vorgehend
Verwaltungsgericht Regensburg, Az.: RN 4 S 16.1535, 12.10.2016

Gericht

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof

Tenor

I.

Das Verfahren wird eingestellt.

II.

Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 12. Oktober 2016 (Az.: RN 4 S 16.1535) ist wirkungslos.

III.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Gründe

1. Die Antragsteller zu 1. und 2. sind die Eltern des am 15. August 2015 geborenen Kindes L.. Sie beanspruchen im Wege vorläufigen Rechtsschutzes die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen die seitens des Beklagten am 17. August 2016 vollzogene und mit Bescheid vom 29. August 2016 bestätigte Inobhutnahme von L.. Nach Beendigung von Ls Unterbringung in einer Pflegefamilie durch Übergabe des Kindes an die Antragstellerin zu 1. zur Absolvierung einer Mutter-Kind-Therapie am 14. November 2016 haben die Antragsteller mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 30. November 2016 das vorläufige Rechtsschutzverfahren für erledigt erklärt. Der Beklagte hat der Erledigterklärung mit Schriftsatz vom 14. Dezember 2016 zugestimmt. Das Verfahren war daher nach § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO analog einzustellen und der Beschluss des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 12. Oktober 2016 (Az. RN 4 S 16.1535) für wirkungslos zu erklären.

2. Billiges Ermessen gebietet es nach § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO, im vorliegenden Fall dem Antragsgegner die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen. Ungeachtet des Umstands, dass er die Inobhutnahme am 14. November 2016 selbst beendet hat, wäre er im vorläufigen Rechtsschutzverfahren voraussichtlich unterlegen, da den Antragstellern zu 1. und 2. entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts eine Antragsbefugnis zuzubilligen gewesen wäre und sich die Inobhutnahme gemessen an den gesetzlichen Vorgaben des § 42 Achtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII) als rechtswidrig erwiesen hätte.

2.1 Die Inobhutnahme vom 17. August 2016 bildet zunächst den Gegenstand einer öffentlich-rechtlichen Streitigkeit, die nach § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO dem Verwaltungsrechtsweg unterfällt. Zwar wurde der Antragstellerin zu 1. durch Beschluss des Amtsgerichts Freyung - Familiengericht - vom 9. März 2016 (Az. 1 F 651/15) das Aufenthaltsbestimmungsrecht für L. entzogen und dem Antragsgegner im Rahmen einer Ergänzungspflegschaft übertragen. Ob indes allein die Ausübung des Aufenthaltsbestimmungsrechts ausgereicht hätte, am 17. August 2016 von den Antragstellern die Herausgabe von L., gegebenenfalls nach Erwirken eines familiengerichtlichen Herausgabetitels, zu verlangen, kann dahinstehen (vgl. hierzu BayVGH, B.v. 20.1.2014 - 12 ZB 12.2766 - juris Rn. 15 für die Durchsetzung des Aufenthaltsbestimmungsrechts gegenüber einer Pflegefamilie; Kirchhoff in jurisPK-SGB VIII, § 42 Rn. 74, der bei Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts keine Notwendigkeit für eine Inobhutnahme sieht; Zimmermann in Münchener Kommentar zum FamFG, 2. Aufl. 2013, § 89 Rn. 3 ff.; kritisch zur gerichtlichen Praxis allein der Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf den Ergänzungspfleger Coester in Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2016, § 1666 BGB Rn. 226 ff.; Salgo in Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2015, § 1631 Rn. 17 ff.). Denn jedenfalls hat der Antragsgegner mit Erlass des Bescheids vom 29. August 2016 bestätigt, dass er bei der „Herausnahme“ von L. am 17. August 2016 im Wege der Inobhutnahme und damit öffentlich-rechtlich gehandelt hat. Mithin war im vorliegenden Fall der Verwaltungsrechtsweg eröffnet.

2.2 Die Antragsteller waren entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nach § 42 Abs. 2 Satz 1 VwGO analog auch im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes antragsbefugt. Die Annahme einer Antragsbefugnis wie auch der Klagebefugnis im Rahmen der Anfechtungsklage erfordert, dass nach dem Vorbringen der Antragsteller deren Verletzung in eigenen Rechten zumindest möglich erscheint. Als durch eine rechtswidrige Inobhutnahme möglicherweise verletztes Recht ist hier das verfassungsrechtlich in Art. 6 Abs. 2 GG garantierte Elternrecht in den Blick zu nehmen, dem als Grundrecht eine Abwehrdimension gegen staatliche Eingriffe zukommt (vgl. Uhle in BeckOK GG, Art. 6 Rn. 48). Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG umfasst materiell das Recht der Eltern, Pflege und Erziehung ihres Kindes nach eigenen Vorstellungen zu gestalten. Es beinhaltet die freie Entscheidung über die Pflege, d. h. über die Sorge für das körperliche Wohl, wie auch die freie Gestaltung der Erziehung, d. h. der wertbezogenen Sorge für die seelisch-geistige Entwicklung des Kindes (vgl. Uhle in BeckOK GG, Art. 6, Rn. 51 ff.). Dem entsprechend umschreibt § 1631 Abs. 1 BGB Inhalt und Grenzen der Personensorge als das Recht und die Pflicht der Eltern, das Kind zu pflegen, zu erziehen, zu beaufsichtigen und seinen Aufenthalt zu bestimmen.

Zwar war im vorliegenden Fall zum Zeitpunkt der Anordnung der Inobhutnahme der Antragsteller zu 2. (noch) nicht Sorgerechtsinhaber und war der Antragstellerin zu 1. das Aufenthaltsbestimmungsrecht für L. durch familiengerichtlichen Beschluss entzogen worden. Indes hat der Antragsteller zu 2. das Sorgerecht für L. durch die zwischenzeitliche Heirat mit der Antragstellerin zu 1. nach § 1626a Abs. 1 Nr. 2 BGB erworben, wobei der konkrete Umfang dieses Sorgerechtserwerbs im vorliegenden Verfahren offenbleiben kann (vgl. hierzu ausführlich Coester in Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2015, § 1626a Rn. 20 ff.). Mit dem Erwerb des Sorgerechts war der Antragsteller zu 2. zugleich berechtigt, die (Aufrechterhaltung der) Inobhutnahme gerichtlich anzugreifen. Auch der Umstand, dass der Antragstellerin zu 1. das Aufenthaltsbestimmungsrecht für L. im Zeitpunkt der Inobhutnahme entzogen und dem Antragsgegner als Ergänzungspfleger übertragen worden war, lässt die Antragsbefugnis nicht entfallen. Denn eine Inobhutnahme tangiert, wie der Bevollmächtigte der Antragsteller zutreffend geltend gemacht hat, nicht ausschließlich das Aufenthaltsbestimmungsrecht, sondern darüber hinaus auch diejenigen Teile der elterlichen Sorge, die im vorliegenden Fall bei den Antragstellern verblieben waren, so insbesondere die Gesundheitsfürsorge für L., das Recht, Sozialleistungen zu beantragen sowie vor allem das von Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG umfasste Recht, L. zu erziehen (vgl. hierzu Salgo in Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2015, § 1631 Rn. 17, 18, 21, 23, 58, 58a; Kepert in Kunkel/Kepert/Pattar, SGB VIII, 6. Aufl. 2016, § 42 Rn. 61 ff., 123; Wiesner in Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, § 42 Rn. 31: „Überlagerung“ des elterlichen Sorgerechts für die Dauer der Inobhutnahme). Soweit der Senat im Beschluss vom 20. Januar 2014 (Az. 12 ZB 12. 2766 - NJW 2014, 715 ff.), auf den das Verwaltungsgericht ausdrücklich Bezug nimmt, das Vorliegen der Klagebefugnis im Fall einer Inobhutnahme abgelehnt hat, betraf diese Konstellation eine Inobhutnahme bei Pflegeeltern, die sich im Gegensatz zu den leiblichen Eltern auf den grundrechtlichen Schutz des Art. 6 Abs. 2 GG gerade nicht berufen können. Soweit in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung überdies die Auffassung vertreten wird, eine durch staatliche Institutionen veranlasste Inobhutnahme tangiere allein das Aufenthaltsbestimmungsrecht und lasse im Übrigen die Personensorge der Eltern - vergleichbar der Rechtsstellung eines sorgeberechtigten Elternteils, bei dem das Kind nicht lebt - unberührt (so etwa VG Schwerin, U.v. 3.5.2015 - 6 A 719/12 - juris Rn. 30 ff.), ist dem nicht zu folgen. Vielmehr erweisen sich die durch eine Inobhutnahme bewirkten Beschränkungen des Erziehungsrechts wie auch der Gesundheitsfürsorge durch die zwangsweise herbeigeführte Trennung des Kindes von den leiblichen Eltern und die Reduzierung auf ein Umgangsrecht bei der Pflegefamilie als geradezu offenkundig. Mithin besteht bereits im Hinblick auf die den Antragstellern jenseits des Aufenthaltsbestimmungsrechts verbliebenen und vom grundrechtlichen Schutz des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG umfassten Bestandteile der elterlichen Sorge, in die die Inobhutnahme eingreift, eine Antrags- bzw. Klagebefugnis im Sinne von § 42 Abs. 2 VwGO.

Ferner gebietet auch die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG, den Antragstellern gegen die hoheitliche Maßnahme der Inobhutnahme eine Rechtsschutzmöglichkeit zu eröffnen. Dass ihnen, obwohl sie mit Ausnahme des Aufenthaltsbestimmungsrechts Inhaber des Sorgerechts für L. waren, nach Auffassung des Verwaltungsgerichts gleichwohl keinerlei Rechtsschutz gegen die behördlich verfügte Inobhutnahme zukommen soll, ist mit der verfassungsrechtlichen Rechtsschutzgarantie unvereinbar. Soweit hier die gerichtliche Kontrolle einer hoheitlichen Maßnahme einer Verwaltungsbehörde in Rede steht, vermag auch der Verweis auf das den Antragstellern zur Verfügung stehende familienrechtliche Rechtsschutzsystem nicht zu überzeugen (so unzutreffend VG Schwerin, U.v. 3.5.2015 - 6 A 719/12 - juris Rn. 33), da im familienrechtlichen Kontext eine Kontrolle der Rechtmäßigkeit des Behördenhandelns bei der Inobhutnahme gerade nicht erfolgt (vgl. Wiesner in Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, § 42 Rn. 46, 71). Vorliegend ist daher entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts vom Vorliegen der Antragsbefugnis der Antragsteller auszugehen.

2.3 Weiter hätte der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage der Antragsteller gegen die Inobhutnahme ihres Kindes L. auch der Sache nach Erfolg gehabt. Denn die am 17. August 2016 von Mitarbeitern des Antragsgegners angeordnete und vollzogene und mit Bescheid vom 29. August 2016 bestätigte Inobhutnahme hätte sich nach summarischer Prüfung am Maßstab von § 42 SGB VIII als rechtswidrig erwiesen, da die Tatbestandsvoraussetzungen einer Inobhutnahme nicht vorgelegen haben.

Nach § 42 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB VIII ist das zuständige Jugendamt berechtigt und verpflichtet, ein Kind in seine Obhut zu nehmen, wenn eine dringende Gefahr für das Wohl des Kindes die Inobhutnahme erfordert und entweder die Personensorgeberechtigten nicht widersprechen oder eine familiengerichtliche Entscheidung nicht rechtzeitig eingeholt werden kann. Darüber hinaus muss die Inobhutnahme auch dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen, d. h. es darf insbesondere keine das Elternrecht weniger stark tangierende, gleich geeignete Maßnahme zur Sicherung des Kindeswohls geben. An sämtlichen kumulativ bzw. alternativ geforderten Tatbestandsmerkmalen der Inobhutnahme fehlt es im vorliegenden Fall.

2.3.1 Grundvoraussetzung einer Inobhutnahme nach § 42 Abs. 1 Nr. 2 SGB VIII bildet zunächst eine dringende Gefahr für das Kindeswohl (vgl. zum Gefahrenbegriff Kepert in Kinkel/Kepert/Pattar, SGB VIII, 6. Aufl. 2016, § 42 Rn.25 f.; Wiesner in Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, § 42 Rn. 11). Eine dringende Gefahr im Sinne der genannten Bestimmung muss indes - angesichts des mit der Inobhutnahme bewirkten schwerwiegenden Eingriffs in das Elternrecht - stets eine konkrete Gefahr sein (so VG Schwerin, U.v. 3.5.2015 - 6 A 719/12 - juris Rn. 42 betreffend eine nicht ausreichende latente Suizidgefahr von Mutter und Kind). Eine lediglich latente bzw. abstrakte Gefahr für das Kindeswohl reicht zur Rechtfertigung einer Inobhutnahme hingegen nicht aus (vgl. Kößler in jurisPK-SGB VIII, § 8a Rn. 22: „Eine rein abstrakte Gefahr ist nicht ausreichend und wäre ein unzulässiger Eingriff in das verfassungsrechtlich geschützte Elternrecht.“; Kirchhoff in jurisPK-SGB VIII, § 42 Rn. 62; Mann in Schellhorn/Fischer, SGB VIII, 5. Aufl. 2017, § 42 Rn. 11).

Das Vorliegen einer dringenden Gefahr für das Kindeswohl lässt sich indes weder aus dem Senat vorliegenden Aktenvorgang des Antragsgegners noch aus den Gründen des Bescheids vom 29. August 2016 entnehmen. Der Antragsgegner geht vielmehr allein vom Vorliegen einer abstrakten bzw. latenten Gefahr für das Kindeswohl dadurch aus, dass die Kindsmutter und Antragstellerin zu 1. durch Konsum von Amphetaminen bei einem Diskobesuch Anfang August 2016 eine Drogenrückfall erlitten habe und sich hieraus eine nicht näher bezeichnete „Gefahr“ für den etwa ein Jahr alten L. ableite. Sie berücksichtigt dabei nicht, dass nach dem Vorbringen der Antragstellerin zu 1. an besagtem Wochenende das Kind von der Mutter des Antragstellers zu 2. beaufsichtigt wurde. Ferner berücksichtigt sie nicht, dass zu diesem Zeitpunkt auch der Kindsvater und Antragsteller zu 2., der mit der Antragstellerin zu 1. zusammenlebt, L. hätte beaufsichtigen und betreuen können. Dass zum Zeitpunkt des Drogenkonsums eine dringende und zugleich auch hinreichend konkrete Gefahr für das Kindeswohl vorgelegen hätte, legt der Antragsgegner mithin nicht dar.

Auch dass zu einem späteren Zeitpunkt, insbesondere zum Zeitpunkt der Anordnung der Inobhutnahme am 17. August 2016 eine dringende Gefahr für das Kindeswohl vorgelegen hätte, ergibt sich weder aus dem Bescheid vom 29. August 2016 noch aus den vorgelegten Jugendamtsakten. Trotz der abstrakten Möglichkeit eines Rückfalls in die Drogensucht der Kindseltern, die seit Ls Geburt besteht, lässt sich eine hinreichend konkrete Gefährdung des Kindeswohls weder durch aktives Tun der Antragsteller noch durch Unterlassen einer gebotenen Betreuung aus dem gesamten Aktenvorgang ablesen. Die entsprechenden Stellungnahmen der Jugendhilfemitarbeiter des Antragsgegners gehen im Gegenteil von einer guten Kooperation der Antragsteller mit dem Jugendamt und von keinerlei Anzeichen einer Vernachlässigung von L. durch seine Eltern - insbesondere durch die Initiative der Mutter des Antragstellers zu 2. - aus. Weshalb sich durch den Anlass für die Inobhutnahme bildenden - nach Aktenlage einmaligen - Amphetaminkonsum der Kindsmutter an dieser Situation etwas geändert haben soll, legt der Antragsgegner nicht dar. Allein der Hinweis auf eine abstrakte Gefährdungssituation (durch die Gefahr des Drogenrückfalls der Antragsteller) ohne einen einzigen Anhaltspunkt für eine konkrete Gefährdung von L. kann die hoheitliche Maßnahme der Inobhutnahme nicht rechtfertigen.

In diesem Zusammenhang ist insbesondere darauf hinzuweisen, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfG, B.v. 29.1.2010 - 1 BvR 374/09 - NJW 2010, 2333; B.v. 27.8.2014 - 1 BvR 1822/14 - FamRZ 2014, 1772 ff. Rn. 25) die Eltern und deren sozioökonomischen Verhältnisse grundsätzlich zum Schicksal und Lebensrisiko eines Kindes gehören und es demzufolge nicht dem Wächteramt des Staates nach Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG unterfällt, für eine den Fähigkeiten des Kindes bestmögliche Förderung zu sorgen. Es berechtigt daher nicht jedes Versagen oder jede Nachlässigkeit der Eltern den Staat, die Eltern bei der Pflege und Erziehung ihres Kindes auszuschalten. Für die Annahme einer Gefährdung des Kindeswohls - im Rahmen der Inobhutnahme nach § 42 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VIII sogar einer dringenden Gefahr für das Kindeswohl - bedarf es daher stets einer hinreichenden Tatsachengrundlage, aus der ablesbar ist, dass entweder bereits ein Schaden beim Kind eingetreten oder aber bei seiner weiteren Entwicklung eine erhebliche Schädigung mit ziemlicher Sicherheit zu erwarten ist. Insbesondere daran fehlt es im vorliegenden Fall.

2.3.2 Sofern § 42 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2a SGB VIII ferner verlangt, dass die Personensorgeberechtigten der Inobhutnahme nicht widersprochen haben (vgl. hierzu Wiesner in Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, § 42 Rn. 13 f.), lag auch diese Voraussetzung zum maßgeblichen Zeitpunkt am 17. August 2016 nicht vor. Personensorgeberechtigt für L. war am 17. August trotz Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechts nach wie vor die Antragstellerin zu 1. Zwar haben sie wie auch der Antragsteller zu 2. den Mitarbeitern des Antragsgegners am 17. August 2016 L. schlussendlich übergeben, nicht ohne jedoch zum Ausdruck zu bringen, dass sie mit der Inobhutnahme und der Unterbringung von L. in einer Pflegefamilie nicht einverstanden sind. So hat insbesondere der Antragsteller zu 2. noch versucht, die Inobhutnahme durch einen Anruf beim zuständigen Familienrichter beim Amtsgericht Freyung zu verhindern. Dass die Antragsteller in der konkreten Situation der Inobhutnahme letztlich Ls Mitnahme toleriert haben, ist nicht mit einem fehlenden Widerspruch gegen die Inobhutnahme gleichzusetzen (vgl. OLG Frankfurt, B.v. 21.12.2011 - 2 UF 481/11 - juris LS 1; Kirchhoff in jurisPK-SGB VIII, § 42 Rn. 82; problematisch insoweit Kepert in Kunkel/Kepert/Pattar, SGB VIII, 6. Aufl. 2016, § 42 Rn. 31). Auch in der Folge haben die Antragsteller der Inobhutnahme stets widersprochen und die Rückführung des Kindes verlangt. Mithin fehlt es an der Voraussetzung des § 42 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a SGB VIII.

2.3.3 Ebenso wenig war die insoweit alternative Tatbestandsvoraussetzung des § 42 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2b SGB VIII, nämlich dass eine familiengerichtliche Entscheidung nicht rechtzeitig eingeholt werden kann, beim Vollzug der Inobhutnahme am 17. August 2016 gegeben (vgl. Kirchhoff in jurisPK-SGB VIII, § 42 Rn. 88. „Vor der Inobhutnahme muss tatsächlich versucht werden, eine Entscheidung des Familiengerichts einzuholen.“; Kepert in Kunkel/Kepert/Pattar, SGB VIII, 6. Aufl. 2016, § 42 Rn. 34). Insoweit gilt es zu berücksichtigen, dass die den Anlass der Inobhutnahme bildende „Gefährdung“ von L. durch den Amphetaminkonsum der Antragstellerin zu 1., deren Vorliegen unterstellt, bereits Anfang August 2016 erfolgte und nichts dafür ersichtlich ist, dass es dem Antragsgegner nicht möglich gewesen wäre, das Ergehen einer familienrechtlichen Entscheidung, insbesondere eines Eilbeschlusses, abzuwarten, zumal es, wie bereits dargelegt, am 17. August 2016 an einer konkreten Gefahr für L. ersichtlich gefehlt hat. Nach der vom Senat eingeholten Auskunft des Familiengerichts ist seitens des Antragsgegners kein Eilantrag gestellt worden. Somit waren auch die Voraussetzungen des § 42 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2b SGB VIII nicht gegeben.

Nur ergänzend und ohne dass es hierauf im vorliegenden Zusammenhang entscheidungserheblich ankäme, sei ferner darauf hingewiesen, dass der Antragsgegner auch seiner Verpflichtung aus § 42 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 SGB VIII auf unverzügliche Herbeiführung einer familiengerichtlichen Entscheidung nach Unterrichtung der Personensorgeberechtigten über die Inobhutnahme und deren Widerspruch gegen die Maßnahme nicht nachgekommen ist.

2.3.4 Darüber hinaus wahrte die Inobhutnahme vom 17. August 2016 auch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht (zur diesbezüglichen „Erforderlichkeit“ einer Inobhutnahme vgl. Kepert in Kunkel/Kepert/Pattar, SGB VIII, 6. Aufl. 2016, § 42 Rn. 27). Als milderes Mittel, mit dem sich die Antragsteller einverstanden erklärt hätten und die dem Antragsgegner am 17. August 2016 auch vorgeschlagen wurde, hätte sich die vorübergehende Unterbringung von L. bei der Mutter des Antragstellers zu 2. angeboten. Entgegen der Auffassung des Antragsgegners hätte sich diese Maßnahme auch nicht als ungeeignet erwiesen, insbesondere weil es hierbei nur darum geht, den kurzen Zeitraum bis zur unverzüglichen Herbeiführung der familiengerichtlichen Entscheidung nach § 42 Abs. 3 Satz 2 SGB VIII mit einer Sofortmaßnahme abzudecken. Anhaltspunkte dafür, dass die Mutter des Antragstellers zu 2. den Antragstellern innerhalb eines Zeitraums von wenigen Tagen gewissermaßen „Zugriff“ auf L. gegeben und damit eine drohende Gefahr für das Kindeswohl begründet hätte, sind aus den vorliegenden Akten nicht ersichtlich.

Mithin erweist sich die Inobhutnahme nach summarischer Prüfung auch als unverhältnismäßig. Sie wäre daher ohne Eintritt der Erledigung als rechtswidrig aufzuheben gewesen. Demzufolge trägt der Antragsgegner die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

3. Gerichtskosten werden in Angelegenheiten des Kinder- und Jugendhilferechts nach § 188 Satz 2, 1 VwGO nicht erhoben. Dieser Beschluss ist nach § 152 Abs. 1 VwGO, § 92 Abs. 3 Satz 2 VwGO analog unanfechtbar.

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(2) Die Klage gilt als zurückgenommen, wenn der Kläger das Verfahren trotz Aufforderung des Gerichts länger als zwei Monate nicht betreibt. Absatz 1 Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Der Kläger ist in der Aufforderung auf die sich aus Satz 1 und § 155 Abs. 2 ergebenden Rechtsfolgen hinzuweisen. Das Gericht stellt durch Beschluß fest, daß die Klage als zurückgenommen gilt.

(3) Ist die Klage zurückgenommen oder gilt sie als zurückgenommen, so stellt das Gericht das Verfahren durch Beschluß ein und spricht die sich nach diesem Gesetz ergebenden Rechtsfolgen der Zurücknahme aus. Der Beschluß ist unanfechtbar.

(1) Das Gericht hat im Urteil oder, wenn das Verfahren in anderer Weise beendet worden ist, durch Beschluß über die Kosten zu entscheiden.

(2) Ist der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt, so entscheidet das Gericht außer in den Fällen des § 113 Abs. 1 Satz 4 nach billigem Ermessen über die Kosten des Verfahrens durch Beschluß; der bisherige Sach- und Streitstand ist zu berücksichtigen. Der Rechtsstreit ist auch in der Hauptsache erledigt, wenn der Beklagte der Erledigungserklärung des Klägers nicht innerhalb von zwei Wochen seit Zustellung des die Erledigungserklärung enthaltenden Schriftsatzes widerspricht und er vom Gericht auf diese Folge hingewiesen worden ist.

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(1) Das Jugendamt ist berechtigt und verpflichtet, ein Kind oder einen Jugendlichen in seine Obhut zu nehmen, wenn

1.
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2.
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a)
die Personensorgeberechtigten nicht widersprechen oder
b)
eine familiengerichtliche Entscheidung nicht rechtzeitig eingeholt werden kann oder
3.
ein ausländisches Kind oder ein ausländischer Jugendlicher unbegleitet nach Deutschland kommt und sich weder Personensorge- noch Erziehungsberechtigte im Inland aufhalten.
Die Inobhutnahme umfasst die Befugnis, ein Kind oder einen Jugendlichen bei einer geeigneten Person, in einer geeigneten Einrichtung oder in einer sonstigen Wohnform vorläufig unterzubringen; im Fall von Satz 1 Nummer 2 auch ein Kind oder einen Jugendlichen von einer anderen Person wegzunehmen.

(2) Das Jugendamt hat während der Inobhutnahme unverzüglich das Kind oder den Jugendlichen umfassend und in einer verständlichen, nachvollziehbaren und wahrnehmbaren Form über diese Maßnahme aufzuklären, die Situation, die zur Inobhutnahme geführt hat, zusammen mit dem Kind oder dem Jugendlichen zu klären und Möglichkeiten der Hilfe und Unterstützung aufzuzeigen. Dem Kind oder dem Jugendlichen ist unverzüglich Gelegenheit zu geben, eine Person seines Vertrauens zu benachrichtigen. Das Jugendamt hat während der Inobhutnahme für das Wohl des Kindes oder des Jugendlichen zu sorgen und dabei den notwendigen Unterhalt und die Krankenhilfe sicherzustellen; § 39 Absatz 4 Satz 2 gilt entsprechend. Das Jugendamt ist während der Inobhutnahme berechtigt, alle Rechtshandlungen vorzunehmen, die zum Wohl des Kindes oder Jugendlichen notwendig sind; der mutmaßliche Wille der Personensorge- oder der Erziehungsberechtigten ist dabei angemessen zu berücksichtigen. Im Fall des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3 gehört zu den Rechtshandlungen nach Satz 4, zu denen das Jugendamt verpflichtet ist, insbesondere die unverzügliche Stellung eines Asylantrags für das Kind oder den Jugendlichen in Fällen, in denen Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass das Kind oder der Jugendliche internationalen Schutz im Sinne des § 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes benötigt; dabei ist das Kind oder der Jugendliche zu beteiligen.

(3) Das Jugendamt hat im Fall des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 1 und 2 die Personensorge- oder Erziehungsberechtigten unverzüglich von der Inobhutnahme zu unterrichten, sie in einer verständlichen, nachvollziehbaren und wahrnehmbaren Form umfassend über diese Maßnahme aufzuklären und mit ihnen das Gefährdungsrisiko abzuschätzen. Widersprechen die Personensorge- oder Erziehungsberechtigten der Inobhutnahme, so hat das Jugendamt unverzüglich

1.
das Kind oder den Jugendlichen den Personensorge- oder Erziehungsberechtigten zu übergeben, sofern nach der Einschätzung des Jugendamts eine Gefährdung des Kindeswohls nicht besteht oder die Personensorge- oder Erziehungsberechtigten bereit und in der Lage sind, die Gefährdung abzuwenden oder
2.
eine Entscheidung des Familiengerichts über die erforderlichen Maßnahmen zum Wohl des Kindes oder des Jugendlichen herbeizuführen.
Sind die Personensorge- oder Erziehungsberechtigten nicht erreichbar, so gilt Satz 2 Nummer 2 entsprechend. Im Fall des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3 ist unverzüglich die Bestellung eines Vormunds oder Pflegers zu veranlassen. Widersprechen die Personensorgeberechtigten der Inobhutnahme nicht, so ist unverzüglich ein Hilfeplanverfahren zur Gewährung einer Hilfe einzuleiten.

(4) Die Inobhutnahme endet mit

1.
der Übergabe des Kindes oder Jugendlichen an die Personensorge- oder Erziehungsberechtigten,
2.
der Entscheidung über die Gewährung von Hilfen nach dem Sozialgesetzbuch.

(5) Freiheitsentziehende Maßnahmen im Rahmen der Inobhutnahme sind nur zulässig, wenn und soweit sie erforderlich sind, um eine Gefahr für Leib oder Leben des Kindes oder des Jugendlichen oder eine Gefahr für Leib oder Leben Dritter abzuwenden. Die Freiheitsentziehung ist ohne gerichtliche Entscheidung spätestens mit Ablauf des Tages nach ihrem Beginn zu beenden.

(6) Ist bei der Inobhutnahme die Anwendung unmittelbaren Zwangs erforderlich, so sind die dazu befugten Stellen hinzuzuziehen.

(1) Der Verwaltungsrechtsweg ist in allen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art gegeben, soweit die Streitigkeiten nicht durch Bundesgesetz einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen sind. Öffentlich-rechtliche Streitigkeiten auf dem Gebiet des Landesrechts können einem anderen Gericht auch durch Landesgesetz zugewiesen werden.

(2) Für vermögensrechtliche Ansprüche aus Aufopferung für das gemeine Wohl und aus öffentlich-rechtlicher Verwahrung sowie für Schadensersatzansprüche aus der Verletzung öffentlich-rechtlicher Pflichten, die nicht auf einem öffentlich-rechtlichen Vertrag beruhen, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben; dies gilt nicht für Streitigkeiten über das Bestehen und die Höhe eines Ausgleichsanspruchs im Rahmen des Artikels 14 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes. Die besonderen Vorschriften des Beamtenrechts sowie über den Rechtsweg bei Ausgleich von Vermögensnachteilen wegen Rücknahme rechtswidriger Verwaltungsakte bleiben unberührt.

(1) Wird das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes oder sein Vermögen gefährdet und sind die Eltern nicht gewillt oder nicht in der Lage, die Gefahr abzuwenden, so hat das Familiengericht die Maßnahmen zu treffen, die zur Abwendung der Gefahr erforderlich sind.

(2) In der Regel ist anzunehmen, dass das Vermögen des Kindes gefährdet ist, wenn der Inhaber der Vermögenssorge seine Unterhaltspflicht gegenüber dem Kind oder seine mit der Vermögenssorge verbundenen Pflichten verletzt oder Anordnungen des Gerichts, die sich auf die Vermögenssorge beziehen, nicht befolgt.

(3) Zu den gerichtlichen Maßnahmen nach Absatz 1 gehören insbesondere

1.
Gebote, öffentliche Hilfen wie zum Beispiel Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe und der Gesundheitsfürsorge in Anspruch zu nehmen,
2.
Gebote, für die Einhaltung der Schulpflicht zu sorgen,
3.
Verbote, vorübergehend oder auf unbestimmte Zeit die Familienwohnung oder eine andere Wohnung zu nutzen, sich in einem bestimmten Umkreis der Wohnung aufzuhalten oder zu bestimmende andere Orte aufzusuchen, an denen sich das Kind regelmäßig aufhält,
4.
Verbote, Verbindung zum Kind aufzunehmen oder ein Zusammentreffen mit dem Kind herbeizuführen,
5.
die Ersetzung von Erklärungen des Inhabers der elterlichen Sorge,
6.
die teilweise oder vollständige Entziehung der elterlichen Sorge.

(4) In Angelegenheiten der Personensorge kann das Gericht auch Maßnahmen mit Wirkung gegen einen Dritten treffen.

(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts (Anfechtungsklage) sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts (Verpflichtungsklage) begehrt werden.

(2) Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage nur zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt oder seine Ablehnung oder Unterlassung in seinen Rechten verletzt zu sein.

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

(1) Die Personensorge umfasst insbesondere die Pflicht und das Recht, das Kind zu pflegen, zu erziehen, zu beaufsichtigen und seinen Aufenthalt zu bestimmen.

(2) Das Kind hat ein Recht auf Pflege und Erziehung unter Ausschluss von Gewalt, körperlichen Bestrafungen, seelischen Verletzungen und anderen entwürdigenden Maßnahmen.

(3) Das Familiengericht hat die Eltern auf Antrag bei der Ausübung der Personensorge in geeigneten Fällen zu unterstützen.

(1) Sind die Eltern bei der Geburt des Kindes nicht miteinander verheiratet, so steht ihnen die elterliche Sorge gemeinsam zu,

1.
wenn sie erklären, dass sie die Sorge gemeinsam übernehmen wollen (Sorgeerklärungen),
2.
wenn sie einander heiraten oder
3.
soweit ihnen das Familiengericht die elterliche Sorge gemeinsam überträgt.

(2) Das Familiengericht überträgt gemäß Absatz 1 Nummer 3 auf Antrag eines Elternteils die elterliche Sorge oder einen Teil der elterlichen Sorge beiden Eltern gemeinsam, wenn die Übertragung dem Kindeswohl nicht widerspricht. Trägt der andere Elternteil keine Gründe vor, die der Übertragung der gemeinsamen elterlichen Sorge entgegenstehen können, und sind solche Gründe auch sonst nicht ersichtlich, wird vermutet, dass die gemeinsame elterliche Sorge dem Kindeswohl nicht widerspricht.

(3) Im Übrigen hat die Mutter die elterliche Sorge.

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

Tenor

Es wird festgestellt, dass die am 24. April 2012 angeordnete Inobhutnahme des Kindes F. A., geboren am ... Dezember 2007, durch das Jugendamt Rostock für die Zeit von der Anordnung bis zum Wirksamwerden des familiengerichtlichen Beschlusses des Amtsgerichts Rostock 10 F 124/11 vom 26. April 2012 rechtswidrig war.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Von den Kosten des Verfahrens tragen die Beteiligten jeweils die Hälfte.

Wegen der Kosten ist das Urteil vorläufig vollstreckbar. Dem jeweiligen Vollstreckungsschuldner wird nachgelassen, die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der Inobhutnahme eines damals vierjährigen Kindes, die von dem Amt für Jugend und Soziales (AJS) der Beklagten durchgeführt wurde.

2

Die Klägerin ist die Mutter des betroffenen Jungen und war mit dem Kindesvater gemeinsam sorgeberechtigt. Seit mindestens Januar 2009 stritten die Kindeseltern über das Umgangsrechts des Kindesvaters. Umgang erhielt dieser trotz gerichtlicher Regelung im Wesentlichen nicht.

3

Die „Rostocker Stadtmission“ des Diakonievereins Rostock war mit Erziehungsberatungsmaßnahmen betraut und sollte auch eine Umgangsbegleitung durchführen. Der mit dem Fall befasste Mitarbeiter M. des Diakonievereins kritisierte u. a., dass die Klägerin sich fortgesetzt weigere, eine für die Umgangsbegleitung vorausgesetzte „Mitwirkungsvereinbarung“ zu unterzeichnen. Auskünfte über das betroffene Kind, die mit Einverständnis der Klägerin von den Kindertagesstätten und von der Kinderärztin eingeholt worden waren, ergaben, dass das Kind offenbar psychischer Belastung wegen der streitigen Umgangsfrage ausgesetzt, im Übrigen aber altersgemäß entwickelt sei. Zu der Mutter, zu deren neuem Lebensgefährten - den es „Papa“ nenne - und zu den Großeltern mütterlicherseits habe das Kind ein gutes und liebevolles Verhältnis.

4

Im Dezember 2011 beantragte der Kindesvater bei dem Familiengericht, im Wege der einstweiligen Anordnung eine Umgangspflegschaft einzurichten. Nach einem der darauf folgenden Beratungstermine wurde erstmals die Gefahr eines Suizids der Klägerin formuliert. In einer Telefonnotiz der bei dem AJS zuständigen Sachbearbeiterin heißt es u. a.: Die Klägerin habe die Mitwirkungsvereinbarung noch immer nicht unterschrieben, sie sei „hochgradig psychisch belastet“, es sei „aufgrund der psychischen Belastung der KM nicht abzuschätzen“, wie sie unter dem „enormen Druck“ durch einen gegebenenfalls eingesetzten Umgangspfleger reagiere und: „als mögliche Konsequenz könnte ein Suizid bzw. erweiterter Suizid nicht auszuschließen sein, laut Hr. M.“

5

In einem Schreiben aus dem Februar 2012 an das AJS fasste Herr M. dieses Beratungsgespräch wie folgt zusammen: „Aus ihrer [der Klägerin] Sicht könne sie gegenüber sich selbst und ihrem Kind nicht verantworten, einen Umgang mit dem Vater jemals zuzulassen. Sie sei bereit, alle möglichen Konsequenzen zu tragen, auch wenn damit F. immer wieder neu belastet werde. Sie werde alles in ihrer Macht stehende unternehmen, um ihren Sohn vor dem Kindesvater zu schützen.“ Von einer Suizidgefahr ist nicht die Rede.

6

Zugleich übersandte wiederum Herr M. an das AJS die Meldung einer Kindeswohlgefährdung, die sich auf eine „Instrumentalisierung des Kindes in Elternkonflikten“ und „Vereitelung der Umgangskontakte“ stützte sowie auch die Suizidpotenzialthese wieder aufgriff. Es wurden Gefährdungsmomente aufgeführt, nicht jedoch, wer diese Momente auf Grund welcher Wahrnehmungen benannt habe. Auf diese Meldung wurde sogleich ein Verfahren oder Vorprüfungsverfahren für ein Verfahren nach § 8a SGB VIII bei dem AJS eingeleitet. Darin wurden die Umstände, die für eine Umgangsvereitelung durch die Klägerin sprächen, gesammelt, wobei auch die vorgenannte Formulierung zum Suizidpotenzial übernommen wurde.

7

Eine weitere familiengerichtliche Anhörung im Verfahren 10 F 262/11 wurde auf den 24. April 2012 anberaumt. Hierin wollte sich das AJS für eine Aussetzung des Umgangs aussprechen. Für den Fall, dass dieser dennoch durchgesetzt werden sollte, fasste es bereits einen bedingten Inobhutnahmeplan und bat die Polizei vorsorglich um Unterstützung. Mit der Klägerin sprach von dem AJS oder der Beratungsstelle bis dahin niemand mehr.

8

Ausweislich des Protokolls des Familiengerichts gab es in dieser Anhörung ausführliche Erörterungen darüber, wie das Umgangsrecht des Kindesvaters verwirklicht werden könne. Das Gericht wies auf das bestehende Recht des Kindesvaters auf Umgang hin, das AJS und weitere Beteiligte auf die starke Verweigerung dessen durch die Klägerin und auf damit einher gehende Beeinträchtigungen des Kindeswohls. Das AJS teilte mit, dass mit „der Bestellung der Umgangspflegschaft die Inobhutnahme des Kindes noch heute erfolgen“ werde. Nachdem eine Aussetzung der Umgangsregelung offenbar nicht in Betracht kam, teilte das AJS den Kindeseltern mit, dass es die Inobhutnahme des Kindes soeben veranlasst habe. Die Klägerin wendete sich dagegen. Das AJS teilte dem Familiengericht in der Anhörung mit, „dass ein Antrag nach § 1666 BGB gestellt werden wird“. Das Gericht stellte den Kindeseltern „den Beschluss zur Umgangspflegschaft in Aussicht“.

9

Die tatsächlich durchgeführte Inobhutnahme verlief insofern dramatisch, als das Kind zunächst von seinen Großeltern, dem Lebensgefährten der Klägerin und einem benachbarten Rechtsanwalt - dem nunmehrigen Prozessbevollmächtigen der Klägerin - zurückgehalten wurde und erst nach Einflussnahme durch die AJS-Mitarbeiter und zwei Polizeibeamte, jedoch ohne unmittelbaren Zwang, herausgegeben wurde. Das Kind wurde in ein Kinderheim verbracht.

10

Mit Beschluss vom 25. April 2012 – 10 F 262/11 – ordnete das Familiengericht einstweilen eine Umgangspflegschaft an. Zur Begründung führte es u. a. aus: „Die Begleitung der Umgangspflegschaft durch die Inobhutnahme des Kindes am 24.04.2012 ist immer noch geeigneter als ein vollständiger Entzug der elterlichen Sorge gegenüber der Kindesmutter und die Verbringung des Kindes zum mitsorgeberechtigten Kindesvater. Die durch die Inobhutnahme eintretenden Irritationen für das Kind und die Eltern sind eher vertretbar als eine weitere Aussetzung des Umgangs und damit Entfremdung des Kindes vom Kindesvater.“

11

Mit Beschluss vom 26. April 2012 – 10 F 124/11 – entzog das Familiengericht auf Antrag des AJS vom 25. April 2012 der Klägerin vorläufig gemäß § 1666 BGB das Aufenthaltsbestimmungsrecht.

12

Die Klägerin begehrte im Verfahren 6 B 216/12 bei dem Verwaltungsgericht Schwerin zunächst die einstweilige Herausgabe des Kindes. Diesen Antrag nahm sie nach der Entziehung des Aufenthaltsbestimmungsrechts zurück.

13

Während der Inobhutnahme litt die Kindesmutter stark unter der Fremdunterbringung ihres Kindes. Sie verlangte es am 26. April 2012 erneut heraus. Im Folgenden nahm sie die ihr zur Verfügung stehenden Besuchzeiten in dem Kinderheim wahr. Der Prozessbevollmächtigte, die Großeltern und die Kindertagesstätte des Kindes setzten sich nachdrücklich für die Beendigung der Inobhutnahme ein.

14

Am 10. Mai 2012 wurde das Kind der Klägerin durch das AJS zurückgegeben, nachdem sich die Klägerin und das AJS auf einen Schutzplan für das Kind geeinigt hatten. Das Familiengericht stellte – unter Äußerung von Bedenken – einem entsprechenden Antrag des AJS folgend fest, dass die einstweilige Anordnung außer Kraft getreten sei.

15

Mit dem Eilantrag 6 B 216/12 hat die Klägerin auch im hiesigen Verfahren am 27. April 2012 Klage erhoben. Sie ist der Ansicht, eine Inobhutnahme dürfe gemäß § 1666 BGB nur nach richterlichem Beschluss erfolgen. Darüber hinaus könne ein Zusammenwirken von Gericht und Jugendamt nicht zur Rechtmäßigkeit der Inobhutnahme führen. Die familiengerichtliche Entscheidung zum Aufenthaltsbestimmungsrecht sei unter Anwendung falscher Maßstäbe, insbesondere ohne Berücksichtigung der Grundrechte von Klägerin und Kind ergangen und daher grob unrichtig. Eine Wiederholung drohe angesichts des noch immer bestehenden Umgangsstreits.

16

Die Klägerin beantragt

17

festzustellen, dass die am 24. April 2012 angeordnete Inobhutnahme des Kindes F. A., geb. am ... Dezember 2007, durch das Jugendamt Rostock für die Zeit von der Anordnung bis zur Herausgabe des Kindes an die Mutter rechtswidrig war.

18

Der Beklagte beantragt

19

Klagabweisung

20

und trägt im Wesentlichen noch einmal den sich zuspitzenden Streit der Kindeseltern um das Umgangsrecht sowie die aus ihrer Sicht bestehenden Gefährdungsmomente vor. Letztere bestünden v. a. darin, dass die Klägerin in der entscheidenden familiengerichtlichen Anhörung „völlig die Kontrolle“ verloren und „unter deutlicher Anspannung“ reagiert habe; sie habe „stark auffällig ausschließlich eigene Befindlichkeiten“ signalisiert, weshalb „Affekthandlungen der Klägerin nicht auszuschließen“ gewesen seien. Das Familiengericht sei mit der Ankündigung, dass ein Antrag nach § 1666 BGB gestellt werden müsse, ausreichend einbezogen worden.

21

Auf die Gerichtsakten und die dem Gericht vorliegenden Verwaltungsvorgänge wird wegen der Einzelheiten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

22

Die Klage hat im tenorierten Umfang Erfolg. Insoweit ist sie zulässig und begründet, im Übrigen ist sie bereits unzulässig.

I.

23

Die Klage ist zulässig, soweit die begehrte Feststellung sich auf den Zeitraum bis zur Bekanntgabe des familiengerichtlichen Beschlusses vom 26. April 2012 bezieht. Im Übrigen ist sie unzulässig, weil der Klägerin bezogen auf den weiteren Zeitraum der Inobhutnahme die Klagebefugnis fehlt.

24

1. Die Klage ist – jedenfalls zum maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung – als Fortsetzungsfeststellungsklage gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) statthaft. Nach dieser Vorschrift kann die Feststellung begehrt werden, dass ein Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen sei, wenn dieser sich vorher erledigt hat. Diese Voraussetzungen liegen vor.

25

In der Entscheidung des AJS in der familiengerichtlichen Anhörung vom 24. April 2012, die Inobhutnahme zu veranlassen, lag ein Verwaltungsakt gemäß § 31 Satz 1 des Zehnten Buchs des Sozialgerichtsgesetzes (SGB X), nämlich die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtete Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts. Diese auf § 42 SGB VIII gestützte Entscheidung ist von dem Vollzugsakt der tatsächlichen Inobhutnahme des betroffenen Kindes zu unterscheiden. Der betreffende Verwaltungsakt kann – wie im vorliegenden Fall geschehen – auch mündlich bekannt gegeben werden (§ 33 Abs. 2 Satz 1 SGB X).

26

Dieser Verwaltungsakt hat sich spätestens mit der Übergabe des Kindes an die Klägerin am 10. Mai 2012 erledigt. Damit endete gemäß § 42 Abs. 4 Nr. 1 SGB VIII die Inobhutnahme. Eine Aufhebung der Anordnung der Inobhutnahme kam danach nicht mehr in Betracht. Ob Erledigung bereits mit Wirksamwerden der familiengerichtlichen Entscheidung vom 26. April 2012 eingetreten ist, bedarf keiner Entscheidung, weil die Klage ab diesem Zeitpunkt ohnehin unzulässig ist.

27

2. Auch die übrigen Sachentscheidungsvoraussetzungen lagen zunächst sämtlich vor.

28

Die Klägerin war klagebefugt gemäß § 42 Abs. 2 VwGO. Nach dieser Vorschrift, die nach allgemeiner Auffassung auch im Fall der Fortsetzungsfeststellungsklage Anwendung findet (Kopp/Schenke, VwGO, 21. Aufl., § 42 Rn. 62, § 113 Rn. 125 m. w. Nachw.), setzt die Zulässigkeit der Klage voraus, dass der Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt in seinen Rechten verletzt zu sein. Dies ist gegeben, wenn die Möglichkeit der von dem Kläger behaupteten Rechtsverletzung besteht. Mit der Anordnung der Inobhutnahme ging eine solche mögliche Rechtsverletzung einher, nämlich eine solche des Aufenthaltsbestimmungsrechts der Klägerin aus § 1626 Abs. 1 und § 1631 Abs. 1 BGB. Denn mit der Inobhutnahme ist dieses Recht gemäß § 42 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII durch die Befugnis des Jugendamtes überlagert, über den Aufenthalt des Kindes zu bestimmen.

29

Die Klägerin kann auch mit Erfolg das gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO notwendige Feststellungsinteresse geltend machen. Ein solches Interesse liegt u. a. in einer durch die Feststellung begehrten Rehabilitierung nach tiefgreifendem Grundrechtseingriff. Mit dem tatsächlichen Verlust des Aufenthaltsbestimmungsrechts der Klägerin durch die Inobhutnahme war ein Eingriff in das Elterngrundrecht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes (GG) erfolgt. Allein darin kann das berechtigte Rehabilitierungsinteresse gesehen werden (vgl. VG Gelsenkirchen, Beschl. v. 28. Dezember 2011 – 2 K 2503/11 – Rn. 54, juris).

30

3. Die Klage ist jedoch unzulässig, soweit sie sich auf den Zeitraum nach Bekanntgabe des familiengerichtlichen Beschlusses des Amtsgerichts Rostock vom 26. April 2012 – 10 F 124/11 – bezieht, weil die Klägerin ab diesem Zeitpunkt nicht mehr klagebefugt war.

31

Die angeordnete Inobhutnahme konnte nicht mehr in das Aufenthaltsbestimmungsrecht der Klägerin eingreifen, nachdem ihr dieses Recht durch die Entscheidung des Familiengerichts entzogen und diese Entscheidung wirksam geworden war (§ 40 Abs. 1 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen – FamFG).

32

Schon der Verlust des Aufenthaltsbestimmungsrechts führt zum Verlust der Klagebefugnis gegen die angeordnete Inobhutnahme. Die Inobhutnahme betraf keine darüber hinaus gehenden Rechte der Klägerin. Soweit das Jugendamt über die Bestimmung des Aufenthalts hinaus auch zur Sicherung des Wohls des Kindes und zu allen notwendigen Rechtshandlungen befugt ist (§ 42 Abs. 2 Satz 3 und 4 SGB VIII), betrifft dies nur solche Fragen, die notwendig mit der Unterbringung durch das Jugendamt verbunden sind. Einschränkungen der Ausübung der elterlichen Sorge sind mit dem rechtmäßigen gewöhnlichen oder tatsächlichen Aufenthalt des Kindes an einem anderen Ort stets verbunden (§ 1687 Abs. 1 Satz 2 und Satz 4 BGB). Das Gleiche gilt für tatsächliche Einschränkungen des der Klägerin gemäß § 1684 Abs. 1 Halbs. 2 BGB zukommenden Umgangsrechts. Die Kammer verkennt nicht, dass die Klägerin auch nach dem Verlust des Aufenthaltsbestimmungsrechts stark unter der Trennung von ihrem Kind gelitten hat. Rechtlich betroffen war sie damit jedoch nicht mehr, sondern stand dem so gegenüber wie jeder Elternteil, bei dem sich das Kind rechtmäßig nicht aufhält.

33

Soweit die Klägerin meint, dadurch keinen ausreichenden Rechtsschutz erhalten zu können (Art. 19 Abs. 4 GG), ist darauf hinzuweisen, dass das Gesetz gegen die familiengerichtliche Entscheidung die Beschwerde zum Oberlandesgericht gemäß § 57 Satz 2 Nr. 1, § 58 Abs. 1 FamFG, § 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG), möglicherweise nach Antrag auf (weitere) mündliche Verhandlung gemäß § 54 Abs. 2 FamFG (so die in der Sache erfolgte Rechtsmittelbelehrung des familiengerichtlichen Beschlusses; a. A. für den hier gegebenen Fall der Erörterung in einem Parallelverfahren: OLG Zweibrücken, Beschl. v. 2. März 2011 – 6 WF 222/10 – Leits. und Rn. 2, juris) vorsieht und außerdem den Antrag gemäß § 55 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 FamFG auf Aussetzung der Vollstreckung und die Einleitung des Hauptsacheverfahrens gemäß § 52 FamFG einschließlich Rechtsmittelverfahren.

II.

34

Soweit die Klage zulässig ist, ist sie auch begründet. Die durch das Jugendamt am 24. April 2012 angeordnete Inobhutnahme war rechtswidrig (§ 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO).

35

Das Jugendamt ist gemäß § 42 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b SGB VIII – der alleine in Betracht kommenden Variante – berechtigt und verpflichtet, ein Kind in seine Obhut zu nehmen, wenn eine dringende Gefahr für das Wohl des Kindes dies erfordert und eine familiengerichtliche Entscheidung nicht rechtzeitig eingeholt werden kann. Beide Voraussetzungen lagen nicht vor.

36

1. Eine familiengerichtliche Entscheidung war nicht uneinholbar. Die Kompetenz des Jugendamtes nach § 42 SGB VIII ist nach der gesetzlichen Konzeption in Abs. 3 der Vorschrift, die entweder unverzügliche familiengerichtliche Entscheidung (Satz 2 bis 4) oder unverzügliches Verfahren zur Gewährung von Hilfen (Satz 5, §§ 36 ff. SGB VIII) verlangt, eine enge „Notkompetenz“ (Trenczeck, in: Münder u. a., Frankf. Komm. SGB VIII, 7. Aufl., § 42 Rn. 35 m. w. Nachw.) bzw. „Befugnis … in Eil- und Notfällen“ (Wiesner, SGB VIII, 4. Aufl., § 42 Rn. 1). Wenn möglich, soll gemäß § 8a Abs. 2 Satz 1 und § 42 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b SGB VIII das in erster Linie zum Eingriff in die elterliche Sorge berufene Familiengericht tätig werden. Nur wenn dies ausgeschlossen ist und seine Entscheidung wegen der Dringlichkeit der Gefahr nicht abgewartet werden kann (§ 8a Abs. 2 Satz 2 SGB VIII), darf das Jugendamt entscheiden und tätig werden. Ein solcher Fall lag hier nicht vor.

37

a) Das Familiengericht war zur Zeit der (endgültigen) Entscheidung des AJS über die Inobhutnahme gerade mit dem Fall befasst und hätte ohne Weiteres die Voraussetzungen für eine Abwendung der durch das AJS angenommenen Gefahr ohne Inobhutnahme schaffen können. Einen entsprechenden Antrag hat das AJS jedoch nicht gestellt. Die Ankündigung, er werde gestellt werden, konnte den Versuch nicht ersetzen, das Familiengericht vor Ausübung der eigenen Kompetenz mit der Frage der Abwendung einer Kindeswohlgefährdung zu befassen.

38

b) Eine Entscheidung ist auch nicht deshalb uneinholbar gewesen, weil das Familiengericht auch von Amts wegen hätte tätig werden können und es dies in der Anhörung vom 24. April 2012 nicht getan hat. Denn dies heißt nicht, dass das Gericht sich auf Antrag oder auch nur auf ausdrückliche Anregung (§ 24 FamFG) nicht dazu hätte verhalten können und müssen, ob und inwiefern es Maßnahmen zur Abwendung einer Kindeswohlgefährdung für geboten erachtet und hierfür die Voraussetzungen schafft.

39

Dies gilt auch vor dem Hintergrund, dass die von dem AJS angenommene Gefahr für das Kindeswohl gerade durch die familiengerichtliche Entscheidung zum Umgangsrecht bedingt war. Auch wenn dieser – offen zu Tage getretene – Umstand eine Entscheidung des Familiengerichts auch im Hinblick auf weitere Maßnahmen zum Wohl des Kindes nahe gelegt hat, heißt dies nicht, dass der Versuch, eine Entscheidung herbeizuführen, entbehrlich war. Denn entweder hätte das Familiengericht seinen Beschluss zur Umgangspflegschaft selbst durch geeignete Sorgerechtseingriffe begleiten oder – unter Zurückweisung der Gefahrenprognose des AJS – davon absehen können. Jedenfalls hätte aber eine gerichtliche Entscheidung eingeholt werden können.

40

c) Auch der Hinweis des Familiengerichts auf die Inobhutnahme in seinem Beschluss vom 25. April 2012 kann diese Entscheidung nicht ersetzen. Denn zum einen ist eine damit wohl verbundene inhaltliche Zustimmung keine „Entscheidung“ und zum anderen kommt es auf eine Zustimmung in der Sache insoweit nicht an, weil es bei der gemäß § 8a Abs. 2 Satz 1, § 42 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b SGB VIII einzuholenden Entscheidung des Familiengerichts ebenso wenig wie bei der gemäß § 42 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 SGB VIII nachträglich einzuholenden Entscheidung um die Kontrolle einer jugendamtlichen Entscheidung oder Maßnahme geht, sondern um die eigenständige Regelung einer Gefahrensituation durch die Schaffung der personensorgerechtlichen Voraussetzungen für die Abwendung der Gefahr.

41

2. Es lag keine dringende Gefahr im Sinne von § 42 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VIII vor.

42

Eine dringende Gefahr im Sinne von § 42 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VIII bedeutet eine Sachlage, die bei ungehindertem Ablauf des Geschehens mit hinreichender Wahrscheinlichkeit das Wohl des Kindes gefährden wird, wobei der Schadenseintritt nicht unmittelbar bevorstehen muss und an die Gefahr des Eintritts umso geringere Anforderungen zu stellen sind, je größer und folgenschwerer der Schaden ist (Trenczeck, a. a. O. Rn. 12 m. w. Nachw.). Dabei kann jedoch ein denkbar großer Schaden wie der hier befürchtete Tod von Mutter und Kind nicht dazu führen, dass die Anforderungen für die Beurteilung der Eintrittsgefahr so abgesenkt werden, dass sie praktisch entfallen. Die Annahme einer Gefährdung des Kindes setzt vielmehr voraus, dass bereits ein Schaden des Kindes eingetreten ist oder sich eine erhebliche Schädigung mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lässt (s. nur BVerfG, Beschl. v. 19. November 2014 – 1 BvR 1178/14 –, Rn. 23 m. vielen w. Nachw. aus der jüngeren Rspr., juris). Jedenfalls müssen danach die Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung konkret und objektiv erkennbar sein. Gemessen daran lag hier eine dringende Gefahr nicht vor.

43

a) Das Leben des Kindes war nicht gefährdet. Eine hinreichende Tatsachengrundlage für die Annahme eines bevorstehenden (erweiterten) Suizids war nicht gegeben. Sie ergab sich insbesondere nicht aus einer psychologischen Begutachtung der Klägerin auf der Grundlage mit ihr geführter, anerkannten Standards entsprechender Gespräche.

44

Die Klägerin hatte im Übrigen Selbstmordabsichten oder gar Tötungsabsichten betreffend ihr Kind im Sinne eines sog. erweiterten Suizids nie auch nur angedeutet. Im Gegenteil weisen alle dokumentieren Verhaltensweisen der Klägerin auf ihr Bedürfnis nach größtmöglichem Schutz ihres Kindes hin. Dies konnte im Hinblick auf das Umgangsrecht des Kindesvaters möglicherweise als übermäßiges Bedürfnis verstanden werden. Hinreichende Anhaltspunkte für eine drohende körperliche Beeinträchtigung des Kindes gab es jedoch nicht.

45

Aus der Aussage der Klägerin, sie werde „alles in ihrer Macht stehende“ unternehmen, damit das Kind nicht zu seinem Vater müsse, konnte nichts anderes gefolgert werden. Denn nachdem sie jahrelang gerichtlich und im Kinder- und Jugendhilfeverfahren gegen das Umgangsrecht des Kindesvaters gearbeitet hatte, wies nichts darauf hin, dass sie nunmehr neben dieser rechtlich-tatsächlichen Verhinderung des Kontakts auch körperlich auf das Kind einwirken wolle und es gar verletzen oder töten könnte. Dies gilt insbesondere auch deshalb, weil die Klägerin den Kontakt zu dem Kindesvater stets wegen dessen angeblicher Gefährlichkeit abgelehnt hat. Für diese Gefährlichkeit hat sie auch konkrete Anhaltspunkte genannt. Dass sie außerdem dem Kindesvater den Kontakt zu dem Kind dermaßen missgönnt hätte, dass sie ihn auch auf Kosten des Lebens des Kindes zu verhindern gesucht hätte, lag eher fern.

46

Nichts anderes gilt vor dem Hintergrund der Annahme eines möglichen „Impulsdurchbruchs“ der Klägerin oder von deren „Affektinstabilität“. Denn auch wenn durch die bevorstehende Umgangspflegschaft eine ganz erhebliche zusätzliche Belastung für die Klägerin zu erwarten war, so sprach nach allem nichts dafür, dass entgegen dem Vorstehenden sich ihre Stellung zu dem Kind grundsätzlich ändern würde. Dass die Realisierung der aufgeworfenen Befürchtung „nicht auszuschließen“ sei, kann demgegenüber nicht genügen.

47

Der hier – seit Längerem – als mögliche Gefahr benannte Suizid konnte zwar nicht völlig ausgeschlossen, aber auch nicht positiv als bevorstehend angenommen werden. Soweit die Vertreterin des AJS in der familiengerichtlichen Anhörung vom 24. April 2012 aus dem Verhalten der Klägerin zu der Einschätzung gelangt sein sollte, dass sich die Befürchtung eines Impulsdurchbruchs nunmehr in dieser Weise realisiere, so beruhte schon die Grundannahme nicht auf einer tragfähigen Grundlage.

48

b) Das Kind war auch nicht im Sinne einer dringenden Gefahr durch eine Zerrissenheit zwischen den Interessen der Klägerin und des Kindesvaters gefährdet. Zwar lagen psychische Beeinträchtigungen auf der Hand. Auch war der Umgang mit dem Kindesvater nachhaltig gehindert, obwohl dieser normativ zum Kindeswohl gehört (§ 1684 Abs. 1 Halbs. 1 BGB). Diese Gefährdungsaspekte lagen jedoch bereits seit Jahren vor. Ihrer Begegnung diente gerade der (im Zeitpunkt der Gefahrenprognose bevorstehende) Beschluss zur Umgangspflegschaft. Selbst bei dessen ausbleibender Umsetzung – was in der Tat möglich erscheinen musste – war eine nach dem eingangs genannten Maßstab erhebliche Schädigung des Kindes nicht mit ziemlicher Sicherheit zu befürchten. Denn gegebenenfalls anzuordnende Ordnungsmittel gemäß § 88 Abs. 1 FamFG hätten das Potenzial gehabt, die Stellung des Kindesvaters zu bessern.

III.

49

Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Danach waren die Kosten hälftig zu teilen, weil dies dem Anteil des Obsiegens der Klägerin entspricht. Auf die Dauer des Zeitraums, auf den das Obsiegen entfällt, kam es dabei weniger an als auf die Unterscheidung der beiden Phasen vor und nach der familiengerichtlichen Entscheidung überhaupt. Hiervon führte die Beurteilung der einen zum Erfolg der Klage, die der anderen nicht. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Abs. 2 VwGO und § 708 Nr. 11 und § 711 der Zivilprozessordnung in Verbindung mit § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts (Anfechtungsklage) sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts (Verpflichtungsklage) begehrt werden.

(2) Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage nur zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt oder seine Ablehnung oder Unterlassung in seinen Rechten verletzt zu sein.

(1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen.

(2) In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.

(3) Die Grundrechte gelten auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind.

(4) Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen. Soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Artikel 10 Abs. 2 Satz 2 bleibt unberührt.

Tenor

Es wird festgestellt, dass die am 24. April 2012 angeordnete Inobhutnahme des Kindes F. A., geboren am ... Dezember 2007, durch das Jugendamt Rostock für die Zeit von der Anordnung bis zum Wirksamwerden des familiengerichtlichen Beschlusses des Amtsgerichts Rostock 10 F 124/11 vom 26. April 2012 rechtswidrig war.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Von den Kosten des Verfahrens tragen die Beteiligten jeweils die Hälfte.

Wegen der Kosten ist das Urteil vorläufig vollstreckbar. Dem jeweiligen Vollstreckungsschuldner wird nachgelassen, die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der Inobhutnahme eines damals vierjährigen Kindes, die von dem Amt für Jugend und Soziales (AJS) der Beklagten durchgeführt wurde.

2

Die Klägerin ist die Mutter des betroffenen Jungen und war mit dem Kindesvater gemeinsam sorgeberechtigt. Seit mindestens Januar 2009 stritten die Kindeseltern über das Umgangsrechts des Kindesvaters. Umgang erhielt dieser trotz gerichtlicher Regelung im Wesentlichen nicht.

3

Die „Rostocker Stadtmission“ des Diakonievereins Rostock war mit Erziehungsberatungsmaßnahmen betraut und sollte auch eine Umgangsbegleitung durchführen. Der mit dem Fall befasste Mitarbeiter M. des Diakonievereins kritisierte u. a., dass die Klägerin sich fortgesetzt weigere, eine für die Umgangsbegleitung vorausgesetzte „Mitwirkungsvereinbarung“ zu unterzeichnen. Auskünfte über das betroffene Kind, die mit Einverständnis der Klägerin von den Kindertagesstätten und von der Kinderärztin eingeholt worden waren, ergaben, dass das Kind offenbar psychischer Belastung wegen der streitigen Umgangsfrage ausgesetzt, im Übrigen aber altersgemäß entwickelt sei. Zu der Mutter, zu deren neuem Lebensgefährten - den es „Papa“ nenne - und zu den Großeltern mütterlicherseits habe das Kind ein gutes und liebevolles Verhältnis.

4

Im Dezember 2011 beantragte der Kindesvater bei dem Familiengericht, im Wege der einstweiligen Anordnung eine Umgangspflegschaft einzurichten. Nach einem der darauf folgenden Beratungstermine wurde erstmals die Gefahr eines Suizids der Klägerin formuliert. In einer Telefonnotiz der bei dem AJS zuständigen Sachbearbeiterin heißt es u. a.: Die Klägerin habe die Mitwirkungsvereinbarung noch immer nicht unterschrieben, sie sei „hochgradig psychisch belastet“, es sei „aufgrund der psychischen Belastung der KM nicht abzuschätzen“, wie sie unter dem „enormen Druck“ durch einen gegebenenfalls eingesetzten Umgangspfleger reagiere und: „als mögliche Konsequenz könnte ein Suizid bzw. erweiterter Suizid nicht auszuschließen sein, laut Hr. M.“

5

In einem Schreiben aus dem Februar 2012 an das AJS fasste Herr M. dieses Beratungsgespräch wie folgt zusammen: „Aus ihrer [der Klägerin] Sicht könne sie gegenüber sich selbst und ihrem Kind nicht verantworten, einen Umgang mit dem Vater jemals zuzulassen. Sie sei bereit, alle möglichen Konsequenzen zu tragen, auch wenn damit F. immer wieder neu belastet werde. Sie werde alles in ihrer Macht stehende unternehmen, um ihren Sohn vor dem Kindesvater zu schützen.“ Von einer Suizidgefahr ist nicht die Rede.

6

Zugleich übersandte wiederum Herr M. an das AJS die Meldung einer Kindeswohlgefährdung, die sich auf eine „Instrumentalisierung des Kindes in Elternkonflikten“ und „Vereitelung der Umgangskontakte“ stützte sowie auch die Suizidpotenzialthese wieder aufgriff. Es wurden Gefährdungsmomente aufgeführt, nicht jedoch, wer diese Momente auf Grund welcher Wahrnehmungen benannt habe. Auf diese Meldung wurde sogleich ein Verfahren oder Vorprüfungsverfahren für ein Verfahren nach § 8a SGB VIII bei dem AJS eingeleitet. Darin wurden die Umstände, die für eine Umgangsvereitelung durch die Klägerin sprächen, gesammelt, wobei auch die vorgenannte Formulierung zum Suizidpotenzial übernommen wurde.

7

Eine weitere familiengerichtliche Anhörung im Verfahren 10 F 262/11 wurde auf den 24. April 2012 anberaumt. Hierin wollte sich das AJS für eine Aussetzung des Umgangs aussprechen. Für den Fall, dass dieser dennoch durchgesetzt werden sollte, fasste es bereits einen bedingten Inobhutnahmeplan und bat die Polizei vorsorglich um Unterstützung. Mit der Klägerin sprach von dem AJS oder der Beratungsstelle bis dahin niemand mehr.

8

Ausweislich des Protokolls des Familiengerichts gab es in dieser Anhörung ausführliche Erörterungen darüber, wie das Umgangsrecht des Kindesvaters verwirklicht werden könne. Das Gericht wies auf das bestehende Recht des Kindesvaters auf Umgang hin, das AJS und weitere Beteiligte auf die starke Verweigerung dessen durch die Klägerin und auf damit einher gehende Beeinträchtigungen des Kindeswohls. Das AJS teilte mit, dass mit „der Bestellung der Umgangspflegschaft die Inobhutnahme des Kindes noch heute erfolgen“ werde. Nachdem eine Aussetzung der Umgangsregelung offenbar nicht in Betracht kam, teilte das AJS den Kindeseltern mit, dass es die Inobhutnahme des Kindes soeben veranlasst habe. Die Klägerin wendete sich dagegen. Das AJS teilte dem Familiengericht in der Anhörung mit, „dass ein Antrag nach § 1666 BGB gestellt werden wird“. Das Gericht stellte den Kindeseltern „den Beschluss zur Umgangspflegschaft in Aussicht“.

9

Die tatsächlich durchgeführte Inobhutnahme verlief insofern dramatisch, als das Kind zunächst von seinen Großeltern, dem Lebensgefährten der Klägerin und einem benachbarten Rechtsanwalt - dem nunmehrigen Prozessbevollmächtigen der Klägerin - zurückgehalten wurde und erst nach Einflussnahme durch die AJS-Mitarbeiter und zwei Polizeibeamte, jedoch ohne unmittelbaren Zwang, herausgegeben wurde. Das Kind wurde in ein Kinderheim verbracht.

10

Mit Beschluss vom 25. April 2012 – 10 F 262/11 – ordnete das Familiengericht einstweilen eine Umgangspflegschaft an. Zur Begründung führte es u. a. aus: „Die Begleitung der Umgangspflegschaft durch die Inobhutnahme des Kindes am 24.04.2012 ist immer noch geeigneter als ein vollständiger Entzug der elterlichen Sorge gegenüber der Kindesmutter und die Verbringung des Kindes zum mitsorgeberechtigten Kindesvater. Die durch die Inobhutnahme eintretenden Irritationen für das Kind und die Eltern sind eher vertretbar als eine weitere Aussetzung des Umgangs und damit Entfremdung des Kindes vom Kindesvater.“

11

Mit Beschluss vom 26. April 2012 – 10 F 124/11 – entzog das Familiengericht auf Antrag des AJS vom 25. April 2012 der Klägerin vorläufig gemäß § 1666 BGB das Aufenthaltsbestimmungsrecht.

12

Die Klägerin begehrte im Verfahren 6 B 216/12 bei dem Verwaltungsgericht Schwerin zunächst die einstweilige Herausgabe des Kindes. Diesen Antrag nahm sie nach der Entziehung des Aufenthaltsbestimmungsrechts zurück.

13

Während der Inobhutnahme litt die Kindesmutter stark unter der Fremdunterbringung ihres Kindes. Sie verlangte es am 26. April 2012 erneut heraus. Im Folgenden nahm sie die ihr zur Verfügung stehenden Besuchzeiten in dem Kinderheim wahr. Der Prozessbevollmächtigte, die Großeltern und die Kindertagesstätte des Kindes setzten sich nachdrücklich für die Beendigung der Inobhutnahme ein.

14

Am 10. Mai 2012 wurde das Kind der Klägerin durch das AJS zurückgegeben, nachdem sich die Klägerin und das AJS auf einen Schutzplan für das Kind geeinigt hatten. Das Familiengericht stellte – unter Äußerung von Bedenken – einem entsprechenden Antrag des AJS folgend fest, dass die einstweilige Anordnung außer Kraft getreten sei.

15

Mit dem Eilantrag 6 B 216/12 hat die Klägerin auch im hiesigen Verfahren am 27. April 2012 Klage erhoben. Sie ist der Ansicht, eine Inobhutnahme dürfe gemäß § 1666 BGB nur nach richterlichem Beschluss erfolgen. Darüber hinaus könne ein Zusammenwirken von Gericht und Jugendamt nicht zur Rechtmäßigkeit der Inobhutnahme führen. Die familiengerichtliche Entscheidung zum Aufenthaltsbestimmungsrecht sei unter Anwendung falscher Maßstäbe, insbesondere ohne Berücksichtigung der Grundrechte von Klägerin und Kind ergangen und daher grob unrichtig. Eine Wiederholung drohe angesichts des noch immer bestehenden Umgangsstreits.

16

Die Klägerin beantragt

17

festzustellen, dass die am 24. April 2012 angeordnete Inobhutnahme des Kindes F. A., geb. am ... Dezember 2007, durch das Jugendamt Rostock für die Zeit von der Anordnung bis zur Herausgabe des Kindes an die Mutter rechtswidrig war.

18

Der Beklagte beantragt

19

Klagabweisung

20

und trägt im Wesentlichen noch einmal den sich zuspitzenden Streit der Kindeseltern um das Umgangsrecht sowie die aus ihrer Sicht bestehenden Gefährdungsmomente vor. Letztere bestünden v. a. darin, dass die Klägerin in der entscheidenden familiengerichtlichen Anhörung „völlig die Kontrolle“ verloren und „unter deutlicher Anspannung“ reagiert habe; sie habe „stark auffällig ausschließlich eigene Befindlichkeiten“ signalisiert, weshalb „Affekthandlungen der Klägerin nicht auszuschließen“ gewesen seien. Das Familiengericht sei mit der Ankündigung, dass ein Antrag nach § 1666 BGB gestellt werden müsse, ausreichend einbezogen worden.

21

Auf die Gerichtsakten und die dem Gericht vorliegenden Verwaltungsvorgänge wird wegen der Einzelheiten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

22

Die Klage hat im tenorierten Umfang Erfolg. Insoweit ist sie zulässig und begründet, im Übrigen ist sie bereits unzulässig.

I.

23

Die Klage ist zulässig, soweit die begehrte Feststellung sich auf den Zeitraum bis zur Bekanntgabe des familiengerichtlichen Beschlusses vom 26. April 2012 bezieht. Im Übrigen ist sie unzulässig, weil der Klägerin bezogen auf den weiteren Zeitraum der Inobhutnahme die Klagebefugnis fehlt.

24

1. Die Klage ist – jedenfalls zum maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung – als Fortsetzungsfeststellungsklage gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) statthaft. Nach dieser Vorschrift kann die Feststellung begehrt werden, dass ein Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen sei, wenn dieser sich vorher erledigt hat. Diese Voraussetzungen liegen vor.

25

In der Entscheidung des AJS in der familiengerichtlichen Anhörung vom 24. April 2012, die Inobhutnahme zu veranlassen, lag ein Verwaltungsakt gemäß § 31 Satz 1 des Zehnten Buchs des Sozialgerichtsgesetzes (SGB X), nämlich die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtete Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts. Diese auf § 42 SGB VIII gestützte Entscheidung ist von dem Vollzugsakt der tatsächlichen Inobhutnahme des betroffenen Kindes zu unterscheiden. Der betreffende Verwaltungsakt kann – wie im vorliegenden Fall geschehen – auch mündlich bekannt gegeben werden (§ 33 Abs. 2 Satz 1 SGB X).

26

Dieser Verwaltungsakt hat sich spätestens mit der Übergabe des Kindes an die Klägerin am 10. Mai 2012 erledigt. Damit endete gemäß § 42 Abs. 4 Nr. 1 SGB VIII die Inobhutnahme. Eine Aufhebung der Anordnung der Inobhutnahme kam danach nicht mehr in Betracht. Ob Erledigung bereits mit Wirksamwerden der familiengerichtlichen Entscheidung vom 26. April 2012 eingetreten ist, bedarf keiner Entscheidung, weil die Klage ab diesem Zeitpunkt ohnehin unzulässig ist.

27

2. Auch die übrigen Sachentscheidungsvoraussetzungen lagen zunächst sämtlich vor.

28

Die Klägerin war klagebefugt gemäß § 42 Abs. 2 VwGO. Nach dieser Vorschrift, die nach allgemeiner Auffassung auch im Fall der Fortsetzungsfeststellungsklage Anwendung findet (Kopp/Schenke, VwGO, 21. Aufl., § 42 Rn. 62, § 113 Rn. 125 m. w. Nachw.), setzt die Zulässigkeit der Klage voraus, dass der Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt in seinen Rechten verletzt zu sein. Dies ist gegeben, wenn die Möglichkeit der von dem Kläger behaupteten Rechtsverletzung besteht. Mit der Anordnung der Inobhutnahme ging eine solche mögliche Rechtsverletzung einher, nämlich eine solche des Aufenthaltsbestimmungsrechts der Klägerin aus § 1626 Abs. 1 und § 1631 Abs. 1 BGB. Denn mit der Inobhutnahme ist dieses Recht gemäß § 42 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII durch die Befugnis des Jugendamtes überlagert, über den Aufenthalt des Kindes zu bestimmen.

29

Die Klägerin kann auch mit Erfolg das gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO notwendige Feststellungsinteresse geltend machen. Ein solches Interesse liegt u. a. in einer durch die Feststellung begehrten Rehabilitierung nach tiefgreifendem Grundrechtseingriff. Mit dem tatsächlichen Verlust des Aufenthaltsbestimmungsrechts der Klägerin durch die Inobhutnahme war ein Eingriff in das Elterngrundrecht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes (GG) erfolgt. Allein darin kann das berechtigte Rehabilitierungsinteresse gesehen werden (vgl. VG Gelsenkirchen, Beschl. v. 28. Dezember 2011 – 2 K 2503/11 – Rn. 54, juris).

30

3. Die Klage ist jedoch unzulässig, soweit sie sich auf den Zeitraum nach Bekanntgabe des familiengerichtlichen Beschlusses des Amtsgerichts Rostock vom 26. April 2012 – 10 F 124/11 – bezieht, weil die Klägerin ab diesem Zeitpunkt nicht mehr klagebefugt war.

31

Die angeordnete Inobhutnahme konnte nicht mehr in das Aufenthaltsbestimmungsrecht der Klägerin eingreifen, nachdem ihr dieses Recht durch die Entscheidung des Familiengerichts entzogen und diese Entscheidung wirksam geworden war (§ 40 Abs. 1 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen – FamFG).

32

Schon der Verlust des Aufenthaltsbestimmungsrechts führt zum Verlust der Klagebefugnis gegen die angeordnete Inobhutnahme. Die Inobhutnahme betraf keine darüber hinaus gehenden Rechte der Klägerin. Soweit das Jugendamt über die Bestimmung des Aufenthalts hinaus auch zur Sicherung des Wohls des Kindes und zu allen notwendigen Rechtshandlungen befugt ist (§ 42 Abs. 2 Satz 3 und 4 SGB VIII), betrifft dies nur solche Fragen, die notwendig mit der Unterbringung durch das Jugendamt verbunden sind. Einschränkungen der Ausübung der elterlichen Sorge sind mit dem rechtmäßigen gewöhnlichen oder tatsächlichen Aufenthalt des Kindes an einem anderen Ort stets verbunden (§ 1687 Abs. 1 Satz 2 und Satz 4 BGB). Das Gleiche gilt für tatsächliche Einschränkungen des der Klägerin gemäß § 1684 Abs. 1 Halbs. 2 BGB zukommenden Umgangsrechts. Die Kammer verkennt nicht, dass die Klägerin auch nach dem Verlust des Aufenthaltsbestimmungsrechts stark unter der Trennung von ihrem Kind gelitten hat. Rechtlich betroffen war sie damit jedoch nicht mehr, sondern stand dem so gegenüber wie jeder Elternteil, bei dem sich das Kind rechtmäßig nicht aufhält.

33

Soweit die Klägerin meint, dadurch keinen ausreichenden Rechtsschutz erhalten zu können (Art. 19 Abs. 4 GG), ist darauf hinzuweisen, dass das Gesetz gegen die familiengerichtliche Entscheidung die Beschwerde zum Oberlandesgericht gemäß § 57 Satz 2 Nr. 1, § 58 Abs. 1 FamFG, § 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG), möglicherweise nach Antrag auf (weitere) mündliche Verhandlung gemäß § 54 Abs. 2 FamFG (so die in der Sache erfolgte Rechtsmittelbelehrung des familiengerichtlichen Beschlusses; a. A. für den hier gegebenen Fall der Erörterung in einem Parallelverfahren: OLG Zweibrücken, Beschl. v. 2. März 2011 – 6 WF 222/10 – Leits. und Rn. 2, juris) vorsieht und außerdem den Antrag gemäß § 55 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 FamFG auf Aussetzung der Vollstreckung und die Einleitung des Hauptsacheverfahrens gemäß § 52 FamFG einschließlich Rechtsmittelverfahren.

II.

34

Soweit die Klage zulässig ist, ist sie auch begründet. Die durch das Jugendamt am 24. April 2012 angeordnete Inobhutnahme war rechtswidrig (§ 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO).

35

Das Jugendamt ist gemäß § 42 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b SGB VIII – der alleine in Betracht kommenden Variante – berechtigt und verpflichtet, ein Kind in seine Obhut zu nehmen, wenn eine dringende Gefahr für das Wohl des Kindes dies erfordert und eine familiengerichtliche Entscheidung nicht rechtzeitig eingeholt werden kann. Beide Voraussetzungen lagen nicht vor.

36

1. Eine familiengerichtliche Entscheidung war nicht uneinholbar. Die Kompetenz des Jugendamtes nach § 42 SGB VIII ist nach der gesetzlichen Konzeption in Abs. 3 der Vorschrift, die entweder unverzügliche familiengerichtliche Entscheidung (Satz 2 bis 4) oder unverzügliches Verfahren zur Gewährung von Hilfen (Satz 5, §§ 36 ff. SGB VIII) verlangt, eine enge „Notkompetenz“ (Trenczeck, in: Münder u. a., Frankf. Komm. SGB VIII, 7. Aufl., § 42 Rn. 35 m. w. Nachw.) bzw. „Befugnis … in Eil- und Notfällen“ (Wiesner, SGB VIII, 4. Aufl., § 42 Rn. 1). Wenn möglich, soll gemäß § 8a Abs. 2 Satz 1 und § 42 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b SGB VIII das in erster Linie zum Eingriff in die elterliche Sorge berufene Familiengericht tätig werden. Nur wenn dies ausgeschlossen ist und seine Entscheidung wegen der Dringlichkeit der Gefahr nicht abgewartet werden kann (§ 8a Abs. 2 Satz 2 SGB VIII), darf das Jugendamt entscheiden und tätig werden. Ein solcher Fall lag hier nicht vor.

37

a) Das Familiengericht war zur Zeit der (endgültigen) Entscheidung des AJS über die Inobhutnahme gerade mit dem Fall befasst und hätte ohne Weiteres die Voraussetzungen für eine Abwendung der durch das AJS angenommenen Gefahr ohne Inobhutnahme schaffen können. Einen entsprechenden Antrag hat das AJS jedoch nicht gestellt. Die Ankündigung, er werde gestellt werden, konnte den Versuch nicht ersetzen, das Familiengericht vor Ausübung der eigenen Kompetenz mit der Frage der Abwendung einer Kindeswohlgefährdung zu befassen.

38

b) Eine Entscheidung ist auch nicht deshalb uneinholbar gewesen, weil das Familiengericht auch von Amts wegen hätte tätig werden können und es dies in der Anhörung vom 24. April 2012 nicht getan hat. Denn dies heißt nicht, dass das Gericht sich auf Antrag oder auch nur auf ausdrückliche Anregung (§ 24 FamFG) nicht dazu hätte verhalten können und müssen, ob und inwiefern es Maßnahmen zur Abwendung einer Kindeswohlgefährdung für geboten erachtet und hierfür die Voraussetzungen schafft.

39

Dies gilt auch vor dem Hintergrund, dass die von dem AJS angenommene Gefahr für das Kindeswohl gerade durch die familiengerichtliche Entscheidung zum Umgangsrecht bedingt war. Auch wenn dieser – offen zu Tage getretene – Umstand eine Entscheidung des Familiengerichts auch im Hinblick auf weitere Maßnahmen zum Wohl des Kindes nahe gelegt hat, heißt dies nicht, dass der Versuch, eine Entscheidung herbeizuführen, entbehrlich war. Denn entweder hätte das Familiengericht seinen Beschluss zur Umgangspflegschaft selbst durch geeignete Sorgerechtseingriffe begleiten oder – unter Zurückweisung der Gefahrenprognose des AJS – davon absehen können. Jedenfalls hätte aber eine gerichtliche Entscheidung eingeholt werden können.

40

c) Auch der Hinweis des Familiengerichts auf die Inobhutnahme in seinem Beschluss vom 25. April 2012 kann diese Entscheidung nicht ersetzen. Denn zum einen ist eine damit wohl verbundene inhaltliche Zustimmung keine „Entscheidung“ und zum anderen kommt es auf eine Zustimmung in der Sache insoweit nicht an, weil es bei der gemäß § 8a Abs. 2 Satz 1, § 42 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b SGB VIII einzuholenden Entscheidung des Familiengerichts ebenso wenig wie bei der gemäß § 42 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 SGB VIII nachträglich einzuholenden Entscheidung um die Kontrolle einer jugendamtlichen Entscheidung oder Maßnahme geht, sondern um die eigenständige Regelung einer Gefahrensituation durch die Schaffung der personensorgerechtlichen Voraussetzungen für die Abwendung der Gefahr.

41

2. Es lag keine dringende Gefahr im Sinne von § 42 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VIII vor.

42

Eine dringende Gefahr im Sinne von § 42 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VIII bedeutet eine Sachlage, die bei ungehindertem Ablauf des Geschehens mit hinreichender Wahrscheinlichkeit das Wohl des Kindes gefährden wird, wobei der Schadenseintritt nicht unmittelbar bevorstehen muss und an die Gefahr des Eintritts umso geringere Anforderungen zu stellen sind, je größer und folgenschwerer der Schaden ist (Trenczeck, a. a. O. Rn. 12 m. w. Nachw.). Dabei kann jedoch ein denkbar großer Schaden wie der hier befürchtete Tod von Mutter und Kind nicht dazu führen, dass die Anforderungen für die Beurteilung der Eintrittsgefahr so abgesenkt werden, dass sie praktisch entfallen. Die Annahme einer Gefährdung des Kindes setzt vielmehr voraus, dass bereits ein Schaden des Kindes eingetreten ist oder sich eine erhebliche Schädigung mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lässt (s. nur BVerfG, Beschl. v. 19. November 2014 – 1 BvR 1178/14 –, Rn. 23 m. vielen w. Nachw. aus der jüngeren Rspr., juris). Jedenfalls müssen danach die Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung konkret und objektiv erkennbar sein. Gemessen daran lag hier eine dringende Gefahr nicht vor.

43

a) Das Leben des Kindes war nicht gefährdet. Eine hinreichende Tatsachengrundlage für die Annahme eines bevorstehenden (erweiterten) Suizids war nicht gegeben. Sie ergab sich insbesondere nicht aus einer psychologischen Begutachtung der Klägerin auf der Grundlage mit ihr geführter, anerkannten Standards entsprechender Gespräche.

44

Die Klägerin hatte im Übrigen Selbstmordabsichten oder gar Tötungsabsichten betreffend ihr Kind im Sinne eines sog. erweiterten Suizids nie auch nur angedeutet. Im Gegenteil weisen alle dokumentieren Verhaltensweisen der Klägerin auf ihr Bedürfnis nach größtmöglichem Schutz ihres Kindes hin. Dies konnte im Hinblick auf das Umgangsrecht des Kindesvaters möglicherweise als übermäßiges Bedürfnis verstanden werden. Hinreichende Anhaltspunkte für eine drohende körperliche Beeinträchtigung des Kindes gab es jedoch nicht.

45

Aus der Aussage der Klägerin, sie werde „alles in ihrer Macht stehende“ unternehmen, damit das Kind nicht zu seinem Vater müsse, konnte nichts anderes gefolgert werden. Denn nachdem sie jahrelang gerichtlich und im Kinder- und Jugendhilfeverfahren gegen das Umgangsrecht des Kindesvaters gearbeitet hatte, wies nichts darauf hin, dass sie nunmehr neben dieser rechtlich-tatsächlichen Verhinderung des Kontakts auch körperlich auf das Kind einwirken wolle und es gar verletzen oder töten könnte. Dies gilt insbesondere auch deshalb, weil die Klägerin den Kontakt zu dem Kindesvater stets wegen dessen angeblicher Gefährlichkeit abgelehnt hat. Für diese Gefährlichkeit hat sie auch konkrete Anhaltspunkte genannt. Dass sie außerdem dem Kindesvater den Kontakt zu dem Kind dermaßen missgönnt hätte, dass sie ihn auch auf Kosten des Lebens des Kindes zu verhindern gesucht hätte, lag eher fern.

46

Nichts anderes gilt vor dem Hintergrund der Annahme eines möglichen „Impulsdurchbruchs“ der Klägerin oder von deren „Affektinstabilität“. Denn auch wenn durch die bevorstehende Umgangspflegschaft eine ganz erhebliche zusätzliche Belastung für die Klägerin zu erwarten war, so sprach nach allem nichts dafür, dass entgegen dem Vorstehenden sich ihre Stellung zu dem Kind grundsätzlich ändern würde. Dass die Realisierung der aufgeworfenen Befürchtung „nicht auszuschließen“ sei, kann demgegenüber nicht genügen.

47

Der hier – seit Längerem – als mögliche Gefahr benannte Suizid konnte zwar nicht völlig ausgeschlossen, aber auch nicht positiv als bevorstehend angenommen werden. Soweit die Vertreterin des AJS in der familiengerichtlichen Anhörung vom 24. April 2012 aus dem Verhalten der Klägerin zu der Einschätzung gelangt sein sollte, dass sich die Befürchtung eines Impulsdurchbruchs nunmehr in dieser Weise realisiere, so beruhte schon die Grundannahme nicht auf einer tragfähigen Grundlage.

48

b) Das Kind war auch nicht im Sinne einer dringenden Gefahr durch eine Zerrissenheit zwischen den Interessen der Klägerin und des Kindesvaters gefährdet. Zwar lagen psychische Beeinträchtigungen auf der Hand. Auch war der Umgang mit dem Kindesvater nachhaltig gehindert, obwohl dieser normativ zum Kindeswohl gehört (§ 1684 Abs. 1 Halbs. 1 BGB). Diese Gefährdungsaspekte lagen jedoch bereits seit Jahren vor. Ihrer Begegnung diente gerade der (im Zeitpunkt der Gefahrenprognose bevorstehende) Beschluss zur Umgangspflegschaft. Selbst bei dessen ausbleibender Umsetzung – was in der Tat möglich erscheinen musste – war eine nach dem eingangs genannten Maßstab erhebliche Schädigung des Kindes nicht mit ziemlicher Sicherheit zu befürchten. Denn gegebenenfalls anzuordnende Ordnungsmittel gemäß § 88 Abs. 1 FamFG hätten das Potenzial gehabt, die Stellung des Kindesvaters zu bessern.

III.

49

Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Danach waren die Kosten hälftig zu teilen, weil dies dem Anteil des Obsiegens der Klägerin entspricht. Auf die Dauer des Zeitraums, auf den das Obsiegen entfällt, kam es dabei weniger an als auf die Unterscheidung der beiden Phasen vor und nach der familiengerichtlichen Entscheidung überhaupt. Hiervon führte die Beurteilung der einen zum Erfolg der Klage, die der anderen nicht. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Abs. 2 VwGO und § 708 Nr. 11 und § 711 der Zivilprozessordnung in Verbindung mit § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

(1) Das Jugendamt ist berechtigt und verpflichtet, ein Kind oder einen Jugendlichen in seine Obhut zu nehmen, wenn

1.
das Kind oder der Jugendliche um Obhut bittet oder
2.
eine dringende Gefahr für das Wohl des Kindes oder des Jugendlichen die Inobhutnahme erfordert und
a)
die Personensorgeberechtigten nicht widersprechen oder
b)
eine familiengerichtliche Entscheidung nicht rechtzeitig eingeholt werden kann oder
3.
ein ausländisches Kind oder ein ausländischer Jugendlicher unbegleitet nach Deutschland kommt und sich weder Personensorge- noch Erziehungsberechtigte im Inland aufhalten.
Die Inobhutnahme umfasst die Befugnis, ein Kind oder einen Jugendlichen bei einer geeigneten Person, in einer geeigneten Einrichtung oder in einer sonstigen Wohnform vorläufig unterzubringen; im Fall von Satz 1 Nummer 2 auch ein Kind oder einen Jugendlichen von einer anderen Person wegzunehmen.

(2) Das Jugendamt hat während der Inobhutnahme unverzüglich das Kind oder den Jugendlichen umfassend und in einer verständlichen, nachvollziehbaren und wahrnehmbaren Form über diese Maßnahme aufzuklären, die Situation, die zur Inobhutnahme geführt hat, zusammen mit dem Kind oder dem Jugendlichen zu klären und Möglichkeiten der Hilfe und Unterstützung aufzuzeigen. Dem Kind oder dem Jugendlichen ist unverzüglich Gelegenheit zu geben, eine Person seines Vertrauens zu benachrichtigen. Das Jugendamt hat während der Inobhutnahme für das Wohl des Kindes oder des Jugendlichen zu sorgen und dabei den notwendigen Unterhalt und die Krankenhilfe sicherzustellen; § 39 Absatz 4 Satz 2 gilt entsprechend. Das Jugendamt ist während der Inobhutnahme berechtigt, alle Rechtshandlungen vorzunehmen, die zum Wohl des Kindes oder Jugendlichen notwendig sind; der mutmaßliche Wille der Personensorge- oder der Erziehungsberechtigten ist dabei angemessen zu berücksichtigen. Im Fall des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3 gehört zu den Rechtshandlungen nach Satz 4, zu denen das Jugendamt verpflichtet ist, insbesondere die unverzügliche Stellung eines Asylantrags für das Kind oder den Jugendlichen in Fällen, in denen Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass das Kind oder der Jugendliche internationalen Schutz im Sinne des § 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes benötigt; dabei ist das Kind oder der Jugendliche zu beteiligen.

(3) Das Jugendamt hat im Fall des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 1 und 2 die Personensorge- oder Erziehungsberechtigten unverzüglich von der Inobhutnahme zu unterrichten, sie in einer verständlichen, nachvollziehbaren und wahrnehmbaren Form umfassend über diese Maßnahme aufzuklären und mit ihnen das Gefährdungsrisiko abzuschätzen. Widersprechen die Personensorge- oder Erziehungsberechtigten der Inobhutnahme, so hat das Jugendamt unverzüglich

1.
das Kind oder den Jugendlichen den Personensorge- oder Erziehungsberechtigten zu übergeben, sofern nach der Einschätzung des Jugendamts eine Gefährdung des Kindeswohls nicht besteht oder die Personensorge- oder Erziehungsberechtigten bereit und in der Lage sind, die Gefährdung abzuwenden oder
2.
eine Entscheidung des Familiengerichts über die erforderlichen Maßnahmen zum Wohl des Kindes oder des Jugendlichen herbeizuführen.
Sind die Personensorge- oder Erziehungsberechtigten nicht erreichbar, so gilt Satz 2 Nummer 2 entsprechend. Im Fall des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3 ist unverzüglich die Bestellung eines Vormunds oder Pflegers zu veranlassen. Widersprechen die Personensorgeberechtigten der Inobhutnahme nicht, so ist unverzüglich ein Hilfeplanverfahren zur Gewährung einer Hilfe einzuleiten.

(4) Die Inobhutnahme endet mit

1.
der Übergabe des Kindes oder Jugendlichen an die Personensorge- oder Erziehungsberechtigten,
2.
der Entscheidung über die Gewährung von Hilfen nach dem Sozialgesetzbuch.

(5) Freiheitsentziehende Maßnahmen im Rahmen der Inobhutnahme sind nur zulässig, wenn und soweit sie erforderlich sind, um eine Gefahr für Leib oder Leben des Kindes oder des Jugendlichen oder eine Gefahr für Leib oder Leben Dritter abzuwenden. Die Freiheitsentziehung ist ohne gerichtliche Entscheidung spätestens mit Ablauf des Tages nach ihrem Beginn zu beenden.

(6) Ist bei der Inobhutnahme die Anwendung unmittelbaren Zwangs erforderlich, so sind die dazu befugten Stellen hinzuzuziehen.

Tenor

Es wird festgestellt, dass die am 24. April 2012 angeordnete Inobhutnahme des Kindes F. A., geboren am ... Dezember 2007, durch das Jugendamt Rostock für die Zeit von der Anordnung bis zum Wirksamwerden des familiengerichtlichen Beschlusses des Amtsgerichts Rostock 10 F 124/11 vom 26. April 2012 rechtswidrig war.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Von den Kosten des Verfahrens tragen die Beteiligten jeweils die Hälfte.

Wegen der Kosten ist das Urteil vorläufig vollstreckbar. Dem jeweiligen Vollstreckungsschuldner wird nachgelassen, die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der Inobhutnahme eines damals vierjährigen Kindes, die von dem Amt für Jugend und Soziales (AJS) der Beklagten durchgeführt wurde.

2

Die Klägerin ist die Mutter des betroffenen Jungen und war mit dem Kindesvater gemeinsam sorgeberechtigt. Seit mindestens Januar 2009 stritten die Kindeseltern über das Umgangsrechts des Kindesvaters. Umgang erhielt dieser trotz gerichtlicher Regelung im Wesentlichen nicht.

3

Die „Rostocker Stadtmission“ des Diakonievereins Rostock war mit Erziehungsberatungsmaßnahmen betraut und sollte auch eine Umgangsbegleitung durchführen. Der mit dem Fall befasste Mitarbeiter M. des Diakonievereins kritisierte u. a., dass die Klägerin sich fortgesetzt weigere, eine für die Umgangsbegleitung vorausgesetzte „Mitwirkungsvereinbarung“ zu unterzeichnen. Auskünfte über das betroffene Kind, die mit Einverständnis der Klägerin von den Kindertagesstätten und von der Kinderärztin eingeholt worden waren, ergaben, dass das Kind offenbar psychischer Belastung wegen der streitigen Umgangsfrage ausgesetzt, im Übrigen aber altersgemäß entwickelt sei. Zu der Mutter, zu deren neuem Lebensgefährten - den es „Papa“ nenne - und zu den Großeltern mütterlicherseits habe das Kind ein gutes und liebevolles Verhältnis.

4

Im Dezember 2011 beantragte der Kindesvater bei dem Familiengericht, im Wege der einstweiligen Anordnung eine Umgangspflegschaft einzurichten. Nach einem der darauf folgenden Beratungstermine wurde erstmals die Gefahr eines Suizids der Klägerin formuliert. In einer Telefonnotiz der bei dem AJS zuständigen Sachbearbeiterin heißt es u. a.: Die Klägerin habe die Mitwirkungsvereinbarung noch immer nicht unterschrieben, sie sei „hochgradig psychisch belastet“, es sei „aufgrund der psychischen Belastung der KM nicht abzuschätzen“, wie sie unter dem „enormen Druck“ durch einen gegebenenfalls eingesetzten Umgangspfleger reagiere und: „als mögliche Konsequenz könnte ein Suizid bzw. erweiterter Suizid nicht auszuschließen sein, laut Hr. M.“

5

In einem Schreiben aus dem Februar 2012 an das AJS fasste Herr M. dieses Beratungsgespräch wie folgt zusammen: „Aus ihrer [der Klägerin] Sicht könne sie gegenüber sich selbst und ihrem Kind nicht verantworten, einen Umgang mit dem Vater jemals zuzulassen. Sie sei bereit, alle möglichen Konsequenzen zu tragen, auch wenn damit F. immer wieder neu belastet werde. Sie werde alles in ihrer Macht stehende unternehmen, um ihren Sohn vor dem Kindesvater zu schützen.“ Von einer Suizidgefahr ist nicht die Rede.

6

Zugleich übersandte wiederum Herr M. an das AJS die Meldung einer Kindeswohlgefährdung, die sich auf eine „Instrumentalisierung des Kindes in Elternkonflikten“ und „Vereitelung der Umgangskontakte“ stützte sowie auch die Suizidpotenzialthese wieder aufgriff. Es wurden Gefährdungsmomente aufgeführt, nicht jedoch, wer diese Momente auf Grund welcher Wahrnehmungen benannt habe. Auf diese Meldung wurde sogleich ein Verfahren oder Vorprüfungsverfahren für ein Verfahren nach § 8a SGB VIII bei dem AJS eingeleitet. Darin wurden die Umstände, die für eine Umgangsvereitelung durch die Klägerin sprächen, gesammelt, wobei auch die vorgenannte Formulierung zum Suizidpotenzial übernommen wurde.

7

Eine weitere familiengerichtliche Anhörung im Verfahren 10 F 262/11 wurde auf den 24. April 2012 anberaumt. Hierin wollte sich das AJS für eine Aussetzung des Umgangs aussprechen. Für den Fall, dass dieser dennoch durchgesetzt werden sollte, fasste es bereits einen bedingten Inobhutnahmeplan und bat die Polizei vorsorglich um Unterstützung. Mit der Klägerin sprach von dem AJS oder der Beratungsstelle bis dahin niemand mehr.

8

Ausweislich des Protokolls des Familiengerichts gab es in dieser Anhörung ausführliche Erörterungen darüber, wie das Umgangsrecht des Kindesvaters verwirklicht werden könne. Das Gericht wies auf das bestehende Recht des Kindesvaters auf Umgang hin, das AJS und weitere Beteiligte auf die starke Verweigerung dessen durch die Klägerin und auf damit einher gehende Beeinträchtigungen des Kindeswohls. Das AJS teilte mit, dass mit „der Bestellung der Umgangspflegschaft die Inobhutnahme des Kindes noch heute erfolgen“ werde. Nachdem eine Aussetzung der Umgangsregelung offenbar nicht in Betracht kam, teilte das AJS den Kindeseltern mit, dass es die Inobhutnahme des Kindes soeben veranlasst habe. Die Klägerin wendete sich dagegen. Das AJS teilte dem Familiengericht in der Anhörung mit, „dass ein Antrag nach § 1666 BGB gestellt werden wird“. Das Gericht stellte den Kindeseltern „den Beschluss zur Umgangspflegschaft in Aussicht“.

9

Die tatsächlich durchgeführte Inobhutnahme verlief insofern dramatisch, als das Kind zunächst von seinen Großeltern, dem Lebensgefährten der Klägerin und einem benachbarten Rechtsanwalt - dem nunmehrigen Prozessbevollmächtigen der Klägerin - zurückgehalten wurde und erst nach Einflussnahme durch die AJS-Mitarbeiter und zwei Polizeibeamte, jedoch ohne unmittelbaren Zwang, herausgegeben wurde. Das Kind wurde in ein Kinderheim verbracht.

10

Mit Beschluss vom 25. April 2012 – 10 F 262/11 – ordnete das Familiengericht einstweilen eine Umgangspflegschaft an. Zur Begründung führte es u. a. aus: „Die Begleitung der Umgangspflegschaft durch die Inobhutnahme des Kindes am 24.04.2012 ist immer noch geeigneter als ein vollständiger Entzug der elterlichen Sorge gegenüber der Kindesmutter und die Verbringung des Kindes zum mitsorgeberechtigten Kindesvater. Die durch die Inobhutnahme eintretenden Irritationen für das Kind und die Eltern sind eher vertretbar als eine weitere Aussetzung des Umgangs und damit Entfremdung des Kindes vom Kindesvater.“

11

Mit Beschluss vom 26. April 2012 – 10 F 124/11 – entzog das Familiengericht auf Antrag des AJS vom 25. April 2012 der Klägerin vorläufig gemäß § 1666 BGB das Aufenthaltsbestimmungsrecht.

12

Die Klägerin begehrte im Verfahren 6 B 216/12 bei dem Verwaltungsgericht Schwerin zunächst die einstweilige Herausgabe des Kindes. Diesen Antrag nahm sie nach der Entziehung des Aufenthaltsbestimmungsrechts zurück.

13

Während der Inobhutnahme litt die Kindesmutter stark unter der Fremdunterbringung ihres Kindes. Sie verlangte es am 26. April 2012 erneut heraus. Im Folgenden nahm sie die ihr zur Verfügung stehenden Besuchzeiten in dem Kinderheim wahr. Der Prozessbevollmächtigte, die Großeltern und die Kindertagesstätte des Kindes setzten sich nachdrücklich für die Beendigung der Inobhutnahme ein.

14

Am 10. Mai 2012 wurde das Kind der Klägerin durch das AJS zurückgegeben, nachdem sich die Klägerin und das AJS auf einen Schutzplan für das Kind geeinigt hatten. Das Familiengericht stellte – unter Äußerung von Bedenken – einem entsprechenden Antrag des AJS folgend fest, dass die einstweilige Anordnung außer Kraft getreten sei.

15

Mit dem Eilantrag 6 B 216/12 hat die Klägerin auch im hiesigen Verfahren am 27. April 2012 Klage erhoben. Sie ist der Ansicht, eine Inobhutnahme dürfe gemäß § 1666 BGB nur nach richterlichem Beschluss erfolgen. Darüber hinaus könne ein Zusammenwirken von Gericht und Jugendamt nicht zur Rechtmäßigkeit der Inobhutnahme führen. Die familiengerichtliche Entscheidung zum Aufenthaltsbestimmungsrecht sei unter Anwendung falscher Maßstäbe, insbesondere ohne Berücksichtigung der Grundrechte von Klägerin und Kind ergangen und daher grob unrichtig. Eine Wiederholung drohe angesichts des noch immer bestehenden Umgangsstreits.

16

Die Klägerin beantragt

17

festzustellen, dass die am 24. April 2012 angeordnete Inobhutnahme des Kindes F. A., geb. am ... Dezember 2007, durch das Jugendamt Rostock für die Zeit von der Anordnung bis zur Herausgabe des Kindes an die Mutter rechtswidrig war.

18

Der Beklagte beantragt

19

Klagabweisung

20

und trägt im Wesentlichen noch einmal den sich zuspitzenden Streit der Kindeseltern um das Umgangsrecht sowie die aus ihrer Sicht bestehenden Gefährdungsmomente vor. Letztere bestünden v. a. darin, dass die Klägerin in der entscheidenden familiengerichtlichen Anhörung „völlig die Kontrolle“ verloren und „unter deutlicher Anspannung“ reagiert habe; sie habe „stark auffällig ausschließlich eigene Befindlichkeiten“ signalisiert, weshalb „Affekthandlungen der Klägerin nicht auszuschließen“ gewesen seien. Das Familiengericht sei mit der Ankündigung, dass ein Antrag nach § 1666 BGB gestellt werden müsse, ausreichend einbezogen worden.

21

Auf die Gerichtsakten und die dem Gericht vorliegenden Verwaltungsvorgänge wird wegen der Einzelheiten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

22

Die Klage hat im tenorierten Umfang Erfolg. Insoweit ist sie zulässig und begründet, im Übrigen ist sie bereits unzulässig.

I.

23

Die Klage ist zulässig, soweit die begehrte Feststellung sich auf den Zeitraum bis zur Bekanntgabe des familiengerichtlichen Beschlusses vom 26. April 2012 bezieht. Im Übrigen ist sie unzulässig, weil der Klägerin bezogen auf den weiteren Zeitraum der Inobhutnahme die Klagebefugnis fehlt.

24

1. Die Klage ist – jedenfalls zum maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung – als Fortsetzungsfeststellungsklage gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) statthaft. Nach dieser Vorschrift kann die Feststellung begehrt werden, dass ein Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen sei, wenn dieser sich vorher erledigt hat. Diese Voraussetzungen liegen vor.

25

In der Entscheidung des AJS in der familiengerichtlichen Anhörung vom 24. April 2012, die Inobhutnahme zu veranlassen, lag ein Verwaltungsakt gemäß § 31 Satz 1 des Zehnten Buchs des Sozialgerichtsgesetzes (SGB X), nämlich die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtete Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts. Diese auf § 42 SGB VIII gestützte Entscheidung ist von dem Vollzugsakt der tatsächlichen Inobhutnahme des betroffenen Kindes zu unterscheiden. Der betreffende Verwaltungsakt kann – wie im vorliegenden Fall geschehen – auch mündlich bekannt gegeben werden (§ 33 Abs. 2 Satz 1 SGB X).

26

Dieser Verwaltungsakt hat sich spätestens mit der Übergabe des Kindes an die Klägerin am 10. Mai 2012 erledigt. Damit endete gemäß § 42 Abs. 4 Nr. 1 SGB VIII die Inobhutnahme. Eine Aufhebung der Anordnung der Inobhutnahme kam danach nicht mehr in Betracht. Ob Erledigung bereits mit Wirksamwerden der familiengerichtlichen Entscheidung vom 26. April 2012 eingetreten ist, bedarf keiner Entscheidung, weil die Klage ab diesem Zeitpunkt ohnehin unzulässig ist.

27

2. Auch die übrigen Sachentscheidungsvoraussetzungen lagen zunächst sämtlich vor.

28

Die Klägerin war klagebefugt gemäß § 42 Abs. 2 VwGO. Nach dieser Vorschrift, die nach allgemeiner Auffassung auch im Fall der Fortsetzungsfeststellungsklage Anwendung findet (Kopp/Schenke, VwGO, 21. Aufl., § 42 Rn. 62, § 113 Rn. 125 m. w. Nachw.), setzt die Zulässigkeit der Klage voraus, dass der Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt in seinen Rechten verletzt zu sein. Dies ist gegeben, wenn die Möglichkeit der von dem Kläger behaupteten Rechtsverletzung besteht. Mit der Anordnung der Inobhutnahme ging eine solche mögliche Rechtsverletzung einher, nämlich eine solche des Aufenthaltsbestimmungsrechts der Klägerin aus § 1626 Abs. 1 und § 1631 Abs. 1 BGB. Denn mit der Inobhutnahme ist dieses Recht gemäß § 42 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII durch die Befugnis des Jugendamtes überlagert, über den Aufenthalt des Kindes zu bestimmen.

29

Die Klägerin kann auch mit Erfolg das gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO notwendige Feststellungsinteresse geltend machen. Ein solches Interesse liegt u. a. in einer durch die Feststellung begehrten Rehabilitierung nach tiefgreifendem Grundrechtseingriff. Mit dem tatsächlichen Verlust des Aufenthaltsbestimmungsrechts der Klägerin durch die Inobhutnahme war ein Eingriff in das Elterngrundrecht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes (GG) erfolgt. Allein darin kann das berechtigte Rehabilitierungsinteresse gesehen werden (vgl. VG Gelsenkirchen, Beschl. v. 28. Dezember 2011 – 2 K 2503/11 – Rn. 54, juris).

30

3. Die Klage ist jedoch unzulässig, soweit sie sich auf den Zeitraum nach Bekanntgabe des familiengerichtlichen Beschlusses des Amtsgerichts Rostock vom 26. April 2012 – 10 F 124/11 – bezieht, weil die Klägerin ab diesem Zeitpunkt nicht mehr klagebefugt war.

31

Die angeordnete Inobhutnahme konnte nicht mehr in das Aufenthaltsbestimmungsrecht der Klägerin eingreifen, nachdem ihr dieses Recht durch die Entscheidung des Familiengerichts entzogen und diese Entscheidung wirksam geworden war (§ 40 Abs. 1 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen – FamFG).

32

Schon der Verlust des Aufenthaltsbestimmungsrechts führt zum Verlust der Klagebefugnis gegen die angeordnete Inobhutnahme. Die Inobhutnahme betraf keine darüber hinaus gehenden Rechte der Klägerin. Soweit das Jugendamt über die Bestimmung des Aufenthalts hinaus auch zur Sicherung des Wohls des Kindes und zu allen notwendigen Rechtshandlungen befugt ist (§ 42 Abs. 2 Satz 3 und 4 SGB VIII), betrifft dies nur solche Fragen, die notwendig mit der Unterbringung durch das Jugendamt verbunden sind. Einschränkungen der Ausübung der elterlichen Sorge sind mit dem rechtmäßigen gewöhnlichen oder tatsächlichen Aufenthalt des Kindes an einem anderen Ort stets verbunden (§ 1687 Abs. 1 Satz 2 und Satz 4 BGB). Das Gleiche gilt für tatsächliche Einschränkungen des der Klägerin gemäß § 1684 Abs. 1 Halbs. 2 BGB zukommenden Umgangsrechts. Die Kammer verkennt nicht, dass die Klägerin auch nach dem Verlust des Aufenthaltsbestimmungsrechts stark unter der Trennung von ihrem Kind gelitten hat. Rechtlich betroffen war sie damit jedoch nicht mehr, sondern stand dem so gegenüber wie jeder Elternteil, bei dem sich das Kind rechtmäßig nicht aufhält.

33

Soweit die Klägerin meint, dadurch keinen ausreichenden Rechtsschutz erhalten zu können (Art. 19 Abs. 4 GG), ist darauf hinzuweisen, dass das Gesetz gegen die familiengerichtliche Entscheidung die Beschwerde zum Oberlandesgericht gemäß § 57 Satz 2 Nr. 1, § 58 Abs. 1 FamFG, § 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG), möglicherweise nach Antrag auf (weitere) mündliche Verhandlung gemäß § 54 Abs. 2 FamFG (so die in der Sache erfolgte Rechtsmittelbelehrung des familiengerichtlichen Beschlusses; a. A. für den hier gegebenen Fall der Erörterung in einem Parallelverfahren: OLG Zweibrücken, Beschl. v. 2. März 2011 – 6 WF 222/10 – Leits. und Rn. 2, juris) vorsieht und außerdem den Antrag gemäß § 55 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 FamFG auf Aussetzung der Vollstreckung und die Einleitung des Hauptsacheverfahrens gemäß § 52 FamFG einschließlich Rechtsmittelverfahren.

II.

34

Soweit die Klage zulässig ist, ist sie auch begründet. Die durch das Jugendamt am 24. April 2012 angeordnete Inobhutnahme war rechtswidrig (§ 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO).

35

Das Jugendamt ist gemäß § 42 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b SGB VIII – der alleine in Betracht kommenden Variante – berechtigt und verpflichtet, ein Kind in seine Obhut zu nehmen, wenn eine dringende Gefahr für das Wohl des Kindes dies erfordert und eine familiengerichtliche Entscheidung nicht rechtzeitig eingeholt werden kann. Beide Voraussetzungen lagen nicht vor.

36

1. Eine familiengerichtliche Entscheidung war nicht uneinholbar. Die Kompetenz des Jugendamtes nach § 42 SGB VIII ist nach der gesetzlichen Konzeption in Abs. 3 der Vorschrift, die entweder unverzügliche familiengerichtliche Entscheidung (Satz 2 bis 4) oder unverzügliches Verfahren zur Gewährung von Hilfen (Satz 5, §§ 36 ff. SGB VIII) verlangt, eine enge „Notkompetenz“ (Trenczeck, in: Münder u. a., Frankf. Komm. SGB VIII, 7. Aufl., § 42 Rn. 35 m. w. Nachw.) bzw. „Befugnis … in Eil- und Notfällen“ (Wiesner, SGB VIII, 4. Aufl., § 42 Rn. 1). Wenn möglich, soll gemäß § 8a Abs. 2 Satz 1 und § 42 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b SGB VIII das in erster Linie zum Eingriff in die elterliche Sorge berufene Familiengericht tätig werden. Nur wenn dies ausgeschlossen ist und seine Entscheidung wegen der Dringlichkeit der Gefahr nicht abgewartet werden kann (§ 8a Abs. 2 Satz 2 SGB VIII), darf das Jugendamt entscheiden und tätig werden. Ein solcher Fall lag hier nicht vor.

37

a) Das Familiengericht war zur Zeit der (endgültigen) Entscheidung des AJS über die Inobhutnahme gerade mit dem Fall befasst und hätte ohne Weiteres die Voraussetzungen für eine Abwendung der durch das AJS angenommenen Gefahr ohne Inobhutnahme schaffen können. Einen entsprechenden Antrag hat das AJS jedoch nicht gestellt. Die Ankündigung, er werde gestellt werden, konnte den Versuch nicht ersetzen, das Familiengericht vor Ausübung der eigenen Kompetenz mit der Frage der Abwendung einer Kindeswohlgefährdung zu befassen.

38

b) Eine Entscheidung ist auch nicht deshalb uneinholbar gewesen, weil das Familiengericht auch von Amts wegen hätte tätig werden können und es dies in der Anhörung vom 24. April 2012 nicht getan hat. Denn dies heißt nicht, dass das Gericht sich auf Antrag oder auch nur auf ausdrückliche Anregung (§ 24 FamFG) nicht dazu hätte verhalten können und müssen, ob und inwiefern es Maßnahmen zur Abwendung einer Kindeswohlgefährdung für geboten erachtet und hierfür die Voraussetzungen schafft.

39

Dies gilt auch vor dem Hintergrund, dass die von dem AJS angenommene Gefahr für das Kindeswohl gerade durch die familiengerichtliche Entscheidung zum Umgangsrecht bedingt war. Auch wenn dieser – offen zu Tage getretene – Umstand eine Entscheidung des Familiengerichts auch im Hinblick auf weitere Maßnahmen zum Wohl des Kindes nahe gelegt hat, heißt dies nicht, dass der Versuch, eine Entscheidung herbeizuführen, entbehrlich war. Denn entweder hätte das Familiengericht seinen Beschluss zur Umgangspflegschaft selbst durch geeignete Sorgerechtseingriffe begleiten oder – unter Zurückweisung der Gefahrenprognose des AJS – davon absehen können. Jedenfalls hätte aber eine gerichtliche Entscheidung eingeholt werden können.

40

c) Auch der Hinweis des Familiengerichts auf die Inobhutnahme in seinem Beschluss vom 25. April 2012 kann diese Entscheidung nicht ersetzen. Denn zum einen ist eine damit wohl verbundene inhaltliche Zustimmung keine „Entscheidung“ und zum anderen kommt es auf eine Zustimmung in der Sache insoweit nicht an, weil es bei der gemäß § 8a Abs. 2 Satz 1, § 42 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b SGB VIII einzuholenden Entscheidung des Familiengerichts ebenso wenig wie bei der gemäß § 42 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 SGB VIII nachträglich einzuholenden Entscheidung um die Kontrolle einer jugendamtlichen Entscheidung oder Maßnahme geht, sondern um die eigenständige Regelung einer Gefahrensituation durch die Schaffung der personensorgerechtlichen Voraussetzungen für die Abwendung der Gefahr.

41

2. Es lag keine dringende Gefahr im Sinne von § 42 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VIII vor.

42

Eine dringende Gefahr im Sinne von § 42 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VIII bedeutet eine Sachlage, die bei ungehindertem Ablauf des Geschehens mit hinreichender Wahrscheinlichkeit das Wohl des Kindes gefährden wird, wobei der Schadenseintritt nicht unmittelbar bevorstehen muss und an die Gefahr des Eintritts umso geringere Anforderungen zu stellen sind, je größer und folgenschwerer der Schaden ist (Trenczeck, a. a. O. Rn. 12 m. w. Nachw.). Dabei kann jedoch ein denkbar großer Schaden wie der hier befürchtete Tod von Mutter und Kind nicht dazu führen, dass die Anforderungen für die Beurteilung der Eintrittsgefahr so abgesenkt werden, dass sie praktisch entfallen. Die Annahme einer Gefährdung des Kindes setzt vielmehr voraus, dass bereits ein Schaden des Kindes eingetreten ist oder sich eine erhebliche Schädigung mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lässt (s. nur BVerfG, Beschl. v. 19. November 2014 – 1 BvR 1178/14 –, Rn. 23 m. vielen w. Nachw. aus der jüngeren Rspr., juris). Jedenfalls müssen danach die Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung konkret und objektiv erkennbar sein. Gemessen daran lag hier eine dringende Gefahr nicht vor.

43

a) Das Leben des Kindes war nicht gefährdet. Eine hinreichende Tatsachengrundlage für die Annahme eines bevorstehenden (erweiterten) Suizids war nicht gegeben. Sie ergab sich insbesondere nicht aus einer psychologischen Begutachtung der Klägerin auf der Grundlage mit ihr geführter, anerkannten Standards entsprechender Gespräche.

44

Die Klägerin hatte im Übrigen Selbstmordabsichten oder gar Tötungsabsichten betreffend ihr Kind im Sinne eines sog. erweiterten Suizids nie auch nur angedeutet. Im Gegenteil weisen alle dokumentieren Verhaltensweisen der Klägerin auf ihr Bedürfnis nach größtmöglichem Schutz ihres Kindes hin. Dies konnte im Hinblick auf das Umgangsrecht des Kindesvaters möglicherweise als übermäßiges Bedürfnis verstanden werden. Hinreichende Anhaltspunkte für eine drohende körperliche Beeinträchtigung des Kindes gab es jedoch nicht.

45

Aus der Aussage der Klägerin, sie werde „alles in ihrer Macht stehende“ unternehmen, damit das Kind nicht zu seinem Vater müsse, konnte nichts anderes gefolgert werden. Denn nachdem sie jahrelang gerichtlich und im Kinder- und Jugendhilfeverfahren gegen das Umgangsrecht des Kindesvaters gearbeitet hatte, wies nichts darauf hin, dass sie nunmehr neben dieser rechtlich-tatsächlichen Verhinderung des Kontakts auch körperlich auf das Kind einwirken wolle und es gar verletzen oder töten könnte. Dies gilt insbesondere auch deshalb, weil die Klägerin den Kontakt zu dem Kindesvater stets wegen dessen angeblicher Gefährlichkeit abgelehnt hat. Für diese Gefährlichkeit hat sie auch konkrete Anhaltspunkte genannt. Dass sie außerdem dem Kindesvater den Kontakt zu dem Kind dermaßen missgönnt hätte, dass sie ihn auch auf Kosten des Lebens des Kindes zu verhindern gesucht hätte, lag eher fern.

46

Nichts anderes gilt vor dem Hintergrund der Annahme eines möglichen „Impulsdurchbruchs“ der Klägerin oder von deren „Affektinstabilität“. Denn auch wenn durch die bevorstehende Umgangspflegschaft eine ganz erhebliche zusätzliche Belastung für die Klägerin zu erwarten war, so sprach nach allem nichts dafür, dass entgegen dem Vorstehenden sich ihre Stellung zu dem Kind grundsätzlich ändern würde. Dass die Realisierung der aufgeworfenen Befürchtung „nicht auszuschließen“ sei, kann demgegenüber nicht genügen.

47

Der hier – seit Längerem – als mögliche Gefahr benannte Suizid konnte zwar nicht völlig ausgeschlossen, aber auch nicht positiv als bevorstehend angenommen werden. Soweit die Vertreterin des AJS in der familiengerichtlichen Anhörung vom 24. April 2012 aus dem Verhalten der Klägerin zu der Einschätzung gelangt sein sollte, dass sich die Befürchtung eines Impulsdurchbruchs nunmehr in dieser Weise realisiere, so beruhte schon die Grundannahme nicht auf einer tragfähigen Grundlage.

48

b) Das Kind war auch nicht im Sinne einer dringenden Gefahr durch eine Zerrissenheit zwischen den Interessen der Klägerin und des Kindesvaters gefährdet. Zwar lagen psychische Beeinträchtigungen auf der Hand. Auch war der Umgang mit dem Kindesvater nachhaltig gehindert, obwohl dieser normativ zum Kindeswohl gehört (§ 1684 Abs. 1 Halbs. 1 BGB). Diese Gefährdungsaspekte lagen jedoch bereits seit Jahren vor. Ihrer Begegnung diente gerade der (im Zeitpunkt der Gefahrenprognose bevorstehende) Beschluss zur Umgangspflegschaft. Selbst bei dessen ausbleibender Umsetzung – was in der Tat möglich erscheinen musste – war eine nach dem eingangs genannten Maßstab erhebliche Schädigung des Kindes nicht mit ziemlicher Sicherheit zu befürchten. Denn gegebenenfalls anzuordnende Ordnungsmittel gemäß § 88 Abs. 1 FamFG hätten das Potenzial gehabt, die Stellung des Kindesvaters zu bessern.

III.

49

Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Danach waren die Kosten hälftig zu teilen, weil dies dem Anteil des Obsiegens der Klägerin entspricht. Auf die Dauer des Zeitraums, auf den das Obsiegen entfällt, kam es dabei weniger an als auf die Unterscheidung der beiden Phasen vor und nach der familiengerichtlichen Entscheidung überhaupt. Hiervon führte die Beurteilung der einen zum Erfolg der Klage, die der anderen nicht. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Abs. 2 VwGO und § 708 Nr. 11 und § 711 der Zivilprozessordnung in Verbindung mit § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

Tenor

1. Die Beschlüsse des Amtsgerichts Stade vom 8. Mai 2008 - 42 F 641/07 SO - und des Oberlandesgerichts Celle vom 19. Dezember 2008 - 18 UF 121/08 - verletzen die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht aus Artikel 6 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes.

Der Beschluss des Oberlandesgerichts Celle wird aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Oberlandesgericht Celle zurückverwiesen.

2. ...

3. Der Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit für die Verfassungsbeschwerde wird auf 14.000 € (in Worten: vierzehntausend Euro) festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Beschwerdeführer wenden sich gegen die teilweise Entziehung des Sorgerechts für ihre Tochter.

2

1. Die seit Oktober 2002 verheirateten Beschwerdeführer sind die Eltern der im Januar 2003 geborenen V. Das Mädchen leidet an einer Sprachentwicklungs- und Sprechstörung.

3

a) Erstmals im Dezember 2006 stritten die Beschwerdeführer über das Aufenthaltsbestimmungsrecht für ihre Tochter. Hintergrund waren nach dem vom Beschwerdeführer zu 1) bestrittenen Vortrag der Beschwerdeführerin zu 2) gewalttätige Auseinandersetzungen in der Familie. Im Anschluss an einen Polizeieinsatz nahm der Beschwerdeführer zu 1) die gemeinsame Tochter mit sich und zog zu seiner Schwester. Die Beschwerdeführerin zu 2) ging ins Frauenhaus. In der Folgezeit versöhnten sich die Beschwerdeführer und lebten wieder zusammen. Dennoch beantragte der Beschwerdeführer zu 1) im Januar 2007 die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf sich.

4

Im Februar 2007 setzte das zuständige Kreisjugendamt zwei Familienhelferinnen ein. Eine Helferin übernahm die Betreuung des Kindes und die Gespräche mit dem Beschwerdeführer zu 1), während sich die andere um die Beschwerdeführerin zu 2) kümmerte und in der Paarbeziehung Hilfestellung geben sollte. Mit Unterstützung der Familienhelferinnen ging die Beschwerdeführerin zu 2) im Juni 2007 erneut ins Frauenhaus. Die Tochter blieb bei dem voll berufstätigen Beschwerdeführer zu 1). Dieser setzte sich dafür ein, dass sie ab August 2007 einen Sprachheilkindergarten besuchen konnte. Er engagierte sich im Kindergarten und wurde zum Elternsprecher gewählt. Zu seiner Unterstützung verblieb es bei der eingesetzten Familienhilfe durch nunmehr eine Helferin. Zusätzlich wurde eine Wochenpflege eingerichtet, damit eine Betreuung des Kindes während der Schichten des Beschwerdeführers zu 1), der als Kurierfahrer tätig ist, sichergestellt war. Darüber hinaus übernachtete das Mädchen während seiner Nachtschichten zweimal wöchentlich in der Pflegefamilie.

5

Im September 2007 beantragte die Beschwerdeführerin zu 2) beim Familiengericht eine Regelung des Umgangs und eine Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf sich. Der Beschwerdeführer zu 1) war durch Streitigkeiten mit Nachbarn und Klienten sowie der Beschwerdeführerin zu 2) in Anspruch genommen. Mehrfach fanden Krisengespräche mit dem Jugendamt statt, um ihn bei der Erziehung seiner Tochter zu unterstützen. Es kam wiederholt zu aggressiven Ausbrüchen, etwa im Anwaltsbüro der damaligen Verfahrensbevollmächtigten der Beschwerdeführerin zu 2) oder bei Stellung seiner Anträge bei Gericht, wobei seine Tochter jeweils anwesend war. Im November 2007 bat der Beschwerdeführer zu 1) mehrfach, teilweise auch zu späten Abendzeiten, um Unterstützung durch die Familienhelferin.

6

b) Am späten Abend des 16. Dezember 2007 rief der Beschwerdeführer zu 1) die Familienhelferin an und bat um Hilfe bei einem Erziehungsproblem. Das nachfolgende Geschehen wird von beiden unterschiedlich geschildert. Nach dem Bericht der Familienhelferin, die auch die Polizei hinzugezogen hatte, habe der Beschwerdeführer zu 1) Suizidabsichten geäußert. Der Beschwerdeführer zu 1) bestreitet das. Die Familienhelferin nahm das Kind über Nacht mit zu sich nach Hause. Am Folgetag wurde das Mädchen durch das Jugendamt in Obhut genommen. Auf dessen Antrag hin entzog das Amtsgericht am 21. Dezember 2007 den Beschwerdeführern im Wege der einstweiligen Anordnung das Aufenthaltsbestimmungsrecht für ihre Tochter und übertrug es auf das Jugendamt als Pfleger. Mit Beschluss vom 25. Januar 2008 hielt das Amtsgericht nach mündlicher Anhörung an seiner einstweiligen Anordnung fest. Die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers zu 1) blieb erfolglos. Das Kind wurde in eine Pflegefamilie gegeben.

7

Anfang April 2008 benachrichtigte das Jugendamt im Zuge einer Meinungsverschiedenheit mit dem Beschwerdeführer zu 1) erneut die Polizei. Nach Auffassung des Jugendamts sollte das Kind wegen eines Schnupfens einen Impftermin, zu dem der Beschwerdeführer zu 1) es bringen wollte, nicht wahrnehmen. Nachdem der vom Beschwerdeführer zu 1) angerufene Kinderarzt der Pflegemutter telefonisch erklärt hatte, dass ein Schnupfen einer Impfung nicht im Wege stehe, ließ sie das Kind doch mit ihm zum Arzt gehen. Nach dem Termin brachte der Beschwerdeführer zu 1) seine Tochter zurück in die Pflegefamilie.

8

In der Hauptsacheverhandlung vor dem Amtsgericht am 29. April 2008 erläuterte der Sachverständige mündlich sein Gutachten, in dem er eine Unterbringung des Mädchens in einer Jugendhilfeeinrichtung empfahl. Die Entscheidung der Sorgerechtsfrage wurde vom Gericht zunächst zurückgestellt, um den Beschwerdeführern Gelegenheit zu geben, darüber nachzudenken, ob sie dieser Empfehlung grundsätzlich folgen wollen.

9

Am Tag nach der Verhandlung brachte der Beschwerdeführer zu 1) seine Tochter nach einem Umgang nicht zurück. Das Jugendamt hatte zuvor einem weiteren Umgang am 1. Mai 2008 nicht zugestimmt. Der Beschwerdeführer zu 1) telefonierte mit der Familienrichterin und dem Gutachter und erklärte, er habe seiner Tochter ein Bett in seinem Lkw gemacht und wolle mit ihr ins Ausland flüchten. Auf die Intervention des Sachverständigen brachte er sie zurück zur Pflegefamilie.

10

Am 1. Mai 2008 verriegelte der Beschwerdeführer zu 1) die Türen seines Lkw, in dem sich auch die Beschwerdeführerin zu 2) befand und drohte, gegen einen Brückenpfeiler zu fahren. Die Beschwerdeführerin zu 2) konnte erst nach längerer Zeit in der Nähe der Wohnung der Pflegeeltern aus dem Wagen flüchten. Es kam zu einem Polizeieinsatz. Das Kind wurde vom Jugendamt aus der Pflegefamilie herausgenommen und anonym untergebracht. Es besucht nunmehr einen den Beschwerdeführern unbekannten integrierten Kindergarten.

11

c) Mit - angegriffenem - Beschluss vom 8. Mai 2008 entzog das Amtsgericht auf Antrag des Jugendamts den Beschwerdeführern das Aufenthaltsbestimmungsrecht, das Recht zur Regelung der Gesundheitsfürsorge und schulischer Angelegenheiten sowie das Recht, Sozialleistungen zu beantragen.

12

aa) Das Gericht schließe sich den Feststellungen des Sachverständigen an, wonach es dem Kindeswohl am ehesten entspreche, wenn V. nicht bei ihren Eltern, sondern in einer Jugendhilfeeinrichtung lebe. Die Beschwerdeführerin zu 2) sei erkennbar derzeit nicht in der Lage, eigenverantwortlich und in Abgrenzung zum Kindesvater für die Tochter zu sorgen. Sie sei selber umfassend auf Hilfe angewiesen. Ihre Beziehungsprobleme mit dem Beschwerdeführer zu 1) seien gänzlich unaufgearbeitet. Sie bedürfe dringend der Unterstützung vom Beschwerdeführer zu 1) unabhängiger Personen. Da sie allein nicht für sich sorgen könne, habe sie nach der Entlassung aus dem Frauenhaus wieder dessen Hilfe in Anspruch genommen, was zu einer erneuten Abhängigkeit führe und überdies auch den Beschwerdeführer zu 1) emotional überlaste, da er neben den eigenen Problemen auch seine Frau unterstützen müsse. Weitere Eskalationen aufgrund dieser wechselseitigen Abhängigkeiten bei gleichzeitig erheblichem Konfliktpotential seien zu befürchten.

13

Auch der Beschwerdeführer zu 1) sei vor dem Hintergrund seiner unbehandelten psychischen Probleme nicht in der Lage, die Tochter in seinem Haushalt zu versorgen. Er habe selber in seiner Kindheit traumatisierende Erfahrungen durch Fremdunterbringung gemacht, die für seine Persönlichkeitsstörung mitverantwortlich zeichnen dürften. Sie stünden seiner Bereitschaft, Verantwortung für sein Kind auf Dritte zu übertragen, im Wege. Er misstraue jedem, verkenne dabei aber die eigenen Defizite.

14

Maßnahmen der Familienhilfe seien gescheitert und offensichtlich nicht ausreichend. Die Ansicht der Beschwerdeführer, sie hätten für ihr Kind eigenverantwortlich sorgen können, wenn sie nur richtig betreut worden wären, teile das Gericht nicht. Zwar werde nicht verkannt, dass aufgrund von Krankheitsfällen und dadurch bedingten Sachbearbeiterwechseln und Vertretungslagen im Jugendamt Krisengespräche nicht immer zeitnah durchgeführt worden seien. Dessen ungeachtet seien die Kindeseltern durchgehend seit Februar 2007 zeitintensiv betreut worden. Die Berichte der Familienhelferin belegten den erheblichen zeitlichen Aufwand, den hohen Redebedarf des Beschwerdeführers zu 1), der umfassender Unterstützung bei der Regelung seiner privaten und beruflichen Probleme bedurft habe. Der Beschwerdeführer zu 1) sei trotz dieser umfangreichen Unterstützung aufgrund einer Vielzahl von persönlichen und beruflichen Problemen immer wieder und mit zunehmender Tendenz überfordert. Die Angebote der Familienhelferin, Erziehungshilfegespräche mit ihr oder der Erziehungsberatungsstelle zu führen, habe er nicht mehr angenommen. Ebenso wenig sei er bereit gewesen, sich therapeutisch behandeln zu lassen. Anders als vom Beschwerdeführer zu 1) vorgetragen, sei es schon zu der Zeit, als sich seine Tochter noch in seiner Obhut befunden habe, immer wieder zu erheblichen Kontrollverlusten seinerseits gekommen, die für sie sehr schädlich gewesen seien. Exemplarisch sei auf die Vorfälle in der Anwaltskanzlei der ehemaligen Verfahrensbevollmächtigten der Beschwerdeführerin zu 2) verwiesen. Hinzu gekommen seien die teilweise auch gerichtlichen, Auseinandersetzungen mit Nachbarn.

15

Der hohe Hilfebedarf der Beschwerdeführer sei im Rahmen ambulanter Maßnahmen nicht so zu leisten, dass es verantwortbar wäre, ihre Tochter in den elterlichen Haushalt zurückkehren zu lassen. Hierbei sei insbesondere der erhebliche Förderbedarf des Kindes, das mit jetzt fünf Jahren erhebliche sprachliche Defizite aufzuholen habe und aufgrund seiner Bindungsstörung dringend ein verlässliches Umfeld mit klaren Strukturen brauche, zu bedenken. Ein solches verlässliches Umfeld mit klaren Erziehungsstrukturen und einem geregelten ruhigen Alltag könnten ihm die Beschwerdeführer nicht bieten. Seit der Inobhutnahme hätten sie trotz dringenden gerichtlichen und gutachterlichen Rats eine psychologische Behandlung nicht aufgenommen. Die Beschwerdeführer seien - nach mehrfachen Trennungen, die teilweise durch Polizeieinsätze oder Familienhelfer und das Frauenhaus begleitet worden seien - nunmehr sogar erneut zusammengezogen. Sie würden daher erheblichen persönlichen Hilfebedarf haben. Neuerliche Konflikte seien wahrscheinlich. Ihre Tochter habe bereits zwei Trennungen der Eltern, denen heftigste Auseinandersetzungen mit Gewaltvorwürfen der Beschwerdeführerin zu 2) vorausgegangen seien, durchgemacht. Verbunden seien diese Trennungen immer wieder mit Umzügen und einseitigen Kontaktabbrüchen sowie einer hohen emotionalen Belastung der Beschwerdeführer. Unter Berücksichtigung ihres schon erheblichen Aufholbedarfs könne es nicht verantwortet werden, sie diesen instabilen Verhältnissen erneut auszusetzen.

16

bb) Die Kindeseltern seien derzeit nicht in der Lage, ihr Sorgerecht zum Wohle der Tochter unter Berücksichtigung ihrer eigenen Defizite einzusetzen und sich auf eine Fremdunterbringung wirklich einzulassen. Das Verhalten des Beschwerdeführers zu 1) belege, dass er nicht in der Lage sei, seine Emotionen zu steuern, sobald eine für ihn unverständliche Entscheidung getroffen werde. Er sei dann bereit, zu Mitteln zu greifen, die nicht nur von strafrechtlicher Konsequenz, sondern in hohem Maße kindeswohlgefährdend seien. Dies zeigten die Vorfälle vom 30. April und 1. Mai 2008. Da der Beschwerdeführer zu 1) grundsätzlich erkennbar um das Wohl seiner Tochter bemüht und für jeden Beteiligten ersichtlich gewesen sei, dass dieses völlig inakzeptable Vorgehen zu einer Herausnahme des Kindes führen müsse, könne nur geschlussfolgert werden, dass er in Stresssituationen überhaupt nicht in der Lage sei, sein Verhalten zu steuern. Er verliere in seiner großen Sehnsucht nach Nähe zu seinem Kind dessen Wohl aus den Augen.

17

Sofern der Beschwerdeführer zu 1) sich darauf zurückziehe, sein Verhalten sei allein durch das Jugendamt provoziert worden, sei dies vor dem Hintergrund der vorstehenden Ausführungen nicht richtig. Zwar habe der Sachverständige das Verhalten des Jugendamts bei der Absprache zweier Arzttermine und bei dem Umgang mit den Beschwerdeführern kritisch gewürdigt. Dies ändere aber nichts an den Erziehungsdefiziten der Beschwerdeführer. Zudem schilderten fast alle Verfahrensbeteiligten übereinstimmend, dass der Beschwerdeführer zu 1) in seinem Gebaren zeitweilig als bedrohend empfunden werde und seinem sehr großen Rede- und Hilfebedarf zeitweilig nicht entsprochen werden könne. Der Beschwerdeführer zu 1) habe die Kontakte zu seiner Tochter als unzureichend empfunden und sich daran so aufgerieben, dass es immer wieder zu Streitigkeiten in ihrem Beisein und lautstarken telefonischen Auseinandersetzungen mit den Pflegeeltern gekommen sei. Im Rahmen einer Fremdunterbringung müsse er jedoch akzeptieren, dass Umgangskontakte nur nach Absprache und unter Berücksichtigung der Belange des Kindes und des Tagesablaufs in der Pflegefamilie oder Einrichtung möglich seien.

18

Der Entscheidung stehe auch nicht der Kindeswille entgegen. V. habe eine sehr enge Bindung an ihren Vater. Sie habe in der richterlichen Anhörung und auch der Pflegemutter gegenüber immer wieder nach ihrem Vater gefragt. Aufgrund der schweren Auffälligkeiten des Beschwerdeführers zu 1) sei jedoch derzeit ein unkontrollierter Umgang kindeswohlgefährdend. Es müsse eine Stabilisierung des Beschwerdeführers zu 1) durch eine therapeutische Behandlung eintreten, wobei von ihm erwartet werde, dass er aus eigener Anstrengung beginne, von Schuldzuweisungen gegen Dritte abzusehen und an sich zu arbeiten.

19

d) Die hiergegen eingelegte Beschwerde der Beschwerdeführer wies das Oberlandesgericht Celle mit - angegriffenem - Beschluss vom 19. Dezember 2008 mit der Maßgabe zurück, dass eine Einzelpflegschaft für V. angeordnet wird.

20

Die Entscheidung des Amtsgerichts sei zu Recht ergangen. Der teilweise Entzug des Sorgerechts sei gemäß § 1666 BGB erforderlich, weil ohne ihn das Wohl des Kindes gefährdet sei und mildere Maßnahmen nicht in Betracht kämen. Die Beschwerdeführer seien aufgrund ihrer Persönlichkeitsstruktur derzeit nicht in der Lage, die Tochter kindgerecht zu betreuen, zu versorgen und in einer Weise zu fördern, die ihr eine kindgerechte und chancenreiche Entwicklung ermögliche.

21

Dabei sei zu unterstellen, dass sich beide Beschwerdeführer um die Tochter nach Kräften bemühen. Ihr Defizit liege jedoch darin, dass sie nicht erkennen würden, dass sie ihr durch ihr Verhalten Schaden zufügten. Dies gelte in besonderem Maße für den Beschwerdeführer zu 1). Dieser sei aufgrund seiner Persönlichkeitsstörung zeitweise nicht in der Lage, sich zu steuern. Das führe zu massiven Schreiattacken und unüberlegten, panischen, fast amokartig anmutenden Verhaltensweisen, in deren Verlauf selbst erwachsenen Personen die Beruhigung des Beschwerdeführers zu 1) nicht gelinge. Ein durchsetzungsstarker Erwachsener könne sich der Situation bewusst entziehen, ein Kind sei dem Verhalten des Beschwerdeführers zu 1) hingegen hilflos ausgeliefert. Dabei realisiere der Beschwerdeführer zu 1) nicht einmal, dass er dem Kind in dieser für es fatalen Weise entgegen trete. Denn das Motiv seines Handelns scheine stets das Wohl des Kindes zu sein. Eskaliere eine Situation, so tue sie dies nach dem Empfinden des Beschwerdeführers zu 1), weil er um das Wohl des Kindes kämpfe. Dass die Eskalation der Situation das Kind schädige, reflektiere er nicht. Dass er auch im Beisein des Kindes nicht zu beruhigen sei und die Kämpfe um das Kind auch in dessen Beisein führe, sei vielfach belegt. Auch wenn das Kind anwesend sei, neige er zu völlig unkontrolliertem Verhalten. Sein Verhalten verhindere letztlich auch die konsequente Annahme erforderlicher Hilfen.

22

Das Verhalten der Beschwerdeführerin zu 2) stehe dem diametral entgegen. Sie ziehe sich bei den Ausbrüchen des Beschwerdeführers zu 1) vollständig zurück und sei nicht in der Lage, diesen standzuhalten. Sie sei auch nicht in der Lage, das Kind vor den Ausbrüchen des Vaters zu schützen.

23

Zwischenzeitlich habe sich die Situation derart zugespitzt, dass das Kind habe anonym untergebracht werden müssen. Angesichts der Umstände, die zur anonymen Unterbringung geführt hätten, sei ein unbegleiteter Kontakt derzeit ausgeschlossen. Entsprechend den Ausführungen des Sachverständigen sei die Aufnahme und der Nachweis einer Therapie beider Beschwerdeführer - insbesondere aber für den Beschwerdeführer zu 1) - dringend erforderlich.

24

Die Situation sei derzeit ohne die getroffenen Maßnahmen nicht auflösbar. Die Zurückführung des Mädchens in den elterlichen Haushalt komme nicht in Betracht, weil sein Wohl gefährdet und der Einsatz von Hilfen zur Lösung der Probleme nicht ausreichend sei. Dabei sehe der Senat, dass sich die Beschwerdeführer in der Vergangenheit derartigen Hilfen nicht verschlossen hätten. Letztlich hätten diese die schwierige Situation aber nicht auffangen können. Der Senat unterstelle, dass sich beide Beschwerdeführer intensiv um das Wohl ihrer Tochter gekümmert hätten, die Eskalationen aber nicht hätten verhindern können. Insoweit bedürfe es keiner weiteren Vernehmung von Zeugen. Der Beschwerdeführer zu 1) sei auf eine gute Außenwirkung bedacht. Dies zeige sich insbesondere in der Situation, die zu der Inobhutnahme geführt habe. Nach den glaubhaften Schilderungen der Familienhelferin habe die Hauptsorge des Beschwerdeführers zu 1) dem Umstand gegolten, dass fremde Personen den chaotischen Zustand seiner Wohnung sehen könnten. Dem Beschwerdeführer zu 1) gelinge es, Personen für sich zu instrumentalisieren, worauf insbesondere der Gutachter in dem Termin vor der Berichterstatterin des Senats hingewiesen habe. Die Personen, die der Beschwerdeführer zu 1) für sich einnehme, hätten dabei keinen Eindruck von den tatsächlichen Schwierigkeiten der Situation. Eine Aussagekraft für die Belange des Kindes komme den Darstellungen außenstehender Personen deshalb nicht zu.

25

Auf eine persönliche Anhörung der Familienhelferin habe verzichtet werden können. Es lägen schriftliche und nachvollziehbare detaillierte Berichte der Familienhelferin vor, die als Entscheidungshilfe ausreichen würden. Dabei komme es nicht entscheidungserheblich darauf an, wie sich die Situation vor der Inobhutnahme tatsächlich abgespielt habe. Entscheidungserheblich sei vielmehr die Situation in ihrer Gesamtheit. Angesichts der Gesamtschwierigkeiten sei die Entziehung von Teilbereichen des Sorgerechts die einzige Möglichkeit, einer Kindeswohlgefährdung zu begegnen.

26

Der Senat halte es für angezeigt, eine Einzelpflegschaft anzuordnen. Die Situation zwischen dem Jugendamt, das derzeit den Pfleger stelle und den Beschwerdeführern habe sich so zugespitzt, dass bereits ein Hausverbot ausgesprochen worden sei. Ein Einzelpfleger habe mehr Zeit und damit mehr Möglichkeiten, sich auf die Bedürfnisse der Beteiligten einzustellen, wobei angesichts der Schwierigkeiten auf Seiten des Beschwerdeführers zu 1) ein männlicher Pfleger wünschenswert sei. Ein Umgangsrecht habe der Senat nicht geregelt, da im Hinblick auf die derzeitigen Schwierigkeiten des Beschwerdeführers zu 1) eine konkrete Regelung nicht möglich sei.

27

2. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügen die Beschwerdeführer eine Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG durch die angegriffenen Entscheidungen.

28

3. Die Akten des Ausgangsverfahrens lagen der Kammer vor.

29

4. Die Verfassungsbeschwerde wurde der Regierung des Landes Niedersachsen und dem Jugendamt der Stadt B. als Pfleger des Kindes zugestellt. Das Niedersächsische Justizministerium verteidigt die Entscheidungen.

II.

30

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt.

31

1. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist zur Durchsetzung des Eltern-rechts der Beschwerdeführer geboten (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Zu dieser Entscheidung ist die Kammer berufen, weil die maßgeblichen verfassungs-rechtlichen Fragen durch das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden sind und die Verfassungsbeschwerde offensichtlich begründet ist (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).

32

a) Die Beschwerdeführer werden durch die angegriffenen Entscheidungen in ihrem Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG verletzt.

33

aa) Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG garantiert den Eltern das Recht auf Pflege und Erziehung ihrer Kinder. Die Erziehung des Kindes ist damit primär in die Verantwortung der Eltern gelegt, wobei dieses "natürliche Recht" den Eltern nicht vom Staate verliehen worden ist, sondern von diesem als vorgegebenes Recht anerkannt wird. Die Eltern können grundsätzlich frei von staatlichen Eingriffen nach eigenen Vorstellungen darüber entscheiden, wie sie die Pflege und Erziehung ihrer Kinder gestalten und damit ihrer Elternverantwortung gerecht werden wollen (BVerfGE 60, 79 <88>). Diese primäre Entscheidungszuständigkeit der Eltern beruht auf der Erwägung, dass die Interessen des Kindes am besten von den Eltern wahrgenommen werden. Dabei wird sogar die Möglichkeit in Kauf genommen, dass das Kind durch einen Entschluss der Eltern Nachteile erleidet, die im Rahmen einer nach objektiven Maßstäben getroffenen Erziehungsentscheidung vielleicht vermieden werden könnten (BVerfGE 34, 165 <184>). In der Beziehung zum Kind muss aber das Kindeswohl die oberste Richtschnur der elterlichen Pflege und Erziehung sein (BVerfGE 60, 79 <88> m.w.N.). Der Schutz des Elternrechts, das Vater und Mutter gleichermaßen zukommt, erstreckt sich auf die wesentlichen Elemente des Sorgerechts (vgl. BVerfGE 84, 168 <180>; 107, 150 <173>).

34

Soweit es um die Trennung des Kindes von seinen Eltern als dem stärksten Eingriff in das Elternrecht geht, ist diese allein unter den Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 3 GG zulässig. Danach dürfen Kinder gegen den Willen des Sorgeberechtigten nur aufgrund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen (vgl. BVerfGE 72, 122 <137 f.>). Nicht jedes Versagen oder jede Nachlässigkeit der Eltern berechtigt den Staat auf der Grundlage seines ihm nach Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG zukommenden Wächteramtes, die Eltern von der Pflege und Erziehung ihres Kindes auszuschalten oder gar selbst diese Aufgabe zu übernehmen (vgl. BVerfGE 24, 119 <144 f.>; 60, 79 <91>). Das elterliche Fehlverhalten muss vielmehr ein solches Ausmaß erreichen, dass das Kind bei einem Verbleiben in der Familie in seinem körperlichen, geistigen oder seelischen Wohl nachhaltig gefährdet ist (BVerfGE 60, 79 <91>).

35

Wenn Eltern das Sorgerecht für ihre Kinder entzogen und damit zugleich die Aufrechterhaltung der Trennung der Kinder von ihnen gesichert wird, darf dies zudem nur unter strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erfolgen (vgl. BVerfGE 60, 79 <89>). Dieser gebietet es, dass Art und Ausmaß des staatlichen Eingriffs sich nach dem Grund des Versagens der Eltern und danach bestimmen müssen, was im Interesse des Kindes geboten ist. Der Staat muss daher nach Möglichkeit versuchen, durch helfende, unterstützende, auf Herstellung oder Wiederherstellung eines verantwortungsgerechten Verhaltens der leiblichen Eltern gerichtete Maßnahmen sein Ziel zu erreichen (vgl. BVerfGE 24, 119 <145>; 60, 79 <93>). In diesem Zusammenhang hat das Bundesverfassungsgericht befunden, dass der Gesetzgeber mit § 1666 Abs. 1 in Verbindung mit § 1666a BGB eine Regelung geschaffen hat, die es dem Familiengericht ermöglicht, bei Maßnahmen zum Schutze des Kindes auch dem grundgesetzlich verbürgten Elternrecht hinreichend Rechnung zu tragen (vgl. BVerfGE 60, 79 <88 f.>; 72, 122 <138>).

36

Grundsätzlich ist die Gestaltung des Verfahrens, die Feststellung und die Würdigung des Tatbestandes sowie die Auslegung und Anwendung verfassungsrechtlich unbedenklicher Regelungen im einzelnen Fall Angelegenheit der zuständigen Fachgerichte und der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht entzogen. Ihm obliegt lediglich die Kontrolle, ob die angegriffene Entscheidung Auslegungsfehler erkennen lässt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Auffassung von der Bedeutung eines Grundrechts oder vom Umfang seines Schutzbereiches beruhen. Bei der Wahrnehmung dieser Aufgaben lassen sich die Grenzen der Eingriffsmöglichkeiten des Bundesverfassungsgerichts aber nicht starr und gleichbleibend ziehen. Sie hängen namentlich von der Intensität der Grundrechtsbeeinträchtigung ab (BVerfGE 72, 122 <138>; stRspr). Bei gerichtlichen Entscheidungen, die Eltern oder Elternteilen das Sorgerecht für ihr Kind entziehen, besteht wegen des sachlichen Gewichts der Beeinträchtigung der Eltern in ihren Grundrechten aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 und Art. 2 Abs. 1 GG Anlass, über den grundsätzlichen Prüfungsumfang hinauszugehen (BVerfGE 55, 171<181>; 72, 122 <138>). Daher können neben der Frage, ob die angefochtene Entscheidung Fehler erkennen lässt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung des Grundrechts, insbesondere vom Umfang seines Schutzbereichs beruhen, auch einzelne Auslegungsfehler nicht außer Betracht bleiben (vgl. BVerfGE 60, 79 <91>; 75, 201 <222>).

37

bb) Diesen Maßstäben sind die Fachgerichte mit den angegriffenen Entscheidungen nicht gerecht geworden. Sie haben vielmehr das Elternrecht der Beschwerdeführer in Umfang und Tragweite verkannt.

38

(1) Der amtsgerichtliche Beschluss lässt nicht erkennen, dass sich das Gericht der hohen verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für die Trennung eines Kindes von seinen Eltern gegen deren Willen bewusst war, die in § 1666 Abs. 1, § 1666a BGB einfachrechtlich zum Ausdruck kommen. Die vom Gericht getroffenen Feststellungen reichen nicht aus, eine Gefährdung des körperlichen, geistigen oder seelischen Wohls des betroffenen Kindes mit der erforderlichen Sicherheit zu belegen und sind daher nicht geeignet, die Entscheidung zu tragen.

39

(a) Die Begründung des amtsgerichtlichen Beschlusses (und zuvor auch bereits die Fragestellung an den Sachverständigen) deuten darauf hin, dass das Gericht nicht von dem für die Teilentziehung der elterlichen Sorge einschlägigen Prüfungsmaßstab der §§ 1666, 1666a BGB ausgegangen ist. Das Amtsgericht nennt keine Norm, auf deren Grundlage es die teilweise Entziehung der elterlichen Sorge für gerechtfertigt erachtet. Es prüft auch in der Sache nicht, ob eine nachhaltige und schwerwiegende Kindeswohlgefährdung vorliegt, sondern stellt nur fest, dass "es dem Kindeswohl am ehesten entspricht", wenn das Kind nicht bei seinen Eltern, sondern in einer Jugendhilfeeinrichtung lebt. Dies weckt erhebliche Zweifel daran, dass das Amtsgericht die verfassungsrechtliche Bedeutung des Elternrechts der Beschwerdeführer erkannt und berücksichtigt hat.

40

(b) Ungeachtet des angewandten Prüfungsmaßstabs vermögen die vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen auch inhaltlich die teilweise Sorgerechtsentziehung nicht zu rechtfertigen.

41

(aa) Voraussetzung der Entziehung der elterlichen Sorge ist gemäß § 1666 BGB eine Gefährdung des Kindeswohls, also ein bereits eingetretener Schaden des Kindes oder eine gegenwärtige, in einem solchen Maße vorhandene Gefahr, dass sich bei seiner weiteren Entwicklung eine erhebliche Schädigung mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lässt (vgl. Diederichsen, in: Palandt, BGB, 69. Aufl. 2010, § 1666 Rn. 10). Nähere Ausführungen hierzu finden sich in dem angegriffenen Beschluss des Amtsgerichts nicht.

42

Die Entscheidungsgründe enthalten weder Aussagen dazu, welche konkreten Schäden aufgrund des elterlichen Verhaltens bei dem Kind gegeben oder zu befürchten sind, noch ob diese ein Ausmaß erreichen, das eine teilweise Entziehung der elterlichen Sorge rechtfertigen würde. Einführend erwähnt wird lediglich, dass V. nach den Feststellungen des Gutachters an einer Bindungsstörung mit ängstlichen und distanzlosen Anteilen sowie einer Entwicklungsstörung des Sprechens und der Sprache leide, die unter anderem auf erzieherische Schwächen aufgrund behandlungsbedürftiger Beeinträchtigungen der Eltern zurückzuführen sei. Hier stellt sich die vom Amtsgericht nicht erörterte Frage, inwieweit die Bindungsstörung des Kindes tatsächlich durch das Verhalten der Eltern verursacht oder auch durch den vom Jugendamt veranlassten häufigen Betreuerwechsel mitausgelöst worden ist. Vor allem aber wird in den Gründen des Beschlusses nicht im Ansatz darauf eingegangen, ob die Bindungsstörung des Kindes derart schwerwiegend war, dass sie seine Herausnahme aus dem mittlerweile wieder gemeinsamen Haushalt der Eltern erforderte. Auch das Sachverständigengutachten enthält hierzu keine näheren Feststellungen. Aus ihm geht insoweit nur hervor, dass sich laut Aussage der Kindergartenleiterin im März 2008 die frühere Distanzlosigkeit der Tochter der Beschwerdeführer zwischenzeitlich gebessert habe.

43

Hinsichtlich der Sprach- und Sprechentwicklungsverzögerung des Kindes ist unbestritten, dass der Beschwerdeführer zu 1) sich engagiert um Abhilfe bemüht hat. Er hat dafür Sorge getragen, dass seine Tochter in den Sprachheilkindergarten aufgenommen wurde, wo sie nach Angaben der Kindergartenleiterin und der Wochenpflegefamilie gegenüber dem Sachverständigen gute Fortschritte gemacht habe. Eine Gefährdung durch die Beschwerdeführer ist in diesem Zusammenhang nicht erkennbar.

44

(bb) Soweit das Amtsgericht im Ergebnis von einem Erziehungsversagen der Kindeseltern ausgeht, tragen die hierzu getroffenen Feststellungen jedenfalls in Bezug auf den Beschwerdeführer zu 1) diese Schlussfolgerung nicht.

45

Dass der Beschwerdeführer zu 1) zu einer Versorgung des Kindes in seinem Haushalt auch mit Unterstützung durch die Familienhilfe nicht in der Lage sei, begründet das Amtsgericht vor allem mit seinen unbehandelten psychischen Problemen, die der - als Kinder- und Jugendpsychiater tätige - Sachverständige als Bindungsstörung mit hoher Streitbarkeit und wiederkehrendem Kontrollverlust angesehen hat. Insoweit hat der Beschwerdeführer zu 1) allerdings - soweit nach Aktenlage ersichtlich - jedenfalls bis zur Herausnahme des Kindes aus seinem Haushalt die Schwelle verbaler Attacken gegenüber Dritten nicht überschritten. Für Gewalttätigkeiten liegen, von den widersprüchlichen früheren Angaben der Beschwerdeführerin zu 2) abgesehen, keine Anhaltspunkte vor. Allein der Umstand, dass der Beschwerdeführer zu 1) in Stresssituationen verbal die Kontrolle verliert, rechtfertigt es aber noch nicht, ihm das Kind wegzunehmen, zumal sich die Aggressionen des Beschwerdeführers zu 1) nicht gegen seine Tochter richten. Dies gilt auch in Anbetracht des Umstands, dass der Beschwerdeführer zu 1) sich selbst in Anwesenheit seiner Tochter nicht zu zügeln vermag. Zwar ist dieses Verhalten nicht förderlich für die Erziehung des Kindes. Eine hierdurch bedingte nachhaltige Gefährdung ihres geistigen oder seelischen Wohls ist jedoch nicht festgestellt und auch nicht aus den Umständen zu erkennen. Vielmehr hat etwa die Leiterin des von dem Kind besuchten Sprachheilkindergartens gegenüber dem Gutachter erklärt, dass V. recht robust sei, sich geliebt fühle und für die ihr widerfahrenen Entwicklungsrisiken "überraschend störungsfrei" sei. Laut dem Vater, in dessen Familie V. zur Wochenpflege war, habe das Kind die "Polterigkeit" des Beschwerdeführers zu 1) nicht beeindruckt. Der Gutachter selbst hat zu den Auswirkungen der Schreiattacken des Kindesvaters auf die Psyche des Mädchens keine konkreten Aussagen getroffen. Soweit das Amtsgericht daher am Rande ausführt, die starke Erregung des Beschwerdeführers zu 1) sei für seine Tochter traumatisierend, ist nicht erkennbar, worauf es diese Feststellung stützt. Im Übrigen bleiben auch ihr Ausmaß und Umfang unklar.

46

Auch die Beziehungsprobleme der Beschwerdeführer in Verbindung mit dem erheblichen sprachlichen Förderbedarf des Kindes sind kein hinreichender Grund für seine Trennung von den Eltern. Zum einen lässt das Amtsgericht in diesem Zusammenhang gänzlich außer Betracht, dass sich der Beschwerdeführer zu 1) durchaus erfolgreich um eine angemessene Sprachförderung seiner Tochter gekümmert hat. Zum anderen verkennt es, dass die Eltern und deren sozio-ökonomische Verhältnisse grundsätzlich zum Schicksal und Lebensrisiko eines Kindes gehören (vgl. Coester, in: Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2004, § 1666 Rn. 81). Der Umstand, dass das Mädchen an anderer Stelle möglicherweise ein strukturierteres und verlässlicheres Umfeld mit besseren Förderungsmöglichkeiten geboten werden kann, vermag eine (teilweise) Sorgerechtsentziehung nicht zu begründen. Denn zum Wächteramt des Staates zählt nicht die Aufgabe, für eine den Fähigkeiten des Kindes bestmögliche Förderung zu sorgen (vgl. BVerfGE 34, 165 <184>; 60, 79 <94>). Dass die Beziehungsprobleme der Kindeseltern derart massiv gewesen wären, dass die Gefahr einer schwerwiegenden Schädigung ihrer Tochter bestanden hat, ist wiederum nicht festgestellt. Zudem ist die Gegenwärtigkeit der vom Amtsgericht insoweit angenommenen Kindeswohlgefährdung fraglich, da die elterlichen Auseinandersetzungen im Entscheidungszeitpunkt bereits mehrere Monate zurücklagen. Auch die Gefahr einer erneuten Trennung der Kindeseltern vermag nur schwerlich einen Entzug des Sorgerechts zu begründen.

47

(cc) Soweit das Amtsgericht weiter ausführt, dass Maßnahmen der Familienhilfe gescheitert und offensichtlich nicht ausreichend seien, ist ebenfalls keine hinreichende Tatsachengrundlage ersichtlich. Dem Beschluss ist nicht zu entnehmen, auf welche konkreten Umstände oder Vorkommnisse es diese Annahme stützt. Eine körperliche, seelische oder geistige Vernachlässigung des Kindes ist in den circa sechs Monaten, in denen der Beschwerdeführer zu 1) mit ihr allein gelebt hat, nicht eingetreten. Weder die Berichte des Jugendamts noch die der Familienhelferin enthalten hierfür Anhaltspunkte.

48

Zwar ist es zutreffend, dass der Betreuungsaufwand durch Familienhilfe, Tagespflege und zwei Übernachtungsbetreuungen pro Woche hoch gewesen ist. Dass der Beschwerdeführer zu 1) aber trotz dieser Unterstützung "immer wieder und mit zunehmender Tendenz überfordert" gewesen sei, wie das Amtsgericht annimmt, ist nicht nachvollziehbar belegt. Der - in den Einzelheiten umstrittene - Vorfall vom 16. Dezember 2007 rechtfertigt diese Schlussfolgerung allein jedenfalls nicht und wird auch von dem Amtsgericht selbst nicht als Grundlage seiner Schlussfolgerung herangezogen.

49

Nicht verständlich ist zudem, woraus das Amtsgericht seine Überzeugung ableitet, dass der Beschwerdeführer zu 1) zu Erziehungsgesprächen nicht mehr bereit gewesen sei. Möglicherweise stützt es sich insoweit auf einen Bericht der Familienhelferin vom 21. Januar 2008, wonach der Beschwerdeführer zu 1) es am 29. November und 11. Dezember 2007 abgelehnt habe, weitere Termine für Erziehungsgespräche zu vereinbaren, weil er sich dringend um Aufträge für den Kurierdienst kümmern müsse. Hieraus kann aber nicht geschlossen werden, dass der Beschwerdeführer zu 1) generell nicht mehr bereit gewesen sei, Hilfe anzunehmen, wie es der amtsgerichtliche Beschluss nahelegt. Dies wird auch seinem sonst gezeigten Verhalten nicht gerecht. So führt das Amtsgericht an anderer Stelle selbst aus, dass der Beschwerdeführer zu 1) einen hohen Redebedarf hinsichtlich der Lösung seiner Probleme gehabt habe. Unberücksichtigt bleibt zudem, dass der Beschwerdeführer zu 1) gerade am 16. Dezember 2007 von sich aus die Unterstützung und den Rat der Familienhelferin gesucht hatte.

50

(2) Das Oberlandesgericht stellt seinen Entscheidungsgründen zwar im Unterschied zum Amtsgericht die Norm des § 1666 BGB voran. Aus den nachfolgenden Ausführungen ergibt sich aber, dass die Umstände des Einzelfalls nicht hinreichend berücksichtigt und unzutreffend gewürdigt worden sind.

51

(a) Auch das Oberlandesgericht befasst sich nicht mit der maßgeblichen Frage, welche Schäden dem Kind durch das Verhalten seiner Eltern drohen und ob diese von solchem Gewicht sind, dass es einer Trennung von den Beschwerdeführern bedarf.

52

(b) Soweit das Oberlandesgericht auf das Verhalten des Beschwerdeführer zu 1) eingeht und ihm "unüberlegte, fast amokartig anmutende Verhaltensweisen" zuschreibt, setzt es sich nicht damit auseinander, dass der Vorfall vom 1. Mai 2008, auf den es sich hier offenbar vor allem bezieht, wie auch die Drohung vom Vortag, sich mit seiner Tochter ins Ausland abzusetzen, eine Reaktion auf die Anhörung vor dem Amtsgericht am 29. April 2008 darstellen, in der dem Beschwerdeführer zu 1) klar geworden sein muss, dass er nicht mit einer Rückkehr seiner Tochter rechnen kann. In diesem Licht betrachtet, handelt es sich zwar um völlig unangemessene, aber aus der nachvollziehbaren Verzweiflung des Beschwerdeführers zu 1) heraus dennoch erklärliche Kurzschlusstaten in einer besonderen Ausnahmesituation. Als solchen käme ihnen für die Beurteilung des alltäglichen Zusammenseins des Beschwerdeführers mit seiner Tochter keine ausschlaggebende Bedeutung zu. Dass sich der Beschwerdeführer zu 1) auch in der Zeit, als das Kind in seinem Haushalt wohnte, völlig unkontrolliert und kindeswohlgefährdend verhalten hätte, ist nicht ersichtlich. Jedenfalls aber fehlt es an Feststellungen dazu, dass die vom Oberlandesgericht insoweit angeführten Schreiattacken des Beschwerdeführers zu 1) das seelische oder geistige Wohl des Kindes in dem für eine Sorgerechtsentziehung erforderlichen Maße beeinträchtigt haben.

53

(c) Für die weitere Annahme, dass die Situation derzeit ohne die teilweise Sorgerechtsentziehung nicht auflösbar und der Einsatz von Hilfen zur Lösung des Problems nicht ausreichend sei, fehlt jegliche Begründung. Der Senat setzt sich auch nicht damit auseinander, dass das von den Beschwerdeführern akzeptierte Konzept einer Familienhilfe kombiniert mit einer Teilzeitpflege über mehrere Monate hinweg funktioniert hat.

54

Unberücksichtigt bleibt in diesem Zusammenhang zudem, dass sowohl die Familie, bei der das Kind zunächst in Tagespflege war als auch die Pflegemutter, in deren Obhut es im Anschluss an den Vorfall vom 16. Dezember 2007 gekommen ist, gegenüber dem gerichtlichen Sachverständigen beziehungsweise der Amtsrichterin sinngemäß angegeben haben, der Beschwerdeführer zu 1) sei zwar schwierig, aber letztlich doch zu beeinflussen gewesen. Noch positiver fällt die Einschätzung der Leiterin des Sprachheilkindergartens aus, die den Beschwerdeführer zu 1) im Gespräch mit dem Sachverständigen als offen für Beratungsangebote, sehr bemüht und auch als Elternratsvorsitzender in den entsprechenden Gremien angemessen und konstruktiv beschrieben hat. Diese Aussagen sprechen dafür, dass der Beschwerdeführer zu 1) grundsätzlich zu einer konstruktiven Zusammenarbeit in der Lage ist.

55

Soweit das Oberlandesgericht demgegenüber ausführt, den Darstellungen außenstehender Personen komme für die Belange des Kindes keine Aussagekraft zu, weil der Beschwerdeführer zu 1) sie für sich einzunehmen wisse, fehlt auch dieser Einschätzung eine tragfähige Grundlage. Denn in aller Regel wird ein persönlicher Eindruck von der fraglichen Person erforderlich sein, um ihr eine unbewusste Manipulation durch den Beschwerdeführer unterstellen zu können. Im Übrigen ist die Annahme des Oberlandesgerichts auch deshalb schwer nachzuvollziehen, weil fast alle Beteiligten, insbesondere aber die Pflegefamilien und der Kinderarzt, das Verhalten des Beschwerdeführers zu 1) nicht nur positiv schildern, sondern ihn vielmehr sehr differenziert darstellen.

56

Schließlich lässt das Oberlandesgericht in seinen Erwägungen die von den Beschwerdeführern aufgeworfene Frage außer Betracht, inwieweit möglicherweise auch die Mitarbeiter des Kreisjugendamts zu den Eskalationen beigetragen haben. Nicht nur die Beschwerdeführer selbst, auch die Pflegefamilien und zuletzt der gerichtliche Sachverständige haben die Arbeit des Jugendamts stark kritisiert. Laut den Pflegefamilien habe es an ausreichender Information, Absprache und Flexibilität gefehlt. Darüber hinaus ist es nach der vorläufigen Entziehung des Aufenthaltsbestimmungsrechts im Zusammenhang mit der damals weiterhin den Kindeseltern zustehenden Gesundheitsfürsorge für das Kind zu sachlich nicht nachvollziehbaren Kompetenzüberschreitungen seitens des Jugendamts gekommen, die wahrscheinlich zu einer weiteren Verhärtung der bereits bestehenden Fronten zwischen Jugendamt und Beschwerdeführern geführt haben. Zudem liegen Anhaltspunkte dafür vor, dass die Familienhelferin mit der unstreitig schwierigen Art des Beschwerdeführers zu 1) überfordert gewesen sein könnte. So hat der Leiter des Jugendamts gegenüber dem gerichtlichen Sachverständigen geäußert, dass die Familienhelferin möglicherweise mit der Zeit die professionelle Distanz verloren habe. Auch die Pflegemutter, bei der das Kind in Obhut war, wird von dem Sachverständigen dahingehend zitiert, die Familienhelferin sei kein angemessener Gesprächspartner gewesen, weil sie "stinksauer auf die Familie" gewesen sei. Vor diesem Hintergrund ist es im Übrigen verfahrensfehlerhaft, wenn das Oberlandesgericht sich in seinem Beschluss auf die Angaben und Berichte der Familienhelferin bezieht, ohne sie persönlich vernommen zu haben.

57

cc) Die Beschlüsse des Amtsgerichts vom 8. Mai 2008 und des Oberlandesgerichts vom 19. Dezember 2008 beruhen auf den Verstößen gegen das Elternrecht der Beschwerdeführer. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Gerichte bei Würdigung aller Umstände des Einzelfalls und ausreichender Ermittlung des Sachverhalts von einer (teilweisen) Sorgerechtsentziehung abgesehen hätten.

58

b) Da die angegriffenen Beschlüsse bereits gegen Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG verstoßen, kann dahinstehen, ob die Entscheidungen darüber hinaus die Beschwerdeführer auch in Art. 2 Abs. 1 GG verletzen.

59

c) Es erscheint angezeigt, nur den Beschluss des Oberlandesgerichts aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückzuverweisen (§ 95 Abs. 2 BVerfGG), weil den Beschwerdeführern damit besser gedient ist. Denn es liegt in ihrem Interesse, möglichst rasch eine das Verfahren abschließende Entscheidung über die vom Jugendamt angeregte Entziehung ihres Sorgerechts zu erhalten (vgl. BVerfGE 84, 1 <5>; 94, 372 <400>).

60

2. Die Anordnung der Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG.

61

3. Die Festsetzung des Gegenstandswertes beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG (vgl. BVerfGE 79, 365 <366 ff.>).

Tenor

1. Die Beschlüsse des Amtsgerichts Monschau vom 17. Februar 2014 - 6 F 35/14 - sowie vom 17. März 2014 - 6 F 35/14 - und der Beschluss des Oberlandesgerichts Köln vom 2. Mai 2014 - 27 UF 40/14 - verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Artikel 6 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes.

Der Beschluss des Oberlandesgerichts Köln vom 2. Mai 2014 - 27 UF 40/14 - wird aufgehoben. Die Sache wird an das Oberlandesgericht Köln zurückverwiesen.

2. Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

3. Das Land Nordrhein-Westfalen hat der Beschwerdeführerin ihre notwendigen Auslagen im Verfassungsbeschwerdeverfahren zu erstatten.

Gründe

I.

1

Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen die Aufrechterhaltung des Entzugs der elterlichen Sorge für ihre beiden Kinder im Eilverfahren.

2

1. a) Aus der mittlerweile geschiedenen Ehe der Eltern sind im März 2006 geborene Zwillinge hervorgegangen. Seit der Trennung der Eltern im Spätsommer 2006 leben beide Kinder bei der Mutter. Die elterliche Sorge und der Umgang waren seither Gegenstand mehrerer Gerichtsverfahren. Dabei gelang es den Eltern bis zuletzt nicht, einen funktionierenden Umgang zu organisieren. Bereits in einem in einem Umgangsverfahren im Frühjahr 2012 eingeholten Sachverständigengutachten wird der Elternkonflikt als hochstrittig bezeichnet. Insbesondere die Beschwerdeführerin weise Beeinträchtigungen in ihrem Verhalten dahingehend auf, dass sie sich weiterhin - unter anderem aufgrund von Gewalterfahrungen in der Beziehung - in einer starken Vorwurfshaltung gegenüber dem Vater befinde und jegliches Verhalten von diesem in einem negativen Licht interpretiere. Beide Elternteile sähen sich als Opfer des anderen an, die hohe Anspannung zwischen ihnen übertrage sich auf die Kinder, die sich bereits in einem Loyalitätskonflikt befänden.

3

Die Situation spitzte sich im Herbst 2012 zu, nachdem die gemeinsame Tochter berichtet haben soll, der Vater habe ihr absichtlich an der Scheide wehgetan. Fortan stand die Mutter weiteren Umgangskontakten der Kinder mit dem Vater noch ablehnender gegenüber.

4

b) Das Amtsgericht nahm die Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs zum Anlass, von Amts wegen ein Hauptsacheverfahren nach § 1666 BGB zur Regelung der elterlichen Sorge und der Umgangskontakte einzuleiten. Dieses Verfahren wurde mit einem aufgrund von wechselseitig gestellten Anträgen der Eltern auf Zuweisung der Alleinsorge nach § 1671 BGB eingeleiteten Verfahren verbunden. Im April 2013 führte das Amtsgericht eine mündliche Verhandlung mit den Eltern, dem Verfahrensbeistand sowie dem Jugendamt durch, in der auch ein Antrag des Vaters auf Einrichtung einer Umgangspflegschaft zum selbigen Verfahren dazu verbunden wurde. Auch der Erlass einer einstweiligen Anordnung zu Sorge und Umgang wurde in diesem Termin erörtert. In der wenige Tage später erfolgten Anhörung erklärten beide Kinder, den Vater nicht mehr sehen zu wollen.

5

Mit Beschluss vom 8. Mai 2013 beauftragte das Gericht im Hauptsacheverfahren einen Sachverständigen, der klären sollte, welche Aufenthalts- und Sorgerechtsregelung sowie welche Umgangsregelung "dem Wohl der betroffenen Kinder am besten dient". Zugleich sollten die Angaben des Mädchens zu etwaigen sexuellen Übergriffen aussagepsychologisch bewertet werden.

6

c) Mit nicht angegriffenem Beschluss vom 8. Mai 2013 entzog das Amtsgericht beiden Elternteilen vorläufig das Sorgerecht und ordnete eine Vormundschaft durch das Jugendamt an. Gleichzeitig wurde der Umgang beider Kinder mit dem Vater ausgesetzt. Die Entscheidung stützte das Amtsgericht auf § 1671 Abs. 3 BGB (a.F.), §§ 1666, 1666a BGB, § 157 Abs. 3 FamFG und führte zunächst aus, dass eine gemeinsame Sorge nicht in Betracht komme, die soziale Beziehung und Kommunikation der Eltern sei aufgrund des bis heute unbewältigten, massiven Paarkonflikts seit Jahren nachhaltig gestört. Auch eine Sorgerechtsübertragung nach § 1671 Abs. 2 Ziff. 2 BGB (a.F.) auf einen Elternteil scheide aus, denn es bestünden Verdachtsmomente, die die Erziehungseignung beider Elternteile in Frage stellten. Sollten sich die geschilderten sexuellen Übergriffe auf das Mädchen als wahr herausstellen, wäre dem Vater die Erziehungseignung abzusprechen. Sollten die eigenen Ängste und Vorbehalte der Mutter zu einer verzerrten Realitätswahrnehmung bei beiden Kindern in Bezug auf den Vater führen, wäre insoweit der Mutter eine Erziehungseignung abzusprechen. Vor diesem Hintergrund erscheine es sachgerecht, die Sorgebefugnisse einstweilen beiden Elternteilen zu entziehen und auf das Jugendamt zu übertragen. Dabei befürwortete das Gericht vorläufig einen Verbleib der Kinder in der Obhut der Mutter, denn eine Trennung derselben von ihrer primären Bezugsperson unter Herausnahme aus ihrer bisherigen Bezugswelt sei mit schwerwiegenden Belastungen verbunden, die derzeit nicht gerechtfertigt erschienen.

7

d) Nach Vorlage des Sachverständigengutachtens im November 2013 wurde Termin auf den 10. Februar 2014 anberaumt. In einem Schreiben vom 4. Februar 2014 äußerte sich der Vormund dahingehend, dass er bei beiden Kindern ausgehend von dem Gutachten und bei Fortbestand der Belastungssituation Entwicklungsstörungen und den Verlust der Kinder-Vater-Bindung befürchte. Eine Umgangspflegschaft sowie die Einrichtung einer ambulanten Erziehungshilfe werde befürwortet, die Einrichtung einer kompletten Vormundschaft werde für nicht angezeigt gehalten, jedenfalls würde die Einrichtung einer Pflegschaft für Aufenthalt, Gesundheit und Schule ausreichen.

8

Aus dem Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 10. Februar 2014 ergibt sich, dass eine Endentscheidung aufgrund eines Befangenheitsantrags der Beschwerdeführerin gegen den Sachverständigen nicht erging. Das zunächst ebenfalls in dem Hauptsacheverfahren geführte Umgangsverfahren wurde abgetrennt, dort wurde ebenfalls am 10. Februar 2014 mit dem Einverständnis aller Beteiligter eine Umgangspflegschaft zum Zwecke der Durchführung begleiteter Umgangskontakte eingerichtet.

9

2. a) Am 11. Februar 2014 stellte die Mutter einen Eilantrag auf Rückübertragung des Sorgerechts, hilfsweise des Aufenthaltsbestimmungsrechts sowie der Sorgebereiche Schule und Gesundheit, hilfsweise des Aufenthaltsbestimmungsrechts. Das Hauptsacheverfahren werde verzögert, bislang sei kein hinreichender Grund für den Entzug des Sorgerechts dargelegt, der Entzug sei unverhältnismäßig, die Kinder seien nachweislich gut entwickelt, sie seien sehr gute, zuverlässige und wissbegierige Schüler und bei ihr bestens versorgt. Eile sei geboten, da im Termin am 10. Februar 2014 sogar die Herausnahme der Kinder angedroht worden sei.

10

b) Das Amtsgericht wies den Antrag mit angegriffenem Beschluss vom 17. Februar 2014 zunächst ohne mündliche Verhandlung zurück. Der von der Beschwerdeführerin abgelehnte Sachverständige habe sich im Hauptsacheverfahren dahingehend geäußert, dass die Erziehungsfähigkeit der Mutter signifikant eingeschränkt sei; er habe sich im Ergebnis für eine Fortdauer der Vormundschaft ausgesprochen. Eine Abänderung der ergangenen einstweiligen Anordnung sei zum jetzigen Zeitpunkt nicht angezeigt, die familiären Verhältnisse hätten sich nicht zugunsten der Mutter verändert. Die Zweifel an deren Erziehungsfähigkeit seien durch das von ihr angefochtene Gutachten sowie durch deren kompromissloses Verhalten in Bezug auf die Teilnahme der Kinder am Religionsunterricht noch verstärkt worden. Den rechtlichen Streit um die Teilnahme der Kinder an diesem Unterricht habe die Mutter faktisch dadurch gelöst, dass sie für die Kinder in ihrem Haushalt eine unerträgliche Belastungssituation habe entstehen lassen, so dass der Vormund die Kinder schließlich vom Religionsunterricht habe befreien lassen.

11

Auf Antrag der Beschwerdeführerin fand eine mündliche Verhandlung statt. Aus dem entsprechenden Protokoll ergibt sich, dass das Gericht davon ausging, dass eine Abänderung der Ursprungsentscheidung nur dann erfolgen könne, wenn seit deren Erlass eine wesentliche Änderung der zugrunde liegenden tatsächlichen Umstände eingetreten wäre und wenn ein dringendes Bedürfnis bestehe, noch vor Erlass der Hauptsacheentscheidung eine neue einstweilige Anordnung zu erlassen. Beides sah das Gericht nicht als gegeben an.

12

c) Mit angegriffenem Beschluss vom 17. März 2014 wurde die Erstentscheidung aufrechterhalten. Es sei weder ein Anordnungsanspruch noch ein Anordnungsgrund dargetan oder glaubhaft gemacht, der eine abändernde einstweilige Anordnung rechtfertigen könne.

13

d) Gegen den Beschluss legte die Beschwerdeführerin eine als sofortige bezeichnete Beschwerde ein. Es gebe keinen Grund, die Erziehungseignung der Mutter in Frage zu stellen. Die Empfehlungen des Gutachtens gingen dahin, dass die Kinder weiterhin bei ihr selbst leben sollten. Somit ergebe sich aus dem - angegriffenen - Gutachten, dass bei ihr keineswegs eine Kindeswohlgefährdung im Sinne des § 1666 BGB vorliege. Die Voraussetzungen zur Entziehung des kompletten Sorgerechts seien nie gegeben gewesen. Solange ihr das komplette Sorgerecht entzogen sei, könne die Inobhutnahme der Kinder jederzeit ohne weitere gerichtliche Prüfung erfolgen, dies sei als "Präventivmaßnahme" nicht verhältnismäßig.

14

e) Der sofortigen Beschwerde half das Amtsgericht mit angegriffenem Beschluss vom 28. März 2014 nicht ab.

15

f) Das Oberlandesgericht wies die sofortige Beschwerde mit angegriffenem Beschluss vom 2. Mai 2014 zurück. Jedenfalls im Eilverfahren komme eine Abänderung der Entscheidung nicht in Betracht. Die Kinder lebten durchgängig bei der Mutter, eine Herausnahme der Kinder sei nicht geplant, so dass keine Veranlassung für eine einstweilige Regelung erkennbar sei. Nachdem sich die gegen den Vater erhobenen Vorwürfe ausweislich des eingeholten Sachverständigengutachtens als weitgehend nicht nachweisbar erwiesen hätten, im Gegenteil eher Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung bei der Mutter gegeben seien, komme - ungeachtet der Tatsache, dass die Frage der Befangenheit noch zu klären sei - eine vorläufige Übertragung des Sorgerechts auf die Mutter derzeit nicht in Betracht. Die Situation der Kinder bei der Mutter sei unverändert, gleiches gelte für die Bedenken an deren Erziehungsfähigkeit. Die Entscheidung in der Hauptsache steuere nach derzeitiger Betrachtung nicht auf eine Übertragung der Alleinsorge auf die Mutter zu. Eine Kindeswohlgefährdung durch den angegriffenen Beschluss oder den Beschluss vom 8. Mai 2013 könne auf der Grundlage der derzeitigen Erkenntnisse nicht gesehen werden.

16

g) Die gegen die obergerichtliche Entscheidung eingelegte Anhörungsrüge, hilfsweise Gegenvorstellung wurde mit nicht angegriffenem Beschluss vom 17. Juni 2014 zurückgewiesen. Es bestehe entgegen der Darstellung der Mutter gerade keine aktuelle Gefahr einer Herausnahme der Kinder, die ohnehin nur im Fall einer Kindeswohlgefährdung bei der Mutter in Betracht käme. Der Vormund habe auf Anfrage erneut klargestellt, dass eine Herausnahme der Kinder nicht geplant sei, vielmehr in Kürze eine Familienhilfe eingerichtet werde.

17

3. Mit der Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung ihres Elternrechts. Die jetzige Rechtslage stelle sich als "Vorratsbeschluss" dar, welcher es ermögliche, die Kinder jederzeit in Obhut zu nehmen. Da die Kinder nach wie vor bei ihr lebten und dies auch seitens des Gutachtens und vom Jugendamt nicht in Frage gestellt werde, ergebe sich, dass offensichtlich keine Kindeswohlgefährdung bei ihr vorliege.

18

4. Die Akten des Ausgangsverfahrens, des Hauptsacheverfahrens sowie weiterer Vorverfahren lagen dem Bundesverfassungsgericht vor.

19

5. Das Bundesverfassungsgericht hat der Regierung von Nordrhein-Westfalen, dem Jugendamt und dem Vater Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.

II.

20

Soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen die Entscheidungen des Amtsgerichts vom 17. Februar 2014 und 17. März 2014 sowie gegen die Entscheidung des Oberlandesgerichts vom 2. Mai 2014 richtet, nimmt die Kammer die insoweit zulässige Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, weil dies zur Durchsetzung des als verletzt gerügten Elternrechts der Beschwerdeführerin angezeigt ist, § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG. Diese Entscheidung kann von der Kammer getroffen werden, weil die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen durch das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden sind und die Verfassungsbeschwerde danach offensichtlich begründet ist, § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG.

21

1. Die Beschwerdeführerin wird durch die angegriffenen Entscheidungen in ihrem Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG verletzt.

22

a) Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG garantiert den Eltern das Recht auf Pflege und Erziehung ihrer Kinder. Der Schutz des Elternrechts erstreckt sich dabei auf die wesentlichen Elemente des Sorgerechts (vgl. BVerfGE 84, 168 <180>; 107, 150 <173>), wobei das Kindeswohl stets die oberste Richtschnur der elterlichen Pflege und Erziehung sein muss (vgl. BVerfGE 60, 79 <88> m.w.N.).

23

Die angegriffenen Entscheidungen halten die in einem vorangegangenen Eilverfahren bereits erfolgte Entziehung des Sorgerechts aufrecht und greifen daher mit hoher Intensität in das Elterngrundrecht der Beschwerdeführerin ein. Dass das Jugendamt als Vormund beide Kinder bislang in ihrem Haushalt belassen hat, ändert daran nichts. Zum einen ist die Beschwerdeführerin bereits durch die Entziehung des gesamten Sorgerechts erheblich belastet, weil sie dies in der Ausübung ihres Elternrechts aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG auch dann merklich einschränkt, wenn die Kinder bei ihr leben. Zum anderen hätte das Jugendamt auf der Grundlage des ihm übertragenen Aufenthaltsbestimmungsrechts die Möglichkeit, die Kinder ohne weitere Mitwirkung des Familiengerichts aus ihrem Haushalt zu entfernen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 17. März 2014 - 1 BvR 2695/13 -, juris, Rn. 24).

24

Aus diesem Grund findet vorliegend auch Art. 6 Abs. 3 GG als Prüfungsmaßstab Anwendung. Zwar meint Art. 6 Abs. 3 GG mit dem Begriff der "Trennung" des Kindes zunächst die tatsächliche Wegnahme des Kindes aus dem elterlichen Haushalt (vgl. BVerfGE 24, 119 <139>). Allerdings hat die Entziehung des Aufenthaltsbestimmungsrechts und Übertragung auf das Jugendamt regelmäßig die tatsächliche Trennung zugunsten eines staatlichen Erziehungseinflusses zum Ziel (vgl. BVerfGE 76, 1 <48>). Auch wenn die Fachgerichte vorliegend eine Trennung der Kinder von der Mutter vorläufig nicht bezweckt haben, kann diese doch, solange das Sorgerecht bei einem Vormund liegt, jederzeit geschehen.

25

b) Nach Art. 6 Abs. 3 GG dürfen Kinder gegen den Willen der Sorgeberechtigten nur von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen. Dabei berechtigen nicht jedes Versagen oder jede Nachlässigkeit der Eltern den Staat, auf der Grundlage seines ihm nach Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG zukommenden Wächteramts die Eltern von der Pflege und Erziehung ihres Kindes auszuschalten oder gar selbst diese Aufgabe zu übernehmen (vgl. BVerfGE 24, 119 <144 f.>; 60, 79 <91>). Es gehört nicht zur Ausübung des Wächteramts, gegen den Willen der Eltern für eine bestmögliche Förderung der Fähigkeiten des Kindes zu sorgen. Das elterliche Fehlverhalten muss vielmehr ein solches Ausmaß erreichen, dass das Kind bei einem Verbleiben in der Familie in seinem körperlichen, geistigen oder seelischen Wohl nachhaltig gefährdet ist (vgl. BVerfGE 60, 79 <91>). Ihren einfachrechtlichen Ausdruck hat diese Anforderung in § 1666 Abs. 1 BGB gefunden. Die Annahme einer nachhaltigen Gefährdung des Kindes setzt voraus, dass bereits ein Schaden des Kindes eingetreten ist oder eine Gefahr gegenwärtig in einem solchen Maße besteht, dass sich bei ihrer weiteren Entwicklung eine erhebliche Schädigung mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lässt (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 24. März 2014 - 1 BvR 160/14 -, juris, Rn. 28; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 7. April 2014 - 1 BvR 3121/13 -, juris, Rn. 18; BGH, Beschluss vom 15. Dezember 2004 - XII ZB 166/03 -, juris, Rn. 11).

26

c) Maßnahmen, die eine Trennung des Kindes von seinen Eltern ermöglichen, dürfen zudem nur unter strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erfolgen (vgl. BVerfGE 60, 79 <89>). Art und Ausmaß des staatlichen Eingriffs müssen sich nach dem Grund des Versagens der Eltern und danach richten, was im Interesse der Kinder geboten ist. Der Staat ist daher gehalten, sein Ziel durch helfende, unterstützende und auf (Wieder-)Herstellung eines verantwortlichen Elternverhaltens gerichtete Maßnahmen zu erreichen (vgl. BVerfGE 24, 119 <145>; 60, 79 <93>).

27

d) Wegen des sachlichen Gewichts der Beeinträchtigung der Eltern im Falle eines Sorgerechtsentzugs, der eine Trennung des Kindes von ihnen ermöglicht, unterliegt dieser strenger Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht. Neben der Frage, ob die angegriffenen Entscheidungen Fehler erkennen lassen, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung des Grundrechts beruhen, bleiben auch einzelne Auslegungsfehler sowie deutliche Fehler bei der Feststellung und Würdigung des Sachverhalts nicht außer Betracht (vgl. BVerfGE 55, 171 <181>; 60, 79 <91>; 75, 201 <221 f.>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 16. April 2014 - 1 BvR 3360/13 -, juris, Rn. 8).

28

2. Gemessen an diesen Grundsätzen ist das Amtsgericht den Anforderungen des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG nicht gerecht geworden.

29

a) Das Amtsgericht geht bereits einfachrechtlich von einem fehlerhaften Abänderungsmaßstab aus, womit zugleich die Verkennung des Elternrechts der Beschwerdeführerin verbunden ist. Der Antrag der Mutter auf Rückübertragung der elterlichen Sorge löste im Hinblick auf die bestehende vorläufige Sorgeentscheidung ein Abänderungsverfahren nach § 54 FamFG aus. Die Aufhebung oder Abänderung einer von Amts wegen getroffenen Entscheidung im Eilverfahren setzt entgegen der Auffassung des Amtsgerichts keine Veränderung der Sach- oder Rechtslage voraus. Das Gericht ist nicht an seine ursprüngliche Entscheidung gebunden, es hat den Sachverhalt umfassend neu zu würdigen und kann ihn auch abweichend beurteilen (vgl. Stößer, in: Prütting/Helms, FamFG, 3. Aufl. 2014, § 54 Rn. 2 f.; Löhnig/Heiß, in: Bork/Jacoby/Schwab, FamFG, 2. Aufl. 2013, § 54 Rn. 6; Giers, in: Keidel, FamFG, 18. Aufl. 2014, § 54 Rn. 11; Borth/Grandel, in: Musielak/Borth, FamFG, 4. Aufl. 2013, § 54 Rn. 6; Feskorn, in: Zöller, ZPO, 30. Aufl. 2014, § 54 FamFG Rn. 3 unter Hinweis auf BGH, Beschluss vom 28. Mai 1986 - IVb ZB 36/84 -, juris, Rn. 8). Hiernach war es auch nicht an der Beschwerdeführerin, ein dringendes Regelungsbedürfnis für die Rückübertragung des ihr von Amts wegen entzogenen Sorgerechts darzulegen. Schon in dieser - die Chancen der Beschwerdeführerin auf Wiedererlangung des Sorgerechts erheblich reduzierenden - Sichtweise liegt eine Verkennung des Elternrechts der Beschwerdeführerin. Insbesondere hat sich das Amtsgericht, indem es einen fehlerhaften einfachrechtlichen Prüfungsmaßstab zugrunde gelegt hat, der verfassungsrechtlich gebotenen Prüfung, ob die getroffene Maßnahme (weiterhin) verhältnismäßig war, begeben.

30

b) Die Ausführungen in den angegriffenen Entscheidungen des Amtsgerichts lassen auch sonst nicht hinreichend deutlich erkennen, dass die hohen verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für den vorgenommenen Sorgerechtsentzug erfüllt sind.

31

aa) Allein aus der Begründung der angegriffenen Beschlüsse ergibt sich nicht, worin das Amtsgericht überhaupt eine nachhaltige Kindeswohlgefährdung gesehen hat und wie es diese nach Art und Gewicht bewertet hat. In dem Beschluss vom 17. Februar 2014 heißt es hierzu nur, dass sich die zuvor bestehenden Zweifel an der Erziehungsfähigkeit der Mutter durch das angefochtene Gutachten und durch das kompromisslose Verhalten der Mutter in Bezug auf den Religionsunterricht noch verstärkt haben. Wie sich diese Zweifel an der Erziehungsfähigkeit konkret auf das Wohl der Kinder auswirken, hat das Amtsgericht nicht ausgeführt.

32

bb) Auch der Verweis auf die Ausführungen im Beschluss vom 8. Mai 2013 ergibt insoweit nichts anderes. In dem genannten Beschluss klingt lediglich an, dass eine Gefährdungslage durch das Verhalten der Mutter in Bezug auf den Umgang der Kinder mit dem Vater und die Vermittlung einer verzerrten Realitätswahrnehmung in Bezug auf diesen gegeben sein könnte. Zu Art und Gewicht der aus Sicht des Gerichts für beide Kinder drohenden Gefahren finden sich auch dort keine Ausführungen. Vielmehr ging das Gericht offenbar bis zuletzt davon aus, dass im Haushalt der Mutter gerade keine ein sofortiges Einschreiten rechtfertigende nachhaltige Gefährdungslage vorlag, ansonsten hätte es die Kinder nicht - insoweit mit nachvollziehbaren Erwägungen - im Haushalt der Beschwerdeführerin belassen.

33

cc) Die vorbeschriebenen Begründungsmängel werden vorliegend auch nicht mit der nur pauschalen Bezugnahme auf das im Hauptsacheverfahren eingeholte und von der Beschwerdeführerin angegriffene Sachverständigengutachten beseitigt. Aus diesem Gutachten ergeben sich zwar deutliche Hinweise darauf, dass aufgrund eines defizitären Bindungsverhaltens der Beschwerdeführerin der Kontakt der Kinder zu ihrem Vater bereits derzeit mit negativen Auswirkungen auf deren Entwicklungsperspektive gefährdet ist und die Mutter die Kinder einem für diese nicht lösbaren Loyalitätskonflikt aussetzt. Dies kann, insbesondere im Zusammenhang mit dem verschärften Elternkonflikt, eine schwerwiegende Beeinträchtigung des Kindeswohls darstellen, die die Gefährdungsgrenze des § 1666 Abs. 1 BGB erreicht - ohne dass damit freilich zugleich gesagt wäre, dass in derartigen Fällen ohne weiteres gerade ein vollständiger Sorgerechtsentzug - zumal im Eilverfahren - das geeignete Mittel zur Behebung dieser Gefährdungslage wäre (vgl. Coester, in: Staudinger, BGB, 2009, § 1666 Rn. 146 m.w.N.; BGH, Beschluss vom 26. Oktober 2011 - XII ZB 247/11 -, juris, Rn. 26 ff. unter Hinweis auf BGH, Beschluss vom 11. Juli 1984 - IVb ZB 73/83 -, juris, dort Rn. 19 ff. sowie auf BGH, Beschluss vom 12. März 1986 - IVb ZB 87/85 -, juris, dort Rn.16 ff.).

34

Dass der Sachverständige einen Verbleib der Kinder im Haushalt der Mutter empfohlen hat und auch festgestellt hat, dass eine Herausnahme der Kinder aus dem mütterlichen Haushalt eine Belastung der Kinder darstellte, für welche aktuell keine zwingende Notwendigkeit etwa in Form einer akuten Kindeswohlgefährdung bestehe, wird vom Gericht nicht verarbeitet. Ebenso wird nicht berücksichtigt, dass der Sachverständige in den Bereichen der Grundversorgung, Haushaltsführung und Gesundheitsfürsorge keine bedeutsame Einschränkung der Eltern festgestellt hat und dass die Kinder bislang - trotz zahlreicher Fehlzeiten auch hinsichtlich des Schulbesuchs - eine vergleichsweise unauffällige Entwicklung genommen haben. Vor diesem Hintergrund weiterhin ein Bedürfnis für einen vollständigen vorläufigen Sorgerechtsentzug anzunehmen, ist nicht nachvollziehbar.

35

dd) Die angegriffenen Entscheidungen genügen auch nicht den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. So ist weder dargelegt noch ersichtlich, dass der aufrechterhaltene - vollständige - Sorgerechtsentzug geeignet gewesen wäre, die vom Gericht angenommene nachhaltige Kindeswohlgefährdung abzuwehren. An der Eignung einer sorgerechtlichen Maßnahme fehlt es, wenn sie nicht zur Beendigung des zuvor als gefährlich erkannten Zustands beitragen kann und sich die Situation der Kinder durch diese letztlich nicht verbessert (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 17. März 2014 - 1 BvR 2695/13 -, juris, Rn. 27 und BGH, Beschluss vom 12. März 1986 - IVb ZB 87/85 -, juris, Rn. 17). So liegt es aber hier. Beide Kinder sollten vorläufig bei der Mutter verbleiben in der - verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden - Annahme, dass die mit einer Trennung der Kinder von ihrer Hauptbezugsperson verbundenen Vorteile die damit einhergehenden Nachteile nicht überwögen, diese mithin unverhältnismäßig wäre. Entsprechend erwog auch der Vormund selbst keine Fremdunterbringung der Kinder. Der Verbleib im mütterlichen Haushalt führte aber gleichzeitig dazu, dass die Kinder auch im Einflussbereich der Mutter verblieben. Welche weiteren Maßnahmen der insoweit bestellte Vormund hätte ergreifen sollen, um dem mütterlichen Einfluss auf die Kinder zu begegnen, ist nicht erkennbar.

36

Auch die Erforderlichkeit des vollständigen Sorgerechtsentzugs im Eilverfahren liegt nicht auf der Hand. Dies gilt bereits für die zur Abänderung stehende Ausgangsentscheidung vom 8. Mai 2013. In diesem Beschluss wurde der Umgang der Kinder mit ihrem Vater ausgesetzt, so dass es jedenfalls keinerlei Bedürfnis für einen wie auch immer gearteten Sorgerechtsentzug zur Ermöglichung von Umgangskontakten mit dem Vater gab. Entsprechendes gilt auch zum Zeitpunkt des Erlasses der hier angegriffenen Entscheidungen. Denn mit gerichtlich gebilligter Vereinbarung vom 10. Februar 2014 wurde eine Umgangspflegschaft nach § 1684 Abs. 3 Satz 3 BGB eingerichtet, die gegenüber einem Sorgerechtsentzug zur Ermöglichung eines Umgangs gerade das mildere Mittel darstellt (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 28. Februar 2012 - 1 BvR 3116/11 -, juris, Rn. 33).

37

Zur Überprüfung der Erforderlichkeit des vollständigen vorläufigen Sorgerechtsentzugs hätte aber auch im Hinblick auf das Schreiben des vorläufig eingesetzten Vormunds vom 4. Februar 2014 Anlass bestanden, der sich selbst gegen einen vollständigen Sorgerechtsentzug ausgesprochen hatte und eine Familienhilfe - also mildere Maßnahmen - organisieren wollte. Auch hiermit setzt sich das Amtsgericht nicht auseinander.

38

3. Aus denselben Erwägungen verstößt auch die angegriffene Entscheidung des Oberlandesgerichts gegen Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG.

39

Auch die Entscheidung des Oberlandesgerichts fußt auf der bereits einfachrechtlich fehlerhaften Annahme, dass es kein dringendes Regelungsbedürfnis für eine Abänderung der ersten vorläufigen Sorgerechtsentscheidung gebe, da die Kinder sich weiterhin bei der Beschwerdeführerin befänden und eine Herausnahme derselben aus der mütterlichen Familie nicht geplant sei. Die nach § 54 FamFG und aus verfassungsrechtlicher Sicht im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu prüfende Frage, ob (weiterhin) ein Bedürfnis für die Aufrechterhaltung des vorläufigen vollständigen Sorgerechtsentzuges besteht, wird auch von dem Senat letztlich nicht geprüft. Worin eine nachhaltige Kindeswohlgefährdung gesehen wird, die die Aufrechterhaltung des sofortigen Entzugs des gesamten Sorgerechts rechtfertigen könnte, ergibt sich aus dem angegriffenen Beschluss nicht. Die Ausführungen, dass eine Kindeswohlgefährdung durch den angegriffenen Beschluss des Amtsgerichts beziehungsweise durch denjenigen vom 8. Mai 2013 nicht gesehen werde, geben umgekehrt Grund zur Annahme, dass das Oberlandesgericht den Prüfungsmaßstab grundlegend verkannt hat. Letzteres legte auch der nicht angegriffene Anhörungsrügebeschluss vom 17. Juni 2014 nahe, in dem sinngemäß ausgeführt wird, dass ein dringendes Regelungsbedürfnis für den Antrag der Mutter nicht bestehe, da das Jugendamt eine Herausnahme der Kinder nicht beabsichtige, die ohnehin nur im Falle einer Kindeswohlgefährdung bei der Mutter in Betracht käme. Mit diesen Ausführungen verneint der Senat letztlich eine Kindeswohlgefährdung, ohne aber eine Abänderung der amtsgerichtlichen Anordnung zum vollständigen Sorgerechtsentzug auch nur in Erwägung zu ziehen. Zum Verhältnismäßigkeitsgrundsatz finden sich ebenfalls keinerlei Überlegungen.

40

4. Die Beschlüsse des Amtsgerichts vom 17. Februar 2014 und vom 17. März 2014 sowie der Beschluss des Oberlandesgerichts vom 2. Mai 2014 beruhen auf den Verstößen gegen das Elternrecht, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Gerichte bei Würdigung aller Umstände des Einzelfalls eine Entscheidung zugunsten der Beschwerdeführerin getroffen hätten.

III.

41

Soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen die Entscheidung des Amtsgerichts vom 28. März 2014 richtet, wird sie nicht zur Entscheidung angenommen. Von dem Nichtabhilfebeschluss geht keine eigenständige Beschwer aus, so dass die Verfassungsbeschwerde insoweit bereits unzulässig ist.

42

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

IV.

43

1. Es wird lediglich der Beschluss des Oberlandesgerichts aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückverwiesen (§ 95 Abs. 2 BVerfGG), weil dies den Interessen der Beschwerdeführerin, möglichst rasch eine das Verfahren abschließende Entscheidung zu erhalten, am besten dient (vgl. BVerfGE 84, 1 <5>; 94, 372 <400>). Der Beschluss des Oberlandesgerichts vom 17. Juni 2014 über die Zurückweisung der Anhörungsrüge sowie der hilfsweise erhobenen Gegenvorstellung ist damit gegenstandslos.

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2. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 und Abs. 3 BVerfGG.

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

(1) Das Jugendamt ist berechtigt und verpflichtet, ein Kind oder einen Jugendlichen in seine Obhut zu nehmen, wenn

1.
das Kind oder der Jugendliche um Obhut bittet oder
2.
eine dringende Gefahr für das Wohl des Kindes oder des Jugendlichen die Inobhutnahme erfordert und
a)
die Personensorgeberechtigten nicht widersprechen oder
b)
eine familiengerichtliche Entscheidung nicht rechtzeitig eingeholt werden kann oder
3.
ein ausländisches Kind oder ein ausländischer Jugendlicher unbegleitet nach Deutschland kommt und sich weder Personensorge- noch Erziehungsberechtigte im Inland aufhalten.
Die Inobhutnahme umfasst die Befugnis, ein Kind oder einen Jugendlichen bei einer geeigneten Person, in einer geeigneten Einrichtung oder in einer sonstigen Wohnform vorläufig unterzubringen; im Fall von Satz 1 Nummer 2 auch ein Kind oder einen Jugendlichen von einer anderen Person wegzunehmen.

(2) Das Jugendamt hat während der Inobhutnahme unverzüglich das Kind oder den Jugendlichen umfassend und in einer verständlichen, nachvollziehbaren und wahrnehmbaren Form über diese Maßnahme aufzuklären, die Situation, die zur Inobhutnahme geführt hat, zusammen mit dem Kind oder dem Jugendlichen zu klären und Möglichkeiten der Hilfe und Unterstützung aufzuzeigen. Dem Kind oder dem Jugendlichen ist unverzüglich Gelegenheit zu geben, eine Person seines Vertrauens zu benachrichtigen. Das Jugendamt hat während der Inobhutnahme für das Wohl des Kindes oder des Jugendlichen zu sorgen und dabei den notwendigen Unterhalt und die Krankenhilfe sicherzustellen; § 39 Absatz 4 Satz 2 gilt entsprechend. Das Jugendamt ist während der Inobhutnahme berechtigt, alle Rechtshandlungen vorzunehmen, die zum Wohl des Kindes oder Jugendlichen notwendig sind; der mutmaßliche Wille der Personensorge- oder der Erziehungsberechtigten ist dabei angemessen zu berücksichtigen. Im Fall des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3 gehört zu den Rechtshandlungen nach Satz 4, zu denen das Jugendamt verpflichtet ist, insbesondere die unverzügliche Stellung eines Asylantrags für das Kind oder den Jugendlichen in Fällen, in denen Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass das Kind oder der Jugendliche internationalen Schutz im Sinne des § 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes benötigt; dabei ist das Kind oder der Jugendliche zu beteiligen.

(3) Das Jugendamt hat im Fall des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 1 und 2 die Personensorge- oder Erziehungsberechtigten unverzüglich von der Inobhutnahme zu unterrichten, sie in einer verständlichen, nachvollziehbaren und wahrnehmbaren Form umfassend über diese Maßnahme aufzuklären und mit ihnen das Gefährdungsrisiko abzuschätzen. Widersprechen die Personensorge- oder Erziehungsberechtigten der Inobhutnahme, so hat das Jugendamt unverzüglich

1.
das Kind oder den Jugendlichen den Personensorge- oder Erziehungsberechtigten zu übergeben, sofern nach der Einschätzung des Jugendamts eine Gefährdung des Kindeswohls nicht besteht oder die Personensorge- oder Erziehungsberechtigten bereit und in der Lage sind, die Gefährdung abzuwenden oder
2.
eine Entscheidung des Familiengerichts über die erforderlichen Maßnahmen zum Wohl des Kindes oder des Jugendlichen herbeizuführen.
Sind die Personensorge- oder Erziehungsberechtigten nicht erreichbar, so gilt Satz 2 Nummer 2 entsprechend. Im Fall des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3 ist unverzüglich die Bestellung eines Vormunds oder Pflegers zu veranlassen. Widersprechen die Personensorgeberechtigten der Inobhutnahme nicht, so ist unverzüglich ein Hilfeplanverfahren zur Gewährung einer Hilfe einzuleiten.

(4) Die Inobhutnahme endet mit

1.
der Übergabe des Kindes oder Jugendlichen an die Personensorge- oder Erziehungsberechtigten,
2.
der Entscheidung über die Gewährung von Hilfen nach dem Sozialgesetzbuch.

(5) Freiheitsentziehende Maßnahmen im Rahmen der Inobhutnahme sind nur zulässig, wenn und soweit sie erforderlich sind, um eine Gefahr für Leib oder Leben des Kindes oder des Jugendlichen oder eine Gefahr für Leib oder Leben Dritter abzuwenden. Die Freiheitsentziehung ist ohne gerichtliche Entscheidung spätestens mit Ablauf des Tages nach ihrem Beginn zu beenden.

(6) Ist bei der Inobhutnahme die Anwendung unmittelbaren Zwangs erforderlich, so sind die dazu befugten Stellen hinzuzuziehen.

Die Sachgebiete in Angelegenheiten der Fürsorge mit Ausnahme der Angelegenheiten der Sozialhilfe und des Asylbewerberleistungsgesetzes, der Jugendhilfe, der Kriegsopferfürsorge, der Schwerbehindertenfürsorge sowie der Ausbildungsförderung sollen in einer Kammer oder in einem Senat zusammengefaßt werden. Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden in den Verfahren dieser Art nicht erhoben; dies gilt nicht für Erstattungsstreitigkeiten zwischen Sozialleistungsträgern.

(1) Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts können vorbehaltlich des § 99 Abs. 2 und des § 133 Abs. 1 dieses Gesetzes sowie des § 17a Abs. 4 Satz 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht mit der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht angefochten werden.

(2) Im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gilt für Entscheidungen des beauftragten oder ersuchten Richters oder des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle § 151 entsprechend.

(1) Der Kläger kann bis zur Rechtskraft des Urteils seine Klage zurücknehmen. Die Zurücknahme nach Stellung der Anträge in der mündlichen Verhandlung setzt die Einwilligung des Beklagten und, wenn ein Vertreter des öffentlichen Interesses an der mündlichen Verhandlung teilgenommen hat, auch seine Einwilligung voraus. Die Einwilligung gilt als erteilt, wenn der Klagerücknahme nicht innerhalb von zwei Wochen seit Zustellung des die Rücknahme enthaltenden Schriftsatzes widersprochen wird; das Gericht hat auf diese Folge hinzuweisen.

(2) Die Klage gilt als zurückgenommen, wenn der Kläger das Verfahren trotz Aufforderung des Gerichts länger als zwei Monate nicht betreibt. Absatz 1 Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Der Kläger ist in der Aufforderung auf die sich aus Satz 1 und § 155 Abs. 2 ergebenden Rechtsfolgen hinzuweisen. Das Gericht stellt durch Beschluß fest, daß die Klage als zurückgenommen gilt.

(3) Ist die Klage zurückgenommen oder gilt sie als zurückgenommen, so stellt das Gericht das Verfahren durch Beschluß ein und spricht die sich nach diesem Gesetz ergebenden Rechtsfolgen der Zurücknahme aus. Der Beschluß ist unanfechtbar.