Währungsunion berühre jenen Katalog von Staatsaufgaben, den das Bundesverfassungsgericht als identitätsprägend herausgestellt und der parlamentarischen Integrationsverantwortung vorbehalten habe. Entstehungsgeschichtlich und institutionell sei der Europäische Stabilitätsmechanismus als "Angelegenheit der Europäischen Union" ausgewiesen. So seien die Planungen von Anfang an auf eine Stabilisierung der Wirtschafts- und Währungsunion ausgerichtet gewesen; mit dem Europäischen Rat und der Europäischen Kommission seien Organe der Europäischen Union maßgeblich an der Ausgestaltung beteiligt. Die "Vereinbarung über die Merkmale des Europäischen Stabilitätsmechanismus" in den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 24./25. März 2011 (EUCO 10/11, Anlage II, S. 21 ff.) könne als inhaltlich prägendes Gründungsdokument gelten. Der Europäische Rat habe, ausdrücklich unter Rückgriff auf Art. 136 Abs. 3 AEUV, Einvernehmen darüber erzielt, dass die Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes einen ständigen Stabilisierungsmechanismus einrichten müssten. Insoweit sei der Europäische Stabilitätsmechanismus ein Geschöpf des Europäischen Rates. Die Statik des Europäischen Stabilitätsmechanismus - Aufgaben und Finanzierungsstrategie, Leitung, Kapitalstruktur sowie Instrumente - werde grundlegend bestimmt von den im Europäischen Rat vereinbarten Merkmalen. Im Übrigen habe die Bundesregierung ihrerseits die Finalisierung der Arbeiten zur Ausgestaltung des künftigen Stabilitätsmechanismus als eine dem Europäischen Rat vorbehaltene Angelegenheit behandelt und die Zugehörigkeit des Europäischen Stabilitätsmechanismus zu einem Gesamtpaket betont, ausgerichtet auf die dauerhafte Stabilisierung des Euro-Währungsgebietes. Auf diese Weise habe sie maßgeblich dazu beigetragen, den Europäischen Stabilitätsmechanismus institutionell und materiell als Angelegenheit der Europäischen Union auszuweisen und innerhalb der Wirtschafts- und Währungspolitik (Art. 119 ff. AEUV) konzeptionell eng mit dem Kapitel über die Wirtschaftspolitik zu verzahnen (Art. 120 ff. AEUV). Auch nach dem beabsichtigten Inkrafttreten des Vertrages über den Europäischen Stabilitätsmechanismus bleibe der enge institutionelle Konnex zur Europäischen Union erhalten. Der Europäische Stabilitätsmechanismus stelle sich als zwischenstaatliche Organisation ohne eigene Hoheitsgewalt dar, zugleich aber als hybride Kombination aus intergouvernementalen und supranationalen Elementen. Bei der "Aktivierung der Finanzhilfe" werde der Europäischen Kommission eine wichtige Rolle zugedacht, die zusammen mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) und in Absprache mit der Europäischen Zentralbank (EZB) den tatsächlichen Finanzierungsbedarf des begünstigten Mitgliedstaates ermitteln solle. In Streitfällen solle der Europäische Gerichtshof gemäß Art. 273 AEUV angerufen werden können. Die geplante Vertragsänderung des Art. 136 Abs. 3 AEUV führe in ihrer Zielrichtung zurück in die supranationale Union. Der Europäische Stabilitätsmechanismus erweise sich damit als ein stabilisierender Anbau an die unionsrechtlich geregelte Wirtschafts- und Währungsunion. Der Gesetzgeber habe dem dadurch Rechnung getragen, dass nach § 4 Abs. 4 Nr. 1 EUZBBG die Bundesregierung den Deutschen Bundestag auch über völkerrechtliche Verträge zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Mitgliedstaaten der Europäischen Union zu unterrichten habe, wenn diese eine engere Kooperation in Politikbereichen normieren, die auch in die Zuständigkeit der Europäischen Union fallen. In dem hier betroffenen Politikbereich sei die Europäische Union ausschließlich zuständig.

47

bb) Aus Art. 23 Abs. 2 GGfolge, dass die Bundesregierung die Unterrichtungspflichten nach Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG in der konkretisierenden Ausgestaltung der §§ 4 ff. EUZBBG hätte erfüllen müssen. Die Bundesregierung sei zur Unterrichtung zum frühestmöglichen Zeitpunkt verpflichtet. Angesichts des prozesshaften Charakters der Beschlussfassung beinhalte diese Pflicht auch eine Pflicht zur fortlaufenden Unterrichtung; § 4 Abs. 1 Satz 1 EUZBBG stelle dies klar. Die Pflicht zur umfassenden Unterrichtung des Deutschen Bundestages solle diesen in die Lage versetzen, seine Mitwirkungsrechte effektiv zu nutzen, und erfasse daher auch vorbereitende Papiere der Europäischen Kommission und des Rates einschließlich inoffizieller Dokumente. Sie habe in der Regel schriftlich zu erfolgen, weil nur dies jene verlässliche Informationsgrundlage schaffe, ohne die von umfassender Unterrichtung nicht die Rede sein könne. Die Auffassung, wonach über die Sitzungen der Eurogruppe nur mündlich unterrichtet werde, weil § 5 Abs. 4 EUZBBG lex specialis gegenüber § 5 Abs. 3 und 5 EUZBBG sei, sei mit Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG, der den Deutsche Bundestag umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt unterrichtet sehen wolle, unvereinbar.

48

cc) Die Antragsgegnerin habe die Rechte des Deutschen Bundestages aus Art. 23 Abs. 2 GG dadurch verletzt, dass sie es unterlassen habe, ihn in der Zeit vor und nach der Tagung des Europäischen Rates vom 4. Februar 2011 umfassend, zum frühestmöglichen Zeitpunkt und fortlaufend über die Ausgestaltung des Europäischen Stabilitätsmechanismus zu unterrichten und spätestens am 6. April 2011 den Entwurf eines Vertrages über den Europäischen Stabilitätsmechanismus zu übersenden. Das federführende Bundesministerium der Finanzen habe im Vorfeld der Tagung des Europäischen Rates vom 4. Februar 2011 zunächst die Übermittlung relevanter Papiere zugesagt, dies aber später mit unterschiedlichen, einander widersprechenden rechtlichen Argumenten abgelehnt. Im Anschluss an die Tagung des Europäischen Rates vom 4. Februar 2011 habe die Antragsgegnerin ihre Verpflichtung zur Nachberichterstattung nicht erfüllt.

49

Aus den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 24./25. März 2011 ergebe sich, dass in der Phase zwischen dem 4. Februar 2011 und dem 24./25. März 2011 gravierende Entscheidungen getroffen worden seien, ohne dass der Deutsche Bundestag Gelegenheit gehabt habe, hieran mitzuwirken. Die in diesem Zeitraum getroffene "Vereinbarung über die Merkmale des Europäischen Stabilitätsmechanismus" sei dessen Gründungsdokument, über das die Antragsgegnerin nach § 5 Abs. 5 EUZBBG fortlaufend und umfassend hätte unterrichten müssen.

50

Aus Entwürfen des Vertrages über den Europäischen Stabilitätsmechanismus, auf die der Deutsche Bundestag informell habe zugreifen können, lasse sich schließen, dass spätestens seit dem 6. April 2011 Textstufen des Vertrages vorgelegen hätten. Eine Übermittlung durch die Antragsgegnerin sei dagegen erst am 17. Mai 2011 erfolgt. Da die Übersendung ohne Anerkennung einer Rechtspflicht erfolgt sei, sei zu befürchten, dass die Antragsgegnerin ihre Unterrichtungspraxis aus eigenem Antrieb nicht ändern werde.

51

2. Auch mit Blick auf den sogenannten Euro-Plus-Pakt habe die Bundesregierung gegen ihre Pflicht aus Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG verstoßen.

52

a) Der Euro-Plus-Pakt sei ebenfalls eine Angelegenheit der Europäischen Union im Sinne von Art. 23 Abs. 2 Satz 1 GG. Im Zusammenwirken der Instrumente werde das supranationale Überwachungsrecht der Art. 121, 126 AEUV auf die zwischenstaatlichen Verpflichtungen aus dem Euro-Plus-Pakt erstreckt. Angesichts der Inhalte und der erkennbar an Art. 121 AEUV angelehnten Verfahren könne nicht zweifelhaft sein, dass es sich beim Pakt um eine Angelegenheit der Europäischen Union im Sinne von Art. 23 Abs. 2 GG handele.

53

b) Über Initiativen der Antragsgegnerin habe diese den Deutschen Bundestag gemäß § 5 Abs. 2 EUZBBG durch umfassende und frühestmögliche Übersendung von Dokumenten und Informationen zu unterrichten. Art. 23 Abs. 1 und Abs. 2 GG und die Begleitgesetze zu den Informations- und Mitwirkungsrechten stellten klar, dass Europapolitik nicht der Prärogative der Regierung in auswärtigen Angelegenheiten unterliege.

54

aa) Der Euro-Plus-Pakt habe seinen Ursprung in einer deutsch-französischen Initiative vom 4. Februar 2011. Diese habe die Bundeskanzlerin gemeinsam mit dem französischen Staatspräsidenten beim Europäischen Rat eingebracht, ohne dass der Deutsche Bundestag im Vorfeld davon unterrichtet gewesen sei. Auf entsprechende Anfragen des Deutschen Bundestages habe der Staatsminister des Bundeskanzleramtes in der Sitzung des Europaausschusses vom 9. Februar 2011 auch nach Einbringung der Initiative mehrfach auf das Fehlen einer abgestimmten Position innerhalb der Bundesregierung sowie darauf verwiesen, dass es noch kein Papier gebe. Unabhängig von der Frage, inwieweit kabinettsinterne Abstimmungsprozesse zum Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung zu rechnen seien, habe es sich bei der am 4. Februar 2011 eingebrachten Initiative der Bundeskanzlerin jedenfalls um eine Position der Bundesregierung gehandelt. Wegen ihrer Richtlinienkompetenz sei die Initiative spätestens zu jenem Zeitpunkt auch zu einer Initiative der Bundesregierung geworden. In demselben Augenblick habe diese ihre verfassungsrechtliche Pflicht zur Unterrichtung des Deutschen Bundestages verletzt. Das Gebot der umfassenden und frühestmöglichen Unterrichtung (Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG) schließe es aus, den Deutschen Bundestag erst im Nachhinein zu informieren. Eine deutsche Initiative sei insoweit erst nach der Abstimmung zwischen Regierung und Parlament zulässig. Die Bezeichnung der Initiative als "persönliche" Initiative der Bundeskanzlerin umgehe die Unterrichtungspflicht aus Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG.

55

bb) Auch im weiteren Fortgang des Verhandlungsprozesses über den Pakt habe die Antragsgegnerin die Pflicht zur Unterrichtung des Deutschen Bundestages verletzt. Zwischen der Tagung des Europäischen Rates vom 4. Februar 2011, dem Treffen der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes am 11. März 2011 und der Tagung des Europäischen Rates am 24./25. März 2011 sei eine Verständigung über den Euro-Plus-Pakt erfolgt. Spätestens am 25. Februar 2011 habe der Antragsgegnerin ein konkretisierter Sach- und Verhandlungsstand vorgelegen, über den sie vor der Tagung des Europäischen Rates von sich aus hätte unterrichten müssen.

III.

56

Die Antragsgegnerin hält den Antrag zu 1. für unzulässig und beide Anträge für unbegründet. Sie beantragt, die Anträge zurückzuweisen.

57

1. a) Der Antrag zu 1. sei verfristet. Das Bundesministerium der Finanzen habe bereits am 19. Januar 2011 darauf hingewiesen, dass es sich beim Europäischen Stabilitätsmechanismus nicht um ein Vorhaben der Europäischen Union handele. Damit sei der Antragstellerin das Unterlassen der Antragsgegnerin im Sinne von § 64 Abs. 3 BVerfGG bekannt geworden. Der dem Bundesverfassungsgericht erst am 25. Juli 2011 zugegangene Antrag sei daher nicht innerhalb der sechsmonatigen Antragsfrist gestellt worden.

58

b) Der Antrag sei außerdem unbegründet, weil es sich bei dem geplanten Europäischen Stabilitätsmechanismus um eine internationale Finanzinstitution außerhalb des Rahmens der Europäischen Union handele und damit nicht um eine Angelegenheit der Europäischen Union im Sinne von Art. 23 Abs. 2 GG. Die besonderen Mechanismen, die für die Parlamentsbeteiligung nach Art. 23 Abs. 2 GG vorgesehen und für den Deutschen Bundestag im Gesetz über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union geregelt seien, seien auf die Abstimmung von intergouvernementalen Maßnahmen, wie sie der Europäische Stabilitätsmechanismus darstelle, nicht übertragbar. Die Kombination aus Zustimmung zur Übertragung nur bestimmter Hoheitsrechte und den in Art. 23 Abs. 2 GG vorgesehenen Informationsansprüchen ermögliche es dem Deutschen Bundestag, seine Integrationsverantwortung wahrzunehmen. Bei völkerrechtlichem Handeln außerhalb des Rahmens der supranationalen Europäischen Union besitze der Deutsche Bundestag hingegen nach Art. 24 GG und/oder Art. 59 Abs. 2 GG ein Letztentscheidungsrecht, so dass hier nicht in gleichem Maße das Bedürfnis nach umfassender Information bestehe. Art. 23 Abs. 2 GG durchbreche den Primat der Exekutive überdies nicht in dem Sinne, dass Bundesregierung, Deutscher Bundestag und Bundesrat unterschiedslos zusammenwirkten. Alle drei Verfassungsorgane wirkten in auswärtigen Angelegenheiten sowohl allgemein als auch im Kontext der europäischen Zusammenarbeit in ihrer jeweils spezifischen Funktion mit. Primär zum Handeln berufen sei auch insoweit weiterhin die Bundesregierung. Auch im Zusammenhang mit Angelegenheiten der Europäischen Union bleibe ihr ein Bereich exekutiver Eigenverantwortung vorbehalten.

59

Die Ausgestaltung des Europäischen Stabilitätsmechanismus sei keine Angelegenheit der Europäischen Union. Die intergouvernementale Zusammenarbeit von Mitgliedstaaten, die neben derjenigen im Rahmen der Europäischen Union stattfinde, habe - anders als die in der Europäischen Union - keine supranationale Qualität. Die erforderliche Einbindung des Gesetzgebers werde deshalb durch Art. 59 Abs. 2 und Art. 24 GG gewährleistet. Im Zusammenhang mit der Errichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus sei zwar die Einfügung eines Art. 136 Abs. 3 AEUV beschlossen worden. Mit dieser Vertragsänderung erhalte die Europäische Union jedoch keine zusätzlichen Hoheitsrechte. Vielmehr gehe es um die Klarstellung, dass das auch an die Mitgliedstaaten gerichtete Verbot des Art. 125 AEUV der Errichtung eines Stabilitätsmechanismus nicht entgegenstehe, hierzu aber nicht die Europäische Union, sondern die Mitgliedstaaten außerhalb des Rahmens der Europäischen Union aufgerufen seien. Die Mitgliedstaaten gründeten mit dem Vertrag über den Europäischen Stabilitätsmechanismus eine neue internationale Finanzinstitution außerhalb der Europäischen Union.

60

Auf europäischer Ebene bestehe Einigkeit darüber, dass der Europäische Stabilitätsmechanismus keine Einrichtung der Europäischen Union sei, sondern eine der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes. Dies zeigten Stellungnahmen der Europäischen Kommission und der Europäischen Zentralbank sowie eine Entschließung des Europäischen Parlaments zu dem geplanten Stabilitätsmechanismus.

61

Die Schutzfunktion des Art. 23 GG, den Gesetzgeber vor einem "Kompetenzabfluss durch Kompetenzüberschreitungen" der Europäischen Union zu bewahren, komme nicht zum Tragen. Der Deutsche Bundestag könne und solle, wie in vergleichbaren Fällen der Schaffung internationaler Finanzinstitutionen - etwa des Internationalen Währungsfonds - üblich und von der Verfassung vorgesehen, seine Zuständigkeit als nationaler Gesetzgeber uneingeschränkt ausüben. Dieses Recht gehe über eine nur mittelbare Beteiligung im Rahmen des europäischen Rechtsetzungsprozesses hinaus. Die Verfahrensweisen zur Vorbereitung unionaler Rechtsakte, auf die das Gesetz über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union zugeschnitten sei, kämen bei den Verhandlungen zum Vertrag über den Europäischen Stabilitätsmechanismus nicht zur Anwendung, weil die Arbeiten, dem zwischenstaatlichen Charakter entsprechend, nicht in den Ratsgremien stattfänden. Der Europäische Rat habe die Finanzminister des Euro-Währungsgebietes auf seiner Tagung am 16./17. Dezember 2010 gebeten, die Arbeiten an der zwischenstaatlichen Vereinbarung abzuschließen und hierbei auch die Mitgliedstaaten einzubeziehen, deren Währung nicht der Euro ist. Dass die Mitgliedstaaten im Zusammenhang mit der geplanten Änderung des Art. 136 AEUV auch die wesentlichen Merkmale des Europäischen Stabilitätsmechanismus im Europäischen Rat diskutiert hätten, ändere nichts an dieser Beurteilung. Die Zielsetzung der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes habe von Anfang an darin bestanden, den Europäischen Stabilitätsmechanismus nicht in den institutionellen Rahmen der Europäischen Union einzupassen. Auch die Betrauung von Organen der Europäischen Union mit speziellen Aufgaben sowie die Zuständigkeit des Europäischen Gerichtshofs im Rahmen einer Schiedsvertragsklausel führten nicht dazu, dass der Europäische Stabilitätsmechanismus zu einer Angelegenheit der Europäischen Union werde. Art. 273 AEUV fordere für das Tätigwerden des Europäischen Gerichtshofs zwar einen gewissen Zusammenhang mit dem Gegenstand der Unionsverträge. Über die Streitigkeit entscheide der Gerichtshof aber nicht auf der Grundlage des Unionsrechts, sondern auf der Basis des zwischen den Parteien vereinbarten Vertrages. Die Ausgestaltung des Europäischen Stabilitätsmechanismus falle nicht ausschließlich in den Zuständigkeitsbereich der Europäischen Union. Unionsrechtlich intendierte völkervertragliche Regelungen zwischen Mitgliedstaaten seien auch nicht ungewöhnlich. Den zahlreichen Doppelbesteuerungsabkommen mit anderen Staaten der Europäischen Union habe der Deutsche Bundestag stets nach Art. 59 Abs. 2 GG zugestimmt. Auch aus der besonderen Haushaltsbezogenheit des Europäischen Stabilitätsmechanismus und dem Grundsatz der parlamentarischen Haushaltsverantwortung seien keine besonderen Informationspflichten abzuleiten.

62

c) Der Antrag zu 1. sei jedenfalls deshalb unbegründet, weil die Antragsgegnerin den Deutschen Bundestag über die Arbeiten am Europäischen Stabilitätsmechanismus stets zeitnah und umfassend informiert habe.

63

Über die Ergebnisse der im März 2010 eingesetzten Arbeitsgruppe zur Reform des Regelwerks der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion seien die Bundestagsausschüsse für Haushalt, Finanzen und für die Angelegenheiten der Europäischen Union regelmäßig durch Vor- und Nachberichte zu den Treffen der Arbeitsgruppe mündlich unterrichtet worden. Darüber hinaus sei dem Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union am 23. März 2011 ein Papier zu den Grundsätzen des Europäischen Stabilitätsmechanismus (term sheet) als Tischvorlage vorgelegt worden. Damit habe der Deutsche Bundestag bereits am 23. März 2011 ein Dokument erhalten, das die auf der Tagung des Europäischen Rates am 24./25. März 2011 beratenen Vorstellungen zum Europäischen Stabilitätsmechanismus zusammengefasst habe.

64

Die Vorsitzenden des Haushaltsausschusses und des Ausschusses für Angelegenheiten der Europäischen Union hätten am 18. Mai 2011 die englischsprachige Fassung sowie eine nicht offizielle deutsche Übersetzung des Entwurfs eines Vertrages über den Europäischen Stabilitätsmechanismus erhalten, über den erstmals während der Sitzung der erweiterten Euro-Gruppe am 16. Mai 2011 gesprochen worden sei. Da der Prozess der Ausarbeitung des Vertragsentwurfs innerhalb des speziellen Formats der sogenannten erweiterten Euro-Gruppe stattgefunden habe, die informell zusammentrete und sensible Materien behandle, sehe § 5 Abs. 4 EUZBBG lediglich eine mündliche Unterrichtung vor. Das Vorgehen der Antragsgegnerin habe den Usancen innerhalb der Euro-Gruppe entsprochen. Ob sich alle Mitgliedstaaten an die grundsätzlich geltende Vertraulichkeit hielten, könne nicht Maßstab für das Handeln der Bundesregierung sein. Letztlich sei es der Bundesfinanzminister gewesen, der Hindernisse für die Übermittlung des Vertragsentwurfs aus dem Weg geräumt habe, indem er am 16. Mai 2011 eine Verständigung der Finanzminister der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes darüber erwirkt habe, dass der Entwurf den nationalen Parlamenten übermittelt werde. Eine frühere Übersendung des noch im Entstehungsprozess befindlichen Textes sei verfassungsrechtlich nicht geboten gewesen.

65

2. Der Antrag zu 2. sei unbegründet, weil es sich bei dem Euro-Plus-Pakt ebenfalls nicht um eine Angelegenheit der Europäischen Union handele und die Antragsgegnerin überdies möglichen Unterrichtungspflichten jedenfalls vollumfänglich entsprochen habe.

66

a) Der Euro-Plus-Pakt sei keine Angelegenheit der Europäischen Union im Sinne von Art. 23 Abs. 2 GG, weil er lediglich die im Unionsrecht vorgesehenen Koordinierungsmechanismen (insbesondere Art. 121 AEUV) in Bereichen der Wirtschafts- und Sozialpolitik ergänzen solle, die vollständig in der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten lägen. Bei den zu vereinbarenden Zielen handele es sich durchweg um freiwillige Selbstverpflichtungen auf intergouvernementaler Grundlage. Die Aufnahme entsprechender Maßnahmen auch in die jeweiligen "Nationalen Reformprogramme" bestätige ihren innerstaatlichen Charakter. Die Mitgliedstaaten legten diese Programme der Europäischen Kommission vor, die die Vorhaben und deren Umsetzung prüfe und bewerte. Unmittelbare rechtliche Folgen seien damit nicht verbunden. Deshalb könne Art. 23 Abs. 2 GG Unterrichtungspflichten der Bundesregierung im Zusammenhang mit dem Euro-Plus-Pakt nicht begründen.

67

b) Ungeachtet dessen habe die Bundesregierung den Deutschen Bundestag stets frühzeitig, umfassend und fortlaufend über den Euro-Plus-Pakt informiert.

68

Der Staatsminister des Bundeskanzleramtes habe den Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union am 26. Januar 2011 vorab über die Tagung des Europäischen Rates vom 4. Februar 2011 mündlich informiert. Der Bundesminister der Finanzen habe in derselben Sitzung über das Treffen der Finanzminister des Euro-Währungsgebietes vom 24. Januar 2011 berichtet und dabei unter anderem die geplante stärkere Koordinierung der Wirtschafts- und Sozialpolitik innerhalb der Euro-Gruppe erwähnt. Am 2. Februar 2011 habe der Deutsche Bundestag den schriftlichen Vorbericht des Bundeskanzleramtes zur Tagung des Europäischen Rates am 4. Februar 2011 erhalten. Am 3. Februar 2011 habe der Staatsminister des Bundeskanzleramtes mit den Obleuten des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union wegen des geplanten Paktes für Wettbewerbsfähigkeit telefoniert. Auf seiner Tagung am 4. Februar 2011 habe der Europäische Rat Elemente für ein Gesamtpaket zur dauerhaften Stärkung der Wirtschafts- und Währungsunion benannt. Die Staats- und Regierungschefs hätten sich dem Grunde nach darauf verständigt, dass ein Element des Gesamtpakets darin bestehen solle, weitere Schritte hin zu einer Vertiefung der Koordinierung der Wirtschaftspolitik mit dem Ziel einer größeren Konvergenz und Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit zu unternehmen. Inhaltliche Festlegungen seien beim Europäischen Rat am 4. Februar 2011 nicht getroffen worden. Über die Ergebnisse dieses Europäischen Rates habe das Bundeskanzleramt dem Deutschen Bundestag am 7. Februar 2011 schriftlich berichtet; der Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union sei am 9. Februar 2011 mündlich unterrichtet worden, der Finanzausschuss am 23. Februar 2011.

69

Der Präsident des Europäischen Rates habe zwischen dem 7. Februar 2011 und dem 11. März 2011 bilaterale Konsultationen mit allen Mitgliedstaaten, die dem Euro-Währungsgebiet angehören, geführt, in einer informellen Runde Vertreter aller dieser Mitgliedstaaten über die Ergebnisse seiner Konsultationen informiert und im Lichte dieser Beratungen den Text erstellt, der den Staats- und Regierungschefs dann auf ihrer informellen Tagung am 11. März 2011 vorgelegt worden sei. Die Bundeskanzlerin habe den Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union vorab über die informelle Tagung der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes am 11. März 2011 informiert. Am Morgen des 11. März 2011 habe die Antragsgegnerin dem Deutschen Bundestag eine Entwurfsfassung des nun als "Pakt für den Euro" bezeichneten Vorhabens übersandt, auf den sich die Staats- und Regierungschefs am gleichen Tag geeinigt hätten. Nachberichte seien wiederum im Finanzausschuss am 16. März 2011, im Haushaltsausschuss am 23. März 2011 und im Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union ebenfalls am 23. März 2011 erstattet worden. Das deutsche Aktionsprogramm im Rahmen des Euro-Plus-Paktes sei dem Deutschen Bundestag ebenfalls präsentiert worden. Am 24. März 2011 habe die Bundeskanzlerin im Plenum des Deutschen Bundestages eine Regierungserklärung zur bevorstehenden Tagung des Europäischen Rates vom 24./25. März 2011 abgegeben, auf der der Euro-Plus-Pakt endgültig verabschiedet worden sei. Hierüber habe der Staatsminister des Bundeskanzleramtes die Obleute des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union am 28. März 2011 telefonisch unterrichtet. Damit seien alle Informationspflichten erfüllt.

70

Die Antragsgegnerin sei nicht verpflichtet gewesen, über in der Bundesregierung oder zwischen der Bundesregierung und der französischen Regierung noch nicht abgestimmte Überlegungen zu einem Pakt für Wettbewerbsfähigkeit früher zu unterrichten als sie es getan habe. Es bestehe auch keine Pflicht, über eine noch nicht abgeschlossene interne Willensbildung zu informieren.

IV.

71

Der Deutsche Bundestag hat in seiner Sitzung vom 15. Dezember 2011 beschlossen, von einer Äußerung oder einem Verfahrensbeitritt abzusehen.

V.

72

In der mündlichen Verhandlung vom 30. November 2011 haben die Beteiligen ihr schriftsätzliches Vorbringen vertieft und ergänzt.

B.

73

Die Anträge sind zulässig.

I.

74

Die Anträge sind dahingehend auszulegen, dass sie sich auf die im Tenor festgestellten Rechtsverletzungen beschränken.

75

Die Antragstellerin macht eine Verletzung der Rechte des Deutschen Bundestages aus Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG auf Unterrichtung durch die Antragsgegnerin in Angelegenheiten der Europäischen Union geltend. Sie begehrt die Feststellung, dass die Antragsgegnerin den Deutschen Bundestag im Zusammenhang mit der Schaffung des Europäischen Stabilitätsmechanismus und des Euro-Plus-Paktes im Frühjahr 2011 nicht den Vorgaben der Verfassung entsprechend unterrichtet habe. Bezüglich des Europäischen Stabilitätsmechanismus wendet sich die Antragstellerin gegen die unterlassene Unterrichtung im Hinblick auf die Tagung des Europäischen Rates am 4. Februar 2011 und rügt die unterlassene Übersendung des Vertragsentwurfs vom 6. April 2011. Betreffend den Euro-Plus-Pakt beanstandet die Antragstellerin im Zusammenhang mit der Tagung des Europäischen Rates vom 4. Februar 2011 das Unterlassen jeglicher Unterrichtung über die Initiative der Antragsgegnerin sowie einer umfassenden und frühestmöglichen Information über den Pakt.

76

Eine Konkretisierung dieser Anträge im Sinne der im Tenor festgestellten Unterlassungen der Antragsgegnerin ergibt sich in hinreichendem Maße aus der Antragsbegründung. Dort werden der der Bundesregierung am 21. Februar 2011 vorliegende Text der Europäischen Kommission über die Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus und der Entwurf eines Vertrages über den Europäischen Stabilitätsmechanismus vom 6. April 2011 ebenso in Bezug genommen wie die Initiative für den Beschluss eines Paktes für Wettbewerbsfähigkeit und das inoffizielle Dokument der Präsidenten der Europäischen Kommission und des Europäischen Rates vom 25. Februar 2011.

II.

77

1. Die Antragstellerin ist als Fraktion im 17. Deutschen Bundestag im Organstreitverfahren parteifähig (§ 13 Nr. 5, § 63 BVerfGG) und berechtigt, Rechte des Deutschen Bundestages im Wege der Prozessstandschaft geltend zu machen (vgl. BVerfGE 2, 143 <165>; 45, 1 <28>; 67, 100 <125>; 104, 151 <193>; 118, 244 <254 f.>; 124, 78 <106>). Dies ist sowohl Ausdruck der Kontrollfunktion des Parlaments als auch ein Instrument des Minderheitenschutzes (vgl. BVerfGE 45, 1 <29 f.>; 60, 319 <325 f.>; 68, 1 <77 f.>; 121, 135 <151>). Die Bundesregierung ist nach § 63 BVerfGG taugliche Antragsgegnerin.

78

2. Das gerügte Unterlassen der Antragsgegnerin ist zulässiger Gegenstand eines Organstreitverfahrens (§ 64 Abs. 1 BVerfGG).

79

3. Die Antragstellerin ist antragsbefugt (§ 64 Abs. 1 BVerfGG) und hat ihre Anträge den Anforderungen des § 64 Abs. 2 BVerfGG entsprechend begründet. Sie macht eine Verletzung der Unterrichtungspflicht der Bundesregierung aus Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG geltend, der ein Recht des Deutschen Bundestages auf Unterrichtung korrespondiert.Diese als verletzt geltend gemachte Rechtsposition gründet in einem Verfassungsverhältnis, in dem sich auf beiden Seiten Verfassungsorgane gegenüber stehen und um verfassungsrechtliche Positionen streiten.

80

Soweit die als verletzt gerügten Unterrichtungspflichten sich auch nach dem einfachen Recht - hier insbesondere dem Gesetz über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union - bestimmen, ist dies im Organstreit allenfalls insoweit relevant, als das Gesetz unmittelbar aus der Verfassung selbst folgende Rechte und Pflichten widerspiegelt; eine Verletzung einfachen Rechts kann im Organstreit nicht geltend gemacht werden (vgl. BVerfGE 104, 151 <193 f.>; 118, 277 <319>).

81

4. Beide Anträge sind auch fristgerecht gestellt. Sie sind am 25. Juli 2011 und damit innerhalb von sechs Monaten seit Bekanntwerden der Unterlassung (§ 64 Abs. 3 BVerfGG) beim Bundesverfassungsgericht eingegangen (vgl. hierzu BVerfGE 92, 80 <89>).

82

Die Frist zur Antragstellung beginnt erst dann, wenn ein entsprechender Verstoß mit hinreichender Sicherheit feststeht oder wenn sich der Antragsgegner erkennbar weigert, die Maßnahmen zu treffen, die der Antragsteller zur Wahrung der Rechte aus seinem verfassungsrechtlichen Status für erforderlich hält (BVerfGE 92, 80 <89>; 103, 164 <170 f.>; 107, 286 <297>; 114, 107 <118>; zuletzt BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 22. November 2011 - 2 BvE 3/08 -, juris Rn. 34). Dies war hier bezüglich beider Anträge frühestens am 26. Januar 2011 der Fall.

83

a) Da der Lauf der Frist nach § 64 Abs. 3 BVerfGG jedenfalls nicht vor einer entsprechenden und eindeutigen Weigerung des zuständigen Ressortministers beginnen kann (vgl. BVerfGE 21, 312 <319 f.>; s. auch BVerfGE 4, 250 <269>), wurde die Antragsfrist hinsichtlich des Antrags zu 1. frühestens am 26. Januar 2011 in Gang gesetzt. An diesem Tag lehnte der Bundesminister der Finanzen gegenüber dem Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union die Weiterleitung eines inoffiziellen Papiers (non paper) der Europäischen Kommission mit Inhalten und Plänen zum Gesamtpaket ("comprehensive package") von Europäischer Finanzstabilisierungsfazilität und Europäischem Stabilitätsmechanismus ausdrücklich mit der Begründung ab, dass im Hinblick auf Sitzungen der Finanzminister der Euro-Gruppe eine mündliche Unterrichtung ausreiche.

84

Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin wurde ein früherer Fristlauf weder durch die E-Mail eines Referatsleiters im Bundesministerium der Finanzen vom 19. Januar 2011 noch durch Erklärungen im Finanzausschuss und im Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom gleichen Tag ausgelöst. Hierin lässt sich bereits keine eindeutige Weigerung der Bundesregierung erblicken, den Deutschen Bundestag über die Entwicklung der Ausgestaltung des Europäischen Stabilitätsmechanismus und ihn betreffende Vertragsentwürfe zu unterrichten. Noch am 17. Januar 2011 hatte das Bundesministerium der Finanzen auf die Dokumentenanforderung aus dem Bundestag (Referat PA 1 - Europa) telefonisch zugesichert, inoffizielle Dokumente (non papers) der Europäischen Kommission, sobald sie vorlägen, an den Deutschen Bundestag zu übermitteln; zudem wurde sowohl in der E-Mail vom 19. Januar 2011 als auch in den Erklärungen gegenüber den Ausschüssen ausdrücklich versichert, dass der Bundestag über die Arbeiten an dem permanenten Europäischen Stabilitätsmechanismus wie bisher regelmäßig unterrichtet beziehungsweise beteiligt werde, sobald eine abgestimmte Position der Bundesregierung vorliege. Selbst wenn man die in der E-Mail vom 19. Januar 2011 geäußerte Auffassung, es gehe bei den Überlegungen zur Entwicklung eines Europäischen Stabilitätsmechanismus um die Vorbereitung eines zwischenstaatlichen Instruments der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes und nicht um ein Vorhaben der Europäischen Union, als Weigerung verstehen wollte, der Unterrichtungspflicht nach Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG nachzukommen, könnte diese nicht der Bundesregierung zugerechnet werden. Denn bei den Äußerungen handelte es sich lediglich um die - überdies informell geäußerte - Rechtsauffassung eines Referatsleiters beziehungsweise anderer Beamter des Bundesministeriums der Finanzen.

85

b) Auch der Antrag zu 2. ist fristgerecht gestellt. Vor dem 25. Januar 2011 ist eine den Fristlauf in Gang setzende endgültige Weigerung der Antragsgegnerin, dem Deutschen Bundestag Informationen zum Euro-Plus-Pakt zu übermitteln, nicht ersichtlich.

86

5. Der Antragstellerin fehlt es für die Anträge schließlich nicht an dem erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis.

87

Umfang und Reichweite der Informationspflichten und -rechte aus Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG sind unklar und zwischen den Beteiligten umstritten. Dies gilt bereits für den Anwendungsbereich der in Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG geregelten Unterrichtungsrechte des Bundestages. Hier ist klärungsbedürftig, ob Angelegenheiten der Europäischen Union auch intergouvernementale Verträge und Absprachen erfassen, die zwar im Zusammenhang mit der europäischen Integration stehen, aber nicht auf eine Rechtsetzung durch die Europäische Union zielen. Hinsichtlich des Antrags zu 1. hatte die Antragsgegnerin bereits vorprozessual zu erkennen gegeben, dass sie völkerrechtliche Abkommen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union nicht als Angelegenheiten der Europäischen Union verstanden wissen will. Darüber hinaus hat der Bundesminister der Finanzen die Auffassung vertreten, über Dossiers der Euro-Gruppe sei nur mündlich zu unterrichten.

88

Das Rechtsschutzbedürfnis der Antragstellerin wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass die Bundesregierung dem Deutschen Bundestag bereits am 17. Mai 2011 und damit vor Stellung des Antrags im Organstreitverfahren den Entwurf zum Vertrag über den Europäischen Stabilitätsmechanismus und am 11. März 2011 zum Euro-Plus-Pakt zugeleitet hat. Das Rechtsschutzbedürfnis im Organstreitverfahren entfällt grundsätzlich nicht deshalb, weil eine beanstandete Rechtsverletzung abgeschlossen ist (BVerfGE 1, 372 <379>; 41, 291 <303>; 121, 135 <152>). Ob besondere Umstände im Sinne eines "Fortsetzungsfeststellungsinteresses" erforderlich sind, damit über eine in der Vergangenheit liegende und abgeschlossene Rechtsverletzung entschieden werden kann, bedarf hier keiner Entscheidung; denn solche Umstände sind hier in Form eines objektiven Interesses an der Klärung der Reichweite der Unterrichtungspflichten aus Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG (vgl. zum Klarstellungsinteresse BVerfGE 1, 372 <379>; 121, 135 <152>) und in Form einer Wiederholungsgefahr (vgl. BVerfGE 121, 135 <152>; 124, 267 <275>) gegeben. Die Rechtsauffassung, dass es sich bei den verfahrensgegenständlichen Vorgängen nicht um Angelegenheiten der Europäischen Union handele, hat die Antragsgegnerin auch in der Antragserwiderung vorgetragen. Zudem hatte sie vorprozessual vertreten, Papiere, die noch nicht zwischen den Ressorts abgestimmt seien, müssten auch dann nicht dem Bundestag vorgelegt werden, wenn diese von der Bundeskanzlerin zur Grundlage deutscher politischer Initiativen auf europäischer Ebene gemacht würden. Auch bei mündlich eingebrachten Initiativen bestehe keine Unterrichtungspflicht im Sinne von Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG. Den gerügten Unterlassungen liegen damit jeweils Rechtsauffassungen der Antragsgegnerin zu Grunde, die zukünftig in vergleichbaren Fällen zu gleichen Reaktionen auf geltend gemachte Informationsansprüche des Parlaments führen können.

C.

89

Die Anträge sind begründet.

I.

90

Verfassungsrechtlicher Maßstab für die Unterrichtung des Deutschen Bundestages durch die Bundesregierung in und über Angelegenheiten der Europäischen Union ist Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG. Mit Art. 23 GG hat der verfassungsändernde Gesetzgeber die traditionelle Aufgabenverteilung zwischen Exekutive und Legislative im Bereich der auswärtigen Gewalt (1.) für die Angelegenheiten der Europäischen Union dergestalt geordnet, dass er dem Deutschen Bundestag weitreichende Mitwirkungsrechte eingeräumt hat (2.). Die in Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG verankerten Unterrichtungspflichten der Bundesregierung sind Voraussetzung und Ausdruck dieser Mitwirkungsrechte und haben den daraus folgenden Informationsbedürfnissen des Bundestages - unter Wahrung des Kernbereichs exekutiver Eigenverantwortung - in sachlicher, zeitlicher und förmlicher Hinsicht zu genügen (3.).

91

1. Das Grundgesetz hat in Anknüpfung an die traditionelle Staatsauffassung der Regierung im Bereich auswärtiger Politik einen weit bemessenen Spielraum zu eigenverantwortlicher Aufgabenwahrnehmung überlassen (BVerfGE 104, 151 <207>; vgl. auch schon BVerfGE 49, 89 <125>). Die Rolle des Parlaments ist schon aus Gründen der Funktionsgerechtigkeit in diesem Bereich beschränkt (vgl. BVerfGE 104, 151 <207>). Zwar sieht Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG für den Abschluss völkerrechtlicher Verträge, welche die politischen Beziehungen des Bundes regeln oder sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung beziehen, die Notwendigkeit der Zustimmung oder Mitwirkung der jeweils für die Bundesgesetzgebung zuständigen Körperschaften in Form eines Bundesgesetzes vor. Der Verkehr mit anderen Staaten, die Vertretung in internationalen Organisationen, zwischenstaatlichen Einrichtungen und Systemen gegenseitiger kollektiver Sicherheit (Art. 24 Abs. 2 GG) sowie die Sicherstellung der gesamtstaatlichen Verantwortung bei der Außenvertretung Deutschlands fallen aber grundsätzlich in den Kompetenzbereich der Exekutive, insbesondere der Bundesregierung. Die grundsätzliche Zuordnung der Akte des auswärtigen Verkehrs zum Kompetenzbereich der Exekutive beruht auf der Annahme, dass institutionell und auf Dauer typischerweise allein die Regierung in hinreichendem Maße über die personellen, sachlichen und organisatorischen Möglichkeiten verfügt, auf wechselnde äußere Lagen zügig und sachgerecht zu reagieren, und so die staatliche Aufgabe, die auswärtigen Angelegenheiten verantwortlich wahrzunehmen, bestmöglich zu erfüllen (BVerfGE 68, 1 <87>; vgl. auch BVerfGE 104, 151 <207>). Eine erweiternde Auslegung der Zustimmungs- oder Mitwirkungsbefugnisse des Bundestages unter Überspielung der konkreten Ordnung der Verteilung und des Ausgleichs staatlicher Macht im Grundgesetz würde die außen- und sicherheitspolitische Handlungsfähigkeit der Bundesregierung ungerechtfertigt beschneiden und liefe auf eine nicht funktionsgerechte Teilung der Staatsgewalt hinaus (vgl. BVerfGE 90, 286 <363>; 104, 151 <207>). Sie lässt sich nicht auf einen aus dem Demokratieprinzip abgeleiteten allumfassenden Parlamentsvorbehalt stützen (vgl. BVerfGE 49, 89 <124 ff.>; 68, 1 <87>).

92

Auch die der Bundesregierung anvertraute auswärtige Gewalt steht aber nicht außerhalb parlamentarischer Kontrolle (vgl. BVerfGE 104, 151 <207>; siehe ferner BVerfGE 49, 89 <125>; 68, 1 <89>; 90, 286 <364>). Das parlamentarische Regierungssystem des Grundgesetzes stellt dem Deutschen Bundestag auch insoweit geeignete Instrumente für die politische Kontrolle der Bundesregierung zur Verfügung. Der Bundestag kann sein Frage-, Debatten- und Entschließungsrecht ausüben, seine Kontroll- und Haushaltsbefugnisse wahrnehmen und dadurch auf die Entscheidungen der Regierung einwirken oder durch Wahl eines neuen Bundeskanzlers die Regierung stürzen, Art. 67 Abs. 1 Satz 1 GG (BVerfGE 68, 1<109 f.>; vgl. auch BVerfGE 104, 151 <208>).

93

Bei der Gestaltung völkerrechtlicher Verträge ist der Bundestag grundsätzlich auf die nachträgliche Zustimmung gemäß Art. 59 Abs. 2 GG verwiesen ("Ratifikationslage"). Inwieweit die Bundesregierung in diesem Zusammenhang Unterrichtungspflichten treffen, die in den Bereich der vorausgehenden Vertragsverhandlungen hineinreichen, ist nicht grundsätzlich geklärt und hier nicht zu entscheiden.

94

2. Für den Bereich der Europäischen Union hat Art. 23 GG das Spannungsverhältnis zwischen exekutiver Außenvertretung und parlamentarischer Verantwortung auf spezifische Weise ausgestaltet (a) und dem Deutschen Bundestag in Ansehung der mit der Europäisierung verbundenen Gewichtsverlagerung zugunsten der Exekutive (b) weitreichende Mitwirkungsrechte zugestanden (c).

95

a) Art. 23 GG sieht für die Ausübung der auswärtigen Gewalt durch die Bundesregierung in Angelegenheiten der Europäischen Union eine Mitwirkung von Bundestag und Bundesrat vor (Art. 23 Abs. 2 Satz 1 GG). Zentraler, wenn auch nicht alleiniger Bezugspunkt der Mitwirkung des Bundestages ist die Verpflichtung der Bundesregierung, dem Deutschen Bundestag vor einer Mitwirkung an Rechtsetzungsakten der Europäischen Union Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben (Art. 23 Abs. 3 Satz 1 GG) und diese Stellungnahme bei den Verhandlungen zu berücksichtigen (Art. 23 Abs. 3 Satz 2 GG).

96

b) Mit Art. 23 GG hat der verfassungsändernde Gesetzgeber auf mit der europäischen Integration verbundene Verschiebungen im nationalen Gewaltengefüge reagiert. Die europäische Union besitzt aufgrund der Übertragung von Hoheitsrechten (Art. 23 Abs. 1 GG) die Kompetenz, selbst Recht zu setzen, das unmittelbar gilt und in vielfältiger Weise Rechte und Pflichten für die Bürger begründet. Bei seinem Erlass agieren über den Europäischen Rat und den Rat nicht primär die nationalen Gesetzgebungsorgane, sondern die mitgliedstaatlichen Exekutiven. Die der Gesetzgebung zugrunde liegenden politischen Vorstellungen werden vom Europäischen Rat, der sich aus den Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten und den Präsidenten des Europäischen Rates und der Kommission zusammensetzt, in Bezug auf die allgemeinen politischen Ziele festgelegt (Art. 15 EUV). Vor allem ist der Rat, der aus den Vertretern der Mitgliedstaaten auf Ministerebene besteht (vgl. heute Art. 16 Abs. 2 EUV) und grundsätzlich mit qualifizierter Mehrheit entscheidet (Art. 16 Abs. 3 EUV), für die Festlegung der Politik zuständig und - in der Regel gemeinsam mit dem Europäischen Parlament - zentrales Gesetzgebungsorgan (vgl. Art. 16 Abs. 1 EUV). Das stellt die parlamentarische Demokratie auf nationaler Ebene vor besondere Herausforderungen, weil das Parlament aus der Rolle der zentralen Entscheidungsinstanz teilweise verdrängt wird (vgl. Unger, Das Verfassungsprinzip der Demokratie, 2008, S. 43). Eine stärkere Einbindung der nationalen Parlamente in den Integrationsprozess kann deren Kompetenzverluste gegenüber der jeweiligen nationalen Regierung ausgleichen.

97

Eine verbesserte Mitwirkung des nationalen Parlaments an den Entscheidungen der an der Rechtsetzung im Rat beteiligten Bundesregierung wurde als Bedingung ausreichender demokratischer Legitimation der supranationalen Rechtsetzung betrachtet (Abgeordneter Verheugen, Gemeinsame Verfassungskommission, 11. Sitzung am 15. Oktober 1992, Stenographischer Bericht, in: Deutscher Bundestag , Materialien zur Verfassungsdiskussion und zur Grundgesetzänderung in der Folge der deutschen Einigung, Band 1, Bericht und Sitzungsprotokolle, 1996, S. 543 <545>). Daher wurde in den Beratungen der Gemeinsamen Verfassungskommission von Bundestag und Bundesrat eine umfassende und frühestmögliche Unterrichtung durch die Bundesregierung gefordert, um Bundestag und Bundesrat zumindest Gelegenheit zur Einflussnahme auf die Mitwirkung der Bundesregierung an Vorhaben der Europäischen Union zu geben (vgl. Möller/Limpert, ZParl 24 <1993>, S. 21 <24 ff.>).

98

Die verglichen mit der allgemeinen Gewichtsverteilung zwischen Bundesregierung und Deutschem Bundestag im Bereich der auswärtigen Gewalt stärkere Einbindung des Parlaments in Angelegenheiten der Europäischen Union durch weitreichende Informations- und Mitwirkungsrechte (zu ähnlichen Regelungen in anderen Mitgliedstaaten vgl. etwa Art. 6 des Dänischen Gesetzes über den Beitritt zu den Europäischen Gemeinschaften; Art. 88-4 der Französischen Verfassung; Art. 23e des Österreichischen Bundes-Verfassungsgesetzes; Art. 197<1.> lit. i der Portugiesischen Verfassung; Kap. 10 §§ 2 und 3 der Schwedischen Reichstagsordnung) ist zudem Teil einer institutionellen Architektur, die den nationalen Parlamenten in der Europäischen Union eine über die Mitgliedstaaten hinausweisende Rolle zuweist und auf diese Weise ihr demokratisches Legitimationspotential für die Europäische Union fruchtbar machen will (vgl. Lang, Die Mitwirkungsrechte des Bundesrates und des Bundestages in Angelegenheiten der Europäischen Union gemäß Art. 23 Abs. 2 bis 7 GG, 1997, S. 279 f.). Art. 23 Abs. 2 GG korrespondiert insoweit mit Art. 12 EUV, der den nationalen Parlamenten eine stärkere Rolle im institutionellen Gefüge der Europäischen Union beimisst (vgl. auch Protokoll über die Rolle der nationalen Parlamente in der Europäischen Union; Protokoll über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit).

99

c) Art. 23 Abs. 2 Satz 1 GG bezieht das Mitwirkungsrecht des Parlaments auf Angelegenheiten der Europäischen Union und bestimmt damit zugleich den Gegenstand der Unterrichtungspflicht gemäß Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG. Zu den Angelegenheiten der Europäischen Union gehören Vertragsänderungen und entsprechende Änderungen auf der Ebene des Primärrechts (Art. 23 Abs. 1 GG; vgl. auch §§ 2 ff. des Gesetzes über die Wahrnehmung der Integrationsverantwortung des Bundestages und des Bundesrates in Angelegenheiten der Europäischen Union vom 22. September 2009 ) sowie Rechtsetzungsakte der Europäischen Union (Art. 23 Abs. 3 GG). Darin erschöpft sich der Anwendungsbereich der Norm aber nicht.

100

Um Angelegenheiten der Europäischen Union kann es sich auch in anderen Fällen handeln. Insbesondere gehören völkerrechtliche Verträge unabhängig davon, ob sie auf eine förmliche Änderung der vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union (Art. 23 Abs. 1 Satz 3 GG) gerichtet sind, zu den Angelegenheiten der Europäischen Union, wenn sie in einem Ergänzungs- oder sonstigen besonderen Näheverhältnis zum Recht der Europäischen Union stehen. Wann ein solches Verhältnis vorliegt, lässt sich nicht anhand eines einzelnen abschließenden und zugleich trennscharfen Merkmals bestimmen (vgl. auch die Technik lediglich exemplarischer Aufzählung von Vorhaben in § 3 EUZBBG). Maßgebend ist vielmehr eine Gesamtbetrachtung der Umstände, einschließlich geplanter Regelungsinhalte, -ziele und -wirkungen, die sich, je nach Gewicht, einzeln oder in ihrem Zusammenwirken als ausschlaggebend erweisen können. Für die Zugehörigkeit zu den Angelegenheiten der Europäischen Union kann es etwa sprechen, wenn die geplante völkerrechtliche Koordination im Primärrecht verankert oder die Umsetzung des Vorhabens durch Vorschriften des Sekundär- oder Tertiärrechts vorgesehen ist oder ein sonstiger qualifizierter inhaltlicher Zusammenhang mit einem in den Verträgen niedergelegten Politikbereich - also mit dem Integrationsprogramm der Europäischen Union - besteht, wenn das Vorhaben von Organen der Europäischen Union vorangetrieben wird oder deren Einschaltung in die Verwirklichung des Vorhabens - auch im Wege der Organleihe - vorgesehen ist oder wenn ein völkerrechtlicher Vertrag ausschließlich zwischen Mitgliedstaaten der Europäischen Union geschlossen werden soll. Ein qualifizierter inhaltlicher Zusammenhang mit einem der primärrechtlich normierten Politikbereiche der Europäischen Union (vgl. auch § 4 Abs. 4 Nr. 1 EUZBBG), der ein Ergänzungs- oder sonstiges besonderes Näheverhältnis zum Unionsrecht begründet, wird insbesondere dann vorliegen, wenn der Sinn eines Vertragsvorhabens gerade im wechselseitigen Zusammenspiel mit einem dieser Politikbereiche liegt, und erst recht dann, wenn der Weg der völkerrechtlichen Koordination gewählt wird, weil gleichgerichtete Bemühungen um eine Verankerung im Primärrecht der Union nicht die notwendigen Mehrheiten gefunden haben.

101

Für dieses weite Verständnis des Art. 23 Abs. 2 Satz 1 GG spricht zunächst sein Wortlaut. Der Formulierung "Angelegenheiten der Europäischen Union" kann keine Beschränkung auf bestimmte Rechtsakte entnommen werden. Eine solche ergibt sich auch nicht aus dem Zusammenspiel des Begriffs "Angelegenheiten" mit dem Begriff der "Europäischen Union". Der Wortlaut ist vielmehr offen: Er lässt einerseits eine Deutung dergestalt zu, dass nur solche Vorhaben gemeint sind, deren Urheberin oder unmittelbarer Gegenstand die Europäische Union als Institution ist. Er lässt sich jedoch auch zwanglos als umfassender Verweis auf Angelegenheiten mit spezifischem Bezug zur Europäischen Union und dem ihr zugewiesenen Integrationsprogramm ohne Festlegung auf bestimmte Gestaltungsformen verstehen.

102

Systematische Gesichtspunkte erhärten diese Auslegung. So ist in Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG von der Entwicklung der Europäischen Union zum Zwecke der Verwirklichung eines vereinten Europas die Rede, womit Programm und Zielrichtung der gesamten Vorschrift bestimmt werden. Dem würde es widersprechen, weite Teile des dynamischen und vielgestaltigen Prozesses der Integration im Rahmen der Europäischen Union von vornherein aus dem parlamentarischen Mitwirkungsrecht auszuklammern.

103

Der in den Beratungen der Gemeinsamen Verfassungskommission allgegenwärtige Kompensationsgedanke weist ebenfalls auf ein weites Verständnis der Regelung hin. Sie soll gewährleisten, dass der Deutsche Bundestag über seine Verantwortung für die Übertragung von Hoheitsrechten auf die Europäische Union gemäß Art. 23 Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 123, 267 <351 ff.>) hinaus auch an deren weiterer Gestaltung und an ihrem Wirken teilhat. Art. 23 Abs. 2 GG zielt deshalb darauf, dem Bundestag ausreichende Zeit für eine Entscheidung einzuräumen, ob und gegebenenfalls wie er sich an der nationalen Willensbildung beteiligen möchte (vgl. Schorkopf, in: Bonner Kommentar, Art. 23 Rn. 136 ). Diese Frage stellt sich nicht nur mit Blick auf die Beteiligung an der Rechtsetzung im Sinne von Art. 288 ff. AEUV, sondern auch für sonstige Initiativen und Vorschläge, die für die Entwicklung und das Handeln der Europäischen Union von Bedeutung sind. Im Hinblick darauf muss Art. 23 Abs. 2 GG auch auf die Erarbeitung völkerrechtlicher Verträge und politischer Initiativen Anwendung finden, wenn diese im obigen Sinne substantielle Berührungspunkte mit dem in den Verträgen niedergelegten Integrationsprogramm aufweisen.

104

Schließlich legt auch die historische Auslegung eine weite Interpretation des Begriffs der "Angelegenheiten der Europäischen Union" nahe. Art. 23 Abs. 2 GG hat im Zusammenhang mit der Ratifikation des Vertrags von Maastricht Eingang in das Grundgesetz gefunden, mit einem Vertrag also, der die damals bereits über 30 Jahre alten supranationalen Europäischen Gemeinschaften mit der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik sowie der Gemeinsamen Justiz- und Innenpolitik, zwei seinerzeit intergouvernemental organisierten Politikbereichen, unter dem Dach der Europäischen Union zusammenfasste (vgl. BVerfGE 89, 155 <158 ff.>; Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht, 5. Aufl. 2011, § 3 Rn. 2). Der verfassungsändernde Gesetzgeber des Jahres 1992 hatte somit ein Bild der Europäischen Union vor Augen, in der die - allein supranationalen - Europäischen Gemeinschaften und die intergouvernementalen Bereiche unterschieden wurden. Wenn er die Mitwirkungsrechte des Bundestages vor diesem Hintergrund auf die Angelegenheiten der Europäischen Union bezogen hat, liegt es nahe, dass er zwischen den Säulen der Europäischen Union nicht differenzieren wollte. Vielmehr sollte sich Art. 23 Abs. 2 GG auf "alle Vorhaben der Europäischen Union [erstrecken], die für die Bundesrepublik Deutschland bzw. den Bundestag von Interesse sein könnten" (BTDrucks 12/6000, S. 21). Bestätigt wird dies durch die sich im Laufe der Beratungen verfestigende Erkenntnis, dass die europäische Integration ein dynamischer Entwicklungsprozess sei, der auf der Ebene der Mitgliedstaaten ein hohes Maß an Flexibilität erfordere (BTDrucks 12/3338, S. 6; BTDrucks 12/6000, S. 20). Anhaltspunkte für eine abweichende Auslegung ergeben sich auch nicht aus der Ratifikation des Vertrags von Lissabon, weil nicht erkennbar ist, dass dadurch die Reichweite des Art. 23 Abs. 2 GG reduziert werden sollte.

105

Ob und inwieweit Maßnahmen in den Bereichen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik und der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik von Art. 23 Abs. 2 GG erfasst werden, ist hier nicht zu entscheiden.

106

3. Nach Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG hat die Bundesregierung den Bundestag (und den Bundesrat) umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu unterrichten. Gegenstand, Grenzen sowie Art und Weise der Unterrichtung des Deutschen Bundestages sind mit Blick auf den Normzweck, diesem eine effektive Wahrnehmung seiner Mitwirkungsrechte in Angelegenheiten der Europäischen Union unter Wahrung der Eigenverantwortung der Exekutive zu ermöglichen, zu bestimmen (a). Daraus folgen nähere Anforderungen an die Unterrichtung (b).

107

a) aa) Anknüpfungspunkt der Unterrichtungspflicht ist das in Art. 23 Abs. 2 Satz 1 GG verankerte Recht des Deutschen Bundestages auf Mitwirkung in Angelegenheiten der Europäischen Union. Die Unterrichtung muss dem Bundestag in erster Linie eine frühzeitige und effektive Einflussnahme auf die Willensbildung der Bundesregierung eröffnen. Nur auf einer ausreichenden Informationsgrundlage ist der Bundestag in der Lage, den europäischen Integrationsprozess zu begleiten und zu beeinflussen, kann er das Für und Wider einer Angelegenheit diskutieren und Stellungnahmen erarbeiten. Die Unterrichtung muss so erfolgen, dass das Parlament nicht in eine bloß nachvollziehende Rolle gerät (vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 7. September 2011 - 2 BvR 987/10, 2 BvR 1485/10, 2 BvR 1099/10 -, NJW 2011, S. 2946 <2951>, Rn. 124; Urteil des Zweiten Senats vom 28. Februar 2012 - 2 BvE 8/11 -, juris Rn. 109).

108

Die Entstehungsgeschichte von Art. 23 Abs. 2 GG bestätigt diese Interpretation. Vor der Neufassung des Art. 23 GG verlangten die im Deutschen Bundestag vertretenen Fraktionen übereinstimmend die Verankerung von parlamentarischen Mitwirkungsrechten mit dem Ziel, die Entscheidungen über europäische Rechtsetzungsakte bereits vorab auf nationaler Ebene beeinflussen zu können (vgl. die Abgeordneten Dr. Möller und Verheugen, Gemeinsame Verfassungskommission, 11. Sitzung am 15. Oktober 1992, Stenographischer Bericht, in: Deutscher Bundestag , Materialien zur Verfassungsdiskussion und zur Grundgesetzänderung in der Folge der deutschen Einigung, Band 1, Bericht und Sitzungsprotokolle, 1996, S. 543 <544 f.>). Im Hinblick auf die Erfahrung, dass der Bundestag häufig vor vollendete Tatsachen gestellt worden war, die er nur noch hatte zur Kenntnis nehmen können, schlug die Gemeinsame Verfassungskommission die Festschreibung der Unterrichtungspflicht in Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG vor. Es bestand insoweit weitgehende Einigkeit, dass eine fundierte Willensbildung und verantwortungsvolle Mitwirkung des Bundestages eine umfassende Information zum frühestmöglichen Zeitpunkt voraussetze (vgl. BTDrucks 12/3896, S. 19; BTDrucks 12/6000, S. 21; vgl. auch Möller/Limpert, ZParl 24 <1993>, S. 21 <26>).

109

bb) Die Unterrichtungspflicht nach Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG soll dazu beitragen, "Informationsasymmetrien" zwischen Bundesregierung und Bundestag auszugleichen, soweit dies zur Gewährleistung einer effektiven Rechtswahrnehmung erforderlich ist (Schorkopf, in: Bonner Kommentar, Bd 6, Art. 23 Rn. 144 ). Eine enge Auslegung liefe diesem Zweck zuwider. Der verfassungsändernde Gesetzgeber hat sich, wie die Entstehungsgeschichte nahelegt, bewusst für eine weitreichende Unterrichtungspflicht entschieden.

110

Nachdem die ursprünglich vorgesehene Bindung an die Stellungnahmen des Bundestages (so noch der Vorschlag von Möller, Arbeitsunterlage Nr. 67 der Gemeinsamen Verfassungskommission vom 9. Juli 1992) auf Druck der Bundesregierung auf die - deutlich schwächere - Pflicht zur Berücksichtigung der Stellungnahmen (Art. 23 Abs. 3 Satz 2 GG) reduziert worden war, setzte der Bundestag im Gegenzug eine strengere Fassung der Unterrichtungspflicht durch (vgl. Abgeordneter Verheugen, Gemeinsame Verfassungskommission, 11. Sitzung am 15. Oktober 1992, Stenographischer Bericht, in: Deutscher Bundestag , Materialien zur Verfassungsdiskussion und zur Grundgesetzänderung in der Folge der deutschen Einigung, Band 1, Bericht und Sitzungsprotokolle, 1996, S. 543 <545>). Wenn die Unterrichtungspflichten der Bundesregierung daher im Vergleich mit den in Art. 23 Abs. 3 GG geregelten Mitwirkungsrechten des Bundestages eine überschießende Tendenz aufweisen (vgl. Uerpmann-Wittzack, in: v. Münch/Kunig, GG, Bd. 1, 6. Aufl. 2012, Art. 23 Rn. 75), so verkörpert dies den spezifischen Zweck dieses institutionellen Arrangements, eine effektive Mitwirkung des Deutschen Bundestages in Angelegenheiten der Europäischen Union trotz Fehlens formaler Bindungsmöglichkeiten zu gewährleisten (vgl. Rath, Entscheidungspotenziale des Deutschen Bundestages in EU-Angelegenheiten, 2001, S. 43 ff.).

111

Für die Auslegung und Handhabung des Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG ist ferner von Bedeutung, dass die Unterrichtungspflicht nicht nur dazu dient, die Mitwirkungsrechte des Deutschen Bundestages nach Art. 23 Abs. 2 Satz 1 GG zu ermöglichen. Sie sichert auf nationaler Ebene zugleich ab, dass der Deutsche Bundestag die ihm in Art. 12 EUV sowie in Art. 1 und 2 des Protokolls über die Rolle der nationalen Parlamente in der Europäischen Union und in Art. 4 des Protokolls über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit zugewiesenen Aufgaben erfüllen kann.

112

cc) Die Auslegung und Anwendung des Art. 23 Abs. 2 GG hat darüber hinaus dem Umstand Rechnung zu tragen, dass diese Bestimmung auch dem im Demokratieprinzip verankerten Grundsatz parlamentarischer Öffentlichkeit dient.

113

Der Deutsche Bundestag trifft seine Entscheidungen grundsätzlich im Plenum (vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 28. Februar 2012 - 2 BvE 8/11 -, juris Rn. 102, 119) und in öffentlicher Beratung. Öffentliches Verhandeln von Argument und Gegenargument, öffentliche Debatte und öffentliche Diskussion sind wesentliche Elemente des demokratischen Parlamentarismus. Gerade das im parlamentarischen Verfahren nach Art. 42 Abs. 1 Satz 1 GG gewährleistete Maß an Öffentlichkeit der Auseinandersetzung und Entscheidungssuche eröffnet Möglichkeiten eines Ausgleichs widerstreitender Interessen, die sich bei einem weniger transparenten Vorgehen so nicht ergäben (BVerfGE 70, 324<355>; vgl. auch BVerfGE 40, 237 <249>). Im europäischen Kontext stärkt die öffentliche parlamentarische Willensbildung gleichzeitig die Responsivität von europäischen Entscheidungen für die Interessen und Überzeugungen der Bürger (vgl. Müller-Franken, DVBl 2009, S. 1072 <1080>). Erst die Öffentlichkeit der Beratung schafft die Voraussetzungen für eine Kontrolle durch die Bürger (vgl. BVerfGE 125, 104 <125>; zuletzt BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 28. Februar 2012 - 2 BvE 8/11 -, juris Rn. 108). Dies gilt auch, wo die parlamentarische Beratung sich, sei es mitwirkend oder kontrollierend, auf das Entscheidungsverhalten bezieht (zur Kontrollfunktion des Parlaments BVerfGE 67, 100 <130>; 110, 199 <218 f.>; 124, 78 <121>). Die parlamentarische Verantwortung gegenüber den Bürgern ist wesentliche Voraussetzung des von Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG geforderten effektiven Einflusses des Volkes auf die Ausübung der Staatsgewalt (vgl. BVerfGE 83, 60 <71 f.>; 93, 37 <66>).

114

Entscheidungen von erheblicher rechtlicher oder faktischer Bedeutung für die Spielräume künftiger Gesetzgebung muss grundsätzlich ein Verfahren vorausgehen, das der Öffentlichkeit Gelegenheit bietet, ihre Auffassungen auszubilden und zu vertreten, und das die Volksvertretung dazu anhält, Notwendigkeit und Umfang der zu beschließenden Maßnahmen zu klären (vgl. BVerfGE 85, 386 <403 f.>; 95, 267 <307 f.>; 108, 282 <312>). Exemplarisch dafür ist, dass der Deutsche Bundestag auch in einem System intergouvernementalen Regierens die haushaltspolitische Gesamtverantwortung nach diesen Grundsätzen wahrzunehmen hat. Nach seiner haushaltspolitischen Gesamtverantwortung muss der Deutsche Bundestag der Ort sein, an dem eigenverantwortlich über Einnahmen und Ausgaben entschieden wird, auch im Hinblick auf internationale und europäische Verbindlichkeiten (vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 7. September 2011 - 2 BvR 987/10, 2 BvR 1485/10, 2 BvR 1099/10 -, NJW 2011, S. 2946 <2951>, Rn. 124; BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 28. Februar 2012 - 2 BvE 8/11 -, juris Rn. 109). Hierfür gilt der Grundsatz der Budgetöffentlichkeit als Ausprägung des allgemeinen Öffentlichkeitsprinzips der Demokratie (vgl. BVerfGE 70, 324 <358>).

115

dd) Grenzen der Unterrichtungspflicht ergeben sich aus dem Grundsatz der Gewaltenteilung. Das Funktionengefüge des Grundgesetzes geht davon aus, dass die Regierung einen Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung besitzt, der einen grundsätzlich nicht ausforschbaren Initiativ-, Beratungs- und Handlungsbereich einschließt (BVerfGE 67, 100 <139>; 77, 1 <59>; 110, 199 <214>; 124, 78 <120>). Ein solcher nicht ausforschbarer Kernbereich wird vom Bundesverfassungsgericht etwa im Zusammenhang mit den Ermittlungen parlamentarischer Untersuchungsausschüsse und parlamentarischen Fragerechten anerkannt (vgl. BVerfGE 67, 100 <139>, zum Recht der Untersuchungsausschüsse; BVerfGE 110, 199 <215>; 124, 78 <120>, zum parlamentarischen Fragerecht). Zu diesem Kernbereich gehört jedenfalls die Willensbildung der Regierung, sowohl hinsichtlich der Erörterungen im Kabinett als auch bei der Vorbereitung von Kabinetts- und Ressortentscheidungen, die sich vor allem in ressortinternen und -übergreifenden Abstimmungsprozessen vollzieht (BVerfGE 67, 100 <139>; 110, 199 <214, 222>; 124, 78 <120>). Solange die interne Willensbildung der Bundesregierung nicht abgeschlossen ist, besteht daher kein Anspruch des Parlaments auf Unterrichtung.

116

b) Nach Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG muss die Unterrichtung des Bundestages in sachlicher Hinsicht umfassend sein (aa), in zeitlicher Hinsicht zum frühestmöglichen Zeitpunkt erfolgen (bb) und in einer zweckgerechten Weise ausgestaltet sein (cc). Diese Anforderungen besitzen zwar unterschiedliche Regelungsinhalte, stehen aber nicht isoliert nebeneinander, sondern sind aufeinander bezogen.

117

aa) Das Erfordernis der umfassenden Unterrichtung ist seiner Funktion gemäß auszulegen, dem Deutschen Bundestag die Wahrnehmung seiner Mitwirkungsrechte zu ermöglichen. Dementsprechend ist eine umso intensivere Unterrichtung geboten, je komplexer ein Vorgang ist, je tiefer er in den Zuständigkeitsbereich der Legislative eingreift und je mehr er sich einer förmlichen Beschlussfassung oder Vereinbarung annähert. Daraus ergeben sich Anforderungen an die Qualität, Quantität und Aktualität der Unterrichtung unter Berücksichtigung der aus dem Grundsatz der Gewaltenteilung folgenden Grenzen. Die Regelungen der §§ 4 ff. EUZBBG enthalten insoweit Konkretisierungen, die auch von der Bundesregierung im Grundsatz nicht in Frage gestellt worden sind.

118

(1) In qualitativer Hinsicht erfasst die Pflicht zur umfassenden Unterrichtung zunächst Initiativen und Positionen der Bundesregierung selbst. Darüber hinaus erstreckt sie sich auf die Weiterleitung amtlicher Unterlagen und Dokumente der Organe sowie sonstiger Gremien und Behörden der Europäischen Union und anderer Mitgliedstaaten in Angelegenheiten der Europäischen Union (oben C.I.2.c), ist darauf aber nicht beschränkt. Sobald und soweit die Bundesregierung selbst mit einer Angelegenheit befasst ist, können auch ihr vorliegende Informationen über informelle und (noch) nicht schriftlich dokumentierte Vorgänge erfasst sein. Die Unterrichtungspflicht kann, unabhängig von einer förmlichen Dokumentation, auch Gegenstand, Verlauf und Ergebnis der Sitzungen und Beratungen von Organen und Gremien der Europäischen Union betreffen, in denen die Bundesregierung vertreten ist (vgl. Pernice, in: Dreier, GG, Bd. 2, 2. Aufl. 2006, Art. 23 Rn. 101).

119

Nach dem Zweck der Unterrichtungspflicht kommt es nicht darauf an, ob die Bundesregierung die Informationen auf offiziellem Wege oder auf andere Weise erlangt hat (vgl. Pernice, in: Dreier, GG, Bd. 2, 2. Aufl. 2006, Art. 23 Rn. 101; Uerpmann-Wittzack, in: v. Münch/Kunig, GG, Bd. 1, 6. Aufl. 2012, Art. 23 Rn. 77). Unerheblich für das Bestehen einer Weiterleitungspflicht ist ferner, ob die Dokumente und Informationen von Organen oder sonstigen Stellen der Europäischen Union stammen oder aus der Sphäre anderer Mitgliedstaaten (vgl. Classen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 23 Rn. 74; Pernice, in: Dreier, GG, Bd. 2, 2. Aufl. 2006, Art. 23 Rn. 101; Uerpmann-Wittzack, in: v. Münch/Kunig, GG, Bd. 1, 6. Aufl. 2012, Art. 23 Rn. 77). Auch die eventuelle Geheimhaltungsbedürftigkeit einer Information (vgl. etwa Art. 6 der Geschäftsordnung des Rates; ABl. EU 2009 Nr. L 325 vom 11. Dezember 2009, S. 35) steht ihrer Weiterleitung an den Bundestag grundsätzlich nicht entgegen. In Fällen, in denen das Wohl des Staates durch das Bekanntwerden vertraulicher Informationen gefährdet werden kann, kann die Unterrichtung vertraulich erfolgen (vgl. BVerfGE 124, 78 <123 f.>, zu Untersuchungsausschüssen). Die Voraussetzungen dafür hat der Bundestag mit dem Erlass seiner Geheimschutzordnung geschaffen (vgl. BVerfGE 67, 100 <135>; 70, 324 <359>; 77, 1 <48>; BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 28. Februar 2012 - 2 BvE 8/11 -, juris Rn. 149).

120

(2) Quantität und Detailliertheit der dem Deutschen Bundestag zu übermittelnden Informationen bemessen sich im Hinblick auf den Zweck der Unterrichtung einerseits nach der Bedeutung einer Angelegenheit. So muss der Bundestag von allen Vorgängen erfahren, die seiner Mitwirkung nach Art. 23 Abs. 2 Satz 1 GG unterliegen, und zugleich die für eine fundierte Beschlussfassung erforderlichen Informationen erhalten. Auf der anderen Seite richten sich der gebotene Umfang und die erforderliche Tiefe der Unterrichtung auch nach dem jeweiligen Sach- und Verhandlungsstand.

121

Eine "Überflutung" des Bundestages mit Informationen, die aufgrund ihrer Masse weder administrativ noch durch die Abgeordneten verarbeitet werden können, ist nicht Sinn des Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG (vgl. Classen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 23 Rn. 75). Zwar ist es in erster Linie Aufgabe des Parlaments selbst, im Rahmen seiner Geschäftsordnungsautonomie für eine sachgerechte Sichtung und Bewertung der unter Art. 23 Abs. 2 GG fallenden Angelegenheiten zu sorgen und die organisatorischen Voraussetzungen für die Verarbeitung der ihm übermittelten Informationen zu schaffen (vgl. Streinz, in: Sachs, GG, 6. Aufl. 2011, Art. 23 Rn. 107; vgl. auch § 4 Abs. 5 EUZBBG zur begrenzten Möglichkeit eines Verzichts auf Informationen). Doch erlaubt Art. 23 Abs. 2 GG bei Angelegenheiten, die nur von erkennbar geringer Bedeutung für den Bundestag sind, oder bei Vorgängen, die sich noch in einem sehr frühen, wenig konkreten Verfahrensstadium befinden, eine kursorische, auf die wesentlichen Eckpunkte beschränkte Unterrichtung, die den Bundestag in die Lage versetzt, nähere Informationen nachzufordern. Auch einer übermäßigen Belastung der Regierung, die deren Funktions- und Arbeitsfähigkeit bedroht, kann bei geringem Informationsinteresse des Parlaments im Einzelfall im Rahmen einer Abwägung Rechnung getragen werden (vgl. auch BVerfGE 110, 199 <220>; s. aus der Rechtsprechung der Landesverfassungsgerichte etwa Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin, Urteil vom 14. Juli 2010 - 57/08 -, DVBl 2010, S. 966; Bayerischer Verfassungsgerichtshof, Entscheidung vom 6. Juni 2011 - Vf. 49-IVa-10 -, NVwZ-RR 2011, S. 841 <843>).

122

(3) Die gebotene umfassende Unterrichtung erschöpft sich - wie sich auch aus dem systematischen Zusammenhang mit der Pflicht zur frühestmöglichen Unterrichtung ergibt - nicht in einem einmaligen Tätigwerden. Es handelt sich vielmehr um eine auf Dauer angelegte, fortlaufende Pflicht, die jedesmal aktualisiert wird, wenn sich bei der Behandlung einer Angelegenheit neue politische oder rechtliche Fragen stellen, zu denen sich der Deutsche Bundestag noch keine Meinung gebildet hat (vgl. Baach, Parlamentarische Mitwirkung in Angelegenheiten der Europäischen Union, 2008, S. 162).

123

Rechtsetzungsakten der Europäischen Union und intergouvernementalen Vereinbarungen gehen regelmäßig komplexe und langwierige Abstimmungsprozesse voraus. Die Bundesregierung kann dem Bundestag dabei nur die ihr selbst jeweils vorliegenden Informationen zuleiten, so dass die Pflicht zur umfassenden Unterrichtung nicht statisch, sondern dynamisch zu verstehen ist. Wissensstand und Haltung der Bundesregierung im Hinblick auf einen Vorgang bleiben im Regelfall nicht gleich, sondern sind im Laufe der Zeit Veränderungen unterworfen. Mit zunehmender Konkretisierung eines Vorhabens ist jedoch typischerweise auch eine Zunahme der Informationsdichte auf Seiten der Bundesregierung verbunden. Dabei entsteht mit jedem Erkenntnisgewinn der Bundesregierung zunächst eine Informationsasymmetrie im Verhältnis zum Bundestag, die - soll die verfassungsrechtliche Vorgabe einer "umfassenden" Unterrichtung nicht wirkungslos bleiben - grundsätzlich ausgeglichen werden muss. Diese Pflicht zum Ausgleich von Informationsungleichgewichten zwischen Bundesregierung und Bundestag verdichtet sich mit zunehmender Komplexität und Bedeutung eines Vorgangs sowie mit der zeitlichen Nähe zu einer förmlichen Beschlussfassung oder zum Abschluss einer Vereinbarung.

124

(4) Aus Gründen der Gewaltenteilung (oben C.I.3.a)dd) erstreckt sich der Unterrichtungsanspruch aus Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG grundsätzlich nicht auf Aspekte, die dem einer konkreten Positionierung vorgelagerten Willensbildungsprozess der Bundesregierung zuzuordnen sind. Initiativen der Bundesregierung und ihrer Positionierung bei von dritter Seite angestoßenen Vorhaben in Angelegenheiten der Europäischen Union geht ein - je nach Vorgang - mehr oder weniger umfangreicher Willensbildungsprozess voraus, in dessen Verlauf sich unter Umständen erst allmählich eine bestimmte Auffassung herausbildet. Bis dahin handelt es sich um einen von verschiedenen innen- und außenpolitischen sowie innerorganschaftlichen Belangen, Erwägungen und Entwicklungen abhängigen und damit noch volatilen Vorgang, der den Bereich der Bundesregierung noch nicht verlässt und über den der Bundestag von Verfassungs wegen grundsätzlich auch noch nicht zu informieren ist. Wenn die Bundesregierung indes ihre Willensbildung selbst so weit konkretisiert hat, dass sie Zwischen- oder Teilergebnisse an die Öffentlichkeit geben kann oder mit einer eigenen Position in einen Abstimmungsprozess mit Dritten eintreten will, fällt ein Vorhaben nicht mehr in den gegenüber dem Bundestag abgeschirmten Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung.Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG gebietet in diesen Fällen eine substantielle Information des Bundestages durch die Bundesregierung über ihr Vorhaben.

125

bb) Auch die strikten zeitlichen Anforderungen an die Unterrichtung nach Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG ("zum frühestmöglichen Zeitpunkt") sollen gewährleisten, dass der Bundestag in der Lage ist, seine Mitwirkungsrechte in Angelegenheiten der Europäischen Union effektiv wahrzunehmen.

126

(1) Entstehungsgeschichtlich erweist sich die strenge zeitliche Vorgabe als bewusste Abkehr von Art. 2 des Zustimmungsgesetzes zu den Römischen Verträgen vom 27. Juli 1957 (BGBl II S. 753), wo lediglich eine laufende Unterrichtung des Bundestages vorgeschrieben und eine der Beschlussfassung im Rat zeitlich vorgelagerte Unterrichtung nur als Soll-Vorschrift vorgesehen war. Auf dieser Grundlage waren dem Bundestag Informationen häufig erst nach einer Beschlussfassung im Rat zugegangen und damit später als dem Bundesrat und den deutschen Mitgliedern des Europäischen Parlaments (vgl. Möller, Arbeitsunterlage Nr. 84 der Gemeinsamen Verfassungskommission vom 15. Oktober 1992). Die in der Gemeinsamen Verfassungskommission und im Sonderausschuss Europäische Union zeitweise diskutierten Formulierungen einer "rechtzeitigen" oder einer "regelmäßigen" Unterrichtung wurden daher verworfen. Das Erfordernis einer regelmäßigen Unterrichtung stelle nicht hinreichend sicher, dass der Bundestag die relevanten Informationen so früh wie möglich erhalte (vgl. Abgeordneter Verheugen, Gemeinsame Verfassungskommission, 11. Sitzung am 15. Oktober 1992, Stenographischer Bericht, in: Deutscher Bundestag , Materialien zur Verfassungsdiskussion und zur Grundgesetzänderung in der Folge der deutschen Einigung, Band 1, Bericht und Sitzungsprotokolle, 1996, S. 543 <545>). Auch der Begriff "rechtzeitig" erschien den Mitgliedern der Gemeinsamen Verfassungskommission zu unbestimmt, da er einen weiten Interpretationsspielraum eröffne und den Unterrichtungszeitpunkt letztlich in das Ermessen der Bundesregierung stelle. Um eine fundierte Willensbildung des Bundestages zu ermöglichen, sei eine umfassende Information zum frühestmöglichen Zeitpunkt unerlässlich (vgl. Möller, Arbeitsunterlage Nr. 84 der Gemeinsamen Verfassungskommission vom 15. Oktober 1992; Möller/Limpert, a.a.O., S. 26; Schmalenbach, Der neue Europaartikel 23 des Grundgesetzes im Lichte der Arbeit der Gemeinsamen Verfassungskommission, 1996, S. 144 f.). Mit der gewählten Formulierung "zum frühestmöglichen Zeitpunkt" wollte der verfassungsändernde Gesetzgeber also eine möglichst präzise, objektiv bestimmbare Zeitvorgabe schaffen (vgl. Möller/Limpert, a.a.O., S. 26).

127

(2) Dem Zeitpunkt kommt eine dem Umfang der Unterrichtung gleichrangige Bedeutung zu. Nur wenn der Bundestag frühzeitig von einem Vorhaben erfährt, kann er den regelmäßig durch eine Vielzahl von Akteuren getragenen Entscheidungsprozess in Angelegenheiten der Europäischen Union noch beeinflussen. Im Hinblick darauf ist die in Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG genannte Zeitvorgabe "zum frühestmöglichen Zeitpunkt" so auszulegen, dass der Bundestag die Informationen der Bundesregierung spätestens zu einem Zeitpunkt erhalten muss, der ihn in die Lage versetzt, sich fundiert mit dem Vorgang zu befassen und eine Stellungnahme zu erarbeiten, bevor die Bundesregierung nach außen wirksame Erklärungen, insbesondere bindende Erklärungen zu unionalen Rechtsetzungsakten und intergouvernementalen Vereinbarungen, abgibt. Das schließt es aus, dass die Bundesregierung ohne vorherige Beteiligung des Deutschen Bundestages konkrete Initiativen ergreift oder an Beschlussfassungen mitwirkt, und gebietet die Weiterleitung sämtlicher Dokumente, sobald sie zum Gegenstand von Verhandlungen gemacht werden.

128

(3) Offizielle Dokumente, Berichte und Mitteilungen müssen daher ebenso wie alle inoffiziellen Informationen an den Bundestag weitergeleitet werden, sobald sie - gegebenenfalls über die Ständige Vertretung der Bundesrepublik Deutschland bei der Europäischen Union - in den Einflussbereich der Bundesregierung gelangen (vgl. Pernice, in: Dreier, GG, Bd. 2, 2. Aufl. 2006, Art. 23 Rn. 101; Uerpmann-Wittzack, in: v. Münch/Kunig, GG, Bd. 1, 6. Aufl. 2012, Art. 23 Rn. 79). Ein Ermessen der Bundesregierung hinsichtlich des Zeitpunktes der Weiterleitung besteht nicht. Verzögerungen bei der Weiterleitung sind nur zulässig, um der Bundesregierung eine Prüfung der Voraussetzungen des Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG zu ermöglichen. Über Sitzungen der Organe und informelle Beratungen, an denen die Bundesregierung beteiligt ist, muss der Bundestag - auch wenn noch keine förmlichen Vorschläge oder sonstige Beratungsgrundlagen existieren - bereits im Voraus und so rechtzeitig informiert werden, dass er sich über den Gegenstand der Sitzungen eine Meinung bilden und auf die Verhandlungslinie und das Abstimmungsverhalten der Bundesregierung Einfluss nehmen kann (vgl. Uerpmann-Wittzack, in: v. Münch/Kunig, GG, Bd. 1, 6. Aufl. 2012, Art. 23 Rn. 77, 79; Streinz, in: Sachs, GG, 6. Aufl. 2011, Art. 23 Rn. 113). Über den Verlauf und die erzielten Zwischen- und Endergebnisse ist er unmittelbar im Anschluss an die Beratungen zu unterrichten. Für den Zeitpunkt der Unterrichtung über Initiativen und Positionierungen der Bundesregierung und das Gebot laufender Aktualisierung des Informationsstandes des Bundestages gilt das bereits Gesagte (oben C.I.3.b)aa)<3, 4>).

129

cc) Aus dem mit der Unterrichtung des Bundestages verfolgten Zweck des Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG folgen schließlich auch Anforderungen an das Verfahren und die Form der Unterrichtung. Adressat der Unterrichtung ist grundsätzlich der Bundestag als Ganzer; die Unterrichtung hat grundsätzlich schriftlich zu erfolgen. Einzelheiten können im Rahmen der verfassungsrechtlichen Vorgaben durch Gesetz oder Vereinbarung zwischen dem Deutschen Bundestag und der Bundesregierung geregelt werden.

130

(1) Adressat der Unterrichtung gemäß Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG ist der Bundestag als Ganzer. Damit soll gewährleistet werden, dass sämtliche Abgeordnete gleichermaßen und unterschiedslos auf die übermittelten Informationen zugreifen können. Allerdings verleiht Art. 40 Abs. 1 Satz 2 GG dem Parlament die Befugnis, seine inneren Angelegenheiten im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung autonom zu regeln und sich selbst so zu organisieren, dass es seine Aufgaben sachgerecht erfüllen kann (vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 28. Februar 2012 - 2 BvE 8/11 -, juris Rn. 115 ff., m.w.N.). Es ist daher in erster Linie Sache des Bundestages selbst, dafür Sorge zu tragen, dass die ihm übermittelten Informationen einer effektiven parlamentarischen Willensbildung zugeführt werden. Insbesondere obliegt ihm die Entscheidung, in welchem Umfang er den Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union gemäß Art. 45 Satz 2 GG ermächtigt, die Rechte des Bundestages gemäß Art. 23 GG gegenüber der Bundesregierung wahrzunehmen. Der Bundestag kann hierzu die erforderlichen Regelungen treffen und Einzelheiten der Unterrichtung im Wege einer Vereinbarung mit der Bundesregierung festlegen (vgl. § 12 EUZBBG). "Inoffizielle" Informationen einzelner Abgeordneter oder von Fraktionen und deren Beauftragten wie den Obleuten in den Ausschüssen erfüllen den Anspruch des Bundestages aus Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG nicht.

131

(2) Der Zweck des Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG verlangt im Grundsatz eine schriftliche Unterrichtung durch die Bundesregierung. Zwar ist die Schriftform in Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG nicht ausdrücklich vorgesehen. Angesichts der Anforderungen an Klarheit, Verstetigung und Reproduzierbarkeit, die an eine förmliche Unterrichtung des Parlaments zu stellen sind, erscheint die Schriftform gegenüber der mündlichen Unterrichtung als das vorrangige Medium zur effektiven Information des Bundestages. Der mündlichen Unterrichtung des Plenums, des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union wie auch der Fachausschüsse kommt vor diesem Hintergrund grundsätzlich nur eine ergänzende und erläuternde Funktion zu.

132

Ausnahmen vom Schriftlichkeitsgrundsatz sind nur in engen Grenzen und insbesondere im Hinblick auf das Gebot einer Unterrichtung zum frühestmöglichen Zeitpunkt zulässig, unter Umständen aber auch geboten. Da Informationsasymmetrien zwischen Regierung und Parlament nach Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG nicht nur best-, sondern auch schnellstmöglich beseitigt werden sollen, sind Konstellationen denkbar, in denen die Bundesregierung eine umfassende und zugleich frühestmögliche Unterrichtung nur mündlich sicherstellen kann (vgl. Schorkopf, in: Bonner Kommentar, Bd. 6, Art. 23 Rn. 144 ). Das ist etwa der Fall, wenn zu einer Angelegenheit noch keine schriftlichen Unterlagen vorliegen und in vertretbarer Zeit auch nicht beschafft oder hergestellt werden können, eine Unterrichtung des Deutschen Bundestages jedoch im Hinblick auf die effektive Wahrnehmung seiner Mitwirkungsrechte erforderlich ist. Für die Überlassung fremdsprachiger Unterlagen gilt Vergleichbares. Entfällt das Hindernis, ist das entstandene Informationsdefizit unverzüglich auszugleichen. Auch insoweit ist die Festlegung von Einzelheiten einer Regelung durch den Bundestag sowie einer näheren Konkretisierung in Vereinbarungen zwischen Bundestag und Bundesregierung zugänglich.

II.

133

Nach diesen Maßstäben sind die Anträge begründet. Die Antragsgegnerin hat den Deutschen Bundestag sowohl im Hinblick auf die Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus (1.) als auch im Hinblick auf die Vereinbarung des Euro-Plus-Paktes (2.) in seinen Rechten aus Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG verletzt.

134

1. Die Antragsgegnerin hat den Deutschen Bundestag nicht in dem nach Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG gebotenen Maß über die Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus unterrichtet. Errichtung und Ausgestaltung des Europäischen Stabilitätsmechanismus sind eine Angelegenheit der Europäischen Union im Sinne des Art. 23 Abs. 2 Satz 1 GG (a). Da sie die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Deutschen Bundestages und damit eine seiner wesentlichen Funktionen betreffen, war eine vollständige Unterrichtung erforderlich (b). Die Antragsgegnerin hat es unterlassen, dem Deutschen Bundestag einen ihr am 21. Februar 2011 vorliegenden Text der Europäischen Kommission über die Errichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus und den Entwurf eines Vertrages über den Europäischen Stabilitätsmechanismus vom 6. April 2011 zu übermitteln, und dadurch seine Rechte aus Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG verletzt (c).

135

a) Die Errichtung und Ausgestaltung des Europäischen Stabilitätsmechanismus ist eine Angelegenheit der Europäischen Union im Sinne des Art. 23 Abs. 2 Satz 1 GG. Eine Gesamtschau der ihn prägenden Charakteristika ergibt substantielle Berührungspunkte mit dem Integrationsprogramm der Europäischen Verträge. Seine Gründung soll durch eine Änderung des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union abgesichert werden (aa). Der zu seiner Errichtung zu schließende Vertrag weist den Organen der Europäischen Union neue Zuständigkeiten zu (bb) und dient der Absicherung eines Politikbereichs, der der Europäischen Union als ausschließliche Zuständigkeit zugewiesen ist (cc). Dass es sich dabei um einen völkerrechtlichen Vertrag handeln soll, stellt seine Zuordnung zu dem in den Verträgen über die Europäische Union und über die Arbeitsweise der Europäischen Union niedergelegten Integrationsprogramm nicht in Frage (dd).

136

aa) Die Gründung des Europäischen Stabilitätsmechanismus soll durch eine Änderung des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union unionsrechtlich ermöglicht und abgesichert werden. Die insoweit vorgesehene Einfügung von Art. 136 Abs. 3 AEUV muss im Wege einer Vertragsänderung nach Art. 48 EUV erfolgen. Schon wegen dieses qualifizierten Zusammenhangs mit dem Unionsrecht handelt es sich um eine Angelegenheit der Europäischen Union.

137

bb) Das Vorliegen einer Angelegenheit der Europäischen Union im Sinne des Art. 23 Abs. 2 Satz 1 GG wird auch dadurch indiziert, dass verschiedene Organe der Europäischen Union durch den Vertrag über den Europäischen Stabilitätsmechanismus neue Zuständigkeiten zugewiesen erhalten. Diese Zuständigkeitszuweisung war in den Verhandlungen über den Europäischen Stabilitätsmechanismus, wie aus der in das Jahr 2010 zurückreichenden Vorgeschichte sowie den folgenden Konkretisierungsschritten ersichtlich ist, bereits zu Beginn des Jahres 2011 angelegt (vgl. im Einzelnen A.I.2.a).

138

(1) Die Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten sind in einem Beschluss vom 20. Juni 2011 übereingekommen, dass der Vertrag über den Europäischen Stabilitätsmechanismus Bestimmungen enthalten solle, nach denen sowohl die Europäische Kommission als auch die Europäische Zentralbank die in dem Vertrag aufgeführten Aufgaben ausführen sollen. Auf der operativen Ebene, bei Aktivierung der Finanzhilfe, wurde namentlich der Europäischen Kommission eine wichtige Rolle zugedacht. Sie soll mit dem Internationalen Währungsfonds und in Absprache mit der Europäischen Zentralbank den tatsächlichen Finanzierungsbedarf des begünstigten Mitgliedstaats ermitteln. Ermächtigt vom Gouverneursrat, verhandelt sie ein makroökonomisches Anpassungsprogramm und überwacht die Einhaltung der politischen Auflagen, wiederum - in der sogenannten Troika - mit dem Internationalen Währungsfonds und der Europäischen Zentralbank, die bereits in der Durchführung der Schuldentragfähigkeitsanalyse zusammenwirken. Art. 13 Abs. 1 des Entwurfs eines Vertrages über den Europäischen Stabilitätsmechanismus sieht ferner vor, dass der Vorsitzende des Gouverneursrates Aufgaben auf die Europäische Kommission übertragen kann. Bleibt der Kreditnehmer über die Laufzeit des Programms hinaus Schuldner des Europäischen Stabilitätsmechanismus, kann der Rat eine fortdauernde Überwachung veranlassen. Nach Erörterung im Gouverneursrat kann er auf Vorschlag der Kommission beschließen, eine Überwachung nach der Durchführung des Programms durchzuführen, die so lange aufrechterhalten werden kann, wie ein bestimmter Betrag der Finanzhilfe noch nicht zurückgezahlt wurde.

139

Der Entwurf eines Vertrages über den Europäischen Stabilitätsmechanismus sieht in seiner Fassung vom 2. Februar 2012 darüber hinaus vor, dass Programmbeschlüsse sowohl von der Europäischen Kommission als auch vom Rat der Europäischen Union nach den Art. 121 und 136 AEUV überwacht werden (17. Erwägungsgrund). Der Europäische Gerichtshof soll nach Maßgabe von Art. 273 AEUV schließlich über die Auslegung und Anwendung des Vertrages über den Europäischen Stabilitätsmechanismus entscheiden.

140

(2) Die Zuordnung zu den Angelegenheiten der Europäischen Union wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass der Europäische Stabilitätsmechanismus die Organe der Europäischen Union lediglich im Wege der Organleihe in Anspruch nimmt. In der Sache werden den Organen damit, wenngleich nicht in dem eigentlich dafür vorgesehenen Verfahren nach Art. 48 Abs. 1 EUV, weitere Aufgaben und Befugnisse übertragen. Für die Kompetenzausstattung der Organe gelten daher auch insoweit der Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung (vgl. auch Art. 5 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 EUV) sowie die Verbote, ihnen eine Kompetenz-Kompetenz einzuräumen oder den Kern der grundgesetzlichen Verfassungsidentität (Art. 79 Abs. 3 i.V.m. Art. 1 und 20 GG) zu berühren (vgl. BVerfGE 89, 155 <188>; 123, 267 <370 f.>). Andernfalls könnten die der Fortentwicklung der europäischen Integration von Verfassungs wegen gezogenen Grenzen und die insoweit vorgesehenen verfahrensrechtlichen Sicherungen umgangen werden. Jede Zuweisung von Aufgaben und Befugnissen an die Europäische Union und/oder ihre Organe ist daher in der Sache eine Übertragung von Hoheitsrechten, und zwar auch dann, wenn die Organe für die Erledigung der Aufgabe "nur" im Wege der Organleihe in Anspruch genommen und mit Befugnissen ausgestattet werden.

141

Dafür spricht im Übrigen auch die mit der Einräumung von Aufgaben und Befugnissen im Wege der Organleihe verbundene und von den Vertragsparteien offenkundig gewünschte Möglichkeit der Organe, diese Aufgaben und Befugnisse kohärent mit den Einzelermächtigungen aus dem Bereich des in den Verträgen niedergelegten Integrationsprogramms auszuüben und auf diese Weise eine Struktur zu schaffen, in der die Unterschiede zwischen "weichen" Steuerungsinstrumentarien und imperativen Rechtsetzungs- und Aufsichtsakten verschwimmen (vgl. Schuppert, Verwaltungsorganisation und Verwaltungsorganisationsrecht als Steuerungsfaktoren, in: GVwR Bd. I, 2. Aufl. 2012, § 16 Rn. 173a ff., 173h ff.). Dies zeigt sich etwa in der Anhaltung des Gouverneursrates, seine Entscheidungen im zwischenstaatlichen Rahmen mit dem Verfahren im Überwachungsrahmen der Europäischen Union (Art. 121, 126, 136 Abs. 1 AEUV) zu verzahnen (17. Erwägungsgrund sowie Art. 13 Abs. 1 des Entwurfs eines Vertrages über den Europäischen Stabilitätsmechanismus).

142

cc) Der Europäische Stabilitätsmechanismus soll darüber hinaus der Absicherung eines Politikbereichs dienen, der der Europäischen Union als ausschließliche Zuständigkeit zugewiesen ist. Der Entwurf des Vertrages über den Europäischen Stabilitätsmechanismus ergänzt die Wirtschafts- und Währungspolitik.

143

Mit der Ergänzung von Art. 136 AEUV um einen Absatz 3, der die Finanzhilfen an strenge Auflagen und ein Tätigwerden des Europäischen Stabilitätsmechanismus daran bindet, dass es zur Stabilisierung des Währungsraums insgesamt unabdingbar ist (vgl. Art. 3 des Entwurfs eines Vertrags über den Europäischen Stabilitätsmechanismus), wird an die im Titel VIII geregelte Wirtschafts- und Währungspolitik (Art. 119 ff. AEUV) angeknüpft und deutlich gemacht, dass mit den Regelungen die Währungspolitik und insbesondere die Stabilität des Euro-Währungsgebietes gesichert werden soll. Damit wird ein Politikbereich ergänzt, den der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union in die ausschließliche Zuständigkeit der Union verweist (Art. 3 Abs. 1 lit. c AEUV). Der Europäische Stabilitätsmechanismus dient mithin unmittelbar der Verwirklichung der Ziele der Union (Art. 3 Abs. 4 EUV). An dem auf der Grundlage von Art. 136 Abs. 3 AEUV zu schließenden Vertrag über den Europäischen Stabilitätsmechanismus sollen zudem nur Mitgliedstaaten teilnehmen, die Teil des Euro-Währungsgebietes sind und für die Art. 136 ff. AEUV spezifische Regelungen enthalten. Auch dies ist ein Indiz dafür, dass es sich bei dem in Aussicht genommenen Vertrag über den Europäischen Stabilitätsmechanismus um eine Angelegenheit der Europäischen Union handelt.

144

dd) Die Tatsache, dass der Europäische Stabilitätsmechanismus im Wege eines gesonderten völkerrechtlichen Vertrages außerhalb der bisherigen Struktur des Unionsrechts etabliert werden soll, führt zu keinem anderen Ergebnis. Wie dargelegt, erfasst die Formulierung "Angelegenheiten der Europäischen Union" auch Vorhaben, die intergouvernemental verwirklicht werden sollen, wenn sie in einem Ergänzungs- oder sonstigen besonderen Näheverhältnis zum Recht der Union stehen. Dass der Europäische Stabilitätsmechanismus im Wege intergouvernementaler Zusammenarbeit verwirklicht werden soll, ist somit ebenso wenig maßgeblich wie seine Qualifikation als zwischenstaatliche Organisation ohne eigene Hoheitsgewalt. Jedenfalls durch die Verflechtung mit supranationalen Elementen besitzt der Europäische Stabilitätsmechanismus eine hybride Natur, die ihn zu einer Angelegenheit der Europäischen Union macht. Ob in der gewählten Form des völkerrechtlichen Vertrages über den Europäischen Stabilitätsmechanismus eine Umgehung des Unionsrechts liegt, namentlich ob der Vertrag mit Art. 48 EUV vereinbar ist, ist hier nicht zu entscheiden.

145

b) Errichtung und Ausgestaltung des Europäischen Stabilitätsmechanismus betreffen die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Deutschen Bundestages und damit eine seiner wesentlichen Funktionen. Daraus folgt die Notwendigkeit einer besonders umfangreichen und detaillierten Unterrichtung.

146

Angesichts der Komplexität und der Bedeutung des Europäischen Stabilitätsmechanismus für die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Deutschen Bundestages ist eine Beteiligung des Deutschen Bundestages geboten, die ihn in die Lage versetzt, sich - auch und gerade in öffentlicher Debatte - eingehend mit dem Thema auseinanderzusetzen und Notwendigkeit und Umfang der zu beschließenden Maßnahmen zu klären. Nur so kann sichergestellt werden, dass auch im Hinblick auf die mit dem Europäischen Stabilitätsmechanismus einhergehenden Verbindlichkeiten der Deutsche Bundestag der Ort ist, an dem eigenverantwortlich über Einnahmen und Ausgaben entschieden wird.

147

Aus dem Gebot umfassender und frühestmöglicher Information ergeben sich deshalb im konkreten Fall hohe Anforderungen an die Qualität, Quantität, Aktualität und Verwertbarkeit der Unterrichtung über die Verhandlungen zum Europäischen Stabilitätsmechanismus. Die Unterrichtung hat sich namentlich ohne Abstriche auf die Weiterleitung der amtlichen Unterlagen und Dokumente aller Organe sowie sonstiger Gremien und Behörden der Europäischen Union und anderer Mitgliedstaaten zu erstrecken. Übermitteln muss die Bundesregierung aber auch Informationen über informelle und nicht schriftlich dokumentierte Vorgänge sowie über Gegenstand, Verlauf und Ergebnis der Sitzungen und Beratungen aller Organe und Gremien der Europäischen Union, in denen sie vertreten ist, sowie über bi- und multilaterale Aktionen von Mitgliedstaaten auf völkerrechtlicher Ebene. Nicht zuletzt verpflichtet Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG die Bundesregierung dazu, den Deutschen Bundestag über eigene Initiativen und Positionen in Angelegenheiten der Europäischen Union betreffend den Europäischen Stabilitätsmechanismus zu informieren. Nur so kann verhindert werden, dass der Deutsche Bundestag in die Rolle des bloßen Nachvollzuges gerät (BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 28. Februar 2012 - 2 BvE 8/11 -, juris Rn. 109; Urteil des Zweiten Senats vom 7. September 2011 - 2 BvR 987/10, 2 BvR 1485/10, 2 BvR 1099/10 -, NJW 2011, S. 2946 <2951>, Rn. 124).

148

c) Die Antragsgegnerin hat den Deutschen Bundestag nicht umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt über den Europäischen Stabilitätsmechanismus unterrichtet. Sie hat dem Bundestag einen ihr spätestens am 21. Februar 2011 vorliegenden Text der Europäischen Kommission über die Merkmale des Stabilitätsmechanismus (aa) sowie einen Entwurf des Vertrages über den Europäischen Stabilitätsmechanismus vom 6. April 2011 (bb) nicht übermittelt. Spätere mündliche oder schriftliche Informationen ändern nichts an der Verletzung von Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG (cc). Gründe, die einer Übermittlung entgegenstehen könnten, sind nicht ersichtlich; insbesondere kann sich die Antragsgegnerin nicht auf Vertraulichkeit berufen (dd).

149

aa) Die Antragsgegnerin hat einen ihr am 21. Februar 2011 vorliegenden Text der Europäischen Kommission über die Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus, der Gegenstand der Beratungen über die Merkmale des Stabilitätsmechanismus im Rat war, dem Deutschen Bundestag nicht zugeleitet. Die Existenz dieses Papiers wird durch einen internen Bericht des Verbindungsbüros des Deutschen Bundestages in Brüssel vom 21. Februar 2011 belegt. Wie aus dem Bericht des Verbindungsbüros hervorgeht, arbeitete der Rat - in dem die Bundesregierung vertreten ist - zu diesem Zeitpunkt an der Ausgestaltung des Europäischen Stabilitätsmechanismus auf der Grundlage eines Textes der Europäischen Kommission. Da Papiere der Europäischen Kommission, auf deren Grundlage die Merkmale des Europäischen Stabilitätsmechanismus im Europäischen Rat wie auch im ECOFIN-Rat und der Euro-Gruppe diskutiert wurden, insbesondere jener Text der Kommission, dem Deutschen Bundestag nicht zur Verfügung gestellt wurde, hatte dieser keine Möglichkeit, auf die konkrete Ausgestaltung des Europäischen Stabilitätsmechanismus zu einem frühen Zeitpunkt Einfluss zu nehmen.

150

bb) Ferner hat die Antragsgegnerin dem Deutschen Bundestag den Entwurf eines Vertrages über den Europäischen Stabilitätsmechanismus in der Form des "Draft Treaty Establishing the European Stability Mechanism (ESM)" nicht übermittelt.

151

Einen auf den 6. April 2011 datierenden Entwurf des Vertrages über den Europäischen Stabilitätsmechanismus hat der Deutsche Bundestag lediglich aus informellen Quellen erhalten, obwohl dieser oder jedenfalls eine frühere Textstufe des Vertragsentwurfs der Bundesregierung zu diesem Zeitpunkt vorlag. Dies ergibt sich aus dem Inhalt mündlicher Ausschussunterrichtungen vom selben Tag: Der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen nannte gegenüber dem Haushaltsausschuss des Bundestages einzelne, bereits auf dem Europäischen Rat vom 24./25. März 2011 bindend verabredete Details des Vertragsinhalts und erklärte, der Vertrag über den Europäischen Stabilitätsmechanismus werde derzeit auf europäischer Ebene weiter ausgearbeitet und befinde sich noch im Verhandlungsstadium (Protokoll Nr. 17/52 der 52. Sitzung des Haushaltsausschusses vom 6. April 2011, S. 12, 19). Die Bundesregierung hatte mithin am 6. April 2011 konkrete Erkenntnisse über Textstufen des Vertragsentwurfs.

152

cc) Spätere mündliche oder schriftliche Informationen, insbesondere die Übersendung des zu diesem Zeitpunkt in der erweiterten Euro-Gruppe bereits beratenen Entwurfs des Vertrages über den Europäischen Stabilitätsmechanismus am 17. beziehungsweise 18. Mai 2011, ändern nichts an der Verletzung von Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG. Die Bundesregierung ist verpflichtet, dem Bundestag nicht nur einen abschließend beratenen oder sogar bereits beschlossenen Vertragstext zuzuleiten. Sie muss ihm zum frühestmöglichen Zeitpunkt ihr vorliegende Zwischenergebnisse und Textstufen - wie den auf den 6. April 2011 datierenden "Draft Treaty Establishing the European Stability Mechanism (ESM)" - übermitteln. Dass sich Entwürfe ändern und daher Aktualisierungen erforderlich werden, solche Informationen mithin "eine kurze Halbwertszeit" aufweisen können, rechtfertigt es nicht, die schriftliche Unterrichtung auf einen Zeitpunkt zu verschieben, in dem die Ergebnisse bereits feststehen. Denn damit wird der Bundestag gerade in jene für völkerrechtliche Verträge charakteristische Ratifikationslage gebracht, die ihm eine inhaltliche Einflussnahme abschneidet und vor der ihn Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG schützen will. Wie sich bereits aus dem kumulativen Erfordernis frühzeitiger und umfassender Information ergibt, kann bei prozesshaften Vorgängen der vorliegenden Art die Unterrichtungspflicht nicht "in einem Gesamtpaket" erledigt werden.

153

dd) Eine etwaige Vertraulichkeit beider Dokumente steht dem Erfordernis ihrer Übermittlung nicht entgegen. Die Bundesregierung kann sich insbesondere nicht auf eine grundsätzliche Vertraulichkeit im speziellen Format der informell tagenden erweiterten Euro-Gruppe berufen. Verhandlungen im Vorfeld völkerrechtlicher Verträge, die auf eine Bindung der Bundesrepublik Deutschland zielen und Gesetzesqualität erlangen sollen, sind gegenüber dem Deutschen Bundestag von vornherein nicht geheimhaltungsbedürftig. Sollten Gründe für eine Geheimhaltungsbedürftigkeit gegenüber der Öffentlichkeit im Hinblick auf einzelne Informationen oder Dokumente ausnahmsweise anzuerkennen sein, wäre die Bundesregierung verpflichtet, die Unterlagen dem Deutschen Bundestag unter Hinweis auf das Erfordernis einer vertraulichen Behandlung zuzuleiten. Die Voraussetzungen hierfür hat der Bundestag mit dem Erlass seiner Geheimschutzordnung geschaffen (vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 28. Februar 2012 - 2 BvE 8/11 -, juris Rn. 149). Weitere Gründe, die gegen eine Übermittlung hätten sprechen können, sind nicht ersichtlich.

154

2. Die Antragsgegnerin hat den Deutschen Bundestag zudem nicht umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt über den Euro-Plus-Pakt unterrichtet und damit die Rechte des Bundestages aus Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG verletzt. Die Vereinbarung des Euro-Plus-Paktes stellt eine Angelegenheit der Europäischen Union im Sinne des Art. 23 Abs. 2 Satz 1 GG dar (a), die wichtige Funktionen des Deutschen Bundestages berührt und deshalb in besonderem Maße dessen umfassende und frühzeitige Unterrichtung gebietet (b). Da die Antragsgegnerin den Deutschen Bundestag über die am 4. Februar 2011 öffentlich vorgestellte Initiative für den Beschluss eines Paktes für Wettbewerbsfähigkeit nicht informiert sowie ihm das inoffizielle Dokument (non paper) der Präsidenten der Europäischen Kommission und des Europäischen Rates mit der Überschrift "Enhanced Economic Policy Coordination in the Euro Area - Main Features and Concepts" vom 25. Februar 2011 nicht übermittelt hat, ist die nach Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG gebotene umfassende und frühestmögliche Unterrichtung nicht erfolgt (c).

155

a) Die Vereinbarung des Euro-Plus-Paktes ist eine Angelegenheit der Europäischen Union im Sinne von Art. 23 Abs. 2 Satz 1 GG. Eine Gesamtschau ihrer Charakteristika ergibt, dass der Pakt substantielle Berührungspunkte mit dem in den Verträgen niedergelegten Integrationsprogramm aufweist.

156

Bereits der Umstand, dass sich der Euro-Plus-Pakt beziehungsweise die ihm vorausgegangene Initiative für den Beschluss eines Paktes für Wettbewerbsfähigkeit an die Mitgliedstaaten der Europäischen Union richtet, indiziert eine Ausrichtung auf das unionale Integrationsprogramm. Inhaltlich ist der Pakt angesichts seiner Ziele, eine qualitative Verbesserung der Wirtschaftspolitik und der öffentlichen Haushaltslage sowie eine Stärkung der Finanzstabilität zu erreichen, auf einen in den Verträgen niedergelegten Politikbereich der Europäischen Union ausgerichtet. In die Verwirklichung der Ziele des Paktes sind Organe der Europäischen Union eingeschaltet, wie bereits die vorgesehene jährliche Bewertung der von den Mitgliedstaaten des Euro-Plus-Paktes zur Erfüllung ihrer Selbstverpflichtungen unternommenen Reform- und Stabilitätsprogramme durch die Europäische Kommission, den Rat und die Euro-Gruppe zeigt.

157

Dass der Euro-Plus-Pakt überwiegend mit Selbstverpflichtungen der teilnehmenden Mitgliedstaaten operiert, stellt seine Einordnung als Angelegenheit der Europäischen Union nicht in Frage. Zum einen steht auch eine nur begrenzte rechtliche Verbindlichkeit der Einordnung als Angelegenheit der Europäischen Union angesichts der gebotenen weiten, nicht auf Rechtsetzung beschränkten Auslegung des Begriffs nicht entgegen. Zum anderen entfaltet der Pakt durchaus eine gewisse Bindungswirkung. Zwar sieht er - anders als der durch das sogenannte "Sixpack" reformierte Stabilitäts- und Wachstumspakt (vgl. oben A.I.3.d) - keine Sanktionen für seine Verletzung vor. Mit dem jährlich durchzuführenden Benchmarking unter Einbindung der Europäischen Kommission enthält der Euro-Plus-Pakt jedoch ein Durchsetzungsinstrument, auf das in jüngerer Zeit auch das nationale Verfassungsrecht zurückgreift (vgl. Art. 91d GG) und das zudem in unmittelbarem Zusammenhang mit justitiablen Verpflichtungen der Mitgliedstaaten steht (vgl. hierzu die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zum bisherigen Stabilitäts- und Wachstumspakt, EuGH, Urteil des Plenums vom 13. Juli 2004, Rs. C-27/04, Kommission gegen Rat, Slg. 2004, S. I-6649, insb. Rn. 89). Die damit verbundene Rechenschaftspflicht wird jede Bundesregierung treffen und hat bereits im Europäischen Semester und der damit verbundenen Mitteilung der Kommission vom 7. Juni 2011 über den "Abschluss des ersten Europäischen Semesters für die Koordinierung der Wirtschaftspolitik: Orientierung für die Politik der Mitgliedstaaten 2011-2012" (KOM <2011> 400 endgültig) ihren Niederschlag gefunden. Einen verbindlichen Bezug auf Europäisches Sekundärrecht enthält überdies die Verpflichtung der am Pakt teilnehmenden Mitgliedstaaten, die im Stabilitäts- und Wachstumspakt vorgesehenen Vorgaben umzusetzen.

158

Ein substantieller Berührungspunkt zum unionalen Integrationsprogramm zeigt sich zudem in der teilweisen Umsetzung des Euro-Plus-Paktes durch Normen des Sekundärrechts. So erstreckt die im Rahmen des sogenannten "Sixpack" ergangene Verordnung (EU) Nr. 1175/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. November 2011 zur Änderung der Verordnung (EG) 1466/97 des Rates über den Ausbau der haushaltspolitischen Überwachung und der Überwachung und Koordinierung der Wirtschaftspolitiken den "Prüfungsumfang" des damit ins Sekundärrecht aufgenommenen Europäischen Semesters auch auf die Ziele des Euro-Plus-Paktes.

159

b) Da der Euro-Plus-Pakt die Zuständigkeiten des Deutschen Bundestages in nicht unerheblicher Weise berührt, war eine vollständige Unterrichtung des Bundestages bereits in Bezug auf Initiativen und frühe Stadien der Verhandlungen geboten. Namentlich die Selbstverpflichtungen in Bereichen, die der Gesetzgebungszuständigkeit der Mitgliedstaaten unterfallen, wie etwa dem Steuer- und Sozialrecht, und in denen der Gesetzgeber in Zukunft einer Überwachung durch Organe der Europäischen Union unterworfen wird, betreffen die parlamentarische Verantwortung und sind geeignet, die Gestaltungsmöglichkeiten des Gesetzgebers einzuschränken. Der Bundestag hatte ein großes Interesse, vorab zu erfahren, darüber zu diskutieren und an der Entscheidung mitzuwirken, ob und gegebenenfalls in welchen Bereichen eine Koordinierung versprochen und welche Bewertungskriterien angestrebt werden sollten.

160

c) Die Antragsgegnerin hat den Deutschen Bundestag nicht umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt über den Euro-Plus-Pakt unterrichtet.

161

aa) Sie hat den Deutschen Bundestag über die am 4. Februar 2011 öffentlich vorgestellte Initiative für den Beschluss eines Paktes für Wettbewerbsfähigkeit - später Euro-Plus-Pakt - nicht vorab informiert.

162

(1) Der Euro-Plus-Pakt geht auf eine deutsch-französische Initiative zurück, welche die Regierungen beider Mitgliedstaaten zum Gegenstand der Tagung des Europäischen Rates vom 4. Februar 2011 gemacht haben und die die Bundeskanzlerin auf dieser Tagung gemeinsam mit dem französischen Staatspräsidenten der Öffentlichkeit vorgestellt hat. Über dieses Vorhaben hätte die Antragsgegnerin den Deutschen Bundestag spätestens am 2. Februar 2011 informieren müssen.

163

Zu diesem Zeitpunkt stand fest, dass den Staats- und Regierungschefs auf der unmittelbar bevorstehenden Tagung des Europäischen Rates ein Diskussionsvorschlag für eine verstärkte wirtschaftspolitische Koordinierung im Euro-Währungsgebiet zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit unterbreitet werden sollte. Dies geht nicht nur aus den Aussagen des Regierungssprechers auf der Regierungspressekonferenz vom 2. Februar 2011 hervor, wonach die Bundesregierung die wirtschaftspolitische Koordinierung als eine von mehreren jetzt zu ergreifenden Maßnahmen betrachte und beim Mittagessen der Staats- und Regierungschefs die Diskussion hierüber eröffnet werden solle. Auch der Staatsminister des Bundeskanzleramtes bestätigte nachträglich das Ziel der Bundesregierung, bei der Tagung des Europäischen Rates vom 4. Februar 2011 ein Verfahren zur Ausarbeitung eines Paktes für Wettbewerbsfähigkeit zu beschließen, und dass das Thema Wirtschafts- und Währungsunion am 2. Februar 2011 zusätzlich auf die Tagesordnung genommen worden sei (Protokoll Nr. 17/31 der 31. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 9. Februar 2011, S. 14).

164

Sollte es - wie von der Antragsgegnerin geltend gemacht - vor dem 4. Februar 2011 noch keine endgültig abgestimmte Position zum avisierten Inhalt einer verstärkten wirtschaftspolitischen Koordinierung im Euro-Währungsgebiet innerhalb der Bundesregierung gegeben haben, hätte dieser Umstand die Bundesregierung nicht von ihrer Unterrichtungspflicht entbunden. Gegenstand der gebotenen Unterrichtung war in diesem Fall (noch) nicht der Beschluss eines Paktes für Wettbewerbsfähigkeit als solcher, sondern allein die Absicht der Antragsgegnerin, einen Prozess zu dessen Ausarbeitung anzustoßen (vgl. auch § 5 Abs. 2 Satz 1 EUZBBG). Hierzu hatte der Regierungssprecher auf der Pressekonferenz vom 2. Februar 2011 eine abgestimmte Haltung der Bundesregierung angekündigt. Die Willensbildung innerhalb der Bundesregierung war folglich insoweit abgeschlossen, als sie mit ihrer Initiative an die Öffentlichkeit gehen konnte und mit einer eigenen Position in einen Abstimmungsprozess mit Dritten eintreten wollte. Die Antragsgegnerin war daher verpflichtet, den Deutschen Bundestag vor Beginn der Tagung des Europäischen Rates über die Initiative zumindest in ihren Grundzügen zu informieren (vgl. auch § 5 Abs. 5 Satz 1 und 2 EUZBBG).

165

(2) Die dem Deutschen Bundestag von der Antragsgegnerin unterbreiteten Informationen genügten nicht, um die Unterrichtungspflicht zu erfüllen.

166

Dies gilt zunächst für den "Vorbericht zum Europäischen Rat am 4. Februar 2011" vom 2. Februar 2011. Darin heißt es lediglich, dass die Bundesregierung für ein von den Staats- und Regierungschefs der Eurozone ausgehendes starkes Signal eintrete, zur Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit die wirtschaftspolitische Koordinierung im Euro-Währungsgebiet zu verbessern. Nicht erwähnt wurde hingegen, dass die Antragsgegnerin zu diesem Zweck eine Initiative für den Beschluss eines Paktes für Wettbewerbsfähigkeit vorstellen wolle und was der wesentliche Inhalt dieser Initiative sein werde.

167

Zureichende Informationen über das geplante Vorhaben enthält auch nicht die Antwort des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie vom 2. Februar 2011 auf eine konkrete Anforderung des Deutschen Bundestages. Nachdem die Initiative der Antragsgegnerin bereits am 31. Januar 2011 in verschiedenen Nachrichtenmagazinen thematisiert worden war, hatte der Deutsche Bundestag am 1. Februar 2011 um Übermittlung von Papieren und Informationen gebeten, auf deren Basis die Initiative vorgestellt werden sollte. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie teilte hierauf nur mit, dass die Zeitungsartikel auf einen noch nicht abgeschlossenen Abstimmungsprozess Bezug nähmen und "im weiteren Fortgang die nach dem EUZBBG vorgesehenen Unterrichtungen unverzüglich erfolgen können".

168

Schließlich genügte auch die am 3. Februar 2011 vom Staatsminister des Bundeskanzleramtes vorgenommene "Obleuteunterrichtung" (vgl. Protokoll Nr. 17/31 der 31. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 9. Februar 2011, S. 11) nicht, um die Unterrichtungspflicht zu erfüllen. Ungeachtet der Tatsache, dass die Obleute des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union bereits nicht die richtigen Unterrichtungsadressaten waren, hatte die Erklärung des Staatsministers des Bundeskanzleramtes lediglich zum Inhalt, "dass zu dem Thema noch keine abgestimmte Position der Bundesregierung bestehe und dementsprechend auch keine abgestimmte Position beim Europäischen Rat beschlossen werden würde" (vgl. Protokoll Nr. 17/31 der 31. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 9. Februar 2011, S. 11).

169

bb) Darüber hinaus hat die Antragsgegnerin dem Deutschen Bundestag ein inoffizielles Dokument der Präsidenten der Europäischen Kommission und des Europäischen Rates vom 25. Februar 2011 mit der Bezeichnung "Enhanced Economic Policy Coordination in the Euro Area - Main Features and Concepts" nicht übermittelt, welches wesentliche Inhalte des Paktes für Wettbewerbsfähigkeit - später Euro-Plus-Pakt - beschrieb.

170

Nach dem Vorbringen der Verfahrensbeteiligten ist davon auszugehen, dass sich die Antragsgegnerin im Besitz dieses inoffiziellen Dokuments befand. Dies legt bereits der seinerzeitige E-Mail-Verkehr nahe. Danach hat der Deutsche Bundestag auf ausdrückliche Anfrage an das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie vom 3. März 2011 sowie an das Bundeskanzleramt vom 4. März 2011, ob der Bundesregierung ein gemeinsames Papier der Präsidenten der Europäischen Kommission und des Europäischen Rates zur deutsch-französischen Initiative für einen Pakt für Wettbewerbsfähigkeit vorliege, keine - das heißt auch keine verneinende - Antwort des Bundeskanzleramtes erhalten. Zudem hat sich die Antragsgegnerin im vorliegenden Verfahren auf den Vorwurf einer Unterrichtungspflichtverletzung eingelassen, ohne die darin implizit enthaltene Behauptung, ihr habe das Papier vorgelegen, in Abrede zu stellen, was im Hinblick auf die Arbeitsweise der beteiligten europäischen Organe auch fernliegend wäre.

171

Dieses Dokument stellte die Antragsgegnerin dem Deutschen Bundestag trotz ausdrücklicher Anforderung nicht zur Verfügung (vgl. auch § 5 Abs. 3 EUZBBG). Erst am 11. März 2011 übersandte sie den offiziellen Entwurf eines Paktes für Wettbewerbsfähigkeit. Zu diesem Zeitpunkt bestand für den Deutschen Bundestag keine Möglichkeit mehr, dessen Inhalt zu diskutieren und durch eine Stellungnahme auf die Bundesregierung einzuwirken. Denn die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes einigten sich bereits am gleichen Tag, dem 11. März 2011, auf den Pakt. Damit entstanden bereits ab diesem Zeitpunkt konkrete Selbstverpflichtungen auch für die Bundesrepublik Deutschland, ohne dass der Deutsche Bundestag auf deren Inhalt hätte einwirken oder diese hätte verhindern können.

D.

172

Die Entscheidung ist einstimmig ergangen.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

(1) Das Grundgesetz kann nur durch ein Gesetz geändert werden, das den Wortlaut des Grundgesetzes ausdrücklich ändert oder ergänzt. Bei völkerrechtlichen Verträgen, die eine Friedensregelung, die Vorbereitung einer Friedensregelung oder den Abbau einer besatzungsrechtlichen Ordnung zum Gegenstand haben oder der Verteidigung der Bundesrepublik zu dienen bestimmt sind, genügt zur Klarstellung, daß die Bestimmungen des Grundgesetzes dem Abschluß und dem Inkraftsetzen der Verträge nicht entgegenstehen, eine Ergänzung des Wortlautes des Grundgesetzes, die sich auf diese Klarstellung beschränkt.

(2) Ein solches Gesetz bedarf der Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages und zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrates.

(3) Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

(1) Der Bundestag und seine Ausschüsse können die Anwesenheit jedes Mitgliedes der Bundesregierung verlangen.

(2) Die Mitglieder des Bundesrates und der Bundesregierung sowie ihre Beauftragten haben zu allen Sitzungen des Bundestages und seiner Ausschüsse Zutritt. Sie müssen jederzeit gehört werden.

(1) Der Bundestag hat das Recht und auf Antrag eines Viertels seiner Mitglieder die Pflicht, einen Untersuchungsausschuß einzusetzen, der in öffentlicher Verhandlung die erforderlichen Beweise erhebt. Die Öffentlichkeit kann ausgeschlossen werden.

(2) Auf Beweiserhebungen finden die Vorschriften über den Strafprozeß sinngemäß Anwendung. Das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis bleibt unberührt.

(3) Gerichte und Verwaltungsbehörden sind zur Rechts- und Amtshilfe verpflichtet.

(4) Die Beschlüsse der Untersuchungsausschüsse sind der richterlichen Erörterung entzogen. In der Würdigung und Beurteilung des der Untersuchung zugrunde liegenden Sachverhaltes sind die Gerichte frei.

(1) Das Grundgesetz kann nur durch ein Gesetz geändert werden, das den Wortlaut des Grundgesetzes ausdrücklich ändert oder ergänzt. Bei völkerrechtlichen Verträgen, die eine Friedensregelung, die Vorbereitung einer Friedensregelung oder den Abbau einer besatzungsrechtlichen Ordnung zum Gegenstand haben oder der Verteidigung der Bundesrepublik zu dienen bestimmt sind, genügt zur Klarstellung, daß die Bestimmungen des Grundgesetzes dem Abschluß und dem Inkraftsetzen der Verträge nicht entgegenstehen, eine Ergänzung des Wortlautes des Grundgesetzes, die sich auf diese Klarstellung beschränkt.

(2) Ein solches Gesetz bedarf der Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages und zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrates.

(3) Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig.

Tenor

1. Die Antragsgegnerin hat den Deutschen Bundestag in seinem Unterrichtungsrecht aus Artikel 23 Absatz 2 Satz 2 des Grundgesetzes verletzt, indem sie es unterlassen hat, ihm einen ihr am 21. Februar 2011 vorliegenden Text der Europäischen Kommission über die Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus sowie den Entwurf eines Vertrages über den Europäischen Stabilitätsmechanismus vom 6. April 2011 zuzuleiten.

2. Die Antragsgegnerin hat den Deutschen Bundestag ferner in seinem Unterrichtungsrecht aus Artikel 23 Absatz 2 Satz 2 des Grundgesetzes verletzt, indem sie es unterlassen hat, ihn über die am 4. Februar 2011 öffentlich vorgestellte Initiative für den Beschluss eines Paktes für Wettbewerbsfähigkeit vorab zu informieren sowie ihm das inoffizielle Dokument der Präsidenten der Europäischen Kommission und des Europäischen Rates vom 25. Februar 2011 mit der Bezeichnung "Enhanced Economic Policy Coordination in the Euro Area - Main Features and Concepts" zuzuleiten.

Gründe

A.

1

Das Organstreitverfahren betrifft die Verpflichtung der Bundesregierung aus Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG zur Unterrichtung des Deutschen Bundestages in Angelegenheiten der Europäischen Union im Zusammenhang mit dem "Europäischen Stabilitätsmechanismus" (ESM) und dem "Euro-Plus-Pakt".

I.

2

1. Als Reaktion auf die Staatsschuldenkrise im Gebiet der Europäischen Währungsunion gewährten die Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes zunächst Griechenland koordinierte, bilaterale Finanzhilfen und schufen anschließend den sogenannten "Rettungsschirm", dessen Kern eine privatrechtlich organisierte Zweckgesellschaft, die Europäische Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF; vgl. hierzu Urteil des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 7. September 2011 - 2 BvR 987/10, 2 BvR 1485/10, 2 BvR 1099/10 -, NJW 2011, S. 2946 ff.) bildet. Ihre Maßnahmen sind zeitlich befristet und sollen nur der vorübergehenden Unterstützung betroffener Mitgliedstaaten dienen.

3

2. Seit Ende 2010 streben die Mitgliedstaaten der Europäischen Union einen dauerhaften Krisenbewältigungsmechanismus an. Dazu soll ein permanenter Europäischer Stabilisierungs- beziehungsweise Stabilitätsmechanismus etabliert werden.

4

Erste Ideen für einen solchen Krisenbewältigungsmechanismus wurden in der vom Europäischen Rat im März 2010 eingesetzten Arbeitsgruppe zur Reform des Regelwerks der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion unter Vorsitz des Präsidenten des Europäischen Rates entwickelt. Auf der Tagung des Europäischen Rates vom 28./29. Oktober 2010 einigten sich die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten auf die Errichtung eines "ständigen Krisenmechanismus zur Wahrung der Finanzstabilität des Euro-Währungsgebiets insgesamt" (EUCO 25/1/10 REV 1, Schlussfolgerungen, S. 2). Am 28. November 2010 vereinbarten die Finanzminister der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes die allgemeinen Merkmale des künftigen Krisenmechanismus. Zur Vorbereitung des Europäischen Rates vom 16./17. Dezember 2010 legte dessen Präsident am 10. Dezember 2010 einen Vorschlag für eine Änderung der Verträge vor. Der Europäische Rat einigte sich auf seiner Tagung vom 16./17. Dezember 2010 auf eine erste Fassung der avisierten Vertragsänderung, die Art. 136 AEUV einen neuen Absatz 3 hinzufügen sollte, billigte die von den Finanzministern der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes am 28. November 2010 vereinbarten allgemeinen Merkmale des Europäischen Stabilitätsmechanismus und beauftragte diese sowie die Europäische Kommission mit der weiteren Konkretisierung der Bestimmungen (EUCO 30/1/10 REV 1, S. 1 f. mit Anlage 1). Der Europäische Stabilitätsmechanismus sollte im Primärrecht verankert werden und die zeitlich befristete Europäische Finanzstabilisierungsfazilität sowie den ebenfalls zeitlich befristeten Europäischen Finanzstabilisierungsmechanismus (EFSM) ablösen. Am 20. Dezember 2010 übersandte das Bundeskanzleramt dem Deutschen Bundestag einen schriftlichen Ergebnisbericht zu der Tagung des Europäischen Rates.

5

a) In ihrer Ausgabe vom 23. Dezember 2010 berichtete die Süddeutsche Zeitung über ein ihr vorliegendes inoffizielles Dokument (non paper) der Bundesregierung zur Konzeption des Europäischen Stabilitätsmechanismus, das zur Vorbereitung des nächsten Treffens der Finanzminister der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes Mitte Januar dienen solle. Unter anderem wurde berichtet, dass der geplante Europäische Stabilitätsmechanismus als eigenständige Institution neben die Europäische Zentralbank treten und den Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes politisch weitgehend unabhängig "Hilfen in der Not" anbieten solle. Er solle grundsätzlich "unbegrenzt refinanzierungsfähig" sein, wofür die Mitgliedstaaten anteilige Bürgschaften bereitstellen müssten. Hilfen sollten nur unter strengen Bedingungen und gegen werthaltige Sicherheiten wie Goldreserven oder staatliche Unternehmensanteile gewährt werden (Süddeutsche Zeitung, 23. Dezember 2010, "Neuer Vorstoß zur Rettung des Euro" und "Doppelter Schutz für den Euro" ).

6

Am 17. Januar 2011 forderte der Deutsche Bundestag mit Blick auf die für den 4. Februar 2011 geplante Tagung des Europäischen Rates beim Bundesministerium der Finanzen Dokumente bezüglich der Konkretisierung der Merkmale des Europäischen Stabilitätsmechanismus an. Das Bundesministerium der Finanzen kündigte daraufhin an, entsprechende Papiere zu übermitteln, sobald sie vorlägen. Außerdem teilte es mit, bei dem in der Süddeutschen Zeitung vom 23. Dezember 2010 angesprochenen inoffiziellen Dokument handele es sich nicht um ein abgestimmtes Positionspapier der Bundesregierung für die Organe der Europäischen Union, sondern um eine Zusammenstellung von internen Papieren der Arbeitsebene. Ein Zuleitungserfordernis bestehe daher nicht.

7

Der Deutsche Bundestag forderte am 19. Januar 2011 beim Bundesministerium der Finanzen unter Hinweis auf einen Bericht im Handelsblatt (Handelsblatt, 19. Januar 2011 , "EU-Kommission will klammen Ländern großzügiger helfen") ein siebenseitiges Papier der Europäischen Kommission mit Überlegungen zum Europäischen Stabilitätsmechanismus an, das dem ECOFIN-Rat vom 18. Januar 2011 vorgelegen habe. Dies lehnte ein Referatsleiter im Bundesministerium der Finanzen mit E-Mail vom gleichen Tage mit der Begründung ab, dem ECOFIN-Rat sei kein Papier zum Europäischen Stabilitätsmechanismus vorgelegt worden; Presseberichte, wonach die Europäische Kommission ein siebenseitiges Papier präsentiert habe, könnten nicht bestätigt werden. Bei der Entwicklung des Europäischen Stabilitätsmechanismus handele es sich zudem "um die Vorbereitung eines zwischenstaatlichen Instruments der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets und nicht um ein Vorhaben der Europäischen Union". Die Bundesregierung werde "über die Arbeiten an dem permanenten ESM" wie bisher regelmäßig unterrichten.

8

Ebenfalls am 19. Januar 2011 berichtete ein Beamter des Bundesministeriums der Finanzen sowohl dem Finanzausschuss des Deutschen Bundestages (Protokoll Nr. 17/39 der 39. Sitzung des Finanzausschusses vom 19. Januar 2011, S. 23 ff.) als auch dem Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union mündlich über die Ergebnisse der Sitzungen der Euro-Gruppe vom 17. Januar 2011 sowie des ECOFIN-Rates vom 18. Januar 2011. Es seien insbesondere Fragen zur Ausgestaltung des Europäischen Stabilitätsmechanismus diskutiert, Beschlüsse aber nicht gefasst worden. Die Bundesregierung handele dabei auf der Grundlage des Mandats des Europäischen Rates vom Dezember 2010. Der Deutsche Bundestag werde beteiligt, sobald eine Position der Bundesregierung vorliege. Nicht abgestimmte Papiere seien nicht vorlagepflichtig. Zwar gebe es "Papiere und Überlegungen der EU-Kommission" zur Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität und zum Europäischen Stabilitätsmechanismus; diese entsprächen aber den Vorgaben des Europäischen Rates (Protokoll Nr. 17/29 der 29. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 19. Januar 2011, S. 15 ff.). Der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen berichtete am selben Tag dem Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages über die Tagungen der Euro-Gruppe und des ECOFIN-Rates und betonte, dass die Bundesregierung ergebnisoffen in die Verhandlungen gegangen sei. Die Vorbereitung des Europäischen Rates im Februar/März 2011 und die Verhandlungen über die Ausgestaltung des sogenannten "comprehensive package" seien noch in vollem Gange (Protokoll Nr. 17/43 der 43. Sitzung des Haushaltsausschusses vom 19. Januar 2011, S. 42 ff.).

9

Am 24. Januar 2011 fand ein weiteres Treffen der Euro-Gruppe statt. Darüber berichtete der Bundesminister der Finanzen dem Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union am 26. Januar 2011. Er führte unter anderem aus, dass die Bundesregierung im Hinblick auf den Europäischen Stabilitätsmechanismus und die anderen in der Diskussion befindlichen Maßnahmen zur Euro-Rettung von einer abschließenden Gesamtentscheidung im März 2011 ausgehe. Mehrere Abgeordnete wiesen darauf hin, dass die Europäische Kommission der Euro-Gruppe angeblich ein inoffizielles Dokument (non paper) mit Inhalten und Plänen zum "Gesamtpaket" (comprehensive package) übermittelt habe. Für die Diskussion im Deutschen Bundestag sei eine Weiterleitung dieses Papiers hilfreich. Der Bundesminister der Finanzen trat dem Ersuchen mit der Begründung entgegen, im Hinblick auf Sitzungen der Finanzminister der Eurogruppe sei eine mündliche Unterrichtung ausreichend. Eine offene Kommunikation mit dem Deutschen Bundestag sei von großer Bedeutung, finde ihre Grenzen aber in der Handlungsfähigkeit der Bundesregierung (Protokoll Nr. 17/30 der 30. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 26. Januar 2011, S. 12 f.).

10

Am 2. Februar 2011 setzte der Präsident des Europäischen Rates das Thema "Wirtschafts- und Währungsunion" kurzfristig auf die Tagesordnung für die Tagung des Europäischen Rates am 4. Februar 2011 (vgl. Protokoll Nr. 17/31 der 31. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 9. Februar 2011, S. 14). Der Deutsche Bundestag erhielt am selben Tag einen schriftlichen Vorbericht des Bundeskanzleramtes. Darin wurde ausgeführt, die Beratungen der Staats- und Regierungschefs hätten "vor allem eine Verständigung über die Stärkung der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität, eine Entscheidung über die Vertragsänderung sowie eine Einigung über die Ausgestaltung des künftigen Europäischen Stabilisierungsmechanismus" zum Gegenstand. Entscheidungen in der Sache würden nicht erwartet. Am 3. Februar 2011 unterrichtete der Staatsminister des Bundeskanzleramtes die Obleute des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union mündlich über die bevorstehende Tagung des Europäischen Rates (vgl. Protokoll Nr. 17/31 der 31. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 9. Februar 2011, S. 11). Der Europäische Rat kündigte am 4. Februar 2011 unter anderem die "Festlegung der praktischen Merkmale des Europäischen Stabilitätsmechanismus unter dem Vorsitz des Präsidenten der Euro-Gruppe entsprechend dem im Dezember erteilten Auftrag" an (EUCO 2/1/11 REV 1, Schlussfolgerungen, Anlage I, S. 12). Der Deutsche Bundestag erhielt am 7. Februar 2011 einen schriftlichen Nachbericht zu dieser Tagung.

11

Am 9. Februar 2011 informierte ein Beamter des Bundesministeriums der Finanzen den Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union über die aktuelle Entwicklung des Euro-Währungsgebietes und teilte mit, im Mittelpunkt der Sitzungen der Euro-Gruppe und des ECOFIN-Rates am 14. und 15. Februar 2011 würden die bestehenden Reformprogramme, etwaige Änderungen der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität und die Ausgestaltung des Europäischen Stabilitätsmechanismus stehen. Auf Nachfrage führte er aus, hinsichtlich der Ausgestaltung eines "Instrumentenkastens" für den Europäischen Stabilitätsmechanismus gebe es noch keine abgeschlossene Position der Bundesregierung und keine Beschlüsse auf europäischer Ebene (Protokoll Nr. 17/31 der 31. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 9. Februar 2011, S. 15 f.). Ebenfalls am 9. Februar 2011 erklärte der Parlamentarische Staatssekretär des Bundesministeriums der Finanzen gegenüber dem Haushaltsausschuss auf Nachfrage, über das auf europäischer Ebene beratene "Gesamtpaket" werde das Parlament unterrichtet, sobald man zu einer Einigung gekommen sei (Protokoll Nr. 17/45 der 45. Sitzung des Haushaltsausschusses vom 9. Februar 2011, S. 59).

12

Am 17. Februar 2011 forderte der Deutsche Bundestag die Bundesregierung auf, ihm die vorbereitenden Papiere der Europäischen Kommission zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus zur Verfügung zu stellen. Dabei verwies er auf einen Artikel der Wochenzeitschrift "Der Spiegel", in dem auf ein solches Papier Bezug genommen worden war ("Jagd auf den Yeti", Heft 7/2011 vom 14. Februar 2011). Das Verbindungsbüro des Deutschen Bundestages in Brüssel teilte in einem internen Bericht vom 21. Februar 2011 ebenfalls mit, im Rat der Europäischen Union fänden Beratungen über die Ausgestaltung des Europäischen Stabilitätsmechanismus auf der Grundlage eines Textes der Europäischen Kommission statt. Das Bundesministerium der Finanzen kam der Aufforderung des Deutschen Bundestages nicht nach. In seinem Antwortschreiben vom 22. Februar 2011 wies es darauf hin, die zuständigen Ausschüsse des Deutschen Bundestages seien über Sitzungen der Euro-Gruppe nur mündlich zu unterrichten.

13

In der 32. Sitzung des Bundestagsausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 23. Februar 2011 informierte ein Beamter des Auswärtigen Amtes über die geplante Vertragsänderung im Zusammenhang mit der Errichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus. Auf welcher Rechtsgrundlage dessen konkrete Ausgestaltung erfolgen werde, stehe noch nicht fest. Bei dem Treffen der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes am 11. März 2011 würden die Themen Europäische Finanzstabilisierungsfazilität und Europäischer Stabilitätsmechanismus wahrscheinlich ebenfalls diskutiert. Es werde dabei aber wohl nur um die Grundlinien gehen; die endgültigen Entscheidungen seien erst beim Europäischen Rat Ende März 2011 zu erwarten (Protokoll Nr. 17/32 der 32. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 23. Februar 2011, S. 10 ff.). Der Ausschussvorsitzende und mehrere Abgeordnete rügten die Unterrichtung durch die Bundesregierung als ungenügend und verlangten übereinstimmend, frühzeitig und detailliert unterrichtet zu werden. Mit Blick auf die weitreichenden Auswirkungen auf die nationalen Haushalte sei der Deutsche Bundestag "von Beginn an in die Schaffung des ESM einzubeziehen" (Protokoll Nr. 17/32 der 32. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 23. Februar 2011, S. 12 f.).

14

Am 10. März 2011 berichtete die Bundeskanzlerin dem Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union über die für den Folgetag geplante informelle Tagung der Staats- und Regierungschefs des Euro-Währungsgebietes. Themen der Tagung seien unter anderem die Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus und der weitere Umgang mit der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität. Die Bundeskanzlerin erklärte, sie könne noch nicht sagen, ob das Treffen lediglich den Europäischen Rat am 24./25. März 2011 vorbereiten werde oder ob Beschlüsse gefasst würden. Im Übrigen würden informelle Treffen der Euro-Gruppe auch nicht von der gesetzlichen Unterrichtungspflicht der Bundesregierung gegenüber dem Deutschen Bundestag erfasst (Protokoll Nr. 17/33 der 33. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 10. März 2011, S. 10 ff.). Auf die Rüge eines Abgeordneten, das Parlament habe auf der Grundlage der Unterrichtungspraxis der Bundesregierung keine ausreichende Möglichkeit, die Entscheidungen zum Themenkreis der Eurostabilisierung nachzuvollziehen, erklärte die Bundeskanzlerin, die gegenwärtige Situation sei aufgrund täglicher Änderungen der Umstände und Tatsachen einzigartig, so dass die Bundesregierung dem Parlament nur Informationen mit einer "endlichen Halbwertszeit" geben und für den Europäischen Rat am 24./25. März 2011 lediglich Ergebnisoptionen benennen könne. Die Bundesregierung unterrichte den Deutschen Bundestag über die Sitzungen der Euro-Gruppe. Jedoch müssten bestimmte interne Beratungen, die von besonderer Marktrelevanz seien, differenziert behandelt werden (Protokoll Nr. 17/33 der 33. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 10. März 2011, S. 15 f.).

15

Am 16. März 2011 erklärte der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen im Finanzausschuss des Deutschen Bundestages, dass nach gegenwärtigem Verhandlungsstand der zukünftige Europäische Stabilitätsmechanismus auf völkerrechtlicher Grundlage errichtet werde und dieser Vertrag vom Deutschen Bundestag gemäß den Bestimmungen des Grundgesetzes zu ratifizieren sei (Protokoll Nr. 17/45 der 45. Sitzung des Finanzausschusses vom 16. März 2011, S. 27). Am gleichen Tag informierte der Bundesminister der Finanzen den Haushaltsausschuss über die voraussichtliche Höhe des effektiven Kreditvolumens des Europäischen Stabilitätsmechanismus. Man werde dieses jedoch erst im Zusammenhang mit der Entscheidung über die Form des Europäischen Stabilitätsmechanismus endgültig festlegen (Protokoll Nr. 17/49 der 49. Sitzung des Haushaltsausschusses vom 16. März 2011, S. 20 f.). Ebenfalls am 16. März 2011 informierte ein Beamter des Bundesministeriums der Finanzen den Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union über die Diskussionen der Euro-Gruppe und des ECOFIN-Rates zur Höhe des Garantievolumens von Europäischer Finanzstabilisierungsfazilität und Europäischem Stabilitätsmechanismus. Die Finanzminister hätten insbesondere verabredet, die Entscheidungen zur Ertüchtigung beider Institutionen nicht "kleckerweise" den nationalen Parlamenten vorzulegen, sondern in einem Paket (Protokoll Nr. 17/34 der 34. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 16. März 2011, S. 5 ff.).

16

Am 17. März 2011 nahm der Deutsche Bundestag den Antrag der Fraktionen von CDU/CSU und FDP zur Herstellung des Einvernehmens von Deutschem Bundestag und Bundesregierung zur Ergänzung von Art. 136 AEUV (BTDrucks 17/4880) an (Plenarprotokoll Nr. 17/96 der 96. Sitzung des Deutschen Bundestages vom 17. März 2011, S. 11015 C).

17

Auf ihrer Sitzung am 21. März 2011 einigte sich die Euro-Gruppe auf die Grundsätze des Europäischen Stabilitätsmechanismus. Im Bericht des Verbindungsbüros des Deutschen Bundestages in Brüssel vom gleichen Tag über den Stand der Diskussion im Nachgang zur Sondertagung des Europäischen Rates vom 11. März 2011 sowie zur Tagung des ECOFIN-Rates vom 14./15. März 2011 wurde ausgeführt, die Mitgliedstaaten hätten sich bereits auf einige wichtige Aspekte des Europäischen Stabilitätsmechanismus geeinigt. Zahlreiche Fragen - wie die Konditionalität der Gewährung von Finanzhilfen, die institutionelle Form und Struktur der Organisation, die Einbeziehung des Internationalen Währungsfonds oder die Beteiligung der Nicht-Euroländer - würden aber derzeit noch diskutiert und nach Ansicht von Beobachtern erst am 24./25. März 2011 von den Staats- und Regierungschefs entschieden (Bericht aus Brüssel 06/2011 vom 21. März 2011, S. 3 f.).

18

Am 23. März 2011 erstattete das Bundeskanzleramt dem Deutschen Bundestag einen schriftlichen Vorbericht zur Tagung des Europäischen Rates am 24./25. März 2011. Darin kündigte es mehrere Beschlüsse im "Gesamtpaket" zur dauerhaften Stabilisierung des Euro-Währungsgebietes an, darunter die "Finalisierung der Arbeiten zur Ausgestaltung des künftigen Stabilitätsmechanismus (ESM)". Am gleichen Tag informierte ein Beamter des Bundesministeriums der Finanzen den Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union über die aktuellen Entwicklungen im Euro-Währungsgebiet und übergab ein Papier zu den Grundsätzen des Europäischen Stabilitätsmechanismus in englischer Sprache ("term sheet") als Tischvorlage. Dass keine deutsche Übersetzung vorgelegt werde, sei zum einen der Kurzfristigkeit geschuldet, zum anderen aber auch dem besseren Verständnis, da der englische Text "Vorteile gegenüber einer deutschen Übersetzung" biete (Protokoll Nr. 17/35 der 35. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 23. März 2011, S. 9). Auf Nachfrage erklärte der Beamte, die Bundesregierung werte die Unterrichtung des Ausschusses als "mündliche Unterrichtung" entsprechend § 5 Abs. 4 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union (im Folgenden: EUZBBG) vom 12. März 1993 (BGBl I S. 311), zuletzt geändert durch Gesetz vom 22. September 2009 (BGBl I S. 3026). Die Vorlage des "term sheet" sei nicht auf der Grundlage dieses Gesetzes erfolgt und runde die mündliche Unterrichtung ab (Protokoll Nr. 17/35 der 35. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 23. März 2011, S. 13, 16).

19

Ebenfalls am 23. März 2011 forderte der Abgeordnete Manuel Sarrazin in einem Schreiben an den Bundesminister der Finanzen die Überlassung von Dokumenten über die Ausgestaltung des Europäischen Stabilitätsmechanismus. Aus einem Brief des Präsidenten der Euro-Gruppe an die Mitglieder des Europäischen Parlaments vom 22. März 2011 gehe hervor, dass das Europäische Parlament im Rahmen des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens an einer Verordnung im Zusammenhang mit dem Europäischen Stabilitätsmechanismus beteiligt werden solle. Damit würden die vorbereitenden Dokumente der Europäischen Kommission, deren Zuleitung die Bundesregierung bislang verweigere, von der Weiterleitungspflicht nach Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG erfasst. Eine mündliche Unterrichtung hierüber reiche nicht aus.

20

Am 24. März 2011 gab die Bundeskanzlerin im Hinblick auf die Tagung des Europäischen Rates am 24./25. März 2011 im Deutschen Bundestag eine Regierungserklärung ab. Die Bundesregierung habe auf europäischer Ebene durchgesetzt, dass der dauerhafte Europäische Stabilitätsmechanismus für ein ausgewogenes Verhältnis von Eigenverantwortung und Solidarität sorgen werde. Kredite dürften nur als letztes Mittel vergeben werden, und über die Vergabe werde durch einstimmigen Beschluss entschieden. Außerdem müsse sich der entsprechende Mitgliedstaat Auflagen unterwerfen. Die Haftung Deutschlands sei nach oben begrenzt (Plenarprotokoll Nr. 17/99 der 99. Sitzung des Deutschen Bundestages vom 24. März 2011, S. 11255 A f.).

21

b) Auf seiner Tagung vom 24./25. März 2011 beschloss der Europäische Rat sodann den Entwurf eines künftigen Art. 136 Abs. 3 AEUV, der als primärrechtliche Grundlage für den Europäischen Stabilitätsmechanismus dienen und folgenden Wortlaut haben soll:

22

Die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist, können einen Stabilitätsmechanismus einrichten, der aktiviert wird, wenn dies unabdingbar ist, um die Stabilität des Euro-Währungsgebiets insgesamt zu wahren. Die Gewährung aller erforderlichen Finanzhilfen im Rahmen des Mechanismus wird strengen Auflagen unterliegen (EUCO 10/11, Schlussfolgerungen, Anlage II, S. 21 ff.).

23

In den Schlussfolgerungen ist davon die Rede, dass die Ergänzung des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union im vereinfachten Änderungsverfahren nach Art. 48 Abs. 6 EUV erfolgen solle und daher nicht zu einer Ausdehnung der der Europäischen Union im Rahmen der Verträge übertragenen Zuständigkeiten führen dürfe (vgl. Art. 48 Abs. 6 UAbs. 3 EUV). Vor diesem Hintergrund solle der Europäische Stabilitätsmechanismus als zwischenstaatliche Einrichtung ausgestaltet werden. Seinen Schlussfolgerungen fügte der Europäische Rat die Anlage II mit der "Vereinbarung über die Merkmale des ESM" bei (EUCO 10/11, S. 21 ff.). Darin machte er deutlich, dass sein Einvernehmen über die Einrichtung des "ständigen" Europäischen Stabilitätsmechanismus an die Beschlussfassung über den Entwurf eines neuen Art. 136 Abs. 3 AEUV gekoppelt sei (EUCO 10/11, S. 21). Über die Ergebnisse des Europäischen Rates vom 24./25. März 2011 informierte der Staatsminister des Bundeskanzleramtes am 28. März 2011 die Obleute des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union telefonisch. Zugleich übermittelte das Bundeskanzleramt dem Deutschen Bundestag einen schriftlichen Ergebnisbericht.

24

Dem Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union berichtete ein Beamter des Bundesministeriums der Finanzen am 6. April 2011. Zu den Ergebnissen des Europäischen Rates vom 24./25. März 2011 erklärte er, man habe "ambitionierte Zeitvorgaben" für die Ertüchtigung der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität und den Errichtungs- und Finanzierungsvertrag für den Europäischen Stabilitätsmechanismus vereinbart (Protokoll Nr. 17/36 der 36. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 6. April 2011, S. 5 ff.). Bezogen auf die nationalen Umsetzungsgesetze im Zusammenhang mit der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität und dem Europäischen Stabilitätsmechanismus erklärte er, die Bundesregierung versuche, den Deutschen Bundestag zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu beteiligen (Protokoll Nr. 17/36 der 36. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 6. April 2011, S. 8). Am gleichen Tag berichtete der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen dem Haushaltsausschuss mündlich über die Ergebnisse des Europäischen Rates und über den Fortgang der Verhandlungen zum Europäischen Stabilitätsmechanismus (Protokoll Nr. 17/52 der 52. Sitzung des Haushaltsausschusses vom 6. April 2011, S. 9). Derzeit werde der Vertrag über den Europäischen Stabilitätsmechanismus weiter ausgearbeitet, um ihn vor Ende Juli 2011 paraphieren zu können. Danach solle die Ratifizierung in den Mitgliedstaaten erfolgen. Dies bedeute eine vollumfängliche parlamentarische Beteiligung des Deutschen Bundestages (Protokoll Nr. 17/52 der 52. Sitzung des Haushaltsausschusses vom 6. April 2011, S. 12). Die Rüge eines Abgeordneten, dass die Bundesregierung dem Ausschuss in der vorangegangen Sitzung am 23. März 2011 lediglich eine englische Fassung des "term sheet" vorgelegt habe, obwohl dieses zum Zeitpunkt der Sitzung bereits 48 Stunden alt gewesen sei, wies er zurück (Protokoll Nr. 17/52 der 52. Sitzung des Haushaltsausschusses vom 6. April 2011, S. 16 f.).

25

Einen auf den 6. April 2011 datierenden Entwurf eines Vertrages zur Errichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus ("Draft Treaty Establishing the European Stability Mechanism") erhielt der Deutsche Bundestag aus informellen Quellen. Eine Zuleitung dieses Textes durch die Bundesregierung erfolgte nicht.

26

Im schriftlichen Vorbericht zum informellen Treffen des ECOFIN-Rates am 8./9. April 2011 informierte das Bundesministerium der Finanzen am 4. April 2011 den Finanzausschuss, den Haushaltsausschuss und den Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union darüber, dass der Rat unter anderem diskutieren wolle, wie die Ausarbeitung des Vertrages über den Europäischen Stabilitätsmechanismus rechtzeitig abgeschlossen werden könne. Über den Verlauf der Tagung berichtete der Bundesminister der Finanzen dem Haushaltsausschuss mündlich am 13. April 2011. Zum geplanten Europäischen Stabilitätsmechanismus erklärte er, die Einzelheiten seiner Ausgestaltung seien in einem Vertrag erst noch zu regeln. Dieser Vertrag bedürfe der Ratifizierung durch die nationalen Gesetzgeber. Im Zuge dieser Ratifizierung werde dann auch die Parlamentsbeteiligung im Rahmen des Stabilitätsmechanismus zu beraten sein (Protokoll Nr. 17/53 der 53. Sitzung des Haushaltsausschusses vom 13. April 2011, S. 10 ff.). Auf die Rüge eines Abgeordneten, eine Äußerungsmöglichkeit des Deutschen Bundestages erst nach Vorlage des Gesetzentwurfs komme zu spät, da zu diesem Zeitpunkt die europäischen Vereinbarungen bereits getroffen sein würden, ging der Bundesminister der Finanzen nicht ein (Protokoll Nr. 17/53 der 53. Sitzung des Haushaltsausschusses vom 13. April 2011, S. 14 ff.). Im Hinblick auf das Anliegen einer möglichst weitgehenden Parlamentsbeteiligung gab er zu bedenken, dass die Leistungsfähigkeit eines Mechanismus durch ein Übermaß an Beteiligungen herabgesetzt werde (Protokoll Nr. 17/53 der 53. Sitzung des Haushaltsausschusses vom 13. April 2011, S. 27 ff.).

27

Ebenfalls am 13. April 2011 informierte der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen den Finanzausschuss des Deutschen Bundestages mündlich darüber, dass die Bundesregierung bestrebt sei, alle vom Parlament im Zusammenhang mit der Aufstockung der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität und der Schaffung des Europäischen Stabilitätsmechanismus zu treffenden Entscheidungen in einem Gesamtpaket vorzulegen. Die Zuleitung an den Deutschen Bundestag werde so rechtzeitig erfolgen, dass das Gesetzespaket noch vor Jahresende verabschiedet werden könne. Auf europäischer Ebene solle noch vor der Sommerpause eine abschließende Entscheidung fallen (Protokoll Nr. 17/49 der 49. Sitzung des Finanzausschusses vom 13. April 2011, S. 25 f.). Das Bundesministerium der Finanzen übersandte den drei Ausschüssen am 19. April 2011 zudem einen schriftlichen Ergebnisbericht zu dem informellen Treffen des ECOFIN-Rates.

28

Am 6. Mai 2011 informierte der Bundesminister der Finanzen die Obleute des Haushaltsausschusses und des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union über den aktuellen Sachstand. Mit Schreiben seines Vorsitzenden vom 12. Mai 2011 forderte der Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union den Bundesminister der Finanzen erneut auf, den jeweils aktuell zur Verhandlung stehenden Vertragsentwurf zu übermitteln. Nur die Vorlage des Textes stelle zusammen mit den mündlichen Unterrichtungen vor der anstehenden Beschlussfassung auf europäischer Ebene die nach Art. 23 GG erforderliche Beteiligung des Deutschen Bundestages sicher. Es sei aus der Sicht der Abgeordneten nicht hinnehmbar, die verschiedenen Entwürfe - wie geschehen - in Österreich anfordern zu müssen, wo der Nationalrat entsprechende Entwürfe von der österreichischen Bundesregierung bereits zugeleitet bekommen hatte (vgl. hierzu die Beratungen des Hauptausschusses in Angelegenheiten der Europäischen Union des Nationalrates XXIV. GP vom 23. März 2011, Stenographisches Protokoll, Seite 2). Nach weiteren Vorstößen - unter anderem des parlamentarischen Geschäftsführers der Antragstellerin - übermittelte das Bundesministerium der Finanzen am 17. Mai 2011 dem Deutschen Bundestag einen englischsprachigen Vertragsentwurf und am Folgetag dessen deutsche Übersetzung.

29

3. Parallel zu den Vorbereitungen für einen Vertrag über den Europäischen Stabilitätsmechanismus und zur Änderung des Art. 136 AEUV wurden auf Initiative der Bundeskanzlerin und des französischen Staatspräsidenten Leitlinien für eine verstärkte wirtschaftspolitische Koordinierung der Mitglieder des Euro-Währungsgebietes entwickelt, die zunächst unter der Bezeichnung "Pakt für Wettbewerbsfähigkeit" zusammengefasst und letztlich als "Euro-Plus-Pakt" beschlossen wurden. Ziel war es, den Problemen entgegenzuwirken, die sich nach Auffassung der Initiatoren aus der asymmetrischen Konstruktion der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion - vollständige Vergemeinschaftung der Währungspolitik bei gleichzeitiger Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für die Wirtschaftspolitik - ergeben.

30

a) In der Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 26. Januar 2011 teilte der Staatsminister des Bundeskanzleramtes auf eine entsprechende Frage mit, dass auf dem anstehenden Europäischen Rat über den Euro gesprochen werde, mit Beschlüssen aber nicht zu rechnen sei (Protokoll Nr. 17/30 der 30. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 26. Januar 2011, S. 9). In derselben Sitzung nahm der Bundesminister der Finanzen zum weiteren Vorgehen Stellung (vgl. hierzu A.I.2.).

31

Am 31. Januar 2011 erschien in der Wochenzeitschrift "Der Spiegel" unter dem Titel "Agenda für Europa" ein Artikel, in dem über ein Gespräch der Bundeskanzlerin mit dem Präsidenten der Europäischen Kommission über einen "Pakt für Wettbewerbsfähigkeit" berichtet wurde, den sie zusammen mit dem französischen Staatschef dem nächsten Europäischen Rat "vertraulich und informell beim Mittagessen" vorstellen wolle, ohne dass dies auf der Tagesordnung erscheine. Ziel solle sein, das Euro-Währungsgebiet zukünftig besser vor Krisen zu schützen. In einem Papier seien als Maßnahmen unter anderem die Angleichung von Steuern, die Anpassung des Renteneintrittsalters und die Einführung einer Schuldenbremse genannt ("Der Spiegel", "Agenda für Europa", Heft 5/2011 vom 31. Januar 2011). Auf der Internetseite www.euractiv.de war eine Entwurfsfassung dieses Paktes abrufbar. Am 1. Februar 2011 bat der Deutsche Bundestag das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie unter Bezugnahme auf die Berichterstattung des "Spiegels" sowie mehrerer Tageszeitungen um die Übermittlung der "Papiere und Informationen, auf deren Basis die Bundesregierung ihre Initiative vorstellen" werde. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie teilte dem Deutschen Bundestag mit E-Mail vom 2. Februar 2011 mit, dass die angeführten Zeitungsartikel auf einen "Abstimmungsprozess in der Bundesregierung Bezug nähmen, der noch nicht abgeschlossen" sei. In der Regierungspressekonferenz am gleichen Tag kündigte der Regierungssprecher an, dass auf der Tagung des Europäischen Rates am 4. Februar 2011 tatsächlich auch über Fragen der wirtschaftspolitischen Koordinierung in der Euro-Währungszone geredet werden solle, und fügte hinzu: "Dazu wird es eine abgestimmte Haltung der Bundesregierung geben" (vgl. Mitschrift der Regierungspressekonferenz vom 2. Februar 2011, abrufbar im Internet unter http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/2011/02/2011-2-02-regpk.html). In ihrem Vorbericht zum Europäischen Rat vom 2. Februar 2011 erklärte die Bundesregierung, die Bundeskanzlerin werde für "ein starkes Signal" eintreten, die wirtschaftspolitische Koordinierung im Euro-Währungsgebiet zu verbessern, um die Wettbewerbsfähigkeit insgesamt zu erhöhen und die Kohärenz im Euro-Währungsgebiet zu stärken. Weitere Dokumente stellte sie dem Deutschen Bundestag nicht zur Verfügung.

32

Am 3. Februar 2011 erklärte der Staatsminister des Bundeskanzleramtes den Obleuten des Ausschusses für Angelegenheiten der Europäischen Union telefonisch, ungeachtet der Presseberichterstattung zur geplanten Initiative für einen "Pakt für Wettbewerbsfähigkeit" bestehe zu dem Thema noch keine abgestimmte Position der Bundesregierung und werde dementsprechend auch keine abgestimmte Position beim Europäischen Rat beschlossen (vgl. Protokoll Nr. 17/31 der 31. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 9. Februar 2011, S. 11).

33

Am 4. Februar 2011 kündigte die Bundeskanzlerin in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem französischen Staatspräsidenten an, die europäischen Partner über Details der deutsch-französischen Initiative unterrichten zu wollen. Auf getrennten Pressekonferenzen teilten sowohl die Bundeskanzlerin als auch der französische Staatspräsident anschließend mit, sie hätten beim Mittagessen den anderen Mitgliedern des Europäischen Rates ihre Ideen für einen "Pakt für Wettbewerbsfähigkeit" eröffnet und den Präsidenten des Europäischen Rates gebeten, auf der Basis dieser Ideen Konsultationen mit den Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes zu führen. In den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 4. Februar 2011 ist von dem Ziel einer "neuen Qualität der wirtschaftspolitischen Koordinierung im Euro-Währungsgebiet zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit" die Rede; der Präsident des Europäischen Rates werde mit den Staats- und Regierungschefs der dem Euro-Währungsgebiet angehörenden Mitgliedstaaten Konsultationen führen und darüber einen Bericht erstellen, in dem im Einklang mit dem Vertrag konkrete künftige Schritte aufgezeigt werden sollten (EUCO 2/1/11 REV 1, Anlage I, S. 13).

34

Ab dem 5. Februar 2011 bemühte sich die Bundesregierung in bilateralen Konsultationen mit den Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes und dem Präsidenten des Europäischen Rates um die nähere Ausarbeitung der Initiative. Auf schriftliche Fragen des Abgeordneten Sarrazin zu Inhalt und Stand der Verhandlungen verwies sie auf die Tagung des Europäischen Rates vom 4. Februar 2011 und die Schlussfolgerungen sowie auf mündliche Darstellungen. Schriftliche Unterlagen legte sie nicht vor. In der Sitzung des Ausschusses für Angelegenheiten der Europäischen Union am 9. Februar 2011 teilte der Staatsminister des Bundeskanzleramtes mit, der Europäische Rat habe am 4. Februar 2011 keine bindenden Beschlüsse hinsichtlich des "Pakts für Wettbewerbsfähigkeit" gefasst. Es fehle noch immer an einer abgestimmten Position innerhalb der Bundesregierung sowie an einem gemeinsamen Papier; die Punkte befänden sich noch in der Diskussion. Einzelne Elemente der wirtschaftspolitischen Koordinierung seien aber bereits vor dem 4. Februar 2011 bei den deutsch-spanischen Konsultationen und beim Treffen der Staats- und Regierungschefs im Format des "Weimarer Dreiecks" erörtert worden, wie zum Beispiel das Renteneintrittsalter, die Bemessungsgrundlage für die Körperschaftssteuer, die Lohnindexierung sowie die Aufnahme einer Schuldenbremse in die nationalen Verfassungen. Seitens der Bundesregierung sei kein "Pakt für Wettbewerbsfähigkeit" an die Presse gegeben worden. Die veröffentlichten Dokumente zeugten bereits durch den Hinweis "Gesamtvorbehalt" davon, dass es sich nicht um ein abgestimmtes Papier der Bundesregierung handele (Protokoll Nr. 17/31 der 31. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 9. Februar 2011, S. 13 ff.).

35

Am 25. Februar 2011 wurde dem Deutschen Bundestag ein vom gleichen Tag datierendes nicht offizielles Dokument (non paper) der Präsidenten der Europäischen Kommission und des Europäischen Rates mit der Überschrift "Enhanced Economic Policy Coordination in the Euro Area - Main Features and Concepts" zugespielt, das wesentliche Inhalte des geplanten Paktes für Wettbewerbsfähigkeit beschrieb. Nachdem auch in der Presse über ein solches Papier berichtet worden war, forderte der Deutsche Bundestag am 3. März 2011 dieses unter Hinweis auf die Unterrichtungspflicht nach § 5 Abs. 3 EUZBBG per E-Mail beim Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie an. Am 9. März 2011 ging beim Deutschen Bundestag ein Drahtbericht des Auswärtigen Amtes ein, aus dem sich ergab, dass auf einem informellen Treffen der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes am 11. März 2011 eine Einigung über den "Pakt für Wettbewerbsfähigkeit" erzielt werden solle, damit dieser bei der Tagung des Europäischen Rates am 24./25. März 2011 endgültig gebilligt werden könne.

36

Ebenfalls am 9. März 2011 wandte sich der Präsident des Deutschen Bundestages an die Bundeskanzlerin und bemängelte, dass die Information über den "Pakt für Wettbewerbsfähigkeit" den Bestimmungen des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union nicht oder allenfalls unzureichend gerecht werde. Der lediglich zweiseitige Vorbericht vom 2. Februar 2011 sei recht vage gewesen, während die Medien bereits detailliert über die konkrete Initiative berichtet hätten. Der Bitte der Bundestagsverwaltung vom 1. Februar 2011, einschlägige Dokumente und Informationen zu übermitteln, sei nicht oder allenfalls sehr unvollständig entsprochen worden. Er bitte sie, die Informationen im konkreten Fall nachzuholen. Mit Antwortschreiben vom 10. März 2011 erwiderte die Bundeskanzlerin, dass die Bundesregierung ihren gesetzlichen Verpflichtungen auch im konkreten Fall bestmöglich nachkomme.

37

Die Bundeskanzlerin besuchte am gleichen Tag die 33. Sitzung des Ausschusses für Angelegenheiten der Europäischen Union. Dort berichtete sie, dass Gegenstand des informellen Treffens der Staats- und Regierungschefs des Euro-Währungsgebietes am 11. März 2011 neben dem Europäischen Stabilitätsmechanismus auch der Pakt für Wettbewerbsfähigkeit sein werde. Der Pakt sei seit dem 11. Februar 2011 weiterentwickelt worden, aber noch nicht so detailliert, wie sie es sich wünsche. Eckpfeiler bildeten die Themen Wettbewerbsfähigkeit, Beschäftigung, Haushalte und Finanzstabilität. Die genannten Politikbereiche fielen in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten und sollten künftig von der Europäischen Kommission überwacht werden. Maßstab der Unterrichtung des Bundestages seien nicht Presseberichte, sondern offizielle Dokumente. Ein solches habe es zum Pakt für Wettbewerbsfähigkeit nicht gegeben, weder innerhalb der Bundesregierung noch gemeinsam mit Frankreich. Offizielle Dokumente seien dem Deutschen Bundestag nicht vorenthalten worden (vgl. Protokoll Nr. 17/33 der 33. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 10. März 2011, S. 11 ff.).

38

b) Das Bundeskanzleramt leitete den Entwurf eines "Paktes für Wettbewerbsfähigkeit" dem Bundestag am Morgen des 11. März 2011 per E-Mail zu. Am selben Tag stellten die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes in den Schlussfolgerungen ihres Treffens zu der nunmehr "Pakt für den Euro" genannten Vereinbarung fest:

39

Der (in der Anlage wiedergegebene) Pakt für den Euro, mit dem eine stärkere wirtschaftspolitische Koordinierung im Hinblick auf Wettbewerbsfähigkeit und Konvergenz festgelegt wird, wurde gebilligt. Er wird dem Europäischen Rat auf seiner Tagung am 24./25. März 2011 vorgelegt, damit die nicht dem Euro-Währungsgebiet angehörenden Mitgliedstaaten mitteilen können, ob sie beabsichtigen, sich an dem Pakt zu beteiligen. Gleichzeitig werden die dem Euro-Währungsgebiet angehörenden Mitgliedstaaten erste Maßnahmen darlegen, zu deren Durchführung sie sich im Rahmen des Paktes für das nächste Jahr verpflichten (Schlussfolgerungen der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets vom 11. März 2011, S. 1).

40

Ausweislich des Vertragstextes und der Schlussfolgerungen soll der "Pakt für den Euro" darauf abzielen, die wirtschaftliche Säule der Währungsunion zu stärken, eine neue Qualität der wirtschaftspolitischen Koordinierung zwischen den Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes zu erreichen, ihre Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern und dadurch einen höheren Grad an Konvergenz zu erreichen. Der Schwerpunkt soll vor allem auf die Politikbereiche gelegt werden, die in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fallen und die für die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit und die Vermeidung schädlicher Ungleichgewichte von entscheidender Bedeutung sind. Die nicht dem Euro-Währungsgebiet angehörenden Mitgliedstaaten wurden ausdrücklich eingeladen, sich auf freiwilliger Basis zu beteiligen (vgl. Schlussfolgerungen der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes vom 11. März 2011, Anlage I, Seite 6 ff.). Die vorgesehenen Maßnahmen ("Anstrengungen") sollen vier Leitlinien beachten: Sie sollen im Einklang mit der bestehenden wirtschaftspolitischen Steuerung in der Europäischen Union stehen und ihrer Verstärkung dienen, mit den bereits bestehenden Instrumenten der Europäischen Union - der Strategie Europa 2020, dem Europäischen Semester, den Integrierten Leitlinien, dem Stabilitäts- und Wachstumspakt und dem neuen Rahmen für die Überwachung der Wirtschaftspolitik - vereinbar sein und auf ihnen aufbauen. Dabei soll der Europäischen Kommission eine zentrale Rolle bei der Überwachung der Erfüllung der Verpflichtungen zukommen. Die Anstrengungen sollen die Politikbereiche abdecken, die für die Förderung von Wettbewerbsfähigkeit und Konvergenz von maßgeblicher Bedeutung sind. Sie sollen sich auf Maßnahmen konzentrieren, die in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fallen, wobei in diesen Politikbereichen auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs gemeinsame Ziele vereinbart werden, die teilnehmenden Mitgliedstaaten diese aber selbständig verfolgen sollen. Es ist darüber hinaus vorgesehen, dass alle Staats- und Regierungschefs jedes Jahr konkrete nationale Verpflichtungen eingehen und sich dabei an den Leistungsstärksten innerhalb Europas und unter den strategischen Partnern orientieren. Die Erfüllung dieser Verpflichtungen und die Fortschritte bei der Verwirklichung der gemeinsamen politischen Ziele sollen jährlich einem Monitoring auf politischer Ebene unterzogen werden, das sich auf einen Bericht der Europäischen Kommission stützen soll. Schließlich seien die dem Euro-Währungsgebiet angehörenden Mitgliedstaaten uneingeschränkt der Vollendung des Binnenmarkts verpflichtet. Die dem Euro-Währungsgebiet angehörenden Mitgliedstaaten verpflichten sich in dem Pakt für den Euro, alle Maßnahmen zu ergreifen, die für die Verwirklichung der Ziele einer Förderung der Wettbewerbsfähigkeit, der Beschäftigung, der langfristigen Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen und der Stärkung der Finanzstabilität erforderlich sind. Als Gegenstände der Koordinierung werden unter anderem die Verfahren der Lohnbildung und Tarifabschlüsse im öffentlichen Sektor, die Verbesserung der Bildungssysteme, die unternehmerfreundlichere Gestaltung des Handels- und Insolvenzrechts, Arbeitsmarktreformen zur Förderung der "Flexicurity" und Anpassungen der Rentensysteme genannt. Ein besonderes Augenmerk soll in diesen Zusammenhang auch auf die Koordinierung der Steuerpolitik gerichtet werden (vgl. Schlussfolgerungen der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes vom 11. März 2011, Anlage I, S. 6 ff.). Die Vereinbarung war Gegenstand der Befassung mehrerer Ausschüsse des Deutschen Bundestages (Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union, Protokoll Nr. 17/34 vom 16. März 2011, S. 10 f.; Haushaltsausschuss, Protokoll Nr. 17/49 vom 16. März 2011, S. 49; Finanzausschuss, Protokoll Nr. 17/45 vom 16. März 2011, S. 60).

41

c) Auf der Tagung des Europäischen Rates vom 24./25. März 2011 traten Bulgarien, Dänemark, Lettland, Litauen, Polen und Rumänien der nunmehr "Euro-Plus-Pakt" genannten Vereinbarung bei. Eine inhaltliche Änderung des Paktes erfolgte nicht mehr. Am 28. März 2011 erhielt der Deutsche Bundestag die Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 24./25. März 2011 (EUCO 10/11), die in Anlage 1 den "Euro-Plus-Pakt" enthielten. Die Europäische Kommission bezog den Euro-Plus-Pakt in der Folge auch in die "neue Europäische Ordnungspolitik" ein und stellte klar, dass die neuen Verpflichtungen aus dem Pakt in die nationalen Reform- und Stabilitätsprogramme aufgenommen und dem regulären EU-Überwachungsverfahren unterworfen würden (Mitteilung der Kommission vom 7. Juni 2011 zum Abschluss des ersten Europäischen Semesters für die Koordinierung der Wirtschaftspolitik, KOM (2011) 400 endgültig, S. 9). Unter dem Dach des Paktes findet sich zudem die ausdrückliche Verpflichtung der teilnehmenden Staaten, "die im Stabilitäts- und Wachstumspakt enthaltenen Haushaltsvorschriften der Europäischen Union in nationales Recht umzusetzen" (EUCO 10/11, S. 19).

42

d) Im November 2011 verabschiedete die Europäische Union fünf Verordnungen und eine Richtlinie - das sogenannte "Sixpack" -, die teilweise der Umsetzung des Euro-Plus-Paktes dienen, zum Teil aber auch unabhängig davon eine Fortentwicklung des bereits sekundärrechtlich verankerten Stabilitäts- und Wachstumspaktes darstellen (Verordnung (EU) Nr. 1173/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. November 2011 über die wirksame Durchsetzung der haushaltspolitischen Überwachung im Euro-Währungsgebiet, ABl. EU Nr. L 306 vom 23. November 2011, S. 1; Verordnung (EU) Nr. 1174/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. November 2011 über Durchsetzungsmaßnahmen zur Korrektur übermäßiger makroökonomischer Ungleichgewichte im Euro-Währungsgebiet, ABl. EU Nr. L 306 vom 23. November 2011, S. 8; Verordnung (EU) Nr. 1175/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. November 2011 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1466/97 des Rates über den Ausbau der haushaltspolitischen Überwachung und der Überwachung und Koordinierung der Wirtschaftspolitiken, ABl. EU Nr. L 306 vom 23. November 2011, S. 12; Verordnung (EU) Nr. 1176/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. November 2011 über die Vermeidung und Korrektur makroökonomischer Ungleichgewichte, ABl. EU Nr. L 306 vom 23. November 2011, S. 25; Verordnung (EU) Nr. 1177/2011 des Rates vom 8. November 2011 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1467/97 über die Beschleunigung und Klärung des Verfahrens bei einem übermäßigen Defizit, ABl. EU Nr. L 306 vom 23. November 2011, S. 33; Richtlinie 2011/85/EU des Rates vom 8. November 2011 über die Anforderungen an den haushaltspolitischen Rahmen der Mitgliedstaaten, ABl. EU Nr. L 306 vom 23. November 2011, S. 41).

II.

43

Mit ihren im Rubrum wiedergegebenen Anträgen begehrt die Antragstellerin die Feststellung, dass die Antragsgegnerin die Rechte des Deutschen Bundestages aus Art. 23 Abs. 2 GG verletzt habe, indem sie diesen über den Europäischen Stabilitätsmechanismus und über den Euro-Plus-Pakt nicht hinreichend und nicht rechtzeitig unterrichtet habe.

44

1. a) Die Frist des § 64 Abs. 3 BVerfGG sei gewahrt. Das Organstreitverfahren betreffe ein Unterlassen der Bundesregierung, so dass die Frist frühestens in dem Zeitpunkt zu laufen begonnen habe, in dem sich die Antragsgegnerin erkennbar und endgültig geweigert habe, die gebotene Handlung vorzunehmen. Eine solche Weigerung, den Deutschen Bundestag zu unterrichten, sei nicht vor der Tagung des Europäischen Rates am 4. Februar 2011 zum Ausdruck gebracht worden.

45

b) Der Antrag sei auch begründet. So habe die Antragsgegnerin den Deutschen Bundestag über die Ausgestaltung des Europäischen Stabilitätsmechanismus nicht umfassend, frühestmöglich und fortlaufend unterrichtet.

46

aa) Beim Europäischen Stabilitätsmechanismus handele es sich um eine Angelegenheit der Europäischen Union im Sinne von Art. 23 Abs. 2 Satz 1 GG. Der Begriff der Angelegenheit der Europäischen Union sei weit zu verstehen und orientiere sich nicht allein an der formellen Einordnung der Rechtsgrundlage in den supranationalen Integrationsverbund. Der geplante Art. 136 Abs. 3 AEUV und der auf seiner Grundlage zu errichtende Europäische Stabilitätsmechanismus hätten erhebliche Auswirkungen auf die Wirtschafts- und Währungsunion. Die Ermächtigung der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes zur Einrichtung eines ständigen Stabilitätsmechanismus ergänze den bisherigen Charakter der Wirtschafts- und Währungsunion. Die hiermit einhergehenden Pflichten hätten erhebliche Rückwirkungen auf das nationale Haushaltsverfassungsrecht und beträfen damit einen Kernbereich parlamentarischer Verantwortung. Der Umbau der Wirtschafts- und Währungsunion berühre jenen Katalog von Staatsaufgaben, den das Bundesverfassungsgericht als identitätsprägend herausgestellt und der parlamentarischen Integrationsverantwortung vorbehalten habe. Entstehungsgeschichtlich und institutionell sei der Europäische Stabilitätsmechanismus als "Angelegenheit der Europäischen Union" ausgewiesen. So seien die Planungen von Anfang an auf eine Stabilisierung der Wirtschafts- und Währungsunion ausgerichtet gewesen; mit dem Europäischen Rat und der Europäischen Kommission seien Organe der Europäischen Union maßgeblich an der Ausgestaltung beteiligt. Die "Vereinbarung über die Merkmale des Europäischen Stabilitätsmechanismus" in den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 24./25. März 2011 (EUCO 10/11, Anlage II, S. 21 ff.) könne als inhaltlich prägendes Gründungsdokument gelten. Der Europäische Rat habe, ausdrücklich unter Rückgriff auf Art. 136 Abs. 3 AEUV, Einvernehmen darüber erzielt, dass die Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes einen ständigen Stabilisierungsmechanismus einrichten müssten. Insoweit sei der Europäische Stabilitätsmechanismus ein Geschöpf des Europäischen Rates. Die Statik des Europäischen Stabilitätsmechanismus - Aufgaben und Finanzierungsstrategie, Leitung, Kapitalstruktur sowie Instrumente - werde grundlegend bestimmt von den im Europäischen Rat vereinbarten Merkmalen. Im Übrigen habe die Bundesregierung ihrerseits die Finalisierung der Arbeiten zur Ausgestaltung des künftigen Stabilitätsmechanismus als eine dem Europäischen Rat vorbehaltene Angelegenheit behandelt und die Zugehörigkeit des Europäischen Stabilitätsmechanismus zu einem Gesamtpaket betont, ausgerichtet auf die dauerhafte Stabilisierung des Euro-Währungsgebietes. Auf diese Weise habe sie maßgeblich dazu beigetragen, den Europäischen Stabilitätsmechanismus institutionell und materiell als Angelegenheit der Europäischen Union auszuweisen und innerhalb der Wirtschafts- und Währungspolitik (Art. 119 ff. AEUV) konzeptionell eng mit dem Kapitel über die Wirtschaftspolitik zu verzahnen (Art. 120 ff. AEUV). Auch nach dem beabsichtigten Inkrafttreten des Vertrages über den Europäischen Stabilitätsmechanismus bleibe der enge institutionelle Konnex zur Europäischen Union erhalten. Der Europäische Stabilitätsmechanismus stelle sich als zwischenstaatliche Organisation ohne eigene Hoheitsgewalt dar, zugleich aber als hybride Kombination aus intergouvernementalen und supranationalen Elementen. Bei der "Aktivierung der Finanzhilfe" werde der Europäischen Kommission eine wichtige Rolle zugedacht, die zusammen mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) und in Absprache mit der Europäischen Zentralbank (EZB) den tatsächlichen Finanzierungsbedarf des begünstigten Mitgliedstaates ermitteln solle. In Streitfällen solle der Europäische Gerichtshof gemäß Art. 273 AEUV angerufen werden können. Die geplante Vertragsänderung des Art. 136 Abs. 3 AEUV führe in ihrer Zielrichtung zurück in die supranationale Union. Der Europäische Stabilitätsmechanismus erweise sich damit als ein stabilisierender Anbau an die unionsrechtlich geregelte Wirtschafts- und Währungsunion. Der Gesetzgeber habe dem dadurch Rechnung getragen, dass nach § 4 Abs. 4 Nr. 1 EUZBBG die Bundesregierung den Deutschen Bundestag auch über völkerrechtliche Verträge zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Mitgliedstaaten der Europäischen Union zu unterrichten habe, wenn diese eine engere Kooperation in Politikbereichen normieren, die auch in die Zuständigkeit der Europäischen Union fallen. In dem hier betroffenen Politikbereich sei die Europäische Union ausschließlich zuständig.

47

bb) Aus Art. 23 Abs. 2 GGfolge, dass die Bundesregierung die Unterrichtungspflichten nach Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG in der konkretisierenden Ausgestaltung der §§ 4 ff. EUZBBG hätte erfüllen müssen. Die Bundesregierung sei zur Unterrichtung zum frühestmöglichen Zeitpunkt verpflichtet. Angesichts des prozesshaften Charakters der Beschlussfassung beinhalte diese Pflicht auch eine Pflicht zur fortlaufenden Unterrichtung; § 4 Abs. 1 Satz 1 EUZBBG stelle dies klar. Die Pflicht zur umfassenden Unterrichtung des Deutschen Bundestages solle diesen in die Lage versetzen, seine Mitwirkungsrechte effektiv zu nutzen, und erfasse daher auch vorbereitende Papiere der Europäischen Kommission und des Rates einschließlich inoffizieller Dokumente. Sie habe in der Regel schriftlich zu erfolgen, weil nur dies jene verlässliche Informationsgrundlage schaffe, ohne die von umfassender Unterrichtung nicht die Rede sein könne. Die Auffassung, wonach über die Sitzungen der Eurogruppe nur mündlich unterrichtet werde, weil § 5 Abs. 4 EUZBBG lex specialis gegenüber § 5 Abs. 3 und 5 EUZBBG sei, sei mit Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG, der den Deutsche Bundestag umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt unterrichtet sehen wolle, unvereinbar.

48

cc) Die Antragsgegnerin habe die Rechte des Deutschen Bundestages aus Art. 23 Abs. 2 GG dadurch verletzt, dass sie es unterlassen habe, ihn in der Zeit vor und nach der Tagung des Europäischen Rates vom 4. Februar 2011 umfassend, zum frühestmöglichen Zeitpunkt und fortlaufend über die Ausgestaltung des Europäischen Stabilitätsmechanismus zu unterrichten und spätestens am 6. April 2011 den Entwurf eines Vertrages über den Europäischen Stabilitätsmechanismus zu übersenden. Das federführende Bundesministerium der Finanzen habe im Vorfeld der Tagung des Europäischen Rates vom 4. Februar 2011 zunächst die Übermittlung relevanter Papiere zugesagt, dies aber später mit unterschiedlichen, einander widersprechenden rechtlichen Argumenten abgelehnt. Im Anschluss an die Tagung des Europäischen Rates vom 4. Februar 2011 habe die Antragsgegnerin ihre Verpflichtung zur Nachberichterstattung nicht erfüllt.

49

Aus den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 24./25. März 2011 ergebe sich, dass in der Phase zwischen dem 4. Februar 2011 und dem 24./25. März 2011 gravierende Entscheidungen getroffen worden seien, ohne dass der Deutsche Bundestag Gelegenheit gehabt habe, hieran mitzuwirken. Die in diesem Zeitraum getroffene "Vereinbarung über die Merkmale des Europäischen Stabilitätsmechanismus" sei dessen Gründungsdokument, über das die Antragsgegnerin nach § 5 Abs. 5 EUZBBG fortlaufend und umfassend hätte unterrichten müssen.

50

Aus Entwürfen des Vertrages über den Europäischen Stabilitätsmechanismus, auf die der Deutsche Bundestag informell habe zugreifen können, lasse sich schließen, dass spätestens seit dem 6. April 2011 Textstufen des Vertrages vorgelegen hätten. Eine Übermittlung durch die Antragsgegnerin sei dagegen erst am 17. Mai 2011 erfolgt. Da die Übersendung ohne Anerkennung einer Rechtspflicht erfolgt sei, sei zu befürchten, dass die Antragsgegnerin ihre Unterrichtungspraxis aus eigenem Antrieb nicht ändern werde.

51

2. Auch mit Blick auf den sogenannten Euro-Plus-Pakt habe die Bundesregierung gegen ihre Pflicht aus Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG verstoßen.

52

a) Der Euro-Plus-Pakt sei ebenfalls eine Angelegenheit der Europäischen Union im Sinne von Art. 23 Abs. 2 Satz 1 GG. Im Zusammenwirken der Instrumente werde das supranationale Überwachungsrecht der Art. 121, 126 AEUV auf die zwischenstaatlichen Verpflichtungen aus dem Euro-Plus-Pakt erstreckt. Angesichts der Inhalte und der erkennbar an Art. 121 AEUV angelehnten Verfahren könne nicht zweifelhaft sein, dass es sich beim Pakt um eine Angelegenheit der Europäischen Union im Sinne von Art. 23 Abs. 2 GG handele.

53

b) Über Initiativen der Antragsgegnerin habe diese den Deutschen Bundestag gemäß § 5 Abs. 2 EUZBBG durch umfassende und frühestmögliche Übersendung von Dokumenten und Informationen zu unterrichten. Art. 23 Abs. 1 und Abs. 2 GG und die Begleitgesetze zu den Informations- und Mitwirkungsrechten stellten klar, dass Europapolitik nicht der Prärogative der Regierung in auswärtigen Angelegenheiten unterliege.

54

aa) Der Euro-Plus-Pakt habe seinen Ursprung in einer deutsch-französischen Initiative vom 4. Februar 2011. Diese habe die Bundeskanzlerin gemeinsam mit dem französischen Staatspräsidenten beim Europäischen Rat eingebracht, ohne dass der Deutsche Bundestag im Vorfeld davon unterrichtet gewesen sei. Auf entsprechende Anfragen des Deutschen Bundestages habe der Staatsminister des Bundeskanzleramtes in der Sitzung des Europaausschusses vom 9. Februar 2011 auch nach Einbringung der Initiative mehrfach auf das Fehlen einer abgestimmten Position innerhalb der Bundesregierung sowie darauf verwiesen, dass es noch kein Papier gebe. Unabhängig von der Frage, inwieweit kabinettsinterne Abstimmungsprozesse zum Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung zu rechnen seien, habe es sich bei der am 4. Februar 2011 eingebrachten Initiative der Bundeskanzlerin jedenfalls um eine Position der Bundesregierung gehandelt. Wegen ihrer Richtlinienkompetenz sei die Initiative spätestens zu jenem Zeitpunkt auch zu einer Initiative der Bundesregierung geworden. In demselben Augenblick habe diese ihre verfassungsrechtliche Pflicht zur Unterrichtung des Deutschen Bundestages verletzt. Das Gebot der umfassenden und frühestmöglichen Unterrichtung (Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG) schließe es aus, den Deutschen Bundestag erst im Nachhinein zu informieren. Eine deutsche Initiative sei insoweit erst nach der Abstimmung zwischen Regierung und Parlament zulässig. Die Bezeichnung der Initiative als "persönliche" Initiative der Bundeskanzlerin umgehe die Unterrichtungspflicht aus Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG.

55

bb) Auch im weiteren Fortgang des Verhandlungsprozesses über den Pakt habe die Antragsgegnerin die Pflicht zur Unterrichtung des Deutschen Bundestages verletzt. Zwischen der Tagung des Europäischen Rates vom 4. Februar 2011, dem Treffen der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes am 11. März 2011 und der Tagung des Europäischen Rates am 24./25. März 2011 sei eine Verständigung über den Euro-Plus-Pakt erfolgt. Spätestens am 25. Februar 2011 habe der Antragsgegnerin ein konkretisierter Sach- und Verhandlungsstand vorgelegen, über den sie vor der Tagung des Europäischen Rates von sich aus hätte unterrichten müssen.

III.

56

Die Antragsgegnerin hält den Antrag zu 1. für unzulässig und beide Anträge für unbegründet. Sie beantragt, die Anträge zurückzuweisen.

57

1. a) Der Antrag zu 1. sei verfristet. Das Bundesministerium der Finanzen habe bereits am 19. Januar 2011 darauf hingewiesen, dass es sich beim Europäischen Stabilitätsmechanismus nicht um ein Vorhaben der Europäischen Union handele. Damit sei der Antragstellerin das Unterlassen der Antragsgegnerin im Sinne von § 64 Abs. 3 BVerfGG bekannt geworden. Der dem Bundesverfassungsgericht erst am 25. Juli 2011 zugegangene Antrag sei daher nicht innerhalb der sechsmonatigen Antragsfrist gestellt worden.

58

b) Der Antrag sei außerdem unbegründet, weil es sich bei dem geplanten Europäischen Stabilitätsmechanismus um eine internationale Finanzinstitution außerhalb des Rahmens der Europäischen Union handele und damit nicht um eine Angelegenheit der Europäischen Union im Sinne von Art. 23 Abs. 2 GG. Die besonderen Mechanismen, die für die Parlamentsbeteiligung nach Art. 23 Abs. 2 GG vorgesehen und für den Deutschen Bundestag im Gesetz über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union geregelt seien, seien auf die Abstimmung von intergouvernementalen Maßnahmen, wie sie der Europäische Stabilitätsmechanismus darstelle, nicht übertragbar. Die Kombination aus Zustimmung zur Übertragung nur bestimmter Hoheitsrechte und den in Art. 23 Abs. 2 GG vorgesehenen Informationsansprüchen ermögliche es dem Deutschen Bundestag, seine Integrationsverantwortung wahrzunehmen. Bei völkerrechtlichem Handeln außerhalb des Rahmens der supranationalen Europäischen Union besitze der Deutsche Bundestag hingegen nach Art. 24 GG und/oder Art. 59 Abs. 2 GG ein Letztentscheidungsrecht, so dass hier nicht in gleichem Maße das Bedürfnis nach umfassender Information bestehe. Art. 23 Abs. 2 GG durchbreche den Primat der Exekutive überdies nicht in dem Sinne, dass Bundesregierung, Deutscher Bundestag und Bundesrat unterschiedslos zusammenwirkten. Alle drei Verfassungsorgane wirkten in auswärtigen Angelegenheiten sowohl allgemein als auch im Kontext der europäischen Zusammenarbeit in ihrer jeweils spezifischen Funktion mit. Primär zum Handeln berufen sei auch insoweit weiterhin die Bundesregierung. Auch im Zusammenhang mit Angelegenheiten der Europäischen Union bleibe ihr ein Bereich exekutiver Eigenverantwortung vorbehalten.

59

Die Ausgestaltung des Europäischen Stabilitätsmechanismus sei keine Angelegenheit der Europäischen Union. Die intergouvernementale Zusammenarbeit von Mitgliedstaaten, die neben derjenigen im Rahmen der Europäischen Union stattfinde, habe - anders als die in der Europäischen Union - keine supranationale Qualität. Die erforderliche Einbindung des Gesetzgebers werde deshalb durch Art. 59 Abs. 2 und Art. 24 GG gewährleistet. Im Zusammenhang mit der Errichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus sei zwar die Einfügung eines Art. 136 Abs. 3 AEUV beschlossen worden. Mit dieser Vertragsänderung erhalte die Europäische Union jedoch keine zusätzlichen Hoheitsrechte. Vielmehr gehe es um die Klarstellung, dass das auch an die Mitgliedstaaten gerichtete Verbot des Art. 125 AEUV der Errichtung eines Stabilitätsmechanismus nicht entgegenstehe, hierzu aber nicht die Europäische Union, sondern die Mitgliedstaaten außerhalb des Rahmens der Europäischen Union aufgerufen seien. Die Mitgliedstaaten gründeten mit dem Vertrag über den Europäischen Stabilitätsmechanismus eine neue internationale Finanzinstitution außerhalb der Europäischen Union.

60

Auf europäischer Ebene bestehe Einigkeit darüber, dass der Europäische Stabilitätsmechanismus keine Einrichtung der Europäischen Union sei, sondern eine der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes. Dies zeigten Stellungnahmen der Europäischen Kommission und der Europäischen Zentralbank sowie eine Entschließung des Europäischen Parlaments zu dem geplanten Stabilitätsmechanismus.

61

Die Schutzfunktion des Art. 23 GG, den Gesetzgeber vor einem "Kompetenzabfluss durch Kompetenzüberschreitungen" der Europäischen Union zu bewahren, komme nicht zum Tragen. Der Deutsche Bundestag könne und solle, wie in vergleichbaren Fällen der Schaffung internationaler Finanzinstitutionen - etwa des Internationalen Währungsfonds - üblich und von der Verfassung vorgesehen, seine Zuständigkeit als nationaler Gesetzgeber uneingeschränkt ausüben. Dieses Recht gehe über eine nur mittelbare Beteiligung im Rahmen des europäischen Rechtsetzungsprozesses hinaus. Die Verfahrensweisen zur Vorbereitung unionaler Rechtsakte, auf die das Gesetz über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union zugeschnitten sei, kämen bei den Verhandlungen zum Vertrag über den Europäischen Stabilitätsmechanismus nicht zur Anwendung, weil die Arbeiten, dem zwischenstaatlichen Charakter entsprechend, nicht in den Ratsgremien stattfänden. Der Europäische Rat habe die Finanzminister des Euro-Währungsgebietes auf seiner Tagung am 16./17. Dezember 2010 gebeten, die Arbeiten an der zwischenstaatlichen Vereinbarung abzuschließen und hierbei auch die Mitgliedstaaten einzubeziehen, deren Währung nicht der Euro ist. Dass die Mitgliedstaaten im Zusammenhang mit der geplanten Änderung des Art. 136 AEUV auch die wesentlichen Merkmale des Europäischen Stabilitätsmechanismus im Europäischen Rat diskutiert hätten, ändere nichts an dieser Beurteilung. Die Zielsetzung der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes habe von Anfang an darin bestanden, den Europäischen Stabilitätsmechanismus nicht in den institutionellen Rahmen der Europäischen Union einzupassen. Auch die Betrauung von Organen der Europäischen Union mit speziellen Aufgaben sowie die Zuständigkeit des Europäischen Gerichtshofs im Rahmen einer Schiedsvertragsklausel führten nicht dazu, dass der Europäische Stabilitätsmechanismus zu einer Angelegenheit der Europäischen Union werde. Art. 273 AEUV fordere für das Tätigwerden des Europäischen Gerichtshofs zwar einen gewissen Zusammenhang mit dem Gegenstand der Unionsverträge. Über die Streitigkeit entscheide der Gerichtshof aber nicht auf der Grundlage des Unionsrechts, sondern auf der Basis des zwischen den Parteien vereinbarten Vertrages. Die Ausgestaltung des Europäischen Stabilitätsmechanismus falle nicht ausschließlich in den Zuständigkeitsbereich der Europäischen Union. Unionsrechtlich intendierte völkervertragliche Regelungen zwischen Mitgliedstaaten seien auch nicht ungewöhnlich. Den zahlreichen Doppelbesteuerungsabkommen mit anderen Staaten der Europäischen Union habe der Deutsche Bundestag stets nach Art. 59 Abs. 2 GG zugestimmt. Auch aus der besonderen Haushaltsbezogenheit des Europäischen Stabilitätsmechanismus und dem Grundsatz der parlamentarischen Haushaltsverantwortung seien keine besonderen Informationspflichten abzuleiten.

62

c) Der Antrag zu 1. sei jedenfalls deshalb unbegründet, weil die Antragsgegnerin den Deutschen Bundestag über die Arbeiten am Europäischen Stabilitätsmechanismus stets zeitnah und umfassend informiert habe.

63

Über die Ergebnisse der im März 2010 eingesetzten Arbeitsgruppe zur Reform des Regelwerks der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion seien die Bundestagsausschüsse für Haushalt, Finanzen und für die Angelegenheiten der Europäischen Union regelmäßig durch Vor- und Nachberichte zu den Treffen der Arbeitsgruppe mündlich unterrichtet worden. Darüber hinaus sei dem Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union am 23. März 2011 ein Papier zu den Grundsätzen des Europäischen Stabilitätsmechanismus (term sheet) als Tischvorlage vorgelegt worden. Damit habe der Deutsche Bundestag bereits am 23. März 2011 ein Dokument erhalten, das die auf der Tagung des Europäischen Rates am 24./25. März 2011 beratenen Vorstellungen zum Europäischen Stabilitätsmechanismus zusammengefasst habe.

64

Die Vorsitzenden des Haushaltsausschusses und des Ausschusses für Angelegenheiten der Europäischen Union hätten am 18. Mai 2011 die englischsprachige Fassung sowie eine nicht offizielle deutsche Übersetzung des Entwurfs eines Vertrages über den Europäischen Stabilitätsmechanismus erhalten, über den erstmals während der Sitzung der erweiterten Euro-Gruppe am 16. Mai 2011 gesprochen worden sei. Da der Prozess der Ausarbeitung des Vertragsentwurfs innerhalb des speziellen Formats der sogenannten erweiterten Euro-Gruppe stattgefunden habe, die informell zusammentrete und sensible Materien behandle, sehe § 5 Abs. 4 EUZBBG lediglich eine mündliche Unterrichtung vor. Das Vorgehen der Antragsgegnerin habe den Usancen innerhalb der Euro-Gruppe entsprochen. Ob sich alle Mitgliedstaaten an die grundsätzlich geltende Vertraulichkeit hielten, könne nicht Maßstab für das Handeln der Bundesregierung sein. Letztlich sei es der Bundesfinanzminister gewesen, der Hindernisse für die Übermittlung des Vertragsentwurfs aus dem Weg geräumt habe, indem er am 16. Mai 2011 eine Verständigung der Finanzminister der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes darüber erwirkt habe, dass der Entwurf den nationalen Parlamenten übermittelt werde. Eine frühere Übersendung des noch im Entstehungsprozess befindlichen Textes sei verfassungsrechtlich nicht geboten gewesen.

65

2. Der Antrag zu 2. sei unbegründet, weil es sich bei dem Euro-Plus-Pakt ebenfalls nicht um eine Angelegenheit der Europäischen Union handele und die Antragsgegnerin überdies möglichen Unterrichtungspflichten jedenfalls vollumfänglich entsprochen habe.

66

a) Der Euro-Plus-Pakt sei keine Angelegenheit der Europäischen Union im Sinne von Art. 23 Abs. 2 GG, weil er lediglich die im Unionsrecht vorgesehenen Koordinierungsmechanismen (insbesondere Art. 121 AEUV) in Bereichen der Wirtschafts- und Sozialpolitik ergänzen solle, die vollständig in der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten lägen. Bei den zu vereinbarenden Zielen handele es sich durchweg um freiwillige Selbstverpflichtungen auf intergouvernementaler Grundlage. Die Aufnahme entsprechender Maßnahmen auch in die jeweiligen "Nationalen Reformprogramme" bestätige ihren innerstaatlichen Charakter. Die Mitgliedstaaten legten diese Programme der Europäischen Kommission vor, die die Vorhaben und deren Umsetzung prüfe und bewerte. Unmittelbare rechtliche Folgen seien damit nicht verbunden. Deshalb könne Art. 23 Abs. 2 GG Unterrichtungspflichten der Bundesregierung im Zusammenhang mit dem Euro-Plus-Pakt nicht begründen.

67

b) Ungeachtet dessen habe die Bundesregierung den Deutschen Bundestag stets frühzeitig, umfassend und fortlaufend über den Euro-Plus-Pakt informiert.

68

Der Staatsminister des Bundeskanzleramtes habe den Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union am 26. Januar 2011 vorab über die Tagung des Europäischen Rates vom 4. Februar 2011 mündlich informiert. Der Bundesminister der Finanzen habe in derselben Sitzung über das Treffen der Finanzminister des Euro-Währungsgebietes vom 24. Januar 2011 berichtet und dabei unter anderem die geplante stärkere Koordinierung der Wirtschafts- und Sozialpolitik innerhalb der Euro-Gruppe erwähnt. Am 2. Februar 2011 habe der Deutsche Bundestag den schriftlichen Vorbericht des Bundeskanzleramtes zur Tagung des Europäischen Rates am 4. Februar 2011 erhalten. Am 3. Februar 2011 habe der Staatsminister des Bundeskanzleramtes mit den Obleuten des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union wegen des geplanten Paktes für Wettbewerbsfähigkeit telefoniert. Auf seiner Tagung am 4. Februar 2011 habe der Europäische Rat Elemente für ein Gesamtpaket zur dauerhaften Stärkung der Wirtschafts- und Währungsunion benannt. Die Staats- und Regierungschefs hätten sich dem Grunde nach darauf verständigt, dass ein Element des Gesamtpakets darin bestehen solle, weitere Schritte hin zu einer Vertiefung der Koordinierung der Wirtschaftspolitik mit dem Ziel einer größeren Konvergenz und Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit zu unternehmen. Inhaltliche Festlegungen seien beim Europäischen Rat am 4. Februar 2011 nicht getroffen worden. Über die Ergebnisse dieses Europäischen Rates habe das Bundeskanzleramt dem Deutschen Bundestag am 7. Februar 2011 schriftlich berichtet; der Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union sei am 9. Februar 2011 mündlich unterrichtet worden, der Finanzausschuss am 23. Februar 2011.

69

Der Präsident des Europäischen Rates habe zwischen dem 7. Februar 2011 und dem 11. März 2011 bilaterale Konsultationen mit allen Mitgliedstaaten, die dem Euro-Währungsgebiet angehören, geführt, in einer informellen Runde Vertreter aller dieser Mitgliedstaaten über die Ergebnisse seiner Konsultationen informiert und im Lichte dieser Beratungen den Text erstellt, der den Staats- und Regierungschefs dann auf ihrer informellen Tagung am 11. März 2011 vorgelegt worden sei. Die Bundeskanzlerin habe den Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union vorab über die informelle Tagung der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes am 11. März 2011 informiert. Am Morgen des 11. März 2011 habe die Antragsgegnerin dem Deutschen Bundestag eine Entwurfsfassung des nun als "Pakt für den Euro" bezeichneten Vorhabens übersandt, auf den sich die Staats- und Regierungschefs am gleichen Tag geeinigt hätten. Nachberichte seien wiederum im Finanzausschuss am 16. März 2011, im Haushaltsausschuss am 23. März 2011 und im Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union ebenfalls am 23. März 2011 erstattet worden. Das deutsche Aktionsprogramm im Rahmen des Euro-Plus-Paktes sei dem Deutschen Bundestag ebenfalls präsentiert worden. Am 24. März 2011 habe die Bundeskanzlerin im Plenum des Deutschen Bundestages eine Regierungserklärung zur bevorstehenden Tagung des Europäischen Rates vom 24./25. März 2011 abgegeben, auf der der Euro-Plus-Pakt endgültig verabschiedet worden sei. Hierüber habe der Staatsminister des Bundeskanzleramtes die Obleute des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union am 28. März 2011 telefonisch unterrichtet. Damit seien alle Informationspflichten erfüllt.

70

Die Antragsgegnerin sei nicht verpflichtet gewesen, über in der Bundesregierung oder zwischen der Bundesregierung und der französischen Regierung noch nicht abgestimmte Überlegungen zu einem Pakt für Wettbewerbsfähigkeit früher zu unterrichten als sie es getan habe. Es bestehe auch keine Pflicht, über eine noch nicht abgeschlossene interne Willensbildung zu informieren.

IV.

71

Der Deutsche Bundestag hat in seiner Sitzung vom 15. Dezember 2011 beschlossen, von einer Äußerung oder einem Verfahrensbeitritt abzusehen.

V.

72

In der mündlichen Verhandlung vom 30. November 2011 haben die Beteiligen ihr schriftsätzliches Vorbringen vertieft und ergänzt.

B.

73

Die Anträge sind zulässig.

I.

74

Die Anträge sind dahingehend auszulegen, dass sie sich auf die im Tenor festgestellten Rechtsverletzungen beschränken.

75

Die Antragstellerin macht eine Verletzung der Rechte des Deutschen Bundestages aus Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG auf Unterrichtung durch die Antragsgegnerin in Angelegenheiten der Europäischen Union geltend. Sie begehrt die Feststellung, dass die Antragsgegnerin den Deutschen Bundestag im Zusammenhang mit der Schaffung des Europäischen Stabilitätsmechanismus und des Euro-Plus-Paktes im Frühjahr 2011 nicht den Vorgaben der Verfassung entsprechend unterrichtet habe. Bezüglich des Europäischen Stabilitätsmechanismus wendet sich die Antragstellerin gegen die unterlassene Unterrichtung im Hinblick auf die Tagung des Europäischen Rates am 4. Februar 2011 und rügt die unterlassene Übersendung des Vertragsentwurfs vom 6. April 2011. Betreffend den Euro-Plus-Pakt beanstandet die Antragstellerin im Zusammenhang mit der Tagung des Europäischen Rates vom 4. Februar 2011 das Unterlassen jeglicher Unterrichtung über die Initiative der Antragsgegnerin sowie einer umfassenden und frühestmöglichen Information über den Pakt.

76

Eine Konkretisierung dieser Anträge im Sinne der im Tenor festgestellten Unterlassungen der Antragsgegnerin ergibt sich in hinreichendem Maße aus der Antragsbegründung. Dort werden der der Bundesregierung am 21. Februar 2011 vorliegende Text der Europäischen Kommission über die Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus und der Entwurf eines Vertrages über den Europäischen Stabilitätsmechanismus vom 6. April 2011 ebenso in Bezug genommen wie die Initiative für den Beschluss eines Paktes für Wettbewerbsfähigkeit und das inoffizielle Dokument der Präsidenten der Europäischen Kommission und des Europäischen Rates vom 25. Februar 2011.

II.

77

1. Die Antragstellerin ist als Fraktion im 17. Deutschen Bundestag im Organstreitverfahren parteifähig (§ 13 Nr. 5, § 63 BVerfGG) und berechtigt, Rechte des Deutschen Bundestages im Wege der Prozessstandschaft geltend zu machen (vgl. BVerfGE 2, 143 <165>; 45, 1 <28>; 67, 100 <125>; 104, 151 <193>; 118, 244 <254 f.>; 124, 78 <106>). Dies ist sowohl Ausdruck der Kontrollfunktion des Parlaments als auch ein Instrument des Minderheitenschutzes (vgl. BVerfGE 45, 1 <29 f.>; 60, 319 <325 f.>; 68, 1 <77 f.>; 121, 135 <151>). Die Bundesregierung ist nach § 63 BVerfGG taugliche Antragsgegnerin.

78

2. Das gerügte Unterlassen der Antragsgegnerin ist zulässiger Gegenstand eines Organstreitverfahrens (§ 64 Abs. 1 BVerfGG).

79

3. Die Antragstellerin ist antragsbefugt (§ 64 Abs. 1 BVerfGG) und hat ihre Anträge den Anforderungen des § 64 Abs. 2 BVerfGG entsprechend begründet. Sie macht eine Verletzung der Unterrichtungspflicht der Bundesregierung aus Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG geltend, der ein Recht des Deutschen Bundestages auf Unterrichtung korrespondiert.Diese als verletzt geltend gemachte Rechtsposition gründet in einem Verfassungsverhältnis, in dem sich auf beiden Seiten Verfassungsorgane gegenüber stehen und um verfassungsrechtliche Positionen streiten.

80

Soweit die als verletzt gerügten Unterrichtungspflichten sich auch nach dem einfachen Recht - hier insbesondere dem Gesetz über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union - bestimmen, ist dies im Organstreit allenfalls insoweit relevant, als das Gesetz unmittelbar aus der Verfassung selbst folgende Rechte und Pflichten widerspiegelt; eine Verletzung einfachen Rechts kann im Organstreit nicht geltend gemacht werden (vgl. BVerfGE 104, 151 <193 f.>; 118, 277 <319>).

81

4. Beide Anträge sind auch fristgerecht gestellt. Sie sind am 25. Juli 2011 und damit innerhalb von sechs Monaten seit Bekanntwerden der Unterlassung (§ 64 Abs. 3 BVerfGG) beim Bundesverfassungsgericht eingegangen (vgl. hierzu BVerfGE 92, 80 <89>).

82

Die Frist zur Antragstellung beginnt erst dann, wenn ein entsprechender Verstoß mit hinreichender Sicherheit feststeht oder wenn sich der Antragsgegner erkennbar weigert, die Maßnahmen zu treffen, die der Antragsteller zur Wahrung der Rechte aus seinem verfassungsrechtlichen Status für erforderlich hält (BVerfGE 92, 80 <89>; 103, 164 <170 f.>; 107, 286 <297>; 114, 107 <118>; zuletzt BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 22. November 2011 - 2 BvE 3/08 -, juris Rn. 34). Dies war hier bezüglich beider Anträge frühestens am 26. Januar 2011 der Fall.

83

a) Da der Lauf der Frist nach § 64 Abs. 3 BVerfGG jedenfalls nicht vor einer entsprechenden und eindeutigen Weigerung des zuständigen Ressortministers beginnen kann (vgl. BVerfGE 21, 312 <319 f.>; s. auch BVerfGE 4, 250 <269>), wurde die Antragsfrist hinsichtlich des Antrags zu 1. frühestens am 26. Januar 2011 in Gang gesetzt. An diesem Tag lehnte der Bundesminister der Finanzen gegenüber dem Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union die Weiterleitung eines inoffiziellen Papiers (non paper) der Europäischen Kommission mit Inhalten und Plänen zum Gesamtpaket ("comprehensive package") von Europäischer Finanzstabilisierungsfazilität und Europäischem Stabilitätsmechanismus ausdrücklich mit der Begründung ab, dass im Hinblick auf Sitzungen der Finanzminister der Euro-Gruppe eine mündliche Unterrichtung ausreiche.

84

Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin wurde ein früherer Fristlauf weder durch die E-Mail eines Referatsleiters im Bundesministerium der Finanzen vom 19. Januar 2011 noch durch Erklärungen im Finanzausschuss und im Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom gleichen Tag ausgelöst. Hierin lässt sich bereits keine eindeutige Weigerung der Bundesregierung erblicken, den Deutschen Bundestag über die Entwicklung der Ausgestaltung des Europäischen Stabilitätsmechanismus und ihn betreffende Vertragsentwürfe zu unterrichten. Noch am 17. Januar 2011 hatte das Bundesministerium der Finanzen auf die Dokumentenanforderung aus dem Bundestag (Referat PA 1 - Europa) telefonisch zugesichert, inoffizielle Dokumente (non papers) der Europäischen Kommission, sobald sie vorlägen, an den Deutschen Bundestag zu übermitteln; zudem wurde sowohl in der E-Mail vom 19. Januar 2011 als auch in den Erklärungen gegenüber den Ausschüssen ausdrücklich versichert, dass der Bundestag über die Arbeiten an dem permanenten Europäischen Stabilitätsmechanismus wie bisher regelmäßig unterrichtet beziehungsweise beteiligt werde, sobald eine abgestimmte Position der Bundesregierung vorliege. Selbst wenn man die in der E-Mail vom 19. Januar 2011 geäußerte Auffassung, es gehe bei den Überlegungen zur Entwicklung eines Europäischen Stabilitätsmechanismus um die Vorbereitung eines zwischenstaatlichen Instruments der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes und nicht um ein Vorhaben der Europäischen Union, als Weigerung verstehen wollte, der Unterrichtungspflicht nach Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG nachzukommen, könnte diese nicht der Bundesregierung zugerechnet werden. Denn bei den Äußerungen handelte es sich lediglich um die - überdies informell geäußerte - Rechtsauffassung eines Referatsleiters beziehungsweise anderer Beamter des Bundesministeriums der Finanzen.

85

b) Auch der Antrag zu 2. ist fristgerecht gestellt. Vor dem 25. Januar 2011 ist eine den Fristlauf in Gang setzende endgültige Weigerung der Antragsgegnerin, dem Deutschen Bundestag Informationen zum Euro-Plus-Pakt zu übermitteln, nicht ersichtlich.

86

5. Der Antragstellerin fehlt es für die Anträge schließlich nicht an dem erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis.

87

Umfang und Reichweite der Informationspflichten und -rechte aus Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG sind unklar und zwischen den Beteiligten umstritten. Dies gilt bereits für den Anwendungsbereich der in Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG geregelten Unterrichtungsrechte des Bundestages. Hier ist klärungsbedürftig, ob Angelegenheiten der Europäischen Union auch intergouvernementale Verträge und Absprachen erfassen, die zwar im Zusammenhang mit der europäischen Integration stehen, aber nicht auf eine Rechtsetzung durch die Europäische Union zielen. Hinsichtlich des Antrags zu 1. hatte die Antragsgegnerin bereits vorprozessual zu erkennen gegeben, dass sie völkerrechtliche Abkommen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union nicht als Angelegenheiten der Europäischen Union verstanden wissen will. Darüber hinaus hat der Bundesminister der Finanzen die Auffassung vertreten, über Dossiers der Euro-Gruppe sei nur mündlich zu unterrichten.

88

Das Rechtsschutzbedürfnis der Antragstellerin wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass die Bundesregierung dem Deutschen Bundestag bereits am 17. Mai 2011 und damit vor Stellung des Antrags im Organstreitverfahren den Entwurf zum Vertrag über den Europäischen Stabilitätsmechanismus und am 11. März 2011 zum Euro-Plus-Pakt zugeleitet hat. Das Rechtsschutzbedürfnis im Organstreitverfahren entfällt grundsätzlich nicht deshalb, weil eine beanstandete Rechtsverletzung abgeschlossen ist (BVerfGE 1, 372 <379>; 41, 291 <303>; 121, 135 <152>). Ob besondere Umstände im Sinne eines "Fortsetzungsfeststellungsinteresses" erforderlich sind, damit über eine in der Vergangenheit liegende und abgeschlossene Rechtsverletzung entschieden werden kann, bedarf hier keiner Entscheidung; denn solche Umstände sind hier in Form eines objektiven Interesses an der Klärung der Reichweite der Unterrichtungspflichten aus Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG (vgl. zum Klarstellungsinteresse BVerfGE 1, 372 <379>; 121, 135 <152>) und in Form einer Wiederholungsgefahr (vgl. BVerfGE 121, 135 <152>; 124, 267 <275>) gegeben. Die Rechtsauffassung, dass es sich bei den verfahrensgegenständlichen Vorgängen nicht um Angelegenheiten der Europäischen Union handele, hat die Antragsgegnerin auch in der Antragserwiderung vorgetragen. Zudem hatte sie vorprozessual vertreten, Papiere, die noch nicht zwischen den Ressorts abgestimmt seien, müssten auch dann nicht dem Bundestag vorgelegt werden, wenn diese von der Bundeskanzlerin zur Grundlage deutscher politischer Initiativen auf europäischer Ebene gemacht würden. Auch bei mündlich eingebrachten Initiativen bestehe keine Unterrichtungspflicht im Sinne von Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG. Den gerügten Unterlassungen liegen damit jeweils Rechtsauffassungen der Antragsgegnerin zu Grunde, die zukünftig in vergleichbaren Fällen zu gleichen Reaktionen auf geltend gemachte Informationsansprüche des Parlaments führen können.

C.

89

Die Anträge sind begründet.

I.

90

Verfassungsrechtlicher Maßstab für die Unterrichtung des Deutschen Bundestages durch die Bundesregierung in und über Angelegenheiten der Europäischen Union ist Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG. Mit Art. 23 GG hat der verfassungsändernde Gesetzgeber die traditionelle Aufgabenverteilung zwischen Exekutive und Legislative im Bereich der auswärtigen Gewalt (1.) für die Angelegenheiten der Europäischen Union dergestalt geordnet, dass er dem Deutschen Bundestag weitreichende Mitwirkungsrechte eingeräumt hat (2.). Die in Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG verankerten Unterrichtungspflichten der Bundesregierung sind Voraussetzung und Ausdruck dieser Mitwirkungsrechte und haben den daraus folgenden Informationsbedürfnissen des Bundestages - unter Wahrung des Kernbereichs exekutiver Eigenverantwortung - in sachlicher, zeitlicher und förmlicher Hinsicht zu genügen (3.).

91

1. Das Grundgesetz hat in Anknüpfung an die traditionelle Staatsauffassung der Regierung im Bereich auswärtiger Politik einen weit bemessenen Spielraum zu eigenverantwortlicher Aufgabenwahrnehmung überlassen (BVerfGE 104, 151 <207>; vgl. auch schon BVerfGE 49, 89 <125>). Die Rolle des Parlaments ist schon aus Gründen der Funktionsgerechtigkeit in diesem Bereich beschränkt (vgl. BVerfGE 104, 151 <207>). Zwar sieht Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG für den Abschluss völkerrechtlicher Verträge, welche die politischen Beziehungen des Bundes regeln oder sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung beziehen, die Notwendigkeit der Zustimmung oder Mitwirkung der jeweils für die Bundesgesetzgebung zuständigen Körperschaften in Form eines Bundesgesetzes vor. Der Verkehr mit anderen Staaten, die Vertretung in internationalen Organisationen, zwischenstaatlichen Einrichtungen und Systemen gegenseitiger kollektiver Sicherheit (Art. 24 Abs. 2 GG) sowie die Sicherstellung der gesamtstaatlichen Verantwortung bei der Außenvertretung Deutschlands fallen aber grundsätzlich in den Kompetenzbereich der Exekutive, insbesondere der Bundesregierung. Die grundsätzliche Zuordnung der Akte des auswärtigen Verkehrs zum Kompetenzbereich der Exekutive beruht auf der Annahme, dass institutionell und auf Dauer typischerweise allein die Regierung in hinreichendem Maße über die personellen, sachlichen und organisatorischen Möglichkeiten verfügt, auf wechselnde äußere Lagen zügig und sachgerecht zu reagieren, und so die staatliche Aufgabe, die auswärtigen Angelegenheiten verantwortlich wahrzunehmen, bestmöglich zu erfüllen (BVerfGE 68, 1 <87>; vgl. auch BVerfGE 104, 151 <207>). Eine erweiternde Auslegung der Zustimmungs- oder Mitwirkungsbefugnisse des Bundestages unter Überspielung der konkreten Ordnung der Verteilung und des Ausgleichs staatlicher Macht im Grundgesetz würde die außen- und sicherheitspolitische Handlungsfähigkeit der Bundesregierung ungerechtfertigt beschneiden und liefe auf eine nicht funktionsgerechte Teilung der Staatsgewalt hinaus (vgl. BVerfGE 90, 286 <363>; 104, 151 <207>). Sie lässt sich nicht auf einen aus dem Demokratieprinzip abgeleiteten allumfassenden Parlamentsvorbehalt stützen (vgl. BVerfGE 49, 89 <124 ff.>; 68, 1 <87>).

92

Auch die der Bundesregierung anvertraute auswärtige Gewalt steht aber nicht außerhalb parlamentarischer Kontrolle (vgl. BVerfGE 104, 151 <207>; siehe ferner BVerfGE 49, 89 <125>; 68, 1 <89>; 90, 286 <364>). Das parlamentarische Regierungssystem des Grundgesetzes stellt dem Deutschen Bundestag auch insoweit geeignete Instrumente für die politische Kontrolle der Bundesregierung zur Verfügung. Der Bundestag kann sein Frage-, Debatten- und Entschließungsrecht ausüben, seine Kontroll- und Haushaltsbefugnisse wahrnehmen und dadurch auf die Entscheidungen der Regierung einwirken oder durch Wahl eines neuen Bundeskanzlers die Regierung stürzen, Art. 67 Abs. 1 Satz 1 GG (BVerfGE 68, 1<109 f.>; vgl. auch BVerfGE 104, 151 <208>).

93

Bei der Gestaltung völkerrechtlicher Verträge ist der Bundestag grundsätzlich auf die nachträgliche Zustimmung gemäß Art. 59 Abs. 2 GG verwiesen ("Ratifikationslage"). Inwieweit die Bundesregierung in diesem Zusammenhang Unterrichtungspflichten treffen, die in den Bereich der vorausgehenden Vertragsverhandlungen hineinreichen, ist nicht grundsätzlich geklärt und hier nicht zu entscheiden.

94

2. Für den Bereich der Europäischen Union hat Art. 23 GG das Spannungsverhältnis zwischen exekutiver Außenvertretung und parlamentarischer Verantwortung auf spezifische Weise ausgestaltet (a) und dem Deutschen Bundestag in Ansehung der mit der Europäisierung verbundenen Gewichtsverlagerung zugunsten der Exekutive (b) weitreichende Mitwirkungsrechte zugestanden (c).

95

a) Art. 23 GG sieht für die Ausübung der auswärtigen Gewalt durch die Bundesregierung in Angelegenheiten der Europäischen Union eine Mitwirkung von Bundestag und Bundesrat vor (Art. 23 Abs. 2 Satz 1 GG). Zentraler, wenn auch nicht alleiniger Bezugspunkt der Mitwirkung des Bundestages ist die Verpflichtung der Bundesregierung, dem Deutschen Bundestag vor einer Mitwirkung an Rechtsetzungsakten der Europäischen Union Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben (Art. 23 Abs. 3 Satz 1 GG) und diese Stellungnahme bei den Verhandlungen zu berücksichtigen (Art. 23 Abs. 3 Satz 2 GG).

96

b) Mit Art. 23 GG hat der verfassungsändernde Gesetzgeber auf mit der europäischen Integration verbundene Verschiebungen im nationalen Gewaltengefüge reagiert. Die europäische Union besitzt aufgrund der Übertragung von Hoheitsrechten (Art. 23 Abs. 1 GG) die Kompetenz, selbst Recht zu setzen, das unmittelbar gilt und in vielfältiger Weise Rechte und Pflichten für die Bürger begründet. Bei seinem Erlass agieren über den Europäischen Rat und den Rat nicht primär die nationalen Gesetzgebungsorgane, sondern die mitgliedstaatlichen Exekutiven. Die der Gesetzgebung zugrunde liegenden politischen Vorstellungen werden vom Europäischen Rat, der sich aus den Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten und den Präsidenten des Europäischen Rates und der Kommission zusammensetzt, in Bezug auf die allgemeinen politischen Ziele festgelegt (Art. 15 EUV). Vor allem ist der Rat, der aus den Vertretern der Mitgliedstaaten auf Ministerebene besteht (vgl. heute Art. 16 Abs. 2 EUV) und grundsätzlich mit qualifizierter Mehrheit entscheidet (Art. 16 Abs. 3 EUV), für die Festlegung der Politik zuständig und - in der Regel gemeinsam mit dem Europäischen Parlament - zentrales Gesetzgebungsorgan (vgl. Art. 16 Abs. 1 EUV). Das stellt die parlamentarische Demokratie auf nationaler Ebene vor besondere Herausforderungen, weil das Parlament aus der Rolle der zentralen Entscheidungsinstanz teilweise verdrängt wird (vgl. Unger, Das Verfassungsprinzip der Demokratie, 2008, S. 43). Eine stärkere Einbindung der nationalen Parlamente in den Integrationsprozess kann deren Kompetenzverluste gegenüber der jeweiligen nationalen Regierung ausgleichen.

97

Eine verbesserte Mitwirkung des nationalen Parlaments an den Entscheidungen der an der Rechtsetzung im Rat beteiligten Bundesregierung wurde als Bedingung ausreichender demokratischer Legitimation der supranationalen Rechtsetzung betrachtet (Abgeordneter Verheugen, Gemeinsame Verfassungskommission, 11. Sitzung am 15. Oktober 1992, Stenographischer Bericht, in: Deutscher Bundestag , Materialien zur Verfassungsdiskussion und zur Grundgesetzänderung in der Folge der deutschen Einigung, Band 1, Bericht und Sitzungsprotokolle, 1996, S. 543 <545>). Daher wurde in den Beratungen der Gemeinsamen Verfassungskommission von Bundestag und Bundesrat eine umfassende und frühestmögliche Unterrichtung durch die Bundesregierung gefordert, um Bundestag und Bundesrat zumindest Gelegenheit zur Einflussnahme auf die Mitwirkung der Bundesregierung an Vorhaben der Europäischen Union zu geben (vgl. Möller/Limpert, ZParl 24 <1993>, S. 21 <24 ff.>).

98

Die verglichen mit der allgemeinen Gewichtsverteilung zwischen Bundesregierung und Deutschem Bundestag im Bereich der auswärtigen Gewalt stärkere Einbindung des Parlaments in Angelegenheiten der Europäischen Union durch weitreichende Informations- und Mitwirkungsrechte (zu ähnlichen Regelungen in anderen Mitgliedstaaten vgl. etwa Art. 6 des Dänischen Gesetzes über den Beitritt zu den Europäischen Gemeinschaften; Art. 88-4 der Französischen Verfassung; Art. 23e des Österreichischen Bundes-Verfassungsgesetzes; Art. 197<1.> lit. i der Portugiesischen Verfassung; Kap. 10 §§ 2 und 3 der Schwedischen Reichstagsordnung) ist zudem Teil einer institutionellen Architektur, die den nationalen Parlamenten in der Europäischen Union eine über die Mitgliedstaaten hinausweisende Rolle zuweist und auf diese Weise ihr demokratisches Legitimationspotential für die Europäische Union fruchtbar machen will (vgl. Lang, Die Mitwirkungsrechte des Bundesrates und des Bundestages in Angelegenheiten der Europäischen Union gemäß Art. 23 Abs. 2 bis 7 GG, 1997, S. 279 f.). Art. 23 Abs. 2 GG korrespondiert insoweit mit Art. 12 EUV, der den nationalen Parlamenten eine stärkere Rolle im institutionellen Gefüge der Europäischen Union beimisst (vgl. auch Protokoll über die Rolle der nationalen Parlamente in der Europäischen Union; Protokoll über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit).

99

c) Art. 23 Abs. 2 Satz 1 GG bezieht das Mitwirkungsrecht des Parlaments auf Angelegenheiten der Europäischen Union und bestimmt damit zugleich den Gegenstand der Unterrichtungspflicht gemäß Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG. Zu den Angelegenheiten der Europäischen Union gehören Vertragsänderungen und entsprechende Änderungen auf der Ebene des Primärrechts (Art. 23 Abs. 1 GG; vgl. auch §§ 2 ff. des Gesetzes über die Wahrnehmung der Integrationsverantwortung des Bundestages und des Bundesrates in Angelegenheiten der Europäischen Union vom 22. September 2009 ) sowie Rechtsetzungsakte der Europäischen Union (Art. 23 Abs. 3 GG). Darin erschöpft sich der Anwendungsbereich der Norm aber nicht.

100

Um Angelegenheiten der Europäischen Union kann es sich auch in anderen Fällen handeln. Insbesondere gehören völkerrechtliche Verträge unabhängig davon, ob sie auf eine förmliche Änderung der vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union (Art. 23 Abs. 1 Satz 3 GG) gerichtet sind, zu den Angelegenheiten der Europäischen Union, wenn sie in einem Ergänzungs- oder sonstigen besonderen Näheverhältnis zum Recht der Europäischen Union stehen. Wann ein solches Verhältnis vorliegt, lässt sich nicht anhand eines einzelnen abschließenden und zugleich trennscharfen Merkmals bestimmen (vgl. auch die Technik lediglich exemplarischer Aufzählung von Vorhaben in § 3 EUZBBG). Maßgebend ist vielmehr eine Gesamtbetrachtung der Umstände, einschließlich geplanter Regelungsinhalte, -ziele und -wirkungen, die sich, je nach Gewicht, einzeln oder in ihrem Zusammenwirken als ausschlaggebend erweisen können. Für die Zugehörigkeit zu den Angelegenheiten der Europäischen Union kann es etwa sprechen, wenn die geplante völkerrechtliche Koordination im Primärrecht verankert oder die Umsetzung des Vorhabens durch Vorschriften des Sekundär- oder Tertiärrechts vorgesehen ist oder ein sonstiger qualifizierter inhaltlicher Zusammenhang mit einem in den Verträgen niedergelegten Politikbereich - also mit dem Integrationsprogramm der Europäischen Union - besteht, wenn das Vorhaben von Organen der Europäischen Union vorangetrieben wird oder deren Einschaltung in die Verwirklichung des Vorhabens - auch im Wege der Organleihe - vorgesehen ist oder wenn ein völkerrechtlicher Vertrag ausschließlich zwischen Mitgliedstaaten der Europäischen Union geschlossen werden soll. Ein qualifizierter inhaltlicher Zusammenhang mit einem der primärrechtlich normierten Politikbereiche der Europäischen Union (vgl. auch § 4 Abs. 4 Nr. 1 EUZBBG), der ein Ergänzungs- oder sonstiges besonderes Näheverhältnis zum Unionsrecht begründet, wird insbesondere dann vorliegen, wenn der Sinn eines Vertragsvorhabens gerade im wechselseitigen Zusammenspiel mit einem dieser Politikbereiche liegt, und erst recht dann, wenn der Weg der völkerrechtlichen Koordination gewählt wird, weil gleichgerichtete Bemühungen um eine Verankerung im Primärrecht der Union nicht die notwendigen Mehrheiten gefunden haben.

101

Für dieses weite Verständnis des Art. 23 Abs. 2 Satz 1 GG spricht zunächst sein Wortlaut. Der Formulierung "Angelegenheiten der Europäischen Union" kann keine Beschränkung auf bestimmte Rechtsakte entnommen werden. Eine solche ergibt sich auch nicht aus dem Zusammenspiel des Begriffs "Angelegenheiten" mit dem Begriff der "Europäischen Union". Der Wortlaut ist vielmehr offen: Er lässt einerseits eine Deutung dergestalt zu, dass nur solche Vorhaben gemeint sind, deren Urheberin oder unmittelbarer Gegenstand die Europäische Union als Institution ist. Er lässt sich jedoch auch zwanglos als umfassender Verweis auf Angelegenheiten mit spezifischem Bezug zur Europäischen Union und dem ihr zugewiesenen Integrationsprogramm ohne Festlegung auf bestimmte Gestaltungsformen verstehen.

102

Systematische Gesichtspunkte erhärten diese Auslegung. So ist in Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG von der Entwicklung der Europäischen Union zum Zwecke der Verwirklichung eines vereinten Europas die Rede, womit Programm und Zielrichtung der gesamten Vorschrift bestimmt werden. Dem würde es widersprechen, weite Teile des dynamischen und vielgestaltigen Prozesses der Integration im Rahmen der Europäischen Union von vornherein aus dem parlamentarischen Mitwirkungsrecht auszuklammern.

103

Der in den Beratungen der Gemeinsamen Verfassungskommission allgegenwärtige Kompensationsgedanke weist ebenfalls auf ein weites Verständnis der Regelung hin. Sie soll gewährleisten, dass der Deutsche Bundestag über seine Verantwortung für die Übertragung von Hoheitsrechten auf die Europäische Union gemäß Art. 23 Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 123, 267 <351 ff.>) hinaus auch an deren weiterer Gestaltung und an ihrem Wirken teilhat. Art. 23 Abs. 2 GG zielt deshalb darauf, dem Bundestag ausreichende Zeit für eine Entscheidung einzuräumen, ob und gegebenenfalls wie er sich an der nationalen Willensbildung beteiligen möchte (vgl. Schorkopf, in: Bonner Kommentar, Art. 23 Rn. 136 ). Diese Frage stellt sich nicht nur mit Blick auf die Beteiligung an der Rechtsetzung im Sinne von Art. 288 ff. AEUV, sondern auch für sonstige Initiativen und Vorschläge, die für die Entwicklung und das Handeln der Europäischen Union von Bedeutung sind. Im Hinblick darauf muss Art. 23 Abs. 2 GG auch auf die Erarbeitung völkerrechtlicher Verträge und politischer Initiativen Anwendung finden, wenn diese im obigen Sinne substantielle Berührungspunkte mit dem in den Verträgen niedergelegten Integrationsprogramm aufweisen.

104

Schließlich legt auch die historische Auslegung eine weite Interpretation des Begriffs der "Angelegenheiten der Europäischen Union" nahe. Art. 23 Abs. 2 GG hat im Zusammenhang mit der Ratifikation des Vertrags von Maastricht Eingang in das Grundgesetz gefunden, mit einem Vertrag also, der die damals bereits über 30 Jahre alten supranationalen Europäischen Gemeinschaften mit der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik sowie der Gemeinsamen Justiz- und Innenpolitik, zwei seinerzeit intergouvernemental organisierten Politikbereichen, unter dem Dach der Europäischen Union zusammenfasste (vgl. BVerfGE 89, 155 <158 ff.>; Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht, 5. Aufl. 2011, § 3 Rn. 2). Der verfassungsändernde Gesetzgeber des Jahres 1992 hatte somit ein Bild der Europäischen Union vor Augen, in der die - allein supranationalen - Europäischen Gemeinschaften und die intergouvernementalen Bereiche unterschieden wurden. Wenn er die Mitwirkungsrechte des Bundestages vor diesem Hintergrund auf die Angelegenheiten der Europäischen Union bezogen hat, liegt es nahe, dass er zwischen den Säulen der Europäischen Union nicht differenzieren wollte. Vielmehr sollte sich Art. 23 Abs. 2 GG auf "alle Vorhaben der Europäischen Union [erstrecken], die für die Bundesrepublik Deutschland bzw. den Bundestag von Interesse sein könnten" (BTDrucks 12/6000, S. 21). Bestätigt wird dies durch die sich im Laufe der Beratungen verfestigende Erkenntnis, dass die europäische Integration ein dynamischer Entwicklungsprozess sei, der auf der Ebene der Mitgliedstaaten ein hohes Maß an Flexibilität erfordere (BTDrucks 12/3338, S. 6; BTDrucks 12/6000, S. 20). Anhaltspunkte für eine abweichende Auslegung ergeben sich auch nicht aus der Ratifikation des Vertrags von Lissabon, weil nicht erkennbar ist, dass dadurch die Reichweite des Art. 23 Abs. 2 GG reduziert werden sollte.

105

Ob und inwieweit Maßnahmen in den Bereichen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik und der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik von Art. 23 Abs. 2 GG erfasst werden, ist hier nicht zu entscheiden.

106

3. Nach Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG hat die Bundesregierung den Bundestag (und den Bundesrat) umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu unterrichten. Gegenstand, Grenzen sowie Art und Weise der Unterrichtung des Deutschen Bundestages sind mit Blick auf den Normzweck, diesem eine effektive Wahrnehmung seiner Mitwirkungsrechte in Angelegenheiten der Europäischen Union unter Wahrung der Eigenverantwortung der Exekutive zu ermöglichen, zu bestimmen (a). Daraus folgen nähere Anforderungen an die Unterrichtung (b).

107

a) aa) Anknüpfungspunkt der Unterrichtungspflicht ist das in Art. 23 Abs. 2 Satz 1 GG verankerte Recht des Deutschen Bundestages auf Mitwirkung in Angelegenheiten der Europäischen Union. Die Unterrichtung muss dem Bundestag in erster Linie eine frühzeitige und effektive Einflussnahme auf die Willensbildung der Bundesregierung eröffnen. Nur auf einer ausreichenden Informationsgrundlage ist der Bundestag in der Lage, den europäischen Integrationsprozess zu begleiten und zu beeinflussen, kann er das Für und Wider einer Angelegenheit diskutieren und Stellungnahmen erarbeiten. Die Unterrichtung muss so erfolgen, dass das Parlament nicht in eine bloß nachvollziehende Rolle gerät (vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 7. September 2011 - 2 BvR 987/10, 2 BvR 1485/10, 2 BvR 1099/10 -, NJW 2011, S. 2946 <2951>, Rn. 124; Urteil des Zweiten Senats vom 28. Februar 2012 - 2 BvE 8/11 -, juris Rn. 109).

108

Die Entstehungsgeschichte von Art. 23 Abs. 2 GG bestätigt diese Interpretation. Vor der Neufassung des Art. 23 GG verlangten die im Deutschen Bundestag vertretenen Fraktionen übereinstimmend die Verankerung von parlamentarischen Mitwirkungsrechten mit dem Ziel, die Entscheidungen über europäische Rechtsetzungsakte bereits vorab auf nationaler Ebene beeinflussen zu können (vgl. die Abgeordneten Dr. Möller und Verheugen, Gemeinsame Verfassungskommission, 11. Sitzung am 15. Oktober 1992, Stenographischer Bericht, in: Deutscher Bundestag , Materialien zur Verfassungsdiskussion und zur Grundgesetzänderung in der Folge der deutschen Einigung, Band 1, Bericht und Sitzungsprotokolle, 1996, S. 543 <544 f.>). Im Hinblick auf die Erfahrung, dass der Bundestag häufig vor vollendete Tatsachen gestellt worden war, die er nur noch hatte zur Kenntnis nehmen können, schlug die Gemeinsame Verfassungskommission die Festschreibung der Unterrichtungspflicht in Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG vor. Es bestand insoweit weitgehende Einigkeit, dass eine fundierte Willensbildung und verantwortungsvolle Mitwirkung des Bundestages eine umfassende Information zum frühestmöglichen Zeitpunkt voraussetze (vgl. BTDrucks 12/3896, S. 19; BTDrucks 12/6000, S. 21; vgl. auch Möller/Limpert, ZParl 24 <1993>, S. 21 <26>).

109

bb) Die Unterrichtungspflicht nach Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG soll dazu beitragen, "Informationsasymmetrien" zwischen Bundesregierung und Bundestag auszugleichen, soweit dies zur Gewährleistung einer effektiven Rechtswahrnehmung erforderlich ist (Schorkopf, in: Bonner Kommentar, Bd 6, Art. 23 Rn. 144 ). Eine enge Auslegung liefe diesem Zweck zuwider. Der verfassungsändernde Gesetzgeber hat sich, wie die Entstehungsgeschichte nahelegt, bewusst für eine weitreichende Unterrichtungspflicht entschieden.

110

Nachdem die ursprünglich vorgesehene Bindung an die Stellungnahmen des Bundestages (so noch der Vorschlag von Möller, Arbeitsunterlage Nr. 67 der Gemeinsamen Verfassungskommission vom 9. Juli 1992) auf Druck der Bundesregierung auf die - deutlich schwächere - Pflicht zur Berücksichtigung der Stellungnahmen (Art. 23 Abs. 3 Satz 2 GG) reduziert worden war, setzte der Bundestag im Gegenzug eine strengere Fassung der Unterrichtungspflicht durch (vgl. Abgeordneter Verheugen, Gemeinsame Verfassungskommission, 11. Sitzung am 15. Oktober 1992, Stenographischer Bericht, in: Deutscher Bundestag , Materialien zur Verfassungsdiskussion und zur Grundgesetzänderung in der Folge der deutschen Einigung, Band 1, Bericht und Sitzungsprotokolle, 1996, S. 543 <545>). Wenn die Unterrichtungspflichten der Bundesregierung daher im Vergleich mit den in Art. 23 Abs. 3 GG geregelten Mitwirkungsrechten des Bundestages eine überschießende Tendenz aufweisen (vgl. Uerpmann-Wittzack, in: v. Münch/Kunig, GG, Bd. 1, 6. Aufl. 2012, Art. 23 Rn. 75), so verkörpert dies den spezifischen Zweck dieses institutionellen Arrangements, eine effektive Mitwirkung des Deutschen Bundestages in Angelegenheiten der Europäischen Union trotz Fehlens formaler Bindungsmöglichkeiten zu gewährleisten (vgl. Rath, Entscheidungspotenziale des Deutschen Bundestages in EU-Angelegenheiten, 2001, S. 43 ff.).

111

Für die Auslegung und Handhabung des Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG ist ferner von Bedeutung, dass die Unterrichtungspflicht nicht nur dazu dient, die Mitwirkungsrechte des Deutschen Bundestages nach Art. 23 Abs. 2 Satz 1 GG zu ermöglichen. Sie sichert auf nationaler Ebene zugleich ab, dass der Deutsche Bundestag die ihm in Art. 12 EUV sowie in Art. 1 und 2 des Protokolls über die Rolle der nationalen Parlamente in der Europäischen Union und in Art. 4 des Protokolls über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit zugewiesenen Aufgaben erfüllen kann.

112

cc) Die Auslegung und Anwendung des Art. 23 Abs. 2 GG hat darüber hinaus dem Umstand Rechnung zu tragen, dass diese Bestimmung auch dem im Demokratieprinzip verankerten Grundsatz parlamentarischer Öffentlichkeit dient.

113

Der Deutsche Bundestag trifft seine Entscheidungen grundsätzlich im Plenum (vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 28. Februar 2012 - 2 BvE 8/11 -, juris Rn. 102, 119) und in öffentlicher Beratung. Öffentliches Verhandeln von Argument und Gegenargument, öffentliche Debatte und öffentliche Diskussion sind wesentliche Elemente des demokratischen Parlamentarismus. Gerade das im parlamentarischen Verfahren nach Art. 42 Abs. 1 Satz 1 GG gewährleistete Maß an Öffentlichkeit der Auseinandersetzung und Entscheidungssuche eröffnet Möglichkeiten eines Ausgleichs widerstreitender Interessen, die sich bei einem weniger transparenten Vorgehen so nicht ergäben (BVerfGE 70, 324<355>; vgl. auch BVerfGE 40, 237 <249>). Im europäischen Kontext stärkt die öffentliche parlamentarische Willensbildung gleichzeitig die Responsivität von europäischen Entscheidungen für die Interessen und Überzeugungen der Bürger (vgl. Müller-Franken, DVBl 2009, S. 1072 <1080>). Erst die Öffentlichkeit der Beratung schafft die Voraussetzungen für eine Kontrolle durch die Bürger (vgl. BVerfGE 125, 104 <125>; zuletzt BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 28. Februar 2012 - 2 BvE 8/11 -, juris Rn. 108). Dies gilt auch, wo die parlamentarische Beratung sich, sei es mitwirkend oder kontrollierend, auf das Entscheidungsverhalten bezieht (zur Kontrollfunktion des Parlaments BVerfGE 67, 100 <130>; 110, 199 <218 f.>; 124, 78 <121>). Die parlamentarische Verantwortung gegenüber den Bürgern ist wesentliche Voraussetzung des von Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG geforderten effektiven Einflusses des Volkes auf die Ausübung der Staatsgewalt (vgl. BVerfGE 83, 60 <71 f.>; 93, 37 <66>).

114

Entscheidungen von erheblicher rechtlicher oder faktischer Bedeutung für die Spielräume künftiger Gesetzgebung muss grundsätzlich ein Verfahren vorausgehen, das der Öffentlichkeit Gelegenheit bietet, ihre Auffassungen auszubilden und zu vertreten, und das die Volksvertretung dazu anhält, Notwendigkeit und Umfang der zu beschließenden Maßnahmen zu klären (vgl. BVerfGE 85, 386 <403 f.>; 95, 267 <307 f.>; 108, 282 <312>). Exemplarisch dafür ist, dass der Deutsche Bundestag auch in einem System intergouvernementalen Regierens die haushaltspolitische Gesamtverantwortung nach diesen Grundsätzen wahrzunehmen hat. Nach seiner haushaltspolitischen Gesamtverantwortung muss der Deutsche Bundestag der Ort sein, an dem eigenverantwortlich über Einnahmen und Ausgaben entschieden wird, auch im Hinblick auf internationale und europäische Verbindlichkeiten (vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 7. September 2011 - 2 BvR 987/10, 2 BvR 1485/10, 2 BvR 1099/10 -, NJW 2011, S. 2946 <2951>, Rn. 124; BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 28. Februar 2012 - 2 BvE 8/11 -, juris Rn. 109). Hierfür gilt der Grundsatz der Budgetöffentlichkeit als Ausprägung des allgemeinen Öffentlichkeitsprinzips der Demokratie (vgl. BVerfGE 70, 324 <358>).

115

dd) Grenzen der Unterrichtungspflicht ergeben sich aus dem Grundsatz der Gewaltenteilung. Das Funktionengefüge des Grundgesetzes geht davon aus, dass die Regierung einen Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung besitzt, der einen grundsätzlich nicht ausforschbaren Initiativ-, Beratungs- und Handlungsbereich einschließt (BVerfGE 67, 100 <139>; 77, 1 <59>; 110, 199 <214>; 124, 78 <120>). Ein solcher nicht ausforschbarer Kernbereich wird vom Bundesverfassungsgericht etwa im Zusammenhang mit den Ermittlungen parlamentarischer Untersuchungsausschüsse und parlamentarischen Fragerechten anerkannt (vgl. BVerfGE 67, 100 <139>, zum Recht der Untersuchungsausschüsse; BVerfGE 110, 199 <215>; 124, 78 <120>, zum parlamentarischen Fragerecht). Zu diesem Kernbereich gehört jedenfalls die Willensbildung der Regierung, sowohl hinsichtlich der Erörterungen im Kabinett als auch bei der Vorbereitung von Kabinetts- und Ressortentscheidungen, die sich vor allem in ressortinternen und -übergreifenden Abstimmungsprozessen vollzieht (BVerfGE 67, 100 <139>; 110, 199 <214, 222>; 124, 78 <120>). Solange die interne Willensbildung der Bundesregierung nicht abgeschlossen ist, besteht daher kein Anspruch des Parlaments auf Unterrichtung.

116

b) Nach Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG muss die Unterrichtung des Bundestages in sachlicher Hinsicht umfassend sein (aa), in zeitlicher Hinsicht zum frühestmöglichen Zeitpunkt erfolgen (bb) und in einer zweckgerechten Weise ausgestaltet sein (cc). Diese Anforderungen besitzen zwar unterschiedliche Regelungsinhalte, stehen aber nicht isoliert nebeneinander, sondern sind aufeinander bezogen.

117

aa) Das Erfordernis der umfassenden Unterrichtung ist seiner Funktion gemäß auszulegen, dem Deutschen Bundestag die Wahrnehmung seiner Mitwirkungsrechte zu ermöglichen. Dementsprechend ist eine umso intensivere Unterrichtung geboten, je komplexer ein Vorgang ist, je tiefer er in den Zuständigkeitsbereich der Legislative eingreift und je mehr er sich einer förmlichen Beschlussfassung oder Vereinbarung annähert. Daraus ergeben sich Anforderungen an die Qualität, Quantität und Aktualität der Unterrichtung unter Berücksichtigung der aus dem Grundsatz der Gewaltenteilung folgenden Grenzen. Die Regelungen der §§ 4 ff. EUZBBG enthalten insoweit Konkretisierungen, die auch von der Bundesregierung im Grundsatz nicht in Frage gestellt worden sind.

118

(1) In qualitativer Hinsicht erfasst die Pflicht zur umfassenden Unterrichtung zunächst Initiativen und Positionen der Bundesregierung selbst. Darüber hinaus erstreckt sie sich auf die Weiterleitung amtlicher Unterlagen und Dokumente der Organe sowie sonstiger Gremien und Behörden der Europäischen Union und anderer Mitgliedstaaten in Angelegenheiten der Europäischen Union (oben C.I.2.c), ist darauf aber nicht beschränkt. Sobald und soweit die Bundesregierung selbst mit einer Angelegenheit befasst ist, können auch ihr vorliegende Informationen über informelle und (noch) nicht schriftlich dokumentierte Vorgänge erfasst sein. Die Unterrichtungspflicht kann, unabhängig von einer förmlichen Dokumentation, auch Gegenstand, Verlauf und Ergebnis der Sitzungen und Beratungen von Organen und Gremien der Europäischen Union betreffen, in denen die Bundesregierung vertreten ist (vgl. Pernice, in: Dreier, GG, Bd. 2, 2. Aufl. 2006, Art. 23 Rn. 101).

119

Nach dem Zweck der Unterrichtungspflicht kommt es nicht darauf an, ob die Bundesregierung die Informationen auf offiziellem Wege oder auf andere Weise erlangt hat (vgl. Pernice, in: Dreier, GG, Bd. 2, 2. Aufl. 2006, Art. 23 Rn. 101; Uerpmann-Wittzack, in: v. Münch/Kunig, GG, Bd. 1, 6. Aufl. 2012, Art. 23 Rn. 77). Unerheblich für das Bestehen einer Weiterleitungspflicht ist ferner, ob die Dokumente und Informationen von Organen oder sonstigen Stellen der Europäischen Union stammen oder aus der Sphäre anderer Mitgliedstaaten (vgl. Classen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 23 Rn. 74; Pernice, in: Dreier, GG, Bd. 2, 2. Aufl. 2006, Art. 23 Rn. 101; Uerpmann-Wittzack, in: v. Münch/Kunig, GG, Bd. 1, 6. Aufl. 2012, Art. 23 Rn. 77). Auch die eventuelle Geheimhaltungsbedürftigkeit einer Information (vgl. etwa Art. 6 der Geschäftsordnung des Rates; ABl. EU 2009 Nr. L 325 vom 11. Dezember 2009, S. 35) steht ihrer Weiterleitung an den Bundestag grundsätzlich nicht entgegen. In Fällen, in denen das Wohl des Staates durch das Bekanntwerden vertraulicher Informationen gefährdet werden kann, kann die Unterrichtung vertraulich erfolgen (vgl. BVerfGE 124, 78 <123 f.>, zu Untersuchungsausschüssen). Die Voraussetzungen dafür hat der Bundestag mit dem Erlass seiner Geheimschutzordnung geschaffen (vgl. BVerfGE 67, 100 <135>; 70, 324 <359>; 77, 1 <48>; BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 28. Februar 2012 - 2 BvE 8/11 -, juris Rn. 149).

120

(2) Quantität und Detailliertheit der dem Deutschen Bundestag zu übermittelnden Informationen bemessen sich im Hinblick auf den Zweck der Unterrichtung einerseits nach der Bedeutung einer Angelegenheit. So muss der Bundestag von allen Vorgängen erfahren, die seiner Mitwirkung nach Art. 23 Abs. 2 Satz 1 GG unterliegen, und zugleich die für eine fundierte Beschlussfassung erforderlichen Informationen erhalten. Auf der anderen Seite richten sich der gebotene Umfang und die erforderliche Tiefe der Unterrichtung auch nach dem jeweiligen Sach- und Verhandlungsstand.

121

Eine "Überflutung" des Bundestages mit Informationen, die aufgrund ihrer Masse weder administrativ noch durch die Abgeordneten verarbeitet werden können, ist nicht Sinn des Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG (vgl. Classen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 23 Rn. 75). Zwar ist es in erster Linie Aufgabe des Parlaments selbst, im Rahmen seiner Geschäftsordnungsautonomie für eine sachgerechte Sichtung und Bewertung der unter Art. 23 Abs. 2 GG fallenden Angelegenheiten zu sorgen und die organisatorischen Voraussetzungen für die Verarbeitung der ihm übermittelten Informationen zu schaffen (vgl. Streinz, in: Sachs, GG, 6. Aufl. 2011, Art. 23 Rn. 107; vgl. auch § 4 Abs. 5 EUZBBG zur begrenzten Möglichkeit eines Verzichts auf Informationen). Doch erlaubt Art. 23 Abs. 2 GG bei Angelegenheiten, die nur von erkennbar geringer Bedeutung für den Bundestag sind, oder bei Vorgängen, die sich noch in einem sehr frühen, wenig konkreten Verfahrensstadium befinden, eine kursorische, auf die wesentlichen Eckpunkte beschränkte Unterrichtung, die den Bundestag in die Lage versetzt, nähere Informationen nachzufordern. Auch einer übermäßigen Belastung der Regierung, die deren Funktions- und Arbeitsfähigkeit bedroht, kann bei geringem Informationsinteresse des Parlaments im Einzelfall im Rahmen einer Abwägung Rechnung getragen werden (vgl. auch BVerfGE 110, 199 <220>; s. aus der Rechtsprechung der Landesverfassungsgerichte etwa Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin, Urteil vom 14. Juli 2010 - 57/08 -, DVBl 2010, S. 966; Bayerischer Verfassungsgerichtshof, Entscheidung vom 6. Juni 2011 - Vf. 49-IVa-10 -, NVwZ-RR 2011, S. 841 <843>).

122

(3) Die gebotene umfassende Unterrichtung erschöpft sich - wie sich auch aus dem systematischen Zusammenhang mit der Pflicht zur frühestmöglichen Unterrichtung ergibt - nicht in einem einmaligen Tätigwerden. Es handelt sich vielmehr um eine auf Dauer angelegte, fortlaufende Pflicht, die jedesmal aktualisiert wird, wenn sich bei der Behandlung einer Angelegenheit neue politische oder rechtliche Fragen stellen, zu denen sich der Deutsche Bundestag noch keine Meinung gebildet hat (vgl. Baach, Parlamentarische Mitwirkung in Angelegenheiten der Europäischen Union, 2008, S. 162).

123

Rechtsetzungsakten der Europäischen Union und intergouvernementalen Vereinbarungen gehen regelmäßig komplexe und langwierige Abstimmungsprozesse voraus. Die Bundesregierung kann dem Bundestag dabei nur die ihr selbst jeweils vorliegenden Informationen zuleiten, so dass die Pflicht zur umfassenden Unterrichtung nicht statisch, sondern dynamisch zu verstehen ist. Wissensstand und Haltung der Bundesregierung im Hinblick auf einen Vorgang bleiben im Regelfall nicht gleich, sondern sind im Laufe der Zeit Veränderungen unterworfen. Mit zunehmender Konkretisierung eines Vorhabens ist jedoch typischerweise auch eine Zunahme der Informationsdichte auf Seiten der Bundesregierung verbunden. Dabei entsteht mit jedem Erkenntnisgewinn der Bundesregierung zunächst eine Informationsasymmetrie im Verhältnis zum Bundestag, die - soll die verfassungsrechtliche Vorgabe einer "umfassenden" Unterrichtung nicht wirkungslos bleiben - grundsätzlich ausgeglichen werden muss. Diese Pflicht zum Ausgleich von Informationsungleichgewichten zwischen Bundesregierung und Bundestag verdichtet sich mit zunehmender Komplexität und Bedeutung eines Vorgangs sowie mit der zeitlichen Nähe zu einer förmlichen Beschlussfassung oder zum Abschluss einer Vereinbarung.

124

(4) Aus Gründen der Gewaltenteilung (oben C.I.3.a)dd) erstreckt sich der Unterrichtungsanspruch aus Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG grundsätzlich nicht auf Aspekte, die dem einer konkreten Positionierung vorgelagerten Willensbildungsprozess der Bundesregierung zuzuordnen sind. Initiativen der Bundesregierung und ihrer Positionierung bei von dritter Seite angestoßenen Vorhaben in Angelegenheiten der Europäischen Union geht ein - je nach Vorgang - mehr oder weniger umfangreicher Willensbildungsprozess voraus, in dessen Verlauf sich unter Umständen erst allmählich eine bestimmte Auffassung herausbildet. Bis dahin handelt es sich um einen von verschiedenen innen- und außenpolitischen sowie innerorganschaftlichen Belangen, Erwägungen und Entwicklungen abhängigen und damit noch volatilen Vorgang, der den Bereich der Bundesregierung noch nicht verlässt und über den der Bundestag von Verfassungs wegen grundsätzlich auch noch nicht zu informieren ist. Wenn die Bundesregierung indes ihre Willensbildung selbst so weit konkretisiert hat, dass sie Zwischen- oder Teilergebnisse an die Öffentlichkeit geben kann oder mit einer eigenen Position in einen Abstimmungsprozess mit Dritten eintreten will, fällt ein Vorhaben nicht mehr in den gegenüber dem Bundestag abgeschirmten Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung.Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG gebietet in diesen Fällen eine substantielle Information des Bundestages durch die Bundesregierung über ihr Vorhaben.

125

bb) Auch die strikten zeitlichen Anforderungen an die Unterrichtung nach Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG ("zum frühestmöglichen Zeitpunkt") sollen gewährleisten, dass der Bundestag in der Lage ist, seine Mitwirkungsrechte in Angelegenheiten der Europäischen Union effektiv wahrzunehmen.

126

(1) Entstehungsgeschichtlich erweist sich die strenge zeitliche Vorgabe als bewusste Abkehr von Art. 2 des Zustimmungsgesetzes zu den Römischen Verträgen vom 27. Juli 1957 (BGBl II S. 753), wo lediglich eine laufende Unterrichtung des Bundestages vorgeschrieben und eine der Beschlussfassung im Rat zeitlich vorgelagerte Unterrichtung nur als Soll-Vorschrift vorgesehen war. Auf dieser Grundlage waren dem Bundestag Informationen häufig erst nach einer Beschlussfassung im Rat zugegangen und damit später als dem Bundesrat und den deutschen Mitgliedern des Europäischen Parlaments (vgl. Möller, Arbeitsunterlage Nr. 84 der Gemeinsamen Verfassungskommission vom 15. Oktober 1992). Die in der Gemeinsamen Verfassungskommission und im Sonderausschuss Europäische Union zeitweise diskutierten Formulierungen einer "rechtzeitigen" oder einer "regelmäßigen" Unterrichtung wurden daher verworfen. Das Erfordernis einer regelmäßigen Unterrichtung stelle nicht hinreichend sicher, dass der Bundestag die relevanten Informationen so früh wie möglich erhalte (vgl. Abgeordneter Verheugen, Gemeinsame Verfassungskommission, 11. Sitzung am 15. Oktober 1992, Stenographischer Bericht, in: Deutscher Bundestag , Materialien zur Verfassungsdiskussion und zur Grundgesetzänderung in der Folge der deutschen Einigung, Band 1, Bericht und Sitzungsprotokolle, 1996, S. 543 <545>). Auch der Begriff "rechtzeitig" erschien den Mitgliedern der Gemeinsamen Verfassungskommission zu unbestimmt, da er einen weiten Interpretationsspielraum eröffne und den Unterrichtungszeitpunkt letztlich in das Ermessen der Bundesregierung stelle. Um eine fundierte Willensbildung des Bundestages zu ermöglichen, sei eine umfassende Information zum frühestmöglichen Zeitpunkt unerlässlich (vgl. Möller, Arbeitsunterlage Nr. 84 der Gemeinsamen Verfassungskommission vom 15. Oktober 1992; Möller/Limpert, a.a.O., S. 26; Schmalenbach, Der neue Europaartikel 23 des Grundgesetzes im Lichte der Arbeit der Gemeinsamen Verfassungskommission, 1996, S. 144 f.). Mit der gewählten Formulierung "zum frühestmöglichen Zeitpunkt" wollte der verfassungsändernde Gesetzgeber also eine möglichst präzise, objektiv bestimmbare Zeitvorgabe schaffen (vgl. Möller/Limpert, a.a.O., S. 26).

127

(2) Dem Zeitpunkt kommt eine dem Umfang der Unterrichtung gleichrangige Bedeutung zu. Nur wenn der Bundestag frühzeitig von einem Vorhaben erfährt, kann er den regelmäßig durch eine Vielzahl von Akteuren getragenen Entscheidungsprozess in Angelegenheiten der Europäischen Union noch beeinflussen. Im Hinblick darauf ist die in Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG genannte Zeitvorgabe "zum frühestmöglichen Zeitpunkt" so auszulegen, dass der Bundestag die Informationen der Bundesregierung spätestens zu einem Zeitpunkt erhalten muss, der ihn in die Lage versetzt, sich fundiert mit dem Vorgang zu befassen und eine Stellungnahme zu erarbeiten, bevor die Bundesregierung nach außen wirksame Erklärungen, insbesondere bindende Erklärungen zu unionalen Rechtsetzungsakten und intergouvernementalen Vereinbarungen, abgibt. Das schließt es aus, dass die Bundesregierung ohne vorherige Beteiligung des Deutschen Bundestages konkrete Initiativen ergreift oder an Beschlussfassungen mitwirkt, und gebietet die Weiterleitung sämtlicher Dokumente, sobald sie zum Gegenstand von Verhandlungen gemacht werden.

128

(3) Offizielle Dokumente, Berichte und Mitteilungen müssen daher ebenso wie alle inoffiziellen Informationen an den Bundestag weitergeleitet werden, sobald sie - gegebenenfalls über die Ständige Vertretung der Bundesrepublik Deutschland bei der Europäischen Union - in den Einflussbereich der Bundesregierung gelangen (vgl. Pernice, in: Dreier, GG, Bd. 2, 2. Aufl. 2006, Art. 23 Rn. 101; Uerpmann-Wittzack, in: v. Münch/Kunig, GG, Bd. 1, 6. Aufl. 2012, Art. 23 Rn. 79). Ein Ermessen der Bundesregierung hinsichtlich des Zeitpunktes der Weiterleitung besteht nicht. Verzögerungen bei der Weiterleitung sind nur zulässig, um der Bundesregierung eine Prüfung der Voraussetzungen des Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG zu ermöglichen. Über Sitzungen der Organe und informelle Beratungen, an denen die Bundesregierung beteiligt ist, muss der Bundestag - auch wenn noch keine förmlichen Vorschläge oder sonstige Beratungsgrundlagen existieren - bereits im Voraus und so rechtzeitig informiert werden, dass er sich über den Gegenstand der Sitzungen eine Meinung bilden und auf die Verhandlungslinie und das Abstimmungsverhalten der Bundesregierung Einfluss nehmen kann (vgl. Uerpmann-Wittzack, in: v. Münch/Kunig, GG, Bd. 1, 6. Aufl. 2012, Art. 23 Rn. 77, 79; Streinz, in: Sachs, GG, 6. Aufl. 2011, Art. 23 Rn. 113). Über den Verlauf und die erzielten Zwischen- und Endergebnisse ist er unmittelbar im Anschluss an die Beratungen zu unterrichten. Für den Zeitpunkt der Unterrichtung über Initiativen und Positionierungen der Bundesregierung und das Gebot laufender Aktualisierung des Informationsstandes des Bundestages gilt das bereits Gesagte (oben C.I.3.b)aa)<3, 4>).

129

cc) Aus dem mit der Unterrichtung des Bundestages verfolgten Zweck des Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG folgen schließlich auch Anforderungen an das Verfahren und die Form der Unterrichtung. Adressat der Unterrichtung ist grundsätzlich der Bundestag als Ganzer; die Unterrichtung hat grundsätzlich schriftlich zu erfolgen. Einzelheiten können im Rahmen der verfassungsrechtlichen Vorgaben durch Gesetz oder Vereinbarung zwischen dem Deutschen Bundestag und der Bundesregierung geregelt werden.

130

(1) Adressat der Unterrichtung gemäß Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG ist der Bundestag als Ganzer. Damit soll gewährleistet werden, dass sämtliche Abgeordnete gleichermaßen und unterschiedslos auf die übermittelten Informationen zugreifen können. Allerdings verleiht Art. 40 Abs. 1 Satz 2 GG dem Parlament die Befugnis, seine inneren Angelegenheiten im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung autonom zu regeln und sich selbst so zu organisieren, dass es seine Aufgaben sachgerecht erfüllen kann (vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 28. Februar 2012 - 2 BvE 8/11 -, juris Rn. 115 ff., m.w.N.). Es ist daher in erster Linie Sache des Bundestages selbst, dafür Sorge zu tragen, dass die ihm übermittelten Informationen einer effektiven parlamentarischen Willensbildung zugeführt werden. Insbesondere obliegt ihm die Entscheidung, in welchem Umfang er den Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union gemäß Art. 45 Satz 2 GG ermächtigt, die Rechte des Bundestages gemäß Art. 23 GG gegenüber der Bundesregierung wahrzunehmen. Der Bundestag kann hierzu die erforderlichen Regelungen treffen und Einzelheiten der Unterrichtung im Wege einer Vereinbarung mit der Bundesregierung festlegen (vgl. § 12 EUZBBG). "Inoffizielle" Informationen einzelner Abgeordneter oder von Fraktionen und deren Beauftragten wie den Obleuten in den Ausschüssen erfüllen den Anspruch des Bundestages aus Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG nicht.

131

(2) Der Zweck des Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG verlangt im Grundsatz eine schriftliche Unterrichtung durch die Bundesregierung. Zwar ist die Schriftform in Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG nicht ausdrücklich vorgesehen. Angesichts der Anforderungen an Klarheit, Verstetigung und Reproduzierbarkeit, die an eine förmliche Unterrichtung des Parlaments zu stellen sind, erscheint die Schriftform gegenüber der mündlichen Unterrichtung als das vorrangige Medium zur effektiven Information des Bundestages. Der mündlichen Unterrichtung des Plenums, des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union wie auch der Fachausschüsse kommt vor diesem Hintergrund grundsätzlich nur eine ergänzende und erläuternde Funktion zu.

132

Ausnahmen vom Schriftlichkeitsgrundsatz sind nur in engen Grenzen und insbesondere im Hinblick auf das Gebot einer Unterrichtung zum frühestmöglichen Zeitpunkt zulässig, unter Umständen aber auch geboten. Da Informationsasymmetrien zwischen Regierung und Parlament nach Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG nicht nur best-, sondern auch schnellstmöglich beseitigt werden sollen, sind Konstellationen denkbar, in denen die Bundesregierung eine umfassende und zugleich frühestmögliche Unterrichtung nur mündlich sicherstellen kann (vgl. Schorkopf, in: Bonner Kommentar, Bd. 6, Art. 23 Rn. 144 ). Das ist etwa der Fall, wenn zu einer Angelegenheit noch keine schriftlichen Unterlagen vorliegen und in vertretbarer Zeit auch nicht beschafft oder hergestellt werden können, eine Unterrichtung des Deutschen Bundestages jedoch im Hinblick auf die effektive Wahrnehmung seiner Mitwirkungsrechte erforderlich ist. Für die Überlassung fremdsprachiger Unterlagen gilt Vergleichbares. Entfällt das Hindernis, ist das entstandene Informationsdefizit unverzüglich auszugleichen. Auch insoweit ist die Festlegung von Einzelheiten einer Regelung durch den Bundestag sowie einer näheren Konkretisierung in Vereinbarungen zwischen Bundestag und Bundesregierung zugänglich.

II.

133

Nach diesen Maßstäben sind die Anträge begründet. Die Antragsgegnerin hat den Deutschen Bundestag sowohl im Hinblick auf die Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus (1.) als auch im Hinblick auf die Vereinbarung des Euro-Plus-Paktes (2.) in seinen Rechten aus Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG verletzt.

134

1. Die Antragsgegnerin hat den Deutschen Bundestag nicht in dem nach Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG gebotenen Maß über die Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus unterrichtet. Errichtung und Ausgestaltung des Europäischen Stabilitätsmechanismus sind eine Angelegenheit der Europäischen Union im Sinne des Art. 23 Abs. 2 Satz 1 GG (a). Da sie die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Deutschen Bundestages und damit eine seiner wesentlichen Funktionen betreffen, war eine vollständige Unterrichtung erforderlich (b). Die Antragsgegnerin hat es unterlassen, dem Deutschen Bundestag einen ihr am 21. Februar 2011 vorliegenden Text der Europäischen Kommission über die Errichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus und den Entwurf eines Vertrages über den Europäischen Stabilitätsmechanismus vom 6. April 2011 zu übermitteln, und dadurch seine Rechte aus Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG verletzt (c).

135

a) Die Errichtung und Ausgestaltung des Europäischen Stabilitätsmechanismus ist eine Angelegenheit der Europäischen Union im Sinne des Art. 23 Abs. 2 Satz 1 GG. Eine Gesamtschau der ihn prägenden Charakteristika ergibt substantielle Berührungspunkte mit dem Integrationsprogramm der Europäischen Verträge. Seine Gründung soll durch eine Änderung des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union abgesichert werden (aa). Der zu seiner Errichtung zu schließende Vertrag weist den Organen der Europäischen Union neue Zuständigkeiten zu (bb) und dient der Absicherung eines Politikbereichs, der der Europäischen Union als ausschließliche Zuständigkeit zugewiesen ist (cc). Dass es sich dabei um einen völkerrechtlichen Vertrag handeln soll, stellt seine Zuordnung zu dem in den Verträgen über die Europäische Union und über die Arbeitsweise der Europäischen Union niedergelegten Integrationsprogramm nicht in Frage (dd).

136

aa) Die Gründung des Europäischen Stabilitätsmechanismus soll durch eine Änderung des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union unionsrechtlich ermöglicht und abgesichert werden. Die insoweit vorgesehene Einfügung von Art. 136 Abs. 3 AEUV muss im Wege einer Vertragsänderung nach Art. 48 EUV erfolgen. Schon wegen dieses qualifizierten Zusammenhangs mit dem Unionsrecht handelt es sich um eine Angelegenheit der Europäischen Union.

137

bb) Das Vorliegen einer Angelegenheit der Europäischen Union im Sinne des Art. 23 Abs. 2 Satz 1 GG wird auch dadurch indiziert, dass verschiedene Organe der Europäischen Union durch den Vertrag über den Europäischen Stabilitätsmechanismus neue Zuständigkeiten zugewiesen erhalten. Diese Zuständigkeitszuweisung war in den Verhandlungen über den Europäischen Stabilitätsmechanismus, wie aus der in das Jahr 2010 zurückreichenden Vorgeschichte sowie den folgenden Konkretisierungsschritten ersichtlich ist, bereits zu Beginn des Jahres 2011 angelegt (vgl. im Einzelnen A.I.2.a).

138

(1) Die Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten sind in einem Beschluss vom 20. Juni 2011 übereingekommen, dass der Vertrag über den Europäischen Stabilitätsmechanismus Bestimmungen enthalten solle, nach denen sowohl die Europäische Kommission als auch die Europäische Zentralbank die in dem Vertrag aufgeführten Aufgaben ausführen sollen. Auf der operativen Ebene, bei Aktivierung der Finanzhilfe, wurde namentlich der Europäischen Kommission eine wichtige Rolle zugedacht. Sie soll mit dem Internationalen Währungsfonds und in Absprache mit der Europäischen Zentralbank den tatsächlichen Finanzierungsbedarf des begünstigten Mitgliedstaats ermitteln. Ermächtigt vom Gouverneursrat, verhandelt sie ein makroökonomisches Anpassungsprogramm und überwacht die Einhaltung der politischen Auflagen, wiederum - in der sogenannten Troika - mit dem Internationalen Währungsfonds und der Europäischen Zentralbank, die bereits in der Durchführung der Schuldentragfähigkeitsanalyse zusammenwirken. Art. 13 Abs. 1 des Entwurfs eines Vertrages über den Europäischen Stabilitätsmechanismus sieht ferner vor, dass der Vorsitzende des Gouverneursrates Aufgaben auf die Europäische Kommission übertragen kann. Bleibt der Kreditnehmer über die Laufzeit des Programms hinaus Schuldner des Europäischen Stabilitätsmechanismus, kann der Rat eine fortdauernde Überwachung veranlassen. Nach Erörterung im Gouverneursrat kann er auf Vorschlag der Kommission beschließen, eine Überwachung nach der Durchführung des Programms durchzuführen, die so lange aufrechterhalten werden kann, wie ein bestimmter Betrag der Finanzhilfe noch nicht zurückgezahlt wurde.

139

Der Entwurf eines Vertrages über den Europäischen Stabilitätsmechanismus sieht in seiner Fassung vom 2. Februar 2012 darüber hinaus vor, dass Programmbeschlüsse sowohl von der Europäischen Kommission als auch vom Rat der Europäischen Union nach den Art. 121 und 136 AEUV überwacht werden (17. Erwägungsgrund). Der Europäische Gerichtshof soll nach Maßgabe von Art. 273 AEUV schließlich über die Auslegung und Anwendung des Vertrages über den Europäischen Stabilitätsmechanismus entscheiden.

140

(2) Die Zuordnung zu den Angelegenheiten der Europäischen Union wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass der Europäische Stabilitätsmechanismus die Organe der Europäischen Union lediglich im Wege der Organleihe in Anspruch nimmt. In der Sache werden den Organen damit, wenngleich nicht in dem eigentlich dafür vorgesehenen Verfahren nach Art. 48 Abs. 1 EUV, weitere Aufgaben und Befugnisse übertragen. Für die Kompetenzausstattung der Organe gelten daher auch insoweit der Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung (vgl. auch Art. 5 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 EUV) sowie die Verbote, ihnen eine Kompetenz-Kompetenz einzuräumen oder den Kern der grundgesetzlichen Verfassungsidentität (Art. 79 Abs. 3 i.V.m. Art. 1 und 20 GG) zu berühren (vgl. BVerfGE 89, 155 <188>; 123, 267 <370 f.>). Andernfalls könnten die der Fortentwicklung der europäischen Integration von Verfassungs wegen gezogenen Grenzen und die insoweit vorgesehenen verfahrensrechtlichen Sicherungen umgangen werden. Jede Zuweisung von Aufgaben und Befugnissen an die Europäische Union und/oder ihre Organe ist daher in der Sache eine Übertragung von Hoheitsrechten, und zwar auch dann, wenn die Organe für die Erledigung der Aufgabe "nur" im Wege der Organleihe in Anspruch genommen und mit Befugnissen ausgestattet werden.

141

Dafür spricht im Übrigen auch die mit der Einräumung von Aufgaben und Befugnissen im Wege der Organleihe verbundene und von den Vertragsparteien offenkundig gewünschte Möglichkeit der Organe, diese Aufgaben und Befugnisse kohärent mit den Einzelermächtigungen aus dem Bereich des in den Verträgen niedergelegten Integrationsprogramms auszuüben und auf diese Weise eine Struktur zu schaffen, in der die Unterschiede zwischen "weichen" Steuerungsinstrumentarien und imperativen Rechtsetzungs- und Aufsichtsakten verschwimmen (vgl. Schuppert, Verwaltungsorganisation und Verwaltungsorganisationsrecht als Steuerungsfaktoren, in: GVwR Bd. I, 2. Aufl. 2012, § 16 Rn. 173a ff., 173h ff.). Dies zeigt sich etwa in der Anhaltung des Gouverneursrates, seine Entscheidungen im zwischenstaatlichen Rahmen mit dem Verfahren im Überwachungsrahmen der Europäischen Union (Art. 121, 126, 136 Abs. 1 AEUV) zu verzahnen (17. Erwägungsgrund sowie Art. 13 Abs. 1 des Entwurfs eines Vertrages über den Europäischen Stabilitätsmechanismus).

142

cc) Der Europäische Stabilitätsmechanismus soll darüber hinaus der Absicherung eines Politikbereichs dienen, der der Europäischen Union als ausschließliche Zuständigkeit zugewiesen ist. Der Entwurf des Vertrages über den Europäischen Stabilitätsmechanismus ergänzt die Wirtschafts- und Währungspolitik.

143

Mit der Ergänzung von Art. 136 AEUV um einen Absatz 3, der die Finanzhilfen an strenge Auflagen und ein Tätigwerden des Europäischen Stabilitätsmechanismus daran bindet, dass es zur Stabilisierung des Währungsraums insgesamt unabdingbar ist (vgl. Art. 3 des Entwurfs eines Vertrags über den Europäischen Stabilitätsmechanismus), wird an die im Titel VIII geregelte Wirtschafts- und Währungspolitik (Art. 119 ff. AEUV) angeknüpft und deutlich gemacht, dass mit den Regelungen die Währungspolitik und insbesondere die Stabilität des Euro-Währungsgebietes gesichert werden soll. Damit wird ein Politikbereich ergänzt, den der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union in die ausschließliche Zuständigkeit der Union verweist (Art. 3 Abs. 1 lit. c AEUV). Der Europäische Stabilitätsmechanismus dient mithin unmittelbar der Verwirklichung der Ziele der Union (Art. 3 Abs. 4 EUV). An dem auf der Grundlage von Art. 136 Abs. 3 AEUV zu schließenden Vertrag über den Europäischen Stabilitätsmechanismus sollen zudem nur Mitgliedstaaten teilnehmen, die Teil des Euro-Währungsgebietes sind und für die Art. 136 ff. AEUV spezifische Regelungen enthalten. Auch dies ist ein Indiz dafür, dass es sich bei dem in Aussicht genommenen Vertrag über den Europäischen Stabilitätsmechanismus um eine Angelegenheit der Europäischen Union handelt.

144

dd) Die Tatsache, dass der Europäische Stabilitätsmechanismus im Wege eines gesonderten völkerrechtlichen Vertrages außerhalb der bisherigen Struktur des Unionsrechts etabliert werden soll, führt zu keinem anderen Ergebnis. Wie dargelegt, erfasst die Formulierung "Angelegenheiten der Europäischen Union" auch Vorhaben, die intergouvernemental verwirklicht werden sollen, wenn sie in einem Ergänzungs- oder sonstigen besonderen Näheverhältnis zum Recht der Union stehen. Dass der Europäische Stabilitätsmechanismus im Wege intergouvernementaler Zusammenarbeit verwirklicht werden soll, ist somit ebenso wenig maßgeblich wie seine Qualifikation als zwischenstaatliche Organisation ohne eigene Hoheitsgewalt. Jedenfalls durch die Verflechtung mit supranationalen Elementen besitzt der Europäische Stabilitätsmechanismus eine hybride Natur, die ihn zu einer Angelegenheit der Europäischen Union macht. Ob in der gewählten Form des völkerrechtlichen Vertrages über den Europäischen Stabilitätsmechanismus eine Umgehung des Unionsrechts liegt, namentlich ob der Vertrag mit Art. 48 EUV vereinbar ist, ist hier nicht zu entscheiden.

145

b) Errichtung und Ausgestaltung des Europäischen Stabilitätsmechanismus betreffen die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Deutschen Bundestages und damit eine seiner wesentlichen Funktionen. Daraus folgt die Notwendigkeit einer besonders umfangreichen und detaillierten Unterrichtung.

146

Angesichts der Komplexität und der Bedeutung des Europäischen Stabilitätsmechanismus für die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Deutschen Bundestages ist eine Beteiligung des Deutschen Bundestages geboten, die ihn in die Lage versetzt, sich - auch und gerade in öffentlicher Debatte - eingehend mit dem Thema auseinanderzusetzen und Notwendigkeit und Umfang der zu beschließenden Maßnahmen zu klären. Nur so kann sichergestellt werden, dass auch im Hinblick auf die mit dem Europäischen Stabilitätsmechanismus einhergehenden Verbindlichkeiten der Deutsche Bundestag der Ort ist, an dem eigenverantwortlich über Einnahmen und Ausgaben entschieden wird.

147

Aus dem Gebot umfassender und frühestmöglicher Information ergeben sich deshalb im konkreten Fall hohe Anforderungen an die Qualität, Quantität, Aktualität und Verwertbarkeit der Unterrichtung über die Verhandlungen zum Europäischen Stabilitätsmechanismus. Die Unterrichtung hat sich namentlich ohne Abstriche auf die Weiterleitung der amtlichen Unterlagen und Dokumente aller Organe sowie sonstiger Gremien und Behörden der Europäischen Union und anderer Mitgliedstaaten zu erstrecken. Übermitteln muss die Bundesregierung aber auch Informationen über informelle und nicht schriftlich dokumentierte Vorgänge sowie über Gegenstand, Verlauf und Ergebnis der Sitzungen und Beratungen aller Organe und Gremien der Europäischen Union, in denen sie vertreten ist, sowie über bi- und multilaterale Aktionen von Mitgliedstaaten auf völkerrechtlicher Ebene. Nicht zuletzt verpflichtet Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG die Bundesregierung dazu, den Deutschen Bundestag über eigene Initiativen und Positionen in Angelegenheiten der Europäischen Union betreffend den Europäischen Stabilitätsmechanismus zu informieren. Nur so kann verhindert werden, dass der Deutsche Bundestag in die Rolle des bloßen Nachvollzuges gerät (BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 28. Februar 2012 - 2 BvE 8/11 -, juris Rn. 109; Urteil des Zweiten Senats vom 7. September 2011 - 2 BvR 987/10, 2 BvR 1485/10, 2 BvR 1099/10 -, NJW 2011, S. 2946 <2951>, Rn. 124).

148

c) Die Antragsgegnerin hat den Deutschen Bundestag nicht umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt über den Europäischen Stabilitätsmechanismus unterrichtet. Sie hat dem Bundestag einen ihr spätestens am 21. Februar 2011 vorliegenden Text der Europäischen Kommission über die Merkmale des Stabilitätsmechanismus (aa) sowie einen Entwurf des Vertrages über den Europäischen Stabilitätsmechanismus vom 6. April 2011 (bb) nicht übermittelt. Spätere mündliche oder schriftliche Informationen ändern nichts an der Verletzung von Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG (cc). Gründe, die einer Übermittlung entgegenstehen könnten, sind nicht ersichtlich; insbesondere kann sich die Antragsgegnerin nicht auf Vertraulichkeit berufen (dd).

149

aa) Die Antragsgegnerin hat einen ihr am 21. Februar 2011 vorliegenden Text der Europäischen Kommission über die Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus, der Gegenstand der Beratungen über die Merkmale des Stabilitätsmechanismus im Rat war, dem Deutschen Bundestag nicht zugeleitet. Die Existenz dieses Papiers wird durch einen internen Bericht des Verbindungsbüros des Deutschen Bundestages in Brüssel vom 21. Februar 2011 belegt. Wie aus dem Bericht des Verbindungsbüros hervorgeht, arbeitete der Rat - in dem die Bundesregierung vertreten ist - zu diesem Zeitpunkt an der Ausgestaltung des Europäischen Stabilitätsmechanismus auf der Grundlage eines Textes der Europäischen Kommission. Da Papiere der Europäischen Kommission, auf deren Grundlage die Merkmale des Europäischen Stabilitätsmechanismus im Europäischen Rat wie auch im ECOFIN-Rat und der Euro-Gruppe diskutiert wurden, insbesondere jener Text der Kommission, dem Deutschen Bundestag nicht zur Verfügung gestellt wurde, hatte dieser keine Möglichkeit, auf die konkrete Ausgestaltung des Europäischen Stabilitätsmechanismus zu einem frühen Zeitpunkt Einfluss zu nehmen.

150

bb) Ferner hat die Antragsgegnerin dem Deutschen Bundestag den Entwurf eines Vertrages über den Europäischen Stabilitätsmechanismus in der Form des "Draft Treaty Establishing the European Stability Mechanism (ESM)" nicht übermittelt.

151

Einen auf den 6. April 2011 datierenden Entwurf des Vertrages über den Europäischen Stabilitätsmechanismus hat der Deutsche Bundestag lediglich aus informellen Quellen erhalten, obwohl dieser oder jedenfalls eine frühere Textstufe des Vertragsentwurfs der Bundesregierung zu diesem Zeitpunkt vorlag. Dies ergibt sich aus dem Inhalt mündlicher Ausschussunterrichtungen vom selben Tag: Der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen nannte gegenüber dem Haushaltsausschuss des Bundestages einzelne, bereits auf dem Europäischen Rat vom 24./25. März 2011 bindend verabredete Details des Vertragsinhalts und erklärte, der Vertrag über den Europäischen Stabilitätsmechanismus werde derzeit auf europäischer Ebene weiter ausgearbeitet und befinde sich noch im Verhandlungsstadium (Protokoll Nr. 17/52 der 52. Sitzung des Haushaltsausschusses vom 6. April 2011, S. 12, 19). Die Bundesregierung hatte mithin am 6. April 2011 konkrete Erkenntnisse über Textstufen des Vertragsentwurfs.

152

cc) Spätere mündliche oder schriftliche Informationen, insbesondere die Übersendung des zu diesem Zeitpunkt in der erweiterten Euro-Gruppe bereits beratenen Entwurfs des Vertrages über den Europäischen Stabilitätsmechanismus am 17. beziehungsweise 18. Mai 2011, ändern nichts an der Verletzung von Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG. Die Bundesregierung ist verpflichtet, dem Bundestag nicht nur einen abschließend beratenen oder sogar bereits beschlossenen Vertragstext zuzuleiten. Sie muss ihm zum frühestmöglichen Zeitpunkt ihr vorliegende Zwischenergebnisse und Textstufen - wie den auf den 6. April 2011 datierenden "Draft Treaty Establishing the European Stability Mechanism (ESM)" - übermitteln. Dass sich Entwürfe ändern und daher Aktualisierungen erforderlich werden, solche Informationen mithin "eine kurze Halbwertszeit" aufweisen können, rechtfertigt es nicht, die schriftliche Unterrichtung auf einen Zeitpunkt zu verschieben, in dem die Ergebnisse bereits feststehen. Denn damit wird der Bundestag gerade in jene für völkerrechtliche Verträge charakteristische Ratifikationslage gebracht, die ihm eine inhaltliche Einflussnahme abschneidet und vor der ihn Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG schützen will. Wie sich bereits aus dem kumulativen Erfordernis frühzeitiger und umfassender Information ergibt, kann bei prozesshaften Vorgängen der vorliegenden Art die Unterrichtungspflicht nicht "in einem Gesamtpaket" erledigt werden.

153

dd) Eine etwaige Vertraulichkeit beider Dokumente steht dem Erfordernis ihrer Übermittlung nicht entgegen. Die Bundesregierung kann sich insbesondere nicht auf eine grundsätzliche Vertraulichkeit im speziellen Format der informell tagenden erweiterten Euro-Gruppe berufen. Verhandlungen im Vorfeld völkerrechtlicher Verträge, die auf eine Bindung der Bundesrepublik Deutschland zielen und Gesetzesqualität erlangen sollen, sind gegenüber dem Deutschen Bundestag von vornherein nicht geheimhaltungsbedürftig. Sollten Gründe für eine Geheimhaltungsbedürftigkeit gegenüber der Öffentlichkeit im Hinblick auf einzelne Informationen oder Dokumente ausnahmsweise anzuerkennen sein, wäre die Bundesregierung verpflichtet, die Unterlagen dem Deutschen Bundestag unter Hinweis auf das Erfordernis einer vertraulichen Behandlung zuzuleiten. Die Voraussetzungen hierfür hat der Bundestag mit dem Erlass seiner Geheimschutzordnung geschaffen (vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 28. Februar 2012 - 2 BvE 8/11 -, juris Rn. 149). Weitere Gründe, die gegen eine Übermittlung hätten sprechen können, sind nicht ersichtlich.

154

2. Die Antragsgegnerin hat den Deutschen Bundestag zudem nicht umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt über den Euro-Plus-Pakt unterrichtet und damit die Rechte des Bundestages aus Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG verletzt. Die Vereinbarung des Euro-Plus-Paktes stellt eine Angelegenheit der Europäischen Union im Sinne des Art. 23 Abs. 2 Satz 1 GG dar (a), die wichtige Funktionen des Deutschen Bundestages berührt und deshalb in besonderem Maße dessen umfassende und frühzeitige Unterrichtung gebietet (b). Da die Antragsgegnerin den Deutschen Bundestag über die am 4. Februar 2011 öffentlich vorgestellte Initiative für den Beschluss eines Paktes für Wettbewerbsfähigkeit nicht informiert sowie ihm das inoffizielle Dokument (non paper) der Präsidenten der Europäischen Kommission und des Europäischen Rates mit der Überschrift "Enhanced Economic Policy Coordination in the Euro Area - Main Features and Concepts" vom 25. Februar 2011 nicht übermittelt hat, ist die nach Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG gebotene umfassende und frühestmögliche Unterrichtung nicht erfolgt (c).

155

a) Die Vereinbarung des Euro-Plus-Paktes ist eine Angelegenheit der Europäischen Union im Sinne von Art. 23 Abs. 2 Satz 1 GG. Eine Gesamtschau ihrer Charakteristika ergibt, dass der Pakt substantielle Berührungspunkte mit dem in den Verträgen niedergelegten Integrationsprogramm aufweist.

156

Bereits der Umstand, dass sich der Euro-Plus-Pakt beziehungsweise die ihm vorausgegangene Initiative für den Beschluss eines Paktes für Wettbewerbsfähigkeit an die Mitgliedstaaten der Europäischen Union richtet, indiziert eine Ausrichtung auf das unionale Integrationsprogramm. Inhaltlich ist der Pakt angesichts seiner Ziele, eine qualitative Verbesserung der Wirtschaftspolitik und der öffentlichen Haushaltslage sowie eine Stärkung der Finanzstabilität zu erreichen, auf einen in den Verträgen niedergelegten Politikbereich der Europäischen Union ausgerichtet. In die Verwirklichung der Ziele des Paktes sind Organe der Europäischen Union eingeschaltet, wie bereits die vorgesehene jährliche Bewertung der von den Mitgliedstaaten des Euro-Plus-Paktes zur Erfüllung ihrer Selbstverpflichtungen unternommenen Reform- und Stabilitätsprogramme durch die Europäische Kommission, den Rat und die Euro-Gruppe zeigt.

157

Dass der Euro-Plus-Pakt überwiegend mit Selbstverpflichtungen der teilnehmenden Mitgliedstaaten operiert, stellt seine Einordnung als Angelegenheit der Europäischen Union nicht in Frage. Zum einen steht auch eine nur begrenzte rechtliche Verbindlichkeit der Einordnung als Angelegenheit der Europäischen Union angesichts der gebotenen weiten, nicht auf Rechtsetzung beschränkten Auslegung des Begriffs nicht entgegen. Zum anderen entfaltet der Pakt durchaus eine gewisse Bindungswirkung. Zwar sieht er - anders als der durch das sogenannte "Sixpack" reformierte Stabilitäts- und Wachstumspakt (vgl. oben A.I.3.d) - keine Sanktionen für seine Verletzung vor. Mit dem jährlich durchzuführenden Benchmarking unter Einbindung der Europäischen Kommission enthält der Euro-Plus-Pakt jedoch ein Durchsetzungsinstrument, auf das in jüngerer Zeit auch das nationale Verfassungsrecht zurückgreift (vgl. Art. 91d GG) und das zudem in unmittelbarem Zusammenhang mit justitiablen Verpflichtungen der Mitgliedstaaten steht (vgl. hierzu die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zum bisherigen Stabilitäts- und Wachstumspakt, EuGH, Urteil des Plenums vom 13. Juli 2004, Rs. C-27/04, Kommission gegen Rat, Slg. 2004, S. I-6649, insb. Rn. 89). Die damit verbundene Rechenschaftspflicht wird jede Bundesregierung treffen und hat bereits im Europäischen Semester und der damit verbundenen Mitteilung der Kommission vom 7. Juni 2011 über den "Abschluss des ersten Europäischen Semesters für die Koordinierung der Wirtschaftspolitik: Orientierung für die Politik der Mitgliedstaaten 2011-2012" (KOM <2011> 400 endgültig) ihren Niederschlag gefunden. Einen verbindlichen Bezug auf Europäisches Sekundärrecht enthält überdies die Verpflichtung der am Pakt teilnehmenden Mitgliedstaaten, die im Stabilitäts- und Wachstumspakt vorgesehenen Vorgaben umzusetzen.

158

Ein substantieller Berührungspunkt zum unionalen Integrationsprogramm zeigt sich zudem in der teilweisen Umsetzung des Euro-Plus-Paktes durch Normen des Sekundärrechts. So erstreckt die im Rahmen des sogenannten "Sixpack" ergangene Verordnung (EU) Nr. 1175/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. November 2011 zur Änderung der Verordnung (EG) 1466/97 des Rates über den Ausbau der haushaltspolitischen Überwachung und der Überwachung und Koordinierung der Wirtschaftspolitiken den "Prüfungsumfang" des damit ins Sekundärrecht aufgenommenen Europäischen Semesters auch auf die Ziele des Euro-Plus-Paktes.

159

b) Da der Euro-Plus-Pakt die Zuständigkeiten des Deutschen Bundestages in nicht unerheblicher Weise berührt, war eine vollständige Unterrichtung des Bundestages bereits in Bezug auf Initiativen und frühe Stadien der Verhandlungen geboten. Namentlich die Selbstverpflichtungen in Bereichen, die der Gesetzgebungszuständigkeit der Mitgliedstaaten unterfallen, wie etwa dem Steuer- und Sozialrecht, und in denen der Gesetzgeber in Zukunft einer Überwachung durch Organe der Europäischen Union unterworfen wird, betreffen die parlamentarische Verantwortung und sind geeignet, die Gestaltungsmöglichkeiten des Gesetzgebers einzuschränken. Der Bundestag hatte ein großes Interesse, vorab zu erfahren, darüber zu diskutieren und an der Entscheidung mitzuwirken, ob und gegebenenfalls in welchen Bereichen eine Koordinierung versprochen und welche Bewertungskriterien angestrebt werden sollten.

160

c) Die Antragsgegnerin hat den Deutschen Bundestag nicht umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt über den Euro-Plus-Pakt unterrichtet.

161

aa) Sie hat den Deutschen Bundestag über die am 4. Februar 2011 öffentlich vorgestellte Initiative für den Beschluss eines Paktes für Wettbewerbsfähigkeit - später Euro-Plus-Pakt - nicht vorab informiert.

162

(1) Der Euro-Plus-Pakt geht auf eine deutsch-französische Initiative zurück, welche die Regierungen beider Mitgliedstaaten zum Gegenstand der Tagung des Europäischen Rates vom 4. Februar 2011 gemacht haben und die die Bundeskanzlerin auf dieser Tagung gemeinsam mit dem französischen Staatspräsidenten der Öffentlichkeit vorgestellt hat. Über dieses Vorhaben hätte die Antragsgegnerin den Deutschen Bundestag spätestens am 2. Februar 2011 informieren müssen.

163

Zu diesem Zeitpunkt stand fest, dass den Staats- und Regierungschefs auf der unmittelbar bevorstehenden Tagung des Europäischen Rates ein Diskussionsvorschlag für eine verstärkte wirtschaftspolitische Koordinierung im Euro-Währungsgebiet zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit unterbreitet werden sollte. Dies geht nicht nur aus den Aussagen des Regierungssprechers auf der Regierungspressekonferenz vom 2. Februar 2011 hervor, wonach die Bundesregierung die wirtschaftspolitische Koordinierung als eine von mehreren jetzt zu ergreifenden Maßnahmen betrachte und beim Mittagessen der Staats- und Regierungschefs die Diskussion hierüber eröffnet werden solle. Auch der Staatsminister des Bundeskanzleramtes bestätigte nachträglich das Ziel der Bundesregierung, bei der Tagung des Europäischen Rates vom 4. Februar 2011 ein Verfahren zur Ausarbeitung eines Paktes für Wettbewerbsfähigkeit zu beschließen, und dass das Thema Wirtschafts- und Währungsunion am 2. Februar 2011 zusätzlich auf die Tagesordnung genommen worden sei (Protokoll Nr. 17/31 der 31. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 9. Februar 2011, S. 14).

164

Sollte es - wie von der Antragsgegnerin geltend gemacht - vor dem 4. Februar 2011 noch keine endgültig abgestimmte Position zum avisierten Inhalt einer verstärkten wirtschaftspolitischen Koordinierung im Euro-Währungsgebiet innerhalb der Bundesregierung gegeben haben, hätte dieser Umstand die Bundesregierung nicht von ihrer Unterrichtungspflicht entbunden. Gegenstand der gebotenen Unterrichtung war in diesem Fall (noch) nicht der Beschluss eines Paktes für Wettbewerbsfähigkeit als solcher, sondern allein die Absicht der Antragsgegnerin, einen Prozess zu dessen Ausarbeitung anzustoßen (vgl. auch § 5 Abs. 2 Satz 1 EUZBBG). Hierzu hatte der Regierungssprecher auf der Pressekonferenz vom 2. Februar 2011 eine abgestimmte Haltung der Bundesregierung angekündigt. Die Willensbildung innerhalb der Bundesregierung war folglich insoweit abgeschlossen, als sie mit ihrer Initiative an die Öffentlichkeit gehen konnte und mit einer eigenen Position in einen Abstimmungsprozess mit Dritten eintreten wollte. Die Antragsgegnerin war daher verpflichtet, den Deutschen Bundestag vor Beginn der Tagung des Europäischen Rates über die Initiative zumindest in ihren Grundzügen zu informieren (vgl. auch § 5 Abs. 5 Satz 1 und 2 EUZBBG).

165

(2) Die dem Deutschen Bundestag von der Antragsgegnerin unterbreiteten Informationen genügten nicht, um die Unterrichtungspflicht zu erfüllen.

166

Dies gilt zunächst für den "Vorbericht zum Europäischen Rat am 4. Februar 2011" vom 2. Februar 2011. Darin heißt es lediglich, dass die Bundesregierung für ein von den Staats- und Regierungschefs der Eurozone ausgehendes starkes Signal eintrete, zur Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit die wirtschaftspolitische Koordinierung im Euro-Währungsgebiet zu verbessern. Nicht erwähnt wurde hingegen, dass die Antragsgegnerin zu diesem Zweck eine Initiative für den Beschluss eines Paktes für Wettbewerbsfähigkeit vorstellen wolle und was der wesentliche Inhalt dieser Initiative sein werde.

167

Zureichende Informationen über das geplante Vorhaben enthält auch nicht die Antwort des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie vom 2. Februar 2011 auf eine konkrete Anforderung des Deutschen Bundestages. Nachdem die Initiative der Antragsgegnerin bereits am 31. Januar 2011 in verschiedenen Nachrichtenmagazinen thematisiert worden war, hatte der Deutsche Bundestag am 1. Februar 2011 um Übermittlung von Papieren und Informationen gebeten, auf deren Basis die Initiative vorgestellt werden sollte. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie teilte hierauf nur mit, dass die Zeitungsartikel auf einen noch nicht abgeschlossenen Abstimmungsprozess Bezug nähmen und "im weiteren Fortgang die nach dem EUZBBG vorgesehenen Unterrichtungen unverzüglich erfolgen können".

168

Schließlich genügte auch die am 3. Februar 2011 vom Staatsminister des Bundeskanzleramtes vorgenommene "Obleuteunterrichtung" (vgl. Protokoll Nr. 17/31 der 31. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 9. Februar 2011, S. 11) nicht, um die Unterrichtungspflicht zu erfüllen. Ungeachtet der Tatsache, dass die Obleute des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union bereits nicht die richtigen Unterrichtungsadressaten waren, hatte die Erklärung des Staatsministers des Bundeskanzleramtes lediglich zum Inhalt, "dass zu dem Thema noch keine abgestimmte Position der Bundesregierung bestehe und dementsprechend auch keine abgestimmte Position beim Europäischen Rat beschlossen werden würde" (vgl. Protokoll Nr. 17/31 der 31. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 9. Februar 2011, S. 11).

169

bb) Darüber hinaus hat die Antragsgegnerin dem Deutschen Bundestag ein inoffizielles Dokument der Präsidenten der Europäischen Kommission und des Europäischen Rates vom 25. Februar 2011 mit der Bezeichnung "Enhanced Economic Policy Coordination in the Euro Area - Main Features and Concepts" nicht übermittelt, welches wesentliche Inhalte des Paktes für Wettbewerbsfähigkeit - später Euro-Plus-Pakt - beschrieb.

170

Nach dem Vorbringen der Verfahrensbeteiligten ist davon auszugehen, dass sich die Antragsgegnerin im Besitz dieses inoffiziellen Dokuments befand. Dies legt bereits der seinerzeitige E-Mail-Verkehr nahe. Danach hat der Deutsche Bundestag auf ausdrückliche Anfrage an das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie vom 3. März 2011 sowie an das Bundeskanzleramt vom 4. März 2011, ob der Bundesregierung ein gemeinsames Papier der Präsidenten der Europäischen Kommission und des Europäischen Rates zur deutsch-französischen Initiative für einen Pakt für Wettbewerbsfähigkeit vorliege, keine - das heißt auch keine verneinende - Antwort des Bundeskanzleramtes erhalten. Zudem hat sich die Antragsgegnerin im vorliegenden Verfahren auf den Vorwurf einer Unterrichtungspflichtverletzung eingelassen, ohne die darin implizit enthaltene Behauptung, ihr habe das Papier vorgelegen, in Abrede zu stellen, was im Hinblick auf die Arbeitsweise der beteiligten europäischen Organe auch fernliegend wäre.

171

Dieses Dokument stellte die Antragsgegnerin dem Deutschen Bundestag trotz ausdrücklicher Anforderung nicht zur Verfügung (vgl. auch § 5 Abs. 3 EUZBBG). Erst am 11. März 2011 übersandte sie den offiziellen Entwurf eines Paktes für Wettbewerbsfähigkeit. Zu diesem Zeitpunkt bestand für den Deutschen Bundestag keine Möglichkeit mehr, dessen Inhalt zu diskutieren und durch eine Stellungnahme auf die Bundesregierung einzuwirken. Denn die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes einigten sich bereits am gleichen Tag, dem 11. März 2011, auf den Pakt. Damit entstanden bereits ab diesem Zeitpunkt konkrete Selbstverpflichtungen auch für die Bundesrepublik Deutschland, ohne dass der Deutsche Bundestag auf deren Inhalt hätte einwirken oder diese hätte verhindern können.

D.

172

Die Entscheidung ist einstimmig ergangen.

(1) Der Bundesminister der Finanzen hat dem Bundestage und dem Bundesrate über alle Einnahmen und Ausgaben sowie über das Vermögen und die Schulden im Laufe des nächsten Rechnungsjahres zur Entlastung der Bundesregierung Rechnung zu legen.

(2) Der Bundesrechnungshof, dessen Mitglieder richterliche Unabhängigkeit besitzen, prüft die Rechnung sowie die Wirtschaftlichkeit und Ordnungsmäßigkeit der Haushalts- und Wirtschaftsführung des Bundes. Zum Zweck der Prüfung nach Satz 1 kann der Bundesrechnungshof auch bei Stellen außerhalb der Bundesverwaltung Erhebungen vornehmen; dies gilt auch in den Fällen, in denen der Bund den Ländern zweckgebundene Finanzierungsmittel zur Erfüllung von Länderaufgaben zuweist. Er hat außer der Bundesregierung unmittelbar dem Bundestage und dem Bundesrate jährlich zu berichten. Im übrigen werden die Befugnisse des Bundesrechnungshofes durch Bundesgesetz geregelt.

(1) Zur Verwirklichung eines vereinten Europas wirkt die Bundesrepublik Deutschland bei der Entwicklung der Europäischen Union mit, die demokratischen, rechtsstaatlichen, sozialen und föderativen Grundsätzen und dem Grundsatz der Subsidiarität verpflichtet ist und einen diesem Grundgesetz im wesentlichen vergleichbaren Grundrechtsschutz gewährleistet. Der Bund kann hierzu durch Gesetz mit Zustimmung des Bundesrates Hoheitsrechte übertragen. Für die Begründung der Europäischen Union sowie für Änderungen ihrer vertraglichen Grundlagen und vergleichbare Regelungen, durch die dieses Grundgesetz seinem Inhalt nach geändert oder ergänzt wird oder solche Änderungen oder Ergänzungen ermöglicht werden, gilt Artikel 79 Abs. 2 und 3.

(1a) Der Bundestag und der Bundesrat haben das Recht, wegen Verstoßes eines Gesetzgebungsakts der Europäischen Union gegen das Subsidiaritätsprinzip vor dem Gerichtshof der Europäischen Union Klage zu erheben. Der Bundestag ist hierzu auf Antrag eines Viertels seiner Mitglieder verpflichtet. Durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, können für die Wahrnehmung der Rechte, die dem Bundestag und dem Bundesrat in den vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union eingeräumt sind, Ausnahmen von Artikel 42 Abs. 2 Satz 1 und Artikel 52 Abs. 3 Satz 1 zugelassen werden.

(2) In Angelegenheiten der Europäischen Union wirken der Bundestag und durch den Bundesrat die Länder mit. Die Bundesregierung hat den Bundestag und den Bundesrat umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu unterrichten.

(3) Die Bundesregierung gibt dem Bundestag Gelegenheit zur Stellungnahme vor ihrer Mitwirkung an Rechtsetzungsakten der Europäischen Union. Die Bundesregierung berücksichtigt die Stellungnahmen des Bundestages bei den Verhandlungen. Das Nähere regelt ein Gesetz.

(4) Der Bundesrat ist an der Willensbildung des Bundes zu beteiligen, soweit er an einer entsprechenden innerstaatlichen Maßnahme mitzuwirken hätte oder soweit die Länder innerstaatlich zuständig wären.

(5) Soweit in einem Bereich ausschließlicher Zuständigkeiten des Bundes Interessen der Länder berührt sind oder soweit im übrigen der Bund das Recht zur Gesetzgebung hat, berücksichtigt die Bundesregierung die Stellungnahme des Bundesrates. Wenn im Schwerpunkt Gesetzgebungsbefugnisse der Länder, die Einrichtung ihrer Behörden oder ihre Verwaltungsverfahren betroffen sind, ist bei der Willensbildung des Bundes insoweit die Auffassung des Bundesrates maßgeblich zu berücksichtigen; dabei ist die gesamtstaatliche Verantwortung des Bundes zu wahren. In Angelegenheiten, die zu Ausgabenerhöhungen oder Einnahmeminderungen für den Bund führen können, ist die Zustimmung der Bundesregierung erforderlich.

(6) Wenn im Schwerpunkt ausschließliche Gesetzgebungsbefugnisse der Länder auf den Gebieten der schulischen Bildung, der Kultur oder des Rundfunks betroffen sind, wird die Wahrnehmung der Rechte, die der Bundesrepublik Deutschland als Mitgliedstaat der Europäischen Union zustehen, vom Bund auf einen vom Bundesrat benannten Vertreter der Länder übertragen. Die Wahrnehmung der Rechte erfolgt unter Beteiligung und in Abstimmung mit der Bundesregierung; dabei ist die gesamtstaatliche Verantwortung des Bundes zu wahren.

(7) Das Nähere zu den Absätzen 4 bis 6 regelt ein Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf.

Der Bund errichtet eine Währungs- und Notenbank als Bundesbank. Ihre Aufgaben und Befugnisse können im Rahmen der Europäischen Union der Europäischen Zentralbank übertragen werden, die unabhängig ist und dem vorrangigen Ziel der Sicherung der Preisstabilität verpflichtet.

(1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt.

(2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.

(3) Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen. Wegen der Höhe der Entschädigung steht im Streitfalle der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offen.

(1) Das Grundgesetz kann nur durch ein Gesetz geändert werden, das den Wortlaut des Grundgesetzes ausdrücklich ändert oder ergänzt. Bei völkerrechtlichen Verträgen, die eine Friedensregelung, die Vorbereitung einer Friedensregelung oder den Abbau einer besatzungsrechtlichen Ordnung zum Gegenstand haben oder der Verteidigung der Bundesrepublik zu dienen bestimmt sind, genügt zur Klarstellung, daß die Bestimmungen des Grundgesetzes dem Abschluß und dem Inkraftsetzen der Verträge nicht entgegenstehen, eine Ergänzung des Wortlautes des Grundgesetzes, die sich auf diese Klarstellung beschränkt.

(2) Ein solches Gesetz bedarf der Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages und zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrates.

(3) Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

(1) Bund und Länder sind in ihrer Haushaltswirtschaft selbständig und voneinander unabhängig.

(2) Bund und Länder erfüllen gemeinsam die Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland aus Rechtsakten der Europäischen Gemeinschaft auf Grund des Artikels 104 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft zur Einhaltung der Haushaltsdisziplin und tragen in diesem Rahmen den Erfordernissen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts Rechnung.

(3) Die Haushalte von Bund und Ländern sind grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen. Bund und Länder können Regelungen zur im Auf- und Abschwung symmetrischen Berücksichtigung der Auswirkungen einer von der Normallage abweichenden konjunkturellen Entwicklung sowie eine Ausnahmeregelung für Naturkatastrophen oder außergewöhnliche Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen, vorsehen. Für die Ausnahmeregelung ist eine entsprechende Tilgungsregelung vorzusehen. Die nähere Ausgestaltung regelt für den Haushalt des Bundes Artikel 115 mit der Maßgabe, dass Satz 1 entsprochen ist, wenn die Einnahmen aus Krediten 0,35 vom Hundert im Verhältnis zum nominalen Bruttoinlandsprodukt nicht überschreiten. Die nähere Ausgestaltung für die Haushalte der Länder regeln diese im Rahmen ihrer verfassungsrechtlichen Kompetenzen mit der Maßgabe, dass Satz 1 nur dann entsprochen ist, wenn keine Einnahmen aus Krediten zugelassen werden.

(4) Durch Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, können für Bund und Länder gemeinsam geltende Grundsätze für das Haushaltsrecht, für eine konjunkturgerechte Haushaltswirtschaft und für eine mehrjährige Finanzplanung aufgestellt werden.

(5) Sanktionsmaßnahmen der Europäischen Gemeinschaft im Zusammenhang mit den Bestimmungen in Artikel 104 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft zur Einhaltung der Haushaltsdisziplin tragen Bund und Länder im Verhältnis 65 zu 35. Die Ländergesamtheit trägt solidarisch 35 vom Hundert der auf die Länder entfallenden Lasten entsprechend ihrer Einwohnerzahl; 65 vom Hundert der auf die Länder entfallenden Lasten tragen die Länder entsprechend ihrem Verursachungsbeitrag. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf.

(1) Zur Vermeidung von Haushaltsnotlagen regelt ein Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf,

1.
die fortlaufende Überwachung der Haushaltswirtschaft von Bund und Ländern durch ein gemeinsames Gremium (Stabilitätsrat),
2.
die Voraussetzungen und das Verfahren zur Feststellung einer drohenden Haushaltsnotlage,
3.
die Grundsätze zur Aufstellung und Durchführung von Sanierungsprogrammen zur Vermeidung von Haushaltsnotlagen.

(2) Dem Stabilitätsrat obliegt ab dem Jahr 2020 die Überwachung der Einhaltung der Vorgaben des Artikels 109 Absatz 3 durch Bund und Länder. Die Überwachung orientiert sich an den Vorgaben und Verfahren aus Rechtsakten auf Grund des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union zur Einhaltung der Haushaltsdisziplin.

(3) Die Beschlüsse des Stabilitätsrats und die zugrunde liegenden Beratungsunterlagen sind zu veröffentlichen.

(1) Die Aufnahme von Krediten sowie die Übernahme von Bürgschaften, Garantien oder sonstigen Gewährleistungen, die zu Ausgaben in künftigen Rechnungsjahren führen können, bedürfen einer der Höhe nach bestimmten oder bestimmbaren Ermächtigung durch Bundesgesetz.

(2) Einnahmen und Ausgaben sind grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen. Diesem Grundsatz ist entsprochen, wenn die Einnahmen aus Krediten 0,35 vom Hundert im Verhältnis zum nominalen Bruttoinlandsprodukt nicht überschreiten. Zusätzlich sind bei einer von der Normallage abweichenden konjunkturellen Entwicklung die Auswirkungen auf den Haushalt im Auf- und Abschwung symmetrisch zu berücksichtigen. Abweichungen der tatsächlichen Kreditaufnahme von der nach den Sätzen 1 bis 3 zulässigen Kreditobergrenze werden auf einem Kontrollkonto erfasst; Belastungen, die den Schwellenwert von 1,5 vom Hundert im Verhältnis zum nominalen Bruttoinlandsprodukt überschreiten, sind konjunkturgerecht zurückzuführen. Näheres, insbesondere die Bereinigung der Einnahmen und Ausgaben um finanzielle Transaktionen und das Verfahren zur Berechnung der Obergrenze der jährlichen Nettokreditaufnahme unter Berücksichtigung der konjunkturellen Entwicklung auf der Grundlage eines Konjunkturbereinigungsverfahrens sowie die Kontrolle und den Ausgleich von Abweichungen der tatsächlichen Kreditaufnahme von der Regelgrenze, regelt ein Bundesgesetz. Im Falle von Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen, können diese Kreditobergrenzen auf Grund eines Beschlusses der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages überschritten werden. Der Beschluss ist mit einem Tilgungsplan zu verbinden. Die Rückführung der nach Satz 6 aufgenommenen Kredite hat binnen eines angemessenen Zeitraumes zu erfolgen.

(1) Artikel 109 und 115 in der bis zum 31. Juli 2009 geltenden Fassung sind letztmals auf das Haushaltsjahr 2010 anzuwenden. Artikel 109 und 115 in der ab dem 1. August 2009 geltenden Fassung sind erstmals für das Haushaltsjahr 2011 anzuwenden; am 31. Dezember 2010 bestehende Kreditermächtigungen für bereits eingerichtete Sondervermögen bleiben unberührt. Die Länder dürfen im Zeitraum vom 1. Januar 2011 bis zum 31. Dezember 2019 nach Maßgabe der geltenden landesrechtlichen Regelungen von den Vorgaben des Artikels 109 Absatz 3 abweichen. Die Haushalte der Länder sind so aufzustellen, dass im Haushaltsjahr 2020 die Vorgabe aus Artikel 109 Absatz 3 Satz 5 erfüllt wird. Der Bund kann im Zeitraum vom 1. Januar 2011 bis zum 31. Dezember 2015 von der Vorgabe des Artikels 115 Absatz 2 Satz 2 abweichen. Mit dem Abbau des bestehenden Defizits soll im Haushaltsjahr 2011 begonnen werden. Die jährlichen Haushalte sind so aufzustellen, dass im Haushaltsjahr 2016 die Vorgabe aus Artikel 115 Absatz 2 Satz 2 erfüllt wird; das Nähere regelt ein Bundesgesetz.

(2) Als Hilfe zur Einhaltung der Vorgaben des Artikels 109 Absatz 3 ab dem 1. Januar 2020 können den Ländern Berlin, Bremen, Saarland, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein für den Zeitraum 2011 bis 2019 Konsolidierungshilfen aus dem Haushalt des Bundes in Höhe von insgesamt 800 Millionen Euro jährlich gewährt werden. Davon entfallen auf Bremen 300 Millionen Euro, auf das Saarland 260 Millionen Euro und auf Berlin, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein jeweils 80 Millionen Euro. Die Hilfen werden auf der Grundlage einer Verwaltungsvereinbarung nach Maßgabe eines Bundesgesetzes mit Zustimmung des Bundesrates geleistet. Die Gewährung der Hilfen setzt einen vollständigen Abbau der Finanzierungsdefizite bis zum Jahresende 2020 voraus. Das Nähere, insbesondere die jährlichen Abbauschritte der Finanzierungsdefizite, die Überwachung des Abbaus der Finanzierungsdefizite durch den Stabilitätsrat sowie die Konsequenzen im Falle der Nichteinhaltung der Abbauschritte, wird durch Bundesgesetz mit Zustimmung des Bundesrates und durch Verwaltungsvereinbarung geregelt. Die gleichzeitige Gewährung der Konsolidierungshilfen und Sanierungshilfen auf Grund einer extremen Haushaltsnotlage ist ausgeschlossen.

(3) Die sich aus der Gewährung der Konsolidierungshilfen ergebende Finanzierungslast wird hälftig von Bund und Ländern, von letzteren aus ihrem Umsatzsteueranteil, getragen. Das Nähere wird durch Bundesgesetz mit Zustimmung des Bundesrates geregelt.

(4) Als Hilfe zur künftig eigenständigen Einhaltung der Vorgaben des Artikels 109 Absatz 3 können den Ländern Bremen und Saarland ab dem 1. Januar 2020 Sanierungshilfen in Höhe von jährlich insgesamt 800 Millionen Euro aus dem Haushalt des Bundes gewährt werden. Die Länder ergreifen hierzu Maßnahmen zum Abbau der übermäßigen Verschuldung sowie zur Stärkung der Wirtschafts- und Finanzkraft. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf. Die gleichzeitige Gewährung der Sanierungshilfen und Sanierungshilfen auf Grund einer extremen Haushaltsnotlage ist ausgeschlossen.

(1) Das Grundgesetz kann nur durch ein Gesetz geändert werden, das den Wortlaut des Grundgesetzes ausdrücklich ändert oder ergänzt. Bei völkerrechtlichen Verträgen, die eine Friedensregelung, die Vorbereitung einer Friedensregelung oder den Abbau einer besatzungsrechtlichen Ordnung zum Gegenstand haben oder der Verteidigung der Bundesrepublik zu dienen bestimmt sind, genügt zur Klarstellung, daß die Bestimmungen des Grundgesetzes dem Abschluß und dem Inkraftsetzen der Verträge nicht entgegenstehen, eine Ergänzung des Wortlautes des Grundgesetzes, die sich auf diese Klarstellung beschränkt.

(2) Ein solches Gesetz bedarf der Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages und zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrates.

(3) Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig.

(1) Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.

(2) Wahlberechtigt ist, wer das achtzehnte Lebensjahr vollendet hat; wählbar ist, wer das Alter erreicht hat, mit dem die Volljährigkeit eintritt.

(3) Das Nähere bestimmt ein Bundesgesetz.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

Tenor

1. Die Antragsgegnerin hat den Deutschen Bundestag in seinem Unterrichtungsrecht aus Artikel 23 Absatz 2 Satz 2 des Grundgesetzes verletzt, indem sie es unterlassen hat, ihm einen ihr am 21. Februar 2011 vorliegenden Text der Europäischen Kommission über die Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus sowie den Entwurf eines Vertrages über den Europäischen Stabilitätsmechanismus vom 6. April 2011 zuzuleiten.

2. Die Antragsgegnerin hat den Deutschen Bundestag ferner in seinem Unterrichtungsrecht aus Artikel 23 Absatz 2 Satz 2 des Grundgesetzes verletzt, indem sie es unterlassen hat, ihn über die am 4. Februar 2011 öffentlich vorgestellte Initiative für den Beschluss eines Paktes für Wettbewerbsfähigkeit vorab zu informieren sowie ihm das inoffizielle Dokument der Präsidenten der Europäischen Kommission und des Europäischen Rates vom 25. Februar 2011 mit der Bezeichnung "Enhanced Economic Policy Coordination in the Euro Area - Main Features and Concepts" zuzuleiten.

Gründe

A.

1

Das Organstreitverfahren betrifft die Verpflichtung der Bundesregierung aus Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG zur Unterrichtung des Deutschen Bundestages in Angelegenheiten der Europäischen Union im Zusammenhang mit dem "Europäischen Stabilitätsmechanismus" (ESM) und dem "Euro-Plus-Pakt".

I.

2

1. Als Reaktion auf die Staatsschuldenkrise im Gebiet der Europäischen Währungsunion gewährten die Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes zunächst Griechenland koordinierte, bilaterale Finanzhilfen und schufen anschließend den sogenannten "Rettungsschirm", dessen Kern eine privatrechtlich organisierte Zweckgesellschaft, die Europäische Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF; vgl. hierzu Urteil des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 7. September 2011 - 2 BvR 987/10, 2 BvR 1485/10, 2 BvR 1099/10 -, NJW 2011, S. 2946 ff.) bildet. Ihre Maßnahmen sind zeitlich befristet und sollen nur der vorübergehenden Unterstützung betroffener Mitgliedstaaten dienen.

3

2. Seit Ende 2010 streben die Mitgliedstaaten der Europäischen Union einen dauerhaften Krisenbewältigungsmechanismus an. Dazu soll ein permanenter Europäischer Stabilisierungs- beziehungsweise Stabilitätsmechanismus etabliert werden.

4

Erste Ideen für einen solchen Krisenbewältigungsmechanismus wurden in der vom Europäischen Rat im März 2010 eingesetzten Arbeitsgruppe zur Reform des Regelwerks der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion unter Vorsitz des Präsidenten des Europäischen Rates entwickelt. Auf der Tagung des Europäischen Rates vom 28./29. Oktober 2010 einigten sich die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten auf die Errichtung eines "ständigen Krisenmechanismus zur Wahrung der Finanzstabilität des Euro-Währungsgebiets insgesamt" (EUCO 25/1/10 REV 1, Schlussfolgerungen, S. 2). Am 28. November 2010 vereinbarten die Finanzminister der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes die allgemeinen Merkmale des künftigen Krisenmechanismus. Zur Vorbereitung des Europäischen Rates vom 16./17. Dezember 2010 legte dessen Präsident am 10. Dezember 2010 einen Vorschlag für eine Änderung der Verträge vor. Der Europäische Rat einigte sich auf seiner Tagung vom 16./17. Dezember 2010 auf eine erste Fassung der avisierten Vertragsänderung, die Art. 136 AEUV einen neuen Absatz 3 hinzufügen sollte, billigte die von den Finanzministern der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes am 28. November 2010 vereinbarten allgemeinen Merkmale des Europäischen Stabilitätsmechanismus und beauftragte diese sowie die Europäische Kommission mit der weiteren Konkretisierung der Bestimmungen (EUCO 30/1/10 REV 1, S. 1 f. mit Anlage 1). Der Europäische Stabilitätsmechanismus sollte im Primärrecht verankert werden und die zeitlich befristete Europäische Finanzstabilisierungsfazilität sowie den ebenfalls zeitlich befristeten Europäischen Finanzstabilisierungsmechanismus (EFSM) ablösen. Am 20. Dezember 2010 übersandte das Bundeskanzleramt dem Deutschen Bundestag einen schriftlichen Ergebnisbericht zu der Tagung des Europäischen Rates.

5

a) In ihrer Ausgabe vom 23. Dezember 2010 berichtete die Süddeutsche Zeitung über ein ihr vorliegendes inoffizielles Dokument (non paper) der Bundesregierung zur Konzeption des Europäischen Stabilitätsmechanismus, das zur Vorbereitung des nächsten Treffens der Finanzminister der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes Mitte Januar dienen solle. Unter anderem wurde berichtet, dass der geplante Europäische Stabilitätsmechanismus als eigenständige Institution neben die Europäische Zentralbank treten und den Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes politisch weitgehend unabhängig "Hilfen in der Not" anbieten solle. Er solle grundsätzlich "unbegrenzt refinanzierungsfähig" sein, wofür die Mitgliedstaaten anteilige Bürgschaften bereitstellen müssten. Hilfen sollten nur unter strengen Bedingungen und gegen werthaltige Sicherheiten wie Goldreserven oder staatliche Unternehmensanteile gewährt werden (Süddeutsche Zeitung, 23. Dezember 2010, "Neuer Vorstoß zur Rettung des Euro" und "Doppelter Schutz für den Euro" ).

6

Am 17. Januar 2011 forderte der Deutsche Bundestag mit Blick auf die für den 4. Februar 2011 geplante Tagung des Europäischen Rates beim Bundesministerium der Finanzen Dokumente bezüglich der Konkretisierung der Merkmale des Europäischen Stabilitätsmechanismus an. Das Bundesministerium der Finanzen kündigte daraufhin an, entsprechende Papiere zu übermitteln, sobald sie vorlägen. Außerdem teilte es mit, bei dem in der Süddeutschen Zeitung vom 23. Dezember 2010 angesprochenen inoffiziellen Dokument handele es sich nicht um ein abgestimmtes Positionspapier der Bundesregierung für die Organe der Europäischen Union, sondern um eine Zusammenstellung von internen Papieren der Arbeitsebene. Ein Zuleitungserfordernis bestehe daher nicht.

7

Der Deutsche Bundestag forderte am 19. Januar 2011 beim Bundesministerium der Finanzen unter Hinweis auf einen Bericht im Handelsblatt (Handelsblatt, 19. Januar 2011 , "EU-Kommission will klammen Ländern großzügiger helfen") ein siebenseitiges Papier der Europäischen Kommission mit Überlegungen zum Europäischen Stabilitätsmechanismus an, das dem ECOFIN-Rat vom 18. Januar 2011 vorgelegen habe. Dies lehnte ein Referatsleiter im Bundesministerium der Finanzen mit E-Mail vom gleichen Tage mit der Begründung ab, dem ECOFIN-Rat sei kein Papier zum Europäischen Stabilitätsmechanismus vorgelegt worden; Presseberichte, wonach die Europäische Kommission ein siebenseitiges Papier präsentiert habe, könnten nicht bestätigt werden. Bei der Entwicklung des Europäischen Stabilitätsmechanismus handele es sich zudem "um die Vorbereitung eines zwischenstaatlichen Instruments der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets und nicht um ein Vorhaben der Europäischen Union". Die Bundesregierung werde "über die Arbeiten an dem permanenten ESM" wie bisher regelmäßig unterrichten.

8

Ebenfalls am 19. Januar 2011 berichtete ein Beamter des Bundesministeriums der Finanzen sowohl dem Finanzausschuss des Deutschen Bundestages (Protokoll Nr. 17/39 der 39. Sitzung des Finanzausschusses vom 19. Januar 2011, S. 23 ff.) als auch dem Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union mündlich über die Ergebnisse der Sitzungen der Euro-Gruppe vom 17. Januar 2011 sowie des ECOFIN-Rates vom 18. Januar 2011. Es seien insbesondere Fragen zur Ausgestaltung des Europäischen Stabilitätsmechanismus diskutiert, Beschlüsse aber nicht gefasst worden. Die Bundesregierung handele dabei auf der Grundlage des Mandats des Europäischen Rates vom Dezember 2010. Der Deutsche Bundestag werde beteiligt, sobald eine Position der Bundesregierung vorliege. Nicht abgestimmte Papiere seien nicht vorlagepflichtig. Zwar gebe es "Papiere und Überlegungen der EU-Kommission" zur Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität und zum Europäischen Stabilitätsmechanismus; diese entsprächen aber den Vorgaben des Europäischen Rates (Protokoll Nr. 17/29 der 29. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 19. Januar 2011, S. 15 ff.). Der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen berichtete am selben Tag dem Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages über die Tagungen der Euro-Gruppe und des ECOFIN-Rates und betonte, dass die Bundesregierung ergebnisoffen in die Verhandlungen gegangen sei. Die Vorbereitung des Europäischen Rates im Februar/März 2011 und die Verhandlungen über die Ausgestaltung des sogenannten "comprehensive package" seien noch in vollem Gange (Protokoll Nr. 17/43 der 43. Sitzung des Haushaltsausschusses vom 19. Januar 2011, S. 42 ff.).

9

Am 24. Januar 2011 fand ein weiteres Treffen der Euro-Gruppe statt. Darüber berichtete der Bundesminister der Finanzen dem Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union am 26. Januar 2011. Er führte unter anderem aus, dass die Bundesregierung im Hinblick auf den Europäischen Stabilitätsmechanismus und die anderen in der Diskussion befindlichen Maßnahmen zur Euro-Rettung von einer abschließenden Gesamtentscheidung im März 2011 ausgehe. Mehrere Abgeordnete wiesen darauf hin, dass die Europäische Kommission der Euro-Gruppe angeblich ein inoffizielles Dokument (non paper) mit Inhalten und Plänen zum "Gesamtpaket" (comprehensive package) übermittelt habe. Für die Diskussion im Deutschen Bundestag sei eine Weiterleitung dieses Papiers hilfreich. Der Bundesminister der Finanzen trat dem Ersuchen mit der Begründung entgegen, im Hinblick auf Sitzungen der Finanzminister der Eurogruppe sei eine mündliche Unterrichtung ausreichend. Eine offene Kommunikation mit dem Deutschen Bundestag sei von großer Bedeutung, finde ihre Grenzen aber in der Handlungsfähigkeit der Bundesregierung (Protokoll Nr. 17/30 der 30. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 26. Januar 2011, S. 12 f.).

10

Am 2. Februar 2011 setzte der Präsident des Europäischen Rates das Thema "Wirtschafts- und Währungsunion" kurzfristig auf die Tagesordnung für die Tagung des Europäischen Rates am 4. Februar 2011 (vgl. Protokoll Nr. 17/31 der 31. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 9. Februar 2011, S. 14). Der Deutsche Bundestag erhielt am selben Tag einen schriftlichen Vorbericht des Bundeskanzleramtes. Darin wurde ausgeführt, die Beratungen der Staats- und Regierungschefs hätten "vor allem eine Verständigung über die Stärkung der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität, eine Entscheidung über die Vertragsänderung sowie eine Einigung über die Ausgestaltung des künftigen Europäischen Stabilisierungsmechanismus" zum Gegenstand. Entscheidungen in der Sache würden nicht erwartet. Am 3. Februar 2011 unterrichtete der Staatsminister des Bundeskanzleramtes die Obleute des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union mündlich über die bevorstehende Tagung des Europäischen Rates (vgl. Protokoll Nr. 17/31 der 31. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 9. Februar 2011, S. 11). Der Europäische Rat kündigte am 4. Februar 2011 unter anderem die "Festlegung der praktischen Merkmale des Europäischen Stabilitätsmechanismus unter dem Vorsitz des Präsidenten der Euro-Gruppe entsprechend dem im Dezember erteilten Auftrag" an (EUCO 2/1/11 REV 1, Schlussfolgerungen, Anlage I, S. 12). Der Deutsche Bundestag erhielt am 7. Februar 2011 einen schriftlichen Nachbericht zu dieser Tagung.

11

Am 9. Februar 2011 informierte ein Beamter des Bundesministeriums der Finanzen den Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union über die aktuelle Entwicklung des Euro-Währungsgebietes und teilte mit, im Mittelpunkt der Sitzungen der Euro-Gruppe und des ECOFIN-Rates am 14. und 15. Februar 2011 würden die bestehenden Reformprogramme, etwaige Änderungen der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität und die Ausgestaltung des Europäischen Stabilitätsmechanismus stehen. Auf Nachfrage führte er aus, hinsichtlich der Ausgestaltung eines "Instrumentenkastens" für den Europäischen Stabilitätsmechanismus gebe es noch keine abgeschlossene Position der Bundesregierung und keine Beschlüsse auf europäischer Ebene (Protokoll Nr. 17/31 der 31. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 9. Februar 2011, S. 15 f.). Ebenfalls am 9. Februar 2011 erklärte der Parlamentarische Staatssekretär des Bundesministeriums der Finanzen gegenüber dem Haushaltsausschuss auf Nachfrage, über das auf europäischer Ebene beratene "Gesamtpaket" werde das Parlament unterrichtet, sobald man zu einer Einigung gekommen sei (Protokoll Nr. 17/45 der 45. Sitzung des Haushaltsausschusses vom 9. Februar 2011, S. 59).

12

Am 17. Februar 2011 forderte der Deutsche Bundestag die Bundesregierung auf, ihm die vorbereitenden Papiere der Europäischen Kommission zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus zur Verfügung zu stellen. Dabei verwies er auf einen Artikel der Wochenzeitschrift "Der Spiegel", in dem auf ein solches Papier Bezug genommen worden war ("Jagd auf den Yeti", Heft 7/2011 vom 14. Februar 2011). Das Verbindungsbüro des Deutschen Bundestages in Brüssel teilte in einem internen Bericht vom 21. Februar 2011 ebenfalls mit, im Rat der Europäischen Union fänden Beratungen über die Ausgestaltung des Europäischen Stabilitätsmechanismus auf der Grundlage eines Textes der Europäischen Kommission statt. Das Bundesministerium der Finanzen kam der Aufforderung des Deutschen Bundestages nicht nach. In seinem Antwortschreiben vom 22. Februar 2011 wies es darauf hin, die zuständigen Ausschüsse des Deutschen Bundestages seien über Sitzungen der Euro-Gruppe nur mündlich zu unterrichten.

13

In der 32. Sitzung des Bundestagsausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 23. Februar 2011 informierte ein Beamter des Auswärtigen Amtes über die geplante Vertragsänderung im Zusammenhang mit der Errichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus. Auf welcher Rechtsgrundlage dessen konkrete Ausgestaltung erfolgen werde, stehe noch nicht fest. Bei dem Treffen der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes am 11. März 2011 würden die Themen Europäische Finanzstabilisierungsfazilität und Europäischer Stabilitätsmechanismus wahrscheinlich ebenfalls diskutiert. Es werde dabei aber wohl nur um die Grundlinien gehen; die endgültigen Entscheidungen seien erst beim Europäischen Rat Ende März 2011 zu erwarten (Protokoll Nr. 17/32 der 32. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 23. Februar 2011, S. 10 ff.). Der Ausschussvorsitzende und mehrere Abgeordnete rügten die Unterrichtung durch die Bundesregierung als ungenügend und verlangten übereinstimmend, frühzeitig und detailliert unterrichtet zu werden. Mit Blick auf die weitreichenden Auswirkungen auf die nationalen Haushalte sei der Deutsche Bundestag "von Beginn an in die Schaffung des ESM einzubeziehen" (Protokoll Nr. 17/32 der 32. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 23. Februar 2011, S. 12 f.).

14

Am 10. März 2011 berichtete die Bundeskanzlerin dem Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union über die für den Folgetag geplante informelle Tagung der Staats- und Regierungschefs des Euro-Währungsgebietes. Themen der Tagung seien unter anderem die Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus und der weitere Umgang mit der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität. Die Bundeskanzlerin erklärte, sie könne noch nicht sagen, ob das Treffen lediglich den Europäischen Rat am 24./25. März 2011 vorbereiten werde oder ob Beschlüsse gefasst würden. Im Übrigen würden informelle Treffen der Euro-Gruppe auch nicht von der gesetzlichen Unterrichtungspflicht der Bundesregierung gegenüber dem Deutschen Bundestag erfasst (Protokoll Nr. 17/33 der 33. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 10. März 2011, S. 10 ff.). Auf die Rüge eines Abgeordneten, das Parlament habe auf der Grundlage der Unterrichtungspraxis der Bundesregierung keine ausreichende Möglichkeit, die Entscheidungen zum Themenkreis der Eurostabilisierung nachzuvollziehen, erklärte die Bundeskanzlerin, die gegenwärtige Situation sei aufgrund täglicher Änderungen der Umstände und Tatsachen einzigartig, so dass die Bundesregierung dem Parlament nur Informationen mit einer "endlichen Halbwertszeit" geben und für den Europäischen Rat am 24./25. März 2011 lediglich Ergebnisoptionen benennen könne. Die Bundesregierung unterrichte den Deutschen Bundestag über die Sitzungen der Euro-Gruppe. Jedoch müssten bestimmte interne Beratungen, die von besonderer Marktrelevanz seien, differenziert behandelt werden (Protokoll Nr. 17/33 der 33. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 10. März 2011, S. 15 f.).

15

Am 16. März 2011 erklärte der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen im Finanzausschuss des Deutschen Bundestages, dass nach gegenwärtigem Verhandlungsstand der zukünftige Europäische Stabilitätsmechanismus auf völkerrechtlicher Grundlage errichtet werde und dieser Vertrag vom Deutschen Bundestag gemäß den Bestimmungen des Grundgesetzes zu ratifizieren sei (Protokoll Nr. 17/45 der 45. Sitzung des Finanzausschusses vom 16. März 2011, S. 27). Am gleichen Tag informierte der Bundesminister der Finanzen den Haushaltsausschuss über die voraussichtliche Höhe des effektiven Kreditvolumens des Europäischen Stabilitätsmechanismus. Man werde dieses jedoch erst im Zusammenhang mit der Entscheidung über die Form des Europäischen Stabilitätsmechanismus endgültig festlegen (Protokoll Nr. 17/49 der 49. Sitzung des Haushaltsausschusses vom 16. März 2011, S. 20 f.). Ebenfalls am 16. März 2011 informierte ein Beamter des Bundesministeriums der Finanzen den Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union über die Diskussionen der Euro-Gruppe und des ECOFIN-Rates zur Höhe des Garantievolumens von Europäischer Finanzstabilisierungsfazilität und Europäischem Stabilitätsmechanismus. Die Finanzminister hätten insbesondere verabredet, die Entscheidungen zur Ertüchtigung beider Institutionen nicht "kleckerweise" den nationalen Parlamenten vorzulegen, sondern in einem Paket (Protokoll Nr. 17/34 der 34. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 16. März 2011, S. 5 ff.).

16

Am 17. März 2011 nahm der Deutsche Bundestag den Antrag der Fraktionen von CDU/CSU und FDP zur Herstellung des Einvernehmens von Deutschem Bundestag und Bundesregierung zur Ergänzung von Art. 136 AEUV (BTDrucks 17/4880) an (Plenarprotokoll Nr. 17/96 der 96. Sitzung des Deutschen Bundestages vom 17. März 2011, S. 11015 C).

17

Auf ihrer Sitzung am 21. März 2011 einigte sich die Euro-Gruppe auf die Grundsätze des Europäischen Stabilitätsmechanismus. Im Bericht des Verbindungsbüros des Deutschen Bundestages in Brüssel vom gleichen Tag über den Stand der Diskussion im Nachgang zur Sondertagung des Europäischen Rates vom 11. März 2011 sowie zur Tagung des ECOFIN-Rates vom 14./15. März 2011 wurde ausgeführt, die Mitgliedstaaten hätten sich bereits auf einige wichtige Aspekte des Europäischen Stabilitätsmechanismus geeinigt. Zahlreiche Fragen - wie die Konditionalität der Gewährung von Finanzhilfen, die institutionelle Form und Struktur der Organisation, die Einbeziehung des Internationalen Währungsfonds oder die Beteiligung der Nicht-Euroländer - würden aber derzeit noch diskutiert und nach Ansicht von Beobachtern erst am 24./25. März 2011 von den Staats- und Regierungschefs entschieden (Bericht aus Brüssel 06/2011 vom 21. März 2011, S. 3 f.).

18

Am 23. März 2011 erstattete das Bundeskanzleramt dem Deutschen Bundestag einen schriftlichen Vorbericht zur Tagung des Europäischen Rates am 24./25. März 2011. Darin kündigte es mehrere Beschlüsse im "Gesamtpaket" zur dauerhaften Stabilisierung des Euro-Währungsgebietes an, darunter die "Finalisierung der Arbeiten zur Ausgestaltung des künftigen Stabilitätsmechanismus (ESM)". Am gleichen Tag informierte ein Beamter des Bundesministeriums der Finanzen den Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union über die aktuellen Entwicklungen im Euro-Währungsgebiet und übergab ein Papier zu den Grundsätzen des Europäischen Stabilitätsmechanismus in englischer Sprache ("term sheet") als Tischvorlage. Dass keine deutsche Übersetzung vorgelegt werde, sei zum einen der Kurzfristigkeit geschuldet, zum anderen aber auch dem besseren Verständnis, da der englische Text "Vorteile gegenüber einer deutschen Übersetzung" biete (Protokoll Nr. 17/35 der 35. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 23. März 2011, S. 9). Auf Nachfrage erklärte der Beamte, die Bundesregierung werte die Unterrichtung des Ausschusses als "mündliche Unterrichtung" entsprechend § 5 Abs. 4 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union (im Folgenden: EUZBBG) vom 12. März 1993 (BGBl I S. 311), zuletzt geändert durch Gesetz vom 22. September 2009 (BGBl I S. 3026). Die Vorlage des "term sheet" sei nicht auf der Grundlage dieses Gesetzes erfolgt und runde die mündliche Unterrichtung ab (Protokoll Nr. 17/35 der 35. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 23. März 2011, S. 13, 16).

19

Ebenfalls am 23. März 2011 forderte der Abgeordnete Manuel Sarrazin in einem Schreiben an den Bundesminister der Finanzen die Überlassung von Dokumenten über die Ausgestaltung des Europäischen Stabilitätsmechanismus. Aus einem Brief des Präsidenten der Euro-Gruppe an die Mitglieder des Europäischen Parlaments vom 22. März 2011 gehe hervor, dass das Europäische Parlament im Rahmen des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens an einer Verordnung im Zusammenhang mit dem Europäischen Stabilitätsmechanismus beteiligt werden solle. Damit würden die vorbereitenden Dokumente der Europäischen Kommission, deren Zuleitung die Bundesregierung bislang verweigere, von der Weiterleitungspflicht nach Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG erfasst. Eine mündliche Unterrichtung hierüber reiche nicht aus.

20

Am 24. März 2011 gab die Bundeskanzlerin im Hinblick auf die Tagung des Europäischen Rates am 24./25. März 2011 im Deutschen Bundestag eine Regierungserklärung ab. Die Bundesregierung habe auf europäischer Ebene durchgesetzt, dass der dauerhafte Europäische Stabilitätsmechanismus für ein ausgewogenes Verhältnis von Eigenverantwortung und Solidarität sorgen werde. Kredite dürften nur als letztes Mittel vergeben werden, und über die Vergabe werde durch einstimmigen Beschluss entschieden. Außerdem müsse sich der entsprechende Mitgliedstaat Auflagen unterwerfen. Die Haftung Deutschlands sei nach oben begrenzt (Plenarprotokoll Nr. 17/99 der 99. Sitzung des Deutschen Bundestages vom 24. März 2011, S. 11255 A f.).

21

b) Auf seiner Tagung vom 24./25. März 2011 beschloss der Europäische Rat sodann den Entwurf eines künftigen Art. 136 Abs. 3 AEUV, der als primärrechtliche Grundlage für den Europäischen Stabilitätsmechanismus dienen und folgenden Wortlaut haben soll:

22

Die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist, können einen Stabilitätsmechanismus einrichten, der aktiviert wird, wenn dies unabdingbar ist, um die Stabilität des Euro-Währungsgebiets insgesamt zu wahren. Die Gewährung aller erforderlichen Finanzhilfen im Rahmen des Mechanismus wird strengen Auflagen unterliegen (EUCO 10/11, Schlussfolgerungen, Anlage II, S. 21 ff.).

23

In den Schlussfolgerungen ist davon die Rede, dass die Ergänzung des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union im vereinfachten Änderungsverfahren nach Art. 48 Abs. 6 EUV erfolgen solle und daher nicht zu einer Ausdehnung der der Europäischen Union im Rahmen der Verträge übertragenen Zuständigkeiten führen dürfe (vgl. Art. 48 Abs. 6 UAbs. 3 EUV). Vor diesem Hintergrund solle der Europäische Stabilitätsmechanismus als zwischenstaatliche Einrichtung ausgestaltet werden. Seinen Schlussfolgerungen fügte der Europäische Rat die Anlage II mit der "Vereinbarung über die Merkmale des ESM" bei (EUCO 10/11, S. 21 ff.). Darin machte er deutlich, dass sein Einvernehmen über die Einrichtung des "ständigen" Europäischen Stabilitätsmechanismus an die Beschlussfassung über den Entwurf eines neuen Art. 136 Abs. 3 AEUV gekoppelt sei (EUCO 10/11, S. 21). Über die Ergebnisse des Europäischen Rates vom 24./25. März 2011 informierte der Staatsminister des Bundeskanzleramtes am 28. März 2011 die Obleute des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union telefonisch. Zugleich übermittelte das Bundeskanzleramt dem Deutschen Bundestag einen schriftlichen Ergebnisbericht.

24

Dem Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union berichtete ein Beamter des Bundesministeriums der Finanzen am 6. April 2011. Zu den Ergebnissen des Europäischen Rates vom 24./25. März 2011 erklärte er, man habe "ambitionierte Zeitvorgaben" für die Ertüchtigung der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität und den Errichtungs- und Finanzierungsvertrag für den Europäischen Stabilitätsmechanismus vereinbart (Protokoll Nr. 17/36 der 36. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 6. April 2011, S. 5 ff.). Bezogen auf die nationalen Umsetzungsgesetze im Zusammenhang mit der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität und dem Europäischen Stabilitätsmechanismus erklärte er, die Bundesregierung versuche, den Deutschen Bundestag zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu beteiligen (Protokoll Nr. 17/36 der 36. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 6. April 2011, S. 8). Am gleichen Tag berichtete der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen dem Haushaltsausschuss mündlich über die Ergebnisse des Europäischen Rates und über den Fortgang der Verhandlungen zum Europäischen Stabilitätsmechanismus (Protokoll Nr. 17/52 der 52. Sitzung des Haushaltsausschusses vom 6. April 2011, S. 9). Derzeit werde der Vertrag über den Europäischen Stabilitätsmechanismus weiter ausgearbeitet, um ihn vor Ende Juli 2011 paraphieren zu können. Danach solle die Ratifizierung in den Mitgliedstaaten erfolgen. Dies bedeute eine vollumfängliche parlamentarische Beteiligung des Deutschen Bundestages (Protokoll Nr. 17/52 der 52. Sitzung des Haushaltsausschusses vom 6. April 2011, S. 12). Die Rüge eines Abgeordneten, dass die Bundesregierung dem Ausschuss in der vorangegangen Sitzung am 23. März 2011 lediglich eine englische Fassung des "term sheet" vorgelegt habe, obwohl dieses zum Zeitpunkt der Sitzung bereits 48 Stunden alt gewesen sei, wies er zurück (Protokoll Nr. 17/52 der 52. Sitzung des Haushaltsausschusses vom 6. April 2011, S. 16 f.).

25

Einen auf den 6. April 2011 datierenden Entwurf eines Vertrages zur Errichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus ("Draft Treaty Establishing the European Stability Mechanism") erhielt der Deutsche Bundestag aus informellen Quellen. Eine Zuleitung dieses Textes durch die Bundesregierung erfolgte nicht.

26

Im schriftlichen Vorbericht zum informellen Treffen des ECOFIN-Rates am 8./9. April 2011 informierte das Bundesministerium der Finanzen am 4. April 2011 den Finanzausschuss, den Haushaltsausschuss und den Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union darüber, dass der Rat unter anderem diskutieren wolle, wie die Ausarbeitung des Vertrages über den Europäischen Stabilitätsmechanismus rechtzeitig abgeschlossen werden könne. Über den Verlauf der Tagung berichtete der Bundesminister der Finanzen dem Haushaltsausschuss mündlich am 13. April 2011. Zum geplanten Europäischen Stabilitätsmechanismus erklärte er, die Einzelheiten seiner Ausgestaltung seien in einem Vertrag erst noch zu regeln. Dieser Vertrag bedürfe der Ratifizierung durch die nationalen Gesetzgeber. Im Zuge dieser Ratifizierung werde dann auch die Parlamentsbeteiligung im Rahmen des Stabilitätsmechanismus zu beraten sein (Protokoll Nr. 17/53 der 53. Sitzung des Haushaltsausschusses vom 13. April 2011, S. 10 ff.). Auf die Rüge eines Abgeordneten, eine Äußerungsmöglichkeit des Deutschen Bundestages erst nach Vorlage des Gesetzentwurfs komme zu spät, da zu diesem Zeitpunkt die europäischen Vereinbarungen bereits getroffen sein würden, ging der Bundesminister der Finanzen nicht ein (Protokoll Nr. 17/53 der 53. Sitzung des Haushaltsausschusses vom 13. April 2011, S. 14 ff.). Im Hinblick auf das Anliegen einer möglichst weitgehenden Parlamentsbeteiligung gab er zu bedenken, dass die Leistungsfähigkeit eines Mechanismus durch ein Übermaß an Beteiligungen herabgesetzt werde (Protokoll Nr. 17/53 der 53. Sitzung des Haushaltsausschusses vom 13. April 2011, S. 27 ff.).

27

Ebenfalls am 13. April 2011 informierte der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen den Finanzausschuss des Deutschen Bundestages mündlich darüber, dass die Bundesregierung bestrebt sei, alle vom Parlament im Zusammenhang mit der Aufstockung der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität und der Schaffung des Europäischen Stabilitätsmechanismus zu treffenden Entscheidungen in einem Gesamtpaket vorzulegen. Die Zuleitung an den Deutschen Bundestag werde so rechtzeitig erfolgen, dass das Gesetzespaket noch vor Jahresende verabschiedet werden könne. Auf europäischer Ebene solle noch vor der Sommerpause eine abschließende Entscheidung fallen (Protokoll Nr. 17/49 der 49. Sitzung des Finanzausschusses vom 13. April 2011, S. 25 f.). Das Bundesministerium der Finanzen übersandte den drei Ausschüssen am 19. April 2011 zudem einen schriftlichen Ergebnisbericht zu dem informellen Treffen des ECOFIN-Rates.

28

Am 6. Mai 2011 informierte der Bundesminister der Finanzen die Obleute des Haushaltsausschusses und des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union über den aktuellen Sachstand. Mit Schreiben seines Vorsitzenden vom 12. Mai 2011 forderte der Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union den Bundesminister der Finanzen erneut auf, den jeweils aktuell zur Verhandlung stehenden Vertragsentwurf zu übermitteln. Nur die Vorlage des Textes stelle zusammen mit den mündlichen Unterrichtungen vor der anstehenden Beschlussfassung auf europäischer Ebene die nach Art. 23 GG erforderliche Beteiligung des Deutschen Bundestages sicher. Es sei aus der Sicht der Abgeordneten nicht hinnehmbar, die verschiedenen Entwürfe - wie geschehen - in Österreich anfordern zu müssen, wo der Nationalrat entsprechende Entwürfe von der österreichischen Bundesregierung bereits zugeleitet bekommen hatte (vgl. hierzu die Beratungen des Hauptausschusses in Angelegenheiten der Europäischen Union des Nationalrates XXIV. GP vom 23. März 2011, Stenographisches Protokoll, Seite 2). Nach weiteren Vorstößen - unter anderem des parlamentarischen Geschäftsführers der Antragstellerin - übermittelte das Bundesministerium der Finanzen am 17. Mai 2011 dem Deutschen Bundestag einen englischsprachigen Vertragsentwurf und am Folgetag dessen deutsche Übersetzung.

29

3. Parallel zu den Vorbereitungen für einen Vertrag über den Europäischen Stabilitätsmechanismus und zur Änderung des Art. 136 AEUV wurden auf Initiative der Bundeskanzlerin und des französischen Staatspräsidenten Leitlinien für eine verstärkte wirtschaftspolitische Koordinierung der Mitglieder des Euro-Währungsgebietes entwickelt, die zunächst unter der Bezeichnung "Pakt für Wettbewerbsfähigkeit" zusammengefasst und letztlich als "Euro-Plus-Pakt" beschlossen wurden. Ziel war es, den Problemen entgegenzuwirken, die sich nach Auffassung der Initiatoren aus der asymmetrischen Konstruktion der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion - vollständige Vergemeinschaftung der Währungspolitik bei gleichzeitiger Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für die Wirtschaftspolitik - ergeben.

30

a) In der Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 26. Januar 2011 teilte der Staatsminister des Bundeskanzleramtes auf eine entsprechende Frage mit, dass auf dem anstehenden Europäischen Rat über den Euro gesprochen werde, mit Beschlüssen aber nicht zu rechnen sei (Protokoll Nr. 17/30 der 30. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 26. Januar 2011, S. 9). In derselben Sitzung nahm der Bundesminister der Finanzen zum weiteren Vorgehen Stellung (vgl. hierzu A.I.2.).

31

Am 31. Januar 2011 erschien in der Wochenzeitschrift "Der Spiegel" unter dem Titel "Agenda für Europa" ein Artikel, in dem über ein Gespräch der Bundeskanzlerin mit dem Präsidenten der Europäischen Kommission über einen "Pakt für Wettbewerbsfähigkeit" berichtet wurde, den sie zusammen mit dem französischen Staatschef dem nächsten Europäischen Rat "vertraulich und informell beim Mittagessen" vorstellen wolle, ohne dass dies auf der Tagesordnung erscheine. Ziel solle sein, das Euro-Währungsgebiet zukünftig besser vor Krisen zu schützen. In einem Papier seien als Maßnahmen unter anderem die Angleichung von Steuern, die Anpassung des Renteneintrittsalters und die Einführung einer Schuldenbremse genannt ("Der Spiegel", "Agenda für Europa", Heft 5/2011 vom 31. Januar 2011). Auf der Internetseite www.euractiv.de war eine Entwurfsfassung dieses Paktes abrufbar. Am 1. Februar 2011 bat der Deutsche Bundestag das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie unter Bezugnahme auf die Berichterstattung des "Spiegels" sowie mehrerer Tageszeitungen um die Übermittlung der "Papiere und Informationen, auf deren Basis die Bundesregierung ihre Initiative vorstellen" werde. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie teilte dem Deutschen Bundestag mit E-Mail vom 2. Februar 2011 mit, dass die angeführten Zeitungsartikel auf einen "Abstimmungsprozess in der Bundesregierung Bezug nähmen, der noch nicht abgeschlossen" sei. In der Regierungspressekonferenz am gleichen Tag kündigte der Regierungssprecher an, dass auf der Tagung des Europäischen Rates am 4. Februar 2011 tatsächlich auch über Fragen der wirtschaftspolitischen Koordinierung in der Euro-Währungszone geredet werden solle, und fügte hinzu: "Dazu wird es eine abgestimmte Haltung der Bundesregierung geben" (vgl. Mitschrift der Regierungspressekonferenz vom 2. Februar 2011, abrufbar im Internet unter http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/2011/02/2011-2-02-regpk.html). In ihrem Vorbericht zum Europäischen Rat vom 2. Februar 2011 erklärte die Bundesregierung, die Bundeskanzlerin werde für "ein starkes Signal" eintreten, die wirtschaftspolitische Koordinierung im Euro-Währungsgebiet zu verbessern, um die Wettbewerbsfähigkeit insgesamt zu erhöhen und die Kohärenz im Euro-Währungsgebiet zu stärken. Weitere Dokumente stellte sie dem Deutschen Bundestag nicht zur Verfügung.

32

Am 3. Februar 2011 erklärte der Staatsminister des Bundeskanzleramtes den Obleuten des Ausschusses für Angelegenheiten der Europäischen Union telefonisch, ungeachtet der Presseberichterstattung zur geplanten Initiative für einen "Pakt für Wettbewerbsfähigkeit" bestehe zu dem Thema noch keine abgestimmte Position der Bundesregierung und werde dementsprechend auch keine abgestimmte Position beim Europäischen Rat beschlossen (vgl. Protokoll Nr. 17/31 der 31. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 9. Februar 2011, S. 11).

33

Am 4. Februar 2011 kündigte die Bundeskanzlerin in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem französischen Staatspräsidenten an, die europäischen Partner über Details der deutsch-französischen Initiative unterrichten zu wollen. Auf getrennten Pressekonferenzen teilten sowohl die Bundeskanzlerin als auch der französische Staatspräsident anschließend mit, sie hätten beim Mittagessen den anderen Mitgliedern des Europäischen Rates ihre Ideen für einen "Pakt für Wettbewerbsfähigkeit" eröffnet und den Präsidenten des Europäischen Rates gebeten, auf der Basis dieser Ideen Konsultationen mit den Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes zu führen. In den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 4. Februar 2011 ist von dem Ziel einer "neuen Qualität der wirtschaftspolitischen Koordinierung im Euro-Währungsgebiet zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit" die Rede; der Präsident des Europäischen Rates werde mit den Staats- und Regierungschefs der dem Euro-Währungsgebiet angehörenden Mitgliedstaaten Konsultationen führen und darüber einen Bericht erstellen, in dem im Einklang mit dem Vertrag konkrete künftige Schritte aufgezeigt werden sollten (EUCO 2/1/11 REV 1, Anlage I, S. 13).

34

Ab dem 5. Februar 2011 bemühte sich die Bundesregierung in bilateralen Konsultationen mit den Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes und dem Präsidenten des Europäischen Rates um die nähere Ausarbeitung der Initiative. Auf schriftliche Fragen des Abgeordneten Sarrazin zu Inhalt und Stand der Verhandlungen verwies sie auf die Tagung des Europäischen Rates vom 4. Februar 2011 und die Schlussfolgerungen sowie auf mündliche Darstellungen. Schriftliche Unterlagen legte sie nicht vor. In der Sitzung des Ausschusses für Angelegenheiten der Europäischen Union am 9. Februar 2011 teilte der Staatsminister des Bundeskanzleramtes mit, der Europäische Rat habe am 4. Februar 2011 keine bindenden Beschlüsse hinsichtlich des "Pakts für Wettbewerbsfähigkeit" gefasst. Es fehle noch immer an einer abgestimmten Position innerhalb der Bundesregierung sowie an einem gemeinsamen Papier; die Punkte befänden sich noch in der Diskussion. Einzelne Elemente der wirtschaftspolitischen Koordinierung seien aber bereits vor dem 4. Februar 2011 bei den deutsch-spanischen Konsultationen und beim Treffen der Staats- und Regierungschefs im Format des "Weimarer Dreiecks" erörtert worden, wie zum Beispiel das Renteneintrittsalter, die Bemessungsgrundlage für die Körperschaftssteuer, die Lohnindexierung sowie die Aufnahme einer Schuldenbremse in die nationalen Verfassungen. Seitens der Bundesregierung sei kein "Pakt für Wettbewerbsfähigkeit" an die Presse gegeben worden. Die veröffentlichten Dokumente zeugten bereits durch den Hinweis "Gesamtvorbehalt" davon, dass es sich nicht um ein abgestimmtes Papier der Bundesregierung handele (Protokoll Nr. 17/31 der 31. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 9. Februar 2011, S. 13 ff.).

35

Am 25. Februar 2011 wurde dem Deutschen Bundestag ein vom gleichen Tag datierendes nicht offizielles Dokument (non paper) der Präsidenten der Europäischen Kommission und des Europäischen Rates mit der Überschrift "Enhanced Economic Policy Coordination in the Euro Area - Main Features and Concepts" zugespielt, das wesentliche Inhalte des geplanten Paktes für Wettbewerbsfähigkeit beschrieb. Nachdem auch in der Presse über ein solches Papier berichtet worden war, forderte der Deutsche Bundestag am 3. März 2011 dieses unter Hinweis auf die Unterrichtungspflicht nach § 5 Abs. 3 EUZBBG per E-Mail beim Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie an. Am 9. März 2011 ging beim Deutschen Bundestag ein Drahtbericht des Auswärtigen Amtes ein, aus dem sich ergab, dass auf einem informellen Treffen der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes am 11. März 2011 eine Einigung über den "Pakt für Wettbewerbsfähigkeit" erzielt werden solle, damit dieser bei der Tagung des Europäischen Rates am 24./25. März 2011 endgültig gebilligt werden könne.

36

Ebenfalls am 9. März 2011 wandte sich der Präsident des Deutschen Bundestages an die Bundeskanzlerin und bemängelte, dass die Information über den "Pakt für Wettbewerbsfähigkeit" den Bestimmungen des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union nicht oder allenfalls unzureichend gerecht werde. Der lediglich zweiseitige Vorbericht vom 2. Februar 2011 sei recht vage gewesen, während die Medien bereits detailliert über die konkrete Initiative berichtet hätten. Der Bitte der Bundestagsverwaltung vom 1. Februar 2011, einschlägige Dokumente und Informationen zu übermitteln, sei nicht oder allenfalls sehr unvollständig entsprochen worden. Er bitte sie, die Informationen im konkreten Fall nachzuholen. Mit Antwortschreiben vom 10. März 2011 erwiderte die Bundeskanzlerin, dass die Bundesregierung ihren gesetzlichen Verpflichtungen auch im konkreten Fall bestmöglich nachkomme.

37

Die Bundeskanzlerin besuchte am gleichen Tag die 33. Sitzung des Ausschusses für Angelegenheiten der Europäischen Union. Dort berichtete sie, dass Gegenstand des informellen Treffens der Staats- und Regierungschefs des Euro-Währungsgebietes am 11. März 2011 neben dem Europäischen Stabilitätsmechanismus auch der Pakt für Wettbewerbsfähigkeit sein werde. Der Pakt sei seit dem 11. Februar 2011 weiterentwickelt worden, aber noch nicht so detailliert, wie sie es sich wünsche. Eckpfeiler bildeten die Themen Wettbewerbsfähigkeit, Beschäftigung, Haushalte und Finanzstabilität. Die genannten Politikbereiche fielen in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten und sollten künftig von der Europäischen Kommission überwacht werden. Maßstab der Unterrichtung des Bundestages seien nicht Presseberichte, sondern offizielle Dokumente. Ein solches habe es zum Pakt für Wettbewerbsfähigkeit nicht gegeben, weder innerhalb der Bundesregierung noch gemeinsam mit Frankreich. Offizielle Dokumente seien dem Deutschen Bundestag nicht vorenthalten worden (vgl. Protokoll Nr. 17/33 der 33. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 10. März 2011, S. 11 ff.).

38

b) Das Bundeskanzleramt leitete den Entwurf eines "Paktes für Wettbewerbsfähigkeit" dem Bundestag am Morgen des 11. März 2011 per E-Mail zu. Am selben Tag stellten die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes in den Schlussfolgerungen ihres Treffens zu der nunmehr "Pakt für den Euro" genannten Vereinbarung fest:

39

Der (in der Anlage wiedergegebene) Pakt für den Euro, mit dem eine stärkere wirtschaftspolitische Koordinierung im Hinblick auf Wettbewerbsfähigkeit und Konvergenz festgelegt wird, wurde gebilligt. Er wird dem Europäischen Rat auf seiner Tagung am 24./25. März 2011 vorgelegt, damit die nicht dem Euro-Währungsgebiet angehörenden Mitgliedstaaten mitteilen können, ob sie beabsichtigen, sich an dem Pakt zu beteiligen. Gleichzeitig werden die dem Euro-Währungsgebiet angehörenden Mitgliedstaaten erste Maßnahmen darlegen, zu deren Durchführung sie sich im Rahmen des Paktes für das nächste Jahr verpflichten (Schlussfolgerungen der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets vom 11. März 2011, S. 1).

40

Ausweislich des Vertragstextes und der Schlussfolgerungen soll der "Pakt für den Euro" darauf abzielen, die wirtschaftliche Säule der Währungsunion zu stärken, eine neue Qualität der wirtschaftspolitischen Koordinierung zwischen den Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes zu erreichen, ihre Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern und dadurch einen höheren Grad an Konvergenz zu erreichen. Der Schwerpunkt soll vor allem auf die Politikbereiche gelegt werden, die in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fallen und die für die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit und die Vermeidung schädlicher Ungleichgewichte von entscheidender Bedeutung sind. Die nicht dem Euro-Währungsgebiet angehörenden Mitgliedstaaten wurden ausdrücklich eingeladen, sich auf freiwilliger Basis zu beteiligen (vgl. Schlussfolgerungen der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes vom 11. März 2011, Anlage I, Seite 6 ff.). Die vorgesehenen Maßnahmen ("Anstrengungen") sollen vier Leitlinien beachten: Sie sollen im Einklang mit der bestehenden wirtschaftspolitischen Steuerung in der Europäischen Union stehen und ihrer Verstärkung dienen, mit den bereits bestehenden Instrumenten der Europäischen Union - der Strategie Europa 2020, dem Europäischen Semester, den Integrierten Leitlinien, dem Stabilitäts- und Wachstumspakt und dem neuen Rahmen für die Überwachung der Wirtschaftspolitik - vereinbar sein und auf ihnen aufbauen. Dabei soll der Europäischen Kommission eine zentrale Rolle bei der Überwachung der Erfüllung der Verpflichtungen zukommen. Die Anstrengungen sollen die Politikbereiche abdecken, die für die Förderung von Wettbewerbsfähigkeit und Konvergenz von maßgeblicher Bedeutung sind. Sie sollen sich auf Maßnahmen konzentrieren, die in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fallen, wobei in diesen Politikbereichen auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs gemeinsame Ziele vereinbart werden, die teilnehmenden Mitgliedstaaten diese aber selbständig verfolgen sollen. Es ist darüber hinaus vorgesehen, dass alle Staats- und Regierungschefs jedes Jahr konkrete nationale Verpflichtungen eingehen und sich dabei an den Leistungsstärksten innerhalb Europas und unter den strategischen Partnern orientieren. Die Erfüllung dieser Verpflichtungen und die Fortschritte bei der Verwirklichung der gemeinsamen politischen Ziele sollen jährlich einem Monitoring auf politischer Ebene unterzogen werden, das sich auf einen Bericht der Europäischen Kommission stützen soll. Schließlich seien die dem Euro-Währungsgebiet angehörenden Mitgliedstaaten uneingeschränkt der Vollendung des Binnenmarkts verpflichtet. Die dem Euro-Währungsgebiet angehörenden Mitgliedstaaten verpflichten sich in dem Pakt für den Euro, alle Maßnahmen zu ergreifen, die für die Verwirklichung der Ziele einer Förderung der Wettbewerbsfähigkeit, der Beschäftigung, der langfristigen Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen und der Stärkung der Finanzstabilität erforderlich sind. Als Gegenstände der Koordinierung werden unter anderem die Verfahren der Lohnbildung und Tarifabschlüsse im öffentlichen Sektor, die Verbesserung der Bildungssysteme, die unternehmerfreundlichere Gestaltung des Handels- und Insolvenzrechts, Arbeitsmarktreformen zur Förderung der "Flexicurity" und Anpassungen der Rentensysteme genannt. Ein besonderes Augenmerk soll in diesen Zusammenhang auch auf die Koordinierung der Steuerpolitik gerichtet werden (vgl. Schlussfolgerungen der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes vom 11. März 2011, Anlage I, S. 6 ff.). Die Vereinbarung war Gegenstand der Befassung mehrerer Ausschüsse des Deutschen Bundestages (Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union, Protokoll Nr. 17/34 vom 16. März 2011, S. 10 f.; Haushaltsausschuss, Protokoll Nr. 17/49 vom 16. März 2011, S. 49; Finanzausschuss, Protokoll Nr. 17/45 vom 16. März 2011, S. 60).

41

c) Auf der Tagung des Europäischen Rates vom 24./25. März 2011 traten Bulgarien, Dänemark, Lettland, Litauen, Polen und Rumänien der nunmehr "Euro-Plus-Pakt" genannten Vereinbarung bei. Eine inhaltliche Änderung des Paktes erfolgte nicht mehr. Am 28. März 2011 erhielt der Deutsche Bundestag die Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 24./25. März 2011 (EUCO 10/11), die in Anlage 1 den "Euro-Plus-Pakt" enthielten. Die Europäische Kommission bezog den Euro-Plus-Pakt in der Folge auch in die "neue Europäische Ordnungspolitik" ein und stellte klar, dass die neuen Verpflichtungen aus dem Pakt in die nationalen Reform- und Stabilitätsprogramme aufgenommen und dem regulären EU-Überwachungsverfahren unterworfen würden (Mitteilung der Kommission vom 7. Juni 2011 zum Abschluss des ersten Europäischen Semesters für die Koordinierung der Wirtschaftspolitik, KOM (2011) 400 endgültig, S. 9). Unter dem Dach des Paktes findet sich zudem die ausdrückliche Verpflichtung der teilnehmenden Staaten, "die im Stabilitäts- und Wachstumspakt enthaltenen Haushaltsvorschriften der Europäischen Union in nationales Recht umzusetzen" (EUCO 10/11, S. 19).

42

d) Im November 2011 verabschiedete die Europäische Union fünf Verordnungen und eine Richtlinie - das sogenannte "Sixpack" -, die teilweise der Umsetzung des Euro-Plus-Paktes dienen, zum Teil aber auch unabhängig davon eine Fortentwicklung des bereits sekundärrechtlich verankerten Stabilitäts- und Wachstumspaktes darstellen (Verordnung (EU) Nr. 1173/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. November 2011 über die wirksame Durchsetzung der haushaltspolitischen Überwachung im Euro-Währungsgebiet, ABl. EU Nr. L 306 vom 23. November 2011, S. 1; Verordnung (EU) Nr. 1174/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. November 2011 über Durchsetzungsmaßnahmen zur Korrektur übermäßiger makroökonomischer Ungleichgewichte im Euro-Währungsgebiet, ABl. EU Nr. L 306 vom 23. November 2011, S. 8; Verordnung (EU) Nr. 1175/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. November 2011 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1466/97 des Rates über den Ausbau der haushaltspolitischen Überwachung und der Überwachung und Koordinierung der Wirtschaftspolitiken, ABl. EU Nr. L 306 vom 23. November 2011, S. 12; Verordnung (EU) Nr. 1176/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. November 2011 über die Vermeidung und Korrektur makroökonomischer Ungleichgewichte, ABl. EU Nr. L 306 vom 23. November 2011, S. 25; Verordnung (EU) Nr. 1177/2011 des Rates vom 8. November 2011 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1467/97 über die Beschleunigung und Klärung des Verfahrens bei einem übermäßigen Defizit, ABl. EU Nr. L 306 vom 23. November 2011, S. 33; Richtlinie 2011/85/EU des Rates vom 8. November 2011 über die Anforderungen an den haushaltspolitischen Rahmen der Mitgliedstaaten, ABl. EU Nr. L 306 vom 23. November 2011, S. 41).

II.

43

Mit ihren im Rubrum wiedergegebenen Anträgen begehrt die Antragstellerin die Feststellung, dass die Antragsgegnerin die Rechte des Deutschen Bundestages aus Art. 23 Abs. 2 GG verletzt habe, indem sie diesen über den Europäischen Stabilitätsmechanismus und über den Euro-Plus-Pakt nicht hinreichend und nicht rechtzeitig unterrichtet habe.

44

1. a) Die Frist des § 64 Abs. 3 BVerfGG sei gewahrt. Das Organstreitverfahren betreffe ein Unterlassen der Bundesregierung, so dass die Frist frühestens in dem Zeitpunkt zu laufen begonnen habe, in dem sich die Antragsgegnerin erkennbar und endgültig geweigert habe, die gebotene Handlung vorzunehmen. Eine solche Weigerung, den Deutschen Bundestag zu unterrichten, sei nicht vor der Tagung des Europäischen Rates am 4. Februar 2011 zum Ausdruck gebracht worden.

45

b) Der Antrag sei auch begründet. So habe die Antragsgegnerin den Deutschen Bundestag über die Ausgestaltung des Europäischen Stabilitätsmechanismus nicht umfassend, frühestmöglich und fortlaufend unterrichtet.

46

aa) Beim Europäischen Stabilitätsmechanismus handele es sich um eine Angelegenheit der Europäischen Union im Sinne von Art. 23 Abs. 2 Satz 1 GG. Der Begriff der Angelegenheit der Europäischen Union sei weit zu verstehen und orientiere sich nicht allein an der formellen Einordnung der Rechtsgrundlage in den supranationalen Integrationsverbund. Der geplante Art. 136 Abs. 3 AEUV und der auf seiner Grundlage zu errichtende Europäische Stabilitätsmechanismus hätten erhebliche Auswirkungen auf die Wirtschafts- und Währungsunion. Die Ermächtigung der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes zur Einrichtung eines ständigen Stabilitätsmechanismus ergänze den bisherigen Charakter der Wirtschafts- und Währungsunion. Die hiermit einhergehenden Pflichten hätten erhebliche Rückwirkungen auf das nationale Haushaltsverfassungsrecht und beträfen damit einen Kernbereich parlamentarischer Verantwortung. Der Umbau der Wirtschafts- und Währungsunion berühre jenen Katalog von Staatsaufgaben, den das Bundesverfassungsgericht als identitätsprägend herausgestellt und der parlamentarischen Integrationsverantwortung vorbehalten habe. Entstehungsgeschichtlich und institutionell sei der Europäische Stabilitätsmechanismus als "Angelegenheit der Europäischen Union" ausgewiesen. So seien die Planungen von Anfang an auf eine Stabilisierung der Wirtschafts- und Währungsunion ausgerichtet gewesen; mit dem Europäischen Rat und der Europäischen Kommission seien Organe der Europäischen Union maßgeblich an der Ausgestaltung beteiligt. Die "Vereinbarung über die Merkmale des Europäischen Stabilitätsmechanismus" in den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 24./25. März 2011 (EUCO 10/11, Anlage II, S. 21 ff.) könne als inhaltlich prägendes Gründungsdokument gelten. Der Europäische Rat habe, ausdrücklich unter Rückgriff auf Art. 136 Abs. 3 AEUV, Einvernehmen darüber erzielt, dass die Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes einen ständigen Stabilisierungsmechanismus einrichten müssten. Insoweit sei der Europäische Stabilitätsmechanismus ein Geschöpf des Europäischen Rates. Die Statik des Europäischen Stabilitätsmechanismus - Aufgaben und Finanzierungsstrategie, Leitung, Kapitalstruktur sowie Instrumente - werde grundlegend bestimmt von den im Europäischen Rat vereinbarten Merkmalen. Im Übrigen habe die Bundesregierung ihrerseits die Finalisierung der Arbeiten zur Ausgestaltung des künftigen Stabilitätsmechanismus als eine dem Europäischen Rat vorbehaltene Angelegenheit behandelt und die Zugehörigkeit des Europäischen Stabilitätsmechanismus zu einem Gesamtpaket betont, ausgerichtet auf die dauerhafte Stabilisierung des Euro-Währungsgebietes. Auf diese Weise habe sie maßgeblich dazu beigetragen, den Europäischen Stabilitätsmechanismus institutionell und materiell als Angelegenheit der Europäischen Union auszuweisen und innerhalb der Wirtschafts- und Währungspolitik (Art. 119 ff. AEUV) konzeptionell eng mit dem Kapitel über die Wirtschaftspolitik zu verzahnen (Art. 120 ff. AEUV). Auch nach dem beabsichtigten Inkrafttreten des Vertrages über den Europäischen Stabilitätsmechanismus bleibe der enge institutionelle Konnex zur Europäischen Union erhalten. Der Europäische Stabilitätsmechanismus stelle sich als zwischenstaatliche Organisation ohne eigene Hoheitsgewalt dar, zugleich aber als hybride Kombination aus intergouvernementalen und supranationalen Elementen. Bei der "Aktivierung der Finanzhilfe" werde der Europäischen Kommission eine wichtige Rolle zugedacht, die zusammen mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) und in Absprache mit der Europäischen Zentralbank (EZB) den tatsächlichen Finanzierungsbedarf des begünstigten Mitgliedstaates ermitteln solle. In Streitfällen solle der Europäische Gerichtshof gemäß Art. 273 AEUV angerufen werden können. Die geplante Vertragsänderung des Art. 136 Abs. 3 AEUV führe in ihrer Zielrichtung zurück in die supranationale Union. Der Europäische Stabilitätsmechanismus erweise sich damit als ein stabilisierender Anbau an die unionsrechtlich geregelte Wirtschafts- und Währungsunion. Der Gesetzgeber habe dem dadurch Rechnung getragen, dass nach § 4 Abs. 4 Nr. 1 EUZBBG die Bundesregierung den Deutschen Bundestag auch über völkerrechtliche Verträge zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Mitgliedstaaten der Europäischen Union zu unterrichten habe, wenn diese eine engere Kooperation in Politikbereichen normieren, die auch in die Zuständigkeit der Europäischen Union fallen. In dem hier betroffenen Politikbereich sei die Europäische Union ausschließlich zuständig.

47

bb) Aus Art. 23 Abs. 2 GGfolge, dass die Bundesregierung die Unterrichtungspflichten nach Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG in der konkretisierenden Ausgestaltung der §§ 4 ff. EUZBBG hätte erfüllen müssen. Die Bundesregierung sei zur Unterrichtung zum frühestmöglichen Zeitpunkt verpflichtet. Angesichts des prozesshaften Charakters der Beschlussfassung beinhalte diese Pflicht auch eine Pflicht zur fortlaufenden Unterrichtung; § 4 Abs. 1 Satz 1 EUZBBG stelle dies klar. Die Pflicht zur umfassenden Unterrichtung des Deutschen Bundestages solle diesen in die Lage versetzen, seine Mitwirkungsrechte effektiv zu nutzen, und erfasse daher auch vorbereitende Papiere der Europäischen Kommission und des Rates einschließlich inoffizieller Dokumente. Sie habe in der Regel schriftlich zu erfolgen, weil nur dies jene verlässliche Informationsgrundlage schaffe, ohne die von umfassender Unterrichtung nicht die Rede sein könne. Die Auffassung, wonach über die Sitzungen der Eurogruppe nur mündlich unterrichtet werde, weil § 5 Abs. 4 EUZBBG lex specialis gegenüber § 5 Abs. 3 und 5 EUZBBG sei, sei mit Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG, der den Deutsche Bundestag umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt unterrichtet sehen wolle, unvereinbar.

48

cc) Die Antragsgegnerin habe die Rechte des Deutschen Bundestages aus Art. 23 Abs. 2 GG dadurch verletzt, dass sie es unterlassen habe, ihn in der Zeit vor und nach der Tagung des Europäischen Rates vom 4. Februar 2011 umfassend, zum frühestmöglichen Zeitpunkt und fortlaufend über die Ausgestaltung des Europäischen Stabilitätsmechanismus zu unterrichten und spätestens am 6. April 2011 den Entwurf eines Vertrages über den Europäischen Stabilitätsmechanismus zu übersenden. Das federführende Bundesministerium der Finanzen habe im Vorfeld der Tagung des Europäischen Rates vom 4. Februar 2011 zunächst die Übermittlung relevanter Papiere zugesagt, dies aber später mit unterschiedlichen, einander widersprechenden rechtlichen Argumenten abgelehnt. Im Anschluss an die Tagung des Europäischen Rates vom 4. Februar 2011 habe die Antragsgegnerin ihre Verpflichtung zur Nachberichterstattung nicht erfüllt.

49

Aus den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 24./25. März 2011 ergebe sich, dass in der Phase zwischen dem 4. Februar 2011 und dem 24./25. März 2011 gravierende Entscheidungen getroffen worden seien, ohne dass der Deutsche Bundestag Gelegenheit gehabt habe, hieran mitzuwirken. Die in diesem Zeitraum getroffene "Vereinbarung über die Merkmale des Europäischen Stabilitätsmechanismus" sei dessen Gründungsdokument, über das die Antragsgegnerin nach § 5 Abs. 5 EUZBBG fortlaufend und umfassend hätte unterrichten müssen.

50

Aus Entwürfen des Vertrages über den Europäischen Stabilitätsmechanismus, auf die der Deutsche Bundestag informell habe zugreifen können, lasse sich schließen, dass spätestens seit dem 6. April 2011 Textstufen des Vertrages vorgelegen hätten. Eine Übermittlung durch die Antragsgegnerin sei dagegen erst am 17. Mai 2011 erfolgt. Da die Übersendung ohne Anerkennung einer Rechtspflicht erfolgt sei, sei zu befürchten, dass die Antragsgegnerin ihre Unterrichtungspraxis aus eigenem Antrieb nicht ändern werde.

51

2. Auch mit Blick auf den sogenannten Euro-Plus-Pakt habe die Bundesregierung gegen ihre Pflicht aus Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG verstoßen.

52

a) Der Euro-Plus-Pakt sei ebenfalls eine Angelegenheit der Europäischen Union im Sinne von Art. 23 Abs. 2 Satz 1 GG. Im Zusammenwirken der Instrumente werde das supranationale Überwachungsrecht der Art. 121, 126 AEUV auf die zwischenstaatlichen Verpflichtungen aus dem Euro-Plus-Pakt erstreckt. Angesichts der Inhalte und der erkennbar an Art. 121 AEUV angelehnten Verfahren könne nicht zweifelhaft sein, dass es sich beim Pakt um eine Angelegenheit der Europäischen Union im Sinne von Art. 23 Abs. 2 GG handele.

53

b) Über Initiativen der Antragsgegnerin habe diese den Deutschen Bundestag gemäß § 5 Abs. 2 EUZBBG durch umfassende und frühestmögliche Übersendung von Dokumenten und Informationen zu unterrichten. Art. 23 Abs. 1 und Abs. 2 GG und die Begleitgesetze zu den Informations- und Mitwirkungsrechten stellten klar, dass Europapolitik nicht der Prärogative der Regierung in auswärtigen Angelegenheiten unterliege.

54

aa) Der Euro-Plus-Pakt habe seinen Ursprung in einer deutsch-französischen Initiative vom 4. Februar 2011. Diese habe die Bundeskanzlerin gemeinsam mit dem französischen Staatspräsidenten beim Europäischen Rat eingebracht, ohne dass der Deutsche Bundestag im Vorfeld davon unterrichtet gewesen sei. Auf entsprechende Anfragen des Deutschen Bundestages habe der Staatsminister des Bundeskanzleramtes in der Sitzung des Europaausschusses vom 9. Februar 2011 auch nach Einbringung der Initiative mehrfach auf das Fehlen einer abgestimmten Position innerhalb der Bundesregierung sowie darauf verwiesen, dass es noch kein Papier gebe. Unabhängig von der Frage, inwieweit kabinettsinterne Abstimmungsprozesse zum Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung zu rechnen seien, habe es sich bei der am 4. Februar 2011 eingebrachten Initiative der Bundeskanzlerin jedenfalls um eine Position der Bundesregierung gehandelt. Wegen ihrer Richtlinienkompetenz sei die Initiative spätestens zu jenem Zeitpunkt auch zu einer Initiative der Bundesregierung geworden. In demselben Augenblick habe diese ihre verfassungsrechtliche Pflicht zur Unterrichtung des Deutschen Bundestages verletzt. Das Gebot der umfassenden und frühestmöglichen Unterrichtung (Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG) schließe es aus, den Deutschen Bundestag erst im Nachhinein zu informieren. Eine deutsche Initiative sei insoweit erst nach der Abstimmung zwischen Regierung und Parlament zulässig. Die Bezeichnung der Initiative als "persönliche" Initiative der Bundeskanzlerin umgehe die Unterrichtungspflicht aus Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG.

55

bb) Auch im weiteren Fortgang des Verhandlungsprozesses über den Pakt habe die Antragsgegnerin die Pflicht zur Unterrichtung des Deutschen Bundestages verletzt. Zwischen der Tagung des Europäischen Rates vom 4. Februar 2011, dem Treffen der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes am 11. März 2011 und der Tagung des Europäischen Rates am 24./25. März 2011 sei eine Verständigung über den Euro-Plus-Pakt erfolgt. Spätestens am 25. Februar 2011 habe der Antragsgegnerin ein konkretisierter Sach- und Verhandlungsstand vorgelegen, über den sie vor der Tagung des Europäischen Rates von sich aus hätte unterrichten müssen.

III.

56

Die Antragsgegnerin hält den Antrag zu 1. für unzulässig und beide Anträge für unbegründet. Sie beantragt, die Anträge zurückzuweisen.

57

1. a) Der Antrag zu 1. sei verfristet. Das Bundesministerium der Finanzen habe bereits am 19. Januar 2011 darauf hingewiesen, dass es sich beim Europäischen Stabilitätsmechanismus nicht um ein Vorhaben der Europäischen Union handele. Damit sei der Antragstellerin das Unterlassen der Antragsgegnerin im Sinne von § 64 Abs. 3 BVerfGG bekannt geworden. Der dem Bundesverfassungsgericht erst am 25. Juli 2011 zugegangene Antrag sei daher nicht innerhalb der sechsmonatigen Antragsfrist gestellt worden.

58

b) Der Antrag sei außerdem unbegründet, weil es sich bei dem geplanten Europäischen Stabilitätsmechanismus um eine internationale Finanzinstitution außerhalb des Rahmens der Europäischen Union handele und damit nicht um eine Angelegenheit der Europäischen Union im Sinne von Art. 23 Abs. 2 GG. Die besonderen Mechanismen, die für die Parlamentsbeteiligung nach Art. 23 Abs. 2 GG vorgesehen und für den Deutschen Bundestag im Gesetz über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union geregelt seien, seien auf die Abstimmung von intergouvernementalen Maßnahmen, wie sie der Europäische Stabilitätsmechanismus darstelle, nicht übertragbar. Die Kombination aus Zustimmung zur Übertragung nur bestimmter Hoheitsrechte und den in Art. 23 Abs. 2 GG vorgesehenen Informationsansprüchen ermögliche es dem Deutschen Bundestag, seine Integrationsverantwortung wahrzunehmen. Bei völkerrechtlichem Handeln außerhalb des Rahmens der supranationalen Europäischen Union besitze der Deutsche Bundestag hingegen nach Art. 24 GG und/oder Art. 59 Abs. 2 GG ein Letztentscheidungsrecht, so dass hier nicht in gleichem Maße das Bedürfnis nach umfassender Information bestehe. Art. 23 Abs. 2 GG durchbreche den Primat der Exekutive überdies nicht in dem Sinne, dass Bundesregierung, Deutscher Bundestag und Bundesrat unterschiedslos zusammenwirkten. Alle drei Verfassungsorgane wirkten in auswärtigen Angelegenheiten sowohl allgemein als auch im Kontext der europäischen Zusammenarbeit in ihrer jeweils spezifischen Funktion mit. Primär zum Handeln berufen sei auch insoweit weiterhin die Bundesregierung. Auch im Zusammenhang mit Angelegenheiten der Europäischen Union bleibe ihr ein Bereich exekutiver Eigenverantwortung vorbehalten.

59

Die Ausgestaltung des Europäischen Stabilitätsmechanismus sei keine Angelegenheit der Europäischen Union. Die intergouvernementale Zusammenarbeit von Mitgliedstaaten, die neben derjenigen im Rahmen der Europäischen Union stattfinde, habe - anders als die in der Europäischen Union - keine supranationale Qualität. Die erforderliche Einbindung des Gesetzgebers werde deshalb durch Art. 59 Abs. 2 und Art. 24 GG gewährleistet. Im Zusammenhang mit der Errichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus sei zwar die Einfügung eines Art. 136 Abs. 3 AEUV beschlossen worden. Mit dieser Vertragsänderung erhalte die Europäische Union jedoch keine zusätzlichen Hoheitsrechte. Vielmehr gehe es um die Klarstellung, dass das auch an die Mitgliedstaaten gerichtete Verbot des Art. 125 AEUV der Errichtung eines Stabilitätsmechanismus nicht entgegenstehe, hierzu aber nicht die Europäische Union, sondern die Mitgliedstaaten außerhalb des Rahmens der Europäischen Union aufgerufen seien. Die Mitgliedstaaten gründeten mit dem Vertrag über den Europäischen Stabilitätsmechanismus eine neue internationale Finanzinstitution außerhalb der Europäischen Union.

60

Auf europäischer Ebene bestehe Einigkeit darüber, dass der Europäische Stabilitätsmechanismus keine Einrichtung der Europäischen Union sei, sondern eine der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes. Dies zeigten Stellungnahmen der Europäischen Kommission und der Europäischen Zentralbank sowie eine Entschließung des Europäischen Parlaments zu dem geplanten Stabilitätsmechanismus.

61

Die Schutzfunktion des Art. 23 GG, den Gesetzgeber vor einem "Kompetenzabfluss durch Kompetenzüberschreitungen" der Europäischen Union zu bewahren, komme nicht zum Tragen. Der Deutsche Bundestag könne und solle, wie in vergleichbaren Fällen der Schaffung internationaler Finanzinstitutionen - etwa des Internationalen Währungsfonds - üblich und von der Verfassung vorgesehen, seine Zuständigkeit als nationaler Gesetzgeber uneingeschränkt ausüben. Dieses Recht gehe über eine nur mittelbare Beteiligung im Rahmen des europäischen Rechtsetzungsprozesses hinaus. Die Verfahrensweisen zur Vorbereitung unionaler Rechtsakte, auf die das Gesetz über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union zugeschnitten sei, kämen bei den Verhandlungen zum Vertrag über den Europäischen Stabilitätsmechanismus nicht zur Anwendung, weil die Arbeiten, dem zwischenstaatlichen Charakter entsprechend, nicht in den Ratsgremien stattfänden. Der Europäische Rat habe die Finanzminister des Euro-Währungsgebietes auf seiner Tagung am 16./17. Dezember 2010 gebeten, die Arbeiten an der zwischenstaatlichen Vereinbarung abzuschließen und hierbei auch die Mitgliedstaaten einzubeziehen, deren Währung nicht der Euro ist. Dass die Mitgliedstaaten im Zusammenhang mit der geplanten Änderung des Art. 136 AEUV auch die wesentlichen Merkmale des Europäischen Stabilitätsmechanismus im Europäischen Rat diskutiert hätten, ändere nichts an dieser Beurteilung. Die Zielsetzung der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes habe von Anfang an darin bestanden, den Europäischen Stabilitätsmechanismus nicht in den institutionellen Rahmen der Europäischen Union einzupassen. Auch die Betrauung von Organen der Europäischen Union mit speziellen Aufgaben sowie die Zuständigkeit des Europäischen Gerichtshofs im Rahmen einer Schiedsvertragsklausel führten nicht dazu, dass der Europäische Stabilitätsmechanismus zu einer Angelegenheit der Europäischen Union werde. Art. 273 AEUV fordere für das Tätigwerden des Europäischen Gerichtshofs zwar einen gewissen Zusammenhang mit dem Gegenstand der Unionsverträge. Über die Streitigkeit entscheide der Gerichtshof aber nicht auf der Grundlage des Unionsrechts, sondern auf der Basis des zwischen den Parteien vereinbarten Vertrages. Die Ausgestaltung des Europäischen Stabilitätsmechanismus falle nicht ausschließlich in den Zuständigkeitsbereich der Europäischen Union. Unionsrechtlich intendierte völkervertragliche Regelungen zwischen Mitgliedstaaten seien auch nicht ungewöhnlich. Den zahlreichen Doppelbesteuerungsabkommen mit anderen Staaten der Europäischen Union habe der Deutsche Bundestag stets nach Art. 59 Abs. 2 GG zugestimmt. Auch aus der besonderen Haushaltsbezogenheit des Europäischen Stabilitätsmechanismus und dem Grundsatz der parlamentarischen Haushaltsverantwortung seien keine besonderen Informationspflichten abzuleiten.

62

c) Der Antrag zu 1. sei jedenfalls deshalb unbegründet, weil die Antragsgegnerin den Deutschen Bundestag über die Arbeiten am Europäischen Stabilitätsmechanismus stets zeitnah und umfassend informiert habe.

63

Über die Ergebnisse der im März 2010 eingesetzten Arbeitsgruppe zur Reform des Regelwerks der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion seien die Bundestagsausschüsse für Haushalt, Finanzen und für die Angelegenheiten der Europäischen Union regelmäßig durch Vor- und Nachberichte zu den Treffen der Arbeitsgruppe mündlich unterrichtet worden. Darüber hinaus sei dem Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union am 23. März 2011 ein Papier zu den Grundsätzen des Europäischen Stabilitätsmechanismus (term sheet) als Tischvorlage vorgelegt worden. Damit habe der Deutsche Bundestag bereits am 23. März 2011 ein Dokument erhalten, das die auf der Tagung des Europäischen Rates am 24./25. März 2011 beratenen Vorstellungen zum Europäischen Stabilitätsmechanismus zusammengefasst habe.

64

Die Vorsitzenden des Haushaltsausschusses und des Ausschusses für Angelegenheiten der Europäischen Union hätten am 18. Mai 2011 die englischsprachige Fassung sowie eine nicht offizielle deutsche Übersetzung des Entwurfs eines Vertrages über den Europäischen Stabilitätsmechanismus erhalten, über den erstmals während der Sitzung der erweiterten Euro-Gruppe am 16. Mai 2011 gesprochen worden sei. Da der Prozess der Ausarbeitung des Vertragsentwurfs innerhalb des speziellen Formats der sogenannten erweiterten Euro-Gruppe stattgefunden habe, die informell zusammentrete und sensible Materien behandle, sehe § 5 Abs. 4 EUZBBG lediglich eine mündliche Unterrichtung vor. Das Vorgehen der Antragsgegnerin habe den Usancen innerhalb der Euro-Gruppe entsprochen. Ob sich alle Mitgliedstaaten an die grundsätzlich geltende Vertraulichkeit hielten, könne nicht Maßstab für das Handeln der Bundesregierung sein. Letztlich sei es der Bundesfinanzminister gewesen, der Hindernisse für die Übermittlung des Vertragsentwurfs aus dem Weg geräumt habe, indem er am 16. Mai 2011 eine Verständigung der Finanzminister der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes darüber erwirkt habe, dass der Entwurf den nationalen Parlamenten übermittelt werde. Eine frühere Übersendung des noch im Entstehungsprozess befindlichen Textes sei verfassungsrechtlich nicht geboten gewesen.

65

2. Der Antrag zu 2. sei unbegründet, weil es sich bei dem Euro-Plus-Pakt ebenfalls nicht um eine Angelegenheit der Europäischen Union handele und die Antragsgegnerin überdies möglichen Unterrichtungspflichten jedenfalls vollumfänglich entsprochen habe.

66

a) Der Euro-Plus-Pakt sei keine Angelegenheit der Europäischen Union im Sinne von Art. 23 Abs. 2 GG, weil er lediglich die im Unionsrecht vorgesehenen Koordinierungsmechanismen (insbesondere Art. 121 AEUV) in Bereichen der Wirtschafts- und Sozialpolitik ergänzen solle, die vollständig in der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten lägen. Bei den zu vereinbarenden Zielen handele es sich durchweg um freiwillige Selbstverpflichtungen auf intergouvernementaler Grundlage. Die Aufnahme entsprechender Maßnahmen auch in die jeweiligen "Nationalen Reformprogramme" bestätige ihren innerstaatlichen Charakter. Die Mitgliedstaaten legten diese Programme der Europäischen Kommission vor, die die Vorhaben und deren Umsetzung prüfe und bewerte. Unmittelbare rechtliche Folgen seien damit nicht verbunden. Deshalb könne Art. 23 Abs. 2 GG Unterrichtungspflichten der Bundesregierung im Zusammenhang mit dem Euro-Plus-Pakt nicht begründen.

67

b) Ungeachtet dessen habe die Bundesregierung den Deutschen Bundestag stets frühzeitig, umfassend und fortlaufend über den Euro-Plus-Pakt informiert.

68

Der Staatsminister des Bundeskanzleramtes habe den Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union am 26. Januar 2011 vorab über die Tagung des Europäischen Rates vom 4. Februar 2011 mündlich informiert. Der Bundesminister der Finanzen habe in derselben Sitzung über das Treffen der Finanzminister des Euro-Währungsgebietes vom 24. Januar 2011 berichtet und dabei unter anderem die geplante stärkere Koordinierung der Wirtschafts- und Sozialpolitik innerhalb der Euro-Gruppe erwähnt. Am 2. Februar 2011 habe der Deutsche Bundestag den schriftlichen Vorbericht des Bundeskanzleramtes zur Tagung des Europäischen Rates am 4. Februar 2011 erhalten. Am 3. Februar 2011 habe der Staatsminister des Bundeskanzleramtes mit den Obleuten des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union wegen des geplanten Paktes für Wettbewerbsfähigkeit telefoniert. Auf seiner Tagung am 4. Februar 2011 habe der Europäische Rat Elemente für ein Gesamtpaket zur dauerhaften Stärkung der Wirtschafts- und Währungsunion benannt. Die Staats- und Regierungschefs hätten sich dem Grunde nach darauf verständigt, dass ein Element des Gesamtpakets darin bestehen solle, weitere Schritte hin zu einer Vertiefung der Koordinierung der Wirtschaftspolitik mit dem Ziel einer größeren Konvergenz und Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit zu unternehmen. Inhaltliche Festlegungen seien beim Europäischen Rat am 4. Februar 2011 nicht getroffen worden. Über die Ergebnisse dieses Europäischen Rates habe das Bundeskanzleramt dem Deutschen Bundestag am 7. Februar 2011 schriftlich berichtet; der Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union sei am 9. Februar 2011 mündlich unterrichtet worden, der Finanzausschuss am 23. Februar 2011.

69

Der Präsident des Europäischen Rates habe zwischen dem 7. Februar 2011 und dem 11. März 2011 bilaterale Konsultationen mit allen Mitgliedstaaten, die dem Euro-Währungsgebiet angehören, geführt, in einer informellen Runde Vertreter aller dieser Mitgliedstaaten über die Ergebnisse seiner Konsultationen informiert und im Lichte dieser Beratungen den Text erstellt, der den Staats- und Regierungschefs dann auf ihrer informellen Tagung am 11. März 2011 vorgelegt worden sei. Die Bundeskanzlerin habe den Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union vorab über die informelle Tagung der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes am 11. März 2011 informiert. Am Morgen des 11. März 2011 habe die Antragsgegnerin dem Deutschen Bundestag eine Entwurfsfassung des nun als "Pakt für den Euro" bezeichneten Vorhabens übersandt, auf den sich die Staats- und Regierungschefs am gleichen Tag geeinigt hätten. Nachberichte seien wiederum im Finanzausschuss am 16. März 2011, im Haushaltsausschuss am 23. März 2011 und im Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union ebenfalls am 23. März 2011 erstattet worden. Das deutsche Aktionsprogramm im Rahmen des Euro-Plus-Paktes sei dem Deutschen Bundestag ebenfalls präsentiert worden. Am 24. März 2011 habe die Bundeskanzlerin im Plenum des Deutschen Bundestages eine Regierungserklärung zur bevorstehenden Tagung des Europäischen Rates vom 24./25. März 2011 abgegeben, auf der der Euro-Plus-Pakt endgültig verabschiedet worden sei. Hierüber habe der Staatsminister des Bundeskanzleramtes die Obleute des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union am 28. März 2011 telefonisch unterrichtet. Damit seien alle Informationspflichten erfüllt.

70

Die Antragsgegnerin sei nicht verpflichtet gewesen, über in der Bundesregierung oder zwischen der Bundesregierung und der französischen Regierung noch nicht abgestimmte Überlegungen zu einem Pakt für Wettbewerbsfähigkeit früher zu unterrichten als sie es getan habe. Es bestehe auch keine Pflicht, über eine noch nicht abgeschlossene interne Willensbildung zu informieren.

IV.

71

Der Deutsche Bundestag hat in seiner Sitzung vom 15. Dezember 2011 beschlossen, von einer Äußerung oder einem Verfahrensbeitritt abzusehen.

V.

72

In der mündlichen Verhandlung vom 30. November 2011 haben die Beteiligen ihr schriftsätzliches Vorbringen vertieft und ergänzt.

B.

73

Die Anträge sind zulässig.

I.

74

Die Anträge sind dahingehend auszulegen, dass sie sich auf die im Tenor festgestellten Rechtsverletzungen beschränken.

75

Die Antragstellerin macht eine Verletzung der Rechte des Deutschen Bundestages aus Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG auf Unterrichtung durch die Antragsgegnerin in Angelegenheiten der Europäischen Union geltend. Sie begehrt die Feststellung, dass die Antragsgegnerin den Deutschen Bundestag im Zusammenhang mit der Schaffung des Europäischen Stabilitätsmechanismus und des Euro-Plus-Paktes im Frühjahr 2011 nicht den Vorgaben der Verfassung entsprechend unterrichtet habe. Bezüglich des Europäischen Stabilitätsmechanismus wendet sich die Antragstellerin gegen die unterlassene Unterrichtung im Hinblick auf die Tagung des Europäischen Rates am 4. Februar 2011 und rügt die unterlassene Übersendung des Vertragsentwurfs vom 6. April 2011. Betreffend den Euro-Plus-Pakt beanstandet die Antragstellerin im Zusammenhang mit der Tagung des Europäischen Rates vom 4. Februar 2011 das Unterlassen jeglicher Unterrichtung über die Initiative der Antragsgegnerin sowie einer umfassenden und frühestmöglichen Information über den Pakt.

76

Eine Konkretisierung dieser Anträge im Sinne der im Tenor festgestellten Unterlassungen der Antragsgegnerin ergibt sich in hinreichendem Maße aus der Antragsbegründung. Dort werden der der Bundesregierung am 21. Februar 2011 vorliegende Text der Europäischen Kommission über die Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus und der Entwurf eines Vertrages über den Europäischen Stabilitätsmechanismus vom 6. April 2011 ebenso in Bezug genommen wie die Initiative für den Beschluss eines Paktes für Wettbewerbsfähigkeit und das inoffizielle Dokument der Präsidenten der Europäischen Kommission und des Europäischen Rates vom 25. Februar 2011.

II.

77

1. Die Antragstellerin ist als Fraktion im 17. Deutschen Bundestag im Organstreitverfahren parteifähig (§ 13 Nr. 5, § 63 BVerfGG) und berechtigt, Rechte des Deutschen Bundestages im Wege der Prozessstandschaft geltend zu machen (vgl. BVerfGE 2, 143 <165>; 45, 1 <28>; 67, 100 <125>; 104, 151 <193>; 118, 244 <254 f.>; 124, 78 <106>). Dies ist sowohl Ausdruck der Kontrollfunktion des Parlaments als auch ein Instrument des Minderheitenschutzes (vgl. BVerfGE 45, 1 <29 f.>; 60, 319 <325 f.>; 68, 1 <77 f.>; 121, 135 <151>). Die Bundesregierung ist nach § 63 BVerfGG taugliche Antragsgegnerin.

78

2. Das gerügte Unterlassen der Antragsgegnerin ist zulässiger Gegenstand eines Organstreitverfahrens (§ 64 Abs. 1 BVerfGG).

79

3. Die Antragstellerin ist antragsbefugt (§ 64 Abs. 1 BVerfGG) und hat ihre Anträge den Anforderungen des § 64 Abs. 2 BVerfGG entsprechend begründet. Sie macht eine Verletzung der Unterrichtungspflicht der Bundesregierung aus Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG geltend, der ein Recht des Deutschen Bundestages auf Unterrichtung korrespondiert.Diese als verletzt geltend gemachte Rechtsposition gründet in einem Verfassungsverhältnis, in dem sich auf beiden Seiten Verfassungsorgane gegenüber stehen und um verfassungsrechtliche Positionen streiten.

80

Soweit die als verletzt gerügten Unterrichtungspflichten sich auch nach dem einfachen Recht - hier insbesondere dem Gesetz über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union - bestimmen, ist dies im Organstreit allenfalls insoweit relevant, als das Gesetz unmittelbar aus der Verfassung selbst folgende Rechte und Pflichten widerspiegelt; eine Verletzung einfachen Rechts kann im Organstreit nicht geltend gemacht werden (vgl. BVerfGE 104, 151 <193 f.>; 118, 277 <319>).

81

4. Beide Anträge sind auch fristgerecht gestellt. Sie sind am 25. Juli 2011 und damit innerhalb von sechs Monaten seit Bekanntwerden der Unterlassung (§ 64 Abs. 3 BVerfGG) beim Bundesverfassungsgericht eingegangen (vgl. hierzu BVerfGE 92, 80 <89>).

82

Die Frist zur Antragstellung beginnt erst dann, wenn ein entsprechender Verstoß mit hinreichender Sicherheit feststeht oder wenn sich der Antragsgegner erkennbar weigert, die Maßnahmen zu treffen, die der Antragsteller zur Wahrung der Rechte aus seinem verfassungsrechtlichen Status für erforderlich hält (BVerfGE 92, 80 <89>; 103, 164 <170 f.>; 107, 286 <297>; 114, 107 <118>; zuletzt BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 22. November 2011 - 2 BvE 3/08 -, juris Rn. 34). Dies war hier bezüglich beider Anträge frühestens am 26. Januar 2011 der Fall.

83

a) Da der Lauf der Frist nach § 64 Abs. 3 BVerfGG jedenfalls nicht vor einer entsprechenden und eindeutigen Weigerung des zuständigen Ressortministers beginnen kann (vgl. BVerfGE 21, 312 <319 f.>; s. auch BVerfGE 4, 250 <269>), wurde die Antragsfrist hinsichtlich des Antrags zu 1. frühestens am 26. Januar 2011 in Gang gesetzt. An diesem Tag lehnte der Bundesminister der Finanzen gegenüber dem Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union die Weiterleitung eines inoffiziellen Papiers (non paper) der Europäischen Kommission mit Inhalten und Plänen zum Gesamtpaket ("comprehensive package") von Europäischer Finanzstabilisierungsfazilität und Europäischem Stabilitätsmechanismus ausdrücklich mit der Begründung ab, dass im Hinblick auf Sitzungen der Finanzminister der Euro-Gruppe eine mündliche Unterrichtung ausreiche.

84

Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin wurde ein früherer Fristlauf weder durch die E-Mail eines Referatsleiters im Bundesministerium der Finanzen vom 19. Januar 2011 noch durch Erklärungen im Finanzausschuss und im Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom gleichen Tag ausgelöst. Hierin lässt sich bereits keine eindeutige Weigerung der Bundesregierung erblicken, den Deutschen Bundestag über die Entwicklung der Ausgestaltung des Europäischen Stabilitätsmechanismus und ihn betreffende Vertragsentwürfe zu unterrichten. Noch am 17. Januar 2011 hatte das Bundesministerium der Finanzen auf die Dokumentenanforderung aus dem Bundestag (Referat PA 1 - Europa) telefonisch zugesichert, inoffizielle Dokumente (non papers) der Europäischen Kommission, sobald sie vorlägen, an den Deutschen Bundestag zu übermitteln; zudem wurde sowohl in der E-Mail vom 19. Januar 2011 als auch in den Erklärungen gegenüber den Ausschüssen ausdrücklich versichert, dass der Bundestag über die Arbeiten an dem permanenten Europäischen Stabilitätsmechanismus wie bisher regelmäßig unterrichtet beziehungsweise beteiligt werde, sobald eine abgestimmte Position der Bundesregierung vorliege. Selbst wenn man die in der E-Mail vom 19. Januar 2011 geäußerte Auffassung, es gehe bei den Überlegungen zur Entwicklung eines Europäischen Stabilitätsmechanismus um die Vorbereitung eines zwischenstaatlichen Instruments der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes und nicht um ein Vorhaben der Europäischen Union, als Weigerung verstehen wollte, der Unterrichtungspflicht nach Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG nachzukommen, könnte diese nicht der Bundesregierung zugerechnet werden. Denn bei den Äußerungen handelte es sich lediglich um die - überdies informell geäußerte - Rechtsauffassung eines Referatsleiters beziehungsweise anderer Beamter des Bundesministeriums der Finanzen.

85

b) Auch der Antrag zu 2. ist fristgerecht gestellt. Vor dem 25. Januar 2011 ist eine den Fristlauf in Gang setzende endgültige Weigerung der Antragsgegnerin, dem Deutschen Bundestag Informationen zum Euro-Plus-Pakt zu übermitteln, nicht ersichtlich.

86

5. Der Antragstellerin fehlt es für die Anträge schließlich nicht an dem erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis.

87

Umfang und Reichweite der Informationspflichten und -rechte aus Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG sind unklar und zwischen den Beteiligten umstritten. Dies gilt bereits für den Anwendungsbereich der in Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG geregelten Unterrichtungsrechte des Bundestages. Hier ist klärungsbedürftig, ob Angelegenheiten der Europäischen Union auch intergouvernementale Verträge und Absprachen erfassen, die zwar im Zusammenhang mit der europäischen Integration stehen, aber nicht auf eine Rechtsetzung durch die Europäische Union zielen. Hinsichtlich des Antrags zu 1. hatte die Antragsgegnerin bereits vorprozessual zu erkennen gegeben, dass sie völkerrechtliche Abkommen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union nicht als Angelegenheiten der Europäischen Union verstanden wissen will. Darüber hinaus hat der Bundesminister der Finanzen die Auffassung vertreten, über Dossiers der Euro-Gruppe sei nur mündlich zu unterrichten.

88

Das Rechtsschutzbedürfnis der Antragstellerin wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass die Bundesregierung dem Deutschen Bundestag bereits am 17. Mai 2011 und damit vor Stellung des Antrags im Organstreitverfahren den Entwurf zum Vertrag über den Europäischen Stabilitätsmechanismus und am 11. März 2011 zum Euro-Plus-Pakt zugeleitet hat. Das Rechtsschutzbedürfnis im Organstreitverfahren entfällt grundsätzlich nicht deshalb, weil eine beanstandete Rechtsverletzung abgeschlossen ist (BVerfGE 1, 372 <379>; 41, 291 <303>; 121, 135 <152>). Ob besondere Umstände im Sinne eines "Fortsetzungsfeststellungsinteresses" erforderlich sind, damit über eine in der Vergangenheit liegende und abgeschlossene Rechtsverletzung entschieden werden kann, bedarf hier keiner Entscheidung; denn solche Umstände sind hier in Form eines objektiven Interesses an der Klärung der Reichweite der Unterrichtungspflichten aus Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG (vgl. zum Klarstellungsinteresse BVerfGE 1, 372 <379>; 121, 135 <152>) und in Form einer Wiederholungsgefahr (vgl. BVerfGE 121, 135 <152>; 124, 267 <275>) gegeben. Die Rechtsauffassung, dass es sich bei den verfahrensgegenständlichen Vorgängen nicht um Angelegenheiten der Europäischen Union handele, hat die Antragsgegnerin auch in der Antragserwiderung vorgetragen. Zudem hatte sie vorprozessual vertreten, Papiere, die noch nicht zwischen den Ressorts abgestimmt seien, müssten auch dann nicht dem Bundestag vorgelegt werden, wenn diese von der Bundeskanzlerin zur Grundlage deutscher politischer Initiativen auf europäischer Ebene gemacht würden. Auch bei mündlich eingebrachten Initiativen bestehe keine Unterrichtungspflicht im Sinne von Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG. Den gerügten Unterlassungen liegen damit jeweils Rechtsauffassungen der Antragsgegnerin zu Grunde, die zukünftig in vergleichbaren Fällen zu gleichen Reaktionen auf geltend gemachte Informationsansprüche des Parlaments führen können.

C.

89

Die Anträge sind begründet.

I.

90

Verfassungsrechtlicher Maßstab für die Unterrichtung des Deutschen Bundestages durch die Bundesregierung in und über Angelegenheiten der Europäischen Union ist Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG. Mit Art. 23 GG hat der verfassungsändernde Gesetzgeber die traditionelle Aufgabenverteilung zwischen Exekutive und Legislative im Bereich der auswärtigen Gewalt (1.) für die Angelegenheiten der Europäischen Union dergestalt geordnet, dass er dem Deutschen Bundestag weitreichende Mitwirkungsrechte eingeräumt hat (2.). Die in Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG verankerten Unterrichtungspflichten der Bundesregierung sind Voraussetzung und Ausdruck dieser Mitwirkungsrechte und haben den daraus folgenden Informationsbedürfnissen des Bundestages - unter Wahrung des Kernbereichs exekutiver Eigenverantwortung - in sachlicher, zeitlicher und förmlicher Hinsicht zu genügen (3.).

91

1. Das Grundgesetz hat in Anknüpfung an die traditionelle Staatsauffassung der Regierung im Bereich auswärtiger Politik einen weit bemessenen Spielraum zu eigenverantwortlicher Aufgabenwahrnehmung überlassen (BVerfGE 104, 151 <207>; vgl. auch schon BVerfGE 49, 89 <125>). Die Rolle des Parlaments ist schon aus Gründen der Funktionsgerechtigkeit in diesem Bereich beschränkt (vgl. BVerfGE 104, 151 <207>). Zwar sieht Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG für den Abschluss völkerrechtlicher Verträge, welche die politischen Beziehungen des Bundes regeln oder sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung beziehen, die Notwendigkeit der Zustimmung oder Mitwirkung der jeweils für die Bundesgesetzgebung zuständigen Körperschaften in Form eines Bundesgesetzes vor. Der Verkehr mit anderen Staaten, die Vertretung in internationalen Organisationen, zwischenstaatlichen Einrichtungen und Systemen gegenseitiger kollektiver Sicherheit (Art. 24 Abs. 2 GG) sowie die Sicherstellung der gesamtstaatlichen Verantwortung bei der Außenvertretung Deutschlands fallen aber grundsätzlich in den Kompetenzbereich der Exekutive, insbesondere der Bundesregierung. Die grundsätzliche Zuordnung der Akte des auswärtigen Verkehrs zum Kompetenzbereich der Exekutive beruht auf der Annahme, dass institutionell und auf Dauer typischerweise allein die Regierung in hinreichendem Maße über die personellen, sachlichen und organisatorischen Möglichkeiten verfügt, auf wechselnde äußere Lagen zügig und sachgerecht zu reagieren, und so die staatliche Aufgabe, die auswärtigen Angelegenheiten verantwortlich wahrzunehmen, bestmöglich zu erfüllen (BVerfGE 68, 1 <87>; vgl. auch BVerfGE 104, 151 <207>). Eine erweiternde Auslegung der Zustimmungs- oder Mitwirkungsbefugnisse des Bundestages unter Überspielung der konkreten Ordnung der Verteilung und des Ausgleichs staatlicher Macht im Grundgesetz würde die außen- und sicherheitspolitische Handlungsfähigkeit der Bundesregierung ungerechtfertigt beschneiden und liefe auf eine nicht funktionsgerechte Teilung der Staatsgewalt hinaus (vgl. BVerfGE 90, 286 <363>; 104, 151 <207>). Sie lässt sich nicht auf einen aus dem Demokratieprinzip abgeleiteten allumfassenden Parlamentsvorbehalt stützen (vgl. BVerfGE 49, 89 <124 ff.>; 68, 1 <87>).

92

Auch die der Bundesregierung anvertraute auswärtige Gewalt steht aber nicht außerhalb parlamentarischer Kontrolle (vgl. BVerfGE 104, 151 <207>; siehe ferner BVerfGE 49, 89 <125>; 68, 1 <89>; 90, 286 <364>). Das parlamentarische Regierungssystem des Grundgesetzes stellt dem Deutschen Bundestag auch insoweit geeignete Instrumente für die politische Kontrolle der Bundesregierung zur Verfügung. Der Bundestag kann sein Frage-, Debatten- und Entschließungsrecht ausüben, seine Kontroll- und Haushaltsbefugnisse wahrnehmen und dadurch auf die Entscheidungen der Regierung einwirken oder durch Wahl eines neuen Bundeskanzlers die Regierung stürzen, Art. 67 Abs. 1 Satz 1 GG (BVerfGE 68, 1<109 f.>; vgl. auch BVerfGE 104, 151 <208>).

93

Bei der Gestaltung völkerrechtlicher Verträge ist der Bundestag grundsätzlich auf die nachträgliche Zustimmung gemäß Art. 59 Abs. 2 GG verwiesen ("Ratifikationslage"). Inwieweit die Bundesregierung in diesem Zusammenhang Unterrichtungspflichten treffen, die in den Bereich der vorausgehenden Vertragsverhandlungen hineinreichen, ist nicht grundsätzlich geklärt und hier nicht zu entscheiden.

94

2. Für den Bereich der Europäischen Union hat Art. 23 GG das Spannungsverhältnis zwischen exekutiver Außenvertretung und parlamentarischer Verantwortung auf spezifische Weise ausgestaltet (a) und dem Deutschen Bundestag in Ansehung der mit der Europäisierung verbundenen Gewichtsverlagerung zugunsten der Exekutive (b) weitreichende Mitwirkungsrechte zugestanden (c).

95

a) Art. 23 GG sieht für die Ausübung der auswärtigen Gewalt durch die Bundesregierung in Angelegenheiten der Europäischen Union eine Mitwirkung von Bundestag und Bundesrat vor (Art. 23 Abs. 2 Satz 1 GG). Zentraler, wenn auch nicht alleiniger Bezugspunkt der Mitwirkung des Bundestages ist die Verpflichtung der Bundesregierung, dem Deutschen Bundestag vor einer Mitwirkung an Rechtsetzungsakten der Europäischen Union Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben (Art. 23 Abs. 3 Satz 1 GG) und diese Stellungnahme bei den Verhandlungen zu berücksichtigen (Art. 23 Abs. 3 Satz 2 GG).

96

b) Mit Art. 23 GG hat der verfassungsändernde Gesetzgeber auf mit der europäischen Integration verbundene Verschiebungen im nationalen Gewaltengefüge reagiert. Die europäische Union besitzt aufgrund der Übertragung von Hoheitsrechten (Art. 23 Abs. 1 GG) die Kompetenz, selbst Recht zu setzen, das unmittelbar gilt und in vielfältiger Weise Rechte und Pflichten für die Bürger begründet. Bei seinem Erlass agieren über den Europäischen Rat und den Rat nicht primär die nationalen Gesetzgebungsorgane, sondern die mitgliedstaatlichen Exekutiven. Die der Gesetzgebung zugrunde liegenden politischen Vorstellungen werden vom Europäischen Rat, der sich aus den Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten und den Präsidenten des Europäischen Rates und der Kommission zusammensetzt, in Bezug auf die allgemeinen politischen Ziele festgelegt (Art. 15 EUV). Vor allem ist der Rat, der aus den Vertretern der Mitgliedstaaten auf Ministerebene besteht (vgl. heute Art. 16 Abs. 2 EUV) und grundsätzlich mit qualifizierter Mehrheit entscheidet (Art. 16 Abs. 3 EUV), für die Festlegung der Politik zuständig und - in der Regel gemeinsam mit dem Europäischen Parlament - zentrales Gesetzgebungsorgan (vgl. Art. 16 Abs. 1 EUV). Das stellt die parlamentarische Demokratie auf nationaler Ebene vor besondere Herausforderungen, weil das Parlament aus der Rolle der zentralen Entscheidungsinstanz teilweise verdrängt wird (vgl. Unger, Das Verfassungsprinzip der Demokratie, 2008, S. 43). Eine stärkere Einbindung der nationalen Parlamente in den Integrationsprozess kann deren Kompetenzverluste gegenüber der jeweiligen nationalen Regierung ausgleichen.

97

Eine verbesserte Mitwirkung des nationalen Parlaments an den Entscheidungen der an der Rechtsetzung im Rat beteiligten Bundesregierung wurde als Bedingung ausreichender demokratischer Legitimation der supranationalen Rechtsetzung betrachtet (Abgeordneter Verheugen, Gemeinsame Verfassungskommission, 11. Sitzung am 15. Oktober 1992, Stenographischer Bericht, in: Deutscher Bundestag , Materialien zur Verfassungsdiskussion und zur Grundgesetzänderung in der Folge der deutschen Einigung, Band 1, Bericht und Sitzungsprotokolle, 1996, S. 543 <545>). Daher wurde in den Beratungen der Gemeinsamen Verfassungskommission von Bundestag und Bundesrat eine umfassende und frühestmögliche Unterrichtung durch die Bundesregierung gefordert, um Bundestag und Bundesrat zumindest Gelegenheit zur Einflussnahme auf die Mitwirkung der Bundesregierung an Vorhaben der Europäischen Union zu geben (vgl. Möller/Limpert, ZParl 24 <1993>, S. 21 <24 ff.>).

98

Die verglichen mit der allgemeinen Gewichtsverteilung zwischen Bundesregierung und Deutschem Bundestag im Bereich der auswärtigen Gewalt stärkere Einbindung des Parlaments in Angelegenheiten der Europäischen Union durch weitreichende Informations- und Mitwirkungsrechte (zu ähnlichen Regelungen in anderen Mitgliedstaaten vgl. etwa Art. 6 des Dänischen Gesetzes über den Beitritt zu den Europäischen Gemeinschaften; Art. 88-4 der Französischen Verfassung; Art. 23e des Österreichischen Bundes-Verfassungsgesetzes; Art. 197<1.> lit. i der Portugiesischen Verfassung; Kap. 10 §§ 2 und 3 der Schwedischen Reichstagsordnung) ist zudem Teil einer institutionellen Architektur, die den nationalen Parlamenten in der Europäischen Union eine über die Mitgliedstaaten hinausweisende Rolle zuweist und auf diese Weise ihr demokratisches Legitimationspotential für die Europäische Union fruchtbar machen will (vgl. Lang, Die Mitwirkungsrechte des Bundesrates und des Bundestages in Angelegenheiten der Europäischen Union gemäß Art. 23 Abs. 2 bis 7 GG, 1997, S. 279 f.). Art. 23 Abs. 2 GG korrespondiert insoweit mit Art. 12 EUV, der den nationalen Parlamenten eine stärkere Rolle im institutionellen Gefüge der Europäischen Union beimisst (vgl. auch Protokoll über die Rolle der nationalen Parlamente in der Europäischen Union; Protokoll über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit).

99

c) Art. 23 Abs. 2 Satz 1 GG bezieht das Mitwirkungsrecht des Parlaments auf Angelegenheiten der Europäischen Union und bestimmt damit zugleich den Gegenstand der Unterrichtungspflicht gemäß Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG. Zu den Angelegenheiten der Europäischen Union gehören Vertragsänderungen und entsprechende Änderungen auf der Ebene des Primärrechts (Art. 23 Abs. 1 GG; vgl. auch §§ 2 ff. des Gesetzes über die Wahrnehmung der Integrationsverantwortung des Bundestages und des Bundesrates in Angelegenheiten der Europäischen Union vom 22. September 2009 ) sowie Rechtsetzungsakte der Europäischen Union (Art. 23 Abs. 3 GG). Darin erschöpft sich der Anwendungsbereich der Norm aber nicht.

100

Um Angelegenheiten der Europäischen Union kann es sich auch in anderen Fällen handeln. Insbesondere gehören völkerrechtliche Verträge unabhängig davon, ob sie auf eine förmliche Änderung der vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union (Art. 23 Abs. 1 Satz 3 GG) gerichtet sind, zu den Angelegenheiten der Europäischen Union, wenn sie in einem Ergänzungs- oder sonstigen besonderen Näheverhältnis zum Recht der Europäischen Union stehen. Wann ein solches Verhältnis vorliegt, lässt sich nicht anhand eines einzelnen abschließenden und zugleich trennscharfen Merkmals bestimmen (vgl. auch die Technik lediglich exemplarischer Aufzählung von Vorhaben in § 3 EUZBBG). Maßgebend ist vielmehr eine Gesamtbetrachtung der Umstände, einschließlich geplanter Regelungsinhalte, -ziele und -wirkungen, die sich, je nach Gewicht, einzeln oder in ihrem Zusammenwirken als ausschlaggebend erweisen können. Für die Zugehörigkeit zu den Angelegenheiten der Europäischen Union kann es etwa sprechen, wenn die geplante völkerrechtliche Koordination im Primärrecht verankert oder die Umsetzung des Vorhabens durch Vorschriften des Sekundär- oder Tertiärrechts vorgesehen ist oder ein sonstiger qualifizierter inhaltlicher Zusammenhang mit einem in den Verträgen niedergelegten Politikbereich - also mit dem Integrationsprogramm der Europäischen Union - besteht, wenn das Vorhaben von Organen der Europäischen Union vorangetrieben wird oder deren Einschaltung in die Verwirklichung des Vorhabens - auch im Wege der Organleihe - vorgesehen ist oder wenn ein völkerrechtlicher Vertrag ausschließlich zwischen Mitgliedstaaten der Europäischen Union geschlossen werden soll. Ein qualifizierter inhaltlicher Zusammenhang mit einem der primärrechtlich normierten Politikbereiche der Europäischen Union (vgl. auch § 4 Abs. 4 Nr. 1 EUZBBG), der ein Ergänzungs- oder sonstiges besonderes Näheverhältnis zum Unionsrecht begründet, wird insbesondere dann vorliegen, wenn der Sinn eines Vertragsvorhabens gerade im wechselseitigen Zusammenspiel mit einem dieser Politikbereiche liegt, und erst recht dann, wenn der Weg der völkerrechtlichen Koordination gewählt wird, weil gleichgerichtete Bemühungen um eine Verankerung im Primärrecht der Union nicht die notwendigen Mehrheiten gefunden haben.

101

Für dieses weite Verständnis des Art. 23 Abs. 2 Satz 1 GG spricht zunächst sein Wortlaut. Der Formulierung "Angelegenheiten der Europäischen Union" kann keine Beschränkung auf bestimmte Rechtsakte entnommen werden. Eine solche ergibt sich auch nicht aus dem Zusammenspiel des Begriffs "Angelegenheiten" mit dem Begriff der "Europäischen Union". Der Wortlaut ist vielmehr offen: Er lässt einerseits eine Deutung dergestalt zu, dass nur solche Vorhaben gemeint sind, deren Urheberin oder unmittelbarer Gegenstand die Europäische Union als Institution ist. Er lässt sich jedoch auch zwanglos als umfassender Verweis auf Angelegenheiten mit spezifischem Bezug zur Europäischen Union und dem ihr zugewiesenen Integrationsprogramm ohne Festlegung auf bestimmte Gestaltungsformen verstehen.

102

Systematische Gesichtspunkte erhärten diese Auslegung. So ist in Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG von der Entwicklung der Europäischen Union zum Zwecke der Verwirklichung eines vereinten Europas die Rede, womit Programm und Zielrichtung der gesamten Vorschrift bestimmt werden. Dem würde es widersprechen, weite Teile des dynamischen und vielgestaltigen Prozesses der Integration im Rahmen der Europäischen Union von vornherein aus dem parlamentarischen Mitwirkungsrecht auszuklammern.

103

Der in den Beratungen der Gemeinsamen Verfassungskommission allgegenwärtige Kompensationsgedanke weist ebenfalls auf ein weites Verständnis der Regelung hin. Sie soll gewährleisten, dass der Deutsche Bundestag über seine Verantwortung für die Übertragung von Hoheitsrechten auf die Europäische Union gemäß Art. 23 Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 123, 267 <351 ff.>) hinaus auch an deren weiterer Gestaltung und an ihrem Wirken teilhat. Art. 23 Abs. 2 GG zielt deshalb darauf, dem Bundestag ausreichende Zeit für eine Entscheidung einzuräumen, ob und gegebenenfalls wie er sich an der nationalen Willensbildung beteiligen möchte (vgl. Schorkopf, in: Bonner Kommentar, Art. 23 Rn. 136 ). Diese Frage stellt sich nicht nur mit Blick auf die Beteiligung an der Rechtsetzung im Sinne von Art. 288 ff. AEUV, sondern auch für sonstige Initiativen und Vorschläge, die für die Entwicklung und das Handeln der Europäischen Union von Bedeutung sind. Im Hinblick darauf muss Art. 23 Abs. 2 GG auch auf die Erarbeitung völkerrechtlicher Verträge und politischer Initiativen Anwendung finden, wenn diese im obigen Sinne substantielle Berührungspunkte mit dem in den Verträgen niedergelegten Integrationsprogramm aufweisen.

104

Schließlich legt auch die historische Auslegung eine weite Interpretation des Begriffs der "Angelegenheiten der Europäischen Union" nahe. Art. 23 Abs. 2 GG hat im Zusammenhang mit der Ratifikation des Vertrags von Maastricht Eingang in das Grundgesetz gefunden, mit einem Vertrag also, der die damals bereits über 30 Jahre alten supranationalen Europäischen Gemeinschaften mit der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik sowie der Gemeinsamen Justiz- und Innenpolitik, zwei seinerzeit intergouvernemental organisierten Politikbereichen, unter dem Dach der Europäischen Union zusammenfasste (vgl. BVerfGE 89, 155 <158 ff.>; Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht, 5. Aufl. 2011, § 3 Rn. 2). Der verfassungsändernde Gesetzgeber des Jahres 1992 hatte somit ein Bild der Europäischen Union vor Augen, in der die - allein supranationalen - Europäischen Gemeinschaften und die intergouvernementalen Bereiche unterschieden wurden. Wenn er die Mitwirkungsrechte des Bundestages vor diesem Hintergrund auf die Angelegenheiten der Europäischen Union bezogen hat, liegt es nahe, dass er zwischen den Säulen der Europäischen Union nicht differenzieren wollte. Vielmehr sollte sich Art. 23 Abs. 2 GG auf "alle Vorhaben der Europäischen Union [erstrecken], die für die Bundesrepublik Deutschland bzw. den Bundestag von Interesse sein könnten" (BTDrucks 12/6000, S. 21). Bestätigt wird dies durch die sich im Laufe der Beratungen verfestigende Erkenntnis, dass die europäische Integration ein dynamischer Entwicklungsprozess sei, der auf der Ebene der Mitgliedstaaten ein hohes Maß an Flexibilität erfordere (BTDrucks 12/3338, S. 6; BTDrucks 12/6000, S. 20). Anhaltspunkte für eine abweichende Auslegung ergeben sich auch nicht aus der Ratifikation des Vertrags von Lissabon, weil nicht erkennbar ist, dass dadurch die Reichweite des Art. 23 Abs. 2 GG reduziert werden sollte.

105

Ob und inwieweit Maßnahmen in den Bereichen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik und der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik von Art. 23 Abs. 2 GG erfasst werden, ist hier nicht zu entscheiden.

106

3. Nach Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG hat die Bundesregierung den Bundestag (und den Bundesrat) umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu unterrichten. Gegenstand, Grenzen sowie Art und Weise der Unterrichtung des Deutschen Bundestages sind mit Blick auf den Normzweck, diesem eine effektive Wahrnehmung seiner Mitwirkungsrechte in Angelegenheiten der Europäischen Union unter Wahrung der Eigenverantwortung der Exekutive zu ermöglichen, zu bestimmen (a). Daraus folgen nähere Anforderungen an die Unterrichtung (b).

107

a) aa) Anknüpfungspunkt der Unterrichtungspflicht ist das in Art. 23 Abs. 2 Satz 1 GG verankerte Recht des Deutschen Bundestages auf Mitwirkung in Angelegenheiten der Europäischen Union. Die Unterrichtung muss dem Bundestag in erster Linie eine frühzeitige und effektive Einflussnahme auf die Willensbildung der Bundesregierung eröffnen. Nur auf einer ausreichenden Informationsgrundlage ist der Bundestag in der Lage, den europäischen Integrationsprozess zu begleiten und zu beeinflussen, kann er das Für und Wider einer Angelegenheit diskutieren und Stellungnahmen erarbeiten. Die Unterrichtung muss so erfolgen, dass das Parlament nicht in eine bloß nachvollziehende Rolle gerät (vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 7. September 2011 - 2 BvR 987/10, 2 BvR 1485/10, 2 BvR 1099/10 -, NJW 2011, S. 2946 <2951>, Rn. 124; Urteil des Zweiten Senats vom 28. Februar 2012 - 2 BvE 8/11 -, juris Rn. 109).

108

Die Entstehungsgeschichte von Art. 23 Abs. 2 GG bestätigt diese Interpretation. Vor der Neufassung des Art. 23 GG verlangten die im Deutschen Bundestag vertretenen Fraktionen übereinstimmend die Verankerung von parlamentarischen Mitwirkungsrechten mit dem Ziel, die Entscheidungen über europäische Rechtsetzungsakte bereits vorab auf nationaler Ebene beeinflussen zu können (vgl. die Abgeordneten Dr. Möller und Verheugen, Gemeinsame Verfassungskommission, 11. Sitzung am 15. Oktober 1992, Stenographischer Bericht, in: Deutscher Bundestag , Materialien zur Verfassungsdiskussion und zur Grundgesetzänderung in der Folge der deutschen Einigung, Band 1, Bericht und Sitzungsprotokolle, 1996, S. 543 <544 f.>). Im Hinblick auf die Erfahrung, dass der Bundestag häufig vor vollendete Tatsachen gestellt worden war, die er nur noch hatte zur Kenntnis nehmen können, schlug die Gemeinsame Verfassungskommission die Festschreibung der Unterrichtungspflicht in Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG vor. Es bestand insoweit weitgehende Einigkeit, dass eine fundierte Willensbildung und verantwortungsvolle Mitwirkung des Bundestages eine umfassende Information zum frühestmöglichen Zeitpunkt voraussetze (vgl. BTDrucks 12/3896, S. 19; BTDrucks 12/6000, S. 21; vgl. auch Möller/Limpert, ZParl 24 <1993>, S. 21 <26>).

109

bb) Die Unterrichtungspflicht nach Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG soll dazu beitragen, "Informationsasymmetrien" zwischen Bundesregierung und Bundestag auszugleichen, soweit dies zur Gewährleistung einer effektiven Rechtswahrnehmung erforderlich ist (Schorkopf, in: Bonner Kommentar, Bd 6, Art. 23 Rn. 144 ). Eine enge Auslegung liefe diesem Zweck zuwider. Der verfassungsändernde Gesetzgeber hat sich, wie die Entstehungsgeschichte nahelegt, bewusst für eine weitreichende Unterrichtungspflicht entschieden.

110

Nachdem die ursprünglich vorgesehene Bindung an die Stellungnahmen des Bundestages (so noch der Vorschlag von Möller, Arbeitsunterlage Nr. 67 der Gemeinsamen Verfassungskommission vom 9. Juli 1992) auf Druck der Bundesregierung auf die - deutlich schwächere - Pflicht zur Berücksichtigung der Stellungnahmen (Art. 23 Abs. 3 Satz 2 GG) reduziert worden war, setzte der Bundestag im Gegenzug eine strengere Fassung der Unterrichtungspflicht durch (vgl. Abgeordneter Verheugen, Gemeinsame Verfassungskommission, 11. Sitzung am 15. Oktober 1992, Stenographischer Bericht, in: Deutscher Bundestag , Materialien zur Verfassungsdiskussion und zur Grundgesetzänderung in der Folge der deutschen Einigung, Band 1, Bericht und Sitzungsprotokolle, 1996, S. 543 <545>). Wenn die Unterrichtungspflichten der Bundesregierung daher im Vergleich mit den in Art. 23 Abs. 3 GG geregelten Mitwirkungsrechten des Bundestages eine überschießende Tendenz aufweisen (vgl. Uerpmann-Wittzack, in: v. Münch/Kunig, GG, Bd. 1, 6. Aufl. 2012, Art. 23 Rn. 75), so verkörpert dies den spezifischen Zweck dieses institutionellen Arrangements, eine effektive Mitwirkung des Deutschen Bundestages in Angelegenheiten der Europäischen Union trotz Fehlens formaler Bindungsmöglichkeiten zu gewährleisten (vgl. Rath, Entscheidungspotenziale des Deutschen Bundestages in EU-Angelegenheiten, 2001, S. 43 ff.).

111

Für die Auslegung und Handhabung des Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG ist ferner von Bedeutung, dass die Unterrichtungspflicht nicht nur dazu dient, die Mitwirkungsrechte des Deutschen Bundestages nach Art. 23 Abs. 2 Satz 1 GG zu ermöglichen. Sie sichert auf nationaler Ebene zugleich ab, dass der Deutsche Bundestag die ihm in Art. 12 EUV sowie in Art. 1 und 2 des Protokolls über die Rolle der nationalen Parlamente in der Europäischen Union und in Art. 4 des Protokolls über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit zugewiesenen Aufgaben erfüllen kann.

112

cc) Die Auslegung und Anwendung des Art. 23 Abs. 2 GG hat darüber hinaus dem Umstand Rechnung zu tragen, dass diese Bestimmung auch dem im Demokratieprinzip verankerten Grundsatz parlamentarischer Öffentlichkeit dient.

113

Der Deutsche Bundestag trifft seine Entscheidungen grundsätzlich im Plenum (vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 28. Februar 2012 - 2 BvE 8/11 -, juris Rn. 102, 119) und in öffentlicher Beratung. Öffentliches Verhandeln von Argument und Gegenargument, öffentliche Debatte und öffentliche Diskussion sind wesentliche Elemente des demokratischen Parlamentarismus. Gerade das im parlamentarischen Verfahren nach Art. 42 Abs. 1 Satz 1 GG gewährleistete Maß an Öffentlichkeit der Auseinandersetzung und Entscheidungssuche eröffnet Möglichkeiten eines Ausgleichs widerstreitender Interessen, die sich bei einem weniger transparenten Vorgehen so nicht ergäben (BVerfGE 70, 324<355>; vgl. auch BVerfGE 40, 237 <249>). Im europäischen Kontext stärkt die öffentliche parlamentarische Willensbildung gleichzeitig die Responsivität von europäischen Entscheidungen für die Interessen und Überzeugungen der Bürger (vgl. Müller-Franken, DVBl 2009, S. 1072 <1080>). Erst die Öffentlichkeit der Beratung schafft die Voraussetzungen für eine Kontrolle durch die Bürger (vgl. BVerfGE 125, 104 <125>; zuletzt BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 28. Februar 2012 - 2 BvE 8/11 -, juris Rn. 108). Dies gilt auch, wo die parlamentarische Beratung sich, sei es mitwirkend oder kontrollierend, auf das Entscheidungsverhalten bezieht (zur Kontrollfunktion des Parlaments BVerfGE 67, 100 <130>; 110, 199 <218 f.>; 124, 78 <121>). Die parlamentarische Verantwortung gegenüber den Bürgern ist wesentliche Voraussetzung des von Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG geforderten effektiven Einflusses des Volkes auf die Ausübung der Staatsgewalt (vgl. BVerfGE 83, 60 <71 f.>; 93, 37 <66>).

114

Entscheidungen von erheblicher rechtlicher oder faktischer Bedeutung für die Spielräume künftiger Gesetzgebung muss grundsätzlich ein Verfahren vorausgehen, das der Öffentlichkeit Gelegenheit bietet, ihre Auffassungen auszubilden und zu vertreten, und das die Volksvertretung dazu anhält, Notwendigkeit und Umfang der zu beschließenden Maßnahmen zu klären (vgl. BVerfGE 85, 386 <403 f.>; 95, 267 <307 f.>; 108, 282 <312>). Exemplarisch dafür ist, dass der Deutsche Bundestag auch in einem System intergouvernementalen Regierens die haushaltspolitische Gesamtverantwortung nach diesen Grundsätzen wahrzunehmen hat. Nach seiner haushaltspolitischen Gesamtverantwortung muss der Deutsche Bundestag der Ort sein, an dem eigenverantwortlich über Einnahmen und Ausgaben entschieden wird, auch im Hinblick auf internationale und europäische Verbindlichkeiten (vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 7. September 2011 - 2 BvR 987/10, 2 BvR 1485/10, 2 BvR 1099/10 -, NJW 2011, S. 2946 <2951>, Rn. 124; BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 28. Februar 2012 - 2 BvE 8/11 -, juris Rn. 109). Hierfür gilt der Grundsatz der Budgetöffentlichkeit als Ausprägung des allgemeinen Öffentlichkeitsprinzips der Demokratie (vgl. BVerfGE 70, 324 <358>).

115

dd) Grenzen der Unterrichtungspflicht ergeben sich aus dem Grundsatz der Gewaltenteilung. Das Funktionengefüge des Grundgesetzes geht davon aus, dass die Regierung einen Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung besitzt, der einen grundsätzlich nicht ausforschbaren Initiativ-, Beratungs- und Handlungsbereich einschließt (BVerfGE 67, 100 <139>; 77, 1 <59>; 110, 199 <214>; 124, 78 <120>). Ein solcher nicht ausforschbarer Kernbereich wird vom Bundesverfassungsgericht etwa im Zusammenhang mit den Ermittlungen parlamentarischer Untersuchungsausschüsse und parlamentarischen Fragerechten anerkannt (vgl. BVerfGE 67, 100 <139>, zum Recht der Untersuchungsausschüsse; BVerfGE 110, 199 <215>; 124, 78 <120>, zum parlamentarischen Fragerecht). Zu diesem Kernbereich gehört jedenfalls die Willensbildung der Regierung, sowohl hinsichtlich der Erörterungen im Kabinett als auch bei der Vorbereitung von Kabinetts- und Ressortentscheidungen, die sich vor allem in ressortinternen und -übergreifenden Abstimmungsprozessen vollzieht (BVerfGE 67, 100 <139>; 110, 199 <214, 222>; 124, 78 <120>). Solange die interne Willensbildung der Bundesregierung nicht abgeschlossen ist, besteht daher kein Anspruch des Parlaments auf Unterrichtung.

116

b) Nach Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG muss die Unterrichtung des Bundestages in sachlicher Hinsicht umfassend sein (aa), in zeitlicher Hinsicht zum frühestmöglichen Zeitpunkt erfolgen (bb) und in einer zweckgerechten Weise ausgestaltet sein (cc). Diese Anforderungen besitzen zwar unterschiedliche Regelungsinhalte, stehen aber nicht isoliert nebeneinander, sondern sind aufeinander bezogen.

117

aa) Das Erfordernis der umfassenden Unterrichtung ist seiner Funktion gemäß auszulegen, dem Deutschen Bundestag die Wahrnehmung seiner Mitwirkungsrechte zu ermöglichen. Dementsprechend ist eine umso intensivere Unterrichtung geboten, je komplexer ein Vorgang ist, je tiefer er in den Zuständigkeitsbereich der Legislative eingreift und je mehr er sich einer förmlichen Beschlussfassung oder Vereinbarung annähert. Daraus ergeben sich Anforderungen an die Qualität, Quantität und Aktualität der Unterrichtung unter Berücksichtigung der aus dem Grundsatz der Gewaltenteilung folgenden Grenzen. Die Regelungen der §§ 4 ff. EUZBBG enthalten insoweit Konkretisierungen, die auch von der Bundesregierung im Grundsatz nicht in Frage gestellt worden sind.

118

(1) In qualitativer Hinsicht erfasst die Pflicht zur umfassenden Unterrichtung zunächst Initiativen und Positionen der Bundesregierung selbst. Darüber hinaus erstreckt sie sich auf die Weiterleitung amtlicher Unterlagen und Dokumente der Organe sowie sonstiger Gremien und Behörden der Europäischen Union und anderer Mitgliedstaaten in Angelegenheiten der Europäischen Union (oben C.I.2.c), ist darauf aber nicht beschränkt. Sobald und soweit die Bundesregierung selbst mit einer Angelegenheit befasst ist, können auch ihr vorliegende Informationen über informelle und (noch) nicht schriftlich dokumentierte Vorgänge erfasst sein. Die Unterrichtungspflicht kann, unabhängig von einer förmlichen Dokumentation, auch Gegenstand, Verlauf und Ergebnis der Sitzungen und Beratungen von Organen und Gremien der Europäischen Union betreffen, in denen die Bundesregierung vertreten ist (vgl. Pernice, in: Dreier, GG, Bd. 2, 2. Aufl. 2006, Art. 23 Rn. 101).

119

Nach dem Zweck der Unterrichtungspflicht kommt es nicht darauf an, ob die Bundesregierung die Informationen auf offiziellem Wege oder auf andere Weise erlangt hat (vgl. Pernice, in: Dreier, GG, Bd. 2, 2. Aufl. 2006, Art. 23 Rn. 101; Uerpmann-Wittzack, in: v. Münch/Kunig, GG, Bd. 1, 6. Aufl. 2012, Art. 23 Rn. 77). Unerheblich für das Bestehen einer Weiterleitungspflicht ist ferner, ob die Dokumente und Informationen von Organen oder sonstigen Stellen der Europäischen Union stammen oder aus der Sphäre anderer Mitgliedstaaten (vgl. Classen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 23 Rn. 74; Pernice, in: Dreier, GG, Bd. 2, 2. Aufl. 2006, Art. 23 Rn. 101; Uerpmann-Wittzack, in: v. Münch/Kunig, GG, Bd. 1, 6. Aufl. 2012, Art. 23 Rn. 77). Auch die eventuelle Geheimhaltungsbedürftigkeit einer Information (vgl. etwa Art. 6 der Geschäftsordnung des Rates; ABl. EU 2009 Nr. L 325 vom 11. Dezember 2009, S. 35) steht ihrer Weiterleitung an den Bundestag grundsätzlich nicht entgegen. In Fällen, in denen das Wohl des Staates durch das Bekanntwerden vertraulicher Informationen gefährdet werden kann, kann die Unterrichtung vertraulich erfolgen (vgl. BVerfGE 124, 78 <123 f.>, zu Untersuchungsausschüssen). Die Voraussetzungen dafür hat der Bundestag mit dem Erlass seiner Geheimschutzordnung geschaffen (vgl. BVerfGE 67, 100 <135>; 70, 324 <359>; 77, 1 <48>; BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 28. Februar 2012 - 2 BvE 8/11 -, juris Rn. 149).

120

(2) Quantität und Detailliertheit der dem Deutschen Bundestag zu übermittelnden Informationen bemessen sich im Hinblick auf den Zweck der Unterrichtung einerseits nach der Bedeutung einer Angelegenheit. So muss der Bundestag von allen Vorgängen erfahren, die seiner Mitwirkung nach Art. 23 Abs. 2 Satz 1 GG unterliegen, und zugleich die für eine fundierte Beschlussfassung erforderlichen Informationen erhalten. Auf der anderen Seite richten sich der gebotene Umfang und die erforderliche Tiefe der Unterrichtung auch nach dem jeweiligen Sach- und Verhandlungsstand.

121

Eine "Überflutung" des Bundestages mit Informationen, die aufgrund ihrer Masse weder administrativ noch durch die Abgeordneten verarbeitet werden können, ist nicht Sinn des Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG (vgl. Classen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 23 Rn. 75). Zwar ist es in erster Linie Aufgabe des Parlaments selbst, im Rahmen seiner Geschäftsordnungsautonomie für eine sachgerechte Sichtung und Bewertung der unter Art. 23 Abs. 2 GG fallenden Angelegenheiten zu sorgen und die organisatorischen Voraussetzungen für die Verarbeitung der ihm übermittelten Informationen zu schaffen (vgl. Streinz, in: Sachs, GG, 6. Aufl. 2011, Art. 23 Rn. 107; vgl. auch § 4 Abs. 5 EUZBBG zur begrenzten Möglichkeit eines Verzichts auf Informationen). Doch erlaubt Art. 23 Abs. 2 GG bei Angelegenheiten, die nur von erkennbar geringer Bedeutung für den Bundestag sind, oder bei Vorgängen, die sich noch in einem sehr frühen, wenig konkreten Verfahrensstadium befinden, eine kursorische, auf die wesentlichen Eckpunkte beschränkte Unterrichtung, die den Bundestag in die Lage versetzt, nähere Informationen nachzufordern. Auch einer übermäßigen Belastung der Regierung, die deren Funktions- und Arbeitsfähigkeit bedroht, kann bei geringem Informationsinteresse des Parlaments im Einzelfall im Rahmen einer Abwägung Rechnung getragen werden (vgl. auch BVerfGE 110, 199 <220>; s. aus der Rechtsprechung der Landesverfassungsgerichte etwa Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin, Urteil vom 14. Juli 2010 - 57/08 -, DVBl 2010, S. 966; Bayerischer Verfassungsgerichtshof, Entscheidung vom 6. Juni 2011 - Vf. 49-IVa-10 -, NVwZ-RR 2011, S. 841 <843>).

122

(3) Die gebotene umfassende Unterrichtung erschöpft sich - wie sich auch aus dem systematischen Zusammenhang mit der Pflicht zur frühestmöglichen Unterrichtung ergibt - nicht in einem einmaligen Tätigwerden. Es handelt sich vielmehr um eine auf Dauer angelegte, fortlaufende Pflicht, die jedesmal aktualisiert wird, wenn sich bei der Behandlung einer Angelegenheit neue politische oder rechtliche Fragen stellen, zu denen sich der Deutsche Bundestag noch keine Meinung gebildet hat (vgl. Baach, Parlamentarische Mitwirkung in Angelegenheiten der Europäischen Union, 2008, S. 162).

123

Rechtsetzungsakten der Europäischen Union und intergouvernementalen Vereinbarungen gehen regelmäßig komplexe und langwierige Abstimmungsprozesse voraus. Die Bundesregierung kann dem Bundestag dabei nur die ihr selbst jeweils vorliegenden Informationen zuleiten, so dass die Pflicht zur umfassenden Unterrichtung nicht statisch, sondern dynamisch zu verstehen ist. Wissensstand und Haltung der Bundesregierung im Hinblick auf einen Vorgang bleiben im Regelfall nicht gleich, sondern sind im Laufe der Zeit Veränderungen unterworfen. Mit zunehmender Konkretisierung eines Vorhabens ist jedoch typischerweise auch eine Zunahme der Informationsdichte auf Seiten der Bundesregierung verbunden. Dabei entsteht mit jedem Erkenntnisgewinn der Bundesregierung zunächst eine Informationsasymmetrie im Verhältnis zum Bundestag, die - soll die verfassungsrechtliche Vorgabe einer "umfassenden" Unterrichtung nicht wirkungslos bleiben - grundsätzlich ausgeglichen werden muss. Diese Pflicht zum Ausgleich von Informationsungleichgewichten zwischen Bundesregierung und Bundestag verdichtet sich mit zunehmender Komplexität und Bedeutung eines Vorgangs sowie mit der zeitlichen Nähe zu einer förmlichen Beschlussfassung oder zum Abschluss einer Vereinbarung.

124

(4) Aus Gründen der Gewaltenteilung (oben C.I.3.a)dd) erstreckt sich der Unterrichtungsanspruch aus Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG grundsätzlich nicht auf Aspekte, die dem einer konkreten Positionierung vorgelagerten Willensbildungsprozess der Bundesregierung zuzuordnen sind. Initiativen der Bundesregierung und ihrer Positionierung bei von dritter Seite angestoßenen Vorhaben in Angelegenheiten der Europäischen Union geht ein - je nach Vorgang - mehr oder weniger umfangreicher Willensbildungsprozess voraus, in dessen Verlauf sich unter Umständen erst allmählich eine bestimmte Auffassung herausbildet. Bis dahin handelt es sich um einen von verschiedenen innen- und außenpolitischen sowie innerorganschaftlichen Belangen, Erwägungen und Entwicklungen abhängigen und damit noch volatilen Vorgang, der den Bereich der Bundesregierung noch nicht verlässt und über den der Bundestag von Verfassungs wegen grundsätzlich auch noch nicht zu informieren ist. Wenn die Bundesregierung indes ihre Willensbildung selbst so weit konkretisiert hat, dass sie Zwischen- oder Teilergebnisse an die Öffentlichkeit geben kann oder mit einer eigenen Position in einen Abstimmungsprozess mit Dritten eintreten will, fällt ein Vorhaben nicht mehr in den gegenüber dem Bundestag abgeschirmten Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung.Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG gebietet in diesen Fällen eine substantielle Information des Bundestages durch die Bundesregierung über ihr Vorhaben.

125

bb) Auch die strikten zeitlichen Anforderungen an die Unterrichtung nach Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG ("zum frühestmöglichen Zeitpunkt") sollen gewährleisten, dass der Bundestag in der Lage ist, seine Mitwirkungsrechte in Angelegenheiten der Europäischen Union effektiv wahrzunehmen.

126

(1) Entstehungsgeschichtlich erweist sich die strenge zeitliche Vorgabe als bewusste Abkehr von Art. 2 des Zustimmungsgesetzes zu den Römischen Verträgen vom 27. Juli 1957 (BGBl II S. 753), wo lediglich eine laufende Unterrichtung des Bundestages vorgeschrieben und eine der Beschlussfassung im Rat zeitlich vorgelagerte Unterrichtung nur als Soll-Vorschrift vorgesehen war. Auf dieser Grundlage waren dem Bundestag Informationen häufig erst nach einer Beschlussfassung im Rat zugegangen und damit später als dem Bundesrat und den deutschen Mitgliedern des Europäischen Parlaments (vgl. Möller, Arbeitsunterlage Nr. 84 der Gemeinsamen Verfassungskommission vom 15. Oktober 1992). Die in der Gemeinsamen Verfassungskommission und im Sonderausschuss Europäische Union zeitweise diskutierten Formulierungen einer "rechtzeitigen" oder einer "regelmäßigen" Unterrichtung wurden daher verworfen. Das Erfordernis einer regelmäßigen Unterrichtung stelle nicht hinreichend sicher, dass der Bundestag die relevanten Informationen so früh wie möglich erhalte (vgl. Abgeordneter Verheugen, Gemeinsame Verfassungskommission, 11. Sitzung am 15. Oktober 1992, Stenographischer Bericht, in: Deutscher Bundestag , Materialien zur Verfassungsdiskussion und zur Grundgesetzänderung in der Folge der deutschen Einigung, Band 1, Bericht und Sitzungsprotokolle, 1996, S. 543 <545>). Auch der Begriff "rechtzeitig" erschien den Mitgliedern der Gemeinsamen Verfassungskommission zu unbestimmt, da er einen weiten Interpretationsspielraum eröffne und den Unterrichtungszeitpunkt letztlich in das Ermessen der Bundesregierung stelle. Um eine fundierte Willensbildung des Bundestages zu ermöglichen, sei eine umfassende Information zum frühestmöglichen Zeitpunkt unerlässlich (vgl. Möller, Arbeitsunterlage Nr. 84 der Gemeinsamen Verfassungskommission vom 15. Oktober 1992; Möller/Limpert, a.a.O., S. 26; Schmalenbach, Der neue Europaartikel 23 des Grundgesetzes im Lichte der Arbeit der Gemeinsamen Verfassungskommission, 1996, S. 144 f.). Mit der gewählten Formulierung "zum frühestmöglichen Zeitpunkt" wollte der verfassungsändernde Gesetzgeber also eine möglichst präzise, objektiv bestimmbare Zeitvorgabe schaffen (vgl. Möller/Limpert, a.a.O., S. 26).

127

(2) Dem Zeitpunkt kommt eine dem Umfang der Unterrichtung gleichrangige Bedeutung zu. Nur wenn der Bundestag frühzeitig von einem Vorhaben erfährt, kann er den regelmäßig durch eine Vielzahl von Akteuren getragenen Entscheidungsprozess in Angelegenheiten der Europäischen Union noch beeinflussen. Im Hinblick darauf ist die in Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG genannte Zeitvorgabe "zum frühestmöglichen Zeitpunkt" so auszulegen, dass der Bundestag die Informationen der Bundesregierung spätestens zu einem Zeitpunkt erhalten muss, der ihn in die Lage versetzt, sich fundiert mit dem Vorgang zu befassen und eine Stellungnahme zu erarbeiten, bevor die Bundesregierung nach außen wirksame Erklärungen, insbesondere bindende Erklärungen zu unionalen Rechtsetzungsakten und intergouvernementalen Vereinbarungen, abgibt. Das schließt es aus, dass die Bundesregierung ohne vorherige Beteiligung des Deutschen Bundestages konkrete Initiativen ergreift oder an Beschlussfassungen mitwirkt, und gebietet die Weiterleitung sämtlicher Dokumente, sobald sie zum Gegenstand von Verhandlungen gemacht werden.

128

(3) Offizielle Dokumente, Berichte und Mitteilungen müssen daher ebenso wie alle inoffiziellen Informationen an den Bundestag weitergeleitet werden, sobald sie - gegebenenfalls über die Ständige Vertretung der Bundesrepublik Deutschland bei der Europäischen Union - in den Einflussbereich der Bundesregierung gelangen (vgl. Pernice, in: Dreier, GG, Bd. 2, 2. Aufl. 2006, Art. 23 Rn. 101; Uerpmann-Wittzack, in: v. Münch/Kunig, GG, Bd. 1, 6. Aufl. 2012, Art. 23 Rn. 79). Ein Ermessen der Bundesregierung hinsichtlich des Zeitpunktes der Weiterleitung besteht nicht. Verzögerungen bei der Weiterleitung sind nur zulässig, um der Bundesregierung eine Prüfung der Voraussetzungen des Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG zu ermöglichen. Über Sitzungen der Organe und informelle Beratungen, an denen die Bundesregierung beteiligt ist, muss der Bundestag - auch wenn noch keine förmlichen Vorschläge oder sonstige Beratungsgrundlagen existieren - bereits im Voraus und so rechtzeitig informiert werden, dass er sich über den Gegenstand der Sitzungen eine Meinung bilden und auf die Verhandlungslinie und das Abstimmungsverhalten der Bundesregierung Einfluss nehmen kann (vgl. Uerpmann-Wittzack, in: v. Münch/Kunig, GG, Bd. 1, 6. Aufl. 2012, Art. 23 Rn. 77, 79; Streinz, in: Sachs, GG, 6. Aufl. 2011, Art. 23 Rn. 113). Über den Verlauf und die erzielten Zwischen- und Endergebnisse ist er unmittelbar im Anschluss an die Beratungen zu unterrichten. Für den Zeitpunkt der Unterrichtung über Initiativen und Positionierungen der Bundesregierung und das Gebot laufender Aktualisierung des Informationsstandes des Bundestages gilt das bereits Gesagte (oben C.I.3.b)aa)<3, 4>).

129

cc) Aus dem mit der Unterrichtung des Bundestages verfolgten Zweck des Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG folgen schließlich auch Anforderungen an das Verfahren und die Form der Unterrichtung. Adressat der Unterrichtung ist grundsätzlich der Bundestag als Ganzer; die Unterrichtung hat grundsätzlich schriftlich zu erfolgen. Einzelheiten können im Rahmen der verfassungsrechtlichen Vorgaben durch Gesetz oder Vereinbarung zwischen dem Deutschen Bundestag und der Bundesregierung geregelt werden.

130

(1) Adressat der Unterrichtung gemäß Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG ist der Bundestag als Ganzer. Damit soll gewährleistet werden, dass sämtliche Abgeordnete gleichermaßen und unterschiedslos auf die übermittelten Informationen zugreifen können. Allerdings verleiht Art. 40 Abs. 1 Satz 2 GG dem Parlament die Befugnis, seine inneren Angelegenheiten im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung autonom zu regeln und sich selbst so zu organisieren, dass es seine Aufgaben sachgerecht erfüllen kann (vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 28. Februar 2012 - 2 BvE 8/11 -, juris Rn. 115 ff., m.w.N.). Es ist daher in erster Linie Sache des Bundestages selbst, dafür Sorge zu tragen, dass die ihm übermittelten Informationen einer effektiven parlamentarischen Willensbildung zugeführt werden. Insbesondere obliegt ihm die Entscheidung, in welchem Umfang er den Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union gemäß Art. 45 Satz 2 GG ermächtigt, die Rechte des Bundestages gemäß Art. 23 GG gegenüber der Bundesregierung wahrzunehmen. Der Bundestag kann hierzu die erforderlichen Regelungen treffen und Einzelheiten der Unterrichtung im Wege einer Vereinbarung mit der Bundesregierung festlegen (vgl. § 12 EUZBBG). "Inoffizielle" Informationen einzelner Abgeordneter oder von Fraktionen und deren Beauftragten wie den Obleuten in den Ausschüssen erfüllen den Anspruch des Bundestages aus Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG nicht.

131

(2) Der Zweck des Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG verlangt im Grundsatz eine schriftliche Unterrichtung durch die Bundesregierung. Zwar ist die Schriftform in Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG nicht ausdrücklich vorgesehen. Angesichts der Anforderungen an Klarheit, Verstetigung und Reproduzierbarkeit, die an eine förmliche Unterrichtung des Parlaments zu stellen sind, erscheint die Schriftform gegenüber der mündlichen Unterrichtung als das vorrangige Medium zur effektiven Information des Bundestages. Der mündlichen Unterrichtung des Plenums, des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union wie auch der Fachausschüsse kommt vor diesem Hintergrund grundsätzlich nur eine ergänzende und erläuternde Funktion zu.

132

Ausnahmen vom Schriftlichkeitsgrundsatz sind nur in engen Grenzen und insbesondere im Hinblick auf das Gebot einer Unterrichtung zum frühestmöglichen Zeitpunkt zulässig, unter Umständen aber auch geboten. Da Informationsasymmetrien zwischen Regierung und Parlament nach Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG nicht nur best-, sondern auch schnellstmöglich beseitigt werden sollen, sind Konstellationen denkbar, in denen die Bundesregierung eine umfassende und zugleich frühestmögliche Unterrichtung nur mündlich sicherstellen kann (vgl. Schorkopf, in: Bonner Kommentar, Bd. 6, Art. 23 Rn. 144 ). Das ist etwa der Fall, wenn zu einer Angelegenheit noch keine schriftlichen Unterlagen vorliegen und in vertretbarer Zeit auch nicht beschafft oder hergestellt werden können, eine Unterrichtung des Deutschen Bundestages jedoch im Hinblick auf die effektive Wahrnehmung seiner Mitwirkungsrechte erforderlich ist. Für die Überlassung fremdsprachiger Unterlagen gilt Vergleichbares. Entfällt das Hindernis, ist das entstandene Informationsdefizit unverzüglich auszugleichen. Auch insoweit ist die Festlegung von Einzelheiten einer Regelung durch den Bundestag sowie einer näheren Konkretisierung in Vereinbarungen zwischen Bundestag und Bundesregierung zugänglich.

II.

133

Nach diesen Maßstäben sind die Anträge begründet. Die Antragsgegnerin hat den Deutschen Bundestag sowohl im Hinblick auf die Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus (1.) als auch im Hinblick auf die Vereinbarung des Euro-Plus-Paktes (2.) in seinen Rechten aus Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG verletzt.

134

1. Die Antragsgegnerin hat den Deutschen Bundestag nicht in dem nach Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG gebotenen Maß über die Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus unterrichtet. Errichtung und Ausgestaltung des Europäischen Stabilitätsmechanismus sind eine Angelegenheit der Europäischen Union im Sinne des Art. 23 Abs. 2 Satz 1 GG (a). Da sie die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Deutschen Bundestages und damit eine seiner wesentlichen Funktionen betreffen, war eine vollständige Unterrichtung erforderlich (b). Die Antragsgegnerin hat es unterlassen, dem Deutschen Bundestag einen ihr am 21. Februar 2011 vorliegenden Text der Europäischen Kommission über die Errichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus und den Entwurf eines Vertrages über den Europäischen Stabilitätsmechanismus vom 6. April 2011 zu übermitteln, und dadurch seine Rechte aus Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG verletzt (c).

135

a) Die Errichtung und Ausgestaltung des Europäischen Stabilitätsmechanismus ist eine Angelegenheit der Europäischen Union im Sinne des Art. 23 Abs. 2 Satz 1 GG. Eine Gesamtschau der ihn prägenden Charakteristika ergibt substantielle Berührungspunkte mit dem Integrationsprogramm der Europäischen Verträge. Seine Gründung soll durch eine Änderung des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union abgesichert werden (aa). Der zu seiner Errichtung zu schließende Vertrag weist den Organen der Europäischen Union neue Zuständigkeiten zu (bb) und dient der Absicherung eines Politikbereichs, der der Europäischen Union als ausschließliche Zuständigkeit zugewiesen ist (cc). Dass es sich dabei um einen völkerrechtlichen Vertrag handeln soll, stellt seine Zuordnung zu dem in den Verträgen über die Europäische Union und über die Arbeitsweise der Europäischen Union niedergelegten Integrationsprogramm nicht in Frage (dd).

136

aa) Die Gründung des Europäischen Stabilitätsmechanismus soll durch eine Änderung des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union unionsrechtlich ermöglicht und abgesichert werden. Die insoweit vorgesehene Einfügung von Art. 136 Abs. 3 AEUV muss im Wege einer Vertragsänderung nach Art. 48 EUV erfolgen. Schon wegen dieses qualifizierten Zusammenhangs mit dem Unionsrecht handelt es sich um eine Angelegenheit der Europäischen Union.

137

bb) Das Vorliegen einer Angelegenheit der Europäischen Union im Sinne des Art. 23 Abs. 2 Satz 1 GG wird auch dadurch indiziert, dass verschiedene Organe der Europäischen Union durch den Vertrag über den Europäischen Stabilitätsmechanismus neue Zuständigkeiten zugewiesen erhalten. Diese Zuständigkeitszuweisung war in den Verhandlungen über den Europäischen Stabilitätsmechanismus, wie aus der in das Jahr 2010 zurückreichenden Vorgeschichte sowie den folgenden Konkretisierungsschritten ersichtlich ist, bereits zu Beginn des Jahres 2011 angelegt (vgl. im Einzelnen A.I.2.a).

138

(1) Die Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten sind in einem Beschluss vom 20. Juni 2011 übereingekommen, dass der Vertrag über den Europäischen Stabilitätsmechanismus Bestimmungen enthalten solle, nach denen sowohl die Europäische Kommission als auch die Europäische Zentralbank die in dem Vertrag aufgeführten Aufgaben ausführen sollen. Auf der operativen Ebene, bei Aktivierung der Finanzhilfe, wurde namentlich der Europäischen Kommission eine wichtige Rolle zugedacht. Sie soll mit dem Internationalen Währungsfonds und in Absprache mit der Europäischen Zentralbank den tatsächlichen Finanzierungsbedarf des begünstigten Mitgliedstaats ermitteln. Ermächtigt vom Gouverneursrat, verhandelt sie ein makroökonomisches Anpassungsprogramm und überwacht die Einhaltung der politischen Auflagen, wiederum - in der sogenannten Troika - mit dem Internationalen Währungsfonds und der Europäischen Zentralbank, die bereits in der Durchführung der Schuldentragfähigkeitsanalyse zusammenwirken. Art. 13 Abs. 1 des Entwurfs eines Vertrages über den Europäischen Stabilitätsmechanismus sieht ferner vor, dass der Vorsitzende des Gouverneursrates Aufgaben auf die Europäische Kommission übertragen kann. Bleibt der Kreditnehmer über die Laufzeit des Programms hinaus Schuldner des Europäischen Stabilitätsmechanismus, kann der Rat eine fortdauernde Überwachung veranlassen. Nach Erörterung im Gouverneursrat kann er auf Vorschlag der Kommission beschließen, eine Überwachung nach der Durchführung des Programms durchzuführen, die so lange aufrechterhalten werden kann, wie ein bestimmter Betrag der Finanzhilfe noch nicht zurückgezahlt wurde.

139

Der Entwurf eines Vertrages über den Europäischen Stabilitätsmechanismus sieht in seiner Fassung vom 2. Februar 2012 darüber hinaus vor, dass Programmbeschlüsse sowohl von der Europäischen Kommission als auch vom Rat der Europäischen Union nach den Art. 121 und 136 AEUV überwacht werden (17. Erwägungsgrund). Der Europäische Gerichtshof soll nach Maßgabe von Art. 273 AEUV schließlich über die Auslegung und Anwendung des Vertrages über den Europäischen Stabilitätsmechanismus entscheiden.

140

(2) Die Zuordnung zu den Angelegenheiten der Europäischen Union wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass der Europäische Stabilitätsmechanismus die Organe der Europäischen Union lediglich im Wege der Organleihe in Anspruch nimmt. In der Sache werden den Organen damit, wenngleich nicht in dem eigentlich dafür vorgesehenen Verfahren nach Art. 48 Abs. 1 EUV, weitere Aufgaben und Befugnisse übertragen. Für die Kompetenzausstattung der Organe gelten daher auch insoweit der Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung (vgl. auch Art. 5 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 EUV) sowie die Verbote, ihnen eine Kompetenz-Kompetenz einzuräumen oder den Kern der grundgesetzlichen Verfassungsidentität (Art. 79 Abs. 3 i.V.m. Art. 1 und 20 GG) zu berühren (vgl. BVerfGE 89, 155 <188>; 123, 267 <370 f.>). Andernfalls könnten die der Fortentwicklung der europäischen Integration von Verfassungs wegen gezogenen Grenzen und die insoweit vorgesehenen verfahrensrechtlichen Sicherungen umgangen werden. Jede Zuweisung von Aufgaben und Befugnissen an die Europäische Union und/oder ihre Organe ist daher in der Sache eine Übertragung von Hoheitsrechten, und zwar auch dann, wenn die Organe für die Erledigung der Aufgabe "nur" im Wege der Organleihe in Anspruch genommen und mit Befugnissen ausgestattet werden.

141

Dafür spricht im Übrigen auch die mit der Einräumung von Aufgaben und Befugnissen im Wege der Organleihe verbundene und von den Vertragsparteien offenkundig gewünschte Möglichkeit der Organe, diese Aufgaben und Befugnisse kohärent mit den Einzelermächtigungen aus dem Bereich des in den Verträgen niedergelegten Integrationsprogramms auszuüben und auf diese Weise eine Struktur zu schaffen, in der die Unterschiede zwischen "weichen" Steuerungsinstrumentarien und imperativen Rechtsetzungs- und Aufsichtsakten verschwimmen (vgl. Schuppert, Verwaltungsorganisation und Verwaltungsorganisationsrecht als Steuerungsfaktoren, in: GVwR Bd. I, 2. Aufl. 2012, § 16 Rn. 173a ff., 173h ff.). Dies zeigt sich etwa in der Anhaltung des Gouverneursrates, seine Entscheidungen im zwischenstaatlichen Rahmen mit dem Verfahren im Überwachungsrahmen der Europäischen Union (Art. 121, 126, 136 Abs. 1 AEUV) zu verzahnen (17. Erwägungsgrund sowie Art. 13 Abs. 1 des Entwurfs eines Vertrages über den Europäischen Stabilitätsmechanismus).

142

cc) Der Europäische Stabilitätsmechanismus soll darüber hinaus der Absicherung eines Politikbereichs dienen, der der Europäischen Union als ausschließliche Zuständigkeit zugewiesen ist. Der Entwurf des Vertrages über den Europäischen Stabilitätsmechanismus ergänzt die Wirtschafts- und Währungspolitik.

143

Mit der Ergänzung von Art. 136 AEUV um einen Absatz 3, der die Finanzhilfen an strenge Auflagen und ein Tätigwerden des Europäischen Stabilitätsmechanismus daran bindet, dass es zur Stabilisierung des Währungsraums insgesamt unabdingbar ist (vgl. Art. 3 des Entwurfs eines Vertrags über den Europäischen Stabilitätsmechanismus), wird an die im Titel VIII geregelte Wirtschafts- und Währungspolitik (Art. 119 ff. AEUV) angeknüpft und deutlich gemacht, dass mit den Regelungen die Währungspolitik und insbesondere die Stabilität des Euro-Währungsgebietes gesichert werden soll. Damit wird ein Politikbereich ergänzt, den der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union in die ausschließliche Zuständigkeit der Union verweist (Art. 3 Abs. 1 lit. c AEUV). Der Europäische Stabilitätsmechanismus dient mithin unmittelbar der Verwirklichung der Ziele der Union (Art. 3 Abs. 4 EUV). An dem auf der Grundlage von Art. 136 Abs. 3 AEUV zu schließenden Vertrag über den Europäischen Stabilitätsmechanismus sollen zudem nur Mitgliedstaaten teilnehmen, die Teil des Euro-Währungsgebietes sind und für die Art. 136 ff. AEUV spezifische Regelungen enthalten. Auch dies ist ein Indiz dafür, dass es sich bei dem in Aussicht genommenen Vertrag über den Europäischen Stabilitätsmechanismus um eine Angelegenheit der Europäischen Union handelt.

144

dd) Die Tatsache, dass der Europäische Stabilitätsmechanismus im Wege eines gesonderten völkerrechtlichen Vertrages außerhalb der bisherigen Struktur des Unionsrechts etabliert werden soll, führt zu keinem anderen Ergebnis. Wie dargelegt, erfasst die Formulierung "Angelegenheiten der Europäischen Union" auch Vorhaben, die intergouvernemental verwirklicht werden sollen, wenn sie in einem Ergänzungs- oder sonstigen besonderen Näheverhältnis zum Recht der Union stehen. Dass der Europäische Stabilitätsmechanismus im Wege intergouvernementaler Zusammenarbeit verwirklicht werden soll, ist somit ebenso wenig maßgeblich wie seine Qualifikation als zwischenstaatliche Organisation ohne eigene Hoheitsgewalt. Jedenfalls durch die Verflechtung mit supranationalen Elementen besitzt der Europäische Stabilitätsmechanismus eine hybride Natur, die ihn zu einer Angelegenheit der Europäischen Union macht. Ob in der gewählten Form des völkerrechtlichen Vertrages über den Europäischen Stabilitätsmechanismus eine Umgehung des Unionsrechts liegt, namentlich ob der Vertrag mit Art. 48 EUV vereinbar ist, ist hier nicht zu entscheiden.

145

b) Errichtung und Ausgestaltung des Europäischen Stabilitätsmechanismus betreffen die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Deutschen Bundestages und damit eine seiner wesentlichen Funktionen. Daraus folgt die Notwendigkeit einer besonders umfangreichen und detaillierten Unterrichtung.

146

Angesichts der Komplexität und der Bedeutung des Europäischen Stabilitätsmechanismus für die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Deutschen Bundestages ist eine Beteiligung des Deutschen Bundestages geboten, die ihn in die Lage versetzt, sich - auch und gerade in öffentlicher Debatte - eingehend mit dem Thema auseinanderzusetzen und Notwendigkeit und Umfang der zu beschließenden Maßnahmen zu klären. Nur so kann sichergestellt werden, dass auch im Hinblick auf die mit dem Europäischen Stabilitätsmechanismus einhergehenden Verbindlichkeiten der Deutsche Bundestag der Ort ist, an dem eigenverantwortlich über Einnahmen und Ausgaben entschieden wird.

147

Aus dem Gebot umfassender und frühestmöglicher Information ergeben sich deshalb im konkreten Fall hohe Anforderungen an die Qualität, Quantität, Aktualität und Verwertbarkeit der Unterrichtung über die Verhandlungen zum Europäischen Stabilitätsmechanismus. Die Unterrichtung hat sich namentlich ohne Abstriche auf die Weiterleitung der amtlichen Unterlagen und Dokumente aller Organe sowie sonstiger Gremien und Behörden der Europäischen Union und anderer Mitgliedstaaten zu erstrecken. Übermitteln muss die Bundesregierung aber auch Informationen über informelle und nicht schriftlich dokumentierte Vorgänge sowie über Gegenstand, Verlauf und Ergebnis der Sitzungen und Beratungen aller Organe und Gremien der Europäischen Union, in denen sie vertreten ist, sowie über bi- und multilaterale Aktionen von Mitgliedstaaten auf völkerrechtlicher Ebene. Nicht zuletzt verpflichtet Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG die Bundesregierung dazu, den Deutschen Bundestag über eigene Initiativen und Positionen in Angelegenheiten der Europäischen Union betreffend den Europäischen Stabilitätsmechanismus zu informieren. Nur so kann verhindert werden, dass der Deutsche Bundestag in die Rolle des bloßen Nachvollzuges gerät (BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 28. Februar 2012 - 2 BvE 8/11 -, juris Rn. 109; Urteil des Zweiten Senats vom 7. September 2011 - 2 BvR 987/10, 2 BvR 1485/10, 2 BvR 1099/10 -, NJW 2011, S. 2946 <2951>, Rn. 124).

148

c) Die Antragsgegnerin hat den Deutschen Bundestag nicht umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt über den Europäischen Stabilitätsmechanismus unterrichtet. Sie hat dem Bundestag einen ihr spätestens am 21. Februar 2011 vorliegenden Text der Europäischen Kommission über die Merkmale des Stabilitätsmechanismus (aa) sowie einen Entwurf des Vertrages über den Europäischen Stabilitätsmechanismus vom 6. April 2011 (bb) nicht übermittelt. Spätere mündliche oder schriftliche Informationen ändern nichts an der Verletzung von Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG (cc). Gründe, die einer Übermittlung entgegenstehen könnten, sind nicht ersichtlich; insbesondere kann sich die Antragsgegnerin nicht auf Vertraulichkeit berufen (dd).

149

aa) Die Antragsgegnerin hat einen ihr am 21. Februar 2011 vorliegenden Text der Europäischen Kommission über die Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus, der Gegenstand der Beratungen über die Merkmale des Stabilitätsmechanismus im Rat war, dem Deutschen Bundestag nicht zugeleitet. Die Existenz dieses Papiers wird durch einen internen Bericht des Verbindungsbüros des Deutschen Bundestages in Brüssel vom 21. Februar 2011 belegt. Wie aus dem Bericht des Verbindungsbüros hervorgeht, arbeitete der Rat - in dem die Bundesregierung vertreten ist - zu diesem Zeitpunkt an der Ausgestaltung des Europäischen Stabilitätsmechanismus auf der Grundlage eines Textes der Europäischen Kommission. Da Papiere der Europäischen Kommission, auf deren Grundlage die Merkmale des Europäischen Stabilitätsmechanismus im Europäischen Rat wie auch im ECOFIN-Rat und der Euro-Gruppe diskutiert wurden, insbesondere jener Text der Kommission, dem Deutschen Bundestag nicht zur Verfügung gestellt wurde, hatte dieser keine Möglichkeit, auf die konkrete Ausgestaltung des Europäischen Stabilitätsmechanismus zu einem frühen Zeitpunkt Einfluss zu nehmen.

150

bb) Ferner hat die Antragsgegnerin dem Deutschen Bundestag den Entwurf eines Vertrages über den Europäischen Stabilitätsmechanismus in der Form des "Draft Treaty Establishing the European Stability Mechanism (ESM)" nicht übermittelt.

151

Einen auf den 6. April 2011 datierenden Entwurf des Vertrages über den Europäischen Stabilitätsmechanismus hat der Deutsche Bundestag lediglich aus informellen Quellen erhalten, obwohl dieser oder jedenfalls eine frühere Textstufe des Vertragsentwurfs der Bundesregierung zu diesem Zeitpunkt vorlag. Dies ergibt sich aus dem Inhalt mündlicher Ausschussunterrichtungen vom selben Tag: Der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen nannte gegenüber dem Haushaltsausschuss des Bundestages einzelne, bereits auf dem Europäischen Rat vom 24./25. März 2011 bindend verabredete Details des Vertragsinhalts und erklärte, der Vertrag über den Europäischen Stabilitätsmechanismus werde derzeit auf europäischer Ebene weiter ausgearbeitet und befinde sich noch im Verhandlungsstadium (Protokoll Nr. 17/52 der 52. Sitzung des Haushaltsausschusses vom 6. April 2011, S. 12, 19). Die Bundesregierung hatte mithin am 6. April 2011 konkrete Erkenntnisse über Textstufen des Vertragsentwurfs.

152

cc) Spätere mündliche oder schriftliche Informationen, insbesondere die Übersendung des zu diesem Zeitpunkt in der erweiterten Euro-Gruppe bereits beratenen Entwurfs des Vertrages über den Europäischen Stabilitätsmechanismus am 17. beziehungsweise 18. Mai 2011, ändern nichts an der Verletzung von Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG. Die Bundesregierung ist verpflichtet, dem Bundestag nicht nur einen abschließend beratenen oder sogar bereits beschlossenen Vertragstext zuzuleiten. Sie muss ihm zum frühestmöglichen Zeitpunkt ihr vorliegende Zwischenergebnisse und Textstufen - wie den auf den 6. April 2011 datierenden "Draft Treaty Establishing the European Stability Mechanism (ESM)" - übermitteln. Dass sich Entwürfe ändern und daher Aktualisierungen erforderlich werden, solche Informationen mithin "eine kurze Halbwertszeit" aufweisen können, rechtfertigt es nicht, die schriftliche Unterrichtung auf einen Zeitpunkt zu verschieben, in dem die Ergebnisse bereits feststehen. Denn damit wird der Bundestag gerade in jene für völkerrechtliche Verträge charakteristische Ratifikationslage gebracht, die ihm eine inhaltliche Einflussnahme abschneidet und vor der ihn Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG schützen will. Wie sich bereits aus dem kumulativen Erfordernis frühzeitiger und umfassender Information ergibt, kann bei prozesshaften Vorgängen der vorliegenden Art die Unterrichtungspflicht nicht "in einem Gesamtpaket" erledigt werden.

153

dd) Eine etwaige Vertraulichkeit beider Dokumente steht dem Erfordernis ihrer Übermittlung nicht entgegen. Die Bundesregierung kann sich insbesondere nicht auf eine grundsätzliche Vertraulichkeit im speziellen Format der informell tagenden erweiterten Euro-Gruppe berufen. Verhandlungen im Vorfeld völkerrechtlicher Verträge, die auf eine Bindung der Bundesrepublik Deutschland zielen und Gesetzesqualität erlangen sollen, sind gegenüber dem Deutschen Bundestag von vornherein nicht geheimhaltungsbedürftig. Sollten Gründe für eine Geheimhaltungsbedürftigkeit gegenüber der Öffentlichkeit im Hinblick auf einzelne Informationen oder Dokumente ausnahmsweise anzuerkennen sein, wäre die Bundesregierung verpflichtet, die Unterlagen dem Deutschen Bundestag unter Hinweis auf das Erfordernis einer vertraulichen Behandlung zuzuleiten. Die Voraussetzungen hierfür hat der Bundestag mit dem Erlass seiner Geheimschutzordnung geschaffen (vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 28. Februar 2012 - 2 BvE 8/11 -, juris Rn. 149). Weitere Gründe, die gegen eine Übermittlung hätten sprechen können, sind nicht ersichtlich.

154

2. Die Antragsgegnerin hat den Deutschen Bundestag zudem nicht umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt über den Euro-Plus-Pakt unterrichtet und damit die Rechte des Bundestages aus Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG verletzt. Die Vereinbarung des Euro-Plus-Paktes stellt eine Angelegenheit der Europäischen Union im Sinne des Art. 23 Abs. 2 Satz 1 GG dar (a), die wichtige Funktionen des Deutschen Bundestages berührt und deshalb in besonderem Maße dessen umfassende und frühzeitige Unterrichtung gebietet (b). Da die Antragsgegnerin den Deutschen Bundestag über die am 4. Februar 2011 öffentlich vorgestellte Initiative für den Beschluss eines Paktes für Wettbewerbsfähigkeit nicht informiert sowie ihm das inoffizielle Dokument (non paper) der Präsidenten der Europäischen Kommission und des Europäischen Rates mit der Überschrift "Enhanced Economic Policy Coordination in the Euro Area - Main Features and Concepts" vom 25. Februar 2011 nicht übermittelt hat, ist die nach Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG gebotene umfassende und frühestmögliche Unterrichtung nicht erfolgt (c).

155

a) Die Vereinbarung des Euro-Plus-Paktes ist eine Angelegenheit der Europäischen Union im Sinne von Art. 23 Abs. 2 Satz 1 GG. Eine Gesamtschau ihrer Charakteristika ergibt, dass der Pakt substantielle Berührungspunkte mit dem in den Verträgen niedergelegten Integrationsprogramm aufweist.

156

Bereits der Umstand, dass sich der Euro-Plus-Pakt beziehungsweise die ihm vorausgegangene Initiative für den Beschluss eines Paktes für Wettbewerbsfähigkeit an die Mitgliedstaaten der Europäischen Union richtet, indiziert eine Ausrichtung auf das unionale Integrationsprogramm. Inhaltlich ist der Pakt angesichts seiner Ziele, eine qualitative Verbesserung der Wirtschaftspolitik und der öffentlichen Haushaltslage sowie eine Stärkung der Finanzstabilität zu erreichen, auf einen in den Verträgen niedergelegten Politikbereich der Europäischen Union ausgerichtet. In die Verwirklichung der Ziele des Paktes sind Organe der Europäischen Union eingeschaltet, wie bereits die vorgesehene jährliche Bewertung der von den Mitgliedstaaten des Euro-Plus-Paktes zur Erfüllung ihrer Selbstverpflichtungen unternommenen Reform- und Stabilitätsprogramme durch die Europäische Kommission, den Rat und die Euro-Gruppe zeigt.

157

Dass der Euro-Plus-Pakt überwiegend mit Selbstverpflichtungen der teilnehmenden Mitgliedstaaten operiert, stellt seine Einordnung als Angelegenheit der Europäischen Union nicht in Frage. Zum einen steht auch eine nur begrenzte rechtliche Verbindlichkeit der Einordnung als Angelegenheit der Europäischen Union angesichts der gebotenen weiten, nicht auf Rechtsetzung beschränkten Auslegung des Begriffs nicht entgegen. Zum anderen entfaltet der Pakt durchaus eine gewisse Bindungswirkung. Zwar sieht er - anders als der durch das sogenannte "Sixpack" reformierte Stabilitäts- und Wachstumspakt (vgl. oben A.I.3.d) - keine Sanktionen für seine Verletzung vor. Mit dem jährlich durchzuführenden Benchmarking unter Einbindung der Europäischen Kommission enthält der Euro-Plus-Pakt jedoch ein Durchsetzungsinstrument, auf das in jüngerer Zeit auch das nationale Verfassungsrecht zurückgreift (vgl. Art. 91d GG) und das zudem in unmittelbarem Zusammenhang mit justitiablen Verpflichtungen der Mitgliedstaaten steht (vgl. hierzu die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zum bisherigen Stabilitäts- und Wachstumspakt, EuGH, Urteil des Plenums vom 13. Juli 2004, Rs. C-27/04, Kommission gegen Rat, Slg. 2004, S. I-6649, insb. Rn. 89). Die damit verbundene Rechenschaftspflicht wird jede Bundesregierung treffen und hat bereits im Europäischen Semester und der damit verbundenen Mitteilung der Kommission vom 7. Juni 2011 über den "Abschluss des ersten Europäischen Semesters für die Koordinierung der Wirtschaftspolitik: Orientierung für die Politik der Mitgliedstaaten 2011-2012" (KOM <2011> 400 endgültig) ihren Niederschlag gefunden. Einen verbindlichen Bezug auf Europäisches Sekundärrecht enthält überdies die Verpflichtung der am Pakt teilnehmenden Mitgliedstaaten, die im Stabilitäts- und Wachstumspakt vorgesehenen Vorgaben umzusetzen.

158

Ein substantieller Berührungspunkt zum unionalen Integrationsprogramm zeigt sich zudem in der teilweisen Umsetzung des Euro-Plus-Paktes durch Normen des Sekundärrechts. So erstreckt die im Rahmen des sogenannten "Sixpack" ergangene Verordnung (EU) Nr. 1175/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. November 2011 zur Änderung der Verordnung (EG) 1466/97 des Rates über den Ausbau der haushaltspolitischen Überwachung und der Überwachung und Koordinierung der Wirtschaftspolitiken den "Prüfungsumfang" des damit ins Sekundärrecht aufgenommenen Europäischen Semesters auch auf die Ziele des Euro-Plus-Paktes.

159

b) Da der Euro-Plus-Pakt die Zuständigkeiten des Deutschen Bundestages in nicht unerheblicher Weise berührt, war eine vollständige Unterrichtung des Bundestages bereits in Bezug auf Initiativen und frühe Stadien der Verhandlungen geboten. Namentlich die Selbstverpflichtungen in Bereichen, die der Gesetzgebungszuständigkeit der Mitgliedstaaten unterfallen, wie etwa dem Steuer- und Sozialrecht, und in denen der Gesetzgeber in Zukunft einer Überwachung durch Organe der Europäischen Union unterworfen wird, betreffen die parlamentarische Verantwortung und sind geeignet, die Gestaltungsmöglichkeiten des Gesetzgebers einzuschränken. Der Bundestag hatte ein großes Interesse, vorab zu erfahren, darüber zu diskutieren und an der Entscheidung mitzuwirken, ob und gegebenenfalls in welchen Bereichen eine Koordinierung versprochen und welche Bewertungskriterien angestrebt werden sollten.

160

c) Die Antragsgegnerin hat den Deutschen Bundestag nicht umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt über den Euro-Plus-Pakt unterrichtet.

161

aa) Sie hat den Deutschen Bundestag über die am 4. Februar 2011 öffentlich vorgestellte Initiative für den Beschluss eines Paktes für Wettbewerbsfähigkeit - später Euro-Plus-Pakt - nicht vorab informiert.

162

(1) Der Euro-Plus-Pakt geht auf eine deutsch-französische Initiative zurück, welche die Regierungen beider Mitgliedstaaten zum Gegenstand der Tagung des Europäischen Rates vom 4. Februar 2011 gemacht haben und die die Bundeskanzlerin auf dieser Tagung gemeinsam mit dem französischen Staatspräsidenten der Öffentlichkeit vorgestellt hat. Über dieses Vorhaben hätte die Antragsgegnerin den Deutschen Bundestag spätestens am 2. Februar 2011 informieren müssen.

163

Zu diesem Zeitpunkt stand fest, dass den Staats- und Regierungschefs auf der unmittelbar bevorstehenden Tagung des Europäischen Rates ein Diskussionsvorschlag für eine verstärkte wirtschaftspolitische Koordinierung im Euro-Währungsgebiet zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit unterbreitet werden sollte. Dies geht nicht nur aus den Aussagen des Regierungssprechers auf der Regierungspressekonferenz vom 2. Februar 2011 hervor, wonach die Bundesregierung die wirtschaftspolitische Koordinierung als eine von mehreren jetzt zu ergreifenden Maßnahmen betrachte und beim Mittagessen der Staats- und Regierungschefs die Diskussion hierüber eröffnet werden solle. Auch der Staatsminister des Bundeskanzleramtes bestätigte nachträglich das Ziel der Bundesregierung, bei der Tagung des Europäischen Rates vom 4. Februar 2011 ein Verfahren zur Ausarbeitung eines Paktes für Wettbewerbsfähigkeit zu beschließen, und dass das Thema Wirtschafts- und Währungsunion am 2. Februar 2011 zusätzlich auf die Tagesordnung genommen worden sei (Protokoll Nr. 17/31 der 31. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 9. Februar 2011, S. 14).

164

Sollte es - wie von der Antragsgegnerin geltend gemacht - vor dem 4. Februar 2011 noch keine endgültig abgestimmte Position zum avisierten Inhalt einer verstärkten wirtschaftspolitischen Koordinierung im Euro-Währungsgebiet innerhalb der Bundesregierung gegeben haben, hätte dieser Umstand die Bundesregierung nicht von ihrer Unterrichtungspflicht entbunden. Gegenstand der gebotenen Unterrichtung war in diesem Fall (noch) nicht der Beschluss eines Paktes für Wettbewerbsfähigkeit als solcher, sondern allein die Absicht der Antragsgegnerin, einen Prozess zu dessen Ausarbeitung anzustoßen (vgl. auch § 5 Abs. 2 Satz 1 EUZBBG). Hierzu hatte der Regierungssprecher auf der Pressekonferenz vom 2. Februar 2011 eine abgestimmte Haltung der Bundesregierung angekündigt. Die Willensbildung innerhalb der Bundesregierung war folglich insoweit abgeschlossen, als sie mit ihrer Initiative an die Öffentlichkeit gehen konnte und mit einer eigenen Position in einen Abstimmungsprozess mit Dritten eintreten wollte. Die Antragsgegnerin war daher verpflichtet, den Deutschen Bundestag vor Beginn der Tagung des Europäischen Rates über die Initiative zumindest in ihren Grundzügen zu informieren (vgl. auch § 5 Abs. 5 Satz 1 und 2 EUZBBG).

165

(2) Die dem Deutschen Bundestag von der Antragsgegnerin unterbreiteten Informationen genügten nicht, um die Unterrichtungspflicht zu erfüllen.

166

Dies gilt zunächst für den "Vorbericht zum Europäischen Rat am 4. Februar 2011" vom 2. Februar 2011. Darin heißt es lediglich, dass die Bundesregierung für ein von den Staats- und Regierungschefs der Eurozone ausgehendes starkes Signal eintrete, zur Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit die wirtschaftspolitische Koordinierung im Euro-Währungsgebiet zu verbessern. Nicht erwähnt wurde hingegen, dass die Antragsgegnerin zu diesem Zweck eine Initiative für den Beschluss eines Paktes für Wettbewerbsfähigkeit vorstellen wolle und was der wesentliche Inhalt dieser Initiative sein werde.

167

Zureichende Informationen über das geplante Vorhaben enthält auch nicht die Antwort des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie vom 2. Februar 2011 auf eine konkrete Anforderung des Deutschen Bundestages. Nachdem die Initiative der Antragsgegnerin bereits am 31. Januar 2011 in verschiedenen Nachrichtenmagazinen thematisiert worden war, hatte der Deutsche Bundestag am 1. Februar 2011 um Übermittlung von Papieren und Informationen gebeten, auf deren Basis die Initiative vorgestellt werden sollte. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie teilte hierauf nur mit, dass die Zeitungsartikel auf einen noch nicht abgeschlossenen Abstimmungsprozess Bezug nähmen und "im weiteren Fortgang die nach dem EUZBBG vorgesehenen Unterrichtungen unverzüglich erfolgen können".

168

Schließlich genügte auch die am 3. Februar 2011 vom Staatsminister des Bundeskanzleramtes vorgenommene "Obleuteunterrichtung" (vgl. Protokoll Nr. 17/31 der 31. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 9. Februar 2011, S. 11) nicht, um die Unterrichtungspflicht zu erfüllen. Ungeachtet der Tatsache, dass die Obleute des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union bereits nicht die richtigen Unterrichtungsadressaten waren, hatte die Erklärung des Staatsministers des Bundeskanzleramtes lediglich zum Inhalt, "dass zu dem Thema noch keine abgestimmte Position der Bundesregierung bestehe und dementsprechend auch keine abgestimmte Position beim Europäischen Rat beschlossen werden würde" (vgl. Protokoll Nr. 17/31 der 31. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 9. Februar 2011, S. 11).

169

bb) Darüber hinaus hat die Antragsgegnerin dem Deutschen Bundestag ein inoffizielles Dokument der Präsidenten der Europäischen Kommission und des Europäischen Rates vom 25. Februar 2011 mit der Bezeichnung "Enhanced Economic Policy Coordination in the Euro Area - Main Features and Concepts" nicht übermittelt, welches wesentliche Inhalte des Paktes für Wettbewerbsfähigkeit - später Euro-Plus-Pakt - beschrieb.

170

Nach dem Vorbringen der Verfahrensbeteiligten ist davon auszugehen, dass sich die Antragsgegnerin im Besitz dieses inoffiziellen Dokuments befand. Dies legt bereits der seinerzeitige E-Mail-Verkehr nahe. Danach hat der Deutsche Bundestag auf ausdrückliche Anfrage an das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie vom 3. März 2011 sowie an das Bundeskanzleramt vom 4. März 2011, ob der Bundesregierung ein gemeinsames Papier der Präsidenten der Europäischen Kommission und des Europäischen Rates zur deutsch-französischen Initiative für einen Pakt für Wettbewerbsfähigkeit vorliege, keine - das heißt auch keine verneinende - Antwort des Bundeskanzleramtes erhalten. Zudem hat sich die Antragsgegnerin im vorliegenden Verfahren auf den Vorwurf einer Unterrichtungspflichtverletzung eingelassen, ohne die darin implizit enthaltene Behauptung, ihr habe das Papier vorgelegen, in Abrede zu stellen, was im Hinblick auf die Arbeitsweise der beteiligten europäischen Organe auch fernliegend wäre.

171

Dieses Dokument stellte die Antragsgegnerin dem Deutschen Bundestag trotz ausdrücklicher Anforderung nicht zur Verfügung (vgl. auch § 5 Abs. 3 EUZBBG). Erst am 11. März 2011 übersandte sie den offiziellen Entwurf eines Paktes für Wettbewerbsfähigkeit. Zu diesem Zeitpunkt bestand für den Deutschen Bundestag keine Möglichkeit mehr, dessen Inhalt zu diskutieren und durch eine Stellungnahme auf die Bundesregierung einzuwirken. Denn die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes einigten sich bereits am gleichen Tag, dem 11. März 2011, auf den Pakt. Damit entstanden bereits ab diesem Zeitpunkt konkrete Selbstverpflichtungen auch für die Bundesrepublik Deutschland, ohne dass der Deutsche Bundestag auf deren Inhalt hätte einwirken oder diese hätte verhindern können.

D.

172

Die Entscheidung ist einstimmig ergangen.

(1) Das Grundgesetz kann nur durch ein Gesetz geändert werden, das den Wortlaut des Grundgesetzes ausdrücklich ändert oder ergänzt. Bei völkerrechtlichen Verträgen, die eine Friedensregelung, die Vorbereitung einer Friedensregelung oder den Abbau einer besatzungsrechtlichen Ordnung zum Gegenstand haben oder der Verteidigung der Bundesrepublik zu dienen bestimmt sind, genügt zur Klarstellung, daß die Bestimmungen des Grundgesetzes dem Abschluß und dem Inkraftsetzen der Verträge nicht entgegenstehen, eine Ergänzung des Wortlautes des Grundgesetzes, die sich auf diese Klarstellung beschränkt.

(2) Ein solches Gesetz bedarf der Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages und zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrates.

(3) Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig.

(1) Zur Verwirklichung eines vereinten Europas wirkt die Bundesrepublik Deutschland bei der Entwicklung der Europäischen Union mit, die demokratischen, rechtsstaatlichen, sozialen und föderativen Grundsätzen und dem Grundsatz der Subsidiarität verpflichtet ist und einen diesem Grundgesetz im wesentlichen vergleichbaren Grundrechtsschutz gewährleistet. Der Bund kann hierzu durch Gesetz mit Zustimmung des Bundesrates Hoheitsrechte übertragen. Für die Begründung der Europäischen Union sowie für Änderungen ihrer vertraglichen Grundlagen und vergleichbare Regelungen, durch die dieses Grundgesetz seinem Inhalt nach geändert oder ergänzt wird oder solche Änderungen oder Ergänzungen ermöglicht werden, gilt Artikel 79 Abs. 2 und 3.

(1a) Der Bundestag und der Bundesrat haben das Recht, wegen Verstoßes eines Gesetzgebungsakts der Europäischen Union gegen das Subsidiaritätsprinzip vor dem Gerichtshof der Europäischen Union Klage zu erheben. Der Bundestag ist hierzu auf Antrag eines Viertels seiner Mitglieder verpflichtet. Durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, können für die Wahrnehmung der Rechte, die dem Bundestag und dem Bundesrat in den vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union eingeräumt sind, Ausnahmen von Artikel 42 Abs. 2 Satz 1 und Artikel 52 Abs. 3 Satz 1 zugelassen werden.

(2) In Angelegenheiten der Europäischen Union wirken der Bundestag und durch den Bundesrat die Länder mit. Die Bundesregierung hat den Bundestag und den Bundesrat umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu unterrichten.

(3) Die Bundesregierung gibt dem Bundestag Gelegenheit zur Stellungnahme vor ihrer Mitwirkung an Rechtsetzungsakten der Europäischen Union. Die Bundesregierung berücksichtigt die Stellungnahmen des Bundestages bei den Verhandlungen. Das Nähere regelt ein Gesetz.

(4) Der Bundesrat ist an der Willensbildung des Bundes zu beteiligen, soweit er an einer entsprechenden innerstaatlichen Maßnahme mitzuwirken hätte oder soweit die Länder innerstaatlich zuständig wären.

(5) Soweit in einem Bereich ausschließlicher Zuständigkeiten des Bundes Interessen der Länder berührt sind oder soweit im übrigen der Bund das Recht zur Gesetzgebung hat, berücksichtigt die Bundesregierung die Stellungnahme des Bundesrates. Wenn im Schwerpunkt Gesetzgebungsbefugnisse der Länder, die Einrichtung ihrer Behörden oder ihre Verwaltungsverfahren betroffen sind, ist bei der Willensbildung des Bundes insoweit die Auffassung des Bundesrates maßgeblich zu berücksichtigen; dabei ist die gesamtstaatliche Verantwortung des Bundes zu wahren. In Angelegenheiten, die zu Ausgabenerhöhungen oder Einnahmeminderungen für den Bund führen können, ist die Zustimmung der Bundesregierung erforderlich.

(6) Wenn im Schwerpunkt ausschließliche Gesetzgebungsbefugnisse der Länder auf den Gebieten der schulischen Bildung, der Kultur oder des Rundfunks betroffen sind, wird die Wahrnehmung der Rechte, die der Bundesrepublik Deutschland als Mitgliedstaat der Europäischen Union zustehen, vom Bund auf einen vom Bundesrat benannten Vertreter der Länder übertragen. Die Wahrnehmung der Rechte erfolgt unter Beteiligung und in Abstimmung mit der Bundesregierung; dabei ist die gesamtstaatliche Verantwortung des Bundes zu wahren.

(7) Das Nähere zu den Absätzen 4 bis 6 regelt ein Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf.

Tenor

1. Die Antragsgegnerin hat den Deutschen Bundestag in seinem Unterrichtungsrecht aus Artikel 23 Absatz 2 Satz 2 des Grundgesetzes verletzt, indem sie es unterlassen hat, ihm einen ihr am 21. Februar 2011 vorliegenden Text der Europäischen Kommission über die Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus sowie den Entwurf eines Vertrages über den Europäischen Stabilitätsmechanismus vom 6. April 2011 zuzuleiten.

2. Die Antragsgegnerin hat den Deutschen Bundestag ferner in seinem Unterrichtungsrecht aus Artikel 23 Absatz 2 Satz 2 des Grundgesetzes verletzt, indem sie es unterlassen hat, ihn über die am 4. Februar 2011 öffentlich vorgestellte Initiative für den Beschluss eines Paktes für Wettbewerbsfähigkeit vorab zu informieren sowie ihm das inoffizielle Dokument der Präsidenten der Europäischen Kommission und des Europäischen Rates vom 25. Februar 2011 mit der Bezeichnung "Enhanced Economic Policy Coordination in the Euro Area - Main Features and Concepts" zuzuleiten.

Gründe

A.

1

Das Organstreitverfahren betrifft die Verpflichtung der Bundesregierung aus Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG zur Unterrichtung des Deutschen Bundestages in Angelegenheiten der Europäischen Union im Zusammenhang mit dem "Europäischen Stabilitätsmechanismus" (ESM) und dem "Euro-Plus-Pakt".

I.

2

1. Als Reaktion auf die Staatsschuldenkrise im Gebiet der Europäischen Währungsunion gewährten die Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes zunächst Griechenland koordinierte, bilaterale Finanzhilfen und schufen anschließend den sogenannten "Rettungsschirm", dessen Kern eine privatrechtlich organisierte Zweckgesellschaft, die Europäische Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF; vgl. hierzu Urteil des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 7. September 2011 - 2 BvR 987/10, 2 BvR 1485/10, 2 BvR 1099/10 -, NJW 2011, S. 2946 ff.) bildet. Ihre Maßnahmen sind zeitlich befristet und sollen nur der vorübergehenden Unterstützung betroffener Mitgliedstaaten dienen.

3

2. Seit Ende 2010 streben die Mitgliedstaaten der Europäischen Union einen dauerhaften Krisenbewältigungsmechanismus an. Dazu soll ein permanenter Europäischer Stabilisierungs- beziehungsweise Stabilitätsmechanismus etabliert werden.

4

Erste Ideen für einen solchen Krisenbewältigungsmechanismus wurden in der vom Europäischen Rat im März 2010 eingesetzten Arbeitsgruppe zur Reform des Regelwerks der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion unter Vorsitz des Präsidenten des Europäischen Rates entwickelt. Auf der Tagung des Europäischen Rates vom 28./29. Oktober 2010 einigten sich die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten auf die Errichtung eines "ständigen Krisenmechanismus zur Wahrung der Finanzstabilität des Euro-Währungsgebiets insgesamt" (EUCO 25/1/10 REV 1, Schlussfolgerungen, S. 2). Am 28. November 2010 vereinbarten die Finanzminister der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes die allgemeinen Merkmale des künftigen Krisenmechanismus. Zur Vorbereitung des Europäischen Rates vom 16./17. Dezember 2010 legte dessen Präsident am 10. Dezember 2010 einen Vorschlag für eine Änderung der Verträge vor. Der Europäische Rat einigte sich auf seiner Tagung vom 16./17. Dezember 2010 auf eine erste Fassung der avisierten Vertragsänderung, die Art. 136 AEUV einen neuen Absatz 3 hinzufügen sollte, billigte die von den Finanzministern der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes am 28. November 2010 vereinbarten allgemeinen Merkmale des Europäischen Stabilitätsmechanismus und beauftragte diese sowie die Europäische Kommission mit der weiteren Konkretisierung der Bestimmungen (EUCO 30/1/10 REV 1, S. 1 f. mit Anlage 1). Der Europäische Stabilitätsmechanismus sollte im Primärrecht verankert werden und die zeitlich befristete Europäische Finanzstabilisierungsfazilität sowie den ebenfalls zeitlich befristeten Europäischen Finanzstabilisierungsmechanismus (EFSM) ablösen. Am 20. Dezember 2010 übersandte das Bundeskanzleramt dem Deutschen Bundestag einen schriftlichen Ergebnisbericht zu der Tagung des Europäischen Rates.

5

a) In ihrer Ausgabe vom 23. Dezember 2010 berichtete die Süddeutsche Zeitung über ein ihr vorliegendes inoffizielles Dokument (non paper) der Bundesregierung zur Konzeption des Europäischen Stabilitätsmechanismus, das zur Vorbereitung des nächsten Treffens der Finanzminister der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes Mitte Januar dienen solle. Unter anderem wurde berichtet, dass der geplante Europäische Stabilitätsmechanismus als eigenständige Institution neben die Europäische Zentralbank treten und den Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes politisch weitgehend unabhängig "Hilfen in der Not" anbieten solle. Er solle grundsätzlich "unbegrenzt refinanzierungsfähig" sein, wofür die Mitgliedstaaten anteilige Bürgschaften bereitstellen müssten. Hilfen sollten nur unter strengen Bedingungen und gegen werthaltige Sicherheiten wie Goldreserven oder staatliche Unternehmensanteile gewährt werden (Süddeutsche Zeitung, 23. Dezember 2010, "Neuer Vorstoß zur Rettung des Euro" und "Doppelter Schutz für den Euro" ).

6

Am 17. Januar 2011 forderte der Deutsche Bundestag mit Blick auf die für den 4. Februar 2011 geplante Tagung des Europäischen Rates beim Bundesministerium der Finanzen Dokumente bezüglich der Konkretisierung der Merkmale des Europäischen Stabilitätsmechanismus an. Das Bundesministerium der Finanzen kündigte daraufhin an, entsprechende Papiere zu übermitteln, sobald sie vorlägen. Außerdem teilte es mit, bei dem in der Süddeutschen Zeitung vom 23. Dezember 2010 angesprochenen inoffiziellen Dokument handele es sich nicht um ein abgestimmtes Positionspapier der Bundesregierung für die Organe der Europäischen Union, sondern um eine Zusammenstellung von internen Papieren der Arbeitsebene. Ein Zuleitungserfordernis bestehe daher nicht.

7

Der Deutsche Bundestag forderte am 19. Januar 2011 beim Bundesministerium der Finanzen unter Hinweis auf einen Bericht im Handelsblatt (Handelsblatt, 19. Januar 2011 , "EU-Kommission will klammen Ländern großzügiger helfen") ein siebenseitiges Papier der Europäischen Kommission mit Überlegungen zum Europäischen Stabilitätsmechanismus an, das dem ECOFIN-Rat vom 18. Januar 2011 vorgelegen habe. Dies lehnte ein Referatsleiter im Bundesministerium der Finanzen mit E-Mail vom gleichen Tage mit der Begründung ab, dem ECOFIN-Rat sei kein Papier zum Europäischen Stabilitätsmechanismus vorgelegt worden; Presseberichte, wonach die Europäische Kommission ein siebenseitiges Papier präsentiert habe, könnten nicht bestätigt werden. Bei der Entwicklung des Europäischen Stabilitätsmechanismus handele es sich zudem "um die Vorbereitung eines zwischenstaatlichen Instruments der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets und nicht um ein Vorhaben der Europäischen Union". Die Bundesregierung werde "über die Arbeiten an dem permanenten ESM" wie bisher regelmäßig unterrichten.

8

Ebenfalls am 19. Januar 2011 berichtete ein Beamter des Bundesministeriums der Finanzen sowohl dem Finanzausschuss des Deutschen Bundestages (Protokoll Nr. 17/39 der 39. Sitzung des Finanzausschusses vom 19. Januar 2011, S. 23 ff.) als auch dem Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union mündlich über die Ergebnisse der Sitzungen der Euro-Gruppe vom 17. Januar 2011 sowie des ECOFIN-Rates vom 18. Januar 2011. Es seien insbesondere Fragen zur Ausgestaltung des Europäischen Stabilitätsmechanismus diskutiert, Beschlüsse aber nicht gefasst worden. Die Bundesregierung handele dabei auf der Grundlage des Mandats des Europäischen Rates vom Dezember 2010. Der Deutsche Bundestag werde beteiligt, sobald eine Position der Bundesregierung vorliege. Nicht abgestimmte Papiere seien nicht vorlagepflichtig. Zwar gebe es "Papiere und Überlegungen der EU-Kommission" zur Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität und zum Europäischen Stabilitätsmechanismus; diese entsprächen aber den Vorgaben des Europäischen Rates (Protokoll Nr. 17/29 der 29. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 19. Januar 2011, S. 15 ff.). Der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen berichtete am selben Tag dem Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages über die Tagungen der Euro-Gruppe und des ECOFIN-Rates und betonte, dass die Bundesregierung ergebnisoffen in die Verhandlungen gegangen sei. Die Vorbereitung des Europäischen Rates im Februar/März 2011 und die Verhandlungen über die Ausgestaltung des sogenannten "comprehensive package" seien noch in vollem Gange (Protokoll Nr. 17/43 der 43. Sitzung des Haushaltsausschusses vom 19. Januar 2011, S. 42 ff.).

9

Am 24. Januar 2011 fand ein weiteres Treffen der Euro-Gruppe statt. Darüber berichtete der Bundesminister der Finanzen dem Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union am 26. Januar 2011. Er führte unter anderem aus, dass die Bundesregierung im Hinblick auf den Europäischen Stabilitätsmechanismus und die anderen in der Diskussion befindlichen Maßnahmen zur Euro-Rettung von einer abschließenden Gesamtentscheidung im März 2011 ausgehe. Mehrere Abgeordnete wiesen darauf hin, dass die Europäische Kommission der Euro-Gruppe angeblich ein inoffizielles Dokument (non paper) mit Inhalten und Plänen zum "Gesamtpaket" (comprehensive package) übermittelt habe. Für die Diskussion im Deutschen Bundestag sei eine Weiterleitung dieses Papiers hilfreich. Der Bundesminister der Finanzen trat dem Ersuchen mit der Begründung entgegen, im Hinblick auf Sitzungen der Finanzminister der Eurogruppe sei eine mündliche Unterrichtung ausreichend. Eine offene Kommunikation mit dem Deutschen Bundestag sei von großer Bedeutung, finde ihre Grenzen aber in der Handlungsfähigkeit der Bundesregierung (Protokoll Nr. 17/30 der 30. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 26. Januar 2011, S. 12 f.).

10

Am 2. Februar 2011 setzte der Präsident des Europäischen Rates das Thema "Wirtschafts- und Währungsunion" kurzfristig auf die Tagesordnung für die Tagung des Europäischen Rates am 4. Februar 2011 (vgl. Protokoll Nr. 17/31 der 31. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 9. Februar 2011, S. 14). Der Deutsche Bundestag erhielt am selben Tag einen schriftlichen Vorbericht des Bundeskanzleramtes. Darin wurde ausgeführt, die Beratungen der Staats- und Regierungschefs hätten "vor allem eine Verständigung über die Stärkung der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität, eine Entscheidung über die Vertragsänderung sowie eine Einigung über die Ausgestaltung des künftigen Europäischen Stabilisierungsmechanismus" zum Gegenstand. Entscheidungen in der Sache würden nicht erwartet. Am 3. Februar 2011 unterrichtete der Staatsminister des Bundeskanzleramtes die Obleute des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union mündlich über die bevorstehende Tagung des Europäischen Rates (vgl. Protokoll Nr. 17/31 der 31. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 9. Februar 2011, S. 11). Der Europäische Rat kündigte am 4. Februar 2011 unter anderem die "Festlegung der praktischen Merkmale des Europäischen Stabilitätsmechanismus unter dem Vorsitz des Präsidenten der Euro-Gruppe entsprechend dem im Dezember erteilten Auftrag" an (EUCO 2/1/11 REV 1, Schlussfolgerungen, Anlage I, S. 12). Der Deutsche Bundestag erhielt am 7. Februar 2011 einen schriftlichen Nachbericht zu dieser Tagung.

11

Am 9. Februar 2011 informierte ein Beamter des Bundesministeriums der Finanzen den Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union über die aktuelle Entwicklung des Euro-Währungsgebietes und teilte mit, im Mittelpunkt der Sitzungen der Euro-Gruppe und des ECOFIN-Rates am 14. und 15. Februar 2011 würden die bestehenden Reformprogramme, etwaige Änderungen der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität und die Ausgestaltung des Europäischen Stabilitätsmechanismus stehen. Auf Nachfrage führte er aus, hinsichtlich der Ausgestaltung eines "Instrumentenkastens" für den Europäischen Stabilitätsmechanismus gebe es noch keine abgeschlossene Position der Bundesregierung und keine Beschlüsse auf europäischer Ebene (Protokoll Nr. 17/31 der 31. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 9. Februar 2011, S. 15 f.). Ebenfalls am 9. Februar 2011 erklärte der Parlamentarische Staatssekretär des Bundesministeriums der Finanzen gegenüber dem Haushaltsausschuss auf Nachfrage, über das auf europäischer Ebene beratene "Gesamtpaket" werde das Parlament unterrichtet, sobald man zu einer Einigung gekommen sei (Protokoll Nr. 17/45 der 45. Sitzung des Haushaltsausschusses vom 9. Februar 2011, S. 59).

12

Am 17. Februar 2011 forderte der Deutsche Bundestag die Bundesregierung auf, ihm die vorbereitenden Papiere der Europäischen Kommission zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus zur Verfügung zu stellen. Dabei verwies er auf einen Artikel der Wochenzeitschrift "Der Spiegel", in dem auf ein solches Papier Bezug genommen worden war ("Jagd auf den Yeti", Heft 7/2011 vom 14. Februar 2011). Das Verbindungsbüro des Deutschen Bundestages in Brüssel teilte in einem internen Bericht vom 21. Februar 2011 ebenfalls mit, im Rat der Europäischen Union fänden Beratungen über die Ausgestaltung des Europäischen Stabilitätsmechanismus auf der Grundlage eines Textes der Europäischen Kommission statt. Das Bundesministerium der Finanzen kam der Aufforderung des Deutschen Bundestages nicht nach. In seinem Antwortschreiben vom 22. Februar 2011 wies es darauf hin, die zuständigen Ausschüsse des Deutschen Bundestages seien über Sitzungen der Euro-Gruppe nur mündlich zu unterrichten.

13

In der 32. Sitzung des Bundestagsausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 23. Februar 2011 informierte ein Beamter des Auswärtigen Amtes über die geplante Vertragsänderung im Zusammenhang mit der Errichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus. Auf welcher Rechtsgrundlage dessen konkrete Ausgestaltung erfolgen werde, stehe noch nicht fest. Bei dem Treffen der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes am 11. März 2011 würden die Themen Europäische Finanzstabilisierungsfazilität und Europäischer Stabilitätsmechanismus wahrscheinlich ebenfalls diskutiert. Es werde dabei aber wohl nur um die Grundlinien gehen; die endgültigen Entscheidungen seien erst beim Europäischen Rat Ende März 2011 zu erwarten (Protokoll Nr. 17/32 der 32. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 23. Februar 2011, S. 10 ff.). Der Ausschussvorsitzende und mehrere Abgeordnete rügten die Unterrichtung durch die Bundesregierung als ungenügend und verlangten übereinstimmend, frühzeitig und detailliert unterrichtet zu werden. Mit Blick auf die weitreichenden Auswirkungen auf die nationalen Haushalte sei der Deutsche Bundestag "von Beginn an in die Schaffung des ESM einzubeziehen" (Protokoll Nr. 17/32 der 32. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 23. Februar 2011, S. 12 f.).

14

Am 10. März 2011 berichtete die Bundeskanzlerin dem Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union über die für den Folgetag geplante informelle Tagung der Staats- und Regierungschefs des Euro-Währungsgebietes. Themen der Tagung seien unter anderem die Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus und der weitere Umgang mit der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität. Die Bundeskanzlerin erklärte, sie könne noch nicht sagen, ob das Treffen lediglich den Europäischen Rat am 24./25. März 2011 vorbereiten werde oder ob Beschlüsse gefasst würden. Im Übrigen würden informelle Treffen der Euro-Gruppe auch nicht von der gesetzlichen Unterrichtungspflicht der Bundesregierung gegenüber dem Deutschen Bundestag erfasst (Protokoll Nr. 17/33 der 33. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 10. März 2011, S. 10 ff.). Auf die Rüge eines Abgeordneten, das Parlament habe auf der Grundlage der Unterrichtungspraxis der Bundesregierung keine ausreichende Möglichkeit, die Entscheidungen zum Themenkreis der Eurostabilisierung nachzuvollziehen, erklärte die Bundeskanzlerin, die gegenwärtige Situation sei aufgrund täglicher Änderungen der Umstände und Tatsachen einzigartig, so dass die Bundesregierung dem Parlament nur Informationen mit einer "endlichen Halbwertszeit" geben und für den Europäischen Rat am 24./25. März 2011 lediglich Ergebnisoptionen benennen könne. Die Bundesregierung unterrichte den Deutschen Bundestag über die Sitzungen der Euro-Gruppe. Jedoch müssten bestimmte interne Beratungen, die von besonderer Marktrelevanz seien, differenziert behandelt werden (Protokoll Nr. 17/33 der 33. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 10. März 2011, S. 15 f.).

15

Am 16. März 2011 erklärte der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen im Finanzausschuss des Deutschen Bundestages, dass nach gegenwärtigem Verhandlungsstand der zukünftige Europäische Stabilitätsmechanismus auf völkerrechtlicher Grundlage errichtet werde und dieser Vertrag vom Deutschen Bundestag gemäß den Bestimmungen des Grundgesetzes zu ratifizieren sei (Protokoll Nr. 17/45 der 45. Sitzung des Finanzausschusses vom 16. März 2011, S. 27). Am gleichen Tag informierte der Bundesminister der Finanzen den Haushaltsausschuss über die voraussichtliche Höhe des effektiven Kreditvolumens des Europäischen Stabilitätsmechanismus. Man werde dieses jedoch erst im Zusammenhang mit der Entscheidung über die Form des Europäischen Stabilitätsmechanismus endgültig festlegen (Protokoll Nr. 17/49 der 49. Sitzung des Haushaltsausschusses vom 16. März 2011, S. 20 f.). Ebenfalls am 16. März 2011 informierte ein Beamter des Bundesministeriums der Finanzen den Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union über die Diskussionen der Euro-Gruppe und des ECOFIN-Rates zur Höhe des Garantievolumens von Europäischer Finanzstabilisierungsfazilität und Europäischem Stabilitätsmechanismus. Die Finanzminister hätten insbesondere verabredet, die Entscheidungen zur Ertüchtigung beider Institutionen nicht "kleckerweise" den nationalen Parlamenten vorzulegen, sondern in einem Paket (Protokoll Nr. 17/34 der 34. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 16. März 2011, S. 5 ff.).

16

Am 17. März 2011 nahm der Deutsche Bundestag den Antrag der Fraktionen von CDU/CSU und FDP zur Herstellung des Einvernehmens von Deutschem Bundestag und Bundesregierung zur Ergänzung von Art. 136 AEUV (BTDrucks 17/4880) an (Plenarprotokoll Nr. 17/96 der 96. Sitzung des Deutschen Bundestages vom 17. März 2011, S. 11015 C).

17

Auf ihrer Sitzung am 21. März 2011 einigte sich die Euro-Gruppe auf die Grundsätze des Europäischen Stabilitätsmechanismus. Im Bericht des Verbindungsbüros des Deutschen Bundestages in Brüssel vom gleichen Tag über den Stand der Diskussion im Nachgang zur Sondertagung des Europäischen Rates vom 11. März 2011 sowie zur Tagung des ECOFIN-Rates vom 14./15. März 2011 wurde ausgeführt, die Mitgliedstaaten hätten sich bereits auf einige wichtige Aspekte des Europäischen Stabilitätsmechanismus geeinigt. Zahlreiche Fragen - wie die Konditionalität der Gewährung von Finanzhilfen, die institutionelle Form und Struktur der Organisation, die Einbeziehung des Internationalen Währungsfonds oder die Beteiligung der Nicht-Euroländer - würden aber derzeit noch diskutiert und nach Ansicht von Beobachtern erst am 24./25. März 2011 von den Staats- und Regierungschefs entschieden (Bericht aus Brüssel 06/2011 vom 21. März 2011, S. 3 f.).

18

Am 23. März 2011 erstattete das Bundeskanzleramt dem Deutschen Bundestag einen schriftlichen Vorbericht zur Tagung des Europäischen Rates am 24./25. März 2011. Darin kündigte es mehrere Beschlüsse im "Gesamtpaket" zur dauerhaften Stabilisierung des Euro-Währungsgebietes an, darunter die "Finalisierung der Arbeiten zur Ausgestaltung des künftigen Stabilitätsmechanismus (ESM)". Am gleichen Tag informierte ein Beamter des Bundesministeriums der Finanzen den Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union über die aktuellen Entwicklungen im Euro-Währungsgebiet und übergab ein Papier zu den Grundsätzen des Europäischen Stabilitätsmechanismus in englischer Sprache ("term sheet") als Tischvorlage. Dass keine deutsche Übersetzung vorgelegt werde, sei zum einen der Kurzfristigkeit geschuldet, zum anderen aber auch dem besseren Verständnis, da der englische Text "Vorteile gegenüber einer deutschen Übersetzung" biete (Protokoll Nr. 17/35 der 35. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 23. März 2011, S. 9). Auf Nachfrage erklärte der Beamte, die Bundesregierung werte die Unterrichtung des Ausschusses als "mündliche Unterrichtung" entsprechend § 5 Abs. 4 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union (im Folgenden: EUZBBG) vom 12. März 1993 (BGBl I S. 311), zuletzt geändert durch Gesetz vom 22. September 2009 (BGBl I S. 3026). Die Vorlage des "term sheet" sei nicht auf der Grundlage dieses Gesetzes erfolgt und runde die mündliche Unterrichtung ab (Protokoll Nr. 17/35 der 35. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 23. März 2011, S. 13, 16).

19

Ebenfalls am 23. März 2011 forderte der Abgeordnete Manuel Sarrazin in einem Schreiben an den Bundesminister der Finanzen die Überlassung von Dokumenten über die Ausgestaltung des Europäischen Stabilitätsmechanismus. Aus einem Brief des Präsidenten der Euro-Gruppe an die Mitglieder des Europäischen Parlaments vom 22. März 2011 gehe hervor, dass das Europäische Parlament im Rahmen des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens an einer Verordnung im Zusammenhang mit dem Europäischen Stabilitätsmechanismus beteiligt werden solle. Damit würden die vorbereitenden Dokumente der Europäischen Kommission, deren Zuleitung die Bundesregierung bislang verweigere, von der Weiterleitungspflicht nach Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG erfasst. Eine mündliche Unterrichtung hierüber reiche nicht aus.

20

Am 24. März 2011 gab die Bundeskanzlerin im Hinblick auf die Tagung des Europäischen Rates am 24./25. März 2011 im Deutschen Bundestag eine Regierungserklärung ab. Die Bundesregierung habe auf europäischer Ebene durchgesetzt, dass der dauerhafte Europäische Stabilitätsmechanismus für ein ausgewogenes Verhältnis von Eigenverantwortung und Solidarität sorgen werde. Kredite dürften nur als letztes Mittel vergeben werden, und über die Vergabe werde durch einstimmigen Beschluss entschieden. Außerdem müsse sich der entsprechende Mitgliedstaat Auflagen unterwerfen. Die Haftung Deutschlands sei nach oben begrenzt (Plenarprotokoll Nr. 17/99 der 99. Sitzung des Deutschen Bundestages vom 24. März 2011, S. 11255 A f.).

21

b) Auf seiner Tagung vom 24./25. März 2011 beschloss der Europäische Rat sodann den Entwurf eines künftigen Art. 136 Abs. 3 AEUV, der als primärrechtliche Grundlage für den Europäischen Stabilitätsmechanismus dienen und folgenden Wortlaut haben soll:

22

Die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist, können einen Stabilitätsmechanismus einrichten, der aktiviert wird, wenn dies unabdingbar ist, um die Stabilität des Euro-Währungsgebiets insgesamt zu wahren. Die Gewährung aller erforderlichen Finanzhilfen im Rahmen des Mechanismus wird strengen Auflagen unterliegen (EUCO 10/11, Schlussfolgerungen, Anlage II, S. 21 ff.).

23

In den Schlussfolgerungen ist davon die Rede, dass die Ergänzung des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union im vereinfachten Änderungsverfahren nach Art. 48 Abs. 6 EUV erfolgen solle und daher nicht zu einer Ausdehnung der der Europäischen Union im Rahmen der Verträge übertragenen Zuständigkeiten führen dürfe (vgl. Art. 48 Abs. 6 UAbs. 3 EUV). Vor diesem Hintergrund solle der Europäische Stabilitätsmechanismus als zwischenstaatliche Einrichtung ausgestaltet werden. Seinen Schlussfolgerungen fügte der Europäische Rat die Anlage II mit der "Vereinbarung über die Merkmale des ESM" bei (EUCO 10/11, S. 21 ff.). Darin machte er deutlich, dass sein Einvernehmen über die Einrichtung des "ständigen" Europäischen Stabilitätsmechanismus an die Beschlussfassung über den Entwurf eines neuen Art. 136 Abs. 3 AEUV gekoppelt sei (EUCO 10/11, S. 21). Über die Ergebnisse des Europäischen Rates vom 24./25. März 2011 informierte der Staatsminister des Bundeskanzleramtes am 28. März 2011 die Obleute des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union telefonisch. Zugleich übermittelte das Bundeskanzleramt dem Deutschen Bundestag einen schriftlichen Ergebnisbericht.

24

Dem Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union berichtete ein Beamter des Bundesministeriums der Finanzen am 6. April 2011. Zu den Ergebnissen des Europäischen Rates vom 24./25. März 2011 erklärte er, man habe "ambitionierte Zeitvorgaben" für die Ertüchtigung der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität und den Errichtungs- und Finanzierungsvertrag für den Europäischen Stabilitätsmechanismus vereinbart (Protokoll Nr. 17/36 der 36. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 6. April 2011, S. 5 ff.). Bezogen auf die nationalen Umsetzungsgesetze im Zusammenhang mit der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität und dem Europäischen Stabilitätsmechanismus erklärte er, die Bundesregierung versuche, den Deutschen Bundestag zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu beteiligen (Protokoll Nr. 17/36 der 36. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 6. April 2011, S. 8). Am gleichen Tag berichtete der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen dem Haushaltsausschuss mündlich über die Ergebnisse des Europäischen Rates und über den Fortgang der Verhandlungen zum Europäischen Stabilitätsmechanismus (Protokoll Nr. 17/52 der 52. Sitzung des Haushaltsausschusses vom 6. April 2011, S. 9). Derzeit werde der Vertrag über den Europäischen Stabilitätsmechanismus weiter ausgearbeitet, um ihn vor Ende Juli 2011 paraphieren zu können. Danach solle die Ratifizierung in den Mitgliedstaaten erfolgen. Dies bedeute eine vollumfängliche parlamentarische Beteiligung des Deutschen Bundestages (Protokoll Nr. 17/52 der 52. Sitzung des Haushaltsausschusses vom 6. April 2011, S. 12). Die Rüge eines Abgeordneten, dass die Bundesregierung dem Ausschuss in der vorangegangen Sitzung am 23. März 2011 lediglich eine englische Fassung des "term sheet" vorgelegt habe, obwohl dieses zum Zeitpunkt der Sitzung bereits 48 Stunden alt gewesen sei, wies er zurück (Protokoll Nr. 17/52 der 52. Sitzung des Haushaltsausschusses vom 6. April 2011, S. 16 f.).

25

Einen auf den 6. April 2011 datierenden Entwurf eines Vertrages zur Errichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus ("Draft Treaty Establishing the European Stability Mechanism") erhielt der Deutsche Bundestag aus informellen Quellen. Eine Zuleitung dieses Textes durch die Bundesregierung erfolgte nicht.

26

Im schriftlichen Vorbericht zum informellen Treffen des ECOFIN-Rates am 8./9. April 2011 informierte das Bundesministerium der Finanzen am 4. April 2011 den Finanzausschuss, den Haushaltsausschuss und den Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union darüber, dass der Rat unter anderem diskutieren wolle, wie die Ausarbeitung des Vertrages über den Europäischen Stabilitätsmechanismus rechtzeitig abgeschlossen werden könne. Über den Verlauf der Tagung berichtete der Bundesminister der Finanzen dem Haushaltsausschuss mündlich am 13. April 2011. Zum geplanten Europäischen Stabilitätsmechanismus erklärte er, die Einzelheiten seiner Ausgestaltung seien in einem Vertrag erst noch zu regeln. Dieser Vertrag bedürfe der Ratifizierung durch die nationalen Gesetzgeber. Im Zuge dieser Ratifizierung werde dann auch die Parlamentsbeteiligung im Rahmen des Stabilitätsmechanismus zu beraten sein (Protokoll Nr. 17/53 der 53. Sitzung des Haushaltsausschusses vom 13. April 2011, S. 10 ff.). Auf die Rüge eines Abgeordneten, eine Äußerungsmöglichkeit des Deutschen Bundestages erst nach Vorlage des Gesetzentwurfs komme zu spät, da zu diesem Zeitpunkt die europäischen Vereinbarungen bereits getroffen sein würden, ging der Bundesminister der Finanzen nicht ein (Protokoll Nr. 17/53 der 53. Sitzung des Haushaltsausschusses vom 13. April 2011, S. 14 ff.). Im Hinblick auf das Anliegen einer möglichst weitgehenden Parlamentsbeteiligung gab er zu bedenken, dass die Leistungsfähigkeit eines Mechanismus durch ein Übermaß an Beteiligungen herabgesetzt werde (Protokoll Nr. 17/53 der 53. Sitzung des Haushaltsausschusses vom 13. April 2011, S. 27 ff.).

27

Ebenfalls am 13. April 2011 informierte der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen den Finanzausschuss des Deutschen Bundestages mündlich darüber, dass die Bundesregierung bestrebt sei, alle vom Parlament im Zusammenhang mit der Aufstockung der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität und der Schaffung des Europäischen Stabilitätsmechanismus zu treffenden Entscheidungen in einem Gesamtpaket vorzulegen. Die Zuleitung an den Deutschen Bundestag werde so rechtzeitig erfolgen, dass das Gesetzespaket noch vor Jahresende verabschiedet werden könne. Auf europäischer Ebene solle noch vor der Sommerpause eine abschließende Entscheidung fallen (Protokoll Nr. 17/49 der 49. Sitzung des Finanzausschusses vom 13. April 2011, S. 25 f.). Das Bundesministerium der Finanzen übersandte den drei Ausschüssen am 19. April 2011 zudem einen schriftlichen Ergebnisbericht zu dem informellen Treffen des ECOFIN-Rates.

28

Am 6. Mai 2011 informierte der Bundesminister der Finanzen die Obleute des Haushaltsausschusses und des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union über den aktuellen Sachstand. Mit Schreiben seines Vorsitzenden vom 12. Mai 2011 forderte der Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union den Bundesminister der Finanzen erneut auf, den jeweils aktuell zur Verhandlung stehenden Vertragsentwurf zu übermitteln. Nur die Vorlage des Textes stelle zusammen mit den mündlichen Unterrichtungen vor der anstehenden Beschlussfassung auf europäischer Ebene die nach Art. 23 GG erforderliche Beteiligung des Deutschen Bundestages sicher. Es sei aus der Sicht der Abgeordneten nicht hinnehmbar, die verschiedenen Entwürfe - wie geschehen - in Österreich anfordern zu müssen, wo der Nationalrat entsprechende Entwürfe von der österreichischen Bundesregierung bereits zugeleitet bekommen hatte (vgl. hierzu die Beratungen des Hauptausschusses in Angelegenheiten der Europäischen Union des Nationalrates XXIV. GP vom 23. März 2011, Stenographisches Protokoll, Seite 2). Nach weiteren Vorstößen - unter anderem des parlamentarischen Geschäftsführers der Antragstellerin - übermittelte das Bundesministerium der Finanzen am 17. Mai 2011 dem Deutschen Bundestag einen englischsprachigen Vertragsentwurf und am Folgetag dessen deutsche Übersetzung.

29

3. Parallel zu den Vorbereitungen für einen Vertrag über den Europäischen Stabilitätsmechanismus und zur Änderung des Art. 136 AEUV wurden auf Initiative der Bundeskanzlerin und des französischen Staatspräsidenten Leitlinien für eine verstärkte wirtschaftspolitische Koordinierung der Mitglieder des Euro-Währungsgebietes entwickelt, die zunächst unter der Bezeichnung "Pakt für Wettbewerbsfähigkeit" zusammengefasst und letztlich als "Euro-Plus-Pakt" beschlossen wurden. Ziel war es, den Problemen entgegenzuwirken, die sich nach Auffassung der Initiatoren aus der asymmetrischen Konstruktion der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion - vollständige Vergemeinschaftung der Währungspolitik bei gleichzeitiger Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für die Wirtschaftspolitik - ergeben.

30

a) In der Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 26. Januar 2011 teilte der Staatsminister des Bundeskanzleramtes auf eine entsprechende Frage mit, dass auf dem anstehenden Europäischen Rat über den Euro gesprochen werde, mit Beschlüssen aber nicht zu rechnen sei (Protokoll Nr. 17/30 der 30. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 26. Januar 2011, S. 9). In derselben Sitzung nahm der Bundesminister der Finanzen zum weiteren Vorgehen Stellung (vgl. hierzu A.I.2.).

31

Am 31. Januar 2011 erschien in der Wochenzeitschrift "Der Spiegel" unter dem Titel "Agenda für Europa" ein Artikel, in dem über ein Gespräch der Bundeskanzlerin mit dem Präsidenten der Europäischen Kommission über einen "Pakt für Wettbewerbsfähigkeit" berichtet wurde, den sie zusammen mit dem französischen Staatschef dem nächsten Europäischen Rat "vertraulich und informell beim Mittagessen" vorstellen wolle, ohne dass dies auf der Tagesordnung erscheine. Ziel solle sein, das Euro-Währungsgebiet zukünftig besser vor Krisen zu schützen. In einem Papier seien als Maßnahmen unter anderem die Angleichung von Steuern, die Anpassung des Renteneintrittsalters und die Einführung einer Schuldenbremse genannt ("Der Spiegel", "Agenda für Europa", Heft 5/2011 vom 31. Januar 2011). Auf der Internetseite www.euractiv.de war eine Entwurfsfassung dieses Paktes abrufbar. Am 1. Februar 2011 bat der Deutsche Bundestag das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie unter Bezugnahme auf die Berichterstattung des "Spiegels" sowie mehrerer Tageszeitungen um die Übermittlung der "Papiere und Informationen, auf deren Basis die Bundesregierung ihre Initiative vorstellen" werde. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie teilte dem Deutschen Bundestag mit E-Mail vom 2. Februar 2011 mit, dass die angeführten Zeitungsartikel auf einen "Abstimmungsprozess in der Bundesregierung Bezug nähmen, der noch nicht abgeschlossen" sei. In der Regierungspressekonferenz am gleichen Tag kündigte der Regierungssprecher an, dass auf der Tagung des Europäischen Rates am 4. Februar 2011 tatsächlich auch über Fragen der wirtschaftspolitischen Koordinierung in der Euro-Währungszone geredet werden solle, und fügte hinzu: "Dazu wird es eine abgestimmte Haltung der Bundesregierung geben" (vgl. Mitschrift der Regierungspressekonferenz vom 2. Februar 2011, abrufbar im Internet unter http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/2011/02/2011-2-02-regpk.html). In ihrem Vorbericht zum Europäischen Rat vom 2. Februar 2011 erklärte die Bundesregierung, die Bundeskanzlerin werde für "ein starkes Signal" eintreten, die wirtschaftspolitische Koordinierung im Euro-Währungsgebiet zu verbessern, um die Wettbewerbsfähigkeit insgesamt zu erhöhen und die Kohärenz im Euro-Währungsgebiet zu stärken. Weitere Dokumente stellte sie dem Deutschen Bundestag nicht zur Verfügung.

32

Am 3. Februar 2011 erklärte der Staatsminister des Bundeskanzleramtes den Obleuten des Ausschusses für Angelegenheiten der Europäischen Union telefonisch, ungeachtet der Presseberichterstattung zur geplanten Initiative für einen "Pakt für Wettbewerbsfähigkeit" bestehe zu dem Thema noch keine abgestimmte Position der Bundesregierung und werde dementsprechend auch keine abgestimmte Position beim Europäischen Rat beschlossen (vgl. Protokoll Nr. 17/31 der 31. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 9. Februar 2011, S. 11).

33

Am 4. Februar 2011 kündigte die Bundeskanzlerin in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem französischen Staatspräsidenten an, die europäischen Partner über Details der deutsch-französischen Initiative unterrichten zu wollen. Auf getrennten Pressekonferenzen teilten sowohl die Bundeskanzlerin als auch der französische Staatspräsident anschließend mit, sie hätten beim Mittagessen den anderen Mitgliedern des Europäischen Rates ihre Ideen für einen "Pakt für Wettbewerbsfähigkeit" eröffnet und den Präsidenten des Europäischen Rates gebeten, auf der Basis dieser Ideen Konsultationen mit den Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes zu führen. In den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 4. Februar 2011 ist von dem Ziel einer "neuen Qualität der wirtschaftspolitischen Koordinierung im Euro-Währungsgebiet zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit" die Rede; der Präsident des Europäischen Rates werde mit den Staats- und Regierungschefs der dem Euro-Währungsgebiet angehörenden Mitgliedstaaten Konsultationen führen und darüber einen Bericht erstellen, in dem im Einklang mit dem Vertrag konkrete künftige Schritte aufgezeigt werden sollten (EUCO 2/1/11 REV 1, Anlage I, S. 13).

34

Ab dem 5. Februar 2011 bemühte sich die Bundesregierung in bilateralen Konsultationen mit den Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes und dem Präsidenten des Europäischen Rates um die nähere Ausarbeitung der Initiative. Auf schriftliche Fragen des Abgeordneten Sarrazin zu Inhalt und Stand der Verhandlungen verwies sie auf die Tagung des Europäischen Rates vom 4. Februar 2011 und die Schlussfolgerungen sowie auf mündliche Darstellungen. Schriftliche Unterlagen legte sie nicht vor. In der Sitzung des Ausschusses für Angelegenheiten der Europäischen Union am 9. Februar 2011 teilte der Staatsminister des Bundeskanzleramtes mit, der Europäische Rat habe am 4. Februar 2011 keine bindenden Beschlüsse hinsichtlich des "Pakts für Wettbewerbsfähigkeit" gefasst. Es fehle noch immer an einer abgestimmten Position innerhalb der Bundesregierung sowie an einem gemeinsamen Papier; die Punkte befänden sich noch in der Diskussion. Einzelne Elemente der wirtschaftspolitischen Koordinierung seien aber bereits vor dem 4. Februar 2011 bei den deutsch-spanischen Konsultationen und beim Treffen der Staats- und Regierungschefs im Format des "Weimarer Dreiecks" erörtert worden, wie zum Beispiel das Renteneintrittsalter, die Bemessungsgrundlage für die Körperschaftssteuer, die Lohnindexierung sowie die Aufnahme einer Schuldenbremse in die nationalen Verfassungen. Seitens der Bundesregierung sei kein "Pakt für Wettbewerbsfähigkeit" an die Presse gegeben worden. Die veröffentlichten Dokumente zeugten bereits durch den Hinweis "Gesamtvorbehalt" davon, dass es sich nicht um ein abgestimmtes Papier der Bundesregierung handele (Protokoll Nr. 17/31 der 31. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 9. Februar 2011, S. 13 ff.).

35

Am 25. Februar 2011 wurde dem Deutschen Bundestag ein vom gleichen Tag datierendes nicht offizielles Dokument (non paper) der Präsidenten der Europäischen Kommission und des Europäischen Rates mit der Überschrift "Enhanced Economic Policy Coordination in the Euro Area - Main Features and Concepts" zugespielt, das wesentliche Inhalte des geplanten Paktes für Wettbewerbsfähigkeit beschrieb. Nachdem auch in der Presse über ein solches Papier berichtet worden war, forderte der Deutsche Bundestag am 3. März 2011 dieses unter Hinweis auf die Unterrichtungspflicht nach § 5 Abs. 3 EUZBBG per E-Mail beim Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie an. Am 9. März 2011 ging beim Deutschen Bundestag ein Drahtbericht des Auswärtigen Amtes ein, aus dem sich ergab, dass auf einem informellen Treffen der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes am 11. März 2011 eine Einigung über den "Pakt für Wettbewerbsfähigkeit" erzielt werden solle, damit dieser bei der Tagung des Europäischen Rates am 24./25. März 2011 endgültig gebilligt werden könne.

36

Ebenfalls am 9. März 2011 wandte sich der Präsident des Deutschen Bundestages an die Bundeskanzlerin und bemängelte, dass die Information über den "Pakt für Wettbewerbsfähigkeit" den Bestimmungen des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union nicht oder allenfalls unzureichend gerecht werde. Der lediglich zweiseitige Vorbericht vom 2. Februar 2011 sei recht vage gewesen, während die Medien bereits detailliert über die konkrete Initiative berichtet hätten. Der Bitte der Bundestagsverwaltung vom 1. Februar 2011, einschlägige Dokumente und Informationen zu übermitteln, sei nicht oder allenfalls sehr unvollständig entsprochen worden. Er bitte sie, die Informationen im konkreten Fall nachzuholen. Mit Antwortschreiben vom 10. März 2011 erwiderte die Bundeskanzlerin, dass die Bundesregierung ihren gesetzlichen Verpflichtungen auch im konkreten Fall bestmöglich nachkomme.

37

Die Bundeskanzlerin besuchte am gleichen Tag die 33. Sitzung des Ausschusses für Angelegenheiten der Europäischen Union. Dort berichtete sie, dass Gegenstand des informellen Treffens der Staats- und Regierungschefs des Euro-Währungsgebietes am 11. März 2011 neben dem Europäischen Stabilitätsmechanismus auch der Pakt für Wettbewerbsfähigkeit sein werde. Der Pakt sei seit dem 11. Februar 2011 weiterentwickelt worden, aber noch nicht so detailliert, wie sie es sich wünsche. Eckpfeiler bildeten die Themen Wettbewerbsfähigkeit, Beschäftigung, Haushalte und Finanzstabilität. Die genannten Politikbereiche fielen in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten und sollten künftig von der Europäischen Kommission überwacht werden. Maßstab der Unterrichtung des Bundestages seien nicht Presseberichte, sondern offizielle Dokumente. Ein solches habe es zum Pakt für Wettbewerbsfähigkeit nicht gegeben, weder innerhalb der Bundesregierung noch gemeinsam mit Frankreich. Offizielle Dokumente seien dem Deutschen Bundestag nicht vorenthalten worden (vgl. Protokoll Nr. 17/33 der 33. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 10. März 2011, S. 11 ff.).

38

b) Das Bundeskanzleramt leitete den Entwurf eines "Paktes für Wettbewerbsfähigkeit" dem Bundestag am Morgen des 11. März 2011 per E-Mail zu. Am selben Tag stellten die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes in den Schlussfolgerungen ihres Treffens zu der nunmehr "Pakt für den Euro" genannten Vereinbarung fest:

39

Der (in der Anlage wiedergegebene) Pakt für den Euro, mit dem eine stärkere wirtschaftspolitische Koordinierung im Hinblick auf Wettbewerbsfähigkeit und Konvergenz festgelegt wird, wurde gebilligt. Er wird dem Europäischen Rat auf seiner Tagung am 24./25. März 2011 vorgelegt, damit die nicht dem Euro-Währungsgebiet angehörenden Mitgliedstaaten mitteilen können, ob sie beabsichtigen, sich an dem Pakt zu beteiligen. Gleichzeitig werden die dem Euro-Währungsgebiet angehörenden Mitgliedstaaten erste Maßnahmen darlegen, zu deren Durchführung sie sich im Rahmen des Paktes für das nächste Jahr verpflichten (Schlussfolgerungen der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets vom 11. März 2011, S. 1).

40

Ausweislich des Vertragstextes und der Schlussfolgerungen soll der "Pakt für den Euro" darauf abzielen, die wirtschaftliche Säule der Währungsunion zu stärken, eine neue Qualität der wirtschaftspolitischen Koordinierung zwischen den Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes zu erreichen, ihre Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern und dadurch einen höheren Grad an Konvergenz zu erreichen. Der Schwerpunkt soll vor allem auf die Politikbereiche gelegt werden, die in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fallen und die für die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit und die Vermeidung schädlicher Ungleichgewichte von entscheidender Bedeutung sind. Die nicht dem Euro-Währungsgebiet angehörenden Mitgliedstaaten wurden ausdrücklich eingeladen, sich auf freiwilliger Basis zu beteiligen (vgl. Schlussfolgerungen der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes vom 11. März 2011, Anlage I, Seite 6 ff.). Die vorgesehenen Maßnahmen ("Anstrengungen") sollen vier Leitlinien beachten: Sie sollen im Einklang mit der bestehenden wirtschaftspolitischen Steuerung in der Europäischen Union stehen und ihrer Verstärkung dienen, mit den bereits bestehenden Instrumenten der Europäischen Union - der Strategie Europa 2020, dem Europäischen Semester, den Integrierten Leitlinien, dem Stabilitäts- und Wachstumspakt und dem neuen Rahmen für die Überwachung der Wirtschaftspolitik - vereinbar sein und auf ihnen aufbauen. Dabei soll der Europäischen Kommission eine zentrale Rolle bei der Überwachung der Erfüllung der Verpflichtungen zukommen. Die Anstrengungen sollen die Politikbereiche abdecken, die für die Förderung von Wettbewerbsfähigkeit und Konvergenz von maßgeblicher Bedeutung sind. Sie sollen sich auf Maßnahmen konzentrieren, die in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fallen, wobei in diesen Politikbereichen auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs gemeinsame Ziele vereinbart werden, die teilnehmenden Mitgliedstaaten diese aber selbständig verfolgen sollen. Es ist darüber hinaus vorgesehen, dass alle Staats- und Regierungschefs jedes Jahr konkrete nationale Verpflichtungen eingehen und sich dabei an den Leistungsstärksten innerhalb Europas und unter den strategischen Partnern orientieren. Die Erfüllung dieser Verpflichtungen und die Fortschritte bei der Verwirklichung der gemeinsamen politischen Ziele sollen jährlich einem Monitoring auf politischer Ebene unterzogen werden, das sich auf einen Bericht der Europäischen Kommission stützen soll. Schließlich seien die dem Euro-Währungsgebiet angehörenden Mitgliedstaaten uneingeschränkt der Vollendung des Binnenmarkts verpflichtet. Die dem Euro-Währungsgebiet angehörenden Mitgliedstaaten verpflichten sich in dem Pakt für den Euro, alle Maßnahmen zu ergreifen, die für die Verwirklichung der Ziele einer Förderung der Wettbewerbsfähigkeit, der Beschäftigung, der langfristigen Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen und der Stärkung der Finanzstabilität erforderlich sind. Als Gegenstände der Koordinierung werden unter anderem die Verfahren der Lohnbildung und Tarifabschlüsse im öffentlichen Sektor, die Verbesserung der Bildungssysteme, die unternehmerfreundlichere Gestaltung des Handels- und Insolvenzrechts, Arbeitsmarktreformen zur Förderung der "Flexicurity" und Anpassungen der Rentensysteme genannt. Ein besonderes Augenmerk soll in diesen Zusammenhang auch auf die Koordinierung der Steuerpolitik gerichtet werden (vgl. Schlussfolgerungen der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes vom 11. März 2011, Anlage I, S. 6 ff.). Die Vereinbarung war Gegenstand der Befassung mehrerer Ausschüsse des Deutschen Bundestages (Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union, Protokoll Nr. 17/34 vom 16. März 2011, S. 10 f.; Haushaltsausschuss, Protokoll Nr. 17/49 vom 16. März 2011, S. 49; Finanzausschuss, Protokoll Nr. 17/45 vom 16. März 2011, S. 60).

41

c) Auf der Tagung des Europäischen Rates vom 24./25. März 2011 traten Bulgarien, Dänemark, Lettland, Litauen, Polen und Rumänien der nunmehr "Euro-Plus-Pakt" genannten Vereinbarung bei. Eine inhaltliche Änderung des Paktes erfolgte nicht mehr. Am 28. März 2011 erhielt der Deutsche Bundestag die Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 24./25. März 2011 (EUCO 10/11), die in Anlage 1 den "Euro-Plus-Pakt" enthielten. Die Europäische Kommission bezog den Euro-Plus-Pakt in der Folge auch in die "neue Europäische Ordnungspolitik" ein und stellte klar, dass die neuen Verpflichtungen aus dem Pakt in die nationalen Reform- und Stabilitätsprogramme aufgenommen und dem regulären EU-Überwachungsverfahren unterworfen würden (Mitteilung der Kommission vom 7. Juni 2011 zum Abschluss des ersten Europäischen Semesters für die Koordinierung der Wirtschaftspolitik, KOM (2011) 400 endgültig, S. 9). Unter dem Dach des Paktes findet sich zudem die ausdrückliche Verpflichtung der teilnehmenden Staaten, "die im Stabilitäts- und Wachstumspakt enthaltenen Haushaltsvorschriften der Europäischen Union in nationales Recht umzusetzen" (EUCO 10/11, S. 19).

42

d) Im November 2011 verabschiedete die Europäische Union fünf Verordnungen und eine Richtlinie - das sogenannte "Sixpack" -, die teilweise der Umsetzung des Euro-Plus-Paktes dienen, zum Teil aber auch unabhängig davon eine Fortentwicklung des bereits sekundärrechtlich verankerten Stabilitäts- und Wachstumspaktes darstellen (Verordnung (EU) Nr. 1173/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. November 2011 über die wirksame Durchsetzung der haushaltspolitischen Überwachung im Euro-Währungsgebiet, ABl. EU Nr. L 306 vom 23. November 2011, S. 1; Verordnung (EU) Nr. 1174/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. November 2011 über Durchsetzungsmaßnahmen zur Korrektur übermäßiger makroökonomischer Ungleichgewichte im Euro-Währungsgebiet, ABl. EU Nr. L 306 vom 23. November 2011, S. 8; Verordnung (EU) Nr. 1175/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. November 2011 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1466/97 des Rates über den Ausbau der haushaltspolitischen Überwachung und der Überwachung und Koordinierung der Wirtschaftspolitiken, ABl. EU Nr. L 306 vom 23. November 2011, S. 12; Verordnung (EU) Nr. 1176/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. November 2011 über die Vermeidung und Korrektur makroökonomischer Ungleichgewichte, ABl. EU Nr. L 306 vom 23. November 2011, S. 25; Verordnung (EU) Nr. 1177/2011 des Rates vom 8. November 2011 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1467/97 über die Beschleunigung und Klärung des Verfahrens bei einem übermäßigen Defizit, ABl. EU Nr. L 306 vom 23. November 2011, S. 33; Richtlinie 2011/85/EU des Rates vom 8. November 2011 über die Anforderungen an den haushaltspolitischen Rahmen der Mitgliedstaaten, ABl. EU Nr. L 306 vom 23. November 2011, S. 41).

II.

43

Mit ihren im Rubrum wiedergegebenen Anträgen begehrt die Antragstellerin die Feststellung, dass die Antragsgegnerin die Rechte des Deutschen Bundestages aus Art. 23 Abs. 2 GG verletzt habe, indem sie diesen über den Europäischen Stabilitätsmechanismus und über den Euro-Plus-Pakt nicht hinreichend und nicht rechtzeitig unterrichtet habe.

44

1. a) Die Frist des § 64 Abs. 3 BVerfGG sei gewahrt. Das Organstreitverfahren betreffe ein Unterlassen der Bundesregierung, so dass die Frist frühestens in dem Zeitpunkt zu laufen begonnen habe, in dem sich die Antragsgegnerin erkennbar und endgültig geweigert habe, die gebotene Handlung vorzunehmen. Eine solche Weigerung, den Deutschen Bundestag zu unterrichten, sei nicht vor der Tagung des Europäischen Rates am 4. Februar 2011 zum Ausdruck gebracht worden.

45

b) Der Antrag sei auch begründet. So habe die Antragsgegnerin den Deutschen Bundestag über die Ausgestaltung des Europäischen Stabilitätsmechanismus nicht umfassend, frühestmöglich und fortlaufend unterrichtet.

46

aa) Beim Europäischen Stabilitätsmechanismus handele es sich um eine Angelegenheit der Europäischen Union im Sinne von Art. 23 Abs. 2 Satz 1 GG. Der Begriff der Angelegenheit der Europäischen Union sei weit zu verstehen und orientiere sich nicht allein an der formellen Einordnung der Rechtsgrundlage in den supranationalen Integrationsverbund. Der geplante Art. 136 Abs. 3 AEUV und der auf seiner Grundlage zu errichtende Europäische Stabilitätsmechanismus hätten erhebliche Auswirkungen auf die Wirtschafts- und Währungsunion. Die Ermächtigung der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes zur Einrichtung eines ständigen Stabilitätsmechanismus ergänze den bisherigen Charakter der Wirtschafts- und Währungsunion. Die hiermit einhergehenden Pflichten hätten erhebliche Rückwirkungen auf das nationale Haushaltsverfassungsrecht und beträfen damit einen Kernbereich parlamentarischer Verantwortung. Der Umbau der Wirtschafts- und Währungsunion berühre jenen Katalog von Staatsaufgaben, den das Bundesverfassungsgericht als identitätsprägend herausgestellt und der parlamentarischen Integrationsverantwortung vorbehalten habe. Entstehungsgeschichtlich und institutionell sei der Europäische Stabilitätsmechanismus als "Angelegenheit der Europäischen Union" ausgewiesen. So seien die Planungen von Anfang an auf eine Stabilisierung der Wirtschafts- und Währungsunion ausgerichtet gewesen; mit dem Europäischen Rat und der Europäischen Kommission seien Organe der Europäischen Union maßgeblich an der Ausgestaltung beteiligt. Die "Vereinbarung über die Merkmale des Europäischen Stabilitätsmechanismus" in den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 24./25. März 2011 (EUCO 10/11, Anlage II, S. 21 ff.) könne als inhaltlich prägendes Gründungsdokument gelten. Der Europäische Rat habe, ausdrücklich unter Rückgriff auf Art. 136 Abs. 3 AEUV, Einvernehmen darüber erzielt, dass die Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes einen ständigen Stabilisierungsmechanismus einrichten müssten. Insoweit sei der Europäische Stabilitätsmechanismus ein Geschöpf des Europäischen Rates. Die Statik des Europäischen Stabilitätsmechanismus - Aufgaben und Finanzierungsstrategie, Leitung, Kapitalstruktur sowie Instrumente - werde grundlegend bestimmt von den im Europäischen Rat vereinbarten Merkmalen. Im Übrigen habe die Bundesregierung ihrerseits die Finalisierung der Arbeiten zur Ausgestaltung des künftigen Stabilitätsmechanismus als eine dem Europäischen Rat vorbehaltene Angelegenheit behandelt und die Zugehörigkeit des Europäischen Stabilitätsmechanismus zu einem Gesamtpaket betont, ausgerichtet auf die dauerhafte Stabilisierung des Euro-Währungsgebietes. Auf diese Weise habe sie maßgeblich dazu beigetragen, den Europäischen Stabilitätsmechanismus institutionell und materiell als Angelegenheit der Europäischen Union auszuweisen und innerhalb der Wirtschafts- und Währungspolitik (Art. 119 ff. AEUV) konzeptionell eng mit dem Kapitel über die Wirtschaftspolitik zu verzahnen (Art. 120 ff. AEUV). Auch nach dem beabsichtigten Inkrafttreten des Vertrages über den Europäischen Stabilitätsmechanismus bleibe der enge institutionelle Konnex zur Europäischen Union erhalten. Der Europäische Stabilitätsmechanismus stelle sich als zwischenstaatliche Organisation ohne eigene Hoheitsgewalt dar, zugleich aber als hybride Kombination aus intergouvernementalen und supranationalen Elementen. Bei der "Aktivierung der Finanzhilfe" werde der Europäischen Kommission eine wichtige Rolle zugedacht, die zusammen mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) und in Absprache mit der Europäischen Zentralbank (EZB) den tatsächlichen Finanzierungsbedarf des begünstigten Mitgliedstaates ermitteln solle. In Streitfällen solle der Europäische Gerichtshof gemäß Art. 273 AEUV angerufen werden können. Die geplante Vertragsänderung des Art. 136 Abs. 3 AEUV führe in ihrer Zielrichtung zurück in die supranationale Union. Der Europäische Stabilitätsmechanismus erweise sich damit als ein stabilisierender Anbau an die unionsrechtlich geregelte Wirtschafts- und Währungsunion. Der Gesetzgeber habe dem dadurch Rechnung getragen, dass nach § 4 Abs. 4 Nr. 1 EUZBBG die Bundesregierung den Deutschen Bundestag auch über völkerrechtliche Verträge zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Mitgliedstaaten der Europäischen Union zu unterrichten habe, wenn diese eine engere Kooperation in Politikbereichen normieren, die auch in die Zuständigkeit der Europäischen Union fallen. In dem hier betroffenen Politikbereich sei die Europäische Union ausschließlich zuständig.

47

bb) Aus Art. 23 Abs. 2 GGfolge, dass die Bundesregierung die Unterrichtungspflichten nach Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG in der konkretisierenden Ausgestaltung der §§ 4 ff. EUZBBG hätte erfüllen müssen. Die Bundesregierung sei zur Unterrichtung zum frühestmöglichen Zeitpunkt verpflichtet. Angesichts des prozesshaften Charakters der Beschlussfassung beinhalte diese Pflicht auch eine Pflicht zur fortlaufenden Unterrichtung; § 4 Abs. 1 Satz 1 EUZBBG stelle dies klar. Die Pflicht zur umfassenden Unterrichtung des Deutschen Bundestages solle diesen in die Lage versetzen, seine Mitwirkungsrechte effektiv zu nutzen, und erfasse daher auch vorbereitende Papiere der Europäischen Kommission und des Rates einschließlich inoffizieller Dokumente. Sie habe in der Regel schriftlich zu erfolgen, weil nur dies jene verlässliche Informationsgrundlage schaffe, ohne die von umfassender Unterrichtung nicht die Rede sein könne. Die Auffassung, wonach über die Sitzungen der Eurogruppe nur mündlich unterrichtet werde, weil § 5 Abs. 4 EUZBBG lex specialis gegenüber § 5 Abs. 3 und 5 EUZBBG sei, sei mit Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG, der den Deutsche Bundestag umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt unterrichtet sehen wolle, unvereinbar.

48

cc) Die Antragsgegnerin habe die Rechte des Deutschen Bundestages aus Art. 23 Abs. 2 GG dadurch verletzt, dass sie es unterlassen habe, ihn in der Zeit vor und nach der Tagung des Europäischen Rates vom 4. Februar 2011 umfassend, zum frühestmöglichen Zeitpunkt und fortlaufend über die Ausgestaltung des Europäischen Stabilitätsmechanismus zu unterrichten und spätestens am 6. April 2011 den Entwurf eines Vertrages über den Europäischen Stabilitätsmechanismus zu übersenden. Das federführende Bundesministerium der Finanzen habe im Vorfeld der Tagung des Europäischen Rates vom 4. Februar 2011 zunächst die Übermittlung relevanter Papiere zugesagt, dies aber später mit unterschiedlichen, einander widersprechenden rechtlichen Argumenten abgelehnt. Im Anschluss an die Tagung des Europäischen Rates vom 4. Februar 2011 habe die Antragsgegnerin ihre Verpflichtung zur Nachberichterstattung nicht erfüllt.

49

Aus den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 24./25. März 2011 ergebe sich, dass in der Phase zwischen dem 4. Februar 2011 und dem 24./25. März 2011 gravierende Entscheidungen getroffen worden seien, ohne dass der Deutsche Bundestag Gelegenheit gehabt habe, hieran mitzuwirken. Die in diesem Zeitraum getroffene "Vereinbarung über die Merkmale des Europäischen Stabilitätsmechanismus" sei dessen Gründungsdokument, über das die Antragsgegnerin nach § 5 Abs. 5 EUZBBG fortlaufend und umfassend hätte unterrichten müssen.

50

Aus Entwürfen des Vertrages über den Europäischen Stabilitätsmechanismus, auf die der Deutsche Bundestag informell habe zugreifen können, lasse sich schließen, dass spätestens seit dem 6. April 2011 Textstufen des Vertrages vorgelegen hätten. Eine Übermittlung durch die Antragsgegnerin sei dagegen erst am 17. Mai 2011 erfolgt. Da die Übersendung ohne Anerkennung einer Rechtspflicht erfolgt sei, sei zu befürchten, dass die Antragsgegnerin ihre Unterrichtungspraxis aus eigenem Antrieb nicht ändern werde.

51

2. Auch mit Blick auf den sogenannten Euro-Plus-Pakt habe die Bundesregierung gegen ihre Pflicht aus Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG verstoßen.

52

a) Der Euro-Plus-Pakt sei ebenfalls eine Angelegenheit der Europäischen Union im Sinne von Art. 23 Abs. 2 Satz 1 GG. Im Zusammenwirken der Instrumente werde das supranationale Überwachungsrecht der Art. 121, 126 AEUV auf die zwischenstaatlichen Verpflichtungen aus dem Euro-Plus-Pakt erstreckt. Angesichts der Inhalte und der erkennbar an Art. 121 AEUV angelehnten Verfahren könne nicht zweifelhaft sein, dass es sich beim Pakt um eine Angelegenheit der Europäischen Union im Sinne von Art. 23 Abs. 2 GG handele.

53

b) Über Initiativen der Antragsgegnerin habe diese den Deutschen Bundestag gemäß § 5 Abs. 2 EUZBBG durch umfassende und frühestmögliche Übersendung von Dokumenten und Informationen zu unterrichten. Art. 23 Abs. 1 und Abs. 2 GG und die Begleitgesetze zu den Informations- und Mitwirkungsrechten stellten klar, dass Europapolitik nicht der Prärogative der Regierung in auswärtigen Angelegenheiten unterliege.

54

aa) Der Euro-Plus-Pakt habe seinen Ursprung in einer deutsch-französischen Initiative vom 4. Februar 2011. Diese habe die Bundeskanzlerin gemeinsam mit dem französischen Staatspräsidenten beim Europäischen Rat eingebracht, ohne dass der Deutsche Bundestag im Vorfeld davon unterrichtet gewesen sei. Auf entsprechende Anfragen des Deutschen Bundestages habe der Staatsminister des Bundeskanzleramtes in der Sitzung des Europaausschusses vom 9. Februar 2011 auch nach Einbringung der Initiative mehrfach auf das Fehlen einer abgestimmten Position innerhalb der Bundesregierung sowie darauf verwiesen, dass es noch kein Papier gebe. Unabhängig von der Frage, inwieweit kabinettsinterne Abstimmungsprozesse zum Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung zu rechnen seien, habe es sich bei der am 4. Februar 2011 eingebrachten Initiative der Bundeskanzlerin jedenfalls um eine Position der Bundesregierung gehandelt. Wegen ihrer Richtlinienkompetenz sei die Initiative spätestens zu jenem Zeitpunkt auch zu einer Initiative der Bundesregierung geworden. In demselben Augenblick habe diese ihre verfassungsrechtliche Pflicht zur Unterrichtung des Deutschen Bundestages verletzt. Das Gebot der umfassenden und frühestmöglichen Unterrichtung (Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG) schließe es aus, den Deutschen Bundestag erst im Nachhinein zu informieren. Eine deutsche Initiative sei insoweit erst nach der Abstimmung zwischen Regierung und Parlament zulässig. Die Bezeichnung der Initiative als "persönliche" Initiative der Bundeskanzlerin umgehe die Unterrichtungspflicht aus Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG.

55

bb) Auch im weiteren Fortgang des Verhandlungsprozesses über den Pakt habe die Antragsgegnerin die Pflicht zur Unterrichtung des Deutschen Bundestages verletzt. Zwischen der Tagung des Europäischen Rates vom 4. Februar 2011, dem Treffen der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes am 11. März 2011 und der Tagung des Europäischen Rates am 24./25. März 2011 sei eine Verständigung über den Euro-Plus-Pakt erfolgt. Spätestens am 25. Februar 2011 habe der Antragsgegnerin ein konkretisierter Sach- und Verhandlungsstand vorgelegen, über den sie vor der Tagung des Europäischen Rates von sich aus hätte unterrichten müssen.

III.

56

Die Antragsgegnerin hält den Antrag zu 1. für unzulässig und beide Anträge für unbegründet. Sie beantragt, die Anträge zurückzuweisen.

57

1. a) Der Antrag zu 1. sei verfristet. Das Bundesministerium der Finanzen habe bereits am 19. Januar 2011 darauf hingewiesen, dass es sich beim Europäischen Stabilitätsmechanismus nicht um ein Vorhaben der Europäischen Union handele. Damit sei der Antragstellerin das Unterlassen der Antragsgegnerin im Sinne von § 64 Abs. 3 BVerfGG bekannt geworden. Der dem Bundesverfassungsgericht erst am 25. Juli 2011 zugegangene Antrag sei daher nicht innerhalb der sechsmonatigen Antragsfrist gestellt worden.

58

b) Der Antrag sei außerdem unbegründet, weil es sich bei dem geplanten Europäischen Stabilitätsmechanismus um eine internationale Finanzinstitution außerhalb des Rahmens der Europäischen Union handele und damit nicht um eine Angelegenheit der Europäischen Union im Sinne von Art. 23 Abs. 2 GG. Die besonderen Mechanismen, die für die Parlamentsbeteiligung nach Art. 23 Abs. 2 GG vorgesehen und für den Deutschen Bundestag im Gesetz über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union geregelt seien, seien auf die Abstimmung von intergouvernementalen Maßnahmen, wie sie der Europäische Stabilitätsmechanismus darstelle, nicht übertragbar. Die Kombination aus Zustimmung zur Übertragung nur bestimmter Hoheitsrechte und den in Art. 23 Abs. 2 GG vorgesehenen Informationsansprüchen ermögliche es dem Deutschen Bundestag, seine Integrationsverantwortung wahrzunehmen. Bei völkerrechtlichem Handeln außerhalb des Rahmens der supranationalen Europäischen Union besitze der Deutsche Bundestag hingegen nach Art. 24 GG und/oder Art. 59 Abs. 2 GG ein Letztentscheidungsrecht, so dass hier nicht in gleichem Maße das Bedürfnis nach umfassender Information bestehe. Art. 23 Abs. 2 GG durchbreche den Primat der Exekutive überdies nicht in dem Sinne, dass Bundesregierung, Deutscher Bundestag und Bundesrat unterschiedslos zusammenwirkten. Alle drei Verfassungsorgane wirkten in auswärtigen Angelegenheiten sowohl allgemein als auch im Kontext der europäischen Zusammenarbeit in ihrer jeweils spezifischen Funktion mit. Primär zum Handeln berufen sei auch insoweit weiterhin die Bundesregierung. Auch im Zusammenhang mit Angelegenheiten der Europäischen Union bleibe ihr ein Bereich exekutiver Eigenverantwortung vorbehalten.

59

Die Ausgestaltung des Europäischen Stabilitätsmechanismus sei keine Angelegenheit der Europäischen Union. Die intergouvernementale Zusammenarbeit von Mitgliedstaaten, die neben derjenigen im Rahmen der Europäischen Union stattfinde, habe - anders als die in der Europäischen Union - keine supranationale Qualität. Die erforderliche Einbindung des Gesetzgebers werde deshalb durch Art. 59 Abs. 2 und Art. 24 GG gewährleistet. Im Zusammenhang mit der Errichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus sei zwar die Einfügung eines Art. 136 Abs. 3 AEUV beschlossen worden. Mit dieser Vertragsänderung erhalte die Europäische Union jedoch keine zusätzlichen Hoheitsrechte. Vielmehr gehe es um die Klarstellung, dass das auch an die Mitgliedstaaten gerichtete Verbot des Art. 125 AEUV der Errichtung eines Stabilitätsmechanismus nicht entgegenstehe, hierzu aber nicht die Europäische Union, sondern die Mitgliedstaaten außerhalb des Rahmens der Europäischen Union aufgerufen seien. Die Mitgliedstaaten gründeten mit dem Vertrag über den Europäischen Stabilitätsmechanismus eine neue internationale Finanzinstitution außerhalb der Europäischen Union.

60

Auf europäischer Ebene bestehe Einigkeit darüber, dass der Europäische Stabilitätsmechanismus keine Einrichtung der Europäischen Union sei, sondern eine der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes. Dies zeigten Stellungnahmen der Europäischen Kommission und der Europäischen Zentralbank sowie eine Entschließung des Europäischen Parlaments zu dem geplanten Stabilitätsmechanismus.

61

Die Schutzfunktion des Art. 23 GG, den Gesetzgeber vor einem "Kompetenzabfluss durch Kompetenzüberschreitungen" der Europäischen Union zu bewahren, komme nicht zum Tragen. Der Deutsche Bundestag könne und solle, wie in vergleichbaren Fällen der Schaffung internationaler Finanzinstitutionen - etwa des Internationalen Währungsfonds - üblich und von der Verfassung vorgesehen, seine Zuständigkeit als nationaler Gesetzgeber uneingeschränkt ausüben. Dieses Recht gehe über eine nur mittelbare Beteiligung im Rahmen des europäischen Rechtsetzungsprozesses hinaus. Die Verfahrensweisen zur Vorbereitung unionaler Rechtsakte, auf die das Gesetz über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union zugeschnitten sei, kämen bei den Verhandlungen zum Vertrag über den Europäischen Stabilitätsmechanismus nicht zur Anwendung, weil die Arbeiten, dem zwischenstaatlichen Charakter entsprechend, nicht in den Ratsgremien stattfänden. Der Europäische Rat habe die Finanzminister des Euro-Währungsgebietes auf seiner Tagung am 16./17. Dezember 2010 gebeten, die Arbeiten an der zwischenstaatlichen Vereinbarung abzuschließen und hierbei auch die Mitgliedstaaten einzubeziehen, deren Währung nicht der Euro ist. Dass die Mitgliedstaaten im Zusammenhang mit der geplanten Änderung des Art. 136 AEUV auch die wesentlichen Merkmale des Europäischen Stabilitätsmechanismus im Europäischen Rat diskutiert hätten, ändere nichts an dieser Beurteilung. Die Zielsetzung der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes habe von Anfang an darin bestanden, den Europäischen Stabilitätsmechanismus nicht in den institutionellen Rahmen der Europäischen Union einzupassen. Auch die Betrauung von Organen der Europäischen Union mit speziellen Aufgaben sowie die Zuständigkeit des Europäischen Gerichtshofs im Rahmen einer Schiedsvertragsklausel führten nicht dazu, dass der Europäische Stabilitätsmechanismus zu einer Angelegenheit der Europäischen Union werde. Art. 273 AEUV fordere für das Tätigwerden des Europäischen Gerichtshofs zwar einen gewissen Zusammenhang mit dem Gegenstand der Unionsverträge. Über die Streitigkeit entscheide der Gerichtshof aber nicht auf der Grundlage des Unionsrechts, sondern auf der Basis des zwischen den Parteien vereinbarten Vertrages. Die Ausgestaltung des Europäischen Stabilitätsmechanismus falle nicht ausschließlich in den Zuständigkeitsbereich der Europäischen Union. Unionsrechtlich intendierte völkervertragliche Regelungen zwischen Mitgliedstaaten seien auch nicht ungewöhnlich. Den zahlreichen Doppelbesteuerungsabkommen mit anderen Staaten der Europäischen Union habe der Deutsche Bundestag stets nach Art. 59 Abs. 2 GG zugestimmt. Auch aus der besonderen Haushaltsbezogenheit des Europäischen Stabilitätsmechanismus und dem Grundsatz der parlamentarischen Haushaltsverantwortung seien keine besonderen Informationspflichten abzuleiten.

62

c) Der Antrag zu 1. sei jedenfalls deshalb unbegründet, weil die Antragsgegnerin den Deutschen Bundestag über die Arbeiten am Europäischen Stabilitätsmechanismus stets zeitnah und umfassend informiert habe.

63

Über die Ergebnisse der im März 2010 eingesetzten Arbeitsgruppe zur Reform des Regelwerks der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion seien die Bundestagsausschüsse für Haushalt, Finanzen und für die Angelegenheiten der Europäischen Union regelmäßig durch Vor- und Nachberichte zu den Treffen der Arbeitsgruppe mündlich unterrichtet worden. Darüber hinaus sei dem Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union am 23. März 2011 ein Papier zu den Grundsätzen des Europäischen Stabilitätsmechanismus (term sheet) als Tischvorlage vorgelegt worden. Damit habe der Deutsche Bundestag bereits am 23. März 2011 ein Dokument erhalten, das die auf der Tagung des Europäischen Rates am 24./25. März 2011 beratenen Vorstellungen zum Europäischen Stabilitätsmechanismus zusammengefasst habe.

64

Die Vorsitzenden des Haushaltsausschusses und des Ausschusses für Angelegenheiten der Europäischen Union hätten am 18. Mai 2011 die englischsprachige Fassung sowie eine nicht offizielle deutsche Übersetzung des Entwurfs eines Vertrages über den Europäischen Stabilitätsmechanismus erhalten, über den erstmals während der Sitzung der erweiterten Euro-Gruppe am 16. Mai 2011 gesprochen worden sei. Da der Prozess der Ausarbeitung des Vertragsentwurfs innerhalb des speziellen Formats der sogenannten erweiterten Euro-Gruppe stattgefunden habe, die informell zusammentrete und sensible Materien behandle, sehe § 5 Abs. 4 EUZBBG lediglich eine mündliche Unterrichtung vor. Das Vorgehen der Antragsgegnerin habe den Usancen innerhalb der Euro-Gruppe entsprochen. Ob sich alle Mitgliedstaaten an die grundsätzlich geltende Vertraulichkeit hielten, könne nicht Maßstab für das Handeln der Bundesregierung sein. Letztlich sei es der Bundesfinanzminister gewesen, der Hindernisse für die Übermittlung des Vertragsentwurfs aus dem Weg geräumt habe, indem er am 16. Mai 2011 eine Verständigung der Finanzminister der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes darüber erwirkt habe, dass der Entwurf den nationalen Parlamenten übermittelt werde. Eine frühere Übersendung des noch im Entstehungsprozess befindlichen Textes sei verfassungsrechtlich nicht geboten gewesen.

65

2. Der Antrag zu 2. sei unbegründet, weil es sich bei dem Euro-Plus-Pakt ebenfalls nicht um eine Angelegenheit der Europäischen Union handele und die Antragsgegnerin überdies möglichen Unterrichtungspflichten jedenfalls vollumfänglich entsprochen habe.

66

a) Der Euro-Plus-Pakt sei keine Angelegenheit der Europäischen Union im Sinne von Art. 23 Abs. 2 GG, weil er lediglich die im Unionsrecht vorgesehenen Koordinierungsmechanismen (insbesondere Art. 121 AEUV) in Bereichen der Wirtschafts- und Sozialpolitik ergänzen solle, die vollständig in der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten lägen. Bei den zu vereinbarenden Zielen handele es sich durchweg um freiwillige Selbstverpflichtungen auf intergouvernementaler Grundlage. Die Aufnahme entsprechender Maßnahmen auch in die jeweiligen "Nationalen Reformprogramme" bestätige ihren innerstaatlichen Charakter. Die Mitgliedstaaten legten diese Programme der Europäischen Kommission vor, die die Vorhaben und deren Umsetzung prüfe und bewerte. Unmittelbare rechtliche Folgen seien damit nicht verbunden. Deshalb könne Art. 23 Abs. 2 GG Unterrichtungspflichten der Bundesregierung im Zusammenhang mit dem Euro-Plus-Pakt nicht begründen.

67

b) Ungeachtet dessen habe die Bundesregierung den Deutschen Bundestag stets frühzeitig, umfassend und fortlaufend über den Euro-Plus-Pakt informiert.

68

Der Staatsminister des Bundeskanzleramtes habe den Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union am 26. Januar 2011 vorab über die Tagung des Europäischen Rates vom 4. Februar 2011 mündlich informiert. Der Bundesminister der Finanzen habe in derselben Sitzung über das Treffen der Finanzminister des Euro-Währungsgebietes vom 24. Januar 2011 berichtet und dabei unter anderem die geplante stärkere Koordinierung der Wirtschafts- und Sozialpolitik innerhalb der Euro-Gruppe erwähnt. Am 2. Februar 2011 habe der Deutsche Bundestag den schriftlichen Vorbericht des Bundeskanzleramtes zur Tagung des Europäischen Rates am 4. Februar 2011 erhalten. Am 3. Februar 2011 habe der Staatsminister des Bundeskanzleramtes mit den Obleuten des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union wegen des geplanten Paktes für Wettbewerbsfähigkeit telefoniert. Auf seiner Tagung am 4. Februar 2011 habe der Europäische Rat Elemente für ein Gesamtpaket zur dauerhaften Stärkung der Wirtschafts- und Währungsunion benannt. Die Staats- und Regierungschefs hätten sich dem Grunde nach darauf verständigt, dass ein Element des Gesamtpakets darin bestehen solle, weitere Schritte hin zu einer Vertiefung der Koordinierung der Wirtschaftspolitik mit dem Ziel einer größeren Konvergenz und Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit zu unternehmen. Inhaltliche Festlegungen seien beim Europäischen Rat am 4. Februar 2011 nicht getroffen worden. Über die Ergebnisse dieses Europäischen Rates habe das Bundeskanzleramt dem Deutschen Bundestag am 7. Februar 2011 schriftlich berichtet; der Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union sei am 9. Februar 2011 mündlich unterrichtet worden, der Finanzausschuss am 23. Februar 2011.

69

Der Präsident des Europäischen Rates habe zwischen dem 7. Februar 2011 und dem 11. März 2011 bilaterale Konsultationen mit allen Mitgliedstaaten, die dem Euro-Währungsgebiet angehören, geführt, in einer informellen Runde Vertreter aller dieser Mitgliedstaaten über die Ergebnisse seiner Konsultationen informiert und im Lichte dieser Beratungen den Text erstellt, der den Staats- und Regierungschefs dann auf ihrer informellen Tagung am 11. März 2011 vorgelegt worden sei. Die Bundeskanzlerin habe den Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union vorab über die informelle Tagung der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes am 11. März 2011 informiert. Am Morgen des 11. März 2011 habe die Antragsgegnerin dem Deutschen Bundestag eine Entwurfsfassung des nun als "Pakt für den Euro" bezeichneten Vorhabens übersandt, auf den sich die Staats- und Regierungschefs am gleichen Tag geeinigt hätten. Nachberichte seien wiederum im Finanzausschuss am 16. März 2011, im Haushaltsausschuss am 23. März 2011 und im Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union ebenfalls am 23. März 2011 erstattet worden. Das deutsche Aktionsprogramm im Rahmen des Euro-Plus-Paktes sei dem Deutschen Bundestag ebenfalls präsentiert worden. Am 24. März 2011 habe die Bundeskanzlerin im Plenum des Deutschen Bundestages eine Regierungserklärung zur bevorstehenden Tagung des Europäischen Rates vom 24./25. März 2011 abgegeben, auf der der Euro-Plus-Pakt endgültig verabschiedet worden sei. Hierüber habe der Staatsminister des Bundeskanzleramtes die Obleute des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union am 28. März 2011 telefonisch unterrichtet. Damit seien alle Informationspflichten erfüllt.

70

Die Antragsgegnerin sei nicht verpflichtet gewesen, über in der Bundesregierung oder zwischen der Bundesregierung und der französischen Regierung noch nicht abgestimmte Überlegungen zu einem Pakt für Wettbewerbsfähigkeit früher zu unterrichten als sie es getan habe. Es bestehe auch keine Pflicht, über eine noch nicht abgeschlossene interne Willensbildung zu informieren.

IV.

71

Der Deutsche Bundestag hat in seiner Sitzung vom 15. Dezember 2011 beschlossen, von einer Äußerung oder einem Verfahrensbeitritt abzusehen.

V.

72

In der mündlichen Verhandlung vom 30. November 2011 haben die Beteiligen ihr schriftsätzliches Vorbringen vertieft und ergänzt.

B.

73

Die Anträge sind zulässig.

I.

74

Die Anträge sind dahingehend auszulegen, dass sie sich auf die im Tenor festgestellten Rechtsverletzungen beschränken.

75

Die Antragstellerin macht eine Verletzung der Rechte des Deutschen Bundestages aus Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG auf Unterrichtung durch die Antragsgegnerin in Angelegenheiten der Europäischen Union geltend. Sie begehrt die Feststellung, dass die Antragsgegnerin den Deutschen Bundestag im Zusammenhang mit der Schaffung des Europäischen Stabilitätsmechanismus und des Euro-Plus-Paktes im Frühjahr 2011 nicht den Vorgaben der Verfassung entsprechend unterrichtet habe. Bezüglich des Europäischen Stabilitätsmechanismus wendet sich die Antragstellerin gegen die unterlassene Unterrichtung im Hinblick auf die Tagung des Europäischen Rates am 4. Februar 2011 und rügt die unterlassene Übersendung des Vertragsentwurfs vom 6. April 2011. Betreffend den Euro-Plus-Pakt beanstandet die Antragstellerin im Zusammenhang mit der Tagung des Europäischen Rates vom 4. Februar 2011 das Unterlassen jeglicher Unterrichtung über die Initiative der Antragsgegnerin sowie einer umfassenden und frühestmöglichen Information über den Pakt.

76

Eine Konkretisierung dieser Anträge im Sinne der im Tenor festgestellten Unterlassungen der Antragsgegnerin ergibt sich in hinreichendem Maße aus der Antragsbegründung. Dort werden der der Bundesregierung am 21. Februar 2011 vorliegende Text der Europäischen Kommission über die Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus und der Entwurf eines Vertrages über den Europäischen Stabilitätsmechanismus vom 6. April 2011 ebenso in Bezug genommen wie die Initiative für den Beschluss eines Paktes für Wettbewerbsfähigkeit und das inoffizielle Dokument der Präsidenten der Europäischen Kommission und des Europäischen Rates vom 25. Februar 2011.

II.

77

1. Die Antragstellerin ist als Fraktion im 17. Deutschen Bundestag im Organstreitverfahren parteifähig (§ 13 Nr. 5, § 63 BVerfGG) und berechtigt, Rechte des Deutschen Bundestages im Wege der Prozessstandschaft geltend zu machen (vgl. BVerfGE 2, 143 <165>; 45, 1 <28>; 67, 100 <125>; 104, 151 <193>; 118, 244 <254 f.>; 124, 78 <106>). Dies ist sowohl Ausdruck der Kontrollfunktion des Parlaments als auch ein Instrument des Minderheitenschutzes (vgl. BVerfGE 45, 1 <29 f.>; 60, 319 <325 f.>; 68, 1 <77 f.>; 121, 135 <151>). Die Bundesregierung ist nach § 63 BVerfGG taugliche Antragsgegnerin.

78

2. Das gerügte Unterlassen der Antragsgegnerin ist zulässiger Gegenstand eines Organstreitverfahrens (§ 64 Abs. 1 BVerfGG).

79

3. Die Antragstellerin ist antragsbefugt (§ 64 Abs. 1 BVerfGG) und hat ihre Anträge den Anforderungen des § 64 Abs. 2 BVerfGG entsprechend begründet. Sie macht eine Verletzung der Unterrichtungspflicht der Bundesregierung aus Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG geltend, der ein Recht des Deutschen Bundestages auf Unterrichtung korrespondiert.Diese als verletzt geltend gemachte Rechtsposition gründet in einem Verfassungsverhältnis, in dem sich auf beiden Seiten Verfassungsorgane gegenüber stehen und um verfassungsrechtliche Positionen streiten.

80

Soweit die als verletzt gerügten Unterrichtungspflichten sich auch nach dem einfachen Recht - hier insbesondere dem Gesetz über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union - bestimmen, ist dies im Organstreit allenfalls insoweit relevant, als das Gesetz unmittelbar aus der Verfassung selbst folgende Rechte und Pflichten widerspiegelt; eine Verletzung einfachen Rechts kann im Organstreit nicht geltend gemacht werden (vgl. BVerfGE 104, 151 <193 f.>; 118, 277 <319>).

81

4. Beide Anträge sind auch fristgerecht gestellt. Sie sind am 25. Juli 2011 und damit innerhalb von sechs Monaten seit Bekanntwerden der Unterlassung (§ 64 Abs. 3 BVerfGG) beim Bundesverfassungsgericht eingegangen (vgl. hierzu BVerfGE 92, 80 <89>).

82

Die Frist zur Antragstellung beginnt erst dann, wenn ein entsprechender Verstoß mit hinreichender Sicherheit feststeht oder wenn sich der Antragsgegner erkennbar weigert, die Maßnahmen zu treffen, die der Antragsteller zur Wahrung der Rechte aus seinem verfassungsrechtlichen Status für erforderlich hält (BVerfGE 92, 80 <89>; 103, 164 <170 f.>; 107, 286 <297>; 114, 107 <118>; zuletzt BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 22. November 2011 - 2 BvE 3/08 -, juris Rn. 34). Dies war hier bezüglich beider Anträge frühestens am 26. Januar 2011 der Fall.

83

a) Da der Lauf der Frist nach § 64 Abs. 3 BVerfGG jedenfalls nicht vor einer entsprechenden und eindeutigen Weigerung des zuständigen Ressortministers beginnen kann (vgl. BVerfGE 21, 312 <319 f.>; s. auch BVerfGE 4, 250 <269>), wurde die Antragsfrist hinsichtlich des Antrags zu 1. frühestens am 26. Januar 2011 in Gang gesetzt. An diesem Tag lehnte der Bundesminister der Finanzen gegenüber dem Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union die Weiterleitung eines inoffiziellen Papiers (non paper) der Europäischen Kommission mit Inhalten und Plänen zum Gesamtpaket ("comprehensive package") von Europäischer Finanzstabilisierungsfazilität und Europäischem Stabilitätsmechanismus ausdrücklich mit der Begründung ab, dass im Hinblick auf Sitzungen der Finanzminister der Euro-Gruppe eine mündliche Unterrichtung ausreiche.

84

Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin wurde ein früherer Fristlauf weder durch die E-Mail eines Referatsleiters im Bundesministerium der Finanzen vom 19. Januar 2011 noch durch Erklärungen im Finanzausschuss und im Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom gleichen Tag ausgelöst. Hierin lässt sich bereits keine eindeutige Weigerung der Bundesregierung erblicken, den Deutschen Bundestag über die Entwicklung der Ausgestaltung des Europäischen Stabilitätsmechanismus und ihn betreffende Vertragsentwürfe zu unterrichten. Noch am 17. Januar 2011 hatte das Bundesministerium der Finanzen auf die Dokumentenanforderung aus dem Bundestag (Referat PA 1 - Europa) telefonisch zugesichert, inoffizielle Dokumente (non papers) der Europäischen Kommission, sobald sie vorlägen, an den Deutschen Bundestag zu übermitteln; zudem wurde sowohl in der E-Mail vom 19. Januar 2011 als auch in den Erklärungen gegenüber den Ausschüssen ausdrücklich versichert, dass der Bundestag über die Arbeiten an dem permanenten Europäischen Stabilitätsmechanismus wie bisher regelmäßig unterrichtet beziehungsweise beteiligt werde, sobald eine abgestimmte Position der Bundesregierung vorliege. Selbst wenn man die in der E-Mail vom 19. Januar 2011 geäußerte Auffassung, es gehe bei den Überlegungen zur Entwicklung eines Europäischen Stabilitätsmechanismus um die Vorbereitung eines zwischenstaatlichen Instruments der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes und nicht um ein Vorhaben der Europäischen Union, als Weigerung verstehen wollte, der Unterrichtungspflicht nach Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG nachzukommen, könnte diese nicht der Bundesregierung zugerechnet werden. Denn bei den Äußerungen handelte es sich lediglich um die - überdies informell geäußerte - Rechtsauffassung eines Referatsleiters beziehungsweise anderer Beamter des Bundesministeriums der Finanzen.

85

b) Auch der Antrag zu 2. ist fristgerecht gestellt. Vor dem 25. Januar 2011 ist eine den Fristlauf in Gang setzende endgültige Weigerung der Antragsgegnerin, dem Deutschen Bundestag Informationen zum Euro-Plus-Pakt zu übermitteln, nicht ersichtlich.

86

5. Der Antragstellerin fehlt es für die Anträge schließlich nicht an dem erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis.

87

Umfang und Reichweite der Informationspflichten und -rechte aus Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG sind unklar und zwischen den Beteiligten umstritten. Dies gilt bereits für den Anwendungsbereich der in Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG geregelten Unterrichtungsrechte des Bundestages. Hier ist klärungsbedürftig, ob Angelegenheiten der Europäischen Union auch intergouvernementale Verträge und Absprachen erfassen, die zwar im Zusammenhang mit der europäischen Integration stehen, aber nicht auf eine Rechtsetzung durch die Europäische Union zielen. Hinsichtlich des Antrags zu 1. hatte die Antragsgegnerin bereits vorprozessual zu erkennen gegeben, dass sie völkerrechtliche Abkommen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union nicht als Angelegenheiten der Europäischen Union verstanden wissen will. Darüber hinaus hat der Bundesminister der Finanzen die Auffassung vertreten, über Dossiers der Euro-Gruppe sei nur mündlich zu unterrichten.

88

Das Rechtsschutzbedürfnis der Antragstellerin wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass die Bundesregierung dem Deutschen Bundestag bereits am 17. Mai 2011 und damit vor Stellung des Antrags im Organstreitverfahren den Entwurf zum Vertrag über den Europäischen Stabilitätsmechanismus und am 11. März 2011 zum Euro-Plus-Pakt zugeleitet hat. Das Rechtsschutzbedürfnis im Organstreitverfahren entfällt grundsätzlich nicht deshalb, weil eine beanstandete Rechtsverletzung abgeschlossen ist (BVerfGE 1, 372 <379>; 41, 291 <303>; 121, 135 <152>). Ob besondere Umstände im Sinne eines "Fortsetzungsfeststellungsinteresses" erforderlich sind, damit über eine in der Vergangenheit liegende und abgeschlossene Rechtsverletzung entschieden werden kann, bedarf hier keiner Entscheidung; denn solche Umstände sind hier in Form eines objektiven Interesses an der Klärung der Reichweite der Unterrichtungspflichten aus Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG (vgl. zum Klarstellungsinteresse BVerfGE 1, 372 <379>; 121, 135 <152>) und in Form einer Wiederholungsgefahr (vgl. BVerfGE 121, 135 <152>; 124, 267 <275>) gegeben. Die Rechtsauffassung, dass es sich bei den verfahrensgegenständlichen Vorgängen nicht um Angelegenheiten der Europäischen Union handele, hat die Antragsgegnerin auch in der Antragserwiderung vorgetragen. Zudem hatte sie vorprozessual vertreten, Papiere, die noch nicht zwischen den Ressorts abgestimmt seien, müssten auch dann nicht dem Bundestag vorgelegt werden, wenn diese von der Bundeskanzlerin zur Grundlage deutscher politischer Initiativen auf europäischer Ebene gemacht würden. Auch bei mündlich eingebrachten Initiativen bestehe keine Unterrichtungspflicht im Sinne von Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG. Den gerügten Unterlassungen liegen damit jeweils Rechtsauffassungen der Antragsgegnerin zu Grunde, die zukünftig in vergleichbaren Fällen zu gleichen Reaktionen auf geltend gemachte Informationsansprüche des Parlaments führen können.

C.

89

Die Anträge sind begründet.

I.

90

Verfassungsrechtlicher Maßstab für die Unterrichtung des Deutschen Bundestages durch die Bundesregierung in und über Angelegenheiten der Europäischen Union ist Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG. Mit Art. 23 GG hat der verfassungsändernde Gesetzgeber die traditionelle Aufgabenverteilung zwischen Exekutive und Legislative im Bereich der auswärtigen Gewalt (1.) für die Angelegenheiten der Europäischen Union dergestalt geordnet, dass er dem Deutschen Bundestag weitreichende Mitwirkungsrechte eingeräumt hat (2.). Die in Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG verankerten Unterrichtungspflichten der Bundesregierung sind Voraussetzung und Ausdruck dieser Mitwirkungsrechte und haben den daraus folgenden Informationsbedürfnissen des Bundestages - unter Wahrung des Kernbereichs exekutiver Eigenverantwortung - in sachlicher, zeitlicher und förmlicher Hinsicht zu genügen (3.).

91

1. Das Grundgesetz hat in Anknüpfung an die traditionelle Staatsauffassung der Regierung im Bereich auswärtiger Politik einen weit bemessenen Spielraum zu eigenverantwortlicher Aufgabenwahrnehmung überlassen (BVerfGE 104, 151 <207>; vgl. auch schon BVerfGE 49, 89 <125>). Die Rolle des Parlaments ist schon aus Gründen der Funktionsgerechtigkeit in diesem Bereich beschränkt (vgl. BVerfGE 104, 151 <207>). Zwar sieht Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG für den Abschluss völkerrechtlicher Verträge, welche die politischen Beziehungen des Bundes regeln oder sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung beziehen, die Notwendigkeit der Zustimmung oder Mitwirkung der jeweils für die Bundesgesetzgebung zuständigen Körperschaften in Form eines Bundesgesetzes vor. Der Verkehr mit anderen Staaten, die Vertretung in internationalen Organisationen, zwischenstaatlichen Einrichtungen und Systemen gegenseitiger kollektiver Sicherheit (Art. 24 Abs. 2 GG) sowie die Sicherstellung der gesamtstaatlichen Verantwortung bei der Außenvertretung Deutschlands fallen aber grundsätzlich in den Kompetenzbereich der Exekutive, insbesondere der Bundesregierung. Die grundsätzliche Zuordnung der Akte des auswärtigen Verkehrs zum Kompetenzbereich der Exekutive beruht auf der Annahme, dass institutionell und auf Dauer typischerweise allein die Regierung in hinreichendem Maße über die personellen, sachlichen und organisatorischen Möglichkeiten verfügt, auf wechselnde äußere Lagen zügig und sachgerecht zu reagieren, und so die staatliche Aufgabe, die auswärtigen Angelegenheiten verantwortlich wahrzunehmen, bestmöglich zu erfüllen (BVerfGE 68, 1 <87>; vgl. auch BVerfGE 104, 151 <207>). Eine erweiternde Auslegung der Zustimmungs- oder Mitwirkungsbefugnisse des Bundestages unter Überspielung der konkreten Ordnung der Verteilung und des Ausgleichs staatlicher Macht im Grundgesetz würde die außen- und sicherheitspolitische Handlungsfähigkeit der Bundesregierung ungerechtfertigt beschneiden und liefe auf eine nicht funktionsgerechte Teilung der Staatsgewalt hinaus (vgl. BVerfGE 90, 286 <363>; 104, 151 <207>). Sie lässt sich nicht auf einen aus dem Demokratieprinzip abgeleiteten allumfassenden Parlamentsvorbehalt stützen (vgl. BVerfGE 49, 89 <124 ff.>; 68, 1 <87>).

92

Auch die der Bundesregierung anvertraute auswärtige Gewalt steht aber nicht außerhalb parlamentarischer Kontrolle (vgl. BVerfGE 104, 151 <207>; siehe ferner BVerfGE 49, 89 <125>; 68, 1 <89>; 90, 286 <364>). Das parlamentarische Regierungssystem des Grundgesetzes stellt dem Deutschen Bundestag auch insoweit geeignete Instrumente für die politische Kontrolle der Bundesregierung zur Verfügung. Der Bundestag kann sein Frage-, Debatten- und Entschließungsrecht ausüben, seine Kontroll- und Haushaltsbefugnisse wahrnehmen und dadurch auf die Entscheidungen der Regierung einwirken oder durch Wahl eines neuen Bundeskanzlers die Regierung stürzen, Art. 67 Abs. 1 Satz 1 GG (BVerfGE 68, 1<109 f.>; vgl. auch BVerfGE 104, 151 <208>).

93

Bei der Gestaltung völkerrechtlicher Verträge ist der Bundestag grundsätzlich auf die nachträgliche Zustimmung gemäß Art. 59 Abs. 2 GG verwiesen ("Ratifikationslage"). Inwieweit die Bundesregierung in diesem Zusammenhang Unterrichtungspflichten treffen, die in den Bereich der vorausgehenden Vertragsverhandlungen hineinreichen, ist nicht grundsätzlich geklärt und hier nicht zu entscheiden.

94

2. Für den Bereich der Europäischen Union hat Art. 23 GG das Spannungsverhältnis zwischen exekutiver Außenvertretung und parlamentarischer Verantwortung auf spezifische Weise ausgestaltet (a) und dem Deutschen Bundestag in Ansehung der mit der Europäisierung verbundenen Gewichtsverlagerung zugunsten der Exekutive (b) weitreichende Mitwirkungsrechte zugestanden (c).

95

a) Art. 23 GG sieht für die Ausübung der auswärtigen Gewalt durch die Bundesregierung in Angelegenheiten der Europäischen Union eine Mitwirkung von Bundestag und Bundesrat vor (Art. 23 Abs. 2 Satz 1 GG). Zentraler, wenn auch nicht alleiniger Bezugspunkt der Mitwirkung des Bundestages ist die Verpflichtung der Bundesregierung, dem Deutschen Bundestag vor einer Mitwirkung an Rechtsetzungsakten der Europäischen Union Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben (Art. 23 Abs. 3 Satz 1 GG) und diese Stellungnahme bei den Verhandlungen zu berücksichtigen (Art. 23 Abs. 3 Satz 2 GG).

96

b) Mit Art. 23 GG hat der verfassungsändernde Gesetzgeber auf mit der europäischen Integration verbundene Verschiebungen im nationalen Gewaltengefüge reagiert. Die europäische Union besitzt aufgrund der Übertragung von Hoheitsrechten (Art. 23 Abs. 1 GG) die Kompetenz, selbst Recht zu setzen, das unmittelbar gilt und in vielfältiger Weise Rechte und Pflichten für die Bürger begründet. Bei seinem Erlass agieren über den Europäischen Rat und den Rat nicht primär die nationalen Gesetzgebungsorgane, sondern die mitgliedstaatlichen Exekutiven. Die der Gesetzgebung zugrunde liegenden politischen Vorstellungen werden vom Europäischen Rat, der sich aus den Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten und den Präsidenten des Europäischen Rates und der Kommission zusammensetzt, in Bezug auf die allgemeinen politischen Ziele festgelegt (Art. 15 EUV). Vor allem ist der Rat, der aus den Vertretern der Mitgliedstaaten auf Ministerebene besteht (vgl. heute Art. 16 Abs. 2 EUV) und grundsätzlich mit qualifizierter Mehrheit entscheidet (Art. 16 Abs. 3 EUV), für die Festlegung der Politik zuständig und - in der Regel gemeinsam mit dem Europäischen Parlament - zentrales Gesetzgebungsorgan (vgl. Art. 16 Abs. 1 EUV). Das stellt die parlamentarische Demokratie auf nationaler Ebene vor besondere Herausforderungen, weil das Parlament aus der Rolle der zentralen Entscheidungsinstanz teilweise verdrängt wird (vgl. Unger, Das Verfassungsprinzip der Demokratie, 2008, S. 43). Eine stärkere Einbindung der nationalen Parlamente in den Integrationsprozess kann deren Kompetenzverluste gegenüber der jeweiligen nationalen Regierung ausgleichen.

97

Eine verbesserte Mitwirkung des nationalen Parlaments an den Entscheidungen der an der Rechtsetzung im Rat beteiligten Bundesregierung wurde als Bedingung ausreichender demokratischer Legitimation der supranationalen Rechtsetzung betrachtet (Abgeordneter Verheugen, Gemeinsame Verfassungskommission, 11. Sitzung am 15. Oktober 1992, Stenographischer Bericht, in: Deutscher Bundestag , Materialien zur Verfassungsdiskussion und zur Grundgesetzänderung in der Folge der deutschen Einigung, Band 1, Bericht und Sitzungsprotokolle, 1996, S. 543 <545>). Daher wurde in den Beratungen der Gemeinsamen Verfassungskommission von Bundestag und Bundesrat eine umfassende und frühestmögliche Unterrichtung durch die Bundesregierung gefordert, um Bundestag und Bundesrat zumindest Gelegenheit zur Einflussnahme auf die Mitwirkung der Bundesregierung an Vorhaben der Europäischen Union zu geben (vgl. Möller/Limpert, ZParl 24 <1993>, S. 21 <24 ff.>).

98

Die verglichen mit der allgemeinen Gewichtsverteilung zwischen Bundesregierung und Deutschem Bundestag im Bereich der auswärtigen Gewalt stärkere Einbindung des Parlaments in Angelegenheiten der Europäischen Union durch weitreichende Informations- und Mitwirkungsrechte (zu ähnlichen Regelungen in anderen Mitgliedstaaten vgl. etwa Art. 6 des Dänischen Gesetzes über den Beitritt zu den Europäischen Gemeinschaften; Art. 88-4 der Französischen Verfassung; Art. 23e des Österreichischen Bundes-Verfassungsgesetzes; Art. 197<1.> lit. i der Portugiesischen Verfassung; Kap. 10 §§ 2 und 3 der Schwedischen Reichstagsordnung) ist zudem Teil einer institutionellen Architektur, die den nationalen Parlamenten in der Europäischen Union eine über die Mitgliedstaaten hinausweisende Rolle zuweist und auf diese Weise ihr demokratisches Legitimationspotential für die Europäische Union fruchtbar machen will (vgl. Lang, Die Mitwirkungsrechte des Bundesrates und des Bundestages in Angelegenheiten der Europäischen Union gemäß Art. 23 Abs. 2 bis 7 GG, 1997, S. 279 f.). Art. 23 Abs. 2 GG korrespondiert insoweit mit Art. 12 EUV, der den nationalen Parlamenten eine stärkere Rolle im institutionellen Gefüge der Europäischen Union beimisst (vgl. auch Protokoll über die Rolle der nationalen Parlamente in der Europäischen Union; Protokoll über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit).

99

c) Art. 23 Abs. 2 Satz 1 GG bezieht das Mitwirkungsrecht des Parlaments auf Angelegenheiten der Europäischen Union und bestimmt damit zugleich den Gegenstand der Unterrichtungspflicht gemäß Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG. Zu den Angelegenheiten der Europäischen Union gehören Vertragsänderungen und entsprechende Änderungen auf der Ebene des Primärrechts (Art. 23 Abs. 1 GG; vgl. auch §§ 2 ff. des Gesetzes über die Wahrnehmung der Integrationsverantwortung des Bundestages und des Bundesrates in Angelegenheiten der Europäischen Union vom 22. September 2009 ) sowie Rechtsetzungsakte der Europäischen Union (Art. 23 Abs. 3 GG). Darin erschöpft sich der Anwendungsbereich der Norm aber nicht.

100

Um Angelegenheiten der Europäischen Union kann es sich auch in anderen Fällen handeln. Insbesondere gehören völkerrechtliche Verträge unabhängig davon, ob sie auf eine förmliche Änderung der vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union (Art. 23 Abs. 1 Satz 3 GG) gerichtet sind, zu den Angelegenheiten der Europäischen Union, wenn sie in einem Ergänzungs- oder sonstigen besonderen Näheverhältnis zum Recht der Europäischen Union stehen. Wann ein solches Verhältnis vorliegt, lässt sich nicht anhand eines einzelnen abschließenden und zugleich trennscharfen Merkmals bestimmen (vgl. auch die Technik lediglich exemplarischer Aufzählung von Vorhaben in § 3 EUZBBG). Maßgebend ist vielmehr eine Gesamtbetrachtung der Umstände, einschließlich geplanter Regelungsinhalte, -ziele und -wirkungen, die sich, je nach Gewicht, einzeln oder in ihrem Zusammenwirken als ausschlaggebend erweisen können. Für die Zugehörigkeit zu den Angelegenheiten der Europäischen Union kann es etwa sprechen, wenn die geplante völkerrechtliche Koordination im Primärrecht verankert oder die Umsetzung des Vorhabens durch Vorschriften des Sekundär- oder Tertiärrechts vorgesehen ist oder ein sonstiger qualifizierter inhaltlicher Zusammenhang mit einem in den Verträgen niedergelegten Politikbereich - also mit dem Integrationsprogramm der Europäischen Union - besteht, wenn das Vorhaben von Organen der Europäischen Union vorangetrieben wird oder deren Einschaltung in die Verwirklichung des Vorhabens - auch im Wege der Organleihe - vorgesehen ist oder wenn ein völkerrechtlicher Vertrag ausschließlich zwischen Mitgliedstaaten der Europäischen Union geschlossen werden soll. Ein qualifizierter inhaltlicher Zusammenhang mit einem der primärrechtlich normierten Politikbereiche der Europäischen Union (vgl. auch § 4 Abs. 4 Nr. 1 EUZBBG), der ein Ergänzungs- oder sonstiges besonderes Näheverhältnis zum Unionsrecht begründet, wird insbesondere dann vorliegen, wenn der Sinn eines Vertragsvorhabens gerade im wechselseitigen Zusammenspiel mit einem dieser Politikbereiche liegt, und erst recht dann, wenn der Weg der völkerrechtlichen Koordination gewählt wird, weil gleichgerichtete Bemühungen um eine Verankerung im Primärrecht der Union nicht die notwendigen Mehrheiten gefunden haben.

101

Für dieses weite Verständnis des Art. 23 Abs. 2 Satz 1 GG spricht zunächst sein Wortlaut. Der Formulierung "Angelegenheiten der Europäischen Union" kann keine Beschränkung auf bestimmte Rechtsakte entnommen werden. Eine solche ergibt sich auch nicht aus dem Zusammenspiel des Begriffs "Angelegenheiten" mit dem Begriff der "Europäischen Union". Der Wortlaut ist vielmehr offen: Er lässt einerseits eine Deutung dergestalt zu, dass nur solche Vorhaben gemeint sind, deren Urheberin oder unmittelbarer Gegenstand die Europäische Union als Institution ist. Er lässt sich jedoch auch zwanglos als umfassender Verweis auf Angelegenheiten mit spezifischem Bezug zur Europäischen Union und dem ihr zugewiesenen Integrationsprogramm ohne Festlegung auf bestimmte Gestaltungsformen verstehen.

102

Systematische Gesichtspunkte erhärten diese Auslegung. So ist in Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG von der Entwicklung der Europäischen Union zum Zwecke der Verwirklichung eines vereinten Europas die Rede, womit Programm und Zielrichtung der gesamten Vorschrift bestimmt werden. Dem würde es widersprechen, weite Teile des dynamischen und vielgestaltigen Prozesses der Integration im Rahmen der Europäischen Union von vornherein aus dem parlamentarischen Mitwirkungsrecht auszuklammern.

103

Der in den Beratungen der Gemeinsamen Verfassungskommission allgegenwärtige Kompensationsgedanke weist ebenfalls auf ein weites Verständnis der Regelung hin. Sie soll gewährleisten, dass der Deutsche Bundestag über seine Verantwortung für die Übertragung von Hoheitsrechten auf die Europäische Union gemäß Art. 23 Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 123, 267 <351 ff.>) hinaus auch an deren weiterer Gestaltung und an ihrem Wirken teilhat. Art. 23 Abs. 2 GG zielt deshalb darauf, dem Bundestag ausreichende Zeit für eine Entscheidung einzuräumen, ob und gegebenenfalls wie er sich an der nationalen Willensbildung beteiligen möchte (vgl. Schorkopf, in: Bonner Kommentar, Art. 23 Rn. 136 ). Diese Frage stellt sich nicht nur mit Blick auf die Beteiligung an der Rechtsetzung im Sinne von Art. 288 ff. AEUV, sondern auch für sonstige Initiativen und Vorschläge, die für die Entwicklung und das Handeln der Europäischen Union von Bedeutung sind. Im Hinblick darauf muss Art. 23 Abs. 2 GG auch auf die Erarbeitung völkerrechtlicher Verträge und politischer Initiativen Anwendung finden, wenn diese im obigen Sinne substantielle Berührungspunkte mit dem in den Verträgen niedergelegten Integrationsprogramm aufweisen.

104

Schließlich legt auch die historische Auslegung eine weite Interpretation des Begriffs der "Angelegenheiten der Europäischen Union" nahe. Art. 23 Abs. 2 GG hat im Zusammenhang mit der Ratifikation des Vertrags von Maastricht Eingang in das Grundgesetz gefunden, mit einem Vertrag also, der die damals bereits über 30 Jahre alten supranationalen Europäischen Gemeinschaften mit der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik sowie der Gemeinsamen Justiz- und Innenpolitik, zwei seinerzeit intergouvernemental organisierten Politikbereichen, unter dem Dach der Europäischen Union zusammenfasste (vgl. BVerfGE 89, 155 <158 ff.>; Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht, 5. Aufl. 2011, § 3 Rn. 2). Der verfassungsändernde Gesetzgeber des Jahres 1992 hatte somit ein Bild der Europäischen Union vor Augen, in der die - allein supranationalen - Europäischen Gemeinschaften und die intergouvernementalen Bereiche unterschieden wurden. Wenn er die Mitwirkungsrechte des Bundestages vor diesem Hintergrund auf die Angelegenheiten der Europäischen Union bezogen hat, liegt es nahe, dass er zwischen den Säulen der Europäischen Union nicht differenzieren wollte. Vielmehr sollte sich Art. 23 Abs. 2 GG auf "alle Vorhaben der Europäischen Union [erstrecken], die für die Bundesrepublik Deutschland bzw. den Bundestag von Interesse sein könnten" (BTDrucks 12/6000, S. 21). Bestätigt wird dies durch die sich im Laufe der Beratungen verfestigende Erkenntnis, dass die europäische Integration ein dynamischer Entwicklungsprozess sei, der auf der Ebene der Mitgliedstaaten ein hohes Maß an Flexibilität erfordere (BTDrucks 12/3338, S. 6; BTDrucks 12/6000, S. 20). Anhaltspunkte für eine abweichende Auslegung ergeben sich auch nicht aus der Ratifikation des Vertrags von Lissabon, weil nicht erkennbar ist, dass dadurch die Reichweite des Art. 23 Abs. 2 GG reduziert werden sollte.

105

Ob und inwieweit Maßnahmen in den Bereichen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik und der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik von Art. 23 Abs. 2 GG erfasst werden, ist hier nicht zu entscheiden.

106

3. Nach Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG hat die Bundesregierung den Bundestag (und den Bundesrat) umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu unterrichten. Gegenstand, Grenzen sowie Art und Weise der Unterrichtung des Deutschen Bundestages sind mit Blick auf den Normzweck, diesem eine effektive Wahrnehmung seiner Mitwirkungsrechte in Angelegenheiten der Europäischen Union unter Wahrung der Eigenverantwortung der Exekutive zu ermöglichen, zu bestimmen (a). Daraus folgen nähere Anforderungen an die Unterrichtung (b).

107

a) aa) Anknüpfungspunkt der Unterrichtungspflicht ist das in Art. 23 Abs. 2 Satz 1 GG verankerte Recht des Deutschen Bundestages auf Mitwirkung in Angelegenheiten der Europäischen Union. Die Unterrichtung muss dem Bundestag in erster Linie eine frühzeitige und effektive Einflussnahme auf die Willensbildung der Bundesregierung eröffnen. Nur auf einer ausreichenden Informationsgrundlage ist der Bundestag in der Lage, den europäischen Integrationsprozess zu begleiten und zu beeinflussen, kann er das Für und Wider einer Angelegenheit diskutieren und Stellungnahmen erarbeiten. Die Unterrichtung muss so erfolgen, dass das Parlament nicht in eine bloß nachvollziehende Rolle gerät (vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 7. September 2011 - 2 BvR 987/10, 2 BvR 1485/10, 2 BvR 1099/10 -, NJW 2011, S. 2946 <2951>, Rn. 124; Urteil des Zweiten Senats vom 28. Februar 2012 - 2 BvE 8/11 -, juris Rn. 109).

108

Die Entstehungsgeschichte von Art. 23 Abs. 2 GG bestätigt diese Interpretation. Vor der Neufassung des Art. 23 GG verlangten die im Deutschen Bundestag vertretenen Fraktionen übereinstimmend die Verankerung von parlamentarischen Mitwirkungsrechten mit dem Ziel, die Entscheidungen über europäische Rechtsetzungsakte bereits vorab auf nationaler Ebene beeinflussen zu können (vgl. die Abgeordneten Dr. Möller und Verheugen, Gemeinsame Verfassungskommission, 11. Sitzung am 15. Oktober 1992, Stenographischer Bericht, in: Deutscher Bundestag , Materialien zur Verfassungsdiskussion und zur Grundgesetzänderung in der Folge der deutschen Einigung, Band 1, Bericht und Sitzungsprotokolle, 1996, S. 543 <544 f.>). Im Hinblick auf die Erfahrung, dass der Bundestag häufig vor vollendete Tatsachen gestellt worden war, die er nur noch hatte zur Kenntnis nehmen können, schlug die Gemeinsame Verfassungskommission die Festschreibung der Unterrichtungspflicht in Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG vor. Es bestand insoweit weitgehende Einigkeit, dass eine fundierte Willensbildung und verantwortungsvolle Mitwirkung des Bundestages eine umfassende Information zum frühestmöglichen Zeitpunkt voraussetze (vgl. BTDrucks 12/3896, S. 19; BTDrucks 12/6000, S. 21; vgl. auch Möller/Limpert, ZParl 24 <1993>, S. 21 <26>).

109

bb) Die Unterrichtungspflicht nach Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG soll dazu beitragen, "Informationsasymmetrien" zwischen Bundesregierung und Bundestag auszugleichen, soweit dies zur Gewährleistung einer effektiven Rechtswahrnehmung erforderlich ist (Schorkopf, in: Bonner Kommentar, Bd 6, Art. 23 Rn. 144 ). Eine enge Auslegung liefe diesem Zweck zuwider. Der verfassungsändernde Gesetzgeber hat sich, wie die Entstehungsgeschichte nahelegt, bewusst für eine weitreichende Unterrichtungspflicht entschieden.

110

Nachdem die ursprünglich vorgesehene Bindung an die Stellungnahmen des Bundestages (so noch der Vorschlag von Möller, Arbeitsunterlage Nr. 67 der Gemeinsamen Verfassungskommission vom 9. Juli 1992) auf Druck der Bundesregierung auf die - deutlich schwächere - Pflicht zur Berücksichtigung der Stellungnahmen (Art. 23 Abs. 3 Satz 2 GG) reduziert worden war, setzte der Bundestag im Gegenzug eine strengere Fassung der Unterrichtungspflicht durch (vgl. Abgeordneter Verheugen, Gemeinsame Verfassungskommission, 11. Sitzung am 15. Oktober 1992, Stenographischer Bericht, in: Deutscher Bundestag , Materialien zur Verfassungsdiskussion und zur Grundgesetzänderung in der Folge der deutschen Einigung, Band 1, Bericht und Sitzungsprotokolle, 1996, S. 543 <545>). Wenn die Unterrichtungspflichten der Bundesregierung daher im Vergleich mit den in Art. 23 Abs. 3 GG geregelten Mitwirkungsrechten des Bundestages eine überschießende Tendenz aufweisen (vgl. Uerpmann-Wittzack, in: v. Münch/Kunig, GG, Bd. 1, 6. Aufl. 2012, Art. 23 Rn. 75), so verkörpert dies den spezifischen Zweck dieses institutionellen Arrangements, eine effektive Mitwirkung des Deutschen Bundestages in Angelegenheiten der Europäischen Union trotz Fehlens formaler Bindungsmöglichkeiten zu gewährleisten (vgl. Rath, Entscheidungspotenziale des Deutschen Bundestages in EU-Angelegenheiten, 2001, S. 43 ff.).

111

Für die Auslegung und Handhabung des Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG ist ferner von Bedeutung, dass die Unterrichtungspflicht nicht nur dazu dient, die Mitwirkungsrechte des Deutschen Bundestages nach Art. 23 Abs. 2 Satz 1 GG zu ermöglichen. Sie sichert auf nationaler Ebene zugleich ab, dass der Deutsche Bundestag die ihm in Art. 12 EUV sowie in Art. 1 und 2 des Protokolls über die Rolle der nationalen Parlamente in der Europäischen Union und in Art. 4 des Protokolls über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit zugewiesenen Aufgaben erfüllen kann.

112

cc) Die Auslegung und Anwendung des Art. 23 Abs. 2 GG hat darüber hinaus dem Umstand Rechnung zu tragen, dass diese Bestimmung auch dem im Demokratieprinzip verankerten Grundsatz parlamentarischer Öffentlichkeit dient.

113

Der Deutsche Bundestag trifft seine Entscheidungen grundsätzlich im Plenum (vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 28. Februar 2012 - 2 BvE 8/11 -, juris Rn. 102, 119) und in öffentlicher Beratung. Öffentliches Verhandeln von Argument und Gegenargument, öffentliche Debatte und öffentliche Diskussion sind wesentliche Elemente des demokratischen Parlamentarismus. Gerade das im parlamentarischen Verfahren nach Art. 42 Abs. 1 Satz 1 GG gewährleistete Maß an Öffentlichkeit der Auseinandersetzung und Entscheidungssuche eröffnet Möglichkeiten eines Ausgleichs widerstreitender Interessen, die sich bei einem weniger transparenten Vorgehen so nicht ergäben (BVerfGE 70, 324<355>; vgl. auch BVerfGE 40, 237 <249>). Im europäischen Kontext stärkt die öffentliche parlamentarische Willensbildung gleichzeitig die Responsivität von europäischen Entscheidungen für die Interessen und Überzeugungen der Bürger (vgl. Müller-Franken, DVBl 2009, S. 1072 <1080>). Erst die Öffentlichkeit der Beratung schafft die Voraussetzungen für eine Kontrolle durch die Bürger (vgl. BVerfGE 125, 104 <125>; zuletzt BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 28. Februar 2012 - 2 BvE 8/11 -, juris Rn. 108). Dies gilt auch, wo die parlamentarische Beratung sich, sei es mitwirkend oder kontrollierend, auf das Entscheidungsverhalten bezieht (zur Kontrollfunktion des Parlaments BVerfGE 67, 100 <130>; 110, 199 <218 f.>; 124, 78 <121>). Die parlamentarische Verantwortung gegenüber den Bürgern ist wesentliche Voraussetzung des von Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG geforderten effektiven Einflusses des Volkes auf die Ausübung der Staatsgewalt (vgl. BVerfGE 83, 60 <71 f.>; 93, 37 <66>).

114

Entscheidungen von erheblicher rechtlicher oder faktischer Bedeutung für die Spielräume künftiger Gesetzgebung muss grundsätzlich ein Verfahren vorausgehen, das der Öffentlichkeit Gelegenheit bietet, ihre Auffassungen auszubilden und zu vertreten, und das die Volksvertretung dazu anhält, Notwendigkeit und Umfang der zu beschließenden Maßnahmen zu klären (vgl. BVerfGE 85, 386 <403 f.>; 95, 267 <307 f.>; 108, 282 <312>). Exemplarisch dafür ist, dass der Deutsche Bundestag auch in einem System intergouvernementalen Regierens die haushaltspolitische Gesamtverantwortung nach diesen Grundsätzen wahrzunehmen hat. Nach seiner haushaltspolitischen Gesamtverantwortung muss der Deutsche Bundestag der Ort sein, an dem eigenverantwortlich über Einnahmen und Ausgaben entschieden wird, auch im Hinblick auf internationale und europäische Verbindlichkeiten (vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 7. September 2011 - 2 BvR 987/10, 2 BvR 1485/10, 2 BvR 1099/10 -, NJW 2011, S. 2946 <2951>, Rn. 124; BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 28. Februar 2012 - 2 BvE 8/11 -, juris Rn. 109). Hierfür gilt der Grundsatz der Budgetöffentlichkeit als Ausprägung des allgemeinen Öffentlichkeitsprinzips der Demokratie (vgl. BVerfGE 70, 324 <358>).

115

dd) Grenzen der Unterrichtungspflicht ergeben sich aus dem Grundsatz der Gewaltenteilung. Das Funktionengefüge des Grundgesetzes geht davon aus, dass die Regierung einen Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung besitzt, der einen grundsätzlich nicht ausforschbaren Initiativ-, Beratungs- und Handlungsbereich einschließt (BVerfGE 67, 100 <139>; 77, 1 <59>; 110, 199 <214>; 124, 78 <120>). Ein solcher nicht ausforschbarer Kernbereich wird vom Bundesverfassungsgericht etwa im Zusammenhang mit den Ermittlungen parlamentarischer Untersuchungsausschüsse und parlamentarischen Fragerechten anerkannt (vgl. BVerfGE 67, 100 <139>, zum Recht der Untersuchungsausschüsse; BVerfGE 110, 199 <215>; 124, 78 <120>, zum parlamentarischen Fragerecht). Zu diesem Kernbereich gehört jedenfalls die Willensbildung der Regierung, sowohl hinsichtlich der Erörterungen im Kabinett als auch bei der Vorbereitung von Kabinetts- und Ressortentscheidungen, die sich vor allem in ressortinternen und -übergreifenden Abstimmungsprozessen vollzieht (BVerfGE 67, 100 <139>; 110, 199 <214, 222>; 124, 78 <120>). Solange die interne Willensbildung der Bundesregierung nicht abgeschlossen ist, besteht daher kein Anspruch des Parlaments auf Unterrichtung.

116

b) Nach Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG muss die Unterrichtung des Bundestages in sachlicher Hinsicht umfassend sein (aa), in zeitlicher Hinsicht zum frühestmöglichen Zeitpunkt erfolgen (bb) und in einer zweckgerechten Weise ausgestaltet sein (cc). Diese Anforderungen besitzen zwar unterschiedliche Regelungsinhalte, stehen aber nicht isoliert nebeneinander, sondern sind aufeinander bezogen.

117

aa) Das Erfordernis der umfassenden Unterrichtung ist seiner Funktion gemäß auszulegen, dem Deutschen Bundestag die Wahrnehmung seiner Mitwirkungsrechte zu ermöglichen. Dementsprechend ist eine umso intensivere Unterrichtung geboten, je komplexer ein Vorgang ist, je tiefer er in den Zuständigkeitsbereich der Legislative eingreift und je mehr er sich einer förmlichen Beschlussfassung oder Vereinbarung annähert. Daraus ergeben sich Anforderungen an die Qualität, Quantität und Aktualität der Unterrichtung unter Berücksichtigung der aus dem Grundsatz der Gewaltenteilung folgenden Grenzen. Die Regelungen der §§ 4 ff. EUZBBG enthalten insoweit Konkretisierungen, die auch von der Bundesregierung im Grundsatz nicht in Frage gestellt worden sind.

118

(1) In qualitativer Hinsicht erfasst die Pflicht zur umfassenden Unterrichtung zunächst Initiativen und Positionen der Bundesregierung selbst. Darüber hinaus erstreckt sie sich auf die Weiterleitung amtlicher Unterlagen und Dokumente der Organe sowie sonstiger Gremien und Behörden der Europäischen Union und anderer Mitgliedstaaten in Angelegenheiten der Europäischen Union (oben C.I.2.c), ist darauf aber nicht beschränkt. Sobald und soweit die Bundesregierung selbst mit einer Angelegenheit befasst ist, können auch ihr vorliegende Informationen über informelle und (noch) nicht schriftlich dokumentierte Vorgänge erfasst sein. Die Unterrichtungspflicht kann, unabhängig von einer förmlichen Dokumentation, auch Gegenstand, Verlauf und Ergebnis der Sitzungen und Beratungen von Organen und Gremien der Europäischen Union betreffen, in denen die Bundesregierung vertreten ist (vgl. Pernice, in: Dreier, GG, Bd. 2, 2. Aufl. 2006, Art. 23 Rn. 101).

119

Nach dem Zweck der Unterrichtungspflicht kommt es nicht darauf an, ob die Bundesregierung die Informationen auf offiziellem Wege oder auf andere Weise erlangt hat (vgl. Pernice, in: Dreier, GG, Bd. 2, 2. Aufl. 2006, Art. 23 Rn. 101; Uerpmann-Wittzack, in: v. Münch/Kunig, GG, Bd. 1, 6. Aufl. 2012, Art. 23 Rn. 77). Unerheblich für das Bestehen einer Weiterleitungspflicht ist ferner, ob die Dokumente und Informationen von Organen oder sonstigen Stellen der Europäischen Union stammen oder aus der Sphäre anderer Mitgliedstaaten (vgl. Classen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 23 Rn. 74; Pernice, in: Dreier, GG, Bd. 2, 2. Aufl. 2006, Art. 23 Rn. 101; Uerpmann-Wittzack, in: v. Münch/Kunig, GG, Bd. 1, 6. Aufl. 2012, Art. 23 Rn. 77). Auch die eventuelle Geheimhaltungsbedürftigkeit einer Information (vgl. etwa Art. 6 der Geschäftsordnung des Rates; ABl. EU 2009 Nr. L 325 vom 11. Dezember 2009, S. 35) steht ihrer Weiterleitung an den Bundestag grundsätzlich nicht entgegen. In Fällen, in denen das Wohl des Staates durch das Bekanntwerden vertraulicher Informationen gefährdet werden kann, kann die Unterrichtung vertraulich erfolgen (vgl. BVerfGE 124, 78 <123 f.>, zu Untersuchungsausschüssen). Die Voraussetzungen dafür hat der Bundestag mit dem Erlass seiner Geheimschutzordnung geschaffen (vgl. BVerfGE 67, 100 <135>; 70, 324 <359>; 77, 1 <48>; BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 28. Februar 2012 - 2 BvE 8/11 -, juris Rn. 149).

120

(2) Quantität und Detailliertheit der dem Deutschen Bundestag zu übermittelnden Informationen bemessen sich im Hinblick auf den Zweck der Unterrichtung einerseits nach der Bedeutung einer Angelegenheit. So muss der Bundestag von allen Vorgängen erfahren, die seiner Mitwirkung nach Art. 23 Abs. 2 Satz 1 GG unterliegen, und zugleich die für eine fundierte Beschlussfassung erforderlichen Informationen erhalten. Auf der anderen Seite richten sich der gebotene Umfang und die erforderliche Tiefe der Unterrichtung auch nach dem jeweiligen Sach- und Verhandlungsstand.

121

Eine "Überflutung" des Bundestages mit Informationen, die aufgrund ihrer Masse weder administrativ noch durch die Abgeordneten verarbeitet werden können, ist nicht Sinn des Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG (vgl. Classen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 23 Rn. 75). Zwar ist es in erster Linie Aufgabe des Parlaments selbst, im Rahmen seiner Geschäftsordnungsautonomie für eine sachgerechte Sichtung und Bewertung der unter Art. 23 Abs. 2 GG fallenden Angelegenheiten zu sorgen und die organisatorischen Voraussetzungen für die Verarbeitung der ihm übermittelten Informationen zu schaffen (vgl. Streinz, in: Sachs, GG, 6. Aufl. 2011, Art. 23 Rn. 107; vgl. auch § 4 Abs. 5 EUZBBG zur begrenzten Möglichkeit eines Verzichts auf Informationen). Doch erlaubt Art. 23 Abs. 2 GG bei Angelegenheiten, die nur von erkennbar geringer Bedeutung für den Bundestag sind, oder bei Vorgängen, die sich noch in einem sehr frühen, wenig konkreten Verfahrensstadium befinden, eine kursorische, auf die wesentlichen Eckpunkte beschränkte Unterrichtung, die den Bundestag in die Lage versetzt, nähere Informationen nachzufordern. Auch einer übermäßigen Belastung der Regierung, die deren Funktions- und Arbeitsfähigkeit bedroht, kann bei geringem Informationsinteresse des Parlaments im Einzelfall im Rahmen einer Abwägung Rechnung getragen werden (vgl. auch BVerfGE 110, 199 <220>; s. aus der Rechtsprechung der Landesverfassungsgerichte etwa Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin, Urteil vom 14. Juli 2010 - 57/08 -, DVBl 2010, S. 966; Bayerischer Verfassungsgerichtshof, Entscheidung vom 6. Juni 2011 - Vf. 49-IVa-10 -, NVwZ-RR 2011, S. 841 <843>).

122

(3) Die gebotene umfassende Unterrichtung erschöpft sich - wie sich auch aus dem systematischen Zusammenhang mit der Pflicht zur frühestmöglichen Unterrichtung ergibt - nicht in einem einmaligen Tätigwerden. Es handelt sich vielmehr um eine auf Dauer angelegte, fortlaufende Pflicht, die jedesmal aktualisiert wird, wenn sich bei der Behandlung einer Angelegenheit neue politische oder rechtliche Fragen stellen, zu denen sich der Deutsche Bundestag noch keine Meinung gebildet hat (vgl. Baach, Parlamentarische Mitwirkung in Angelegenheiten der Europäischen Union, 2008, S. 162).

123

Rechtsetzungsakten der Europäischen Union und intergouvernementalen Vereinbarungen gehen regelmäßig komplexe und langwierige Abstimmungsprozesse voraus. Die Bundesregierung kann dem Bundestag dabei nur die ihr selbst jeweils vorliegenden Informationen zuleiten, so dass die Pflicht zur umfassenden Unterrichtung nicht statisch, sondern dynamisch zu verstehen ist. Wissensstand und Haltung der Bundesregierung im Hinblick auf einen Vorgang bleiben im Regelfall nicht gleich, sondern sind im Laufe der Zeit Veränderungen unterworfen. Mit zunehmender Konkretisierung eines Vorhabens ist jedoch typischerweise auch eine Zunahme der Informationsdichte auf Seiten der Bundesregierung verbunden. Dabei entsteht mit jedem Erkenntnisgewinn der Bundesregierung zunächst eine Informationsasymmetrie im Verhältnis zum Bundestag, die - soll die verfassungsrechtliche Vorgabe einer "umfassenden" Unterrichtung nicht wirkungslos bleiben - grundsätzlich ausgeglichen werden muss. Diese Pflicht zum Ausgleich von Informationsungleichgewichten zwischen Bundesregierung und Bundestag verdichtet sich mit zunehmender Komplexität und Bedeutung eines Vorgangs sowie mit der zeitlichen Nähe zu einer förmlichen Beschlussfassung oder zum Abschluss einer Vereinbarung.

124

(4) Aus Gründen der Gewaltenteilung (oben C.I.3.a)dd) erstreckt sich der Unterrichtungsanspruch aus Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG grundsätzlich nicht auf Aspekte, die dem einer konkreten Positionierung vorgelagerten Willensbildungsprozess der Bundesregierung zuzuordnen sind. Initiativen der Bundesregierung und ihrer Positionierung bei von dritter Seite angestoßenen Vorhaben in Angelegenheiten der Europäischen Union geht ein - je nach Vorgang - mehr oder weniger umfangreicher Willensbildungsprozess voraus, in dessen Verlauf sich unter Umständen erst allmählich eine bestimmte Auffassung herausbildet. Bis dahin handelt es sich um einen von verschiedenen innen- und außenpolitischen sowie innerorganschaftlichen Belangen, Erwägungen und Entwicklungen abhängigen und damit noch volatilen Vorgang, der den Bereich der Bundesregierung noch nicht verlässt und über den der Bundestag von Verfassungs wegen grundsätzlich auch noch nicht zu informieren ist. Wenn die Bundesregierung indes ihre Willensbildung selbst so weit konkretisiert hat, dass sie Zwischen- oder Teilergebnisse an die Öffentlichkeit geben kann oder mit einer eigenen Position in einen Abstimmungsprozess mit Dritten eintreten will, fällt ein Vorhaben nicht mehr in den gegenüber dem Bundestag abgeschirmten Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung.Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG gebietet in diesen Fällen eine substantielle Information des Bundestages durch die Bundesregierung über ihr Vorhaben.

125

bb) Auch die strikten zeitlichen Anforderungen an die Unterrichtung nach Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG ("zum frühestmöglichen Zeitpunkt") sollen gewährleisten, dass der Bundestag in der Lage ist, seine Mitwirkungsrechte in Angelegenheiten der Europäischen Union effektiv wahrzunehmen.

126

(1) Entstehungsgeschichtlich erweist sich die strenge zeitliche Vorgabe als bewusste Abkehr von Art. 2 des Zustimmungsgesetzes zu den Römischen Verträgen vom 27. Juli 1957 (BGBl II S. 753), wo lediglich eine laufende Unterrichtung des Bundestages vorgeschrieben und eine der Beschlussfassung im Rat zeitlich vorgelagerte Unterrichtung nur als Soll-Vorschrift vorgesehen war. Auf dieser Grundlage waren dem Bundestag Informationen häufig erst nach einer Beschlussfassung im Rat zugegangen und damit später als dem Bundesrat und den deutschen Mitgliedern des Europäischen Parlaments (vgl. Möller, Arbeitsunterlage Nr. 84 der Gemeinsamen Verfassungskommission vom 15. Oktober 1992). Die in der Gemeinsamen Verfassungskommission und im Sonderausschuss Europäische Union zeitweise diskutierten Formulierungen einer "rechtzeitigen" oder einer "regelmäßigen" Unterrichtung wurden daher verworfen. Das Erfordernis einer regelmäßigen Unterrichtung stelle nicht hinreichend sicher, dass der Bundestag die relevanten Informationen so früh wie möglich erhalte (vgl. Abgeordneter Verheugen, Gemeinsame Verfassungskommission, 11. Sitzung am 15. Oktober 1992, Stenographischer Bericht, in: Deutscher Bundestag , Materialien zur Verfassungsdiskussion und zur Grundgesetzänderung in der Folge der deutschen Einigung, Band 1, Bericht und Sitzungsprotokolle, 1996, S. 543 <545>). Auch der Begriff "rechtzeitig" erschien den Mitgliedern der Gemeinsamen Verfassungskommission zu unbestimmt, da er einen weiten Interpretationsspielraum eröffne und den Unterrichtungszeitpunkt letztlich in das Ermessen der Bundesregierung stelle. Um eine fundierte Willensbildung des Bundestages zu ermöglichen, sei eine umfassende Information zum frühestmöglichen Zeitpunkt unerlässlich (vgl. Möller, Arbeitsunterlage Nr. 84 der Gemeinsamen Verfassungskommission vom 15. Oktober 1992; Möller/Limpert, a.a.O., S. 26; Schmalenbach, Der neue Europaartikel 23 des Grundgesetzes im Lichte der Arbeit der Gemeinsamen Verfassungskommission, 1996, S. 144 f.). Mit der gewählten Formulierung "zum frühestmöglichen Zeitpunkt" wollte der verfassungsändernde Gesetzgeber also eine möglichst präzise, objektiv bestimmbare Zeitvorgabe schaffen (vgl. Möller/Limpert, a.a.O., S. 26).

127

(2) Dem Zeitpunkt kommt eine dem Umfang der Unterrichtung gleichrangige Bedeutung zu. Nur wenn der Bundestag frühzeitig von einem Vorhaben erfährt, kann er den regelmäßig durch eine Vielzahl von Akteuren getragenen Entscheidungsprozess in Angelegenheiten der Europäischen Union noch beeinflussen. Im Hinblick darauf ist die in Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG genannte Zeitvorgabe "zum frühestmöglichen Zeitpunkt" so auszulegen, dass der Bundestag die Informationen der Bundesregierung spätestens zu einem Zeitpunkt erhalten muss, der ihn in die Lage versetzt, sich fundiert mit dem Vorgang zu befassen und eine Stellungnahme zu erarbeiten, bevor die Bundesregierung nach außen wirksame Erklärungen, insbesondere bindende Erklärungen zu unionalen Rechtsetzungsakten und intergouvernementalen Vereinbarungen, abgibt. Das schließt es aus, dass die Bundesregierung ohne vorherige Beteiligung des Deutschen Bundestages konkrete Initiativen ergreift oder an Beschlussfassungen mitwirkt, und gebietet die Weiterleitung sämtlicher Dokumente, sobald sie zum Gegenstand von Verhandlungen gemacht werden.

128

(3) Offizielle Dokumente, Berichte und Mitteilungen müssen daher ebenso wie alle inoffiziellen Informationen an den Bundestag weitergeleitet werden, sobald sie - gegebenenfalls über die Ständige Vertretung der Bundesrepublik Deutschland bei der Europäischen Union - in den Einflussbereich der Bundesregierung gelangen (vgl. Pernice, in: Dreier, GG, Bd. 2, 2. Aufl. 2006, Art. 23 Rn. 101; Uerpmann-Wittzack, in: v. Münch/Kunig, GG, Bd. 1, 6. Aufl. 2012, Art. 23 Rn. 79). Ein Ermessen der Bundesregierung hinsichtlich des Zeitpunktes der Weiterleitung besteht nicht. Verzögerungen bei der Weiterleitung sind nur zulässig, um der Bundesregierung eine Prüfung der Voraussetzungen des Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG zu ermöglichen. Über Sitzungen der Organe und informelle Beratungen, an denen die Bundesregierung beteiligt ist, muss der Bundestag - auch wenn noch keine förmlichen Vorschläge oder sonstige Beratungsgrundlagen existieren - bereits im Voraus und so rechtzeitig informiert werden, dass er sich über den Gegenstand der Sitzungen eine Meinung bilden und auf die Verhandlungslinie und das Abstimmungsverhalten der Bundesregierung Einfluss nehmen kann (vgl. Uerpmann-Wittzack, in: v. Münch/Kunig, GG, Bd. 1, 6. Aufl. 2012, Art. 23 Rn. 77, 79; Streinz, in: Sachs, GG, 6. Aufl. 2011, Art. 23 Rn. 113). Über den Verlauf und die erzielten Zwischen- und Endergebnisse ist er unmittelbar im Anschluss an die Beratungen zu unterrichten. Für den Zeitpunkt der Unterrichtung über Initiativen und Positionierungen der Bundesregierung und das Gebot laufender Aktualisierung des Informationsstandes des Bundestages gilt das bereits Gesagte (oben C.I.3.b)aa)<3, 4>).

129

cc) Aus dem mit der Unterrichtung des Bundestages verfolgten Zweck des Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG folgen schließlich auch Anforderungen an das Verfahren und die Form der Unterrichtung. Adressat der Unterrichtung ist grundsätzlich der Bundestag als Ganzer; die Unterrichtung hat grundsätzlich schriftlich zu erfolgen. Einzelheiten können im Rahmen der verfassungsrechtlichen Vorgaben durch Gesetz oder Vereinbarung zwischen dem Deutschen Bundestag und der Bundesregierung geregelt werden.

130

(1) Adressat der Unterrichtung gemäß Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG ist der Bundestag als Ganzer. Damit soll gewährleistet werden, dass sämtliche Abgeordnete gleichermaßen und unterschiedslos auf die übermittelten Informationen zugreifen können. Allerdings verleiht Art. 40 Abs. 1 Satz 2 GG dem Parlament die Befugnis, seine inneren Angelegenheiten im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung autonom zu regeln und sich selbst so zu organisieren, dass es seine Aufgaben sachgerecht erfüllen kann (vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 28. Februar 2012 - 2 BvE 8/11 -, juris Rn. 115 ff., m.w.N.). Es ist daher in erster Linie Sache des Bundestages selbst, dafür Sorge zu tragen, dass die ihm übermittelten Informationen einer effektiven parlamentarischen Willensbildung zugeführt werden. Insbesondere obliegt ihm die Entscheidung, in welchem Umfang er den Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union gemäß Art. 45 Satz 2 GG ermächtigt, die Rechte des Bundestages gemäß Art. 23 GG gegenüber der Bundesregierung wahrzunehmen. Der Bundestag kann hierzu die erforderlichen Regelungen treffen und Einzelheiten der Unterrichtung im Wege einer Vereinbarung mit der Bundesregierung festlegen (vgl. § 12 EUZBBG). "Inoffizielle" Informationen einzelner Abgeordneter oder von Fraktionen und deren Beauftragten wie den Obleuten in den Ausschüssen erfüllen den Anspruch des Bundestages aus Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG nicht.

131

(2) Der Zweck des Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG verlangt im Grundsatz eine schriftliche Unterrichtung durch die Bundesregierung. Zwar ist die Schriftform in Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG nicht ausdrücklich vorgesehen. Angesichts der Anforderungen an Klarheit, Verstetigung und Reproduzierbarkeit, die an eine förmliche Unterrichtung des Parlaments zu stellen sind, erscheint die Schriftform gegenüber der mündlichen Unterrichtung als das vorrangige Medium zur effektiven Information des Bundestages. Der mündlichen Unterrichtung des Plenums, des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union wie auch der Fachausschüsse kommt vor diesem Hintergrund grundsätzlich nur eine ergänzende und erläuternde Funktion zu.

132

Ausnahmen vom Schriftlichkeitsgrundsatz sind nur in engen Grenzen und insbesondere im Hinblick auf das Gebot einer Unterrichtung zum frühestmöglichen Zeitpunkt zulässig, unter Umständen aber auch geboten. Da Informationsasymmetrien zwischen Regierung und Parlament nach Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG nicht nur best-, sondern auch schnellstmöglich beseitigt werden sollen, sind Konstellationen denkbar, in denen die Bundesregierung eine umfassende und zugleich frühestmögliche Unterrichtung nur mündlich sicherstellen kann (vgl. Schorkopf, in: Bonner Kommentar, Bd. 6, Art. 23 Rn. 144 ). Das ist etwa der Fall, wenn zu einer Angelegenheit noch keine schriftlichen Unterlagen vorliegen und in vertretbarer Zeit auch nicht beschafft oder hergestellt werden können, eine Unterrichtung des Deutschen Bundestages jedoch im Hinblick auf die effektive Wahrnehmung seiner Mitwirkungsrechte erforderlich ist. Für die Überlassung fremdsprachiger Unterlagen gilt Vergleichbares. Entfällt das Hindernis, ist das entstandene Informationsdefizit unverzüglich auszugleichen. Auch insoweit ist die Festlegung von Einzelheiten einer Regelung durch den Bundestag sowie einer näheren Konkretisierung in Vereinbarungen zwischen Bundestag und Bundesregierung zugänglich.

II.

133

Nach diesen Maßstäben sind die Anträge begründet. Die Antragsgegnerin hat den Deutschen Bundestag sowohl im Hinblick auf die Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus (1.) als auch im Hinblick auf die Vereinbarung des Euro-Plus-Paktes (2.) in seinen Rechten aus Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG verletzt.

134

1. Die Antragsgegnerin hat den Deutschen Bundestag nicht in dem nach Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG gebotenen Maß über die Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus unterrichtet. Errichtung und Ausgestaltung des Europäischen Stabilitätsmechanismus sind eine Angelegenheit der Europäischen Union im Sinne des Art. 23 Abs. 2 Satz 1 GG (a). Da sie die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Deutschen Bundestages und damit eine seiner wesentlichen Funktionen betreffen, war eine vollständige Unterrichtung erforderlich (b). Die Antragsgegnerin hat es unterlassen, dem Deutschen Bundestag einen ihr am 21. Februar 2011 vorliegenden Text der Europäischen Kommission über die Errichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus und den Entwurf eines Vertrages über den Europäischen Stabilitätsmechanismus vom 6. April 2011 zu übermitteln, und dadurch seine Rechte aus Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG verletzt (c).

135

a) Die Errichtung und Ausgestaltung des Europäischen Stabilitätsmechanismus ist eine Angelegenheit der Europäischen Union im Sinne des Art. 23 Abs. 2 Satz 1 GG. Eine Gesamtschau der ihn prägenden Charakteristika ergibt substantielle Berührungspunkte mit dem Integrationsprogramm der Europäischen Verträge. Seine Gründung soll durch eine Änderung des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union abgesichert werden (aa). Der zu seiner Errichtung zu schließende Vertrag weist den Organen der Europäischen Union neue Zuständigkeiten zu (bb) und dient der Absicherung eines Politikbereichs, der der Europäischen Union als ausschließliche Zuständigkeit zugewiesen ist (cc). Dass es sich dabei um einen völkerrechtlichen Vertrag handeln soll, stellt seine Zuordnung zu dem in den Verträgen über die Europäische Union und über die Arbeitsweise der Europäischen Union niedergelegten Integrationsprogramm nicht in Frage (dd).

136

aa) Die Gründung des Europäischen Stabilitätsmechanismus soll durch eine Änderung des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union unionsrechtlich ermöglicht und abgesichert werden. Die insoweit vorgesehene Einfügung von Art. 136 Abs. 3 AEUV muss im Wege einer Vertragsänderung nach Art. 48 EUV erfolgen. Schon wegen dieses qualifizierten Zusammenhangs mit dem Unionsrecht handelt es sich um eine Angelegenheit der Europäischen Union.

137

bb) Das Vorliegen einer Angelegenheit der Europäischen Union im Sinne des Art. 23 Abs. 2 Satz 1 GG wird auch dadurch indiziert, dass verschiedene Organe der Europäischen Union durch den Vertrag über den Europäischen Stabilitätsmechanismus neue Zuständigkeiten zugewiesen erhalten. Diese Zuständigkeitszuweisung war in den Verhandlungen über den Europäischen Stabilitätsmechanismus, wie aus der in das Jahr 2010 zurückreichenden Vorgeschichte sowie den folgenden Konkretisierungsschritten ersichtlich ist, bereits zu Beginn des Jahres 2011 angelegt (vgl. im Einzelnen A.I.2.a).

138

(1) Die Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten sind in einem Beschluss vom 20. Juni 2011 übereingekommen, dass der Vertrag über den Europäischen Stabilitätsmechanismus Bestimmungen enthalten solle, nach denen sowohl die Europäische Kommission als auch die Europäische Zentralbank die in dem Vertrag aufgeführten Aufgaben ausführen sollen. Auf der operativen Ebene, bei Aktivierung der Finanzhilfe, wurde namentlich der Europäischen Kommission eine wichtige Rolle zugedacht. Sie soll mit dem Internationalen Währungsfonds und in Absprache mit der Europäischen Zentralbank den tatsächlichen Finanzierungsbedarf des begünstigten Mitgliedstaats ermitteln. Ermächtigt vom Gouverneursrat, verhandelt sie ein makroökonomisches Anpassungsprogramm und überwacht die Einhaltung der politischen Auflagen, wiederum - in der sogenannten Troika - mit dem Internationalen Währungsfonds und der Europäischen Zentralbank, die bereits in der Durchführung der Schuldentragfähigkeitsanalyse zusammenwirken. Art. 13 Abs. 1 des Entwurfs eines Vertrages über den Europäischen Stabilitätsmechanismus sieht ferner vor, dass der Vorsitzende des Gouverneursrates Aufgaben auf die Europäische Kommission übertragen kann. Bleibt der Kreditnehmer über die Laufzeit des Programms hinaus Schuldner des Europäischen Stabilitätsmechanismus, kann der Rat eine fortdauernde Überwachung veranlassen. Nach Erörterung im Gouverneursrat kann er auf Vorschlag der Kommission beschließen, eine Überwachung nach der Durchführung des Programms durchzuführen, die so lange aufrechterhalten werden kann, wie ein bestimmter Betrag der Finanzhilfe noch nicht zurückgezahlt wurde.

139

Der Entwurf eines Vertrages über den Europäischen Stabilitätsmechanismus sieht in seiner Fassung vom 2. Februar 2012 darüber hinaus vor, dass Programmbeschlüsse sowohl von der Europäischen Kommission als auch vom Rat der Europäischen Union nach den Art. 121 und 136 AEUV überwacht werden (17. Erwägungsgrund). Der Europäische Gerichtshof soll nach Maßgabe von Art. 273 AEUV schließlich über die Auslegung und Anwendung des Vertrages über den Europäischen Stabilitätsmechanismus entscheiden.

140

(2) Die Zuordnung zu den Angelegenheiten der Europäischen Union wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass der Europäische Stabilitätsmechanismus die Organe der Europäischen Union lediglich im Wege der Organleihe in Anspruch nimmt. In der Sache werden den Organen damit, wenngleich nicht in dem eigentlich dafür vorgesehenen Verfahren nach Art. 48 Abs. 1 EUV, weitere Aufgaben und Befugnisse übertragen. Für die Kompetenzausstattung der Organe gelten daher auch insoweit der Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung (vgl. auch Art. 5 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 EUV) sowie die Verbote, ihnen eine Kompetenz-Kompetenz einzuräumen oder den Kern der grundgesetzlichen Verfassungsidentität (Art. 79 Abs. 3 i.V.m. Art. 1 und 20 GG) zu berühren (vgl. BVerfGE 89, 155 <188>; 123, 267 <370 f.>). Andernfalls könnten die der Fortentwicklung der europäischen Integration von Verfassungs wegen gezogenen Grenzen und die insoweit vorgesehenen verfahrensrechtlichen Sicherungen umgangen werden. Jede Zuweisung von Aufgaben und Befugnissen an die Europäische Union und/oder ihre Organe ist daher in der Sache eine Übertragung von Hoheitsrechten, und zwar auch dann, wenn die Organe für die Erledigung der Aufgabe "nur" im Wege der Organleihe in Anspruch genommen und mit Befugnissen ausgestattet werden.

141

Dafür spricht im Übrigen auch die mit der Einräumung von Aufgaben und Befugnissen im Wege der Organleihe verbundene und von den Vertragsparteien offenkundig gewünschte Möglichkeit der Organe, diese Aufgaben und Befugnisse kohärent mit den Einzelermächtigungen aus dem Bereich des in den Verträgen niedergelegten Integrationsprogramms auszuüben und auf diese Weise eine Struktur zu schaffen, in der die Unterschiede zwischen "weichen" Steuerungsinstrumentarien und imperativen Rechtsetzungs- und Aufsichtsakten verschwimmen (vgl. Schuppert, Verwaltungsorganisation und Verwaltungsorganisationsrecht als Steuerungsfaktoren, in: GVwR Bd. I, 2. Aufl. 2012, § 16 Rn. 173a ff., 173h ff.). Dies zeigt sich etwa in der Anhaltung des Gouverneursrates, seine Entscheidungen im zwischenstaatlichen Rahmen mit dem Verfahren im Überwachungsrahmen der Europäischen Union (Art. 121, 126, 136 Abs. 1 AEUV) zu verzahnen (17. Erwägungsgrund sowie Art. 13 Abs. 1 des Entwurfs eines Vertrages über den Europäischen Stabilitätsmechanismus).

142

cc) Der Europäische Stabilitätsmechanismus soll darüber hinaus der Absicherung eines Politikbereichs dienen, der der Europäischen Union als ausschließliche Zuständigkeit zugewiesen ist. Der Entwurf des Vertrages über den Europäischen Stabilitätsmechanismus ergänzt die Wirtschafts- und Währungspolitik.

143

Mit der Ergänzung von Art. 136 AEUV um einen Absatz 3, der die Finanzhilfen an strenge Auflagen und ein Tätigwerden des Europäischen Stabilitätsmechanismus daran bindet, dass es zur Stabilisierung des Währungsraums insgesamt unabdingbar ist (vgl. Art. 3 des Entwurfs eines Vertrags über den Europäischen Stabilitätsmechanismus), wird an die im Titel VIII geregelte Wirtschafts- und Währungspolitik (Art. 119 ff. AEUV) angeknüpft und deutlich gemacht, dass mit den Regelungen die Währungspolitik und insbesondere die Stabilität des Euro-Währungsgebietes gesichert werden soll. Damit wird ein Politikbereich ergänzt, den der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union in die ausschließliche Zuständigkeit der Union verweist (Art. 3 Abs. 1 lit. c AEUV). Der Europäische Stabilitätsmechanismus dient mithin unmittelbar der Verwirklichung der Ziele der Union (Art. 3 Abs. 4 EUV). An dem auf der Grundlage von Art. 136 Abs. 3 AEUV zu schließenden Vertrag über den Europäischen Stabilitätsmechanismus sollen zudem nur Mitgliedstaaten teilnehmen, die Teil des Euro-Währungsgebietes sind und für die Art. 136 ff. AEUV spezifische Regelungen enthalten. Auch dies ist ein Indiz dafür, dass es sich bei dem in Aussicht genommenen Vertrag über den Europäischen Stabilitätsmechanismus um eine Angelegenheit der Europäischen Union handelt.

144

dd) Die Tatsache, dass der Europäische Stabilitätsmechanismus im Wege eines gesonderten völkerrechtlichen Vertrages außerhalb der bisherigen Struktur des Unionsrechts etabliert werden soll, führt zu keinem anderen Ergebnis. Wie dargelegt, erfasst die Formulierung "Angelegenheiten der Europäischen Union" auch Vorhaben, die intergouvernemental verwirklicht werden sollen, wenn sie in einem Ergänzungs- oder sonstigen besonderen Näheverhältnis zum Recht der Union stehen. Dass der Europäische Stabilitätsmechanismus im Wege intergouvernementaler Zusammenarbeit verwirklicht werden soll, ist somit ebenso wenig maßgeblich wie seine Qualifikation als zwischenstaatliche Organisation ohne eigene Hoheitsgewalt. Jedenfalls durch die Verflechtung mit supranationalen Elementen besitzt der Europäische Stabilitätsmechanismus eine hybride Natur, die ihn zu einer Angelegenheit der Europäischen Union macht. Ob in der gewählten Form des völkerrechtlichen Vertrages über den Europäischen Stabilitätsmechanismus eine Umgehung des Unionsrechts liegt, namentlich ob der Vertrag mit Art. 48 EUV vereinbar ist, ist hier nicht zu entscheiden.

145

b) Errichtung und Ausgestaltung des Europäischen Stabilitätsmechanismus betreffen die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Deutschen Bundestages und damit eine seiner wesentlichen Funktionen. Daraus folgt die Notwendigkeit einer besonders umfangreichen und detaillierten Unterrichtung.

146

Angesichts der Komplexität und der Bedeutung des Europäischen Stabilitätsmechanismus für die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Deutschen Bundestages ist eine Beteiligung des Deutschen Bundestages geboten, die ihn in die Lage versetzt, sich - auch und gerade in öffentlicher Debatte - eingehend mit dem Thema auseinanderzusetzen und Notwendigkeit und Umfang der zu beschließenden Maßnahmen zu klären. Nur so kann sichergestellt werden, dass auch im Hinblick auf die mit dem Europäischen Stabilitätsmechanismus einhergehenden Verbindlichkeiten der Deutsche Bundestag der Ort ist, an dem eigenverantwortlich über Einnahmen und Ausgaben entschieden wird.

147

Aus dem Gebot umfassender und frühestmöglicher Information ergeben sich deshalb im konkreten Fall hohe Anforderungen an die Qualität, Quantität, Aktualität und Verwertbarkeit der Unterrichtung über die Verhandlungen zum Europäischen Stabilitätsmechanismus. Die Unterrichtung hat sich namentlich ohne Abstriche auf die Weiterleitung der amtlichen Unterlagen und Dokumente aller Organe sowie sonstiger Gremien und Behörden der Europäischen Union und anderer Mitgliedstaaten zu erstrecken. Übermitteln muss die Bundesregierung aber auch Informationen über informelle und nicht schriftlich dokumentierte Vorgänge sowie über Gegenstand, Verlauf und Ergebnis der Sitzungen und Beratungen aller Organe und Gremien der Europäischen Union, in denen sie vertreten ist, sowie über bi- und multilaterale Aktionen von Mitgliedstaaten auf völkerrechtlicher Ebene. Nicht zuletzt verpflichtet Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG die Bundesregierung dazu, den Deutschen Bundestag über eigene Initiativen und Positionen in Angelegenheiten der Europäischen Union betreffend den Europäischen Stabilitätsmechanismus zu informieren. Nur so kann verhindert werden, dass der Deutsche Bundestag in die Rolle des bloßen Nachvollzuges gerät (BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 28. Februar 2012 - 2 BvE 8/11 -, juris Rn. 109; Urteil des Zweiten Senats vom 7. September 2011 - 2 BvR 987/10, 2 BvR 1485/10, 2 BvR 1099/10 -, NJW 2011, S. 2946 <2951>, Rn. 124).

148

c) Die Antragsgegnerin hat den Deutschen Bundestag nicht umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt über den Europäischen Stabilitätsmechanismus unterrichtet. Sie hat dem Bundestag einen ihr spätestens am 21. Februar 2011 vorliegenden Text der Europäischen Kommission über die Merkmale des Stabilitätsmechanismus (aa) sowie einen Entwurf des Vertrages über den Europäischen Stabilitätsmechanismus vom 6. April 2011 (bb) nicht übermittelt. Spätere mündliche oder schriftliche Informationen ändern nichts an der Verletzung von Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG (cc). Gründe, die einer Übermittlung entgegenstehen könnten, sind nicht ersichtlich; insbesondere kann sich die Antragsgegnerin nicht auf Vertraulichkeit berufen (dd).

149

aa) Die Antragsgegnerin hat einen ihr am 21. Februar 2011 vorliegenden Text der Europäischen Kommission über die Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus, der Gegenstand der Beratungen über die Merkmale des Stabilitätsmechanismus im Rat war, dem Deutschen Bundestag nicht zugeleitet. Die Existenz dieses Papiers wird durch einen internen Bericht des Verbindungsbüros des Deutschen Bundestages in Brüssel vom 21. Februar 2011 belegt. Wie aus dem Bericht des Verbindungsbüros hervorgeht, arbeitete der Rat - in dem die Bundesregierung vertreten ist - zu diesem Zeitpunkt an der Ausgestaltung des Europäischen Stabilitätsmechanismus auf der Grundlage eines Textes der Europäischen Kommission. Da Papiere der Europäischen Kommission, auf deren Grundlage die Merkmale des Europäischen Stabilitätsmechanismus im Europäischen Rat wie auch im ECOFIN-Rat und der Euro-Gruppe diskutiert wurden, insbesondere jener Text der Kommission, dem Deutschen Bundestag nicht zur Verfügung gestellt wurde, hatte dieser keine Möglichkeit, auf die konkrete Ausgestaltung des Europäischen Stabilitätsmechanismus zu einem frühen Zeitpunkt Einfluss zu nehmen.

150

bb) Ferner hat die Antragsgegnerin dem Deutschen Bundestag den Entwurf eines Vertrages über den Europäischen Stabilitätsmechanismus in der Form des "Draft Treaty Establishing the European Stability Mechanism (ESM)" nicht übermittelt.

151

Einen auf den 6. April 2011 datierenden Entwurf des Vertrages über den Europäischen Stabilitätsmechanismus hat der Deutsche Bundestag lediglich aus informellen Quellen erhalten, obwohl dieser oder jedenfalls eine frühere Textstufe des Vertragsentwurfs der Bundesregierung zu diesem Zeitpunkt vorlag. Dies ergibt sich aus dem Inhalt mündlicher Ausschussunterrichtungen vom selben Tag: Der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen nannte gegenüber dem Haushaltsausschuss des Bundestages einzelne, bereits auf dem Europäischen Rat vom 24./25. März 2011 bindend verabredete Details des Vertragsinhalts und erklärte, der Vertrag über den Europäischen Stabilitätsmechanismus werde derzeit auf europäischer Ebene weiter ausgearbeitet und befinde sich noch im Verhandlungsstadium (Protokoll Nr. 17/52 der 52. Sitzung des Haushaltsausschusses vom 6. April 2011, S. 12, 19). Die Bundesregierung hatte mithin am 6. April 2011 konkrete Erkenntnisse über Textstufen des Vertragsentwurfs.

152

cc) Spätere mündliche oder schriftliche Informationen, insbesondere die Übersendung des zu diesem Zeitpunkt in der erweiterten Euro-Gruppe bereits beratenen Entwurfs des Vertrages über den Europäischen Stabilitätsmechanismus am 17. beziehungsweise 18. Mai 2011, ändern nichts an der Verletzung von Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG. Die Bundesregierung ist verpflichtet, dem Bundestag nicht nur einen abschließend beratenen oder sogar bereits beschlossenen Vertragstext zuzuleiten. Sie muss ihm zum frühestmöglichen Zeitpunkt ihr vorliegende Zwischenergebnisse und Textstufen - wie den auf den 6. April 2011 datierenden "Draft Treaty Establishing the European Stability Mechanism (ESM)" - übermitteln. Dass sich Entwürfe ändern und daher Aktualisierungen erforderlich werden, solche Informationen mithin "eine kurze Halbwertszeit" aufweisen können, rechtfertigt es nicht, die schriftliche Unterrichtung auf einen Zeitpunkt zu verschieben, in dem die Ergebnisse bereits feststehen. Denn damit wird der Bundestag gerade in jene für völkerrechtliche Verträge charakteristische Ratifikationslage gebracht, die ihm eine inhaltliche Einflussnahme abschneidet und vor der ihn Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG schützen will. Wie sich bereits aus dem kumulativen Erfordernis frühzeitiger und umfassender Information ergibt, kann bei prozesshaften Vorgängen der vorliegenden Art die Unterrichtungspflicht nicht "in einem Gesamtpaket" erledigt werden.

153

dd) Eine etwaige Vertraulichkeit beider Dokumente steht dem Erfordernis ihrer Übermittlung nicht entgegen. Die Bundesregierung kann sich insbesondere nicht auf eine grundsätzliche Vertraulichkeit im speziellen Format der informell tagenden erweiterten Euro-Gruppe berufen. Verhandlungen im Vorfeld völkerrechtlicher Verträge, die auf eine Bindung der Bundesrepublik Deutschland zielen und Gesetzesqualität erlangen sollen, sind gegenüber dem Deutschen Bundestag von vornherein nicht geheimhaltungsbedürftig. Sollten Gründe für eine Geheimhaltungsbedürftigkeit gegenüber der Öffentlichkeit im Hinblick auf einzelne Informationen oder Dokumente ausnahmsweise anzuerkennen sein, wäre die Bundesregierung verpflichtet, die Unterlagen dem Deutschen Bundestag unter Hinweis auf das Erfordernis einer vertraulichen Behandlung zuzuleiten. Die Voraussetzungen hierfür hat der Bundestag mit dem Erlass seiner Geheimschutzordnung geschaffen (vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 28. Februar 2012 - 2 BvE 8/11 -, juris Rn. 149). Weitere Gründe, die gegen eine Übermittlung hätten sprechen können, sind nicht ersichtlich.

154

2. Die Antragsgegnerin hat den Deutschen Bundestag zudem nicht umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt über den Euro-Plus-Pakt unterrichtet und damit die Rechte des Bundestages aus Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG verletzt. Die Vereinbarung des Euro-Plus-Paktes stellt eine Angelegenheit der Europäischen Union im Sinne des Art. 23 Abs. 2 Satz 1 GG dar (a), die wichtige Funktionen des Deutschen Bundestages berührt und deshalb in besonderem Maße dessen umfassende und frühzeitige Unterrichtung gebietet (b). Da die Antragsgegnerin den Deutschen Bundestag über die am 4. Februar 2011 öffentlich vorgestellte Initiative für den Beschluss eines Paktes für Wettbewerbsfähigkeit nicht informiert sowie ihm das inoffizielle Dokument (non paper) der Präsidenten der Europäischen Kommission und des Europäischen Rates mit der Überschrift "Enhanced Economic Policy Coordination in the Euro Area - Main Features and Concepts" vom 25. Februar 2011 nicht übermittelt hat, ist die nach Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG gebotene umfassende und frühestmögliche Unterrichtung nicht erfolgt (c).

155

a) Die Vereinbarung des Euro-Plus-Paktes ist eine Angelegenheit der Europäischen Union im Sinne von Art. 23 Abs. 2 Satz 1 GG. Eine Gesamtschau ihrer Charakteristika ergibt, dass der Pakt substantielle Berührungspunkte mit dem in den Verträgen niedergelegten Integrationsprogramm aufweist.

156

Bereits der Umstand, dass sich der Euro-Plus-Pakt beziehungsweise die ihm vorausgegangene Initiative für den Beschluss eines Paktes für Wettbewerbsfähigkeit an die Mitgliedstaaten der Europäischen Union richtet, indiziert eine Ausrichtung auf das unionale Integrationsprogramm. Inhaltlich ist der Pakt angesichts seiner Ziele, eine qualitative Verbesserung der Wirtschaftspolitik und der öffentlichen Haushaltslage sowie eine Stärkung der Finanzstabilität zu erreichen, auf einen in den Verträgen niedergelegten Politikbereich der Europäischen Union ausgerichtet. In die Verwirklichung der Ziele des Paktes sind Organe der Europäischen Union eingeschaltet, wie bereits die vorgesehene jährliche Bewertung der von den Mitgliedstaaten des Euro-Plus-Paktes zur Erfüllung ihrer Selbstverpflichtungen unternommenen Reform- und Stabilitätsprogramme durch die Europäische Kommission, den Rat und die Euro-Gruppe zeigt.

157

Dass der Euro-Plus-Pakt überwiegend mit Selbstverpflichtungen der teilnehmenden Mitgliedstaaten operiert, stellt seine Einordnung als Angelegenheit der Europäischen Union nicht in Frage. Zum einen steht auch eine nur begrenzte rechtliche Verbindlichkeit der Einordnung als Angelegenheit der Europäischen Union angesichts der gebotenen weiten, nicht auf Rechtsetzung beschränkten Auslegung des Begriffs nicht entgegen. Zum anderen entfaltet der Pakt durchaus eine gewisse Bindungswirkung. Zwar sieht er - anders als der durch das sogenannte "Sixpack" reformierte Stabilitäts- und Wachstumspakt (vgl. oben A.I.3.d) - keine Sanktionen für seine Verletzung vor. Mit dem jährlich durchzuführenden Benchmarking unter Einbindung der Europäischen Kommission enthält der Euro-Plus-Pakt jedoch ein Durchsetzungsinstrument, auf das in jüngerer Zeit auch das nationale Verfassungsrecht zurückgreift (vgl. Art. 91d GG) und das zudem in unmittelbarem Zusammenhang mit justitiablen Verpflichtungen der Mitgliedstaaten steht (vgl. hierzu die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zum bisherigen Stabilitäts- und Wachstumspakt, EuGH, Urteil des Plenums vom 13. Juli 2004, Rs. C-27/04, Kommission gegen Rat, Slg. 2004, S. I-6649, insb. Rn. 89). Die damit verbundene Rechenschaftspflicht wird jede Bundesregierung treffen und hat bereits im Europäischen Semester und der damit verbundenen Mitteilung der Kommission vom 7. Juni 2011 über den "Abschluss des ersten Europäischen Semesters für die Koordinierung der Wirtschaftspolitik: Orientierung für die Politik der Mitgliedstaaten 2011-2012" (KOM <2011> 400 endgültig) ihren Niederschlag gefunden. Einen verbindlichen Bezug auf Europäisches Sekundärrecht enthält überdies die Verpflichtung der am Pakt teilnehmenden Mitgliedstaaten, die im Stabilitäts- und Wachstumspakt vorgesehenen Vorgaben umzusetzen.

158

Ein substantieller Berührungspunkt zum unionalen Integrationsprogramm zeigt sich zudem in der teilweisen Umsetzung des Euro-Plus-Paktes durch Normen des Sekundärrechts. So erstreckt die im Rahmen des sogenannten "Sixpack" ergangene Verordnung (EU) Nr. 1175/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. November 2011 zur Änderung der Verordnung (EG) 1466/97 des Rates über den Ausbau der haushaltspolitischen Überwachung und der Überwachung und Koordinierung der Wirtschaftspolitiken den "Prüfungsumfang" des damit ins Sekundärrecht aufgenommenen Europäischen Semesters auch auf die Ziele des Euro-Plus-Paktes.

159

b) Da der Euro-Plus-Pakt die Zuständigkeiten des Deutschen Bundestages in nicht unerheblicher Weise berührt, war eine vollständige Unterrichtung des Bundestages bereits in Bezug auf Initiativen und frühe Stadien der Verhandlungen geboten. Namentlich die Selbstverpflichtungen in Bereichen, die der Gesetzgebungszuständigkeit der Mitgliedstaaten unterfallen, wie etwa dem Steuer- und Sozialrecht, und in denen der Gesetzgeber in Zukunft einer Überwachung durch Organe der Europäischen Union unterworfen wird, betreffen die parlamentarische Verantwortung und sind geeignet, die Gestaltungsmöglichkeiten des Gesetzgebers einzuschränken. Der Bundestag hatte ein großes Interesse, vorab zu erfahren, darüber zu diskutieren und an der Entscheidung mitzuwirken, ob und gegebenenfalls in welchen Bereichen eine Koordinierung versprochen und welche Bewertungskriterien angestrebt werden sollten.

160

c) Die Antragsgegnerin hat den Deutschen Bundestag nicht umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt über den Euro-Plus-Pakt unterrichtet.

161

aa) Sie hat den Deutschen Bundestag über die am 4. Februar 2011 öffentlich vorgestellte Initiative für den Beschluss eines Paktes für Wettbewerbsfähigkeit - später Euro-Plus-Pakt - nicht vorab informiert.

162

(1) Der Euro-Plus-Pakt geht auf eine deutsch-französische Initiative zurück, welche die Regierungen beider Mitgliedstaaten zum Gegenstand der Tagung des Europäischen Rates vom 4. Februar 2011 gemacht haben und die die Bundeskanzlerin auf dieser Tagung gemeinsam mit dem französischen Staatspräsidenten der Öffentlichkeit vorgestellt hat. Über dieses Vorhaben hätte die Antragsgegnerin den Deutschen Bundestag spätestens am 2. Februar 2011 informieren müssen.

163

Zu diesem Zeitpunkt stand fest, dass den Staats- und Regierungschefs auf der unmittelbar bevorstehenden Tagung des Europäischen Rates ein Diskussionsvorschlag für eine verstärkte wirtschaftspolitische Koordinierung im Euro-Währungsgebiet zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit unterbreitet werden sollte. Dies geht nicht nur aus den Aussagen des Regierungssprechers auf der Regierungspressekonferenz vom 2. Februar 2011 hervor, wonach die Bundesregierung die wirtschaftspolitische Koordinierung als eine von mehreren jetzt zu ergreifenden Maßnahmen betrachte und beim Mittagessen der Staats- und Regierungschefs die Diskussion hierüber eröffnet werden solle. Auch der Staatsminister des Bundeskanzleramtes bestätigte nachträglich das Ziel der Bundesregierung, bei der Tagung des Europäischen Rates vom 4. Februar 2011 ein Verfahren zur Ausarbeitung eines Paktes für Wettbewerbsfähigkeit zu beschließen, und dass das Thema Wirtschafts- und Währungsunion am 2. Februar 2011 zusätzlich auf die Tagesordnung genommen worden sei (Protokoll Nr. 17/31 der 31. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 9. Februar 2011, S. 14).

164

Sollte es - wie von der Antragsgegnerin geltend gemacht - vor dem 4. Februar 2011 noch keine endgültig abgestimmte Position zum avisierten Inhalt einer verstärkten wirtschaftspolitischen Koordinierung im Euro-Währungsgebiet innerhalb der Bundesregierung gegeben haben, hätte dieser Umstand die Bundesregierung nicht von ihrer Unterrichtungspflicht entbunden. Gegenstand der gebotenen Unterrichtung war in diesem Fall (noch) nicht der Beschluss eines Paktes für Wettbewerbsfähigkeit als solcher, sondern allein die Absicht der Antragsgegnerin, einen Prozess zu dessen Ausarbeitung anzustoßen (vgl. auch § 5 Abs. 2 Satz 1 EUZBBG). Hierzu hatte der Regierungssprecher auf der Pressekonferenz vom 2. Februar 2011 eine abgestimmte Haltung der Bundesregierung angekündigt. Die Willensbildung innerhalb der Bundesregierung war folglich insoweit abgeschlossen, als sie mit ihrer Initiative an die Öffentlichkeit gehen konnte und mit einer eigenen Position in einen Abstimmungsprozess mit Dritten eintreten wollte. Die Antragsgegnerin war daher verpflichtet, den Deutschen Bundestag vor Beginn der Tagung des Europäischen Rates über die Initiative zumindest in ihren Grundzügen zu informieren (vgl. auch § 5 Abs. 5 Satz 1 und 2 EUZBBG).

165

(2) Die dem Deutschen Bundestag von der Antragsgegnerin unterbreiteten Informationen genügten nicht, um die Unterrichtungspflicht zu erfüllen.

166

Dies gilt zunächst für den "Vorbericht zum Europäischen Rat am 4. Februar 2011" vom 2. Februar 2011. Darin heißt es lediglich, dass die Bundesregierung für ein von den Staats- und Regierungschefs der Eurozone ausgehendes starkes Signal eintrete, zur Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit die wirtschaftspolitische Koordinierung im Euro-Währungsgebiet zu verbessern. Nicht erwähnt wurde hingegen, dass die Antragsgegnerin zu diesem Zweck eine Initiative für den Beschluss eines Paktes für Wettbewerbsfähigkeit vorstellen wolle und was der wesentliche Inhalt dieser Initiative sein werde.

167

Zureichende Informationen über das geplante Vorhaben enthält auch nicht die Antwort des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie vom 2. Februar 2011 auf eine konkrete Anforderung des Deutschen Bundestages. Nachdem die Initiative der Antragsgegnerin bereits am 31. Januar 2011 in verschiedenen Nachrichtenmagazinen thematisiert worden war, hatte der Deutsche Bundestag am 1. Februar 2011 um Übermittlung von Papieren und Informationen gebeten, auf deren Basis die Initiative vorgestellt werden sollte. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie teilte hierauf nur mit, dass die Zeitungsartikel auf einen noch nicht abgeschlossenen Abstimmungsprozess Bezug nähmen und "im weiteren Fortgang die nach dem EUZBBG vorgesehenen Unterrichtungen unverzüglich erfolgen können".

168

Schließlich genügte auch die am 3. Februar 2011 vom Staatsminister des Bundeskanzleramtes vorgenommene "Obleuteunterrichtung" (vgl. Protokoll Nr. 17/31 der 31. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 9. Februar 2011, S. 11) nicht, um die Unterrichtungspflicht zu erfüllen. Ungeachtet der Tatsache, dass die Obleute des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union bereits nicht die richtigen Unterrichtungsadressaten waren, hatte die Erklärung des Staatsministers des Bundeskanzleramtes lediglich zum Inhalt, "dass zu dem Thema noch keine abgestimmte Position der Bundesregierung bestehe und dementsprechend auch keine abgestimmte Position beim Europäischen Rat beschlossen werden würde" (vgl. Protokoll Nr. 17/31 der 31. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 9. Februar 2011, S. 11).

169

bb) Darüber hinaus hat die Antragsgegnerin dem Deutschen Bundestag ein inoffizielles Dokument der Präsidenten der Europäischen Kommission und des Europäischen Rates vom 25. Februar 2011 mit der Bezeichnung "Enhanced Economic Policy Coordination in the Euro Area - Main Features and Concepts" nicht übermittelt, welches wesentliche Inhalte des Paktes für Wettbewerbsfähigkeit - später Euro-Plus-Pakt - beschrieb.

170

Nach dem Vorbringen der Verfahrensbeteiligten ist davon auszugehen, dass sich die Antragsgegnerin im Besitz dieses inoffiziellen Dokuments befand. Dies legt bereits der seinerzeitige E-Mail-Verkehr nahe. Danach hat der Deutsche Bundestag auf ausdrückliche Anfrage an das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie vom 3. März 2011 sowie an das Bundeskanzleramt vom 4. März 2011, ob der Bundesregierung ein gemeinsames Papier der Präsidenten der Europäischen Kommission und des Europäischen Rates zur deutsch-französischen Initiative für einen Pakt für Wettbewerbsfähigkeit vorliege, keine - das heißt auch keine verneinende - Antwort des Bundeskanzleramtes erhalten. Zudem hat sich die Antragsgegnerin im vorliegenden Verfahren auf den Vorwurf einer Unterrichtungspflichtverletzung eingelassen, ohne die darin implizit enthaltene Behauptung, ihr habe das Papier vorgelegen, in Abrede zu stellen, was im Hinblick auf die Arbeitsweise der beteiligten europäischen Organe auch fernliegend wäre.

171

Dieses Dokument stellte die Antragsgegnerin dem Deutschen Bundestag trotz ausdrücklicher Anforderung nicht zur Verfügung (vgl. auch § 5 Abs. 3 EUZBBG). Erst am 11. März 2011 übersandte sie den offiziellen Entwurf eines Paktes für Wettbewerbsfähigkeit. Zu diesem Zeitpunkt bestand für den Deutschen Bundestag keine Möglichkeit mehr, dessen Inhalt zu diskutieren und durch eine Stellungnahme auf die Bundesregierung einzuwirken. Denn die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes einigten sich bereits am gleichen Tag, dem 11. März 2011, auf den Pakt. Damit entstanden bereits ab diesem Zeitpunkt konkrete Selbstverpflichtungen auch für die Bundesrepublik Deutschland, ohne dass der Deutsche Bundestag auf deren Inhalt hätte einwirken oder diese hätte verhindern können.

D.

172

Die Entscheidung ist einstimmig ergangen.

(1) Das Grundgesetz kann nur durch ein Gesetz geändert werden, das den Wortlaut des Grundgesetzes ausdrücklich ändert oder ergänzt. Bei völkerrechtlichen Verträgen, die eine Friedensregelung, die Vorbereitung einer Friedensregelung oder den Abbau einer besatzungsrechtlichen Ordnung zum Gegenstand haben oder der Verteidigung der Bundesrepublik zu dienen bestimmt sind, genügt zur Klarstellung, daß die Bestimmungen des Grundgesetzes dem Abschluß und dem Inkraftsetzen der Verträge nicht entgegenstehen, eine Ergänzung des Wortlautes des Grundgesetzes, die sich auf diese Klarstellung beschränkt.

(2) Ein solches Gesetz bedarf der Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages und zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrates.

(3) Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig.

(1) Alle Einnahmen und Ausgaben des Bundes sind in den Haushaltsplan einzustellen; bei Bundesbetrieben und bei Sondervermögen brauchen nur die Zuführungen oder die Ablieferungen eingestellt zu werden. Der Haushaltsplan ist in Einnahme und Ausgabe auszugleichen.

(2) Der Haushaltsplan wird für ein oder mehrere Rechnungsjahre, nach Jahren getrennt, vor Beginn des ersten Rechnungsjahres durch das Haushaltsgesetz festgestellt. Für Teile des Haushaltsplanes kann vorgesehen werden, daß sie für unterschiedliche Zeiträume, nach Rechnungsjahren getrennt, gelten.

(3) Die Gesetzesvorlage nach Absatz 2 Satz 1 sowie Vorlagen zur Änderung des Haushaltsgesetzes und des Haushaltsplanes werden gleichzeitig mit der Zuleitung an den Bundesrat beim Bundestage eingebracht; der Bundesrat ist berechtigt, innerhalb von sechs Wochen, bei Änderungsvorlagen innerhalb von drei Wochen, zu den Vorlagen Stellung zu nehmen.

(4) In das Haushaltsgesetz dürfen nur Vorschriften aufgenommen werden, die sich auf die Einnahmen und die Ausgaben des Bundes und auf den Zeitraum beziehen, für den das Haushaltsgesetz beschlossen wird. Das Haushaltsgesetz kann vorschreiben, daß die Vorschriften erst mit der Verkündung des nächsten Haushaltsgesetzes oder bei Ermächtigung nach Artikel 115 zu einem späteren Zeitpunkt außer Kraft treten.

(1) Maßnahmen, die den Bund oder das Land zur Leistung von Ausgaben in künftigen Haushaltsjahren verpflichten können, sind nur zulässig, wenn der Haushaltsplan dazu ermächtigt. Im Falle eines unvorhergesehenen und unabweisbaren Bedürfnisses kann das für die Finanzen zuständige Ministerium Ausnahmen zulassen.

(2) Maßnahmen nach Absatz 1 bedürfen der Einwilligung des für die Finanzen zuständigen Ministeriums, soweit er nicht darauf verzichtet. Durch Gesetz kann zugelassen werden, daß die Einwilligung des für die Finanzen zuständigen Ministeriums nicht erforderlich ist, soweit im Haushaltsplan die voraussichtlichen Verpflichtungen zu Lasten mehrerer Haushaltsjahre nach Jahresbeträgen angegeben werden und von diesen Angaben bei der Ausführung des Haushaltsplans nicht erheblich abgewichen wird.

(3) Das für die Finanzen zuständige Ministerium ist bei Maßnahmen nach Absatz 1 von grundsätzlicher oder erheblicher finanzieller Bedeutung über den Beginn und Verlauf von Verhandlungen zu unterrichten.

(4) Verpflichtungen für laufende Geschäfte dürfen eingegangen werden, ohne daß die Voraussetzungen der Absätze 1 und 2 vorliegen. Einer Verpflichtungsermächtigung bedarf es in kameralen Haushalten auch dann nicht, wenn zu Lasten übertragbarer Ausgaben Verpflichtungen eingegangen werden, die im folgenden Haushaltsjahr zu Ausgaben führen. Das Nähere regelt das für die Finanzen zuständige Ministerium.

(5) Die Absätze 1 bis 4 sind auf Verträge im Sinne von Artikel 59 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes nicht anzuwenden.

Die Verpflichtungsermächtigungen sind bei den jeweiligen Ausgaben gesondert zu veranschlagen. Wenn Verpflichtungen zu Lasten mehrerer Haushaltsjahre eingegangen werden können, sollen die Jahresbeträge im Haushaltsplan angegeben werden.

(1) Zur Erfüllung der Verpflichtungen aus dem Beitritt zum Europäischen Stabilitätsmechanismus beteiligt sich die Bundesrepublik Deutschland am Gesamtbetrag des einzuzahlenden Kapitals des Europäischen Stabilitätsmechanismus in Höhe von 80 Milliarden Euro mit einem Betrag in Höhe von 21,71712 Milliarden Euro sowie am Gesamtbetrag des abrufbaren Kapitals des Europäischen Stabilitätsmechanismus in Höhe von 620 Milliarden Euro mit einem Betrag in Höhe von 168,30768 Milliarden Euro.

(2) Das Bundesministerium der Finanzen wird ermächtigt, für das abrufbare Kapital in Höhe von 168,30768 Milliarden Euro Gewährleistungen zu übernehmen. Zahlungen auf das abrufbare Kapital sind im Rahmen des Bundeshaushalts zu leisten

1.
nach Artikel 9 Absatz 2 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus zur Wiederherstellung der ursprünglichen Höhe des eingezahlten Kapitals, wenn das eingezahlte Kapital durch den Ausgleich eines Zahlungsausfalls unter die vereinbarte Summe von 80 Milliarden Euro fällt;
2.
nach Artikel 9 Absatz 3 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus zur Vermeidung eines Verzugs des Europäischen Stabilitätsmechanismus bei der Erfüllung seiner Zahlungsverpflichtungen;
3.
nach Artikel 25 Absatz 2 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus im Rahmen eines vorübergehend revidierten erhöhten Kapitalabrufs;
4.
nach Artikel 9 Absatz 1 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus aufgrund eines einstimmigen Beschlusses des Gouverneursrates des Europäischen Stabilitätsmechanismus.

(3) Die Bundesregierung wird ermächtigt, durch ihren Vertreter im Gouverneursrat einem Beschluss nach Artikel 10 Absatz 1 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus zur Veränderung des konsolidierten Darlehensvolumens von Europäischem Stabilitätsmechanismus und Europäischer Finanzstabilisierungsfazilität im Sinne des Artikels 39 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus insoweit zuzustimmen, als Finanzmittel, die für die Durchführung der von der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität bis zum 30. März 2012 zugesagten Notmaßnahmen erforderlich sind, bis zu einer Höhe von 200 Milliarden Euro bei der Berechnung des konsolidierten Darlehensvolumens im Sinne des Artikels 39 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus nicht in Abzug gebracht werden.

(1) Das Grundgesetz kann nur durch ein Gesetz geändert werden, das den Wortlaut des Grundgesetzes ausdrücklich ändert oder ergänzt. Bei völkerrechtlichen Verträgen, die eine Friedensregelung, die Vorbereitung einer Friedensregelung oder den Abbau einer besatzungsrechtlichen Ordnung zum Gegenstand haben oder der Verteidigung der Bundesrepublik zu dienen bestimmt sind, genügt zur Klarstellung, daß die Bestimmungen des Grundgesetzes dem Abschluß und dem Inkraftsetzen der Verträge nicht entgegenstehen, eine Ergänzung des Wortlautes des Grundgesetzes, die sich auf diese Klarstellung beschränkt.

(2) Ein solches Gesetz bedarf der Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages und zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrates.

(3) Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig.

(1) In Angelegenheiten des Europäischen Stabilitätsmechanismus, die die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Deutschen Bundestages betreffen, wird diese vom Plenum des Deutschen Bundestages wahrgenommen. Die haushaltspolitische Gesamtverantwortung ist insbesondere betroffen

1.
bei der Entscheidung nach Artikel 13 Absatz 2 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus, einer Vertragspartei des Europäischen Stabilitätsmechanismus auf deren Hilfeersuchen Stabilitätshilfe in Form einer im Vertrag zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus vorgesehenen Finanzhilfefazilität zu gewähren,
2.
bei der Annahme einer Vereinbarung über die Finanzhilfefazilität nach Artikel 13 Absatz 3 Satz 3 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus, einer Zustimmung zu einem entsprechenden Memorandum of Understanding nach Artikel 13 Absatz 4 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus und im Falle der Gewährung einer direkt an Finanzinstitute gewährten Finanzhilfe bei der Annahme einer institutsspezifischen Vereinbarung,
3.
bei Beschlüssen im Rahmen des Europäischen Stabilitätsmechanismus zur Veränderung des genehmigten Stammkapitals sowie des maximalen Darlehensvolumens nach Artikel 10 Absatz 1 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus; Artikel 2 Absatz 1 des Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. Februar 2012 zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus bleibt unberührt,
4.
bei Beschlüssen im Rahmen des Europäischen Stabilitätsmechanismus über die Festlegung und Änderung von Obergrenzen der für ein bestimmtes Finanzhilfeinstrument insgesamt zur Verfügung stehenden Mittel.

(2) In den Fällen, die die haushaltspolitische Gesamtverantwortung betreffen, darf die Bundesregierung einem Beschlussvorschlag in Angelegenheiten des Europäischen Stabilitätsmechanismus durch ihren Vertreter nur zustimmen oder sich bei einer Beschlussfassung enthalten, nachdem das Plenum hierzu einen zustimmenden Beschluss gefasst hat. Ohne einen solchen Beschluss des Plenums muss der deutsche Vertreter den Beschlussvorschlag ablehnen. Der Vertreter der Bundesregierung hat an der Beschlussfassung teilzunehmen.

(3) Werden gemäß Artikel 5 Absatz 6 Buchstabe m des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus Aufgaben des Gouverneursrates auf das Direktorium übertragen, gelten die §§ 3 bis 6 entsprechend.

(1) In allen sonstigen die Haushaltsverantwortung des Deutschen Bundestages berührenden Angelegenheiten des Europäischen Stabilitätsmechanismus, in denen eine Entscheidung des Plenums gemäß § 4 nicht vorgesehen ist, wird der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages beteiligt. Der Haushaltsausschuss überwacht die Vorbereitung und Durchführung der Vereinbarungen über Stabilitätshilfen.

(2) Der vorherigen Zustimmung des Haushaltsausschusses bedürfen:

1.
Entscheidungen über die Bereitstellung zusätzlicher Instrumente ohne Änderung des Gesamtfinanzierungsvolumens einer bestehenden Finanzhilfefazilität oder wesentliche Änderungen der Bedingungen der Finanzhilfefazilität,
2.
Beschlüsse über den Abruf von Kapital nach Artikel 9 Absatz 1 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus sowie die Annahme oder wesentliche Änderung der Regelungen und Bedingungen, die für Kapitalabrufe nach Artikel 9 Absatz 4 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus gelten,
3.
die Annahme oder wesentliche Änderung der Leitlinien für die Durchführungsmodalitäten der einzelnen dem Europäischen Stabilitätsmechanismus nach den Artikeln 14 bis 18 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus sowie gemäß einem Beschluss nach Artikel 19 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus zur Verfügung stehenden Finanzhilfeinstrumente, der Preisgestaltungsleitlinien nach Artikel 20 Absatz 2 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus, der Leitlinien für Anleiheoperationen nach Artikel 21 Absatz 2 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus, der Leitlinien für die Anlagepolitik nach Artikel 22 Absatz 1 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus, der Leitlinien für die Dividendenpolitik nach Artikel 23 Absatz 3 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus und der Vorschriften für die Einrichtung, Verwaltung und Verwendung weiterer Fonds nach Artikel 24 Absatz 4 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus,
4.
die ausführlichen Regelungen und Bedingungen für Kapitalveränderungen nach Artikel 10 Absatz 2 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus,
5.
die Annahme von Bestimmungen oder Auslegungen zur Regelung der beruflichen Schweigepflicht nach Artikel 34 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus.
Die Bundesregierung darf in diesen Fällen einem Beschlussvorschlag in Angelegenheiten des Europäischen Stabilitätsmechanismus durch ihren Vertreter nur zustimmen oder sich bei einer Beschlussfassung enthalten, nachdem der Haushaltsausschuss hierzu einen zustimmenden Beschluss gefasst hat. Einen entsprechenden Antrag im Haushaltsausschuss kann auch die Bundesregierung stellen. Ohne einen solchen Beschluss des Haushaltsausschusses muss der deutsche Vertreter den Beschlussvorschlag ablehnen. Der Vertreter der Bundesregierung hat an der Beschlussfassung teilzunehmen.

(3) In den nicht von Absatz 2 erfassten Fällen, die die Haushaltsverantwortung des Deutschen Bundestages berühren, hat die Bundesregierung den Haushaltsausschuss zu beteiligen und seine Stellungnahmen zu berücksichtigen. Dies gilt insbesondere bei Beschlüssen über die Auszahlung einzelner Tranchen der gewährten Stabilitätshilfe.

(4) Der von Deutschland nach Artikel 5 Absatz 1 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus ernannte Gouverneur und dessen Stellvertreter sind verpflichtet, den Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages auf Verlangen mindestens eines Viertels seiner Mitglieder, das mindestens von zwei Fraktionen im Ausschuss unterstützt werden muss, zu informieren und Auskünfte zu erteilen, soweit nicht Tatbestände nach § 6 dieses Gesetzes betroffen sind.

(5) Das Plenum des Deutschen Bundestags kann die Befugnisse des Haushaltsausschusses jederzeit durch einen mit einfacher Mehrheit gefassten Beschluss an sich ziehen und durch einfachen Beschluss ausüben.

(6) Ein Antrag oder eine Vorlage der Bundesregierung gilt als dem Haushaltsausschuss überwiesen im Sinne der Geschäftsordnung des Bundestages. § 70 der Geschäftsordnung gilt entsprechend, wobei das Verlangen eines Viertels der Mitglieder des Haushaltsausschusses von mindestens zwei Fraktionen im Ausschuss unterstützt werden muss.

(1) In Angelegenheiten des Europäischen Stabilitätsmechanismus, die die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Deutschen Bundestages betreffen, wird diese vom Plenum des Deutschen Bundestages wahrgenommen. Die haushaltspolitische Gesamtverantwortung ist insbesondere betroffen

1.
bei der Entscheidung nach Artikel 13 Absatz 2 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus, einer Vertragspartei des Europäischen Stabilitätsmechanismus auf deren Hilfeersuchen Stabilitätshilfe in Form einer im Vertrag zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus vorgesehenen Finanzhilfefazilität zu gewähren,
2.
bei der Annahme einer Vereinbarung über die Finanzhilfefazilität nach Artikel 13 Absatz 3 Satz 3 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus, einer Zustimmung zu einem entsprechenden Memorandum of Understanding nach Artikel 13 Absatz 4 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus und im Falle der Gewährung einer direkt an Finanzinstitute gewährten Finanzhilfe bei der Annahme einer institutsspezifischen Vereinbarung,
3.
bei Beschlüssen im Rahmen des Europäischen Stabilitätsmechanismus zur Veränderung des genehmigten Stammkapitals sowie des maximalen Darlehensvolumens nach Artikel 10 Absatz 1 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus; Artikel 2 Absatz 1 des Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. Februar 2012 zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus bleibt unberührt,
4.
bei Beschlüssen im Rahmen des Europäischen Stabilitätsmechanismus über die Festlegung und Änderung von Obergrenzen der für ein bestimmtes Finanzhilfeinstrument insgesamt zur Verfügung stehenden Mittel.

(2) In den Fällen, die die haushaltspolitische Gesamtverantwortung betreffen, darf die Bundesregierung einem Beschlussvorschlag in Angelegenheiten des Europäischen Stabilitätsmechanismus durch ihren Vertreter nur zustimmen oder sich bei einer Beschlussfassung enthalten, nachdem das Plenum hierzu einen zustimmenden Beschluss gefasst hat. Ohne einen solchen Beschluss des Plenums muss der deutsche Vertreter den Beschlussvorschlag ablehnen. Der Vertreter der Bundesregierung hat an der Beschlussfassung teilzunehmen.

(3) Werden gemäß Artikel 5 Absatz 6 Buchstabe m des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus Aufgaben des Gouverneursrates auf das Direktorium übertragen, gelten die §§ 3 bis 6 entsprechend.

(1) In allen sonstigen die Haushaltsverantwortung des Deutschen Bundestages berührenden Angelegenheiten des Europäischen Stabilitätsmechanismus, in denen eine Entscheidung des Plenums gemäß § 4 nicht vorgesehen ist, wird der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages beteiligt. Der Haushaltsausschuss überwacht die Vorbereitung und Durchführung der Vereinbarungen über Stabilitätshilfen.

(2) Der vorherigen Zustimmung des Haushaltsausschusses bedürfen:

1.
Entscheidungen über die Bereitstellung zusätzlicher Instrumente ohne Änderung des Gesamtfinanzierungsvolumens einer bestehenden Finanzhilfefazilität oder wesentliche Änderungen der Bedingungen der Finanzhilfefazilität,
2.
Beschlüsse über den Abruf von Kapital nach Artikel 9 Absatz 1 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus sowie die Annahme oder wesentliche Änderung der Regelungen und Bedingungen, die für Kapitalabrufe nach Artikel 9 Absatz 4 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus gelten,
3.
die Annahme oder wesentliche Änderung der Leitlinien für die Durchführungsmodalitäten der einzelnen dem Europäischen Stabilitätsmechanismus nach den Artikeln 14 bis 18 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus sowie gemäß einem Beschluss nach Artikel 19 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus zur Verfügung stehenden Finanzhilfeinstrumente, der Preisgestaltungsleitlinien nach Artikel 20 Absatz 2 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus, der Leitlinien für Anleiheoperationen nach Artikel 21 Absatz 2 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus, der Leitlinien für die Anlagepolitik nach Artikel 22 Absatz 1 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus, der Leitlinien für die Dividendenpolitik nach Artikel 23 Absatz 3 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus und der Vorschriften für die Einrichtung, Verwaltung und Verwendung weiterer Fonds nach Artikel 24 Absatz 4 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus,
4.
die ausführlichen Regelungen und Bedingungen für Kapitalveränderungen nach Artikel 10 Absatz 2 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus,
5.
die Annahme von Bestimmungen oder Auslegungen zur Regelung der beruflichen Schweigepflicht nach Artikel 34 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus.
Die Bundesregierung darf in diesen Fällen einem Beschlussvorschlag in Angelegenheiten des Europäischen Stabilitätsmechanismus durch ihren Vertreter nur zustimmen oder sich bei einer Beschlussfassung enthalten, nachdem der Haushaltsausschuss hierzu einen zustimmenden Beschluss gefasst hat. Einen entsprechenden Antrag im Haushaltsausschuss kann auch die Bundesregierung stellen. Ohne einen solchen Beschluss des Haushaltsausschusses muss der deutsche Vertreter den Beschlussvorschlag ablehnen. Der Vertreter der Bundesregierung hat an der Beschlussfassung teilzunehmen.

(3) In den nicht von Absatz 2 erfassten Fällen, die die Haushaltsverantwortung des Deutschen Bundestages berühren, hat die Bundesregierung den Haushaltsausschuss zu beteiligen und seine Stellungnahmen zu berücksichtigen. Dies gilt insbesondere bei Beschlüssen über die Auszahlung einzelner Tranchen der gewährten Stabilitätshilfe.

(4) Der von Deutschland nach Artikel 5 Absatz 1 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus ernannte Gouverneur und dessen Stellvertreter sind verpflichtet, den Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages auf Verlangen mindestens eines Viertels seiner Mitglieder, das mindestens von zwei Fraktionen im Ausschuss unterstützt werden muss, zu informieren und Auskünfte zu erteilen, soweit nicht Tatbestände nach § 6 dieses Gesetzes betroffen sind.

(5) Das Plenum des Deutschen Bundestags kann die Befugnisse des Haushaltsausschusses jederzeit durch einen mit einfacher Mehrheit gefassten Beschluss an sich ziehen und durch einfachen Beschluss ausüben.

(6) Ein Antrag oder eine Vorlage der Bundesregierung gilt als dem Haushaltsausschuss überwiesen im Sinne der Geschäftsordnung des Bundestages. § 70 der Geschäftsordnung gilt entsprechend, wobei das Verlangen eines Viertels der Mitglieder des Haushaltsausschusses von mindestens zwei Fraktionen im Ausschuss unterstützt werden muss.

(1) In Angelegenheiten des Europäischen Stabilitätsmechanismus, die die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Deutschen Bundestages betreffen, wird diese vom Plenum des Deutschen Bundestages wahrgenommen. Die haushaltspolitische Gesamtverantwortung ist insbesondere betroffen

1.
bei der Entscheidung nach Artikel 13 Absatz 2 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus, einer Vertragspartei des Europäischen Stabilitätsmechanismus auf deren Hilfeersuchen Stabilitätshilfe in Form einer im Vertrag zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus vorgesehenen Finanzhilfefazilität zu gewähren,
2.
bei der Annahme einer Vereinbarung über die Finanzhilfefazilität nach Artikel 13 Absatz 3 Satz 3 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus, einer Zustimmung zu einem entsprechenden Memorandum of Understanding nach Artikel 13 Absatz 4 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus und im Falle der Gewährung einer direkt an Finanzinstitute gewährten Finanzhilfe bei der Annahme einer institutsspezifischen Vereinbarung,
3.
bei Beschlüssen im Rahmen des Europäischen Stabilitätsmechanismus zur Veränderung des genehmigten Stammkapitals sowie des maximalen Darlehensvolumens nach Artikel 10 Absatz 1 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus; Artikel 2 Absatz 1 des Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. Februar 2012 zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus bleibt unberührt,
4.
bei Beschlüssen im Rahmen des Europäischen Stabilitätsmechanismus über die Festlegung und Änderung von Obergrenzen der für ein bestimmtes Finanzhilfeinstrument insgesamt zur Verfügung stehenden Mittel.

(2) In den Fällen, die die haushaltspolitische Gesamtverantwortung betreffen, darf die Bundesregierung einem Beschlussvorschlag in Angelegenheiten des Europäischen Stabilitätsmechanismus durch ihren Vertreter nur zustimmen oder sich bei einer Beschlussfassung enthalten, nachdem das Plenum hierzu einen zustimmenden Beschluss gefasst hat. Ohne einen solchen Beschluss des Plenums muss der deutsche Vertreter den Beschlussvorschlag ablehnen. Der Vertreter der Bundesregierung hat an der Beschlussfassung teilzunehmen.

(3) Werden gemäß Artikel 5 Absatz 6 Buchstabe m des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus Aufgaben des Gouverneursrates auf das Direktorium übertragen, gelten die §§ 3 bis 6 entsprechend.

(1) In allen sonstigen die Haushaltsverantwortung des Deutschen Bundestages berührenden Angelegenheiten des Europäischen Stabilitätsmechanismus, in denen eine Entscheidung des Plenums gemäß § 4 nicht vorgesehen ist, wird der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages beteiligt. Der Haushaltsausschuss überwacht die Vorbereitung und Durchführung der Vereinbarungen über Stabilitätshilfen.

(2) Der vorherigen Zustimmung des Haushaltsausschusses bedürfen:

1.
Entscheidungen über die Bereitstellung zusätzlicher Instrumente ohne Änderung des Gesamtfinanzierungsvolumens einer bestehenden Finanzhilfefazilität oder wesentliche Änderungen der Bedingungen der Finanzhilfefazilität,
2.
Beschlüsse über den Abruf von Kapital nach Artikel 9 Absatz 1 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus sowie die Annahme oder wesentliche Änderung der Regelungen und Bedingungen, die für Kapitalabrufe nach Artikel 9 Absatz 4 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus gelten,
3.
die Annahme oder wesentliche Änderung der Leitlinien für die Durchführungsmodalitäten der einzelnen dem Europäischen Stabilitätsmechanismus nach den Artikeln 14 bis 18 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus sowie gemäß einem Beschluss nach Artikel 19 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus zur Verfügung stehenden Finanzhilfeinstrumente, der Preisgestaltungsleitlinien nach Artikel 20 Absatz 2 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus, der Leitlinien für Anleiheoperationen nach Artikel 21 Absatz 2 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus, der Leitlinien für die Anlagepolitik nach Artikel 22 Absatz 1 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus, der Leitlinien für die Dividendenpolitik nach Artikel 23 Absatz 3 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus und der Vorschriften für die Einrichtung, Verwaltung und Verwendung weiterer Fonds nach Artikel 24 Absatz 4 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus,
4.
die ausführlichen Regelungen und Bedingungen für Kapitalveränderungen nach Artikel 10 Absatz 2 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus,
5.
die Annahme von Bestimmungen oder Auslegungen zur Regelung der beruflichen Schweigepflicht nach Artikel 34 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus.
Die Bundesregierung darf in diesen Fällen einem Beschlussvorschlag in Angelegenheiten des Europäischen Stabilitätsmechanismus durch ihren Vertreter nur zustimmen oder sich bei einer Beschlussfassung enthalten, nachdem der Haushaltsausschuss hierzu einen zustimmenden Beschluss gefasst hat. Einen entsprechenden Antrag im Haushaltsausschuss kann auch die Bundesregierung stellen. Ohne einen solchen Beschluss des Haushaltsausschusses muss der deutsche Vertreter den Beschlussvorschlag ablehnen. Der Vertreter der Bundesregierung hat an der Beschlussfassung teilzunehmen.

(3) In den nicht von Absatz 2 erfassten Fällen, die die Haushaltsverantwortung des Deutschen Bundestages berühren, hat die Bundesregierung den Haushaltsausschuss zu beteiligen und seine Stellungnahmen zu berücksichtigen. Dies gilt insbesondere bei Beschlüssen über die Auszahlung einzelner Tranchen der gewährten Stabilitätshilfe.

(4) Der von Deutschland nach Artikel 5 Absatz 1 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus ernannte Gouverneur und dessen Stellvertreter sind verpflichtet, den Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages auf Verlangen mindestens eines Viertels seiner Mitglieder, das mindestens von zwei Fraktionen im Ausschuss unterstützt werden muss, zu informieren und Auskünfte zu erteilen, soweit nicht Tatbestände nach § 6 dieses Gesetzes betroffen sind.

(5) Das Plenum des Deutschen Bundestags kann die Befugnisse des Haushaltsausschusses jederzeit durch einen mit einfacher Mehrheit gefassten Beschluss an sich ziehen und durch einfachen Beschluss ausüben.

(6) Ein Antrag oder eine Vorlage der Bundesregierung gilt als dem Haushaltsausschuss überwiesen im Sinne der Geschäftsordnung des Bundestages. § 70 der Geschäftsordnung gilt entsprechend, wobei das Verlangen eines Viertels der Mitglieder des Haushaltsausschusses von mindestens zwei Fraktionen im Ausschuss unterstützt werden muss.

(1) Zur Verwirklichung eines vereinten Europas wirkt die Bundesrepublik Deutschland bei der Entwicklung der Europäischen Union mit, die demokratischen, rechtsstaatlichen, sozialen und föderativen Grundsätzen und dem Grundsatz der Subsidiarität verpflichtet ist und einen diesem Grundgesetz im wesentlichen vergleichbaren Grundrechtsschutz gewährleistet. Der Bund kann hierzu durch Gesetz mit Zustimmung des Bundesrates Hoheitsrechte übertragen. Für die Begründung der Europäischen Union sowie für Änderungen ihrer vertraglichen Grundlagen und vergleichbare Regelungen, durch die dieses Grundgesetz seinem Inhalt nach geändert oder ergänzt wird oder solche Änderungen oder Ergänzungen ermöglicht werden, gilt Artikel 79 Abs. 2 und 3.

(1a) Der Bundestag und der Bundesrat haben das Recht, wegen Verstoßes eines Gesetzgebungsakts der Europäischen Union gegen das Subsidiaritätsprinzip vor dem Gerichtshof der Europäischen Union Klage zu erheben. Der Bundestag ist hierzu auf Antrag eines Viertels seiner Mitglieder verpflichtet. Durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, können für die Wahrnehmung der Rechte, die dem Bundestag und dem Bundesrat in den vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union eingeräumt sind, Ausnahmen von Artikel 42 Abs. 2 Satz 1 und Artikel 52 Abs. 3 Satz 1 zugelassen werden.

(2) In Angelegenheiten der Europäischen Union wirken der Bundestag und durch den Bundesrat die Länder mit. Die Bundesregierung hat den Bundestag und den Bundesrat umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu unterrichten.

(3) Die Bundesregierung gibt dem Bundestag Gelegenheit zur Stellungnahme vor ihrer Mitwirkung an Rechtsetzungsakten der Europäischen Union. Die Bundesregierung berücksichtigt die Stellungnahmen des Bundestages bei den Verhandlungen. Das Nähere regelt ein Gesetz.

(4) Der Bundesrat ist an der Willensbildung des Bundes zu beteiligen, soweit er an einer entsprechenden innerstaatlichen Maßnahme mitzuwirken hätte oder soweit die Länder innerstaatlich zuständig wären.

(5) Soweit in einem Bereich ausschließlicher Zuständigkeiten des Bundes Interessen der Länder berührt sind oder soweit im übrigen der Bund das Recht zur Gesetzgebung hat, berücksichtigt die Bundesregierung die Stellungnahme des Bundesrates. Wenn im Schwerpunkt Gesetzgebungsbefugnisse der Länder, die Einrichtung ihrer Behörden oder ihre Verwaltungsverfahren betroffen sind, ist bei der Willensbildung des Bundes insoweit die Auffassung des Bundesrates maßgeblich zu berücksichtigen; dabei ist die gesamtstaatliche Verantwortung des Bundes zu wahren. In Angelegenheiten, die zu Ausgabenerhöhungen oder Einnahmeminderungen für den Bund führen können, ist die Zustimmung der Bundesregierung erforderlich.

(6) Wenn im Schwerpunkt ausschließliche Gesetzgebungsbefugnisse der Länder auf den Gebieten der schulischen Bildung, der Kultur oder des Rundfunks betroffen sind, wird die Wahrnehmung der Rechte, die der Bundesrepublik Deutschland als Mitgliedstaat der Europäischen Union zustehen, vom Bund auf einen vom Bundesrat benannten Vertreter der Länder übertragen. Die Wahrnehmung der Rechte erfolgt unter Beteiligung und in Abstimmung mit der Bundesregierung; dabei ist die gesamtstaatliche Verantwortung des Bundes zu wahren.

(7) Das Nähere zu den Absätzen 4 bis 6 regelt ein Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf.

Tenor

1. Die Antragsgegnerin hat den Deutschen Bundestag in seinem Unterrichtungsrecht aus Artikel 23 Absatz 2 Satz 2 des Grundgesetzes verletzt, indem sie es unterlassen hat, ihm einen ihr am 21. Februar 2011 vorliegenden Text der Europäischen Kommission über die Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus sowie den Entwurf eines Vertrages über den Europäischen Stabilitätsmechanismus vom 6. April 2011 zuzuleiten.

2. Die Antragsgegnerin hat den Deutschen Bundestag ferner in seinem Unterrichtungsrecht aus Artikel 23 Absatz 2 Satz 2 des Grundgesetzes verletzt, indem sie es unterlassen hat, ihn über die am 4. Februar 2011 öffentlich vorgestellte Initiative für den Beschluss eines Paktes für Wettbewerbsfähigkeit vorab zu informieren sowie ihm das inoffizielle Dokument der Präsidenten der Europäischen Kommission und des Europäischen Rates vom 25. Februar 2011 mit der Bezeichnung "Enhanced Economic Policy Coordination in the Euro Area - Main Features and Concepts" zuzuleiten.

Gründe

A.

1

Das Organstreitverfahren betrifft die Verpflichtung der Bundesregierung aus Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG zur Unterrichtung des Deutschen Bundestages in Angelegenheiten der Europäischen Union im Zusammenhang mit dem "Europäischen Stabilitätsmechanismus" (ESM) und dem "Euro-Plus-Pakt".

I.

2

1. Als Reaktion auf die Staatsschuldenkrise im Gebiet der Europäischen Währungsunion gewährten die Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes zunächst Griechenland koordinierte, bilaterale Finanzhilfen und schufen anschließend den sogenannten "Rettungsschirm", dessen Kern eine privatrechtlich organisierte Zweckgesellschaft, die Europäische Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF; vgl. hierzu Urteil des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 7. September 2011 - 2 BvR 987/10, 2 BvR 1485/10, 2 BvR 1099/10 -, NJW 2011, S. 2946 ff.) bildet. Ihre Maßnahmen sind zeitlich befristet und sollen nur der vorübergehenden Unterstützung betroffener Mitgliedstaaten dienen.

3

2. Seit Ende 2010 streben die Mitgliedstaaten der Europäischen Union einen dauerhaften Krisenbewältigungsmechanismus an. Dazu soll ein permanenter Europäischer Stabilisierungs- beziehungsweise Stabilitätsmechanismus etabliert werden.

4

Erste Ideen für einen solchen Krisenbewältigungsmechanismus wurden in der vom Europäischen Rat im März 2010 eingesetzten Arbeitsgruppe zur Reform des Regelwerks der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion unter Vorsitz des Präsidenten des Europäischen Rates entwickelt. Auf der Tagung des Europäischen Rates vom 28./29. Oktober 2010 einigten sich die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten auf die Errichtung eines "ständigen Krisenmechanismus zur Wahrung der Finanzstabilität des Euro-Währungsgebiets insgesamt" (EUCO 25/1/10 REV 1, Schlussfolgerungen, S. 2). Am 28. November 2010 vereinbarten die Finanzminister der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes die allgemeinen Merkmale des künftigen Krisenmechanismus. Zur Vorbereitung des Europäischen Rates vom 16./17. Dezember 2010 legte dessen Präsident am 10. Dezember 2010 einen Vorschlag für eine Änderung der Verträge vor. Der Europäische Rat einigte sich auf seiner Tagung vom 16./17. Dezember 2010 auf eine erste Fassung der avisierten Vertragsänderung, die Art. 136 AEUV einen neuen Absatz 3 hinzufügen sollte, billigte die von den Finanzministern der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes am 28. November 2010 vereinbarten allgemeinen Merkmale des Europäischen Stabilitätsmechanismus und beauftragte diese sowie die Europäische Kommission mit der weiteren Konkretisierung der Bestimmungen (EUCO 30/1/10 REV 1, S. 1 f. mit Anlage 1). Der Europäische Stabilitätsmechanismus sollte im Primärrecht verankert werden und die zeitlich befristete Europäische Finanzstabilisierungsfazilität sowie den ebenfalls zeitlich befristeten Europäischen Finanzstabilisierungsmechanismus (EFSM) ablösen. Am 20. Dezember 2010 übersandte das Bundeskanzleramt dem Deutschen Bundestag einen schriftlichen Ergebnisbericht zu der Tagung des Europäischen Rates.

5

a) In ihrer Ausgabe vom 23. Dezember 2010 berichtete die Süddeutsche Zeitung über ein ihr vorliegendes inoffizielles Dokument (non paper) der Bundesregierung zur Konzeption des Europäischen Stabilitätsmechanismus, das zur Vorbereitung des nächsten Treffens der Finanzminister der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes Mitte Januar dienen solle. Unter anderem wurde berichtet, dass der geplante Europäische Stabilitätsmechanismus als eigenständige Institution neben die Europäische Zentralbank treten und den Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes politisch weitgehend unabhängig "Hilfen in der Not" anbieten solle. Er solle grundsätzlich "unbegrenzt refinanzierungsfähig" sein, wofür die Mitgliedstaaten anteilige Bürgschaften bereitstellen müssten. Hilfen sollten nur unter strengen Bedingungen und gegen werthaltige Sicherheiten wie Goldreserven oder staatliche Unternehmensanteile gewährt werden (Süddeutsche Zeitung, 23. Dezember 2010, "Neuer Vorstoß zur Rettung des Euro" und "Doppelter Schutz für den Euro" ).

6

Am 17. Januar 2011 forderte der Deutsche Bundestag mit Blick auf die für den 4. Februar 2011 geplante Tagung des Europäischen Rates beim Bundesministerium der Finanzen Dokumente bezüglich der Konkretisierung der Merkmale des Europäischen Stabilitätsmechanismus an. Das Bundesministerium der Finanzen kündigte daraufhin an, entsprechende Papiere zu übermitteln, sobald sie vorlägen. Außerdem teilte es mit, bei dem in der Süddeutschen Zeitung vom 23. Dezember 2010 angesprochenen inoffiziellen Dokument handele es sich nicht um ein abgestimmtes Positionspapier der Bundesregierung für die Organe der Europäischen Union, sondern um eine Zusammenstellung von internen Papieren der Arbeitsebene. Ein Zuleitungserfordernis bestehe daher nicht.

7

Der Deutsche Bundestag forderte am 19. Januar 2011 beim Bundesministerium der Finanzen unter Hinweis auf einen Bericht im Handelsblatt (Handelsblatt, 19. Januar 2011 , "EU-Kommission will klammen Ländern großzügiger helfen") ein siebenseitiges Papier der Europäischen Kommission mit Überlegungen zum Europäischen Stabilitätsmechanismus an, das dem ECOFIN-Rat vom 18. Januar 2011 vorgelegen habe. Dies lehnte ein Referatsleiter im Bundesministerium der Finanzen mit E-Mail vom gleichen Tage mit der Begründung ab, dem ECOFIN-Rat sei kein Papier zum Europäischen Stabilitätsmechanismus vorgelegt worden; Presseberichte, wonach die Europäische Kommission ein siebenseitiges Papier präsentiert habe, könnten nicht bestätigt werden. Bei der Entwicklung des Europäischen Stabilitätsmechanismus handele es sich zudem "um die Vorbereitung eines zwischenstaatlichen Instruments der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets und nicht um ein Vorhaben der Europäischen Union". Die Bundesregierung werde "über die Arbeiten an dem permanenten ESM" wie bisher regelmäßig unterrichten.

8

Ebenfalls am 19. Januar 2011 berichtete ein Beamter des Bundesministeriums der Finanzen sowohl dem Finanzausschuss des Deutschen Bundestages (Protokoll Nr. 17/39 der 39. Sitzung des Finanzausschusses vom 19. Januar 2011, S. 23 ff.) als auch dem Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union mündlich über die Ergebnisse der Sitzungen der Euro-Gruppe vom 17. Januar 2011 sowie des ECOFIN-Rates vom 18. Januar 2011. Es seien insbesondere Fragen zur Ausgestaltung des Europäischen Stabilitätsmechanismus diskutiert, Beschlüsse aber nicht gefasst worden. Die Bundesregierung handele dabei auf der Grundlage des Mandats des Europäischen Rates vom Dezember 2010. Der Deutsche Bundestag werde beteiligt, sobald eine Position der Bundesregierung vorliege. Nicht abgestimmte Papiere seien nicht vorlagepflichtig. Zwar gebe es "Papiere und Überlegungen der EU-Kommission" zur Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität und zum Europäischen Stabilitätsmechanismus; diese entsprächen aber den Vorgaben des Europäischen Rates (Protokoll Nr. 17/29 der 29. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 19. Januar 2011, S. 15 ff.). Der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen berichtete am selben Tag dem Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages über die Tagungen der Euro-Gruppe und des ECOFIN-Rates und betonte, dass die Bundesregierung ergebnisoffen in die Verhandlungen gegangen sei. Die Vorbereitung des Europäischen Rates im Februar/März 2011 und die Verhandlungen über die Ausgestaltung des sogenannten "comprehensive package" seien noch in vollem Gange (Protokoll Nr. 17/43 der 43. Sitzung des Haushaltsausschusses vom 19. Januar 2011, S. 42 ff.).

9

Am 24. Januar 2011 fand ein weiteres Treffen der Euro-Gruppe statt. Darüber berichtete der Bundesminister der Finanzen dem Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union am 26. Januar 2011. Er führte unter anderem aus, dass die Bundesregierung im Hinblick auf den Europäischen Stabilitätsmechanismus und die anderen in der Diskussion befindlichen Maßnahmen zur Euro-Rettung von einer abschließenden Gesamtentscheidung im März 2011 ausgehe. Mehrere Abgeordnete wiesen darauf hin, dass die Europäische Kommission der Euro-Gruppe angeblich ein inoffizielles Dokument (non paper) mit Inhalten und Plänen zum "Gesamtpaket" (comprehensive package) übermittelt habe. Für die Diskussion im Deutschen Bundestag sei eine Weiterleitung dieses Papiers hilfreich. Der Bundesminister der Finanzen trat dem Ersuchen mit der Begründung entgegen, im Hinblick auf Sitzungen der Finanzminister der Eurogruppe sei eine mündliche Unterrichtung ausreichend. Eine offene Kommunikation mit dem Deutschen Bundestag sei von großer Bedeutung, finde ihre Grenzen aber in der Handlungsfähigkeit der Bundesregierung (Protokoll Nr. 17/30 der 30. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 26. Januar 2011, S. 12 f.).

10

Am 2. Februar 2011 setzte der Präsident des Europäischen Rates das Thema "Wirtschafts- und Währungsunion" kurzfristig auf die Tagesordnung für die Tagung des Europäischen Rates am 4. Februar 2011 (vgl. Protokoll Nr. 17/31 der 31. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 9. Februar 2011, S. 14). Der Deutsche Bundestag erhielt am selben Tag einen schriftlichen Vorbericht des Bundeskanzleramtes. Darin wurde ausgeführt, die Beratungen der Staats- und Regierungschefs hätten "vor allem eine Verständigung über die Stärkung der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität, eine Entscheidung über die Vertragsänderung sowie eine Einigung über die Ausgestaltung des künftigen Europäischen Stabilisierungsmechanismus" zum Gegenstand. Entscheidungen in der Sache würden nicht erwartet. Am 3. Februar 2011 unterrichtete der Staatsminister des Bundeskanzleramtes die Obleute des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union mündlich über die bevorstehende Tagung des Europäischen Rates (vgl. Protokoll Nr. 17/31 der 31. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 9. Februar 2011, S. 11). Der Europäische Rat kündigte am 4. Februar 2011 unter anderem die "Festlegung der praktischen Merkmale des Europäischen Stabilitätsmechanismus unter dem Vorsitz des Präsidenten der Euro-Gruppe entsprechend dem im Dezember erteilten Auftrag" an (EUCO 2/1/11 REV 1, Schlussfolgerungen, Anlage I, S. 12). Der Deutsche Bundestag erhielt am 7. Februar 2011 einen schriftlichen Nachbericht zu dieser Tagung.

11

Am 9. Februar 2011 informierte ein Beamter des Bundesministeriums der Finanzen den Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union über die aktuelle Entwicklung des Euro-Währungsgebietes und teilte mit, im Mittelpunkt der Sitzungen der Euro-Gruppe und des ECOFIN-Rates am 14. und 15. Februar 2011 würden die bestehenden Reformprogramme, etwaige Änderungen der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität und die Ausgestaltung des Europäischen Stabilitätsmechanismus stehen. Auf Nachfrage führte er aus, hinsichtlich der Ausgestaltung eines "Instrumentenkastens" für den Europäischen Stabilitätsmechanismus gebe es noch keine abgeschlossene Position der Bundesregierung und keine Beschlüsse auf europäischer Ebene (Protokoll Nr. 17/31 der 31. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 9. Februar 2011, S. 15 f.). Ebenfalls am 9. Februar 2011 erklärte der Parlamentarische Staatssekretär des Bundesministeriums der Finanzen gegenüber dem Haushaltsausschuss auf Nachfrage, über das auf europäischer Ebene beratene "Gesamtpaket" werde das Parlament unterrichtet, sobald man zu einer Einigung gekommen sei (Protokoll Nr. 17/45 der 45. Sitzung des Haushaltsausschusses vom 9. Februar 2011, S. 59).

12

Am 17. Februar 2011 forderte der Deutsche Bundestag die Bundesregierung auf, ihm die vorbereitenden Papiere der Europäischen Kommission zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus zur Verfügung zu stellen. Dabei verwies er auf einen Artikel der Wochenzeitschrift "Der Spiegel", in dem auf ein solches Papier Bezug genommen worden war ("Jagd auf den Yeti", Heft 7/2011 vom 14. Februar 2011). Das Verbindungsbüro des Deutschen Bundestages in Brüssel teilte in einem internen Bericht vom 21. Februar 2011 ebenfalls mit, im Rat der Europäischen Union fänden Beratungen über die Ausgestaltung des Europäischen Stabilitätsmechanismus auf der Grundlage eines Textes der Europäischen Kommission statt. Das Bundesministerium der Finanzen kam der Aufforderung des Deutschen Bundestages nicht nach. In seinem Antwortschreiben vom 22. Februar 2011 wies es darauf hin, die zuständigen Ausschüsse des Deutschen Bundestages seien über Sitzungen der Euro-Gruppe nur mündlich zu unterrichten.

13

In der 32. Sitzung des Bundestagsausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 23. Februar 2011 informierte ein Beamter des Auswärtigen Amtes über die geplante Vertragsänderung im Zusammenhang mit der Errichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus. Auf welcher Rechtsgrundlage dessen konkrete Ausgestaltung erfolgen werde, stehe noch nicht fest. Bei dem Treffen der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes am 11. März 2011 würden die Themen Europäische Finanzstabilisierungsfazilität und Europäischer Stabilitätsmechanismus wahrscheinlich ebenfalls diskutiert. Es werde dabei aber wohl nur um die Grundlinien gehen; die endgültigen Entscheidungen seien erst beim Europäischen Rat Ende März 2011 zu erwarten (Protokoll Nr. 17/32 der 32. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 23. Februar 2011, S. 10 ff.). Der Ausschussvorsitzende und mehrere Abgeordnete rügten die Unterrichtung durch die Bundesregierung als ungenügend und verlangten übereinstimmend, frühzeitig und detailliert unterrichtet zu werden. Mit Blick auf die weitreichenden Auswirkungen auf die nationalen Haushalte sei der Deutsche Bundestag "von Beginn an in die Schaffung des ESM einzubeziehen" (Protokoll Nr. 17/32 der 32. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 23. Februar 2011, S. 12 f.).

14

Am 10. März 2011 berichtete die Bundeskanzlerin dem Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union über die für den Folgetag geplante informelle Tagung der Staats- und Regierungschefs des Euro-Währungsgebietes. Themen der Tagung seien unter anderem die Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus und der weitere Umgang mit der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität. Die Bundeskanzlerin erklärte, sie könne noch nicht sagen, ob das Treffen lediglich den Europäischen Rat am 24./25. März 2011 vorbereiten werde oder ob Beschlüsse gefasst würden. Im Übrigen würden informelle Treffen der Euro-Gruppe auch nicht von der gesetzlichen Unterrichtungspflicht der Bundesregierung gegenüber dem Deutschen Bundestag erfasst (Protokoll Nr. 17/33 der 33. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 10. März 2011, S. 10 ff.). Auf die Rüge eines Abgeordneten, das Parlament habe auf der Grundlage der Unterrichtungspraxis der Bundesregierung keine ausreichende Möglichkeit, die Entscheidungen zum Themenkreis der Eurostabilisierung nachzuvollziehen, erklärte die Bundeskanzlerin, die gegenwärtige Situation sei aufgrund täglicher Änderungen der Umstände und Tatsachen einzigartig, so dass die Bundesregierung dem Parlament nur Informationen mit einer "endlichen Halbwertszeit" geben und für den Europäischen Rat am 24./25. März 2011 lediglich Ergebnisoptionen benennen könne. Die Bundesregierung unterrichte den Deutschen Bundestag über die Sitzungen der Euro-Gruppe. Jedoch müssten bestimmte interne Beratungen, die von besonderer Marktrelevanz seien, differenziert behandelt werden (Protokoll Nr. 17/33 der 33. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 10. März 2011, S. 15 f.).

15

Am 16. März 2011 erklärte der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen im Finanzausschuss des Deutschen Bundestages, dass nach gegenwärtigem Verhandlungsstand der zukünftige Europäische Stabilitätsmechanismus auf völkerrechtlicher Grundlage errichtet werde und dieser Vertrag vom Deutschen Bundestag gemäß den Bestimmungen des Grundgesetzes zu ratifizieren sei (Protokoll Nr. 17/45 der 45. Sitzung des Finanzausschusses vom 16. März 2011, S. 27). Am gleichen Tag informierte der Bundesminister der Finanzen den Haushaltsausschuss über die voraussichtliche Höhe des effektiven Kreditvolumens des Europäischen Stabilitätsmechanismus. Man werde dieses jedoch erst im Zusammenhang mit der Entscheidung über die Form des Europäischen Stabilitätsmechanismus endgültig festlegen (Protokoll Nr. 17/49 der 49. Sitzung des Haushaltsausschusses vom 16. März 2011, S. 20 f.). Ebenfalls am 16. März 2011 informierte ein Beamter des Bundesministeriums der Finanzen den Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union über die Diskussionen der Euro-Gruppe und des ECOFIN-Rates zur Höhe des Garantievolumens von Europäischer Finanzstabilisierungsfazilität und Europäischem Stabilitätsmechanismus. Die Finanzminister hätten insbesondere verabredet, die Entscheidungen zur Ertüchtigung beider Institutionen nicht "kleckerweise" den nationalen Parlamenten vorzulegen, sondern in einem Paket (Protokoll Nr. 17/34 der 34. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 16. März 2011, S. 5 ff.).

16

Am 17. März 2011 nahm der Deutsche Bundestag den Antrag der Fraktionen von CDU/CSU und FDP zur Herstellung des Einvernehmens von Deutschem Bundestag und Bundesregierung zur Ergänzung von Art. 136 AEUV (BTDrucks 17/4880) an (Plenarprotokoll Nr. 17/96 der 96. Sitzung des Deutschen Bundestages vom 17. März 2011, S. 11015 C).

17

Auf ihrer Sitzung am 21. März 2011 einigte sich die Euro-Gruppe auf die Grundsätze des Europäischen Stabilitätsmechanismus. Im Bericht des Verbindungsbüros des Deutschen Bundestages in Brüssel vom gleichen Tag über den Stand der Diskussion im Nachgang zur Sondertagung des Europäischen Rates vom 11. März 2011 sowie zur Tagung des ECOFIN-Rates vom 14./15. März 2011 wurde ausgeführt, die Mitgliedstaaten hätten sich bereits auf einige wichtige Aspekte des Europäischen Stabilitätsmechanismus geeinigt. Zahlreiche Fragen - wie die Konditionalität der Gewährung von Finanzhilfen, die institutionelle Form und Struktur der Organisation, die Einbeziehung des Internationalen Währungsfonds oder die Beteiligung der Nicht-Euroländer - würden aber derzeit noch diskutiert und nach Ansicht von Beobachtern erst am 24./25. März 2011 von den Staats- und Regierungschefs entschieden (Bericht aus Brüssel 06/2011 vom 21. März 2011, S. 3 f.).

18

Am 23. März 2011 erstattete das Bundeskanzleramt dem Deutschen Bundestag einen schriftlichen Vorbericht zur Tagung des Europäischen Rates am 24./25. März 2011. Darin kündigte es mehrere Beschlüsse im "Gesamtpaket" zur dauerhaften Stabilisierung des Euro-Währungsgebietes an, darunter die "Finalisierung der Arbeiten zur Ausgestaltung des künftigen Stabilitätsmechanismus (ESM)". Am gleichen Tag informierte ein Beamter des Bundesministeriums der Finanzen den Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union über die aktuellen Entwicklungen im Euro-Währungsgebiet und übergab ein Papier zu den Grundsätzen des Europäischen Stabilitätsmechanismus in englischer Sprache ("term sheet") als Tischvorlage. Dass keine deutsche Übersetzung vorgelegt werde, sei zum einen der Kurzfristigkeit geschuldet, zum anderen aber auch dem besseren Verständnis, da der englische Text "Vorteile gegenüber einer deutschen Übersetzung" biete (Protokoll Nr. 17/35 der 35. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 23. März 2011, S. 9). Auf Nachfrage erklärte der Beamte, die Bundesregierung werte die Unterrichtung des Ausschusses als "mündliche Unterrichtung" entsprechend § 5 Abs. 4 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union (im Folgenden: EUZBBG) vom 12. März 1993 (BGBl I S. 311), zuletzt geändert durch Gesetz vom 22. September 2009 (BGBl I S. 3026). Die Vorlage des "term sheet" sei nicht auf der Grundlage dieses Gesetzes erfolgt und runde die mündliche Unterrichtung ab (Protokoll Nr. 17/35 der 35. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 23. März 2011, S. 13, 16).

19

Ebenfalls am 23. März 2011 forderte der Abgeordnete Manuel Sarrazin in einem Schreiben an den Bundesminister der Finanzen die Überlassung von Dokumenten über die Ausgestaltung des Europäischen Stabilitätsmechanismus. Aus einem Brief des Präsidenten der Euro-Gruppe an die Mitglieder des Europäischen Parlaments vom 22. März 2011 gehe hervor, dass das Europäische Parlament im Rahmen des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens an einer Verordnung im Zusammenhang mit dem Europäischen Stabilitätsmechanismus beteiligt werden solle. Damit würden die vorbereitenden Dokumente der Europäischen Kommission, deren Zuleitung die Bundesregierung bislang verweigere, von der Weiterleitungspflicht nach Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG erfasst. Eine mündliche Unterrichtung hierüber reiche nicht aus.

20

Am 24. März 2011 gab die Bundeskanzlerin im Hinblick auf die Tagung des Europäischen Rates am 24./25. März 2011 im Deutschen Bundestag eine Regierungserklärung ab. Die Bundesregierung habe auf europäischer Ebene durchgesetzt, dass der dauerhafte Europäische Stabilitätsmechanismus für ein ausgewogenes Verhältnis von Eigenverantwortung und Solidarität sorgen werde. Kredite dürften nur als letztes Mittel vergeben werden, und über die Vergabe werde durch einstimmigen Beschluss entschieden. Außerdem müsse sich der entsprechende Mitgliedstaat Auflagen unterwerfen. Die Haftung Deutschlands sei nach oben begrenzt (Plenarprotokoll Nr. 17/99 der 99. Sitzung des Deutschen Bundestages vom 24. März 2011, S. 11255 A f.).

21

b) Auf seiner Tagung vom 24./25. März 2011 beschloss der Europäische Rat sodann den Entwurf eines künftigen Art. 136 Abs. 3 AEUV, der als primärrechtliche Grundlage für den Europäischen Stabilitätsmechanismus dienen und folgenden Wortlaut haben soll:

22

Die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist, können einen Stabilitätsmechanismus einrichten, der aktiviert wird, wenn dies unabdingbar ist, um die Stabilität des Euro-Währungsgebiets insgesamt zu wahren. Die Gewährung aller erforderlichen Finanzhilfen im Rahmen des Mechanismus wird strengen Auflagen unterliegen (EUCO 10/11, Schlussfolgerungen, Anlage II, S. 21 ff.).

23

In den Schlussfolgerungen ist davon die Rede, dass die Ergänzung des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union im vereinfachten Änderungsverfahren nach Art. 48 Abs. 6 EUV erfolgen solle und daher nicht zu einer Ausdehnung der der Europäischen Union im Rahmen der Verträge übertragenen Zuständigkeiten führen dürfe (vgl. Art. 48 Abs. 6 UAbs. 3 EUV). Vor diesem Hintergrund solle der Europäische Stabilitätsmechanismus als zwischenstaatliche Einrichtung ausgestaltet werden. Seinen Schlussfolgerungen fügte der Europäische Rat die Anlage II mit der "Vereinbarung über die Merkmale des ESM" bei (EUCO 10/11, S. 21 ff.). Darin machte er deutlich, dass sein Einvernehmen über die Einrichtung des "ständigen" Europäischen Stabilitätsmechanismus an die Beschlussfassung über den Entwurf eines neuen Art. 136 Abs. 3 AEUV gekoppelt sei (EUCO 10/11, S. 21). Über die Ergebnisse des Europäischen Rates vom 24./25. März 2011 informierte der Staatsminister des Bundeskanzleramtes am 28. März 2011 die Obleute des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union telefonisch. Zugleich übermittelte das Bundeskanzleramt dem Deutschen Bundestag einen schriftlichen Ergebnisbericht.

24

Dem Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union berichtete ein Beamter des Bundesministeriums der Finanzen am 6. April 2011. Zu den Ergebnissen des Europäischen Rates vom 24./25. März 2011 erklärte er, man habe "ambitionierte Zeitvorgaben" für die Ertüchtigung der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität und den Errichtungs- und Finanzierungsvertrag für den Europäischen Stabilitätsmechanismus vereinbart (Protokoll Nr. 17/36 der 36. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 6. April 2011, S. 5 ff.). Bezogen auf die nationalen Umsetzungsgesetze im Zusammenhang mit der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität und dem Europäischen Stabilitätsmechanismus erklärte er, die Bundesregierung versuche, den Deutschen Bundestag zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu beteiligen (Protokoll Nr. 17/36 der 36. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 6. April 2011, S. 8). Am gleichen Tag berichtete der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen dem Haushaltsausschuss mündlich über die Ergebnisse des Europäischen Rates und über den Fortgang der Verhandlungen zum Europäischen Stabilitätsmechanismus (Protokoll Nr. 17/52 der 52. Sitzung des Haushaltsausschusses vom 6. April 2011, S. 9). Derzeit werde der Vertrag über den Europäischen Stabilitätsmechanismus weiter ausgearbeitet, um ihn vor Ende Juli 2011 paraphieren zu können. Danach solle die Ratifizierung in den Mitgliedstaaten erfolgen. Dies bedeute eine vollumfängliche parlamentarische Beteiligung des Deutschen Bundestages (Protokoll Nr. 17/52 der 52. Sitzung des Haushaltsausschusses vom 6. April 2011, S. 12). Die Rüge eines Abgeordneten, dass die Bundesregierung dem Ausschuss in der vorangegangen Sitzung am 23. März 2011 lediglich eine englische Fassung des "term sheet" vorgelegt habe, obwohl dieses zum Zeitpunkt der Sitzung bereits 48 Stunden alt gewesen sei, wies er zurück (Protokoll Nr. 17/52 der 52. Sitzung des Haushaltsausschusses vom 6. April 2011, S. 16 f.).

25

Einen auf den 6. April 2011 datierenden Entwurf eines Vertrages zur Errichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus ("Draft Treaty Establishing the European Stability Mechanism") erhielt der Deutsche Bundestag aus informellen Quellen. Eine Zuleitung dieses Textes durch die Bundesregierung erfolgte nicht.

26

Im schriftlichen Vorbericht zum informellen Treffen des ECOFIN-Rates am 8./9. April 2011 informierte das Bundesministerium der Finanzen am 4. April 2011 den Finanzausschuss, den Haushaltsausschuss und den Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union darüber, dass der Rat unter anderem diskutieren wolle, wie die Ausarbeitung des Vertrages über den Europäischen Stabilitätsmechanismus rechtzeitig abgeschlossen werden könne. Über den Verlauf der Tagung berichtete der Bundesminister der Finanzen dem Haushaltsausschuss mündlich am 13. April 2011. Zum geplanten Europäischen Stabilitätsmechanismus erklärte er, die Einzelheiten seiner Ausgestaltung seien in einem Vertrag erst noch zu regeln. Dieser Vertrag bedürfe der Ratifizierung durch die nationalen Gesetzgeber. Im Zuge dieser Ratifizierung werde dann auch die Parlamentsbeteiligung im Rahmen des Stabilitätsmechanismus zu beraten sein (Protokoll Nr. 17/53 der 53. Sitzung des Haushaltsausschusses vom 13. April 2011, S. 10 ff.). Auf die Rüge eines Abgeordneten, eine Äußerungsmöglichkeit des Deutschen Bundestages erst nach Vorlage des Gesetzentwurfs komme zu spät, da zu diesem Zeitpunkt die europäischen Vereinbarungen bereits getroffen sein würden, ging der Bundesminister der Finanzen nicht ein (Protokoll Nr. 17/53 der 53. Sitzung des Haushaltsausschusses vom 13. April 2011, S. 14 ff.). Im Hinblick auf das Anliegen einer möglichst weitgehenden Parlamentsbeteiligung gab er zu bedenken, dass die Leistungsfähigkeit eines Mechanismus durch ein Übermaß an Beteiligungen herabgesetzt werde (Protokoll Nr. 17/53 der 53. Sitzung des Haushaltsausschusses vom 13. April 2011, S. 27 ff.).

27

Ebenfalls am 13. April 2011 informierte der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen den Finanzausschuss des Deutschen Bundestages mündlich darüber, dass die Bundesregierung bestrebt sei, alle vom Parlament im Zusammenhang mit der Aufstockung der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität und der Schaffung des Europäischen Stabilitätsmechanismus zu treffenden Entscheidungen in einem Gesamtpaket vorzulegen. Die Zuleitung an den Deutschen Bundestag werde so rechtzeitig erfolgen, dass das Gesetzespaket noch vor Jahresende verabschiedet werden könne. Auf europäischer Ebene solle noch vor der Sommerpause eine abschließende Entscheidung fallen (Protokoll Nr. 17/49 der 49. Sitzung des Finanzausschusses vom 13. April 2011, S. 25 f.). Das Bundesministerium der Finanzen übersandte den drei Ausschüssen am 19. April 2011 zudem einen schriftlichen Ergebnisbericht zu dem informellen Treffen des ECOFIN-Rates.

28

Am 6. Mai 2011 informierte der Bundesminister der Finanzen die Obleute des Haushaltsausschusses und des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union über den aktuellen Sachstand. Mit Schreiben seines Vorsitzenden vom 12. Mai 2011 forderte der Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union den Bundesminister der Finanzen erneut auf, den jeweils aktuell zur Verhandlung stehenden Vertragsentwurf zu übermitteln. Nur die Vorlage des Textes stelle zusammen mit den mündlichen Unterrichtungen vor der anstehenden Beschlussfassung auf europäischer Ebene die nach Art. 23 GG erforderliche Beteiligung des Deutschen Bundestages sicher. Es sei aus der Sicht der Abgeordneten nicht hinnehmbar, die verschiedenen Entwürfe - wie geschehen - in Österreich anfordern zu müssen, wo der Nationalrat entsprechende Entwürfe von der österreichischen Bundesregierung bereits zugeleitet bekommen hatte (vgl. hierzu die Beratungen des Hauptausschusses in Angelegenheiten der Europäischen Union des Nationalrates XXIV. GP vom 23. März 2011, Stenographisches Protokoll, Seite 2). Nach weiteren Vorstößen - unter anderem des parlamentarischen Geschäftsführers der Antragstellerin - übermittelte das Bundesministerium der Finanzen am 17. Mai 2011 dem Deutschen Bundestag einen englischsprachigen Vertragsentwurf und am Folgetag dessen deutsche Übersetzung.

29

3. Parallel zu den Vorbereitungen für einen Vertrag über den Europäischen Stabilitätsmechanismus und zur Änderung des Art. 136 AEUV wurden auf Initiative der Bundeskanzlerin und des französischen Staatspräsidenten Leitlinien für eine verstärkte wirtschaftspolitische Koordinierung der Mitglieder des Euro-Währungsgebietes entwickelt, die zunächst unter der Bezeichnung "Pakt für Wettbewerbsfähigkeit" zusammengefasst und letztlich als "Euro-Plus-Pakt" beschlossen wurden. Ziel war es, den Problemen entgegenzuwirken, die sich nach Auffassung der Initiatoren aus der asymmetrischen Konstruktion der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion - vollständige Vergemeinschaftung der Währungspolitik bei gleichzeitiger Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für die Wirtschaftspolitik - ergeben.

30

a) In der Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 26. Januar 2011 teilte der Staatsminister des Bundeskanzleramtes auf eine entsprechende Frage mit, dass auf dem anstehenden Europäischen Rat über den Euro gesprochen werde, mit Beschlüssen aber nicht zu rechnen sei (Protokoll Nr. 17/30 der 30. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 26. Januar 2011, S. 9). In derselben Sitzung nahm der Bundesminister der Finanzen zum weiteren Vorgehen Stellung (vgl. hierzu A.I.2.).

31

Am 31. Januar 2011 erschien in der Wochenzeitschrift "Der Spiegel" unter dem Titel "Agenda für Europa" ein Artikel, in dem über ein Gespräch der Bundeskanzlerin mit dem Präsidenten der Europäischen Kommission über einen "Pakt für Wettbewerbsfähigkeit" berichtet wurde, den sie zusammen mit dem französischen Staatschef dem nächsten Europäischen Rat "vertraulich und informell beim Mittagessen" vorstellen wolle, ohne dass dies auf der Tagesordnung erscheine. Ziel solle sein, das Euro-Währungsgebiet zukünftig besser vor Krisen zu schützen. In einem Papier seien als Maßnahmen unter anderem die Angleichung von Steuern, die Anpassung des Renteneintrittsalters und die Einführung einer Schuldenbremse genannt ("Der Spiegel", "Agenda für Europa", Heft 5/2011 vom 31. Januar 2011). Auf der Internetseite www.euractiv.de war eine Entwurfsfassung dieses Paktes abrufbar. Am 1. Februar 2011 bat der Deutsche Bundestag das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie unter Bezugnahme auf die Berichterstattung des "Spiegels" sowie mehrerer Tageszeitungen um die Übermittlung der "Papiere und Informationen, auf deren Basis die Bundesregierung ihre Initiative vorstellen" werde. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie teilte dem Deutschen Bundestag mit E-Mail vom 2. Februar 2011 mit, dass die angeführten Zeitungsartikel auf einen "Abstimmungsprozess in der Bundesregierung Bezug nähmen, der noch nicht abgeschlossen" sei. In der Regierungspressekonferenz am gleichen Tag kündigte der Regierungssprecher an, dass auf der Tagung des Europäischen Rates am 4. Februar 2011 tatsächlich auch über Fragen der wirtschaftspolitischen Koordinierung in der Euro-Währungszone geredet werden solle, und fügte hinzu: "Dazu wird es eine abgestimmte Haltung der Bundesregierung geben" (vgl. Mitschrift der Regierungspressekonferenz vom 2. Februar 2011, abrufbar im Internet unter http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/2011/02/2011-2-02-regpk.html). In ihrem Vorbericht zum Europäischen Rat vom 2. Februar 2011 erklärte die Bundesregierung, die Bundeskanzlerin werde für "ein starkes Signal" eintreten, die wirtschaftspolitische Koordinierung im Euro-Währungsgebiet zu verbessern, um die Wettbewerbsfähigkeit insgesamt zu erhöhen und die Kohärenz im Euro-Währungsgebiet zu stärken. Weitere Dokumente stellte sie dem Deutschen Bundestag nicht zur Verfügung.

32

Am 3. Februar 2011 erklärte der Staatsminister des Bundeskanzleramtes den Obleuten des Ausschusses für Angelegenheiten der Europäischen Union telefonisch, ungeachtet der Presseberichterstattung zur geplanten Initiative für einen "Pakt für Wettbewerbsfähigkeit" bestehe zu dem Thema noch keine abgestimmte Position der Bundesregierung und werde dementsprechend auch keine abgestimmte Position beim Europäischen Rat beschlossen (vgl. Protokoll Nr. 17/31 der 31. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 9. Februar 2011, S. 11).

33

Am 4. Februar 2011 kündigte die Bundeskanzlerin in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem französischen Staatspräsidenten an, die europäischen Partner über Details der deutsch-französischen Initiative unterrichten zu wollen. Auf getrennten Pressekonferenzen teilten sowohl die Bundeskanzlerin als auch der französische Staatspräsident anschließend mit, sie hätten beim Mittagessen den anderen Mitgliedern des Europäischen Rates ihre Ideen für einen "Pakt für Wettbewerbsfähigkeit" eröffnet und den Präsidenten des Europäischen Rates gebeten, auf der Basis dieser Ideen Konsultationen mit den Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes zu führen. In den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 4. Februar 2011 ist von dem Ziel einer "neuen Qualität der wirtschaftspolitischen Koordinierung im Euro-Währungsgebiet zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit" die Rede; der Präsident des Europäischen Rates werde mit den Staats- und Regierungschefs der dem Euro-Währungsgebiet angehörenden Mitgliedstaaten Konsultationen führen und darüber einen Bericht erstellen, in dem im Einklang mit dem Vertrag konkrete künftige Schritte aufgezeigt werden sollten (EUCO 2/1/11 REV 1, Anlage I, S. 13).

34

Ab dem 5. Februar 2011 bemühte sich die Bundesregierung in bilateralen Konsultationen mit den Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes und dem Präsidenten des Europäischen Rates um die nähere Ausarbeitung der Initiative. Auf schriftliche Fragen des Abgeordneten Sarrazin zu Inhalt und Stand der Verhandlungen verwies sie auf die Tagung des Europäischen Rates vom 4. Februar 2011 und die Schlussfolgerungen sowie auf mündliche Darstellungen. Schriftliche Unterlagen legte sie nicht vor. In der Sitzung des Ausschusses für Angelegenheiten der Europäischen Union am 9. Februar 2011 teilte der Staatsminister des Bundeskanzleramtes mit, der Europäische Rat habe am 4. Februar 2011 keine bindenden Beschlüsse hinsichtlich des "Pakts für Wettbewerbsfähigkeit" gefasst. Es fehle noch immer an einer abgestimmten Position innerhalb der Bundesregierung sowie an einem gemeinsamen Papier; die Punkte befänden sich noch in der Diskussion. Einzelne Elemente der wirtschaftspolitischen Koordinierung seien aber bereits vor dem 4. Februar 2011 bei den deutsch-spanischen Konsultationen und beim Treffen der Staats- und Regierungschefs im Format des "Weimarer Dreiecks" erörtert worden, wie zum Beispiel das Renteneintrittsalter, die Bemessungsgrundlage für die Körperschaftssteuer, die Lohnindexierung sowie die Aufnahme einer Schuldenbremse in die nationalen Verfassungen. Seitens der Bundesregierung sei kein "Pakt für Wettbewerbsfähigkeit" an die Presse gegeben worden. Die veröffentlichten Dokumente zeugten bereits durch den Hinweis "Gesamtvorbehalt" davon, dass es sich nicht um ein abgestimmtes Papier der Bundesregierung handele (Protokoll Nr. 17/31 der 31. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 9. Februar 2011, S. 13 ff.).

35

Am 25. Februar 2011 wurde dem Deutschen Bundestag ein vom gleichen Tag datierendes nicht offizielles Dokument (non paper) der Präsidenten der Europäischen Kommission und des Europäischen Rates mit der Überschrift "Enhanced Economic Policy Coordination in the Euro Area - Main Features and Concepts" zugespielt, das wesentliche Inhalte des geplanten Paktes für Wettbewerbsfähigkeit beschrieb. Nachdem auch in der Presse über ein solches Papier berichtet worden war, forderte der Deutsche Bundestag am 3. März 2011 dieses unter Hinweis auf die Unterrichtungspflicht nach § 5 Abs. 3 EUZBBG per E-Mail beim Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie an. Am 9. März 2011 ging beim Deutschen Bundestag ein Drahtbericht des Auswärtigen Amtes ein, aus dem sich ergab, dass auf einem informellen Treffen der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes am 11. März 2011 eine Einigung über den "Pakt für Wettbewerbsfähigkeit" erzielt werden solle, damit dieser bei der Tagung des Europäischen Rates am 24./25. März 2011 endgültig gebilligt werden könne.

36

Ebenfalls am 9. März 2011 wandte sich der Präsident des Deutschen Bundestages an die Bundeskanzlerin und bemängelte, dass die Information über den "Pakt für Wettbewerbsfähigkeit" den Bestimmungen des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union nicht oder allenfalls unzureichend gerecht werde. Der lediglich zweiseitige Vorbericht vom 2. Februar 2011 sei recht vage gewesen, während die Medien bereits detailliert über die konkrete Initiative berichtet hätten. Der Bitte der Bundestagsverwaltung vom 1. Februar 2011, einschlägige Dokumente und Informationen zu übermitteln, sei nicht oder allenfalls sehr unvollständig entsprochen worden. Er bitte sie, die Informationen im konkreten Fall nachzuholen. Mit Antwortschreiben vom 10. März 2011 erwiderte die Bundeskanzlerin, dass die Bundesregierung ihren gesetzlichen Verpflichtungen auch im konkreten Fall bestmöglich nachkomme.

37

Die Bundeskanzlerin besuchte am gleichen Tag die 33. Sitzung des Ausschusses für Angelegenheiten der Europäischen Union. Dort berichtete sie, dass Gegenstand des informellen Treffens der Staats- und Regierungschefs des Euro-Währungsgebietes am 11. März 2011 neben dem Europäischen Stabilitätsmechanismus auch der Pakt für Wettbewerbsfähigkeit sein werde. Der Pakt sei seit dem 11. Februar 2011 weiterentwickelt worden, aber noch nicht so detailliert, wie sie es sich wünsche. Eckpfeiler bildeten die Themen Wettbewerbsfähigkeit, Beschäftigung, Haushalte und Finanzstabilität. Die genannten Politikbereiche fielen in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten und sollten künftig von der Europäischen Kommission überwacht werden. Maßstab der Unterrichtung des Bundestages seien nicht Presseberichte, sondern offizielle Dokumente. Ein solches habe es zum Pakt für Wettbewerbsfähigkeit nicht gegeben, weder innerhalb der Bundesregierung noch gemeinsam mit Frankreich. Offizielle Dokumente seien dem Deutschen Bundestag nicht vorenthalten worden (vgl. Protokoll Nr. 17/33 der 33. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 10. März 2011, S. 11 ff.).

38

b) Das Bundeskanzleramt leitete den Entwurf eines "Paktes für Wettbewerbsfähigkeit" dem Bundestag am Morgen des 11. März 2011 per E-Mail zu. Am selben Tag stellten die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes in den Schlussfolgerungen ihres Treffens zu der nunmehr "Pakt für den Euro" genannten Vereinbarung fest:

39

Der (in der Anlage wiedergegebene) Pakt für den Euro, mit dem eine stärkere wirtschaftspolitische Koordinierung im Hinblick auf Wettbewerbsfähigkeit und Konvergenz festgelegt wird, wurde gebilligt. Er wird dem Europäischen Rat auf seiner Tagung am 24./25. März 2011 vorgelegt, damit die nicht dem Euro-Währungsgebiet angehörenden Mitgliedstaaten mitteilen können, ob sie beabsichtigen, sich an dem Pakt zu beteiligen. Gleichzeitig werden die dem Euro-Währungsgebiet angehörenden Mitgliedstaaten erste Maßnahmen darlegen, zu deren Durchführung sie sich im Rahmen des Paktes für das nächste Jahr verpflichten (Schlussfolgerungen der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets vom 11. März 2011, S. 1).

40

Ausweislich des Vertragstextes und der Schlussfolgerungen soll der "Pakt für den Euro" darauf abzielen, die wirtschaftliche Säule der Währungsunion zu stärken, eine neue Qualität der wirtschaftspolitischen Koordinierung zwischen den Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes zu erreichen, ihre Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern und dadurch einen höheren Grad an Konvergenz zu erreichen. Der Schwerpunkt soll vor allem auf die Politikbereiche gelegt werden, die in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fallen und die für die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit und die Vermeidung schädlicher Ungleichgewichte von entscheidender Bedeutung sind. Die nicht dem Euro-Währungsgebiet angehörenden Mitgliedstaaten wurden ausdrücklich eingeladen, sich auf freiwilliger Basis zu beteiligen (vgl. Schlussfolgerungen der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes vom 11. März 2011, Anlage I, Seite 6 ff.). Die vorgesehenen Maßnahmen ("Anstrengungen") sollen vier Leitlinien beachten: Sie sollen im Einklang mit der bestehenden wirtschaftspolitischen Steuerung in der Europäischen Union stehen und ihrer Verstärkung dienen, mit den bereits bestehenden Instrumenten der Europäischen Union - der Strategie Europa 2020, dem Europäischen Semester, den Integrierten Leitlinien, dem Stabilitäts- und Wachstumspakt und dem neuen Rahmen für die Überwachung der Wirtschaftspolitik - vereinbar sein und auf ihnen aufbauen. Dabei soll der Europäischen Kommission eine zentrale Rolle bei der Überwachung der Erfüllung der Verpflichtungen zukommen. Die Anstrengungen sollen die Politikbereiche abdecken, die für die Förderung von Wettbewerbsfähigkeit und Konvergenz von maßgeblicher Bedeutung sind. Sie sollen sich auf Maßnahmen konzentrieren, die in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fallen, wobei in diesen Politikbereichen auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs gemeinsame Ziele vereinbart werden, die teilnehmenden Mitgliedstaaten diese aber selbständig verfolgen sollen. Es ist darüber hinaus vorgesehen, dass alle Staats- und Regierungschefs jedes Jahr konkrete nationale Verpflichtungen eingehen und sich dabei an den Leistungsstärksten innerhalb Europas und unter den strategischen Partnern orientieren. Die Erfüllung dieser Verpflichtungen und die Fortschritte bei der Verwirklichung der gemeinsamen politischen Ziele sollen jährlich einem Monitoring auf politischer Ebene unterzogen werden, das sich auf einen Bericht der Europäischen Kommission stützen soll. Schließlich seien die dem Euro-Währungsgebiet angehörenden Mitgliedstaaten uneingeschränkt der Vollendung des Binnenmarkts verpflichtet. Die dem Euro-Währungsgebiet angehörenden Mitgliedstaaten verpflichten sich in dem Pakt für den Euro, alle Maßnahmen zu ergreifen, die für die Verwirklichung der Ziele einer Förderung der Wettbewerbsfähigkeit, der Beschäftigung, der langfristigen Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen und der Stärkung der Finanzstabilität erforderlich sind. Als Gegenstände der Koordinierung werden unter anderem die Verfahren der Lohnbildung und Tarifabschlüsse im öffentlichen Sektor, die Verbesserung der Bildungssysteme, die unternehmerfreundlichere Gestaltung des Handels- und Insolvenzrechts, Arbeitsmarktreformen zur Förderung der "Flexicurity" und Anpassungen der Rentensysteme genannt. Ein besonderes Augenmerk soll in diesen Zusammenhang auch auf die Koordinierung der Steuerpolitik gerichtet werden (vgl. Schlussfolgerungen der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes vom 11. März 2011, Anlage I, S. 6 ff.). Die Vereinbarung war Gegenstand der Befassung mehrerer Ausschüsse des Deutschen Bundestages (Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union, Protokoll Nr. 17/34 vom 16. März 2011, S. 10 f.; Haushaltsausschuss, Protokoll Nr. 17/49 vom 16. März 2011, S. 49; Finanzausschuss, Protokoll Nr. 17/45 vom 16. März 2011, S. 60).

41

c) Auf der Tagung des Europäischen Rates vom 24./25. März 2011 traten Bulgarien, Dänemark, Lettland, Litauen, Polen und Rumänien der nunmehr "Euro-Plus-Pakt" genannten Vereinbarung bei. Eine inhaltliche Änderung des Paktes erfolgte nicht mehr. Am 28. März 2011 erhielt der Deutsche Bundestag die Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 24./25. März 2011 (EUCO 10/11), die in Anlage 1 den "Euro-Plus-Pakt" enthielten. Die Europäische Kommission bezog den Euro-Plus-Pakt in der Folge auch in die "neue Europäische Ordnungspolitik" ein und stellte klar, dass die neuen Verpflichtungen aus dem Pakt in die nationalen Reform- und Stabilitätsprogramme aufgenommen und dem regulären EU-Überwachungsverfahren unterworfen würden (Mitteilung der Kommission vom 7. Juni 2011 zum Abschluss des ersten Europäischen Semesters für die Koordinierung der Wirtschaftspolitik, KOM (2011) 400 endgültig, S. 9). Unter dem Dach des Paktes findet sich zudem die ausdrückliche Verpflichtung der teilnehmenden Staaten, "die im Stabilitäts- und Wachstumspakt enthaltenen Haushaltsvorschriften der Europäischen Union in nationales Recht umzusetzen" (EUCO 10/11, S. 19).

42

d) Im November 2011 verabschiedete die Europäische Union fünf Verordnungen und eine Richtlinie - das sogenannte "Sixpack" -, die teilweise der Umsetzung des Euro-Plus-Paktes dienen, zum Teil aber auch unabhängig davon eine Fortentwicklung des bereits sekundärrechtlich verankerten Stabilitäts- und Wachstumspaktes darstellen (Verordnung (EU) Nr. 1173/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. November 2011 über die wirksame Durchsetzung der haushaltspolitischen Überwachung im Euro-Währungsgebiet, ABl. EU Nr. L 306 vom 23. November 2011, S. 1; Verordnung (EU) Nr. 1174/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. November 2011 über Durchsetzungsmaßnahmen zur Korrektur übermäßiger makroökonomischer Ungleichgewichte im Euro-Währungsgebiet, ABl. EU Nr. L 306 vom 23. November 2011, S. 8; Verordnung (EU) Nr. 1175/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. November 2011 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1466/97 des Rates über den Ausbau der haushaltspolitischen Überwachung und der Überwachung und Koordinierung der Wirtschaftspolitiken, ABl. EU Nr. L 306 vom 23. November 2011, S. 12; Verordnung (EU) Nr. 1176/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. November 2011 über die Vermeidung und Korrektur makroökonomischer Ungleichgewichte, ABl. EU Nr. L 306 vom 23. November 2011, S. 25; Verordnung (EU) Nr. 1177/2011 des Rates vom 8. November 2011 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1467/97 über die Beschleunigung und Klärung des Verfahrens bei einem übermäßigen Defizit, ABl. EU Nr. L 306 vom 23. November 2011, S. 33; Richtlinie 2011/85/EU des Rates vom 8. November 2011 über die Anforderungen an den haushaltspolitischen Rahmen der Mitgliedstaaten, ABl. EU Nr. L 306 vom 23. November 2011, S. 41).

II.

43

Mit ihren im Rubrum wiedergegebenen Anträgen begehrt die Antragstellerin die Feststellung, dass die Antragsgegnerin die Rechte des Deutschen Bundestages aus Art. 23 Abs. 2 GG verletzt habe, indem sie diesen über den Europäischen Stabilitätsmechanismus und über den Euro-Plus-Pakt nicht hinreichend und nicht rechtzeitig unterrichtet habe.

44

1. a) Die Frist des § 64 Abs. 3 BVerfGG sei gewahrt. Das Organstreitverfahren betreffe ein Unterlassen der Bundesregierung, so dass die Frist frühestens in dem Zeitpunkt zu laufen begonnen habe, in dem sich die Antragsgegnerin erkennbar und endgültig geweigert habe, die gebotene Handlung vorzunehmen. Eine solche Weigerung, den Deutschen Bundestag zu unterrichten, sei nicht vor der Tagung des Europäischen Rates am 4. Februar 2011 zum Ausdruck gebracht worden.

45

b) Der Antrag sei auch begründet. So habe die Antragsgegnerin den Deutschen Bundestag über die Ausgestaltung des Europäischen Stabilitätsmechanismus nicht umfassend, frühestmöglich und fortlaufend unterrichtet.

46

aa) Beim Europäischen Stabilitätsmechanismus handele es sich um eine Angelegenheit der Europäischen Union im Sinne von Art. 23 Abs. 2 Satz 1 GG. Der Begriff der Angelegenheit der Europäischen Union sei weit zu verstehen und orientiere sich nicht allein an der formellen Einordnung der Rechtsgrundlage in den supranationalen Integrationsverbund. Der geplante Art. 136 Abs. 3 AEUV und der auf seiner Grundlage zu errichtende Europäische Stabilitätsmechanismus hätten erhebliche Auswirkungen auf die Wirtschafts- und Währungsunion. Die Ermächtigung der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes zur Einrichtung eines ständigen Stabilitätsmechanismus ergänze den bisherigen Charakter der Wirtschafts- und Währungsunion. Die hiermit einhergehenden Pflichten hätten erhebliche Rückwirkungen auf das nationale Haushaltsverfassungsrecht und beträfen damit einen Kernbereich parlamentarischer Verantwortung. Der Umbau der Wirtschafts- und Währungsunion berühre jenen Katalog von Staatsaufgaben, den das Bundesverfassungsgericht als identitätsprägend herausgestellt und der parlamentarischen Integrationsverantwortung vorbehalten habe. Entstehungsgeschichtlich und institutionell sei der Europäische Stabilitätsmechanismus als "Angelegenheit der Europäischen Union" ausgewiesen. So seien die Planungen von Anfang an auf eine Stabilisierung der Wirtschafts- und Währungsunion ausgerichtet gewesen; mit dem Europäischen Rat und der Europäischen Kommission seien Organe der Europäischen Union maßgeblich an der Ausgestaltung beteiligt. Die "Vereinbarung über die Merkmale des Europäischen Stabilitätsmechanismus" in den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 24./25. März 2011 (EUCO 10/11, Anlage II, S. 21 ff.) könne als inhaltlich prägendes Gründungsdokument gelten. Der Europäische Rat habe, ausdrücklich unter Rückgriff auf Art. 136 Abs. 3 AEUV, Einvernehmen darüber erzielt, dass die Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes einen ständigen Stabilisierungsmechanismus einrichten müssten. Insoweit sei der Europäische Stabilitätsmechanismus ein Geschöpf des Europäischen Rates. Die Statik des Europäischen Stabilitätsmechanismus - Aufgaben und Finanzierungsstrategie, Leitung, Kapitalstruktur sowie Instrumente - werde grundlegend bestimmt von den im Europäischen Rat vereinbarten Merkmalen. Im Übrigen habe die Bundesregierung ihrerseits die Finalisierung der Arbeiten zur Ausgestaltung des künftigen Stabilitätsmechanismus als eine dem Europäischen Rat vorbehaltene Angelegenheit behandelt und die Zugehörigkeit des Europäischen Stabilitätsmechanismus zu einem Gesamtpaket betont, ausgerichtet auf die dauerhafte Stabilisierung des Euro-Währungsgebietes. Auf diese Weise habe sie maßgeblich dazu beigetragen, den Europäischen Stabilitätsmechanismus institutionell und materiell als Angelegenheit der Europäischen Union auszuweisen und innerhalb der Wirtschafts- und Währungspolitik (Art. 119 ff. AEUV) konzeptionell eng mit dem Kapitel über die Wirtschaftspolitik zu verzahnen (Art. 120 ff. AEUV). Auch nach dem beabsichtigten Inkrafttreten des Vertrages über den Europäischen Stabilitätsmechanismus bleibe der enge institutionelle Konnex zur Europäischen Union erhalten. Der Europäische Stabilitätsmechanismus stelle sich als zwischenstaatliche Organisation ohne eigene Hoheitsgewalt dar, zugleich aber als hybride Kombination aus intergouvernementalen und supranationalen Elementen. Bei der "Aktivierung der Finanzhilfe" werde der Europäischen Kommission eine wichtige Rolle zugedacht, die zusammen mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) und in Absprache mit der Europäischen Zentralbank (EZB) den tatsächlichen Finanzierungsbedarf des begünstigten Mitgliedstaates ermitteln solle. In Streitfällen solle der Europäische Gerichtshof gemäß Art. 273 AEUV angerufen werden können. Die geplante Vertragsänderung des Art. 136 Abs. 3 AEUV führe in ihrer Zielrichtung zurück in die supranationale Union. Der Europäische Stabilitätsmechanismus erweise sich damit als ein stabilisierender Anbau an die unionsrechtlich geregelte Wirtschafts- und Währungsunion. Der Gesetzgeber habe dem dadurch Rechnung getragen, dass nach § 4 Abs. 4 Nr. 1 EUZBBG die Bundesregierung den Deutschen Bundestag auch über völkerrechtliche Verträge zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Mitgliedstaaten der Europäischen Union zu unterrichten habe, wenn diese eine engere Kooperation in Politikbereichen normieren, die auch in die Zuständigkeit der Europäischen Union fallen. In dem hier betroffenen Politikbereich sei die Europäische Union ausschließlich zuständig.

47

bb) Aus Art. 23 Abs. 2 GGfolge, dass die Bundesregierung die Unterrichtungspflichten nach Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG in der konkretisierenden Ausgestaltung der §§ 4 ff. EUZBBG hätte erfüllen müssen. Die Bundesregierung sei zur Unterrichtung zum frühestmöglichen Zeitpunkt verpflichtet. Angesichts des prozesshaften Charakters der Beschlussfassung beinhalte diese Pflicht auch eine Pflicht zur fortlaufenden Unterrichtung; § 4 Abs. 1 Satz 1 EUZBBG stelle dies klar. Die Pflicht zur umfassenden Unterrichtung des Deutschen Bundestages solle diesen in die Lage versetzen, seine Mitwirkungsrechte effektiv zu nutzen, und erfasse daher auch vorbereitende Papiere der Europäischen Kommission und des Rates einschließlich inoffizieller Dokumente. Sie habe in der Regel schriftlich zu erfolgen, weil nur dies jene verlässliche Informationsgrundlage schaffe, ohne die von umfassender Unterrichtung nicht die Rede sein könne. Die Auffassung, wonach über die Sitzungen der Eurogruppe nur mündlich unterrichtet werde, weil § 5 Abs. 4 EUZBBG lex specialis gegenüber § 5 Abs. 3 und 5 EUZBBG sei, sei mit Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG, der den Deutsche Bundestag umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt unterrichtet sehen wolle, unvereinbar.

48

cc) Die Antragsgegnerin habe die Rechte des Deutschen Bundestages aus Art. 23 Abs. 2 GG dadurch verletzt, dass sie es unterlassen habe, ihn in der Zeit vor und nach der Tagung des Europäischen Rates vom 4. Februar 2011 umfassend, zum frühestmöglichen Zeitpunkt und fortlaufend über die Ausgestaltung des Europäischen Stabilitätsmechanismus zu unterrichten und spätestens am 6. April 2011 den Entwurf eines Vertrages über den Europäischen Stabilitätsmechanismus zu übersenden. Das federführende Bundesministerium der Finanzen habe im Vorfeld der Tagung des Europäischen Rates vom 4. Februar 2011 zunächst die Übermittlung relevanter Papiere zugesagt, dies aber später mit unterschiedlichen, einander widersprechenden rechtlichen Argumenten abgelehnt. Im Anschluss an die Tagung des Europäischen Rates vom 4. Februar 2011 habe die Antragsgegnerin ihre Verpflichtung zur Nachberichterstattung nicht erfüllt.

49

Aus den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 24./25. März 2011 ergebe sich, dass in der Phase zwischen dem 4. Februar 2011 und dem 24./25. März 2011 gravierende Entscheidungen getroffen worden seien, ohne dass der Deutsche Bundestag Gelegenheit gehabt habe, hieran mitzuwirken. Die in diesem Zeitraum getroffene "Vereinbarung über die Merkmale des Europäischen Stabilitätsmechanismus" sei dessen Gründungsdokument, über das die Antragsgegnerin nach § 5 Abs. 5 EUZBBG fortlaufend und umfassend hätte unterrichten müssen.

50

Aus Entwürfen des Vertrages über den Europäischen Stabilitätsmechanismus, auf die der Deutsche Bundestag informell habe zugreifen können, lasse sich schließen, dass spätestens seit dem 6. April 2011 Textstufen des Vertrages vorgelegen hätten. Eine Übermittlung durch die Antragsgegnerin sei dagegen erst am 17. Mai 2011 erfolgt. Da die Übersendung ohne Anerkennung einer Rechtspflicht erfolgt sei, sei zu befürchten, dass die Antragsgegnerin ihre Unterrichtungspraxis aus eigenem Antrieb nicht ändern werde.

51

2. Auch mit Blick auf den sogenannten Euro-Plus-Pakt habe die Bundesregierung gegen ihre Pflicht aus Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG verstoßen.

52

a) Der Euro-Plus-Pakt sei ebenfalls eine Angelegenheit der Europäischen Union im Sinne von Art. 23 Abs. 2 Satz 1 GG. Im Zusammenwirken der Instrumente werde das supranationale Überwachungsrecht der Art. 121, 126 AEUV auf die zwischenstaatlichen Verpflichtungen aus dem Euro-Plus-Pakt erstreckt. Angesichts der Inhalte und der erkennbar an Art. 121 AEUV angelehnten Verfahren könne nicht zweifelhaft sein, dass es sich beim Pakt um eine Angelegenheit der Europäischen Union im Sinne von Art. 23 Abs. 2 GG handele.

53

b) Über Initiativen der Antragsgegnerin habe diese den Deutschen Bundestag gemäß § 5 Abs. 2 EUZBBG durch umfassende und frühestmögliche Übersendung von Dokumenten und Informationen zu unterrichten. Art. 23 Abs. 1 und Abs. 2 GG und die Begleitgesetze zu den Informations- und Mitwirkungsrechten stellten klar, dass Europapolitik nicht der Prärogative der Regierung in auswärtigen Angelegenheiten unterliege.

54

aa) Der Euro-Plus-Pakt habe seinen Ursprung in einer deutsch-französischen Initiative vom 4. Februar 2011. Diese habe die Bundeskanzlerin gemeinsam mit dem französischen Staatspräsidenten beim Europäischen Rat eingebracht, ohne dass der Deutsche Bundestag im Vorfeld davon unterrichtet gewesen sei. Auf entsprechende Anfragen des Deutschen Bundestages habe der Staatsminister des Bundeskanzleramtes in der Sitzung des Europaausschusses vom 9. Februar 2011 auch nach Einbringung der Initiative mehrfach auf das Fehlen einer abgestimmten Position innerhalb der Bundesregierung sowie darauf verwiesen, dass es noch kein Papier gebe. Unabhängig von der Frage, inwieweit kabinettsinterne Abstimmungsprozesse zum Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung zu rechnen seien, habe es sich bei der am 4. Februar 2011 eingebrachten Initiative der Bundeskanzlerin jedenfalls um eine Position der Bundesregierung gehandelt. Wegen ihrer Richtlinienkompetenz sei die Initiative spätestens zu jenem Zeitpunkt auch zu einer Initiative der Bundesregierung geworden. In demselben Augenblick habe diese ihre verfassungsrechtliche Pflicht zur Unterrichtung des Deutschen Bundestages verletzt. Das Gebot der umfassenden und frühestmöglichen Unterrichtung (Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG) schließe es aus, den Deutschen Bundestag erst im Nachhinein zu informieren. Eine deutsche Initiative sei insoweit erst nach der Abstimmung zwischen Regierung und Parlament zulässig. Die Bezeichnung der Initiative als "persönliche" Initiative der Bundeskanzlerin umgehe die Unterrichtungspflicht aus Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG.

55

bb) Auch im weiteren Fortgang des Verhandlungsprozesses über den Pakt habe die Antragsgegnerin die Pflicht zur Unterrichtung des Deutschen Bundestages verletzt. Zwischen der Tagung des Europäischen Rates vom 4. Februar 2011, dem Treffen der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes am 11. März 2011 und der Tagung des Europäischen Rates am 24./25. März 2011 sei eine Verständigung über den Euro-Plus-Pakt erfolgt. Spätestens am 25. Februar 2011 habe der Antragsgegnerin ein konkretisierter Sach- und Verhandlungsstand vorgelegen, über den sie vor der Tagung des Europäischen Rates von sich aus hätte unterrichten müssen.

III.

56

Die Antragsgegnerin hält den Antrag zu 1. für unzulässig und beide Anträge für unbegründet. Sie beantragt, die Anträge zurückzuweisen.

57

1. a) Der Antrag zu 1. sei verfristet. Das Bundesministerium der Finanzen habe bereits am 19. Januar 2011 darauf hingewiesen, dass es sich beim Europäischen Stabilitätsmechanismus nicht um ein Vorhaben der Europäischen Union handele. Damit sei der Antragstellerin das Unterlassen der Antragsgegnerin im Sinne von § 64 Abs. 3 BVerfGG bekannt geworden. Der dem Bundesverfassungsgericht erst am 25. Juli 2011 zugegangene Antrag sei daher nicht innerhalb der sechsmonatigen Antragsfrist gestellt worden.

58

b) Der Antrag sei außerdem unbegründet, weil es sich bei dem geplanten Europäischen Stabilitätsmechanismus um eine internationale Finanzinstitution außerhalb des Rahmens der Europäischen Union handele und damit nicht um eine Angelegenheit der Europäischen Union im Sinne von Art. 23 Abs. 2 GG. Die besonderen Mechanismen, die für die Parlamentsbeteiligung nach Art. 23 Abs. 2 GG vorgesehen und für den Deutschen Bundestag im Gesetz über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union geregelt seien, seien auf die Abstimmung von intergouvernementalen Maßnahmen, wie sie der Europäische Stabilitätsmechanismus darstelle, nicht übertragbar. Die Kombination aus Zustimmung zur Übertragung nur bestimmter Hoheitsrechte und den in Art. 23 Abs. 2 GG vorgesehenen Informationsansprüchen ermögliche es dem Deutschen Bundestag, seine Integrationsverantwortung wahrzunehmen. Bei völkerrechtlichem Handeln außerhalb des Rahmens der supranationalen Europäischen Union besitze der Deutsche Bundestag hingegen nach Art. 24 GG und/oder Art. 59 Abs. 2 GG ein Letztentscheidungsrecht, so dass hier nicht in gleichem Maße das Bedürfnis nach umfassender Information bestehe. Art. 23 Abs. 2 GG durchbreche den Primat der Exekutive überdies nicht in dem Sinne, dass Bundesregierung, Deutscher Bundestag und Bundesrat unterschiedslos zusammenwirkten. Alle drei Verfassungsorgane wirkten in auswärtigen Angelegenheiten sowohl allgemein als auch im Kontext der europäischen Zusammenarbeit in ihrer jeweils spezifischen Funktion mit. Primär zum Handeln berufen sei auch insoweit weiterhin die Bundesregierung. Auch im Zusammenhang mit Angelegenheiten der Europäischen Union bleibe ihr ein Bereich exekutiver Eigenverantwortung vorbehalten.

59

Die Ausgestaltung des Europäischen Stabilitätsmechanismus sei keine Angelegenheit der Europäischen Union. Die intergouvernementale Zusammenarbeit von Mitgliedstaaten, die neben derjenigen im Rahmen der Europäischen Union stattfinde, habe - anders als die in der Europäischen Union - keine supranationale Qualität. Die erforderliche Einbindung des Gesetzgebers werde deshalb durch Art. 59 Abs. 2 und Art. 24 GG gewährleistet. Im Zusammenhang mit der Errichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus sei zwar die Einfügung eines Art. 136 Abs. 3 AEUV beschlossen worden. Mit dieser Vertragsänderung erhalte die Europäische Union jedoch keine zusätzlichen Hoheitsrechte. Vielmehr gehe es um die Klarstellung, dass das auch an die Mitgliedstaaten gerichtete Verbot des Art. 125 AEUV der Errichtung eines Stabilitätsmechanismus nicht entgegenstehe, hierzu aber nicht die Europäische Union, sondern die Mitgliedstaaten außerhalb des Rahmens der Europäischen Union aufgerufen seien. Die Mitgliedstaaten gründeten mit dem Vertrag über den Europäischen Stabilitätsmechanismus eine neue internationale Finanzinstitution außerhalb der Europäischen Union.

60

Auf europäischer Ebene bestehe Einigkeit darüber, dass der Europäische Stabilitätsmechanismus keine Einrichtung der Europäischen Union sei, sondern eine der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes. Dies zeigten Stellungnahmen der Europäischen Kommission und der Europäischen Zentralbank sowie eine Entschließung des Europäischen Parlaments zu dem geplanten Stabilitätsmechanismus.

61

Die Schutzfunktion des Art. 23 GG, den Gesetzgeber vor einem "Kompetenzabfluss durch Kompetenzüberschreitungen" der Europäischen Union zu bewahren, komme nicht zum Tragen. Der Deutsche Bundestag könne und solle, wie in vergleichbaren Fällen der Schaffung internationaler Finanzinstitutionen - etwa des Internationalen Währungsfonds - üblich und von der Verfassung vorgesehen, seine Zuständigkeit als nationaler Gesetzgeber uneingeschränkt ausüben. Dieses Recht gehe über eine nur mittelbare Beteiligung im Rahmen des europäischen Rechtsetzungsprozesses hinaus. Die Verfahrensweisen zur Vorbereitung unionaler Rechtsakte, auf die das Gesetz über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union zugeschnitten sei, kämen bei den Verhandlungen zum Vertrag über den Europäischen Stabilitätsmechanismus nicht zur Anwendung, weil die Arbeiten, dem zwischenstaatlichen Charakter entsprechend, nicht in den Ratsgremien stattfänden. Der Europäische Rat habe die Finanzminister des Euro-Währungsgebietes auf seiner Tagung am 16./17. Dezember 2010 gebeten, die Arbeiten an der zwischenstaatlichen Vereinbarung abzuschließen und hierbei auch die Mitgliedstaaten einzubeziehen, deren Währung nicht der Euro ist. Dass die Mitgliedstaaten im Zusammenhang mit der geplanten Änderung des Art. 136 AEUV auch die wesentlichen Merkmale des Europäischen Stabilitätsmechanismus im Europäischen Rat diskutiert hätten, ändere nichts an dieser Beurteilung. Die Zielsetzung der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes habe von Anfang an darin bestanden, den Europäischen Stabilitätsmechanismus nicht in den institutionellen Rahmen der Europäischen Union einzupassen. Auch die Betrauung von Organen der Europäischen Union mit speziellen Aufgaben sowie die Zuständigkeit des Europäischen Gerichtshofs im Rahmen einer Schiedsvertragsklausel führten nicht dazu, dass der Europäische Stabilitätsmechanismus zu einer Angelegenheit der Europäischen Union werde. Art. 273 AEUV fordere für das Tätigwerden des Europäischen Gerichtshofs zwar einen gewissen Zusammenhang mit dem Gegenstand der Unionsverträge. Über die Streitigkeit entscheide der Gerichtshof aber nicht auf der Grundlage des Unionsrechts, sondern auf der Basis des zwischen den Parteien vereinbarten Vertrages. Die Ausgestaltung des Europäischen Stabilitätsmechanismus falle nicht ausschließlich in den Zuständigkeitsbereich der Europäischen Union. Unionsrechtlich intendierte völkervertragliche Regelungen zwischen Mitgliedstaaten seien auch nicht ungewöhnlich. Den zahlreichen Doppelbesteuerungsabkommen mit anderen Staaten der Europäischen Union habe der Deutsche Bundestag stets nach Art. 59 Abs. 2 GG zugestimmt. Auch aus der besonderen Haushaltsbezogenheit des Europäischen Stabilitätsmechanismus und dem Grundsatz der parlamentarischen Haushaltsverantwortung seien keine besonderen Informationspflichten abzuleiten.

62

c) Der Antrag zu 1. sei jedenfalls deshalb unbegründet, weil die Antragsgegnerin den Deutschen Bundestag über die Arbeiten am Europäischen Stabilitätsmechanismus stets zeitnah und umfassend informiert habe.

63

Über die Ergebnisse der im März 2010 eingesetzten Arbeitsgruppe zur Reform des Regelwerks der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion seien die Bundestagsausschüsse für Haushalt, Finanzen und für die Angelegenheiten der Europäischen Union regelmäßig durch Vor- und Nachberichte zu den Treffen der Arbeitsgruppe mündlich unterrichtet worden. Darüber hinaus sei dem Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union am 23. März 2011 ein Papier zu den Grundsätzen des Europäischen Stabilitätsmechanismus (term sheet) als Tischvorlage vorgelegt worden. Damit habe der Deutsche Bundestag bereits am 23. März 2011 ein Dokument erhalten, das die auf der Tagung des Europäischen Rates am 24./25. März 2011 beratenen Vorstellungen zum Europäischen Stabilitätsmechanismus zusammengefasst habe.

64

Die Vorsitzenden des Haushaltsausschusses und des Ausschusses für Angelegenheiten der Europäischen Union hätten am 18. Mai 2011 die englischsprachige Fassung sowie eine nicht offizielle deutsche Übersetzung des Entwurfs eines Vertrages über den Europäischen Stabilitätsmechanismus erhalten, über den erstmals während der Sitzung der erweiterten Euro-Gruppe am 16. Mai 2011 gesprochen worden sei. Da der Prozess der Ausarbeitung des Vertragsentwurfs innerhalb des speziellen Formats der sogenannten erweiterten Euro-Gruppe stattgefunden habe, die informell zusammentrete und sensible Materien behandle, sehe § 5 Abs. 4 EUZBBG lediglich eine mündliche Unterrichtung vor. Das Vorgehen der Antragsgegnerin habe den Usancen innerhalb der Euro-Gruppe entsprochen. Ob sich alle Mitgliedstaaten an die grundsätzlich geltende Vertraulichkeit hielten, könne nicht Maßstab für das Handeln der Bundesregierung sein. Letztlich sei es der Bundesfinanzminister gewesen, der Hindernisse für die Übermittlung des Vertragsentwurfs aus dem Weg geräumt habe, indem er am 16. Mai 2011 eine Verständigung der Finanzminister der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes darüber erwirkt habe, dass der Entwurf den nationalen Parlamenten übermittelt werde. Eine frühere Übersendung des noch im Entstehungsprozess befindlichen Textes sei verfassungsrechtlich nicht geboten gewesen.

65

2. Der Antrag zu 2. sei unbegründet, weil es sich bei dem Euro-Plus-Pakt ebenfalls nicht um eine Angelegenheit der Europäischen Union handele und die Antragsgegnerin überdies möglichen Unterrichtungspflichten jedenfalls vollumfänglich entsprochen habe.

66

a) Der Euro-Plus-Pakt sei keine Angelegenheit der Europäischen Union im Sinne von Art. 23 Abs. 2 GG, weil er lediglich die im Unionsrecht vorgesehenen Koordinierungsmechanismen (insbesondere Art. 121 AEUV) in Bereichen der Wirtschafts- und Sozialpolitik ergänzen solle, die vollständig in der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten lägen. Bei den zu vereinbarenden Zielen handele es sich durchweg um freiwillige Selbstverpflichtungen auf intergouvernementaler Grundlage. Die Aufnahme entsprechender Maßnahmen auch in die jeweiligen "Nationalen Reformprogramme" bestätige ihren innerstaatlichen Charakter. Die Mitgliedstaaten legten diese Programme der Europäischen Kommission vor, die die Vorhaben und deren Umsetzung prüfe und bewerte. Unmittelbare rechtliche Folgen seien damit nicht verbunden. Deshalb könne Art. 23 Abs. 2 GG Unterrichtungspflichten der Bundesregierung im Zusammenhang mit dem Euro-Plus-Pakt nicht begründen.

67

b) Ungeachtet dessen habe die Bundesregierung den Deutschen Bundestag stets frühzeitig, umfassend und fortlaufend über den Euro-Plus-Pakt informiert.

68

Der Staatsminister des Bundeskanzleramtes habe den Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union am 26. Januar 2011 vorab über die Tagung des Europäischen Rates vom 4. Februar 2011 mündlich informiert. Der Bundesminister der Finanzen habe in derselben Sitzung über das Treffen der Finanzminister des Euro-Währungsgebietes vom 24. Januar 2011 berichtet und dabei unter anderem die geplante stärkere Koordinierung der Wirtschafts- und Sozialpolitik innerhalb der Euro-Gruppe erwähnt. Am 2. Februar 2011 habe der Deutsche Bundestag den schriftlichen Vorbericht des Bundeskanzleramtes zur Tagung des Europäischen Rates am 4. Februar 2011 erhalten. Am 3. Februar 2011 habe der Staatsminister des Bundeskanzleramtes mit den Obleuten des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union wegen des geplanten Paktes für Wettbewerbsfähigkeit telefoniert. Auf seiner Tagung am 4. Februar 2011 habe der Europäische Rat Elemente für ein Gesamtpaket zur dauerhaften Stärkung der Wirtschafts- und Währungsunion benannt. Die Staats- und Regierungschefs hätten sich dem Grunde nach darauf verständigt, dass ein Element des Gesamtpakets darin bestehen solle, weitere Schritte hin zu einer Vertiefung der Koordinierung der Wirtschaftspolitik mit dem Ziel einer größeren Konvergenz und Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit zu unternehmen. Inhaltliche Festlegungen seien beim Europäischen Rat am 4. Februar 2011 nicht getroffen worden. Über die Ergebnisse dieses Europäischen Rates habe das Bundeskanzleramt dem Deutschen Bundestag am 7. Februar 2011 schriftlich berichtet; der Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union sei am 9. Februar 2011 mündlich unterrichtet worden, der Finanzausschuss am 23. Februar 2011.

69

Der Präsident des Europäischen Rates habe zwischen dem 7. Februar 2011 und dem 11. März 2011 bilaterale Konsultationen mit allen Mitgliedstaaten, die dem Euro-Währungsgebiet angehören, geführt, in einer informellen Runde Vertreter aller dieser Mitgliedstaaten über die Ergebnisse seiner Konsultationen informiert und im Lichte dieser Beratungen den Text erstellt, der den Staats- und Regierungschefs dann auf ihrer informellen Tagung am 11. März 2011 vorgelegt worden sei. Die Bundeskanzlerin habe den Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union vorab über die informelle Tagung der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes am 11. März 2011 informiert. Am Morgen des 11. März 2011 habe die Antragsgegnerin dem Deutschen Bundestag eine Entwurfsfassung des nun als "Pakt für den Euro" bezeichneten Vorhabens übersandt, auf den sich die Staats- und Regierungschefs am gleichen Tag geeinigt hätten. Nachberichte seien wiederum im Finanzausschuss am 16. März 2011, im Haushaltsausschuss am 23. März 2011 und im Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union ebenfalls am 23. März 2011 erstattet worden. Das deutsche Aktionsprogramm im Rahmen des Euro-Plus-Paktes sei dem Deutschen Bundestag ebenfalls präsentiert worden. Am 24. März 2011 habe die Bundeskanzlerin im Plenum des Deutschen Bundestages eine Regierungserklärung zur bevorstehenden Tagung des Europäischen Rates vom 24./25. März 2011 abgegeben, auf der der Euro-Plus-Pakt endgültig verabschiedet worden sei. Hierüber habe der Staatsminister des Bundeskanzleramtes die Obleute des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union am 28. März 2011 telefonisch unterrichtet. Damit seien alle Informationspflichten erfüllt.

70

Die Antragsgegnerin sei nicht verpflichtet gewesen, über in der Bundesregierung oder zwischen der Bundesregierung und der französischen Regierung noch nicht abgestimmte Überlegungen zu einem Pakt für Wettbewerbsfähigkeit früher zu unterrichten als sie es getan habe. Es bestehe auch keine Pflicht, über eine noch nicht abgeschlossene interne Willensbildung zu informieren.

IV.

71

Der Deutsche Bundestag hat in seiner Sitzung vom 15. Dezember 2011 beschlossen, von einer Äußerung oder einem Verfahrensbeitritt abzusehen.

V.

72

In der mündlichen Verhandlung vom 30. November 2011 haben die Beteiligen ihr schriftsätzliches Vorbringen vertieft und ergänzt.

B.

73

Die Anträge sind zulässig.

I.

74

Die Anträge sind dahingehend auszulegen, dass sie sich auf die im Tenor festgestellten Rechtsverletzungen beschränken.

75

Die Antragstellerin macht eine Verletzung der Rechte des Deutschen Bundestages aus Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG auf Unterrichtung durch die Antragsgegnerin in Angelegenheiten der Europäischen Union geltend. Sie begehrt die Feststellung, dass die Antragsgegnerin den Deutschen Bundestag im Zusammenhang mit der Schaffung des Europäischen Stabilitätsmechanismus und des Euro-Plus-Paktes im Frühjahr 2011 nicht den Vorgaben der Verfassung entsprechend unterrichtet habe. Bezüglich des Europäischen Stabilitätsmechanismus wendet sich die Antragstellerin gegen die unterlassene Unterrichtung im Hinblick auf die Tagung des Europäischen Rates am 4. Februar 2011 und rügt die unterlassene Übersendung des Vertragsentwurfs vom 6. April 2011. Betreffend den Euro-Plus-Pakt beanstandet die Antragstellerin im Zusammenhang mit der Tagung des Europäischen Rates vom 4. Februar 2011 das Unterlassen jeglicher Unterrichtung über die Initiative der Antragsgegnerin sowie einer umfassenden und frühestmöglichen Information über den Pakt.

76

Eine Konkretisierung dieser Anträge im Sinne der im Tenor festgestellten Unterlassungen der Antragsgegnerin ergibt sich in hinreichendem Maße aus der Antragsbegründung. Dort werden der der Bundesregierung am 21. Februar 2011 vorliegende Text der Europäischen Kommission über die Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus und der Entwurf eines Vertrages über den Europäischen Stabilitätsmechanismus vom 6. April 2011 ebenso in Bezug genommen wie die Initiative für den Beschluss eines Paktes für Wettbewerbsfähigkeit und das inoffizielle Dokument der Präsidenten der Europäischen Kommission und des Europäischen Rates vom 25. Februar 2011.

II.

77

1. Die Antragstellerin ist als Fraktion im 17. Deutschen Bundestag im Organstreitverfahren parteifähig (§ 13 Nr. 5, § 63 BVerfGG) und berechtigt, Rechte des Deutschen Bundestages im Wege der Prozessstandschaft geltend zu machen (vgl. BVerfGE 2, 143 <165>; 45, 1 <28>; 67, 100 <125>; 104, 151 <193>; 118, 244 <254 f.>; 124, 78 <106>). Dies ist sowohl Ausdruck der Kontrollfunktion des Parlaments als auch ein Instrument des Minderheitenschutzes (vgl. BVerfGE 45, 1 <29 f.>; 60, 319 <325 f.>; 68, 1 <77 f.>; 121, 135 <151>). Die Bundesregierung ist nach § 63 BVerfGG taugliche Antragsgegnerin.

78

2. Das gerügte Unterlassen der Antragsgegnerin ist zulässiger Gegenstand eines Organstreitverfahrens (§ 64 Abs. 1 BVerfGG).

79

3. Die Antragstellerin ist antragsbefugt (§ 64 Abs. 1 BVerfGG) und hat ihre Anträge den Anforderungen des § 64 Abs. 2 BVerfGG entsprechend begründet. Sie macht eine Verletzung der Unterrichtungspflicht der Bundesregierung aus Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG geltend, der ein Recht des Deutschen Bundestages auf Unterrichtung korrespondiert.Diese als verletzt geltend gemachte Rechtsposition gründet in einem Verfassungsverhältnis, in dem sich auf beiden Seiten Verfassungsorgane gegenüber stehen und um verfassungsrechtliche Positionen streiten.

80

Soweit die als verletzt gerügten Unterrichtungspflichten sich auch nach dem einfachen Recht - hier insbesondere dem Gesetz über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union - bestimmen, ist dies im Organstreit allenfalls insoweit relevant, als das Gesetz unmittelbar aus der Verfassung selbst folgende Rechte und Pflichten widerspiegelt; eine Verletzung einfachen Rechts kann im Organstreit nicht geltend gemacht werden (vgl. BVerfGE 104, 151 <193 f.>; 118, 277 <319>).

81

4. Beide Anträge sind auch fristgerecht gestellt. Sie sind am 25. Juli 2011 und damit innerhalb von sechs Monaten seit Bekanntwerden der Unterlassung (§ 64 Abs. 3 BVerfGG) beim Bundesverfassungsgericht eingegangen (vgl. hierzu BVerfGE 92, 80 <89>).

82

Die Frist zur Antragstellung beginnt erst dann, wenn ein entsprechender Verstoß mit hinreichender Sicherheit feststeht oder wenn sich der Antragsgegner erkennbar weigert, die Maßnahmen zu treffen, die der Antragsteller zur Wahrung der Rechte aus seinem verfassungsrechtlichen Status für erforderlich hält (BVerfGE 92, 80 <89>; 103, 164 <170 f.>; 107, 286 <297>; 114, 107 <118>; zuletzt BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 22. November 2011 - 2 BvE 3/08 -, juris Rn. 34). Dies war hier bezüglich beider Anträge frühestens am 26. Januar 2011 der Fall.

83

a) Da der Lauf der Frist nach § 64 Abs. 3 BVerfGG jedenfalls nicht vor einer entsprechenden und eindeutigen Weigerung des zuständigen Ressortministers beginnen kann (vgl. BVerfGE 21, 312 <319 f.>; s. auch BVerfGE 4, 250 <269>), wurde die Antragsfrist hinsichtlich des Antrags zu 1. frühestens am 26. Januar 2011 in Gang gesetzt. An diesem Tag lehnte der Bundesminister der Finanzen gegenüber dem Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union die Weiterleitung eines inoffiziellen Papiers (non paper) der Europäischen Kommission mit Inhalten und Plänen zum Gesamtpaket ("comprehensive package") von Europäischer Finanzstabilisierungsfazilität und Europäischem Stabilitätsmechanismus ausdrücklich mit der Begründung ab, dass im Hinblick auf Sitzungen der Finanzminister der Euro-Gruppe eine mündliche Unterrichtung ausreiche.

84

Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin wurde ein früherer Fristlauf weder durch die E-Mail eines Referatsleiters im Bundesministerium der Finanzen vom 19. Januar 2011 noch durch Erklärungen im Finanzausschuss und im Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom gleichen Tag ausgelöst. Hierin lässt sich bereits keine eindeutige Weigerung der Bundesregierung erblicken, den Deutschen Bundestag über die Entwicklung der Ausgestaltung des Europäischen Stabilitätsmechanismus und ihn betreffende Vertragsentwürfe zu unterrichten. Noch am 17. Januar 2011 hatte das Bundesministerium der Finanzen auf die Dokumentenanforderung aus dem Bundestag (Referat PA 1 - Europa) telefonisch zugesichert, inoffizielle Dokumente (non papers) der Europäischen Kommission, sobald sie vorlägen, an den Deutschen Bundestag zu übermitteln; zudem wurde sowohl in der E-Mail vom 19. Januar 2011 als auch in den Erklärungen gegenüber den Ausschüssen ausdrücklich versichert, dass der Bundestag über die Arbeiten an dem permanenten Europäischen Stabilitätsmechanismus wie bisher regelmäßig unterrichtet beziehungsweise beteiligt werde, sobald eine abgestimmte Position der Bundesregierung vorliege. Selbst wenn man die in der E-Mail vom 19. Januar 2011 geäußerte Auffassung, es gehe bei den Überlegungen zur Entwicklung eines Europäischen Stabilitätsmechanismus um die Vorbereitung eines zwischenstaatlichen Instruments der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes und nicht um ein Vorhaben der Europäischen Union, als Weigerung verstehen wollte, der Unterrichtungspflicht nach Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG nachzukommen, könnte diese nicht der Bundesregierung zugerechnet werden. Denn bei den Äußerungen handelte es sich lediglich um die - überdies informell geäußerte - Rechtsauffassung eines Referatsleiters beziehungsweise anderer Beamter des Bundesministeriums der Finanzen.

85

b) Auch der Antrag zu 2. ist fristgerecht gestellt. Vor dem 25. Januar 2011 ist eine den Fristlauf in Gang setzende endgültige Weigerung der Antragsgegnerin, dem Deutschen Bundestag Informationen zum Euro-Plus-Pakt zu übermitteln, nicht ersichtlich.

86

5. Der Antragstellerin fehlt es für die Anträge schließlich nicht an dem erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis.

87

Umfang und Reichweite der Informationspflichten und -rechte aus Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG sind unklar und zwischen den Beteiligten umstritten. Dies gilt bereits für den Anwendungsbereich der in Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG geregelten Unterrichtungsrechte des Bundestages. Hier ist klärungsbedürftig, ob Angelegenheiten der Europäischen Union auch intergouvernementale Verträge und Absprachen erfassen, die zwar im Zusammenhang mit der europäischen Integration stehen, aber nicht auf eine Rechtsetzung durch die Europäische Union zielen. Hinsichtlich des Antrags zu 1. hatte die Antragsgegnerin bereits vorprozessual zu erkennen gegeben, dass sie völkerrechtliche Abkommen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union nicht als Angelegenheiten der Europäischen Union verstanden wissen will. Darüber hinaus hat der Bundesminister der Finanzen die Auffassung vertreten, über Dossiers der Euro-Gruppe sei nur mündlich zu unterrichten.

88

Das Rechtsschutzbedürfnis der Antragstellerin wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass die Bundesregierung dem Deutschen Bundestag bereits am 17. Mai 2011 und damit vor Stellung des Antrags im Organstreitverfahren den Entwurf zum Vertrag über den Europäischen Stabilitätsmechanismus und am 11. März 2011 zum Euro-Plus-Pakt zugeleitet hat. Das Rechtsschutzbedürfnis im Organstreitverfahren entfällt grundsätzlich nicht deshalb, weil eine beanstandete Rechtsverletzung abgeschlossen ist (BVerfGE 1, 372 <379>; 41, 291 <303>; 121, 135 <152>). Ob besondere Umstände im Sinne eines "Fortsetzungsfeststellungsinteresses" erforderlich sind, damit über eine in der Vergangenheit liegende und abgeschlossene Rechtsverletzung entschieden werden kann, bedarf hier keiner Entscheidung; denn solche Umstände sind hier in Form eines objektiven Interesses an der Klärung der Reichweite der Unterrichtungspflichten aus Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG (vgl. zum Klarstellungsinteresse BVerfGE 1, 372 <379>; 121, 135 <152>) und in Form einer Wiederholungsgefahr (vgl. BVerfGE 121, 135 <152>; 124, 267 <275>) gegeben. Die Rechtsauffassung, dass es sich bei den verfahrensgegenständlichen Vorgängen nicht um Angelegenheiten der Europäischen Union handele, hat die Antragsgegnerin auch in der Antragserwiderung vorgetragen. Zudem hatte sie vorprozessual vertreten, Papiere, die noch nicht zwischen den Ressorts abgestimmt seien, müssten auch dann nicht dem Bundestag vorgelegt werden, wenn diese von der Bundeskanzlerin zur Grundlage deutscher politischer Initiativen auf europäischer Ebene gemacht würden. Auch bei mündlich eingebrachten Initiativen bestehe keine Unterrichtungspflicht im Sinne von Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG. Den gerügten Unterlassungen liegen damit jeweils Rechtsauffassungen der Antragsgegnerin zu Grunde, die zukünftig in vergleichbaren Fällen zu gleichen Reaktionen auf geltend gemachte Informationsansprüche des Parlaments führen können.

C.

89

Die Anträge sind begründet.

I.

90

Verfassungsrechtlicher Maßstab für die Unterrichtung des Deutschen Bundestages durch die Bundesregierung in und über Angelegenheiten der Europäischen Union ist Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG. Mit Art. 23 GG hat der verfassungsändernde Gesetzgeber die traditionelle Aufgabenverteilung zwischen Exekutive und Legislative im Bereich der auswärtigen Gewalt (1.) für die Angelegenheiten der Europäischen Union dergestalt geordnet, dass er dem Deutschen Bundestag weitreichende Mitwirkungsrechte eingeräumt hat (2.). Die in Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG verankerten Unterrichtungspflichten der Bundesregierung sind Voraussetzung und Ausdruck dieser Mitwirkungsrechte und haben den daraus folgenden Informationsbedürfnissen des Bundestages - unter Wahrung des Kernbereichs exekutiver Eigenverantwortung - in sachlicher, zeitlicher und förmlicher Hinsicht zu genügen (3.).

91

1. Das Grundgesetz hat in Anknüpfung an die traditionelle Staatsauffassung der Regierung im Bereich auswärtiger Politik einen weit bemessenen Spielraum zu eigenverantwortlicher Aufgabenwahrnehmung überlassen (BVerfGE 104, 151 <207>; vgl. auch schon BVerfGE 49, 89 <125>). Die Rolle des Parlaments ist schon aus Gründen der Funktionsgerechtigkeit in diesem Bereich beschränkt (vgl. BVerfGE 104, 151 <207>). Zwar sieht Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG für den Abschluss völkerrechtlicher Verträge, welche die politischen Beziehungen des Bundes regeln oder sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung beziehen, die Notwendigkeit der Zustimmung oder Mitwirkung der jeweils für die Bundesgesetzgebung zuständigen Körperschaften in Form eines Bundesgesetzes vor. Der Verkehr mit anderen Staaten, die Vertretung in internationalen Organisationen, zwischenstaatlichen Einrichtungen und Systemen gegenseitiger kollektiver Sicherheit (Art. 24 Abs. 2 GG) sowie die Sicherstellung der gesamtstaatlichen Verantwortung bei der Außenvertretung Deutschlands fallen aber grundsätzlich in den Kompetenzbereich der Exekutive, insbesondere der Bundesregierung. Die grundsätzliche Zuordnung der Akte des auswärtigen Verkehrs zum Kompetenzbereich der Exekutive beruht auf der Annahme, dass institutionell und auf Dauer typischerweise allein die Regierung in hinreichendem Maße über die personellen, sachlichen und organisatorischen Möglichkeiten verfügt, auf wechselnde äußere Lagen zügig und sachgerecht zu reagieren, und so die staatliche Aufgabe, die auswärtigen Angelegenheiten verantwortlich wahrzunehmen, bestmöglich zu erfüllen (BVerfGE 68, 1 <87>; vgl. auch BVerfGE 104, 151 <207>). Eine erweiternde Auslegung der Zustimmungs- oder Mitwirkungsbefugnisse des Bundestages unter Überspielung der konkreten Ordnung der Verteilung und des Ausgleichs staatlicher Macht im Grundgesetz würde die außen- und sicherheitspolitische Handlungsfähigkeit der Bundesregierung ungerechtfertigt beschneiden und liefe auf eine nicht funktionsgerechte Teilung der Staatsgewalt hinaus (vgl. BVerfGE 90, 286 <363>; 104, 151 <207>). Sie lässt sich nicht auf einen aus dem Demokratieprinzip abgeleiteten allumfassenden Parlamentsvorbehalt stützen (vgl. BVerfGE 49, 89 <124 ff.>; 68, 1 <87>).

92

Auch die der Bundesregierung anvertraute auswärtige Gewalt steht aber nicht außerhalb parlamentarischer Kontrolle (vgl. BVerfGE 104, 151 <207>; siehe ferner BVerfGE 49, 89 <125>; 68, 1 <89>; 90, 286 <364>). Das parlamentarische Regierungssystem des Grundgesetzes stellt dem Deutschen Bundestag auch insoweit geeignete Instrumente für die politische Kontrolle der Bundesregierung zur Verfügung. Der Bundestag kann sein Frage-, Debatten- und Entschließungsrecht ausüben, seine Kontroll- und Haushaltsbefugnisse wahrnehmen und dadurch auf die Entscheidungen der Regierung einwirken oder durch Wahl eines neuen Bundeskanzlers die Regierung stürzen, Art. 67 Abs. 1 Satz 1 GG (BVerfGE 68, 1<109 f.>; vgl. auch BVerfGE 104, 151 <208>).

93

Bei der Gestaltung völkerrechtlicher Verträge ist der Bundestag grundsätzlich auf die nachträgliche Zustimmung gemäß Art. 59 Abs. 2 GG verwiesen ("Ratifikationslage"). Inwieweit die Bundesregierung in diesem Zusammenhang Unterrichtungspflichten treffen, die in den Bereich der vorausgehenden Vertragsverhandlungen hineinreichen, ist nicht grundsätzlich geklärt und hier nicht zu entscheiden.

94

2. Für den Bereich der Europäischen Union hat Art. 23 GG das Spannungsverhältnis zwischen exekutiver Außenvertretung und parlamentarischer Verantwortung auf spezifische Weise ausgestaltet (a) und dem Deutschen Bundestag in Ansehung der mit der Europäisierung verbundenen Gewichtsverlagerung zugunsten der Exekutive (b) weitreichende Mitwirkungsrechte zugestanden (c).

95

a) Art. 23 GG sieht für die Ausübung der auswärtigen Gewalt durch die Bundesregierung in Angelegenheiten der Europäischen Union eine Mitwirkung von Bundestag und Bundesrat vor (Art. 23 Abs. 2 Satz 1 GG). Zentraler, wenn auch nicht alleiniger Bezugspunkt der Mitwirkung des Bundestages ist die Verpflichtung der Bundesregierung, dem Deutschen Bundestag vor einer Mitwirkung an Rechtsetzungsakten der Europäischen Union Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben (Art. 23 Abs. 3 Satz 1 GG) und diese Stellungnahme bei den Verhandlungen zu berücksichtigen (Art. 23 Abs. 3 Satz 2 GG).

96

b) Mit Art. 23 GG hat der verfassungsändernde Gesetzgeber auf mit der europäischen Integration verbundene Verschiebungen im nationalen Gewaltengefüge reagiert. Die europäische Union besitzt aufgrund der Übertragung von Hoheitsrechten (Art. 23 Abs. 1 GG) die Kompetenz, selbst Recht zu setzen, das unmittelbar gilt und in vielfältiger Weise Rechte und Pflichten für die Bürger begründet. Bei seinem Erlass agieren über den Europäischen Rat und den Rat nicht primär die nationalen Gesetzgebungsorgane, sondern die mitgliedstaatlichen Exekutiven. Die der Gesetzgebung zugrunde liegenden politischen Vorstellungen werden vom Europäischen Rat, der sich aus den Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten und den Präsidenten des Europäischen Rates und der Kommission zusammensetzt, in Bezug auf die allgemeinen politischen Ziele festgelegt (Art. 15 EUV). Vor allem ist der Rat, der aus den Vertretern der Mitgliedstaaten auf Ministerebene besteht (vgl. heute Art. 16 Abs. 2 EUV) und grundsätzlich mit qualifizierter Mehrheit entscheidet (Art. 16 Abs. 3 EUV), für die Festlegung der Politik zuständig und - in der Regel gemeinsam mit dem Europäischen Parlament - zentrales Gesetzgebungsorgan (vgl. Art. 16 Abs. 1 EUV). Das stellt die parlamentarische Demokratie auf nationaler Ebene vor besondere Herausforderungen, weil das Parlament aus der Rolle der zentralen Entscheidungsinstanz teilweise verdrängt wird (vgl. Unger, Das Verfassungsprinzip der Demokratie, 2008, S. 43). Eine stärkere Einbindung der nationalen Parlamente in den Integrationsprozess kann deren Kompetenzverluste gegenüber der jeweiligen nationalen Regierung ausgleichen.

97

Eine verbesserte Mitwirkung des nationalen Parlaments an den Entscheidungen der an der Rechtsetzung im Rat beteiligten Bundesregierung wurde als Bedingung ausreichender demokratischer Legitimation der supranationalen Rechtsetzung betrachtet (Abgeordneter Verheugen, Gemeinsame Verfassungskommission, 11. Sitzung am 15. Oktober 1992, Stenographischer Bericht, in: Deutscher Bundestag , Materialien zur Verfassungsdiskussion und zur Grundgesetzänderung in der Folge der deutschen Einigung, Band 1, Bericht und Sitzungsprotokolle, 1996, S. 543 <545>). Daher wurde in den Beratungen der Gemeinsamen Verfassungskommission von Bundestag und Bundesrat eine umfassende und frühestmögliche Unterrichtung durch die Bundesregierung gefordert, um Bundestag und Bundesrat zumindest Gelegenheit zur Einflussnahme auf die Mitwirkung der Bundesregierung an Vorhaben der Europäischen Union zu geben (vgl. Möller/Limpert, ZParl 24 <1993>, S. 21 <24 ff.>).

98

Die verglichen mit der allgemeinen Gewichtsverteilung zwischen Bundesregierung und Deutschem Bundestag im Bereich der auswärtigen Gewalt stärkere Einbindung des Parlaments in Angelegenheiten der Europäischen Union durch weitreichende Informations- und Mitwirkungsrechte (zu ähnlichen Regelungen in anderen Mitgliedstaaten vgl. etwa Art. 6 des Dänischen Gesetzes über den Beitritt zu den Europäischen Gemeinschaften; Art. 88-4 der Französischen Verfassung; Art. 23e des Österreichischen Bundes-Verfassungsgesetzes; Art. 197<1.> lit. i der Portugiesischen Verfassung; Kap. 10 §§ 2 und 3 der Schwedischen Reichstagsordnung) ist zudem Teil einer institutionellen Architektur, die den nationalen Parlamenten in der Europäischen Union eine über die Mitgliedstaaten hinausweisende Rolle zuweist und auf diese Weise ihr demokratisches Legitimationspotential für die Europäische Union fruchtbar machen will (vgl. Lang, Die Mitwirkungsrechte des Bundesrates und des Bundestages in Angelegenheiten der Europäischen Union gemäß Art. 23 Abs. 2 bis 7 GG, 1997, S. 279 f.). Art. 23 Abs. 2 GG korrespondiert insoweit mit Art. 12 EUV, der den nationalen Parlamenten eine stärkere Rolle im institutionellen Gefüge der Europäischen Union beimisst (vgl. auch Protokoll über die Rolle der nationalen Parlamente in der Europäischen Union; Protokoll über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit).

99

c) Art. 23 Abs. 2 Satz 1 GG bezieht das Mitwirkungsrecht des Parlaments auf Angelegenheiten der Europäischen Union und bestimmt damit zugleich den Gegenstand der Unterrichtungspflicht gemäß Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG. Zu den Angelegenheiten der Europäischen Union gehören Vertragsänderungen und entsprechende Änderungen auf der Ebene des Primärrechts (Art. 23 Abs. 1 GG; vgl. auch §§ 2 ff. des Gesetzes über die Wahrnehmung der Integrationsverantwortung des Bundestages und des Bundesrates in Angelegenheiten der Europäischen Union vom 22. September 2009 ) sowie Rechtsetzungsakte der Europäischen Union (Art. 23 Abs. 3 GG). Darin erschöpft sich der Anwendungsbereich der Norm aber nicht.

100

Um Angelegenheiten der Europäischen Union kann es sich auch in anderen Fällen handeln. Insbesondere gehören völkerrechtliche Verträge unabhängig davon, ob sie auf eine förmliche Änderung der vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union (Art. 23 Abs. 1 Satz 3 GG) gerichtet sind, zu den Angelegenheiten der Europäischen Union, wenn sie in einem Ergänzungs- oder sonstigen besonderen Näheverhältnis zum Recht der Europäischen Union stehen. Wann ein solches Verhältnis vorliegt, lässt sich nicht anhand eines einzelnen abschließenden und zugleich trennscharfen Merkmals bestimmen (vgl. auch die Technik lediglich exemplarischer Aufzählung von Vorhaben in § 3 EUZBBG). Maßgebend ist vielmehr eine Gesamtbetrachtung der Umstände, einschließlich geplanter Regelungsinhalte, -ziele und -wirkungen, die sich, je nach Gewicht, einzeln oder in ihrem Zusammenwirken als ausschlaggebend erweisen können. Für die Zugehörigkeit zu den Angelegenheiten der Europäischen Union kann es etwa sprechen, wenn die geplante völkerrechtliche Koordination im Primärrecht verankert oder die Umsetzung des Vorhabens durch Vorschriften des Sekundär- oder Tertiärrechts vorgesehen ist oder ein sonstiger qualifizierter inhaltlicher Zusammenhang mit einem in den Verträgen niedergelegten Politikbereich - also mit dem Integrationsprogramm der Europäischen Union - besteht, wenn das Vorhaben von Organen der Europäischen Union vorangetrieben wird oder deren Einschaltung in die Verwirklichung des Vorhabens - auch im Wege der Organleihe - vorgesehen ist oder wenn ein völkerrechtlicher Vertrag ausschließlich zwischen Mitgliedstaaten der Europäischen Union geschlossen werden soll. Ein qualifizierter inhaltlicher Zusammenhang mit einem der primärrechtlich normierten Politikbereiche der Europäischen Union (vgl. auch § 4 Abs. 4 Nr. 1 EUZBBG), der ein Ergänzungs- oder sonstiges besonderes Näheverhältnis zum Unionsrecht begründet, wird insbesondere dann vorliegen, wenn der Sinn eines Vertragsvorhabens gerade im wechselseitigen Zusammenspiel mit einem dieser Politikbereiche liegt, und erst recht dann, wenn der Weg der völkerrechtlichen Koordination gewählt wird, weil gleichgerichtete Bemühungen um eine Verankerung im Primärrecht der Union nicht die notwendigen Mehrheiten gefunden haben.

101

Für dieses weite Verständnis des Art. 23 Abs. 2 Satz 1 GG spricht zunächst sein Wortlaut. Der Formulierung "Angelegenheiten der Europäischen Union" kann keine Beschränkung auf bestimmte Rechtsakte entnommen werden. Eine solche ergibt sich auch nicht aus dem Zusammenspiel des Begriffs "Angelegenheiten" mit dem Begriff der "Europäischen Union". Der Wortlaut ist vielmehr offen: Er lässt einerseits eine Deutung dergestalt zu, dass nur solche Vorhaben gemeint sind, deren Urheberin oder unmittelbarer Gegenstand die Europäische Union als Institution ist. Er lässt sich jedoch auch zwanglos als umfassender Verweis auf Angelegenheiten mit spezifischem Bezug zur Europäischen Union und dem ihr zugewiesenen Integrationsprogramm ohne Festlegung auf bestimmte Gestaltungsformen verstehen.

102

Systematische Gesichtspunkte erhärten diese Auslegung. So ist in Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG von der Entwicklung der Europäischen Union zum Zwecke der Verwirklichung eines vereinten Europas die Rede, womit Programm und Zielrichtung der gesamten Vorschrift bestimmt werden. Dem würde es widersprechen, weite Teile des dynamischen und vielgestaltigen Prozesses der Integration im Rahmen der Europäischen Union von vornherein aus dem parlamentarischen Mitwirkungsrecht auszuklammern.

103

Der in den Beratungen der Gemeinsamen Verfassungskommission allgegenwärtige Kompensationsgedanke weist ebenfalls auf ein weites Verständnis der Regelung hin. Sie soll gewährleisten, dass der Deutsche Bundestag über seine Verantwortung für die Übertragung von Hoheitsrechten auf die Europäische Union gemäß Art. 23 Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 123, 267 <351 ff.>) hinaus auch an deren weiterer Gestaltung und an ihrem Wirken teilhat. Art. 23 Abs. 2 GG zielt deshalb darauf, dem Bundestag ausreichende Zeit für eine Entscheidung einzuräumen, ob und gegebenenfalls wie er sich an der nationalen Willensbildung beteiligen möchte (vgl. Schorkopf, in: Bonner Kommentar, Art. 23 Rn. 136 ). Diese Frage stellt sich nicht nur mit Blick auf die Beteiligung an der Rechtsetzung im Sinne von Art. 288 ff. AEUV, sondern auch für sonstige Initiativen und Vorschläge, die für die Entwicklung und das Handeln der Europäischen Union von Bedeutung sind. Im Hinblick darauf muss Art. 23 Abs. 2 GG auch auf die Erarbeitung völkerrechtlicher Verträge und politischer Initiativen Anwendung finden, wenn diese im obigen Sinne substantielle Berührungspunkte mit dem in den Verträgen niedergelegten Integrationsprogramm aufweisen.

104

Schließlich legt auch die historische Auslegung eine weite Interpretation des Begriffs der "Angelegenheiten der Europäischen Union" nahe. Art. 23 Abs. 2 GG hat im Zusammenhang mit der Ratifikation des Vertrags von Maastricht Eingang in das Grundgesetz gefunden, mit einem Vertrag also, der die damals bereits über 30 Jahre alten supranationalen Europäischen Gemeinschaften mit der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik sowie der Gemeinsamen Justiz- und Innenpolitik, zwei seinerzeit intergouvernemental organisierten Politikbereichen, unter dem Dach der Europäischen Union zusammenfasste (vgl. BVerfGE 89, 155 <158 ff.>; Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht, 5. Aufl. 2011, § 3 Rn. 2). Der verfassungsändernde Gesetzgeber des Jahres 1992 hatte somit ein Bild der Europäischen Union vor Augen, in der die - allein supranationalen - Europäischen Gemeinschaften und die intergouvernementalen Bereiche unterschieden wurden. Wenn er die Mitwirkungsrechte des Bundestages vor diesem Hintergrund auf die Angelegenheiten der Europäischen Union bezogen hat, liegt es nahe, dass er zwischen den Säulen der Europäischen Union nicht differenzieren wollte. Vielmehr sollte sich Art. 23 Abs. 2 GG auf "alle Vorhaben der Europäischen Union [erstrecken], die für die Bundesrepublik Deutschland bzw. den Bundestag von Interesse sein könnten" (BTDrucks 12/6000, S. 21). Bestätigt wird dies durch die sich im Laufe der Beratungen verfestigende Erkenntnis, dass die europäische Integration ein dynamischer Entwicklungsprozess sei, der auf der Ebene der Mitgliedstaaten ein hohes Maß an Flexibilität erfordere (BTDrucks 12/3338, S. 6; BTDrucks 12/6000, S. 20). Anhaltspunkte für eine abweichende Auslegung ergeben sich auch nicht aus der Ratifikation des Vertrags von Lissabon, weil nicht erkennbar ist, dass dadurch die Reichweite des Art. 23 Abs. 2 GG reduziert werden sollte.

105

Ob und inwieweit Maßnahmen in den Bereichen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik und der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik von Art. 23 Abs. 2 GG erfasst werden, ist hier nicht zu entscheiden.

106

3. Nach Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG hat die Bundesregierung den Bundestag (und den Bundesrat) umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu unterrichten. Gegenstand, Grenzen sowie Art und Weise der Unterrichtung des Deutschen Bundestages sind mit Blick auf den Normzweck, diesem eine effektive Wahrnehmung seiner Mitwirkungsrechte in Angelegenheiten der Europäischen Union unter Wahrung der Eigenverantwortung der Exekutive zu ermöglichen, zu bestimmen (a). Daraus folgen nähere Anforderungen an die Unterrichtung (b).

107

a) aa) Anknüpfungspunkt der Unterrichtungspflicht ist das in Art. 23 Abs. 2 Satz 1 GG verankerte Recht des Deutschen Bundestages auf Mitwirkung in Angelegenheiten der Europäischen Union. Die Unterrichtung muss dem Bundestag in erster Linie eine frühzeitige und effektive Einflussnahme auf die Willensbildung der Bundesregierung eröffnen. Nur auf einer ausreichenden Informationsgrundlage ist der Bundestag in der Lage, den europäischen Integrationsprozess zu begleiten und zu beeinflussen, kann er das Für und Wider einer Angelegenheit diskutieren und Stellungnahmen erarbeiten. Die Unterrichtung muss so erfolgen, dass das Parlament nicht in eine bloß nachvollziehende Rolle gerät (vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 7. September 2011 - 2 BvR 987/10, 2 BvR 1485/10, 2 BvR 1099/10 -, NJW 2011, S. 2946 <2951>, Rn. 124; Urteil des Zweiten Senats vom 28. Februar 2012 - 2 BvE 8/11 -, juris Rn. 109).

108

Die Entstehungsgeschichte von Art. 23 Abs. 2 GG bestätigt diese Interpretation. Vor der Neufassung des Art. 23 GG verlangten die im Deutschen Bundestag vertretenen Fraktionen übereinstimmend die Verankerung von parlamentarischen Mitwirkungsrechten mit dem Ziel, die Entscheidungen über europäische Rechtsetzungsakte bereits vorab auf nationaler Ebene beeinflussen zu können (vgl. die Abgeordneten Dr. Möller und Verheugen, Gemeinsame Verfassungskommission, 11. Sitzung am 15. Oktober 1992, Stenographischer Bericht, in: Deutscher Bundestag , Materialien zur Verfassungsdiskussion und zur Grundgesetzänderung in der Folge der deutschen Einigung, Band 1, Bericht und Sitzungsprotokolle, 1996, S. 543 <544 f.>). Im Hinblick auf die Erfahrung, dass der Bundestag häufig vor vollendete Tatsachen gestellt worden war, die er nur noch hatte zur Kenntnis nehmen können, schlug die Gemeinsame Verfassungskommission die Festschreibung der Unterrichtungspflicht in Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG vor. Es bestand insoweit weitgehende Einigkeit, dass eine fundierte Willensbildung und verantwortungsvolle Mitwirkung des Bundestages eine umfassende Information zum frühestmöglichen Zeitpunkt voraussetze (vgl. BTDrucks 12/3896, S. 19; BTDrucks 12/6000, S. 21; vgl. auch Möller/Limpert, ZParl 24 <1993>, S. 21 <26>).

109

bb) Die Unterrichtungspflicht nach Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG soll dazu beitragen, "Informationsasymmetrien" zwischen Bundesregierung und Bundestag auszugleichen, soweit dies zur Gewährleistung einer effektiven Rechtswahrnehmung erforderlich ist (Schorkopf, in: Bonner Kommentar, Bd 6, Art. 23 Rn. 144 ). Eine enge Auslegung liefe diesem Zweck zuwider. Der verfassungsändernde Gesetzgeber hat sich, wie die Entstehungsgeschichte nahelegt, bewusst für eine weitreichende Unterrichtungspflicht entschieden.

110

Nachdem die ursprünglich vorgesehene Bindung an die Stellungnahmen des Bundestages (so noch der Vorschlag von Möller, Arbeitsunterlage Nr. 67 der Gemeinsamen Verfassungskommission vom 9. Juli 1992) auf Druck der Bundesregierung auf die - deutlich schwächere - Pflicht zur Berücksichtigung der Stellungnahmen (Art. 23 Abs. 3 Satz 2 GG) reduziert worden war, setzte der Bundestag im Gegenzug eine strengere Fassung der Unterrichtungspflicht durch (vgl. Abgeordneter Verheugen, Gemeinsame Verfassungskommission, 11. Sitzung am 15. Oktober 1992, Stenographischer Bericht, in: Deutscher Bundestag , Materialien zur Verfassungsdiskussion und zur Grundgesetzänderung in der Folge der deutschen Einigung, Band 1, Bericht und Sitzungsprotokolle, 1996, S. 543 <545>). Wenn die Unterrichtungspflichten der Bundesregierung daher im Vergleich mit den in Art. 23 Abs. 3 GG geregelten Mitwirkungsrechten des Bundestages eine überschießende Tendenz aufweisen (vgl. Uerpmann-Wittzack, in: v. Münch/Kunig, GG, Bd. 1, 6. Aufl. 2012, Art. 23 Rn. 75), so verkörpert dies den spezifischen Zweck dieses institutionellen Arrangements, eine effektive Mitwirkung des Deutschen Bundestages in Angelegenheiten der Europäischen Union trotz Fehlens formaler Bindungsmöglichkeiten zu gewährleisten (vgl. Rath, Entscheidungspotenziale des Deutschen Bundestages in EU-Angelegenheiten, 2001, S. 43 ff.).

111

Für die Auslegung und Handhabung des Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG ist ferner von Bedeutung, dass die Unterrichtungspflicht nicht nur dazu dient, die Mitwirkungsrechte des Deutschen Bundestages nach Art. 23 Abs. 2 Satz 1 GG zu ermöglichen. Sie sichert auf nationaler Ebene zugleich ab, dass der Deutsche Bundestag die ihm in Art. 12 EUV sowie in Art. 1 und 2 des Protokolls über die Rolle der nationalen Parlamente in der Europäischen Union und in Art. 4 des Protokolls über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit zugewiesenen Aufgaben erfüllen kann.

112

cc) Die Auslegung und Anwendung des Art. 23 Abs. 2 GG hat darüber hinaus dem Umstand Rechnung zu tragen, dass diese Bestimmung auch dem im Demokratieprinzip verankerten Grundsatz parlamentarischer Öffentlichkeit dient.

113

Der Deutsche Bundestag trifft seine Entscheidungen grundsätzlich im Plenum (vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 28. Februar 2012 - 2 BvE 8/11 -, juris Rn. 102, 119) und in öffentlicher Beratung. Öffentliches Verhandeln von Argument und Gegenargument, öffentliche Debatte und öffentliche Diskussion sind wesentliche Elemente des demokratischen Parlamentarismus. Gerade das im parlamentarischen Verfahren nach Art. 42 Abs. 1 Satz 1 GG gewährleistete Maß an Öffentlichkeit der Auseinandersetzung und Entscheidungssuche eröffnet Möglichkeiten eines Ausgleichs widerstreitender Interessen, die sich bei einem weniger transparenten Vorgehen so nicht ergäben (BVerfGE 70, 324<355>; vgl. auch BVerfGE 40, 237 <249>). Im europäischen Kontext stärkt die öffentliche parlamentarische Willensbildung gleichzeitig die Responsivität von europäischen Entscheidungen für die Interessen und Überzeugungen der Bürger (vgl. Müller-Franken, DVBl 2009, S. 1072 <1080>). Erst die Öffentlichkeit der Beratung schafft die Voraussetzungen für eine Kontrolle durch die Bürger (vgl. BVerfGE 125, 104 <125>; zuletzt BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 28. Februar 2012 - 2 BvE 8/11 -, juris Rn. 108). Dies gilt auch, wo die parlamentarische Beratung sich, sei es mitwirkend oder kontrollierend, auf das Entscheidungsverhalten bezieht (zur Kontrollfunktion des Parlaments BVerfGE 67, 100 <130>; 110, 199 <218 f.>; 124, 78 <121>). Die parlamentarische Verantwortung gegenüber den Bürgern ist wesentliche Voraussetzung des von Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG geforderten effektiven Einflusses des Volkes auf die Ausübung der Staatsgewalt (vgl. BVerfGE 83, 60 <71 f.>; 93, 37 <66>).

114

Entscheidungen von erheblicher rechtlicher oder faktischer Bedeutung für die Spielräume künftiger Gesetzgebung muss grundsätzlich ein Verfahren vorausgehen, das der Öffentlichkeit Gelegenheit bietet, ihre Auffassungen auszubilden und zu vertreten, und das die Volksvertretung dazu anhält, Notwendigkeit und Umfang der zu beschließenden Maßnahmen zu klären (vgl. BVerfGE 85, 386 <403 f.>; 95, 267 <307 f.>; 108, 282 <312>). Exemplarisch dafür ist, dass der Deutsche Bundestag auch in einem System intergouvernementalen Regierens die haushaltspolitische Gesamtverantwortung nach diesen Grundsätzen wahrzunehmen hat. Nach seiner haushaltspolitischen Gesamtverantwortung muss der Deutsche Bundestag der Ort sein, an dem eigenverantwortlich über Einnahmen und Ausgaben entschieden wird, auch im Hinblick auf internationale und europäische Verbindlichkeiten (vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 7. September 2011 - 2 BvR 987/10, 2 BvR 1485/10, 2 BvR 1099/10 -, NJW 2011, S. 2946 <2951>, Rn. 124; BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 28. Februar 2012 - 2 BvE 8/11 -, juris Rn. 109). Hierfür gilt der Grundsatz der Budgetöffentlichkeit als Ausprägung des allgemeinen Öffentlichkeitsprinzips der Demokratie (vgl. BVerfGE 70, 324 <358>).

115

dd) Grenzen der Unterrichtungspflicht ergeben sich aus dem Grundsatz der Gewaltenteilung. Das Funktionengefüge des Grundgesetzes geht davon aus, dass die Regierung einen Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung besitzt, der einen grundsätzlich nicht ausforschbaren Initiativ-, Beratungs- und Handlungsbereich einschließt (BVerfGE 67, 100 <139>; 77, 1 <59>; 110, 199 <214>; 124, 78 <120>). Ein solcher nicht ausforschbarer Kernbereich wird vom Bundesverfassungsgericht etwa im Zusammenhang mit den Ermittlungen parlamentarischer Untersuchungsausschüsse und parlamentarischen Fragerechten anerkannt (vgl. BVerfGE 67, 100 <139>, zum Recht der Untersuchungsausschüsse; BVerfGE 110, 199 <215>; 124, 78 <120>, zum parlamentarischen Fragerecht). Zu diesem Kernbereich gehört jedenfalls die Willensbildung der Regierung, sowohl hinsichtlich der Erörterungen im Kabinett als auch bei der Vorbereitung von Kabinetts- und Ressortentscheidungen, die sich vor allem in ressortinternen und -übergreifenden Abstimmungsprozessen vollzieht (BVerfGE 67, 100 <139>; 110, 199 <214, 222>; 124, 78 <120>). Solange die interne Willensbildung der Bundesregierung nicht abgeschlossen ist, besteht daher kein Anspruch des Parlaments auf Unterrichtung.

116

b) Nach Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG muss die Unterrichtung des Bundestages in sachlicher Hinsicht umfassend sein (aa), in zeitlicher Hinsicht zum frühestmöglichen Zeitpunkt erfolgen (bb) und in einer zweckgerechten Weise ausgestaltet sein (cc). Diese Anforderungen besitzen zwar unterschiedliche Regelungsinhalte, stehen aber nicht isoliert nebeneinander, sondern sind aufeinander bezogen.

117

aa) Das Erfordernis der umfassenden Unterrichtung ist seiner Funktion gemäß auszulegen, dem Deutschen Bundestag die Wahrnehmung seiner Mitwirkungsrechte zu ermöglichen. Dementsprechend ist eine umso intensivere Unterrichtung geboten, je komplexer ein Vorgang ist, je tiefer er in den Zuständigkeitsbereich der Legislative eingreift und je mehr er sich einer förmlichen Beschlussfassung oder Vereinbarung annähert. Daraus ergeben sich Anforderungen an die Qualität, Quantität und Aktualität der Unterrichtung unter Berücksichtigung der aus dem Grundsatz der Gewaltenteilung folgenden Grenzen. Die Regelungen der §§ 4 ff. EUZBBG enthalten insoweit Konkretisierungen, die auch von der Bundesregierung im Grundsatz nicht in Frage gestellt worden sind.

118

(1) In qualitativer Hinsicht erfasst die Pflicht zur umfassenden Unterrichtung zunächst Initiativen und Positionen der Bundesregierung selbst. Darüber hinaus erstreckt sie sich auf die Weiterleitung amtlicher Unterlagen und Dokumente der Organe sowie sonstiger Gremien und Behörden der Europäischen Union und anderer Mitgliedstaaten in Angelegenheiten der Europäischen Union (oben C.I.2.c), ist darauf aber nicht beschränkt. Sobald und soweit die Bundesregierung selbst mit einer Angelegenheit befasst ist, können auch ihr vorliegende Informationen über informelle und (noch) nicht schriftlich dokumentierte Vorgänge erfasst sein. Die Unterrichtungspflicht kann, unabhängig von einer förmlichen Dokumentation, auch Gegenstand, Verlauf und Ergebnis der Sitzungen und Beratungen von Organen und Gremien der Europäischen Union betreffen, in denen die Bundesregierung vertreten ist (vgl. Pernice, in: Dreier, GG, Bd. 2, 2. Aufl. 2006, Art. 23 Rn. 101).

119

Nach dem Zweck der Unterrichtungspflicht kommt es nicht darauf an, ob die Bundesregierung die Informationen auf offiziellem Wege oder auf andere Weise erlangt hat (vgl. Pernice, in: Dreier, GG, Bd. 2, 2. Aufl. 2006, Art. 23 Rn. 101; Uerpmann-Wittzack, in: v. Münch/Kunig, GG, Bd. 1, 6. Aufl. 2012, Art. 23 Rn. 77). Unerheblich für das Bestehen einer Weiterleitungspflicht ist ferner, ob die Dokumente und Informationen von Organen oder sonstigen Stellen der Europäischen Union stammen oder aus der Sphäre anderer Mitgliedstaaten (vgl. Classen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 23 Rn. 74; Pernice, in: Dreier, GG, Bd. 2, 2. Aufl. 2006, Art. 23 Rn. 101; Uerpmann-Wittzack, in: v. Münch/Kunig, GG, Bd. 1, 6. Aufl. 2012, Art. 23 Rn. 77). Auch die eventuelle Geheimhaltungsbedürftigkeit einer Information (vgl. etwa Art. 6 der Geschäftsordnung des Rates; ABl. EU 2009 Nr. L 325 vom 11. Dezember 2009, S. 35) steht ihrer Weiterleitung an den Bundestag grundsätzlich nicht entgegen. In Fällen, in denen das Wohl des Staates durch das Bekanntwerden vertraulicher Informationen gefährdet werden kann, kann die Unterrichtung vertraulich erfolgen (vgl. BVerfGE 124, 78 <123 f.>, zu Untersuchungsausschüssen). Die Voraussetzungen dafür hat der Bundestag mit dem Erlass seiner Geheimschutzordnung geschaffen (vgl. BVerfGE 67, 100 <135>; 70, 324 <359>; 77, 1 <48>; BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 28. Februar 2012 - 2 BvE 8/11 -, juris Rn. 149).

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(2) Quantität und Detailliertheit der dem Deutschen Bundestag zu übermittelnden Informationen bemessen sich im Hinblick auf den Zweck der Unterrichtung einerseits nach der Bedeutung einer Angelegenheit. So muss der Bundestag von allen Vorgängen erfahren, die seiner Mitwirkung nach Art. 23 Abs. 2 Satz 1 GG unterliegen, und zugleich die für eine fundierte Beschlussfassung erforderlichen Informationen erhalten. Auf der anderen Seite richten sich der gebotene Umfang und die erforderliche Tiefe der Unterrichtung auch nach dem jeweiligen Sach- und Verhandlungsstand.

121

Eine "Überflutung" des Bundestages mit Informationen, die aufgrund ihrer Masse weder administrativ noch durch die Abgeordneten verarbeitet werden können, ist nicht Sinn des Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG (vgl. Classen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 23 Rn. 75). Zwar ist es in erster Linie Aufgabe des Parlaments selbst, im Rahmen seiner Geschäftsordnungsautonomie für eine sachgerechte Sichtung und Bewertung der unter Art. 23 Abs. 2 GG fallenden Angelegenheiten zu sorgen und die organisatorischen Voraussetzungen für die Verarbeitung der ihm übermittelten Informationen zu schaffen (vgl. Streinz, in: Sachs, GG, 6. Aufl. 2011, Art. 23 Rn. 107; vgl. auch § 4 Abs. 5 EUZBBG zur begrenzten Möglichkeit eines Verzichts auf Informationen). Doch erlaubt Art. 23 Abs. 2 GG bei Angelegenheiten, die nur von erkennbar geringer Bedeutung für den Bundestag sind, oder bei Vorgängen, die sich noch in einem sehr frühen, wenig konkreten Verfahrensstadium befinden, eine kursorische, auf die wesentlichen Eckpunkte beschränkte Unterrichtung, die den Bundestag in die Lage versetzt, nähere Informationen nachzufordern. Auch einer übermäßigen Belastung der Regierung, die deren Funktions- und Arbeitsfähigkeit bedroht, kann bei geringem Informationsinteresse des Parlaments im Einzelfall im Rahmen einer Abwägung Rechnung getragen werden (vgl. auch BVerfGE 110, 199 <220>; s. aus der Rechtsprechung der Landesverfassungsgerichte etwa Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin, Urteil vom 14. Juli 2010 - 57/08 -, DVBl 2010, S. 966; Bayerischer Verfassungsgerichtshof, Entscheidung vom 6. Juni 2011 - Vf. 49-IVa-10 -, NVwZ-RR 2011, S. 841 <843>).

122

(3) Die gebotene umfassende Unterrichtung erschöpft sich - wie sich auch aus dem systematischen Zusammenhang mit der Pflicht zur frühestmöglichen Unterrichtung ergibt - nicht in einem einmaligen Tätigwerden. Es handelt sich vielmehr um eine auf Dauer angelegte, fortlaufende Pflicht, die jedesmal aktualisiert wird, wenn sich bei der Behandlung einer Angelegenheit neue politische oder rechtliche Fragen stellen, zu denen sich der Deutsche Bundestag noch keine Meinung gebildet hat (vgl. Baach, Parlamentarische Mitwirkung in Angelegenheiten der Europäischen Union, 2008, S. 162).

123

Rechtsetzungsakten der Europäischen Union und intergouvernementalen Vereinbarungen gehen regelmäßig komplexe und langwierige Abstimmungsprozesse voraus. Die Bundesregierung kann dem Bundestag dabei nur die ihr selbst jeweils vorliegenden Informationen zuleiten, so dass die Pflicht zur umfassenden Unterrichtung nicht statisch, sondern dynamisch zu verstehen ist. Wissensstand und Haltung der Bundesregierung im Hinblick auf einen Vorgang bleiben im Regelfall nicht gleich, sondern sind im Laufe der Zeit Veränderungen unterworfen. Mit zunehmender Konkretisierung eines Vorhabens ist jedoch typischerweise auch eine Zunahme der Informationsdichte auf Seiten der Bundesregierung verbunden. Dabei entsteht mit jedem Erkenntnisgewinn der Bundesregierung zunächst eine Informationsasymmetrie im Verhältnis zum Bundestag, die - soll die verfassungsrechtliche Vorgabe einer "umfassenden" Unterrichtung nicht wirkungslos bleiben - grundsätzlich ausgeglichen werden muss. Diese Pflicht zum Ausgleich von Informationsungleichgewichten zwischen Bundesregierung und Bundestag verdichtet sich mit zunehmender Komplexität und Bedeutung eines Vorgangs sowie mit der zeitlichen Nähe zu einer förmlichen Beschlussfassung oder zum Abschluss einer Vereinbarung.

124

(4) Aus Gründen der Gewaltenteilung (oben C.I.3.a)dd) erstreckt sich der Unterrichtungsanspruch aus Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG grundsätzlich nicht auf Aspekte, die dem einer konkreten Positionierung vorgelagerten Willensbildungsprozess der Bundesregierung zuzuordnen sind. Initiativen der Bundesregierung und ihrer Positionierung bei von dritter Seite angestoßenen Vorhaben in Angelegenheiten der Europäischen Union geht ein - je nach Vorgang - mehr oder weniger umfangreicher Willensbildungsprozess voraus, in dessen Verlauf sich unter Umständen erst allmählich eine bestimmte Auffassung herausbildet. Bis dahin handelt es sich um einen von verschiedenen innen- und außenpolitischen sowie innerorganschaftlichen Belangen, Erwägungen und Entwicklungen abhängigen und damit noch volatilen Vorgang, der den Bereich der Bundesregierung noch nicht verlässt und über den der Bundestag von Verfassungs wegen grundsätzlich auch noch nicht zu informieren ist. Wenn die Bundesregierung indes ihre Willensbildung selbst so weit konkretisiert hat, dass sie Zwischen- oder Teilergebnisse an die Öffentlichkeit geben kann oder mit einer eigenen Position in einen Abstimmungsprozess mit Dritten eintreten will, fällt ein Vorhaben nicht mehr in den gegenüber dem Bundestag abgeschirmten Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung.Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG gebietet in diesen Fällen eine substantielle Information des Bundestages durch die Bundesregierung über ihr Vorhaben.

125

bb) Auch die strikten zeitlichen Anforderungen an die Unterrichtung nach Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG ("zum frühestmöglichen Zeitpunkt") sollen gewährleisten, dass der Bundestag in der Lage ist, seine Mitwirkungsrechte in Angelegenheiten der Europäischen Union effektiv wahrzunehmen.

126

(1) Entstehungsgeschichtlich erweist sich die strenge zeitliche Vorgabe als bewusste Abkehr von Art. 2 des Zustimmungsgesetzes zu den Römischen Verträgen vom 27. Juli 1957 (BGBl II S. 753), wo lediglich eine laufende Unterrichtung des Bundestages vorgeschrieben und eine der Beschlussfassung im Rat zeitlich vorgelagerte Unterrichtung nur als Soll-Vorschrift vorgesehen war. Auf dieser Grundlage waren dem Bundestag Informationen häufig erst nach einer Beschlussfassung im Rat zugegangen und damit später als dem Bundesrat und den deutschen Mitgliedern des Europäischen Parlaments (vgl. Möller, Arbeitsunterlage Nr. 84 der Gemeinsamen Verfassungskommission vom 15. Oktober 1992). Die in der Gemeinsamen Verfassungskommission und im Sonderausschuss Europäische Union zeitweise diskutierten Formulierungen einer "rechtzeitigen" oder einer "regelmäßigen" Unterrichtung wurden daher verworfen. Das Erfordernis einer regelmäßigen Unterrichtung stelle nicht hinreichend sicher, dass der Bundestag die relevanten Informationen so früh wie möglich erhalte (vgl. Abgeordneter Verheugen, Gemeinsame Verfassungskommission, 11. Sitzung am 15. Oktober 1992, Stenographischer Bericht, in: Deutscher Bundestag , Materialien zur Verfassungsdiskussion und zur Grundgesetzänderung in der Folge der deutschen Einigung, Band 1, Bericht und Sitzungsprotokolle, 1996, S. 543 <545>). Auch der Begriff "rechtzeitig" erschien den Mitgliedern der Gemeinsamen Verfassungskommission zu unbestimmt, da er einen weiten Interpretationsspielraum eröffne und den Unterrichtungszeitpunkt letztlich in das Ermessen der Bundesregierung stelle. Um eine fundierte Willensbildung des Bundestages zu ermöglichen, sei eine umfassende Information zum frühestmöglichen Zeitpunkt unerlässlich (vgl. Möller, Arbeitsunterlage Nr. 84 der Gemeinsamen Verfassungskommission vom 15. Oktober 1992; Möller/Limpert, a.a.O., S. 26; Schmalenbach, Der neue Europaartikel 23 des Grundgesetzes im Lichte der Arbeit der Gemeinsamen Verfassungskommission, 1996, S. 144 f.). Mit der gewählten Formulierung "zum frühestmöglichen Zeitpunkt" wollte der verfassungsändernde Gesetzgeber also eine möglichst präzise, objektiv bestimmbare Zeitvorgabe schaffen (vgl. Möller/Limpert, a.a.O., S. 26).

127

(2) Dem Zeitpunkt kommt eine dem Umfang der Unterrichtung gleichrangige Bedeutung zu. Nur wenn der Bundestag frühzeitig von einem Vorhaben erfährt, kann er den regelmäßig durch eine Vielzahl von Akteuren getragenen Entscheidungsprozess in Angelegenheiten der Europäischen Union noch beeinflussen. Im Hinblick darauf ist die in Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG genannte Zeitvorgabe "zum frühestmöglichen Zeitpunkt" so auszulegen, dass der Bundestag die Informationen der Bundesregierung spätestens zu einem Zeitpunkt erhalten muss, der ihn in die Lage versetzt, sich fundiert mit dem Vorgang zu befassen und eine Stellungnahme zu erarbeiten, bevor die Bundesregierung nach außen wirksame Erklärungen, insbesondere bindende Erklärungen zu unionalen Rechtsetzungsakten und intergouvernementalen Vereinbarungen, abgibt. Das schließt es aus, dass die Bundesregierung ohne vorherige Beteiligung des Deutschen Bundestages konkrete Initiativen ergreift oder an Beschlussfassungen mitwirkt, und gebietet die Weiterleitung sämtlicher Dokumente, sobald sie zum Gegenstand von Verhandlungen gemacht werden.

128

(3) Offizielle Dokumente, Berichte und Mitteilungen müssen daher ebenso wie alle inoffiziellen Informationen an den Bundestag weitergeleitet werden, sobald sie - gegebenenfalls über die Ständige Vertretung der Bundesrepublik Deutschland bei der Europäischen Union - in den Einflussbereich der Bundesregierung gelangen (vgl. Pernice, in: Dreier, GG, Bd. 2, 2. Aufl. 2006, Art. 23 Rn. 101; Uerpmann-Wittzack, in: v. Münch/Kunig, GG, Bd. 1, 6. Aufl. 2012, Art. 23 Rn. 79). Ein Ermessen der Bundesregierung hinsichtlich des Zeitpunktes der Weiterleitung besteht nicht. Verzögerungen bei der Weiterleitung sind nur zulässig, um der Bundesregierung eine Prüfung der Voraussetzungen des Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG zu ermöglichen. Über Sitzungen der Organe und informelle Beratungen, an denen die Bundesregierung beteiligt ist, muss der Bundestag - auch wenn noch keine förmlichen Vorschläge oder sonstige Beratungsgrundlagen existieren - bereits im Voraus und so rechtzeitig informiert werden, dass er sich über den Gegenstand der Sitzungen eine Meinung bilden und auf die Verhandlungslinie und das Abstimmungsverhalten der Bundesregierung Einfluss nehmen kann (vgl. Uerpmann-Wittzack, in: v. Münch/Kunig, GG, Bd. 1, 6. Aufl. 2012, Art. 23 Rn. 77, 79; Streinz, in: Sachs, GG, 6. Aufl. 2011, Art. 23 Rn. 113). Über den Verlauf und die erzielten Zwischen- und Endergebnisse ist er unmittelbar im Anschluss an die Beratungen zu unterrichten. Für den Zeitpunkt der Unterrichtung über Initiativen und Positionierungen der Bundesregierung und das Gebot laufender Aktualisierung des Informationsstandes des Bundestages gilt das bereits Gesagte (oben C.I.3.b)aa)<3, 4>).

129

cc) Aus dem mit der Unterrichtung des Bundestages verfolgten Zweck des Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG folgen schließlich auch Anforderungen an das Verfahren und die Form der Unterrichtung. Adressat der Unterrichtung ist grundsätzlich der Bundestag als Ganzer; die Unterrichtung hat grundsätzlich schriftlich zu erfolgen. Einzelheiten können im Rahmen der verfassungsrechtlichen Vorgaben durch Gesetz oder Vereinbarung zwischen dem Deutschen Bundestag und der Bundesregierung geregelt werden.

130

(1) Adressat der Unterrichtung gemäß Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG ist der Bundestag als Ganzer. Damit soll gewährleistet werden, dass sämtliche Abgeordnete gleichermaßen und unterschiedslos auf die übermittelten Informationen zugreifen können. Allerdings verleiht Art. 40 Abs. 1 Satz 2 GG dem Parlament die Befugnis, seine inneren Angelegenheiten im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung autonom zu regeln und sich selbst so zu organisieren, dass es seine Aufgaben sachgerecht erfüllen kann (vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 28. Februar 2012 - 2 BvE 8/11 -, juris Rn. 115 ff., m.w.N.). Es ist daher in erster Linie Sache des Bundestages selbst, dafür Sorge zu tragen, dass die ihm übermittelten Informationen einer effektiven parlamentarischen Willensbildung zugeführt werden. Insbesondere obliegt ihm die Entscheidung, in welchem Umfang er den Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union gemäß Art. 45 Satz 2 GG ermächtigt, die Rechte des Bundestages gemäß Art. 23 GG gegenüber der Bundesregierung wahrzunehmen. Der Bundestag kann hierzu die erforderlichen Regelungen treffen und Einzelheiten der Unterrichtung im Wege einer Vereinbarung mit der Bundesregierung festlegen (vgl. § 12 EUZBBG). "Inoffizielle" Informationen einzelner Abgeordneter oder von Fraktionen und deren Beauftragten wie den Obleuten in den Ausschüssen erfüllen den Anspruch des Bundestages aus Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG nicht.

131

(2) Der Zweck des Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG verlangt im Grundsatz eine schriftliche Unterrichtung durch die Bundesregierung. Zwar ist die Schriftform in Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG nicht ausdrücklich vorgesehen. Angesichts der Anforderungen an Klarheit, Verstetigung und Reproduzierbarkeit, die an eine förmliche Unterrichtung des Parlaments zu stellen sind, erscheint die Schriftform gegenüber der mündlichen Unterrichtung als das vorrangige Medium zur effektiven Information des Bundestages. Der mündlichen Unterrichtung des Plenums, des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union wie auch der Fachausschüsse kommt vor diesem Hintergrund grundsätzlich nur eine ergänzende und erläuternde Funktion zu.

132

Ausnahmen vom Schriftlichkeitsgrundsatz sind nur in engen Grenzen und insbesondere im Hinblick auf das Gebot einer Unterrichtung zum frühestmöglichen Zeitpunkt zulässig, unter Umständen aber auch geboten. Da Informationsasymmetrien zwischen Regierung und Parlament nach Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG nicht nur best-, sondern auch schnellstmöglich beseitigt werden sollen, sind Konstellationen denkbar, in denen die Bundesregierung eine umfassende und zugleich frühestmögliche Unterrichtung nur mündlich sicherstellen kann (vgl. Schorkopf, in: Bonner Kommentar, Bd. 6, Art. 23 Rn. 144 ). Das ist etwa der Fall, wenn zu einer Angelegenheit noch keine schriftlichen Unterlagen vorliegen und in vertretbarer Zeit auch nicht beschafft oder hergestellt werden können, eine Unterrichtung des Deutschen Bundestages jedoch im Hinblick auf die effektive Wahrnehmung seiner Mitwirkungsrechte erforderlich ist. Für die Überlassung fremdsprachiger Unterlagen gilt Vergleichbares. Entfällt das Hindernis, ist das entstandene Informationsdefizit unverzüglich auszugleichen. Auch insoweit ist die Festlegung von Einzelheiten einer Regelung durch den Bundestag sowie einer näheren Konkretisierung in Vereinbarungen zwischen Bundestag und Bundesregierung zugänglich.

II.

133

Nach diesen Maßstäben sind die Anträge begründet. Die Antragsgegnerin hat den Deutschen Bundestag sowohl im Hinblick auf die Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus (1.) als auch im Hinblick auf die Vereinbarung des Euro-Plus-Paktes (2.) in seinen Rechten aus Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG verletzt.

134

1. Die Antragsgegnerin hat den Deutschen Bundestag nicht in dem nach Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG gebotenen Maß über die Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus unterrichtet. Errichtung und Ausgestaltung des Europäischen Stabilitätsmechanismus sind eine Angelegenheit der Europäischen Union im Sinne des Art. 23 Abs. 2 Satz 1 GG (a). Da sie die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Deutschen Bundestages und damit eine seiner wesentlichen Funktionen betreffen, war eine vollständige Unterrichtung erforderlich (b). Die Antragsgegnerin hat es unterlassen, dem Deutschen Bundestag einen ihr am 21. Februar 2011 vorliegenden Text der Europäischen Kommission über die Errichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus und den Entwurf eines Vertrages über den Europäischen Stabilitätsmechanismus vom 6. April 2011 zu übermitteln, und dadurch seine Rechte aus Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG verletzt (c).

135

a) Die Errichtung und Ausgestaltung des Europäischen Stabilitätsmechanismus ist eine Angelegenheit der Europäischen Union im Sinne des Art. 23 Abs. 2 Satz 1 GG. Eine Gesamtschau der ihn prägenden Charakteristika ergibt substantielle Berührungspunkte mit dem Integrationsprogramm der Europäischen Verträge. Seine Gründung soll durch eine Änderung des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union abgesichert werden (aa). Der zu seiner Errichtung zu schließende Vertrag weist den Organen der Europäischen Union neue Zuständigkeiten zu (bb) und dient der Absicherung eines Politikbereichs, der der Europäischen Union als ausschließliche Zuständigkeit zugewiesen ist (cc). Dass es sich dabei um einen völkerrechtlichen Vertrag handeln soll, stellt seine Zuordnung zu dem in den Verträgen über die Europäische Union und über die Arbeitsweise der Europäischen Union niedergelegten Integrationsprogramm nicht in Frage (dd).

136

aa) Die Gründung des Europäischen Stabilitätsmechanismus soll durch eine Änderung des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union unionsrechtlich ermöglicht und abgesichert werden. Die insoweit vorgesehene Einfügung von Art. 136 Abs. 3 AEUV muss im Wege einer Vertragsänderung nach Art. 48 EUV erfolgen. Schon wegen dieses qualifizierten Zusammenhangs mit dem Unionsrecht handelt es sich um eine Angelegenheit der Europäischen Union.

137

bb) Das Vorliegen einer Angelegenheit der Europäischen Union im Sinne des Art. 23 Abs. 2 Satz 1 GG wird auch dadurch indiziert, dass verschiedene Organe der Europäischen Union durch den Vertrag über den Europäischen Stabilitätsmechanismus neue Zuständigkeiten zugewiesen erhalten. Diese Zuständigkeitszuweisung war in den Verhandlungen über den Europäischen Stabilitätsmechanismus, wie aus der in das Jahr 2010 zurückreichenden Vorgeschichte sowie den folgenden Konkretisierungsschritten ersichtlich ist, bereits zu Beginn des Jahres 2011 angelegt (vgl. im Einzelnen A.I.2.a).

138

(1) Die Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten sind in einem Beschluss vom 20. Juni 2011 übereingekommen, dass der Vertrag über den Europäischen Stabilitätsmechanismus Bestimmungen enthalten solle, nach denen sowohl die Europäische Kommission als auch die Europäische Zentralbank die in dem Vertrag aufgeführten Aufgaben ausführen sollen. Auf der operativen Ebene, bei Aktivierung der Finanzhilfe, wurde namentlich der Europäischen Kommission eine wichtige Rolle zugedacht. Sie soll mit dem Internationalen Währungsfonds und in Absprache mit der Europäischen Zentralbank den tatsächlichen Finanzierungsbedarf des begünstigten Mitgliedstaats ermitteln. Ermächtigt vom Gouverneursrat, verhandelt sie ein makroökonomisches Anpassungsprogramm und überwacht die Einhaltung der politischen Auflagen, wiederum - in der sogenannten Troika - mit dem Internationalen Währungsfonds und der Europäischen Zentralbank, die bereits in der Durchführung der Schuldentragfähigkeitsanalyse zusammenwirken. Art. 13 Abs. 1 des Entwurfs eines Vertrages über den Europäischen Stabilitätsmechanismus sieht ferner vor, dass der Vorsitzende des Gouverneursrates Aufgaben auf die Europäische Kommission übertragen kann. Bleibt der Kreditnehmer über die Laufzeit des Programms hinaus Schuldner des Europäischen Stabilitätsmechanismus, kann der Rat eine fortdauernde Überwachung veranlassen. Nach Erörterung im Gouverneursrat kann er auf Vorschlag der Kommission beschließen, eine Überwachung nach der Durchführung des Programms durchzuführen, die so lange aufrechterhalten werden kann, wie ein bestimmter Betrag der Finanzhilfe noch nicht zurückgezahlt wurde.

139

Der Entwurf eines Vertrages über den Europäischen Stabilitätsmechanismus sieht in seiner Fassung vom 2. Februar 2012 darüber hinaus vor, dass Programmbeschlüsse sowohl von der Europäischen Kommission als auch vom Rat der Europäischen Union nach den Art. 121 und 136 AEUV überwacht werden (17. Erwägungsgrund). Der Europäische Gerichtshof soll nach Maßgabe von Art. 273 AEUV schließlich über die Auslegung und Anwendung des Vertrages über den Europäischen Stabilitätsmechanismus entscheiden.

140

(2) Die Zuordnung zu den Angelegenheiten der Europäischen Union wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass der Europäische Stabilitätsmechanismus die Organe der Europäischen Union lediglich im Wege der Organleihe in Anspruch nimmt. In der Sache werden den Organen damit, wenngleich nicht in dem eigentlich dafür vorgesehenen Verfahren nach Art. 48 Abs. 1 EUV, weitere Aufgaben und Befugnisse übertragen. Für die Kompetenzausstattung der Organe gelten daher auch insoweit der Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung (vgl. auch Art. 5 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 EUV) sowie die Verbote, ihnen eine Kompetenz-Kompetenz einzuräumen oder den Kern der grundgesetzlichen Verfassungsidentität (Art. 79 Abs. 3 i.V.m. Art. 1 und 20 GG) zu berühren (vgl. BVerfGE 89, 155 <188>; 123, 267 <370 f.>). Andernfalls könnten die der Fortentwicklung der europäischen Integration von Verfassungs wegen gezogenen Grenzen und die insoweit vorgesehenen verfahrensrechtlichen Sicherungen umgangen werden. Jede Zuweisung von Aufgaben und Befugnissen an die Europäische Union und/oder ihre Organe ist daher in der Sache eine Übertragung von Hoheitsrechten, und zwar auch dann, wenn die Organe für die Erledigung der Aufgabe "nur" im Wege der Organleihe in Anspruch genommen und mit Befugnissen ausgestattet werden.

141

Dafür spricht im Übrigen auch die mit der Einräumung von Aufgaben und Befugnissen im Wege der Organleihe verbundene und von den Vertragsparteien offenkundig gewünschte Möglichkeit der Organe, diese Aufgaben und Befugnisse kohärent mit den Einzelermächtigungen aus dem Bereich des in den Verträgen niedergelegten Integrationsprogramms auszuüben und auf diese Weise eine Struktur zu schaffen, in der die Unterschiede zwischen "weichen" Steuerungsinstrumentarien und imperativen Rechtsetzungs- und Aufsichtsakten verschwimmen (vgl. Schuppert, Verwaltungsorganisation und Verwaltungsorganisationsrecht als Steuerungsfaktoren, in: GVwR Bd. I, 2. Aufl. 2012, § 16 Rn. 173a ff., 173h ff.). Dies zeigt sich etwa in der Anhaltung des Gouverneursrates, seine Entscheidungen im zwischenstaatlichen Rahmen mit dem Verfahren im Überwachungsrahmen der Europäischen Union (Art. 121, 126, 136 Abs. 1 AEUV) zu verzahnen (17. Erwägungsgrund sowie Art. 13 Abs. 1 des Entwurfs eines Vertrages über den Europäischen Stabilitätsmechanismus).

142

cc) Der Europäische Stabilitätsmechanismus soll darüber hinaus der Absicherung eines Politikbereichs dienen, der der Europäischen Union als ausschließliche Zuständigkeit zugewiesen ist. Der Entwurf des Vertrages über den Europäischen Stabilitätsmechanismus ergänzt die Wirtschafts- und Währungspolitik.

143

Mit der Ergänzung von Art. 136 AEUV um einen Absatz 3, der die Finanzhilfen an strenge Auflagen und ein Tätigwerden des Europäischen Stabilitätsmechanismus daran bindet, dass es zur Stabilisierung des Währungsraums insgesamt unabdingbar ist (vgl. Art. 3 des Entwurfs eines Vertrags über den Europäischen Stabilitätsmechanismus), wird an die im Titel VIII geregelte Wirtschafts- und Währungspolitik (Art. 119 ff. AEUV) angeknüpft und deutlich gemacht, dass mit den Regelungen die Währungspolitik und insbesondere die Stabilität des Euro-Währungsgebietes gesichert werden soll. Damit wird ein Politikbereich ergänzt, den der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union in die ausschließliche Zuständigkeit der Union verweist (Art. 3 Abs. 1 lit. c AEUV). Der Europäische Stabilitätsmechanismus dient mithin unmittelbar der Verwirklichung der Ziele der Union (Art. 3 Abs. 4 EUV). An dem auf der Grundlage von Art. 136 Abs. 3 AEUV zu schließenden Vertrag über den Europäischen Stabilitätsmechanismus sollen zudem nur Mitgliedstaaten teilnehmen, die Teil des Euro-Währungsgebietes sind und für die Art. 136 ff. AEUV spezifische Regelungen enthalten. Auch dies ist ein Indiz dafür, dass es sich bei dem in Aussicht genommenen Vertrag über den Europäischen Stabilitätsmechanismus um eine Angelegenheit der Europäischen Union handelt.

144

dd) Die Tatsache, dass der Europäische Stabilitätsmechanismus im Wege eines gesonderten völkerrechtlichen Vertrages außerhalb der bisherigen Struktur des Unionsrechts etabliert werden soll, führt zu keinem anderen Ergebnis. Wie dargelegt, erfasst die Formulierung "Angelegenheiten der Europäischen Union" auch Vorhaben, die intergouvernemental verwirklicht werden sollen, wenn sie in einem Ergänzungs- oder sonstigen besonderen Näheverhältnis zum Recht der Union stehen. Dass der Europäische Stabilitätsmechanismus im Wege intergouvernementaler Zusammenarbeit verwirklicht werden soll, ist somit ebenso wenig maßgeblich wie seine Qualifikation als zwischenstaatliche Organisation ohne eigene Hoheitsgewalt. Jedenfalls durch die Verflechtung mit supranationalen Elementen besitzt der Europäische Stabilitätsmechanismus eine hybride Natur, die ihn zu einer Angelegenheit der Europäischen Union macht. Ob in der gewählten Form des völkerrechtlichen Vertrages über den Europäischen Stabilitätsmechanismus eine Umgehung des Unionsrechts liegt, namentlich ob der Vertrag mit Art. 48 EUV vereinbar ist, ist hier nicht zu entscheiden.

145

b) Errichtung und Ausgestaltung des Europäischen Stabilitätsmechanismus betreffen die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Deutschen Bundestages und damit eine seiner wesentlichen Funktionen. Daraus folgt die Notwendigkeit einer besonders umfangreichen und detaillierten Unterrichtung.

146

Angesichts der Komplexität und der Bedeutung des Europäischen Stabilitätsmechanismus für die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Deutschen Bundestages ist eine Beteiligung des Deutschen Bundestages geboten, die ihn in die Lage versetzt, sich - auch und gerade in öffentlicher Debatte - eingehend mit dem Thema auseinanderzusetzen und Notwendigkeit und Umfang der zu beschließenden Maßnahmen zu klären. Nur so kann sichergestellt werden, dass auch im Hinblick auf die mit dem Europäischen Stabilitätsmechanismus einhergehenden Verbindlichkeiten der Deutsche Bundestag der Ort ist, an dem eigenverantwortlich über Einnahmen und Ausgaben entschieden wird.

147

Aus dem Gebot umfassender und frühestmöglicher Information ergeben sich deshalb im konkreten Fall hohe Anforderungen an die Qualität, Quantität, Aktualität und Verwertbarkeit der Unterrichtung über die Verhandlungen zum Europäischen Stabilitätsmechanismus. Die Unterrichtung hat sich namentlich ohne Abstriche auf die Weiterleitung der amtlichen Unterlagen und Dokumente aller Organe sowie sonstiger Gremien und Behörden der Europäischen Union und anderer Mitgliedstaaten zu erstrecken. Übermitteln muss die Bundesregierung aber auch Informationen über informelle und nicht schriftlich dokumentierte Vorgänge sowie über Gegenstand, Verlauf und Ergebnis der Sitzungen und Beratungen aller Organe und Gremien der Europäischen Union, in denen sie vertreten ist, sowie über bi- und multilaterale Aktionen von Mitgliedstaaten auf völkerrechtlicher Ebene. Nicht zuletzt verpflichtet Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG die Bundesregierung dazu, den Deutschen Bundestag über eigene Initiativen und Positionen in Angelegenheiten der Europäischen Union betreffend den Europäischen Stabilitätsmechanismus zu informieren. Nur so kann verhindert werden, dass der Deutsche Bundestag in die Rolle des bloßen Nachvollzuges gerät (BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 28. Februar 2012 - 2 BvE 8/11 -, juris Rn. 109; Urteil des Zweiten Senats vom 7. September 2011 - 2 BvR 987/10, 2 BvR 1485/10, 2 BvR 1099/10 -, NJW 2011, S. 2946 <2951>, Rn. 124).

148

c) Die Antragsgegnerin hat den Deutschen Bundestag nicht umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt über den Europäischen Stabilitätsmechanismus unterrichtet. Sie hat dem Bundestag einen ihr spätestens am 21. Februar 2011 vorliegenden Text der Europäischen Kommission über die Merkmale des Stabilitätsmechanismus (aa) sowie einen Entwurf des Vertrages über den Europäischen Stabilitätsmechanismus vom 6. April 2011 (bb) nicht übermittelt. Spätere mündliche oder schriftliche Informationen ändern nichts an der Verletzung von Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG (cc). Gründe, die einer Übermittlung entgegenstehen könnten, sind nicht ersichtlich; insbesondere kann sich die Antragsgegnerin nicht auf Vertraulichkeit berufen (dd).

149

aa) Die Antragsgegnerin hat einen ihr am 21. Februar 2011 vorliegenden Text der Europäischen Kommission über die Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus, der Gegenstand der Beratungen über die Merkmale des Stabilitätsmechanismus im Rat war, dem Deutschen Bundestag nicht zugeleitet. Die Existenz dieses Papiers wird durch einen internen Bericht des Verbindungsbüros des Deutschen Bundestages in Brüssel vom 21. Februar 2011 belegt. Wie aus dem Bericht des Verbindungsbüros hervorgeht, arbeitete der Rat - in dem die Bundesregierung vertreten ist - zu diesem Zeitpunkt an der Ausgestaltung des Europäischen Stabilitätsmechanismus auf der Grundlage eines Textes der Europäischen Kommission. Da Papiere der Europäischen Kommission, auf deren Grundlage die Merkmale des Europäischen Stabilitätsmechanismus im Europäischen Rat wie auch im ECOFIN-Rat und der Euro-Gruppe diskutiert wurden, insbesondere jener Text der Kommission, dem Deutschen Bundestag nicht zur Verfügung gestellt wurde, hatte dieser keine Möglichkeit, auf die konkrete Ausgestaltung des Europäischen Stabilitätsmechanismus zu einem frühen Zeitpunkt Einfluss zu nehmen.

150

bb) Ferner hat die Antragsgegnerin dem Deutschen Bundestag den Entwurf eines Vertrages über den Europäischen Stabilitätsmechanismus in der Form des "Draft Treaty Establishing the European Stability Mechanism (ESM)" nicht übermittelt.

151

Einen auf den 6. April 2011 datierenden Entwurf des Vertrages über den Europäischen Stabilitätsmechanismus hat der Deutsche Bundestag lediglich aus informellen Quellen erhalten, obwohl dieser oder jedenfalls eine frühere Textstufe des Vertragsentwurfs der Bundesregierung zu diesem Zeitpunkt vorlag. Dies ergibt sich aus dem Inhalt mündlicher Ausschussunterrichtungen vom selben Tag: Der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen nannte gegenüber dem Haushaltsausschuss des Bundestages einzelne, bereits auf dem Europäischen Rat vom 24./25. März 2011 bindend verabredete Details des Vertragsinhalts und erklärte, der Vertrag über den Europäischen Stabilitätsmechanismus werde derzeit auf europäischer Ebene weiter ausgearbeitet und befinde sich noch im Verhandlungsstadium (Protokoll Nr. 17/52 der 52. Sitzung des Haushaltsausschusses vom 6. April 2011, S. 12, 19). Die Bundesregierung hatte mithin am 6. April 2011 konkrete Erkenntnisse über Textstufen des Vertragsentwurfs.

152

cc) Spätere mündliche oder schriftliche Informationen, insbesondere die Übersendung des zu diesem Zeitpunkt in der erweiterten Euro-Gruppe bereits beratenen Entwurfs des Vertrages über den Europäischen Stabilitätsmechanismus am 17. beziehungsweise 18. Mai 2011, ändern nichts an der Verletzung von Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG. Die Bundesregierung ist verpflichtet, dem Bundestag nicht nur einen abschließend beratenen oder sogar bereits beschlossenen Vertragstext zuzuleiten. Sie muss ihm zum frühestmöglichen Zeitpunkt ihr vorliegende Zwischenergebnisse und Textstufen - wie den auf den 6. April 2011 datierenden "Draft Treaty Establishing the European Stability Mechanism (ESM)" - übermitteln. Dass sich Entwürfe ändern und daher Aktualisierungen erforderlich werden, solche Informationen mithin "eine kurze Halbwertszeit" aufweisen können, rechtfertigt es nicht, die schriftliche Unterrichtung auf einen Zeitpunkt zu verschieben, in dem die Ergebnisse bereits feststehen. Denn damit wird der Bundestag gerade in jene für völkerrechtliche Verträge charakteristische Ratifikationslage gebracht, die ihm eine inhaltliche Einflussnahme abschneidet und vor der ihn Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG schützen will. Wie sich bereits aus dem kumulativen Erfordernis frühzeitiger und umfassender Information ergibt, kann bei prozesshaften Vorgängen der vorliegenden Art die Unterrichtungspflicht nicht "in einem Gesamtpaket" erledigt werden.

153

dd) Eine etwaige Vertraulichkeit beider Dokumente steht dem Erfordernis ihrer Übermittlung nicht entgegen. Die Bundesregierung kann sich insbesondere nicht auf eine grundsätzliche Vertraulichkeit im speziellen Format der informell tagenden erweiterten Euro-Gruppe berufen. Verhandlungen im Vorfeld völkerrechtlicher Verträge, die auf eine Bindung der Bundesrepublik Deutschland zielen und Gesetzesqualität erlangen sollen, sind gegenüber dem Deutschen Bundestag von vornherein nicht geheimhaltungsbedürftig. Sollten Gründe für eine Geheimhaltungsbedürftigkeit gegenüber der Öffentlichkeit im Hinblick auf einzelne Informationen oder Dokumente ausnahmsweise anzuerkennen sein, wäre die Bundesregierung verpflichtet, die Unterlagen dem Deutschen Bundestag unter Hinweis auf das Erfordernis einer vertraulichen Behandlung zuzuleiten. Die Voraussetzungen hierfür hat der Bundestag mit dem Erlass seiner Geheimschutzordnung geschaffen (vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 28. Februar 2012 - 2 BvE 8/11 -, juris Rn. 149). Weitere Gründe, die gegen eine Übermittlung hätten sprechen können, sind nicht ersichtlich.

154

2. Die Antragsgegnerin hat den Deutschen Bundestag zudem nicht umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt über den Euro-Plus-Pakt unterrichtet und damit die Rechte des Bundestages aus Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG verletzt. Die Vereinbarung des Euro-Plus-Paktes stellt eine Angelegenheit der Europäischen Union im Sinne des Art. 23 Abs. 2 Satz 1 GG dar (a), die wichtige Funktionen des Deutschen Bundestages berührt und deshalb in besonderem Maße dessen umfassende und frühzeitige Unterrichtung gebietet (b). Da die Antragsgegnerin den Deutschen Bundestag über die am 4. Februar 2011 öffentlich vorgestellte Initiative für den Beschluss eines Paktes für Wettbewerbsfähigkeit nicht informiert sowie ihm das inoffizielle Dokument (non paper) der Präsidenten der Europäischen Kommission und des Europäischen Rates mit der Überschrift "Enhanced Economic Policy Coordination in the Euro Area - Main Features and Concepts" vom 25. Februar 2011 nicht übermittelt hat, ist die nach Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG gebotene umfassende und frühestmögliche Unterrichtung nicht erfolgt (c).

155

a) Die Vereinbarung des Euro-Plus-Paktes ist eine Angelegenheit der Europäischen Union im Sinne von Art. 23 Abs. 2 Satz 1 GG. Eine Gesamtschau ihrer Charakteristika ergibt, dass der Pakt substantielle Berührungspunkte mit dem in den Verträgen niedergelegten Integrationsprogramm aufweist.

156

Bereits der Umstand, dass sich der Euro-Plus-Pakt beziehungsweise die ihm vorausgegangene Initiative für den Beschluss eines Paktes für Wettbewerbsfähigkeit an die Mitgliedstaaten der Europäischen Union richtet, indiziert eine Ausrichtung auf das unionale Integrationsprogramm. Inhaltlich ist der Pakt angesichts seiner Ziele, eine qualitative Verbesserung der Wirtschaftspolitik und der öffentlichen Haushaltslage sowie eine Stärkung der Finanzstabilität zu erreichen, auf einen in den Verträgen niedergelegten Politikbereich der Europäischen Union ausgerichtet. In die Verwirklichung der Ziele des Paktes sind Organe der Europäischen Union eingeschaltet, wie bereits die vorgesehene jährliche Bewertung der von den Mitgliedstaaten des Euro-Plus-Paktes zur Erfüllung ihrer Selbstverpflichtungen unternommenen Reform- und Stabilitätsprogramme durch die Europäische Kommission, den Rat und die Euro-Gruppe zeigt.

157

Dass der Euro-Plus-Pakt überwiegend mit Selbstverpflichtungen der teilnehmenden Mitgliedstaaten operiert, stellt seine Einordnung als Angelegenheit der Europäischen Union nicht in Frage. Zum einen steht auch eine nur begrenzte rechtliche Verbindlichkeit der Einordnung als Angelegenheit der Europäischen Union angesichts der gebotenen weiten, nicht auf Rechtsetzung beschränkten Auslegung des Begriffs nicht entgegen. Zum anderen entfaltet der Pakt durchaus eine gewisse Bindungswirkung. Zwar sieht er - anders als der durch das sogenannte "Sixpack" reformierte Stabilitäts- und Wachstumspakt (vgl. oben A.I.3.d) - keine Sanktionen für seine Verletzung vor. Mit dem jährlich durchzuführenden Benchmarking unter Einbindung der Europäischen Kommission enthält der Euro-Plus-Pakt jedoch ein Durchsetzungsinstrument, auf das in jüngerer Zeit auch das nationale Verfassungsrecht zurückgreift (vgl. Art. 91d GG) und das zudem in unmittelbarem Zusammenhang mit justitiablen Verpflichtungen der Mitgliedstaaten steht (vgl. hierzu die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zum bisherigen Stabilitäts- und Wachstumspakt, EuGH, Urteil des Plenums vom 13. Juli 2004, Rs. C-27/04, Kommission gegen Rat, Slg. 2004, S. I-6649, insb. Rn. 89). Die damit verbundene Rechenschaftspflicht wird jede Bundesregierung treffen und hat bereits im Europäischen Semester und der damit verbundenen Mitteilung der Kommission vom 7. Juni 2011 über den "Abschluss des ersten Europäischen Semesters für die Koordinierung der Wirtschaftspolitik: Orientierung für die Politik der Mitgliedstaaten 2011-2012" (KOM <2011> 400 endgültig) ihren Niederschlag gefunden. Einen verbindlichen Bezug auf Europäisches Sekundärrecht enthält überdies die Verpflichtung der am Pakt teilnehmenden Mitgliedstaaten, die im Stabilitäts- und Wachstumspakt vorgesehenen Vorgaben umzusetzen.

158

Ein substantieller Berührungspunkt zum unionalen Integrationsprogramm zeigt sich zudem in der teilweisen Umsetzung des Euro-Plus-Paktes durch Normen des Sekundärrechts. So erstreckt die im Rahmen des sogenannten "Sixpack" ergangene Verordnung (EU) Nr. 1175/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. November 2011 zur Änderung der Verordnung (EG) 1466/97 des Rates über den Ausbau der haushaltspolitischen Überwachung und der Überwachung und Koordinierung der Wirtschaftspolitiken den "Prüfungsumfang" des damit ins Sekundärrecht aufgenommenen Europäischen Semesters auch auf die Ziele des Euro-Plus-Paktes.

159

b) Da der Euro-Plus-Pakt die Zuständigkeiten des Deutschen Bundestages in nicht unerheblicher Weise berührt, war eine vollständige Unterrichtung des Bundestages bereits in Bezug auf Initiativen und frühe Stadien der Verhandlungen geboten. Namentlich die Selbstverpflichtungen in Bereichen, die der Gesetzgebungszuständigkeit der Mitgliedstaaten unterfallen, wie etwa dem Steuer- und Sozialrecht, und in denen der Gesetzgeber in Zukunft einer Überwachung durch Organe der Europäischen Union unterworfen wird, betreffen die parlamentarische Verantwortung und sind geeignet, die Gestaltungsmöglichkeiten des Gesetzgebers einzuschränken. Der Bundestag hatte ein großes Interesse, vorab zu erfahren, darüber zu diskutieren und an der Entscheidung mitzuwirken, ob und gegebenenfalls in welchen Bereichen eine Koordinierung versprochen und welche Bewertungskriterien angestrebt werden sollten.

160

c) Die Antragsgegnerin hat den Deutschen Bundestag nicht umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt über den Euro-Plus-Pakt unterrichtet.

161

aa) Sie hat den Deutschen Bundestag über die am 4. Februar 2011 öffentlich vorgestellte Initiative für den Beschluss eines Paktes für Wettbewerbsfähigkeit - später Euro-Plus-Pakt - nicht vorab informiert.

162

(1) Der Euro-Plus-Pakt geht auf eine deutsch-französische Initiative zurück, welche die Regierungen beider Mitgliedstaaten zum Gegenstand der Tagung des Europäischen Rates vom 4. Februar 2011 gemacht haben und die die Bundeskanzlerin auf dieser Tagung gemeinsam mit dem französischen Staatspräsidenten der Öffentlichkeit vorgestellt hat. Über dieses Vorhaben hätte die Antragsgegnerin den Deutschen Bundestag spätestens am 2. Februar 2011 informieren müssen.

163

Zu diesem Zeitpunkt stand fest, dass den Staats- und Regierungschefs auf der unmittelbar bevorstehenden Tagung des Europäischen Rates ein Diskussionsvorschlag für eine verstärkte wirtschaftspolitische Koordinierung im Euro-Währungsgebiet zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit unterbreitet werden sollte. Dies geht nicht nur aus den Aussagen des Regierungssprechers auf der Regierungspressekonferenz vom 2. Februar 2011 hervor, wonach die Bundesregierung die wirtschaftspolitische Koordinierung als eine von mehreren jetzt zu ergreifenden Maßnahmen betrachte und beim Mittagessen der Staats- und Regierungschefs die Diskussion hierüber eröffnet werden solle. Auch der Staatsminister des Bundeskanzleramtes bestätigte nachträglich das Ziel der Bundesregierung, bei der Tagung des Europäischen Rates vom 4. Februar 2011 ein Verfahren zur Ausarbeitung eines Paktes für Wettbewerbsfähigkeit zu beschließen, und dass das Thema Wirtschafts- und Währungsunion am 2. Februar 2011 zusätzlich auf die Tagesordnung genommen worden sei (Protokoll Nr. 17/31 der 31. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 9. Februar 2011, S. 14).

164

Sollte es - wie von der Antragsgegnerin geltend gemacht - vor dem 4. Februar 2011 noch keine endgültig abgestimmte Position zum avisierten Inhalt einer verstärkten wirtschaftspolitischen Koordinierung im Euro-Währungsgebiet innerhalb der Bundesregierung gegeben haben, hätte dieser Umstand die Bundesregierung nicht von ihrer Unterrichtungspflicht entbunden. Gegenstand der gebotenen Unterrichtung war in diesem Fall (noch) nicht der Beschluss eines Paktes für Wettbewerbsfähigkeit als solcher, sondern allein die Absicht der Antragsgegnerin, einen Prozess zu dessen Ausarbeitung anzustoßen (vgl. auch § 5 Abs. 2 Satz 1 EUZBBG). Hierzu hatte der Regierungssprecher auf der Pressekonferenz vom 2. Februar 2011 eine abgestimmte Haltung der Bundesregierung angekündigt. Die Willensbildung innerhalb der Bundesregierung war folglich insoweit abgeschlossen, als sie mit ihrer Initiative an die Öffentlichkeit gehen konnte und mit einer eigenen Position in einen Abstimmungsprozess mit Dritten eintreten wollte. Die Antragsgegnerin war daher verpflichtet, den Deutschen Bundestag vor Beginn der Tagung des Europäischen Rates über die Initiative zumindest in ihren Grundzügen zu informieren (vgl. auch § 5 Abs. 5 Satz 1 und 2 EUZBBG).

165

(2) Die dem Deutschen Bundestag von der Antragsgegnerin unterbreiteten Informationen genügten nicht, um die Unterrichtungspflicht zu erfüllen.

166

Dies gilt zunächst für den "Vorbericht zum Europäischen Rat am 4. Februar 2011" vom 2. Februar 2011. Darin heißt es lediglich, dass die Bundesregierung für ein von den Staats- und Regierungschefs der Eurozone ausgehendes starkes Signal eintrete, zur Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit die wirtschaftspolitische Koordinierung im Euro-Währungsgebiet zu verbessern. Nicht erwähnt wurde hingegen, dass die Antragsgegnerin zu diesem Zweck eine Initiative für den Beschluss eines Paktes für Wettbewerbsfähigkeit vorstellen wolle und was der wesentliche Inhalt dieser Initiative sein werde.

167

Zureichende Informationen über das geplante Vorhaben enthält auch nicht die Antwort des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie vom 2. Februar 2011 auf eine konkrete Anforderung des Deutschen Bundestages. Nachdem die Initiative der Antragsgegnerin bereits am 31. Januar 2011 in verschiedenen Nachrichtenmagazinen thematisiert worden war, hatte der Deutsche Bundestag am 1. Februar 2011 um Übermittlung von Papieren und Informationen gebeten, auf deren Basis die Initiative vorgestellt werden sollte. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie teilte hierauf nur mit, dass die Zeitungsartikel auf einen noch nicht abgeschlossenen Abstimmungsprozess Bezug nähmen und "im weiteren Fortgang die nach dem EUZBBG vorgesehenen Unterrichtungen unverzüglich erfolgen können".

168

Schließlich genügte auch die am 3. Februar 2011 vom Staatsminister des Bundeskanzleramtes vorgenommene "Obleuteunterrichtung" (vgl. Protokoll Nr. 17/31 der 31. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 9. Februar 2011, S. 11) nicht, um die Unterrichtungspflicht zu erfüllen. Ungeachtet der Tatsache, dass die Obleute des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union bereits nicht die richtigen Unterrichtungsadressaten waren, hatte die Erklärung des Staatsministers des Bundeskanzleramtes lediglich zum Inhalt, "dass zu dem Thema noch keine abgestimmte Position der Bundesregierung bestehe und dementsprechend auch keine abgestimmte Position beim Europäischen Rat beschlossen werden würde" (vgl. Protokoll Nr. 17/31 der 31. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 9. Februar 2011, S. 11).

169

bb) Darüber hinaus hat die Antragsgegnerin dem Deutschen Bundestag ein inoffizielles Dokument der Präsidenten der Europäischen Kommission und des Europäischen Rates vom 25. Februar 2011 mit der Bezeichnung "Enhanced Economic Policy Coordination in the Euro Area - Main Features and Concepts" nicht übermittelt, welches wesentliche Inhalte des Paktes für Wettbewerbsfähigkeit - später Euro-Plus-Pakt - beschrieb.

170

Nach dem Vorbringen der Verfahrensbeteiligten ist davon auszugehen, dass sich die Antragsgegnerin im Besitz dieses inoffiziellen Dokuments befand. Dies legt bereits der seinerzeitige E-Mail-Verkehr nahe. Danach hat der Deutsche Bundestag auf ausdrückliche Anfrage an das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie vom 3. März 2011 sowie an das Bundeskanzleramt vom 4. März 2011, ob der Bundesregierung ein gemeinsames Papier der Präsidenten der Europäischen Kommission und des Europäischen Rates zur deutsch-französischen Initiative für einen Pakt für Wettbewerbsfähigkeit vorliege, keine - das heißt auch keine verneinende - Antwort des Bundeskanzleramtes erhalten. Zudem hat sich die Antragsgegnerin im vorliegenden Verfahren auf den Vorwurf einer Unterrichtungspflichtverletzung eingelassen, ohne die darin implizit enthaltene Behauptung, ihr habe das Papier vorgelegen, in Abrede zu stellen, was im Hinblick auf die Arbeitsweise der beteiligten europäischen Organe auch fernliegend wäre.

171

Dieses Dokument stellte die Antragsgegnerin dem Deutschen Bundestag trotz ausdrücklicher Anforderung nicht zur Verfügung (vgl. auch § 5 Abs. 3 EUZBBG). Erst am 11. März 2011 übersandte sie den offiziellen Entwurf eines Paktes für Wettbewerbsfähigkeit. Zu diesem Zeitpunkt bestand für den Deutschen Bundestag keine Möglichkeit mehr, dessen Inhalt zu diskutieren und durch eine Stellungnahme auf die Bundesregierung einzuwirken. Denn die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes einigten sich bereits am gleichen Tag, dem 11. März 2011, auf den Pakt. Damit entstanden bereits ab diesem Zeitpunkt konkrete Selbstverpflichtungen auch für die Bundesrepublik Deutschland, ohne dass der Deutsche Bundestag auf deren Inhalt hätte einwirken oder diese hätte verhindern können.

D.

172

Die Entscheidung ist einstimmig ergangen.

(1) Die Bundesregierung hat den Deutschen Bundestag und den Bundesrat in Angelegenheiten dieses Gesetzes umfassend, zum frühestmöglichen Zeitpunkt, fortlaufend und in der Regel schriftlich zu unterrichten. Sie hat dem Deutschen Bundestag in Angelegenheiten, die seine Kompetenzen betreffen, Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben und seine Stellungnahmen zu berücksichtigen.

(2) Die Bundesregierung übermittelt dem Deutschen Bundestag alle ihr zur Verfügung stehenden Dokumente zur Ausübung der Beteiligungsrechte des Deutschen Bundestages. Sie übermittelt diese Dokumente auch dem Bundesrat.

(3) Dem besonderen Schutzbedürfnis laufender vertraulicher Verhandlungen tragen der Deutsche Bundestag und der Bundesrat durch eine vertrauliche Behandlung Rechnung.

(4) Im Falle des Stabilitätshilfeersuchens einer Vertragspartei des Europäischen Stabilitätsmechanismus nach Artikel 13 Absatz 1 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus übermittelt die Bundesregierung dem Deutschen Bundestag und dem Bundesrat binnen sieben Tagen nach Antragstellung eine erste Einschätzung zu Inhalt und Umfang der beantragten Hilfen. Beabsichtigt die Bundesregierung, der Gewährung von Stabilitätshilfe nach Artikel 13 Absatz 2 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus zuzustimmen, übermittelt sie rechtzeitig eine umfassende Einschätzung zu Inhalt und Umfang der beantragten Hilfen sowie eine Stellungnahme zu der Bewertung der Europäischen Kommission nach Artikel 13 Absatz 1 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus und eine Abschätzung der finanziellen Folgen.

(5) Der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages ist darüber hinaus regelmäßig über das Finanzmanagement des Europäischen Stabilitätsmechanismus im Sinne des Kapitels 5 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus schriftlich zu unterrichten. Die Bundesregierung übermittelt ihm zudem die nach Artikel 27 Absatz 2 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus zusammengefassten Quartalsabschlüsse sowie die Gewinn- und Verlustrechnung des Europäischen Stabilitätsmechanismus.

(6) Die fortlaufende Unterrichtung der Bundesregierung enthält auch Angaben zur jeweiligen Berücksichtigung der nach diesem Gesetz abgegebenen Stellungnahmen des Deutschen Bundestages und des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages bei den Verhandlungen.

(7) Die Unterrichtungspflichten nach den Absätzen 1 bis 6 können in Fällen besonderer Vertraulichkeit nach § 6 Absatz 1 auf die Mitglieder des Sondergremiums beschränkt werden, solange die Gründe für die besondere Vertraulichkeit bestehen. Nach Fortfall dieser Gründe holt die Bundesregierung die Unterrichtung des Deutschen Bundestages unverzüglich nach.

(8) Die Informationen zur Unterrichtung nach Absatz 5 lässt die Bundesregierung dem Bundesrat ebenfalls zukommen. Die fortlaufende Unterrichtung der Bundesregierung enthält auch Angaben zur jeweiligen Berücksichtigung von Stellungnahmen des Bundesrates in Angelegenheiten dieses Gesetzes. In den Fällen des Absatzes 7 wird der Bundesrat dann informiert, wenn die Gründe für die besondere Vertraulichkeit nicht mehr vorliegen.

(9) Die von Deutschland oder vom deutschen Gouverneur ernannten Vertreter im Europäischen Stabilitätsmechanismus dürfen sich gegenüber einem Auskunftsverlangen des Deutschen Bundestages sowie seiner Ausschüsse und Mitglieder nicht auf die Schweigepflicht nach Artikel 34 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus berufen.

(10) Die Rechte des Deutschen Bundestages aus dem Gesetz über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union und die Rechte des Bundesrates aus dem Gesetz über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union bleiben unberührt.

(1) Zur Verwirklichung eines vereinten Europas wirkt die Bundesrepublik Deutschland bei der Entwicklung der Europäischen Union mit, die demokratischen, rechtsstaatlichen, sozialen und föderativen Grundsätzen und dem Grundsatz der Subsidiarität verpflichtet ist und einen diesem Grundgesetz im wesentlichen vergleichbaren Grundrechtsschutz gewährleistet. Der Bund kann hierzu durch Gesetz mit Zustimmung des Bundesrates Hoheitsrechte übertragen. Für die Begründung der Europäischen Union sowie für Änderungen ihrer vertraglichen Grundlagen und vergleichbare Regelungen, durch die dieses Grundgesetz seinem Inhalt nach geändert oder ergänzt wird oder solche Änderungen oder Ergänzungen ermöglicht werden, gilt Artikel 79 Abs. 2 und 3.

(1a) Der Bundestag und der Bundesrat haben das Recht, wegen Verstoßes eines Gesetzgebungsakts der Europäischen Union gegen das Subsidiaritätsprinzip vor dem Gerichtshof der Europäischen Union Klage zu erheben. Der Bundestag ist hierzu auf Antrag eines Viertels seiner Mitglieder verpflichtet. Durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, können für die Wahrnehmung der Rechte, die dem Bundestag und dem Bundesrat in den vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union eingeräumt sind, Ausnahmen von Artikel 42 Abs. 2 Satz 1 und Artikel 52 Abs. 3 Satz 1 zugelassen werden.

(2) In Angelegenheiten der Europäischen Union wirken der Bundestag und durch den Bundesrat die Länder mit. Die Bundesregierung hat den Bundestag und den Bundesrat umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu unterrichten.

(3) Die Bundesregierung gibt dem Bundestag Gelegenheit zur Stellungnahme vor ihrer Mitwirkung an Rechtsetzungsakten der Europäischen Union. Die Bundesregierung berücksichtigt die Stellungnahmen des Bundestages bei den Verhandlungen. Das Nähere regelt ein Gesetz.

(4) Der Bundesrat ist an der Willensbildung des Bundes zu beteiligen, soweit er an einer entsprechenden innerstaatlichen Maßnahme mitzuwirken hätte oder soweit die Länder innerstaatlich zuständig wären.

(5) Soweit in einem Bereich ausschließlicher Zuständigkeiten des Bundes Interessen der Länder berührt sind oder soweit im übrigen der Bund das Recht zur Gesetzgebung hat, berücksichtigt die Bundesregierung die Stellungnahme des Bundesrates. Wenn im Schwerpunkt Gesetzgebungsbefugnisse der Länder, die Einrichtung ihrer Behörden oder ihre Verwaltungsverfahren betroffen sind, ist bei der Willensbildung des Bundes insoweit die Auffassung des Bundesrates maßgeblich zu berücksichtigen; dabei ist die gesamtstaatliche Verantwortung des Bundes zu wahren. In Angelegenheiten, die zu Ausgabenerhöhungen oder Einnahmeminderungen für den Bund führen können, ist die Zustimmung der Bundesregierung erforderlich.

(6) Wenn im Schwerpunkt ausschließliche Gesetzgebungsbefugnisse der Länder auf den Gebieten der schulischen Bildung, der Kultur oder des Rundfunks betroffen sind, wird die Wahrnehmung der Rechte, die der Bundesrepublik Deutschland als Mitgliedstaat der Europäischen Union zustehen, vom Bund auf einen vom Bundesrat benannten Vertreter der Länder übertragen. Die Wahrnehmung der Rechte erfolgt unter Beteiligung und in Abstimmung mit der Bundesregierung; dabei ist die gesamtstaatliche Verantwortung des Bundes zu wahren.

(7) Das Nähere zu den Absätzen 4 bis 6 regelt ein Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf.

(1) Die Bundesregierung hat den Deutschen Bundestag und den Bundesrat in Angelegenheiten dieses Gesetzes umfassend, zum frühestmöglichen Zeitpunkt, fortlaufend und in der Regel schriftlich zu unterrichten. Sie hat dem Deutschen Bundestag in Angelegenheiten, die seine Kompetenzen betreffen, Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben und seine Stellungnahmen zu berücksichtigen.

(2) Die Bundesregierung übermittelt dem Deutschen Bundestag alle ihr zur Verfügung stehenden Dokumente zur Ausübung der Beteiligungsrechte des Deutschen Bundestages. Sie übermittelt diese Dokumente auch dem Bundesrat.

(3) Dem besonderen Schutzbedürfnis laufender vertraulicher Verhandlungen tragen der Deutsche Bundestag und der Bundesrat durch eine vertrauliche Behandlung Rechnung.

(4) Im Falle des Stabilitätshilfeersuchens einer Vertragspartei des Europäischen Stabilitätsmechanismus nach Artikel 13 Absatz 1 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus übermittelt die Bundesregierung dem Deutschen Bundestag und dem Bundesrat binnen sieben Tagen nach Antragstellung eine erste Einschätzung zu Inhalt und Umfang der beantragten Hilfen. Beabsichtigt die Bundesregierung, der Gewährung von Stabilitätshilfe nach Artikel 13 Absatz 2 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus zuzustimmen, übermittelt sie rechtzeitig eine umfassende Einschätzung zu Inhalt und Umfang der beantragten Hilfen sowie eine Stellungnahme zu der Bewertung der Europäischen Kommission nach Artikel 13 Absatz 1 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus und eine Abschätzung der finanziellen Folgen.

(5) Der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages ist darüber hinaus regelmäßig über das Finanzmanagement des Europäischen Stabilitätsmechanismus im Sinne des Kapitels 5 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus schriftlich zu unterrichten. Die Bundesregierung übermittelt ihm zudem die nach Artikel 27 Absatz 2 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus zusammengefassten Quartalsabschlüsse sowie die Gewinn- und Verlustrechnung des Europäischen Stabilitätsmechanismus.

(6) Die fortlaufende Unterrichtung der Bundesregierung enthält auch Angaben zur jeweiligen Berücksichtigung der nach diesem Gesetz abgegebenen Stellungnahmen des Deutschen Bundestages und des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages bei den Verhandlungen.

(7) Die Unterrichtungspflichten nach den Absätzen 1 bis 6 können in Fällen besonderer Vertraulichkeit nach § 6 Absatz 1 auf die Mitglieder des Sondergremiums beschränkt werden, solange die Gründe für die besondere Vertraulichkeit bestehen. Nach Fortfall dieser Gründe holt die Bundesregierung die Unterrichtung des Deutschen Bundestages unverzüglich nach.

(8) Die Informationen zur Unterrichtung nach Absatz 5 lässt die Bundesregierung dem Bundesrat ebenfalls zukommen. Die fortlaufende Unterrichtung der Bundesregierung enthält auch Angaben zur jeweiligen Berücksichtigung von Stellungnahmen des Bundesrates in Angelegenheiten dieses Gesetzes. In den Fällen des Absatzes 7 wird der Bundesrat dann informiert, wenn die Gründe für die besondere Vertraulichkeit nicht mehr vorliegen.

(9) Die von Deutschland oder vom deutschen Gouverneur ernannten Vertreter im Europäischen Stabilitätsmechanismus dürfen sich gegenüber einem Auskunftsverlangen des Deutschen Bundestages sowie seiner Ausschüsse und Mitglieder nicht auf die Schweigepflicht nach Artikel 34 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus berufen.

(10) Die Rechte des Deutschen Bundestages aus dem Gesetz über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union und die Rechte des Bundesrates aus dem Gesetz über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union bleiben unberührt.

(1) Das Grundgesetz kann nur durch ein Gesetz geändert werden, das den Wortlaut des Grundgesetzes ausdrücklich ändert oder ergänzt. Bei völkerrechtlichen Verträgen, die eine Friedensregelung, die Vorbereitung einer Friedensregelung oder den Abbau einer besatzungsrechtlichen Ordnung zum Gegenstand haben oder der Verteidigung der Bundesrepublik zu dienen bestimmt sind, genügt zur Klarstellung, daß die Bestimmungen des Grundgesetzes dem Abschluß und dem Inkraftsetzen der Verträge nicht entgegenstehen, eine Ergänzung des Wortlautes des Grundgesetzes, die sich auf diese Klarstellung beschränkt.

(2) Ein solches Gesetz bedarf der Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages und zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrates.

(3) Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig.

(1) Der Bundestag kann dem Bundeskanzler das Mißtrauen nur dadurch aussprechen, daß er mit der Mehrheit seiner Mitglieder einen Nachfolger wählt und den Bundespräsidenten ersucht, den Bundeskanzler zu entlassen. Der Bundespräsident muß dem Ersuchen entsprechen und den Gewählten ernennen.

(2) Zwischen dem Antrage und der Wahl müssen achtundvierzig Stunden liegen.

(1) In Angelegenheiten des Europäischen Stabilitätsmechanismus, die die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Deutschen Bundestages betreffen, wird diese vom Plenum des Deutschen Bundestages wahrgenommen. Die haushaltspolitische Gesamtverantwortung ist insbesondere betroffen

1.
bei der Entscheidung nach Artikel 13 Absatz 2 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus, einer Vertragspartei des Europäischen Stabilitätsmechanismus auf deren Hilfeersuchen Stabilitätshilfe in Form einer im Vertrag zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus vorgesehenen Finanzhilfefazilität zu gewähren,
2.
bei der Annahme einer Vereinbarung über die Finanzhilfefazilität nach Artikel 13 Absatz 3 Satz 3 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus, einer Zustimmung zu einem entsprechenden Memorandum of Understanding nach Artikel 13 Absatz 4 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus und im Falle der Gewährung einer direkt an Finanzinstitute gewährten Finanzhilfe bei der Annahme einer institutsspezifischen Vereinbarung,
3.
bei Beschlüssen im Rahmen des Europäischen Stabilitätsmechanismus zur Veränderung des genehmigten Stammkapitals sowie des maximalen Darlehensvolumens nach Artikel 10 Absatz 1 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus; Artikel 2 Absatz 1 des Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. Februar 2012 zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus bleibt unberührt,
4.
bei Beschlüssen im Rahmen des Europäischen Stabilitätsmechanismus über die Festlegung und Änderung von Obergrenzen der für ein bestimmtes Finanzhilfeinstrument insgesamt zur Verfügung stehenden Mittel.

(2) In den Fällen, die die haushaltspolitische Gesamtverantwortung betreffen, darf die Bundesregierung einem Beschlussvorschlag in Angelegenheiten des Europäischen Stabilitätsmechanismus durch ihren Vertreter nur zustimmen oder sich bei einer Beschlussfassung enthalten, nachdem das Plenum hierzu einen zustimmenden Beschluss gefasst hat. Ohne einen solchen Beschluss des Plenums muss der deutsche Vertreter den Beschlussvorschlag ablehnen. Der Vertreter der Bundesregierung hat an der Beschlussfassung teilzunehmen.

(3) Werden gemäß Artikel 5 Absatz 6 Buchstabe m des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus Aufgaben des Gouverneursrates auf das Direktorium übertragen, gelten die §§ 3 bis 6 entsprechend.

(1) In allen sonstigen die Haushaltsverantwortung des Deutschen Bundestages berührenden Angelegenheiten des Europäischen Stabilitätsmechanismus, in denen eine Entscheidung des Plenums gemäß § 4 nicht vorgesehen ist, wird der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages beteiligt. Der Haushaltsausschuss überwacht die Vorbereitung und Durchführung der Vereinbarungen über Stabilitätshilfen.

(2) Der vorherigen Zustimmung des Haushaltsausschusses bedürfen:

1.
Entscheidungen über die Bereitstellung zusätzlicher Instrumente ohne Änderung des Gesamtfinanzierungsvolumens einer bestehenden Finanzhilfefazilität oder wesentliche Änderungen der Bedingungen der Finanzhilfefazilität,
2.
Beschlüsse über den Abruf von Kapital nach Artikel 9 Absatz 1 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus sowie die Annahme oder wesentliche Änderung der Regelungen und Bedingungen, die für Kapitalabrufe nach Artikel 9 Absatz 4 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus gelten,
3.
die Annahme oder wesentliche Änderung der Leitlinien für die Durchführungsmodalitäten der einzelnen dem Europäischen Stabilitätsmechanismus nach den Artikeln 14 bis 18 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus sowie gemäß einem Beschluss nach Artikel 19 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus zur Verfügung stehenden Finanzhilfeinstrumente, der Preisgestaltungsleitlinien nach Artikel 20 Absatz 2 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus, der Leitlinien für Anleiheoperationen nach Artikel 21 Absatz 2 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus, der Leitlinien für die Anlagepolitik nach Artikel 22 Absatz 1 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus, der Leitlinien für die Dividendenpolitik nach Artikel 23 Absatz 3 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus und der Vorschriften für die Einrichtung, Verwaltung und Verwendung weiterer Fonds nach Artikel 24 Absatz 4 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus,
4.
die ausführlichen Regelungen und Bedingungen für Kapitalveränderungen nach Artikel 10 Absatz 2 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus,
5.
die Annahme von Bestimmungen oder Auslegungen zur Regelung der beruflichen Schweigepflicht nach Artikel 34 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus.
Die Bundesregierung darf in diesen Fällen einem Beschlussvorschlag in Angelegenheiten des Europäischen Stabilitätsmechanismus durch ihren Vertreter nur zustimmen oder sich bei einer Beschlussfassung enthalten, nachdem der Haushaltsausschuss hierzu einen zustimmenden Beschluss gefasst hat. Einen entsprechenden Antrag im Haushaltsausschuss kann auch die Bundesregierung stellen. Ohne einen solchen Beschluss des Haushaltsausschusses muss der deutsche Vertreter den Beschlussvorschlag ablehnen. Der Vertreter der Bundesregierung hat an der Beschlussfassung teilzunehmen.

(3) In den nicht von Absatz 2 erfassten Fällen, die die Haushaltsverantwortung des Deutschen Bundestages berühren, hat die Bundesregierung den Haushaltsausschuss zu beteiligen und seine Stellungnahmen zu berücksichtigen. Dies gilt insbesondere bei Beschlüssen über die Auszahlung einzelner Tranchen der gewährten Stabilitätshilfe.

(4) Der von Deutschland nach Artikel 5 Absatz 1 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus ernannte Gouverneur und dessen Stellvertreter sind verpflichtet, den Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages auf Verlangen mindestens eines Viertels seiner Mitglieder, das mindestens von zwei Fraktionen im Ausschuss unterstützt werden muss, zu informieren und Auskünfte zu erteilen, soweit nicht Tatbestände nach § 6 dieses Gesetzes betroffen sind.

(5) Das Plenum des Deutschen Bundestags kann die Befugnisse des Haushaltsausschusses jederzeit durch einen mit einfacher Mehrheit gefassten Beschluss an sich ziehen und durch einfachen Beschluss ausüben.

(6) Ein Antrag oder eine Vorlage der Bundesregierung gilt als dem Haushaltsausschuss überwiesen im Sinne der Geschäftsordnung des Bundestages. § 70 der Geschäftsordnung gilt entsprechend, wobei das Verlangen eines Viertels der Mitglieder des Haushaltsausschusses von mindestens zwei Fraktionen im Ausschuss unterstützt werden muss.

(1) In Angelegenheiten des Europäischen Stabilitätsmechanismus, die die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Deutschen Bundestages betreffen, wird diese vom Plenum des Deutschen Bundestages wahrgenommen. Die haushaltspolitische Gesamtverantwortung ist insbesondere betroffen

1.
bei der Entscheidung nach Artikel 13 Absatz 2 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus, einer Vertragspartei des Europäischen Stabilitätsmechanismus auf deren Hilfeersuchen Stabilitätshilfe in Form einer im Vertrag zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus vorgesehenen Finanzhilfefazilität zu gewähren,
2.
bei der Annahme einer Vereinbarung über die Finanzhilfefazilität nach Artikel 13 Absatz 3 Satz 3 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus, einer Zustimmung zu einem entsprechenden Memorandum of Understanding nach Artikel 13 Absatz 4 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus und im Falle der Gewährung einer direkt an Finanzinstitute gewährten Finanzhilfe bei der Annahme einer institutsspezifischen Vereinbarung,
3.
bei Beschlüssen im Rahmen des Europäischen Stabilitätsmechanismus zur Veränderung des genehmigten Stammkapitals sowie des maximalen Darlehensvolumens nach Artikel 10 Absatz 1 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus; Artikel 2 Absatz 1 des Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. Februar 2012 zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus bleibt unberührt,
4.
bei Beschlüssen im Rahmen des Europäischen Stabilitätsmechanismus über die Festlegung und Änderung von Obergrenzen der für ein bestimmtes Finanzhilfeinstrument insgesamt zur Verfügung stehenden Mittel.

(2) In den Fällen, die die haushaltspolitische Gesamtverantwortung betreffen, darf die Bundesregierung einem Beschlussvorschlag in Angelegenheiten des Europäischen Stabilitätsmechanismus durch ihren Vertreter nur zustimmen oder sich bei einer Beschlussfassung enthalten, nachdem das Plenum hierzu einen zustimmenden Beschluss gefasst hat. Ohne einen solchen Beschluss des Plenums muss der deutsche Vertreter den Beschlussvorschlag ablehnen. Der Vertreter der Bundesregierung hat an der Beschlussfassung teilzunehmen.

(3) Werden gemäß Artikel 5 Absatz 6 Buchstabe m des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus Aufgaben des Gouverneursrates auf das Direktorium übertragen, gelten die §§ 3 bis 6 entsprechend.

(1) Zur Erfüllung der Verpflichtungen aus dem Beitritt zum Europäischen Stabilitätsmechanismus beteiligt sich die Bundesrepublik Deutschland am Gesamtbetrag des einzuzahlenden Kapitals des Europäischen Stabilitätsmechanismus in Höhe von 80 Milliarden Euro mit einem Betrag in Höhe von 21,71712 Milliarden Euro sowie am Gesamtbetrag des abrufbaren Kapitals des Europäischen Stabilitätsmechanismus in Höhe von 620 Milliarden Euro mit einem Betrag in Höhe von 168,30768 Milliarden Euro.

(2) Das Bundesministerium der Finanzen wird ermächtigt, für das abrufbare Kapital in Höhe von 168,30768 Milliarden Euro Gewährleistungen zu übernehmen. Zahlungen auf das abrufbare Kapital sind im Rahmen des Bundeshaushalts zu leisten

1.
nach Artikel 9 Absatz 2 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus zur Wiederherstellung der ursprünglichen Höhe des eingezahlten Kapitals, wenn das eingezahlte Kapital durch den Ausgleich eines Zahlungsausfalls unter die vereinbarte Summe von 80 Milliarden Euro fällt;
2.
nach Artikel 9 Absatz 3 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus zur Vermeidung eines Verzugs des Europäischen Stabilitätsmechanismus bei der Erfüllung seiner Zahlungsverpflichtungen;
3.
nach Artikel 25 Absatz 2 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus im Rahmen eines vorübergehend revidierten erhöhten Kapitalabrufs;
4.
nach Artikel 9 Absatz 1 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus aufgrund eines einstimmigen Beschlusses des Gouverneursrates des Europäischen Stabilitätsmechanismus.

(3) Die Bundesregierung wird ermächtigt, durch ihren Vertreter im Gouverneursrat einem Beschluss nach Artikel 10 Absatz 1 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus zur Veränderung des konsolidierten Darlehensvolumens von Europäischem Stabilitätsmechanismus und Europäischer Finanzstabilisierungsfazilität im Sinne des Artikels 39 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus insoweit zuzustimmen, als Finanzmittel, die für die Durchführung der von der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität bis zum 30. März 2012 zugesagten Notmaßnahmen erforderlich sind, bis zu einer Höhe von 200 Milliarden Euro bei der Berechnung des konsolidierten Darlehensvolumens im Sinne des Artikels 39 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus nicht in Abzug gebracht werden.

(1) Das Grundgesetz kann nur durch ein Gesetz geändert werden, das den Wortlaut des Grundgesetzes ausdrücklich ändert oder ergänzt. Bei völkerrechtlichen Verträgen, die eine Friedensregelung, die Vorbereitung einer Friedensregelung oder den Abbau einer besatzungsrechtlichen Ordnung zum Gegenstand haben oder der Verteidigung der Bundesrepublik zu dienen bestimmt sind, genügt zur Klarstellung, daß die Bestimmungen des Grundgesetzes dem Abschluß und dem Inkraftsetzen der Verträge nicht entgegenstehen, eine Ergänzung des Wortlautes des Grundgesetzes, die sich auf diese Klarstellung beschränkt.

(2) Ein solches Gesetz bedarf der Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages und zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrates.

(3) Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig.

(1) In allen sonstigen die Haushaltsverantwortung des Deutschen Bundestages berührenden Angelegenheiten des Europäischen Stabilitätsmechanismus, in denen eine Entscheidung des Plenums gemäß § 4 nicht vorgesehen ist, wird der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages beteiligt. Der Haushaltsausschuss überwacht die Vorbereitung und Durchführung der Vereinbarungen über Stabilitätshilfen.

(2) Der vorherigen Zustimmung des Haushaltsausschusses bedürfen:

1.
Entscheidungen über die Bereitstellung zusätzlicher Instrumente ohne Änderung des Gesamtfinanzierungsvolumens einer bestehenden Finanzhilfefazilität oder wesentliche Änderungen der Bedingungen der Finanzhilfefazilität,
2.
Beschlüsse über den Abruf von Kapital nach Artikel 9 Absatz 1 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus sowie die Annahme oder wesentliche Änderung der Regelungen und Bedingungen, die für Kapitalabrufe nach Artikel 9 Absatz 4 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus gelten,
3.
die Annahme oder wesentliche Änderung der Leitlinien für die Durchführungsmodalitäten der einzelnen dem Europäischen Stabilitätsmechanismus nach den Artikeln 14 bis 18 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus sowie gemäß einem Beschluss nach Artikel 19 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus zur Verfügung stehenden Finanzhilfeinstrumente, der Preisgestaltungsleitlinien nach Artikel 20 Absatz 2 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus, der Leitlinien für Anleiheoperationen nach Artikel 21 Absatz 2 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus, der Leitlinien für die Anlagepolitik nach Artikel 22 Absatz 1 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus, der Leitlinien für die Dividendenpolitik nach Artikel 23 Absatz 3 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus und der Vorschriften für die Einrichtung, Verwaltung und Verwendung weiterer Fonds nach Artikel 24 Absatz 4 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus,
4.
die ausführlichen Regelungen und Bedingungen für Kapitalveränderungen nach Artikel 10 Absatz 2 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus,
5.
die Annahme von Bestimmungen oder Auslegungen zur Regelung der beruflichen Schweigepflicht nach Artikel 34 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus.
Die Bundesregierung darf in diesen Fällen einem Beschlussvorschlag in Angelegenheiten des Europäischen Stabilitätsmechanismus durch ihren Vertreter nur zustimmen oder sich bei einer Beschlussfassung enthalten, nachdem der Haushaltsausschuss hierzu einen zustimmenden Beschluss gefasst hat. Einen entsprechenden Antrag im Haushaltsausschuss kann auch die Bundesregierung stellen. Ohne einen solchen Beschluss des Haushaltsausschusses muss der deutsche Vertreter den Beschlussvorschlag ablehnen. Der Vertreter der Bundesregierung hat an der Beschlussfassung teilzunehmen.

(3) In den nicht von Absatz 2 erfassten Fällen, die die Haushaltsverantwortung des Deutschen Bundestages berühren, hat die Bundesregierung den Haushaltsausschuss zu beteiligen und seine Stellungnahmen zu berücksichtigen. Dies gilt insbesondere bei Beschlüssen über die Auszahlung einzelner Tranchen der gewährten Stabilitätshilfe.

(4) Der von Deutschland nach Artikel 5 Absatz 1 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus ernannte Gouverneur und dessen Stellvertreter sind verpflichtet, den Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages auf Verlangen mindestens eines Viertels seiner Mitglieder, das mindestens von zwei Fraktionen im Ausschuss unterstützt werden muss, zu informieren und Auskünfte zu erteilen, soweit nicht Tatbestände nach § 6 dieses Gesetzes betroffen sind.

(5) Das Plenum des Deutschen Bundestags kann die Befugnisse des Haushaltsausschusses jederzeit durch einen mit einfacher Mehrheit gefassten Beschluss an sich ziehen und durch einfachen Beschluss ausüben.

(6) Ein Antrag oder eine Vorlage der Bundesregierung gilt als dem Haushaltsausschuss überwiesen im Sinne der Geschäftsordnung des Bundestages. § 70 der Geschäftsordnung gilt entsprechend, wobei das Verlangen eines Viertels der Mitglieder des Haushaltsausschusses von mindestens zwei Fraktionen im Ausschuss unterstützt werden muss.

(1) In Angelegenheiten des Europäischen Stabilitätsmechanismus, die die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Deutschen Bundestages betreffen, wird diese vom Plenum des Deutschen Bundestages wahrgenommen. Die haushaltspolitische Gesamtverantwortung ist insbesondere betroffen

1.
bei der Entscheidung nach Artikel 13 Absatz 2 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus, einer Vertragspartei des Europäischen Stabilitätsmechanismus auf deren Hilfeersuchen Stabilitätshilfe in Form einer im Vertrag zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus vorgesehenen Finanzhilfefazilität zu gewähren,
2.
bei der Annahme einer Vereinbarung über die Finanzhilfefazilität nach Artikel 13 Absatz 3 Satz 3 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus, einer Zustimmung zu einem entsprechenden Memorandum of Understanding nach Artikel 13 Absatz 4 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus und im Falle der Gewährung einer direkt an Finanzinstitute gewährten Finanzhilfe bei der Annahme einer institutsspezifischen Vereinbarung,
3.
bei Beschlüssen im Rahmen des Europäischen Stabilitätsmechanismus zur Veränderung des genehmigten Stammkapitals sowie des maximalen Darlehensvolumens nach Artikel 10 Absatz 1 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus; Artikel 2 Absatz 1 des Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. Februar 2012 zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus bleibt unberührt,
4.
bei Beschlüssen im Rahmen des Europäischen Stabilitätsmechanismus über die Festlegung und Änderung von Obergrenzen der für ein bestimmtes Finanzhilfeinstrument insgesamt zur Verfügung stehenden Mittel.

(2) In den Fällen, die die haushaltspolitische Gesamtverantwortung betreffen, darf die Bundesregierung einem Beschlussvorschlag in Angelegenheiten des Europäischen Stabilitätsmechanismus durch ihren Vertreter nur zustimmen oder sich bei einer Beschlussfassung enthalten, nachdem das Plenum hierzu einen zustimmenden Beschluss gefasst hat. Ohne einen solchen Beschluss des Plenums muss der deutsche Vertreter den Beschlussvorschlag ablehnen. Der Vertreter der Bundesregierung hat an der Beschlussfassung teilzunehmen.

(3) Werden gemäß Artikel 5 Absatz 6 Buchstabe m des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus Aufgaben des Gouverneursrates auf das Direktorium übertragen, gelten die §§ 3 bis 6 entsprechend.

(1) In allen sonstigen die Haushaltsverantwortung des Deutschen Bundestages berührenden Angelegenheiten des Europäischen Stabilitätsmechanismus, in denen eine Entscheidung des Plenums gemäß § 4 nicht vorgesehen ist, wird der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages beteiligt. Der Haushaltsausschuss überwacht die Vorbereitung und Durchführung der Vereinbarungen über Stabilitätshilfen.

(2) Der vorherigen Zustimmung des Haushaltsausschusses bedürfen:

1.
Entscheidungen über die Bereitstellung zusätzlicher Instrumente ohne Änderung des Gesamtfinanzierungsvolumens einer bestehenden Finanzhilfefazilität oder wesentliche Änderungen der Bedingungen der Finanzhilfefazilität,
2.
Beschlüsse über den Abruf von Kapital nach Artikel 9 Absatz 1 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus sowie die Annahme oder wesentliche Änderung der Regelungen und Bedingungen, die für Kapitalabrufe nach Artikel 9 Absatz 4 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus gelten,
3.
die Annahme oder wesentliche Änderung der Leitlinien für die Durchführungsmodalitäten der einzelnen dem Europäischen Stabilitätsmechanismus nach den Artikeln 14 bis 18 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus sowie gemäß einem Beschluss nach Artikel 19 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus zur Verfügung stehenden Finanzhilfeinstrumente, der Preisgestaltungsleitlinien nach Artikel 20 Absatz 2 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus, der Leitlinien für Anleiheoperationen nach Artikel 21 Absatz 2 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus, der Leitlinien für die Anlagepolitik nach Artikel 22 Absatz 1 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus, der Leitlinien für die Dividendenpolitik nach Artikel 23 Absatz 3 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus und der Vorschriften für die Einrichtung, Verwaltung und Verwendung weiterer Fonds nach Artikel 24 Absatz 4 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus,
4.
die ausführlichen Regelungen und Bedingungen für Kapitalveränderungen nach Artikel 10 Absatz 2 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus,
5.
die Annahme von Bestimmungen oder Auslegungen zur Regelung der beruflichen Schweigepflicht nach Artikel 34 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus.
Die Bundesregierung darf in diesen Fällen einem Beschlussvorschlag in Angelegenheiten des Europäischen Stabilitätsmechanismus durch ihren Vertreter nur zustimmen oder sich bei einer Beschlussfassung enthalten, nachdem der Haushaltsausschuss hierzu einen zustimmenden Beschluss gefasst hat. Einen entsprechenden Antrag im Haushaltsausschuss kann auch die Bundesregierung stellen. Ohne einen solchen Beschluss des Haushaltsausschusses muss der deutsche Vertreter den Beschlussvorschlag ablehnen. Der Vertreter der Bundesregierung hat an der Beschlussfassung teilzunehmen.

(3) In den nicht von Absatz 2 erfassten Fällen, die die Haushaltsverantwortung des Deutschen Bundestages berühren, hat die Bundesregierung den Haushaltsausschuss zu beteiligen und seine Stellungnahmen zu berücksichtigen. Dies gilt insbesondere bei Beschlüssen über die Auszahlung einzelner Tranchen der gewährten Stabilitätshilfe.

(4) Der von Deutschland nach Artikel 5 Absatz 1 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus ernannte Gouverneur und dessen Stellvertreter sind verpflichtet, den Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages auf Verlangen mindestens eines Viertels seiner Mitglieder, das mindestens von zwei Fraktionen im Ausschuss unterstützt werden muss, zu informieren und Auskünfte zu erteilen, soweit nicht Tatbestände nach § 6 dieses Gesetzes betroffen sind.

(5) Das Plenum des Deutschen Bundestags kann die Befugnisse des Haushaltsausschusses jederzeit durch einen mit einfacher Mehrheit gefassten Beschluss an sich ziehen und durch einfachen Beschluss ausüben.

(6) Ein Antrag oder eine Vorlage der Bundesregierung gilt als dem Haushaltsausschuss überwiesen im Sinne der Geschäftsordnung des Bundestages. § 70 der Geschäftsordnung gilt entsprechend, wobei das Verlangen eines Viertels der Mitglieder des Haushaltsausschusses von mindestens zwei Fraktionen im Ausschuss unterstützt werden muss.

(1) Das Grundgesetz kann nur durch ein Gesetz geändert werden, das den Wortlaut des Grundgesetzes ausdrücklich ändert oder ergänzt. Bei völkerrechtlichen Verträgen, die eine Friedensregelung, die Vorbereitung einer Friedensregelung oder den Abbau einer besatzungsrechtlichen Ordnung zum Gegenstand haben oder der Verteidigung der Bundesrepublik zu dienen bestimmt sind, genügt zur Klarstellung, daß die Bestimmungen des Grundgesetzes dem Abschluß und dem Inkraftsetzen der Verträge nicht entgegenstehen, eine Ergänzung des Wortlautes des Grundgesetzes, die sich auf diese Klarstellung beschränkt.

(2) Ein solches Gesetz bedarf der Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages und zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrates.

(3) Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig.

(1) Bund und Länder sind in ihrer Haushaltswirtschaft selbständig und voneinander unabhängig.

(2) Bund und Länder erfüllen gemeinsam die Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland aus Rechtsakten der Europäischen Gemeinschaft auf Grund des Artikels 104 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft zur Einhaltung der Haushaltsdisziplin und tragen in diesem Rahmen den Erfordernissen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts Rechnung.

(3) Die Haushalte von Bund und Ländern sind grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen. Bund und Länder können Regelungen zur im Auf- und Abschwung symmetrischen Berücksichtigung der Auswirkungen einer von der Normallage abweichenden konjunkturellen Entwicklung sowie eine Ausnahmeregelung für Naturkatastrophen oder außergewöhnliche Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen, vorsehen. Für die Ausnahmeregelung ist eine entsprechende Tilgungsregelung vorzusehen. Die nähere Ausgestaltung regelt für den Haushalt des Bundes Artikel 115 mit der Maßgabe, dass Satz 1 entsprochen ist, wenn die Einnahmen aus Krediten 0,35 vom Hundert im Verhältnis zum nominalen Bruttoinlandsprodukt nicht überschreiten. Die nähere Ausgestaltung für die Haushalte der Länder regeln diese im Rahmen ihrer verfassungsrechtlichen Kompetenzen mit der Maßgabe, dass Satz 1 nur dann entsprochen ist, wenn keine Einnahmen aus Krediten zugelassen werden.

(4) Durch Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, können für Bund und Länder gemeinsam geltende Grundsätze für das Haushaltsrecht, für eine konjunkturgerechte Haushaltswirtschaft und für eine mehrjährige Finanzplanung aufgestellt werden.

(5) Sanktionsmaßnahmen der Europäischen Gemeinschaft im Zusammenhang mit den Bestimmungen in Artikel 104 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft zur Einhaltung der Haushaltsdisziplin tragen Bund und Länder im Verhältnis 65 zu 35. Die Ländergesamtheit trägt solidarisch 35 vom Hundert der auf die Länder entfallenden Lasten entsprechend ihrer Einwohnerzahl; 65 vom Hundert der auf die Länder entfallenden Lasten tragen die Länder entsprechend ihrem Verursachungsbeitrag. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf.

(1) Die Aufnahme von Krediten sowie die Übernahme von Bürgschaften, Garantien oder sonstigen Gewährleistungen, die zu Ausgaben in künftigen Rechnungsjahren führen können, bedürfen einer der Höhe nach bestimmten oder bestimmbaren Ermächtigung durch Bundesgesetz.

(2) Einnahmen und Ausgaben sind grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen. Diesem Grundsatz ist entsprochen, wenn die Einnahmen aus Krediten 0,35 vom Hundert im Verhältnis zum nominalen Bruttoinlandsprodukt nicht überschreiten. Zusätzlich sind bei einer von der Normallage abweichenden konjunkturellen Entwicklung die Auswirkungen auf den Haushalt im Auf- und Abschwung symmetrisch zu berücksichtigen. Abweichungen der tatsächlichen Kreditaufnahme von der nach den Sätzen 1 bis 3 zulässigen Kreditobergrenze werden auf einem Kontrollkonto erfasst; Belastungen, die den Schwellenwert von 1,5 vom Hundert im Verhältnis zum nominalen Bruttoinlandsprodukt überschreiten, sind konjunkturgerecht zurückzuführen. Näheres, insbesondere die Bereinigung der Einnahmen und Ausgaben um finanzielle Transaktionen und das Verfahren zur Berechnung der Obergrenze der jährlichen Nettokreditaufnahme unter Berücksichtigung der konjunkturellen Entwicklung auf der Grundlage eines Konjunkturbereinigungsverfahrens sowie die Kontrolle und den Ausgleich von Abweichungen der tatsächlichen Kreditaufnahme von der Regelgrenze, regelt ein Bundesgesetz. Im Falle von Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen, können diese Kreditobergrenzen auf Grund eines Beschlusses der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages überschritten werden. Der Beschluss ist mit einem Tilgungsplan zu verbinden. Die Rückführung der nach Satz 6 aufgenommenen Kredite hat binnen eines angemessenen Zeitraumes zu erfolgen.

(1) Artikel 109 und 115 in der bis zum 31. Juli 2009 geltenden Fassung sind letztmals auf das Haushaltsjahr 2010 anzuwenden. Artikel 109 und 115 in der ab dem 1. August 2009 geltenden Fassung sind erstmals für das Haushaltsjahr 2011 anzuwenden; am 31. Dezember 2010 bestehende Kreditermächtigungen für bereits eingerichtete Sondervermögen bleiben unberührt. Die Länder dürfen im Zeitraum vom 1. Januar 2011 bis zum 31. Dezember 2019 nach Maßgabe der geltenden landesrechtlichen Regelungen von den Vorgaben des Artikels 109 Absatz 3 abweichen. Die Haushalte der Länder sind so aufzustellen, dass im Haushaltsjahr 2020 die Vorgabe aus Artikel 109 Absatz 3 Satz 5 erfüllt wird. Der Bund kann im Zeitraum vom 1. Januar 2011 bis zum 31. Dezember 2015 von der Vorgabe des Artikels 115 Absatz 2 Satz 2 abweichen. Mit dem Abbau des bestehenden Defizits soll im Haushaltsjahr 2011 begonnen werden. Die jährlichen Haushalte sind so aufzustellen, dass im Haushaltsjahr 2016 die Vorgabe aus Artikel 115 Absatz 2 Satz 2 erfüllt wird; das Nähere regelt ein Bundesgesetz.

(2) Als Hilfe zur Einhaltung der Vorgaben des Artikels 109 Absatz 3 ab dem 1. Januar 2020 können den Ländern Berlin, Bremen, Saarland, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein für den Zeitraum 2011 bis 2019 Konsolidierungshilfen aus dem Haushalt des Bundes in Höhe von insgesamt 800 Millionen Euro jährlich gewährt werden. Davon entfallen auf Bremen 300 Millionen Euro, auf das Saarland 260 Millionen Euro und auf Berlin, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein jeweils 80 Millionen Euro. Die Hilfen werden auf der Grundlage einer Verwaltungsvereinbarung nach Maßgabe eines Bundesgesetzes mit Zustimmung des Bundesrates geleistet. Die Gewährung der Hilfen setzt einen vollständigen Abbau der Finanzierungsdefizite bis zum Jahresende 2020 voraus. Das Nähere, insbesondere die jährlichen Abbauschritte der Finanzierungsdefizite, die Überwachung des Abbaus der Finanzierungsdefizite durch den Stabilitätsrat sowie die Konsequenzen im Falle der Nichteinhaltung der Abbauschritte, wird durch Bundesgesetz mit Zustimmung des Bundesrates und durch Verwaltungsvereinbarung geregelt. Die gleichzeitige Gewährung der Konsolidierungshilfen und Sanierungshilfen auf Grund einer extremen Haushaltsnotlage ist ausgeschlossen.

(3) Die sich aus der Gewährung der Konsolidierungshilfen ergebende Finanzierungslast wird hälftig von Bund und Ländern, von letzteren aus ihrem Umsatzsteueranteil, getragen. Das Nähere wird durch Bundesgesetz mit Zustimmung des Bundesrates geregelt.

(4) Als Hilfe zur künftig eigenständigen Einhaltung der Vorgaben des Artikels 109 Absatz 3 können den Ländern Bremen und Saarland ab dem 1. Januar 2020 Sanierungshilfen in Höhe von jährlich insgesamt 800 Millionen Euro aus dem Haushalt des Bundes gewährt werden. Die Länder ergreifen hierzu Maßnahmen zum Abbau der übermäßigen Verschuldung sowie zur Stärkung der Wirtschafts- und Finanzkraft. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf. Die gleichzeitige Gewährung der Sanierungshilfen und Sanierungshilfen auf Grund einer extremen Haushaltsnotlage ist ausgeschlossen.

(1) Bund und Länder sind in ihrer Haushaltswirtschaft selbständig und voneinander unabhängig.

(2) Bund und Länder erfüllen gemeinsam die Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland aus Rechtsakten der Europäischen Gemeinschaft auf Grund des Artikels 104 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft zur Einhaltung der Haushaltsdisziplin und tragen in diesem Rahmen den Erfordernissen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts Rechnung.

(3) Die Haushalte von Bund und Ländern sind grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen. Bund und Länder können Regelungen zur im Auf- und Abschwung symmetrischen Berücksichtigung der Auswirkungen einer von der Normallage abweichenden konjunkturellen Entwicklung sowie eine Ausnahmeregelung für Naturkatastrophen oder außergewöhnliche Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen, vorsehen. Für die Ausnahmeregelung ist eine entsprechende Tilgungsregelung vorzusehen. Die nähere Ausgestaltung regelt für den Haushalt des Bundes Artikel 115 mit der Maßgabe, dass Satz 1 entsprochen ist, wenn die Einnahmen aus Krediten 0,35 vom Hundert im Verhältnis zum nominalen Bruttoinlandsprodukt nicht überschreiten. Die nähere Ausgestaltung für die Haushalte der Länder regeln diese im Rahmen ihrer verfassungsrechtlichen Kompetenzen mit der Maßgabe, dass Satz 1 nur dann entsprochen ist, wenn keine Einnahmen aus Krediten zugelassen werden.

(4) Durch Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, können für Bund und Länder gemeinsam geltende Grundsätze für das Haushaltsrecht, für eine konjunkturgerechte Haushaltswirtschaft und für eine mehrjährige Finanzplanung aufgestellt werden.

(5) Sanktionsmaßnahmen der Europäischen Gemeinschaft im Zusammenhang mit den Bestimmungen in Artikel 104 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft zur Einhaltung der Haushaltsdisziplin tragen Bund und Länder im Verhältnis 65 zu 35. Die Ländergesamtheit trägt solidarisch 35 vom Hundert der auf die Länder entfallenden Lasten entsprechend ihrer Einwohnerzahl; 65 vom Hundert der auf die Länder entfallenden Lasten tragen die Länder entsprechend ihrem Verursachungsbeitrag. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf.

(1) Zur Vermeidung von Haushaltsnotlagen regelt ein Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf,

1.
die fortlaufende Überwachung der Haushaltswirtschaft von Bund und Ländern durch ein gemeinsames Gremium (Stabilitätsrat),
2.
die Voraussetzungen und das Verfahren zur Feststellung einer drohenden Haushaltsnotlage,
3.
die Grundsätze zur Aufstellung und Durchführung von Sanierungsprogrammen zur Vermeidung von Haushaltsnotlagen.

(2) Dem Stabilitätsrat obliegt ab dem Jahr 2020 die Überwachung der Einhaltung der Vorgaben des Artikels 109 Absatz 3 durch Bund und Länder. Die Überwachung orientiert sich an den Vorgaben und Verfahren aus Rechtsakten auf Grund des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union zur Einhaltung der Haushaltsdisziplin.

(3) Die Beschlüsse des Stabilitätsrats und die zugrunde liegenden Beratungsunterlagen sind zu veröffentlichen.

(1) Die Aufnahme von Krediten sowie die Übernahme von Bürgschaften, Garantien oder sonstigen Gewährleistungen, die zu Ausgaben in künftigen Rechnungsjahren führen können, bedürfen einer der Höhe nach bestimmten oder bestimmbaren Ermächtigung durch Bundesgesetz.

(2) Einnahmen und Ausgaben sind grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen. Diesem Grundsatz ist entsprochen, wenn die Einnahmen aus Krediten 0,35 vom Hundert im Verhältnis zum nominalen Bruttoinlandsprodukt nicht überschreiten. Zusätzlich sind bei einer von der Normallage abweichenden konjunkturellen Entwicklung die Auswirkungen auf den Haushalt im Auf- und Abschwung symmetrisch zu berücksichtigen. Abweichungen der tatsächlichen Kreditaufnahme von der nach den Sätzen 1 bis 3 zulässigen Kreditobergrenze werden auf einem Kontrollkonto erfasst; Belastungen, die den Schwellenwert von 1,5 vom Hundert im Verhältnis zum nominalen Bruttoinlandsprodukt überschreiten, sind konjunkturgerecht zurückzuführen. Näheres, insbesondere die Bereinigung der Einnahmen und Ausgaben um finanzielle Transaktionen und das Verfahren zur Berechnung der Obergrenze der jährlichen Nettokreditaufnahme unter Berücksichtigung der konjunkturellen Entwicklung auf der Grundlage eines Konjunkturbereinigungsverfahrens sowie die Kontrolle und den Ausgleich von Abweichungen der tatsächlichen Kreditaufnahme von der Regelgrenze, regelt ein Bundesgesetz. Im Falle von Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen, können diese Kreditobergrenzen auf Grund eines Beschlusses der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages überschritten werden. Der Beschluss ist mit einem Tilgungsplan zu verbinden. Die Rückführung der nach Satz 6 aufgenommenen Kredite hat binnen eines angemessenen Zeitraumes zu erfolgen.

(1) Artikel 109 und 115 in der bis zum 31. Juli 2009 geltenden Fassung sind letztmals auf das Haushaltsjahr 2010 anzuwenden. Artikel 109 und 115 in der ab dem 1. August 2009 geltenden Fassung sind erstmals für das Haushaltsjahr 2011 anzuwenden; am 31. Dezember 2010 bestehende Kreditermächtigungen für bereits eingerichtete Sondervermögen bleiben unberührt. Die Länder dürfen im Zeitraum vom 1. Januar 2011 bis zum 31. Dezember 2019 nach Maßgabe der geltenden landesrechtlichen Regelungen von den Vorgaben des Artikels 109 Absatz 3 abweichen. Die Haushalte der Länder sind so aufzustellen, dass im Haushaltsjahr 2020 die Vorgabe aus Artikel 109 Absatz 3 Satz 5 erfüllt wird. Der Bund kann im Zeitraum vom 1. Januar 2011 bis zum 31. Dezember 2015 von der Vorgabe des Artikels 115 Absatz 2 Satz 2 abweichen. Mit dem Abbau des bestehenden Defizits soll im Haushaltsjahr 2011 begonnen werden. Die jährlichen Haushalte sind so aufzustellen, dass im Haushaltsjahr 2016 die Vorgabe aus Artikel 115 Absatz 2 Satz 2 erfüllt wird; das Nähere regelt ein Bundesgesetz.

(2) Als Hilfe zur Einhaltung der Vorgaben des Artikels 109 Absatz 3 ab dem 1. Januar 2020 können den Ländern Berlin, Bremen, Saarland, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein für den Zeitraum 2011 bis 2019 Konsolidierungshilfen aus dem Haushalt des Bundes in Höhe von insgesamt 800 Millionen Euro jährlich gewährt werden. Davon entfallen auf Bremen 300 Millionen Euro, auf das Saarland 260 Millionen Euro und auf Berlin, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein jeweils 80 Millionen Euro. Die Hilfen werden auf der Grundlage einer Verwaltungsvereinbarung nach Maßgabe eines Bundesgesetzes mit Zustimmung des Bundesrates geleistet. Die Gewährung der Hilfen setzt einen vollständigen Abbau der Finanzierungsdefizite bis zum Jahresende 2020 voraus. Das Nähere, insbesondere die jährlichen Abbauschritte der Finanzierungsdefizite, die Überwachung des Abbaus der Finanzierungsdefizite durch den Stabilitätsrat sowie die Konsequenzen im Falle der Nichteinhaltung der Abbauschritte, wird durch Bundesgesetz mit Zustimmung des Bundesrates und durch Verwaltungsvereinbarung geregelt. Die gleichzeitige Gewährung der Konsolidierungshilfen und Sanierungshilfen auf Grund einer extremen Haushaltsnotlage ist ausgeschlossen.

(3) Die sich aus der Gewährung der Konsolidierungshilfen ergebende Finanzierungslast wird hälftig von Bund und Ländern, von letzteren aus ihrem Umsatzsteueranteil, getragen. Das Nähere wird durch Bundesgesetz mit Zustimmung des Bundesrates geregelt.

(4) Als Hilfe zur künftig eigenständigen Einhaltung der Vorgaben des Artikels 109 Absatz 3 können den Ländern Bremen und Saarland ab dem 1. Januar 2020 Sanierungshilfen in Höhe von jährlich insgesamt 800 Millionen Euro aus dem Haushalt des Bundes gewährt werden. Die Länder ergreifen hierzu Maßnahmen zum Abbau der übermäßigen Verschuldung sowie zur Stärkung der Wirtschafts- und Finanzkraft. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf. Die gleichzeitige Gewährung der Sanierungshilfen und Sanierungshilfen auf Grund einer extremen Haushaltsnotlage ist ausgeschlossen.

(1) Bund und Länder sind in ihrer Haushaltswirtschaft selbständig und voneinander unabhängig.

(2) Bund und Länder erfüllen gemeinsam die Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland aus Rechtsakten der Europäischen Gemeinschaft auf Grund des Artikels 104 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft zur Einhaltung der Haushaltsdisziplin und tragen in diesem Rahmen den Erfordernissen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts Rechnung.

(3) Die Haushalte von Bund und Ländern sind grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen. Bund und Länder können Regelungen zur im Auf- und Abschwung symmetrischen Berücksichtigung der Auswirkungen einer von der Normallage abweichenden konjunkturellen Entwicklung sowie eine Ausnahmeregelung für Naturkatastrophen oder außergewöhnliche Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen, vorsehen. Für die Ausnahmeregelung ist eine entsprechende Tilgungsregelung vorzusehen. Die nähere Ausgestaltung regelt für den Haushalt des Bundes Artikel 115 mit der Maßgabe, dass Satz 1 entsprochen ist, wenn die Einnahmen aus Krediten 0,35 vom Hundert im Verhältnis zum nominalen Bruttoinlandsprodukt nicht überschreiten. Die nähere Ausgestaltung für die Haushalte der Länder regeln diese im Rahmen ihrer verfassungsrechtlichen Kompetenzen mit der Maßgabe, dass Satz 1 nur dann entsprochen ist, wenn keine Einnahmen aus Krediten zugelassen werden.

(4) Durch Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, können für Bund und Länder gemeinsam geltende Grundsätze für das Haushaltsrecht, für eine konjunkturgerechte Haushaltswirtschaft und für eine mehrjährige Finanzplanung aufgestellt werden.

(5) Sanktionsmaßnahmen der Europäischen Gemeinschaft im Zusammenhang mit den Bestimmungen in Artikel 104 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft zur Einhaltung der Haushaltsdisziplin tragen Bund und Länder im Verhältnis 65 zu 35. Die Ländergesamtheit trägt solidarisch 35 vom Hundert der auf die Länder entfallenden Lasten entsprechend ihrer Einwohnerzahl; 65 vom Hundert der auf die Länder entfallenden Lasten tragen die Länder entsprechend ihrem Verursachungsbeitrag. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf.

(1) Die Aufnahme von Krediten sowie die Übernahme von Bürgschaften, Garantien oder sonstigen Gewährleistungen, die zu Ausgaben in künftigen Rechnungsjahren führen können, bedürfen einer der Höhe nach bestimmten oder bestimmbaren Ermächtigung durch Bundesgesetz.

(2) Einnahmen und Ausgaben sind grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen. Diesem Grundsatz ist entsprochen, wenn die Einnahmen aus Krediten 0,35 vom Hundert im Verhältnis zum nominalen Bruttoinlandsprodukt nicht überschreiten. Zusätzlich sind bei einer von der Normallage abweichenden konjunkturellen Entwicklung die Auswirkungen auf den Haushalt im Auf- und Abschwung symmetrisch zu berücksichtigen. Abweichungen der tatsächlichen Kreditaufnahme von der nach den Sätzen 1 bis 3 zulässigen Kreditobergrenze werden auf einem Kontrollkonto erfasst; Belastungen, die den Schwellenwert von 1,5 vom Hundert im Verhältnis zum nominalen Bruttoinlandsprodukt überschreiten, sind konjunkturgerecht zurückzuführen. Näheres, insbesondere die Bereinigung der Einnahmen und Ausgaben um finanzielle Transaktionen und das Verfahren zur Berechnung der Obergrenze der jährlichen Nettokreditaufnahme unter Berücksichtigung der konjunkturellen Entwicklung auf der Grundlage eines Konjunkturbereinigungsverfahrens sowie die Kontrolle und den Ausgleich von Abweichungen der tatsächlichen Kreditaufnahme von der Regelgrenze, regelt ein Bundesgesetz. Im Falle von Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen, können diese Kreditobergrenzen auf Grund eines Beschlusses der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages überschritten werden. Der Beschluss ist mit einem Tilgungsplan zu verbinden. Die Rückführung der nach Satz 6 aufgenommenen Kredite hat binnen eines angemessenen Zeitraumes zu erfolgen.

(1) Artikel 109 und 115 in der bis zum 31. Juli 2009 geltenden Fassung sind letztmals auf das Haushaltsjahr 2010 anzuwenden. Artikel 109 und 115 in der ab dem 1. August 2009 geltenden Fassung sind erstmals für das Haushaltsjahr 2011 anzuwenden; am 31. Dezember 2010 bestehende Kreditermächtigungen für bereits eingerichtete Sondervermögen bleiben unberührt. Die Länder dürfen im Zeitraum vom 1. Januar 2011 bis zum 31. Dezember 2019 nach Maßgabe der geltenden landesrechtlichen Regelungen von den Vorgaben des Artikels 109 Absatz 3 abweichen. Die Haushalte der Länder sind so aufzustellen, dass im Haushaltsjahr 2020 die Vorgabe aus Artikel 109 Absatz 3 Satz 5 erfüllt wird. Der Bund kann im Zeitraum vom 1. Januar 2011 bis zum 31. Dezember 2015 von der Vorgabe des Artikels 115 Absatz 2 Satz 2 abweichen. Mit dem Abbau des bestehenden Defizits soll im Haushaltsjahr 2011 begonnen werden. Die jährlichen Haushalte sind so aufzustellen, dass im Haushaltsjahr 2016 die Vorgabe aus Artikel 115 Absatz 2 Satz 2 erfüllt wird; das Nähere regelt ein Bundesgesetz.

(2) Als Hilfe zur Einhaltung der Vorgaben des Artikels 109 Absatz 3 ab dem 1. Januar 2020 können den Ländern Berlin, Bremen, Saarland, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein für den Zeitraum 2011 bis 2019 Konsolidierungshilfen aus dem Haushalt des Bundes in Höhe von insgesamt 800 Millionen Euro jährlich gewährt werden. Davon entfallen auf Bremen 300 Millionen Euro, auf das Saarland 260 Millionen Euro und auf Berlin, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein jeweils 80 Millionen Euro. Die Hilfen werden auf der Grundlage einer Verwaltungsvereinbarung nach Maßgabe eines Bundesgesetzes mit Zustimmung des Bundesrates geleistet. Die Gewährung der Hilfen setzt einen vollständigen Abbau der Finanzierungsdefizite bis zum Jahresende 2020 voraus. Das Nähere, insbesondere die jährlichen Abbauschritte der Finanzierungsdefizite, die Überwachung des Abbaus der Finanzierungsdefizite durch den Stabilitätsrat sowie die Konsequenzen im Falle der Nichteinhaltung der Abbauschritte, wird durch Bundesgesetz mit Zustimmung des Bundesrates und durch Verwaltungsvereinbarung geregelt. Die gleichzeitige Gewährung der Konsolidierungshilfen und Sanierungshilfen auf Grund einer extremen Haushaltsnotlage ist ausgeschlossen.

(3) Die sich aus der Gewährung der Konsolidierungshilfen ergebende Finanzierungslast wird hälftig von Bund und Ländern, von letzteren aus ihrem Umsatzsteueranteil, getragen. Das Nähere wird durch Bundesgesetz mit Zustimmung des Bundesrates geregelt.

(4) Als Hilfe zur künftig eigenständigen Einhaltung der Vorgaben des Artikels 109 Absatz 3 können den Ländern Bremen und Saarland ab dem 1. Januar 2020 Sanierungshilfen in Höhe von jährlich insgesamt 800 Millionen Euro aus dem Haushalt des Bundes gewährt werden. Die Länder ergreifen hierzu Maßnahmen zum Abbau der übermäßigen Verschuldung sowie zur Stärkung der Wirtschafts- und Finanzkraft. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf. Die gleichzeitige Gewährung der Sanierungshilfen und Sanierungshilfen auf Grund einer extremen Haushaltsnotlage ist ausgeschlossen.

(1) Die Aufnahme von Krediten sowie die Übernahme von Bürgschaften, Garantien oder sonstigen Gewährleistungen, die zu Ausgaben in künftigen Rechnungsjahren führen können, bedürfen einer der Höhe nach bestimmten oder bestimmbaren Ermächtigung durch Bundesgesetz.

(2) Einnahmen und Ausgaben sind grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen. Diesem Grundsatz ist entsprochen, wenn die Einnahmen aus Krediten 0,35 vom Hundert im Verhältnis zum nominalen Bruttoinlandsprodukt nicht überschreiten. Zusätzlich sind bei einer von der Normallage abweichenden konjunkturellen Entwicklung die Auswirkungen auf den Haushalt im Auf- und Abschwung symmetrisch zu berücksichtigen. Abweichungen der tatsächlichen Kreditaufnahme von der nach den Sätzen 1 bis 3 zulässigen Kreditobergrenze werden auf einem Kontrollkonto erfasst; Belastungen, die den Schwellenwert von 1,5 vom Hundert im Verhältnis zum nominalen Bruttoinlandsprodukt überschreiten, sind konjunkturgerecht zurückzuführen. Näheres, insbesondere die Bereinigung der Einnahmen und Ausgaben um finanzielle Transaktionen und das Verfahren zur Berechnung der Obergrenze der jährlichen Nettokreditaufnahme unter Berücksichtigung der konjunkturellen Entwicklung auf der Grundlage eines Konjunkturbereinigungsverfahrens sowie die Kontrolle und den Ausgleich von Abweichungen der tatsächlichen Kreditaufnahme von der Regelgrenze, regelt ein Bundesgesetz. Im Falle von Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen, können diese Kreditobergrenzen auf Grund eines Beschlusses der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages überschritten werden. Der Beschluss ist mit einem Tilgungsplan zu verbinden. Die Rückführung der nach Satz 6 aufgenommenen Kredite hat binnen eines angemessenen Zeitraumes zu erfolgen.

(1) Zur Vermeidung von Haushaltsnotlagen regelt ein Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf,

1.
die fortlaufende Überwachung der Haushaltswirtschaft von Bund und Ländern durch ein gemeinsames Gremium (Stabilitätsrat),
2.
die Voraussetzungen und das Verfahren zur Feststellung einer drohenden Haushaltsnotlage,
3.
die Grundsätze zur Aufstellung und Durchführung von Sanierungsprogrammen zur Vermeidung von Haushaltsnotlagen.

(2) Dem Stabilitätsrat obliegt ab dem Jahr 2020 die Überwachung der Einhaltung der Vorgaben des Artikels 109 Absatz 3 durch Bund und Länder. Die Überwachung orientiert sich an den Vorgaben und Verfahren aus Rechtsakten auf Grund des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union zur Einhaltung der Haushaltsdisziplin.

(3) Die Beschlüsse des Stabilitätsrats und die zugrunde liegenden Beratungsunterlagen sind zu veröffentlichen.

(1) Die Aufnahme von Krediten sowie die Übernahme von Bürgschaften, Garantien oder sonstigen Gewährleistungen, die zu Ausgaben in künftigen Rechnungsjahren führen können, bedürfen einer der Höhe nach bestimmten oder bestimmbaren Ermächtigung durch Bundesgesetz.

(2) Einnahmen und Ausgaben sind grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen. Diesem Grundsatz ist entsprochen, wenn die Einnahmen aus Krediten 0,35 vom Hundert im Verhältnis zum nominalen Bruttoinlandsprodukt nicht überschreiten. Zusätzlich sind bei einer von der Normallage abweichenden konjunkturellen Entwicklung die Auswirkungen auf den Haushalt im Auf- und Abschwung symmetrisch zu berücksichtigen. Abweichungen der tatsächlichen Kreditaufnahme von der nach den Sätzen 1 bis 3 zulässigen Kreditobergrenze werden auf einem Kontrollkonto erfasst; Belastungen, die den Schwellenwert von 1,5 vom Hundert im Verhältnis zum nominalen Bruttoinlandsprodukt überschreiten, sind konjunkturgerecht zurückzuführen. Näheres, insbesondere die Bereinigung der Einnahmen und Ausgaben um finanzielle Transaktionen und das Verfahren zur Berechnung der Obergrenze der jährlichen Nettokreditaufnahme unter Berücksichtigung der konjunkturellen Entwicklung auf der Grundlage eines Konjunkturbereinigungsverfahrens sowie die Kontrolle und den Ausgleich von Abweichungen der tatsächlichen Kreditaufnahme von der Regelgrenze, regelt ein Bundesgesetz. Im Falle von Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen, können diese Kreditobergrenzen auf Grund eines Beschlusses der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages überschritten werden. Der Beschluss ist mit einem Tilgungsplan zu verbinden. Die Rückführung der nach Satz 6 aufgenommenen Kredite hat binnen eines angemessenen Zeitraumes zu erfolgen.

(1) Bund und Länder sind in ihrer Haushaltswirtschaft selbständig und voneinander unabhängig.

(2) Bund und Länder erfüllen gemeinsam die Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland aus Rechtsakten der Europäischen Gemeinschaft auf Grund des Artikels 104 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft zur Einhaltung der Haushaltsdisziplin und tragen in diesem Rahmen den Erfordernissen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts Rechnung.

(3) Die Haushalte von Bund und Ländern sind grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen. Bund und Länder können Regelungen zur im Auf- und Abschwung symmetrischen Berücksichtigung der Auswirkungen einer von der Normallage abweichenden konjunkturellen Entwicklung sowie eine Ausnahmeregelung für Naturkatastrophen oder außergewöhnliche Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen, vorsehen. Für die Ausnahmeregelung ist eine entsprechende Tilgungsregelung vorzusehen. Die nähere Ausgestaltung regelt für den Haushalt des Bundes Artikel 115 mit der Maßgabe, dass Satz 1 entsprochen ist, wenn die Einnahmen aus Krediten 0,35 vom Hundert im Verhältnis zum nominalen Bruttoinlandsprodukt nicht überschreiten. Die nähere Ausgestaltung für die Haushalte der Länder regeln diese im Rahmen ihrer verfassungsrechtlichen Kompetenzen mit der Maßgabe, dass Satz 1 nur dann entsprochen ist, wenn keine Einnahmen aus Krediten zugelassen werden.

(4) Durch Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, können für Bund und Länder gemeinsam geltende Grundsätze für das Haushaltsrecht, für eine konjunkturgerechte Haushaltswirtschaft und für eine mehrjährige Finanzplanung aufgestellt werden.

(5) Sanktionsmaßnahmen der Europäischen Gemeinschaft im Zusammenhang mit den Bestimmungen in Artikel 104 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft zur Einhaltung der Haushaltsdisziplin tragen Bund und Länder im Verhältnis 65 zu 35. Die Ländergesamtheit trägt solidarisch 35 vom Hundert der auf die Länder entfallenden Lasten entsprechend ihrer Einwohnerzahl; 65 vom Hundert der auf die Länder entfallenden Lasten tragen die Länder entsprechend ihrem Verursachungsbeitrag. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf.

(1) Zur Vermeidung von Haushaltsnotlagen regelt ein Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf,

1.
die fortlaufende Überwachung der Haushaltswirtschaft von Bund und Ländern durch ein gemeinsames Gremium (Stabilitätsrat),
2.
die Voraussetzungen und das Verfahren zur Feststellung einer drohenden Haushaltsnotlage,
3.
die Grundsätze zur Aufstellung und Durchführung von Sanierungsprogrammen zur Vermeidung von Haushaltsnotlagen.

(2) Dem Stabilitätsrat obliegt ab dem Jahr 2020 die Überwachung der Einhaltung der Vorgaben des Artikels 109 Absatz 3 durch Bund und Länder. Die Überwachung orientiert sich an den Vorgaben und Verfahren aus Rechtsakten auf Grund des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union zur Einhaltung der Haushaltsdisziplin.

(3) Die Beschlüsse des Stabilitätsrats und die zugrunde liegenden Beratungsunterlagen sind zu veröffentlichen.

(1) Die Aufnahme von Krediten sowie die Übernahme von Bürgschaften, Garantien oder sonstigen Gewährleistungen, die zu Ausgaben in künftigen Rechnungsjahren führen können, bedürfen einer der Höhe nach bestimmten oder bestimmbaren Ermächtigung durch Bundesgesetz.

(2) Einnahmen und Ausgaben sind grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen. Diesem Grundsatz ist entsprochen, wenn die Einnahmen aus Krediten 0,35 vom Hundert im Verhältnis zum nominalen Bruttoinlandsprodukt nicht überschreiten. Zusätzlich sind bei einer von der Normallage abweichenden konjunkturellen Entwicklung die Auswirkungen auf den Haushalt im Auf- und Abschwung symmetrisch zu berücksichtigen. Abweichungen der tatsächlichen Kreditaufnahme von der nach den Sätzen 1 bis 3 zulässigen Kreditobergrenze werden auf einem Kontrollkonto erfasst; Belastungen, die den Schwellenwert von 1,5 vom Hundert im Verhältnis zum nominalen Bruttoinlandsprodukt überschreiten, sind konjunkturgerecht zurückzuführen. Näheres, insbesondere die Bereinigung der Einnahmen und Ausgaben um finanzielle Transaktionen und das Verfahren zur Berechnung der Obergrenze der jährlichen Nettokreditaufnahme unter Berücksichtigung der konjunkturellen Entwicklung auf der Grundlage eines Konjunkturbereinigungsverfahrens sowie die Kontrolle und den Ausgleich von Abweichungen der tatsächlichen Kreditaufnahme von der Regelgrenze, regelt ein Bundesgesetz. Im Falle von Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen, können diese Kreditobergrenzen auf Grund eines Beschlusses der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages überschritten werden. Der Beschluss ist mit einem Tilgungsplan zu verbinden. Die Rückführung der nach Satz 6 aufgenommenen Kredite hat binnen eines angemessenen Zeitraumes zu erfolgen.

(1) Artikel 109 und 115 in der bis zum 31. Juli 2009 geltenden Fassung sind letztmals auf das Haushaltsjahr 2010 anzuwenden. Artikel 109 und 115 in der ab dem 1. August 2009 geltenden Fassung sind erstmals für das Haushaltsjahr 2011 anzuwenden; am 31. Dezember 2010 bestehende Kreditermächtigungen für bereits eingerichtete Sondervermögen bleiben unberührt. Die Länder dürfen im Zeitraum vom 1. Januar 2011 bis zum 31. Dezember 2019 nach Maßgabe der geltenden landesrechtlichen Regelungen von den Vorgaben des Artikels 109 Absatz 3 abweichen. Die Haushalte der Länder sind so aufzustellen, dass im Haushaltsjahr 2020 die Vorgabe aus Artikel 109 Absatz 3 Satz 5 erfüllt wird. Der Bund kann im Zeitraum vom 1. Januar 2011 bis zum 31. Dezember 2015 von der Vorgabe des Artikels 115 Absatz 2 Satz 2 abweichen. Mit dem Abbau des bestehenden Defizits soll im Haushaltsjahr 2011 begonnen werden. Die jährlichen Haushalte sind so aufzustellen, dass im Haushaltsjahr 2016 die Vorgabe aus Artikel 115 Absatz 2 Satz 2 erfüllt wird; das Nähere regelt ein Bundesgesetz.

(2) Als Hilfe zur Einhaltung der Vorgaben des Artikels 109 Absatz 3 ab dem 1. Januar 2020 können den Ländern Berlin, Bremen, Saarland, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein für den Zeitraum 2011 bis 2019 Konsolidierungshilfen aus dem Haushalt des Bundes in Höhe von insgesamt 800 Millionen Euro jährlich gewährt werden. Davon entfallen auf Bremen 300 Millionen Euro, auf das Saarland 260 Millionen Euro und auf Berlin, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein jeweils 80 Millionen Euro. Die Hilfen werden auf der Grundlage einer Verwaltungsvereinbarung nach Maßgabe eines Bundesgesetzes mit Zustimmung des Bundesrates geleistet. Die Gewährung der Hilfen setzt einen vollständigen Abbau der Finanzierungsdefizite bis zum Jahresende 2020 voraus. Das Nähere, insbesondere die jährlichen Abbauschritte der Finanzierungsdefizite, die Überwachung des Abbaus der Finanzierungsdefizite durch den Stabilitätsrat sowie die Konsequenzen im Falle der Nichteinhaltung der Abbauschritte, wird durch Bundesgesetz mit Zustimmung des Bundesrates und durch Verwaltungsvereinbarung geregelt. Die gleichzeitige Gewährung der Konsolidierungshilfen und Sanierungshilfen auf Grund einer extremen Haushaltsnotlage ist ausgeschlossen.

(3) Die sich aus der Gewährung der Konsolidierungshilfen ergebende Finanzierungslast wird hälftig von Bund und Ländern, von letzteren aus ihrem Umsatzsteueranteil, getragen. Das Nähere wird durch Bundesgesetz mit Zustimmung des Bundesrates geregelt.

(4) Als Hilfe zur künftig eigenständigen Einhaltung der Vorgaben des Artikels 109 Absatz 3 können den Ländern Bremen und Saarland ab dem 1. Januar 2020 Sanierungshilfen in Höhe von jährlich insgesamt 800 Millionen Euro aus dem Haushalt des Bundes gewährt werden. Die Länder ergreifen hierzu Maßnahmen zum Abbau der übermäßigen Verschuldung sowie zur Stärkung der Wirtschafts- und Finanzkraft. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf. Die gleichzeitige Gewährung der Sanierungshilfen und Sanierungshilfen auf Grund einer extremen Haushaltsnotlage ist ausgeschlossen.

(1) Bund und Länder sind in ihrer Haushaltswirtschaft selbständig und voneinander unabhängig.

(2) Bund und Länder erfüllen gemeinsam die Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland aus Rechtsakten der Europäischen Gemeinschaft auf Grund des Artikels 104 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft zur Einhaltung der Haushaltsdisziplin und tragen in diesem Rahmen den Erfordernissen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts Rechnung.

(3) Die Haushalte von Bund und Ländern sind grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen. Bund und Länder können Regelungen zur im Auf- und Abschwung symmetrischen Berücksichtigung der Auswirkungen einer von der Normallage abweichenden konjunkturellen Entwicklung sowie eine Ausnahmeregelung für Naturkatastrophen oder außergewöhnliche Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen, vorsehen. Für die Ausnahmeregelung ist eine entsprechende Tilgungsregelung vorzusehen. Die nähere Ausgestaltung regelt für den Haushalt des Bundes Artikel 115 mit der Maßgabe, dass Satz 1 entsprochen ist, wenn die Einnahmen aus Krediten 0,35 vom Hundert im Verhältnis zum nominalen Bruttoinlandsprodukt nicht überschreiten. Die nähere Ausgestaltung für die Haushalte der Länder regeln diese im Rahmen ihrer verfassungsrechtlichen Kompetenzen mit der Maßgabe, dass Satz 1 nur dann entsprochen ist, wenn keine Einnahmen aus Krediten zugelassen werden.

(4) Durch Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, können für Bund und Länder gemeinsam geltende Grundsätze für das Haushaltsrecht, für eine konjunkturgerechte Haushaltswirtschaft und für eine mehrjährige Finanzplanung aufgestellt werden.

(5) Sanktionsmaßnahmen der Europäischen Gemeinschaft im Zusammenhang mit den Bestimmungen in Artikel 104 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft zur Einhaltung der Haushaltsdisziplin tragen Bund und Länder im Verhältnis 65 zu 35. Die Ländergesamtheit trägt solidarisch 35 vom Hundert der auf die Länder entfallenden Lasten entsprechend ihrer Einwohnerzahl; 65 vom Hundert der auf die Länder entfallenden Lasten tragen die Länder entsprechend ihrem Verursachungsbeitrag. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf.

(1) Das Grundgesetz kann nur durch ein Gesetz geändert werden, das den Wortlaut des Grundgesetzes ausdrücklich ändert oder ergänzt. Bei völkerrechtlichen Verträgen, die eine Friedensregelung, die Vorbereitung einer Friedensregelung oder den Abbau einer besatzungsrechtlichen Ordnung zum Gegenstand haben oder der Verteidigung der Bundesrepublik zu dienen bestimmt sind, genügt zur Klarstellung, daß die Bestimmungen des Grundgesetzes dem Abschluß und dem Inkraftsetzen der Verträge nicht entgegenstehen, eine Ergänzung des Wortlautes des Grundgesetzes, die sich auf diese Klarstellung beschränkt.

(2) Ein solches Gesetz bedarf der Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages und zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrates.

(3) Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

(1) Bund und Länder sind in ihrer Haushaltswirtschaft selbständig und voneinander unabhängig.

(2) Bund und Länder erfüllen gemeinsam die Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland aus Rechtsakten der Europäischen Gemeinschaft auf Grund des Artikels 104 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft zur Einhaltung der Haushaltsdisziplin und tragen in diesem Rahmen den Erfordernissen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts Rechnung.

(3) Die Haushalte von Bund und Ländern sind grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen. Bund und Länder können Regelungen zur im Auf- und Abschwung symmetrischen Berücksichtigung der Auswirkungen einer von der Normallage abweichenden konjunkturellen Entwicklung sowie eine Ausnahmeregelung für Naturkatastrophen oder außergewöhnliche Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen, vorsehen. Für die Ausnahmeregelung ist eine entsprechende Tilgungsregelung vorzusehen. Die nähere Ausgestaltung regelt für den Haushalt des Bundes Artikel 115 mit der Maßgabe, dass Satz 1 entsprochen ist, wenn die Einnahmen aus Krediten 0,35 vom Hundert im Verhältnis zum nominalen Bruttoinlandsprodukt nicht überschreiten. Die nähere Ausgestaltung für die Haushalte der Länder regeln diese im Rahmen ihrer verfassungsrechtlichen Kompetenzen mit der Maßgabe, dass Satz 1 nur dann entsprochen ist, wenn keine Einnahmen aus Krediten zugelassen werden.

(4) Durch Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, können für Bund und Länder gemeinsam geltende Grundsätze für das Haushaltsrecht, für eine konjunkturgerechte Haushaltswirtschaft und für eine mehrjährige Finanzplanung aufgestellt werden.

(5) Sanktionsmaßnahmen der Europäischen Gemeinschaft im Zusammenhang mit den Bestimmungen in Artikel 104 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft zur Einhaltung der Haushaltsdisziplin tragen Bund und Länder im Verhältnis 65 zu 35. Die Ländergesamtheit trägt solidarisch 35 vom Hundert der auf die Länder entfallenden Lasten entsprechend ihrer Einwohnerzahl; 65 vom Hundert der auf die Länder entfallenden Lasten tragen die Länder entsprechend ihrem Verursachungsbeitrag. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf.

(1) Zur Vermeidung von Haushaltsnotlagen regelt ein Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf,

1.
die fortlaufende Überwachung der Haushaltswirtschaft von Bund und Ländern durch ein gemeinsames Gremium (Stabilitätsrat),
2.
die Voraussetzungen und das Verfahren zur Feststellung einer drohenden Haushaltsnotlage,
3.
die Grundsätze zur Aufstellung und Durchführung von Sanierungsprogrammen zur Vermeidung von Haushaltsnotlagen.

(2) Dem Stabilitätsrat obliegt ab dem Jahr 2020 die Überwachung der Einhaltung der Vorgaben des Artikels 109 Absatz 3 durch Bund und Länder. Die Überwachung orientiert sich an den Vorgaben und Verfahren aus Rechtsakten auf Grund des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union zur Einhaltung der Haushaltsdisziplin.

(3) Die Beschlüsse des Stabilitätsrats und die zugrunde liegenden Beratungsunterlagen sind zu veröffentlichen.

(1) Die Aufnahme von Krediten sowie die Übernahme von Bürgschaften, Garantien oder sonstigen Gewährleistungen, die zu Ausgaben in künftigen Rechnungsjahren führen können, bedürfen einer der Höhe nach bestimmten oder bestimmbaren Ermächtigung durch Bundesgesetz.

(2) Einnahmen und Ausgaben sind grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen. Diesem Grundsatz ist entsprochen, wenn die Einnahmen aus Krediten 0,35 vom Hundert im Verhältnis zum nominalen Bruttoinlandsprodukt nicht überschreiten. Zusätzlich sind bei einer von der Normallage abweichenden konjunkturellen Entwicklung die Auswirkungen auf den Haushalt im Auf- und Abschwung symmetrisch zu berücksichtigen. Abweichungen der tatsächlichen Kreditaufnahme von der nach den Sätzen 1 bis 3 zulässigen Kreditobergrenze werden auf einem Kontrollkonto erfasst; Belastungen, die den Schwellenwert von 1,5 vom Hundert im Verhältnis zum nominalen Bruttoinlandsprodukt überschreiten, sind konjunkturgerecht zurückzuführen. Näheres, insbesondere die Bereinigung der Einnahmen und Ausgaben um finanzielle Transaktionen und das Verfahren zur Berechnung der Obergrenze der jährlichen Nettokreditaufnahme unter Berücksichtigung der konjunkturellen Entwicklung auf der Grundlage eines Konjunkturbereinigungsverfahrens sowie die Kontrolle und den Ausgleich von Abweichungen der tatsächlichen Kreditaufnahme von der Regelgrenze, regelt ein Bundesgesetz. Im Falle von Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen, können diese Kreditobergrenzen auf Grund eines Beschlusses der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages überschritten werden. Der Beschluss ist mit einem Tilgungsplan zu verbinden. Die Rückführung der nach Satz 6 aufgenommenen Kredite hat binnen eines angemessenen Zeitraumes zu erfolgen.

(1) Artikel 109 und 115 in der bis zum 31. Juli 2009 geltenden Fassung sind letztmals auf das Haushaltsjahr 2010 anzuwenden. Artikel 109 und 115 in der ab dem 1. August 2009 geltenden Fassung sind erstmals für das Haushaltsjahr 2011 anzuwenden; am 31. Dezember 2010 bestehende Kreditermächtigungen für bereits eingerichtete Sondervermögen bleiben unberührt. Die Länder dürfen im Zeitraum vom 1. Januar 2011 bis zum 31. Dezember 2019 nach Maßgabe der geltenden landesrechtlichen Regelungen von den Vorgaben des Artikels 109 Absatz 3 abweichen. Die Haushalte der Länder sind so aufzustellen, dass im Haushaltsjahr 2020 die Vorgabe aus Artikel 109 Absatz 3 Satz 5 erfüllt wird. Der Bund kann im Zeitraum vom 1. Januar 2011 bis zum 31. Dezember 2015 von der Vorgabe des Artikels 115 Absatz 2 Satz 2 abweichen. Mit dem Abbau des bestehenden Defizits soll im Haushaltsjahr 2011 begonnen werden. Die jährlichen Haushalte sind so aufzustellen, dass im Haushaltsjahr 2016 die Vorgabe aus Artikel 115 Absatz 2 Satz 2 erfüllt wird; das Nähere regelt ein Bundesgesetz.

(2) Als Hilfe zur Einhaltung der Vorgaben des Artikels 109 Absatz 3 ab dem 1. Januar 2020 können den Ländern Berlin, Bremen, Saarland, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein für den Zeitraum 2011 bis 2019 Konsolidierungshilfen aus dem Haushalt des Bundes in Höhe von insgesamt 800 Millionen Euro jährlich gewährt werden. Davon entfallen auf Bremen 300 Millionen Euro, auf das Saarland 260 Millionen Euro und auf Berlin, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein jeweils 80 Millionen Euro. Die Hilfen werden auf der Grundlage einer Verwaltungsvereinbarung nach Maßgabe eines Bundesgesetzes mit Zustimmung des Bundesrates geleistet. Die Gewährung der Hilfen setzt einen vollständigen Abbau der Finanzierungsdefizite bis zum Jahresende 2020 voraus. Das Nähere, insbesondere die jährlichen Abbauschritte der Finanzierungsdefizite, die Überwachung des Abbaus der Finanzierungsdefizite durch den Stabilitätsrat sowie die Konsequenzen im Falle der Nichteinhaltung der Abbauschritte, wird durch Bundesgesetz mit Zustimmung des Bundesrates und durch Verwaltungsvereinbarung geregelt. Die gleichzeitige Gewährung der Konsolidierungshilfen und Sanierungshilfen auf Grund einer extremen Haushaltsnotlage ist ausgeschlossen.

(3) Die sich aus der Gewährung der Konsolidierungshilfen ergebende Finanzierungslast wird hälftig von Bund und Ländern, von letzteren aus ihrem Umsatzsteueranteil, getragen. Das Nähere wird durch Bundesgesetz mit Zustimmung des Bundesrates geregelt.

(4) Als Hilfe zur künftig eigenständigen Einhaltung der Vorgaben des Artikels 109 Absatz 3 können den Ländern Bremen und Saarland ab dem 1. Januar 2020 Sanierungshilfen in Höhe von jährlich insgesamt 800 Millionen Euro aus dem Haushalt des Bundes gewährt werden. Die Länder ergreifen hierzu Maßnahmen zum Abbau der übermäßigen Verschuldung sowie zur Stärkung der Wirtschafts- und Finanzkraft. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf. Die gleichzeitige Gewährung der Sanierungshilfen und Sanierungshilfen auf Grund einer extremen Haushaltsnotlage ist ausgeschlossen.