Bundesarbeitsgericht Beschluss, 26. Jan. 2017 - 8 AZN 872/16

ECLI:ECLI:DE:BAG:2017:260117.B.8AZN872.16.0
bei uns veröffentlicht am26.01.2017

Tenor

Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom 10. August 2016 - 2 Sa 62/16 - wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 6.524,49 Euro festgesetzt.

Gründe

1

Die ausschließlich auf eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 72 Abs. 2 Nr. 3 ArbGG) gestützte Beschwerde ist unbegründet und deshalb zurückzuweisen.

2

I. Das Landesarbeitsgericht hat den Beklagten nicht in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG)verletzt.

3

1. Entgegen der Rechtsauffassung des Beklagten hat das Landesarbeitsgericht diesen nicht dadurch in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, dass es den Zeugen Dr. E, der die Beweisfragen des Gerichts schriftlich beantwortet hatte, trotz eines entsprechenden Antrags des Beklagten nicht zu seiner Vernehmung geladen und so dem Beklagten nicht die Möglichkeit eröffnet hat, dem Zeugen Dr. E in der mündlichen Verhandlung Fragen vorlegen zu lassen oder diesen selbst zu befragen. Das Landesarbeitsgericht hat bei der Anwendung von § 397 ZPO die Bedeutung und Tragweite von Art. 103 Abs. 1 GG nicht verkannt.

4

a) Art. 103 Abs. 1 GG gebietet, dass sowohl die gesetzliche Ausgestaltung des Verfahrensrechts als auch das gerichtliche Verfahren im Einzelfall ein Ausmaß an rechtlichem Gehör eröffnen, das dem Erfordernis eines wirkungsvollen Rechtsschutzes auch in Verfahren nach der Zivilprozessordnung gerecht wird und den Beteiligten die Möglichkeit gibt, sich im Prozess mit tatsächlichen und rechtlichen Argumenten zu behaupten. Insbesondere haben die Beteiligten einen Anspruch darauf, sich vor Erlass der gerichtlichen Entscheidung zu dem zugrunde liegenden Sachverhalt zu äußern. Dem entspricht die Verpflichtung der Gerichte, Anträge und Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (vgl. etwa BVerfG 24. August 2015 - 2 BvR 2915/14 - Rn. 15; 17. Januar 2012 - 1 BvR 2728/10 - Rn. 11).

5

Die nähere Ausgestaltung des rechtlichen Gehörs ist den Verfahrensordnungen überlassen, die im Umfang ihrer Gewährleistungen auch über das von Verfassungs wegen garantierte Maß hinausgehen können. Nicht jeder Verstoß gegen Vorschriften des Verfahrensrechts ist daher zugleich eine Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG. Die Schwelle einer solchen Verfassungsverletzung wird vielmehr erst dann erreicht, wenn die Gerichte bei der Auslegung oder Anwendung des Verfahrensrechts die Bedeutung und Tragweite des grundrechtsgleichen Rechts auf rechtliches Gehör verkannt haben. Verletzungen einfachrechtlicher Verfahrensvorschriften sind somit im Einzelfall daraufhin zu überprüfen, ob unter Berücksichtigung des Wirkungszusammenhangs aller einschlägigen Normen der betroffenen Verfahrensordnung durch sie das unabdingbare Mindestmaß des verfassungsrechtlich gewährleisteten rechtlichen Gehörs verkürzt wurde (vgl. etwa BVerfG 24. August 2015 - 2 BvR 2915/14 - Rn. 16; 17. Januar 2012 - 1 BvR 2728/10 - Rn. 12).

6

aa) Nach § 377 Abs. 3 Satz 3 ZPO ordnet das Gericht die Ladung des Zeugen, der - wie hier - Beweisfrage(n) bereits schriftlich beantwortet hat(§ 377 Abs. 3 Satz 1 ZPO), an, wenn es dies zur weiteren Klärung der Beweisfrage(n) für notwendig erachtet, zB wenn der Zeuge die Beweisfrage nicht schriftlich beantwortet, wenn seine schriftliche Aussage unvollständig, ungenau, unsicher oder einseitig erscheint oder der Verdacht einer unzulässigen Einflussnahme auf den Zeugen besteht (vgl. BT-Drs. 11/3621 S. 39). Zwar setzt § 377 Abs. 3 ZPO in der ab dem 1. April 1991 geltenden Fassung - anders als § 377 Abs. 4 ZPO in der bis zum 31. März 1991 geltenden Fassung - nicht (mehr) voraus, dass die Parteien mit der schriftlichen Beantwortung der Beweisfrage(n) durch den Zeugen einverstanden sind; allerdings lässt § 377 Abs. 3 ZPO das Fragerecht der Parteien nach § 397 ZPO unberührt. Nach § 397 Abs. 1 ZPO sind die Parteien berechtigt, dem Zeugen diejenigen Fragen vorlegen zu lassen, die sie zur Aufklärung der Sache oder der Verhältnisse des Zeugen für dienlich erachten. Nach § 397 Abs. 2 ZPO kann der Vorsitzende den Parteien und hat ihren Anwälten auf Verlangen zu gestatten, an den Zeugen unmittelbar Fragen zu stellen. Deshalb wird das Gericht den Zeugen regelmäßig auch dann zu laden haben, wenn die Parteien ihr Fragerecht nach § 397 ZPO ausüben wollen(vgl. BT-Drs. 11/3621 S. 39).

7

bb) Beantragt eine Partei die Ladung eines zuvor nach § 377 Abs. 3 Satz 1 ZPO schriftlich befragten Zeugen, um diesem in der mündlichen Verhandlung Fragen stellen oder vorlegen lassen zu können, so ist das Gericht jedoch zur Gewährung ausreichenden rechtlichen Gehörs(Art. 103 Abs. 1 GG) nicht in jedem Fall verpflichtet, diesem Antrag zu entsprechen (vgl. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann 75. Aufl. § 377 Rn. 8, 9; ausdrücklich für die schriftliche Ergänzung Stadler ZZP 1997, 137, 161; aA Hansens NJW 1991, 953, 956; MüKoZPO/Damrau 5. Aufl. § 397 Rn. 2; PG/Trautwein 8. Aufl. § 377 Rn. 8; Thomas/Putzo/Reichold ZPO 37. Aufl. § 377 Rn. 6; Schneider MDR 1998, 1133, 1135; Stein/Jonas/Berger 23. Aufl. § 377 Rn. 24, 33; Wieczorek/Schütze/Ahrens ZPO 4. Aufl. § 377 Rn. 51 mwN; Zöller/Greger ZPO 31. Aufl. § 377 Rn. 10a; OLG Hamburg 8. Mai 2003 - 6 U 38/00 - zu I der Gründe; LG Berlin 25. November 1996 - 62 S 387/96 -; idR stattzugeben Musielak/Voit/Huber ZPO 13. Aufl. § 377 Rn. 8). Art. 103 Abs. 1 GG verlangt nicht, einem Antrag auf Ladung eines nach § 377 Abs. 3 Satz 1 ZPO schriftlich befragten Zeugen ausnahmslos Folge zu leisten, selbst wenn der Antrag rechtzeitig und nicht missbräuchlich gestellt ist. Da Art. 103 Abs. 1 GG keinen Anspruch auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung enthält, besteht auch kein verfassungsrechtlicher Anspruch, das einfachgesetzlich in § 397 ZPO geregelte Fragerecht gegenüber einem Zeugen in jedem Fall mündlich auszuüben. Es ist vielmehr verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn die Fachgerichte die Beteiligten vorrangig darauf verweisen, Fragen und Einwendungen schriftlich vorzutragen, um (sachverständige) Zeugen damit zu konfrontieren (vgl. BVerfG 29. Mai 2013 - 1 BvR 1522/12 - Rn. 2, BVerfGK 20, 319; 17. Januar 2012 - 1 BvR 2728/10 - Rn. 15 mwN). Im Übrigen ist die Ladung eines schriftlich befragten Zeugen zum Termin zwar die nächstliegende, aber nicht die einzige Möglichkeit zur Behandlung eines solchen Antrags. In Betracht kommt insoweit auch, den Zeugen um eine schriftliche Ergänzung seiner schriftlichen Aussage zu bitten (vgl. etwa BVerfG 24. August 2015 - 2 BvR 2915/14 - Rn. 19 für den Sachverständigenbeweis). Im Übrigen verbleibt es dabei, dass Verletzungen von § 397 ZPO im Einzelfall daraufhin zu überprüfen sind, ob durch sie das unabdingbare Mindestmaß des verfassungsrechtlich gewährleisteten rechtlichen Gehörs verkürzt wurde.

8

cc) Ferner ist zu berücksichtigen, dass § 397 ZPO den Parteien kein unbeschränktes Fragerecht einräumt. Sinn und Zweck der Befragung des Zeugen durch die Parteien ist die Ausschöpfung des Beweismittels. Hieraus ergeben sich die Grenzen des Fragerechts. Unzulässig sind deshalb zB Fragen, die mit dem Beweisthema nichts zu tun haben, Ausforschungsfragen, unzulässige Fragen iSv. § 383 Abs. 3, § 376 ZPO und Suggestivfragen(vgl. etwa Thomas/Putzo/Reichold ZPO 37. Aufl. § 397 Rn. 2; Zöller/Greger ZPO 31. Aufl. § 397 Rn. 4). Unzulässig sind darüber hinaus aber auch Fragen, die ersichtlich abwegig sind oder vom Zeugen bereits beantwortet wurden (vgl. etwa Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann 75. Aufl. § 397 Rn. 7; HK-ZPO/Siebert 7. Aufl. § 397 Rn. 4; Stein/Jonas/Berger 23. Aufl. § 397 Rn. 6; Wieczorek/Schütze/Ahrens ZPO 4. Aufl. § 397 Rn. 12; Thomas/Putzo/Reichold ZPO 37. Aufl. § 397 Rn. 2).

9

dd) Aus der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach die Gerichte zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG)nach §§ 397, 402 ZPO verpflichtet sind, einem Antrag einer Partei auf mündliche Befragung eines gerichtlichen Sachverständigen unabhängig davon stattzugeben, ob das Gericht selbst das Sachverständigengutachten für erklärungsbedürftig hält(vgl. etwa BGH 19. November 2014 - IV ZR 47/14 - Rn. 8 mwN), folgt nichts Abweichendes.

10

(1) Zum einen sind die Grundsätze, die der Bundesgerichtshof für den Sachverständigenbeweis aufgestellt hat, auf den Zeugenbeweis nicht ohne Weiteres übertragbar. Zwischen dem Zeugenbeweis und dem Sachverständigenbeweis bestehen im Hinblick auf die Betroffenheit in dem verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) erhebliche Unterschiede. Während der Zeuge dem Gericht über eigene Wahrnehmung von Tatsachen und tatsächlichen Vorgängen berichtet, ohne diesen Bericht durch Schlussfolgerungen auszuwerten, unterstützt der - im Übrigen austauschbare - Sachverständige das Gericht bei der Auswertung vorgegebener Tatsachen, indem er aufgrund seines Fachwissens, über das auch die Parteien regelmäßig nicht verfügen, subjektive Wertungen, Schlussfolgerungen und Hypothesen bekundet (Zöller/Greger ZPO 31. Aufl. § 402 Rn. 1a). Vor diesem Hintergrund gehört es grundsätzlich zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs, dass die Parteien den Sachverständigen Fragen stellen, ihnen Bedenken vortragen und sie um eine nähere Erläuterung von Zweifelspunkten bitten können, weshalb der Anspruch auf rechtliches Gehör grundsätzlich auch die Anhörung gerichtlicher Sachverständiger umfasst(vgl. etwa BVerfG 6. März 2013 - 2 BvR 2918/12 - Rn. 19 ff.; 17. Januar 2012 - 1 BvR 2728/10 - Rn. 13 und 15; 3. Februar 1998 - 1 BvR 909/94 - zu II 2 a der Gründe). Je wichtiger ein Sachverständigengutachten für das Ergebnis eines Prozesses ist, desto mehr Gewicht kommt dem Recht der Verfahrensbeteiligten zu, Einwendungen dagegen vorzubringen und die Sachverständigen mit ihnen zu konfrontieren (BVerfG 3. Februar 1998 - 1 BvR 909/94 - zu II 2 b der Gründe), um so das Gutachten oder dessen Auslegung durch das Gericht in Frage zu stellen und damit die Überzeugungsbildung des Gerichts zu beeinflussen. Ein vergleichbares Bedürfnis, auf die Überzeugungsbildung des Gerichts Einfluss nehmen zu können, besteht bei der Aussage eines Zeugen, die sich auf die Wiedergabe wahrgenommener Tatsachen (§ 373 ZPO)beschränkt, nicht im selben Umfang. Diese Unterscheidung zwischen dem Zeugen- und dem Sachverständigenbeweis ist auch dann geboten, wenn es sich bei dem Zeugen um einen sachverständigen Zeugen (§ 414 ZPO)handelt und dieser nicht zur Bewertung, sondern zur Bekundung von Tatsachen herangezogen wird.

11

(2) Im Übrigen gilt auch für den Sachverständigenbeweis, dass Art. 103 Abs. 1 GG nicht verlangt, einem rechtzeitigen und nicht missbräuchlichen Antrag auf Anhörung des Sachverständigen ausnahmslos Folge zu leisten, sondern dass im Einzelfall andere Möglichkeiten zur Gewährung rechtlichen Gehörs ausreichen können, indem der Sachverständige stattdessen um eine schriftliche Ergänzung seines Gutachtens gebeten wird oder das Gericht ein weiteres Gutachten einholt(vgl. etwa BVerfG 24. August 2015 - 2 BvR 2915/14 - Rn. 19; 6. März 2013 - 2 BvR 2918/12 - Rn. 21). Allerdings liegt dann ein Verstoß gegen den verfassungsrechtlichen Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs vor, wenn das Gericht einen Antrag auf Erläuterung des Sachverständigengutachtens völlig übergeht oder ihm allein deshalb nicht nachkommt, weil das Gutachten ihm überzeugend und nicht weiter erläuterungsbedürftig erscheint (vgl. etwa BVerfG 24. August 2015 - 2 BvR 2915/14 - aaO; 6. März 2013 - 2 BvR 2918/12 - aaO).

12

b) Danach hat das Landesarbeitsgericht den Beklagten nicht dadurch in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, dass es den Zeugen Dr. E, der die Beweisfragen des Gerichts schriftlich beantwortet hatte, trotz eines entsprechenden Antrags des Beklagten nicht zu seiner Vernehmung geladen und so dem Beklagten nicht die Möglichkeit eröffnet hat, dem Zeugen Dr. E in der mündlichen Verhandlung Fragen vorlegen zu lassen oder diesen selbst zu befragen.

13

aa) Soweit der Beklagte geltend macht, jedenfalls das Landesarbeitsgericht hätte den Zeugen Dr. E laden müssen, um Widersprüche im Hinblick auf die Frage aufzuklären, an wen der Zeuge den Behandlungsplan vom 2. Dezember 2011 geschickt hatte, übersieht er, dass bereits das Arbeitsgericht den Zeugen auf einen entsprechenden Antrag des Beklagten hin gebeten hatte, auch die Fragen schriftlich zu beantworten, warum er den Behandlungsplan für Kieferbruch an die I geschickt und sich nicht insoweit an die zuständige Berufsgenossenschaft gewandt habe. Diese Fragen hat der Zeuge Dr. E unter dem 23. November 2015 schriftlich dahin beantwortet, den Behandlungsplan am 19. Dezember 2011 an die Berufsgenossenschaft gesandt zu haben und dass ihm von einer Übersendung an die Krankenkasse nichts bekannt sei. Den Umstand, dass sich auf dem Behandlungsplan zunächst als Adressat die I befand, hat er dahin erläutert, dass der Behandlungsplan EDV-gestützt generiert werde, wobei im Adressfeld automatisch der Name der Krankenversicherung eingesetzt werde. Besondere Umstände, die zur Gewährung rechtlichen Gehörs dennoch eine mündliche Befragung des Zeugen erforderlich machten, hat der Beklagte insoweit nicht vorgetragen. Daran ändert auch der Hinweis des Beklagten auf das Schreiben der Klägerin vom 27. Mai 2015 nichts. In diesem Schreiben hatte die Klägerin ausgeführt, der Behandlungsplan sei „zunächst“ an die I gegangen. Damit war es nach diesem Schreiben keineswegs von vornherein ausgeschlossen, dass der Behandlungsplan auch, nämlich später, an die Berufsgenossenschaft versandt worden war. Im Übrigen erschließt sich aus dem Vorbringen des Beklagten auch nicht, was die Klägerin überhaupt zu der Frage, an wen der Zeuge Dr. E den Behandlungsplan geschickt hatte, aus eigener Anschauung hätte bekunden können.

14

bb) Soweit der Beklagte sich darauf beruft, die persönliche Befragung des Zeugen Dr. E sei auch deshalb zur ausreichenden Gewährung rechtlichen Gehörs erforderlich gewesen, weil er bestritten habe, dass es anlässlich des Unfalls zu einer Beeinträchtigung zweier Zähne, nämlich der Zähne 11 und 12 gekommen sei, aus dem Behandlungsplan vom 2. Dezember 2011 ergebe sich lediglich eine Schädigung des Zahns Nr. 11, zudem habe der Zeuge in dem unter dem 29. Mai 2012 an die Berufsgenossenschaft gerichteten Fragebogen „Zahnärztliche Auskunft“ über die Behandlung des Unfallgeschädigten Eb angegeben, noch keinen Heil- und Kostenplan erstellt zu haben, was in Widerspruch stehe zu seiner Abrechnung vom 19. Oktober 2012, bleibt auch diese Rüge erfolglos.

15

(1) Der Zeuge Dr. E hatte in dem an die Berufsgenossenschaft gerichteten Fragebogen „Zahnärztliche Auskunft“ ausgeführt, der Unfallgeschädigte Eb habe ihn am 24. November 2011 aufgesucht und angegeben, von einem Arbeitskollegen - gemeint ist der Beklagte - niedergeschlagen worden zu sein. Zudem hatte der Zeuge Dr. E ausgeführt, am Zahn 11 eine fast vollständige Extrusion und am Zahn 12 eine Lockerung 3. Grades festgestellt zu haben, wobei beide Befunde aus seiner Sicht unfallbedingte Schädigungen seien, den Zahn 11 habe er entfernt.

16

(2) Das Arbeitsgericht hatte den Zeugen Dr. E unter dem 6. November 2015 um schriftliche Beantwortung der Frage gebeten, ob nach seinem Kenntnisstand vom Zustand des Gebisses des Geschädigten Eb die Zähne 11 und 12 vor dem Überfall am 22. November 2011 funktionsfähig waren und ob er das Ereignis vom 22. November 2011 darauf zurückführe, dass beide Zähne am 24. November 2011 irreparabel beschädigt waren. Beide Fragen hatte der Zeuge Dr. E unter dem 16. November 2015 ausdrücklich bejaht. Bereits damit war dem im Übrigen späteren Einwand des Beklagten, nur ein Zahn sei anlässlich des Unfallgeschehens beschädigt worden, Rechnung getragen worden.

17

(3) Aus dem Umstand, dass es im Behandlungsplan vom 2. Dezember 2011 zum „Intraoralen Befund“ heißt: „Schwellung 11, 11 Lockerungsgrad III, nicht erhaltungswürdig“ und unter „vorgesehene Behandlung“ die „Extraktion 11, Sekundarteil 11 von OK Teleskopprothese aufgefüllt“ aufgeführt ist, kann der Beklagte im Hinblick auf eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör nichts zu seinen Gunsten ableiten. Das Landesarbeitsgericht hat den diesbezüglichen Einwand des Beklagten nicht übergangen, es hat sich in der anzufechtenden Entscheidung vielmehr ausdrücklich mit diesem Einwand auseinandergesetzt, den Behandlungsplan für Kieferbruch allerdings dahin gewürdigt, dass sich aus diesem die Beeinträchtigung zweier Zähne ergebe, so dass die doppelte Angabe der Nr. 11 ein offensichtliches Versehen darstelle. Insoweit wendet der Beklagte sich demnach allein gegen die aus seiner Sicht fehlerhafte Würdigung des Behandlungsplans durch das Berufungsgericht. Art. 103 Abs. 1 GG schützt allerdings nicht davor, dass das Gericht dem Vorbringen der Parteien nicht die aus deren Sicht richtige Bedeutung beimisst(vgl. etwa BAG 17. November 2015 - 1 ABN 39/15 - Rn. 14 mwN) und auch nicht davor, dass das Landesarbeitsgericht den Behandlungsplan ggf. nicht zutreffend ausgelegt hat.

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(4) Entgegen der Rechtsauffassung des Beklagten bestand für das Berufungsgericht auch nicht deshalb Veranlassung, den Zeugen Dr. E zum Termin zu laden, weil der Zeuge in dem unter dem 29. Mai 2012 an die Berufsgenossenschaft gerichteten Fragebogen „Zahnärztliche Auskunft“ über die Behandlung des Unfallgeschädigten Eb am 24. November 2011 angegeben hatte, noch keinen Heil- und Kostenplan erstellt zu haben. Das Landesarbeitsgericht hat sich auch mit diesem Einwand des Beklagten auseinandergesetzt, allerdings angenommen, der Behandlungsplan für Kieferbruch sei kein solcher Heil- und Kostenplan. Darauf, ob diese Würdigung des Landesarbeitsgerichts rechtsfehlerhaft ist, kommt es nicht an. Auch hier gilt, dass Art. 103 Abs. 1 GG nicht davor schützt, dass das Gericht dem Vorbringen der Parteien nicht die aus deren Sicht richtige Bedeutung beimisst oder dass dem Gericht bei der Rechtsanwendung Fehler unterlaufen.

19

2. Entgegen der Rechtsauffassung des Beklagten hat das Landesarbeitsgericht diesen auch nicht dadurch in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG)verletzt, dass es zu der Frage einer möglichen Vorschädigung der Zähne des Geschädigten Eb kein Sachverständigengutachten eingeholt hat.

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a) Zwar gebietet Art. 103 Abs. 1 GG iVm. den Grundsätzen der Zivilprozessordnung die Berücksichtigung erheblicher Beweisanträge. Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots verstößt allerdings erst dann gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze mehr findet(BVerfG 30. Januar 1985 - 1 BvR 393/84 - BVerfGE 69, 141; BAG 5. November 2009 - 2 AZR 487/08 - Rn. 34; BGH 28. Oktober 2014 - VI ZR 273/13 - Rn. 4).

21

b) Die Nichteinholung des vom Beklagten begehrten Sachverständigengutachtens findet im Prozessrecht jedoch eine Stütze. Der Beklagte hatte keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür vorgetragen, dass das Gericht die Beweisfrage ohne zusätzliche sachverständige Hilfe - neben dem insoweit vom Gericht als sachverständigen Zeugen angesehenen Dr. E - nicht würde beurteilen können, weshalb das Landesarbeitsgericht dem Antrag auf Einholung eines zusätzlichen Sachverständigengutachtens nicht entsprechen musste (vgl. hierzu BVerfG 26. Oktober 2011 - 2 BvR 320/11 - Rn. 55).

22

3. Soweit der Beklagte geltend macht, der Zeuge Dr. E sei vom Arbeitsgericht zu vereidigen gewesen, scheidet eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör ebenfalls aus. Es ist schon unklar, inwieweit sich aus einer fehlenden Vereidigung - insbesondere beim Arbeitsgericht - eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör in der Berufungsinstanz ergeben könnte (grds. ablehnend für die fehlende Vereidigung eines Dolmetschers OVG Lüneburg 2. März 2000 - 3 L 4844/99 -; ablehnend für die fehlende Vereidigung einer Partei BayVerfGH 26. Oktober 1999 - Vf. 66-VI-98 -). Jedenfalls findet die fehlende Beeidigung des Zeugen im Prozessrecht ihre Stütze. Das Gericht ist nicht gezwungen, einen schriftlich befragten Zeugen zu vereidigen, sondern verfügt über ein entsprechendes Ermessen (§ 58 Abs. 2 Satz 2 ArbGG; grds. zum Ermessen Thomas/Putzo/Reichold ZPO 37. Aufl. § 391 Rn. 1). Hierauf hat das Landesarbeitsgericht in der anzufechtenden Entscheidung auch ausdrücklich hingewiesen. Der Beklagte hat allerdings schon keine Umstände vorgetragen, aus denen sich ergibt, dass eine Beeidigung des Zeugen unerlässlich gewesen wäre.

23

II. Von einer weiteren Begründung zum sonstigen, vom Senat geprüften Vorbringen des Beklagten wird abgesehen, da sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen die Revision zuzulassen ist (§ 72a Abs. 5 Satz 5 ArbGG). Weitergehende Ausführungen sind auch nicht von Verfassungs wegen geboten (vgl. BVerfG 8. Dezember 2010 - 1 BvR 1382/10 - BVerfGK 18, 301).

24

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO; die Wertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 GKG.

        

   Schlewing   

        

    Winter    

        

   Roloff    

        

        

        

   Wein    

        

   F. Rojahn   

                 

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Tenor Die Beschlüsse des Landgerichts Bautzen vom 5. Januar 2011 und vom 8. Februar 2011 - 3 T 111/10 - verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem grundrechtsgleichen Recht aus Artikel 103 Abs

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(1) Gegen das Endurteil eines Landesarbeitsgerichts findet die Revision an das Bundesarbeitsgericht statt, wenn sie in dem Urteil des Landesarbeitsgerichts oder in dem Beschluß des Bundesarbeitsgerichts nach § 72a Abs. 5 Satz 2 zugelassen worden ist. § 64 Abs. 3a ist entsprechend anzuwenden.

(2) Die Revision ist zuzulassen, wenn

1.
eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, von einer Entscheidung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes, von einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts oder, solange eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts in der Rechtsfrage nicht ergangen ist, von einer Entscheidung einer anderen Kammer desselben Landesarbeitsgerichts oder eines anderen Landesarbeitsgerichts abweicht und die Entscheidung auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein absoluter Revisionsgrund gemäß § 547 Nr. 1 bis 5 der Zivilprozessordnung oder eine entscheidungserhebliche Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend gemacht wird und vorliegt.

(3) Das Bundesarbeitsgericht ist an die Zulassung der Revision durch das Landesarbeitsgericht gebunden.

(4) Gegen Urteile, durch die über die Anordnung, Abänderung oder Aufhebung eines Arrests oder einer einstweiligen Verfügung entschieden wird, ist die Revision nicht zulässig.

(5) Für das Verfahren vor dem Bundesarbeitsgericht gelten, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Revision mit Ausnahme des § 566 entsprechend.

(6) Die Vorschriften der §§ 46c bis 46g, 49 Abs. 1, der §§ 50, 52 und 53, des § 57 Abs. 2, des § 61 Abs. 2 und des § 63 dieses Gesetzes über den elektronischen Rechtsverkehr, Ablehnung von Gerichtspersonen, Zustellung, Öffentlichkeit, Befugnisse des Vorsitzenden und der ehrenamtlichen Richter, gütliche Erledigung des Rechtsstreits sowie Inhalt des Urteils und Übersendung von Urteilen in Tarifvertragssachen und des § 169 Absatz 3 und 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes über die Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen sowie Ton- und Filmaufnahmen bei der Entscheidungsverkündung gelten entsprechend.

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

(1) Die Parteien sind berechtigt, dem Zeugen diejenigen Fragen vorlegen zu lassen, die sie zur Aufklärung der Sache oder der Verhältnisse des Zeugen für dienlich erachten.

(2) Der Vorsitzende kann den Parteien gestatten und hat ihren Anwälten auf Verlangen zu gestatten, an den Zeugen unmittelbar Fragen zu richten.

(3) Zweifel über die Zulässigkeit einer Frage entscheidet das Gericht.

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

Tenor

Der Beschluss des Landgerichts Kassel vom 26. September 2014 - 3 T 305/14 -, soweit er die sofortige Beschwerde der Beschwerdeführer gegen den Zuschlagsbeschluss betrifft, und der Beschluss des Landgerichts Kassel vom 5. November 2014 - 3 OH 123/14 - verletzen die Beschwerdeführer in ihrem grundrechtsgleichen Recht aus Art. 103 Absatz 1 des Grundgesetzes. Sie werden in diesem Umfang aufgehoben. Die Sache wird an das Landgericht Kassel zurückverwiesen.

Das Land Hessen hat den Beschwerdeführern ihre notwendigen Auslagen zu erstatten.

Gründe

I.

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Zuschlagserteilung in einem Zwangsversteigerungsverfahren (Ausgangsverfahren).

2

1. Im Versteigerungstermin vom 30. Mai 2014 wurde das Eigenheim der Beschwerdeführer versteigert. Gegen den Zuschlagsbeschluss erhoben die Beschwerdeführer sofortige Beschwerde und stellten mit Schriftsatz vom 14. Juli 2014 den Antrag, das Verfahren gemäß § 765a ZPO einzustellen. Sie brachten vor, die Weiterführung des Zwangsversteigerungsverfahrens habe wegen schwerer körperlicher und psychischer Beeinträchtigungen die Gefahr des Suizids der Beschwerdeführerin zu 1. zur Folge.

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2. In dem daraufhin vom Landgericht eingeholten psychiatrischen Gutachten verneinte der Sachverständige zwar eine latente oder gar akute Suizidgefahr bei der Beschwerdeführerin zu 1. Für den Fall einer Zwangsräumung des Hauses sei ein raptusartig begangener Suizid jedoch nicht auszuschließen.

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Das Landgericht Kassel übersandte das Gutachten an die Beschwerdeführer mit der Gelegenheit, binnen zwei Wochen Stellung zu nehmen. In einem am Tag des Fristablaufs am 13. Oktober 2014 beim Landgericht eingegangenen Schriftsatz beantragten die Beschwerdeführer, den Sachverständigen zur Erläuterung des Gutachtens zu laden. Zur Begründung gaben sie an, der Sachverständige habe offengelassen, ob neben einer eventuellen Zwangsräumung nicht auch bereits die Zuschlagserteilung die Gefahr berge, dass die Beschwerdeführerin zu 1. raptusartig einen Suizid begehe. Das Beweisthema sei insoweit nicht erschöpfend behandelt, weshalb es der Anhörung des Sachverständigen bedürfe.

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3. Bereits am 13. Oktober 2014 wies das Landgericht - durch den versehentlich auf den 26. September 2014 datierten Beschluss - die sofortige Beschwerde zurück. Es schloss sich den Darlegungen des Sachverständigen an, dass keine Anzeichen für eine latente oder gar akute Suizidalität bestünden. Soweit der Sachverständige bezüglich einer erst später gegebenenfalls anstehenden Zwangsräumung die Gefahr einer sich spontan entwickelnden Suizidgefahr beschreibe, stehe dies der Zuschlagserteilung nicht entgegen. Den am 13. Oktober 2014 eingegangenen Antrag der Beschwerdeführer, den Sachverständigen zur Erläuterung des Gutachtens zu laden, berücksichtigte das Landgericht nicht.

6

4. In ihrer Anhörungsrüge vom 4. November 2014 rügten die Beschwerdeführer, das Landgericht habe über die Beschwerde entschieden, ohne die fristgerechte Stellungnahme der Beschwerdeführer vom 13. Oktober 2014 zum Sachverständigengutachten abgewartet zu haben. Das Beschwerdegericht sei verpflichtet gewesen, den Sachverständigen zur Anhörung zu laden.

7

Das Landgericht hielt im angegriffenen Beschluss vom 5. November 2014 den Beschluss vom 26. September 2014 mit der Maßgabe aufrecht, dass das Be-schlussdatum 13. Oktober 2014 lauten müsse. Die Anhörungsrüge sei zwar begründet, weil die Beschwerdeentscheidung am 13. Oktober 2014 vor Ablauf der Stellungnahmefrist erlassen worden sei und die fristgerecht am 13. Oktober 2014 eingegangene Stellungnahme der Beschwerdeführer dem Einzelrichter bei Beschlussfassung nicht vorgelegen habe. Allerdings rechtfertigten die Ausführungen der Beschwerdeführer in ihrer Stellungnahme vom 13. Oktober 2014 keine andere Entscheidung, so dass die Beschwerdeentscheidung aufrechtzuhalten sei. Die von den Beschwerdeführern vorgebrachten Einwände erforderten keine ergänzende Anhörung des Sachverständigen, weil das Gutachten eindeutige und überzeugende Feststellungen enthalte. Der Einwand, der Sachverständige habe die Frage, ob bereits durch den Zuschlag die Gefahr für einen Suizid entstehe, nicht beantwortet, sei unzutreffend. Der Sachverständige sei gerade zu dieser Frage beauftragt worden. Der Zuschlag sei zudem bereits erteilt worden. Wenn dann der Sachverständige ohne Zweifel und auf umfassend ermittelter Tatsachengrundlage feststelle, dass derzeit keine akute oder latente Suizidgefahr bestehe, sei nicht nachzuvollziehen, inwieweit der Sachverständige die Beweisfrage nicht abschließend geklärt haben solle, sondern weitere Fragen an ihn gestellt werden müssten.

II.

8

1. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügen die Beschwerdeführer die Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör. Sie tragen vor, das Landgericht sei ihrem Antrag auf Anhörung des Sachverständigen allein deshalb nicht nachgekommen, weil es das Gutachten für überzeugend und nicht weiter erörterungsbedürftig gehalten habe. Gerade das solle jedoch nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und den Entscheidungen des Bundesgerichtshofs kein Grund sein, den Antrag zurückzuweisen, es sei denn, es liege ein missbräuchlicher oder nicht rechtzeitiger Antrag vor; beides sei hier jedoch nicht der Fall.

9

2. Die Beteiligten des Ausgangsverfahrens und die Hessische Staatskanzlei hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.

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Die Hessische Staatskanzlei vertritt die Auffassung, die Verfassungsbeschwerde müsse Erfolg haben, soweit sie sich gegen den Beschluss vom 5. November 2014 richte; im Übrigen müsse sie aber erfolglos bleiben. Die unterlassene Ladung des Sachverständigen zur Erläuterung seines Gutachtens sei mit Art. 103 Abs. 1 GG nicht zu vereinbaren. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts habe ein Gericht den Verfahrensbeteiligten bei einem rechtzeitig gestellten Antrag zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs die Möglichkeit zu geben, sich das Gutachten vom Sachverständigen mündlich erläutern zu lassen. Diese Pflicht bestehe unabhängig davon, ob das Gericht seinerseits das Gutachten für erläuterungsbedürftig halte. Allenfalls besondere, etwa aus einer Verspätung des Ladungsantrags oder dem Verbot des Rechtsmissbrauchs abzuleitende Gründe könnten diesem Anspruch der Verfahrensbeteiligten entgegenstehen. Solche besonderen Gründe seien im Ausgangsfall aber weder zu erkennen noch seien sie vom Landgericht angenommen worden. Dem Landgericht könne aber nicht vorgeworfen werden, es habe gegen Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verstoßen. Der Beschluss des Landgerichts vom 26. September 2014 sei deshalb, nachdem das Landgericht den dort begangenen Gehörsverstoß durch den Beschluss vom 5. November 2014 behoben habe, nicht zu beanstanden.

11

3. Die Akten des Ausgangsverfahrens wurden beigezogen.

III.

12

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt. Die Annahme ist zur Durchsetzung des verfassungsmäßigen Rechts der Beschwerdeführer auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen für eine stattgebende Entscheidung durch die Kammer liegen vor (§ 93c Abs. 1 BVerfGG). Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich begründet. Die Beschlüsse des Landgerichts vom 26. September 2014 und vom 5. November 2014 verstoßen gegen Art. 103 Abs. 1 GG.

13

1. Der Beschluss des Landgerichts vom 26. September 2014 verstößt, wie das Landgericht selbst erkannt hat, gegen Art. 103 Abs. 1 GG, weil das Landgericht den vor Ablauf der Stellungnahmefrist eingegangenen Schriftssatz der Beschwerdeführer vom 13. Oktober 2014 und den darin enthaltenen Antrag, den Sachverständigen zur Erläuterung des Gutachtens zu laden, vor Beschlussfassung nicht zur Kenntnis nahm.

14

2. Der Verstoß ist durch die Fortsetzung des Verfahrens durch das Landgericht nach § 321a Abs. 5 ZPO und den Beschluss vom 5. November 2014 nicht geheilt worden. Zwar nahm das Landgericht den Antrag der Beschwerdeführer nunmehr zur Kenntnis, wies ihn jedoch in einer noch immer gegen Art. 103 Abs. 1 GG verstoßenden Weise zurück (vgl. auch BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 26. November 2008 - 1 BvR 670/08 -, NJW 2009, S. 1584 <1585 Rn. 18, 20>).

15

a) Art. 103 Abs. 1 GG gebietet, dass sowohl die gesetzliche Ausgestaltung des Verfahrensrechts als auch das gerichtliche Verfahren im Einzelfall ein Ausmaß an rechtlichem Gehör eröffnen, das dem Erfordernis eines wirkungsvollen Rechtsschutzes auch in Verfahren nach der Zivilprozessordnung gerecht wird und den Beteiligten die Möglichkeit gibt, sich im Prozess mit tatsächlichen und rechtlichen Argumenten zu behaupten (vgl. BVerfGE 60, 305 <310>; 74, 228 <233>; BVerfGK 20, 218 <223>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 3. Februar 1998 - 1 BvR 909/94 -, NJW 1998, S. 2273; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 17. Januar 2012 - 1 BvR 2728/10 -, NJW 2012, S. 1346 <1347 Rn. 11>). Insbesondere haben die Beteiligten einen Anspruch darauf, sich vor Erlass der gerichtlichen Entscheidung zu dem zugrundeliegenden Sachverhalt zu äußern. Dem entspricht die Verpflichtung der Gerichte, Anträge und Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (vgl. BVerfGE 60, 1 <5>; 67, 39 <41>).

16

aa) Die nähere Ausgestaltung des rechtlichen Gehörs ist den Verfahrensordnungen überlassen, die im Umfang ihrer Gewährleistungen auch über das von Verfassungs wegen garantierte Maß hinausgehen können. Nicht jeder Verstoß gegen Vorschriften des Verfahrensrechts ist daher zugleich eine Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG. Die Schwelle einer solchen Verfassungsverletzung wird vielmehr erst erreicht, wenn die Gerichte bei der Auslegung oder Anwendung des Verfahrensrechts die Bedeutung und Tragweite des grundrechtsgleichen Rechts auf rechtliches Gehör verkannt haben (vgl. BVerfGE 60, 305 <310 f.>). Verletzungen einfachrechtlicher Verfahrensvorschriften sind somit im Einzelfall daraufhin zu überprüfen, ob unter Berücksichtigung des Wirkungszusammenhangs aller einschlägigen Normen der betroffenen Verfahrensordnung durch sie das unabdingbare Mindestmaß des verfassungsrechtlich gewährleisteten rechtlichen Gehörs verkürzt worden ist (vgl. BVerfGE 60, 305 <311>).

17

bb) Der Anspruch auf rechtliches Gehör umfasst grundsätzlich auch die Anhörung gerichtlicher Sachverständiger (BVerfGK 20, 218 <224>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 3. Februar 1998 - 1 BvR 909/94 -, a.a.O.; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 17. Januar 2012 - 1 BvR 2728/10 -, a.a.O., Rn. 13).

18

(1) Nach § 402 in Verbindung mit § 397 ZPO sind die Parteien berechtigt, dem Sachverständigen diejenigen Fragen vorlegen zu lassen, die sie zur Aufklärung der Sache für dienlich erachten. Der Bundesgerichtshof hat daraus in ständiger Rechtsprechung die Pflicht der Gerichte abgeleitet, dem Antrag einer Partei auf mündliche Befragung gerichtlicher Sachverständiger stattzugeben (vgl. BGHZ 6, 398 <400 f.>; BGH, Urteile vom 21. Oktober 1986 - VI ZR 15/85 -, NJW-RR 1987, S. 339 <340> und vom 17. Dezember 1996 - VI ZR 50/96 -, NJW 1997, S. 802 f.). Auf die Frage, ob das Gericht selbst das Sachverständigengutachten für erklärungsbedürftig hält, komme es nicht an. Es gehöre zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs, dass die Parteien den Sachverständigen Fragen stellen, ihnen Bedenken vortragen und sie um eine nähere Erläuterung von Zweifelspunkten bitten können (vgl. BGH, Urteil vom 21. Oktober 1986, a.a.O.). Ein Antrag auf Anhörung des Sachverständigen könne allerdings dann abgelehnt werden, wenn er verspätet oder rechtsmissbräuchlich gestellt werde (vgl. BGHZ 35, 370 <371>; BGH, Urteile vom 21. Oktober 1986, a.a.O., und vom 17. Dezember 1996, a.a.O.; vgl. auch zur Rechtsprechung der übrigen obersten Bundesgerichte BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 3. Februar 1998, a.a.O., S. 2273 f.).

19

(2) Beachtet ein Gericht diese verfahrensrechtlichen Anforderungen nicht, so liegt darin jedenfalls dann ein Verstoß gegen den verfassungsrechtlichen Anspruch auf rechtliches Gehör, wenn es einen Antrag auf Erläuterung des Sachverständigengutachtens völlig übergeht oder ihm allein deshalb nicht nachkommt, weil das Gutachten ihm überzeugend und nicht weiter erörterungsbedürftig erscheint. Dagegen verlangt Art. 103 Abs. 1 GG nicht, einem rechtzeitigen und nicht missbräuchlichen Antrag auf Anhörung der Sachverständigen ausnahmslos Folge zu leisten. Die mündliche Anhörung des Sachverständigen ist zwar die nächstliegende, aber nicht die einzig mögliche Behandlung eines derartigen Antrags (vgl. BVerfGK 20, 218 <225>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 3. Februar 1998, a.a.O., S. 2274; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 17. Januar 2012, a.a.O., Rn. 15). In Betracht kommt etwa, den Sachverständigen stattdessen um eine schriftliche Ergänzung seines Gutachten zu bitten oder aber ein weiteres Gutachten (eines anderen Sachverständigen) einzuholen (vgl. BVerfGK 20, 319 <320>; BGH, Urteil vom 10. Dezember 1991 - VI ZR 234/90 -, NJW 1992, S. 1459 f.).

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b) Einer Prüfung anhand dieser Maßstäbe hält der Beschluss vom 5. November 2014 nicht stand.

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Das Landgericht lehnte die von den Beschwerdeführern beantragte Anhörung des Sachverständigen ab, weil das Gutachten zu den von den Beschwerdeführern vorgebrachten Einwänden "eindeutige und überzeugende Feststellungen" enthalte und die von den Beschwerdeführern aufgeworfene Frage entgegen deren Ansicht "abschließend geklärt" habe. Das Landgericht kommt dem Antrag somit allein deshalb nicht nach, weil ihm das Gutachten nicht weiter erörterungsbedürftig erscheint. Das ist nach den dargelegten Maßstäben kein tauglicher Versagungsgrund, sondern begründet einen Gehörsverstoß.

22

3. Die angegriffenen Beschlüsse beruhen auch auf dem Gehörsverstoß. Es ist nicht auszuschließen, dass den Beschwerdeführern mit einer weiteren Befragung des Sachverständigen gelungen wäre, das Gutachten oder dessen Auslegung durch das Landgericht in Frage zu stellen und damit auch die Überzeugung des Landgerichts von dessen Richtigkeit zu erschüttern (vgl. BVerfGK 20, 218 <226>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 3. Februar 1998, a.a.O., S. 2274; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 17. Januar 2012, a.a.O., Rn. 21).

IV.

23

Die angegriffenen Beschlüsse des Landgerichts unterliegen infolgedessen der Aufhebung. Die Sache ist an das Landgericht zurückzuverweisen (§ 93c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 BVerfGG).

Tenor

1. Der Beschluss des Oberlandesgerichts Rostock vom 9. Juli 2010 - 5 U 219/09 - sowie das Urteil des Landgerichts Rostock vom 14. Oktober 2009 - 10 O 315/07 - verletzen den Beschwerdeführer in seinem grundrechtsgleichen Recht aus Artikel 103 Absatz 1 des Grundgesetzes. Die Entscheidungen werden aufgehoben. Der ebenfalls angegriffene Beschluss des Oberlandesgerichts Rostock vom 1. September 2010 - 5 U 219/09 - wird damit gegenstandslos. Die Sache wird an das Landgericht Rostock zurückverwiesen.

2. ...

3. Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 7.000 € (in Worten: siebentausend Euro) festgesetzt.

Gründe

I.

1

Gegenstand der Verfassungsbeschwerde ist eine Streitigkeit aus dem Arzthaftungsrecht.

2

1. Der Beschwerdeführer hatte sich durch die Beklagten des Ausgangsverfahrens (im Folgenden: Beklagte) an der Bandscheibe operieren lassen. Nach der Operation wurde festgestellt, dass hierbei offenbar ein Bauchmuskelnerv durchtrennt worden war. Der Beschwerdeführer machte hierauf vor dem Landgericht einen Schmerzensgeldanspruch in Höhe von 10.000 € geltend.

3

Das Landgericht holte ein Sachverständigengutachten ein. Der Beschwerdeführer beantragte nach Vorlage des Gutachtens, den Sachverständigen zur mündlichen Erläuterung des Gutachtens zu laden; die Frage, ob die Durchtrennung eines bestimmten Nervs für die Operation notwendig gewesen sei, habe der Sachverständige nicht beantwortet. Das Landgericht kam dem Antrag nicht nach und wies die Klage nach mündlicher Verhandlung ab. Zur Begründung führte es insoweit aus, dass das Recht auf mündliche Anhörung des Sachverständigen nicht grenzenlos gelte. Zwar müsse die Partei keine konkreten Fragen formulieren; nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Hinweis auf BGHZ 24, 9 <14 f.>) sei genügend, aber auch erforderlich, dass die Partei allgemein die Richtung angebe, in die eine weitere Aufklärung herbeigeführt werden solle. Das habe der Beschwerdeführer nicht beachtet.

4

Hiergegen legte der Beschwerdeführer Berufung ein, die das Oberlandesgericht nach vorherigem Hinweis mit Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückwies. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, dass die Durchtrennung der Nervenfasern ausweislich des durch das Landgericht eingeholten Sachverständigengutachtens in einzelnen Fällen aufgrund anatomischer Varianten nicht vermeidbar und damit nicht schuldhaft erfolgt sei. Der Einwand des Beschwerdeführers, der Sachverständige habe sich nicht mit der Frage beschäftigt, ob bei ihm anatomische Besonderheiten vorgelegen hätten, und habe nicht erörtert, ob es nicht naheliegender sei, dass der Operateur den Nerv aufgrund Unachtsamkeit oder Nachlässigkeit durchtrennt habe, mache das Gutachten nicht unvollständig oder gar unbrauchbar. Der Sachverständige habe nicht feststellen können, ob letztlich anatomische Varianten oder eine geringe Resistenz gegenüber Manipulation und Zug zu der Nervenschädigung geführt hätten, dies aber als naheliegende und wahrscheinliche Möglichkeit angesehen.

5

Eine hiergegen erhobene Anhörungsrüge wies das Oberlandesgericht zurück. Zur Begründung führte es aus, dass alle Argumente des Beschwerdeführers berücksichtigt worden seien. Es stelle keinen Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs dar, dass der Senat gemäß § 522 Abs. 2 ZPO von einer mündlichen Verhandlung abgesehen und daher den Sachverständigen nicht angehört habe. Zwar sei richtig, dass die Bindung des Berufungsgerichts an die im ersten Rechtszug festgestellten Tatsachen gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO grundsätzlich entfalle, wenn das Erstgericht dem Antrag einer Partei auf Anhörung des gerichtlichen Sachverständigen nicht entsprochen habe; auch müsse das Berufungsgericht nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Hinweis auf BGH, Beschluss vom 10. Mai 2005 - VI ZR 245/04 -, MDR 2005, S. 1308) in einem solchen Fall dem im zweiten Rechtszug wiederholten Antrag grundsätzlich stattgeben. Im konkreten Fall gelte dies jedoch nicht. Denn trotz des Verfahrensfehlers des Landgerichts bestünden hier keine konkreten Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO. Unter Berücksichtigung des Vorbringens des Klägers könne ausgeschlossen werden, dass eine andere Entscheidung gerechtfertigt wäre. Jegliche Zweifel würden durch die gut nachvollziehbaren Bewertungen des Sachverständigen ausgeräumt.

6

2. Gegen die genannten Entscheidungen hat der Beschwerdeführer Verfassungsbeschwerde erhoben. Er rügt eine Verletzung seines Rechts auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sei einem Antrag einer Partei auf Ladung des Sachverständigen zur Erläuterung seines schriftlichen Gutachtens grundsätzlich zu entsprechen. Dem seien aber weder Landgericht noch Oberlandesgericht nachgekommen. Das Oberlandesgericht habe den Verfahrensfehler des Landgerichts zwar gesehen, diesen aber für unbeachtlich gehalten. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass das Oberlandesgericht nach Anhörung des Sachverständigen zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre.

7

3. Die Verfassungsbeschwerde wurde dem Justizministerium Mecklenburg-Vorpommern sowie den Beklagten zugestellt. Es wurden keine Stellungnahmen abgegeben.

8

4. Die Akte des Ausgangsverfahrens lag der Kammer vor.

II.

9

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, weil dies zur Durchsetzung des grundrechtsgleichen Rechts des Beschwerdeführers aus Art. 103 Abs. 1 GG angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Auch die weiteren Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG liegen vor. Das Bundesverfassungsgericht hat die hier maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits entschieden. Die Verfassungsbeschwerde ist danach offensichtlich begründet.

10

1. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen den Beschwerdeführer in seinem grundrechtsgleichen Recht auf rechtliches Gehör, Art. 103 Abs. 1 GG.

11

a) Art. 103 Abs. 1 GG gebietet, dass sowohl die gesetzliche Ausgestaltung des Verfahrensrechts als auch das gerichtliche Verfahren im Einzelfall ein Maß an rechtlichem Gehör eröffnet, das dem Erfordernis eines wirkungsvollen Rechtsschutzes auch in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten gerecht wird und den Beteiligten die Möglichkeit gibt, sich im Prozess mit tatsächlichen und rechtlichen Argumenten zu behaupten (vgl. BVerfGE 55, 1 <6>; 60, 305 <310>; 74, 228 <233>). Insbesondere haben die Beteiligten einen Anspruch darauf, sich vor Erlass der gerichtlichen Entscheidung zu dem zugrundeliegenden Sachverhalt zu äußern. Dem entspricht die Verpflichtung der Gerichte, Anträge und Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (BVerfGE 67, 39 <41>; 86, 133 <146>).

12

aa) Die nähere Ausgestaltung des rechtlichen Gehörs ist den Verfahrensordnungen überlassen, die im Umfang ihrer Gewährleistungen auch über das von Verfassungs wegen garantierte Maß hinausgehen können. Nicht jeder Verstoß gegen Vorschriften des Verfahrensrechts ist daher zugleich auch eine Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG. Die Schwelle einer solchen Verfassungsverletzung wird vielmehr erst erreicht, wenn die Gerichte bei der Auslegung oder Anwendung des Verfahrensrechts die Bedeutung und Tragweite des Grundrechts auf rechtliches Gehör verkannt haben (vgl. BVerfGE 60, 305 <310 f.>). Verletzungen einfachrechtlicher Verfahrensvorschriften sind somit im Einzelfall daraufhin zu überprüfen, ob unter Berücksichtigung des Wirkungszusammenhangs aller einschlägigen Normen der betroffenen Verfahrensordnung durch sie das unabdingbare Mindestmaß des verfassungsrechtlich gewährleisteten rechtlichen Gehörs verletzt worden ist (vgl. BVerfGE 60, 305 <311>).

13

bb) Der Anspruch auf rechtliches Gehör umfasst grundsätzlich auch die Anhörung gerichtlicher Sachverständiger (BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 3. Februar 1998 - 1 BvR 909/94 -, NJW 1998, S. 2273).

14

(1) Nach § 402 ZPO in Verbindung mit § 397 ZPO sind die Parteien berechtigt, dem Sachverständigen diejenigen Fragen vorlegen zu lassen, die sie zur Aufklärung der Sache für dienlich erachten. Der Bundesgerichtshof hat daraus in ständiger Rechtsprechung die Pflicht der Gerichte abgeleitet, dem Antrag einer Partei auf mündliche Befragung gerichtlicher Sachverständiger nachzukommen (vgl. BGHZ 6, 398 <400 f.>; BGH, Urteil vom 21. Oktober 1986 - VI ZR 15/85 -, NJW-RR 1987, S. 339 <340>; BGH, Urteil vom 17. Dezember 1996 - VI ZR 50/96 -, NJW 1997, S. 802 <802 f.>). Auf die Frage, ob das Gericht selbst das Sachverständigengutachten für erklärungsbedürftig hält, komme es nicht an. Es gehöre zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs, dass die Parteien den Sachverständigen Fragen stellen, ihnen Bedenken vortragen und sie um eine nähere Erläuterung von Zweifelspunkten bitten können (BGH, Urteil vom 21. Oktober 1986, a.a.O.). Ein Antrag auf Anhörung des Sachverständigen könne allerdings dann abgelehnt werden, wenn er verspätet oder rechtsmissbräuchlich gestellt wurde (BGHZ 35, 370 <371>; BGH, Urteile vom 21. Oktober 1986, a.a.O., und vom 17. Dezember 1996, a.a.O.). Habe das Erstgericht einem Antrag auf mündliche Anhörung des Sachverständigen verfahrensfehlerhaft nicht entsprochen, müsse das Berufungsgericht dem in zweiter Instanz wiederholten Antrag stattgeben (BGH, Beschlüsse vom 10. Mai 2005 - VI ZR 245/04 -, juris, und vom 14. Juli 2009 - VIII ZR 295/08 -, NJW-RR 2009, S. 1361 <1362>).

15

(2) Beachtet ein Gericht diese verfahrensrechtlichen Anforderungen nicht, so liegt darin jedenfalls dann ein Verstoß gegen den verfassungsrechtlichen Anspruch auf rechtliches Gehör, wenn es einen Antrag auf Erläuterung des Sachverständigengutachtens völlig übergeht oder ihm allein deshalb nicht nachkommt, weil das Gutachten ihm überzeugend und nicht weiter erörterungsbedürftig erscheint. Dagegen verlangt Art. 103 Abs. 1 GG nicht, einem rechtzeitigen und nicht missbräuchlichen Antrag auf Anhörung der Sachverständigen ausnahmslos Folge zu leisten. Die mündliche Anhörung des Sachverständigen ist zwar die nächstliegende, aber nicht die einzig mögliche Behandlung eines derartigen Antrags (BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 3. Februar 1998, a.a.O.; vgl. BGH, Urteil vom 10. Dezember 1991 - VI ZR 234/90 -, NJW 1992, S. 1459 f.).

16

b) Einer Prüfung anhand dieser Maßstäbe halten die angegriffenen Entscheidungen nicht stand.

17

aa) Zwar hat sich das Oberlandesgericht sowohl mit dem Antrag des Beschwerdeführers auf Anhörung des Sachverständigen als auch mit der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eingehend auseinander gesetzt. Letzten Endes ist es dem Antrag jedoch allein deshalb nicht nachgekommen, weil es davon ausging, dass auch bei einer Anhörung die "eindeutigen und auch für die Parteien und das Gericht gut nachvollziehbaren Bewertungen" des Sachverständigen nicht in Frage gestellt worden wären; dies gelte umso mehr, als es sich um eine "für Arzthaftungssachen relativ einfache" Beweisfrage gehandelt habe. Damit hat sich das Oberlandesgericht allein darauf gestützt, dass ihm das Gutachten überzeugend und nicht weiter erörterungsbedürftig erschien.

18

bb) Die Entscheidung des Landgerichts leidet unter dem gleichen Mangel.

19

(1) So wird in der Urteilsbegründung ausgeführt, dass eine Ladung des Sachverständigen zum Termin nicht erforderlich gewesen sei, da "das Gutachten in sich schlüssig und nachvollziehbar" gewesen sei. Dabei verkennt das Landgericht ebenfalls, dass ein Antrag auf Erläuterung des Sachverständigengutachtens in Anbetracht des Rechts auf rechtliches Gehör nicht allein deshalb abgelehnt werden kann, weil ein Gutachten dem Gericht überzeugend und nicht weiter erörterungsbedürftig erscheint.

20

(2) Darüber hinaus geht die Einschätzung des Landgerichts fehl, eine Anhörung des Sachverständigen sei auch deshalb nicht erforderlich gewesen, weil der Beschwerdeführer nicht einmal allgemein angegeben habe, in welche Richtung er durch Fragen eine weitere Aufklärung herbeizuführen wünsche. Tatsächlich hat der Beschwerdeführer vorgetragen, dass der Sachverständige die Frage, ob die Durchtrennung eines Nervs für die Operation erforderlich gewesen sei, nicht beantwortet habe; hieraus lässt sich ohne Weiteres erkennen, dass der Beschwerdeführer in dieser Richtung noch tatsächlichen Aufklärungsbedarf sah. Mithin hat das Landgericht entweder den genannten Vortrag des Beschwerdeführers nicht zur Kenntnis genommen oder nicht erwogen, oder es hat die Voraussetzungen, unter denen einem Antrag auf Anhörung des Sachverständigen nachgekommen werden muss, angesichts der zitierten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs in erheblichem Maße überspannt. In jedem Fall offenbart sich in der Vorgehensweise des Landgerichts eine grundsätzliche Verkennung der Bedeutung und Tragweite des Grundrechts auf rechtliches Gehör.

21

2. Die angegriffenen Entscheidungen beruhen auch auf dem Grundrechtsverstoß. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass es dem Beschwerdeführer in einer mündlichen Anhörung gelungen wäre, das Sachverständigengutachten in Frage zu stellen und damit auch die Überzeugung der Gerichte von dessen Richtigkeit zu erschüttern.

III.

22

Das Urteil des Landgerichts und der die Berufung zurückweisende Beschluss des Oberlandesgerichts sind hiernach gemäß § 93c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 BVerfGG aufzuheben; die Sache ist an das Landgericht zurückzuverweisen. Der die Anhörungsrüge zurückweisende Beschluss des Oberlandesgerichts wird damit gegenstandslos.

23

Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG. Der nach § 37 Abs. 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG festzusetzende Gegenstandswert für die anwaltliche Tätigkeit beträgt 7.000 €. Der Streitwert des Ausgangsverfahrens wurde um 30 % vermindert, da der Ausgangsstreit durch das Verfassungsbeschwerdeverfahren nicht endgültig beigelegt werden kann und die Rechtssache nur Probleme von unterdurchschnittlichem Schwierigkeitsgrad aufwarf (vgl. BVerfGE 79, 365 <371>).

(1) Die Ladung der Zeugen ist von der Geschäftsstelle unter Bezugnahme auf den Beweisbeschluss auszufertigen und von Amts wegen mitzuteilen. Sie wird, sofern nicht das Gericht die Zustellung anordnet, formlos übermittelt.

(2) Die Ladung muss enthalten:

1.
die Bezeichnung der Parteien;
2.
den Gegenstand der Vernehmung;
3.
die Anweisung, zur Ablegung des Zeugnisses bei Vermeidung der durch das Gesetz angedrohten Ordnungsmittel in dem nach Zeit und Ort zu bezeichnenden Termin zu erscheinen.

(3) Das Gericht kann eine schriftliche Beantwortung der Beweisfrage anordnen, wenn es dies im Hinblick auf den Inhalt der Beweisfrage und die Person des Zeugen für ausreichend erachtet. Der Zeuge ist darauf hinzuweisen, dass er zur Vernehmung geladen werden kann. Das Gericht ordnet die Ladung des Zeugen an, wenn es dies zur weiteren Klärung der Beweisfrage für notwendig erachtet.

(1) Die Parteien sind berechtigt, dem Zeugen diejenigen Fragen vorlegen zu lassen, die sie zur Aufklärung der Sache oder der Verhältnisse des Zeugen für dienlich erachten.

(2) Der Vorsitzende kann den Parteien gestatten und hat ihren Anwälten auf Verlangen zu gestatten, an den Zeugen unmittelbar Fragen zu richten.

(3) Zweifel über die Zulässigkeit einer Frage entscheidet das Gericht.

(1) Die Ladung der Zeugen ist von der Geschäftsstelle unter Bezugnahme auf den Beweisbeschluss auszufertigen und von Amts wegen mitzuteilen. Sie wird, sofern nicht das Gericht die Zustellung anordnet, formlos übermittelt.

(2) Die Ladung muss enthalten:

1.
die Bezeichnung der Parteien;
2.
den Gegenstand der Vernehmung;
3.
die Anweisung, zur Ablegung des Zeugnisses bei Vermeidung der durch das Gesetz angedrohten Ordnungsmittel in dem nach Zeit und Ort zu bezeichnenden Termin zu erscheinen.

(3) Das Gericht kann eine schriftliche Beantwortung der Beweisfrage anordnen, wenn es dies im Hinblick auf den Inhalt der Beweisfrage und die Person des Zeugen für ausreichend erachtet. Der Zeuge ist darauf hinzuweisen, dass er zur Vernehmung geladen werden kann. Das Gericht ordnet die Ladung des Zeugen an, wenn es dies zur weiteren Klärung der Beweisfrage für notwendig erachtet.

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

(1) Die Ladung der Zeugen ist von der Geschäftsstelle unter Bezugnahme auf den Beweisbeschluss auszufertigen und von Amts wegen mitzuteilen. Sie wird, sofern nicht das Gericht die Zustellung anordnet, formlos übermittelt.

(2) Die Ladung muss enthalten:

1.
die Bezeichnung der Parteien;
2.
den Gegenstand der Vernehmung;
3.
die Anweisung, zur Ablegung des Zeugnisses bei Vermeidung der durch das Gesetz angedrohten Ordnungsmittel in dem nach Zeit und Ort zu bezeichnenden Termin zu erscheinen.

(3) Das Gericht kann eine schriftliche Beantwortung der Beweisfrage anordnen, wenn es dies im Hinblick auf den Inhalt der Beweisfrage und die Person des Zeugen für ausreichend erachtet. Der Zeuge ist darauf hinzuweisen, dass er zur Vernehmung geladen werden kann. Das Gericht ordnet die Ladung des Zeugen an, wenn es dies zur weiteren Klärung der Beweisfrage für notwendig erachtet.

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

(1) Die Parteien sind berechtigt, dem Zeugen diejenigen Fragen vorlegen zu lassen, die sie zur Aufklärung der Sache oder der Verhältnisse des Zeugen für dienlich erachten.

(2) Der Vorsitzende kann den Parteien gestatten und hat ihren Anwälten auf Verlangen zu gestatten, an den Zeugen unmittelbar Fragen zu richten.

(3) Zweifel über die Zulässigkeit einer Frage entscheidet das Gericht.

Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen. Sie hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, weil sie jedenfalls unbegründet ist.

2

Zwar umfasst der Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG grundsätzlich auch die ergänzende Anhörung von gerichtlichen Sachverständigen (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 17. Januar 2012 - 1 BvR 2728/10 -, juris, Rn. 13). Art. 103 Abs. 1 GG verlangt jedoch nicht, einem Antrag auf mündliche Anhörung der Sachverständigen ausnahmslos Folge zu leisten, selbst wenn der Antrag rechtzeitig und nicht missbräuchlich gestellt ist (BVerfG, a.a.O., Rn. 15). Da Art. 103 Abs. 1 GG keinen Anspruch auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung enthält (vgl. BVerfGE 60, 175 <210 f.>; 89, 381 <391>; 112, 185 <206> m.w.N.), besteht auch kein verfassungsrechtlicher Anspruch, das einfachrechtlich geregelte Fragerecht gegenüber Sachverständigen und Zeugen in jedem Fall mündlich auszuüben (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 17. Januar 2012 - 1 BvR 2728/10 -, juris, Rn. 15 m.w.N.). Es ist verfassungsrechtlich daher jedenfalls nicht zu beanstanden, wenn die Fachgerichte die Beteiligten vorrangig darauf verweisen, Fragen und Einwendungen schriftlich vorzutragen, um Sachverständige oder sachverständige Zeugen damit zu konfrontieren. Die gegebenenfalls anschließende mündliche Befragung kann möglicherweise aber dann geboten sein, wenn sie sich nicht in der Wiederholung schriftlicher Äußerungen erschöpft, sondern darüber hinaus einen Mehrwert hat. Auch in diesem Fall ist es verfassungsrechtlich jedoch unbedenklich, wenn die Fachgerichte an die Beantragung mündlicher Sachverständigenbefragungen nicht weniger Anforderungen stellen als an eine schriftliche Befragung, die die Benennung konkreter Fragen und Einwendungen voraussetzt. Gegen die Einschätzung des Landessozialgerichts, dass es hieran im vorliegenden Fall gefehlt habe, ist verfassungsrechtlich nichts zu erinnern.

3

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

4

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Tenor

1. Der Beschluss des Oberlandesgerichts Rostock vom 9. Juli 2010 - 5 U 219/09 - sowie das Urteil des Landgerichts Rostock vom 14. Oktober 2009 - 10 O 315/07 - verletzen den Beschwerdeführer in seinem grundrechtsgleichen Recht aus Artikel 103 Absatz 1 des Grundgesetzes. Die Entscheidungen werden aufgehoben. Der ebenfalls angegriffene Beschluss des Oberlandesgerichts Rostock vom 1. September 2010 - 5 U 219/09 - wird damit gegenstandslos. Die Sache wird an das Landgericht Rostock zurückverwiesen.

2. ...

3. Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 7.000 € (in Worten: siebentausend Euro) festgesetzt.

Gründe

I.

1

Gegenstand der Verfassungsbeschwerde ist eine Streitigkeit aus dem Arzthaftungsrecht.

2

1. Der Beschwerdeführer hatte sich durch die Beklagten des Ausgangsverfahrens (im Folgenden: Beklagte) an der Bandscheibe operieren lassen. Nach der Operation wurde festgestellt, dass hierbei offenbar ein Bauchmuskelnerv durchtrennt worden war. Der Beschwerdeführer machte hierauf vor dem Landgericht einen Schmerzensgeldanspruch in Höhe von 10.000 € geltend.

3

Das Landgericht holte ein Sachverständigengutachten ein. Der Beschwerdeführer beantragte nach Vorlage des Gutachtens, den Sachverständigen zur mündlichen Erläuterung des Gutachtens zu laden; die Frage, ob die Durchtrennung eines bestimmten Nervs für die Operation notwendig gewesen sei, habe der Sachverständige nicht beantwortet. Das Landgericht kam dem Antrag nicht nach und wies die Klage nach mündlicher Verhandlung ab. Zur Begründung führte es insoweit aus, dass das Recht auf mündliche Anhörung des Sachverständigen nicht grenzenlos gelte. Zwar müsse die Partei keine konkreten Fragen formulieren; nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Hinweis auf BGHZ 24, 9 <14 f.>) sei genügend, aber auch erforderlich, dass die Partei allgemein die Richtung angebe, in die eine weitere Aufklärung herbeigeführt werden solle. Das habe der Beschwerdeführer nicht beachtet.

4

Hiergegen legte der Beschwerdeführer Berufung ein, die das Oberlandesgericht nach vorherigem Hinweis mit Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückwies. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, dass die Durchtrennung der Nervenfasern ausweislich des durch das Landgericht eingeholten Sachverständigengutachtens in einzelnen Fällen aufgrund anatomischer Varianten nicht vermeidbar und damit nicht schuldhaft erfolgt sei. Der Einwand des Beschwerdeführers, der Sachverständige habe sich nicht mit der Frage beschäftigt, ob bei ihm anatomische Besonderheiten vorgelegen hätten, und habe nicht erörtert, ob es nicht naheliegender sei, dass der Operateur den Nerv aufgrund Unachtsamkeit oder Nachlässigkeit durchtrennt habe, mache das Gutachten nicht unvollständig oder gar unbrauchbar. Der Sachverständige habe nicht feststellen können, ob letztlich anatomische Varianten oder eine geringe Resistenz gegenüber Manipulation und Zug zu der Nervenschädigung geführt hätten, dies aber als naheliegende und wahrscheinliche Möglichkeit angesehen.

5

Eine hiergegen erhobene Anhörungsrüge wies das Oberlandesgericht zurück. Zur Begründung führte es aus, dass alle Argumente des Beschwerdeführers berücksichtigt worden seien. Es stelle keinen Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs dar, dass der Senat gemäß § 522 Abs. 2 ZPO von einer mündlichen Verhandlung abgesehen und daher den Sachverständigen nicht angehört habe. Zwar sei richtig, dass die Bindung des Berufungsgerichts an die im ersten Rechtszug festgestellten Tatsachen gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO grundsätzlich entfalle, wenn das Erstgericht dem Antrag einer Partei auf Anhörung des gerichtlichen Sachverständigen nicht entsprochen habe; auch müsse das Berufungsgericht nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Hinweis auf BGH, Beschluss vom 10. Mai 2005 - VI ZR 245/04 -, MDR 2005, S. 1308) in einem solchen Fall dem im zweiten Rechtszug wiederholten Antrag grundsätzlich stattgeben. Im konkreten Fall gelte dies jedoch nicht. Denn trotz des Verfahrensfehlers des Landgerichts bestünden hier keine konkreten Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO. Unter Berücksichtigung des Vorbringens des Klägers könne ausgeschlossen werden, dass eine andere Entscheidung gerechtfertigt wäre. Jegliche Zweifel würden durch die gut nachvollziehbaren Bewertungen des Sachverständigen ausgeräumt.

6

2. Gegen die genannten Entscheidungen hat der Beschwerdeführer Verfassungsbeschwerde erhoben. Er rügt eine Verletzung seines Rechts auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sei einem Antrag einer Partei auf Ladung des Sachverständigen zur Erläuterung seines schriftlichen Gutachtens grundsätzlich zu entsprechen. Dem seien aber weder Landgericht noch Oberlandesgericht nachgekommen. Das Oberlandesgericht habe den Verfahrensfehler des Landgerichts zwar gesehen, diesen aber für unbeachtlich gehalten. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass das Oberlandesgericht nach Anhörung des Sachverständigen zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre.

7

3. Die Verfassungsbeschwerde wurde dem Justizministerium Mecklenburg-Vorpommern sowie den Beklagten zugestellt. Es wurden keine Stellungnahmen abgegeben.

8

4. Die Akte des Ausgangsverfahrens lag der Kammer vor.

II.

9

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, weil dies zur Durchsetzung des grundrechtsgleichen Rechts des Beschwerdeführers aus Art. 103 Abs. 1 GG angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Auch die weiteren Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG liegen vor. Das Bundesverfassungsgericht hat die hier maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits entschieden. Die Verfassungsbeschwerde ist danach offensichtlich begründet.

10

1. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen den Beschwerdeführer in seinem grundrechtsgleichen Recht auf rechtliches Gehör, Art. 103 Abs. 1 GG.

11

a) Art. 103 Abs. 1 GG gebietet, dass sowohl die gesetzliche Ausgestaltung des Verfahrensrechts als auch das gerichtliche Verfahren im Einzelfall ein Maß an rechtlichem Gehör eröffnet, das dem Erfordernis eines wirkungsvollen Rechtsschutzes auch in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten gerecht wird und den Beteiligten die Möglichkeit gibt, sich im Prozess mit tatsächlichen und rechtlichen Argumenten zu behaupten (vgl. BVerfGE 55, 1 <6>; 60, 305 <310>; 74, 228 <233>). Insbesondere haben die Beteiligten einen Anspruch darauf, sich vor Erlass der gerichtlichen Entscheidung zu dem zugrundeliegenden Sachverhalt zu äußern. Dem entspricht die Verpflichtung der Gerichte, Anträge und Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (BVerfGE 67, 39 <41>; 86, 133 <146>).

12

aa) Die nähere Ausgestaltung des rechtlichen Gehörs ist den Verfahrensordnungen überlassen, die im Umfang ihrer Gewährleistungen auch über das von Verfassungs wegen garantierte Maß hinausgehen können. Nicht jeder Verstoß gegen Vorschriften des Verfahrensrechts ist daher zugleich auch eine Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG. Die Schwelle einer solchen Verfassungsverletzung wird vielmehr erst erreicht, wenn die Gerichte bei der Auslegung oder Anwendung des Verfahrensrechts die Bedeutung und Tragweite des Grundrechts auf rechtliches Gehör verkannt haben (vgl. BVerfGE 60, 305 <310 f.>). Verletzungen einfachrechtlicher Verfahrensvorschriften sind somit im Einzelfall daraufhin zu überprüfen, ob unter Berücksichtigung des Wirkungszusammenhangs aller einschlägigen Normen der betroffenen Verfahrensordnung durch sie das unabdingbare Mindestmaß des verfassungsrechtlich gewährleisteten rechtlichen Gehörs verletzt worden ist (vgl. BVerfGE 60, 305 <311>).

13

bb) Der Anspruch auf rechtliches Gehör umfasst grundsätzlich auch die Anhörung gerichtlicher Sachverständiger (BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 3. Februar 1998 - 1 BvR 909/94 -, NJW 1998, S. 2273).

14

(1) Nach § 402 ZPO in Verbindung mit § 397 ZPO sind die Parteien berechtigt, dem Sachverständigen diejenigen Fragen vorlegen zu lassen, die sie zur Aufklärung der Sache für dienlich erachten. Der Bundesgerichtshof hat daraus in ständiger Rechtsprechung die Pflicht der Gerichte abgeleitet, dem Antrag einer Partei auf mündliche Befragung gerichtlicher Sachverständiger nachzukommen (vgl. BGHZ 6, 398 <400 f.>; BGH, Urteil vom 21. Oktober 1986 - VI ZR 15/85 -, NJW-RR 1987, S. 339 <340>; BGH, Urteil vom 17. Dezember 1996 - VI ZR 50/96 -, NJW 1997, S. 802 <802 f.>). Auf die Frage, ob das Gericht selbst das Sachverständigengutachten für erklärungsbedürftig hält, komme es nicht an. Es gehöre zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs, dass die Parteien den Sachverständigen Fragen stellen, ihnen Bedenken vortragen und sie um eine nähere Erläuterung von Zweifelspunkten bitten können (BGH, Urteil vom 21. Oktober 1986, a.a.O.). Ein Antrag auf Anhörung des Sachverständigen könne allerdings dann abgelehnt werden, wenn er verspätet oder rechtsmissbräuchlich gestellt wurde (BGHZ 35, 370 <371>; BGH, Urteile vom 21. Oktober 1986, a.a.O., und vom 17. Dezember 1996, a.a.O.). Habe das Erstgericht einem Antrag auf mündliche Anhörung des Sachverständigen verfahrensfehlerhaft nicht entsprochen, müsse das Berufungsgericht dem in zweiter Instanz wiederholten Antrag stattgeben (BGH, Beschlüsse vom 10. Mai 2005 - VI ZR 245/04 -, juris, und vom 14. Juli 2009 - VIII ZR 295/08 -, NJW-RR 2009, S. 1361 <1362>).

15

(2) Beachtet ein Gericht diese verfahrensrechtlichen Anforderungen nicht, so liegt darin jedenfalls dann ein Verstoß gegen den verfassungsrechtlichen Anspruch auf rechtliches Gehör, wenn es einen Antrag auf Erläuterung des Sachverständigengutachtens völlig übergeht oder ihm allein deshalb nicht nachkommt, weil das Gutachten ihm überzeugend und nicht weiter erörterungsbedürftig erscheint. Dagegen verlangt Art. 103 Abs. 1 GG nicht, einem rechtzeitigen und nicht missbräuchlichen Antrag auf Anhörung der Sachverständigen ausnahmslos Folge zu leisten. Die mündliche Anhörung des Sachverständigen ist zwar die nächstliegende, aber nicht die einzig mögliche Behandlung eines derartigen Antrags (BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 3. Februar 1998, a.a.O.; vgl. BGH, Urteil vom 10. Dezember 1991 - VI ZR 234/90 -, NJW 1992, S. 1459 f.).

16

b) Einer Prüfung anhand dieser Maßstäbe halten die angegriffenen Entscheidungen nicht stand.

17

aa) Zwar hat sich das Oberlandesgericht sowohl mit dem Antrag des Beschwerdeführers auf Anhörung des Sachverständigen als auch mit der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eingehend auseinander gesetzt. Letzten Endes ist es dem Antrag jedoch allein deshalb nicht nachgekommen, weil es davon ausging, dass auch bei einer Anhörung die "eindeutigen und auch für die Parteien und das Gericht gut nachvollziehbaren Bewertungen" des Sachverständigen nicht in Frage gestellt worden wären; dies gelte umso mehr, als es sich um eine "für Arzthaftungssachen relativ einfache" Beweisfrage gehandelt habe. Damit hat sich das Oberlandesgericht allein darauf gestützt, dass ihm das Gutachten überzeugend und nicht weiter erörterungsbedürftig erschien.

18

bb) Die Entscheidung des Landgerichts leidet unter dem gleichen Mangel.

19

(1) So wird in der Urteilsbegründung ausgeführt, dass eine Ladung des Sachverständigen zum Termin nicht erforderlich gewesen sei, da "das Gutachten in sich schlüssig und nachvollziehbar" gewesen sei. Dabei verkennt das Landgericht ebenfalls, dass ein Antrag auf Erläuterung des Sachverständigengutachtens in Anbetracht des Rechts auf rechtliches Gehör nicht allein deshalb abgelehnt werden kann, weil ein Gutachten dem Gericht überzeugend und nicht weiter erörterungsbedürftig erscheint.

20

(2) Darüber hinaus geht die Einschätzung des Landgerichts fehl, eine Anhörung des Sachverständigen sei auch deshalb nicht erforderlich gewesen, weil der Beschwerdeführer nicht einmal allgemein angegeben habe, in welche Richtung er durch Fragen eine weitere Aufklärung herbeizuführen wünsche. Tatsächlich hat der Beschwerdeführer vorgetragen, dass der Sachverständige die Frage, ob die Durchtrennung eines Nervs für die Operation erforderlich gewesen sei, nicht beantwortet habe; hieraus lässt sich ohne Weiteres erkennen, dass der Beschwerdeführer in dieser Richtung noch tatsächlichen Aufklärungsbedarf sah. Mithin hat das Landgericht entweder den genannten Vortrag des Beschwerdeführers nicht zur Kenntnis genommen oder nicht erwogen, oder es hat die Voraussetzungen, unter denen einem Antrag auf Anhörung des Sachverständigen nachgekommen werden muss, angesichts der zitierten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs in erheblichem Maße überspannt. In jedem Fall offenbart sich in der Vorgehensweise des Landgerichts eine grundsätzliche Verkennung der Bedeutung und Tragweite des Grundrechts auf rechtliches Gehör.

21

2. Die angegriffenen Entscheidungen beruhen auch auf dem Grundrechtsverstoß. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass es dem Beschwerdeführer in einer mündlichen Anhörung gelungen wäre, das Sachverständigengutachten in Frage zu stellen und damit auch die Überzeugung der Gerichte von dessen Richtigkeit zu erschüttern.

III.

22

Das Urteil des Landgerichts und der die Berufung zurückweisende Beschluss des Oberlandesgerichts sind hiernach gemäß § 93c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 BVerfGG aufzuheben; die Sache ist an das Landgericht zurückzuverweisen. Der die Anhörungsrüge zurückweisende Beschluss des Oberlandesgerichts wird damit gegenstandslos.

23

Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG. Der nach § 37 Abs. 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG festzusetzende Gegenstandswert für die anwaltliche Tätigkeit beträgt 7.000 €. Der Streitwert des Ausgangsverfahrens wurde um 30 % vermindert, da der Ausgangsstreit durch das Verfassungsbeschwerdeverfahren nicht endgültig beigelegt werden kann und die Rechtssache nur Probleme von unterdurchschnittlichem Schwierigkeitsgrad aufwarf (vgl. BVerfGE 79, 365 <371>).

Tenor

Der Beschluss des Landgerichts Kassel vom 26. September 2014 - 3 T 305/14 -, soweit er die sofortige Beschwerde der Beschwerdeführer gegen den Zuschlagsbeschluss betrifft, und der Beschluss des Landgerichts Kassel vom 5. November 2014 - 3 OH 123/14 - verletzen die Beschwerdeführer in ihrem grundrechtsgleichen Recht aus Art. 103 Absatz 1 des Grundgesetzes. Sie werden in diesem Umfang aufgehoben. Die Sache wird an das Landgericht Kassel zurückverwiesen.

Das Land Hessen hat den Beschwerdeführern ihre notwendigen Auslagen zu erstatten.

Gründe

I.

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Zuschlagserteilung in einem Zwangsversteigerungsverfahren (Ausgangsverfahren).

2

1. Im Versteigerungstermin vom 30. Mai 2014 wurde das Eigenheim der Beschwerdeführer versteigert. Gegen den Zuschlagsbeschluss erhoben die Beschwerdeführer sofortige Beschwerde und stellten mit Schriftsatz vom 14. Juli 2014 den Antrag, das Verfahren gemäß § 765a ZPO einzustellen. Sie brachten vor, die Weiterführung des Zwangsversteigerungsverfahrens habe wegen schwerer körperlicher und psychischer Beeinträchtigungen die Gefahr des Suizids der Beschwerdeführerin zu 1. zur Folge.

3

2. In dem daraufhin vom Landgericht eingeholten psychiatrischen Gutachten verneinte der Sachverständige zwar eine latente oder gar akute Suizidgefahr bei der Beschwerdeführerin zu 1. Für den Fall einer Zwangsräumung des Hauses sei ein raptusartig begangener Suizid jedoch nicht auszuschließen.

4

Das Landgericht Kassel übersandte das Gutachten an die Beschwerdeführer mit der Gelegenheit, binnen zwei Wochen Stellung zu nehmen. In einem am Tag des Fristablaufs am 13. Oktober 2014 beim Landgericht eingegangenen Schriftsatz beantragten die Beschwerdeführer, den Sachverständigen zur Erläuterung des Gutachtens zu laden. Zur Begründung gaben sie an, der Sachverständige habe offengelassen, ob neben einer eventuellen Zwangsräumung nicht auch bereits die Zuschlagserteilung die Gefahr berge, dass die Beschwerdeführerin zu 1. raptusartig einen Suizid begehe. Das Beweisthema sei insoweit nicht erschöpfend behandelt, weshalb es der Anhörung des Sachverständigen bedürfe.

5

3. Bereits am 13. Oktober 2014 wies das Landgericht - durch den versehentlich auf den 26. September 2014 datierten Beschluss - die sofortige Beschwerde zurück. Es schloss sich den Darlegungen des Sachverständigen an, dass keine Anzeichen für eine latente oder gar akute Suizidalität bestünden. Soweit der Sachverständige bezüglich einer erst später gegebenenfalls anstehenden Zwangsräumung die Gefahr einer sich spontan entwickelnden Suizidgefahr beschreibe, stehe dies der Zuschlagserteilung nicht entgegen. Den am 13. Oktober 2014 eingegangenen Antrag der Beschwerdeführer, den Sachverständigen zur Erläuterung des Gutachtens zu laden, berücksichtigte das Landgericht nicht.

6

4. In ihrer Anhörungsrüge vom 4. November 2014 rügten die Beschwerdeführer, das Landgericht habe über die Beschwerde entschieden, ohne die fristgerechte Stellungnahme der Beschwerdeführer vom 13. Oktober 2014 zum Sachverständigengutachten abgewartet zu haben. Das Beschwerdegericht sei verpflichtet gewesen, den Sachverständigen zur Anhörung zu laden.

7

Das Landgericht hielt im angegriffenen Beschluss vom 5. November 2014 den Beschluss vom 26. September 2014 mit der Maßgabe aufrecht, dass das Be-schlussdatum 13. Oktober 2014 lauten müsse. Die Anhörungsrüge sei zwar begründet, weil die Beschwerdeentscheidung am 13. Oktober 2014 vor Ablauf der Stellungnahmefrist erlassen worden sei und die fristgerecht am 13. Oktober 2014 eingegangene Stellungnahme der Beschwerdeführer dem Einzelrichter bei Beschlussfassung nicht vorgelegen habe. Allerdings rechtfertigten die Ausführungen der Beschwerdeführer in ihrer Stellungnahme vom 13. Oktober 2014 keine andere Entscheidung, so dass die Beschwerdeentscheidung aufrechtzuhalten sei. Die von den Beschwerdeführern vorgebrachten Einwände erforderten keine ergänzende Anhörung des Sachverständigen, weil das Gutachten eindeutige und überzeugende Feststellungen enthalte. Der Einwand, der Sachverständige habe die Frage, ob bereits durch den Zuschlag die Gefahr für einen Suizid entstehe, nicht beantwortet, sei unzutreffend. Der Sachverständige sei gerade zu dieser Frage beauftragt worden. Der Zuschlag sei zudem bereits erteilt worden. Wenn dann der Sachverständige ohne Zweifel und auf umfassend ermittelter Tatsachengrundlage feststelle, dass derzeit keine akute oder latente Suizidgefahr bestehe, sei nicht nachzuvollziehen, inwieweit der Sachverständige die Beweisfrage nicht abschließend geklärt haben solle, sondern weitere Fragen an ihn gestellt werden müssten.

II.

8

1. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügen die Beschwerdeführer die Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör. Sie tragen vor, das Landgericht sei ihrem Antrag auf Anhörung des Sachverständigen allein deshalb nicht nachgekommen, weil es das Gutachten für überzeugend und nicht weiter erörterungsbedürftig gehalten habe. Gerade das solle jedoch nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und den Entscheidungen des Bundesgerichtshofs kein Grund sein, den Antrag zurückzuweisen, es sei denn, es liege ein missbräuchlicher oder nicht rechtzeitiger Antrag vor; beides sei hier jedoch nicht der Fall.

9

2. Die Beteiligten des Ausgangsverfahrens und die Hessische Staatskanzlei hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.

10

Die Hessische Staatskanzlei vertritt die Auffassung, die Verfassungsbeschwerde müsse Erfolg haben, soweit sie sich gegen den Beschluss vom 5. November 2014 richte; im Übrigen müsse sie aber erfolglos bleiben. Die unterlassene Ladung des Sachverständigen zur Erläuterung seines Gutachtens sei mit Art. 103 Abs. 1 GG nicht zu vereinbaren. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts habe ein Gericht den Verfahrensbeteiligten bei einem rechtzeitig gestellten Antrag zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs die Möglichkeit zu geben, sich das Gutachten vom Sachverständigen mündlich erläutern zu lassen. Diese Pflicht bestehe unabhängig davon, ob das Gericht seinerseits das Gutachten für erläuterungsbedürftig halte. Allenfalls besondere, etwa aus einer Verspätung des Ladungsantrags oder dem Verbot des Rechtsmissbrauchs abzuleitende Gründe könnten diesem Anspruch der Verfahrensbeteiligten entgegenstehen. Solche besonderen Gründe seien im Ausgangsfall aber weder zu erkennen noch seien sie vom Landgericht angenommen worden. Dem Landgericht könne aber nicht vorgeworfen werden, es habe gegen Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verstoßen. Der Beschluss des Landgerichts vom 26. September 2014 sei deshalb, nachdem das Landgericht den dort begangenen Gehörsverstoß durch den Beschluss vom 5. November 2014 behoben habe, nicht zu beanstanden.

11

3. Die Akten des Ausgangsverfahrens wurden beigezogen.

III.

12

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt. Die Annahme ist zur Durchsetzung des verfassungsmäßigen Rechts der Beschwerdeführer auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen für eine stattgebende Entscheidung durch die Kammer liegen vor (§ 93c Abs. 1 BVerfGG). Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich begründet. Die Beschlüsse des Landgerichts vom 26. September 2014 und vom 5. November 2014 verstoßen gegen Art. 103 Abs. 1 GG.

13

1. Der Beschluss des Landgerichts vom 26. September 2014 verstößt, wie das Landgericht selbst erkannt hat, gegen Art. 103 Abs. 1 GG, weil das Landgericht den vor Ablauf der Stellungnahmefrist eingegangenen Schriftssatz der Beschwerdeführer vom 13. Oktober 2014 und den darin enthaltenen Antrag, den Sachverständigen zur Erläuterung des Gutachtens zu laden, vor Beschlussfassung nicht zur Kenntnis nahm.

14

2. Der Verstoß ist durch die Fortsetzung des Verfahrens durch das Landgericht nach § 321a Abs. 5 ZPO und den Beschluss vom 5. November 2014 nicht geheilt worden. Zwar nahm das Landgericht den Antrag der Beschwerdeführer nunmehr zur Kenntnis, wies ihn jedoch in einer noch immer gegen Art. 103 Abs. 1 GG verstoßenden Weise zurück (vgl. auch BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 26. November 2008 - 1 BvR 670/08 -, NJW 2009, S. 1584 <1585 Rn. 18, 20>).

15

a) Art. 103 Abs. 1 GG gebietet, dass sowohl die gesetzliche Ausgestaltung des Verfahrensrechts als auch das gerichtliche Verfahren im Einzelfall ein Ausmaß an rechtlichem Gehör eröffnen, das dem Erfordernis eines wirkungsvollen Rechtsschutzes auch in Verfahren nach der Zivilprozessordnung gerecht wird und den Beteiligten die Möglichkeit gibt, sich im Prozess mit tatsächlichen und rechtlichen Argumenten zu behaupten (vgl. BVerfGE 60, 305 <310>; 74, 228 <233>; BVerfGK 20, 218 <223>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 3. Februar 1998 - 1 BvR 909/94 -, NJW 1998, S. 2273; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 17. Januar 2012 - 1 BvR 2728/10 -, NJW 2012, S. 1346 <1347 Rn. 11>). Insbesondere haben die Beteiligten einen Anspruch darauf, sich vor Erlass der gerichtlichen Entscheidung zu dem zugrundeliegenden Sachverhalt zu äußern. Dem entspricht die Verpflichtung der Gerichte, Anträge und Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (vgl. BVerfGE 60, 1 <5>; 67, 39 <41>).

16

aa) Die nähere Ausgestaltung des rechtlichen Gehörs ist den Verfahrensordnungen überlassen, die im Umfang ihrer Gewährleistungen auch über das von Verfassungs wegen garantierte Maß hinausgehen können. Nicht jeder Verstoß gegen Vorschriften des Verfahrensrechts ist daher zugleich eine Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG. Die Schwelle einer solchen Verfassungsverletzung wird vielmehr erst erreicht, wenn die Gerichte bei der Auslegung oder Anwendung des Verfahrensrechts die Bedeutung und Tragweite des grundrechtsgleichen Rechts auf rechtliches Gehör verkannt haben (vgl. BVerfGE 60, 305 <310 f.>). Verletzungen einfachrechtlicher Verfahrensvorschriften sind somit im Einzelfall daraufhin zu überprüfen, ob unter Berücksichtigung des Wirkungszusammenhangs aller einschlägigen Normen der betroffenen Verfahrensordnung durch sie das unabdingbare Mindestmaß des verfassungsrechtlich gewährleisteten rechtlichen Gehörs verkürzt worden ist (vgl. BVerfGE 60, 305 <311>).

17

bb) Der Anspruch auf rechtliches Gehör umfasst grundsätzlich auch die Anhörung gerichtlicher Sachverständiger (BVerfGK 20, 218 <224>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 3. Februar 1998 - 1 BvR 909/94 -, a.a.O.; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 17. Januar 2012 - 1 BvR 2728/10 -, a.a.O., Rn. 13).

18

(1) Nach § 402 in Verbindung mit § 397 ZPO sind die Parteien berechtigt, dem Sachverständigen diejenigen Fragen vorlegen zu lassen, die sie zur Aufklärung der Sache für dienlich erachten. Der Bundesgerichtshof hat daraus in ständiger Rechtsprechung die Pflicht der Gerichte abgeleitet, dem Antrag einer Partei auf mündliche Befragung gerichtlicher Sachverständiger stattzugeben (vgl. BGHZ 6, 398 <400 f.>; BGH, Urteile vom 21. Oktober 1986 - VI ZR 15/85 -, NJW-RR 1987, S. 339 <340> und vom 17. Dezember 1996 - VI ZR 50/96 -, NJW 1997, S. 802 f.). Auf die Frage, ob das Gericht selbst das Sachverständigengutachten für erklärungsbedürftig hält, komme es nicht an. Es gehöre zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs, dass die Parteien den Sachverständigen Fragen stellen, ihnen Bedenken vortragen und sie um eine nähere Erläuterung von Zweifelspunkten bitten können (vgl. BGH, Urteil vom 21. Oktober 1986, a.a.O.). Ein Antrag auf Anhörung des Sachverständigen könne allerdings dann abgelehnt werden, wenn er verspätet oder rechtsmissbräuchlich gestellt werde (vgl. BGHZ 35, 370 <371>; BGH, Urteile vom 21. Oktober 1986, a.a.O., und vom 17. Dezember 1996, a.a.O.; vgl. auch zur Rechtsprechung der übrigen obersten Bundesgerichte BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 3. Februar 1998, a.a.O., S. 2273 f.).

19

(2) Beachtet ein Gericht diese verfahrensrechtlichen Anforderungen nicht, so liegt darin jedenfalls dann ein Verstoß gegen den verfassungsrechtlichen Anspruch auf rechtliches Gehör, wenn es einen Antrag auf Erläuterung des Sachverständigengutachtens völlig übergeht oder ihm allein deshalb nicht nachkommt, weil das Gutachten ihm überzeugend und nicht weiter erörterungsbedürftig erscheint. Dagegen verlangt Art. 103 Abs. 1 GG nicht, einem rechtzeitigen und nicht missbräuchlichen Antrag auf Anhörung der Sachverständigen ausnahmslos Folge zu leisten. Die mündliche Anhörung des Sachverständigen ist zwar die nächstliegende, aber nicht die einzig mögliche Behandlung eines derartigen Antrags (vgl. BVerfGK 20, 218 <225>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 3. Februar 1998, a.a.O., S. 2274; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 17. Januar 2012, a.a.O., Rn. 15). In Betracht kommt etwa, den Sachverständigen stattdessen um eine schriftliche Ergänzung seines Gutachten zu bitten oder aber ein weiteres Gutachten (eines anderen Sachverständigen) einzuholen (vgl. BVerfGK 20, 319 <320>; BGH, Urteil vom 10. Dezember 1991 - VI ZR 234/90 -, NJW 1992, S. 1459 f.).

20

b) Einer Prüfung anhand dieser Maßstäbe hält der Beschluss vom 5. November 2014 nicht stand.

21

Das Landgericht lehnte die von den Beschwerdeführern beantragte Anhörung des Sachverständigen ab, weil das Gutachten zu den von den Beschwerdeführern vorgebrachten Einwänden "eindeutige und überzeugende Feststellungen" enthalte und die von den Beschwerdeführern aufgeworfene Frage entgegen deren Ansicht "abschließend geklärt" habe. Das Landgericht kommt dem Antrag somit allein deshalb nicht nach, weil ihm das Gutachten nicht weiter erörterungsbedürftig erscheint. Das ist nach den dargelegten Maßstäben kein tauglicher Versagungsgrund, sondern begründet einen Gehörsverstoß.

22

3. Die angegriffenen Beschlüsse beruhen auch auf dem Gehörsverstoß. Es ist nicht auszuschließen, dass den Beschwerdeführern mit einer weiteren Befragung des Sachverständigen gelungen wäre, das Gutachten oder dessen Auslegung durch das Landgericht in Frage zu stellen und damit auch die Überzeugung des Landgerichts von dessen Richtigkeit zu erschüttern (vgl. BVerfGK 20, 218 <226>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 3. Februar 1998, a.a.O., S. 2274; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 17. Januar 2012, a.a.O., Rn. 21).

IV.

23

Die angegriffenen Beschlüsse des Landgerichts unterliegen infolgedessen der Aufhebung. Die Sache ist an das Landgericht zurückzuverweisen (§ 93c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 BVerfGG).

(1) Die Parteien sind berechtigt, dem Zeugen diejenigen Fragen vorlegen zu lassen, die sie zur Aufklärung der Sache oder der Verhältnisse des Zeugen für dienlich erachten.

(2) Der Vorsitzende kann den Parteien gestatten und hat ihren Anwälten auf Verlangen zu gestatten, an den Zeugen unmittelbar Fragen zu richten.

(3) Zweifel über die Zulässigkeit einer Frage entscheidet das Gericht.

(1) Zur Verweigerung des Zeugnisses sind berechtigt:

1.
der Verlobte einer Partei;
2.
der Ehegatte einer Partei, auch wenn die Ehe nicht mehr besteht;
2a.
der Lebenspartner einer Partei, auch wenn die Lebenspartnerschaft nicht mehr besteht;
3.
diejenigen, die mit einer Partei in gerader Linie verwandt oder verschwägert, in der Seitenlinie bis zum dritten Grad verwandt oder bis zum zweiten Grad verschwägert sind oder waren;
4.
Geistliche in Ansehung desjenigen, was ihnen bei der Ausübung der Seelsorge anvertraut ist;
5.
Personen, die bei der Vorbereitung, Herstellung oder Verbreitung von periodischen Druckwerken oder Rundfunksendungen berufsmäßig mitwirken oder mitgewirkt haben, über die Person des Verfassers, Einsenders oder Gewährsmanns von Beiträgen und Unterlagen sowie über die ihnen im Hinblick auf ihre Tätigkeit gemachten Mitteilungen, soweit es sich um Beiträge, Unterlagen und Mitteilungen für den redaktionellen Teil handelt;
6.
Personen, denen kraft ihres Amtes, Standes oder Gewerbes Tatsachen anvertraut sind, deren Geheimhaltung durch ihre Natur oder durch gesetzliche Vorschrift geboten ist, in Betreff der Tatsachen, auf welche die Verpflichtung zur Verschwiegenheit sich bezieht.

(2) Die unter Nummern 1 bis 3 bezeichneten Personen sind vor der Vernehmung über ihr Recht zur Verweigerung des Zeugnisses zu belehren.

(3) Die Vernehmung der unter Nummern 4 bis 6 bezeichneten Personen ist, auch wenn das Zeugnis nicht verweigert wird, auf Tatsachen nicht zu richten, in Ansehung welcher erhellt, dass ohne Verletzung der Verpflichtung zur Verschwiegenheit ein Zeugnis nicht abgelegt werden kann.

(1) Für die Vernehmung von Richtern, Beamten und anderen Personen des öffentlichen Dienstes als Zeugen über Umstände, auf die sich ihre Pflicht zur Amtsverschwiegenheit bezieht, und für die Genehmigung zur Aussage gelten die besonderen beamtenrechtlichen Vorschriften.

(2) Für die Mitglieder des Bundestages, eines Landtages, der Bundes- oder einer Landesregierung sowie für die Angestellten einer Fraktion des Bundestages oder eines Landtages gelten die für sie maßgebenden besonderen Vorschriften.

(3) Eine Genehmigung in den Fällen der Absätze 1, 2 ist durch das Prozessgericht einzuholen und dem Zeugen bekannt zu machen.

(4) Der Bundespräsident kann das Zeugnis verweigern, wenn die Ablegung des Zeugnisses dem Wohl des Bundes oder eines deutschen Landes Nachteile bereiten würde.

(5) Diese Vorschriften gelten auch, wenn die vorgenannten Personen nicht mehr im öffentlichen Dienst oder Angestellte einer Fraktion sind oder ihre Mandate beendet sind, soweit es sich um Tatsachen handelt, die sich während ihrer Dienst-, Beschäftigungs- oder Mandatszeit ereignet haben oder ihnen während ihrer Dienst-, Beschäftigungs- oder Mandatszeit zur Kenntnis gelangt sind.

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

(1) Die Parteien sind berechtigt, dem Zeugen diejenigen Fragen vorlegen zu lassen, die sie zur Aufklärung der Sache oder der Verhältnisse des Zeugen für dienlich erachten.

(2) Der Vorsitzende kann den Parteien gestatten und hat ihren Anwälten auf Verlangen zu gestatten, an den Zeugen unmittelbar Fragen zu richten.

(3) Zweifel über die Zulässigkeit einer Frage entscheidet das Gericht.

Für den Beweis durch Sachverständige gelten die Vorschriften über den Beweis durch Zeugen entsprechend, insoweit nicht in den nachfolgenden Paragraphen abweichende Vorschriften enthalten sind.

8
1. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kommt es für die Frage, ob die Ladung eines Sachverständigen zur mündlichen Erläuterung des von ihm erstatteten Gutachtens geboten ist, nicht darauf an, ob das Gericht noch Erläuterungsbedarf sieht oder ob zu erwarten ist, dass der Gutachter seine Auffassung ändert. Weiter ist unerheblich, ob das schriftliche Gutachten Mängel aufweist. Die Parteien haben zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs nach §§ 397, 402 ZPO einen Anspruch darauf, dass sie dem Sachverständigen die Fragen, die sie zur Aufklärung der Sache für wesentlich erachten, in einer mündlichen Anhörung stellen können. Dieses Antragsrecht der Parteien besteht unabhängig von § 411 Abs. 3 ZPO (Senatsbeschlüsse vom 30. Oktober 2013 - IV ZR 307/12, r+s 2014, 25 Rn. 9; vom 15. März 2006 - IV ZR 182/05, VersR 2006, 950 Rn. 6 m.w.N.; BGH, Beschluss vom 10. Mai 2005 - VI ZR 245/04, VersR 2005, 1555 unter 2 a m.w.N. und ständig). Dabei kann von der Partei, die einen Antrag auf Ladung des Sachverständigen stellt, nicht verlangt werden, dass sie die Fragen, die sie an den Sachverständigen zu richten beabsichtigt, im Voraus konkret formuliert. Es genügt, wenn sie allgemein angibt, in welcher Richtung sie durch ihre Fragen eine weitere Aufklärung herbeizuführen wünscht.

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

Tenor

1. Der Beschluss des Oberlandesgerichts Rostock vom 9. Juli 2010 - 5 U 219/09 - sowie das Urteil des Landgerichts Rostock vom 14. Oktober 2009 - 10 O 315/07 - verletzen den Beschwerdeführer in seinem grundrechtsgleichen Recht aus Artikel 103 Absatz 1 des Grundgesetzes. Die Entscheidungen werden aufgehoben. Der ebenfalls angegriffene Beschluss des Oberlandesgerichts Rostock vom 1. September 2010 - 5 U 219/09 - wird damit gegenstandslos. Die Sache wird an das Landgericht Rostock zurückverwiesen.

2. ...

3. Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 7.000 € (in Worten: siebentausend Euro) festgesetzt.

Gründe

I.

1

Gegenstand der Verfassungsbeschwerde ist eine Streitigkeit aus dem Arzthaftungsrecht.

2

1. Der Beschwerdeführer hatte sich durch die Beklagten des Ausgangsverfahrens (im Folgenden: Beklagte) an der Bandscheibe operieren lassen. Nach der Operation wurde festgestellt, dass hierbei offenbar ein Bauchmuskelnerv durchtrennt worden war. Der Beschwerdeführer machte hierauf vor dem Landgericht einen Schmerzensgeldanspruch in Höhe von 10.000 € geltend.

3

Das Landgericht holte ein Sachverständigengutachten ein. Der Beschwerdeführer beantragte nach Vorlage des Gutachtens, den Sachverständigen zur mündlichen Erläuterung des Gutachtens zu laden; die Frage, ob die Durchtrennung eines bestimmten Nervs für die Operation notwendig gewesen sei, habe der Sachverständige nicht beantwortet. Das Landgericht kam dem Antrag nicht nach und wies die Klage nach mündlicher Verhandlung ab. Zur Begründung führte es insoweit aus, dass das Recht auf mündliche Anhörung des Sachverständigen nicht grenzenlos gelte. Zwar müsse die Partei keine konkreten Fragen formulieren; nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Hinweis auf BGHZ 24, 9 <14 f.>) sei genügend, aber auch erforderlich, dass die Partei allgemein die Richtung angebe, in die eine weitere Aufklärung herbeigeführt werden solle. Das habe der Beschwerdeführer nicht beachtet.

4

Hiergegen legte der Beschwerdeführer Berufung ein, die das Oberlandesgericht nach vorherigem Hinweis mit Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückwies. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, dass die Durchtrennung der Nervenfasern ausweislich des durch das Landgericht eingeholten Sachverständigengutachtens in einzelnen Fällen aufgrund anatomischer Varianten nicht vermeidbar und damit nicht schuldhaft erfolgt sei. Der Einwand des Beschwerdeführers, der Sachverständige habe sich nicht mit der Frage beschäftigt, ob bei ihm anatomische Besonderheiten vorgelegen hätten, und habe nicht erörtert, ob es nicht naheliegender sei, dass der Operateur den Nerv aufgrund Unachtsamkeit oder Nachlässigkeit durchtrennt habe, mache das Gutachten nicht unvollständig oder gar unbrauchbar. Der Sachverständige habe nicht feststellen können, ob letztlich anatomische Varianten oder eine geringe Resistenz gegenüber Manipulation und Zug zu der Nervenschädigung geführt hätten, dies aber als naheliegende und wahrscheinliche Möglichkeit angesehen.

5

Eine hiergegen erhobene Anhörungsrüge wies das Oberlandesgericht zurück. Zur Begründung führte es aus, dass alle Argumente des Beschwerdeführers berücksichtigt worden seien. Es stelle keinen Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs dar, dass der Senat gemäß § 522 Abs. 2 ZPO von einer mündlichen Verhandlung abgesehen und daher den Sachverständigen nicht angehört habe. Zwar sei richtig, dass die Bindung des Berufungsgerichts an die im ersten Rechtszug festgestellten Tatsachen gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO grundsätzlich entfalle, wenn das Erstgericht dem Antrag einer Partei auf Anhörung des gerichtlichen Sachverständigen nicht entsprochen habe; auch müsse das Berufungsgericht nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Hinweis auf BGH, Beschluss vom 10. Mai 2005 - VI ZR 245/04 -, MDR 2005, S. 1308) in einem solchen Fall dem im zweiten Rechtszug wiederholten Antrag grundsätzlich stattgeben. Im konkreten Fall gelte dies jedoch nicht. Denn trotz des Verfahrensfehlers des Landgerichts bestünden hier keine konkreten Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO. Unter Berücksichtigung des Vorbringens des Klägers könne ausgeschlossen werden, dass eine andere Entscheidung gerechtfertigt wäre. Jegliche Zweifel würden durch die gut nachvollziehbaren Bewertungen des Sachverständigen ausgeräumt.

6

2. Gegen die genannten Entscheidungen hat der Beschwerdeführer Verfassungsbeschwerde erhoben. Er rügt eine Verletzung seines Rechts auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sei einem Antrag einer Partei auf Ladung des Sachverständigen zur Erläuterung seines schriftlichen Gutachtens grundsätzlich zu entsprechen. Dem seien aber weder Landgericht noch Oberlandesgericht nachgekommen. Das Oberlandesgericht habe den Verfahrensfehler des Landgerichts zwar gesehen, diesen aber für unbeachtlich gehalten. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass das Oberlandesgericht nach Anhörung des Sachverständigen zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre.

7

3. Die Verfassungsbeschwerde wurde dem Justizministerium Mecklenburg-Vorpommern sowie den Beklagten zugestellt. Es wurden keine Stellungnahmen abgegeben.

8

4. Die Akte des Ausgangsverfahrens lag der Kammer vor.

II.

9

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, weil dies zur Durchsetzung des grundrechtsgleichen Rechts des Beschwerdeführers aus Art. 103 Abs. 1 GG angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Auch die weiteren Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG liegen vor. Das Bundesverfassungsgericht hat die hier maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits entschieden. Die Verfassungsbeschwerde ist danach offensichtlich begründet.

10

1. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen den Beschwerdeführer in seinem grundrechtsgleichen Recht auf rechtliches Gehör, Art. 103 Abs. 1 GG.

11

a) Art. 103 Abs. 1 GG gebietet, dass sowohl die gesetzliche Ausgestaltung des Verfahrensrechts als auch das gerichtliche Verfahren im Einzelfall ein Maß an rechtlichem Gehör eröffnet, das dem Erfordernis eines wirkungsvollen Rechtsschutzes auch in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten gerecht wird und den Beteiligten die Möglichkeit gibt, sich im Prozess mit tatsächlichen und rechtlichen Argumenten zu behaupten (vgl. BVerfGE 55, 1 <6>; 60, 305 <310>; 74, 228 <233>). Insbesondere haben die Beteiligten einen Anspruch darauf, sich vor Erlass der gerichtlichen Entscheidung zu dem zugrundeliegenden Sachverhalt zu äußern. Dem entspricht die Verpflichtung der Gerichte, Anträge und Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (BVerfGE 67, 39 <41>; 86, 133 <146>).

12

aa) Die nähere Ausgestaltung des rechtlichen Gehörs ist den Verfahrensordnungen überlassen, die im Umfang ihrer Gewährleistungen auch über das von Verfassungs wegen garantierte Maß hinausgehen können. Nicht jeder Verstoß gegen Vorschriften des Verfahrensrechts ist daher zugleich auch eine Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG. Die Schwelle einer solchen Verfassungsverletzung wird vielmehr erst erreicht, wenn die Gerichte bei der Auslegung oder Anwendung des Verfahrensrechts die Bedeutung und Tragweite des Grundrechts auf rechtliches Gehör verkannt haben (vgl. BVerfGE 60, 305 <310 f.>). Verletzungen einfachrechtlicher Verfahrensvorschriften sind somit im Einzelfall daraufhin zu überprüfen, ob unter Berücksichtigung des Wirkungszusammenhangs aller einschlägigen Normen der betroffenen Verfahrensordnung durch sie das unabdingbare Mindestmaß des verfassungsrechtlich gewährleisteten rechtlichen Gehörs verletzt worden ist (vgl. BVerfGE 60, 305 <311>).

13

bb) Der Anspruch auf rechtliches Gehör umfasst grundsätzlich auch die Anhörung gerichtlicher Sachverständiger (BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 3. Februar 1998 - 1 BvR 909/94 -, NJW 1998, S. 2273).

14

(1) Nach § 402 ZPO in Verbindung mit § 397 ZPO sind die Parteien berechtigt, dem Sachverständigen diejenigen Fragen vorlegen zu lassen, die sie zur Aufklärung der Sache für dienlich erachten. Der Bundesgerichtshof hat daraus in ständiger Rechtsprechung die Pflicht der Gerichte abgeleitet, dem Antrag einer Partei auf mündliche Befragung gerichtlicher Sachverständiger nachzukommen (vgl. BGHZ 6, 398 <400 f.>; BGH, Urteil vom 21. Oktober 1986 - VI ZR 15/85 -, NJW-RR 1987, S. 339 <340>; BGH, Urteil vom 17. Dezember 1996 - VI ZR 50/96 -, NJW 1997, S. 802 <802 f.>). Auf die Frage, ob das Gericht selbst das Sachverständigengutachten für erklärungsbedürftig hält, komme es nicht an. Es gehöre zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs, dass die Parteien den Sachverständigen Fragen stellen, ihnen Bedenken vortragen und sie um eine nähere Erläuterung von Zweifelspunkten bitten können (BGH, Urteil vom 21. Oktober 1986, a.a.O.). Ein Antrag auf Anhörung des Sachverständigen könne allerdings dann abgelehnt werden, wenn er verspätet oder rechtsmissbräuchlich gestellt wurde (BGHZ 35, 370 <371>; BGH, Urteile vom 21. Oktober 1986, a.a.O., und vom 17. Dezember 1996, a.a.O.). Habe das Erstgericht einem Antrag auf mündliche Anhörung des Sachverständigen verfahrensfehlerhaft nicht entsprochen, müsse das Berufungsgericht dem in zweiter Instanz wiederholten Antrag stattgeben (BGH, Beschlüsse vom 10. Mai 2005 - VI ZR 245/04 -, juris, und vom 14. Juli 2009 - VIII ZR 295/08 -, NJW-RR 2009, S. 1361 <1362>).

15

(2) Beachtet ein Gericht diese verfahrensrechtlichen Anforderungen nicht, so liegt darin jedenfalls dann ein Verstoß gegen den verfassungsrechtlichen Anspruch auf rechtliches Gehör, wenn es einen Antrag auf Erläuterung des Sachverständigengutachtens völlig übergeht oder ihm allein deshalb nicht nachkommt, weil das Gutachten ihm überzeugend und nicht weiter erörterungsbedürftig erscheint. Dagegen verlangt Art. 103 Abs. 1 GG nicht, einem rechtzeitigen und nicht missbräuchlichen Antrag auf Anhörung der Sachverständigen ausnahmslos Folge zu leisten. Die mündliche Anhörung des Sachverständigen ist zwar die nächstliegende, aber nicht die einzig mögliche Behandlung eines derartigen Antrags (BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 3. Februar 1998, a.a.O.; vgl. BGH, Urteil vom 10. Dezember 1991 - VI ZR 234/90 -, NJW 1992, S. 1459 f.).

16

b) Einer Prüfung anhand dieser Maßstäbe halten die angegriffenen Entscheidungen nicht stand.

17

aa) Zwar hat sich das Oberlandesgericht sowohl mit dem Antrag des Beschwerdeführers auf Anhörung des Sachverständigen als auch mit der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eingehend auseinander gesetzt. Letzten Endes ist es dem Antrag jedoch allein deshalb nicht nachgekommen, weil es davon ausging, dass auch bei einer Anhörung die "eindeutigen und auch für die Parteien und das Gericht gut nachvollziehbaren Bewertungen" des Sachverständigen nicht in Frage gestellt worden wären; dies gelte umso mehr, als es sich um eine "für Arzthaftungssachen relativ einfache" Beweisfrage gehandelt habe. Damit hat sich das Oberlandesgericht allein darauf gestützt, dass ihm das Gutachten überzeugend und nicht weiter erörterungsbedürftig erschien.

18

bb) Die Entscheidung des Landgerichts leidet unter dem gleichen Mangel.

19

(1) So wird in der Urteilsbegründung ausgeführt, dass eine Ladung des Sachverständigen zum Termin nicht erforderlich gewesen sei, da "das Gutachten in sich schlüssig und nachvollziehbar" gewesen sei. Dabei verkennt das Landgericht ebenfalls, dass ein Antrag auf Erläuterung des Sachverständigengutachtens in Anbetracht des Rechts auf rechtliches Gehör nicht allein deshalb abgelehnt werden kann, weil ein Gutachten dem Gericht überzeugend und nicht weiter erörterungsbedürftig erscheint.

20

(2) Darüber hinaus geht die Einschätzung des Landgerichts fehl, eine Anhörung des Sachverständigen sei auch deshalb nicht erforderlich gewesen, weil der Beschwerdeführer nicht einmal allgemein angegeben habe, in welche Richtung er durch Fragen eine weitere Aufklärung herbeizuführen wünsche. Tatsächlich hat der Beschwerdeführer vorgetragen, dass der Sachverständige die Frage, ob die Durchtrennung eines Nervs für die Operation erforderlich gewesen sei, nicht beantwortet habe; hieraus lässt sich ohne Weiteres erkennen, dass der Beschwerdeführer in dieser Richtung noch tatsächlichen Aufklärungsbedarf sah. Mithin hat das Landgericht entweder den genannten Vortrag des Beschwerdeführers nicht zur Kenntnis genommen oder nicht erwogen, oder es hat die Voraussetzungen, unter denen einem Antrag auf Anhörung des Sachverständigen nachgekommen werden muss, angesichts der zitierten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs in erheblichem Maße überspannt. In jedem Fall offenbart sich in der Vorgehensweise des Landgerichts eine grundsätzliche Verkennung der Bedeutung und Tragweite des Grundrechts auf rechtliches Gehör.

21

2. Die angegriffenen Entscheidungen beruhen auch auf dem Grundrechtsverstoß. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass es dem Beschwerdeführer in einer mündlichen Anhörung gelungen wäre, das Sachverständigengutachten in Frage zu stellen und damit auch die Überzeugung der Gerichte von dessen Richtigkeit zu erschüttern.

III.

22

Das Urteil des Landgerichts und der die Berufung zurückweisende Beschluss des Oberlandesgerichts sind hiernach gemäß § 93c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 BVerfGG aufzuheben; die Sache ist an das Landgericht zurückzuverweisen. Der die Anhörungsrüge zurückweisende Beschluss des Oberlandesgerichts wird damit gegenstandslos.

23

Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG. Der nach § 37 Abs. 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG festzusetzende Gegenstandswert für die anwaltliche Tätigkeit beträgt 7.000 €. Der Streitwert des Ausgangsverfahrens wurde um 30 % vermindert, da der Ausgangsstreit durch das Verfassungsbeschwerdeverfahren nicht endgültig beigelegt werden kann und die Rechtssache nur Probleme von unterdurchschnittlichem Schwierigkeitsgrad aufwarf (vgl. BVerfGE 79, 365 <371>).

Der Zeugenbeweis wird durch die Benennung der Zeugen und die Bezeichnung der Tatsachen, über welche die Vernehmung der Zeugen stattfinden soll, angetreten.

Insoweit zum Beweis vergangener Tatsachen oder Zustände, zu deren Wahrnehmung eine besondere Sachkunde erforderlich war, sachkundige Personen zu vernehmen sind, kommen die Vorschriften über den Zeugenbeweis zur Anwendung.

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

Tenor

Der Beschluss des Landgerichts Kassel vom 26. September 2014 - 3 T 305/14 -, soweit er die sofortige Beschwerde der Beschwerdeführer gegen den Zuschlagsbeschluss betrifft, und der Beschluss des Landgerichts Kassel vom 5. November 2014 - 3 OH 123/14 - verletzen die Beschwerdeführer in ihrem grundrechtsgleichen Recht aus Art. 103 Absatz 1 des Grundgesetzes. Sie werden in diesem Umfang aufgehoben. Die Sache wird an das Landgericht Kassel zurückverwiesen.

Das Land Hessen hat den Beschwerdeführern ihre notwendigen Auslagen zu erstatten.

Gründe

I.

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Zuschlagserteilung in einem Zwangsversteigerungsverfahren (Ausgangsverfahren).

2

1. Im Versteigerungstermin vom 30. Mai 2014 wurde das Eigenheim der Beschwerdeführer versteigert. Gegen den Zuschlagsbeschluss erhoben die Beschwerdeführer sofortige Beschwerde und stellten mit Schriftsatz vom 14. Juli 2014 den Antrag, das Verfahren gemäß § 765a ZPO einzustellen. Sie brachten vor, die Weiterführung des Zwangsversteigerungsverfahrens habe wegen schwerer körperlicher und psychischer Beeinträchtigungen die Gefahr des Suizids der Beschwerdeführerin zu 1. zur Folge.

3

2. In dem daraufhin vom Landgericht eingeholten psychiatrischen Gutachten verneinte der Sachverständige zwar eine latente oder gar akute Suizidgefahr bei der Beschwerdeführerin zu 1. Für den Fall einer Zwangsräumung des Hauses sei ein raptusartig begangener Suizid jedoch nicht auszuschließen.

4

Das Landgericht Kassel übersandte das Gutachten an die Beschwerdeführer mit der Gelegenheit, binnen zwei Wochen Stellung zu nehmen. In einem am Tag des Fristablaufs am 13. Oktober 2014 beim Landgericht eingegangenen Schriftsatz beantragten die Beschwerdeführer, den Sachverständigen zur Erläuterung des Gutachtens zu laden. Zur Begründung gaben sie an, der Sachverständige habe offengelassen, ob neben einer eventuellen Zwangsräumung nicht auch bereits die Zuschlagserteilung die Gefahr berge, dass die Beschwerdeführerin zu 1. raptusartig einen Suizid begehe. Das Beweisthema sei insoweit nicht erschöpfend behandelt, weshalb es der Anhörung des Sachverständigen bedürfe.

5

3. Bereits am 13. Oktober 2014 wies das Landgericht - durch den versehentlich auf den 26. September 2014 datierten Beschluss - die sofortige Beschwerde zurück. Es schloss sich den Darlegungen des Sachverständigen an, dass keine Anzeichen für eine latente oder gar akute Suizidalität bestünden. Soweit der Sachverständige bezüglich einer erst später gegebenenfalls anstehenden Zwangsräumung die Gefahr einer sich spontan entwickelnden Suizidgefahr beschreibe, stehe dies der Zuschlagserteilung nicht entgegen. Den am 13. Oktober 2014 eingegangenen Antrag der Beschwerdeführer, den Sachverständigen zur Erläuterung des Gutachtens zu laden, berücksichtigte das Landgericht nicht.

6

4. In ihrer Anhörungsrüge vom 4. November 2014 rügten die Beschwerdeführer, das Landgericht habe über die Beschwerde entschieden, ohne die fristgerechte Stellungnahme der Beschwerdeführer vom 13. Oktober 2014 zum Sachverständigengutachten abgewartet zu haben. Das Beschwerdegericht sei verpflichtet gewesen, den Sachverständigen zur Anhörung zu laden.

7

Das Landgericht hielt im angegriffenen Beschluss vom 5. November 2014 den Beschluss vom 26. September 2014 mit der Maßgabe aufrecht, dass das Be-schlussdatum 13. Oktober 2014 lauten müsse. Die Anhörungsrüge sei zwar begründet, weil die Beschwerdeentscheidung am 13. Oktober 2014 vor Ablauf der Stellungnahmefrist erlassen worden sei und die fristgerecht am 13. Oktober 2014 eingegangene Stellungnahme der Beschwerdeführer dem Einzelrichter bei Beschlussfassung nicht vorgelegen habe. Allerdings rechtfertigten die Ausführungen der Beschwerdeführer in ihrer Stellungnahme vom 13. Oktober 2014 keine andere Entscheidung, so dass die Beschwerdeentscheidung aufrechtzuhalten sei. Die von den Beschwerdeführern vorgebrachten Einwände erforderten keine ergänzende Anhörung des Sachverständigen, weil das Gutachten eindeutige und überzeugende Feststellungen enthalte. Der Einwand, der Sachverständige habe die Frage, ob bereits durch den Zuschlag die Gefahr für einen Suizid entstehe, nicht beantwortet, sei unzutreffend. Der Sachverständige sei gerade zu dieser Frage beauftragt worden. Der Zuschlag sei zudem bereits erteilt worden. Wenn dann der Sachverständige ohne Zweifel und auf umfassend ermittelter Tatsachengrundlage feststelle, dass derzeit keine akute oder latente Suizidgefahr bestehe, sei nicht nachzuvollziehen, inwieweit der Sachverständige die Beweisfrage nicht abschließend geklärt haben solle, sondern weitere Fragen an ihn gestellt werden müssten.

II.

8

1. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügen die Beschwerdeführer die Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör. Sie tragen vor, das Landgericht sei ihrem Antrag auf Anhörung des Sachverständigen allein deshalb nicht nachgekommen, weil es das Gutachten für überzeugend und nicht weiter erörterungsbedürftig gehalten habe. Gerade das solle jedoch nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und den Entscheidungen des Bundesgerichtshofs kein Grund sein, den Antrag zurückzuweisen, es sei denn, es liege ein missbräuchlicher oder nicht rechtzeitiger Antrag vor; beides sei hier jedoch nicht der Fall.

9

2. Die Beteiligten des Ausgangsverfahrens und die Hessische Staatskanzlei hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.

10

Die Hessische Staatskanzlei vertritt die Auffassung, die Verfassungsbeschwerde müsse Erfolg haben, soweit sie sich gegen den Beschluss vom 5. November 2014 richte; im Übrigen müsse sie aber erfolglos bleiben. Die unterlassene Ladung des Sachverständigen zur Erläuterung seines Gutachtens sei mit Art. 103 Abs. 1 GG nicht zu vereinbaren. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts habe ein Gericht den Verfahrensbeteiligten bei einem rechtzeitig gestellten Antrag zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs die Möglichkeit zu geben, sich das Gutachten vom Sachverständigen mündlich erläutern zu lassen. Diese Pflicht bestehe unabhängig davon, ob das Gericht seinerseits das Gutachten für erläuterungsbedürftig halte. Allenfalls besondere, etwa aus einer Verspätung des Ladungsantrags oder dem Verbot des Rechtsmissbrauchs abzuleitende Gründe könnten diesem Anspruch der Verfahrensbeteiligten entgegenstehen. Solche besonderen Gründe seien im Ausgangsfall aber weder zu erkennen noch seien sie vom Landgericht angenommen worden. Dem Landgericht könne aber nicht vorgeworfen werden, es habe gegen Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verstoßen. Der Beschluss des Landgerichts vom 26. September 2014 sei deshalb, nachdem das Landgericht den dort begangenen Gehörsverstoß durch den Beschluss vom 5. November 2014 behoben habe, nicht zu beanstanden.

11

3. Die Akten des Ausgangsverfahrens wurden beigezogen.

III.

12

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt. Die Annahme ist zur Durchsetzung des verfassungsmäßigen Rechts der Beschwerdeführer auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen für eine stattgebende Entscheidung durch die Kammer liegen vor (§ 93c Abs. 1 BVerfGG). Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich begründet. Die Beschlüsse des Landgerichts vom 26. September 2014 und vom 5. November 2014 verstoßen gegen Art. 103 Abs. 1 GG.

13

1. Der Beschluss des Landgerichts vom 26. September 2014 verstößt, wie das Landgericht selbst erkannt hat, gegen Art. 103 Abs. 1 GG, weil das Landgericht den vor Ablauf der Stellungnahmefrist eingegangenen Schriftssatz der Beschwerdeführer vom 13. Oktober 2014 und den darin enthaltenen Antrag, den Sachverständigen zur Erläuterung des Gutachtens zu laden, vor Beschlussfassung nicht zur Kenntnis nahm.

14

2. Der Verstoß ist durch die Fortsetzung des Verfahrens durch das Landgericht nach § 321a Abs. 5 ZPO und den Beschluss vom 5. November 2014 nicht geheilt worden. Zwar nahm das Landgericht den Antrag der Beschwerdeführer nunmehr zur Kenntnis, wies ihn jedoch in einer noch immer gegen Art. 103 Abs. 1 GG verstoßenden Weise zurück (vgl. auch BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 26. November 2008 - 1 BvR 670/08 -, NJW 2009, S. 1584 <1585 Rn. 18, 20>).

15

a) Art. 103 Abs. 1 GG gebietet, dass sowohl die gesetzliche Ausgestaltung des Verfahrensrechts als auch das gerichtliche Verfahren im Einzelfall ein Ausmaß an rechtlichem Gehör eröffnen, das dem Erfordernis eines wirkungsvollen Rechtsschutzes auch in Verfahren nach der Zivilprozessordnung gerecht wird und den Beteiligten die Möglichkeit gibt, sich im Prozess mit tatsächlichen und rechtlichen Argumenten zu behaupten (vgl. BVerfGE 60, 305 <310>; 74, 228 <233>; BVerfGK 20, 218 <223>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 3. Februar 1998 - 1 BvR 909/94 -, NJW 1998, S. 2273; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 17. Januar 2012 - 1 BvR 2728/10 -, NJW 2012, S. 1346 <1347 Rn. 11>). Insbesondere haben die Beteiligten einen Anspruch darauf, sich vor Erlass der gerichtlichen Entscheidung zu dem zugrundeliegenden Sachverhalt zu äußern. Dem entspricht die Verpflichtung der Gerichte, Anträge und Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (vgl. BVerfGE 60, 1 <5>; 67, 39 <41>).

16

aa) Die nähere Ausgestaltung des rechtlichen Gehörs ist den Verfahrensordnungen überlassen, die im Umfang ihrer Gewährleistungen auch über das von Verfassungs wegen garantierte Maß hinausgehen können. Nicht jeder Verstoß gegen Vorschriften des Verfahrensrechts ist daher zugleich eine Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG. Die Schwelle einer solchen Verfassungsverletzung wird vielmehr erst erreicht, wenn die Gerichte bei der Auslegung oder Anwendung des Verfahrensrechts die Bedeutung und Tragweite des grundrechtsgleichen Rechts auf rechtliches Gehör verkannt haben (vgl. BVerfGE 60, 305 <310 f.>). Verletzungen einfachrechtlicher Verfahrensvorschriften sind somit im Einzelfall daraufhin zu überprüfen, ob unter Berücksichtigung des Wirkungszusammenhangs aller einschlägigen Normen der betroffenen Verfahrensordnung durch sie das unabdingbare Mindestmaß des verfassungsrechtlich gewährleisteten rechtlichen Gehörs verkürzt worden ist (vgl. BVerfGE 60, 305 <311>).

17

bb) Der Anspruch auf rechtliches Gehör umfasst grundsätzlich auch die Anhörung gerichtlicher Sachverständiger (BVerfGK 20, 218 <224>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 3. Februar 1998 - 1 BvR 909/94 -, a.a.O.; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 17. Januar 2012 - 1 BvR 2728/10 -, a.a.O., Rn. 13).

18

(1) Nach § 402 in Verbindung mit § 397 ZPO sind die Parteien berechtigt, dem Sachverständigen diejenigen Fragen vorlegen zu lassen, die sie zur Aufklärung der Sache für dienlich erachten. Der Bundesgerichtshof hat daraus in ständiger Rechtsprechung die Pflicht der Gerichte abgeleitet, dem Antrag einer Partei auf mündliche Befragung gerichtlicher Sachverständiger stattzugeben (vgl. BGHZ 6, 398 <400 f.>; BGH, Urteile vom 21. Oktober 1986 - VI ZR 15/85 -, NJW-RR 1987, S. 339 <340> und vom 17. Dezember 1996 - VI ZR 50/96 -, NJW 1997, S. 802 f.). Auf die Frage, ob das Gericht selbst das Sachverständigengutachten für erklärungsbedürftig hält, komme es nicht an. Es gehöre zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs, dass die Parteien den Sachverständigen Fragen stellen, ihnen Bedenken vortragen und sie um eine nähere Erläuterung von Zweifelspunkten bitten können (vgl. BGH, Urteil vom 21. Oktober 1986, a.a.O.). Ein Antrag auf Anhörung des Sachverständigen könne allerdings dann abgelehnt werden, wenn er verspätet oder rechtsmissbräuchlich gestellt werde (vgl. BGHZ 35, 370 <371>; BGH, Urteile vom 21. Oktober 1986, a.a.O., und vom 17. Dezember 1996, a.a.O.; vgl. auch zur Rechtsprechung der übrigen obersten Bundesgerichte BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 3. Februar 1998, a.a.O., S. 2273 f.).

19

(2) Beachtet ein Gericht diese verfahrensrechtlichen Anforderungen nicht, so liegt darin jedenfalls dann ein Verstoß gegen den verfassungsrechtlichen Anspruch auf rechtliches Gehör, wenn es einen Antrag auf Erläuterung des Sachverständigengutachtens völlig übergeht oder ihm allein deshalb nicht nachkommt, weil das Gutachten ihm überzeugend und nicht weiter erörterungsbedürftig erscheint. Dagegen verlangt Art. 103 Abs. 1 GG nicht, einem rechtzeitigen und nicht missbräuchlichen Antrag auf Anhörung der Sachverständigen ausnahmslos Folge zu leisten. Die mündliche Anhörung des Sachverständigen ist zwar die nächstliegende, aber nicht die einzig mögliche Behandlung eines derartigen Antrags (vgl. BVerfGK 20, 218 <225>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 3. Februar 1998, a.a.O., S. 2274; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 17. Januar 2012, a.a.O., Rn. 15). In Betracht kommt etwa, den Sachverständigen stattdessen um eine schriftliche Ergänzung seines Gutachten zu bitten oder aber ein weiteres Gutachten (eines anderen Sachverständigen) einzuholen (vgl. BVerfGK 20, 319 <320>; BGH, Urteil vom 10. Dezember 1991 - VI ZR 234/90 -, NJW 1992, S. 1459 f.).

20

b) Einer Prüfung anhand dieser Maßstäbe hält der Beschluss vom 5. November 2014 nicht stand.

21

Das Landgericht lehnte die von den Beschwerdeführern beantragte Anhörung des Sachverständigen ab, weil das Gutachten zu den von den Beschwerdeführern vorgebrachten Einwänden "eindeutige und überzeugende Feststellungen" enthalte und die von den Beschwerdeführern aufgeworfene Frage entgegen deren Ansicht "abschließend geklärt" habe. Das Landgericht kommt dem Antrag somit allein deshalb nicht nach, weil ihm das Gutachten nicht weiter erörterungsbedürftig erscheint. Das ist nach den dargelegten Maßstäben kein tauglicher Versagungsgrund, sondern begründet einen Gehörsverstoß.

22

3. Die angegriffenen Beschlüsse beruhen auch auf dem Gehörsverstoß. Es ist nicht auszuschließen, dass den Beschwerdeführern mit einer weiteren Befragung des Sachverständigen gelungen wäre, das Gutachten oder dessen Auslegung durch das Landgericht in Frage zu stellen und damit auch die Überzeugung des Landgerichts von dessen Richtigkeit zu erschüttern (vgl. BVerfGK 20, 218 <226>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 3. Februar 1998, a.a.O., S. 2274; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 17. Januar 2012, a.a.O., Rn. 21).

IV.

23

Die angegriffenen Beschlüsse des Landgerichts unterliegen infolgedessen der Aufhebung. Die Sache ist an das Landgericht zurückzuverweisen (§ 93c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 BVerfGG).

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

Tenor

Die Beschwerde der als „Neue Assekuranz Gewerkschaft (NAG)“ bezeichneten Arbeitnehmerkoalition gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde in dem Beschluss des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 9. April 2015 - 9 TaBV 225/14 - wird zurückgewiesen.

Gründe

1

Die auf sämtliche Beschwerdegründe des § 72 Abs. 2 ArbGG gestützte Beschwerde bleibt ohne Erfolg.

2

I. Soweit die Beschwerde auf die Verkennung der grundsätzlichen Bedeutung einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage (§ 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG) gestützt wird, genügt ihre Begründung nicht den in §§ 92a, 72a Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 ArbGG bestimmten Anforderungen.

3

1. Nach §§ 92a, 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG kann eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt werden, dass eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat. Dies ist der Fall, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits von einer klärungsfähigen sowie klärungsbedürftigen Rechtsfrage abhängt und die Klärung entweder von allgemeiner Bedeutung für die Rechtsordnung ist oder wegen ihrer tatsächlichen Auswirkungen die Interessen zumindest eines größeren Teils der Allgemeinheit berührt. Entscheidungserheblich ist eine Rechtsfrage, wenn sich das Landesarbeitsgericht im anzufechtenden Beschluss mit ihr befasst und sie beantwortet hat und bei einer anderen Beantwortung möglicherweise eine für den Beschwerdeführer günstige Entscheidung getroffen hätte. Gemäß §§ 92a, 72a Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 ArbGG muss der Beschwerdeführer die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtsfrage und ihre Entscheidungserheblichkeit in der Beschwerdebegründung darlegen. Dies erfordert, dass er die durch die anzufechtende Entscheidung aufgeworfene Rechtsfrage konkret benennt und ihre Klärungsfähigkeit, Klärungsbedürftigkeit, Entscheidungserheblichkeit und die allgemeine Bedeutung für die Rechtsordnung oder ihre Auswirkung auf die Interessen jedenfalls eines größeren Teils der Allgemeinheit aufzeigt (BAG 22. Mai 2012 - 1 ABN 27/12 - Rn. 3).

4

2. Diese Voraussetzungen sind nicht dargetan.

5

a) Bei der auf Seite 16 der Beschwerdebegründung angesprochenen Fragestellung zur Frage des Rechtsmissbrauchs fehlt es schon an der erforderlichen Formulierung einer konkreten und entscheidungserheblichen Rechtsfrage. Deren Inhalt ist auch nicht offensichtlich, so dass ihre konkrete Benennung durch den Beschwerdeführer nicht ausnahmsweise entbehrlich ist.

6

b) Bei den von der Beschwerde auf Seite 14, 26, 31 und 35 der Beschwerdebegründung formulierten Fragestellungen handelt es sich nicht um Rechtsfragen iSd. § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG. Weder diese selbst noch die dazu gegebene Begründung lassen erkennen, welchen objektiven Inhalt die dort aufgenommenen Begrifflichkeiten „kriminelle Aktionen und Aktivitäten“, „nachweisbare Tendenz“, „Umfang der Repräsentanz einer Arbeitnehmerkoalition in der Betriebsverfassung“ sowie „geringer Organisationsgrad“ umfassen sollen. Daneben fehlt es insoweit auch an der konkreten Darlegung der Entscheidungserheblichkeit der einzelnen von der Beschwerde formulierten Merkmale für die anzufechtende Entscheidung.

7

c) An der ausreichenden Darlegung der Entscheidungserheblichkeit fehlt es gleichermaßen bei der auf Seite 19 der Beschwerdebegründung formulierten Rechtsfrage zur Bedeutung der Mitgliederzahl für die Durchsetzungsfähigkeit einer Arbeitnehmerkoalition. Daneben fehlt es auch an Vorbringen zu ihrer Klärungsbedürftigkeit. Die drei von der Beschwerde aus einer Fülle von Kampfmaßnahmen herangezogenen Beispiele über vermeintlich erfolglos gebliebene Arbeitskämpfe sind weder repräsentativ noch geeignet, die Senatsrechtsprechung in Frage zu stellen, wonach die Anzahl der gegenwärtigen Mitglieder einer Arbeitnehmerkoalition ein geeignetes Kriterium zur Beurteilung von deren Durchsetzungsfähigkeit gegenüber dem sozialen Gegenspieler darstellt.

8

d) In Bezug auf die auf Seite 28 der Beschwerdebegründung formulierte Rechtsfrage zur Erforderlichkeit der Angabe der Mitgliederzahl einer Arbeitnehmerkoalition für die Beurteilung der Tariffähigkeit wird deren Klärungsbedürftigkeit nicht ausreichend dargelegt. Es fehlt an einer Auseinandersetzung, aus welchen Gründen die zuletzt in den in der Beschwerdebegründung angeführten Senatsentscheidungen vom 28. März 2006 (- 1 ABR 58/04 - BAGE 117, 308) und vom 5. Oktober 2010 (- 1 ABR 88/09 - BAGE 136, 1) enthaltenen Rechtssätze einer erneuten Überprüfung durch den Senat bedürfen. Hierzu ist der Hinweis auf die Veröffentlichungspraxis von anderen Gewerkschaften offenkundig unzureichend.

9

e) In Bezug auf die auf Seite 38 der Beschwerdebegründung formulierte Rechtsfrage zur Bedeutung der Europäischen Menschenrechtskonvention für die Beurteilung der Tariffähigkeit einer Arbeitnehmerkoalition hat die Beschwerde deren Klärungsbedürftigkeit nicht ausreichend dargelegt. Mit dieser Fragestellung hat sich der Senat bereits in seiner Entscheidung vom 28. März 2006 befasst. Er hat angenommen, Art. 11 Abs. 1 EMRK enthalte keine Regelungen über die Anforderungen, die an die Tariffähigkeit einer Gewerkschaft zu stellen sind(BAG 28. März 2006 - 1 ABR 58/04 - Rn. 51, BAGE 117, 308). Mit dieser Entscheidung setzt sich die Beschwerdebegründung nicht auseinander.

10

II. Eine entscheidungserhebliche Divergenz iSd. § 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG liegt nicht vor.

11

1. Nach §§ 92a, 72 Abs. 2 ArbGG kann die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde durch das Landesarbeitsgericht auch dann angefochten werden, wenn eine Divergenz iSd. § 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG vorliegt. Dazu muss der anzufechtende Beschluss von einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts oder eines anderen der im Gesetz genannten Gerichte abweichen und auf dieser Abweichung beruhen. Das hat der Beschwerdeführer zu begründen und die Entscheidung, von der der Beschluss des Landesarbeitsgerichts abweicht, zu bezeichnen. Die Beschwerde muss darlegen, dass der anzufechtende Beschluss einen allgemeinen, die Entscheidung tragenden Rechtssatz aufgestellt hat und dass dieser von einem in einer divergenzfähigen Entscheidung aufgestellten Rechtssatz abweicht. Hierfür reicht die Benennung einer fehlerhaften oder unterlassenen Anwendung der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts oder eines anderen der im Gesetz genannten Gerichte nicht aus.

12

2. Die auf den Seiten 12, 17, 25, 28, 33 und 35 der Beschwerdebegründung behaupteten Divergenzen zu Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesarbeitsgerichts liegen nicht vor. Das Landesarbeitsgericht hat in den angeführten Teilen seiner Entscheidung keine fallübergreifenden abstrakten Rechtssätze aufgestellt, die von Rechtssätzen der in § 72a Abs. 2 Nr. 2 ArbGG genannten Gerichte oder Spruchkörper abweichen. Die Beschwerdeführerin macht im Wesentlichen auch nur geltend, das Landesarbeitsgericht habe die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesarbeitsgerichts bei seiner Entscheidung nicht oder nicht ausreichend beachtet. Insoweit rügt sie nur die fehlerhafte Rechtsanwendung durch das Landesarbeitsgericht, die ihr die Zulassung der Rechtsbeschwerde nicht eröffnet. Ob der Beschluss des Landesarbeitsgerichts rechtsfehlerhaft ist, könnte das Bundesarbeitsgericht nur im Rahmen einer zugelassenen Rechtsbeschwerde prüfen.

13

III. Die Rechtsbeschwerde ist auch nicht wegen einer Verletzung des Anspruchs auf Gewährung von rechtlichem Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) nach § 72 Abs. 2 Nr. 3 Alt. 2, § 92a ArbGG zuzulassen.

14

1. Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG liegt vor, wenn besondere Umstände hinreichend deutlich machen, dass der Richter den Vortrag der Partei nicht zur Kenntnis nimmt oder nicht in Erwägung zieht(BVerfG 23. Juni 1993 - 1 BvR 485/92 - zu II 3 der Gründe). Wird in einem Beschlussverfahren der Sachverhalt vom Beschwerdegericht nur unzureichend aufgeklärt, kann ein damit verbundener einzelfallbezogener Verstoß gegen den Untersuchungsgrundsatz (§ 83 Abs. 1 Satz 1 ArbGG) mit einer auf § 72 Abs. 2 Nr. 3 Alt. 2, § 92a ArbGG gestützten Nichtzulassungsbeschwerde gerügt werden, wenn das Landesarbeitsgericht zugleich in entscheidungserheblicher Weise gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs verstößt. Ein Verstoß gegen das einfach-rechtliche Gebot der ausreichenden Sachverhaltsaufklärung wird nicht von § 72 Abs. 2 Nr. 3 Alt. 2 ArbGG erfasst. Art. 103 Abs. 1 GG schützt auch nicht davor, dass das Gericht dem Vortrag einer Partei nicht die aus deren Sicht richtige Bedeutung beimisst(BAG 14. Juni 2006 - 5 AZN 73/06 - Rn. 9).

15

2. Daran gemessen hat die Beschwerdeführerin nicht ausreichend dargetan, dass die von ihr auf den Seiten 16, 21, 28, 29, 33 und 35 der Beschwerdebegründung behaupteten Verstöße gegen den Amtsermittlungsgrundsatz zugleich eine Verletzung ihres Anspruchs auf Gewährung von rechtlichem Gehör iSd. Art. 103 Abs. 1 GG darstellen. Soweit die Beschwerde auf Seite 29 der Beschwerdebegründung zusätzlich die Nichterhebung der von ihr angebotenen Beweise rügt, ist dies allein zur ordnungsgemäßen Darlegung des Zulassungsgrunds aus § 72 Abs. 2 Nr. 3 Alt. 2 ArbGG nicht ausreichend. Die Beschwerde hätte darlegen müssen, was eine Beweisaufnahme ergeben hätte und dass deren Ergebnis unter Beachtung des Begründungswegs des Landesarbeitsgerichts zu einer für sie günstigen Entscheidung geführt hätte. Hieran fehlt es.

16

3. Die von der Beschwerde auf Seite 28 der Beschwerdebegründung behauptete Verletzung der Hinweispflicht führt ebenso nicht zur Zulassung der Rechtsbeschwerde nach § 72 Abs. 2 Nr. 3 Alt. 2 ArbGG. Die Beschwerde legt nicht dar, welchen konkreten Hinweis zu ihrem Vorbringen sie vermisst hat und welchen Vortrag sie auf einen solchen Hinweis gehalten hätte. Ebenso hat sie in Bezug auf den unterbliebenen Hinweis keinen Vortrag zur Entscheidungserheblichkeit gehalten.

17

IV. Auf die Ablehnung des von der Beschwerdeführerin gestellten Aussetzungsantrags durch das Landesarbeitsgericht kann die Beschwerde nicht gestützt werden. Zwar wiederholt und vertieft sie in der Beschwerdebegründung ihr Vorbringen zu der von ihr angenommenen Verfassungswidrigkeit des § 97 Abs. 2 ArbGG idF von Art. 2 Nr. 4 Buchst. b des Gesetzes zur Stärkung der Tarifautonomie (Tarifautonomiestärkungsgesetz) vom 11. August 2014 (BGBl. I S. 1348). Jedoch formuliert sie insoweit weder eine Rechtsfrage iSd. § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG noch legt sie dar, dass diese Frage zur Vermeidung divergierender Entscheidungen der Instanzgerichte einer höchstrichterlichen Klärung bedarf, die ggf. zu einer Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG führen könnte. Ebenso kann dahinstehen, ob die Beschränkung des Instanzenzugs für die Beurteilung der Tariffähigkeit verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt. Einen hierin liegenden Verstoß kann die Beschwerdeführerin nicht auf die Verletzung ihres Anspruchs auf die Gewährung von rechtlichem Gehör iSd. Art. 103 Abs. 1 GG stützen. Ebenso hat sie nicht ausreichend dargetan, dass die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts, von einer Vorlage an das Bundesverfassungsgericht abzusehen, gegen Art. 103 Abs. 1 GG verstößt. Soweit ersichtlich sind im arbeitsrechtlichen Schrifttum - außer von dem Verfahrensbevollmächtigten der Beschwerdeführerin - keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Änderung des § 97 Abs. 2 ArbGG geäußert worden.

18

V. Von einer weiteren Begründung zum sonstigen, vom Senat geprüften Vorbringen der Beschwerdeführerin wird gemäß §§ 92a, 72a Abs. 5 Satz 5 ArbGG abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Rechtsbeschwerde zuzulassen ist.

        

    Schmidt    

        

    K. Schmidt    

        

    Koch    

        

        

        

    Rath    

        

    N. Schuster    

                 

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

4
1. Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Das Gebot des rechtlichen Gehörs soll als Prozessgrundrecht sicherstellen, dass die Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, welche ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Par- teien haben. In diesem Sinne gebietet Art. 103 Abs. 1 GG in Verbindung mit den Grundsätzen der Zivilprozessordnung die Berücksichtigung erheblicher Beweisanträge. Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze findet (vgl. Senat, Beschluss vom 12. Mai 2009 - VI ZR 275/08, VersR 2009, 1137 Rn. 2 mwN).

Tenor

Die Beschlüsse des Landgerichts Bautzen vom 5. Januar 2011 und vom 8. Februar 2011 - 3 T 111/10 - verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem grundrechtsgleichen Recht aus Artikel 103 Absatz 1 des Grundgesetzes. Sie werden aufgehoben. Die Sache wird an das Landgericht Bautzen zurückverwiesen.

Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

...

Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit im Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf 8.000,00 € (in Worten: achttausend Euro) festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die mit einem Eilantrag verbundene Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen die Erteilung des Zuschlags in einem Zwangsversteigerungsverfahren.

2

1. a) Die Beschwerdeführerin war Eigentümerin eines mit einem Einfamilienwohnhaus und zwei Doppelgaragen bebauten Grundstücks. Die D... AG (im Folgenden: Gläubigerin) hatte die Zwangsversteigerung des Grundstücks beantragt. Das Amtsgericht hatte Versteigerungstermin auf den 15. Oktober 2010 bestimmt.

3

Mit Schriftsatz vom 6. Oktober 2010 hat die Beschwerdeführerin gemäß § 765a ZPO die Einstellung der Zwangsversteigerung beantragt und zur Begründung unter anderem ausgeführt, dass sie sich wegen des Zwangsversteigerungsverfahrens und des Versteigerungstermins in einer schweren Depression mit Selbstmordgefahr befinde. Die Durchführung des Zwangsversteigerungstermins stelle eine sittenwidrige Härte dar, da bei Durchführung der Versteigerung sich ihr schon kritischer psychischer Zustand erheblich verschlechtern werde und mit ihrem Suizid zu rechnen sei. Zum Beleg hat sie eine Bescheinigung der sie behandelnden Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. M... vom 4. Oktober 2010 vorgelegt, in der es heißt, dass sich die Beschwerdeführerin in einer mittelschweren depressiven Episode befinde und sie aufgrund ihrer derzeitigen psychischen Verfassung mit latenter Suizidalität nicht in der Lage sei, das Zwangsvollstreckungsverfahren emotional zu bewältigen.

4

Die Gläubigerin ist diesem Vorbringen mit Schriftsatz vom 11. Oktober 2010 entgegengetreten. Sie gehe davon aus, dass sämtliche Einlassungen der Beschwerdeführerin eine Verzögerungstaktik darstellten.

5

b) Im Versteigerungstermin am 15. Oktober 2010 blieb Herr F... Meistbietender mit einem Gebot von 350.000 €. Über die Erteilung des Zuschlags wurde im Versteigerungstermin nicht entschieden. Das Amtsgericht bestimmte vielmehr durch Beschluss vom 15. Oktober 2010 Termin zur Verkündung einer Entscheidung auf den 10. November 2010.

6

c) Mit weiterem Beschluss vom 15. Oktober 2010 regte das Amtsgericht (Vollstreckungsgericht) gegenüber dem Landratsamt und dem Amtsgericht (Betreuungsgericht) die Unterbringung der Beschwerdeführerin an. Darin führte das Amtsgericht (Vollstreckungsgericht) aus:

7

Die Unterbringung der Beschwerdeführerin sei notwendig. Ihr werde attestiert, aufgrund ihrer derzeitigen psychischen Verfassung mit latenter Suizidalität nicht in der Lage zu sein, das Zwangsversteigerungsverfahren emotional zu bewältigen. Im Versteigerungstermin sei ein zuschlagsfähiges Gebot abgegeben worden. Die Entscheidung über den Zuschlag sei jedoch ausgesetzt und auf den 10. November 2010 vertagt worden, weil eine Gefährdung für Leib und Leben der Beschwerdeführerin durch Suizid im Falle der Zuschlagserteilung nicht ausgeschlossen werden könne. Die Zwangsvollstreckung werde jedoch fortzusetzen sein, wenn die für den Lebensschutz primär zuständigen Stellen (gemeint: Landratsamt und Betreuungsgericht) Maßnahmen zum Schutz der Beschwerdeführerin nicht für notwendig erachteten.

8

d) Am 2. November 2010 führte eine beim Landratsamt - Gesundheitsamt - tätige Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie (im Folgenden: Amtsärztin) in Begleitung einer Sozialarbeiterin einen Hausbesuch bei der Beschwerdeführerin durch. Mit Schreiben vom 8. November 2010 teilte die Amtsärztin dem Landratsamt - Ordnungsamt - diesbezüglich Folgendes mit:

9

"Die psychiatrische Untersuchung ergab eine mittelgradige depressive Episode, ausgelöst durch das anhängige Zwangsversteigerungsverfahren. Es fand sich zum Untersuchungszeitpunkt kein Anhalt für aktuelle Suizidalität, sodass aus meiner Sicht die Bedingungen für die Unterbringung der Betroffenen (der Beschwerdeführerin) gegen ihren Willen in einer psychiatrischen Klinik nicht erfüllt sind.

10

Frau S... (die Beschwerdeführerin) befindet sich in regelmäßiger ambulanter psychiatrischer Behandlung bei Frau Dr. M..., Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, in Dresden.

11

Der Betroffenen wurde nahe gelegt, sich auf Grund des Ausmaßes ihrer psychischen Störungen sich einer tagesklinischen bzw. bei Intensitätszunahme einer freiwilligen stationären psychiatrischen Behandlung zu unterziehen. Sie äußerte gegen diesen Vorschlag keine Einwände. Ihre behandelnde Fachärztin, Frau Dr. M..., versicherte im Rahmen eines Telefongespräches am 02.11.2010, ihr dabei behilflich zu sein.

12

Weiterhin wurde ihr Hilfe von Seiten des Sozialpsychiatrischen Dienstes, Standort Kamenz, angeboten."

13

Daraufhin sah das Landratsamt - Ordnungsamt - von einem Antrag auf Unterbringung der Beschwerdeführerin ab und stellte das Verwaltungsverfahren ein. Mit Schreiben vom 9. November 2010 setzte es das Amtsgericht (Vollstreckungsgericht) hiervon in Kenntnis.

14

e) Ebenfalls mit Schreiben vom 9. November 2010 teilte das Amtsgericht (Betreuungsgericht) dem Amtsgericht (Vollstreckungsgericht) Folgendes mit:

15

"... auf Ihre Anregung zur Einrichtung einer Betreuung und Unterbringung der Betroffenen hat die zuständige Betreuungsbehörde den Sachverhalt ermittelt und insbesondere ein ausführliches Gespräch mit der Betroffenen geführt. Die Betroffene hat angegeben, ab dem 15.11.2010 eine Behandlung in der Tagesklinik des SKH Arnsdorf aufnehmen zu wollen. Die Klinik ist von mir angeschrieben worden. Für den Fall, dass die Betroffene die Behandlung am 15.11.2010 aufnimmt, beabsichtige ich, das hiesige Verfahren einzustellen."

16

2. Ohne das Schreiben der Amtsärztin vom 8. November 2010, das Schreiben des Landratsamts - Ordnungsamt - vom 9. November 2010 und das Schreiben des Amtsgerichts (Betreuungsgericht) vom selben Tage der Beschwerdeführerin vorher zu übermitteln, verkündete das Amtsgericht (Vollstreckungsgericht) am 10. November 2010 den Zuschlagsbeschluss. Darin erteilte es dem Meistbietenden den Zuschlag und führte zur Begründung aus, dass Zuschlagsversagungsgründe nicht gegeben seien, insbesondere ein Zuschlagsversagungsgrund nach § 765a ZPO nicht vorliege. Die für den Lebensschutz primär zuständigen Stellen hätten eine Unterbringung der Beschwerdeführerin nicht für notwendig erachtet. Diese habe angegeben, ab dem 15. November 2010 freiwillig eine Behandlung in einer Tagesklinik aufnehmen zu wollen.

17

3. Gegen den Zuschlagsbeschluss erhob die Beschwerdeführerin sofortige Beschwerde.

18

a) Im Beschwerdeverfahren rügte sie zunächst, das Schreiben der Amtsärztin vom 8. November 2010, das Schreiben des Landratsamts - Ordnungsamt - vom 9. November 2010 und das Schreiben des Amtsgerichts (Betreuungsgericht) vom selben Tage seien ihr unbekannt. Den Inhalt der Schreiben bestritt sie mit Nichtwissen und beantragte Akteneinsicht.

19

Des Weiteren legte sie dar, es bestehe weiterhin die konkrete Gefahr der Selbsttötung und diese Gefahr habe sich durch den Zuschlagsbeschluss noch verstärkt. Diese Gefahr sei durch flankierende Maßnahmen nicht zu beseitigen.

20

Eine ordnungsgemäße Untersuchung und Diagnosestellung durch die Behörden sei nicht erfolgt. Die Amtsärztin habe mit ihr nur ein kurzes Gespräch geführt. Sie habe jedoch die akute Suizidgefahr gesehen und von einer zwangsweisen Einweisung gesprochen.

21

Am 15. November 2010, als die Beschwerdeführerin die Klinik in Arnsdorf aufgesucht habe, habe sie dort nicht aufgenommen werden können. Von der Klinik sei ihr mitgeteilt worden, dass kein Platz zur Aufnahme zur Verfügung stehe; bei dem Termin habe es sich lediglich um eine von der (die Beschwerdeführerin ambulant behandelnden) Ärztin vorgenommene Vorreservierung gehandelt, die von der Klinik nicht bestätigt worden sei.

22

b) Nachdem die Beschwerdeführerin von ihr benannte Aktenbestandteile in Mehrfertigung erhalten hatte, brachte sie ergänzend vor, die "Stellungnahme" der Amtsärztin vom 8. November 2010 widerspreche den Ausführungen der Amtsärztin beim Hausbesuch am 2. November 2010 diametral. Damals habe ihr die Amtsärztin wiederholt mitgeteilt, dass sie wählen könne, ob sie freiwillig die Klinik in Arnsdorf aufsuche oder andernfalls von der Behörde zwangsweise eingewiesen werde.

23

Im Übrigen seien ausreichende Untersuchungen durch die Behörden nicht durchgeführt und der Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin nicht ausreichend festgestellt worden. Ein Gutachten sei nicht erstellt worden.

24

c) Bezüglich des Vortrags der konkreten Suizidgefahr und des von ihr behaupteten Umstands, dass die Suizidgefahr durch flankierende Maßnahmen nicht zu beseitigen sei, bot die Beschwerdeführerin im Beschwerdeverfahren ausdrücklich Beweis durch Einholung eines Sachverständigengutachtens an. Für den Ablauf des Hausbesuchs der Amtsärztin am 2. November 2010 und die Abweisung durch die Klinik in Arnsdorf am 15. November 2010 benannte sie ihren Ehemann Herrn S.... als Zeugen.

25

4. Mit angegriffenem Beschluss vom 5. Januar 2011 wies das Landgericht die sofortige Beschwerde der Beschwerdeführerin gegen den Zuschlagsbeschluss des Amtsgerichts zurück. Zur Begründung referierte das Landgericht zunächst Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und wies darauf hin, dass sowohl das Amtsgericht (Betreuungsgericht) als auch das Landratsamt es nicht für notwendig erachtet hätten, weitere Maßnahmen zum Schutze des Lebens der Beschwerdeführerin zu ergreifen. Alsdann gab es den Inhalt des - an das Landratsamt - Ordnungsamt - gerichteten - Schreibens der Amtsärztin vom 8. November 2010 wieder:

26

"Ausweislich des hier vorliegenden amtsärztlichen Zeugnisses der Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie Frau Z... ergab die psychiatrische Untersuchung der Schuldnerin eine mittelgradige depressive Episode, ausgelöst durch das anhängige Zwangsversteigerungsverfahren. Es fand sich zum Untersuchungszeitpunkt kein Anhalt für aktuelle Suizidalität, sodass aus Sicht der Amtsärztin die Voraussetzungen für eine Unterbringung der Schuldnerin gegen ihren Willen in einer psychiatrischen Klinik nicht erfüllt sind. Die Schuldnerin be-findet sich zudem in regelmäßiger ambulanter psychiatrischer Behandlung bei Frau Dr. M..., Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, in Dresden. Der Schuldnerin wurde von der Amtsärztin zudem nahegelegt, sich auf Grund des Ausmaßes ihrer psychischen Störungen einer tagesklinischen bzw. bei Intensitätszunahme einer freiwilligen stationären psychiatrischen Behandlung zu unterziehen. Sie äußerte gegen diesen Vorschlag laut Amtsärztin keine Einwände. Ihre behandelnde Fachärztin Frau Dr. M... versicherte im Rahmen eines Telefongesprächs am 2. November 2010, ihr dabei behilflich zu sein. Weiterhin wurde der Schuldnerin Hilfe von Seiten des Sozialpsychiatrischen Dienstes, Standort Kamenz, angeboten."

27

Hieraus zog das Gericht den Schluss, "dass die Schuldnerin durchaus in der Lage ist, selbst geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um die für sie schwierige Situation zu bewältigen". Die Einstellung der Zwangsversteigerung sei aus diesen Gründen nicht gerechtfertigt.

28

5. Gegen den Beschluss des Landgerichts vom 5. Januar 2011 erhob die Beschwerdeführerin Gehörsrüge.

29

a) Das Gericht habe ihren im Beschwerdeverfahren unterbreiteten Sachvortrag, dass sich die Suizidgefahr nach Verkündung des Zuschlagsbeschlusses noch verstärkt und verdichtet habe, vollkommen übergangen und ihr diesbezügliches Beweisangebot - Einholung eines Sachverständigengutachtens - ohne Gründe unberücksichtigt gelassen.

30

Entsprechendes - nämlich Übergehen des Sachvortrags und des Beweisangebots - gelte bezüglich ihres Bestreitens, dass die vorliegende Suizidgefahr durch flankierende Maßnahmen zu beseitigen sei.

31

b) Das Gericht habe zudem ihr Vorbringen, eine ordnungsgemäße Untersuchung und Diagnosestellung habe nicht stattgefunden, sondern nur ein kurzes Gespräch mit der Amtsärztin, und das entsprechende Beweisangebot - Zeugnis ihres Ehemannes - übergangen. Die Stellungnahme der Amtsärztin stelle lediglich eine kurze Momentaufnahme einer Ärztin dar, die die Geschichte und das Leiden der Beschwerdeführerin mangels ausreichender Beurteilungsgrundlagen sowie Zeit nicht sicher beurteilen könne.

32

c) Außerdem habe das Gericht im Beschluss vom 5. Januar 2011 den durch das Zeugnis ihres Ehemannes unter Beweis gestellten Sachvortrag mit keinem Wort erwähnt, dass die Amtsärztin sie beim Hausbesuch am 2. November 2010 aufgefordert habe, die Klinik in Arnsdorf freiwillig aufzusuchen, andernfalls sie sie zwangsweise einweisen werde. Die Aussage stehe diametral dem Inhalt der Stellungnahme der Amtsärztin vom 8. November 2010 entgegen; diese habe vor Ort die Notwendigkeit einer Einweisung der Beschwerdeführerin gesehen, notfalls auch gegen deren Willen.

33

d) Darüber hinaus habe das Gericht auch das ebenfalls unter Zeugenbeweis gestellte weitere Beschwerdevorbringen zur Nichtaufnahme - wegen Platzmangels - in die Klinik in Arnsdorf am 15. November 2010 übergangen.

34

6. Mit angegriffenem Beschluss vom 8. Februar 2011 wies das Landgericht die Gehörsrüge zurück. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin habe es berücksichtigt, auch wenn es in seiner Begründung mangels Entscheidungserheblichkeit nicht zu jedem einzelnen Punkt Stellung bezogen habe.

35

In dem Beschluss über die Zurückweisung der sofortigen Beschwerde gegen den Zuschlagsbeschluss sei ausgeführt, dass weder das Amtsgericht (Betreuungsgericht) noch das Landratsamt es für notwendig erachtet hätten, weitere Maßnahmen zum Schutz der Beschwerdeführerin zu ergreifen. Weiter sei ausgeführt, dass sich die Beschwerdeführerin in regelmäßiger ambulanter psychiatrischer Behandlung bei einer Fachärztin befinde und durchaus in der Lage sei, selbst geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um die für sie schwierige Situation zu bewältigen. Wenn die Beschwerdeführerin zudem in der Tagesklinik nicht aufgenommen worden sei, zeige dies umso mehr, dass die Notwendigkeit einer Einweisung nicht gegeben sei und die bisherigen Hilfeleistungen ausreichten. Der Einholung eines Sachverständigengutachtens habe es daher nicht bedurft.

36

Das weitere Vorbringen der Beschwerdeführerin in der Gehörsrüge sei nicht entscheidungserheblich beziehungsweise rechtfertige keine anderslautende Entscheidung.

II.

37

1. Mit der Verfassungsbeschwerde macht die Beschwerdeführerin geltend, in ihrem grundrechtsgleichen Recht auf Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt zu sein. Wäre das Gericht dem Sachvortrag und den Beweisangeboten nachgegangen, hätte es aller Voraussicht nach nach Einholung des Sachverständigengutachtens dem Antrag nach § 765a ZPO stattgegeben. Die angefochtene Entscheidung beruhe auch auf dem Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG. Darüber hinaus liege eine Verletzung weiterer Grundrechte und grundrechtsgleicher Rechte der Beschwerdeführerin vor, insbesondere aus Art. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG.

38

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts seien Beweisangebote für das Vorbringen, ihr drohe eine schwerwiegende Gefahr für Leben und Gesundheit, besonders sorgfältig zu prüfen. Dies sei nicht geschehen.

39

Das angebotene Sachverständigengutachten sei nicht eingeholt worden, vielmehr habe das Gericht allein auf die Stellungnahme der Amtsärztin abgestellt. Diese sei jedoch aufgrund der knappen Zeit gar nicht in der Lage gewesen, die Beschwerdeführerin und deren Leiden eingehend zu beurteilen; außerdem habe sie die Beschwerdeführerin bei dem Hausbesuch aufgefordert, sich freiwillig in die psychiatrische Abteilung in Arnsdorf zu begeben, andernfalls sie sie zwangsweise einweisen werde. Diesbezüglich rügt die Beschwerdeführerin, dass dem angebotenen Beweis durch Einvernahme ihres Ehemannes als Zeugen nicht nachgegangen worden sei.

40

Darüber hinaus sei die Verneinung der Suizidgefahr auch auf den falschen Zeitpunkt bezogen worden, weil das Gericht auf den Zeitpunkt des Hausbesuchs der Amtsärztin am 2. November 2010 vor Zuschlagserteilung am 10. November 2010, und somit vor Verlust des Eigentums, abgestellt habe. Bei der Entscheidung über die Zuschlagsbeschwerde komme es dagegen vor allem auf den Zeitpunkt an, in dem der Eigentumsverlust endgültig feststehe.

41

Nicht berücksichtigt habe das Gericht außerdem den weiteren Vortrag der Beschwerdeführerin, dass sich durch den Zuschlagsbeschluss die Suizidgefahr bei ihr verstärkt habe.

42

2. Den Begünstigten des Ausgangsverfahrens und dem Staatsministerium der Justiz und für Europa des Freistaates Sachsen ist Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden. Das Staatsministerium hat von einer Stellungnahme abgesehen. Nach Ansicht der Begünstigten des Ausgangsverfahrens ist eine Verletzung der Beschwerdeführerin in ihren Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten durch die von ihr angegriffenen Beschlüsse nicht zu erkennen.

43

Zu Art. 103 Abs. 1 GG vertritt der Ersteher die Auffassung, dass eine Verletzung des Anspruchs der Beschwerdeführerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs nicht vorliege. Sowohl das Amtsgericht als auch das Landgericht hätten den Sach- und Rechtsvortrag der Beschwerdeführerin zur Kenntnis genommen und gewürdigt. Zur behaupteten Suizidgefahr hätten sie Beweis erhoben und im Rahmen der Beschlüsse diesen gewürdigt. Die Beschwerdeführerin störe lediglich die Art der rechtlichen Bewertung.

44

Auch die Gläubigerin hält die Rüge der Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG für unbegründet. Für das Gericht erwachse aus Art. 103 Abs. 1 GG die Pflicht, die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Dem genügten die angegriffenen Beschlüsse. Das Amtsgericht habe sich ausführlich mit dem Vorbringen der Beschwerdeführerin beschäftigt und auseinandergesetzt. Dasselbe gelte für das Landgericht. Dabei sei ihr Vorbringen zu den eingeleiteten Selbsthilfemaßnahmen berücksichtigt und die Frage des Beweisantritts durch Einholung eines Sachverständigengutachtens diskutiert worden. Soweit die Beschwerdeführerin in der Verfassungsbeschwerde gleichwohl angeblich unberücksichtigte Aspekte ihres Vortrags anspreche, verkenne sie, dass Art. 103 Abs. 1 GG die Gerichte nicht dazu verpflichte, der von der Partei vertretenen Rechtsansicht zu folgen, und sie deren Sachvortrag aus Gründen des formellen und materiellen Rechts unberücksichtigt lassen dürften.

45

3. Die Akten des Ausgangsverfahrens sind beigezogen worden.

III.

46

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, soweit sie sich gegen die Beschlüsse des Landgerichts vom 5. Januar 2011 und 8. Februar 2011 richtet, und gibt ihr insoweit statt. Die Annahme in diesem Umfang ist zur Durchsetzung des verfassungsmäßigen Rechts der Beschwerdeführerin auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen für eine stattgebende Entscheidung durch die Kammer liegen vor (§ 93c Abs. 1 BVerfGG).

47

Das Landgericht hat die Beschwerdeführerin durch die vorgenannten Beschlüsse in ihrem grundrechtsgleichen Recht auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt, indem es zu dem Ergebnis gelangte, dass bei ihr keine Suizidgefahr bestehe, die eine (einstweilige) Einstellung des Zwangsversteigerungsverfahrens unter Aufhebung des Zuschlagsbeschlusses rechtfertige, ohne zuvor ein von ihr zum Nachweis der Behauptung, dass bei ihr im Falle des endgültigen Verlusts des Eigentums an Haus und Grundstück durch das Zwangsversteigerungsverfahren eine konkrete, durch flankierende Maßnahmen nicht zu beseitigende Suizidgefahr gegeben sei, beantragtes medizinisches Sachverständigengutachten zu erheben.

48

1. Der in Art. 103 Abs. 1 GG verbürgte Anspruch auf rechtliches Gehör verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (vgl. BVerfGE 42, 364 <367 f.>; stRspr.). Art. 103 Abs. 1 GG ist allerdings erst verletzt, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist. Ein vom Bundesverfassungsgericht festzustellender Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG liegt vor, wenn im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung nicht erwogen wurde (vgl. BVerfGE 65, 293 <295 f.>; 70, 288 <293>; 86, 133 <145 f.>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 18. Januar 2011 - 1 BvR 2441/10 -, juris, Rn.10).

49

Art. 103 Abs. 1 GG in Verbindung mit den Grundsätzen der Zivilprozessordnung gebietet die Berücksichtigung erheblichen Vorbringens und erheblicher Beweisanträge (vgl. BVerfGE 60, 247 <249>; 60, 250 <252>; 65, 305 <307>; 69, 141 <143>; BVerfGK 12, 346 <350 f.>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 18. Juni 1993 - 2 BvR 1815/92 -, NVwZ 1994, S. 60 <61>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 18. Januar 2011, a.a.O., Rn. 11). Zwar gewährt Art. 103 Abs. 1 GG keinen Schutz dagegen, dass das Gericht Vorbringen der Beteiligten aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts ganz oder teilweise unberücksichtigt lässt (vgl. BVerfGE 50, 32 <35>; 60, 1 <5>; 60, 305 <310>; 62, 249 <254>; 69, 141 <143 f.>; BVerfGK 12, 346 <351>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 18. Juni 1993, a.a.O.; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 18. Januar 2011, a.a.O.); der Anspruch auf rechtliches Gehör ist jedoch verletzt, wenn die Nichtberücksichtigung von Vortrag oder von Beweisanträgen im Prozessrecht keine Stütze mehr findet (vgl. BVerfGE 50, 32 <36>; 60, 250 <252>; 65, 305 <307>; 69, 141 <144>; BVerfGK 12, 346 <351>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 18. Juni 1993, a.a.O.; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 18. Januar 2011, a.a.O.).

50

2. Ein solcher Fall liegt hier vor.

51

a) Die Frage, ob die Beschwerdeführerin bei einem endgültigen Verlust des Eigentums an Haus und Grundstück im Zwangsversteigerungsverfahren konkret suizidgefährdet ist, war entscheidungserheblich.

52

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und der mit ihr übereinstimmenden - ständigen - Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist in Fällen dieser Art zunächst zu klären, ob eine konkrete Suizidgefahr des Schuldners besteht und, wenn ja, ob diese gerade im endgültigen Eigentumsverlust durch den Eintritt der Rechtskraft des Zuschlagsbeschlusses - und nicht etwa in einer (möglicherweise) drohenden Zwangsräumung - ihre maßgebliche Ursache hat (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 11. Juli 2007 - 1 BvR 501/07 -, NJW 2007, S. 2910 <2911>; BGH, Beschlüsse vom 15. Juli 2010 - V ZB 1/10 -, NZM 2010, S. 836 <837>; vom 7. Oktober 2010 - V ZB 82/10 -, WM 2011, S. 74 <75>; vom 2. Dezember 2010 - V ZB 124/10 -, NZM 2011, S. 167 <168 f.>; vom 16. Dezember 2010 - V ZB 215/09 -, FamRZ 2011, S. 478 <479> und vom 17. Februar 2011 - V ZB 205/10 -, NJW-RR 2011, S. 1000 f.). Sind beide Fragen zugunsten des Schuldners zu bejahen, hat sich im Hinblick auf die Zuschlagserteilung eine umfassende, am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierte Würdigung der Gesamtumstände anzuschließen, die sowohl den dem Schuldner in der Zwangsvollstreckung gewährleisteten Grundrechten als auch den gewichtigen, ebenfalls grundrechtlich geschützten Interessen der anderen Beteiligten des Zwangsversteigerungsverfahrens Rechnung trägt. Im Rahmen dieser gegebenenfalls vorzunehmenden Abwägung ist dann zugleich zu prüfen, ob der Gefahr nicht auf andere Weise als durch die Aufhebung des Zuschlagsbeschlusses und eine vorübergehende Einstellung der Zwangsvollstreckung begegnet werden kann (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 11. Juli 2007, a.a.O.; BGH, Beschlüsse vom 15. Juli 2010, a.a.O.; vom 7. Oktober 2010, a.a.O.; vom 2. Dezember 2010, a.a.O., S. 169; vom 16. Dezember 2010, a.a.O.; vom 17. Februar 2011, a.a.O., S. 1000 <1001> und vom 31. März 2011 - V ZB 313/10 -, juris, Rn. 18).

53

b) Die Beschwerdeführerin hat substantiiert vorgetragen und - erstmals in ihrer sofortigen Beschwerde vom 24. November 2010 gegen den Zuschlagsbeschluss des Amtsgerichts - beantragt, durch Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens Beweis darüber zu erheben, dass sie bei einem endgültigen Verlust des Eigentums an Haus und Grundstück im Zwangsversteigerungsverfahren konkret suizidgefährdet sei und dieser Gefahr auf andere Weise als durch Einstellung der Zwangsversteigerung nicht wirksam begegnet werden könne. Zur Substantiierung hatte sie eine zeitnah erstellte ärztliche Bescheinigung einer sie ambulant behandelnden Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie vorgelegt, in der es unter anderem heißt, dass die Beschwerdeführerin an einer mittelschweren depressiven Episode leide und aufgrund ihrer derzeitigen psychischen Verfassung mit latenter Suizidalität nicht in der Lage sei, das Zwangsvollstreckungsverfahren emotional zu bewältigen.

54

Das reicht aus, um nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. BGH, Beschlüsse vom 2. Dezember 2010, a.a.O., S. 167 ff. und vom 31. März 2011, a.a.O., Rn. 2 und 16) den zivilprozessualen Substantiierungsanforderungen zu genügen. Im Hinblick auf die Bedeutung des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG dürfen an die Darlegungslast des Schuldners keine überzogenen Anforderungen gestellt werden. Insbesondere ist der Schuldner nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs weder verpflichtet, das Gericht bereits durch seinen Vortrag davon zu überzeugen, dass eine konkrete Suizidgefahr bestehe, noch muss er diese Gefahr durch Beibringung von Attesten nachweisen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 2. Dezember 2010, a.a.O., S. 168; vom 16. Dezember 2010, a.a.O.; vom 17. Februar 2011, a.a.O. und vom 31. März 2011, a.a.O., Rn. 14); die Richtigkeit einer schlüssigen Behauptung muss sich vielmehr - wie auch sonst in Verfahren, die nach der Zivilprozessordnung durchzuführen sind - im Rahmen der Beweisaufnahme erweisen (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Februar 2011, a.a.O.). Bestehen, wie hier, hinreichende Anhaltspunkte für die Annahme einer konkreten Suizidgefahr, ist das Gericht - da es die Ernsthaftigkeit dieser Gefahr mangels eigener medizinischer Sachkunde ohne sachverständige Hilfe in aller Regel nicht beurteilen kann - regelmäßig gehalten, einem Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zu entsprechen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 2. Dezember 2010, a.a.O.; vom 17. Februar 2011, a.a.O. und vom 31. März 2011, a.a.O., Rn. 18).

55

c) Das Landgericht, das eigene Sachkunde zur Beurteilung medizinischer Fachfragen in den angegriffenen Beschlüssen nicht dargelegt hat, hätte demzufolge den angebotenen Beweis erheben und mittels eines medizinischen Sachverständigengutachtens klären müssen, ob bei Endgültigkeit der Zuschlagserteilung die Beschwerdeführerin konkret suizidgefährdet ist und, wenn dem so sein sollte, auf welche Weise dieser Gefahr wirksam begegnet werden kann.

56

aa) Daran ändert nichts, dass dem Landgericht das an das Landratsamt - Ordnungsamt - gerichtete Schreiben der Amtsärztin vom 8. November 2010 zur Verfügung gestanden hat.

57

(1) Zwangsversteigerungsverfahren sind, soweit es um Fragen der Beweisaufnahme geht, nach der Zivilprozessordnung durchzuführen (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Februar 2011, a.a.O.). Somit ist auch § 411a ZPO zu beachten, der bestimmt, dass die schriftliche Begutachtung durch einen Sachverständigen durch die Verwertung eines gerichtlich oder staatsanwaltschaftlich eingeholten Sachverständigengutachtens aus einem anderen Verfahren ersetzt werden kann.

58

Das Landgericht hat nicht beachtet, dass die Voraussetzungen, die die Zivilprozessordnung in § 411a an die Ersetzung einer schriftlichen Begutachtung durch einen Sachverständigen stellt, im Ausgangsverfahren nicht gegeben waren.

59

(a) Bei dem Schreiben der Amtsärztin vom 8. November 2010, deren Ausführungen zur Sache nicht mehr als eine halbe DIN A 4 Seite umfassen, handelt es sich bereits nicht um ein Sachverständigengutachten im Sinne des § 411a ZPO, sondern lediglich - wie vom Landgericht im angegriffenen Beschluss vom 5. Januar 2011 zutreffend klassifiziert - um ein amtsärztliches Zeugnis. Ein solches in einem anderen Verfahren erteiltes Zeugnis reicht nicht aus, um von der Einholung eines Sachverständigengutachtens in einem nach der Zivilprozessordnung durchzuführenden Verfahren zu dispensieren (vgl. Zimmermann, ZPO, 9. Aufl. 2011, § 411a Rn. 2; ders., in: MünchKomm-ZPO, 3. Aufl. 2008, § 411a Rn. 3; jeweils zu ärztlichen Zeugnissen).

60

(b) Die Voraussetzungen des § 411a ZPO waren darüber hinaus nicht erfüllt, weil die Amtsärztin weder gerichtlich noch staatsanwaltschaftlich beauftragt war. Die Beauftragung durch eine Verwaltungsbehörde in einem Verwaltungsverfahren, wie sie hier stattgefunden hat, genügt den Anforderungen nicht (vgl. Katzenmeier, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, 3. Aufl. 2011, § 411a Rn. 6; Zimmermann, ZPO, 9. Aufl. 2011, § 411a Rn. 2; Greger, in: Zöller, ZPO, 28. Aufl. 2010, § 411a Rn. 2; Ahrens, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, 3. Aufl. 2010, § 411a Rn. 11; Leipold, in: Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl. 2006, § 411a Rn. 7).

61

(2) Die im Wege des Urkundsbeweises zulässige Verwertung des Schreibens der Amtsärztin vom 8. November 2010 rechtfertigte es aber auch aus weiteren Gründen nicht, dem nach Verkündung des Zuschlagsbeschlusses im Beschwerdeverfahren von der Beschwerdeführerin gestellten Beweisantrag auf Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens nicht zu entsprechen.

62

(a) In Zwangsversteigerungsverfahren kommt es in Konstellationen, in denen der Zuschlag bereits erteilt worden ist, ausschlaggebend darauf an, ob eine konkrete Suizidgefahr für den Fall des endgültigen Eigentumsverlustes anzunehmen ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 30. September 2010 - V ZB 199/09 -, WuM 2011, S. 122 und vom 7. Oktober 2010, a.a.O., S. 74 <75, Rn. 19 und 21>). Bezogen auf diesen Zeitpunkt sind fundierte Feststellungen zur Gefährdungslage zu treffen (vgl. BGH, Beschluss vom 30. September 2010, a.a.O., S. 122 <123, Rn. 9>).

63

Solchermaßen fundierte Feststellungen lassen sich aus dem amtsärztlichen Zeugnis vom 8. November 2010 nicht ableiten. Es stellt für die Annahme, dass bei der Beschwerdeführerin "kein Anhalt für aktuelle Suizidalität" bestehe, ausschließlich auf den Untersuchungszeitpunkt ab, das heißt - soweit eine Untersuchung stattgefunden hat, was die Beschwerdeführerin im Ausgangsverfahren unter Beweisantritt in Abrede gestellt und das Landgericht unaufgeklärt gelassen hat - auf den 2. November 2010. Eine (fundierte) Prognose der Gefährdungslage für den Zeitpunkt des endgültigen Eigentumsverlusts durch den Eintritt der Rechtskraft des Zuschlagsbeschlusses enthält das Zeugnis nicht. Zudem berücksichtigt es - naturgemäß, weil vor Verkündung des Zuschlagsbeschlusses erteilt - nicht das erst im Beschwerdeverfahren erfolgte Vorbringen der Beschwerdeführerin, dass sich die Suizidgefahr nach Verkündung des Zuschlagsbeschlusses noch verstärkt und verdichtet habe.

64

Auch aus diesen Gründen hätte das Landgericht nicht sich mit dem Schreiben der Amtsärztin vom 8. November 2010 begnügen und von der Einholung des beantragten Sachverständigengutachtens absehen dürfen.

65

(b) Einer ambulanten Behandlung kommt nur dann eine ausschlaggebende Bedeutung zu, wenn mit ihr die konkrete Gefahr eines Suizids bei Durchführung der Vollstreckung bereits ausgeschlossen, jedenfalls aber ganz wesentlich vermindert ist (BGH, Beschluss vom 7. Oktober 2010, a.a.O., S. 74 <76, Rn. 29>).

66

Eine entsprechende Aussage enthält das amtsärztliche Zeugnis vom 8. November 2010 nicht. Dort wird insoweit lediglich mitgeteilt, dass sich die Beschwerdeführerin in regelmäßiger ambulanter psychiatrischer Behandlung bei Frau Dr. M..., Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, in Dresden befinde. Zur Frage, ob und gegebenenfalls welchen Erfolg die ambulante Behandlung der Beschwerdeführerin gebracht hat und/oder nach welcher Behandlungsdauer mit welcher Wahrscheinlichkeit noch erbringen wird, trifft es keine Aussage.

67

Das Landgericht hätte deshalb auch in dieser Richtung mit sachverständiger Hilfe weitere Aufklärung betreiben müssen, wenn es - wie geschehen - den von ihm gezogenen Schluss, dies zeige, dass die Beschwerdeführerin durchaus in der Lage sei, selbst geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um die für sie schwierige Situation zu bewältigen, (auch) mit dem im amtsärztlichen Zeugnis berichteten Umstand der ambulanten Behandlung der Beschwerdeführerin rechtfertigen will. Die vom Landgericht vorgenommene bloße Übernahme der Mitteilung über die ambulante Behandlung der Beschwerdeführerin aus dem amtsärztlichen Zeugnis in die angegriffenen Beschlüsse vom 5. Januar 2011 und 8. Februar 2011 reicht hingegen nicht aus.

68

bb) An der Pflicht des Landgerichts zur Erhebung des beantragten Sachverständigenbeweises ändert des Weiteren nichts, dass das Amtsgericht (Vollstreckungsgericht) gegenüber dem Landratsamt und dem Amtsgericht (Betreuungsgericht) die Unterbringung der Beschwerdeführerin angeregt hatte. Der Verweis auf die für den Lebensschutz primär zuständigen Behörden und Betreuungsgerichte dürfte zwar verfassungsrechtlich tragfähig sein, wenn diese entweder Maßnahmen zum Schutz des Lebens des Betroffenen getroffen oder aber eine erhebliche Suizidgefahr gerade für das diese Gefahr auslösende Moment - in Fällen wie hier den endgültigen Eigentumsverlust des Schuldners durch Eintritt der Rechtskraft des Zuschlagsbeschlusses - nach sorgfältiger Prüfung abschließend verneint haben. Davon konnte hier jedoch nicht ausgegangen werden. Das Amtsgericht (Betreuungsgericht) hatte ausweislich seines Schreibens vom 9. November 2010 die Einstellung der Verfahren zur Prüfung der Einrichtung einer Betreuung zugunsten der Beschwerdeführerin und der Unterbringung derselben davon abhängig machen wollen, dass die Beschwerdeführerin am 15. November 2010 die Behandlung in einer Tagesklinik aufnimmt, wozu es jedoch nicht gekommen ist. Mit Beschluss vom 6. Dezember 2010 hat es gleichwohl die Verfahren eingestellt, ohne dass aus dem Einstellungsbeschluss erkennbar wird, welche (weiteren) "Ermittlungen" es durchgeführt hat; in Sonderheit ist weder dargetan noch ersichtlich, dass es zuvor ein Sachverständigengutachten erhoben hätte.

69

cc) Schließlich enthob auch der Umstand, dass die Beschwerdeführerin am 15. November 2010 nicht in die Tagesklinik aufgenommen wurde, das Landgericht nicht der Notwendigkeit, durch Einholung des beantragten medizinischen Sachverständigengutachtens in die Beweisaufnahme einzutreten. Die Abweisung der Beschwerdeführerin durch die Tagesklinik - möglicherweise allein wegen Platzmangels durch nicht-ärztliches Personal, eine Untersuchung der Beschwerdeführerin durch einen Arzt der Tagesklinik hat das Landgericht in den angegriffenen Beschlüssen jedenfalls nicht festgestellt - vermag ein medizinisches Sachverständigengutachten ebenfalls nicht zu ersetzen.

70

d) Nach alledem findet die Nichteinholung des beantragten Sachverständigengutachtens im Prozessrecht keine Stütze. Sie verletzt vielmehr die Beschwerdeführerin in ihrem grundrechtsgleichen Recht auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG.

71

3. Die angegriffenen Beschlüsse des Landgerichts beruhen auf dem Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG, weil nicht auszuschließen ist, dass nach Einholung des Sachverständigengutachtens eine für die Beschwerdeführerin günstigere Entscheidung ergehen wird. Es sind deshalb nach § 93c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 BVerfGG die angegriffenen Beschlüsse des Landgerichts aufzuheben und die Sache ist an das Landgericht zurückzuverweisen, ohne dass entschieden zu werden braucht, ob sie die Beschwerdeführerin auch noch in Grundrechten und/oder weiteren grundrechtsgleichen Rechten verletzen.

IV.

72

Soweit die Verfassungsbeschwerde gegen den Zuschlagsbeschluss des Amtsgerichts gerichtet wird, ist sie nicht zur Entscheidung anzunehmen. Diesbezüglich genügt sie möglicherweise schon nicht den Begründungsanforderungen nach § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG. Jedenfalls aber ist sie insoweit unbegründet. Dem Amtsgericht ist insbesondere, da die Beschwerdeführerin Beweis durch Antrag auf Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens erstmals im Beschwerdeverfahren angetreten hat, bei Erlass des Zuschlagsbeschlusses kein (schwerer) Verfahrensfehler unterlaufen.

73

Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

V.

74

Die Entscheidung über die Auslagenerstattung im Verfassungsbeschwerdeverfahren beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.

75

Der nach § 37 Abs. 2 RVG festzusetzende Gegenstandswert für die anwaltliche Tätigkeit im Verfassungsbeschwerdeverfahren beträgt mindestens 4.000,00 € und, wenn der Verfassungsbeschwerde durch die Entscheidung einer Kammer stattgegeben wird, in der Regel 8.000,00 €. Hier wird der Verfassungsbeschwerde gegen die Beschlüsse des Landgerichts stattgegeben. Weder die objektive Bedeutung der Sache noch Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit weisen Besonderheiten auf, die zu einer Abweichung Anlass geben.

VI.

76

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

(1) Soweit die Beweisaufnahme an der Gerichtsstelle möglich ist, erfolgt sie vor der Kammer. In den übrigen Fällen kann die Beweisaufnahme, unbeschadet des § 13, dem Vorsitzenden übertragen werden.

(2) Zeugen und Sachverständige werden nur beeidigt, wenn die Kammer dies im Hinblick auf die Bedeutung des Zeugnisses für die Entscheidung des Rechtsstreits für notwendig erachtet. Im Falle des § 377 Abs. 3 der Zivilprozeßordnung ist die eidesstattliche Versicherung nur erforderlich, wenn die Kammer sie aus dem gleichen Grund für notwendig hält.

(3) Insbesondere über die Zahl der in einem Arbeitsverhältnis stehenden Mitglieder oder das Vertretensein einer Gewerkschaft in einem Betrieb kann Beweis auch durch die Vorlegung öffentlicher Urkunden angetreten werden.

(1) Die Nichtzulassung der Revision durch das Landesarbeitsgericht kann selbständig durch Beschwerde angefochten werden.

(2) Die Beschwerde ist bei dem Bundesarbeitsgericht innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung des in vollständiger Form abgefaßten Urteils schriftlich einzulegen. Der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils beigefügt werden, gegen das die Revision eingelegt werden soll.

(3) Die Beschwerde ist innerhalb einer Notfrist von zwei Monaten nach Zustellung des in vollständiger Form abgefaßten Urteils zu begründen. Die Begründung muss enthalten:

1.
die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtsfrage und deren Entscheidungserheblichkeit,
2.
die Bezeichnung der Entscheidung, von der das Urteil des Landesarbeitsgerichts abweicht, oder
3.
die Darlegung eines absoluten Revisionsgrundes nach § 547 Nr. 1 bis 5 der Zivilprozessordnung oder der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör und der Entscheidungserheblichkeit der Verletzung.

(4) Die Einlegung der Beschwerde hat aufschiebende Wirkung. Die Vorschriften des § 719 Abs. 2 und 3 der Zivilprozeßordnung sind entsprechend anzuwenden.

(5) Das Landesarbeitsgericht ist zu einer Änderung seiner Entscheidung nicht befugt. Das Bundesarbeitsgericht entscheidet unter Hinzuziehung der ehrenamtlichen Richter durch Beschluß, der ohne mündliche Verhandlung ergehen kann. Die ehrenamtlichen Richter wirken nicht mit, wenn die Nichtzulassungsbeschwerde als unzulässig verworfen wird, weil sie nicht statthaft oder nicht in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Dem Beschluss soll eine kurze Begründung beigefügt werden. Von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist, oder wenn der Beschwerde stattgegeben wird. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Bundesarbeitsgericht wird das Urteil rechtskräftig.

(6) Wird der Beschwerde stattgegeben, so wird das Beschwerdeverfahren als Revisionsverfahren fortgesetzt. In diesem Fall gilt die form- und fristgerechte Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde als Einlegung der Revision. Mit der Zustellung der Entscheidung beginnt die Revisionsbegründungsfrist.

(7) Hat das Landesarbeitsgericht den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt, so kann das Bundesarbeitsgericht abweichend von Absatz 6 in dem der Beschwerde stattgebenden Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverweisen.

Gründe

I.

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die dem Bundesgerichtshof nach § 544 Abs. 4 Satz 2 Halbs. 2 ZPO eingeräumte Möglichkeit, einen Beschluss über die Zurückweisung einer Nichtzulassungsbeschwerde nicht näher zu begründen, und die Anwendung dieser Vorschrift auf die Entscheidung über eine nachfolgende Anhörungsrüge nach § 321a ZPO.

2

1. Landgericht und Oberlandesgericht haben die Beschwerdeführerin im Ausgangsverfahren verurteilt, mehr als 2 Millionen Euro an den Kläger zu zahlen, der als Insolvenzverwalter Zahlung für eine Insolvenzschuldnerin aus einem mit der Beschwerdeführerin geschlossenen Unternehmenskaufvertrag begehrt hat.

3

2. Der Bundesgerichtshof hat die vorrangig auf Verletzungen von Art. 103 Abs. 1 GG und Art. 3 Abs. 1 GG gestützte Nichtzulassungsbeschwerde mit der an den Wortlaut der § 544 Abs. 4 Satz 2, § 543 Abs. 2 ZPO angelehnten, formelhaften Begründung zurückgewiesen, die Rechtssache habe keine grundsätzliche Bedeutung und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderten eine Entscheidung des Revisionsgerichts. Die von der Beschwerdeführerin erhobene Anhörungsrüge hat der Bundesgerichtshof ebenfalls zurückgewiesen. Der Senat habe das von der Anhörungsrüge als übergangen gerügte Vorbringen geprüft, aber nicht für durchgreifend erachtet. Von einer weiterreichenden Begründung werde in entsprechender Anwendung des § 544 Abs. 4 Satz 2 ZPO abgesehen.

II.

4

Die Beschwerdeführerin rügt eine Verletzung ihres Rechts auf Justizgewährung und effektiven Rechtsschutz aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG sowie ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG.

5

1. Die Zurückweisung einer Nichtzulassungsbeschwerde, soweit diese auf eine Gehörsverletzung durch das Berufungsgericht gestützt werde, müsse mit Rücksicht auf eine im Anschluss daran in Frage kommende Anhörungsrüge nach § 321a ZPO unter Reduzierung des durch § 544 Abs. 4 Satz 2 Halbs. 2 ZPO eingeräumten Ermessens in einer Weise begründet werden, die eine inhaltliche Auseinandersetzung ermögliche; andernfalls werde die Durchsetzung der Rechte aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG sowie Art. 103 Abs. 1 GG in unzumutbarer Weise erschwert.

6

Die Effektivität des Rechtsschutzes werde in unzumutbarer Weise beeinträchtigt und das Anhörungsrügeverfahren ungeachtet der damit auch verfolgten Zielsetzung, das Bundesverfassungsgericht zu entlasten, zu einem bloßen "Durchlauferhitzer", wenn Anhörungsrügen im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren vor dem Bundesgerichtshof von diesem lediglich formal beschieden würden und ein Beschwerdeführer keinen Aufschluss darüber erhalte, mit welcher Begründung die von ihm erhobenen Gehörsrügen vom Bundesgerichtshof für nicht durchgreifend erachtet worden seien. Die diesbezügliche Praxis des Bundesgerichtshofs könne nicht mit einem Hinweis auf § 544 Abs. 4 Satz 2 Halbs. 2 ZPO begründet werden.

7

2. Wenn der Beschluss über die Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde auch bei einer Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs nicht begründet werde, müsse der Beschwerdeführer das Bundesverfassungsgericht mit den gleichen Gehörsrügen konfrontieren, die er bereits im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren und gegebenenfalls im Anhörungsrügeverfahren erhoben habe; bei Anrufung des Bundesverfassungsgerichts stehe der Beschwerdeführer "mit leeren Händen dar".

III.

8

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen. Der Verfassungsbeschwerde kommt weder grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu, noch ist ihre Annahme zur Durchsetzung der als verletzt gerügten Rechte angezeigt. Die Verfassungsbeschwerde ist teilweise unzulässig (1.) und hat im Übrigen keinen Erfolg (2.).

9

1. Mangels einer den Anforderungen der § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG genügenden Begründung unzulässig ist die Verfassungsbeschwerde, soweit die Beschwerdeführerin sich nach ihrem Antrag auch gegen die Entscheidungen der Instanzgerichte wendet. Eine Verletzung spezifischen Verfassungsrechts durch das angegriffene Urteil des Landgerichts behauptet die Beschwerdeführerin nicht. Im Übrigen hat die Beschwerdeführerin zwar ausgeführt, dass sie mit der Nichtzulassungsbeschwerde einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG gerügt habe. Der Verfassungsbeschwerdeschrift lässt sich eine hinreichende Darstellung einer Verletzung ihres Rechts auf rechtliches Gehör durch das Oberlandesgericht jedoch nicht entnehmen. Die Beschwerdeführerin hat hierzu auch nicht ausdrücklich auf die Nichtzulassungsbeschwerdebegründung verwiesen. Selbst wenn man ihr Vorbringen aber in diesem Sinne auslegte, genügte dies den Anforderungen an eine substantiierte Begründung nicht, weil es nicht Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts ist, aufgrund eines undifferenzierten Hinweises auf Schriftsätze im Ausgangsverfahren den dortigen Vortrag auf verfassungsrechtlich relevante Lebenssachverhalte hin zu untersuchen (vgl. BVerfGE 80, 257 <263>; 83, 216 <228>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 5. Januar 2010 - 1 BvR 2973/06 -, juris, Rn. 4; Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 20. Februar 2008 - 1 BvR 2722/06 -, NVwZ 2008, S. 780 <781 f.>).

10

2. Dass der Bundesgerichtshof die angegriffenen Beschlüsse nicht näher begründet hat, verletzt weder den Anspruch der Beschwerdeführerin auf Justizgewährung und effektiven Rechtsschutz aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip noch ihr Recht auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG.

11

a) Der Bundesgerichtshof ist auch in Ansehung dieser grundgesetzlichen Gewährleistungen nicht gehalten gewesen, seine Entscheidung über die Nichtzulassungsbeschwerde über einen formelhaften Hinweis auf die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO hinaus näher zu begründen. § 544 Abs. 4 Satz 2 Halbs. 2 ZPO räumt diese Möglichkeit ausdrücklich ein.

12

aa) In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist geklärt, dass eine mit ordentlichen Rechtsmitteln nicht mehr anfechtbare letztinstanzliche gerichtliche Entscheidung von Verfassungs wegen regelmäßig keiner Begründung bedarf (vgl. BVerfGE 50, 287 <289 f.>; 65, 293 <295>; 71, 122 <135 f.>; 81, 97 <106>; 86, 133 <146>; 94, 166 <210>; 104, 1 <7 f.>; 118, 212 <238>; BVerfGK 2, 213 <220>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 6. September 1996 - 1 BvR 1485/89 -, NJW 1997, S. 1693). Dies gilt auch für Entscheidungen des Bundesgerichtshofs, mit denen - wie hier - eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision nach § 544 Abs. 4 ZPO zurückgewiesen wird (vgl. BVerfGK 2, 213 <220>).

13

bb) Ausnahmsweise ist eine Begründung geboten, wenn von dem eindeutigen Wortlaut einer Norm abgewichen werden soll und der Grund hierfür nicht ohne weiteres erkennbar ist (vgl. BVerfGE 71, 122 <136>) oder ein im Zeitpunkt der Erhebung der Nichtzulassungsbeschwerde bestehender Zulassungsgrund vor der Entscheidung über die Nichtzulassungsbeschwerde wegfällt und deswegen eine Prüfung der Erfolgsaussichten auf der Grundlage anderer als der von der Vorinstanz für tragend erachteten Gründe erforderlich ist (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 29. September 2010 - 1 BvR 2649/06 -, juris, Rn. 25 f.). Eine solche Ausnahme ist jedoch weder dargetan noch anderweitig ersichtlich.

14

cc) An diesen Grundsätzen zur Begründung letztinstanzlicher Entscheidungen ändert sich auch dann nichts, wenn mit der Nichtzulassungsbeschwerde eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör durch die Vorinstanz gerügt wird. Dass die Zurückweisung einer Nichtzulassungsbeschwerde nach § 544 Abs. 2 ZPO mit einer Anhörungsrüge nach § 321a ZPO angefochten werden kann, wenn mit dieser eine nicht nur sekundäre, sondern neue und eigenständige Gehörsverletzung gerügt wird (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 5. Mai 2008 - 1 BvR 562/08 -, NJW 2008, S. 2635), bleibt ohne Einfluss auf die Begründungserleichterungen bei Beschlüssen über die Nichtzulassungsbeschwerde.

15

(1) In der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung ist geklärt, dass der für Zivilverfahren aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip folgende Anspruch auf Justizgewährung die Möglichkeit einer einmaligen Kontrolle einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör garantiert, auch wenn diese erstmals in einem Rechtsmittelverfahren geschieht (vgl. BVerfGE 107, 395 <406 f., 410 f.>). Die Prüfung einer behaupteten Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG kann im allgemeinen Rechtsmittelsystem oder im Rahmen eines Sonderrechtsbehelfs ohne Anrufung einer weiteren Instanz erfolgen (vgl. BVerfGE 107, 395 <411 f.>). Dem Gesetzgeber steht bei der näheren Ausgestaltung ein Spielraum offen, bei dessen Ausfüllung auch die Interessen der anderen Verfahrensbeteiligten und Anforderungen an die Funktionsfähigkeit der Gerichte zu beachten sind (vgl. BVerfGE 107, 395 <412>).

16

Der Anspruch auf Justizgewährung garantiert neben dem Recht auf Zugang zu den Gerichten effektiven Rechtsschutz durch eine grundsätzlich umfassende tatsächliche und rechtliche Prüfung des Streitgegenstands sowie eine verbindliche richterliche Entscheidung (vgl. BVerfGE 54, 277 <291>; 107, 395 <401>; 108, 341 <347>). Die gebotene wirksame gerichtliche Kontrolle darf nicht in einer für den Rechtsschutzsuchenden unzumutbaren, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigenden Weise erschwert werden (vgl. BVerfGE 88, 118 <123 f.>; 101, 397 <408>; 107, 395 <413>). Ein in der jeweiligen Prozessordnung eröffnetes Rechtsmittel darf das Gericht nicht ineffektiv machen und für den Beschwerdeführer "leerlaufen" lassen (vgl. BVerfGE 78, 88 <98 f.>; 96, 27 <39>).

17

(2) Mit der Nichtzulassungsbeschwerde nach § 544 Abs. 1 ZPO kann eine Verletzung rechtlichen Gehörs seitens des Berufungsgerichts mit Erfolg gerügt werden, weil bei einer Verletzung von Verfahrensgrundrechten die Revision zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO zuzulassen ist (vgl. nur BGHZ 154, 288 <295 f.>); nach § 544 Abs. 7 ZPO kann das Revisionsgericht im Falle einer begründeten Gehörsrüge auch schon im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde das angefochtene Urteil aufheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückverweisen. Die Nichtzulassungsbeschwerde eröffnet auf diese Weise die verfassungsrechtlich gebotene Möglichkeit zur einmaligen Kontrolle einer Gehörsverletzung.

18

Die Effektivität dieser Kontrolle der Entscheidung des Berufungsgerichts auf eine Gehörsverletzung wird jedoch nicht davon beeinflusst, ob der Beschluss über die Nichtzulassungsbeschwerde näher begründet wird. Da die Entscheidung über die Nichtzulassungsbeschwerde als letztinstanzliche Entscheidung nicht mehr mit einem ordentlichen Rechtsmittel angefochten werden kann, ist eine nähere Begründung dieser Entscheidung auch nicht geeignet, die Wirksamkeit des Rechtsschutzes im fachgerichtlichen Rechtsmittelzug weiter zu beeinflussen. Eine Begründung mag daher zwar aus Gründen der Nachvollziehbarkeit für die Parteien wünschenswert sein (vgl. Sangmeister, NJW 2007, S. 2363 <2365>), der aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG abgeleitete Anspruch auf effektiven Rechtsschutz gebietet eine solche jedoch nicht (vgl. BVerfGE 50, 287 <289 f.>); ebensowenig folgt aus der Gewährleistung rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG ein Anspruch der Beteiligten auf eine mit Gründen versehene letztinstanzliche Entscheidung (vgl. BVerfGE 104, 1 <7 f.>).

19

(3) Eine ausführlichere Begründung der Entscheidung über die Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde ist auch nicht deswegen geboten, weil gegen sie - im Übrigen unabhängig davon, ob die Beschwerde auf eine Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör gestützt wurde - eine Anhörungsrüge nach § 321a ZPO erhoben werden kann, wenn damit eine nicht nur sekundäre, sondern neue und eigenständige Gehörsverletzung durch den Bundesgerichtshof gerügt wird (vgl. BVerfGK 13, 496 <499>; BGH, Beschluss vom 20. November 2007 - VI ZR 38/07 -, NJW 2008, S. 923).

20

(a) Die Entscheidung über die Nichtzulassungsbeschwerde bleibt eine letztinstanzliche, mit ordentlichen Rechtsmitteln nicht mehr anfechtbare Entscheidung, weil die Anhörungsrüge nach § 321a ZPO als außerordentlicher Rechtsbehelf keine weitere Instanz eröffnet.

21

(b) Zwar wird es einem Beschwerdeführer durch das Fehlen einer näheren Begründung zu den Zulassungsvoraussetzungen erschwert, die Entscheidung des Bundesgerichtshofs auf eine neue und eigenständige Gehörsverletzung zu überprüfen (vgl. Kirchberg, in: Festschrift für Krämer, 2009, S. 43 <56 f.>; Zuck, NJW 2008, S. 479). Eine solche Erschwerung lässt die von Verfassungs wegen zu gewährleistende einmalige fachgerichtliche Kontrolle auf eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG weder "leerlaufen" noch ist diese unzumutbar. Mit der Begründungserleichterung in § 544 Abs. 4 Satz 2 Halbs. 2 ZPO hält sich der Gesetzgeber vielmehr innerhalb seines weiten Spielraums bei der Ausgestaltung der Kontrolle (vgl. BVerfGE 107, 395 <411>), wobei er auch die Anforderungen an die Funktionsfähigkeit der Gerichte zu beachten hat (vgl. BVerfGE 107, 395 <412>). Die dem Bundesgerichtshof eingeräumte Arbeitserleichterung, von einer näheren Begründung nach § 544 Abs. 4 Satz 2 Halbs. 2 ZPO abzusehen, ist mit Blick auf die besonderen Aufgaben eines obersten Gerichts des Bundes sachgerecht, dient der Erhaltung seiner Funktionsfähigkeit und damit der Effektivität der Rechtsverfolgung im Interesse aller Rechtsschutzsuchenden (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 6. September 1996 - 1 BvR 1485/89 -, NJW 1997, S. 1693, zu § 115 Abs. 5 FGO a.F.; vgl. auch BTDrucks V/2849, S. 3, zum Entwurf des späteren Gesetzes zur Entlastung des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen vom 15. August 1969, BGBl I S. 1141). Von Verfassungs wegen geboten ist lediglich eine einmalige Kontrolle gerichtlichen Verfahrenshandelns auf eine Gehörsverletzung, nicht aber eine Begründung der hierauf ergehenden Entscheidung (vgl. BVerfGE 107, 395 <411>; BVerfGK 2, 213 <217, 220>).

22

(4) Die Verfassungsbeschwerde selbst ist ein außerordentlicher Rechtsbehelf außerhalb des fachgerichtlichen Verfahrens, der der Abwehr von Eingriffen der öffentlichen Gewalt und der Durchsetzung von Grundrechten und grundrechtsgleichen Rechten dient (vgl. BVerfGE 107, 395 <413 f.>). Der Anspruch auf Justizgewährung und effektiven Rechtsschutz aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verlangt deswegen nicht, dass das Verfassungsbeschwerdeverfahren durch eine ausführliche Darlegung der fachgerichtlichen Auffassung zu einer möglichen Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG für die Beschwerdeführerin gleichsam vorbereitet und erleichtert wird, auch wenn es zunächst den Fachgerichten obliegt, die Grundrechte zu wahren und durchzusetzen (vgl. BVerfGE 107, 395 <414>), denn Letzteres geschieht unabhängig von einer Begründung der fachgerichtlichen Entscheidungen.

23

Die mit der Einführung der Anhörungsrüge bezweckte Entlastung des Bundesverfassungsgerichts durch Eröffnung der Möglichkeit einer Selbstkorrektur auch bei Gehörsverstößen des Bundesgerichtshofs wird dadurch hinreichend gewahrt, dass die Anhörungsrüge, wenn trotz der Begründungserleichterung genügend Anhaltspunkte für einen eigenständigen Gehörsverstoß durch den Bundesgerichtshof vorliegen, eröffnet bleibt, so dass der Bundesgerichtshof die angegriffene Entscheidung auf einen solchen überprüfen und gegebenenfalls korrigieren kann. Ohne solche Anhaltspunkte und bei einer nur "sekundären Gehörsrüge" besteht hingegen keine Veranlassung für eine Anhörungsrüge gegen die Entscheidung des Bundesgerichtshofs und kann sofort Verfassungsbeschwerde erhoben werden (vgl. BVerfGK 13, 496 <499>; BGH, Beschluss vom 20. November 2007 - VI ZR 38/07 -, NJW 2008, S. 923).

24

b) Die Auslegung und Anwendung des § 321a Abs. 4 Satz 5 ZPO durch den Bundesgerichtshof, nach der auf eine Begründung der Entscheidung über die Anhörungsrüge in entsprechender Anwendung des § 544 Abs. 4 Satz 2 Halbs. 2 ZPO verzichtet werden kann (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Juli 2005 - III ZR 443/04 -, NJW-RR 2006, S. 63; BTDrucks 15/3706, S. 16), ist vom Bundesverfassungsgericht grundsätzlich hinzunehmen. Sie steht im Einklang mit den verfassungsrechtlichen Gewährleistungen effektiven Rechtsschutzes und rechtlichen Gehörs, da die vorgenannten Gründe für die Begründungserleichterung bei der Entscheidung über die Anhörungsrüge erst recht gelten.

25

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.

(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.

(3) (weggefallen)

(1) Sind Gebühren, die sich nach dem Streitwert richten, mit der Einreichung der Klage-, Antrags-, Einspruchs- oder Rechtsmittelschrift oder mit der Abgabe der entsprechenden Erklärung zu Protokoll fällig, setzt das Gericht sogleich den Wert ohne Anhörung der Parteien durch Beschluss vorläufig fest, wenn Gegenstand des Verfahrens nicht eine bestimmte Geldsumme in Euro ist oder gesetzlich kein fester Wert bestimmt ist. Einwendungen gegen die Höhe des festgesetzten Werts können nur im Verfahren über die Beschwerde gegen den Beschluss, durch den die Tätigkeit des Gerichts aufgrund dieses Gesetzes von der vorherigen Zahlung von Kosten abhängig gemacht wird, geltend gemacht werden. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit.

(2) Soweit eine Entscheidung nach § 62 Satz 1 nicht ergeht oder nicht bindet, setzt das Prozessgericht den Wert für die zu erhebenden Gebühren durch Beschluss fest, sobald eine Entscheidung über den gesamten Streitgegenstand ergeht oder sich das Verfahren anderweitig erledigt. In Verfahren vor den Gerichten für Arbeitssachen oder der Finanzgerichtsbarkeit gilt dies nur dann, wenn ein Beteiligter oder die Staatskasse die Festsetzung beantragt oder das Gericht sie für angemessen hält.

(3) Die Festsetzung kann von Amts wegen geändert werden

1.
von dem Gericht, das den Wert festgesetzt hat, und
2.
von dem Rechtsmittelgericht, wenn das Verfahren wegen der Hauptsache oder wegen der Entscheidung über den Streitwert, den Kostenansatz oder die Kostenfestsetzung in der Rechtsmittelinstanz schwebt.
Die Änderung ist nur innerhalb von sechs Monaten zulässig, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat.