Verwaltungsgericht Magdeburg Urteil, 27. Nov. 2014 - 8 A 6/14

ECLI:ECLI:DE:VGMAGDE:2014:1127.8A6.14.0A
bei uns veröffentlicht am27.11.2014

Tatbestand

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Der Kläger ist Polizeivollzugsbeamter im Land ... im Rang eines Polizeimeisters und wurde bei dem Beklagten bis zu den hier relevanten Geschehnissen im Spezialeinsatzkommando (SEK) verwendet. Infolge des Straf- und Disziplinarverfahrens wurde der Kläger aus dem SEK ausgeschlossen, zunächst im Bereich „Technische Einsatzgruppe“ eingesetzt und sodann an die Polizeidirektion ... abgeordnet. Augenblicklich ist der Kläger bis auf Weiteres an die Landesbereitschaftspolizei ... abgeordnet und wird dort im Bereich „Objektwache“ eingesetzt.

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Mit der hier streitbefangenen Disziplinarverfügung vom 27.08.2013 wird dem Kläger vorgeworfen, schuldhaft ein Dienstvergehen begangen zu haben. Im Kern der Ausführungen heißt es, der Kläger habe am 02.05.2010 während seiner Rufbereitschaft auf dem Schießplatz des Schützenvereins „H…“ in S... eine Maschinenpistole (MP5), eine Kurzwaffe Glock 17, zwei MP5-Magazine (voll), 1 Glock-Magazin (voll), 1 Glock-Magazin (leer), 3 Munitionspackungen à 50 Patronen, Green Range (voll) und 2 Munitionspackungen DAG05C0807 (leer) mit sich geführt.

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Das Amtsgericht A-Stadt verurteilte den Kläger mit Urteil vom 01.11.2011 (13 Ls 822 Js 75930/10 [196/11]) wegen eines vorsätzlichen Verstoßes gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz durch Beförderung einer Kriegswaffe ohne Genehmigung zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen je 60,00 Euro. Auf die Berufung des Klägers änderte das Landgericht A-Stadt – 8. kleine Strafkammer (28 Ns 822 Js 75930/10 [9/12]) das Urteil auf 85 Tagessätze je 60,00 Euro ab. Das Berufungsurteil verweist hinsichtlich der tatbestandlichen Feststellungen auf das Urteil des Amtsgerichts A-Stadt, welches ausführt:

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„Der Angeklagte ist Polizeibeamter und hat seit April 2007 seinen Dienst im Rahmen eines Spezialeinsatzkommandos des L...(SEK) ausgeübt. Obwohl dem Angeklagten als Beamter der Landespolizei ... bewusst war, dass er die ihm im Rahmen seines Dienstes zugewiesene Maschinenpistole des Typs MP5 als Kriegswaffe ausschließlich nach dienstlicher Weisung handhaben durfte, entschloss er sich, diese unerlaubt aus seiner ... Dienststelle in der … Straße in A-Stadt mitzunehmen und sie am 02.05.2010 gegen 09.00 Uhr privat auf das Gelände des s...er Schießstandes des Schützenvereins „ H ...“ zu transportieren, um dort damit zu schießen. Damit war ihm bewusst, dass er sich nicht im Besitz der dazu erforderlichen kriegswaffenrechtlichen Genehmigung befand.“

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Die Disziplinarverfügung führt aus, dass sich der Zeuge S ..., Mitglied des Schützenvereins und Polizeivollzugsbeamter, am besagten Tag ebenfalls auf dem Schießplatz des Schützenvereins befunden und ausgesagt habe, dass ihm durch den Platzwart mitgeteilt worden sei, dass der Kläger mit der Maschinenpistole schießen wolle. Der Zeuge habe den Platzwart gebeten, dem Kläger das Schießen zu untersagen. Der Zeuge S ... alarmierte die Polizei, woraufhin diese bei dem Kläger die „MP5“ und eine beträchtliche Anzahl von Munition im Kofferraum seines Fahrzeuges gefunden habe. Der Kläger habe die Mitnahme der Munition ohne dienstliche Autorisierung eingeräumt. Die Dienstpistole „Glock 17“ hätte der Kläger außerhalb des Dienstes nach entsprechender Genehmigung tragen dürfen. Hierüber sei der Kläger auch belehrt worden. Die Mitnahme der dienstlichen Maschinenpistole außerhalb des Dienstes sei untersagt gewesen. Es sei auch jedem SEK-Beamten bewusst gewesen. In der Wohnung des Klägers seien insgesamt 240 Patronen Polizeidienstmunition sichergestellt worden.

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Der Kläger habe bewusst gegen die dienstlichen Weisungen bezüglich des Tragens, des Gebrauchs und der Aufbewahrung von Schusswaffen und der diesbezüglichen Munition verstoßen. Dadurch habe er gegen die Gehorsamspflicht nach § 35 Satz 2 Beamtenstatusgesetz (BeamtStG) und die so genannte Wohlverhaltensklausel nach § 34 Satz 3 BeamtStG verstoßen. Da es dem Kläger gelungen sei, dienstliche Munition privat zu verwenden, habe er zudem gegen das Vertrauensverhältnis, insbesondere innerhalb des SEK´s, verstoßen.

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Die Dienstpflichtverletzung sei auch schuldhaft begangen worden. Denn die dargelegten Verstöße seien von ihm bewusst begangen worden. Ihm sei bewusst gewesen, dass er sich nicht im Besitz der erforderlichen Genehmigung bzw. kriegswaffenrechtlichen Genehmigung befand. Insbesondere über den dienstlichen und außerdienstlichen Umgang mit Waffen habe er Kenntnis gehabt. Milderungsgründe seien nicht ersichtlich. Obwohl im Strafverfahren eine Geldbuße verhängt worden sei, sei gemäß § 14 Abs. 1 Satz 2 DG LSA eine Kürzung der Dienstbezüge zusätzlich notwendig, um dem Kläger zur Pflichtenerfüllung anzuhalten. Der Kläger sei bereits vor dem hier vorgehaltenen Vorfall auf dem öffentlichen Schießplatz gesehen worden. Aus der damaligen Warnung durch den Zeugen S ... habe er sich von dem wiederholten, hier streitgegenständlichen Besuch nicht abhalten lassen. Letztendlich sei die ausgesprochene Disziplinarmaßnahme angesichts der Schwere des Dienstvergehens hinsichtlich des Kürzungsbruchteils und der Laufzeit angemessen.

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Den vom Kläger eingelegten Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 25.02.2014 unter vertiefter Begründung des Ausgangsbescheides als unbegründet zurück. Entgegen der Widerspruchsausführungen des Klägers sei die ausgesprochene Disziplinarmaßnahme trotz Verhängung der strafrechtlichen Geldbuße verhältnismäßig. Eine zusätzliche Sanktionierung sei wegen des einhergegangenen Vertrauensverlustes und der vorhandenen Wiederholungsgefahr zwingend erforderlich. Im Übrigen komme es auf die ausdrückliche Feststellung der Erforderlichkeit einer zusätzlichen Sanktionierung gar nicht an. Denn in Anbetracht der Schwere des Dienstvergehens sei gemäß § 13 Abs. 1 DG LSA eine Zurückstufung als Disziplinarmaßnahme angezeigt gewesen. Dies sei bei dem Kläger laufbahnrechtlich jedoch nicht möglich. Dementsprechend müsse mit der nächstmöglichen Disziplinarmaßnahme – hier der Gehaltskürzung – reagiert werden. Die Voraussetzungen des § 14 Abs. 1 Satz 2 DG LSA seien in einem solchen Fall nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts stets erfüllt. Im Übrigen sei die Tatsache, dass der Kläger nicht mehr im SEK tätig sei, dem Vertrauensverlust und der damit einhergegangenen fehlenden Eignung des Klägers als SEK-Beamter verbunden.

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Mit der dagegen fristgerecht erhobenen Klage wendet sich der Kläger weiter gegen die Disziplinarmaßnahme und macht insbesondere Ausführungen dazu, dass die Disziplinarmaßnahme nach § 14 Abs. 1 Satz 1 und 2 DG LSA hätte nicht mehr ausgesprochen werden dürfen. Eine zusätzliche disziplinarrechtliche Sanktionierung neben der bereits strafrechtlich verhängten Geldbuße sei nicht mehr erforderlich. Insbesondere sehe der Kläger das Unrecht der Straftat und der dienstrechtlichen Verfehlung ein. Zudem bringe die Kürzung der Dienstbezüge den Kläger in wirtschaftliche Not.

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Der Kläger beantragt,

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die Disziplinarverfügung vom 27.08.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.02.2014 aufzuheben

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sowie die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen

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und verteidigt die Disziplinarverfügung und insbesondere die darin ausgesprochene Disziplinarmaßnahme.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie den beigezogenen Verwaltungsvorgang und die darin befindlichen Auszüge aus dem strafrechtlichen Verfahren verwiesen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung.

Entscheidungsgründe

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1.) Die zulässige Klage ist begründet. Denn die streitbefangene Disziplinarverfügung in Gestalt des Widerspruchsbescheides ist hinsichtlich der Sanktionsfindung rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Darüber hinaus erweist sich die Disziplinarverfügung in dem hier vorliegenden Einzelfall als nicht zweckmäßig, was ebenso zur Aufhebung der Disziplinarmaßnahme führt (§§ 3, 59 Abs. 3 DG LSA).

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a.) Nach § 59 Abs. 3 DG LSA prüft das Disziplinargericht bei der Klage des Beamten gegen eine Disziplinarverfügung neben der Rechtmäßigkeit auch die Zweckmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung. Diese zusätzliche in Abweichung von § 114 VwGO dem Gericht zustehende eigene Prüfungskompetenz und der Ermessensentscheidung (Gesetzesbegründung zum gleich lautenden § 60 Abs. 3 BDG, Bundestagsdrucksache 14/4659, S. 48; BVerwG, Urt. v. 15.12.2005, 2 A 4.04; OVG NRW, Beschl. v. 19.09.2007, 21 dA 3600/06.O; Bayr. VGH, Beschl. v. 27.01.2010, 16 a DZ 07.3110, Bayr. VGH, Beschl. v. 02.07.2012, 16 a DZ 10.1644; zuletzt ausführlich VG Magdeburg, Urt. v. 18.12.2013, 8 A 15/13 MD; alle juris) führt bereits zur Aufhebung der Disziplinarmaßnahme.

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Anders als sonst bei einer Anfechtungsklage ist das Disziplinargericht danach nicht nur gemäß § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO darauf beschränkt, eine rechtswidrige Verfügung aufzuheben. Das Disziplinargericht prüft nicht nur, ob der dem Beamten zum Vorwurf gemacht Lebenssachverhalt tatsächlich vorliegt und disziplinarrechtlich als Dienstvergehen zu würdigen ist, sondern übt in Anwendung der in § 13 Abs. 1 DG LSA niedergelegten Grundsätze innerhalb der durch die Verfügung vorgegebenen Disziplinarmaßnahmeobergrenze selbst die Disziplinarbefugnis aus (vgl. zuletzt: BVerwG, Urt. v. 27.06.2013, 2 A 2.12; Beschl. v. 21.05.2013, 2 B 67.12; beide juris).

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b.) Zunächst sieht sich das Disziplinargericht dazu veranlasst, darauf hinzuweisen, dass ähnlich wie bei einer Disziplinarklage die dort explizit genannten Voraussetzungen (vgl. § 49 Abs. 2 DG LSA) auch bei der behördlichen Disziplinarverfügung gelten. Denn dies ergibt sich bereits aus der Anwendung allgemeiner verwaltungsverfahrensrechtlicher Vorschriften hinsichtlich der Bestimmtheit des Verwaltungsaktes (vgl. § 3 DG LSA; § 37 VwVfG). Danach muss der in der Disziplinarverfügung den Beamten gegenüber erhobenen Pflichtenverstoß und der diesem zugrunde gelegte Sachverhalt so deutlich und klar sein, dass der Beamte sich mit seiner Verteidigung darauf einstellen kann, aber auch das zur Überprüfung berufene Disziplinargericht die Überprüfung vornehmen kann (vgl. zuletzt: VG Magdeburg, Urt. v. 04.06.2014, 8 A 16/13 MD und Urt. v. 14.01.2014, 8 A 12/13 MD, mit Verweis auf BVerwG, Urt. v. 27.06.2013, 2 WD 5.12; alle juris).

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So wird der notwendige disziplinarrechtliche Anklagesatz in der Disziplinarverfügung nicht eindeutig und hinreichend bestimmt. Durch die Ausführungen im Konjunktiv bzw. die Formulierung „soll“ wird nicht hinreichend klar, dass das vorgehaltene Dienstvergehen auch bewiesen ist. Dabei stellt das Disziplinargericht jedoch auch klar, dass diese Darstellungsmängel in der Disziplinarverfügung – anders als bei den noch förmlicheren Voraussetzungen in der Disziplinarklage – nicht zur formellen Rechtswidrigkeit des Bescheides führen. Denn die Konkretisierung wird in der Begründung des Bescheides hinreichend bestimmbar gemacht. Zudem liegen dem Tatgeschehen um die Maschinenpistole die strafrechtlichen Feststellungen zugrunde und der Kläger hat die Vorwürfe auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Disziplinargericht eingeräumt.

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2.) Das Disziplinargericht lässt keinen Zweifel daran, dass der Kläger durch die ihm vorgehaltenen Geschehnisse anlässlich des Besuchs des Schießplatzes schuldhaft ein Dienstvergehen begangen hat. Durch das unrechtmäßige und ungenehmigte Mitführen der Waffen und der Munition hat der Kläger gegen die ihm bekannten diesbezüglichen waffenrechtlichen Dienstanweisungen verstoßen, was einen Verstoß gegen die ihm obliegende allgemeine dienstrechtliche Gehorsamspflicht nach § 35 Satz 2 BeamtStG und zugleich einen Verstoß gegen die so genannte beamtenrechtliche Wohlverhaltenspflicht im Sinne einer Ansehensschädigung des Berufsstandes nach § 34 Satz 3 BeamtStG bedeutet. Dabei ist insbesondere der nicht genehmigte Transport des Maschinengewehrs MP5 außerhalb des Dienstes bedeutsam. Denn dies stellt einen Verstoß gegen § 22 a Abs. 1 Nr. 3 Kriegswaffenkontrollgesetz dar. Sind diese tatbestandlichen Feststellungen durch das Amtsgericht A-Stadt in dem strafrechtlichen Urteil bereits für das Disziplinargericht nach § 54 Abs. 1 DG LSA bindend (vgl. zur Bindungswirkung zuletzt ausführlich: VG Magdeburg, Urt. v. 15.04.2014, 8 A 2/13 MD; juris), ergibt sich dies genauso aus der geständigen Einlassung des Klägers. Das Disziplinargericht folgt insoweit auch der vom Strafgericht vorgenommenen Subsumtion unter das Kriegswaffenkontrollgesetz.

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Dabei handelt es sich um ein außerdienstliches Dienstvergehen. Ein Verhalten außerhalb des Dienstes ist nur dann ein Dienstvergehen, wenn es nach den Umständen des Einzelfalles in besonderem Maße geeignet ist, das Vertrauen in eine für ihr Amt bedeutsamen Weise zu beeinträchtigen (§ 47 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG). Diese Voraussetzungen liegen vor.

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a.) Bei einem außerdienstlichen Fehlverhalten müssen die besonderen qualifizierenden Voraussetzungen des § 47 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG gegeben sein, um von einer Disziplinarwürdigkeit auszugehen. Dabei muss die Frage der Disziplinarwürdigkeit eines außerdienstlichen Verhaltens von der eigentlichen Zumessensentscheidung nach Maßgabe des § 13 DG LSA getrennt beurteilt werden. Das Verhalten des Beamten muss nach den Umständen des Einzelfalls in besonderem Maße geeignet sein, das Vertrauen in einer für das Amt bedeutsamen Weise zu beeinträchtigen. Das Merkmal „in besonderem Maße“ bezieht sich auf die Eignung zur Achtungs- und Vertrauensbeeinträchtigung und ist nur erfüllt, wenn das Verhalten des Beamten in quantitativer oder qualitativer Hinsicht über das über eine jede Eignung vorausgesetzte Mindestmaß an Wahrscheinlichkeit einer Beeinträchtigung hinausgeht. Ist eine derart qualifizierte Möglichkeit der Beeinträchtigung gegeben, kommt es weiterhin darauf an, ob diese Beeinträchtigung bedeutsam wäre. Das Merkmal „in bedeutsamer Weise“ bezieht sich auf den „Erfolg“ der möglichen Achtungs- und Vertrauensbeeinträchtigung. Die zur Beeinträchtigung in besonderem Maße geeignete Pflichtenverletzung weist Bedeutsamkeit auf, wenn sie in qualitativer oder quantitativer Hinsicht das einer jeden außerdienstlichen Pflichtverletzung innewohnende Maß an disziplinarrechtlicher Relevanz deutlich überschreitet (vgl. zum Ganzen: BVerwG, Urt. v. 08.05.2001, 1 D 20.00; juris). Die Beeinträchtigung der Achtung und des Vertrauens muss sich entweder auf das Amt des Beamten im konkret-funktionellen Sinne (Dienstposten), d. h. auf die Erfüllung der dem Beamten konkret obliegenden Dienstpflichten oder auf das Ansehen des Berufsbeamtentums als Sachwalter einer stabilen und gesetzestreuen Verwaltung beziehen (vgl. zum Ganzen: BVerwG, Urt. v. 30.08.2000, 1 D 37.99; Urt. v. 12.12.2001, 1 D 4.01; Urt. v. 25.08.2009, 1 D 1.08; Urt. v. 19.08.2010, 2 C 13.10; Urt. v. 28.07.2011, 2 C 16.10; alle juris).

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Mit der Neuregelung der tatbestandlichen Voraussetzungen des außerdienstlichen Dienstvergehens wollte der Gesetzgeber den Wandel der gesellschaftlichen Anschauungen über die Stellung der Beamten Rechnung tragen. Demnach werden Beamte nicht mehr als Vorbild in allen Lebenslagen angesehen, die besonderen Anforderungen an Moral und Anstand unterliegen (BVerwG, Urt. v. 30.08.2000, 1 D 37.99; juris). In Reaktion auf diese Rechtsprechung erwähnt § 47 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG den Ansehensverlust nicht mehr. Die Vorstellung, dass der Beamte „niemals Privatmann“ sei, sondern auch außerhalb des Dienstes Beamter, der stets auf seine Amtsstellung Rücksicht zu nehmen habe, hat der Gesetzgeber zum Schutz der Privatsphäre des Beamten bewusst aufgegeben. Der Gesetzgeber wollte durch die gesetzliche Regelung zum Ausdruck bringen, dass von einem Beamten außerdienstlich kein wesentlich anderes Sozialverhalten als von jedem Bürger erwartet wird. Die Voraussetzungen für die Annahme eines Dienstvergehens im außerdienstlichen Bereich sollten durch besondere tatbestandliche Merkmale verschärft werden. Dies sollte in erster Linie für eine Vielzahl von Straßenverkehrsdelikten gelten (z. B. Trunkenheit im Verkehr; vgl. Entwurf eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung der Bundesdisziplinarordnung, Schriftlicher Bericht des Innenausschusses des Deutschen Bundestages, BT-Drucksache V/1693, zu Art. 2 § 2 Seite 10; BVerwG, Urt. v. 30.08.2000, 1 D 37.99; Urt. v. 25.03.2010, 2 C 83.08; Urt. v. 19.08.2010, 2 C 5.10 und 13.10; juris). In der Gesetzesbegründung wird hervorgehoben, dass die vorkonstitutionelle Auffassung, Beamte seien „immer im Dienst“, in dieser Allgemeinheit nicht mehr gelte. Es gehe allein um das Vertrauen in eine objektive, rechtmäßige und effiziente Aufgabenerfüllung (vgl. BVerwG, Urt. v. 25.08.2009, 1 D 1.08 mit Verweis auf BT-Drs. 16/4027, S. 34 zu § 48 des Entwurfs; juris). Das Berufsbeamtentum soll eine stabile gesetzestreue Verwaltung sichern, die freiheitlich demokratische Rechtsordnung verteidigen und durch Unabhängigkeit und Unparteilichkeit einen ausgleichenden Faktor gegenüber den das Staatsleben gestaltenden politischen Kräften darstellen. Das Vertrauen, dass der Beamte diesem Auftrag gerecht wird und dessen er zur Erfüllung seiner Aufgabe bedarf, darf der Beamte durch sein Verhalten nicht beeinträchtigen (BVerwG, Urt. v. 30.08.2000, 1 D 37.99; juris).

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b.) Der somit zu fordernde Dienstbezug ist gegeben, wenn das außerdienstliche Verhalten Rückschlüsse auf die Dienstausübung in dem Amt im konkret-funktionellen Sinn zulässt oder den Beamten in der Dienstausübung beeinträchtigt (Beeinträchtigung der für die Dienstausübung unabdingbaren Autorität). Während bei Delikten gegen die sexuelle Selbstbestimmung und hier insbesondere bei dem Besitz oder dem Verbreiten kinderpornografischer Dateien ein Dienstbezug bei Lehrern, Pädagogen, Erziehern und auch Polizeivollzugsbeamten im Regelfall angenommen wird (vgl. nur BVerwG, Urt. v. 19.08.2010, 2 C 5.10; B. v. 25.05.2012, 2 B 133.11; VG Magdeburg, Urt. v. 05.06.2013, 8 A 10/12 MD; jüngst VG Wiesbaden bei einem JVA-Bediensteten einer Jugend-JVA, Urt. v. 05.06.2013, 28 K 296/12.WI.D; alle juris) wird dies z. B. bei einem Zollinspektor, welcher im Bereich der Bekämpfung der Schwarzarbeit eingesetzt wird, abgelehnt (BVerwG, Urt. v. 19.08.2010, 2 C 13.10). Die Ausübung der Prostitution hat Dienstbezug bei einer Justizbeamtin (VG Münster, Urteil v. 19.03.2013, 13 K 2930/12.O; juris). Ebenso die außerdienstliche Trunkenheitsfahrt eines Beamten, der auch dienstlich ein Kraftfahrzeug zu führen hat (BVerwG, Urt. v. 30.08.2000, 1 D 37.99; juris). Ähnlich besteht der Dienstbezug bei einem Vermögensdelikt eines Beamten, dem dienstlich die Führung einer Kasse obliegt (BVerwG, Urt. v. 30.08.2000, 1 D 37.99; juris). Das erkennende Disziplinargericht hat bei einem Polizeibeamten hinsichtlich außerdienstlicher Verstöße gegen das Waffen-, Sprengstoff- und Munitionsgesetz sowie das Kriegswaffenkontrollgesetz wegen der dienstlichen Eigenschaft als Waffenträger den Dienstbezug bejaht (VG Magdeburg, Urt. v. 28.02.2013, 8 A 14/11; juris). Bei einem Polizeivollzugsbeamten im Eingangsamt hat die Kammer den Dienstbezug bei der Begehung der Straftat der Entziehung elektrischer Energie verneint (Urteil v. 17.10.2013, 8 A 6/13; juris). Auch bei der Begehung der Straftat der Untreue durch einen im Justizdienst tätigen Rechtspfleger liegt der Dienstbezug vor (VG Magdeburg, U. v. 13.12.2013, 8 A 17/12 MD; zu einem Gerichtsvollzieher: VG Magdeburg, Urteil v. 29.01.2013, 8 A 5/11; alle juris).

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Unter Berücksichtigung dessen ist vorliegend bei einem SEK-Polizeibeamten der erforderliche waffenrechtliche Dienstbezug gegeben.

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c.) Aber auch ohne Annahme des Dienstbezuges ist die Disziplinarwürdigkeit des außerdienstlichen Verhaltens des Klägers aufgrund der disziplinarrechtlichen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der sich das Disziplinargericht anschließt, gegeben.

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Das Bundesverwaltungsgericht (Urt. v. 30.08.2000, 1 D 37.99; Urt. v. 25.03.2010, 2 C 83.08; beide juris) stellt klar, dass bereits bei erstmaligem außerdienstlichem Fehlverhalten die Eignung zu Beeinträchtigung von Achtung und Vertrauen im Hinblick auf das Ansehen des Beamtentums gegeben sein kann. Dies unter Hinweis auf die gesetzgeberischen Wertungen bei der Begehung einer Straftat zum Nachteil des Staates (§ 41 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BBG) oder der Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr wegen einer vorsätzlich begangenen schwerwiegenden Straftat (vgl. § 41 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BBG). Das Bundesverwaltungsgericht führt in dem Urteil vom 19.08.2010 (2 C 13.10; juris; auch: Beschluss v. 28.06.2012, 2 B 28.12; juris) aus:

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„Unabhängig von diesen Fallgruppen lässt der Strafrahmen Rückschlüsse auf das Maß der disziplinarrechtlich relevanten Ansehensschädigung zu. Die Disziplinarwürdigkeit eines erstmaligen außerdienstlichen Verhaltens eines Beamten ist regelmäßig anzunehmen, wenn das außerdienstliche Verhalten im Strafgesetzbuch als Vergehen mit einer Freiheitsstrafe im mittleren Bereich belegt ist. Durch die Festlegung des Strafrahmens bringt der Gesetzgeber verbindlich den Unrechtsgehalt eines Deliktes zum Ausdruck. An dieser Wertung hat sich auch die Entscheidung über die Eignung zu Vertrauensbeeinträchtigung zu orientieren, wenn andere Kriterien, wie etwa ein Dienstbezug oder die Verhängung einer Freiheitsstrafe bei einer vorsätzlich begangenen Straftat ausscheiden. Hierdurch wird hinsichtlich der Frage der Disziplinarwürdigkeit außerdienstlichem Verhaltens eine Entscheidung gewährleistet, die an nachvollziehbare Kriterien anknüpft und keine „allgemeine Empörung oder Entrüstung“ darstellt.“

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Vorliegend ist der Strafrahmen des Straftatbestandes nach § 22 a Abs. 1 Nr. 3 Kriegswaffenkontrollgesetz mit einem Strafrahmen bis zu 5 Jahren und im Fall des Absatz 3 bis zu 3 Jahren belegt.

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Die Disziplinarwürdigkeit des außerdienstlichen Fehlverhaltens ist damit gegeben.

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3.) Welche Disziplinarmaßnahme im Einzelfall erforderlich ist, richtet sich nach der Schwere des Dienstvergehens, dem Persönlichkeitsbild des Beamten sowie dem Umfang der durch das Dienstvergehen herbeigeführten Vertrauensbeeinträchtigung. Die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis ist regelmäßig dann auszusprechen, wenn der Beamte durch ein schweres Dienstvergehen, das für die weitere dienstliche Tätigkeit notwendige Vertrauensverhältnis zwischen ihm und dem Dienstherrn aber auch der Allgemeinheit endgültig zerstört hat (vgl. nur: BVerwG, Urt. v. 20.10.2005, 2 C 12.04 und Urt. v. 19.08.2010, 2 C 13.10; beide juris).

34

a.) Die Schwere des Dienstvergehens beurteilt sich nach objektiven Handlungsmerkmalen wie Eigenart und Bedeutung der Dienstpflichtverletzung, den besonderen Umständen der Tatbegehung sowie Häufigkeit und Dauer eines wiederholten Fehlverhaltens, nach subjektiven Handlungsmerkmalen wie Form und Gewicht des Verschuldens des Beamten, den Beweggründen für sein Verhalten sowie nach den unmittelbaren Folgen für den dienstlichen Bereich und für Dritte. Davon ausgehend kommt es darauf an, ob Erkenntnisse zum Persönlichkeitsbild und zum Umfang der Vertrauensbeeinträchtigung im Einzelfall derart ins Gewicht fallen, dass eine andere als die durch die Schwere des Dienstvergehens indizierte Maßnahme geboten ist. Eine vollständige und richtige Gesamtwürdigung setzt voraus, dass die Disziplinarkammer die im Einzelfall bemessungsrelevanten, d. h. die für die Schwere des Dienstvergehens und das Persönlichkeitsbild bedeutsamen Tatsachen ermittelt und mit dem ihnen zukommenden Gewicht in die Gesamtbewertung einbezieht. Dies entspricht dem Zweck der Disziplinarbefugnis des Disziplinargerichts als einem Mittel der Funktionssicherheit des öffentlichen Dienstes. Dabei findet der Grundsatz „in dubio pro reo“ Anwendung. Die Disziplinargerichte dürfen nur solche belastenden Tatsachen in die Gesamtwürdigung einstellen, die zur Überzeugung des Gerichts feststehen. Demgegenüber müssen entlastende (mildernde) Umstände schon dann zu Gunsten des Beamten berücksichtigt werden, wenn hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für ihr Vorliegen gegeben sind und eine weitere Sachverhaltsaufklärung nicht möglich ist (vgl. nur: VG Magdeburg, Urt. v. 27.10.2011, 8 A 2/11 mit Verweis auf BVerwG, Urt. v. 27.01.2011, 2 A 5.09; jüngst BVerwG, Urt. v. 29.03.2012, 2 A 11/10, OVG Lüneburg, Urt. v. 14.11.2012, 19 LD 4/11; zuletzt ausführlich; VG Magdeburg, Urt. v. 17.10.2013, 8 A 6/13; alle juris).

35

b.) Im Bezug auf strafbares außerdienstliches Verhalten betont das Bundesverwaltungsgericht in der neuerlichen Rechtsprechung auch bei der Bewertung der Schwere der Pflichtverletzung die Bedeutung der gesetzlichen Strafandrohung für die Maßnahmebemessung (BVerwG, Urt. v. 25.03.2010, 2 C 83.08, Urt. v. 19.08.2010, 2 C 5.10 und 2 C 13.10, B. v. 21.12.2010, 2 B 29.10, B. v. 26.06.2012, 2 B 28.12; alle juris). Die Anknüpfung an den Strafrahmen gewährleistet eine nachvollziehbare und gleichmäßige disziplinarrechtliche Ahndung von Dienstvergehen. Dabei hat das Bundesverwaltungsgericht bei einem Strafrahmen von bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe bei Fehlen jeglichen Dienstbezuges allenfalls eine Disziplinarmaßnahme im unteren Bereich für angemessen erachtet und bei einem Strafrahmen von bis zu zwei Jahren die Zurückstufung als Orientierungsrahmen angesehen. Kommt ein Dienstbezug hinzu, so kann der Orientierungsrahmen bei einem Strafrahmen bis zu einem Jahr ebenfalls die Zurückstufung, bei einem Strafrahmen bis zu zwei Jahren, sogar die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis sein. Besteht eine wesentlich höhere Strafandrohung - wie hier bis zu fünf Jahren – reicht der disziplinarrechtliche Orientierungsrahmen auch und sogar bei Fehlen eines Dienstbezuges bis zur Höchstmaßnahme (BVerwG, B. v. 28.06.2012, 2 B 28.12; juris).

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c.) Kommt demnach im vorliegenden Fall aufgrund der Strafandrohung nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz, bei einem Strafrahmen bis zu fünf Jahren (vgl. § 22 a Abs. 1 Kriegswaffenkontrollgesetz) bzw. von drei Jahren (§ 22 a Abs. 3 Kriegswaffenkontrollgesetz) durchaus die Zurückstufung als Orientierungsrahmen bei der Begehung dieses außerdienstlichen Dienstvergehens in Betracht, entsteht daraus jedoch kein Automatismus. Dabei ist von Bedeutung, dass die hier dargestellte Strafrahmenorientierung anlässlich der Rechtsprechung zur disziplinarrechtlichen Ahndung des Besitzes kinderpornografischer Schriften vom Bundesverwaltungsgericht entwickelt wurde. Es ist eindeutig und nachvollziehbar erkennbar, dass gerade dieser typischerweise als außerdienstliches Delikt begangene Unrechtsgehalt disziplinarrechtlich durch einen feststehenden Orientierungsrahmen abgeschöpft werden sollte.

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Das Bundesveraltungsgericht betont ebenso in ständiger Rechtsprechung, dass der so zu bestimmende Orientierungsrahmen für die Bemessung der Disziplinarmaßnahme, die Disziplinargerichte aber gleichfalls nicht davon entbindet, die Umstände des Einzelfalls ausreichend zu würdigen (BVerwG, Urt. v. 25.03.2010, 2 C 83.08; juris). Für die Zumessungsentscheidung müssen die in § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 DG LSA genannten Bemessungskriterien mit dem ihnen zukommenden Gewicht ermittelt und eingestellt werden. Dieses Erfordernis beruht auf dem im Disziplinarverfahren geltenden Schuldprinzip und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

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Dies gilt vorliegend gerade für nicht von der Masse der Beamten verwirklichte Straftatbestände, wie hier ein Verstoß gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz. Demnach ist vorliegend das Disziplinargericht gerade angehalten, die Besonderheiten der Tatumstände hinsichtlich der Schwere des Dienstvergehens und des daraus zu entwickelnden Disziplinarmaßes im Sinne von § 13 DG LSA zu berücksichtigen. Dabei hat sich das Disziplinargericht bereits in dem Urteil vom 28.02.2013 (8 A 14/11 MD; juris) mit der Problematik des außerdienstlichen Verstoßes eines Polizeibeamten gegen das Waffengesetz, dem Sprengstoffgesetz und dem Kriegswaffenkontrollgesetz auseinandergesetzt. Bereits der dortige Lebenssachverhalt war von einer Vielzahl von Verstößen gegen die genannten Gesetze gekennzeichnet, wie die unvorschriftsmäßige Aufbewahrung von Schusswaffen und Munition, die Nichtanzeige des Erwerbs einer Schusswaffe und von wesentlichen Waffenteilen, dem unerlaubten Besitz einer Sprengkapsel, dem unerlaubten Besitz von Waffen und Munition, die dem Kriegswaffenkontrollgesetz unterliegen, dem unerlaubten Besitz von Patronenmunition verschiedener Kaliber. Das Disziplinargericht hat in dem damaligen Urteil ausgeführt, dass das begangene Dienstvergehen wegen der Verstöße gegen das Waffengesetz und der dadurch bedingten Vertrauensbeeinträchtigung eine Intensität erreicht, die die Ahndung mit einer gehörigen Disziplinarmaßnahme mit Außenwirkung, also im oberen Bereich der gestuften Disziplinarmaßnahmen erforderlich macht. Das Disziplinargericht ließ keinen Zweifel daran, dass auch der Ausspruch der Höchstmaßnahme, also die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis durchaus möglich erscheint. Gleichwohl kam das Disziplinargericht in dem damaligen Fall aufgrund ihrer eigenen Disziplinarbefugnis (§ 57 Abs. 2 Satz 2 DG LSA) zu der Überzeugung, dass die endgültige Zerstörung des Vertrauensverhältnisses gegenüber dem Dienstherrn aber auch der Allgemeinheit noch nicht festgestellt werden könne und erkannte auf die Disziplinarmaßnahme der Zurückstufung. So verwies die Kammer in dem Urteil auch auf die Entscheidung des Verwaltungsgerichts München, welches aufgrund der strafrechtlichen Verurteilung eines Beamten wegen des Besitzes eines Sturmgewehrs AK47 sowie der passenden Munition im Umfang von 1.100 Schuss von der grundsätzlichen Notwendigkeit der Degradierung ausgegangen war, aber diese auf die Gehaltskürzung abmilderte (VG München, Urt. v. 16.04.2007, M 19 D 06.2693; juris). Denn der Beamte habe in dem Münchener Fall in erheblichem Maße bei der Aufklärung der Straftat mitgewirkt und es sei eine positive Persönlichkeitsprognose zu stellen.

39

d.) Ebenso muss das Disziplinargericht stets die sogenannten Entlastungs- oder Milderungsgründe hinsichtlich des Einzelfalls berücksichtigen. Solche Gründe stellen zum einen die von der Rechtsprechung bezüglich der sog. Zugriffsdelikte entwickelten und anerkannten Milderungsgründe dar, die besondere menschliche Konfliktsituationen beschreiben. Hierzu zählen etwa das Handeln in einer existenziellen wirtschaftlichen Notlage oder einer körperlichen oder psychischen Ausnahmesituation oder besonderen Versuchssituationen oder eine persönlichkeitsfremde Einzelverfehlung des Beamten wie auch „Entgleisungen“ während einer negativen, inzwischen überwundenen, durch Alkohol, Drogen oder Schicksalsschlägen bedingte Lebensphase. Der Milderungsgrund der Geringwertigkeit eines verursachten Schadens oder des geldlichen Vorteils der Handlung wird bei etwa 50,00 Euro gezogen. Auch besondere die Dienstpflichtverletzung begünstigende Handlungen und mangelnde Kontrollen des Dienstherrn können im Einzelfall wie ein besonderes Nachtatverhalten die Schwere der Verfehlung mildern. Zeitlich überlange Disziplinarverfahren können wegen des disziplinarrechtlichen Beschleunigungsgebotes und der mit dem Disziplinarverfahren verbundenen persönlichen Belastungen jedenfalls bei Maßnahmen der Pflichtenmahnung berücksichtigt werden. Auch eine dienstliche Überlastung kann einen Milderungsgrund darstellen (VG Magdeburg, Urteil v. 29.01.2013, 8 A 5/11; juris).

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Die entlastenden Gründe sind nicht (mehr) allein auf den in der Rechtsprechung entwickelten Kanon der anerkannten Milderungsgründe beschränkt (BVerwG, Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11.10, m. w. Nachw.; juris; insoweit missverständlich: OVG LSA, Beschluss v. 17.09.2013, 10 M 9/13 [n. v.]). Diese müssen aber in ihrer Gesamtheit geeignet sein, die Schwere des Pflichtenverstoßes erheblich herabzusetzen. Generell gilt, dass das Gewicht der Entlastungsgründe umso größer sein muss, je schwerer das Delikt aufgrund der Schadenshöhe sowie der Tatumstände, wie Anzahl, Häufigkeit, Zeitraum, Verschiedenartigkeit und Tatausführung wiegt (im Ganzen ausführlich: VG Magdeburg, Urt. v. 29.11.2012, 8 A 12/11, v. 31.03.2011, 8 A 2/10 MD und v. 27.10.2011, 8 A 2/11, mit Verweis auf BVerwG, Urt. v. 24.05.2007, 2 C 28.06, Urt. v. 06.06.2007, 1 D 2.06, Urt. v. 29.05.2008, 2 C 59.07; Bayr. VGH, Urt. v. 27.10.2010, 16 aD 09.2470; OVG Lüneburg, Urt. v. 08.02.2011, 6 LD 4/08; alle juris).

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e.) Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben, sieht das Disziplinargericht im vorliegenden Fall auch in der Person des Klägers derartige Besonderheiten. Der Kläger stellte sich bereits im Laufe des Straf- und Disziplinarverfahrens als einsichtig dar und hinterließ insoweit insbesondere in der mündlichen Verhandlung vor dem Disziplinargericht einen positiven Eindruck auf das Gericht. Das Gericht ist davon überzeugt, dass der Kläger, der zum Tatzeitpunkt 28 Jahre alt war, die Tat und deren Folgen ernsthaft bereut. Das Gericht hat keine Anhaltspunkte dafür, dass dieses reumütige Verhalten gespielt war und nur dem Zwecke eines milderen Urteils diente. Denn insoweit muss vordringlich berücksichtigt werden, dass der Kläger, welcher nach seiner Aussage mit 27 Jahren damals der jüngste SEK-Beamte war, aufgrund der Tatbegehung und der beamtenrechtlichen Pflichtenversäumnisse - zutreffend - aus dem SEK entfernt wurde. Damit sind ihm die aus diesem Amt zufließenden dienstrechtlichen Vorteile allesamt entzogen worden. Dies bedeutet neben dem allgemeinen Prestigeverlust, in einer derartigen polizeirechtlichen Eliteeinheit nicht mehr tätig sein zu dürfen, auch, dass ihm bestimmte geldwerte Zulagen sowie der aus diesem Amt resultierende Aufstieg verwehrt sind. Dies wird besonders deutlich darin, dass der Kläger nunmehr an die Landesbereitschaftspolizei abgeordnet wurde und dort im Bereich des Objektschutzes, sprich Wachschutz, tätig ist. Dabei darf disziplinarrechtlich auch positiv bewertet werden, dass sich der Kläger gegen diese dienstrechtlichen Maßnahmen nicht gewendet hat, sie erträgt und damit die Folgen seiner Tat auf sich nimmt. Die aus der strafrechtlichen Sanktionierung resultierenden Vermögenseinbußen erfüllt er. Glaubhaft konnte er versichern, dass er im Privatbereich weitere finanzielle Einbußen aufgrund der Unterstützung seines Vaters erleidet.

42

a. a.) Dementsprechend sieht das Disziplinargericht vorliegend die Disziplinarmaßnahme der Zurückstufung nach § 9 DG LSA als die zweitschwerste Disziplinarmaßnahme gerade nicht als tatangemessen an, so dass sich die Sanktionsfindung im Bereich der Kürzung der Dienstbezüge nach § 8 DG LSA bewegt. Unter diesen Umständen kommt es vorliegend nicht darauf an, ob die unter der Zurückstufung liegende Disziplinarmaßnahme der Kürzung der Dienstbezüge nur deshalb ausgesprochen werden muss, weil die eigentlich notwendige und tatangemessene Disziplinarmaßnahme der Zurückstufung wegen der laufbahnrechtlichen Voraussetzungen nicht ausgesprochen werden kann. Nur für diesen Fall – von dem der Beklagte ausging – nimmt das Bundesverwaltungsgericht an, dass die Voraussetzungen des so genannten disziplinarrechtlichen Überhangs nach § 14 Abs. 1 Satz 1 und 2 DG LSA stets als erfüllt anzusehen sind (vgl. BVerwG, Urt. v. 19.08.2010, 2 C 13/10; juris).

43

b. b.) Liegt der Fall hier also anders, dass von vornherein die Disziplinarmaßnahme der Kürzung der Dienstbezüge nach § 8 DG LSA nach § 13 DG LSA als notwendige Disziplinarmaßnahme auszusprechen ist, muss die Prüfung nach § 14 Abs. 1 Satz 2 DG LSA vorgenommen werden, ob die Kürzung der Dienstbezüge neben der bereits verhängten Kriminalstrafe erforderlich ist, um den Beamten zur Pflichtenerfüllung anzuhalten.

44

Wann eine zusätzliche Pflichtenmahnung i. S. v. § 14 Abs. 1 Satz 2 DG LSA, also ein sogenannter disziplinarrechtlicher Überhang, erforderlich ist, hängt von einer Bewertung der Gesamtpersönlichkeit des Beamten ab. Dabei ist davon auszugehen, dass eine Disziplinarmaßnahme neben der sachgleichen Kriminalstrafe eine eng begrenzte Ausnahme darstellt. Sie setzt die Gefahr voraus, dass sich die durch das Fehlverhalten zu Tage getretenen Eigenarten des Beamten trotz der strafgerichtlichen Sanktion auch in Zukunft in für den Dienst bedeutsamer Weise auswirken können. Diese Gefahr lässt sich nicht aus allgemeinen Erwägungen ableiten, sie muss aus konkreten Umständen des Einzelfalls hergeleitet werden. Die Disziplinarmaßnahme dient nicht der Vergeltung für begangenes Unrecht. Eine zusätzliche Maßnahme ist mithin nur nach individueller Prüfung des Einzelfalls beim Vorliegen konkreter Umstände für eine Wiederholungsgefahr zulässig, wenn also konkrete Befürchtungen ersichtlich sind, der Beamte werde sich trotz der ihm wegen desselben Sachverhaltes bereits auferlegten Kriminalstrafe erneut einer Dienstpflichtverletzung schuldig machen (vgl. BVerwG, Urt. v. 23.02.2005, 1 D 13.04; juris; VG Berlin, Urt. v. 17.09.2012, 80 K 10.12 OL; juris; vgl. zum Ganzen: Hummel/Köhler/Mayer, BDG, 5. Aufl., 2012, § 14 Rz. 8).

45

Das Disziplinargericht ist unter Auswertung aller Tatumstände und der Bewertung der Persönlichkeit des Klägers zu der richterlichen Überzeugung gelangt, dass derartige Umstände für ein zusätzliches Sanktionsbedürfnis neben der Kriminalstrafe hier nicht zu erkennen sind. Dies auch unter den eingangs genannten, dem Disziplinargericht zustehenden Zweckmäßigkeitserwägungen nach § 59 Abs. 3 DG LSA. Im Rahmen der Zweckmäßigkeit ist zu prüfen, ob die beabsichtigte Maßnahme den Zweck des Disziplinarverfahrens zu erfüllen vermag. Das ist beispielweise dann nicht der Fall, wenn eine Disziplinarmaßnahme zu hart oder zu mild bemessen ist oder wenn das Dienstvergehen und die sonstigen Umstände des Einzelfalls den Erlass einer Disziplinarverfügung gegenüber einer Disziplinarklage als angemessen erscheinen lassen (vgl. Gesetzesbegründung zu § 76 DG LSA). Es handelt sich auch nicht um eine persönlichkeitsbedingte Wiederholungstat. Auch wenn die Disziplinarverfügung in der Begründung dem Kläger vorhält, dass er bereits vormalig auf dem Schießstand gesichtet worden sei, ist dies nicht hinreichend belegt und gerade nicht disziplinarrechtlich oder gar strafrechtlich aufgearbeitet worden und ist nicht Gegenstand der Disziplinarverfügung. Auch von weiteren oder neuerlichen diesbezüglichen oder auch nur anderen disziplinarrechtlich relevanten Dienstpflichtverletzungen des Klägers ist nichts bekannt.

46

4.) Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 72 Abs. 4 DG LSA, 154 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergeht gemäß § 167 Abs. 1 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO. Gemäß § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO war die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären. Denn dem Kläger war die eigenständige Durchführung des Widerspruchsverfahrens nicht zumutbar.


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Beamtenstatusgesetz - BeamtStG | § 47 Nichterfüllung von Pflichten


(1) Beamtinnen und Beamte begehen ein Dienstvergehen, wenn sie schuldhaft die ihnen obliegenden Pflichten verletzen. Ein Verhalten außerhalb des Dienstes ist nur dann ein Dienstvergehen, wenn es nach den Umständen des Einzelfalls in besonderem Maße g

Beamtenstatusgesetz - BeamtStG | § 35 Folgepflicht


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Bundesdisziplinargesetz - BDG | § 60 Mündliche Verhandlung, Entscheidung durch Urteil


(1) Das Gericht entscheidet über die Klage, wenn das Disziplinarverfahren nicht auf andere Weise abgeschlossen wird, auf Grund mündlicher Verhandlung durch Urteil. § 106 der Verwaltungsgerichtsordnung wird nicht angewandt. (2) Bei einer Disziplin

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(1) Beamtinnen und Beamte haben sich mit vollem persönlichem Einsatz ihrem Beruf zu widmen. Sie haben die übertragenen Aufgaben uneigennützig nach bestem Gewissen wahrzunehmen. Ihr Verhalten innerhalb und außerhalb des Dienstes muss der Achtung und dem Vertrauen gerecht werden, die ihr Beruf erfordern.

(2) Beamtinnen und Beamte haben bei der Ausübung des Dienstes oder bei einer Tätigkeit mit unmittelbarem Dienstbezug auch hinsichtlich ihres Erscheinungsbilds Rücksicht auf das ihrem Amt entgegengebrachte Vertrauen zu nehmen. Insbesondere das Tragen von bestimmten Kleidungsstücken, Schmuck, Symbolen und Tätowierungen im sichtbaren Bereich sowie die Art der Haar- und Barttracht können eingeschränkt oder untersagt werden, soweit die Funktionsfähigkeit der Verwaltung oder die Pflicht zum achtungs- und vertrauenswürdigen Verhalten dies erfordert. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn Merkmale des Erscheinungsbilds nach Satz 2 durch ihre über das übliche Maß hinausgehende besonders individualisierende Art geeignet sind, die amtliche Funktion der Beamtin oder des Beamten in den Hintergrund zu drängen. Religiös oder weltanschaulich konnotierte Merkmale des Erscheinungsbilds nach Satz 2 können nur dann eingeschränkt oder untersagt werden, wenn sie objektiv geeignet sind, das Vertrauen in die neutrale Amtsführung der Beamtin oder des Beamten zu beeinträchtigen. Die Einzelheiten nach den Sätzen 2 bis 4 können durch Landesrecht bestimmt werden. Die Verhüllung des Gesichts bei der Ausübung des Dienstes oder bei einer Tätigkeit mit unmittelbarem Dienstbezug ist stets unzulässig, es sei denn, dienstliche oder gesundheitliche Gründe erfordern dies.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

Soweit die Verwaltungsbehörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, prüft das Gericht auch, ob der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. Die Verwaltungsbehörde kann ihre Ermessenserwägungen hinsichtlich des Verwaltungsaktes auch noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzen.

(1) Das Gericht entscheidet über die Klage, wenn das Disziplinarverfahren nicht auf andere Weise abgeschlossen wird, auf Grund mündlicher Verhandlung durch Urteil. § 106 der Verwaltungsgerichtsordnung wird nicht angewandt.

(2) Bei einer Disziplinarklage dürfen nur die Handlungen zum Gegenstand der Urteilsfindung gemacht werden, die dem Beamten in der Klage oder der Nachtragsdisziplinarklage als Dienstvergehen zur Last gelegt werden. Das Gericht kann in dem Urteil

1.
auf die erforderliche Disziplinarmaßnahme (§ 5) erkennen oder
2.
die Disziplinarklage abweisen.

(3) Bei der Klage gegen eine Disziplinarverfügung prüft das Gericht neben der Rechtmäßigkeit auch die Zweckmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) Ein Verwaltungsakt muss inhaltlich hinreichend bestimmt sein.

(2) Ein Verwaltungsakt kann schriftlich, elektronisch, mündlich oder in anderer Weise erlassen werden. Ein mündlicher Verwaltungsakt ist schriftlich oder elektronisch zu bestätigen, wenn hieran ein berechtigtes Interesse besteht und der Betroffene dies unverzüglich verlangt. Ein elektronischer Verwaltungsakt ist unter denselben Voraussetzungen schriftlich zu bestätigen; § 3a Abs. 2 findet insoweit keine Anwendung.

(3) Ein schriftlicher oder elektronischer Verwaltungsakt muss die erlassende Behörde erkennen lassen und die Unterschrift oder die Namenswiedergabe des Behördenleiters, seines Vertreters oder seines Beauftragten enthalten. Wird für einen Verwaltungsakt, für den durch Rechtsvorschrift die Schriftform angeordnet ist, die elektronische Form verwendet, muss auch das der Signatur zugrunde liegende qualifizierte Zertifikat oder ein zugehöriges qualifiziertes Attributzertifikat die erlassende Behörde erkennen lassen. Im Fall des § 3a Absatz 2 Satz 4 Nummer 3 muss die Bestätigung nach § 5 Absatz 5 des De-Mail-Gesetzes die erlassende Behörde als Nutzer des De-Mail-Kontos erkennen lassen.

(4) Für einen Verwaltungsakt kann für die nach § 3a Abs. 2 erforderliche Signatur durch Rechtsvorschrift die dauerhafte Überprüfbarkeit vorgeschrieben werden.

(5) Bei einem schriftlichen Verwaltungsakt, der mit Hilfe automatischer Einrichtungen erlassen wird, können abweichend von Absatz 3 Unterschrift und Namenswiedergabe fehlen. Zur Inhaltsangabe können Schlüsselzeichen verwendet werden, wenn derjenige, für den der Verwaltungsakt bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, auf Grund der dazu gegebenen Erläuterungen den Inhalt des Verwaltungsaktes eindeutig erkennen kann.

(6) Einem schriftlichen oder elektronischen Verwaltungsakt, der der Anfechtung unterliegt, ist eine Erklärung beizufügen, durch die der Beteiligte über den Rechtsbehelf, der gegen den Verwaltungsakt gegeben ist, über die Behörde oder das Gericht, bei denen der Rechtsbehelf einzulegen ist, den Sitz und über die einzuhaltende Frist belehrt wird (Rechtsbehelfsbelehrung). Die Rechtsbehelfsbelehrung ist auch der schriftlichen oder elektronischen Bestätigung eines Verwaltungsaktes und der Bescheinigung nach § 42a Absatz 3 beizufügen.

(1) Beamtinnen und Beamte haben ihre Vorgesetzten zu beraten und zu unterstützen. Sie sind verpflichtet, deren dienstliche Anordnungen auszuführen und deren allgemeine Richtlinien zu befolgen. Dies gilt nicht, soweit die Beamtinnen und Beamten nach besonderen gesetzlichen Vorschriften an Weisungen nicht gebunden und nur dem Gesetz unterworfen sind.

(2) Beamtinnen und Beamte haben bei organisatorischen Veränderungen dem Dienstherrn Folge zu leisten.

(1) Beamtinnen und Beamte haben sich mit vollem persönlichem Einsatz ihrem Beruf zu widmen. Sie haben die übertragenen Aufgaben uneigennützig nach bestem Gewissen wahrzunehmen. Ihr Verhalten innerhalb und außerhalb des Dienstes muss der Achtung und dem Vertrauen gerecht werden, die ihr Beruf erfordern.

(2) Beamtinnen und Beamte haben bei der Ausübung des Dienstes oder bei einer Tätigkeit mit unmittelbarem Dienstbezug auch hinsichtlich ihres Erscheinungsbilds Rücksicht auf das ihrem Amt entgegengebrachte Vertrauen zu nehmen. Insbesondere das Tragen von bestimmten Kleidungsstücken, Schmuck, Symbolen und Tätowierungen im sichtbaren Bereich sowie die Art der Haar- und Barttracht können eingeschränkt oder untersagt werden, soweit die Funktionsfähigkeit der Verwaltung oder die Pflicht zum achtungs- und vertrauenswürdigen Verhalten dies erfordert. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn Merkmale des Erscheinungsbilds nach Satz 2 durch ihre über das übliche Maß hinausgehende besonders individualisierende Art geeignet sind, die amtliche Funktion der Beamtin oder des Beamten in den Hintergrund zu drängen. Religiös oder weltanschaulich konnotierte Merkmale des Erscheinungsbilds nach Satz 2 können nur dann eingeschränkt oder untersagt werden, wenn sie objektiv geeignet sind, das Vertrauen in die neutrale Amtsführung der Beamtin oder des Beamten zu beeinträchtigen. Die Einzelheiten nach den Sätzen 2 bis 4 können durch Landesrecht bestimmt werden. Die Verhüllung des Gesichts bei der Ausübung des Dienstes oder bei einer Tätigkeit mit unmittelbarem Dienstbezug ist stets unzulässig, es sei denn, dienstliche oder gesundheitliche Gründe erfordern dies.

(1) Beamtinnen und Beamte begehen ein Dienstvergehen, wenn sie schuldhaft die ihnen obliegenden Pflichten verletzen. Ein Verhalten außerhalb des Dienstes ist nur dann ein Dienstvergehen, wenn es nach den Umständen des Einzelfalls in besonderem Maße geeignet ist, das Vertrauen in einer für ihr Amt bedeutsamen Weise zu beeinträchtigen.

(2) Bei Ruhestandsbeamtinnen und Ruhestandsbeamten oder früheren Beamtinnen mit Versorgungsbezügen und früheren Beamten mit Versorgungsbezügen gilt es als Dienstvergehen, wenn sie sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes betätigen oder an Bestrebungen teilnehmen, die darauf abzielen, den Bestand oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland zu beeinträchtigen, oder wenn sie schuldhaft gegen die in den §§ 37, 41 und 42 bestimmten Pflichten verstoßen. Bei sonstigen früheren Beamtinnen und früheren Beamten gilt es als Dienstvergehen, wenn sie schuldhaft gegen die in den §§ 37, 41 und 42 bestimmten Pflichten verstoßen. Für Beamtinnen und Beamte nach den Sätzen 1 und 2 können durch Landesrecht weitere Handlungen festgelegt werden, die als Dienstvergehen gelten.

(3) Das Nähere über die Verfolgung von Dienstvergehen regeln die Disziplinargesetze.

Gründe

I.

1

Der 1964 in Z. geborene Polizeivollzugsbeamte schloss im Jahr 1981 die 10. Klasse der Polytechnischen Oberschule in K. mit der mittleren Reife ab und erlernte im Anschluss daran bis 1983 den Beruf eines Maschinen- und Anlagenmonteurs. Nach Ablauf des dreijährigen Wehrdienstes trat er 1986 in den Dienst der Volkspolizei als Oberwachtmeister ein und wurde dort 1987 zum Hauptwachtmeister befördert. Am 01.01.1991 wurde der Beamte in den Polizeidienst des Landes Sachsen-Anhalt übernommen, im August 1991 unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Probe zum Polizeihauptwachtmeister z. A. und am 06.07.1992 zum Polizeimeister ernannt. Die Verbeamtung auf Lebenszeit erfolgte 1995 und 1998 wurde der Beamte zum Polizeiobermeister befördert. Der Beamte war als Sachbearbeiter Einsatz bzw. Streifendienst in verschiedenen Polizeirevieren tätig. Von 2002 bis 2003 gehörte der Beamte einer Ermittlungsgruppe des Zentralen Kriminaldienstes an.

2

Die letzte dienstliche Beurteilung des Beamten aus dem Jahre 2005 schloss mit der Gesamtnote „befriedigend“ bei 221 Punkten.

3

Der Beamte ist verheiratet. Seine Ehefrau brachte in die Ehe die Kinder M. S., geb. ...1986 und A. S., geboren ...1990 mit. Bis Anfang März 2006 lebten der Beamte und seine Ehefrau mit den Kindern im gemeinsamen Haushalt.

4

Seit dem 08.02.2006 ist der Beamte gemäß § 78 Disziplinarordnung Sachsen-Anhalt (DO LSA) vorläufig des Dienstes enthoben. Gleichzeitig wurde gegen den Beamten die Einbehaltung von 30 v. H. seiner Dienstbezüge gem. § 79 Abs. 1 DO LSA angeordnet.

5

Der Beamte bezieht unter Berücksichtigung der Kürzung der Dienstbezüge ein Nettoeinkommen von 1.600 Euro bei der Besoldungsgruppe A 8 BBesO. Kreditbelastungen fallen monatlich in Höhe von 1.100 Euro an und Versicherungsbeiträge insgesamt in Höhe von 1.681 Euro sowie sonstige Ausgaben in Höhe von 200 Euro an.

6

Disziplinarrechtlich ist der Beamte bisher nicht in Erscheinung getreten. Wegen der hier angeschuldigten disziplinarrechtlichen Verfehlung ist der Beamte rechtskräftig seit dem 24.01.2011 durch das Urteil des Landgerichts C-Stadt (9 Ns …- 443 Js …) wegen versuchten sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen in drei Fällen sowie des Sich-Verschaffens und des unerlaubten Besitzes von kinderpornografischen Schriften zu einer Geldstrafe in Höhe von 180 Tagessätzen zu je 40 Euro verurteilt worden.

II.

7

Unter dem 06.02.2006 wurde das förmliche Disziplinarverfahren gegen den Beamten nach § 33 DO LSA eingeleitet und nach § 16 Abs. 2 DO LSA wegen des strafrechtlichen Verfahrens ausgesetzt. Zugleich wurde die vorläufige Dienstenthebung und Gehaltskürzung ausgesprochen. Unter dem 02.03.2006 wurde das Verfahren gem. § 33 Abs. 1 DO LSA wegen des Verdachtes des sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen erweitert. Nach rechtskräftiger Verurteilung des Beamten wurde das Disziplinarverfahren unter dem 22.09.2011 gem. § 16 Abs. 3 DO LSA fortgesetzt. Der Beamte stellte sodann zwei Beweisanträge bezüglich der Vernehmung von zwei Zeugen. Der Untersuchungsführer lehnte mit Beschluss vom 20.02.2012 die Beweisanträge wegen Unzulässigkeit angesichts der Bindungswirkung der tatsächlichen strafgerichtlichen Feststellung ab. Unter dem 01.03.2012 wurde dem Beamten erneut die Möglichkeit zur abschließenden Anhörung gegeben. Der Beamte rügte unter dem 05.04.2012 eine fehlende Aussetzung hinsichtlich der mit Erweiterungsverfügung vom 02.03.2006 betroffenen Vorwürfe. Dem folgte der Untersuchungsführer nicht und legte unter dem 17.04.2012 seinen Abschlussbericht vor.

III.

8

Mit der Anschuldigungsschrift vom 25.04.2012 wird der Beamte angeschuldigt, dadurch ein Dienstvergehen nach § 77 Abs. 1 Beamtengesetz Sachsen-Anhalt (BG LSA); nunmehr § 47 Satz 1 Beamtenstatusgesetz (BeamtStG), begangen zu haben, weil er

9

1. sich in drei Fällen des versuchten Missbrauchs von Schutzbefohlenen schuldig gemacht

10

und

11

2. sich kinderpornografische Schriften verschafft und unerlaubt besessen habe.

12

Zur Begründung gibt die Anschuldigungsschrift die tatbestandlichen Feststellungen aus dem strafgerichtlichen Urteil des Landgerichts C-Stadt vom 24.01.2011 (9 Ns …) wieder, die da lauten:

13

„a) Am 30.09.2004 belästigte der Angeklagte die Nebenklägerin sexuell und versuchte sie, während sie beide allein in dem Haus im …weg in A-Stadt waren, mehrfach vorsätzlich an ihrem bedeckten oder unbedeckten Gesäß, Geschlechtsteil und Brüsten anzufassen. Die Nebenklägerin konnte diese Versuche, sich ihr sexuell zu nähern möglicherweise jedoch abwehren, in dem sie die Hand des Angeklagten jedes Mal zur Seite schob oder schlug. Für den außenstehenden objektiven Betrachter war jedenfalls das äußere Erscheinungsbild dieser Handlungen sexualbezogen. Der Angeklagte wusste dies auch und wollte es. Er tat dies, um sich sexuell zu erregen. Aus dem Zusammenhang mit den vergangenen und späteren Taten, die nicht mehr konkretisiert werden konnten, war deutlich erkennbar, dass es sich um eine Annäherung des Angeklagten in sexueller Absicht handelte. Es waren Handlungen von einiger Erheblichkeit im Sinne des § 184 g Nr. 1 StGB. Die Kammer ging zu Gunsten des Angeklagten von nur versuchter Tat, bedeckte Geschlechtsteile in sexuell motivierter Absicht zu berühren, aus.

14

b) Das Gleiche galt für die Tat am 04.11.2004. An diesem Tage mindestens versuchte der Angeklagte wiederum die Nebenklägerin unsittlich in der eben schon genannten Art und Weise zu berühren, während sie beide allein zu Hause waren. Er versuchte wiederum A. zu umarmen, an den Geschlechtsteilen anzufassen, die durch ihre Kleidung bedeckt waren. Er versuchte an diesem Tag sogar darüber hinaus mit der Nebenklägerin sich zu küssen, einen sogenannten Zungenkuss auszuführen. Die Nebenklägerin konnte sich wiederum dagegen wehren und den Angeklagten von sich fort stoßen. Sie machte ihm auch erneut - wie häufig - verbal deutlich, dass sie dieses Verhalten nicht wünschte.

15

c) Am 11.11.2004 kam es zu einer weiteren Tat wie im Fall a) mit gleichem Tatbild. Jedes Mal wusste der Angeklagte, dass die Nebenklägerin die Taten nicht wollte.

16

In allen Fällen handelte der Angeklagte, um sich sexuell zu erregen.

17

Die Kammer wertete alle drei Taten als versuchten Missbrauch von Schutzbefohlenen, denn sie konnte nicht feststellen, dass es anlässlich dieser drei Taten zu tatsächlichen Berührungen in sexuell motivierter Absicht kam.

18

Die Kammer konnte auch nicht feststellen, an welchen anderen Tagen genau erhebliche Handlungen vorgekommen waren, denn die Nebenklägerin konnte sich daran nicht erinnern. Tagebuchaufzeichnungen insoweit waren auch nicht mehr vorhanden. Die gleiche Einschätzung hatte auch die Staatsanwaltschaft vorgenommen, die deshalb nur die drei Taten angeklagt hatte und andere mögliche Taten nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt hatte.

19

d) Anlässlich der Wohnungsdurchsuchung am 23.01.2006 verstieß der Angeklagte gegen § 184 b Abs. 4 Satz 1 StGB, in dem er es vorsätzlich unternahm, sich den Besitz von kinderpornografischen Schriften im Sinne des § 11 Abs. 3 StGB zu verschaffen, die ein tatsächliches oder wirklichkeitsnahes Geschehen wiedergaben. Der Angeklagte war nämlich gerade dabei, im Internet nach Kinderpornografie zu suchen (zu serven). Er betrieb beim Eintreffen der Polizeibeamten das Tauschbörsenprogramm „K. …“, um Filme kinderpornografischen Inhalts auf eigene Dateiordner herunterzuladen. Aktuell wurden dabei folgende Dateien heruntergeladen:

20

aa) „K...“
bb) „X...“
cc) „p...“
dd) „p...“

21

Die anschließende Auswertung der Dateien durch das LKA ergab, dass auf den gerade heruntergeladenen Filmen und Bildern Geschlechtsverkehr von Kindern, die deutlich unter 14 Jahren alt sind, mit männlichen Erwachsenen gezeigt wird, unter anderem der Oralverkehr.

22

e) Der Angeklagte verstieß auch gegen § 184 b Abs. 4 Satz 2 StGB, in dem er kinderpornografisches Material im Sinne des § 11 Abs. 3 StGB besaß. Denn anlässlich der Hausdurchsuchung wurden eine Vielzahl allgemein pornografischer Dateien sowie tier- und kinderpornografische Dateien auf externen Speichermedien sichergestellt. Auf den unterschiedlichen Datenträgern befanden sich insgesamt 215 Bild- und Videodateien, auf denen ohne Bezug zu anderen Nebensachverhalten in einer den Menschen zum bloßen Objekt geschlechtlicher Begierde degradierenden Weise von und an Kindern vorgenommene Sexualhandlungen gezeigt werden. Insbesondere wurden männliche und weibliche Kinder bei verschiedenen sexuellen Handlungen wie Vaginal-, Anal- und Oralverkehr untereinander bzw. mit Erwachsenen dargestellt. Es gab auch einige Bilddateien, in denen die Kinder ohne geschlechtliche Handlungen allein oder mit anderen gezeigt wurden, sogenanntes „Posing“. Die Kammer wertete zugunsten des Angeklagten die Anzahl solcher Posing-Dateien auf eine Größe von ca. 10 Prozent, so dass sie von letztlich 180 Bild- und Videodateien regelrechten kinderpornografischen Inhalt ausging“.

23

Die Einleitungsbehörde führt aus, dass die tatsächlichen Feststellungen des rechtskräftigen Urteils nach § 17 Abs. 1 Satz 1 DO LSA für das Disziplinarverfahren bindend seien. In der Berufungsverhandlung am 24.01.2011 habe der Beamte zum Vorwurf des sich vorsätzlichen Verschaffens kinderpornografischer Schriften und zum Vorwurf des Besitzes von kinderpornografischen Materials ein umfassendes Geständnis abgelegt.

24

Danach habe der Beamte vorsätzlich und schuldhaft ein schwerwiegendes Dienstvergehen im Sinne des § 77 Abs. 1 Satz 2 BG LSA (§ 47 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG) begangen. Er habe die ihm in § 54 Satz 3 BG LSA (§ 34 Satz 3 BeamtStG) normierte Pflicht zu einem achtungs- und vertrauenswürdigen Verhalten außerhalb des Dienstes schuldhaft verletzt.

25

Ein Verhalten eines Beamten außerhalb des Dienstes sei gem. § 77 Abs. 1 Satz 2 BG LSA (§ 47 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG) ein Dienstvergehen, wenn das Verhalten nach dem Umständen des Einzelfalles in besonderem Maße geeignet sei, Achtung und Vertrauen in einer für sein Amt oder das Ansehen des Beamtentums bedeutsamen Weise zu beeinträchtigen. Achtungswürdigkeit bedeute die Integrität eines Beamten im äußeren Verhältnis zur Umwelt sowie das Ansehen bei Bürgern einschließlich Kollegen. Der Beamte sei verpflichtet, das Vertrauen der Allgemeinheit in eine sachgerechte Verwaltung und damit das Vertrauen in die Achtungswürdigkeit und die Integrität der Verwaltung zu wahren. Die Vertrauenswürdigkeit eines Beamten meine seine integre Stellung im innerdienstlichen Verhältnis zu seinem Dienstherrn. Sie bedeute die Gewähr des Dienstherrn über die dienstliche Zuverlässigkeit des Beamten, die darin bestehe, dass dieser seiner Dienstleistungspflicht ordnungsgemäß nachkomme und die ihm obliegenden besonderen Dienstpflichten beachte.

26

Neben den tatsächlichen bindenden Feststellungen des Landgerichts C-Stadt sei hinsichtlich des Vorwurfes zu Nr. 1 (versuchter sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen) festzustellen, dass dem Beamten die Erziehung und Fürsorge über die minderjährige Tochter seiner Ehefrau zugekommen sei. Der Beamte habe sich in der häuslichen Schutzatmosphäre unter Ausnutzung seiner Obhutsverhältnisse und des Zugneigungsbedürfnisses der minderjährigen Stieftochter ihr in eindeutiger sexueller Weise genähert, obwohl die Stieftochter mehrfach deutlich gemacht habe, dass sie die Annäherungsversuche nicht dulde.

27

Zu Nr. 2 des Disziplinarvorwurfs (Sich-Verschaffen und Besitz von kinderpornografischen Schriften) sei über die bindenden Ausführungen des Landgerichts festzustellen, dass der Beamte sich aus dem Internet über ein Tauschbörsenprogramm mindestens vier Filme mit Kinderpornografischen Inhalt besorgt und abgespeichert habe.

28

Die für die weitere Zusammenarbeit mit dem Beamten erforderliche Vertrauensgrundlage sei unwiederbringbar zerstört. Der Beamte habe im Kernbereich seiner Dienstpflichten versagt und damit gravierende Persönlichkeitsmängel offenbart.

29

Milderungs-, Rechtfertigungs- oder Schuldausschließungsgründe seien nicht gegeben. Insbesondere handele es sich bei den Verfehlungen des Beamten nicht um einmalige oder gelegentliche Handlungen.

IV.

30

Im gerichtlichen Verfahren verweist der Beamte in seiner Verteidigungsschrift auf seinen Schriftsatz vom 14.02.2012 (Bl. 193 Beiakte B) zur Vernehmung von Zeugen zum Beweis der Tatsache, dass die A. S. während einer Verhandlungspause im Landgericht C-Stadt erklärt habe, dass sie dem Beamten nur einen Denkzettel habe verpassen wollen, sie aber nicht gewollt habe, dass es soweit komme und dass die Geschädigte bei einem Volleyballturnier im September 2009 mitgeteilt habe, dass der Beamte ihr nichts getan habe. Außerdem beantragte der Beamte einen Bundeszentralregisterauszug zu der Tatsache, dass nur die Verurteilung durch das Landgericht C-Stadt eingetragen sei und eine schriftliche Auskunft der Staatsanwaltschaft C-Stadt belege, dass seit dem 06.02.2006 keine weiteren Ermittlungsverfahren gegen den Beamten eingeleitet worden seien.

31

In der mündlichen Verhandlung rügt er die Zuständigkeit des Gerichts. Denn nach § 81 Abs. 4 DG LSA seien weiter die Bestimmungen der DO LSA anzuwenden, sodass die Verfahrenskonzentrierung auf das Verwaltungsgericht Magdeburg nach § 45 DG LSA nicht gelte. Der Tathandlungen zum Vorwurf des versuchten sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen seien nicht hinreichend nachgewiesen.

32

Die Einleitungsbehörde widerspricht diesen Anträgen und verweist erneut auf die disziplinarrechtliche Bindungswirkung der strafgerichtlichen Feststellungen im Urteil. Die Geschädigte habe im Wesentlichen ihre früheren Aussagen bei den polizeilichen Vernehmungen wiederholt sowohl die über mehrere Jahre konstanten Aussagen der Geschädigten als auch die weiteren Zeugenaussagen seien durch das Amtsgericht W. und das Landgericht C-Stadt als glaubwürdig befunden und nachvollziehbar gewürdigt worden. Die gerichtliche Beweiswürdigung beleuchte dabei auch die Möglichkeit einer Falschbelastung des Angeschuldigten. Ungerechtfertigte Belastungstendenzen der Geschädigten seien durch die Gerichte in der Beweiswürdigung ausgeschlossen worden.

V.

33

1.) Das Disziplinarverfahren ist nach bisherigem Recht, d. h. nach der DO LSA fortzuführen (§ 81 Abs. 4 und 6 Disziplinargesetz Sachsen-Anhalt {DG LSA}). Denn die Einleitungsverfügung für das förmliche Disziplinarverfahren ist vor dem Inkrafttreten des DG LSA ergangen. Das angerufene Verwaltungsgericht ist als Disziplinargericht auch örtlich und sachlich zuständig (§ 45 DG LSA). Die Übergangsvorschrift in § 81 Abs. 4 Satz 2 DG LSA, wonach für die Anschuldigung und Durchführung des gerichtlichen Verfahrens ebenfalls bisheriges Recht gilt, begründet nicht etwa die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts C-Stadt. Denn mit der Bildung des Verwaltungsgerichts Magdeburg als alleiniges erstinstanzliches Disziplinargericht in Sachsen-Anhalt sind die zu diesem Zeitpunkt noch bestehenden disziplinarrechtlichen Zuständigkeiten der Verwaltungsgerichte C-Stadt und Dessau-Roßlau verloren gegangen. Die diesbezügliche Gerichtsbarkeit wurde aufgelöst (Gesetzesbegründung zu § 45 und § 82 {damalige Bezeichnung} DG LSA). Dafür streitet auch § 81 Abs. 6 Satz 1 DG LSA, wonach die bei Inkrafttreten des DG LSA bei den Disziplinarkammern anhängigen Verfahren auf das hiesige Gericht übergehen.

34

2.) Nach § 17 Abs. 1 Satz 1 DO LSA ist die Disziplinarkammer an die tatsächlichen Feststellungen in dem rechtskräftigen Urteil des Landgerichts C-Stadt vom 24.01.2011 gebunden. Die Bindung der Disziplinargerichte an tatsächlichen Feststellungen in Urteilen, die in einem sachgleichen Strafverfahren ergangen sind, ist eine die Nutzung besserer Ermittlungsmöglichkeiten der Strafverfolgungsbehörden sichernde und zugleich das Auseinanderfallen von Entscheidungen verschiedener Gerichtsbarkeiten in ein und derselben Sache zu hindern bestimmte Ausnahme von der grundsätzlichen Freiheit der Gerichte bei der Feststellung des von ihnen unter bestimmten rechtlichen Gesichtspunkten zu beurteilenden Sachverhalts (BVerwG, U. v. 08.04.1986, 1 D 145.85; juris).

35

Eine Lösung von den tatsächlichen Feststellungen des Strafurteils ist nur ausnahmsweise, unter eng begrenzten Voraussetzungen möglich. Die Disziplinargerichte dürfen die eigene Entscheidungsfreiheit nicht an die Stelle der Entscheidung des Strafgerichtes setzen. Strafgerichtliche Feststellungen, die auf einer nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungswerte verstoßenden Beweiswürdigung beruhen, sind daher auch dann für die Disziplinargerichte bindend, wenn diese aufgrund eigener Würdigung abweichende Feststellungen für möglich halten. Nur erhebliche Zweifel können daher zu einer nochmaligen Prüfung veranlassen. Die Disziplinargerichte haben auch nicht die Richtigkeit der Beweiswürdigung der Strafgerichte zu überprüfen, insbesondere nicht festzustellen, ob etwa Zeugen die Wahrheit gesagt haben oder nicht, sondern lediglich zu prüfen, ob dem Strafgericht bei dem Vorgang der Überzeugungsbildung elementare Fehler unterlaufen sind. Dies lässt es zu, dass andere Wertungen denkbar sind und zu einem anderen Ergebnis führen können. Die bloße Möglichkeit eines anderen Geschehensablaufs reicht für einen entsprechenden Lösungsbeschluss grundsätzlich nicht aus (vgl. BVerwG, U. v. 05.09.1990, 1 D 78.89; v. 07.10.1986, 1 D 46.86; OVG NRW, U. v. 29.10.1991, 1 V 10/89; VGH Baden-Württemberg, U. v. 18.06.2001, D 17 S 2/01; VG Regensburg, U. v. 09.12.2009, RO 10A DK 09.1074; VG Meiningen, U. v. 19.04.2010, 6 D 60014/09 Me; zuletzt: BVerwG, B. v. 15.05.2013, 2 B 22/12; VG Magdeburg, U. v. 29.01.2013, 8 A 22/12; alle juris).

36

Die Bindungswirkung erstreckt sich auf den inneren und äußeren Tatbestand der Straftat, also auch auf Vorsatz sowie die Schuldfähigkeit (vgl. zuletzt OVG Lüneburg, U. v. 05.12.2012, 19 LD 3/12; juris).

37

Unter Zugrundelegung dieser Rechtsprechung hat die Disziplinarkammer keine Zweifel an der Richtigkeit der strafrichterlichen Feststellungen zum Tathergang des versuchten sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen in drei Fällen. Das Tatgeschehen um den Besitz und des Sich-Verschaffens kinderpornografischer Schriften wird von dem Beklagten eingeräumt. Allein das Bestreiten des Beamten bzw. die Annahme, die Geschädigte habe vor Dritten eine andere Einschätzung der Tathandlungen vorgenommen u.a. angegeben, dass sie die Verurteilung des Beklagten nicht gewollt habe, reichen nicht aus, um einen Lösungsbeschluss nach § 17 Abs. 1 Satz 2 DO LSA herbeizuführen. Es ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass die strafgerichtlichen Feststellungen auf einer gegen Denkgesetze und Erfahrungswerte verstoßenden Beweiswürdigung beruhen. Mit der Glaubwürdigkeit der Geschädigten haben sich das Amtsgericht W. wie auch das Landgericht C-Stadt auseinandergesetzt und dies in den Urteilen gewürdigt. So ist das Landgericht C-Stadt von den vom Bundesgerichtshof aufgestellten Grundsätzen ausgegangen, dass Zeugenaussagen zunächst als nicht wahr zu betrachten seien, bis sich genügend Indizien aufgefunden haben, die die Aussage bestätigen. Zudem liegen belastend die Tagebuchaufzeichnungen der Geschädigten, die immerhin als Nebenklägerin auftrat, vor. Der Vorwurf des Beamten zur mangelnden Tataufklärung verfängt daher nicht. Die Staatsanwaltschaft hat die Anklage ausdrücklich nur auf die drei so nachweisbaren Taten beschränkt. Es mag grundsätzlich sein, dass die Geschädigte die Verurteilung des Beklagten als immerhin ihren Stiefvater - später - nicht wollte und sie etwa Mitleid empfand; am Tatgeschehen ändert dies nichts. Zudem hat der Beamte in der mündlichen Verhandlung vor dem Disziplinargericht seine schriftsätzlich nur angekündigten Anträge nicht gestellt und die Disziplinarkammer sieht unter den geschilderten rechtlichen Gegebenheiten keinen Anlass, dem von Amts wegen nachzugehen.

38

3.) Danach steht auch disziplinarrechtlich fest, dass der Beamte die ihm zur Last gelegten Straftaten des versuchten sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen und des Sich-Verschaffens und des Besitzes von kinderpornografischen Schriften begangen hat. Diese Handlungen sind als außerdienstliche Pflichtenverletzungen anzusehen. Denn diese erfolgten außerhalb des Dienstes (vgl. zur Abgrenzung nur: VG Magdeburg, U. v. 29.01.2013, 8 A 22/12 MD, m. w. Nachw.; juris).

VI.

39

Bei Gesamtwürdigung der tatsächlichen Feststellungen, der Bewertung des Aktenmaterials sowie der Einlassung des Beamten und der durchgeführten Hauptverhandlung kommt die Disziplinarkammer zu der Überzeugung, dass der Beamte vorsätzlich und schuldhaft gegen seine beamtenrechtlichen Pflichten aus 54 Satz 3 BG LSA; § 34 Satz 3 BeamtStG verstoßen hat. Danach muss sein Verhalten innerhalb und außerhalb des Dienstes der Achtung und dem Vertrauen gerecht werden, die sein Beruf erfordert. Der Beamte hat ein solch schweres außerdienstliches Dienstvergehen (§ 77 Abs. 1 Satz 2 BG LSA; § 47 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG) begangen, dass seine Weiterbeschäftigung für den Dienstherrn, aber auch für die Öffentlichkeit untragbar geworden ist. Das Vertrauensverhältnis zwischen dem Dienstherrn und der Allgemeinheit einerseits und dem Beamten andererseits ist unwiderruflich zerstört. Zudem ist das Verhalten des Beamten geeignet, einen erheblichen Ansehensverlust der Beamtenschaft in der Öffentlichkeit herbeizuführen. Demnach kommt nur die Entfernung aus dem Dienst in Betracht (§§ 5 Abs. 1 Nr. 5, 11 DO LSA).

40

1.) Ein Verhalten außerhalb des Dienstes ist nur dann ein Dienstvergehen, wenn es nach den Umständen des Einzelfalls in besonderem Maße geeignet ist, das Vertrauen in einer für ihr Amt bedeutsamen Weise zu beeinträchtigen (§ 47 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG; § 77 Abs. 1 Satz 2 BG LSA). Zur Überzeugung des Disziplinargerichts liegen diese besonderen qualifizierenden Voraussetzungen zur Annahme eines (außerdienstlichen) Dienstvergehens vor.

41

a.) Vorliegend ist zunächst festzustellen, dass es sich um einen Altfall handelt, auf den das bis zum 31.03.2009 geltende BG LSA anzuwenden ist. Im Unterschied zu dem ab dem 01.04.2009 geltenden BeamtStG war das außerdienstliche Verhalten als Dienstvergehen tatbestandlich etwas anders formuliert. Spricht § 47 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG „nur“ von der Vertrauensbeeinträchtigung verlangt § 77 Abs. 1 Satz 2 BG LSA noch die „Achtungs- und Vertrauensbeeinträchtigung“. Der mit der Gesetzesänderung nachvollzogene Wertungswandel bei der Beurteilung außerdienstlichen Verhaltens als Dienstvergehen entsprach aber bereits zum Tatzeitpunkt der Auslegung der seinerzeit geltenden Regelung in § 77 Abs. 1 Satz 2 BG LSA sowie den entsprechenden anderen landes- und bundesrechtlichen Vorschriften. Materiell-rechtlich günstigeres neues Recht ergibt sich daraus nicht (vgl. nur: BVerwG, U. v. 25.08.2008, 1 D 1.08; VG Berlin, U. v. 17.09.2012, 80 K 10.12 OL; beide juris). Auch wenn die Neufassung nach ihrem Wortlaut nicht mehr auf die „Achtung“, sondern nur noch auf das „Vertrauen“ abstellt, so hat sich dadurch nichts zugunsten des Beamten geändert. Denn „Vertrauen“ betrifft die Erwartung, dass sich der Beamte nicht nur aus der Sicht der Bürger (allgemeiner), sondern auch aus der Sicht seines Dienstherrn so verhält, wie es von ihm im Hinblick auf seine Dienstpflichten als berufserforderlich erwartet wird (vgl. BVerwG, U. v. 25.08.2009, 1 D 1.08 mit Verweis auf BT-Drs. 16/4027, S. 34 zu § 48 des Entwurfs; juris). Mit der Neuregelung der tatbestandlichen Voraussetzungen des außerdienstlichen Dienstvergehens wollte der Gesetzgeber den Wandel der gesellschaftlichen Anschauungen über die Stellung der Beamten Rechnung tragen. Demnach werden Beamte nicht mehr als Vorbild in allen Lebenslagen angesehen, die besonderen Anforderungen an Moral und Anstand unterliegen (BVerwG, U. v. 30.08.2000, 1 D 37.99; juris). In Reaktion auf diese Rechtsprechung erwähnt § 47 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG den Ansehensverlust nicht mehr. In der Gesetzesbegründung wird hervorgehoben, dass die vorkonstitutionelle Auffassung, Beamte seien „immer im Dienst“, in dieser Allgemeinheit nicht mehr gelte. Es gehe allein um das Vertrauen in eine objektive, rechtmäßige und effiziente Aufgabenerfüllung (vgl.: BT-Drs. 16/4027). Das Berufsbeamtentum soll eine stabile gesetzestreue Verwaltung sichern, die freiheitlich demokratische Rechtsordnung verteidigen und durch Unabhängigkeit und Unparteilichkeit einen ausgleichenden Faktor gegenüber den das Staatsleben gestaltenden politischen Kräften darstellen. Das Vertrauen, dass der Beamte diesem Auftrag gerecht wird und dessen er zur Erfüllung seiner Aufgabe bedarf, darf der Beamte durch sein Verhalten nicht beeinträchtigen (BVerwG, U. v. 30.08.2000, 1 D 37.99; juris).

42

b.) Das Merkmal „in besonderem Maße“ bezieht sich auf die Eignung zur Achtungs- und Vertrauensbeeinträchtigung und ist nur erfüllt, wenn das Verhalten des Beamten in quantitativer oder qualitativer Hinsicht über das einer jeden Eignung vorausgesetzte Mindestmaß an Wahrscheinlichkeit einer Beeinträchtigung hinausgeht. Ist eine derart qualifizierte Möglichkeit der Beeinträchtigung gegeben, kommt es weiterhin darauf an, ob diese Beeinträchtigung bedeutsam wäre. Das Merkmal „in bedeutsamer Weise“ bezieht sich auf den „Erfolg“ der möglichen Achtungs- und Vertrauensbeeinträchtigung. Die zur Beeinträchtigung in besonderem Maße geeignete Pflichtenverletzung weist Bedeutsamkeit auf, wenn sie in qualitativer oder quantitativer Hinsicht das einer jeden außerdienstlichen Pflichtverletzung innewohnende Maß an disziplinarrechtlicher Relevanz deutlich überschreitet (vgl. zum Ganzen: BVerwG, Urt. v. 08.05.2001, 1 D 20.00; juris). Die Beeinträchtigung der Achtung und des Vertrauens muss sich entweder auf das Amt des Beamten im konkret-funktionellen Sinne (Dienstposten), d. h. auf die Erfüllung der dem Beamten konkret obliegenden Dienstpflichten oder auf das Ansehen des Berufsbeamtentums als Sachwalter einer stabilen und gesetzestreuen Verwaltung beziehen (vgl. zum Ganzen: BVerwG, Urt. v. 30.08.2000, 1 D 37.99; Urt. v. 12.12.2001, 1 D 4.01; Urt. v. 25.08.2009, 1 D 1.08; Urt. v. 19.08.2010, 2 C 13.10; Urt. v. 28.07.2011, 2 C 16.10; alle juris).

43

Der somit zu fordernde Dienstbezug ist gegeben, wenn das außerdienstliche Verhalten Rückschlüsse auf die Dienstausübung in dem Amt im konkret-funktionellen Sinn zulässt oder den Beamten in der Dienstausübung beeinträchtigt. Zur Überzeugung des Disziplinargerichts sind diese Voraussetzungen des Dienstbezuges, im vorliegenden Fall gegeben (so auch: OVG Rheinland-Pfalz, U. v. 27.02.2013, 3 A 1103/12; zu einem Zollinspektor der Finanzkontrolle Schwarzarbeit; OVG Saarland, U. v. 29.09.2009, 7 A 323/09, beide juris).

44

Als Polizeibeamter gehört der Beamte einer Berufsgruppe an, die zum einen Straftaten verfolgen und nicht selbst zu begehen haben und zum anderen unter dem Gesichtspunkt des Schutzes der sexuellen Integrität von Kindern und Jugendlichen besonders in die Pflicht genommen und zu vorbildlichen Verhalten aufgerufen sind. Auch ein Polizeibeamter gehört zum Beispiel neben der Berufsgruppe der Lehrer, Pädagogen und Erzieher zu dem Personenkreis, von dem die Allgemeinheit ein hohes Maß an Sensibilität und Verantwortungsbewusstsein erwartet, wenn es um Straftaten zum Nachteil junger Menschen geht auch wenn einem Polizeibeamten anders als etwa bei einem Lehrer oder Erzieher die Kinder und Jugendlichen nicht stetig und unmittelbar zur Sorge und Erziehung anvertraut wurden. Gleichwohl handelt auch und gerade ein im öffentlichen Bereich tätiger Polizeibeamter zum Schutze der Kinder und Jugendlichen.

45

Die Achtung vor einem Beamten, der sich der hier in Rede stehenden Straftat schuldig gemacht hat, ist ebenso wie das in ihn gesetzte Vertrauen wesentlich beeinträchtigt; sein außerdienstliches Verhalten ist somit in jeder Weise für das von ihm ausgeübte Amt bedeutsam. Die übersieht die Rechtsauffassung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (U. v. 17.11.2011, 16 a D 10.2504; juris).

46

2.) Welche Disziplinarmaßnahme im Einzelfall erforderlich ist, richtet sich nach der Schwere des Dienstvergehens, dem Persönlichkeitsbild des Beamten sowie dem Umfang der durch das Dienstvergehen herbeigeführten Vertrauensbeeinträchtigung. Die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis ist regelmäßig dann auszusprechen, wenn der Beamte durch ein schweres Dienstvergehen, das für die weitere dienstliche Tätigkeit notwendige Vertrauensverhältnis zwischen ihm und dem Dienstherrn aber auch der Allgemeinheit endgültig zerstört hat (vgl. nur: BVerwG, Urt. v. 20.10.2005, 2 C 12.04 und Urt. v. 19.08.2010, 2 C 13.10; beide juris). Dabei weist das Disziplinargericht darauf hin, dass, obwohl die DO LSA anders als das DG LSA in § 13 diese Grundsätze nicht ausdrücklich normierte, diese Bemessungsregelungen stets Ausgangspunkt der disziplinarrechtlichen Rechtsprechung waren und sind (VG Magdeburg, U. v. 29.01.2013, 8 A 22/12; juris). Zumal diese prognostische Gesamtbewertung im Bundesdisziplinargesetz stets in § 13 geregelt war (vgl. nur: BVerwG, Urteil v. 20.10.2005, 2 C 12.04; juris).

47

a.) Die Schwere des Dienstvergehens beurteilt sich nach objektiven Handlungsmerkmalen wie Eigenart und Bedeutung der Dienstpflichtverletzung, den besonderen Umständen der Tatbegehung sowie Häufigkeit und Dauer eines wiederholten Fehlverhaltens, nach subjektiven Handlungsmerkmalen wie Form und Gewicht des Verschuldens des Beamten, den Beweggründen für sein Verhalten sowie nach den unmittelbaren Folgen für den dienstlichen Bereich und für Dritte. Davon ausgehend kommt es darauf an, ob Erkenntnisse zum Persönlichkeitsbild und zum Umfang der Vertrauensbeeinträchtigung im Einzelfall derart ins Gewicht fallen, dass eine andere als die durch die Schwere des Dienstvergehens indizierte Maßnahme geboten ist. Eine vollständige und richtige Gesamtwürdigung setzt voraus, dass die Disziplinarkammer die im Einzelfall bemessungsrelevanten, d. h. die für die Schwere des Dienstvergehens und das Persönlichkeitsbild bedeutsamen Tatsachen ermittelt und mit dem ihnen zukommenden Gewicht in die Gesamtbewertung einbezieht. Dies entspricht dem Zweck der Disziplinarbefugnis des Disziplinargerichts als einem Mittel der Funktionssicherheit des öffentlichen Dienstes. Dabei findet der Grundsatz „in dubio pro reo“ Anwendung. Die Disziplinargerichte dürfen nur solche belastenden Tatsachen in die Gesamtwürdigung einstellen, die zur Überzeugung des Gerichts feststehen. Demgegenüber müssen entlastende (mildernde) Umstände schon dann zu Gunsten des Beamten berücksichtigt werden, wenn hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für ihr Vorliegen gegeben sind und eine weitere Sachverhaltsaufklärung nicht möglich ist (vgl. nur: VG Magdeburg, Urteil v. 27.10.2011, 8 A 2/11 mit Verweis auf BVerwG, U. v. 27.01.2011, 2 A 5.09; jüngst BVerwG, Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11/10, OVG Lüneburg, Urteil v. 14.11.2012, 19 LD 4/11; zuletzt ausführlich; VG Magdeburg, Urteil v. 29.11.2012, 8 A 12/11; alle juris).

48

Ein endgültiger Verlust des Vertrauens des Dienstherrn oder der Allgemeinheit (vgl. § 13 Abs. 2 Satz 1 DG LSA) ist anzunehmen, wenn aufgrund der prognostischen Gesamtwürdigung auf der Grundlage aller im Einzelfall bedeutsamen be- und entlastenden Gesichtspunkte der Schluss gezogen werden muss, der Beamte werde auch künftig in erheblicher Weise gegen seine Dienstpflichten verstoßen oder die durch sein Fehlverhalten herbeigeführte Schädigung des Ansehens des Berufsbeamtentums sei bei einer Fortsetzung des Beamtenverhältnisses nicht wieder gutzumachen. Unter diesen Voraussetzungen muss das Beamtenverhältnis im Interesse der Leistungsfähigkeit des öffentlichen Dienstes und der Integrität des Berufsbeamtentums beendet werden (BVerwG, Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11.10 mit Verweis auf Urteile v. 20.10.2005, 2 C 12.04, v. 03.05.2007, 2 C 9.06 und v. 29.05.2008, 2 C 59.07; alle juris).

49

Die Feststellung dieser für das berufliche Schicksal des Beamten und die Funktionsfähigkeit des öffentlichen Dienstes in gleicher Weise bedeutsamen Voraussetzungen hat der Gesetzgeber in die Hand der Disziplinargerichte gelegt. Sie haben auf der Grundlage ihrer im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung aus einem umfassend aufgeklärten Sachverhalt zu bildenden Überzeugung eine Prognose über die weitere Vertrauenswürdigkeit des Beamten abzugeben. Fällt diese negativ aus, ist der Beamte aus dem Dienst zu entfernen, denn anders als bei den übrigen Disziplinarmaßnahmen besteht insoweit kein Ermessen.

50

b.) Setzt sich das (einheitliche) Dienstvergehen (vgl. zur Einheit des Dienstvergehens nur: VG Magdeburg, Urteil v. 04.11.2009, 8 A 19/08 m. w. Nachw.; juris) aus mehreren Dienstpflichtverletzungen zusammen, bestimmt sich die zu verhängende Disziplinarmaßnahme in erster Linie nach der schwersten Verfehlung (BVerwG, Urteil v. 23.02.2005, 1 D 1.04; juris). Vorliegend wiegen beide vorgeworfenen Pflichtverletzungen (gleich) schwer.

51

3.) Für das danach zu findende Disziplinarmaß können die von der disziplinarrechtlichen Rechtsprechung für bestimmte Fallgruppen herausgearbeiteten Regeleinstufungen von Bedeutung sein (BVerwG, Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11/10 mit Verweis auf Urteile v. 20.10.2005, 2 C 12.04 und v. 03.05.2007, 2 C 9.06, alle juris).

52

Hinsichtlich der disziplinarrechtlichen Bewertung des dem Beamten zur Last gelegten Strafdelikts des versuchten sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen (§ 174 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 StGB) hat die disziplinarrechtlichen Rechtsprechung - soweit erkennbar - keine Regeleinstufung als sog. „Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen“ entwickelt. Die Variationsbreite, in der solche Dienstvergehen denkbar sind, ist zu groß, als dass sie einheitlichen Regeln unterliegen und in ihren Auswirkungen auf das Vertrauen gleichermaßen eingestuft werden können. Stets sind die besonderen Umstände des Einzelfalls maßgebend (VG Münster, Urteil v. 03.11.2010, 13 K 871/10.O; juris). Danach sind in der disziplinarrechtlichen Rechtsprechung unterschiedliche Fallkonstellationen zu finden (vg. VG Magdeburg, Urteil v. 29.01.2013, 8 A 22/12; juris).

53

a.) Das Bundesverwaltungsgericht führt in dem Urteil vom 25.03.2010 (2 C 83.08; juris) aus, dass ein außerdienstlich begangenes Sexualdelikt nach § 176 StGB (sexueller Missbrauch von Kindern) in besonderem Maße geeignet ist, Achtung und Vertrauen der Allgemeinheit gegenüber dem Beamten in einer für sein Amt und das Ansehen des öffentlichen Dienstes bedeutsamen Weise gravierend zu beeinträchtigen. Der sexuelle Missbrauch eines Kindes ist aufgrund der Schwere des Fehlverhaltens und der damit verbundenen Ansehensschädigung auch dann geeignet, die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis zu rechtfertigen, wenn die Tat keinen dienstlichen Bezug aufweist. Vorliegend ist dieser, dem dortigen Fall zu Grunde liegende Tatbestand des § 176 StGB jedoch mit dem hier einschlägigen Tatbestand des § 174 StGB (sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen) nicht zwingend zu vergleichen. Dies bereits deswegen, weil die am 30.01.1990 geborene geschädigte Stieftochter zum Tatzeitpunkt im Jahre 2004 das vierzehnte Lebensjahr vollendete und damit nicht mehr als Kind unter 14 Jahren gemäß der Definition nach § 176 StGB anzusehen ist.

54

b.) In einer Entscheidung des Wehrdienstsenates des Bundesverwaltungsgerichts vom 27.07.2010 (2 WD 5.09; juris) wird ausgeführt, dass es der Rechtsprechung des Senates entspreche, dass beim sexuellen Missbrauch eines Kindes oder der sexuellen Nötigung eines Jugendlichen ein Soldat für die Bundeswehr im Grundsatz untragbar geworden ist (Verweis auf die Urteile vom 18.07.2001, 2 WD 51.00 und vom 29.01.1991, 2 WD 18.90; juris). Nur in minderschweren Fällen oder bei Vorliegen besonderer Milderungsgründe könne der Soldat im Dienstverhältnis verbleiben. Die Gleichstellung beider Delikte und der damit verbundene Grad der Vertrauensbeeinträchtigung, wird mit dem Einfluss auf die sittliche Entwicklung eines jungen Menschen zur harmonischen Entwicklung zur Gesamtpersönlichkeit begründet.

55

c.) Im Fall einer (bloßen) sexuellen Belästigung (also kein Straftatbestand der sexuellen Nötigung) durch einen vorgesetzten Soldaten hat der Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil v. 01.03.2007, 2 WD 4.06; juris) auch wegen der Einstellung der strafrechtlichen Ermittlungen die Disziplinarmaßnahme der Kürzung der Dienstbezüge als geboten angesehen.

56

d.) Dem Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 09.12.2009 (RO 10 A DK 09.1074; juris) ist die Disziplinarmaßnahme der Zurückstufung zu entnehmen. Dort wurden dem Polizeibeamten mehrere außerdienstliche sexualbezogene und andere Pflichtverletzungen zur Last gelegt (Weitergabe von Informationen aus dem Polizeicomputer; Versendung einer Nacktaufnahme, die ihn nackt auf einem Ecksofa sitzend mit erigiertem Penis zeigt; Körperverletzung und sexuelle Nötigung einer Frau gegenüber). Der Beamte wurde zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt. Dort setzt sich das Gericht mit der im Einzelfall notwendigen Bewertung der zur sexuellen Nötigung geführten Tatumstände auseinander, wie Intensität und Dauer der Handlung und hier die Besonderheit, dass die Geschädigte trotz Übersendung der Nacktbilder den Beamten später traf.

57

e.) Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (U. v. 18.06.2001, D 17 S 2/01; juris) sprach einem im Ruhestand befindlichen Lehrer das Ruhegehalt ab, weil er sich zu Zeiten seines aktiven Dienstes der sexuellen Nötigung seiner minderjährigen Tochter strafbar gemacht hat. Auch dort wurde der Beamte zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt. Der VGH geht hier von der disziplinarrechtlichen Höchstmaßnahme aus. Denn auch die Entfernung aus dem Dienst sei gerechtfertigt gewesen. Das Gericht führt aus, dass die Disziplinargerichte bei der Frage nach der angemessenen disziplinarrechtlichen Reaktion auf das Dienstvergehen nicht an die strafrechtlichen Zumessungserwägungen gebunden seien bzw. sich auch nicht daran zu orientieren hätten.

58

f.). In dem Urteil vom 09.03.2006 (DL 16 S 4/06; juris) führt der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg aus, dass ein sogenanntes Kernbereichsversagen eines Polizeibeamten im sittlichen Bereich noch nicht dazu führt, dass „regelmäßig“ die Höchstmaßnahme zu verhängen wäre, geht aber auch davon aus, dass in diesen Fällen typischerweise die Entfernung in Betracht zu ziehen ist und nimmt eine Einzelfallbetrachtung vor.

59

g.) Das Verwaltungsgericht Karlsruhe führt in einem Urteil vom 07.12.2009 (DL 13 K 598/09; juris) im Fall einer vorläufigen Dienstenthebung (nach der dortigen Gesetzeslage als Klage ausgestaltet) aus, dass voraussichtlich eine Entfernung angebracht sei, weil der verbeamtete Lehrer Fotos von Schülern fertigte und ins Internet stellte. Zudem sprach er Schülerinnen direkt an, um Fotoaufnahmen und Videoclips zu drehen. Infolgedessen kam es auch zu beleidigenden sexuellen Übergriffen. Weiter ist entscheidend, dass es sich um einen Pädagogen handelte, der auf den Entwicklungs- und Reifeprozess seiner Schüler Einfluss nahm.

60

h.) Von der Höchstmaßnahme geht auch das Verwaltungsgericht Berlin in einer jüngeren Entscheidung vom 28.08.2012 (80 K 2.12 OL; juris) aus. Dort handelte es sich um einen Polizeibeamten, der mehrere Pflichtverletzungen begangen hat (unberechtigte Polizeiabfragen; Vergewaltigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung).

61

i.) Das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 17.09.2012, (80 K 10.12 OL; juris) ist nur unter den dortigen Besonderheiten des Landesdisziplinargesetzes zu verstehen. Dort ging das Gericht zwar von der Disziplinarmaßnahme der Zurückstufung wegen der strafrechtlichen Verurteilung nach § 176 StGB aus, sah jedoch neben der strafrechtlichen Verurteilung eine zusätzliche disziplinarrechtliche Pflichtenmahnung als nicht erforderlich an.

62

4.) Im Bezug auf strafbares außerdienstliches Verhalten betont das Bundesverwaltungsgericht in der neuerlichen Rechtsprechung die Bedeutung der gesetzlichen Strafandrohung für die Maßnahmebemessung (BVerwG, U. v. 25.03.2010, 2 C 83.08, U. v. 19.08.2010, 2 C 5.10 und 2 C 13.10, B. v. 21.12.2010, 2 B 29.10; juris). Die Anknüpfung an den Strafrahmen gewährleistet eine nachvollziehbare und gleichmäßige disziplinarrechtliche Ahndung von Dienstvergehen. Dabei hat das Bundesverwaltungsgericht bei einem Strafrahmen von bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe bei Fehlen jeglichen Dienstbezuges allenfalls eine Disziplinarmaßnahme im unteren Bereich für angemessen erachtet und bei einem Strafrahmen von bis zu zwei Jahren die Zurückstufung als Orientierungsrahmen angesehen. Kommt ein Dienstbezug hinzu, so kann der Orientierungsrahmen bei einem Strafrahmen bis zu einem Jahr ebenfalls die Zurückstufung, bei einem Strafrahmen bis zu zwei Jahren, sogar die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis sein.

63

Vorliegend beträgt der Strafrahmen des sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen (§ 174 StGB) Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren bzw. in den Fällen des Abs. 2 bis zu 3 Jahren, wobei der Versuch strafbar ist. Auch bei einem Versuch beträgt der Strafrahmen nach den §§ 22, 23, 49 Abs. 1 Nr. 2, 3 StGB immer noch eine Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 9 Monaten, nämlich dreiviertel von fünf Jahren.

64

Hinsichtlich des weiteren vom Beamten begangenen Delikts des Erwerbs und des Besitzes kinderpornografischer Schriften nach § 184 b Abs. 4 StPO beträgt der Strafrahmen Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren.

65

5.) Für die disziplinarrechtliche Ahnung des außerdienstlichen Besitzes von Kinderpornografie hat das Bundesverwaltungsgericht aus dem seit 2004 geltenden angehobenen Strafrahmen des § 184 b Abs. 4 StGB von bis zu zwei Jahren Freiheitsstrafe geschlossen, das für die Maßnahmenbemessung jedenfalls dann auf einen Orientierungsrahmen bis zur Zurückstufung abzustellen ist, wenn das Dienstvergehen keinen Bezug zu den dienstlichen Aufgaben des Beamten aufweist (BVerwG, Beschluss vom 26.06.2012, 2 B 28.12 mit Verweis auf Urteil vom 19.08.2010, 2 C 13.C; beide juris). Wobei dann im Einzelfall auch gewichtige Erschwernisgründe die Höchstmaßnahme rechtfertigen, wie z. B. die kinderpornografischen Schriften nicht nur besessen sondern auch zugänglich gemacht zu haben (BVerwG, B. v. 26.06.2012, 2 B 28.12; juris). Tritt ein Dienstbezug, etwa bei Lehrern und Pädagogen, hinzu, reicht der Orientierungsrahmen bis zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis (BVerwG, U. v. 19.08.2010, 2 C.5.10; B. v. 25.05.2012, 2 B 133.11; alle juris).

66

Nach der neuerlichen straf- und disziplinarrechtlichen Rechtsprechung wiegen das Sich-Verschaffen und der Besitz kinderpornografischer Dateien bereits nach ihrer Eigenart schwer. Denn entscheidend für den strafrechtlichen Unrechtsgehalt dieser Taten und den sich daraus ergebenden disziplinarrechtlichen Folgewirkungen ist der Umstand, dass der Besitz, das Verschaffen und das Weiterleiten kinderpornografischer Bilddateien das an den Kindern begangene kriminelle und sittliche Unrecht bei der Erstellung der Bilder perpetuiert, das heißt fortgesetzt wird. Denn ohne das Vorhandensein eines solchen Marktes, auf dem derartige Bilder angeboten werden, würden diese bereits nicht erstellt werden. Der durch den Besitz und das Verschaffen derartiger Bildmaterialien sich fortsetzende sexuelle Missbrauch an den Kindern greift in den sittlichen Reifeprozess eines jungen Menschen ein und gefährdet die harmonische Entwicklung einer Gesamtpersönlichkeit sowie die Einordnung des Kindes in die Gemeinschaft. Denn ein Kind oder Jugendlicher kann wegen seiner fehlenden bzw. noch nicht hinreichenden Reife das sexuell Erlebte intellektuell und gefühlsmäßig in der Regel gar nicht oder nur sehr schwer verarbeiten. Bildmaterial, das den sexuellen Missbrauch von Kindern durch diesbezüglich skrupellose Erwachsene wiedergibt, degradiert die sexuell missbrauchten Kinder zum jeweils bloßen auswechselbaren Objekt geschlechtlicher Begierde und verstößt damit gegen die unantastbare Menschwürde gemäß Art. 1 Abs. 1 GG. Denn die Kinder werden für die Erregung sexueller Reize beim Betrachter ausgenutzt. Kinderpornografie geht eindeutig über die nach den gesellschaftlichen Anschauungen und Wertvorstellungen des sexuellen Anstandes gezogenen, dem Menschenbild des Grundgesetzes entsprechenden Grenzen hinaus. Der sexuelle Missbrauch eines Kindes oder Jugendlichen ist im höchsten Maße persönlichkeits- und sozialschädlich. Der Täter benutzt die Person eines Kindes oder Jugendlichen als „Mittel“ zur Befriedigung seines Geschlechtstriebes. Dies auch dann, wenn er sich an dem jeweiligen bildlich dargestellten Opfer nicht selbst unmittelbar vergreift. Damit mach er sich aber ebenfalls für die mit der Herstellung von Kinderpornografie zwangsläufig verbundenen gravierenden Verletzungen an Leib und Seele der hierbei missbrauchten Kinder verantwortlich (absolut herrschende Rechtsprechung: vgl. nur: BVerwG, Urt. vom 06.07.2000, 2 WD 9.00; BVerwG, Urt. vom 19.08.2010, 2 C 13.10; OVG Lüneburg, Urt. vom 08.02.2012, 19 LD 10/09; VGH Baden-Württemberg, Urt. vom 20.06.2012, DL 13 S 155/12; BayVGH, Urt. vom 17.11.2011, 16 a D 10.2504; jeweils m. w. N. und alle juris).

67

Hinsichtlich der Schwere des Dienstvergehens und der Bestimmung des Disziplinarmaßes bei dem Besitz kinderpornografischer Schriften ist weiter auf die Anzahl der Bilder (a. A.: OVG LSA, Urt. v. 05.11.2009, 10 L 3/09; juris), die Häufigkeit des Herunterladens sowie die in den Bildern oder Videos hinsichtlich ihrer Ausführungsart dargestellten sexuellen Handlungen abzustellen (BVerwG, Urt. v. 19.08.2010, 2 C 13.10; vgl. zu einem einmaligen innerdienstlichen Herunterladen kinderpornografischer Inhalte: BayVGH, Urt. v. 17.11.2011, 16a D 10.2504; alle juris).

68

Mit der – zudem disziplinarrechtlich bindenden – tatbestandlichen Feststellung in dem Urteil des Landgerichts C-Stadt vom 24.01.2011, steht fest, dass von 180 Bild- und Videodateien regelrechten kinderpornografischen Inhalts auszugehen ist. Demnach handelt es sich nicht nur um eine kleine unbeachtliche Anzahl.

69

Vorliegend kommt erschwerend der bei einem Polizeibeamten zu sehende Dienstbezug hinzu,

70

6.) Alle demnach zu findenden Orientierungsrahmen für die Bemessung der Disziplinarmaßnahme entbinden die Disziplinargerichte jedenfalls nicht davon, die Umstände des Einzelfalls ausreichend zu würdigen (BVerwG, U. v. 25.03.2010, 2 C 83.08; juris). Für die Zumessungsentscheidung müssen die in § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 DG LSA genannten Bemessungskriterien mit dem ihnen zukommenden Gewicht ermittelt und eingestellt werden. Dieses Erfordernis beruht auf dem im Disziplinarverfahren geltenden Schuldprinzip und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Unabhängig von der eigentlichen Schwere des Dienstvergehens sind bemessungsrelevant solche Umstände, die auch nach der Wertung im Strafrecht zu berücksichtigen sind, etwa die Intensität und Häufigkeit der sexuellen Beziehungen und die Folgen für das Kind, wie dies auch durch die in § 176 Abs. 3, 176 a und § 176 b StGB zum Ausdruck kommt. Strafverschärfende Qualifikationen, etwa § 176 a Abs. 2 Nr. 3 StGB müssen dabei von dem Strafgericht festgestellt werden. Der Umstand, dass derartige negative Folgewirkungen hinsichtlich eines seelischen und körperlichen Schadens nicht ausgeschlossen werden können, genügen für die disziplinarrechtliche Bewertung nicht; (insoweit unklar: OVG LSA, U. v. 12.09.2006, 10 L 4/06; juris). In derartigen Fällen muss das Disziplinargericht mangels tatsächlicher Feststellungen durch das Strafgericht selbst ermitteln (BVerwG, U. v. 25.03.2010, 2 C 83.08; juris).

71

Für die, nach Auswertung dieser disziplinarrechtlichen Rechtsprechung, hier im Einzelfall vorzunehmende disziplinarrechtliche Bewertung ist für das erkennende Gericht bedeutsam, dass der Beamte die Straftat des versuchten sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen unter Ausnutzung seiner Vertrauens- und Fürsorgestellung als Stiefvater gegenüber der Stieftochter und des Zuneigungsbedürfnisses derselben wiederholt und im besonders geschützten häuslichen Bereich beging und obwohl die Geschädigte dies abwehrte. Dabei ist auch weniger entscheidend, dass es sich nach den tatbestandlichen Feststellungen jeweils „nur“ um versuchte Taten handelte und es der Geschädigten gelang, die - vollendeten - Missbräuche jeweils abzuwenden. Dies kann dem Beklagten – disziplinarrechtlich – nicht zum Vorteil gereichen. Denn das Disziplinarrecht kennt keine versuchte Dienstpflichtverletzung (VG Magdeburg, Urteil v. 14.02.2012, 8 A 6/11; juris). Disziplinarrechtlich belastet deshalb ein Dienstvergehen als versuchte Straftat einen Beamten grundsätzlich genauso wie eine vollendete Straftat. Etwas anders kann nur dann gelten, wenn der Nichteintritt des Taterfolges auf zurechenbarem Verhalten des Beamten beruhte (BVerwG, Urteil v. 21.06.2011, 2 WD 10.10; Urteil v. 14.10.2009, 2 WD 16.08 beide juris). Dies ist hier gerade nicht der Fall.

72

Erschwerend wirkt, dass der Beamte mit dem Besitz und dem Sich-Verschaffen kinderpornografischen Schriften eine weitere Sexualstraftat beging. Beide Sexualstraftaten zeigen die Probleme des Beamten im Umgang mit der sexuellen Selbstbestimmung anderer Personen und hier gerade gegenüber Kindern und Jugendlichen.

73

7.) Ist damit aufgrund der Schwere der Dienstpflichtverletzungen und des einheitlichen Dienstvergehens generell von der Maßnahme der Entfernung aus dem Dienst auszugehen, ist zu fragen, ob gewichtige Milderungsgründe eine darunter liegende Disziplinarmaßnahme (noch) rechtfertigen können.

74

Dies ist dann der Fall, wenn zu Gunsten des Beamten gewichtige Entlastungsgründe (Milderungsgründe) zu berücksichtigen sind, die den Schluss rechtfertigen, dass das dem Beamten vom Dienstherrn und der Allgemeinheit entgegengebrachte Vertrauen noch nicht endgültig verloren ist. Solche Gründe stellen zum einen die von der Rechtsprechung bezüglich der sog. Zugriffsdelikte entwickelten und anerkannten Milderungsgründe dar, die besondere menschliche Konfliktsituationen beschreiben. Hierzu zählen etwa das Handeln in einer existenziellen wirtschaftlichen Notlage oder einer körperlichen oder psychischen Ausnahmesituation oder besonderen Versuchssituationen oder eine persönlichkeitsfremde Einzelverfehlung des Beamten wie auch „Entgleisungen“ während einer negativen, inzwischen überwundenen, durch Alkohol, Drogen oder Schicksalsschlägen bedingte Lebensphase. Der Milderungsgrund der Geringwertigkeit eines verursachten Schadens oder des geldlichen Vorteils der Handlung wird bei etwa 50,00 Euro gezogen. Auch besondere die Dienstpflichtverletzung begünstigende Handlungen und mangelnde Kontrollen des Dienstherrn können im Einzelfall wie ein besonderes Nachtatverhalten die Schwere der Verfehlung mildern. Zeitlich überlange Disziplinarverfahren können wegen des disziplinarrechtlichen Beschleunigungsgebotes und der mit dem Disziplinarverfahren verbundenen persönlichen Belastungen jedenfalls bei Maßnahmen der Pflichtenmahnung berücksichtigt werden. Entlastungsgründe können sich aber zum anderen auch aus allen Besonderheiten ergeben, die es im Einzelfall wegen der persönlichkeitsbedingten an § 13 DG LSA zu orientierenden Prognoseentscheidung gebieten, von der disziplinarrechtlichen Höchstmaßnahmen Abstand zu nehmen. Die entlastenden Gründe sind nicht (mehr) allein auf den in der Rechtsprechung entwickelten Kanon der anerkannten Milderungsgründe beschränkt (BVerwG, Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11.10, m. w. Nachw.; juris). Diese Besonderheiten müssen aber in ihrer Gesamtheit geeignet sein, die Schwere des Pflichtenverstoßes erheblich herabzusetzen. Generell gilt, dass das Gewicht der Entlastungsgründe umso größer sein muss, je schwerer das Delikt aufgrund der Schadenshöhe sowie der Tatumstände, wie Anzahl, Häufigkeit, Zeitraum, Verschiedenartigkeit und Tatausführung wiegt (im Ganzen ausführlich: VG Magdeburg, Urt. v. 29.11.2012, 8 A 12/11, v. 31.03.2011, 8 A 2/10 MD und v. 27.10.2011, 8 A 2/11, mit Verweis auf BVerwG, Urt. v. 24.05.2007, 2 C 28.06, Urt. v. 06.06.2007, 1 D 2.06, Urt. v. 29.05.2008, 2 C 59.07; Bayr. VGH, Urt. v. 27.10.2010, 16 aD 09.2470; OVG Lüneburg, Urt. v. 08.02.2011, 6 LD 4/08; alle juris). Auch eine dienstliche Überlastung kann einen Milderungsgrund darstellen (VG Magdeburg, Urteil v. 29.01.2013, 8 A 5/11; juris).

75

In diesem Sinne durchgreifende besondere Umstände, die ein Absehen von der schwerwiegendsten und eine mildere Disziplinarmaßnahme rechtfertigen würden, vermag das Disziplinargericht nicht zu erkennen und sind auch nicht vorgetragen. Aufgrund des mehrfachen Versuchs des sexuellen Missbrauchs der Stieftochter kann nicht von einer einmaligen Gelegenheitstat oder einem persönlichkeitsfremden „Ausrutscher“ ausgegangen werden. Der Beamte handelte nicht in einer besonderen Versuchssituation, etwa weil die Stieftochter ihn „aufgereizt“ oder sonst wie zu sexuellen Handlungen animiert oder die häuslichen Gepflogenheiten im Bereich des sexuellen Umgangs die Tat begünstigt hätten, wobei er auch dann „Herr seiner Triebe“ bleiben muss, weshalb diese Umstände nur bedingt milderungsgeeignet gewesen wären.

76

Hinsichtlich der - eingetretenen - Vertrauensbeeinträchtigung ist auch nicht entscheidend, dass der Beamte im Folgezeitraum nicht mehr auffällig wurde, zu dessen Beweis wohl der Bundeszentralregisterauszug dienen soll. Die prognostische Frage nach dem Umfang der Beeinträchtigung des Vertrauens des Dienstherrn oder der Allgemeinheit (§ 13 DG LSA) betrifft die Erwartung, dass sich der Beamte aus der Sicht des Dienstherrn und der Allgemeinheit so verhält, wie es von ihm im Hinblick auf seine Dienstpflichten als berufserforderlich erwartet wird. Das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit in die Person des Beamten bezieht sich in erster Linie auf dessen allgemeinen Status als Beamter (vgl. BVerwG, Urteil v. 20.01.2004, 1 D 33.02; juris), daneben aber auch auf dessen konkreten Tätigkeitsbereich innerhalb der Verwaltung und auf dessen konkret ausgeübte Funktion, z. B. als Vorgesetzter. Ob und gegebenenfalls inwieweit eine Beeinträchtigung des Vertrauens des Dienstherrn vorliegt, ist nach objektiven Gesichtspunkten zu beurteilen. Entscheidend ist nicht die subjektive Einschätzung des jeweiligen Dienstvorgesetzten, sondern die Frage, inwieweit der Dienstherr bei objektiver Gewichtung des Dienstvergehens auf der Basis der festgestellten belastenden und entlastenden Umstände noch darauf vertrauen kann, dass der Beamte in Zukunft seinen Dienstpflichten ordnungsgemäß nachkommen wird. Entscheidungsmaßstab ist insoweit, in welchem Umfang die Allgemeinheit dem Beamten noch Vertrauen in eine zukünftig pflichtgemäße Amtsausübung entgegenbringen würde. Dies unterliegt uneingeschränkter verwaltungsgerichtlicher Nachprüfung (vgl. zum Ganzen: BVerwG, Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11.10 mit Verweis auf Urteile v. 20.10.2005, 2 C 12.04, v. 03.05.2007, 2 C 9.06 und v. 29.05.2008, 2 C 59.07; zuletzt: VG Magdeburg, Urteil v. 30.04.2013, 8 A 18/12; alle juris).

77

Auch rechtfertigen weder die zugegeben lange Dauer des Disziplinarverfahrens noch das lange Zurückliegen des Dienstvergehens, von der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis abzusehen, wenn diese Maßnahme geboten ist. Dies steht auch der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte oder den Vorschriften des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vom 24.11.2011 nicht entgegen (ständige Rechtsprechung BVerwG: vgl. nur zuletzt: Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11/10; bestätigt durch BVerfG, Beschluss v. 28.01.2013, 2 BvR 1912/12; beide juris). Zwar kann eine pflichtenmahnende Disziplinarmaßnahme in diesen Fällen unvereinbar mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit werden. Bei Fortbestand des Beamtenverhältnisses kann das durch ein Dienstvergehen ausgelöste Sanktionsbedürfnis gemindert werden oder sogar entfallen, weil die mit dem Disziplinarverfahren verbundenen wirtschaftlichen und dienstlichen Nachteile positiv auf den Beamten eingewirkt haben, sodass sie eine günstigere Persönlichkeitsprognose ermöglichen. Demgegenüber geht es bei der Dienstentfernung darum, das Beamtenverhältnis in Fällen besonders schwerwiegender Dienstvergehen zu beenden, weil der Beamte im öffentlichen Dienst untragbar geworden ist. An dem endgültigen Vertrauensverlust, den er durch sein Fehlverhalten herbeigeführt hat, vermögen eine lange Verfahrensdauer oder ein langes Zurückliegen des Dienstvergehens nichts zu ändern. Das verlorene Vertrauen kann nicht durch Zeitablauf wiederhergestellt werden (BVerfG, Beschl. v. 04.10.1977, 2 BvR 80/77; Beschl. v. 09.08.2006, 2 BvR 1002/05; alle juris). Diesen Unterschied hat der Gesetzgeber auch dadurch zum Ausdruck gebracht, dass er in § 15 DG - wie BDG - die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis im Gegensatz zu allen anderen Disziplinarmaßnahmen vom Maßnahmeverbot wegen Zeitablaufs ausgenommen hat (vgl. zusammenfassend: BVerwG, Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11/10; zuletzt: VG Magdeburg, Urteil v. 29.01.2013, 8 A 5/11; alle juris). Zudem sind die Verzögerungen den gerichtlichen Instanzenzügen geschuldet gewesen und sind nicht von der Einleitungsbehörde zu vertreten. Denn sie hat rechtlich zutreffend und zeitnah das Disziplinarverfahren ausgesetzt.

78

8.) Die nach alledem dienstrechtlich notwendige Entfernung aus dem Dienst verstößt auch nicht gegen das Verhältnismäßigkeitsgebot. Denn diese disziplinarrechtliche Höchstmaßnahme ist die einzige Möglichkeit, das durch den Dienstherrn sonst nicht lösbare Dienstverhältnis einseitig zu beenden. Die darin liegende Härte für den Betroffenen ist nicht unverhältnismäßig. Sie beruht vielmehr auf einem ihm zurechenbaren Verhalten (BVerwG, Urteil v. 21.06.2000, 1 D 49.99; juris).

79

9.) Die Kostenentscheidung folgt aus § 100 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 DO LSA. Das Verfahren ist gemäß § 98 Abs. 1 DO LSA gerichtsgebührenfrei.


Tatbestand

1

Die Klägerin führt die Disziplinarklage gegen den beklagten Polizeivollzugsbeamten mit dem Ziel seiner Versetzung in ein Amt derselben Laubahn mit geringerem Endgrundgehalt.

2

Der 1961 geborene Beamte ist im Rang eines Ersten Polizeihauptkommissars (BesGr. A 13 BBesO) bei der A. tätig.

3

Nach Abschluss einer Berufsausbildung als Maler ist der Beamte 1983 beim VPKA B-Stadt in den Polizeidienst eingetreten und hat 1988 die Offiziersausbildung an der Offiziersschule des ehemaligen Ministeriums des Innern der DDR erfolgreich abgeschlossen. 1991 trat er in den Polizeidienst des Landes Sachsen-Anhalt ein und wurde 1994 als Polizeikommissar zum Beamten auf Lebenszeit ernannt. Es folgten ab dem Jahr 1995 ständige Tätigkeiten als Leiter Zentraler Einsatzdienst, als Leiter Zentraler Präsenzdienst im Zentralen Einsatzdienst und von 2003 bis 2006 als Leiter des Revierkommissariats Gardelegen und anschließend bis in das Jahr 2007 als Leiter des Reviereinsatzdienst im Polizeirevier Altmarkkreis B-Stadt. 2008 wurde dem Beklagten der Dienstposten des Leiters Einsatzdienst im Polizeirevier B-Stadt übertragen, zeitgleich wurde er zur Landesbereitschaftspolizei abgeordnet. Seit 2008 ist der Beamte zum Polizeirevier A-Stadt abgeordnet und wird dort als Sachbearbeiter Einsatz (Verkehrsorganisation) verwendet. Ihm ist die Altersteilzeit in Form des Blockmodells (Ansparphase: 01.10.2011 bis 30.09.2016; Freistellungsphase: 01.10.2016 bis 30.09.2021) bewilligt worden.

4

Der Beamte ist verheiratet und hat zwei Töchter - zum Zeitpunkt der Disziplinarklage - im Alter von 21 und 16 Jahren. Der Beamte ist disziplinarrechtlich wegen einer Ansehensschädigung vorbelastet. Mit Urteil des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt – Senat für Landesdisziplinarsachen – vom 15.04.2010 (10 L 4/09) wurden dem Beklagten die Dienstbezüge für die Dauer von drei Jahren um 1/5 gekürzt.

5

Unter dem 04.10.2010 (irrtümlich: 04.10.2009) wurden gegen den Beamten wegen des Verdachts strafbarer Handlungen nach dem Waffengesetz, dem Sprengstoffgesetz und dem Kriegswaffenkontrollgesetz disziplinarrechtliche Ermittlungen eingeleitet. Das strafrechtliche Ermittlungsverfahren wurde am 22.11.2010 durch die Staatsanwaltschaft Stendal gemäß § 153 a Abs. 1 StPO vorläufig und nach Zahlung einer Geldauflage von 1.500,00 Euro am 23.05.2011 endgültig eingestellt.

6

Mit der Disziplinarklage vom 21.11.2011 (Eingang: 22.11.2011) wird der Beamte angeschuldigt, dass er seine außerdienstliche Pflicht zu achtungs- und vertrauensgerechten Verhalten gemäß § 34 Satz 3 Beamtenstatusgesetz (BeamtStG) verletzt und damit ein außerdienstliches Dienstvergehen nach § 47 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG durch folgende Handlungen begangen habe:

7

„1. Unvorschriftsmäßige Aufbewahrung von Schusswaffen und Munition
Entgegen der Bestimmungen des § 36 Abs. 1 Waffengesetz (WaffG) hat EPHK B. nicht die erforderlichen Vorkehrungen getroffen, um zu verhindern, dass Waffen und Munition abhanden kommen oder Dritte sie unbefugt an sich nehmen können. Auf dem Dachboden wurde diverse Munition in unverschlossenen Behältnissen aufbewahrt. Auch im Arbeitszimmer im Erdgeschoss wurde Munition in einem Holzschrank ohne jegliche Sicherungsvorrichtung gelagert. Die genaue Menge ungesichert aufbewahrter Munition wurde nicht aktenkundig gemacht, aus den Lichtbildmappen ist jedoch ersichtlich, dass es sich um größere Mengen gehandelt hat.

8

Auf dem Dachboden des Wohnhauses wurden 20 Langwaffen in einem unverschlossenen Stahlblechschrank gelagert. Der Schrank selbst entsprach nicht der vorgeschriebenen Sicherheitsstufe zur Aufbewahrung erlaubnispflichtiger Schusswaffen gemäß § 36 Abs. 2 WaffG.

9

Mit der Aufbewahrung von Schusswaffen entgegen § 36 Abs. 2 WaffG hat EPHK B. nach § 53 Abs. 1 Nr. 19 WaffG ordnungswidrig gehandelt. Nach § 52 a WaffG handelt es sich um ein Vergehen, wenn die Handlung vorsätzlich begangen und dadurch die Gefahr verursacht wird, dass eine Schusswaffe oder Munition abhanden kommen oder darauf unbefugt zugegriffen werden könnte.
Nach Auffassung der Waffenbehörde soll die Handlung von EPHK B. nur eine Ordnungswidrigkeit darstellen, da entsprechende Sicherheitsbehältnisse im Haus vorhanden gewesen wären. Dieser Rechtsauffassung kann nicht gefolgt werden. Als Polizeibeamten, erfahrenem Sportschützen und Waffensammler müssen EPHK B. die Bestimmungen zur Aufbewahrung von Waffen und Munition bekannt gewesen sein. Zwar wurden im Schlafzimmer des Hauses zwei vorschriftsmäßige Waffenschränke festgestellt, deren Kapazität hat aber für die große Zahl vorhandener Schusswaffen offensichtlich nicht ausgereicht. Die Zahl von 20 unvorschriftsmäßig aufbewahrten Langwaffen und die große Menge unvorschriftsmäßig gelagerter Munition belegen eindeutig, dass EPHK B. nicht nur eine Verletzung seiner Sorgfaltspflichten begangen, sondern zudem die Gefahr eines unbefugten Zugriffs auf Schusswaffen oder Munition zumindest billigend in Kauf genommen hat. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass er nicht allein, sondern in häuslicher Gemeinschaft u. a. mit einer minderjährigen Tochter lebt.

10

EPHK B. hat somit eine strafbare Handlung nach § 52 a WaffG i. V. m. §§ 53 Abs. 1 Nr. 19; 36 Abs. 2 WaffG begangen.
2. Nichtanzeige des Erwerbs einer Schusswaffe und von wesentlichen Waffenteilen
Während der Durchsuchung wurden folgende Waffen und Waffenteile aufgefunden und beschlagnahmt, für die zum Zeitpunkt der Durchsuchung keine warfen rechtliche Erlaubnis vorgewiesen werden konnte:

11

- Ein Gewehr Carl Gustaf 1907, Nr. 41953. Laut Gutachten handelt es sich um ein funktionsfähiges Mehrladegewehr, im waffenrechtlichen Sinn um eine Schusswaffe.
- Ein System mit Lauf, Nr. 2591. Laut Gutachten handelt es sich um einen Gewehrlauf mit Verschlusshülse eines Mehrladegewehrs Mosin, Modell 1944. Waffen rechtlich handelt es sich um ein wesentliches Teil einer Schusswaffe, das einer Schusswaffe gleich steht.

12

- Ein Verschluss, Nr. 4372. Laut Gutachten handelt es sich um einen Verschluss mit Verschlusshülse des Herstellungsjahres 1945. Dabei handelt es sich um Waffenteile, wie sie in Mehrladegewehren und Karabinern Modell 98 Verwendung finden. Waffen rechtlich handelt es sich um ein wesentliches Teil einer Schusswaffe und steht einer Schusswaffe gleich.

13

 Nach § 2 Abs. 2 WaffG i. V. m. Anlage 2, Abschnitt 2, Unterabschnitt 1 WaffG ist der Umgang mit der genannten Schusswaffe und den wesentlichen Waffenteilen, die einer Schusswaffe gleich stehen, erlaubnispflichtig.
Durch die Waffenbehörde des Altmarkkreises B-Stadt wurde EPHK B. am 08.07.1998 eine Waffenbesitzkarte für Waffensammler ausgestellt. Die waffenrechtliche Erlaubnis zum Erwerb von Waffen des auf der Waffenbesitzkarte genannten Sammelgebietes war damit erteilt. Nach § 17 Abs. 2 WaffG wird die Erlaubnis zum Erwerb von Schusswaffen an Waffensammler in der Regel unbefristet erteilt, etwas Gegenteiliges ist hier nicht bekannt. Auch die Waffenbehörde sieht im Erwerb des Gewehrs Carl Gustaf kein strafbares Verhalten, da EPHK B. im Besitz waffenrechtlicher Erlaubnisse sei. Es sei lediglich unterlassen worden, den Erwerb des Gewehres innerhalb der gesetzlich vorgeschriebenen Frist bei der Waffenbehörde anzuzeigen und die Eintragung in die Waffenbesitzkarte vornehmen zu lassen.
Gleiches muss auch für den Verschluss und den Gewehrlauf gelten, da diese Waffenteile einer Schusswaffe gleich stehen und sie ebenfalls in das Sammelgebiet von EPHK B. fallen.
Da EPHK B. über die erforderliche Erlaubnis zum Erwerb des Gewehrs, des Gewehrlaufs und des Verschlusses verfügte, er den Erwerb aber entgegen § 10 Abs. 1 a WaffG in keinem der drei Fälle innerhalb von zwei Wochen bei der Waffenbehörde angezeigt und seine Waffenbesitzkarte nicht zur Eintragung vorgelegt hat, handelte er in drei Fällen ordnungswidrig nach § 53 Abs 1 Nr. 5 WaffG.

14

Die Herkunft der Waffe und der Waffenteile konnte im Verfahren nicht geklärt werden.
3. Unerlaubter Besitz einer Sprengkapsel

15

Während der Durchsuchung wurde im Arbeitszimmer ein Knallsatz für eine Übungshandgranate DM48A1B1 aufgefunden und beschlagnahmt.
Laut Gutachten handelt es sich um eine augenscheinlich unversehrte und somit offensichtlich funktionstüchtige Übungshandgranatenladung der Bundeswehr. Da bei der Übungshandgranatenladung die erzeugte Knallwirkung die beabsichtigte Bestimmung ist, handelt es sich um einen pyrotechnischen Gegenstand nach § 1 Abs. 2, Satz 2, Nr. 1 Sprengstoffgesetz (SprengG). Aufgrund der ausschließlich militärischen Verwendung besitzt der Gegenstand keine Zulassung im nicht gewerblichen Bereich. Für den Umgang bedarf es nach §§ 7 Abs. 1 und 27 Abs. 1 SprengG einer Erlaubnis.

16

Da die Übungshandgranatenladung ausschließlich der militärischen Nutzung unterliegt, ist davon auszugehen, dass EPHK B. sich diesen Gegenstand unberechtigt angeeignet hat. Es ist von vorsätzlichem Handeln auszugehen, da EPHK B. als Polizeibeamter, Sportschütze und Waffensammler erkannt haben muss, dass es sich um eine Sprengkapsel aus militärischer Nutzung handelt. Er bewahrte die Übungshandgranatenladung ohne die erforderliche Erlaubnis auf und beging damit ein Vergehen nach § 40 Abs. 1, Nr. 3 SprengG. Auch fahrlässiges Handeln wäre nach § 40 Abs. 4 SprengG strafbar.

17

4. Unerlaubter Besitz von Waffen und Munition, die dem Gesetz über die Kontrolle von Kriegswaffen (KrWaffKontrG) unterliegen

18

- Auf dem Dachboden wurde ein Verschlussteil beschlagnahmt. Laut Gutachten handelt es sich um einen im Zweiten Weltkrieg hergestellten Verschluss mit Verschlussträger, eine Teilegruppe, wie sie bei Maschinengewehren des Systems MG 81 verwendet wurde. Der Verschluss ist nach Kriegswaffenliste (Anlage 1 zum KrWaffKontrG, Teil B, Nr. V, Ziffer 35 - Verschlüsse für Kriegswaffen) eine zur Kriegsführung bestimmte Waffe im Sinne des § 1 Abs. 1 KrWaffKontrG.

        
19

- Unter der beschlagnahmten Munition wurden laut Gutachten acht Gewehrpatronen mit Leuchtspurgeschoss und eine Gewehrpatrone mit panzerbrechendem Geschoss festgestellt. Diese Gewehrpatronen sind nach Kriegswaffenliste (Anlage 1 zum KrWaffKontrG, Teil B, Nr. VIII, Ziffer 50 - Munition für Kriegswaffen) zur Kriegsführung bestimmte Waffe im Sinne des § 1 Abs. 1 KrWaffKontrG. Zur Herstellung, dem Erwerb und zur Beförderung der genannten Waffenteile und Munition bedarf es nach §§ 2 und 3 KrWaffKontrG einer Genehmigung.

        
20

Die tatsächliche Herkunft der genannten Kriegswaffen wurde im Verfahren nicht geklärt. Es ist jedoch davon auszugehen, dass EPHK B. die tatsächliche Gewalt über die Kriegswaffen ohne Genehmigung nach § 2 Abs. 2 KrWaffKontrG von einem anderen durch eine zusammenhängende Handlung oder in mehreren einzelnen Handlungen erworben hat. Es ist von vorsätzlichem Handeln auszugehen, da EPHK B. als Polizeibeamter, Sportschütze und Waffensammler erkannt haben muss, dass es sich um Kriegswaffen handelt. Damit hat er in mindestens einem Fall ein Verbrechen nach § 22 a Abs. 1 Nr. 2 KrWaffKontrG begangen. Auch fahrlässiges Handeln wäre nach § 22 a Abs. 4 KrWaffKontrG mit Strafe bedroht.
5. Unerlaubter Besitz von Patronenmunition verschiedener Kaliber (FA Munition)

21

- Während der Durchsuchung wurde in einem Werkzeugkoffer auf dem Dachboden eine Manöverpatrone aufgefunden und beschlagnahmt. Laut Gutachten handelt es sich um eine augenscheinlich unversehrte und somit offensichtlich funktionstüchtige Manöverpatrone der Bundeswehr, die mit einer Maschinenkanone (Kai. 20 mm) verschossen wird. Obwohl es sich nach der Gattung um Munition gemäß Kriegswaffenliste handelt, besitzt die Manöverpatrone aufgrund der Bestimmung zu Übungszwecken keine Kriegsverwendungsfähigkeit. Somit handelt es sich um keine Kriegswaffe im Sinn von § 1 Abs. 1 KrWaffKontrG, sondern um Patronenmunition im Sinne von § 1 Abs. 4 WaffG. Der Umgang mit dieser Munition ist nach § 2 Abs. 2 WaffG i. V. m. Anlage 2, Abschnitt 2, Unterabschnitt 1 WaffG erlaubnispflichtig. Da die Manöverpatrone ausschließlich der militärischen Nutzung unterliegt, ist davon auszugehen, dass EPHK B. sich diesen Gegenstand unberechtigt angeeignet hat.

        
22

- Unter der beschlagnahmten Munition wurden laut Gutachten 238 Patronen unterschiedlichster Sorten festgestellt. Bei dieser Munition handelt es sich um Patronenmunition im Sinne von § 1 Abs. 4 WaffG. Der Umgang mit dieser Munition ist nach § 2 Abs. 2 WaffG i. V. m. Anlage 2, Abschnitt 2, Unterabschnitt 1 WaffG erlaubnispflichtig.

        
23

- Außerdem wurden unter der beschlagnahmten Munition laut Gutachten fünf Manöverpatronen (7,62 x 39) festgestellt. Obwohl diese Munition aus verschiedenen Kriegswaffen verschossen werden kann, besitzt sie aufgrund der Bestimmung zu Übungszwecken keine Kriegsverwendungsfähigkeit. Somit handelt es sich nicht um Kriegswaffen im Sinn von § 1 Abs. 1 KrWaffKontrG, sondern um Kartuschenmunition im Sinne von § 1 Abs. 4 WaffG. Der Umgang mit dieser Munition ist nach § 2 Abs. 2 WaffG i. V. m. Anlage 2, Abschnitt 2, Unterabschnitt 1 WaffG erlaubnispflichtig, da es keine Zulassung für Schreckschuss-, Reizstoff- und Signalwaffen in diesem Kaliber gibt.

        
24

Für die genannten 244 Stück Patronen- und Kartuschenmunition konnte EPHK B. keinen Erwerbsnachweis vorweisen. Auch in den Unterlagen der Waffenbehörde konnte keine Eintragung zu der Munition festgestellt werden. Mit dem unerlaubten Besitz dieser Munition beging EPHK B. eine strafbare Handlung nach § 52 Abs. 3 Nr. 2 b WaffG. Es ist von vorsätzlichem Handeln auszugehen, da die rechtlichen Bestimmungen EPHK B. als Polizeibeamten, erfahrenem Sportschützen und Waffensammler hinreichend bekannt sein müssen.“

25

Zur Begründung führt die Disziplinarklage aus, dass der Beamte vorsätzlich und schuldhaft gegen seine aus § 34 Satz 3 BeamtStG resultierende so genannte Wohlverhaltenspflicht verstoßen habe. Der Grundtatbestand des Wohlverhaltens knüpfe an die Merkmale der berufserforderlichen Achtung, des Vertrauens und des Ansehens an. Die Achtungswürdigkeit ergebe sich aus der Gesamtheit des persönlichen Eindrucks, im dienstlichen wie im privaten Leben. Das Vertrauen umfasse die ganze Persönlichkeit des Beamten im Hinblick auf Redlichkeit, Zuverlässigkeit und Korrektheit im Allgemeinen. Bei der Definition der „bedeutsamen Weise“ der Beeinträchtigung des Vertrauens i. S. v. § 47 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG sei darauf abzustellen, ob der öffentliche Dienst oder die konkret betroffenen Bürger bzw. der „verständige Betrachter“ das fragliche Verhalten als besonders diensterheblich störend empfinden könne oder müsse. Die mehrfache und vorsätzliche Verwirklichung von Verbrechens- und Vergehenstatbeständen sei in besonderem Maße geeignet, das Vertrauen in einer für sein Amt bedeutsamen Weise zu beeinträchtigen. Als Polizeibeamter sei dem Beamten bekannt gewesen, dass sich aus seiner dienstlichen Stellung auch besondere Pflichten für sein außerdienstliches Verhalten ergeben. Als Sportschütze, Waffensammler und Polizeibeamter sei dem Beklagten die Problematik des Waffenbesitzes und des Umgangs mit Waffen bewusst gewesen. Aufgrund der vorgeworfenen Handlungen seien erhebliche Zweifel an der Charakterfestigkeit des Beamten festzustellen. Das Vertrauen darin, dass ein Polizeibeamter mit Waffen – gerade mit Schusswaffen – besonders sorgfältig umgehe, sei erheblich. Dem Bürger als polizeilichem Gegenüber sei schlicht weg nicht zu vermitteln, dass ein Polizeibeamter, der mehrfach erheblich gegen waffen- und kriegswaffenkontrollrechtliche Strafvorschriften verstoße, als polizeilicher Waffenträger uneingeschränktes Vertrauen genieße. Der durch das Verhalten des Beamten eingetretene Vertrauens- und Achtungsverlust sei daher außergewöhnlich hoch, sodass eine unterhalb der Zurückstufung liegende Disziplinarmaßnahme nicht in Betracht komme. In seinem Amt als Erster Polizeihauptkommissar habe der Beklagte eine besondere Pflicht zu vorbildhaftem Verhalten. Er habe Vorbild- und Vorgesetztenfunktion. Erschwerend sei die disziplinarrechtliche Vorbelastung des Beamten zu werten.

26

Milderungsgründe seien nicht vorgetragen und auch nicht erkennbar.

27

Zu beachten sei auch, dass der Beamte in häuslicher Gemeinschaft mit anderen Personen lebe, sodass die sichere Verwahrung der Schusswaffen und der Munition unabdingbar sei.

28

Die Klägerin beantragt,

29

auf die erforderliche Disziplinarmaßnahme zu erkennen.

30

Der Beklagte beantragt,

31

die Disziplinarklage abzuweisen

32

und sieht den Tatbestand eines außerdienstlichen Dienstvergehens i. S. v. § 47 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG als nicht erfüllt an. Das Persönlichkeitsbild des Beamten und die Vertrauensbeeinträchtigung seien nicht hinreichend berücksichtigt worden. Die Tatvorwürfe seien unvollständig und teilweise unrichtig. Entlastende Umstände seien nicht berücksichtigt worden. So habe der Beamte zu jedem Zeitpunkt vollumfänglich und aktiv zur Sachverhaltsaufklärung beigetragen. Bei den Verstößen handele es sich um bloße Ordnungswidrigkeiten. Seine aktuellen dienstlichen Leistungen und sein tadelloses Verhalten zu Vorgesetzten und Mitarbeitern seien nicht berücksichtigt worden. Die Herkunft der genannten fünf Schusswaffen sei im Laufe des Verfahrens geklärt worden. Von einer „größeren Menge“ aufbewahrter Munition könne nicht gesprochen werden. Es habe zu keinem Zeitpunkt die Gefahr eines unbefugten Zugriffs auf Schusswaffen und Munition gegeben. Bei dem unverschlossenen Stahlblechschrank habe es sich um einen einmaligen von dem Beklagten zutiefst bedauerten Vorgang gehandelt. Die ausgeschärften Sammlerwaffen seien nicht schussfähig gewesen. Der Erwerb der Waffen „Schwedenmauser“ sei angezeigt worden. Gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz sei – jedenfalls nicht vorsätzlich – verstoßen worden. Schließlich sei auch das strafrechtliche Ermittlungsverfahren eingestellt worden.

33

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungs- und Ermittlungsvorgänge verwiesen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung.

Entscheidungsgründe

34

Die zulässige Disziplinarklage ist begründet. Der Beklagte hat ein schwerwiegendes – außerdienstliches – Dienstvergehen gemäß § 47 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG begangen, welches die Zurückstufung (§ 9 DG LSA), d. h. die Versetzung des Beamten in ein um eine Stufe geringeres Amt derselben Laufbahn mit geringerem Endgrundgehalt, nach sich zieht.

35

Beamte begehen ein Dienstvergehen, wenn sie schuldhaft die ihnen obliegenden Pflichten verletzen (§ 47 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG). Ein Verhalten außerhalb des Dienstes ist nur dann ein Dienstvergehen, wenn es nach den Umständen des Einzelfalls in besonderem Maße geeignet ist, das Vertrauen in einer für ihr Amt bedeutsamen Weise zu beeinträchtigen (§ 47 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG). Diese Voraussetzungen liegen vor.

36

1.) Die Disziplinarkammer ist davon überzeugt, dass der Beklagte die ihm in der Disziplinarklage zur Last gelegten Handlungen und Verstöße hinsichtlich der waffenrechtlichen Bestimmungen und des Umgangs mit Waffen und Munition begangen hat.

37

a.) Der Beamte hat Schusswaffen und Munition unvorschriftsmäßig aufbewahrt (Pkt. 1 der Disziplinarklage). Unstreitig wurden anlässlich der Hausdurchsuchung am 13.04.2010 bei dem Beamten auf dem Dachboden seines Hauses diverse Munition sowie 20 Langwaffen in unverschlossenen Behältnissen aufgefunden (Beiakte A, Bl. 78). Auch im Arbeitszimmer im Erdgeschoss wurde Munition in einem Holzschrank ohne jegliche Sicherungsvorrichtung gelagert. Auf die diesbezügliche in den Akten befindliche und in der Disziplinarklageschrift erwähnte Lichtbildmappe (BA A, Bl. 119 ff; 147 ff.) wird verwiesen. Dabei folgt das Gericht nicht der Auffassung des Beklagten, dass es sich bei der in der Lichtmappe dokumentierten Munition nicht um eine größere, sondern um eine zur Sportausübung normale, wenn nicht sogar geringe Menge handele. Mag dabei im Einzelfall die quantitative Feststellung und Abgrenzung einer aufgefundenen Munitionsmenge hinsichtlich ihrer Verwendung schwierig sein, so kommt es vorliegend auch nicht entscheidend darauf an. Für den Pflichtenverstoß ist nicht bedeutsam, ob es sich um eine „normale“, für die Sport- und Sammlerzwecke des Beklagten bestimmte Munitionsmenge handelt. Entscheidend für das Disziplinargericht sind vielmehr die unsachgemäße und ungesicherte Lagerung und damit der unsachgemäße Umgang mit Munition und Schusswaffen. Die Lichtbilder belegen eindeutig und anschaulich die Aufbewahrung von Munition in einem Schrank im Arbeitszimmer, in einer Holzkiste und in einer Ledertasche. Diese Auffindesituation hinterlässt auf den unvoreingenommenen Betrachter insgesamt einen unaufgeräumten und unsortierten Eindruck und lässt auf den nicht ordnungsgemäßen Umgang mit Munition schließen.

38

Ausweislich der polizeilichen Feststellungen wies der Stahlblechschrank nicht die nach § 36 Abs. 2 WaffG erforderlichen Schutzgüte (Zertifizierung, Sicherheitsstufe) für die Aufbewahrung von Waffen auf. In dem unverschlossenen Stahlblechschrank befand sich ein Zylinderschloss in dem ein Schlüssel mit weiteren anderen Schlüsseln steckte. Ebenso war die dort aufgefundene Munition nicht gegen die Entnahme von Unberechtigten gesichert (Beiakte A, Bl. 78). Damit hat der Beklagte gegen § 36 Abs. 1 WaffG verstoßen. Danach hat, wer Waffen oder Munition besitzt, die erforderlichen Vorkehrungen zu treffen, um zu verhindern, dass diese Gegenstände abhanden kommen oder Dritte sie unbefugt an sich nehmen. Schusswaffen dürfen nur getrennt von Munition aufbewahrt werden, sofern nicht die Aufbewahrung in einem Sicherheitsbehältnis erfolgt. Dies stellt nach § 53 Abs. 1 Nr. 19 WaffG eine Ordnungswidrigkeit dar. Nach § 52 a WaffG handelt es sich um ein Vergehen, wenn die Handlung vorsätzlich begangen und dadurch die Gefahr verursacht wird, dass eine Schusswaffe oder Munition abhanden kommt oder darauf unbefugt zugegriffen werden könnte. Dabei entlastet den Beklagten keinesfalls, dass im zweiten Obergeschoss für Waffen entsprechende Sicherheitsbehältnisse vorhanden waren. Denn gerade die Nichtbenutzung derselben lässt auf den besonders unsachgemäßen Umgang und damit das vorsätzliche Handeln schließen.

39

b.) Den unter Nr. 2 der Disziplinarklage angeschuldigten Sachverhalt stellt der Beklagte nicht substantiiert in Abrede. Der Beklagte war zum Zeitpunkt der Durchsuchung im Besitz einer Waffenbesitzkarte für Waffensammler. Somit verfügte der Beklagte zwar über die erforderliche Erlaubnis zum Erwerb des Gewehrs, des Gewehrlaufs und des Verschlusses, hat den Erwerb aber entgegen § 10 Abs. 1 a WaffG in keinem der drei Fälle innerhalb von zwei Wochen bei der Waffenbehörde angezeigt und seine Waffenbesitzkarte nicht zur Eintragung vorgelegt. Dies stellt eine Ordnungswidrigkeit nach § 53 Abs. 1 Nr. 5 WaffG dar.

40

c.) Unstreitig ist der unter Nr. 3 der Disziplinarklage aufgeführte Knallsatz für eine Übungshandgranate aufgefunden worden. Laut Gutachten (BA A, Bl. 29 Teilakte Sprengstoffgesetz; Bl. 29) handelt es sich dabei um eine augenscheinlich unversehrte und somit offensichtlich funktionstüchtige Übungshandgranatenladung der Bundeswehr. Das diesbezügliche Gutachten ist einschlägig. Der Beamte bewahrte die Übungshandgranatenladung ohne die erforderliche Erlaubnis auf und beging damit ein Vergehen nach § 40 Abs. 1 Nr. 3 SprengG. Denn für den Umgang bedarf es nach §§ 7 Abs. 1 und 27 Abs. 1 SprengG einer Erlaubnis. Dies muss dem Beamten auch als Polizeibeamter, Sportschütze und Waffensammler bekannt gewesen sein. Dem widerspricht der Beklagte nicht substantiiert, sondern sieht die im Gutachten festgestellten Verstöße als nicht vorsätzlich an. Dem ist entgegenzuhalten, dass auch fahrlässiges Handeln nach § 40 Abs. 4 SprengG strafbar ist.

41

d.) Auch der unter Nr. 4 vorgehaltene Tatbestand ist zur Überzeugung des Disziplinargerichts gegeben. Der auf dem Dachboden aufgefundene und beschlagnahmte Verschlussteil stellt nach dem Gutachten (BA A, Bl. 200) einen im 2. Weltkrieg hergestellten Verschluss mit Verschlussträger dar, wie sie bei Maschinengewehren des Systems MG 81 verwendet wurden. Der Verschluss ist nach Kriegswaffenliste eine zur Kriegsführung bestimmte Waffe i. S. d. § 1 Abs. 1 KrWaffKontrG i. V. m. Anlage 1.

42

Weiter beinhaltet der Vorwurf zu 4., dass unter der beschlagnahmten Munition laut Gutachten acht Gewehrpatronen mit Leuchtspurgeschoss und eine Gewehrpatrone mit panzerbrechendem Geschoss festgestellt wurden. Auch diese Gewehrpatronen sind nach der Kriegswaffenliste zur Kriegsführung bestimmte Waffen. Zur Herstellung, dem Erwerb und zur Beförderung der genannten Waffenteile und Munition bedarf es nach §§ 2 und 3 KrWaffKontrG einer Genehmigung, über die der Beklagte nicht verfügt. Sein diesbezüglicher Vortrag, dass er als Wiederlader Munition herstellen dürfe, für welche er keine Erwerbsberechtigung besitzen müsse, entlastet ihn nicht. Letztendlich geht der Beamte auf den Vorhalt laut Gutachten ein und führt aus, dass die dort festgestellten Verstöße nicht vorsätzlich erfolgt seien.

43

e.) Schließlich steht auch der unerlaubte Besitz von Patronenmunitionen verschiedener Kaliber nach Sachverhaltsvorwurf Nr. 5 fest. Auch diese sind in dem entsprechenden Gutachten (BA A, Bl. 29 Teilakte Sprengstoffgesetz, S. 29) hinreichend belegt. Die auf dem Dachboden in einem Werkzeugkoffer vorgefundene Manöverpatrone unterfällt nicht dem Kriegswaffenkontrollgesetz, sondern nach § 2 Abs. 2 dem Waffengesetz i. V. m. der Anlage 2, Abschnitt 2, Unterabschnitt 1 und somit der Erlaubnispflichtigkeit. Unter der beschlagnahmten Munition wurde laut Gutachten 238 Patronen unterschiedlichster Sorten festgestellt. Der Umgang mit dieser Munition ist nach § 2 Abs. 2 WaffG mit Anlage 2, Abschnitt 2, Unterabschnitt 1 WaffG erlaubnispflichtig. Der unerlaubte Besitz der Munition stellt eine strafbare Handlung nach § 52 Abs. 3 Nr. 2 b WaffG dar. Auch hier ist wegen der vorhandenen waffenrechtlichen und waffenkundigen Kenntnisse des Beamten von einem vorsätzlichen Handeln auszugehen.

44

f.) Für Feststellung dieser Pflichtenverstöße des Beamten ist für das Disziplinargericht auch bedeutsam, dass gerichtsbekannt ist, dass mit Bescheid vom 28.02.2011 aufgrund der Vorkommnisse bei der Hausdurchsuchung der B-Stadt die dem Beklagten erteilten sechs Waffenbesitzkarten widerrief und eine Sperrfrist bis zur nächstmöglichen Prüfung der Voraussetzungen für die Wiedererteilung waffenrechtlicher Erlaubnisse bis zum 28.02.2016 festsetzte. Mit Urteil des Verwaltungsgerichts A-Stadt vom 24.09.2012, 1 A 239/11 MD, bestätigte das Gericht die Rechtmäßigkeit der Verfügung und ging von der fehlenden Zuverlässigkeit als Voraussetzung für die Waffenbesitzkarten bei dem Beklagten aus. Die dem Beamten erteilten Waffenbesitzkarten mussten widerrufen werden, weil der Beamte unzuverlässig im Sinne des Waffengesetzes ist. Das Gericht stellt fest, dass der Beklagte Waffen und Munition i. S. v. § 5 Abs. 1 Nr. 2 b WaffG nicht sorgfältig verwahrte. Außerdem hatte der Beklagte sich als unzuverlässig erwiesen, weil er nach § 5 Abs. 2 Nr. 5 WaffG i. V. m. § 5 Abs. 2 Nr. 1 c WaffG gröblich gegen das Gesetz über die Kontrolle von Kriegswaffen, das Sprengstoffgesetz und das Waffengesetz verstoßen hat. Entgegen der Auffassung des Beklagten kommt es nicht darauf an, ob er wegen der festgestellten Verstöße gegen die o. g. Gesetzes verurteilt worden ist. Für die Annahme der persönlichen Unzuverlässigkeit nach § 5 Abs. 2 Nr. 5 WaffG genügt im Gegensatz zur Annahme der Unzuverlässigkeit i. S. v. § 5 Abs. 2 Nr. 1 WaffG allein das Vorliegen des Rechtsverstoßes. Die Feststellung dieses Rechtsverstoßes hängt nicht von einer Entscheidung der Strafverfolgungsbehörde bzw. des zuständigen Gerichtes ab, sondern ist von der Ordnungsbehörde selbst zu treffen. Dabei weist das Disziplinargericht darauf hin, dass es sich hierbei nicht etwa um einen neuerlichen - und weil nicht von den Anschuldigungen der Disziplinarklageschrift umfasst - nicht verwertbaren Pflichtenverstoß handelt (§ 57 Abs. 2 Satz 1 DG LSA), sondern um eine gerichts- und zumindest dem Kläger bekannte Tatsache, die zudem in der mündlichen Verhandlung erörtert wurde. Die Disziplinarkammer begründet mit dem Widerruf der Waffenbesitzkarten keinen neuen, weiteren Pflichtenverstoß, sondern bewertet diese Tatsache zur Untermauerung der angeschuldigten Pflichtenverstöße (vgl. zur Bindungswirkung: Hummel/Köhler/Mayer, BDG, 4. Auflage 2009, § 60 Rz. 12 ff).

45

2.) Zusammenfassend geht das Disziplinargericht davon aus, dass der Beklagte die Verstöße gegen die waffenrechtlichen Bestimmungen einschließlich der Nebengesetzte durchaus vorsätzlich und schuldhaft beging. Denn als Polizeibeamter, Sportschütze und Waffensammler muss der Beamte einfach erkannt haben, um welche Art von Waffen und Munition es sich bei seinen Sammlerstücken handelt und wie mit diesen potenziell gefährlichen Gegenständen umzugehen ist. Der Beamte ist an der Waffe und im Umgang mit Munition ausgebildet und muss um die Gefährlichkeit derartiger Gegenstände wissen. Diesbezüglich kann er seinen Vorsatz bei der Nichtbeachtung der entsprechenden Sicherheitsbestimmungen beim Erwerb, Besitz, Umgang und der Aufbewahrung nicht in Abrede stellen. Durch die unsachgemäße Lagerung und Aufbewahrung hat der Beamte die waffenrechtlichen und damit die disziplinarrechtlichen Verstöße bewusst in Kauf genommen. Im Übrigen ist festzustellen, dass wegen der besonderen Gefährlichkeit der Gegenstände schon ein diesbezüglich einmaliger Verstoß ausreichend ist (vgl.: VG Aachen, Beschluss v. 25.08.2011, 6 L 8/11; juris).

46

3.) Vorliegend ist der Pflichtenverstoß nach § 34 Satz 3 BeamtStG, nämlich der Verstoß gegen die Wohlverhaltenspflicht als außerdienstliches Fehlverhalten einzustufen. Denn die Handlungen sind nicht im Dienst oder in Ansehung des Dienstes geschehen (vgl. zur Abgrenzung: VG Magdeburg, Beschluss v. 24.01.2013, 8 B 23/12; VG Magdeburg, Urteil v. 29.01.2013, 8 A 22/12; beide juris). Demnach müssen die besonderen qualifizierenden Voraussetzungen des § 47 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG gegeben sein. Das Verhalten des Beamten muss nach den Umständen des Einzelfalls in besonderem Maße geeignet sein, das Vertrauen in einer für das Amt bedeutsamen Weise zu beeinträchtigen (ähnlich § 77 Abs. 1 Satz 2 BBG). Das Merkmal „in besonderem Maße“ bezieht sich auf die Eignung zur Achtungs- und Vertrauensbeeinträchtigung und ist nur erfüllt, wenn das Verhalten des Beamten in quantitativer oder qualitativer Hinsicht über das über eine jede Eignung vorausgesetzte Mindestmaß an Wahrscheinlichkeit einer Beeinträchtigung hinausgeht. Ist eine derart qualifizierte Möglichkeit der Beeinträchtigung gegeben, kommt es weiterhin darauf an, ob diese Beeinträchtigung bedeutsam wäre. Das Merkmal „in bedeutsamer Weise“ bezieht sich auf den „Erfolg“ der möglichen Achtungs- und Vertrauensbeeinträchtigung. Die zur Beeinträchtigung in besonderem Maße geeignete Pflichtenverletzung weist Bedeutsamkeit auf, wenn sie in qualitativer oder quantitativer Hinsicht das einer jeden außerdienstlichen Pflichtverletzung innewohnende Maß an disziplinarrechtlicher Relevanz deutlich überschreitet (vgl. zum Ganzen: BVerwG, Urt. v. 08.05.2001, 1 D 20.00; juris). Die Beeinträchtigung der Achtung und des Vertrauens muss sich entweder auf das Amt des Beamten im konkret-funktionellen Sinne (Dienstposten), d. h. auf die Erfüllung der dem Beamten konkret obliegenden Dienstpflichten oder auf das Ansehen des Berufsbeamtentums als Sachwalter einer stabilen und gesetzestreuen Verwaltung beziehen (vgl. zum Ganzen: BVerwG, Urt. v. 30.08.2000, 1 D 37.99; Urt. v. 12.12.2001, 1 D 4.01; Urt. v. 25.08.2009, 1 D 1.08; Urt. v. 19.08.2010, 2 C 13.10; Urt. v. 28.07.2011, 2 C 16.10; alle juris).

47

Mit der Neuregelung der tatbestandlichen Voraussetzungen des außerdienstlichen Dienstvergehens wollte der Gesetzgeber den Wandel der gesellschaftlichen Anschauungen über die Stellung der Beamten Rechnung tragen. Demnach werden Beamte nicht mehr als Vorbild in allen Lebenslagen angesehen, die besonderen Anforderungen an Moral und Anstand unterliegen (BVerwG, U. v. 30.08.2000, 1 D 37.99; juris). In Reaktion auf diese Rechtsprechung erwähnt § 47 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG den Ansehensverlust nicht mehr. In der Gesetzesbegründung wird hervorgehoben, dass die vorkonstitutionelle Auffassung, Beamte seien „immer im Dienst“, in dieser Allgemeinheit nicht mehr gelte. Es gehe allein um das Vertrauen in eine objektive, rechtmäßige und effiziente Aufgabenerfüllung (vgl. BVerwG, U. v. 25.08.2009, 1 D 1.08 m. V. BT-Drs. 16/4027, S. 34 zu § 48 des Entwurfs; juris). Das Berufsbeamtentum soll eine stabile gesetzestreue Verwaltung sichern, die freiheitlich demokratische Rechtsordnung verteidigen und durch Unabhängigkeit und Unparteilichkeit einen ausgleichenden Faktor gegenüber den das Staatsleben gestaltenden politischen Kräften darstellen. Das Vertrauen, dass der Beamte diesem Auftrag gerecht wird und dessen er zur Erfüllung seiner Aufgabe bedarf, darf der Beamte durch sein Verhalten nicht beeinträchtigen (BVerwG, U. v. 30.08.2000, 1 D 37.99; juris).

48

Der somit zu fordernde Dienstbezug ist gegeben, wenn das außerdienstliche Verhalten Rückschlüsse auf die Dienstausübung in dem Amt im konkret-funktionellen Sinn zulässt oder den Beamten in der Dienstausübung beeinträchtigt. Diese Voraussetzungen des Dienstbezuges, also der Disziplinarwürdigkeit des Verstoßes gegen die Wohlverhaltenspflicht ist zur Überzeugung der Disziplinarkammer gegeben. Denn wie die Disziplinarklage zu Recht ausführt, wird von einem Polizeibeamten und damit einem Waffenträger auch außerhalb des Dienstes und damit als Privatperson erwartet, dass er auch ordnungsgemäß und sicher gerade mit Schusswaffen umgeht. Das Tragen sowie der Umgang mit einer Waffe sind untrennbar mit dem Berufsbild des Polizeibeamten verbunden. Dabei schließt die Liebhaberei an der Waffe als Sammlerobjekt diese Voraussetzungen nicht aus, sondern setzt sie gerade voraus. Als ausgebildeter und geschulter Polizeibeamter, Sportschütze und eben Waffensammler muss der Beklagte den sicheren und ordnungsgemäßen Umgang mit diesen potenziell gefährlichen Gegenständen im Dienst wie auch außerdienstlich wahren. Dies auch und gerade deshalb, weil nicht auszuschließen ist, dass auch andere in seinem Haushalt lebende Personen (Kinder) den Zugang zu den Waffen hatten. An dieser Stelle sei daran erinnert, dass jüngst der Vater des Attentäters von Winningen wegen fahrlässiger Tötung zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt worden ist. Er hatte die Waffe unverschlossen aufbewahrt und sie somit seinem Sohn, dem Attentäter zugänglich gemacht. Darüber hinaus wären die Waffen z. B. bei einem Einbruch für andere zugänglich. Ebenso ist nicht auszuschließen, dass sich die Waffenleidenschaft des Beklagten sowie sein laxer Umgang mit den Waffen herumspricht und gerade dies Begehrlichkeiten bei potentiellen Tätern weckt. Dass dieser unsachgemäße Umgang mit Waffen und Munition bei einem Polizeibeamten als beruflicher Waffenträger nicht hinnehmbar ist, liegt auf der Hand. Ein solcher Umgang mit Waffen und Munition indiziert bei einem Polizeibeamten einen Persönlichkeitsmangel. Ein solcher Polizeibeamter offenbart auch im dienstlichen Bereich ein Fehlverhalten im laxen Umgang mit Waffen und Munition sowie sonstigen gefährlichen Gegenständen. Es ist somit nicht auszuschließen, dass der Beamte etwa auch im Umgang mit seiner Dienstwaffe die erforderliche Sorgfalt nicht beachtet und leichtfertig mit dieser umgeht. Mit anderen Worten: Er hat den Respekt vor der Waffe verloren.

49

4.) Hinsichtlich der auszusprechenden Disziplinarmaßnahme ist die Schwere des Dienstvergehens unter angemessener Berücksichtigung der Persönlichkeit des Beamten richtungsweisend (vgl. § 13 DG LSA). Die Schwere beurteilt sich nach objektiven Handlungsmerkmalen wie Eigenart und Bedeutung der Dienstpflichtverletzungen, den besonderen Umständen der Tatbegehung sowie Häufigkeit und Dauer eines wiederholten Fehlverhaltens, nach subjektiven Handlungsmerkmalen wie Form und Gewicht des Verschuldens des Beamten, den Beweggründen für sein Verhalten sowie nach den unmittelbaren Folgen für den dienstlichen Bereich und für Dritte. Davon ausgehend kommt es darauf an, ob Erkenntnisse zum Persönlichkeitsbild und zum Umfang der Vertrauensbeeinträchtigung im Einzelfall derart ins Gewicht fallen, dass eine andere als die durch die Schwere des Dienstvergehens indizierte Maßnahme geboten ist. Eine vollständige und richtige Gesamtwürdigung setzt voraus, dass die Disziplinarkammer die im Einzelfall bemessungsrelevanten, d. h. die für die Schwere des Dienstvergehens und das Persönlichkeitsbild bedeutsamen Tatsachen ermittelt und mit dem ihnen zukommenden Gewicht in die Gesamtbewertung einbezieht. Dies entspricht dem Zweck der Disziplinarbefugnis des Disziplinargerichts als einem Mittel der Funktionssicherheit des öffentlichen Dienstes. Dabei findet der Grundsatz „in dubio pro reo“ Anwendung. Die Disziplinargerichte dürfen nur solche belastenden Tatsachen in die Gesamtwürdigung einstellen, die zur Überzeugung des Gerichts feststehen. Demgegenüber müssen entlastende (mildernde) Umstände schon dann zu Gunsten des Beamten berücksichtigt werden, wenn hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für ihr Vorliegen gegeben sind und eine weitere Sachverhaltsaufklärung nicht möglich ist (vgl. nur: VG Magdeburg, Urteil v. 29.11.2012, 8 A 12/11 und Urteil v. 27.10.2011, 8 A 2/11 mit Verweis auf BVerwG, U. v. 27.01.2011, 2 A 5.09; jüngst BVerwG, Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11/10, OVG Lüneburg, Urteil v. 14.11.2012, 19 LD 4/11; zuletzt: VG Magdeburg, Urteil v. 29.01.2013, 8 A 5/11; alle juris).

50

Ein endgültiger Verlust des Vertrauens des Dienstherrn oder der Allgemeinheit im Sinne von § 13 Abs. 2 Satz 1 DG LSA ist anzunehmen, wenn aufgrund der prognostischen Gesamtwürdigung auf der Grundlage aller im Einzelfall bedeutsamen be- und entlastenden Gesichtspunkte der Schluss gezogen werden muss, der Beamte werde auch künftig in erheblicher Weise gegen seine Dienstpflichten verstoßen oder die durch sein Fehlverhalten herbeigeführte Schädigung des Ansehens des Berufsbeamtentums sei bei einer Fortsetzung des Beamtenverhältnisses nicht wiedergutzumachen. Unter diesen Voraussetzungen muss das Beamtenverhältnis im Interesse der Leistungsfähigkeit des öffentlichen Dienstes und der Integrität des Berufsbeamtentums beendet werden (BVerwG, Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11.10 mit Verweis auf Urteile v. 20.10.2005, 2 C 12.04, v. 03.05.2007, 2 C 9.06 und v. 29.05.2008, 2 C 59.07; alle juris).

51

a.) Eine vom Bundesverwaltungsgericht herausgearbeitete sogenannte Regeleinstufung (vgl. dazu nur: BVerwG, Beschluss v. 03.05.2007, 2 C 9.06; juris) trägt wegen der Bandbreite der außerdienstlichen Verfehlung vorliegend nicht. Daher stellt das Bundesverwaltungsgericht neuerdings auf den gesetzlichen Strafrahmen des Strafgesetzbuches ab. Denn durch die Strafandrohung bringt der Gesetzgeber seine Einschätzung zum Unwert eines Verhaltens verbindlich zum Ausdruck. Das Ausmaß der Ansehensschädigung, die durch eine außerdienstlich begangene Straftat hervorgerufen wird, wird maßgeblich durch seinen Strafrahmen bestimmt (vgl. nur: Beschluss v. 26.06.2012, 2 B 28.12, Beschluss v. 14.05.2012, 2 B 146.11; Urteile v. 19.08.2010, 2 C 5.10 und 2 c. 13.10; alle juris). Vorliegend bewegt sich der Strafrahmen bezüglich der dem Beklagten zur Last gelegten Verstöße gegen das Waffengesetz um die drei Jahre Freiheitsstrafe (vgl. § 52 a WaffG). Bereits bei einer Strafandrohung von bis zu zwei Jahren Freiheitsstrafe schließt das Bundesverwaltungsgericht bei einem Bezug zu den dienstlichen Aufgaben des Beamten die Höchstmaßnahme nicht aus.

52

b.) Das begangene Dienstvergehen erreicht wegen der Verstöße gegen das Waffengesetz und der dadurch bedingten Vertrauensbeeinträchtigung eine Intensität, die die Ahndung mit einer gehörigen Disziplinarmaßnahme mit Außenwirkung, also im oberen Bereich der gestuften Disziplinarmaßnahmen erforderlich macht. Das Disziplinargericht lässt keinen Zweifel daran, dass auch der Ausspruch der Höchstmaßnahme, also die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis durchaus möglich erscheint. Dies auch deswegen, weil der Beamte disziplinarrechtlich mit der inhaltlichen Höchstmaßnahme der Gehaltskürzung vorbelastet ist. Dem lag auch ein Verstoß gegen die (außerdienstliche) Wohlverhaltenspflicht zugrunde. Die dem Beamten dadurch eröffnete Chance, seiner (außerdienstlichen) Wohlverhaltenspflicht gerecht zu werden, hat er nicht gewahrt. Schließlich belastet auch die Tatsache des Widerrufs der Waffenbesitzkarte das Persönlichkeitsbild des Beamten und die an § 13 DG LSA zu orientierende Prognoseentscheidung. Dies bewegte auch die Einleitungsbehörde dazu, den gerichtlichen Antrag nicht mehr „nur“ auf die Disziplinarmaßnahme der Zurückstufung zu beschränken, sondern auf die erforderliche Maßnahme zu erkennen.

53

Gleichwohl kann zur Überzeugung des Disziplinargerichts, in dessen Händen die Disziplinargewalt liegt (§ 57 Abs. 2 Satz 2 DG LSA), die endgültige Zerstörung des Vertrauensverhältnisses zwischen dem Dienstherrn aber auch der Allgemeinheit zu dem Beamten (noch) nicht festgestellt werden, so dass von der Disziplinarmaßnahme der Zurückstufung (§ 9 DG LSA) auszugehen ist. Insoweit sind auch die guten dienstlichen Leistungen des Beklagten zu berücksichtigen, welche ihm auch in Ansehung des Disziplinarverfahrens noch bestätigt wurden. So bescheinigte der unmittelbare Vorgesetzte EPHK Schmidt dem Beklagten unter dem 07.06.2011 (Bl. 45 Beiakte A) „sehr engagiertes Arbeiten und Auftreten“ in „stets sehr hohe Qualität und allumfassend“ bei „initiativreichen und selbständigen arbeiten“. Sein „Verhalten zu Vorgesetzten und Mitarbeitern ist tadellos“ bei „besonderer Hingabe zum Dienst“ und einer “überdurchschnittlichen Auffassungsgabe“. Weiter ist dem Disziplinargericht nicht verwehrt, auch die straf- und ordnungsrechtliche Einstufung der entsprechenden Behörden hinsichtlich der Verstöße zu berücksichtigen, auch wenn diese nicht geteilt werden.

54

In einem ähnlichen Fall ist das Verwaltungsgericht München, allerdings bei einer strafrechtlichen Verurteilung wegen des Besitzes eines Sturmgewehrs AK 47 sowie der passenden Munition in einem Umfang von 1.100 Schuss von der grundsätzlichen Notwendigkeit der Degradierung ausgegangen und hat diese auf die Disziplinarmaßnahme der Gehaltskürzung abgemildert (VG München, Urt. v. 16.04.2007, M 19 D 06.2693; juris). Denn der Beamte habe in erheblichem Maße bei der Aufklärung der Straftat mitgewirkt und es sei eine positive Persönlichkeitsprognose zu sehen. Derartige - weitere - Milderungsgründe oder Besonderheiten des Einzelfalls, die nach der disziplinarrechtlichen Rechtsprechung (vgl. ausführlich nur: VG Magdeburg, Urteil v. 29.01.2013, 8 A 5/11, m. w. Nachw.; juris) gebildet wurden um von der aufgrund der Schwere des Dienstvergehens auszugehenden Höchstmaßnahme Abstand zu nehmen, sieht die Disziplinarkammer bei der von ihr vorliegend grundsätzlich anzunehmenden Degradierung nicht. Ausweislich seines Vorbringens bereut der Beamte zwar die ihm vorgehaltenen Verstöße, ist aber zugleich bemüht, diese herunter zu spielen und abzuwerten. Es habe sich immer nur um Einzelfälle und „Ausrutscher“ gehandelt. Dass dies wenig entschuldigt, ergibt sich auch aus den Gründen des rechtskräftigen Urteils der 1. Kammer des Verwaltungsgerichts A-Stadt vom 24.09.2012 hinsichtlich des Widerrufs der Waffenbesitzkarten.

55

Demnach stellt sich die ausgesprochene Disziplinarmaßnahme der Zurückstufung nach § 9 DG LSA - um eine Stufe - zur Ahndung der Pflichtenverstöße unter Beachtung der nach § 13 DG LSA anzustellenden Prognoseentscheidung als verhältnismäßig und insbesondere angemessen dar.

56

5.) Die Kostenentscheidung folgt aus § 72 Abs. 1 Satz 1 DG LSA. Das Verfahren ist gem. § 73 Abs. 1 Satz 1 gebührenfrei.


Tatbestand

1

Die Klägerin führte die Disziplinarklage gegen den beklagten Polizeivollzugsbeamten im Rang eines Polizeimeisters (Besoldungsgruppe A 7 BBesO) mit dem Ziel seiner Entfernung aus dem Dienst.

2

Der 1968 in S. geborene Beamte besuchte von 1975 – 1985 die Polytechnische Oberschule und absolvierte anschließend eine zweijährige Berufsausbildung zum Facharbeiter für Schweißtechnik. In den Jahren 1988 bis 1989 leistete er seinen Wehrdienst bei der Nationalen Volksarmee und trat am 01.11.1989 in ein Dienstverhältnis bei der Volkspolizei ein. Am 01.01.1991 wurde er in den Dienst des Landes Sachsen-Anhalt übernommen und mit Wirkung vom 17.07.1991 unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Probe zum Polizeihauptmeister z. A. ernannt. Die Lebenszeiternennung erfolgt am 24.09.1995. Der Beamte war sodann auf Dienstposten als Sachbearbeiter tätig. Zum 01.03.2012 wurde der Beamte an die Landesbereitschaftspolizei zur Verwendung der Objektschutzwache abgeordnet.

3

Die letzte dem Beamten erstellte dienstliche Beurteilung aus dem Jahre 2012 schließt innerhalb der Leistungsbeurteilung mit der Gesamtbewertung „E“ (entspricht den Leistungsanforderungen im Wesentlichen) und in der Befähigungsbeurteilung mit der Gesamtbewertung „D“ (wenig befähigt).

4

Bis zu den hier einschlägigen Geschehnissen ist der Beklagte weder straf- noch disziplinarrechtlich vorbelastet.

5

Aus den Gründen der Disziplinarklage sowie weiterer disziplinarrechtlicher Vorgänge wurde der Beklagte mit Verfügung vom 11.01.2010 gemäß § 38 Abs. 1 Disziplinargesetz Sachsen-Anhalt (DG LSA) vorläufig des Dienstes enthoben und durch weitere Verfügung im April 2010 mit einer Kürzung seiner Dienstbezüge um 40 % belegt. Mit Verfügung vom 07.02.2012 wurden die vorläufige Dienstenthebung und die Kürzung der Dienstbezüge aufgehoben.

6

Mit rechtskräftigem Strafbefehl des Amtsgerichts A. (17 Cs 227 Js 7305/10) vom 31.05.2010 wurde der Beklagte wegen Entziehung elektrischer Energie zu einer Geldstrafe von 70 Tagessätzen zu je 40,00 Euro verurteilt. Der Strafbefehl führt zum Tatgeschehen aus:

7

„In der Zeit vom 10.05.2006 bis 13.10.2009 manipulierten Sie an der Steigleitung zum Stromzähler des Wohnhauses in der B-Straße in B-Stadt, um unberechtigt vom Stromanbieter E.O.N./Avacon GmbH Strom zu nutzen und dieses in der Tatzeit auch taten. Sie verbrauchten Strom zu einem Betrag von insgesamt 3.484,08 Euro.“

8

Mit der Disziplinarklage vom 26.02.2013 (Eingang: 05.03.2013) wird der Beamte angeschuldigt, ein Dienstvergehen nach § 47 Abs. 1 Beamtenstatusgesetz (BeamtStG) begangen zu haben, indem er

9

1. unberechtigte Datenabfragen im WARSA und Weitergabe der Daten an Dritte

10

sowie

11

2. Entziehung elektrischer Energie

12

vorgenommen und damit vorsätzlich und schuldhaft gegen seine Dienstpflichten verstoßen habe.

13

Zum Pflichtenverstoß nach Nr. 1 führt die Disziplinarklage aus: Der Beklagte habe aus dem polizeilichen Informationssystem WARSA unberechtigte Datenabfragen vorgenommen und die daraus erlangten Informationen an Dritte weitergegeben. Die Dialogselektion unter dem IVOPOL LOGIN „     “ (     ) habe eine Vielzahl von Abfragen im Recherchesystem WARSA in den Jahren 2008/2009 festgestellt. Der Beklagte habe bei Feierlichkeiten damit geprahlt, dass er alles rausbekommen würde, was gegen einzelne Personen polizeilich laufe. Bezüglich der Zeugin Diana B. (nicht verwandt und nicht verschwägert mit dem Beklagten) habe der Beklagte in über 91 Fällen eine derartige Abfrage getätigt und der Zeugin mitgeteilt, dass auf sie wegen Geldschulden ein Strafverfahren zukomme. Der Beklagte habe ebenso den Zeugen M. H. im WARSA überprüft. Die Erkenntnisse darüber seien der Zeugin I. von der Ehefrau des Beklagten mitgeteilt worden. Am 04.05. und 05.05.2009 habe der Beklagte im WARSA nach Herrn R. S. (Schwager des Beklagten) recherchiert und habe neun Treffer im IVOPOL erzielt. Die Zeugin I. habe erklärt, dass D. S. (Tochter des R. S.) die in der Wohnung des Beklagten gewohnt habe, geäußert habe, dass der Beklagte interne Details bezüglich der Trunkenheitsfahrt des Herrn S. preisgegeben habe. Zudem habe der Beklagte ein Bild des D. S. (Sohn von R. S.), das über ihn aufgrund erkennungsdienstlicher Maßnahmen angefertigt worden sei, aus den polizeilichen Datensätzen auf sein Handy geladen. Dieses Foto habe der Beklagte der Zeugin I. mit der Bemerkung gezeigt, dass es sich dabei um ein Fahndungsfoto handele. Am 28.09.2008 habe der Beklagte bezüglich des D. S. 31 Treffer im IVOPOL, einen Treffer im Ditralis, einen Treffer im Inpol und 64 Treffer in Journalen erzielt.

14

Das diesbezügliche strafrechtliche Ermittlungsverfahren wurde am 06.09.2010 gemäß § 154 Abs. 1 StPO vorläufig eingestellt, weil gegen den Beamten weitere strafrechtliche Verfahren anhängig waren.

15

Trotz Einstellung der strafrechtlichen Ermittlungen sei von einem disziplinarrechtlichen Überhang auszugehen. Die Vielzahl der Datenabfragen aus den polizeilichen Informationssystemen seien ohne dienstlichen Anlass vorgenommen und unberechtigt an Dritte weitergegeben worden. Damit habe der Beamte gegen seine beamtenrechtliche Verschwiegenheitspflicht nach § 37 BeamtStG verstoßen. Dies sei auch unter Verstoß gegen datenschutzrechtliche Belange geschehen. Damit habe der Beamte gegen seine ihm obliegende Pflicht zur Weisungsgebundenheit (§ 35 Satz 2 BeamtStG) und zu einem achtungs- und vertrauenswürdigen Verhalten innerhalb des Dienstes (§ 34 Satz 3 BeamtStG) verstoßen.

16

Das Gebot der Amtsverschwiegenheit gehöre zu den elementaren Pflichten eines (Polizei-)beamten. Sowohl der Dienstherr als auch die Allgemeinheit müssten darauf vertrauen können, dass die in polizeilichen Informationssystemen gespeicherten personenbezogenen Daten nicht ohne Rechtsgrund erhoben und unbefugt offenbart werden würden. Ein Verstoß dagegen, beinhalte regelmäßig einen schweren Treuebruch. Der Beklagte habe allein zur Befriedigung seiner eigenen Bedürfnisse die Daten erhoben, um mit dem dienstlich erlangten Wissen innerhalb seiner Verwandtschaft und Bekanntschaft zu prahlen. Damit habe sich der Beklagte in hohem Maße als unzuverlässig erwiesen.

17

Zu 2. führt die Disziplinarklage aus: Dem Strafbefehl des Amtsgerichts A. vom 31.05.2010 sei vorausgegangen, dass bei dem Beklagten am 13.10.2009 eine Hausdurchsuchung im Zusammenhang mit den dem Beklagten gegenüber erhobenen Vorwürfen des sexuellen Missbrauchs von Kindern und des sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen durchgeführt worden sei. Dabei sei festgestellt worden, dass elektrische Endgeräte im Betrieb gewesen seien, die Zählerscheibe des Stromzählers sich jedoch nicht gedreht habe. Ein Mitarbeiter des Stromversorgers habe sodann die Manipulation der Steigleitung festgestellt. Der Beklagte habe eingeräumt, den Strom genutzt zu haben, um seine finanzielle Situation zu verbessern.

18

Die tatbestandlichen Feststellungen im rechtskräftigen Strafbefehl seien zwar disziplinarrechtlich nicht bindend, könnten jedoch ohne nochmalige Prüfung dem Disziplinarverfahren zugrunde gelegt werden (§ 23 Abs. 1 DG LSA). Dabei handele es sich um ein außerdienstliches Dienstvergehen im Sinne des § 34 Satz 3 i. V. m. § 47 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG. Das außerdienstliche Fehlverhalten weise einen unmittelbaren Bezug zu dem konkret-funktionalen Amt des Beklagten als Polizeivollzugsbeamter auf. Polizeivollzugsbeamte seien als Teil der staatlichen Gewalt der Rechtsordnung in besonderem Maße verpflichtet und müssten entsprechend ihres gesetzlichen Auftrages handeln. Gerade die Öffentlichkeit erwarte, dass ein Polizeibeamter sich als Träger öffentlicher Gewalt ehrlich, zuverlässig und rechtstreu verhalte. Das Verhalten des Beklagten sei daher in besonderem Maße geeignet, das Vertrauen in einer für das Amt des Beklagten bedeutsamen Weise zu beeinträchtigen.

19

Bei der Gesamtschau der begangenen Dienstpflichtverletzungen im Sinne eines einheitlichen Dienstvergehens seien gravierende Persönlichkeitsmängel des Beamten offensichtlich. Der Beklagte setze sich völlig bedenkenlos über Strafgesetze und Dienstvorschriften hinweg. Charakterlich sei er von Labilität und Gleichgültigkeit geprägt. Es handele sich um ein schweres Dienstvergehen. Das Vertrauen des Dienstherrn und der Allgemeinheit sei endgültig verloren. Dabei komme der vom Beklagten begangenen vermögensschädigenden Straftat der Entziehung elektrischer Energie disziplinarrechtlich ein besonders schweres Gewicht zu. Die Straftat sei über einen sehr langen Zeitraum von fast 3 ½ Jahren begangen worden. Hinzu komme, dass die Straftat erst im Rahmen der beim Beklagten durchgeführten Hausdurchsuchung aufgedeckt worden sei, so dass der Beklagte bei Nichtaufdeckung weiterhin rechtswidrig elektrische Energie entzogen hätte. Zudem habe eine permanente Gefahr für den Ausbruch eines gefährlichen Brandes durch Überlastung der Abzweigleitung und damit insbesondere eine Gefahr für Leib und Leben der in dem Wohnhaus des Beklagten lebenden oder sich darin aufhaltenden Personen bestanden.

20

Der Strafrahmen für den Straftatbestand der Entziehung elektrischer Energie nach § 248 c Abs. 1 StGB betrage bis zu 5 Jahren Freiheitsstrafe. Demnach stünde nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bei einem derartigen Strafrahmen der Ausspruch der disziplinaren Höchstmaßnahme zur Verfügung.

21

Milderungs- und Entlastungsgründe seien nicht ersichtlich. Der Beklagte habe sich diesbezüglich weder im Straf- noch Disziplinarverfahren eingelassen. Eine Augenblickstat oder Kurzschlusshandlung sei auszuschließen. Anhaltspunkte für eine unverschuldete unausweichliche finanzielle Notlage seien nicht gegeben. Trotz aufgelaufener Stromkostenrückstände sei eine existenzielle Notlage nicht ersichtlich. Von der Möglichkeit der Vereinbarung von Ratenzahlungen oder sonstiger Hilfsangebote habe der Beklagte offenbar keinen Gebrauch gemacht. Die sogenannte Geringfügigkeitsschwelle sei bei einem Schaden in Höhe von 3.484,08 Euro um ein Vielfaches überschritten.

22

Die Klägerin beantragt,

23

den Beamten aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen.

24

Der Beklagte beantragt,

25

auf eine mildere Maßnahme zu erkennen.

26

Nachdem er sich weder im Straf- noch im behördlichen und gerichtlichen Disziplinarverfahren eingelassen hat, erklärte er sich erstmals in der mündlichen Verhandlung vor dem Disziplinargericht. Die Datenabfragen habe er vorgenommen, um zu wissen, „wer in seinem Haus verkehre“. Der Entzug elektrischer Energie habe sich ergeben, weil er nach der Stromsperre beim „aufräumen eine stromführende Leitung gefunden habe“. Trotz dessen er den Strafbefehl akzeptiert habe, sei unklar, wer die Leitung „angezapft“ habe.

27

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungs- und Ermittlungsvorgänge verwiesen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung.

Entscheidungsgründe

28

Die zulässige Disziplinarklage ist begründet.

29

Der Beklagte hat ein schwerwiegendes Dienstvergehen gemäß § 47 Abs. 1 BeamtStG begangen, welches die Disziplinarmaßnahme der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis (§ 10 DG LSA) nach sich zieht.

30

Beamte begehen ein Dienstvergehen, wenn sie schuldhaft die ihnen obliegenden Pflichten verletzen (§ 47 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG). Ein Verhalten außerhalb des Dienstes ist nur dann ein Dienstvergehen, wenn es nach den Umständen des Einzelfalls in besonderem Maße geeignet ist, das Vertrauen in einer für ihr Amt bedeutsamen Weise zu beeinträchtigen (§ 47 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG). Diese Voraussetzungen liegen vor. Die Disziplinarkammer ist davon überzeugt, dass der Beklagte die ihm in der Disziplinarklage vorgeworfenen Pflichtenverstöße begangen hat.

31

1.) Der disziplinarrechtlich zu bewertende Sachverhalt, welcher zur Verurteilung wegen der Entziehung elektrischer Energie nach § 248 c StGB führte, ergibt sich aus dem Tatbestand des rechtskräftigen Strafbefehls des Amtsgerichts A. vom 31.05.2010. Zwar tritt - anders als bei Urteilen - insoweit keine tatbestandliche Bindungswirkung nach §§ 54 Abs. 1, 23 Abs. 1 DG LSA ein. Jedoch können diese Feststellungen ohne nochmalige Prüfung dem Disziplinarverfahren zugrunde gelegt werden (§§ 54 Abs. 2, 23 Abs. 2 DG LSA). Denn Zweifel an der Richtigkeit der dort getroffenen Feststellungen bestehen nicht und werden vom Beklagten auch nicht vorgetragen. Soweit der Beklage in der mündlichen Verhandlung vor dem Disziplinargericht erstmals und unsubstantiiert erklärt, es sei unklar, wer die Leitung „angezapft“ habe, glaubt ihm dies das Disziplinargericht nicht. Denn damit setzt er sich bereits in Widerspruch dazu, dass er die stromführende Leitung gefunden habe. Zudem hat jedenfalls er unzweifelhaft den Strom und diesen wegen der Sperrung seiner Kundenanlage und Nichtveranlagung zu einem Entgelt in Kenntnis der Manipulation genutzt.

32

2.) Ebenso ist die Disziplinarkammer davon überzeugt, dass der Beamte die ihm vorgeworfenen unberechtigten Datenabfragen in polizeilichen Informationssystemen vorgenommen und diese an Dritte unbefugt weitergegeben hat. Dies ergibt sich aus den in den Ermittlungsvorgängen befindlichen Unterlagen sowie aus den Zeugenaussagen. Der Beklagte bestreitet die Abfragen auch nicht. Daran ändert die Einstellung der strafrechtlichen Ermittlungen durch die Staatsanwaltschaft A-Stadt gemäß 154 Abs. 1 StPO nichts. Denn diese Einstellung ist im Zusammenhang mit den weiteren damaligen Anschuldigungen zu sehen.

33

3.) Der unter Nr. 1 der Disziplinarklage vorgehaltene Pflichtenverstoß (Datenabfrage und Weitergabe) ist als dienstliches und der unter Nr. 2 der Disziplinarklage vorgehaltene Straftatbestand der Entziehung elektrischer Energie ist als außerdienstliches Fehlverhalten einzustufen (vgl. zur Abgrenzung: VG Magdeburg, B. v. 24.01.2013, 8 B 23/12 MD; VG Magdeburg, U. v. 29.01.2013, 8 A 22/12 MD; beide juris).

34

a.) Bei einem außerdienstlichen Fehlverhalten müssen die besonderen qualifizierenden Voraussetzungen des § 47 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG gegeben sein, um von einer Disziplinarwürdigkeit auszugehen. Dabei muss die Frage der Disziplinarwürdigkeit eines außerdienstlichen Verhaltens von der eigentlichen Zumessensentscheidung nach Maßgabe des § 13 DG LSA getrennt beurteilt werden. Das Verhalten des Beamten muss nach den Umständen des Einzelfalls in besonderem Maße geeignet sein, das Vertrauen in einer für das Amt bedeutsamen Weise zu beeinträchtigen. Das Merkmal „in besonderem Maße“ bezieht sich auf die Eignung zur Achtungs- und Vertrauensbeeinträchtigung und ist nur erfüllt, wenn das Verhalten des Beamten in quantitativer oder qualitativer Hinsicht über das über eine jede Eignung vorausgesetzte Mindestmaß an Wahrscheinlichkeit einer Beeinträchtigung hinausgeht. Ist eine derart qualifizierte Möglichkeit der Beeinträchtigung gegeben, kommt es weiterhin darauf an, ob diese Beeinträchtigung bedeutsam wäre. Das Merkmal „in bedeutsamer Weise“ bezieht sich auf den „Erfolg“ der möglichen Achtungs- und Vertrauensbeeinträchtigung. Die zur Beeinträchtigung in besonderem Maße geeignete Pflichtenverletzung weist Bedeutsamkeit auf, wenn sie in qualitativer oder quantitativer Hinsicht das einer jeden außerdienstlichen Pflichtverletzung innewohnende Maß an disziplinarrechtlicher Relevanz deutlich überschreitet (vgl. zum Ganzen: BVerwG, Urt. v. 08.05.2001, 1 D 20.00; juris). Die Beeinträchtigung der Achtung und des Vertrauens muss sich entweder auf das Amt des Beamten im konkret-funktionellen Sinne (Dienstposten), d. h. auf die Erfüllung der dem Beamten konkret obliegenden Dienstpflichten oder auf das Ansehen des Berufsbeamtentums als Sachwalter einer stabilen und gesetzestreuen Verwaltung beziehen (vgl. zum Ganzen: BVerwG, Urt. v. 30.08.2000, 1 D 37.99; Urt. v. 12.12.2001, 1 D 4.01; Urt. v. 25.08.2009, 1 D 1.08; Urt. v. 19.08.2010, 2 C 13.10; Urt. v. 28.07.2011, 2 C 16.10; alle juris).

35

Mit der Neuregelung der tatbestandlichen Voraussetzungen des außerdienstlichen Dienstvergehens wollte der Gesetzgeber den Wandel der gesellschaftlichen Anschauungen über die Stellung der Beamten Rechnung tragen. Demnach werden Beamte nicht mehr als Vorbild in allen Lebenslagen angesehen, die besonderen Anforderungen an Moral und Anstand unterliegen (BVerwG, Urt. v. 30.08.2000, 1 D 37.99; juris). In Reaktion auf diese Rechtsprechung erwähnt § 47 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG den Ansehensverlust nicht mehr. Die Vorstellung, dass der Beamte „niemals Privatmann“ sei, sondern auch außerhalb des Dienstes Beamter, der stets auf seine Amtsstellung Rücksicht zu nehmen habe, hat der Gesetzgeber zum Schutz der Privatsphäre des Beamten bewusst aufgegeben. Der Gesetzgeber wollte durch die gesetzliche Regelung zum Ausdruck bringen, dass von einem Beamten außerdienstlich kein wesentlich anderes Sozialverhalten als von jedem Bürger erwartet wird. Die Voraussetzungen für die Annahme eines Dienstvergehens im außerdienstlichen Bereich sollten durch besondere tatbestandliche Merkmale verschärft werden. Dies sollte in erster Linie für eine Vielzahl von Straßenverkehrsdelikten gelten (z. B. Trunkenheit im Verkehr; vgl. Entwurf eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung der Bundesdisziplinarordnung, Schriftlicher Bericht des Innenausschusses des Deutschen Bundestages, BT-Drucksache V/1693, zu Art. 2 § 2 Seite 10; BVerwG, Urt. v. 30.08.2000, 1 D 37.99; Urt. v. 25.03.2010, 2 C 83.08; Urt. v. 19.08.2010, 2 C 5.10 und 13.10; juris). In der Gesetzesbegründung wird hervorgehoben, dass die vorkonstitutionelle Auffassung, Beamte seien „immer im Dienst“, in dieser Allgemeinheit nicht mehr gelte. Es gehe allein um das Vertrauen in eine objektive, rechtmäßige und effiziente Aufgabenerfüllung (vgl. BVerwG, Urt. v. 25.08.2009, 1 D 1.08 mit Verweis auf BT-Drs. 16/4027, S. 34 zu § 48 des Entwurfs; juris). Das Berufsbeamtentum soll eine stabile gesetzestreue Verwaltung sichern, die freiheitlich demokratische Rechtsordnung verteidigen und durch Unabhängigkeit und Unparteilichkeit einen ausgleichenden Faktor gegenüber den das Staatsleben gestaltenden politischen Kräften darstellen. Das Vertrauen, dass der Beamte diesem Auftrag gerecht wird und dessen er zur Erfüllung seiner Aufgabe bedarf, darf der Beamte durch sein Verhalten nicht beeinträchtigen (BVerwG, Urt. v. 30.08.2000, 1 D 37.99; juris).

36

b.) Der somit zu fordernde Dienstbezug ist gegeben, wenn das außerdienstliche Verhalten Rückschlüsse auf die Dienstausübung in dem Amt im konkret-funktionellen Sinn zulässt oder den Beamten in der Dienstausübung beeinträchtigt (Beeinträchtigung der für die Dienstausübung unabdingbaren Autorität). Während bei Delikten gegen die sexuelle Selbstbestimmung und hier insbesondere bei dem Besitz oder dem Verbreiten kinderpornografischer Dateien ein Dienstbezug bei Lehrern, Pädagogen, Erziehern und auch Polizeivollzugsbeamten im Regelfall angenommen wird (vgl. nur BVerwG, Urt. v. 19.08.2010, 2 C 5.10; B. v. 25.05.2012, 2 B 133.11; VG Magdeburg, Urt. v. 05.06.2013, 8 A 10/12 MD; jüngst VG Wiesbaden bei einem JVA-Bediensteten einer Jugend-JVA, Urt. v. 05.06.2013, 28 K 296/12.WI.D; alle juris) wird dies z. B. bei einem Zollinspektor, welcher im Bereich der Bekämpfung der Schwarzarbeit eingesetzt wird, abgelehnt (BVerwG, Urt. v. 19.08.2010, 2 C 13.10). Die Ausübung der Prostitution hat Dienstbezug bei einer Justizbeamtin (VG Münster, Urteil v. 19.03.2013, 13 K 2930/12.O; juris). Ebenso die außerdienstliche Trunkenheitsfahrt eines Beamten, der auch dienstlich ein Kraftfahrzeug zu führen hat (BVerwG, Urt. v. 30.08.2000, 1 D 37.99; juris). Ähnlich besteht der Dienstbezug bei einem Vermögensdelikt eines Beamten, dem dienstlich die Führung einer Kasse obliegt (BVerwG, Urt. v. 30.08.2000, 1 D 37.99; juris). Das erkennende Disziplinargericht hat bei einem Polizeibeamten hinsichtlich außerdienstlicher Verstöße gegen das Waffen-, Sprengstoff- und Munitionsgesetz sowie das Kriegswaffenkontrollgesetz wegen der dienstlichen Eigenschaft als Waffenträger den Dienstbezug bejaht (VG Magdeburg, Urt. v. 28.02.2013, 8 A 14/11; juris).

37

Diese Voraussetzungen eines Dienstbezuges sieht die Disziplinarkammer bei der Begehung der Straftat der Entziehung elektrischer Energie durch einen Polizeibeamten im Eingangsamt eines Polizeimeisters nicht als gegeben an. Ähnlich das Bundesverwaltungsgericht wenn es ausführt, dass allein der Umstand, dass der Beamte innerhalb der „Finanzkontrolle Schwarzarbeit“ dienstlich mit der Verfolgung und Ahndung von Rechtsverstößen Dritter befasst war, eine außerdienstlich begangene Straftat als solche keinen Dienstbezug begründet. Rückschlüsse aus dem außerdienstlichen Fehlverhalten des Beamten auf seine künftige Amtsführung oder eine Beeinträchtigung dieser, könnten allein daraus nicht gezogen werden (BVerwG, Urt. v. 15.08.2010, 2 C 13.10; juris). Die von der Klägerin in der Disziplinarklage insoweit pauschal vertretene Auffassung, dass von einem Polizeivollzugsbeamten die Einhaltung der Gesetze zwingend verlangt werde, berücksichtigt gerade nicht die Gesetzesänderung, weshalb auch und jedenfalls der unterrangige Polizeivollzugsbeamte nicht Garant für Moral und Anstand ist. Zudem besteht der disziplinarrelevante Pflichtenverstoß - nur - in dem Verstoß gegen die Wohlverhaltenspflicht nach § 34 Satz 3 BeamtStG, welcher durch die Begehung der Straftat indiziert ist. Soweit verlangt wird, dass die Öffentlichkeit erwarte, dass sich ein Polizeibeamter auch als Träger öffentlicher Gewalt ehrlich, zuverlässig und rechtstreu verhält, ist dies zweifellos richtig und wünschenswert. Dies würde dann aber zwangsläufig einen generellen ausnahmslosen Dienstbezug und damit die stetige Disziplinarwürdigkeit jedes außerdienstlichen Fehlverhaltens eines jeden Polizeibeamten, gleich welcher Position und welchen Ranges nach sich ziehen. Für die Beamtengruppe der Polizeivollzugsbeamten würde die in der Gesetzesänderung zum Ausdruck gebrachte notwendige besondere Qualifizierung des außerdienstlichen Verhaltens als Voraussetzung der Disziplinarwürdigkeit vernachlässigt werden.

38

c.) Sind die Voraussetzungen des eng zu verstehenden Dienstbezuges nicht gegeben, ist die außerdienstliche Pflichtverletzung nur disziplinarwürdig, wenn das Ansehen des Berufsbeamtentums als Sachverwalter einer stabilen und gesetzestreuen Verwaltung beeinträchtigt ist.

39

Das Bundesverwaltungsgericht (Urt. v. 30.08.2000, 1 D 37.99; Urt. v. 25.03.2010, 2 C 83.08; beide juris) stellt klar, dass bereits bei erstmaligem außerdienstlichem Fehlverhalten die Eignung zu Beeinträchtigung von Achtung und Vertrauen im Hinblick auf das Ansehen des Beamtentums gegeben sein kann. Dies unter Hinweis auf die gesetzgeberischen Wertungen bei der Begehung einer Straftat zum Nachteil des Staates (§ 41 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BBG) oder der Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr wegen einer vorsätzlich begangenen schwerwiegenden Straftat (vgl. § 41 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BBG). Das Bundesverwaltungsgericht führt in dem Urteil vom 19.08.2010 (2 C 13.10; juris; auch: Beschluss v. 28.06.2012, 2 B 28.12; juris) aus:

40

„Unabhängig von diesen Fallgruppen lässt der Strafrahmen Rückschlüsse auf das Maß der disziplinarrechtlich relevanten Ansehensschädigung zu. Die Disziplinarwürdigkeit eines erstmaligen außerdienstlichen Verhaltens eines Beamten ist regelmäßig anzunehmen, wenn das außerdienstliche Verhalten im Strafgesetzbuch als Vergehen mit einer Freiheitsstrafe im mittleren Bereich belegt ist. Durch die Festlegung des Strafrahmens bringt der Gesetzgeber verbindlich den Unrechtsgehalt eines Deliktes zum Ausdruck. An dieser Wertung hat sich auch die Entscheidung über die Eignung zu Vertrauensbeeinträchtigung zu orientieren, wenn andere Kriterien, wie etwa ein Dienstbezug oder die Verhängung einer Freiheitsstrafe bei einer vorsätzlich begangenen Straftat ausscheiden. Hierdurch wird hinsichtlich der Frage der Disziplinarwürdigkeit außerdienstlichem Verhaltens eine Entscheidung gewährleistet, die an nachvollziehbare Kriterien anknüpft und keine „allgemeine Empörung oder Entrüstung“ darstellt.“

41

Vorliegend ist der Strafrahmen des Straftatbestandes nach § 248 c StGB mit bis zu 5 Jahren belegt und ist damit im oberen und nicht mehr nur im mittleren Bereich, wie dies etwa bei den Fällen des Besitzes kinderpornografischer Schriften einschlägig ist, angesiedelt. Die Disziplinarwürdigkeit des außerdienstlichen Fehlverhaltens ist damit gegeben. Der Beklagte hat durch die Begehung der Straftat vorsätzlich und schuldhaft gegen seine Wohlverhaltenspflicht nach § 34 Satz 3 BeamtStG verstoßen.

42

4.) Mit den unberechtigten Datenabfragen in den polizeilichen Informationssystemen und deren unberechtigte Weitergabe an Dritte hat der Beklagte vorsätzlich und schuldhaft gegen seine Pflicht zur Amtsverschwiegenheit nach § 37 BeamtStG sowie gegen die maßgeblichen datenschutzrechtlichen Vorschriften und dazu ergangenen einschlägigen Verwaltungsvorschriften und Dienstanweisungen verstoßen, was wiederum den Pflichtenverstoß nach § 35 Satz 2 BeamtStG begründet. Diese Dienstpflichtverletzung ist unzweifelhaft dem dienstlichen Bereich zuzurechnen.

43

Nach § 37 Abs. 1 BeamtStG hat der Beamte über die ihn bei seiner amtlichen Tätigkeit bekannt gewordenen Gelegenheiten Verschwiegenheit zu bewahren. Dies gilt nicht für Tatsachen, die offenkundig sind oder ihre Bedeutung nach keiner Geheimhaltung bedürfen (VG Magdeburg, Urt. v. 08.05.2013, 8 A 24/12; juris). Die Pflicht des Beamten zur Amtsverschwiegenheit gehört zu seinen Hauptpflichten und dient sowohl dem öffentlichen Interesse, vor allem dem Schutz der dienstlichen Belange der Behörde, als auch dem Schutz des von Amtshandlungen betroffenen Bürgers.

 

44

5.) Welche Disziplinarmaßnahme im Einzelfall erforderlich ist, richtet sich nach der Schwere des Dienstvergehens, dem Persönlichkeitsbild des Beamten sowie dem Umfang der durch das Dienstvergehen herbeigeführten Vertrauensbeeinträchtigung. Die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis ist regelmäßig dann auszusprechen, wenn der Beamte durch ein schweres Dienstvergehen, das für die weitere dienstliche Tätigkeit notwendige Vertrauensverhältnis zwischen ihm und dem Dienstherrn aber auch der Allgemeinheit endgültig zerstört hat (vgl. nur: BVerwG, Urt. v. 20.10.2005, 2 C 12.04 und Urt. v. 19.08.2010, 2 C 13.10; beide juris).

45

a.) Die Schwere des Dienstvergehens beurteilt sich nach objektiven Handlungsmerkmalen wie Eigenart und Bedeutung der Dienstpflichtverletzung, den besonderen Umständen der Tatbegehung sowie Häufigkeit und Dauer eines wiederholten Fehlverhaltens, nach subjektiven Handlungsmerkmalen wie Form und Gewicht des Verschuldens des Beamten, den Beweggründen für sein Verhalten sowie nach den unmittelbaren Folgen für den dienstlichen Bereich und für Dritte. Davon ausgehend kommt es darauf an, ob Erkenntnisse zum Persönlichkeitsbild und zum Umfang der Vertrauensbeeinträchtigung im Einzelfall derart ins Gewicht fallen, dass eine andere als die durch die Schwere des Dienstvergehens indizierte Maßnahme geboten ist. Eine vollständige und richtige Gesamtwürdigung setzt voraus, dass die Disziplinarkammer die im Einzelfall bemessungsrelevanten, d. h. die für die Schwere des Dienstvergehens und das Persönlichkeitsbild bedeutsamen Tatsachen ermittelt und mit dem ihnen zukommenden Gewicht in die Gesamtbewertung einbezieht. Dies entspricht dem Zweck der Disziplinarbefugnis des Disziplinargerichts als einem Mittel der Funktionssicherheit des öffentlichen Dienstes. Dabei findet der Grundsatz „in dubio pro reo“ Anwendung. Die Disziplinargerichte dürfen nur solche belastenden Tatsachen in die Gesamtwürdigung einstellen, die zur Überzeugung des Gerichts feststehen. Demgegenüber müssen entlastende (mildernde) Umstände schon dann zu Gunsten des Beamten berücksichtigt werden, wenn hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für ihr Vorliegen gegeben sind und eine weitere Sachverhaltsaufklärung nicht möglich ist (vgl. nur: VG Magdeburg, Urt. v. 27.10.2011, 8 A 2/11 mit Verweis auf BVerwG, Urt. v. 27.01.2011, 2 A 5.09; jüngst BVerwG, Urt. v. 29.03.2012, 2 A 11/10, OVG Lüneburg, Urt. v. 14.11.2012, 19 LD 4/11; zuletzt ausführlich; VG Magdeburg, Urt. v. 29.11.2012, 8 A 12/11; alle juris).

46

b.) Setzt sich das (einheitliche) Dienstvergehen (vgl. zur Einheit des Dienstvergehens nur: VG Magdeburg, Urteil v. 04.11.2009, 8 A 19/08 m. w. Nachw.; juris) aus mehreren Dienstpflichtverletzungen zusammen, bestimmt sich die zu verhängende Disziplinarmaßnahme in erster Linie nach der schwersten Verfehlung (BVerwG, Urt. v. 23.02.2005, 1 D 1.04; juris). Vorliegend wiegen beide vorgeworfenen Pflichtverletzungen (gleich) schwer.

47

c.) Grundsätzlich begeht ein Polizeibeamter ein schwerwiegendes Dienstvergehen, wenn er seine Pflicht zur Amtsverschwiegenheit durch Weitergabe von Daten aus dem polizeilichen Informationssystem oder auch aus sonstigen Akten oder Ordnern verletzt. Derartige Pflichtverletzungen können durchaus zur Entfernung aus dem Dienst führen (vgl.: OVG Saarland, Urt. v. 22.02.2006, 7 R 1/05; VG München, Urt. v. 08.12.2006, M 19 DO 63363; VG Meiningen, Urt. v. 16.03.2009, 6 D 60014/06 – ME; VG Berlin, B. v. 20.02.2009, 80 Dn 68.08; Bayerischer VGH, Urt. v. 24.11.2004, 16 a D 03.2668; vgl. insgesamt: VG Magdeburg, Urt. v. 09.03.2010, 8 A 25/09 und Urt. v. 08.05.2013, 8 A 24/12; alle juris).

48

Wegen der großen Spannbreite der Verhaltensweisen hinsichtlich einer derartigen Pflichtverletzung lassen sich allerdings feste Regeln für eine Disziplinarmaßnahme nicht aufstellen. Je nach Bedeutung der vertraulich zu behandelnden amtlichen Vorgänge und dem Grad des Verschuldens kann ein Verstoß gegen die Verschwiegenheitspflicht unterschiedliches Gewicht haben (vgl. zusammenfassend: OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 30.01.2013, 3 A 10771/12; VG Trier. B. v. 14.05.2013, 3 L 388/13.TR; beide juris).

49

In Anwendung dieser Grundsätze fällt zu Lasten des Klägers ins Gewicht, dass er die Daten nicht nur unberechtigt abgefragt, sondern diese Daten auch unbefugten Personen offenbart hat. Die erstmalige Einlassung des Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Disziplinargericht, er habe die Datenabfragen getätigt, um zu wissen, „wer in seinem Hause ein und aus geht“, belegt einerseits die eigennützige, nicht an Recht und Gesetz orientierte Handlungsweise des Beklagten. Andererseits sind z. B. Ermittlungen nicht gefährdet oder auch nur erschwert worden und die Kundgabe hatte keine größere Wirkung auf die Öffentlichkeit, wie dies etwa bei Medienpublikationen der Fall wäre. Das Motiv des Beamten für sein Verhalten dürfte eher im privaten Bereich zu sehen sein, um sich so im Bekannten- und Verwandtenkreis als „Herrscher über die Daten“ Geltung und Anerkennung zu verschaffen. Gleichwohl fällt negativ auf, dass der Beamte auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Disziplinargericht nicht das Unrecht seiner Handlung einsah und stetig nach nicht vorhandenen Rechtfertigungen suchte.

50

d.) Im Bezug auf strafbares außerdienstliches Verhalten betont das Bundesverwaltungsgericht in der neuerlichen Rechtsprechung auch bei der Bewertung der Schwere der Pflichtverletzung die Bedeutung der gesetzlichen Strafandrohung für die Maßnahmebemessung (BVerwG, Urt. v. 25.03.2010, 2 C 83.08, Urt. v. 19.08.2010, 2 C 5.10 und 2 C 13.10, B. v. 21.12.2010, 2 B 29.10, B. v. 26.06.2012, 2 B 28.12; alle juris). Die Anknüpfung an den Strafrahmen gewährleistet eine nachvollziehbare und gleichmäßige disziplinarrechtliche Ahndung von Dienstvergehen. Dabei hat das Bundesverwaltungsgericht bei einem Strafrahmen von bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe bei Fehlen jeglichen Dienstbezuges allenfalls eine Disziplinarmaßnahme im unteren Bereich für angemessen erachtet und bei einem Strafrahmen von bis zu zwei Jahren die Zurückstufung als Orientierungsrahmen angesehen. Kommt ein Dienstbezug hinzu, so kann der Orientierungsrahmen bei einem Strafrahmen bis zu einem Jahr ebenfalls die Zurückstufung, bei einem Strafrahmen bis zu zwei Jahren, sogar die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis sein. Besteht eine wesentlich höhere Strafandrohung - wie hier bis zu fünf Jahren – reicht der disziplinarrechtliche Orientierungsrahmen auch bei Fehlen eines Dienstbezuges – wie vorliegend – bis zur Höchstmaßnahme (BVerwG, B. v. 28.06.2012, 2 B 28.12; juris). Dabei betont das Bundesverwaltungsgericht, dass die Disziplinargerichte ihre eigene Einschätzung des Unwertgehalts eines Delikts nicht an die Stelle der Bewertung des Gesetzgebers setzen dürfen. Das Ausmaß des Ansehensschadens, der durch eine außerdienstlich begangene Straftat hervorgerufen wird, wird maßgeblich durch den Strafrahmen bestimmt (BVerwG, Urt. v. 19.08.2010, 2 C 13.10; juris).

51

Vorliegend ist der Strafrahmen des Straftatbestandes nach § 248 c StGB mit bis zu 5 Jahren belegt und ist damit im oberen und nicht mehr nur im mittleren Bereich, wie dies etwa bei den Fällen des Besitzes kinderpornografischer Schriften einschlägig ist, angesiedelt. Eine im Bereich der Höchstmaßnahme zu ahndende schwere Dienstpflichtverletzung liegt somit vor.

52

6.) Der so zu bestimmende Orientierungsrahmen für die Bemessung der Disziplinarmaßnahme entbindet die Disziplinargerichte jedenfalls nicht davon, die Umstände des Einzelfalls ausreichend zu würdigen (BVerwG, Urt. v. 25.03.2010, 2 C 83.08; juris). Für die Zumessungsentscheidung müssen die in § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 DG LSA genannten Bemessungskriterien mit dem ihnen zukommenden Gewicht ermittelt und eingestellt werden. Dieses Erfordernis beruht auf dem im Disziplinarverfahren geltenden Schuldprinzip und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

53

Ist damit aufgrund der Schwere der Dienstpflichtverletzungen generell von der Maßnahme der Entfernung aus dem Dienst auszugehen, ist zu fragen, ob gewichtige Milderungsgründe eine darunter liegende Disziplinarmaßnahme (noch) rechtfertigen können.

54

Dies ist dann der Fall, wenn zu Gunsten des Beamten gewichtige Entlastungsgründe (Milderungsgründe) zu berücksichtigen sind, die den Schluss rechtfertigen, dass das dem Beamten vom Dienstherrn und der Allgemeinheit entgegengebrachte Vertrauen noch nicht endgültig verloren ist. Solche Gründe stellen zum einen die von der Rechtsprechung bezüglich der sog. Zugriffsdelikte entwickelten und anerkannten Milderungsgründe dar, die besondere menschliche Konfliktsituationen beschreiben. Hierzu zählen etwa das Handeln in einer existenziellen wirtschaftlichen Notlage oder einer körperlichen oder psychischen Ausnahmesituation oder besonderen Versuchssituationen oder eine persönlichkeitsfremde Einzelverfehlung des Beamten wie auch „Entgleisungen“ während einer negativen, inzwischen überwundenen, durch Alkohol, Drogen oder Schicksalsschlägen bedingte Lebensphase. Der Milderungsgrund der Geringwertigkeit eines verursachten Schadens oder des geldlichen Vorteils der Handlung wird bei etwa 50,00 Euro gezogen. Auch besondere die Dienstpflichtverletzung begünstigende Handlungen und mangelnde Kontrollen des Dienstherrn können im Einzelfall wie ein besonderes Nachtatverhalten die Schwere der Verfehlung mildern. Zeitlich überlange Disziplinarverfahren können wegen des disziplinarrechtlichen Beschleunigungsgebotes und der mit dem Disziplinarverfahren verbundenen persönlichen Belastungen jedenfalls bei Maßnahmen der Pflichtenmahnung berücksichtigt werden. Entlastungsgründe können sich aber zum anderen auch aus allen Besonderheiten ergeben, die es im Einzelfall wegen der persönlichkeitsbedingten an § 13 DG LSA zu orientierenden Prognoseentscheidung gebieten, von der disziplinarrechtlichen Höchstmaßnahmen Abstand zu nehmen. Auch eine dienstliche Überlastung kann einen Milderungsgrund darstellen (VG Magdeburg, Urteil v. 29.01.2013, 8 A 5/11; juris).

55

Die entlastenden Gründe sind nicht (mehr) allein auf den in der Rechtsprechung entwickelten Kanon der anerkannten Milderungsgründe beschränkt (BVerwG, Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11.10, m. w. Nachw.; juris; insoweit missverständlich: OVG LSA, Beschluss v. 17.09.2013, 10 M 9/13 [n. v..]). Diese müssen aber in ihrer Gesamtheit geeignet sein, die Schwere des Pflichtenverstoßes erheblich herabzusetzen. Generell gilt, dass das Gewicht der Entlastungsgründe umso größer sein muss, je schwerer das Delikt aufgrund der Schadenshöhe sowie der Tatumstände, wie Anzahl, Häufigkeit, Zeitraum, Verschiedenartigkeit und Tatausführung wiegt (im Ganzen ausführlich: VG Magdeburg, Urt. v. 29.11.2012, 8 A 12/11, v. 31.03.2011, 8 A 2/10 MD und v. 27.10.2011, 8 A 2/11, mit Verweis auf BVerwG, Urt. v. 24.05.2007, 2 C 28.06, Urt. v. 06.06.2007, 1 D 2.06, Urt. v. 29.05.2008, 2 C 59.07; Bayr. VGH, Urt. v. 27.10.2010, 16 aD 09.2470; OVG Lüneburg, Urt. v. 08.02.2011, 6 LD 4/08; alle juris).

56

In diesem Sinne durchgreifende besondere Umstände, die ein Absehen von der schwerwiegendsten und eine mildere Disziplinarmaßnahme rechtfertigen würden, vermag das Disziplinargericht vorliegend nicht zu erkennen und sind auch nicht vorgetragen. Aufgrund des langjährigen Zeitraums von 3 ½ Jahren in dem Energie entzogen wurde, kann nicht von einer einmaligen Gelegenheitstat oder einem persönlichkeitsfremden „Ausrutscher“ ausgegangen werden. Der Strafausspruch einer Geldstrafe von „nur“ 70 Tagessätzen vermag an der disziplinarrechtlichen Bewertung wegen der unterschiedlichen Zielsetzung des Straf- und Disziplinarrechts nichts zu ändern. Die Höhe einer Kriminalstrafe ist für die Gewichtung des Dienstvergehens grundsätzlich nicht von ausschlaggebender Bedeutung. Denn die Vertrauensbeeinträchtigung ist in erster Linie von der Straftat selbst, ihrem gesetzlichen Strafrahmen und den Begehungsumständen abhängig (BVerwG, Urt. v. 08.03.2005, 1 D 15.04; juris). Der Beamte handelte ebenso nicht in einer besonderen Versuchssituation. Auf intensive Nachfrage in der mündlichen Verhandlung vor dem Disziplinargericht offenbarte der Beklagte keine besonderen wirtschaftlichen oder persönlichen Notsituationen. Gesundheitliche oder alkoholbedingte Probleme lägen nicht vor, beteuerte er.

57

Demnach stößt das Disziplinargericht hier an die Grenzen seiner Aufklärungspflicht. Denn das Gericht ist auf die Mitarbeit des Beamten zur Aufklärung der in seiner Sphäre liegenden höchstpersönlichen Angelegenheiten angewiesen, um überhaupt die Möglichkeit einer disziplinarrechtlichen Milderung im Sinne der Disziplinarrechtsprechung prüfen zu können (VG Magdeburg, Urt. v. 28.02.2013, 8 A 13/12; juris).

58

Unter Abwägung aller Erkenntnisse fällt die vom Disziplinargericht anzustellende Persönlichkeits- und Prognosebewertung hinsichtlich der Vertrauensbeeinträchtigung für den Beklagten negativ aus. Auch in der mündlichen Verhandlung zeigte sich der Beamte nicht einsichtig und zeigte auch bislang kein besonders mildernd zu berücksichtigendes Nachtatverhalten. Dies gilt auch für die Geschehnisse um die Datenabfragen. Dort zeigte er - wie bei dem Entzug der elektrischen Energie - kein Unrechtsbewusstsein und ging quasi von einer Selbstverständlichkeit dieser als privat anzusehenden Abfragen aus. Auf die richterliche Nachfrage, ob er den langjährigen illegalen Zustand bezüglich der Entziehung der elektrischen Energie irgendwann habe beenden und legalisieren wollen, wusste er keine Antwort.

59

Hinsichtlich der - eingetretenen - Vertrauensbeeinträchtigung ist auch nicht entscheidend, dass der Beamte im Folgezeitraum nicht mehr auffällig wurde. Die prognostische Frage nach dem Umfang der Beeinträchtigung des Vertrauens des Dienstherrn oder der Allgemeinheit (§ 13 DG LSA) betrifft die Erwartung, dass sich der Beamte aus der Sicht des Dienstherrn und der Allgemeinheit so verhält, wie es von ihm im Hinblick auf seine Dienstpflichten als berufserforderlich erwartet wird. Das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit in die Person des Beamten bezieht sich in erster Linie auf dessen allgemeinen Status als Beamter (vgl. BVerwG, Urt. v. 20.01.2004, 1 D 33.02; juris), daneben aber auch auf dessen konkreten Tätigkeitsbereich innerhalb der Verwaltung und auf dessen konkret ausgeübte Funktion, z. B. als Vorgesetzter. Ob und gegebenenfalls inwieweit eine Beeinträchtigung des Vertrauens des Dienstherrn vorliegt, ist nach objektiven Gesichtspunkten zu beurteilen. Entscheidend ist nicht die subjektive Einschätzung des jeweiligen Dienstvorgesetzten, sondern die Frage, inwieweit der Dienstherr bei objektiver Gewichtung des Dienstvergehens auf der Basis der festgestellten belastenden und entlastenden Umstände noch darauf vertrauen kann, dass der Beamte in Zukunft seinen Dienstpflichten ordnungsgemäß nachkommen wird.

60

Daher ist auch nicht bedeutsam, dass die Klägerin die vorläufige Dienstenthebung im Laufe des Verfahrens aufgehoben hat, zumal dies nur in Einschätzung der damaligen Erkenntnisse bezüglich der weiteren Verfahren der kinderpornografischen Schriften geschah. Dies ist kein Hinweis auf zurück gewonnenes Vertrauen des Dienstherrn; Die vorherige Suspendierung ist auch nicht Voraussetzung für die spätere Entfernung. Entscheidungsmaßstab ist insoweit, in welchem Umfang die Allgemeinheit dem Beamten noch Vertrauen in eine zukünftig pflichtgemäße Amtsausübung entgegenbringen würde. Dies unterliegt uneingeschränkter verwaltungsgerichtlicher Nachprüfung (vgl. zum Ganzen: BVerwG, Urt. v. 29.03.2012, 2 A 11.10 mit Verweis auf Urteile v. 20.10.2005, 2 C 12.04, v. 03.05.2007, 2 C 9.06 und v. 29.05.2008, 2 C 59.07; zuletzt: VG Magdeburg, Urt. v. 30.04.2013, 8 A 18/12; alle juris).

61

7.) Die nach alledem dienstrechtlich notwendige Entfernung aus dem Dienst verstößt auch nicht gegen das Verhältnismäßigkeitsgebot. Denn diese disziplinarrechtliche Höchstmaßnahme ist die einzige Möglichkeit, das durch den Dienstherrn sonst nicht lösbare Dienstverhältnis einseitig zu beenden. Die darin liegende Härte für den Betroffenen ist nicht unverhältnismäßig. Sie beruht vielmehr auf einem ihm zurechenbaren Verhalten (BVerwG, Urteil v. 21.06.2000, 1 D 49.99; juris).

62

8.) Die Kostenentscheidung folgt aus § 72 Abs. 1 Satz 1 DG LSA. Das Verfahren ist gem. § 73 Abs. 1 Satz 1 gebührenfrei.


Tatbestand

1

Der Kläger führt die Disziplinarklage gegen die beklagte verbeamtete Gerichtsvollzieherin mit dem Ziel ihrer Entfernung aus dem Dienst.

2

Die 1976 geborene Beamtin beendete 1994 ihre Schulausbildung mit der Ablegung des Abiturs. Anschließend wurde sie zum Vorbereitungsdienst für den mittleren Justizdienst zugelassen und zur Justizsekretäranwärterin ernannt. 1996 wurde die Beamtin zur Ausbildung für die Sonderlaufbahn Gerichtsvollzieher zugelassen und zur Justizsekretärin zur Anstellung ernannt. Nach Absolvierung der Gerichtsvollzieherprüfung mit „ausreichend“ (Note 3,6) wurde die Beamtin 1998 zur Justizsekretärin ernannt. In der Folgezeit wurde die Beamtin bei dem Amtsgericht D. und dem Amtsgericht K. verwandt. Im Jahr 2001 wurde sie zur Gerichtsvollzieherin ernannt und im Jahre 2003 erfolgte die Berufung in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit. Zum 01.05.2006 wurde die Beklagte zur Verwendung im mittleren Dienst an das Amtsgericht D. abgeordnet. Seit dem ist sie nicht mehr als Gerichtsvollzieherin tätig.

3

Die Beamtin ist verheiratet und hat eine im Jahr 2005 geborene Tochter. Nach Auskunft der Bezügestelle vom 31.03.2011 erhielt die Beamtin zum Zeitpunkt der Einreichung der Disziplinarklageschrift 1.341,18 Euro zuzüglich 368,00 Euro Kindergeld ausgezahlt.

4

Die Beklagte ist disziplinarrechtlich vorbelastet. Ihr wurde mit Verfügung vom 08.12.2003 wegen verzögerter Sachbearbeitung sowie Verstoßes gegen § 65 Nr. 6 GVO und § 185 g GVGA ein Verweis erteilt.

5

Mit Verfügung vom 16.11.2006 wurde die Beamtin wegen der Vorwürfe in der Disziplinarklage vom Dienst suspendiert. Das Verwaltungsgericht Magdeburg - Disziplinarkammer – hat mit Beschluss vom 19.02.2007 die vorläufige Dienstenthebung aufgehoben. Auf die Beschwerde des Klägers hat das Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt - Disziplinarsenat - den Antrag unter Aufhebung des Beschlusses abgelehnt. Den unter dem 30.06.2010 von der Beamtin erneut gestellte Antrag auf Aufhebung der vorläufigen Dienstenthebung hat das Verwaltungsgericht Magdeburg - Disziplinarkammer - mit Beschluss vom 24.01.2011 abgelehnt. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Beamtin hat das Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt - Disziplinarsenat - mit Beschluss vom 04.11.2011 zurückgewiesen.

6

Wegen der disziplinarrechtlichen Vorwürfe der fehlerhaften Wegegelderabrechnungen hat das Amtsgericht K. unter dem 23.05.2007 einen Strafbefehl erlassen, worin der Beamtin vorgeworfen worden war, insgesamt 201 Straftaten (Gebührenüberhebung in 193 Fällen und Betrug in 8 Fällen) begangen zu haben. Durch Urteil des Amtsgerichts K. vom 07.07.2008 (2 Cs 183/07) war die Beamtin der Gebührenüberhebung in 181 Fällen und des Betruges in 8 Fällen schuldig gesprochen worden; in 12 Fällen war sie von dem im Strafbefehl erhobenen Vorwurf der Gebührenüberhebung freigesprochen worden. Mit Urteil vom 29.10.2009 (7 Ns 161/08) hat das Landgericht Dessau-Roßlau die Beamtin in der Berufung wegen der Gebührenüberhebung in 158 Fällen (überhöhte Wegegelder) und wegen Betruges in 8 Fällen schuldig- und im Übrigen freigesprochen (23 Fälle der Abrechnung von nicht entstandenen Wegegeldern). Auf die Revision der Beamtin hat das Oberlandesgericht A-Stadt das Verfahren mit Beschluss vom 10.05.2010 (1 Ss 13/10) eingestellt, soweit die Beamtin nicht bereits rechtskräftig vom AG K. freigesprochen worden war. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der Strafbefehl bezüglich der Darstellung des Tatvorwurfs der falschen Wegegeldabrechnung nicht dem strafrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz entspreche. Unter dem 25.01.2011 hat die Staatsanwaltschaft Dessau-Roßlau das Ermittlungsverfahren gegen die Beamtin gem. § 153 StPO eingestellt.

7

Mit der Disziplinarklage vom 27.04.2011 wird die Beamtin angeschuldigt, ein Dienstvergehen gem. §§ 54, 55, 77 Abs. 1 Satz 1 Beamtengesetz Sachsen-Anhalt (BG LSA) begangen zu haben. Sie habe u. a.

8

- Gebühren und Auslagen zum eigenen Vorteil zu Unrecht erhoben und entnommen;

9

- unzulässig Verhaftungen zum Zwecke der Erzwingung der Abgabe der eidesstattlichen Versicherung vorgenommen sowie

10

- in erheblichem Maße gegen Vorschriften der Gerichtsvollzieherordnung und der Gerichtsvollziehergeschäftsanweisung verstoßen.

11

Ihr werden 10 Pflichtenverstöße zur Last gelegt:

12

1. Die Beamtin habe gegen die sich aus § 55 BG LSA ergebene Pflicht, Anordnungen des Dienstvorgesetzten auszuführen und die allgemeinen Richtlinien zu befolgen, erheblich verstoßen.

13

Am 28.09.2004 habe die Direktorin des Amtsgerichts K. der Gerichtsvollzieherin das Protokoll über die Geschäftsprüfung vom 11.08.2004 bis 28.08.2004 mit der Aufforderung übersandt, zu den einzelnen Beanstandungen binnen eines Monats Stellung zu nehmen. Die Stellungnahme der Gerichtsvollzieherin sei erst auf wiederholte und nachdrückliche Aufforderung der Direktorin des Amtsgerichts K. am 27.01.2005 eingegangen.

14

2. Die Beamtin habe in den nachfolgenden Fällen gegen § 106 Nr. 6 Satz 1 Geschäftsanweisung für Gerichtsvollzieher (GVGA) verstoßen.

15

a) Die Beamtin habe in nachfolgend aufgeführten 32 Fällen ohne anders lautende Bestimmung der Gläubiger und trotz wiederholter Beanstandung in den Vorprüfungen Leistungen verspätet an die Gläubiger abgeführt. Dabei handelt es sich um Differenztage zwischen dem Tag der Zahlung, Tag der Buchung und Tag der Überweisung von wenigstens drei Tagen bis zu einmalig höchstens 45 Tagen. Auf diese Tabelle in der Disziplinarklage wird verwiesen. Die Disziplinarklage führt aus, dass das zwischen dem Tag der Einnahme und dem Tag der Auszahlung im Durchschnitt dieser Fälle 17 Tage gelegen hätten.

16

b) In den Verfahren DR II 2256/03; 2243/02; 1958/03; 252/04; 2333/03 und 1978/03 am 19.03.2004 erzielte Versteigerungserlös sei am 18.08.2004 noch nicht an die Gläubiger abgeführt worden.

17

c) Obwohl der Verstoß gegen § 106 Nr. 6 Satz 1 GVGA bereits Gegenstand des am 28.02.2005 eingeleiteten Vorermittlungsverfahren gewesen sei, habe die Gerichtsvollzieherin weiterhin Leistungen verspätet an die Gläubiger abgeführt. Dabei habe die Überweisungsfrist zwischen 7 und 11 Tagen gelegen.

18

3. Die Gerichtsvollzieherin habe gegen § 57 Abs. 2 Satz 5 GVO und § 65 GVGA verstoßen:

19

a) Sie habe Sachstandsanfragen von Gläubigern pauschal, ohne Bezug auf den tatsächlichen Sachstand und teilweise völlig irreführend beantwortet und dazu einen vorformulierten Text benutz, welcher lautete:

20

„In der Zwangsvollstreckungssache ... teile ich mit, dass der o. g. Auftrag eingegangen ist und bei mir unter DR II Nr. ... registriert wurde. Da ich zurzeit stark überlastet bin, ist es mir zurzeit nicht möglich, die Monatsfrist für die Erledigung einzuhalten. Ich werde mich trotzdem bemühen, den Auftrag zügig zu erledigen.

21

Es wird gebeten, die nächsten zwei Monate von Sachstandsanfragen abzusehen.“

22

Dies sei in folgenden Verfahren geschehen:

23

DR II 42/04:
Die Angelegenheit sei bereits erledigt gewesen, weil der Schuldner unbekannt verzogen war.

24

DR II 64/04:
Der Auftrag sei bereits durch Pfandabstand erledigt gewesen.

25

DR II 76/04:
Die Sache sei erledigt gewesen, weil bereits ein letzter Vollstreckungsversuch durchgeführt worden sei.

26

DR II 8/04:
Auch hier sei Erledigung eingetreten gewesen.

27

DR II 21/04:
Der Zwangsvollstreckungsauftrag sei durch Nichtermittlung des Schuldners erledigt gewesen.

28

b) Die Gerichtsvollzieherin habe in den oben unter a) bezeichneten Verfahren die Gläubiger über den tatsächlichen Verfahrensstand getäuscht. Sie habe damit sowohl gegen das Informationsrecht des Gläubigers gem. § 65 a GVGA, als auch gegen die Pflicht zur sorgfältigen und vollständigen Aktenführung (§ 57 Nr. 2 Satz 5 GVO) verstoßen.

29

4. Die Gerichtsvollzieherin habe gegen § 816 Abs. 4 ZPO, §§ 156, 1239 Abs. 2 BGB, §145 Nr. 2 b GVGA verstoßen. In mehreren Zwangsvollstreckungsverfahren gegen den Schuldner H. F. wurde die Versteigerung gepfändeter Gegenstände am 19.03.2004 durchgeführt. Der gepfändete PKW Mercedes Benz 320 cdi, sei mit 39.000,00 Euro und das Motorrad Suzuki mit 1.200,00 Euro angesetzt worden. Bei der Versteigerung sei der Schuldner anwesend gewesen und habe mitgeboten. Die Gerichtsvollzieherin habe das Gebot des Schuldners in Höhe von 35.000,00 Euro zugelassen und ihm den Zuschlag erteilt, wodurch das bisherige Meistgebot in Höhe von 33.000,00 Euro eines anderen Bieters erlosch. Nachdem die Gerichtsvollzieherin festgestellt habe, dass dem Schuldner eine Barzahlung nicht möglich gewesen sei, sei der PKW nochmals ausgeboten worden, wobei nur noch das Mindestgebot von 20.000,00 Euro als Versteigerungserlös erzielt worden sei.

30

In dem diesbezüglichen Vermerk der Gerichtsvollzieherin in der Sonderakte DR II 2256/03 heißt es:

31

„Es waren genügend Kaufgeneigte erschienen. Es wurde bis zu einem Betrag von 33.000,00 Euro sehr zügig geboten. Bei einem Gebot von 35.000,00 Euro erhielt der Schuldner den Zuschlag. Viele Bieter entfernten sich daraufhin. Ich forderte Herrn F. zur Zahlung auf. Als Herr F. das Büro im Versteigerungslokal betrat, teilte er mir mit, dass er einen bankbestätigten Scheck habe. Ich forderte wie zuvor auch in den wörtlich vorgelesenen Versteigerungsbedingungen bekannt gegeben, Herrn F. zur Barzahlung auf. Dieser erklärte, dass er kein Bargeld bei sich habe. Ich wollte den Scheck sicherstellen. Herr F. gab an, den Scheck in seinem Fahrzeug zu haben. Ich begab mich mit Herrn F. zu seinem Kfz. Den Scheck konnte er nicht vorlegen. ...“

32

Diese Verfahrensweise stelle eine falsche Sachbehandlung dar und verstoße gegen die vorgenannten gesetzlichen Regelungen. Bei richtiger Sachbehandlung hätte im ersten Versteigerungsversuch der Erlös bei 33.000,00 Euro und nicht später nur noch bei 20.000,00 Euro gelegen. In Höhe der Differenz von 13.000,00 Euro sei ein Vermögensschaden eingetreten.

33

5. Die Gerichtsvollzieherin habe in den Verfahren DR II 505/05, 506/05 und 556/05 gegen § 186 Nr. 5 GVGA und die Weisung des Erlasses des MJ LSA vom 21.06.2004 (2344-202.103) verstoßen.

34

In den Verfahren DR II 529/05, 586/05, 596/05, 603/05 und 595/05 habe die Gerichtsvollzieherin darüber hinaus § 3 GvKostG nicht beachtet und auch dadurch zusätzlich überhöhte Kosten erhoben.

35

Im Verfahren DR II 505/05 habe ein Verhaftungsauftrag vom 24.03.2005 vorgelegen. Am 11.04.2005 habe die Beamtin einen erfolglosen Verhaftungsversuch unternommen. Am 12.04.2005 sei die Schuldnerin in ihrer Wohnung angetroffen worden. Laut Protokoll habe die Schuldnerin das Vermögensverzeichnis und die Eidesstattliche Versicherung nach Verhaftung im Dienstzimmer der Gerichtsvollzieherin abgegeben. Aus den Protokollen sei nicht ersichtlich, dass die Schuldnerin gem. § 186 Nr. 5 GVGA vor der Verhaftung aufgefordert worden sei, die titulierte Forderung zu begleichen und befragt worden sei, ob sie freiwillig die geforderte Eidesstattliche Versicherung abgebe. Nach dem Inhalt des Protokolls ist davon auszugehen, dass die Schuldnerin noch im Verhaftungstermin mitwirkungsbereit gewesen sei und die Eidesstattliche Versicherung habe abgeben wollen. Die Verhaftung stelle einen Verstoß gegen das in § 901 ZPO postulierte Verhältnismäßigkeitsprinzip dar.

36

Für diese falsche Sachbehandlung habe die Gerichtsvollzieherin demnach aufgrund der Verhaftung überhöhte Kosten in Höhe von 19,00 Euro erhoben.

37

Ebenso habe die Klägerin in den anderen genannten Verfahren überhöhte Gebühren und Auslagen eingezogen.

38

Die Gerichtsvollzieherin habe dadurch die Schuldner in ihren Grundrechten aus Art. 1 und 2 GG verletzt.

39

In den Verfahren DR II 529/05, 586/05, 595/05, 596/05 und 603/05 habe die Gerichtsvollzieherin neben der nicht gebotenen Verhaftung letztlich nicht beachtet, dass es sich hinsichtlich der Abnahme der Eidesstattlichen Versicherung nur um einen Auftrag gehandelt habe, wenn die Fortsetzung des EV-Termins innerhalb der in § 3 Abs. 4 GvKostG genannten Frist von drei Monaten beantragt werde. Vorliegend war die Gerichtsvollzieherin bereits im Vollstreckungsauftrag beauftragt worden, den notwendigen Haftbefehl zu beantragen. Die EV-Verfahren seien also lediglich fortzusetzen gewesen und bereits entstandene Kosten anzurechnen. Somit seien in den zuletzt genannten Verfahren überhöhte Kosten in Höhe von insgesamt 34,00 Euro zu viel erhoben worden.

40

6. Die Gerichtsvollzieherin habe in mindestens 57 Fällen in erheblicher Weise gegen die §§ 64, 185 j GVGA und ihre Pflicht zur unverzögernden Bearbeitung der Verfahren verstoßen.

41

In den aufgeführten 57 Fällen habe die Beamtin erst nach bis zu vier Monaten nach dem Nichterscheinen des Schuldners die Akten dem Vollstreckungsgericht vorgelegt. Dazu zählt die Disziplinarklage 57 Fälle mit Aktenzeichen auf, welche damit beginnen, dass der e.V.-Termin vom 11.01.2005 in sieben Fällen erst am 14.03.2005 beim Vollstreckungsgericht einging; die folgenden 50 Fälle beinhalten e.V.-Termine vom 16.11.2004, 23.11.2004, 07.12.2004, 11.01.2005, 10.08.2004 und 23.11.2004, die alle samt am 15.03.2005 beim Vollstreckungsgericht eingingen.

42

7. Die Gerichtsvollzieherin habe Zustellauslagen in Höhe von 5,60 Euro für Zustellungen durch die Deutsche Post AG in Ansatz gebracht, obwohl die Zustellung tatsächlich durch die Firma W. S. zum Preis von 4,47 Euro durchgeführt worden sei. Damit habe sie gegen § 15 GVO und GvKostG KV 701 verstoßen.

43

Danach darf der Gerichtsvollzieher Zustellauslagen nur in tatsächlich entstandener Höhe ansetzen. Bereits im Prüfungsbericht vom 10.09.2004 sei die Gerichtsvollzieherin auf die Einhaltung der Vorschriften hingewiesen worden.

44

Dies ergebe sich aus acht in der Disziplinarklage genannten Verfahren. Auf diese Verfahren wird zur weiteren Darstellung verwiesen.

45

In diesen Verfahren habe die Gerichtsvollzieherin trotz ausdrücklicher Belehrung durch den Prüfungsbeamten und ihrer Zusicherung vom 25.01.2005 Auslagen nicht in tatsächlicher Höhe erhoben.

46

8. Die Gerichtsvollzieherin habe entgegen der Weisung des Prüfungsbeamten weiterhin Zahlungsprotokolle bei Vollzahlung oder Schlussrate an den Schuldner erteil und Dokumentenpauschalen gemäß Nr. 700 KV GvKostG erhoben, obwohl es hierfür keine gesetzliche Grundlage gebe.

47

Bereits sei dem Jahre 2002 sei die Gerichtsvollzieherin in jedem Prüfungsprotokoll von dem Prüfungsbeamten auf die falsche Sachbehandlung und Kostenberechnung der Dokumentenpauschale hingewiesen worden.

48

Allein in den Monaten Januar bis August 2004 habe die Gerichtsvollzieherin in den in der Anlage 1 aufgelisteten 246 Fällen unberechtigt eine Dokumentenpauschale erhoben und damit einen Betrag von 432,00 Euro zu Unrecht eingenommen.

49

Der Weisung des Prüfbeamten vom 10.09.2004 die Kostenrechnungen zu berichtigen und den jeweils überhöhten Betrag an die Landeskasse abzuführen, ist die Gerichtsvollzieherin erst nach mehrfacher Mahnung am 13.02.2006, mithin nach 17 Monaten nachgekommen.

50

9. Die Gerichtsvollzieherin habe im folgenden Verfahren gegen § 57 Abs. 2 Satz 5 GVO, §§ 64, 105, 107, 132, 135, 140 und 142 GVGA sowie §§ 758, 762 und 803 ZPO verstoßen.

51

Dem Verfahren DR II 617/04 liege ein Auftrag der Kreissparkasse K. zur Sachpfändung zugrunde. Mangels Protokollierung bleibt offen, ob, wann und wo die Gerichtsvollzieherin gepfändet hat. Die Gerichtsvollzieherin habe damit gegen das bei einer Pfändung zu beachtende Verfahren und gegen ihre Pflicht, alle Amtshandlungen zu Protokoll zu nehmen verstoßen (§ 762 ZPO). Ebenso fehlt die Aufnahme der Pfandstücke sowie Tag und Ort der Versteigerung im Protokoll. Bis zum 30.04.2004 hätte die Versteigerung stattfinden müssen. Erst durch ihren Dezernatsnachfolger sei am 16.09.2005 ein Versteigerungstermin bestimmt worden.

52

Allein aufgrund des Umfangs des Pfandgutes anhand des Lagerverzeichnisses sei mit hohen Lagerkosten zu rechnen gewesen. Die Gerichtsvollzieherin habe durch ihre Handlungsweise gegen die Pflicht, die durch Einschaffung und Verwahrung des Pfandgutes anfallende Kosten auf das angemessene und unbedingt notwendige Maß zu beschränken, verstoßen (§ 140 Nr. 1 GVGA). Nach erfolgter Schätzung des Verkehrswertes des Pfandgutes hätte die Gerichtsvollzieherin erkennen können, dass die Kosten der Pfändung und Verwertung weitaus höher sind, als der zu erzielende Erlös und somit ein Pfändungsverbot gem. § 803 Abs. 2 ZPO bestanden habe. Darüber hinaus sei sie ihrer Kostensicherungspflicht nach § 4 GvKostG nicht nachgekommen, da sie Kosten für die Einschaffung und Lagerung des Pfändungsgutes in unverhältnismäßiger Höhe verursachte, ohne einen ausreichenden Vorschuss von der Gläubigerin angefordert zu haben.

53

Am 25.04.2006 habe der Präsident des Landgerichts Dessau die - zum Verwertungserlös in Höhe von 600,00 Euro zu keinem Verhältnis stehende - Restforderung des Spediteurs für die Einlagerung des Pfandgutes in Höhe von 7.531,30 Euro als Amtshaftungsanspruch anerkannt und habe diesen Betrag ausgezahlt. Mit Beschluss des Amtsgerichts K. vom 28.07.2006 seien die weiteren Vollstreckungskosten gegenüber der Kreissparkasse K. in Höhe von 7.571,30 Euro niedergeschlagen worden. Nachdem die Kreissparkasse K. wegen ihres geleisteten Kostenvorschusses in Höhe von 3.642,91 Euro abzüglich der bei einer Versteigerung bis zum 30.04.2004 entstandenen Kosten in Höhe von 2.269,22 Euro gegen das Land Sachsen-Anhalt eine Schadensersatzforderung in Höhe von 1.373,59 Euro geltend gemacht habe, erkannte der Präsident des Landgerichts Dessau einen entsprechenden Amtshaftungsanspruch an und zahlte den Betrag am 06.02.2007 aus. Am 12.09.2007 habe das Landgericht Dessau mit Regressprozess gegen die Gerichtsvollzieherin ein Versäumnisurteil über einen Gesamtbetrag in Höhe von 8.904,99 Euro erlassen, welches mit am 12.12.2007 verkündeten Urteil bestätigt wurde. Auf die Berufung der Gerichtsvollzieherin änderte das OLG A-Stadt mit am 25.06.2008 verkündeten Urteil (6 U 163/07) das erstinstanzliche Urteil dahingehend ab, dass die Gerichtsvollzieherin verurteilt worden sei, an das Land Sachsen-Anhalt einen Betrag in Höhe von 1.373,69 Euro zu zahlen; hinsichtlich des weiteren, an den Spediteur gezahlten Betrages in Höhe von 7.531,30 Euro wurde die Klage abgewiesen.

54

10. Die Prüfung der Sonderakten DR II aus den Jahren 2001 bis 2005 habe ergeben, dass die Gerichtsvollzieherin im Zeitraum Oktober 2001 bis Juli 2005 (DR II 2756/01 - 932/05) in 2.436 Verfahren Wegegelder in Höhe von 7.146,59 Euro erhoben habe, die nicht oder nicht in der angesetzten Höhe angefallen seien.

55

Soweit das OLG A-Stadt hinsichtlich der strafrechtlichen Bestimmtheitserfordernisse gerügt habe, dürfte dies nunmehr mit der in Anlage 3 zur Disziplinarklage eingereichten tabellarischen Aufstellung hinreichend nachgewiesen seien. An den Bestimmtheitsgrundsatz dürften keine übertriebenen Anforderungen gestellt werden, welche im Disziplinarrecht nicht weiter reichen dürften als im Strafrecht. Bei einer Vielzahl gleichartiger Taten reiche es aus, wenn über die Angabe der Zahl der Taten, des Gesamtschadens und des gesamten Tatzeitraumes hinaus die gleichartigen Taten gruppiert bezeichnet, der gruppenspezifische Modus Operandi dargestellt und die Einzelheiten detailliert tabellarisch aufgelistet würden, weil hierdurch sowohl der Umgrenzungs- als auch der Informationsfunktion hinreichend genüge getan werde.

56

An die Grundlagen der Wegegeldberechnung habe sich die Gerichtsvollzieherin in einer Vielzahl von Fällen nicht gehalten. Im Jahre 2001 habe sie in 390 Fällen Wegegelder abgerechnet, obwohl entweder ein geringeres Wegegeld oder mangels Zurücklegung eines Weges überhaupt kein Wegegeld angefallen wäre.

57

In den Jahren 2002 bis 2005 habe sie dann in weiteren 2.046 Fällen ebenfalls nicht oder nicht in angesetzter Höhe angefallene Wegegelder berechnet.

58

Die Beamtin habe die fehlerhafte Abrechnung nicht bestritten.

59

Die tabellarische Aufstellung enthalte keinen der Fälle mehr, in denen die Gerichtsvollzieherin vom Amtsgericht K. rechtskräftig freigesprochen wurde. Die Beamtin habe bei der Wegegeldabrechnung auch hinsichtlich der Fälle, wo überhaupt kein Weg zurückgelegt worden sei, mit direktem Vorsatz gehandelt. In den Fällen, in denen ein Wegegeld tatsächlich entstanden sei, aber überhöht abgerechnet worden sei, liege ebenfalls direkter Vorsatz vor. Denn die Bestimmung der Wegegeldzone stelle keinen komplexen und dementsprechend fehleranfälligen Vorgang dar. Vielmehr sei einfach die Luftlinie auf der Karte zu messen. Hinzu komme, dass die Gerichtsvollzieher mit ihren Bezirken und den dortigen Entfernungen sehr gut vertraut seien. Würde hier ein grundsätzliches Versehen vorliegen, müssten die betreffenden Orte auch immer gleichermaßen falsch abgerechnet worden sein, was aber nicht der Fall gewesen sei. Zudem falle bei der Durchsicht der tabellarischen Aufstellung auf, dass Wegegelder oft doppelt erhoben worden seien, und dass in einer Vielzahl von Fällen nicht nur die nächst höhere Stufe abgerechnet worden sei, sondern gleich mehrere Stufen übersprungen worden seien, was bei der irrtümlichen Annahme, sich bereits in der nächst höheren Zone zu befinden, nicht hätte passieren können. Besonders deutlich werde das Fehlen eines Versehens auch, soweit beispielsweise für Großpaschleben Gebührenzone II (10 bis 20 km) statt I (bis 10 km) abgerechnet werde, da G. unmittelbar an der Stadtgrenze zu K. liege. Hinzu komme, dass die falsche Wegegeldabrechnung über die Jahre hinweg kontinuierlich zugenommen habe (2002: 907,50 Euro, 2003: 2.355,00 Euro, 2004: 2.767,50 Euro). Die Gerichtsvollzieherin habe also nachdem die zunächst geringer ausfallenden Wegegeldüberhebungen im Rahmen der Geschäftsprüfungen nur sporadisch beanstandet worden seien, systematisch in immer größrem Umfang überhöhte Wegegelder geltend gemacht und dadurch im Jahre 2004 schließlich ein zusätzliches monatliches Einkommen in Höhe von knapp 230,00 Euro erzielt.“

60

Nach dem Ergebnis der Ermittlungen habe die Gerichtsvollzieherin über einen sehr langen Zeitraum die Kernpflichten des Beamtenverhältnisses grundlegend verletzt. Sie habe in einer Vielzahl von Fällen gesetzliche Bestimmungen grob missachtet, dienstliche Weisungen nachhaltig ignoriert, grob fehlerhaft und äußerst nachlässig gearbeitet und damit nicht annähernd das berufserforderliche Verhalten bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben gezeigt. Erschwerend komme hinzu, dass die Beamtin bereits am 08.12.2003 wegen fehlerhafter und nachlässiger Arbeitsweise einen disziplinarrechtlichen Verweis erhalten habe. Durch die vorsätzliche finanzielle Schädigung der Gebührenschuldner habe die Beamtin das Vertrauen in die Redlichkeit und Ehrlichkeit von Beamten grundlegend erschüttert und das Ansehen der Justiz in der Öffentlichkeit nachhaltig geschädigt.

61

Der Entschuldigung der Beamtin mit Verweis auf einen außerordentlich hohen Geschäftsanfall könne nicht gefolgt werden. Denn Feststellungen des Prüfungsbeamten und der Direktorin des Amtsgerichts K. habe die Beamtin im Jahre 2004 hinsichtlich 1.088 Verfahren und im Jahre 2003 bezüglich 1.346 Verfahren falsche Angaben gemacht. Tatsächlich seien die gesamten monatlichen Eingänge lediglich bei durchschnittlich 235 Aufträgen im Jahre 2003 und 245 Aufträgen im Jahre 2004 anzusetzen.

62

Die Schwere des Dienstvergehens rechtfertige die Entfernung der Beklagten aus dem Beamtenverhältnis.

63

Der Kläger beantragt,

64

auf die erforderliche Disziplinarmaßnahme zu erkennen.

65

Die Beklagte beantragt,

66

die Disziplinarklage abzuweisen,

67

widerspricht den behaupteten Dienstpflichtverletzungen und erwidert:

68

Es fehle an einer hinreichenden Sachaufklärung, die Beamtin sei nicht angehört, Zeugen seien nicht vernommen worden. Die Disziplinarklage sei bereits wegen Zeitablaufs unzulässig. Denn das disziplinarrechtliche Gebot der Beschleunigung sei in außerordentlichem Maße verletzt worden.

69

Zu III., 1.

70

Der Vorwurf, eine Stellungnahmefrist versäumt zu haben, werde bestritten. Er könne schon aufgrund des Zeitablaufs nicht nachvollzogen werden. Die Beamtin dürfte innerhalb einer angemessenen Frist in Abstimmung mit der Frau Direktorin geantwortet haben.

71

Zu III., 2a

72

Kein einziger Gläubiger habe eine verspätete Leistung gerügt oder behauptet. Die Disziplinarklage verhalte sich nicht zu der Auslegung des Rechtsbegriffes „unverzüglich“, bestimme weder ein schuldhaftes Zögern der Beklagten noch ob andere Bestimmungen mit den Gläubigern getroffen worden seien. Die Disziplinarklage übersehe permanent die außerordentliche Belastung der Gerichtsvollzieherin. Dies sei beispielsweise im Prüfbericht vom 25.07.2002 ausgeführt und durch die Aussage des Zeugen S. vor dem Amtsgericht K. und dem Landgericht Dessau-Roßlau bestätigt. Danach habe die Belastung der Beklagten in den Jahren 2001 und 2002 bei rund 230 %, im Jahre 2003 bei 166 % und im Jahre 2004 bei 192 % gelegen. Die durchschnittliche Belastung eines Gerichtsvollziehers im Land Sachsen-Anhalt in den Jahren 2001 bis 2003 habe bei 140 % und in den Jahren 2004 und 2005 bei 130 bzw. 120 % gelegen.

73

Das Landgericht Dessau-Roßlau habe in seinem Urteil zur Aussage des Zeugen S. ausgeführt:

74

„Im Lande seien die Gerichtsvollzieher über Jahre in verantwortungsloser Weise jahrelang, gerade auch 2004, hoffnungslos mit Pensen von 1,4 bis 3,0 überlastet gewesen. Daher habe oftmals auch bei der Angeklagten die Aktenführung gelitten und es sei dort an sich zu beanstandungswürdigen Fehlern gekommen.“

75

Die außergewöhnliche Belastung der Beklagten hätten auch die Zeugen K. und die Direktorin des Amtsgerichts K. im Strafverfahren bestätigt.

76

Die in der Disziplinarklage vorgenommene Durchschnittsberechnung der Differenztage sei untunlich. Es sei jeder einzelne Fall für sich zu betrachten und zu einem schuldhaften Zögern vorzutragen.

77

Weiter sei auf die hohen Beitreibungsergebnisse der Beamtin abzustellen. Hohe Beitreibungsergebnisse implizierten einen hohen Zeitaufwand einerseits und viele Buchungs- und Überweisungsvorgänge andererseits.

78

Zu III., 3.

79

Die Gerichtsvollzieherin habe nicht stets einen Textbaustein verwandt. Aufgrund der Überlastung habe sie sich behelfen müssen. Eine Irreführung der Gläubiger sei nicht geschehen. Schließlich sei auch zu beachten, dass die Schreiben die Mitarbeiterin der Beklagten, die Zeugin G. auf den Weg gebracht habe. Dabei mögen der Mitarbeiterin Fehler passiert sein, dass sie entgegen der Büroanweisung keine Rücksprachen mit der Beamtin gehalten habe.

80

Zu III., 4.

81

Amtshaftungsansprüche in Höhe von 13.000 Euro seien nicht entstanden. Diese Behauptung sei falsch. Es fehle bereits an einer Pflichtverletzung. Der Vortrag sei nach wie vor ohne hinreichende Substanz. Die Gerichtsvollzieherin habe vor der Versteigerung die Versteigerungsbedingungen vorgelesen. Es seien 30 bis 50 Bieter anwesend gewesen. Es habe sich um eine umfangreiche Versteigerung gehandelt. Deswegen habe die Beklagte auch ihren Kollegen, den Gerichtsvollzieher H. um Unterstützung gebeten. Dem Kollegen H. sei der Schuldner ebenfalls bekannt gewesen. Der Beklagten sei der Schuldner zunächst gar nicht aufgefallen. Der Kollege H. habe die Beklagte dann aber auf den Schuldner F. aufmerksam gemacht. Die Beklagte habe nicht gewusst, ob der Schuldner F. mit bieten würde oder nicht. Sie habe in diesem Falle vorgehabt, die Versteigerung sogleich zu unterbrechen, um den Schuldner in das Büro zu bitten, um dessen Zahlungsfähigkeit festzustellen und ggf. eine Taschenpfändung durchzuführen. Nach dem Gebot des Schuldners in Höhe von 33.000,00 Euro (muss wohl richtig lauten: 35.000,00 Euro) habe die Beklagte die Versteigerung sofort unterbrochen. Sie sei mit dem Zeugen H. und dem Schuldner in das Büro gegangen. Dort habe sich herausgestellt, dass der Schuldner über kein Geld verfüge. Daraufhin habe die Beklagte mitgeteilt, dass sie die Sache neu ausbieten müsse. Ein Teil des Publikums hatte sich bereits entfernt. Die Versteigerung sei alles andere als „alltäglich“ gewesen.

82

Zu III., 5.

83

Allein aus einer möglicherweise nicht hinreichenden Protokollierung könne nicht der Schluss gezogen werden, die Schuldner seien vor der Verhaftung nicht gefragt worden, ob sie freiwillig leisten bzw. die Eidesstattliche Versicherung abgeben wollten. Selbstverständlich habe die Beklagte so verfahren. Dessen ungeachtet habe die Beklagte - ohne Anerkennung einer Rechtspflicht - die Beträge aber sogleich erstattet.

84

Zu III., 6.

85

Hier werde die außerordentliche Belastung der Beklagten nicht berücksichtigt. Die Fürsorgepflicht des Dienstherrn sei verletzt. Anders als ihre Kollegen habe die Beklagte häufig Versteigerungen durchgeführt. Versteigerungen seien aufgrund des damit verbundenen Zeit- und Arbeitsaufwandes von den Kollegen gemieden worden. Ungeachtet dessen habe die Beklagte bis in das Jahr 2005 hinein, als sie schwanger gewesen sei, keine Entlastung erfahren.

86

Zu III., 7.

87

Erhöhte Zustellkosten seien in früheren Prüfberichten nicht gerügt worden. Es habe keine Belehrung stattgefunden. Die Zustellungen rührten aus der Zeit der Beschäftigung der Mitarbeiterin W.. Die Beklagte habe die Mitarbeiterin ausdrücklich dazu angehalten, zwischen Zustellungen mit „grüner Post“ und solchen mit der „gelben Post“ zu unterscheiden. Die Mitarbeiterin habe in Einzelfällen möglicherweise fehlerhafte Zuordnungen getroffen.

88

Der Vorwurf im Prüfbericht vom 10.09.2004 sei ein nicht vergleichbarer Fall gewesen.

89

Ziff. III., 8.

90

In der Vergangenheit sei die Dokumentenpauschale als unproblematisch betrachtet worden. Es werde bestritten, dass eine Dokumentenpauschale nicht in Ansatz gebracht werden durfte. Die Beklagte sei erstmals in der Schlussbesprechung vom 10.09.2004 angewiesen worden, entsprechende Erhebungen zukünftig zu unterlassen. Der Prüfbeamte habe ausgeführt, dass die Rechtslage unklar sei und Erstattungen für die Vergangenheit nicht vorzunehmen seien. Zwei Wochen später habe man doch auf Rückzahlungen gepocht. Deshalb sei die Beklagte irritiert. Um die Streitfrage beizulegen habe die Beklagte die Pauschalen schließlich erstattet.

91

Zu III., 9.

92

Die Beamtin sei vom OLG A-Stadt letztlich zur Zahlung eines Betrages in Höhe von 1.373,69 Euro an das Land Sachsen-Anhalt verurteilt worden. Jedoch sei die Klage überwiegend abgewiesen worden. Das OLG habe zwar Fehler der Beklagten beschrieben. In Höhe eines Betrages in Höhe von 7.531,30 Euro sei der Beklagten aber ein Vorwurf grobfahrlässigen Verhaltens nicht zu machen. Soweit das OLG hinsichtlich eines Betrages in Höhe von 1.373,59 Euro auf grobe Fahrlässigkeit erkannt habe, sei nicht hinreichend berücksichtigt worden, dass die Kreissparkasse K. selbst den Vollstreckungstitel zurückverlangt, die Einlagerungskosten gekannt und darum gewusst habe, dass die Beklagte, die den Titel schnellstmöglich zurückverlangt habe, auf den Titel gewartete habe, um weiter vollstrecken zu können.

93

Zu Ziff. III., 10.

94

Die Beklagte habe in keinem Fall Wegegelder erhoben, obwohl Wege nicht angefallen seien. Sie habe Wegegelder nicht doppelt abgerechnet oder Wegegeldstufen mehrfach übersprungen. Es sei wiederholt vorgetragen worden, dass die Beklagte Schuldner mehrfach aufgesucht und deshalb (mehrere) Wegegelder, etwa bei der Abholung von Raten, zu berücksichtigen gewesen seien. Gleichzeitig habe sich im Jahre 2001 das Gebührenrecht geändert und die Wegegeldzonen seien neu festgelegt. Sie habe daraufhin auf Anraten des damaligen Obergerichtsvollziehers S. eine Tabelle erstellt und diese zu den General- und Sammelakten gegeben. Beanstandungen hinsichtlich der Wegegeldabrechnungen habe es nie gegeben. Dabei sei der Gerichtsvollzieherprüfungsbeamte verpflichtet, Akten gerade auch wegen erhobener Wegegelder zu prüfen. Schließlich seien aufgrund des Disziplinarverfahrens gegen die Beamtin den Gerichtsvollziehern Abrechnungstabellen vorgegeben worden.

95

Zusammenfassend führt die Beklagte aus:

96

Die Beklagte sei als junge Gerichtsvollzieherin seit dem Jahre 2001 stets überlastet gewesen. Ihr seien zusätzliche Bezirke übertragen worden, die „brannten“. Dies sei der Dienstaufsicht bekannt gewesen. Der Vorwurf, das Ansehen der Justiz beschädigt zu haben, sei aufgrund der bewusst veranlassten Überlastung der Beklagten paradox. Die hohen Beitreibungsergebnisse der Gerichtsvollzieherin hätten das Ansehen der Justiz gestärkt.

97

Von einem endgültigen Vertrauensverlust könne noch nicht ausgegangen werden. Denn der Kläger habe die Beklagte trotz Abschluss der Ermittlungen über viele Monate in den Innendienst versetzt und beschäftigt. Dort habe die Beklagte beanstandungsfrei gearbeitet.

98

Der Kläger erwidert:

99

Der lange Zeitraum des Disziplinarverfahrens sei den umfangreichen Ermittlungen geschuldet gewesen.

100

Zur angeblichen Überlastung werde auf den Beschluss des OVG LSA - Disziplinarsenat - vom 19.07.2007 (10 M 1/07) verwiesen, wo es heiße, dass „die von der Antragstellerin im wesentlichen eingeräumten zahlreichen Verstöße gegen die einer Gerichtsvollzieherin obliegenden Dienstpflichten bereits für sich genommen ein Versagen im Kernbereich begründen, ohne dass dieses allein mit dem Hinweis auf die dienstliche Belastung zu rechtfertigen sein wird“ und dass eine dienstliche Überlastung „weder eine beharrliche Verletzung von dienstlichen Kernpflichten, noch gar ein damit im Zusammenhang stehendes strafrechtliches Verhalten“ rechtfertige. Zudem seien die angegebenen Überlastungszahlen in den Jahren 2001 und 2002 nicht nachvollziehbar und die Vorgänge aus den Jahren 2004 und 2005 auch ohne Belang. Die von der Beklagten für die Jahre 2003 und 2004 genannten Werte von 166 % und 192 % entsprechen zwar den Feststellungen des Prüfbeamten in den Prüfberichten vom 10.9.2004 und 16.03.2005, beruhten allein aber auf den eigenen Jahresübersichten der Beklagten. Das Dienstregister zähle weitaus weniger Verfahren.

101

Zu III. 3.

102

Es sei festzustellen, dass Sachstandsanfragen durch eine Angestellte ohne konkreten Bezug zu dem nur aus der Akte ersichtlichen letzten Stand der Dinge beantwortet seien. Insoweit sei auch eine fehlerhafte Büroorganisation festzustellen.

103

Zu III. 4.

104

Der Vortrag ändere nichts daran, dass dem Schuldner der Zuschlag nicht hätte erteilt werden dürfen, ohne sich zuvor davon zu überzeugen, dass dieser den Betrag in Bar hinterlegt habe.

105

Zu III. 5.

106

Aus der fehlenden Protokollierung könne selbstverständlich die Nichtbefragung des Schuldners geschlossen werden. Im Übrigen hänge bei lebensnaher Betrachtung allein von der Fragestellung des Gerichtsvollziehers ab, ob der Schuldner die Eidesstattliche Versicherung abgeben wolle oder nicht. Denn soweit sogleich mit der Verhaftung gedroht werde, werde der Schuldner die Eidesstattliche Versicherung abgeben, weil er die Verhaftung vermeiden will. Dann fielen sogleich 51,00 Euro an Gebühren an. Fragt der Gerichtsvollzieher hingegen nur, ob die Eidesstattliche Versicherung jetzt abgegeben werde und führt nach Verneinung der Frage die Verhaftung durch, seien insgesamt 70,00 Euro an Gebühren angefallen. Die Verfahrensweise der Beklagten sei dementsprechend allein dadurch motiviert gewesen, jeweils zusätzliche 19,00 Euro zu verdienen.

107

Zu III.6.

108

Gerügt sei die schlichte Nicht-Weiterleitung von Akten an das Vollstreckungsgericht. Soweit die Beklagte auf ihre hohen Beitreibungsergebnisse und das insoweit hervorgehobene „besondere Engagement“ verweise, erkläre sich dies damit, dass die Einnahmen der Gerichtsvollzieher damals wegen der Bürokostenentschädigung noch deutlicher erfolgsabhängiger gewesen seien als heute. Vor diesem Hintergrund fühlten sich die Gerichtsvollzieher damals mit einem Pensum von 1,3 bis 1,4 keineswegs überfordert, sondern wünschten eine deutlich über 1,0 Pensen liegende Belastung. Dementsprechend seien auch keine Überlastungsanzeigen erstattet worden. Bei dieser allen Beteiligten bestens bekannten Sachlage davon zu sprechen, es sei ein „Ausdruck grober Treuwidrigkeit, einen Gerichtsvollzieher zu überlasten“ werde den tatsächlichen Zusammenhängen nicht gerecht.

109

Zu III. 7.

110

Auch die Entlastung aufgrund Tätigkeiten durch die Mitarbeiterin W. könne nicht greifen. Denn insoweit liege auch hier ein Überwachungsverschulden vor.

111

Zu III. 8.

112

Auf die fehlerhafte Erhebung von Dokumentenpauschalen sei die Beklagte sei dem Jahr 2002 in jedem Prüfbericht hingewiesen worden. Zudem handele es sich um eine von der Beamtin selbst zu beantwortende Rechtsfrage. Hier zeige sich die beachtliche Kreativität der Beklagten in der Schaffung gesetzlich nicht vorgesehener Einnahmequellen.

113

Zu III. 9.

114

Der das Disziplinarverfahren bearbeitende Richter am OLG Dr. O. sei zum Zeitpunkt der Urteilsfindung nicht mit Disziplinarsachen befasst gewesen.

115

Zu III. 10.

116

Dass es an umfassenden Beanstandungen in den Geschäftsprüfungen bezüglich der Wegegelder fehle, beruhe darauf, dass die Wegegeldberechnung im Rahmen der Geschäftsprüfung eine völlig untergeordnete Rolle spiele.

117

Die Beklagte erwidert:

118

Soweit die Klägerin nunmehr hinsichtlich der Vorwürfe zu III. 3. und III. 7. auf ein Büro- und Organisationsverschulden der Beklagten verweist, handele es sich um einen neuen, von der Disziplinarklage nicht umfassten Vortrag. Der Vorhalt zu III. 5. bezüglich der Verhaftungen sei konstruiert und ehrenrührig. Hinsichtlich der zu III. 6. vorgetragenen Überlastungsproblematik verkenne der Kläger, dass die Überlastungen nicht jeweils mit dem Ablauf des Jahres enden. Selbstverständlich gebe es Überhänge. Es sei falsch, dass Überlastungen aus wirtschaftlichen Gründen bei den Gerichtsvollziehern gewünscht gewesen seien. Die Beklagte habe ihre Überlastung wiederholt thematisiert, insbesondere gegenüber ihrer Direktorin, gegenüber dem Prüfungsbeamten und gegenüber dem Mitarbeiter der „T.-F.“ S.. Die Beklagte könne ihrer Direktorin nichts anzeigen, was diese nicht schon gewusst habe.

119

Abschließend verweist die Klägerin erneut auf die Notwendigkeit individueller Überlastungsanzeigen. Diese Frage müsse individuell nach Ausbildungsstand, Befähigung, praktischer Erfahrung und Übung, Gesundheitszustand und Alter des Beamten geprüft werden.

120

Mit Beschluss vom 20.09.2012 hat das Disziplinargericht den Kläger aufgefordert, die in der Disziplinarklage unter Punkt 10 und der Anlage III aufgeführten 2.436 Akten dem Disziplinargericht in der Reihenfolge der Darstellung in der Anlage III bis zum 22.10.2012 vorzulegen und die Verfahren, welche Gegenstand der Verurteilung der Beamtin im Urteil des LG Dessau-Roßlau vom 29.10.2009 zum Tatkomplex Wegegelder waren, in der Anlage III kenntlich zu machen. Auf den daraufhin vom Kläger abgegebenen Schriftsatz vom 02.10.2012 (GA, Bl. 208) und 18.10.2012 (GA, Bl. 271) mit der dazugehörigen Tabelle (GA, Bl. 209 – 334) wird verwiesen.

121

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie die der Verfahren 8 B 12/10 MD und 8 B 22/06 MD sowie die beigezogenen Verwaltungs-, Ermittlungs- und Zwangsvollstreckungsvorgänge verwiesen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung.

Entscheidungsgründe

122

I.) Die Disziplinarklage ist zulässig.

123

Das behördliche Disziplinarverfahren oder die Klageschrift leiden nicht unter einem wesentlichen Mangel im Sinne von § 52 DG LSA oder einem sonstigen beachtlichen Verfahrensfehler.

124

1.) Der Kläger ist klagebefugt. Die oberste Dienstbehörde kann ihre Befugnisse nach § 34 Abs. 2 Satz 1 DG LSA durch allgemeine Anordnung ganz oder teilweise auf die ihr unmittelbar nachgeordneten Dienstvorgesetzten für deren Aufgabenbereich übertragen; die Anordnung ist zu veröffentlichen (§ 34 Abs. 2 Satz 2 DG LSA). Dies ist durch die allgemeine Anordnung des MJ vom 23.05.2006, Abschn. I, Ziff. 1 - 2030/01-101.8 - (MBl. LSA v. 19.06.2006) geschehen. Danach obliegt es dem Präsidenten des OLG die Disziplinarklagen gegen Beamte des einfachen, mittleren und gehobenen Dienstes einschließlich des Gerichtsvollzieherdienstes zu erheben. Die Beteiligung der obersten Dienstbehörde nach § 35 DG LSA ist geschehen. Nachdem das Ministerium der Justiz des Landes Sachsen-Anhalt den Disziplinarklageentwürfen unter dem 13.02.2007 und 14.07.2010 nicht zugestimmt hat, wurde dem Entwurf der Disziplinarklage vom 31.03.2011 mit Verfügung des MJ vom 19.04.2011 vorbehaltlich geringfügiger Änderungen zugestimmt.

125

2.) Der Begriff des wesentlichen Mangels im Sinne von § 52 DG LSA erfasst Verletzungen von Verfahrensregeln, die im behördlichen Disziplinarverfahren von Bedeutung sind (BVerwG zum gleichlautenden § 55 BDG; Urteil v. 29.07.2010, 2 A 4.09 mit Verweis auf Urteil v. 20.10.2005, 2 C 12.04; beide juris). Hierunter fallen Verstöße gegen verfahrensrechtliche Vorschriften und Rechtsgrundsätze, die den äußern Ablauf des behördlichen Disziplinarverfahrens bis zur abschließenden behördlichen Entscheidung, also bis zur Erhebung der Disziplinarklage oder bis zu dem Erlass einer Disziplinarverfügung, betreffen (BVerwG, Beschluss v. 31.01.2012, 2 WD 4.11; Urteil v. 29.07.2010, 2 A 4.09 mit Verweis auf Beschluss v. 18.11.2008, 2 B 63.08; zuletzt: VG Magdeburg, Urteil v. 29.11.2012, 8 A 12/11 und Urteil v. 13.12.2012, 8 A 7/11; alle juris).

126

Vorliegend rügt die Beklagte innerhalb der Frist nach § 52 Abs. 1 DG LSA, dass keine ausreichende Sachaufklärung erfolgt sei, die Beamtin nach Abschluss des Verfahrens nicht hinreichend angehört und von ihr benannte Zeugen nicht vernommen worden seien.

127

a.) Nach § 21 Abs. 1 Satz 1 DG LSA sind die zur Aufklärung des Sachverhaltes erforderlichen Ermittlungen durchzuführen. Es sind die belastenden wie die entlastenden Umstände zu ermitteln, die für die Bemessung einer Disziplinarmaßnahme bedeutsam sind (§ 21 Abs. 1 Satz 3 DG LSA). Die Aufklärungspflicht aller tatsächlicher Umstände von disziplinarrechtlicher Bedeutung orientiert sich an den Bemessungsregeln und -maßstäben im Sinne des § 13 DG LSA (vgl. BVerwG zu § 13 BDG, Urteil v. 27.01.2011, 2 A 5.09; juris).

128

Das Vorgehen des Klägers genügt diesen Anforderungen. Dabei rügt die Beklagte bereits nicht substantiiert, welche konkreten Ermittlungen sie bei der Aufklärung des Sachverhaltes vermisst. Soweit sie meint, dass ihre persönliche Situation, ihre stetige vom Dienstherrn billigend in Kauf genommene berufliche Überlastung und ihre hohen Erledigungsleistungen nicht hinreichend berücksichtigt worden seien, ist dies keine Frage der Sachverhaltsaufklärung sondern der rechtlichen Bewertung und hier insbesondere einer möglichen Milderung. Die disziplinarbehördlichen Ermittlungen haben sich nicht nur darauf beschränkt, die Tathandlungen der Beklagten festzustellen, sondern ziehen aus den von der Beklagten vorgetragenen Entlastungsgründen andere rechtliche Konsequenzen. Insoweit ist der vorliegende Fall nicht mit dem Sachverhalt zu vergleichen, welcher der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 27.01.2011 zugrunde lag (2 A 5.09; juris).

129

b.) Dem Anhörungsrecht nach § 30 DG LSA ist hinreichend genüge getan worden. Danach ist „nach Beendigung der Ermittlungen“ dem Beamten „Gelegenheit zu geben, sich abschließend mündlich oder schriftlich zu äußern“; § 20 Abs. 2 DG LSA gilt entsprechend. Die Anhörung kann (nur) unterbleiben, wenn das Disziplinarverfahren eingestellt werden soll. Letzteres ist vorliegend nicht geschehen.

130

Eine Verletzung der in § 30 Abs. 1 DG LSA (gleichlautend mit § 30 Satz 1 BDG) geregelten Pflicht zur abschließenden Anhörung ist als ein wesentlicher Verfahrensmangel anzusehen. § 30 Satz 1 DG LSA sichert den Anspruch des Beamten auf rechtliches Gehör im Sinne eines Rechts auf Information, Äußerung und Berücksichtigung. Er ist zudem Ausprägung des Grundsatzes, dass der Beamte nicht zum bloßen Objekt des Disziplinarverfahrens gemacht werden darf. Dieses Verständnis des Anspruchs auf rechtliches Gehör indiziert, dass sich die Anhörung des Beamten auf das weitere Disziplinarverfahren auswirken und für dieses von Bedeutung sein kann. Entsprechend hat der Gesetzgeber die Pflicht zur abschließenden Anhörung als zwingende Verfahrensvorschrift ausgestaltet, die leerlaufen würde, wenn das Gericht die Verletzung dieser Pflicht als für das Ergebnis des gerichtlichen Disziplinarverfahrens nicht relevant einstufen würde (BVerwG, U. v. 08.12.2010, 2 WD 24.09; OVG Bremen, B. v. 07.02.2012, DB A 78/10; beide juris).

131

Den behördlichen Disziplinarvorgängen kann nicht entnommen werden, dass der Beamtin oder ihrem Prozessbevollmächtigten ein dementsprechendes abschließendes Anhörungsrecht nach Beendigung der Ermittlungen ausdrücklich eingeräumt wurde. Dies scheint aber den Besonderheiten des Ermittlungsverfahrens hinsichtlich der gesetzlichen Veränderungen und dem Umfang der behördlichen Ermittlungen und Verfahren, die auch zur vorläufigen Dienstenthebung geführt haben, geschuldet gewesen zu sein.

132

Vorliegend ist das Disziplinarverfahren noch unter der Geltung der Disziplinarordnung Sachsen-Anhalt (DO LSA) mit Verfügung vom 28.02.2005 eingeleitet worden. Mit Verfügung vom 23.06.2005 wurde der Beamtin das Ergebnis der Ermittlungen mitgeteilt. Mit Disziplinarverfügung vom 08.09.2005 wurde ein disziplinarrechtlicher Verweis gegen die Beamtin erteilt. Dieser Verweis beinhaltete die Vorwürfe zu 2. (verspätete Auskehr), 3. (Sonderaktenführung; Textbausteine); 4. (Versteigerung F.). Wegen weiterer sich herausstellender Verdachtsmomente wurde dieser Verweis unter dem 05.10.2005 wieder aufgehoben und die Vorermittlungen entsprechend der neuerlichen Feststellungen im Prüfungsbericht vom 30.09.2005 (Gebührenüberhebung wegen Verhaftungsgebühr; Entnahme von Fremdgeldern {später nicht verfolgt}, Wegegelder, Zustellkosten, Dokumentenpauschalen; Verschleppung des Verfahrens {Sparkasse}) wurden erweitert. Am 17.03.2006 und 31.03.2006 wurden die disziplinarrechtlichen Vorermittlungen erneut erweitert. Das wesentliche Ergebnis der Vorermittlungen ist den Berichten vom 02.06.2006 und 03.07.2006 zu entnehmen und wurde der Beamtin taggleich mitgeteilt. Unter dem 23.06.2006 wurden die Vorermittlungen gemäß § 26 Abs. 4 DO LSA abgebrochen. Es wurde festgestellt, dass das förmliche Disziplinarverfahren einzuleiten ist. Der Beamtin und ihrem Prozessbevollmächtigten wurde unter dem 07.07.2006 mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, gemäß § 34 DG LSA Disziplinarklage zu erheben und sie Gelegenheit zur Stellungnahme erhalte.

133

Zu Recht wurde das im Jahr 2005 eingeleitete Disziplinarverfahren unter dem Regime des Disziplinargesetzes LSA nach dem 01.07.2006 fortgeführt (§ 81 Satz 3 DG LSA). Denn die Übergangsregelung in § 81 Abs. 4 Satz 1 DG LSA ist nicht einschlägig. Zwar hat die Disziplinarbehörde wenige Tage vor dem Inkrafttreten des Disziplinargesetzes, nämlich am 23.06.2006 festgestellt, dass ein förmliches Disziplinarverfahren - wie es nach der Disziplinarordnung LSA hieß - eingeleitet werden muss (vgl. § 26 Abs. 4 DO LSA). Nach § 33 DO LSA wird das förmliche Disziplinarverfahren durch schriftliche Verfügung der Einleitungsbehörde eingeleitet. Die Verfügung wird dem Beamten zugestellt. Die Einleitung wird mit der Zustellung an den Beamten wirksam (§ 33 Satz 4 DO LSA). Letzteres, also die Zustellung an die Beamtin ist jedenfalls nicht vor dem 01.07.2006 geschehen. Demnach sind seit dem 01.07.2006 die Regelungen des DG LSA anwendbar.

134

Wurde damit das „wesentliche Ergebnis der Ermittlungen“, welches dazu führte, das man ein förmliches Disziplinarverfahren nach der DO LSA einleiten wollte, der Beamtin mitgeteilt, sind den Erfordernissen des abschließenden Anhörungsrechts nach § 30 DG LSA genüge getan worden. Denn die Ermittlungen waren abgeschlossen. In der Folgezeit nahm der Prozessbevollmächtigte Akteneinsicht (August 2006) und der Bezirkspersonalrat wurde angehört (August 2006). Sodann wurde unter dem 14.11.2006 eine erste Disziplinarklage dem MJ LSA zur Zustimmung nach § 35 Abs. 1 Satz 1 DG LSA vorgelegt worden. Diese Disziplinarklage wurde vom MJ LSA unter dem 13.02.2007 bemängelt und zur Überarbeitung zurückgegeben. Ebenso die zweite Disziplinarklage vom 20.04.2007. Nachdem das Disziplinarverfahren gem. § 22 DG LSA wegen des anhängigen Strafverfahrens ausgesetzt wurde, vermochte das MJ LSA auch nach Fortsetzung des Verfahrens unter dem 14.07.2010 den Entwurf der Disziplinarklage immer noch nicht zuzustimmen. Das MJ LSA bemängelte insbesondere, dass die strafrechtliche Historie und die letztendlich durch das OLG A-Stadt erfolgte Einstellung des Strafverfahrens in der Disziplinarklage nicht hinreichend zum Ausdruck kommen. Schließlich wurde die nunmehr vorliegende Disziplinarklage vom 20.04.2011 unter dem 19.04.2011 vom MJ LSA gebilligt.

135

Eine erneute, allein wegen dieser zeitlichen Komponente ausdrückliche Anhörung nach § 30 DG LSA musste nicht durchgeführt werden. Nach der Gesetzesbegründung zu § 30 DG LSA bedingt die Durchführung der Anhörung eine „Mitteilung des wesentlichen Ergebnisses der Ermittlungen“, was nach den allgemeinen Regeln des Verwaltungsverfahrensrechts selbstverständlich sei und deshalb im Gesetz nicht ausdrücklich erwähnt werde. Aufgrund des Gesamtzusammenhangs ist davon auszugehen, dass die in Kap. 2 Teil 3 (behördliches Disziplinarverfahren) genannten Handlungen, die die Durchführung des behördlichen Disziplinarverfahrens regeln, wie z. B. Beweiserhebung durchgeführt sein müssen. Demnach ist davon auszugehen, dass, wenn diese Handlungen durchgeführt sind, in der Regel die Erstellung des „wesentlichen Ergebnisses“ der Ermittlungen erfolgt und in einer in Kap. 3 genannten Abschlussentscheidung münden (Einstellung, Disziplinarverfügung, Disziplinarklage). Auch nach Zurückweisung der Disziplinarklage nach § 35 Abs. 1 DG LSA durch das MJ LSA fanden durch die Disziplinarbehörde keineneuen in Kap. 2 zur Durchführung des Disziplinarverfahrens genannten Maßnahmen statt, so dass der jeweiligen Überarbeitung der Disziplinarklage, § 30 DG LSA nicht im Wege steht. Daher ist entscheidend aber auch ausreichend, dass der Ermittlungsbericht des Ermittlungsführers der Beamtin oder ihrem Prozessbevollmächtigten zugegangen ist. Dies ist der Fall. Denn § 30 DG LSA setzt nicht etwa voraus, dass die fertige Disziplinarklage den Beamten vor Erhebung zur Kenntnis gegeben werden muss. Zudem waren die wesentlichen Disziplinarvorwürfe der Beamtin aufgrund der Verfahren bezüglich der vorläufigen Dienstenthebung bekannt. Denn diese waren auch Gegenstand des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Magdeburg - Disziplinarkammer - vom 24.01.2011 (8 B 12/10 MD).

136

c.) Dem disziplinarrechtlichen Schriftverkehr sind keine Beweisangebote oder Beweisanträge seitens der Beklagten zu entnehmen, so dass diesbezüglich auch keine Verletzung durch Nichtberücksichtigung vorliegen kann.

137

d.) Schließlich genügt die Disziplinarklage dem Bestimmtheitsgebot. Der diesbezügliche strafprozessuale Vorhalt, der zur prozessualen Aufhebung der Verurteilung durch das Oberlandesgericht A-Stadt führte, ist zur Überzeugung des Disziplinargerichts in der Disziplinarklage geheilt. Dabei muss aus der Klageschrift unmissverständlich hervorgehen, welche Sachverhalte angeschuldigt werden. Es ist erforderlich, aber auch ausreichend, wenn bei verständiger Lektüre aus der Klageschrift eindeutig hervorgehet, welche konkreten Handlungen den Beamten als Dienstvergehen zur Last gelegt werden (vgl. zum Ganzen: BVerwG, B. v. 20.12.2011, 2 B 59.11 m. w. Nachw.; juris). Die der Disziplinarklage beigefügte Tabelle zu dem Pflichtenverstoß Nr. 10 (Wegegelder) genügt der hinreichenden Konkretisierung. Denn es ist verständlich und nachvollziehbar, was damit gesagt und belegt werden soll. Zudem hat der Kläger nach Aufforderung durch das Disziplinargericht die Anlage III dahingehend weiter konkretisiert, dass er die dem Urteil des Landgerichts Dessau-Roßlau vom 29.10.2009 zugrunde gelegten Verfahren bezeichnet und im Übrigen dem Disziplinargericht vorgelegt hat.

138

II.) Die Disziplinarklage ist begründet. Die Beklagte hat ein schwerwiegendes innerdienstliches Dienstvergehen gemäß § 47 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG begangen, welches die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis nach sich zieht.

139

Beamte begehen ein Dienstvergehen, wenn sie schuldhaft die ihnen obliegenden Dienstpflichten verletzen (§ 47 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG). Die Disziplinarkammer ist davon überzeugt, dass die Beklagte die ihr unter Ziffern 2. b., 6, 7, 9 und 10 der Disziplinarklage zur Last gelegten Pflichtenverstöße begangen hat. Dadurch hat sie gegen ihre dienstlichen Pflichten zur uneigennützigen und gerechten Dienstausübung verstoßen und ist nicht der Achtung dem Vertrauen gerecht geworden die ihr Beruf erfordert (§§ 33, 34 BeamtStG). Dabei wiegt der Vorwurf unter Ziffer 10 (Wegegeldabrechnungen) schwer und dominierend. Die Pflichtverletzungen sind als sogenanntes einheitliches Dienstvergehen zu sehen und zu ahnden. Hinsichtlich der vorgehaltenen Pflichtenverstöße zu Ziffern 1, 2. a. und c., 3, 4, 5 und 8 der Disziplinarklage ist die Beamtin freizusprechen.

140

1.) Der unter 1. in der Disziplinarklage genannte Vorwurf der verspäteten Abgabe einer Stellungnahme zur Geschäftsprüfung im Prüfbericht vom 10.09.2004 trägt nicht. Zum einen kann bereits in der Akte nicht die in der Disziplinarklage genannte Aufforderung vom 28.09.2004 durch die Direktorin des Amtsgerichts K. aufgefunden werden und zum anderen hat die Beamtin unter dem 27.01.2005 (Beiakte F, Bl. 90) umfassend zu dem Prüfbericht Stellung genommen. Wenn überhaupt, dann handelt es sich um eine Verzögerung von ca. 4 Monaten. Dies kann nicht als disziplinarrechtlich relevanter Gehorsamsverstoß angesehen werden. Der Beamtin mag vorzuwerfen sein, dass sie nicht hinreichend mit der Dienstaufsicht kooperiert. Dies ist aber auch der Vielzahl der im Prüfbericht festgestellten Vorwürfe zurechenbar. Dementsprechend mag auch die Fristsetzung von einem Monat für die Stellungnahme zu den umfangreichen Vorwürfen als zu kurz bemessen anzusehen sein. Auch die in der Disziplinarverfügung genannten wiederholten und ausdrücklichen Aufforderungen durch die Direktorin des Amtsgerichts sind den Akten nicht zu entnehmen.

141

2.) Bezüglich des unter 2. in der Disziplinarklage erhobenen Pflichtenverstoßes ist zu unterscheiden. Bereits fraglich ist, was unter verspäteter Abführung an die Gläubiger zu verstehen ist. § 106 Nr. 1 GVGA lautet:

142

„Die empfangenen Leistungen liefert der Gerichtsvollzieher unverzüglich an den Gläubiger ab, sofern dieser nichts anderes bestimmt hat.“

143

„Unverzüglich“ bedeutet grundsätzlich „ohne schuldhaftes Zögern“. Dabei ist auf den Einzelfall abzustellen. In der Disziplinarklage werden 32 Fälle aus dem Jahre 2004 benannt. Dabei gehen die Differenztage von wenigstens 3 bis in einem Fall längstens 45 Tagen; weitere Fälle von 38, 35 und 31 Tagen. Die vom Kläger gebildete Durchschnittsüberschreitung von 17 Tagen kann bereits nicht Maßstab für die Fristenüberschreitung sein. Insoweit müsste jeder Einzelfall beleuchtet werden. Im Übrigen stammt dieser Vorwurf vom 10.09.2004 (Bl. 55 Beiakte F). Die Beamtin führt in ihrer diesbezüglichen Stellungnahme vom 27.01.2005 (Bl. 90 Rs Beiakte F) aus:

144

„Die verzögerten Überweisungsfristen liegen auch darin begründet, dass ich mit Diskette überweise und dadurch im Einzelnen Übertragungsfehler in den Daten der Überweisungen auftreten.

145

Dann führt meine Bank die Überweisungsliste nicht aus. Die gesamte Liste muss dann erneut erfasst werden, was Verzögerungen hervorruft.

146

Auch ist es schon passiert, dass die Überweisungsaufträge von meiner Bank verspätet ausgeführt wurden.

147

Dies ist auch eine Verzögerung, die ich nicht zu vertreten habe. Ich betone aber, dass dies keinesfalls die Regel ist und überall Menschen arbeiten, denen Fehler unterlaufen.

148

Ich werde künftig dafür Sorge tragen, Verzögerungen, die ich selbst zu vertreten habe, zu meiden.“

149

Demnach mögen hier in den unter Nr. 2. a) dargestellten Verfahren im Einzelfall Verspätungen feststellbar sein. Diese hält die Disziplinarkammer aber disziplinarrechtlich für nicht gravierend, weil es sich allenfalls um eine nachlässige Arbeitsweise handelt.

150

Schwerer wiegt der unter 2. b) erhobene Vorwurf hinsichtlich des am 19.03.2004 erzielten Versteigerungserlöses, welcher am 18.08.2004 noch nicht abgeführt war. Mithin liegt hier eine Überschreitung von fünf Monaten vor. Zu diesem Vorwurf verhält sich die Beklagte nicht.

151

Die unter Ziffer 2. c) dargestellten 11 Verfahren weisen unstreitig eine Überweisungsfrist zwischen 7 und 11 Tagen auf. Auch hier vermag die Disziplinarkammer nicht eindeutig zu entscheiden, ob ein Verstoß gegen die „Unverzüglichkeit“ vorliegt. Ein Vorwurf mag der Beamtin darin gemacht werden, dass sie trotz der Feststellungen in dem Prüfbericht aus dem Jahre 2004 weiterhin wenig Kontrolle ihrer Überweisungen an den Tag gelegt hat. Der Vorwurf der mangelnden Organisation wird aber nicht erhoben.

152

3.) Den unter 3. erhobenen Pflichtenverstoß vermag das Disziplinargericht nicht zu teilen. Der unter a) geführte Vorwurf pauschale und irreführende Textvordrucke benutzt zu haben, kann so nicht erhoben werden. Die Beamtin hat sich nur eines vorgefertigten Textbausteins bedient, um auf eine Vielzahl von gleichlautenden Sachstandsanfragen zu reagieren. Dagegen ist nichts einzuwenden. Dass diese Antworten in den aufgeführten fünf Verfahren unrichtig waren, weil die Vollstreckungsaufträge bereits erledigt waren, mag keinen Pflichtenverstoß begründen. Jedenfalls - und das ist entscheidend - ist nicht der mit der Disziplinarklage erhobene Vorwurf der Täuschung belegt.

153

4.) Der Vorwurf zu 4. ist zur Überzeugung des Gerichts nicht - hinreichend - erfüllt.

154

Nach § 1239 Abs. 1 Satz 1 BGB kann der Eigentümer bei der Versteigerung mitbieten. Satz 2 der Norm bestimmt, dass das Gebot des Eigentümers zurückgewiesen werden darf, wenn nicht der Betrag bar erlegt wird. Dementsprechend führt § 145 Nr. 2 b GVGA aus, dass der Schuldner bei der Versteigerung mitbieten kann; sein Gebot jedoch zurückzuweisen ist, wenn er nicht den Betrag sofort bar hinterlegt. Der Zuschlag darf nicht ohne vorherige Prüfung der Liquidität erfolgen.

155

Die Beklagte stellt den Vorgang in der Klageerwiderung vom 30.06.2011 so dar, dass sie nach dem Gebot die Versteigerung sofort unterbrochen habe und mit dem Schuldner und dem Zeugen H. in das Büro gegangen sei. Dort habe sich die Illiquidität des F. herausgestellt. Demgegenüber hat sie im diesbezüglichen Vermerk zur Versteigerung vom 19.03.2004 – also direkt nach der Versteigerung - ausgeführt, dass der F. den Zuschlag erhalten habe. Erst danach habe sie die Liquidität des F. überprüft. Dementsprechend könnte hier in der Tat eine falsche Sachbehandlung vorliegen. Denn Folge dieser Illiquidität des Schuldners war, dass die Versteigerung erneut durchgeführt werden musste und es dann nur zu einem Gebot von nur 20.000,00 Euro kam, wohingegen zuvor ein unter dem Gebot des F. in Höhe von 35.000,00 Euro liegendes - wohl zuschlagsfähiges - Gebot in Höhe von 33.000,00 Euro lag; demnach entstand eine Differenz von 13.000,00 Euro. Andererseits ist dem Gericht aus dem Eilverfahren zur vorläufigen Dienstenthebung (8 B 12/10 MD) bekannt, dass der am Versteigerungstermin teilgenommene Zeuge S. in einer Eidesstattlichen Versicherung angab, er habe ein Gespräch zwischen der Beklagten und dem Gerichtsvollzieher H. mitverfolgen können, dass geplant gewesen sei, den F. im Falle der Versteigerungsteilnahme sofort zu überprüfen. Dann heißt es aber in der E.V.; „Dazu ist es nicht gekommen, da der fragliche F. bei der Versteigerung bis zum Schluss nicht mitgeboten hat. Als Schlussbietender wurde er sofort in das Büro gebeten.“ Demnach ist es so, dass der F. als Schlussbieter nicht zuvor das Geld zeigen musste. Dies berücksichtigt die Disziplinarklage nicht hinlänglich genug.

156

5.) Der Gerichtsvollzieherin wird unter Ziffer 5 der Disziplinarklage vorgeworfen, dass sie entgegen der Gesetzeslage zur Abgabe der Eidesstattlichen Versicherung geladene Schuldner verhaftet hat, ohne ihnen zuvor Gelegenheit gegeben zu haben, die Eidesstattliche Versicherung freiwillig - ohne Verhaftung - abzugeben. Dabei steht in dem Vorwurf aber nicht die Verhaftung und damit Freiheitsberaubung im Vordergrund, sondern wohl die Erhebung zusätzlicher Kosten.

157

Ausgangslage ist also, dass der Schuldner verhaftet werden kann, wenn er die Eidesstattliche Versicherung ablehnt, um die Verhaftung als Druckmittel zu benutzen. Die Disziplinarklage führt aus, dass aus dem Protokoll zu dem Verfahren DR II 505/05 nicht ersichtlich sei, dass die Schuldnerin eben gerade vor der Verhaftung zur freiwilligen Abgabe der EV aufgefordert worden sei. Die Disziplinarklage geht aber weiter und interpretiert aus der fehlenden Aufnahme im Protokoll über die Befragung, dass davon auszugehen sei, dass die Schuldnerin noch im Verhandlungstermin mitwirkungsbereit gewesen sei und die Eidesstattliche Versicherung freiwillig habe abgeben wollen, da nicht dokumentiert sei, ob sie befragt worden sei, ob die Bereitschaft bestehe, die geforderte Eidesstattliche Versicherung freiwillig abzugeben. Diese Interpretation des Protokolls trägt den Disziplinarvorwurf nicht. Man mag der Gerichtsvollzieherin vorwerfen können, dass sie die Protokollierung nicht ordnungsgemäß vorgenommen habe. Dies ist aber gerade nicht Vorwurf der Disziplinarklage ist. Der Vorwurf ist vielmehr, dass unnötige Verhaftungen durchgeführt wurden, die zu unnötigen Kosten geführt haben; ein gänzlicher anderer Vorwurf.

158

Auch die weiteren in der Disziplinarklage genannten Verfahren betreffen die Nichtprotokollierung der freiwilligen Abgabe. Für sie gilt dasselbe.

159

6.) Der Beamtin wird unter 6. der Disziplinarklage vorgeworfen, in mindestens 57 Fällen aus den Jahren 2004, 2005 gegen ihre Pflicht zur unverzögerten Bearbeitung der Verfahren verstoßen zu haben. Dies sind alle samt Fälle, in denen der Schuldner nicht zur Abgabe der Eidesstattlichen Versicherung erschien, so dass die Akten zum Vollstreckungsgericht weitergereicht werden müssen. Dieses Verfahren ist in § 185 j GVGA geregelt. Entscheidend ist aber, dass dort keine Frist aufgeführt ist. Es heißt dort nur: „so legt der Gerichtvollzieher ... dem Vollstreckungsgericht ... vor“.

160

Auch der zitierte § 64 GVGA hilft nicht weiter. Denn die Disziplinarklage führt nur Satz 1 der Norm auf, wonach der Gerichtsvollzieher die Zwangsvollstreckung schnell und nachdrücklich durchführt. Dies kann nur als allgemeiner Grundsatz verstanden werden. Dass es davon Ausnahmen gibt, bestimmt schon Satz 2 der Norm und der letzte Satz der Norm, wonach nach Monatsfrist ein Aktenvermerk zu fertigen ist. Im Übrigen fällt bei den in der Disziplinarklage aufgeführten 57 Verfahren auf, dass die Beamtin nachweislich der Daten die Fälle gesammelt hat, um sie dann gebündelt beim Vollstreckungsgericht vorzulegen. So beinhalten alleine 50 Fälle das Eingangsdatum beim Vollstreckungsgericht vom 15.03.2005, wobei diese ganz überwiegend vom Termin am 16.11.2004 stammten.

161

So verbleibt ein nicht schwerwiegender Vorhalt der unverzögerten Bearbeitung der Verfahren festzustellen.

162

7.) Der unter Nr. 7. der Disziplinarklage vorgehaltene Vorwurf trifft zu. Die Beamtin hat in acht Fällen Zustellungen in Höhe von 5,60 Euro durch die Deutsche Post AG in Ansatz gebracht, obwohl die Zustellungen tatsächlich durch einen privaten Kurierdienst zum Preis von 4,47 Euro durchgeführt wurden. Unabhängig von der strafrechtlichen Bewertung liegt hier der disziplinarrechtlich relevante Pflichtenverstoß gegen die beamtenrechtliche Uneigennützigkeitspflicht vor.

163

8.) Der unter Nr. 8 der Disziplinarklage erhobene Vorwurf betrifft die Erhebung der sog. „Dokumentenpauschale“. Die Disziplinarklage führt aus, dass seit dem Jahre 2002 die Gerichtsvollzieherin in jedem Prüfungsprotokoll auf die falsche Sachbehandlung und Kostenberechnung hingewiesen worden sei. Dies bestreitet die Beamtin und trägt in der Klageerwiderung vor, dass sie erstmals in der Schlussbesprechung vom 10.09.2004 darauf hingewiesen worden wäre. In den Unterlagen sind die Prüfberichte 2002 nicht enthalten. Aufgrund der Ausführungen ist davon auszugehen, dass tatsächlich bezüglich dieser Erhebung gewisse Rechtsunsicherheiten und verschiedene Auslegungen bestanden. Dies führt die Gerichtsvollzieherin auch in ihrer Stellungnahme vom 27.01.2005 nachvollziehbar aus. Letztendlich - und dies ist auch zu bewerten - hat die Beamtin die überhöhten Kostenansätze in Höhe von insgesamt 432,00 Euro nach Aufforderung an die Landeskasse abgeführt.

164

9.) Im Zusammenhang mit dem Tatbestand des Urteils des Oberlandesgerichts A-Stadt vom 28.05.2008 erschließt sich der Vorhalt zu Ziffer 9 der Disziplinarklage. Zunächst wird der Beamtin in der Disziplinarklage vorgeworfen, in dem Verfahren DR II 617/04 (Kreissparkasse) nicht ordnungsgemäß protokolliert zu haben. Es wird angeführt, dass in der Akte ein unausgefüllter Protokollvordruck vom 24.03.2004 enthalten sei. Es sei nicht ersichtlich, welche Pfandstücke gepfändet worden seien. Im Juni 2004 sei dann gegen die Schuldnerin das Insolvenzverfahren mit Untersagung der Zwangsvollstreckung eröffnet worden. Auch nach Freigabe des Pfandgutes durch den Insolvenzverwalter im Februar 2005 sei erst durch den Dezernatsnachfolger der Beklagten im September 2005 ein Versteigerungstermin bestimmt worden. Wegen der Lagerung der gepfändeten Gegenstände seien hohe Lagerkosten entstanden, welche durch eine zeitnahe Versteigerung hätten verringert werden können. So fehle es an der Schätzung des Verkehrswertes des Pfandgutes und damit an einem Verhältnis zu den Lagerkosten. Die Lagerkosten betrugen wohl 7.531,30 Euro. Der spätere Verwertungserlös nur 600,00 Euro. Es kam zum Amtshaftungsanspruch, weshalb die Beamtin letztendlich vom Oberlandesgericht A-Stadt verurteilt wurde, an das Land Sachsen-Anhalt 1.373,69 Euro zu zahlen; hinsichtlich eines Betrages von 7.531,30 Euro an den Spediteur wurde die Amtshaftungsklage abgewiesen. In dem Urteil vom OLG A-Stadt (6 U 163/07) ist ausgeführt, dass die Gerichtsvollzieherin durch die nicht zeitnahe Anberaumung eines Versteigerungstermins ihre Amtspflichten verletzt, die Einlagerungskosten unnötig erhöht hat und ihr grobe Fahrlässigkeit zur Last fällt.

165

Die Disziplinarkammer schließt sich aus den Gründen des Amtshaftungsurteils dem Disziplinarvorwurf an. Soweit die Beamtin der Einschätzung des Oberlandesgerichts A-Stadt zur groben Fahrlässigkeit widerspricht ist anzunehmen, dass mindestens Fahrlässigkeit vorliegt.

166

10.) Der Schwerpunkt der Disziplinarklage liegt auf dem schwerwiegenden Pflichtenverstoß zu Nr. 10. Hier werden der Beamtin falsch abgerechnete Wegegelder in Höhe von 7.146,59 Euro im Zeitraum Oktober 2001 bis Juli 2005 vorgehalten. Zur Überzeugung des Disziplinargerichts trifft dieser Vorwurf zu. Die Beamtin tritt dem auch nicht substantiiert entgegen.

167

Das Wegegeld wird nach § 37 Abs. 3 GvKostG (a. F.; bis 30.04.2001) und gemäß KV 711 GvKostG (n. F. ab dem 01.05.2001) nach Entfernungen berechnet. Gemäß § 19 Abs. 1 Satz 1 GvKostRNeuOG v. 19.04.2001 waren dann, wenn der Auftrag vor dem 01.05.2001 erteilt worden war, die Kosten nach § 37 Abs. 3 GKG a. F. zu erheben. Nr. 711 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtsvollzieherkostengesetz sieht ein

168

Wegegeld je Auftrag für zurückgelegte Wegstrecken

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- bis zu 10 km von 2, 50 EUR

170

- von mehr als 10 km bis 20 km von 5,00 EUR

171

- von mehr als 20 km bis 30 km von 7,50 EUR

172

- von mehr als 30 km von 10,00 EUR

173

vor. Das Wegegeld wird erhoben, wenn der Gerichtsvollzieher zur Durchführung des Auftrags Wegstrecken innerhalb des Bezirks des Amtsgerichts, dem der Gerichtsvollzieher zugewiesen ist, oder innerhalb des dem Gerichtsvollzieher zugewiesenen Bezirks eines anderen Amtsgerichts zurückgelegt hat (Nr. 711 Abs. 1). Maßgebend ist die Entfernung vom Amtsgericht zum Ort der Amtshandlung, wenn nicht die Entfernung vom Geschäftszimmer des Gerichtsvollziehers geringer ist. Werden mehrere Wege zurückgelegt, ist der Weg mit der weitesten Entfernung maßgebend (Nr. 711 Abs. 2). Entscheidend ist, dass die Entfernung nach der Luftlinie zu messen ist (Nr. 711 Abs. 2 Satz 3).

174

a.) Gegen diese pauschalierte Wegegeldberechnung anhand der Luftlinie hat die Beklagte in den ihr vorgehaltenen Fällen verstoßen und damit nicht unerhebliche Beträge vereinnahmt, die ihr nicht zustanden. Exemplarisch sei dies an den Verfahren DR II 20/05 (Nr. 1 der Anlage III, S. 1 zu 2005 der Disziplinarklage) hinsichtlich des Ortes Z., DR II 51/05 (Nr. 3 der Anlage III, S. 1 zu 2005 der Disziplinarklage), hinsichtlich des Ortes T., DR II-79/05 (Nr. 6 der Anlage III; S. 1 für 2005 der Disziplinarklage) und hinsichtlich des Ortes K. gezeigt. Alle diese - wie auch die Übrigen in der Anlage III der Disziplinarklage genannten - Orte liegen zweifellos in unmittelbarer Nähe zu dem Dienstsitz der Beamtin bzw. Amtsgericht, wobei beide Örtlichkeiten identisch sind, in K., nämlich T. 4 km Luftlinie, Z. 5 km Luftlinie und K. 7 km Luftlinie entfernt. Auch bei Unterstellung, dass es in den Jahren 2001 bis 2005 noch keine geeigneten Entfernungsberechnungsprogramme im Internet gegeben haben sollte, lässt und ließ sich auch damals diese örtliche Nähe unzweifelhaft unter Verwendung einer Karte ersehen, berechnen und sogar abschätzen. Dies auch deswegen, weil der Beklagten Ortskenntnisse hinsichtlich der in ihrem Bezirk liegenden Ortschaften unterstellt werden darf. So liegt z. B. die Ortschaft G. unmittelbar an der Stadtgrenze von K., so dass eine Einschätzung von über 10 Kilometer, wie exemplarisch in den Fällen DR II 319/05 (Nr. 42 der Anlage III, S. 2 zu 2005 der Disziplinarklage) oder 323/05 (Nr. 44 der Anlage III, s. 2 zu 2005 der Disziplinarklage) geschehen, als ausgeschlossen erscheint. Wegen dieser objektiven Offensichtlichkeit der räumlichen Nähe dieser bis zu 10 Kilometer von K. entfernten und damit mit einem Wegegeld von 2,50 Euro abzurechnenden Ortschaften, handelte die Beklagte bei einer Abrechnung dieser Wegstrecken in Höhe von 5,00 Euro, weil eine Entfernung von mehr als 10 Kilometer bis 20 Kilometer vorliege, vorsätzlich und schuldhaft.

175

Ein Versehen, ein Irrtum, ein Vertun, eine Unachtsamkeit oder eine Fahrlässigkeit in Bezug auf die Entfernungsfestlegung erachtet die Disziplinarkammer unter diese objektiven Gegebenheiten als ausgeschlossen. Gegen diesen Einordnungsirrtum spricht auch, dass die Beklagte gleiche Orte überwiegend falsch, manchmal aber auch zutreffend abrechnete. Auch bei Unterstellung einer einmaligen, erstmaligen Fehleinschätzung der Entfernung hätte der Beklagten aufgrund der beschriebenen Offensichtlichkeit der Entfernungen dieser Irrtum bei der Vielzahl der vorgehaltenen und dann immer wieder kehrenden Kilometerangabe bewusst werden müssen. Daher würde die Beklagte auch die Verwendung einer von ihr - fehlerhaft - angefertigten Wegegeldtabelle nicht entlasten. Vielmehr wollte die Beklagte mit der Falschberechnung höhere Wegegelder abrechnen, welche aufgrund der Vielzahl der Fälle und über die Jahre gerechnet die als nicht unerheblich anzusehenden überhöhten Wegegelder ergaben. Hinter der Abrechnung stand System und war nicht nur auf wenige Einzelfälle und einem kurzen Zeitraum beschränkt.

176

b.) Dagegen sieht die Disziplinarkammer die der Beklagten vorgehaltene Abrechnung „nicht entstandener Wegegelder“ als nicht bewiesen an. Denn soweit die Beklagte ausführt, es habe jeweils Fahrten zu den Schuldnern gegeben, ist ihr dies allein wegen ihrer mangelnden Nachweisführung nicht mit der notwendigen Gewissheit zu widerlegen. So mag es sein, dass sie die Schuldner in den jeweiligen Ortschaften aufgesucht hat, so dass das Wegegeld entstanden ist, die Zahlung aber unter ihrem Dienstsitz in K. quittiert hat.

177

III.) Die Beklagte hat die in einem inneren zeitlichen und sachlichen Zusammenhang stehenden Pflichtverletzungen im Sinne eines einheitlich zu bewertenden innerdienstlichen Dienstvergehens (vgl. zur Einheit des Dienstvergehens nur: VG Magdeburg, Urteil v. 04.11.2009, 8 A 19/08 m. w. Nachw.; juris) vorsätzlich und schuldhaft begangen.

178

1.) Hinsichtlich der auszusprechenden Disziplinarmaßnahme ist die Schwere des Dienstvergehens unter angemessener Berücksichtigung der Persönlichkeit des Beamten richtungsweisend (vgl. § 13 DG LSA). Die Schwere beurteilt sich nach objektiven Handlungsmerkmalen wie Eigenart und Bedeutung der Dienstpflichtverletzungen, den besonderen Umständen der Tatbegehung sowie Häufigkeit und Dauer eines wiederholten Fehlverhaltens, nach subjektiven Handlungsmerkmalen wie Form und Gewicht des Verschuldens des Beamten, den Beweggründen für sein Verhalten sowie nach den unmittelbaren Folgen für den dienstlichen Bereich und für Dritte. Davon ausgehend kommt es darauf an, ob Erkenntnisse zum Persönlichkeitsbild und zum Umfang der Vertrauensbeeinträchtigung im Einzelfall derart ins Gewicht fallen, dass eine andere als die durch die Schwere des Dienstvergehens indizierte Maßnahme geboten ist. Eine vollständige und richtige Gesamtwürdigung setzt voraus, dass die Disziplinarkammer die im Einzelfall bemessungsrelevanten, d. h. die für die Schwere des Dienstvergehens und das Persönlichkeitsbild bedeutsamen Tatsachen ermittelt und mit dem ihnen zukommenden Gewicht in die Gesamtbewertung einbezieht. Dies entspricht dem Zweck der Disziplinarbefugnis des Disziplinargerichts als einem Mittel der Funktionssicherheit des öffentlichen Dienstes. Dabei findet der Grundsatz „in dubio pro reo“ Anwendung. Die Disziplinargerichte dürfen nur solche belastenden Tatsachen in die Gesamtwürdigung einstellen, die zur Überzeugung des Gerichts feststehen. Demgegenüber müssen entlastende (mildernde) Umstände schon dann zu Gunsten des Beamten berücksichtigt werden, wenn hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für ihr Vorliegen gegeben sind und eine weitere Sachverhaltsaufklärung nicht möglich ist (vgl. nur: VG Magdeburg, Urteil v. 29.11.2012, 8 A 12/11 und Urteil v. 27.10.2011, 8 A 2/11 mit Verweis auf BVerwG, U. v. 27.01.2011, 2 A 5.09; jüngst BVerwG, Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11/10, OVG Lüneburg, Urteil v. 14.11.2012, 19 LD 4/11; alle juris).

179

Für das danach zu findende Disziplinarmaß können die vom Disziplinarsenat des Bundesverwaltungsgerichts für bestimmte Fallgruppen herausgearbeiteten Regeleinstufungen von Bedeutung sein. Davon ausgehend kommt es für die Bestimmung der Disziplinarmaßnahme darauf an, ob Erkenntnisse zum Persönlichkeitsbild und zum Umfang der Vertrauensbeeinträchtigung im Einzelfall derart ins Gewicht fallen, dass eine andere als die durch die Schwere des Dienstvergehens indizierte Disziplinarmaßnahme geboten ist (BVerwG, Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11/10 mit Verweis auf Urteile v. 20.10.2005, 2 C 12.04 und v. 03.05.2007, 2 C 9.06, alle juris).

180

Ein endgültiger Verlust des Vertrauens des Dienstherrn oder der Allgemeinheit im Sinne von § 13 Abs. 2 Satz 1 DG LSA ist anzunehmen, wenn aufgrund der prognostischen Gesamtwürdigung auf der Grundlage aller im Einzelfall bedeutsamen be- und entlastenden Gesichtspunkte der Schluss gezogen werden muss, der Beamte werde auch künftig in erheblicher Weise gegen seine Dienstpflichten verstoßen oder die durch sein Fehlverhalten herbeigeführte Schädigung des Ansehens des Berufsbeamtentums sei bei einer Fortsetzung des Beamtenverhältnisses nicht wiedergutzumachen. Unter diesen Voraussetzungen muss das Beamtenverhältnis im Interesse der Leistungsfähigkeit des öffentlichen Dienstes und der Integrität des Berufsbeamtentums beendet werden (BVerwG, Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11.10 mit Verweis auf Urteile v. 20.10.2005, 2 C 12.04, v. 03.05.2007, 2 C 9.06 und v. 29.05.2008, 2 C 59.07; alle juris).

181

2.) Setzt sich das (einheitliche) Dienstvergehen aus mehreren Dienstpflichtverletzungen zusammen, bestimmt sich die zu verhängende Disziplinarmaßnahme in erster Linie nach der schwersten Verfehlung (BVerwG, Urteil v. 23.02.2005, 1 D 1.04; juris). Dies ist vorliegend zweifellos die Falschabrechnung der Wegegelder, mithin eine Gebührenüberhebung. Damit hat die Beklagte jedenfalls gegen ihre beamtenrechtliche Pflicht zur Uneigennützigkeit nach § 34 Satz 2 in Verbindung mit der sogenannten Wohlverhaltenspflicht nach § 34 Satz 3 BeamtStG verstoßen.

182

3.) Verstöße gegen die Uneigennützigkeit werden in der Rechtsprechung der Disziplinargerichte seit jeher als sehr schwerwiegend eingestuft. Denn die uneigennützige, nicht auf den privaten Vorteil bedachte Führung der Dienstgeschäfte stellt eine wesentliche Grundlage des Berufsbeamtentums dar. Im Hinblick darauf ist die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis jedenfalls dann Richtschnur für die Bestimmung der angemessenen Disziplinarmaßnahme, wenn erhebliche Geldzahlungen geflossen sind (vgl. zusammenfassend: BVerwG, Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11.10; juris). Zudem ist disziplinarrechtlich entscheidend, ob der Verstoß gegen die Uneigennützigkeit aufgrund einer besonderen Vertrauensstellung des Beamten beruht, das heißt, ob etwa ein Zugriff auf dienstlich anvertraute Gelder oder ein nicht unter Ausnutzung der dienstlichen Vertrauensstellung verübtes (Betrugs-)Delikt vorliegt (BVerwG, Beschluss v. 20.12.2011, 2 B 64.11, juris).

183

Dabei hängt die disziplinarrechtliche Einstufung als Zugriffsdelikt nicht von der strafrechtlichen Beurteilung ab. Es kommt nicht darauf an, ob ein Beamter dienstliche Gelder oder Güter z. B. durch Betrug, Diebstahl, Untreue oder Unterschlagung erlangt hat. Ein Zugriffsdelikt liegt vielmehr dann vor, wenn der Beamte dienstlich anvertraute Gelder und Güter veruntreut hat, wozu auch die Gebührenüberhebung, die Fundunterschlagung und der sogenannte Kollegendiebstahl zählen. Für die Bewertung als Zugriffsdelikt ist entscheidend, dass einem Beamten Gelder oder gleichgestellte Werte dienstlich anvertraut oder dienstlich zugänglich sind (BVerwG: stRspr; vgl. Urteil v. 8. 04.2003, 1 D 27.02; juris). Ein Beamter, der sich bei der Ausübung seiner dienstlichen Tätigkeit an Vermögenswerten vergreift, die seinem Gewahrsam unterliegen, zerstört damit in aller Regel das für die Fortdauer des Beamtenverhältnisses notwendige Vertrauen in seine Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit, wenn die Beträge insgesamt die Schwelle der Geringwertigkeit deutlich überschreiten. Denn die Verwaltung ist auf die Redlichkeit und Zuverlässigkeit ihrer Bediensteten beim Umgang mit solchen Geldern und Gütern in hohem Maße angewiesen. Eine ständige und lückenlose Kontrolle eines jeden Mitarbeiters ist unmöglich und muss deshalb weitgehend durch Vertrauen ersetzt werden. Wer diese für das Funktionieren des öffentlichen Dienstes unabdingbare Vertrauensgrundlage zerstört, muss grundsätzlich mit der Auflösung des Beamtenverhältnisses rechnen (BVerwG, Urteile v. 20.10.2005, 2 C 12.04, v. 03.05.2007, 2 C 9.06, v. 25.10.2007, 2 C 43.07, v. 29.05.2008, 2 C 59.07; alle juris).

184

Diese Grundsätze gelten erst recht für einen als Gerichtsvollzieher beschäftigten Beamten. So stellt z. B. die Eigenverwendung dienstlich anvertrauter Gelder gerade bei einem Gerichtsvollzieher ein schwerwiegendes Dienstvergehen dar, welches regelmäßig zur Dienstentfernung führt (vgl.: BVerwG, Urteil v. 20.10.2005, 2 C 12.04; VG Karlsruhe, Urteil v. 01.04.2010, DL 13 K 1892/09; juris). Denn diesem ist als hoheitlich handelndes Organ der Zwangsvollstreckung eine besonders verantwortungsvolle Aufgabe übertragen, die er in weitem Umfang eigenverantwortlich und selbständig ausübt, mit der Folge, dass dem Dienstherrn nur eine vergleichsweise eingeschränkte Kontrolle seiner Tätigkeit möglich ist. Dem Gerichtsvollzieher obliegt es nach §§ 753 Abs. 1, 754 ZPO, im Auftrag, d.h. auf Antrag der Gläubiger, die Zwangsvollstreckung durchzuführen, soweit diese nicht den Gerichten zugewiesen ist. Entsprechend der Art der ihm übertragenen Aufgaben, die im Interesse einer zweckmäßigen und effektiven Erledigung der Vollstreckungsaufträge eine gewisse Flexibilität erfordern, ermöglichen die Vorschriften der Gerichtsvollzieherordnung - GVO - und der Geschäftsanweisung für Gerichtsvollzieher - GVGA - dem Gerichtsvollzieher, seine Tätigkeit weitgehend eigenverantwortlich und selbständig auszuüben (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.04.1982, a. a. O.; Bay. VGH, Beschl. v. 15.01.2009, 3 ZB 08.818; OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 15.06.2009 - 4 B 52.08 -, juris). Der Gerichtsvollzieher regelt seinen Geschäftsbetrieb nach eigenem pflichtgemäßen Ermessen, soweit hierüber keine besonderen Bestimmungen bestehen (§ 45 Nr. 1 GVO), muss grundsätzlich an seinem Amtssitz ein Geschäftszimmer auf eigene Kosten halten (§ 46 Nr. 1 Satz 1 GVO), ist verpflichtet, Büro- und Schreibhilfen auf eigene Kosten zu beschäftigen, soweit es der Geschäftsbetrieb erfordert (§ 49 GVO), kann grundsätzlich Zeitpunkt und Reihenfolge der Erledigung der Vollstreckungsaufträge bestimmen (§ 6 GVGA) und führt den Schriftverkehr unter eigenem Namen mit Amtsbezeichnung (§ 53 Nr. 1 GVO). Er handelt bei der ihm zugewiesenen Zwangsvollstreckung selbständig (§ 58 Nr. 1 Satz 1 GVGA), wobei er zwar der Aufsicht, aber nicht der unmittelbaren Leitung des Gerichts unterliegt (§ 58 Nr. 1 Satz 2 GVGA). Es ist die zentrale Aufgabe des Gerichtsvollziehers, im Auftrag der Gläubiger die Zwangsvollstreckung in das bewegliche Vermögen der Schuldner vorzunehmen (vgl. § 808 Abs. 1 ZPO). Gepfändetes Geld hat er nach § 815 Abs. 1 ZPO an die Gläubiger abzuliefern. Der Gerichtsvollzieher hat bezüglich des Vollstreckungsauftrags gegenüber den Gläubigern die ihm kraft Gesetzes obliegende Pflicht, deren Vermögensinteressen wahrzunehmen (sog. Vermögensbetreuungspflicht; vgl. Lenckner/Perron in Schönke/Schröder, StGB, 26. Auflage, § 266, Rn. 25; BGH, Urt. v. 20.10.1959 - 1 StR 446/59 -, NJW 1960, 52; OLG Celle, Beschluss v. 03.04.1990, 1 Ss 48/90; juris). Wenn ein Gerichtsvollzieher gegen diese Kernpflichten verstößt, zerstört er in der Regel die für die geordnete Vollstreckung unabdingbare Vertrauensgrundlage, weshalb er im Regelfall nicht mehr Beamter bleiben kann (VG Karlsruhe, a. a. O.).

185

4.) Die Disziplinarkammer sieht vorliegend keine Besonderheiten und Entlastungsgründe des Einzelfalls, die es rechtfertigen, die von der Schwere des Dienstvergehens ausgehende Indizwirkung abzumildern. Dies ist dann der Fall, wenn zu Gunsten des Beamten gewichtige Entlastungsgründe (Milderungsgründe) zu berücksichtigen sind, die den Schluss rechtfertigen, dass das dem Beamten vom Dienstherrn und der Allgemeinheit entgegengebrachte Vertrauen noch nicht endgültig verloren ist. Solche Gründe stellen zum einen die von der Rechtsprechung bezüglich der sog. Zugriffsdelikte entwickelten und anerkannten Milderungsgründe dar, die besondere menschliche Konfliktsituationen beschreiben. Hierzu zählen etwa das Handeln in einer existenziellen wirtschaftlichen Notlage oder einer körperlichen oder psychischen Ausnahmesituation oder besonderen Versuchssituationen oder eine persönlichkeitsfremde Einzelverfehlung des Beamten wie auch „Entgleisungen“ während einer negativen, inzwischen überwundenen, durch Alkohol, Drogen oder Schicksalsschlägen bedingte Lebensphase. Der Milderungsgrund der Geringwertigkeit eines verursachten Schadens oder des geldlichen Vorteils der Handlung wird bei etwa 50,00 Euro gezogen. Auch besondere die Dienstpflichtverletzung begünstigende Handlungen und mangelnde Kontrollen des Dienstherrn können im Einzelfall wie ein besonderes Nachtatverhalten die Schwere der Verfehlung mildern. Zeitlich überlange Disziplinarverfahren können wegen des disziplinarrechtlichen Beschleunigungsgebotes und der mit dem Disziplinarverfahren verbundenen persönlichen Belastungen jedenfalls bei Maßnahmen der Pflichtenmahnung berücksichtigt werden. Entlastungsgründe können sich aber zum anderen auch aus allen Besonderheiten ergeben, die es im Einzelfall wegen der persönlichkeitsbedingten an § 13 DG LSA zu orientierenden Prognoseentscheidung gebieten, von der disziplinarrechtlichen Höchstmaßnahmen Abstand zu nehmen. Die entlastenden Gründe sind nicht (mehr) allein auf den in der Rechtsprechung entwickelten Kanon der anerkannten Milderungsgründe beschränkt (BVerwG, Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11.10, m. w. Nachw.; juris). Diese Besonderheiten müssen aber in ihrer Gesamtheit geeignet sein, die Schwere des Pflichtenverstoßes erheblich herabzusetzen. Generell gilt, dass das Gewicht der Entlastungsgründe umso größer sein muss, je schwerer das Delikt aufgrund der Schadenshöhe sowie der Tatumstände, wie Anzahl, Häufigkeit, Zeitraum, Verschiedenartigkeit und Tatausführung wiegt (im Ganzen ausführlich: VG Magdeburg, Urt. v. 29.11.2012, 8 A 12/11, v. 31.03.2011, 8 A 2/10 MD und v. 27.10.2011, 8 A 2/11, mit Verweis auf BVerwG, Urt. v. 24.05.2007, 2 C 28.06, Urt. v. 06.06.2007, 1 D 2.06, Urt. v. 29.05.2008, 2 C 59.07; Bayr. VGH, Urt. v. 27.10.2010, 16 aD 09.2470; OVG Lüneburg, Urt. v. 08.02.2011, 6 LD 4/08; alle juris).

186

a.) Grundsätzlich erscheint im Einzelfall auch eine dienstliche Überlastung als Milderungsgrund geeignet. Dies übersieht das Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt in dem Beschluss zur vorläufigen Dienstenthebung vom 19.07.2007 (10 M 1/07), wonach die zahlreichen Verstöße gegen die einer Gerichtsvollzieherin obliegenden Dienstpflichten bereits für sich genommen ein Versagen im Kernbereich begründen, ohne dass dieses allein mit dem Hinweis auf die dienstliche Belastung zu rechtfertigen sei. Auch wenn ein Beamter die Vielzahl seiner Dienstgeschäfte fehlerhaft ausführt und es sich hier um schwerwiegende Dienstverletzung handelt, so sind Arbeitsüberlastung, außerdienstliche Probleme, die Tatsache, dass die Fehler kaum in die Öffentlichkeit gedrungen sind und die bisherige einwandfreie Dienstführung, die erwarten lässt, dass die Beamtin künftig fehlerfrei arbeitet, mildernd zu berücksichtigen (OVG NRW, U. v. 24.06.1983, 2 V 14/81; dort nur Gehaltskürzung; juris). Nicht jeder einzelne Fehler bei der Dienstausübung ist gleichzusetzen mit einer schuldhaften Verletzung dienstlicher Pflichten. Denn die Pflicht zur ordnungsgemäßen Dienstausübung hat eine im Ganzen durchschnittliche Leistung zum Gegenstand. Dies schließt gewisse Mängel der Arbeitsweise ein, wie sie selbst bei sehr fähigen und ausgesprochen zuverlässigen Beamten vorkommen können (vgl.: VG Magdeburg, U. v. 08.06.2011, 8 A 16/10 MD mit Verweis auf VG Düsseldorf, U. v. 04.03.2009, 31 K 5472/08.O; juris).

187

Festzustellen ist aber zum einen, dass vorliegend die Unzulänglichkeiten zu den Tatbeständen der Unverzüglichkeit wiederholt von dem Prüfbeamten gerügt wurden und die Beklagte diese zum Teil nicht mit der gebotenen Sorgfalt und Hingabe beachtet hat. Denn ihre Dienstausübung wies Mängel in der strukturellen Arbeitsorganisation auf, die nicht Folgenlos blieben. Zum anderen sind Anhaltspunkte für eine dienstliche Überlastung und Überforderung der Beamtin nicht von der Hand zu weisen, was auch das Landgericht Dessau-Roßlau in seinem Urteil vom 29.10.2009 feststellte. Die Direktorin des Amtsgericht K. führte in ihrem - später aufgehobenen - disziplinarrechtlichen Verweis vom 08.09.2005 aus, das „im Zeitraum der festgestellten Pflichtverletzungen unbestritten {eine} übermäßige Arbeitsbelastung“ vorlag und „auch bei hoher Arbeitsbelastung“ erwartet werde, die Dienstpflichten einzuhalten.

188

Mag daher eine dienstliche Überlastung als „Entschuldigung“ für die aufgrund einer mangelnden Arbeitsweise und damit organisationsbedingten Pflichtenverstöße herangezogen werden können, gilt dies aber nicht für die Gebührenüberhebung (Wegegelder). Denn die von der Beklagten vorgenommene Gebührenüberhebung beruhte auf einem vorsätzlichen Handeln zur Erschließung einer zusätzlichen Einnahmequelle. Ansonsten hätte es auch Fälle geben müssen, in denen sich die Beklagte zu Gunsten der Schuldner verrechnet bzw. zu geringe Wegegelder angesetzt hätte.

189

b.) Aus dem gleichen Grund kann sich die Beklagte zu ihrer Entlastung auch nicht darauf berufen, der Dienstherr habe sie unzureichend kontrolliert oder sie im guten Glauben ihrer fehlerhaften Abrechnung gelassen.

190

Das Bundesverwaltungsgericht hat erneut in dem Urteil vom 15.03.2012 (2 WD 9.11; juris) ausgeführt, dass sich eine unzureichend ausgeübte Dienstaufsicht mildernd auswirken kann. Nach der Rechtsprechung setzt der Milderungsgrund der mangelnden Dienstaufsicht jedoch eine Überforderungssituation voraus, in der ein hilfreiches Eingreifen der Dienstaufsicht erforderlich ist; also eine dienstaufsichtliche Begleitung. Hier muss man zwischen „Überlastung“ und „Überforderung“ unterscheiden. Mit einer „Überlastung“ aufgrund hoher Arbeitsbelastung kann nicht die Begehung von Straftaten begründet werden. „Überforderung“ heißt, dass der Beamte z. B. hinsichtlich der Auslegung einer strittigen Rechtsfrage im Dienst allein gelassen wird und ihm später sein - falsches - Handeln zum Vorwurf gemacht wird. So versucht sich die Beamtin damit zu rechtfertigen, dass die Berechnung der Wegegelder nach der Änderung schwierig und kompliziert gewesen sei und sie eine von ihr erstellte Tabelle der Dienstaufsicht überlassen habe und zudem aufgrund des gegen sie geführten Disziplinarverfahrens, später die Kollegen mit Wegegeldtabellen versorgt worden seien. Dies vermag die Beamtin nicht zu entlasten. Denn wie - wiederholt - ausgeführt wurde handelt es sich bei der Einordnung der Entfernung nach der Luftlinie um keine schwierige Angelegenheit, welche die Gerichtsvollzieher überforderte und daher einer „Anweisung“ bzw. „Begleitung“ durch die Dienstaufsicht nicht bedurfte. Zudem haben andere Gerichtsvollzieher korrekt abgerechnet. Die Beklagte hat die fehlende Kontrolle vielmehr ausgenutzt und über lange Jahre falsch abgerechnet. Auch ein „verleiten“ zur Tat im Sinne einer Mittäterschaft durch die Dienstaufsicht ist aufgrund der fehlenden Kontrollen nicht gegeben. Dies ist eher bei einem „klassischen“ Zugriffsdelikt möglich, wenn etwa eine „offene Kasse“ zum Diebstahl verleitet. Es macht einen Unterschied, ob die Gerichtsvollzieherin vorsätzlich falsche Entfernungspauschalen ansetzt oder ob der die Gerichtsvollzieherin prüfende Beamte dies - neben anderen zu prüfenden Angaben - nicht erkennt. Wegen der fehlenden Entdeckung der Falschangaben durch die Dienstaufsicht kann auch nicht von „geduldeten Verhältnissen“ (vgl. dazu: BVerwG, Urteil v. 25.10.1977, I D 76.76; juris) ausgegangen werden.

191

c.) Auch die zugegeben lange Dauer des Disziplinarverfahrens noch das lange Zurückliegen des Dienstvergehens rechtfertigen es, von der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis abzusehen, wenn diese Maßnahme geboten ist. Dies steht auch der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte oder den Vorschriften des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vom 24.11.2011 nicht entgegen (ständige Rechtsprechung BVerwG: vgl. nur zuletzt: Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11/10; bestätigt durch BVerfG, Beschluss v. 28.01.2013, 2 BvR 1912/12; beide juris). Zwar kann eine pflichtenmahnende Disziplinarmaßnahme in diesen Fällen unvereinbar mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit werden. Bei Fortbestand des Beamtenverhältnisses kann das durch ein Dienstvergehen ausgelöste Sanktionsbedürfnis gemindert werden oder sogar entfallen, weil die mit dem Disziplinarverfahren verbundenen wirtschaftlichen und dienstlichen Nachteile positiv auf den Beamten eingewirkt haben, so dass sie eine günstigere Persönlichkeitsprognose ermöglichen. Demgegenüber geht es bei der Dienstentfernung darum, das Beamtenverhältnis in Fällen besonders schwerwiegender Dienstvergehen zu beenden, weil der Beamte im öffentlichen Dienst untragbar geworden ist. An dem endgültigen Vertrauensverlust, den er durch sein Fehlverhalten herbeigeführt hat, vermögen eine lange Verfahrensdauer oder ein langes Zurückliegen des Dienstvergehens nichts zu ändern. Das verlorene Vertrauen kann nicht durch Zeitablauf wiederhergestellt werden (BVerfG, Beschl. v. 04.10.1977, 2 BvR 80/77; Beschl. v. 09.08.2006, 2 BvR 1002/05; alle juris). Diesen Unterschied hat der Gesetzgeber auch dadurch zum Ausdruck gebracht, dass er in § 15 DG - wie BDG - die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis im Gegensatz zu allen anderen Disziplinarmaßnahmen vom Maßnahmeverbot wegen Zeitablaufs ausgenommen hat (vgl. zusammenfassend: BVerwG, Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11/10; juris).

192

5.) In diesem Sinne durchgreifende besondere Umstände, die ein Absehen von der schwerwiegendsten und eine mildere Disziplinarmaßnahme rechtfertigen würden, vermag das Disziplinargericht nicht zu erkennen. Aufgrund des langjährigen, vorsätzlichen und zudem schuldhaften Handelns hinsichtlich der Gebührenüberhöhung kann nicht von einer einmaligen Gelegenheitstat oder einem persönlichkeitsfremden „Ausrutscher“ ausgegangen werden. Sonstige Gründe, die das Gericht in die Lage der möglichen Berücksichtigung derartiger Milderungsgründe setzt, sind von der Beklagten nicht vorgetragen worden und auch nicht erkennbar. Die nach alledem dienstrechtlich notwendige Entfernung aus dem Dienst verstößt auch nicht gegen das Verhältnismäßigkeitsgebot. Denn diese disziplinarrechtliche Höchstmaßnahme ist die einzige Möglichkeit, dass durch den Dienstherrn sonst nicht lösbare Dienstverhältnis einseitig zu beenden. Die darin liegende Härte für den Betroffenen ist nicht unverhältnismäßig. Sie beruht vielmehr auf einem ihm zurechenbaren Verhalten (BVerwG, Urteil v. 21.06.2000, 1 D 49.99; juris).

193

6.) Die Kostenentscheidung folgt aus § 72 Abs. 1 Satz 1 DG LSA. Das Verfahren ist gem. § 73 Abs. 1 Satz 1 gebührenfrei.


(1) Werden Beamtinnen oder Beamte im ordentlichen Strafverfahren durch das Urteil eines deutschen Gerichts

1.
wegen einer vorsätzlichen Tat zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr oder
2.
wegen einer vorsätzlichen Tat, die nach den Vorschriften über Friedensverrat, Hochverrat, Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates oder Landesverrat und Gefährdung der äußeren Sicherheit oder, soweit sich die Tat auf eine Diensthandlung im Hauptamt bezieht, Bestechlichkeit strafbar ist, zu einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten
verurteilt, endet das Beamtenverhältnis mit der Rechtskraft des Urteils. Entsprechendes gilt, wenn die Fähigkeit zur Wahrnehmung öffentlicher Ämter aberkannt wird oder wenn Beamtinnen oder Beamte aufgrund einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nach Artikel 18 des Grundgesetzes ein Grundrecht verwirkt haben.

(2) Nach Beendigung des Beamtenverhältnisses nach Absatz 1 besteht kein Anspruch auf Besoldung und Versorgung, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist. Die Amtsbezeichnung und die im Zusammenhang mit dem Amt verliehenen Titel dürfen nicht weiter geführt werden.

Tatbestand

1

Der 19.. geborene Beklagte schloss im Jahr 19.. die Ausbildung zum Diplom-Verwaltungswirt (FH) ab. 19.. trat er als Angestellter in den Dienst des Bundesnachrichtendienstes (BND) ein. Im Oktober 19.. ernannte ihn die Klägerin zum Beamten auf Lebenszeit. Zuletzt hatte er das Amt eines Regierungsamtmanns (Besoldungsgruppe A 11) inne. Er ist verheiratet und hat zwei minderjährige Kinder. Im BND war der Beklagte zunächst operativ tätig, insbesondere im Bereich "...". Aufgrund seiner Sprachkenntnisse und guter Beurteilungen wurde er für eine Auslandsverwendung vorgeschlagen. Von August 2001 bis Juli 2005 war der Beklagte bei der BND-Residentur an der Deutschen Botschaft in B./K. tätig. Seitdem wird er wieder im Inland im Bereich Auswertung eingesetzt. Im Oktober 2009 erhielt er eine Leistungsprämie für vorbildlichen Einsatz in Höhe von 750 €.

2

Im Frühjahr 2006 erreichten den BND Informationen, nach denen sich der Beklagte zum Ende seines Einsatzes in K. gegenüber k. Staatsangehörigen als "deutscher Vizekonsul" bezeichnet und diesen gegenüber den Eindruck erweckt haben soll, Einfluss auf die Visa-Erteilung durch die deutsche Botschaft nehmen zu können.

3

Hierzu sagte der Beklagte in einem "Sicherheitsgespräch" vom 30. März 2006 gegenüber Mitarbeitern des BND aus, er sei von einem Mittelsmann gegen seinen Willen gegenüber k. Staatsangehörigen als Konsul oder als Mitarbeiter der Konsularabteilung vorgestellt worden. Der Beklagte bestritt, jemals finanzielle Zuwendungen oder andere Vorteile erhalten oder auf die Vergabe von Visa Einfluss genommen zu haben. Er räumte lediglich ein, bis zu 40 Visa-Anträge auf "formale Richtigkeit" hin geprüft zu haben.

4

Am 8. Juni 2006 wandte sich der BND an die Staatsanwaltschaft Be. und teilte dieser unter Vorlage eines Berichts über die damaligen Erkenntnisse mit, es bestehe der Verdacht, der Beklagte habe sich im Zusammenhang mit der Erteilung von Visa eines Betrugs zum Nachteil ausländischer Staatsbürger schuldig gemacht. Daraufhin eröffnete die Staatsanwaltschaft Be. gegen den Beklagten ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Bestechlichkeit. Unter dem 6. November 2006 leitete der Präsident des BND gegen den Beklagten das Disziplinarverfahren ein. Der Beklagte wurde weder über die Eröffnung des Strafverfahrens noch über die des Disziplinarverfahrens in Kenntnis gesetzt.

5

Am 3. Januar 2007 erteilte die Staatsanwaltschaft Be. die Freigabe für das weitere behördliche Disziplinarverfahren, nachdem sie das Büro des Beklagten beim BND und dessen Privatwohnung durchsucht und dabei dem Beklagten auch den strafrechtlichen Vorwurf eröffnet hatte. Der Beklagte wurde am 8. Januar 2007 vom BND über die Einleitung des Disziplinarverfahrens unterrichtet. Der Beklagte gab zunächst keine Stellungnahme ab. Mit Schreiben vom 9. Mai 2007 dehnte der Präsident des BND das Disziplinarverfahren auf den Vorwurf aus, der Beklagte habe im Jahr 2005 eine offene dienstliche E-Mail-Adresse privat genutzt. Das Disziplinarverfahren wurde im Juli 2007 im Hinblick auf das anhängige Strafverfahren ausgesetzt.

6

In Bezug auf den Vorwurf des Titelmissbrauchs (§ 132a StGB) beschränkte die Staatsanwaltschaft Be. die Strafverfolgung nach § 154a Abs. 1 StPO auf den Vorwurf des Betrugs. Hinsichtlich des Vorwurfs der Bestechlichkeit stellte sie das Verfahren gemäß § 170 Abs. 2 StPO ein. Da der Beklagte in der Botschaft in B. nicht für die Erteilung der Visa zuständig gewesen sei, fehle es am Tatbestandsmerkmal der pflichtwidrigen Diensthandlung.

7

Ende Januar 2009 erließ das Amtsgericht T. gegen den Beklagten einen Strafbefehl wegen des Vorwurfs, gemeinschaftlich mit B. zum Nachteil zweier k. Staatsangehöriger einen Betrug begangen zu haben. Der Beklagte habe sich gegenüber den Geschädigten als Konsul der Deutschen Botschaft ausgegeben und diesen gegen eine Zahlung von jeweils 1900 € die Erteilung von Schengen-Visa zugesagt. Tatsächlich habe er jedoch weder die Möglichkeit gehabt, auf die Erteilung der Visa Einfluss zu nehmen, noch habe er die Absicht gehabt, den Geschädigten die Visa zu verschaffen. Gegen diesen Strafbefehl erhob der Beklagte unbeschränkten Einspruch.

8

In der Verhandlung vor dem Amtsgericht T. am 19. Mai 2009 machte der Beklagte nach Belehrung Angaben zur Sache. Nachdem das Amtsgericht die Kriminalhauptkommissarin U. als Zeugin zur Sache vernommen hatte, beschränkte der Beklagte seinen Einspruch gegen den Strafbefehl auf das Strafmaß. Auf der Grundlage des im Schuldspruch rechtskräftigen Strafbefehls wurde der Beklagte wegen Betrugs zu einer Geldstrafe verurteilt.

9

Nach Eintritt der Rechtskraft des Strafurteils setzte der BND das Disziplinarverfahren fort. Der Beklagte wurde hiervon unterrichtet. Im März 2010 billigte der Präsident des BND den Vorschlag, gegen den Beklagten Disziplinarklage mit dem Ziel der Entfernung aus dem Dienst zu erheben. Hiergegen erhob die Gruppe der Beamten im Personalrat des BND mit der Begründung Einwendungen, es sei zweifelhaft, ob der Beklagte das ihm zur Last gelegte Dienstvergehen tatsächlich begangen habe. Da der Präsident des BND am Ziel der Entfernung des Beklagten aus dem Beamtenverhältnis festhielt, beantragte der Personalrat eine Entscheidung des Bundeskanzleramtes. Im Hinblick hierauf sagte der Präsident des BND dem Personalrat zu, den Klageantrag dahingehend umzustellen, dass kein bestimmter Antrag erhoben werde, sondern die Disziplinarmaßnahme stattdessen in das Ermessen des Gerichts gestellt werde. Zudem würden die Einbehaltung von 10 % der Bezüge des Beklagten und seine vorläufige Dienstenthebung zurückgestellt. Im Hinblick hierauf nahm der Personalrat seinen gegenüber dem Bundeskanzleramt gestellten Antrag auf Entscheidung zurück.

10

Am 27. Oktober 2010 hat der Präsident des BND Disziplinarklage erhoben. Dem Beklagten wird entsprechend der im Strafbefehl getroffenen Feststellungen vorgeworfen, Geld als Gegenleistung für die Verschaffung von Visa angenommen zu haben. Dabei müsse davon ausgegangen werden, dass die tatsächliche Zahl der Geschädigten sowie die gezahlten Beträge wesentlich höher seien als nach den Feststellungen im Strafbefehl, der nur von zwei geschädigten k. Staatsangehörigen und einem Schaden von 3 800 € ausgehe. Da bei den beiden k. Staatsangehörigen kein Motiv für eine Falschaussage erkennbar sei, sei von der Richtigkeit ihrer Aussagen auszugehen. Demgegenüber habe der Beklagte wegen seiner angespannten finanziellen Situation ein Motiv gehabt. Gegen den Beklagten spreche auch, dass er eingeräumt habe, Visa-Unterlagen von bis zu zwölf k. Staatsangehörigen entgegengenommen zu haben. Denn als Sachbearbeiter der Residentur B. habe er mit der Bearbeitung von Visa-Anträgen nichts zu tun gehabt. Gerade deshalb sei von der Staatsanwaltschaft auch der Vorwurf der Bestechlichkeit fallengelassen worden. Das Vorbringen, er habe die Visa-Formulare geprüft, um Interessenten für illegale Visa oder Einreisen weitermelden zu können, sei unglaubhaft. In den Jahren 2004 und 2005 habe die Residentur keine Meldung zum Thema "illegale Visa/Einreise" übermittelt. Aus der Schuldenerklärung aus dem Jahr 2006 ergebe sich, dass sich der Beklagte damals ungeachtet der höheren Auslandsbezüge in einer finanziell schwierigen Situation befunden und deshalb ein Motiv gehabt habe. Der Beklagte müsse eine dienstliche E-Mail-Anschrift an eine private Bekannte weitergegeben haben. Hierdurch habe er die Gehorsamspflicht verletzt. Das Versagen des Beklagten und die damit verbundene Schädigung des Ansehens der Bundesrepublik insbesondere im Ausland wögen schwer. Bereits der Anschein, die Ausstellung von Schengen-Visa könne bei einer deutschen Auslandsvertretung erkauft werden, sei geeignet, die Interessen des Bundes erheblich zu beschädigen. Gerade der BND müsse sich als Sicherheitsbehörde auf die korrekte und gewissenhafte Erfüllung der Dienstpflichten durch seine Mitarbeiter verlassen können. Bei einer Auslandsverwendung seien die Kontrollmöglichkeiten zudem erheblich eingeschränkt. Die Beschädigung der Integrität der Amtsführung sei so gravierend, dass das Vertrauensverhältnis irreparabel und nachhaltig zerstört sei. Unerheblich sei, dass das dienstliche Verhalten des Beklagten seit seiner Rückkehr nach Deutschland unauffällig und ob eine Wiederholung des Fehlverhaltens zu erwarten sei. Allein durch die in seinem Verhalten zu Tage tretende kriminelle Energie sei der Beklagte als Beamter nicht länger tragbar. Zwar liege das Fehlverhalten bereits mehr als sechs Jahre zurück und der Beklagte habe zwei minderjährige Kinder. Diese Milderungsgründe könnten nicht berücksichtigt werden, weil die Schwere des Fehlverhaltens keinen weiteren Bemessungsspielraum erlaube. Die lange Verfahrensdauer sei dem BND nicht anzulasten. Zudem stehe eine lange Verfahrensdauer der Verhängung der Höchstmaßnahme nicht entgegen. Unerheblich sei auch, dass der Beklagte nicht vorläufig seines Dienstes enthoben worden und er seit der Rückkehr nach Deutschland seinen dienstlichen Pflichten in lobenswerter Weise nachgekommen sei. Das angeschuldigte Dienstvergehen offenbare schwerwiegende charakterliche Defizite des Beklagten. Die mit den Vorkommnissen verbundene Schädigung des Ansehens des BND stehe einer weiteren vertrauensvollen Zusammenarbeit im Wege.

11

Die Klägerin stellt keinen Antrag.

12

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

13

Die ihm im Zusammenhang mit der Beantragung von Visa vorgeworfene Tat habe er nicht begangen. Er habe sich nicht als deutscher Konsul oder Vizekonsul ausgegeben. Auch habe er keine Geldbeträge erhalten, um auf die Erteilung von Visa Einfluss zu nehmen. Ferner habe er nicht behauptet, auf die Erteilung von Visa Einfluss nehmen zu können. Dass Zeugen ihn auf Fotos erkannt hätten, könne auch darauf zurückgeführt werden, dass die Zeugen ihn zusammen mit Herrn B. gesehen hätten oder dieser den Zeugen Fotos von ihm gezeigt habe, um seine eigenen Einflussmöglichkeiten gegenüber den Visa-Interessenten glaubhaft zu machen. Er habe Herrn B. lediglich angeboten, die Visa-Anträge wie ein privater Visa-Dienst zu prüfen. Dabei sei es ihm um die Möglichkeit gegangen, mögliche Interessenten für illegale Visa oder Einreisen zu ermitteln und die so gewonnenen Informationen weiterzumelden. Herr B. sei eine interessante dienstlich nutzbare Quelle gewesen, weil dieser mitgeteilt habe, Informationen über Rauschgiftkuriere oder Schmuggler beschaffen zu können. Das Motiv für eine Falschaussage der Zeugen Q. und R. bestehe offensichtlich darin, dass ihre Chancen, die von ihnen bezahlten 3 800 € zurückzuerhalten, stiegen, wenn der Täterkreis auf den Beklagten erweitert werde. Denn dann bestehe die Möglichkeit, dass entweder der Beklagte oder die Botschaft zahle. Angesichts der ihn wirtschaftlich schwer belastenden Verurteilung zu einer Geldstrafe bestehe auch kein Bedürfnis nach einer zusätzlichen Pflichtenmahnung im Disziplinarverfahren. Sowohl die Klägerin als auch das Gericht seien angesichts der nicht vollständig abgeschlossenen Beweisaufnahme im strafgerichtlichen Verfahren und der lediglich aus Kostengründen erklärten Beschränkung des Einspruchs gegen den Strafbefehl auf das Strafmaß nicht an die Feststellungen des Strafgerichts gebunden. Zudem sei die einzige im Strafverfahren gehörte Zeugin lediglich eine Zeugin vom Hörensagen, weil sie lediglich an der Vernehmung von vermeintlichen Tatzeugen beteiligt gewesen sei. Während seiner Tätigkeit in K. habe der Beklagte wegen des Auslandsverwendungszuschlags ein höheres Einkommen gehabt. Deshalb habe bei ihm kein beachtliches Motiv zur Tatbegehung bestanden. Im Übrigen stehe ihm inzwischen ein höherer Nettobetrag zur Verfügung; eine Überschuldung sei nicht gegeben. Zwar kenne der Beklagte die Frau, die ihm zwei E-Mails geschickt habe, privat. Er könne sich aber nicht erklären, wie diese Frau an die Adresse gekommen sei. Es könne sein, dass diese "offene" Adresse auf der dienstlichen Visitenkarte angegeben gewesen sei. Die Zusendung von privaten E-Mails auf dienstliche E-Mail-Konten stelle kein Dienstvergehen dar. Jedenfalls habe er das E-Mail-Konto nicht aktiv privat genutzt. Da der von den Visa-Antragstellern mit 3 800 € behauptete Schaden unter 5 000 € liege, scheide die Höchstmaßnahme aus, weil diese bei Vermögensdelikten erst ab einem Betrag von 5 000 € in Betracht komme. Die von der Klägerin behauptete Zerstörung des Vertrauensverhältnisses sei nicht nachvollziehbar. Er sei während des gesamten Verfahrens nicht vorläufig seines Amtes enthoben worden, habe seine dienstlichen Pflichten vorbildlich erfüllt und habe eine Leistungsprämie von 750 € erhalten. Er sei auch weiterhin in einem sensiblen Bereich beschäftigt.

14

In der mündlichen Verhandlung hat der Senat gemäß § 56 Satz 1 BDG den gegen den Beklagten in der Klageschrift erhobenen Vorwurf aus dem Disziplinarverfahren ausgeschieden, er habe vor dem 4. Oktober 2005 eine vom BND für die Residentur in B. eingerichtete E-Mail-Adresse an Dritte zur Übersendung privater Nachrichten weitergegeben.

15

Aufgrund des Beschlusses vom 28. Februar 2012 und des Beweisbeschlusses vom 8. März 2012 ist D. S. vom beauftragten Richter als Zeuge zu dem Beweisthema vernommen worden, welche Aussagen die k. Staatsangehörigen R. und Q. sowie der l. Staatsangehörige B. zum Verhalten des Beklagten im Zusammenhang mit der Beantragung von Visa bei der Deutschen Botschaft in B./K. im Frühjahr 2005 gemacht haben. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der Zeugenvernehmung vom 12. März 2012 verwiesen.

16

In der mündlichen Verhandlung hat der Senat aufgrund des dort verkündeten Beschlusses durch Vernehmung der Zeugen D., U., Dr. und P. zum Verhalten des Beklagten im Zusammenhang mit der Beantragung von Visa durch die k. Staatsangehörigen Q. und R. bei der Deutschen Botschaft in B./K. im Frühjahr 2005 Beweis erhoben. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.

17

Die von der Klägerin vorgelegten Personal- und Disziplinarakten des Beklagten sowie die beigezogene Strafakte einschließlich der Unterlagen des Rechtshilfeersuchens der Staatsanwaltschaft Be. sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen. Auf ihren sowie auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze wird ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

18

Der Senat entscheidet über die Disziplinarklage in erster und letzter Instanz (§ 50 Abs. 1 Nr. 4 VwGO, § 45 Satz 5 BDG). Sie führt zu der Entfernung des Beklagten aus dem Beamtenverhältnis (§ 60 Abs. 2 Satz 1 und 2 Nr. 1, § 5 Abs. 1 Nr. 5 sowie §§ 10 und 13 Abs. 2 Satz 1 BDG).

19

1. Dem behördlichen Disziplinarverfahren haften keine wesentlichen Mängel i.S.d. § 55 BDG an.

20

a) Die Einleitung des Disziplinarverfahrens gegenüber dem Beklagten erst am 6. November 2006 entspricht nicht der Vorgabe des § 17 Abs. 1 Satz 1 BDG. Danach hat der Dienstvorgesetzte die Dienstpflicht, ein Disziplinarverfahren einzuleiten, wenn zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, die den Verdacht eines Dienstvergehens rechtfertigen. Zweck der Vorschrift ist der Schutz des Beamten. Die disziplinarischen Ermittlungen sollen so früh wie möglich im Rahmen des gesetzlich geordneten Verfahrens mit seinen rechtsstaatlichen Sicherungen zu Gunsten des Beamten, insbesondere dem Recht auf Beweisteilhabe nach § 24 Abs. 4 BDG, geführt werden. Der Dienstvorgesetzte darf, wenn die Voraussetzungen zur Einleitung vorliegen, nicht abwarten und weiteres Belastungsmaterial sammeln. Verzögert der Dienstvorgesetzte entgegen § 17 Abs. 1 Satz 1 BDG die Einleitung des Disziplinarverfahrens, so kann dies bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme (§ 13 BDG) als mildernder Umstand berücksichtigt werden, wenn die verzögerte Einleitung für das weitere Fehlverhalten des Beamten ursächlich war (Beschluss vom 18. November 2008 - BVerwG 2 B 63.08 - Buchholz 235.1 § 17 BDG Nr. 1 Rn. 13 ff.).

21

Zwar darf der Dienstherr auch Verwaltungsermittlungen durchführen, weil ein Disziplinarverfahren wegen seiner stigmatisierenden Wirkung nicht vorschnell eingeleitet werden darf (Weiß, in: GKÖD, Bd. II, Disziplinarrecht des Bundes und der Länder, Teil 4 BDG, M § 17 Rn. 32). Verwaltungsermittlungen müssen aber wegen der Schutzwirkung der Verfahrensvorschriften in disziplinarrechtlich geführte Ermittlungen umschlagen, wenn der Dienstvorgesetzte Kenntnis von Tatsachen erlangt, aufgrund derer die hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, dass der Beamte schuldhaft seine Dienstpflichten in disziplinarrechtlich relevanter Weise verletzt hat. Diese Voraussetzungen waren spätestens am 6. Juni 2006 erfüllt. Denn zu diesem Zeitpunkt hatte die Innenrevision des BND die gegen den Beklagten letztendlich erhobenen Vorwürfe schriftlich zusammengefasst, um sie der Staatsanwaltschaft Be. mit dem Ziel der Einleitung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens vorzulegen. Grundlage dieser Zusammenfassung waren vor allem detaillierte Berichte des Leiters der BND-Residentur P. an die BND-Zentrale über den weiteren Fortgang seiner Ermittlungen, insbesondere über die in B. geführten Gespräche mit dem "Vermittler" B.

22

Ein Verstoß gegen die aus § 17 Abs. 1 Satz 1 BDG folgende Pflicht zur rechtzeitigen Einleitung des behördlichen Disziplinarverfahrens stellt einen Mangel i.S.v. § 55 Abs. 1 BDG dar. Der Begriff des Mangels i.S.v. § 55 Abs. 1 BDG erfasst Verletzungen von Verfahrensregeln, die im behördlichen Disziplinarverfahren von Bedeutung sind (Urteil vom 20. Oktober 2005 - BVerwG 2 C 12.04 - BVerwGE 124, 252 <254> = Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 1). Hierunter fallen Verstöße gegen verfahrensrechtliche Vorschriften und Rechtsgrundsätze, die den äußeren Ablauf des behördlichen Disziplinarverfahrens bis zur abschließenden behördlichen Entscheidung, also bis zur Erhebung der Disziplinarklage oder bis zu dem Erlass einer Disziplinarverfügung, betreffen (vgl. Beschluss vom 18. November 2008 a.a.O. Rn. 14).

23

Dieser Mangel des behördlichen Disziplinarverfahrens ist aber nicht wesentlich i.S.d. § 55 BDG. Es lässt sich mit hinreichender Sicherheit ausschließen, dass er sich auf das Ergebnis des Disziplinarverfahrens ausgewirkt haben kann (Urteil vom 24. Juni 2010 - BVerwG 2 C 15.09 - BVerwGE 137, 192 = Buchholz 235.1 § 55 BDG Nr. 6, jeweils Rn. 19). Hätte die Klägerin das Disziplinarverfahren entsprechend ihrer Verpflichtung aus § 17 Abs. 1 Satz 1 BDG im Zeitraum zwischen dem Sicherheitsgespräch vom 30. März 2006 und der Erstellung des zusammenfassenden Berichts vom 6. Juni 2006 eingeleitet, so wäre der Beklagte hiervon in rechtlich nicht zu beanstandender Weise nicht unterrichtet worden. Die Vorgehensweise der Klägerin, den Beklagten über die Einleitung des Disziplinarverfahrens bis zum Abschluss der Durchsuchungen seines Büros und seiner Privatwohnung im Rahmen des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens nicht zu informieren, ist durch § 20 Abs. 1 Satz 1 BDG gedeckt. Durch eine Unterrichtung des Beklagten über die Einleitung des Disziplinarverfahrens wäre die Aufklärung des disziplinarrechtlich relevanten Sachverhalts gefährdet gewesen. Bei einer früheren Unterrichtung bestand die Gefahr, dass der Beklagte private Unterlagen über seine Kontakte zum "Vermittler" B. und den geschädigten k. Visa-Antragstellern beseitigt oder mit diesen Kontakt aufnimmt.

24

b) Das Anschreiben vom 8. Januar 2007, mit dem die Klägerin den Beklagten über die Einleitung des Disziplinarverfahrens unterrichtet hat, genügt den formellen Anforderungen des § 20 Abs. 1 Satz 2 und 3 BDG. Es lässt erkennen, welches Dienstvergehen dem Beklagten zur Last gelegt wird, und weist diesen auf die ihm im Verfahren zustehenden Rechte hin. Der Personalrat ist auf Antrag des Beklagten beteiligt worden.

25

c) Die Zuständigkeit des Präsidenten des BND zur Erhebung der Disziplinarklage folgt aus § 34 Abs. 2 Satz 2 BDG i.V.m. Nr. 3 der Anordnung zur Übertragung disziplinarrechtlicher Zuständigkeiten und Befugnisse im Bereich des BND vom 28. Januar 2002 (BGBl I S. 560).

26

2. Im Ergebnis weist auch die Klageschrift keine wesentlichen Mängel auf.

27

a) In Bezug auf das Verhalten des Beklagten im Zusammenhang mit der Beantragung von Schengen-Visa bei der Deutschen Botschaft in B. genügt die Disziplinarklageschrift allerdings nur mit einer vom Vertreter der Klägerin in der mündlichen Verhandlung auf Anregung des Senats erklärten Einschränkung den Anforderungen des § 52 Abs. 1 Satz 2 BDG.

28

Nach § 52 Abs. 1 Satz 2 BDG muss die Klageschrift den persönlichen und beruflichen Werdegang des Beamten, den bisherigen Gang des Disziplinarverfahrens, die Tatsachen, in denen ein Dienstvergehen gesehen wird, und die anderen Tatsachen und Beweismittel, die für die Entscheidung bedeutsam sind, geordnet darstellen. Die Sachverhalte, aus denen das Dienstvergehen hergeleitet wird, müssen aus sich heraus verständlich geschildert werden. Ort und Zeit der einzelnen Handlungen müssen möglichst genau angegeben, die Geschehensabläufe nachvollziehbar beschrieben werden. Hierdurch soll gewährleistet werden, dass sich der Beamte gegen die gegen ihn erhobenen disziplinarischen Vorwürfe sachgerecht verteidigen kann. Zugleich werden durch eine den Anforderungen des § 52 Abs. 1 Satz 2 BDG genügende Klageschrift Umfang und Grenzen der gerichtlichen Disziplinarbefugnis festgelegt. Denn nach § 60 Abs. 2 Satz 1 BDG dürfen nur Handlungen zum Gegenstand der Urteilsfindung gemacht werden, die dem Beamten in der Klage oder einer Nachtragsdisziplinarklage als Dienstvergehen zur Last gelegt worden sind (Urteile vom 25. Januar 2007 - BVerwG 2 A 3.05 - Buchholz 235.1 § 52 BDG Nr. 4 Rn. 27 f. und vom 29. Juli 2010 - BVerwG 2 A 4.09 - juris Rn. 146 f.; Beschluss vom 26. Oktober 2011 - BVerwG 2 B 69.10 - juris Rn. 6). Zwar ist es nicht erforderlich, dass die Klageschrift die angeschuldigten Sachverhalte disziplinarrechtlich zutreffend würdigt. Aufgrund des doppelten Zwecks der Disziplinarklageschrift muss der Dienstherr aber erkennen lassen, gegen welche Dienstpflichten das angeschuldigte Verhalten des Beamten verstoßen soll und ob dem Beamten Vorsatz oder Fahrlässigkeit zur Last gelegt wird (Beschluss vom 28. März 2011 - BVerwG 2 B 59.10 - IÖD 2011, 143, juris Rn. 5).

29

Die Disziplinarklage des BND stellt den persönlichen und beruflichen Werdegang des Beklagten und auch den bisherigen Gang des Verfahrens ausreichend dar. Soweit sich die Disziplinarklageschrift inhaltlich am Gegenstand des Strafbefehls des Amtsgerichts T. vom 29. Januar 2009 orientiert, sind die Anforderungen des § 52 Abs. 1 Satz 2 BDG auch hinsichtlich der Bestimmung des Dienstvergehens erfüllt. Es werden die dem Beklagten vorgeworfenen konkreten Verhaltensweisen, die konkret geschädigten Personen (Q. und R.) sowie der diesen durch das vorgeworfene Verhalten entstandene finanzielle Schaden dargelegt. Die Disziplinarklage enthält die Beweismittel, insbesondere den wesentlichen Inhalt der Zeugenaussagen, würdigt den als erwiesen angesehenen Tatvorwurf und stellt auch die vorsätzliche Begehung des Dienstvergehens fest.

30

Soweit aber in der Klageschrift ausgeführt wird, die tatsächliche Zahl der Geschädigten sowie die gezahlten Beträge lägen erheblich über den Feststellungen im strafrechtlichen Verfahren zum Verhalten des Beklagten gegenüber Q. und R., fehlt es an einer Darstellung i.S.v. § 52 Abs. 1 Satz 2 BDG. Der Vertreter der Klägerin hat aber in der mündlichen Verhandlung erklärt, dass diese Umstände nicht Gegenstand der Disziplinarklage sein sollen.

31

b) Die formellen Mängel der Klageschrift im Hinblick auf den gegen den Beklagten erhobenen Vorwurf, eine dienstliche E-Mail-Adresse privat genutzt zu haben, sind unerheblich. Diese Handlungen sind vom Senat nach § 56 BDG ausgeschieden und nicht wieder in das Disziplinarverfahren einbezogen worden.

32

c) Unerheblich ist, dass die Klägerin in der Disziplinarklageschrift keinen bestimmten Antrag gestellt hat. § 52 Abs. 1 Satz 2 BDG schreibt dies im Gegensatz zu § 82 Abs. 1 Satz 2 VwGO nicht vor. Es bedarf keines Antrags des Dienstherrn, weil nach § 60 Abs. 2 Satz 2 BDG die Gerichte die erforderliche Disziplinarmaßnahme bestimmen (Urteile vom 20. Oktober 2005 a.a.O. S. 255 f. bzw. Rn. 16 und vom 3. Mai 2007 - BVerwG 2 C 9.06 - Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 3 Rn. 26).

33

Aufgrund der Beweisaufnahme sieht der Senat folgenden Sachverhalt als erwiesen an:

34

Am 2. März 2005 sprachen die beiden k. Staatsangehörigen Q. und R. aus M. bei der Deutschen Botschaft in B. vor, um in Erfahrung zu bringen, welche Voraussetzungen für ein Visum für die Bundesrepublik Deutschland erfüllt und welche Unterlagen vorgelegt werden müssen. In der Warteschlange wurden die beiden Interessenten vom l. Staatsangehörigen B. angesprochen, der ihnen gegen Geld seine Hilfe bei der Beschaffung der Visa anbot und auch darauf verwies, dass er die Kontaktperson zum Vizekonsul sei, der bei der Deutschen Botschaft für die Erteilung der Visa zuständig sei. Die beiden Interessenten nahmen das Hilfsangebot an und überwiesen, nachdem sie den "Vermittler" B. überprüft hatten, in der Folgezeit auf dessen Konto insgesamt ca. 12 Mio. COP (Peso Colombiano; ca. 3 800 €); außerdem übersandten sie ihm die für die Erteilung der Visa erforderlichen Unterlagen, darunter den Pass, ein Führungszeugnis und eine Kopie des Personalausweises. Als die beiden Interessenten insgesamt ca. 8 Mio. COP überwiesen hatten, bestellte sie Herr B. zur Übergabe der Visa nach B. Beim Treffen am 23. März 2005 bei einem Hotel in der Nähe der Deutschen Botschaft in B. konnte der "Vermittler" B. den Interessenten die zugesagten Visa nicht übergeben. Zur Beruhigung der beiden Interessenten zog Herr B. den Beklagten zu diesem Gespräch hinzu. Herr B. stellte den beiden Interessenten den Beklagten ohne Namensnennung als Mitarbeiter der Botschaft vor. Die beiden Interessenten, der "Vermittler" B. und der Beklagte begaben sich in eine in der Nähe der Botschaft gelegene Ladenpassage. Bei diesem Gespräch bezeichnete sich der Beklagte selbst als Vizekonsul und als der für die Erteilung der Visa zuständige Mitarbeiter der Botschaft. Der Beklagte sagte ferner, dass er die Visa bereits genehmigt habe und dass man nur auf die Freigabe zur Aushändigung aus Deutschland innerhalb von 15 Tagen warte. Bei dieser Aussage war dem Beklagten bewusst, dass die beiden Interessenten an Herrn B. Geld gezahlt hatten, damit dieser ihnen abredegemäß Visa beschafft. Am 24. März 2005 überwies Q. auf das Konto des Herrn B. weitere, von diesem für die Beschaffung der beiden Visa geforderte 1,7 Mio. COP. 15 Tage später rief Herr B. Q. an und bestellte die beiden Interessenten zur Übergabe der Visa in die Nähe der Deutschen Botschaft. Der "Vermittler" B. erschien aber nicht am vereinbarten Treffpunkt und war für die Interessenten auch telefonisch nicht zu erreichen. Die Interessenten warteten daraufhin mehrere Stunden vor der Deutschen Botschaft. Als der Beklagte das Botschaftsgebäude verließ, lehnte er jedes Gespräch mit ihnen über die Visa ab und verwies sie an den "Vermittler" B. Q. und R. wurden auch in der Folgezeit keine Visa erteilt.

35

1. Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich nicht bereits nach § 57 Abs. 1 Satz 1 BDG aus dem Urteil des Amtsgerichts T. vom 19. Mai 2009. Dieses Urteil ist für das gerichtliche Disziplinarverfahren nicht bindend, weil es zum tatsächlichen Geschehen keine Feststellungen trifft.

36

Gegenstand des Urteils vom 19. Mai 2009 ist nur das Strafmaß, nachdem der Beklagte seinen ursprünglich unbeschränkt erhobenen Einspruch gegen den Strafbefehl vom 29. Januar 2009 in der Hauptverhandlung nach § 410 Abs. 2 StPO auf das Strafmaß beschränkt hatte. Die Feststellungen zum Tatgeschehen beruhen lediglich auf dem im Schuldspruch rechtskräftigen Strafbefehl vom 29. Januar 2009.

37

Feststellungen in einem rechtskräftigen Strafbefehl kommt trotz seiner strafprozessualen Gleichstellung mit einem rechtskräftigen Urteil (§ 410 Abs. 3 StPO) keine Bindungswirkung i.S.v. § 23 Abs. 1 und § 57 Abs. 1 Satz 1 BDG zu. Dies ist in der Rechtsprechung zu § 18 BDO allgemein anerkannt (Urteil vom 16. Juni 1992 - BVerwG 1 D 11.91 - BVerwGE 93, 255 <258>). Hintergrund hierfür ist die Überlegung, dass nur solche tatsächlichen Feststellungen eine sichere Entscheidungsgrundlage für ein Disziplinarverfahren liefern können, die aufgrund der Sachverhaltsfeststellungen in einer Hauptverhandlung vor Gericht und nach richterlicher Beweiswürdigung getroffen worden sind. Demgegenüber liegt einem Strafbefehl lediglich eine in einem besonders geregelten summarischen Verfahren getroffene richterliche Entscheidung zugrunde. Er ergeht ohne Hauptverhandlung und gerichtliche Beweisaufnahme und bietet damit nicht das Maß an Ergebnissicherheit, das Voraussetzung für eine Bindungswirkung ist. Die in § 410 Abs. 3 StPO ausgesprochene Gleichstellung bestimmt lediglich den Umfang der Rechtskraft eines Strafbefehls (BTDrucks 10/1313, S. 38) und dient insoweit der prozessrechtlichen Klarstellung (Urteil vom 8. Juni 2000 - BVerwG 2 C 20.99 - Buchholz 237.7 § 51 NWLBG Nr. 1).

38

Aus der Entstehungsgeschichte der §§ 23 und 57 BDG (Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung des Bundesdisziplinarrechts, BTDrucks 14/4659, S. 41 f. und 49) ist zu schließen, dass der Gesetzgeber in Übereinstimmung mit der bisherigen Rechtsprechung den rechtskräftigen Strafbefehl hinsichtlich der Bindungswirkung nicht einem rechtskräftigen Strafurteil gleichgestellt hat (Gansen, Disziplinarrecht in Bund und Ländern, § 23 Rn. 4; Weiß, a.a.O. § 23 Rn. 24; Hummel/Köhler/Mayer, BDG, 5. Aufl., § 23 Rn. 2). Denn der Bundesgesetzgeber ist einem entsprechenden Vorschlag des Bundesrates im Gesetzgebungsverfahren nicht gefolgt (BTDrucks 14/4659, S. 59 f.; vgl. dazu Gegenäußerung der Bundesregierung, BTDrucks 14/4659, S. 64).

39

Auch die Anwendung des § 57 Abs. 2 BDG ist ausgeschlossen, wonach die in einem anderen gesetzlich geordneten Verfahren getroffenen tatsächlichen Feststellungen nicht bindend sind, aber der Entscheidung ohne erneute Prüfung zugrunde gelegt werden können. Denn der Beklagte bestreitet substantiiert die im Strafbefehl vom 29. Januar 2009 getroffenen Feststellungen zu seinem Verhalten im Zusammenhang mit der Beantragung von Schengen-Visa durch Q. und R. im März 2005. Wegen des im Wortlaut angelegten Regel-Ausnahme-Verhältnisses und des systematischen Zusammenhangs mit der in § 58 Abs. 1 BDG geregelten gerichtlichen Aufklärungspflicht ist für die Anwendung des § 57 Abs. 2 BDG nur Raum, wenn die Richtigkeit der anderweitig festgestellten Tatsachen vom betroffenen Beamten im gerichtlichen Disziplinarverfahren nicht substantiiert angezweifelt wird (Beschluss vom 4. September 2008 - BVerwG 2 B 61.07 - Buchholz 235.1 § 58 BDG Nr. 4 Rn. 8 m.w.N.).

40

2. a) Die tatsächlichen Feststellungen beruhen vorrangig auf den konsularischen Vernehmungen der k. Staatsangehörigen Q. und R. durch den Zeugen S. vom 26. Februar 2007 und des l. Staatsangehörigen B. durch den Zeugen Dr. vom 13. April 2007. Wie in der mündlichen Verhandlung festgestellt, befinden sich in der vom Senat beigezogenen Strafakte die von den vernommenen Personen eigenhändig unterschriebenen und in spanischer Sprache abgefassten Originale der Niederschriften über die in Spanisch geführten Vernehmungen. Bei den Vernehmungen haben die Zeugen S. und Dr. die für ihre Amtstätigkeit als Konsularbeamte geltenden Schranken nach § 4 KonsG beachtet. Das Wiener Übereinkommen vom 24. April 1963 über konsularische Beziehungen (BGBl II 1969 S. 1585), das in seinem Art. 5 die von einer konsularischen Vertretung im Empfangsstaat wahrzunehmenden konsularischen Aufgaben aufführt, ist nach seinem Art. 77 Abs. 2 für K. am 6. Oktober 1972 in Kraft getreten (Bekanntmachung über den Geltungsbereich des Wiener Übereinkommens über konsularische Beziehungen vom 15. Februar 1973, BGBl II S. 166). Nach § 15 Abs. 4 KonsG stehen die Vernehmungen und die über sie aufgenommenen Niederschriften den Vernehmungen sowie den darüber aufgenommenen Niederschriften inländischer Gerichte und Behörden gleich.

41

Die Zeugen S. und Dr. haben den Inhalt der Vernehmungen gegenüber dem erkennenden Gericht überzeugend wiedergegeben. Der Senat hält die Bekundungen der k. Staatsangehörigen Q. und R. für glaubhaft, diejenigen des l. Staatsangehörigen B. allerdings nur im Kern insoweit, als er eine Zusammenarbeit mit dem Beklagten angegeben und die Überweisung der geforderten 12 Mio. COP auf sein Konto bestätigt hat.

42

Das Ergebnis der konsularischen Vernehmungen ist durch die Bekundungen der vom Senat vernommenen Zeugen U. und P. über den Inhalt im Frühjahr 2006 geführter informatorischer Gespräche mit den beiden k. Staatsangehörigen Q. und R., dem l. Staatsangehörigen B. und der bei der k. Generalstaatsanwaltschaft zuständigen Sachbearbeiterin bestätigt worden. Kopien der Belege für die Überweisungen der Geschädigten an den "Vermittler" B. befinden sich in der Akte des Rechtshilfeersuchens. Bestandteil der beigezogenen Strafakten der Staatsanwaltschaft Be. sind auch die Unterlagen des an die Republik K. gerichteten Rechtshilfeersuchens der Staatsanwaltschaft Be. vom 15. Juni 2007. Zudem haben die beiden Zeugen U. und P. inhaltlich übereinstimmend glaubhaft ausgesagt, dass Q. und R. im Rahmen ihres Gesprächs in einem Café in M. am 16. Mai 2006 den Beklagten anhand von sechs Fotos als denjenigen Mitarbeiter der Botschaft identifiziert haben, der sich ihnen gegenüber am 23. März 2005 als Vizekonsul bezeichnet und ihnen zugleich versichert hat, die von ihnen beantragten Visa seien bereits bewilligt und könnten in ungefähr zwei Wochen ausgehändigt werden. Auch im Rahmen ihrer konsularischen Vernehmungen haben die beiden k. Staatsangehörigen den Beklagten auf den insgesamt sechs Fotos wiedererkannt.

43

Bei der Würdigung des Umstands, dass Q. und R. jeweils im Mai 2006 und im Februar 2007 den Beklagten auf den ihnen vorgelegten Bildern erkannt haben, berücksichtigt der Senat, dass einem Zeugen bei einer Wahllichtbildvorlage nacheinander Lichtbilder von wenigstens acht Personen vorgelegt werden sollen. Denn ein Zeuge kann bei dieser größeren Vergleichszahl etwaige Unsicherheiten in seiner Beurteilung besser erkennen und dementsprechend offen legen, so dass eine Wiedererkennung unter (mindestens) acht Vergleichspersonen einen höheren Beweiswert gewinnen kann (BGH, Beschluss vom 9. November 2011 - 1 StR 524/11 - NJW 2012, 791, Rn. 6 f. m.w.N.). Dies schließt es aber nicht aus, das Ergebnis einer Wiedererkennung im Rahmen einer auf fünf vergleichbare Porträtfotos beschränkten Wahllichtbildvorlage in die Gesamtwürdigung des Ergebnisses der Beweisaufnahme einzubeziehen. Zudem ist zu berücksichtigen, dass die beiden Geschädigten, die dem Beklagten nicht nur am 23. März 2005 persönlich begegnet sind, sondern diesen auch ca. zwei Wochen später nach mehrstündigem Warten vor dem Gebäude der Deutschen Botschaft wiedererkannt und von sich aus auf den Verbleib der ihnen zugesagten Visa angesprochen haben, diesen auf einem Gruppenfoto der Beschäftigten der Deutschen Botschaft - unter ca. 35 Personen - wiedererkannt haben.

44

Die Angaben der Zeugen S., U. und P. zum Inhalt der Äußerungen des unmittelbar geschädigten Q. zum Verhalten des Beklagten sowie des "Vermittlers" B. decken sich zudem mit dessen Schilderungen gegenüber der k. Staatsanwaltschaft im Rahmen des dort gegen den "Vermittler" B. wegen des Verdachts des Betrugs geführten Ermittlungsverfahrens. In der eigentlichen Anzeige vom 3. Mai 2005 sowie in seiner weiteren Vernehmung vom 25. Juli 2006 aus Anlass des Scheiterns der zwischen dem "Vermittler" B. und der k. Staatsanwaltschaft getroffenen Gütevereinbarung hat der Geschädigte Q. den Sachverhalt übereinstimmend dargestellt. Dort hat dieser auch geschildert, dass sich Herr B. bereits beim ersten Zusammentreffen am 2. März 2005 berühmt hatte, die Kontaktperson zu dem in der Deutschen Botschaft für die Erteilung von Visa zuständigen Bediensteten zu sein. Inhaltlich im Wesentlichen übereinstimmend sind auch die verschiedenen Angaben des Herrn Q. zu den in der Nähe der Deutschen Botschaft gelegenen Örtlichkeiten der Zusammentreffen mit dem "Vermittler" B. und mit dem Beklagten am 23. März 2005.

45

b) Aus seinen Angaben im zweiten Teil des mit Mitarbeitern des BND geführten Sicherheitsgesprächs vom 30. März 2006 sowie in der Beschuldigtenvernehmung vom 20. September 2007 ergibt sich, dass dem Beklagten seit November 2004 bekannt war, dass sein Bekannter B. für seine "Vermittlungstätigkeit" von den Visa-Antragstellern Geldzahlungen erhielt. Die vom Beklagten unterschriebene Niederschrift über das Sicherheitsgespräch ist im Disziplinarverfahren verwertbar.

46

§ 54 Satz 3 BBG a.F. (in der Fassung der Bekanntmachung vom 31. März 1999, BGBl I S. 675) sieht vor, dass das Verhalten eines Beamten der Klägerin innerhalb und außerhalb des Dienstes der Achtung und dem Vertrauen gerecht werden muss, die sein Beruf erfordert. Nach § 55 Satz 1 BBG a.F. hat ein Beamter seine Vorgesetzten zu beraten und zu unterstützen. Hieraus folgt, dass der Beamte in dienstlichen Angelegenheiten wahrheitsgemäß und vollständig zu berichten hat (Urteil vom 27. August 1997 - BVerwG 1 D 49.96 - BVerwGE 113, 118 <126 f.> = Buchholz 232 § 52 BBG Nr. 9). Über diese Pflicht ist der Beklagte von Mitarbeitern des BND zu Beginn des Gesprächs und unmittelbar vor der Korrektur seiner bisherigen Aussage zu seinen Kontakten zum "Vermittler" B. auch noch nach seiner Rückversetzung in das Inland zutreffend belehrt worden. Die Bediensteten des BND haben den Beklagten auch auf das ihm zustehende Recht hingewiesen, die Aussage zu verweigern, wenn er sich dabei strafrechtlich belasten würde. Vor dem Abschluss des Sicherheitsgesprächs bestand auch noch keine Dienstpflicht zur Einleitung eines Disziplinarverfahrens i.S.v. § 17 Abs. 1 Satz 1 BDG mit der Folge, dass der Beklagte nach § 20 Abs. 1 Satz 3 BDG darauf hinzuweisen gewesen wäre, dass es ihm freistehe, sich schriftlich zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen und sich jederzeit eines Bevollmächtigten oder Beistands zu bedienen. Die Einleitung des Disziplinarverfahrens kam frühestens im Anschluss an dieses Gespräch in Betracht. Denn erst aufgrund der Angaben des Beklagten im Gespräch vom 30. März 2006 hatte der Dienstvorgesetzte von solchen Tatsachen Kenntnis erlangt, aufgrund derer die hinreichende Wahrscheinlichkeit bestand, dass der Beklagte schuldhaft seine Dienstpflichten in disziplinarrechtlich relevanter Weise verletzt hatte.

47

c) Der Beklagte ist in der mündlichen Verhandlung zu den Ereignissen in K. sowie zu den Aussagen der Zeugen in Bezug auf die Angaben der Geschädigten Q. und R. zu seinem Verhalten und zu dem des "Vermittlers" B. im Zusammenhang mit der Beantragung von Visa im Frühjahr 2005 angehört worden. Seine Äußerungen beschränkten sich im Wesentlichen auf Ausflüchte oder auf die Geltendmachung von Erinnerungslücken. Ihn belastende Angaben im Sicherheitsgespräch oder Unterschiede zwischen diesen Angaben und seinen Äußerungen in der mündlichen Verhandlung hat er nicht plausibel zu erklären vermocht.

48

In der zweiten Hälfte des Sicherheitsgesprächs vom März 2006 hatte es der Beklagte zumindest nicht ausgeschlossen, dass er sich im Verlauf eines von seinem Bekannten B. initiierten Telefongesprächs, in dem es um Visa-Anträge und Geldüberweisungen an Herrn B. ging, gegenüber dem ihm unbekannten Gesprächspartner des Herrn B. selbst als Konsul vorgestellt hat. Bei seiner Anhörung in der mündlichen Verhandlung ist ihm diese Aussage vorgehalten worden; er hat dann aber nachdrücklich bestritten, sich jemals so vorgestellt zu haben. Diese gravierende Abweichung konnte der Beklagte nicht erklären.

49

Wenig überzeugend sind auch die Reaktionen des Beklagten auf andere Vorhalte aus der Niederschrift über das Sicherheitsgespräch vom 30. März 2006 gewesen. Dies gilt insbesondere für seine Schilderung im Sicherheitsgespräch, eine ihm unbekannte Person per Telefon aufgefordert zu haben, eine Überweisung zu veranlassen, damit Anträge für Visa positiv beschieden werden können. Im Sicherheitsgespräch vom März 2006 hatte der Beklagte noch ausgesagt, im Januar 2006 habe ihm sein Bekannter B. telefonisch mitgeteilt, Visa-Antragsteller, die Geld auf dessen Konto eingezahlt hätten, ohne dass die Visa erteilt worden seien, hätten bei der Staatsanwaltschaft Anzeige erstattet. In der mündlichen Verhandlung konnte sich der Beklagte an dieses Telefonat und seinen ihn belastenden Inhalt nicht mehr erinnern.

50

Unglaubhaft ist auch die Angabe des Beklagten, er habe sich deshalb bereit erklärt, ihm vom "Vermittler" B. übergebene Visa-Anträge auf "formale" Richtigkeit zu überprüfen, um diesen als nachrichtendienstliche Verbindung zu halten und um damit an für den BND bedeutsame nachrichtendienstliche Informationen zu gelangen. Denn da nach den Vorgaben des BND Mitarbeiter einer BND-Residentur dienstlich gerade nicht mit der Erteilung von Visa befasst sind, hätte es sich aus Sicht eines Mitarbeiters einer BND-Residentur geradezu aufgedrängt, die - angeblich - im Rahmen einer nachrichtendienstlichen Zusammenarbeit mit Herrn B. vorgenommene Kontrolle von Visa-Anträgen dem unmittelbaren Dienstvorgesetzten mitzuteilen. Die Brisanz seiner Befassung mit Visa-Angelegenheiten im Rahmen seines Kontakts zu der nachrichtendienstlichen Quelle B. als Mitarbeiter des BND an der Deutschen Botschaft war dem Beklagten durchaus bewusst. Denn er hat diese Tätigkeit in der mündlichen Verhandlung selbst als "heikle Angelegenheit" bezeichnet. Der Zeuge P. hat aber in Übereinstimmung mit dem Beklagten ausgesagt, dass er von dieser Tätigkeit des Beklagten keine Kenntnis hatte.

51

d) Der Umstand, dass der "Vermittler" B. mit den beiden Interessenten Anfang April 2005 telefonisch einen bestimmten Termin zur Aushändigung der Visa vereinbart hat, obwohl er die versprochene Gegenleistung tatsächlich nicht erbringen konnte, steht den Feststellungen nicht entgegen. Aus dem schriftlichen Bericht des Zeugen P. über das Treffen mit Q. und R. am 16. Mai 2006, der Teil der Strafakte ist, ergibt sich, dass der "Vermittler" B. häufig und regelmäßig mit diesen telefonisch in Kontakt getreten ist, so dass sie dies als Ausdruck seines hohen Interesses und Engagements gewertet haben. Auch vor dem Zusammentreffen vom 23. März 2005, an dem Herr B. die versprochenen Visa nicht aushändigen konnte und zur Beruhigung der Interessenten den Beklagten als den Garanten der Erteilung der Visa präsentiert hatte, hatte der "Vermittler" B. Q. und R. telefonisch nach B. bestellt.

52

e) Angesichts der aufgeführten Beweismittel bedurfte es zur Feststellung des Verhaltens des Beklagten im Zusammenhang mit der Zusage der Erteilung von Visa an Q. und R. im Frühjahr 2005 nicht der unmittelbaren Vernehmung der im Ausland zu ladenden Zeugen R., Q. und B.

53

3. Nach der im Verwaltungsprozess entsprechend anwendbaren Bestimmung des § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO kann ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Zeugen, dessen Ladung im Ausland zu bewirken wäre, abgelehnt werden, wenn er nach dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, die das Bundesverfassungsgericht gebilligt hat (Kammerbeschluss vom 21. August 1996 - 2 BvR 1304/96 - NJW 1997, 999 f.), ist für die Anwendung des § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO maßgebend, ob die Erhebung des beantragten Beweises ein Gebot der Aufklärungspflicht ist (BGH, Urteil vom 18. Januar 1994 - 1 StR 745/93 - BGHSt 40, 60 <62> = NJW 1994, 1484 f., Beschluss vom 5. September 2000 - 1 StR 325/00 - NJW 2001, 695 f.). Es ist dem Richter erlaubt und aufgegeben, das bisherige Ergebnis der Beweisaufnahme zugrunde zu legen. Das sonst im Beweisantragsrecht weitgehend herrschende Verbot einer Beweisantizipation gilt nicht. Die Entscheidung über den Beweisantrag darf davon abhängig gemacht werden, welche Ergebnisse von der Beweisaufnahme zu erwarten sind und wie diese zu erwartenden Ergebnisse zu würdigen wären (Beschluss vom 20. Mai 1998 - BVerwG 7 B 440.97 - Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 153).

54

a) Nach diesen Grundsätzen hat der Senat den Antrag des Beklagten abgelehnt, die in K. zu ladenden Q. und R. als Zeugen in der mündlichen Verhandlung dazu zu vernehmen, ob sie mit dem Beklagten zusammengetroffen sind und was der Beklagte mit ihnen beredet hat. Der Vertreter des Beklagten hat den in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag in Übereinstimmung mit seinem schriftlichen Antrag vom 27. März 2012 damit begründet, die Glaubwürdigkeit von Q. und R. sei zweifelhaft und müsse durch eine Vernehmung durch den Senat geklärt werden.

55

Die Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts (§ 58 Abs. 1 BDG, § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO) gebietet hier die Vernehmung der beiden k. Staatsangehörigen durch den Senat zur Klärung ihrer Glaubwürdigkeit nicht. Gemäß § 58 Abs. 1 BDG erhebt das Gericht die erforderlichen Beweise. Demnach hat es grundsätzlich selbst diejenigen Tatsachen festzustellen, die für den Nachweis des Dienstvergehens und die Bemessung der Disziplinarmaßnahme von Bedeutung sind (BTDrucks 14/4659, S. 49 zu § 58 BDG). Entsprechend § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO folgt daraus grundsätzlich die Verpflichtung, diejenigen Maßnahmen zur Sachaufklärung zu ergreifen, die sich nach Lage der Dinge aufdrängen. Aufgrund der beigezogenen Akten und der Aussagen der Zeugen in der mündlichen Verhandlung ist der Senat von der Glaubwürdigkeit der beiden k. Staatsangehörigen überzeugt, so dass die gerichtliche Aufklärungspflicht nicht die persönliche Befragung der Zeugen durch den Senat erfordert.

56

Für die Glaubwürdigkeit des Geschädigten Q. spricht insbesondere, dass er den Sachverhalt und das Verhalten des Beklagten anlässlich der beiden Zusammentreffen am 23. März 2005 und Anfang April 2005 viermal geschildert hat, ohne sich in Widersprüche zu verwickeln oder seine Darstellung zum Nachteil des Beklagten auszuschmücken oder zu steigern. Die jeweiligen Angaben des Herrn Q. stehen aufgrund der Beweisaufnahme fest. Der Inhalt seiner Aussage anlässlich der Erstattung der Anzeige bei der k. Staatsanwaltschaft vom 3. Mai 2005 sowie seine Äußerung gegenüber dieser Staatsanwaltschaft vom 25. Juli 2006 nach dem Scheitern der Gütevereinbarung ergeben sich aus der Antwort auf das Rechtshilfeersuchen der Staatsanwaltschaft Be. Über die nach Belehrung von Herrn Q. gemachten Angaben beim Zusammentreffen mit den Mitarbeitern der Deutschen Botschaft in B. U. und P. in einem Café in M. am 16. Mai 2006 sind diese in der mündlichen Verhandlung als unmittelbare Zeugen vernommen worden. Der Inhalt der Aussage des Zeugen Q. bei seiner k. Vernehmung durch den Zeugen S. am 26. Februar 2007 ergibt sich zum einen aus der von ihm eigenhändig unterschriebenen Niederschrift über diese Vernehmung sowie aus den Angaben des Zeugen S. in dessen Vernehmung durch den beauftragten Richter vom 12. März 2012.

57

Auch Frau R. hat Verhalten und Aussagen des Beklagten mehrfach geschildert, ohne ihre Darstellung abzuändern oder sich in Widersprüche zu verwickeln. Gemeinsam mit Herrn Q. hatte sie sich mit den Zeugen U. und P. am 16. Mai 2006 in einem Café in M. getroffen und nach einer Belehrung über ihre Pflicht zur vollständigen und wahrheitsgemäßen Aussage über Angaben und Verhalten des Beklagten am 23. März 2005 und Anfang April 2005 berichtet. Auch Frau R. ist vom Zeugen S. am 26. Februar 2007 in der Deutschen Botschaft konsularisch vernommen worden und hat die in Spanisch abgefasste Niederschrift über diese Vernehmung eigenhändig unterschrieben.

58

Für die Glaubwürdigkeit der beiden geschädigten k. Staatsangehörigen spricht ferner, dass sie gegenüber den Zeugen U. und P. anlässlich des Treffens in einem Café in M. am 16. Mai 2006 freimütig eingeräumt haben, gegenüber der k. Staatsanwaltschaft die Angaben über ihre Zahlungen an Herrn B. um ca. 5 Mio. COP erhöht zu haben, um auf diese Weise die ihnen entstandenen Unkosten für die Reisen von ihrem Heimatort M. nach B. auszugleichen. Ihre Glaubwürdigkeit ergibt sich auch aus ihrem Eingeständnis gewusst zu haben, dass die Erlangung von Schengen-Visa auf dem vom "Vermittler" B. vorgeschlagenen Weg nicht legal war. Herrn Q. war nach seinen Angaben bei der konsularischen Vernehmung zudem bewusst, dass er nicht über die erforderlichen finanziellen Mittel verfügte, um im vorgeschriebenen Verfahren ein Visum zu erhalten.

59

Die Zeugen U. und P., die insoweit unmittelbare Zeugen und nicht nur Zeugen vom Hörensagen sind, haben das Verhalten der Frau R. sowie des Herrn Q. anlässlich ihres Treffens in M. am 16. Mai 2006 eingehend geschildert. Das geschilderte Verhalten spricht für die Glaubwürdigkeit der Geschädigten und die Glaubhaftigkeit ihrer Angaben zum Verhalten des Beklagten. Die von den Zeugen U. und P. übereinstimmend geschilderte anfängliche Zurückhaltung der beiden k. Staatsangehörigen gegenüber den Mitarbeitern der Deutschen Botschaft ist von den beiden Geschädigten nachvollziehbar begründet worden. Die beiden K. gingen zunächst davon aus, ihnen drohten durch die beiden Mitarbeiter der Botschaft seitens der Botschaft oder seitens des Herrn B. Repressalien. Die Geschädigten hatten sich vor dem Gespräch mit den Zeugen U. und P. bei der k. Staatsanwaltschaft nach dem Hintergrund der Kontaktaufnahme durch Mitarbeiter der Deutschen Botschaft erkundigt und haben ihre anfängliche Zurückhaltung im Gespräch vom 16. Mai 2006 erst nach der Klarstellung durch die Zeugen U. und P. aufgegeben, dass das Gespräch ausschließlich dazu diene, das Verhalten eines Mitarbeiters der Botschaft im Zusammenhang mit ihren Visa-Anträgen aufzuklären. Im Anschluss hieran haben die beiden Geschädigten den Sachverhalt inhaltlich übereinstimmend berichtet und dabei auch freimütig eigenes Fehlverhalten, d.h. das "Aufschlagen" von ca. 5 Mio. COP auf die an Herrn B. tatsächlich gezahlte Gesamtsumme von 12 Mio. COP zur Abdeckung der ihnen entstandenen Reisekosten, eingeräumt. Die Angaben des Zeugen P. in der mündlichen Verhandlung zu Auftreten und Äußerungen der beiden Geschädigten anlässlich des Gesprächs vom 16. Mai 2006 decken sich mit seinem detaillierten, an die Zentrale des BND gerichteten Bericht vom 17. Mai 2006, der Bestandteil der Strafakte ist.

60

Die Zeugin U., eine erfahrene Kriminalbeamtin, hat die beiden Geschädigten aufgrund ihres Verhaltens anlässlich des Zusammentreffens in M. am 16. Mai 2006 als glaubwürdig angesehen. Für diese Einschätzung spricht nach Auffassung des Senats insbesondere, dass die beiden Geschädigten nach den deckungsgleichen Aussagen der Zeugen U. und P. ihre Antworten im Gespräch vom 16. Mai 2006 nicht bedenken mussten, sondern spontan und inhaltlich übereinstimmend ausgesagt haben. Ferner haben sie sich auch auf Nachfragen der beiden Mitarbeiter der Botschaft nicht in Widersprüche verwickelt. Nach den Bekundungen der Zeugen U. und P. haben die beiden Geschädigten den Sachverhalt und das Verhalten des Beklagten am 16. Mai 2006 ohne größere Emotionen oder Ärger geschildert. Dies deckt sich mit der Beurteilung des Verhaltens der Geschädigten durch die Zeugin D.. Diese hat in der mündlichen Verhandlung ausgesagt, die beiden k. Staatsangehörigen hätten bei ihren konsularischen Vernehmungen am 26. Februar 2007 einen ruhigen Eindruck gemacht. Sie hätten die ihnen gestellten Fragen flüssig und ohne sichtliche Emotionen gegenüber dem Beklagten beantwortet. Triebfeder für das Vorgehen der Geschädigten Q. und R. ausschließlich gegen den "Vermittler" B. war der Umstand, dass sie an diesen ganz erhebliche Geldzahlungen geleistet hatten, ohne die ihnen von diesem zugesagte Gegenleistung zu erhalten.

61

b) Die Geschädigten wären unglaubwürdig, wenn sich Anhaltspunkte für die These finden ließen, sie hätten den Beklagten als Mitarbeiter der Deutschen Botschaft nur deshalb der Mitwirkung bei ihrem Versuch der illegalen Erlangung von Visa bezichtigt, um diesen persönlich oder mittelbar die deutsche Botschaft unter Hinweis auf eine drohende Veröffentlichung zur Rückzahlung der von ihnen an den "Vermittler" B. gezahlten Gesamtsumme von 12 Mio. COP drängen zu können. Für diese "Komplotttheorie" oder die Tendenz der Geschädigten, den Beklagten durch unrichtige Angaben zu belasten, fehlt jedoch jeglicher Anhalt.

62

Wie die beiden Geschädigten bei ihren konsularischen Vernehmungen übereinstimmend ausgesagt haben, ging es ihnen zwar darum, die ganz erhebliche Summe von 12 Mio. COP, die sie sich darlehnsweise beschafft und als Gegenleistung für die zugesagte Beschaffung der beiden Visa an Herrn B. auf dessen Konten überwiesen hatten, zurückzuerhalten. Die Ernsthaftigkeit dieses Bestrebens ist durch den Umstand belegt, dass Herr Q. den "Vermittler" B. bereits am 3. Mai 2005, d.h. nur kurze Zeit nach der ausgebliebenen Aushändigung der Visa, bei der Staatsanwaltschaft wegen Betrugs angezeigt hat. Wäre es dem Geschädigten darum gegangen, einen Mitarbeiter der Botschaft zu Unrecht einer Mitwirkung zu bezichtigen, um einen weiteren, auch solventen Schuldner ihres Anspruchs auf Rückerstattung zu "konstruieren", so hätte es sich aufgedrängt, zeitgleich mit der Erstattung der Strafanzeige gegen Herrn B. bei der Deutschen Botschaft vorstellig zu werden, um den Beschäftigten oder die Deutsche Botschaft, z.B. durch die Drohung einer Veröffentlichung von Einzelheiten, zur Zahlung zu bewegen. Tatsächlich haben jedoch die Geschädigten von sich aus jeden Kontakt zum Beklagten oder der Deutschen Botschaft gemieden. Nicht die Geschädigten, sondern der "Vermittler" B. ist an die Botschaft herangetreten und hat diese vor dem Hintergrund des Ablaufs der in der Gütevereinbarung festgesetzten Frist zur Rückzahlung durch die Androhung der Veröffentlichung "unangenehmer Details" zur Zahlung der Gesamtsumme von 12 Mio. COP gedrängt. Zwar war Herrn Q. zum Zeitpunkt der Erstattung seiner Anzeige am 3. Mai 2005 der Name des Beklagten noch nicht bekannt. Nach seiner konsularischen Vernehmung hat er diesen aber im Verlauf des gegen Herrn B. bei der Staatsanwaltschaft geführten Verfahrens erfahren. Obwohl die Geschädigten den Mitarbeiter der Botschaft später namentlich benennen und zudem dessen auffällige Erscheinung bereits zum Zeitpunkt der Anzeigeerstattung detailliert beschreiben konnten, haben sie sich ausschließlich an den "Vermittler" B. als denjenigen gehalten, an den sie die verschiedenen Zahlungen geleistet hatten.

63

Dieser Zurückhaltung der Geschädigten gegenüber der Deutschen Botschaft und ihren Mitarbeitern widerspricht auch nicht der Umstand, dass die beiden k. Staatsangehörigen Anfang April 2005 vor dem Gebäude der Deutschen Botschaft mehrere Stunden auf das Erscheinen des Beklagten gewartet haben, um diesen nach dem Verbleib der ihnen vom "Vermittler" B. für diesen Tag zugesagten Visa zu fragen. Denn für die beiden Geschädigten war der Beklagte an diesem Tag, an dem sie ausschließlich wegen der angekündigten Erteilung der Visa von M. nach B. geflogen waren, die einzige Person, die ihnen nach dem Ausbleiben des Herrn B. vor Ort Auskunft hätte geben können.

64

1. Durch das festgestellte Verhalten hat der Beklagte die ihm nach § 54 Satz 2 und 3 sowie § 70 Satz 1 BBG a.F. obliegenden Pflichten vorsätzlich, rechtswidrig und schuldhaft verletzt. Er hat gegen die Pflicht verstoßen, sein Amt uneigennützig nach bestem Gewissen zu verwalten, gegen die Pflicht zum achtungs- und vertrauenswürdigen Verhalten sowie gegen das Verbot, in Bezug auf das Amt geldwerte Vorteile anzunehmen. Damit hat der Beklagte ein Dienstvergehen i.S.v. § 77 Abs. 1 Satz 1 BBG a.F. begangen.

65

Im Hinblick auf den Verstoß gegen § 70 Satz 1 BBG a.F. ist es unerheblich, dass der Beklagte nach der Aufgabenverteilung in der Deutschen Botschaft in B. mit der Erteilung von Visa dienstlich nicht befasst war und die Geschädigten Q. und R. die geforderten Zahlungen an den "Vermittler" B. geleistet haben. Denn der Tatbestand des § 70 Satz 1 BBG a.F. ist bereits dadurch erfüllt, dass Q. an den "Vermittler" B. nach dem Zusammentreffen mit dem Beklagten am 23. März 2005 Geld für die Beschaffung von Visa überwiesen hat und der Beklagte im Zusammenwirken mit dem "Vermittler" B. gegenüber den Geschädigten wahrheitswidrig den Eindruck erweckt hat, er werde ihnen im Hinblick auf die an B. geleisteten Zahlungen die von diesem als Gegenleistung versprochenen Visa verschaffen.

66

Zweck des Verbots nach § 70 Satz 1 BBG a.F. ist es, bereits den bloßen Anschein zu vermeiden, dienstliche Handlungen seien durch Gefälligkeiten beeinflussbar und Amtshandlungen seien käuflich (Urteile vom 14. Dezember 1995 - BVerwG 2 C 27.94 - BVerwGE 100, 172 <176 f.> = Buchholz 236.1 § 19 SG Nr. 1 S. 5, vom 22. Oktober 1996 - BVerwG 1 D 76.95 - BVerwGE 113, 4 <5 f.> = Buchholz 232 § 70 BBG Nr. 4 und vom 23. November 2006 - BVerwG 1 D 1.06 - Buchholz 232 § 70 BBG Nr. 12 Rn. 29). Anknüpfungspunkt des gesetzlichen Verbots ist nicht das enge Gebiet der Amtshandlungen des Beamten, sondern nach dem Wortlaut sowohl das Amt im abstrakt- oder konkret-funktionellen Sinn als auch das Amt im statusrechtlichen Sinn (Urteil vom 20. Februar 2002 - BVerwG 1 D 19.01 - Buchholz 232 § 70 BBG Nr. 11 S. 18 f.). Danach besteht der in § 70 Satz 1 BBG a.F. geforderte Bezug zum Amt bereits dann, wenn nach den Umständen des Einzelfalls sich der Geber davon leiten lässt, dass der Bedienstete dienstlich tätig wird oder geworden ist. Es reicht aus, wenn, wie hier, nach den erkennbaren Vorstellungen und Motiven des Gebers der Gesichtspunkt der Anstellung oder dienstlichen Tätigkeit des Beamten zumindest mitkausal ist (Urteile vom 14. Dezember 1995 a.a.O. S. 176 bzw. S. 5 und vom 20. Februar 2002 a.a.O. S. 19). Auch dann, wenn der Beamte unter Hinweis auf seine Dienststellenzugehörigkeit beim Zuwender lediglich den wahrheitswidrigen Anschein erweckt hat, auf die begehrte Entscheidung der Dienststelle in irgendeiner Weise Einfluss nehmen zu können, ist der Bezug zum Amt gegeben.

67

Entsprechend dem Zweck des § 70 Satz 1 BBG a.F., bereits den Anschein der Käuflichkeit von Diensthandlungen zu vermeiden, werden von dem Verbot auch solche Belohnungen und Geschenke erfasst, die nicht dem Beamten persönlich, sondern einem Dritten zufließen, bei denen aber nicht der Dritte, sondern der Beamte wegen seiner dienstlichen Stellung oder seiner dienstlichen Handlungen den Grund für die Zuwendung bildet (Urteil vom 20. Februar 2002 a.a.O.; Plog/Wiedow, BBG alt, § 70 Rn. 3; Zängl, in: GKÖD, Bd. I, BBG, K § 70 Rn. 22; Schütz/Maiwald, Beamtenrecht des Bundes und der Länder, § 76 LBG NRW a.F. Rn. 24). Diese Voraussetzung ist hier erfüllt, weil Herr Q. dem "Vermittler" B. - erneut - Geld zur Erlangung der Visa überwiesen hat, nachdem die Interessenten mit dem Beklagten am 23. März 2005 zusammengetroffen waren und dieser ihnen die Erteilung der Visa zugesichert hatte. Auch der Gesetzgeber geht offenkundig davon aus, dass das Verbot der Annahme von Belohnungen oder Geschenken auch Zuwendungen an Dritte erfasst, wenn Motiv für die Gewährung des Vorteils die dienstliche Stellung des Beamten oder seine dienstlichen Handlungen sind. Denn in § 71 Abs. 1 Satz 1 BBG in der Fassung des Dienstrechtsneuordnungsgesetzes vom 5. Februar 2009 (BGBl I S. 160) ist nunmehr ausdrücklich bestimmt, dass Beamtinnen und Beamte keine Belohnungen, Geschenke oder sonstige Vorteile für sich oder einen Dritten in Bezug auf ihr Amt fordern, sich versprechen lassen oder annehmen dürfen. Inhaltlich ist aber mit der Neufassung der Vorschrift keine Änderung gegenüber der Vorgängerreglung des § 70 BBG a.F. verbunden (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, BTDrucks 16/7076, S. 117).

68

Auf die dem § 54 Satz 2 und 3 sowie § 70 Satz 1 BBG a.F. entsprechenden Regelungen des § 61 Abs. 1 Satz 2 und 3 BBG n.F. und § 71 Abs. 1 Satz 1 BBG n.F. ist nicht abzustellen, weil die Vorschriften mit Ausnahme der redaktionellen Anpassung an die geschlechtergerechte Sprache mit den Vorgängerregelungen übereinstimmen und damit für den Beklagten gegenüber der zum Tatzeitpunkt geltenden Rechtslage keine günstigere Regelung geschaffen haben, auf die er sich nach dem Rechtsgedanken des § 2 Abs. 3 StGB im Disziplinarverfahren berufen könnte (vgl. Urteile vom 25. August 2009 - BVerwG 1 D 1.08 - Buchholz 232.0 § 77 BBG 2009 Nr. 1 Rn. 33, vom 25. März 2010 - BVerwG 2 C 83.08 - BVerwGE 136, 173 = Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 11 jeweils Rn. 17 und vom 19. August 2010 - BVerwG 2 C 5.10 - Buchholz 235.2 LDisziplinarG Nr. 12 Rn. 11).

69

2. Das Dienstvergehen hat der Beklagte innerdienstlich begangen. Das pflichtwidrige Verhalten war in sein Amt und die damit verbundene dienstliche Tätigkeit eingebunden (Urteile vom 25. August 2009 Rn. 54, insoweit in Buchholz 232.0 § 77 BBG 2009 Nr. 1 nicht abgedruckt, und vom 29. Juli 2010 - BVerwG 2 A 4.09 - juris Rn. 194). Das Auftreten als Vizekonsul der Deutschen Botschaft gegenüber den Interessenten sowie das Inaussichtstellen von Visa war dem Beklagten allein aufgrund seiner dienstlichen Stellung als Mitarbeiter der Deutschen Botschaft möglich.

70

Den Verwaltungsgerichten ist durch § 60 Abs. 2 Satz 2 BDG die Disziplinarbefugnis in den durch die Disziplinarklage gezogenen Grenzen übertragen. Daher bestimmen sie die erforderliche Disziplinarmaßnahme aufgrund einer eigenen Bemessungsentscheidung nach Maßgabe des § 13 Abs. 1 und 2 BDG, wenn und soweit sie den Nachweis des dem Beamten zur Last gelegten Dienstvergehens für erbracht halten. An die Wertungen des klagenden Dienstherrn sind sie nicht gebunden (Urteil vom 3. Mai 2007 - BVerwG 2 C 9.06 - Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 3 Rn. 11).

71

Welche Disziplinarmaßnahme erforderlich ist, richtet sich gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 BDG nach der Schwere des Dienstvergehens unter angemessener Berücksichtigung der Persönlichkeit des Beamten. Aus den gesetzlichen Vorgaben folgt die Verpflichtung der Verwaltungsgerichte, die Disziplinarmaßnahme aufgrund einer prognostischen Gesamtwürdigung unter Berücksichtigung aller im Einzelfall belastenden und entlastenden Gesichtspunkte zu bestimmen. Dies entspricht dem Zweck der Disziplinarbefugnis als einem Mittel der Funktionssicherung des öffentlichen Dienstes. Danach ist Gegenstand der disziplinarrechtlichen Betrachtung und Wertung die Frage, welche Disziplinarmaßnahme in Ansehung der Persönlichkeit des Beamten geboten ist, um die Funktionsfähigkeit des öffentlichen Dienstes und die Integrität des Berufsbeamtentums möglichst ungeschmälert aufrechtzuerhalten (Urteil vom 3. Mai 2007 a.a.O. Rn. 16; Beschluss vom 13. Oktober 2005 - BVerwG 2 B 19.05 - Buchholz 235.1 § 15 BDG Nr. 2 Rn. 5).

72

Bei der Gesamtwürdigung haben die Verwaltungsgerichte die im Einzelfall bemessungsrelevanten Tatsachen nach Maßgabe des § 58 Abs. 1 BDG zu ermitteln und mit dem ihnen zukommenden Gewicht in die Bewertung einzubeziehen. Hier findet der Grundsatz "in dubio pro reo" Anwendung: Insbesondere bei der Bestimmung der Schwere des Dienstvergehens dürfen nur solche belastenden Tatsachen berücksichtigt werden, die zur Überzeugung des Gerichts feststehen. Demgegenüber sind entlastende Umstände schon dann beachtlich, wenn hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für ihr Vorliegen gegeben sind und eine weitere Sachverhaltsaufklärung nicht möglich ist (Urteile vom 20. Oktober 2005 - BVerwG 2 C 12.04 - BVerwGE 124, 252 <258 f.> = Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 1 Rn. 22 und vom 3. Mai 2007 a.a.O. Rn. 17).

73

Als maßgebendes Bemessungskriterium ist die Schwere des Dienstvergehens gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 BDG richtungweisend für die Bestimmung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme. Dies bedeutet, dass das festgestellte Dienstvergehen nach seiner Schwere einer der im Katalog des § 5 BDG aufgeführten Disziplinarmaßnahme zuzuordnen ist. Dabei können die vom Disziplinarsenat des Bundesverwaltungsgerichts für bestimmte Fallgruppen herausgearbeiteten Regeleinstufungen von Bedeutung sein (vgl. zur Vorteilsannahme Urteil vom 23. November 2006 - BVerwG 1 D 1.06 - Buchholz 232 § 70 BBG Nr. 12). Davon ausgehend kommt es für die Bestimmung der Disziplinarmaßnahme darauf an, ob Erkenntnisse zum Persönlichkeitsbild und zum Umfang der Vertrauensbeeinträchtigung im Einzelfall derart ins Gewicht fallen, dass eine andere als die durch die Schwere des Dienstvergehens indizierte Disziplinarmaßnahme geboten ist (Urteile vom 20. Oktober 2005 a.a.O. S. 259 f. bzw. Rn. 24 ff. und vom 3. Mai 2007 a.a.O. Rn. 20).

74

Ein endgültiger Verlust des Vertrauens des Dienstherrn oder der Allgemeinheit i.S.v. § 13 Abs. 2 Satz 1 BGB ist anzunehmen, wenn aufgrund der prognostischen Gesamtwürdigung auf der Grundlage aller im Einzelfall bedeutsamen be- und entlastenden Gesichtspunkte der Schluss gezogen werden muss, der Beamte werde auch künftig in erheblicher Weise gegen seine Dienstpflichten verstoßen oder die durch sein Fehlverhalten herbeigeführte Schädigung des Ansehens des Berufsbeamtentums sei bei einer Fortsetzung des Beamtenverhältnisses nicht wiedergutzumachen. Unter diesen Voraussetzungen muss das Beamtenverhältnis im Interesse der Leistungsfähigkeit des öffentlichen Dienstes und der Integrität des Berufsbeamtentums beendet werden (Urteile vom 20. Oktober 2005 a.a.O. S. 260 f. bzw. Rn. 26 f., vom 3. Mai 2007 a.a.O. Rn. 18 und vom 29. Mai 2008 - BVerwG 2 C 59.07 - juris Rn. 17 ff., insoweit in Buchholz 235.1 § 70 BDG Nr. 3 nicht abgedruckt).

75

Bei der Bestimmung der Schwere des Dienstvergehens ist entgegen dem Vorbringen des Beklagten nicht die Höhe der Zahlungen der geschädigten k. Staatsangehörigen an den "Vermittler" B. maßgebend. Im Vordergrund steht der vom Beklagten erweckte Anschein, die Erteilung von Visa, eine für Ausländer besonders bedeutsame Amtshandlung eines deutschen Beamten, sei durch Geldzahlungen zu beeinflussen. Die Bedeutung dieser Diensthandlung beschränkte sich nicht nur auf das Bundesgebiet, sondern betraf auch noch andere Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Nach dem zum Tatzeitpunkt geltenden Schengener Durchführungsübereinkommen (Art. 21 SDÜ) können sich Drittausländer aufgrund eines von einer deutschen Behörde erteilten Visums bis zu drei Monaten auch in den sonstigen Vertragsstaaten dieses Abkommens aufhalten.

76

Verstöße gegen § 70 Satz 1 und § 54 Satz 2 BBG a.F. sind in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts seit jeher als sehr schwerwiegend eingestuft worden. Die uneigennützige, nicht auf den privaten Vorteil bedachte Führung der Dienstgeschäfte stellt eine wesentliche Grundlage des Berufsbeamtentums dar. Es ist Zweck der Vorschriften, bereits den Anschein zu vermeiden, ein Beamter könne sich bei Wahrnehmung seiner dienstlichen Aufgaben aus Eigennutz durch sachwidrige Erwägungen beeinflussen lassen und für Amtshandlungen allgemein käuflich sein. Es kann im Interesse einer gesetzmäßigen Verwaltung und im Interesse des allgemeinen Vertrauens in ein rechtsstaatliches Handeln der Verwaltung nicht hingenommen werden, wenn ein Beamter den Eindruck erweckt, er lasse sich in Bezug auf seine dienstliche Tätigkeit durch ihm oder Dritten gewährte oder zugesagte Vorteile beeinflussen. Unerheblich ist, ob es zu der in Aussicht gestellten Amtshandlung gekommen ist. Im Hinblick hierauf ist bei einem Verstoß gegen § 70 Satz 1 und § 54 Satz 2 BBG a.F. die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis jedenfalls dann Richtschnur für die Bestimmung der angemessenen Disziplinarmaßnahme, wenn erhebliche Geldzahlungen in Bezug auf die Diensthandlung geleistet worden sind. Dies gilt auch dann, wenn der Beamte keine pflichtwidrigen Amtshandlungen als Gegenleistungen erbracht hat. Das Inaussichtstellen einer konkreten Diensthandlung im Hinblick auf bereits an den Beamten oder einen Dritten geleistete oder diesen zugesagte Geldzahlungen offenbart ein besonders hohes Maß an Pflichtvergessenheit, weil jedem Beamten klar sein muss, dass er durch ein solches Verhalten die Grenze der Sozialadäquanz eindeutig überschreitet und den Anschein der Käuflichkeit erweckt. Die von der Schwere des Pflichtenverstoßes ausgehende Indizwirkung kann nur entfallen, wenn mildernde Umstände von erheblichem Gewicht vorliegen, so dass eine fallbezogene Gesamtbetrachtung den Schluss rechtfertigt, es sei noch kein endgültiger Vertrauensverlust eingetreten (Urteile vom 20. Februar 2002 - BVerwG 1 D 19.01 - juris Rn. 29 f., insoweit in Buchholz 232 § 70 BBG Nr. 11 nicht abgedruckt, und vom 23. November 2006 a.a.O. Rn. 29 f. m.w.N.).

77

Danach ist hier von der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis (§ 10 BDG) als Richtschnur auszugehen. Der Beklagte hat in dem für die Bundesrepublik Deutschland, aber auch für andere Mitgliedstaaten der Europäischen Union sensiblen Bereich der Erteilung von Visa den Anschein erweckt, diese Diensthandlung sei käuflich oder sei zumindest durch Geldzahlungen zu beeinflussen. In Kenntnis der bereits an den "Vermittler" B. für die Beschaffung von Visa geleisteten Zahlungen hat er die geschädigten k. Staatsangehörigen durch sein Auftreten und seine Zusicherung, er habe die Visa bereits genehmigt, in der Annahme bestärkt, auf diese Weise die begehrten Visa erhalten zu können, und zu weiteren Zahlungen an den "Vermittler" B. veranlasst.

78

Der Gesamtbetrag von 12 Mio. COP (ungefähr 3 800 €), den Q. und R. an Herrn B. für die Vermittlung der Visa im Hinblick auf dessen Versicherung, Kontaktperson des bei der Deutschen Botschaft für die Genehmigung der Visa zuständigen Vizekonsuls zu sein, und den Äußerungen des Beklagten anlässlich des Zusammentreffens vom 23. März 2005 gezahlt haben, kann nicht als "Bagatellsumme" (100 DM/50 €; vgl. dazu Urteile vom 11. Juni 2002 - BVerwG 1 D 31.01 - BVerwGE 116, 308 <310 f.> = Buchholz 232 § 54 Satz 2 BBG Nr. 28 S. 26 und vom 14. November 2007 - BVerwG 1 D 6.06 - Rn. 48, insoweit nicht in Buchholz 235 § 4 BDO Nr. 3 abgedruckt) eingestuft werden, die von vornherein eine mildere Einstufung des Fehlverhaltens zulassen würde.

79

Der Vortrag des Vertreters der Klägerin in der mündlichen Verhandlung zur Bemessungsentscheidung gibt Anlass zu dem Hinweis, dass sich die vom Gericht nach § 13 BDG zu treffende Bemessungsentscheidung nicht daran auszurichten hat, das Ansehen des BND im Verhältnis zu anderen Behörden, wie insbesondere dem Auswärtigen Amt, zu wahren. Unerheblich ist insoweit auch die Vorliebe eines Beamten für teure Autos, Schmuck oder wertvolle Uhren. Ein im Verhältnis zur tatsächlich gezahlten Besoldung gehobener Lebensstil eines Beamten ist kein Anlass für Zweifel an der "Korrektheit seiner Grundeinstellung" und ist nicht im Rahmen des § 13 BDG zu dessen Nachteil zu werten.

80

Milderungsgründe von Gewicht, die es rechtfertigen könnten, von der durch die Schwere des Dienstvergehens indizierten Höchstmaßnahme abzusehen, liegen nicht vor. Unter Geltung der Bemessungsvorgaben des § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 BDG sind entlastende Umstände nicht auf den in der Rechtsprechung entwickelten Kanon der anerkannten Milderungsgründe beschränkt (Urteile vom 20. Oktober 2005 a.a.O. S. 260 ff. bzw. Rn. 26 ff. und vom 29. Mai 2008 - BVerwG 2 C 59.07 - juris Rn. 23 m.w.N., insoweit in Buchholz 235.1 § 70 BDG Nr. 3 nicht abgedruckt).

81

Auf eine existenzielle wirtschaftliche Notlage oder eine körperliche oder psychische Ausnahmesituation, in denen ein an normalen Maßstäben orientiertes Verhalten nicht mehr erwartet und deshalb nicht mehr vorausgesetzt werden kann, hat sich der Beklagte trotz des Hinweises des Senats, bei der Bemessungsentscheidung seien sämtliche entlastenden Umstände zu berücksichtigen und es sei auch Sache des betroffenen Beamten, entsprechende tatsächliche Anhaltspunkte vorzutragen, nicht berufen.

82

Dass der Beklagte bis zum Jahr 2005 straf- und disziplinarrechtlich nicht in Erscheinung getreten war, über lange Zeit sehr gute dienstliche Leistungen erbracht und bei der Dienstausübung großes Engagement gezeigt hat, fällt angesichts der Schwere der Verfehlung nicht ausschlaggebend ins Gewicht. Jeder Beamte ist verpflichtet, bestmögliche Leistungen bei vollem Einsatz seiner Arbeitskraft zu erbringen und sich innerhalb und außerhalb des Dienstes achtungs- und vertrauenswürdig zu verhalten (§ 54 Satz 1 und 3 BBG a.F.).

83

Der Umstand, dass der Beklagte nach der Aufdeckung der Verfehlung weiterbeschäftigt worden ist, an einem Sprachkurs teilgenommen und sich in seinem derzeitigen Tätigkeitsbereich bewährt hat, ist nicht geeignet, eine mildere Disziplinarmaßnahme zu rechtfertigen. Die Entscheidung über die Fortsetzung des Beamtenverhältnisses obliegt den Verwaltungsgerichten unter Beachtung des Grundsatzes der Gleichbehandlung. Sie haben ohne Bindung an die Auffassung des Dienstherrn zu beurteilen, ob ein endgültiger Vertrauensverlust eingetreten ist. Ist dies der Fall, so vermag daran auch eine vorübergehende Weiterbeschäftigung auf einem anderen Dienstposten während des Disziplinarverfahrens nichts zu ändern. Denn das Vertrauen bezieht sich auf das Amt im statusrechtlichen Sinne (Urteile vom 20. Januar 2004 - BVerwG 1 D 33.02 - BVerwGE 120, 33 <53> = Buchholz 232 § 54 Satz 3 BBG Nr. 35 S. 79 und vom 8. Juni 2005 - BVerwG 1 D 3.04 - juris Rn. 26 sowie Beschluss vom 1. März 2012 - BVerwG 2 B 140.11 - juris Rn. 7, stRspr). Zudem kann die Weiterbeschäftigung auf finanziellen Gesichtspunkten beruhen, die für die Disziplinarentscheidung ohne Bedeutung sind. Schließlich entspricht die Weiterbeschäftigung des Beklagten der zwischen dem Präsidenten des BND und dem Personalrat getroffenen Vereinbarung.

84

Weder die lange Dauer des Verfahrens noch das lange Zurückliegen des Dienstvergehens rechtfertigen es, von der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis abzusehen, wenn diese Maßnahme geboten ist. Zwar kann eine pflichtenmahnende Disziplinarmaßnahme (z.B. Zurückstufung nach § 9 BDG) in diesen Fällen unvereinbar mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit werden. Bei Fortbestand des Beamtenverhältnisses kann das durch ein Dienstvergehen ausgelöste Sanktionsbedürfnis gemindert werden oder sogar entfallen, weil die mit dem Disziplinarverfahren verbundenen wirtschaftlichen und dienstlichen Nachteile positiv auf den Beamten eingewirkt haben, so dass sie eine günstigere Persönlichkeitsprognose ermöglichen. Demgegenüber geht es bei der Dienstentfernung darum, das Beamtenverhältnis in Fällen besonders schwerwiegender Dienstvergehen zu beenden, weil der Beamte im öffentlichen Dienst untragbar geworden ist. An dem endgültigen Vertrauensverlust (§ 13 Abs. 2 Satz 1 BDG), den er durch sein Fehlverhalten herbeigeführt hat, vermögen eine lange Verfahrensdauer oder ein langes Zurückliegen des Dienstvergehens nichts zu ändern. Das verlorene Vertrauen kann nicht durch Zeitablauf wiederhergestellt werden (BVerfG, Beschluss vom 4. Oktober 1977 - 2 BvR 80/77 - BVerfGE 46, 17 <28 f.>; Kammerbeschluss vom 9. August 2006 - 2 BvR 1003/05 - DVBl 2006, 1372 >1373>; BVerwG, Urteile vom 22. Februar 2005 - BVerwG 1 D 30.03 - juris Rn. 80, vom 8. Juni 2005 - BVerwG 1 D 3.04 - juris Rn. 27 und vom 7. Februar 2008 - BVerwG 1 D 4.07 - juris Rn. 29, insoweit in Buchholz 235 § 77 BDO Nr. 13 nicht abgedruckt; Beschlüsse vom 13. Oktober 2005 - BVerwG 2 B 19.05 - Buchholz 235.1 § 15 BDG Nr. 2 Rn. 8 und vom 26. August 2009 - BVerwG 2 B 66.09 - juris Rn. 11). Diesen Unterschied hat der Gesetzgeber dadurch zum Ausdruck gebracht, dass er in § 15 BDG die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis im Gegensatz zu allen anderen Disziplinarmaßnahmen vom Maßnahmeverbot wegen Zeitablaufs ausgenommen hat.

85

Auch die Vorschriften des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vom 24. November 2011 (BGBl I S. 2302) haben hieran nichts geändert. Der Verweis in § 3 BDG auf die Verwaltungsgerichtsordnung erfasst auch § 173 Satz 2 VwGO in der Fassung dieses Gesetzes, der wiederum die Vorschriften des Siebzehnten Titels des Gerichtsverfassungsgesetzes (§§ 198 ff.) mit Maßgaben für anwendbar erklärt. Der Gesetzgeber hat dem betroffenen Verfahrensbeteiligten in den §§ 198 ff. GVG für den Fall der gerügten unangemessenen Dauer eines Gerichtsverfahrens für dadurch verursachte Vermögensnachteile und immaterielle Folgen grundsätzlich einen Anspruch auf angemessene Entschädigung eingeräumt. Nach § 198 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 4 GVG geht die Wiedergutmachung des Verstoßes gegen das Gebot des gerichtlichen Rechtsschutzes in angemessener Zeit auf andere Weise dem Entschädigungsanspruch vor, der die durch die verzögerte gerichtliche Entscheidung bestimmte Rechtslage unberührt lässt. Der Gesetzgeber hat aber davon abgesehen, in den §§ 198 ff. GVG die Formen einer solchen Wiedergutmachung abschließend festzulegen (BTDrucks 17/3802, S. 16 und 19). Er hat aber auch nicht vorgesehen, dass die Wiedergutmachung in der Weise zu erfolgen hat, dass dem Betroffenen als Ausgleich für die Verzögerung des gerichtlichen Verfahrens die den Gegenstand des Rechtsstreits bildende Rechtsposition einzuräumen ist, deren materiell-rechtliche Voraussetzungen der Betroffene nicht erfüllt. Für andere als strafgerichtliche Verfahren (§ 199 Abs. 3 GVG) hat der Gesetzgeber in den §§ 198 ff. GVG als Form der Wiedergutmachung auf andere Weise lediglich die Möglichkeit einer Feststellung der überlangen Verfahrensdauer durch das Entschädigungsgericht bei gleichzeitiger Freistellung des Klägers von den Kosten des Entschädigungsrechtsstreits geregelt (BTDrucks 17/3802, S. 16). Ob im Übrigen eine dem Entschädigungsanspruch vorgehende Wiedergutmachung auf andere Weise möglich ist, richtet sich nach den jeweiligen formellen und materiell-rechtlichen Bestimmungen. Die für die Bemessung der Disziplinarmaßnahme maßgeblichen Vorschriften schließen aber, wie dargelegt, die Wiederherstellung des verlorenen Vertrauens des Dienstherrn oder der Allgemeinheit allein durch eine unangemessene Dauer des Disziplinarverfahrens aus.

86

Etwas anderes folgt auch nicht aus Art. 6 EMRK. Art. 6 Abs. 1 EMRK gewährleistet das Recht auf ein faires Verfahren, insbesondere auf eine Entscheidung innerhalb angemessener Zeit. Zwar geht der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte davon aus, dass Art. 6 EMRK in seiner zivilrechtlichen Bedeutung auf ein Disziplinarverfahren, in dem der Beamte wegen eines Dienstvergehens aus dem Dienst entfernt worden ist, anwendbar ist (EGMR, Urteil vom 16. Juli 2009 - 8453/04 - NVwZ 2010, 1015 Rn. 39 m.w.N.). Haben Gerichte gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK verstoßen - bei einem Disziplinarverfahren ist die Zeitspanne zwischen der Entscheidung über seine Einleitung bis zur letzten gerichtlichen Entscheidung maßgeblich -, so hat das entsprechende Urteil des Gerichtshofs, wie sich aus Art. 41 EMRK ergibt, lediglich Feststellungswirkung. Auch Art. 46 Abs. 1 EMRK, wonach der Vertragsstaat verpflichtet ist, das endgültige Urteil des Gerichtshofs zu befolgen, führt nicht dazu, dass der Vertragsstaat dem Betroffenen allein wegen der überlangen Dauer des Verfahrens eine Rechtsstellung einräumen muss, die diesem nach dem maßgeblichen innerstaatlichen materiellen Recht nicht zusteht; der Gerichtshof spricht vielmehr eine gerechte Entschädigung als Ersatz für immaterielle Schäden zu (Meyer-Ladewig, EMRK, 3. Aufl., Art. 41 Rn. 21). Die vom Gerichtshof der verletzten Person nach Art. 41 EMRK zuzusprechende gerechte Entschädigung, die den materiellen wie auch den immateriellen Schaden erfassen kann (EGMR, Urteil vom 16. Juli 2009 a.a.O. Rn. 59 ff.), lässt die sich nach dem innerstaatlichen Recht bestimmende materiell-rechtliche Rechtslage unberührt.

87

Aufgrund der vorliegenden Akten und der Erklärungen des Beklagten im gerichtlichen Verfahren besteht keine Veranlassung, von der gesetzlichen Regelung für den Unterhaltsbeitrag (§ 10 Abs. 3 BDG) abzuweichen.

88

Die Kostenentscheidung folgt aus § 77 Abs. 1 BDG und § 154 Abs. 1 VwGO. Einer Festsetzung des Streitwerts für das gerichtliche Verfahren bedarf es nach § 78 Satz 1 BDG nicht, weil Gerichtsgebühren für das nach dem 31. Dezember 2009 anhängig gewordene gerichtliche Verfahren nach dem Gebührenverzeichnis der Anlage zu § 78 BDG erhoben werden (§ 85 Abs. 12 BDG). Hierbei ist von einer Disziplinarklage mit dem Ziel der Entfernung aus dem Dienst auszugehen.

Tatbestand

1

Die Klägerin führte die Disziplinarklage gegen den beklagten Polizeivollzugsbeamten im Rang eines Polizeimeisters (Besoldungsgruppe A 7 BBesO) mit dem Ziel seiner Entfernung aus dem Dienst.

2

Der 1968 in S. geborene Beamte besuchte von 1975 – 1985 die Polytechnische Oberschule und absolvierte anschließend eine zweijährige Berufsausbildung zum Facharbeiter für Schweißtechnik. In den Jahren 1988 bis 1989 leistete er seinen Wehrdienst bei der Nationalen Volksarmee und trat am 01.11.1989 in ein Dienstverhältnis bei der Volkspolizei ein. Am 01.01.1991 wurde er in den Dienst des Landes Sachsen-Anhalt übernommen und mit Wirkung vom 17.07.1991 unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Probe zum Polizeihauptmeister z. A. ernannt. Die Lebenszeiternennung erfolgt am 24.09.1995. Der Beamte war sodann auf Dienstposten als Sachbearbeiter tätig. Zum 01.03.2012 wurde der Beamte an die Landesbereitschaftspolizei zur Verwendung der Objektschutzwache abgeordnet.

3

Die letzte dem Beamten erstellte dienstliche Beurteilung aus dem Jahre 2012 schließt innerhalb der Leistungsbeurteilung mit der Gesamtbewertung „E“ (entspricht den Leistungsanforderungen im Wesentlichen) und in der Befähigungsbeurteilung mit der Gesamtbewertung „D“ (wenig befähigt).

4

Bis zu den hier einschlägigen Geschehnissen ist der Beklagte weder straf- noch disziplinarrechtlich vorbelastet.

5

Aus den Gründen der Disziplinarklage sowie weiterer disziplinarrechtlicher Vorgänge wurde der Beklagte mit Verfügung vom 11.01.2010 gemäß § 38 Abs. 1 Disziplinargesetz Sachsen-Anhalt (DG LSA) vorläufig des Dienstes enthoben und durch weitere Verfügung im April 2010 mit einer Kürzung seiner Dienstbezüge um 40 % belegt. Mit Verfügung vom 07.02.2012 wurden die vorläufige Dienstenthebung und die Kürzung der Dienstbezüge aufgehoben.

6

Mit rechtskräftigem Strafbefehl des Amtsgerichts A. (17 Cs 227 Js 7305/10) vom 31.05.2010 wurde der Beklagte wegen Entziehung elektrischer Energie zu einer Geldstrafe von 70 Tagessätzen zu je 40,00 Euro verurteilt. Der Strafbefehl führt zum Tatgeschehen aus:

7

„In der Zeit vom 10.05.2006 bis 13.10.2009 manipulierten Sie an der Steigleitung zum Stromzähler des Wohnhauses in der B-Straße in B-Stadt, um unberechtigt vom Stromanbieter E.O.N./Avacon GmbH Strom zu nutzen und dieses in der Tatzeit auch taten. Sie verbrauchten Strom zu einem Betrag von insgesamt 3.484,08 Euro.“

8

Mit der Disziplinarklage vom 26.02.2013 (Eingang: 05.03.2013) wird der Beamte angeschuldigt, ein Dienstvergehen nach § 47 Abs. 1 Beamtenstatusgesetz (BeamtStG) begangen zu haben, indem er

9

1. unberechtigte Datenabfragen im WARSA und Weitergabe der Daten an Dritte

10

sowie

11

2. Entziehung elektrischer Energie

12

vorgenommen und damit vorsätzlich und schuldhaft gegen seine Dienstpflichten verstoßen habe.

13

Zum Pflichtenverstoß nach Nr. 1 führt die Disziplinarklage aus: Der Beklagte habe aus dem polizeilichen Informationssystem WARSA unberechtigte Datenabfragen vorgenommen und die daraus erlangten Informationen an Dritte weitergegeben. Die Dialogselektion unter dem IVOPOL LOGIN „     “ (     ) habe eine Vielzahl von Abfragen im Recherchesystem WARSA in den Jahren 2008/2009 festgestellt. Der Beklagte habe bei Feierlichkeiten damit geprahlt, dass er alles rausbekommen würde, was gegen einzelne Personen polizeilich laufe. Bezüglich der Zeugin Diana B. (nicht verwandt und nicht verschwägert mit dem Beklagten) habe der Beklagte in über 91 Fällen eine derartige Abfrage getätigt und der Zeugin mitgeteilt, dass auf sie wegen Geldschulden ein Strafverfahren zukomme. Der Beklagte habe ebenso den Zeugen M. H. im WARSA überprüft. Die Erkenntnisse darüber seien der Zeugin I. von der Ehefrau des Beklagten mitgeteilt worden. Am 04.05. und 05.05.2009 habe der Beklagte im WARSA nach Herrn R. S. (Schwager des Beklagten) recherchiert und habe neun Treffer im IVOPOL erzielt. Die Zeugin I. habe erklärt, dass D. S. (Tochter des R. S.) die in der Wohnung des Beklagten gewohnt habe, geäußert habe, dass der Beklagte interne Details bezüglich der Trunkenheitsfahrt des Herrn S. preisgegeben habe. Zudem habe der Beklagte ein Bild des D. S. (Sohn von R. S.), das über ihn aufgrund erkennungsdienstlicher Maßnahmen angefertigt worden sei, aus den polizeilichen Datensätzen auf sein Handy geladen. Dieses Foto habe der Beklagte der Zeugin I. mit der Bemerkung gezeigt, dass es sich dabei um ein Fahndungsfoto handele. Am 28.09.2008 habe der Beklagte bezüglich des D. S. 31 Treffer im IVOPOL, einen Treffer im Ditralis, einen Treffer im Inpol und 64 Treffer in Journalen erzielt.

14

Das diesbezügliche strafrechtliche Ermittlungsverfahren wurde am 06.09.2010 gemäß § 154 Abs. 1 StPO vorläufig eingestellt, weil gegen den Beamten weitere strafrechtliche Verfahren anhängig waren.

15

Trotz Einstellung der strafrechtlichen Ermittlungen sei von einem disziplinarrechtlichen Überhang auszugehen. Die Vielzahl der Datenabfragen aus den polizeilichen Informationssystemen seien ohne dienstlichen Anlass vorgenommen und unberechtigt an Dritte weitergegeben worden. Damit habe der Beamte gegen seine beamtenrechtliche Verschwiegenheitspflicht nach § 37 BeamtStG verstoßen. Dies sei auch unter Verstoß gegen datenschutzrechtliche Belange geschehen. Damit habe der Beamte gegen seine ihm obliegende Pflicht zur Weisungsgebundenheit (§ 35 Satz 2 BeamtStG) und zu einem achtungs- und vertrauenswürdigen Verhalten innerhalb des Dienstes (§ 34 Satz 3 BeamtStG) verstoßen.

16

Das Gebot der Amtsverschwiegenheit gehöre zu den elementaren Pflichten eines (Polizei-)beamten. Sowohl der Dienstherr als auch die Allgemeinheit müssten darauf vertrauen können, dass die in polizeilichen Informationssystemen gespeicherten personenbezogenen Daten nicht ohne Rechtsgrund erhoben und unbefugt offenbart werden würden. Ein Verstoß dagegen, beinhalte regelmäßig einen schweren Treuebruch. Der Beklagte habe allein zur Befriedigung seiner eigenen Bedürfnisse die Daten erhoben, um mit dem dienstlich erlangten Wissen innerhalb seiner Verwandtschaft und Bekanntschaft zu prahlen. Damit habe sich der Beklagte in hohem Maße als unzuverlässig erwiesen.

17

Zu 2. führt die Disziplinarklage aus: Dem Strafbefehl des Amtsgerichts A. vom 31.05.2010 sei vorausgegangen, dass bei dem Beklagten am 13.10.2009 eine Hausdurchsuchung im Zusammenhang mit den dem Beklagten gegenüber erhobenen Vorwürfen des sexuellen Missbrauchs von Kindern und des sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen durchgeführt worden sei. Dabei sei festgestellt worden, dass elektrische Endgeräte im Betrieb gewesen seien, die Zählerscheibe des Stromzählers sich jedoch nicht gedreht habe. Ein Mitarbeiter des Stromversorgers habe sodann die Manipulation der Steigleitung festgestellt. Der Beklagte habe eingeräumt, den Strom genutzt zu haben, um seine finanzielle Situation zu verbessern.

18

Die tatbestandlichen Feststellungen im rechtskräftigen Strafbefehl seien zwar disziplinarrechtlich nicht bindend, könnten jedoch ohne nochmalige Prüfung dem Disziplinarverfahren zugrunde gelegt werden (§ 23 Abs. 1 DG LSA). Dabei handele es sich um ein außerdienstliches Dienstvergehen im Sinne des § 34 Satz 3 i. V. m. § 47 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG. Das außerdienstliche Fehlverhalten weise einen unmittelbaren Bezug zu dem konkret-funktionalen Amt des Beklagten als Polizeivollzugsbeamter auf. Polizeivollzugsbeamte seien als Teil der staatlichen Gewalt der Rechtsordnung in besonderem Maße verpflichtet und müssten entsprechend ihres gesetzlichen Auftrages handeln. Gerade die Öffentlichkeit erwarte, dass ein Polizeibeamter sich als Träger öffentlicher Gewalt ehrlich, zuverlässig und rechtstreu verhalte. Das Verhalten des Beklagten sei daher in besonderem Maße geeignet, das Vertrauen in einer für das Amt des Beklagten bedeutsamen Weise zu beeinträchtigen.

19

Bei der Gesamtschau der begangenen Dienstpflichtverletzungen im Sinne eines einheitlichen Dienstvergehens seien gravierende Persönlichkeitsmängel des Beamten offensichtlich. Der Beklagte setze sich völlig bedenkenlos über Strafgesetze und Dienstvorschriften hinweg. Charakterlich sei er von Labilität und Gleichgültigkeit geprägt. Es handele sich um ein schweres Dienstvergehen. Das Vertrauen des Dienstherrn und der Allgemeinheit sei endgültig verloren. Dabei komme der vom Beklagten begangenen vermögensschädigenden Straftat der Entziehung elektrischer Energie disziplinarrechtlich ein besonders schweres Gewicht zu. Die Straftat sei über einen sehr langen Zeitraum von fast 3 ½ Jahren begangen worden. Hinzu komme, dass die Straftat erst im Rahmen der beim Beklagten durchgeführten Hausdurchsuchung aufgedeckt worden sei, so dass der Beklagte bei Nichtaufdeckung weiterhin rechtswidrig elektrische Energie entzogen hätte. Zudem habe eine permanente Gefahr für den Ausbruch eines gefährlichen Brandes durch Überlastung der Abzweigleitung und damit insbesondere eine Gefahr für Leib und Leben der in dem Wohnhaus des Beklagten lebenden oder sich darin aufhaltenden Personen bestanden.

20

Der Strafrahmen für den Straftatbestand der Entziehung elektrischer Energie nach § 248 c Abs. 1 StGB betrage bis zu 5 Jahren Freiheitsstrafe. Demnach stünde nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bei einem derartigen Strafrahmen der Ausspruch der disziplinaren Höchstmaßnahme zur Verfügung.

21

Milderungs- und Entlastungsgründe seien nicht ersichtlich. Der Beklagte habe sich diesbezüglich weder im Straf- noch Disziplinarverfahren eingelassen. Eine Augenblickstat oder Kurzschlusshandlung sei auszuschließen. Anhaltspunkte für eine unverschuldete unausweichliche finanzielle Notlage seien nicht gegeben. Trotz aufgelaufener Stromkostenrückstände sei eine existenzielle Notlage nicht ersichtlich. Von der Möglichkeit der Vereinbarung von Ratenzahlungen oder sonstiger Hilfsangebote habe der Beklagte offenbar keinen Gebrauch gemacht. Die sogenannte Geringfügigkeitsschwelle sei bei einem Schaden in Höhe von 3.484,08 Euro um ein Vielfaches überschritten.

22

Die Klägerin beantragt,

23

den Beamten aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen.

24

Der Beklagte beantragt,

25

auf eine mildere Maßnahme zu erkennen.

26

Nachdem er sich weder im Straf- noch im behördlichen und gerichtlichen Disziplinarverfahren eingelassen hat, erklärte er sich erstmals in der mündlichen Verhandlung vor dem Disziplinargericht. Die Datenabfragen habe er vorgenommen, um zu wissen, „wer in seinem Haus verkehre“. Der Entzug elektrischer Energie habe sich ergeben, weil er nach der Stromsperre beim „aufräumen eine stromführende Leitung gefunden habe“. Trotz dessen er den Strafbefehl akzeptiert habe, sei unklar, wer die Leitung „angezapft“ habe.

27

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungs- und Ermittlungsvorgänge verwiesen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung.

Entscheidungsgründe

28

Die zulässige Disziplinarklage ist begründet.

29

Der Beklagte hat ein schwerwiegendes Dienstvergehen gemäß § 47 Abs. 1 BeamtStG begangen, welches die Disziplinarmaßnahme der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis (§ 10 DG LSA) nach sich zieht.

30

Beamte begehen ein Dienstvergehen, wenn sie schuldhaft die ihnen obliegenden Pflichten verletzen (§ 47 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG). Ein Verhalten außerhalb des Dienstes ist nur dann ein Dienstvergehen, wenn es nach den Umständen des Einzelfalls in besonderem Maße geeignet ist, das Vertrauen in einer für ihr Amt bedeutsamen Weise zu beeinträchtigen (§ 47 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG). Diese Voraussetzungen liegen vor. Die Disziplinarkammer ist davon überzeugt, dass der Beklagte die ihm in der Disziplinarklage vorgeworfenen Pflichtenverstöße begangen hat.

31

1.) Der disziplinarrechtlich zu bewertende Sachverhalt, welcher zur Verurteilung wegen der Entziehung elektrischer Energie nach § 248 c StGB führte, ergibt sich aus dem Tatbestand des rechtskräftigen Strafbefehls des Amtsgerichts A. vom 31.05.2010. Zwar tritt - anders als bei Urteilen - insoweit keine tatbestandliche Bindungswirkung nach §§ 54 Abs. 1, 23 Abs. 1 DG LSA ein. Jedoch können diese Feststellungen ohne nochmalige Prüfung dem Disziplinarverfahren zugrunde gelegt werden (§§ 54 Abs. 2, 23 Abs. 2 DG LSA). Denn Zweifel an der Richtigkeit der dort getroffenen Feststellungen bestehen nicht und werden vom Beklagten auch nicht vorgetragen. Soweit der Beklage in der mündlichen Verhandlung vor dem Disziplinargericht erstmals und unsubstantiiert erklärt, es sei unklar, wer die Leitung „angezapft“ habe, glaubt ihm dies das Disziplinargericht nicht. Denn damit setzt er sich bereits in Widerspruch dazu, dass er die stromführende Leitung gefunden habe. Zudem hat jedenfalls er unzweifelhaft den Strom und diesen wegen der Sperrung seiner Kundenanlage und Nichtveranlagung zu einem Entgelt in Kenntnis der Manipulation genutzt.

32

2.) Ebenso ist die Disziplinarkammer davon überzeugt, dass der Beamte die ihm vorgeworfenen unberechtigten Datenabfragen in polizeilichen Informationssystemen vorgenommen und diese an Dritte unbefugt weitergegeben hat. Dies ergibt sich aus den in den Ermittlungsvorgängen befindlichen Unterlagen sowie aus den Zeugenaussagen. Der Beklagte bestreitet die Abfragen auch nicht. Daran ändert die Einstellung der strafrechtlichen Ermittlungen durch die Staatsanwaltschaft A-Stadt gemäß 154 Abs. 1 StPO nichts. Denn diese Einstellung ist im Zusammenhang mit den weiteren damaligen Anschuldigungen zu sehen.

33

3.) Der unter Nr. 1 der Disziplinarklage vorgehaltene Pflichtenverstoß (Datenabfrage und Weitergabe) ist als dienstliches und der unter Nr. 2 der Disziplinarklage vorgehaltene Straftatbestand der Entziehung elektrischer Energie ist als außerdienstliches Fehlverhalten einzustufen (vgl. zur Abgrenzung: VG Magdeburg, B. v. 24.01.2013, 8 B 23/12 MD; VG Magdeburg, U. v. 29.01.2013, 8 A 22/12 MD; beide juris).

34

a.) Bei einem außerdienstlichen Fehlverhalten müssen die besonderen qualifizierenden Voraussetzungen des § 47 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG gegeben sein, um von einer Disziplinarwürdigkeit auszugehen. Dabei muss die Frage der Disziplinarwürdigkeit eines außerdienstlichen Verhaltens von der eigentlichen Zumessensentscheidung nach Maßgabe des § 13 DG LSA getrennt beurteilt werden. Das Verhalten des Beamten muss nach den Umständen des Einzelfalls in besonderem Maße geeignet sein, das Vertrauen in einer für das Amt bedeutsamen Weise zu beeinträchtigen. Das Merkmal „in besonderem Maße“ bezieht sich auf die Eignung zur Achtungs- und Vertrauensbeeinträchtigung und ist nur erfüllt, wenn das Verhalten des Beamten in quantitativer oder qualitativer Hinsicht über das über eine jede Eignung vorausgesetzte Mindestmaß an Wahrscheinlichkeit einer Beeinträchtigung hinausgeht. Ist eine derart qualifizierte Möglichkeit der Beeinträchtigung gegeben, kommt es weiterhin darauf an, ob diese Beeinträchtigung bedeutsam wäre. Das Merkmal „in bedeutsamer Weise“ bezieht sich auf den „Erfolg“ der möglichen Achtungs- und Vertrauensbeeinträchtigung. Die zur Beeinträchtigung in besonderem Maße geeignete Pflichtenverletzung weist Bedeutsamkeit auf, wenn sie in qualitativer oder quantitativer Hinsicht das einer jeden außerdienstlichen Pflichtverletzung innewohnende Maß an disziplinarrechtlicher Relevanz deutlich überschreitet (vgl. zum Ganzen: BVerwG, Urt. v. 08.05.2001, 1 D 20.00; juris). Die Beeinträchtigung der Achtung und des Vertrauens muss sich entweder auf das Amt des Beamten im konkret-funktionellen Sinne (Dienstposten), d. h. auf die Erfüllung der dem Beamten konkret obliegenden Dienstpflichten oder auf das Ansehen des Berufsbeamtentums als Sachwalter einer stabilen und gesetzestreuen Verwaltung beziehen (vgl. zum Ganzen: BVerwG, Urt. v. 30.08.2000, 1 D 37.99; Urt. v. 12.12.2001, 1 D 4.01; Urt. v. 25.08.2009, 1 D 1.08; Urt. v. 19.08.2010, 2 C 13.10; Urt. v. 28.07.2011, 2 C 16.10; alle juris).

35

Mit der Neuregelung der tatbestandlichen Voraussetzungen des außerdienstlichen Dienstvergehens wollte der Gesetzgeber den Wandel der gesellschaftlichen Anschauungen über die Stellung der Beamten Rechnung tragen. Demnach werden Beamte nicht mehr als Vorbild in allen Lebenslagen angesehen, die besonderen Anforderungen an Moral und Anstand unterliegen (BVerwG, Urt. v. 30.08.2000, 1 D 37.99; juris). In Reaktion auf diese Rechtsprechung erwähnt § 47 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG den Ansehensverlust nicht mehr. Die Vorstellung, dass der Beamte „niemals Privatmann“ sei, sondern auch außerhalb des Dienstes Beamter, der stets auf seine Amtsstellung Rücksicht zu nehmen habe, hat der Gesetzgeber zum Schutz der Privatsphäre des Beamten bewusst aufgegeben. Der Gesetzgeber wollte durch die gesetzliche Regelung zum Ausdruck bringen, dass von einem Beamten außerdienstlich kein wesentlich anderes Sozialverhalten als von jedem Bürger erwartet wird. Die Voraussetzungen für die Annahme eines Dienstvergehens im außerdienstlichen Bereich sollten durch besondere tatbestandliche Merkmale verschärft werden. Dies sollte in erster Linie für eine Vielzahl von Straßenverkehrsdelikten gelten (z. B. Trunkenheit im Verkehr; vgl. Entwurf eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung der Bundesdisziplinarordnung, Schriftlicher Bericht des Innenausschusses des Deutschen Bundestages, BT-Drucksache V/1693, zu Art. 2 § 2 Seite 10; BVerwG, Urt. v. 30.08.2000, 1 D 37.99; Urt. v. 25.03.2010, 2 C 83.08; Urt. v. 19.08.2010, 2 C 5.10 und 13.10; juris). In der Gesetzesbegründung wird hervorgehoben, dass die vorkonstitutionelle Auffassung, Beamte seien „immer im Dienst“, in dieser Allgemeinheit nicht mehr gelte. Es gehe allein um das Vertrauen in eine objektive, rechtmäßige und effiziente Aufgabenerfüllung (vgl. BVerwG, Urt. v. 25.08.2009, 1 D 1.08 mit Verweis auf BT-Drs. 16/4027, S. 34 zu § 48 des Entwurfs; juris). Das Berufsbeamtentum soll eine stabile gesetzestreue Verwaltung sichern, die freiheitlich demokratische Rechtsordnung verteidigen und durch Unabhängigkeit und Unparteilichkeit einen ausgleichenden Faktor gegenüber den das Staatsleben gestaltenden politischen Kräften darstellen. Das Vertrauen, dass der Beamte diesem Auftrag gerecht wird und dessen er zur Erfüllung seiner Aufgabe bedarf, darf der Beamte durch sein Verhalten nicht beeinträchtigen (BVerwG, Urt. v. 30.08.2000, 1 D 37.99; juris).

36

b.) Der somit zu fordernde Dienstbezug ist gegeben, wenn das außerdienstliche Verhalten Rückschlüsse auf die Dienstausübung in dem Amt im konkret-funktionellen Sinn zulässt oder den Beamten in der Dienstausübung beeinträchtigt (Beeinträchtigung der für die Dienstausübung unabdingbaren Autorität). Während bei Delikten gegen die sexuelle Selbstbestimmung und hier insbesondere bei dem Besitz oder dem Verbreiten kinderpornografischer Dateien ein Dienstbezug bei Lehrern, Pädagogen, Erziehern und auch Polizeivollzugsbeamten im Regelfall angenommen wird (vgl. nur BVerwG, Urt. v. 19.08.2010, 2 C 5.10; B. v. 25.05.2012, 2 B 133.11; VG Magdeburg, Urt. v. 05.06.2013, 8 A 10/12 MD; jüngst VG Wiesbaden bei einem JVA-Bediensteten einer Jugend-JVA, Urt. v. 05.06.2013, 28 K 296/12.WI.D; alle juris) wird dies z. B. bei einem Zollinspektor, welcher im Bereich der Bekämpfung der Schwarzarbeit eingesetzt wird, abgelehnt (BVerwG, Urt. v. 19.08.2010, 2 C 13.10). Die Ausübung der Prostitution hat Dienstbezug bei einer Justizbeamtin (VG Münster, Urteil v. 19.03.2013, 13 K 2930/12.O; juris). Ebenso die außerdienstliche Trunkenheitsfahrt eines Beamten, der auch dienstlich ein Kraftfahrzeug zu führen hat (BVerwG, Urt. v. 30.08.2000, 1 D 37.99; juris). Ähnlich besteht der Dienstbezug bei einem Vermögensdelikt eines Beamten, dem dienstlich die Führung einer Kasse obliegt (BVerwG, Urt. v. 30.08.2000, 1 D 37.99; juris). Das erkennende Disziplinargericht hat bei einem Polizeibeamten hinsichtlich außerdienstlicher Verstöße gegen das Waffen-, Sprengstoff- und Munitionsgesetz sowie das Kriegswaffenkontrollgesetz wegen der dienstlichen Eigenschaft als Waffenträger den Dienstbezug bejaht (VG Magdeburg, Urt. v. 28.02.2013, 8 A 14/11; juris).

37

Diese Voraussetzungen eines Dienstbezuges sieht die Disziplinarkammer bei der Begehung der Straftat der Entziehung elektrischer Energie durch einen Polizeibeamten im Eingangsamt eines Polizeimeisters nicht als gegeben an. Ähnlich das Bundesverwaltungsgericht wenn es ausführt, dass allein der Umstand, dass der Beamte innerhalb der „Finanzkontrolle Schwarzarbeit“ dienstlich mit der Verfolgung und Ahndung von Rechtsverstößen Dritter befasst war, eine außerdienstlich begangene Straftat als solche keinen Dienstbezug begründet. Rückschlüsse aus dem außerdienstlichen Fehlverhalten des Beamten auf seine künftige Amtsführung oder eine Beeinträchtigung dieser, könnten allein daraus nicht gezogen werden (BVerwG, Urt. v. 15.08.2010, 2 C 13.10; juris). Die von der Klägerin in der Disziplinarklage insoweit pauschal vertretene Auffassung, dass von einem Polizeivollzugsbeamten die Einhaltung der Gesetze zwingend verlangt werde, berücksichtigt gerade nicht die Gesetzesänderung, weshalb auch und jedenfalls der unterrangige Polizeivollzugsbeamte nicht Garant für Moral und Anstand ist. Zudem besteht der disziplinarrelevante Pflichtenverstoß - nur - in dem Verstoß gegen die Wohlverhaltenspflicht nach § 34 Satz 3 BeamtStG, welcher durch die Begehung der Straftat indiziert ist. Soweit verlangt wird, dass die Öffentlichkeit erwarte, dass sich ein Polizeibeamter auch als Träger öffentlicher Gewalt ehrlich, zuverlässig und rechtstreu verhält, ist dies zweifellos richtig und wünschenswert. Dies würde dann aber zwangsläufig einen generellen ausnahmslosen Dienstbezug und damit die stetige Disziplinarwürdigkeit jedes außerdienstlichen Fehlverhaltens eines jeden Polizeibeamten, gleich welcher Position und welchen Ranges nach sich ziehen. Für die Beamtengruppe der Polizeivollzugsbeamten würde die in der Gesetzesänderung zum Ausdruck gebrachte notwendige besondere Qualifizierung des außerdienstlichen Verhaltens als Voraussetzung der Disziplinarwürdigkeit vernachlässigt werden.

38

c.) Sind die Voraussetzungen des eng zu verstehenden Dienstbezuges nicht gegeben, ist die außerdienstliche Pflichtverletzung nur disziplinarwürdig, wenn das Ansehen des Berufsbeamtentums als Sachverwalter einer stabilen und gesetzestreuen Verwaltung beeinträchtigt ist.

39

Das Bundesverwaltungsgericht (Urt. v. 30.08.2000, 1 D 37.99; Urt. v. 25.03.2010, 2 C 83.08; beide juris) stellt klar, dass bereits bei erstmaligem außerdienstlichem Fehlverhalten die Eignung zu Beeinträchtigung von Achtung und Vertrauen im Hinblick auf das Ansehen des Beamtentums gegeben sein kann. Dies unter Hinweis auf die gesetzgeberischen Wertungen bei der Begehung einer Straftat zum Nachteil des Staates (§ 41 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BBG) oder der Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr wegen einer vorsätzlich begangenen schwerwiegenden Straftat (vgl. § 41 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BBG). Das Bundesverwaltungsgericht führt in dem Urteil vom 19.08.2010 (2 C 13.10; juris; auch: Beschluss v. 28.06.2012, 2 B 28.12; juris) aus:

40

„Unabhängig von diesen Fallgruppen lässt der Strafrahmen Rückschlüsse auf das Maß der disziplinarrechtlich relevanten Ansehensschädigung zu. Die Disziplinarwürdigkeit eines erstmaligen außerdienstlichen Verhaltens eines Beamten ist regelmäßig anzunehmen, wenn das außerdienstliche Verhalten im Strafgesetzbuch als Vergehen mit einer Freiheitsstrafe im mittleren Bereich belegt ist. Durch die Festlegung des Strafrahmens bringt der Gesetzgeber verbindlich den Unrechtsgehalt eines Deliktes zum Ausdruck. An dieser Wertung hat sich auch die Entscheidung über die Eignung zu Vertrauensbeeinträchtigung zu orientieren, wenn andere Kriterien, wie etwa ein Dienstbezug oder die Verhängung einer Freiheitsstrafe bei einer vorsätzlich begangenen Straftat ausscheiden. Hierdurch wird hinsichtlich der Frage der Disziplinarwürdigkeit außerdienstlichem Verhaltens eine Entscheidung gewährleistet, die an nachvollziehbare Kriterien anknüpft und keine „allgemeine Empörung oder Entrüstung“ darstellt.“

41

Vorliegend ist der Strafrahmen des Straftatbestandes nach § 248 c StGB mit bis zu 5 Jahren belegt und ist damit im oberen und nicht mehr nur im mittleren Bereich, wie dies etwa bei den Fällen des Besitzes kinderpornografischer Schriften einschlägig ist, angesiedelt. Die Disziplinarwürdigkeit des außerdienstlichen Fehlverhaltens ist damit gegeben. Der Beklagte hat durch die Begehung der Straftat vorsätzlich und schuldhaft gegen seine Wohlverhaltenspflicht nach § 34 Satz 3 BeamtStG verstoßen.

42

4.) Mit den unberechtigten Datenabfragen in den polizeilichen Informationssystemen und deren unberechtigte Weitergabe an Dritte hat der Beklagte vorsätzlich und schuldhaft gegen seine Pflicht zur Amtsverschwiegenheit nach § 37 BeamtStG sowie gegen die maßgeblichen datenschutzrechtlichen Vorschriften und dazu ergangenen einschlägigen Verwaltungsvorschriften und Dienstanweisungen verstoßen, was wiederum den Pflichtenverstoß nach § 35 Satz 2 BeamtStG begründet. Diese Dienstpflichtverletzung ist unzweifelhaft dem dienstlichen Bereich zuzurechnen.

43

Nach § 37 Abs. 1 BeamtStG hat der Beamte über die ihn bei seiner amtlichen Tätigkeit bekannt gewordenen Gelegenheiten Verschwiegenheit zu bewahren. Dies gilt nicht für Tatsachen, die offenkundig sind oder ihre Bedeutung nach keiner Geheimhaltung bedürfen (VG Magdeburg, Urt. v. 08.05.2013, 8 A 24/12; juris). Die Pflicht des Beamten zur Amtsverschwiegenheit gehört zu seinen Hauptpflichten und dient sowohl dem öffentlichen Interesse, vor allem dem Schutz der dienstlichen Belange der Behörde, als auch dem Schutz des von Amtshandlungen betroffenen Bürgers.

 

44

5.) Welche Disziplinarmaßnahme im Einzelfall erforderlich ist, richtet sich nach der Schwere des Dienstvergehens, dem Persönlichkeitsbild des Beamten sowie dem Umfang der durch das Dienstvergehen herbeigeführten Vertrauensbeeinträchtigung. Die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis ist regelmäßig dann auszusprechen, wenn der Beamte durch ein schweres Dienstvergehen, das für die weitere dienstliche Tätigkeit notwendige Vertrauensverhältnis zwischen ihm und dem Dienstherrn aber auch der Allgemeinheit endgültig zerstört hat (vgl. nur: BVerwG, Urt. v. 20.10.2005, 2 C 12.04 und Urt. v. 19.08.2010, 2 C 13.10; beide juris).

45

a.) Die Schwere des Dienstvergehens beurteilt sich nach objektiven Handlungsmerkmalen wie Eigenart und Bedeutung der Dienstpflichtverletzung, den besonderen Umständen der Tatbegehung sowie Häufigkeit und Dauer eines wiederholten Fehlverhaltens, nach subjektiven Handlungsmerkmalen wie Form und Gewicht des Verschuldens des Beamten, den Beweggründen für sein Verhalten sowie nach den unmittelbaren Folgen für den dienstlichen Bereich und für Dritte. Davon ausgehend kommt es darauf an, ob Erkenntnisse zum Persönlichkeitsbild und zum Umfang der Vertrauensbeeinträchtigung im Einzelfall derart ins Gewicht fallen, dass eine andere als die durch die Schwere des Dienstvergehens indizierte Maßnahme geboten ist. Eine vollständige und richtige Gesamtwürdigung setzt voraus, dass die Disziplinarkammer die im Einzelfall bemessungsrelevanten, d. h. die für die Schwere des Dienstvergehens und das Persönlichkeitsbild bedeutsamen Tatsachen ermittelt und mit dem ihnen zukommenden Gewicht in die Gesamtbewertung einbezieht. Dies entspricht dem Zweck der Disziplinarbefugnis des Disziplinargerichts als einem Mittel der Funktionssicherheit des öffentlichen Dienstes. Dabei findet der Grundsatz „in dubio pro reo“ Anwendung. Die Disziplinargerichte dürfen nur solche belastenden Tatsachen in die Gesamtwürdigung einstellen, die zur Überzeugung des Gerichts feststehen. Demgegenüber müssen entlastende (mildernde) Umstände schon dann zu Gunsten des Beamten berücksichtigt werden, wenn hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für ihr Vorliegen gegeben sind und eine weitere Sachverhaltsaufklärung nicht möglich ist (vgl. nur: VG Magdeburg, Urt. v. 27.10.2011, 8 A 2/11 mit Verweis auf BVerwG, Urt. v. 27.01.2011, 2 A 5.09; jüngst BVerwG, Urt. v. 29.03.2012, 2 A 11/10, OVG Lüneburg, Urt. v. 14.11.2012, 19 LD 4/11; zuletzt ausführlich; VG Magdeburg, Urt. v. 29.11.2012, 8 A 12/11; alle juris).

46

b.) Setzt sich das (einheitliche) Dienstvergehen (vgl. zur Einheit des Dienstvergehens nur: VG Magdeburg, Urteil v. 04.11.2009, 8 A 19/08 m. w. Nachw.; juris) aus mehreren Dienstpflichtverletzungen zusammen, bestimmt sich die zu verhängende Disziplinarmaßnahme in erster Linie nach der schwersten Verfehlung (BVerwG, Urt. v. 23.02.2005, 1 D 1.04; juris). Vorliegend wiegen beide vorgeworfenen Pflichtverletzungen (gleich) schwer.

47

c.) Grundsätzlich begeht ein Polizeibeamter ein schwerwiegendes Dienstvergehen, wenn er seine Pflicht zur Amtsverschwiegenheit durch Weitergabe von Daten aus dem polizeilichen Informationssystem oder auch aus sonstigen Akten oder Ordnern verletzt. Derartige Pflichtverletzungen können durchaus zur Entfernung aus dem Dienst führen (vgl.: OVG Saarland, Urt. v. 22.02.2006, 7 R 1/05; VG München, Urt. v. 08.12.2006, M 19 DO 63363; VG Meiningen, Urt. v. 16.03.2009, 6 D 60014/06 – ME; VG Berlin, B. v. 20.02.2009, 80 Dn 68.08; Bayerischer VGH, Urt. v. 24.11.2004, 16 a D 03.2668; vgl. insgesamt: VG Magdeburg, Urt. v. 09.03.2010, 8 A 25/09 und Urt. v. 08.05.2013, 8 A 24/12; alle juris).

48

Wegen der großen Spannbreite der Verhaltensweisen hinsichtlich einer derartigen Pflichtverletzung lassen sich allerdings feste Regeln für eine Disziplinarmaßnahme nicht aufstellen. Je nach Bedeutung der vertraulich zu behandelnden amtlichen Vorgänge und dem Grad des Verschuldens kann ein Verstoß gegen die Verschwiegenheitspflicht unterschiedliches Gewicht haben (vgl. zusammenfassend: OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 30.01.2013, 3 A 10771/12; VG Trier. B. v. 14.05.2013, 3 L 388/13.TR; beide juris).

49

In Anwendung dieser Grundsätze fällt zu Lasten des Klägers ins Gewicht, dass er die Daten nicht nur unberechtigt abgefragt, sondern diese Daten auch unbefugten Personen offenbart hat. Die erstmalige Einlassung des Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Disziplinargericht, er habe die Datenabfragen getätigt, um zu wissen, „wer in seinem Hause ein und aus geht“, belegt einerseits die eigennützige, nicht an Recht und Gesetz orientierte Handlungsweise des Beklagten. Andererseits sind z. B. Ermittlungen nicht gefährdet oder auch nur erschwert worden und die Kundgabe hatte keine größere Wirkung auf die Öffentlichkeit, wie dies etwa bei Medienpublikationen der Fall wäre. Das Motiv des Beamten für sein Verhalten dürfte eher im privaten Bereich zu sehen sein, um sich so im Bekannten- und Verwandtenkreis als „Herrscher über die Daten“ Geltung und Anerkennung zu verschaffen. Gleichwohl fällt negativ auf, dass der Beamte auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Disziplinargericht nicht das Unrecht seiner Handlung einsah und stetig nach nicht vorhandenen Rechtfertigungen suchte.

50

d.) Im Bezug auf strafbares außerdienstliches Verhalten betont das Bundesverwaltungsgericht in der neuerlichen Rechtsprechung auch bei der Bewertung der Schwere der Pflichtverletzung die Bedeutung der gesetzlichen Strafandrohung für die Maßnahmebemessung (BVerwG, Urt. v. 25.03.2010, 2 C 83.08, Urt. v. 19.08.2010, 2 C 5.10 und 2 C 13.10, B. v. 21.12.2010, 2 B 29.10, B. v. 26.06.2012, 2 B 28.12; alle juris). Die Anknüpfung an den Strafrahmen gewährleistet eine nachvollziehbare und gleichmäßige disziplinarrechtliche Ahndung von Dienstvergehen. Dabei hat das Bundesverwaltungsgericht bei einem Strafrahmen von bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe bei Fehlen jeglichen Dienstbezuges allenfalls eine Disziplinarmaßnahme im unteren Bereich für angemessen erachtet und bei einem Strafrahmen von bis zu zwei Jahren die Zurückstufung als Orientierungsrahmen angesehen. Kommt ein Dienstbezug hinzu, so kann der Orientierungsrahmen bei einem Strafrahmen bis zu einem Jahr ebenfalls die Zurückstufung, bei einem Strafrahmen bis zu zwei Jahren, sogar die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis sein. Besteht eine wesentlich höhere Strafandrohung - wie hier bis zu fünf Jahren – reicht der disziplinarrechtliche Orientierungsrahmen auch bei Fehlen eines Dienstbezuges – wie vorliegend – bis zur Höchstmaßnahme (BVerwG, B. v. 28.06.2012, 2 B 28.12; juris). Dabei betont das Bundesverwaltungsgericht, dass die Disziplinargerichte ihre eigene Einschätzung des Unwertgehalts eines Delikts nicht an die Stelle der Bewertung des Gesetzgebers setzen dürfen. Das Ausmaß des Ansehensschadens, der durch eine außerdienstlich begangene Straftat hervorgerufen wird, wird maßgeblich durch den Strafrahmen bestimmt (BVerwG, Urt. v. 19.08.2010, 2 C 13.10; juris).

51

Vorliegend ist der Strafrahmen des Straftatbestandes nach § 248 c StGB mit bis zu 5 Jahren belegt und ist damit im oberen und nicht mehr nur im mittleren Bereich, wie dies etwa bei den Fällen des Besitzes kinderpornografischer Schriften einschlägig ist, angesiedelt. Eine im Bereich der Höchstmaßnahme zu ahndende schwere Dienstpflichtverletzung liegt somit vor.

52

6.) Der so zu bestimmende Orientierungsrahmen für die Bemessung der Disziplinarmaßnahme entbindet die Disziplinargerichte jedenfalls nicht davon, die Umstände des Einzelfalls ausreichend zu würdigen (BVerwG, Urt. v. 25.03.2010, 2 C 83.08; juris). Für die Zumessungsentscheidung müssen die in § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 DG LSA genannten Bemessungskriterien mit dem ihnen zukommenden Gewicht ermittelt und eingestellt werden. Dieses Erfordernis beruht auf dem im Disziplinarverfahren geltenden Schuldprinzip und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

53

Ist damit aufgrund der Schwere der Dienstpflichtverletzungen generell von der Maßnahme der Entfernung aus dem Dienst auszugehen, ist zu fragen, ob gewichtige Milderungsgründe eine darunter liegende Disziplinarmaßnahme (noch) rechtfertigen können.

54

Dies ist dann der Fall, wenn zu Gunsten des Beamten gewichtige Entlastungsgründe (Milderungsgründe) zu berücksichtigen sind, die den Schluss rechtfertigen, dass das dem Beamten vom Dienstherrn und der Allgemeinheit entgegengebrachte Vertrauen noch nicht endgültig verloren ist. Solche Gründe stellen zum einen die von der Rechtsprechung bezüglich der sog. Zugriffsdelikte entwickelten und anerkannten Milderungsgründe dar, die besondere menschliche Konfliktsituationen beschreiben. Hierzu zählen etwa das Handeln in einer existenziellen wirtschaftlichen Notlage oder einer körperlichen oder psychischen Ausnahmesituation oder besonderen Versuchssituationen oder eine persönlichkeitsfremde Einzelverfehlung des Beamten wie auch „Entgleisungen“ während einer negativen, inzwischen überwundenen, durch Alkohol, Drogen oder Schicksalsschlägen bedingte Lebensphase. Der Milderungsgrund der Geringwertigkeit eines verursachten Schadens oder des geldlichen Vorteils der Handlung wird bei etwa 50,00 Euro gezogen. Auch besondere die Dienstpflichtverletzung begünstigende Handlungen und mangelnde Kontrollen des Dienstherrn können im Einzelfall wie ein besonderes Nachtatverhalten die Schwere der Verfehlung mildern. Zeitlich überlange Disziplinarverfahren können wegen des disziplinarrechtlichen Beschleunigungsgebotes und der mit dem Disziplinarverfahren verbundenen persönlichen Belastungen jedenfalls bei Maßnahmen der Pflichtenmahnung berücksichtigt werden. Entlastungsgründe können sich aber zum anderen auch aus allen Besonderheiten ergeben, die es im Einzelfall wegen der persönlichkeitsbedingten an § 13 DG LSA zu orientierenden Prognoseentscheidung gebieten, von der disziplinarrechtlichen Höchstmaßnahmen Abstand zu nehmen. Auch eine dienstliche Überlastung kann einen Milderungsgrund darstellen (VG Magdeburg, Urteil v. 29.01.2013, 8 A 5/11; juris).

55

Die entlastenden Gründe sind nicht (mehr) allein auf den in der Rechtsprechung entwickelten Kanon der anerkannten Milderungsgründe beschränkt (BVerwG, Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11.10, m. w. Nachw.; juris; insoweit missverständlich: OVG LSA, Beschluss v. 17.09.2013, 10 M 9/13 [n. v..]). Diese müssen aber in ihrer Gesamtheit geeignet sein, die Schwere des Pflichtenverstoßes erheblich herabzusetzen. Generell gilt, dass das Gewicht der Entlastungsgründe umso größer sein muss, je schwerer das Delikt aufgrund der Schadenshöhe sowie der Tatumstände, wie Anzahl, Häufigkeit, Zeitraum, Verschiedenartigkeit und Tatausführung wiegt (im Ganzen ausführlich: VG Magdeburg, Urt. v. 29.11.2012, 8 A 12/11, v. 31.03.2011, 8 A 2/10 MD und v. 27.10.2011, 8 A 2/11, mit Verweis auf BVerwG, Urt. v. 24.05.2007, 2 C 28.06, Urt. v. 06.06.2007, 1 D 2.06, Urt. v. 29.05.2008, 2 C 59.07; Bayr. VGH, Urt. v. 27.10.2010, 16 aD 09.2470; OVG Lüneburg, Urt. v. 08.02.2011, 6 LD 4/08; alle juris).

56

In diesem Sinne durchgreifende besondere Umstände, die ein Absehen von der schwerwiegendsten und eine mildere Disziplinarmaßnahme rechtfertigen würden, vermag das Disziplinargericht vorliegend nicht zu erkennen und sind auch nicht vorgetragen. Aufgrund des langjährigen Zeitraums von 3 ½ Jahren in dem Energie entzogen wurde, kann nicht von einer einmaligen Gelegenheitstat oder einem persönlichkeitsfremden „Ausrutscher“ ausgegangen werden. Der Strafausspruch einer Geldstrafe von „nur“ 70 Tagessätzen vermag an der disziplinarrechtlichen Bewertung wegen der unterschiedlichen Zielsetzung des Straf- und Disziplinarrechts nichts zu ändern. Die Höhe einer Kriminalstrafe ist für die Gewichtung des Dienstvergehens grundsätzlich nicht von ausschlaggebender Bedeutung. Denn die Vertrauensbeeinträchtigung ist in erster Linie von der Straftat selbst, ihrem gesetzlichen Strafrahmen und den Begehungsumständen abhängig (BVerwG, Urt. v. 08.03.2005, 1 D 15.04; juris). Der Beamte handelte ebenso nicht in einer besonderen Versuchssituation. Auf intensive Nachfrage in der mündlichen Verhandlung vor dem Disziplinargericht offenbarte der Beklagte keine besonderen wirtschaftlichen oder persönlichen Notsituationen. Gesundheitliche oder alkoholbedingte Probleme lägen nicht vor, beteuerte er.

57

Demnach stößt das Disziplinargericht hier an die Grenzen seiner Aufklärungspflicht. Denn das Gericht ist auf die Mitarbeit des Beamten zur Aufklärung der in seiner Sphäre liegenden höchstpersönlichen Angelegenheiten angewiesen, um überhaupt die Möglichkeit einer disziplinarrechtlichen Milderung im Sinne der Disziplinarrechtsprechung prüfen zu können (VG Magdeburg, Urt. v. 28.02.2013, 8 A 13/12; juris).

58

Unter Abwägung aller Erkenntnisse fällt die vom Disziplinargericht anzustellende Persönlichkeits- und Prognosebewertung hinsichtlich der Vertrauensbeeinträchtigung für den Beklagten negativ aus. Auch in der mündlichen Verhandlung zeigte sich der Beamte nicht einsichtig und zeigte auch bislang kein besonders mildernd zu berücksichtigendes Nachtatverhalten. Dies gilt auch für die Geschehnisse um die Datenabfragen. Dort zeigte er - wie bei dem Entzug der elektrischen Energie - kein Unrechtsbewusstsein und ging quasi von einer Selbstverständlichkeit dieser als privat anzusehenden Abfragen aus. Auf die richterliche Nachfrage, ob er den langjährigen illegalen Zustand bezüglich der Entziehung der elektrischen Energie irgendwann habe beenden und legalisieren wollen, wusste er keine Antwort.

59

Hinsichtlich der - eingetretenen - Vertrauensbeeinträchtigung ist auch nicht entscheidend, dass der Beamte im Folgezeitraum nicht mehr auffällig wurde. Die prognostische Frage nach dem Umfang der Beeinträchtigung des Vertrauens des Dienstherrn oder der Allgemeinheit (§ 13 DG LSA) betrifft die Erwartung, dass sich der Beamte aus der Sicht des Dienstherrn und der Allgemeinheit so verhält, wie es von ihm im Hinblick auf seine Dienstpflichten als berufserforderlich erwartet wird. Das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit in die Person des Beamten bezieht sich in erster Linie auf dessen allgemeinen Status als Beamter (vgl. BVerwG, Urt. v. 20.01.2004, 1 D 33.02; juris), daneben aber auch auf dessen konkreten Tätigkeitsbereich innerhalb der Verwaltung und auf dessen konkret ausgeübte Funktion, z. B. als Vorgesetzter. Ob und gegebenenfalls inwieweit eine Beeinträchtigung des Vertrauens des Dienstherrn vorliegt, ist nach objektiven Gesichtspunkten zu beurteilen. Entscheidend ist nicht die subjektive Einschätzung des jeweiligen Dienstvorgesetzten, sondern die Frage, inwieweit der Dienstherr bei objektiver Gewichtung des Dienstvergehens auf der Basis der festgestellten belastenden und entlastenden Umstände noch darauf vertrauen kann, dass der Beamte in Zukunft seinen Dienstpflichten ordnungsgemäß nachkommen wird.

60

Daher ist auch nicht bedeutsam, dass die Klägerin die vorläufige Dienstenthebung im Laufe des Verfahrens aufgehoben hat, zumal dies nur in Einschätzung der damaligen Erkenntnisse bezüglich der weiteren Verfahren der kinderpornografischen Schriften geschah. Dies ist kein Hinweis auf zurück gewonnenes Vertrauen des Dienstherrn; Die vorherige Suspendierung ist auch nicht Voraussetzung für die spätere Entfernung. Entscheidungsmaßstab ist insoweit, in welchem Umfang die Allgemeinheit dem Beamten noch Vertrauen in eine zukünftig pflichtgemäße Amtsausübung entgegenbringen würde. Dies unterliegt uneingeschränkter verwaltungsgerichtlicher Nachprüfung (vgl. zum Ganzen: BVerwG, Urt. v. 29.03.2012, 2 A 11.10 mit Verweis auf Urteile v. 20.10.2005, 2 C 12.04, v. 03.05.2007, 2 C 9.06 und v. 29.05.2008, 2 C 59.07; zuletzt: VG Magdeburg, Urt. v. 30.04.2013, 8 A 18/12; alle juris).

61

7.) Die nach alledem dienstrechtlich notwendige Entfernung aus dem Dienst verstößt auch nicht gegen das Verhältnismäßigkeitsgebot. Denn diese disziplinarrechtliche Höchstmaßnahme ist die einzige Möglichkeit, das durch den Dienstherrn sonst nicht lösbare Dienstverhältnis einseitig zu beenden. Die darin liegende Härte für den Betroffenen ist nicht unverhältnismäßig. Sie beruht vielmehr auf einem ihm zurechenbaren Verhalten (BVerwG, Urteil v. 21.06.2000, 1 D 49.99; juris).

62

8.) Die Kostenentscheidung folgt aus § 72 Abs. 1 Satz 1 DG LSA. Das Verfahren ist gem. § 73 Abs. 1 Satz 1 gebührenfrei.


Tatbestand

1

Der Kläger führt die Disziplinarklage gegen die beklagte verbeamtete Gerichtsvollzieherin mit dem Ziel ihrer Entfernung aus dem Dienst.

2

Die 1976 geborene Beamtin beendete 1994 ihre Schulausbildung mit der Ablegung des Abiturs. Anschließend wurde sie zum Vorbereitungsdienst für den mittleren Justizdienst zugelassen und zur Justizsekretäranwärterin ernannt. 1996 wurde die Beamtin zur Ausbildung für die Sonderlaufbahn Gerichtsvollzieher zugelassen und zur Justizsekretärin zur Anstellung ernannt. Nach Absolvierung der Gerichtsvollzieherprüfung mit „ausreichend“ (Note 3,6) wurde die Beamtin 1998 zur Justizsekretärin ernannt. In der Folgezeit wurde die Beamtin bei dem Amtsgericht D. und dem Amtsgericht K. verwandt. Im Jahr 2001 wurde sie zur Gerichtsvollzieherin ernannt und im Jahre 2003 erfolgte die Berufung in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit. Zum 01.05.2006 wurde die Beklagte zur Verwendung im mittleren Dienst an das Amtsgericht D. abgeordnet. Seit dem ist sie nicht mehr als Gerichtsvollzieherin tätig.

3

Die Beamtin ist verheiratet und hat eine im Jahr 2005 geborene Tochter. Nach Auskunft der Bezügestelle vom 31.03.2011 erhielt die Beamtin zum Zeitpunkt der Einreichung der Disziplinarklageschrift 1.341,18 Euro zuzüglich 368,00 Euro Kindergeld ausgezahlt.

4

Die Beklagte ist disziplinarrechtlich vorbelastet. Ihr wurde mit Verfügung vom 08.12.2003 wegen verzögerter Sachbearbeitung sowie Verstoßes gegen § 65 Nr. 6 GVO und § 185 g GVGA ein Verweis erteilt.

5

Mit Verfügung vom 16.11.2006 wurde die Beamtin wegen der Vorwürfe in der Disziplinarklage vom Dienst suspendiert. Das Verwaltungsgericht Magdeburg - Disziplinarkammer – hat mit Beschluss vom 19.02.2007 die vorläufige Dienstenthebung aufgehoben. Auf die Beschwerde des Klägers hat das Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt - Disziplinarsenat - den Antrag unter Aufhebung des Beschlusses abgelehnt. Den unter dem 30.06.2010 von der Beamtin erneut gestellte Antrag auf Aufhebung der vorläufigen Dienstenthebung hat das Verwaltungsgericht Magdeburg - Disziplinarkammer - mit Beschluss vom 24.01.2011 abgelehnt. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Beamtin hat das Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt - Disziplinarsenat - mit Beschluss vom 04.11.2011 zurückgewiesen.

6

Wegen der disziplinarrechtlichen Vorwürfe der fehlerhaften Wegegelderabrechnungen hat das Amtsgericht K. unter dem 23.05.2007 einen Strafbefehl erlassen, worin der Beamtin vorgeworfen worden war, insgesamt 201 Straftaten (Gebührenüberhebung in 193 Fällen und Betrug in 8 Fällen) begangen zu haben. Durch Urteil des Amtsgerichts K. vom 07.07.2008 (2 Cs 183/07) war die Beamtin der Gebührenüberhebung in 181 Fällen und des Betruges in 8 Fällen schuldig gesprochen worden; in 12 Fällen war sie von dem im Strafbefehl erhobenen Vorwurf der Gebührenüberhebung freigesprochen worden. Mit Urteil vom 29.10.2009 (7 Ns 161/08) hat das Landgericht Dessau-Roßlau die Beamtin in der Berufung wegen der Gebührenüberhebung in 158 Fällen (überhöhte Wegegelder) und wegen Betruges in 8 Fällen schuldig- und im Übrigen freigesprochen (23 Fälle der Abrechnung von nicht entstandenen Wegegeldern). Auf die Revision der Beamtin hat das Oberlandesgericht A-Stadt das Verfahren mit Beschluss vom 10.05.2010 (1 Ss 13/10) eingestellt, soweit die Beamtin nicht bereits rechtskräftig vom AG K. freigesprochen worden war. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der Strafbefehl bezüglich der Darstellung des Tatvorwurfs der falschen Wegegeldabrechnung nicht dem strafrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz entspreche. Unter dem 25.01.2011 hat die Staatsanwaltschaft Dessau-Roßlau das Ermittlungsverfahren gegen die Beamtin gem. § 153 StPO eingestellt.

7

Mit der Disziplinarklage vom 27.04.2011 wird die Beamtin angeschuldigt, ein Dienstvergehen gem. §§ 54, 55, 77 Abs. 1 Satz 1 Beamtengesetz Sachsen-Anhalt (BG LSA) begangen zu haben. Sie habe u. a.

8

- Gebühren und Auslagen zum eigenen Vorteil zu Unrecht erhoben und entnommen;

9

- unzulässig Verhaftungen zum Zwecke der Erzwingung der Abgabe der eidesstattlichen Versicherung vorgenommen sowie

10

- in erheblichem Maße gegen Vorschriften der Gerichtsvollzieherordnung und der Gerichtsvollziehergeschäftsanweisung verstoßen.

11

Ihr werden 10 Pflichtenverstöße zur Last gelegt:

12

1. Die Beamtin habe gegen die sich aus § 55 BG LSA ergebene Pflicht, Anordnungen des Dienstvorgesetzten auszuführen und die allgemeinen Richtlinien zu befolgen, erheblich verstoßen.

13

Am 28.09.2004 habe die Direktorin des Amtsgerichts K. der Gerichtsvollzieherin das Protokoll über die Geschäftsprüfung vom 11.08.2004 bis 28.08.2004 mit der Aufforderung übersandt, zu den einzelnen Beanstandungen binnen eines Monats Stellung zu nehmen. Die Stellungnahme der Gerichtsvollzieherin sei erst auf wiederholte und nachdrückliche Aufforderung der Direktorin des Amtsgerichts K. am 27.01.2005 eingegangen.

14

2. Die Beamtin habe in den nachfolgenden Fällen gegen § 106 Nr. 6 Satz 1 Geschäftsanweisung für Gerichtsvollzieher (GVGA) verstoßen.

15

a) Die Beamtin habe in nachfolgend aufgeführten 32 Fällen ohne anders lautende Bestimmung der Gläubiger und trotz wiederholter Beanstandung in den Vorprüfungen Leistungen verspätet an die Gläubiger abgeführt. Dabei handelt es sich um Differenztage zwischen dem Tag der Zahlung, Tag der Buchung und Tag der Überweisung von wenigstens drei Tagen bis zu einmalig höchstens 45 Tagen. Auf diese Tabelle in der Disziplinarklage wird verwiesen. Die Disziplinarklage führt aus, dass das zwischen dem Tag der Einnahme und dem Tag der Auszahlung im Durchschnitt dieser Fälle 17 Tage gelegen hätten.

16

b) In den Verfahren DR II 2256/03; 2243/02; 1958/03; 252/04; 2333/03 und 1978/03 am 19.03.2004 erzielte Versteigerungserlös sei am 18.08.2004 noch nicht an die Gläubiger abgeführt worden.

17

c) Obwohl der Verstoß gegen § 106 Nr. 6 Satz 1 GVGA bereits Gegenstand des am 28.02.2005 eingeleiteten Vorermittlungsverfahren gewesen sei, habe die Gerichtsvollzieherin weiterhin Leistungen verspätet an die Gläubiger abgeführt. Dabei habe die Überweisungsfrist zwischen 7 und 11 Tagen gelegen.

18

3. Die Gerichtsvollzieherin habe gegen § 57 Abs. 2 Satz 5 GVO und § 65 GVGA verstoßen:

19

a) Sie habe Sachstandsanfragen von Gläubigern pauschal, ohne Bezug auf den tatsächlichen Sachstand und teilweise völlig irreführend beantwortet und dazu einen vorformulierten Text benutz, welcher lautete:

20

„In der Zwangsvollstreckungssache ... teile ich mit, dass der o. g. Auftrag eingegangen ist und bei mir unter DR II Nr. ... registriert wurde. Da ich zurzeit stark überlastet bin, ist es mir zurzeit nicht möglich, die Monatsfrist für die Erledigung einzuhalten. Ich werde mich trotzdem bemühen, den Auftrag zügig zu erledigen.

21

Es wird gebeten, die nächsten zwei Monate von Sachstandsanfragen abzusehen.“

22

Dies sei in folgenden Verfahren geschehen:

23

DR II 42/04:
Die Angelegenheit sei bereits erledigt gewesen, weil der Schuldner unbekannt verzogen war.

24

DR II 64/04:
Der Auftrag sei bereits durch Pfandabstand erledigt gewesen.

25

DR II 76/04:
Die Sache sei erledigt gewesen, weil bereits ein letzter Vollstreckungsversuch durchgeführt worden sei.

26

DR II 8/04:
Auch hier sei Erledigung eingetreten gewesen.

27

DR II 21/04:
Der Zwangsvollstreckungsauftrag sei durch Nichtermittlung des Schuldners erledigt gewesen.

28

b) Die Gerichtsvollzieherin habe in den oben unter a) bezeichneten Verfahren die Gläubiger über den tatsächlichen Verfahrensstand getäuscht. Sie habe damit sowohl gegen das Informationsrecht des Gläubigers gem. § 65 a GVGA, als auch gegen die Pflicht zur sorgfältigen und vollständigen Aktenführung (§ 57 Nr. 2 Satz 5 GVO) verstoßen.

29

4. Die Gerichtsvollzieherin habe gegen § 816 Abs. 4 ZPO, §§ 156, 1239 Abs. 2 BGB, §145 Nr. 2 b GVGA verstoßen. In mehreren Zwangsvollstreckungsverfahren gegen den Schuldner H. F. wurde die Versteigerung gepfändeter Gegenstände am 19.03.2004 durchgeführt. Der gepfändete PKW Mercedes Benz 320 cdi, sei mit 39.000,00 Euro und das Motorrad Suzuki mit 1.200,00 Euro angesetzt worden. Bei der Versteigerung sei der Schuldner anwesend gewesen und habe mitgeboten. Die Gerichtsvollzieherin habe das Gebot des Schuldners in Höhe von 35.000,00 Euro zugelassen und ihm den Zuschlag erteilt, wodurch das bisherige Meistgebot in Höhe von 33.000,00 Euro eines anderen Bieters erlosch. Nachdem die Gerichtsvollzieherin festgestellt habe, dass dem Schuldner eine Barzahlung nicht möglich gewesen sei, sei der PKW nochmals ausgeboten worden, wobei nur noch das Mindestgebot von 20.000,00 Euro als Versteigerungserlös erzielt worden sei.

30

In dem diesbezüglichen Vermerk der Gerichtsvollzieherin in der Sonderakte DR II 2256/03 heißt es:

31

„Es waren genügend Kaufgeneigte erschienen. Es wurde bis zu einem Betrag von 33.000,00 Euro sehr zügig geboten. Bei einem Gebot von 35.000,00 Euro erhielt der Schuldner den Zuschlag. Viele Bieter entfernten sich daraufhin. Ich forderte Herrn F. zur Zahlung auf. Als Herr F. das Büro im Versteigerungslokal betrat, teilte er mir mit, dass er einen bankbestätigten Scheck habe. Ich forderte wie zuvor auch in den wörtlich vorgelesenen Versteigerungsbedingungen bekannt gegeben, Herrn F. zur Barzahlung auf. Dieser erklärte, dass er kein Bargeld bei sich habe. Ich wollte den Scheck sicherstellen. Herr F. gab an, den Scheck in seinem Fahrzeug zu haben. Ich begab mich mit Herrn F. zu seinem Kfz. Den Scheck konnte er nicht vorlegen. ...“

32

Diese Verfahrensweise stelle eine falsche Sachbehandlung dar und verstoße gegen die vorgenannten gesetzlichen Regelungen. Bei richtiger Sachbehandlung hätte im ersten Versteigerungsversuch der Erlös bei 33.000,00 Euro und nicht später nur noch bei 20.000,00 Euro gelegen. In Höhe der Differenz von 13.000,00 Euro sei ein Vermögensschaden eingetreten.

33

5. Die Gerichtsvollzieherin habe in den Verfahren DR II 505/05, 506/05 und 556/05 gegen § 186 Nr. 5 GVGA und die Weisung des Erlasses des MJ LSA vom 21.06.2004 (2344-202.103) verstoßen.

34

In den Verfahren DR II 529/05, 586/05, 596/05, 603/05 und 595/05 habe die Gerichtsvollzieherin darüber hinaus § 3 GvKostG nicht beachtet und auch dadurch zusätzlich überhöhte Kosten erhoben.

35

Im Verfahren DR II 505/05 habe ein Verhaftungsauftrag vom 24.03.2005 vorgelegen. Am 11.04.2005 habe die Beamtin einen erfolglosen Verhaftungsversuch unternommen. Am 12.04.2005 sei die Schuldnerin in ihrer Wohnung angetroffen worden. Laut Protokoll habe die Schuldnerin das Vermögensverzeichnis und die Eidesstattliche Versicherung nach Verhaftung im Dienstzimmer der Gerichtsvollzieherin abgegeben. Aus den Protokollen sei nicht ersichtlich, dass die Schuldnerin gem. § 186 Nr. 5 GVGA vor der Verhaftung aufgefordert worden sei, die titulierte Forderung zu begleichen und befragt worden sei, ob sie freiwillig die geforderte Eidesstattliche Versicherung abgebe. Nach dem Inhalt des Protokolls ist davon auszugehen, dass die Schuldnerin noch im Verhaftungstermin mitwirkungsbereit gewesen sei und die Eidesstattliche Versicherung habe abgeben wollen. Die Verhaftung stelle einen Verstoß gegen das in § 901 ZPO postulierte Verhältnismäßigkeitsprinzip dar.

36

Für diese falsche Sachbehandlung habe die Gerichtsvollzieherin demnach aufgrund der Verhaftung überhöhte Kosten in Höhe von 19,00 Euro erhoben.

37

Ebenso habe die Klägerin in den anderen genannten Verfahren überhöhte Gebühren und Auslagen eingezogen.

38

Die Gerichtsvollzieherin habe dadurch die Schuldner in ihren Grundrechten aus Art. 1 und 2 GG verletzt.

39

In den Verfahren DR II 529/05, 586/05, 595/05, 596/05 und 603/05 habe die Gerichtsvollzieherin neben der nicht gebotenen Verhaftung letztlich nicht beachtet, dass es sich hinsichtlich der Abnahme der Eidesstattlichen Versicherung nur um einen Auftrag gehandelt habe, wenn die Fortsetzung des EV-Termins innerhalb der in § 3 Abs. 4 GvKostG genannten Frist von drei Monaten beantragt werde. Vorliegend war die Gerichtsvollzieherin bereits im Vollstreckungsauftrag beauftragt worden, den notwendigen Haftbefehl zu beantragen. Die EV-Verfahren seien also lediglich fortzusetzen gewesen und bereits entstandene Kosten anzurechnen. Somit seien in den zuletzt genannten Verfahren überhöhte Kosten in Höhe von insgesamt 34,00 Euro zu viel erhoben worden.

40

6. Die Gerichtsvollzieherin habe in mindestens 57 Fällen in erheblicher Weise gegen die §§ 64, 185 j GVGA und ihre Pflicht zur unverzögernden Bearbeitung der Verfahren verstoßen.

41

In den aufgeführten 57 Fällen habe die Beamtin erst nach bis zu vier Monaten nach dem Nichterscheinen des Schuldners die Akten dem Vollstreckungsgericht vorgelegt. Dazu zählt die Disziplinarklage 57 Fälle mit Aktenzeichen auf, welche damit beginnen, dass der e.V.-Termin vom 11.01.2005 in sieben Fällen erst am 14.03.2005 beim Vollstreckungsgericht einging; die folgenden 50 Fälle beinhalten e.V.-Termine vom 16.11.2004, 23.11.2004, 07.12.2004, 11.01.2005, 10.08.2004 und 23.11.2004, die alle samt am 15.03.2005 beim Vollstreckungsgericht eingingen.

42

7. Die Gerichtsvollzieherin habe Zustellauslagen in Höhe von 5,60 Euro für Zustellungen durch die Deutsche Post AG in Ansatz gebracht, obwohl die Zustellung tatsächlich durch die Firma W. S. zum Preis von 4,47 Euro durchgeführt worden sei. Damit habe sie gegen § 15 GVO und GvKostG KV 701 verstoßen.

43

Danach darf der Gerichtsvollzieher Zustellauslagen nur in tatsächlich entstandener Höhe ansetzen. Bereits im Prüfungsbericht vom 10.09.2004 sei die Gerichtsvollzieherin auf die Einhaltung der Vorschriften hingewiesen worden.

44

Dies ergebe sich aus acht in der Disziplinarklage genannten Verfahren. Auf diese Verfahren wird zur weiteren Darstellung verwiesen.

45

In diesen Verfahren habe die Gerichtsvollzieherin trotz ausdrücklicher Belehrung durch den Prüfungsbeamten und ihrer Zusicherung vom 25.01.2005 Auslagen nicht in tatsächlicher Höhe erhoben.

46

8. Die Gerichtsvollzieherin habe entgegen der Weisung des Prüfungsbeamten weiterhin Zahlungsprotokolle bei Vollzahlung oder Schlussrate an den Schuldner erteil und Dokumentenpauschalen gemäß Nr. 700 KV GvKostG erhoben, obwohl es hierfür keine gesetzliche Grundlage gebe.

47

Bereits sei dem Jahre 2002 sei die Gerichtsvollzieherin in jedem Prüfungsprotokoll von dem Prüfungsbeamten auf die falsche Sachbehandlung und Kostenberechnung der Dokumentenpauschale hingewiesen worden.

48

Allein in den Monaten Januar bis August 2004 habe die Gerichtsvollzieherin in den in der Anlage 1 aufgelisteten 246 Fällen unberechtigt eine Dokumentenpauschale erhoben und damit einen Betrag von 432,00 Euro zu Unrecht eingenommen.

49

Der Weisung des Prüfbeamten vom 10.09.2004 die Kostenrechnungen zu berichtigen und den jeweils überhöhten Betrag an die Landeskasse abzuführen, ist die Gerichtsvollzieherin erst nach mehrfacher Mahnung am 13.02.2006, mithin nach 17 Monaten nachgekommen.

50

9. Die Gerichtsvollzieherin habe im folgenden Verfahren gegen § 57 Abs. 2 Satz 5 GVO, §§ 64, 105, 107, 132, 135, 140 und 142 GVGA sowie §§ 758, 762 und 803 ZPO verstoßen.

51

Dem Verfahren DR II 617/04 liege ein Auftrag der Kreissparkasse K. zur Sachpfändung zugrunde. Mangels Protokollierung bleibt offen, ob, wann und wo die Gerichtsvollzieherin gepfändet hat. Die Gerichtsvollzieherin habe damit gegen das bei einer Pfändung zu beachtende Verfahren und gegen ihre Pflicht, alle Amtshandlungen zu Protokoll zu nehmen verstoßen (§ 762 ZPO). Ebenso fehlt die Aufnahme der Pfandstücke sowie Tag und Ort der Versteigerung im Protokoll. Bis zum 30.04.2004 hätte die Versteigerung stattfinden müssen. Erst durch ihren Dezernatsnachfolger sei am 16.09.2005 ein Versteigerungstermin bestimmt worden.

52

Allein aufgrund des Umfangs des Pfandgutes anhand des Lagerverzeichnisses sei mit hohen Lagerkosten zu rechnen gewesen. Die Gerichtsvollzieherin habe durch ihre Handlungsweise gegen die Pflicht, die durch Einschaffung und Verwahrung des Pfandgutes anfallende Kosten auf das angemessene und unbedingt notwendige Maß zu beschränken, verstoßen (§ 140 Nr. 1 GVGA). Nach erfolgter Schätzung des Verkehrswertes des Pfandgutes hätte die Gerichtsvollzieherin erkennen können, dass die Kosten der Pfändung und Verwertung weitaus höher sind, als der zu erzielende Erlös und somit ein Pfändungsverbot gem. § 803 Abs. 2 ZPO bestanden habe. Darüber hinaus sei sie ihrer Kostensicherungspflicht nach § 4 GvKostG nicht nachgekommen, da sie Kosten für die Einschaffung und Lagerung des Pfändungsgutes in unverhältnismäßiger Höhe verursachte, ohne einen ausreichenden Vorschuss von der Gläubigerin angefordert zu haben.

53

Am 25.04.2006 habe der Präsident des Landgerichts Dessau die - zum Verwertungserlös in Höhe von 600,00 Euro zu keinem Verhältnis stehende - Restforderung des Spediteurs für die Einlagerung des Pfandgutes in Höhe von 7.531,30 Euro als Amtshaftungsanspruch anerkannt und habe diesen Betrag ausgezahlt. Mit Beschluss des Amtsgerichts K. vom 28.07.2006 seien die weiteren Vollstreckungskosten gegenüber der Kreissparkasse K. in Höhe von 7.571,30 Euro niedergeschlagen worden. Nachdem die Kreissparkasse K. wegen ihres geleisteten Kostenvorschusses in Höhe von 3.642,91 Euro abzüglich der bei einer Versteigerung bis zum 30.04.2004 entstandenen Kosten in Höhe von 2.269,22 Euro gegen das Land Sachsen-Anhalt eine Schadensersatzforderung in Höhe von 1.373,59 Euro geltend gemacht habe, erkannte der Präsident des Landgerichts Dessau einen entsprechenden Amtshaftungsanspruch an und zahlte den Betrag am 06.02.2007 aus. Am 12.09.2007 habe das Landgericht Dessau mit Regressprozess gegen die Gerichtsvollzieherin ein Versäumnisurteil über einen Gesamtbetrag in Höhe von 8.904,99 Euro erlassen, welches mit am 12.12.2007 verkündeten Urteil bestätigt wurde. Auf die Berufung der Gerichtsvollzieherin änderte das OLG A-Stadt mit am 25.06.2008 verkündeten Urteil (6 U 163/07) das erstinstanzliche Urteil dahingehend ab, dass die Gerichtsvollzieherin verurteilt worden sei, an das Land Sachsen-Anhalt einen Betrag in Höhe von 1.373,69 Euro zu zahlen; hinsichtlich des weiteren, an den Spediteur gezahlten Betrages in Höhe von 7.531,30 Euro wurde die Klage abgewiesen.

54

10. Die Prüfung der Sonderakten DR II aus den Jahren 2001 bis 2005 habe ergeben, dass die Gerichtsvollzieherin im Zeitraum Oktober 2001 bis Juli 2005 (DR II 2756/01 - 932/05) in 2.436 Verfahren Wegegelder in Höhe von 7.146,59 Euro erhoben habe, die nicht oder nicht in der angesetzten Höhe angefallen seien.

55

Soweit das OLG A-Stadt hinsichtlich der strafrechtlichen Bestimmtheitserfordernisse gerügt habe, dürfte dies nunmehr mit der in Anlage 3 zur Disziplinarklage eingereichten tabellarischen Aufstellung hinreichend nachgewiesen seien. An den Bestimmtheitsgrundsatz dürften keine übertriebenen Anforderungen gestellt werden, welche im Disziplinarrecht nicht weiter reichen dürften als im Strafrecht. Bei einer Vielzahl gleichartiger Taten reiche es aus, wenn über die Angabe der Zahl der Taten, des Gesamtschadens und des gesamten Tatzeitraumes hinaus die gleichartigen Taten gruppiert bezeichnet, der gruppenspezifische Modus Operandi dargestellt und die Einzelheiten detailliert tabellarisch aufgelistet würden, weil hierdurch sowohl der Umgrenzungs- als auch der Informationsfunktion hinreichend genüge getan werde.

56

An die Grundlagen der Wegegeldberechnung habe sich die Gerichtsvollzieherin in einer Vielzahl von Fällen nicht gehalten. Im Jahre 2001 habe sie in 390 Fällen Wegegelder abgerechnet, obwohl entweder ein geringeres Wegegeld oder mangels Zurücklegung eines Weges überhaupt kein Wegegeld angefallen wäre.

57

In den Jahren 2002 bis 2005 habe sie dann in weiteren 2.046 Fällen ebenfalls nicht oder nicht in angesetzter Höhe angefallene Wegegelder berechnet.

58

Die Beamtin habe die fehlerhafte Abrechnung nicht bestritten.

59

Die tabellarische Aufstellung enthalte keinen der Fälle mehr, in denen die Gerichtsvollzieherin vom Amtsgericht K. rechtskräftig freigesprochen wurde. Die Beamtin habe bei der Wegegeldabrechnung auch hinsichtlich der Fälle, wo überhaupt kein Weg zurückgelegt worden sei, mit direktem Vorsatz gehandelt. In den Fällen, in denen ein Wegegeld tatsächlich entstanden sei, aber überhöht abgerechnet worden sei, liege ebenfalls direkter Vorsatz vor. Denn die Bestimmung der Wegegeldzone stelle keinen komplexen und dementsprechend fehleranfälligen Vorgang dar. Vielmehr sei einfach die Luftlinie auf der Karte zu messen. Hinzu komme, dass die Gerichtsvollzieher mit ihren Bezirken und den dortigen Entfernungen sehr gut vertraut seien. Würde hier ein grundsätzliches Versehen vorliegen, müssten die betreffenden Orte auch immer gleichermaßen falsch abgerechnet worden sein, was aber nicht der Fall gewesen sei. Zudem falle bei der Durchsicht der tabellarischen Aufstellung auf, dass Wegegelder oft doppelt erhoben worden seien, und dass in einer Vielzahl von Fällen nicht nur die nächst höhere Stufe abgerechnet worden sei, sondern gleich mehrere Stufen übersprungen worden seien, was bei der irrtümlichen Annahme, sich bereits in der nächst höheren Zone zu befinden, nicht hätte passieren können. Besonders deutlich werde das Fehlen eines Versehens auch, soweit beispielsweise für Großpaschleben Gebührenzone II (10 bis 20 km) statt I (bis 10 km) abgerechnet werde, da G. unmittelbar an der Stadtgrenze zu K. liege. Hinzu komme, dass die falsche Wegegeldabrechnung über die Jahre hinweg kontinuierlich zugenommen habe (2002: 907,50 Euro, 2003: 2.355,00 Euro, 2004: 2.767,50 Euro). Die Gerichtsvollzieherin habe also nachdem die zunächst geringer ausfallenden Wegegeldüberhebungen im Rahmen der Geschäftsprüfungen nur sporadisch beanstandet worden seien, systematisch in immer größrem Umfang überhöhte Wegegelder geltend gemacht und dadurch im Jahre 2004 schließlich ein zusätzliches monatliches Einkommen in Höhe von knapp 230,00 Euro erzielt.“

60

Nach dem Ergebnis der Ermittlungen habe die Gerichtsvollzieherin über einen sehr langen Zeitraum die Kernpflichten des Beamtenverhältnisses grundlegend verletzt. Sie habe in einer Vielzahl von Fällen gesetzliche Bestimmungen grob missachtet, dienstliche Weisungen nachhaltig ignoriert, grob fehlerhaft und äußerst nachlässig gearbeitet und damit nicht annähernd das berufserforderliche Verhalten bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben gezeigt. Erschwerend komme hinzu, dass die Beamtin bereits am 08.12.2003 wegen fehlerhafter und nachlässiger Arbeitsweise einen disziplinarrechtlichen Verweis erhalten habe. Durch die vorsätzliche finanzielle Schädigung der Gebührenschuldner habe die Beamtin das Vertrauen in die Redlichkeit und Ehrlichkeit von Beamten grundlegend erschüttert und das Ansehen der Justiz in der Öffentlichkeit nachhaltig geschädigt.

61

Der Entschuldigung der Beamtin mit Verweis auf einen außerordentlich hohen Geschäftsanfall könne nicht gefolgt werden. Denn Feststellungen des Prüfungsbeamten und der Direktorin des Amtsgerichts K. habe die Beamtin im Jahre 2004 hinsichtlich 1.088 Verfahren und im Jahre 2003 bezüglich 1.346 Verfahren falsche Angaben gemacht. Tatsächlich seien die gesamten monatlichen Eingänge lediglich bei durchschnittlich 235 Aufträgen im Jahre 2003 und 245 Aufträgen im Jahre 2004 anzusetzen.

62

Die Schwere des Dienstvergehens rechtfertige die Entfernung der Beklagten aus dem Beamtenverhältnis.

63

Der Kläger beantragt,

64

auf die erforderliche Disziplinarmaßnahme zu erkennen.

65

Die Beklagte beantragt,

66

die Disziplinarklage abzuweisen,

67

widerspricht den behaupteten Dienstpflichtverletzungen und erwidert:

68

Es fehle an einer hinreichenden Sachaufklärung, die Beamtin sei nicht angehört, Zeugen seien nicht vernommen worden. Die Disziplinarklage sei bereits wegen Zeitablaufs unzulässig. Denn das disziplinarrechtliche Gebot der Beschleunigung sei in außerordentlichem Maße verletzt worden.

69

Zu III., 1.

70

Der Vorwurf, eine Stellungnahmefrist versäumt zu haben, werde bestritten. Er könne schon aufgrund des Zeitablaufs nicht nachvollzogen werden. Die Beamtin dürfte innerhalb einer angemessenen Frist in Abstimmung mit der Frau Direktorin geantwortet haben.

71

Zu III., 2a

72

Kein einziger Gläubiger habe eine verspätete Leistung gerügt oder behauptet. Die Disziplinarklage verhalte sich nicht zu der Auslegung des Rechtsbegriffes „unverzüglich“, bestimme weder ein schuldhaftes Zögern der Beklagten noch ob andere Bestimmungen mit den Gläubigern getroffen worden seien. Die Disziplinarklage übersehe permanent die außerordentliche Belastung der Gerichtsvollzieherin. Dies sei beispielsweise im Prüfbericht vom 25.07.2002 ausgeführt und durch die Aussage des Zeugen S. vor dem Amtsgericht K. und dem Landgericht Dessau-Roßlau bestätigt. Danach habe die Belastung der Beklagten in den Jahren 2001 und 2002 bei rund 230 %, im Jahre 2003 bei 166 % und im Jahre 2004 bei 192 % gelegen. Die durchschnittliche Belastung eines Gerichtsvollziehers im Land Sachsen-Anhalt in den Jahren 2001 bis 2003 habe bei 140 % und in den Jahren 2004 und 2005 bei 130 bzw. 120 % gelegen.

73

Das Landgericht Dessau-Roßlau habe in seinem Urteil zur Aussage des Zeugen S. ausgeführt:

74

„Im Lande seien die Gerichtsvollzieher über Jahre in verantwortungsloser Weise jahrelang, gerade auch 2004, hoffnungslos mit Pensen von 1,4 bis 3,0 überlastet gewesen. Daher habe oftmals auch bei der Angeklagten die Aktenführung gelitten und es sei dort an sich zu beanstandungswürdigen Fehlern gekommen.“

75

Die außergewöhnliche Belastung der Beklagten hätten auch die Zeugen K. und die Direktorin des Amtsgerichts K. im Strafverfahren bestätigt.

76

Die in der Disziplinarklage vorgenommene Durchschnittsberechnung der Differenztage sei untunlich. Es sei jeder einzelne Fall für sich zu betrachten und zu einem schuldhaften Zögern vorzutragen.

77

Weiter sei auf die hohen Beitreibungsergebnisse der Beamtin abzustellen. Hohe Beitreibungsergebnisse implizierten einen hohen Zeitaufwand einerseits und viele Buchungs- und Überweisungsvorgänge andererseits.

78

Zu III., 3.

79

Die Gerichtsvollzieherin habe nicht stets einen Textbaustein verwandt. Aufgrund der Überlastung habe sie sich behelfen müssen. Eine Irreführung der Gläubiger sei nicht geschehen. Schließlich sei auch zu beachten, dass die Schreiben die Mitarbeiterin der Beklagten, die Zeugin G. auf den Weg gebracht habe. Dabei mögen der Mitarbeiterin Fehler passiert sein, dass sie entgegen der Büroanweisung keine Rücksprachen mit der Beamtin gehalten habe.

80

Zu III., 4.

81

Amtshaftungsansprüche in Höhe von 13.000 Euro seien nicht entstanden. Diese Behauptung sei falsch. Es fehle bereits an einer Pflichtverletzung. Der Vortrag sei nach wie vor ohne hinreichende Substanz. Die Gerichtsvollzieherin habe vor der Versteigerung die Versteigerungsbedingungen vorgelesen. Es seien 30 bis 50 Bieter anwesend gewesen. Es habe sich um eine umfangreiche Versteigerung gehandelt. Deswegen habe die Beklagte auch ihren Kollegen, den Gerichtsvollzieher H. um Unterstützung gebeten. Dem Kollegen H. sei der Schuldner ebenfalls bekannt gewesen. Der Beklagten sei der Schuldner zunächst gar nicht aufgefallen. Der Kollege H. habe die Beklagte dann aber auf den Schuldner F. aufmerksam gemacht. Die Beklagte habe nicht gewusst, ob der Schuldner F. mit bieten würde oder nicht. Sie habe in diesem Falle vorgehabt, die Versteigerung sogleich zu unterbrechen, um den Schuldner in das Büro zu bitten, um dessen Zahlungsfähigkeit festzustellen und ggf. eine Taschenpfändung durchzuführen. Nach dem Gebot des Schuldners in Höhe von 33.000,00 Euro (muss wohl richtig lauten: 35.000,00 Euro) habe die Beklagte die Versteigerung sofort unterbrochen. Sie sei mit dem Zeugen H. und dem Schuldner in das Büro gegangen. Dort habe sich herausgestellt, dass der Schuldner über kein Geld verfüge. Daraufhin habe die Beklagte mitgeteilt, dass sie die Sache neu ausbieten müsse. Ein Teil des Publikums hatte sich bereits entfernt. Die Versteigerung sei alles andere als „alltäglich“ gewesen.

82

Zu III., 5.

83

Allein aus einer möglicherweise nicht hinreichenden Protokollierung könne nicht der Schluss gezogen werden, die Schuldner seien vor der Verhaftung nicht gefragt worden, ob sie freiwillig leisten bzw. die Eidesstattliche Versicherung abgeben wollten. Selbstverständlich habe die Beklagte so verfahren. Dessen ungeachtet habe die Beklagte - ohne Anerkennung einer Rechtspflicht - die Beträge aber sogleich erstattet.

84

Zu III., 6.

85

Hier werde die außerordentliche Belastung der Beklagten nicht berücksichtigt. Die Fürsorgepflicht des Dienstherrn sei verletzt. Anders als ihre Kollegen habe die Beklagte häufig Versteigerungen durchgeführt. Versteigerungen seien aufgrund des damit verbundenen Zeit- und Arbeitsaufwandes von den Kollegen gemieden worden. Ungeachtet dessen habe die Beklagte bis in das Jahr 2005 hinein, als sie schwanger gewesen sei, keine Entlastung erfahren.

86

Zu III., 7.

87

Erhöhte Zustellkosten seien in früheren Prüfberichten nicht gerügt worden. Es habe keine Belehrung stattgefunden. Die Zustellungen rührten aus der Zeit der Beschäftigung der Mitarbeiterin W.. Die Beklagte habe die Mitarbeiterin ausdrücklich dazu angehalten, zwischen Zustellungen mit „grüner Post“ und solchen mit der „gelben Post“ zu unterscheiden. Die Mitarbeiterin habe in Einzelfällen möglicherweise fehlerhafte Zuordnungen getroffen.

88

Der Vorwurf im Prüfbericht vom 10.09.2004 sei ein nicht vergleichbarer Fall gewesen.

89

Ziff. III., 8.

90

In der Vergangenheit sei die Dokumentenpauschale als unproblematisch betrachtet worden. Es werde bestritten, dass eine Dokumentenpauschale nicht in Ansatz gebracht werden durfte. Die Beklagte sei erstmals in der Schlussbesprechung vom 10.09.2004 angewiesen worden, entsprechende Erhebungen zukünftig zu unterlassen. Der Prüfbeamte habe ausgeführt, dass die Rechtslage unklar sei und Erstattungen für die Vergangenheit nicht vorzunehmen seien. Zwei Wochen später habe man doch auf Rückzahlungen gepocht. Deshalb sei die Beklagte irritiert. Um die Streitfrage beizulegen habe die Beklagte die Pauschalen schließlich erstattet.

91

Zu III., 9.

92

Die Beamtin sei vom OLG A-Stadt letztlich zur Zahlung eines Betrages in Höhe von 1.373,69 Euro an das Land Sachsen-Anhalt verurteilt worden. Jedoch sei die Klage überwiegend abgewiesen worden. Das OLG habe zwar Fehler der Beklagten beschrieben. In Höhe eines Betrages in Höhe von 7.531,30 Euro sei der Beklagten aber ein Vorwurf grobfahrlässigen Verhaltens nicht zu machen. Soweit das OLG hinsichtlich eines Betrages in Höhe von 1.373,59 Euro auf grobe Fahrlässigkeit erkannt habe, sei nicht hinreichend berücksichtigt worden, dass die Kreissparkasse K. selbst den Vollstreckungstitel zurückverlangt, die Einlagerungskosten gekannt und darum gewusst habe, dass die Beklagte, die den Titel schnellstmöglich zurückverlangt habe, auf den Titel gewartete habe, um weiter vollstrecken zu können.

93

Zu Ziff. III., 10.

94

Die Beklagte habe in keinem Fall Wegegelder erhoben, obwohl Wege nicht angefallen seien. Sie habe Wegegelder nicht doppelt abgerechnet oder Wegegeldstufen mehrfach übersprungen. Es sei wiederholt vorgetragen worden, dass die Beklagte Schuldner mehrfach aufgesucht und deshalb (mehrere) Wegegelder, etwa bei der Abholung von Raten, zu berücksichtigen gewesen seien. Gleichzeitig habe sich im Jahre 2001 das Gebührenrecht geändert und die Wegegeldzonen seien neu festgelegt. Sie habe daraufhin auf Anraten des damaligen Obergerichtsvollziehers S. eine Tabelle erstellt und diese zu den General- und Sammelakten gegeben. Beanstandungen hinsichtlich der Wegegeldabrechnungen habe es nie gegeben. Dabei sei der Gerichtsvollzieherprüfungsbeamte verpflichtet, Akten gerade auch wegen erhobener Wegegelder zu prüfen. Schließlich seien aufgrund des Disziplinarverfahrens gegen die Beamtin den Gerichtsvollziehern Abrechnungstabellen vorgegeben worden.

95

Zusammenfassend führt die Beklagte aus:

96

Die Beklagte sei als junge Gerichtsvollzieherin seit dem Jahre 2001 stets überlastet gewesen. Ihr seien zusätzliche Bezirke übertragen worden, die „brannten“. Dies sei der Dienstaufsicht bekannt gewesen. Der Vorwurf, das Ansehen der Justiz beschädigt zu haben, sei aufgrund der bewusst veranlassten Überlastung der Beklagten paradox. Die hohen Beitreibungsergebnisse der Gerichtsvollzieherin hätten das Ansehen der Justiz gestärkt.

97

Von einem endgültigen Vertrauensverlust könne noch nicht ausgegangen werden. Denn der Kläger habe die Beklagte trotz Abschluss der Ermittlungen über viele Monate in den Innendienst versetzt und beschäftigt. Dort habe die Beklagte beanstandungsfrei gearbeitet.

98

Der Kläger erwidert:

99

Der lange Zeitraum des Disziplinarverfahrens sei den umfangreichen Ermittlungen geschuldet gewesen.

100

Zur angeblichen Überlastung werde auf den Beschluss des OVG LSA - Disziplinarsenat - vom 19.07.2007 (10 M 1/07) verwiesen, wo es heiße, dass „die von der Antragstellerin im wesentlichen eingeräumten zahlreichen Verstöße gegen die einer Gerichtsvollzieherin obliegenden Dienstpflichten bereits für sich genommen ein Versagen im Kernbereich begründen, ohne dass dieses allein mit dem Hinweis auf die dienstliche Belastung zu rechtfertigen sein wird“ und dass eine dienstliche Überlastung „weder eine beharrliche Verletzung von dienstlichen Kernpflichten, noch gar ein damit im Zusammenhang stehendes strafrechtliches Verhalten“ rechtfertige. Zudem seien die angegebenen Überlastungszahlen in den Jahren 2001 und 2002 nicht nachvollziehbar und die Vorgänge aus den Jahren 2004 und 2005 auch ohne Belang. Die von der Beklagten für die Jahre 2003 und 2004 genannten Werte von 166 % und 192 % entsprechen zwar den Feststellungen des Prüfbeamten in den Prüfberichten vom 10.9.2004 und 16.03.2005, beruhten allein aber auf den eigenen Jahresübersichten der Beklagten. Das Dienstregister zähle weitaus weniger Verfahren.

101

Zu III. 3.

102

Es sei festzustellen, dass Sachstandsanfragen durch eine Angestellte ohne konkreten Bezug zu dem nur aus der Akte ersichtlichen letzten Stand der Dinge beantwortet seien. Insoweit sei auch eine fehlerhafte Büroorganisation festzustellen.

103

Zu III. 4.

104

Der Vortrag ändere nichts daran, dass dem Schuldner der Zuschlag nicht hätte erteilt werden dürfen, ohne sich zuvor davon zu überzeugen, dass dieser den Betrag in Bar hinterlegt habe.

105

Zu III. 5.

106

Aus der fehlenden Protokollierung könne selbstverständlich die Nichtbefragung des Schuldners geschlossen werden. Im Übrigen hänge bei lebensnaher Betrachtung allein von der Fragestellung des Gerichtsvollziehers ab, ob der Schuldner die Eidesstattliche Versicherung abgeben wolle oder nicht. Denn soweit sogleich mit der Verhaftung gedroht werde, werde der Schuldner die Eidesstattliche Versicherung abgeben, weil er die Verhaftung vermeiden will. Dann fielen sogleich 51,00 Euro an Gebühren an. Fragt der Gerichtsvollzieher hingegen nur, ob die Eidesstattliche Versicherung jetzt abgegeben werde und führt nach Verneinung der Frage die Verhaftung durch, seien insgesamt 70,00 Euro an Gebühren angefallen. Die Verfahrensweise der Beklagten sei dementsprechend allein dadurch motiviert gewesen, jeweils zusätzliche 19,00 Euro zu verdienen.

107

Zu III.6.

108

Gerügt sei die schlichte Nicht-Weiterleitung von Akten an das Vollstreckungsgericht. Soweit die Beklagte auf ihre hohen Beitreibungsergebnisse und das insoweit hervorgehobene „besondere Engagement“ verweise, erkläre sich dies damit, dass die Einnahmen der Gerichtsvollzieher damals wegen der Bürokostenentschädigung noch deutlicher erfolgsabhängiger gewesen seien als heute. Vor diesem Hintergrund fühlten sich die Gerichtsvollzieher damals mit einem Pensum von 1,3 bis 1,4 keineswegs überfordert, sondern wünschten eine deutlich über 1,0 Pensen liegende Belastung. Dementsprechend seien auch keine Überlastungsanzeigen erstattet worden. Bei dieser allen Beteiligten bestens bekannten Sachlage davon zu sprechen, es sei ein „Ausdruck grober Treuwidrigkeit, einen Gerichtsvollzieher zu überlasten“ werde den tatsächlichen Zusammenhängen nicht gerecht.

109

Zu III. 7.

110

Auch die Entlastung aufgrund Tätigkeiten durch die Mitarbeiterin W. könne nicht greifen. Denn insoweit liege auch hier ein Überwachungsverschulden vor.

111

Zu III. 8.

112

Auf die fehlerhafte Erhebung von Dokumentenpauschalen sei die Beklagte sei dem Jahr 2002 in jedem Prüfbericht hingewiesen worden. Zudem handele es sich um eine von der Beamtin selbst zu beantwortende Rechtsfrage. Hier zeige sich die beachtliche Kreativität der Beklagten in der Schaffung gesetzlich nicht vorgesehener Einnahmequellen.

113

Zu III. 9.

114

Der das Disziplinarverfahren bearbeitende Richter am OLG Dr. O. sei zum Zeitpunkt der Urteilsfindung nicht mit Disziplinarsachen befasst gewesen.

115

Zu III. 10.

116

Dass es an umfassenden Beanstandungen in den Geschäftsprüfungen bezüglich der Wegegelder fehle, beruhe darauf, dass die Wegegeldberechnung im Rahmen der Geschäftsprüfung eine völlig untergeordnete Rolle spiele.

117

Die Beklagte erwidert:

118

Soweit die Klägerin nunmehr hinsichtlich der Vorwürfe zu III. 3. und III. 7. auf ein Büro- und Organisationsverschulden der Beklagten verweist, handele es sich um einen neuen, von der Disziplinarklage nicht umfassten Vortrag. Der Vorhalt zu III. 5. bezüglich der Verhaftungen sei konstruiert und ehrenrührig. Hinsichtlich der zu III. 6. vorgetragenen Überlastungsproblematik verkenne der Kläger, dass die Überlastungen nicht jeweils mit dem Ablauf des Jahres enden. Selbstverständlich gebe es Überhänge. Es sei falsch, dass Überlastungen aus wirtschaftlichen Gründen bei den Gerichtsvollziehern gewünscht gewesen seien. Die Beklagte habe ihre Überlastung wiederholt thematisiert, insbesondere gegenüber ihrer Direktorin, gegenüber dem Prüfungsbeamten und gegenüber dem Mitarbeiter der „T.-F.“ S.. Die Beklagte könne ihrer Direktorin nichts anzeigen, was diese nicht schon gewusst habe.

119

Abschließend verweist die Klägerin erneut auf die Notwendigkeit individueller Überlastungsanzeigen. Diese Frage müsse individuell nach Ausbildungsstand, Befähigung, praktischer Erfahrung und Übung, Gesundheitszustand und Alter des Beamten geprüft werden.

120

Mit Beschluss vom 20.09.2012 hat das Disziplinargericht den Kläger aufgefordert, die in der Disziplinarklage unter Punkt 10 und der Anlage III aufgeführten 2.436 Akten dem Disziplinargericht in der Reihenfolge der Darstellung in der Anlage III bis zum 22.10.2012 vorzulegen und die Verfahren, welche Gegenstand der Verurteilung der Beamtin im Urteil des LG Dessau-Roßlau vom 29.10.2009 zum Tatkomplex Wegegelder waren, in der Anlage III kenntlich zu machen. Auf den daraufhin vom Kläger abgegebenen Schriftsatz vom 02.10.2012 (GA, Bl. 208) und 18.10.2012 (GA, Bl. 271) mit der dazugehörigen Tabelle (GA, Bl. 209 – 334) wird verwiesen.

121

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie die der Verfahren 8 B 12/10 MD und 8 B 22/06 MD sowie die beigezogenen Verwaltungs-, Ermittlungs- und Zwangsvollstreckungsvorgänge verwiesen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung.

Entscheidungsgründe

122

I.) Die Disziplinarklage ist zulässig.

123

Das behördliche Disziplinarverfahren oder die Klageschrift leiden nicht unter einem wesentlichen Mangel im Sinne von § 52 DG LSA oder einem sonstigen beachtlichen Verfahrensfehler.

124

1.) Der Kläger ist klagebefugt. Die oberste Dienstbehörde kann ihre Befugnisse nach § 34 Abs. 2 Satz 1 DG LSA durch allgemeine Anordnung ganz oder teilweise auf die ihr unmittelbar nachgeordneten Dienstvorgesetzten für deren Aufgabenbereich übertragen; die Anordnung ist zu veröffentlichen (§ 34 Abs. 2 Satz 2 DG LSA). Dies ist durch die allgemeine Anordnung des MJ vom 23.05.2006, Abschn. I, Ziff. 1 - 2030/01-101.8 - (MBl. LSA v. 19.06.2006) geschehen. Danach obliegt es dem Präsidenten des OLG die Disziplinarklagen gegen Beamte des einfachen, mittleren und gehobenen Dienstes einschließlich des Gerichtsvollzieherdienstes zu erheben. Die Beteiligung der obersten Dienstbehörde nach § 35 DG LSA ist geschehen. Nachdem das Ministerium der Justiz des Landes Sachsen-Anhalt den Disziplinarklageentwürfen unter dem 13.02.2007 und 14.07.2010 nicht zugestimmt hat, wurde dem Entwurf der Disziplinarklage vom 31.03.2011 mit Verfügung des MJ vom 19.04.2011 vorbehaltlich geringfügiger Änderungen zugestimmt.

125

2.) Der Begriff des wesentlichen Mangels im Sinne von § 52 DG LSA erfasst Verletzungen von Verfahrensregeln, die im behördlichen Disziplinarverfahren von Bedeutung sind (BVerwG zum gleichlautenden § 55 BDG; Urteil v. 29.07.2010, 2 A 4.09 mit Verweis auf Urteil v. 20.10.2005, 2 C 12.04; beide juris). Hierunter fallen Verstöße gegen verfahrensrechtliche Vorschriften und Rechtsgrundsätze, die den äußern Ablauf des behördlichen Disziplinarverfahrens bis zur abschließenden behördlichen Entscheidung, also bis zur Erhebung der Disziplinarklage oder bis zu dem Erlass einer Disziplinarverfügung, betreffen (BVerwG, Beschluss v. 31.01.2012, 2 WD 4.11; Urteil v. 29.07.2010, 2 A 4.09 mit Verweis auf Beschluss v. 18.11.2008, 2 B 63.08; zuletzt: VG Magdeburg, Urteil v. 29.11.2012, 8 A 12/11 und Urteil v. 13.12.2012, 8 A 7/11; alle juris).

126

Vorliegend rügt die Beklagte innerhalb der Frist nach § 52 Abs. 1 DG LSA, dass keine ausreichende Sachaufklärung erfolgt sei, die Beamtin nach Abschluss des Verfahrens nicht hinreichend angehört und von ihr benannte Zeugen nicht vernommen worden seien.

127

a.) Nach § 21 Abs. 1 Satz 1 DG LSA sind die zur Aufklärung des Sachverhaltes erforderlichen Ermittlungen durchzuführen. Es sind die belastenden wie die entlastenden Umstände zu ermitteln, die für die Bemessung einer Disziplinarmaßnahme bedeutsam sind (§ 21 Abs. 1 Satz 3 DG LSA). Die Aufklärungspflicht aller tatsächlicher Umstände von disziplinarrechtlicher Bedeutung orientiert sich an den Bemessungsregeln und -maßstäben im Sinne des § 13 DG LSA (vgl. BVerwG zu § 13 BDG, Urteil v. 27.01.2011, 2 A 5.09; juris).

128

Das Vorgehen des Klägers genügt diesen Anforderungen. Dabei rügt die Beklagte bereits nicht substantiiert, welche konkreten Ermittlungen sie bei der Aufklärung des Sachverhaltes vermisst. Soweit sie meint, dass ihre persönliche Situation, ihre stetige vom Dienstherrn billigend in Kauf genommene berufliche Überlastung und ihre hohen Erledigungsleistungen nicht hinreichend berücksichtigt worden seien, ist dies keine Frage der Sachverhaltsaufklärung sondern der rechtlichen Bewertung und hier insbesondere einer möglichen Milderung. Die disziplinarbehördlichen Ermittlungen haben sich nicht nur darauf beschränkt, die Tathandlungen der Beklagten festzustellen, sondern ziehen aus den von der Beklagten vorgetragenen Entlastungsgründen andere rechtliche Konsequenzen. Insoweit ist der vorliegende Fall nicht mit dem Sachverhalt zu vergleichen, welcher der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 27.01.2011 zugrunde lag (2 A 5.09; juris).

129

b.) Dem Anhörungsrecht nach § 30 DG LSA ist hinreichend genüge getan worden. Danach ist „nach Beendigung der Ermittlungen“ dem Beamten „Gelegenheit zu geben, sich abschließend mündlich oder schriftlich zu äußern“; § 20 Abs. 2 DG LSA gilt entsprechend. Die Anhörung kann (nur) unterbleiben, wenn das Disziplinarverfahren eingestellt werden soll. Letzteres ist vorliegend nicht geschehen.

130

Eine Verletzung der in § 30 Abs. 1 DG LSA (gleichlautend mit § 30 Satz 1 BDG) geregelten Pflicht zur abschließenden Anhörung ist als ein wesentlicher Verfahrensmangel anzusehen. § 30 Satz 1 DG LSA sichert den Anspruch des Beamten auf rechtliches Gehör im Sinne eines Rechts auf Information, Äußerung und Berücksichtigung. Er ist zudem Ausprägung des Grundsatzes, dass der Beamte nicht zum bloßen Objekt des Disziplinarverfahrens gemacht werden darf. Dieses Verständnis des Anspruchs auf rechtliches Gehör indiziert, dass sich die Anhörung des Beamten auf das weitere Disziplinarverfahren auswirken und für dieses von Bedeutung sein kann. Entsprechend hat der Gesetzgeber die Pflicht zur abschließenden Anhörung als zwingende Verfahrensvorschrift ausgestaltet, die leerlaufen würde, wenn das Gericht die Verletzung dieser Pflicht als für das Ergebnis des gerichtlichen Disziplinarverfahrens nicht relevant einstufen würde (BVerwG, U. v. 08.12.2010, 2 WD 24.09; OVG Bremen, B. v. 07.02.2012, DB A 78/10; beide juris).

131

Den behördlichen Disziplinarvorgängen kann nicht entnommen werden, dass der Beamtin oder ihrem Prozessbevollmächtigten ein dementsprechendes abschließendes Anhörungsrecht nach Beendigung der Ermittlungen ausdrücklich eingeräumt wurde. Dies scheint aber den Besonderheiten des Ermittlungsverfahrens hinsichtlich der gesetzlichen Veränderungen und dem Umfang der behördlichen Ermittlungen und Verfahren, die auch zur vorläufigen Dienstenthebung geführt haben, geschuldet gewesen zu sein.

132

Vorliegend ist das Disziplinarverfahren noch unter der Geltung der Disziplinarordnung Sachsen-Anhalt (DO LSA) mit Verfügung vom 28.02.2005 eingeleitet worden. Mit Verfügung vom 23.06.2005 wurde der Beamtin das Ergebnis der Ermittlungen mitgeteilt. Mit Disziplinarverfügung vom 08.09.2005 wurde ein disziplinarrechtlicher Verweis gegen die Beamtin erteilt. Dieser Verweis beinhaltete die Vorwürfe zu 2. (verspätete Auskehr), 3. (Sonderaktenführung; Textbausteine); 4. (Versteigerung F.). Wegen weiterer sich herausstellender Verdachtsmomente wurde dieser Verweis unter dem 05.10.2005 wieder aufgehoben und die Vorermittlungen entsprechend der neuerlichen Feststellungen im Prüfungsbericht vom 30.09.2005 (Gebührenüberhebung wegen Verhaftungsgebühr; Entnahme von Fremdgeldern {später nicht verfolgt}, Wegegelder, Zustellkosten, Dokumentenpauschalen; Verschleppung des Verfahrens {Sparkasse}) wurden erweitert. Am 17.03.2006 und 31.03.2006 wurden die disziplinarrechtlichen Vorermittlungen erneut erweitert. Das wesentliche Ergebnis der Vorermittlungen ist den Berichten vom 02.06.2006 und 03.07.2006 zu entnehmen und wurde der Beamtin taggleich mitgeteilt. Unter dem 23.06.2006 wurden die Vorermittlungen gemäß § 26 Abs. 4 DO LSA abgebrochen. Es wurde festgestellt, dass das förmliche Disziplinarverfahren einzuleiten ist. Der Beamtin und ihrem Prozessbevollmächtigten wurde unter dem 07.07.2006 mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, gemäß § 34 DG LSA Disziplinarklage zu erheben und sie Gelegenheit zur Stellungnahme erhalte.

133

Zu Recht wurde das im Jahr 2005 eingeleitete Disziplinarverfahren unter dem Regime des Disziplinargesetzes LSA nach dem 01.07.2006 fortgeführt (§ 81 Satz 3 DG LSA). Denn die Übergangsregelung in § 81 Abs. 4 Satz 1 DG LSA ist nicht einschlägig. Zwar hat die Disziplinarbehörde wenige Tage vor dem Inkrafttreten des Disziplinargesetzes, nämlich am 23.06.2006 festgestellt, dass ein förmliches Disziplinarverfahren - wie es nach der Disziplinarordnung LSA hieß - eingeleitet werden muss (vgl. § 26 Abs. 4 DO LSA). Nach § 33 DO LSA wird das förmliche Disziplinarverfahren durch schriftliche Verfügung der Einleitungsbehörde eingeleitet. Die Verfügung wird dem Beamten zugestellt. Die Einleitung wird mit der Zustellung an den Beamten wirksam (§ 33 Satz 4 DO LSA). Letzteres, also die Zustellung an die Beamtin ist jedenfalls nicht vor dem 01.07.2006 geschehen. Demnach sind seit dem 01.07.2006 die Regelungen des DG LSA anwendbar.

134

Wurde damit das „wesentliche Ergebnis der Ermittlungen“, welches dazu führte, das man ein förmliches Disziplinarverfahren nach der DO LSA einleiten wollte, der Beamtin mitgeteilt, sind den Erfordernissen des abschließenden Anhörungsrechts nach § 30 DG LSA genüge getan worden. Denn die Ermittlungen waren abgeschlossen. In der Folgezeit nahm der Prozessbevollmächtigte Akteneinsicht (August 2006) und der Bezirkspersonalrat wurde angehört (August 2006). Sodann wurde unter dem 14.11.2006 eine erste Disziplinarklage dem MJ LSA zur Zustimmung nach § 35 Abs. 1 Satz 1 DG LSA vorgelegt worden. Diese Disziplinarklage wurde vom MJ LSA unter dem 13.02.2007 bemängelt und zur Überarbeitung zurückgegeben. Ebenso die zweite Disziplinarklage vom 20.04.2007. Nachdem das Disziplinarverfahren gem. § 22 DG LSA wegen des anhängigen Strafverfahrens ausgesetzt wurde, vermochte das MJ LSA auch nach Fortsetzung des Verfahrens unter dem 14.07.2010 den Entwurf der Disziplinarklage immer noch nicht zuzustimmen. Das MJ LSA bemängelte insbesondere, dass die strafrechtliche Historie und die letztendlich durch das OLG A-Stadt erfolgte Einstellung des Strafverfahrens in der Disziplinarklage nicht hinreichend zum Ausdruck kommen. Schließlich wurde die nunmehr vorliegende Disziplinarklage vom 20.04.2011 unter dem 19.04.2011 vom MJ LSA gebilligt.

135

Eine erneute, allein wegen dieser zeitlichen Komponente ausdrückliche Anhörung nach § 30 DG LSA musste nicht durchgeführt werden. Nach der Gesetzesbegründung zu § 30 DG LSA bedingt die Durchführung der Anhörung eine „Mitteilung des wesentlichen Ergebnisses der Ermittlungen“, was nach den allgemeinen Regeln des Verwaltungsverfahrensrechts selbstverständlich sei und deshalb im Gesetz nicht ausdrücklich erwähnt werde. Aufgrund des Gesamtzusammenhangs ist davon auszugehen, dass die in Kap. 2 Teil 3 (behördliches Disziplinarverfahren) genannten Handlungen, die die Durchführung des behördlichen Disziplinarverfahrens regeln, wie z. B. Beweiserhebung durchgeführt sein müssen. Demnach ist davon auszugehen, dass, wenn diese Handlungen durchgeführt sind, in der Regel die Erstellung des „wesentlichen Ergebnisses“ der Ermittlungen erfolgt und in einer in Kap. 3 genannten Abschlussentscheidung münden (Einstellung, Disziplinarverfügung, Disziplinarklage). Auch nach Zurückweisung der Disziplinarklage nach § 35 Abs. 1 DG LSA durch das MJ LSA fanden durch die Disziplinarbehörde keineneuen in Kap. 2 zur Durchführung des Disziplinarverfahrens genannten Maßnahmen statt, so dass der jeweiligen Überarbeitung der Disziplinarklage, § 30 DG LSA nicht im Wege steht. Daher ist entscheidend aber auch ausreichend, dass der Ermittlungsbericht des Ermittlungsführers der Beamtin oder ihrem Prozessbevollmächtigten zugegangen ist. Dies ist der Fall. Denn § 30 DG LSA setzt nicht etwa voraus, dass die fertige Disziplinarklage den Beamten vor Erhebung zur Kenntnis gegeben werden muss. Zudem waren die wesentlichen Disziplinarvorwürfe der Beamtin aufgrund der Verfahren bezüglich der vorläufigen Dienstenthebung bekannt. Denn diese waren auch Gegenstand des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Magdeburg - Disziplinarkammer - vom 24.01.2011 (8 B 12/10 MD).

136

c.) Dem disziplinarrechtlichen Schriftverkehr sind keine Beweisangebote oder Beweisanträge seitens der Beklagten zu entnehmen, so dass diesbezüglich auch keine Verletzung durch Nichtberücksichtigung vorliegen kann.

137

d.) Schließlich genügt die Disziplinarklage dem Bestimmtheitsgebot. Der diesbezügliche strafprozessuale Vorhalt, der zur prozessualen Aufhebung der Verurteilung durch das Oberlandesgericht A-Stadt führte, ist zur Überzeugung des Disziplinargerichts in der Disziplinarklage geheilt. Dabei muss aus der Klageschrift unmissverständlich hervorgehen, welche Sachverhalte angeschuldigt werden. Es ist erforderlich, aber auch ausreichend, wenn bei verständiger Lektüre aus der Klageschrift eindeutig hervorgehet, welche konkreten Handlungen den Beamten als Dienstvergehen zur Last gelegt werden (vgl. zum Ganzen: BVerwG, B. v. 20.12.2011, 2 B 59.11 m. w. Nachw.; juris). Die der Disziplinarklage beigefügte Tabelle zu dem Pflichtenverstoß Nr. 10 (Wegegelder) genügt der hinreichenden Konkretisierung. Denn es ist verständlich und nachvollziehbar, was damit gesagt und belegt werden soll. Zudem hat der Kläger nach Aufforderung durch das Disziplinargericht die Anlage III dahingehend weiter konkretisiert, dass er die dem Urteil des Landgerichts Dessau-Roßlau vom 29.10.2009 zugrunde gelegten Verfahren bezeichnet und im Übrigen dem Disziplinargericht vorgelegt hat.

138

II.) Die Disziplinarklage ist begründet. Die Beklagte hat ein schwerwiegendes innerdienstliches Dienstvergehen gemäß § 47 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG begangen, welches die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis nach sich zieht.

139

Beamte begehen ein Dienstvergehen, wenn sie schuldhaft die ihnen obliegenden Dienstpflichten verletzen (§ 47 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG). Die Disziplinarkammer ist davon überzeugt, dass die Beklagte die ihr unter Ziffern 2. b., 6, 7, 9 und 10 der Disziplinarklage zur Last gelegten Pflichtenverstöße begangen hat. Dadurch hat sie gegen ihre dienstlichen Pflichten zur uneigennützigen und gerechten Dienstausübung verstoßen und ist nicht der Achtung dem Vertrauen gerecht geworden die ihr Beruf erfordert (§§ 33, 34 BeamtStG). Dabei wiegt der Vorwurf unter Ziffer 10 (Wegegeldabrechnungen) schwer und dominierend. Die Pflichtverletzungen sind als sogenanntes einheitliches Dienstvergehen zu sehen und zu ahnden. Hinsichtlich der vorgehaltenen Pflichtenverstöße zu Ziffern 1, 2. a. und c., 3, 4, 5 und 8 der Disziplinarklage ist die Beamtin freizusprechen.

140

1.) Der unter 1. in der Disziplinarklage genannte Vorwurf der verspäteten Abgabe einer Stellungnahme zur Geschäftsprüfung im Prüfbericht vom 10.09.2004 trägt nicht. Zum einen kann bereits in der Akte nicht die in der Disziplinarklage genannte Aufforderung vom 28.09.2004 durch die Direktorin des Amtsgerichts K. aufgefunden werden und zum anderen hat die Beamtin unter dem 27.01.2005 (Beiakte F, Bl. 90) umfassend zu dem Prüfbericht Stellung genommen. Wenn überhaupt, dann handelt es sich um eine Verzögerung von ca. 4 Monaten. Dies kann nicht als disziplinarrechtlich relevanter Gehorsamsverstoß angesehen werden. Der Beamtin mag vorzuwerfen sein, dass sie nicht hinreichend mit der Dienstaufsicht kooperiert. Dies ist aber auch der Vielzahl der im Prüfbericht festgestellten Vorwürfe zurechenbar. Dementsprechend mag auch die Fristsetzung von einem Monat für die Stellungnahme zu den umfangreichen Vorwürfen als zu kurz bemessen anzusehen sein. Auch die in der Disziplinarverfügung genannten wiederholten und ausdrücklichen Aufforderungen durch die Direktorin des Amtsgerichts sind den Akten nicht zu entnehmen.

141

2.) Bezüglich des unter 2. in der Disziplinarklage erhobenen Pflichtenverstoßes ist zu unterscheiden. Bereits fraglich ist, was unter verspäteter Abführung an die Gläubiger zu verstehen ist. § 106 Nr. 1 GVGA lautet:

142

„Die empfangenen Leistungen liefert der Gerichtsvollzieher unverzüglich an den Gläubiger ab, sofern dieser nichts anderes bestimmt hat.“

143

„Unverzüglich“ bedeutet grundsätzlich „ohne schuldhaftes Zögern“. Dabei ist auf den Einzelfall abzustellen. In der Disziplinarklage werden 32 Fälle aus dem Jahre 2004 benannt. Dabei gehen die Differenztage von wenigstens 3 bis in einem Fall längstens 45 Tagen; weitere Fälle von 38, 35 und 31 Tagen. Die vom Kläger gebildete Durchschnittsüberschreitung von 17 Tagen kann bereits nicht Maßstab für die Fristenüberschreitung sein. Insoweit müsste jeder Einzelfall beleuchtet werden. Im Übrigen stammt dieser Vorwurf vom 10.09.2004 (Bl. 55 Beiakte F). Die Beamtin führt in ihrer diesbezüglichen Stellungnahme vom 27.01.2005 (Bl. 90 Rs Beiakte F) aus:

144

„Die verzögerten Überweisungsfristen liegen auch darin begründet, dass ich mit Diskette überweise und dadurch im Einzelnen Übertragungsfehler in den Daten der Überweisungen auftreten.

145

Dann führt meine Bank die Überweisungsliste nicht aus. Die gesamte Liste muss dann erneut erfasst werden, was Verzögerungen hervorruft.

146

Auch ist es schon passiert, dass die Überweisungsaufträge von meiner Bank verspätet ausgeführt wurden.

147

Dies ist auch eine Verzögerung, die ich nicht zu vertreten habe. Ich betone aber, dass dies keinesfalls die Regel ist und überall Menschen arbeiten, denen Fehler unterlaufen.

148

Ich werde künftig dafür Sorge tragen, Verzögerungen, die ich selbst zu vertreten habe, zu meiden.“

149

Demnach mögen hier in den unter Nr. 2. a) dargestellten Verfahren im Einzelfall Verspätungen feststellbar sein. Diese hält die Disziplinarkammer aber disziplinarrechtlich für nicht gravierend, weil es sich allenfalls um eine nachlässige Arbeitsweise handelt.

150

Schwerer wiegt der unter 2. b) erhobene Vorwurf hinsichtlich des am 19.03.2004 erzielten Versteigerungserlöses, welcher am 18.08.2004 noch nicht abgeführt war. Mithin liegt hier eine Überschreitung von fünf Monaten vor. Zu diesem Vorwurf verhält sich die Beklagte nicht.

151

Die unter Ziffer 2. c) dargestellten 11 Verfahren weisen unstreitig eine Überweisungsfrist zwischen 7 und 11 Tagen auf. Auch hier vermag die Disziplinarkammer nicht eindeutig zu entscheiden, ob ein Verstoß gegen die „Unverzüglichkeit“ vorliegt. Ein Vorwurf mag der Beamtin darin gemacht werden, dass sie trotz der Feststellungen in dem Prüfbericht aus dem Jahre 2004 weiterhin wenig Kontrolle ihrer Überweisungen an den Tag gelegt hat. Der Vorwurf der mangelnden Organisation wird aber nicht erhoben.

152

3.) Den unter 3. erhobenen Pflichtenverstoß vermag das Disziplinargericht nicht zu teilen. Der unter a) geführte Vorwurf pauschale und irreführende Textvordrucke benutzt zu haben, kann so nicht erhoben werden. Die Beamtin hat sich nur eines vorgefertigten Textbausteins bedient, um auf eine Vielzahl von gleichlautenden Sachstandsanfragen zu reagieren. Dagegen ist nichts einzuwenden. Dass diese Antworten in den aufgeführten fünf Verfahren unrichtig waren, weil die Vollstreckungsaufträge bereits erledigt waren, mag keinen Pflichtenverstoß begründen. Jedenfalls - und das ist entscheidend - ist nicht der mit der Disziplinarklage erhobene Vorwurf der Täuschung belegt.

153

4.) Der Vorwurf zu 4. ist zur Überzeugung des Gerichts nicht - hinreichend - erfüllt.

154

Nach § 1239 Abs. 1 Satz 1 BGB kann der Eigentümer bei der Versteigerung mitbieten. Satz 2 der Norm bestimmt, dass das Gebot des Eigentümers zurückgewiesen werden darf, wenn nicht der Betrag bar erlegt wird. Dementsprechend führt § 145 Nr. 2 b GVGA aus, dass der Schuldner bei der Versteigerung mitbieten kann; sein Gebot jedoch zurückzuweisen ist, wenn er nicht den Betrag sofort bar hinterlegt. Der Zuschlag darf nicht ohne vorherige Prüfung der Liquidität erfolgen.

155

Die Beklagte stellt den Vorgang in der Klageerwiderung vom 30.06.2011 so dar, dass sie nach dem Gebot die Versteigerung sofort unterbrochen habe und mit dem Schuldner und dem Zeugen H. in das Büro gegangen sei. Dort habe sich die Illiquidität des F. herausgestellt. Demgegenüber hat sie im diesbezüglichen Vermerk zur Versteigerung vom 19.03.2004 – also direkt nach der Versteigerung - ausgeführt, dass der F. den Zuschlag erhalten habe. Erst danach habe sie die Liquidität des F. überprüft. Dementsprechend könnte hier in der Tat eine falsche Sachbehandlung vorliegen. Denn Folge dieser Illiquidität des Schuldners war, dass die Versteigerung erneut durchgeführt werden musste und es dann nur zu einem Gebot von nur 20.000,00 Euro kam, wohingegen zuvor ein unter dem Gebot des F. in Höhe von 35.000,00 Euro liegendes - wohl zuschlagsfähiges - Gebot in Höhe von 33.000,00 Euro lag; demnach entstand eine Differenz von 13.000,00 Euro. Andererseits ist dem Gericht aus dem Eilverfahren zur vorläufigen Dienstenthebung (8 B 12/10 MD) bekannt, dass der am Versteigerungstermin teilgenommene Zeuge S. in einer Eidesstattlichen Versicherung angab, er habe ein Gespräch zwischen der Beklagten und dem Gerichtsvollzieher H. mitverfolgen können, dass geplant gewesen sei, den F. im Falle der Versteigerungsteilnahme sofort zu überprüfen. Dann heißt es aber in der E.V.; „Dazu ist es nicht gekommen, da der fragliche F. bei der Versteigerung bis zum Schluss nicht mitgeboten hat. Als Schlussbietender wurde er sofort in das Büro gebeten.“ Demnach ist es so, dass der F. als Schlussbieter nicht zuvor das Geld zeigen musste. Dies berücksichtigt die Disziplinarklage nicht hinlänglich genug.

156

5.) Der Gerichtsvollzieherin wird unter Ziffer 5 der Disziplinarklage vorgeworfen, dass sie entgegen der Gesetzeslage zur Abgabe der Eidesstattlichen Versicherung geladene Schuldner verhaftet hat, ohne ihnen zuvor Gelegenheit gegeben zu haben, die Eidesstattliche Versicherung freiwillig - ohne Verhaftung - abzugeben. Dabei steht in dem Vorwurf aber nicht die Verhaftung und damit Freiheitsberaubung im Vordergrund, sondern wohl die Erhebung zusätzlicher Kosten.

157

Ausgangslage ist also, dass der Schuldner verhaftet werden kann, wenn er die Eidesstattliche Versicherung ablehnt, um die Verhaftung als Druckmittel zu benutzen. Die Disziplinarklage führt aus, dass aus dem Protokoll zu dem Verfahren DR II 505/05 nicht ersichtlich sei, dass die Schuldnerin eben gerade vor der Verhaftung zur freiwilligen Abgabe der EV aufgefordert worden sei. Die Disziplinarklage geht aber weiter und interpretiert aus der fehlenden Aufnahme im Protokoll über die Befragung, dass davon auszugehen sei, dass die Schuldnerin noch im Verhandlungstermin mitwirkungsbereit gewesen sei und die Eidesstattliche Versicherung freiwillig habe abgeben wollen, da nicht dokumentiert sei, ob sie befragt worden sei, ob die Bereitschaft bestehe, die geforderte Eidesstattliche Versicherung freiwillig abzugeben. Diese Interpretation des Protokolls trägt den Disziplinarvorwurf nicht. Man mag der Gerichtsvollzieherin vorwerfen können, dass sie die Protokollierung nicht ordnungsgemäß vorgenommen habe. Dies ist aber gerade nicht Vorwurf der Disziplinarklage ist. Der Vorwurf ist vielmehr, dass unnötige Verhaftungen durchgeführt wurden, die zu unnötigen Kosten geführt haben; ein gänzlicher anderer Vorwurf.

158

Auch die weiteren in der Disziplinarklage genannten Verfahren betreffen die Nichtprotokollierung der freiwilligen Abgabe. Für sie gilt dasselbe.

159

6.) Der Beamtin wird unter 6. der Disziplinarklage vorgeworfen, in mindestens 57 Fällen aus den Jahren 2004, 2005 gegen ihre Pflicht zur unverzögerten Bearbeitung der Verfahren verstoßen zu haben. Dies sind alle samt Fälle, in denen der Schuldner nicht zur Abgabe der Eidesstattlichen Versicherung erschien, so dass die Akten zum Vollstreckungsgericht weitergereicht werden müssen. Dieses Verfahren ist in § 185 j GVGA geregelt. Entscheidend ist aber, dass dort keine Frist aufgeführt ist. Es heißt dort nur: „so legt der Gerichtvollzieher ... dem Vollstreckungsgericht ... vor“.

160

Auch der zitierte § 64 GVGA hilft nicht weiter. Denn die Disziplinarklage führt nur Satz 1 der Norm auf, wonach der Gerichtsvollzieher die Zwangsvollstreckung schnell und nachdrücklich durchführt. Dies kann nur als allgemeiner Grundsatz verstanden werden. Dass es davon Ausnahmen gibt, bestimmt schon Satz 2 der Norm und der letzte Satz der Norm, wonach nach Monatsfrist ein Aktenvermerk zu fertigen ist. Im Übrigen fällt bei den in der Disziplinarklage aufgeführten 57 Verfahren auf, dass die Beamtin nachweislich der Daten die Fälle gesammelt hat, um sie dann gebündelt beim Vollstreckungsgericht vorzulegen. So beinhalten alleine 50 Fälle das Eingangsdatum beim Vollstreckungsgericht vom 15.03.2005, wobei diese ganz überwiegend vom Termin am 16.11.2004 stammten.

161

So verbleibt ein nicht schwerwiegender Vorhalt der unverzögerten Bearbeitung der Verfahren festzustellen.

162

7.) Der unter Nr. 7. der Disziplinarklage vorgehaltene Vorwurf trifft zu. Die Beamtin hat in acht Fällen Zustellungen in Höhe von 5,60 Euro durch die Deutsche Post AG in Ansatz gebracht, obwohl die Zustellungen tatsächlich durch einen privaten Kurierdienst zum Preis von 4,47 Euro durchgeführt wurden. Unabhängig von der strafrechtlichen Bewertung liegt hier der disziplinarrechtlich relevante Pflichtenverstoß gegen die beamtenrechtliche Uneigennützigkeitspflicht vor.

163

8.) Der unter Nr. 8 der Disziplinarklage erhobene Vorwurf betrifft die Erhebung der sog. „Dokumentenpauschale“. Die Disziplinarklage führt aus, dass seit dem Jahre 2002 die Gerichtsvollzieherin in jedem Prüfungsprotokoll auf die falsche Sachbehandlung und Kostenberechnung hingewiesen worden sei. Dies bestreitet die Beamtin und trägt in der Klageerwiderung vor, dass sie erstmals in der Schlussbesprechung vom 10.09.2004 darauf hingewiesen worden wäre. In den Unterlagen sind die Prüfberichte 2002 nicht enthalten. Aufgrund der Ausführungen ist davon auszugehen, dass tatsächlich bezüglich dieser Erhebung gewisse Rechtsunsicherheiten und verschiedene Auslegungen bestanden. Dies führt die Gerichtsvollzieherin auch in ihrer Stellungnahme vom 27.01.2005 nachvollziehbar aus. Letztendlich - und dies ist auch zu bewerten - hat die Beamtin die überhöhten Kostenansätze in Höhe von insgesamt 432,00 Euro nach Aufforderung an die Landeskasse abgeführt.

164

9.) Im Zusammenhang mit dem Tatbestand des Urteils des Oberlandesgerichts A-Stadt vom 28.05.2008 erschließt sich der Vorhalt zu Ziffer 9 der Disziplinarklage. Zunächst wird der Beamtin in der Disziplinarklage vorgeworfen, in dem Verfahren DR II 617/04 (Kreissparkasse) nicht ordnungsgemäß protokolliert zu haben. Es wird angeführt, dass in der Akte ein unausgefüllter Protokollvordruck vom 24.03.2004 enthalten sei. Es sei nicht ersichtlich, welche Pfandstücke gepfändet worden seien. Im Juni 2004 sei dann gegen die Schuldnerin das Insolvenzverfahren mit Untersagung der Zwangsvollstreckung eröffnet worden. Auch nach Freigabe des Pfandgutes durch den Insolvenzverwalter im Februar 2005 sei erst durch den Dezernatsnachfolger der Beklagten im September 2005 ein Versteigerungstermin bestimmt worden. Wegen der Lagerung der gepfändeten Gegenstände seien hohe Lagerkosten entstanden, welche durch eine zeitnahe Versteigerung hätten verringert werden können. So fehle es an der Schätzung des Verkehrswertes des Pfandgutes und damit an einem Verhältnis zu den Lagerkosten. Die Lagerkosten betrugen wohl 7.531,30 Euro. Der spätere Verwertungserlös nur 600,00 Euro. Es kam zum Amtshaftungsanspruch, weshalb die Beamtin letztendlich vom Oberlandesgericht A-Stadt verurteilt wurde, an das Land Sachsen-Anhalt 1.373,69 Euro zu zahlen; hinsichtlich eines Betrages von 7.531,30 Euro an den Spediteur wurde die Amtshaftungsklage abgewiesen. In dem Urteil vom OLG A-Stadt (6 U 163/07) ist ausgeführt, dass die Gerichtsvollzieherin durch die nicht zeitnahe Anberaumung eines Versteigerungstermins ihre Amtspflichten verletzt, die Einlagerungskosten unnötig erhöht hat und ihr grobe Fahrlässigkeit zur Last fällt.

165

Die Disziplinarkammer schließt sich aus den Gründen des Amtshaftungsurteils dem Disziplinarvorwurf an. Soweit die Beamtin der Einschätzung des Oberlandesgerichts A-Stadt zur groben Fahrlässigkeit widerspricht ist anzunehmen, dass mindestens Fahrlässigkeit vorliegt.

166

10.) Der Schwerpunkt der Disziplinarklage liegt auf dem schwerwiegenden Pflichtenverstoß zu Nr. 10. Hier werden der Beamtin falsch abgerechnete Wegegelder in Höhe von 7.146,59 Euro im Zeitraum Oktober 2001 bis Juli 2005 vorgehalten. Zur Überzeugung des Disziplinargerichts trifft dieser Vorwurf zu. Die Beamtin tritt dem auch nicht substantiiert entgegen.

167

Das Wegegeld wird nach § 37 Abs. 3 GvKostG (a. F.; bis 30.04.2001) und gemäß KV 711 GvKostG (n. F. ab dem 01.05.2001) nach Entfernungen berechnet. Gemäß § 19 Abs. 1 Satz 1 GvKostRNeuOG v. 19.04.2001 waren dann, wenn der Auftrag vor dem 01.05.2001 erteilt worden war, die Kosten nach § 37 Abs. 3 GKG a. F. zu erheben. Nr. 711 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtsvollzieherkostengesetz sieht ein

168

Wegegeld je Auftrag für zurückgelegte Wegstrecken

169

- bis zu 10 km von 2, 50 EUR

170

- von mehr als 10 km bis 20 km von 5,00 EUR

171

- von mehr als 20 km bis 30 km von 7,50 EUR

172

- von mehr als 30 km von 10,00 EUR

173

vor. Das Wegegeld wird erhoben, wenn der Gerichtsvollzieher zur Durchführung des Auftrags Wegstrecken innerhalb des Bezirks des Amtsgerichts, dem der Gerichtsvollzieher zugewiesen ist, oder innerhalb des dem Gerichtsvollzieher zugewiesenen Bezirks eines anderen Amtsgerichts zurückgelegt hat (Nr. 711 Abs. 1). Maßgebend ist die Entfernung vom Amtsgericht zum Ort der Amtshandlung, wenn nicht die Entfernung vom Geschäftszimmer des Gerichtsvollziehers geringer ist. Werden mehrere Wege zurückgelegt, ist der Weg mit der weitesten Entfernung maßgebend (Nr. 711 Abs. 2). Entscheidend ist, dass die Entfernung nach der Luftlinie zu messen ist (Nr. 711 Abs. 2 Satz 3).

174

a.) Gegen diese pauschalierte Wegegeldberechnung anhand der Luftlinie hat die Beklagte in den ihr vorgehaltenen Fällen verstoßen und damit nicht unerhebliche Beträge vereinnahmt, die ihr nicht zustanden. Exemplarisch sei dies an den Verfahren DR II 20/05 (Nr. 1 der Anlage III, S. 1 zu 2005 der Disziplinarklage) hinsichtlich des Ortes Z., DR II 51/05 (Nr. 3 der Anlage III, S. 1 zu 2005 der Disziplinarklage), hinsichtlich des Ortes T., DR II-79/05 (Nr. 6 der Anlage III; S. 1 für 2005 der Disziplinarklage) und hinsichtlich des Ortes K. gezeigt. Alle diese - wie auch die Übrigen in der Anlage III der Disziplinarklage genannten - Orte liegen zweifellos in unmittelbarer Nähe zu dem Dienstsitz der Beamtin bzw. Amtsgericht, wobei beide Örtlichkeiten identisch sind, in K., nämlich T. 4 km Luftlinie, Z. 5 km Luftlinie und K. 7 km Luftlinie entfernt. Auch bei Unterstellung, dass es in den Jahren 2001 bis 2005 noch keine geeigneten Entfernungsberechnungsprogramme im Internet gegeben haben sollte, lässt und ließ sich auch damals diese örtliche Nähe unzweifelhaft unter Verwendung einer Karte ersehen, berechnen und sogar abschätzen. Dies auch deswegen, weil der Beklagten Ortskenntnisse hinsichtlich der in ihrem Bezirk liegenden Ortschaften unterstellt werden darf. So liegt z. B. die Ortschaft G. unmittelbar an der Stadtgrenze von K., so dass eine Einschätzung von über 10 Kilometer, wie exemplarisch in den Fällen DR II 319/05 (Nr. 42 der Anlage III, S. 2 zu 2005 der Disziplinarklage) oder 323/05 (Nr. 44 der Anlage III, s. 2 zu 2005 der Disziplinarklage) geschehen, als ausgeschlossen erscheint. Wegen dieser objektiven Offensichtlichkeit der räumlichen Nähe dieser bis zu 10 Kilometer von K. entfernten und damit mit einem Wegegeld von 2,50 Euro abzurechnenden Ortschaften, handelte die Beklagte bei einer Abrechnung dieser Wegstrecken in Höhe von 5,00 Euro, weil eine Entfernung von mehr als 10 Kilometer bis 20 Kilometer vorliege, vorsätzlich und schuldhaft.

175

Ein Versehen, ein Irrtum, ein Vertun, eine Unachtsamkeit oder eine Fahrlässigkeit in Bezug auf die Entfernungsfestlegung erachtet die Disziplinarkammer unter diese objektiven Gegebenheiten als ausgeschlossen. Gegen diesen Einordnungsirrtum spricht auch, dass die Beklagte gleiche Orte überwiegend falsch, manchmal aber auch zutreffend abrechnete. Auch bei Unterstellung einer einmaligen, erstmaligen Fehleinschätzung der Entfernung hätte der Beklagten aufgrund der beschriebenen Offensichtlichkeit der Entfernungen dieser Irrtum bei der Vielzahl der vorgehaltenen und dann immer wieder kehrenden Kilometerangabe bewusst werden müssen. Daher würde die Beklagte auch die Verwendung einer von ihr - fehlerhaft - angefertigten Wegegeldtabelle nicht entlasten. Vielmehr wollte die Beklagte mit der Falschberechnung höhere Wegegelder abrechnen, welche aufgrund der Vielzahl der Fälle und über die Jahre gerechnet die als nicht unerheblich anzusehenden überhöhten Wegegelder ergaben. Hinter der Abrechnung stand System und war nicht nur auf wenige Einzelfälle und einem kurzen Zeitraum beschränkt.

176

b.) Dagegen sieht die Disziplinarkammer die der Beklagten vorgehaltene Abrechnung „nicht entstandener Wegegelder“ als nicht bewiesen an. Denn soweit die Beklagte ausführt, es habe jeweils Fahrten zu den Schuldnern gegeben, ist ihr dies allein wegen ihrer mangelnden Nachweisführung nicht mit der notwendigen Gewissheit zu widerlegen. So mag es sein, dass sie die Schuldner in den jeweiligen Ortschaften aufgesucht hat, so dass das Wegegeld entstanden ist, die Zahlung aber unter ihrem Dienstsitz in K. quittiert hat.

177

III.) Die Beklagte hat die in einem inneren zeitlichen und sachlichen Zusammenhang stehenden Pflichtverletzungen im Sinne eines einheitlich zu bewertenden innerdienstlichen Dienstvergehens (vgl. zur Einheit des Dienstvergehens nur: VG Magdeburg, Urteil v. 04.11.2009, 8 A 19/08 m. w. Nachw.; juris) vorsätzlich und schuldhaft begangen.

178

1.) Hinsichtlich der auszusprechenden Disziplinarmaßnahme ist die Schwere des Dienstvergehens unter angemessener Berücksichtigung der Persönlichkeit des Beamten richtungsweisend (vgl. § 13 DG LSA). Die Schwere beurteilt sich nach objektiven Handlungsmerkmalen wie Eigenart und Bedeutung der Dienstpflichtverletzungen, den besonderen Umständen der Tatbegehung sowie Häufigkeit und Dauer eines wiederholten Fehlverhaltens, nach subjektiven Handlungsmerkmalen wie Form und Gewicht des Verschuldens des Beamten, den Beweggründen für sein Verhalten sowie nach den unmittelbaren Folgen für den dienstlichen Bereich und für Dritte. Davon ausgehend kommt es darauf an, ob Erkenntnisse zum Persönlichkeitsbild und zum Umfang der Vertrauensbeeinträchtigung im Einzelfall derart ins Gewicht fallen, dass eine andere als die durch die Schwere des Dienstvergehens indizierte Maßnahme geboten ist. Eine vollständige und richtige Gesamtwürdigung setzt voraus, dass die Disziplinarkammer die im Einzelfall bemessungsrelevanten, d. h. die für die Schwere des Dienstvergehens und das Persönlichkeitsbild bedeutsamen Tatsachen ermittelt und mit dem ihnen zukommenden Gewicht in die Gesamtbewertung einbezieht. Dies entspricht dem Zweck der Disziplinarbefugnis des Disziplinargerichts als einem Mittel der Funktionssicherheit des öffentlichen Dienstes. Dabei findet der Grundsatz „in dubio pro reo“ Anwendung. Die Disziplinargerichte dürfen nur solche belastenden Tatsachen in die Gesamtwürdigung einstellen, die zur Überzeugung des Gerichts feststehen. Demgegenüber müssen entlastende (mildernde) Umstände schon dann zu Gunsten des Beamten berücksichtigt werden, wenn hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für ihr Vorliegen gegeben sind und eine weitere Sachverhaltsaufklärung nicht möglich ist (vgl. nur: VG Magdeburg, Urteil v. 29.11.2012, 8 A 12/11 und Urteil v. 27.10.2011, 8 A 2/11 mit Verweis auf BVerwG, U. v. 27.01.2011, 2 A 5.09; jüngst BVerwG, Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11/10, OVG Lüneburg, Urteil v. 14.11.2012, 19 LD 4/11; alle juris).

179

Für das danach zu findende Disziplinarmaß können die vom Disziplinarsenat des Bundesverwaltungsgerichts für bestimmte Fallgruppen herausgearbeiteten Regeleinstufungen von Bedeutung sein. Davon ausgehend kommt es für die Bestimmung der Disziplinarmaßnahme darauf an, ob Erkenntnisse zum Persönlichkeitsbild und zum Umfang der Vertrauensbeeinträchtigung im Einzelfall derart ins Gewicht fallen, dass eine andere als die durch die Schwere des Dienstvergehens indizierte Disziplinarmaßnahme geboten ist (BVerwG, Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11/10 mit Verweis auf Urteile v. 20.10.2005, 2 C 12.04 und v. 03.05.2007, 2 C 9.06, alle juris).

180

Ein endgültiger Verlust des Vertrauens des Dienstherrn oder der Allgemeinheit im Sinne von § 13 Abs. 2 Satz 1 DG LSA ist anzunehmen, wenn aufgrund der prognostischen Gesamtwürdigung auf der Grundlage aller im Einzelfall bedeutsamen be- und entlastenden Gesichtspunkte der Schluss gezogen werden muss, der Beamte werde auch künftig in erheblicher Weise gegen seine Dienstpflichten verstoßen oder die durch sein Fehlverhalten herbeigeführte Schädigung des Ansehens des Berufsbeamtentums sei bei einer Fortsetzung des Beamtenverhältnisses nicht wiedergutzumachen. Unter diesen Voraussetzungen muss das Beamtenverhältnis im Interesse der Leistungsfähigkeit des öffentlichen Dienstes und der Integrität des Berufsbeamtentums beendet werden (BVerwG, Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11.10 mit Verweis auf Urteile v. 20.10.2005, 2 C 12.04, v. 03.05.2007, 2 C 9.06 und v. 29.05.2008, 2 C 59.07; alle juris).

181

2.) Setzt sich das (einheitliche) Dienstvergehen aus mehreren Dienstpflichtverletzungen zusammen, bestimmt sich die zu verhängende Disziplinarmaßnahme in erster Linie nach der schwersten Verfehlung (BVerwG, Urteil v. 23.02.2005, 1 D 1.04; juris). Dies ist vorliegend zweifellos die Falschabrechnung der Wegegelder, mithin eine Gebührenüberhebung. Damit hat die Beklagte jedenfalls gegen ihre beamtenrechtliche Pflicht zur Uneigennützigkeit nach § 34 Satz 2 in Verbindung mit der sogenannten Wohlverhaltenspflicht nach § 34 Satz 3 BeamtStG verstoßen.

182

3.) Verstöße gegen die Uneigennützigkeit werden in der Rechtsprechung der Disziplinargerichte seit jeher als sehr schwerwiegend eingestuft. Denn die uneigennützige, nicht auf den privaten Vorteil bedachte Führung der Dienstgeschäfte stellt eine wesentliche Grundlage des Berufsbeamtentums dar. Im Hinblick darauf ist die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis jedenfalls dann Richtschnur für die Bestimmung der angemessenen Disziplinarmaßnahme, wenn erhebliche Geldzahlungen geflossen sind (vgl. zusammenfassend: BVerwG, Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11.10; juris). Zudem ist disziplinarrechtlich entscheidend, ob der Verstoß gegen die Uneigennützigkeit aufgrund einer besonderen Vertrauensstellung des Beamten beruht, das heißt, ob etwa ein Zugriff auf dienstlich anvertraute Gelder oder ein nicht unter Ausnutzung der dienstlichen Vertrauensstellung verübtes (Betrugs-)Delikt vorliegt (BVerwG, Beschluss v. 20.12.2011, 2 B 64.11, juris).

183

Dabei hängt die disziplinarrechtliche Einstufung als Zugriffsdelikt nicht von der strafrechtlichen Beurteilung ab. Es kommt nicht darauf an, ob ein Beamter dienstliche Gelder oder Güter z. B. durch Betrug, Diebstahl, Untreue oder Unterschlagung erlangt hat. Ein Zugriffsdelikt liegt vielmehr dann vor, wenn der Beamte dienstlich anvertraute Gelder und Güter veruntreut hat, wozu auch die Gebührenüberhebung, die Fundunterschlagung und der sogenannte Kollegendiebstahl zählen. Für die Bewertung als Zugriffsdelikt ist entscheidend, dass einem Beamten Gelder oder gleichgestellte Werte dienstlich anvertraut oder dienstlich zugänglich sind (BVerwG: stRspr; vgl. Urteil v. 8. 04.2003, 1 D 27.02; juris). Ein Beamter, der sich bei der Ausübung seiner dienstlichen Tätigkeit an Vermögenswerten vergreift, die seinem Gewahrsam unterliegen, zerstört damit in aller Regel das für die Fortdauer des Beamtenverhältnisses notwendige Vertrauen in seine Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit, wenn die Beträge insgesamt die Schwelle der Geringwertigkeit deutlich überschreiten. Denn die Verwaltung ist auf die Redlichkeit und Zuverlässigkeit ihrer Bediensteten beim Umgang mit solchen Geldern und Gütern in hohem Maße angewiesen. Eine ständige und lückenlose Kontrolle eines jeden Mitarbeiters ist unmöglich und muss deshalb weitgehend durch Vertrauen ersetzt werden. Wer diese für das Funktionieren des öffentlichen Dienstes unabdingbare Vertrauensgrundlage zerstört, muss grundsätzlich mit der Auflösung des Beamtenverhältnisses rechnen (BVerwG, Urteile v. 20.10.2005, 2 C 12.04, v. 03.05.2007, 2 C 9.06, v. 25.10.2007, 2 C 43.07, v. 29.05.2008, 2 C 59.07; alle juris).

184

Diese Grundsätze gelten erst recht für einen als Gerichtsvollzieher beschäftigten Beamten. So stellt z. B. die Eigenverwendung dienstlich anvertrauter Gelder gerade bei einem Gerichtsvollzieher ein schwerwiegendes Dienstvergehen dar, welches regelmäßig zur Dienstentfernung führt (vgl.: BVerwG, Urteil v. 20.10.2005, 2 C 12.04; VG Karlsruhe, Urteil v. 01.04.2010, DL 13 K 1892/09; juris). Denn diesem ist als hoheitlich handelndes Organ der Zwangsvollstreckung eine besonders verantwortungsvolle Aufgabe übertragen, die er in weitem Umfang eigenverantwortlich und selbständig ausübt, mit der Folge, dass dem Dienstherrn nur eine vergleichsweise eingeschränkte Kontrolle seiner Tätigkeit möglich ist. Dem Gerichtsvollzieher obliegt es nach §§ 753 Abs. 1, 754 ZPO, im Auftrag, d.h. auf Antrag der Gläubiger, die Zwangsvollstreckung durchzuführen, soweit diese nicht den Gerichten zugewiesen ist. Entsprechend der Art der ihm übertragenen Aufgaben, die im Interesse einer zweckmäßigen und effektiven Erledigung der Vollstreckungsaufträge eine gewisse Flexibilität erfordern, ermöglichen die Vorschriften der Gerichtsvollzieherordnung - GVO - und der Geschäftsanweisung für Gerichtsvollzieher - GVGA - dem Gerichtsvollzieher, seine Tätigkeit weitgehend eigenverantwortlich und selbständig auszuüben (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.04.1982, a. a. O.; Bay. VGH, Beschl. v. 15.01.2009, 3 ZB 08.818; OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 15.06.2009 - 4 B 52.08 -, juris). Der Gerichtsvollzieher regelt seinen Geschäftsbetrieb nach eigenem pflichtgemäßen Ermessen, soweit hierüber keine besonderen Bestimmungen bestehen (§ 45 Nr. 1 GVO), muss grundsätzlich an seinem Amtssitz ein Geschäftszimmer auf eigene Kosten halten (§ 46 Nr. 1 Satz 1 GVO), ist verpflichtet, Büro- und Schreibhilfen auf eigene Kosten zu beschäftigen, soweit es der Geschäftsbetrieb erfordert (§ 49 GVO), kann grundsätzlich Zeitpunkt und Reihenfolge der Erledigung der Vollstreckungsaufträge bestimmen (§ 6 GVGA) und führt den Schriftverkehr unter eigenem Namen mit Amtsbezeichnung (§ 53 Nr. 1 GVO). Er handelt bei der ihm zugewiesenen Zwangsvollstreckung selbständig (§ 58 Nr. 1 Satz 1 GVGA), wobei er zwar der Aufsicht, aber nicht der unmittelbaren Leitung des Gerichts unterliegt (§ 58 Nr. 1 Satz 2 GVGA). Es ist die zentrale Aufgabe des Gerichtsvollziehers, im Auftrag der Gläubiger die Zwangsvollstreckung in das bewegliche Vermögen der Schuldner vorzunehmen (vgl. § 808 Abs. 1 ZPO). Gepfändetes Geld hat er nach § 815 Abs. 1 ZPO an die Gläubiger abzuliefern. Der Gerichtsvollzieher hat bezüglich des Vollstreckungsauftrags gegenüber den Gläubigern die ihm kraft Gesetzes obliegende Pflicht, deren Vermögensinteressen wahrzunehmen (sog. Vermögensbetreuungspflicht; vgl. Lenckner/Perron in Schönke/Schröder, StGB, 26. Auflage, § 266, Rn. 25; BGH, Urt. v. 20.10.1959 - 1 StR 446/59 -, NJW 1960, 52; OLG Celle, Beschluss v. 03.04.1990, 1 Ss 48/90; juris). Wenn ein Gerichtsvollzieher gegen diese Kernpflichten verstößt, zerstört er in der Regel die für die geordnete Vollstreckung unabdingbare Vertrauensgrundlage, weshalb er im Regelfall nicht mehr Beamter bleiben kann (VG Karlsruhe, a. a. O.).

185

4.) Die Disziplinarkammer sieht vorliegend keine Besonderheiten und Entlastungsgründe des Einzelfalls, die es rechtfertigen, die von der Schwere des Dienstvergehens ausgehende Indizwirkung abzumildern. Dies ist dann der Fall, wenn zu Gunsten des Beamten gewichtige Entlastungsgründe (Milderungsgründe) zu berücksichtigen sind, die den Schluss rechtfertigen, dass das dem Beamten vom Dienstherrn und der Allgemeinheit entgegengebrachte Vertrauen noch nicht endgültig verloren ist. Solche Gründe stellen zum einen die von der Rechtsprechung bezüglich der sog. Zugriffsdelikte entwickelten und anerkannten Milderungsgründe dar, die besondere menschliche Konfliktsituationen beschreiben. Hierzu zählen etwa das Handeln in einer existenziellen wirtschaftlichen Notlage oder einer körperlichen oder psychischen Ausnahmesituation oder besonderen Versuchssituationen oder eine persönlichkeitsfremde Einzelverfehlung des Beamten wie auch „Entgleisungen“ während einer negativen, inzwischen überwundenen, durch Alkohol, Drogen oder Schicksalsschlägen bedingte Lebensphase. Der Milderungsgrund der Geringwertigkeit eines verursachten Schadens oder des geldlichen Vorteils der Handlung wird bei etwa 50,00 Euro gezogen. Auch besondere die Dienstpflichtverletzung begünstigende Handlungen und mangelnde Kontrollen des Dienstherrn können im Einzelfall wie ein besonderes Nachtatverhalten die Schwere der Verfehlung mildern. Zeitlich überlange Disziplinarverfahren können wegen des disziplinarrechtlichen Beschleunigungsgebotes und der mit dem Disziplinarverfahren verbundenen persönlichen Belastungen jedenfalls bei Maßnahmen der Pflichtenmahnung berücksichtigt werden. Entlastungsgründe können sich aber zum anderen auch aus allen Besonderheiten ergeben, die es im Einzelfall wegen der persönlichkeitsbedingten an § 13 DG LSA zu orientierenden Prognoseentscheidung gebieten, von der disziplinarrechtlichen Höchstmaßnahmen Abstand zu nehmen. Die entlastenden Gründe sind nicht (mehr) allein auf den in der Rechtsprechung entwickelten Kanon der anerkannten Milderungsgründe beschränkt (BVerwG, Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11.10, m. w. Nachw.; juris). Diese Besonderheiten müssen aber in ihrer Gesamtheit geeignet sein, die Schwere des Pflichtenverstoßes erheblich herabzusetzen. Generell gilt, dass das Gewicht der Entlastungsgründe umso größer sein muss, je schwerer das Delikt aufgrund der Schadenshöhe sowie der Tatumstände, wie Anzahl, Häufigkeit, Zeitraum, Verschiedenartigkeit und Tatausführung wiegt (im Ganzen ausführlich: VG Magdeburg, Urt. v. 29.11.2012, 8 A 12/11, v. 31.03.2011, 8 A 2/10 MD und v. 27.10.2011, 8 A 2/11, mit Verweis auf BVerwG, Urt. v. 24.05.2007, 2 C 28.06, Urt. v. 06.06.2007, 1 D 2.06, Urt. v. 29.05.2008, 2 C 59.07; Bayr. VGH, Urt. v. 27.10.2010, 16 aD 09.2470; OVG Lüneburg, Urt. v. 08.02.2011, 6 LD 4/08; alle juris).

186

a.) Grundsätzlich erscheint im Einzelfall auch eine dienstliche Überlastung als Milderungsgrund geeignet. Dies übersieht das Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt in dem Beschluss zur vorläufigen Dienstenthebung vom 19.07.2007 (10 M 1/07), wonach die zahlreichen Verstöße gegen die einer Gerichtsvollzieherin obliegenden Dienstpflichten bereits für sich genommen ein Versagen im Kernbereich begründen, ohne dass dieses allein mit dem Hinweis auf die dienstliche Belastung zu rechtfertigen sei. Auch wenn ein Beamter die Vielzahl seiner Dienstgeschäfte fehlerhaft ausführt und es sich hier um schwerwiegende Dienstverletzung handelt, so sind Arbeitsüberlastung, außerdienstliche Probleme, die Tatsache, dass die Fehler kaum in die Öffentlichkeit gedrungen sind und die bisherige einwandfreie Dienstführung, die erwarten lässt, dass die Beamtin künftig fehlerfrei arbeitet, mildernd zu berücksichtigen (OVG NRW, U. v. 24.06.1983, 2 V 14/81; dort nur Gehaltskürzung; juris). Nicht jeder einzelne Fehler bei der Dienstausübung ist gleichzusetzen mit einer schuldhaften Verletzung dienstlicher Pflichten. Denn die Pflicht zur ordnungsgemäßen Dienstausübung hat eine im Ganzen durchschnittliche Leistung zum Gegenstand. Dies schließt gewisse Mängel der Arbeitsweise ein, wie sie selbst bei sehr fähigen und ausgesprochen zuverlässigen Beamten vorkommen können (vgl.: VG Magdeburg, U. v. 08.06.2011, 8 A 16/10 MD mit Verweis auf VG Düsseldorf, U. v. 04.03.2009, 31 K 5472/08.O; juris).

187

Festzustellen ist aber zum einen, dass vorliegend die Unzulänglichkeiten zu den Tatbeständen der Unverzüglichkeit wiederholt von dem Prüfbeamten gerügt wurden und die Beklagte diese zum Teil nicht mit der gebotenen Sorgfalt und Hingabe beachtet hat. Denn ihre Dienstausübung wies Mängel in der strukturellen Arbeitsorganisation auf, die nicht Folgenlos blieben. Zum anderen sind Anhaltspunkte für eine dienstliche Überlastung und Überforderung der Beamtin nicht von der Hand zu weisen, was auch das Landgericht Dessau-Roßlau in seinem Urteil vom 29.10.2009 feststellte. Die Direktorin des Amtsgericht K. führte in ihrem - später aufgehobenen - disziplinarrechtlichen Verweis vom 08.09.2005 aus, das „im Zeitraum der festgestellten Pflichtverletzungen unbestritten {eine} übermäßige Arbeitsbelastung“ vorlag und „auch bei hoher Arbeitsbelastung“ erwartet werde, die Dienstpflichten einzuhalten.

188

Mag daher eine dienstliche Überlastung als „Entschuldigung“ für die aufgrund einer mangelnden Arbeitsweise und damit organisationsbedingten Pflichtenverstöße herangezogen werden können, gilt dies aber nicht für die Gebührenüberhebung (Wegegelder). Denn die von der Beklagten vorgenommene Gebührenüberhebung beruhte auf einem vorsätzlichen Handeln zur Erschließung einer zusätzlichen Einnahmequelle. Ansonsten hätte es auch Fälle geben müssen, in denen sich die Beklagte zu Gunsten der Schuldner verrechnet bzw. zu geringe Wegegelder angesetzt hätte.

189

b.) Aus dem gleichen Grund kann sich die Beklagte zu ihrer Entlastung auch nicht darauf berufen, der Dienstherr habe sie unzureichend kontrolliert oder sie im guten Glauben ihrer fehlerhaften Abrechnung gelassen.

190

Das Bundesverwaltungsgericht hat erneut in dem Urteil vom 15.03.2012 (2 WD 9.11; juris) ausgeführt, dass sich eine unzureichend ausgeübte Dienstaufsicht mildernd auswirken kann. Nach der Rechtsprechung setzt der Milderungsgrund der mangelnden Dienstaufsicht jedoch eine Überforderungssituation voraus, in der ein hilfreiches Eingreifen der Dienstaufsicht erforderlich ist; also eine dienstaufsichtliche Begleitung. Hier muss man zwischen „Überlastung“ und „Überforderung“ unterscheiden. Mit einer „Überlastung“ aufgrund hoher Arbeitsbelastung kann nicht die Begehung von Straftaten begründet werden. „Überforderung“ heißt, dass der Beamte z. B. hinsichtlich der Auslegung einer strittigen Rechtsfrage im Dienst allein gelassen wird und ihm später sein - falsches - Handeln zum Vorwurf gemacht wird. So versucht sich die Beamtin damit zu rechtfertigen, dass die Berechnung der Wegegelder nach der Änderung schwierig und kompliziert gewesen sei und sie eine von ihr erstellte Tabelle der Dienstaufsicht überlassen habe und zudem aufgrund des gegen sie geführten Disziplinarverfahrens, später die Kollegen mit Wegegeldtabellen versorgt worden seien. Dies vermag die Beamtin nicht zu entlasten. Denn wie - wiederholt - ausgeführt wurde handelt es sich bei der Einordnung der Entfernung nach der Luftlinie um keine schwierige Angelegenheit, welche die Gerichtsvollzieher überforderte und daher einer „Anweisung“ bzw. „Begleitung“ durch die Dienstaufsicht nicht bedurfte. Zudem haben andere Gerichtsvollzieher korrekt abgerechnet. Die Beklagte hat die fehlende Kontrolle vielmehr ausgenutzt und über lange Jahre falsch abgerechnet. Auch ein „verleiten“ zur Tat im Sinne einer Mittäterschaft durch die Dienstaufsicht ist aufgrund der fehlenden Kontrollen nicht gegeben. Dies ist eher bei einem „klassischen“ Zugriffsdelikt möglich, wenn etwa eine „offene Kasse“ zum Diebstahl verleitet. Es macht einen Unterschied, ob die Gerichtsvollzieherin vorsätzlich falsche Entfernungspauschalen ansetzt oder ob der die Gerichtsvollzieherin prüfende Beamte dies - neben anderen zu prüfenden Angaben - nicht erkennt. Wegen der fehlenden Entdeckung der Falschangaben durch die Dienstaufsicht kann auch nicht von „geduldeten Verhältnissen“ (vgl. dazu: BVerwG, Urteil v. 25.10.1977, I D 76.76; juris) ausgegangen werden.

191

c.) Auch die zugegeben lange Dauer des Disziplinarverfahrens noch das lange Zurückliegen des Dienstvergehens rechtfertigen es, von der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis abzusehen, wenn diese Maßnahme geboten ist. Dies steht auch der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte oder den Vorschriften des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vom 24.11.2011 nicht entgegen (ständige Rechtsprechung BVerwG: vgl. nur zuletzt: Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11/10; bestätigt durch BVerfG, Beschluss v. 28.01.2013, 2 BvR 1912/12; beide juris). Zwar kann eine pflichtenmahnende Disziplinarmaßnahme in diesen Fällen unvereinbar mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit werden. Bei Fortbestand des Beamtenverhältnisses kann das durch ein Dienstvergehen ausgelöste Sanktionsbedürfnis gemindert werden oder sogar entfallen, weil die mit dem Disziplinarverfahren verbundenen wirtschaftlichen und dienstlichen Nachteile positiv auf den Beamten eingewirkt haben, so dass sie eine günstigere Persönlichkeitsprognose ermöglichen. Demgegenüber geht es bei der Dienstentfernung darum, das Beamtenverhältnis in Fällen besonders schwerwiegender Dienstvergehen zu beenden, weil der Beamte im öffentlichen Dienst untragbar geworden ist. An dem endgültigen Vertrauensverlust, den er durch sein Fehlverhalten herbeigeführt hat, vermögen eine lange Verfahrensdauer oder ein langes Zurückliegen des Dienstvergehens nichts zu ändern. Das verlorene Vertrauen kann nicht durch Zeitablauf wiederhergestellt werden (BVerfG, Beschl. v. 04.10.1977, 2 BvR 80/77; Beschl. v. 09.08.2006, 2 BvR 1002/05; alle juris). Diesen Unterschied hat der Gesetzgeber auch dadurch zum Ausdruck gebracht, dass er in § 15 DG - wie BDG - die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis im Gegensatz zu allen anderen Disziplinarmaßnahmen vom Maßnahmeverbot wegen Zeitablaufs ausgenommen hat (vgl. zusammenfassend: BVerwG, Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11/10; juris).

192

5.) In diesem Sinne durchgreifende besondere Umstände, die ein Absehen von der schwerwiegendsten und eine mildere Disziplinarmaßnahme rechtfertigen würden, vermag das Disziplinargericht nicht zu erkennen. Aufgrund des langjährigen, vorsätzlichen und zudem schuldhaften Handelns hinsichtlich der Gebührenüberhöhung kann nicht von einer einmaligen Gelegenheitstat oder einem persönlichkeitsfremden „Ausrutscher“ ausgegangen werden. Sonstige Gründe, die das Gericht in die Lage der möglichen Berücksichtigung derartiger Milderungsgründe setzt, sind von der Beklagten nicht vorgetragen worden und auch nicht erkennbar. Die nach alledem dienstrechtlich notwendige Entfernung aus dem Dienst verstößt auch nicht gegen das Verhältnismäßigkeitsgebot. Denn diese disziplinarrechtliche Höchstmaßnahme ist die einzige Möglichkeit, dass durch den Dienstherrn sonst nicht lösbare Dienstverhältnis einseitig zu beenden. Die darin liegende Härte für den Betroffenen ist nicht unverhältnismäßig. Sie beruht vielmehr auf einem ihm zurechenbaren Verhalten (BVerwG, Urteil v. 21.06.2000, 1 D 49.99; juris).

193

6.) Die Kostenentscheidung folgt aus § 72 Abs. 1 Satz 1 DG LSA. Das Verfahren ist gem. § 73 Abs. 1 Satz 1 gebührenfrei.


Tatbestand

1

Die Klägerin führt die Disziplinarklage gegen den verbeamteten Beklagten mit dem Ziel der Entfernung des Beamten aus dem Beamtenverhältnis.

2

Der 1959 geborene Beamte ist im Rang eines Polizeihauptmeisters (BesGr. A 9 LBesO) bei der A. und dort im entscheidungserheblichen Zeitraum als stellvertretender Leiter der Kraftfahrzeugwerkstatt beschäftigt.

3

Nach dem Besuch der zehnklassigen Polytechnischen Oberschule im Jahre 1976 erlernte der Beklagte den Beruf des Facharbeiters für geologische Bohrungen. 1978 trat er in den Polizeidienst der ehemaligen DDR ein und wurde als Sachbearbeiter für Treib- und Schmierstoffe sowie als Instandsetzer und Lagerverwalter für Kraftfahrzeugersatzteile eingesetzt. Im Jahre 1982 erwarb er den Facharbeiterlehrabschluss für Berufskraftfahrer und 1990 die Qualifikation als Meister in der Fachrichtung Transportbetriebstechnik. Es folgte 1991 die Berufung in das Beamtenverhältnis auf Probe zum Polizeiobermeister und 1994 die Beförderung zum Polizeihauptmeister als Beamter auf Lebenszeit. Es folgten mehrere Dienstposten im Bereich Technik und Kraftfahrangelegenheiten und seit 1994 ist der Beamte auf dem Dienstposten „Sachbearbeiter Technik; stellvertretender Werkstattleiter“ eingesetzt. Den Dienposten „Sachbearbeiter Kraftfahrangelegenheiten“ bekleidete er seit 2005 und zusätzlich weiterhin die Tätigkeit als stellvertretender Werkstattleiter.

4

Der Beklagte ist verheiratet und hat zwei erwachsene Töchter. Die dem Beamten erstellte letzte dienstliche Beurteilung aus dem Jahr 2005 lautet in der Gesamtbewertung auf „befriedigend“. Der Beamte ist disziplinar- und strafrechtlich bislang nicht Erscheinung getreten.

5

Im Jahr 2008 wurde gegen den Leiter der Kraftfahrzeugwerkstatt der A., gegen den die Disziplinarklage 8 A 9/11 MD geführt wurde, wegen des Verdachts der schuldhaften Verletzung von Dienstpflichten ein Disziplinarverfahren eingeleitet und zudem strafrechtlich ermittelt. Es bestand der hinreichende Verdacht, dass der Beamte bei privaten Bestellvorgängen von Kraftfahrzeugersatzteilen diese unter rechtswidriger Inanspruchnahme der nur dem Land Sachsen-Anhalt eingeräumten Rabatte erworben zu haben. Zudem war dieser Beamte hinreichend verdächtigt, private Autoreparaturleistungen durchzuführen. In Kenntnis dieser gegen den Leiter der Kraftfahrzeugwerkstatt erhobenen Vorwürfe offenbarte sich der Beklagte als stellvertretender Leiter der Kraftfahrzeugwerkstatt am 12.08.2008 seinem Dienstherrn und teilte mit, „reinen Tisch zu machen“. Der Beamte übergab Bargeld in Höhe von 220,00 Euro, einen Jahreskalender mit persönlichen Aufzeichnungen sowie einen Ordner mit dienstlichen Unterlagen. Er teilte mit, dass das Geld vom Verkauf abgeschriebener Reifen von Polizeifahrzeugen durch seinen Vorgesetzten, dem Leiter der Kraftfahrzeugwerkstatt F., stamme.

6

Am 25.08.2008 wurde gegen den Beklagten ein Disziplinarverfahren eingeleitet, welches bis zum Abschluss des strafrechtlichen Verfahrens ausgesetzt wurde. Mit Verfügung vom 01.07.2011 wurde das Disziplinarverfahren nach Abschluss der strafrechtlichen Ermittlungen fortgeführt. Aufgrund der umfangreichen strafrechtlichen Ermittlungen wurde im behördlichen Disziplinarverfahren auf weitere Ermittlungen gemäß §§ 21 Abs. 2, 24 Abs. 2 DG LSA verzichtet. Mit Verfügung vom 01.07.2011 wurde dem Rechtsbeistand des Beklagten mit Verweis auf § 30 DOG LSA Gelegenheit zur Äußerung gegeben, wovon der Beklagte unter dem 04.08.2011 Gebrauch machte.

7

Aufgrund der disziplinarrechtlichen Vorwürfe ist der Beklagte seit dem 25.09.2008 mit einer Gehaltskürzung von 20 % vorläufig des Dienstes enthoben.

8

Mit Strafbefehl des Amtsgerichts A-Stadt vom 08.12.2009 (Cs 822 Js 78744/08) wurde gegen den Beklagten wegen Betruges und Vorteilsannahme eine Gesamtgeldstrafe von 110 Tagessätzen verhängt. Dem lagen im Zeitraum vom 05.02.2004 bis in das Jahr 2007 reichende 12 Straftaten zugrunde, wonach der Beamte unter Inanspruchnahme des dem Land Sachsen-Anhalt gewährten Rabattes verschiedene Fahrzeugteile bestellt und für sich oder außen stehende Dritte verwendet habe, ohne dazu berechtigt gewesen zu sein, um so die Differenz zwischen dem Rabattpreis und dem für Privatkunden geltenden Verkaufspreisen zum Schaden der Fahrzeugteile-Firma einzusparen. Weiter habe der Beamte eine Bargeldsumme in Höhe von 50,00 Euro im Jahre 2007 von dem Reifenhändler T. unberechtigt entgegengenommen. Der Strafbefehl wurde durch Urteil des Amtsgerichts A-Stadt aufgrund der letzten Hauptverhandlung vom 14.10.2010 bestätigt. Letztendlich wurde das gegen den Beamten geführte Strafverfahren mit Beschluss des Landgerichts A-Stadt vom 13.04.2011 nach § 153 a StPO endgültig eingestellt.

9

Mit der Disziplinarklage vom 27.09.2011 (Eingang: 28.09.2011) wird der Beamte angeschuldigt, ein Dienstvergehen nach § 47 Abs. 1 Satz 1 Beamtenstatusgesetz (BeamtStG) begangen zu haben, indem ihm folgende Dienstpflichtverletzungen zur Last gelegt werden:

10

„1. In der Eigenschaft als Polizeibeamter und stellvertretender Leiter der Kfz-Werkstatt der A. nahm der Beklagte von dem gesondert verfolgten selbständigen Reifenhändler U. T. im Zusammenhang mit der Aussonderung und Entsorgung sowie Verladung von Altreifen der Kraftfahrzeuge der A. an einem konkret nicht feststellbaren Tag im Jahre 2007 eine Bargeldsumme in Höhe von 50,00 Euro an, obwohl der Beamte wusste, dass er dazu nicht berechtigt war, insbesondere, weil keine Genehmigung der zuständigen Behörde vorlag.

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2. Im Ergebnis der gegen den Beklagten geführten strafrechtlichen Ermittlungen sowie nach Sichtung der Rechnungsunterlagen der Ermittlungsakten im behördlichen Disziplinarverfahren besteht hinreichend der Verdacht, dass der Beklagte im Rahmen der Tätigkeit als stellvertretender Leiter der Kfz-Werkstatt der A., zu der u. a. die Bestellung von Ersatzteilen für polizeieigene Fahrzeuge gehört, im Namen der A. bei der Firma a. A. A. GmbH, K.-H.-Str. 43, A-Stadt, während des Dienstes unter Ausnutzung seiner dienstlichen Stellung verschiedene Fahrzeugteile für sich oder Dritte privat käuflich erwarb. Nachfolgende Rechnungen weisen keinen dienstlichen Bezug auf, sind an den Beklagten adressiert oder mit einem entsprechenden Adressaten-Hinweis versehen. Da die Rechnungen die Kundenummer der A. enthalten, erfolgte durch die Firma a. A. A. GmbH ein ausschließlich für die A. gewährter Rabatt zwischen 15 und 45 %.

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Den Erhalt der Ware bestätigte der Beklagte mit seiner Unterschrift auf zwei Rechnungen, was auch durch den Rechtsbeistand des Beklagten mit dem Hinweis, dass es sich dabei nicht um die Originalrechnungen handelt, insofern bestätigt wurde.

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Beweis:

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Rechnung Nr. 7714 vom 04.08.2003 - Hängerkupplung mit Elektrosatz für 262,59 €
(Ordner 4 der Disziplinarakte, Beweismittelband 2, Blatt Nr. 012)

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Rechnung Nr. 7951 vom 02.09.2003-Felgen für 131,40 €
(Ordner 4 der Disziplinarakte, Beweismittelband 2, Blatt Nr. 014)

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Äußerung des Rechtsbeistandes des Beklagten vom 04.08.2011
(Disziplinarakte B., Blatt Nr. 027/16, Ziffer I.2)

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Nachfolgende Rechnungen weisen ebenfalls keinen dienstlichen Bezug, sind an den Beklagten adressiert bzw. an ihn gerichtet und tragen die Kundennummer der LBP LSA (105685):

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Beweis:

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Rechnung Nr. 6285 vom 17.02.2003 - Leichtmetallfelgen für 264,48 €
(Ordner 4 der Disziplinarakte, Beweismittelband 2, Blatt Nr. 003)

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Rechnung Nr. 6497 vom 13.03.2003 - Luftfilter für 54,15 €
(Ordner 4 der Disziplinarakte, Beweismittelband 2, Blatt Nr. 004)

21

Rechnung Nr. 25904 vom 24.04.2003 - Reifen für 69,02 €
(Ordner 4 der Disziplinarakte, Beweismittelband 2, Blatt Nr. 006)

22

Rechnung Nr. 7946 vom 02.09.2003 - Reifen für 139,20 €
(Ordner 4 der Disziplinarakte, Beweismittelband 2, Blatt Nr. 013)

23

Rechnung Nr. 52494 vom 10.09.2003 - Reifen für 183,74 €
(Ordner 4 der Disziplinarakte, Beweismittelband 2, Blatt Nr. 016)

24

Rechnung Nr. 8470 vom 27.10.2003 - Kupplungssatz für 80,26 €
(Ordner 4 der Disziplinarakte, Beweismittelband 2, Blatt Nr. 022)

25

Rechnung Nr. 84524 vom 05.02.2004 - Luftmassenmesser für 173,42 €
(Ordner 4 der Disziplinarakte, Beweismittelband 2, Blatt Nr. 027)

26

Rechnung Nr. 9781 vom 17.04.2004-Heckträger für 200,63 €
(Ordner 4 der Disziplinarakte, Beweismittelband 2, Blatt Nr. 032)

27

Rechnung Nr. 10387 vom 15.06.2004 - Radblende für 29,35 €
(Ordner 4 der Disziplinarakte, Beweismittelband 2, Blatt Nr. 036)

28

Rechnung Nr. 11582 vom 08.10.2004 - Nylon-Vollgarage für 18,50 €
(Ordner 4 der Disziplinarakte, Beweismittelband 2, Blatt Nr. 042)

29

Rechnung Nr. 42127 vom 14.10.2004 - Nylonhalbgarage für 6,58 €
(Ordner 4 der Disziplinarakte, Beweismittelband 2, Blatt Nr. 044)

30

Rechnung Nr. 49703 vom 15.11.2004 - Reifen für 118,92 €
(Ordner 4 der Disziplinarakte, Beweismittelband 2, Blatt Nr. 051)

31

Rechnung Nr. 13935 vom 20.05.2005 - Zierleisten für 14,82 €
(Ordner 4 der Disziplinarakte, Beweismittelband 2, Blatt Nr. 069)

32

Rechnung Nr. 99151 vom 26.05.2005 - Blinkleuchten für 32,04 €
(Ordner 4 der Disziplinarakte, Beweismittelband 2, Blatt Nr. 070)

33

Rechnung Nr. 5546 vom 08.07.2005 - Heckblech und Zündschalter für 51,16 €
(Ordner 4 der Disziplinarakte, Beweismittelband 2, Blatt Nr. 073)

34

Rechnung Nr. 171362 vom 04.01.2006 - Batterie für 28,00 €
(Ordner 4 der Disziplinarakte, Beweismittel band 2, Blatt Nr. 076)

35

Rechnung Nr. 431467 vom 28.09.2006 - Heckleuchte Opel Corsa für 34,22 €,
(Ordner 4 der Disziplinarakte, Beweismittelband 2, Blatt Nr. 081).“

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Polizeihauptkommissar H. habe in glaubhafter Weise als Zeuge vor dem Amtsgericht A-Stadt ausgesagt, dass eine Nylon-Voll- bzw. -Halbgarage (Rechnung Nr. 42127 vom 14.10.2004) nicht im Gebrauch der A. sei. Die Bestellvorgänge würden keinen dienstlichen Bezug aufweisen, da Dienstfahrzeuge in Garagen stünden. Auch ein Opel Corsa sei nicht im Bestand der A.. Der Zeuge habe ebenso ausgesagt, dass ihm Rechnungen mit privaten Anschriften nicht bekannt seien. Der Außendienstmitarbeiter der Firma a. A. A. GmbH, E., habe ausgesagt, dass nur Mitarbeiter der Firma das Adressatenfeld ändern könnten. Herr E. habe auch darauf hingewiesen, dass Werkstattrabatte gegenüber einem Endverbraucher unterschiedlich seien. Der Prokurist der Firma a. A. A. GmbH, Herr P., habe als Zeuge im Strafverfahren ausgesagt, dass der Besteller die Kundennummer und den Namen nennen müsse. Der Zeuge Polizeiobermeister S. habe zugegeben, vom Beklagten gegen Rechnung im Jahre 2008 eine Batterie für einen Rasentraktor gekauft zu haben.

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Die Rechnungen vom 04.08.2003 und 02.09.2003 seien vom Beklagten unterschrieben.

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Weiter lautet der Anklagesatz:

39

„3. Der Beklagte unterließ es, verdachtsrelevante Sachverhalte an seine Vorgesetzten weiterzumelden. Bereits im Jahr 2006 wurde der Beklagte nach seiner Aussage durch Polizeimeister F. darüber informiert, dass dieser beabsichtige, ausgesonderte Reifen von Landesfahrzeugen mit einer Profiltiefe von mehr als 3 mm an Privatpersonen bzw. an die Firma T. Reifenentsorgung weiterzuverkaufen. Diese Reifen hätten nach Aussage des Beklagten für das Fahrsicherheitstraining noch verwendet werden können. Seinen Aussagen zufolge habe er Polizeihauptmeister F. davor gewarnt, unrechtmäßige Handlungen, insbesondere mit dienstlichem Eigentum, vorzunehmen. Auch als der Beklagte in Kenntnis der unrechtmäßigen Reifenverkäufe durch Polizeihauptmeister F. im Jahr 2007 Bargeld zur Aufbewahrung überreicht bekam, meldete er diesen Sachverhalt nicht weiter, obwohl er dazu verpflichtet gewesen wäre.

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Erschwert pflichtwidrig handelte der Beklagte, indem er trotz des Verbotes der Annahme von Belohnungen und Geschenken sowie der Bekämpfung der Korruption im Jahr 2007 von Herrn T. 50,00 Euro Geldzuwendung entgegennahm und von weiteren Geldzuwendungen zwischen Herrn T. und Polizeihauptmeister F. wusste.

41

Zu einer Einnahmeanweisung von 80 Stück Reifen vom 20.02.2008 bemerkte der Beklagte, dass sich unter diesen Reifen auch Reifen mit mehr als 3 mm Profiltiefe befanden, die in einer Garage im Objekt der A. eingelagert waren. Zu einem nicht benannten Zeitpunkt stellte der Beklagte das Verschwinden dieser Reifen fest. Konfrontiert mit dieser Feststellung habe Polizeihauptmeister F. geäußert, dass er diesen Reifen an Kollegen aus der Landesbereitschaftspolizei weiterverkauft habe. Auch diesen Sachverhalt meldete der Beklagte nicht weiter.

42

Nach Aussage des Beklagten habe er beobachtet, wie Polizeihauptmeister F. im Bereich der Kraftfahrzeugwerkstatt Reifen und Kraftfahrzeugteile, die er bei Autoteile-Zulieferern bestellt, bei denen er ein persönliches Kundenkonto besitzt und so zu günstigen Konditionen, als eine andere Privatperson einkaufen kann, an Bedienstete der A. weiter veräußert hat. Nach Aussage des Beklagten sah dieser selbst, dass Polizeihauptmeister F. bei der Übergabe der Ersatzteile Geld bekommen hat.

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4. Nach Aussage des Beklagten übergab dieser im Jahr 2003 an Polizeihauptmeister F. ein Funktelefon der Marke Siemens, Typ ME 45, welches im Werkstattbereich der A. durch einen unbekannten Polizeibeamten aufgefunden wurde. In Kenntnis des Beklagten verwahrte Polizeihauptmeister F. widerrechtlich das Handy in seinem Schreibtisch, wobei der Beklagte selbst das Handy unter Verwendung einer privaten SIM-Karte ab dem Jahr 2006 privat nutzte. Das Handy einschließlich einer schwarzen Handytasche wurde erst im Rahmen der kriminalpolizeilichen Ermittlungen gegen den Beklagten am 14.08.2008 übergeben.

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5. Gemäß der Dienstpostenbeschreibung als Stellvertreter der Kfz-Werkstatt war der Beklagte für Werkzeuge und die Vernichtung ausgesonderter Werkzeuge verantwortlich. Hinsichtlich eines in Verlust geratenen Excenter-Schleifers wurde festgestellt, dass am 24.06.2005 bei der Firma Würth ein neuer Druckluft-Excenter-Schleifer der Marke Master angeschafft wurde. Bei der Kontrolle wurde dieses Gerät nicht aufgefunden. Am 12.04.2007 bat Polizeihauptmeister F. um Abschreibung eines Excenter-Schleifers. Der Beklagte setzte das Gerät mit Unterschrift und Datum vom 13.04.2007 als Verantwortlicher ab. Bei der Kontrolle wurde der abgesetzte Excenter-Schleifer Marke Mirka 891 vorgelegt.

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6. Ohne Genehmigung hat er einen Schrank der Deutschen BP AG zur Lagerung von Ölgebinden entgegengenommen.

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7. Der Beklagte oder der Polizeihauptmeister F. haben von der Firma a. A. A. GmbH gelieferte Artikel, nämlich

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- zwei Stück Purflux-Set Handtuch,
- T-Shirt,
- zwei Stück MP3-Player Digital 256 MB und,
- drei Fl. Wurzelpeter 0,7 l.

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entgegengenommen. Dabei hat es sich um Zugaben zu bestellten Kfz-Teilen gehandelt.“

49

Der Beamte habe gegen seine Dienstpflichten zur uneigennützigen Amtsführung (§ 34 Satz 2 BeamtStG), der Wohlverhaltenspflicht (§ 34 Satz 3 BeamtStG) sowie gegen die Pflicht, dienstliche Anordnungen auszuführen und deren allgemeine Richtlinien zu befolgen (§ 35 Satz 2 BeamtStG) verstoßen. Disziplinarrechtlicher Schwerpunkt sei dabei das Verhalten im Dienstvergehenskomplex des korruptiven Fehlverhaltens und damit der Pflicht zur Uneigennützigkeit. Entgegen § 42 BeamtStG, wonach keine Belohnungen oder Geschenke in Bezug auf sein Amt angenommen werden dürfen, habe der Beamte pflichtwidrig gehandelt.

50

Der Beamte habe ein schwerwiegendes Dienstvergehen begangen, welches die Entfernung aus dem Dienst rechtfertige. Das Vertrauensverhältnis sei endgültig zerstört.

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Der Kläger beantragt,

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den Beamten aus dem Dienst zu entfernen.

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Der Beklagte beantragt,

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die Disziplinarklage abzuweisen

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und sieht bereits formelle Mängel der Disziplinarklage. So sei kein Ermittlungsführer bestellt worden und es fehle an einer förmlichen, aktenkundig zu machenden Ausdehnungsentscheidung. Es fehle die Mitwirkung der Personalvertretung und eines Hinweises auf deren Unterrichtung. Die Befugnis des Klägers zur Erhebung der Disziplinarklage wird bestritten.

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Bezüglich des Vorhaltes zu Nr. 1 heißt es, dass die Geldhingabe für das Helfen des Beklagten beim Aufladen der Reifen erfolgt sei. Demnach liege darin keine Vorteilsannahme. Es habe sich um eine reine private Gefälligkeit gehandelt.

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Zu 2.: Die Zeugen P., E., P. und G. bekundeten vor dem Strafgericht, dass Rechnungen auf Kundenwunsch generell abgeändert werden könnten. Hierzu müsse sich der Anrufer bzw. Besteller nicht durch Passwort oder etwa elektronischer Signatur ausweisen. Demnach sei nicht bewiesen, dass der Beamte tatsächlich die Bestellvorgänge ausgelöst habe. Den Zeugenaussagen zufolge hätte der Beamte ebenso einen Personalrabatt erhalten. Bei dem Kauf der Rasentraktorbatterie über den Beklagten sei es zu keiner Rabattgewährung gekommen. Generell habe die Klägerin kein Verbot ausgesprochen, dass Bedienstete privat Bestellvorgänge auslösen durften. Darüber hinaus sei der Tatbestand des Betruges nicht erfüllt worden. Bei den Rechnungen vom 04.08.2003 und 02.09.2003 handele es nicht um die Originale, sodass nicht festgestellt werden könnte, ob der Beklagte tatsächlich unterschrieben habe.

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Zu 3.: Generell treffe den Beklagten keine Dienstpflicht etwaige Versäumnisse seines Vorgesetzten, des Polizeihauptmeisters F., anzuzeigen.

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Zu 4.: Der Handy-Fund sei seinerzeit dem für Fundsachen zuständigen Sachgebiet 11 gemeldet worden. Dort sei die Übergabe des Handys nicht verlangt worden. Die Nutzung des gefundenen Handys mit der privaten SIM-Karte sei unbeachtlich.

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Zu 5.: Der alte Schleifer sei noch nicht weggeworfen worden, da er für die übliche Überprüfung des Vorgangs durch die Verwaltung bereitgehalten worden sei. Ob ein neuer Exzenterschleifer angeschafft worden sei und zu dessen Verbleib könne er keine Aussage machen.

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Zu 6.: Mit der Anlieferung und Bestellung eines Schrankes habe der Beklagte nichts zu tun.

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Zu 7.: Zu den aufgeführten Gegenständen könne der Beklagte keine Angaben machen.

63

Die Klägerin erwidert: Der Beklagte habe selbst in seiner kriminalpolizeilichen Vernehmung vom 13.08.2008 geäußert, dass er bereits Ende 2006 durch Polizeihauptmeister F. über den Verkauf der ausgesonderten Reifen informiert worden sei. In seiner Vernehmung vom 14.08.2008 habe der Beklagte geäußert, dass er 50,00 Euro als Gegenleistung für die ausgesonderten Autoreifen von der Firma T. angenommen habe.

64

Auch die in den staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren getroffenen tatsächlichen Feststellungen seien für die Entscheidung im Disziplinarverfahren ohne nochmalige Prüfung nach § 23 Abs. 2 DOG LSA zugrunde zu legen. Insoweit komme auch einem Strafbefehl erhebliche Indizwirkung zu.

65

Auch im Zusammenhang mit den Vorwürfen gegen den gesondert verfolgten Beamten F. sei daher davon auszugehen und es sei nicht ausgeschlossen, dass auch der Beklagte während des Dienstes unter Ausnutzung seiner dienstlichen Stellung private Dienstverrichtungen ausführte und auch Bestellvorgänge vornahm.

66

Der Beklagte erwidert: Die Disziplinarklage äußere überwiegend Vermutungen. Die Klägerin müsse dem Beklagten jedoch die einzelnen Pflichtenverstoße nachweisen.

67

Das Disziplinargericht hat mit Beschluss vom 23.10.2012 das Disziplinarverfahren gemäß § 53 Satz 1 DG LSA auf die in der Disziplinarklage vorgehaltenen Pflichtenverstöße zu 1 und 2 beschränkt.

68

In der mündlichen Verhandlung hat das Gericht Beweis über die Vorkommnisse hinsichtlich der Bestellvorgänge und der vorgehaltenen Vorteilsannahme durch Vernehmung der Zeugen F. und E. erhoben. Zum Ergebnis der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll verwiesen.

69

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungs- und Ermittlungsvorgänge verwiesen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung.

Entscheidungsgründe

70

Das Gericht konnte in Abwesenheit des Beklagten verhandeln und entscheiden. Denn er bzw. sein erschienener Prozessbevollmächtigter war ordnungsgemäß geladen und es wurde darauf hingewiesen, dass beim Ausbleiben eines Beteiligten ohne ihn Beweis erhoben, verhandelt und entschieden werden kann (§ 3 DG LSA; § 102 Abs. 2 VwGO).

71

1.) Die Disziplinarklage ist zulässig. Die vom Beklagten als wesentliche Mängel des behördlichen Disziplinarverfahrens gerügten Formfehler liegen nicht vor. Der Begriff des wesentlichen Mangels im Sinne von § 52 DG LSA erfasst Verletzungen von Verfahrensregeln, die im behördlichen Disziplinarverfahren von Bedeutung sind (BVerwG zum gleichlautenden § 55 BDG; Urteil v. 29.07.2010, 2 A 4.09 mit Verweis auf Urteil v. 20.10.2005, 2 C 12.04; beide juris). Hierunter fallen Verstöße gegen verfahrensrechtliche Vorschriften und Rechtsgrundsätze, die den äußern Ablauf des behördlichen Disziplinarverfahrens bis zur abschließenden behördlichen Entscheidung, also bis zur Erhebung der Disziplinarklage oder bis zu dem Erlass einer Disziplinarverfügung, betreffen (BVerwG, Urteil v. 29.07.2010, 2 A 4.09 mit Verweis auf Beschluss v. 18.11.2008, 2 B 63.08; beide juris).

72

Unter dem 01.07.2011 (Beiakte F, Bd. 1, Bl. 27/3) wurde dem Bevollmächtigten des Beklagten die Fortführung des Disziplinarverfahrens unter Benennung auch der erweiterten Pflichtenverstöße aktenkundig (§ 19 Abs. 1 Satz 2 DG LSA) mitgeteilt (§ 20 Abs. 1 DG LSA) und ihm Gelegenheit zur Äußerung (§ 30 DG LSA) gegeben. Aufgrund des durchgeführten Strafverfahrens und der ausführlichen kriminalpolizeilichen Ermittlungen und Zeugenvernehmungen, ist die Entscheidung im Disziplinarverfahren von weiteren Ermittlungen abzusehen, jedenfalls nicht ermessenfehlerhaft (§ 21 Abs. 2 Satz 2 DG LSA). Die Klägerin hat unter dem 07.04.2011 einen umfassenden Ermittlungsbericht erstellt (Beiakte F, TB 4). Von der im Ermessen stehenden Bestellung eines Ermittlungsführers konnte demnach ebenso ermessensfehlerfrei abgesehen werden (§ 21 Abs. 1 Satz 2 DG LSA). Das Landespersonalvertretungsgesetz Sachsen-Anhalt (LPersVG LSA) enthält keine § 78 Abs. 1 Nr. 3 Bundespersonalvertretungsgesetz (BPersVG) vergleichbare Beteiligungsregelung des Personalrates vor der Erhebung der Disziplinarklage.

73

2.) Die Disziplinarklage ist begründet. Der Beklagte hat ein schwerwiegendes Dienstvergehen gemäß § 47 Abs. 1 BeamtStG begangen, welches die Zurückstufung (§ 9 DG LSA), das heißt, die Versetzung des Beamten in ein um zwei Stufen geringeres Amt derselben Laufbahn mit geringerem Endgrundgehalt, nach sich zieht.

74

Beamte begehen ein Dienstvergehen, wenn sie schuldhaft die ihnen obliegenden Pflichten verletzten (§ 47 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG). Die dem Beamten zur Last gelegten Pflichtenverstöße stellen ein sogenanntes innerdienstliches Dienstvergehen dar. Denn sie sind in Ausübung des Dienstes verwirklicht worden.

75

Nach § 13 Abs. 1 DG LSA ist die Disziplinarmaßnahme nach der Schwere des Dienstvergehens zu bemessen und erfordert eine angemessene Berücksichtigung des Persönlichkeitsbildes des Beamten. Der Vertrauensverlust des Dienstherrn oder der Allgemeinheit soll berücksichtigt werden.

76

3.) Die Disziplinarkammer ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme davon überzeugt, dass der Beklagte die ihm unter Ziffer 1 (Vorteilsnahme) und 2 (betrügerische private Bestellvorgänge) der Disziplinarklage zur Last gelegten und vom Gericht nach § 53 Satz 1 DG LSA darauf beschränkten Pflichtenverstöße begangen hat. Dadurch hat er gegen seine dienstlichen Pflichten zur uneigennützigen und gerechten Dienstausübung verstoßen und ist nicht der Achtung und dem Vertrauen gerecht geworden, die sein Beruf erfordert und es verbietet, gegen Strafgesetze zu verstoßen (§§ 33, 34 BeamtStG). Die Pflichtverletzungen sind als sogenanntes einheitliches Dienstvergehen zu sehen und zu ahnden.

77

a.) Der Beklagte hat durch die Annahme der 50,00 Euro im Jahre 2007 von dem Reifenhändler T. eine Vorteilsnahme im Sinne des § 331 Abs. 1 StGB begangen. Danach wird unter anderem ein Amtsträger, der für die Dienstausübung einen Vorteil für sich oder einen Dritten unter anderem annimmt, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Aufgrund der Entscheidungsbefugnis des Disziplinargerichts kann die Disziplinarkammer diese strafrechtliche Bewertung des vorgehaltenen Lebenssachverhaltes unabhängig von der strafgerichtlichen Bewertung vornehmen. Mangels rechtskräftiger strafgerichtlicher Entscheidungen liegt eine Bindungswirkung im Sinne des § 23 DG LSA nicht vor und zudem hat die vor dem Disziplinargericht durchgeführte Beweisaufnahme einen von der bisherigen strafgerichtlichen Bewertung abweichenden Lebenssachverhalt festgestellt.

78

Die Annahme von 50,00 Euro durch den Beklagten erfolgte im Rahmen seiner Dienstausübung. Denn die in der mündlichen Verhandlung durchgeführte Vernehmung des Zeugen F. hat ergeben, dass entgegen der bisherigen Annahme, der Beklagte und nicht der Zeuge F. für die Tätigkeiten um die Altreifen, also Lagerung, Aussonderung und Entsorgung der Altreifen verantwortlich war. Der Zeuge hat bekundet, dass intern abgesprochen war, dass er – der Zeuge – als Leiter der Werkstatt für den Reparaturbereich und der Beklagte unter anderem für die Angelegenheiten der Altreifen verantwortlich war. Das Gericht hat keinen vernünftigen Anlass, an der Glaubhaftigkeit dieser Aussage und an der Glaubwürdigkeit des Zeugen zu zweifeln. Ging dies bislang aus den umfangreichen disziplinarbehördlichen, staats- und strafrechtlichen Ermittlungen so nicht hervor, so mag dies daran liegen, dass es keine verbindliche Dienstpostenbeschreibung der Tätigkeiten des Leiters und des stellvertretenden Leiters der Kraftfahrzeugwerkstatt gab. Die in den Akten (Beiakte B; TB 9; Bl. 6) befindliche Tätigkeitsbeschreibung des Leiters Kfz-Technik vom 14.03.2005 stammt von ihm selbst und führt die Tätigkeiten um die Altreifen gerade nicht auf. Daher ist es nachvollziehbar, dass die in der Werkstatt anfallenden Tätigkeiten unter dem Leiter und dem Stellvertreter intern und unbürokratisch aufgeteilt wurden. Darüber hinaus drängt sich dem Disziplinargericht der Eindruck auf, dass die Ermittlungen und Ergebnisse darauf konzentriert waren, dass die dem Beklagten und dem Werkstattleiter F. zur Last gelegte Vorteilsnahme auf die Machenschaften des F. bei einem Verkauf der noch brauchbaren Altreifen an den T. zurückzuführen waren. Darauf kommt es aber nicht an. Denn wenn der Beklagte für die Angelegenheiten um die Altreifen, also Anlieferung, Lagerung, Sortierung, Verwendung für das Fahrsicherheitstraining, Aussortierung der unbrauchbaren, weil abgefahrenen aber auch der nicht brauchbaren, weil nicht passenden Reifen verantwortlich war, oblagen diese Tätigkeiten grundsätzlich seiner Dienstausübung im Sinne des § 331 Abs. 1 StGB. Dies gilt im Übrigen auch, wenn der Beklagte neben F. nur mitverantwortlich für die Reifenangelegenheiten war, also die Tätigkeit gemeinschaftlich vorgenommen wurde. Denn grundsätzlich ist davon auszugehen, dass dem Leiter wie auch dem Stellvertreter die gesamten Angelegenheiten in der Werkstatt als Amtsgeschäfte obliegen. Denn die Zuweisung der konkret-funktionellen Tätigkeiten geschieht durch den Dienstherrn und nicht aufgrund Absprache der beteiligten Beamten untereinander. Ein Rückgriff bzw. die mögliche Einflussnahme des Beklagten auf die Amtsgeschäfte des F., wie es das Amtsgericht annahm, muss daher nicht konstruiert werden. „Dienstausübung“ meint die dienstliche Tätigkeit im Allgemeinen. Damit sind alle Handlungen gemeint, die zu den „Obliegenheiten“ des Amtsträgers gehören. Dazu können auch bloß vorbereitende oder unterstützende Tätigkeiten zählen (vgl. zum Ganzen nur: Tröndle/Fischer; StGB, 52. Auflage, § 331, Rz. 6 ff, 18 ff).

79

Der Lebenssachverhalt, der zur Annahme der 50,00 Euro führte, ist nicht losgelöst von der Dienstausübung des Beklagten in Bezug auf die unzweifelhaft zu den Werkstattangelegenheiten gehörenden Altreifen zu sehen. Die Hilfe beim Aufladen der Reifen war gerade nicht nur „privater“ Natur im Sinne einer reinen menschlich-sozialen Gefälligkeit, sondern stand in einem unmittelbaren zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit der Dienstausübung des Beklagten um die Aussonderung und Bereitstellung der Altreifen. Das Aussortieren, Bereitstellen und Verladen der Altreifen ist nach allgemeiner Lebensanschauung als ein einheitlicher Dienstvorgang zu sehen und fand auf dem Gelände der A. statt. Dies hat im Übrigen auch der Beklagte nicht anders gesehen, wie sein anfängliches Zögern bei der Annahme des Geldes belegt.

80

b.) Unabhängig von der strafrechtlichen Bewertung hat der Beamte durch die Annahme der 50,00 Euro gegen seine Pflicht zur Uneigennützigkeit nach § 34 Satz 2 BeamtStG in Verbindung mit dem Verbot der Annahme von Belohnungen, Geschenken und sonstigen Vorteilen nach § 42 BeamtStG verstoßen. Dabei ist diese - beamtenrechtliche - Pflicht bereits weiter zu fassen als die nach § 331 StGB strafbedrohte Vorteilsnahme. Denn auch die durch das Strafrecht nicht erfassten Verhaltensweisen, welche sich als pflichtwidrige Fehlsteuerung des Verwaltungshandelns aus Eigennutz darstellen, sind als Dienstpflichtverletzungen zu werten. Nach § 42 BeamtStG dürfen Beamte keine Belohnungen, Geschenke oder sonstigen Vorteile für sich oder eine dritte Person in Bezug auf das Amt annehmen. „Belohnungen“ oder „Geschenke“ oder „sonstige Vorteile" im Sinne des § 42 BeamtStG sind alle Zuwendungen einschließlich Dienstleistungen, auf die kein Anspruch besteht und die objektiv eine materielle oder immaterielle Besserstellung zum Inhalt haben (Vorteil). Auch die Weitergabe von Vorteilen an Dritte, z. B. andere Bedienstete, rechtfertigt nicht deren Annahme. "In Bezug auf das Amt" im Sinne des § 42 BeamtStG ist ein Vorteil immer dann gewährt, wenn die zuwendende Person sich davon leiten lässt, dass der Beamte ein bestimmtes Amt bekleidet oder bekleidet hat. Ein Bezug zu einer bestimmten Amtshandlung ist nicht erforderlich. Vorteile, die ausschließlich mit Rücksicht auf Beziehungen innerhalb der privaten Sphäre des Beamten gewährt werden, sind nicht "in Bezug auf das Amt" gewährt. Derartige Beziehungen dürfen nicht mit Erwartungen in Bezug auf die dienstliche Tätigkeit des Beamten verknüpft sein. Erkennt der Beamte, dass an den persönlichen Umgang derartige Erwartungen geknüpft werden, dürfen weitere Vorteile nicht mehr angenommen werden (vgl. nur: Korruptionsprävention in der öffentlichen Verwaltung; VV der Landesregierung Rheinland-Pfalz v. 07.11.2000; FM-O 1559 A-411; juris).

81

Zweck der beamtenrechtlichen Pflicht zur Uneigennützigkeit nach § 42 BeamtStG ist es, bereits den bloßen Anschein zu vermeiden, dienstliche Handlungen seien durch Gefälligkeiten beeinflussbar und Amtshandlungen seien käuflich (BVerwG zu § 70 Satz 1 BBG a. F.; Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11.10 mit Verweis auf Urteile v. 14.12.1995, 2 C 27.94, v. 22.10.1996, 1 D 76.95 und v. 23.11.2006, 1 D 1.06; alle juris). Es ist im Interesse einer gesetzmäßigen Verwaltung und im Interesse des allgemeinen Vertrauens in ein rechtsstaatliches Handeln der Verwaltung nicht hinzunehmen, wenn ein Beamter den Eindruck erweckt, er lasse sich in Bezug auf seine dienstliche Tätigkeit durch ihm oder Dritten gewährte Vorteile beeinflussen. Unerheblich ist, ob es zu der in Aussicht gestellten Amtshandlung gekommen ist. Anknüpfungspunkt der Pflicht ist nicht das enge Gebiet der Amtshandlungen des Beamten, sondern das Amt im abstrakt- oder konkret-funktionellen und im statusrechtlichen Sinne (BVerwG, Urteil v. 20.02.2002, 1 D 19.01; juris). Danach besteht der geforderte Amtsbezug bereits dann, wenn nach den Umständen des Einzelfalls sich der Geber davon leiten lässt, dass der Bedienstete dienstlich tätig wird oder geworden ist. Es reicht aus, wenn nach den erkennbaren Vorstellungen und Motiven des Gebers der Gesichtspunkt der Anstellung oder dienstlichen Tätigkeit des Beamten zumindest mitkausal ist (BVerwG, Urteile v. 14.12.1995, 2 C 27.94 und v. 20.02.2002, 1 D 19.01; alle juris). Auch dann, wenn der Beamte unter Hinweis auf seine Dienststellenzugehörigkeit beim Zuwender lediglich den wahrheitswidrigen Anschein erweckt hat, auf die begehrte Entscheidung der Dienststelle in irgendeiner Weise Einfluss nehmen zu können, ist der Bezug zum Amt gegeben (BVerwG, Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11.10; juris).

82

Die Disziplinarkammer hat keine Zweifel daran, dass dem Reifenhändler T. als Zuwender der 50,00 Euro die dienstliche Stellung und das dienstliche Tätigwerden des Beklagten bewusst waren. Daran ändert nichts die Einstellung der strafrechtlichen Verfahren gegen T. und dass dieser angab, gar nicht gewusst zu haben, dass B. und F. Polizeibeamte gewesen seien. Mögen die Beamten aufgrund ihrer Werkstatttätigkeit bei der Übergabe der Reifen auch nicht in Polizeiuniform gekleidet gewesen sein, so war dem T. bewusst, dass er sich auf dem Gelände der A. befindet und die Aussonderung und Bereitstellung der Reifen eine dienstliche Tätigkeit darstellen. Zudem ist den Akten zu entnehmen, dass der T. auf Vermittlung des Beklagten die Altreifenentsorgung übernahm. T. wollte – zumindest mitkausal – im Sinne der soeben dargestellten disziplinarrechtlichen Rechtsprechung mit der Geldleistung die Beschäftigten und damit auch den Beklagten hinsichtlich der Aussortierung der Altreifen in dem Sinne beeinflussen, dass ihm auch die besseren Reifen überlassen werden. Dabei ist egal, ob diese sogar gesondert durch einen der Beschäftigten an T. verkauft wurden oder sie Teil des Aussonderungsvorgangs waren. Denn in jedem Fall hatte T. wegen der Weiterverwendungsmöglichkeiten ein gesteigertes Interesse an diesen Reifen. Dies beweist bereits die Tatsache, dass T. in den Jahren 2000 bis 2005 die Altreifenentsorgung sogar kostenlos übernahm. Ohne die „Hilfsbereitschaft“ der Werkstattmitarbeiter bei der Aussonderung, hätte sich die Entsorgung für T. demnach wirtschaftlich nicht bzw. weniger gelohnt.

83

Dass nach dieser Lebenssachverhaltsauslegung die Zahlung der 50,00 Euro mit den Amtsgeschäften des Beklagten im Zusammenhang stand und gerade nicht nur für die Hilfe bei Aufladen der Reifen geleistet wurde, war bzw. hätte auch dem Beklagten bei gehöriger Gewissensanstrengung bewusst sein müssen. Es gilt das oben zur strafrechtlichen Vorteilsnahme Festgestellte.

84

c.) Zur Überzeugung der Disziplinarkammer steht weiter fest, dass der Beklagte die ihm zur Last gelegten privaten Bestellungen von Kfz-Ersatzteilen unter Ausnutzung der nur dem Land eingeräumten Rabatte vorgenommen und damit einen Betrug nach § 263 Abs. 1 StGB gegenüber der Firma a. A. A. GmbH begannen hat. Bei den Mitarbeitern der Firma a. A. wurde aufgrund der Nennung der Kundenummer der A. der Irrtum erregt, dass es sich um eine amtliche Bestellung der A. handelt. Dadurch wurden sie getäuscht und der Gewinn der Firma geschmälert. Es bedarf keiner Feststellungen, dass ein Beamter der strafbare Handlungen begeht zugleich gegen die beamtenrechtliche Wohlverhaltenspflicht nach § 34 BeamtStG verstößt.

85

Aber auch ohne Zugrundelegung der tatbestandlichen Verwirklichung eines Betruges nach § 263 StGB (vgl. Bay. VGH, Urteil v. 28.06.2006, 16a D 05.177; juris; der in einem ähnlichen Fall die strafrechtliche Relevanz verneint) hat der Beklagte eine disziplinarrechtlich zu ahndende Pflichtverletzung nach § 34 BeamtStG begangen. Denn er hat unter Ausnutzung der ihm vom Dienstherrn eingeräumten Vertrauensposition, die ihm erlaubte amtliche Bestellungen vorzunehmen unter Verwendung der ihm zur Verfügung gesellten Mittel (Telefon; PC) und Kenntnisse (Kundennummer) die privaten Bestellungen zum eigenen Vorteil vorgenommen.

86

Der Zeuge F. hat in seiner Zeugenvernehmung vor der Disziplinarkammer bekundet, dass er wisse, dass der Beklagte zumindest einmal zu einem ihm nicht mehr erinnerlichen Zeitpunkt einen privaten Bestellvorgang ausgelöst hat. Steht diese Aussage des Zeugen auch im Widerspruch zu seiner Aussage vor dem Amtsgericht in dem Strafverfahren gegen den Beklagten am 10.09.2010, hat das Disziplinargericht keine durchgreifenden Zweifel an dem Wahrheitsgehalt der jetzigen Aussage des Zeugen. Denn diese Aussage wird durch weitere Unterlagen belegt.

87

So ist das Disziplinargericht davon überzeugt, dass der Beklagte die Bestellvorgänge die den Rechnungen vom 04.08.2003 und 02.09.2003 (Beiakte D; BwB 2 Bl. 12, 14) zugrundeliegen, vorgenommen und den Erhalt der Ware auf den Rechnungen durch Unterschrift bestätigt hat. Dabei ist zunächst festzustellen, dass die Änderung des Adressatenfeldes bzw. die Angabe einer Person zu dessen Händen zu liefern ist, auf die Angabe des Bestellers zurückzuführen ist und sich somit von dem üblichen Bestellvorgang der A. unterscheidet. Dies hat der Zeuge F. mit Verweis auf die von ihm durchgeführten und zur rechtskräftigen Verurteilung durch Strafbefehl geführten Bestellvorgänge ausgesagt, was sich mit den übrigen Feststellungen deckt. Auch der Zeuge E. hat dies nicht nur vor dem Disziplinargericht, sondern auch vor dem Amtsgericht und anlässlich seiner behördlichen Vernehmung ausgesagt. Dies deckt sich mit den Aussagen der übrigen Mitarbeiter der Firma a. A. vor dem Amtsgericht, wie die des zwischenzeitlich verstorbenen Zeugen P. sowie der Angestellten P.. Zudem erfolgte die Lieferung bei den dienstlich veranlassten Bestellvorgängen gegen Lieferschein und nicht gegen Rechnung. Die Rechnungen gingen auf dem Postwege bei der Klägerin zur unbaren Begleichung der Rechnungssumme ein.

88

Demnach hat die Disziplinarkammer keine durchgreifenden Zweifel daran, dass der Beklagte neben diesen durch seine Unterschrift belegten Bestellvorgängen aus dem Jahr 2003 auch die weiteren ihm in der Disziplinarklage vorgehaltenen Bestellvorgänge bis in das Jahr 2006 getätigt hat. Denn auch die dazu ergangenen Rechnungen tragen jeweils die Besonderheit, dass der Beklagte dort namentlich erwähnt ist. Die Disziplinarkammer teilt nicht die Auffassung des Beklagten, dass die Namensnennung dadurch zu erklären sei, dass eine unbekannte Person auf den Namen des Beklagten bestellt habe. Ist dies nach den tatsächlichen Feststellungen der Kammer zwar grundsätzlich möglich, weil neben der Angabe der im Werkstattbereich bekannten Kundenummer der A. keinerlei Identifikationsvoraussetzungen wie PIN oder Code erforderlich waren, ergibt ein derartiges Vorgehen eines Dritten aber keinen Sinn. Denn die Unterlagen und die darauf gestützten Feststellungen ergeben, dass neben dem Werkstattleiter F. und dem Stellvertreter B. auch die nicht verbeamteten Werkstattmitarbeiter S., R., K. und J. private Bestellungen unter ihrem Namen vorgenommen haben. Da aber auch in diesen Fällen stets die zutreffende Namensnennung des Bestellers erfolgte, gab es keinerlei Anlass für einen der Werkstattmitarbeiter, den Namen des Beklagten anstelle des eigenen zu nennen. Denn darüber hinaus war neben der Bestellung auch die Annahme der Ware vor Ort durch den Besteller notwendig. Somit wäre es bei der Häufigkeit der dem Beklagten vorgehaltenen Bestellungen im Werkstattbereich aufgefallen, wenn eine andere Person als der vermeintliche Besteller B. die Waren in Empfang genommen hätte. Die umfangreiche auf 67 Bestellvorgänge aus den Jahren 2003 bis 2007 aufgelistete Zusammenschau der Klägerin zu den nicht im Zahlungssystem zu verzeichnenden Bestellungen belegt neben den bekannten Namen nur eine Rechnung über zwei Dichtungen zum Preis von 1,97 € mit Namensnennung M., wobei ein Werkstattmitarbeiter mit diesem Namen nicht bekannt sei (Beiakte B, Bl. 238 ff, 242 Fußnote 16). Fällt hier schon der Preis nicht in das Gewicht, ist entscheidend, dass – wenn überhaupt – ein Fantasiename gewählt wurde und eben nicht der des Beklagten. Darüber hinaus fehlt es an jedem plausiblen Vortrag, wieso etwa ein Kollege, etwa um dem Beklagten zu schaden, derart hätte vorgehen sollen. Demnach scheidet auch die Bestellung durch einen nicht dem Werkstattbereich oder der Klägerin zuzurechnenden Dritten aus.

89

Schließlich belegen auch die vom Beklagten vorgenommenen und von ihm eingeräumten Bestellungen für die Kollegen P. und S., dass er durchaus private Bestellungen vorgenommen hat. Wenngleich dies aus kollegialer Verbundenheit und aufgrund seines technischen Sachverstandes sowie bei anderen Firmen und nicht unter Ausnutzung der Rabattierung geschehen ist. Soweit der Beklagte den Hinweis der Klägerin darauf, dass die den vorgehaltenen Rechnungen zugrundeliegenden Waren bei der A. wegen des andersartigen Fuhrparks keine Verwendung hätten finden können damit begegnet, dass dies auch auf ihn zutreffe, mag die Bestellung für Freunde, Bekannte, Verwandte etc. eine gewisse Erklärung liefern. Zudem enthalten die dem Beklagten vorgehaltenen Warenbestellungen eine erheblich geringere Anzahl als dies etwa bei dem Zeugen F. der Fall war, der die Ersatzteile ersichtlich für seine ebenfalls angeschuldigte Nebenbeschäftigung benötigte.

90

4.) Der Beklagte hat die in einem inneren zeitlichen und sachlichen Zusammenhang stehenden Pflichtverletzungen im Sinne eines einheitlich zu bewertenden innerdienstlichen Dienstvergehens (vgl. zur Einheit des Dienstvergehens nur: VG Magdeburg, Urteil v. 04.11.2009, 8 A 19/08 m. w. Nachw.; juris) vorsätzlich und schuldhaft begangen.

91

5.) Hinsichtlich der auszusprechenden Disziplinarmaßnahme ist die Schwere des Dienstvergehens unter angemessener Berücksichtigung der Persönlichkeit des Beamten richtungsweisend (vgl. § 13 DG LSA). Die Schwere beurteilt sich nach objektiven Handlungsmerkmalen wie Eigenart und Bedeutung der Dienstpflichtverletzungen, den besonderen Umständen der Tatbegehung sowie Häufigkeit und Dauer eines wiederholten Fehlverhaltens, nach subjektiven Handlungsmerkmalen wie Form und Gewicht des Verschuldens des Beamten, den Beweggründen für sein Verhalten sowie nach den unmittelbaren Folgen für den dienstlichen Bereich und für Dritte. Davon ausgehend kommt es darauf an, ob Erkenntnisse zum Persönlichkeitsbild und zum Umfang der Vertrauensbeeinträchtigung im Einzelfall derart ins Gewicht fallen, dass eine andere als die durch die Schwere des Dienstvergehens indizierte Maßnahme geboten ist. Eine vollständige und richtige Gesamtwürdigung setzt voraus, dass die Disziplinarkammer die im Einzelfall bemessungsrelevanten, d. h. die für die Schwere des Dienstvergehens und das Persönlichkeitsbild bedeutsamen Tatsachen ermittelt und mit dem ihnen zukommenden Gewicht in die Gesamtbewertung einbezieht. Dies entspricht dem Zweck der Disziplinarbefugnis des Disziplinargerichts als einem Mittel der Funktionssicherheit des öffentlichen Dienstes. Dabei findet der Grundsatz „in dubio pro reo“ Anwendung. Die Disziplinargerichte dürfen nur solche belastenden Tatsachen in die Gesamtwürdigung einstellen, die zur Überzeugung des Gerichts feststehen. Demgegenüber müssen entlastende (mildernde) Umstände schon dann zu Gunsten des Beamten berücksichtigt werden, wenn hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für ihr Vorliegen gegeben sind und eine weitere Sachverhaltsaufklärung nicht möglich ist (vgl. nur: VG Magdeburg, Urteil v. 27.10.2011, 8 A 2/11 mit Verweis auf BVerwG, U. v. 27.01.2011, 2 A 5.09; jüngst BVerwG, Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11/10, OVG Lüneburg, Urteil v. 14.11.2012, 19 LD 4/11; alle juris).

92

Für das danach zu findende Disziplinarmaß können die vom Disziplinarsenat des Bundesverwaltungsgerichts für bestimmte Fallgruppen herausgearbeiteten Regeleinstufungen von Bedeutung sein. Davon ausgehend kommt es für die Bestimmung der Disziplinarmaßnahme darauf an, ob Erkenntnisse zum Persönlichkeitsbild und zum Umfang der Vertrauensbeeinträchtigung im Einzelfall derart ins Gewicht fallen, dass eine andere als die durch die Schwere des Dienstvergehens indizierte Disziplinarmaßnahme geboten ist (BVerwG, Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11/10 mit Verweis auf Urteile v. 20.10.2005, 2 C 12.04 und v. 03.05.2007, 2 C 9.06, alle juris).

93

Ein endgültiger Verlust des Vertrauens des Dienstherrn oder der Allgemeinheit im Sinne von § 13 Abs. 2 Satz 1 DG LSA ist anzunehmen, wenn aufgrund der prognostischen Gesamtwürdigung auf der Grundlage aller im Einzelfall bedeutsamen be- und entlastenden Gesichtspunkte der Schluss gezogen werden muss, der Beamte werde auch künftig in erheblicher Weise gegen seine Dienstpflichten verstoßen oder die durch sein Fehlverhalten herbeigeführte Schädigung des Ansehens des Berufsbeamtentums sei bei einer Fortsetzung des Beamtenverhältnisses nicht wiedergutzumachen. Unter diesen Voraussetzungen muss das Beamtenverhältnis im Interesse der Leistungsfähigkeit des öffentlichen Dienstes und der Integrität des Berufsbeamtentums beendet werden (BVerwG, Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11.10 mit Verweis auf Urteile v. 20.10.2005, 2 C 12.04, v. 03.05.2007, 2 C 9.06 und v. 29.05.2008, 2 C 59.07; alle juris).

94

6.) Setzt sich das (einheitliche) Dienstvergehen aus mehreren Dienstpflichtverletzungen zusammen, bestimmt sich die zu verhängende Disziplinarmaßnahme in erster Linie nach der schwersten Verfehlung (BVerwG, Urteil v. 23.02.2005, 1 D 1.04; juris).

95

a.) Verstöße gegen die Uneigennützigkeit werden in der Rechtsprechung der Disziplinargerichte seit jeher als sehr schwerwiegend eingestuft. Denn die uneigennützige, nicht auf den privaten Vorteil bedachte Führung der Dienstgeschäfte stellt eine wesentliche Grundlage des Berufsbeamtentums dar. Im Hinblick darauf ist die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis jedenfalls dann Richtschnur für die Bestimmung der angemessenen Disziplinarmaßnahme, wenn erhebliche Geldzahlungen geflossen sind (vgl. zusammenfassend: BVerwG, Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11.10; juris).

96

b.) Bei einem „klassischen“ innerdienstlichen Betrug vergreift sich der Beamte an Gelder oder gleichgestellte Werte des Dienstherrn, die dem Beamten jedoch nicht dienstlich anvertraut oder sonst dienstlich zugänglich sind. In der mangelnden „Anvertrauung“ liegt der bedeutsame Unterschied zu den innerdienstlichen Zugriffsdelikten begründet, wonach der Betrug zu Lasten des Dienstherrn grundsätzlich ein geringeres disziplinarrechtliches Gewicht hat als der die Entfernung rechtfertigende Zugriff des Beamten auf ihm anvertraute Gelder oder Güter (BVerwG, Beschluss v. 20.12.2011, 2 B 64.11 mit Verweis auf Urteile v. 24.01.2001, 1 D 57.99 und v. 30.08.2000, 1 D 26.99; alle juris). Die Variationsbreite, in der Pflichtverletzungen dieser Art denkbar sind, erfordert die Würdigung der jeweiligen besonderen Einzelfallumstände. Deshalb wird bei den innerdienstlichen Betrugsfällen gerade keine Bagatellschwelle angenommen. Eine Entfernung steht dann an, wenn im Einzelfall Erschwernisgründe vorliegen, ohne dass ihnen erhebliche Milderungsgründe gegenüberstehen. Erschwernisgründe können sich z. B aus Anzahl und Häufigkeit der Betrugshandlungen, der Höhe des Gesamtschadens, der missbräuchlichen Ausnutzung der dienstlichen Stellung oder dienstlich erworbener Kenntnisse sowie daraus ergeben, dass die Betrugshandlungen im Zusammenhang mit weitren Verfehlungen, wie Urkundefälschungen stehen (BVerwG, Beschluss v. 20.12.2011, 2 B 64.11 mit Verweis auf Urteile v. 28.11.2000, 1 D 56.99, v. 26.09.2001, 1 D 32.00, v. 22.02.2005, 1 D 30.03 und Beschlüsse v. 14.06.2005, 2 B 108.04 und v. 10.09.2010, 2 B 97.09; alle juris).

97

c.) Das Disziplinargericht weist demnach entschieden darauf hin, dass der Beklagte schwerwiegende Dienstpflichtverletzungen begangen hat, die jeweils im Einzelfall aber auch bei der einheitlichen Bewertung zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis als disziplinarrechtliche Höchstmaßnahme führen könnten.

98

Gleichwohl sieht die Disziplinarkammer vorliegend Besonderheiten und Entlastungsgründe des Einzelfalls, die es rechtfertigen, die von der Schwere des Dienstvergehens ausgehende Indizwirkung abzumildern. Dies ist dann der Fall, wenn zu Gunsten des Beamten gewichtige Entlastungsgründe (Milderungsgründe) zu berücksichtigen sind, die den Schluss rechtfertigen, dass das dem Beamten vom Dienstherrn und der Allgemeinheit entgegengebrachte Vertrauen noch nicht endgültig verloren ist. Solche Gründe stellen zum einen die von der Rechtsprechung bezüglich der sog. Zugriffsdelikte entwickelten und anerkannten Milderungsgründe dar, die besondere menschliche Konfliktsituationen beschreiben. Hierzu zählen etwa das Handeln in einer existenziellen wirtschaftlichen Notlage oder einer körperlichen oder psychischen Ausnahmesituation oder besonderen Versuchssituationen oder eine persönlichkeitsfremde Einzelverfehlung des Beamten wie auch „Entgleisungen“ während einer negativen, inzwischen überwundenen, durch Alkohol, Drogen oder Schicksalsschlägen bedingte Lebensphase. Der Milderungsgrund der Geringwertigkeit eines verursachten Schadens oder des geldlichen Vorteils der Handlung wird bei etwa 50,00 Euro gezogen. Auch besondere die Dienstpflichtverletzung begünstigende Handlungen und mangelnde Kontrollen des Dienstherrn können im Einzelfall wie ein besonderes Nachtatverhalten die Schwere der Verfehlung mildern. Zeitlich überlange Disziplinarverfahren können wegen des disziplinarrechtlichen Beschleunigungsgebotes und der mit dem Disziplinarverfahren verbundenen persönlichen Belastungen jedenfalls bei Maßnahmen der Pflichtenmahnung berücksichtigt werden. Entlastungsgründe können sich aber zum anderen auch aus allen Besonderheiten ergeben, die es im Einzelfall wegen der persönlichkeitsbedingten an § 13 DG LSA zu orientierenden Prognoseentscheidung gebieten, von der disziplinarrechtlichen Höchstmaßnahmen Abstand zu nehmen. Die entlastenden Gründe sind nicht (mehr) allein auf den in der Rechtsprechung entwickelten Kanon der anerkannten Milderungsgründe beschränkt (BVerwG, Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11.10, m. w. Nachw.; juris). Diese Besonderheiten müssen aber in ihrer Gesamtheit geeignet sein, die Schwere des Pflichtenverstoßes erheblich herabzusetzen. Generell gilt, dass das Gewicht der Entlastungsgründe umso größer sein muss, je schwerer das Delikt aufgrund der Schadenshöhe sowie der Tatumstände, wie Anzahl, Häufigkeit, Zeitraum, Verschiedenartigkeit und Tatausführung wiegt (im Ganzen ausführlich: VG Magdeburg, Urt. v. 31.03.2011, 8 A 2/10 MD und v. 27.10.2011, 8 A 2/11, mit Verweis auf BVerwG, Urt. v. 24.05.2007, 2 C 28.06, Urt. v. 06.06.2007, 1 D 2.06, Urt. v. 29.05.2008, 2 C 59.07; Bayr. VGH, Urt. v. 27.10.2010, 16 aD 09.2470; OVG Lüneburg, Urt. v. 08.02.2011, 6 LD 4/08; alle juris).

99

Hinsichtlich des Verstoßes gegen die Pflicht zur Uneigennützigkeit aufgrund Vorteilsnahme sind die näheren Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen. So ist festzuhalten, dass der Beklagte - nach unwiderlegbarer Aussage - die 50,00 Euro von dem Reifenhändler T. nicht gefordert, sondern wie von F. verlangt „für die Kaffeekasse“, erhalten hat. Er wolle auch dem Beklagten mal was zukommen lassen, so T.. Damit ist diese Geldzahlung im Zusammenhang mit der Forderung des F. und der wiederholten Zahlung an ihn durch T. zu sehen. Zudem liegt die Besonderheit des Falls vorliegend darin, dass neben der Amtsbezogenheit der Reifenaussonderung tatsächlich der gefällige Verladevorgang der Reifen stattfand und T. nach seiner Aussage froh gewesen sei, dass die Arbeiter in der Werkstatt ihm jedes Mal beim Aufladen der Altreifen geholfen hätten. Die stetige Hilfsbereitschaft des Werkstattpersonals wurde auch von dem Zeugen F. anlässlich seiner Zeugenvernehmung vor der Kammer bestätigt. Zudem ist das Geld an den Beklagten unbestritten nicht bei jedem Entsorgungsvorgang geflossen, sondern beschränkt sich auf einen einmaligen Vorfall. Bedenkt man die Vielzahl der Vorgänge, relativiert sich die einmalige Zahlung von 50,00 Euro an den Beklagten in Bezug auf alle Vorgänge. Und erscheint unter der bei 50,00 Euro zu zeihenden Bagatell- oder Geringwertigkeitsgrenze (vgl. zur Geringwertigkeit: OVG Lüneburg, Urteil v. 14.11.2012, 19 LD 4/11; LAG Thüringen, Urteil v. 16.12.2010, 3 Sa 325/09; beide m. w. Nachw.; beide juris). Unterstellt man weiter, dass der Beklagte nach seiner unwiderlegbaren Aussage selbst erstaunt war über die Zahlung und sie zunächst ablehnte, kann unter diesen Umständen die Vorteilsnahme als Gelegenheitstat im Sinne eines Augenblicksversagens gesehen werden. Schließlich hat der Beklagte die Annahme des Geldes frühzeitig, wenn auch aufgrund der Ermittlungen gegen F., zugegeben und zur weiteren Tataufklärung beigetragen. Unter Beachtung dieser besonderen Tatumstände unterscheidet sich der Fall von den zahlreichen in der Rechtsprechung der Disziplinargerichte zu findenden hinsichtlich des mit der Höchstmaßnahme disziplinarrechtlich zu ahndenden Unrechtsgehalts einer Vorteilsnahme (vgl.: BVerwG, Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11.10; Urteil v. 23.11.2006, 1 D 1.06; Urteil v. 19.02.2003, 1 D 14.02; Urteil v. 27.01.1998, 1 D 63.96; Urteil v. 08.06.2005, 1 D 3.04; LAG Thüringen, Urteil v. 16.12.2010, 3 Sa 325/09; OVG Lüneburg, Urteil v. 14.11.2012, 19 LD 4/11; OVG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 10.09.2007, 3 A 10390/07; Bay. VGH, Urteil v. 28.06.2006, 16a D 05.177; alle juris). Denn diesen ist gemein, dass die Pflicht zur Uneigennützigkeit durch zahlreiche über einen längeren Zeitraum geschehene und/oder hohe bzw. hochwertige Vorteilsannahmen verletzt wurde.

100

Ähnliches gilt für die dem Beklagten vorgehaltenen und durch Rechnungen belegten Betrügereien gegenüber der Firma a. A. GmbH. Die Kammer sieht durchaus, dass es sich dabei hinsichtlich der Anzahl von 19 Fällen und der Häufigkeit in dem Zeitraum von 2003 bis 2006 nicht mehr um als gering zu bezeichnende Fälle handelt. Zwar ist bei der Vertrauensschädigung des Dienstherrn seine tatsächliche materielle Schädigung wenig bedeutend. Gleichwohl ist zu bedenken, dass der finanzielle Schaden nicht bei dem Dienstherrn eingetreten und als verhältnismäßig gering anzusehen ist. Denn er besteht „nur“ in der jeweiligen überhöhten Rabattgewährung und gegenüber der Firma a. A. GmbH. Denn die Firma hätte den Werkstattmitarbeitern auch Rabatte, allerdings in geringerer Höhe eingeräumt. Sieht die disziplinarrechtliche Rechtsprechung bereits bei dem „klassischen“ innerdienstlichen Betrug gegenüber dem Dienstherrn einen disziplinarrechtlich zu ahndenden geringeren Unrechtsgehalt als bei „klassischen“ Zugriffsdelikten, muss dies im vorliegenden Fall besonders gelten. Denn der Betrug zu Lasten der Firma a. A. wird nur dadurch zu einem verschärfenden innerdienstlichen Dienstvergehen, weil er im Dienst und unter Ausnutzung der dienstlichen Mittel und Möglichkeiten geschah. Ansonsten würde es sich von vornherein um einen milder zu bewertenden außerdienstlichen Pflichtenverstoß handeln (vgl. Bay. VGH, Urteil v. 28.06.2006, 16a D 05.177; juris; der in einem ähnlichen Fall die strafrechtliche Relevanz verneint).

101

Zudem wird aufgrund der Tatsache, dass neben dem Beklagten zahlreiche weitere Mitarbeiter der Werkstatt der A. die privaten Bestellvorgänge und über längere Zeiträume vornehmen konnten sowie die Aufdeckung dieser Missstände nur durch einen Zufallsfund und eben nicht aufgrund der Überprüfung durch die A. gelang, deutlich, dass hier eine Vernachlässigung der Ordnungs- und Überwachungspflicht des Dienstherrn die Taten zumindest begünstigte. Zwar ist der Klägerin zuzugeben, dass Beamten nicht ständig überwacht und kontrolliert werden können bzw. müssen und der Dienstherr auf die Zuverlässigkeit seiner Mitarbeiter angewiesen ist. Gleichwohl kann das Disziplinargericht bei der Feststellung, ob der Vertrauensverlust endgültig eingetreten ist, innerdienstliche Organisationsformen und das Controlling berücksichtigen. Vorliegend scheint es so, dass sich die Vornahme der Bestellungen aus Eigennutz unter den Werkstattmitarbeitern eingeschlichen hat. Dafür spricht auch, dass eine besondere Tarnung oder eine sonst wie geartete Verschleierung oder ein geschicktes Tatverhalten nicht erforderlich war (vgl. dazu: OVG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 10.09.2007, 3 A 10390/07; Bay. VGH, Urteil v. 28.06.2006, 16a D 05.177; beide juris). So wurde auch im Innenverhältnis die Behörde nicht etwa durch weitere Verdeckungshandlungen getäuscht. Es war jedweder Person bei Kenntnis der nicht unter Verschluss oder sonst wie besonders gesicherte Kundennummer der A. möglich, die Bestellvorgänge auszulösen. Es fanden weder weitere Identifikationsverfahren wie die PIN- oder Code-Eingabe statt noch durften etwa die Bestellvorgänge nur im Beisein eines weiteren Mitarbeiters vorgenommen werden. Erst die hier behandelten Disziplinarverfahren hat die Klägerin zum Anlass genommen, ablauforganisatorische Änderungen vorzunehmen, die auf eine Stärkung des Vier-Augen-Prinzips und Kontrolle der Beschaffungsvorgänge ausgerichtet sind (vgl. Schriftsatz der Klägerin vom 02.11.2012). Zudem ist ebenso der Firma a. A. der allzu sorglose Umgang hinsichtlich der tatsächlich möglichen privaten Bestellvorgänge unter Gewährung des Landesrabattes vorzuhalten.

102

7.) Unter Beachtung der vorstehend dargestellten Besonderheiten geht das Disziplinargericht bei der der nach § 13 DG LSA notwendigen Gesamtbewertung der Pflichtenverstöße unter Berücksichtigung der Persönlichkeit des Beamten davon aus, dass dem Beklagten noch ein gewisses Restvertrauen entgegengebracht werden kann, was das Absehen von der Höchstmaßnahme rechtfertigt. Gleichwohl hält die Disziplinarkammer nach § 57 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 DG LSA den Ausspruch der zweitschärfsten Disziplinarmaßnahme in Form der Zurückstufung nach § 9 DG LSA - und hier um zwei Stufen in das Eingangsamt - für angemessen und erforderlich.

103

8.) Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 72 Abs. 1 Satz 1, 73 Abs. 1 DG LSA. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


Tatbestand

1

Der 1952 geborene Beklagte wurde zum 1. Oktober 1970 als Zollanwärter in das Beamtenverhältnis auf Widerruf berufen. Mit Wirkung vom 12. August 2005 wurde er zum Zollinspektor ernannt.

2

Das Amtsgericht Kandel verurteilte den Beklagten durch rechtskräftiges Urteil vom 20. Juni 2006 wegen Besitzes kinderpornographischer Schriften in 136 tateinheitlichen Fällen zu einer Geldstrafe von 150 Tagessätzen. Nach den tatsächlichen Feststellungen des Strafurteils hatte der Beklagte im Zeitraum von Anfang 2004 bis zur Beschlagnahme seines privaten Computers im November 2005 mindestens 102 Bilddateien sowie 34 Video-Sequenzen jeweils mit kinderpornographischem Inhalt, die ein tatsächliches oder wirklichkeitsnahes Geschehen wiedergeben, auf die Festplatte seines Computers geladen.

3

Im sachgleichen Disziplinarverfahren hat das Verwaltungsgericht den Beklagten aus dem Beamtenverhältnis entfernt. Das Oberwaltungsgericht hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, durch den vorsätzlichen Besitz von mindestens 20 verschiedenen ungelöschten kinderpornographischen Bilddateien und mindestens 17 verschiedenen ungelöschten kinderpornographischen Video-Sequenzen habe der Beklagte ein sehr schweres außerdienstliches Dienstvergehen begangen. Das hohe Eigengewicht eines solchen Dienstvergehens leite sich daraus ab, dass die Herstellung kinderpornographischer Darstellungen den sexuellen Missbrauch von Kindern durch Erwachsene zwingend voraussetze. Wer als Beamter kinderpornographisches Material besitze, beweise erhebliche Persönlichkeitsmängel mit der Folge einer nachhaltigen Ansehensschädigung oder gar des völligen Ansehensverlustes. Das im Verlaufe des Straf- und Disziplinarverfahrens erkennbar gewordene Persönlichkeitsbild des Beklagten gebe keine Veranlassung zu der Annahme, er habe den Unrechtsgehalt seines Handelns erkannt und auf der Basis einer solchen Erkenntnis Einsicht in seine Mitverantwortung als Konsument kinderpornographischer Darstellungen für den sexuellen Missbrauch von Kindern gewonnen. Zwar unterziehe sich der Beklagte inzwischen einer Verhaltenstherapie. Seine Äußerungen ließen aber erkennen, dass die bescheinigten Therapiesitzungen nach wie vor keine Erkenntnis des Unrechtsgehalts der Tat, Reue oder kritische Betrachtung des eigenen Handelns bewirkt hätten.

4

Hiergegen wendet sich der Beklagte mit der Revision, mit der er beantragt,

die Urteile des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes vom 29. September 2009 und des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 27. Februar 2009 aufzuheben und die Disziplinarklage abzuweisen,

hilfsweise auf eine mildere Disziplinarmaßnahme als die Entfernung aus dem Dienst zu erkennen.

5

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

6

Die Revision des Beklagten ist mit der Maßgabe der Zurückverweisung nach § 144 Abs. 3 Nr. 2 VwGO begründet. Das Berufungsurteil verletzt revisibles Recht. Das Berufungsgericht hat die vom Verwaltungsgericht ausgesprochene Entfernung aus dem Beamtenverhältnis aufgrund einer Bemessungsentscheidung bestätigt, die nicht den gesetzlichen Vorgaben des § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 und Abs. 2 Satz 1 BDG genügt. Da die Tatsachenfeststellungen im Berufungsurteil nicht ausreichen, um dem Senat eine abschließende Entscheidung über die Disziplinarklage zu ermöglichen, ist das Berufungsurteil aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO, § 70 Abs. 2 BDG).

7

1. Der Beklagte hat durch den vorsätzlichen Besitz kinderpornographischer Schriften im Sinne von § 11 Abs. 3 StGB, die ein tatsächliches oder wirklichkeitsnahes Geschehen wiedergeben, ein außerdienstliches Dienstvergehen begangen (§ 54 Satz 3 BBG a.F. i.V.m. § 77 Abs. 1 Satz 2 BBG a.F.).

8

a) Maßgeblich ist die Rechtslage zum Tatzeitpunkt, weil sich aus der Neufassung des Bundesbeamtengesetzes durch das Dienstrechtsneuordnungsgesetz vom 5. Februar 2009 (BGBl I S. 160) für den Beklagten kein materiellrechtlich günstigeres Recht ergibt (Urteile vom 25. August 2009 - BVerwG 1 D 1.08 - Buchholz 232.0 § 77 BBG 2009 Nr. 1, Rn. 33 und 51 bis 53 und vom 25. März 2010 - BVerwG 2 C 83.08 - zur Veröffentlichung in den Entscheidungssammlungen BVerwGE und Buchholz vorgesehen - Rn. 17).

9

Der Beklagte hat das Dienstvergehen außerdienstlich begangen, weil sein pflichtwidriges Verhalten nicht in sein Amt und in die damit verbundene dienstliche Tätigkeit eingebunden war (Urteil vom 25. August 2009 - BVerwG 1 D 1.08 - a.a.O. Rn. 54). Er hatte die kinderpornographischen Dateien ausschließlich auf seinen privaten Computern abgespeichert.

10

Das Verhalten eines Beamten innerhalb und außerhalb des Dienstes muss der Achtung und dem Vertrauen gerecht werden, die sein Beruf erfordert (§ 54 Satz 3 BBG a.F.). Besitzt ein Beamter vorsätzlich kinderpornographische Schriften im Sinne von § 11 Abs. 3 StGB, so verstößt er gegen diese Pflicht.

11

Ein Verhalten des Beamten außerhalb des Dienstes erfüllt den objektiven Tatbestand eines Dienstvergehens, wenn die besonderen qualifizierenden Voraussetzungen des § 77 Abs. 1 Satz 2 BBG a.F. (ebenso § 77 Abs. 1 Satz 2 BBG n.F.) erfüllt sind. Es muss nach den Umständen des Einzelfalls in besonderem Maße geeignet sein, Achtung und Vertrauen in einer für sein Amt oder das Ansehen des Beamtentums bedeutsamen Weise zu beeinträchtigen. Die Disziplinarwürdigkeit außerdienstlichen Verhaltens nach diesen Kriterien ist von der Bemessung der Disziplinarmaßnahme nach § 13 BDG zu unterscheiden.

12

Grund für die Einfügung der besonderen Anforderungen für die Annahme eines außerdienstlichen Dienstvergehens durch das Gesetz zur Neuordnung des Bundesdisziplinarrechts vom 20. Juli 1967 (BGBl I S. 725) war das Bestreben des Gesetzgebers, den Tatbestand des Dienstvergehens im Bereich außerdienstlichen Verhaltens von Beamten einzuschränken. Der geänderten Stellung der Beamten in der Gesellschaft, von denen außerdienstlich kein wesentlich anderes Sozialverhalten als von jedem Bürger erwartet wird, sollte Rechnung getragen werden (Urteile vom 30. August 2000 - BVerwG 1 D 37.99 - BVerwGE 112, 19 <23 und 26 f.> = Buchholz 232 § 54 Satz 3 BBG Nr. 23 S. 22 und 25 und vom 25. März 2010 - BVerwG 2 C 83.08 - Rn. 15).

13

Das Merkmal "in besonderem Maße" bezieht sich auf die Eignung zur Achtungs- und Vertrauensbeeinträchtigung und ist nur erfüllt, wenn das Verhalten des Beamten in quantitativer oder qualitativer Hinsicht über das für eine jede Eignung vorausgesetzte Mindestmaß an Wahrscheinlichkeit einer Beeinträchtigung hinausgeht. Ist eine derart qualifizierte Möglichkeit der Beeinträchtigung gegeben, kommt es weiterhin darauf an, ob diese Beeinträchtigung bedeutsam wäre. Das Merkmal "in bedeutsamer Weise" bezieht sich auf den "Erfolg" der möglichen Achtungs- und Vertrauensbeeinträchtigung. Die zur Beeinträchtigung in besonderem Maße geeignete Pflichtverletzung weist Bedeutsamkeit auf, wenn sie in qualitativer oder quantitativer Hinsicht das einer jeden außerdienstlichen Pflichtverletzung innewohnende Maß an disziplinarrechtlicher Relevanz deutlich überschreitet (Urteil vom 8. Mai 2001 - BVerwG 1 D 20.00 - BVerwGE 114, 212 <219 f.> = Buchholz 232 § 54 Satz 3 BBG Nr. 29 S. 40).

14

Die Beeinträchtigung der Achtung und des Vertrauens muss sich entweder auf das Amt des Beamten im konkret-funktionellen Sinne (Dienstposten), d.h. auf die Erfüllung der dem Beamten konkret obliegenden Dienstpflichten, oder auf das Ansehen des Berufsbeamtentums als Sachwalter einer stabilen und gesetzestreuen Verwaltung beziehen (Urteile vom 30. August 2000 - BVerwG 1 D 37.99 - a.a.O. S. 25, vom 12. Dezember 2001 - BVerwG 1 D 4.01 - Buchholz 232 § 54 Satz 3 BBG Nr. 32 S. 53 f. und vom 25. August 2009 - BVerwG 1 D 1.08 - a.a.O. Rn. 52).

15

b) Das strafrechtlich geahndete außerdienstliche Dienstvergehen des Beklagten weist keinen Bezug zu seinem Dienstposten auf. Der Dienstbezug ist gegeben, wenn das außerdienstliche Verhalten Rückschlüsse auf die Dienstausübung zulässt oder den Beamten in der Dienstausübung beeinträchtigt. Daran fehlt es. Weder hatte der Beklagte dienstlich Kontakt mit Kindern noch gehörte die Bekämpfung von Kindesmissbrauch oder Kinderpornographie zu seinen dienstlichen Tätigkeiten. Allein der Umstand, dass der Beklagte als Beamter der "Finanzkontrolle Schwarzarbeit" dienstlich mit der Verfolgung und Ahndung von Rechtsverstößen Dritter befasst war, begründet ebenfalls keinen solchen Dienstbezug. Rückschlüsse aus dem außerdienstlichen Fehlverhalten des Klägers auf seine künftige Amtsführung oder eine Beeinträchtigung in derselben können nicht gezogen werden.

16

Bei erstmaligem außerdienstlichem Fehlverhalten ist die Eignung zur Beeinträchtigung von Achtung und Vertrauen im Hinblick auf das Ansehen des Beamtentums bereits unter Hinweis auf die gesetzgeberischen Wertungen auch bei der Begehung einer Straftat zum Nachteil des Staates (vgl. § 48 Satz 1 Nr. 2 BBG a.F., § 41 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BBG) oder der Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe wegen einer vorsätzlich begangenen schwerwiegenden Straftat (vgl. § 48 Satz 1 Nr. 1 BBG a.F., § 41 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BBG) angenommen worden (Urteile vom 30. August 2000 - BVerwG 1 D 37.99 - a.a.O. S. 26 f. und vom 25. März 2010 - BVerwG 2 C 83.08 - Rn. 18).

17

Unabhängig von diesen Fallgruppen lässt der Strafrahmen Rückschlüsse auf das Maß der disziplinarrechtlich relevanten Ansehensschädigung zu. Die Disziplinarwürdigkeit eines erstmaligen außerdienstlichen Verhaltens eines Beamten im Sinne von § 77 Abs. 1 Satz 2 BBG a.F. (n.F.) ist regelmäßig anzunehmen, wenn das außerdienstliche Verhalten im Strafgesetzbuch als Vergehen mit einer Freiheitsstrafe im mittleren Bereich belegt ist. Durch die Festlegung des Strafrahmens bringt der Gesetzgeber verbindlich den Unrechtsgehalt eines Delikts zum Ausdruck. An dieser Wertung hat sich auch die Entscheidung über die Eignung zur Vertrauensbeeinträchtigung im Sinne von § 77 Abs. 1 Satz 2 BBG a.F. (n.F.) zu orientieren, wenn andere Kriterien, wie etwa ein Dienstbezug oder die Verhängung einer Freiheitsstrafe bei einer vorsätzlich begangenen Straftat ausscheiden. Hierdurch wird hinsichtlich der Frage der Disziplinarwürdigkeit außerdienstlichen Verhaltens eine Entscheidung gewährleistet, die an nachvollziehbare Kriterien anknüpft.

18

Durch das Gesetz zur Änderung der Vorschriften über die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung und zur Änderung anderer Vorschriften vom 27. Dezember 2003 (BGBl I S. 3007) hat der Gesetzgeber den Strafrahmen für den Besitz kinderpornographischer Schriften von einem auf zwei Jahre Freiheitsstrafe erhöht. Gemessen an den Kriterien des Strafgesetzbuches handelt es sich um eine Strafandrohung im mittleren Bereich.

19

Wer kinderpornographische Schriften besitzt (§ 184b Abs. 4 Satz 2 StGB), trägt durch seine Nachfrage nach solchen Darstellungen zum schweren sexuellen Missbrauch von Kindern (§ 176a Abs. 2 StGB) und damit zum Verstoß gegen ihre Menschenwürde und körperliche Unversehrtheit bei. Der sexuelle Missbrauch eines Kindes ist in hohem Maße persönlichkeits- und sozialschädlich. Er greift in die sittliche Entwicklung eines jungen Menschen ein und gefährdet die harmonische Bildung seiner Gesamtpersönlichkeit sowie seine Einordnung in die Gemeinschaft, weil ein Kind wegen seiner fehlenden oder noch nicht hinreichenden Reife intellektuell und gefühlsmäßig das Erlebte in der Regel gar nicht oder nur schwer verarbeiten kann. Zudem degradiert der Täter die sexuell missbrauchten kindlichen Opfer zum bloßen auswechselbaren Objekt geschlechtlicher Begierde oder Erregung (Urteile vom 6. Juli 2000 - BVerwG 2 WD 9.00 - BVerwGE 111, 291 <294 f.> = Buchholz 236.1 § 17 SG Nr. 33 S. 25 und vom 25. September 2007 - BVerwG 2 WD 19.06 - Buchholz 450.2 § 38 WDO Nr. 23 S. 19).

20

2. Die Bemessungsentscheidung des Berufungsgerichts verstößt gegen § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 und Abs. 2 Satz 1 BDG.

21

a) Die Verwaltungsgerichte erkennen aufgrund einer eigenen Bemessungsentscheidung gemäß § 13 Abs. 1 und 2 BDG auf die erforderliche Disziplinarmaßnahme, wenn sie nach umfassender Sachaufklärung (§ 58 BDG sowie § 86 Abs. 1 und 2 VwGO) zu der Überzeugung gelangen, dass der Beamte die ihm in der Disziplinarklageschrift zur Last gelegten dienstpflichtwidrigen Handlungen begangen hat, und dem Ausspruch der Disziplinarmaßnahme kein rechtliches Hindernis entgegensteht (§ 60 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 Nr. 1 BDG). Sie sind dabei an die tatsächlichen Feststellungen und rechtlichen Wertungen des klagenden Dienstherrn nicht gebunden (Urteile vom 3. Mai 2007 - BVerwG 2 C 9.06 - Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 3 Rn. 11 und vom 25. März 2010 - BVerwG 2 C 83.08 - Rn. 9 sowie Beschluss vom 14. Juni 2005 - BVerwG 2 B 108.04 - Buchholz 235.1 § 58 BDG Nr. 1 S. 2).

22

Welche Disziplinarmaßnahme im Einzelfall erforderlich ist, richtet sich gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 BDG nach der Schwere des Dienstvergehens unter angemessener Berücksichtigung der Persönlichkeit des Beamten und des Umfangs der durch das Dienstvergehen herbeigeführten Vertrauensbeeinträchtigung.

23

Den Bedeutungsgehalt dieser gesetzlichen Begriffe hat der Senat in den Urteilen vom 20. Oktober 2005 - BVerwG 2 C 12.04 - (BVerwGE 124, 252 <258 ff.> = Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 1 Rn. 21 ff.) und vom 3. Mai 2007 - BVerwG 2 C 9.06 - (a.a.O. Rn. 13 ff.; seitdem stRspr) näher bestimmt. Danach ist maßgebendes Bemessungskriterium für die Bestimmung der Disziplinarmaßnahme gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 BDG die Schwere des Dienstvergehens. Sie beurteilt sich zum einen nach Eigenart und Bedeutung der verletzten Dienstpflichten, Dauer und Häufigkeit der Pflichtenverstöße und den Umständen der Tatbegehung (objektive Handlungsmerkmale), zum anderen nach Form und Gewicht des Verschuldens und den Beweggründen des Beamten für sein pflichtwidriges Verhalten (subjektive Handlungsmerkmale) sowie nach den unmittelbaren Folgen der Pflichtenverstöße für den dienstlichen Bereich und für Dritte, insbesondere nach der Höhe des entstandenen Schadens. Das Bemessungskriterium "Umfang der Beeinträchtigung des Vertrauens des Dienstherrn oder der Allgemeinheit" gemäß § 13 Abs. 1 Satz 4 BDG erfordert eine Würdigung des Fehlverhaltens des Beamten im Hinblick auf seinen allgemeinen Status, seinen Tätigkeitsbereich innerhalb der Verwaltung und seine konkret ausgeübte Funktion.

24

Aus § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 BDG folgt die Verpflichtung der Verwaltungsgerichte, über die erforderliche Disziplinarmaßnahme aufgrund einer prognostischen Gesamtwürdigung unter Berücksichtigung aller im Einzelfall belastenden und entlastenden Gesichtspunkte zu entscheiden. Gegenstand der disziplinarrechtlichen Bewertung ist die Frage, welche Disziplinarmaßnahme in Ansehung der Persönlichkeit des Beamten geboten ist, um die Funktionsfähigkeit des öffentlichen Dienstes und die Integrität des Berufsbeamtentums zu gewährleisten (Urteil vom 3. Mai 2007 - BVerwG 2 C 9.06 - a.a.O. Rn. 16).

25

b) Für das außerdienstlich begangene Dienstvergehen des Besitzes kinderpornographischer Schriften scheidet eine Regeleinstufung wie sie in der Rechtsprechung für schwerwiegendes innerdienstliches Fehlverhalten entwickelt worden ist (Urteil vom 3. Mai 2007 - BVerwG 2 C 9.06 - a.a.O. Rn. 20 m.w.N.), aus. Danach kommt regelmäßig die Entfernung aus dem Dienst (bzw. die Aberkennung des Ruhegehalts) dann in Betracht, wenn die Schwere des innerdienstlichen Dienstvergehens das für die weitere dienstliche Tätigkeit notwendige Vertrauensverhältnis endgültig zerstört hat (z.B. Urteil vom 20. Oktober 2005 - BVerwG 2 C 12.04 - BVerwGE 124, 252 <261> = Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 1 Rn. 28). Im Bereich der Sexualdelikte hat der Senat den mit Freiheitsstrafe geahndeten außerdienstlichen sexuellen Missbrauchs eines Kindes (§ 176 Abs. 1 StGB) als derart schwerwiegend erachtet, dass die Höchstmaßnahme indiziert ist, wenn es insgesamt an hinreichend gewichtigen entlastenden Umständen fehlt (Urteil vom 25. März 2010 - BVerwG 2 C 83.08 - a.a.O.) Anders als bei einem solchen unmittelbaren Eingriff in die sexuelle Selbstbestimmung ist beim Besitz kinderpornografischer Schriften eine Regeleinstufung nicht angezeigt, weil die Variationsbreite der jeweiligen Schwere der außerdienstlichen Verfehlung zu groß ist. Dies gilt für den Besitz kinderpornografischer Schriften namentlich dann, wenn es an einem dienstlichen Bezug des strafbaren Verhaltens fehlt. In diesen Fällen hat sich die Maßnahmebemessung als Richtschnur an der jeweiligen Strafandrohung auszurichten. Denn durch die Strafandrohung bringt der Gesetzgeber seine Einschätzung zum Unwert eines Verhaltens verbindlich zum Ausdruck. Die Anknüpfung an den Strafrahmen gewährleistet auch insoweit eine nachvollziehbare und gleichmäßige disziplinarrechtliche Ahndung von Dienstvergehen. Ebenso wie bei einer Regeleinstufung sind die Verwaltungsgerichte auch bei der Bestimmung eines Orientierungsrahmens gehalten, über die erforderliche Disziplinarmaßnahme aufgrund einer prognostischen Gesamtwürdigung unter Berücksichtigung aller im Einzelfall belastenden und entlastenden Gesichtspunkte zu entscheiden. Die Verwaltungsgerichte dürfen ihre eigene Einschätzung des Unwertgehalts eines Delikts nicht an die Stelle der Bewertung des Gesetzgebers setzen, wenn sie den Strafrahmen für unangemessen niedrig halten. Das Ausmaß des Ansehensschadens, der durch eine außerdienstlich begangene Straftat herangerufen wird, wird maßgeblich durch den Strafrahmen bestimmt.

26

Auf der Grundlage des vom Gesetzgeber im Jahr 2003 angehobenen Strafrahmens für das Vergehen des Besitzes kinderpornographischer Schriften, der im mittelschweren Bereich liegt, hat sich die Zuordnung einer Disziplinarmaßnahme für derartige außerdienstliche Verfehlungen als Richtschnur an der Maßnahme der Zurückstufung (§ 9 BDG) zu orientieren. Anders als das Delikt der außerdienstlichen Trunkenheitsfahrt ist der außerdienstliche Besitz kinderpornografischer Schriften in besonderem Maße geeignet, das Ansehen des Beamtentums in bedeutsamer Weise zu beeinträchtigen. Dies folgt aus den mit dem Delikt einhergehenden Eingriff in die Menschenwürde des Kindes, das zum bloßen Objekt sexueller Begierde degradiert wird. Dieser Unrechtsgehalt hat im Strafrahmen seinen Ausdruck gefunden.

27

3. Die tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts reichen in mehrfacher Hinsicht für eine Bestimmung der angemessenen Disziplinarmaßnahme im konkreten Fall durch den Senat nicht aus:

28

a) Das Ausmaß des Dienstvergehens des Beklagten ist vom Berufungsgericht nicht eindeutig festgestellt worden. Bei der disziplinarrechtlichen Ahndung des Dienstvergehens des Besitzes kinderpornographischer Schriften kommt es auch auf deren Anzahl an. Insoweit sind die Angaben im Berufungsurteil unklar. Einerseits ist das Berufungsgericht im Anschluss an das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, auf den Computern des Beklagten seien 20 verschiedene ungelöschte kinderpornographische Bilder und 17 verschiedene ungelöschte kinderpornographische Filme vorhanden gewesen. Andererseits ist im Berufungsurteil mehrfach die Rede davon, der Beklagte habe "mindestens" diese Anzahl von verschiedenen ungelöschten Bildern und Videosequenzen abgespeichert. Die Verwendung des Wortes "mindestens" schließt nicht aus, dass die tatsächliche Zahl der Dateien höher ist. Damit ist aber das dem Beklagten zur Last gelegte Fehlverhalten nicht hinreichend deutlich festgestellt. Zugleich lassen es die häufige Verwendung des Wortes "mindestens" sowie die Ausführungen zu den vom Berufungsgericht angenommenen Persönlichkeitsmängeln des Beklagten als möglich erscheinen, dass dem Beklagten der sonstige Inhalt der Festplatten seiner Computer (gelöschte Bilder und Videosequenzen, sog. Posingbilder und tierpornographische Filme), doch angelastet worden ist.

29

b) Die tatsächlichen Feststellungen im Berufungsurteil zu den Auswirkungen der Verhaltenstherapie, die der Beklagte im März 2009 im Hinblick auf den Besitz kinderpornographischer Schriften begonnen hat, sind unzureichend. Hierzu eigene Feststellungen zu treffen, ist dem Revisionsgericht versagt.

30

Auch das Verhalten des Beamten nach der Entdeckung der Tat und dem Beginn der Ermittlungen ist für die Entscheidung der Verwaltungsgerichte nach § 13 BDG relevant. Dies gilt zu Lasten des Beamten wie auch zu seinen Gunsten. Das Persönlichkeitsbild und die Verhaltensprognose sind ungünstig, wenn eine im Hinblick auf das Dienstvergehen begonnene Therapie ohne Erfolg bleibt. Dies macht zudem deutlich, dass der Beamte uneinsichtig ist und sich die im Strafverfahren ausgesprochene Geldstrafe nicht als Pflichtenmahnung hat dienen lassen (Urteil vom 25. August 2009 - BVerwG 1 D 1.08 - a.a.O. Rn. 70 und Beschluss vom 5. März 2010 - BVerwG 2 B 22.09 - NJW 2010, 2229 <2231>). Demgegenüber können nachträgliche Therapiemaßnahmen bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme mildernd berücksichtigt werden, wenn eine günstige Zukunftsprognose gestellt werden kann (Urteil vom 27. November 2001 - BVerwG 1 D 64.00 - Rn. 35 m.w.N., juris). Hieraus ergibt sich die Notwendigkeit festzustellen, inwieweit eine vom Beamten im Hinblick auf sein Fehlverhalten begonnene Therapie Erfolg hat. Bei der Würdigung ist zu berücksichtigen, dass entlastende Umstände nach dem Grundsatz "in dubio pro reo" schon dann beachtlich sind, wenn hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für ihr Vorliegen gegeben sind und eine weitere Sachverhaltsaufklärung nicht möglich ist (Urteil vom 24. September 2009 - BVerwG 2 C 80.08 - Buchholz 235.1 § 55 BDG Nr. 4 Rn. 22 m.w.N.).

31

Für die Beurteilung des Erfolgs einer Verhaltenstherapie bedarf es besonderer Sachkunde, über die Richter regelmäßig nicht verfügen. Das Berufungsgericht hat eine eigenständige Bewertung der bisherigen Ergebnisse der Therapie vorgenommen, ohne aber die angenommene eigene Sachkunde nachvollziehbar zu belegen. Für seine erneute Entscheidung wird das Berufungsgericht zur Aufklärung der Ergebnisse der Therapie entweder den behandelnden Therapeuten als sachverständigen Zeugen vernehmen oder aber einen bisher nicht mit der Behandlung des Beklagten befassten Sachverständigen mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragen müssen.

32

c) Bei seiner erneuten Bemessungsentscheidung wird das Berufungsgericht ferner zu beachten haben, dass dem Beamten bei der Gesamtwürdigung aller Umstände rechtlich zutreffende Äußerungen nicht zum Vorwurf gemacht werden können. Dies gilt hier insbesondere für das Vorbringen, es handele sich um ein außerdienstliches Dienstvergehen, für dessen disziplinarrechtliche Ahndung besondere Regelungen gelten.

33

4. Sollte das Berufungsgericht bei seiner neuen Ermessensentscheidung nach § 13 BDG zu dem Ergebnis kommen, angemessene Disziplinarmaßnahme sei die Zurückstufung des Beklagten nach § 9 BDG, so wäre diese aus laufbahnrechtlichen Gründen von vornherein ausgeschlossen (Urteil vom 12. April 2000 - BVerwG 1 D 12.99 - Buchholz 232 § 73 BBG Nr. 20 S. 20). Denn der Beklagte wurde nach den tatsächlichen Feststellungen im Berufungsurteil nach erfolgreichem Abschluss des Aufstiegsverfahrens im August 2005 zum Zollinspektor ernannt und befindet sich noch im Eingangsamt der Laufbahn des gehobenen Dienstes (Anlage 1 zu § 9 Abs. 1 BLV).

34

Ist eine Zurückstufung aus rechtlichen Gründen ausgeschlossen, ist auf die nächstmildere Maßnahme der Kürzung der Dienstbezüge zu erkennen. In diesem Fall ist § 14 Abs. 1 Nr. 2 BDG zu berücksichtigen, weil gegen den Beklagten wegen desselben Sachverhalts im Strafverfahren unanfechtbar eine Geldstrafe verhängt worden ist. Bleibt der Beamte aus laufbahnrechtlichen Gründen von der an sich gebotenen Disziplinarmaßnahme der Zurückstufung nach § 9 BDG verschont und wird allein deshalb eine Kürzung der Dienstbezüge (§ 8 BDG) ausgesprochen, so sind die besonderen Voraussetzungen des § 14 Abs. 1 Nr. 2 BDG stets erfüllt. Der Ausschluss der Zurückstufung lässt die mildere Maßnahme der Kürzung der Dienstbezüge neben der im Strafverfahren verhängten Strafe als erforderlich erscheinen, um den Beamten zur Pflichterfüllung anzuhalten. Auf das Vorliegen konkreter Umstände für eine Wiederholungsgefahr (vgl. Urteil vom 23. Februar 2005 - BVerwG 1 D 13.04 - BVerwGE 123, 75 <80> = Buchholz 235.1 § 85 BDG Nr. 8 S. 18) kommt es in diesem Fall nicht an.

35

Nach § 15 Abs. 4 und 5 BDG ist eine Ahndung des Dienstvergehens des Beklagten mit einer Kürzung der Dienstbezüge noch möglich.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.

Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:

1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;
2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;
3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird;
4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden;
5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären;
6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden;
7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen;
8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht;
9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung;
10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist;
11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.

(1) Kosten sind die Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) und die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten einschließlich der Kosten des Vorverfahrens.

(2) Die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts oder eines Rechtsbeistands, in den in § 67 Absatz 2 Satz 2 Nummer 3 und 3a genannten Angelegenheiten auch einer der dort genannten Personen, sind stets erstattungsfähig. Soweit ein Vorverfahren geschwebt hat, sind Gebühren und Auslagen erstattungsfähig, wenn das Gericht die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig erklärt. Juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behörden können an Stelle ihrer tatsächlichen notwendigen Aufwendungen für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen den in Nummer 7002 der Anlage 1 zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz bestimmten Höchstsatz der Pauschale fordern.

(3) Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nur erstattungsfähig, wenn sie das Gericht aus Billigkeit der unterliegenden Partei oder der Staatskasse auferlegt.