Oberlandesgericht Düsseldorf Urteil, 21. Jan. 2016 - I-2 U 50/15
Tenor
A.Auf die Berufung der Verfügungsklägerin wird das am 1. Oktober 2015 verkündete Urteil der 4c Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
I.Der Verfügungsbeklagten wird im Wege der einstweiligen Verfügung aufgegeben,
1.
es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 EUR - ersatzweise Ordnungshaft - oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft hinsichtlich der Verfügungsbeklagten an ihren Geschäftsführern zu vollziehen ist, zu unterlassen,
ballonexpandierbare Stents, die einen Hauptkörper umfassen, wobei der Hauptkörper eine im Allgemeinen zylindrische Form und eine Zylinderachse besitzt und der Hauptkörper, wenn der Stent ungespreizt ist, mehrere spreizbare helikale Segmente umfasst, wobei der Hauptkörper darüber hinaus mehrere zylindrische Elemente umfasst, die kollineare Zylinderachsen aufweisen, wobei die zylindrischen Elemente des Hauptkörpers einander benachbart sind und durch helikale Segmente aneinander befestigt sind, wobei jedes zylindrische Element des Hauptkörpers einen Umfang besitzt, der mit jenem eines benachbarten zylindrischen Elements im Wesentlichen übereinstimmt und mehrere spreizbare Umfangssegmente umfasst, die zwischen aufeinanderfolgenden Verbindungselementen positioniert sind, die besagtes zylindrisches Element mit einem benachbarten zylindrischen Element verbinden, wobei die Umfangssegmente durch Teilbereiche der helikalen Segmente miteinander verbunden sind, um die zylindrischen Elemente zu bilden, wobei die mehreren Umfangssegmente eine Mehrheit des Umfangs jedeszylindrischen Elements umfassen,
in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen,
bei denen
die zylindrischen Elemente erste Umfangssegmente enthalten, die sich mit zweiten Umfangssegmenten abwechseln,
die besagten zweiten Umfangssegmente einer im Allgemeinen S-förmigen Struktur ähneln und drei lineare Teilbereiche aufweisen, welche miteinander durch zwei gebogene Teilbereiche verbunden sind,
die besagten ersten Umfangssegmente fünf lineare Teilbereiche aufweisen, welche miteinander durch vier gebogene Teilbereiche verbunden sind,
benachbarte zylindrische Elemente miteinander durch zwei Verbindungselemente verbunden sind,
die zweiten Umfangssegmente von benachbarten zylindrischen Elementen durch Verbindungselemente miteinander verbunden sind und so eines von zwei ersten spreizbaren helikalen Segmenten bilden,
die ersten Umfangssegmente von benachbarten zylindrischen Elementen durch Verbindungselemente miteinander verbunden sind und so eines von zwei zweiten spreizbaren helikalen Segmenten bilden,
die besagten ersten spreizbaren helikalen Segmente im Allgemeinen parallel zueinander und 180 Grad voneinander entfernt verlaufen,
die besagten zweiten spreizbaren helikalen Segmente im Allgemeinen parallel zueinander und 180 Grad voneinander entfernt verlaufen,
die ersten Umfangssegmente lineare Teilbereiche und gebogene Teilbereiche umfassen, die die linearen Teilbereiche miteinander verbinden, um ein sich wiederholendes Muster zu bilden und
bei denen die zweiten helikalen Segmente die ersten helikalen Segmente in gemeinsamen Verbindungselementen kreuzen;
2.
der Verfügungsklägerin unverzüglich, nämlich binnen vier Wochen ab Verkündung dieses Urteils, darüber Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang sie (die Verfügungsbeklagte) die zu Ziffer 1 bezeichneten Handlungen seit dem 20. Oktober 2010 begangen hat, und zwar unter Angabe
a) der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,
b) der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer sowie der Verkaufsstellen, für die die Erzeugnisse bestimmt waren,
c) der Menge der hergestellten, ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse bezahlt wurden;
wobei zum Nachweis der Angaben die entsprechenden Kaufbelege (nämlich Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine) in Kopie vorzulegen sind, wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen.
3.Im Übrigen wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen.
II.
Die Vollziehung der einstweiligen Verfügung ist davon abhängig, dass die Verfügungsklägerin zuvor eine Sicherheit in Höhe von 500.000,00 EUR leistet.
B.
Die Kosten des Verfahrens erster und zweiter Instanz werden gegeneinander aufgehoben.
C.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren und – in Abänderung der landgerichtlichen Wertfestsetzung – der Streitwert für den ersten Rechtszug werden auf 1.000.000,00 EUR festgesetzt.
1
G r ü n d e :
2A.
3Von einer Darstellung des Sachverhaltes wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 Satz 1, 542 Abs. 2 Satz 1 ZPO abgesehen.
4B.
5Die Berufung der Verfügungsklägerin ist zulässig und zum Teil begründet. Der Verfügungsklägerin steht gegen die Verfügungsbeklagte im nunmehr zuerkannten Umfang ein im Wege der einstweiligen Verfügung durchsetzbarer Unterlassungsanspruch nach Art. 64 Abs. 1 EPÜ, §§ 139 Abs. 1, 9 Satz 2 Nr. 1 PatG zu. Denn die Verfügungsbeklagte macht mit den angegriffenen Stents „B“ und „C“ von der technischen Lehre des Verfügungspatents (dem deutschen Teil des europäischen Patents EP 1 341 AAA) wortsinngemäß Gebrauch. Neben dem deshalb gegebenen Verfügungsanspruch besteht auch ein Verfügungsgrund. Insbesondere bestehen entgegen der Auffassung der Beklagten keine durchgreifenden Bedenken an der zeitlichen Dringlichkeit der Angelegenheit. Der Verfügungsklägerin steht gegen die Verfügungsbeklagte ferner ein Auskunftsanspruch zu, den sie ebenfalls im Wege der einstweiligen Verfügung durchsetzen kann, Art. 64 Abs. 1 EPÜ, § 140b Abs. 1, 3 und 7 PatG. Der weitergehende Verfügungsantrag hat hingegen keinen Erfolg. Die Verfügungsklägerin hat nicht glaubhaft gemacht, dass ihr zur Sicherung eines gegen die Verfügungsbeklagte zustehenden Vernichtungsanspruchs ein Verwahrungsanspruch zusteht. Auch besteht ein im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes durchsetzbarer Beseitigungsanspruch nicht.
6I.
7Das Verfügungspatent betrifft einen Stent.
8Wie die Verfügungspatentschrift in ihrer Einleitung ausführt, sind Stents prothetische Vorrichtungen, die in das Lumen eines Gefäßes im Körperinneren implantiert werden, um die Gefäßwand zu stützen. Die strukturelle Verstärkung durch Stents ist insbesondere bei angioplastischen Verfahren wichtig (Anlage AR I-4, Abs. [0002]; die nachfolgenden Bezugnahmen beziehen sich jeweils auf die von der Verfügungsklägerin vorgelegte deutsche Übersetzung der geänderten Verfügungspatentschrift). Üblicherweise werden Stents in ein Gefäßsystem implantiert, um Gefäße zu stabilisieren, die teilweise verstopft, kollabierend, geschwächt oder ungewöhnlich erweitert sind. Ganz allgemein können Stents in jedem physiologischen Kanal oder Gang verwendet werden, z.B. in Arterien, Venen, Gallengängen, Harnwegen, dem Verdauungstrakt oder dem Urogenitalsystem. Sie sind sowohl bei Menschen als auch bei Tieren verwendbar (Abs. [0002]).
9Es gibt zwei übliche Arten von Stents, nämlich zum einen selbstexpandierende Stents und zum anderen ballonexpandierbare Stents. Selbstexpandierende Stents expandieren automatisch, sobald sie freigegeben werden, und nehmen einen eingesetzten, expandierten Zustand an. Ballonexpandierbare Stents werden mit Hilfe eines aufblasbaren Ballonkatheters expandiert. Der Ballon wird aufgeblasen, um den Stent plastisch zu verformen. Solche ballonexpandierbaren Stents werden implantiert, indem der Stent im nicht expandierten oder zusammengepressten Zustand auf einem Ballonsegment eines Katheters befestigt wird. Der Katheter wird nach der Anbringung des zusammengepressten Stents durch eine Öffnung in einer Gefäßwand eingeführt und durch das Gefäß bewegt, bis er sich an der Stelle des Gefäßes befindet, die behandelt werden muss. Dort wird der Stent durch Aufblasen des Ballonkatheters gegen die Innenwand des Gefäßes expandiert. Durch das Aufblasen des Ballons wird der Stent insbesondere plastisch so verformt, dass der Durchmesser des Stents vergrößert wird und in einem vergrößerten Zustand verbleibt. In einigen Fällen kann das Gefäß selbst, in das der Stent implantiert wird, durch den Stent erweitert werden, wenn dieser expandiert wird (Abs. [0003]). Nach dem Expandieren des Stents wird der Ballon wieder entleert. Anschließend werden der Ballon und der Katheter entfernt, so dass nur der ausgedehnte Stent im Körper zurückbleibt. Die Erfindung nach dem Verfügungspatent bezieht sich nach der im Einspruchsverfahren erfolgten Beschränkung des Patentanspruchs auf diese zweite Art von Stents.
10Als Beispiel für einen ballonexpandierbaren Stent benennt die Verfügungspatentschrift den Palmaz-Schatz-Stent, der im „Handbook of Coronary Stents“ von Patrick W. Serruys et al. (Martin Dunitz, LTD 1998) gezeigt ist. Dieser bekannte Stent umfasst nach den Angaben der Verfügungspatentschrift eine Anzahl fortlaufend geschlitzter Rohre, die mittels einer Brücke oder mehrerer Brücken wechselseitig verbunden sind. Das Verfügungspatent kritisiert hieran als nachteilig, dass dieser Stent – wie andere Stents auch – gewissen Einschränkungen unterliegt (Abs. [0004]). Konkret beanstandet das Verfügungspatent die geringe Gleichmäßigkeit des Stent-Gefäß-Verhältnisses (Abs. [0004]), womit der Grad gemeint ist, in dem die Gefäßwand durch den expandierten Stent stabilisiert (gestützt) wird (Abs. [0004]), also das Verhältnis von Stent-Material zum Gefäßgewebe. Nach den Angaben der Verfügungspatentschrift sollte dieses Verhältnis auf der Länge des Stents möglichst gleichmäßig sein (Abs. [0004]). Da der Palmaz-Schatz-Stent aus einer oder mehreren Brücken besteht, die die geschlitzten Röhren miteinander verbinden, gibt es bei diesem Stent eine Reihe von freien Bereichen, sobald dieser entfaltet ist (vgl. Abs. [0004]). Diese freien Bereiche führen bei dem bekannten Stent zu einem nicht gleichförmigen Gefäß-Stent-Verhältnis entlang des Gefäßes. Darüber hinaus bemängelt die Verfügungspatentschrift, dass der Palmaz-Schatz-Stent eine vergleichsweise hohen Steifigkeit sowohl im zusammengepressten als auch im expandierten Zustand sowie – als Folge davon – eine eingeschränkte Flexibilität aufweist, die das Einführen und Platzieren des Stents in engen Gefäßen erschwert (Abs. [0004]).
11Als weiteren Stand der Technik erwähnt das Verfügungspatent die EP-A 0 884 AAB (Anlage AR I-5; deutsche Übersetzung [DE 698 28 AAC T2] Anlage AR I-6), die nach den Ausführungen der Verfügungspatentschrift einen expandierbaren Stent offenbart, der einen Hauptkörper mit einer im Allgemeinen zylindrischen Achse aufweist, wobei der Hauptkörper im nicht expandierten Zustand eine Vielzahl von expandierbaren helikalen Segmenten enthält (Anlage AR I-4, Abs. [0004]).
12Ein konkretes zu lösendes Problem wird in der Beschreibung des Verfügungspatents nicht ausdrücklich formuliert. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bestimmt sich das von einer Schutzrechtslehre gelöste Problem danach, was die Erfindung objektiv leistet, was wiederum durch Auslegung der Patentansprüche, ggf. unter Heranziehung von Beschreibung und Zeichnungen, zu ermitteln ist (BGH, GRUR 2010, 602, 605 – Gelenkanordnung; GRUR 2011, 607, 608 – Kosmetisches Sonnenschutzmittel III; GRUR 2012, 1122, 1123 – Palettenbehälter III; GRUR 2012, 1130 – Leflunomid). Vor dem Hintergrund der in der Einleitung der Verfügungspatentbeschreibung an dem bekannten Palmaz-Schatz-Stent geübten Kritik ergibt sich hier als das dem Verfügungspatent zugrunde liegende Problem, einen verbesserten Stent zur Verfügung zu stellen, der im expandierten Zustand ein relativ gleichmäßiges Stent-Gefäß-Verhältnis hat und der gleichzeitig nicht so starr und nicht nur so begrenzt flexibel wie der Palmaz-Schatz-Stent ist (Abs. [0004], [0006]; vgl. auch Technische Beschwerdekammer [nachfolgend: TB], Entscheidung vom 13.05.2015, Anlage AR 9a, S. 34 Rn. 5.1).
13Zur Lösung dieses Problems schlägt der Verfügungspatentanspruch in seiner im Einspruchsbeschwerdeverfahren durch die Entscheidung der Technischen Beschwerdekammer des Europäischen Patentamtes (Anlage AR 9; deutsche Übersetzung Anlage AR 9a) aufrechterhaltenen Fassung einen Stent mit folgenden Merkmalen vor:
14- 15
1. Ballonexpandierbarer Stent.
- 17
2. Der Stent umfasst einen Hauptkörper (11), der
2.1 eine im Allgemeinen zylindrische Form und eine Zylinderachse (5) besitzt,
192.2 mehrere spreizbare helikale Segmente (30, 40) umfasst, wenn der Stent ungespreizt ist.
20- 21
3. Der Hauptkörper (11) umfasst darüber hinaus mehrere zylindrische Elemente (100).
3.1 Die zylindrischen Elemente (100) weisen kollineare Zylinderachsen auf.
233.2 Die zylindrischen Elemente (100) des Hauptkörpers sind einander benachbart.
243.3 Die zylindrischen Elemente (100) sind durch helikale Segmente (30, 40) aneinander befestigt.
253.4 Jedes zylindrische Element (100) des Hauptkörpers (11) besitzt einen Umfang (110), der mit jenem eines benachbarten zylindrischen Elements (100) im Wesentlichen übereinstimmt.
263.5 Jedes zylindrische Element (100) umfasst mehrere spreizbare Umfangssegmente (50, 60).
273.5.1 Die mehreren spreizbaren Umfangssegmente (50, 60) sind zwischen aufeinanderfolgenden Verbindungselementen (250) positioniert, die besagtes zylindrisches Element (100) mit einem benachbarten zylindrischen Element (100) verbinden.
283.5.2 Die Umfangssegmente (50, 60) sind durch Abschnitte der helikalen Segmente (30, 40) miteinander verbunden, um die zylindrischen Elemente (100) zu bilden.
293.5.3 Die mehreren Umfangssegmente (50, 60) umfassen eine Mehrheit des Umfangs (110) jedes zylindrischen Elements (100).
303.6 Die zylindrischen Elemente (100) enthalten erste Umfangssegmente (50), die sich mit zweiten Umfangssegmenten (60) abwechseln.
313.6.1 Die besagten zweiten Umfangssegmente (60) ähneln einer im Allgemeinen S-förmigen Struktur und weisen drei lineare Teilbereiche (412) auf, welche miteinander durch zwei gebogene Teilbereiche (414) verbunden sind.
323.6.2 Die besagten ersten Umfangssegmente (50) weisen fünf lineare Teilbereiche(320) auf, welche miteinander durch vier gebogene Teilbereiche (328) verbunden sind.
333.6.3 Benachbarte zylindrische Elemente (100) sind miteinander durch zwei Verbindungselemente (250) verbunden.
343.6.4 Die zweiten Umfangssegmente (60) von benachbarten zylindrischen Elementen (100) sind durch Verbindungselemente (250) miteinander verbunden und bilden so eines von zwei ersten spreizbaren helikalen Segmenten (30, 40).
353.6.5 Die ersten Umfangssegmente (50) von benachbarten zylindrischen Elementen (100) sind durch Verbindungselemente (250) miteinander verbunden und bilden so eines von zwei zweiten spreizbaren helikalen Segmenten (200, 210).
363.6.6 Die besagten ersten spreizbaren helikalen Segmente (30, 40) verlaufen im Allgemeinen parallel zueinander und 180 Grad voneinander entfernt.
373.6.7 Die besagten zweiten spreizbaren helikalen Segmente (200, 210) verlaufen im Allgemeinen parallel zueinander und 180 Grad voneinander entfernt.
383.7 Die gebogenen Teilbereiche (328) der ersten Umfangssegmente (50) verbinden die linearen Teilbereiche (320) miteinander, um ein sich wiederholendes Muster zu bilden.
393.8 Die zweiten helikalen Segmente (200, 210) kreuzen die ersten helikalen Segmente (30, 40) in gemeinsamen Verbindungselementen (250).
40Die erfindungsgemäße Struktur des Hauptkörpers des Stents zeichnet sich dadurch aus, dass die Segmente, aus denen die Helices gebildet sind, zugleich die Segmente sind, aus denen die zylindrischen Elemente gebildet werden. Außerdem verbinden die Verbindungselemente zum einen die zylindrischen Elementen miteinander und sind diese zum anderen Teil der helikalen Struktur.
41II.
42Eine einstweilige Verfügung kommt – bei gesichertem Rechtsbestand des Verfügungspatents (dazu später) - nur in Betracht, wenn sich die Frage der Patentbenutzung ohne Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens, die im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nicht statthaft ist (§§ 294 Abs. 2, 920 Abs. 2, 936 ZPO), so klar zugunsten der Verfügungsklägerin beantworten lässt, dass eine Fehlentscheidung, die in einem späteren Hauptsacheverfahren zu revidieren wäre, praktisch ausgeschlossen ist. Die erforderliche Überzeugungsbildung muss dem Gericht daher allein aufgrund der Schlüssigkeit des Sachvortrages der Verfügungsklägerin sowie der von ihr präsentierten Privatgutachten als präsenten Beweismitteln möglich sein. Das ist hier der Fall.
431.
44Hinsichtlich der Patentbenutzung sind zwischen den Parteien zwei Problemkreise streitig. Zum einen geht es darum, wie die für die ersten und die zweiten Umfangssegmente aufgestellte Forderung zu verstehen ist, mittels zwei bzw. vier gebogenen Teilbereichen drei bzw. fünf „lineare“ Teilbereiche zu verbinden. Konkret streiten die Parteien darüber, ob mit dem Begriff „linear“ eine mathematisch/geometrisch exakte Gerade gemeint ist oder ob es nur darauf ankommt, dass der betreffende Teilbereich in dem Sinne eine insgesamt linienförmige Erscheinung hat, dass er sich beim Expandieren bzw. Kollabieren des Stents wesentlich weniger biegt als die gebogenen Teilbereiche. Zum anderen ist kontrovers, wie die Anweisung des Patentanspruchs zu verstehen ist, die linearen Teilbereiche der ersten Umfangssegmente mit den gebogenen Teilbereichen so zu verbinden, dass „ein sich wiederholendes Muster“ gebildet wird. Während die Verfügungsklägerin der Auffassung ist, dass sich das Wiederholungsmuster nur über den vollständigen radialen Umfang eines zylindrischen Elements einstellen muss, ist die Verfügungsbeklagte der Ansicht, dass die Musterwiederholung innerhalb des einzelnen ersten Umfangssegments stattzufinden hat.
45Im Hinblick auf den bestehenden Streit der Parteien bedürfen die Merkmale 3.6.1, 3.6.2 und 3.7 der vorstehend wiedergegebenen Merkmalsgliederung näherer Erläuterung:
46a)
47Auch wenn in der Verfügungspatentschrift ausdrücklich nur zwei Stents als vorbekannter Stand der Technik gewürdigt werden (Palmaz-Schatz-Stent, EP 0 884 AAB), ist dem Durchschnittsfachmann geläufig, dass am Prioritätstag (11.12.2000) eine große Vielzahl von expandierbaren Stents vorbekannt war, die sich maßgeblich durch ihre äußere Gestaltung voneinander unterschieden haben. Gegenstand der variierenden konstruktiven Ansätze waren nicht neue Materialien, sondern ganz vordringlich eine jeweils andersartige Form der den Stent bildenden Streben und Schlaufen. Auf das Verfügungspatent trifft dasselbe zu, weil mit den Merkmalen des Patentanspruchs ein ganz bestimmter Verlauf von Schlaufen und deren gegenseitige Verbindung in radialer und vertikaler (helikaler) Richtung beansprucht wird, die zusammen eine spezielle Struktur des Stents ergeben, die nach dem Ergebnis des Einspruchsbeschwerdeverfahrens so im Stand der Technik noch nicht bekannt gewesen ist. Vor die Klammer gezogen lässt sich deshalb feststellen, dass das Verfügungspatent eine „Geometrie-Erfindung“ zum Gegenstand hat, nämlich eine technische Lehre, die die Geometrie ihrer Bestandteile beschreibt, um vorteilhafte Wirkungen des beanspruchten Stents hervorzurufen. Kurz gesagt ist also das Lösungsmittel der Erfindung die Geometrie, während die durch die geometrischen Anweisungen erzielten Vorteile sich in verbesserten Stent-Eigenschaften niederschlagen. Der im Bereich der Geometrie liegende Lösungsansatz des Verfügungspatents ist bei der Auslegung seiner Einzelmerkmale im Blick zu behalten.
48b)Die Merkmale 3.6.1 und 3.6.2 befassen sich mit den ersten und den zweiten Umfangssegmenten des Stents.
49aa)
50Die ersten Umfangssegmente (50) werden im Merkmal 3.6.2 beschrieben. Sie umfassen
51- 52
fünf lineare Teilbereiche (320) und
- 53
zwei gebogene Teilbereiche (328), wobei
- 54
die linearen Teilbereiche (320) durch die gebogenen Teilbereiche (328) miteinander verbunden sind.
Bei dem in den Figuren 1 bis 5 gezeigten Ausführungsbeispiel, das die Erfindung beispielhaft erläutert, sind die so beschriebenen ersten Umfangssegmente (50) in der aus der nachfolgend wiedergegebenen Figur 5 ersichtlichen Weise ausgebildet:
56In der besonderen Patentbeschreibung heißt es hierzu in Absatz [0017]:
57„Bei der in den Abbildungen 1 bis 5 gezeigten Ausführungsform enthalten erste umlaufende Elemente 50 lineare Teilbereiche 320 und gekrümmte Teilbereiche 328, die die linearen Teilbereiche 320 miteinander verbinden und so ein sich wiederholendes Muster bilden. In einigen, aber nicht allen Ausführungsformen kann der lineare Teilbereich 320 parallel zu der zylindrischen Achse des Stents verlaufen. Das erste umlaufende Segment 50 hat eine Amplitude 350 und eine Periode 380. Bei einem Beispiel kann die Amplitude zwischen 0,5 mm und 2,0 mm und die Periode zwischen 0,5 mm und 2,0 mm liegen und bei einigen Ausführungsformen ist die Amplitude kleiner als die Periode. Abhängig von der Gesamtgestaltung des Stents und den Leistungsanforderungen können abweichende Amplitude und Perioden verwendet werden.“
58Der maßgebliche Patentanspruch verlangt indes keine bestimmte Amplitude (350) und/oder Periode (380) des ersten Umfangssegments und macht auch keine Vorgaben zu deren Beziehung (vgl. auch TB, Anlage AR 9a, S. 27 Ziff. 3.2.2). Vorgaben zur Ausrichtung der linearen Teilbereiche werden ebenfalls nicht gemacht (vgl. auch TB, Anlage AR 9a, S. 27 Ziff. 3.). Die linearen Teilbereiche des ersten Umfangssegments müssen daher nicht zwingend parallel zur zylindrischen Achse des Stents verlaufen. Der Patentanspruch lässt vielmehr auch eine anderweitige Ausrichtung der linearen Teilbereiche zu. Schließlich ergibt sich aus dem Merkmal 3.6.1 auch nicht, dass die linearen Teilbereiche des ersten Umfangssegments parallel zueinander verlaufen müssen.
59bb)Merkmal 3.6.1 beschreibt die zweiten Umfangselemente (60) dahin, dass sie
60- 61
einer im Allgemeinen S-förmigen Struktur ähneln,
- 62
drei lineare Teilbereiche und
- 63
zwei gebogene Teilbereiche aufweisen, wobei
- 64
die linearen Teilbereiche durch die gebogenen Teilbereiche miteinander verbunden sind.
Ein Ausführungsbeispiel eines solchen zweiten Umfangsegments (60) ist in der nachfolgend eingeblendeten Figur 6 der Verfügungspatentschrift gezeigt:
66Im Absatz [0018] der Patentbeschreibung heißt es hierzu:
67„… In der in Abb. 6 gezeigten Ausführungsform enthält das zweite umlaufende Element 60 lineare Teilbereiche 412 und gekrümmte Teilbereiche 414 mit einer Filamentbreite 407 und ähnelt im Allgemeinen einer S-förmigen Struktur. Darüber hinaus kann das zweite umlaufende Segment 60 einen winkelförmigen Teilbereich 417 aufweisen, der an einem dem gekrümmten Teilbereich gegenüberliegenden Ende an den linearen Teilbereich 412 angehängt ist. Der winkelförmige Teilbereich kann so ausgerichtet sein, dass ein Winkel zu der zylindrischen Achse des Stents 5 gebildet wird, der zwischen 0 und 45 Grad liegt. Bei mindestens einem Beispiel liegt der gewünschte Winkel α bei ca.10 Grad. In einigen Ausführungsformen liegt der lineare Teilbereich 412 des zweiten umlaufenden Elements 60 in einem Winkel Ω zu der zylindrischen Achse des Stents, wobei Ω vorzugsweise zwischen 0 und 45 Grad liegt. Bei einer zweidimensionalen Ansicht wie in Abb. 2 können die linearen Teilbereiche 412 bei einigen Ausführungsformen einen Winkel Ω zu der zylindrischen Achse des Stents bilden. Bei einigen Beispielen kann Ω ungefähr dem helikalen Winkel der ersten helikalen Segmente 30 und 40 entsprechen. Bei einer Ausführungsform können die zweiten umlaufenden Elemente 60 eine Amplitude 300 (s. Abb. 3, 4 und 6) zwischen 0,5 mm und 2,0 mm haben und eine Periode zwischen 0,5 mm und 2,0 mm. Andere Bandbreiten können abhängig von der jeweiligen Stentgröße und dem jeweiligen Design verwendet werden. …“
68Ebenso wie das Merkmal 3.6.2 schreibt auch das Merkmal 3.6.1 eine bestimmte Amplitude und/oder Periode nicht vor. Des Weiteren macht auch dieses Merkmal keine Vorgaben zur Ausrichtung der linearen Teilbereiche. Schließlich fordert auch das Merkmal 3.6.1 keine Parallelität der linearen Teilbereiche. Diese müssen anspruchsgemäß nur so angeordnet und durch die gebogenen Teilbereiche miteinander verbunden sein, dass das aus den drei linearen und den zwei gebogenen Teilbereichen bestehende zweite Umfangssegment einer im Allgemeinen S-förmigen Struktur ähnelt.
69cc)Was die von den Merkmalen 3.6.1 und 3.6.2 jeweils geforderten „linearen Teilbereiche“ („linear portions“) der Umfangssegmente anbelangt, wird der Inhalt des Begriffs „linear“ in der Verfügungspatentschrift an keiner Stelle definiert oder näher erläutert. Er ist deshalb anhand der maßgeblichen englischen Verfahrenssprache auszulegen.
70Der Sinngehalt eines Merkmals ist mit Blick darauf zu ermitteln, was mit dem Merkmal aus der Sicht des Fachmanns im Hinblick auf die Erfindung erreicht werden soll (BGH, GRUR 2015, 868, 870 – Polymerschaum II; GRUR 2015, 1095, 1096 –Bitdatenreduktion). Dabei können der allgemeine wie auch der übliche fachliche Sprachgebrauch Anhaltspunkte für das Verständnis des Fachmanns geben. Mit Rücksicht darauf, dass Begriffe in einer Patentbeschreibung abweichend vom allgemeinen Sprachgebrauch benutzt werden können, ist letztlich aber der sich aus dem Gesamtzusammenhang der Patentschrift ergebende Begriffsinhalt maßgeblich. Für einen Rückgriff auf den allgemeinen Sprachgebrauch ist umso weniger Raum, je mehr der Inhalt der Patentschrift auf ein abweichendes Verständnis hindeutet (BGH, GRUR 1999, 911 f. – Spannschraube; GRUR 2015, 868, 870 – Polymerschaum II; GRUR 2015, 1095, 1096 – Bitdatenreduktion).
71(1)
72Wie sich aus den von der Verfügungsklägerin im Berufungsrechtszug vorgelegten Auszügen aus englischen Wörterbüchern ergibt, kann der englische Begriff „linear“ im geometrischen Kontext mehrere Bedeutungen haben. „Linear“ ist mit drei Bedeutungsinhalten nachgewiesen:
73- ähnelnd einer Linie (linienförmig),
74- sehr schmal im Verhältnis zu seiner Länge,
75- gerade.
76Während die beiden ersten Alternativen keine Aussage zum (gekrümmten oder ungekrümmten) Verlauf der Linie machen, beschränkt die letztgenannte Alternative die Aussage auf Geraden im geometrischen Sinne. Angesichts der mehrdeutigen Verwendung des Wortes „linear“ führt der Rückgriff auf das allgemeine Sprachverständnis vorliegend nicht weiter.
77Dass der Begriff „linear“ am Prioritätstag des Verfügungspatents auf dem hier in Rede stehenden Technikgebiet allgemein nur mit einer bestimmten Bedeutung verwendet worden ist, haben die Parteien weder schlüssig dargetan noch glaubhaft gemacht. Soweit der Privatgutachter der Verfügungsklägerin B ausführt, dass ein Designer von Stents Begriffe wie „linear“ etc. ohne gegenteilige Hinweise nie so verstehen würde, dass sie die Bedeutung von mathematisch genauer Geometrie hätten, solche Begriffe vielmehr benutzt würden, um sich einer Struktur zu nähern (Gutachten B, Anlage AR 33a, Abschn. II Ziff. 8), reicht diese Erklärung zur Glaubhaftmachung eines entsprechenden allgemeinen Fachverständnisses nicht aus. Denn hierbei kann es sich auch bloß um eine rein subjektive Einschätzung des Privatgutachters der Verfügungsklägerin handeln. Soweit die Verfügungsklägerin außerdem darauf hinweist, dass die Verfügungsbeklagte den Begriff „linear“ in eigenen Patentanmeldungen nicht in der Bedeutung „gerade“, sondern in einer breiteren Bedeutung verwendet, ist auch hiermit ein entsprechendes allgemeines Fachverständnis am Prioritätstag des Verfügungspatents nicht glaubhaft gemacht. Zwar ist zutreffend, dass der Begriff „linear“ in den drei von der Verfügungsklägerin benannten US-Patentanmeldungen (US 2012/0165AAD; US 2013/0023AAE; US 2008/0281AAF) nach der jeweiligen Patentbeschreibung auch gekrümmte Teilbereiche bzw. Elemente umfasst. So heißt es z.B. in der US 2012/0165AAD, dass der dortige „lineare Teilbereich S“ („linear portion S“) ein gerader Teilbereich oder gekrümmter Teilbereich ist. Die in Bezug genommenen Patentanmeldungen sind allerdings allesamt erst deutlich nach dem Prioritätstag des Verfügungspatents eingereicht worden, wobei es sich auch nur um Anmeldungen ein- und desselben Anmelders handelt. Schon aus diesem Grunde vermögen diese Druckschriften nichts über ein entsprechendes Fachverständnis zu dem hier maßgeblichen Zeitpunkt auszusagen. Außerdem wird in den betreffenden Patentanmeldungen jeweils in der Beschreibung erläutert, was diese unter „linear“ verstehen. Dass der Begriff „linear“ auf dem in Rede stehenden Technikgebiet allgemein mit dieser Bedeutung verwandt wird, lässt sich daraus nicht herleiten. Umgekehrt folgt aus dem Verweis in dem von der Verfügungsbeklagten zuletzt vorgelegten Privatgutachten (Gutachten C, S. 6 f.) auf lediglich eine einzige Druckschrift (WO 97/40AAG A1) nicht, dass der Begriff „linear“ im Zusammenhang mit Stents stets in der Bedeutung „gerade“ verwandt wird, zumal nicht einmal dargetan ist, dass der Begriff in der betreffenden Druckschrift in diesem Sinne definiert ist.
78(2)
79Ohnehin entscheidet für die Auslegung eines Patentanspruchs der der Patentschrift eigene Sprachgebrauch, der mit dem allgemeinen Begriffsverständnis auf dem einschlägigen Technikgebiet übereinstimmen, von diesem aber ebenso gut abweichen kann. Es ist daher zu ermitteln, was das Verfügungspatent unter „linear“ versteht.
80Zieht der angesprochene Fachmann hierzu die gezeichneten Ausführungsbeispiele der Erfindung heran, so erkennt er, dass diese bei einzelnen Darstellungen (vgl. Figuren 5 und 6) allenfalls im direkten Anschlussbereich zwischen dem gekrümmten und dem linearen Abschnitt einen Übergang zeigen, der das alleräußerste Ende des im Übrigen vollkommen gerade verlaufenden Abschnitts (320) als der Krümmungsrichtung folgend gebogen erscheinen lässt. Bei diesen Figuren handelt es sich allerdings um bloße Prinzipdarstellungen, denen der Durchschnittsfachmann außer dem Prinzip der Erfindung keine weiteren technischen Details entnehmen wird. Denn schematische Darstellungen, wie sie üblicherweise in Patentschriften zu finden sind, offenbaren in der Regel nur das Prinzip der beanspruchten Vorrichtung, nicht aber exakte Abmessungen (BGH, GRUR 2012, 1242, 1243 – Steckverbindung; GRUR 2015, 365, 367 – Zwangsmischer; BGH, Urteil vom 20.03.2014 – X ZR 128/12, BeckRS 2014, 10780 Rn. 31). Selbst wenn die zeichnerische Darstellung ernst genommen wird, folgt daraus deshalb nur, dass solchermaßen Abweichungen von der Geraden, wie sie in den Figuren 5 und 6 gezeigt sind, gestattet sind, aber nicht, dass der lineare Teilbereich auch darüber hinaus in seinem sonstigen Verlauf von der Geraden abweichen darf.
81Der Sinngehalt der in Rede stehenden Anspruchsmerkmale kann daher nur danach ermittelt werden, was mit den „linearen Teilbereichen“ im Hinblick auf die Erfindung erreicht werden soll. Es stellt sich mithin die Frage, welcher technische Erfolg bei der Nacharbeitung des Patentanspruchs damit verbunden ist, dass die Umfangssegmente neben „gebogenen“ Teilbereichen bestimmter Anzahl auch „lineare“ Teilbereiche bestimmter Anzahl aufweisen.
82Wie auch der eigene Privatgutachter der Verfügungsklägerin D (Anlage AR 10a, Rn. 14) einräumt, gibt die Patentbeschreibung keine explizite Erklärung dafür, aus welchem Grund lineare Teilbereiche vorgesehen sind, die sich mit gebogenen Teilbereichen abwechseln. Der Fachmann erkennt jedoch unter Anwendung seines Fachwissens, was mit den beiden Teilbereichen bezweckt ist.
83In Bezug auf die ersten Umfangssegmente heißt es in Absatz [0015] der Verfügungspatentschrift (Unterstreichung hinzugefügt):
84„Das erste umlaufende Segment 50 ist ein expandiertes Segment, das aus einer Vielzahl von Segmenten besteht, die miteinander verbunden sind und so ein sich wiederholendes Muster bilden. Das Muster, wie das in den Abbildungen 1 bis 3 gezeigte Beispiel, kann ein sich wiederholendes Muster sein, das eine Rechteckwellenform mit geschwungenen Wellenkämmen und -tälern ähnelt. Andere sich wiederholende Muster können verwendet werden, die es dem Segment ermöglichen, sich auszudehnen, wenn eine Radialkraft vom Inneren auf den Stent wirkt, oder radial zu kollabieren, wenn von außen eine Kraft auf den Stent einwirkt.“
85Daraus ergibt sich, dass es das Muster dem Umfangssegment ermöglichen soll, sich auszudehnen und zu kollabieren, wenn eine Radialkraft auf den Stent einwirkt. Das Segment, und dadurch der Stent, soll sich also durch die Struktur radial expandieren oder zusammenziehen können (vgl. Gutachten B, Anlage AR 33a, Abschn. II Ziff. 18). Expandieren soll der Stent, sobald er an der richtigen Stelle im Gefäß positioniert ist und ein Ballon aufgeblassen wird. Die Fähigkeit, sich zusammenzuziehen, soll der Stent haben, damit er im Zustand „wie hergestellt“ durch Kompression zu einem kleineren Durchmesser zusammengedrückt („gecrimpt“) werden kann (vgl. Gutachten B, Anlage AR 33a, Abschn. II, Ziff. 15).
86Den im Patentanspruch beschriebenen Segmenten ist – wie ausgeführt – gemein, dass sie mehrere lineare Teilbereiche aufweisen, die durch gebogene Teilbereiche miteinander verbunden sind. Wenn ein solches Muster sich ausdehnt oder zusammenzieht, geschieht dies durch eine Deformierung (Verformung) der gebogenen Teilbereiche, wodurch bewirkt wird, dass die linearen Teilbereiche, die sie verbinden, voneinander weggedreht werden (vgl. Gutachten B, Anlage AR 33a, Abschn. II Ziff. 19; Gutachten D, Anlage AR 10a, Rn. 15; vgl. insoweit auch Gutachten C, S. 9 Ziff. 6). Den linearen Teilbereichen kommt dabei die Funktion zu, den Durchmesser des Stents während der Expansion durch Rotieren benachbarter linearer Teilbereiche in entgegengesetzte Richtungen zu vergrößern, indem die lineare Form mehr in die Umfangsrichtung gebracht wird (Gutachten B, Anlage AR 33a, Abschn. II Ziff. 19; vgl. auch Gutachten D, Anlage AR 10a, Rn. 15). Um eine solche Rotation der linearen Teilbereiche zu ermöglichen, benötigt das Umfangssegment Elemente, die als Gelenke zwischen den linearen Teilbereichen fungieren (vgl. Gutachten B, Anlage AR 33a, Abschn. II Ziff. 17). Als solche Gelenke dienen die gebogenen Teilbereiche, die die linearen Teilbereiche miteinander verbinden. Wenn der Stent zusammengepresst oder expandiert wird, verformen sich diese gebogenen Teilbereiche plastisch. Sie werden enger oder weiter, d.h. sie „schließen“ oder „öffnen“ sich (vgl. Gutachten B, Anlage AR 33a, Abschn. II Ziff. 17. sowie Ziff. 15-16). Werden die gebogenen Teilbereiche beim Zusammenpressen des Stents „geschlossen“, richten sich die linearen Teilbereiche so aus, dass der Umfang schmaler dimensioniert ist. Bei der Expansion des Stents werden die gebogenen Teilbereiche hingegen aufgeweitet. Dadurch rotieren die benachbarten linearen Teilbereiche in entgegengesetzte Richtungen, wodurch der Durchmesser des Stents vergrößert wird; ihre längliche Dimension sorgt für einen größeren Umfang (vgl. Gutachten B, Anlage AR 33a, Abschn. II Ziff. 16). Die linearen Teilbereiche der Umfangssegmente können damit zusammengefaltet werden, um den Gesamtumfang des Stents zu reduzieren, und sie können auseinanderbewegt werden, um den Gesamtumfang zu vergrößern (vgl. Gutachten B, Anlage AR 33a, Abschn. II Ziff. 20; Gutachten D, Anlage AR 10a, Rn. 15).
87Wie die Verfügungsklägerin plausibel und überzeugend erläutert hat, geht es vor diesem Hintergrund schlicht darum, die sich auseinander- und zusammenfaltenden linearen Streben im kollabierten Zustand möglichst eng beieinander liegen zu haben, um den mittels eines Katheters vorzuschiebenden Stent möglichst klein werden zu lassen, und die linearen Streben im expandierten Zustand über den Umfang möglichst günstig zu positionieren, um den betreffenden Gefäßbereich optimal abzustützen. Unter diesem Gesichtspunkt spielt es keine Rolle, ob die sich zusammenfaltenden oder auseinanderspreizenden Streben exakt gerade verlaufen oder eine leicht gebogene Form haben (vgl. Gutachten B, Anlage AR 33a, Abschn. II Ziff. 20 und 22; Gutachten D, Anlage AR 10a, Rn. 15). Sie müssen nur lang und schmal genug sein, dass sie mittels der als Gelenke fungierenden gebogenen Teilbereiche gut zusammengefaltet und wieder entfaltet werden können.
88Zwar führt der Privatgutachter der Verfügungsbeklagten C in seinem Gutachten (S. 7 f.) aus, dass eine Strebe mit gekrümmten Abschnitten dazu führe, dass der Stent im gecrimpten Zustand mehr Platz einnehme als ein entsprechender Stent mit einer geraden Strebe. Ferner führt er aus (S. 9 f.), dass sich dadurch auch die Biegung an den Gelenken beim Expandieren des Stents verändere. Ein Stent mit einer Strebe aus gekrümmten Abschnitten könne innerhalb einer gewissen Materialbelastungsschwelle auf einen größeren Durchmesser expandiert werden als ein entsprechender Stent mit gerader Strebe. Die diesbezüglichen Darlegungen leiden jedoch bereits daran, dass hier die angegriffenen Ausführungsformen mit einem Ausführungsbeispiel ohne Zusatzabschnitte (417), wie sie patentgemäß zugelassen sind (dazu sogleich), verglichen werden. Darüber hinaus ist der Verfügungspatentschrift nicht zu entnehmen, dass es ihr darum geht, die sich auseinander- und zusammenfaltenden linearen Streben im kollabierten Zustand so eng beieinander liegen sollen, dass sich ein kleinstmöglicher Stentdurchmesser ergibt. Vorgaben in Bezug auf den Durchmesser oder die Kompaktheit des Stents werden weder im Patentanspruch noch in der Patentbeschreibung aufgestellt. Die Verfügungspatentschrift befasst sich hiermit überhaupt nicht, weshalb es auch unerheblich ist, dass ein Stent mit einer leicht gebogenen Form möglicherweise auf einen geringfügig größeren Durchmesser expandiert werden kann als ein entsprechender Stent mit einer exakt geraden Strebe. Das Verfügungspatent hat es sich – wie ausgeführt – zur Aufgabe gemacht, den bekannten Palmaz-Schatz-Stent so zu verbessern, dass das Stent-Gefäß-Verhältnis im expandierten Zustand des Stents vergleichmäßigt wird und der Stent außerdem weniger starr und flexibler ist. Für die Lösung dieses technischen Problems kommt es nicht darauf an, ob die linearen Teilbereiche geometrisch gerade sind. Die angestrebten Stenteigenschaften erfordern es nämlich nicht, dass die linearen Teilbereiche exakt gerade verlaufen (vgl. Gutachten B, Anlage AR 33a, Abschn. II Ziff. 12).
89Bei den linearen Teilbereichen muss es sich daher nur um längliche schmale Abschnitte handeln. Diese müssen nicht notwendig exakt gerade sein, sondern können zur Erfüllung ihrer Aufgabe auch eine leichte Krümmung aufweisen.
90Dem steht nicht entgegen, dass das Verfügungspatent für die Umfangssegmente einerseits „gebogene“ und andererseits „lineare“ Teilbereiche vorsieht. Da die vorgenommene terminologische Unterscheidung ansonsten sinnlos wäre, kann zwar mit „gebogen“ und „linear“ nicht dieselbe geometrische Form gemeint sein, sondern müssen die Begriffe „gebogen“ und „linear“ jeweils Unterschiedliches aussagen. Was im Sinne des Patentanspruchs „gebogen“ ist, kann nicht im Sinne des Patentanspruchs „linear“ sein. „Gebogene“ Abschnitte haben eine Krümmung. Wie groß oder klein der Krümmungsradius der gebogenen Teilbereiche ist, legt der Patentanspruch seinem Wortlaut nach nicht näher fest. Ausgewiesen ist damit an sich – vorbehaltlich der weiterhin geforderten S-Form (zweite Umfangssegmente) bzw. des Wiederholungsmusters (erste Umfangssegment) – die gesamte denkbare Krümmungsbandbreite, von ganz flach bis extrem stark gebogen. Dem Fachmann ist jedoch klar, dass die gebogenen Teilbereiche zur Erfüllung ihrer oben beschriebenen Gelenkfunktion eine solche Krümmung aufweisen müssen, dass sie die angestrebte Rotation der linearen Teilbereiche bewirken können. Demgegenüber dürfen die linearen Teilbereich ihrerseits nicht so gekrümmt sein, dass sie als Gelenk fungieren können, und sie dürfen selbstverständlich auch nicht so gekrümmt sein, dass ihre Form nicht mehr als „länglich“ angesehen werden kann (vgl. auch Gutachten B, Anlage AR 33a, Abschn. II Ziff. 25). Dadurch unterscheiden sie sich von den gebogenen Teilbereichen.
91Der hier vertretenen Auslegung, nach der die linearen Teilbereiche nicht notwendig exakt gerade sein müssen, kann nicht entgegengehalten werden, dass die auslegungsbedürftigen Anspruchsmerkmale zum kennzeichnenden Teil des Patentanspruchs gehören, was an sich bedeutet, dass mit ihnen (zwar nicht allein, aber doch auch) das technische Problem der Erfindung gelöst wird. Dieses Problem besteht hier nicht allgemein darin, den Stent expandierbar zu machen, sondern es geht dahin, den bekannten Palmaz-Schatz-Stent so zu verbessern, dass das Stent-Gefäß-Verhältnis im expandierten Zustand des Stents vergleichmäßigt wird und der Stent außerdem flexibler ist. Wie bereits ausgeführt, kommt es für die angestrebte vorteilhafte Beeinflussung des Stent-Gefäß-Verhältnisses und der Flexibilität des Stents jedoch nicht darauf an, ob die linearen Teilbereiche exakt gerade sind. Ein solcher Zusammenhang ist der Verfügungspatentbeschreibung auch nicht zu entnehmen. Diese hebt an keiner Stelle hervor, dass es für die Belange der Erfindung darauf ankommt, dass die linearen Teilbereiche „gerade“ sind, und sie betont auch nicht, dass die genaue Form oder Geometrie der linearen Teilbereiche für die Belange der Erfindung entscheidend ist.
92Entgegen der Auffassung der Verfügungsbeklagten steht dem gefundenen Auslegungsergebnis auch nicht entgegen, dass der Patentanspruch hinsichtlich der geforderten Linearität der betreffenden Teilbereiche keine Abschwächungen bzw. Relativierungen enthält, wohingegen er in Bezug auf die geforderte S-Form der zweiten Umfangssegmente ausdrücklich ein Muster ausreichen lässt, das einer „im Allgemeinen“ S-förmigen Struktur „ähnelt“ (Merkmal 3.6.1), und wohingegen er in Bezug auf die ersten und zweiten helikalen Segmente jeweils nur verlangt, dass diese „im Allgemeinen“ parallel zueinander verlaufen (Merkmale 3.6.6 und 3.6.7). Aus dem Fehlen einer derartigen Abschwächung oder Relativierung in Bezug auf die in Rede stehenden Teilbereiche der Umfangssegmente lässt sich schon deshalb nichts herleiten, weil der Patentanspruch von „linearen Teilbereichen“ – und nicht von „geraden Teilbereichen“ – spricht und der Begriff „linear“ eben nicht nur die Bedeutung „gerade“ hat.
93Bei den linearen Teilbereichen muss es sich damit nur um längliche Abschnitte handeln. Diese müssen nicht notwendig exakt gerade sein, sondern können in ihrem Verlauf auch leicht gekrümmt sein. Eine Auslegung des Patentanspruchs dahin, dass die linearen Teilbereiche zwingend exakt gerade sein müssen, würde dem technischen Gehalt der patentierten Erfindung nicht gerecht werden. Denn in der Patentschrift gebrauchte Begriffe sind funktionsorientiert so auszulegen, wie es die technische Funktion verlangt, die das betreffende Merkmal im Zusammenwirken mit der übrigen technischen Lehre des Patentanspruchs bei der Lösung der der Erfindung zugrunde liegenden Aufgabe zu erfüllen hat. So ist es namentlich verfehlt, für die Deutung des Patentanspruchs an einem Begriffsverständnis zu haften, wenn dieses zu einer Differenzierung zwischen vom Anspruch erfassten und außerhalb des Patentanspruchs liegenden Ausführungsformen führt, die angesichts des technischen Inhalts der Erfindung unangebracht ist (vgl. BGH, Mitt. 2016, 17 – Luftkappensystem). Genau darauf läuft die gegenteilige Auslegung der Verfügungsbeklagten jedoch hinaus.
94Dafür, dass der Fachmann den Begriff „linear“ vorliegend nicht im Sinne von „gerade“ versteht, spricht indiziell auch, dass der Patentfähigkeit des Gegenstandes des Verfügungspatents im Einspruchsbeschwerdeverfahren die WO 00/30AAH A1 (D3) entgegengehalten worden ist, auf die sich die Konzernmutter der Verfügungsbeklagten auch im nunmehr anhängigen Nichtigkeitsverfahren stützt (B11 = NK 14). Die nachfolgend wiedergegebene Figur 9 zeigt den in dieser Schrift offenbarten Stent:
95Die linearen Teilbereiche der Segmente dieses bekannten Stents sind ersichtlich nicht exakt gerade, sondern weisen in ihrem Verlauf leichte Krümmungen auf. Im Einspruchs(beschwerde)verfahren ist – soweit ersichtlich – von keiner Seite geltend gemacht worden, dass es bei diesem Stand der Technik an „linearen“ Teilbereichen fehlt. Dies hat auch weder die Einspruchsabteilung noch die Technische Beschwerdekammer des Europäischen Patentamtes in Erwägung gezogen, die sich beide ausführlich mit der WO 00/30AAH A1 befasst haben.
96Die von der Verfügungsbeklagten vorgelegten Privatgutachten geben zu einer abweichenden Beurteilung keinen Anlass.
97Der Privatgutachter Dr. E vertritt in seinem Gutachten (Anlage B 25a, S. 6) zwar die Auffassung, dass es sich bei einem linearen Teilbereich um eine Verbindung mit gerader Linie handele. Das folgert er jedoch allein aus dem Umstand, dass die Patentschrift zwischen einem gebogenen und einem linearen Teilbereich unterscheidet. Da der Begriff „gebogen“ die Abweichung von einer geraden Linie beschreibe, müsse ein „linearer“ Teilbereich eine Verbindung mit einer geraden Linie sein (Anlage B 25a, S. 6). Auf die Funktion der beiden Teilbereiche im Rahmen der Erfindung geht der Privatgutachter der Verfügungsbeklagten nicht ein. Er ist im Übrigen auch Maschinenbauer und offenbar nicht mit der Entwicklung und/oder Herstellung von Stents vertraut.
98Der Privatgutachter Dr. F weist in seinem Gutachten (Anlage B 28, S. viii) lediglich darauf hin, dass die Verfügungspatentschrift an keiner Stelle einen Vergleich zwischen Biegungen bei gebogenen und linearen Elementen anstelle, weshalb es seiner Auffassung nach eine „spezifische und zweckbestimmte“ Auslegung des Begriffs „linear“ zu geben „scheint“. Ein in der Patentschrift gebrauchter Begriffe ist jedoch – wie ausgeführt – grundsätzlich funktionsorientiert so auszulegen, wie es die technische Funktion verlangt, die das betreffende Merkmal im Zusammenwirken mit der übrigen technischen Lehre des Patentanspruchs bei der Lösung der der Erfindung zugrunde liegenden Aufgabe zu erfüllen hat. Soweit der Privatgutachter der Verfügungsbeklagten ferner ausführt, dass sich ein nicht gerades Element nach den eigenen Erläuterungen des Privatgutachters der Verfügungsklägerin unter dem Einfluss von Verformungskräften anders verhalten werde als ein gerades, nicht gebogenes Element, mag sich eine Strebe mit einem leicht gebogenen Verlauf tatsächlich etwas anders verhalten als eine gerade Strebe (vgl. dazu bereits oben). Das ist für die Zwecke der Erfindung jedoch unerheblich, solange die oben beschriebene Funktion der linearen Teilbereiche hierdurch nicht beeinträchtigt wird, wenn sie mit den als Gelenke fungierenden gebogenen Teilbereichen verbunden sind, und solange die von dem Stent zu leistende Gefäßunterstützung erreicht wird (vgl. Gutachten B, Anlage AR 33a, Abschn. II Ziff. 22), wie dies offensichtlich auch bei den angegriffenen Stents der Verfügungsbeklagten der Fall ist.
99Zu dem Gutachten C ist oben bereits Stellung genommen worden. Dieses berücksichtigt insbesondere die nachfolgend noch angesprochenen Zusatzabschnitte nicht.
100(3)Jedenfalls schließt es das Verfügungspatent nicht aus, dass zwischen dem linearen Teilbereich und dem gebogenen Teilbereich ein weiterer (z.B. abgewinkelter) Abschnitt vorgesehen ist.
101Die ersten und die zweiten Umfangssegmente sind im Patentanspruch dahingehend beschrieben, dass sie gebogene und lineare Teilbereiche „aufweisen“. Nach der üblichen Formulierungspraxis lässt dies die Möglichkeit zu, außer den besagten gebogenen und linearen Abschnitten noch weitere Bestandteile vorzusehen. Da es lediglich darauf ankommt, dass die Umfangssegmente auch gebogene und lineare Teilbereiche besitzen, könnte es – rein sprachlich betrachtet – sogar zulässig sein, die Umfangssegmente in erheblichem Umfang mit anderweitigen, ganz anders ausgeformten Abschnitten auszustatten, so dass die gebogenen und linearen Teilbereiche prozentual in die Unterzahl geraten. Es ist allerdings offensichtlich, dass hierdurch das Spreizverhalten des Stents nachhaltig verändert würde, ggf. sogar so weit, dass die angestrebten Vorteile der Erfindung sich überhaupt nicht mehr einstellen. Unter technischen Gesichtspunkten ist deshalb die Annahme gerechtfertigt, dass die Umfangssegmente nicht nur irgendwie „auch“, sondern „maßgeblich“ durch die im Patentanspruch erwähnten gebogenen und linearen Teilbereiche gebildet werden sollen. Dazu zwingt auch der Umstand, dass die linearen Teilbereiche durch die gebogenen Teilbereiche miteinander verbunden sein sollen, wovon nur die Rede sein kann, wenn die gebogenen und die linearen Abschnitte die wesentlichen Bestandteile des Umfangssegments bilden.
102Ausnahmen sind allerdings anzuerkennen, weil die Figuren 6 und 14 der Verfügungspatentschrift und der korrespondierende Beschreibungstext (Abs. [0018], [0026]) Ausführungsformen betreffen, die außer den linearen Teilbereichen (412) und den gekrümmten Teilbereichen (414) einen zusätzlichen winkelförmigen Teilbereich (417) haben, der an einen linearen Teilbereich angehängt ist. Abgesehen davon, dass der betreffende Zusatzabschnitt (417) bevorzugt an dem dem gebogenen Teilbereich entfernten Ende des linearen Abschnitts angeschlossen ist und einen Winkel zwischen 0 und 45° zur Zylinderachse des Stents einnimmt (Abs. [0018]) sowie einen Abstand (499) zum linearen Teilbereich einnehmen kann, der zwischen 0,002 und 0,020 Zoll liegt (Abs. [0026]), gibt die durch die Einspruchsbeschwerdeentscheidung geänderte Verfügungspatentschrift über den Sinn und Zweck des gezeigten Zusatzabschnitts (417) keine näheren Auskünfte. In Anbetracht der Anspruchsformulierung („umfassen“) und der Ausführungsbeispiele nach den Figuren 6 und 14 lässt sich daher sicher feststellen, dass sich zwischen dem linearen Teilbereich und dem gebogenen Teilbereich grundsätzlich ein weiterer (z.B. abgewinkelter) Abschnitt befinden darf, wobei dieser keine bestimmte Funktion erfüllen muss. Soweit die Verfügungsklägerin auf die Erläuterungen in Absatz [0028] der ursprünglichen B1-Schrift verweist, steht dies dem nicht entgegen. Denn die in Bezug genommenen Passagen sind unstreitig im Einspruchsbeschwerdeverfahren aus der Patentschrift gestrichen worden und damit nicht mehr – jedenfalls nicht mehr schutzbereichsbegründend - bei der Auslegung des Patentanspruchs zu berücksichtigen. Für die Auslegung des Patentanspruchs ist nunmehr allein die im Einspruchsbeschwerdeverfahren geänderte Patentbeschreibung maßgeblich. Dass dem Fachmann die im ursprünglichen Absatz [0028] erläuterten Zusammenhänge allgemein bekannt sind und er den Sinn und Zweck der abgewinkelten Zusatzabschnitte auch ohne Erläuterung so versteht, wie dies im Absatz [0028] der ursprünglichen B1-Schrift dargetan ist, ist weder dargetan noch ersichtlich. Die Verfügungsbeklagte hat derartiges im Verhandlungstermin auch auf entsprechende Nachfrage nicht geltend gemacht.
103Ohne Erfolg macht die Verfügungsbeklagte ferner geltend, dass die gebogenen und linearen Teilbereiche intakt bleiben müssen. Dem ist zwar grundsätzlich zuzustimmen. Der Einfügung eines Zusatzabschnittes zwischen dem als Gelenk fungierenden gebogenen Teilbereich und dem linearen Abschnitt, steht dies – wie die Figuren 6 und 14 der Verfügungspatentschrift verdeutlichen – jedoch nicht entgegen. Denn trotz der Zusatzausstattung verbleiben in diesem Fall ein intakter gebogener Teilbereich und ein intakter linearer Teilbereich.
104So sicher sich deshalb in Anbetracht der Anspruchsformulierung und der Ausführungsbeispiele nach den Figuren 6 und 14 feststellen lässt, dass sich zwischen dem linearen Teilbereich und dem gebogenen Teilbereich ein weiterer Abschnitt befinden darf, so klar liegt allerdings auch auf der Hand, dass eine Zusatzausstattung nicht uferlos möglich sein kann, was sich schon daraus ergibt, dass die Umfangssegmente „maßgeblich“ durch die im Patentanspruch erwähnten gebogenen und linearen Teilbereiche gebildet werden. Mit Blick auf die angegriffenen Ausführungsformen bedarf es im Streitfall keiner abschließenden Entscheidung, in welchem Ausmaß genau derartige Zusatzabschnitte möglich und zulässig sind. Der angesprochene Fachmann wird mangels gegenteiliger Anhaltspunkte jedenfalls Streben mit einem zwischen dem gebogenen Teilbereich und dem linearen Teilbereich vorgesehenen Zusatzabschnitt als patentgemäß ansehen, bei denen der lineare Teilbereich deutlich länger ist als der Zusatzabschnitt.
105Dass Zusatzabschnitte in der Patentbeschreibung ausdrücklich nur für die zweiten Umfangssegmente beschrieben sind, bedeutet nicht, dass sie als fakultative Bestandteile der ersten Umfangssegmente nicht infrage kommen. Angesichts des grundsätzlich identischen Aufbaus beider Sorten von Umfangssegmenten (gebogene Teilbereiche, lineare Teilbereiche, S-Form bzw. Wiederholungsmuster) ist das Gegenteil der Fall.
106c)
107Was das zwischen den Parteien ferner streitige Merkmal 3.7 anbelangt, gibt dieses vor, dass die gebogenen Teilbereiche (328) der ersten Umfangssegmente (50) die linearen Teilbereiche (320) miteinander verbinden, um ein „sich wiederholendes Muster“ zu bilden. In Bezug auf die ersten Umfangssegmente begnügt sich der Patentanspruch insoweit nicht mit der Anweisung, dass jeweils fünf lineare Teilbereiche durch vier gebogene Teilbereiche miteinander verbunden sind. Der Anspruch gibt darüber hinaus auch vor, wie die Verbindung zwischen gebogenen und linearen Stentabschnitten zur Bildung eines ersten Umfangssegments erfolgen soll, nämlich so, dass ein sich wiederholendes Muster entsteht. Da die vorzunehmende Maßnahme (= Ursache) in einer Verbindung der Einzelabschnitte ein- und desselben ersten Umfangssegments besteht, versteht es sich, dass auch die durch diese Maßnahme hervorgerufene Wirkung, nämlich die Entstehung eines sich wiederholenden Musters, auf eben dieses eine, nämliche Umfangssegment zu lesen ist. Letzteres gilt umso mehr, als der Patentanspruch für jedes zylindrische Element mehrere erste Umfangssegmente vorsieht, es hierbei aber nicht ausschließt, die mehreren ersten Umfangssegmente des zylindrischen Elements im Rahmen der Anspruchsmerkmale abweichend voneinander auszugestalten, indem z.B. für jedes einzelne Umfangssegment gebogene Teilbereiche anderer Krümmung verwendet werden. Unter solchen Umständen ist nicht ersichtlich, wie die zwischen den gebogenen und den linearen Teilbereichen des einen Umfangssegments vorgenommene Verbindung zu einem Muster führen kann, das sich in dem anderen Umfangssegment wiederholt.
108Das hiesige Verständnis steht den Erwägungen der Technischen Beschwerdekammer in der Einspruchsbeschwerdeentscheidung (Anlage AR 9a, S. 33 Rn. 4.5) nicht entgegen. Als Wiederholungsmuster wird dort ein Muster verstanden, das durch bestimmte „Unterelemente in Wiederholung“ gebildet ist. Es sind dies die fünf linearen Teilbereiche, die mithilfe der vier gebogenen Teilbereiche zu einem ersten Umfangssegment zusammengefügt sind.
109Auch Abs. [0015] der Patentbeschreibung steht dem gefundenen Resultat nicht entgegen, sondern bestätigt dieses ganz im Gegenteil. Am angegebenen Ort heißt es:
110„Das erste umlaufende Segment 50 ist ein expandiertes Segment, das aus einer Vielzahl von Segmenten besteht, die miteinander verbunden sind und so ein sich wiederholendes Muster bilden. Das Muster, wie das in den Abbildungen 1 bis 3 gezeigte Beispiel, kann ein sich wiederholendes Muster sein, das eine Rechteckwellenform mit geschwungenen Wellenkämmen und -tälern ähnelt. Andere sich wiederholende Muster können verwendet werden, die es dem Segment ermöglichen, sich auszudehnen, wenn eine Radialkraft vom Inneren auf den Stent wirkt, oder radial zu kollabieren, wenn von außen eine Kraft auf den Stent einwirkt.“
111Satz 1 dieser Textstelle befasst sich eindeutig mit einem singulären ersten Um-fangssegment und gibt der Sache nach lediglich das entsprechende An-spruchsmerkmal wieder. Ein sich wiederholendes Rechteckwellenmuster mit geschwungenen Wellenkämmen und Wellentälern, wie in den Figuren 1 bis 3 dargestellt, ist problemlos schon innerhalb eines einzigen Umfangssegments zu erkennen, und zwar mit zwei Wellenkämmen und zwei Wellentälern. Nichts an dem zitierten Text zwingt zu der Annahme, dass mit dem Wiederholungsmuster nicht die Geometrie des einzelnen Umfangssegments gemeint sein könnte, sondern eine Musterwiederholung, die sich erst über den Gesamtumfang des mehrere erste Umfangssegmente umfassenden zylindrischen Elements einstellt.
112In technischer Hinsicht mag zutreffen, dass die Ausgestaltung der ersten und zweiten Umfangssegmente einen wesentlichen Beitrag zu einem verbesserten (sic.: gleichmäßigen) Stent-Gefäß-Verhältnis liefert. Mit Blick auf die zweiten Umfangssegmente dürfte hierfür die Zusammenfügung der drei linearen und zwei gebogenen Teilabschnitte zu einer „S-Form“ verantwortlich sein. Das Abstellen auf ein Wiederholungsmuster kam bei den zweiten Umfangssegmenten nicht infrage, weil die Zahl der linearen (drei) und gebogenen (zwei) Teilbereiche offensichtlich nicht genügt, um innerhalb des Segments ein sich wiederholendes Muster hervorzubringen. In Bezug auf die ersten Umfangssegmente fehlt es an einer der „S-Form“ gleichartigen Vorgabe im Patentanspruch, allerdings ist auch hier die Aneinanderreihung der fünf linearen und vier gebogenen Teilabschnitte nicht in das freie Belieben des Fachmanns gestellt, sondern beschränkend konkretisiert. An die Stelle der „S- Form“ des zweiten Umfangssegments tritt bei den ersten Umfangssegmenten das Wiederholungsmuster, nämlich die Anweisung, die gebogenen und linearen Abschnitte als Bausteine des einzelnen Umfangssegments so in Wiederholung zu kombinieren, dass sich ein Muster ergibt. Wie die Figurendarstellungen des Verfügungspatents veranschaulichen, entsteht auch hierbei eine Struktur, die zu einer prinzipiell gleichmäßigen Abstützung der Gefäßwand führt.
113Eine andere Frage ist, ob es für die Zwecke der Erfindung auf eine hundert-prozentige Übereinstimmung der sich wiederholenden Unterelemente ankommt, so dass jedes der in einem ersten Umfangssegment verwendeten linearen Teilbereiche exakt allen anderen linearen Teilbereichen desselben Umfangssegments und jeder in einem ersten Umfangssegment verwendete gebogene Teilbereich allen anderen gebogenen Teilbereichen desselben Umfangssegments entsprechen muss. Letztere Frage ist zu verneinen, weil der Verfügungspatentschrift für eine solche Einschränkung nichts zu entnehmen ist. Der angesprochene Fachmann geht deshalb davon aus, dass gewisse Formtoleranzen hinnehmbar sind, solange sie das Entstehen eines einheitlichen Musters im Umfangssegment, wie z.B. Rechteckwellenform mit zwei Wellenkämmen und zwei Wellentälern bei ungefähr gleichem Krümmungsradius, nicht verhindern. Auch die technische Funktion eines einheitlichen Stent-Gefäß-Verhältnisses wird durch solche geringfügigen Varianten nicht beeinträchtigt.
114Für die Richtigkeit dieses Verständnisses spricht auch, dass es sich bei dem in Merkmal 3.7 angesprochenen Wiederholungsmuster der ersten Umfangssegmente um das Pendant zu der S-Form der zweiten Umfangssegmente handelt. Was letzteres Muster anbelangt, verlangt der Patentanspruch nicht die Einhaltung einer strengen S-Form, sondern nur ein Muster, das einer im Allgemeinen S-förmigen Struktur ähnelt (Merkmal 3.6.1). Im Hinblick darauf, dass bei dem ersten Umfangssegment an die Stelle der „S-Form“ das „Wiederholungsmuster“ tritt, erschließt sich dem angesprochenen Fachmann, dass es auch bei dem ersten Umfangssegment schwerlich auf eine hundertprozentige Übereinstimmung der sich wiederholenden Unterelemente ankommen kann. Dem steht nicht entgegen, dass das Merkmal 3.7 keine dem Merkmal 3.6.1 vergleichbare Relativierung bzw. Abschwächung enthält. Einer solchen Bedarf es in Merkmal 3.7 nicht, weil der Begriff „Wiederholungsmuster“ schon für sich eine inhaltlich großzügigere Deutung zulässt als die Angabe „S-Form“.
1152.Hiervon ausgehend machen beide angegriffenen Ausführungsformen von der technischen Lehre des Verfügungspatents wortsinngemäß Gebrauch.
116a)Die angegriffenen Stents entsprechen den Anforderungen der Merkmale 3.6.1 und 3.6.2.
117aa)
118Hinsichtlich der Ausgestaltung der angegriffenen Ausführungsform „B“ kann auf die von Verfügungsklägerin in zweiter Instanz vorgelegten Fotografien abgestellt werden, gegen die die Verfügungsbeklagte keine Einwände erhoben hat. Diese mit einem SEM-Mikroskop angefertigten Fotos, von denen nachstehend eines eingeblendet wird, zeigen unstreitig einen B-Stent des Typs G im gecrimpten Zustand:
119Die ersten Umfangssegmente und die zweiten Umfangssegmente der angegriffenen Ausführungsform „B“ haben danach die aus den nachfolgend eingeblendeten Abbildungen ersichtliche Struktur, wobei in diesen Abbildungen zur besseren Verdeutlichung das erste Umfangssegment grün und das zweite Umfangssegment gelb eingefärbt ist:
120121
bb)
122Die geforderte Linearität ist jeweils gegeben, und zwar aus zwei Gründen:
123Auf ihrer gesamten Längserstreckung haben die zwischen den gebogenen Teilbereichen vorgesehenen mittleren Streben der ersten Umfangssegmente zwar keinen exakt geraden Verlauf, weil sich am jeweiligen Ende zwei kurze abgewinkelte bzw. gekrümmte Teilabschnitte befinden. Es werden hierdurch jedoch keine Gelenke gebildet und über die Gesamtstrecke betrachtet ergibt sich ein lediglich geringfügig gekrümmter Verlauf, der ohne weiteres als „linear“ bezeichnet werden kann.
124Wollte man dem nicht folgen, gilt jedenfalls Folgendes: Die mittlere Strebe der ersten Umfangssegmente setzt sich aus drei Abschnitten zusammen, die abgewinkelt aneinander angeschlossen sind. Die beiden äußeren, jeweils an einen gebogenen Teilbereich angreifenden Abschnitte sind deutlich kürzer als der mittlere, schräg gestellte Abschnitt, welcher ersichtlich über eine längere Strecke gerade verläuft; darüber hinaus haben die äußeren Abschnitte auch im Vergleich zueinander eine unterschiedliche Länge. Berücksichtigt man die Größenverhältnisse, kann der mittlere, längste Abschnitt der Mittelstrebe ohne weiteres als linearer Teilbereich der ersten Umfangssegmente aufgefasst werden. Denn er erstreckt sich gerade zwischen gebogenen Teilbereichen. Die einzelnen an den jeweiligen Enden zwischengeschalteten kürzeren Abschnitte können als zusätzliche winkelförmige Teilbereiche (417) angesehen werden, wie sie in den Figuren 6 und 14 der Verfügungspatentschrift gezeigt und in den Absätzen [0018] und [0026] der Patentbeschreibung mit Worten erläutert sind. Die Figurendarstellungen des Verfügungspatents machen insofern deutlich, dass die Zusatzabschnitte eine durchaus nennenswerte Erstreckung haben können. Selbst wenn der längere der beiden äußeren Endbereiche der Mittelstrebe eine größere Ausdehnung als in den Figuren der Verfügungspatentschrift gezeichnet haben mag, handelt es sich immer noch um einen untergeordneten Längenabschnitt, der nichts daran ändert, dass der Mittelbereich der Strebe die deutlich größte Ausdehnung besitzt.
125Für die dreiteilige Strebe der zweiten Umfangssegmente gilt sinngemäß dasselbe.
126cc)Entsprechendes gilt für die angegriffene Ausführungsform „C“. Diese weist unstreitig die gleiche Grundstruktur wie der „B“-Stent auf. Letztere Ausführungsform ist nur zusätzlich mit einem Wirkstoff beschichtet, wohingegen der„C“-Stent eine solche – für die patentrechtliche Beurteilung unerhebliche – Beschichtung nicht aufweist. Das oben Gesagte gilt deshalb auch für die angegriffene Ausführungsform „C“.
127dd)
128Die von der Verfügungsbeklagten in erster Instanz im Übrigen angesprochenen Gesichtspunkte stehen einer Verwirklichung der Merkmale 3.6.1 und 3.6.2 nicht entgegen.
129b)
130Die angegriffenen Ausführungsformen verwirklichen auch das Merkmal 3.7 wortsinngemäß.
131Die geringfügig andersartige Ausgestaltung der mittleren Strebe der ersten Umfangssegmente führt zwar zu einer gewissen Uneinheitlichkeit des Erscheinungsbildes; in weitgehender Übereinstimmung mit den Ausführungsbeispielen des Verfügungspatents entstehen jedoch mäandrierende Schlaufen, die sich als Rechteckwellenform mit zwei Wellenkämmen und zwei Wellentälern ansprechen lassen. Dies reicht für ein sich wiederholendes Muster aus, nicht zuletzt auch im Hinblick darauf, dass das Stent-Gefäß-Verhältnis durch die angesprochene Variation der mittleren linearen Strebe kein durchgreifend anderes ist. Die bestreitenden Darlegungen der Verfügungsbeklagten (vgl. insb. Schutzschrift, S. 16 [Bl. 58 GA]) leiden daran, dass hier die angegriffenen Ausführungsformen mit dem Ausführungsbeispiel nach Figur 3 der Verfügungspatentschrift verglichen werden, während es tatsächlich darauf ankommt, dasjenige Aufspreizverhalten zum Vergleich heranzuziehen, das sich bei einer noch wortsinngemäßen Ausgestaltung nach dem Vorbild der Figur 6 einstellt. Aber selbst für einen Verlauf entsprechend Figur 3 belegen die vergleichenden Darstellungen der Verfügungsbeklagten im Schriftsatz vom 03.08.2015 (S. 21 [Bl. 196 GA]; insgesamt gerade Stentabschnitte versus abgewinkelte Stentabschnitte) anschaulich, dass sich beim Expandieren des Stents praktisch gleich große Zellen ergeben, so dass das Maß der Abstützung für die Gefäßwand in beiden Fällen praktisch dasselbe ist.
132c)Dass die angegriffenen Ausführungsformen die übrigen Anspruchsmerkmale verwirklichen, steht zwischen den Parteien – zu Recht – außer Streit und bedarf daher keiner weiteren Begründung.
133III.
134Die Verfügungsbeklagte ist passivlegitimiert.
135Bei der Verfügungsbeklagten handelt es sich um die deutsche Tochtergesellschaft der von der Verfügungsklägerin gesondert in Anspruch genommenen, in Japan geschäftsansässigen H Corporation, deren Konzern u.a. Koronarstentsysteme entwickelt, produziert und vertreibt. Die Verfügungsbeklagte ist die deutsche Vertriebsgesellschaft dieses Konzerns. Nach den unangegriffenen und – auf der Grundlage des unwidersprochen gebliebenen erstinstanzlichen Sachvortrages der Verfügungsklägerin – auch zutreffenden Feststellungen des Landgerichts vertreibt sie in Deutschland sowohl die angegriffene Ausführungsform „C“ als auch die angegriffene Ausführungsform „B“.
136Da die Verfügungsbeklagte damit entgegen § 9 PatG eine patentierte Erfindung benutzt hat, kann die Verfügungsklägerin sie nach Art. 64 Abs. 1 EPÜ, § 139 Abs. 1 PatG auf Unterlassung in Anspruch nehmen; als ausschließliche Lizenznehmerin an dem Gegenstand des Verfügungspatents gehört sie zu den Verletzten im Sinne der letztgenannten Bestimmung.
137IV.
138Der Unterlassungsanspruch kann im Wege der einstweiligen Verfügung durchgesetzt werden; der hierzu notwendige Verfügungsgrund liegt vor. Bei der in diesem Zusammenhang vorzunehmenden Interessenabwägung wiegt das Schutzinteresse der Verfügungsklägerin, ihren Unterlassungsanspruch durchzusetzen, schwerer als das Interesse der Verfügungsbeklagten, die angegriffenen Ausführungsformen weiterhin in Deutschland anzubieten und zu vertreiben.
1391.Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. InstGE 9, 140 = GRUR-RR 2008, 329 – Olanzapin; InstGE 12, 114 = Mitt. 2011, 193 – Harnkatheter; GRUR-RR 2011, 81 = Mitt. 2012, 178 – Gleitsattel-Scheibenbremse; Urteil vom 20.01.2011– I-2 U 92/10, juris; Urteil vom 24.11.2011 – I-2 U 55/10, juris und Mitt. 2012, 413 [LS]; Urteil vom 06.12.2012 – I-2 U 46/12, juris; Mitt. 2012, 415 – Adapter für Tintenpatrone; GRUR-RR 2013, 236, 239 f. – Flurpitin-Maleat; Urteil vom 07.11.2013 – I-2 U 94/12, juris und GRUR-RR 2014, 240 [LS]), dass der Erlass einer einstweiligen Verfügung insbesondere auf Unterlassung nur in Betracht kommt, wenn sowohl die Frage der Patentverletzung als auch der Bestand des Verfügungspatents im Ergebnis so eindeutig zugunsten des Antragstellers (Verfügungsklägers) zu beantworten sind, dass eine fehlerhafte, in einem etwa nachfolgenden Hauptsacheverfahren zu revidierende Entscheidung nicht ernstlich zu erwarten ist.
140In Patentverletzungsstreitigkeiten ist das Vorliegen eines Verfügungsgrundes besonders sorgfältig zu prüfen. Gerade hier ergeben sich regelmäßig besondere Schwierigkeiten daraus, die Schutzfähigkeit bzw. Rechtsbeständigkeit des Antragsschutzrechtes innerhalb kurzer Zeit und ohne eine dem Verfahren der Hauptsache entsprechende schriftsätzliche Vorbereitung sachgerecht zu beurteilen. Die eingeschränkten Möglichkeiten treffen besonders den Antragsgegner. Während dem Antragsteller, der sich zwar beschleunigt um eine Durchsetzung seiner Rechte bemühen muss, um die zeitliche Dringlichkeit nicht zu beseitigen, auch unter den Voraussetzungen des § 940 ZPO regelmäßig ausreichend Zeit bleibt, den Rechtsbestand des Schutzrechtes vor dem Einreichen eines Verfügungsantrages sorgfältig zu prüfen, sieht sich der Antragsgegner auch im Falle einer vorherigen mündlichen Verhandlung nach der Zustellung des Verfügungsantrags regelmäßig erheblichem Zeitdruck ausgesetzt, um in der verhältnismäßig kurzen Zeit bis zum Verhandlungstermin seine Verteidigung aufzubauen. Ergeht eine Unterlassungsverfügung, greift sie darüber hinaus meist in sehr einschneidender Weise in die gewerbliche Tätigkeit des Antragsgegners ein und führt während ihrer Bestandsdauer zu einer Erfüllung des geltend gemachten Anspruchs (Senat, InstGE 9, 140, 145 – Olanzapin; InstGE 112, 114, 118 f. – Harnkatheter).
141Das alles bedeutet aber nicht, dass eine einstweilige Verfügung wegen Patentverletzung generell nicht oder nur in ganz besonders seltenen Ausnahmefällen in Betracht kommt. Derartige Restriktionen widersprächen Art. 50 Abs. 1 des Übereinkommens über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (TRIPS) vom 15. April 1994 (BGBl. II. Seite 1730), welcher die gerichtliche Anordnung einstweiliger Maßnahmen zur Verhinderung der Verletzung eines Rechts des geistigen Eigentums oder zur Sicherung einschlägiger Beweise ausdrücklich vorsieht. Eine einstweilige Unterlassungsverfügung wegen Patentverletzung verlangt allerdings in der Regel, dass die Rechtsbeständigkeit des Antragsschutzrechts hinlänglich gesichert ist (Senat, InstGE 9, 140, 146 – Olanzapin; InstGE 112, 114, 119 – Harnkatheter). Zweifel an der grundsätzlich zu respektierenden Schutzfähigkeit des Verfügungspatents können das Vorliegen eines Verfügungsgrundes ausschließen. Die Einschätzung der Rechtsbeständigkeit muss das Verletzungsgericht in eigener Verantwortung vornehmen (Senat, InstGE 9, 140, 146 – Olanzapin). Es kann sich also nicht kurzerhand auf den Erteilungsakt verlassen, sondern hat selbständig zu klären, ob angesichts des Sachvortrages des Antragsgegners ernstzunehmende Anhaltspunkte dafür bestehen, dass das Verfügungspatent ggf. keinen Bestand haben wird. Seine Vernichtung muss als Folge der Einwendungen des Antragsgegners aus Sicht des Verletzungsgerichts nicht zwingend und sie muss auch nicht überwiegend wahrscheinlich, aber aufgrund einer in sich schlüssigen, vertretbaren und letztlich nicht von der Hand zu weisenden Argumentation des Antragsgegners möglich sein, um einem Verfügungsantrag den Erfolg versagen zu können (Senat, InstGE 112, 114, 119 – Harnkatheter).
142Grundsätzlich kann von einem hinreichenden Rechtsbestand nur dann ausgegangen werden, wenn das Verfügungspatent bereits ein erstinstanzliches Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahren überstanden hat (Senat, InstGE 9, 140, 146 – Olanzapin; InstGE 112, 114, 121 – Harnkatheter). Um ein Verfügungspatent für ein einstweiliges Verfügungsverfahren tauglich zu machen, bedarf es nach der Rechtsprechung des Senats daher grundsätzlich einer positiven Entscheidung der dafür zuständigen, mit technischer Sachkunde ausgestatteten Einspruchs- oder Nichtigkeitsinstanzen.
143Aus der regelmäßigen Notwendigkeit einer positiven streitigen Rechtsbestandsentscheidung folgt umgekehrt aber auch, dass, sobald sie vorliegt, grundsätzlich von einem hinreichend gesicherten Bestand des Verfügungspatents auszugehen ist (Senat, Urteil vom 10.11.2011 – I-2 U 41/11; Urteil vom 06.12.2012 – I-2 U 46/12, juris). Mit dem Gebot eines effektiven vorläufigen Rechtsschutzes in Patentsachen (Art. 50 Abs. 1 TRIPS, Art. 9 Abs. 1 Buchstabe a) Enforcement-RL) wäre es nicht zu vereinbaren, wenn das Verletzungsgericht, bevor es einstweilige Maßnahmen anordnet, stets den rechtskräftigen Abschluss des Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahrens abwarten würde. Vielmehr hat es die von der zuständigen Fachinstanz (DPMA, EPA, BPatG) nach technisch sachkundiger Prüfung getroffene Entscheidung über die Aufrechterhaltung des Verfügungspatents hinzunehmen und, sofern im Einzelfall keine besonderen Umstände vorliegen, die gebotenen Schlussfolgerungen zu ziehen, indem es zum Schutz des Patentinhabers die erforderlichen Unterlassungsanordnungen trifft. Das gilt ganz besonders für Entscheidungen einer Technischen Beschwerdekammer des Europäischen Patentamtes, denen ein besonderes Vertrauen hinsichtlich ihrer sachlichen Richtigkeit und Verlässlichkeit zukommt.
144Grund, eine ergangene Rechtsbestandsentscheidung in Zweifel zu ziehen und von einem Unterlassungsgebot abzusehen, besteht nur dann, wenn das Verletzungsgericht die Argumentation der Einspruchs- oder Nichtigkeitsinstanz für nicht vertretbar hält oder wenn der mit dem Rechtsbehelf gegen die Einspruchs- oder Nichtigkeitsentscheidung unternommene Angriff auf das Verfügungspatent auf (z.B. neue) erfolgversprechende Gesichtspunkte gestützt wird, die die bisher mit der Sache befassten Stellen noch nicht berücksichtigt und beschieden haben. Allein der Umstand, dass Entgegenhaltungen präsentiert werden, die als solche noch nicht im Rechtsbestandsverfahren gewürdigt worden sind, ist allerdings belanglos; maßgeblich ist, ob sie einen Stand der Technik repräsentieren, der näher an der Erfindung liegt als der bereits fachkundig geprüfte. Demgegenüber ist es nicht angängig, den Verfügungsantrag trotz erstinstanzlich aufrechterhaltenen Schutzrechts allein deshalb zurückzuweisen, weil das Verletzungsgericht seine eigene Bewertung des technischen Sachverhaltes an die Stelle der ebenso gut vertretbaren Beurteilung durch die zuständige Einspruchs- oder Nichtigkeitsinstanz setzt (Senat, Urteil vom 10.11.2011 – I-2 U 41/11; Urteil vom 06.12.2012 – I-2 U 46/12).
1452.In Anwendung dieser Rechtsgrundsätze ist der Rechtsbestand des Verfügungspatents hier als hinreichend gesichert anzusehen.
146Vorliegend war der Konzern der Verfügungsbeklagten durch deren Konzernmutter sowohl am Einspruchs- als auch am Einspruchsbeschwerdeverfahren beteiligt. Im Nichtigkeitsverfahren wird ausschließlich mangelnde Erfindungshöhe reklamiert, wobei mit D1 bis D4, D6 und D7 insgesamt sechs neue Druckschriften eingeführt werden, für die nicht ersichtlich ist, warum sie nicht schon zum Gegenstand des Einspruchsverfahrens gemacht worden sind. Das ist umso erstaunlicher, als es sich um übliche und damit in den geläufigen Datenbanken prinzipiell leicht auffindbare Patentdokumente handelt und der angegriffene Konzern zu einem bedeutenden und weltweit agierenden Konkurrenten auf dem Gebiet der Stent-Technologie gehört, was einen entsprechenden Überblick über den Stand der Technik und professionelle Recherchemöglichkeiten und –erfahrungen erwarten lässt. Ungeachtet dessen werden 11 Kombinationsmöglichkeiten behauptet, die zum Gegenstand des Patentanspruchs führen sollen (D1, D1 + D2, D1 + D8, D3 + D4, D6 + D7, D6 + D8, D11 + D13, D8 + D7, D8 + D9, D8 + D14, D12). Die Beliebigkeit der Kombination lässt den Verdacht einer rein rückschauenden Rekonstruktion der Erfindung aufkommen, die selbstverständlich unzulässig ist. Zweifellos werden sich in der Vielzahl vorbekannter Stent-Geometrien alle Einzelmerkmale des Patentanspruchs irgendwo nachweisen und wiederfinden lassen. Beim Naheliegen geht es jedoch darum, dass der Fachmann ohne Kenntnis des Verfügungspatents einen nachvollziehbaren Anlass dafür gehabt hat, eine bestimmte Ausgangs-Geometrie (die noch nicht vollständig dem Verfügungspatent entsprochen hat) mit einem oder mehreren bestimmten Einzelmerkmal(en) einer anderen vorbekannten Stent-Geometrie zu der Merkmalskombination des Verfügungspatents zu verbinden. Hierbei ist zu bedenken, dass jedes Stent-Design im Zweifel ein in sich geschlossenes Gestaltungskonzept mit bestimmtem Wirkungsprofil darstellt, in das sich nicht ohne weiteres einzelne Design-Elemente eines anderen Gestaltungskonzepts sinnvoll unterbringen lassen. Wegen der bereits vorliegenden fachkundigen Beschwerdekammerentscheidung ist in diesem Zusammenhang – worauf der Senat im Termin hingewiesen hat – von der Verfügungsbeklagten konkret aufzuzeigen, welche der neuen Entgegenhaltungen der Merkmalskombination des Verfügungspatents weitgehender entsprechen soll als diejenigen Druckschriften, die in der Beschwerdeentscheidung erörtert worden sind. Dies hat die Verfügungsbeklagte nicht aufgezeigt und dies vermag der Senat auch nicht zu erkennen:
147- 148
D1 (Figur 8) zeigt streng symmetrisch aufgebaute Umfangselemente; jeder umlaufende Stentring hat von Verbindungsstelle zu Verbindungsstelle jeweils eine gleiche Anzahl gerader und gebogener Abschnitte, nämlich zwei gerade und zwei gebogene. Dieses Konzept weicht grundlegend von dem asymmetrischen Aufbau des Verfügungspatents (3 + 2 und 5 + 4) ab.
- 150
Dasselbe trifft – soweit ersichtlich – auf D6 (Figur 2) zu.
- 152
D2 (Figur 8) offenbart zwar asymmetrische Umfangselemente, allerdings wechseln sich von Verbindungsstelle zu Verbindungsstelle Elemente mit zwei geraden und einem gebogenen Abschnitt und solche mit vier geraden und drei gebogenen Abschnitten ab. Welchen Anlass der Fachmann haben sollte, die Zahl der Streben auf 3/2 und 5/4 zu erhöhen, ist nicht ersichtlich.
- 154
Der Stent nach D3 (Figur 2) besitzt Umfangssegmente, die zwischen benachbarten Verbindungsstellen drei gerade und zwei gebogene Abschnitte aufweisen. Zwischen solchen Segmenten befindet sich jedoch eine einzelne gerade Strebe, die an ihren jeweiligen Enden die Anbindung des betreffenden Stentrings an die – oben und unten – angrenzenden weiteren Stentringe herstellt. Die Expansion in vertikaler Richtung wird durch besondere, in sich gebogene Verbindungsstreben gewährleistet, die sich beim Aufspreizen auseinanderfalten. Das alles hat mit der Lehre des Verfügungspatents nicht das Geringste zu tun.
- 156
Der Stent nach D4 (Figur 8) hat Stentringe zwar unterschiedliche, aber völlig anders konzipierte Umfangselementen. Es wechseln sich Seg-mente aus fünf geraden und vier gebogenen Abschnitten mit Einzelstreben ab, die dazwischengeschaltet sind und oben wie unten den Anschluss an die benachbarten Stentringe herbeiführen.
Der Rechtsbestand des Verfügungspatents ist unter diesen Umständen als hinreichend gesichert anzusehen.
1583.
159Die Verletzungsfrage ist – wie ausgeführt – ebenfalls eindeutig zu Gunsten der Verfügungsklägerin zu beantworten. Ist sowohl die Frage der Patentbenutzung als auch die des Bestands des Verfügungspatents im Ergebnis eindeutig zugunsten des Verfügungsklägers zu beurteilen, überwiegen grundsätzlich seine Interessen gegenüber denjenigen des Verfügungsbeklagten.
160Die von der Verfügungsbeklagten angeführten Umstände stehen der Bejahung des Verfügungsgrundes nicht entgegen. Insbesondere kann sich die Verfügungsbeklagte nicht mit Erfolg darauf berufen, dass sie in Deutschland lediglich einen Marktanteil von 1,9 % habe. Wollte man diesem Umstand Bedeutung beimessen, wäre ein Patentinhaber von vornherein daran gehindert, sein Schutzrecht auch gegen „kleinere Marktteilnehmer“ im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes durchzusetzen, was mit dem Gebot eines effektiven vorläufigen Rechtsschutzes in Patentsachen und dem Charakter eines Patents als Monopolrecht nicht zu vereinbaren wäre. Abgesehen davon kann auch ein Marktanteil eines Patentverletzers von nur 2 % beim Patentinhaber bzw. Lizenznehmer zu durchaus erheblichen Umsatzverlusten führen.
161Den Interessen der Verfügungsbeklagten kann in hinreichender Weise – wie geschehen – wirksam durch die Anordnung einer angemessenen Sicherheitsleistung begegnet werden, von deren Erbringung die Vollziehung der einstweiligen Verfügung abhängig ist (§ 938 ZPO). Eine derartige Anordnung ist in der Regel schon deshalb sinnvoll und geboten, weil damit gewährleistet wird, dass der Unterlassungsausspruch nicht unter geringeren Bedingungen (nämlich ohne Sicherheitsleistung) vollstreckbar ist, als er es bei einem entsprechenden erstinstanzlichen Hauptsacheurteil (welches gemäß § 709 ZPO stets nur gegen Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist) wäre. Von einer Sicherheitsleistung kann im Allgemeinen nur abgesehen werden, wenn der Antragsteller entweder zu ihr nicht in der Lage ist oder weil eine Sicherheitsleistung in der Kürze der Zeit nicht beizubringen ist, wofür hier nichts dargetan oder ersichtlich ist.
1624.
163Die zeitliche Dringlichkeit lässt sich – entgegen der Auffassung des Landgerichts – ebenfalls nicht verneinen.
164a)
165Der Dringlichkeit einer einstweiligen Unterlassungsverfügung in Patentsachen steht es nicht entgegen, dass der Patentinhaber vor Anbringung seines Verfügungsantrages zunächst die erstinstanzliche Einspruchs- oder Nichtigkeitsentscheidung abwartet, wenn der Rechtsbestand des Verfügungspatents streitig ist und ein vor der aufrechterhaltenden Einspruchs- oder Nichtigkeitsentscheidung eingereichtes Verfügungsbegehren mutmaßlich keine Erfolgsaussicht hat (LG Düsseldorf, InstGE 9, 110 – Dosierinhalator; Senat, InstGE 10, 124 – Inhalator). Das gilt schon deshalb, weil der Erlass einer einstweiligen Unterlassungsverfügung – wie ausgeführt – grundsätzlich erst nach Abschluss eines solchen zweiseitigen Rechtsbestandsverfahrens in Betracht kommt. Es ist deswegen unschädlich, wenn der Patentinhaber zunächst (sic: vor der Einspruchsentscheidung) bereits eine Hauptsacheklage erhebt und erst während des laufenden Prozesses (sic: nach Vorliegen der ihm günstigen Einspruchsentscheidung) einen Verfügungsantrag anbringt und über beide Anliegen in demselben Termin verhandelt wird (Senat, InstGE 10, 124 – Inhalator). Unter Umständen kann es gerechtfertigt sein, die schriftlichen Entscheidungsgründe abzuwarten (Senat, InstGE 10, 124 – Inhalator), ggf. ist sogar das Abwarten der Einspruchsbeschwerde- oder Nichtigkeitsberufungsentscheidung hinzunehmen, nachdem das laufende Rechtsbestandsverfahren erstinstanzlich zugunsten des Schutzrechtsinhabers ausgegangen ist. Das Vorliegen einer erstinstanzlichen Rechtsbestandsentscheidung stellt insoweit nur eine prinzipielle Minimalbedingung für den Erlass einer einstweiligen Verfügung dar, aber nicht zugleich auch eine Maximalbedingung für die Verfolgung einstweiligen Rechtsschutzes.
166Grund für das Abwarten des weiteren Gangs des Rechtsbestandsverfahrens besteht z.B. dann, wenn berechtigte Zweifel an der Richtigkeit der zugunsten des Patentinhabers getroffenen und vom Gegner angefochtenen Einspruchs- bzw. Nichtigkeitsentscheidung bestehen, so dass mit deren Kassation gerechnet werden muss. Die Ungewissheit kann auf neuen Rechtsbestandseinwendungen (z.B. weiteren, der Erfindung näher liegenden Druckschriften des Standes der Technik) beruhen, sie kann sich bei unverändertem Sach- und Streitstand aber auch daraus ergeben, dass die Beurteilung der Rechtsbestandsangriffe objektiv uneindeutig ist oder die erstinstanzliche Rechtsbestandsentscheidung das richtige Ergebnis schlicht verfehlt. Die Befugnis zum Abwarten besteht unter solchen Umständen selbst dann, wenn der Verfügungskläger auf der Grundlage der erstinstanzlichen Rechtsbestandsentscheidung einen Wettbewerber im vorläufigen Rechtsschutz in Anspruch genommen hat, von einer entsprechenden Rechtsverfolgung aber gegenüber anderen Patentbenutzern absieht, deren Existenz ihm erst bekannt geworden ist, nachdem die möglicherweise erfolgversprechenden Angriffe gegen die erstinstanzliche Rechtsbestandsentscheidung aufgekommen sind. Der Vorwurf nachlässiger Rechtsverfolgung wegen des Abwartens der im Rechtsbestandsverfahren ausstehenden Rechtsmittelentscheidung ist bei einer solchen Sachlage regelmäßig schon deshalb nicht gerechtfertigt, weil der Weg zu den Gerichten erst beschritten werden muss, wenn der Verfügungskläger alle Vorkehrungen getroffen hat, die einen sicheren Prozesserfolg versprechen. Es ist ihm deshalb gerade nicht zuzumuten, gestützt auf eine ihm zwar günstige, sachlich aber mit guten Gründen angreifbare erstinstanzliche Rechtsbestandsentscheidung ein Verfügungsverfahren anzustrengen. Selbst wenn die im Voraus nicht kalkulierbare Chance besteht, dass sein Verfügungsbegehren Erfolg hat, besteht unter solchen Umständen mit gleicher Wahrscheinlichkeit aber auch die Möglichkeit, dass das Verletzungsgericht seine eigene Prüfungspflicht im Hinblick auf die Richtigkeit der ergangenen Rechtsbestandsentscheidung betont und wegen durchgreifender Bedenken am Rechtsbestand den Erlass einer einstweiligen Verfügung versagt. Und selbst wenn der Verfügungsantrag Erfolg hat, muss die erwirkte Unterlassungsverfügung wegen § 929 Abs. 2 ZPO vollstreckt werden, was eine Garantiehaftung nach § 945 ZPO nach sich zieht. Derartiges ist dem Patentinhaber nur zumutbar, wenn er berechtigterweise auf den sicheren Bestand der erstinstanzlichen Rechtsbestandsentscheidung vertrauen kann.
167Die aufgezeigte Ungewissheit des Verfahrensausgangs macht es mindestens aus Kostengründen, nach Lage des Falles aber ggf. auch aus strategischen Erwägungen heraus sachgerecht und vernünftig, den Verletzungsangriff zurückzustellen, bis der Rechtsbestand des Schutzrechts so weit geklärt ist, dass ein Erfolg des Verfügungsbegehrens sicher absehbar ist. Dringlichkeitsbedenken sind bei allem umso weniger angebracht, wenn es im Einspruchsbeschwerde- oder Nichtigkeitsberufungsverfahren tatsächlich zu einer weiteren Einschränkung des Verfügungspatents kommt, so dass sich die Befürchtungen des Antragstellers auch objektiv als berechtigt erweisen. Ganz besonders gilt dies, wenn die weitere Beschränkung ein Merkmal betrifft, das in der Benutzung durch die angegriffenen Ausführungsformen ernstlich streitig ist.
168Jede andere Handhabung hätte zur Konsequenz, dass der Patentinhaber (und zwar jeder) gezwungen wäre, einen Verfügungsantrag bereits auf der Grundlage einer erstinstanzlichen Rechtsbestandsentscheidung zu stellen, so dass das für Rechtsbestandsfragen originär unzuständige Verletzungsgericht gehalten wäre, sich anstelle der fachkundigen Rechtsmittelinstanz mit den Einwendungen gegen die Einspruchs- oder Nichtigkeitsentscheidung auseinanderzusetzen. Das ist jedenfalls in komplexen und in der Beurteilung nicht eindeutigen Fällen weder sinnvoll noch wünschenswert.
169Umgekehrt fehlt die Dringlichkeit nicht per se deshalb, weil der Antragsteller ausschließlich im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes vorgeht und nicht beizeiten eine parallele Hauptsacheklage anhängig macht. Selbst in einer Situation, in der er bei Beantragung der einstweiligen Verfügung bereits im Besitz eines Hauptsachetitels sein könnte, sofern er alsbald nach Entdeckung der Verletzungshandlungen (während des noch laufenden Rechtsbestandsverfahrens) Klage zur Hauptsache erhoben hätte, kann ihm nicht entgegen gehalten werden, ihm sei die Rechtsverfolgung nicht dringlich. Die gegenteilige Argumentation des Verletzers läuft auf das inakzeptable Ergebnis hinaus, dass ihm allein deshalb, weil er nicht schon (längst) einen Hauptsachetitel gegen sich hat, auch weiterhin gestattet bleiben muss, seine eindeutig patentverletzenden Handlungen weiterhin fortsetzen zu können. Abgesehen davon kann es gute Gründe geben, auch vor Erhebung einer Hauptsacheklage den Ausgang des Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahrens abzuwarten. Ist der Bestand des Verfügungspatents ernstlich zweifelhaft, wird jeder vernünftige Kläger schon wegen der ansonsten bestehenden Schadenersatzpflicht davon absehen, einen erstrittenen Hauptsachetitel zu vollstrecken. Dann aber ist es ebenfalls vernünftig, davon abzusehen, sich einen solchen (in der Folge ohnehin nicht zu vollstreckenden) Titel durch Hauptsacheklage zu beschaffen. In jedem Fall kann ein derartiges kostenbewusstes Taktieren nicht als nachlässige Rechtsverfolgung ausgelegt werden, die nach außen dokumentiert, dass es dem Anspruchsteller mit seinen Ansprüchen nicht eilig ist.
170b)
171Hiervon ausgehend steht es der Dringlichkeit der einstweiligen Verfügung nicht entgegen, dass die Verfügungsklägerin, nachdem sie im Sommer 2014 Kenntnis von der angegriffenen Ausführungsform „B“ erlangt hat, vor Stellung ihres Verfügungsantrages zunächst den Ausgang des laufenden Einspruchsbeschwerdeverfahrens abgewartet hat.
172Dafür, dass es vorliegend trotz der (beschränkten) Aufrechterhaltung des Verfügungspatents in erster Instanz durch die Einspruchsabteilung gute Gründe gab, vor Anbringung des Verfügungsantrages zunächst die Einspruchsbeschwerdeentscheidung abzuwarten, spricht schon die Tatsache, dass das Verfügungspatent im Einspruchsbeschwerdeverfahren in geänderter Fassung aufrechterhalten worden ist. Der Patentanspruch 1 des Verfügungspatents ist gegenüber der erstinstanzlichen Einspruchsentscheidung weiter eingeschränkt worden. Neu hinzugekommen sind zwei Merkmale, nämlich die Merkmale 3.7 und 3.8, von denen das das „Wiederholungsmuster“ betreffende Merkmal 3.7 auch verletzungsrelevant ist. Schon aus diesem Grunde ist hier der Vorwurf nachlässiger Rechtsverfolgung wegen des Abwartens der im Einspruchsverfahren ausstehenden Beschwerdeentscheidung nicht gerechtfertigt. Allein die später im Rechtsbestandsverfahren ergangene Entscheidung der Beschwerdekammer belegt vielmehr, dass es hier gute Gründe gab, vor Einreichung eines Verfügungsantrages zunächst erst noch den Ausgang des Einspruchsbeschwerdeverfahrens abzuwarten.
173Dem kann nicht entgegengehalten werden, dass die Verfügungsklägerin nach Erlass der erstinstanzlichen Einspruchsentscheidung vom 11.02.2013 bereits am 18.02.2013 einen auf das Verfügungspatent gestützten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen die I Medizintechnik GmbH sowie die I Corporation gestellt hat, auf welchen das Landgericht diese Wettbewerber durch Urteil vom 30.04.2013 (Az. 4b O 12/13) im Wege der einstweiligen Verfügung u.a. zur Unterlassung verurteilt hat. Zum Zeitpunkt der Stellung dieses Verfügungsantrages hatte die Verfügungsklägerin vom Vertrieb der hier angegriffenen Ausführungsformen durch die Verfügungsbeklagte noch keine Kenntnis. Die angegriffene Ausführungsform „B“ wurde unstreitig ohnehin erst im Juni 2014 auf dem deutschen Markt eingeführt. Nach den unangegriffenen Feststellungen des Landgerichts hatte die Verfügungsklägerin erst im Juli 2015 umfassende Kenntnis von der Ausgestaltung dieses Stents. Von der angegriffenen Ausführungsform „C“ hatte sie keine frühere Kenntnis. Die Verfügungsklägerin hat dargetan und glaubhaft gemacht, dass sie von der Existenz dieser Ausführungsform erst im Rahmen des vorliegenden Verfügungsverfahrens Kenntnis erlangt hat. Den Verfügungsantrag gegen die I Medizintechnik GmbH und die I Corporation reichte die Verfügungsklägerin damit mehr als zwei Jahre vor Kenntniserlangung von der Benutzung des Verfügungspatents durch die hiesige Verfügungsbeklagte ein. Zum Zeitpunkt der Anbringung dieses Verfügungsantrages, den die Verfügungsklägerin nur wenige Tage nach dem Erlass der Einspruchsentscheidung einreichte, war noch nicht abzusehen, ob die Einsprechenden gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung vom 11.02.2013 Beschwerde einlegen würden. Auch lagen, als das Landgericht am 26.03.2013 über den gegen I gerichteten Verfügungsantrag verhandelte, die schriftlichen Gründe der Einspruchsentscheidung erst wenige Tage vor, was eine eingehende Überprüfung der Entscheidung und Stellungnahme seitens der von der Verfügungsklägerin im damaligen Verfügungsverfahren in Anspruch genommenen I Medizintechnik GmbH und I Corporation, wenn nicht sogar unmöglich machte, so doch ganz erheblich erschwerte. Die I Medizintechnik GmbH begründete ihre Beschwerde im Einspruchsverfahren unstreitig erst mit Schriftsatz 17.05.2013; die Konzernmutter der Verfügungsbeklagten reichte ihre Beschwerdebegründung erst am 26.06.2013 ein. Die betreffenden Schriftsätze umfassten unstreitig über 70 Seiten. Die dort im Einzelnen vorgebrachten Argumente konnte das Landgericht bei seiner Entscheidung über den damaligen Verfügungsantrag der Verfügungsklägerin naturgemäß noch nicht berücksichtigen.
174Im Sommer 2014 war die Situation eine völlig andere. Die Konzernmutter der Verfügungsbeklagten und I hatten gegen die Einspruchsentscheidung jeweils Beschwerde eingelegt und diese auch begründet, wobei sie ihre Argumente gegen den Rechtsbestand des Verfügungspatents vertieft und ergänzt hatten. Auch hatten die I Medizintechnik GmbH und die I Corporation gegen das Urteil des Landgerichts vom 30.04.2013 (Az. 4b O 12/13) Berufung eingelegt, wobei in dem seinerzeit vor dem Senat geführten Berufungsverfahren (Az. I-2 U 18/13) auch intensiv über den Rechtsbestand des Verfügungspatents gestritten wurde.
175Es ist auch durchaus nachvollziehbar, dass die Verfügungsklägerin hier zunächst von der Rechtsverfolgung wegen des so genannten poisonous divisional-Angriffs im Einspruchsbeschwerdeverfahren abgesehen hat, welcher ggf. – wenn die zuständige Beschwerdekammer eine wirksame Inanspruchnahme der Priorität verneint hätte und den in der Entscheidung T 1496/11 aufgestellten Rechtsgrundsätzen gefolgt wäre – zum Widerruf des Verfügungspatents hätte führen können. Eine solche Gefahr bestand hier. Immerhin hatte bereits die Einspruchsabteilung die Relevanz der erst spät ins Einspruchsverfahren eingeführten EP 2 311 AAI (D 18), bei der es sich um die Teilanmeldung zum Verfügungspatent handelt, bejaht (Anlage B 10a, S. 9 Ziff. 3.1.1) und sich mit der Frage befasst, ob das Verfügungspatent die Priorität der US 254 AAJ wirksam in Anspruch nehmen kann (Anlage B 10a, S. 9 Ziff. 3.1.2). Außerdem wies die Einspruchsabteilung darauf hin, dass eine Untersuchung der Frage, ob die Unteransprüche des Verfügungspatents die Priorität zu Recht in Anspruch nehmen, die Aussicht darauf, das Einspruchsverfahren mit dem Tag der mündlichen Verhandlung abzuschließen, ernsthaft gefährdet hätte (Anlage B 10a, S. 5 Ziff. 1). Die Verfügungsklägerin durfte hieraus den Schluss ziehen, dass die Einspruchsabteilung das Verfügungspatent bei einem erfolgreichen Angriff auf die Priorität wohl widerrufen hätte. Hinsichtlich des aufrechterhaltenen Patentanspruchs kam die Einspruchsabteilung zwar zu dem Ergebnis, dass dieser die Priorität wirksam in Anspruch nehmen könne, so dass die EP 2 311 AAI kein Stand der Technik nach Art. 54 Abs. 3 EPÜ sei. In ihrer Entscheidung führte sie hierzu aus, dass der Gegenstand des aufrechterhaltenen Patentanspruchs in Figur 2a sowie in einer Beschreibungsstelle der US 254 AAJ offenbart sei (Anlage B 10a, S. 9 Ziff. 3.1.2). Gegen das von der Einspruchsabteilung gefundene, nur sehr kurz begründete Ergebnis bestanden aber insbesondere im Hinblick auf das bislang im Patentanspruch nicht enthaltene Merkmal 3.8 Bedenken. Dieses Merkmal hatte im erstinstanzlichen Einspruchsverfahren unstreitig noch keine Rolle gespielt. Schon deshalb hatte der „poisonous divisional“-Angriff in der Beschwerdeinstanz eine ganz andere Qualität als in erster Instanz. Die Konzernmutter der Verfügungsbeklagten hat im Einspruchs(beschwerde)verfahren ohnehin erstmals in ihrer Beschwerdebegründung vom 26.06.2013 eingewandt, dass das Verfügungspatent die Priorität zu Unrecht in Anspruch nehme, und sich auf den „poisonous divisional“-Angriff gestützt. Die Einsprechende I hatte dieses Thema zwar bereits in erster Instanz in ihrem Schriftsatz vom 10.01.2013 aufgegriffen, wobei ihre diesbezüglichen Ausführungen – soweit ersichtlich – allerdings gerade einmal eine Seite umfassten. In ihrer Beschwerdebegründung vom 13.05.2013 befasste sich die Einsprechende I mit diesem Einwand unstreitig ausführlicher als zuvor, wobei sie erstmals konkret bezogen auf den von der Einspruchsabteilung aufrechterhaltenen Patentanspruch schriftsätzlich vortrug. Die Argumentation der Einsprechenden veranlasste die Verfügungsklägerin bzw. die Patentinhaberin im weiteren Verlauf des Beschwerdeverfahrens sogar dazu, ein umfangreiches Rechtsgutachten zu dieser Frage einzuholen. Soweit die Verfügungsbeklagte die diesbezüglichen Ausführungen der Verfügungsklägerin als verspätet rügt, lässt sich ihrem Vorbringen nicht entnehmen, dass sie hiermit bestreiten will, dass dieses Gutachten in Auftrag gegeben worden und am 10.04.2015 erstattet worden ist. Ob die zuständige Beschwerdekammer der Entscheidung T 1496/11 folgen würde, ließ sich im Sommer 2014 nicht voraussehen. Ausgeschlossen war dies nicht, weshalb die Verfügungsklägerin diese Möglichkeit bei ihrem Vorgehen gegen die Verfügungsbeklagte in den Blick nehmen musste. Unter den gegebenen Umständen durfte sie es trotz der erstinstanzlichen Einspruchsentscheidung als zweifelhaft ansehen, ob das anzurufende Verletzungsgericht den Rechtsbestand des Verfügungspatents als hinreichend gesichert ansehen würde und einem Verfügungsantrag gegen die Verfügungsbeklagte entsprechen würde.
176Für Bedenken hinsichtlich der Dringlichkeit besteht hier letztlich umso weniger Anlass, als die Verfügungsbeklagte explizit geltend macht, die Einspruchsbeschwerdeentscheidung sei offensichtlich fehlerhaft, und ihre Konzernmutter aus diesem Grund den deutschen Teil des Verfügungspatents mit einer Nichtigkeitsklage angreift. Wenn schon jetzt ein ausreichender Rechtsbestand in Abrede gestellt wird, hat er mit der erstinstanzlichen Einspruchsentscheidung erst recht nicht vorgelegen.
177V.
178Der Verfügungsbeklagten ist daher der Vertrieb der angegriffenen Ausführungsformen im Wege der einstweiligen Verfügung zu untersagen. Von einer Aufnahme der Bezeichnungen der angegriffenen Stents in den Unterlassungsausspruch gemäß dem insbesondere-Antrag der Verfügungsklägerin hat der Senat entsprechend seiner üblichen Tenorierungspraxis abgesehen, weil hierfür kein Bedarf besteht.
179VI.
180Die Verfügungsklägerin kann die Verfügungsbeklagte im Wege der einstweiligen Verfügung auch auf Auskunftserteilung über die Herkunft und den Vertriebsweg der angegriffenen Stents in Anspruch nehmen, Art. 64 Abs. 1 EPÜ, §§ 140b Abs. 1, 3 und 7 PatG. Die Voraussetzungen eines im Wege der einstweiligen Verfügung durchsetzbaren Anspruchs auf Drittauskunft liegen hier vor.
1811.Nach § 140b Abs. 1 PatG kann derjenige, der entgegen § 9 PatG eine patentierte Erfindung benutzt, von dem Verletzten auf unverzügliche Auskunft über die Herkunft und den Vertriebsweg der benutzten Erzeugnisse in Anspruch genommen werden. In Fällen offensichtlicher Rechtsverletzung kann die Verpflichtung zur Erteilung der Auskunft nach § 140b Abs. 7 PatG im Wege der einstweiligen Verfügung nach den §§ 935 bis 945 ZPO angeordnet werden. Die Durchsetzung des Auskunftsanspruchs im Wege der einstweiligen Verfügung setzt hiernach eine „offensichtliche Rechtsverletzung“ voraus. Liegt eine solche vor, ist eine Vorwegnahme der Hauptsache, zugelassen (Kühnen, Hdb. d. Patentverletzung, 8. Aufl., Kap. D Rn. 438).
1822.Die „offensichtliche Rechtsverletzung“ ist gegeben, wenn in Bezug auf das auskunftspflichtige Erzeugnis sowohl die tatsächlichen Umstände als auch die rechtliche Beurteilung so eindeutig sind, dass eine Patentverletzung bereits jetzt in einem solchen Maße feststeht, dass eine Fehlentscheidung (oder eine andere Beurteilung im Rahmen des richterlichen Ermessens) und damit eine ungerechtfertigte Belastung des Anspruchsgegners kaum möglich erscheint (vgl. BT-Drs. 11/4792, S. 32, li. Sp.; OLG Hamburg, InstGE 8, 11 – Transglutaminase; Benkard/Grabinski/Zülch, PatG, 11. Aufl., § 140b Rn. 20; Busse/Kaess, PatG, 7. Aufl., § 140b Rn. 7; Mes, PatG/GebrMG, 4. Aufl., § 140b Rn. 47; vgl. ferner Kühnen, a.a.O., Kap. D Rn. 386). So verhält es sich hier. Die Ausgestaltung der angegriffenen Ausführungsformen steht in tatsächlicher Hinsicht fest. Dass die angegriffenen Stents die streitigen Anspruchsmerkmale verwirklichen, kann der Senat bereits jetzt – ohne sachverständige Hilfe – abschließend beurteilen. Dass die Verfügungsbeklagte passivlegitimiert ist, steht ebenfalls fest. Schließlich ist auch der Rechtsbestand des Verfügungspatents hinreichend gesichert. Denn das Verfügungspatent hat nicht nur ein erstinstanzliches Einspruchsverfahren, sondern auch ein Beschwerdeverfahren durchlaufen, und zwar unter Beteiligung des Konzerns der Verfügungsbeklagten. Die bloße (nie auszuschließende) Möglichkeit, dass das Verfügungspatent doch auf die nunmehr anhängige Nichtigkeitsklage vernichtet werden könnte, steht der Annahme einer offensichtlichen Rechtsverletzung nicht entgegen (vgl. Kühnen, a.a.O., Kap. D Rn. 386; Schulte/Voß/Kühnen, PatG, 9. Aufl., § 140b Rn. 14; Benkard/Grabinski/Zülch, a.a.O., § 140b Rn. 20).
1833.
184Die Inanspruchnahme der Verfügungsbeklagten ist nicht unverhältnismäßig. Indem § 140b Abs. 4 PatG vorsieht, dass die Auskunftsansprüche ausgeschlossen sind, wenn die Inanspruchnahme des Verletzers „im Einzelfall“ unverhältnismäßig ist, macht das Gesetz klar, dass die Verpflichtung zur Auskunftserteilung die Regelmaßnahme darstellt und dass von ihr nur unter besonderen Umständen abgesehen werden soll, die den Entscheidungsfall von der typischen Sachverhaltsgestaltung unterscheiden, für die § 140b PatG die Pflicht zur Auskunftserteilung anordnet (Senat, InstGE 12, 210 – Gleitsattelscheibenbremse). Derartige Umstände sind hier weder dargetan noch ersichtlich.
1854.Der Umfang der Auskunftspflicht ergibt sich aus § 140b Abs. 3 PatG. Die danach anzugebenden Einzeldaten sind im Urteilstenor zu A. I. 2., den der Senat entsprechend seiner üblichen Tenorierungspraxis gefasst hat, aufgeführt. Geschuldet wird auch eine Belegvorlage in Form von Kopien der Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine, zum Nachweis der gemachten Angaben, wobei darin enthaltene Daten, die nicht auskunftspflichtig und geheimhaltungsbedürftig sind, geschwärzt werden können.
186VII.
187Der weitergehende Verfügungsantrag hat keinen Erfolg.
1881.Ein Verwahrungsanspruch zur Sicherung eines gegenüber der Verfügungsbeklagten bestehenden Vernichtungsanspruchs nach § 140a Abs. 1 PatG i.V.m. Art. 64 EPÜ besteht nicht.
189Zur Sicherung des Vernichtungsanspruchs kann zwar im Einzelfall eine Verwahrung patentverletzender Gegenstände durch den Gerichtsvollzieher angeordnet werden (vgl. Kühnen, a.a.O., Kap. G Rn. 32). Die Verfügungsklägerin hat vorliegend jedoch nicht glaubhaft gemacht, dass ihr ein Vernichtungsanspruch gegen die Verfügungsbeklagte zusteht.
190Die Zuerkennung des Vernichtungsanspruchs nach § 140a PatG setzt voraus, dass der Beklagte patentverletzende Gegenstände im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor Gericht (noch) in seinem (inländischen) Besitz oder Eigentum hat (vgl. Kühnen, a.a.O., Kap. D Rn. 534 m.w.N.).
191Die Verfügungsklägerin behauptet zwar, dass die Verfügungsbeklagte als deutsche Vertriebsgesellschaft der H-Gruppe patentverletzende Stents in ihrem Eigentum und Besitz habe. Dies wird von der Verfügungsbeklagten jedoch bestritten. Nach ihrem Vorbringen im Verhandlungstermin werden die angegriffenen Stents aus Japan an Krankenhäuser in Deutschland geliefert, wo sie in sog. Consignment-Lagern in der Weise vorrätig gehalten werden, dass ein Eigentumsübergang von der belgischen H N.V. auf das Krankenhaus erst mit der Entnahme des Stents aus dem Lager erfolgt und die H N.V. Zugriff auf das Lager hat. Eigentümerin und Besitzerin der an die Krankenhäuser gelieferten Stents ist bis zu deren Entnahme aus dem Lager danach allein die von der Verfügungsklägerin gesondert in Anspruch genommene H N.V., die auf der von ihr betriebenen Website „J“ in den Rubriken „K“ und „L“ aufgeführt wird und die in der u.a. von der hiesigen Verfügungsbeklagten eingereichten Schutzschrift auch als „europäische Zentrale“ bezeichnet worden ist. Dass (auch) die hiesige Verfügungsbeklagte Eigentümerin und/oder Besitzerin der in den Lagern vorrätig gehaltenen Stents ist, hat die Verfügungsklägerin nicht glaubhaft gemacht. Sie hat auch nicht glaubhaft gemacht, dass die Verfügungsbeklagte an anderer Stelle angegriffene Ausführungsformen in ihrem Eigentum und/oder Besitz hat.
192Besteht damit aber der zu sichernde Vernichtungsanspruch nicht, kann der Verfügungsklägerin auch kein Verwahrungsanspruch zugesprochen werden. Denn der Verwahrungsanspruch setzt zumindest voraus, dass der zu sichernde Vernichtungsanspruch einmal bestanden hat (vgl. Kühnen, a.a.O., Kap. G Rn. 32).
1932.
194Ein im Wege des einstweiligen Verfügungsverfahrens durchsetzbarer Beseitigungsanspruch, der für das In- sowie Ausland und über das reguläre Ende der Patentlaufzeit (12.12.2020) hinaus, nämlich weltweit bis zum 12.12.2021, geltend gemacht wird, steht der Verfügungsklägerin nicht zu.
1951.
196Der Verfügungsantrag zu I.1.b) ist – abgesehen von seinem insbesondere-Teil –bereits nicht hinreichend bestimmt, worauf die Verfügungsklägerin im Verhandlungstermin hingewiesen worden ist.
197Der Antrag ist darauf gerichtet, der Verfügungsbeklagten zu untersagen, von Daten, die auf Handlungen gemäß dem Verbotsantrag zu I.1.a) beruhen und in der Bundesrepublik Deutschland erhoben wurden, vor dem 12. Dezember 2021 kommerziell zu profitieren, insbesondere Daten der Studien "M“ und „N“, insbesondere solche Daten zu verwenden für Anträge und/oder Verhandlungen, die die kommerzielle Verwertung ermöglichen oder fördern sollen, sowie Anträge im Zusammenhang mit der Erlangung einer Marktzulassung oder mit der Aufnahme in ein Verzeichnis von Produkten oder Dienstleistungen, für die Träger von Gesundheitskosten die Kosten übernehmen, und/oder Verhandlungen im Zusammenhang mit Abnehmern oder mit Trägern von Gesundheitskosten über Bedingungen der Veräußerung von patentverletzenden Produkten und/oder indem solche Daten zu Werbezwecken verwendet werden, so wie auf Internetseiten, Messen oder in sonstigem Werbematerial, wobei die Unterlassungspflicht auch umfassen soll, bereits begonnene kommerzielle Nutzungen einzustellen, indem entsprechende Daten aus regulatorischen Anträgen, anderen kommerziellen Antragsunterlagen und/oder Verhandlungen und/oder von jeglicher anderer begonnenen Nutzung zurückgezogen werden, sowie auf Unternehmen desselben Konzepts einzuwirken, an der Einhaltung der Unterlassungspflicht in gleicher Weise mitzuwirken.
198Nach ständiger Rechtsprechung darf ein Verbotsantrag im Hinblick auf § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO nicht derart undeutlich gefasst sein, dass Gegenstand und Umfang der Entscheidungsbefugnis des Gerichts (§ 308 Abs. 1 ZPO) nicht erkennbar abgegrenzt sind, sich der Beklagte deshalb nicht erschöpfend verteidigen kann und letztlich die Entscheidung darüber, was dem Beklagten verboten ist, dem Vollstreckungsgericht überlassen bleibt (vgl. nur BGH, GRUR 2016, 88, 89 – Deltamethrin).
199Danach ist der von der Verfügungsklägerin gestellte Unterlassungsantrag zu I.1.b) nicht hinreichend bestimmt und deshalb unzulässig. Denn es ist unklar, was außer den im Insbesondere-Teil angegebenen Verwertungshandlungen unter „kommerziell zu profitieren“ zu verstehen ist. Außerdem fehlt es an einer Konkretisierung der fraglichen Daten.
2002.Was den insbesondere-Teil des Verfügungsantrages zu I.1.b) anbelangt, kann in der Sache von vornherein nur ein Beseitigungsanspruch in Bezug auf die Daten der Studien „M“ und „N“ bestehen. Dass anderweitige Daten betreffend die angegriffenen Ausführungsformen erhoben worden sind, ist weder dargetan noch ersichtlich. In Bezug auf die „N“ kommt ein Unterlassungsanspruch allerdings im Ergebnis ebenfalls nicht in Betracht, weil diese Studie nach dem unwiderlegten Vorbringen der Verfügungsbeklagten nicht (auch) in Deutschland durchgeführt worden ist. Gegenteiliges hat die Verfügungsklägerin nicht glaubhaft gemacht.
2013.Bezüglich der Begründetheit des geltend gemachten Anspruchs ist außerdem für das Inland zu unterscheiden zwischen der Zeit nach Ablauf des Patents und der Zeit während der Patentlaufzeit.
202a) Der Beseitigungsanspruch ist in Rechtsprechung und Literatur bislang ausschließlich im Hinblick auf den Ablauf des Patentschutzes diskutiert worden, wobei folgende Erkenntnisse als gesichert gelten können: Grundsätzlich findet der Unterlassungsanspruch mit dem Erlöschen des Klagepatents sein Ende. Das gilt für jedermann, auch für denjenigen, der während der Patentlaufzeit das Schutzrecht widerrechtlich benutzt hat. Die vorgefallenen Verletzungshandlungen sind mithilfe des im PatG vorgesehenen Anspruchskanons, d.h. insbesondere durch den in § 139 Abs. 2 PatG niedergelegten Schadenersatzanspruch, zu kompensieren; sie haben jedoch nicht zur Folge, dass der Verletzer – gleichsam zur Strafe – nicht an der mit dem Schutzrechtsablauf eintretenden Gemeinfreiheit der patentierten Lehre partizipieren dürfte. Prinzipiell muss dem Regelungsgeflecht der §§ 139 ff. PatG entnommen werden, dass mit den dort zugewiesenen Ansprüchen Patentverletzungshandlungen angemessen (und abschließend) sanktioniert sind. Ein aus allgemein-zivilrechtlichen Vorschriften (§ 1004 BGB) abgeleiteter – zusätzlicher – Beseitigungsanspruch kommt daher nur in Betracht, wenn aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalles die durch die Patentverletzung hervorgerufenen Eingriffsfolgen durch einen regulären Schadenersatzanspruch nicht hinreichend ausgeglichen sind, so dass es ein Gebot materieller Gerechtigkeit ist, die überschießenden „Schäden“ des Patentinhabers über eine spezielle Maßnahme der Folgenbeseitigung zu kompensieren. Weil dem so ist und weil immer nur eine solche Maßnahme gerechtfertigt ist, die zur Folgenbeseitigung erforderlich und hinreichend ist, muss der Patentinhaber, der einen Beseitigungsanspruch geltend macht, substantiiert dazu vortragen, dass und welcher Schadenssachverhalt trotz regulären Schadensausgleichs (§ 139 Abs. 2 PatG) in Bezug auf die vorgefallenen Verletzungshandlungen bestehen bleibt und welche konkrete Beseitigungsmaßnahme angesichts dessen erforderlich ist, um diesen Schaden zu beseitigen (LG Düsseldorf, Urt. v. 10.10.2014 – 4c O 113/13).
203In der Rechtsprechung (BGH, GRUR 1990, 997, 1001 – Ethofumesat) ist dementsprechend anerkannt, dass einem über die Laufzeit des Patents hinaus fortwirkenden Störungszustand, der von während der Laufzeit des Patents begangenen Verletzungshandlungen ausgeht, mit einem Störungsbeseitigungsanspruch analog § 1004 BGB begegnet werden kann, sofern die Gefahr besteht, dass sich dieser Störungszustand auch noch nach dem Ablauf des Patents zum Nachteil des Schutzrechtsinhabers schädlich auf dessen Vermögenslage auswirkt. In dem vom BGH entschiedenen Fall hatte sich der Beklagte durch patentverletzende Feldversuche Erkenntnisse in Form von Versuchs- und Prüfberichten verschafft, um diese bei der Stellung eines Antrages auf Zulassung seines Pflanzenbehandlungsmittels zu verwerten. Der sich daraus für den Patentinhaber ergebende Störungszustand bestand darin, dass der Beklagte aufgrund der patentverletzenden Versuche in der Lage war, alsbald nach Ablauf des Patents die für die Einfuhr und den Vertrieb des Pflanzenbehandlungsmittels erforderliche behördliche Zulassung zu erlangen und danach sogleich mit dem Mittel auf den Markt zu kommen. Dies wäre ihm nicht möglich gewesen, wenn der Beklagte die Rechte des Patentinhabers aus dem Schutzrecht während dessen Laufzeit respektiert hätte. In diesem Fall hätte der Patentinhaber das Pflanzenbehandlungsmittel auch nach Ablauf des Patents ohne die Konkurrenz des Beklagten jedenfalls so lange allein auf den Markt bringen können, wie der Beklagte Zeit benötigt hätte, um aufgrund von erst nach dem Ablauf des Patents durchzuführenden Feldversuchen die für die Zulassung des Mittels erforderlichen Prüfungsunterlagen in die Hand zu bekommen. Um den fortwirkenden Störungszustand zu beseitigen, hat es der BGH dem Beklagten verwehrt, die patentverletzend gewonnenen Erkenntnisse so lange zur Begründung eines Zulassungsantrages zu verwenden, wie er gebraucht hätte, um sich das betreffende Wissen durch nach dem Auslaufen des Patents begonnene Feldversuche zu verschaffen.
204Für ein über das Patentende hinauswirkendes Verwertungsverbot besteht im Streitfall schon deshalb kein Anlass, weil das Laufzeitende (Dezember 2020) noch in weiter Ferne liegt und heute niemand zuverlässig vorherzusagen vermag, wie sich die Sachlage in fünf Jahren darstellt und ob dann noch ein Störungszustand besteht, zu dessen Sanktionierung es – über die Rechtsfolgen der §§ 139 ff. PatG hinaus - einer Folgenbeseitigungsmaßnahme bedarf. Jedenfalls besteht jetzt nicht der geringste Anlass, gerichtliche Maßnahmen im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes anzuordnen, die erst in geraumer Zukunft wirksam werden; insoweit fehlt es jedenfalls am Verfügungsgrund. Erforderlichenfalls mag im Jahr 2020 anhand der sodann aktuellen Lage ein neuer Antrag bei Gericht eingereicht werden.
205b)Für die Zeit während der Patentlaufzeit besteht grundsätzlich kein Anlass für die Zuerkennung eines Beseitigungsanspruchs. Wenn der Verfügungsbeklagten – wie hier geschehen - Angebot und Vertrieb der streitbefangenen Stents gemäß § 139 Abs. 1 PatG verboten werden, sind ihr jegliche geschäftlichen Verwertungshandlungen untersagt.
206Der Antrag der Verfügungsklägerin ist deshalb von vornherein sinnlos, soweit er auf eine werbliche Verwendung der Daten auf Messen, im Internet und dergleichen abstellt. Für die Verletzungsprodukte darf überhaupt nicht mehr geworben werden, deswegen selbstverständlich auch nicht unter Bezugnahme auf irgendwelche schutzrechtsverletzend zustande gekommenen Erkenntnisse. Dass die Verfügungsbeklagte die besagten Erkenntnisse im Zusammenhang mit anderen als den streitbefangenen Stents ausbeuten will oder dies droht, ist nicht ersichtlich.
207Ebenso wenig ist ersichtlich, dass die Verfügungsbeklagte irgendeinen Vorteil von einer behördlichen Marktzulassung hätte, wenn ihr Angebot und Vertrieb der zugelassenen Produkte untersagt ist. Warum sollte sie deshalb eine laufende Marktzulassung weiterführen, wenn der betreffende Stent überhaupt nicht mehr vertrieben werden darf. Abgesehen davon: Selbst wenn das Zulassungsverfahren fortgesetzt und erfolgreich zum Abschluss gebracht würde, hat die Verfügungsbeklagte davon keinen Vorteil, der jetzt eine zusätzliche Beseitigungsmaßnahme erfordern könnte. Ob das rechtsverletzende Zulassungsverfahren ein Vertriebsverbot für die zugelassenen patentverletzenden Produkte im Anschluss an das Laufzeitende rechtfertigt, mag im Jahr 2020 entschieden werden. Unabhängig davon handelt es sich nach dem eigenen Vortrag der Verfügungsklägerin bei den angegriffenen Ausführungsformen, und zwar auch bei der angegriffenen Ausführungsform „B“, welche zusätzlich mit einem Wirkstoff beschichtet ist, um keine Arzneimittel (i.S.d. AMG), sondern um Medizinprodukte (i.S.d. MPG). Ein arzneimittelrechtliches Zulassungsverfahren muss daher nicht angestrengt werden. Erforderlich ist vielmehr nur eine CE-Kennzeichnung. Ein CE-Kennzeichnungsverfahren dürfte aber längst erfolgreich abgeschlossen sein, weil beide angegriffenen Ausführungsformen sich auf dem deutschen Markt befinden. Sie haben damit offenbar bereits die erforderliche CE-Kennzeichnung erhalten. Was hier ein inländisches Verwertungsverbot ausrichten soll, ist unerfindlich.
208Ähnliches gilt in Bezug auf die Verwendung der Daten gegenüber Krankenkassen. Die angegriffenen Ausführungsformen mögen derzeit in Deutschland noch nicht allgemein von Krankenkassen erstattet werden. Soweit sich die Verfügungsbeklagte hier um eine Erstattungszusage bemühen sollte, ist wiederum nicht ersichtlich, welchen Vorteil sie von einer entsprechenden Zusage haben sollte, wenn ihr Angebot und Vertrieb der angegriffenen Ausführungsformen untersagt sind. Warum sollte sie sich also um eine entsprechende Erstattungszusage bemühen? Auch insoweit besteht derzeit kein Bedarf für die Anordnung einer zusätzlichen Beseitigungsmaßnahme im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes, zumal fraglich ist, ob die Krankenkassen im Hinblick auf den der Verfügungsbeklagten verbotenen Vertrieb der angegriffenen Ausführungsformen derzeit überhaupt eine Erstattungszusage erteilen würden.
2094.
210Bezogen auf das Ausland kommt ein Beseitigungsanspruch aus grundsätzlichen Erwägungen nicht in Betracht. Inländische patentverletzende Zulassungsuntersuchungen begründen – entgegen einer älteren Senatsentscheidung (Urteil vom 28.04.1994 – 2 U 128/92) – kein Verwertungsverbot im Ausland. Dies ergibt sich aus der schlichten Überlegung heraus, dass deutsche Verletzungsgerichte zwar die Ausfuhr eines Verletzungsgegenstandes als inländisches Inverkehrbringen sanktionieren können, dass jedoch, wenn sich das Verletzungsprodukt infolge des Exports einmal im Ausland befindet, keinerlei Einwirkungsmöglichkeiten mehr auf den weiteren ausländischen Verbleib des Produktes bestehen, das folglich ungehindert veräußert und gebraucht werden kann. Wenn dies schon für das schutzrechtsverletzende Produkt selbst so ist, gilt dasselbe erst recht für Erkenntnisse, die unter widerrechtlicher Benutzung des Patents zustande gekommen sind und daher vom Verletzungstatbestand noch weiter entfernt liegen. Die Rechtsausführungen der Verfügungsklägerin im Verhandlungstermin geben zu einer anderweitigen Beurteilung keinen Anlass. Soweit die Verfügungsklägerin geltend macht, die Nutzung der patentverletzenden Zulassungsuntersuchungen im Ausland sei der Grund dafür, dass die Verfügungsbeklagte ihr im Ausland Konkurrenz machen könne, wobei die „Wurzel“ hierfür in der in Deutschland begangenen Patentverletzung liege, vermag dies nicht zu überzeugen. Der Streitfall unterscheidet sich insoweit nicht maßgeblich von dem Fall, dass der Anspruchsgegner im Inland patentverletzende Erzeugnisse herstellt, es ihm gelingt, diese ins Ausland zu verbringen, und er die Erzeugnisse alsdann dort im Wettbewerb zum Patentinhaber vertreibt. Auch in diesem Fall kann das deutsche Gericht dem Anspruchsgegner die im Ausland erfolgende Benutzung der betreffenden Produkte nicht untersagen, obwohl auch ihnen der „Makel“ einer im Inland begangenen Patentverletzung anhaftet.
211C.
212Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO.
213Eines Ausspruchs über die vorläufige Vollstreckbarkeit bedarf es nicht, da im einstweiligen Verfügungsverfahren gegen die Entscheidung des Senats ein weiteres Rechtsmittel nicht möglich ist und die Entscheidung aus diesem Grund sofort endgültig vollstreckbar ist.
214X Y Z
ra.de-Urteilsbesprechung zu Oberlandesgericht Düsseldorf Urteil, 21. Jan. 2016 - I-2 U 50/15
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(1) Anstelle von Tatbestand und Entscheidungsgründen enthält das Urteil
- 1.
die Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil mit Darstellung etwaiger Änderungen oder Ergänzungen, - 2.
eine kurze Begründung für die Abänderung, Aufhebung oder Bestätigung der angefochtenen Entscheidung.
(1) Wer entgegen den §§ 9 bis 13 eine patentierte Erfindung benutzt, kann von dem Verletzten bei Wiederholungsgefahr auf Unterlassung in Anspruch genommen werden. Der Anspruch besteht auch dann, wenn eine Zuwiderhandlung erstmalig droht. Der Anspruch ist ausgeschlossen, soweit die Inanspruchnahme aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls und der Gebote von Treu und Glauben für den Verletzer oder Dritte zu einer unverhältnismäßigen, durch das Ausschließlichkeitsrecht nicht gerechtfertigten Härte führen würde. In diesem Fall ist dem Verletzten ein angemessener Ausgleich in Geld zu gewähren. Der Schadensersatzanspruch nach Absatz 2 bleibt hiervon unberührt.
(2) Wer die Handlung vorsätzlich oder fahrlässig vornimmt, ist dem Verletzten zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet. Bei der Bemessung des Schadensersatzes kann auch der Gewinn, den der Verletzer durch die Verletzung des Rechts erzielt hat, berücksichtigt werden. Der Schadensersatzanspruch kann auch auf der Grundlage des Betrages berechnet werden, den der Verletzer als angemessene Vergütung hätte entrichten müssen, wenn er die Erlaubnis zur Benutzung der Erfindung eingeholt hätte.
(3) Ist Gegenstand des Patents ein Verfahren zur Herstellung eines neuen Erzeugnisses, so gilt bis zum Beweis des Gegenteils das gleiche Erzeugnis, das von einem anderen hergestellt worden ist, als nach dem patentierten Verfahren hergestellt. Bei der Erhebung des Beweises des Gegenteils sind die berechtigten Interessen des Beklagten an der Wahrung seiner Herstellungs- und Betriebsgeheimnisse zu berücksichtigen.
(1) Wer entgegen den §§ 9 bis 13 eine patentierte Erfindung benutzt, kann von dem Verletzten auf unverzügliche Auskunft über die Herkunft und den Vertriebsweg der benutzten Erzeugnisse in Anspruch genommen werden.
(2) In Fällen offensichtlicher Rechtsverletzung oder in Fällen, in denen der Verletzte gegen den Verletzer Klage erhoben hat, besteht der Anspruch unbeschadet von Absatz 1 auch gegen eine Person, die in gewerblichem Ausmaß
- 1.
rechtsverletzende Erzeugnisse in ihrem Besitz hatte, - 2.
rechtsverletzende Dienstleistungen in Anspruch nahm, - 3.
für rechtsverletzende Tätigkeiten genutzte Dienstleistungen erbrachte oder - 4.
nach den Angaben einer in Nummer 1, 2 oder Nummer 3 genannten Person an der Herstellung, Erzeugung oder am Vertrieb solcher Erzeugnisse oder an der Erbringung solcher Dienstleistungen beteiligt war,
(3) Der zur Auskunft Verpflichtete hat Angaben zu machen über
- 1.
Namen und Anschrift der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer der Erzeugnisse oder der Nutzer der Dienstleistungen sowie der gewerblichen Abnehmer und Verkaufsstellen, für die sie bestimmt waren, und - 2.
die Menge der hergestellten, ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie über die Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse oder Dienstleistungen bezahlt wurden.
(4) Die Ansprüche nach den Absätzen 1 und 2 sind ausgeschlossen, wenn die Inanspruchnahme im Einzelfall unverhältnismäßig ist.
(5) Erteilt der zur Auskunft Verpflichtete die Auskunft vorsätzlich oder grob fahrlässig falsch oder unvollständig, so ist er dem Verletzten zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet.
(6) Wer eine wahre Auskunft erteilt hat, ohne dazu nach Absatz 1 oder Absatz 2 verpflichtet gewesen zu sein, haftet Dritten gegenüber nur, wenn er wusste, dass er zur Auskunftserteilung nicht verpflichtet war.
(7) In Fällen offensichtlicher Rechtsverletzung kann die Verpflichtung zur Erteilung der Auskunft im Wege der einstweiligen Verfügung nach den §§ 935 bis 945 der Zivilprozessordnung angeordnet werden.
(8) Die Erkenntnisse dürfen in einem Strafverfahren oder in einem Verfahren nach dem Gesetz über Ordnungswidrigkeiten wegen einer vor der Erteilung der Auskunft begangenen Tat gegen den Verpflichteten oder gegen einen in § 52 Abs. 1 der Strafprozessordnung bezeichneten Angehörigen nur mit Zustimmung des Verpflichteten verwertet werden.
(9) Kann die Auskunft nur unter Verwendung von Verkehrsdaten (§ 3 Nummer 70 des Telekommunikationsgesetzes) erteilt werden, ist für ihre Erteilung eine vorherige richterliche Anordnung über die Zulässigkeit der Verwendung der Verkehrsdaten erforderlich, die von dem Verletzten zu beantragen ist. Für den Erlass dieser Anordnung ist das Landgericht, in dessen Bezirk der zur Auskunft Verpflichtete seinen Wohnsitz, seinen Sitz oder eine Niederlassung hat, ohne Rücksicht auf den Streitwert ausschließlich zuständig. Die Entscheidung trifft die Zivilkammer. Für das Verfahren gelten die Vorschriften des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit entsprechend. Die Kosten der richterlichen Anordnung trägt der Verletzte. Gegen die Entscheidung des Landgerichts ist die Beschwerde statthaft. Die Beschwerde ist binnen einer Frist von zwei Wochen einzulegen. Die Vorschriften zum Schutz personenbezogener Daten bleiben im Übrigen unberührt.
(10) Durch Absatz 2 in Verbindung mit Absatz 9 wird das Grundrecht des Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10 des Grundgesetzes) eingeschränkt.
Das Patent hat die Wirkung, dass allein der Patentinhaber befugt ist, die patentierte Erfindung im Rahmen des geltenden Rechts zu benutzen. Jedem Dritten ist es verboten, ohne seine Zustimmung
- 1.
ein Erzeugnis, das Gegenstand des Patents ist, herzustellen, anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken entweder einzuführen oder zu besitzen; - 2.
ein Verfahren, das Gegenstand des Patents ist, anzuwenden oder, wenn der Dritte weiß oder es auf Grund der Umstände offensichtlich ist, daß die Anwendung des Verfahrens ohne Zustimmung des Patentinhabers verboten ist, zur Anwendung im Geltungsbereich dieses Gesetzes anzubieten; - 3.
das durch ein Verfahren, das Gegenstand des Patents ist, unmittelbar hergestellte Erzeugnis anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken entweder einzuführen oder zu besitzen.
(1) Wer entgegen den §§ 9 bis 13 eine patentierte Erfindung benutzt, kann von dem Verletzten bei Wiederholungsgefahr auf Unterlassung in Anspruch genommen werden. Der Anspruch besteht auch dann, wenn eine Zuwiderhandlung erstmalig droht. Der Anspruch ist ausgeschlossen, soweit die Inanspruchnahme aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls und der Gebote von Treu und Glauben für den Verletzer oder Dritte zu einer unverhältnismäßigen, durch das Ausschließlichkeitsrecht nicht gerechtfertigten Härte führen würde. In diesem Fall ist dem Verletzten ein angemessener Ausgleich in Geld zu gewähren. Der Schadensersatzanspruch nach Absatz 2 bleibt hiervon unberührt.
(2) Wer die Handlung vorsätzlich oder fahrlässig vornimmt, ist dem Verletzten zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet. Bei der Bemessung des Schadensersatzes kann auch der Gewinn, den der Verletzer durch die Verletzung des Rechts erzielt hat, berücksichtigt werden. Der Schadensersatzanspruch kann auch auf der Grundlage des Betrages berechnet werden, den der Verletzer als angemessene Vergütung hätte entrichten müssen, wenn er die Erlaubnis zur Benutzung der Erfindung eingeholt hätte.
(3) Ist Gegenstand des Patents ein Verfahren zur Herstellung eines neuen Erzeugnisses, so gilt bis zum Beweis des Gegenteils das gleiche Erzeugnis, das von einem anderen hergestellt worden ist, als nach dem patentierten Verfahren hergestellt. Bei der Erhebung des Beweises des Gegenteils sind die berechtigten Interessen des Beklagten an der Wahrung seiner Herstellungs- und Betriebsgeheimnisse zu berücksichtigen.
Einstweilige Verfügungen sind auch zum Zwecke der Regelung eines einstweiligen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, sofern diese Regelung, insbesondere bei dauernden Rechtsverhältnissen zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheint.
(1) Das Gericht bestimmt nach freiem Ermessen, welche Anordnungen zur Erreichung des Zweckes erforderlich sind.
(2) Die einstweilige Verfügung kann auch in einer Sequestration sowie darin bestehen, dass dem Gegner eine Handlung geboten oder verboten, insbesondere die Veräußerung, Belastung oder Verpfändung eines Grundstücks oder eines eingetragenen Schiffes oder Schiffsbauwerks untersagt wird.
Andere Urteile sind gegen eine der Höhe nach zu bestimmende Sicherheit für vorläufig vollstreckbar zu erklären. Soweit wegen einer Geldforderung zu vollstrecken ist, genügt es, wenn die Höhe der Sicherheitsleistung in einem bestimmten Verhältnis zur Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages angegeben wird. Handelt es sich um ein Urteil, das ein Versäumnisurteil aufrechterhält, so ist auszusprechen, dass die Vollstreckung aus dem Versäumnisurteil nur gegen Leistung der Sicherheit fortgesetzt werden darf.
(1) Arrestbefehle bedürfen der Vollstreckungsklausel nur, wenn die Vollziehung für einen anderen als den in dem Befehl bezeichneten Gläubiger oder gegen einen anderen als den in dem Befehl bezeichneten Schuldner erfolgen soll.
(2) Die Vollziehung des Arrestbefehls ist unstatthaft, wenn seit dem Tag, an dem der Befehl verkündet oder der Partei, auf deren Gesuch er erging, zugestellt ist, ein Monat verstrichen ist. Kann ein ausländischer Sicherungstitel im Inland ohne vorherige Vollstreckbarerklärung vollzogen werden, so beträgt die Frist nach Satz 1 zwei Monate.
(3) Die Vollziehung ist vor der Zustellung des Arrestbefehls an den Schuldner zulässig. Sie ist jedoch ohne Wirkung, wenn die Zustellung nicht innerhalb einer Woche nach der Vollziehung und vor Ablauf der für diese im vorhergehenden Absatz bestimmten Frist erfolgt.
Erweist sich die Anordnung eines Arrestes oder einer einstweiligen Verfügung als von Anfang an ungerechtfertigt oder wird die angeordnete Maßregel auf Grund des § 926 Abs. 2 oder des § 942 Abs. 3 aufgehoben, so ist die Partei, welche die Anordnung erwirkt hat, verpflichtet, dem Gegner den Schaden zu ersetzen, der ihm aus der Vollziehung der angeordneten Maßregel oder dadurch entsteht, dass er Sicherheit leistet, um die Vollziehung abzuwenden oder die Aufhebung der Maßregel zu erwirken.
(1) Wer entgegen den §§ 9 bis 13 eine patentierte Erfindung benutzt, kann von dem Verletzten auf unverzügliche Auskunft über die Herkunft und den Vertriebsweg der benutzten Erzeugnisse in Anspruch genommen werden.
(2) In Fällen offensichtlicher Rechtsverletzung oder in Fällen, in denen der Verletzte gegen den Verletzer Klage erhoben hat, besteht der Anspruch unbeschadet von Absatz 1 auch gegen eine Person, die in gewerblichem Ausmaß
- 1.
rechtsverletzende Erzeugnisse in ihrem Besitz hatte, - 2.
rechtsverletzende Dienstleistungen in Anspruch nahm, - 3.
für rechtsverletzende Tätigkeiten genutzte Dienstleistungen erbrachte oder - 4.
nach den Angaben einer in Nummer 1, 2 oder Nummer 3 genannten Person an der Herstellung, Erzeugung oder am Vertrieb solcher Erzeugnisse oder an der Erbringung solcher Dienstleistungen beteiligt war,
(3) Der zur Auskunft Verpflichtete hat Angaben zu machen über
- 1.
Namen und Anschrift der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer der Erzeugnisse oder der Nutzer der Dienstleistungen sowie der gewerblichen Abnehmer und Verkaufsstellen, für die sie bestimmt waren, und - 2.
die Menge der hergestellten, ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie über die Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse oder Dienstleistungen bezahlt wurden.
(4) Die Ansprüche nach den Absätzen 1 und 2 sind ausgeschlossen, wenn die Inanspruchnahme im Einzelfall unverhältnismäßig ist.
(5) Erteilt der zur Auskunft Verpflichtete die Auskunft vorsätzlich oder grob fahrlässig falsch oder unvollständig, so ist er dem Verletzten zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet.
(6) Wer eine wahre Auskunft erteilt hat, ohne dazu nach Absatz 1 oder Absatz 2 verpflichtet gewesen zu sein, haftet Dritten gegenüber nur, wenn er wusste, dass er zur Auskunftserteilung nicht verpflichtet war.
(7) In Fällen offensichtlicher Rechtsverletzung kann die Verpflichtung zur Erteilung der Auskunft im Wege der einstweiligen Verfügung nach den §§ 935 bis 945 der Zivilprozessordnung angeordnet werden.
(8) Die Erkenntnisse dürfen in einem Strafverfahren oder in einem Verfahren nach dem Gesetz über Ordnungswidrigkeiten wegen einer vor der Erteilung der Auskunft begangenen Tat gegen den Verpflichteten oder gegen einen in § 52 Abs. 1 der Strafprozessordnung bezeichneten Angehörigen nur mit Zustimmung des Verpflichteten verwertet werden.
(9) Kann die Auskunft nur unter Verwendung von Verkehrsdaten (§ 3 Nummer 70 des Telekommunikationsgesetzes) erteilt werden, ist für ihre Erteilung eine vorherige richterliche Anordnung über die Zulässigkeit der Verwendung der Verkehrsdaten erforderlich, die von dem Verletzten zu beantragen ist. Für den Erlass dieser Anordnung ist das Landgericht, in dessen Bezirk der zur Auskunft Verpflichtete seinen Wohnsitz, seinen Sitz oder eine Niederlassung hat, ohne Rücksicht auf den Streitwert ausschließlich zuständig. Die Entscheidung trifft die Zivilkammer. Für das Verfahren gelten die Vorschriften des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit entsprechend. Die Kosten der richterlichen Anordnung trägt der Verletzte. Gegen die Entscheidung des Landgerichts ist die Beschwerde statthaft. Die Beschwerde ist binnen einer Frist von zwei Wochen einzulegen. Die Vorschriften zum Schutz personenbezogener Daten bleiben im Übrigen unberührt.
(10) Durch Absatz 2 in Verbindung mit Absatz 9 wird das Grundrecht des Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10 des Grundgesetzes) eingeschränkt.
Das Patent hat die Wirkung, dass allein der Patentinhaber befugt ist, die patentierte Erfindung im Rahmen des geltenden Rechts zu benutzen. Jedem Dritten ist es verboten, ohne seine Zustimmung
- 1.
ein Erzeugnis, das Gegenstand des Patents ist, herzustellen, anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken entweder einzuführen oder zu besitzen; - 2.
ein Verfahren, das Gegenstand des Patents ist, anzuwenden oder, wenn der Dritte weiß oder es auf Grund der Umstände offensichtlich ist, daß die Anwendung des Verfahrens ohne Zustimmung des Patentinhabers verboten ist, zur Anwendung im Geltungsbereich dieses Gesetzes anzubieten; - 3.
das durch ein Verfahren, das Gegenstand des Patents ist, unmittelbar hergestellte Erzeugnis anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken entweder einzuführen oder zu besitzen.
(1) Wer entgegen den §§ 9 bis 13 eine patentierte Erfindung benutzt, kann von dem Verletzten auf unverzügliche Auskunft über die Herkunft und den Vertriebsweg der benutzten Erzeugnisse in Anspruch genommen werden.
(2) In Fällen offensichtlicher Rechtsverletzung oder in Fällen, in denen der Verletzte gegen den Verletzer Klage erhoben hat, besteht der Anspruch unbeschadet von Absatz 1 auch gegen eine Person, die in gewerblichem Ausmaß
- 1.
rechtsverletzende Erzeugnisse in ihrem Besitz hatte, - 2.
rechtsverletzende Dienstleistungen in Anspruch nahm, - 3.
für rechtsverletzende Tätigkeiten genutzte Dienstleistungen erbrachte oder - 4.
nach den Angaben einer in Nummer 1, 2 oder Nummer 3 genannten Person an der Herstellung, Erzeugung oder am Vertrieb solcher Erzeugnisse oder an der Erbringung solcher Dienstleistungen beteiligt war,
(3) Der zur Auskunft Verpflichtete hat Angaben zu machen über
- 1.
Namen und Anschrift der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer der Erzeugnisse oder der Nutzer der Dienstleistungen sowie der gewerblichen Abnehmer und Verkaufsstellen, für die sie bestimmt waren, und - 2.
die Menge der hergestellten, ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie über die Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse oder Dienstleistungen bezahlt wurden.
(4) Die Ansprüche nach den Absätzen 1 und 2 sind ausgeschlossen, wenn die Inanspruchnahme im Einzelfall unverhältnismäßig ist.
(5) Erteilt der zur Auskunft Verpflichtete die Auskunft vorsätzlich oder grob fahrlässig falsch oder unvollständig, so ist er dem Verletzten zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet.
(6) Wer eine wahre Auskunft erteilt hat, ohne dazu nach Absatz 1 oder Absatz 2 verpflichtet gewesen zu sein, haftet Dritten gegenüber nur, wenn er wusste, dass er zur Auskunftserteilung nicht verpflichtet war.
(7) In Fällen offensichtlicher Rechtsverletzung kann die Verpflichtung zur Erteilung der Auskunft im Wege der einstweiligen Verfügung nach den §§ 935 bis 945 der Zivilprozessordnung angeordnet werden.
(8) Die Erkenntnisse dürfen in einem Strafverfahren oder in einem Verfahren nach dem Gesetz über Ordnungswidrigkeiten wegen einer vor der Erteilung der Auskunft begangenen Tat gegen den Verpflichteten oder gegen einen in § 52 Abs. 1 der Strafprozessordnung bezeichneten Angehörigen nur mit Zustimmung des Verpflichteten verwertet werden.
(9) Kann die Auskunft nur unter Verwendung von Verkehrsdaten (§ 3 Nummer 70 des Telekommunikationsgesetzes) erteilt werden, ist für ihre Erteilung eine vorherige richterliche Anordnung über die Zulässigkeit der Verwendung der Verkehrsdaten erforderlich, die von dem Verletzten zu beantragen ist. Für den Erlass dieser Anordnung ist das Landgericht, in dessen Bezirk der zur Auskunft Verpflichtete seinen Wohnsitz, seinen Sitz oder eine Niederlassung hat, ohne Rücksicht auf den Streitwert ausschließlich zuständig. Die Entscheidung trifft die Zivilkammer. Für das Verfahren gelten die Vorschriften des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit entsprechend. Die Kosten der richterlichen Anordnung trägt der Verletzte. Gegen die Entscheidung des Landgerichts ist die Beschwerde statthaft. Die Beschwerde ist binnen einer Frist von zwei Wochen einzulegen. Die Vorschriften zum Schutz personenbezogener Daten bleiben im Übrigen unberührt.
(10) Durch Absatz 2 in Verbindung mit Absatz 9 wird das Grundrecht des Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10 des Grundgesetzes) eingeschränkt.
(1) Wer entgegen den §§ 9 bis 13 eine patentierte Erfindung benutzt, kann von dem Verletzten auf Vernichtung der im Besitz oder Eigentum des Verletzers befindlichen Erzeugnisse, die Gegenstand des Patents sind, in Anspruch genommen werden. Satz 1 ist auch anzuwenden, wenn es sich um Erzeugnisse handelt, die durch ein Verfahren, das Gegenstand des Patents ist, unmittelbar hergestellt worden sind.
(2) Absatz 1 ist entsprechend auf die im Eigentum des Verletzers stehenden Materialien und Geräte anzuwenden, die vorwiegend zur Herstellung dieser Erzeugnisse gedient haben.
(3) Wer entgegen den §§ 9 bis 13 eine patentierte Erfindung benutzt, kann von dem Verletzten auf Rückruf der Erzeugnisse, die Gegenstand des Patents sind, oder auf deren endgültiges Entfernen aus den Vertriebswegen in Anspruch genommen werden. Satz 1 ist auch anzuwenden, wenn es sich um Erzeugnisse handelt, die durch ein Verfahren, das Gegenstand des Patents ist, unmittelbar hergestellt worden sind.
(4) Die Ansprüche nach den Absätzen 1 bis 3 sind ausgeschlossen, wenn die Inanspruchnahme im Einzelfall unverhältnismäßig ist. Bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit sind auch die berechtigten Interessen Dritter zu berücksichtigen.
(1) Die Erhebung der Klage erfolgt durch Zustellung eines Schriftsatzes (Klageschrift).
(2) Die Klageschrift muss enthalten:
- 1.
die Bezeichnung der Parteien und des Gerichts; - 2.
die bestimmte Angabe des Gegenstandes und des Grundes des erhobenen Anspruchs, sowie einen bestimmten Antrag.
(3) Die Klageschrift soll ferner enthalten:
- 1.
die Angabe, ob der Klageerhebung der Versuch einer Mediation oder eines anderen Verfahrens der außergerichtlichen Konfliktbeilegung vorausgegangen ist, sowie eine Äußerung dazu, ob einem solchen Verfahren Gründe entgegenstehen; - 2.
die Angabe des Wertes des Streitgegenstandes, wenn hiervon die Zuständigkeit des Gerichts abhängt und der Streitgegenstand nicht in einer bestimmten Geldsumme besteht; - 3.
eine Äußerung dazu, ob einer Entscheidung der Sache durch den Einzelrichter Gründe entgegenstehen.
(4) Außerdem sind die allgemeinen Vorschriften über die vorbereitenden Schriftsätze auch auf die Klageschrift anzuwenden.
(5) Die Klageschrift sowie sonstige Anträge und Erklärungen einer Partei, die zugestellt werden sollen, sind bei dem Gericht schriftlich unter Beifügung der für ihre Zustellung oder Mitteilung erforderlichen Zahl von Abschriften einzureichen. Einer Beifügung von Abschriften bedarf es nicht, soweit die Klageschrift elektronisch eingereicht wird.
(1) Wer entgegen den §§ 9 bis 13 eine patentierte Erfindung benutzt, kann von dem Verletzten bei Wiederholungsgefahr auf Unterlassung in Anspruch genommen werden. Der Anspruch besteht auch dann, wenn eine Zuwiderhandlung erstmalig droht. Der Anspruch ist ausgeschlossen, soweit die Inanspruchnahme aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls und der Gebote von Treu und Glauben für den Verletzer oder Dritte zu einer unverhältnismäßigen, durch das Ausschließlichkeitsrecht nicht gerechtfertigten Härte führen würde. In diesem Fall ist dem Verletzten ein angemessener Ausgleich in Geld zu gewähren. Der Schadensersatzanspruch nach Absatz 2 bleibt hiervon unberührt.
(2) Wer die Handlung vorsätzlich oder fahrlässig vornimmt, ist dem Verletzten zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet. Bei der Bemessung des Schadensersatzes kann auch der Gewinn, den der Verletzer durch die Verletzung des Rechts erzielt hat, berücksichtigt werden. Der Schadensersatzanspruch kann auch auf der Grundlage des Betrages berechnet werden, den der Verletzer als angemessene Vergütung hätte entrichten müssen, wenn er die Erlaubnis zur Benutzung der Erfindung eingeholt hätte.
(3) Ist Gegenstand des Patents ein Verfahren zur Herstellung eines neuen Erzeugnisses, so gilt bis zum Beweis des Gegenteils das gleiche Erzeugnis, das von einem anderen hergestellt worden ist, als nach dem patentierten Verfahren hergestellt. Bei der Erhebung des Beweises des Gegenteils sind die berechtigten Interessen des Beklagten an der Wahrung seiner Herstellungs- und Betriebsgeheimnisse zu berücksichtigen.
(1) Wird das Eigentum in anderer Weise als durch Entziehung oder Vorenthaltung des Besitzes beeinträchtigt, so kann der Eigentümer von dem Störer die Beseitigung der Beeinträchtigung verlangen. Sind weitere Beeinträchtigungen zu besorgen, so kann der Eigentümer auf Unterlassung klagen.
(2) Der Anspruch ist ausgeschlossen, wenn der Eigentümer zur Duldung verpflichtet ist.
(1) Wer entgegen den §§ 9 bis 13 eine patentierte Erfindung benutzt, kann von dem Verletzten bei Wiederholungsgefahr auf Unterlassung in Anspruch genommen werden. Der Anspruch besteht auch dann, wenn eine Zuwiderhandlung erstmalig droht. Der Anspruch ist ausgeschlossen, soweit die Inanspruchnahme aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls und der Gebote von Treu und Glauben für den Verletzer oder Dritte zu einer unverhältnismäßigen, durch das Ausschließlichkeitsrecht nicht gerechtfertigten Härte führen würde. In diesem Fall ist dem Verletzten ein angemessener Ausgleich in Geld zu gewähren. Der Schadensersatzanspruch nach Absatz 2 bleibt hiervon unberührt.
(2) Wer die Handlung vorsätzlich oder fahrlässig vornimmt, ist dem Verletzten zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet. Bei der Bemessung des Schadensersatzes kann auch der Gewinn, den der Verletzer durch die Verletzung des Rechts erzielt hat, berücksichtigt werden. Der Schadensersatzanspruch kann auch auf der Grundlage des Betrages berechnet werden, den der Verletzer als angemessene Vergütung hätte entrichten müssen, wenn er die Erlaubnis zur Benutzung der Erfindung eingeholt hätte.
(3) Ist Gegenstand des Patents ein Verfahren zur Herstellung eines neuen Erzeugnisses, so gilt bis zum Beweis des Gegenteils das gleiche Erzeugnis, das von einem anderen hergestellt worden ist, als nach dem patentierten Verfahren hergestellt. Bei der Erhebung des Beweises des Gegenteils sind die berechtigten Interessen des Beklagten an der Wahrung seiner Herstellungs- und Betriebsgeheimnisse zu berücksichtigen.
Tenor
I. Die Beklagten werden verurteilt,
1. der Klägerin darüber Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang sie
modifiziertes G-CSF-Polypeptid, umfassend eine Aminosäuresequenz, gezeigt in SEQ ID NO: 2,
und eine erste chemische Einheit, die indirekt mittels einer zweiten chemischen Einheit an einem externen Loop angeheftet ist;
wobei der externe Loop der CD-Loop bei Aminosäuren 119 bis 145, oder der AB-Loop bei Aminosäuren 58 bis 72 ist;
wobei die erste chemische Einheit Polyethylenglykol ist;
und wobei das N-terminale Methionin, wie dargelegt in SEQ ID NO:2, fakultativ ist,
seit dem 11. April 2012 (bis zum (einschließlich) 27. Januar 2014) in der Bundesrepublik Deutschland hergestellt (Beklagte zu 2)), angeboten, in Verkehr gebracht oder gebraucht oder zu den genannten Zwecken entweder eingeführt oder besessen haben, und zwar unter Angabe
a) der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,
b) der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer sowie der Verkaufsstellen, für die die Erzeugnisse bestimmt waren,
c) der Menge der hergestellten (Beklagte zu 2)), ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse bezahlt wurden,
wobei
d) zum Nachweis der Angaben die entsprechenden Kaufbelege (nämlich Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine) in Kopie vorzulegen sind, wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen;
2. der Klägerin unter Vorlage eines einheitlichen, geordneten Verzeichnisses darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie die vorstehend zu Ziffer I.1. bezeichneten Handlungen seit dem 11. Mai 2012 bis zum (einschl.) 27. Januar 2014 begangen haben, und zwar unter Angabe
a) der Herstellungsmengen und –zeiten (Beklagte zu 2)),
b) der Anzahl der erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse, unter Angabe der Namen und Adressen der Lieferanten und anderer Vorbesitzer sowie der bezahlten Preise,
c) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten, -preisen und Typenbezeichnungen sowie den Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer einschließlich der Verkaufsstellen, für welche die Erzeugnisse bestimmt waren,
d) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten und –preisen und Typenbezeichnungen sowie den Namen und Anschriften der gewerblichen Angebotsempfänger,
e) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,
f) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,
wobei den Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von dieser zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, vereidigten und in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagten die durch dessen Einschaltung entstehenden Kosten tragen und ihn ermächtigen und verpflichten, der Klägerin auf Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Angebotsempfänger in der Rechnungslegung enthalten ist.
II. Es wird festgestellt, dass die Beklagten verpflichtet sind, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die in Ziffer I.1. bezeichneten und zwischen dem 11. Mai 2012 und dem (einschließlich) 27. Januar 2014 begangenen Handlungen entstanden ist und/oder noch entstehen wird.
III. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
IV. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin 77 %, die Beklagten 15 % als Gesamtschuldner und die Beklagten im Übrigen jeweils 4 %.
V. Das Urteil ist für die Klägerin gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 1.000.000,- EUR und für die Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
1
TATBESTAND
2Die Klägerin ist Inhaberin des Europäischen Patents EP A(Anlage HL 4, in deutscher Übersetzung als Anlage HL 4a vorgelegt; im Folgenden: Klagepatent), das unter Inanspruchnahme einer US-amerikanischen Priorität vom 28. Januar 1993 (US B) am 27. Januar 1994 angemeldet und für das der Hinweis auf die Patenterteilung am 11. April 2012 veröffentlicht wurde. Das Klagepatent, welches Schutz auch in der Bundesrepublik Deutschland inne hatte, ist am 27. Januar 2014 wegen Zeitablaufs erloschen. Die dem Klagepatent zugrunde liegende europäische Patentanmeldung mit der Anmeldenummer EP C ist als Teilanmeldung aus der Anmeldung EP D hervorgegangen, welche wiederum als Teilanmeldung aus der Stammanmeldung EP E (Anlage NK 27, deutsche Übersetzung Anlage NK 28 zur Anlage B 2) hervorgegangen ist.
3Das Klagepatent betrifft Granulozyten-Kolonie stimulierende Faktor (nachfolgend: G-CSF) Analoge und Verfahren zu ihrer Herstellung.
4Anspruch 1 des Klagepatents lautet:
5„1. Modifiziertes G-CSF-Polypeptid, umfassend eine Aminosäuresequenz, gezeigt in SEQ ID NO:2, und eine erste chemische Einheit, die indirekt mittels einer zweiten chemischen Einheit an einem externen Loop angeheftet ist; wobei der externe Loop der CD-Loop bei Aminosäuren 119 bis 145, oder der AB-Loop bei Aminosäuren 58 bis 72 ist; wobei die erste chemische Einheit Polyethy-lenglykol ist; und wobei das N-terminale Methionin, wie dargelegt in SEQ ID NO:2, fakultativ ist.“
6Die von Anspruch 1 des Klagepatents in Bezug genommene Aminosäuresequenz SEQ ID NO: 2 ist nachstehend abgebildet:
7 8Mit Schriftsatz vom 5. September 2013 hat die Beklagte zu 1) das Klagepatent durch Erhebung der Nichtigkeitsklage angegriffen. Über die Nichtigkeitsklage, welche das Bundespatentgericht unter dem Aktenzeichen 3 Ni 28/13 (EP) führt, ist noch nicht entschieden.
9Eine Tochtergesellschaft der Klägerin, die F, vertreibt in Deutschland seit dem Jahr 2002 das Arzneimittel G mit dem Wirkstoff Pegfilgrastim; das ist ein G-CSF-Polypeptid mit einer Aminosäuresequenz gemäß der SEQ ID NO: 2 des Klagepatents und einer PEGylierungung am N-Terminus des Moleküls. Zwischen den Parteien steht außer Streit, dass G von der technischen Lehre des Klagepatents keinen Gebrauch macht. Des Weiteren vertreibt die F seit 1991 H mit dem Wirkstoff Filgrastim, ein G-CSF-Polypeptid mit einer Aminosäuresequenz gemäß der SEQ ID NO: 2, jedoch ohne PEGylierung. Hwie auch G sind biologische Präparate auf der Basis von rekombinant produziertem G-CSF, welche zur Behandlung von Neutropenie eingesetzt werden. Neutropenie bezeichnet einen Mangel an Neutrophilen im Blut, welche eine wichtige Rolle bei der Abwehr von Pathogenen spielen. Bei Patienten mit Neutropenie besteht eine wesentlich höhere Gefahr einer lebensbedrohenden Infektion. G wird im Gegensatz zu H lediglich einmal pro Chemotherapiezyklus verabreicht, wohin gegen H täglich verabreicht werden muss.
10Die Beklagte zu 1) erhielt am 25. Juli 2013 durch die Europäische Kommission die zentrale europäische Marktzulassung für das Medikament I mit dem Wirkstoff Lipegfilgrastim (im Folgenden: angegriffene Ausführungsform). Die Beklagte zu 2) ist die zugelassene Herstellerin für die angegriffene Ausführungsform. Seit 1. September 2013 ist die angegriffene Ausführungsform in der Lauer-Taxe gelistet. Nachfolgend wiedergegeben wird ein Auszug aus der WHO Drug Information, Vol. 26, No. 3, 2012 (Anlage HL 8a), welcher die Struktur der angegriffenen Ausführungsform wiedergibt.
11X
12Die angegriffene Ausführungsform verfügt über eine Modifizierung an der Aminosäure Threonin in der Position 137. An Threonin sind N-Acetylgalactosamin, N-Acetylneuraminsäure, Glycin und Monomethoxy-Polyethylenglykol angeheftet. Die Aminosäuresequenz entspricht derjenigen der SEQ NO: 2 des G-CSF-Polypeptids.
13Die angegriffene Ausführungsform wird ebenso wie die Arzneimittel G und H zur Behandlung der Neutropenie eingesetzt. Wie bei dem Arzneimittel G bedarf auch die angegriffene Ausführungsform nur der einmaligen Gabe pro Chemotherapiezyklus. Mit Bezug auf das Klagepatent einerseits und auf die Marktzulassung der angegriffenen Ausführungsform andererseits beantragte die Klägerin unter dem 12. August 2013 beim Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) die Erteilung eines ergänzenden Schutzzertifikats für „J“. Im Zwischenbescheid vom 14. Januar 2014 (Anlage B 1) verneinte das DPMA das Vorliegen der Voraussetzungen für die Erteilung eines ergänzenden Schutzzertifikates. Auf den Inhalt des Zwischenbescheides wird Bezug genommen. Mit Beschluss vom 24. April 2014, dessen Begründung nicht vorliegt, wurde der Antrag auf Erteilung des ergänzenden Schutzzertifikates zurückgewiesen (Anlage B 23). Auch in Portugal, den Niederlanden und Schweden wurden entsprechende Anträge der Klägerin auf Erteilung eines ergänzenden Schutzzertifikates (nicht rechtskräftig) zurückgewiesen. Eine Erteilung erfolgte hingegen in Österreich, Griechenland, Dänemark und Luxemburg.
14Mit Schriftsatz vom 14. August 2013 ersuchte die Klägerin das angerufene Gericht um den Erlass einstweiliger Maßnahmen. Mit Urteil vom 24. Oktober 2013 (4c O 84/13) wies die Kammer den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurück. Nach Verkündung des Urteils nahmen die Beklagten Handlungen zum Vertrieb der angegriffenen Ausführungsform auf. Zur Erlangung der arzneimittelrechtlichen Zulassung stellte die Beklagte zu 2) drei Validierungschargen mit je 17.000 Spritzen her. Die Beklagten waren überdies ab November 2013 in einem Umfang lieferfähig, dass eine angemessene und kontinuierliche Bereitstellung der angegriffenen Ausführungsform gewährleistet gewesen war, um den Bedarf der Patienten zu decken.
15Am 13. November 2013 erhob die Beklagte zu 1) vor dem Landgericht München I eine Vindikationsklage, welche dort unter dem Aktenzeichen 7 O 24771/13 geführt wird und über die noch nicht entschieden ist. Die Beklagte zu 1) beansprucht mit der Vindikationsklage die alleinige Inhaberschaft unter anderem an dem Klagepatent.
16Die Klägerin vertritt die Ansicht, dass die angegriffene Ausführungsform von der Lehre nach dem Klagepatent wortsinngemäßen Gebrauch mache. Das Klagepatent sei nicht auf G-CSF-Polypeptide mit einer gegenüber der SEQ ID No:2 modifizierten Aminosäuresequenz beschränkt, sondern stelle auch rein chemische Modifizierungen unter Schutz. Polyethylenglykol, welches die erste chemische Einheit bilde, sei generisch zu verstehen. Auch müsse die zweite chemische Einheit, über welche die erste chemische Einheit indirekt angeheftet werde, nicht aus einer einzelnen Verbindung bzw. ausschließlich aus einem homogenen Polymer bestehen.
17Trotz Ablaufs der Schutzdauer des Klagepatentes stehe der Klägerin gegen die Beklagten unter dem Gesichtspunkt der Beseitigung einer Störung ein Unterlassungsanspruch jedenfalls für die Dauer von 18 Monaten ab Verkündung des Urteils zu. Durch die vor Ablauf der Schutzdauer des Klagepatentes erfolgten rechtswidrigen Herstellungs- und Vertriebshandlungen hätten die Beklagten eine Störung verursacht, welche noch andauere. Auf diese Weise hätten sie sich einen Marktvorteil verschafft und dadurch in die Gestaltungsfreiheit der Klägerin eingegriffen. Hätten die Beklagten mit dem Beginn der patentverletzenden Benutzungshandlungen zugewartet, wären sie nach den Berechnungen der Klägerin frühestens 18 Monate später lieferfähig gewesen. So hätten die Beklagten bereits während der Laufzeit des Klagepatentes die angegriffene Ausführungsform in einem über das Versuchsprivileg des § 11 Nr. 2b PatG hinausgehenden Umfang hergestellt, was zwischen den Parteien unstreitig ist. Hinzu komme, dass die Beklagten Vorteile beim Abschluss langfristiger Verträge erworben hätten, d.h. Angebote und Verkäufe, die sie ohne die Patentverletzung nicht gehabt hätten. So müssten unter anderem die sogenannten NUB-Anträge (Neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden) jeweils bis zum 31. Oktober für das folgende Jahr gestellt werden. Die entsprechenden Anträge, welche von den Krankenhäusern gestellt werden, hätten u.a. Informationen über den zu erwartenden Preis enthalten müssen. Ohne diese Informationen durch die Beklagten, die über diese Informationen ausschließlich wegen ihres vorzeitigen Markteintritts verfügt hätten, wäre das Stellen entsprechender Anträge nicht möglich gewesen. Die Vorteile der Beklagten seien auch nicht auf den deutschen Markt beschränkt. Denn durch den Markteintritt vor Ablauf der Schutzdauer des Klagepatentes in Deutschland seien die Beklagten in der Lage gewesen die angegriffene Ausführungsform in anderen Ländern zu vermarkten.
18Die Klägerin beantragt, nachdem sie in der mündlichen Verhandlung den mit Schriftsatz vom 1. Juli 2014 angekündigten Antrag auf Entschädigung zurückgenommen hat,
19zu erkennen, wie geschehen,
20sowie die Beklagten gemäß Antrag zu Ziffer I.2. weiterhin zur Belegvorlage und ohne Wirtschaftsprüfervorbehalt zu verurteilen, und
21die Beklagten zu verurteilen, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung zu verhängenden Ordnungsgeldes von bis zu EUR 250.000,00, ersatzweise Ordnungshaft von bis zu 6 Monaten, oder Ordnungshaft von bis zu 6 Monaten, im Wiederholungsfall Ordnungshaft bis zu 2 Jahren, zu vollziehen an den jeweiligen gesetzlichen Vertretern der Beklagten,
22es für die Dauer von 18 Monaten ab Urteilsverkündung zu unterlassen,
23modifiziertes G-CSF-Polypeptid, umfassend eine Aminosäuresequenz, gezeigt in SEQ ID NO: 2,
24 25und eine erste chemische Einheit, die indirekt mittels einer zweiten chemischen Einheit an einem externen Loop angeheftet ist;
26wobei der externe Loop der CD-Loop bei Aminosäuren 119 bis 145, oder der AB-Loop bei Aminosäuren 58 bis 72 ist;
27wobei die erste chemische Einheit Polyethylenglykol ist;
28und wobei das N-terminale Methionin, wie dargelegt in SEQ ID NO:2, fakultativ ist,
29insbesondere das Präparat I(Lipegfilgrastim),
30in der Bundesrepublik Deutschland herzustellen (Beklagte zu 2)), anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken entweder einzuführen oder zu besitzen.
31Die Beklagten beantragen,
32die Klage abzuweisen,
33hilfsweise den Rechtsstreit bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die gegen das Klagepatent beim Bundespatentgericht am 5. September 2013 erhobene Nichtigkeitsklage, Az. 3 Ni 28/13 (EP) auszusetzen,
34weiter hilfsweise, den Rechtsstreit bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die unter anderem hinsichtlich des Klagepatentes bei dem Landgericht München I am 13. November 2013 gegen die Klägerin von der Beklagten zu 1) erhobene Vindikationsklage, Az. 7 O 24771/13 auszusetzen.
35Sie vertreten die Ansicht, dass das Klagepatent durch die angegriffene Ausführungsform nicht verletzt werde. Das Klagepatent stelle lediglich ein G-CSF-Polypeptid unter Schutz, dessen Aminosäuresequenz gegenüber der SEQ ID NO: 2 verändert sei; eine rein chemische Modifikation, wie sie die angegriffene Ausführungsform aufweise, sei nicht Gegenstand der Erfindung. Eine Verletzung scheide desweiteren aus, da das Klagepatent den Begriff Polyethylenglykol nicht generisch, sondern als konkrete Verbindung verstehe. Das folge aus der Beschreibung des Klagepatentes, welche deutlich mache, dass die Erfindung auf die Substanz Polyethylenglykol beschränkt sei. Auf Grund der im Klagepatent erfolgten Aufzählung verschiedener Substanzklassen und der ausschließlichen Nennung von Polyethylenglykol im Anspruch, werde deutlich, dass das Klagpatent hierauf beschränkt sei. Entsprechendes würden auch die negativen Prüfungsbescheide im Hinblick auf die Erteilung eines ergänzenden Schutzzertifikates in Bezug auf das Klagepatent und die angegriffene Ausführungsform ergeben. So hätten – was unstreitig ist – weder das DPMA noch die für die Erteilung eines ergänzenden Schutzzertifikates zuständigen Behörden in Portugal, den Niederlanden und Schweden die entsprechenden Anträge der Klägerin positiv beschieden. Eine PEGylierung mit Polyethylenglykol erfolge (unstreitig) bei der angegriffenen Ausführungsform nicht; dort erfolge eine Anheftung mit Monomethoxy-Polyethylenglykol. Eine Verletzung scheide auch weiterhin aus, da unter dem Begriff der zweiten chemischen Einheit, an welche die erste chemische Einheit, nämlich Polyethylenglykol indirekt angeheftet sei, ein einzelne chemische Einheit im Sinne einer einheitlichen chemischen Verbindung zu verstehen sei. Dies folge aus der ziffernmäßigen Aufzählung als erste und zweite chemische Einheit sowie der indirekten Anheftung. Eine solche indirekte Anheftung liege nur vor, wenn Polyethylenglykol als erste chemische Einheit über lediglich eine weitere chemische Einheit an einen externen Loop des G-CSF-Polypeptids angeheftet werde. Da Monomethoxy-Polyethlylenglykol (unstreitig) über mehrere chemische Einheiten, nämlich Glycin, N-Acetylneuraminsäure und N-Acetylgalactosamin, mithin drei chemische Einheiten an das G-CSF angeheftet sei, scheide eine Verletzung aus.
36Im Übrigen seien die Beklagten zur Benutzung der Erfindung mitberechtigt. Dr. K, welcher die für die Erfindung entscheidenden Röntgenkristallstrukturanalysen durchgeführt habe, um die dreidimensionale Struktur des G-CSF zu bestimmen, habe der Beklagten zu 1) seine Rechte an der Erfindung mit Abtretungsvertrag vom 4. Oktober 2013 übertragen. Jedenfalls sei vor diesem Hintergrund der Aussetzungsantrag im Hinblick auf die vor dem Landgericht München I anhängige Vindikationsklage gerechtfertigt, da mit dieser die Frage der Inhaberschaft an dem Klagepatent gerichtlich geklärt werde, so dass eine Vorgreiflichkeit gegeben sei.
37Ansprüche auf Unterlassung nach Ablauf der Schutzdauer des Klagepatentes stünden der Klägerin nicht zu. Eine hierdurch gewünschte faktische Verlängerung der Schutzdauer des Klagepatentes widerspreche den gesetzlichen Vorgaben. Die Entscheidungen des Bundesgerichtshofes „Ethofumesat“ (GRUR 1990, 997) sowie des Landgerichts Düsseldorf „Antihistamine“ (InstGE 1, 19) würden vorliegend keine Anwendung finden. Im Hinblick auf die Entscheidung „Ethofumesat“ gelte dies, da nunmehr das Versuchsprivileg nach § 11 Nr. 2b PatG bestehe; auch sei ein allgemeiner Unterlassungsanspruch im Rahmen der Störungsbeseitigung in der Entscheidung „Antihistamine“ verneint worden und lediglich die Abwicklung vor Patentablauf bewirkter Bestellungen untersagt worden. Es fehle auch an einer gegenwärtigen Beeinträchtigung der Klägerin; hierzu ergehe sich die Klägerin lediglich in Spekulationen. Der Bau bzw. die Bereitstellung einer Anlage zur Herstellung der angegriffenen Ausführungsform sei für die Erlangung der arzneimittelrechtlichen Zulassung für die angegriffene Ausführungsform erforderlich. Das gleiche gelte für die Herstellung von drei Validierungschargen im Umfang von je 17.000 Spritzen. Auch sei das Verhalten der Beklagten nicht rechtswidrig. Sie hätten sämtliche Vertriebshandlungen für die Dauer des einstweiligen Verfügungsverfahrens eingestellt und das weitere Vorgehen von dem Urteil der Kammer abhängig gemacht, welches am 24. Oktober 2013 verkündet worden sei. Erst danach sei faktisch mit dem Vertrieb der angegriffenen Ausführungsform begonnen worden. Berufung gegen das Urteil habe die Klägerin ebenso wenig eingelegt wie einen Unterlassungsanspruch für die Restlaufzeit des Klagepatentes im vorliegenden Verfahren geltend gemacht. Das Unterlassungsbegehren sei als Rechtsfolge von einem Beseitigungsanspruch auch nicht umfasst und das Verhalten der Klägerin rechtsmissbräuchlich. Letztlich stünden dem Unterlassungsbegehren der Klägerin auch kartellrechtliche Bedenken entgegen. Der nach Ablauf des Klagepatentes als reines Sperrpatent geltend gemachte Unterlassungsanspruch sei allein darauf gerichtet, die Beklagten zum Rückzug vom Markt für G-CSF-Präparate zu zwingen. Angesichts der marktbeherrschenden Stellung der Klägerin stelle sich die Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs als rechtsmissbräuchlich dar. Die von der Klägerin geforderten Angaben zur Rechnungslegung seien auch unverhältnismäßig, da die Klägerin die entsprechenden Daten öffentlich zugänglichen Datenbanken entnehmen könne.
38Das Klagepatent werde sich auch vor dem Hintergrund der bei dem Bundespatentgericht erhobenen Nichtigkeitsklage nicht als rechtsbeständig erweisen, so dass eine Aussetzung geboten sei. Im Hinblick auf den Ablauf der Schutzdauer des Klagepatentes dürfe nicht der Maßstab der überwiegenden Wahrscheinlichkeit der Vernichtung des Klagepatentes angelegt werden. Dem Rechtsbestand des Klagepatents stehe der Einwand der fehlenden Neuheit, erfinderischen Tätigkeit, Ausführbarkeit und der unzulässigen Erweiterung entgegen. Die Druckschriften EP L, WO M und EP N stünden der Neuheit der Erfindung nach dem Klagepatent entgegen. Jedenfalls fehle es an der erfinderischen Tätigkeit, da eine Kombination der genannten Druckschriften jeweils mit Zink et al., Secondary Structure of human granulocyte colony-Stimulating factor derived from NMR spectroskopy, FEBS, Vol 314, 435-439 oder Layton et al., Identification of a Functional Domain of Human Granolycyte Colony-Stimulating Factor Using Neutralizing Monoclonal Antibodies, J. Biol. Chem., Vol. 266, S. 23815, die Erfindung nahe lege. Die Erfindung sei nicht ausführbar, da das Klagepatent lediglich eine PEGylierung von Lysinresten beschreibe, welche sich jedoch weder im AB-Loop noch im CD-Loop befinden würden. Mittels der Festphasensynthese, welche vom Klagepatent genannt werde, könnten lediglich kurzkettige Polypeptide synthetisiert werden. Eine unzulässige Erweiterung liege vor, da die ursprüngliche Offenbarung lediglich auf G-CSF-Analoge mit gegenüber der SEQ ID No:2 abweichender Aminosäuresequenz gerichtet sei. Zudem fehle es an einer Offenbarung der indirekten Anheftung eines PEG über eine zweite chemische Einheit an einen externen Loop, der als CD-Loop identifiziert sei. Schließlich sei auch die Rangfolge der Anknüpfung nicht offenbart.
39Die Klägerin tritt diesem Vorbringen in vollem Umfang entgegen. Es liege eine Verletzung des Klagepatentes durch die angegriffene Ausführungsform vor. Trotz Ablauf der Schutzdauer des Klagepatentes bestehe ein Unterlassungsanspruch. Die Geltendmachung eines solchen Unterlassungsanspruchs als Beseitigung einer fortwirkenden Störung sei auch nicht kartellrechtlich missbräuchlich. Im Hinblick auf den Einwand der Mitberechtigung der Beklagten macht sie geltend, dass eine solche den Beklagten nicht zukomme. Dr. K könne nach US-amerikanischem Recht weder Miterfinder sein noch seien etwaige Ansprüche der Beklagten zu 1) wirksam abgetreten worden. Überdies habe Herr Dr. K am Gegenstand der Erfindung nach dem Klagepatent keinen Beitrag geleistet. Gegenstand der Erfindung nach dem Klagepatent sei nicht die Ermittlung der 3-dimensionalen Struktur des G-CSF-Polypeptids, sondern die Bereitstellung eines modifizierten G-CSF-Polypeptids, bei dem Modifizierungen an eine bestimmte Region des G-CSF-Polypeptids angeheftet seien, nämlich an den AB- oder CD-Loop. Die Erfindung beruhe auf dem Struktur-Funktions-Modell von Herrn Dr. O, dem Erfinder der Lehre des Klagepatentes, das wiederum auf seiner Herstellung von dutzenden mutierten Formen von G-CSF, biologischen Untersuchungen dieser mutierten Formen und weiterer biochemischer Analysen beruhe. Nur auf Grund dieser Arbeiten habe Herr Dr. O nachweisen können, dass die PEGylierung im AB- oder CD-Loop von G-CSF die Rezeptorbindung nicht behindern könne. Herr Dr. K, der Herrn Dr. O bei der Durchführung der Röntgenstrukturanalyse, einem reinen Messverfahren, unterstützend zur Seite gestanden habe, habe an diesen Untersuchungen nicht mitgewirkt. Bereits aus diesem Grund bestehe auch keine Veranlassung zur Aussetzung. Überdies sei die Ausschlussfrist des § 5 Abs. 2 IntPatÜG abgelaufen.
40Auch eine Veranlassung zur Aussetzung des Rechtsstreits vor dem Hintergrund der erhobenen Nichtigkeitsklage bestehe nicht, da sich das Klagepatent als rechtsbeständig erweisen werde.
41Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
42ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE
43Die zulässige Klage ist im tenorierten Umfang begründet, im Übrigen unbegründet.
44Die angegriffene Ausführungsform macht von der Lehre nach dem Klagepatent wortsinngemäßen Gebrauch.
45I.
461.
47Das Klagepatent betrifft Granulozyten-Kolonie stimulierende Faktor Analoge und Verfahren zu ihrer Herstellung.
48Aus dem Stand der Technik ist bekannt, dass die Bildung der zellulären Bestandteile des Bluts (Hämatopoese) einerseits von der Knochenmark-Mikro-Umgebung und andererseits von Wachstumsfaktoren, den sogenannten Kolonie-stimulierenden Faktoren, kontrolliert wird. Einer dieser Faktoren ist der Granulozyten-Kolonie-stimulierende Faktor, G-CSF, welcher insbesondere Wachstum und Entwicklung von Neutrophilen, nämlich neutrophilen Granulozyten stimuliert. Neutrophile sind als Phagozyten („Fresszellen“) Teil des Immunsystems. Daher ist die Verwendung des Granulozyten-Kolonie-stimulierenden Faktors angezeigt bei neutropenischen Zuständen, also krankhaften Zuständen, in denen zu wenige neutrophile Granulozyten im Blut vorhanden sind. Ferner ist aus dem Stand der Technik bekannt, dass die Behandlung mit G-CSF angezeigt ist bei Zuständen, in denen eine Zunahme von Neutrophilen vorteilhaft ist, etwa zur Behandlung von Krebspatienten, bei denen die selektive Stimulation der Produktion von Neutrophilen dazu dient, hämatopoetische Defizite auszugleichen, die aus einer Chemo- oder Bestrahlungstherapie resultieren. Andere Indikationen für die Gabe von Neutrophilen sind beispielsweise infektiöse Krankheiten wie Sepsis.
49Schließlich ist es vorbekannt, G-CSF zu verändern, um beim Design von Arzneimitteln bestimmte strukturelle Wirkungen zu erzielen. So ist etwa vorbekannt, chemische Modifikationen von rekombinantem humanem G-CSF durch Polyethylenglykol (PEG) vorzunehmen. Im Stand der Technik war über die exakte dreidimensionale Struktur von G-CSF spekuliert worden. Hieran kritisiert das Klagepatent es als nachteilig, dass derlei spekulative Annahmen zur dreidimensionalen Struktur nicht zur Herstellung von G-CSF-Analogen beitragen würden. Entweder war nämlich die vermutete Struktur inkorrekt, oder die Struktur war nicht hinreichend in Einzelheiten offenbart, um eine Korrelation zwischen den einzelnen Einheiten mit der Struktur herzustellen. Beispielsweise gelang es nicht, genaue Gebiete der Hydrophobie und Hydrophilie zu bestimmen, was jedoch von Bedeutung ist, um die Stabilität des Moleküls des G-CSF-Analogs zu bestimmen.
50Das Klagepatent hat es sich vor diesem technischen Hintergrund zur Aufgabe gemacht, ohne dies ausdrücklich zu formulieren, auf Grund der Bestimmung der dreidimensionalen Struktur von G-CSF bis zum Atomniveau Vorhersagen mit Gewissheit darüber zu treffen, in welcher Weise Veränderungen in der Zusammensetzung eines G-CSF-Moleküls zu strukturellen Veränderungen führen. Die so vorhergesagten strukturellen Veränderungen können mit einer bestimmten biologischen Aktivität des Moleküls korreliert werden, so dass insgesamt gewährleistet werden soll, in ihrer biologischen Aktivität geeignete G-CSF-Analoge zu entwerfen und herzustellen.
51Zur Lösung dieser Aufgabe schlägt das Klagepatent in Patentanspruch 1 Verbindungen mit folgenden Merkmalen vor:
521. Modifiziertes G-CSF-Polypeptid, umfassend
531.1 eine Aminosäuresequenz, gezeigt in SEQ ID NO: 2, wobei das N-terminale Methionin fakultativ ist und
541.2 eine erste chemische Einheit, wobei die erste chemische Einheit Polyethylenglykol ist,
551.3 die erste chemische Einheit ist indirekt mittels einer zweiten chemischen Einheit an einen externen Loop angeheftet;
561.3.1 wobei der externe Loop der CD-Loop bei Aminosäuren 119 bis 145, oder der AB-Loop bei Aminosäuren 58 bis 72 ist.
572.
58Die angegriffene Ausführungsform macht von der beschriebenen Lehre nach dem Klagepatent Gebrauch. Auch die zwischen den Parteien im Streit stehenden Merkmale 1, 1.2 und 1.3 werden durch die angegriffene Ausführungsform verwirklicht.
59a)
60Merkmal 1 besagt, dass die Zusammensetzung modifiziertes G-CSF-Polypeptid enthält.
61Unter einem modifizierten G-CSF-Polypeptid im Sinne des Klagepatentes ist ein Polypeptid zu verstehen, welches im Vergleich zur natürlichen Aminosäuresequenz gemäß der SEQ ID NO: 2 Veränderungen aufweist. Dabei können die Veränderungen entweder auf einer Abweichung der Aminosäuresequenz gegenüber dem nativen G-CSF-Polypeptid beruhen oder auf einer Modifizierung eines Aminosäurerestes.
62Für ein solches Verständnis spricht bereits der Wortlaut des maßgeblichen Patentanspruches 1. Der Anspruch sieht insoweit vor, ein modifiziertes Polypeptid, umfassend eine Aminosäuresequenz wie in SEQ ID NO: 2 und eine erste chemische Einheit. Nach dem reinen Anspruchswortlaut kann die Modifizierung mithin aus der im Merkmal 1.2 beschriebenen Modifizierung mittels PEG bestehen, bei welcher die Aminosäuresequenz derjenigen der SEQ ID NO: 2 entspricht. Die Bezugnahme im Anspruch auf die Aminosäuresequenz der SEQ ID NO: 2 und eine Modifizierung wie sie in den Merkmalen 1.2 und 1.3 beschrieben ist, macht deutlich, dass das erfindungsgemäße modifizierte G-CSF-Polypeptid unter Beibehaltung der unveränderten SEQ ID NO: 2 Veränderungen an den Seitenketten der Aminosäuregruppen erhalten werden kann.
63Dieses Verständnis wird durch die Beschreibung der Erfindung gestützt. Dort ist zwar ganz überwiegend von G-CSF-Analoga die Rede. Dass hierunter ausschließlich solche G-CSF-Strukturen zu verstehen sind, die eine veränderte Sequenzabfolge aufweisen, kann der Beschreibung des Klagepatentes nicht entnommen werden.
64In Abs. [0027] werden die G-CSF Analoga erstmalig dahingehend beschrieben, dass es sich um Moleküle handelt, die mehr, weniger, unterschiedliche oder modifizierte Aminosäurereste von der G-CSF-Aminosäuresequenz haben. So könnte bereits aus der Angabe „modifizierte Aminosäurereste“ geschlossen werden, dass hiervon auch chemische Modifizierungen der Aminosäurereste umfasst sind. Denn bei einer kovalenten Bindung einer Verbindung an eine Seitenkette einer Aminosäure ist ein modifizierter Aminosäurerest das Reaktionsergebnis.
65Das obige Verständnis wird jedoch dadurch bestätigt, dass es in dem genannten Absatz weiter heißt, dass die Modifizierung die Addition oder Substitution von Analogen der Aminosäuren selbst einschließen, oder Aminosäuren mit veränderten Gruppen bzw. - im letzten Satz des Abs. [0027] - chemisch modifizierte Peptide, worunter zweifelsfrei eine chemische Modifikation subsumiert werden kann.
66Demnach offenbart das Klagepatent mehrere Optionen für Veränderungen, die zu einem G-CSF-Analog führen, einschließlich der chemischen Modifikation des G-CSF-Polypeptids. So beschreibt das Klagepatent chemisch modifizierte G-CSF-Polypetide, und auch diese chemisch modifizierten G-CSF-Polypeptide werden in der Beschreibung des Klagepatentes als Analoge bezeichnet. Das Klagepatent erläutert zudem, wie die Informationen zum Struktur-Funktions-Modell des G-CSF bei der Generierung von G-CSF-Analoga genutzt werden können. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die chemisch modifizierten Analoga (z.B. Abs. [0094], [0095], [0100]). In den genannten Absätzen wird beschrieben, dass es auf Grundlage der Informationen zum Struktur-Funktions-Modell möglich ist vorherzusagen, wie eine chemische Modifikation eine gegebene Struktur von G-CSF beeinflussen und eine Rezeptorbindung verhindern kann. Entsprechend ist in Abs. [0145] davon die Rede, dass G-CSF – ohne den Zusatz Analogon – durch Zufügen von chemischen Modifizierungen in der biologischen Funktion verändert werden kann. Dass es sich hierbei ausschließlich um in der Sequenz veränderte G-CSF-Polypeptide handelt, ist nicht zu erkennen. Die Abs. [0143] ff., auf welche die Beklagten in diesem Zusammenhang Bezug nehmen, beschreiben in Übereinstimmung mit der Überschrift „Identifizierung der Struktur-Funktion-Beziehungen“, dass die hergestellten G-CSF-Analogen zeigen, dass sich die Loops am besten für Modifizierungen eignen, da Veränderungen an diesen nicht zu einer Herabsetzung der biologischen Aktivität führen und ggfs. eine Veränderung an dieser Stelle den Abbau durch Proteasen verhindert. Die Untersuchungen haben damit gezeigt, dass an dieser Stelle eine bevorzugte Modifikation erfolgen soll/kann. Entsprechend wird in Abs. [0145] beschrieben, dass eine Modifizierung an den äußeren Loops erfolgen soll. In diesem Zusammenhang wird dann eine chemische Modifizierung genannt.
67Der Verweis der Beklagten für ihr gegenteiliges Verständnis vom Begriff des „G-CSF-Analogons“ auf einen Bescheid des Europäischen Patentamtes vom 8. Juni 2005 (Anlage B 14, deutsche Übersetzung Anlage B 14a) zu einer weiteren Teilanmeldung mit der Nummer EP P aus dem Stammpatent, EP Q(Anlage NK 27, deutsche Übersetzung Anlage NK 28 zur Anlage B 2), aus welchem auch das Klagepatent hervorgegangen ist, in welchem ausgeführt wurde, dass G-CSF-Analoge Verbindungen seien, die sich in ihrer Aminosäuresequenz von der SEQ ID NO: 2 unterscheiden, bleibt ohne Erfolg. Denn – wie im Rahmen der Beurteilung des Rechtsbestandes und hier die Frage der unzulässigen Erweiterung noch ausgeführt werden wird – kann dem Stammpatent EP Q kein Verständnis dahingehend entnommen werden, dass unter G-CSF-Polypeptiden ausschließlich in der Aminosäuresequenz veränderte G-CSF-Polypeptide zu verstehen sind.
68Vor dem Hintergrund des beschriebenen Verständnisses macht die angegriffene Ausführungsform, die unstreitig ein G-CSF-Polypeptid entsprechend der SEQ ID No:2 aufweist, von dem Merkmal 1 Gebrauch.
69b)
70Des Weiteren wird das Merkmal 1.2 durch die angegriffene Ausführungsform verwirklicht, welches besagt, dass eine erste chemische Einheit Polyethylenglykol (PEG) ist. Denn PEG wird vom Klagepatent als generischer Begriff einer Verbindungsklasse verstanden.
71Maßgeblich für die Ermittlung des technischen Sinngehaltes ist das Verständnis des von der Patentschrift angesprochenen Fachmanns. Die im Patentanspruch verwendeten Begriffe sind so zu deuten, wie dies dem Verständnis des Durchschnittsfachmannes entspricht, der auf dem technischen Gebiet der Erfindung tätig ist. Dieser Fachmann wird, wenn er sich um das richtige Verständnis der im Patentanspruch verwendeten Begriffe bemüht, der technischen Funktion der einzelnen Merkmale des Patentanspruchs wesentliche Bedeutung beimessen (BGH, GRUR 1999, 909, 911 f. – Spannschraube; BGH, GRUR 2001, 232 233 – Brieflocher). Der Fachmann wird dabei die einzelnen Begriffe und Merkmale des Patentanspruchs nicht isoliert betrachten, sondern versuchen, ihre Bedeutung im Kontext des gesamten Anspruchs zu verstehen, wobei er wiederum für das Verständnis des Anspruchs insgesamt auf die Beschreibung zurückgreifen wird (BGH, a.a.O. – Spannschraube).
72Dem Fachmann ist bewusst, dass der Begriff PEG sowohl einheitliche Makromoleküle unterschiedlicher Molmassen mit der allgemeinen Summenformel C2nH4n+2On+1 umfasst als auch einen Oberbegriff für eine Klasse verschiedener Verbindungen bildet, welche auch Monomethoxy-PEG (mPEG) umfasst. Vor dem Hintergrund der Beschreibung der Erfindung sowie unter Berücksichtigung des technischen Sinns und Zwecks erkennt der Fachmann, ein Biologe oder Chemiker mit Berufserfahrung im Bereich der Proteinchemie sowie der Anheftung von PEG an Polypeptide, dass das Klagepatent den Begriff PEG als generischen Begriff versteht.
73Das Klagepatent beschreibt in Abs. [0029] sowie [0033], dass PEG als chemische Einheit bekannt ist; in diesem Zusammenhang wird in Abs. [0033] beschrieben, dass die Modifizierung die Addition eines oder mehrerer hydrophiler oder hydrophober Polymermoleküle, Fettsäuremoleküle oder Polysaccharidmoleküle einschließen kann. Als Beispiel für chemische Modifikatoren werden dann Polyethylenglykol, Alkylpolyethylenglykol und weitere Verbindungen wie z.B. Propionsäure, Palmitinsäure usw. genannt. Am Ende dieser Aufzählung chemischer Modifikatoren nimmt das Klagepatent Bezug auf eine Veröffentlichung von Francis, Focus on Growth Factors 3: 4-10 (Mai 1992) (Anlage HL 11, deutsche Übersetzung HL 11a). In der Veröffentlichung wird auf Seite 1 der deutschen Übersetzung linke Spalte ausgeführt, dass Poylethylenglykol (PEG) als Polymer der Wahl für Proteinmodifikationen hervorsteht, da es den breitesten Bereich an Vorteilen mit einem einzigen Verfahren erreicht. Auf Seite 2 rechte Spalte wird beschrieben, dass es viele Verfahren für die PEGylierung gibt, die alle einen Aktivierungsschritt beinhalten, wodurch das Polymer durch eine zusätzliche Gruppe (eine aktivierende Einheit) modifiziert wird, die das Produkt für eine zweite Reaktion, gewöhnlich eine nukleophile Verdrängung von Ɛ-Aminogruppen von Lysinresten im Protein, vorbereiten. Auf der gleichen Seite wird in Figur 1 eine „typisches PEGylierungsverfahren“ beschrieben. Als PEGylierungsreagenz wird hier Monomethoxy-PEG eingesetzt.
74Hiermit wird dem Fachmann deutlich, dass das Klagepatent unter der Bezeichnung PEG lediglich einen generischen Begriff versteht, der nicht auf ein einheitliches Polymer mit der beschriebenen Summenformel beschränkt ist, sondern auch PEG-Verbindungen wie mPEG umfasst. In dieser Auffassung wird der Fachmann bestärkt durch den Verweis in der Veröffentlichung von Francis auf die Fußnote 1, in welcher eine Veröffentlichung von Francis, R und Fisher, Stability of Protein Pharmaceuticals, Part B: In Vivo Pathways of Degradation and Strategies for Protein Stabilization genannt wird. Dort wird im Kapitel 8 – PEG-Modified Proteins (Anlage HL 12, deutsche Übersetzung Anlage HL 12a) – auf Seite 236 ausgeführt, dass Polyethylenglykol (PEG) von den chemischen Modifizierungstechnologien als die Vielversprechendste erscheint. Nachdem die Vorzüge einer Modifikation mit PEG beschrieben werden, werden Methoden zur PEG-Kopplung beschrieben. Auf Seite 248 wird in Bezug auf die Polyethylenkonjugation ausgeführt, dass im allgemeinen mPEG mit nur einer freien Hydroxyl-Gruppe ausgewählt wird, so dass die Anheftung nur an einem Ende des PEG-Moleküls auftreten kann. Auch hier wird der Begriff PEG als generischer Begriff verwendet, der mPEG umfasst.
75Hinzukommt, dass im Klagepatent in Abs. [0043] ausgeführt wird:
76„Außerdem können solche äußeren Loops die Stelle(n) für eine chemische Modifizierung sein, weil in (nicht-verändertem) natürlichem oder rekombinantem G-CSF solche Loops relativ flexibel sind und nicht die Tendenz haben, die Rezeptorbindung zu stören. Daher gäbe es zusätzlichen Raum dafür, dass eine chemische Einheit direkt angehängt würde (oder indirekt über eine andere chemische Einheit angehängt würde, die als ein chemisches Verbindungsmittel dient). Die chemische Einheit kann aus einer Vielzahl von Einheiten ausgewählt werden, die zur Modifizierung einer oder mehrerer Funktionen eines G-CSF-Moleküls verfügbar sind. Beispielsweise kann ein äußerer Loop Stellen zur Addition eines oder mehrerer Polymere bereitstellen, was dazu dient die Serum-Halbwertszeit zu erhöhen, wie etwa ein Polyethylenglycol-Molekül. Solche Polyethylenglycol-Molekül(e) kann (können) zugefügt werden, wobei besagter Loop dahingehend verändert wird, dass er zusätzliche Lysine einschließt die reaktive Seitengruppen haben, an die Polyethylenglycoleinheiten angehängt werden können. Andere Klassen von chemischen Einheiten können ebenso an einen oder mehrere äußere Loops angehängt werden, einschließlich, aber nicht beschränkt auf andere biologisch aktive Moleküle, (….)“.
77In diesem Abschnitt wird das Anheften von PEG an einen externen Loop von G-CSF beschrieben und das Anheften von PEG-Molekülen im Zusammenhang mit einer chemischen Einheit genannt. Eine konkrete Angabe, was unter einer chemischen Einheit verstanden wird, macht das Klagepatent nicht, sondern führt vielmehr aus, dass diese aus einer Vielzahl von Einheiten ausgewählt werden kann, die zur Modifizierung einer oder mehrerer Funktionen eines G-CSF-Moleküls verfügbar sind. In der Folge wird dann PEG genannt. Gerade mit Blick auf die Angabe „chemische Einheit“ und die weitere Angabe, dass diese aus einer Vielzahl von chemischen Einheiten ausgewählt werden kann, wird dem Fachmann deutlich gemacht, dass unter PEG nicht lediglich ein einheitliches Makromolekül verstanden wird.
78Auch das Europäische Patentamt hat den Begriff „Polyethylenglykol“ im Sinne des Klagepatentes als generischen Begriff verstanden, der mPEG umfasst. Während des Prüfungsverfahrens zum Klagepatent hat der europäische Prüfer nicht zwischen verschiedenen Formen von PEG unterschieden, sondern den Begriff PEG als generischen Begriff aufgefasst, der mPEG einschließt. Im Bescheid vom 5. September 2011 (Anlage HL 13, deutsche Übersetzung HL 13a) machte der Prüfer einen Einwand auf Grundlage zweier Dokumente D1 (Tanaka et al.: Pharmacokinetics of recombinant human granulocyte colony-stimulating factor conjugated to Polyethylen Glycol in rats, Cancer Research, Vol. 51, Nr. 14, 15. Juli 1991, Seiten 3710-3714, Anlage NK 34 zur Anlage B 2) und D5 (Satake-Ishikawa et al.: Chemical Modification of recombinant human Granulocyte Colony-Stimulating Factor by Polyethylene Glycol increases its biological activity in-vivo, Cell Structure and Function, Vol. 17, Nr. 3, 1992, Seiten 157-160) geltend und führte aus, dass D1 und D5 beide die Modifikation von G-CSF mit PEG offenbaren und zeigen, dass die Konjugation an PEG die pharmakokinetischen Eigenschaften des Polypeptids verbessern. Beide Dokumente beschreiben eine Konjugation von G-CSF mit mPEG. Der Prüfer ging daher davon aus, dass mPEG unter den Begriff des PEG nach dem Klagepatent zu fassen ist.
79Für das vorgenannte Verständnis spricht gerade auch der vom Klagepatent geschilderte Stand der Technik. In Abs. [0012] beschreibt das Klagepatent die chemische Modifizierung von rekombinantem humanen G-CSF durch PEG(4.500) oder PEG(10.000) durch Rita Satake et al., Cell Structure and Function 17, 157-160 (1992). Es wird ausgeführt, dass das Anhängen von PEG an rHuG-CSF die pharmazeutische Aktivität in vivo verstärkt durch eine längere Plasmahalbwertszeit, aber die Aktivität in vitro verringert. Bei dieser Druckschrift, auf welche zur Darlegung des Standes der Technik vom Klagepatent Bezug genommen wird, handelt es sich um die gleiche Druckschrift D5 (Satake-Ishikawa et al.: Chemical Modification of recombinant human Granulocyte Colony-Stimulating Factor by Polyethylene Glycol increases its biological activity in-vivo, Cell Structure and Function, Vol. 17, Nr. 3, 1992, Seiten 157-160), welche das Europäische Patentamt im Prüfungsverfahren zunächst als der Neuheit der Lehre des Klagepatentes entgegenstehend angesehen hat. In dieser Druckschrift wird, wie ausgeführt, eine PEGylierung mit mPEG beschrieben. Indem das Klagepatent ohne eine Differenzierung zwischen PEG und mPEG hierauf verweist, wird dem Fachmann deutlich, dass die Erfindung PEG als generischen Begriff verstanden wissen will.
80Der Fachmann erkennt daher, dass die in Abs. [0033] genannte Nennung verschiedener Substanzgruppen lediglich der Aufzählung dient, die jedoch keine nähere Klassifizierung oder Beschränkung beinhalten soll.
81Für eine lediglich generische Bedeutung des Begriffs PEG spricht überdies auch eine technisch-funktionale Betrachtungsweise. Denn zur Erfüllung des Zwecks, chemische Modifikationen von Aminosäuren an den AB- oder CD-Loop anzuheften, ist es ohne Relevanz, ob PEG oder PEG-Analoge verwendet werden, da es darum geht, die biologische Aktivität durch Verhinderung des Proteasenangriffs zu steigern.
82Gegen das vorstehend beschriebene Verständnis des Begriffs PEG sprechen auch nicht die nicht rechtskräftigen negativen Bescheide/Zwischenbescheide aus den Niederlanden, Portugal, Schweden (Anlagenkonvolut B 7) und des DPMA (Anlage B 1). Die Entscheidungen ergingen in Bezug auf die Anträge der Klägerin auf Erteilung eines ergänzenden Schutzzertifikates auf der Grundlage des Klagepatentes und der angegriffenen Ausführungsform. Eingegangen wird nachfolgend lediglich auf den Zwischenbescheid des DPMA, da dieser Gegenstand der zwischen den Parteien geführten Diskussion ist. Dem Zwischenbescheid des DPMA, welcher in die Zurückweisung des Antrags auf Erteilung eines ergänzenden Schutzzertifikates mit Entscheidung vom 24. April 2014 mündete, kann entnommen werden, dass das DPMA den Begriff PEG im Klagepatent nicht als generische Bezeichnung versteht. Zur Begründung listet das DPMA verschiedene Textstellen aus dem Klagepatent auf (Abs. [0028], [0029], [0033], [0043] und [0044]) ohne sich jedoch mit der Frage auseinanderzusetzen, ob es sich bei dem anspruchsgemäßen Begriff PEG um eine generische Bezeichnung handeln könnte. Das ist insoweit nicht überzeugend, als Abs. [0033] auf die Veröffentlichung von Francis – welche nach den Angaben der Klägerin in der mündlichen Verhandlung dem DPMA nicht vorlag - Bezug nimmt, in Abs. [0043] von anderen Klassen chemischer Einheiten gesprochen wird und auch der Stand der Technik mPEG als PEGylierungsreagenz nennt. Insoweit hätte daher eine Auseinandersetzung mit dem gesamten Offenbarungsgehalt des Klagepatentes erfolgen müssen. Das DPMA nimmt für die ablehnende Ansicht lediglich Bezug auf die Rechtsprechung des EuGH zu ergänzenden Schutzzertifikaten und führt aus, dass das Lipegfilgrastim (angegriffene Ausführungsform) weder den Ansprüchen noch der Beschreibung wortsinngemäß entnommen werden kann. Eine derartige Begründung kann, ohne sich im Detail mit den Angaben der Beschreibung des Klagepatentes auseinanderzusetzen, dem vorstehend geschilderten Verständnis nicht entgegen stehen. Überdies haben verschiedene Patentämter das beantragte Schutzzertifikat auch erteilt. So liegen bereits entsprechende Schutzzertifikate in Österreich, Griechenland, Dänemark und Luxemburg vor.
83Gemäß dem beschriebenen Verständnis des Klagepatentes von PEG als Oberbegriff verschiedener Verbindungen, welches auch mPEG umfasst, verwirklicht die angegriffene Ausführungsform auch das Merkmal 1.2.
84c)
85Merkmal 1.3, welches vorsieht, dass eine erste chemische Einheit indirekt mittels einer zweiten chemischen Einheit an einen externen Loop angeheftet ist, wird durch die angegriffene Ausführungsform verwirklicht. Dem Klagepatent lässt sich nicht entnehmen, dass es sich bei der zweiten chemischen Einheit zwingend um eine einzelne chemische Einheit im Sinne einer einzigen chemischen Verbindung handeln muss. Denn das Klagepatent lässt offen, ob es sich um eine oder mehrere Einheiten handelt und ob eine Anbindung von PEG an G-CSF direkt über die zweite Einheit oder weitere Einheiten erfolgt.
86Für das Vorhandensein weiterer chemischer Einheiten spricht bereits die Formulierung des Anspruchs: umfassend bzw. comprising in der englischen Verfahrenssprache, welche das Vorhandensein weiterer Einheiten grundsätzlich zulässt.
87Die Formulierung als erste und zweite chemische Einheit steht dem nicht entgegen, da in der maßgeblichen englischen Verfahrenssprache nicht von „one second chemical moiety“ die Rede ist, sondern von „a second chemical moiety“, mithin ein unbestimmter Artikel und nicht ein Zahlwort verwendet wird. Dies macht deutlich, dass die Verwendung der Begrifflichkeit „erste und zweite chemische Einheit“ lediglich der Unterscheidung dient, ohne eine Beschränkung auf genau eine zweite chemische Einheit.
88Für ein solches Verständnis spricht überdies, dass die zweite chemische Einheit in der Klagepatentschrift keine vertiefte Erwähnung findet, eine konkrete Ausgestaltung nicht genannt wird, so dass es nur auf die Funktion der zweiten chemischen Einheit ankommt, die erste chemische Einheit PEG in einem gewissen Abstand von dem G-CSF-Polypeptid an dieses zu knüpfen. Entsprechend wird in Abs. [0043] beschrieben, dass die Möglichkeit besteht, dass eine chemische Einheit direkt angehängt wird oder über eine andere chemische Einheit, die als chemisches Verbindungsmittel dient. Zur chemischen Einheit wird dann weiter ausgeführt, dass diese - ohne näher zu spezifizieren, ob es sich um die erste oder zweite chemische Einheit handelt - aus einer Vielzahl von Einheiten ausgewählt werden kann, die zur Modifizierung einer oder mehrerer Funktionen eines G-CSF-Moleküls verfügbar sind, die Serum-Halbwertszeit zu erhöhen. Es soll mithin dem Fachmann überlassen sein die zweite chemische Einheit zu wählen. Er erkennt, dass diese lediglich so in ihrer Länge und ihrem Volumen begrenzt werden muss, dass eine Rezeptorbindung nicht verhindert oder die Tertiärstruktur des Polypeptids durch die Modifizierungen nicht gestört wird, was wiederum eine Rezeptorbindung erschweren könnte.
89Hinzukommt, dass in Abs. [0033] im Zusammenhang mit chemischer Einheit von Polymermolekülen zur Modifizierung die Rede ist. Polymermoleküle haben zwangsläufig zur Folge, dass sie aus mehr als einer einzelnen chemischen Einheit aufgebaut sind. Entsprechend heißt es auch in den Abs. [0043] und [0145], dass ein oder mehrere PEG-Moleküle angehängt werden können. Zwar mag es sich dabei um identische Molekülgruppen handeln, da Polymere oder mehrere PEG-Moleküle aus sich wiederholenden Einheiten bestehen. Dass jedoch nur einheitliche Polymerverbindungen die chemische Einheit mit mehreren Einheiten bilden dürfen, während dies für unterschiedliche Einheiten dann wiederum nicht der Fall sein soll, ist unter technisch funktionalen Gesichtspunkten nicht zu erklären.
90Das vorstehende Verständnis der zweiten chemischen Einheit hat zur Folge, dass der Begriff der indirekten Anheftung im Merkmal 1.3 ein Verständnis dahingehend erfährt, dass keine direkte Anheftung des PEG an den externen Loop des G-CSF-Polypeptids erfolgen soll. Ob die Anheftung des PEG dann schließlich über eine einzelne Verbindung oder mehrere erfolgt, überlässt das Klagepatent dem Fachmann. Das anderslautende Verständnis der Beklagten verkennt die Ausführungen des Klagepatentes in der Beschreibung zur zweiten chemischen Einheit. Diese dient als Verbindungsmittel und kann aus Polymermolekülen bestehen. Wird mithin ein Polymer als zweite chemische Einheit verwendet, erfolgt auch keine unmittelbare indirekte Anheftung des PEG an das G-CSF-Polypeptid. Die Beschreibung macht mithin deutlich, dass eine indirekte Anheftung auch dann vorliegt, wenn ein Polymer als zweite chemische Einheit gewählt wird.
91Vor dem Hintergrund des vorstehenden Verständnisses des Merkmals steht die Ausgestaltung der angegriffenen Ausführungsform, bei welcher die zweite chemische Einheit aus drei unterschiedlichen Verbindungen besteht, nämlich (in der Reihenfolge der Anbindung an Threonin134 des G-CSF) N-Acetylgalactosamin (GalNAc), N-Acetylneuraminsäure (=Sialinsäure, Sia) und Glycin, einer Verwirklichung des Merkmals 1.3 nicht entgegen.
923.
93Die Beklagten sind nicht aus abgetretenem Recht zur Benutzung der Erfindung mitberechtigt.
94Selbst wenn man zugunsten der Beklagten unterstellt, dass die Übertragung von etwaigen Rechten an dem Klagepatent von Herrn Dr. K auf die Beklagte zu 1) wirksam erfolgt ist und weiter unterstellt, dass Herr Dr. K ausschließlich die röntgenkristallographischen Untersuchungen durchgeführt hat, ist ein Beitrag von Herrn Dr. K an der Erfindung nach dem Klagepatent nicht zu erkennen.
95Bei der Frage, wer (Mit-)Erfinder ist, geht es - losgelöst von der patentrechtlichen Bewertung des Gegenstands der Erfindung - darum, wem ein Recht an diesem Gegenstand zusteht (BGH, GRUR 2011, 903, Rn.13 - Atemgasdrucksteuerung). Der für die Zuerkennung des (Mit-)Erfinderstatus erforderliche Beitrag braucht nicht selbstständig erfinderisch zu sein und für sich allein betrachtet alle Voraussetzungen einer patentfähigen Erfindung zu erfüllen (BGH, GRUR 2004, 50 - Verkranzungsverfahren). Die Anerkennung als Miterfinder kann nicht mit der Begründung versagt werden, der geleistete Beitrag betreffe „nicht den springenden Punkt" der Erfindung (BGH, GRUR 2001, 226 f. - Rollenantriebseinheit I). Vielmehr reichen nur solche Beiträge nicht aus, um als (Mit-)Erfinder anerkannt zu werden, die den Gesamterfolg (gar) nicht beeinflusst haben und deshalb für die Lösung unwesentlich sind oder die nach den Weisungen eines Erfinders oder eines Dritten geschaffen wurden (BGH, GRUR 1966, 558 - Spanplatten; GRUR 1978, 583 - Motorkettensäge; Mitt. 1996, 16, 18 - Gummielastische Masse; GRUR 2004, 50 - Verkranzungsverfahren).
96Deshalb darf, wie der Bundesgerichtshof bereits im Urteil „Biedermeiermanschetten" ausgesprochen hat, nicht allein der Gegenstand der Patentansprüche zum Maßstab für eine die Mitberechtigung begründende Beteiligung genommen werden, sondern es ist die gesamte in dem Patent beschriebene Erfindung und deren Zustandekommen in den Blick zu nehmen und zu prüfen, mit welcher Leistung der Einzelne zu der in ihrer Gesamtheit zu betrachtenden Erfindung beigetragen hat (BGHZ 73, 343 f. - Biedermeiermanschetten). Auf die Fassung der Patentansprüche kommt es bei der Prüfung der Frage, welche schöpferischen Beiträge von wem geleistet worden sind, nur insofern an, als sich aus ihnen ergeben kann, dass ein Teil der in der Beschreibung dargestellten Erfindung nicht zu dem Gegenstand gehört, für den mit der Patenterteilung Schutz gewährt worden ist. Dabei geht es aber nicht darum, ob der Patentanspruch auf diejenige Ausführungsform beschränkt ist, die in der Beschreibung genannt ist, sondern lediglich darum, ob eine beschriebene Ausführungsform nicht mehr unter den Patentanspruch fällt, also außerhalb des patentrechtlich geschützten Gegenstands liegt und deshalb eine Miterfinderschaft an dem geschützten Gegenstand nicht begründen kann (BGH, GRUR 2011, 903 - Atemgasdrucksteuerung).
97Schließlich ist es nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs verfehlt, die einzelnen Merkmale des Patentanspruchs darauf hin zu untersuchen, ob sie für sich genommen im Stand der Technik bekannt sind, und sie bejahendenfalls für einen schöpferischen Beitrag eines Miterfinders auszuschließen (BGH, GRUR 2011, 903 - Atemgasdrucksteuerung). Nur wenn diese Grundsätze beachtet werden, ist, wie erforderlich (BGH, GRUR 2011, 903 - Atemgasdrucksteuerung), gewährleistet, dass Gegenstand und Umfang der schöpferischen Beteiligung an einer Erfindung unabhängig davon bestimmt werden, ob auf diese Erfindung bereits ein Patent erteilt ist, wie breit der Anspruch formuliert ist, mit dem das Patent angemeldet oder erteilt ist, und in welchem Umfang ein breiter Anspruch durch spätere Entscheidungen in einem Einspruchs-, Nichtigkeits- oder Beschränkungsverfahren beschränkt wird.
98Auch dann, wenn man die vom Bundesgerichtshof bei der Frage der Beurteilung einer (Mit)erfindereigenschaft aufgestellten Voraussetzungen einer Beurteilung der gesamten im Patent beschriebenen Erfindung und deren Zustandekommen berücksichtigt, ist ein Beitrag des Herrn Dr. K zu der Erfindung nach dem Klagepatent nicht zu erkennen.
99Wie bereits im Rahmen der Diskussion zur Verletzung des Klagepatentes und des dort geschilderten Standes der Technik des Klagepatentes ausgeführt, war es am Prioritätstag – 28. Januar 1993 – bekannt, PEG an Polypeptide wie G-CSF anzuheften, um die Verweil- und Wirkdauer des Polypeptids im Körper zu verlängern und gleichzeitig eine Beeinträchtigung der biologischen Aktivität des Polypeptids durch die Anheftung von PEG zu vermeiden. Es war daher bekannt, dass mittels chemischer Kopplungsmittel PEG an Proteine wie G-CSF angeheftet werden kann. Die Anheftung von PEG wurde jedoch nur in einer nicht-spezifischen und unkontrollierten Weise erzielt. Die bekannten Verfahren zielten nicht auf eine spezifische Position oder Region in G-CSF ab, die für die Anheftung besonders geeignet waren. Es war mithin nicht bekannt, an welcher Stelle PEG im Polypeptid angeheftet werden kann, um die Wirkdauer zu verlängern und gleichzeitig die Aktivität des Proteins möglichst vollständig zu erhalten. Das Klagepatent löst diese Aufgabe durch die Bereitstellung eines modifizierten G-CSF-Polypeptids, bei dem PEG an eine bestimmte Region des G-CSF-Polypeptids angeheftet ist, nämlich an den CD- oder AB-Loop. Diese Regionen werden im Klagepatent als vorteilhafte Regionen für die indirekte Anheftung von PEG identifiziert, weil die Anheftung von PEG an diesen Regionen die Halbwertszeit des entsprechend modifizierten G-CSF-Polypeptids erhöhen kann, ohne die biologische Funktion von G-CSF zu beeinträchtigen. Diese Lehre ist in den Abs. [0043], [0142] und [0145] des Klagepatentes beschrieben.
100Wenn man zugunsten der Klägerin unterstellt, dass Herr Dr. K, nachdem Herr Dr. O die für die Bestimmung notwendigen Kristalle hergestellt hat, die Untersuchungen zur Bestimmung der dreidimensionalen Röntgenkristallstruktur von G-CSF vorgenommen hat oder jedenfalls unterstützend zu Seite stand, führt dies nicht zu einem Erfindungsbeitrag an dem Klagepatent. Dies findet seine Ursache nicht in der Behauptung der Klägerin, Röntgenstrukturanalysen würden ein reines Messverfahren beinhalten, welches ohne größeren Aufwand durchgeführt werden könne. Grund ist vielmehr, dass die dreidimensionale Struktur von G-CSF vom für den vorliegenden Rechtsstreit maßgeblichen Klagepatent nicht beansprucht wird. Diese wird zwar in Figur 5 des Klagepatentes beschrieben. Die dort beschriebenen Daten sind lediglich der Ausgangspunkt für die von Herrn Dr. O auf Grundlage der gewonnen Daten durchgeführten Struktur-Funktions-Analysen, welche zu der beanspruchten Erfindung geführt haben. Hinsichtlich dieser behaupten auch die Beklagten keinen Erfindungsbeitrag. Entsprechend führt das Klagepatent in Abs. [0059] zu Figur 5 aus, dass diese eine Liste der Koordinaten zeigt, die verwendet wurden, um ein computer-unterstütztes visuelles Bild der dreidimensionalen Struktur von G-CSF zu erzeugen. Hiermit wird deutlich gemacht, dass die auf Grund der röntgenkristallographischen Untersuchung gewonnen Ergebnisse Ausgangspunkt für die weiteren Untersuchungen waren, die zu der Erfindung nach dem Klagepatent geführt haben. Die röntgenkristallographischen Daten stellen jedoch nicht die Information bereit, die benötigt wurde, um zu der mit dem Klagepatent beanspruchten Erfindung zu gelangen; die Röntgenkristallstruktur zeigt lediglich die dreidimensionale Struktur von G-CSF, sie gibt aber keinen Aufschluss über den biologischen Wirkmechanismus von G-CSF, wie z.B. G-CSF mit seinem Rezeptor interagiert, oder welche Regionen oder Aminosäuren von G-CSF an der Rezeptorbindung beteiligt oder für die strukturelle Stabilität wichtig sind. Die Röntgenkristallstruktur gibt auch keinen Aufschluss darüber, welche Regionen des G-CSF-Polypeptids für eine Modifizierung zur Verfügung stehen, ohne die Aktivität zu vermindern, noch darüber, dass der CD-Loop und der AB-Loop nicht an der Rezeptorbindung beteiligt sind und vorteilhafte Anheftungsstellen für die indirekte Anheftung von PEG darstellen. Die aus der Röntgenstrukturanalyse gewonnen Daten sind auch nicht ohne Beachtung geblieben. Seite 32 Zeilen 9 ff., die Abbildungen 2 und 3 und die Atomkoordinaten in Abbildung 5 der Stammanmeldung zum Klagepatent, EP E (Anlage NK 27 zur Anlage B 2) geben die aus der Röntgenstrukturanalyse gewonnen Daten zur Kristallstruktur des G-CSF-Polypeptids wieder. Diese Daten entsprechen dem 1. und 2. Absatz auf Seite 5168 rechte Spalte und Abbildungen 2 und 3 der Veröffentlichung von K et al., The structure of granulocyte-colony-stimulating factor und ots relationship to other grwoth actors, Proc. Natl. Acad. Sci., Vo. 90, Seiten 5167 – 51717, 1993 (Anlage B 17, deutsche Übersetzung Anlage B 17a). Sie sind jedoch nicht Bestandteil der Erfindung des Klagepatentes.
101III.
102Aus der Verletzung des Klagepatentes ergeben sich folgende Rechtsfolgen:
1031.
104Die Beklagten haben das Klagepatent widerrechtlich benutzt, woran sie ein zumindest fahrlässiges Verschulden trifft. Bei Anwendung der von ihnen im Geschäftsverkehr zu fordernden Sorgfalt hätten sie die Benutzung des Klagepatents erkennen und vermeiden können. Für die Zeit nach Patenterteilung schulden die Beklagten daher Ersatz des Schaden, welcher der Klägerin entstanden ist und noch entstehen wird, Art. 64 EPÜ, § 139 Abs. 2 PatG.
105Da die genaue Schadenshöhe derzeit noch nicht feststeht, die Klägerin nämlich keine Kenntnis über den Umfang der Benutzungs- und Verletzungshandlungen durch die Beklagten hat, hat sie ein rechtliches Interesse gemäß § 256 ZPO daran, dass die Schadensersatzpflicht der Beklagten dem Grunde nach festgestellt wird. Um die Klägerin in die Lage zu versetzen, den ihr zustehenden Anspruch auf Schadensersatz zu beziffern, sind die Beklagten verpflichtet, im zuerkannten Umfange über ihre Benutzungshandlungen Rechnung zu legen, Art. 64 EPÜ, §§ 242, 259 BGB, 140b Abs. 3 PatG. Im Rahmen der gemäß Art. 64 EPÜ, § 140 b PatG bestehenden Auskunftspflicht haben die Beklagten außerdem die betreffenden Belege zu überlassen (vgl. OLG Düsseldorf, InstGE 5, 249 – Faltenbalg). Hinsichtlich der Angebotsempfänger ist den Beklagten ein Wirtschaftsprüfervorbehalt einzuräumen (OLG Düsseldorf, InstGE 3, 176 - Glasscheiben-Befestiger).
106Dem Einwand der Beklagten der Antrag zu Ziffer I.2.a) sei zu weitgehend und mit dem Antrag zu Ziffer I.1.a) redundant ist insoweit zuzustimmen, als sich die Anträge in ihrem Inhalt tatsächlich entsprechen. Von einer Zusammenfassung wurde aus Gründen der Übersichtlichkeit dennoch abgesehen. Es ist demgegenüber nicht zu erkennen, aus welchem Grund die Angaben zu Ziffer I.2.a) - Herstellungsmengen und -zeiten - zu weitgehend sein sollten. Die Beklagte zu 2) ist die Herstellerin der angegriffenen Ausführungsform, so dass mit dem Antrag auf Auskunft- und Rechnungslegung Informationen über die Herstellungsmengen und -zeiten verlangt werden können.
107Soweit die Klägerin auch im Rahmen der gemäß § 259 BGB bestehenden Auskunftspflicht die Vorlage von Belegen begehrt hat, war dem nicht nachzukommen, da die Klägerin für deren Üblichkeit weder konkrete Tatsachen vorgetragen hat noch entsprechendes ersichtlich ist (vgl. OLG Düsseldorf, Urt. v. 7. August 2014, I-2 U 8/14).
108Unbegründet ist auch der Einwand der Beklagten, die Darlegung der im Antrag zu Ziffer I.1. und Ziffer I.2. geforderten Angaben sei unverhältnismäßig im Sinne des § 140b Abs. 4 PatG. Den Beklagten wäre es nur unter unverhältnismäßig großem Aufwand möglich, die geforderten Angaben hinsichtlich der einzelnen Lieferungen bereitzustellen, was sich aus der Komplexität der Liefer- und Vertriebsketten ergebe. Überdies habe die Klägerin nur ein begrenztes Interesse an diesen Angaben, da ihr die relevanten Verkaufsdaten aus öffentlich zugänglichen Datenbanken zugänglich seien. Dieses Vorbringen, das von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung in Abrede gestellt wurde, kann eine Unverhältnismäßigkeit nicht begründen. Vorweggeschickt werden kann, dass sich der Einwand der Unverhältnismäßigkeit nur auf die Angaben zu Ziffer I.1. beziehen kann, da mit dieser die Angaben nach § 140b PatG tenoriert werden. Dass die Auskunft für den Auskunftspflichtigen mit Aufwand und Mühen verbunden ist, führt für sich genommen nicht zu einer Unverhältnismäßigkeit, denn dies ist der Regelfall. Nur wenn der Aufwand in keinem Verhältnis mehr zu dem für den Verletzten aus der Auskunft entstehenden Nutzen steht, kann die Verhältnismäßigkeit zweifelhaft sein. Dies ist vorliegend indes nicht der Fall. Zwar mag die Klägerin Verkaufsdaten aus öffentlich zugänglichen Daten, wie insbesondere der IMS-Health, erhalten können. Die insoweit zugänglichen Daten, nach Angaben der Beklagten Rechnungen und Lieferscheine, über deren konkreten Inhalt die Kammer keine Kenntnis hat, decken jedoch nicht den Umfang der geforderten Angaben ab, die die Klägerin benötigt, um ihr Auskunftsbegehren nach § 140b Abs. 1 und 2 PatG zu befriedigen, nämlich Auskunft über die Bezugsquellen und Vertriebswege zu erhalten.
1092.
110Die Klägerin hat demgegenüber keinen Anspruch darauf, dass es die Beklagten über das Ende der Laufzeit des Klagepatentes hinaus unterlassen, patentgemäße Arzneimittel herzustellen und zu vertreiben.
111Die Geltendmachung eines Anspruchs auf Beseitigung wird durch das Patentgesetz nicht ausgeschlossen. Das Patentgesetz gesteht einem Schutzrechtsinhaber bei rechtswidriger Verletzung seines Schutzrechtes für die Dauer des Schutzrechtes Ansprüche auf Unterlassung sowie im Falle des Verschuldens den Ersatz des daraus entstandenen Schadens zu. Neben diesen Ansprüchen kommen darüber hinaus aber auch Ansprüche auf Beseitigung von Störungen in Betracht, und zwar dann, wenn die genannten Sanktionen nicht ausreichen, um mit der Schutzrechtsverletzung verbundene weitergehende Beeinträchtigungen der Rechte des Schutzrechtsinhabers wirksam zu kompensieren. Solche Beseitigungsansprüche sind zwar im Patentgesetz, im Gegensatz zum Wettbewerbsrecht, § 8 Abs. UWG, nicht ausdrücklich vorgesehen; sie ergeben sich indes aus einer entsprechenden Anwendung des für den Schutz des Sacheigentums geltenden Rechtsgedankens des § 1004 BGB. Zur Beseitigung eines durch eine Schutzrechtsverletzung ausgelösten Störungszustandes kann der Schutzrechtsinhaber von dem Verletzer die Vornahme oder Unterlassung von Handlungen verlangen, soweit dies im Einzelfall erforderlich ist, um die Störung wirksam abzuwenden. Hierzu zählen, wie Brodeßer in der Festschrift von Gamm (1991, Seite 345, 346) ausführt, Fälle, in denen durch die Verletzungshandlung eine körperliche Sache entstanden ist, deren bloßes Vorhandensein oder drohender Gebrauch den Schutzrechtsinnhaber in der Ausübung seines Ausschließlichkeitsrechts beeinträchtigt. So kann der Beseitigungsanspruch dahin gehen, dass der Verletzer zur Vernichtung der unter Verletzung eines Schutzrechts widerrechtlich hergestellten Gegenstände verurteilt wird oder auch dahin, die ausschließlich zur rechtswidrigen Herstellung der geschützten Gegenstände bestimmten Vorrichtungen und Arbeitsmittel unbrauchbar zu machen.
112Einem solchen Anspruch auf Beseitigung steht die zeitliche Begrenzung des Schutzrechts nicht entgegen, so dass auch nach Ablauf des Schutzrechts noch bestehende Störungszustände einem Ausgleich durch Zubilligung eines Beseitigungsanspruchs zugänglich sind (Busse/Kaess, Patentgesetz, 7. Aufl. § 140a PatG Rn. 9). In Entsprechung zu diesen Grundsätzen hat der Bundesgerichtshofes in der Entscheidung „Ethofumesat“ (GRUR 1990, 997, 1001) entschieden, dass über die Laufzeit des Patents hinaus fortwirkenden Störungszuständen, die von während der Laufzeit des Schutzrechts begangenen Eingriffshandlungen ausgehen, mit einem Beseitigungsanspruch analog § 1004 BGB begegnet werden kann, sofern die Gefahr besteht, dass sich diese Störungszustände auch noch nach dem Ablauf des Patents zum Nachteil des Schutzrechtsinhabers auf dessen Vermögenslage auswirken. Entsprechend sprach der Bundesgerichtshof in dem den Parteien bekannten Sachverhalt, auf dessen Wiedergabe verzichtet wird, dem Schutzrechtsinhaber gegen den Verletzer ein Verbot einer Verwendung der Ergebnisse der Feldversuche zur Begründung eines Antrages auf Zulassung des Pflanzenbehandlungsmittels bei der Biologischen Bundesanstalt zu. Das Verwertungsverbot war dabei auf denjenigen Zeitraum nach Ablauf des Patents beschränkt, der dem Zeitraum entsprach, während dessen die schutzrechtsverletzenden Feldversuche vor dem Ablauf des Patents durchgeführt worden waren. Im Anschluss an diesen Zeitraum befinde sich der Schutzrechtsinhaber, dem Sinn und Zweck des Beseitigungsanspruchs entsprechend, in der gleichen Situation, in der er sich befinden würde, wenn der Verletzer sich die für die Zulassung des Pflanzenbehandlungsmittels erforderlichen Prüfungsergebnisse nicht widerrechtlich während der Laufzeit des Patents, sondern rechtmäßig erst nach dessen Ablauf verschafft hätte. Dieser Anspruch ist, wie der vom Bundesgerichtshof entschiedene Fall zeigt, nicht auf die Beseitigung derjenigen Störungszustände und nachteiligen Wirkungen der Schutzrechtsverletzung beschränkt, die während der Laufzeit des Schutzrechts eintreten und das Vermögen des Schutzrechtsinhabers während dieser Zeit beeinträchtigen; er dient gleichermaßen auch der Beseitigung der über die Laufzeit des Schutzrechts hinaus fortwirkenden Störungszustände, dies jedenfalls dann, wenn die Gefahr besteht, dass sich die Störung auch noch nach dem Ablauf des Schutzrechts nachteilig auf die Rechtsposition des Schutzrechtsinhabers auswirkt. Die Zubilligung eines solchen über die Geltungsdauer des Schutzrechts hinauswirkenden Beseitigungsanspruchs bedeutet nicht etwa eine faktische Verlängerung des zeitlich begrenzten Schutzrechts. Es geht vielmehr um die Herstellung eines störungsfreien Zustands, wie er ohne die widerrechtliche Schutzrechtsverletzung bestehen würde (Brodeßer, a.a.O, S. 349).
113Einen entsprechenden Beseitigungsanspruch hat auch das Landgericht Düsseldorf in der Entscheidung „Antihistamine“ (InstGE 1, 19, 22) anerkannt und ausgeführt, dass über die Laufzeit des Patents hinaus fortwirkenden Störungszuständen, die von während der Laufzeit des Schutzrechts begangenen Eingriffshandlungen ausgehen, mit einem Beseitigungsanspruch analog § 1004 BGB begegnet werden kann, sofern die Gefahr besteht, dass sich diese Störungszustände auch noch nach dem Ablauf des Patents zum Nachteil des Schutzrechtsinhabers auf dessen Vermögenslage auswirken.
114Der fortdauernde Störungszustand bildet die materielle Anspruchsgrundlage für den Beseitigungsanspruch. Es muss ein Zustand entstanden sein, der sich für den Verletzten als eine sich ständig erneuernde und fortwirkende Quelle der Störung darstellt, welcher im Rechtsstreit noch im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung fortbesteht. Der Anspruch ist in seiner Rechtsfolge auf die Beseitigung der Beeinträchtigung gerichtet. Eine bestimmte Maßnahme kann nur verlangt werden, wenn nur sie allein zur Störungsbeseitigung in Betracht kommt. Sie hat sich nach Treu und Glauben im Rahmen dessen zu halten, was zur Beseitigung der Beeinträchtigung erforderlich und für den Schuldner zumutbar ist (BGH, a.a.O. – Ethofumesat; Busse/Kaess, a.a.O. Rn. 11). In der Entscheidung des Bundesgerichtshofes „Ethofumesat“ war der Anspruch auf ein Verwertungsverbot der gewonnen Prüfergebnisse gerichtet. In der Entscheidung des Landgerichts Düsseldorf „Antihistamine“ wurde der Patentverletzerin die Ausführung von Bestellungen untersagt. Im Falle eines durch patentverletzende Handlungen erzielten Zeitvorsprungs für den Wettbewerb nach Patentablauf kann nach Benkard (Benkard/Rogge/Grabinski, Patentgesetz, 10. Aufl. § 139 PatG Rn. 38 mit Verweis auf Brodeßer, a.a.O.) die Beseitigung des Zeitvorsprungs verlangt werden. Wie diese Beseitigung des Zeitvorsprungs erreicht werden kann, ob durch konkrete Maßnahmen der Störungsbeseitigung oder durch eine generelle Unterlassung, wird nicht gesagt.
115Dass die von den Beklagten während der Laufzeit des Klagepatentes vorgenommenen patentverletzenden Handlungen einen solchen Anspruch nach sich ziehen, ist nicht zu erkennen und kann den Darlegungen der Klägerin auch nicht entnommen werden. Denn dass eine Störung durch die vor Ablauf der Schutzdauer des Klagepatentes erfolgte Benutzung bis zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung besteht und fortwirkt, vermag die Kammer nicht festzustellen.
116So stützt die Klägerin ihre Argumentation zunächst auf den Umstand, dass die Beklagten bereits während der Laufzeit des Klagepatentes die angegriffene Ausführungsform in einem über das Versuchsprivileg hinausgehenden Umfang hergestellt haben, um ihren Pflichten nach § 52 b AMG nachzukommen, nämlich eine angemessene und kontinuierliche Bereitstellung des Arzneimittels sicherzustellen, damit der Bedarf der Patienten gedeckt ist. Dass die während der Laufzeit des Klagepatentes rechtswidrig hergestellten Mengen der angegriffenen Ausführungsform noch im Verkehr sind, mithin noch zu einem fortdauernden Störungszustand beitragen, kann jedoch nicht festgestellt werden. Die Klägerin hat zu diesem Umstand keine konkreten Tatsachen vorgetragen. Es wird nicht verkannt, dass die Klägerin keinen Einblick in Geschäftsinterna der Beklagten wie Herstellungsmengen und –zeiten sowie Vertrieb der angegriffenen Ausführungsform hat. Die Schwierigkeit entsprechende Angaben zu machen entbindet dennoch nicht von konkreten Darlegungen. Dass die Klägerin schlechterdings außerstande ist Angaben zu machen, ist nur schwer vorstellbar. Gerade die Klägerin als ein im Arzneimittelsektor tätiges und forschendes Unternehmen müsste über detaillierte Kenntnisse zu den Abläufen bei Markteintritt eines neuen Arzneimittelproduktes verfügen. Die Klägerin selbst bzw. ihre Tochtergesellschaft, die F, vertreibt mit den Produkten G und HG-CSF-Polypeptide, so dass ihr Angaben jedenfalls zu eigenen Herstellungsabläufen und –zeiten sowie Haltbarkeitsdaten ohne weiteres möglich sind. Möglicherweise könnten entsprechende Daten auch, was der Kammer nicht bekannt ist, den für den Pharmabereich öffentlich zugänglichen Datenbanken entnommen werden. Die Tatsache, dass von der während der Laufzeit des Klagepatentes bereits hergestellten angegriffenen Ausführungsform noch eine Störung ausgeht, kann auch nicht als unstreitig angesehen werden. Die Beklagten haben zwar die Existenz entsprechender Chargen nicht bestritten. Sie haben indes bestritten, dass noch ein andauernder Störungszustand besteht. In Ermangelung eines konkreten Tatsachenvortrages der Klägerin bedurfte es auch eines konkreten Bestreitens der Beklagten nicht.
117Auch der weitere Vortrag der Klägerin, dass die Beklagten auf Grund ihres vorzeitigen Markteintritts Vorteile beim Abschluss langfristiger Verträge erworben hätten, vermag mangels Vorliegens konkreter Tatsachen das Fortbestehen eines Störungszustandes nicht begründen. NUB-Anträge (Neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden), auf welche sich die Klägerin bezieht, werden jeweils bis zum 31. Oktober für das jeweilige folgende Jahr gestellt. Die NUB-Verträge bieten den Vertragsparteien im Gesundheitssektor die Möglichkeit, zeitlich befristete Vergütungen für noch nicht mit Fallpauschalen sachgerecht abgerechnete neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden (sog. NUB-Entgelte) zu vereinbaren. Diese so vereinbarten Entgelte besitzen eine Gültigkeit von einem Jahr und gelten jeweils individuell für das beantragende Krankenhaus. Bis Ende Oktober 2013 haben 242 Krankenhäuser einen NUB-Antrag für die angegriffene Ausführungsform für 2014 gestellt. Bei diesen Anträgen müssen nach den Ausführungen der Klägerin u.a. Informationen über die zu erwartende Anzahl zu behandelnder Patienten sowie über die damit verbundene Änderung der entstehenden Kosten, d.h. insbesondere über den zu erwartenden Preis, von den Krankenhäusern angegeben werden. Diese Informationen liegen den Krankenhäusern über die Angaben der Beklagten vor. Zu diesen Informationen waren die Beklagten einzig auf Grund ihres vorzeitigen, vor Ablauf des Klagepatentes erfolgten Markteintritts in der Lage. Hätten die Beklagten mit dem Vertrieb der angegriffenen Ausführungsform erst im Jahr 2014 begonnen, wären die Krankenhäuser, welche NUB-Anträge bis 31. Oktober 2013 gestellt haben, nicht in die Lage versetzt mit dem Sozialleistungsträger entsprechende Vereinbarungen zu schließen. Dass die NUB-Anträge jedoch zugunsten der Beklagten beschieden werden, ist nicht abzusehen. Auch ist nicht zu erkennen, dass selbst bei Abschluss entsprechender Vereinbarungen von 242 Krankenhäusern mit den Sozialleistungsträgern die spezialgesetzlichen Regelungen des Patentgesetzes nicht ausreichen, um die Beeinträchtigung der Rechte der Klägerin wirksam auszugleichen. Dass ein Schadensersatzanspruch etwaige NUB-Vereinbarungen nicht kompensiert, ist nicht dargetan worden.
118Soweit die Klägerin weiterhin darauf verweist, dass sich die Beklagten durch die vorzeitige Herstellung und den Vertrieb der angegriffenen Ausführungsform einen Vorsprung verschafft hätten, welcher vorzeitig ein Konkurrenzprodukt geschaffen habe, so dass ein Eingriff in ihre Gestaltungsfreiheit erfolgt sei, so ist fraglich, ob dies einen Störungszustand begründet, dem mit einem Beseitigungsanspruchs zu begegnen ist. Denn jeder Markteintritt eines Konkurrenzproduktes beinhaltet einen Eingriff in die Gestaltungsfreiheit, da das eigene Produkt nunmehr einer Konkurrenzlage ausgesetzt ist, welche unter anderem zu einem Preisdruck für das eigene Produkt führen kann. Dass dies vorliegend unter Missachtung der Schutzrechtslage geschehen ist, führt zu keiner anderen Beurteilung. So kann bereits nicht festgestellt werden, dass der Markteintritt der angegriffenen Ausführungsform eine Herabsetzung des Arzneimittelabgabepreises für die Produkte der Klägerin bedingte. Überdies stellt das Regelungssystem des Patentgesetzes der Klägerin Kompensationsansprüche zur Verfügung. Dass diese nicht ausreichen, ist nicht zu erkennen. Soweit die Klägerin auch andere Fallgestaltungen als einen Preisdruck unter einem Eingriff in die Gestaltungsfreiheit verstanden wissen will, ist entsprechendes nicht vorgetragen worden.
119Da mithin bereits nicht festgestellt werden kann, dass von dem vorzeitigen Markteintritt der Beklagten noch Störungen ausgehen, sieht sich die Kammer auch nicht in der Lage, wie von der Klägerin als „minus“ zur Unterlassung begehrt, eine konkrete Maßnahme zur Beseitigung auszusprechen.
120IV.
121Es besteht weder Veranlassung zur Aussetzung des Rechtsstreits im Hinblick auf die von der Beklagten zu 1) erhobene Nichtigkeitsklage noch vor dem Hintergrund der Vindikationsklage vor dem Landgericht München I.
1221.
123Im Hinblick auf die gegen das Klagepatent erhobene Nichtigkeitsklage besteht keine Veranlassung zur Aussetzung gemäß § 148 ZPO.
124Nach der Auffassung der Kammer (Mitt. 1988, 91 – Nickel-Chrom-Legierung, BlPMZ 1995, 121 – Hepatitis-C-Virus), die auch vom Oberlandesgericht Düsseldorf (GRUR 1979, 188 – Flachdachabläufe) und vom Bundesgerichtshof (GRUR 1987, 284 – Transportfahrzeug) vertreten wird, stellen ein Einspruch gegen das Klagepatent oder die Erhebung der Nichtigkeitsklage als solche noch keinen Grund dar, den Verletzungsrechtsstreit auszusetzen, da dies faktisch darauf hinauslaufen würde, dem Angriff auf das Klagepatent eine dem Patentschutz hemmende Wirkung beizumessen, die dem Gesetz fremd ist (§ 58 Abs. 1 PatG). Die Interessen der Parteien sind vielmehr gegeneinander abzuwägen.
125Die Aussetzung kommt danach in Betracht, wenn entweder das prozessuale Verhalten der Klägerin eindeutig ihre Interessen hinter die der Beklagten zurücktreten lässt und/oder mit überwiegender Wahrscheinlichkeit ein Widerruf oder eine Vernichtung des Klagepatents zu erwarten ist. Letzteres wiederum kann regelmäßig dann nicht angenommen werden, wenn der dem Klagepatent am nächsten kommende Stand der Technik bereits im Erteilungsverfahren berücksichtigt worden ist oder wenn neuer Stand der Technik lediglich belegen soll, dass das Klagepatent nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht, sich jedoch auch für eine Bejahung der Erfindungshöhe, die von der wertenden Beurteilung der hierfür zuständigen Instanzen abhängt, zumindest noch vernünftige Argumente finden lassen.
126Trotz Ablaufes der Schutzdauer des Klagepatentes besteht kein Anlass von dem vorstehend beschriebenen Maßstab der überwiegenden Wahrscheinlichkeit der Vernichtung des Klagepatentes abzuweichen (a.A. LG Mannheim, Beschl. v. 27. Mai 2011, 7 O 65/120, BEckRS 2012, 02785; Benkard/Rogge/Grabinski, PatG, 10. Aufl. § 139 PatG Rn. 107). Zwar steht ein auf Art. 64 EPÜ, § 139 PatG basierender in die Zukunft gerichteter Unterlassungsanspruch nicht mehr im Raum, so dass nicht im Wege der Aussetzung nach § 148 ZPO eine Suspendierung des dem Patentinhaber durch die Patenterteilung vom Staat auch für Gerichte bindend verliehenen Verbotsrechts für eine erhebliche Zeitspanne erreicht würde. Dennoch rechtfertigt der vorliegende Sachverhalt eine Beibehaltung des Maßstabes einer hohen Wahrscheinlichkeit der fehlenden Rechtsbeständigkeit. Die Klägerin macht gestützt auf § 1004 BGB analog einen Unterlassungsanspruch geltend. Voraussetzung eines solchen Beseitigungsanspruchs ist, wie ausgeführt, das Vorliegen eines über die Laufzeit des Schutzrechtes hinaus wirkenden Störungszustandes. Ob ein solcher Störungszustand gegeben ist, beurteilt sich im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung. Würde nunmehr auf Grund des Umstandes, dass die Schutzdauer des Klagepatentes abgelaufen ist, eine Aussetzung unter geringeren Maßstäben angenommen, würde dem Patentinhaber die Geltendmachung eines Beseitigungsanspruches nach § 1004 BGB analog faktisch verwehrt, da ein andauernder Störungszustand nach Abschluss eines Nichtigkeitsverfahrens mit ganz überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht mehr begründet werden könnte.
127Dass in dem zwischen den Parteien geführten einstweiligen Verfügungsverfahren, 4c O 84/13, bereits Zweifel am Rechtsbestand des Verfügungsgrundes ausgereicht haben, um einen solchen zu verneinen, während in dem vorliegenden Hauptsacheverfahren eine überwiegende Wahrscheinlichkeit der Vernichtung des Klagepatentes von den Beklagten dargelegt werden muss, ist dem Umstand geschuldet, dass bekanntermaßen die Anforderungen an die Darlegung des Rechtsbestandes eines Patentes im einstweiligen Verfügungsverfahren und einem Hauptsacheverfahren unterschiedlich verteilt sind.
128Hiervon ausgehend vermag die Kammer eine überwiegende Wahrscheinlichkeit der Vernichtung des Klagepatentes im Nichtigkeitsverfahren vor dem Bundespatentgericht auf Grund der Einwände der fehlenden Neuheit, erfinderischen Tätigkeit, Ausführbarkeit und der unzulässigen Erweiterung nicht festzustellen.
129a)
130Vor dem Hintergrund des Einwands der Neuheit machen die Beklagten geltend, dass die EP L (Anlage NK 14, deutsche Übersetzung Anlage NK 15 zur Anlage B 2, nachfolgend Anlage NK 14/15), die WO M (Anlage NK 44, deutsche Übersetzung Anlage NK 45 der Anlage B 21, nachfolgend Anlage NK 44/45) und die EP NA2 (Anlage NK 16, deutsche Übersetzung Anlage NK 17 zur Anlage B 2, deutsche Übersetzung Anlage KS 4 zur Anlage HL 15, nachfolgend Anlage NK 16) die Lehre nach dem Klagepatent neuheitsschädlich vorwegnehmen würden, da eine Nacharbeitung der in den Entgegenhaltungen beschriebenen Versuche zu einem Produkt führen würde, welches den Gegenstand der Lehre nach dem Klagepatent neuheitsschädlich vorwegnehmen würde.
131Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wie derjenigen des Europäischen Patentamtes, dass, wenn ein bestimmter Stoff nicht ausdrücklich genannt ist, eine Offenbarung sich nicht aus gedanklichen Schlussfolgerungen, z.B. über den Inhalt einer Mischung herleiten lässt (vgl. BGH, GRUR 2010, 123 - Escitalopram; EPA T 296/87; T 1046/97). Auch sind durch die Mitteilung eines Begriffs (z.B. einer allgemeinen Strukturformel) die darunter fallenden einzelnen Verbindungen als solche nicht neuheitsschädlich offenbart. Um sie dem Fachmann im Sinne einer Neuheitsprüfung an die Hand zu geben, bedarf es in der Regel weitergehender Informationen insbesondere zu ihrer Individualisierung (BGH, GRUR 2009, 382 – Olanzapin).
132Die Rechtsprechung lässt jedoch auch eine Offenbarung aus dem Ergebnis der Nacharbeitung eines vorveröffentlichten Versuchs am Prioritätstag zu.
133Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (GRUR 2000, 296 –Schmierfettzusammensetzung) ist die Neuheit eines chemischen Stoffes dann gegeben, wenn er vor dem Zeitrang der Anmeldung der Öffentlichkeit nicht zugänglich gemacht worden war. Zugänglich ist der Stoff, wenn er so konkret beschrieben ist, dass ein Fachmann ihn ohne weiteres der Beschreibung entnehmen und herstellen kann. Durch die Beschreibung eines Herstellungsverfahrens sind der Fachwelt diejenigen Kenntnisse zugänglich gemacht, die beim Nacharbeiten unmittelbar und zwangsläufig offenbart werden (BGH, NJW 1988, 3207 – Neuheit einer chemischen Verbindung; BGH, NJW 1980, 1280 – Terephtalsäure). Auch die Zugänglichkeit eines Stoffes auf Basis der Nacharbeitung eines vorveröffentlichten Beispiels setzt nach der Rechtsprechung des Europäischen Patentamtes (T 793/93) voraus, dass das zwangsläufige Ergebnis der Nacharbeitung und damit das spezifische Ergebnis eines solchen vorveröffentlichten Beispiels jenseits jeden vernünftigen Zweifels liegt. Wahrscheinlichkeitsüberlegungen hinsichtlich dessen, was das mögliche Produkt sein könnte, wenn man der beschriebenen Offenbarung und den Instruktionen eines vorveröffentlichen Beispiels folgt, sind unzulässig. Um die Neuheit zu verneinen, muss daher nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ein Stoff entweder konkret beschrieben sein oder sich bei der Nacharbeitung der dargestellten Lehre unmittelbar und zwangsläufig ergeben. Gleiches gilt nach der Rechtsprechung des Europäischen Patentamtes.
134Soweit die Beklagten zur Frage des anzuwendenden Maßstabes auf die Entscheidung „Gelomyrtol“ (GRUR, 2013, 51) des Bundesgerichtshofs verweisen, findet diese vorliegend keine Anwendung. Nach den Ausführungen des Bundesgerichtshofes in der Entscheidung „Gelomyrtol“ kommt es für die Neuheit eines Stoffs oder einer Zusammensetzung darauf an, ob der Stoff oder die Bestandteile der Zusammensetzung allgemein verfügbar sind oder jedenfalls der Fachmann in der Lage ist, den Gegenstand des Patentes mit Hilfe seines Fachwissens und –könnens in die Hand zu bekommen. Es könne, so der Bundesgerichtshof, dahinstehen, ob es dazu bereits genügt, dass ein erfindungsgemäßer Gegenstand auf dem Markt erhältlich ist, wie dies bei dem Produkt Gelomyrtol forte der Fall war. Denn jedenfalls genüge es, wenn ein solcher Gegenstand von Fachmann analysiert und ohne unzumutbaren Aufwand reproduziert werden kann. Bei einer nicht ohne weiteres identifizierbaren komplexen Zusammensetzung reiche es hierfür aus, wenn der Fachmann eine überschaubare Anzahl plausibler Hypothesen über die mögliche Beschaffenheit der Zusammensetzung entwickeln könne, von denen sich eine mit ihm zur Verfügung stehenden Mitteln analysieren lasse. Ein in jeder Hinsicht eindeutiges Ergebnis, das jede denkbare Zusammensetzung mit Sicherheit ausschließe, sei dazu nicht erforderlich. Es reiche aus, dass für den Fachmann keine vernünftigen Zweifel an dem Ergebnis seiner Analyse bestehen.
135Mit einer solchen Fallkonstellation ist der vorliegende Sachverhalt nicht vergleichbar. Denn das Produkt Gelomyrtol forte, welches Gegenstand der genannten Entscheidung des Bundesgerichtshofes war, war seit Jahren auf dem Markt und seit seiner Zulassung durch das Bundesamt für Arzneimittel bekannt als ein Gemisch aus 66 % Eukalyptusöl, 32 % Orangen(schalen)öl, 1 % Myrtenöl und 1 % Zitronenöl. Dem Fachmann war auch bekannt, dass nur wenige Öle α-Pinen, Limonen und 1,8-Cineol als Hauptbestandteile enthalten. Insbesondere wusste der Fachmann auf Grund seines allgemeinen Fachwissens, dass Eukalyptusöl als Hauptbestandteil 1,8-Cineol und als Nebenkomponente hauptsächlich α-Pinen enthält und dass Orangenöl zu über 90 % aus Limonen besteht. Weiterhin war ihm bekannt, dass Eukalyptusöl traditionell zur Behandlung von Atemwegserkrankungen Verwendung findet. Der Fachmann hatte daher Veranlassung zu der Hypothese, dass Gelomyrtol forte Eukalyptus- und Orangenöl enthält. Auf Basis dieses Wissens war ihm daher die Identifizierung der die Hauptkomponenten darstellenden ätherischen Öle ohne unzumutbaren Aufwand möglich.
136Gleiches gilt im vorliegenden Fall nicht. Denn der Fachmann verfügte zum Prioritätszeitpunkt weder über Kenntnisse über die Möglichkeit einer ortspezifischen PEGylierung von G-CSF-Polypeptiden noch waren ihm am CD- oder AB-Loop PEGylierte G-CSF-Polypeptide aus dem Stand der Technik bekannt, so dass der Fachmann bereits nicht über eine überschaubare Anzahl plausibler Hypothesen verfügte. Insoweit kommt es daher um die Neuheit der Erfindung nach dem Klagepatent in Frage zu stellen, nicht auf eine einfache Analyse und Reproduzierung ohne unzumutbaren Aufwand an. Vielmehr muss, wie dargestellt, die chemische Verbindung das unmittelbare und zwangsläufige Ergebnis der Nacharbeitung bilden.
137Dies ist vorliegend nicht überwiegend wahrscheinlich.
138aa)
139Die Entgegenhaltung Anlage NK14/15 offenbart, dass PEG kovalent über Aminogruppen (Beispiele 1 bis 3) oder Carboxylgruppen (Beispiel 4) an ein Polypeptid, genauer G-SCF, gebunden werden können. Soweit in den Beispielen 1 bis 3 eine PEGylierung von Aminogruppen beschrieben wird, ist dies für die vorliegende Frage der neuheitsschädlichen Vorwegnahme der Lehre nach dem Klagepatent ohne Relevanz, da freie Aminogruppen – wie zwischen den Parteien unstreitig – weder im AB-Loop noch im CD-Loop vorhanden sind. Entsprechend kommt daher nur eine Offenbarung der erfindungsgemäßen Lehre über das Beispiel 4 – PEGylierung von Carboxylgruppen – in Betracht.
140Die Beklagten machen vor dem Hintergrund der Offenbarung der Entgegenhaltung geltend, dass es zu erwarten sei, dass die Bindung des PEG überall dort erfolge, wo die Carboxylgruppen der Glutaminsäure zugänglich seien, nämlich Glu123 und Glu124 im CD-Loop. Die Beklagten haben das Beispiel nicht nachgearbeitet. Auf Grund des Vorhandenseins von zwölf weiteren Carboxylgruppen stellt eine PEGylierung am CD-Loop kein zwingendes Ergebnis dar.
141Carboxylgruppen werden über die Aminosäuren Asparaginsäure und Glutaminsäure sowie den C-Terminus zur Verfügung gestellt. Die SEQ NO: 2 zeigt in Pos. 123 und 124, d.h. im CD-Loop, zwei Glutaminsäurereste auf. Weitere Glutamin- und Asparaginsäurereste sind vorhanden, insgesamt gibt es 14 Positionen, wie auch die Anlage KS 5 zur Anlage HL 15 zeigt, nämlich Glu20, Asp28, Glu34, Glu46, Glu47, Glu94, Glu99, Asp105, Asp110, Asp113, Glu123, Glu124, Glu163 und die C-terminale Carboxylgruppe.
142In Beispiel 4 beschreibt die Entgegenhaltung wie die PEGylierung von Carboxylgruppen durchzuführen ist. Menschliches G-CSF und aktiviertes PEG mit dem 60-fachen des Molaren der Anzahl der freien Carboxylgruppen des menschlichen G-CSFs wurden in Gegenwart von 0,05 M 1-Ethyl-3-(3-dimethylaminopropyl)carbodiimid (EDC) bei Raumtemperatur über Nacht inkubiert. Die Reaktion wurde durch Zugabe von 1 M Natriumacetat (pH 4,75) abgebrochen und weiter bei 25° C in Gegenwart von 0,5 M Hydroxylamin für 5 Stunden inkubiert, um Tyrosinreste zu regenerieren. Das resultierende Produkt wurde mit Gelchromatographie auf TSK G3000SW unterzogen, das mit 10 mM Natriumacetat (pH 5,5) äquilibriert worden war, um den mit PEG modifizierten menschlichen G-CSF von nicht-umgesetztem menschlichen G-CSF und Reagenz abzutrennen. Das Molekulargewicht der Produkte wies folgende Verteilung auf: 27 K (70 %), 35 K (20 %) und 42 K (10 %). Zwischen den Parteien unstreitig weist ein Molekulargewicht von 27 K auf eine einfache PEGylierung von G-CSF hin, wobei über das Ergebnis einer einfachen PEGylierung des G-CSF-Polypeptids nicht der Schluss auf den Ort der PEGylierung gezogen werden kann, da mittels SDS-PAGE keine Auftrennung von im Molekulargewicht identischen Positionsisomeren erfolgt.
143Wenn man den Streitpunkt der Parteien außer Acht lässt, dass im Beispiel 4 keine konkreten Angaben zur Verfahrensführung gemacht werden, kann nicht festgestellt werden, dass bei einer Nacharbeitung der Versuchsbeschreibung eine PEGylierung zwangsläufig am CD-Loop des G-CSF-Polypeptids erfolgt. Solches ergibt sich weder anhand der in der Entgegenhaltung erfolgten Messungen zur biologischen Aktivität des PEGylierten Reaktionsproduktes noch anhand von Überlegungen zur Zugänglichkeit der Carboxylgruppen der Aminosäuren im G-CSF-Polypeptid.
144Die Beklagten schließen eine PEGylierung des G-CSF-Polypeptids am CD-Loop aus den Ergebnissen der im Beispiel 6 untersuchten biologischen Aktivität des aus Beispiel 4 erhaltenen Produktes. Danach wurden ICR-Mäuse für in-vivo-Tests auf pharmakologische Aktivität des aus Beispiel 4 erhaltenen PEGylierten G-CSF-Polypeptids verwendet. Proben des intakten menschlichen G-CSFs und des Produktes aus Beispiel 4 wurden den Mäusen intravenös injiziert. 24 Stunden nach der Injektion wurde Blut aus der Orbitalvene entnommen und die Neutrophilenzahl gezählt. Danach ist festgestellt worden, dass das gemäß Beispiel 4 erhaltene PEGylierte-G-CSF die Neutrophilenzahl um 2,1 gegenüber 1,4 des intakten menschlichen G-CSF erhöht hat.
145Beispiel 6 zeigt jedoch nur, dass eine Erhöhung der biologischen Aktivität des Reaktionsproduktes aus Beispiel 4 zu nicht PEGyliertem G-CSF eingetreten war. Die bestimmte Aktivität zeigt aber nur, dass Moleküle mit einer gewissen Aktivität in der Mischung über einen gewissen Zeitraum vorhanden waren. Dies lässt keinen Schluss auf die Spezies zu, welche die Aktivität hervorgerufen hat und wie diese ausgestaltet ist. Der gemessene biologische Effekt kann ebenso auf eine PEGylierung am C-Terminus oder einer anderen frei zugänglichen reaktiven Carboxylgruppe in den G-CSF-Helices zurückzuführen sein. Denn auch die Anheftung von PEG an unvorteilhaften Orten des Proteins kann zu einem PEGylierten Produkt führen, das auf Grund der Erhöhung der Verweildauer in in vivo Assays bessere Ergebnisse liefert als das nicht PEGylierte Produkt. Denn auch die PEGylierung an unvorteilhaften Stellen kann einen Angriff von Proteasen, welche das Polypeptid abbauen, erschweren.
146Die in Beispiel 6 beschriebenen Ergebnisse der biologischen Aktivität des carboxyPEGylierten Produktes sind im Vergleich zu den im Beispiel 7 beschriebenen Ergebnissen für das aminoPEGylierte G-CSF auch vergleichsweise gering. Im Beispiel 6 zeigte das carboxyPEGylierte G-CSF einen Wert von 2,1 im Vergleich zu 1,5 für nichtPEGyliertes G-CSF. Das aminoPEGylierte G-CSF aus Beispiel 7 wies eine Erhöhung der Neutrophilenanzahl um 12,9 gegenüber 2,2 auf. Diese in Beispiel 6 gezeigte vergleichsweise relativ geringe Erhöhung für carboxyPEGyliertes G-CSF lässt vermuten, dass selbst wenn die Verweildauer von G-CSF möglicherweise erhöht worden ist, die spezifische biologische Aktivität auf Grund der PEG Anheftung verringert und PEG möglicherweise nicht im CD-Loop angeheftet war. Die (geringe) Erhöhung des biologischen Effektes ist daher möglicherweise viel zu gering, um die Annahme zu rechtfertigen, dass die Erhöhung der Neutrophilenzahl das Ergebnis eines am CD-Loop PEGylierten G-CSF-Polypeptids ist. Die geringe Erhöhung der Aktivität kann daher auch auf G-CSF-Polypeptide zurückzuführen sein, die an anderer Stelle PEGyliert waren.
147Es wird nicht verkannt, dass das in Beispiel 7 untersuchte aminoPEGylierte G-CSF-Polypeptid PEG mit einem Molekulargewicht von 10.000 Da aufwies. Dass nur auf Grund dieses Umstandes die biologische Aktivität gegenüber der in Beispiel 6 untersuchten biologischen Aktivität des carboxyPEGylierten G-CSF stark erhöht war, ist jedoch nicht zu erkennen. Hierfür spricht jedenfalls, dass bei den in Tabelle 2 gezeigten Untersuchungen zur biologischen Aktivität von aminoPEGylierten G-CSF-Produkten mit einem PEG-Molekulargewicht von 4.500 Da, mithin einem zum Beispiel 4/6 (4.000 Da) vergleichbaren Molekulargewicht, die Neutrophilenzahl um 3,1 gegenüber 1,7 erhöht war, mithin nahezu vergleichbar zu den Ergebnissen der Untersuchung aus Beispiel 6. Die vergleichbar geringe Erhöhung der biologischen Aktivität in den Beispielen 5 und 6 könnte daher den Schluss zulassen, dass das Reaktionsprodukt des Beispiels 4 nicht am CD-Loop PEGyliert wurde. Denn auch das Reaktionsprodukt des Beispiels 5 verfügte nicht über eine PEGylierung im CD- oder AB-Loop, da sich weder im AB-Loop noch im CD-Loop freie Lysingruppen befinden, die hätten PEGyliert werden können, was zwischen den Parteien unstreitig ist.
148Dass die gemessene Erhöhung der Neutrophilen das Ergebnis einer PEGylierung am CD-Loop sein muss, kann daher nicht festgestellt werden. Denn dazu müsste feststehen, dass PEGylierungen an anderen Stellen im Molekül zu keiner Erhöhung der Neutrophilen führen können, was nicht der Fall ist. Denn das Produkt Gder Klägerin, bei welchem eine PEGylierung am N-Terminus vorliegt, weist biologische Aktivität auf.
149Für eine zwangsläufige PEGylierung des CD-Loops des G-CSF-Polypeptids mittels der in Beispiel 4 beschriebenen Anleitung sprechen auch nicht die Reaktivitäten der Carboxylgruppen sowie deren Zugänglichkeit. Zugänglich dürfte eine Mehrzahl der Carboxylgruppen im G-CSF-Molekül sein, wie insbesondere die Abb. 2a der Anlage KS 5 zur HL 15 zeigt. Danach stehen neben Glu123 und Glu124 sowohl die Carboxylgruppe des C-Terminus wie auch die Carboxylgruppen der Asparaginsäure, die sich in den A- und B- Helices befinden, nach Aktivierung durch EDC für eine PEGylierung zur Verfügung. Die durchschnittlichen pKs-Werte für die Carboxylgruppen verschiedener Aminosäuren in verschiedenen Proteinen werden in Grimsley et al., Protein Science 18:247-251, 2009 (Anlage KS 19, deutsche Übersetzung KS 19a zur Anlage HL 15) wiedergegeben. Danach beträgt der durchschnittliche pKs-Wert der Carboxylgruppe am C-Terminus 3,3 +/- 0,8, der Carboxylgruppe der Asparaginsäure 3,5 +/1 1,2 und der Carboxylgruppe der Glutaminsäurereste 4,2 +/- 0,9, wobei konkrete Angaben zum G-CSF-Polypeptid fehlen.
150So kann bereits eine PEGylierung am C-Terminus nicht ausgeschlossen werden. Dies folgt zunächst aus dem Umstand, dass die Carboxylgruppe des C-Terminus den niedrigsten pKs-Wert aufweist und damit die höchste Reaktivität mit EDC zeigt. Hinzu tritt die nach der Priorität der Klagepatentes erfolgte Erkenntnis, dass der C-Terminus nicht Bestandteil einer der beiden Rezeptorbindungsstellen ist, so dass eine Veränderung des C-Terminus nicht notwendigerweise einen Ausschluss der biologischen Aktivität bedingt. Abs. [0063] des Klagepatentes steht dem nicht entgegen. Denn dort wird lediglich ausgeführt, dass eine Deletion von elf Aminosäuren zu einer Reduzierung der biologischen Aktivität führt. Dass eine PEGylierung des C-Terminus einer Deletion von 11 Aminosäuren gleich steht, kann nicht festgestellt werden. Denn in Abs. [0140] wird auch ausgeführt, dass Veränderungen am C-Terminus einen geringen Effekt auf die biologische Aktivität hatten. Veränderungen und Deletion scheinen nach Ansicht der Klagepatentes mithin nicht das gleiche zu bedeuten. Auch beschreibt das Klagepatent auf Seite 28 in Tabelle 5, dass ein Austausch der Aminosäuren Gln174 durch Ala174 und Arg170 durch Ala170 zu keiner Herabsetzung der biologischen Aktivität führt, woraus der Schluss gezogen werden kann, dass nicht jede Veränderung am oder in der Nähe des C-Terminus zu einer Veränderung der biologischen Aktivität führt, so dass auch eine PEGylierung am C-Terminus nicht zwangsläufig zu einer Herabsetzung oder einem Ausschluss der biologischen Aktivität führen muss. Gegen eine PEGylierung des C-Terminus spricht auch nicht zwingend eine Veröffentlichung von (ehemaligen) Mitarbeitern der Klägerin Herman et al., Characterization, Formulation, and Stability of Neupogen (Filgrastim), a Recombinant Human Granulocyte-Colony Stimulating Factor, Formulation, Characterization and Stability of Protein Drugs, 1996 (Anlage NK 50, deutsche Übersetzung Anlage NK 50a zur Anlage B 24). Diese führen zunächst mit einem Hinweis auf O and Boone, Biochemistry and Structure of Filgrastim (r-metHuG-CSF), Filgrastim (r-metHuG-CSF) in Clinical Practice, 1994 (Anlage NK 51, deutsche Übersetzung Anlage NK 51a zur Anlage B 24) aus, dass die Reste 165 bis 175 Teil der Rezeptorbindungsstelle sind und beschrieben weiter mit einem Verweis auf eine Druckschrift von Cunningham and Wells, 1989, dass Mutationen am C-Terminus zu einem Ausschluss der biologischen Aktivität führen. Ob diese Angabe auf eigenen Untersuchungen beruht oder auf der genannten Veröffentlichung, ist nicht zu erkennen. Insoweit mag sich die Ansicht auch mit dem Umstand erklären lassen, dass zum Prioritätszeitpunkt die Ansicht vorherrschte (Layton et al., Identification of a Functional Domain of Human Granulocyte Colony-stimulationg Factor Using Neutralizing Monoclonal Antibodies, The Journal of Biological Chemistry, Vol. 266, S. 23815-23823, 1991, Anlage NK 20, deutsche Übersetzung Anlage NK 21 zur Anlage B 2), dass der C-Terminus Bestandteil der Rezeptorbindungsstelle ist, was sich später als unzutreffend herausgestellt hat. Layton et al. nahmen insoweit an (Seite 23829 f. sowie Fig. 11 der Anlage NK 20 zur Anlage B 2), dass der C-Terminus Bestandteil der Rezeptorbindungsstelle ist. Auf diese Veröffentlichung verweist auch die Druckschrift O and Boone (Anlage NK 51 zur Anlage B 24, Seite 28). Dort wird ausgeführt, dass neuere Studien, die die Daten aus Epitop-Kartierungen verwenden, darauf hindeuten, dass die Rezeptorbindungsstellen von Filgrastim zwischen Resten 20 und 56 liegt. Diese Region bestehe aus dem C-Terminus von Helix A, der ersten Disulfidschleife und einem Teil von Helix E. Diese Ansicht hat sich indes als unzutreffend erwiesen, da der C-Terminus nicht Bestandteil der Rezeptorbindungsstelle ist, so dass die Angaben von Herman et al. nicht zur Begründung eines Ausschlusses der biologischen Aktivität bei Mutationen am C-Terminus herangezogen werden können.
151Auch eine PEGylierung der Carboxylgruppen der Asparaginsäure kann nicht ausgeschlossen werden. Die Carboxylgruppen der Asparaginsäuren sind so orientiert, dass sie für einen Angriff zur Verfügung stehen, da sie nicht innerhalb der Helices angeordnet sind (vgl. Abb. 2a und 2b der Anlage KS 5 zur Anlage HL 15). Sie befinden sich in den Positionen Asp28 (Helix A), Asp105, Asp110 und Asp113 (insgesamt Helix C). Eine entsprechende PEGylierung könnte möglicherweise nur dann verneint werden, wenn eine Anheftung von PEG zu einer Destabilisierung der Helix und damit möglicherweise der gesamten Molekülstruktur des G-CSF führt mit der Folge einer biologisch inaktiven Molekülverbindung. Entsprechendes kann nicht den Abs. [0041] und [0043] des Klagepatentes entnommen werden. In den genannten Absätzen beschreibt das Klagepatent lediglich, dass sich die Loops, welche die Helices verbinden, für Veränderungen eignen. Dem kann im Umkehrschluss nicht entnommen werden, dass Veränderungen an anderer Stelle wie den Helices schlichtweg ausgeschlossen sind, da entsprechende Veränderungen zur Instabilität der Helices führen und damit die biologische Aktivität herabsetzen oder ausschließen. Es befinden sich auch nicht alle Asparaginsäurereste in oder im Bereich der Rezeptorbindungsstelle. Im Klagepatent wird in Tabelle 5 ein Austausch von Asp110 und Asp113 durch Alanin beschrieben, was zu einem Ausschluss bzw. einer Verminderung der biologischen Aktivität führte. Dies lässt sich damit erklären, dass sich Asp110 und Asp113 in der Nähe der Rezeptorbindungsstelle befinden wie ein Vergleich der Anlage KS5 zur Anlage HL 15 mit Layton et al., The interaction of G-CSF with ist receptors, Frontieres in Bioscience 11, S. 3181 -3189, 2006 (Anlage KS 16 zur Anlage HL 15, Fig. 1 B auf Seite 3182) zeigt. Ebenso führte ein Austausch von Asp28 durch Ala28 zu einer Reduzierung der biologischen Aktivität (Tabelle 5 des Klagepatentes). Dass dies auch für Asp 105 gilt, kann nicht festgestellt werden, da Asp105 von Asp28, Asp110 und Asp113 entfernter angeordnet ist, wie Anlage KS 5 zur Anlage HL 15 zeigt. Mutationsversuche an dieser Stelle beschreibt das Klagepatent nicht.
152Ob eine PEGylierung der außerhalb des CD-Loops befindlichen Glutaminsäurereste ausgeschlossen werden kann, kann letztlich offen bleiben. Diese befinden sich im Bereich der Rezeptorbindungsstellen der Aminosäuren 20 bis 57 und 145 bis 17 (Klagepatent Abs. 0152). In diesen beiden Abschnitten befinden sich Glu20, Glu34, Glu46 und Glu47 sowie Glu163. Glu94 und Glu95 befinden sich im BC-Loop. Ob dieser Bereich für die Aktivität relevant ist, wie die Beklagten in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, so dass eine PEGylierung dort nicht erfolgt sein kann, kann offenbleiben. Denn für ein zwangsläufiges Ergebnis der Nacharbeitung muss ausgeschlossen werden können, dass weder eine PEGylierung am C-Terminus noch einer der Asparaginsäuren noch weiterer Glutaminsäuren erfolgt ist. Dass dies der Fall sein kann, ist nicht ersichtlich.
153Dass es sich bei den weiteren Endprodukten des Beispiels 4 um ein mehrfach PEGyliertes G-CSF mit einer PEGylierung auch am CD-Loop handeln könnte, kann auch nicht mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt werden. Denn hierbei kann es sich auch um quervernetzte G-CSF-Moleküle handeln. Selbst wenn insoweit G-CSF-Moleküle gebildet worden wären, welche an weiteren Stellen PEGyliert wurden, gibt es keinen konkreten Anhaltspunkt, dass dann eine PEGylierung am AB- oder CD-Loop erfolgt ist.
154Im Ergebnis ist daher nicht feststellbar, dass die im Beispiel 4 beschriebene PEGylierungsreaktion selektiv erfolgt, und zwar in der Weise, dass eine der beiden Glutaminsäuren am CD-Loop PEGyliert wurde. Etwas anderes folgt auch nicht anhand der Ausführungen des Prüfers des Europäischen Patentamtes im Erteilungsverfahren. Mit Mitteilung vom 5. September 2011 (Anlage NK 49, deutsche Übersetzung NK 49a zur Anlage B 24) teilte der Prüfer in Bezug auf die Druckschriften D1 und D5, welche eine PEGylierung von G-CSF mit mPEG beschreiben mit, dass es keinen Grund gebe nicht anzunehmen, dass einige der modifizierten G-CSF, die in D1 und D5 offenbart würden, ihr PEG auf einem externen Loop haben, da PEG willkürlich an das Molekül angehängt werden könne, wenn auch bevorzugt an Lysin. An dieser Ansicht wurde offensichtlich nach den Ausführungen der Patentinhaberin mit Schreiben vom 13. Dezember 2011 (Anlage NK 39, deutsche Übersetzung NK 40 zur Anlage B 2) nicht mehr festgehalten. Denn darin wurde ausgeführt, dass die freien Aminosäuren sich entweder an dem N-Terminus des Polypeptids oder an einem der vier Lysinreste an den Aminosäurepositionen 17, 24, 35 und 41 befinden. Die Lysinreste kommen jedoch in der Region vor, welche die A-Helix und die AB-Helix umfasst, mithin nicht im AB-Loop oder CD-Loop.
155bb)
156Es kann auch nicht mit der gebotenen überwiegenden Wahrscheinlichkeit festgestellt werden, dass der in Beispiel 8 der Anlage NK 44/45 beschriebene Versuch zwangsläufig zu einem Produkt entsprechend der Lehre nach dem Klagepatent führt.
157In Beispiel 8 der Entgegenhaltung der Anlage NK 44/45 wird das Anhängen des mPEG-Hydrazid-Derivats an Carbodiimid-aktivierte Carboxylgruppen von G-CSF beschrieben. Beispiel 8 umfasst die Verwendung von EDC-basierter Kopplungschemie, d.h. die Aktivierung der Carboxylgruppen am G-CSF durch 1-Ethyl-3-(3-Dimethylaminopropyl-)Carbodiimid (EDC) und die darauffolgende Reaktion der auf diese Weise aktivierten Gruppen mit dem mPEG-Hydrazid-Derivat (Beispiel 1). Die PEGylierungsreaktion wird in Beispiel 8 genauer beschrieben. Konkret wird in Beispiel 8 beschrieben, wie das mPEG-β-Alaninhydrazid, welches gemäß dem Beispiel 1 hergestellt wurde, einer Lösung von G-CSF, gefolgt von EDC hinzugefügt wird. Die Reaktionsmischung wurde vorsichtig bei 25°C für 90 Minuten gerührt, während der pH bei ungefähr 4,7 bis 5,0 gehalten wurde. Überschüssige Reagenzien wurden durch sorgfältige Diafiltration der Reaktionslösung bei 4°C gegen 1 mM HCl entfernt. Ein GF-HPLC-Vergleich des PEG-Konjugats mit nativen G-CSF wurde unter Verwendung einer Zorbax GF-450-Säule durchgeführt, dessen Ergebnisse in Fig. 4 der Entgegenhaltung beschrieben sind. Die mobile Phase war 0,2 M Phosphatpuffer bei pH 7,5. Fig. 4 zeigt PEG-Konjugat 7 mit einem im Vergleich zu nativem G-CSF 8 wesentlich erhöhten Molekulargewicht. Die durchschnittliche Anzahl von mPEG-Teilen in dem PEG-G-CSF war 5,8, wie durch Messung der Menge von beta-Alanin bestimmt wurde. Ein TNBS-Assay bestätigte weiterhin, dass sowohl natives als auch PEG-modifiziertes G-CSF die gleiche Anzahl von Aminogruppen hatten, was darauf hinweist, dass die EDC-aktivierten Carbonsäuregruppen des Proteins nicht mit den Aminogruppen des Proteins reagiert haben. Die Herstellung von mPEG-G-CSF gab vier einzelne Banden auf SDS-PAGE im Bereich von 29.000 bis 67.000 Da. Isoelektrische Fokussierung des mPEG-G-CSF führte zur Aufteilung der sechs Banden mit pI’s zwischen 6,8 und 9,0. Das weist nach Ansicht der Autoren der Entgegenhaltung, darauf hin, dass das Protein als Ergebnis der Konjugation mit den Peptid-Carbonsäuregruppen ohne Quervernetzung der aktivierten Carbonsäuregruppen mit den Peptid-Aminogruppen basischer wurde.
158Die Beklagten haben die in Beispiel 8 beschriebene Versuchsdurchführung unter Leitung von Frau Dr. R nacharbeiten lassen (vgl. Erklärung gemäß Anlage B 30, deutsche Übersetzung Anlage B 30a). Die Versuchsdurchführung wurde als Anlage B 30/30a/CD2a sowie die Untersuchung des Produktes als Anlage B 30/30a/CD3a vorgelegt. Frau Dr. R führt in der Zusammenfassung der Versuchsbeschreibung selbst aus, dass Abweichungen in der Versuchsdurchführung vorgenommen wurden (Anlage B 30a Ziff. 16). So wurde in Beispiel 1 Phosgen zur Vorbereitung des mPEG-Chlorformiats als Teil der Synthese von mPEG-β-Alanin-Hydrazid verwendet. Dr. R synthetisierte damit ein alternatives Zwischenprodukt. Das in Dichlormethan gelöste mPEG reagierte mit p-Nitrophenylchlorformiat und wasserfreiem Pyridin zu mPEG-Nitrophenylchlorformiat als Zwischenprodukt. Dieses wurde dann zur Synthese von mPEG-β-Alanin-Hydrazid verwendet. Weiterhin wurde mPEG mit einem durchschnittlichen Molekulargewicht von 5.000 Da verwendet, während in Beispiel 1 der Entgegenhaltung ein mPEG (5.000 Da) von Union Carbide verwendet wurde, welches heute nicht mehr erhältlich ist. Das PEGylierte G-CSF-Produkt wurde zur Analyse an MScan, ein unabhängiges Institut, übersandt, um zu bestimmen, ob die PEGylierung an den beiden Glutaminsäureresten 122 und 123 erfolgt ist. Dr. R meint, dass die Ergebnisse auf eine am Fragment M2 erfolgte Modifikation hinweisen. Das Fragment M2 soll die Reste 122 bis 126 des G-CSF-Polypeptids umfassen. Der M2-Peptidabbau lässt nach Ansicht von Dr. R darauf schließen, dass ca. 94 % des G-CSF an den Glutaminsäureresten 122 und 123 PEGyliert wurden.
159Ein Vergleich der im Beispiel 8 beschriebenen Versuchsdurchführung mit derjenigen, welche von Dr. R vollzogen wurde, zeigt weitere Abweichungen:
160Die Autoren der Entgegenhaltung beenden in Beispiel 8 die PEGylierung des G-CSF durch Diafiltration bei 4°C. Dadurch können Ausgangsstoffe, wie EDC und PEG, die nicht miteinander reagiert haben, von dem PEGylierten Produkt abgetrennt werden. Dr. R beendete die Reaktion, wie die Beklagten in der mündlichen Verhandlung vorgetragen haben, durch Temperaturabsenkung auf 4°C. Eine Diafiltration erfolgte indes nicht. Im Gegensatz dazu wurde eine PD-10-Entsalzungssäule verwendet. Eine PD-10-Entsalzungsäule ist eine kurze Größenauftrennungssäule, die lediglich Spezies mit niedrigem Molekulargewicht von Spezies mit hohem Molekulargewicht entfernt. Sie unterscheidet nicht zwischen Molekülen mit hohem Molekulargewicht und trennt PEGyliertes Protein nicht von nicht reagiertem mPEG-β-Alaninhydrazid ab. Als Puffer zur Umpufferung wurde von Dr. R Natriumacetat verwendet; in Beispiel 8 der Entgegenhaltung erfolgt die Diafiltration gegen ungepufferte 1mM HCl. Auch erfolgte die Umpufferung bei Raumtemperatur.
161Dass diese Abweichungen für das Versuchsergebnis ohne Relevanz sind, vermag die Kammer nicht zu entscheiden. Die Klägerin hat bestritten, dass eine Nacharbeitung des Beispiels 8 der Entgegenhaltung zwangsläufig zu einem Produkt führt, welches den Gegenstand der Erfindung nach dem Klagepatent vorwegnimmt.
162So ist bereits fraglich, ob die Nacharbeitung auf Grund der zu Beispiel 1 vorgenommenen Abweichung bei der Herstellung von mPEG-β-Alaninhydrazid, unter Verwendung von p-Nitrophenylchlorformiat und wasserfreiem Pyridin statt Phosgen zu dem übereinstimmenden Produkt mPEG-β-Alaninhydrazid führt, welches dann zur Durchführung der im Beispiel 8 beschriebenen Reaktion verwendet wurde. Eine Analytik des Produktes wurde insoweit nicht vorgenommen. Es steht daher nicht fest, dass der von Dr. R gewählte dreistufige Prozess zu einer kompletten Umwandlung in das gewünschte Produkt geführt hat. Es wurde zwar eine 1H-NMR-spektroskopische Untersuchung vorgenommen. Mit Hilfe dieser Technik kann jedoch nicht die Anzahl der β-Alanin-Hydrazidgruppen bestimmt werden. Beispiel 1 der Entgegenhaltung offenbart demgegenüber eine Analyse des Produktes mittels eines kolorimetrischen Assays der Hydrazidgruppen unter Verwendung von TNBS. Der β-Alaningehalt wurde durch Aminosäureanalyse des hydrolysierten Aliquots des Produktes bestimmt. Eine 13C-NMR-Spektrospopie wurde weiterhin durchgeführt. In Ermangelung entsprechender Nachweise kann daher bereits nicht mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt werden, dass das Ausgangsprodukt des Beispiels 8, mPEG-β-Alaninhydrazid demjenigen entspricht, welches in der Entgegenhaltung eingesetzt wurde.
163Es kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass das Fehlen der Diafiltration zu unterschiedlichen Ergebnissen geführt hat. Mangels einer Diafiltration hätten die Reaktionen zwischen aktivierten Carboxylresten im G-CSF und mPEG-β-Alaninhydrazid während und nach der Reinigung an der PD-10-Säule weiterlaufen können, was zu unterschiedlichen Ergebnissen der Reaktionsprodukte hätte führen können. Zwar mag, was sich aus der Beschreibung der von Dr. R durchgeführten Versuche nicht ergibt, diese eine Temperaturabsenkung auf 4°C vorgenommen haben, wie die Beklagten in der mündlichen Verhandlung vorgetragen haben. Ob eine solche Temperaturabsenkung einer Reaktionsbeendigung mittels Diafiltration gleichsteht, vermag die Kammer nicht zu beurteilen. Dagegen spricht, dass in der Versuchsbeschreibung nach Beispiel 8 die Diafiltration bei 4°C durchgeführt wurde; neben der Diafiltration wurde daher noch eine Temperaturabsenkung als erforderlich angesehen.
164Hinzukommt, dass im Gegensatz zu den in Beispiel 8 beschriebenen Analysen des Reaktionsproduktes diese von Dr. R nicht vorgenommen wurden. Dr. R nahm lediglich eine Auftrennung des Reaktionsproduktes mittels SDS-PAGE vor, welche jedoch nur eine grobe Auftrennung der Proteine oder Protein-Konjugate auf Grund unterschiedlicher Molekulargewichte vornimmt. Eine weitergehende Aufklärung wie in Beispiel 8, bei welchem die durchschnittliche Anzahl von mPEG ebenso bestimmt wurde wie die Anzahl von Aminogruppen sowie die Bestimmung des isoelektrischen Punktes fehlen. Diese mögen zwar für eine Identifizierung des Reaktionsproduktes nicht zwingend erforderlich sein. Gerade über die Bestimmung der Aminogruppen könnte jedoch gezeigt werden, dass eine Reaktion der Aminogruppen nicht erfolgt ist.
165Entsprechendes hat auch Herr Dr. S, welcher einer der Erfinder der Entgegenhaltung ist, in seiner Erklärung vom 24. August 2014 (Anlage HL 25, deutsche Übersetzung HL 25a) ausgeführt. In einer Erklärung vom 1. September 2014, welche von den Beklagten in der mündlichen Verhandlung überreicht wurde, nimmt Dr. R zu einzelnen Kritikpunkten, welche von Dr. S geäußert wurden, Stellung. Die Kammer vermag nicht beurteilen, ob mit der weiteren Stellungnahme von Dr. R den geäußerten Kritikpunkten die Grundlage entzogen wird. Mit diesen Fragen wird sich das fachkundig besetzte Bundespatentgericht auseinander setzen. Das Ergebnis einer solchen Auseinandersetzung kann die Kammer naturgemäß nicht vorwegnehmen. Jedenfalls kann nicht festgestellt werden, dass die Einwendungen haltlos sind.
166Ob die Bildung von PEGylierter Glu123 und Glu124 daher die zwangsläufige Folge bei Durchführung des in Beispiel 8 beschriebenen Versuches ist, steht nicht fest, da die Versuchsdurchführung nicht vollständig derjenigen des Beispiels 8 entspricht. Auf Grund dieser Abweichungen bei der Versuchsdurchführung kann daher auch nicht festgestellt werden, dass das im Rahmen der massenspektroskopischen Untersuchungen gefundene Ergebnis nach Anlage CD 3a tatsächlich dem entspricht, was nach Durchführung des Beispiels 8 erhalten worden wäre.
167Soweit die Beklagten weiterhin auf das Gutachten (Anlage NK 46 zur Anlage B 21) der österreichischen Patentprüfer Bezug nehmen, welche ausführen, dass die Offenbarung der Entgegenhaltung nach Anlage NK 44/45 der Lehre nach dem Klagepatent entgegensteht, gründet die dort getroffene Annahme auf Vermutungen. Eigene Untersuchungen haben die Patentprüfer nicht vorgenommen. Gleiches gilt für die Erklärung von Herrn Dr. T vom 20. September 2013 (Anlage NK 48 zur Anlage B 24).
168Zweifel gegen eine zwangsläufige Offenbarung eines am CD-Loop PEGylierten G-CSF durch die beiden vorstehend beschriebenen Entgegenhaltungen Anlage NK 14/15 und Anlage NK 44/45 begründet auch der Umstand, dass die Versuchsbeschreibungen zu unterschiedlichen Ergebnissen führen. Das Reaktionsprodukt des Beispiels 4 der Anlage NK 14 führte zu 70 % zu einem einfach PEGylierten G-CSF, während Beispiel 8 der Anlage NK 44/45 zu einer 5,8-fachen PEGylierung führte. Beide Reaktionen wurden mittels EDC durchgeführt, einem reaktiven organischen Reagenz. Insoweit könnte möglicherweise erwartet werden, dass die Reaktionsprodukte im Hinblick auf ihren PEGylierungsgrad im Wesentlichen übereinstimmen, was jedoch nicht der Fall ist.
169cc)
170Auch die Anlage NK 16 steht der Lehre nach dem Klagepatent nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit neuheitsschädlich entgegen. Insoweit haben beide Parteien eine deutsche Übersetzung vorgelegt. Nachfolgend wird auf die deutsche Übersetzung nach Anlage KS 4 zur Anlage HL 15 Bezug genommen.
171Die Entgegenhaltung offenbart pharmazeutische Zusammensetzungen mit kontinuierlicher Abgabe, die mit wasserlöslichen Polymeren kovalent gebundene Polypeptide enthalten. Natives G-CSF wird auf Seite 5 unter der Überschrift „Polypeptide“ beschrieben. In dem Unterkapitel A.1.1 werden Derivate des natürlich vorkommenden G-CSF beschrieben, bei welchen einzelne Aminosäuren ausgetauscht wurden. Im Kapitel A.2 unter der Überschrift „Wasserlösliches Polymer“ wird u.a. PEG als kovalent mit dem Polypeptid konjugiertes wasserlösliches Polymer beschrieben. Auf Seite 12 Zeilen 1 ff. wird beschrieben, dass Polypeptide mit dem Polymer über eine freie Aminogruppe, eine Kohlenhydrateinheit des Proteins oder freie Sulfhydrylgruppen konjugiert werden können. Insoweit werden bekannte Kopplungsmöglichkeiten genannt. Auf Seite 12 Zeilen 7 ff. wird weiter beschrieben, dass ein Verfahren zur Herstellung eines „(wie hierin definierten)“ G-CSF-Polypeptids bereitgestellt wird, das mit einem Polyethylenglykol kovalent konjugiert ist.
172Die Entgegenhaltung enthält keine spezifische Offenbarung einer Konjugation über eine Kohlenhydratstruktur an G-CSF mit der SEQ ID No:2. Das in den Ausführungsbeispielen verwendete G-CSF aus E.choli trägt nach der Expression keine Kohlenhydratkette mehr. Zwar wird auf Seite 12 Zeilen 1 ff. eine kovalente Konjugation auch über eine Kohlenhydratgruppierung beschrieben. Diese Beschreibung steht jedoch nicht im Zusammenhang mit G-CSF mit der SEQ ID NO: 2. Das vorhergehende Kapitel A.1 „Polypeptide“ befasst sich vorrangig mit G-CSF Mutanten.
173Der Fachmann müsste daher, um zu dem erfindungsgemäßen Gegenstand zu gelangen, mehrere Schritte vollziehen und eine Auswahl vornehmen. Er müsste zunächst ein Polypeptid aus der im Kapitel A.1. genannten Liste von Polypeptiden auswählen und hieran anschließend auch G-CSF mit der SEQ ID NO: 2 wählen. Weiterhin müsste PEG aus der Liste der möglichen wasserlöslichen Polymere gewählt werden, eine Glykosylierung einem so gewählten G-CSF zugefügt und eine Auswahl im Hinblick auf eine Konjugationsmethode getroffen werden, nämlich eine Konjugation über eine Kohlenhydrateinheit. Eine solche mehrfache Auswahl steht im Widerspruch zu der Entscheidung „Olanzapin“ des Bundesgerichtshofes (GRUR 2009, 382).
174b)
175Es bestehen auch keine durchgreifenden Zweifel an der erfinderischen Tätigkeit der Erfindung nach dem Klagepatent. Denn dass sich für die Bejahung einer erfinderischen Tätigkeit keine vernünftigen Erwägungen mehr feststellen lassen, ist nicht zu erkennen.
176Geht man von der Offenbarung der NK14/15 als nächstliegendem Stand der Technik aus, so offenbart diese, wie bei der Erörterung der Neuheit bereits ausgeführt, die Bereitstellung von PEG-modifizierten G-CSF-Proteinen. Humanes G-CSF, einschließlich der Aminosäuresequenz des humanen Wildtyp-G-CSF, als zu modifizierendes Protein wird genannt. Ferner offenbart die Entgegenhaltung die Bindung eines PEG an das G-CSF über einen Spacer. Für die kovalente Bindung des PEG wird sowohl eine PEGylierung der Carboxylgruppen (Beispiel 4) als auch eine PEGylierung von Aminogruppen (Beispiele 1) beschrieben. Insgesamt werden neben einer PEGylierung der Carboxylgruppen der Glutaminsäure und Asparaginsäure sowie der C-terminalen Carboxylgruppe eine PEGylierung von Lysin sowie des N-terminalen Aminosäurerestes offenbart.
177Es ist bereits fraglich, ob ein Fachmann Anlass gehabt hätte, die mit Beispiel 4 erhaltenen Reaktionsprodukte weiter zu untersuchen. Denn der Fachmann hätte erkannt, dass die Beispiele 5 und 7 der Entgegenhaltung zeigen, dass eine PEGylierung von freien Aminogruppen zu einer höheren biologischen Aktivität führt als die PEGylierung von Carboxylgruppen, wie dies nach Beispiel 4 erfolgt ist. Freie Aminogruppen, welche nach Beispiel 1 PEGyliert und nach den Beispielen 5 und 7 untersucht wurden, befinden sich weder im CD-Loop noch im AB-Loop. Denn Lysin, welches über eine freie Aminogruppe verfügt, ist weder im AB- noch im CD-Loop vorhanden. Der Fachmann wäre daher aufgrund der verbesserten Daten für die PEGylierung von Aminogruppen eher veranlasst gewesen weitere Untersuchungen im Zusammenhang mit einer PEGylierung von Aminogruppen durchzuführen. Denn die für die PEGylierten Carboxylgruppen gefundenen Ergebnisse führen den Fachmann angesichts der deutlich schlechteren experimentellen Daten von solchen Untersuchungen weg. Dem steht nicht entgegen, dass der Fachmann auch erkannt hätte, dass im G-CSF-Polypetid 14 Carboxylgruppen für eine PEGylierung zur Verfügung stehen Gegensatz zu insgesamt 5 Aminogruppen des Lysins und des N-Terminus. Denn dem Fachmann wäre auch bewusst gewesen, dass es sich bei der PEGylierung um eine unselektive Reaktion handelt, welche in Abhängigkeit von der Wahl des Aktivierungsreagenzes sehr reaktiv ist.
178Selbst wenn er sich darüber hinweggesetzt hätte, ist nicht überwiegend wahrscheinlich, dass er über die von den Beklagten geltend gemachten zu kombinierenden Druckschriften zur Lehre nach dem Klagepatent gelangt wäre.
179Eine Kombination von Anlage NK 14 mit Zink et al., Secondary Structur of human granulocyte colony-Stimulating factor derived from NMR spectroskopy, FEBS, Vol 314, 435-439 (Anlage NK 18, deutsche Übersetzung Anlage NK 19 der Anlage B 2, nachfolgend NK 18) erwähnt eine PEGylierung von G-CSF nicht und offenbart auch nicht die Tertiärstruktur des G-CSF-Polypeptids, also die räumliche Anordnung der Aminosäuren. Die Anlage NK 18 lehrt nicht, dass der CD-Loop als Region für eine Anheftung von großen chemischen Einheiten von G-CSF für eine kovalente Verknüpfung von großen chemischen Einheiten wie PEG geeignet sein könnte. NK 18 beschreibt vielmehr die Sekundärstruktur von G-CSF. Damit enthält die NK 18 keine Informationen über die dreidimensionale Struktur von G-CSF. Am Ende der Veröffentlichung wird beschrieben, dass sich Windungen an Resten 66-70, 129-131. 133-137 und 139 bis 143 finden lassen. Diese Angaben geben keinen Aufschluss über die Loops, wie sie vom Klagepatent offenbart werden. Die Verteilung der Helices und Turnregionen/Windungen zeigt nicht, wie diese Regionen in der Tertiärstruktur angeordnet sind. Der Fachmann wäre daher, wenn man einen Anlass zu weiteren Untersuchungen auf Grund der Offenbarung der Anlage NK 14 unterstellt, auch in Kombination mit der Anlage NK 18 nicht zum Gegenstand der Erfindung nach dem Klagepatent gelangt.
180Auch eine Kombination der Anlage NK 14/15 mit Layton et al., Identification of a Functional Domain of Human Granolycyte Colony-Stimulating Factor Using Neutralizing Monoclonal Antibodies, J. Biol. Chem., Vol. 266, S. 23815 (Anlage NK 20, deutsche Übersetzung Anlage NK 21 zur Anlage B 2, nachfolgend Anlage NK 20) legt die Erfindung nicht nahe. Hinsichtlich des Offenbarungsgehaltes der Anlage NK 14/15 kann auf die vorstehenden Ausführungen verwiesen werden. Die Anlage NK 20 lehrt nicht, dass die CD-Loop Region für eine Anheftung von großen chemischen Einheiten von G-CSF für eine kovalente Verknüpfung von großen chemischen Einheiten wie PEG geeignet sein könnte. Anlage NK 20 beschreibt weder eine PEGylierung noch eine Proteinmodifikation. Die Anlage NK 20 zeigt vielmehr auf Grundlage von Antikörperbindungsexperimenten (Epitopkartierung) Informationen über eine Beteiligung von Regionen des G-CSF an der Rezeptorbindung. Anlage NK 20 zeigt zwar in Figur 11, welche koloriert auf Seite 63 der Klageerwiderung (Bl. 211 GA) wiedergegeben ist, eine Tertiärstruktur. Diese stimmt aber nicht mit den tatsächlichen Gegebenheiten überein wie sie im Klagepatent wiedergegeben sind. So ist u.a. die Orientierung der Helix D umgekehrt. Auf Grund der falschen Orientierung sind der N-Terminus und der C-Terminus entgegengesetzt angeordnet, während sie tatsächlich an derselben Seite positioniert sind. Die einzige Rezeptorbindungsstelle wird in Fig. 11 der Anlage NK 20 auch fälschlich angegeben, wie ein Vergleich der Fig. 11 der Anlage NK 20 mit der Anlage KS 6 zur Anlage HL 15 zeigt. Überdies weist das G-CSF Polypeptid zwei Rezeptorbindungsstellen auf. Selbst wenn der Fachmann daher einen Anlass gehabt haben sollte ausgehend von der Anlage NK 14/15 weitere Untersuchungen anzustellen, wäre er in Kombination mit der Anlage NK 20 nicht zum Gegenstand der Erfindung gelangt. Denn soweit die Anlage NK 14/15 lehrt, dass freie Carboxylgruppen am C-Terminus sowie von Asparaginsäure- und Glutaminsäureresten zur Verfügung gestellt werden, lehrt Anlage NK 20, dass der C-Terminus an der Rezeptorbindung beteiligt ist. Der Fachmann hätte daher auf Basis dieser in Anlage NK 20 getroffenen Annahmen erkannt, dass eine PEGylierung die Gefahr in sich birgt, dass die Anheftung von PEG an die Carboxylgruppe des C-Terminus erfolgt.
181Entsprechend der Ausführungen zur Anlage NK 14/15 bietet auch die Offenbarung der NK 44/45 keinen Anlass geeignete Orte für PEGylierungen zu identifizieren. Anlage NK 44/45 offenbart neben der Anheftung von PEG an Carboxylgruppen des G-CSF (Beispiel 8) auch die Anheftung von PEG an Kohlenhydrateinheiten am Protein. Eine konkrete Versuchsbeschreibung einer PEGylierung von Kohlenhydrateinheiten des G-CSF enthält die Entgegenhaltung nicht. So werden in den Beispielen 5 bis 7 Ovalbumin und IgG Antikörper über ihre Kohlenhydratstrukturen PEGyliert. Der Fachmann hätte daher ausgehend vom Offenbarungsgehalt der Anlage NK 44/45 Anlass haben müssen, von der in Beispiel 6 beschriebenen PEGylierungsreaktion der Carboxylgruppen des G-CSF abzugehen und eine nicht beschriebene PEGylierungsreaktion von Kohlenhydrateinheiten des G-CSF näher zu untersuchen. Gründe für einen solchen Anlass nennt die Entgegenhaltung nicht, da dort keine Angaben zu biologischen Effekten wie z.B. einer Steigerung der biologischen Aktivität gemacht werden. Daher hätte die Information, dass möglicherweise andere Proteine über ihre Kohlenhydratstrukturen PEGyliert werden können, den Fachmann nicht dazu angeregt, G-CSF über seine Kohlenhydratstruktur zu PEGylieren.
182Auch gegenüber der Anlage NK 16/17 lassen sich vernünftige Argumente für die Zuerkennung der erfinderischen Tätigkeit finden. Anlage NK 16/17 offenbart – wie ausgeführt – keine konkrete Anheftung von PEG an eine Kohlenhydratstruktur des G-CSF. Vielmehr beschreibt Anlage NK 16/17 in einem Beispiel die Verwendung von nicht-glykolysiertem G-CSF. In Bezug auf G-CSF wird die Anheftung von PEG über freie Aminogruppen beschrieben und die Beispiele fokussieren sich auf eine aminoPEGylierung von nicht glykolysiertem G-CSF. Somit bietet Anlage NK 16/17 keine Anregung glykolysiertes G-CSF zu verwenden. Zudem lehrt die Entgegenhaltung G-CSF mit einer oder mehreren Aminosäuremutationen zu verwenden, wodurch der Fachmann von G-CSF-Polypeptiden mit einer Aminosäuresequenz von G-CSD-Polypeptiden gemäß SEQ ID NO: 2 weggeführt würde.
183Auch eine Kombination mit Anlage NK 18/19 oder Anlage NK 20/21 ändert an diesem Ergebnis nichts, da die genannten Entgegenhaltungen keine PEGylierungen zum Gegenstand haben.
184c)
185Die von den Beklagten geäußerten Zweifel an der Ausführbarkeit der Erfindung nach dem Klagepatent begründen eine Aussetzung nicht.
186Die Beklagten führen in diesem Zusammenhang an, dass die beanspruchte Erfindung nicht so ausreichend und vollständig offenbart sei, dass der Fachmann sie ausführen könne. So sei die einzige im Klagepatent offenbarte Möglichkeit zur Anknüpfung von PEG an G-CSF Lysinreste, die in den relevanten Loop-Regionen des G-CSF-Polypeptids nicht vorhanden seien. Zudem könne ein Fachmann eine Anknüpfung im AB- oder CD-Loop nicht bewerkstelligen, ohne gleichzeitig zusätzliche Anknüpfungen innerhalb der Rezeptorbindungsstelle von G-CSF zu erhalten.
187Dass das Klagepatent lediglich eine Anknüpfung von PEG an Lysinreste beschreiben würde, ist nicht der Fall. Die PEGylierung von Lysinresten wird als Beispiel genannt. Zur weiteren Herstellung von PEGylierten G-CSF-Polypeptiden verweist der Klagepatent in Abs. [0126] ausdrücklich auf die Festphasensynthese. Die Herstellung auf diesem Wege ist nicht auf G-CSF-Analoge beschränkt wie Abs. [0126] auch entnommen werden kann.
188Die Beklagten meinen, dass die Festphasensynthese lediglich für die Herstellung kurzer Peptide geeignet sei, insbesondere PEG-G-CSF nicht auf diesem Wege hergestellt werden könne. Soweit die Beklagten zur Begründung ihrer Ansicht auf eine Stellungnahme von Dr. U(Anlage NK 57, deutsche Übersetzung Anlage NK 57a zur Anlage B 24) verwiesen haben, hat die Klägerin zur Stützung ihrer gegenteiligen Auffassung eine gutachterliche Stellungnahme von Herrn Dr. V (Anlage HL 26, deutsche Übersetzung HL 26a) überreicht.
189Ob die Festphasensynthese zur Herstellung PEGylierter G-CSF-Polypeptide geeignet ist, vermag die Kammer auf Grund der gegenteiligen Stellungnahmen der Parteien nicht abschließend zu beurteilen, so dass keine überwiegende Wahrscheinlichkeit der Vernichtung des Klagepatentes wegen mangelnder Ausführbarkeit besteht.
190d)
191Es besteht auch keine überwiegende Wahrscheinlichkeit, dass das Klagepatent wegen unzulässiger Erweiterung vernichtet wird.
192Die Beklagten machen insoweit geltend, dass die ursprüngliche Offenbarung allein auf G-CSF-Analoge mit gegenüber der SEQ ID NO: 2 abweichender Aminosäuresequenz gerichtet sei. Chemische Modifikationen würden zusätzlich an diesen in der Sequenz veränderten Analogen vorgenommen. Zudem fehle es an einer Offenbarung der indirekten Anheftung eines PEG über eine zweite chemische Einheit an einen externen Loop, der als CD-Loop identifiziert sei. Schließlich sei auch die Rangfolge der Anknüpfung nicht offenbart.
193Zur Feststellung einer unzulässigen Erweiterung ist der Gegenstand des Klagepatentes in der verteidigten Fassung mit dem Inhalt der ursprünglichen Unterlagen zu vergleichen. Gegenstand des Klagepatentes ist die durch den geltend gemachten Patentanspruch 1 schutzbeanspruchte Lehre, wobei Beschreibung und Zeichnungen zur Auslegung heranzuziehen sind. Die schutzbeanspruche Lehre darf nicht auf einen Gegenstand gerichtet werden, den die ursprüngliche Offenbarung aus Sicht des Fachmanns nicht zur Erfindung gehörend erkennen lässt (vgl. BGH GRUR 2005, 1023, 1024 – Einkaufswagen II; GRUR 2010, 513, 515 – Hubgliedertor II; BGH GRUR 2011, 1109, 1111 – Reifenabdichtmittel). Wurde das Klagepatent wie im vorliegenden Fall aus einer Patentanmeldung abgezweigt und nimmt deren Anmeldetag in Anspruch, kommt es für die Frage einer unzulässigen Erweiterung letztlich auf den Offenbarungsgehalt der ursprünglichen Patentanmeldung an. Denn nach Art. 123 Abs. 2 EPÜ dürfen Änderungen, die nach Einreichung der Teilanmeldung vorgenommen werden, nicht dazu führen, dass der geänderte Gegenstand über den Inhalt der Teilanmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht; es muss sich daher der Gegenstand der Ansprüche des erteilten Patents aus der Fassung der Teilanmeldung (Beschreibung, Patentansprüche, Zeichnungen) unmittelbar und eindeutig entnehmen lassen, so dass die Frage der unzulässigen Erweiterung anhand der Anmeldung zum Klagepatent (Anlage NK 9, deutsche Übersetzung Anlage NK 10 zur Anlage B 2) zu beurteilen ist. Entsprechende Offenbarungsstellen weist auch die Stammanmeldung des Klagepatentes, die EP E (Anlage NK 27, deutsche Übersetzung Anlage NK 28 zur Anlage B 2) auf.
194Sowohl die Anmeldung zum Klagepatent als auch die Stammanmeldung offenbaren G-CSF-Moleküle, deren Aminosäuresequenz gegenüber dem nativen G-CSF abweicht. Diese Abweichung kann darin bestehen, dass Aminosäurereste durch andere Aminosäuren substituiert oder deletiert oder aber chemisch modifiziert werden. Der Begriff der Abweichung ist daher nicht auf eine geänderte Abfolge von Aminosäureresten beschränkt, sondern erfasst auch chemische Veränderungen einer Aminosäure in einer im Übrigen unveränderten Sequenz von Aminosäuren. Dies folgt aus Abs. [0149] der Anmeldung zum Klagepatent, wo es unter Ziffer 12, dem ursprünglichen Anspruch 12 der Stammanmeldung heißt, dass die Abweichung darin bestehen kann, dass das G-CSF-Analog chemisch modifiziert ist. Ziffer 12, welche als zur Erfindung gehörend anzusehen ist, definiert somit das, was nach der Erfindung als Abweichung von der Aminosäuresequenz zu verstehen ist, nämlich auch eine chemische Modifikation. Dieses Verständnis wird durch verschiedene Offenbarungen bestätigt, nämlich im Hinblick auf die Anmeldung zum Klagepatent, Abs. [0036], Abs. [0091] sowie Seite 6 Zeilen 1 ff. der Stammanmeldung. Der Begriff analog ist daher weit zu verstehen.
195Ziffer 12 von Abs. [0149] der Anmeldung zum Klagepatent sowie Anspruch 12 der Stammanmeldung definieren weiter, dass die Aminosäuren in den Positionen 119 bis 125 geändert sein können. Dass es sich hierbei um einen Tippfehler handelt, statt 125 vielmehr 145 gemeint ist, erschließt sich dem Fachmann auf Grund des Umstandes, dass sich die Angabe 125 an keiner Stelle der weiteren Offenbarung findet. Hingegen wird die Positionsangabe 145 verwendet, um den CD-Loop zu definieren (Abs. [0140] der Anmeldung zum Klagepatent sowie Seite 33 Zeilen 25 f. der Stammanmeldung). Schließlich ist dem Fachmann auch aus technischer Sicht klar, dass der CD-Loop nicht eine Länge von nur sechs Aminosäuren aufweisen kann.
196Auch eine Konjugation mit PEG ist ursprünglich offenbart. Der ursprüngliche Patentanspruch 14 der Stammanmeldung sowie Ziffer 14 desAbs. [0149] der Anmeldung des Klagepatentes beschreiben eine chemische Modifikation durch die Addition eines PEGmoleküls. Anspruch 14 ist ebenso auf Anspruch 12 wie Ziffer 14 auf Ziffer 12 zurückbezogen, so dass als eine Ausführungsform der Erfindung ein G-CSF-Molekül mit abweichender Aminosäuresequenz und PEG im CD-Loop offenbart ist. Auch in der allgemeinen Beschreibung ist offenbart, dass PEG an die externen Loops angebunden sein kann. Diese Anheftung kann indirekt über eine zweite chemische Einheit erfolgen (s. Abs. [0140] der Anmeldung zum Klagepatent sowie Seite 33 Zeilen 25 ff. der Stammanmeldung).
197Eine überwiegende Wahrscheinlichkeit der Vernichtung des Klagepatentes auf Grund der von der Beklagten zu 1) erhobenen Nichtigkeitsklage lässt sich daher nicht feststellen, so dass eine Aussetzung des Rechtsstreits nicht veranlasst ist.
1982.
199Veranlassung zur Aussetzung besteht auch nicht vor dem Hintergrund der von der Beklagten zu 1) vor dem Landgericht München I erhobenen Vindikationsklage. § 148 ZPO sieht insoweit vor, dass das Gericht, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet, anordnen kann, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits auszusetzen ist. Die Anordnung steht im Ermessen des Gerichts. Dieses kann auf eine Pflicht zur Aussetzung reduziert sein, z.B. weil die Voraussetzungen einer Sachentscheidung im vorliegenden Verfahren nicht geklärt werden können. Umgekehrt kann sich eine Aussetzung im Hinblick auf geringe Erfolgsaussichten des anderen Verfahrens und Prozessverzögerung verbieten (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 30. Aufl. § 148 ZPO Rn. 7).
200Letzteres ist vorliegend der Fall. Dass die Vindikationsklage Aussicht auf Erfolg hat, vermag die Kammer nicht festzustellen. Dabei bleibt außer Betracht, dass eine Alleininhaberschaft der Beklagten zu 1) aus abgetretenem Recht bereits nicht zu erkennen ist. Die Kammer vermag jedoch auch nicht festzustellen, dass einem Anspruch auf Mitinhaberschaft, welcher in einem Antrag auf Alleininhaberschaft als Minus enthalten ist, Erfolg beschieden ist. Zur Begründung kann auf die vorstehenden Ausführungen zur Frage der Mitberechtigung der Beklagten verwiesen werden.
201IV.
202Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 1, 269 Abs. 3 ZPO.
203Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.
204Der Streitwert des Rechtsstreits wird auf 13.000.000,00 € festgesetzt. Dabei verteilen sich die Streitwerte auf die Anträge wie folgt:
205Antrag zu I.1. und 2. (Auskunft und Rechungslegung): 1.000.000,- EUR
206Antrag zu II. (Schadensersatzfeststellung): 2.000.000,- EUR
207Antrag zu II.a) (Unterlassung): 7.500.000,- EUR
208Antrag zu II.b) (Entschädigung): 2.500.000,- EUR
(1) Wird das Eigentum in anderer Weise als durch Entziehung oder Vorenthaltung des Besitzes beeinträchtigt, so kann der Eigentümer von dem Störer die Beseitigung der Beeinträchtigung verlangen. Sind weitere Beeinträchtigungen zu besorgen, so kann der Eigentümer auf Unterlassung klagen.
(2) Der Anspruch ist ausgeschlossen, wenn der Eigentümer zur Duldung verpflichtet ist.
(1) Wer entgegen den §§ 9 bis 13 eine patentierte Erfindung benutzt, kann von dem Verletzten bei Wiederholungsgefahr auf Unterlassung in Anspruch genommen werden. Der Anspruch besteht auch dann, wenn eine Zuwiderhandlung erstmalig droht. Der Anspruch ist ausgeschlossen, soweit die Inanspruchnahme aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls und der Gebote von Treu und Glauben für den Verletzer oder Dritte zu einer unverhältnismäßigen, durch das Ausschließlichkeitsrecht nicht gerechtfertigten Härte führen würde. In diesem Fall ist dem Verletzten ein angemessener Ausgleich in Geld zu gewähren. Der Schadensersatzanspruch nach Absatz 2 bleibt hiervon unberührt.
(2) Wer die Handlung vorsätzlich oder fahrlässig vornimmt, ist dem Verletzten zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet. Bei der Bemessung des Schadensersatzes kann auch der Gewinn, den der Verletzer durch die Verletzung des Rechts erzielt hat, berücksichtigt werden. Der Schadensersatzanspruch kann auch auf der Grundlage des Betrages berechnet werden, den der Verletzer als angemessene Vergütung hätte entrichten müssen, wenn er die Erlaubnis zur Benutzung der Erfindung eingeholt hätte.
(3) Ist Gegenstand des Patents ein Verfahren zur Herstellung eines neuen Erzeugnisses, so gilt bis zum Beweis des Gegenteils das gleiche Erzeugnis, das von einem anderen hergestellt worden ist, als nach dem patentierten Verfahren hergestellt. Bei der Erhebung des Beweises des Gegenteils sind die berechtigten Interessen des Beklagten an der Wahrung seiner Herstellungs- und Betriebsgeheimnisse zu berücksichtigen.
(1) Wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jeder Partei zur Hälfte zur Last.
(2) Das Gericht kann der einen Partei die gesamten Prozesskosten auferlegen, wenn
- 1.
die Zuvielforderung der anderen Partei verhältnismäßig geringfügig war und keine oder nur geringfügig höhere Kosten veranlasst hat oder - 2.
der Betrag der Forderung der anderen Partei von der Festsetzung durch richterliches Ermessen, von der Ermittlung durch Sachverständige oder von einer gegenseitigen Berechnung abhängig war.