Bayerisches Landessozialgericht Beschluss, 21. Nov. 2016 - L 11 AS 721/16 B ER

21.11.2016
vorgehend
Sozialgericht Nürnberg, S 6 AS 739/16, 28.09.2016

Gericht

Bayerisches Landessozialgericht

Tenor

I.

Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Nürnberg vom 28.09.2016 wird zurückgewiesen.

II.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.

Gründe

I. Streitig ist die Aufforderung zur Stellung eines Rentenantrages sowie eine entsprechende Antragstellung durch den Antragsgegner (Ag).

Die 1952 geborene Antragstellerin (ASt) bezieht seit 10.09.2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes (Arbeitslosengeld II - Alg II) nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) vom Ag. Zuletzt wurde ihr Alg II mit Bescheid vom 15.07.2016 für die Zeit vom 01.06.2016 bis 30.11.2016 iHv 828,60 € bewilligt. Nach eigenen Angaben verfüge sie über kein nennenswertes Vermögen. Laut der Rentenauskunft der Deutschen Rentenversicherung Nordbayern (DRV) vom 21.04.2016 würde die Regelaltersrente, die ab 01.08.2017 gezahlt werden könne, 757,82 € betragen. Unter Berücksichtigung etwaiger künftiger Rentenanpassungen könne, die Rente bei einer jährlichen Anpassung um einen Prozentpunkt etwa 770 € bzw. bei zwei Prozentpunkten etwa 780 € betragen. Die Voraussetzungen für eine Altersrente für langjährig Versicherte mit einem frühesten Rentenbeginn ab 01.02.2015 - dabei entstünde ein Abschlag von 9% - lägen vor. Ab 01.08.2017 könne diese Rente abschlagsfrei bezogen werden.

Mit Bescheid vom 15.06.2016 bat der Ag die ASt - nach Aktenlage ohne vorherige Anhörung -, bis spätestens 02.07.2016 bei der DRV eine geminderte Altersrente wegen Arbeitslosigkeit zu beantragen. Es bestehe die Verpflichtung diese vorrangige Leistung in Anspruch zu nehmen, mit der die Hilfebedürftigkeit vermindert bzw. beseitigt werden könne. Es seien alle Gesichtspunkte abgewogen worden, aber keine maßgeblichen Gesichtspunkte erkennbar, die gegen die Beantragung der vorrangigen Leistungen sprächen, so dass die ASt hierzu aufzufordern sei. Auch lägen keine Ausnahmen nach der Unbilligkeitsverordnung vor. Dagegen legte die ASt Widerspruch ein. Es sei unverständlich, weshalb sie nicht für eine Tätigkeit vermittelbar sei, da sie u. a. über eine Ausbildung zur Krippenerzieherin (Kindergärtnerin) verfüge und in diesem Bereich ein großer Bedarf an Arbeitskräften bestehe. Eine ermessensgerechte Prüfung des Einzelfalles sei nicht erkennbar. Der Rentenbezug sei für sie mit erheblichen Nachteilen verbunden, da sie nach Ausschluss vom Rechtskreis des SGB II keine Eingliederungshilfen erhalten könne. Zudem sei die Rente nicht bedarfsdeckend, so dass zusätzlich Sozialhilfe benötigt würde. Ein „erweiterter Härtefall“ liege vor.

Nach Aktenvermerken vom 07.07.2016 und 12.08.2016 über Auskünfte der Arbeitsvermittlung übe die ASt seit 2006 keine Beschäftigung mehr aus. Seit zehn Jahren suche sie erfolglos eine Arbeitsstelle, ohne dass überhaupt nur eine kurzfristige Arbeitsaufnahme gelungen sei. Ende 2015 und aktuell hätten auch längere Zeiten der Arbeitsunfähigkeit vorgelegen. Gesteigerte Chancen auf eine Arbeit vor dem Renteneintritt bestünden nicht.

Mit Widerspruchsbescheid vom 26.09.2016 wies der Ag den Widerspruch zurück. Zwar sei die ASt vor Erlass des Verwaltungsaktes nicht angehört worden. Dies sei aber im Widerspruchsverfahren nachgeholt worden. Ein Fall der Unbilligkeitsverordnung liege nicht vor. Insbesondere die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit in nächster Zukunft sei nicht glaubhaft. Sowohl bei Bezug einer Rente mit Abschlägen als auch einer abschlagsfreien Rente wäre eine Aufstockung durch Sozialleistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) notwendig. Relevante Vermögenswerte, welche vor dem Bezug von Leistungen nach dem SGB XII einzusetzen wären, lägen nicht vor. Die getroffene Ermessensentscheidung sei daher nicht zu beanstanden. Über die dagegen zum Sozialgericht Nürnberg (SG) erhobene Klage (S 16 AS 1179/16) ist bislang nicht entschieden. Einen am 25.08.2016 vom Ag gestellten Rentenantrag lehnte die DRV mit Bescheid vom 27.10.2016 ab, da den gesetzlichen Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen worden sei. Die Einlegung eines Widerspruchs (durch den Ag) ist der Verwaltungsakte nicht zu entnehmen.

Bereits am 30.06.2016 hat die ASt beim SG die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs beantragt. Darüber hinaus sei dem Ag zu untersagen, stellvertretend für sie einen Rentenantrag zu stellen. Dieser habe keine Vermittlungsbemühungen erkennen lassen. Bei der Aufforderung liege eine Ermessensunterschreitung vor. Es sei nicht klar, warum sie in dem Mangelberuf der Kindergärtnerin derzeit keine Arbeit bekommen könne. Es fehlten die Berücksichtigung der zu erwartenden gekürzten Rentenhöhe und der Vergleich zur Höhe des aktuellen Alg II sowie die Prüfung, ob ein dauerhafter Sozialhilfebezug zu erwarten sei. Das SG hat den Antrag mit Beschluss vom 28.09.2016 abgelehnt. Die Aufforderung sei rechtmäßig. Mit der Inanspruchnahme der vorzeitigen Altersrente werde die Hilfebedürftigkeit nach dem SGB II beseitigt. Daran ändere auch ein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB XII nichts. Ein Fall nach der Unbilligkeitsverordnung liege nicht vor. Ermessensfehler seien nicht erkennbar. Der Fall, dass die vorgezogene Altersrente nicht bedarfsdeckend sei, sei nicht atypisch. Einstweiliger Rechtsschutz sei auch im Hinblick auf eine Rentenantragstellung durch den Ag nicht zu gewähren.

Dagegen hat die ASt Beschwerde zum Bayer. Landessozialgericht erhoben und daneben die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) für das Beschwerdeverfahren beantragt. Das SG Mainz (S 14 AS 956/14) habe in einem zumindest bezüglich des Wortlauts des Bescheids vergleichbaren Fall entschieden, dass dieser rechtswidrig sei. Bundesweit seien die Fälle aber gleich zu behandeln. Die bloße Bitte stelle keine Regelung mit Verwaltungsaktqualität dar. Der Bescheid gehe davon aus, dass eine Zwangsverrentung mit dem Erreichen des 63. Lebensjahres erfolgen müsse. Für sie sei eine Ermessensausübung nicht ersichtlich. Es bestehe die Gefahr, dass die stellvertretende Beantragung durch den Ag zu einer vorzeitigen Rente mit Abschlägen führe. Sie sei vor Erlass des - im Übrigen nur formelhaften und nicht individualisierten - Bescheides nicht angehört worden. Bei Bezug der Regelrente sei nicht zwingend vom Eintritt eines Sozialfalles auszugehen.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhaltes wird auf die beigezogene Akte des Ag sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

II. Die form- und fristgerechte Beschwerde ist zulässig (§§ 172 Abs. 1, 173 Sozialgerichtsgesetz - SGG), aber nicht begründet. Zu Recht hat das SG den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs (nunmehr der Klage) der ASt gegen den Bescheid des Ag vom 15.06.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.09.2016 und eine Anordnung gegen den Ag, eine Rentenantragstellung zu unterlassen, abgelehnt.

Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist nicht begründet. Der Widerspruch gegen den Bescheid des Ag vom 15.06.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.09.2016 hat nicht bereits selbst aufschiebende Wirkung nach § 86a Abs. 1 Satz 1 SGG. Diese tritt nicht ein, wenn ein Verwaltungsakt angefochten wird, mit dem zur Beantragung einer vorrangigen Leistung aufgefordert wird (§ 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG i. V. m. § 39 Nr. 3 SGB II bzw. ab 01.08.2016 § 39 Nr. 2 idF des Neunten Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch - Rechtsvereinfachung - sowie zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht vom 26.07.2016 - BGBl I 1824). Bei der Aufforderung zur Stellung eines Rentenantrages handelt es sich um einen Verwaltungsakt iSv § 31 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB X (vgl. BSG, Urteil vom 19.08.2015 - B 14 AS 1/15 R - SozR 4-4200 § 12a Nr. 1 - undBeschluss vom 16.12.2011 - B 14 AS 138/11 B - m. w. N. - juris; Beschluss des Senats vom 23.06.2015 - L 11 AS 273/15 B ER - juris). Eine Erledigung der Aufforderung zur Rentenantragstellung iS des § 39 Abs. 2 SGB X ist bislang nicht eingetreten. Die ASt hat selbst keinen entsprechenden Antrag bei der DRV gestellt; ein vom Ag gestellter Antrag ist - bislang noch nicht bestandskräftig - abgelehnt worden. Der Verwaltungsakt ist auch im Hinblick auf den Ablauf der gesetzten Frist bis 02.07.2016 noch nicht erledigt, denn die ASt hat zwar den Rentenantrag nicht innerhalb der Frist gestellt, in der Aufforderung zur Rentenantragstellung liegt aber zugleich die Feststellung, dass der Leistungsberechtigte zur Stellung des Rentenantrages verpflichtet und ihm die Inanspruchnahme der Rente zumutbar ist (vgl. Beschluss des Senats a. a. O. mit Verweis auf LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 28.05.201 - L 15 AS 85/15 B ER - juris - m. w. N.). Ob mit der Altersrente für langjährig Versicherte tatsächlich eine vorrangige Leistung vorliegt, ist dabei eine Frage der Begründetheit (Eicher/Greise in Eicher, SGB II, 3. Aufl, § 39 Rn. 25).

In den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen, § 86b Abs. 1 Nr. 2 SGG. Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Klage ist nur möglich, wenn das besondere Interesse der ASt an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung das vom Gesetz vorausgesetzte Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit des Verwaltungsaktes überwiegt, wobei bei der Prüfung der Interessen zuerst auf die Erfolgsaussichten in der Hauptsache abzustellen ist.

Unter Berücksichtigung des § 39 Nr. 3 SGB II ist von einem Regel-Ausnahme-Verhältnis zugunsten des Suspensiveffektes auszugehen, da der Gesetzgeber die sofortige Vollziehung zunächst angeordnet hat. Davon abzuweichen besteht nur Anlass, wenn ein überwiegendes Interesse des durch den Verwaltungsakt Belasteten feststellbar ist (vgl. Beschluss des Senats vom 18.11.2008 - L 11 B 948/08 AS ER). Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung muss eine mit gewichtigen Argumenten zu begründende Ausnahme bleiben (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl, § 86b Rn. 12c). Ist der Verwaltungsakt offenbar rechtswidrig und ist der Betroffene dadurch in seinen subjektiven Rechten verletzt, wird ausgesetzt, weil dann ein überwiegendes öffentliches Interesse oder Interesse eines Dritten an der Vollziehung nicht erkennbar ist. Ist die Klage aussichtslos, wird die aufschiebende Wirkung nicht angeordnet. Sind die Erfolgsaussichten nicht in dieser Weise abschätzbar, bleibt eine allgemeine Interessenabwägung, wobei die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens und die Entscheidung des Gesetzgebers in § 39 Nr. 3 SGB II mitberücksichtigt werden (vgl. zum Ganzen: Keller a. a. O. Rn. 12f; Beschluss des Senats a. a. O.).

Eine Rechtswidrigkeit der Aufforderung im Bescheid vom 15.06.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.09.2016, bis spätestens 02.07.2016 bei der DRV eine Rente zu beantragen ist nicht erkennbar rechtswidrig.

Wie der Ag bereits im Widerspruchsbescheid ausgeführt hat, führt die vor Erlass des Bescheides vom 15.06.2016 nicht erfolgte Anhörung der ASt (§ 24 Abs. 1 SGB X) nicht zu einer Rechtswidrigkeit der Aufforderung. Zwar bedarf es vor dem Erlass eines belastenden Verwaltungsaktes einer Anhörung, was gerade für eine zu treffende Ermessensentscheidung die maßgeblichen Interessen des Betroffenen hervorbringen kann. Der formale Fehler der fehlenden Anhörung ist aber jedenfalls nach § 41 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 SGB X durch Nachholung im Widerspruchsverfahren geheilt. Die Anhörung hat zu den von der Verwaltung für ihre Entscheidung als tragend angesehenen Tatsachen vor Abschluss des Verwaltungsverfahrens, dh bis zum Erlass des Widerspruchsbescheides, stattzufinden (vgl. BSG, Urteil vom 19.10.2011 - B 13 R 9/11 R - juris; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 18.11.2014 - L 10 AS 2254/14 B ER - juris; Siefert in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl, Rn. 4 und 7 m. w. N. zu § 24 juris RdNr. 14). Die ASt hat mit ihrem Widerspruch die aus ihrer Sicht gegen die Aufforderung zur Rentenantragstellung sprechenden Argumente vorgetragen, mit denen sich der Ag auch im Widerspruchsbescheid auseinandergesetzt hat.

Der Senat vermag auch keine unzureichende Bestimmtheit (§ 33 Abs. 1 SGB X) des Bescheides vom 15.06.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.09.2016 zu erkennen. Zwar ist der ASt zuzugeben, dass im Bescheid vom 15.06.2016 zunächst lediglich die „Bitte“ formuliert ist, sie möge einen Rentenantrag stellen (vgl. hierzu auch das von der ASt zitierte Urteil des SG Mainz vom 17.11.2015 - S 14 AS 956/14 - juris). Gleichwohl geht aus der weiteren Formulierung des Bescheides unzweifelhaft hervor, dass es sich um eine verbindliche Aufforderung handelt. Der Bestimmtheitsgrundsatz verlangt, dass der Verfügungssatz eines Verwaltungsakts nach seinem Regelungsgehalt in sich widerspruchsfrei ist und den Betroffenen bei Zugrundelegung der Erkenntnismöglichkeiten eines verständigen Empfängers in die Lage versetzt, sein Verhalten daran auszurichten (vgl. BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 20/09 R - SozR 4-4200 § 31 Nr. 2).Dafür genügt es, wenn aus dem gesamten Inhalt eines Bescheids einschließlich der von der Behörde gegebenen Begründung hinreichende Klarheit über die Regelung gewonnen werden kann (BSG, Urteil vom 04.06.2014 - B 14 AS 2/13 R - SozR 4-4200 § 38 Nr. 3). So kann die „Bitte“ nicht isoliert betrachtet werden, vielmehr sind auch die weiteren Ausführungen in dem Bescheid vom 15.06.2016 heranzuziehen. Der Ag setzt insofern eine Frist, spricht von einer Aufforderung und der Verpflichtung der ASt zur Rentenantragstellung und dem Bescheid ist eine Rechtsbehelfsbelehrung beigefügt. Die ASt konnte daher nicht davon ausgehen, es habe sich nur um ein unverbindliches Schreiben gehandelt. Schließlich lässt auch der Widerspruchsbescheid keinen Zweifel daran, dass die ASt vorliegend verbindlich zur Rentenantragstellung aufgefordert werden sollte.

Die Aufforderung, einen Rentenantrag zu stellen, kann sich auf § 5 Abs. 3 Satz 1 SGB II i. V. m. § 12a SGB II (jeweils idF der Bekanntmachung der Neufassung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch vom 13.05.2011 - BGBl I 850) stützen. Leistungsträger nach dem SGB II können einen Antrag auf Leistungen eines anderen Trägers stellen sowie Rechtsbehelfe und Rechtsmittel einlegen, wenn der Leistungsberechtigte einen solchen Antrag trotz Aufforderung nicht selbst stellt (§ 5 Abs. 3 Satz 1 SGB II). Nach § 12a Satz 1 SGB II - dieser ergänzt den bereits in den § 3 Abs. 3, § 5, § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, § 7 Abs. 4, 5, 6, § 9 und §§ 11 ff SGB II enthaltenen Nachranggrundsatz der Leistungen nach dem SGB II (vgl. S. Knickrehm/Hahn in Eicher, SGB II, 3. Aufl, § 12a Rn. 1) - sind Leistungsberechtigte verpflichtet, Sozialleistungen anderer Träger in Anspruch zu nehmen und die dafür erforderlichen Anträge zu stellen, sofern dies zur Vermeidung, Beseitigung, Verkürzung oder Verminderung der Hilfebedürftigkeit erforderlich ist. Da die ASt das 63. Lebensjahr beendet hat, entfällt die Verpflichtung zur vorrangigen Inanspruchnahme auch nicht nach § 12a Satz 2 Nr. 1 SGB II.

Die vorgenannten Vorschriften sind auch verfassungsgemäß. So steht das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (Art 1 Abs. 1 i. V. m. Art 20 Abs. 1 Grundgesetz - GG) der Sicherung des Nachrangs existenzsichernder Leistungen durch die Verpflichtung zur Inanspruchnahme vorrangiger Sozialleistungen und Aufforderung zu ihrer Beantragung nicht entgegen. Auch liegt in der vorzeitigen Inanspruchnahme einer Altersrente keine Verletzung des Eigentumsgrundrechts iS des Art 14 Abs. 1 GG. Der eigenständige Eingriff in die Dispositionsfreiheit als Ausdruck einer allgemeinen Handlungsfreiheit nach Art 2 Abs. 1 GG, der in der Antragstellung durch den Leistungsträger anstelle des Leistungsberechtigten auf eine vorzeitige Altersrente mit dauerhaften Rentenabschlägen zu sehen ist, ist verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Die ASt wird mit der Gruppe derjenigen, die eine vorgezogene Altersrente in Anspruch nehmen kann, gleichbehandelt, so dass schließlich kein Verstoß gegen Art 3 Abs. 1 GG gegeben ist. Den Ausführungen des BSG (Urteil vom 19.08.2015 - B 14 AS 1/15 R - SozR 4-4200 § 12a Nr. 1) zur Verfassungsmäßigkeit der Regelungen schließt sich der Senat insofern vollumfänglich an und nimmt darauf Bezug (vgl. zudem die Ausführungen des Senats in seinem Beschluss vom 23.06.2015 - L 11 AS 273/15 B ER - juris).

Die ASt hatte im Zeitpunkt der Aufforderung einen Anspruch auf eine Altersrente für langjährig Versicherte nach § 36 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI), die sie vorzeitig in Anspruch nehmen kann, da sie bereits das 63. Lebensjahr vollendet hat (§ 36 Satz 2 SGB VI), wenngleich die Inanspruchnahme mit Abschlägen um je 0,3% pro Monat, den die Rente vor dem 01.08.2017 in Anspruch genommen wird, im Hinblick auf den damit reduzierten Zugangsfaktor (§ 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2a SGB VI) verbunden ist. Dies ergibt sich auch aus der Rentenauskunft der DRV vom 21.04.2016 und ist so nicht bestritten. Durch den Bezug der Altersrente für langjährig Versicherte kann die ASt ihre Hilfebedürftigkeit jedenfalls vermindern. Eine vollständige Überwindung der Hilfebedürftigkeit durch die zu beantragende Leistung wird in § 12a SGB II nicht vorausgesetzt. So ist die ergänzende Inanspruchnahme einer im Umfang durch die Altersrente verminderten Hilfebedürftigkeit Hilfe zum Lebensunterhalt nach § 19 Abs. 1, § 27 Abs. 1 SGB XII unerheblich, da die Inanspruchnahme einer vorzeitigen Altersrente wegen dem in § 7 Abs. 4 Satz 1 SGB II bestimmten Leistungsausschluss, wonach Leistungen nach dem SGB II nicht erhält, wer Rente wegen Alters bezieht, zum Entfallen eines Anspruchs der ASt auf Alg II führt.

Der Verpflichtung, eine vorzeitige Altersrente in Anspruch zu nehmen steht die sog 58er-Regelung nicht entgegen, denn die ASt fällt schon deshalb nicht in den persönlichen Anwendungsbereich dieser Regelung, weil sie erst am 01.08.2010 und damit nach dem 01.01.2008 das 58. Lebensjahr vollendet hat (§ 65 Abs. 4 Satz 2 SGB II).

Es liegen auch keine Ausnahmetatbestände vor, bei deren Vorliegen die ASt gleichwohl zur Inanspruchnahme einer vorgezogenen Altersrente nicht verpflichtet wäre. Diese sind in der nach § 13 Abs. 2 SGB II erlassenen Verordnung zur Vermeidung unbilliger Härten durch Inanspruchnahme einer vorgezogenen Altersrente - Unbilligkeitsverordnung (UnbilligkeitsV) - vom 14.04.2008 (BGBl I 734) nach systematischem Zusammenhang und nach der Entstehungsgeschichte von Verordnungsermächtigung und Verordnung abschließend geregelt (vgl. eingehend BSG, Urteil vom 19.08.2015 - B 14 AS 1/15 R - SozR 4-4200 § 12a Nr. 1 - m. w. N.; Strnischa in Oestreicher, SGB II/SGB XII, Stand 03/2016, § 13 SGB II Rn. 12). Ein Ausnahmetatbestand von der Verpflichtung der ASt nach § 12a Satz 1 SGB II zur Beantragung und Inanspruchnahme einer vorgezogenen Altersrente nach der UnbilligkeitsV liegt nicht vor. So würde die Inanspruchnahme der vorzeitigen Altersrente nicht zum Verlust eines Anspruchs auf Arbeitslosengeld (Alg) führen (§ 2 UnbilligkeitsV), weil die ASt keinen Anspruch auf Alg nach dem SGB III hat. Die Aufforderung ist auch nicht deshalb unbillig, weil die ASt in nächster Zukunft die Altersrente abschlagsfrei in Anspruch nehmen kann (§ 3 UnbilligkeitsV). Denn abschlagsfrei in Anspruch nehmen können hätte sie eine Altersrente nach der Rentenauskunft erst ab dem 01.08.2017. Ausgehend vom Zeitpunkt der Aufforderung war dies noch mehr als ein Jahr, mithin stand das Erreichen der Regelrentenalters nicht kurz bevor. Dies wäre regelmäßig bei einem Zeitraum von etwa drei Monaten anzunehmen (vgl. dazu auch LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 19.06.2015 - L 19 AS 909/15 B ER - juris; Schumacher in Oestreicher, SGB II/SGB XII, Stand 03/2016, § 12a SGB II Rn. 13 mit Verweis auf die Entstehungsgeschichte), keinesfalls aber - wie hier - bei einem Zeitraum von mehr als einem Jahr. Schließlich greifen auch die Ausnahmebestimmungen in §§ 4 und 5 UnbilligkeitsV nicht. Die ASt war nicht erwerbstätig iS des § 4 UnbilligkeitsV und eine solche Erwerbstätigkeit stand auch nicht in nächster Zukunft bevor (§ 5 UnbilligkeitsV). Insofern gibt es keine Anhaltspunkte für die mögliche Aufnahme einer versicherungspflichtigen Tätigkeit bzw. eine Tätigkeit mit entsprechendem Einkommen. Dies hätte zudem auch durch Vorlage eines Arbeitsvertrages oder einer ähnlichen schriftlichen Zusicherung von der ASt glaubhaft gemacht werden müssen (dazu auch S. Knickrehm/Hahn in Eicher, SGB II, 3. Aufl, § 12a Rn. 16). Auf den Gesundheitszustand der ASt oder die zuvor vom Ag getätigte Vermittlungstätigkeit kommt es insofern nicht an. Die Länge der Arbeitslosigkeit der ASt spricht aber bereits dafür, dass es - unabhängig von einem Bedarf an Kindergärtnerinnen - nicht hinreichend wahrscheinlich ist, dass sie bis zum Erreichen der Altersgrenze nochmals eine versicherungspflichtige Tätigkeit aufnehmen kann.

Ohne Belang ist vorliegend, dass in § 6 Satz 1 der UnbilligkeitsV idF der Ersten Verordnung zur Änderung der Unbilligkeitsverordnung vom 04.10.2016 (BGBl I 2210) künftig vorsieht, dass die Inanspruchnahme einer Rente auch dann unbillig ist, wenn Leistungsberechtigte dadurch hilfebedürftig im Sinne der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch werden würden. Ein solcher Fall wäre vorliegend derzeit nicht auszuschließen, jedoch tritt die neue Vorschrift des § 6 UnbilligkeitsV erst ab 01.01.2017 in Kraft (Art 2 der Ersten Verordnung zur Änderung der Unbilligkeitsverordnung) und ist derzeit demnach noch nicht anzuwenden.

Die vom Ag getroffene Ermessensentscheidung ist nicht zu beanstanden. Aus § 5 Abs. 3 Satz 1 SGB II ergibt sich, dass Leistungsträger selbst den Antrag stellen sowie Rechtsbehelfe und Rechtsmittel einlegen können, wenn Leistungsberechtigte entgegen ihrer Verpflichtung nach § 12a SGB II und trotz Aufforderung den Antrag nicht stellen. Mit diesem „können“ ist das Ob der Antragstellung anstelle der Leistungsberechtigten in das Ermessen der Leistungsträger gestellt. Dieses ermöglicht eine abschließende Abwägung im Einzelfall, ob der Nachrang der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II auf diesem Weg durchgesetzt werden soll oder ob dies wegen eines besonderen Härtefalles unzumutbar ist. Dies gilt entsprechend auch schon für die der eigenen Antragstellung vorausgehende Aufforderung der Leistungsberechtigten. Andernfalls wäre der Leistungsberechtigte benachteiligt, der der Aufforderung nachkommt, obwohl der Leistungsträger dieser bei Nichtbefolgung aus Ermessensgründen keine eigene Antragstellung hätte folgen lassen. Die Ermessensgesichtspunkte, die den Leistungsträger trotz einer Verpflichtung des Leistungsberechtigten zur Inanspruchnahme einer vorrangigen Leistung und trotz nichtbefolgter Aufforderung zur Antragstellung von einer eigenen künftigen Antragstellung absehen lassen könnten, sind bereits bei der Aufforderung des Leistungsberechtigten zur Antragstellung zu erwägen und müssen im Aufforderungsbescheid iS des § 35 Abs. 1 Satz 3 SGB X erkennbar sein (BSG, Urteil vom 19.08.2015 - B 14 AS 1/15 R - SozR 4-4200 § 12a Nr. 1). Allerdings sind diesbezüglich auch die Ausführungen im Widerspruchsbescheid vom 26.09.2016 beachtlich, da Fehler in der Ermessensbetätigung im Ausgangsbescheid durch das Widerspruchsverfahren geheilt werden können, zumal in diesem auch die Zweckmäßigkeit des angefochtenen Ausgangsbescheids nachzuprüfen ist (vgl. BSG Urteil vom 23.06.2016 - B 14 AS 46/15 R - juris - mit Verweis auf Schütze in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl. 2014, § 41 Rn. 11).

Im Hinblick auf den Grundsatz der gesetzlichen Verpflichtung des Leistungsberechtigten nach § 12a SGB II zur Realisierung vorrangiger Sozialleistungen zu nehmen, ist die pflichtgemäße Ermessensausübung - insbesondere wenn keine Ausnahmetatbestände der UnbilligkeitsV eingreifen - dahingehend vorgeprägt, dass im Regelfall von der Ermächtigung zur (Aufforderung zur) Rentenantragstellung Gebrauch zu machen ist. Zu berücksichtigende Ermessensgesichtspunkte müssen daher einen atypischen Fall begründen, in dem vom gesetzlichen Regelfall der Aufforderung zur Antragstellung zur Durchsetzung der Verpflichtung zur Inanspruchnahme vorrangiger Leistungen abzusehen ist. Dies könnten vorliegend nur besondere Härten im Einzelfall sein, die nicht bereits einen Unbilligkeitstatbestand iS der UnbilligkeitsV begründen, aber die Inanspruchnahme der vorzeitigen Altersrente aufgrund außergewöhnlicher Umstände als unzumutbar erscheinen lassen (vgl. dazu insgesamt BSG, Urteil vom 19.08.2015 - B 14 AS 1/15 R - SozR 4-4200 § 12a Nr. 1). Sind solche Umstände nicht erkennbar, ist der Leistungsberechtigte gehalten, atypische Umstände seines Einzelfalls vorzubringen, die der Leistungsträger zu erwägen hat (BSG, Urteil vom 19.08.2015 - B 14 AS 1/15 R - SozR 4-4200 § 12a Nr. 1 Rn. 27 ff; Urteil vom 23.06.2016 - B 14 AS 46/15 R - juris).

Die Ermessensausübung ist gerichtlich nur eingeschränkt darauf zu prüfen (§ 39 Abs. 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch, § 54 Abs. 2 Satz 2 SGG), ob das Ermessen überhaupt ausgeübt, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten worden sind oder ob von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist (vgl. auch BSG, Urteil vom 23.06.2016 - B 14 AS 46/15 R - juris).

Insofern hat der Ag sein Ermessen im Bescheid vom 15.06.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.09.2016 pflichtgemäß ausgeübt. Er hat zu Recht dem Umstand, dass trotz der Inanspruchnahme der vorgezogenen Altersrente die Hilfebedürftigkeit nicht überwunden werden kann, keine durchschlagende Bedeutung zugemessen (vgl. dazu zuletzt auch BSG, Urteil vom 23.06.2016 - B 14 AS 46/15 R - juris), da eine isolierte Betrachtung der Höhe des Leistungsanspruchs nach dem SGB II oder SGB XII und der Höhe der vorrangigen Sozialleistung keinesfalls außergewöhnliche Umstände begründen können. § 12a Satz 1 SGB II lässt schon eine Verminderung der Hilfebedürftigkeit für die Verpflichtung zur Inanspruchnahme genügen und das Nachrangprinzip gilt nach § 2 SGB XII auch im SGB XII (BSG, Urteil vom 19.08.2015 - B 14 AS 1/15 R - SozR 4-4200 § 12a Nr. 1; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 28.05.2015 - L 15 AS 85/15 B ER - juris; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 28.10.2015 - L 19 AS 1561/15 B ER - juris). Schließlich wäre nach dem Stand im Zeitpunkt der Aufforderung zur Rentenantragstellung nach der Rentenauskunft davon auszugehen gewesen, dass selbst eine Rente ohne Abschläge nicht vollständig den Lebensunterhalt der ASt hätte sicherstellen können. Der Ag hat darauf auch im Widerspruchsbescheid hingewiesen. Dass der Verordnungsgeber insofern für vergleichbare Fälle ab 01.01.2017 einen Unbilligkeitsgrund vorsieht, führt nicht dazu, dass andere Ermessenserwägungen anzustellen wären. Der Verordnungsgeber hat in Kenntnis und unter Anführung der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 19.08.2015 - B 14 AS 1/15 R - und Urteil vom 23.06.2016 - B 14 AS 46/15 R), wonach eine Hilfebedürftigkeit der Leistungsberechtigten bei Bezug der Altersrente keinen bei der Ermessensentscheidung nach § 5 Abs. 3 SGB II atypischen Fall begründet (so festgehalten im Verordnungsentwurf - http://www.harald-thome.de/media/files/Unbillig-keitsV-ndV.PDF), die Neuregelung erst mit Wirkung zum 01.01.2017 eingeführt.

Der Ag hat sich auch mit den unterschiedlichen Vermögensfreibeträgen in SGB II und SGB XII auseinandergesetzt (zu einer etwaigen Relevanz eines im SGB XII aufzubrauchenden und nach dem SGB II geschützten Vermögens: LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 28.05.2015 - L 15 AS 85/15 B ER - juris; Sächsisches LSG, Beschluss vom 19.02.2015 - L 8 AS 1232/14 B ER - juris; offen geblieben in BSG, Urteil vom 23.06.2016 - B 14 AS 46/15 R - juris). Die Ag hat selbst angegeben, über nennenswerte Vermögenswerte nicht zu verfügen. Damit fehlt es aber schon an konkreten Nachweisen, die ASt könnte über entsprechende Vermögenswerte verfügen, die sie bei einem etwaigen Bezug von Leistungen nach dem SGB XII zunächst einsetzen müsste.

Die Arbeitsfähigkeit und die Ausbildung der ASt sowie die (angeblich) unzureichenden Vermittlungstätigkeiten des Ag können ebenfalls keinen individuellen Härtefall begründen, da insofern bereits in § 5 UnbilligkeitsV der Gesichtspunkt Berücksichtigung gefunden hat, dass eine möglich künftige Erwerbstätigkeit nur dann einen Unbilligkeitsgrund darstellen kann, wenn sie konkret in nächster Zukunft bevorsteht. Eine darüber hinausgehende Bedeutung kann dem Gesichtspunkt einer etwaigen künftigen Aufnahme einer Erwerbstätigkeit im Rahmen der Ermessensausübung nicht zukommen.

Mangels hinreichender Erfolgsaussichten der Klage gegen den Bescheid vom 15.06.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.09.2016 ist eine aufschiebende Wirkung nicht anzuordnen.

Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz ist auch im Hinblick auf eine Verpflichtung des Ag zur Unterlassung einer Beantragung der Rente anstelle der ASt nicht begründet. Ein solches Anliegen wäre von der ASt in der Hauptsache im Wege einer isolierten Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 5 SGG geltend zu machen, so dass vorliegend Rechtsgrundlage für die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG darstellt. Hiernach ist eine Regelung zulässig, wenn sie zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das ist etwa dann der Fall, wenn der ASt ohne eine solche Anordnung schwere und unzumutbare, nicht anders abwendbare Nachteile entstehen, zu deren Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (so BVerfG vom 25.10.1998 - BVerfGE 79, 69; vom 19.10.1997 - BVerfGE 46, 166 und vom 22.11.2002 - NJW 2003, 1236; Niesel/Herold-Tews, Der Sozialgerichtsprozess, 5. Aufl, Rn. 652). Die Regelungsanordnung setzt das Vorliegen eines Anordnungsgrundes - das ist in der Regel die Eilbedürftigkeit - und das Vorliegen eines Anordnungsanspruches - das ist der materiell-rechtliche Anspruch, auf den die ASt ihr Begehren stützt - voraus. Die Angaben hierzu hat die ASt glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 2 und 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2, § 294 Zivilprozessordnung - ZPO -; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG 11. Aufl, § 86b Rn. 41).

Zwischen Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch besteht dabei eine Wechselbeziehung. An das Vorliegen des Anordnungsgrundes sind dann weniger strenge Anforderungen zu stellen, wenn bei der Prüfung der Sach- und Rechtslage im vom BVerfG vorgegebenen Umfang (BVerfG vom 12.05.2005 - NVwZ 2005, 927) das Obsiegen in der Hauptsache sehr wahrscheinlich ist. Ist bzw. wäre eine in der Hauptsache erhobene Klage offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist wegen des fehlenden Anordnungsanspruches der Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen. Sind hierbei die Erfolgsaussichten in der Hauptsache offen, kommt dem Anordnungsgrund entscheidende Bedeutung zu. Soweit existenzsichernde Leistungen in Frage stehen, sind die Anforderungen an den Anordnungsgrund und den Anordnungsanspruch weniger streng zu beurteilen. In diesem Fall ist ggf. auch anhand einer Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange der Ast zu entscheiden (vgl. BVerfG vom 12.05.2005 - a. a. O. - und vom 22.11.2002 - NJW 2003, 1236; zuletzt BVerfG vom 15.01.2007 - 1 BvR 2971/06). In diesem Zusammenhang ist eine Orientierung an den Erfolgsaussichten nur möglich, wenn die Sach- und Rechtslage abschließend geklärt ist, denn soweit schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen können, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, darf die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern sie muss abschließend geprüft werden (vgl. BVerfG vom 12.05.2005 a. a. O.; weniger eindeutig BVerfG, Beschluss vom 04.08.2014 - 1 BvR 1453/12).

Vorliegend fehlt es demnach bereits am Vorliegen eines Anordnungsanspruch. Nach § 5 Abs. 3 Satz 1 SGB II kann der Leistungsträger nach dem SGB II einen erforderlichen Antrag auf Leistungen eines anderen Trägers stellen, wenn Leistungsberechtigte trotz Aufforderung einen solchen nicht stellen. Voraussetzung ist damit, dass der Leistungsberechtigte eine Antragstellung trotz Aufforderung unterlassen hat (vgl. auch Luthe in: Hauck/Noftz, SGB II, Stand 10/2014, § 5 Rn. 156 m. w. N.). Nach obigen Ausführungen hat der Ag die ASt rechtmäßigerweise mit Bescheid vom 15.06.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.09.2016 aufgefordert, einen Rentenantrag zu stellen. Dies hat die ASt nicht binnen der Frist bis 02.07.2016 getan. Der Ag ist daher berechtigt, den entsprechenden Antrag bei der DRV selbst zu stellen.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Aus den oben dargelegten Gründen ist die für die Bewilligung von PKH erforderliche hinreichende Erfolgsaussicht der Beschwerde gemäß § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 114 ZPO nicht gegeben. Der Antrag auf PKH war somit abzulehnen.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).

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Bayerisches Landessozialgericht Beschluss, 21. Nov. 2016 - L 11 AS 721/16 B ER zitiert 47 §§.

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 193


(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen ha

Zivilprozessordnung - ZPO | § 114 Voraussetzungen


(1) Eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, erhält auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Re

Zivilprozessordnung - ZPO | § 920 Arrestgesuch


(1) Das Gesuch soll die Bezeichnung des Anspruchs unter Angabe des Geldbetrages oder des Geldwertes sowie die Bezeichnung des Arrestgrundes enthalten. (2) Der Anspruch und der Arrestgrund sind glaubhaft zu machen. (3) Das Gesuch kann vor der

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 54


(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts oder seine Abänderung sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts begehrt werden. Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage zulässig

Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch (II) - Bürgergeld, Grundsicherung für Arbeitsuchende - (Artikel 1 des Gesetzes vom 24. Dezember 2003, BGBl. I S. 2954) - SGB 2 | § 7 Leistungsberechtigte


(1) Leistungen nach diesem Buch erhalten Personen, die1.das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben,2.erwerbsfähig sind,3.hilfebedürftig sind und4.ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschla

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 177


Entscheidungen des Landessozialgerichts, seines Vorsitzenden oder des Berichterstatters können vorbehaltlich des § 160a Abs. 1 dieses Gesetzes und des § 17a Abs. 4 Satz 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialger

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 86b


(1) Das Gericht der Hauptsache kann auf Antrag 1. in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung haben, die sofortige Vollziehung ganz oder teilweise anordnen,2. in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungskla

Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch (II) - Bürgergeld, Grundsicherung für Arbeitsuchende - (Artikel 1 des Gesetzes vom 24. Dezember 2003, BGBl. I S. 2954) - SGB 2 | § 11 Zu berücksichtigendes Einkommen


(1) Als Einkommen zu berücksichtigen sind Einnahmen in Geld abzüglich der nach § 11b abzusetzenden Beträge mit Ausnahme der in § 11a genannten Einnahmen sowie Einnahmen, die nach anderen Vorschriften des Bundesrechts nicht als Einkommen im Sinne dies

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 73a


(1) Die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Prozeßkostenhilfe mit Ausnahme des § 127 Absatz 2 Satz 2 der Zivilprozeßordnung gelten entsprechend. Macht der Beteiligte, dem Prozeßkostenhilfe bewilligt ist, von seinem Recht, einen Rechtsanwalt

Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch (II) - Bürgergeld, Grundsicherung für Arbeitsuchende - (Artikel 1 des Gesetzes vom 24. Dezember 2003, BGBl. I S. 2954) - SGB 2 | § 9 Hilfebedürftigkeit


(1) Hilfebedürftig ist, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer So

Zivilprozessordnung - ZPO | § 294 Glaubhaftmachung


(1) Wer eine tatsächliche Behauptung glaubhaft zu machen hat, kann sich aller Beweismittel bedienen, auch zur Versicherung an Eides statt zugelassen werden. (2) Eine Beweisaufnahme, die nicht sofort erfolgen kann, ist unstatthaft.

Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - - SGB 10 | § 31 Begriff des Verwaltungsaktes


Verwaltungsakt ist jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Allgemei

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 86a


(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Drittwirkung. (2) Die aufschiebende Wirkung entfällt 1. bei der Entscheidung

Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - - SGB 10 | § 39 Wirksamkeit des Verwaltungsaktes


(1) Ein Verwaltungsakt wird gegenüber demjenigen, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, in dem Zeitpunkt wirksam, in dem er ihm bekannt gegeben wird. Der Verwaltungsakt wird mit dem Inhalt wirksam, mit dem er bekannt gegeben wird.

Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - - SGB 10 | § 24 Anhörung Beteiligter


(1) Bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in Rechte eines Beteiligten eingreift, ist diesem Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. (2) Von der Anhörung kann abgesehen werden, wenn 1. eine sof

Sozialgesetzbuch (SGB) Zwölftes Buch (XII) - Sozialhilfe - (Artikel 1 des Gesetzes vom 27. Dezember 2003, BGBl. I S. 3022) - SGB 12 | § 19 Leistungsberechtigte


(1) Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel ist Personen zu leisten, die ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, insbesondere aus ihrem Einkommen und Vermögen, bestreiten können. (2)

Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - - SGB 10 | § 33 Bestimmtheit und Form des Verwaltungsaktes


(1) Ein Verwaltungsakt muss inhaltlich hinreichend bestimmt sein. (2) Ein Verwaltungsakt kann schriftlich, elektronisch, mündlich oder in anderer Weise erlassen werden. Ein mündlicher Verwaltungsakt ist schriftlich oder elektronisch zu bestätigen, w

Sozialgesetzbuch (SGB) Zwölftes Buch (XII) - Sozialhilfe - (Artikel 1 des Gesetzes vom 27. Dezember 2003, BGBl. I S. 3022) - SGB 12 | § 2 Nachrang der Sozialhilfe


(1) Sozialhilfe erhält nicht, wer sich vor allem durch Einsatz seiner Arbeitskraft, seines Einkommens und seines Vermögens selbst helfen kann oder wer die erforderliche Leistung von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozia

Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - - SGB 10 | § 41 Heilung von Verfahrens- und Formfehlern


(1) Eine Verletzung von Verfahrens- oder Formvorschriften, die nicht den Verwaltungsakt nach § 40 nichtig macht, ist unbeachtlich, wenn 1. der für den Erlass des Verwaltungsaktes erforderliche Antrag nachträglich gestellt wird,2. die erforderliche Be

Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - - SGB 10 | § 35 Begründung des Verwaltungsaktes


(1) Ein schriftlicher oder elektronischer sowie ein schriftlich oder elektronisch bestätigter Verwaltungsakt ist mit einer Begründung zu versehen. In der Begründung sind die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe mitzuteilen, die die Behör

Sozialgesetzbuch (SGB) Sechstes Buch (VI) - Gesetzliche Rentenversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes v. 18. Dezember 1989, BGBl. I S. 2261, 1990 I S. 1337) - SGB 6 | § 77 Zugangsfaktor


(1) Der Zugangsfaktor richtet sich nach dem Alter der Versicherten bei Rentenbeginn oder bei Tod und bestimmt, in welchem Umfang Entgeltpunkte bei der Ermittlung des Monatsbetrags der Rente als persönliche Entgeltpunkte zu berücksichtigen sind. (

Sozialgesetzbuch (SGB) Erstes Buch (I) - Allgemeiner Teil - (Artikel I des Gesetzes vom 11. Dezember 1975, BGBl. I S. 3015) - SGB 1 | § 39 Ermessensleistungen


(1) Sind die Leistungsträger ermächtigt, bei der Entscheidung über Sozialleistungen nach ihrem Ermessen zu handeln, haben sie ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten. Auf p

Sozialgesetzbuch (SGB) Zwölftes Buch (XII) - Sozialhilfe - (Artikel 1 des Gesetzes vom 27. Dezember 2003, BGBl. I S. 3022) - SGB 12 | § 27 Leistungsberechtigte


(1) Hilfe zum Lebensunterhalt ist Personen zu leisten, die ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln bestreiten können. (2) Eigene Mittel sind insbesondere das eigene Einkommen und Vermögen. Bei n

Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch (II) - Bürgergeld, Grundsicherung für Arbeitsuchende - (Artikel 1 des Gesetzes vom 24. Dezember 2003, BGBl. I S. 2954) - SGB 2 | § 39 Sofortige Vollziehbarkeit


Keine aufschiebende Wirkung haben Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt,1.der Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende aufhebt, zurücknimmt, widerruft, entzieht, die Pflichtverletzung und die Minderung des Auszahlungsans

Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch (II) - Bürgergeld, Grundsicherung für Arbeitsuchende - (Artikel 1 des Gesetzes vom 24. Dezember 2003, BGBl. I S. 2954) - SGB 2 | § 5 Verhältnis zu anderen Leistungen


(1) Auf Rechtsvorschriften beruhende Leistungen Anderer, insbesondere der Träger anderer Sozialleistungen, werden durch dieses Buch nicht berührt. Ermessensleistungen dürfen nicht deshalb versagt werden, weil dieses Buch entsprechende Leistungen vors

Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch (II) - Bürgergeld, Grundsicherung für Arbeitsuchende - (Artikel 1 des Gesetzes vom 24. Dezember 2003, BGBl. I S. 2954) - SGB 2 | § 3 Leistungsgrundsätze


(1) Leistungen zur Eingliederung in Arbeit können erbracht werden, soweit sie zur Vermeidung oder Beseitigung, Verkürzung oder Verminderung der Hilfebedürftigkeit für die Eingliederung erforderlich sind. Bei den Leistungen zur Eingliederung in Arbeit

Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch (II) - Bürgergeld, Grundsicherung für Arbeitsuchende - (Artikel 1 des Gesetzes vom 24. Dezember 2003, BGBl. I S. 2954) - SGB 2 | § 13 Verordnungsermächtigung


(1) Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales wird ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Finanzen ohne Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung zu bestimmen,1.welche weiteren Einnahmen nicht als Einkommen zu berücksic

Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch (II) - Bürgergeld, Grundsicherung für Arbeitsuchende - (Artikel 1 des Gesetzes vom 24. Dezember 2003, BGBl. I S. 2954) - SGB 2 | § 12a Vorrangige Leistungen


Leistungsberechtigte sind verpflichtet, Sozialleistungen anderer Träger in Anspruch zu nehmen und die dafür erforderlichen Anträge zu stellen, sofern dies zur Vermeidung, Beseitigung, Verkürzung oder Verminderung der Hilfebedürftigkeit erforderlich i

Sozialgesetzbuch (SGB) Sechstes Buch (VI) - Gesetzliche Rentenversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes v. 18. Dezember 1989, BGBl. I S. 2261, 1990 I S. 1337) - SGB 6 | § 36 Altersrente für langjährig Versicherte


Versicherte haben Anspruch auf Altersrente für langjährig Versicherte, wenn sie 1. das 67. Lebensjahr vollendet und2. die Wartezeit von 35 Jahren erfüllthaben. Die vorzeitige Inanspruchnahme dieser Altersrente ist nach Vollendung des 63. Lebensjahres

Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch (II) - Bürgergeld, Grundsicherung für Arbeitsuchende - (Artikel 1 des Gesetzes vom 24. Dezember 2003, BGBl. I S. 2954) - SGB 2 | § 65 Übergangsregelungen aus Anlass des Zwölften Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze – Einführung eines Bürgergeldes


(1) § 3 Absatz 2a in der bis zum 31. Dezember 2022 geltenden Fassung findet bis zur erstmaligen Erstellung eines Kooperationsplans nach § 15, spätestens bis zum Ablauf des 31. Dezember 2023, weiter Anwendung. (2) Sofern die Träger der Grundsicher

Unbilligkeitsverordnung - UnbilligkeitsV | § 2 Verlust eines Anspruchs auf Arbeitslosengeld


Unbillig ist die Inanspruchnahme, wenn und solange sie zum Verlust eines Anspruchs auf Arbeitslosengeld führen würde.

Unbilligkeitsverordnung - UnbilligkeitsV | § 3 Bevorstehende abschlagsfreie Altersrente


Unbillig ist die Inanspruchnahme, wenn Hilfebedürftige in nächster Zukunft die Altersrente abschlagsfrei in Anspruch nehmen können.

Unbilligkeitsverordnung - UnbilligkeitsV | § 5 Bevorstehende Erwerbstätigkeit


(1) Unbillig ist die Inanspruchnahme, wenn Hilfebedürftige durch die Vorlage eines Arbeitsvertrages oder anderer ebenso verbindlicher, schriftlicher Zusagen glaubhaft machen, dass sie in nächster Zukunft eine Erwerbstätigkeit gemäß § 4 aufnehmen und

Unbilligkeitsverordnung - UnbilligkeitsV | § 4 Erwerbstätigkeit


Unbillig ist die Inanspruchnahme, solange Hilfebedürftige sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind oder aus sonstiger Erwerbstätigkeit ein entsprechend hohes Einkommen erzielen. Dies gilt nur, wenn die Beschäftigung oder sonstige Erwerbstätigkei

Unbilligkeitsverordnung - UnbilligkeitsV | § 6 Hilfebedürftigkeit im Alter


Unbillig ist die Inanspruchnahme, wenn Leistungsberechtigte dadurch hilfebedürftig im Sinne der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch werden würden. Dies ist insbesondere anzune

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Bayerisches Landessozialgericht Beschluss, 21. Nov. 2016 - L 11 AS 721/16 B ER zitiert oder wird zitiert von 5 Urteil(en).

Bayerisches Landessozialgericht Beschluss, 21. Nov. 2016 - L 11 AS 721/16 B ER zitiert 5 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundessozialgericht Urteil, 23. Juni 2016 - B 14 AS 46/15 R

bei uns veröffentlicht am 23.06.2016

Tenor Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 29. April 2015 wird zurückgewiesen.

Sozialgericht Mainz Urteil, 17. Nov. 2015 - S 14 AS 956/14

bei uns veröffentlicht am 17.11.2015

weitere Fundstellen ... Tenor 1. Der Bescheid vom 6. August 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8. Oktober 2014 wird aufgehoben. 2. Der Beklagte hat der Klägerin ihre notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten. Tatbes

Bundessozialgericht Urteil, 04. Juni 2014 - B 14 AS 2/13 R

bei uns veröffentlicht am 04.06.2014

Tenor Auf die Revision der Kläger wird das Urteil des Thüringer Landessozialgerichts vom 26. April 2012 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht

Bundessozialgericht Beschluss, 16. Dez. 2011 - B 14 AS 138/11 B

bei uns veröffentlicht am 16.12.2011

Tenor Der Antrag des Klägers, ihm für das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde vor dem Bundessozialgericht gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 29. Juni 2011 Prozes

Bundessozialgericht Urteil, 19. Okt. 2011 - B 13 R 9/11 R

bei uns veröffentlicht am 19.10.2011

Tenor Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 15. Dezember 2010 wird zurückgewiesen.

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Tenor

1. Der Bescheid vom 6. August 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8. Oktober 2014 wird aufgehoben.

2. Der Beklagte hat der Klägerin ihre notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Pflicht der Klägerin eine vorzeitige Rente zu beantragen.

2

Die Klägerin ist am … 1951 geboren. Sie bezieht als Pflegeperson ihrer Eltern, die nach Pflegestufe II pflegebedürftig sind, laufend Arbeitslosengeld II vom Beklagten. Mit Eingliederungsvereinbarung vom 4. November 2008 haben die Klägerin und der Beklagte vereinbart, dass die Klägerin wegen ihrer Pflegetätigkeit sich nicht bewerben muss. Laut Rentenauskunft vom 12. August 2014 würde die Klägerin bei Eintritt in die Altersrente am 1. Juni 2017 bei gleichbleibender Beitragsentrichtung 774,47 Euro monatliche Rente erhalten. Ab 1. Januar 2017 könne die Klägerin Altersrente für Frauen abschlagsfrei beantragen.

3

Am 6. August 2014 erließ der Beklagte einen Bescheid, dessen Tenor wie folgt lautet:

4

„nach den mir vorliegenden Unterlagen können Sie einen Anspruch auf eine geminderte Altersrente haben.

5

Bitte beantragen Sie daher nach Zugang dieses Schreibens eine geminderte Altersrente spätestens bis zum 23. August 2014 bei der Deutschen Rentenversicherung.

6

Teilen Sie mir bitte mit dem beigefügten Vordruck spätestens bis zum 23. August 2014 Ihre Antragstellung mit.

7

Sollten Sie die Voraussetzungen für eine geminderte Altersrente nicht beziehungsweise erst zu einem späteren Zeitpunkt erfüllen, bitte ich Sie, eine entsprechende Bescheinigung des zuständigen Leistungsträgers vorzulegen.“

8

In der Begründung wird ausgeführt, bei Nichtantragstellung könne der Beklagte den Antrag gemäß § 5 Abs. 3 Satz 1 SGB II selbst beim Rentenversicherungsträger stellen. Unter Abwägung aller Gesichtspunkte sei der Beklagte zum Ergebnis gekommen, die Klägerin zur Beantragung vorrangiger Leistungen aufzufordern. Jobcenter seien gehalten wirtschaftlich zu handeln. Es seien keine maßgeblichen Gründe ersichtlich, welche gegen die Beantragung der maßgeblichen Leistung sprächen. In Abwägung ihrer Interessen mit dem Interesse an wirtschaftlicher und sparsamer Verwendung von Leistungen nach dem SGB II sei ihr die Beantragung vorrangiger Leistungen zumutbar, da Hilfebedürftigkeit in ihrem Fall beseitigt oder verringert werde. In der Ermessensentscheidung habe der Beklagte die Voraussetzungen der Unbilligkeitsverordnung geprüft. Deren Ausnahmen lägen nicht vor. Daher sei sie verpflichtet, ab Vollendung des 63. Lebensjahres auch eine geminderte Altersrente in Anspruch zu nehmen. Eine Anhörung hat der Beklagte nicht durchgeführt.

9

Den hiergegen am 21. August 2014 eingelegte Widerspruch der Klägerin wies der Beklagte am 8. Oktober 2014 zurück. Ergänzend zu den Gründen des Bescheids nimmt der Widerspruchsbescheid den Gesichtspunkt auf, dass es lediglich zu einer geringen Minderung der Altersrente komme.

10

Mit Klage vom 17. Oktober 2014 wendet sich die Klägerin gegen den Bescheid. Sie ist der Auffassung, der Beklagte habe bei der Ermessensabwägung ihre besondere Situation als Pflegeperson nicht berücksichtigt.

11

Die Klägerin stellte keinen Antrag.

12

Der Beklagte beantragt,

13

die Klage abzuweisen.

14

Der Beklagte hat vorgetragen, die Aufforderung zur Beantragung einer geminderten Rente sei rechtmäßig. Insbesondere sei das erforderliche Ermessen fehlerfrei ausgeübt worden. Die Minderung bei der Altersrente sei gering. Sie betrage lediglich 8,7 Prozent.

15

Das Sozialgericht Mainz hat mit Beschluss vom 6. November 2014 die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage gegen den Bescheid vom 6. August 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8. Oktober 2014 angeordnet (S 14 AS 955/14 ER).

16

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichts- und beigezogenen Verwaltungsakte, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

17

Das Sozialgericht konnte in Abwesenheit der Klägerin verhandeln und entscheiden, da es in der an sie fristgerecht zugestellten Ladung zum Termin darauf hingewiesen hatte, dass auch im Falle ihres Ausbleibens die Kammer verhandeln, Beweis erheben und entscheiden kann. Der Beklagte beantragte in der mündlichen Sitzung Verhandlung.

18

Die Klage ist zulässig. Die erkennende Kammer legt das Klagebegehren der Klägerin als Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 SGG) aus, wobei diese begehrt, den Bescheid vom 6. August 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8. Oktober 2014 aufzuheben Dies entspricht dem schriftlichen Vortrag. Bei dem Schreiben vom 6. August 2014 handelt es sich auch um einen Verwaltungsakt im Sinne des § 31 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) (vgl. Bundessozialgericht, Beschluss vom 16.12.2011 - B 14 AS 138/11 B, juris Rn 5; BSG, Urteil vom 19. August 2015 – B 14 AS 1/15 R). Die Aufforderung setzt die allgemein für Leistungsberechtigte geltende gesetzliche Verpflichtung nach § 12a Satz 1 SGB II, vorrangige Leistungen in Anspruch zu nehmen, in eine konkrete Regelung im Einzelfall der Klägerin um.

19

Die Klage ist auch begründet. Der Bescheid des Beklagten vom 6. August 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8. Oktober 2014 ist rechtswidrig und verletzte die Klägerin in ihren Rechten.

20

Der Bescheid ist an der Rechtsgrundlage des § 12a Satz 1 und 2 Nr. 1 iVm § 5 Abs. 3 Satz 1 SGB II und § 13 Abs. 2 SGB II i.V.m. § 1 Unbilligkeitsverordnung zu messen.

21

Der streitgegenständliche Bescheid ist bereits formell rechtswidrig, da die Klägerin nicht vor Erlass angehört wurde und die Anhörung auch nicht bis zur mündlichen Verhandlung nachgeholt wurde.

22

Gemäß § 24 SGB X ist einem Beteiligten vor Erlass eines Verwaltungsaktes, der in seine Rechte eingreift, Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Die Aufforderung einen Antrag auf Rente zu stellen, ist ein Eingriff. Hiermit sind vorbereitend auf die ersatzweise Rentenantragstellung durch den Beklagten der Verlust der Leistungsberechtigung aus SGB II und lebenslange Einbußen bei der zu erwartenden Rentenhöhe verbunden. Somit ist eine Anhörung erforderlich. Anzuhören ist zu allen Tatsachen, die nach Sicht der Behörde für die Entscheidung wesentlich sind. Es wird uneinheitlich gesehen, ob im Widerspruchsverfahren eine Nachholung der Anhörung liegt. Dies ist jedenfalls dann zu verneinen, wenn im Ausgangsbescheid nicht alle zugrunde gelegten Tatsachen und rechtlichen Wertungen enthalten waren (vgl. schon BSG v. 14.07.1994 - 7 RAr 104/93; v. 12.12.2001). In diesem Fall wird eine Empfängerin des Verwaltungsakts nicht in die Lage versetzt, umfassend und sachgerecht eine Stellungnahme abzugeben. Zwar müssen nicht alle Gründe, die für die Entscheidung maßgebend waren, angegeben werden. Es genügt vielmehr, die Grundzüge der behördlichen Abwägungsargumentation mitzuteilen. Ist wie hier ein Ermessen auszuüben, muss in der Begründung auch klar erkennbar sein, welche Gesichtspunkte für das Ermessen relevant sind und wie sie abgewogen wurden.

23

Vorliegend ist die Anhörung nicht durchgeführt. Der Ausgangsbescheid enthält insbesondere formelhafte und nicht individualisierte Ausführungen. Es fehlt eine mit Zahlen unterlegte Darstellung, in welcher Weise durch die Antragstellung Hilfebedürftigkeit beseitigt oder vermindert wird. Sofern lediglich eine Verminderung erfolgen sollte, wäre dazustellen gewesen, in welcher Weise die Hilfebedürftigkeit sonst beseitigt werden kann. Angesichts der Tatsache, dass eine verminderte Rentenleistung im Vergleich zur Regelrente zu erwarten ist, wäre darzustellen gewesen, wie hoch diese konkret ausfallen wird. Sodann fehlen bei der Begründung des Ermessens Gesichtspunkte und Angaben zur Gewichtung. Diese sind nicht in dem formelhaften Abdruck von Textbausteinen zu erblicken.

24

Das Gericht musste das Verfahren nicht nach § 114 Abs. 2 Satz 2 SGG aussetzen, um dem Beklagten Gelegenheit zu geben, die Anhörung in einem mehr oder minder förmlichen Verfahren nachzuholen, da ein Antrag nicht gestellt wurde, obwohl auf das Problem im parallelen Eilrechtsverfahren hingewiesen wurde (vgl. SG Mainz, Beschluss vom 6. November 2014 – S 14 AS 955/14 ER)

25

Der streitgegenständliche Bescheid ist auch materiell rechtswidrig. Die materielle Rechtswidrigkeit ergibt sich aus der mangelnden Bestimmtheit des Bescheids.

26

Ein Verwaltungsakt ist jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalls auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist (§ 31 Satz 1 SGB X). Mit dem Verwaltungsakt setzt die Verwaltung das allgemeine Gesetz im jeweiligen Einzelfall nach außen gegenüber dem Bürger um, gestaltet für ihn eine Rechtssituation oder gibt ihm ein konkretes Handeln, Unterlassen oder Dulden auf. Nach § 33 Abs. 1 SGB X muss jeder Verwaltungsakt hinreichend bestimmt sein. Er muss im Verfügungssatz klar erkennen lassen, wer gegenüber wem was genau regelt (vgl. Pattar in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, § 33 SGB X, Rn. 10). Das bedeutet auch, dass der Adressat des Verweisungsaktes in der Lage sein muss, das von ihm Geforderte zu erkennen. Dies kann sich auch aus dem Zusammenhang mit der Begründung ergeben.

27

Hier hat sich der Beklagte im Verfügungssatz des Ausgangsbescheids lediglich mit einer Bitte an die Klägerin gewandt. Eine Bitte ist laut Duden ein „an jemanden gerichteter Wunsch“. Ein Wunsch kann erfüllt werden muss aber nicht erfüllt werden. Bitten und Wünsche sind daher einer hoheitlichen Regelung fremd. Die Bunde und der Wunsch sind dem Verwaltungsakt im Sinne des SGB X fremd. Der Staat wünscht sich in einem Verwaltungsakt nichts sondern regelt klar ein bestimmtes, durchführbares Verhalten. Die Aufforderung zu einem bestimmten Handeln ergibt sich auch nicht aus dem unvollständigen Zitat des Gesetzestextes des § 12a SGB II – hier nur Satz 1 –, da es sich hier um einen Konditionalsatz handelt. Auch hieraus kann die Klägerin nicht erkennen, was sie zu tun hat. Der Beklagte durfte der Klägerin auf Grundlage dieser Nichtaufforderung zu einem bestimmten Handeln auch nicht in der Begründung androhen, die Rentenantragsstellung gemäß § 5 SGB II selbst vorzunehmen.

28

Da mangelnde Bestimmtheit ein materieller Fehler des Verwaltungsakts ist, kann sie – anders als etwa eine fehlende Begründung nicht durch Nachholung im Sinne von § 41 SGB X geheilt werden (Pattar in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, § 33 SGB X, Rn. 25). Allerdings lässt die Rechtsprechung zu, dass dies durch den nachfolgenden Widerspruchsbescheid oder einen Änderungsbescheid noch ex nunc möglich sein kann (BSG v. 29.11.2012 - B 14 AS 6/12 R - juris Rn. 28). Der Widerspruchsbescheid hat diese Problematik des Ausgangsbescheids nicht erkannt. Er ging vielmehr davon aus, dass der Ausgangsbescheid die Klägerin nicht um eine Rentenantragsstellung gebeten sondern sie dazu aufgefordert habe. Heilung kann nur unter bewusster Erörterung und Korrektur eines Fehlers erfolgen. Dies ist hier nicht erfolgt. Auch ein späterer Änderungsbescheid ist bis zur mündlichen Verhandlung nicht ergangen.

29

Der Bescheid war daher aufzuheben.

30

Der Beklagte wird im Falle einer evt. erneuten Aufforderung zur Rentenantragstellung Folgendes zu beachten haben. Die Anwendung des § 12a Satz1 und 2 Nr. 1 iVm § 5 Abs 3 Satz 1 SGB II und § 13 Abs. 2 SGB II i.V.m. § 1 Unbilligkeitsverordnung erfolgt durch zwei Handlungen: Aufforderung nach § 12a SGB II und ersatzweise Rentenantragstellung nach § 5 Abs. 3 SGB II. Der Gesamtvorgang setzt bei dem Beklagten die Ausübung von Ermessen in drei Stufen voraus. Auf der ersten Stufe ist zunächst zu prüfen, ob die Inanspruchnahme der Altersrente zur Vermeidung, Beseitigung, Verkürzung oder Verminderung der Hilfebedürftigkeit möglich und erforderlich ist. Es bedarf daher im Falle der Altersrente vor Erlass eines Bescheides der Ermittlung, ob die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen einer Altersrente gegeben sind und inwieweit die Beantragung Hilfebedürftigkeit verringert. Dies ergibt sich aus einer aktuellen Rentenauskunft. Auf der zweiten Stufe ist zu ermitteln, ob die Anwendbarkeit von § 12a SGB II wegen Unbilligkeit ausnahmsweise ausgeschlossen ist. Das Jobcenter hat dabei wegen der mit § 12a SGB II ermöglichten Eingriffs in das auch die Rentenanwartschaften aus den gesetzlichen Rentenversicherungen schützende Grundrecht des Art. 14 GG alle Einzelfallgesichtspunkte zu ermitteln und in die Ermessensentscheidung einzubeziehen. Die Unbilligkeit kann sich auf dieser Stufe nur aus aus anderen Gesetzesnormen (z.B. § 65 Abs 4 Satz 3 SGB II iVm § 428 Abs 2 Satz 1 Halbsatz 2 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch) oder aus § 13 Abs. 2 SGB II i.V.m. der Unbilligkeitsverordnung ergeben (vgl. BSG, Urteil vom 19. August 2015 – B 14 AS 1/15 R). Die Ermessensgesichtspunkte beider Stufen müssen im Aufforderungsbescheid i.S des § 35 Abs 1 Satz 3 SGB X erkennbar sein (BSG, Urteil vom 19. August 2015 – B 14 AS 1/15 R, juris Rn. 27).

31

Härtefallgesichtspunkte, die nicht auf der zweiten Stufe des Ermessens zum Tragen kommen, da die Unbilligkeitsverordnung sie nicht berücksichtigt, sind aus verfassungsrechtlichen Gründen auf einer dritten Stufe des Ermessens zu erwägen, bevor der nach § 5 Abs 3 Satz 1 SGB II mögliche ersatzweise Antrag gestellt wird. Auch diese Norm gibt dem Beklagten ein eigenes Ermessen. Dieses ermöglicht eine abschließende Abwägung im Einzelfall, ob der Nachrang der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II auf diesem Weg durchgesetzt werden soll oder ob dies wegen eines unzumutbaren besonderen Härtefalles unzumutbar ist. Dabei lässt auch das Bundessozialgericht Gründe zu, die nicht in der Unbilligkeitsverordnung wurzeln (BSG, Urteil vom 19. August 2015 – B 14 AS 1/15 R, juris Rn. 24 u. 26). Relevante Ermessensgesichtspunkte können dabei nur solche sein, die einen atypischen Fall begründen, in dem vom gesetzlichen Regelfall der Aufforderung zur Antragstellung zur Durchsetzung der Verpflichtung zur Inanspruchnahme vorrangiger Leistungen abzusehen ist. Soweit sich Umstände für solche Härten nicht aufdrängen, ist es am Leistungsberechtigten, atypische Umstände seines Einzelfalles vorzubringen, die der Leistungsträger zu erwägen hat (BSG, Urteil vom 19. August 2015 – B 14 AS 1/15 R, juris Rn. 29). Ein solcher Härtefall kann bei der Klägerin als Pflegeperson zweier nach Pflegestufe II Pflegebedürftiger vorliegen. Als ehrenamtliche Pflegeperson befindet sie sich in einer vom Gesetzgeber zur erheblichen Entlastung der Sozialkassen gewollten besonderen Situation. Der Bundesgesetzgeber ermöglicht für diesen Fall bewusst den Bezug von SGB-II-Leistungen ohne Pflicht zur Arbeitsaufnahme (§ 10 Abs. 1 Nr. 3 SGB II) – hier vom Beklagten durch Integrationsvereinbarung umgesetzt – und honoriert diese Situation durch kostenfreie Unfallversicherung, die Möglichkeit zur Arbeitslosenversicherung und die Zahlung von Rentenbeiträgen durch die Pflegeversicherung der zu Pflegenden (§ 44 SGB X). Die Rentenerwartung steigt mit jedem Monat.

32

Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Drittwirkung.

(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt

1.
bei der Entscheidung über Versicherungs-, Beitrags- und Umlagepflichten sowie der Anforderung von Beiträgen, Umlagen und sonstigen öffentlichen Abgaben einschließlich der darauf entfallenden Nebenkosten,
2.
in Angelegenheiten des sozialen Entschädigungsrechts und der Bundesagentur für Arbeit bei Verwaltungsakten, die eine laufende Leistung entziehen oder herabsetzen,
3.
für die Anfechtungsklage in Angelegenheiten der Sozialversicherung bei Verwaltungsakten, die eine laufende Leistung herabsetzen oder entziehen,
4.
in anderen durch Bundesgesetz vorgeschriebenen Fällen,
5.
in Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten ist und die Stelle, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, die sofortige Vollziehung mit schriftlicher Begründung des besonderen Interesses an der sofortigen Vollziehung anordnet.

(3) In den Fällen des Absatzes 2 kann die Stelle, die den Verwaltungsakt erlassen oder die über den Widerspruch zu entscheiden hat, die sofortige Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen. In den Fällen des Absatzes 2 Nr. 1 soll die Aussetzung der Vollziehung erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. In den Fällen des Absatzes 2 Nr. 2 ist in Angelegenheiten des sozialen Entschädigungsrechts die nächsthöhere Behörde zuständig, es sei denn, diese ist eine oberste Bundes- oder eine oberste Landesbehörde. Die Entscheidung kann mit Auflagen versehen oder befristet werden. Die Stelle kann die Entscheidung jederzeit ändern oder aufheben.

(4) Die aufschiebende Wirkung entfällt, wenn eine Erlaubnis nach Artikel 1 § 1 des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 3. Februar 1995 (BGBl. I S. 158), das zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 23. Juli 2001 (BGBl. I S. 1852) geändert worden ist, aufgehoben oder nicht verlängert wird. Absatz 3 gilt entsprechend.

Keine aufschiebende Wirkung haben Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt,

1.
der Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende aufhebt, zurücknimmt, widerruft, entzieht, die Pflichtverletzung und die Minderung des Auszahlungsanspruchs feststellt oder Leistungen zur Eingliederung in Arbeit oder Pflichten erwerbsfähiger Leistungsberechtigter bei der Eingliederung in Arbeit regelt,
2.
mit dem zur Beantragung einer vorrangigen Leistung aufgefordert wird oder
3.
mit dem nach § 59 in Verbindung mit § 309 des Dritten Buches zur persönlichen Meldung bei der Agentur für Arbeit aufgefordert wird.

Verwaltungsakt ist jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Allgemeinverfügung ist ein Verwaltungsakt, der sich an einen nach allgemeinen Merkmalen bestimmten oder bestimmbaren Personenkreis richtet oder die öffentlich-rechtliche Eigenschaft einer Sache oder ihre Benutzung durch die Allgemeinheit betrifft.

Tenor

Der Antrag des Klägers, ihm für das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde vor dem Bundessozialgericht gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 29. Juni 2011 Prozesskostenhilfe zu bewilligen, wird abgelehnt.

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 29.Juni 2011 wird als unzulässig verworfen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

1

Nach § 73a Sozialgerichtsgesetz (SGG) iVm § 114 Zivilprozessordnung kann einem Beteiligten für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundessozialgericht (BSG) nur dann Prozesskostenhilfe bewilligt werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Diese Voraussetzung ist hier nicht erfüllt. Denn die Nichtzulassungsbeschwerde gegen die obige Entscheidung des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen (LSG) kann voraussichtlich nicht zur Zulassung der Revision führen, weil Zulassungsgründe iS des § 160 Abs 2 SGG nicht ersichtlich sind.

2

Die Revision kann nur aus den in § 160 Abs 2 SGG genannten Gründen - grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache, Abweichung (Divergenz), Verfahrensmangel - zugelassen werden. Eine allgemeine Überprüfung des Rechtsstreits in dem Sinne, ob das LSG in der Sache richtig entschieden hat, ist nicht zulässig.

3

Der Kläger selbst führt zur Begründung seines Antrags auf Prozesskostenhilfe aus, dass das LSG zu Unrecht seine Klageänderungen vom 10.2.2011, 11.3.2011 und 26.5.2011 als unzulässig angesehen habe. Eine Entscheidung durch Prozessurteil anstelle eines in Wirklichkeit gebotenen Sachurteils kann ein Verfahrensmangel iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG sein(stRspr BSGE 2, 245, 252 ff; BSG SozR 1500 § 160a Nr 55). Die Voraussetzungen eines solchen Verfahrensmangels sind vorliegend jedoch nicht erfüllt. Nach § 99 Abs 1 SGG ist eine Änderung der Klage nur zulässig, wenn die übrigen Beteiligten oder das Gericht die Änderung für sachdienlich hält. Nach den Feststellungen des LSG, gegen die nach Durchsicht der Gerichtsakte des LSG auch keine begründete Aufklärungsrüge erhoben werden kann, hat der Beklagte der Klageerweiterung nicht zugestimmt. Auch das Schweigen einer Behörde ist - entgegen der Ansicht des Klägers - keine Zustimmung. Die Beurteilung der Sachdienlichkeit einer Klageänderung steht im Ermessen des Gerichts (vgl nur Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 99 RdNr 10 ff), hier also des LSG. Dass das LSG dieses Ermessen falsch ausgeübt hätte, ist nicht zu erkennen, da die von ihm angeführten Gründe, dass kein Fall des § 96 SGG vorliegen würde, sondern - soweit überhaupt ein anfechtbarer Verwaltungsakt gegeben sei - dieser Folgezeiträume regele und zB die Untätigkeitsklage nicht entscheidungsreif sei, nachvollziehbar sind. Ein bloßer enger Sachzusammenhang mit der schon anhängigen Klage genügt für die Sachdienlichkeit einer Klageänderung nicht (vgl Meyer-Ladewig aaO).

4

Das Vorliegen eines der in § 160 Abs 2 SGG genannten Gründe für die Zulassung der Revision ist auch bei der im Prozesskostenhilfeverfahren gebotenen summarischen Prüfung des Streitstoffes(vgl Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 6. Aufl 2011, VI, RdNr 70) nicht zu erkennen. Weder erscheint die Rechtssache von grundsätzlicher Bedeutung, noch enthält die Entscheidung des LSG eine Abweichung iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG.

5

Dies gilt auch hinsichtlich der Frage, ob es sich bei der auf § 12a Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II), eingeführt durch das Siebte Gesetz zur Änderung des Dritten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 8.4.2008 (BGBl I 681), beruhenden Aufforderung, einen Antrag auf Erwerbsminderungsrente zu stellen, um einen Verwaltungsakt handelt. Das LSG hat dies unter Verweis auf ein Urteil des BSG vom 17.12.2002 (B 7 AL 18/02 R - SozR 3-4300 § 202 Nr 3) zu Recht bejaht, weil dies der gefestigten Rechtsprechung des BSG zu vergleichbaren Aufforderungen im Recht der Arbeitslosenhilfe entspricht (BSG vom 27.7.2000 - B 7 AL 42/99 R - BSGE 87, 31 = SozR 3-4100 § 134 Nr 22; BSG vom 20.9.2001 - B 11 AL 35/01 R - BSGE 89, 13 = SozR 3-4300 § 142 Nr 1) und Gründe für eine andere Beurteilung im Rahmen des SGB II nicht zu erkennen sind (ebenso Geiger in Münder, LPK SGB II, 4. Aufl 2011, § 12a RdNr 7; vgl zu § 5 Abs 3 SGB II: Armborst in Münder, LPK SGB II, § 5 RdNr 49; Bieback in Gagel, SGB II/SGB III, Stand Juni 2011, § 5 SGB II RdNr 84; Luthe in Hauck/Noftz, SGB II, Stand August 2010, § 5 RdNr 122; Knickrehm in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl 2008, § 5 RdNr 33).

6

Ebenso wenig ist ein Verfahrensmangel zu erkennen, auf dem die angefochtene Entscheidung des LSG beruhen kann und der in verfahrensmäßig zulässiger Weise geltend gemacht werden könnte.

7

Die gleichzeitig mit dem Antrag auf Prozesskostenhilfe vom Kläger persönlich eingelegte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in der genannten Entscheidung des LSG ist als unzulässig zu verwerfen, weil sie nicht von einem beim BSG zugelassenen Prozessbevollmächtigten eingelegt worden ist (§ 73 Abs 4, § 160a Abs 4 Satz 1 Halbs 2 iVm § 169 SGG), worauf der Kläger in der Rechtsmittelbelehrung der Entscheidung des LSG hingewiesen worden ist.

8

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung der §§ 183, 193 SGG.

(1) Ein Verwaltungsakt wird gegenüber demjenigen, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, in dem Zeitpunkt wirksam, in dem er ihm bekannt gegeben wird. Der Verwaltungsakt wird mit dem Inhalt wirksam, mit dem er bekannt gegeben wird.

(2) Ein Verwaltungsakt bleibt wirksam, solange und soweit er nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist.

(3) Ein nichtiger Verwaltungsakt ist unwirksam.

(1) Das Gericht der Hauptsache kann auf Antrag

1.
in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung haben, die sofortige Vollziehung ganz oder teilweise anordnen,
2.
in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen,
3.
in den Fällen des § 86a Abs. 3 die sofortige Vollziehung ganz oder teilweise wiederherstellen.
Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen oder befolgt worden, kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung oder die Anordnung der sofortigen Vollziehung kann mit Auflagen versehen oder befristet werden. Das Gericht der Hauptsache kann auf Antrag die Maßnahmen jederzeit ändern oder aufheben.

(2) Soweit ein Fall des Absatzes 1 nicht vorliegt, kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das Gericht der Hauptsache ist das Gericht des ersten Rechtszugs und, wenn die Hauptsache im Berufungsverfahren anhängig ist, das Berufungsgericht. Die §§ 920, 921, 923, 926, 928, 929 Absatz 1 und 3, die §§ 930 bis 932, 938, 939 und 945 der Zivilprozessordnung gelten entsprechend.

(3) Die Anträge nach den Absätzen 1 und 2 sind schon vor Klageerhebung zulässig.

(4) Das Gericht entscheidet durch Beschluss.

Keine aufschiebende Wirkung haben Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt,

1.
der Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende aufhebt, zurücknimmt, widerruft, entzieht, die Pflichtverletzung und die Minderung des Auszahlungsanspruchs feststellt oder Leistungen zur Eingliederung in Arbeit oder Pflichten erwerbsfähiger Leistungsberechtigter bei der Eingliederung in Arbeit regelt,
2.
mit dem zur Beantragung einer vorrangigen Leistung aufgefordert wird oder
3.
mit dem nach § 59 in Verbindung mit § 309 des Dritten Buches zur persönlichen Meldung bei der Agentur für Arbeit aufgefordert wird.

(1) Bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in Rechte eines Beteiligten eingreift, ist diesem Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern.

(2) Von der Anhörung kann abgesehen werden, wenn

1.
eine sofortige Entscheidung wegen Gefahr im Verzug oder im öffentlichen Interesse notwendig erscheint,
2.
durch die Anhörung die Einhaltung einer für die Entscheidung maßgeblichen Frist in Frage gestellt würde,
3.
von den tatsächlichen Angaben eines Beteiligten, die dieser in einem Antrag oder einer Erklärung gemacht hat, nicht zu seinen Ungunsten abgewichen werden soll,
4.
Allgemeinverfügungen oder gleichartige Verwaltungsakte in größerer Zahl erlassen werden sollen,
5.
einkommensabhängige Leistungen den geänderten Verhältnissen angepasst werden sollen,
6.
Maßnahmen in der Verwaltungsvollstreckung getroffen werden sollen oder
7.
gegen Ansprüche oder mit Ansprüchen von weniger als 70 Euro aufgerechnet oder verrechnet werden soll; Nummer 5 bleibt unberührt.

(1) Eine Verletzung von Verfahrens- oder Formvorschriften, die nicht den Verwaltungsakt nach § 40 nichtig macht, ist unbeachtlich, wenn

1.
der für den Erlass des Verwaltungsaktes erforderliche Antrag nachträglich gestellt wird,
2.
die erforderliche Begründung nachträglich gegeben wird,
3.
die erforderliche Anhörung eines Beteiligten nachgeholt wird,
4.
der Beschluss eines Ausschusses, dessen Mitwirkung für den Erlass des Verwaltungsaktes erforderlich ist, nachträglich gefasst wird,
5.
die erforderliche Mitwirkung einer anderen Behörde nachgeholt wird,
6.
die erforderliche Hinzuziehung eines Beteiligten nachgeholt wird.

(2) Handlungen nach Absatz 1 Nr. 2 bis 6 können bis zur letzten Tatsacheninstanz eines sozial- oder verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden.

(3) Fehlt einem Verwaltungsakt die erforderliche Begründung oder ist die erforderliche Anhörung eines Beteiligten vor Erlass des Verwaltungsaktes unterblieben und ist dadurch die rechtzeitige Anfechtung des Verwaltungsaktes versäumt worden, gilt die Versäumung der Rechtsbehelfsfrist als nicht verschuldet. Das für die Wiedereinsetzungsfrist maßgebende Ereignis tritt im Zeitpunkt der Nachholung der unterlassenen Verfahrenshandlung ein.

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 15. Dezember 2010 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander auch für das Revisionsverfahren außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Zwischen den Beteiligten ist die Höhe der dem Kläger seit August 2007 vorzeitig gewährten Altersrente wegen Arbeitslosigkeit streitig.

2

Der am 1947 geborene Kläger bezog vom 1.8.1996 bis 30.6.1998 eine Rente wegen Berufsunfähigkeit (BU). Die Beklagte ermittelte für diese Rente 56,3265 Entgeltpunkte (EP). Abzüglich von 3,1838 EP aufgrund eines durchgeführten Versorgungsausgleichs ergaben sich - nach Multiplikation mit dem Zugangsfaktor 1,0 - 53,1427 persönliche EP (Bescheide vom 19.3.1997, 7.1.1998 und 24.2.1998). Nach Auslaufen der Rente war der Kläger wieder versicherungspflichtig beschäftigt und im Anschluss daran arbeitslos.

3

Im Oktober 2007 beantragte er Altersrente wegen Arbeitslosigkeit ab August 2007, die die Beklagte mit Bescheid vom 30.10.2007 bewilligte. Insgesamt ermittelte sie für diese Rente 60,0784 EP. Abzüglich von 3,1838 EP für den durchgeführten Versorgungsausgleich ergaben sich 56,8946 EP. Der Rentenberechnung legte die Beklagte 56,3265 persönliche EP unter Berücksichtigung eines Zugangsfaktors von 1,0 zu Grunde, da diese bereits Grundlage der bis Juni 1998 bezogenen Rente wegen BU gewesen seien. Weitere 0,5681 EP multiplizierte sie wegen vorzeitiger Inanspruchnahme der Altersrente um 54 Monate mit einem entsprechend geminderten Zugangsfaktor von 0,838, sodass sich (gerundet) 0,4761 persönliche EP errechneten. Die Summe der persönlichen EP von 56,8026 (= 56,3265 EP + 0,4761 EP) multipliziert mit dem aktuellen Rentenwert von 26,27 Euro ergaben ab Dezember 2007 einen monatlichen Bruttorentenbetrag von 1492,20 Euro, entsprechend einem monatlichen Nettozahlbetrag nach Abzug der Beiträge bzw Beitragsanteile zur Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von 1353,43 Euro, und für die Zeit von August bis November 2007 einen Nachzahlungsbetrag in Höhe von 5413,72 Euro.

4

Bereits zwei Tage später nahm die Beklagte diese Rentenbewilligung hinsichtlich der festgestellten Höhe mit Bescheid vom 1.11.2007 gestützt auf § 45 SGB X rückwirkend ab August 2007 zurück. Der Bescheid vom 30.10.2007 sei von Anfang an rechtswidrig gewesen. Fälschlicherweise seien die EP, die bereits Grundlage der Rente wegen BU gewesen seien, bei der Berechnung der Altersrente voll berücksichtigt worden. Die Rücknahme des Bescheids sowohl für die Vergangenheit als auch für die Zukunft sei zulässig, weil sich der Kläger nicht auf Vertrauen in den Bestand des Bescheids vom 30.10.2007 berufen könne. Die ihr bekannten Umstände, die einer Rücknahme entgegenstehen könnten, seien bei der Prüfung des Vertrauensschutzes und bei der Ausübung des Ermessens beachtet worden. Diese seien jedoch nicht geeignet, von der Bescheidrücknahme abzusehen. Wegen der vorzeitigen Inanspruchnahme der Altersrente seien alle dem Kläger (nach dem durchgeführten Versorgungsausgleich) zustehenden 56,8946 EP (= 56,3265 EP + 0,5681 EP) - also auch die EP, die bereits als persönliche EP der Rente wegen BU zu Grunde lagen - nur unter Berücksichtigung des reduzierten Zugangsfaktors von 0,838 heranzuziehen. Ausgehend von den sich danach ergebenden 47,6777 persönlichen EP (= 56,8946 EP x 0,838) ergab sich nach Multiplikation mit dem aktuellen Rentenwert von 26,27 Euro ab Dezember 2007 ein monatlicher Bruttorentenbetrag von 1252,49 Euro, entsprechend einem monatlichen Nettozahlbetrag von 1136,02 Euro. Die Nachzahlung für die Zeit von August bis November 2007 reduzierte sich auf 4544,08 Euro.

5

Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 8.9.2009 im Wesentlichen aus den Gründen des angefochtenen Bescheids zurück. Zum Zeitpunkt der Bescheidrücknahme seien noch keine Rentenleistungen gezahlt worden, sodass ein schutzwürdiges Vertrauen des Klägers nicht habe entstehen können. Gesichtspunkte, die im Rahmen des Ermessens für eine Begrenzung der Rücknahme sprechen könnten, seien nicht ersichtlich. Dies gelte umso mehr, als die Rücknahme keine unzumutbare wirtschaftliche Härtesituation bewirke. Zusammen mit der bewilligten Rente und der Rentenabschlagsausgleichszahlung aus der Seemannskasse seien ausreichend Einkünfte zur Sicherung des Lebensunterhalts vorhanden.

6

Die Klage hat das SG abgewiesen (Urteil vom 28.5.2010). Das LSG hat die vom Kläger eingelegte Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 15.12.2010). Die Beklagte sei nach Maßgabe des § 45 SGB X zur Teilrücknahme der Rentenbewilligung im Bescheid vom 30.10.2007 unter Heranziehung des reduzierten Zugangsfaktors von 0,838 für alle EP berechtigt gewesen, weil dieser Bescheid rechtsfehlerhaft 56,3265 EP mit einem Zugangsfaktor von 1,0 multipliziert habe und sich der Kläger gegenüber der damit korrespondierenden Teilrücknahme nicht auf schutzwürdiges Vertrauen berufen könne. Die Beklagte habe das ihr durch § 45 SGB X eingeräumte Ermessen rechtsfehlerfrei ausgeübt. Der Kläger könne sich für die 56,3265 EP nicht auf die Ausnahmevorschrift des § 77 Abs 3 Satz 1 SGB VI berufen, wonach für diejenigen EP, die bereits Grundlage von persönlichen EP einer früheren Rente gewesen seien, der frühere Zugangsfaktor maßgebend bleibe. Zwar könnte man dem Wortlaut des § 77 Abs 3 Satz 1 SGB VI, der eigentlich gewährleisten solle, dass die über den Zugangsfaktor gesteuerten Rentenabschläge auch für alle Folgerenten gelten sollten, einen Bestandsschutz für den Zugangsfaktor 1,0 für diejenigen persönlichen EP, die der BU-Rente des Klägers zu Grunde lagen, auch bei der Berechnung der Altersrente entnehmen. Dies widerspräche jedoch der entsprechend heranzuziehenden Regelung des § 88 Abs 1 Satz 2 SGB VI, die für vergleichbare Fälle den Vertrauensschutz nur dann auf Folgerenten erstrecke, wenn diese längstens 24 Kalendermonate nach deren Auslaufen beginne. Eine entsprechende Frist finde sich auch in der Regelung des § 306 Abs 2 SGB VI. Diese Höchstfrist sei beim Kläger längst überschritten. Die vor Erlass des Rücknahmebescheids vom 1.11.2007 durch § 24 SGB X vorgeschriebene Anhörung des Klägers sei zwar unterblieben. Durch die Nachholung der Anhörung im Widerspruchsverfahren sei dieser Verfahrensfehler jedoch gemäß § 41 Abs 1 Nr 3 SGB X geheilt.

7

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung der §§ 77, 88 und 306 SGB VI. § 77 Abs 3 Satz 1 SGB VI erfasse EP, die bereits Grundlage einer früheren Rente gewesen seien. Hierfür bleibe nach dem Wortlaut grundsätzlich der frühere Zugangsfaktor maßgebend. Nur EP, die nach der letzten Feststellung des Rentenwerts erworben seien, würden mit einem neuen Zugangsfaktor bewertet. Weder aus den Materialien noch aus dem Wortlaut der Norm lasse sich entnehmen, dass dabei nach dem Zeitpunkt des Auslaufens der früheren Rente differenziert werden solle. Eine planwidrige Regelungslücke liege nicht vor. Eine analoge Anwendung des § 88 Abs 1 Satz 2 SGB VI verbiete sich. Ebenso wenig tauge der Hinweis des LSG auf § 306 Abs 2 SGB VI.

8

Der Kläger beantragt,

        

das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 15. Dezember 2010 und das Urteil des Sozialgerichts Stade vom 28. Mai 2010 und den Bescheid der Beklagten vom 1. November 2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 8. September 2009 aufzuheben.

9

Die Beklagte beantragt,

        

die Revision zurückzuweisen.

10

Sie hält das angefochtene Urteil im Ergebnis für zutreffend. Es bestehe allerdings keine planwidrige Regelungslücke, die in entsprechender Anwendung der in § 88 Abs 1 Satz 2 und § 306 Abs 2 SGB VI jeweils normierten Frist von 24 Kalendermonaten zu schließen sei. Vielmehr sei von der Notwendigkeit des nahtlosen Übergangs von der Vorrente zur Altersrente auszugehen. Zwar bleibe gemäß § 77 Abs 3 Satz 1 SGB VI für EP, die bereits Grundlage von persönlichen EP einer früheren Rente gewesen seien, der frühere Zugangsfaktor grundsätzlich maßgeblich. Dies gelte aber beim Wegfall der früheren Rente vor Vollendung des 60. Lebensjahres nur dann, wenn die spätere Rente nahtlos an die vorherige Rente anschließe. Dies ergebe sich aus § 77 Abs 2 Satz 3 SGB VI, wonach die Zeit des Bezugs einer Rente vor Vollendung des 60. Lebensjahres nicht als Zeit einer vorzeitigen Inanspruchnahme gelte. Für den Fall, dass die Rente wegen BU vor Vollendung des 60. Lebensjahres wegfalle und sich die Folgerente nicht nahtlos anschließe, sei der Zugangsfaktor für die Folgerente nach § 77 Abs 2 Satz 1 Nr 2 Buchst a SGB VI zu bestimmen.

11

Die Beklagte hat im Termin zur mündlichen Verhandlung im Wege eines Teilanerkenntnisses den Bescheid vom 1.11.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8.9.2009 insoweit aufgehoben, als hierin der Bescheid vom 30.10.2007 für die Monate August bis November 2007 zurückgenommen wurde. Der Kläger hat dieses Teilanerkenntnis angenommen.

Entscheidungsgründe

12

Die zulässige Revision des Klägers ist, soweit sich das Verfahren nicht durch das angenommene Anerkenntnis erledigt hat (vgl § 101 Abs 2 SGG), nicht begründet.

13

Streitig ist nach Abgabe des Teilanerkenntnisses durch die Beklagte und dessen Annahme durch den Kläger im Revisionsverfahren nur noch, ob die Beklagte berechtigt war, die mit Bescheid vom 30.10.2007 erfolgte Rentenbewilligung ab 1.12.2007 (teilweise) zurückzunehmen. Insoweit hat das LSG zu Recht entschieden, dass die vom Kläger erhobene Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 SGG) unbegründet ist. Denn die im angefochtenen Bescheid vom 1.11.2007 (in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8.9.2009) erfolgte Rücknahme der mit Bescheid vom 30.10.2007 erfolgten Rentenbewilligung hinsichtlich der Rentenhöhe war rechtmäßig.

14

1. Der angefochtene Bescheid ist nicht mangels der nach § 24 Abs 1 SGB X gebotenen Anhörung aufzuheben. Zwar hat die Beklagte dem Kläger nicht vor Erlass des Bescheids vom 1.11.2007 Gelegenheit gegeben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Dieser Verfahrensfehler ist hier aber nach § 41 Abs 1 Nr 3 und Abs 2 SGB X durch Nachholung der unterbliebenen Anhörung im Widerspruchsverfahren geheilt worden(vgl BSG vom 14.7.1994 - SozR 3-4100 § 117 Nr 11 S 72 f; BSG vom 30.4.1997 - BSGE 80, 215, 217 = SozR 3-2940 § 7 Nr 4 S 12). Der Kläger konnte aus dem Bescheid vom 1.11.2007 die entscheidungserheblichen Tatsachen für die Rücknahme des Rentenbescheids vom 30.10.2007 erkennen; denn ihm war zu entnehmen, dass die Berücksichtigung der EP, die bereits Grundlage der persönlichen EP bei der Rente wegen BU waren, mit dem damals maßgebenden Zugangsfaktor 1,0 bei der Berechnung der vorzeitig in Anspruch genommenen Altersrente wegen Arbeitslosigkeit zur Rücknahme führte. Der Kläger hatte somit im Rahmen des Widerspruchsverfahrens Gelegenheit, sich zu den entscheidungserheblichen Tatsachen zu äußern. Davon hat er Gebrauch gemacht. Auch hat die Beklagte im angefochtenen Bescheid zum Ausdruck gebracht, dass sie nach den ihr "bekannten Umständen" keinen Vertrauensschutz oder Ermessensgesichtspunkte zugunsten des Klägers sehe. Diese Ausführungen waren vor dem besonderen Hintergrund ausreichend, dass die Beklagte den Bescheid vom 30.10.2007 bereits zwei Tage später (also unmittelbar nach dessen Erlass) mit Bescheid vom 1.11.2007 zurückgenommen hat und der Kläger aufgrund des Bescheids vom 30.10.2007 noch keine Zahlungen erhalten hatte, die er hätte verbrauchen oder über die er hätte disponieren können. Soweit die Beklagte im Rahmen ihrer Ermessenserwägungen erstmals im Widerspruchsbescheid vom 8.9.2009 ausgeführt hat, "dies gelte um so mehr", als die Rücknahme auch keine unzumutbare wirtschaftliche Härtesituation bewirke, da zusammen mit dem Rentenabschlagsausgleich aus der Seemannskasse ausreichend Einkünfte zur Sicherung des Lebensunterhalts vorhanden seien, handelt es sich - wie sich schon aus der Formulierung erschließt - um keine zuvor in einem gesonderten Anhörungsschreiben mitzuteilende, die Entscheidung tragende Tatsache.

15

2. Rechtsgrundlage für die Rücknahme der mit Bescheid vom 30.10.2007 erfolgten Rentenbewilligung durch den angefochtenen Bescheid vom 1.11.2007 ist § 45 SGB X. Gemäß Abs 1 Satz 1 dieser Bestimmung darf ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), soweit er rechtswidrig ist, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Abs 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Da vorliegend aufgrund des angenommenen Teilanerkenntnisses nur noch die Rücknahme der Rentenbewilligung ab 1.12.2007 durch den Bescheid vom 1.11.2007 streitig ist, ist im Revisionsverfahren lediglich die Rechtmäßigkeit einer in die Zukunft gerichteten Rücknahme zu prüfen (vgl Senatsurteil vom 24.4.1997 - BSGE 80, 186, 196 f = SozR 3-7140 § 1 Nr 1 S 13 mwN).

16

3. Der Rentenbescheid vom 30.10.2007 war von Anfang an rechtswidrig. Denn dem Kläger stand kein Anspruch auf Altersrente wegen Arbeitslosigkeit in der dort festgestellten Höhe zu, da bei der Rentenberechnung rechtsfehlerhaft 56,3265 EP mit einem (ungeminderten) Zugangsfaktor von 1,0 multipliziert wurden. Richtigerweise waren auch diese EP gemäß § 77 Abs 2 Satz 1 Nr 2 Buchst a SGB VI wegen der vorzeitigen Inanspruchnahme der Altersrente um 54 Monate nur nach Maßgabe des reduzierten Zugangsfaktors von 0,838 als persönliche EP zu berücksichtigen.

17

a) Voraussetzung für die Gewährung einer Altersrente wegen Arbeitslosigkeit ist - neben der Erfüllung versicherungsrechtlicher Voraussetzungen (§ 237 Abs 1 Nr 3 bis 5 SGB VI) - grundsätzlich, dass der Versicherte vor dem 1.1.1952 geboren ist und das 60. Lebensjahr vollendet hat (§ 237 Abs 1 Nr 1 und 2 SGB VI). Diese Voraussetzungen erfüllt der Kläger.

18

Nach § 237 Abs 3 iVm Anlage 19 zum SGB VI in der zu Rentenbeginn des Klägers am 1.8.2007 anzuwendenden Fassung (vgl § 300 Abs 1 und 2 SGB VI)des Gesetzes zur Sicherung der nachhaltigen Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung (Rentenversicherungs-Nachhaltigkeitsgesetz - RVNG) vom 21.7.2004 (BGBl I 1791) wird jedoch die Altersgrenze von 60 Jahren bei der Altersrente wegen Arbeitslosigkeit für nach dem 31.12.1936 geborene Versicherte angehoben, wobei die vorzeitige Inanspruchnahme (unter Inkaufnahme eines Abschlags für jeden Monat des vorzeitigen Bezugs) möglich ist.

19

Nach Anlage 19 zum SGB VI wird für im Januar 1947 geborene Versicherte - wie der Kläger - die Altersgrenze von 60 Jahren bei Altersrenten wegen Arbeitslosigkeit für eine abschlagsfreie Gewährung um 60 Monate auf 65 Jahre angehoben; die vorzeitige Inanspruchnahme der Rente, die für den Kläger wegen seiner bereits vor Januar 2004 bestehenden Arbeitslosigkeit (vgl S 3 der Anlage 2 des Bescheids vom 1.11.2007) gemäß § 237 Abs 5 Satz 1 Nr 1 SGB VI in der ab 1.1.2006 geltenden Fassung des RVNG noch ab Vollendung des 60. Lebensjahres möglich war, führt zu Abzügen nach § 77 Abs 2 Satz 1 Nr 2 Buchst a SGB VI. Eine abschlagsfreie Inanspruchnahme der Altersrente wäre für den Kläger nach § 237 Abs 3 iVm Anlage 19 zum SGB VI erst ab 1.2.2012 möglich gewesen. Tatsächlich hat er sie aber bereits zum 1.8.2007 mit 60 Jahren und 6 Monaten - und damit 54 Monate vorzeitig - in Anspruch genommen.

20

Die vorzeitige Inanspruchnahme der Rente mit Absenkung des Zugangsfaktors führt zu einem geringeren Rentenbetrag. Denn der Zugangsfaktor als Berechnungselement der persönlichen EP (vgl § 63 Abs 6, § 64 Nr 1 SGB VI)beträgt für EP, die noch nicht Grundlage von persönlichen EP einer Rente waren, gemäß § 77 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGB VI bei Renten wegen Alters grundsätzlich 1,0. Bei Renten wegen Alters, die vorzeitig in Anspruch genommen werden, ist der Zugangsfaktor hingegen gemäß § 77 Abs 2 Satz 1 Nr 2 Buchst a SGB VI für jeden Kalendermonat um 0,003 niedriger als 1,0. Mit der um 54 Monate vorzeitig in Anspruch genommenen Altersrente war der Zugangsfaktor daher - wie mit dem angefochtenen Bescheid geschehen - um 54 x 0,003 auf 0,838, insgesamt also um einen Abzug von 0,162 (entsprechend einem "Rentenabschlag" von 16,2 vH), zu mindern.

21

Dass die Rentenabschläge bei vorzeitiger Inanspruchnahme einer Altersrente wegen Arbeitslosigkeit verfassungsgemäß sind, haben sowohl das BSG (Urteil vom 25.2.2004 - BSGE 92, 206 = SozR 4-2600 § 237 Nr 1, RdNr 14 ff; Senatsurteil vom 5.8.2004 - SozR 4-2600 § 237 Nr 6 RdNr 28 ff; Senatsurteil vom 6.5.2010 - B 13 R 18/09 R - Juris RdNr 19 ff) als auch das BVerfG (Senatsbeschluss vom 11.11.2008 - BVerfGE 122, 151 = SozR 4-2600 § 237 Nr 6 RdNr 75 ff; Kammerbeschluss vom 5.2.2009 - 1 BvR 1631/04 - Juris RdNr 11 ff) bereits entschieden.

22

b) Der Kläger kann sich für sein Begehren auf eine höhere Altersrente nicht auf die Bestimmung des § 77 Abs 3 Satz 1 SGB VI berufen, wonach für diejenigen EP, die bereits Grundlage von persönlichen EP einer früheren Rente waren, der frühere Zugangsfaktor maßgebend bleibt. Denn die Heranziehung eines ungekürzten Zugangsfaktors für die persönlichen EP aus einer früher (vor dem 1.1.2001) bezogenen (abschlagsfreien) Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit kommt bei Berechnung einer nachfolgend vorzeitig in Anspruch genommenen Altersrente allenfalls dann in Betracht, wenn - wie das LSG zu Recht entschieden hat - die Unterbrechung im Rentenbezug höchstens 24 Kalendermonate gedauert hat. Diese Frist ist hier weit überschritten. Im vorliegenden Fall lagen mehr als neun Jahre zwischen dem Auslaufen der BU-Rente zum 30.6.1998 und dem Beginn der Altersrente am 1.8.2007.

23

aa) Mit dem Gesetz zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung (Rentenreformgesetz 1992 - RRG 1992) vom 18.12.1989 (BGBl I 2261) hatte der Gesetzgeber ab 1.1.1992 zur Kosteneinsparung in der gesetzlichen Rentenversicherung begonnen, die Altersgrenzen für den Bezug von vorzeitig in Anspruch genommenen Altersrenten anzuheben. Die weiter bestehende Möglichkeit, ab dem 60. Lebensjahr eine Altersrente vorzeitig in Anspruch zu nehmen, wurde mit Rentenabschlägen verbunden. Der erstmals mit dem RRG 1992 eingeführte Zugangsfaktor bestimmt, in welchem Umfang EP bei der Ermittlung des Monatsbetrags der Rente als persönliche EP zu berücksichtigen sind (§ 77 Abs 1 SGB VI). Während der Zugangsfaktor bei Renten wegen Alters, die mit Ablauf der Vollendung des 65. Lebensjahres oder eines für den Versicherten maßgebenden niedrigeren Rentenalters beginnen, mit 1,0 anzusetzen ist, wird der Zugangsfaktor für jeden Monat, für den eine Rente wegen Alters vorzeitig in Anspruch genommen wird, um 0,003 gekürzt (§ 77 Abs 2 Nr 1 SGB VI idF des RRG 1992, ab 1.1.2001 inhaltsgleich: § 77 Abs 2 Satz 1 Nr 2 Buchst a SGB VI). Die dadurch verursachte Kürzung kann je nach Geburtsjahr, Rentenart und Rentenbeginn bis zu 18 vH betragen.

24

Mit der bereits durch das RRG 1992 mit Wirkung zum 1.1.1992 eingefügten Regelung in § 77 Abs 3 Satz 1 SGB VI wollte der Gesetzgeber sicherstellen, dass die mit einem "vorzeitigen" Rentenbezug gemäß § 77 Abs 2 Satz 1 SGB VI einhergehende (sich auf die gesamte Dauer des Rentenbezugs erstreckende) Kürzung des Zugangsfaktors grundsätzlich auch bei Bezug einer oder mehrerer aufeinander folgender Renten wirksam bleibt. Denn bei den Folgerenten handelt es sich um eigenständige (neue) Leistungsansprüche mit eigenen, ggf neu zu ermittelnden Berechnungsfaktoren, ua auch mit einem neuen Zugangsfaktor, abgestimmt auf den späteren Rentenbeginn (vgl BSG vom 29.1.2008 - B 5a/5 R 32/07 R - Juris RdNr 24). Damit die - vom Gesetzgeber gewollte - Dauerwirkung des über den Zugangsfaktor gesteuerten Abschlags aus der Vorrente wegen deren vorzeitigen Inanspruchnahme auch bei Folgerenten gewährleistet bleibt, ordnet § 77 Abs 3 Satz 1 SGB VI die Übernahme des bisherigen Zugangsfaktors in die Folgerente an(BSG vom 29.1.2008 - aaO). Dies hat zur Folge, dass für alle mit der früheren Rente vorzeitig in Anspruch genommenen persönlichen EP der bisherige (gekürzte) Zugangsfaktor auch dann (weiterhin) maßgebend bleibt, wenn eine neue (Folge-)Rente festzustellen ist. Der eigene, neue Zugangsfaktor ist damit nur noch für zusätzliche (neu hinzugekommene) EP in der Folgerente maßgebend, die bisher noch nicht in Anspruch genommen wurden und somit der früheren Rente noch nicht zu Grunde lagen, die also bei der Berechnung der neuen Rente erstmals zu berücksichtigen sind (vgl Einzelbegründung zu § 77 SGB VI im Gesetzentwurf des RRG 1992, BT-Drucks 11/4124, S 172 zu § 76 des Entwurfs - Zugangsfaktor).

25

Grundsätzlich verfolgt der Gesetzgeber mit der Regelung in § 77 Abs 3 Satz 1 SGB VI also die Perpetuierung des reduzierten Zugangsfaktors für EP einer vorzeitig in Anspruch genommenen Rente auf Folgerenten zu Lasten des Versicherten (zur "Durchbrechung" der Perpetuierung des abgesenkten Zugangsfaktors einer Rente wegen Erwerbsminderung vor Vollendung des 60. Lebensjahres nach dem seit 1.1.2001 geltenden Recht des Gesetzes zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20.12.2000 bei einer nach Unterbrechung im Rentenbezug folgenden Altersrente zu Gunsten des Versicherten iS eines Schutzes vor einem "immerwährenden Abschlag": BSG vom 14.8.2008 - BSGE 101, 193 = SozR 4-2600 § 77 Nr 5, RdNr 17 f; BSG vom 25.11.2008 - B 5 R 112/08 R - Juris RdNr 22 f). Dies entspricht der Zielsetzung des Gesetzgebers, der mit einem gekürzten Zugangsfaktor längere Rentenlaufzeiten ausgleichen will, damit aus einem vorzeitigen Rentenbezug kein finanzieller Vorteil gegenüber anderen Versicherten entsteht, die eine Rente nicht oder erst zu einem späteren Zeitpunkt vorzeitig in Anspruch nehmen (vgl Begründung zum Gesetzentwurf des RRG 1992, BT-Drucks 11/4124, S 144 zu VII. Flexibilisierung und Verlängerung der Lebensarbeitszeit).

26

bb) Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob § 77 Abs 3 Satz 1 SGB VI auch dann gilt, wenn - wie im vorliegenden Fall - die persönlichen EP einer späteren Rente nach einem niedrigeren Zugangsfaktor(hier: Altersrente mit Zugangsfaktor 0,838 gemäß § 77 Abs 2 Satz 1 Nr 2 Buchst a SGB VI wegen vorzeitiger Inanspruchnahme um 54 Monate) zu errechnen sind als die einer zuvor bezogenen Rente (hier: Rente wegen BU mit Zugangsfaktor 1,0 gemäß § 77 Abs 1 Satz 2 Nr 1 SGB VI idF des RRG 1992) und ob sich diese Norm in diesen Fällen wie eine "Bestandsschutzregelung" in dem Sinne auswirken kann, dass der Versicherte bei der Festsetzung der Höhe der späteren Rente den höheren Zugangsfaktor für die EP, die bereits Grundlage von persönlichen EP der früheren Rente waren, "behalten" darf; eine Kürzung dieser EP aus der früher bezogenen Rente also nicht erfolgt.

27

Selbst dann, wenn man § 77 Abs 3 Satz 1 SGB VI eine bestandsschützende Wirkung iS der Perpetuierung des ungekürzten Zugangsfaktors für persönliche EP aus einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit (nach dem bis zum 31.12.2000 geltenden Recht) auf eine nachfolgend vorzeitig in Anspruch genommene Altersrente beimessen wollte, gälte diese zeitlich nur beschränkt.

28

cc) Zwar lässt sich dem Wortlaut des § 77 Abs 3 Satz 1 SGB VI eine zeitliche Beschränkung für die Heranziehung eines höheren Zugangsfaktors aus einer früheren Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nicht entnehmen. Andererseits ergeben sich aus den Gesetzesmaterialien aber auch keine Hinweise dafür, dass der Gesetzgeber mit der Regelung in § 77 Abs 3 Satz 1 SGB VI eine Begünstigung des Versicherten durch einen höheren Zugangsfaktor aus einer Vorrente bei einer später vorzeitig beanspruchten Rente ohne jegliche Begrenzung der Dauer einer zwischenzeitlichen Unterbrechung im Rentenbezug einführen wollte(vgl Einzelbegründungen zu § 77 SGB VI im Gesetzentwurf des RRG 1992, BT-Drucks 11/4124, S 172 und im Gesetzentwurf der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zum RRErwerbG, BT-Drucks 14/4230, S 26 zu Nr 22<§ 77>).

29

Dies stünde auch im Gegensatz dazu, dass der Gesetzgeber in § 88 Abs 1 SGB VI ausdrücklich geregelt hat, in welchem Umfang persönliche EP(als Produkt aus Zugangsfaktor und EP, § 66 Abs 1 SGB VI) aus einer früheren Rente bei einer späteren Rente noch zu berücksichtigen sind. Für den hier vorliegenden Fall einer zuvor bezogenen Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit gilt nach Satz 2 der Bestimmung Folgendes: Hat ein Versicherter eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit bezogen und beginnt spätestens innerhalb von 24 Kalendermonaten nach Ende des Bezugs dieser Rente erneut eine Rente, sind dem Versicherten für diese Rente mindestens die bisherigen persönlichen EP zu Grunde zu legen. Insoweit handelt es sich um eine Besitzschutzregelung für persönliche EP einer vorausgegangenen Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit (vgl Senatsurteil vom 22.10.1996 - SozR 3-2600 § 88 Nr 2 S 5; BSG vom 11.6.2003 - SozR 4-2600 § 88 Nr 1 RdNr 8; vgl auch Gesetzentwurf des RRG 1992, BT-Drucks 11/4124, S 173 ).

30

Die persönlichen EP der Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit sind also bei der Berechnung der Folgerente zu berücksichtigen, wenn diese Rente spätestens innerhalb von 24 Kalendermonaten nach dem Ende des Bezugs der Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit beginnt, zB auch dann, wenn sich wegen der vorzeitigen Inanspruchnahme der Altersrente der Zugangsfaktor (§ 77 Abs 2 Satz 1 Nr 2 Buchst a SGB VI)verringert, sodass sich bei der Berechnung der Altersrente weniger persönliche EP als bei der früheren Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit ergeben (vgl Kommentar zum Recht der gesetzlichen Rentenversicherung , § 88 SGB VI Anm 6 mit Berechnungsbeispiel, Stand Einzelkommentierung Februar 2005).

31

Im Umkehrschluss folgt daraus aber zugleich, dass sich der Versicherte bei einer Folgerente auch mit einer geringeren Zahl an persönlichen EP zu begnügen hat, wenn die Unterbrechung des Rentenbezugs mehr als 24 Kalendermonate gedauert hat und sich bei der Bewilligung der Folgerente nach Maßgabe der dann bei Rentenbeginn geltenden gesetzlichen Vorschriften (etwa aufgrund eines niedrigeren Zugangsfaktors) eine entsprechend verminderte Zahl an persönlichen EP ergibt. Die persönlichen EP der Vorrente sind dann (dh 24 Kalendermonate nach Ende des Bezugs der Vorrente) nicht mehr besitzgeschützt.

32

Die von § 88 Abs 1 Satz 2 SGB VI geregelte Interessenlage des Versicherten stimmt mit der eines Versicherten überein, der eine für ihn günstige Bemessung des Zugangsfaktors für persönliche EP, die bereits Grundlage einer früheren Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit waren, nach dem Wegfall dieser Rente bei einer späteren (vorzeitig in Anspruch genommenen) Altersrente gemäß § 77 Abs 3 Satz 1 SGB VI fortgeschrieben sehen will. In beiden Fällen will der Versicherte (mindestens) die der bisherigen Rentenberechnung zu Grunde liegenden persönlichen EP auch für den Bezug der Folgerente behalten. Den Schutz des Versicherten hat der Gesetzgeber in § 88 Abs 1 Satz 2 SGB VI aber lediglich auf eine Dauer von 24 Kalendermonaten begrenzt. Angesichts der insoweit übereinstimmenden Interessenlagen ist es gerechtfertigt, die Wertung des § 88 Abs 1 Satz 2 SGB VI hinsichtlich der Dauer der Schutzbedürftigkeit des Versicherten an der Beibehaltung von (höheren) persönlichen EP aus einer früheren Rente bei Unterbrechungen im Rentenbezug auf § 77 Abs 3 Satz 1 SGB VI zu übertragen. Daraus folgt, dass ein Versicherter eine für ihn günstigere Bemessung des Zugangsfaktors für die persönlichen EP aus einer früheren (abschlagsfreien) Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach einer Rentenunterbrechung bei der Feststellung der persönlichen EP einer vorzeitig in Anspruch genommenen Altersrente allenfalls dann beanspruchen kann, wenn die Unterbrechung im Rentenbezug nicht mehr als 24 Kalendermonate gedauert hat. Wird diese Frist überschritten, ist der (höhere) Zugangsfaktor der früheren Rente nicht mehr "bestandsgeschützt".

33

dd) Diese Höchstfrist ist vorliegend um ein Mehrfaches überschritten, sodass die der BU-Rente des Klägers zu Grunde liegenden persönlichen EP weder nach § 88 Abs 1 Satz 2 SGB VI noch im Rahmen der Bestimmung des § 77 Abs 3 Satz 1 SGB VI über den Zugangsfaktor "besitzgeschützt" waren. Die Beklagte hat daher bei der Festsetzung der Höhe der Altersrente zu Recht alle vom Kläger bis zum Rentenbeginn am 1.8.2007 erworbenen EP gemäß § 77 Abs 2 Satz 1 Nr 2 Buchst a SGB VI wegen der vorzeitigen Inanspruchnahme der Altersrente um 54 Monate mit einem Zugangsfaktor von 0,838 multipliziert und die sich aus diesem Rechenvorgang ergebenden persönlichen EP (0,838 x 56,8946 EP =§ 121 abs 2 sgb vi> 47,6777 persönliche EP) der Rente zu Grunde gelegt.

34

Hiergegen kann nicht eingewendet werden, dass es für den Kläger bezogen auf die Höhe seines Anspruchs auf Altersrente wegen Arbeitslosigkeit günstiger gewesen wäre, wenn sich sein Gesundheitszustand nicht gebessert hätte, er also dauerhaft berufsunfähig geblieben wäre und eine entsprechende Rente bis zum Beginn der Altersrente bezogen hätte. Denn eine solche Begünstigung wäre - worauf das LSG zu Recht hingewiesen hat - als Ausdruck dessen zu werten gewesen, dass der Gesetzgeber die Einführung eines reduzierten Zugangsfaktors (auch) für Erwerbsminderungsrenten zum 1.1.2001 auf neu zu bewilligende Renten begrenzt und insbesondere unter Berücksichtigung des Vertrauensschutzes keine vergleichbaren Kürzungen für Bestandsrenten vorgesehen hat. Zur Zeit der Gesetzesänderung bezog der Kläger aber schon längst keine Rente wegen BU mehr. Es ist kein Grund ersichtlich, dem Kläger den ungeminderten Zugangsfaktor nur deshalb zu belassen, weil er früher einmal eine abschlagsfreie Rente bezogen hat, und ihn auf diese Weise zeitlich unbegrenzt besser zu stellen als einen Rentner, der erstmals eine Rente (vorzeitig) in Anspruch genommen hat.

35

4. Das LSG hat auf der Grundlage der von ihm getroffenen Feststellungen auch zu Recht entschieden, dass der Kläger für sich keinen Vertrauensschutz beanspruchen konnte. Ein rechtswidriger Verwaltungsakt darf (auch für die Zukunft) nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsakts vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit den öffentlichen Interessen an der Rücknahme schutzwürdig ist (§ 45 Abs 2 Satz 1 SGB X). Nach § 45 Abs 2 Satz 2 SGB X ist das Vertrauen in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann.

36

Nach den unangefochtenen und insoweit bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) hat der Kläger den Differenzbetrag zwischen den mit dem Bescheid vom 30.10.2007 zuerkannten Rentenleistungen und den mit dem (Teil-)Rücknahmebescheid vom 1.11.2007 noch festgestellten Leistungen nie erhalten, sodass er ihn nicht hat verbrauchen können. Auch hatte der Kläger insoweit noch keine Vermögensdispositionen getroffen.

37

Die Beklagte hat das ihr durch § 45 Abs 2 Satz 1 SGB X eingeräumte Ermessen in nicht zu beanstandender Weise ausgeübt. Gesichtspunkte, die Anlass zu einer anderweitigen Ermessensausübung hätten geben können, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.

38

Da die weiteren Voraussetzungen für die (Teil-)Rücknahme des Bescheids vom 30.10.2007 (Einhaltung der Zwei-Jahres-Frist nach § 45 Abs 3 Satz 1 SGB X) ebenfalls gegeben sind, war die (Teil-)Rücknahme der Rentenbewilligung mit Wirkung für die Zukunft ab 1.12.2007 rechtmäßig.

39

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

(1) Ein Verwaltungsakt muss inhaltlich hinreichend bestimmt sein.

(2) Ein Verwaltungsakt kann schriftlich, elektronisch, mündlich oder in anderer Weise erlassen werden. Ein mündlicher Verwaltungsakt ist schriftlich oder elektronisch zu bestätigen, wenn hieran ein berechtigtes Interesse besteht und der Betroffene dies unverzüglich verlangt. Ein elektronischer Verwaltungsakt ist unter denselben Voraussetzungen schriftlich zu bestätigen; § 36a Abs. 2 des Ersten Buches findet insoweit keine Anwendung.

(3) Ein schriftlicher oder elektronischer Verwaltungsakt muss die erlassende Behörde erkennen lassen und die Unterschrift oder die Namenswiedergabe des Behördenleiters, seines Vertreters oder seines Beauftragten enthalten. Wird für einen Verwaltungsakt, für den durch Rechtsvorschrift die Schriftform angeordnet ist, die elektronische Form verwendet, muss auch das der Signatur zugrunde liegende qualifizierte Zertifikat oder ein zugehöriges qualifiziertes Attributzertifikat die erlassende Behörde erkennen lassen. Im Fall des § 36a Absatz 2 Satz 4 Nummer 3 des Ersten Buches muss die Bestätigung nach § 5 Absatz 5 des De-Mail-Gesetzes die erlassende Behörde als Nutzer des De-Mail-Kontos erkennen lassen.

(4) Für einen Verwaltungsakt kann für die nach § 36a Abs. 2 des Ersten Buches erforderliche Signatur durch Rechtsvorschrift die dauerhafte Überprüfbarkeit vorgeschrieben werden.

(5) Bei einem Verwaltungsakt, der mit Hilfe automatischer Einrichtungen erlassen wird, können abweichend von Absatz 3 Satz 1 Unterschrift und Namenswiedergabe fehlen; bei einem elektronischen Verwaltungsakt muss auch das der Signatur zugrunde liegende Zertifikat nur die erlassende Behörde erkennen lassen. Zur Inhaltsangabe können Schlüsselzeichen verwendet werden, wenn derjenige, für den der Verwaltungsakt bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, auf Grund der dazu gegebenen Erläuterungen den Inhalt des Verwaltungsaktes eindeutig erkennen kann.

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Tenor

1. Der Bescheid vom 6. August 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8. Oktober 2014 wird aufgehoben.

2. Der Beklagte hat der Klägerin ihre notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Pflicht der Klägerin eine vorzeitige Rente zu beantragen.

2

Die Klägerin ist am … 1951 geboren. Sie bezieht als Pflegeperson ihrer Eltern, die nach Pflegestufe II pflegebedürftig sind, laufend Arbeitslosengeld II vom Beklagten. Mit Eingliederungsvereinbarung vom 4. November 2008 haben die Klägerin und der Beklagte vereinbart, dass die Klägerin wegen ihrer Pflegetätigkeit sich nicht bewerben muss. Laut Rentenauskunft vom 12. August 2014 würde die Klägerin bei Eintritt in die Altersrente am 1. Juni 2017 bei gleichbleibender Beitragsentrichtung 774,47 Euro monatliche Rente erhalten. Ab 1. Januar 2017 könne die Klägerin Altersrente für Frauen abschlagsfrei beantragen.

3

Am 6. August 2014 erließ der Beklagte einen Bescheid, dessen Tenor wie folgt lautet:

4

„nach den mir vorliegenden Unterlagen können Sie einen Anspruch auf eine geminderte Altersrente haben.

5

Bitte beantragen Sie daher nach Zugang dieses Schreibens eine geminderte Altersrente spätestens bis zum 23. August 2014 bei der Deutschen Rentenversicherung.

6

Teilen Sie mir bitte mit dem beigefügten Vordruck spätestens bis zum 23. August 2014 Ihre Antragstellung mit.

7

Sollten Sie die Voraussetzungen für eine geminderte Altersrente nicht beziehungsweise erst zu einem späteren Zeitpunkt erfüllen, bitte ich Sie, eine entsprechende Bescheinigung des zuständigen Leistungsträgers vorzulegen.“

8

In der Begründung wird ausgeführt, bei Nichtantragstellung könne der Beklagte den Antrag gemäß § 5 Abs. 3 Satz 1 SGB II selbst beim Rentenversicherungsträger stellen. Unter Abwägung aller Gesichtspunkte sei der Beklagte zum Ergebnis gekommen, die Klägerin zur Beantragung vorrangiger Leistungen aufzufordern. Jobcenter seien gehalten wirtschaftlich zu handeln. Es seien keine maßgeblichen Gründe ersichtlich, welche gegen die Beantragung der maßgeblichen Leistung sprächen. In Abwägung ihrer Interessen mit dem Interesse an wirtschaftlicher und sparsamer Verwendung von Leistungen nach dem SGB II sei ihr die Beantragung vorrangiger Leistungen zumutbar, da Hilfebedürftigkeit in ihrem Fall beseitigt oder verringert werde. In der Ermessensentscheidung habe der Beklagte die Voraussetzungen der Unbilligkeitsverordnung geprüft. Deren Ausnahmen lägen nicht vor. Daher sei sie verpflichtet, ab Vollendung des 63. Lebensjahres auch eine geminderte Altersrente in Anspruch zu nehmen. Eine Anhörung hat der Beklagte nicht durchgeführt.

9

Den hiergegen am 21. August 2014 eingelegte Widerspruch der Klägerin wies der Beklagte am 8. Oktober 2014 zurück. Ergänzend zu den Gründen des Bescheids nimmt der Widerspruchsbescheid den Gesichtspunkt auf, dass es lediglich zu einer geringen Minderung der Altersrente komme.

10

Mit Klage vom 17. Oktober 2014 wendet sich die Klägerin gegen den Bescheid. Sie ist der Auffassung, der Beklagte habe bei der Ermessensabwägung ihre besondere Situation als Pflegeperson nicht berücksichtigt.

11

Die Klägerin stellte keinen Antrag.

12

Der Beklagte beantragt,

13

die Klage abzuweisen.

14

Der Beklagte hat vorgetragen, die Aufforderung zur Beantragung einer geminderten Rente sei rechtmäßig. Insbesondere sei das erforderliche Ermessen fehlerfrei ausgeübt worden. Die Minderung bei der Altersrente sei gering. Sie betrage lediglich 8,7 Prozent.

15

Das Sozialgericht Mainz hat mit Beschluss vom 6. November 2014 die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage gegen den Bescheid vom 6. August 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8. Oktober 2014 angeordnet (S 14 AS 955/14 ER).

16

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichts- und beigezogenen Verwaltungsakte, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

17

Das Sozialgericht konnte in Abwesenheit der Klägerin verhandeln und entscheiden, da es in der an sie fristgerecht zugestellten Ladung zum Termin darauf hingewiesen hatte, dass auch im Falle ihres Ausbleibens die Kammer verhandeln, Beweis erheben und entscheiden kann. Der Beklagte beantragte in der mündlichen Sitzung Verhandlung.

18

Die Klage ist zulässig. Die erkennende Kammer legt das Klagebegehren der Klägerin als Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 SGG) aus, wobei diese begehrt, den Bescheid vom 6. August 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8. Oktober 2014 aufzuheben Dies entspricht dem schriftlichen Vortrag. Bei dem Schreiben vom 6. August 2014 handelt es sich auch um einen Verwaltungsakt im Sinne des § 31 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) (vgl. Bundessozialgericht, Beschluss vom 16.12.2011 - B 14 AS 138/11 B, juris Rn 5; BSG, Urteil vom 19. August 2015 – B 14 AS 1/15 R). Die Aufforderung setzt die allgemein für Leistungsberechtigte geltende gesetzliche Verpflichtung nach § 12a Satz 1 SGB II, vorrangige Leistungen in Anspruch zu nehmen, in eine konkrete Regelung im Einzelfall der Klägerin um.

19

Die Klage ist auch begründet. Der Bescheid des Beklagten vom 6. August 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8. Oktober 2014 ist rechtswidrig und verletzte die Klägerin in ihren Rechten.

20

Der Bescheid ist an der Rechtsgrundlage des § 12a Satz 1 und 2 Nr. 1 iVm § 5 Abs. 3 Satz 1 SGB II und § 13 Abs. 2 SGB II i.V.m. § 1 Unbilligkeitsverordnung zu messen.

21

Der streitgegenständliche Bescheid ist bereits formell rechtswidrig, da die Klägerin nicht vor Erlass angehört wurde und die Anhörung auch nicht bis zur mündlichen Verhandlung nachgeholt wurde.

22

Gemäß § 24 SGB X ist einem Beteiligten vor Erlass eines Verwaltungsaktes, der in seine Rechte eingreift, Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Die Aufforderung einen Antrag auf Rente zu stellen, ist ein Eingriff. Hiermit sind vorbereitend auf die ersatzweise Rentenantragstellung durch den Beklagten der Verlust der Leistungsberechtigung aus SGB II und lebenslange Einbußen bei der zu erwartenden Rentenhöhe verbunden. Somit ist eine Anhörung erforderlich. Anzuhören ist zu allen Tatsachen, die nach Sicht der Behörde für die Entscheidung wesentlich sind. Es wird uneinheitlich gesehen, ob im Widerspruchsverfahren eine Nachholung der Anhörung liegt. Dies ist jedenfalls dann zu verneinen, wenn im Ausgangsbescheid nicht alle zugrunde gelegten Tatsachen und rechtlichen Wertungen enthalten waren (vgl. schon BSG v. 14.07.1994 - 7 RAr 104/93; v. 12.12.2001). In diesem Fall wird eine Empfängerin des Verwaltungsakts nicht in die Lage versetzt, umfassend und sachgerecht eine Stellungnahme abzugeben. Zwar müssen nicht alle Gründe, die für die Entscheidung maßgebend waren, angegeben werden. Es genügt vielmehr, die Grundzüge der behördlichen Abwägungsargumentation mitzuteilen. Ist wie hier ein Ermessen auszuüben, muss in der Begründung auch klar erkennbar sein, welche Gesichtspunkte für das Ermessen relevant sind und wie sie abgewogen wurden.

23

Vorliegend ist die Anhörung nicht durchgeführt. Der Ausgangsbescheid enthält insbesondere formelhafte und nicht individualisierte Ausführungen. Es fehlt eine mit Zahlen unterlegte Darstellung, in welcher Weise durch die Antragstellung Hilfebedürftigkeit beseitigt oder vermindert wird. Sofern lediglich eine Verminderung erfolgen sollte, wäre dazustellen gewesen, in welcher Weise die Hilfebedürftigkeit sonst beseitigt werden kann. Angesichts der Tatsache, dass eine verminderte Rentenleistung im Vergleich zur Regelrente zu erwarten ist, wäre darzustellen gewesen, wie hoch diese konkret ausfallen wird. Sodann fehlen bei der Begründung des Ermessens Gesichtspunkte und Angaben zur Gewichtung. Diese sind nicht in dem formelhaften Abdruck von Textbausteinen zu erblicken.

24

Das Gericht musste das Verfahren nicht nach § 114 Abs. 2 Satz 2 SGG aussetzen, um dem Beklagten Gelegenheit zu geben, die Anhörung in einem mehr oder minder förmlichen Verfahren nachzuholen, da ein Antrag nicht gestellt wurde, obwohl auf das Problem im parallelen Eilrechtsverfahren hingewiesen wurde (vgl. SG Mainz, Beschluss vom 6. November 2014 – S 14 AS 955/14 ER)

25

Der streitgegenständliche Bescheid ist auch materiell rechtswidrig. Die materielle Rechtswidrigkeit ergibt sich aus der mangelnden Bestimmtheit des Bescheids.

26

Ein Verwaltungsakt ist jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalls auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist (§ 31 Satz 1 SGB X). Mit dem Verwaltungsakt setzt die Verwaltung das allgemeine Gesetz im jeweiligen Einzelfall nach außen gegenüber dem Bürger um, gestaltet für ihn eine Rechtssituation oder gibt ihm ein konkretes Handeln, Unterlassen oder Dulden auf. Nach § 33 Abs. 1 SGB X muss jeder Verwaltungsakt hinreichend bestimmt sein. Er muss im Verfügungssatz klar erkennen lassen, wer gegenüber wem was genau regelt (vgl. Pattar in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, § 33 SGB X, Rn. 10). Das bedeutet auch, dass der Adressat des Verweisungsaktes in der Lage sein muss, das von ihm Geforderte zu erkennen. Dies kann sich auch aus dem Zusammenhang mit der Begründung ergeben.

27

Hier hat sich der Beklagte im Verfügungssatz des Ausgangsbescheids lediglich mit einer Bitte an die Klägerin gewandt. Eine Bitte ist laut Duden ein „an jemanden gerichteter Wunsch“. Ein Wunsch kann erfüllt werden muss aber nicht erfüllt werden. Bitten und Wünsche sind daher einer hoheitlichen Regelung fremd. Die Bunde und der Wunsch sind dem Verwaltungsakt im Sinne des SGB X fremd. Der Staat wünscht sich in einem Verwaltungsakt nichts sondern regelt klar ein bestimmtes, durchführbares Verhalten. Die Aufforderung zu einem bestimmten Handeln ergibt sich auch nicht aus dem unvollständigen Zitat des Gesetzestextes des § 12a SGB II – hier nur Satz 1 –, da es sich hier um einen Konditionalsatz handelt. Auch hieraus kann die Klägerin nicht erkennen, was sie zu tun hat. Der Beklagte durfte der Klägerin auf Grundlage dieser Nichtaufforderung zu einem bestimmten Handeln auch nicht in der Begründung androhen, die Rentenantragsstellung gemäß § 5 SGB II selbst vorzunehmen.

28

Da mangelnde Bestimmtheit ein materieller Fehler des Verwaltungsakts ist, kann sie – anders als etwa eine fehlende Begründung nicht durch Nachholung im Sinne von § 41 SGB X geheilt werden (Pattar in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, § 33 SGB X, Rn. 25). Allerdings lässt die Rechtsprechung zu, dass dies durch den nachfolgenden Widerspruchsbescheid oder einen Änderungsbescheid noch ex nunc möglich sein kann (BSG v. 29.11.2012 - B 14 AS 6/12 R - juris Rn. 28). Der Widerspruchsbescheid hat diese Problematik des Ausgangsbescheids nicht erkannt. Er ging vielmehr davon aus, dass der Ausgangsbescheid die Klägerin nicht um eine Rentenantragsstellung gebeten sondern sie dazu aufgefordert habe. Heilung kann nur unter bewusster Erörterung und Korrektur eines Fehlers erfolgen. Dies ist hier nicht erfolgt. Auch ein späterer Änderungsbescheid ist bis zur mündlichen Verhandlung nicht ergangen.

29

Der Bescheid war daher aufzuheben.

30

Der Beklagte wird im Falle einer evt. erneuten Aufforderung zur Rentenantragstellung Folgendes zu beachten haben. Die Anwendung des § 12a Satz1 und 2 Nr. 1 iVm § 5 Abs 3 Satz 1 SGB II und § 13 Abs. 2 SGB II i.V.m. § 1 Unbilligkeitsverordnung erfolgt durch zwei Handlungen: Aufforderung nach § 12a SGB II und ersatzweise Rentenantragstellung nach § 5 Abs. 3 SGB II. Der Gesamtvorgang setzt bei dem Beklagten die Ausübung von Ermessen in drei Stufen voraus. Auf der ersten Stufe ist zunächst zu prüfen, ob die Inanspruchnahme der Altersrente zur Vermeidung, Beseitigung, Verkürzung oder Verminderung der Hilfebedürftigkeit möglich und erforderlich ist. Es bedarf daher im Falle der Altersrente vor Erlass eines Bescheides der Ermittlung, ob die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen einer Altersrente gegeben sind und inwieweit die Beantragung Hilfebedürftigkeit verringert. Dies ergibt sich aus einer aktuellen Rentenauskunft. Auf der zweiten Stufe ist zu ermitteln, ob die Anwendbarkeit von § 12a SGB II wegen Unbilligkeit ausnahmsweise ausgeschlossen ist. Das Jobcenter hat dabei wegen der mit § 12a SGB II ermöglichten Eingriffs in das auch die Rentenanwartschaften aus den gesetzlichen Rentenversicherungen schützende Grundrecht des Art. 14 GG alle Einzelfallgesichtspunkte zu ermitteln und in die Ermessensentscheidung einzubeziehen. Die Unbilligkeit kann sich auf dieser Stufe nur aus aus anderen Gesetzesnormen (z.B. § 65 Abs 4 Satz 3 SGB II iVm § 428 Abs 2 Satz 1 Halbsatz 2 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch) oder aus § 13 Abs. 2 SGB II i.V.m. der Unbilligkeitsverordnung ergeben (vgl. BSG, Urteil vom 19. August 2015 – B 14 AS 1/15 R). Die Ermessensgesichtspunkte beider Stufen müssen im Aufforderungsbescheid i.S des § 35 Abs 1 Satz 3 SGB X erkennbar sein (BSG, Urteil vom 19. August 2015 – B 14 AS 1/15 R, juris Rn. 27).

31

Härtefallgesichtspunkte, die nicht auf der zweiten Stufe des Ermessens zum Tragen kommen, da die Unbilligkeitsverordnung sie nicht berücksichtigt, sind aus verfassungsrechtlichen Gründen auf einer dritten Stufe des Ermessens zu erwägen, bevor der nach § 5 Abs 3 Satz 1 SGB II mögliche ersatzweise Antrag gestellt wird. Auch diese Norm gibt dem Beklagten ein eigenes Ermessen. Dieses ermöglicht eine abschließende Abwägung im Einzelfall, ob der Nachrang der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II auf diesem Weg durchgesetzt werden soll oder ob dies wegen eines unzumutbaren besonderen Härtefalles unzumutbar ist. Dabei lässt auch das Bundessozialgericht Gründe zu, die nicht in der Unbilligkeitsverordnung wurzeln (BSG, Urteil vom 19. August 2015 – B 14 AS 1/15 R, juris Rn. 24 u. 26). Relevante Ermessensgesichtspunkte können dabei nur solche sein, die einen atypischen Fall begründen, in dem vom gesetzlichen Regelfall der Aufforderung zur Antragstellung zur Durchsetzung der Verpflichtung zur Inanspruchnahme vorrangiger Leistungen abzusehen ist. Soweit sich Umstände für solche Härten nicht aufdrängen, ist es am Leistungsberechtigten, atypische Umstände seines Einzelfalles vorzubringen, die der Leistungsträger zu erwägen hat (BSG, Urteil vom 19. August 2015 – B 14 AS 1/15 R, juris Rn. 29). Ein solcher Härtefall kann bei der Klägerin als Pflegeperson zweier nach Pflegestufe II Pflegebedürftiger vorliegen. Als ehrenamtliche Pflegeperson befindet sie sich in einer vom Gesetzgeber zur erheblichen Entlastung der Sozialkassen gewollten besonderen Situation. Der Bundesgesetzgeber ermöglicht für diesen Fall bewusst den Bezug von SGB-II-Leistungen ohne Pflicht zur Arbeitsaufnahme (§ 10 Abs. 1 Nr. 3 SGB II) – hier vom Beklagten durch Integrationsvereinbarung umgesetzt – und honoriert diese Situation durch kostenfreie Unfallversicherung, die Möglichkeit zur Arbeitslosenversicherung und die Zahlung von Rentenbeiträgen durch die Pflegeversicherung der zu Pflegenden (§ 44 SGB X). Die Rentenerwartung steigt mit jedem Monat.

32

Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Tenor

Auf die Revision der Kläger wird das Urteil des Thüringer Landessozialgerichts vom 26. April 2012 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Streitig ist die Aufhebung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) hinsichtlich des Zeitabschnitts vom 1.1.2006 bis 30.4.2006.

2

Der Kläger zu 1 und seine im Februar 2004 und im Februar 2006 geborenen Kinder, die Klägerin zu 2 und die frühere Klägerin zu 3, bilden zusammen mit seiner früheren Partnerin und jetzigen Ehefrau, der Mutter der Kinder und früheren Klägerin (im Folgenden: E.), eine Bedarfsgemeinschaft, die seit dem Jahr 2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II vom beklagten Jobcenter bezieht. Aufgrund eines Fortzahlungsantrags der E. wurden der Bedarfsgemeinschaft mit Bescheid vom 17.10.2005 für den Zeitraum von November 2005 bis April 2006 Leistungen bewilligt, die sich der Höhe nach zwischen 678,12 Euro und 923,86 Euro bewegten. Mit einem mit "Änderung" überschriebenen Bescheid vom 17.11.2005 wurden für Januar 2006 923,86 Euro, für Februar 2006 910,26 Euro und für März bis April 2006 jeweils 797,36 Euro bewilligt. Mit "Änderungsbescheiden" vom 3.5.2006, 21.9.2006 und 29.3.2007 wurden der Bedarfsgemeinschaft für die Monate Januar bis April 2006 jeweils niedrigere Leistungen als zuvor, der zweiten Tochter jedoch mit Bescheid vom 3.5.2006 erstmals Leistungen bewilligt, die sich dann jeweils erhöhten. Die höchsten Zahlungen wurden allen Klägern zuerkannt durch den zuletzt genannten Bescheid vom 29.3.2007 in Höhe von 482,98 Euro für Januar 2006, von 353,64 Euro für Februar, von 175,09 Euro für März 2006 und von 606,46 Euro für April 2006. Die Bescheide waren an die E. adressiert, die auch mit Schreiben vom 3.5.2006 zu einer Überzahlung infolge der Anrechnung von Einkommen angehört wurde. Sie habe vom 1.1.2006 bis 30.4.2006 Arbeitslosengeld II in Höhe von 1988,19 Euro zu Unrecht bezogen. Die E. erhob am 19.5.2006 Widerspruch gegen den Änderungsbescheid vom 3.5.2006, "woraus eine Nachzahlung von 1988,18 Euro resultiere". Auf den Widerspruch folgten die beiden Änderungsbescheide vom 21.9.2006 und vom 29.3.2007, die jeweils eine teilweise Abhilfe enthielten. Der Widerspruch der E. wurde mit Widerspruchsbescheid vom 21.5.2007 "nach Erteilung der Änderungsbescheide vom 21.9.2006 und vom 29.3.2007" zurückgewiesen.

3

Mit einem an die E., den Kläger zu 1 sowie an die E. als gesetzliche Vertreterin der Klägerin zu 2 gerichteten Erstattungsbescheid vom 21.4.2008 forderte der Beklagte unter Bezugnahme auf die Änderungsbescheide von der E. überzahlte Leistungen in Höhe von 742,76 Euro, von dem Kläger zu 1 in Höhe von 707,35 Euro und von der Klägerin zu 2 in Höhe von 360,58 Euro zurück. Über die Widersprüche dagegen ist noch nicht entschieden.

4

Das Sozialgericht (SG) hat im anschließenden Klageverfahren, das von den Eltern und den beiden Kindern geführt wurde, durch Urteil vom 26.11.2008 unter Abänderung der genannten Änderungsbescheide und des Widerspruchbescheids den Beklagten verurteilt, der E. sowie den Klägern unter Anrechnung der bisher gezahlten Leistungen höhere, aber unter dem Bescheid vom 17.11.2005 liegende Leistungen zu zahlen. Im Übrigen ist die Klage abgewiesen und die Berufung zugelassen worden. Die E. hat ihre Berufung zurückgenommen und das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Kläger, in der diese - nach dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 1.6.2010 (B 4 AS 89/09 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 29) zur Berücksichtigung von Zuschlägen als Einkommen - nur noch die Feststellung der Unwirksamkeit der Änderungsbescheide in der Gestalt des Widerspruchbescheids beantragt haben, zurückgewiesen (Urteil vom 26.4.2012). Zwar seien die angefochtenen Bescheide nur an die E. adressiert gewesen, da diese aber eine der gesetzlichen Vertreter der minderjährigen Kinder sei, genüge dies für eine Bekanntgabe diesen gegenüber (§§ 37, 39 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch). Gegenüber dem Kläger zu 1 sei, auch wenn die Vermutungswirkung des § 38 SGB II nicht greifen sollte, ein etwaiger Bekanntgabemangel zumindest geheilt worden. Nach § 9 Verwaltungszustellungsgesetz (VwZG) gelte ein Schriftstück als in dem Zeitpunkt zugestellt, in dem es dem Empfangsberechtigten tatsächlich zugegangen sei. Der Kläger zu 1 habe die Änderungsbescheide in diesem Sinne tatsächlich erhalten.

5

Gegen dieses Urteil wenden sich die Kläger mit ihrer vom erkennenden Senat zugelassenen Revision. Sie rügen ihre unterlassene Anhörung nach § 24 SGB X, die mangelnde Bekanntgabe(§ 37 SGB X)der Bescheide, insbesondere gegenüber dem Kläger zu 1, sowie deren fehlende Bestimmtheit nach § 33 Abs 1 SGB X.

6

Die Revision der - früheren - Klägerin zu 3 ist in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat zurückgenommen worden.

7

Die Kläger beantragen,
das Urteil des Thüringer Landessozialgerichts vom 26. April 2012 aufzuheben, das Urteil des Sozialgerichts Gotha vom 26. November 2008 zu ändern sowie den Änderungsbescheid des Beklagten vom 29. März 2007 in Gestalt des Widerspruchbescheids vom 21. Mai 2007 aufzuheben.

8

Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

9

Der Beklagte hält das Urteil des LSG für zutreffend, alle Bescheide seien hinsichtlich der Anhörung, der Bekanntgabe sowie der Bestimmtheit rechtmäßig, etwaige Mängel seien jedenfalls geheilt worden.

Entscheidungsgründe

10

Die Revision der Kläger ist zulässig (§§ 160, 164 Sozialgerichtsgesetz) und im Sinne der Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung an das LSG auch begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG). Über die Rechtmäßigkeit der angegriffenen Bescheide kann nicht abschließend entschieden werden, weil es dazu an ausreichenden Feststellungen seitens des LSG bezüglich einer Anhörung fehlt. Zudem ist eine Zurückverweisung auch in Bezug auf die Klägerin zu 2 notwendig, weil das LSG - aus seiner Sicht zu Recht - Feststellungen zu den Ansprüchen der Kläger der Höhe nach unterlassen hat.

11

1. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist die von den Klägern begehrte Aufhebung des Urteils des LSG bzw Änderung des Urteils des Sozialgerichts (SG) sowie die Aufhebung des letzten, günstigsten Abhilfe-(Änderungsbescheids) vom 29.3.2007 in Gestalt des Widerspruchbescheids vom 21.5.2007. Die vorangegangenen Änderungsbescheide vom 3.5.2006 und vom 21.9.2006 sind durch diesen letzten Änderungsbescheid vom 29.3.2007, der den Klägern die jeweils höchsten Leistungen bewilligt hat, ersetzt worden und sind damit erledigt (§ 39 Abs 2 SGB X).

12

Gegen diesen Bescheid haben sich die Kläger nach dem wahren Kern ihres Begehrens (vgl § 106 Abs 1 SGG) mit einer Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 SGG)als statthafter Klageart gewandt. Die Aufhebung der angefochtenen Bescheide hatten die Kläger auch bereits vor dem SG beantragt und lediglich vor dem LSG auf dessen Anraten ihren Antrag auf die (unzulässige) Feststellung der Rechtswidrigkeit der angefochtenen Bescheide umgestellt. Da gemäß § 123 SGG das Gericht über die von einem Kläger erhobenen Ansprüche entscheidet, ohne an die Fassung der Anträge gebunden zu sein, muss nach dem tatsächlichen Begehren der Kläger, das diese in der mündlichen Verhandlung bestätigt haben, von der Fortgeltung des ursprünglich gestellten Anfechtungsantrags ausgegangen werden. Im Rahmen dieses Antrags ist die Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts sowohl in formeller als auch in materieller Hinsicht zu prüfen. Aufgrund fehlender Feststellungen des LSG kann jedoch nicht beurteilt werden, ob der Kläger zu 1 vom beklagten Jobcenter anzuhören war (dazu unter 2.). Allerdings ist der Bescheid weder wegen fehlender Bekanntgabe (dazu unter 3.) noch mangender Bestimmtheit (dazu unter 4.) rechtswidrig.

13

2. Es kann nicht abschließend entschieden werden, ob der Kläger zu 1 neben der E. gesondert anzuhören war. Nach § 24 Abs 1 SGB X ist vor Erlass eines Verwaltungsakts, der in Rechte eines Beteiligten eingreift, diesem Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Bei belastenden Verwaltungsakten, also solchen, die gegenüber dem vorherigen Zustand eine ungünstigere Regelung enthalten, ist grundsätzlich anzuhören, denn die Anhörungsvorschriften sollen nach ihrem Sinn und Zweck vor Überraschungsentscheidungen schützen und das Vertrauen in die Verwaltung stärken (vgl BT-Drucks 7/868, S 28). Als eingreifender Verwaltungsakt in dem genannten Sinne sind auch Bescheide zu verstehen, die neben einer Begünstigung im Vergleich zum vorherigen Rechtszustand weniger günstigere Regelungen enthalten (vgl Siefert in: von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl 2014, § 24 RdNr 9).

14

Da die Änderungsbescheide vom 3.5.2006, vom 21.9.2006 sowie im hier maßgeblichen Bescheid vom 29.3.2007 im Vergleich zum ursprünglichen Bescheid vom 17.11.2005 jeweils ungünstigere, wenn auch sich kontinuierlich verbessernde Leistungsbewilligungen enthielten, ist grundsätzlich von einer Anhörungspflicht auszugehen.

15

a) Hinsichtlich der Klägerin zu 2 ist ein Anhörungserfordernis jedenfalls dadurch gewahrt worden, dass die E. im Ergebnis mit dem Schreiben vom 3.5.2006 nicht nur zu der beabsichtigten Rückforderung, sondern inzident auch zu den Änderungen im Vergleich zum Ausgangsbescheid angehört worden ist. Sie hat dementsprechend Widerspruch eingelegt und dieser hat in den nachfolgenden Änderungsbescheiden seinen Niederschlag gefunden. Da die minderjährige Klägerin zu 2 zumindest auch durch die E., ihre Mutter, gesetzlich vertreten wird, reichte das an die E. gerichtete Schreiben als Anhörung der Klägerin zu 2 aus (BSG Urteil vom 7.7.2011 - B 14 AS 153/10 R - BSGE 108, 289, 293 = SozR 4-4200 § 38 Nr 2, RdNr 24).

16

b) Ob der Kläger zu 1 nach den genannten Grundsätzen hier anzuhören war oder ob eine der in § 24 Abs 2 SGB X ausdrücklich normierten Ausnahmen von der grundsätzlichen Anhörungspflicht greift, kann wegen mangelnder tatsächlicher Angaben im Urteil des LSG nicht festgestellt werden.

17

aa) In Betracht kommt die Ausnahmevorschrift des § 24 Abs 2 Nr 3 SGB X, wonach von einer Anhörung abgesehen werden kann, wenn von den tatsächlichen Angaben eines Beteiligten, die dieser in einem Antrag oder einer Erklärung gemacht hat, nicht zu seinen Ungunsten abgewichen werden soll. In diesem Fall ist der Zweck des rechtlichen Gehörs durch die eigenen Angaben des Betroffenen erfüllt, ob die beabsichtigte Entscheidung der Behörde den Beteiligten im Ergebnis belastet oder begünstigt, ist im Rahmen von § 24 Abs 2 Nr 3 SGB X unerheblich(s Siefert in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl 2014, § 24 RdNr 27). Dass der Kläger zu 1 in dem genannten Sinne selbst tatsächliche Angaben gegenüber dem Beklagten gemacht hat, ist nicht erkennbar. Die Angabe durch den Betroffenen ist aber grundsätzlich Voraussetzung für das Eingreifen der genannten Ausnahmevorschrift (vgl BSG SozR 3-1300 § 24 Nr 12: Ausnahme von der Anhörungspflicht bei Rückforderung überzahlter Vorschüsse nach Maßgabe der Einkommensangaben eines Betroffenen). Hierzu werden im wieder aufgenommenen Berufungsverfahren weitere Feststellungen zu treffen sein.

18

Soweit der Kläger zu 1 sich gegenüber dem Beklagten tatsächlich nicht selbst geäußert hat, kommt eine Zurechnung der Mitteilung durch die E. zu den aufgetretenen Änderungen, insbesondere der Geburt der früheren Klägerin zu 3, des Einkommens des Klägers zu 1 oder des Zuflusses von Mutterschaftsgeld nur in Betracht, wenn sie die Erklärungen zur Überzeugung des LSG mit dem ausdrücklichen Willen und Wissen für den Kläger zu 1 so gemacht hat, als habe er die Erklärungen iS von § 24 Abs 2 Nr 3 SGB X selbst abgegeben. Hierzu bedarf es aber ebenfalls weiterer Feststellungen des LSG. Keine Zurechnungswirkung entfaltet dagegen insoweit die Vertretungsfiktion nach § 38 Abs 1 SGB II(dazu sogleich unter cc).

19

bb) Ebenfalls einschlägig kann die in § 24 Abs 2 Nr 5 SGB X geregelte Ausnahme von der Anhörungspflicht sein. Danach kann eine Anhörung entfallen, wenn lediglich einkommensabhängige Leistungen den geänderten Verhältnissen angepasst werden sollen. Dies setzt jedoch voraus, dass es sich um Einkommen des Klägers zu 1 handelt; soweit solches Einkommen ihm gegenüber die angefochtene Aufhebungsentscheidung trägt, bedurfte es einer zusätzlichen Anhörung durch den Beklagten dazu nicht, weil der Kläger zu 1 über diesen Zufluss in eigener Person Kenntnis hatte. Feststellungen dazu fehlen jedoch.

20

cc) Sollte das LSG zu dem Ergebnis kommen, dass der Beklagte unter keinem der genannten Gesichtspunkte von der Anhörung des Klägers zu 1 absehen konnte, ist jedenfalls die Heilung eines etwa bestehenden Anhörungsmangels im Widerspruchsverfahren gemäß § 41 Abs 1 Nr 3 iVm Abs 2 SGB X vorliegend nicht ersichtlich. Das Widerspruchsverfahren ersetzt die förmliche Anhörung, wenn den bis dahin nicht ausreichend angehörten Beteiligten Gelegenheit gegeben wird, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen sachgerecht zu äußern (vgl Schütze in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl 2014, § 41 RdNr 15 mwN). Das würde voraussetzen, dass dem Kläger zu 1 selbst Gelegenheit gegeben wurde, sich zu den entscheidungserheblichen Tatsachen zu äußern, was vorliegend nicht erkennbar ist.

21

Die Heilung eines etwaigen Anhörungsmangels über § 38 Abs 1 SGB II kann grundsätzlich ebenfalls nicht angenommen werden. Zwar wird die in der genannten Vorschrift geregelte Bevollmächtigung eines Leistungsberechtigten, Leistungen für die mit ihm in Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen zu beantragen und entgegenzunehmen, dahingehend ausgelegt, dass diese vermutete Bevollmächtigung alle Verfahrenshandlungen erfasst, die mit der Antragstellung und der Entgegennahme der Leistungen zusammenhängen und der Verfolgung des Anspruchs dienen (grundlegend BSG Urteil vom 7.11.2006 - B 7b AS 8/06 R - BSGE 97, 217 = SozR 4-4200 § 22 Nr 1, RdNr 29). Zu diesen Verfahrenshandlungen zählt auch die Einlegung eines Widerspruchs (vgl dazu nur Link in Eicher, SGB II, 3. Aufl 2013, § 38 RdNr 23 und 25), jedoch kann die angenommene Bevollmächtigung in § 38 Abs 1 SGB II sich nur auf die Vornahme im Grundsatz begünstigender Handlungen beziehen ("Leistungen … zu beantragen und entgegenzunehmen"). Im Hinblick auf das Widerspruchsverfahren ist durch § 38 Abs 1 SGB II daher grundsätzlich nur die Einlegung des Widerspruchs zur Verhinderung der Rechtskraft eines Bescheids gedeckt. Etwas anderes könnte nur gelten, wenn der Kläger zu 1 sich die Ausführungen der E. im Widerspruchsschreiben ausdrücklich zu eigen und deutlich gemacht hätte, dass das Vorbringen der E. auch in seinem Sinne umfassend und abschließend war und aus seiner Sicht Ergänzungen nicht notwendig waren.

22

3. Die angegriffenen Bescheide sind aber ungeachtet der Frage einer erforderlichen Anhörung insofern rechtmäßig, als das Erfordernis der ordnungsgemäßen Bekanntgabe eines Verwaltungsakts gemäß § 37 SGB X als formelle Voraussetzung für das Wirksamwerden des Bescheids vorliegend gewahrt ist. Eine wirksame Bekanntgabe ist zu bejahen, wenn die Behörde willentlich dem Adressaten vom Inhalt des Verwaltungsakts Kenntnis verschafft und der Adressat zumindest die Möglichkeit der Kenntnisnahme hat. Die Bekanntgabe setzt somit eine zielgerichtete Mitteilung des Verwaltungsakts durch die Behörde voraus (siehe nur Engelmann in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl 2014, § 37 RdNr 3a, 9). Richtet sich ein Verwaltungsakt an mehrere Beteiligte oder sind mehrere von ihm betroffen, so wird er jedem Einzelnen gegenüber erst zu dem Zeitpunkt wirksam, zu dem er ihm bekannt gegeben wird (BSG Urteil vom 21.7.1988 - 7 RAr 51/86 - BSGE 64, 17, 22 = SozR 1200 § 54 Nr 13),wobei die Möglichkeit der Kenntnisnahme zwingend, aber auch ausreichend ist (vgl Engelmann, aaO, § 37 RdNr 4 und 9 mwN). Daraus folgt, dass weder die zufällige Kenntnisnahme der Beteiligten vom Inhalt des Verwaltungsakts, etwa durch Mitteilung seitens eines Dritten, noch durch eine spätere Akteneinsicht im Gerichtsverfahren für eine wirksame Bekanntgabe ausreichen (vgl BSG Urteil vom 14.4.2011 - B 8 SO 12/09 R - BSGE 108, 123 = SozR 4-3500 § 82 Nr 7, RdNr 12).

23

a) Die genannten Wirksamkeitsvoraussetzungen sind hinsichtlich der Klägerin zu 2 erfüllt. Selbst wenn man von einer gemeinschaftlichen Vertretungsberechtigung der minderjährigen Klägerin durch den Kläger zu 1 und ihre Mutter, der E., ausgeht, konnte die Bekanntgabe der streitgegenständlichen Bescheide in zulässiger Weise allein an E. erfolgen. Im Hinblick auf die Bekanntgabe von Verwaltungsakten gegenüber Minderjährigen hat der Senat unter Heranziehung des Zustellungsrechts des Bundes (§ 6 Abs 3 VwZG)bereits entschieden, dass die Bekanntgabe gegenüber einem gesetzlichen Vertreter genügt (BSG Urteil vom 13.11.2008 - B 14 AS 2/08 R - BSGE 102, 76 = SozR 4-4200 § 9 Nr 7, RdNr 21). Dass die Bekanntgabe an lediglich einen Elternteil ausreichend ist, wurde in der Folgezeit auch in einer weiteren Entscheidung des Senats bestätigt (BSG Urteil vom 7.7.2011 - B 14 AS 153/10 R - BSGE 108, 289 = SozR 4-4200 § 38 Nr 2, RdNr 25).

24

b) Soweit von der Bekanntgabe andere Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft (§ 7 Abs 3 SGB II) betroffen sind, ergeben sich Besonderheiten, die auch für die Bekanntgabevoraussetzungen von Bedeutung sind. Vorliegend ist im Ergebnis von einer wirksamen Bekanntgabe auch gegenüber dem Kläger zu 1 auszugehen, auch wenn die Vermutungsregelung des § 38 SGB II für die Zurechnung von Aufhebungs- und Erstattungsbescheiden nicht greift.

25

aa) Nach § 38 Abs 1 Satz 1 SGB II wird vermutet, dass ein Leistungsberechtigter, der einen Antrag auf Leistungen stellt(§ 37 Abs 1 SGB II), bevollmächtigt ist, Leistungen nach dem SGB II auch für die mit ihm in Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen zu beantragen und entgegenzunehmen. Daraus folgt, dass der auf Antrag eines erwerbsfähigen Leistungsberechtigten erteilte Bescheid diesem für alle Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft im Sinne des SGB II bekannt gegeben werden kann. § 38 Abs 1 SGB II ist dahingehend auszulegen, dass die vermutete Bevollmächtigung alle Verfahrenshandlungen erfasst, die mit der Antragstellung und der Entgegennahme der Leistungen zusammenhängen und der Verfolgung des Anspruchs dienen(vgl oben unter 2 b) cc)). Aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität und Verwaltungsprozessökonomie soll verhindert werden, dass die Verwaltung sich bei der Bewilligung von Leistungen trotz des Einzelanspruchs jedes Mitglieds der Bedarfsgemeinschaft (stRspr seit BSG vom 7.11.2006 - B 7b AS 8/06 R - BSGE 97, 217 = SozR 4-4200 § 22 Nr 1, RdNr 12) stets an jeden einzelnen wenden muss.

26

Die Grenze der Wirkung des § 38 Abs 1 SGB II wird aber bei Verwaltungsakten gesehen, die eine belastende Entscheidung beinhalten, insbesondere also bei Aufhebungs- und Erstattungsbescheiden(vgl Link in Eicher, SGB II, 3. Aufl 2013, § 38 RdNr 46; Kallert in Gagel, SGB II, 52. Ergänzungslieferung 2014, § 38 RdNr 19; Aubel in jurisPK-SGB II, 3. Aufl 2012, § 38 RdNr 31). Da § 38 Abs 1 SGB II nichts an der materiellen Leistungsberechtigung ändert, stellt die Frage, wem gegenüber die Aufhebung eines Bewilligungsbescheids in welchem Umfang erfolgen kann und von wem die Erstattung von zu Unrecht gewährten Leistungen verlangt werden kann, eine Frage des materiellen Rechts dar(s Aubel, aaO, § 38 RdNr 31). Daher muss grundsätzlich die Bekanntgabe eines inhaltlich auch an die übrigen Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft gerichteten Aufhebungs- und Erstattungsbescheids gegenüber dem jeweils betroffenen Mitglied der Bedarfsgemeinschaft erfolgen. Die Bekanntgabe gegenüber dem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, der die Leistungen beantragt hat, wirkt also nicht automatisch auch gegenüber den übrigen Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft (es sei denn, es handelt sich um die minderjährigen Kinder des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, vgl oben 3a), denn der Vorschrift des § 38 SGB II kann die Vermutung für die Existenz einer generellen und uneingeschränkten Vollmacht nicht entnommen werden(Udsching/Link, Aufhebung von Leistungsbescheiden im SGB II, SGb 2007, 513, 516).

27

Für den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass E. zwar für die gesamte Bedarfsgemeinschaft Leistungen beantragen und entgegennehmen sowie auch Widerspruch einlegen konnte. Soweit aber der streitgegenständliche Änderungsbescheid auch belastende Anteile enthielt und insoweit eine Aufhebung vorheriger Leistungsbewilligungen erfolgt ist, konnte eine Bekanntgabe ihr gegenüber nicht automatisch auch gegenüber den übrigen Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft wirken, es sei denn, es handelte sich - wie bei der Klägerin zu 2 - um eines ihrer minderjährigen Kinder. Im Grundsatz mussten die Änderungsbescheide neben der E. auch dem Kläger zu 1 gesondert bekannt gegeben werden.

28

bb) Auch wenn § 38 SGB II für die Zurechnung von belastenden Verwaltungsakten im Rahmen einer Bedarfsgemeinschaft grundsätzlich nicht gilt, schließt dies nicht aus, dass eine Bekanntgabe nach allgemeinen Grundsätzen erfolgen kann. Eine Bekanntgabe an ein Mitglied der Bedarfsgemeinschaft, das nicht als Vertreter derselben nach § 38 SGB II auftritt, erfordert nach den oben dargestellten Voraussetzungen einen Bekanntgabewillen der Behörde ihm gegenüber sowie zumindest die Möglichkeit der Kenntnisnahme dieses anderen Mitglieds der Bedarfsgemeinschaft von dem Verwaltungsakt. Der Bekanntgabewille der Behörde ist anzunehmen, wenn die Behörde zielgerichtet den Bescheid dem Regelungsadressaten über den vermuteten Vertreter nach § 38 SGB II als (vermeintlichen) Empfangsbevollmächtigten bekanntgibt und sich aus dem Inhalt des Bescheids eindeutig schließen lässt, wer Adressat und von der Entscheidung betroffen sein soll(Udsching/Link, Aufhebung von Leistungsbescheiden im SGB II, SGb 2007, 513, 516). Weitere Voraussetzung für eine Bekanntgabe ist, dass das von der Regelung betroffene Mitglied der Bedarfsgemeinschaft die Möglichkeit der Kenntnisnahme dadurch erlangt hat, dass der Verwaltungsakt so in seinen Machtbereich gelangt ist, dass es von dem Schriftstück Kenntnis nehmen und diese Kenntnisnahme nach den allgemeinen Gepflogenheiten auch von ihm erwartet werden kann (so bereits Bundesverwaltungsgericht , Urteil vom 11.5.1960 - V C 320.58 -, BVerwGE 10, 293; Fortführung in Beschluss vom 22.2.1994 - 4 B 212/93 -; vgl auch Bundesfinanzhof , Urteil vom 9.12.1999 - III R 37/97 -, BFHE 190, 292; s dazu Engelmann in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl 2014, § 37 RdNr 4 ff mwN). Dann liegt kein Fall einer unwirksamen zufälligen Kenntnisnahme vor. Erst recht gilt der Zugang als erfolgt, wenn er tatsächlich stattgefunden hat.

29

Dem Kläger zu 1 sind die Änderungsbescheide nach den vorgenannten Grundsätzen bekannt gegeben worden. Zum einen ist der Wille des Beklagten, die geänderten Leistungsbescheide über die E. auch zielgerichtet dem Kläger zu 1 bekannt geben zu wollen, daraus ersichtlich, dass bereits im Verfügungssatz alle Adressaten mit Namen und Geburtsdaten aufgeführt sind, sodass es keine Zweifel geben kann, wer inhaltlich von der Entscheidung betroffen sein sollte. Eine Bekanntgabe ist im Übrigen - offenkundig durch die Weiterleitung durch die E. - gegenüber dem Kläger zu 1 jedenfalls spätestens zu dem Zeitpunkt erfolgt, zu dem er seinen Rechtsanwalt konsultierte und nach den Feststellungen des LSG die hier in Streit stehenden Änderungsbescheide Gegenstand der Unterredung gewesen sind, die schließlich in die Beauftragung zur Führung des vorliegenden Rechtsstreits mündete. Aufgrund dieser wirksamen Bekanntgabe der umstrittenen Bescheide auch gegenüber dem Kläger zu 1 kann es vorliegend dahingestellt bleiben, ob und in welcher Weise eine Heilung eines etwaigen Bekanntgabemangels erfolgen kann (vgl dazu Udsching/Link, Aufhebung von Leistungsbescheiden im SGB II, in SGb 2007, 513 ff).

30

4. Der angefochtene Änderungsbescheid ist auch inhaltlich hinreichend bestimmt (§ 33 Abs 1 SGB X). Das Bestimmtheitserfordernis bezieht sich sowohl auf den Verfügungssatz (BSG Urteil vom 23.3.2010 - B 8 SO 2/09 R - SozR 4-5910 § 92c Nr 1 RdNr 11) als auch auf den Adressaten eines Verwaltungsakts (BSG Urteil vom 16.5.2012 - B 4 AS 154/11 R - SozR 4-1300 § 33 Nr 1 RdNr 16). Es verlangt, dass der Verfügungssatz eines Verwaltungsakts nach seinem Regelungsgehalt in sich widerspruchsfrei ist und den Betroffenen bei Zugrundelegung der Erkenntnismöglichkeiten eines verständigen Empfängers in die Lage versetzt, sein Verhalten daran auszurichten (näher BSG Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 20/09 R - BSGE 105, 194 = SozR 4-4200 § 31 Nr 2, RdNr 13 mwN). Zur Erfüllung der genannten Voraussetzungen genügt es, wenn aus dem gesamten Inhalt eines Bescheids einschließlich der von der Behörde gegebenen Begründung hinreichende Klarheit über die Regelung gewonnen werden kann. Ausreichende Klarheit besteht selbst dann, wenn zur Auslegung des Verfügungssatzes auf die Begründung des Verwaltungsakts, auf früher zwischen den Beteiligten ergangene Verwaltungsakte oder auf allgemein zugängliche Unterlagen zurückgegriffen werden muss (BSG vom 29.11.2012 - B 14 AS 6/12 R - BSGE 112, 221 = SozR 4-1300 § 45 Nr 12, RdNr 26).

31

a) Das Bestimmtheitserfordernis hinsichtlich des Adressaten der Verwaltungsakte ist hier gewahrt. Den jeweiligen Änderungsbescheiden lässt sich eindeutig entnehmen, welche Adressaten betroffen sind. Dafür ist nicht nur das Adressfeld maßgeblich, in dem die E. genannt wird, sondern die Bestimmung des oder der Adressaten kann sowohl durch den Text im Verfügungssatz als auch durch die Begründung des angefochtenen Bescheids erfolgen (so BSG Urteil vom 16.5.2012 - B 4 AS 154/11 R - SozR 4-1300 § 33 Nr 1 RdNr 17). Vorliegend ergibt sich - wie ausgeführt - bereits aus dem Verfügungssatz, dass neben der E. der Kläger zu 1, die Klägerin zu 2 und die zweite Tochter, die frühere Klägerin zu 3, von den Bescheiden betroffen und damit Adressaten dieser sind.

32

b) Ebenso ergeben sich keine Bedenken gegen die Bestimmtheit der Verfügungssätze in dem Änderungsbescheid, weil sich daraus und aus den vorangegangenen Änderungsbescheiden klar und unzweideutig erkennen lässt, dass sämtliche Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft angesprochen und mit Ausnahme der früheren Klägerin zu 3 ihnen gegenüber Leistungsbewilligungen teilweise aufgehoben werden. Nicht nur sind alle Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft bereits im Verfügungssatz namentlich benannt, vielmehr werden auch die eingetretenen Änderungen jeweils in bestimmter, zahlenmäßig benannter Höhe geregelt. Aus der gegebenen Begründung war für die Empfänger ohne Weiteres zu erkennen, dass Einkommen angerechnet wurde und sich damit der monatliche individuelle Leistungsanspruch auf einen konkreten Betrag verringerte. Es kommt insoweit nach den dargelegten Grundsätzen nicht allein auf die Überschrift "Änderung" an, sondern auf den Gesamtzusammenhang der Änderungsbescheide mit Bezug auf die ursprüngliche Leistungsbewilligung vom 17.10.2005 und den Änderungsbescheid vom 17.11.2005 sowie auf die in den Änderungsbescheiden vom 3.5.2006, vom 21.9.2006 und vom 29.3.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.5.2007 gegebene Begründung und durchgeführte Berechnung. Insoweit ist auch der allgemeine Hinweis dahingehend, dass für den Fall, dass Leistungen zu Unrecht erbracht worden seien, noch geprüft werde, inwieweit diese zurückzuzahlen seien, nicht zu beanstanden. Damit wird lediglich angekündigt, dass ggf noch ein Erstattungsbescheid folgen wird, dessen Rechtmäßigkeit dann wiederum gesondert zu prüfen ist.

33

5. Ob der Änderungsbescheid vom 29.3.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.5.2007 im Übrigen materiell-rechtlich rechtmäßig ist, kann mangels weiterer Feststellungen zu den Ansprüchen der Kläger, insbesondere der Feststellung der Bedarfe und der Frage, ob und ggf bei wem Einkommen oder Vermögen zu berücksichtigen ist, nicht beurteilt werden, weil das LSG seine Prüfung allein auf die formelle Rechtmäßigkeit beschränkt und aus seiner Sicht folgerichtig zu den materiellen Voraussetzungen eines Leistungsanspruchs nichts ausgeführt hat.

34

Die Kostenentscheidung bleibt dem LSG vorbehalten.

(1) Auf Rechtsvorschriften beruhende Leistungen Anderer, insbesondere der Träger anderer Sozialleistungen, werden durch dieses Buch nicht berührt. Ermessensleistungen dürfen nicht deshalb versagt werden, weil dieses Buch entsprechende Leistungen vorsieht.

(2) Der Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach diesem Buch schließt Leistungen nach dem Dritten Kapitel des Zwölften Buches aus. Leistungen nach dem Vierten Kapitel des Zwölften Buches sind gegenüber dem Bürgergeld nach § 19 Absatz 1 Satz 2 vorrangig.

(3) Stellen Leistungsberechtigte trotz Aufforderung einen erforderlichen Antrag auf Leistungen eines anderen Trägers nicht, können die Leistungsträger nach diesem Buch den Antrag stellen sowie Rechtsbehelfe und Rechtsmittel einlegen. Der Ablauf von Fristen, die ohne Verschulden der Leistungsträger nach diesem Buch verstrichen sind, wirkt nicht gegen die Leistungsträger nach diesem Buch; dies gilt nicht für Verfahrensfristen, soweit die Leistungsträger nach diesem Buch das Verfahren selbst betreiben. Wird eine Leistung aufgrund eines Antrages nach Satz 1 von einem anderen Träger nach § 66 des Ersten Buches bestandskräftig entzogen oder versagt, sind die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach diesem Buch ganz oder teilweise so lange zu entziehen oder zu versagen, bis die leistungsberechtigte Person ihrer Verpflichtung nach den §§ 60 bis 64 des Ersten Buches gegenüber dem anderen Träger nachgekommen ist. Eine Entziehung oder Versagung nach Satz 3 ist nur möglich, wenn die leistungsberechtigte Person vom zuständigen Leistungsträger nach diesem Buch zuvor schriftlich auf diese Folgen hingewiesen wurde. Wird die Mitwirkung gegenüber dem anderen Träger nachgeholt, ist die Versagung oder Entziehung rückwirkend aufzuheben.

(4) Leistungen zur Eingliederung in Arbeit nach dem Ersten Abschnitt des Dritten Kapitels werden nicht an oder für erwerbsfähige Leistungsberechtigte erbracht, die einen Anspruch auf Arbeitslosengeld oder Teilarbeitslosengeld haben.

(5) Leistungen nach den §§ 16a, 16b, 16d sowie 16f bis 16k können auch an erwerbsfähige Leistungsberechtigte erbracht werden, sofern ein Rehabilitationsträger im Sinne des Neunten Buches zuständig ist; § 22 Absatz 2 Satz 1 und 2 des Dritten Buches ist entsprechend anzuwenden.

Leistungsberechtigte sind verpflichtet, Sozialleistungen anderer Träger in Anspruch zu nehmen und die dafür erforderlichen Anträge zu stellen, sofern dies zur Vermeidung, Beseitigung, Verkürzung oder Verminderung der Hilfebedürftigkeit erforderlich ist. Abweichend von Satz 1 sind Leistungsberechtigte nicht verpflichtet,

1.
bis zur Vollendung des 63. Lebensjahres eine Rente wegen Alters vorzeitig in Anspruch zu nehmen oder
2.
Wohngeld nach dem Wohngeldgesetz oder Kinderzuschlag nach dem Bundeskindergeldgesetz in Anspruch zu nehmen, wenn dadurch nicht die Hilfebedürftigkeit aller Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft für einen zusammenhängenden Zeitraum von mindestens drei Monaten beseitigt würde.
Für die Zeit vom 1. Januar 2023 bis zum Ablauf des 31. Dezember 2026 findet Satz 2 Nummer 1 mit der Maßgabe Anwendung, dass Leistungsberechtigte nicht verpflichtet sind, eine Rente wegen Alters vorzeitig in Anspruch zu nehmen.

(1) Auf Rechtsvorschriften beruhende Leistungen Anderer, insbesondere der Träger anderer Sozialleistungen, werden durch dieses Buch nicht berührt. Ermessensleistungen dürfen nicht deshalb versagt werden, weil dieses Buch entsprechende Leistungen vorsieht.

(2) Der Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach diesem Buch schließt Leistungen nach dem Dritten Kapitel des Zwölften Buches aus. Leistungen nach dem Vierten Kapitel des Zwölften Buches sind gegenüber dem Bürgergeld nach § 19 Absatz 1 Satz 2 vorrangig.

(3) Stellen Leistungsberechtigte trotz Aufforderung einen erforderlichen Antrag auf Leistungen eines anderen Trägers nicht, können die Leistungsträger nach diesem Buch den Antrag stellen sowie Rechtsbehelfe und Rechtsmittel einlegen. Der Ablauf von Fristen, die ohne Verschulden der Leistungsträger nach diesem Buch verstrichen sind, wirkt nicht gegen die Leistungsträger nach diesem Buch; dies gilt nicht für Verfahrensfristen, soweit die Leistungsträger nach diesem Buch das Verfahren selbst betreiben. Wird eine Leistung aufgrund eines Antrages nach Satz 1 von einem anderen Träger nach § 66 des Ersten Buches bestandskräftig entzogen oder versagt, sind die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach diesem Buch ganz oder teilweise so lange zu entziehen oder zu versagen, bis die leistungsberechtigte Person ihrer Verpflichtung nach den §§ 60 bis 64 des Ersten Buches gegenüber dem anderen Träger nachgekommen ist. Eine Entziehung oder Versagung nach Satz 3 ist nur möglich, wenn die leistungsberechtigte Person vom zuständigen Leistungsträger nach diesem Buch zuvor schriftlich auf diese Folgen hingewiesen wurde. Wird die Mitwirkung gegenüber dem anderen Träger nachgeholt, ist die Versagung oder Entziehung rückwirkend aufzuheben.

(4) Leistungen zur Eingliederung in Arbeit nach dem Ersten Abschnitt des Dritten Kapitels werden nicht an oder für erwerbsfähige Leistungsberechtigte erbracht, die einen Anspruch auf Arbeitslosengeld oder Teilarbeitslosengeld haben.

(5) Leistungen nach den §§ 16a, 16b, 16d sowie 16f bis 16k können auch an erwerbsfähige Leistungsberechtigte erbracht werden, sofern ein Rehabilitationsträger im Sinne des Neunten Buches zuständig ist; § 22 Absatz 2 Satz 1 und 2 des Dritten Buches ist entsprechend anzuwenden.

Leistungsberechtigte sind verpflichtet, Sozialleistungen anderer Träger in Anspruch zu nehmen und die dafür erforderlichen Anträge zu stellen, sofern dies zur Vermeidung, Beseitigung, Verkürzung oder Verminderung der Hilfebedürftigkeit erforderlich ist. Abweichend von Satz 1 sind Leistungsberechtigte nicht verpflichtet,

1.
bis zur Vollendung des 63. Lebensjahres eine Rente wegen Alters vorzeitig in Anspruch zu nehmen oder
2.
Wohngeld nach dem Wohngeldgesetz oder Kinderzuschlag nach dem Bundeskindergeldgesetz in Anspruch zu nehmen, wenn dadurch nicht die Hilfebedürftigkeit aller Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft für einen zusammenhängenden Zeitraum von mindestens drei Monaten beseitigt würde.
Für die Zeit vom 1. Januar 2023 bis zum Ablauf des 31. Dezember 2026 findet Satz 2 Nummer 1 mit der Maßgabe Anwendung, dass Leistungsberechtigte nicht verpflichtet sind, eine Rente wegen Alters vorzeitig in Anspruch zu nehmen.

(1) Leistungen zur Eingliederung in Arbeit können erbracht werden, soweit sie zur Vermeidung oder Beseitigung, Verkürzung oder Verminderung der Hilfebedürftigkeit für die Eingliederung erforderlich sind. Bei den Leistungen zur Eingliederung in Arbeit sind zu berücksichtigen

1.
die Eignung der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten,
2.
die individuelle Lebenssituation der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, insbesondere ihre familiäre Situation,
3.
die voraussichtliche Dauer der Hilfebedürftigkeit der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten und
4.
die Dauerhaftigkeit der Eingliederung der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten.
Vorrangig sollen Leistungen erbracht werden, die die unmittelbare Aufnahme einer Ausbildung oder Erwerbstätigkeit ermöglichen, es sei denn, eine andere Leistung ist für die dauerhafte Eingliederung erforderlich. Von der Erforderlichkeit für die dauerhafte Eingliederung ist insbesondere auszugehen, wenn leistungsberechtigte Personen ohne Berufsabschluss Leistungen zur Unterstützung der Aufnahme einer Ausbildung nach diesem Buch, dem Dritten Buch oder auf anderer rechtlicher Grundlage erhalten oder an einer nach § 16 Absatz 1 Satz 2 Nummer 4 in Verbindung mit § 81 des Dritten Buches zu fördernden beruflichen Weiterbildung teilnehmen oder voraussichtlich teilnehmen werden. Die Verpflichtung zur vorrangigen Aufnahme einer Ausbildung oder Erwerbstätigkeit gilt nicht im Verhältnis zur Förderung von Existenzgründungen mit einem Einstiegsgeld für eine selbständige Erwerbstätigkeit nach § 16b.

(2) Bei der Beantragung von Leistungen nach diesem Buch sollen unverzüglich Leistungen zur Eingliederung in Arbeit nach dem Ersten Abschnitt des Dritten Kapitels erbracht werden.

(3) Bei der Erbringung von Leistungen nach dem Ersten Abschnitt des Dritten Kapitels sind die Grundsätze von Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zu beachten.

(4) Die Agentur für Arbeit hat darauf hinzuwirken, dass erwerbsfähige teilnahmeberechtigte Leistungsberechtigte, die

1.
nicht über ausreichende deutsche Sprachkenntnisse verfügen, vorrangig an einem Integrationskurs nach § 43 des Aufenthaltsgesetzes teilnehmen, oder
2.
darüber hinaus notwendige berufsbezogene Sprachkenntnisse benötigen, vorrangig an der berufsbezogenen Deutschsprachförderung nach § 45a Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes teilnehmen.
Absatz 1 Satz 3 gilt entsprechend. In den Fällen des Satzes 1 ist die Teilnahme am Integrationskurs nach § 43 des Aufenthaltsgesetzes oder an der berufsbezogenen Deutschsprachförderung nach § 45a des Aufenthaltsgesetzes in der Regel für eine dauerhafte Eingliederung erforderlich. Für die Teilnahmeberechtigung, die Verpflichtung zur Teilnahme und die Zugangsvoraussetzungen gelten die §§ 44, 44a und 45a des Aufenthaltsgesetzes sowie des § 9 Absatz 1 Satz 1 des Bundesvertriebenengesetzes in Verbindung mit der Verordnung über die Durchführung von Integrationskursen für Ausländer und Spätaussiedler und der Verordnung über die berufsbezogene Deutschsprachförderung.

(5) Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts dürfen nur erbracht werden, soweit die Hilfebedürftigkeit nicht anderweitig beseitigt werden kann. Die nach diesem Buch vorgesehenen Leistungen decken den Bedarf der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten und der mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen.

(1) Auf Rechtsvorschriften beruhende Leistungen Anderer, insbesondere der Träger anderer Sozialleistungen, werden durch dieses Buch nicht berührt. Ermessensleistungen dürfen nicht deshalb versagt werden, weil dieses Buch entsprechende Leistungen vorsieht.

(2) Der Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach diesem Buch schließt Leistungen nach dem Dritten Kapitel des Zwölften Buches aus. Leistungen nach dem Vierten Kapitel des Zwölften Buches sind gegenüber dem Bürgergeld nach § 19 Absatz 1 Satz 2 vorrangig.

(3) Stellen Leistungsberechtigte trotz Aufforderung einen erforderlichen Antrag auf Leistungen eines anderen Trägers nicht, können die Leistungsträger nach diesem Buch den Antrag stellen sowie Rechtsbehelfe und Rechtsmittel einlegen. Der Ablauf von Fristen, die ohne Verschulden der Leistungsträger nach diesem Buch verstrichen sind, wirkt nicht gegen die Leistungsträger nach diesem Buch; dies gilt nicht für Verfahrensfristen, soweit die Leistungsträger nach diesem Buch das Verfahren selbst betreiben. Wird eine Leistung aufgrund eines Antrages nach Satz 1 von einem anderen Träger nach § 66 des Ersten Buches bestandskräftig entzogen oder versagt, sind die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach diesem Buch ganz oder teilweise so lange zu entziehen oder zu versagen, bis die leistungsberechtigte Person ihrer Verpflichtung nach den §§ 60 bis 64 des Ersten Buches gegenüber dem anderen Träger nachgekommen ist. Eine Entziehung oder Versagung nach Satz 3 ist nur möglich, wenn die leistungsberechtigte Person vom zuständigen Leistungsträger nach diesem Buch zuvor schriftlich auf diese Folgen hingewiesen wurde. Wird die Mitwirkung gegenüber dem anderen Träger nachgeholt, ist die Versagung oder Entziehung rückwirkend aufzuheben.

(4) Leistungen zur Eingliederung in Arbeit nach dem Ersten Abschnitt des Dritten Kapitels werden nicht an oder für erwerbsfähige Leistungsberechtigte erbracht, die einen Anspruch auf Arbeitslosengeld oder Teilarbeitslosengeld haben.

(5) Leistungen nach den §§ 16a, 16b, 16d sowie 16f bis 16k können auch an erwerbsfähige Leistungsberechtigte erbracht werden, sofern ein Rehabilitationsträger im Sinne des Neunten Buches zuständig ist; § 22 Absatz 2 Satz 1 und 2 des Dritten Buches ist entsprechend anzuwenden.

(1) Leistungen nach diesem Buch erhalten Personen, die

1.
das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben,
2.
erwerbsfähig sind,
3.
hilfebedürftig sind und
4.
ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungsberechtigte).
Ausgenommen sind
1.
Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Absatz 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts,
2.
Ausländerinnen und Ausländer,
a)
die kein Aufenthaltsrecht haben oder
b)
deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt,
und ihre Familienangehörigen,
3.
Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes.
Satz 2 Nummer 1 gilt nicht für Ausländerinnen und Ausländer, die sich mit einem Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten. Abweichend von Satz 2 Nummer 2 erhalten Ausländerinnen und Ausländer und ihre Familienangehörigen Leistungen nach diesem Buch, wenn sie seit mindestens fünf Jahren ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet haben; dies gilt nicht, wenn der Verlust des Rechts nach § 2 Absatz 1 des Freizügigkeitsgesetzes/EU festgestellt wurde. Die Frist nach Satz 4 beginnt mit der Anmeldung bei der zuständigen Meldebehörde. Zeiten des nicht rechtmäßigen Aufenthalts, in denen eine Ausreisepflicht besteht, werden auf Zeiten des gewöhnlichen Aufenthalts nicht angerechnet. Aufenthaltsrechtliche Bestimmungen bleiben unberührt.

(2) Leistungen erhalten auch Personen, die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben. Dienstleistungen und Sachleistungen werden ihnen nur erbracht, wenn dadurch Hemmnisse bei der Eingliederung der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten beseitigt oder vermindert werden. Zur Deckung der Bedarfe nach § 28 erhalten die dort genannten Personen auch dann Leistungen für Bildung und Teilhabe, wenn sie mit Personen in einem Haushalt zusammenleben, mit denen sie nur deshalb keine Bedarfsgemeinschaft bilden, weil diese aufgrund des zu berücksichtigenden Einkommens oder Vermögens selbst nicht leistungsberechtigt sind.

(3) Zur Bedarfsgemeinschaft gehören

1.
die erwerbsfähigen Leistungsberechtigten,
2.
die im Haushalt lebenden Eltern oder der im Haushalt lebende Elternteil eines unverheirateten erwerbsfähigen Kindes, welches das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, und die im Haushalt lebende Partnerin oder der im Haushalt lebende Partner dieses Elternteils,
3.
als Partnerin oder Partner der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten
a)
die nicht dauernd getrennt lebende Ehegattin oder der nicht dauernd getrennt lebende Ehegatte,
b)
die nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartnerin oder der nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartner,
c)
eine Person, die mit der erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenlebt, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen.
4.
die dem Haushalt angehörenden unverheirateten Kinder der in den Nummern 1 bis 3 genannten Personen, wenn sie das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, soweit sie die Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen beschaffen können.

(3a) Ein wechselseitiger Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, wird vermutet, wenn Partner

1.
länger als ein Jahr zusammenleben,
2.
mit einem gemeinsamen Kind zusammenleben,
3.
Kinder oder Angehörige im Haushalt versorgen oder
4.
befugt sind, über Einkommen oder Vermögen des anderen zu verfügen.

(4) Leistungen nach diesem Buch erhält nicht, wer in einer stationären Einrichtung untergebracht ist, Rente wegen Alters oder Knappschaftsausgleichsleistung oder ähnliche Leistungen öffentlich-rechtlicher Art bezieht. Dem Aufenthalt in einer stationären Einrichtung ist der Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung gleichgestellt. Abweichend von Satz 1 erhält Leistungen nach diesem Buch,

1.
wer voraussichtlich für weniger als sechs Monate in einem Krankenhaus (§ 107 des Fünften Buches) untergebracht ist oder
2.
wer in einer stationären Einrichtung nach Satz 1 untergebracht und unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 15 Stunden wöchentlich erwerbstätig ist.
Die Sätze 1 und 3 Nummer 2 gelten für Bewohner von Räumlichkeiten im Sinne des § 42a Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 und Satz 3 des Zwölften Buches entsprechend.

(4a) (weggefallen)

(5) Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes dem Grunde nach förderungsfähig ist, haben über die Leistungen nach § 27 hinaus keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Satz 1 gilt auch für Auszubildende, deren Bedarf sich nach § 61 Absatz 2, § 62 Absatz 3, § 123 Nummer 2 sowie § 124 Nummer 2 des Dritten Buches bemisst.

(6) Absatz 5 Satz 1 ist nicht anzuwenden auf Auszubildende,

1.
die aufgrund von § 2 Absatz 1a des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben,
2.
deren Bedarf sich nach den §§ 12, 13 Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 1 oder nach § 13 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 2 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes bemisst und die Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz
a)
erhalten oder nur wegen der Vorschriften zur Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen nicht erhalten oder
b)
beantragt haben und über deren Antrag das zuständige Amt für Ausbildungsförderung noch nicht entschieden hat; lehnt das zuständige Amt für Ausbildungsförderung die Leistungen ab, findet Absatz 5 mit Beginn des folgenden Monats Anwendung, oder
3.
die eine Abendhauptschule, eine Abendrealschule oder ein Abendgymnasium besuchen, sofern sie aufgrund des § 10 Absatz 3 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben.

(1) Hilfebedürftig ist, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält.

(2) Bei Personen, die in einer Bedarfsgemeinschaft leben, sind auch das Einkommen und Vermögen des Partners zu berücksichtigen. Bei unverheirateten Kindern, die mit ihren Eltern oder einem Elternteil in einer Bedarfsgemeinschaft leben und die ihren Lebensunterhalt nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen sichern können, sind auch das Einkommen und Vermögen der Eltern oder des Elternteils und dessen in Bedarfsgemeinschaft lebender Partnerin oder lebenden Partners zu berücksichtigen. Ist in einer Bedarfsgemeinschaft nicht der gesamte Bedarf aus eigenen Kräften und Mitteln gedeckt, gilt jede Person der Bedarfsgemeinschaft im Verhältnis des eigenen Bedarfs zum Gesamtbedarf als hilfebedürftig, dabei bleiben die Bedarfe nach § 28 außer Betracht. In den Fällen des § 7 Absatz 2 Satz 3 ist Einkommen und Vermögen, soweit es die nach Satz 3 zu berücksichtigenden Bedarfe übersteigt, im Verhältnis mehrerer Leistungsberechtigter zueinander zu gleichen Teilen zu berücksichtigen.

(3) Absatz 2 Satz 2 findet keine Anwendung auf ein Kind, das schwanger ist oder sein Kind bis zur Vollendung des sechsten Lebensjahres betreut.

(4) Hilfebedürftig ist auch derjenige, dem der sofortige Verbrauch oder die sofortige Verwertung von zu berücksichtigendem Vermögen nicht möglich ist oder für den dies eine besondere Härte bedeuten würde.

(5) Leben Hilfebedürftige in Haushaltsgemeinschaft mit Verwandten oder Verschwägerten, so wird vermutet, dass sie von ihnen Leistungen erhalten, soweit dies nach deren Einkommen und Vermögen erwartet werden kann.

Leistungsberechtigte sind verpflichtet, Sozialleistungen anderer Träger in Anspruch zu nehmen und die dafür erforderlichen Anträge zu stellen, sofern dies zur Vermeidung, Beseitigung, Verkürzung oder Verminderung der Hilfebedürftigkeit erforderlich ist. Abweichend von Satz 1 sind Leistungsberechtigte nicht verpflichtet,

1.
bis zur Vollendung des 63. Lebensjahres eine Rente wegen Alters vorzeitig in Anspruch zu nehmen oder
2.
Wohngeld nach dem Wohngeldgesetz oder Kinderzuschlag nach dem Bundeskindergeldgesetz in Anspruch zu nehmen, wenn dadurch nicht die Hilfebedürftigkeit aller Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft für einen zusammenhängenden Zeitraum von mindestens drei Monaten beseitigt würde.
Für die Zeit vom 1. Januar 2023 bis zum Ablauf des 31. Dezember 2026 findet Satz 2 Nummer 1 mit der Maßgabe Anwendung, dass Leistungsberechtigte nicht verpflichtet sind, eine Rente wegen Alters vorzeitig in Anspruch zu nehmen.

Versicherte haben Anspruch auf Altersrente für langjährig Versicherte, wenn sie

1.
das 67. Lebensjahr vollendet und
2.
die Wartezeit von 35 Jahren erfüllt
haben. Die vorzeitige Inanspruchnahme dieser Altersrente ist nach Vollendung des 63. Lebensjahres möglich.

(1) Der Zugangsfaktor richtet sich nach dem Alter der Versicherten bei Rentenbeginn oder bei Tod und bestimmt, in welchem Umfang Entgeltpunkte bei der Ermittlung des Monatsbetrags der Rente als persönliche Entgeltpunkte zu berücksichtigen sind.

(2) Der Zugangsfaktor ist für Entgeltpunkte, die noch nicht Grundlage von persönlichen Entgeltpunkten einer Rente waren,

1.
bei Renten wegen Alters, die mit Ablauf des Kalendermonats des Erreichens der Regelaltersgrenze oder eines für den Versicherten maßgebenden niedrigeren Rentenalters beginnen, 1,0,
2.
bei Renten wegen Alters, die
a)
vorzeitig in Anspruch genommen werden, für jeden Kalendermonat um 0,003 niedriger als 1,0 und
b)
nach Erreichen der Regelaltersgrenze trotz erfüllter Wartezeit nicht in Anspruch genommen werden, für jeden Kalendermonat um 0,005 höher als 1,0,
3.
bei Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit und bei Erziehungsrenten für jeden Kalendermonat, für den eine Rente vor Ablauf des Kalendermonats der Vollendung des 65. Lebensjahres in Anspruch genommen wird, um 0,003 niedriger als 1,0,
4.
bei Hinterbliebenenrenten für jeden Kalendermonat,
a)
der sich vom Ablauf des Monats, in dem der Versicherte verstorben ist, bis zum Ablauf des Kalendermonats der Vollendung des 65. Lebensjahres des Versicherten ergibt, um 0,003 niedriger als 1,0 und
b)
für den Versicherte trotz erfüllter Wartezeit eine Rente wegen Alters nach Erreichen der Regelaltersgrenze nicht in Anspruch genommen haben, um 0,005 höher als 1,0.
Beginnt eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit oder eine Erziehungsrente vor Vollendung des 62. Lebensjahres oder ist bei Hinterbliebenenrenten der Versicherte vor Vollendung des 62. Lebensjahres verstorben, ist die Vollendung des 62. Lebensjahres für die Bestimmung des Zugangsfaktors maßgebend. Die Zeit des Bezugs einer Rente vor Vollendung des 62. Lebensjahres des Versicherten gilt nicht als Zeit einer vorzeitigen Inanspruchnahme. Dem Beginn und der vorzeitigen oder späteren Inanspruchnahme einer Rente wegen Alters stehen für die Ermittlung des Zugangsfaktors für Zuschläge an Entgeltpunkten aus Beiträgen nach Beginn einer Rente wegen Alters die Zeitpunkte nach § 66 Absatz 3a Satz 1 gleich, zu denen die Zuschläge berücksichtigt werden.

(3) Für diejenigen Entgeltpunkte, die bereits Grundlage von persönlichen Entgeltpunkten einer früheren Rente waren, bleibt der frühere Zugangsfaktor maßgebend. Dies gilt nicht für die Hälfte der Entgeltpunkte, die Grundlage einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung waren. Der Zugangsfaktor wird für Entgeltpunkte, die Versicherte bei

1.
einer Rente wegen Alters nicht mehr vorzeitig in Anspruch genommen haben, um 0,003 oder
2.
einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit oder einer Erziehungsrente mit einem Zugangsfaktor kleiner als 1,0 nach Ablauf des Kalendermonats der Vollendung des 62. Lebensjahres bis zum Ende des Kalendermonats der Vollendung des 65. Lebensjahres nicht in Anspruch genommen haben, um 0,003,
3.
einer Rente nach Erreichen der Regelaltersgrenze nicht in Anspruch genommen haben, um 0,005
je Kalendermonat erhöht.

(4) Bei Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit und bei Hinterbliebenenrenten, deren Berechnung 40 Jahre mit den in § 51 Abs. 3a und 4 und mit den in § 52 Abs. 2 genannten Zeiten zugrunde liegen, sind die Absätze 2 und 3 mit der Maßgabe anzuwenden, dass an die Stelle der Vollendung des 65. Lebensjahres die Vollendung des 63. Lebensjahres und an die Stelle der Vollendung des 62. Lebensjahres die Vollendung des 60. Lebensjahres tritt.

(5) Die Absätze 1 bis 4 gelten entsprechend für die Ermittlung des Zugangsfaktors für die nach § 66 Absatz 1 Satz 2 gesondert zu bestimmenden persönlichen Entgeltpunkte aus dem Zuschlag an Entgeltpunkten für langjährige Versicherung.

Leistungsberechtigte sind verpflichtet, Sozialleistungen anderer Träger in Anspruch zu nehmen und die dafür erforderlichen Anträge zu stellen, sofern dies zur Vermeidung, Beseitigung, Verkürzung oder Verminderung der Hilfebedürftigkeit erforderlich ist. Abweichend von Satz 1 sind Leistungsberechtigte nicht verpflichtet,

1.
bis zur Vollendung des 63. Lebensjahres eine Rente wegen Alters vorzeitig in Anspruch zu nehmen oder
2.
Wohngeld nach dem Wohngeldgesetz oder Kinderzuschlag nach dem Bundeskindergeldgesetz in Anspruch zu nehmen, wenn dadurch nicht die Hilfebedürftigkeit aller Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft für einen zusammenhängenden Zeitraum von mindestens drei Monaten beseitigt würde.
Für die Zeit vom 1. Januar 2023 bis zum Ablauf des 31. Dezember 2026 findet Satz 2 Nummer 1 mit der Maßgabe Anwendung, dass Leistungsberechtigte nicht verpflichtet sind, eine Rente wegen Alters vorzeitig in Anspruch zu nehmen.

(1) Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel ist Personen zu leisten, die ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, insbesondere aus ihrem Einkommen und Vermögen, bestreiten können.

(2) Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel dieses Buches ist Personen zu leisten, die die Altersgrenze nach § 41 Absatz 2 erreicht haben oder das 18. Lebensjahr vollendet haben und dauerhaft voll erwerbsgemindert sind, sofern sie ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, insbesondere aus ihrem Einkommen und Vermögen, bestreiten können. Die Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung gehen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel vor.

(3) Hilfen zur Gesundheit, Hilfe zur Pflege, Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten und Hilfen in anderen Lebenslagen werden nach dem Fünften bis Neunten Kapitel dieses Buches geleistet, soweit den Leistungsberechtigten, ihren nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartnern und, wenn sie minderjährig und unverheiratet sind, auch ihren Eltern oder einem Elternteil die Aufbringung der Mittel aus dem Einkommen und Vermögen nach den Vorschriften des Elften Kapitels dieses Buches nicht zuzumuten ist.

(4) Lebt eine Person bei ihren Eltern oder einem Elternteil und ist sie schwanger oder betreut ihr leibliches Kind bis zur Vollendung des sechsten Lebensjahres, werden Einkommen und Vermögen der Eltern oder des Elternteils nicht berücksichtigt.

(5) Ist den in den Absätzen 1 bis 3 genannten Personen die Aufbringung der Mittel aus dem Einkommen und Vermögen im Sinne der Absätze 1 und 2 möglich oder im Sinne des Absatzes 3 zuzumuten und sind Leistungen erbracht worden, haben sie dem Träger der Sozialhilfe die Aufwendungen in diesem Umfang zu ersetzen. Mehrere Verpflichtete haften als Gesamtschuldner.

(6) Der Anspruch der Berechtigten auf Leistungen für Einrichtungen oder auf Pflegegeld steht, soweit die Leistung den Berechtigten erbracht worden wäre, nach ihrem Tode demjenigen zu, der die Leistung erbracht oder die Pflege geleistet hat.

(1) Hilfe zum Lebensunterhalt ist Personen zu leisten, die ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln bestreiten können.

(2) Eigene Mittel sind insbesondere das eigene Einkommen und Vermögen. Bei nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartnern sind das Einkommen und Vermögen beider Ehegatten oder Lebenspartner gemeinsam zu berücksichtigen. Gehören minderjährige unverheiratete Kinder dem Haushalt ihrer Eltern oder eines Elternteils an und können sie den notwendigen Lebensunterhalt aus ihrem Einkommen und Vermögen nicht bestreiten, sind vorbehaltlich des § 39 Satz 3 Nummer 1 auch das Einkommen und das Vermögen der Eltern oder des Elternteils gemeinsam zu berücksichtigen.

(3) Personen, die ihren Lebensunterhalt aus eigenen Mitteln und Kräften bestreiten können, jedoch einzelne im Haushalt erforderliche Tätigkeiten nicht verrichten können, erhalten auf Antrag einen angemessenen Zuschuss, wenn ihnen die Aufbringung der für die geleistete Hilfe und Unterstützung notwendigen Kosten nicht in voller Höhe zumutbar ist. Als angemessen gelten Aufwendungen, die üblicherweise als Anerkennung für unentgeltlich geleistete Hilfen und Unterstützungen oder zur Abgeltung des entsprechenden Aufwandes geleistet werden. Den Zuschuss erhält nicht, wer einen entsprechenden Anspruch auf Assistenzleistungen nach § 78 des Neunten Buches hat.

(1) Leistungen nach diesem Buch erhalten Personen, die

1.
das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben,
2.
erwerbsfähig sind,
3.
hilfebedürftig sind und
4.
ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungsberechtigte).
Ausgenommen sind
1.
Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Absatz 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts,
2.
Ausländerinnen und Ausländer,
a)
die kein Aufenthaltsrecht haben oder
b)
deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt,
und ihre Familienangehörigen,
3.
Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes.
Satz 2 Nummer 1 gilt nicht für Ausländerinnen und Ausländer, die sich mit einem Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten. Abweichend von Satz 2 Nummer 2 erhalten Ausländerinnen und Ausländer und ihre Familienangehörigen Leistungen nach diesem Buch, wenn sie seit mindestens fünf Jahren ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet haben; dies gilt nicht, wenn der Verlust des Rechts nach § 2 Absatz 1 des Freizügigkeitsgesetzes/EU festgestellt wurde. Die Frist nach Satz 4 beginnt mit der Anmeldung bei der zuständigen Meldebehörde. Zeiten des nicht rechtmäßigen Aufenthalts, in denen eine Ausreisepflicht besteht, werden auf Zeiten des gewöhnlichen Aufenthalts nicht angerechnet. Aufenthaltsrechtliche Bestimmungen bleiben unberührt.

(2) Leistungen erhalten auch Personen, die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben. Dienstleistungen und Sachleistungen werden ihnen nur erbracht, wenn dadurch Hemmnisse bei der Eingliederung der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten beseitigt oder vermindert werden. Zur Deckung der Bedarfe nach § 28 erhalten die dort genannten Personen auch dann Leistungen für Bildung und Teilhabe, wenn sie mit Personen in einem Haushalt zusammenleben, mit denen sie nur deshalb keine Bedarfsgemeinschaft bilden, weil diese aufgrund des zu berücksichtigenden Einkommens oder Vermögens selbst nicht leistungsberechtigt sind.

(3) Zur Bedarfsgemeinschaft gehören

1.
die erwerbsfähigen Leistungsberechtigten,
2.
die im Haushalt lebenden Eltern oder der im Haushalt lebende Elternteil eines unverheirateten erwerbsfähigen Kindes, welches das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, und die im Haushalt lebende Partnerin oder der im Haushalt lebende Partner dieses Elternteils,
3.
als Partnerin oder Partner der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten
a)
die nicht dauernd getrennt lebende Ehegattin oder der nicht dauernd getrennt lebende Ehegatte,
b)
die nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartnerin oder der nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartner,
c)
eine Person, die mit der erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenlebt, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen.
4.
die dem Haushalt angehörenden unverheirateten Kinder der in den Nummern 1 bis 3 genannten Personen, wenn sie das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, soweit sie die Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen beschaffen können.

(3a) Ein wechselseitiger Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, wird vermutet, wenn Partner

1.
länger als ein Jahr zusammenleben,
2.
mit einem gemeinsamen Kind zusammenleben,
3.
Kinder oder Angehörige im Haushalt versorgen oder
4.
befugt sind, über Einkommen oder Vermögen des anderen zu verfügen.

(4) Leistungen nach diesem Buch erhält nicht, wer in einer stationären Einrichtung untergebracht ist, Rente wegen Alters oder Knappschaftsausgleichsleistung oder ähnliche Leistungen öffentlich-rechtlicher Art bezieht. Dem Aufenthalt in einer stationären Einrichtung ist der Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung gleichgestellt. Abweichend von Satz 1 erhält Leistungen nach diesem Buch,

1.
wer voraussichtlich für weniger als sechs Monate in einem Krankenhaus (§ 107 des Fünften Buches) untergebracht ist oder
2.
wer in einer stationären Einrichtung nach Satz 1 untergebracht und unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 15 Stunden wöchentlich erwerbstätig ist.
Die Sätze 1 und 3 Nummer 2 gelten für Bewohner von Räumlichkeiten im Sinne des § 42a Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 und Satz 3 des Zwölften Buches entsprechend.

(4a) (weggefallen)

(5) Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes dem Grunde nach förderungsfähig ist, haben über die Leistungen nach § 27 hinaus keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Satz 1 gilt auch für Auszubildende, deren Bedarf sich nach § 61 Absatz 2, § 62 Absatz 3, § 123 Nummer 2 sowie § 124 Nummer 2 des Dritten Buches bemisst.

(6) Absatz 5 Satz 1 ist nicht anzuwenden auf Auszubildende,

1.
die aufgrund von § 2 Absatz 1a des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben,
2.
deren Bedarf sich nach den §§ 12, 13 Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 1 oder nach § 13 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 2 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes bemisst und die Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz
a)
erhalten oder nur wegen der Vorschriften zur Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen nicht erhalten oder
b)
beantragt haben und über deren Antrag das zuständige Amt für Ausbildungsförderung noch nicht entschieden hat; lehnt das zuständige Amt für Ausbildungsförderung die Leistungen ab, findet Absatz 5 mit Beginn des folgenden Monats Anwendung, oder
3.
die eine Abendhauptschule, eine Abendrealschule oder ein Abendgymnasium besuchen, sofern sie aufgrund des § 10 Absatz 3 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben.

(1) Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales wird ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Finanzen ohne Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung zu bestimmen,

1.
welche weiteren Einnahmen nicht als Einkommen zu berücksichtigen sind und wie das Einkommen im Einzelnen zu berechnen ist,
2.
welche weiteren Vermögensgegenstände nicht als Vermögen zu berücksichtigen sind und wie der Wert des Vermögens zu ermitteln ist,
3.
welche Pauschbeträge für die von dem Einkommen abzusetzenden Beträge zu berücksichtigen sind,
4.
welche durchschnittlichen monatlichen Beträge für einzelne Bedarfe nach § 28 für die Prüfung der Hilfebedürftigkeit zu berücksichtigen sind und welcher Eigenanteil des maßgebenden Regelbedarfs bei der Bemessung des Bedarfs nach § 28 Absatz 6 zugrunde zu legen ist.

(2) Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales wird ermächtigt, ohne Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung zu bestimmen, unter welchen Voraussetzungen und für welche Dauer Leistungsberechtigte nach Vollendung des 63. Lebensjahres ausnahmsweise zur Vermeidung von Unbilligkeiten nicht verpflichtet sind, eine Rente wegen Alters vorzeitig in Anspruch zu nehmen.

(3) Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf, nähere Bestimmungen zum näheren Bereich im Sinne des § 7b Absatz 1 Satz 2 zu treffen sowie dazu, für welchen Zeitraum und unter welchen Voraussetzungen erwerbsfähige Leistungsberechtigte bei einem Aufenthalt außerhalb des näheren Bereichs einen Leistungsanspruch haben können, ohne erreichbar zu sein.

Leistungsberechtigte sind verpflichtet, Sozialleistungen anderer Träger in Anspruch zu nehmen und die dafür erforderlichen Anträge zu stellen, sofern dies zur Vermeidung, Beseitigung, Verkürzung oder Verminderung der Hilfebedürftigkeit erforderlich ist. Abweichend von Satz 1 sind Leistungsberechtigte nicht verpflichtet,

1.
bis zur Vollendung des 63. Lebensjahres eine Rente wegen Alters vorzeitig in Anspruch zu nehmen oder
2.
Wohngeld nach dem Wohngeldgesetz oder Kinderzuschlag nach dem Bundeskindergeldgesetz in Anspruch zu nehmen, wenn dadurch nicht die Hilfebedürftigkeit aller Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft für einen zusammenhängenden Zeitraum von mindestens drei Monaten beseitigt würde.
Für die Zeit vom 1. Januar 2023 bis zum Ablauf des 31. Dezember 2026 findet Satz 2 Nummer 1 mit der Maßgabe Anwendung, dass Leistungsberechtigte nicht verpflichtet sind, eine Rente wegen Alters vorzeitig in Anspruch zu nehmen.

Unbillig ist die Inanspruchnahme, wenn und solange sie zum Verlust eines Anspruchs auf Arbeitslosengeld führen würde.

Unbillig ist die Inanspruchnahme, wenn Hilfebedürftige in nächster Zukunft die Altersrente abschlagsfrei in Anspruch nehmen können.

Leistungsberechtigte sind verpflichtet, Sozialleistungen anderer Träger in Anspruch zu nehmen und die dafür erforderlichen Anträge zu stellen, sofern dies zur Vermeidung, Beseitigung, Verkürzung oder Verminderung der Hilfebedürftigkeit erforderlich ist. Abweichend von Satz 1 sind Leistungsberechtigte nicht verpflichtet,

1.
bis zur Vollendung des 63. Lebensjahres eine Rente wegen Alters vorzeitig in Anspruch zu nehmen oder
2.
Wohngeld nach dem Wohngeldgesetz oder Kinderzuschlag nach dem Bundeskindergeldgesetz in Anspruch zu nehmen, wenn dadurch nicht die Hilfebedürftigkeit aller Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft für einen zusammenhängenden Zeitraum von mindestens drei Monaten beseitigt würde.
Für die Zeit vom 1. Januar 2023 bis zum Ablauf des 31. Dezember 2026 findet Satz 2 Nummer 1 mit der Maßgabe Anwendung, dass Leistungsberechtigte nicht verpflichtet sind, eine Rente wegen Alters vorzeitig in Anspruch zu nehmen.

Unbillig ist die Inanspruchnahme, solange Hilfebedürftige sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind oder aus sonstiger Erwerbstätigkeit ein entsprechend hohes Einkommen erzielen. Dies gilt nur, wenn die Beschäftigung oder sonstige Erwerbstätigkeit den überwiegenden Teil der Arbeitskraft in Anspruch nimmt.

(1) Unbillig ist die Inanspruchnahme, wenn Hilfebedürftige durch die Vorlage eines Arbeitsvertrages oder anderer ebenso verbindlicher, schriftlicher Zusagen glaubhaft machen, dass sie in nächster Zukunft eine Erwerbstätigkeit gemäß § 4 aufnehmen und nicht nur vorübergehend ausüben werden.

(2) Haben Hilfebedürftige bereits einmal glaubhaft gemacht, dass sie alsbald eine Erwerbstätigkeit nach Absatz 1 aufnehmen, so ist eine erneute Glaubhaftmachung ausgeschlossen.

(3) Ist bereits vor dem Zeitpunkt der geplanten Aufnahme der Beschäftigung oder Erwerbstätigkeit anzunehmen, dass diese nicht zu Stande kommen wird, entfällt die Unbilligkeit.

Unbillig ist die Inanspruchnahme, solange Hilfebedürftige sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind oder aus sonstiger Erwerbstätigkeit ein entsprechend hohes Einkommen erzielen. Dies gilt nur, wenn die Beschäftigung oder sonstige Erwerbstätigkeit den überwiegenden Teil der Arbeitskraft in Anspruch nimmt.

(1) Unbillig ist die Inanspruchnahme, wenn Hilfebedürftige durch die Vorlage eines Arbeitsvertrages oder anderer ebenso verbindlicher, schriftlicher Zusagen glaubhaft machen, dass sie in nächster Zukunft eine Erwerbstätigkeit gemäß § 4 aufnehmen und nicht nur vorübergehend ausüben werden.

(2) Haben Hilfebedürftige bereits einmal glaubhaft gemacht, dass sie alsbald eine Erwerbstätigkeit nach Absatz 1 aufnehmen, so ist eine erneute Glaubhaftmachung ausgeschlossen.

(3) Ist bereits vor dem Zeitpunkt der geplanten Aufnahme der Beschäftigung oder Erwerbstätigkeit anzunehmen, dass diese nicht zu Stande kommen wird, entfällt die Unbilligkeit.

Unbillig ist die Inanspruchnahme, wenn Leistungsberechtigte dadurch hilfebedürftig im Sinne der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch werden würden. Dies ist insbesondere anzunehmen, wenn der Betrag in Höhe von 70 Prozent der bei Erreichen der Altersgrenze (§ 7a des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch) zu erwartenden monatlichen Regelaltersrente niedriger ist als der zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Unbilligkeit maßgebende Bedarf der leistungsberechtigten Person nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch.

(1) Auf Rechtsvorschriften beruhende Leistungen Anderer, insbesondere der Träger anderer Sozialleistungen, werden durch dieses Buch nicht berührt. Ermessensleistungen dürfen nicht deshalb versagt werden, weil dieses Buch entsprechende Leistungen vorsieht.

(2) Der Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach diesem Buch schließt Leistungen nach dem Dritten Kapitel des Zwölften Buches aus. Leistungen nach dem Vierten Kapitel des Zwölften Buches sind gegenüber dem Bürgergeld nach § 19 Absatz 1 Satz 2 vorrangig.

(3) Stellen Leistungsberechtigte trotz Aufforderung einen erforderlichen Antrag auf Leistungen eines anderen Trägers nicht, können die Leistungsträger nach diesem Buch den Antrag stellen sowie Rechtsbehelfe und Rechtsmittel einlegen. Der Ablauf von Fristen, die ohne Verschulden der Leistungsträger nach diesem Buch verstrichen sind, wirkt nicht gegen die Leistungsträger nach diesem Buch; dies gilt nicht für Verfahrensfristen, soweit die Leistungsträger nach diesem Buch das Verfahren selbst betreiben. Wird eine Leistung aufgrund eines Antrages nach Satz 1 von einem anderen Träger nach § 66 des Ersten Buches bestandskräftig entzogen oder versagt, sind die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach diesem Buch ganz oder teilweise so lange zu entziehen oder zu versagen, bis die leistungsberechtigte Person ihrer Verpflichtung nach den §§ 60 bis 64 des Ersten Buches gegenüber dem anderen Träger nachgekommen ist. Eine Entziehung oder Versagung nach Satz 3 ist nur möglich, wenn die leistungsberechtigte Person vom zuständigen Leistungsträger nach diesem Buch zuvor schriftlich auf diese Folgen hingewiesen wurde. Wird die Mitwirkung gegenüber dem anderen Träger nachgeholt, ist die Versagung oder Entziehung rückwirkend aufzuheben.

(4) Leistungen zur Eingliederung in Arbeit nach dem Ersten Abschnitt des Dritten Kapitels werden nicht an oder für erwerbsfähige Leistungsberechtigte erbracht, die einen Anspruch auf Arbeitslosengeld oder Teilarbeitslosengeld haben.

(5) Leistungen nach den §§ 16a, 16b, 16d sowie 16f bis 16k können auch an erwerbsfähige Leistungsberechtigte erbracht werden, sofern ein Rehabilitationsträger im Sinne des Neunten Buches zuständig ist; § 22 Absatz 2 Satz 1 und 2 des Dritten Buches ist entsprechend anzuwenden.

Leistungsberechtigte sind verpflichtet, Sozialleistungen anderer Träger in Anspruch zu nehmen und die dafür erforderlichen Anträge zu stellen, sofern dies zur Vermeidung, Beseitigung, Verkürzung oder Verminderung der Hilfebedürftigkeit erforderlich ist. Abweichend von Satz 1 sind Leistungsberechtigte nicht verpflichtet,

1.
bis zur Vollendung des 63. Lebensjahres eine Rente wegen Alters vorzeitig in Anspruch zu nehmen oder
2.
Wohngeld nach dem Wohngeldgesetz oder Kinderzuschlag nach dem Bundeskindergeldgesetz in Anspruch zu nehmen, wenn dadurch nicht die Hilfebedürftigkeit aller Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft für einen zusammenhängenden Zeitraum von mindestens drei Monaten beseitigt würde.
Für die Zeit vom 1. Januar 2023 bis zum Ablauf des 31. Dezember 2026 findet Satz 2 Nummer 1 mit der Maßgabe Anwendung, dass Leistungsberechtigte nicht verpflichtet sind, eine Rente wegen Alters vorzeitig in Anspruch zu nehmen.

(1) Ein schriftlicher oder elektronischer sowie ein schriftlich oder elektronisch bestätigter Verwaltungsakt ist mit einer Begründung zu versehen. In der Begründung sind die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe mitzuteilen, die die Behörde zu ihrer Entscheidung bewogen haben. Die Begründung von Ermessensentscheidungen muss auch die Gesichtspunkte erkennen lassen, von denen die Behörde bei der Ausübung ihres Ermessens ausgegangen ist.

(2) Einer Begründung bedarf es nicht,

1.
soweit die Behörde einem Antrag entspricht oder einer Erklärung folgt und der Verwaltungsakt nicht in Rechte eines anderen eingreift,
2.
soweit demjenigen, für den der Verwaltungsakt bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, die Auffassung der Behörde über die Sach- und Rechtslage bereits bekannt oder auch ohne Begründung für ihn ohne weiteres erkennbar ist,
3.
wenn die Behörde gleichartige Verwaltungsakte in größerer Zahl oder Verwaltungsakte mit Hilfe automatischer Einrichtungen erlässt und die Begründung nach den Umständen des Einzelfalles nicht geboten ist,
4.
wenn sich dies aus einer Rechtsvorschrift ergibt,
5.
wenn eine Allgemeinverfügung öffentlich bekannt gegeben wird.

(3) In den Fällen des Absatzes 2 Nr. 1 bis 3 ist der Verwaltungsakt schriftlich oder elektronisch zu begründen, wenn der Beteiligte, dem der Verwaltungsakt bekannt gegeben ist, es innerhalb eines Jahres seit Bekanntgabe verlangt.

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 29. April 2015 wird zurückgewiesen.

Kosten sind für das Revisionsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Im Streit ist die Rechtmäßigkeit einer Aufforderung des beklagten Jobcenters an die Klägerin, die vorzeitige Inanspruchnahme einer Rente wegen Alters zu beantragen.

2

Die am 12.1.1951 geborene, alleinlebende Klägerin bezieht seit dem 1.1.2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Für die Zeit vom 1.12.2013 bis zum 31.5.2014 wurden monatlich vorläufig 662,99 Euro bewilligt (Regelbedarf für Alleinstehende: 382 Euro, Kosten der Unterkunft und Heizung: 309,79 Euro, Berücksichtigung eines Erwerbseinkommens als Reinigungskraft von 136 Euro).

3

Nachdem dem Beklagten bekannt geworden war, dass die Klägerin von der Deutschen Rentenversicherung Mitteldeutschland (DRV) eine abschlagsfreie Altersrente ab dem 1.2.2016 und eine Altersrente mit Abschlägen seit dem 1.2.2011 beziehen könne, forderte er sie zur Beantragung einer vorzeitigen Altersrente ab Vollendung des 63. Lebensjahres unter Fristsetzung bis zum 22.8.2013 auf (Bescheid vom 29.7.2013). Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein, weil sie auf "ergänzenden Hartz IV-Bezug" angewiesen sei, wenn sie eine Altersrente mit Abschlägen beziehen müsse. Auch gegen den Bescheid des Beklagten vom 21.10.2013, in dem sie erneut zur Beantragung einer vorzeitigen Altersrente unter Fristsetzung bis zum 14.11.2013 aufgefordert wurde, legte die Klägerin Widerspruch ein und bezog sich auf Auskünfte der DRV, wonach bei Rentenbeginn am 1.2.2014 eine vorzeitige Altersrente in Höhe von monatlich 609,42 Euro netto und bei einem Rentenbeginn ab 1.2.2016 eine abschlagsfreie Altersrente von monatlich 655,53 Euro zu erwarten seien. Die Widersprüche der Klägerin wurden zurückgewiesen (Widerspruchsbescheid vom 2.12.2013): Weder sei die Inanspruchnahme einer vorzeitigen Altersrente unbillig im Sinne der Unbilligkeitsverordnung (UnbilligkeitsV), noch ergebe eine Abwägung der Interessen der Klägerin mit denen der Allgemeinheit im Hinblick auf das Gebot der wirtschaftlichen und sparsamen Verwendung öffentlicher Mittel, dass von der Aufforderung zur Rentenantragstellung abgesehen werden könne. Voraussichtlich reiche auch die abschlagsfreie Altersrente zur Deckung des gegenwärtigen Bedarfs von 691,79 Euro nicht aus, es sei somit kein mit dem Bezug einer vorzeitigen Altersrente verbundener unzumutbarer Nachteil erkennbar. Mit Schreiben vom 4.12.2013 beantragte der Beklagte bei der DRV für die Klägerin eine Altersrente und meldete zugleich einen Erstattungsanspruch an.

4

Das angerufene SG hat die Bescheide vom 29.7.2013 und 21.10.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2.12.2013 "aufgehoben, soweit die Klägerin zur Beantragung einer Altersrente mit Rentenbeginn vor dem 1.2.2014 aufgefordert" werde; im Übrigen hat es die Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 13.5.2014). Die nur von der Klägerin eingelegte Berufung hat das LSG zurückgewiesen (Urteil vom 29.4.2015). Die Klägerin sei zur Beantragung einer vorzeitigen Altersrente verpflichtet. Für einen atypischen Fall im Sinne der UnbilligkeitsV sei nichts ersichtlich, auch verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Aufforderung zur Beantragung einer vorzeitigen Altersrente bestünden nicht. Das bereits bei der Aufforderung zur Antragstellung erforderliche Ermessen habe der Beklagte jedenfalls im Widerspruchsverfahren ordnungsgemäß ausgeübt.

5

In ihrer vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine Verletzung von § 12a iVm § 5 Abs 3 SGB II. Der Beklagte habe sein Ermessen fehlerhaft ausgeübt, indem er nicht berücksichtigt habe, dass sie bei einer Rente mit Abschlägen ergänzend Sozialleistungen in Anspruch nehmen müsse, was bei einer Rente ohne Abschläge zuzüglich Wohngeld und einer weiteren Beschäftigung nicht der Fall wäre. Es sei auch nicht berücksichtigt worden, dass es insbesondere in den neuen Bundesländern erhebliche Rentenerhöhungen geben werde, an denen sie aufgrund der dauernden Abschläge nicht angemessen teilhaben könne. Bei der Beurteilung eines Härtefalls sei im Übrigen zu berücksichtigen, dass in "nächster Zukunft" eine Altersrente abschlagsfrei hätte in Anspruch genommen werden können. Schließlich sei die vorliegende Regelung zur Zwangsverrentung auch verfassungswidrig.

6

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 29. April 2015 aufzuheben, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Leipzig vom 13. Mai 2014 zu ändern sowie den Bescheid des Beklagten vom 21. Oktober 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2. Dezember 2013 insgesamt aufzuheben.

7

Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

8

Im Revisionsverfahren hat die Klägerin einen Bescheid der DRV vom 15.10.2015 mit einem Rentenbeginn ab dem 1.2.2014 und einem monatlichen Auszahlbetrag von 663,91 Euro ab 1.12.2015 vorgelegt. Dagegen hat sie Widerspruch eingelegt und gegen dessen Zurückweisung mit Widerspruchsbescheid vom 3.3.2016 Klage erhoben.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Revision der Klägerin ist als unbegründet zurückzuweisen (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG). Das LSG hat zutreffend entschieden, dass die Aufforderung des beklagten Jobcenters an die Klägerin zur Rentenantragstellung ab 1.2.2014 rechtmäßig ist. Aufgrund der Einverständnisse der Beteiligten hat der Senat ohne mündliche Verhandlung entschieden (§ 124 Abs 2 SGG).

10

1. Gegenstand des Revisionsverfahrens sind das Urteil des LSG und der Gerichtsbescheid des SG, soweit für den hier maßgeblichen Zeitpunkt des Rentenbeginns ab dem 1.2.2014 die Klage abgewiesen worden ist, sowie der Bescheid des Beklagten vom 21.10.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2.12.2013, durch den die Klägerin zur Beantragung einer vorzeitigen Altersrente bis 14.11.2013 aufgefordert worden ist. Der Bescheid vom 29.7.2013 mit der Aufforderung zur Antragstellung bis 22.8.2013 hat sich durch den Bescheid vom 21.10.2013 und die dortige Fristsetzung erledigt (§ 39 Abs 2 SGB X). Soweit das SG die Aufforderung des Beklagten dahingehend ausgelegt hat, dass die Klägerin schon einen Rentenantrag für die Zeit vor dem 1.2.2014 stellen sollte, und es der Klage insofern stattgegeben hat, bedarf es keiner Entscheidung, weil der Beklagte kein Rechtsmittel eingelegt hat.

11

2. Verfahrensrechtliche Hindernisse stehen einer Sachentscheidung des Senats nicht entgegen. Die Klägerin hat zu Recht eine Anfechtungsklage erhoben (§ 54 Abs 1 Satz 1 SGG), weil es sich bei der Aufforderung zur Beantragung einer vorzeitigen Altersrente bis 1.2.2014 um einen Verwaltungsakt iS des § 31 Satz 1 SGB X handelt(BSG Urteil vom 19.8.2015 - B 14 AS 1/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 12a Nr 1, RdNr 12).

12

Die Aufforderung vom 21.10.2013 ist nicht iS des § 39 Abs 2 SGB X erledigt und die Anfechtungsklage nach wie vor zulässig. Gegen den auf den Antrag des Beklagten hin ergangenen Rentenbescheid der DRV vom 15.10.2015 mit einem Rentenbeginn ab dem 1.2.2014 hat die Klägerin Widerspruch eingelegt und nach dessen Zurückweisung Klage erhoben, sodass das Rentenverfahren nicht bestandskräftig abgeschlossen ist (vgl BSG Urteil vom 19.8.2015 - B 14 AS 1/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 12a Nr 1, RdNr 13).

13

Einer echten notwendigen Beiladung der DRV nach § 75 Abs 2 Alt 1 SGG bedurfte es nicht(BSG Urteil vom 19.8.2015 - B 14 AS 1/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 12a Nr 1, RdNr 14).

14

3. Rechtsgrundlage für die angefochtene Aufforderung zur Beantragung einer vorzeitigen Altersrente sind § 12a iVm § 5 Abs 3 Satz 1 SGB II(diese und alle weiteren Vorschriften des SGB II in der seit 1.4.2011 geltenden Fassung aufgrund der Neubekanntmachung vom 13.5.2011, BGBl I 850). Danach sind Leistungsberechtigte verpflichtet, Sozialleistungen anderer Träger in Anspruch zu nehmen und die hierfür erforderlichen Anträge zu stellen, sofern dies zur Vermeidung, Beseitigung, Verkürzung oder Verminderung der Hilfebedürftigkeit erforderlich ist, wobei nach § 12a Satz 2 Nr 1 SGB II bis zur Vollendung des 63. Lebensjahres eine Rente wegen Alters nicht vorzeitig in Anspruch genommen werden muss. Die SGB II-Leistungsträger werden ermächtigt, Leistungsberechtigte zur Beantragung einer vorzeitigen Rente aufzufordern, und, sofern diese der Aufforderung nicht nachkommen, selbst den Antrag zu stellen.

15

Die sich aus dem Regelungszusammenhang der genannten Vorschriften ergebenden Voraussetzungen (BSG Urteil vom 19.8.2015 - B 14 AS 1/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 12a Nr 1, RdNr 17) erfüllt die Klägerin, denn aus den Feststellungen des LSG ergibt sich, dass sie hilfebedürftig iS der § 7 Abs 1 Satz 1 Nr 3, § 9 Abs 1 SGB II ist. Hilfebedürftig ist danach derjenige, der seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus zu berücksichtigendem Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält. Hieran knüpft die Regelung in § 12a SGB II über vorrangige Leistungen an(siehe dazu ausführlich BSG aaO). Nach Vollendung des 63. Lebensjahres gehört zu den vorrangigen Leistungen grundsätzlich auch die Inanspruchnahme einer vorzeitigen Altersrente trotz der mit ihr verbundenen dauerhaften Rentenabschläge für jeden Kalendermonat einer vorzeitigen Inanspruchnahme (vgl § 77 SGB VI).

16

4. Der Bescheid des Beklagten vom 21.10.2013, mit dem die Klägerin zur Rentenantragstellung aufgefordert wurde, ist formell rechtmäßig, insbesondere liegt kein zu beachtender Verstoß gegen die Anhörungspflicht nach § 24 SGB X vor. Schon vor der nur noch streitbefangenen Aufforderung vom 21.10.2013 hatte die Klägerin in ihrem Widerspruch gegen die erste Aufforderung ausreichend Gelegenheit, ihre Einwände vorzutragen, und hat diese im Widerspruchsverfahren gegen die Aufforderung vom 21.10.2013 vertieft. Im Übrigen ist ein möglicher Anhörungsmangel durch das Widerspruchsverfahren geheilt worden (§ 41 Abs 1 SGB X).

17

5. Der Bescheid ist auch materiell rechtmäßig. Die Klägerin ist nach § 12a SGB II verpflichtet, eine vorzeitige Altersrente zu beantragen und in Anspruch zu nehmen. Die Voraussetzungen der sogenannten 58er-Regelung (§ 65 Abs 4 Satz 2 SGB II), insbesondere die Vollendung des 58. Lebensjahres vor dem 1.1.2008, erfüllte die am 12.1.1951 geborene Klägerin nicht.

18

a) Die Klägerin ist zur Inanspruchnahme der Rente verpflichtet, denn diese ist iS des § 12a Satz 1 SGB II zur Vermeidung, Beseitigung, Verkürzung oder Verminderung ihrer Hilfebedürftigkeit erforderlich. Erforderlich in diesem Sinne ist nicht nur jede Inanspruchnahme von Sozialleistungen, die Hilfebedürftigkeit nicht eintreten oder eine bestehende Hilfebedürftigkeit wegfallen lassen, vielmehr genügt es, wenn die Dauer einer Hilfebedürftigkeit verkürzt bzw begrenzt oder der Höhe nach verringert wird (BSG Urteil vom 19.8.2015 - B 14 AS 1/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 12a Nr 1, RdNr 21).

19

Vorliegend führt die Inanspruchnahme der vorzeitigen Altersrente zur Beseitigung der Hilfebedürftigkeit der Klägerin nach dem SGB II, denn diese wird unabhängig von der Höhe der Rente beseitigt, was aus § 7 Abs 4 Satz 1 SGB II folgt, wonach Leistungen nach dem SGB II nicht erhält, wer Rente wegen Alters bezieht(vgl BSG Urteil vom 16.5.2012 - B 4 AS 105/11 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 30 RdNr 15 ff; BSG Beschluss vom 12.6.2013 - B 14 AS 225/12 B - Juris RdNr 5). Dass abhängig von der Höhe der Rente die Klägerin ihren notwendigen Lebensunterhalt ggf nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln bestreiten und ihr deshalb insoweit nach § 19 Abs 1, § 27 Abs 1 SGB XII Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII zu leisten sein könnte, ändert nichts daran, dass die Klägerin mit dem Bezug der vorzeitigen Altersrente ihre Hilfebedürftigkeit nach dem SGB II beseitigt und aus diesem Leistungssystem ausscheidet.

20

b) Neben der festgestellten Verpflichtung der Klägerin zur Antragstellung ist diese iS des § 12a Satz 1 SGB II auch erforderlich, weil Renten aus eigener Versicherung nur auf Antrag geleistet werden(§ 99 Abs 1 SGB VI). Die angefochtene Aufforderung der Klägerin zur Antragstellung ist hinreichend bestimmt, denn sie bezieht sich darauf, bei dem zuständigen Rentenversicherungsträger einen Antrag auf eine Altersrente ab Vollendung des 63. Lebensjahres zu stellen. Dass die Antragstellung nach dem Text des Bescheids "umgehend" erfolgen soll, bezieht sich erkennbar auf die zuvor genannte Verpflichtung zur Antragstellung und der Berechtigung zum Bezug der geminderten Altersrente nach Vollendung des 63. Lebensjahres. Die hierzu gesetzte Frist von circa 3 Wochen ist nicht zu beanstanden.

21

6. Der Verpflichtung der Klägerin zur Rentenantragstellung und Inanspruchnahme steht die auf § 13 Abs 2 SGB II beruhende UnbilligkeitsV nicht entgegen, weil keiner der in ihr abschließend geregelten Ausnahmetatbestände(BSG Urteil vom 19.8.2015 - B 14 AS 1/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 12a Nr 1, RdNr 23 mwN) vorliegt.

22

Weder würde die Inanspruchnahme der vorzeitigen Altersrente zum Verlust eines Anspruchs auf Alg führen (§ 2 UnbilligkeitsV), weil die Klägerin keinen Anspruch auf Alg nach dem SGB III hat, noch ist die Beantragung der vorgezogenen Altersrente deshalb unbillig, weil die Klägerin in nächster Zukunft die Altersrente abschlagsfrei in Anspruch nehmen kann (§ 3 UnbilligkeitsV). Abschlagsfrei in Anspruch nehmen könnte sie eine Altersrente wegen Arbeitslosigkeit erst mit Vollendung des 65. Lebensjahres (§ 237 Abs 2 SGB VI iVm Anl 19 zum SGB VI)und eine Altersrente für langjährig Versicherte erst mit Erreichen der Regelaltersgrenze (Anhebung der Altersgrenze um fünf Monate nach § 236 Abs 2 Satz 2 SGB VI). Ein Zeitraum - wie hier - von mehr als zwei Jahren zwischen dem Beginn der vorzeitigen Inanspruchnahme mit Abschlägen nach Vollendung des 63. Lebensjahres bis zur abschlagsfreien Inanspruchnahme ist nicht eine bevorstehende abschlagsfreie Altersrente "in nächster Zukunft" bzw "alsbald" (vgl § 5 Abs 2 iVm Abs 1 UnbilligkeitsV; siehe auch Begründung des Referentenentwurfs zur UnbilligkeitsV, S 8, abrufbar unter http://www.bmas.de/DE/Service/Gesetze/unbilligkeitsverordnung.html: längstens drei Monate).

23

Schließlich greifen auch die Ausnahmebestimmungen in §§ 4 und 5 UnbilligkeitsV nicht. Weder ist die Klägerin sozialversicherungspflichtig beschäftigt oder erzielt sie aus einer sonstigen Erwerbstätigkeit ein entsprechend hohes Einkommen (§ 4 UnbilligkeitsV), noch steht eine solche Erwerbstätigkeit in nächster Zukunft bevor (§ 5 UnbilligkeitsV). Dies ergibt sich aus den Feststellungen des LSG und der Revisionsbegründung der Klägerin, wonach sie zwar einer geringfügigen Beschäftigung nachgehe, ihr eine Vollzeittätigkeit oder Teilzeittätigkeit aber nicht habe vermittelt werden können. Dass die Klägerin mit einem monatlichen Einkommen von 136 Euro keine sozialversicherungspflichtige, sondern eine nur geringfügige Beschäftigung ausübte, folgt aus § 8 Abs 1 SGB IV. Dass auf diese Grenze abzustellen ist, wird durch die Begründung des Referentenentwurfs zu dem maßgeblichen § 4 UnbilligkeitsV bestätigt(siehe S 8 des Referentenentwurfs).

24

7. Das aufgrund der Verpflichtung der Klägerin, eine vorzeitige Altersrente zu beantragen und in Anspruch zu nehmen, eröffnete Ermessen des Beklagten hinsichtlich des "Ob" einer Aufforderung hat dieser erkannt und im Ergebnis fehlerfrei ausgeübt. Seine Ermessensausübung ist gerichtlich nur eingeschränkt darauf zu prüfen (§ 39 Abs 1 SGB I, § 54 Abs 2 Satz 2 SGG), ob Ermessen überhaupt ausgeübt, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist ("Rechtmäßigkeits-, aber keine Zweckmäßigkeitskontrolle"; vgl BSG Urteil vom 19.8.2015 - B 14 AS 1/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 12a Nr 1, RdNr 27 f).

25

a) Zwar sind der angefochtenen Aufforderung vom 21.10.2013 allenfalls Ansätze einer Ermessensausübung zu entnehmen, Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung ist jedoch der angefochtene Bescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheids (§ 95 SGG), sodass Fehler in der Ermessensbetätigung im Ausgangsbescheid durch das Widerspruchsverfahren geheilt werden können, zumal in diesem auch die Zweckmäßigkeit des angefochtenen Ausgangsbescheids nachzuprüfen ist (vgl Schütze in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl 2014, § 41 RdNr 11).

26

b) Eine solche Prüfung ist im Widerspruchsbescheid vom 2.12.2013 ausreichend erfolgt. Die Erwägungen des Beklagten lassen Ermessensfehler nicht erkennen. Relevante Ermessensgesichtspunkte können ohnehin nur solche sein, die einen atypischen Fall begründen und auf besonderen Härten im Einzelfall beruhen, die keinen Unbilligkeitstatbestand im Sinne der UnbilligkeitsV begründen, aber die Inanspruchnahme der vorzeitigen Altersrente aufgrund außergewöhnlicher Umstände als unzumutbar erscheinen lassen. Soweit sich Anhaltspunkte für solche Härten nicht aufdrängen, ist der Leistungsberechtigte gehalten, atypische Umstände seines Einzelfalls vorzubringen, die der Leistungsträger zu erwägen hat (BSG Urteil vom 19.8.2015 - B 14 AS 1/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 12a Nr 1, RdNr 27 ff).

27

Vorliegend sind solche Umstände von der Klägerin nicht vorgebracht worden. Insbesondere liegt ein atypischer Fall nicht deshalb vor, weil die vorzeitige Altersrente des Leistungsberechtigten uU nicht bedarfsdeckend ist und Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII in Anspruch genommen werden müssten (BSG Urteil vom 19.8.2015 - B 14 AS 1/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 12a Nr 1, RdNr 41 mwN). Die durch die Inanspruchnahme der vorzeitigen Altersrente folgenden dauerhaften Rentenabschläge und die damit einhergehenden geringeren Rentenerhöhungen waren dem Gesetzgeber bekannt und können nicht zur Annahme einer außergewöhnlichen Härte führen.

28

Eine solche Härte ergibt sich vorliegend auch nicht aus den strengeren Regelungen über die Berücksichtigung von Vermögen nach dem SGB XII (vgl dessen § 90) gegenüber dem SGB II (vgl dessen § 12), weil das Urteil des LSG keine Feststellungen enthält, die auf derartiges Vermögen der Klägerin nur hindeuten, und die Klägerin im Revisionsverfahren keine entsprechenden Rügen erhoben hat (vgl zur Berücksichtigung solcher Konstellationen im Rahmen der Ermessensausübung schon BSG Urteil vom 19.8.2015 - B 14 AS 1/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 12a Nr 1, RdNr 47).

29

Der Beklagte hat dem Vorbringen der Klägerin in seinem Widerspruchsbescheid ausreichend Rechnung getragen, indem er zunächst geprüft hat, ob das Interesse der Klägerin, die Rente nicht zu beantragen, dem Interesse der Allgemeinheit, welche die Leistungen aus Steuermitteln erbringt, überwiegt. Einen außergewöhnlichen Fall, der nicht in der UnbilligkeitsV geregelt ist, hat der Beklagte nicht erkennen können. Er hat weiterhin ausgeführt, dass der Bedarf der Klägerin nach dem SGB II bei 691,79 Euro liege und dass dieser auch mit einer abschlagsfreien Rente von 655,53 Euro nicht gedeckt werden könne, sodass die Klägerin ohnehin auf ergänzende Sozialleistungen angewiesen wäre und die Rentenantragstellung daher nicht mit unzumutbaren Nachteilen für sie verbunden sei. Darüber hinaus sind auch für den Senat weder aus den Feststellungen des LSG noch aus dem Vorbringen der Klägerin im Revisionsverfahren Umstände erkennbar, die einen unzumutbaren Nachteil begründen könnten.

30

8. Schließlich verstößt dieses Ergebnis nicht gegen Grundrechte der Klägerin. Die der Sicherung des Nachrangs durch Verweis auf vorrangige Leistungen dienenden § 12a iVm § 5 Abs 3 SGB II sind verfassungsgemäß(siehe ausführlich BSG Urteil vom 19.8.2015 - B 14 AS 1/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 12a Nr 1, RdNr 44 ff).

31

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG.

Leistungsberechtigte sind verpflichtet, Sozialleistungen anderer Träger in Anspruch zu nehmen und die dafür erforderlichen Anträge zu stellen, sofern dies zur Vermeidung, Beseitigung, Verkürzung oder Verminderung der Hilfebedürftigkeit erforderlich ist. Abweichend von Satz 1 sind Leistungsberechtigte nicht verpflichtet,

1.
bis zur Vollendung des 63. Lebensjahres eine Rente wegen Alters vorzeitig in Anspruch zu nehmen oder
2.
Wohngeld nach dem Wohngeldgesetz oder Kinderzuschlag nach dem Bundeskindergeldgesetz in Anspruch zu nehmen, wenn dadurch nicht die Hilfebedürftigkeit aller Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft für einen zusammenhängenden Zeitraum von mindestens drei Monaten beseitigt würde.
Für die Zeit vom 1. Januar 2023 bis zum Ablauf des 31. Dezember 2026 findet Satz 2 Nummer 1 mit der Maßgabe Anwendung, dass Leistungsberechtigte nicht verpflichtet sind, eine Rente wegen Alters vorzeitig in Anspruch zu nehmen.

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 29. April 2015 wird zurückgewiesen.

Kosten sind für das Revisionsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Im Streit ist die Rechtmäßigkeit einer Aufforderung des beklagten Jobcenters an die Klägerin, die vorzeitige Inanspruchnahme einer Rente wegen Alters zu beantragen.

2

Die am 12.1.1951 geborene, alleinlebende Klägerin bezieht seit dem 1.1.2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Für die Zeit vom 1.12.2013 bis zum 31.5.2014 wurden monatlich vorläufig 662,99 Euro bewilligt (Regelbedarf für Alleinstehende: 382 Euro, Kosten der Unterkunft und Heizung: 309,79 Euro, Berücksichtigung eines Erwerbseinkommens als Reinigungskraft von 136 Euro).

3

Nachdem dem Beklagten bekannt geworden war, dass die Klägerin von der Deutschen Rentenversicherung Mitteldeutschland (DRV) eine abschlagsfreie Altersrente ab dem 1.2.2016 und eine Altersrente mit Abschlägen seit dem 1.2.2011 beziehen könne, forderte er sie zur Beantragung einer vorzeitigen Altersrente ab Vollendung des 63. Lebensjahres unter Fristsetzung bis zum 22.8.2013 auf (Bescheid vom 29.7.2013). Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein, weil sie auf "ergänzenden Hartz IV-Bezug" angewiesen sei, wenn sie eine Altersrente mit Abschlägen beziehen müsse. Auch gegen den Bescheid des Beklagten vom 21.10.2013, in dem sie erneut zur Beantragung einer vorzeitigen Altersrente unter Fristsetzung bis zum 14.11.2013 aufgefordert wurde, legte die Klägerin Widerspruch ein und bezog sich auf Auskünfte der DRV, wonach bei Rentenbeginn am 1.2.2014 eine vorzeitige Altersrente in Höhe von monatlich 609,42 Euro netto und bei einem Rentenbeginn ab 1.2.2016 eine abschlagsfreie Altersrente von monatlich 655,53 Euro zu erwarten seien. Die Widersprüche der Klägerin wurden zurückgewiesen (Widerspruchsbescheid vom 2.12.2013): Weder sei die Inanspruchnahme einer vorzeitigen Altersrente unbillig im Sinne der Unbilligkeitsverordnung (UnbilligkeitsV), noch ergebe eine Abwägung der Interessen der Klägerin mit denen der Allgemeinheit im Hinblick auf das Gebot der wirtschaftlichen und sparsamen Verwendung öffentlicher Mittel, dass von der Aufforderung zur Rentenantragstellung abgesehen werden könne. Voraussichtlich reiche auch die abschlagsfreie Altersrente zur Deckung des gegenwärtigen Bedarfs von 691,79 Euro nicht aus, es sei somit kein mit dem Bezug einer vorzeitigen Altersrente verbundener unzumutbarer Nachteil erkennbar. Mit Schreiben vom 4.12.2013 beantragte der Beklagte bei der DRV für die Klägerin eine Altersrente und meldete zugleich einen Erstattungsanspruch an.

4

Das angerufene SG hat die Bescheide vom 29.7.2013 und 21.10.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2.12.2013 "aufgehoben, soweit die Klägerin zur Beantragung einer Altersrente mit Rentenbeginn vor dem 1.2.2014 aufgefordert" werde; im Übrigen hat es die Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 13.5.2014). Die nur von der Klägerin eingelegte Berufung hat das LSG zurückgewiesen (Urteil vom 29.4.2015). Die Klägerin sei zur Beantragung einer vorzeitigen Altersrente verpflichtet. Für einen atypischen Fall im Sinne der UnbilligkeitsV sei nichts ersichtlich, auch verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Aufforderung zur Beantragung einer vorzeitigen Altersrente bestünden nicht. Das bereits bei der Aufforderung zur Antragstellung erforderliche Ermessen habe der Beklagte jedenfalls im Widerspruchsverfahren ordnungsgemäß ausgeübt.

5

In ihrer vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine Verletzung von § 12a iVm § 5 Abs 3 SGB II. Der Beklagte habe sein Ermessen fehlerhaft ausgeübt, indem er nicht berücksichtigt habe, dass sie bei einer Rente mit Abschlägen ergänzend Sozialleistungen in Anspruch nehmen müsse, was bei einer Rente ohne Abschläge zuzüglich Wohngeld und einer weiteren Beschäftigung nicht der Fall wäre. Es sei auch nicht berücksichtigt worden, dass es insbesondere in den neuen Bundesländern erhebliche Rentenerhöhungen geben werde, an denen sie aufgrund der dauernden Abschläge nicht angemessen teilhaben könne. Bei der Beurteilung eines Härtefalls sei im Übrigen zu berücksichtigen, dass in "nächster Zukunft" eine Altersrente abschlagsfrei hätte in Anspruch genommen werden können. Schließlich sei die vorliegende Regelung zur Zwangsverrentung auch verfassungswidrig.

6

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 29. April 2015 aufzuheben, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Leipzig vom 13. Mai 2014 zu ändern sowie den Bescheid des Beklagten vom 21. Oktober 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2. Dezember 2013 insgesamt aufzuheben.

7

Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

8

Im Revisionsverfahren hat die Klägerin einen Bescheid der DRV vom 15.10.2015 mit einem Rentenbeginn ab dem 1.2.2014 und einem monatlichen Auszahlbetrag von 663,91 Euro ab 1.12.2015 vorgelegt. Dagegen hat sie Widerspruch eingelegt und gegen dessen Zurückweisung mit Widerspruchsbescheid vom 3.3.2016 Klage erhoben.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Revision der Klägerin ist als unbegründet zurückzuweisen (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG). Das LSG hat zutreffend entschieden, dass die Aufforderung des beklagten Jobcenters an die Klägerin zur Rentenantragstellung ab 1.2.2014 rechtmäßig ist. Aufgrund der Einverständnisse der Beteiligten hat der Senat ohne mündliche Verhandlung entschieden (§ 124 Abs 2 SGG).

10

1. Gegenstand des Revisionsverfahrens sind das Urteil des LSG und der Gerichtsbescheid des SG, soweit für den hier maßgeblichen Zeitpunkt des Rentenbeginns ab dem 1.2.2014 die Klage abgewiesen worden ist, sowie der Bescheid des Beklagten vom 21.10.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2.12.2013, durch den die Klägerin zur Beantragung einer vorzeitigen Altersrente bis 14.11.2013 aufgefordert worden ist. Der Bescheid vom 29.7.2013 mit der Aufforderung zur Antragstellung bis 22.8.2013 hat sich durch den Bescheid vom 21.10.2013 und die dortige Fristsetzung erledigt (§ 39 Abs 2 SGB X). Soweit das SG die Aufforderung des Beklagten dahingehend ausgelegt hat, dass die Klägerin schon einen Rentenantrag für die Zeit vor dem 1.2.2014 stellen sollte, und es der Klage insofern stattgegeben hat, bedarf es keiner Entscheidung, weil der Beklagte kein Rechtsmittel eingelegt hat.

11

2. Verfahrensrechtliche Hindernisse stehen einer Sachentscheidung des Senats nicht entgegen. Die Klägerin hat zu Recht eine Anfechtungsklage erhoben (§ 54 Abs 1 Satz 1 SGG), weil es sich bei der Aufforderung zur Beantragung einer vorzeitigen Altersrente bis 1.2.2014 um einen Verwaltungsakt iS des § 31 Satz 1 SGB X handelt(BSG Urteil vom 19.8.2015 - B 14 AS 1/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 12a Nr 1, RdNr 12).

12

Die Aufforderung vom 21.10.2013 ist nicht iS des § 39 Abs 2 SGB X erledigt und die Anfechtungsklage nach wie vor zulässig. Gegen den auf den Antrag des Beklagten hin ergangenen Rentenbescheid der DRV vom 15.10.2015 mit einem Rentenbeginn ab dem 1.2.2014 hat die Klägerin Widerspruch eingelegt und nach dessen Zurückweisung Klage erhoben, sodass das Rentenverfahren nicht bestandskräftig abgeschlossen ist (vgl BSG Urteil vom 19.8.2015 - B 14 AS 1/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 12a Nr 1, RdNr 13).

13

Einer echten notwendigen Beiladung der DRV nach § 75 Abs 2 Alt 1 SGG bedurfte es nicht(BSG Urteil vom 19.8.2015 - B 14 AS 1/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 12a Nr 1, RdNr 14).

14

3. Rechtsgrundlage für die angefochtene Aufforderung zur Beantragung einer vorzeitigen Altersrente sind § 12a iVm § 5 Abs 3 Satz 1 SGB II(diese und alle weiteren Vorschriften des SGB II in der seit 1.4.2011 geltenden Fassung aufgrund der Neubekanntmachung vom 13.5.2011, BGBl I 850). Danach sind Leistungsberechtigte verpflichtet, Sozialleistungen anderer Träger in Anspruch zu nehmen und die hierfür erforderlichen Anträge zu stellen, sofern dies zur Vermeidung, Beseitigung, Verkürzung oder Verminderung der Hilfebedürftigkeit erforderlich ist, wobei nach § 12a Satz 2 Nr 1 SGB II bis zur Vollendung des 63. Lebensjahres eine Rente wegen Alters nicht vorzeitig in Anspruch genommen werden muss. Die SGB II-Leistungsträger werden ermächtigt, Leistungsberechtigte zur Beantragung einer vorzeitigen Rente aufzufordern, und, sofern diese der Aufforderung nicht nachkommen, selbst den Antrag zu stellen.

15

Die sich aus dem Regelungszusammenhang der genannten Vorschriften ergebenden Voraussetzungen (BSG Urteil vom 19.8.2015 - B 14 AS 1/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 12a Nr 1, RdNr 17) erfüllt die Klägerin, denn aus den Feststellungen des LSG ergibt sich, dass sie hilfebedürftig iS der § 7 Abs 1 Satz 1 Nr 3, § 9 Abs 1 SGB II ist. Hilfebedürftig ist danach derjenige, der seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus zu berücksichtigendem Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält. Hieran knüpft die Regelung in § 12a SGB II über vorrangige Leistungen an(siehe dazu ausführlich BSG aaO). Nach Vollendung des 63. Lebensjahres gehört zu den vorrangigen Leistungen grundsätzlich auch die Inanspruchnahme einer vorzeitigen Altersrente trotz der mit ihr verbundenen dauerhaften Rentenabschläge für jeden Kalendermonat einer vorzeitigen Inanspruchnahme (vgl § 77 SGB VI).

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4. Der Bescheid des Beklagten vom 21.10.2013, mit dem die Klägerin zur Rentenantragstellung aufgefordert wurde, ist formell rechtmäßig, insbesondere liegt kein zu beachtender Verstoß gegen die Anhörungspflicht nach § 24 SGB X vor. Schon vor der nur noch streitbefangenen Aufforderung vom 21.10.2013 hatte die Klägerin in ihrem Widerspruch gegen die erste Aufforderung ausreichend Gelegenheit, ihre Einwände vorzutragen, und hat diese im Widerspruchsverfahren gegen die Aufforderung vom 21.10.2013 vertieft. Im Übrigen ist ein möglicher Anhörungsmangel durch das Widerspruchsverfahren geheilt worden (§ 41 Abs 1 SGB X).

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5. Der Bescheid ist auch materiell rechtmäßig. Die Klägerin ist nach § 12a SGB II verpflichtet, eine vorzeitige Altersrente zu beantragen und in Anspruch zu nehmen. Die Voraussetzungen der sogenannten 58er-Regelung (§ 65 Abs 4 Satz 2 SGB II), insbesondere die Vollendung des 58. Lebensjahres vor dem 1.1.2008, erfüllte die am 12.1.1951 geborene Klägerin nicht.

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a) Die Klägerin ist zur Inanspruchnahme der Rente verpflichtet, denn diese ist iS des § 12a Satz 1 SGB II zur Vermeidung, Beseitigung, Verkürzung oder Verminderung ihrer Hilfebedürftigkeit erforderlich. Erforderlich in diesem Sinne ist nicht nur jede Inanspruchnahme von Sozialleistungen, die Hilfebedürftigkeit nicht eintreten oder eine bestehende Hilfebedürftigkeit wegfallen lassen, vielmehr genügt es, wenn die Dauer einer Hilfebedürftigkeit verkürzt bzw begrenzt oder der Höhe nach verringert wird (BSG Urteil vom 19.8.2015 - B 14 AS 1/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 12a Nr 1, RdNr 21).

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Vorliegend führt die Inanspruchnahme der vorzeitigen Altersrente zur Beseitigung der Hilfebedürftigkeit der Klägerin nach dem SGB II, denn diese wird unabhängig von der Höhe der Rente beseitigt, was aus § 7 Abs 4 Satz 1 SGB II folgt, wonach Leistungen nach dem SGB II nicht erhält, wer Rente wegen Alters bezieht(vgl BSG Urteil vom 16.5.2012 - B 4 AS 105/11 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 30 RdNr 15 ff; BSG Beschluss vom 12.6.2013 - B 14 AS 225/12 B - Juris RdNr 5). Dass abhängig von der Höhe der Rente die Klägerin ihren notwendigen Lebensunterhalt ggf nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln bestreiten und ihr deshalb insoweit nach § 19 Abs 1, § 27 Abs 1 SGB XII Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII zu leisten sein könnte, ändert nichts daran, dass die Klägerin mit dem Bezug der vorzeitigen Altersrente ihre Hilfebedürftigkeit nach dem SGB II beseitigt und aus diesem Leistungssystem ausscheidet.

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b) Neben der festgestellten Verpflichtung der Klägerin zur Antragstellung ist diese iS des § 12a Satz 1 SGB II auch erforderlich, weil Renten aus eigener Versicherung nur auf Antrag geleistet werden(§ 99 Abs 1 SGB VI). Die angefochtene Aufforderung der Klägerin zur Antragstellung ist hinreichend bestimmt, denn sie bezieht sich darauf, bei dem zuständigen Rentenversicherungsträger einen Antrag auf eine Altersrente ab Vollendung des 63. Lebensjahres zu stellen. Dass die Antragstellung nach dem Text des Bescheids "umgehend" erfolgen soll, bezieht sich erkennbar auf die zuvor genannte Verpflichtung zur Antragstellung und der Berechtigung zum Bezug der geminderten Altersrente nach Vollendung des 63. Lebensjahres. Die hierzu gesetzte Frist von circa 3 Wochen ist nicht zu beanstanden.

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6. Der Verpflichtung der Klägerin zur Rentenantragstellung und Inanspruchnahme steht die auf § 13 Abs 2 SGB II beruhende UnbilligkeitsV nicht entgegen, weil keiner der in ihr abschließend geregelten Ausnahmetatbestände(BSG Urteil vom 19.8.2015 - B 14 AS 1/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 12a Nr 1, RdNr 23 mwN) vorliegt.

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Weder würde die Inanspruchnahme der vorzeitigen Altersrente zum Verlust eines Anspruchs auf Alg führen (§ 2 UnbilligkeitsV), weil die Klägerin keinen Anspruch auf Alg nach dem SGB III hat, noch ist die Beantragung der vorgezogenen Altersrente deshalb unbillig, weil die Klägerin in nächster Zukunft die Altersrente abschlagsfrei in Anspruch nehmen kann (§ 3 UnbilligkeitsV). Abschlagsfrei in Anspruch nehmen könnte sie eine Altersrente wegen Arbeitslosigkeit erst mit Vollendung des 65. Lebensjahres (§ 237 Abs 2 SGB VI iVm Anl 19 zum SGB VI)und eine Altersrente für langjährig Versicherte erst mit Erreichen der Regelaltersgrenze (Anhebung der Altersgrenze um fünf Monate nach § 236 Abs 2 Satz 2 SGB VI). Ein Zeitraum - wie hier - von mehr als zwei Jahren zwischen dem Beginn der vorzeitigen Inanspruchnahme mit Abschlägen nach Vollendung des 63. Lebensjahres bis zur abschlagsfreien Inanspruchnahme ist nicht eine bevorstehende abschlagsfreie Altersrente "in nächster Zukunft" bzw "alsbald" (vgl § 5 Abs 2 iVm Abs 1 UnbilligkeitsV; siehe auch Begründung des Referentenentwurfs zur UnbilligkeitsV, S 8, abrufbar unter http://www.bmas.de/DE/Service/Gesetze/unbilligkeitsverordnung.html: längstens drei Monate).

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Schließlich greifen auch die Ausnahmebestimmungen in §§ 4 und 5 UnbilligkeitsV nicht. Weder ist die Klägerin sozialversicherungspflichtig beschäftigt oder erzielt sie aus einer sonstigen Erwerbstätigkeit ein entsprechend hohes Einkommen (§ 4 UnbilligkeitsV), noch steht eine solche Erwerbstätigkeit in nächster Zukunft bevor (§ 5 UnbilligkeitsV). Dies ergibt sich aus den Feststellungen des LSG und der Revisionsbegründung der Klägerin, wonach sie zwar einer geringfügigen Beschäftigung nachgehe, ihr eine Vollzeittätigkeit oder Teilzeittätigkeit aber nicht habe vermittelt werden können. Dass die Klägerin mit einem monatlichen Einkommen von 136 Euro keine sozialversicherungspflichtige, sondern eine nur geringfügige Beschäftigung ausübte, folgt aus § 8 Abs 1 SGB IV. Dass auf diese Grenze abzustellen ist, wird durch die Begründung des Referentenentwurfs zu dem maßgeblichen § 4 UnbilligkeitsV bestätigt(siehe S 8 des Referentenentwurfs).

24

7. Das aufgrund der Verpflichtung der Klägerin, eine vorzeitige Altersrente zu beantragen und in Anspruch zu nehmen, eröffnete Ermessen des Beklagten hinsichtlich des "Ob" einer Aufforderung hat dieser erkannt und im Ergebnis fehlerfrei ausgeübt. Seine Ermessensausübung ist gerichtlich nur eingeschränkt darauf zu prüfen (§ 39 Abs 1 SGB I, § 54 Abs 2 Satz 2 SGG), ob Ermessen überhaupt ausgeübt, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist ("Rechtmäßigkeits-, aber keine Zweckmäßigkeitskontrolle"; vgl BSG Urteil vom 19.8.2015 - B 14 AS 1/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 12a Nr 1, RdNr 27 f).

25

a) Zwar sind der angefochtenen Aufforderung vom 21.10.2013 allenfalls Ansätze einer Ermessensausübung zu entnehmen, Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung ist jedoch der angefochtene Bescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheids (§ 95 SGG), sodass Fehler in der Ermessensbetätigung im Ausgangsbescheid durch das Widerspruchsverfahren geheilt werden können, zumal in diesem auch die Zweckmäßigkeit des angefochtenen Ausgangsbescheids nachzuprüfen ist (vgl Schütze in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl 2014, § 41 RdNr 11).

26

b) Eine solche Prüfung ist im Widerspruchsbescheid vom 2.12.2013 ausreichend erfolgt. Die Erwägungen des Beklagten lassen Ermessensfehler nicht erkennen. Relevante Ermessensgesichtspunkte können ohnehin nur solche sein, die einen atypischen Fall begründen und auf besonderen Härten im Einzelfall beruhen, die keinen Unbilligkeitstatbestand im Sinne der UnbilligkeitsV begründen, aber die Inanspruchnahme der vorzeitigen Altersrente aufgrund außergewöhnlicher Umstände als unzumutbar erscheinen lassen. Soweit sich Anhaltspunkte für solche Härten nicht aufdrängen, ist der Leistungsberechtigte gehalten, atypische Umstände seines Einzelfalls vorzubringen, die der Leistungsträger zu erwägen hat (BSG Urteil vom 19.8.2015 - B 14 AS 1/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 12a Nr 1, RdNr 27 ff).

27

Vorliegend sind solche Umstände von der Klägerin nicht vorgebracht worden. Insbesondere liegt ein atypischer Fall nicht deshalb vor, weil die vorzeitige Altersrente des Leistungsberechtigten uU nicht bedarfsdeckend ist und Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII in Anspruch genommen werden müssten (BSG Urteil vom 19.8.2015 - B 14 AS 1/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 12a Nr 1, RdNr 41 mwN). Die durch die Inanspruchnahme der vorzeitigen Altersrente folgenden dauerhaften Rentenabschläge und die damit einhergehenden geringeren Rentenerhöhungen waren dem Gesetzgeber bekannt und können nicht zur Annahme einer außergewöhnlichen Härte führen.

28

Eine solche Härte ergibt sich vorliegend auch nicht aus den strengeren Regelungen über die Berücksichtigung von Vermögen nach dem SGB XII (vgl dessen § 90) gegenüber dem SGB II (vgl dessen § 12), weil das Urteil des LSG keine Feststellungen enthält, die auf derartiges Vermögen der Klägerin nur hindeuten, und die Klägerin im Revisionsverfahren keine entsprechenden Rügen erhoben hat (vgl zur Berücksichtigung solcher Konstellationen im Rahmen der Ermessensausübung schon BSG Urteil vom 19.8.2015 - B 14 AS 1/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 12a Nr 1, RdNr 47).

29

Der Beklagte hat dem Vorbringen der Klägerin in seinem Widerspruchsbescheid ausreichend Rechnung getragen, indem er zunächst geprüft hat, ob das Interesse der Klägerin, die Rente nicht zu beantragen, dem Interesse der Allgemeinheit, welche die Leistungen aus Steuermitteln erbringt, überwiegt. Einen außergewöhnlichen Fall, der nicht in der UnbilligkeitsV geregelt ist, hat der Beklagte nicht erkennen können. Er hat weiterhin ausgeführt, dass der Bedarf der Klägerin nach dem SGB II bei 691,79 Euro liege und dass dieser auch mit einer abschlagsfreien Rente von 655,53 Euro nicht gedeckt werden könne, sodass die Klägerin ohnehin auf ergänzende Sozialleistungen angewiesen wäre und die Rentenantragstellung daher nicht mit unzumutbaren Nachteilen für sie verbunden sei. Darüber hinaus sind auch für den Senat weder aus den Feststellungen des LSG noch aus dem Vorbringen der Klägerin im Revisionsverfahren Umstände erkennbar, die einen unzumutbaren Nachteil begründen könnten.

30

8. Schließlich verstößt dieses Ergebnis nicht gegen Grundrechte der Klägerin. Die der Sicherung des Nachrangs durch Verweis auf vorrangige Leistungen dienenden § 12a iVm § 5 Abs 3 SGB II sind verfassungsgemäß(siehe ausführlich BSG Urteil vom 19.8.2015 - B 14 AS 1/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 12a Nr 1, RdNr 44 ff).

31

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG.

(1) Sind die Leistungsträger ermächtigt, bei der Entscheidung über Sozialleistungen nach ihrem Ermessen zu handeln, haben sie ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten. Auf pflichtgemäße Ausübung des Ermessens besteht ein Anspruch.

(2) Für Ermessensleistungen gelten die Vorschriften über Sozialleistungen, auf die ein Anspruch besteht, entsprechend, soweit sich aus den Vorschriften dieses Gesetzbuchs nichts Abweichendes ergibt.

(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts oder seine Abänderung sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts begehrt werden. Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage zulässig, wenn der Kläger behauptet, durch den Verwaltungsakt oder durch die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts beschwert zu sein.

(2) Der Kläger ist beschwert, wenn der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts rechtswidrig ist. Soweit die Behörde, Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, ist Rechtswidrigkeit auch gegeben, wenn die gesetzlichen Grenzen dieses Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist.

(3) Eine Körperschaft oder eine Anstalt des öffentlichen Rechts kann mit der Klage die Aufhebung einer Anordnung der Aufsichtsbehörde begehren, wenn sie behauptet, daß die Anordnung das Aufsichtsrecht überschreite.

(4) Betrifft der angefochtene Verwaltungsakt eine Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, so kann mit der Klage neben der Aufhebung des Verwaltungsakts gleichzeitig die Leistung verlangt werden.

(5) Mit der Klage kann die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch dann begehrt werden, wenn ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte.

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 29. April 2015 wird zurückgewiesen.

Kosten sind für das Revisionsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Im Streit ist die Rechtmäßigkeit einer Aufforderung des beklagten Jobcenters an die Klägerin, die vorzeitige Inanspruchnahme einer Rente wegen Alters zu beantragen.

2

Die am 12.1.1951 geborene, alleinlebende Klägerin bezieht seit dem 1.1.2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Für die Zeit vom 1.12.2013 bis zum 31.5.2014 wurden monatlich vorläufig 662,99 Euro bewilligt (Regelbedarf für Alleinstehende: 382 Euro, Kosten der Unterkunft und Heizung: 309,79 Euro, Berücksichtigung eines Erwerbseinkommens als Reinigungskraft von 136 Euro).

3

Nachdem dem Beklagten bekannt geworden war, dass die Klägerin von der Deutschen Rentenversicherung Mitteldeutschland (DRV) eine abschlagsfreie Altersrente ab dem 1.2.2016 und eine Altersrente mit Abschlägen seit dem 1.2.2011 beziehen könne, forderte er sie zur Beantragung einer vorzeitigen Altersrente ab Vollendung des 63. Lebensjahres unter Fristsetzung bis zum 22.8.2013 auf (Bescheid vom 29.7.2013). Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein, weil sie auf "ergänzenden Hartz IV-Bezug" angewiesen sei, wenn sie eine Altersrente mit Abschlägen beziehen müsse. Auch gegen den Bescheid des Beklagten vom 21.10.2013, in dem sie erneut zur Beantragung einer vorzeitigen Altersrente unter Fristsetzung bis zum 14.11.2013 aufgefordert wurde, legte die Klägerin Widerspruch ein und bezog sich auf Auskünfte der DRV, wonach bei Rentenbeginn am 1.2.2014 eine vorzeitige Altersrente in Höhe von monatlich 609,42 Euro netto und bei einem Rentenbeginn ab 1.2.2016 eine abschlagsfreie Altersrente von monatlich 655,53 Euro zu erwarten seien. Die Widersprüche der Klägerin wurden zurückgewiesen (Widerspruchsbescheid vom 2.12.2013): Weder sei die Inanspruchnahme einer vorzeitigen Altersrente unbillig im Sinne der Unbilligkeitsverordnung (UnbilligkeitsV), noch ergebe eine Abwägung der Interessen der Klägerin mit denen der Allgemeinheit im Hinblick auf das Gebot der wirtschaftlichen und sparsamen Verwendung öffentlicher Mittel, dass von der Aufforderung zur Rentenantragstellung abgesehen werden könne. Voraussichtlich reiche auch die abschlagsfreie Altersrente zur Deckung des gegenwärtigen Bedarfs von 691,79 Euro nicht aus, es sei somit kein mit dem Bezug einer vorzeitigen Altersrente verbundener unzumutbarer Nachteil erkennbar. Mit Schreiben vom 4.12.2013 beantragte der Beklagte bei der DRV für die Klägerin eine Altersrente und meldete zugleich einen Erstattungsanspruch an.

4

Das angerufene SG hat die Bescheide vom 29.7.2013 und 21.10.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2.12.2013 "aufgehoben, soweit die Klägerin zur Beantragung einer Altersrente mit Rentenbeginn vor dem 1.2.2014 aufgefordert" werde; im Übrigen hat es die Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 13.5.2014). Die nur von der Klägerin eingelegte Berufung hat das LSG zurückgewiesen (Urteil vom 29.4.2015). Die Klägerin sei zur Beantragung einer vorzeitigen Altersrente verpflichtet. Für einen atypischen Fall im Sinne der UnbilligkeitsV sei nichts ersichtlich, auch verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Aufforderung zur Beantragung einer vorzeitigen Altersrente bestünden nicht. Das bereits bei der Aufforderung zur Antragstellung erforderliche Ermessen habe der Beklagte jedenfalls im Widerspruchsverfahren ordnungsgemäß ausgeübt.

5

In ihrer vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine Verletzung von § 12a iVm § 5 Abs 3 SGB II. Der Beklagte habe sein Ermessen fehlerhaft ausgeübt, indem er nicht berücksichtigt habe, dass sie bei einer Rente mit Abschlägen ergänzend Sozialleistungen in Anspruch nehmen müsse, was bei einer Rente ohne Abschläge zuzüglich Wohngeld und einer weiteren Beschäftigung nicht der Fall wäre. Es sei auch nicht berücksichtigt worden, dass es insbesondere in den neuen Bundesländern erhebliche Rentenerhöhungen geben werde, an denen sie aufgrund der dauernden Abschläge nicht angemessen teilhaben könne. Bei der Beurteilung eines Härtefalls sei im Übrigen zu berücksichtigen, dass in "nächster Zukunft" eine Altersrente abschlagsfrei hätte in Anspruch genommen werden können. Schließlich sei die vorliegende Regelung zur Zwangsverrentung auch verfassungswidrig.

6

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 29. April 2015 aufzuheben, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Leipzig vom 13. Mai 2014 zu ändern sowie den Bescheid des Beklagten vom 21. Oktober 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2. Dezember 2013 insgesamt aufzuheben.

7

Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

8

Im Revisionsverfahren hat die Klägerin einen Bescheid der DRV vom 15.10.2015 mit einem Rentenbeginn ab dem 1.2.2014 und einem monatlichen Auszahlbetrag von 663,91 Euro ab 1.12.2015 vorgelegt. Dagegen hat sie Widerspruch eingelegt und gegen dessen Zurückweisung mit Widerspruchsbescheid vom 3.3.2016 Klage erhoben.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Revision der Klägerin ist als unbegründet zurückzuweisen (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG). Das LSG hat zutreffend entschieden, dass die Aufforderung des beklagten Jobcenters an die Klägerin zur Rentenantragstellung ab 1.2.2014 rechtmäßig ist. Aufgrund der Einverständnisse der Beteiligten hat der Senat ohne mündliche Verhandlung entschieden (§ 124 Abs 2 SGG).

10

1. Gegenstand des Revisionsverfahrens sind das Urteil des LSG und der Gerichtsbescheid des SG, soweit für den hier maßgeblichen Zeitpunkt des Rentenbeginns ab dem 1.2.2014 die Klage abgewiesen worden ist, sowie der Bescheid des Beklagten vom 21.10.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2.12.2013, durch den die Klägerin zur Beantragung einer vorzeitigen Altersrente bis 14.11.2013 aufgefordert worden ist. Der Bescheid vom 29.7.2013 mit der Aufforderung zur Antragstellung bis 22.8.2013 hat sich durch den Bescheid vom 21.10.2013 und die dortige Fristsetzung erledigt (§ 39 Abs 2 SGB X). Soweit das SG die Aufforderung des Beklagten dahingehend ausgelegt hat, dass die Klägerin schon einen Rentenantrag für die Zeit vor dem 1.2.2014 stellen sollte, und es der Klage insofern stattgegeben hat, bedarf es keiner Entscheidung, weil der Beklagte kein Rechtsmittel eingelegt hat.

11

2. Verfahrensrechtliche Hindernisse stehen einer Sachentscheidung des Senats nicht entgegen. Die Klägerin hat zu Recht eine Anfechtungsklage erhoben (§ 54 Abs 1 Satz 1 SGG), weil es sich bei der Aufforderung zur Beantragung einer vorzeitigen Altersrente bis 1.2.2014 um einen Verwaltungsakt iS des § 31 Satz 1 SGB X handelt(BSG Urteil vom 19.8.2015 - B 14 AS 1/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 12a Nr 1, RdNr 12).

12

Die Aufforderung vom 21.10.2013 ist nicht iS des § 39 Abs 2 SGB X erledigt und die Anfechtungsklage nach wie vor zulässig. Gegen den auf den Antrag des Beklagten hin ergangenen Rentenbescheid der DRV vom 15.10.2015 mit einem Rentenbeginn ab dem 1.2.2014 hat die Klägerin Widerspruch eingelegt und nach dessen Zurückweisung Klage erhoben, sodass das Rentenverfahren nicht bestandskräftig abgeschlossen ist (vgl BSG Urteil vom 19.8.2015 - B 14 AS 1/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 12a Nr 1, RdNr 13).

13

Einer echten notwendigen Beiladung der DRV nach § 75 Abs 2 Alt 1 SGG bedurfte es nicht(BSG Urteil vom 19.8.2015 - B 14 AS 1/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 12a Nr 1, RdNr 14).

14

3. Rechtsgrundlage für die angefochtene Aufforderung zur Beantragung einer vorzeitigen Altersrente sind § 12a iVm § 5 Abs 3 Satz 1 SGB II(diese und alle weiteren Vorschriften des SGB II in der seit 1.4.2011 geltenden Fassung aufgrund der Neubekanntmachung vom 13.5.2011, BGBl I 850). Danach sind Leistungsberechtigte verpflichtet, Sozialleistungen anderer Träger in Anspruch zu nehmen und die hierfür erforderlichen Anträge zu stellen, sofern dies zur Vermeidung, Beseitigung, Verkürzung oder Verminderung der Hilfebedürftigkeit erforderlich ist, wobei nach § 12a Satz 2 Nr 1 SGB II bis zur Vollendung des 63. Lebensjahres eine Rente wegen Alters nicht vorzeitig in Anspruch genommen werden muss. Die SGB II-Leistungsträger werden ermächtigt, Leistungsberechtigte zur Beantragung einer vorzeitigen Rente aufzufordern, und, sofern diese der Aufforderung nicht nachkommen, selbst den Antrag zu stellen.

15

Die sich aus dem Regelungszusammenhang der genannten Vorschriften ergebenden Voraussetzungen (BSG Urteil vom 19.8.2015 - B 14 AS 1/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 12a Nr 1, RdNr 17) erfüllt die Klägerin, denn aus den Feststellungen des LSG ergibt sich, dass sie hilfebedürftig iS der § 7 Abs 1 Satz 1 Nr 3, § 9 Abs 1 SGB II ist. Hilfebedürftig ist danach derjenige, der seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus zu berücksichtigendem Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält. Hieran knüpft die Regelung in § 12a SGB II über vorrangige Leistungen an(siehe dazu ausführlich BSG aaO). Nach Vollendung des 63. Lebensjahres gehört zu den vorrangigen Leistungen grundsätzlich auch die Inanspruchnahme einer vorzeitigen Altersrente trotz der mit ihr verbundenen dauerhaften Rentenabschläge für jeden Kalendermonat einer vorzeitigen Inanspruchnahme (vgl § 77 SGB VI).

16

4. Der Bescheid des Beklagten vom 21.10.2013, mit dem die Klägerin zur Rentenantragstellung aufgefordert wurde, ist formell rechtmäßig, insbesondere liegt kein zu beachtender Verstoß gegen die Anhörungspflicht nach § 24 SGB X vor. Schon vor der nur noch streitbefangenen Aufforderung vom 21.10.2013 hatte die Klägerin in ihrem Widerspruch gegen die erste Aufforderung ausreichend Gelegenheit, ihre Einwände vorzutragen, und hat diese im Widerspruchsverfahren gegen die Aufforderung vom 21.10.2013 vertieft. Im Übrigen ist ein möglicher Anhörungsmangel durch das Widerspruchsverfahren geheilt worden (§ 41 Abs 1 SGB X).

17

5. Der Bescheid ist auch materiell rechtmäßig. Die Klägerin ist nach § 12a SGB II verpflichtet, eine vorzeitige Altersrente zu beantragen und in Anspruch zu nehmen. Die Voraussetzungen der sogenannten 58er-Regelung (§ 65 Abs 4 Satz 2 SGB II), insbesondere die Vollendung des 58. Lebensjahres vor dem 1.1.2008, erfüllte die am 12.1.1951 geborene Klägerin nicht.

18

a) Die Klägerin ist zur Inanspruchnahme der Rente verpflichtet, denn diese ist iS des § 12a Satz 1 SGB II zur Vermeidung, Beseitigung, Verkürzung oder Verminderung ihrer Hilfebedürftigkeit erforderlich. Erforderlich in diesem Sinne ist nicht nur jede Inanspruchnahme von Sozialleistungen, die Hilfebedürftigkeit nicht eintreten oder eine bestehende Hilfebedürftigkeit wegfallen lassen, vielmehr genügt es, wenn die Dauer einer Hilfebedürftigkeit verkürzt bzw begrenzt oder der Höhe nach verringert wird (BSG Urteil vom 19.8.2015 - B 14 AS 1/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 12a Nr 1, RdNr 21).

19

Vorliegend führt die Inanspruchnahme der vorzeitigen Altersrente zur Beseitigung der Hilfebedürftigkeit der Klägerin nach dem SGB II, denn diese wird unabhängig von der Höhe der Rente beseitigt, was aus § 7 Abs 4 Satz 1 SGB II folgt, wonach Leistungen nach dem SGB II nicht erhält, wer Rente wegen Alters bezieht(vgl BSG Urteil vom 16.5.2012 - B 4 AS 105/11 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 30 RdNr 15 ff; BSG Beschluss vom 12.6.2013 - B 14 AS 225/12 B - Juris RdNr 5). Dass abhängig von der Höhe der Rente die Klägerin ihren notwendigen Lebensunterhalt ggf nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln bestreiten und ihr deshalb insoweit nach § 19 Abs 1, § 27 Abs 1 SGB XII Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII zu leisten sein könnte, ändert nichts daran, dass die Klägerin mit dem Bezug der vorzeitigen Altersrente ihre Hilfebedürftigkeit nach dem SGB II beseitigt und aus diesem Leistungssystem ausscheidet.

20

b) Neben der festgestellten Verpflichtung der Klägerin zur Antragstellung ist diese iS des § 12a Satz 1 SGB II auch erforderlich, weil Renten aus eigener Versicherung nur auf Antrag geleistet werden(§ 99 Abs 1 SGB VI). Die angefochtene Aufforderung der Klägerin zur Antragstellung ist hinreichend bestimmt, denn sie bezieht sich darauf, bei dem zuständigen Rentenversicherungsträger einen Antrag auf eine Altersrente ab Vollendung des 63. Lebensjahres zu stellen. Dass die Antragstellung nach dem Text des Bescheids "umgehend" erfolgen soll, bezieht sich erkennbar auf die zuvor genannte Verpflichtung zur Antragstellung und der Berechtigung zum Bezug der geminderten Altersrente nach Vollendung des 63. Lebensjahres. Die hierzu gesetzte Frist von circa 3 Wochen ist nicht zu beanstanden.

21

6. Der Verpflichtung der Klägerin zur Rentenantragstellung und Inanspruchnahme steht die auf § 13 Abs 2 SGB II beruhende UnbilligkeitsV nicht entgegen, weil keiner der in ihr abschließend geregelten Ausnahmetatbestände(BSG Urteil vom 19.8.2015 - B 14 AS 1/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 12a Nr 1, RdNr 23 mwN) vorliegt.

22

Weder würde die Inanspruchnahme der vorzeitigen Altersrente zum Verlust eines Anspruchs auf Alg führen (§ 2 UnbilligkeitsV), weil die Klägerin keinen Anspruch auf Alg nach dem SGB III hat, noch ist die Beantragung der vorgezogenen Altersrente deshalb unbillig, weil die Klägerin in nächster Zukunft die Altersrente abschlagsfrei in Anspruch nehmen kann (§ 3 UnbilligkeitsV). Abschlagsfrei in Anspruch nehmen könnte sie eine Altersrente wegen Arbeitslosigkeit erst mit Vollendung des 65. Lebensjahres (§ 237 Abs 2 SGB VI iVm Anl 19 zum SGB VI)und eine Altersrente für langjährig Versicherte erst mit Erreichen der Regelaltersgrenze (Anhebung der Altersgrenze um fünf Monate nach § 236 Abs 2 Satz 2 SGB VI). Ein Zeitraum - wie hier - von mehr als zwei Jahren zwischen dem Beginn der vorzeitigen Inanspruchnahme mit Abschlägen nach Vollendung des 63. Lebensjahres bis zur abschlagsfreien Inanspruchnahme ist nicht eine bevorstehende abschlagsfreie Altersrente "in nächster Zukunft" bzw "alsbald" (vgl § 5 Abs 2 iVm Abs 1 UnbilligkeitsV; siehe auch Begründung des Referentenentwurfs zur UnbilligkeitsV, S 8, abrufbar unter http://www.bmas.de/DE/Service/Gesetze/unbilligkeitsverordnung.html: längstens drei Monate).

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Schließlich greifen auch die Ausnahmebestimmungen in §§ 4 und 5 UnbilligkeitsV nicht. Weder ist die Klägerin sozialversicherungspflichtig beschäftigt oder erzielt sie aus einer sonstigen Erwerbstätigkeit ein entsprechend hohes Einkommen (§ 4 UnbilligkeitsV), noch steht eine solche Erwerbstätigkeit in nächster Zukunft bevor (§ 5 UnbilligkeitsV). Dies ergibt sich aus den Feststellungen des LSG und der Revisionsbegründung der Klägerin, wonach sie zwar einer geringfügigen Beschäftigung nachgehe, ihr eine Vollzeittätigkeit oder Teilzeittätigkeit aber nicht habe vermittelt werden können. Dass die Klägerin mit einem monatlichen Einkommen von 136 Euro keine sozialversicherungspflichtige, sondern eine nur geringfügige Beschäftigung ausübte, folgt aus § 8 Abs 1 SGB IV. Dass auf diese Grenze abzustellen ist, wird durch die Begründung des Referentenentwurfs zu dem maßgeblichen § 4 UnbilligkeitsV bestätigt(siehe S 8 des Referentenentwurfs).

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7. Das aufgrund der Verpflichtung der Klägerin, eine vorzeitige Altersrente zu beantragen und in Anspruch zu nehmen, eröffnete Ermessen des Beklagten hinsichtlich des "Ob" einer Aufforderung hat dieser erkannt und im Ergebnis fehlerfrei ausgeübt. Seine Ermessensausübung ist gerichtlich nur eingeschränkt darauf zu prüfen (§ 39 Abs 1 SGB I, § 54 Abs 2 Satz 2 SGG), ob Ermessen überhaupt ausgeübt, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist ("Rechtmäßigkeits-, aber keine Zweckmäßigkeitskontrolle"; vgl BSG Urteil vom 19.8.2015 - B 14 AS 1/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 12a Nr 1, RdNr 27 f).

25

a) Zwar sind der angefochtenen Aufforderung vom 21.10.2013 allenfalls Ansätze einer Ermessensausübung zu entnehmen, Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung ist jedoch der angefochtene Bescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheids (§ 95 SGG), sodass Fehler in der Ermessensbetätigung im Ausgangsbescheid durch das Widerspruchsverfahren geheilt werden können, zumal in diesem auch die Zweckmäßigkeit des angefochtenen Ausgangsbescheids nachzuprüfen ist (vgl Schütze in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl 2014, § 41 RdNr 11).

26

b) Eine solche Prüfung ist im Widerspruchsbescheid vom 2.12.2013 ausreichend erfolgt. Die Erwägungen des Beklagten lassen Ermessensfehler nicht erkennen. Relevante Ermessensgesichtspunkte können ohnehin nur solche sein, die einen atypischen Fall begründen und auf besonderen Härten im Einzelfall beruhen, die keinen Unbilligkeitstatbestand im Sinne der UnbilligkeitsV begründen, aber die Inanspruchnahme der vorzeitigen Altersrente aufgrund außergewöhnlicher Umstände als unzumutbar erscheinen lassen. Soweit sich Anhaltspunkte für solche Härten nicht aufdrängen, ist der Leistungsberechtigte gehalten, atypische Umstände seines Einzelfalls vorzubringen, die der Leistungsträger zu erwägen hat (BSG Urteil vom 19.8.2015 - B 14 AS 1/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 12a Nr 1, RdNr 27 ff).

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Vorliegend sind solche Umstände von der Klägerin nicht vorgebracht worden. Insbesondere liegt ein atypischer Fall nicht deshalb vor, weil die vorzeitige Altersrente des Leistungsberechtigten uU nicht bedarfsdeckend ist und Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII in Anspruch genommen werden müssten (BSG Urteil vom 19.8.2015 - B 14 AS 1/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 12a Nr 1, RdNr 41 mwN). Die durch die Inanspruchnahme der vorzeitigen Altersrente folgenden dauerhaften Rentenabschläge und die damit einhergehenden geringeren Rentenerhöhungen waren dem Gesetzgeber bekannt und können nicht zur Annahme einer außergewöhnlichen Härte führen.

28

Eine solche Härte ergibt sich vorliegend auch nicht aus den strengeren Regelungen über die Berücksichtigung von Vermögen nach dem SGB XII (vgl dessen § 90) gegenüber dem SGB II (vgl dessen § 12), weil das Urteil des LSG keine Feststellungen enthält, die auf derartiges Vermögen der Klägerin nur hindeuten, und die Klägerin im Revisionsverfahren keine entsprechenden Rügen erhoben hat (vgl zur Berücksichtigung solcher Konstellationen im Rahmen der Ermessensausübung schon BSG Urteil vom 19.8.2015 - B 14 AS 1/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 12a Nr 1, RdNr 47).

29

Der Beklagte hat dem Vorbringen der Klägerin in seinem Widerspruchsbescheid ausreichend Rechnung getragen, indem er zunächst geprüft hat, ob das Interesse der Klägerin, die Rente nicht zu beantragen, dem Interesse der Allgemeinheit, welche die Leistungen aus Steuermitteln erbringt, überwiegt. Einen außergewöhnlichen Fall, der nicht in der UnbilligkeitsV geregelt ist, hat der Beklagte nicht erkennen können. Er hat weiterhin ausgeführt, dass der Bedarf der Klägerin nach dem SGB II bei 691,79 Euro liege und dass dieser auch mit einer abschlagsfreien Rente von 655,53 Euro nicht gedeckt werden könne, sodass die Klägerin ohnehin auf ergänzende Sozialleistungen angewiesen wäre und die Rentenantragstellung daher nicht mit unzumutbaren Nachteilen für sie verbunden sei. Darüber hinaus sind auch für den Senat weder aus den Feststellungen des LSG noch aus dem Vorbringen der Klägerin im Revisionsverfahren Umstände erkennbar, die einen unzumutbaren Nachteil begründen könnten.

30

8. Schließlich verstößt dieses Ergebnis nicht gegen Grundrechte der Klägerin. Die der Sicherung des Nachrangs durch Verweis auf vorrangige Leistungen dienenden § 12a iVm § 5 Abs 3 SGB II sind verfassungsgemäß(siehe ausführlich BSG Urteil vom 19.8.2015 - B 14 AS 1/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 12a Nr 1, RdNr 44 ff).

31

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG.

Leistungsberechtigte sind verpflichtet, Sozialleistungen anderer Träger in Anspruch zu nehmen und die dafür erforderlichen Anträge zu stellen, sofern dies zur Vermeidung, Beseitigung, Verkürzung oder Verminderung der Hilfebedürftigkeit erforderlich ist. Abweichend von Satz 1 sind Leistungsberechtigte nicht verpflichtet,

1.
bis zur Vollendung des 63. Lebensjahres eine Rente wegen Alters vorzeitig in Anspruch zu nehmen oder
2.
Wohngeld nach dem Wohngeldgesetz oder Kinderzuschlag nach dem Bundeskindergeldgesetz in Anspruch zu nehmen, wenn dadurch nicht die Hilfebedürftigkeit aller Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft für einen zusammenhängenden Zeitraum von mindestens drei Monaten beseitigt würde.
Für die Zeit vom 1. Januar 2023 bis zum Ablauf des 31. Dezember 2026 findet Satz 2 Nummer 1 mit der Maßgabe Anwendung, dass Leistungsberechtigte nicht verpflichtet sind, eine Rente wegen Alters vorzeitig in Anspruch zu nehmen.

(1) Sozialhilfe erhält nicht, wer sich vor allem durch Einsatz seiner Arbeitskraft, seines Einkommens und seines Vermögens selbst helfen kann oder wer die erforderliche Leistung von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält.

(2) Verpflichtungen anderer, insbesondere Unterhaltspflichtiger oder der Träger anderer Sozialleistungen, bleiben unberührt. Auf Rechtsvorschriften beruhende Leistungen anderer dürfen nicht deshalb versagt werden, weil nach dem Recht der Sozialhilfe entsprechende Leistungen vorgesehen sind.

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 29. April 2015 wird zurückgewiesen.

Kosten sind für das Revisionsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Im Streit ist die Rechtmäßigkeit einer Aufforderung des beklagten Jobcenters an die Klägerin, die vorzeitige Inanspruchnahme einer Rente wegen Alters zu beantragen.

2

Die am 12.1.1951 geborene, alleinlebende Klägerin bezieht seit dem 1.1.2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Für die Zeit vom 1.12.2013 bis zum 31.5.2014 wurden monatlich vorläufig 662,99 Euro bewilligt (Regelbedarf für Alleinstehende: 382 Euro, Kosten der Unterkunft und Heizung: 309,79 Euro, Berücksichtigung eines Erwerbseinkommens als Reinigungskraft von 136 Euro).

3

Nachdem dem Beklagten bekannt geworden war, dass die Klägerin von der Deutschen Rentenversicherung Mitteldeutschland (DRV) eine abschlagsfreie Altersrente ab dem 1.2.2016 und eine Altersrente mit Abschlägen seit dem 1.2.2011 beziehen könne, forderte er sie zur Beantragung einer vorzeitigen Altersrente ab Vollendung des 63. Lebensjahres unter Fristsetzung bis zum 22.8.2013 auf (Bescheid vom 29.7.2013). Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein, weil sie auf "ergänzenden Hartz IV-Bezug" angewiesen sei, wenn sie eine Altersrente mit Abschlägen beziehen müsse. Auch gegen den Bescheid des Beklagten vom 21.10.2013, in dem sie erneut zur Beantragung einer vorzeitigen Altersrente unter Fristsetzung bis zum 14.11.2013 aufgefordert wurde, legte die Klägerin Widerspruch ein und bezog sich auf Auskünfte der DRV, wonach bei Rentenbeginn am 1.2.2014 eine vorzeitige Altersrente in Höhe von monatlich 609,42 Euro netto und bei einem Rentenbeginn ab 1.2.2016 eine abschlagsfreie Altersrente von monatlich 655,53 Euro zu erwarten seien. Die Widersprüche der Klägerin wurden zurückgewiesen (Widerspruchsbescheid vom 2.12.2013): Weder sei die Inanspruchnahme einer vorzeitigen Altersrente unbillig im Sinne der Unbilligkeitsverordnung (UnbilligkeitsV), noch ergebe eine Abwägung der Interessen der Klägerin mit denen der Allgemeinheit im Hinblick auf das Gebot der wirtschaftlichen und sparsamen Verwendung öffentlicher Mittel, dass von der Aufforderung zur Rentenantragstellung abgesehen werden könne. Voraussichtlich reiche auch die abschlagsfreie Altersrente zur Deckung des gegenwärtigen Bedarfs von 691,79 Euro nicht aus, es sei somit kein mit dem Bezug einer vorzeitigen Altersrente verbundener unzumutbarer Nachteil erkennbar. Mit Schreiben vom 4.12.2013 beantragte der Beklagte bei der DRV für die Klägerin eine Altersrente und meldete zugleich einen Erstattungsanspruch an.

4

Das angerufene SG hat die Bescheide vom 29.7.2013 und 21.10.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2.12.2013 "aufgehoben, soweit die Klägerin zur Beantragung einer Altersrente mit Rentenbeginn vor dem 1.2.2014 aufgefordert" werde; im Übrigen hat es die Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 13.5.2014). Die nur von der Klägerin eingelegte Berufung hat das LSG zurückgewiesen (Urteil vom 29.4.2015). Die Klägerin sei zur Beantragung einer vorzeitigen Altersrente verpflichtet. Für einen atypischen Fall im Sinne der UnbilligkeitsV sei nichts ersichtlich, auch verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Aufforderung zur Beantragung einer vorzeitigen Altersrente bestünden nicht. Das bereits bei der Aufforderung zur Antragstellung erforderliche Ermessen habe der Beklagte jedenfalls im Widerspruchsverfahren ordnungsgemäß ausgeübt.

5

In ihrer vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine Verletzung von § 12a iVm § 5 Abs 3 SGB II. Der Beklagte habe sein Ermessen fehlerhaft ausgeübt, indem er nicht berücksichtigt habe, dass sie bei einer Rente mit Abschlägen ergänzend Sozialleistungen in Anspruch nehmen müsse, was bei einer Rente ohne Abschläge zuzüglich Wohngeld und einer weiteren Beschäftigung nicht der Fall wäre. Es sei auch nicht berücksichtigt worden, dass es insbesondere in den neuen Bundesländern erhebliche Rentenerhöhungen geben werde, an denen sie aufgrund der dauernden Abschläge nicht angemessen teilhaben könne. Bei der Beurteilung eines Härtefalls sei im Übrigen zu berücksichtigen, dass in "nächster Zukunft" eine Altersrente abschlagsfrei hätte in Anspruch genommen werden können. Schließlich sei die vorliegende Regelung zur Zwangsverrentung auch verfassungswidrig.

6

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 29. April 2015 aufzuheben, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Leipzig vom 13. Mai 2014 zu ändern sowie den Bescheid des Beklagten vom 21. Oktober 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2. Dezember 2013 insgesamt aufzuheben.

7

Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

8

Im Revisionsverfahren hat die Klägerin einen Bescheid der DRV vom 15.10.2015 mit einem Rentenbeginn ab dem 1.2.2014 und einem monatlichen Auszahlbetrag von 663,91 Euro ab 1.12.2015 vorgelegt. Dagegen hat sie Widerspruch eingelegt und gegen dessen Zurückweisung mit Widerspruchsbescheid vom 3.3.2016 Klage erhoben.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Revision der Klägerin ist als unbegründet zurückzuweisen (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG). Das LSG hat zutreffend entschieden, dass die Aufforderung des beklagten Jobcenters an die Klägerin zur Rentenantragstellung ab 1.2.2014 rechtmäßig ist. Aufgrund der Einverständnisse der Beteiligten hat der Senat ohne mündliche Verhandlung entschieden (§ 124 Abs 2 SGG).

10

1. Gegenstand des Revisionsverfahrens sind das Urteil des LSG und der Gerichtsbescheid des SG, soweit für den hier maßgeblichen Zeitpunkt des Rentenbeginns ab dem 1.2.2014 die Klage abgewiesen worden ist, sowie der Bescheid des Beklagten vom 21.10.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2.12.2013, durch den die Klägerin zur Beantragung einer vorzeitigen Altersrente bis 14.11.2013 aufgefordert worden ist. Der Bescheid vom 29.7.2013 mit der Aufforderung zur Antragstellung bis 22.8.2013 hat sich durch den Bescheid vom 21.10.2013 und die dortige Fristsetzung erledigt (§ 39 Abs 2 SGB X). Soweit das SG die Aufforderung des Beklagten dahingehend ausgelegt hat, dass die Klägerin schon einen Rentenantrag für die Zeit vor dem 1.2.2014 stellen sollte, und es der Klage insofern stattgegeben hat, bedarf es keiner Entscheidung, weil der Beklagte kein Rechtsmittel eingelegt hat.

11

2. Verfahrensrechtliche Hindernisse stehen einer Sachentscheidung des Senats nicht entgegen. Die Klägerin hat zu Recht eine Anfechtungsklage erhoben (§ 54 Abs 1 Satz 1 SGG), weil es sich bei der Aufforderung zur Beantragung einer vorzeitigen Altersrente bis 1.2.2014 um einen Verwaltungsakt iS des § 31 Satz 1 SGB X handelt(BSG Urteil vom 19.8.2015 - B 14 AS 1/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 12a Nr 1, RdNr 12).

12

Die Aufforderung vom 21.10.2013 ist nicht iS des § 39 Abs 2 SGB X erledigt und die Anfechtungsklage nach wie vor zulässig. Gegen den auf den Antrag des Beklagten hin ergangenen Rentenbescheid der DRV vom 15.10.2015 mit einem Rentenbeginn ab dem 1.2.2014 hat die Klägerin Widerspruch eingelegt und nach dessen Zurückweisung Klage erhoben, sodass das Rentenverfahren nicht bestandskräftig abgeschlossen ist (vgl BSG Urteil vom 19.8.2015 - B 14 AS 1/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 12a Nr 1, RdNr 13).

13

Einer echten notwendigen Beiladung der DRV nach § 75 Abs 2 Alt 1 SGG bedurfte es nicht(BSG Urteil vom 19.8.2015 - B 14 AS 1/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 12a Nr 1, RdNr 14).

14

3. Rechtsgrundlage für die angefochtene Aufforderung zur Beantragung einer vorzeitigen Altersrente sind § 12a iVm § 5 Abs 3 Satz 1 SGB II(diese und alle weiteren Vorschriften des SGB II in der seit 1.4.2011 geltenden Fassung aufgrund der Neubekanntmachung vom 13.5.2011, BGBl I 850). Danach sind Leistungsberechtigte verpflichtet, Sozialleistungen anderer Träger in Anspruch zu nehmen und die hierfür erforderlichen Anträge zu stellen, sofern dies zur Vermeidung, Beseitigung, Verkürzung oder Verminderung der Hilfebedürftigkeit erforderlich ist, wobei nach § 12a Satz 2 Nr 1 SGB II bis zur Vollendung des 63. Lebensjahres eine Rente wegen Alters nicht vorzeitig in Anspruch genommen werden muss. Die SGB II-Leistungsträger werden ermächtigt, Leistungsberechtigte zur Beantragung einer vorzeitigen Rente aufzufordern, und, sofern diese der Aufforderung nicht nachkommen, selbst den Antrag zu stellen.

15

Die sich aus dem Regelungszusammenhang der genannten Vorschriften ergebenden Voraussetzungen (BSG Urteil vom 19.8.2015 - B 14 AS 1/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 12a Nr 1, RdNr 17) erfüllt die Klägerin, denn aus den Feststellungen des LSG ergibt sich, dass sie hilfebedürftig iS der § 7 Abs 1 Satz 1 Nr 3, § 9 Abs 1 SGB II ist. Hilfebedürftig ist danach derjenige, der seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus zu berücksichtigendem Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält. Hieran knüpft die Regelung in § 12a SGB II über vorrangige Leistungen an(siehe dazu ausführlich BSG aaO). Nach Vollendung des 63. Lebensjahres gehört zu den vorrangigen Leistungen grundsätzlich auch die Inanspruchnahme einer vorzeitigen Altersrente trotz der mit ihr verbundenen dauerhaften Rentenabschläge für jeden Kalendermonat einer vorzeitigen Inanspruchnahme (vgl § 77 SGB VI).

16

4. Der Bescheid des Beklagten vom 21.10.2013, mit dem die Klägerin zur Rentenantragstellung aufgefordert wurde, ist formell rechtmäßig, insbesondere liegt kein zu beachtender Verstoß gegen die Anhörungspflicht nach § 24 SGB X vor. Schon vor der nur noch streitbefangenen Aufforderung vom 21.10.2013 hatte die Klägerin in ihrem Widerspruch gegen die erste Aufforderung ausreichend Gelegenheit, ihre Einwände vorzutragen, und hat diese im Widerspruchsverfahren gegen die Aufforderung vom 21.10.2013 vertieft. Im Übrigen ist ein möglicher Anhörungsmangel durch das Widerspruchsverfahren geheilt worden (§ 41 Abs 1 SGB X).

17

5. Der Bescheid ist auch materiell rechtmäßig. Die Klägerin ist nach § 12a SGB II verpflichtet, eine vorzeitige Altersrente zu beantragen und in Anspruch zu nehmen. Die Voraussetzungen der sogenannten 58er-Regelung (§ 65 Abs 4 Satz 2 SGB II), insbesondere die Vollendung des 58. Lebensjahres vor dem 1.1.2008, erfüllte die am 12.1.1951 geborene Klägerin nicht.

18

a) Die Klägerin ist zur Inanspruchnahme der Rente verpflichtet, denn diese ist iS des § 12a Satz 1 SGB II zur Vermeidung, Beseitigung, Verkürzung oder Verminderung ihrer Hilfebedürftigkeit erforderlich. Erforderlich in diesem Sinne ist nicht nur jede Inanspruchnahme von Sozialleistungen, die Hilfebedürftigkeit nicht eintreten oder eine bestehende Hilfebedürftigkeit wegfallen lassen, vielmehr genügt es, wenn die Dauer einer Hilfebedürftigkeit verkürzt bzw begrenzt oder der Höhe nach verringert wird (BSG Urteil vom 19.8.2015 - B 14 AS 1/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 12a Nr 1, RdNr 21).

19

Vorliegend führt die Inanspruchnahme der vorzeitigen Altersrente zur Beseitigung der Hilfebedürftigkeit der Klägerin nach dem SGB II, denn diese wird unabhängig von der Höhe der Rente beseitigt, was aus § 7 Abs 4 Satz 1 SGB II folgt, wonach Leistungen nach dem SGB II nicht erhält, wer Rente wegen Alters bezieht(vgl BSG Urteil vom 16.5.2012 - B 4 AS 105/11 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 30 RdNr 15 ff; BSG Beschluss vom 12.6.2013 - B 14 AS 225/12 B - Juris RdNr 5). Dass abhängig von der Höhe der Rente die Klägerin ihren notwendigen Lebensunterhalt ggf nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln bestreiten und ihr deshalb insoweit nach § 19 Abs 1, § 27 Abs 1 SGB XII Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII zu leisten sein könnte, ändert nichts daran, dass die Klägerin mit dem Bezug der vorzeitigen Altersrente ihre Hilfebedürftigkeit nach dem SGB II beseitigt und aus diesem Leistungssystem ausscheidet.

20

b) Neben der festgestellten Verpflichtung der Klägerin zur Antragstellung ist diese iS des § 12a Satz 1 SGB II auch erforderlich, weil Renten aus eigener Versicherung nur auf Antrag geleistet werden(§ 99 Abs 1 SGB VI). Die angefochtene Aufforderung der Klägerin zur Antragstellung ist hinreichend bestimmt, denn sie bezieht sich darauf, bei dem zuständigen Rentenversicherungsträger einen Antrag auf eine Altersrente ab Vollendung des 63. Lebensjahres zu stellen. Dass die Antragstellung nach dem Text des Bescheids "umgehend" erfolgen soll, bezieht sich erkennbar auf die zuvor genannte Verpflichtung zur Antragstellung und der Berechtigung zum Bezug der geminderten Altersrente nach Vollendung des 63. Lebensjahres. Die hierzu gesetzte Frist von circa 3 Wochen ist nicht zu beanstanden.

21

6. Der Verpflichtung der Klägerin zur Rentenantragstellung und Inanspruchnahme steht die auf § 13 Abs 2 SGB II beruhende UnbilligkeitsV nicht entgegen, weil keiner der in ihr abschließend geregelten Ausnahmetatbestände(BSG Urteil vom 19.8.2015 - B 14 AS 1/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 12a Nr 1, RdNr 23 mwN) vorliegt.

22

Weder würde die Inanspruchnahme der vorzeitigen Altersrente zum Verlust eines Anspruchs auf Alg führen (§ 2 UnbilligkeitsV), weil die Klägerin keinen Anspruch auf Alg nach dem SGB III hat, noch ist die Beantragung der vorgezogenen Altersrente deshalb unbillig, weil die Klägerin in nächster Zukunft die Altersrente abschlagsfrei in Anspruch nehmen kann (§ 3 UnbilligkeitsV). Abschlagsfrei in Anspruch nehmen könnte sie eine Altersrente wegen Arbeitslosigkeit erst mit Vollendung des 65. Lebensjahres (§ 237 Abs 2 SGB VI iVm Anl 19 zum SGB VI)und eine Altersrente für langjährig Versicherte erst mit Erreichen der Regelaltersgrenze (Anhebung der Altersgrenze um fünf Monate nach § 236 Abs 2 Satz 2 SGB VI). Ein Zeitraum - wie hier - von mehr als zwei Jahren zwischen dem Beginn der vorzeitigen Inanspruchnahme mit Abschlägen nach Vollendung des 63. Lebensjahres bis zur abschlagsfreien Inanspruchnahme ist nicht eine bevorstehende abschlagsfreie Altersrente "in nächster Zukunft" bzw "alsbald" (vgl § 5 Abs 2 iVm Abs 1 UnbilligkeitsV; siehe auch Begründung des Referentenentwurfs zur UnbilligkeitsV, S 8, abrufbar unter http://www.bmas.de/DE/Service/Gesetze/unbilligkeitsverordnung.html: längstens drei Monate).

23

Schließlich greifen auch die Ausnahmebestimmungen in §§ 4 und 5 UnbilligkeitsV nicht. Weder ist die Klägerin sozialversicherungspflichtig beschäftigt oder erzielt sie aus einer sonstigen Erwerbstätigkeit ein entsprechend hohes Einkommen (§ 4 UnbilligkeitsV), noch steht eine solche Erwerbstätigkeit in nächster Zukunft bevor (§ 5 UnbilligkeitsV). Dies ergibt sich aus den Feststellungen des LSG und der Revisionsbegründung der Klägerin, wonach sie zwar einer geringfügigen Beschäftigung nachgehe, ihr eine Vollzeittätigkeit oder Teilzeittätigkeit aber nicht habe vermittelt werden können. Dass die Klägerin mit einem monatlichen Einkommen von 136 Euro keine sozialversicherungspflichtige, sondern eine nur geringfügige Beschäftigung ausübte, folgt aus § 8 Abs 1 SGB IV. Dass auf diese Grenze abzustellen ist, wird durch die Begründung des Referentenentwurfs zu dem maßgeblichen § 4 UnbilligkeitsV bestätigt(siehe S 8 des Referentenentwurfs).

24

7. Das aufgrund der Verpflichtung der Klägerin, eine vorzeitige Altersrente zu beantragen und in Anspruch zu nehmen, eröffnete Ermessen des Beklagten hinsichtlich des "Ob" einer Aufforderung hat dieser erkannt und im Ergebnis fehlerfrei ausgeübt. Seine Ermessensausübung ist gerichtlich nur eingeschränkt darauf zu prüfen (§ 39 Abs 1 SGB I, § 54 Abs 2 Satz 2 SGG), ob Ermessen überhaupt ausgeübt, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist ("Rechtmäßigkeits-, aber keine Zweckmäßigkeitskontrolle"; vgl BSG Urteil vom 19.8.2015 - B 14 AS 1/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 12a Nr 1, RdNr 27 f).

25

a) Zwar sind der angefochtenen Aufforderung vom 21.10.2013 allenfalls Ansätze einer Ermessensausübung zu entnehmen, Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung ist jedoch der angefochtene Bescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheids (§ 95 SGG), sodass Fehler in der Ermessensbetätigung im Ausgangsbescheid durch das Widerspruchsverfahren geheilt werden können, zumal in diesem auch die Zweckmäßigkeit des angefochtenen Ausgangsbescheids nachzuprüfen ist (vgl Schütze in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl 2014, § 41 RdNr 11).

26

b) Eine solche Prüfung ist im Widerspruchsbescheid vom 2.12.2013 ausreichend erfolgt. Die Erwägungen des Beklagten lassen Ermessensfehler nicht erkennen. Relevante Ermessensgesichtspunkte können ohnehin nur solche sein, die einen atypischen Fall begründen und auf besonderen Härten im Einzelfall beruhen, die keinen Unbilligkeitstatbestand im Sinne der UnbilligkeitsV begründen, aber die Inanspruchnahme der vorzeitigen Altersrente aufgrund außergewöhnlicher Umstände als unzumutbar erscheinen lassen. Soweit sich Anhaltspunkte für solche Härten nicht aufdrängen, ist der Leistungsberechtigte gehalten, atypische Umstände seines Einzelfalls vorzubringen, die der Leistungsträger zu erwägen hat (BSG Urteil vom 19.8.2015 - B 14 AS 1/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 12a Nr 1, RdNr 27 ff).

27

Vorliegend sind solche Umstände von der Klägerin nicht vorgebracht worden. Insbesondere liegt ein atypischer Fall nicht deshalb vor, weil die vorzeitige Altersrente des Leistungsberechtigten uU nicht bedarfsdeckend ist und Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII in Anspruch genommen werden müssten (BSG Urteil vom 19.8.2015 - B 14 AS 1/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 12a Nr 1, RdNr 41 mwN). Die durch die Inanspruchnahme der vorzeitigen Altersrente folgenden dauerhaften Rentenabschläge und die damit einhergehenden geringeren Rentenerhöhungen waren dem Gesetzgeber bekannt und können nicht zur Annahme einer außergewöhnlichen Härte führen.

28

Eine solche Härte ergibt sich vorliegend auch nicht aus den strengeren Regelungen über die Berücksichtigung von Vermögen nach dem SGB XII (vgl dessen § 90) gegenüber dem SGB II (vgl dessen § 12), weil das Urteil des LSG keine Feststellungen enthält, die auf derartiges Vermögen der Klägerin nur hindeuten, und die Klägerin im Revisionsverfahren keine entsprechenden Rügen erhoben hat (vgl zur Berücksichtigung solcher Konstellationen im Rahmen der Ermessensausübung schon BSG Urteil vom 19.8.2015 - B 14 AS 1/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 12a Nr 1, RdNr 47).

29

Der Beklagte hat dem Vorbringen der Klägerin in seinem Widerspruchsbescheid ausreichend Rechnung getragen, indem er zunächst geprüft hat, ob das Interesse der Klägerin, die Rente nicht zu beantragen, dem Interesse der Allgemeinheit, welche die Leistungen aus Steuermitteln erbringt, überwiegt. Einen außergewöhnlichen Fall, der nicht in der UnbilligkeitsV geregelt ist, hat der Beklagte nicht erkennen können. Er hat weiterhin ausgeführt, dass der Bedarf der Klägerin nach dem SGB II bei 691,79 Euro liege und dass dieser auch mit einer abschlagsfreien Rente von 655,53 Euro nicht gedeckt werden könne, sodass die Klägerin ohnehin auf ergänzende Sozialleistungen angewiesen wäre und die Rentenantragstellung daher nicht mit unzumutbaren Nachteilen für sie verbunden sei. Darüber hinaus sind auch für den Senat weder aus den Feststellungen des LSG noch aus dem Vorbringen der Klägerin im Revisionsverfahren Umstände erkennbar, die einen unzumutbaren Nachteil begründen könnten.

30

8. Schließlich verstößt dieses Ergebnis nicht gegen Grundrechte der Klägerin. Die der Sicherung des Nachrangs durch Verweis auf vorrangige Leistungen dienenden § 12a iVm § 5 Abs 3 SGB II sind verfassungsgemäß(siehe ausführlich BSG Urteil vom 19.8.2015 - B 14 AS 1/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 12a Nr 1, RdNr 44 ff).

31

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG.

(1) Auf Rechtsvorschriften beruhende Leistungen Anderer, insbesondere der Träger anderer Sozialleistungen, werden durch dieses Buch nicht berührt. Ermessensleistungen dürfen nicht deshalb versagt werden, weil dieses Buch entsprechende Leistungen vorsieht.

(2) Der Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach diesem Buch schließt Leistungen nach dem Dritten Kapitel des Zwölften Buches aus. Leistungen nach dem Vierten Kapitel des Zwölften Buches sind gegenüber dem Bürgergeld nach § 19 Absatz 1 Satz 2 vorrangig.

(3) Stellen Leistungsberechtigte trotz Aufforderung einen erforderlichen Antrag auf Leistungen eines anderen Trägers nicht, können die Leistungsträger nach diesem Buch den Antrag stellen sowie Rechtsbehelfe und Rechtsmittel einlegen. Der Ablauf von Fristen, die ohne Verschulden der Leistungsträger nach diesem Buch verstrichen sind, wirkt nicht gegen die Leistungsträger nach diesem Buch; dies gilt nicht für Verfahrensfristen, soweit die Leistungsträger nach diesem Buch das Verfahren selbst betreiben. Wird eine Leistung aufgrund eines Antrages nach Satz 1 von einem anderen Träger nach § 66 des Ersten Buches bestandskräftig entzogen oder versagt, sind die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach diesem Buch ganz oder teilweise so lange zu entziehen oder zu versagen, bis die leistungsberechtigte Person ihrer Verpflichtung nach den §§ 60 bis 64 des Ersten Buches gegenüber dem anderen Träger nachgekommen ist. Eine Entziehung oder Versagung nach Satz 3 ist nur möglich, wenn die leistungsberechtigte Person vom zuständigen Leistungsträger nach diesem Buch zuvor schriftlich auf diese Folgen hingewiesen wurde. Wird die Mitwirkung gegenüber dem anderen Träger nachgeholt, ist die Versagung oder Entziehung rückwirkend aufzuheben.

(4) Leistungen zur Eingliederung in Arbeit nach dem Ersten Abschnitt des Dritten Kapitels werden nicht an oder für erwerbsfähige Leistungsberechtigte erbracht, die einen Anspruch auf Arbeitslosengeld oder Teilarbeitslosengeld haben.

(5) Leistungen nach den §§ 16a, 16b, 16d sowie 16f bis 16k können auch an erwerbsfähige Leistungsberechtigte erbracht werden, sofern ein Rehabilitationsträger im Sinne des Neunten Buches zuständig ist; § 22 Absatz 2 Satz 1 und 2 des Dritten Buches ist entsprechend anzuwenden.

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 29. April 2015 wird zurückgewiesen.

Kosten sind für das Revisionsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Im Streit ist die Rechtmäßigkeit einer Aufforderung des beklagten Jobcenters an die Klägerin, die vorzeitige Inanspruchnahme einer Rente wegen Alters zu beantragen.

2

Die am 12.1.1951 geborene, alleinlebende Klägerin bezieht seit dem 1.1.2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Für die Zeit vom 1.12.2013 bis zum 31.5.2014 wurden monatlich vorläufig 662,99 Euro bewilligt (Regelbedarf für Alleinstehende: 382 Euro, Kosten der Unterkunft und Heizung: 309,79 Euro, Berücksichtigung eines Erwerbseinkommens als Reinigungskraft von 136 Euro).

3

Nachdem dem Beklagten bekannt geworden war, dass die Klägerin von der Deutschen Rentenversicherung Mitteldeutschland (DRV) eine abschlagsfreie Altersrente ab dem 1.2.2016 und eine Altersrente mit Abschlägen seit dem 1.2.2011 beziehen könne, forderte er sie zur Beantragung einer vorzeitigen Altersrente ab Vollendung des 63. Lebensjahres unter Fristsetzung bis zum 22.8.2013 auf (Bescheid vom 29.7.2013). Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein, weil sie auf "ergänzenden Hartz IV-Bezug" angewiesen sei, wenn sie eine Altersrente mit Abschlägen beziehen müsse. Auch gegen den Bescheid des Beklagten vom 21.10.2013, in dem sie erneut zur Beantragung einer vorzeitigen Altersrente unter Fristsetzung bis zum 14.11.2013 aufgefordert wurde, legte die Klägerin Widerspruch ein und bezog sich auf Auskünfte der DRV, wonach bei Rentenbeginn am 1.2.2014 eine vorzeitige Altersrente in Höhe von monatlich 609,42 Euro netto und bei einem Rentenbeginn ab 1.2.2016 eine abschlagsfreie Altersrente von monatlich 655,53 Euro zu erwarten seien. Die Widersprüche der Klägerin wurden zurückgewiesen (Widerspruchsbescheid vom 2.12.2013): Weder sei die Inanspruchnahme einer vorzeitigen Altersrente unbillig im Sinne der Unbilligkeitsverordnung (UnbilligkeitsV), noch ergebe eine Abwägung der Interessen der Klägerin mit denen der Allgemeinheit im Hinblick auf das Gebot der wirtschaftlichen und sparsamen Verwendung öffentlicher Mittel, dass von der Aufforderung zur Rentenantragstellung abgesehen werden könne. Voraussichtlich reiche auch die abschlagsfreie Altersrente zur Deckung des gegenwärtigen Bedarfs von 691,79 Euro nicht aus, es sei somit kein mit dem Bezug einer vorzeitigen Altersrente verbundener unzumutbarer Nachteil erkennbar. Mit Schreiben vom 4.12.2013 beantragte der Beklagte bei der DRV für die Klägerin eine Altersrente und meldete zugleich einen Erstattungsanspruch an.

4

Das angerufene SG hat die Bescheide vom 29.7.2013 und 21.10.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2.12.2013 "aufgehoben, soweit die Klägerin zur Beantragung einer Altersrente mit Rentenbeginn vor dem 1.2.2014 aufgefordert" werde; im Übrigen hat es die Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 13.5.2014). Die nur von der Klägerin eingelegte Berufung hat das LSG zurückgewiesen (Urteil vom 29.4.2015). Die Klägerin sei zur Beantragung einer vorzeitigen Altersrente verpflichtet. Für einen atypischen Fall im Sinne der UnbilligkeitsV sei nichts ersichtlich, auch verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Aufforderung zur Beantragung einer vorzeitigen Altersrente bestünden nicht. Das bereits bei der Aufforderung zur Antragstellung erforderliche Ermessen habe der Beklagte jedenfalls im Widerspruchsverfahren ordnungsgemäß ausgeübt.

5

In ihrer vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine Verletzung von § 12a iVm § 5 Abs 3 SGB II. Der Beklagte habe sein Ermessen fehlerhaft ausgeübt, indem er nicht berücksichtigt habe, dass sie bei einer Rente mit Abschlägen ergänzend Sozialleistungen in Anspruch nehmen müsse, was bei einer Rente ohne Abschläge zuzüglich Wohngeld und einer weiteren Beschäftigung nicht der Fall wäre. Es sei auch nicht berücksichtigt worden, dass es insbesondere in den neuen Bundesländern erhebliche Rentenerhöhungen geben werde, an denen sie aufgrund der dauernden Abschläge nicht angemessen teilhaben könne. Bei der Beurteilung eines Härtefalls sei im Übrigen zu berücksichtigen, dass in "nächster Zukunft" eine Altersrente abschlagsfrei hätte in Anspruch genommen werden können. Schließlich sei die vorliegende Regelung zur Zwangsverrentung auch verfassungswidrig.

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Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 29. April 2015 aufzuheben, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Leipzig vom 13. Mai 2014 zu ändern sowie den Bescheid des Beklagten vom 21. Oktober 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2. Dezember 2013 insgesamt aufzuheben.

7

Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

8

Im Revisionsverfahren hat die Klägerin einen Bescheid der DRV vom 15.10.2015 mit einem Rentenbeginn ab dem 1.2.2014 und einem monatlichen Auszahlbetrag von 663,91 Euro ab 1.12.2015 vorgelegt. Dagegen hat sie Widerspruch eingelegt und gegen dessen Zurückweisung mit Widerspruchsbescheid vom 3.3.2016 Klage erhoben.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Revision der Klägerin ist als unbegründet zurückzuweisen (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG). Das LSG hat zutreffend entschieden, dass die Aufforderung des beklagten Jobcenters an die Klägerin zur Rentenantragstellung ab 1.2.2014 rechtmäßig ist. Aufgrund der Einverständnisse der Beteiligten hat der Senat ohne mündliche Verhandlung entschieden (§ 124 Abs 2 SGG).

10

1. Gegenstand des Revisionsverfahrens sind das Urteil des LSG und der Gerichtsbescheid des SG, soweit für den hier maßgeblichen Zeitpunkt des Rentenbeginns ab dem 1.2.2014 die Klage abgewiesen worden ist, sowie der Bescheid des Beklagten vom 21.10.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2.12.2013, durch den die Klägerin zur Beantragung einer vorzeitigen Altersrente bis 14.11.2013 aufgefordert worden ist. Der Bescheid vom 29.7.2013 mit der Aufforderung zur Antragstellung bis 22.8.2013 hat sich durch den Bescheid vom 21.10.2013 und die dortige Fristsetzung erledigt (§ 39 Abs 2 SGB X). Soweit das SG die Aufforderung des Beklagten dahingehend ausgelegt hat, dass die Klägerin schon einen Rentenantrag für die Zeit vor dem 1.2.2014 stellen sollte, und es der Klage insofern stattgegeben hat, bedarf es keiner Entscheidung, weil der Beklagte kein Rechtsmittel eingelegt hat.

11

2. Verfahrensrechtliche Hindernisse stehen einer Sachentscheidung des Senats nicht entgegen. Die Klägerin hat zu Recht eine Anfechtungsklage erhoben (§ 54 Abs 1 Satz 1 SGG), weil es sich bei der Aufforderung zur Beantragung einer vorzeitigen Altersrente bis 1.2.2014 um einen Verwaltungsakt iS des § 31 Satz 1 SGB X handelt(BSG Urteil vom 19.8.2015 - B 14 AS 1/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 12a Nr 1, RdNr 12).

12

Die Aufforderung vom 21.10.2013 ist nicht iS des § 39 Abs 2 SGB X erledigt und die Anfechtungsklage nach wie vor zulässig. Gegen den auf den Antrag des Beklagten hin ergangenen Rentenbescheid der DRV vom 15.10.2015 mit einem Rentenbeginn ab dem 1.2.2014 hat die Klägerin Widerspruch eingelegt und nach dessen Zurückweisung Klage erhoben, sodass das Rentenverfahren nicht bestandskräftig abgeschlossen ist (vgl BSG Urteil vom 19.8.2015 - B 14 AS 1/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 12a Nr 1, RdNr 13).

13

Einer echten notwendigen Beiladung der DRV nach § 75 Abs 2 Alt 1 SGG bedurfte es nicht(BSG Urteil vom 19.8.2015 - B 14 AS 1/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 12a Nr 1, RdNr 14).

14

3. Rechtsgrundlage für die angefochtene Aufforderung zur Beantragung einer vorzeitigen Altersrente sind § 12a iVm § 5 Abs 3 Satz 1 SGB II(diese und alle weiteren Vorschriften des SGB II in der seit 1.4.2011 geltenden Fassung aufgrund der Neubekanntmachung vom 13.5.2011, BGBl I 850). Danach sind Leistungsberechtigte verpflichtet, Sozialleistungen anderer Träger in Anspruch zu nehmen und die hierfür erforderlichen Anträge zu stellen, sofern dies zur Vermeidung, Beseitigung, Verkürzung oder Verminderung der Hilfebedürftigkeit erforderlich ist, wobei nach § 12a Satz 2 Nr 1 SGB II bis zur Vollendung des 63. Lebensjahres eine Rente wegen Alters nicht vorzeitig in Anspruch genommen werden muss. Die SGB II-Leistungsträger werden ermächtigt, Leistungsberechtigte zur Beantragung einer vorzeitigen Rente aufzufordern, und, sofern diese der Aufforderung nicht nachkommen, selbst den Antrag zu stellen.

15

Die sich aus dem Regelungszusammenhang der genannten Vorschriften ergebenden Voraussetzungen (BSG Urteil vom 19.8.2015 - B 14 AS 1/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 12a Nr 1, RdNr 17) erfüllt die Klägerin, denn aus den Feststellungen des LSG ergibt sich, dass sie hilfebedürftig iS der § 7 Abs 1 Satz 1 Nr 3, § 9 Abs 1 SGB II ist. Hilfebedürftig ist danach derjenige, der seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus zu berücksichtigendem Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält. Hieran knüpft die Regelung in § 12a SGB II über vorrangige Leistungen an(siehe dazu ausführlich BSG aaO). Nach Vollendung des 63. Lebensjahres gehört zu den vorrangigen Leistungen grundsätzlich auch die Inanspruchnahme einer vorzeitigen Altersrente trotz der mit ihr verbundenen dauerhaften Rentenabschläge für jeden Kalendermonat einer vorzeitigen Inanspruchnahme (vgl § 77 SGB VI).

16

4. Der Bescheid des Beklagten vom 21.10.2013, mit dem die Klägerin zur Rentenantragstellung aufgefordert wurde, ist formell rechtmäßig, insbesondere liegt kein zu beachtender Verstoß gegen die Anhörungspflicht nach § 24 SGB X vor. Schon vor der nur noch streitbefangenen Aufforderung vom 21.10.2013 hatte die Klägerin in ihrem Widerspruch gegen die erste Aufforderung ausreichend Gelegenheit, ihre Einwände vorzutragen, und hat diese im Widerspruchsverfahren gegen die Aufforderung vom 21.10.2013 vertieft. Im Übrigen ist ein möglicher Anhörungsmangel durch das Widerspruchsverfahren geheilt worden (§ 41 Abs 1 SGB X).

17

5. Der Bescheid ist auch materiell rechtmäßig. Die Klägerin ist nach § 12a SGB II verpflichtet, eine vorzeitige Altersrente zu beantragen und in Anspruch zu nehmen. Die Voraussetzungen der sogenannten 58er-Regelung (§ 65 Abs 4 Satz 2 SGB II), insbesondere die Vollendung des 58. Lebensjahres vor dem 1.1.2008, erfüllte die am 12.1.1951 geborene Klägerin nicht.

18

a) Die Klägerin ist zur Inanspruchnahme der Rente verpflichtet, denn diese ist iS des § 12a Satz 1 SGB II zur Vermeidung, Beseitigung, Verkürzung oder Verminderung ihrer Hilfebedürftigkeit erforderlich. Erforderlich in diesem Sinne ist nicht nur jede Inanspruchnahme von Sozialleistungen, die Hilfebedürftigkeit nicht eintreten oder eine bestehende Hilfebedürftigkeit wegfallen lassen, vielmehr genügt es, wenn die Dauer einer Hilfebedürftigkeit verkürzt bzw begrenzt oder der Höhe nach verringert wird (BSG Urteil vom 19.8.2015 - B 14 AS 1/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 12a Nr 1, RdNr 21).

19

Vorliegend führt die Inanspruchnahme der vorzeitigen Altersrente zur Beseitigung der Hilfebedürftigkeit der Klägerin nach dem SGB II, denn diese wird unabhängig von der Höhe der Rente beseitigt, was aus § 7 Abs 4 Satz 1 SGB II folgt, wonach Leistungen nach dem SGB II nicht erhält, wer Rente wegen Alters bezieht(vgl BSG Urteil vom 16.5.2012 - B 4 AS 105/11 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 30 RdNr 15 ff; BSG Beschluss vom 12.6.2013 - B 14 AS 225/12 B - Juris RdNr 5). Dass abhängig von der Höhe der Rente die Klägerin ihren notwendigen Lebensunterhalt ggf nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln bestreiten und ihr deshalb insoweit nach § 19 Abs 1, § 27 Abs 1 SGB XII Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII zu leisten sein könnte, ändert nichts daran, dass die Klägerin mit dem Bezug der vorzeitigen Altersrente ihre Hilfebedürftigkeit nach dem SGB II beseitigt und aus diesem Leistungssystem ausscheidet.

20

b) Neben der festgestellten Verpflichtung der Klägerin zur Antragstellung ist diese iS des § 12a Satz 1 SGB II auch erforderlich, weil Renten aus eigener Versicherung nur auf Antrag geleistet werden(§ 99 Abs 1 SGB VI). Die angefochtene Aufforderung der Klägerin zur Antragstellung ist hinreichend bestimmt, denn sie bezieht sich darauf, bei dem zuständigen Rentenversicherungsträger einen Antrag auf eine Altersrente ab Vollendung des 63. Lebensjahres zu stellen. Dass die Antragstellung nach dem Text des Bescheids "umgehend" erfolgen soll, bezieht sich erkennbar auf die zuvor genannte Verpflichtung zur Antragstellung und der Berechtigung zum Bezug der geminderten Altersrente nach Vollendung des 63. Lebensjahres. Die hierzu gesetzte Frist von circa 3 Wochen ist nicht zu beanstanden.

21

6. Der Verpflichtung der Klägerin zur Rentenantragstellung und Inanspruchnahme steht die auf § 13 Abs 2 SGB II beruhende UnbilligkeitsV nicht entgegen, weil keiner der in ihr abschließend geregelten Ausnahmetatbestände(BSG Urteil vom 19.8.2015 - B 14 AS 1/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 12a Nr 1, RdNr 23 mwN) vorliegt.

22

Weder würde die Inanspruchnahme der vorzeitigen Altersrente zum Verlust eines Anspruchs auf Alg führen (§ 2 UnbilligkeitsV), weil die Klägerin keinen Anspruch auf Alg nach dem SGB III hat, noch ist die Beantragung der vorgezogenen Altersrente deshalb unbillig, weil die Klägerin in nächster Zukunft die Altersrente abschlagsfrei in Anspruch nehmen kann (§ 3 UnbilligkeitsV). Abschlagsfrei in Anspruch nehmen könnte sie eine Altersrente wegen Arbeitslosigkeit erst mit Vollendung des 65. Lebensjahres (§ 237 Abs 2 SGB VI iVm Anl 19 zum SGB VI)und eine Altersrente für langjährig Versicherte erst mit Erreichen der Regelaltersgrenze (Anhebung der Altersgrenze um fünf Monate nach § 236 Abs 2 Satz 2 SGB VI). Ein Zeitraum - wie hier - von mehr als zwei Jahren zwischen dem Beginn der vorzeitigen Inanspruchnahme mit Abschlägen nach Vollendung des 63. Lebensjahres bis zur abschlagsfreien Inanspruchnahme ist nicht eine bevorstehende abschlagsfreie Altersrente "in nächster Zukunft" bzw "alsbald" (vgl § 5 Abs 2 iVm Abs 1 UnbilligkeitsV; siehe auch Begründung des Referentenentwurfs zur UnbilligkeitsV, S 8, abrufbar unter http://www.bmas.de/DE/Service/Gesetze/unbilligkeitsverordnung.html: längstens drei Monate).

23

Schließlich greifen auch die Ausnahmebestimmungen in §§ 4 und 5 UnbilligkeitsV nicht. Weder ist die Klägerin sozialversicherungspflichtig beschäftigt oder erzielt sie aus einer sonstigen Erwerbstätigkeit ein entsprechend hohes Einkommen (§ 4 UnbilligkeitsV), noch steht eine solche Erwerbstätigkeit in nächster Zukunft bevor (§ 5 UnbilligkeitsV). Dies ergibt sich aus den Feststellungen des LSG und der Revisionsbegründung der Klägerin, wonach sie zwar einer geringfügigen Beschäftigung nachgehe, ihr eine Vollzeittätigkeit oder Teilzeittätigkeit aber nicht habe vermittelt werden können. Dass die Klägerin mit einem monatlichen Einkommen von 136 Euro keine sozialversicherungspflichtige, sondern eine nur geringfügige Beschäftigung ausübte, folgt aus § 8 Abs 1 SGB IV. Dass auf diese Grenze abzustellen ist, wird durch die Begründung des Referentenentwurfs zu dem maßgeblichen § 4 UnbilligkeitsV bestätigt(siehe S 8 des Referentenentwurfs).

24

7. Das aufgrund der Verpflichtung der Klägerin, eine vorzeitige Altersrente zu beantragen und in Anspruch zu nehmen, eröffnete Ermessen des Beklagten hinsichtlich des "Ob" einer Aufforderung hat dieser erkannt und im Ergebnis fehlerfrei ausgeübt. Seine Ermessensausübung ist gerichtlich nur eingeschränkt darauf zu prüfen (§ 39 Abs 1 SGB I, § 54 Abs 2 Satz 2 SGG), ob Ermessen überhaupt ausgeübt, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist ("Rechtmäßigkeits-, aber keine Zweckmäßigkeitskontrolle"; vgl BSG Urteil vom 19.8.2015 - B 14 AS 1/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 12a Nr 1, RdNr 27 f).

25

a) Zwar sind der angefochtenen Aufforderung vom 21.10.2013 allenfalls Ansätze einer Ermessensausübung zu entnehmen, Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung ist jedoch der angefochtene Bescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheids (§ 95 SGG), sodass Fehler in der Ermessensbetätigung im Ausgangsbescheid durch das Widerspruchsverfahren geheilt werden können, zumal in diesem auch die Zweckmäßigkeit des angefochtenen Ausgangsbescheids nachzuprüfen ist (vgl Schütze in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl 2014, § 41 RdNr 11).

26

b) Eine solche Prüfung ist im Widerspruchsbescheid vom 2.12.2013 ausreichend erfolgt. Die Erwägungen des Beklagten lassen Ermessensfehler nicht erkennen. Relevante Ermessensgesichtspunkte können ohnehin nur solche sein, die einen atypischen Fall begründen und auf besonderen Härten im Einzelfall beruhen, die keinen Unbilligkeitstatbestand im Sinne der UnbilligkeitsV begründen, aber die Inanspruchnahme der vorzeitigen Altersrente aufgrund außergewöhnlicher Umstände als unzumutbar erscheinen lassen. Soweit sich Anhaltspunkte für solche Härten nicht aufdrängen, ist der Leistungsberechtigte gehalten, atypische Umstände seines Einzelfalls vorzubringen, die der Leistungsträger zu erwägen hat (BSG Urteil vom 19.8.2015 - B 14 AS 1/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 12a Nr 1, RdNr 27 ff).

27

Vorliegend sind solche Umstände von der Klägerin nicht vorgebracht worden. Insbesondere liegt ein atypischer Fall nicht deshalb vor, weil die vorzeitige Altersrente des Leistungsberechtigten uU nicht bedarfsdeckend ist und Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII in Anspruch genommen werden müssten (BSG Urteil vom 19.8.2015 - B 14 AS 1/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 12a Nr 1, RdNr 41 mwN). Die durch die Inanspruchnahme der vorzeitigen Altersrente folgenden dauerhaften Rentenabschläge und die damit einhergehenden geringeren Rentenerhöhungen waren dem Gesetzgeber bekannt und können nicht zur Annahme einer außergewöhnlichen Härte führen.

28

Eine solche Härte ergibt sich vorliegend auch nicht aus den strengeren Regelungen über die Berücksichtigung von Vermögen nach dem SGB XII (vgl dessen § 90) gegenüber dem SGB II (vgl dessen § 12), weil das Urteil des LSG keine Feststellungen enthält, die auf derartiges Vermögen der Klägerin nur hindeuten, und die Klägerin im Revisionsverfahren keine entsprechenden Rügen erhoben hat (vgl zur Berücksichtigung solcher Konstellationen im Rahmen der Ermessensausübung schon BSG Urteil vom 19.8.2015 - B 14 AS 1/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 12a Nr 1, RdNr 47).

29

Der Beklagte hat dem Vorbringen der Klägerin in seinem Widerspruchsbescheid ausreichend Rechnung getragen, indem er zunächst geprüft hat, ob das Interesse der Klägerin, die Rente nicht zu beantragen, dem Interesse der Allgemeinheit, welche die Leistungen aus Steuermitteln erbringt, überwiegt. Einen außergewöhnlichen Fall, der nicht in der UnbilligkeitsV geregelt ist, hat der Beklagte nicht erkennen können. Er hat weiterhin ausgeführt, dass der Bedarf der Klägerin nach dem SGB II bei 691,79 Euro liege und dass dieser auch mit einer abschlagsfreien Rente von 655,53 Euro nicht gedeckt werden könne, sodass die Klägerin ohnehin auf ergänzende Sozialleistungen angewiesen wäre und die Rentenantragstellung daher nicht mit unzumutbaren Nachteilen für sie verbunden sei. Darüber hinaus sind auch für den Senat weder aus den Feststellungen des LSG noch aus dem Vorbringen der Klägerin im Revisionsverfahren Umstände erkennbar, die einen unzumutbaren Nachteil begründen könnten.

30

8. Schließlich verstößt dieses Ergebnis nicht gegen Grundrechte der Klägerin. Die der Sicherung des Nachrangs durch Verweis auf vorrangige Leistungen dienenden § 12a iVm § 5 Abs 3 SGB II sind verfassungsgemäß(siehe ausführlich BSG Urteil vom 19.8.2015 - B 14 AS 1/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 12a Nr 1, RdNr 44 ff).

31

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG.

(1) Unbillig ist die Inanspruchnahme, wenn Hilfebedürftige durch die Vorlage eines Arbeitsvertrages oder anderer ebenso verbindlicher, schriftlicher Zusagen glaubhaft machen, dass sie in nächster Zukunft eine Erwerbstätigkeit gemäß § 4 aufnehmen und nicht nur vorübergehend ausüben werden.

(2) Haben Hilfebedürftige bereits einmal glaubhaft gemacht, dass sie alsbald eine Erwerbstätigkeit nach Absatz 1 aufnehmen, so ist eine erneute Glaubhaftmachung ausgeschlossen.

(3) Ist bereits vor dem Zeitpunkt der geplanten Aufnahme der Beschäftigung oder Erwerbstätigkeit anzunehmen, dass diese nicht zu Stande kommen wird, entfällt die Unbilligkeit.

(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts oder seine Abänderung sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts begehrt werden. Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage zulässig, wenn der Kläger behauptet, durch den Verwaltungsakt oder durch die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts beschwert zu sein.

(2) Der Kläger ist beschwert, wenn der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts rechtswidrig ist. Soweit die Behörde, Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, ist Rechtswidrigkeit auch gegeben, wenn die gesetzlichen Grenzen dieses Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist.

(3) Eine Körperschaft oder eine Anstalt des öffentlichen Rechts kann mit der Klage die Aufhebung einer Anordnung der Aufsichtsbehörde begehren, wenn sie behauptet, daß die Anordnung das Aufsichtsrecht überschreite.

(4) Betrifft der angefochtene Verwaltungsakt eine Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, so kann mit der Klage neben der Aufhebung des Verwaltungsakts gleichzeitig die Leistung verlangt werden.

(5) Mit der Klage kann die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch dann begehrt werden, wenn ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte.

(1) Das Gericht der Hauptsache kann auf Antrag

1.
in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung haben, die sofortige Vollziehung ganz oder teilweise anordnen,
2.
in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen,
3.
in den Fällen des § 86a Abs. 3 die sofortige Vollziehung ganz oder teilweise wiederherstellen.
Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen oder befolgt worden, kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung oder die Anordnung der sofortigen Vollziehung kann mit Auflagen versehen oder befristet werden. Das Gericht der Hauptsache kann auf Antrag die Maßnahmen jederzeit ändern oder aufheben.

(2) Soweit ein Fall des Absatzes 1 nicht vorliegt, kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das Gericht der Hauptsache ist das Gericht des ersten Rechtszugs und, wenn die Hauptsache im Berufungsverfahren anhängig ist, das Berufungsgericht. Die §§ 920, 921, 923, 926, 928, 929 Absatz 1 und 3, die §§ 930 bis 932, 938, 939 und 945 der Zivilprozessordnung gelten entsprechend.

(3) Die Anträge nach den Absätzen 1 und 2 sind schon vor Klageerhebung zulässig.

(4) Das Gericht entscheidet durch Beschluss.

(1) Das Gesuch soll die Bezeichnung des Anspruchs unter Angabe des Geldbetrages oder des Geldwertes sowie die Bezeichnung des Arrestgrundes enthalten.

(2) Der Anspruch und der Arrestgrund sind glaubhaft zu machen.

(3) Das Gesuch kann vor der Geschäftsstelle zu Protokoll erklärt werden.

(1) Wer eine tatsächliche Behauptung glaubhaft zu machen hat, kann sich aller Beweismittel bedienen, auch zur Versicherung an Eides statt zugelassen werden.

(2) Eine Beweisaufnahme, die nicht sofort erfolgen kann, ist unstatthaft.

(1) Auf Rechtsvorschriften beruhende Leistungen Anderer, insbesondere der Träger anderer Sozialleistungen, werden durch dieses Buch nicht berührt. Ermessensleistungen dürfen nicht deshalb versagt werden, weil dieses Buch entsprechende Leistungen vorsieht.

(2) Der Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach diesem Buch schließt Leistungen nach dem Dritten Kapitel des Zwölften Buches aus. Leistungen nach dem Vierten Kapitel des Zwölften Buches sind gegenüber dem Bürgergeld nach § 19 Absatz 1 Satz 2 vorrangig.

(3) Stellen Leistungsberechtigte trotz Aufforderung einen erforderlichen Antrag auf Leistungen eines anderen Trägers nicht, können die Leistungsträger nach diesem Buch den Antrag stellen sowie Rechtsbehelfe und Rechtsmittel einlegen. Der Ablauf von Fristen, die ohne Verschulden der Leistungsträger nach diesem Buch verstrichen sind, wirkt nicht gegen die Leistungsträger nach diesem Buch; dies gilt nicht für Verfahrensfristen, soweit die Leistungsträger nach diesem Buch das Verfahren selbst betreiben. Wird eine Leistung aufgrund eines Antrages nach Satz 1 von einem anderen Träger nach § 66 des Ersten Buches bestandskräftig entzogen oder versagt, sind die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach diesem Buch ganz oder teilweise so lange zu entziehen oder zu versagen, bis die leistungsberechtigte Person ihrer Verpflichtung nach den §§ 60 bis 64 des Ersten Buches gegenüber dem anderen Träger nachgekommen ist. Eine Entziehung oder Versagung nach Satz 3 ist nur möglich, wenn die leistungsberechtigte Person vom zuständigen Leistungsträger nach diesem Buch zuvor schriftlich auf diese Folgen hingewiesen wurde. Wird die Mitwirkung gegenüber dem anderen Träger nachgeholt, ist die Versagung oder Entziehung rückwirkend aufzuheben.

(4) Leistungen zur Eingliederung in Arbeit nach dem Ersten Abschnitt des Dritten Kapitels werden nicht an oder für erwerbsfähige Leistungsberechtigte erbracht, die einen Anspruch auf Arbeitslosengeld oder Teilarbeitslosengeld haben.

(5) Leistungen nach den §§ 16a, 16b, 16d sowie 16f bis 16k können auch an erwerbsfähige Leistungsberechtigte erbracht werden, sofern ein Rehabilitationsträger im Sinne des Neunten Buches zuständig ist; § 22 Absatz 2 Satz 1 und 2 des Dritten Buches ist entsprechend anzuwenden.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.

(1) Die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Prozeßkostenhilfe mit Ausnahme des § 127 Absatz 2 Satz 2 der Zivilprozeßordnung gelten entsprechend. Macht der Beteiligte, dem Prozeßkostenhilfe bewilligt ist, von seinem Recht, einen Rechtsanwalt zu wählen, nicht Gebrauch, wird auf Antrag des Beteiligten der beizuordnende Rechtsanwalt vom Gericht ausgewählt. Einem Beteiligten, dem Prozesskostenhilfe bewilligt worden ist, kann auch ein Steuerberater, Steuerbevollmächtigter, Wirtschaftsprüfer, vereidigter Buchprüfer oder Rentenberater beigeordnet werden. Die Vergütung richtet sich nach den für den beigeordneten Rechtsanwalt geltenden Vorschriften des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes.

(2) Prozeßkostenhilfe wird nicht bewilligt, wenn der Beteiligte durch einen Bevollmächtigten im Sinne des § 73 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 bis 9 vertreten ist.

(3) § 109 Abs. 1 Satz 2 bleibt unberührt.

(4) Die Prüfung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nach den §§ 114 bis 116 der Zivilprozessordnung einschließlich der in § 118 Absatz 2 der Zivilprozessordnung bezeichneten Maßnahmen, der Beurkundung von Vergleichen nach § 118 Absatz 1 Satz 3 der Zivilprozessordnung und der Entscheidungen nach § 118 Absatz 2 Satz 4 der Zivilprozessordnung obliegt dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des jeweiligen Rechtszugs, wenn der Vorsitzende ihm das Verfahren insoweit überträgt. Liegen die Voraussetzungen für die Bewilligung der Prozesskostenhilfe hiernach nicht vor, erlässt der Urkundsbeamte die den Antrag ablehnende Entscheidung; anderenfalls vermerkt der Urkundsbeamte in den Prozessakten, dass dem Antragsteller nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen Prozesskostenhilfe gewährt werden kann und in welcher Höhe gegebenenfalls Monatsraten oder Beträge aus dem Vermögen zu zahlen sind.

(5) Dem Urkundsbeamten obliegen im Verfahren über die Prozesskostenhilfe ferner die Bestimmung des Zeitpunkts für die Einstellung und eine Wiederaufnahme der Zahlungen nach § 120 Absatz 3 der Zivilprozessordnung sowie die Änderung und die Aufhebung der Bewilligung der Prozesskostenhilfe nach den §§ 120a und 124 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 der Zivilprozessordnung.

(6) Der Vorsitzende kann Aufgaben nach den Absätzen 4 und 5 zu jedem Zeitpunkt an sich ziehen. § 5 Absatz 1 Nummer 1, die §§ 6, 7, 8 Absatz 1 bis 4 und § 9 des Rechtspflegergesetzes gelten entsprechend mit der Maßgabe, dass an die Stelle des Rechtspflegers der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle tritt.

(7) § 155 Absatz 4 gilt entsprechend.

(8) Gegen Entscheidungen des Urkundsbeamten nach den Absätzen 4 und 5 kann binnen eines Monats nach Bekanntgabe das Gericht angerufen werden, das endgültig entscheidet.

(9) Durch Landesgesetz kann bestimmt werden, dass die Absätze 4 bis 8 für die Gerichte des jeweiligen Landes nicht anzuwenden sind.

(1) Eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, erhält auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Für die grenzüberschreitende Prozesskostenhilfe innerhalb der Europäischen Union gelten ergänzend die §§ 1076 bis 1078.

(2) Mutwillig ist die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung, wenn eine Partei, die keine Prozesskostenhilfe beansprucht, bei verständiger Würdigung aller Umstände von der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung absehen würde, obwohl eine hinreichende Aussicht auf Erfolg besteht.

Entscheidungen des Landessozialgerichts, seines Vorsitzenden oder des Berichterstatters können vorbehaltlich des § 160a Abs. 1 dieses Gesetzes und des § 17a Abs. 4 Satz 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden.