Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Urteil, 24. Feb. 2016 - 7 A 1623/14
Gericht
Tenor
Das angefochtene Urteil wird geändert.
Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, das Wohngebäude der Klägerin auf dem Grundstück S. 12 b in X. (Gemarkung E.------------ , Flur 19, Flurstück 209) weiterhin zu dulden.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Tatbestand:
2Die Rechtsstreitigkeit betrifft die Frage, ob die Beklagte aufgrund einer schriftlichen Erklärung aus dem Jahr 1989 zur Duldung des im Außenbereich gelegenen Wohnhauses der Klägerin verpflichtet ist.
3Die Klägerin ist Eigentümerin des mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücks in X. mit der Bezeichnung S. 12 b (Gemarkung E.------ , Flur 19, Flurstück 209); zuvor stand das Grundstück im Miteigentum der Klägerin und ihres während des Berufungsverfahrens verstorbenen Ehemanns, des früheren Klägers zu 2. Das Grundstück grenzt im Westen an die ebenfalls im Eigentum der Klägerin stehende Wegeparzelle 155. Diese setzt die Erschließung ihres Grundstücks durch die südlich angrenzende Wegeparzelle 153 fort, die im privaten Eigentum Dritter steht. Das Grundstück ist Teil einer Splittersiedlung im Außenbereich von X. .
4Zur Entstehungsgeschichte des Gebäudes der Klägerin ergibt sich aus den Verwaltungsvorgängen folgendes: Am 2.7.1963 wurde dem Voreigentümer des Grundstücks, Herrn I. G. , eine Baugenehmigung zur Errichtung einer Doppelgarage erteilt. Mit Bauantrag vom 17.5.1967 beantragte der Voreigentümer eine Baugenehmigung für ein Einfamilienwohnhaus als Erweiterung der errichteten Garagen. Mit Bescheid vom 28.6.1967 wurde die Baugenehmigung vom Amtsdirektor X. mit der Begründung abgelehnt, das Grundstück liege im Außenbereich und beeinträchtige öffentliche Belange (Verdichtung der vorhandenen Splittersiedlung, Widerspruch zu Darstellungen des Flächennutzungsplans, Beeinträchtigung der natürlichen Eigenart der Landschaft). Am 31.1.1969 wurde bei einer Ortsbesichtigung festgestellt, dass am Standort der genehmigten Doppelgarage ein Wohnhaus mit einem auf die Garagen aufgestockten Geschoss in den Maßen 10,59 x 6,24 m und mit einem Hobbyraum im Untergeschoß als Erweiterung der Garagen mit den Maßen 3,04 x 6,24 m errichtet worden war und von den Eheleuten G. bewohnt wurde.
5Unter dem 3.3.1969 erließ der Amtsdirektor X. eine Verfügung, mit der die Beseitigung des Anbaus und der Aufstockung sowie die Wiederherstellung der Doppelgarage angeordnet wurden. Ferner wurde die Beseitigung einer Remise auf dem Flurstück 207 angeordnet. In einem anschließenden Klageverfahren vor dem VG Düsseldorf (Aktenzeichen: 9 K 380/71) verzichtete der Amtsdirektor X. auf die Vollstreckung aus dieser Ordnungsverfügung für eine Frist von zehn Jahren.
6Unter dem 30.9.1985 wies die Beklagte die Klägerin und ihren Ehemann darauf hin, dass nach Fristablauf des vor dem Verwaltungsgericht Düsseldorf abgeschlossenen Vergleichs nunmehr die Beseitigung erwogen werde; sie sei durch ein Verwaltungsstreitverfahren auf dem angrenzenden Grundstück gezwungen, den Abbruch der baurechtswidrig errichteten Remise sowie des Wohnhauses durchzusetzen. Nach einem Vermerk der Beklagten fand am 15.10.1985 ein Gespräch mit dem damaligen Verfahrensbevollmächtigten der Klägerin und ihres Ehemannes in der Angelegenheit statt. Unter dem 26.3.1986 leitete die Beklagte dem damaligen Verfahrensbevollmächtigten einen Vertragsentwurf zu. Nach dessen § 1 sollte sich die Beklagte zur Duldung des Wohnhauses auf Dauer verpflichten und damit zugleich den Eheleuten L. gestatten, dieses Wohnhaus zu nutzen. Nach Mahnungen des damaligen Verfahrensbevollmächtigten bat er unter dem 19.1.1988 um die Zuleitung einer Duldungsverfügung. Unter dem 18.2.1988 antwortete die Beklagte, dass das Grundstück nicht an einer öffentlichen Straße liege, so dass der Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vertrags nicht in Betracht komme. Es bestehe nur die Möglichkeit einer Duldung, wenn ‑ im Schreiben benannte - bauordnungsrechtliche Probleme (Abstandsverstoß zulasten des angrenzenden Grundstücks S. 12 a) geklärt würden. Am 26.4.1988 fand eine Ortsbesichtigung durch die Beklagte statt. Nach weiteren Erinnerungen wandte sich die Beklagte an den damaligen Verfahrensbevollmächtigten der Klägerin und ihres Ehemannes und teilte unter dem 26.9.1989 mit:
7„…wegen mehrerer Verstöße gegen materielles Baurecht läßt sich leider das ohne Genehmigung errichtete Wohnhaus, welches Herr L. zwischenzeitlich erworben hat, nicht nachträglich bauaufsichtlich genehmigen. Auch ein öffentlicher Vertrag kann wegen dieser Verstöße, die sich nicht ausräumen lassen, nicht abgeschlossen werden, da dieser Vertrag einer Baugenehmigung gleichkommt.
8Ich bin aber bereit, unter nachfolgenden Auflagen das vorhandene Wohnhaus auf dem oben angegebenen Grundstück bis auf weiteres zu dulden.
9„1. Sämtliche anfallenden Schmutzabwässer sind in einer wasserdichten Grube zu sammeln und nach Bedarf entsprechend meiner Satzung über die Entsorgung von Grundstücksentwässerungsanlagen vom 23.09.1985 abfahren zu lassen. Diese Abfuhr ist rechtzeitig bei der Stadt zu beantragen. Die Grube ist auf Dichtheit zu kontrollieren und soweit erforderlich abzudichten, damit sie zur Aufnahme der Abwässer geeignet ist.
102. Das anfallende Regenwasser ist im Untergrund auf eigenem Grundstück zu versickern. Nachbargrundstücke dürfen hierdurch nicht belästigt oder beeinträchtigt werden.
113. Durch diese Duldung wird die Frage der Zuwegung über das Grundstück H. nicht geklärt. Schadenersatzansprüche an die Stadt können hieraus nicht abgeleitet werden.
124. Sollten auf dem Grundstück weitere bauaufsichtliche ungenehmigte Arbeiten durchgeführt werden, so wäre ich gezwungen, meine Duldungsverfügung zu widerrufen.“
13Mit Schreiben vom 28.11.1989 akzeptierten die Klägerin und ihr Ehemann die Verfügung.
14Unter dem 15.8.2011 wandte sich der Sohn der Klägerin unter Vorlage einer Vollmacht an die Beklagte und bat um eine Bestätigung, dass von einer unbefristeten Duldung auszugehen sei. In einem Vermerk 10.11.2011 wertete eine Sachbearbeiterin der Beklagten die Duldung als eine grundstücksbezogene Duldung. Unter dem 21.11.2011 teilte die Beklagte mit, dass hinsichtlich der weiteren Duldung eine baurechtliche Prüfung durch die Rechtsabteilung der oberen Bauaufsicht des S1. -C. Kreises in Anspruch genommen werden solle. Unter dem 14.2.2012 teilte der S1. -C. Kreis der Beklagten mit, dass sie, die Beklagte, bei Aufgabe der Wohnnutzung aus Altersgründen die Beseitigung des Gebäudes fordern müsse. Eine erneute unbegrenzte Duldung über weitere Jahrzehnte sei nicht gesetzeskonform. Der Klägerin und ihrem Ehemann teilte die Beklagte unter dem 5.3.2012 mit, dass unverzüglich die Beseitigung der illegal errichteten Gebäude gefordert werde, sofern das Grundstück vererbt oder veräußert würde. Eine nachträgliche Genehmigung komme wegen der Außenbereichslage und fehlender Baulasten in Bezug auf Abstandflächen und Zuwegung nicht in Betracht. Nach weiterem Schriftwechsel bekräftigte die Beklagte zuletzt mit Schreiben vom 15.11.2013 diese Auffassung.
15Am 11.2.2014 haben die Klägerin und ihr Ehemann Klage erhoben. Zur Begründung haben sie geltend gemacht: Es bestehe für sie ein berechtigtes Interesse daran, nicht auf eine etwaige Beseitigungsverfügung zu warten, sondern die gerichtliche Klarstellung auf dem Wege einer Feststellungsklage zu verfolgen. Materiell-rechtlich sei davon auszugehen, dass die Duldung der Beklagten vom 26.9.1989 objektbezogen und damit nicht nur auf sie, die Klägerin und ihren Ehemann, beschränkt sei.
16Die Klägerin und ihr Ehemann, der frühere Kläger zu 2., haben beantragt,
17festzustellen, dass die Beklagte das auf dem Grundstück S. 12 b, E.------- , Flur 19, Flurstück 209 stehende Wohnhaus in seinem Bestand weiterhin zu dulden hat und zum Erlass einer Beseitigungsverfügung nicht berechtigt ist.
18Die Beklagte hat keinen Antrag gestellt. Sie hat im Wesentlichen vorgetragen, die Duldung sei personen-, und nicht grundstücksbezogen zu verstehen.
19Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 17.7.2014 abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Die Feststellungsklage sei hinsichtlich der Feststellung der Duldungspflicht zulässig. Zwischen den Klägern und der Beklagten bestehe ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis gemäß § 43 Abs. 1 VwGO. Das Feststellungsbegehren sei allerdings unbegründet. Das Gericht folge der von der Beklagten vertretenen Rechtsauffassung im Schriftsatz vom 23.5.2014, dass die unter dem 26.9.1989 ausgesprochene Duldung nur gegenüber den Klägern ergangen sei und nicht etwa den Erklärungswert haben sollte, dass die bauliche Anlage auf Dauer - unbeschadet neuer Eigentumsverhältnisse - zu dulden sei. Dies ergebe sich daraus, dass der ausgesprochenen Duldung gescheiterte Vertragsverhandlungen zum Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vertrags vorangegangen seien. Der ursprünglich von der Beklagten erwogene öffentlich-rechtliche Vertrag sei noch ausdrücklich in seinem § 1 und in der Ergänzung durch § 3 allein auf die Kläger bezogen gewesen. Der vom damaligen Prozessbevollmächtigten der Kläger unternommene Versuch, die gegenüber den Klägern erwogene Duldung auch auf den Sohn der Kläger zu übertragen, sei gerade nicht umgesetzt worden. In der Zusammenschau mit den gescheiterten Verhandlungen zum Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vertrags sei deshalb das Schreiben vom 26.9.1989, das im Betreff auch deutlich auf die Eigentumslage der Kläger Bezug genommen habe, lediglich auf die Kläger zu beziehen. Dies sei auch gerechtfertigt vor dem Hintergrund, dass bei einer Duldung stets auch persönliche Gründe von Bedeutung seien. Der regelmäßige Gehalt einer Duldung möge im Einzelfall ausnahmsweise auch mit grundstücksbezogener Wirkung versehen werden können; ein dieserart abweichender Fall hätte aber ausdrücklich in der Duldung zum Ausdruck gebracht werden müssen. Dies sei nicht der Fall gewesen. Deshalb gehe das Gericht von einer nur gegenüber den Klägern ausgesprochenen Duldung aus. Da die Kläger aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in ihrem Wohnhaus wohnten, sei mithin der Grund für eine Duldung auch entfallen. Hinsichtlich der weiterhin begehrten Feststellung, dass die Beklagte zum Erlass einer Beseitigungsverfügung nicht berechtigt sei, sei das Feststellungsbegehren unzulässig.
20Die Kläger tragen zur Begründung der auf das erste Feststellungsbegehren beschränkten - vom Senat zugelassenen - Berufung vor: Das Verwaltungsgericht habe die Entstehungsgeschichte der Duldungsverfügung unzutreffend beurteilt.
21Zudem gehe das Verwaltungsgericht von einem unzutreffenden Regel-Ausnahme-Verhältnis in Bezug auf Duldungen aus, die einen baulichen Bestand betreffen. Es gehe davon aus, dass der Gehalt einer solchen Duldung im Einzelfall ausnahmsweise mit grundstücksbezogener Wirkung versehen werden könne. Tatsächlich verhalte es sich umgekehrt. Damit weiche das Verwaltungsgericht auch von den Grundsätzen aus dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts NRW vom 16.3.2012 - 2 A 760/10 - ab.
22Die Klägerin beantragt,
23das angefochtene Urteil zu ändern und festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, das auf dem Grundstück S. 12 b, Gemarkung E.--- , Flur 19, Flurstück 209, stehende Wohnhaus in seinem Bestand weiterhin zu dulden.
24Die Beklagte beantragt,
25die Berufung zurückzuweisen.
26Sie trägt zur Begründung im Wesentlichen vor: Aus den Vertragsverhandlungen ergäben sich lediglich Anhaltspunkte für die Zielsetzung, die Duldung auf den Personenkreis der Kläger zu beschränken. Aus dem Urteil des 2. Senats des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 16.3.2012 ergebe sich, dass nur dann im Regelfall von einer grundstücksbezogenen Duldung auszugehen sei, wenn diese inhaltlich einen bestimmten Gebäudebestand betreffe und keine Anhaltspunkte für ein abweichendes Verständnis vorlägen. Solche Anhaltspunkte für ein abweichendes Verständnis ergäben sich hier aber bereits aus der Formulierung, das Wohnhaus sei „bis auf weiteres“ zu dulden. Damit sei eindeutig dokumentiert, dass sie, die Beklagte, sich nicht dafür entschieden habe, das illegal errichtete Wohnhaus für alle Zukunft hinzunehmen. Maßgeblich sei vielmehr, ob sich aus der Formulierung der Duldung eine Einstellung der Bauaufsichtsbehörde ergebe, sich mit der baurechtswidrigen Nutzung auf Dauer abgefunden zu haben. Dies ergebe sich auch aus dem Urteil des OVG NRW vom 23.10.2006 - 7 A 4947/05 -. Demgegenüber dokumentiere die Einschränkung „bis auf weiteres“ die Vorläufigkeit der Duldungsgewährung.
27Der Berichterstatter des Senats hat die Örtlichkeit am 8.10.2015 in Augenschein genommen. Hierbei sind Feststellungen zum Zustand der baulichen Anlagen auf dem Grundstück der Klägerin getroffen worden. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
28E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
29Die Berufung ist zulässig und auch begründet. Die Klage ist zulässig (dazu A.) und hat auch in der Sache Erfolg (dazu B.).
30A. Die Klage ist als Feststellungsklage zulässig.
31Nach § 43 Abs. 1 VwGO kann die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses oder der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat. Nach § 43 Abs. 2 VwGO kann die Feststellung nicht begehrt werden, soweit der Kläger seine Rechte durch Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen kann oder hätte verfolgen können; dies gilt nicht, wenn die Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts begehrt wird. Die Voraussetzungen für die Zulässigkeit der hier erhobenen Feststellungsklage in Bezug auf das Bestehen eines Rechtsverhältnisses sind erfüllt.
32I. Die Feststellungsklage ist nach § 43 Abs. 1 VwGO statthaft.
33Der Antrag der Klägerin richtet sich auf die Feststellung des Bestehens eines Rechtsverhältnisses im Sinne von § 43 Abs. 1 VwGO.
34Unter einem feststellungsfähigen Rechtsverhältnis sind die rechtlichen Beziehungen zu verstehen, die sich aus einem konkreten Sachverhalt aufgrund einer Norm des öffentlichen Rechts für das Verhältnis von (natürlichen oder juristischen) Personen untereinander oder einer Person zu einer Sache ergeben, kraft deren eine der beteiligten Personen etwas Bestimmtes tun muss, kann oder darf oder nicht zu tun braucht. Rechtliche Beziehungen haben sich nur dann zu einem Rechtsverhältnis im Sinne des § 43 Abs. 1 VwGO verdichtet, wenn die Anwendung einer bestimmten Norm des öffentlichen Rechts auf einen bereits übersehbaren Sachverhalt streitig ist.
35Vgl. BVerwG, Urteil vom 26.1.1996 - 8 C 19.94 -, BVerwGE 100, 262, 264 f.
36Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Die Klägerin behauptet das Bestehen einer rechtlichen Beziehung zwischen ihr als Grundstückseigentümerin des Grundstücks S. 12 b und der Beklagten, nach der diese aufgrund der Erklärung vom 26.9.1989 zur Duldung des aufstehenden Wohngebäudes verpflichtet ist. Diese rechtliche Beziehung hat sich hinreichend verdichtet, weil auch nach dem Vortrag der Beklagten im Gerichtsverfahren die Anordnung einer Beseitigung des Gebäudes nach § 61 BauO NRW im Raum steht.
37II. Der Vorrang von Gestaltungsklagen oder Leistungsklagen nach § 43 Abs. 2 VwGO steht der Zulässigkeit der erhobenen Feststellungsklage nicht entgegen.
38Durch diese Bestimmung soll der einem Kläger zustehende Rechtsschutz aus Gründen der Prozessökonomie auf ein einziges Verfahren, nämlich dasjenige, das seinem Anliegen am wirkungsvollsten gerecht wird, konzentriert werden. § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO will mithin unnötige Feststellungsklagen vermeiden, wenn für die Rechtsverfolgung ein unmittelbareres, sachnäheres und wirksameres Verfahren zur Verfügung steht. Davon kann keine Rede sein, wenn die Feststellungsklage einen Rechtsschutz gewährleistet, der weiter reicht, als er mit einer Leistungs- oder Gestaltungsklage erlangt werden kann, wenn also die genannten Klagemöglichkeiten zu keinem gleichwertigen Rechtsschutz führen. Davon ist etwa dann auszugehen, wenn sich der Kläger mit der Erhebung einer Verpflichtungsklage in Widerspruch zu seiner eigenen Rechtsauffassung setzen müsste. So ist etwa vom Bundesverwaltungsgericht entschieden worden, dass ein Kläger nicht auf die Erhebung einer Verpflichtungsklage zur Erlangung einer Erlaubnis verwiesen werden kann, wenn er die beabsichtigte Tätigkeit selbst für erlaubnisfrei hält und keine Erlaubnis anstrebt.
39Vgl. BVerwG, Beschluss vom 26.3.2014
40- 4 B 55.13 -, BRS 82 Nr. 152.
41Nach diesen Maßstäben kann die Klägerin hier nicht auf eine anderweitige Klagemöglichkeit verwiesen werden. Auf eine Verpflichtungsklage, gerichtet auf Erlass eines Duldungsbescheids, kann sie nicht verwiesen werden, weil sie der Sache nach den Rechtsstandpunkt vertritt, dass eine solche Entscheidung in Gestalt des als Duldungsverfügung bezeichneten Schreibens der Beklagten vom 26.9.1989 bereits vorliegt.
42Vgl. zum Verwaltungsaktcharakter von Duldungsbescheiden OVG NRW, Beschluss vom 1.7.2014 - 2 A 690/14 -, juris; OVG NRW, Beschluss vom 29.1.2010 - 10 A 2430/08 -, BRS 76 Nr. 211 = BauR 2010, 1213; Köhler-Rott, in Reichel/Schulte, Handbuch Bauordnungsrecht, 2004, S. 1144 ff.
43Ebenso wenig kann die Klägerin nach diesen Maßstäben darauf verwiesen werden, eine Beseitigungsanordnung abzuwarten und dagegen sodann eine Anfechtungsklage zu erheben. Dies wäre schon wegen der damit verbundenen zwischenzeitlichen Ungewissheit der Rechtslage keine gleichwertige Rechtsschutzmöglichkeit. Zudem wäre auch nicht hinreichend sicher, dass eine Anfechtungsklage tatsächlich zu einer - inzidenten - Klärung des Rechtsverhältnisses führen würde.
44III. Die Klägerin hat auch ein Feststellungsinteresse im Sinne von § 43 Abs. 1 VwGO.
45Das in § 43 Abs. 1 VwGO geforderte berechtigte Interesse des Feststellungsklägers an der erstrebten Feststellung ist nicht gleichbedeutend mit einem rechtlichen Interesse, sondern schließt über ein solches Interesse hinaus jedes als schutzwürdig anzuerkennende Interesse auch wirtschaftlicher oder ideeller Art ein.
46Vgl. BVerwG, Urteil vom 29.6.1995 - 2 C 32.94 -, BVerwGE 99, 64.
47Ein solches Interesse ist hier schon deshalb anzunehmen, weil die Klägerin etwa mit Blick auf einen beabsichtigten Verkauf ein Interesse daran hat, dass geklärt wird, ob die Beklagte als Bauaufsichtsbehörde das Gebäude weiter duldet.
48IV. Der Klägerin fehlt schließlich nicht die Klagebefugnis.
49Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist auf die Feststellungsklage zur Vermeidung der dem Verwaltungsprozessrecht fremden Popularklage die Vorschrift des § 42 Abs. 2 VwGO über die Klagebefugnis entsprechend anzuwenden. Dies bedeutet, dass auch die auf die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses gerichteten Klagen gemäß § 43 Abs. 1 VwGO nur zulässig sind, wenn es dem Kläger dabei um die Verwirklichung seiner Rechte geht, sei es, dass er an dem festzustellenden Rechtsverhältnis selbst beteiligt ist, sei es, dass von dem Rechtsverhältnis immerhin eigene Rechte des Klägers abhängen.
50vgl. BVerwG, Urteil vom 29.6.1995 - 2 C 32.94 -, juris, sowie im Sinne einer ausschließlichen Individualrechtsschutzfunktion der Feststellungsklage auch BVerwG, Beschluss vom 5.10.2009
51- 4 B 8.09 -, juris.
52Diese Zulässigkeitsvoraussetzung der Feststellungsklage ist hier deshalb erfüllt, weil die Klägerin als Grundstückseigentümerin am behaupteten Rechtsverhältnis selbst beteiligt ist.
53B. Die Feststellungsklage ist entgegen der Auffassung der Beklagten auch begründet.
54Die Klägerin kann nach Maßgabe der nachfolgenden Ausführungen die gerichtliche Feststellung verlangen, dass die Beklagte verpflichtet ist, das Wohnhaus auf dem Grundstück S. 12 b weiterhin zu dulden. Es besteht ein solches Rechtsverhältnis zwischen der Klägerin als Grundstückseigentümerin und der Beklagten, aus dem sich diese Verpflichtung der Beklagten gegenüber der Klägerin ergibt. Die Verpflichtung der Beklagten beruht auf ihrem als Duldungsverfügung bezeichneten Schreiben vom 26.9.1989. Das Schreiben der Beklagten vom 25.9.1989 ist als aktive Duldung zu werten, die auch grundstücksbezogen ist (dazu I.), aufgrund dessen ist die Beklagte weiterhin zur Duldung des Gebäudes als Wohnhaus verpflichtet (dazu II.).
55I. Das Schreiben vom 26.9.1989 ist eine aktive Duldung.
56Nach der Rechtsprechung der Bausenate des erkennenden Gerichts ist im Bauordnungsrecht zwischen faktischer und aktiver Duldung zu unterscheiden. Unter einer faktischen Duldung versteht man, dass die Behörde einen illegalen Zustand über einen längeren Zeitraum hinnimmt. Die faktische Duldung vermag grundsätzlich keinen Vertrauenstatbestand des Ordnungspflichtigen zu begründen, der illegale Zustand werde auch künftig hingenommen werden. Bei einer faktischen Duldung ist ein späteres bauaufsichtliches Einschreiten daher zulässig. Bei einer so genannten aktiven Duldung kann sich hingegen ein - einem bauaufsichtlichen Einschreiten entgegenstehender - Vertrauenstatbestand ergeben. Angesichts des Ausnahmecharakters und der weit reichenden Folgen einer solchen aktiven Duldung, bei der die Behörde an der Beseitigung rechtswidriger Zustände gehindert ist, muss den entsprechenden Erklärungen der Behörde mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen sein, ob, in welchem Umfang und gegebenenfalls über welchen Zeitraum die Duldung des illegalen Zustands erfolgen soll.
57Vgl. OVG NRW, Urteil vom 16.3.2012
58- 2 A 760/10 - juris, mit umfangreichen Nachweisen; sowie OVG NRW, Beschluss vom 28.8.2014
59- 7 B 940/14 -, juris (Duldung einer Nutzung);
60OVG NRW, Beschluss vom 11.11.2013
61- 7 E 1036/13 -, juris (Duldung der Existenz eines Gebäudes).
62Nach diesen Maßstäben handelt es sich hier um eine aktive Duldung.
63Der Erklärung der Beklagten vom 26.9.1989 ist hinreichend deutlich zu entnehmen, in welchem Umfang und über welchen Zeitraum die Duldung des materiell illegalen Zustands des Wohngebäudes erfolgen soll. Der Umfang der Duldung bezieht sich auf das vorhandene Wohnhaus. Dies impliziert den Schutz der Bausubstanz ebenso wie die Nutzung zu Wohnzwecken. Entgegen der in der mündlichen Verhandlung geäußerten Meinung der Beklagten war und ist der geschützte Bestand aus der maßgeblichen objektiven Empfängerperspektive - ebenso wie anhand der Vermerke über behördliche Ortsbesichtigungen in den vorliegenden Bauakten - in hinreichender Weise feststellbar.
64Die Duldung ist dem Wortlaut des Schreibens nach zeitlich nicht begrenzt. Der Zusatz „bis auf weiteres“ ist nach Auffassung des Senats - dem allgemeinen Sprachgebrauch folgend - im Sinne von „auf Widerruf“ bzw. „bis anderes verlautet“ zu verstehen. Er bezieht sich inhaltlich - aus Sicht eines vernünftigen Adressaten - auf das in Nr. 4 des Schreibens ausdrücklich vorgesehene Widerrufs-recht. Eine weitergehende Bedeutung - etwa im Sinne eines voraussetzungslosen Widerrufsrechts - vermag der Senat dem Zusatz nicht zu entnehmen. Eine andere Auslegung widerspräche auch dem bindenden Charakter, den die aktive Duldung im Gegensatz zu einer nur faktischen Duldung besitzt. Aus dem genannten Zusatz ergibt sich mithin nicht etwa, wie es wohl der Beklagten vorschwebt, für sie die Möglichkeit, jederzeit ihre Auffassung zu ändern und gegen das vorhandene Wohnhaus einzuschreiten, wie dies bei einer nur faktischen Duldung der Fall wäre. Der Senat vermag sich auch nicht der in der mündlichen Verhandlung von der Beklagten vorgebrachten Erwägung anzuschließen, es habe sich offensichtlich nur um eine „Zwischenlösung“ gehandelt, weil der damaligen Sachbearbeiter nur eine „Zwischenlösung“ habe erreichen wollen, um die Angelegenheit „vom zu Tisch haben“. Ob eine solche Absicht bestand, mag dahinstehen. In der Erklärung der Beklagten vom 26.9.1989 ist sie jedenfalls nicht in hinreichender Weise zum Ausdruck gelangt.
65Die aktive Duldung in Gestalt des Schreibens vom 26.9.1989 ist auch grundstücksbezogen. Sie betrifft nicht nur die Nutzung zu Wohnzwecken durch die Klägerin bzw. ihren Ehemann, den verstorbenen früheren Kläger zu 2., bis zu deren Auszug, oder durch andere Personen bis zu einem Verkauf oder bis zum Tod der Eigentümer, sondern darüber hinaus auch den Bestand des vorhandenen Wohnhauses.
66Für die Auslegung der Duldung als auch grundstücksbezogen in diesem Sinne spricht bereits der Wortlaut, der sich auf die Duldung des „vorhandenen Wohnhauses“ und nicht lediglich auf dessen Nutzung zu Wohnzwecken im allgemeinen oder durch einen bestimmten Personenkreis bezieht.
67Vgl. zum Wortlaut entsprechender personenbezogener Duldungen OVG NRW, Urteil vom 23.10.2006 - 7 A 4947/05 -, BRS 70 Nr. 187 = BauR 2007, 1009.
68Auf die Dauer des Duldungszeitraums kommt es insoweit nicht allein entscheidend an. Die von der Beklagten zitierte Entscheidung des Senats vom 23.10.2006 gibt dafür nichts her. Zudem greift der Einwand der Beklagten nicht durch, die aus dem Ausdruck „bis auf Weiteres“ auch ableiten möchte, dass es sich lediglich um eine personenbezogene Duldung handeln könne.
69Im Übrigen spricht gegen eine personenbezogene Beurteilung, dass der Inhalt der Auflage Nr. 2, nach der das Regenwasser auf dem eigenen Grundstück zu versickern ist, einen eindeutigen Grundstücksbezug besitzt.
70Die Vorgeschichte des Erlasses der Duldungsverfügung rechtfertigt keine andere Beurteilung. Dies gilt insbesondere für die gescheiterten Verhandlungen über eine vertragliche Duldungsvereinbarung. Es kann dahin stehen, ob die Beklagte seinerzeit die Absicht hatte, eine Fortdauer der Nutzung auf die Zeit bis zum Auszug der Klägerin und ihres Ehemanns, bis zum Verkaufsfall oder bis zu ihrem Tod zu beschränken. Denn in der Duldungsverfügung kommen Anhaltspunkte für eine solche Absicht, an die eine entsprechende Auslegung anknüpfen könnte, nicht zum Ausdruck. Abgesehen davon spricht gerade auch der ursprüngliche Vertragsentwurf mit seiner Regelung zur Duldung des Wohnhauses auf Dauer
71(§ 1) und mit der Regelung zu Verpflichtungen im Verkaufsfalle (§ 3) gegen eine nur personenbezogene Wertung. Aus dem Umstand, dass eine Regelung für den Erbfall von der Beklagten als ausdrückliche Regelung abgelehnt wurde, folgt nichts anderes. Dabei hätte es sich nur um eine Klarstellung gehandelt, weil auch dieser Aspekt durch die geplante Regelung zur Duldung auf Dauer in § 1 des Entwurfs bereits erfasst war.
72Ein fehlender Grundstücksbezug ergibt sich auch nicht etwa, wie die Beklagte meint, mit Blick auf die Angabe in der Kopfzeile des Schreibens (Grundstück der Eheleute L. usw.). Dadurch sollte nicht ein immanenter Vorbehalt in dem Sinne festgeschrieben werden, dass die Verfügung nur so lange gelte, wie die genannten Personen Eigentümer waren, sondern es sollte bei objektiver Betrachtung der Gegenstand der Erklärung bezeichnet werden, d. h. das Grundstück, auf dem sich das durch die Erklärung begünstigte, nachfolgend genannte „vorhandene Wohnhaus“ befand.
73Soweit in der Rechtsprechung der Bausenate des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen nicht abschließend geklärt ist, ob es für die Annahme einer aktiven Duldung im Rechtssinne der Schriftform bedarf, ist dies hier nicht zu klären, weil die als Duldungsverfügung bezeichnete aktive Duldung vom 26.9.1989 schriftlich erlassen worden ist.
74II. Die rechtliche Wirkung der aktiven Duldungserklärung der Beklagten vom 26.9.1989 ist nicht nachträglich entfallen, so dass das Rechtsverhältnis, dessen Feststellung die Klägerin verlangt, auch im maßgeblichen Zeitpunkt der Senatsentscheidung besteht.
75Ein Widerruf nach Nr. 4 der Erklärung ist nicht erfolgt. Nach den Feststellungen im Ortstermin sind im Übrigen auch keine Anhaltspunkte dafür gegeben, dass ein Widerruf nach Nr. 4 der Erklärung vom 26.9.1989 wegen nachträglicher bauaufsichtlich ungenehmigter Arbeiten in Betracht kommt. Wesentliche Änderungen sind hier nach dem Inhalt der Akten und dem Eindruck des Berichterstatters, den dieser bei der Ortsbesichtigung gewonnen und den Senatsmitgliedern in der Beratung vermittelt hat, nicht feststellbar. Die vorgenommenen Änderungen betreffen Maßnahmen der Instandhaltung (neue Dacheindeckung) und sind im Übrigen nur von unerheblichem Umfang. Deshalb bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass sich die aktive Duldung wegen Änderungen ihres Gegenstands nach allgemeinen Grundsätzen erledigt haben könnte.
76Unter welchen Voraussetzungen nach allgemeinen Grundsätzen die Aufhebung einer aktiven Duldung erfolgen kann, bedarf keiner abschließenden Beurteilung. Eine solche konstitutive Aufhebungserklärung hat die Beklagte weder ausdrücklich noch der Sache nach abgegeben. Hierzu ist lediglich vorsorglich zu bemerken, dass eine solche Befugnis nach § 48 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 VwVfG NRW oder nach § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 VwVfG NRW in Verbindung mit § 61 Abs. 2,
77§ 87 Abs. 1 BauO NRW in Betracht kommen könnte, wenn sich herausstellt, dass Anforderungen des Brandschutzes nicht gewahrt sind. Anhaltspunkte für einen solchen Sachverhalt hat die Beklagte allerdings nicht aufgezeigt.
78Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
79Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO und §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Die Entscheidung über die Nichtzulassung der Revision ergibt sich aus § 132 Abs. 2 VwGO; Zulassungsgründe sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
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(1) Durch Klage kann die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses oder der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat (Feststellungsklage).
(2) Die Feststellung kann nicht begehrt werden, soweit der Kläger seine Rechte durch Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen kann oder hätte verfolgen können. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts begehrt wird.
(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts (Anfechtungsklage) sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts (Verpflichtungsklage) begehrt werden.
(2) Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage nur zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt oder seine Ablehnung oder Unterlassung in seinen Rechten verletzt zu sein.
(1) Durch Klage kann die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses oder der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat (Feststellungsklage).
(2) Die Feststellung kann nicht begehrt werden, soweit der Kläger seine Rechte durch Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen kann oder hätte verfolgen können. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts begehrt wird.
(1) Ein rechtswidriger Verwaltungsakt kann, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), darf nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 zurückgenommen werden.
(2) Ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der eine einmalige oder laufende Geldleistung oder teilbare Sachleistung gewährt oder hierfür Voraussetzung ist, darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte gewährte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, wenn er
- 1.
den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat; - 2.
den Verwaltungsakt durch Angaben erwirkt hat, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren; - 3.
die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte.
(3) Wird ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der nicht unter Absatz 2 fällt, zurückgenommen, so hat die Behörde dem Betroffenen auf Antrag den Vermögensnachteil auszugleichen, den dieser dadurch erleidet, dass er auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat, soweit sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse schutzwürdig ist. Absatz 2 Satz 3 ist anzuwenden. Der Vermögensnachteil ist jedoch nicht über den Betrag des Interesses hinaus zu ersetzen, das der Betroffene an dem Bestand des Verwaltungsaktes hat. Der auszugleichende Vermögensnachteil wird durch die Behörde festgesetzt. Der Anspruch kann nur innerhalb eines Jahres geltend gemacht werden; die Frist beginnt, sobald die Behörde den Betroffenen auf sie hingewiesen hat.
(4) Erhält die Behörde von Tatsachen Kenntnis, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes rechtfertigen, so ist die Rücknahme nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme zulässig. Dies gilt nicht im Falle des Absatzes 2 Satz 3 Nr. 1.
(5) Über die Rücknahme entscheidet nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes die nach § 3 zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der zurückzunehmende Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen worden ist.
(1) Ein rechtmäßiger nicht begünstigender Verwaltungsakt kann, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft widerrufen werden, außer wenn ein Verwaltungsakt gleichen Inhalts erneut erlassen werden müsste oder aus anderen Gründen ein Widerruf unzulässig ist.
(2) Ein rechtmäßiger begünstigender Verwaltungsakt darf, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft nur widerrufen werden,
- 1.
wenn der Widerruf durch Rechtsvorschrift zugelassen oder im Verwaltungsakt vorbehalten ist; - 2.
wenn mit dem Verwaltungsakt eine Auflage verbunden ist und der Begünstigte diese nicht oder nicht innerhalb einer ihm gesetzten Frist erfüllt hat; - 3.
wenn die Behörde auf Grund nachträglich eingetretener Tatsachen berechtigt wäre, den Verwaltungsakt nicht zu erlassen, und wenn ohne den Widerruf das öffentliche Interesse gefährdet würde; - 4.
wenn die Behörde auf Grund einer geänderten Rechtsvorschrift berechtigt wäre, den Verwaltungsakt nicht zu erlassen, soweit der Begünstigte von der Vergünstigung noch keinen Gebrauch gemacht oder auf Grund des Verwaltungsaktes noch keine Leistungen empfangen hat, und wenn ohne den Widerruf das öffentliche Interesse gefährdet würde; - 5.
um schwere Nachteile für das Gemeinwohl zu verhüten oder zu beseitigen.
(3) Ein rechtmäßiger Verwaltungsakt, der eine einmalige oder laufende Geldleistung oder teilbare Sachleistung zur Erfüllung eines bestimmten Zwecks gewährt oder hierfür Voraussetzung ist, kann, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise auch mit Wirkung für die Vergangenheit widerrufen werden,
- 1.
wenn die Leistung nicht, nicht alsbald nach der Erbringung oder nicht mehr für den in dem Verwaltungsakt bestimmten Zweck verwendet wird; - 2.
wenn mit dem Verwaltungsakt eine Auflage verbunden ist und der Begünstigte diese nicht oder nicht innerhalb einer ihm gesetzten Frist erfüllt hat.
(4) Der widerrufene Verwaltungsakt wird mit dem Wirksamwerden des Widerrufs unwirksam, wenn die Behörde keinen anderen Zeitpunkt bestimmt.
(5) Über den Widerruf entscheidet nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes die nach § 3 zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der zu widerrufende Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen worden ist.
(6) Wird ein begünstigender Verwaltungsakt in den Fällen des Absatzes 2 Nr. 3 bis 5 widerrufen, so hat die Behörde den Betroffenen auf Antrag für den Vermögensnachteil zu entschädigen, den dieser dadurch erleidet, dass er auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat, soweit sein Vertrauen schutzwürdig ist. § 48 Abs. 3 Satz 3 bis 5 gilt entsprechend. Für Streitigkeiten über die Entschädigung ist der ordentliche Rechtsweg gegeben.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.
(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.
Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:
- 1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen; - 2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a; - 3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird; - 4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden; - 5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären; - 6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden; - 7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen; - 8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht; - 9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung; - 10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist; - 11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.
(1) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts (§ 49 Nr. 1) und gegen Beschlüsse nach § 47 Abs. 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht zu, wenn das Oberverwaltungsgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung das Bundesverwaltungsgericht sie zugelassen hat.
(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, - 2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder - 3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
(3) Das Bundesverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden.