Verwaltungsgericht München Urteil, 17. Dez. 2014 - M 18 K 12.6247
Tenor
I.
Der Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin Kostenerstattungen für die Zeiträume vom
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II.
Die Klägerin und der Beklagte tragen die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt vom Beklagten die Rückerstattung der von dieser für die Zeiträume vom
Der am ... 1997 geborenen ... war ab
Mit Schreiben vom
Laut eines Gutachtens der Kinderklinik ... vom ... Mai 2003 wurde bei ... ein deutlich unterdurchschnittlicher SON-IQ-Wert von 64 festgestellt. Des Weiteren wird darin ausgeführt, dass neben der Entwicklungsverzögerung der intellektuellen Leistungsfähigkeit deutliche Entwicklungsrückschritte im Bereich der Feinmotorik sowie der expressiven Sprache vorlägen. Bei ... bestünde aufgrund seiner Deprivations- und Misshandlungserfahrungen in der frühen Kindheit eine Bindungsstörung mit distanzlosem Verhalten. Zudem lägen verschiedene Ängste vor. ... sei in seiner weiteren Entwicklung von einer seelischen Behinderung nach § 35a SGB VIII bedroht.
Da die Pflegefamilie, in welcher ... untergebracht war, in den Zuständigkeitsbereich des Beklagten verzogen ist und ein Verbleib ... in der Pflegefamilie auf Dauer zu erwarten war, erklärte sich dieser mit Schreiben vom 3. Februar 2004 gegenüber dem Kreisjugendamt P. gemäß § 86 Abs. 6 SGB VIII für zuständig und gewährte im Rahmen der Hilfe zur Erziehung gemäß §§ 27, 33 SGB VIII weiterhin Vollzeitpflege für... ab 1. März 2004. Das Kreisjugendamt P. stellte daraufhin die seit 20. Oktober 2000 gewährte Hilfe mit Bescheid vom ... Februar 2004 ab 1. März 2004 ein.
Die allein sorgeberechtigte Kindsmutter ist daraufhin mehrfach zuständigkeitsrelevant umgezogen, hatte jedoch, was zwischen den Beteiligten inzwischen unstreitig ist,
Ausweislich des fachärztlichen Berichts der Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie Frau Dr. med. ... vom ... Februar 2007 liege bei ... eine erhebliche Entwicklungsverzögerung sowohl im kognitiven als auch im sozial-emotionalen Bereich vor. Die kognitive Leistungsfähigkeit entspreche der geistigen Behinderung. Zudem sei von einer Aufmerksamkeits- und Konzentrationseinschränkung erheblichen Ausmaßes sowie, bedingt durch die frühkindliche Traumatisierung, von einer Bindungsstörung und posttraumatischen Belastungsstörung auszugehen. Auch im motorischen Bereich bestünden deutliche Defizite. Aufgrund dieser Mehrfachbehinderung, die ... wesentlich in seiner Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, einschränke, gehöre er zum Personenkreis des § 35a SGB VIII. Das häusliche Umfeld mit einer besonders liebevollen und pädagogisch kompetenten Pflegemutter trage deutlich zur emotionalen Stabilisierung ... bei. Die Betreuung in der Pflegefamilie habe sich ganz besonders positiv auf ... Entwicklung ausgewirkt.
Mit Schreiben vom
Mit Schreiben vom
Unter dem
Mit Bescheid vom ... September 2009 gewährte der Bezirk Oberbayern für ... im Zeitraum vom
Unter dem
Mit Schreiben vom
Am
Mit Schreiben vom
Unter dem
Mit Bescheid vom ... Dezember 2010 erklärte der Beigeladene die Übernahme der Kosten für die Betreuung ... in der Heilpädagogischen Tagesstätte im Rahmen der Eingliederungshilfe nach §§ 53, 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII ab 1. Januar 2011 bis 31. August 2011.
Mit Bescheid vom ... Februar 2011 gewährte der Bezirk ...
Mit Schreiben vom
Am
Unter dem
Mit Schriftsatz vom 20. November 2012, vorab per Telefax eingegangen am 14. Dezember 2012, erhob die Klägerin Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München und beantragte
den Beklagten zu verpflichten, der Klägerin die zu Unrecht erbrachten Kostenerstattungen für die Zeiträume vom
In rechtlicher Hinsicht führte sie zur Begründung u. a. aus, dass klar eine vorrangige sachliche Zuständigkeit des Beigeladenen nach den Bestimmungen des SGB XII und somit kein Raum für weitere Kostenerstattungen vorliege. ... habe neben einem Anspruch auf Jugendhilfe (§ 33 SGB VIII) einen Anspruch auf Eingliederungshilfe (§ 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII). Dabei zähle zu den Leistungen der Eingliederungshilfe auch die Unterbringung in einer Pflegefamilie, § 54 Abs. 3 SGB XII. ... sei unstreitig geistig behindert. Dass in der Pflegefamilie auf diese Behinderungssymptomatik entsprechend eingegangen werde und damit Leistungen der Eingliederungshilfe erbracht würden, lasse sich den Ausführungen von Frau Dr. med. ... unzweifelhaft entnehmen. Für die Frage des Umfangs des Eingliederungshilfebedarfs sei stets auf den konkreten und individuellen Hilfebedarf abzustellen. Nicht entscheidend sei, ob ... Hilfebedarf ausschließlich durch die (drohende) seelischen und geistigen Behinderungen bedingt sei oder ob andere Umstände - wie eine unstreitig vorliegende Erziehungsproblematik der Kindsmutter - für den Umfang des Hilfebedarfs mitursächlich sei. Durch die Regelung des § 54 Abs. 3 SGB XII habe der Gesetzgeber nicht ein zusätzliches Abgrenzungskriterium für die Familienpflege nach Schwerpunkt des Bedarfs bzw. Schwere der Behinderung schaffen wollen.
Die bestehenden kongruenten Leistungspflichten des Jugendhilfe- und Sozialhilfeträgers lösten den Vorrang der Eingliederungshilfe nach § 10 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII aus, so dass der Beigeladene für die Deckung des gesamten Hilfebedarfs vorrangig sachlich zuständig sei. Dieser Vorrang sei auch bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Leistungserbringung nach § 89f Abs. 1 Satz 1 SGB VIII im Rahmen der Kostenerstattungspflicht nach § 89a Abs. 1 i. V. m. § 86 Abs. 6 SGB VIII zu beachten. Daher seien Kostenerstattungsansprüche für Jugendhilfeleistungen, die trotz Nachrangigkeit des Jugendhilfeträgers von diesem erbracht werden, (nur) über die §§ 102ff. SGB X gegen den sachlich zuständigen Sozialhilfeträger geltend zu machen.
Für den Rückerstattungsanspruch sei zudem unerheblich, ob die Geltendmachung eines Anspruchs auf Kostenerstattung nach § 104 SGB X gegenüber dem Sozialhilfeträger hinsichtlich des Pflegegeldanteils, der die materiellen Aufwendungen betreffe, erschwert oder ausgeschlossen sein könnte, da es diesbezüglich an einer dem § 39 SGB VIII vergleichbaren Annex-Regelung und damit an einer für § 104 SGB X notwendigen Leistungskongruenz fehle.
Die Erstattungen der Klägerin an den Beklagten für die o.g. Zeiträume in Höhe von insgesamt EUR 21.696,79 seien daher zu Unrecht erfolgt und könnten gemäß § 112 SGB X zurückgefordert werden. Es gelte die vierjährige Verjährungsfrist, so dass alle Kostenerstattungen, die ab dem 1. Januar 2008 geleistet worden seien, zurückverlangt werden könnten.
Mit Schriftsatz vom
Unter dem
Mit Schriftsatz vom
Die Streitsache wurde am
Abschließend stellte der Vertreter der Klägerin den Antrag aus dem Schriftsatz vom
Die Beklagtenvertreter beantragten
Klageabweisung.
Der Beigeladene stellte keinen Antrag.
Mit Beschluss vom 2. Juli 2014 wurde dem Beklagten aufgegeben, dem Gericht mitzuteilen, welche Anteile der streitigen Beträge für Aufwendungen für den Lebensunterhalt i. S. d. Entscheidung des BVerwG
Mit Schriftsatz vom
Den Beteiligten wurde Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben, woraufhin die Klägerin mit Schriftsatz vom
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Behördenakten sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 2. Juli 2014 Bezug genommen.
Gründe
Mit Einverständnis der Beteiligten konnte ohne weitere mündliche Verhandlung entschieden werden (§ 101 Abs. 2 VwGO).
Die als Leistungsklage statthafte und auch sonst zulässige Klage ist nur teilweise begründet. Die Klägerin hat gegenüber dem Beklagten einen Anspruch auf Rückerstattung der Erstattungsleistungen in Höhe von lediglich EUR 10.055,98, die sie für die Hilfeleistungen des Beklagten zugunsten von ... in den Zeiträumen 15. September 2006 bis 22. April 2007, 29. Juni 2007 bis 31. Dezember 2007 sowie 1. Januar 2008 bis 31. Dezember 2008 erbracht hat, nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit. Im Übrigen, nämlich soweit die Klägerin die den Lebensunterhalt des Kindes ... betreffenden Kosten dem Beklagten erstattet hat, ist die Klage abzuweisen.
Der Rückerstattungsanspruch der Klägerin ergibt sich aus § 112 SGB X, da sie für die streitgegenständlichen Zeitraum teilweise zu Unrecht Kostenerstattung geleistet hat. Der Zinsanspruch folgt aus §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB.
Zwar erfüllt die Klägerin die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 89a Abs. 3 i. V. m. Abs. 1 SGB VIII (1.), einer Verpflichtung zur Kostenerstattung in voller Höhe steht jedoch entgegen, dass der Beklagte es unterlassen hat, die kostenerstattungsrechtlichen Interessen der Klägerin wahrzunehmen (2.). Die Klägerin war lediglich verpflichtet die Kosten für den Lebensunterhalt zu erstatten, so dass in dieser Höhe kein Rückerstattungsanspruch besteht (3.).
1. Gemäß § 89a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII sind Kosten, die ein örtlicher Träger aufgrund einer Zuständigkeit nach § 86 Abs. 6 SGB VIII aufgewendet hat, von dem örtlichen Träger zu erstatten, der zuvor zuständig war oder gewesen wäre. Ändert sich während der Gewährung der Leistung nach § 89a Abs. 1 SGB VIII der für die örtliche Zuständigkeit nach § 86 Abs. 1 bis 5 SGB VIII maßgebliche gewöhnliche Aufenthalt, so wird gemäß § 89a Abs. 3 SGB VIII der örtliche Träger kostenerstattungspflichtig, der ohne Anwendung des § 86 Abs. 6 SGB VIII örtlich zuständig geworden wäre.
Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass in den streitgegenständlichen Zeiträumen der Beklagte aufgrund seiner Zuständigkeit nach § 86 Abs. 6 SGB VIII Leistungen nach § 89a Abs. 3 i. V. m. Abs. 1 SGB VIII erbracht hat und die Klägerin - ohne die örtliche Zuständigkeit des Beklagten nach § 86 Abs. 6 SGB VIII - gemäß § 86 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII der örtlich zuständige Träger der öffentlichen Jugendhilfe gewesen wäre.
Aufgrund dessen hat die Klägerin am
2. Entgegen der Auffassung der Klägerin läuft dem Erstattungsanspruch nicht bereits § 89f Abs. 1 Satz 1 SGB VIII zuwider. Ihm steht jedoch teilweise der aus dem Grundsatz von Treu und Glauben folgende kostenerstattungsrechtliche Interessenwahrungsgrundsatz entgegen.
2.1. Nach § 89f Abs. 1 SGB VIII sind die aufgewendeten Kosten zu erstatten, soweit die Erfüllung der Aufgaben den Vorschriften des Achten Buches Sozialgesetzbuch entspricht. Das Gebot der Gesetzeskonformität der aufgewendeten Kosten zielt darauf ab, zum einen sicherzustellen, dass der erstattungsberechtigte Jugendhilfeträger bei der Leistungsgewährung nicht in Erwartung einer Erstattungsleistung durch das Achte Buch Sozialgesetzbuch gezogene Grenzen überschreitet, und zum anderen den erstattungspflichtigen Jugendhilfeträger davor zu bewahren, Aufwendungen für solche Leistungen zu erstatten, die bei ordnungsgemäßer Leistungsgewährung nach Art oder Umfang so nicht hätten erbracht werden müssen (BVerwG, U. v. 13.6.2013 - 5 C 30/12 - juris, RdNr. 14, m. w. N.). Eine solche Grenzüberschreitung steht hier nicht im Raum. Entgegen ihrer Auffassung sind Maßnahmen der Jugendhilfe auch dann i. S. v. § 89f SGB VIII rechtmäßig erbracht, wenn sie gegenüber ebenfalls in Betracht kommenden Maßnahmen der Eingliederungshilfe nach § 10 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII nachrangig sind, da der Nachrang keine Auswirkungen auf das Leistungsverhältnis zum Leistungsberechtigten entfaltet, sondern nur auf der Erstattungsebene gegenüber dem vorrangig verpflichteten Träger wirkt. Der Nachrang führt deshalb nicht zu einer Freistellung des nachrangig verpflichteten Trägers und begründet umgekehrt keine alleinige Zuständigkeit des vorrangig verpflichteten (so ausdrückl. BVerwG, U. v. 23.9.1999 - 5 C 26/89 - BVerwGE 109, 325;
2.2. Die Klägerin hat gegen die geleistete Kostenerstattung jedoch zu Recht vorgebracht, dass es der Beklagte obliegenheitswidrig unterlassen hat, zunächst den Beigeladenen als zuständigen Träger der Sozialhilfe gerichtlich auf Erstattung der streitgegenständlichen Kosten in Anspruch zu nehmen.
2.2.1. Aus dem Grundsatz von Treu und Glauben, welcher aus § 242 BGB abgeleitet wird und als allgemeiner Rechtsgrundsatz auch im Verwaltungsrecht gilt, folgt die Pflicht des kostenerstattungsberechtigten Trägers, die Interessen des erstattungspflichtigen Trägers zu wahren. Der zur Kostenerstattung berechtigte Sozialleistungsträger hat bei der Leistungsgewährung die rechtlich gebotene Sorgfalt anzuwenden, zu deren Einhaltung er in eigenen Angelegenheiten gehalten ist. Er muss nicht nur darauf hinwirken, dass der erstattungsfähige Aufwand gering ausfällt, sondern ggf. auch, dass der Anspruch gegenüber dem Erstattungspflichtigen nicht entsteht. Zur Erreichung dieser Ziele hat er alle nach Lage des Einzelfalls möglichen und zumutbaren Vorkehrungen und Maßnahmen zu treffen. Dies schließt auch ein darauf hinzuwirken, dass ein vorrangig zuständiger anderer Sozialleistungsträger den Anspruch des Hilfebedürftigen erfüllt. Insoweit kann auch die Beschreitung des Rechtsweges zur gerichtlichen Klärung der Zuständigkeit des anderen Trägers geboten sein, sofern dies nicht im Einzelfall aussichtslos erscheint (BVerwG, U. v. 13.6.2013, a. a. O., RdNr. 18f., m. w. N.).
2.2.2. Aufgrund dieses kostenerstattungsrechtlichen Interessenwahrungsgrundsatzes ist ein erstattungsberechtigter Träger der Jugendhilfe gehalten, statt den nach § 89a Abs. 3 i. V. m. Abs. 1 Satz 1 SGB VIII erstattungspflichtigen Jugendhilfeträger einen vorrangig erstattungspflichtigen Träger der Sozialhilfe in Anspruch zu nehmen. Dies folgt aus der Wertung des Gesetzgebers, wie sie in § 10 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII zum Ausdruck kommt (BVerwG, U. v. 13.6.2013, a. a. O., RdNr. 22). Diese Vorschrift ist anzuwenden, wenn sowohl ein Anspruch auf Jugendhilfe als auch ein Anspruch auf Sozialhilfe bestehen und beide Leistungen gleich, gleichartig, einander entsprechend, kongruent, einander überschneidend oder deckungsgleich sind (BVerwG, U. v. 2.3.2006 - 5 C 15/05 - BVerwGE 125, 95). Das darin enthaltene Vorrang-Nachrang-Verhältnis ist nicht nach dem Schwerpunkt der Leistung, sondern allein nach der Art der mit einer Jugendhilfeleistung konkurrierenden Sozialleistung abzugrenzen (BVerwG, U. v. 13.6.2013, a. a. O., RdNr. 23).
2.2.3. Gemessen an diesen Grundsätzen gebot es die eigenübliche Sorgfalt des Beklagten, zunächst den Beigeladenen aus § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB X auf Erstattung der ihm in dem Hilfefall entstandenen streitgegenständlichen Kosten - abzüglich der Kosten für den Lebensunterhalt - in Anspruch zu nehmen.
Der Beigeladene ist dem Beklagten aus § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB X verpflichtet, die diesem im Hilfefall entstandenen Kosten dem Grunde nach zu erstatten. § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB X setzt voraus, dass nebeneinander Leistungspflichten (mindestens) zweier Leistungsträger bestehen und die Verpflichtung eines der Leistungsträger der Leistungspflicht des anderen aus Gründen der System- oder Einzelanspruchssubsidiarität nachgeht (BVerwG, U. v. 13.6.2013, a. a. O., RdNr. 31, m. w. N.).
2.2.3.1. Hinsichtlich der streitgegenständlichen Kosten - ausgenommen der enthaltenen Kosten für den Lebensunterhalt des Kindes - waren sowohl der Beklagte als auch der Beigeladene dem Grunde nach zur Leistung verpflichtet.
Die Pflegeeltern konnten gemäß § 27 Abs. 1 i. V. m. Abs. 2 Satz 1 und 2 SGB VIII i. V. m. § 33 SGB VIII vom Beklagten Hilfe zur Erziehung für die Vollzeitpflege des Kindes beanspruchen. Dies wird von den Beteiligten nicht in Abrede gestellt.
Der Beigeladene war aus § 53 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 54 Abs. 1 SGB XII gleichwohl verpflichtet, dem Kind für die streitgegenständlichen Zeiträume Leistungen der Eingliederungshilfe zu gewähren. Personen, die durch eine Behinderung i. S. v. § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, erhalten gemäß § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII Leistungen der Eingliederungshilfe, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalles, insbesondere nach der Art und Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann.
Auch auf der Grundlage der hier noch anwendbaren Fassung des § 54 SGB XII kann die Vollzeitpflege in Gestalt der Unterbringung in einer Pflegefamilie eine Eingliederungshilfe im Rahmen der Sozialhilfe sein. Dem steht nicht entgegen, dass erst mit dem am 5. August 2009 in Kraft getretenen und hier noch nicht anwendbaren § 54 Abs. 3 SGB XII in der Fassung des Gesetzes vom 30. Juli 2009 (BGBl. I S. 2495) die Hilfe für die Betreuung in einer Pflegefamilie ausdrücklich als eine Leistung der Eingliederungshilfe normiert wird. Bereits vor diesem Zeitpunkt konnte die Vollzeitpflege als solche, orientiert an dem Hilfebedarf des jungen Menschen, eine Eingliederungshilfe darstellen (vgl. BVerwG, U. v. 13.6.2013, a. a. O., RdNr. 35; a.A. LSG LSA, U. v. 4.12.2012 - L 8 SO 20/09, juris, wonach - unter Bezugnahme auf die Gesetzesbegründung - die Unterbringung eines Kindes in einer Pflegefamilie erst ab Erlass der Vorschrift des § 54 Abs. 3 SGB XII als eine Maßnahme der Eingliederungshilfe anzusehen ist). Eine Einstufung der Vollzeitpflege in einer Pflegefamilie als Eingliederungshilfe liegt insbesondere nahe, wenn schwere körperliche und geistige Behinderungen eines Kindes dessen Unterbringung in einer sonderpädagogischen Pflegestelle erforderlich machen. In diesen Fällen sind wegen der Schwere der körperlichen und/oder geistigen Behinderungen neben den ohnehin aufgrund der Unterbringung außerhalb der eigenen Familie erforderlichen erzieherischen und pädagogischen Leistungen gerade auch in erheblichem Umfang therapeutische Leistungen zu erbringen, die in der Gesamtschau eine Qualifikation der Hilfe als Teilhabeleistungen und damit als Leistungen, die auch der Eingliederungshilfe unterfallen, rechtfertigen (BVerwG, U. v. 13.6.2013, a. a. O., RdNr. 36).
Im vorliegenden Fall gehört ... zum Kreis der grundsätzlich leistungsberechtigten Personen i. S. d. § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX, da aufgrund seiner kognitiven Leistungsfähigkeit bereits durch das Gutachten der Kinderklinik... vom ... Mai 2003, spätestens jedoch durch Frau Dr. med. ... im fachärztlichen Gutachten vom ... Februar 2007 eine geistige Behinderung bzw. eine Mehrfachbehinderung festgestellt wurde, die ihn wesentlich in seiner Fähigkeit, am Leben in der Gesellschaft teilzuhaben, beeinträchtigt und er im Vergleich zu anderen Kindern seiner Altersgruppe im weitaus stärkerem Maße auf fremde Hilfe angewiesen ist. Auch bestand die Aussicht, dass die in § 53 Abs. 3 SGB XII umschriebene Aufgabe der Eingliederungshilfe erreicht werden konnte bzw. kann. So führt Frau Dr. med. ... auch aus, dass das häusliche Umfeld deutlich zur emotionalen Stabilisierung ... beitrage und sich die Betreuung in der Pflegefamilie ganz besonders positiv auf ... Entwicklung ausgewirkt habe. Auf Grundlage der fachärztlichen Stellungnahmen ist davon auszugehen, dass die Unterbringung ... in der Pflegefamilie die geeignete und notwendige Maßnahme der Eingliederungshilfe war. Eine angemessene Teilhabe am Leben der Gemeinschaft war ... nur bei einer seinen Lebensvollzug umfassend begleitenden Betreuung möglich.
Der Umfang der zu gewährenden Sozialleistung richtet sich nach § 9 Abs. 1 SGB XII und dem darin verankerten Bedarfsdeckungsprinzip, wonach im Sozialhilferecht grundsätzlich der gesamte im konkreten Einzelfall anzuerkennende Hilfebedarf abzudecken ist (vgl. BVerwG, U. v. 22.10.1992 - 5 C 11.89 - BVerwGE 91, 114;
Demzufolge ist unschädlich, dass die Unterbringung ... in einer Pflegefamilie auch aus erzieherischen Gründen erfolgt ist. Bereits zu Beginn der Vollzeitpflege bestand bei ... ein Hilfebedarf nicht nur in einzelnen klar abgrenzbaren Lebensbereichen, sondern er bedurfte bei seinem gesamten Lebensvollzug auch im Hinblick auf seine Behinderung einer umfassenden Betreuung und Erziehung. Insofern bestand - worauf der Beigeladene mit Recht hinweist - nicht nur ein Bedarf für eine ambulante Hilfe, sondern ein Bedarf für eine Unterbringung über Tag und Nacht, mithin eine vollstationäre Unterbringung.
2.2.3.2. § 10 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII begründet vorliegend einen Leistungsvorrang des Beigeladenen als Träger der Sozialhilfe gegenüber der Klägerin als Trägerin der öffentlichen Jugendhilfe. Die Hilfe zur Erziehung in Form der Vollzeitpflege und die Eingliederungshilfe sind, soweit es die streitgegenständlichen familienpflegebezogenen Leistungen betrifft, nach ihrem Zweck und dem betreffenden Leistungszeitraum zumindest gleichartig (BVerwG, U. v. 13.6.2013, a. a. O., RdNr. 39, m. w. N.). Es ist davon auszugehen, dass ... Unterbringung und Betreuung in der Pflegefamilie auf die Deckung des gesamten, sich auch aus seiner Mehrfachbehinderung ergebenden Bedarfs gerichtet war. Dadurch, dass die Pflegefamilie also nicht nur den erzieherischen Bedarf gedeckt hat, sondern insbesondere auch auf die geistigen Behinderungen eingegangen ist, ist der Beklagte im Umfang der Bedarfsdeckung von seiner Leistungspflicht freigeworden (BVerwG, U. v. 13.6.2013, a. a. O., RdNr. 40).
Der Gleichartigkeit der Leistungen steht auch ein Auseinanderfallen der Anspruchsberechtigung nicht entgegen (BVerwG, U. v. 13.6.2013, a. a. O., RdNr. 41; U. v. 19.10.2011, a. a. O., 67 (69)). Im vorliegenden Fall steht der Anspruch auf Hilfe zur Erziehung steht gemäß § 27 SGB VIII jeweils dem Personensorgeberechtigten zu, während der Anspruch auf Eingliederungshilfe... selbst zusteht. Bereits der Wortlaut des § 10 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII stellt lediglich auf eine Überschneidung der „Leistungen“ ab. Auch hinsichtlich des Ziels des Kongruenzerfordernisses ergibt sich nichts anderes, da es dazu dient, den vorrangig in der Pflicht stehenden Leistungsträger zu ermitteln, also zweckidentische Doppelleistungen zu vermeiden. Hierfür ist keine Identität der Anspruchsberechtigten erforderlich.
Der Gleichartigkeit der Leistungen widerstreitet schließlich nicht, dass in den streitgegenständlichen Leistungszeiträumen - anders als im Bereich der Erziehungshilfe in Form der Vollzeitpflege - nicht nur die Art, sondern auch der Umfang der eingliederungshilferechtlichen Leistung in Form der Betreuung in einer Pflegefamilie nicht normiert war. Diese Regelungslücke stellt sich jedoch nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts, welcher sich die Kammer anschließt, als planwidrig dar und ist aufgrund des Regelungszwecks der Eingliederungshilfe durch analoge Anwendung des § 39 SGB VIII zu schließen. Der entsprechenden Anwendung dieser Regelung auf die sozialhilferechtliche Eingliederungshilfe widerstreitet nicht, dass es sich bei Jugendhilfe und Sozialhilfe um zwei sozialrechtliche Hilfesysteme mit unterschiedlichen Aufgaben und Rechtsfolgen handelt. Denn diesen Strukturunterschieden kommt bei der Betreuung behinderter Kinder im Rahmen der Familienpflege keine entscheidende Bedeutung zu (vgl. BVerwG, U. v. 13.6.2013, a. a. O., RdNr. 42).
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, welcher sich die Kammer anschließt, ist § 10 Abs. 4 Satz 1 bzw. 2 SGB VIII auch nicht dahingehend einschränkend auszulegen, dass diese Regelung nur zur Anwendung käme, wenn der Schwerpunkt des Bedarfs oder des Leistungszwecks oder des Leistungsziels im Bereich der Eingliederungshilfe liegt. Vielmehr stellt die Vorschrift schon nach ihrem unmissverständlichen Wortlaut nur auf das formale Kriterium der Gleichartigkeit der Leistungspflichten ab. Sie vermeidet damit die Rechtsunsicherheiten, die mit einer Verwendung des materiellen Kriteriums des Schwerpunkts des Bedarfs oder des Leistungszwecks oder des Leistungsziels verbunden wären (vgl. BVerwG, U. v. 19.10.2011, a. a. O., 67 (69) mit Verweis auf
2.2.4. Der Beklagte hat dadurch, dass er es unterlassen hat, den Beigeladenen auf Erstattung der betreffenden Aufwendungen in Anspruch zu nehmen, den kostenerstattungsrechtlichen Interessenwahrungsgrundsatz verletzt. Er hat das Erstattungsbegehren nicht mit der gebotenen Intensität verfolgt. In Anbetracht des Umstandes, dass ihm die Betreibung eines entsprechenden Klageverfahrens nicht zuletzt aufgrund der Urteile des Bundesverwaltungsgerichts
3. Der Kostenerstattungsanspruch des Beklagten ist, soweit er für den Lebensunterhalt des Kindes aufgewandte Kosten betrifft, nicht wegen einer Verletzung des sog. Interessenwahrungsgrundsatzes ausgeschlossen. Die Erstattung durch die Klägerin erfolgte daher nicht zu Unrecht. Insoweit besteht demzufolge kein Rückerstattungsanspruch der Klägerin.
Bezogen auf diese Aufwendungen ist der Beklagte seiner Obliegenheit, den Erstattungsbetrag im Interesse der Klägerin niedrig zu halten, ausreichend nachgekommen. Der Beklagte war trotz Vorrangs der Sozialhilfe insoweit nicht gehalten, vor der Inanspruchnahme der Klägerin einen Anspruch aus § 104 SGB X auf Kostenerstattung gegen den Beigeladenen gerichtlich durchzusetzen oder den Anspruch des Leistungsberechtigten auf Eingliederungshilfe in Anwendung des § 97 SGB VIII gerichtlich feststellen zu lassen. Die Verfolgung dieser Ansprüche wäre hinsichtlich der Aufwendungen für den Lebensunterhalt von vorneherein aussichtslos und damit für den Beklagten unzumutbar gewesen. Der Träger der öffentlichen Jugendhilfe kann nämlich wegen dieser Aufwendungen von dem Träger der Eingliederungshilfe keine Erstattung verlangen. Die Sicherstellung des Lebensunterhalts des Kindes kann zwar - wie hier im Rahmen der Vollzeitpflege - eine Leistung nach dem SGB VIII sein, vgl. § 39 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII, diese Aufwendungen gehören jedoch nicht zugleich auch zu den Leistungen der Eingliederungshilfe. Mit § 27b Abs. 1 SGB XII ist selbst die zuvor noch in § 27 Abs. 3 BSHG geregelte Verklammerung von Lebensunterhalt und Hilfe in besonderen Lebenslagen bei Unterbringung in Einrichtungen aufgelöst worden. Die Sicherung des Lebensunterhalts ist nach der neuen Rechtslage immer Aufgabe der Hilfe zum Lebensunterhalt, wie dies bei einer Unterbringung eines geistig und/oder körperlich behinderten jungen Menschen in einer Pflegefamilie schon nach der alten Rechtslage des BSHG der Fall war (OVG Münster, U. v. 3.9.2012 - 12 A 1514/10 insoweit bestätigt durch BVerwG, U. v. 13.6.2013, a. a. O., RdNr. 42; zur alten Rechtslage: BVerwG, U. v. 2.3.2006, a. a. O.; BVerwGE 125, 95). Insoweit kann die Klägerin dem Erstattungsanspruch nicht entgegen halten, dass der Beigeladene bei (rechtzeitiger) Fallübernahme auch die Kosten für den Lebensunterhalt von ... hätte sicherstellen müssen.
Zu den Kosten für den Lebensunterhalt des Kindes zählen nicht die Kosten für die Altersvorsorge und Krankenversicherung der Pflegeeltern in Höhe von insgesamt EUR 2.056,55. Die Kosten für die Ganztagesbetreuung ... im Hort in Höhe von insgesamt EUR 825,00 sind Bestandteil der erzieherischen Leistungen und damit ebenfalls zurückzuerstatten
Der Rückerstattungsanspruch der Klägerin ist nicht mit der Wirkung des § 113 Abs. 2 SGB X i. V. m. § 214 Abs. 1 BGB verjährt, da seit dem Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Kläger die Erstattungsleistung an den Beklagte erbracht hat, noch nicht vier Jahre vergangen sind.
Der Beklagte hat die Rückerstattungsforderung der Klägerin unter sinngemäßer Anwendung von § 291 i. V. m. § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB mit einem Zinssatz in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu verzinsen. Während Verzugszinsen für öffentlich-rechtliche Ansprüche nur bei einer entsprechenden ausdrücklichen gesetzlichen Regelung gewährt werden (vgl. BVerwG, U. v. 24.11.1977 - III C 72.76
Die Zinshöhe richtet sich gemäß § 291 Satz 2 nach § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB. Höhere Zinsen gemäß § 288 Abs. 2 BGB waren nicht beantragt (§ 88 VwGO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 VwGO. Eine Gerichtskostenfreiheit besteht nicht für Erstattungsstreitigkeiten zwischen Sozialleistungsträgern (§ 188 Satz 2 HalbsVwGOVwGO). Dem Beigeladenen waren mangels Antragstellung keine Kosten aufzuerlegen (§ 154 Abs. 3 VwGO).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708ff. ZPO.
Die Berufung wurde gemäß §§ 124a Abs. 1 Satz 1, 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen. Zwar hat das Bundesverwaltungsgericht mit
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Referenzen - Gesetze
Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 291 Prozesszinsen
Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 288 Verzugszinsen und sonstiger Verzugsschaden
Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 242 Leistung nach Treu und Glauben
Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 214 Wirkung der Verjährung

Referenzen - Urteile
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