Bundesgerichtshof Beschluss, 12. Apr. 2011 - 4 StR 22/11
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
a) soweit der Angeklagte in den Fällen 1, 3, 7 und 15 der Urteilsgründe verurteilt worden ist, mit den zur Gefährdung anderer Personen, zum Wert der durch die jeweiligen Verkehrsunfälle gefährdeten Fahrzeuge und den insoweit zur inneren Tatseite getroffenen Feststellungen ; die übrigen Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen und zur absichtlichen Herbeiführung der Verkehrsunfälle durch den Angeklagten bleiben aufrecht erhalten;
b) mit den Feststellungen, soweit der Angeklagte in den Fällen 6 und 18 der Urteilsgründe verurteilt worden ist; 2. im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte in den Fällen 10 und 11 einerseits sowie den Fällen 13 und 14 andererseits jeweils eines versuchten Betruges schuldig ist; 3. aufgehoben in den Aussprüchen über die Einzelstrafen in den Fällen 10, 11, 13 und 14 der Urteilsgründe sowie über die Gesamtstrafe. II. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. III. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in acht Fällen, Betruges in drei Fällen und versuchten Betruges in sieben Fällen zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt und wegen überlanger Verfahrensdauer sechs Monate dieser Freiheitsstrafe für vollstreckt erklärt. Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt, hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
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- 1. Die Verurteilung wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in den Fällen 1, 3, 7 und 15 der Urteilsgründe hat keinen Bestand.
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- a) Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen hat der Angeklagte zwar die Verkehrsunfälle jeweils absichtlich herbeigeführt und dadurch die Sicherheit des Straßenverkehrs durch einen ähnlichen, ebenso gefährlichen Eingriff im Sinne des § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB beeinträchtigt (vgl. BGH, Urteile vom 20. Februar 2003 – 4 StR 228/02, BGHSt 48, 233, und vom 22. Juli 1999 – 4 StR 90/99, NJW 1999, 3132). Der Straftatbestand des § 315b Abs. 1 StGB setzt aber darüber hinaus voraus, dass durch den tatbestandsmäßigen Eingriff Leib oder Leben eines anderen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert konkret gefährdet werden. Eine solche Gefährdung belegen die Urteilsgründe nicht.
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- aa) Die zu den einzelnen Unfällen getroffenen Feststellungen geben keinen hinreichenden Anhalt dafür, dass in den genannten Fällen Leib und Leben eines anderen Menschen konkret gefährdet worden sind. Das Urteil enthält insbesondere keine Angaben zu den Geschwindigkeiten der Fahrzeuge im Zeitpunkt der Kollision (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Oktober 2009 – 4 StR 408/09, NStZ 2010, 216), die Intensität des Aufpralls wird nicht mitgeteilt bzw. – im Fall 3 – als gering bezeichnet (UA 26: "leichter Anstoß“), und Verletzungen bei unfallbeteiligten Dritten sind ersichtlich nicht eingetreten.
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- bb) Auch die Gefährdung einer fremden Sache von bedeutendem Wert ist nicht hinreichend belegt. Hierbei ist über den Gesetzeswortlaut hinaus erforderlich , dass der Sache von – im Urteil bereits nicht eindeutig festgestelltem – bedeutendem Wert auch ein bedeutender Schaden gedroht hat (vgl. BGH, Beschluss vom 29. April 2008 – 4 StR 617/07, StV 2008, 580; vgl. auch Fischer, StGB, 58. Aufl., § 315b Rn. 16), dessen Höhe nach der am Marktwert zu messenden Wertminderung zu berechnen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 28. September 2010 – 4 StR 245/10, NStZ 2011, 215). Der maßgebliche Grenzwert lag im Tatzeitraum bei 1.500 DM (vgl. BGH, Urteil vom 4. Dezember 2002 – 4 StR 103/02, BHGSt 48, 119; Beschluss vom 27. September 2007 – 4 StR 1/07, NStZ-RR 2008, 83).
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- Der Senat kann weder anhand der mitgeteilten Schadensbilder noch aufgrund der Feststellungen zu den einzelnen Unfallabläufen beurteilen, ob den Fahrzeugen der Geschädigten in den vier Fällen infolge der vom Angeklagten provozierten Verkehrsunfälle ein Schaden von mindestens 1.500 DM drohte. Im Fall 1 liegt der tatsächlich entstandene Schaden mit 300 DM deutlich unter dieser Grenze, in den übrigen Fällen ist er nicht beziffert, wird aber vom Landgericht jeweils als "sehr gering“ (UA 61) bezeichnet und dürfte die Wertgrenze damit ebenfalls nicht erreichen. Zwar kann der tatsächlich eingetretene Schaden geringer sein als der für die Tatbestandsverwirklichung maßgebliche Gefährdungsschaden (vgl. BGH, Beschluss vom 29. April 2008 – 4 StR 617/07, StV 2008, 580). Nach den mitgeteilten Schadensbildern (Fall 3: "geringfügiger Farbabrieb“, UA 27; Fall 7: "Lackabschürfungen und kleine Blechverformungen“ , UA 13; Fall 15: "Schaden am Kotflügel und der Stoßstange“, UA 20) liegt es indes eher fern, versteht sich aber jedenfalls nicht von selbst, dass ein bedeutender Schaden drohte (vgl. BGH, Beschluss vom 27. September 2007 – 4 StR 1/07, NStZ-RR 2008, 83); auch die Feststellungen zum jeweiligen Unfallhergang geben hierfür nichts her. Insbesondere kann auf einen bedeutenden Schaden an den Fahrzeugen der Geschädigten nicht aus der Höhe der vom Angeklagten bei den gegnerischen Haftpflichtversicherungen für die Beschädigung der von ihm geführten Fahrzeuge betrügerisch erlangten oder geforderten Beträge geschlossen werden (vgl. BGH, Beschluss vom 29. April 2008 – 4 StR 617/07, StV 2008, 580).
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- b) Die danach gebotene Aufhebung der Verurteilung wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in den genannten vier Fällen zieht nur die Aufhebung der zur Gefährdung von Leib und Leben anderer Personen, zur Gefährdung fremder Sachen von bedeutendem Wert und der insoweit zur inneren Tatseite getroffenen Feststellungen nach sich. Im Übrigen sind die Feststellun- gen zum äußeren Tatgeschehen, zur absichtlichen Herbeiführung der Verkehrsunfälle mit dem Ziel der Geltendmachung unberechtigter Schadenersatzansprüche und zum Schädigungsvorsatz des Angeklagten frei von Rechtsfehlern ; sie können deshalb bestehen bleiben.
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- 2. Die Annahme jeweils zweier (selbständiger) Taten des versuchten Betruges in den Fällen 10 und 11 einerseits sowie 13 und 14 andererseits hält rechtlicher Prüfung ebenfalls nicht stand.
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- a) Nach den insoweit getroffenen Feststellungen hatte die gegnerische Haftpflichtversicherung in den Fällen 10 und 13 eine Regulierung des von dem Vater des Angeklagten als Halter des Unfallfahrzeugs jeweils geltend gemachten Schadens abgelehnt. Daraufhin brachte der Angeklagte "in weiterer Fortführung seines Tatplans“ (UA 16 bzw. 19) seinen Vater dazu, die gegen die Versicherung erhobenen Ansprüche im Klagewege geltend zu machen, was jedoch ebenfalls erfolglos blieb. Das Landgericht hat die außergerichtliche und die gerichtliche Geltendmachung jeweils als selbständige Taten des versuchten Betruges gewürdigt. Da aber beide Handlungen auf die Erlangung derselben Schadensersatzzahlung abzielten und der Angeklagte mit dem Betreiben des Zivilverfahrens seinen ursprünglichen Tatplan weiter verfolgte, liegt jeweils ein tateinheitlicher Betrugsversuch vor (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Juli 1998 – 4 StR 274/98, NStZ-RR 1999, 110; OLG Stuttgart, Beschluss vom 24. Juli 2001 - 2 Ss 345/01, Justiz 2002, 132).
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- b) Die danach erforderliche Änderung des Schuldspruchs kann der Senat auch unter Berücksichtigung von § 265 StPO selbst vornehmen, da der Angeklagte sich gegen den geänderten Schuldvorwurf nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können.
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- c) Die Änderung des Konkurrenzverhältnisses bedingt hier die Aufhebung der Einzelstrafen für die Fälle 10 und 11 sowie 13 und 14, da der Schuldumfang , der den auf der Grundlage des neu gefassten Schuldspruchs festzusetzenden Einzelstrafen zugrunde zu legen ist, jeweils neu zu bestimmen ist. Der Aufhebung von Feststellungen bedarf es bei dem hier vorliegenden Rechtsfehler dagegen nicht. Der Senat weist darauf hin, dass das Verschlechterungsverbot des § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO der Verhängung von sechs Monate Freiheitsstrafe übersteigenden Einzelstrafen für die beiden Taten des versuchten Betruges wegen der sich ergebenden Erhöhung des Unrechtsgehalts nicht entgegensteht (BGH, Urteil vom 24. März 1999 – 3 StR 636/98, NStZ-RR 1999, 218; KK-Kuckein, StPO, 6. Aufl., § 358 Rn. 30). Es ist lediglich geboten, dass jeweils die Summe der beiden bisherigen Einzelstrafen bei der Bemessung der neu festzusetzenden Einzelstrafe nicht überschritten wird (vgl. BGH, Beschluss vom 4. März 2008 – 5 StR 594/07, NStZ-RR 2008, 168).
- 12
- 3. Schließlich tragen die Feststellungen auch die Verurteilung wegen versuchten Betruges in den Fällen 6 und 18 der Urteilsgründe nicht. Das Landgericht hat – offenbar in Anwendung des Zweifelsgrundsatzes – angenommen, dass eine Schadensregulierung durch die Versicherung nicht erfolgt ist, und die Taten deshalb nur als versuchten Betrug gewürdigt. Es hat nicht geprüft, ob der Angeklagte von diesem Versuch jeweils strafbefreiend zurückgetreten ist. Hierzu bestand jedoch nach den getroffenen Feststellungen Anlass. Anders als bei der erfolglosen gerichtlichen Geltendmachung in den Fällen 10/11 und 13/14 und bei der endgültigen Ablehnung der Zahl ung durch die Versicherung im Fall 16 liegt ein Fehlschlag des Versuchs, der die Möglichkeit eines Rücktritts ausschließt (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 19. Mai 2010 – 2 StR 278/09, NStZ 2010, 690 m.w.N.), in diesen Fällen nicht auf der Hand. Das Landgericht hätte sich deshalb damit auseinandersetzen müssen, ob es dem Angeklagten nach seiner Vorstellung noch möglich war, eine Schadensregulierung zu erreichen, er aber von sich aus von der weiteren Verfolgung seines Ziels Abstand genommen hat.
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- 4. Als Folge der Aufhebung der Einzelstrafen in den genannten Fällen entfällt auch der Ausspruch über die Gesamtstrafe.
Franke Mutzbauer
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Annotations
(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
(1) Wer die Sicherheit des Straßenverkehrs dadurch beeinträchtigt, daß er
- 1.
Anlagen oder Fahrzeuge zerstört, beschädigt oder beseitigt, - 2.
Hindernisse bereitet oder - 3.
einen ähnlichen, ebenso gefährlichen Eingriff vornimmt,
(2) Der Versuch ist strafbar.
(3) Handelt der Täter unter den Voraussetzungen des § 315 Abs. 3, so ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren.
(4) Wer in den Fällen des Absatzes 1 die Gefahr fahrlässig verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(5) Wer in den Fällen des Absatzes 1 fahrlässig handelt und die Gefahr fahrlässig verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(1) Der Angeklagte darf nicht auf Grund eines anderen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten Strafgesetzes verurteilt werden, ohne daß er zuvor auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes besonders hingewiesen und ihm Gelegenheit zur Verteidigung gegeben worden ist.
(2) Ebenso ist zu verfahren, wenn
- 1.
sich erst in der Verhandlung vom Strafgesetz besonders vorgesehene Umstände ergeben, welche die Strafbarkeit erhöhen oder die Anordnung einer Maßnahme oder die Verhängung einer Nebenstrafe oder Nebenfolge rechtfertigen, - 2.
das Gericht von einer in der Verhandlung mitgeteilten vorläufigen Bewertung der Sach- oder Rechtslage abweichen will oder - 3.
der Hinweis auf eine veränderte Sachlage zur genügenden Verteidigung des Angeklagten erforderlich ist.
(3) Bestreitet der Angeklagte unter der Behauptung, auf die Verteidigung nicht genügend vorbereitet zu sein, neu hervorgetretene Umstände, welche die Anwendung eines schwereren Strafgesetzes gegen den Angeklagten zulassen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten oder die zu den in Absatz 2 Nummer 1 bezeichneten gehören, so ist auf seinen Antrag die Hauptverhandlung auszusetzen.
(4) Auch sonst hat das Gericht auf Antrag oder von Amts wegen die Hauptverhandlung auszusetzen, falls dies infolge der veränderten Sachlage zur genügenden Vorbereitung der Anklage oder der Verteidigung angemessen erscheint.
(1) Das Gericht, an das die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung verwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung des Urteils zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.
(2) Das angefochtene Urteil darf in Art und Höhe der Rechtsfolgen der Tat nicht zum Nachteil des Angeklagten geändert werden, wenn lediglich der Angeklagte, zu seinen Gunsten die Staatsanwaltschaft oder sein gesetzlicher Vertreter Revision eingelegt hat. Wird die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus aufgehoben, hindert diese Vorschrift nicht, an Stelle der Unterbringung eine Strafe zu verhängen. Satz 1 steht auch nicht der Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt entgegen.