Landessozialgericht NRW Beschluss, 03. Sept. 2014 - L 11 SF 201/13 EK AS

ECLI:ECLI:DE:LSGNRW:2014:0903.L11SF201.13EK.AS.00
03.09.2014

Tenor

Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.


1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26

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Entscheidungen des Landessozialgerichts, seines Vorsitzenden oder des Berichterstatters können vorbehaltlich des § 160a Abs. 1 dieses Gesetzes und des § 17a Abs. 4 Satz 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialger

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(1) Die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Prozeßkostenhilfe mit Ausnahme des § 127 Absatz 2 Satz 2 der Zivilprozeßordnung gelten entsprechend. Macht der Beteiligte, dem Prozeßkostenhilfe bewilligt ist, von seinem Recht, einen Rechtsanwalt

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(1) Gegen die Entscheidungen der Sozialgerichte mit Ausnahme der Urteile und gegen Entscheidungen der Vorsitzenden dieser Gerichte findet die Beschwerde an das Landessozialgericht statt, soweit nicht in diesem Gesetz anderes bestimmt ist. (2) Pro

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Zivilprozessordnung - ZPO | § 41 Ausschluss von der Ausübung des Richteramtes


Ein Richter ist von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen: 1. in Sachen, in denen er selbst Partei ist oder bei denen er zu einer Partei in dem Verhältnis eines Mitberechtigten, Mitverpflichteten oder Regresspflichtigen steht;2.

Gerichtsverfassungsgesetz - GVG | § 200


Für Nachteile, die auf Grund von Verzögerungen bei Gerichten eines Landes eingetreten sind, haftet das Land. Für Nachteile, die auf Grund von Verzögerungen bei Gerichten des Bundes eingetreten sind, haftet der Bund. Für Staatsanwaltschaften und Finan

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BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL III ZR 355/13 Verkündet am: 21. Mai 2014 Kiefer Justizangestellter als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR: ja GVG § 198 Abs. 6 Nr. 1

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Tatbestand 1 Die Beteiligten streiten über die Höhe des Entschädigungsanspruchs wegen unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens und darüber, ob der Kläger daneben be

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(1) Zuständig für die Klage auf Entschädigung gegen ein Land ist das Oberlandesgericht, in dessen Bezirk das streitgegenständliche Verfahren durchgeführt wurde. Zuständig für die Klage auf Entschädigung gegen den Bund ist der Bundesgerichtshof. Diese Zuständigkeiten sind ausschließliche.

(2) Die Vorschriften der Zivilprozessordnung über das Verfahren vor den Landgerichten im ersten Rechtszug sind entsprechend anzuwenden. Eine Entscheidung durch den Einzelrichter ist ausgeschlossen. Gegen die Entscheidung des Oberlandesgerichts findet die Revision nach Maßgabe des § 543 der Zivilprozessordnung statt; § 544 der Zivilprozessordnung ist entsprechend anzuwenden.

(3) Das Entschädigungsgericht kann das Verfahren aussetzen, wenn das Gerichtsverfahren, von dessen Dauer ein Anspruch nach § 198 abhängt, noch andauert. In Strafverfahren, einschließlich des Verfahrens auf Vorbereitung der öffentlichen Klage, hat das Entschädigungsgericht das Verfahren auszusetzen, solange das Strafverfahren noch nicht abgeschlossen ist.

(4) Besteht ein Entschädigungsanspruch nicht oder nicht in der geltend gemachten Höhe, wird aber eine unangemessene Verfahrensdauer festgestellt, entscheidet das Gericht über die Kosten nach billigem Ermessen.

Ein Richter ist von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen:

1.
in Sachen, in denen er selbst Partei ist oder bei denen er zu einer Partei in dem Verhältnis eines Mitberechtigten, Mitverpflichteten oder Regresspflichtigen steht;
2.
in Sachen seines Ehegatten, auch wenn die Ehe nicht mehr besteht;
2a.
in Sachen seines Lebenspartners, auch wenn die Lebenspartnerschaft nicht mehr besteht;
3.
in Sachen einer Person, mit der er in gerader Linie verwandt oder verschwägert, in der Seitenlinie bis zum dritten Grad verwandt oder bis zum zweiten Grad verschwägert ist oder war;
4.
in Sachen, in denen er als Prozessbevollmächtigter oder Beistand einer Partei bestellt oder als gesetzlicher Vertreter einer Partei aufzutreten berechtigt ist oder gewesen ist;
5.
in Sachen, in denen er als Zeuge oder Sachverständiger vernommen ist;
6.
in Sachen, in denen er in einem früheren Rechtszug oder im schiedsrichterlichen Verfahren bei dem Erlass der angefochtenen Entscheidung mitgewirkt hat, sofern es sich nicht um die Tätigkeit eines beauftragten oder ersuchten Richters handelt;
7.
in Sachen wegen überlanger Gerichtsverfahren, wenn er in dem beanstandeten Verfahren in einem Rechtszug mitgewirkt hat, auf dessen Dauer der Entschädigungsanspruch gestützt wird;
8.
in Sachen, in denen er an einem Mediationsverfahren oder einem anderen Verfahren der außergerichtlichen Konfliktbeilegung mitgewirkt hat.

(1) Wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, wird angemessen entschädigt. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.

(2) Ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, wird vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Hierfür kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß Absatz 4 ausreichend ist. Die Entschädigung gemäß Satz 2 beträgt 1 200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung. Ist der Betrag gemäß Satz 3 nach den Umständen des Einzelfalles unbillig, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen.

(3) Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge). Die Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird; eine Wiederholung der Verzögerungsrüge ist frühestens nach sechs Monaten möglich, außer wenn ausnahmsweise eine kürzere Frist geboten ist. Kommt es für die Verfahrensförderung auf Umstände an, die noch nicht in das Verfahren eingeführt worden sind, muss die Rüge hierauf hinweisen. Anderenfalls werden sie von dem Gericht, das über die Entschädigung zu entscheiden hat (Entschädigungsgericht), bei der Bestimmung der angemessenen Verfahrensdauer nicht berücksichtigt. Verzögert sich das Verfahren bei einem anderen Gericht weiter, bedarf es einer erneuten Verzögerungsrüge.

(4) Wiedergutmachung auf andere Weise ist insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Die Feststellung setzt keinen Antrag voraus. Sie kann in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung ausgesprochen werden; ebenso kann sie ausgesprochen werden, wenn eine oder mehrere Voraussetzungen des Absatzes 3 nicht erfüllt sind.

(5) Eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach Absatz 1 kann frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden. Die Klage muss spätestens sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben werden. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage ist der Anspruch nicht übertragbar.

(6) Im Sinne dieser Vorschrift ist

1.
ein Gerichtsverfahren jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss einschließlich eines Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und zur Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe; ausgenommen ist das Insolvenzverfahren nach dessen Eröffnung; im eröffneten Insolvenzverfahren gilt die Herbeiführung einer Entscheidung als Gerichtsverfahren;
2.
ein Verfahrensbeteiligter jede Partei und jeder Beteiligte eines Gerichtsverfahrens mit Ausnahme der Verfassungsorgane, der Träger öffentlicher Verwaltung und sonstiger öffentlicher Stellen, soweit diese nicht in Wahrnehmung eines Selbstverwaltungsrechts an einem Verfahren beteiligt sind.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Höhe des Entschädigungsanspruchs wegen unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens und darüber, ob der Kläger daneben beanspruchen kann, die unangemessene Dauer feststellen zu lassen.

2

Im Ausgangsverfahren, dessen Überlänge der Kläger rügt, stand die Rückerstattung von Ausbildungsförderung im Streit, die der Kläger für sein Studium der Geowissenschaften von Oktober 2000 bis März 2003 erhalten hatte. Ein erster Rückforderungsbescheid erging im Februar 2003 und belief sich über 13 600 €. Das Studentenwerk P. verlangte die Förderung mit der Begründung zurück, der Kläger habe nicht angegeben, dass er über umfangreiches Vermögen auf einem Bankkonto verfüge. Nach der Zurückweisung seines Widerspruchs erhob der Kläger Ende Juni 2003 Klage vor dem Verwaltungsgericht.

3

Im September 2003 begründete er seine Klage damit, dass das festgestellte Vermögen nicht ihm gehöre, sondern seinem Bruder, für den er es treuhänderisch verwalte. Zudem erweiterte der Kläger seine Klage auf einen zwischenzeitlich ergangenen zweiten Rückforderungsbescheid über 3 500 €. Mitte Januar 2004 nahm das beklagte Studentenwerk schriftlich zu der Klage Stellung. Mit Schreiben vom 3. März 2004 fragte die Berichterstatterin bei den Beteiligten an, ob sie mit einer Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter sowie mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden seien.

4

Mit am 11. und 12. März 2004 bei dem Verwaltungsgericht eingegangenen Schriftsätzen erklärten die Beteiligten ihr Einverständnis mit dieser Verfahrensweise. Der Kläger trug zudem weiter zur Sache vor und kündigte für den Fall, dass das Gericht Zweifel an dem Wahrheitsgehalt seines Tatsachenvortrags haben sollte, mehrere Beweisanträge an. Mit Schreiben vom 17. März 2004 übersandte das Verwaltungsgericht dem Studentenwerk eine Abschrift des Schriftsatzes des Klägers und gab Gelegenheit, innerhalb von sechs Wochen Stellung zu nehmen. Das beklagte Studentenwerk äußerte sich hierauf nicht. Mit am 10. November 2004 bei dem Verwaltungsgericht eingegangenem Schriftsatz wies der Prozessbevollmächtigte des Klägers darauf hin, dass die Beteiligten Anfang März des Jahres "wohl auch aus Beschleunigungszwecken" übereinstimmend einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt hätten. Das Gericht teilte ihm mit, dass nicht absehbar sei, wann mit einer Entscheidung zu rechnen sei. Gleiches gilt für die weiteren Anfragen des Klägers vom 16. Mai 2006 und vom 16. Juli 2007.

5

Mit Beschluss vom 5. Januar 2010 übertrug die Kammer des Verwaltungsgerichts den Rechtsstreit auf den Einzelrichter. Auf die Anfrage, ob Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung bestehe, stimmten die Beteiligten bis Ende Januar 2010 zu. Mit Urteil vom 2. Februar 2010 wies der Einzelrichter die Klage ohne mündliche Verhandlung ab. Sie sei teilweise wegen Versäumung der Widerspruchsfrist unzulässig und teilweise unbegründet. Das vom Kläger behauptete Treuhandverhältnis habe nach Überzeugung des Gerichts nicht bestanden.

6

Gegen das seinem Prozessbevollmächtigten am 23. Februar 2010 zugegangene Urteil beantragte der Kläger die Zulassung der Berufung. Diese ließ das Oberverwaltungsgericht mit Beschluss vom 5. Mai 2011 zu. In der mündlichen Verhandlung am 30. November 2011 wurde der Kläger befragt und sein Bruder als Zeuge vernommen. Mit Urteil vom selben Tag änderte das Oberverwaltungsgericht das Urteil des Verwaltungsgerichts und gab der Klage statt. Das Urteil wurde dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 12. Januar 2012 und dem Beklagten am 19. Januar 2012 zugestellt. Rechtsmittel gegen die Nichtzulassung der Revision wurden nicht eingelegt.

7

Mit der am 4. Januar 2012 zunächst beim Brandenburgischen Oberlandesgericht eingegangenen und von diesem an das Oberverwaltungsgericht weitergeleiteten Klage hat der Kläger die Gewährung einer Entschädigung in Höhe von 6 000 € und die Feststellung begehrt, dass die Verfahrensdauer des Rechtsstreits bei dem Verwaltungsgericht unangemessen war. Er habe über lange Zeit mit der erheblichen Unsicherheit leben müssen, einer für seine Verhältnisse existenzbedrohlichen Forderung von über 17 000 € ausgesetzt zu sein. Das Verwaltungsgericht habe den Rechtsstreit ohne Weiteres innerhalb von ungefähr 20 Monaten und damit bis Februar 2005 entscheiden können. Es habe selbst bereits mit seiner Verfügung vom 3. März 2004 zum Ausdruck gebracht, dass die Sache aus seiner Sicht keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweise und auch keine grundsätzliche Bedeutung habe. Dennoch habe es ab März 2004 keine aktenkundige Tätigkeit entfaltet, um die aus seiner Sicht entscheidungsreife Sache zu fördern. Insgesamt ergebe sich eine nicht zu rechtfertigende Verzögerung von fünf Jahren.

8

Das Oberverwaltungsgericht hat in dem angegriffenen Urteil vom 27. März 2012 die Beklagte verurteilt, an den Kläger 4 000 € zu zahlen und die Klage im Übrigen abgewiesen. Das Verfahren des Klägers habe zwar keine neuen oder komplexen Rechtsfragen aufgeworfen. Auch die Klärung der Tatsachengrundlage sei nicht überdurchschnittlich aufwändig gewesen. Unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles sei die Dauer des erstinstanzlichen Verfahrens aber bis einschließlich September 2006 noch als angemessen anzusehen. Zwar sei die Streitsache jedenfalls im September 2004 erkennbar entscheidungsreif gewesen. Bei Hinzurechnung einer aus Sicht des Klägers unerfreulichen, jedoch noch nicht gegen die vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK entwickelten Maßstäbe verstoßenden Verfahrensdauer von weiteren zwei Jahren erschließe sich, dass die Verfahrensdauer bis September 2006 angemessen und von Oktober 2006 bis Januar 2010 (weitere drei Jahre und vier Monate) unangemessen gewesen sei. Die Verfahrensdauer in der zweiten Rechtsstufe vor dem Oberverwaltungsgericht sei mit ca. zwei Jahren noch angemessen. Das dortige Verfahren sei aber auch nicht so zügig durchgeführt worden, dass damit die Überlänge des erstinstanzlichen Verfahrens teilweise hätte kompensiert werden können. Der Kläger habe neben der Entschädigung keinen Anspruch auf die von ihm begehrte Feststellung der Unangemessenheit. Ein schwerwiegender Fall im Sinne des Gesetzes sei schon deswegen nicht gegeben, weil die Klage aufschiebende Wirkung gehabt habe. Zudem habe der Kläger die ihn treffenden Folgen der Verfahrensdauer mildern können, wenn er die Treuhandabrede mit seinem Bruder aufgehoben und einen weiteren Antrag auf Ausbildungsförderung gestellt hätte.

9

Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG sowie des § 198 Abs. 4 Satz 3 GVG. Er begehrt eine um 2 000 € höhere Entschädigung sowie die Feststellung, dass die Verfahrensdauer vor dem Verwaltungsgericht unangemessen war.

10

Der Beklagte verteidigt das angegriffene Urteil.

11

Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht beteiligt sich an dem Verfahren. Er sei mit dem Bundesjustizministerium der Auffassung, dass das angefochtene Urteil des Oberverwaltungsgerichts - jedenfalls in seiner Begründung - keinen Bestand haben könne. Nach der Gesetzesfassung komme es auf die Umstände des Einzelfalles und nicht auf eine Durchschnittsdauer an. "Angemessen" sei etwas anderes als "durchschnittlich". Im Extremfall könne auch eine durchschnittliche Dauer unangemessen sein.

Entscheidungsgründe

12

Die Revision des Klägers ist begründet. Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts verletzt Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Dem Kläger steht die von ihm geltend gemachte weitere Entschädigung zu (1.). Ebenso ist seinem Begehren zu entsprechen, die unangemessene Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens festzustellen (2.).

13

1. Der Kläger hat einen Anspruch auf Ausgleich seines immateriellen Nachteils in Höhe von weiteren 2 000 €.

14

Der geltend gemachte Anspruch folgt aus § 198 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 9. Mai 1975 (BGBl I S. 1077), zuletzt geändert durch Gesetz vom 7. Dezember 2011 (BGBl I S. 2582). Diese Regelungen sind im Verwaltungsprozess entsprechend anwendbar (§ 173 Satz 2 VwGO). Nach § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG wird angemessen entschädigt, wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet. Der durch eine unangemessene Verfahrensdauer eingetretene immaterielle Nachteil ist nach Maßgabe des § 198 Abs. 2 GVG zu entschädigen.

15

Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Die Dauer des vom Kläger in Bezug genommenen Gerichtsverfahrens (a) war unangemessen (b). Hierdurch hat er einen immateriellen Nachteil erlitten, der nicht auf andere Weise wiedergutgemacht werden kann (c) und in der von ihm geltend gemachten Höhe zu entschädigen ist (d).

16

a) Gerichtsverfahren im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG ist jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss (§ 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG). Bezugsrahmen des vom Kläger geltend gemachten Entschädigungsanspruchs ist danach das gesamte - hier abgeschlossene - verwaltungsgerichtliche Verfahren im Ausgangsrechtsstreit, und zwar vom Zeitpunkt der Klageerhebung bis zum Eintritt der formellen Rechtskraft einer Entscheidung. Erfasst ist hier mithin die Gesamtdauer des Verfahrens vor dem Verwaltungs- und dem Oberverwaltungsgericht (aa), nicht aber das dem Verwaltungsprozess vorausgegangene behördliche Vorverfahren (bb).

17

aa) Bezugsrahmen für die materiell-rechtliche Frage, ob sich die Verfahrensdauer als angemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG darstellt, ist die Gesamtdauer des gerichtlichen Verfahrens, auch wenn dieses über mehrere Instanzen oder bei verschiedenen Gerichten geführt worden ist. Hierfür spricht bereits der Wortlaut des § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG ("Gerichtsverfahren"). Hinweise für eine Trennung zwischen verschiedenen Instanzen oder Gerichten finden sich dort nicht. Gleiches gilt für die Legaldefinition des Gerichtsverfahrens in § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG, die auf den Zeitraum von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens und damit auf die Anhängigkeit des Rechtsstreits bei Gericht abstellt. Ausweislich der Gesetzesbegründung ist auch der Gesetzgeber davon ausgegangen, dass der Bezugspunkt für die Beurteilung der angemessenen Verfahrensdauer grundsätzlich das Gesamtverfahren ist, soweit es - je nach geltend gemachtem Anspruch - in die Haftungsverantwortung des in Anspruch genommenen Rechtsträgers fällt (BTDrucks 17/3802 S. 18 f.). In systematischer Hinsicht wird die Bezugnahme auf das Gesamtverfahren durch den Rückschluss aus § 198 Abs. 3 Satz 5 GVG bestätigt. Danach ist die Erhebung einer erneuten Verzögerungsrüge erforderlich, wenn sich das Verfahren "bei einem anderen Gericht" weiter verzögert. Schließlich wird das vorgenannte Auslegungsergebnis durch die systematische Einbeziehung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Bundesverfassungsgerichts gestützt. Beide Gerichte gehen im Hinblick auf das Recht auf ein Gerichtsverfahren in angemessener Dauer in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass grundsätzlich auf die Gesamtdauer des Verfahrens abzustellen ist (vgl. etwa EGMR, Urteile vom 24. Juni 2010 - Nr. 25756/09 - juris Rn. 21 und vom 30. März 2010 - Nr. 46682/07 - juris Rn. 36; BVerfG, Beschlüsse vom 20. Juli 2000 - 1 BvR 352/00 - NJW 2001, 214 und vom 14. Dezember 2010 - 1 BvR 404/10 - juris Rn. 11 m.w.N.). Gegen die Möglichkeit, die materiell-rechtliche Prüfung auf eine Verfahrensstufe zu begrenzen, spricht vor allem der Umstand, dass eine lange Verfahrensdauer innerhalb einer Stufe gegebenenfalls durch eine zügige Verfahrensführung in einer anderen (höheren) Stufe ausgeglichen werden kann (vgl. etwa EGMR, Urteile vom 7. Januar 2010 - Nr. 40009/04 - juris Rn. 151 und vom 22. März 2012 - Nr. 23338/09, Kautzor/Deutschland - NJW 2013, 1937 ; BVerfG, Beschlüsse vom 20. Juli 2000 a.a.O. und vom 14. Dezember 2010 a.a.O.).

18

Von der Frage des materiell-rechtlichen Bezugsrahmens zu trennen ist die vom Oberverwaltungsgericht offengelassene Frage, ob sich ein Verfahrensbeteiligter darauf beschränken kann, ein über mehrere Instanzen hinweg geführtes Gerichtsverfahren allein bezüglich der Dauer in einer bestimmten Rechtsstufe als überlang anzugreifen und nur hierfür Entschädigung zu verlangen. Diese Frage, die vor dem Hintergrund der Dispositionsmaxime im Ausgangspunkt prozessualer Natur ist, stellt sich hier nicht. Der Kläger hat im Hinblick auf sein Entschädigungsverlangen - anders als hinsichtlich seines Feststellungsbegehrens (siehe dazu unten 2 a) - eine solche Beschränkung nicht vorgenommen.

19

Soweit das Oberverwaltungsgericht angenommen hat, dass in die Dauer eines Gerichtsverfahrens im Sinne von § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG auch der Zeitraum bis zur Zustellung des Urteils oder einer anderen das Verfahren abschließenden Entscheidung einzubeziehen ist, trifft dies zwar zu. Denn unter rechtskräftigem Abschluss des Gerichtsverfahrens im Sinne dieser Vorschrift ist der Eintritt der formellen Rechtskraft einer Entscheidung zu verstehen (vgl. BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 - B 10 ÜG 1/12 KL - juris Rn. 24 m.w.N.). Allerdings kann danach die Dauer des Gerichtsverfahrens über den Zeitpunkt der Zustellung hinausgehen. So liegt es hier. Ein Urteil erwächst nur dann mit der Zustellung in Rechtskraft, wenn es nicht mehr mit Rechtsmitteln anfechtbar ist. Kann die Entscheidung dagegen - wie hier das im Ausgangsrechtsstreit ergangene Urteil des Oberverwaltungsgerichts - noch angefochten werden (vgl. § 132 VwGO), wird sie erst mit Ablauf der Rechtsmittelfrist formell rechtskräftig, so dass auch dieser Zeitraum noch zur Dauer des Gerichtsverfahrens im Sinne von § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG zählt.

20

bb) Das Verwaltungsverfahren und das dem gerichtlichen Verfahren vorausgegangene Vorverfahren bei einer Behörde (Widerspruchsverfahren) sind, wie das Oberverwaltungsgericht zutreffend angenommen hat, nicht Bestandteil des Gerichtsverfahrens im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 und § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG.

21

Die Ausklammerung des Verwaltungs- und Vorverfahrens ist mit der Begrenzung auf das "Gerichtsverfahren" bereits unmissverständlich im Wortlaut des Gesetzes angelegt. Sie entspricht überdies dem Willen des Gesetzgebers, wie er in den Gesetzesmaterialien seinen Ausdruck gefunden hat (vgl. BTDrucks 17/3802 S. 17).

22

Das vorstehende Auslegungsergebnis ist mit Art. 6 und Art. 13 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) in der Fassung vom 22. Oktober 2010 (BGBl II S. 1198) vereinbar. Dem steht die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, die über den jeweils entschiedenen Fall hinaus Orientierungs- und Leitfunktion für die Auslegung der EMRK hat (vgl. Urteil vom 28. Februar 2013 - BVerwG 2 C 3.12 - ZBR 2013, 257 Rn. 46), nicht entgegen.

23

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat zwar für die Ermittlung, wann die Verfahrensdauer in verwaltungsgerichtlichen Verfahren unangemessen ist, die Dauer des Vorverfahrens mit einbezogen. Sofern die Einlegung dieses Rechtsbehelfs ein notwendiger erster Schritt ist, bevor das gerichtliche Verfahren anhängig gemacht werden kann, hat der Gerichtshof den Zeitraum, der für die Angemessenheit der Verfahrensdauer nach Art. 6 Abs. 1 EMRK maßgeblich ist, mit dem Tag beginnen lassen, an dem der Beschwerdeführer den behördlichen Rechtsbehelf (Widerspruch) eingelegt hat (vgl. etwa EGMR, Urteile vom 28. Juni 1978 - C (78) 31, König/Deutschland - NJW 1979, 477 <478 f.>, vom 30. Juni 2011 - Nr. 11811/10 - juris Rn. 21 und vom 24. Juni 2010 a.a.O. m.w.N.).

24

Allerdings beziehen sich diese Entscheidungen auf einen Zeitraum, in welchem das deutsche Recht keinen wirksamen Rechtsbehelf im Sinne von Art. 13 EMRK vorsah, der geeignet war, Abhilfe für die unangemessene Dauer von Verfahren zu schaffen (vgl. etwa EGMR, Urteil vom 24. Juni 2010 a.a.O. Rn. 30 m.w.N.). Mit dem Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vom 24. November 2011 (BGBl I S. 2302) steht jedoch nunmehr ein solcher Rechtsbehelf gegen Verzögerungen gerichtlicher Verfahren im Sinne des Konventionsrechts zur Verfügung, der zum gegenwärtigen Zeitpunkt keinen Grund zu der Annahme gibt, dass die damit verfolgten Ziele nicht erreicht werden (EGMR, Urteil vom 29. Mai 2012 - Nr. 53126/07, Taron/Deutschland - NVwZ 2013, 47 ). Hinzu kommt, dass das nationale Recht mit der so genannten Untätigkeitsklage nach § 75 VwGO einen Rechtsbehelf vorsieht, mit dem einer unangemessenen Verzögerung im Vorverfahren (Widerspruchsverfahren) durch unmittelbare Klageerhebung begegnet werden kann. Mit Blick auf die Rüge der Verfahrensdauer erweist sich die Untätigkeitsklage grundsätzlich als wirksamer Rechtsbehelf im Sinne von Art. 13 EMRK (vgl. EGMR, Urteil vom 10. Januar 2008 - Nr. 1679/03, Glusen/Deutschland - juris Rn. 66 f.). Dieser tritt neben die durch das neue Gesetz normierte (kompensatorische) Entschädigung für Verzögerungen des Gerichtsverfahrens (vgl. Marx, in: Marx/Roderfeld, Rechtsschutz bei überlangen Gerichts- und Verwaltungsverfahren, 2013, § 173 VwGO Rn. 9; Ott, in: Steinbeiß-Winkelmann/Ott, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, 2013, § 198 GVG Rn. 38). Jedenfalls mit Blick auf das Nebeneinander dieses Entschädigungsanspruchs und der Untätigkeitsklage ist es konventionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das Vorverfahren nicht in die Prüfung der Angemessenheit der Verfahrensdauer einbezogen wird. Die Europäische Menschenrechtskonvention fordert im Hinblick auf das Gebot effektiven Rechtsschutzes nicht notwendig einen einheitlichen Rechtsbehelf, sondern lässt bei entsprechender Wirksamkeit auch eine Kombination von Rechtsbehelfen genügen (EGMR, Urteil vom 8. Juni 2006 - Nr. 75529/01, Sürmeli/Deutschland - NJW 2006, 2389 Rn. 98 m.w.N.). Den Konventionsstaaten kommt bei der gesetzlichen Ausgestaltung des von Art. 13 EMRK geforderten Rechtsbehelfs ein Gestaltungsspielraum zu (vgl. etwa EGMR, Urteile vom 29. März 2006 - Nr. 36813/97, Scordino/Italien - NVwZ 2007, 1259 Rn. 189 und vom 29. Mai 2012 a.a.O. Rn. 41).

25

b) Die Dauer des Gerichtsverfahrens vor dem Verwaltungs- und dem Oberverwaltungsgericht war unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG.

26

Ob die Dauer eines Gerichtsverfahrens unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter (§ 198 Abs. 1 Satz 2 GVG). Wie die Verwendung des Wortes "insbesondere" zeigt, werden damit die Umstände, die für die Beurteilung der Angemessenheit besonders bedeutsam sind, beispielhaft und ohne abschließenden Charakter benannt (BTDrucks 17/3802 S. 18).

27

aa) Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts steht mit Bundesrecht nicht in Einklang, soweit es sinngemäß den Rechtssatz aufstellt, dass eine Verfahrensdauer von zwei weiteren Jahren ab Entscheidungsreife noch angemessen sei und nicht gegen die vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK entwickelten Maßstäbe verstoße (UA S. 16 Rn. 50). Ein entsprechender Rechtssatz lässt sich aus § 198 Abs. 1 GVG nicht ableiten. Mit dieser Bestimmung ist weder die Zugrundelegung fester Zeitvorgaben vereinbar ((1)), noch lässt es die Vorschrift grundsätzlich zu, für die Beurteilung der Angemessenheit von bestimmten Orientierungswerten oder Regelfristen für die Laufzeit verwaltungsgerichtlicher Verfahren auszugehen ((2)). Dies gilt gerade auch für die vom Oberverwaltungsgericht angenommene Zwei-Jahresfrist ab Entscheidungsreife ((3)).

28

(1) Mit der gesetzlichen Festlegung, dass sich die Angemessenheit der Verfahrensdauer nach den Umständen des Einzelfalles richtet (§ 198 Abs. 1 Satz 2 GVG), hat der Gesetzgeber bewusst von der Einführung bestimmter Grenzwerte für die Dauer unterschiedlicher Verfahrenstypen abgesehen. Die Ausrichtung auf den Einzelfall folgt nicht nur in deutlicher Form aus dem Wortlaut des Gesetzes ("Umstände des Einzelfalles"), sondern wird durch seine Entstehungsgeschichte bestätigt und entspricht dem in den Gesetzesmaterialien klar zum Ausdruck gebrachten Willen des Gesetzgebers (vgl. BTDrucks 17/3802 S. 18). Daraus wird deutlich, dass der Gesetzgeber schematische zeitliche Vorgaben für die Angemessenheit ausgeschlossen hat. Er hat sich insoweit daran ausgerichtet, dass weder die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte noch die des Bundesverfassungsgerichts feste Zeiträume vorgibt, sondern jeweils die Bedeutung der Einzelfallprüfung hervorhebt. Dem Grundgesetz lassen sich keine allgemein gültigen Zeitvorgaben dafür entnehmen, wann von einer überlangen, die Rechtsgewährung verhindernden und damit unangemessenen Verfahrensdauer auszugehen ist; dies ist vielmehr eine Frage der Abwägung im Einzelfall (BVerfG, Beschlüsse vom 20. September 2007 - 1 BvR 775/07 - NJW 2008, 503; vom 14. Dezember 2010 - 1 BvR 404/10 - juris Rn. 11 und vom 1. Oktober 2012 - 1 BvR 170/06 - Vz 1/12 - NVwZ 2013, 789 <790>). Gleiches gilt im Ergebnis für die Europäische Menschenrechtskonvention. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, die Angemessenheit der Verfahrensdauer nach den Umständen des Einzelfalles sowie unter Berücksichtigung der Komplexität des Falles, des Verhaltens des Beschwerdeführers und der zuständigen Behörden sowie der Bedeutung des Rechtsstreits für den Beschwerdeführer zu beurteilen (vgl. etwa EGMR, Urteile vom 28. Juni 1978 a.a.O. <479> und vom 11. Januar 2007 - Nr. 20027/02, Herbst/Deutschland - NVwZ 2008, 289 Rn. 75; Entscheidung vom 22. Januar 2008 - Nr. 10763/05 - juris Rn. 43 m.w.N.).

29

(2) Für die Beurteilung, ob die Verfahrensdauer angemessen ist, verbietet es sich in der Regel auch, von Orientierungs- oder Richtwerten für die Laufzeit verwaltungsgerichtlicher Verfahren auszugehen, und zwar unabhängig davon, ob diese auf eigener Annahme oder auf statistisch ermittelten durchschnittlichen Verfahrenslaufzeiten beruhen. Dabei macht es im Ergebnis keinen Unterschied, ob solche Werte - in Rechtsprechung und Literatur werden Zeitspannen von ein bis drei Jahren genannt - als "normale", "durchschnittliche" oder "übliche" Bearbeitungs- oder Verfahrenslaufzeiten bezeichnet und - im Hinblick auf die Angemessenheit der Verfahrensdauer - als Indiz (Regelfrist), Hilfskriterium oder "erster grober Anhalt" herangezogen werden (vgl. etwa Stahnecker, Entschädigung bei überlangen Gerichtsverfahren, 2013, Rn. 76; Roderfeld, in: Marx/Roderfeld a.a.O. § 198 GVG Rn. 38 f.; im Ergebnis zu Recht ablehnend OVG Bautzen, Urteil vom 15. Januar 2013 - 11 F 1/12 - LKV 2013, 230 <232>; Ott, in: Steinbeiß-Winkelmann/Ott a.a.O. § 198 GVG Rn. 69, 86 f. m.w.N.).

30

Die Entscheidung des Gesetzgebers, keine zeitlichen Festlegungen zu treffen, ab wann ein Verfahren "überlang" ist, schließt für den Bereich der Verwaltungsgerichtsbarkeit grundsätzlich einen Rückgriff auf Orientierungs- oder Richtwerte aus. Dies gilt auch, soweit in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte - allerdings obiter und deshalb die jeweilige Entscheidung nicht tragend - eine Verfahrenslaufzeit von etwa einem Jahr pro Instanz als grober Anhalt ("rough rule of thumb") genannt wird (vgl. Urteile vom 26. November 2009 - Nr. 13591/05, Nazarov/Russland - Rn. 126, vom 9. Oktober 2008 - Nr. 62936/00, Moiseyev/Russland - Rn. 160 und vom 16. Januar 2003 - Nr. 50034/99, Obasa/Großbritannien - Rn. 35 ).

31

Angesichts der Vielgestaltigkeit verwaltungsgerichtlicher Verfahren stießen solche Festlegungen an eine Komplexitätsgrenze. Sie könnten letztlich für die Angemessenheit im Einzelfall nicht aussagekräftig sein. Die Bandbreite der Verwaltungsprozesse reicht von sehr einfach gelagerten Verfahren bis zu äußerst aufwändigen Großverfahren (etwa im Infrastrukturbereich), die allein einen Spruchkörper über eine lange Zeitspanne binden können. Der Versuch, dieser Bandbreite mit Mittel- oder Orientierungswerten Rechnung zu tragen, ginge nicht nur am Einzelfall vorbei, sondern wäre auch mit dem Risiko belastet, die einzelfallbezogenen Maßstäbe des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu verfehlen. Die Bestimmung einer Regeldauer brächte zudem - entgegen der Intention des Gesetzes - die Gefahr mit sich, dass sie die Verwaltungsgerichte als äußerstes Limit ansehen könnten, bis zu welchem ein Verfahren zulässigerweise ausgedehnt werden dürfte.

32

Entgegen der Rechtsansicht des Klägers können auch die statistischen Durchschnittslaufzeiten für verwaltungsgerichtliche Verfahren im Land Brandenburg nicht zu einer Objektivierung des Angemessenheitsmaßstabs herangezogen werden (vgl. zur Heranziehung statistischer Durchschnittswerte im sozialgerichtlichen Verfahren: BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 - B 10 ÜG 1/12 KL - juris Rn. 28 ff.). Die vorgenannten Bedenken greifen nämlich in gleicher Weise für den Ansatz, bestimmte (durchschnittliche) Laufzeiten, die durch eine Auswertung anderer Gerichtsverfahren statistisch ermittelt wurden, als ergänzende oder indizielle Werte heranzuziehen. Zum einen ist auch dieser Ansatz mit der Vielgestaltigkeit verwaltungsgerichtlicher Verfahren nicht in Einklang zu bringen. Zum anderen ist ein gesichertes Indiz für eine "normale" bzw. durchschnittliche Laufzeit in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren schon deshalb kaum möglich, weil die Verfahrenslaufzeiten der Verwaltungs- und Oberverwaltungsgerichte in den Ländern - wie aus allgemein zugänglichen Quellen ersichtlich und zwischen den Beteiligten unstreitig ist - sehr unterschiedlich ausfallen. Im Hinblick auf die verfassungsmäßige Gewährleistung eines Gerichtsverfahrens in angemessener Zeit kann die Effektivität des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) für die verfahrensbeteiligten Bürger nicht (mit) davon abhängen, in welchem Land sie Rechtsschutz suchen und wie sich die durchschnittliche Verfahrensdauer dort ausnimmt.

33

Es verbietet sich gleichfalls, statistische Erhebungen für Verwaltungsstreitverfahren auf Bundesebene heranzuziehen. Abgesehen davon, dass solche statistischen Werte über Verfahrenslaufzeiten im Hinblick auf die Vielgestaltigkeit verwaltungsgerichtlicher Verfahren für den Einzelfall kaum aussagekräftig sind, müssten die Durchschnittswerte ihrerseits wieder daraufhin überprüft werden, ob sie als solche angemessen sind.

34

Die Orientierung an einer - wie auch immer ermittelten - (statistisch) durchschnittlichen Dauer verwaltungsgerichtlicher Verfahren erweist sich auch deshalb als bedenklich, weil eine solche Laufzeit stets auch Ausdruck der den Gerichten jeweils zur Verfügung stehenden Ressourcen ist, also insbesondere von den bereitgestellten personellen und sächlichen Mitteln abhängt. Der verfassungsrechtliche Anspruch auf eine angemessene Verfahrensdauer darf hingegen grundsätzlich nicht von der faktischen Ausstattung der Justiz abhängig gemacht werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Dezember 1973 - 2 BvR 558/73 - BVerfGE 36, 264 <274 f.>). Dies wäre aber im Ergebnis der Fall, wenn für die Ermittlung der angemessenen Verfahrensdauer im Sinne von § 198 Abs. 1 GVG auf eine durchschnittliche Laufzeit abgestellt wird (vgl. Ott, in: Steinbeiß-Winkelmann/Ott a.a.O. Rn. 87; Ziekow, DÖV 1998, 941 <942>).

35

Die Ausrichtung an einer durchschnittlichen Verfahrensdauer begegnet auch mit Blick darauf Bedenken, dass statistische Werte zumeist schwankend und über die Jahre hinweg in ständigem Fluss sowie von dem abhängig sind, was jeweils wie erfasst wird. Schließlich ersparten sie in keinem Einzelfall die Prüfung, ob und in welchem Umfange über die gesamte Laufzeit eines als überlang gerügten Gerichtsverfahrens Verzögerungen eingetreten und diese sachlich gerechtfertigt sind.

36

(3) Aus den vorgenannten Erwägungen ergibt sich zugleich, dass die vom Oberverwaltungsgericht angenommene - eher gegriffene - Frist von zwei Jahren ab Entscheidungsreife kein zulässiger Maßstab für die Prüfung der Angemessenheit im Sinne von § 198 Abs. 1 GVG ist. Dabei ist zudem zu berücksichtigen, dass der Aspekt der Entscheidungsreife oder des "Ausgeschriebenseins" einer Sache für die Bewertung der Verzögerung ohnehin kein Fixpunkt sein, sondern allenfalls relative Bedeutung haben kann. Mit der Entscheidungsreife muss weder sogleich eine dem Staat zuzurechnende Verzögerung eintreten noch werden mit ihr bestimmte Fristen in Lauf gesetzt, innerhalb derer die Verfahrensdauer noch angemessen ist, wenn das Verfahren gefördert wird. Der Begriff der Entscheidungsreife kennzeichnet lediglich den Zeitpunkt, in welchem der für die Entscheidung des Rechtsstreits notwendige Tatsachenstoff aufgeklärt und den Beteiligten in hinreichender Weise rechtliches Gehör gewährt worden ist. Ebenso wenig wie es allgemeine Orientierungswerte für die angemessene Verfahrensdauer verwaltungsgerichtlicher Verfahren gibt, gibt es solche darüber, bis wann ein Verfahren nach Entscheidungsreife abzuschließen ist.

37

bb) Die Verfahrensdauer ist unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG, wenn eine insbesondere an den Merkmalen des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG ausgerichtete Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalles ergibt, dass die aus konventions- und verfassungsrechtlichen Normen folgende Verpflichtung des Staates, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen, verletzt ist. Dabei ist vor allem auch zu prüfen, ob Verzögerungen, die durch die Verfahrensführung des Gerichts eintreten, bei Berücksichtigung des dem Gericht zukommenden Gestaltungsspielraumes sachlich gerechtfertigt sind. Dieser Maßstab erschließt sich aus dem allgemeinen Wertungsrahmen, der für die Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Unangemessenheit vorgegeben ist (vgl. BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 a.a.O. Rn. 25 ff.), und wird durch diesen weiter konkretisiert.

38

(1) Der unbestimmte Rechtsbegriff der "unangemessenen Dauer eines Gerichtsverfahrens" (§ 198 Abs. 1 Satz 1 GVG) wie auch die zu seiner Ausfüllung heranzuziehenden Merkmale im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG sind unter Rückgriff auf die Grundsätze näher zu bestimmen, wie sie in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK und des Bundesverfassungsgerichts zum Recht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG und zum Justizgewährleistungsanspruch aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG entwickelt worden sind. Diese Rechtsprechung diente dem Gesetzgeber bereits bei der Textfassung des § 198 Abs. 1 GVG als Vorbild (vgl. BTDrucks 17/3802 S. 18). Insgesamt stellt sich die Schaffung des Gesetzes als innerstaatlicher Rechtsbehelf gegen überlange Gerichtsverfahren als Reaktion auf eine entsprechende Forderung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte dar (vgl. insbesondere EGMR, Urteil vom 2. September 2010 - Nr. 46344/06, Rumpf/Deutschland - NJW 2010, 3355). Haftungsgrund für den gesetzlich normierten Entschädigungsanspruch wegen unangemessener Verfahrensdauer in § 198 Abs. 1 GVG ist mithin die Verletzung des in Art. 19 Abs. 4 und Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG sowie Art. 6 Abs. 1 EMRK verankerten Rechts eines Verfahrensbeteiligten auf Entscheidung eines gerichtlichen Verfahrens in angemessener Zeit (vgl. BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 a.a.O. Rn. 25 m.w.N.).

39

(2) Die Anknüpfung des gesetzlichen Entschädigungsanspruchs aus § 198 Abs. 1 GVG an den aus Art. 19 Abs. 4 GG, dem verfassungsrechtlichen Justizgewährleistungsanspruch sowie dem Menschenrecht nach Art. 6 Abs. 1 EMRK folgenden Anspruch auf Entscheidung eines gerichtlichen Verfahrens in angemessener Zeit verdeutlicht, dass es darauf ankommt, ob der Beteiligte durch die Länge des Gerichtsverfahrens in seinem Grund- und Menschenrecht beeinträchtigt worden ist. Damit wird eine gewisse Schwere der Belastung vorausgesetzt; es reicht also nicht jede Abweichung von einer optimalen Verfahrensführung des Gerichts aus (vgl. BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 a.a.O. Rn. 26). Vielmehr muss die Verfahrensdauer eine Grenze überschreiten, die sich auch unter Berücksichtigung gegenläufiger rechtlicher Interessen für den Betroffenen als sachlich nicht mehr gerechtfertigt oder unverhältnismäßig darstellt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 1. Oktober 2012 - 1 BvR 170/06 - Vz 1/12 - NVwZ 2013, 789 <791 f.>). Dabei haben die Gerichte auch die Gesamtdauer des Verfahrens zu berücksichtigen, weshalb sich mit zunehmender Verfahrensdauer die Pflicht des Gerichts, sich nachhaltig um eine Förderung und Beendigung des Verfahrens zu bemühen, verdichtet (stRspr des BVerfG, vgl. etwa Beschlüsse vom 14. Dezember 2010 - 1 BvR 404/10 - juris Rn. 11 und vom 1. Oktober 2012 a.a.O. <790> jeweils m.w.N.).

40

(3) Die Angemessenheit der Dauer eines Gerichtsverfahrens bemisst sich auch danach, wie das Gericht das Verfahren geführt hat und ob und in welchem Umfang ihm Verfahrensverzögerungen zuzurechnen sind.

41

Ist infolge unzureichender Verfahrensführung eine nicht gerechtfertigte Verzögerung eingetreten, spricht dies für die Annahme einer unangemessenen Verfahrensdauer im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG. Dabei ist die Verfahrensführung zu den in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG benannten Kriterien in Bezug zu setzen. Zu prüfen ist also, ob das Gericht gerade in Relation zu jenen Gesichtspunkten den Anforderungen an eine angemessene Verfahrensdauer gerecht geworden ist. Maßgeblich ist insoweit - genauso wie hinsichtlich der in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG aufgeführten Umstände -, wie das Gericht die Lage aus seiner Ex-ante-Sicht einschätzen durfte (vgl. Ott, in: Steinbeiß-Winkelmann/Ott a.a.O. § 198 GVG Rn. 81 und 127).

42

Im Zusammenhang mit der Verfahrensführung durch das Gericht ist zu berücksichtigen, dass die Verfahrensdauer in einem gewissen Spannungsverhältnis zur richterlichen Unabhängigkeit (Art. 97 Abs. 1 GG) und zum rechtsstaatlichen Gebot steht, eine inhaltlich richtige, an Recht und Gesetz orientierte Entscheidung zu treffen (vgl. BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 a.a.O. Rn. 27). Ebenso fordert Art. 6 Abs. 1 EMRK zwar, dass Gerichtsverfahren zügig betrieben werden, betont aber auch den allgemeinen Grundsatz einer geordneten Rechtspflege (EGMR, Urteil vom 25. Februar 2000 - Nr. 29357/95, Gast und Popp/Deutschland - NJW 2001, 211 Rn. 75). Die zügige Erledigung eines Rechtsstreits ist kein Selbstzweck; vielmehr verlangt das Rechtsstaatsprinzip die grundsätzlich umfassende tatsächliche und rechtliche Prüfung des Streitgegenstands durch das dazu berufene Gericht (stRspr des BVerfG, vgl. etwa Beschlüsse vom 12. Februar 1992 - 1 BvL 1/89 - BVerfGE 85, 337 <345> und vom 26. April 1999 - 1 BvR 467/99 - NJW 1999, 2582 <2583>; ebenso BGH, Urteil vom 4. November 2010 - III ZR 32/10 - BGHZ 187, 286 Rn. 14 m.w.N.). Um den verfahrensrechtlichen und inhaltlichen Anforderungen gerecht werden zu können, benötigt das Gericht eine Vorbereitungs- und Bearbeitungszeit, die der Schwierigkeit und Komplexität der Rechtssache angemessen ist. Dabei ist die Verfahrensgestaltung in erster Linie in die Hände des mit der Sache befassten Gerichts gelegt (BVerfG, Beschlüsse vom 30. Juli 2009 - 1 BvR 2662/06 - NJW-RR 2010, 207 <208> und vom 2. Dezember 2011 - 1 BvR 314/11 - WM 2012, 76 <77>). Dieses hat, sofern der Arbeitsanfall die alsbaldige Bearbeitung und Terminierung sämtlicher zur Entscheidung anstehender Fälle nicht zulässt, zwangsläufig eine zeitliche Reihenfolge festzulegen (BVerfG, Beschluss vom 30. Juli 2009 a.a.O.). Es hat dabei die Verfahren untereinander zu gewichten, den Interessen der Beteiligten - insbesondere im Hinblick auf die Gewährung rechtlichen Gehörs und eines fairen Verfahrens - Rechnung zu tragen und darüber zu entscheiden, wann es welches Verfahren mit welchem Aufwand sinnvollerweise fördern kann und welche Verfahrenshandlungen dazu geboten sind. Zur Ausübung seiner verfahrensgestaltenden Befugnisse ist dem Gericht - auch im Hinblick auf die richterliche Unabhängigkeit - ein Gestaltungsspielraum zuzubilligen (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 29. März 2005 - 2 BvR 1610/03 - NJW 2005, 3488 <3489> und vom 1. Oktober 2012 a.a.O. <791> jeweils m.w.N.; vgl. auch BGH, Urteil vom 4. November 2010 a.a.O.). Verfahrenslaufzeiten, die durch die Verfahrensführung des Gerichts bedingt sind, führen nur zu einer unangemessenen Verfahrensdauer, wenn sie - auch bei Berücksichtigung des gerichtlichen Gestaltungsspielraums - sachlich nicht mehr zu rechtfertigen sind (vgl. BVerfG, Beschluss vom 1. Oktober 2012 a.a.O. m.w.N.).

43

Im Hinblick auf die Rechtfertigung von Verzögerungen ist der auch in den Gesetzesmaterialien (BTDrucks 17/3802 S. 18) deutlich zum Ausdruck gekommene Grundsatz zu berücksichtigen, dass sich der Staat zur Rechtfertigung einer überlangen Verfahrensdauer nicht auf Umstände innerhalb seines Verantwortungsbereichs berufen kann (stRspr des BVerfG, vgl. Beschlüsse vom 7. Juni 2011 - 1 BvR 194/11 - NVwZ-RR 2011, 625 <626>, vom 24. September 2009 - 1 BvR 1304/09 - EuGRZ 2009, 699 Rn. 14 und vom 1. Oktober 2012 a.a.O. <790>; vgl. auch BFH, Urteil vom 17. April 2013 - X K 3/12 - BeckRS 2013, 95036 = juris Rn. 43). Eine Zurechnung der Verfahrensverzögerung zum Staat kommt nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte insbesondere für Zeiträume in Betracht, in denen das Gericht ohne rechtfertigenden Grund untätig geblieben, also das Verfahren nicht gefördert oder betrieben hat (vgl. EGMR, Urteile vom 26. Oktober 2000 - Nr. 30210/96, Kudla/Polen - NJW 2001, 2694 Rn. 130 und vom 31. Mai 2001 - Nr. 37591/97, Metzger/Deutschland - NJW 2002, 2856 Rn. 41). Soweit dies auf eine Überlastung der Gerichte zurückzuführen ist, gehört dies zu den strukturellen Mängeln, die der Staat zu beheben hat (EGMR, Urteil vom 25. Februar 2000 a.a.O. Rn. 78). Strukturelle Probleme, die zu einem ständigen Rückstand infolge chronischer Überlastung führen, muss sich der Staat zurechnen lassen; eine überlange Verfahrensdauer lässt sich damit nicht rechtfertigen (BVerfG, Beschluss vom 1. Oktober 2012 a.a.O. <790>).

44

Sind in einem Stadium des Verfahrens oder bei einzelnen Verfahrensabschnitten Verzögerungen eingetreten, bewirkt dies nicht zwingend die Unangemessenheit der Gesamtverfahrensdauer. Es ist vielmehr - wie aufgezeigt - im Rahmen einer Gesamtabwägung zu untersuchen, ob die Verzögerung innerhalb einer späteren Phase des Verfahrens ausgeglichen wurde.

45

cc) Unter Berücksichtigung der zuvor erörterten Grundsätze erweist sich hier, dass die Verfahrensdauer unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG war, weil eine an den Merkmalen des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG ausgerichtete Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalles - insbesondere der Schwierigkeit des Verfahrens ((1)), seiner Bedeutung für den Kläger ((2)) sowie des Verhaltens der Verfahrensbeteiligten ((3)) und der Verfahrensführung des Gerichts ((4)) - ergibt, dass die Verpflichtung des Staates, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen, verletzt worden ist.

46

(1) Die Würdigung des Oberverwaltungsgerichts, dass es sich nicht um einen tatsächlich und rechtlich schwierigen Fall handelte, ist unter Berücksichtigung seiner hierzu getroffenen Feststellungen nicht zu beanstanden und wird auch von der Revision nicht angegriffen. Als Indiz für den eher durchschnittlichen Schwierigkeitsgrad kann unter anderem der Umstand herangezogen werden, dass die Sache vom Verwaltungsgericht auf den Einzelrichter übertragen worden ist (§ 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VwGO) und auch von dem Senat des Oberverwaltungsgerichts, der im Ausgangsverfahren zu entscheiden hatte, nicht als besonders schwierig gewertet worden ist.

47

(2) Anders verhält es sich hinsichtlich der Bewertung des Oberverwaltungsgerichts, das Verfahren habe für den Kläger letztlich keine besondere Bedeutung aufgewiesen, so dass ein besonderes Interesse an einem beschleunigten Abschluss nicht gegeben gewesen sei. Zwar wird die Bedeutung des Verfahrens für den Kläger dadurch relativiert, dass er durch die aufschiebende Wirkung der Klage (§ 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO) während der Dauer des gerichtlichen Verfahrens vor einer Vollstreckung durch die öffentliche Hand geschützt war. Auch liegt keine Fallgruppe vor, für welche die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte regelmäßig eine besondere Bedeutung für die Betroffenen annimmt, wie etwa bei Eingriffen in die persönliche Freiheit oder die Gesundheit; Rechtsstreitigkeiten um die finanzielle Versorgung (Renten- oder Arbeitssachen) oder Statussachen (vgl. etwa EGMR, Urteil vom 8. Juni 2006 - Nr. 75529/01, Sürmeli/Deutschland - NJW 2006, 2389 Rn. 133 sowie den Überblick und die Nachweise bei Wittling-Vogel/Ulick, DRiZ 2008, 87 <88>). Allerdings ist - wie die Revision zu Recht einwendet - auch zu berücksichtigen, dass der Kläger einer für einen jungen Menschen (Studenten) erheblichen Geldforderung in Höhe von über 17 000 € ausgesetzt war. Die damit verbundene Unsicherheit, ob die Forderung zu Recht erhoben worden ist und er diese Summe tatsächlich zu begleichen hatte - das "Damoklesschwert" der drohenden Geltendmachung durch die Behörde -, ist entgegen der Wertung des Oberverwaltungsgerichts als erheblich für die Bedeutung des Rechtsstreits für den Kläger anzusehen. Wegen der mit dieser Verunsicherung verbundenen Einschränkung, weitere Dispositionen zu treffen, ist ihm ein besonderes Interesse an einer Erledigung des Rechtsstreits zuzubilligen, das mit zunehmender Verfahrensdauer wuchs.

48

(3) Im Hinblick auf das prozessuale Verhalten des Klägers hat das Oberverwaltungsgericht im Ergebnis in nicht zu beanstandender Weise ausgeführt, dass er durch sein Verhalten keine relevante Verzögerung des Rechtsstreits bewirkt habe. Die Beteiligten streiten zu Recht nicht über den Zeitraum, für den der Kläger nach Klageerhebung um die Verlängerung der Begründungsfrist nachgesucht und damit eine ihm zuzurechnende Verzögerung von etwa zwei Monaten herbeigeführt hat. Im Hinblick auf sein prozessuales Verhalten ist allerdings ergänzend zu berücksichtigen, dass er nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts bereits im März 2004 sein Einverständnis mit einer Entscheidung des Verwaltungsgerichts ohne mündliche Verhandlung erklärt hat. Damit hat er frühzeitig einen Beitrag zu einer möglichen Verfahrensbeschleunigung geleistet.

49

(4) Unter Gewichtung und Abwägung der zuvor erörterten Kriterien ergibt sich hier - auch unter Berücksichtigung des gerichtlichen Spielraums bei der Verfahrensgestaltung - eine maßgebliche, weil sachlich nicht gerechtfertigte Verzögerung des Gerichtsverfahrens von etwa fünf Jahren.

50

Im Hinblick auf den Verfahrensgang vor dem Verwaltungsgericht hat das Oberverwaltungsgericht neben der Chronologie des Verfahrens festgestellt, dass die Streitsache jedenfalls im September 2004 erkennbar entscheidungsreif gewesen sei. Das Verwaltungsgericht hatte bereits durch die Anfrage an die Beteiligten vom 3. März 2004, ob sie mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden seien, zu erkennen gegeben, dass es die Sache für "ausgeschrieben" hielt. Auf der Grundlage dieser Feststellung ist die Wertung des Oberverwaltungsgerichts fehlerhaft, dass eine nicht gerechtfertigte Verfahrensverzögerung von drei Jahren und vier Monaten vorgelegen habe. Hierzu ist das Oberverwaltungsgericht aufgrund seiner rechtlich fehlerhaften Annahme gelangt, dass nach Entscheidungsreife noch eine weitere Verfahrensdauer von zwei Jahren (bis September 2006) angemessen gewesen sei. Diese "Zwei-Jahres-Pauschale" steht - wie dargelegt - weder als allgemeine Formel mit Bundesrecht in Einklang noch trägt sie durch eine Würdigung der konkreten Umstände dem vorliegenden Einzelfall Rechnung.

51

Was den Zeitpunkt der Entscheidungsreife - verstanden als Zeitpunkt der hinreichenden tatsächlichen Aufbereitung wie auch der Gewährung rechtlichen Gehörs - betrifft, so ist auf der Grundlage der Tatsachenfeststellungen des Oberverwaltungsgerichts zum Verfahrensablauf vielmehr wertend zu folgern, dass diese bereits vor September 2004 gegeben war. Denn das Oberverwaltungsgericht hat festgestellt, dass das Verwaltungsgericht den letzten Schriftsatz des Klägers vom 12. März 2004 am 17. März 2004 an den Beklagten übersandt und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme innerhalb von sechs Wochen gegeben hat. Nachdem der Beklagte sich hierzu nachweislich nicht mehr geäußert hatte, stand einer weiteren Verfahrensförderung durch das Verwaltungsgericht (etwa einer Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter) schon Ende April 2004 nichts mehr im Wege.

52

Eine Zurechnung der Verfahrensverzögerung zum Staat, die insbesondere für Zeiträume in Betracht kommt, in denen das Gericht das Verfahren nicht gefördert oder betrieben hat (EGMR, Urteile vom 26. Oktober 2000 a.a.O. Rn. 130 und vom 31. Mai 2001 a.a.O. Rn. 41), ist hier für den Zeitraum von Ende April 2004 bis Januar 2010 anzunehmen. In diesem Zeitraum hat das Verwaltungsgericht das aus seiner Sicht entscheidungsreife Verfahren nicht mehr gefördert; vielmehr hat es sich mit der Verfügung von Wiedervorlagen der Sache nach auf ein "Liegenlassen" der Akte beschränkt. Die nächste, der Verfahrensförderung dienende Prozesshandlung hat es erst im Januar 2010 mit der Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter vorgenommen.

53

Auch wenn dem Verwaltungsgericht ab Entscheidungsreife Ende April 2004 ein mehrmonatiger Gestaltungszeitraum zugestanden wird, um fördernde Verfahrenshandlungen vorzubereiten und abzustimmen, war seine Untätigkeit angesichts der eher durchschnittlichen Schwierigkeit des Verfahrens einerseits und seiner nicht unerheblichen Bedeutung für den Kläger wie auch seines prozessualen Verhaltens andererseits jedenfalls ab Ende 2004 nicht mehr sachlich zu rechtfertigen. Dies entspricht in etwa der Würdigung des Klägers, der davon ausgeht, dass aufgrund der genannten Umstände des Einzelfalles jedenfalls ab Februar 2005 - also 20 Monate nach Klageeinreichung und knapp ein Jahr nach dem Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung - die Verfahrensdauer als nicht mehr angemessenen zu betrachten war. Dabei hat das Oberverwaltungsgericht zu Recht angenommen, dass sich der Beklagte - was die Bemessung des Gestaltungszeitraums für eine gerichtliche Entscheidung betrifft - nicht auf die allgemeine Belastungssituation bei den Verwaltungsgerichten im Land Brandenburg berufen kann. Eine solche Überlastung der Gerichte gehört zu den strukturellen Mängeln, die seinem Verantwortungsbereich zuzurechnen sind und die er zu beseitigen hat.

54

Ist mithin jedenfalls ab Ende 2004 eine Untätigkeit des Verwaltungsgerichts nicht mehr zu rechtfertigen gewesen, so sind bis zur nächsten Verfahrensförderung im Januar 2010 mehr als fünf Jahre verstrichen, die als relevante Verzögerung und damit als unangemessene Verfahrensdauer im Sinne von § 198 GVG zugrunde zu legen sind. Dabei hat der Kläger im Ergebnis zu Recht nicht geltend gemacht, dass darüber hinaus auch im Berufungszulassungs- und Berufungsverfahren vor dem Oberverwaltungsgericht noch eine Verzögerung eingetreten ist. Ebenso ist die Vorinstanz zutreffend davon ausgegangen, dass das zweitinstanzliche Verfahren auch nicht so zügig durchgeführt worden ist, dass es die Überlänge des erstinstanzlichen Verfahrens (teilweise) hätte kompensieren können.

55

c) Der Kläger hat einen immateriellen Nachteil in der von ihm geltend gemachten Höhe erlitten, der nicht auf andere Weise wieder gutgemacht werden kann.

56

Dass der Kläger, der keine materiellen, sondern nur Nachteile nichtvermögensrechtlicher Art geltend macht, solche erlitten hat, ergibt sich aus der gesetzlichen Vermutung des § 198 Abs. 2 Satz 1 GVG. Danach wird ein immaterieller Nachteil vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren - wie hier - unangemessen lange gedauert hat. Diese Vermutung ist im vorliegenden Fall nicht widerlegt.

57

Entschädigung kann gemäß § 198 Abs. 2 Satz 2 GVG nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß § 198 Abs. 4 GVG ausreichend ist. Eine Wiedergutmachung auf andere Weise ist gemäß § 198 Abs. 4 Satz 1 GVG insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Ob eine solche Feststellung ausreichend im Sinne des § 198 Abs. 2 Satz 2 GVG ist, beurteilt sich auf der Grundlage einer umfassenden Abwägung sämtlicher Umstände des Einzelfalles. In diese wird regelmäßig einzustellen sein, ob das Ausgangsverfahren für den Verfahrensbeteiligten eine besondere Bedeutung hatte, ob dieser durch sein Verhalten erheblich zur Verzögerung beigetragen hat, ob er weitergehende immaterielle Schäden erlitten hat oder ob die Überlänge den einzigen Nachteil darstellt (BTDrucks 17/3802 S. 20). Darüber hinaus kann zu berücksichtigen sein, von welchem Ausmaß die Unangemessenheit der Dauer des Verfahrens ist und ob das Ausgangsverfahren für den Verfahrensbeteiligten eine besondere Dringlichkeit aufwies oder ob diese zwischenzeitlich entfallen war (vgl. EGMR, Urteil vom 29. September 2011 - Nr. 854/07 - juris Rn. 41). Hier gehen die Verfahrensbeteiligten mit dem Oberverwaltungsgericht zu Recht davon aus, dass als Ergebnis einer umfassenden Einzelabwägung eine Wiedergutmachung auf andere Weise insbesondere wegen der erheblichen Verfahrensverzögerung nicht ausreichend ist. Deshalb kann hier dahingestellt bleiben, ob im Fall einer unangemessenen Verfahrensdauer die Entschädigung die Regel und die bloße Feststellung im Sinne von § 198 Abs. 4 Satz 1 GVG die Ausnahme ist (vgl. BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 - B 10 ÜG 1/12 KL - juris Rn. 45 f.) oder ob weder ein Vorrang der Geldentschädigung noch eine anderweitige Vermutungsregelung gilt (vgl. BFH, Urteil vom 17. April 2013 - X K 3/12 - BeckRS 2013, 95036 Rn. 57).

58

d) Die Bemessung der immateriellen Nachteile richtet sich nach § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG. Danach sind diese in der Regel in Höhe von 1 200 € für jedes Jahr der Verzögerung zu entschädigen. Nur wenn dieser Betrag nach den Umständen des Einzelfalls unbillig ist, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen (§ 198 Abs. 2 Satz 4 GVG). Das Oberverwaltungsgericht hat in revisionsgerichtlich nicht zu beanstandender Weise festgestellt, dass hier eine Abweichung vom Pauschalbetrag nicht veranlasst ist. Da die nicht gerechtfertigte Verzögerung jedenfalls fünf Jahre betrug, steht dem Kläger insgesamt ein Anspruch auf 6 000 € Entschädigung zu, so dass über den Ausspruch des Oberverwaltungsgerichts hinaus weitere 2 000 € an ihn zu zahlen sind.

59

2. Der Kläger hat zudem einen Anspruch auf Feststellung der unangemessenen Dauer des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht.

60

a) Die Begrenzung des Feststellungsantrags auf die Verfahrensdauer vor dem Verwaltungsgericht ist zulässig. Sie entspricht der Dispositionsbefugnis des Klägers als Rechtsmittelführer (vgl. § 88 VwGO) und trägt dem Umstand Rechnung, dass er sich insoweit allein durch die Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens beschwert sieht. Allgemein kann ein Rechtsmittel auf einen von mehreren selbstständigen Streitgegenständen einer Klage oder auf einen Teil des Streitgegenstandes beschränkt werden, wenn dieser Teil vom Gesamtstreitstoff abteilbar ist und materiell-rechtliche Gründe einer gesonderten Entscheidung darüber nicht entgegenstehen (vgl. Beschluss vom 5. Juli 2011 - BVerwG 5 B 35.11 - juris Rn. 1, Urteile vom 1. März 2012 - BVerwG 5 C 11.11 - Buchholz 428.42 § 2 NS-VEntschG Nr. 10 Rn. 15 und vom 18. Juli 2013 - BVerwG 5 C 8.12 - zur Veröffentlichung in der amtlichen Entscheidungssammlung vorgesehen). Das ist hier der Fall.

61

Die Beschränkung auf einen Verfahrenszug - hier auf das verwaltungsgerichtliche Verfahren - ist vom Gesamtstreitstoff abtrennbar. Bezugsrahmen für die materiell-rechtliche Frage, ob sich die Verfahrensdauer als angemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG darstellt, ist zwar - wie oben dargelegt - auch dann die Gesamtdauer des gerichtlichen Verfahrens, wenn dieses wie hier über zwei Instanzen geführt worden ist. Dennoch steht das materielle Recht einem gesonderten Ausspruch darüber, dass (nur) die Verfahrensdauer in einer Instanz unangemessen war, nicht entgegen. Denn auch um dies feststellen zu können, ist grundsätzlich die materiell-rechtliche Voraussetzung zu prüfen, ob - mit Blick auf die Gesamtverfahrensdauer - durch die zügige Behandlung der Sache in einer höheren Instanz eine etwaige Überlänge in der Vorinstanz ganz oder teilweise kompensiert werden kann. Für die Zulässigkeit, den (Feststellungs-)Antrag auf eine Instanz beschränken zu können, spricht überdies, dass es das Gesetz ermöglicht, eine Entschädigungsklage bereits vor Beendigung des Ausgangsverfahrens zu erheben (vgl. § 198 Abs. 5 GVG, § 201 Abs. 3 GVG). Dem liegt die Erwägung zugrunde, dass auch Konstellationen denkbar sind, in denen eine unangemessene und irreparable Verzögerung feststellbar ist und in denen daher über die Kompensation für schon eingetretene Nachteile entschieden werden kann (BTDrucks 17/3802 S. 22). Dass es das Gesetz zulässt, verschiedene Verfahrensstufen unterschiedlich in den Blick zu nehmen, zeigt sich schließlich auch daran, dass bei einem bis zum Bundesverwaltungsgericht geführten Verwaltungsrechtsstreit verschiedene Rechtsträger - nämlich zum einen das jeweilige Land und zum anderen der Bund (§ 201 Abs. 1 GVG i.V.m. § 173 Satz 2 VwGO) - für die in ihrem Bereich zu verantwortenden Verfahrensverzögerungen in Anspruch genommen werden können.

62

b) Der Anspruch des Klägers auf Feststellung der unangemessenen Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens folgt aus § 198 Abs. 4 Satz 3 Halbs. 1 GVG.

63

Nach dieser Bestimmung kann das Entschädigungsgericht in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung aussprechen, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Weil es hierfür nicht notwendig eines Antrags bedarf (§ 198 Abs. 4 Satz 2 GVG), hat das Entschädigungsgericht grundsätzlich von Amts wegen zu prüfen, ob es diese Feststellung trifft. Bei diesem Ausspruch handelt es sich, wie systematisch aus § 198 Abs. 4 Satz 1 GVG zu folgern ist, um eine Form der "Wiedergutmachung auf andere Weise", die "neben die Entschädigung" treten kann. Ob das Entschädigungsgericht diese Feststellung zusätzlich zur Entschädigung (vgl. BTDrucks 17/3802 S. 22) trifft, ist in sein Ermessen ("kann") gestellt.

64

aa) Ein schwerwiegender Fall im Sinne von § 198 Abs. 4 Satz 3 Halbs. 1 GVG liegt hier vor.

65

Das Oberverwaltungsgericht hat das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzung des schwerwiegenden Falles rechtsfehlerhaft verneint. Es hat sich zur Begründung darauf gestützt, dass ein solcher Fall hier schon deshalb ausscheide, weil die Klage aufschiebende Wirkung gehabt habe und der Kläger die ihn treffenden Folgen der Verfahrensdauer vor dem Verwaltungsgericht hätte mildern können, indem er einen weiteren Antrag auf Gewährung von Ausbildungsförderung hätte stellen und die Treuhandabrede hätte aufheben können. Dem folgt der Senat nicht.

66

Ob ein schwerwiegender Fall vorliegt, ist anhand einer Würdigung aller Umstände des Einzelfalles zu ermitteln. Insofern gilt nichts anderes als für die Entscheidung nach § 198 Abs. 4 Satz 3 Halbs. 2 GVG, die nach den Vorstellungen des Gesetzgebers ebenfalls "unter Würdigung der Gesamtumstände" zu treffen ist (BTDrucks 17/3802 S. 22). Neben der Bedeutung des Rechtsstreits für den Verfahrensbeteiligten und seinen damit korrespondierenden Interessen an einer zügigen Entscheidung ist im Rahmen der Abwägung, ob der Fall schwerwiegend ist, insbesondere in Ansatz zu bringen, wie lange das Verfahren insgesamt gedauert hat und wie groß der Zeitraum ist, in dem eine nicht gerechtfertigte Verfahrensverzögerung vorlag. Der Begriff "schwerwiegend" bezieht sich - worauf schon der Wortlaut hindeutet - auf das Gewicht der Beeinträchtigung, die mit einer unangemessen langen Dauer verbunden ist. Dieses Gewicht nimmt zu, je länger die den Betroffenen belastende Phase der Untätigkeit anhält. Dementsprechend haben die Gerichte auch die Gesamtdauer des Verfahrens zu berücksichtigen und sich mit zunehmender Dauer nachhaltig um eine Beschleunigung des Verfahrens zu bemühen (BVerfG, Beschlüsse vom 14. Dezember 2010 - 1 BvR 404/10 - juris Rn. 11 und vom 1. Oktober 2012 - 1 BvR 170/06 - VZ 1/12 - NVwZ 2013, 789 <790> m.w.N.).

67

Den vorgenannten Aspekt hat das Oberverwaltungsgericht hier nicht gesetzeskonform gewichtet. Es hätte die erhebliche Überlänge des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens mit einer dem Gericht zuzurechnenden Verfahrensverzögerung von etwa fünf Jahren sowie die Gesamtdauer des Gerichtsverfahrens von über acht Jahren als Umstand in die Abwägung einstellen müssen, der in bedeutsamer Weise für die Annahme eines schwerwiegenden Falles spricht. Zudem hat das Oberverwaltungsgericht die Bedeutung des Verfahrens für den Kläger zu gering gewichtet. Denn diese ist - wie oben dargelegt - wegen der Höhe des Rückforderungsbetrages und der damit verbundenen Unsicherheit als erheblich anzusehen. Eine gesetzeskonforme Gesamtabwägung ergibt daher, dass gerade im Hinblick auf die erhebliche Überlänge des für den Kläger bedeutsamen Verfahrens die Voraussetzungen für die Annahme eines schwerwiegenden Falles erfüllt sind. Dies kann auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts auch das Revisionsgericht feststellen.

68

bb) Sofern - wie hier - ein schwerwiegender Fall im Sinne des § 198 Abs. 4 Satz 3 GVG vorliegt, ist die Entscheidung über eine Feststellung der unangemessenen Verfahrensdauer in das Ermessen des Entschädigungsgerichts gestellt.

69

Die Frage, ob in "schwerwiegenden Fällen" noch neben der Entschädigung ein gesonderter Feststellungsausspruch geboten ist, um dem Wiedergutmachungsanspruch des Betroffenen hinreichend Rechnung zu tragen, ist systematisch der Ermessensausübung zuzuordnen. Insoweit ist eine weitere Abwägungsentscheidung darüber zu treffen, ob es im konkreten Fall des Feststellungsausspruchs bedarf, um dem Betroffenen eine zusätzliche Form der Wiedergutmachung zu verschaffen. Als ein Abwägungskriterium ist in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen, wenn der Kläger dies - wie hier - ausdrücklich beantragt. Damit gibt er zu erkennen, dass er auf diese zusätzliche Form der Wiedergutmachung gerade Wert legt und sie als Form der Genugtuung für die Verletzung seiner Rechte begreift. Ob die Beantragung der Feststellung in "schwerwiegenden Fällen" grundsätzlich zu einer Reduzierung des Ermessens führen kann, bedarf keiner Entscheidung. Denn tatsächliche Umstände, die trotz der mit der Antragstellung verbundenen Geltendmachung eines entsprechenden Genugtuungs- bzw. Rehabilitationsbegehrens dafür sprechen, von dem begehrten Ausspruch abzusehen, sind hier nicht festgestellt.

70

3. Da der Beklagte aufgrund des revisionsgerichtlichen Urteils in beiden Instanzen in vollem Umfang unterlegen ist, hat er gemäß § 154 Abs. 1 und 2 VwGO die Kosten zu tragen. Eine Billigkeitsentscheidung nach der kostenrechtlichen Spezialregelung des § 201 Abs. 4 GVG i.V.m. § 173 Satz 2 VwGO ist nicht zu treffen, weil dem Kläger keine geringere Entschädigung zugesprochen wird.

Für Nachteile, die auf Grund von Verzögerungen bei Gerichten eines Landes eingetreten sind, haftet das Land. Für Nachteile, die auf Grund von Verzögerungen bei Gerichten des Bundes eingetreten sind, haftet der Bund. Für Staatsanwaltschaften und Finanzbehörden in Fällen des § 386 Absatz 2 der Abgabenordnung gelten die Sätze 1 und 2 entsprechend.

(1) Wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, wird angemessen entschädigt. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.

(2) Ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, wird vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Hierfür kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß Absatz 4 ausreichend ist. Die Entschädigung gemäß Satz 2 beträgt 1 200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung. Ist der Betrag gemäß Satz 3 nach den Umständen des Einzelfalles unbillig, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen.

(3) Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge). Die Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird; eine Wiederholung der Verzögerungsrüge ist frühestens nach sechs Monaten möglich, außer wenn ausnahmsweise eine kürzere Frist geboten ist. Kommt es für die Verfahrensförderung auf Umstände an, die noch nicht in das Verfahren eingeführt worden sind, muss die Rüge hierauf hinweisen. Anderenfalls werden sie von dem Gericht, das über die Entschädigung zu entscheiden hat (Entschädigungsgericht), bei der Bestimmung der angemessenen Verfahrensdauer nicht berücksichtigt. Verzögert sich das Verfahren bei einem anderen Gericht weiter, bedarf es einer erneuten Verzögerungsrüge.

(4) Wiedergutmachung auf andere Weise ist insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Die Feststellung setzt keinen Antrag voraus. Sie kann in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung ausgesprochen werden; ebenso kann sie ausgesprochen werden, wenn eine oder mehrere Voraussetzungen des Absatzes 3 nicht erfüllt sind.

(5) Eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach Absatz 1 kann frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden. Die Klage muss spätestens sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben werden. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage ist der Anspruch nicht übertragbar.

(6) Im Sinne dieser Vorschrift ist

1.
ein Gerichtsverfahren jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss einschließlich eines Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und zur Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe; ausgenommen ist das Insolvenzverfahren nach dessen Eröffnung; im eröffneten Insolvenzverfahren gilt die Herbeiführung einer Entscheidung als Gerichtsverfahren;
2.
ein Verfahrensbeteiligter jede Partei und jeder Beteiligte eines Gerichtsverfahrens mit Ausnahme der Verfassungsorgane, der Träger öffentlicher Verwaltung und sonstiger öffentlicher Stellen, soweit diese nicht in Wahrnehmung eines Selbstverwaltungsrechts an einem Verfahren beteiligt sind.

Ein Richter ist von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen:

1.
in Sachen, in denen er selbst Partei ist oder bei denen er zu einer Partei in dem Verhältnis eines Mitberechtigten, Mitverpflichteten oder Regresspflichtigen steht;
2.
in Sachen seines Ehegatten, auch wenn die Ehe nicht mehr besteht;
2a.
in Sachen seines Lebenspartners, auch wenn die Lebenspartnerschaft nicht mehr besteht;
3.
in Sachen einer Person, mit der er in gerader Linie verwandt oder verschwägert, in der Seitenlinie bis zum dritten Grad verwandt oder bis zum zweiten Grad verschwägert ist oder war;
4.
in Sachen, in denen er als Prozessbevollmächtigter oder Beistand einer Partei bestellt oder als gesetzlicher Vertreter einer Partei aufzutreten berechtigt ist oder gewesen ist;
5.
in Sachen, in denen er als Zeuge oder Sachverständiger vernommen ist;
6.
in Sachen, in denen er in einem früheren Rechtszug oder im schiedsrichterlichen Verfahren bei dem Erlass der angefochtenen Entscheidung mitgewirkt hat, sofern es sich nicht um die Tätigkeit eines beauftragten oder ersuchten Richters handelt;
7.
in Sachen wegen überlanger Gerichtsverfahren, wenn er in dem beanstandeten Verfahren in einem Rechtszug mitgewirkt hat, auf dessen Dauer der Entschädigungsanspruch gestützt wird;
8.
in Sachen, in denen er an einem Mediationsverfahren oder einem anderen Verfahren der außergerichtlichen Konfliktbeilegung mitgewirkt hat.

(1) Die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Prozeßkostenhilfe mit Ausnahme des § 127 Absatz 2 Satz 2 der Zivilprozeßordnung gelten entsprechend. Macht der Beteiligte, dem Prozeßkostenhilfe bewilligt ist, von seinem Recht, einen Rechtsanwalt zu wählen, nicht Gebrauch, wird auf Antrag des Beteiligten der beizuordnende Rechtsanwalt vom Gericht ausgewählt. Einem Beteiligten, dem Prozesskostenhilfe bewilligt worden ist, kann auch ein Steuerberater, Steuerbevollmächtigter, Wirtschaftsprüfer, vereidigter Buchprüfer oder Rentenberater beigeordnet werden. Die Vergütung richtet sich nach den für den beigeordneten Rechtsanwalt geltenden Vorschriften des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes.

(2) Prozeßkostenhilfe wird nicht bewilligt, wenn der Beteiligte durch einen Bevollmächtigten im Sinne des § 73 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 bis 9 vertreten ist.

(3) § 109 Abs. 1 Satz 2 bleibt unberührt.

(4) Die Prüfung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nach den §§ 114 bis 116 der Zivilprozessordnung einschließlich der in § 118 Absatz 2 der Zivilprozessordnung bezeichneten Maßnahmen, der Beurkundung von Vergleichen nach § 118 Absatz 1 Satz 3 der Zivilprozessordnung und der Entscheidungen nach § 118 Absatz 2 Satz 4 der Zivilprozessordnung obliegt dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des jeweiligen Rechtszugs, wenn der Vorsitzende ihm das Verfahren insoweit überträgt. Liegen die Voraussetzungen für die Bewilligung der Prozesskostenhilfe hiernach nicht vor, erlässt der Urkundsbeamte die den Antrag ablehnende Entscheidung; anderenfalls vermerkt der Urkundsbeamte in den Prozessakten, dass dem Antragsteller nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen Prozesskostenhilfe gewährt werden kann und in welcher Höhe gegebenenfalls Monatsraten oder Beträge aus dem Vermögen zu zahlen sind.

(5) Dem Urkundsbeamten obliegen im Verfahren über die Prozesskostenhilfe ferner die Bestimmung des Zeitpunkts für die Einstellung und eine Wiederaufnahme der Zahlungen nach § 120 Absatz 3 der Zivilprozessordnung sowie die Änderung und die Aufhebung der Bewilligung der Prozesskostenhilfe nach den §§ 120a und 124 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 der Zivilprozessordnung.

(6) Der Vorsitzende kann Aufgaben nach den Absätzen 4 und 5 zu jedem Zeitpunkt an sich ziehen. § 5 Absatz 1 Nummer 1, die §§ 6, 7, 8 Absatz 1 bis 4 und § 9 des Rechtspflegergesetzes gelten entsprechend mit der Maßgabe, dass an die Stelle des Rechtspflegers der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle tritt.

(7) § 155 Absatz 4 gilt entsprechend.

(8) Gegen Entscheidungen des Urkundsbeamten nach den Absätzen 4 und 5 kann binnen eines Monats nach Bekanntgabe das Gericht angerufen werden, das endgültig entscheidet.

(9) Durch Landesgesetz kann bestimmt werden, dass die Absätze 4 bis 8 für die Gerichte des jeweiligen Landes nicht anzuwenden sind.

(1) Eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, erhält auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Für die grenzüberschreitende Prozesskostenhilfe innerhalb der Europäischen Union gelten ergänzend die §§ 1076 bis 1078.

(2) Mutwillig ist die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung, wenn eine Partei, die keine Prozesskostenhilfe beansprucht, bei verständiger Würdigung aller Umstände von der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung absehen würde, obwohl eine hinreichende Aussicht auf Erfolg besteht.

Tenor

1. Dem Beschwerdeführer wird wegen der Versäumung der Frist zur Einlegung und Begründung der Verfassungsbeschwerde Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.

2. Die Beschlüsse des Landgerichts Magdeburg vom 25. Juli 2012 - 10 O 939/11 *212* - sowie des Oberlandesgerichts Naumburg vom 7. März 2013 - 12 W 61/12 (PKH) - verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 3 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes; sie werden aufgehoben.

3. Das Verfahren wird an das Landgericht Magdeburg zurückverwiesen.

4. Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

5. Das Land Sachsen-Anhalt hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen für das Verfassungsbeschwerdeverfahren zu ersetzen.

6. Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 25.000 € (in Worten: fünfundzwanzigtausend Euro) festgesetzt.

Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft Entscheidungen zu einem Prozesskostenhilfeantrag in einem Amtshaftungsverfahren.

I.

2

1. Der Beschwerdeführer war Mittäter bei einem Einbruch in einen Baumarkt und einem weiteren Einbruchsversuch. Er und sein Mittäter standen am Tattag bereits unter Beobachtung der Polizei, die die beiden im Anschluss an die Tat auch weiter observierte. Schließlich erfolgte der Zugriff durch ein Mobiles Einsatzkommando (MEK) der Polizei. Dabei positionierten sich nach den vom Beschwerdeführer insoweit nicht bestrittenen Feststellungen des Landgerichts in dem angegriffenen Beschluss drei Fahrzeuge des MEK vor, hinter sowie an der linken Seite des Zielfahrzeugs und zwangen es so zum Stehenbleiben. Der Fahrer des Zielfahrzeugs (nicht der Beschwerdeführer) betätigte daraufhin die Zentralverriegelung.

3

An der hinteren rechten Tür standen zwei MEK-Beamte, die in den Akten als Polizeibeamte P3 und P5 bezeichnet werden. Aus den Akten ergibt sich, dass P3 als sog. Zugriffsbeamter und P5 als sog. Sicherungsbeamter eingesetzt wurden. Dennoch griff P5 selbst in das Geschehen ein, indem er versuchte die hintere rechte Tür des Fahrzeugs zu öffnen. Als Folge des ruckhaften Anziehens an dem Türgriff löste sich unbeabsichtigt ein Schuss aus der Waffe von P5, der den Beschwerdeführer im Gesicht traf und zu schweren Verletzungen führte. So wurde u.a. ein Teil des Kiefers des Beschwerdeführers zerstört.

4

Der Beschwerdeführer hat in der Folge Klage auf Schadensersatz und Schmerzensgeld gegen das Land Sachsen Anhalt erhoben und Prozesskostenhilfe hierfür beantragt.

5

2. Mit angegriffenem Beschluss vom 25. Juli 2012 hat das Landgericht den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe abgewiesen.

6

Unter Bezugnahme auf die Akten aus dem staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren kommt das Landgericht zu dem Ergebnis, dass keine hinreichenden Erfolgsaussichten für die Klage bestünden und begründet dies im Wesentlichen wie folgt:

7

Die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakten könnten im Wege der hier zulässigen Beweisantizipation herangezogen werden. Es sei nicht zu erwarten, dass es im Rahmen einer mündlichen Verhandlung zu anderen Beweisergebnissen kommen werde.

8

Insbesondere sei der von der Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren hinzugezogene Sachverständige zu dem Ergebnis gekommen, dass die große Kraftentfaltung am Türgriff des Wagens mit der nicht waffenführenden Hand habe ausreichen können, um eine Mitaktivierung der linken Hand zu bewirken. Der Ablauf lasse sich danach als eine tragische Abfolge von nicht der Willkür unterliegenden Bewegungsabläufen interpretieren.

9

Dem Beamten P5 könne daher nicht mit hinreichender Sicherheit nachgewiesen werden, dass er schuldhaft seine eigentliche Sicherungsaufgabe vernachlässigt und zumindest zeitweise zu Gunsten einer Unterstützung des P3 aufgegeben oder unterbrochen und dabei unter Vernachlässigung der erforderlichen und ihm auch zumutbaren bestmöglichen Sorgfalt seine Dienstwaffe auf den Fahrzeuginsassen gerichtet und einen Schuss abgefeuert habe, durch welchen der Beschwerdeführer schwer verletzt worden sei.

10

Auch ein öffentlich-rechtlicher Aufopferungsanspruch sei hier zu verneinen. Die Kausalkette sei maßgeblich durch den Mittäter des Beschwerdeführers ausgelöst worden, dessen Handlungsweisen der Beschwerdeführer, als er sich zu diesem ins Auto gesetzt habe, grundsätzlich akzeptiert habe, so dass es zum Risiko des Beschwerdeführers gehöre, dass er bei dieser Aktion - auch erheblich - verletzt werde.

11

3. Mit ebenfalls angegriffenem Beschluss vom 7. März 2013, dem Bevollmächtigten des Beschwerdeführers zugestellt am 4. April 2013, hat das Oberlandesgericht die sofortige Beschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts zurückgewiesen.

12

Das Landgericht habe dem Beschwerdeführer die beantragte Prozesskostenhilfe zu Recht versagt, weil die von ihm beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg biete. Der Antragsteller sei für sämtliche Tatbestandsvoraussetzungen der anspruchsbegründenden Norm darlegungs- und beweispflichtig. Hierzu gehörten insbesondere die Pflichtverletzung und das schuldhafte Handeln des Amtsträgers. Der vom Antragsteller dahingehend getätigte Sachvortrag und die von ihm angebotenen Beweismittel ließen jedoch eine hinreichende Aussicht seiner beabsichtigten Rechtsverfolgung nicht erkennen. Hierbei sei - wie vom Landgericht zutreffend angenommen - eine Beweisantizipation möglich, wenn konkrete und nachvollziehbare Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass die Beweisaufnahme mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Antragstellers ausgehen werde.

13

Zutreffend habe das Landgericht auch einen Anspruch aus aufopferungsgleichem Eingriff versagt. In die Situation der vorläufigen Festnahme, die schließlich zu dem unverschuldeten Schuss des P5 geführt habe, habe sich der Antragsteller durch seine vorangehenden Straftaten selbst gebracht. Ein Sonderopfer treffe ihn damit nicht.

II.

14

Mit seiner am 14. Mai 2013 eingegangenen Verfassungsbeschwerde beantragt der Beschwerdeführer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und rügt eine Verletzung des Anspruchs auf Rechtsschutzgleichheit aus Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG. Er beantragt außerdem den Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Inhalt, die angegriffenen Entscheidungen aufzuheben und die Sache selbst an das Landgericht zur erneuten Entscheidung über den PKH-Antrag des Beschwerdeführers zurückzuverweisen.

15

Zu seinem Wiedereinsetzungsantrag trägt der Beschwerdeführer vor, er habe am letzten Tag der Monatsfrist (6. Mai 2013) zwischen 19.45 Uhr und 23.42 Uhr dreizehnmal versucht, seine Verfassungsbeschwerde per Fax an das Gericht zu senden. Jeder Übermittlungsversuch sei gescheitert, wobei als Meldung angezeigt worden sei, dass das Gerichts-Fax "belegt" sei. Zur Glaubhaftmachung hat er das Fax-Journal sowie die Sendeberichte der gescheiterten Übermittlungsversuche vorgelegt.

16

Seine Verfassungsbeschwerde begründet er im Wesentlichen wie folgt: Die Versagung von Prozesskostenhilfe durch das Landgericht und das Oberlandesgericht stelle für den Beschwerdeführer eine unzulässige Ungleichbehandlung im Sinne des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes dar. Dass weitere Beweisaufnahmen ernsthaft in Betracht kämen, habe der Beschwerdeführer auch im Rahmen seiner sofortigen Beschwerde gegen den angefochtenen Beschluss des Landgerichts dargelegt.

III.

17

Dem Land Sachsen-Anhalt wurde Gelegenheit gegeben, zur Verfassungsbeschwerde Stellung zu nehmen.

IV.

18

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr nach § 93c Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG statt. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig (1.) und offensichtlich begründet, da die angegriffene Entscheidung gegen den in Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verbürgten Anspruch auf Rechtsschutzgleichheit verstößt (2.).

19

1. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig, obwohl sie nicht innerhalb der in § 93 Abs. 1 BVerfGG geregelten Monatsfrist eingelegt und begründet worden ist. Die angegriffene Entscheidung des Oberlandesgerichts ging dem Beschwerdeführer nach eigenen Angaben am 4. April 2013 zu. Die Verfassungsbeschwerde ging jedoch erst am 14. Mai 2013 beim Bundesverfassungsgericht ein.

20

Dem Beschwerdeführer war insoweit jedoch antragsgemäß Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 93 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG zu gewähren. Er hat innerhalb der Frist des § 93 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG glaubhaft gemacht, dass es seinem Bevollmächtigten am Montag den 6. Mai 2013, dem letzten Tag der Frist nach § 93 Abs. 1 BVerfGG, in dreizehn Versuchen nicht gelungen ist, die Beschwerdeschrift per Fax zu übersenden, da der Anschluss des Bundesverfassungsgerichts stets belegt war. Den ersten Übersendungsversuch unternahm er um 19.45 Uhr und somit mehr als vier Stunden vor Mitternacht. Dies war für den am Tag des Fristablaufs stets zu beachtenden zeitlichen Sicherheitszuschlag angesichts des eher geringen Umfangs der Verfassungsbeschwerde ausreichend (vgl. BVerfGK 7, 215 <216>).

21

2. Die Verfassungsbeschwerde ist auch begründet. Die Beschlüsse des Landgerichts Magdeburg und des Oberlandesgerichts Naumburg verletzen den in Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verbürgten Anspruch des Beschwerdeführers auf Rechtsschutzgleichheit.

22

a) Die Auslegung und Anwendung der Vorschriften zur Prozesskostenhilfe obliegen in erster Linie den zuständigen Fachgerichten, die dabei den verfassungsgebotenen Zweck der Prozesskostenhilfe zu beachten haben. Das Bundesverfassungsgericht kann hier nur eingreifen, wenn Verfassungsrecht verletzt ist, insbesondere, wenn die angegriffene Entscheidung Fehler erkennen lässt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung der in Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verbürgten Rechtsschutzgleichheit beruhen (vgl. BVerfGE 81, 347 <357 f.>). Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip gebietet eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes. Es ist dabei verfassungsrechtlich grundsätzlich unbedenklich, die Gewährung von Prozesskostenhilfe davon abhängig zu machen, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig erscheint. Prozesskostenhilfe darf verweigert werden, wenn ein Erfolg in der Hauptsache zwar nicht schlechthin ausgeschlossen, die Erfolgschance aber nur eine entfernte ist; die Anforderungen an die Erfolgsaussichten dürfen jedoch nicht überspannt werden. Die Prüfung der Erfolgsaussicht soll auch nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das Nebenverfahren der Prozesskostenhilfe vorzuverlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen. Das Prozesskostenhilfeverfahren will den Rechtsschutz, den der Rechtsstaatsgrundsatz erfordert, nicht selbst bieten, sondern zugänglich machen (vgl. BVerfGE 81, 347 <357>).

23

Bei der Prüfung der Erfolgsaussichten durch die Fachgerichte hat es das Bundesverfassungsgericht dabei mehrfach unbeanstandet gelassen, wenn diese davon ausgehen, dass eine Beweisantizipation im Prozesskostenhilfeverfahren in eng begrenztem Rahmen zulässig ist. Die verfassungsgerichtliche Prüfung beschränkt sich in diesen Fällen darauf, ob konkrete und nachvollziehbare Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass eine Beweisaufnahme über die streitigen Tatsachen mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Beschwerdeführers ausgehen würde (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 7. Mai 1997 - 1 BvR 296/94 -, NJW 1997, S. 2745; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 23. Januar 1986 - 2 BvR 25/86 -, NVwZ 1987, S. 786; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 2. Januar 1993 - 1 BvR 1697/91 -, FamRZ 1993, S. 664).

24

Diesen eng begrenzten Rahmen verfassungsrechtlich unbedenklicher Beweisantizipation haben die Gerichte in den angegriffenen Entscheidungen jedoch überschritten (b). Zudem wird mit den Ausführungen zum Aufopferungsanspruch die Beantwortung schwieriger Rechtsfragen unzulässig in das Prozesskostenhilfe-Verfahren vorverlagert (c).

25

b) Die Annahme mangelnder Erfolgsaussichten stützen die angegriffenen Entscheidungen ausschließlich auf die Akten des staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens, das gegen den Polizeibeamten P5 durchgeführt wurde. Die angegriffenen Entscheidungen berücksichtigen jedoch nicht, dass Wesen des staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens ist, zu klären, ob die Voraussetzungen für eine Anklageerhebung vorliegen, mithin, ob bei dem jeweiligen Beschuldigten von einer überwiegenden Verurteilungswahrscheinlichkeit auszugehen ist. Insbesondere müssen in ihm nicht alle sich zum Tatgeschehen stellenden Fragen abschließend geklärt, sondern kann die Klärung bestimmter Fragen auch der Hauptverhandlung überlassen werden.

26

aa) Zum einen blieben im staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren bestimmte, möglicherweise entscheidungserhebliche Fragen offen. So stützen sich die angegriffenen Entscheidungen unter anderem auf die Aussage des damaligen Einsatzleiters. Dieser hat gegenüber der Staatsanwaltschaft ausgesagt, dass der Sicherungsbeamte in der Regel nicht die Fahrzeugtür öffnen solle, es aber Abweichungen von den trainierten Handlungselementen gebe, um im konkreten Einsatzgeschehen die Sicherheit der eingesetzten Beamten zu gewährleisten. Hinzu - so der Zeuge weiter - kämen weitere Aspekte im konkreten Einsatz wie die Witterung, das Verhalten von Zielpersonen und auch persönliche Befindlichkeiten, die die Handlungen beeinflussen könnten.

27

Die angegriffenen Entscheidungen setzen sich nicht damit auseinander, dass in dem Ermittlungsverfahren offenbar nicht weiter aufgeklärt wurde, warum im vorliegenden Fall, von der vom Einsatzleiter beschriebenen Regel, dass der Sicherungsbeamte keine Fahrzeugtür öffnen solle, abgewichen wurde. Dass eine Beweisaufnahme über etwa diese Frage mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Beschwerdeführers ausgehen würde, ist nicht zu erkennen.

28

bb) Einer vorweggenommenen Beweiswürdigung steht im vorliegenden Fall zudem entgegen, dass sich das staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren gegen den damals beschuldigten Polizeibeamten P5 richtete, der Prozesskostenhilfeantrag aber für eine gegen das Land gerichtete Klage gestellt worden ist. Ein pflichtwidriges Verhalten des Polizeibeamten P5 ist im Rahmen einer Amtshaftungsklage indes nur eine Möglichkeit, die zu einem Anspruch auf Schadensersatz führen kann. Daneben kann sich ein Anspruch auch aus einem vom jeweiligen Hoheitsträger zu vertretenden Organisationsverschulden ergeben. Die sich in diesem Zusammenhang stellenden Fragen, sind aber nicht oder allenfalls am Rande Gegenstand eines gegen einen Beamten des Landes gerichteten staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens. Dass eine Beweisaufnahme mit großer Wahrscheinlichkeit kein Organisationsverschulden belegt hätte, wird in den angegriffenen Entscheidungen nicht dargelegt und ist auch nicht von vornherein naheliegend.

29

c) Die angegriffenen Entscheidungen verletzen den Anspruch des Beschwerdeführers auf Rechtsschutzgleichheit zudem dadurch, dass sie die Klärung schwieriger Fragen im Zusammenhang mit dem geltend gemachten Aufopferungsanspruch in das Prozesskostenhilfeverfahren vorverlagern.

30

In der fachgerichtlichen Rechtsprechung ist zwar anerkannt, dass der ein Sonderopfer voraussetzende Aufopferungsanspruch nicht gegeben ist, wenn der eingetretene Schaden auf einem eigenen Verhalten des Geschädigten beruht, dessen Gefährlichkeit ihm bewusst sein musste (vgl. BGHZ 60, 302 ff.).

31

Der Beschwerdeführer wurde von der Polizei jedoch nicht "auf frischer Tat" angetroffen und in unmittelbarem Zusammenhang hiermit und womöglich nach vorangegangener Gegenwehr verletzt. Vielmehr waren die Straftaten bereits vollendet und eine gewisse Zeit verstrichen, bis es zum Zugriff kam. Dabei leistete der Beschwerdeführer soweit ersichtlich keine Gegenwehr, sondern saß lediglich in dem - wenn auch von innen verriegelten - PKW. Es lässt sich den angegriffenen Entscheidungen auch nicht entnehmen, dass die konkrete Situation den sofortigen polizeilichen Zugriff erforderte. Die Frage, ob der Beschwerdeführer sich damit in einer ein Sonderopfer ausschließenden Weise selbst in Gefahr gebracht hat, ist daher von solcher Schwierigkeit, dass sie nicht in das Prozesskostenhilfe-Verfahren vorverlagert und durchentschieden werden kann.

32

3. Die Entscheidungen sind aufzuheben und die Sache ist gemäß § 95 Abs. 2 BVerfGG an das Landgericht Magdeburg zurückzuverweisen.

V.

33

Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.

VI.

34

Der Gegenstandswert für das Verfassungsbeschwerdeverfahren ist nach § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG (vgl. BVerfGE 79, 365 <366 ff.>) auf 25.000 € festzusetzen. Die vom Beschwerdeführer beantragten 54.000 € waren nicht festzusetzen. Der Beschwerdeführer hat seinen dahingehenden Antrag mit den zivilgerichtlich jeweils in der Hauptsache geltend gemachten Beträgen begründet. Mit der Verfassungsbeschwerde wurden aber lediglich die im Prozesskostenhilfeverfahren ergangenen Entscheidungen angegriffen.

(1) Wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, wird angemessen entschädigt. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.

(2) Ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, wird vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Hierfür kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß Absatz 4 ausreichend ist. Die Entschädigung gemäß Satz 2 beträgt 1 200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung. Ist der Betrag gemäß Satz 3 nach den Umständen des Einzelfalles unbillig, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen.

(3) Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge). Die Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird; eine Wiederholung der Verzögerungsrüge ist frühestens nach sechs Monaten möglich, außer wenn ausnahmsweise eine kürzere Frist geboten ist. Kommt es für die Verfahrensförderung auf Umstände an, die noch nicht in das Verfahren eingeführt worden sind, muss die Rüge hierauf hinweisen. Anderenfalls werden sie von dem Gericht, das über die Entschädigung zu entscheiden hat (Entschädigungsgericht), bei der Bestimmung der angemessenen Verfahrensdauer nicht berücksichtigt. Verzögert sich das Verfahren bei einem anderen Gericht weiter, bedarf es einer erneuten Verzögerungsrüge.

(4) Wiedergutmachung auf andere Weise ist insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Die Feststellung setzt keinen Antrag voraus. Sie kann in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung ausgesprochen werden; ebenso kann sie ausgesprochen werden, wenn eine oder mehrere Voraussetzungen des Absatzes 3 nicht erfüllt sind.

(5) Eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach Absatz 1 kann frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden. Die Klage muss spätestens sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben werden. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage ist der Anspruch nicht übertragbar.

(6) Im Sinne dieser Vorschrift ist

1.
ein Gerichtsverfahren jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss einschließlich eines Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und zur Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe; ausgenommen ist das Insolvenzverfahren nach dessen Eröffnung; im eröffneten Insolvenzverfahren gilt die Herbeiführung einer Entscheidung als Gerichtsverfahren;
2.
ein Verfahrensbeteiligter jede Partei und jeder Beteiligte eines Gerichtsverfahrens mit Ausnahme der Verfassungsorgane, der Träger öffentlicher Verwaltung und sonstiger öffentlicher Stellen, soweit diese nicht in Wahrnehmung eines Selbstverwaltungsrechts an einem Verfahren beteiligt sind.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
III ZR 228/13
Verkündet am:
17. Juli 2014
K i e f e r
Justizangestellter
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
GVG § 198 Abs. 3 Satz 1; ÜGRG Art. 23 Satz 2

a) Die Frage der Erhebung beziehungsweise Rechtzeitigkeit einer Verzögerungsrüge
betrifft nicht die Zulässigkeit, sondern die Begründetheit einer
Entschädigungsklage nach § 198 GVG.

b) Eine Verzögerungsrüge ist noch "unverzüglich" im Sinne des Art. 23 Satz 2
ÜGRG erhoben, wenn sie spätestens drei Monate nach Inkrafttreten des
Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und
strafrechtlichen Ermittlungsverfahren beim Ausgangsgericht eingegangen
ist (Anschluss an Senatsurteil vom 10. April 2014 - III ZR 335/13, NJW
2014, 1967).
BGH, Urteil vom 17. Juli 2014 - III ZR 228/13 - OLG Rostock
Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 17. Juli 2014 durch den Vizepräsidenten Schlick und die Richter Dr. Herrmann
, Wöstmann, Seiters und Reiter

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Rostock vom 22. Mai 2013 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsrechtszugs, an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand


1
Der Kläger nimmt das beklagte Land im Wege der Feststellungs- und Leistungsklage auf Entschädigung für materielle und immaterielle Nachteile wegen überlanger Dauer eines Zivilrechtsstreits in Anspruch.
2
Das Ausgangsverfahren betrifft einen Zivilprozess, der im Januar 2001 vor dem Landgericht S. eingeleitet wurde und Schadensersatzansprüche des Klägers wegen unberechtigter außerordentlicher Kündigung eines Vertrags zur Jungviehaufzucht zum Gegenstand hat. Hinsichtlich eines Betrags von 30.000 € erklärten die Parteien den Rechtsstreit in der Hauptsache für erle- digt. Nach Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens und mehrerer ergänzender Stellungnahmen erging am 21. April 2009 ein Teilurteil. Soweit das Landgericht darin auf Zahlung eines Betrags von rund 44.000 € an den Kläger erkannte, wurde das Urteil rechtskräftig. Im Übrigen wurde es durch Berufungsurteil des Oberlandesgerichts R. vom 1. Oktober 2009 aufgehoben. Im weiteren Verfahrensgang holte das Landgericht ein Obergutachten ein und verkündete schließlich am 23. März 2012 ein Schlussurteil, in dem es dem Kläger weitere 116.700 € zusprach. Das Verfahren ist noch nicht abgeschlossen. Es befindet sich derzeit im Berufungsrechtszug.
3
Mit Anwaltsschriftsatz vom 28. Dezember 2011, der am 30. Dezember 2011 beim Landgericht einging, erhob der Kläger eine Verzögerungsrüge unter Hinweis auf § 198 GVG. Bereits zuvor hatte er am 8. April 2004 und 16. Januar 2009 förmliche Untätigkeitsbeschwerden erhoben, die das Oberlandesgericht als unzulässig verwarf. Einen mit Schriftsatz vom 22. Januar 2009 gegenüber der Justizverwaltung geltend gemachten Anspruch auf immateriellen Scha- densersatz in Höhe von 10.000 € lehnte der Präsident des Landgerichts mit Bescheid vom 11. Mai 2011 ab. Die dagegen an das Justizministerium des beklagten Landes gerichtete Beschwerde blieb erfolglos.
4
Mit Anwaltsschriftsatz vom 23. April 2012, der am 26. April 2012 beim Oberlandesgericht R. einging, reichte der Kläger die vorliegende Entschädigungsklage ein, die dem Beklagten - nach verzögerter Einzahlung des Gerichtskostenvorschusses durch den Kläger - erst am 9. August 2012 zugestellt wurde.
5
Der Kläger hat geltend gemacht, die streitgegenständliche Verfahrensdauer von inzwischen mehr als elf Jahren sei schon dem ersten Anschein nach nicht mehr angemessen. Der derzeit noch nicht bezifferbare materielle Schaden resultiere daraus, dass ihm während der Prozessdauer ein Betrag von nahezu 200.000 € vorenthalten worden sei. Wegen der erlittenen Existenzängste und des offenkundigen Desinteresses der Justiz an der Bearbeitung seiner Ansprüche sei eine Entschädigung für immaterielle Nachteile in Höhe von mindestens 50.000 € gerechtfertigt. Da er die Verfahrensdauer kontinuierlich beanstandet habe, komme es auf die am 30. Dezember 2011 erhobene Verzögerungsrüge nicht mehr an.
6
Das Oberlandesgericht hat die Klage als unzulässig abgewiesen. Mit seiner vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine erstinstanzlichen Anträge weiter.

Entscheidungsgründe


7
Die zulässige Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Oberlandesgericht.

I.


8
Das Oberlandesgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:
9
Die Entschädigungsklage sei unzulässig. Nach Art. 23 Satz 1 Halbsatz 1 des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (ÜGRG) vom 24. November 2011 (BGBl. I S. 2302) sei die Entschädigungsregelung der §§ 198 ff GVG auf das seit Januar 2001 anhängige Ausgangsverfahren anwendbar. Die sechsmonatige Wartefrist des § 198 Abs. 5 Satz 1 GVG habe der Kläger zwar nicht einhalten müssen, weil das verzögerte erstinstanzliche Verfahren bei Erhebung der Entschädigungsklage am 23. April 2012 bereits abgeschlossen gewesen sei und die Verzögerungsrüge deshalb die ihr vom Gesetzgeber beigemessene Funktion nicht mehr habe entfalten können. Der Kläger habe jedoch die Vorgabe des Art. 23 Satz 2 ÜGRG, wonach die Verzögerungsrüge unverzüglich nach dem Inkrafttreten des Gesetzes (am 3. Dezember 2011) zu erheben sei, nicht erfüllt. Die am 30. Dezember 2011 eingegangene Verzögerungsrüge sei mehr als drei Wochen und sechs Tage nach diesem Zeitpunkt erhoben worden. Sie sei daher verspätet, da "unverzüglich" im Sinne des Art. 23 Satz 2 ÜGRG "ohne schuldhaftes Zögern" (§ 121 Abs. 1 Satz 1 BGB) bedeute. Die in der Regel als Obergrenze anzunehmende Frist von zwei Wochen gelte auch im Streitfall. Die neue Entschädigungsregelung sei frühzeitig Gegenstand von Fachpublikationen gewesen. Der eindeutige Gesetzeswortlaut habe dem Prozessbevollmächtigten des Klägers bekannt sein müssen. Der Kläger sei daher zur Wahrung seiner Rechte gehalten gewesen, eine Verzögerungsrüge gemäß § 198 Abs. 3 Satz 1 GV binnen zwei Wochen nach dem Inkrafttreten des Gesetzes zu erheben. Er könne sich auch nicht darauf berufen, die Unangemessenheit der Verfahrensdauer bereits vor dem Inkrafttreten der neuen Entschädigungsregelung mehrfach gerügt zu haben. Frühere Beanstandungen der Verfahrensdauer stünden einer Verzögerungsrüge gemäß § 198 Abs. 3 Satz 1 GVG nicht gleich.

II.


10
Diese Beurteilung hält der rechtlichen Überprüfung in mehreren Punkten nicht stand.
11
Entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts betrifft die Frage der Erhebung beziehungsweise Rechtzeitigkeit einer Verzögerungsrüge nicht die Zulässigkeit, sondern die Begründetheit der Entschädigungsklage.
12
Die am 30. Dezember 2011 beim Landgericht eingegangene Verzögerungsrüge ist "unverzüglich" nach Inkrafttreten des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (ÜGRG) erhoben worden. Sie hat damit gemäß Art. 23 Satz 2 und 3 ÜGRG Entschädigungsansprüche auch für den der Rüge vorausgehenden Zeitraum gewahrt.
13
1. Im Ausgangspunkt zutreffend hat das Oberlandesgericht angenommen, dass die Entschädigungsregelung bei überlanger Verfahrensdauer (§§ 198 ff GVG) nach der Übergangsvorschrift des Art. 23 Satz 1 Halbsatz 1 ÜGRG auf den Streitfall Anwendung findet. Danach gilt dieses Gesetz auch für Verfahren, die bei seinem Inkrafttreten am 3. Dezember 2011 (gemäß Art. 24 ÜGRG) bereits anhängig waren. Diese Voraussetzung ist hier erfüllt. Das im Januar 2001 eingeleitete Ausgangsverfahren war zum maßgeblichen Stichtag weder rechtskräftig abgeschlossen noch anderweitig erledigt.
14
2. Anders als das Oberlandesgericht meint, hat das Fehlen einer Verzögerungsrüge (§ 198 Abs. 3 Satz 1 GVG) oder die nicht unverzügliche Erhebung einer solchen Rüge (Art. 23 Satz 2 ÜGRG) nicht die Unzulässigkeit der Ent- schädigungsklage zur Folge. Vielmehr ist die Verzögerungsrüge als materielle Voraussetzung des Entschädigungsanspruchs konzipiert und nicht als Zulässigkeitskriterium für dessen prozessuale Geltendmachung (BT-Drucks. 17/3802 S. 20). § 198 Abs. 3 Satz 1 GVG normiert als zwingende Entschädigungsvoraussetzung , dass der Betroffene in dem Verfahren, für dessen Dauer er entschädigt werden möchte, eine Verzögerungsrüge erhoben hat. Dabei handelt es sich um eine haftungsbegründende Obliegenheit (Senatsurteile vom 23. Januar 2014 - III ZR 37/13, NJW 2014, 939 Rn. 27 und vom 10. April 2014 - III ZR 335/14, NJW 2014, 1967 Rn. 21; siehe auch BFHE 243, 126 Rn. 24 und BSG, NJW 2014, 253 Rn. 27). Wird die Verzögerungsrüge nicht unverzüglich gemäß Art. 23 Satz 2 ÜGRG erhoben, hat dies zur Folge, dass Entschädigungsansprüche wegen überlanger Verfahrensdauer bis zum Rügezeitpunkt materiell-rechtlich präkludiert sind (grundlegend Senatsurteil vom 10. April 2014 aaO Rn. 27 ff). Die Zulässigkeit der Klage bleibt davon unberührt (vgl. BFHE aaO; BSG aaO).
15
3. Entgegen der Auffassung der Revision haben die förmlichen Untätigkeitsbeschwerden des Klägers vom 8. April 2004 und 16. Januar 2009 sowie sein Schadensersatzverlangen vom 22. Januar 2009 die Erhebung einer Verzögerungsrüge nicht entbehrlich gemacht. Nach dem eindeutigen Wortlaut des Art. 23 Satz 2 ÜGRG muss in anhängigen, bereits verzögerten Verfahren die Verzögerungsrüge "unverzüglich nach Inkrafttreten" des Gesetzes erhoben werden. Allein dadurch wird der Entschädigungsanspruch rückwirkend in vollem Umfang gewahrt (Art. 23 Satz 3 ÜGRG; BT-Drucks. 17/3802 S. 31). Bereits vor dem Inkrafttreten des Gesetzes erhobene Verzögerungsrügen erfüllen diese Voraussetzung nicht. Da sie keine präventive Warnfunktion im Sinne der §§ 198 ff GVG entfalten konnten, sind sie nicht geeignet, einen Entschädigungsanspruch zu begründen (BFHE aaO Rn. 25; OLG Bremen, NJW 2013, 2209, 2010). Dementsprechend bestimmt Art. 23 Satz 4 ÜGRG, dass es einer Verzögerungsrüge dann nicht bedarf, wenn bei einem anhängigen Verfahren die Verzögerung in einer - bei Inkrafttreten des Gesetzes - schon abgeschlossenen Instanz erfolgt ist (siehe auch BT-Drucks. 17/3802 S. 31).
16
4. Dem Oberlandesgericht kann nicht darin gefolgt werden, dass die Einhaltung der Wartefrist gemäß § 198 Abs. 5 Satz 1 GVG im Streitfall entbehrlich war. Allerdings hat das Gericht zugleich verkannt, dass die Entschädigungsklage nicht schon am 23. April 2012 (Fertigung der am 26. April beim Oberlandesgericht eingegangenen Klageschrift), sondern erst am 9. August 2012 (Zustellung der Klageschrift an den Beklagten) - mithin nicht vorzeitig - erhoben worden ist.
17
a) Nach § 198 Abs. 5 Satz 1 GVG kann der Entschädigungsanspruch frühestens sechs Monate nach wirksamer Erhebung der Verzögerungsrüge gerichtlich geltend gemacht werden. Der Sinn dieser Wartefrist besteht darin, dem Gericht des Ausgangsverfahrens die Möglichkeit einzuräumen, auf eine Beschleunigung des Verfahrens hinzuwirken und dadurch (weiteren) Schaden zu vermeiden (Senatsurteil vom 21. Mai 2014 - III ZR 355/13, BeckRS 2014, 12289 Rn. 17). Zugleich sollen die Entschädigungsgerichte vor verfrühten Entschädigungsklagen geschützt werden (Ott in Steinbeiß-Winkelmann/Ott, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, § 198 GVG Rn. 245). Die Einhaltung der Frist ist eine besondere Sachurteilsvoraussetzung, die in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen ist. Eine vor Fristablauf erhobene Klage wird nach Ablauf der Frist nicht zulässig. Es liegt kein heilbarer Mangel vor. Nach dem Gesetzeswortlaut kommt es für die Einhaltung der Wartefrist allein auf den Zeitpunkt der Klageerhebung an. Zudem könnte andernfalls die vorgenannte Schutzfunktion der Frist für die Entschädigungsgerichte unterlau- fen werden (Marx in Marx/Roderfeld, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsund Ermittlungsverfahren, § 198 GVG Rn. 152, 154; Ott aaO § 198 GVG Rn. 247, 250; anders Loytved, SGb 2014, 293, 295 f für den Fall, dass bei Klageerhebung bereits mehrere Monate seit der Verzögerungsrüge vergangen sind).
18
b) Nach der Rechtsprechung des Senats kann eine Entschädigungsklage ausnahmsweise vorzeitig erhoben werden, wenn das betroffene Verfahren schon vor Fristablauf beendet wurde. Ein Abwarten der Frist würde insofern im Hinblick auf den Zweck des § 198 Abs. 5 Satz 1 GVG keinen Sinn mehr machen. In diesen Fällen ist die Fristenregelung des § 198 Abs. 5 Satz 1 GVG teleologisch dahin einzuschränken, dass dann, wenn das als verspätet gerügte Verfahren schon vor Ablauf der Sechs-Monats-Frist abgeschlossen wurde, bereits vom Moment des Verfahrensabschlusses an eine Entschädigungsklage zulässig ist (Senatsurteil vom 21. Mai 2014 aaO Rn. 17). So liegt der Fall hier aber nicht.
19
Das Ausgangsverfahren ist noch nicht beendet, da das am 23. März 2012 verkündete Schlussurteil des Landgerichts mit der Berufung angefochten wurde. Vor dem Hintergrund des Zwecks des § 198 Abs. 5 Satz 1 GVG - das Ausgangsgericht soll genügend Zeit haben, das Verfahren zu fördern und in angemessener Zeit abzuschließen oder jedenfalls eine weitere Verzögerung zu vermeiden - besteht keine Veranlassung, auf das Fristerfordernis bereits dann zu verzichten, wenn lediglich die Instanz, auf deren Dauer das Entschädigungsverlangen gestützt wird und in der die Verzögerungsrüge erhoben wurde, vor Ablauf von sechs Monaten nach Rügeerhebung abgeschlossen wurde (so aber Marx aaO § 198 GVG Rn. 150 f). Das zunächst verzögerte Verfahren kann in einer höheren Instanz besonders zügig geführt werden, so dass die Wahrung der Sechs-Monats-Frist auch nach Abschluss einer Instanz sinnvoll ist. Sie gibt nämlich dem Rechtsmittelgericht Gelegenheit, eine in der Vorinstanz eingetretene Verzögerung zu kompensieren. Demgemäß muss das Entschädigungsgericht bei der abschließenden Würdigung nach § 198 Abs. 1 GVG das gesamte Verfahren in den Blick nehmen und prüfen, ob Verzögerungen innerhalb einer späteren Phase des Prozesses ausgeglichen wurden (Senatsurteile vom 14. November 2013 - III ZR 376/12, NJW 2014, 220 Rn. 30; vom 5. Dezember 2013 - III ZR 73/13, NJW 2014, 789 Rn. 41; vom 23. Januar 2014 - III ZR 37/13, NJW 2014, 939 Rn. 37; vom 13. Februar 2014 - III ZR 311/13, NJW 2014, 1183 Rn. 28 und vom 10. April 2014 - III ZR 335/13, NJW 2014, 1967 Rn. 39). Es ist zudem nicht erkennbar, dass ein Zuwarten von wenigen Wochen oder Monaten bis zum Ablauf der Frist eine nennenswerte Einschränkung des Rechtsschutzes für den Entschädigungskläger darstellen würde (vgl. Stahnecker, Entschädigung bei überlangen Gerichtsverfahren, Rn. 166).
20
c) Der Kläger hat die sechsmonatige Wartefrist eingehalten. Die Fristberechnung bestimmt sich nach § 201 Abs. 2 Satz 1 GVG i.V.m § 222 ZPO und § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 BGB (Marx aaO § 198 GVG Rn. 153; Ott aaO § 198 GVG Rn. 249). Für den Beginn der Frist war der Eingang der Verzögerungsrüge am 30. Dezember 2011 als Ereignis im Sinne des § 187 Abs. 1 BGB maßgebend. Die Frist endete gemäß § 188 Abs. 2 BGB mit Ablauf des 30. Juni 2012. Der Umstand, dass die Entschädigungsklage bereits am 26. April 2012 beim Oberlandesgericht eingereicht wurde, ist unschädlich. Vielmehr ist entscheidend , dass die Klage, nachdem der Kläger den Gerichtskostenvorschuss gemäß §§ 12a, 12 Abs. 1 Satz 1 GKG i.V.m. KV Nr. 1212 erst am 7. August 2012 eingezahlt hatte, an das beklagte Land am 9. August 2012 zugestellt worden ist. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Einhaltung der Wartefrist ist nach dem klaren Wortlaut des § 198 Abs. 5 Satz 1 GVG nicht die Einreichung, sondern die Erhebung der Entschädigungsklage (Marx aaO Rdnr. 154). Letztere erfolgt nach § 201 Abs. 2 Satz 1 GVG i.V.m. § 253 Abs. 1 ZPO durch Zustellung der Klageschrift an den Beklagten, sobald die Gebühr für das Verfahren im Allgemeinen gemäß §§ 12a, 12 Abs. 1 Satz 1 GKG eingezahlt ist.
21
Eine Rückwirkung der Zustellung der Klageschrift nach § 167 ZPO kommt im vorliegenden Zusammenhang nicht in Betracht. Die Vorschrift soll den Zustellungsveranlasser vor den Nachteilen aus Zustellungsverzögerungen innerhalb des gerichtlichen Geschäftsbetriebs bewahren (vgl. nur Senatsurteil vom 6. März 2008 - III ZR 206/07, NJW 2008, 1674 Rn. 12 mwN), ihm aber nicht - umgekehrt - einen Nachteil zufügen. Aus diesem Grund besteht vorliegend auch keine Veranlassung zu prüfen, ob der Kläger alles Erforderliche unternommen hat, um eine zügige Zustellung zu gewährleisten.
22
5. Die Annahme des Oberlandesgerichts, die am 30. Dezember 2011 eingegangene Verzögerungsrüge sei nicht "unverzüglich" im Sinne von Art. 23 Satz 2 ÜGRG erhoben worden, wird von der Revision zu Recht beanstandet. Diese Frage hat der Senat - nach Verkündung des angefochtenen Urteils - mit Urteil vom 10. April 2014 (III ZR 335/13, NJW 2014, 1967) grundlegend dahin entschieden, dass eine Verzögerungsrüge noch "unverzüglich" erhoben ist, wenn sie spätestens drei Monate nach Inkrafttreten des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren beim Ausgangsgericht einging. Da die neue Entschädigungsregelung am 3. Dezember 2011 in Kraft getreten ist, lag die Verzögerungsrüge noch innerhalb der dem Kläger eingeräumten Zeitspanne.
23
Wird die Entschädigungsregelung - wie hier - nach Art. 23 Satz 1 Halbsatz 1 ÜGRG auf Altfälle angewandt, die am 3. Dezember 2011 bereits anhängig , aber noch nicht abgeschlossen waren, wird das Recht der Verzögerungsrüge durch Art. 23 Satz 2 und 3 ÜGRG an die Besonderheiten dieser Verfahrenskonstellation angepasst (BT-Drucks. 17/3802 S. 31). Bei Verfahren, die beim Inkrafttreten der Regelung schon verzögert sind, muss die Verzögerungsrüge "unverzüglich" erhoben werden.
24
Da das Oberlandesgericht zu dem bestrittenen Vorbringen des Klägers, das Ausgangsverfahren hätte bei angemessener Verfahrensförderung innerhalb eines Jahres vollständig abgeschlossen werden können, keine Feststellungen getroffen hat, ist bei der revisionsgerichtlichen Nachprüfung zugunsten des Klägers davon auszugehen, dass das Verfahren zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der §§ 198 ff GVG bereits erheblich verzögert war.
25
"Unverzüglich" bedeutet nach der Gesetzesbegründung "ohne schuldhaftes Zögern" (BT-Drucks. 17/3802 S. 31). Damit wird die Legaldefinition in § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB in Bezug genommen, die nach allgemeiner Auffassung auch über die Fälle des § 121 BGB hinaus gilt (Palandt/Ellenberger, BGB, 73. Aufl., § 121 Rn. 3).
26
Soweit Art. 23 Satz 2 ÜGRG die unverzügliche Erhebung der Verzögerungsrüge nach Inkrafttreten der Entschädigungsregelung verlangt, ist kein sofortiges Handeln geboten. Vielmehr muss dem Betroffenen eine angemessene Prüfungs- und Überlegungsfrist eingeräumt werden, um entscheiden zu können , ob er seine Rechte durch eine Verzögerungsrüge wahren muss. Die von der Rechtsprechung zu § 121 BGB herausgebildete Obergrenze von zwei Wochen beziehungsweise die zweiwöchige gesetzliche Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB stellen insoweit einen zu engen Maßstab dar (Senatsurteil vom 10. April 2014 aaO 25 mwN). Bei der Bemessung der gemäß Art. 23 Satz 2 ÜGRG angemessenen Überlegungsfrist ist vor allem der Zweck des Gesetzes in den Blick zu nehmen, durch Einräumung eines Entschädigungsanspruchs gegen den Staat bei überlanger Verfahrensdauer eine Rechtsschutzlücke zu schließen und eine Regelung zu schaffen, die sowohl den Anforderungen des Grundgesetzes (Art. 19 Abs. 4, Art. 20 Abs. 3 GG) als auch denen der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Art. 6 Abs. 1, Art. 13 EMRK) gerecht wird (BT-Drucks. 17/3802 S. 15). Es kommt hinzu, dass das Gesetz nur einen Tag vor seinem Inkrafttreten verkündet worden ist (Art. 24 ÜGRG). Diese Gesichtspunkte sprechen dafür, den Begriff der "Unverzüglichkeit" in Art. 23 Satz 2 ÜGRG weit zu verstehen. Der Senat hat deshalb eine Drei-Monats-Frist für erforderlich gehalten, um den Erfordernissen eines effektiven Menschenrechtsschutzes zu entsprechen und den Betroffenen in allen Fällen ausreichend Zeit für die Prüfung zu geben, ob eine entschädigungspflichtige Verzögerung bereits eingetreten und eine Rügeerhebung deshalb geboten ist (Senatsurteil aaO; siehe auch BFHE 243, 126 Rn. 31 ff; Loytved, SGb 2014, 293, 295).

III.


27
Das angefochtene Urteil ist demnach aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO) und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückzuverweisen, weil sie nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 ZPO). Das Oberlandesgericht wird nunmehr erstmals zu prüfen haben, ob die Voraussetzungen für einen Entschädigungsanspruch nach § 198 Abs. 1, 2 GVG vorliegen.
Schlick Herrmann Wöstmann
Seiters Reiter
Vorinstanz:
OLG Rostock, Entscheidung vom 22.05.2013 - 1 SchH 2/12 -

(1) Wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, wird angemessen entschädigt. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.

(2) Ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, wird vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Hierfür kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß Absatz 4 ausreichend ist. Die Entschädigung gemäß Satz 2 beträgt 1 200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung. Ist der Betrag gemäß Satz 3 nach den Umständen des Einzelfalles unbillig, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen.

(3) Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge). Die Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird; eine Wiederholung der Verzögerungsrüge ist frühestens nach sechs Monaten möglich, außer wenn ausnahmsweise eine kürzere Frist geboten ist. Kommt es für die Verfahrensförderung auf Umstände an, die noch nicht in das Verfahren eingeführt worden sind, muss die Rüge hierauf hinweisen. Anderenfalls werden sie von dem Gericht, das über die Entschädigung zu entscheiden hat (Entschädigungsgericht), bei der Bestimmung der angemessenen Verfahrensdauer nicht berücksichtigt. Verzögert sich das Verfahren bei einem anderen Gericht weiter, bedarf es einer erneuten Verzögerungsrüge.

(4) Wiedergutmachung auf andere Weise ist insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Die Feststellung setzt keinen Antrag voraus. Sie kann in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung ausgesprochen werden; ebenso kann sie ausgesprochen werden, wenn eine oder mehrere Voraussetzungen des Absatzes 3 nicht erfüllt sind.

(5) Eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach Absatz 1 kann frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden. Die Klage muss spätestens sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben werden. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage ist der Anspruch nicht übertragbar.

(6) Im Sinne dieser Vorschrift ist

1.
ein Gerichtsverfahren jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss einschließlich eines Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und zur Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe; ausgenommen ist das Insolvenzverfahren nach dessen Eröffnung; im eröffneten Insolvenzverfahren gilt die Herbeiführung einer Entscheidung als Gerichtsverfahren;
2.
ein Verfahrensbeteiligter jede Partei und jeder Beteiligte eines Gerichtsverfahrens mit Ausnahme der Verfassungsorgane, der Träger öffentlicher Verwaltung und sonstiger öffentlicher Stellen, soweit diese nicht in Wahrnehmung eines Selbstverwaltungsrechts an einem Verfahren beteiligt sind.

(1) Gegen die Entscheidungen der Sozialgerichte mit Ausnahme der Urteile und gegen Entscheidungen der Vorsitzenden dieser Gerichte findet die Beschwerde an das Landessozialgericht statt, soweit nicht in diesem Gesetz anderes bestimmt ist.

(2) Prozeßleitende Verfügungen, Aufklärungsanordnungen, Vertagungsbeschlüsse, Fristbestimmungen, Beweisbeschlüsse, Beschlüsse über Ablehnung von Beweisanträgen, über Verbindung und Trennung von Verfahren und Ansprüchen und über die Ablehnung von Gerichtspersonen und Sachverständigen können nicht mit der Beschwerde angefochten werden.

(3) Die Beschwerde ist ausgeschlossen

1.
in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, wenn in der Hauptsache die Berufung der Zulassung bedürfte,
2.
gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe, wenn
a)
das Gericht die persönlichen oder wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Prozesskostenhilfe verneint,
b)
in der Hauptsache die Berufung der Zulassung bedürfte oder
c)
das Gericht in der Sache durch Beschluss entscheidet, gegen den die Beschwerde ausgeschlossen ist,
3.
gegen Kostengrundentscheidungen nach § 193,
4.
gegen Entscheidungen nach § 192 Abs. 4, wenn in der Hauptsache kein Rechtsmittel gegeben ist und der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 Euro nicht übersteigt.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
III ZR 355/13
Verkündet am:
21. Mai 2014
Kiefer
Justizangestellter
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Das Anhörungsrügeverfahren (hier: § 44 FamFG) und das vorangegangene
Hauptsacheverfahren stellen ein einheitliches Gerichtsverfahren im Sinne von
§ 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG dar. Die Entschädigungsregelung bei überlanger Verfahrensdauer
(§§ 198 ff GVG) ist auf das Anhörungsrügeverfahren unmittelbar
anzuwenden.
BGH, Urteil vom 21. Mai 2014 - III ZR 355/13 - OLG Dresden
Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anordnung des schriftlichen
Verfahrens mit einer Schriftsatzfrist bis zum 17. April 2014 durch den Vizepräsidenten
Schlick und die Richter Wöstmann, Tombrink, Dr. Remmert und Reiter

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 19. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Dresden vom 24. Juli 2013 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsrechtszugs, an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand


1
Der Kläger nimmt das beklagte Land auf Entschädigung für immaterielle Nachteile wegen überlanger Dauer eines Anhörungsrügeverfahrens nach § 44 FamFG in Anspruch.
2
Der Kläger ist Vater zweier minderjähriger ehelicher Kinder. Nach rechtskräftiger Ehescheidung regelte das Familiengericht durch Beschluss vom 18. Oktober 2010 den Umgang des Klägers mit seinen Kindern und übertrug das Aufenthaltsbestimmungsrecht sowie das Recht zur Bestimmung des Schulbesuchs auf die Kindesmutter. Die dagegen eingelegte Beschwerde des Klä- gers wies das Oberlandesgericht nach mündlicher Verhandlung mit Beschluss vom 6. Oktober 2011 zurück. Die Rechtsbeschwerde wurde nicht zugelassen (§ 70 Abs. 2 FamFG). Nach Zugang der schriftlichen Entscheidungsgründe Ende Oktober 2011 erhob der Kläger mit Schriftsatz vom 7. November 2011 "Gehörsrüge nach § 44 FamFG", mit der er sein Beschwerdeziel weiterverfolgte. Zur Begründung führte er aus, das Beschwerdegericht habe seine Entscheidung "überbeschleunigt" und ihm keine Gelegenheit gegeben, sich angemessen mit dem Ergebnis eines Sachverständigengutachtens auseinanderzusetzen.
3
Der Vorsitzende des zuständigen Familiensenats verfügte am 14. November 2011 die Übersendung der Gehörsrüge an den Prozessbevollmächtigten der Kindesmutter zur Stellungnahme binnen zwei Wochen. Diese lag dem Senat am 5. Dezember 2011 vor. Nachdem der Kläger mit Schriftsätzen vom 5. und 23. Dezember 2011 eine zügige Entscheidung angemahnt und mit Schriftsatz vom 25. Mai 2012 die Sachbehandlung durch den Familiensenat als "skandalös" beanstandet hatte, wies das Oberlandesgericht die Anhörungsrüge mit Beschluss vom 23. Juli 2012 zurück.
4
Mit seiner Entschädigungsklage hat der Kläger geltend gemacht, das Beschwerdegericht habe die Entscheidung über seine Gehörsrüge unangemessen verzögert. Der Beklagte schulde deshalb eine monatliche Entschädi- gung von 150 € (insgesamt 825 €).
5
Das Oberlandesgericht hat die Klage abgewiesen und die Revision zugelassen. Der Kläger verfolgt mit der Revision seinen erstinstanzlichen Antrag weiter.

Entscheidungsgründe


6
Die zulässige Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Oberlandesgericht.

I.


7
Das Oberlandesgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:
8
Dem Kläger stehe wegen der behaupteten unangemessenen Dauer des Anhörungsrügeverfahrens schon deshalb kein Entschädigungsanspruch zu, weil der geltend gemachte Anspruch von vornherein nicht in den Anwendungsbereich der § 198 ff GVG falle. Die Anhörungsrüge nach § 44 FamFG sei kein Gerichtsverfahren im Sinne von § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG. Das Hauptsacheverfahren sei durch den Beschluss des Beschwerdegerichts vom 6. Oktober 2011 rechtskräftig abgeschlossen worden. Da die nachfolgende Anhörungsrüge lediglich die Möglichkeit einer justizinternen Selbstkorrektur und damit eine Durchbrechung der Rechtskraft ermöglicht habe, stelle sie auch entschädigungsrechtlich kein eigenständiges Gerichtsverfahren dar. Es komme hinzu, dass die formalen Anforderungen an die Geltendmachung eines Entschädigungsanspruchs mit dem Ablauf des Anhörungsrügeverfahrens nicht in Einklang zu bringen seien. Nach § 198 Abs. 5 Satz 2 GVG müsse die Entschädigungsklage spätestens sechs Monate nach dem rechtskräftigen Abschluss des Ausgangsverfahrens erhoben werden. Diese Voraussetzung könne nicht erfüllt werden, da die Entscheidung über die Anhörungsrüge nicht in Rechtskraft erwachse.

II.


9
Diese Beurteilung hält der rechtlichen Überprüfung nicht stand.
10
Entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts stellen das Anhörungsrügeverfahren nach § 44 FamFG und das vorangegangene Hauptsacheverfahren entschädigungsrechtlich ein einheitliches Gerichtsverfahren dar. Die Entschädigungsregelung bei überlanger Verfahrensdauer (§§ 198 ff GVG) ist auf das durch die Gehörsrüge eröffnete Rechtsbehelfsverfahren unmittelbar anzuwenden.
11
1. § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG enthält eine Legaldefinition des Gerichtsverfahrens im entschädigungsrechtlichen Sinn. Danach gilt der gesamte Zeitraum von der Einleitung eines Verfahrens in der ersten Instanz bis zur endgültigen rechtskräftigen Entscheidung als ein Verfahren (BT-Drucks. 17/3802 S. 22), wobei das Gesetz von einem an der Hauptsache orientierten Verfahrensbegriff ausgeht. Gerichtsverfahren ist nicht jeder einzelne Antrag oder jedes Gesuch im Zusammenhang mit dem verfolgten Rechtsschutzbegehren (Senatsurteile vom 5. Dezember 2013 - III ZR 73/13, NJW 2014, 789 Rn. 20 und vom 13. März 2014 - III ZR 91/13, BeckRS 2014, 06851 Rn. 23).
12
a) Durch die Gehörsrüge nach § 44 FamFG, die darauf abzielt, eine neue Entscheidung in der Sache herbeizuführen und die Rechtskraft des angegriffenen Beschlusses zu beseitigen, wird kein selbständiges Verfahren eingeleitet.
Vielmehr ist das Rügeverfahren dem durch den angegriffenen Beschluss zunächst beendeten Verfahren als Annex angegliedert. Es dient ausschließlich dem Zweck, das vorangegangene Verfahren auf den behaupteten Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG zu prüfen und führt bei begründeter Rüge zur Fortführung des ursprünglichen Verfahrens. Die Anhörungsrüge ist kein Rechtsmittel. Sie weist weder einen Suspensiv- noch einen Devolutiveffekt auf (Keidel/MeyerHolz , FamFG, 18. Aufl., § 44 Rn. 41, 58, 62; siehe auch Musielak, ZPO, 11. Aufl., § 321a Rn. 2; Zöller/Vollkommer, ZPO, 30. Aufl., § 321a Rn. 2, 15 ff). Das Anhörungsrügeverfahren ist nach alledem kein selbständiges Verfahren. Es wird dem Hauptsacheverfahren hinzugerechnet und ist somit Teil eines einheitlichen Gerichtsverfahrens im Sinne von § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG. Kommt es (erstmals) im Anhörungsrügeverfahren zu einer sachlich nicht mehr gerechtfertigten Verzögerung, entsteht kein isolierter Entschädigungsanspruch (anders Guckelberger, DÖV 2012, 289, 294; Ott in Steinbeiß-Winkelmann/Ott, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, § 198 GVG Rn. 54). Vielmehr muss die Bearbeitungsdauer für die Gehörsrüge in die abschließende Betrachtung der Gesamtverfahrensdauer einbezogen werden. Denn Verzögerungen, die in einem Stadium des Verfahrens oder bei einzelnen Verfahrensabschnitten eingetreten sind, bewirken nicht zwingend die Unangemessenheit der Verfahrensdauer. Erforderlich ist vielmehr eine abschließende Gesamtabwägung (siehe Senatsurteile vom 14. November 2013 - III ZR 376/12, NJW 2014, 220 Rn. 28 ff; vom 5. Dezember 2013 - III ZR 73/13 aaO Rn. 40 ff; vom 23. Januar 2014 - III ZR 37/13, NJW 2014, 939 Rn. 36 ff; vom 13. Februar 2014 - III ZR 311/13, NJW 2014, 1183 Rn. 26 ff und vom 13. März 2014 - III ZR 91/13 aaO Rn. 31 ff zu den maßgeblichen Abwägungskriterien).
13
b) Nach diesem Maßstab hätte das Oberlandesgericht die Anwendbarkeit der §§ 198 ff GVG auf die streitgegenständliche Gehörsrüge nicht ablehnen dürfen. Das familiengerichtliche Sorge- und Umgangsrechtsverfahren wurde durch unanfechtbaren Beschluss des Beschwerdegerichts (zunächst) rechtskräftig abgeschlossen (§ 70 Abs. 1, 2 FamFG). Die daraufhin vom Kläger erhobene Anhörungsrüge zielte darauf ab, das Ursprungsverfahren unter dem Gesichtspunkt einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nach § 44 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 5 FamFG fortzuführen und die Rechtskraft des Beschlusses vom 6. Oktober 2011 zu durchbrechen (vgl. Keidel/Meyer-Holz aaO § 44 Rn. 1, 53 ff, 62 f). Erst durch die Zurückweisung der Gehörsrüge mit Beschluss des Beschwerdegerichts vom 23. Juli 2012 wurde das Hauptsacheverfahren im Sinne von § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG endgültig rechtskräftig abgeschlossen (§ 44 Abs. 4 Satz 3 FamFG). Das Oberlandesgericht hätte daher die Voraussetzungen eines Entschädigungsanspruchs nach § 198 GVG mit Blick auf die Gesamtverfahrensdauer prüfen müssen.
14
2. Für dieses Ergebnis spricht auch der Zweck der neuen Entschädigungsregelung. Durch die Einräumung eines Entschädigungsanspruchs gegen den Staat bei überlanger Verfahrensdauer soll eine nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte bestehende Rechtsschutzlücke geschlossen und eine Regelung geschaffen werden, die sowohl den Anforderungen des Grundgesetzes (Art. 19 Abs. 4, Art. 20 Abs. 3 GG) als auch denen der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Art. 6 Abs. 1, Art. 13 EMRK) gerecht wird (Senatsurteil vom 10. April 2014 - III ZR 335/13; BeckRS 2014, 08780 Rn. 25; siehe auch BT-Drucks. 17/3802 S. 1, 15). Dementsprechend erfasst die Entschädigungsregelung sämtliche Verfahren der ordentlichen Gerichtsbarkeit (Zivilverfahren, freiwillige Gerichtsbarkeit und Strafverfahren einschließlich Bußgeldverfahren) und auf Grund entsprechender Anwendung auch alle Verfahren der Fachgerichtsbarkeiten (BT-Drucks. 17/3802 S. 22). Mit diesem umfassenden Gesetzeszweck wäre es schlechthin unvereinbar, Anhörungsrügeverfahren von vornherein nicht als Gerichtsverfahren im Sinne § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG anzusehen (anders Vielmeier, NJW 2013, 346, 349, 350). Denn die Verpflichtung des Staates, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen, kann allein schon dadurch verletzt werden, dass über eine singuläre Rechtsfrage, nämlich die Verletzung des rechtlichen Gehörs, in einem besonderen gesetzlichen Rechtsbehelfsverfahren verzögert entschieden wird und deshalb eine etwaige Rechtskraftdurchbrechung in der Schwebe bleibt.
15
3. Soweit § 198 Abs. 3 Satz 2 und Abs. 5 GVG Mindestfristen enthalten, sind diese mit dem Ablauf eines Anhörungsrügeverfahrens ohne weiteres vereinbar.
16
a) Auch in diesem Fall gilt, dass die Verzögerungsrüge frühestens erhoben werden kann, wenn Anlass zu der Besorgnis besteht, dass über die Gehörsrüge nicht in angemessener Zeit entschieden wird. Maßgeblich ist, wann ein Betroffener erstmals Anhaltspunkte dafür hat, dass das Anhörungsrügeverfahren als solches keinen angemessen zügigen Fortgang nimmt (Ott aaO § 198 GVG Rn. 190). Es genügt grundsätzlich, dass die Verzögerungsrüge nach diesem Zeitpunkt im laufenden Anhörungsrügeverfahren erhoben wird (Senatsurteil vom 10. April 2014 - III ZR 335/13, BeckRS 2014, 08780 Rn. 31). Im vorangegangenen Verfahren bereits eingetretene Verzögerungen können allerdings durch eine erstmals im Rügeverfahren erhobene Verzögerungsrüge nicht mehr geltend gemacht werden. Dies folgt schon daraus, dass Gegenstand des Anhörungsrügeverfahrens allein die behauptete Gehörsverletzung ist und für das Gericht keine Möglichkeit mehr besteht, das bereits beendete Hauptsacheverfahren noch zu beschleunigen (vgl. Ott aaO § 198 GVG Rn. 173 f, 191; Schenke , NVwZ 2012, 257, 261).

17
b) Nach § 198 Abs. 5 Satz 1 GVG kann der Entschädigungsanspruch frühestens sechs Monate nach wirksamer Erhebung der Verzögerungsrüge gerichtlich geltend gemacht werden. Der Sinn dieser Wartefrist besteht darin, dem Gericht die Möglichkeit einzuräumen, auf eine Beschleunigung des Verfahrens hinzuwirken und dadurch (weiteren) Schaden zu vermeiden (BTDrucks. 17/3802 S. 22; Ott aaO § 198 GVG Rn. 245; Schenke aaO S. 263). Aus diesem Schutzzweck des § 198 Abs. 5 Satz 1 GVG folgt, dass eine Klage ausnahmsweise vor Fristablauf erhoben werden kann, wenn das betroffene Verfahren - was bei Anhörungsrügen regelmäßig der Fall sein wird - schon vor Fristablauf beendet wurde (s. auch Vielmeier aaO S. 348 mit Angaben zur durchschnittlichen Bearbeitungsdauer von Anhörungsrügen). Ein Abwarten der Frist würde insofern keinen Sinn mehr machen. In diesen Fällen ist die Fristenregelung des § 198 Abs. 5 Satz 1 GVG teleologisch dahin einzuschränken, dass dann, wenn das als verspätet gerügte Verfahren schon vor Ablauf der SechsMonats -Frist abgeschlossen wurde, bereits vom Moment des Verfahrensabschlusses an eine Entschädigungsklage zulässig ist (Ott aaO § 198 GVG Rn. 246; Schenke aaO).
18
c) § 198 Abs. 5 Satz 2 GVG normiert eine Klagefrist von sechs Monaten für die Geltendmachung des Anspruchs auf Entschädigung. Entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts hängt der Fristbeginn nicht davon ab, dass das Ausgangsverfahren rechtskräftig beziehungsweise mit einer der Rechtskraft fähigen Entscheidung beendet wird. Nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut beginnt die Frist entweder mit der Rechtskraft der Entscheidung im Ausgangsverfahren oder "mit einer anderen Erledigung dieses Verfahrens". Dies bedeutet , dass im vorliegenden Fall die sechsmonatige Klagefrist mit der Bekanntgabe des Zurückweisungsbeschlusses vom 23. Juli 2012 in Gang gesetzt wurde.

III.


19
Nach alledem ist das angefochtene Urteil aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO) und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückzuverweisen, weil sie nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 ZPO). Das Oberlandesgericht wird nunmehr erstmals zu prüfen haben, ob die Voraussetzungen für einen Entschädigungsanspruch nach § 198 Abs. 1, 2 GVG vorliegen.
Schlick Wöstmann Tombrink
Remmert Reiter

Vorinstanz:
OLG Dresden, Entscheidung vom 24.07.2013 - 19 SchH 16/12 EntV -

(1) Wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, wird angemessen entschädigt. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.

(2) Ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, wird vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Hierfür kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß Absatz 4 ausreichend ist. Die Entschädigung gemäß Satz 2 beträgt 1 200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung. Ist der Betrag gemäß Satz 3 nach den Umständen des Einzelfalles unbillig, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen.

(3) Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge). Die Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird; eine Wiederholung der Verzögerungsrüge ist frühestens nach sechs Monaten möglich, außer wenn ausnahmsweise eine kürzere Frist geboten ist. Kommt es für die Verfahrensförderung auf Umstände an, die noch nicht in das Verfahren eingeführt worden sind, muss die Rüge hierauf hinweisen. Anderenfalls werden sie von dem Gericht, das über die Entschädigung zu entscheiden hat (Entschädigungsgericht), bei der Bestimmung der angemessenen Verfahrensdauer nicht berücksichtigt. Verzögert sich das Verfahren bei einem anderen Gericht weiter, bedarf es einer erneuten Verzögerungsrüge.

(4) Wiedergutmachung auf andere Weise ist insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Die Feststellung setzt keinen Antrag voraus. Sie kann in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung ausgesprochen werden; ebenso kann sie ausgesprochen werden, wenn eine oder mehrere Voraussetzungen des Absatzes 3 nicht erfüllt sind.

(5) Eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach Absatz 1 kann frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden. Die Klage muss spätestens sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben werden. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage ist der Anspruch nicht übertragbar.

(6) Im Sinne dieser Vorschrift ist

1.
ein Gerichtsverfahren jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss einschließlich eines Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und zur Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe; ausgenommen ist das Insolvenzverfahren nach dessen Eröffnung; im eröffneten Insolvenzverfahren gilt die Herbeiführung einer Entscheidung als Gerichtsverfahren;
2.
ein Verfahrensbeteiligter jede Partei und jeder Beteiligte eines Gerichtsverfahrens mit Ausnahme der Verfassungsorgane, der Träger öffentlicher Verwaltung und sonstiger öffentlicher Stellen, soweit diese nicht in Wahrnehmung eines Selbstverwaltungsrechts an einem Verfahren beteiligt sind.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

(1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen.

(2) In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.

(3) Die Grundrechte gelten auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind.

(4) Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen. Soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Artikel 10 Abs. 2 Satz 2 bleibt unberührt.

Tatbestand

1

Die Klägerin nimmt den Beklagten auf Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer in ihrem erstinstanzlichen Gerichtsverfahren gegen die Polizeidirektion Sachsen-Anhalt (...) vor dem Verwaltungsgericht Halle (5 A 221/09 HAL) in Anspruch.

2

Gegenstand des Ausgangsverfahrens vor dem Verwaltungsgericht Halle war folgender:

3

Die Klägerin steht als Polizeiobermeisterin im Polizeidienst des Landes Sachsen-Anhalt. Bis zum (…) März 2007 wurde sie in der Revierstation A. des Polizeireviers W. verwendet. Mit Verfügung vom 21. März 2007 setzte die zuständige Polizeidirektion Sachsen-Anhalt (...) die Klägerin mit Wirkung vom (..) März 2007 zum Revierkommissariat G. um. Hintergrund dieser Entscheidung war ein angeblich gestörtes Vertrauensverhältnis aufgrund von der Klägerin im Dienst vermeintlich geführter Privattelefonate.

4

Der von der Klägerin gegen die Umsetzungsverfügung vom 21. März 2007 zunächst vor dem Verwaltungsgericht Dessau-Rosslau (1 A 158/07 DE) geführte Rechtsstreit wurde nach beidseitiger Erledigungserklärung aufgrund einer Zusage der Polizeidirektion Sachsen-Anhalt (...) durch Einstellungsbeschluss des Oberverwaltungsgerichts vom 1. August 2008 (1 L 165/07) beendet. Darin wurden die Kosten des gesamten Verfahrens der Polizeidirektion mit der Begründung auferlegt, ein sachlicher Grund für deren Umsetzungsverfügung dürfte nicht vorgelegen haben. Denn allein der Vorwurf, die Klägerin habe private Telefongespräche unrichtig abgerechnet, dürfte die Annahme einer erheblichen Störung des Dienstbetriebes nicht rechtfertigen. Bereits mit Schreiben vom 22. Juli 2008 teilte die Polizeidirektion Sachsen-Anhalt (...) der Klägerin mit, dass ihr Einsatz im Revierkommissariat G. nunmehr bis zum 31. Dezember 2008 befristet und sie zum 01. Januar 2009 wieder in der Revierstation A. eingesetzt werde. Demgegenüber beschied die Polizeidirektion Sachsen-Anhalt (...) die Klägerin mit weiterem Schreiben vom 18. Dezember 2008, dass sie „entgegen meines Schreibens vom 22.07.2008 aus dienstlichen Gründen“ ab dem 1. Januar 2009 weiter im Revierkommissariat G. eingesetzt werde. Der dagegen gerichtete Widerspruch vom 13. Februar 2009 wurde mit Widerspruchsbescheid vom 29. April 2009 zurückgewiesen.

5

Mit ihrer bei dem Verwaltungsgericht Halle am 8. Juni 2009 eingegangenen Klage (5 A 221/09 HAL) begehrte die Klägerin die Verpflichtung der Polizeidirektion Sachsen-Anhalt (...), sie wieder in den Dienstposten einer Sachbearbeiterin Einsatz in der Revierstation A. einzuweisen. Bereits in der Klageschrift erklärte sich die Klägerin mit der Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter „im Interesse der Beschleunigung des Verfahrens“ einverstanden. Am 9. Juni 2009 verfügte der Vorsitzende der 5. Kammer des Verwaltungsgerichts Halle die Zustellung der Klage an die Polizeidirektion Sachsen-Anhalt (...); zugleich hörte er die Polizeidirektion wegen einer evtl. Übertragung auf den Einzelrichter gem. § 6 VwGO an. Mit Schriftsatz vom 21. Juli 2009 erwiderte die Polizeidirektion auf die Klage und beantragte Klageabweisung; Bedenken gegen eine Einzelrichter-Übertragung wurden nicht erhoben. Mit Schriftsatz vom 12. August 2009 nahm die Klägerin zur Klageerwiderung Stellung; auf jenen Schriftsatz replizierte die Polizeidirektion Sachsen-Anhalt (...) mit Schriftsatz vom 24. August 2009. Dem folgte der - abschließende - Schriftsatz der Klägerin vom 18. September 2009, welcher dem Vorsitzenden am 25. September 2009 vorgelegt wurde. Dieser verfügte (lediglich) die Weiterleitung des Schriftsatzes an die Gegenseite.

6

Bereits am 10. September 2009 hatte der Vorsitzende verfügt: „Wiedervorlage 3 Monate“; bei dieser Verfügung blieb es, so dass ihm die Gerichtsakte am 10. Dezember 2009 wieder vorgelegt wurde. Am 11. Dezember 2009 verfügte der Vorsitzende sodann: „Wiedervorlage auf Abruf“. Aus den Gerichtsakten ergibt sich nicht, wann diese dem Vorsitzenden wieder vorgelegt worden sind; jedenfalls verfügte er am 16. September 2010 die Ladung zur mündlichen Verhandlung auf den 24. November 2010.

7

Am 12. November 2010 hob die stellvertretende Kammervorsitzende den Verhandlungstermin „wegen Erkrankung des Berichterstatters“ auf und bestimmte einen neuen Termin von Amts wegen. Als ihr die Gerichtsakten am 13. Dezember 2010 wieder vorgelegt wurden, verfügte sie am 13. Dezember 2010 sowie erneut am 12. Januar 2011 jeweils: „Wiedervorlage 1 Monat“. Am 14. Februar 2011 wurde die Gerichtsakte dem Vorsitzenden vorgelegt, der am 16. Februar 2011 verfügte: „Wiedervorlage auf Abruf“. Am 12. April 2011 schließlich veranlasste der Vorsitzende die (erneute) Ladung des Verfahrens zur mündlichen Verhandlung am 22. Juni 2011.

8

In der mündlichen Verhandlung vor der 5. Kammer am 22. Juni 2011 gab das Gericht zu verstehen, dass sich die angefochtenen Bescheide voraussichtlich als rechtswidrig erwiesen, denn es fehle an dem für eine Um-/Versetzung erforderlichen Vorliegen von Tatsachen zu etwaigen dienstlichen Spannungen. Auf diesen Hinweis des Gerichts hob die Polizeidirektion Sachsen-Anhalt (...) sogleich die streitgegenständlichen Bescheide auf. Nach übereinstimmender Erledigungserklärung der Beteiligten wurde das Verfahren noch in der mündlichen Verhandlung durch Beschluss eingestellt; die Kosten des Verfahrens wurden in dem Beschluss der Polizeidirektion auferlegt.

9

Mit ihrer am 22. Dezember 2011 bei dem Oberverwaltungsgericht eingegangenen Klage begehrt die Klägerin die Bewilligung einer Entschädigung gemäß §§ 198 ff. GVG wegen der ihrer Ansicht nach unangemessenen Verfahrensdauer des Ausgangsverfahrens vor dem Verwaltungsgericht Halle, und zwar sowohl für den von ihr geltend gemachten materiellen Schaden als auch unter dem Gesichtspunkt des Ausgleichs für den von ihr zugleich geltend gemachten Nichtvermögensnachteil. Zur Begründung der Entschädigungsklage trägt die Klägerin - zusammengefasst - wie folgt vor:

10

Die Verfahrensdauer in dem Hauptsacheverfahren 5 A 221/09 HAL sei unangemessen lang gewesen. Hinsichtlich einer Definition der angemessenen Verfahrensdauer sei dabei nicht von der für das Jahr 2010 maßgeblichen durchschnittlichen Verfahrensdauer eines Hauptsacheverfahrens vor den Verwaltungsgerichten mit 11,1 Monaten auszugehen, wie sich diese aus den Veröffentlichungen des statistischen Bundesamtes ergebe. Es erscheine vielmehr gerechtfertigt, die Verfahrensdauer „offenbar hinlänglich ausgestatteter Zivilgerichte“ zum Maßstab zu nehmen und die durchschnittliche Verfahrensdauer vor den Amtsgerichten zugrunde zu legen, welche im Jahr 2010 5,9 Monate betragen habe.

11

Die fachliche Spezialisierung der Verwaltungsrichter auf bestimmte Rechtsgebiete, die Prüfung eines „regelmäßig feststehenden und weitgehend unstreitigen Sachverhalts“ sowie der sich aus § 86 VwGO ergebende Untersuchungsgrundsatz mit dem Verbot der „ungefragten Fehlersuche“ spreche dafür, dass die Verwaltungsgerichte einen deutlich geringeren rechtlichen Prüfungsrahmen zu absolvieren hätten als die Zivilgerichte. Es scheine daher angemessen, die regelmäßige Dauer eines Verwaltungsverfahrens, entsprechende personelle und sachliche Ausstattung unterstellt, mit 5 bis 6 Monaten zu veranschlagen. Bei einer Verfahrensdauer von 12 Monaten liege demzufolge angesichts einer gebotenen Regelbearbeitungszeit von 6 Monaten bereits eine Verdoppelung der Verfahrensdauer vor, ab deren Überschreitung eine unangemessene Dauer des Gerichtsverfahrens angenommen werden könne. Die Klägerin gehe danach von einer unangemessenen Verfahrensdauer ab einem Jahr seit Klageerhebung, mithin seit dem 9. Juni 2010 aus.

12

Zur Begründung des geltend gemachten Vermögensschadens macht die Klägerin den durch die „Fahrtmehraufwendung“ entstandenen Abnutzungsschaden an ihrem privaten Pkw sowie die Aufwendungen für die zurückgelegte Wegstrecke von ihrem Wohnort A-Stadt und dem Dienstort in G. geltend. Für die Klägerin ergibt sich danach folgende Rechnung:

13

Der einfache Fahrtweg zwischen ihrer Wohnung und dem Dienstort A. betrage 6 km, derjenige zwischen ihrer Wohnung und dem Dienstort G. 36 km; demzufolge ergebe sich pro Arbeitstag ein Fahrtmehraufwand von 60 km. Auf der Basis der Rechtsprechung des OLG Celle sei für ihren Privat-Pkw Peugeot „Bipper“ ein Wertminderungsschaden von 0,15 € je gefahrenen Mehrkilometer anzusetzen. Ausgehend von dem Zeitraum einer Verfahrensverzögerung vom 9. Juni 2010 bis zur Zustellung des Einstellungsbeschlusses am 28. Juni 2011 ergebe sich eine - durch Monatsnachweise belegte - Summe von 178 Arbeitstagen in G., welche zu einem Kilometermehraufwand von insgesamt 10.680 km und demzufolge zu einem Wertminderungsschaden von 1.602,00 € geführt hätten.

14

Daneben macht die Klägerin für den vorgenannten Zeitraum für jeden der von ihr geltend gemachten Mehrkilometer einen pauschalierten Betrag von 0,21 €/km für anteilig aufgewendete Kosten für Versicherung, Dieselverbrauch, Kfz-Steuer und Wartung in einer Gesamthöhe von 2.242,80 € geltend. Insoweit bringt sie indes - aufgrund des Hinweises des Senats - einen Betrag in Höhe von 403,13 € in Abzug, welcher ihr im Wege der Steuerrückerstattung unter dem Gesichtspunkt der Werbungskosten zufließe.

15

Zudem erhebt die Klägerin wegen eines Nachteils, welcher nicht Vermögensnachteil sei, einen zusätzlichen Entschädigungsanspruch, dessen Höhe sie in das Ermessen des Gerichts stellt. Zur Begründung führt sie aus, sie habe an jedem Arbeitstag 60 km mehr Wegstrecke zurücklegen müssen, was nicht nur zu einem Verschleiß an ihrem Pkw, sondern auch zu einer erheblichen Freizeiteinbuße geführt habe, die für die einfache Wegstrecke zwischen 30 und 45 Minuten in Ansatz zu bringen sein dürfte. Diese Freizeiteinbuße stelle einen Nachteil dar, welcher nicht als Vermögensnachteil zu klassifizieren sei.

16

Nachdem die Klägerin die Klage in Höhe eines Betrages von 403,13 € zurückgenommen hat, beantragt sie nunmehr:

17

1.Der Beklagte wird verurteilt, der Klägerin 3.441,67 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

18

2.Der Beklagte wird zudem verurteilt, an die Klägerin eine angemessene Entschädigung - deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, welche jedoch 1.200,00 € nicht unterschreiten sollte - zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

19

3.Es wird festgestellt, dass die beklagte Partei verpflichtet ist, auf die von der klägerischen Partei gezahlten Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem Zeitpunkt der Einzahlung der Gerichtskosten bei der Gerichtskasse bis zum Tag des Eingangs des Kostenfestsetzungsantrages bei Gericht nach Maßgabe der ausgeurteilten Kostenquote zu zahlen.

20

Der Beklagte beantragt,

21

die Klage insgesamt abzuweisen.

22

Er ist der Auffassung, die von der Klägerin geltend gemachten Entschädigungsansprüche seien von vornherein nicht gegeben, denn das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Halle - 5 A 221/09 HAL - habe nicht ungemessen lang i. S. d. §§ 173 VwGO, 198 Abs. 1 GVG gedauert. Jedenfalls rechtfertige die angeblich unangemessene Verfahrensdauer keinen Ausgleich der behaupteten materiellen und immateriellen Nachteile.

23

Die unangemessene Dauer eines Gerichtsverfahrens sei zentrale Tatbestandsvoraussetzung für einen Entschädigungsanspruch gemäß § 198 GVG. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richte sich gemäß §§ 173 VwGO, 198 Abs. 1 GVG nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten sowie Dritter. Dieser unbestimmte Rechtsbegriff sei inhaltlich mit der Gewährleistung des Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG bzw. derjenigen des Art. 6 Abs. 1 EMRK auszufüllen. Dementsprechend knüpfe der Wortlaut des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG an die einschlägige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des EGMR an.

24

Die formelhafte Feststellung durch die Klägerin, dass die durchschnittliche Verfahrensdauer überschritten worden sei, könne nicht überzeugen. Die insgesamt zweijährige Verfahrensdauer vor dem Verwaltungsgericht Halle sei nicht erkennbar zu lang und deshalb hinnehmbar. Der Prozess sei nicht verzögert worden; aus der Verfahrensakte ergebe sich ein normaler Geschäftsgang. Die Absage der ersten mündlichen Verhandlung aufgrund der Erkrankung des Berichterstatters habe zu einer kurzfristigen, unvorhersehbaren Verzögerung geführt, welche nicht zu Lasten des Staates gehen könne, da eine solch kurzfristige, unvorhersehbare Erkrankung nicht auf strukturelle Fehler und Mängel innerhalb organisatorischer Einheiten zurückzuführen sei. Dem Rechtsschutzanspruch des Art. 19 Abs. 4 GG sei dadurch Rechnung getragen worden, dass eine Vertreterin tätig geworden sei. Krankheit sei im Übrigen durch den EGMR (Urteil vom 16. Juli 2009 - 8453/04 -) als „force majeur“ anerkannt worden, wenn der Fall nicht zu lange liegen bleibe; so sei es hier.

25

Dem Gericht müsse ein angemessener Zeitraum eingeräumt werden, um sich über die Sach- und Rechtslage ein Bild machen zu können, Literatur und Rechtsprechung zu studieren und sich eine Meinung darüber zu bilden, ob weitere Anordnungen erforderlich seien. Zudem sei zu bedenken, dass Richter eine Vielzahl von Verfahren zu bearbeiten hätten; im Übrigen gebe es in der Regel ältere Verfahren, die schon aus diesem Grund vorrangig zu terminieren seien. Es sei kein Grund vorgetragen worden, warum das Verfahren der Klägerin hätte vorgezogen werden müssen. Aus der Verfahrensakte ergebe sich auch nicht, dass sie sich um eine Beschleunigung des Verfahrens bemüht oder sich nach dem Sachstand erkundigt hätte.

26

Die Erkrankung eines Richters stelle einen sachlichen Grund dar, welcher eine Verzögerung rechtfertige. Es handele sich um einen Umstand des Einzelfalls i. S. d. § 198 Abs. 1 GVG. Zwar folge aus Art. 19 Abs. 4 GG, dass organisatorische Maßnahmen ergriffen werden müssten, um im Krankheitsfall eines Richters den Rechtschutzanspruch des Bürgers sicher zu stellen. Dies bedeute aber nicht, dass ein Richter zur Verfügung stehen müsste, um den Ausfall von Kollegen vollständig, vor allem ohne Zeitverlust kompensieren zu können. Erkrankungen könnten also nicht ausnahmslos ohne Verzögerung der Verfahrensdauer aufgefangen werden. Dies sei hinzunehmen und begründe noch keine Verletzung des Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz.

27

Dem zuständigen Richter habe die Verfahrensakte nach seiner Rückkehr am 14. Februar 2011 wieder vorgelegen; er habe einen neuen freien Termin für die mündliche Verhandlung am 22. Juni 2011 finden müssen. Eine unangemessene Verzögerung begründe dies nicht.

28

Weil das Verfahren danach nicht unangemessen lang gedauert habe, bestehe schon dem Grunde nach kein Anspruch auf Entschädigung nach § 198 Abs. 1 GVG. Lediglich hilfsweise werde geltend gemacht, dass die Klägerin keinen materiellen oder immateriellen Nachteil vorgetragen habe, für welchen ihr ein Ausgleich gemäß § 198 Abs. 1 GVG gezahlt werden müsse.

29

Der Anspruch auf eine angemessene Entschädigung nach § 198 Abs. 1 GVG sei nicht auf eine vollständige Kompensation aller materiellen Nachteile nach der Differenzhypothese des allgemeinen verschuldensabhängigen Schadenersatzrechtes gerichtet. Der Gesetzgeber habe es als ausreichend erachtet, für immaterielle und materielle Nachteile lediglich einen angemessenen Ausgleich zu gewähren; damit werde dieser Anspruch im Vergleich zum Ersatzumfang bei Amtspflichtverletzungen sachgerecht abgestuft. Der Ausgleichsanspruch sei in der Regel niedriger als ein Schadenersatzanspruch und als Billigkeitsentschädigung grundsätzlich nach den Grundsätzen der Enteignungsentschädigung zu bemessen. Ein eingetretener Substanzverlust könne nur ausgeglichen, aber nicht vollständig ersetzt werden; ein entgangener Gewinn sei überhaupt nicht ausgleichsfähig. Bei der Bemessung einer Entschädigung müsse daher - ähnlich wie in den Fällen des enteignungsgleichen Eingriffs und der Aufopferung - neben der Höhe des entstandenen Schadens berücksichtigt werden, wie schwerwiegend die Verzögerung war und ob die Schäden unmittelbar oder lediglich mittelbar durch die Verzögerung verursacht worden sind.

30

Hiernach könne der von der Klägerin geltend gemachte Schaden nicht im Rahmen des begehrten angemessenen Ausgleichs berücksichtigt werden. Die Wertminderung am Fahrzeug sowie die anteiligen Aufwendungen für Versicherung, Kraftstoff usw. seien schon nicht unmittelbar durch die vermeintliche Verzögerung des Rechtsstreits verursacht. Überdies müsse sich die Klägerin zurechnen lassen, dass sie sowohl nach dem letzten Parteivortrag als auch nach der Aufhebung der ersten Terminierung nichts für eine Beschleunigung des Verfahrens unternommen habe. Diese Untätigkeit deute zumindest darauf hin, dass die scheinbare Verzögerung für die Klägerin nicht sehr schwerwiegend gewesen sei; dies sei bei der Bemessung der Ausgleichshöhe zu berücksichtigen.

31

Im Übrigen begegneten die als materielle Nachteile dargestellten Aufwendungen der Klägerin erheblichen Zweifeln. Die Annahme einer pauschalen Wertminderung von 15 Cent/km ohne Rücksicht auf Fahrzeugart, Alter des Kfz, bereits vorhandene Abnutzung, Wiederverkaufswert und ähnliche Aspekte sei nicht nachvollziehbar. Einen ausgleichsfähigen Substanzverlust habe die Klägerin damit nicht dargelegt. Auch die weiteren 21 Cent/km wegen anteiliger Aufwendungen für Versicherung, Kraftstoff, Kfz-Steuer und Wartung seien nicht nachvollziehbar dargestellt. Die von der Klägerin vorgelegte Berechnung lasse nicht erkennen, auf welchem Berechnungsmodus und auf welcher Datenbasis sie die Unterhaltskosten eines Fahrzeugs berechne. Schließlich sei zu berücksichtigen, dass die Aufwendungen für Kfz-Steuer, Versicherung und Wartung ohnehin anfielen; es handele sich also nicht um einen Substanzverlust aufgrund der vorgeblich unangemessenen Verfahrensdauer.

32

Ein immaterieller Ersatzanspruch bestehe schon von vornherein nicht. Zwar werde ein immaterieller Schaden gemäß § 173 VwGO i. V. m. § 198 Abs. 2 Satz 1 GVG grundsätzlich vermutet; diese Vermutung könne hier aber als widerlegt angesehen werden. Eine etwaige psychische Belastung der Klägerin aufgrund der überlangen Verfahrensdauer sei nicht erkennbar.

33

Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

34

Die gemäß Art. 23 Satz 1 2. Alt. i. V. m. Satz 5 des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vom 24. November 2011 (BGBl. S. 2302 ff.) auch ohne vorherige Erhebung einer Verzögerungsrüge statthafte Entschädigungsklage, über welche der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte, ist auch hinsichtlich der Klageerweiterung sowie der Klageänderung zulässig, indes nur teilweise begründet:

35

1. Zunächst ist unproblematisch, dass es sich bei dem hier zugrunde liegenden Ausgangsrechtsstreit vor dem Verwaltungsgericht Halle (5 A 221/09) um ein Gerichtsverfahren gemäß § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG handelt und die Klägerin als Verfahrensbeteiligte anzusehen ist.

36

2. Es ist davon auszugehen, dass das Gerichtsverfahren vor dem Verwaltungsgericht Halle insgesamt unangemessen lang angedauert hat i. S. d. § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG.

37

Nach der Legaldefinition des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG, welche wiederum auf den Vorgaben der Rechtsprechung des EGMR und des Bundesverfassungsgerichts beruht (vgl. hierzu etwa die Darstellungen von Althammer/Schäuble, NJW 2012, S. 1 ff., von Schenke, NVwZ 2012, S. S. 257 ff. sowie von Guckelberger, DÖV 2012, S. 279 ff.), gibt es keine gesetzlich definierte Grenze für die Angemessenheit der Verfahrensdauer; vielmehr hat der Gesetzgeber insoweit ausdrücklich von einer „Fristenlösung“ abgesehen, weil sie der Vielfältigkeit prozessualer Situationen nicht gerecht würde (vgl. Steinbeiß-Winkelmann, ZRP 2010, S. 205 ff.).

38

Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich gemäß § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG „nach den Umständen des Einzelfalls“ (so auch der wörtlich oder sinngemäß immer wieder verwendete Einführungssatz des EGMR, etwa in seiner für den deutschen Gesetzgeber maßgeblichen Pilotentscheidung vom 2. September 2010 in dem Verfahren Rumpf/Bundesrepublik Deutschland, Nr. 46344/06). Dabei ist insbesondere auf die Schwierigkeit und die Bedeutung des Verfahrens sowie auf das Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter abzustellen. Der unbestimmte Rechtsbegriff der „unangemessenen Dauer eines Gerichtsverfahrens“ ist inhaltlich mit dem Justizgewährungsanspruch des Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG bzw. dem Anspruch auf Rechtsschutz innerhalb angemessener Zeit gemäß Art. 6 Abs. 1 EMRK auszufüllen. Die Verfahrensdauer ist als unangemessen anzusehen, wenn eine Abwägung aller Umstände ergibt, dass die aus den genannten Normen folgende Verpflichtung des Staates, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zu einem Abschluss zu bringen, verletzt ist (vgl. hierzu etwa Althammer/Schäuble, a. a. O., S. 2).

39

Im Rahmen der Prüfung der Schwierigkeit des Falles (vom EGMR als „complexity of the case“ bezeichnet) sind sowohl rechtliche als auch tatsächliche Erschwernisse zu berücksichtigen, mithin etwa die Wichtigkeit und Sensibilität der zu beantwortenden rechtlichen Fragen und die sich daraus ergebenden Anforderungen an die Sorgfalt der gerichtlichen Prüfung und Untersuchung. Von Bedeutung sind der Umfang der gebotenen Anhörungen, das Ausmaß an erforderlicher Tatsachenaufklärung sowie das Erfordernis der Einholung von Sachverständigengutachten (EGMR, Entscheidung vom 25. September 2007, Nr. 71475/01, Rdnr. 172). Der EGMR unterscheidet hinsichtlich der Komplexität eines Falles 5 Kategorien in folgender Abstufung:

40

1. nicht sonderlich bzw. besonders komplex („not particularly complex“)

41

(EGMR, Entscheidung vom 30. Juni 2011, Nr. 11811/10, Rdnr. 28; Entscheidung vom 26. März 2009, Nr. 7369/04, Rdnr. 31)

42

2. gewisse sachliche und/oder rechtliche Komplexität („certain … complexity“)

43

(EGMR, Entscheidung vom 10. Februar 2011, Nr. 1521/06, Rdnr. 65)

44

3. ziemlich komplexe Sach- und Rechtsfragen bzw. erhebliche Komplexität („considerable complexity“)

45

(EGMR, Entscheidung vom 29. Juni 2010, Nr. 29035/06, Rdnr. 56; Entscheidung vom 11. Januar 2007, Nr. 20027/02, Rdnr. 76; Entscheidung vom 26. März 2009, Nr. 20271/05, Rdnr. 64)

46

4. sehr komplex („very complex“)

47

(EGMR, Entscheidung vom 25. September 2007, Nr. 71475/01, Rdnr. 172:

48

Sorgerechtsverfahren)

49

5. sehr große Komplexität der Sache („great complexity of the case“)

50

(EGMR, Entscheidung vom 2. März 2005, Nr. 71916/01 u. a., Rdnr. 131: Bodenreformgesetz).

51

Unter Zugrundelegung der vorgenannten Abstufung ist der hier maßgebliche Ausgangsrechtsstreit vor dem Verwaltungsgericht Halle ohne weiteres der erstgenannten Kategorie „nicht sonderlich bzw. nicht besonders komplex“ zuzuordnen. Es ging ausschließlich um die Rechtsfrage, ob die beklagte Polizeidirektion Sachsen-Anhalt (...) verpflichtet war, der Klägerin wieder einen Dienstposten in der Revierstation A. zuzuweisen. Dabei war zu berücksichtigen, dass die zunächst streitige Ausgangsfrage, ob die Polizeidirektion die Klägerin überhaupt zum Revierkommissariat G. hatte umsetzen dürfen, bereits in dem Einstellungsbeschluss des Oberverwaltungsgerichts vom 1. August 2008 (1 L 165/07) in dem Sinne beantwortet worden war, dass sich die Umsetzung der Klägerin - jedenfalls mit der hierfür gegebenen Begründung der Annahme einer erheblichen Störung des Betriebsfriedens - als rechtswidrig erweisen dürfte.

52

Der Streitgegenstand des hier zugrunde liegenden Ausgangsverfahrens bezog sich (ausschließlich) darauf, ob die Polizeidirektion Sachsen-Anhalt (...) - entgegen ihrer ausdrücklichen Zusage, die Klägerin ab dem 01. Januar 2009 wieder in der Revierstation A. zu beschäftigen - diese weiterhin dem Revierkommissariat G. zuweisen durfte. Offensichtlich hat der Vorsitzende der 5. Kammer des Verwaltungsgerichts Halle bei Klageeingang den Rechtsstreit seinerseits nicht als besonders schwierig angesehen, denn er hat bereits mit seiner Eingangsverfügung das Einverständnis der Polizeidirektion mit einer Entscheidung durch den Einzelrichter gemäß § 6 VwGO erfragt und dieses für den Fall einer Nichtäußerung unterstellt. Die Polizeidirektion hat sich zur Frage der Einzelrichter-Übertragung nicht geäußert; gleichwohl ist eine solche nicht erfolgt.

53

Dass sich die Schwierigkeit bzw. Komplexität des Verfahrens im unteren Bereich der oben genannten Skala bewegte, zeigt schließlich auch der Gang der mündlichen Verhandlung in der - einzigen und abschließenden - Sitzung vom 22. Juni 2011. Der Sach- und Streitgegenstand ergab sich unschwer aus den Gerichtsakten; die Sache war seit dem letzten Schriftsatz der Klägerin vom 18. September 2010 „ausgeschrieben“, die Positionen der Beteiligten klar und unverändert. Auf den Hinweis des Vorsitzenden, die angefochtenen Bescheide erwiesen sich voraussichtlich deswegen als rechtswidrig, weil sich das von der Polizeidirektion Sachsen-Anhalt (...) über die Umsetzung der Klägerin herangezogene Spannungsverhältnis nicht durch Tatsachen belegen lasse, hob die Polizeidirektion sogleich in der mündlichen Verhandlung die streitgegenständlichen Bescheide auf. Der Rechtsstreit fand sodann durch die unmittelbar abgegebenen Erledigungserklärungen beider Beteiligten und den noch in der mündlichen Verhandlung verkündeten Einstellungsbeschluss mit Kostenentscheidung zum Nachteil der Polizeidirektion seinen Abschluss.

54

Hinsichtlich des Kriteriums der Bedeutung des Verfahrens ist vor allem darauf abzustellen, welche Bedeutung der Rechtsstreit für den Beschwerdeführer bzw. Kläger hat, mithin darauf, ob aus seiner Sicht ein erhebliches Interesse an einem schnellen Abschluss des Verfahrens besteht bzw. bestanden hat. Nach der auch insoweit zugrunde zu legenden Rechtsprechung des EGMR (etwa Entscheidung vom 23. April 2009, Nr. 1479/08, Rdnr. 65) ist besondere Eile „naturgemäß geboten“ bei sog. Arbeitsstreitigkeiten („employment disputes“). Zu diesen Streitigkeiten gehören nicht nur Arbeitssachen im arbeitsrechtlichen Sinne, sondern dazu zählen auch Rechtsstreitigkeiten aus dem öffentlichen Dienstrecht bzw. dem Beamtenrecht, welche die Verwendung von Beamtinnen und Beamten betreffen, sich mithin sich auf deren persönliche Arbeits- und Lebensumstände auswirken.

55

Ist unter Zugrundelegung dieses Kriteriums schon grundsätzlich davon auszugehen, dass ein erhebliches Interesse der Klägerin an einem schnellen Abschluss des Verfahrens bestand, so war dieses für das Verwaltungsgericht auch deswegen ohne weiteres erkennbar, weil sich die Klägerin schon in ihrer Klageschrift ausdrücklich „im Interesse der Beschleunigung des Verfahrens“ mit einer Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter einverstanden erklärt hatte.

56

Es besteht auch kein Anlass zu der Annahme, dass die Klägerin durch ein ihr zurechenbares Verhalten die Erledigung des Rechtsstreits in irgendeiner Weise verzögert hat. Die Klägerin war - entgegen der Rechtsauffassung des Beklagten - auch nicht gehalten, ihrerseits (nochmals) ausdrücklich auf die Eilbedürftigkeit des Verfahrens hinzuweisen oder sonst aktiv auf eine zügige Erledigung hinzuwirken. Erst recht war die Klägerin nicht gehalten, zu dem hier maßgeblichen Sachverhalt ein (gesondertes) gerichtliches Eilverfahren nur zu dem Zweck zu betreiben, auf eine schnellere Entscheidung des Verwaltungsgerichts hinzuwirken oder sonst - etwa im Wege von Sachstandsanfragen - dem Verwaltungsgericht eine baldige Entscheidung des Verfahrens nahezulegen. Die Verpflichtung des Gerichts dazu, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zu einem Abschluss zu bringen, ergibt sich unmittelbar aus der dem Staat gemäß Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG bzw. Art. 6 Abs. 1 EMRK obliegenden Justizgewährleistungspflicht (vgl. etwa Guckelberger, a. a. O., S. 290 m .w. N.).

57

Hinsichtlich der Prüfung, ob die Dauer eines Gerichtsverfahrens dem Erfordernis der gerichtlichen Entscheidung innerhalb einer „angemessenen Frist“ im Sinne Art. 6 Abs. 1 EMRK entsprochen hat, gibt es zwar keine konkreten zeitlichen Vorgaben, und zwar weder durch den deutschen Gesetzgeber (§ 198 Abs. 1 GVG) noch durch die Rechtsprechung des EGMR. Als grober Anhaltspunkt kann die Rechtsprechung des EGMR insoweit gelten, als dort in mehreren Entscheidungen eine Verfahrenslaufzeit von etwa einem Jahr pro Instanz als angemessen angesehen worden ist („one year per instance may be a rough rule of thumb in Article 6 § 1 cases“ - so etwa EGMR, Entscheidung vom 26. November 2009, Nr. 13591/05, Rdnr. 126).

58

Dementsprechend vermag sich der Senat - jedenfalls hinsichtlich einfach gelagerter Rechtsstreitigkeiten wie der vorliegenden - nicht der vom OVG Berlin-Brandenburg in seinem Urteil vom 27. März 2012 (3 A 1.12. - juris) vertretenen - pauschalen - Auffassung dahingehend anzuschließen, eine Verfahrensdauer von zwei Jahren verstoße „noch nicht gegen die vom EGMR zu Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK entwickelten Maßstäbe“.

59

Soweit der Beklagte aus dem Urteil des EGMR vom 16. Juli 2009 (Nr. 8453/04) die Bestätigung seiner Rechtsauffassung herzuleiten sucht, die Krankheit eines Richters sei quasi als „force majeur“ anzusehen und führe nicht zu Entschädigungsansprüchen, wenn „der Fall nicht zu lange liegen bleibe“, vermag der Senat dem - jedenfalls in dieser Verallgemeinerung - nicht zu folgen: abgesehen davon, dass der EGMR die v. g. Formulierung selbst nicht verwendet hat und die vom Beklagten in Bezug genommene Textstelle des Urteils (Nr. 53) das Verhalten der Staatsanwaltschaft, nicht des Gerichts oder einzelner Richter betrifft, hat der EGMR lediglich ausgeführt, er „akzeptiere, dass eine Verzögerung der Erstellung der Anschuldigungsschrift durch die Krankheit des Vertreters der Einleitungsbehörde verursacht wurde ..“, andererseits aber zugleich bemerkt, dass die damit verbundene Verzögerung von fast zwei Jahren zu lang war. Wenn der Beklagte hieraus - lediglich abstellend auf die dreimonatige Erkrankung des Kammervorsitzenden - den Schluss zieht, dass danach die (auch nach der Genesung des Richters) weiter verzögerte Erledigung des Verfahrens hingenommen werden müsse, so liegt dieser Auffassung ein Fehlverständnis der Rechtsprechung des EGMR zugrunde.

60

Nicht zu folgen ist allerdings auch dem von der Klägerin gewählten Ansatz dahingehend, hier sei die statistisch erhobene durchschnittliche Bearbeitungszeit eines Zivilrechtsstreits vor den Amtsgerichten (etwa 5 bis 6 Monate) zugrunde zu legen und ab einer nach Verdoppelung dieses Durchschnittswertes liegenden Bearbeitungsdauer eines Verwaltungsrechtsstreits ohne weiteres eine überlange, d. h. „unangemessene“ Dauer des Gerichtsverfahrens zu unterstellen. Eine solche pauschalierte Betrachtungsweise ist schon per se unzulässig und verkennt im Übrigen den grundlegend unterschiedlichen Bearbeitungsaufwand eines durchschnittlichen Zivilrechtsstreits vor dem Einzelrichter eines Amtsgerichts und einer Verwaltungsrechtssache vor der Kammer eines Verwaltungsgerichts.

61

Ebenso wenig vermag der Senat pauschal die durchschnittliche Bearbeitungsdauer eines Verwaltungsrechtsstreits in Sachsen-Anhalt (ca. 12 Monate) zugrunde zu legen und allein hierauf abzustellen. Dies würde der vom Gesetzgeber ausdrücklich vorgegebenen Beurteilung der Angemessenheit der Verfahrensdauer „nach den Umständen des Einzelfalls“ widersprechen. Vielmehr ist in jedem Fall eine konkrete Betrachtung der Aktivitäten des Gerichts zur Förderung bzw. Erledigung des konkreten Rechtsstreits geboten, wobei eine Verzögerung in gewissen Verfahrensstadien vertretbar ist, sofern die Gesamtverfahrensdauer nicht als überlang erachtet werden kann (vgl. EGMR, Entscheidung vom 2. Juni 2009, Nr. 36853/05, Rdnr. 45).

62

Allerdings setzt der Anspruch gemäß § 198 Abs. 1 GVG keine Pflichtwidrigkeit bzw. Verschulden des für das Verfahren zuständigen Gerichts oder des einzelnen Richters voraus. So können auch ein häufiger bzw. kurzfristiger Richterwechsel, eine ungleichmäßige Geschäftsverteilung oder eine mangelhafte Personalausstattung des Gerichts zu Entschädigungsansprüchen führen (vgl. die Nachweise bei Schenke, a. a. O., S. 4). Dementsprechend trifft die Entscheidung über das Bestehen etwaiger Ansprüche gem. §§ 198 ff. GVG auch von vornherein keine Aussage darüber, ob einzelnen Richterinnern oder Richtern ein Verschuldensvorwurf zu machen ist.

63

3. Die vorgenannten Kriterien zugrunde legend, stellt sich sowohl die Gesamtbearbeitungsdauer des Ausgangsrechtsstreits mit über zwei Jahren als auch dessen Bearbeitung in einzelnen Verfahrensstadien als unangemessen lang i. S. d. § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG dar:

64

Angemessen lang und demzufolge nicht zu beanstanden ist die richterliche Bearbeitung des Verfahrens vom Zeitraum des Klageeingangs am 9. Juni 2009 bis zum 25. Oktober 2009. Zwar war dem Vorsitzenden durchaus erkennbar, dass das Verfahren bereits mit Schriftsatz der Klägerin vom 18. September 2009 „ausgeschrieben“ war, mithin weitere Schriftsätze - vor allem neuer Sachvortrag - nicht zu erwarten waren. Gleichwohl billigt der Senat dem Verwaltungsgericht zu, dass der Vorsitzende im Zusammenhang mit seiner Übersendungsverfügung vom 25. September 2009 noch eine (abschließende) Frist von einem Monat hätte verfügen können, um - vor einer prozessleitenden Verfügung - noch eine evtl. abschließende Stellungnahme der beklagten Polizeidirektion abzuwarten.

65

Ausgehend von der Verpflichtung des Gerichts, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zu einem Abschluss zu bringen, hätte daher bereits am 25. Oktober 2009 Veranlassung bestanden, das Verfahren weiter mit dem Ziel einer Erledigung konkret zu fördern, mithin entweder die von der Klägerin angeregte und vom Vorsitzenden selbst in Aussicht gestellte Übertragung auf den Einzelrichter gemäß § 6 VwGO vorzunehmen bzw. das Verfahren zu einer der nächsten Kammersitzungen zu laden oder das Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gem. § 101 Abs. 2 VwGO zu erfragen. Auch hätte es nahegelegen, die Beteiligten über die - später in der mündlichen Verhandlung sogleich zum Ausdruck gebrachte - Rechtsauffassung zu unterrichten und so auf eine evtl. unstreitige Erledigung hinzuwirken.

66

Der Umstand, dass der Vorsitzende - offensichtlich ohne weitere rechtliche Prüfung - das Verfahren lediglich zur „Wiedervorlage auf Abruf“ verfügt hat und sich der nächste Bearbeitungsgang erst aus der am 16. September 2010, mithin mehr als neun Monate später verfügten Terminierung ergibt, stellt - auch unter Zugrundelegung der erkennbar geringen Komplexität des Verfahrens und angesichts des dokumentierten Interesse der Klägerin an einem zügigen Fortgang des Rechtsstreits - eine Nichtbearbeitung des Verfahrens dar, die für den vorgenannten Zeitraum, mithin für eine Dauer von mehr als zehn Monaten als unangemessene Verzögerung des Verfahrens anzusehen ist.

67

Der Umstand, dass sodann der Verhandlungstermin vom 24. November 2010 wegen Erkrankung des Berichterstatters (und Vorsitzenden) aufgehoben worden ist, bietet als solcher keinen (weiteren) Grund zur Annahme einer unangemessen langen Bearbeitungsdauer. Die Verzögerung infolge einer kurzfristigen Erkrankung des zuständigen Richters ist hinzunehmen; allerdings bleibt es bei der Verpflichtung des Rechtsstaates, für eine möglichst baldige weitere Terminierung zu sorgen.

68

Danach waren die mehrfachen Verfristungen durch die stellvertretende Kammervorsitzende am 13. Dezember 2010 sowie am 12. Januar 2011 sowie vor allem die erneute Verfügung des Vorsitzenden vom 16. Februar 2011: „Wiedervorlage auf Abruf“ nicht geeignet, das Verfahren in angemessener Weise weiter zu fördern. Vielmehr führten die mehrfachen Verfristungen dazu, dass erst am 12. April 2011 die abschließende Ladung des Verfahrens zum 22. Juni 2011 erfolgt ist, wodurch sich die Erledigung des Rechtsstreits schließlich weiter verzögert hat. Der Senat geht davon aus, dass eine erneute Terminierung des Verfahrens, wenn nicht schon durch die stellvertretende Kammervorsitzende, so aber spätestens nach Rückkehr des Vorsitzenden am 16. Februar 2011, mithin etwa 3 Monate nach der veranlassten Terminsaufhebung hätte erfolgen können und auch müssen.

69

Dazu ist zu bemerken, dass es hinsichtlich der Beurteilung der Angemessenheit der Dauer eines Gerichtsverfahrens gemäß § 198 ff. GVG nicht darauf ankommt, ob der einzelne Richter pflichtwidrig gehandelt hat oder ob ihn persönlich ein Verschulden trifft; auch die chronische Überlastung des Gerichts oder des mit der Sache befassten Spruchkörpers, länger bestehende Rückstände oder eine allgemein angespannte Personalsituation sind unerheblich (vgl. dazu auch die amtliche Begründung zu § 198 GVG, BT-Drs. 17/3802 S. 19, Schenke, a. a. O., S. 3 m. w. N.).

70

Es ist danach davon auszugehen, dass das Ausgangsverfahren auch in dem Zeitraum vom 16. Februar 2011 bis zum 12. April 2011 nicht hinreichend gefördert worden ist, obwohl sich das besondere Beschleunigungsgebot ohne weiteres aus dem Streitgegenstand ergeben hat.

71

Insgesamt hat sowohl für den Zeitraum vom 25. Oktober 2009 bis 16. September 2010 als auch für denjenigen vom 16. Februar 2011 bis 12. April 2011 eine Phase der nach den Umständen nicht gerechtfertigten mangelnden Förderung des Verfahrens vorgelegen, mithin für eine Gesamtdauer von etwas mehr als 12 Monaten.

72

4. Danach steht der Klägerin grundsätzlich ein Anspruch auf „angemessene Entschädigung“ für den infolge der eingetretenen Verzögerung der Erledigung des Gerichtsverfahrens von 12 Monaten eingetretenen Vermögensnachteil gemäß § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG zu. Dieser Anspruch ist allerdings - worauf der Beklagte mit Recht hinweist - nicht einem Anspruch auf Schadenersatz gemäß § 249 BGB gleichzustellen. Vielmehr kann - in Anlehnung an die sich aus § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB ergebenden Grundsätze - lediglich eine Ausgleichszahlung zur Ersetzung des eingetretenen Substanzverlustes beansprucht werden (vgl. hierzu die Stellungnahme des Bundesrates, BT-Dr 17/3802 S. 34 und diejenige des BT-Rechtsausschusses, BT-Dr 17/7217).

73

Grundsätzlich ist der von der Klägerin für den Zeitraum der Verzögerung in der Erledigung des Rechtsstreits geltend gemachte Fahrtmehraufwand von 60 km je Arbeitstag für die Zurücklegung der Strecke zwischen ihrem Wohnort und dem Dienstort G. (an unstreitig 178 Tagen) berücksichtigungsfähig, denn insoweit sind der Klägerin tatsächlich - kausal bedingt durch die Verzögerung in der Erledigung des Gerichtsverfahrens - Mehrkosten entstanden, die sie ansonsten nicht zu tragen gehabt hätte. In Ansatz zu bringen sind dabei indes nicht die ohnehin anfallenden Kosten für Versicherung und Kfz-Steuer (Sowieso-Kosten) sowie hinsichtlich der ohnehin eintretenden Wertminderung, sondern lediglich die Ausgaben für den konkret zu berechnenden Mehrverbrauch an Diesel-Kraftstoff. Der geltend gemachte Entschädigungsanspruch für die Wertminderung des Fahrzeugs besteht nur insoweit, als er unmittelbar auf die zusätzlich gefahrenen Kilometer zurückzuführen ist.

74

Unter Zugrundelegung eines verzögerungsbedingten Kilometermehraufwandes für den gesamten Zeitraum über eine zusätzliche Strecke von 10.680 km und einem - durchaus realistischen - Verbrauch von 6,2 l Diesel pro 100 km ergibt sich danach ein Mehrverbrauch von 700 l, mithin bei einem durchschnittlichen Dieselpreis von 1,50 € je Liter ein Entschädigungsanspruch in Höhe von 1.050,00 €. Die anteiligen Wartungskosten schätzt der Senat gemäß §§ 173 S. 2 VwGO, 287 Abs. 1 ZPO auf 150,00 €, so dass der Klägerin insoweit unter dem Gesichtspunkt tatsächlich entstandener Zusatzaufwendungen ein Entschädigungsanspruch von 1.200,00 € zusteht. Die Wertminderung bemisst der Senat im Hinblick darauf, dass der Neupreis des Fahrzeugs nach den von der Klägerin selbst vorgelegten Unterlagen (Anlage K 2) bei lediglich etwa 9.000,00 € liegt, und unter weiterer Berücksichtigung, dass die Klägerin dieses nicht als Neufahrzeug erworben hatte, ebenfalls im Wege der Schätzung gemäß §§ 173 S. 2 VwGO, 287 Abs. 1 ZPO auf 0,10 € je km, mithin auf 1.068,00 €.

75

Der Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Frage der verzögerungsbedingten Mehrkosten bedurfte es ebenso wenig wie der ausdrücklichen Bescheidung des von der Klägerin mit Schriftsatz vom 29. Juni 2012 gestellten Beweisantrags. Die Klägerin hat insoweit selbst angeregt, der Senat möge „gegebenenfalls unter Verwendung der vorgelegten Daten“ im Wege der Schadensschätzung vorgehen und für diesen Fall offensichtlich die Einholung eines Sachverständigengutachtens nicht für geboten angesehen.

76

Von den sich danach errechnenden 2.268,00 € ist indes der Betrag in Abzug zu bringen, welcher der Klägerin im Wege der Steuerrückerstattung für die ihre entstandenen Fahrtkosten (Werbungskosten) für den hier maßgeblichen Zeitraum erstattet wird und den die Klägerin selbst ihrer teilweisen Klagerücknahme zugrunde gelegt hat. Mithin bleibt ein Entschädigungsbetrag von 1.864,87 € für den entstandenen Vermögensnachteil.

77

5. Neben der Entschädigung für den eingetretenen Vermögensnachteil kann auch eine Entschädigung für einen Nachteil bewilligt werden, welcher nicht Vermögensnachteil ist. Da der Nachweis einen immateriellen Nachteils schwierig ist, wird ein solcher vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren - wie hier - unangemessen lang gedauert hat (vgl. dazu Schenke, a. a. O.; IV. Nr. 3). Zwar kann die gesetzliche Vermutung des § 198 Abs. 2 Satz 1 GVG widerlegt werden. Für eine solche Widerlegung genügt die pauschale Einlassung des Beklagten, es fehle an „nachprüfbaren Hinweisen“, allerdings nicht. Der Beklagte räumt selbst ein, dass eine überlange Verfahrensdauer eine psychische Belastung zur Folge haben könne. Eine derartige Belastung hat die Klägerin mit ihrem Hinweis auf den mehrmonatigen zusätzlichen Zeitaufwand für die Fahrten nach G. nachvollziehbar dargelegt, ohne dass der Beklagte dem weiter entgegengetreten ist.

78

Allerdings kann eine Entschädigung gemäß § 198 Abs. 2 Satz 2 GVG nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalls Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß § 198 Abs. 4 GVG, insbesondere durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war, ausreichend ist. Eine derartige Feststellung ohne Zuerkennung eines materiellen Entschädigungsanspruches kommt nach der Rechtsprechung des EGMR (vgl. Entscheidung vom 11. Januar 2007, Nr. 20027/02, Rdnr. 90; Entscheidung vom 7. Januar 2010, Nr. 40009/04, Rdnr. 177; Entscheidung vom 13. Juli 2006, Nr. 38033/02, Rdnr. 51) vor allem dann in Betracht, wenn die Feststellung einer Verletzung allein eine hinreichend gerechte Entschädigung von erlittenem Schaden darstellt. Dies gilt etwa in den Fällen, in welchen das Verfahren keine besondere Bedeutung für die Beteiligten hat oder dann, wenn ein Beteiligter keinen weitergehenden immateriellen Schaden erlitten hat und die Überlänge des Verfahrens den einzigen für ihn entstandenen Nachteil darstellt (vgl. hierzu Althammer/Schäuble, a. a. O., S. 3 ff.).

79

Der Senat vermag nach den Umständen des Einzelfalles nicht davon auszugehen, dass die bloße Feststellung der unangemessen langen Verfahrensdauer eine angemessene Entschädigung der Klägerin darstellt. Vielmehr ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin auf die gerichtliche Klärung einer Situation wartete, welche sie persönlich beeinträchtigte und deren Rechtmäßigkeit sich durch einen zügig angesetzten Verhandlungstermin ohne weiteres hätte klären lassen können. Zudem hatte die Klägerin - wie sich schon aus den Ausführungen des Vorsitzenden in der mündlichen Verhandlung zeigt - offensichtlich selbst keine Veranlassung für ihre von der Beklagten mit Nachdruck betriebene Umsetzung von ihrem bisherigen Dienstort nach G. gegeben und auch das gerichtliche Verfahren in keiner Weise verzögert. Angesichts dieser Umstände des Einzelfalls hält es der Senat für angemessen, der gesetzlichen Regelvorgabe des § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG zu entsprechen und der Klägerin somit einen Betrag von 1.200,00 € für das Jahr der insgesamt eingetretenen Verzögerung der Erledigung des Rechtstreits zuzusprechen.

80

6. Der Zinsanspruch - soweit der Senat diesen im Tenor festgestellt hat - beruht auf §§ 288 Abs. 1, 291 BGB. Demgegenüber ist der mit dem Klageantrag zu Ziff. 3 geltend gemachte Anspruch auf Verzinsung eingezahlter Gerichtskosten nicht begründet. Mit Recht weist der Beklagte darauf hin, dass ein derartiger Zinsanspruch einen verschuldensabhängigen Schadenersatzanspruch voraussetzt, an welchem es hier hingegen fehlt. Wie bereits ausgeführt, regelt § 198 Abs. 1 GVG einen verschuldensunabhängigen Ausgleichsanspruch, welcher allerdings nicht auf einen vollständigen Schadenausgleich gerichtet ist; jener umfasst weder einen entgangenen Gewinn noch einen entgangenen Zinsvorteil.

81

7. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1, 2 VwGO; unter Berücksichtigung der teilweisen Klagerücknahme und des beiderseitigen Obsiegens/Unterliegens waren die Kosten des Rechtsstreits im Verhältnis 40: 60 zu teilen.

82

8. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 173 S. 2 VwGO, 201 Abs. 2 Satz 1 GVG i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 709 S. 1, 711 ZPO.

83

9. Die Revision war wegen der grundsätzlichen Klärungsbedürftigkeit der mit den Grundlagen und dem Umfang von Entschädigungsansprüchen gemäß §§ 198 ff. GVG verbundenen Fragen gemäß §§ 173 Satz 2 VwGO, 201 Abs. 2 Satz 3 GVG, 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen.


(1) Wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, wird angemessen entschädigt. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.

(2) Ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, wird vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Hierfür kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß Absatz 4 ausreichend ist. Die Entschädigung gemäß Satz 2 beträgt 1 200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung. Ist der Betrag gemäß Satz 3 nach den Umständen des Einzelfalles unbillig, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen.

(3) Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge). Die Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird; eine Wiederholung der Verzögerungsrüge ist frühestens nach sechs Monaten möglich, außer wenn ausnahmsweise eine kürzere Frist geboten ist. Kommt es für die Verfahrensförderung auf Umstände an, die noch nicht in das Verfahren eingeführt worden sind, muss die Rüge hierauf hinweisen. Anderenfalls werden sie von dem Gericht, das über die Entschädigung zu entscheiden hat (Entschädigungsgericht), bei der Bestimmung der angemessenen Verfahrensdauer nicht berücksichtigt. Verzögert sich das Verfahren bei einem anderen Gericht weiter, bedarf es einer erneuten Verzögerungsrüge.

(4) Wiedergutmachung auf andere Weise ist insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Die Feststellung setzt keinen Antrag voraus. Sie kann in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung ausgesprochen werden; ebenso kann sie ausgesprochen werden, wenn eine oder mehrere Voraussetzungen des Absatzes 3 nicht erfüllt sind.

(5) Eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach Absatz 1 kann frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden. Die Klage muss spätestens sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben werden. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage ist der Anspruch nicht übertragbar.

(6) Im Sinne dieser Vorschrift ist

1.
ein Gerichtsverfahren jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss einschließlich eines Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und zur Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe; ausgenommen ist das Insolvenzverfahren nach dessen Eröffnung; im eröffneten Insolvenzverfahren gilt die Herbeiführung einer Entscheidung als Gerichtsverfahren;
2.
ein Verfahrensbeteiligter jede Partei und jeder Beteiligte eines Gerichtsverfahrens mit Ausnahme der Verfassungsorgane, der Träger öffentlicher Verwaltung und sonstiger öffentlicher Stellen, soweit diese nicht in Wahrnehmung eines Selbstverwaltungsrechts an einem Verfahren beteiligt sind.

Tenor

Die Klagen werden abgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert wird auf 18.500,00 EUR festgesetzt.

Tatbestand

 
Die Kläger begehren die Zahlung einer Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer.
Die geborene Klägerin Ziff. 1 ist die leibliche Mutter der zwischen 1989 und 1996 geborenen Kläger Ziff. 2 bis Ziff. 5. Die Kläger wohnten zum streitgegenständlichen Zeitpunkt (2007) in einer gemeinsamen Wohnung (103,7 m²) in Freiburg und bezogen laufende Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) von der ARGE Freiburg.
Mit Schreiben vom 29. August 2007 hatte der SGB II-Leistungsträger, die ARGE Freiburg (jetzt Jobcenter Freiburg), die Kläger aufgefordert, ihre Kosten der Unterkunft zu senken, da diese unangemessen hoch seien (die Kaltmiete betrug zunächst 700,00 EUR, seit Oktober 2010 wegen Modernisierungsmaßnahmen 1000,00 EUR). Die Kläger wurden in dem Zusammenhang aufgefordert, Nachweise zu erbringen, dass sie sich um eine kostengünstigere Wohnung bemühen würden, und ferner darauf aufmerksam gemacht, dass die Unterkunftskosten auf den angemessenen Mietzins abgesenkt würden, sofern keine Nachweise erbracht werden sollten.
Hiergegen erhoben die Kläger mit Schreiben vom 23. November 2007 Widerspruch, den die ARGE Freiburg mit Widerspruchsbescheid vom 14. Januar 2008 als unzulässig zurückwies, da es sich bei dem Schreiben vom 29. August 2007 nicht um einen Verwaltungsakt handele.
Dagegen hatten die Kläger durch ihren Bevollmächtigten am 18. Februar 2008 Klage vor dem Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben. Der Bevollmächtigte hatte hierbei die Auffassung vertreten, dass es sich bei der Kostensenkungsaufforderung um einen Verwaltungsakt handele. Diese Aufforderung greife nämlich regelmäßig tiefgreifend in das Leben eines Leistungsempfängers ein. Zumindest dann, wenn die Sechsmonatsfrist des § 22 Abs. 1 SGB II in Gang gesetzt werde, komme der Aufforderung unmittelbarer Regelungscharakter zu. Eine gerichtliche Überprüfung sei auf der Grundlage der Auffassung der ARGE Freiburg hingegen erst dann möglich, wenn es nach nicht erfolgter Senkung der Unterkunftskosten zur Leistungskürzung komme. Damit werde dem Hilfeempfänger ein Risiko aufgebürdet, das er nicht tragen könne. Die Aufforderung zur Senkung der Unterkunftskosten begründe die Obliegenheit des Leistungsempfängers, sich um die Senkung der Unterkunftskosten zu bemühen. Außerdem enthalte sie die Festlegung der Behörde, in welcher Höhe Unterkunftskosten zukünftig als angemessen angesehen würden.
Nach Eingang der Klage hat das SG mit Verfügung vom 17. März 2008 erforderliche Ermittlungen angestellt und insbesondere den Bevollmächtigten der Kläger aufgefordert, die zunächst unvollständigen Nachweise seiner Bevollmächtigung (fehlende Vollmachten bezüglich der schon volljährigen Kläger bzw. Vollmachten des neben der Klägerin Ziff. 1 bezüglich der minderjährigen Kinder Sorgeberechtigten) vorzulegen. Dieser Aufforderung ist der Bevollmächtigte am 20. Mai 2008 nachgekommen.
Mit Schreiben vom 2. Juli 2008 hat das SG den Bevollmächtigten der Kläger darüber informiert, dass das Bundessozialgericht (BSG) in seiner Entscheidung vom 27. Februar 2008 (B 14/7b AS 70/06 R) weiterhin ausdrücklich die Auffassung vertrete, dass es sich bei Kostensenkungsaufforderungen nicht um Verwaltungsakte handele (mit Hinweis auf BSG, Urteil vom 7. November 2006 - B 7b AS 10/06 R). Des Weiteren hat das SG in dem Zusammenhang den Klägerbevollmächtigten auch aufgefordert zur Frage der Rechtswidrigkeit der Kostensenkungs-aufforderung (in der Sache) Stellung zu nehmen sowie ferner die erforderliche Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des (damals schon volljährigen) Klägers Ziff. 2 vorzulegen. Erst nach Mahnung mit Schreiben vom 12. September 2008 (mit Fristsetzung 3. Oktober 2008) und erneuter Mahnung mit Schreiben vom 29. Oktober 2008 hat der Klägerbevollmächtigte mit Schreiben vom 5. November 2008 hierzu Stellung genommen. In der Sache hat er sich dabei darauf beschränkt, erneut seine Rechtsauffassung darzulegen, dass es sich bei der beanstandeten behördlichen Maßnahme um einen Verwaltungsakt handele. Eine Auseinandersetzung mit den Urteilen des BSG hierzu hat nicht stattgefunden.
Hierauf hat das SG mit Beschluss vom 21. Januar 2009 den Klägern Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung für das Klageverfahren gewährt. Es hat dies unter anderem damit begründet, dass die Auffassung der Kläger zumindest vertretbar und die Beiordnung eines Rechtsanwaltes auch im Hinblick auf die Schwierigkeit der Rechtslage erforderlich sei.
Nach Sachstandsanfrage des Klägerbevollmächtigten vom 18. November 2009 und dem Hinweis des SG mit Schreiben vom 20. November 2009, dass der Rechtsstreit zur Entscheidung ohne mündliche Verhandlung vorgesehen sei, hat der Klägerbevollmächtigte mit Schreiben vom 31. März 2010 gerügt, dass die Klageerhebung nun mehr als zwei Jahre zurückliege und der an-gefochtene Verwaltungsakt vom 29. August 2007 datiere. Eine derartige Verfahrensdauer sei nicht vertretbar. Mit Schreiben vom 6. April 2010 hat hierauf das SG den Klägerbevollmächtig-ten darüber informiert, dass die bisherige Vorsitzende der 3. Kammer zum 1. März 2010 in ein anderes Bundesland gewechselt sei und voraussichtlich erst zum 1. Mai 2010 mit einer Neubesetzung gerechnet werden könne. Eine Entscheidung innerhalb der nächsten sechs Wochen könne daher nicht in Aussicht gestellt werden. Darüber hinaus wurde der Bevollmächtigte hinsichtlich der von ihm angesprochenen Fragen auf den Beschluss des BSG vom 13. Dezember 2005 (B 4 RA 220/04 B) verwiesen. Eine weitere Stellungnahme des Bevollmächtigten erfolgte hierauf nicht.
10 
Aufgrund der Zustimmung der Beteiligten (Erklärung des Klägerbevollmächtigten bereits in der Klageschrift vom 13. Februar 2008 sowie Schreiben der dortigen Beklagten vom 3. November 2008) hat das SG ohne mündliche Verhandlung mit Urteil vom 30. September 2011 die Klage als unzulässig abgewiesen. Das SG hat hierbei die Auffassung vertreten, dass es sich bei der Kostensenkungsaufforderung entsprechend der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 27. Februar 2008 - B 14/7b AS 70/06 R) lediglich um ein Informationsschreiben mit Aufklärungs- und Warnfunktion und nicht um einen Verwaltungsakt handele, weshalb die hiergegen erhobene Anfechtungsklage unzulässig sei.
11 
Die Kläger haben gegen das ihrem Bevollmächtigten mit Empfangsbekenntnis am 6. Oktober 2011 zugestellte Urteil keine Berufung eingelegt, sodass das Urteil zwischenzeitlich rechtskräftig ist.
12 
Am 4. April 2012 haben die Kläger durch ihren Bevollmächtigten (per Fax) Klage vor dem Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg wegen überlanger Verfahrensdauer, betreffend Ansprüche nach dem SGB II erhoben. Die Kläger begehren die Verurteilung des beklagten Landes Baden-Württemberg zur Zahlung einer Entschädigung nach § 198 Abs. 2 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) in Höhe von insgesamt 18.500,00 EUR sowie die Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung des Bevollmächtigten für das Klageverfahren.
13 
Der Klägerbevollmächtigte macht geltend, vorliegend habe das Verfahren ab der Klageerhebung am 18. Februar 2008 bis zum Urteil vom 30. September 2011 gedauert, damit insgesamt drei Jahre und sieben Monate. Im sozialgerichtlichen Verfahren, betreffend Ansprüche nach dem SGB II, sei jedoch regelmäßig eine Verfahrensdauer von höchstens sechs Monaten angemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 GVG. In diesem Verfahren seien keine Sachverhaltsfragen zu klären gewesen. Das SG habe die Klage auch allein deshalb abgewiesen, weil es der Auffassung gewesen sei, dass die angefochtene Verfügung nicht unter § 31 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - Verwaltungsverfahren - (SGB X) zu subsumieren sei. Die Kläger hätten die Frage, ob die Auf-forderung zur Senkung der Unterkunftskosten tatsächlich in keiner Weise anfechtbar sei, durch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) klären lassen wollen. Dies sei nicht mehr möglich ge-wesen, weil die Kläger zum 1. Dezember 2011 umgezogen seien, sodass das Rechtsschutzbedürfnis entfallen sei. Dies sei den Klägern am 6. Oktober 2011 auch bereits bekannt gewesen, denn die Wohnung, in die sie zum 1. Dezember 2011 umgezogen seien, sei zu diesem Zeitpunkt bereits angemietet gewesen.
14 
Ausweislich der gerichtlichen Verfügung vom 2. Juli 2008 habe sich an der Rechtsauffassung des Gerichts zwischen dem 2. Juli 2008 und dem 30. September 2011 auch nichts geändert. Durchgängig sei das SG davon ausgegangen, dass ein Verwaltungsakt nicht vorliege, sodass keinerlei Sachverhaltsaufklärung erforderlich gewesen sei. Außerdem habe das Einverständnis beider Seiten mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung vorgelegen. Es seien also keinerlei Gründe ersichtlich, die eine derart exorbitante Verfahrensdauer rechtfertigen könnten.
15 
Gemäß § 198 Abs. 2 GVG werde von Gesetzes wegen vermutet, dass für den Anspruch auf Ent-schädigung ein Nachteil entstanden sei, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedau-ert habe. Dies sei vorliegend der Fall. Gemäß § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG betrage die Entschädi-gung 1.200,00 EUR für jedes Jahr der Verzögerung. Das Verfahren habe insgesamt 43 Monate ge-dauert. Angemessen sei eine Dauer von sechs Monaten. Damit bestehe für 37 Monate Anspruch auf Entschädigung in Höhe von 100,00 EUR monatlich. Dieser Anspruch bestehe für jeden der fünf Kläger, sodass der Entschädigungsanspruch insgesamt 18.500,00 EUR betrage.
16 
§ 198 Abs. 3 Satz 1 GVG sei vorliegend wegen Art. 23 des Gesetzes über den Rechtsschutz von überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren nicht einschlägig. Das Urteil vom 30. September 2011 sei dem Bevollmächtigten am 6. Oktober 2011 zugegangen. Die Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wäre damit bis zum 6. April 2012 möglich gewesen. Damit würden die Voraussetzungen des Art. 23 Satz 1 des Gesetzes über den Rechtsschutz von überlangen Gerichtsverfahren vorliegen.
17 
Ergänzend im Hinblick auf den Beschluss des Senats vom 10. Dezember 2012, mit dem die Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Klageverfahren mangels Erfolgsaussicht abgelehnt worden war, macht der Klägerbevollmächtigte noch geltend, der Senat habe dort bei der Prüfung der Verfahrensdauer zu Unrecht die Frage der Begründetheit der damaligen Klage mit einbezogen. Nach Auffassung der Klägerseite sei spätestens mit der Stellungnahme des Bevollmächtigten vom 5. November 2008 zur Verfügung vom 2. Juli 2008 (und Erinnerungen vom 12. September 2008 und 29. Oktober 2008) ausgeschrieben gewesen, und zwar unabhängig davon, ob die Verfügung vom 2. Juli 2008 ausreichend beantwortet worden sei oder nicht. Das SG habe sich jedenfalls hiermit zufriedengegeben und keine weiteren Ermittlungen angestellt, auch keine weiteren Rückfragen an die Kläger gerichtet. Ab dem Zeitpunkt sei keine weitere Bearbeitung mehr erfolgt. Auf die Sachstandanfrage vom 2. November 2009 sei mit Schreiben vom 18. November 2009 mitgeteilt worden, dass das Verfahren zur Entscheidung ohne mündliche Verhandlung vorgesehen sei, diese Entscheidung sei aber erst nahezu zwei Jahre später, nämlich am 30. September 2011 ergangen. Diese eklatante Verzögerung des Verfahrens stünde nicht im Zusammenhang mit der Frage, ob die gerichtliche Verfügung vom 2. Juli 2008 ausreichend beantwortet worden sei. Der Anspruch auf Abschluss eines Gerichtsverfahrens in einer angemessenen Dauer bestehe unabhängig von der Frage, ob der klägerische Vortrag aus Sicht des Gerichtes ausreichend sei oder nicht. Es sei im streitgegenständlichen Verfahren auch nicht erforderlich gewesen, auf die Frage nach der Richtigkeit der Angemessenheitsgrenze nach § 22 Abs. 1 SGB II, mit der die ARGE damals operiert habe, einzugehen. So sei zum damaligen Zeitpunkt in allen Entscheidungen des SG Freiburg und des LSG Baden-Württemberg, die dem Bevollmächtigten bekannt gewesen und bis zum 13. April 2011 ergangen seien, die Angemessenheitsgrenze, mit der die ARGE damals operiert habe, bestätigt worden. Es sei zum damaligen Zeitpunkt wenig sinnvoll erschienen, auf diese Frage erneut einzugehen, da bereits die Frage nach der Verwaltungsaktqualität der angefochtenen Verfügung streitig gewesen sei. Die Unrichtigkeit der "Mietobergrenze", die damals angewendet worden sei, ergebe sich erst aus der Entscheidung des BSG vom 13. April 2011 (B 14 AS 106/10 R). Hätten die Kläger seinerzeit hierzu vorgetragen, hätten sie in einem Umfang von mindestens 20 bis 30 Seiten mit einer Unmenge von Daten vortragen müssen hinsichtlich entsprechender statistischer Untersuchungen und unter anderem mehrerer Gutachten zu Mietspiegeln, so dass man ihnen umgekehrt den Vorwurf hätte machen können, sie hätten durch im vorliegenden Verfahren unnötigen Vortrag das Verfahren unnötig verkompliziert und dadurch zu seiner Verzögerung beigetragen. Selbst dann, wenn jedoch der Vortrag der Kläger nicht ausreichend gewesen sein sollte, hätte dies zur Verzögerung des Verfahrens nichts beigetragen. Denn es wäre Sache des Gerichts gewesen hier gegebenenfalls auch gerade unter Beachtung des Amtsermittlungsgrundsatzes zu ermitteln und den Sachverhalt zu klären.
18 
Schließlich hätten die Kläger keinesfalls einen Vorteil aus der langen Verfahrensdauer gehabt, denn diese habe sie nicht vor einer jederzeit drohenden Kürzung der Leistungen für die Unterkunft geschützt. Zu einer solchen Kürzung sei es schließlich auch gekommen, sie sei allerdings im einstweiligen Rechtsschutzverfahren erfolgreich angefochten worden (SG Freiburg – S 13 AS 4002/11 ER, LSG Stuttgart – L 12 AS 3830/11 ER-B). Die Kläger hätten auch wenn dies noch möglich gewesen wäre Berufung eingelegt, aufgrund des zum 1. Dezember 2011 erfolgten Umzuges sei jedoch das Rechtsschutzbedürfnis entfallen.
19 
Die Sache habe auch grundsätzliche Bedeutung, so sei zum einen bislang völlig ungeklärt, welche Verfahrensdauer angemessen im Sinne von § 198 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG), und zum anderen ob aus Sicht des Gerichtes unzureichender Sachvortrag eine Verzögerung des Verfahrens von zwei Jahren oder gar mehr rechtfertigen könne.
20 
Die Kläger beantragen,
21 
den Beklagten zu verurteilen, an die Kläger eine Entschädigung nach § 198 Abs. 2 GVG i.H.v.18.500 EUR zu zahlen,
hilfsweise die Revision zuzulassen.
22 
Der Beklagte beantragt,
23 
die Klage abzuweisen.
24 
Der Beklagte ist der Auffassung, dass die Klage unbegründet sei. So bestimme sich die Angemessenheit der Verfahrensdauer grundsätzlich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten selbst und Dritter. Die Annahme des Bevollmächtigten, ein sozialgerichtliches Verfahren betreffend Angelegenheiten nach dem SGB II sei bereits dann von unangemessener Dauer, wenn es eine Dauer von sechs Monaten überschreite, sei angesichts der gesetzlichen Regelung bereits im Ansatz verfehlt. Auch hier sei vielmehr auf die Umstände des Einzelfalles abzustellen.
25 
So sei zum einen zur Schwierigkeit des Verfahrens zu berücksichtigen, dass zwar in dem hier zu würdigenden Verfahren vor dem SG die für die Beurteilung der Statthaftigkeit der erhobenen Anfechtungsklage zentrale Rechtsfrage spätestens mit den Entscheidungen des BSG vom 27. Februar 2008 (B 14/7b AS 70/06 R) und 19. März 2008 ( B 11b AS 41/06 R) höchstrichterlich geklärt gewesen sei. Allerdings habe der Bevollmächtigte der Kläger die Relevanz dieser Rechtsprechung für die Entscheidungsfindung ausdrücklich in Frage gestellt. Daher habe die Entscheidung hier eine nähere Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des BSG und deren Tragfähigkeit erfordert. Weitere Schwierigkeiten hätten sich daraus ergeben, dass die vom Bevollmächtigten eingereichte Klage zum Teil mit Mängeln behaftet gewesen sei, die den Aufwand der Bearbeitung des Verfahrens nicht unerheblich gesteigert hätten. So sei der Kläger Ziff. 2 (geboren am 31. Oktober 1989) in der Klageschrift vom 13. Februar 2008 noch als minderjährig und als durch die Klägerin Ziff. 1 gesetzlich vertreten angegeben worden. Tatsächlich habe der Kläger Ziff. 2 bereits im Jahr 2007 die Volljährigkeit erreicht, mit der Folge, dass die Klägerin Ziff. 1 im Zeitpunkt der Klageerhebung zur gesetzlichen Vertretung des Klägers Ziff. 2 nicht mehr berufen gewesen sei. Der Bevollmächtigte habe auf die entsprechende Aufklärungsverfügung des SG vom März 2008 erst am 20. Mai 2008 reagiert.
26 
Ein weiterer Punkt, der für die Beurteilung der Schwierigkeit des Verfahrens von Bedeutung sei, liege darin, dass der Bevollmächtigte praktisch vollständig davon abgesehen habe, sich zur Frage der Rechtmäßigkeit der angegriffenen behördlichen Maßnahme zu äußern. Damit sei der eigentliche Grund für die Erhebung der Klage bis zum Ende des Verfahrens im Dunkeln geblieben. Hätte sich das SG aber die Rechtsauffassung des Bevollmächtigten zu Eigen gemacht und die Statthaftigkeit der Klage bejaht (entgegen der Rechtsprechung des BSG), so wäre es Aufgabe des SG gewesen, von Amts wegen eine „Vollprüfung“ der Rechtmäßigkeit der angefochtenen behördlichen Maßnahme durchzuführen. Die Vermutung liege nahe, dass das SG diesen Aspekt im Blick gehabt habe, als es in seinem PKH-Beschluss vom 21. Januar 2009 die Rechtslage als „schwierig oder schwer zu übersehen“ eingestuft habe.
27 
Ferner sei die Bedeutung des Verfahrens zu berücksichtigen. Diese richte sich vor allem nach dem Interesse der Verfahrensbeteiligten an einer baldigen Entscheidung. Von diesem Interesse sei insbesondere dann auszugehen, wenn sich aus einer Verzögerung der Entscheidung für einen Beteiligten schwere und nicht oder nur begrenzt reparable Nachteile ergeben würden. Hier aber hätten die Kläger keinerlei greifbare Nachteile aus der Dauer des Verfahrens zu befürchten gehabt. Denn unabhängig davon, ob sich die Rechtsauffassung des Bevollmächtigten durchsetzen würde oder nicht, hätten sie jedenfalls während der Dauer des gerichtlichen Verfahrens mit keinen nachteiligen Wirkungen zu rechnen gehabt. Im Gegenteil hätten sie vielmehr insofern einen konkreten Vorteil ziehen können, als die Sozialverwaltung mit Blick auf das offene Verfahren offenbar keine Anstalten unternommen habe, die als zu hoch eingestuften Unterkunftskosten der Kläger zum Anlass für Leistungskürzungen zu nehmen.
28 
Zu berücksichtigen sei ferner, dass die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit im hier interessierenden Zeitraum bekanntlich eine sehr hohe Verfahrenslast im Zusammenhang mit der sogenannten Hartz-IV-Gesetzgebung zu bewältigen gehabt hätten und große Mühen hätten aufgewendet werden müssen, die Personalkapazitäten bei den Sozialgerichten der ständig wachsenden Verfahrenslast anzupassen.
29 
Im Verfahren hier sei außerdem zu berücksichtigen, dass im Jahr 2010 ein Wechsel in der Person des Kammervorsitzenden stattgefunden habe. Angesichts der mit einem solchen Wechsel zwangsläufig verbundenen Verfahrensverzögerungen, die sich bereits aus der Notwendigkeit ergeben würden, dass sich der neue Vorsitzende der Kammer erst mit dem Verfahrensbestand vertraut machen müsse, läge es besonders nahe, bis zum Eintritt des Wechsels in erster Linie diejenigen Verfahren zu bearbeiten, denen aufgrund ihrer Bedeutung für die persönliche Lebens-führung der jeweiligen Kläger Vorrang zuzumessen gewesen sei. Hierzu gehöre das hier streitige Verfahren eindeutig nicht. Das SG habe dieses Verfahren daher zu Recht zeitweilig zurückgestellt. Dies gelte umso mehr, als der Bevollmächtigte frühzeitig und wiederholt auf die seiner Rechtsauffassung entgegenstehende Rechtsprechung des BSG hingewiesen worden sei und jedenfalls ab dem deutlichen richterlichen Hinweis vom 6. April 2010 über den Ausgang des Verfahrens kaum noch ein vernünftiger Zweifel habe bestehen können.
30 
Irgendwelche Anstalten, das Gericht nach diesem Hinweis auf ein besonderes Interesse der Kläger an einer zügigen Sachentscheidung hinzuweisen, habe der Bevollmächtigte der Kläger nach der richterlichen Verfügung vom 6. April 2010 nicht unternommen. Er habe auch nicht über die - nun mit der Entschädigungsklage vorgetragene - Absicht der Kläger informiert, die von ihm auf-geworfene Frage der rechtlichen Einordnung der angefochtenen behördlichen Maßnahme zum Gegenstand eines Verfahrens vor dem BVerfG zu machen.
31 
Im Zusammenhang mit dem hier geltend gemachten Entschädigungsanspruch sei auch zu berücksichtigen, inwieweit die Verzögerung des Verfahrens ausschließlich durch die Verfahrensbeteiligten selbst oder durch Dritte verursacht worden sei und das Gericht keine Möglichkeit gehabt habe, dem wirksam entgegenzusteuern. In dem Zusammenhang sei zu berücksichtigen, dass wie bereits dargelegt, die vom Bevollmächtigten eingereichte Klage an nicht unerheblichen Mängeln, die sowohl die Einordnung der rechtlichen Verhältnisse zwischen den Klägern als auch die Darlegung des mit der Klage verfolgten Anliegens betreffen, gelitten habe. Dem habe das SG mit mehreren Aufklärungsverfügungen Rechnung getragen. Letztlich habe das SG frühestens ab dem Eingang des Schreibens vom 5. November 2008 davon ausgehen können, dass der Bevollmächtigte nicht in der Lage oder nicht Willens gewesen sei, sich inhaltlich zur Frage der Recht-mäßigkeit der von den Klägern angegriffenen behördlichen Maßnahme zu äußern. Jedenfalls bis zu diesem Zeitpunkt sei die Dauer des gerichtlichen Verfahrens ausschließlich durch Umstände zu begründen, die in der Sphäre der Kläger liegen würden. Hinzu komme, dass angesichts der ausgesprochen geringen praktischen Nachteile der Verfahrensdauer für die Kläger sowie angesichts des Umstandes, dass das Gericht jedenfalls mit seinem Schreiben vom 6. April 2010 einen deutlichen Hinweis auf den zu erwartenden Ausgang des Verfahrens erteilt habe, vom Bevollmächtigten der Kläger zu erwarten gewesen wäre, durch Vortrag aktiv auf eine zügige Verfahrenserledigung hinzuwirken, wenn den Klägern hieran tatsächlich gelegen gewesen wäre. Dies sei jedoch vollständig unterblieben.
32 
Des Weiteren setze der Entschädigungsanspruch voraus, dass die Kläger infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens einen Nachteil erlitten hätten. Hier sei jedoch weder eine unangemessene Dauer des Gerichtsverfahrens noch ein relevanter Nachteil anzunehmen. Sofern der Senat dieser Einschätzung nicht folgen wolle, wäre jedoch angesichts der geschilderten Umstände allenfalls daran zu denken, eine Feststellung zu treffen, dass die Verfahrensdauer unangemessen gewesen sei (§ 202 Satz 2 SGG i.V.m. § 198 Abs. 4 GVG). Für die Leistung einer finanziellen Entschädigung bestehe bei dieser Sachlage weder eine rechtliche Verpflichtung des beklagten Landes noch ein sonstiger Anlass. Dies gelte umso mehr, als den Klägern für das gerichts-kostenfreie Verfahren Prozesskostenhilfe vor dem SG bewilligt worden sei, obwohl es angesichts der bekannten Rechtsprechung des BSG zu der im Verfahren zentralen Zulässigkeitsfrage ohne Weiteres vertretbar gewesen wäre, im Prozesskostenhilfeverfahren auf die fehlenden Erfolgsaussichten der Rechtsverteidigung abzustellen.
33 
Ergänzend werde noch darauf hingewiesen, dass der in § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG genannte Entschädigungsbetrag von 1.200,00 EUR pro Jahr der Verzögerung nicht als „billig“ im Sinne von § 198 Abs. 2 Satz 4 GVG angesehen werden könne, wenn er je gesondert für mehrere Kläger geltend gemacht werde, die als Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft ein gemeinschaftliches Anliegen verfolgt hätten.
34 
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sacherhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die SG-Akte S 3 AS 789/08 sowie die Senatsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
I.
35 
Das Landessozialgericht Baden-Württemberg ist für die hier erhobene Klage zuständig (§ 51 Abs. 1 Nr. 10, § 202 S. 2 SGG in Verbindung mit den §§ 198 ff. GVG), da es sich bei den Ausgangsverfahren um Verfahren aus dem Bereich der Sozialgerichtsbarkeit handelt.
II.
36 
Die Klage ist bereits unzulässig. Sie ist zwar fristgerecht erhoben (dazu unter 1.), jedoch rechtsmissbräuchlich (dazu unter 2.)
1.
37 
Es handelt sich bei diesem Verfahren, das im September 2011 mit dem Urteil des SG vom 30. September 2011 (Zustellung an den Klägerbevollmächtigten am 6. Oktober 2011) nach Ablauf der Berufungsfrist seinen (rechtskräftigen) Abschluss fand, um ein "Altverfahren".
38 
Das Gerichtsverfahren im Sinne der §§ 198 ff. GVG beginnt mit der Einleitung, also der Klageerhebung, Antragstellung oder einem von Amts wegen veranlassten Tätigwerden (BT-Drs. 17/3802, Seite 22 zu § 198 Abs. 6 Nr. 1), wobei Verfahren über vorläufigen Rechtsschutz und die Gewährung von Prozesskostenhilfe mit erfasst werden (§ 198 Abs. 6 Nr. 1). Abgeschlossen ist das Gerichtsverfahren mit der (formellen) Rechtskraft, also wenn kein weiterer Rechtsbehelf mehr zur Verfügung steht. Maßgeblich ist daher nicht die einzelne Instanz (Roller DRiZ 2012 Heft Nr. 6 Beilage Seite 7 mit Hinweis auf BSG Urteil vom 2. Oktober 2008 – B 9 VH 1/07 R – SozR 4-3100 § 60 Nr. 4; EGMR Beschluss vom 10. Februar 2009 Nr. 30209/05, juris).
39 
Zwar bestand grundsätzlich noch als weiteres Rechtsmittel hier die Berufung zum LSG. Nachdem aber die Kläger zum 30. November 2011 aus der streitbefangenen Wohnung auszogen und dies auch schon zum Zeitpunkt der Entscheidung des SG am 30. September 2011 feststand, hatte sich die streitbefangene Kostensenkungsaufforderung erledigt und wäre eine mögliche Berufung schon aus diesem Grund ohne Erfolg geblieben. Daher war das Verfahren mit dem Urteil des SG vom 30. September 2011 abgeschlossen im oben genannten Sinne und damit dem Grunde nach die Möglichkeit für eine Individualbeschwerde zum EGMR bzw. sodann nach Inkrafttreten des Gesetzes zum Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren für eine Entschädigungsklage eröffnet.
40 
Gemäß Art. 23 des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und straf-rechtlichen Ermittlungsverfahren vom 24. November 2011 (BGBl. I Seite 2302), in Kraft seit 3. Dezember 2011, gilt dieses Gesetz auch für Verfahren, die bei seinem Inkrafttreten bereits anhängig waren, sowie für abgeschlossene Verfahren, deren Dauer bei seinem Inkrafttreten Gegenstand von anhängigen Beschwerden beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ist oder noch werden kann.
41 
In der Gesetzesbegründung (Bundesrats-Drucksache 540/10 Seite 46 bzw. BT-Drs. 17/3802 Seite 31 zu Art. 22) ist hierzu ausgeführt:
42 
"Nach Satz 1 werden als Altfälle auch Verfahren erfasst, die bei Inkrafttreten bereits anhängig oder abgeschlossen waren. Abgeschlossene Verfahren werden nur erfasst, wenn sie nach dem innerstaatlichen Abschluss vor dem EGMR zu einer Beschwerde wegen der Verfahrensdauer geführt haben oder noch führen können. Dadurch sollen weitere Verurteilungen der Bundesrepublik Deutschland verhindert und der EGMR entlastet werden. Da die Beschwerdefrist des Artikels 35 Abs. 1 EMRK sechs Monate beträgt, darf der Verfahrensabschluss nicht länger als sechs Monate zurückliegen."
43 
Hieraus ergibt sich nach Auffassung des Senates, dass nur solche abgeschlossenen Altverfahren (noch) zum Gegenstand einer statthaften Entschädigungsklage (hier) vor dem Landessozialgericht gemacht werden können, deren Dauer bereits in zulässiger Weise mit einer Beschwerde vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte beanstandet worden sind. Die Übergangsregelung greift hingegen nicht bereits dann ein, wenn ein Verfahren vor dem EGMR zwar formal noch anhängig ist, mit einem Erfolg der Beschwerde aber wegen offensichtlicher Verfristung nach Art. 35 Abs. 1 EMRK nicht gerechnet werden kann. Zweck der Übergangsregelung ist es, weitere Verurteilungen der Bundesrepublik Deutschland zu vermeiden und andererseits den EGMR zu entlasten. Dem würde es aber zuwiderlaufen, wenn bereits die Einlegung offensichtlich unzulässiger Beschwerden beim EGMR die Erhebung von Entschädigungsklagen vor den nationalen Gerichten ermöglichen würde. Dies wäre gerade dann der Fall, wenn bereits vor Jahren rechtskräftig abgeschlossene Verfahren vor nationalen Gerichten bei offensichtlicher Miss-achtung der Beschwerdefrist des Art. 35 Abs. 1 EMRK zum Gegenstand einer Individualbeschwerde vor dem EGMR gemacht werden könnten. Einerseits würde durch solche Beschwer-den, die zu sachwidrigen Zwecken erhoben würden, die Geschäftsbelastung des EGMR noch zusätzlich erhöht. Andererseits würde auch der Zweck, weiteren Erfolg versprechenden Individualbeschwerden gegen die Bundesrepublik Deutschland die Grundlage zu entziehen, verfehlt werden.
44 
Die Klage war am 4. April 2012 per Fax und damit gerechnet ab der Zustellung des SG-Urteils jedenfalls innerhalb der Sechsmonatsfrist nach Art. 23 Satz 1 des Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren i.V.m. Art 35 Abs. 1 EMRK erhoben worden. Es konnte daher auch offen bleiben, ob die Sechsmonatsfrist hier erst nach Ablauf der Berufungsfrist zu laufen begann; hierfür dürfte allerdings der Umstand sprechen, dass grundsätzlich auf den Eintritt der formellen Rechtskraft als „Abschluss des Verfahrens“ abgestellt wird (s. Roller aaO S. 7 mwN; Marx aaO § 198 GVG Rdnr.167).
2.
45 
Die Klage ist jedoch unzulässig, weil sie zur Überzeugung des Senates rechtsmissbräuchlich ist. Der EGMR hat in seinem Urteil vom 19. Januar 2010 (Nr. 22051/07) die dortige Individualbeschwerde nach der EMRK als unzulässig verworfen, da er sie für einen Missbrauch des Beschwerderechts hielt. Zu Grunde lag dem ein Fall, im Rahmen dessen im Zusammenhang mit einem Beihilfeantrag die Erstattung eines Kostenanteils von 7,99 EUR für ein Magnesiumpräparat im Streit stand. Hierzu hat der EGMR unter anderem ausgeführt, dass er hier alle Umstände der vorliegenden Rechtssache sorgfältig geprüft habe. Insbesondere habe er das Missverhältnis zwischen der Trivialität des Sachverhalts, also der Geringfügigkeit des in Rede stehenden Betrags und der Tatsache, dass es bei dem Verfahren um ein Nahrungsergänzungsmittel und nicht um ein Arzneimittel gegangen sei, und der ausgiebigen Inanspruchnahme gerichtlicher Verfahren – einschließlich der Anrufung eines internationalen Gerichts – vor dem Hintergrund der Überlastung dieses Gerichts und der Tatsache, dass eine große Anzahl von Beschwerden anhängig sei, in denen ernste Menschenrechtsfragen aufgeworfen würden, berücksichtigt. Darüber hinaus stellte der EGMR fest, dass Verfahren wie das dort in Rede stehende auch zu Überlastung der Gerichte auf der innerstaatlichen Ebene und somit zu einem der Gründe für die überlange Dauer gerichtlicher Verfahren beitragen würden.
46 
Nicht anders stellt sich der Fall hier dar. Die Klage im Ausgangsverfahren vor dem SG betraf eine Rechtsfrage, die allerspätestens kurz nach der Klageerhebung im Februar 2008 mit den weiteren BSG-Urteilen vom 27. Februar 2008 und 19. März 2008, die die frühere Entscheidung vom 7. November 2006 bestätigten, entschieden war. Ab diesem Zeitpunkt gab es überhaupt keinen – von den Klägern im Übrigen auch nicht im Ansatz geltend gemachten – Grund, das Verfahren noch weiter zu betreiben, insbesondere auf eine gerichtliche Entscheidung zu bestehen. Das Verfahren hatte für die Kläger damit keine Bedeutung mehr (siehe dazu auch unter III. 2.). Wer vor diesem Hintergrund den Umstand, dass das SG ein solches, eine höchstrichterlich bereits mehrfach geklärte Rechtsfrage betreffendes Verfahren zu Gunsten anderer vordringlicher Verfahren zurück stellte, zum Anlass nimmt, wegen überlanger Verfahrensdauer einen Entschädigungsanspruch geltend zu machen, missbraucht das Klagerecht auf Entschädigung.
III.
47 
Die Klage ist darüber hinaus auch unbegründet.
48 
Nach § 198 Abs. 1 GVG in der seit 3. Dezember 2011 geltenden Fassung gem. Art. 23 des Gesetzes vom 24. November 2011 (BGBl. I S. 2302) wird wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, angemessen entschädigt. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, ins-besondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.
49 
Gem. § 198 Abs. 2 GVG wird ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Hierfür kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß Absatz 4 ausreichend ist. Die Entschädigung gemäß Satz 2 beträgt 1 200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung. Ist der Betrag gemäß Satz 3 nach den Umständen des Einzelfalles unbillig, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen.
50 
Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter gem. § 198 Abs. 3 GVG nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge). Die Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Ver-fahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird; eine Wiederholung der Verzöge-rungsrüge ist frühestens nach sechs Monaten möglich, außer wenn ausnahmsweise eine kürzere Frist geboten ist. Kommt es für die Verfahrensförderung auf Umstände an, die noch nicht in das Verfahren eingeführt worden sind, muss die Rüge hierauf hinweisen. Anderenfalls werden sie von dem Gericht, das über die Entschädigung zu entscheiden hat (Entschädigungsgericht), bei der Bestimmung der angemessenen Verfahrensdauer nicht berücksichtigt. Verzögert sich das Verfahren bei einem anderen Gericht weiter, bedarf es einer erneuten Verzögerungsrüge.
51 
Nach § 198 Abs. 4 GVG ist Wiedergutmachung auf andere Weise insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Die Feststellung setzt keinen Antrag voraus. Sie kann in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung ausgesprochen werden; ebenso kann sie ausgesprochen werden, wenn eine oder mehrere Voraussetzungen des Absatzes 3 nicht erfüllt sind.
52 
Eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach Absatz 1 kann frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden. Die Klage muss spätestens sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben werden. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage ist der Anspruch nicht übertragbar (§ 198 Abs. 5 GVG).
53 
Gem. § 198 Abs. 6 GVG ist im Sinne dieser Vorschrift
54 
1. ein Gerichtsverfahren jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss einschließlich eines Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und zur Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe; ausgenommen ist das Insolvenzverfahren nach dessen Eröffnung; im eröffneten Insolvenzverfahren gilt die Herbeiführung einer Entscheidung als Gerichtsverfahren;
55 
2. ein Verfahrensbeteiligter jede Partei und jeder Beteiligte eines Gerichtsverfahrens mit Ausnahme der Verfassungsorgane, der Träger öffentlicher Verwaltung und sonstiger öffentlicher Stellen, soweit diese nicht in Wahrnehmung eines Selbstverwaltungsrechts an einem Verfahren beteiligt sind.
56 
Eine allgemein gültige Zeitvorgabe, wie lange ein (sozialgerichtliches) Verfahren höchstens dauern darf, um nicht als unangemessen lang zu gelten, ist dem Gesetz nicht zu entnehmen und kann auch der EMRK nicht entnommen werden (s. u.a. BVerfG Kammerbeschluss vom 27. September 2011 – 1 BvR 232/11; BVerfG Beschluss vom 7. Juni 2011 – 1 BvR 194/11, NVwZ-RR 2011, 625; Steinbeiß-Winkelmann in Steinbeiß-Winkelmann/Ott Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, Kommentar 2013 Einführung S.6/7 Rdnr. 13 bzw. Ott A § 198 GVG Rdnrn. 88 - 90). Auch sonst ist die generelle Festlegung, ab wann ein Verfahren unangemessen lange dauert – insbesondere als feste Jahresgrenze – angesichts der Unterschiedlichkeit der Verfahren nicht möglich (BVerfG stattgebender Kammerbeschluss vom 20. Juli 2000 – 1 BvR 352/00, NJW 2001,214; Scholz Sozialgerichtsbarkeit 2012 Seite 19, 21; Roller DRiZ 2012 Heft 6 Beilage Seite 7; Steinbeiß-Winkelmnann a.a.O. S. 6/7 Rdnr. 13, 14). Die vom Klägerbevollmächtigten behauptete maximal zulässige Bearbeitungsdauer von 6 Monaten in Verfahren nach dem SGB II findet daher gerade auch in der Rechtsprechung keinerlei Grundlage.
57 
Ob der Anspruch eines Verfahrensbeteiligten auf Entscheidung seines gerichtlichen Verfahrens in angemessener Zeit verletzt wurde, ist – wie in allen übrigen Verfahren - auch bei Gerichtsver-fahren, die Ansprüche aus dem SGB II betreffen, vielmehr im Lichte der Rechtsprechung des EGMR zu Art. 6 Abs. 1 EMRK sowie des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 19 Abs. 4, 20 Abs. 3 GG zu beurteilen (vgl. auch BT-Drs. 17/3802, S. 1, 15). Als Maßstab nennt § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG die Umstände des Einzelfalls, insbesondere die Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens sowie das Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter (vgl. insoweit auch EGMR, Urteil vom 24. Juni 2010, Beschwerde Nr. 21423/07, Rdnr. 32; Urteil vom 8. Juni 2006 Nr.75529/01 Rdnr. 128; Urteil vom 21. April 2011 Nr. 41599/09 Rdnr.42; BVerfG Beschluss vom 27. September 2011 – 1 BvR 232/11 - Rdnr. 16 in juris; Roller aaO S. 9; Scholz aaO S.22; Steinbeiß-Winkelmann a.a.O. S.6/7 Rdnr. 14).
1.
58 
Im Einzelnen ist unter Berücksichtigung der oben dargestellten Grundsätze auszuführen, dass hinsichtlich der Schwierigkeit des hier streitigen Ausgangsverfahrens an sich keine neuen Rechtsfragen mehr zur Debatte standen, denn durch die BSG-Urteile von November 2006, Februar 2008 und März 2008 war die hier streitige Rechtsfrage, nämlich ob die Kostensenkungsaufforderung einen Verwaltungsakt darstellt oder nicht, geklärt. Danach waren keine weiteren Tatsachenermittlungen notwendig. Auf der anderen Seite wollten die Kläger diese Rechtsprechung offen-sichtlich nicht akzeptieren. Wenn das SG der Rechtsauffassung der Kläger gefolgt wäre (wofür zumindest der PKH-Beschluss vom Januar 2009 spricht, in dem das SG auch Ausführungen hin-sichtlich einer schwierigen Rechtslage macht), wären noch Ermittlungen in der Sache zur Angemessenheit der Kosten der Unterkunft (KdU) notwendig gewesen. Hierzu hat aber der Bevollmächtigte der Kläger zu keinem Zeitpunkt auch nur irgendetwas vorgetragen, wiewohl er bereits mit Schreiben vom 2. Juli 2008 vom SG hierzu aufgefordert worden war.
59 
Aus dem Umstand, dass die vom Klägerbevollmächtigten thematisierte Rechtsfrage definitiv vom Revisionsgericht bereits mehrfach entschieden worden war, folgt schon, dass ein solches Verfahren gegenüber anderen vorrangigen Verfahren, insbesondere aus dem Bereich des SGB II, bei denen es im Zweifel auch um laufende (existenzielle) Leistungen geht, zurückgestellt werden kann.
2.
60 
Hinsichtlich der Bedeutung des Verfahrens ist hier vor allem auf das Interesse der Verfahrensbeteiligten an einer baldigen Entscheidung abzustellen (siehe hierzu u.a. EGMR Urteil vom 8. Juni 2006 Nr. 75529/01 Rdnr. 133; Ott in Steinbeiß-Winkelmann/Ott A § 198 GVG Rdnr. 109 ff mit Beispielen sowie Roller aaO S.9 unter Hinweis u.a., wenn die wirtschaftliche Existenz betroffen ist, auf BVerfG Beschluss vom 2. September 2009 – 1 BvR 3171/08, EuGRZ 2009; 695; BVerfG Beschluss vom 20. Juli 2000 – 1 BvR 352/00, NJW 2001, 214, 215; EGMR Urteil vom 21. Oktober 2010 Nr. 43155/08, juris und Urteil vom 13. Januar 2011, Nr. 34236/06, juris; wenn um den Lebensunterhalt sichernde sozialrechtliche Ansprüche gestritten wird siehe BVerfG Beschluss vom 27. September 2011 – 1 BvR 232/11, info also 2012, 28 ; EGMR Beschluss vom 25. März 2010 Nr. 901/05, juris ; anders EGMR Beschluss vom10. Februar 2009 Nr. 30209/05, juris ; s.a. Roderfeld in Marx/Roderfeld Rechtsschutz bei überlangen Gerichts- und Ermittlungsverfahren, Handkommentar 2012, § 198 GVG Rdnr. 11 mwN). Von einem solchen Interesse ist insbesondere dann auszugehen, wenn sich bei einer Verzögerung der Entscheidung für einen Beteiligten schwere und nicht oder nur begrenzt reparable Nachteile ergeben.
61 
Bezüglich der Bedeutung des Verfahrens machen zwar die Kläger geltend, die streitige Rechtsfrage hätte eine existenzielle Bedeutung gerade für Hartz-IV-Empfänger wie sie. Denn bei der vom BSG vertretenen Rechtsauffassung wäre die Folge, dass sie zunächst den tatsächlichen Absenkungsbescheid des SGB II-Trägers hätten abwarten und dann hiergegen klagen müssen, während gleichzeitig aber ihre Leistungen im Bereich der KdU gekürzt worden wären.
62 
Der beigemessenen evidenten Bedeutung ist aber schon das eigene Verhalten nicht gerecht geworden. So ist der Klägerbevollmächtigte trotz der eindeutigen Aufforderung im Schreiben des SG vom 2. Juli 2008, zur Rechtswidrigkeit der Kostensenkungsaufforderung noch Stellung zu nehmen, nicht nachgekommen. Wenn die Kläger der Auffassung sind, es handele sich um einen Verwaltungsakt, wäre konsequenterweise in diesem Verfahren vor dem SG auch der Inhalt der Kostensenkungsaufforderung, damit auch die Höhe der KdU und die Frage der Angemessenheit zu prüfen und hierzu weiterer Vortrag erforderlich gewesen. Alleine mit der Feststellung, dass es sich um einen Verwaltungsakt handele, wären die Kläger keinen Schritt weiter, wenn im Übrigen die Aufforderung in der Sache rechtmäßig wäre, weil ihre KdU unangemessen hoch wären und damit letztlich die Aufforderung zu Recht erfolgt wäre. Zur Klärung abstrakter Rechtsfragen ist die Gerichtsbarkeit jedoch nicht aufgefordert (siehe etwa Beschluss des BSG vom 13. Dezember 2005 - B 4 RA 220/04 B Rdnr. 32 nach Juris). Wenn also die Klägerseite der Auffassung gewesen wäre, es handele sich hier um einen Verwaltungsakt, wäre die Klägerseite auch aufgefordert gewesen, im weiteren Schritt konkret vorzutragen, aus welchen Gründen die Kostensenkungsaufforderung rechtswidrig gewesen wäre. Hierzu ist zu keinem Zeitpunkt irgendetwas vorgetragen worden, insbesondere auch nicht in der konkreten Antwort des Klägerbevollmächtigten vom 5. November 2008 auf das Schreiben des SG vom 2. Juli 2008. Von einer besonderen Bedeutung des Verfahrens für die Kläger kann vor diesem Hintergrund nicht ausgegangen werden. Im Gegenteil, nachdem der dortige beklagte SGB II-Träger während des Verfahrens auf Maßnahmen zur Senkung der KdU (insbesondere die Festsetzung niedrigerer KdU nach Ablauf der Sechsmonatsfrist) verzichtete und offenkundig die Bemühungen der Klägerin Ziff. 1 als ausreichend ansah – siehe hierzu Beschluss des LSG Baden-Württemberg vom 5. Oktober 2011 (L 12 AS 3830/11 ER-B), hatten die Kläger wirtschaftlich betrachtet überhaupt kein Interesse mehr an einer zügigen Beendigung und Entscheidung des Verfahrens, denn solange das Verfahren anhängig war, mussten sie gerade nicht mit irgendwelchen (weiteren) Kostensenkungsmaßnahmen rechnen und konnten nach wie vor in der bisherigen Wohnung bei voller Übernahme der KdU verbleiben. Hieran ändert auch der Umstand nichts, dass der SGB II-Träger ab April 2011 die bisherigen Nachweise über Bemühungen nach einer günstigeren Wohnung nicht mehr als ausreichend ansehen wollte. Hiergegen haben sich die Kläger erfolgreich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gewehrt.
63 
Soweit die Klägerseite die Auffassung vertritt, mit ihrer Antwort vom 5. November 2008 sei die Sache "jedenfalls ausgeschrieben" gewesen, kann der Senat dem nicht folgen. Denn wenn man wie die Klägerseite der Auffassung war, dass die Kostensenkungsaufforderung rechtswidrig gewesen sei und die Kläger damit beschwert gewesen seien – was auf jeden Fall Voraussetzung für eine Klage gegen einen behaupteten belastenden Verwaltungsakt gemäß § 54 Abs. 1 S. 2 SGG gewesen wäre – wären zumindest ansatzweise Ausführungen zur Angemessenheit der KdU der Kläger zu erwarten gewesen (keineswegs notwendigerweise mindestens 20 bis 30 Seiten).
64 
Soweit die Kläger ferner der Auffassung sind, dass aus dem Umstand, dass von Ihrer Seite insoweit nicht weiter vorgetragen worden sei und die Klage daher möglicherweise nicht begründet gewesen sei, keine Schlussfolgerungen hinsichtlich der Verfahrensdauer gezogen werden könnten, folgt der Senat dem ebensowenig. Vielmehr können zur Überzeugung des Senates sehr wohl auch aus der Art der Prozessführung Schlussfolgerungen hinsichtlich der (noch) bestehenden Bedeutung des Verfahrens für die Klägerseite gezogen werden. Dies gerade umso mehr vor dem Hintergrund, dass zu diesem Zeitpunkt die Rechtsfrage durch mehrere BSG-Urteile (vom 7. November 2006 – B 7b AS 10/06 R - juris Rdnr. 29; vom 27. Februar 2008 – B 14/7b AS 70/06 R - juris Rdnr. 13; und vom 19. März 2008 – B 11b AS 41/06 R – juris Rdnr. 20) bereits geklärt war. Denn gerade aufgrund dessen ist eine (besondere) Bedeutung des Verfahrens für die Kläger für den Senat nicht mehr erkennbar. Allein die „Ungewissheit“ für die Kläger, u.U. die Wohnung wechseln zu müssen bzw. Leistungskürzungen bei der KdU in Kauf nehmen zu müssen, reicht vor dem Hintergrund, dass die Rechtsfrage durch das BSG geklärt ist, nicht (mehr) aus um eine (besondere) Bedeutung begründen zu können. Vielmehr war dies gerade aufgrund der BSG-Rechtsprechung hinzunehmen. D.h. mit anderen Worten, den Klägern drohten gerade keine schwere und nicht oder nur begrenzt reparable Nachteile. Vielmehr handelte es sich bei der Kostensenkungsaufforderung lediglich um eine Aufklärung über eine sich bereits unmittelbar aus dem Gesetz (§ 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II) ergebende Obliegenheit. Darüber hinaus drohten Nachteile frühestens dann, wenn die Kläger der Aufforderung nicht nachgekommen wären und auch keine Nachweise über ernsthafte Bemühungen vorgelegt hätten, und zwar in Form von Kürzungen der KdU, die allerdings mit Klage und insbesondere einstweiligen Rechtsschutzes gegebenenfalls hätten abgewehrt werden können. Alleine die sich aus § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II ergebende Obliegenheit der Kläger, sich um günstigeren Wohnraum zu kümmern, lässt für den Senat nicht im Ansatz einen schweren und nicht oder nur bedingt reparablen Nachteil erkennen.
65 
In diesem Falle wäre nach Auffassung des Senates sehr wohl zu erwarten gewesen, dass in der Stellungnahme vom 5. November 2008 durch den Klägerbevollmächtigten trotz der eindeutigen Aufforderung durch das SG nicht lediglich die Ausführungen aus der Klageschrift wiederholt werden.
66 
Schließlich ist die behauptete besondere Bedeutung bzw. das besondere Interesse an einer - wie jetzt im Klageverfahren erstmals geltend gemachten - verfassungsrechtlichen Klärung der Frage zum Charakter der Kostensenkungsaufforderung im gesamten SG-Verfahren an keiner Stelle auch nur ansatzweise von Klägerseite dargetan worden. Dies wäre gerade auch vor dem Hinter-grund der schon vorliegenden Urteile des BSG zu dieser Rechtsfrage umso mehr zu erwarten gewesen. Zumal bei einer erneuten von den Klägern betriebenen Nichtzulassungsbeschwerde zum BSG (mit einer erneuten Zulassung der Revision durch das LSG wäre vor dem Hintergrund der vorliegenden BSG-Entscheidungen nicht zu rechnen gewesen) auch dem Klägerbevollmächtigten bekannt ist, dass für den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung u.a. notwendig ist, dass es auf die Rechtsfrage überhaupt ankommt (konkrete Klärungsfähigkeit = Entscheidungserheblichkeit). Darüber hinaus wäre es auch für die angeblich geplante Verfassungsbeschwerde notwendig gewesen, dass die Kläger „selbst, unmittelbar und gegenwärtig“ (so bereits BVerfGE 1, 97, 101) durch diese behördliche Maßnahme in ihren Rechten verletzt wurden. Auch dies hätte zumindest die Möglichkeit vorausgesetzt, dass die Kostensenkungsaufforderung rechtswidrig gewesen wäre (was bereits im SG-Verfahren hätte geklärt, zumindest aber von Klägerseite hätte schlüssig vorgetragen werden müssen).
67 
Wenn aber letztlich die Kostensenkungsaufforderung rechtmäßig sein sollte, weil tatsächlich die KdU der Kläger zu hoch gewesen wären, hätte die Frage, ob es sich hierbei um einen Verwaltungsakt handelt oder nicht, wohl keine Bedeutung gehabt. Auch vor diesem Hintergrund wäre zu erwarten gewesen, dass der Klägerbevollmächtigte ein vitales Interesse an einer Klärung der Frage hat, ob die KdU überhaupt angemessen sind oder nicht.
68 
Im Ergebnis kann der Senat vor diesem Hintergrund für die trotz der eindeutigen BSG-Rechtsprechung aufrechterhaltene Klage unter keinem Gesichtspunkt mehr eine wie auch immer geartete Bedeutung erkennen, insbesondere hatte das Verfahren gerade keine grundsätzliche Bedeutung mehr.
3.
69 
Des Weiteren ist Voraussetzung für einen Entschädigungsanspruch, dass die unangemessene Verfahrensdauer durch staatliches Fehlverhalten verursacht wurde, etwa organisatorisches Verschulden bei der ausreichenden personellen Ausstattung der Gerichte. D.h. auf der anderen Seite, Entschädigungsansprüche scheiden schon dann grundsätzlich aus, wenn und soweit die Verzögerung des Verfahrens ausschließlich durch die Verfahrensbeteiligten selbst oder durch Dritte verursacht worden ist und das Gericht keine Möglichkeit hatte, dem wirksam entgegen zu steuern (siehe Roller aaO S. 10/11 mit verschiedenen Beispielen und Fundstellen; Roderfeld aaO Rdnr. 12).
70 
Hierzu ist festzuhalten, dass jedenfalls bis November 2008 Verzögerungen allein auf die Kläger zurückgehen. So fehlten zunächst eine Vollmacht hinsichtlich des schon zum damaligen Zeitpunkt volljährigen Klägers Ziff. 2 bzw. die Zustimmungserklärungen hinsichtlich der minderjährigen Kläger durch den anderen sorgeberechtigten Elternteil, des Weiteren fehlte die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse, so dass zunächst das SG hierzu noch zur Vorlage der entsprechenden Unterlagen auffordern musste. Zum anderen hat der Klägerbevollmächtigte auf die Aufforderung des SG vom 2. Juli 2008 zur neuesten BSG Rechtsprechung (Urteil vom 28. Februar 2008) bezüglich der streitigen Rechtsfrage Stellung zu nehmen, erst nach mehreren Mahnungen mit Schreiben vom 5. November 2008 geantwortet. Dieser Zeitraum von sechs Monaten geht damit nicht zulasten des Beklagten. Der sich daran anschließende Zeitraum von ca. zweieinhalb Monaten bis zur PKH-Entscheidung am 21. Januar 2009 ist noch angemessen für die Prüfung und Bearbeitung dieser Entscheidung und daher nicht zu beanstanden. Damit verbleibt noch ab Februar 2009 ein Zeitraum von zwei Jahren und acht Monaten bis zum Urteil am 30. September 2011. Dieser Zeitraum ist aber vor dem Hintergrund, dass das Verfahren zur Überzeugung des Senates für die Kläger keinerlei Bedeutung hatte (siehe oben unter 2.), nicht als unangemessen lang im Sinne von § 198 GVG zu bewerten. Vielmehr ist es vor diesem Hintergrund gerechtfertigt, wenn das SG ein solches, eine bereits mehrfach geklärte Rechtsfrage betreffendes und damit im Endeffekt bedeutungsloses Verfahren zu Gunsten anderer vordringlicher und für die dortigen Betroffenen tatsächlich bedeutsamer Verfahren zurückstellt.
4.
71 
Dies alles zeigt für den Senat in der Gesamtschau, dass zwar das Verfahren insgesamt von seiner Verfahrensdauer vergleichsweise lang gedauert hat. Auf der anderen Seite können aber unter Berücksichtigung dessen, dass ganz offensichtlich für die Kläger überhaupt keine relevante Bedeutung mehr für das Verfahren bestand und von Seiten des Klägerbevollmächtigten ein auch nicht im Ansatz erkennbares wirkliches Interesse an der Klärung der Frage tatsächlich (noch) bestanden hat, unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles die Voraussetzungen für einen Entschädigungsanspruch nicht bejaht werden.
72 
Aus diesen Gründen war die Klage abzuweisen.
IV.
73 
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 197a, 183 Satz 5 SGG.
74 
Der Streitwert war in Höhe der geforderten Entschädigung mit 18.500,00 EUR festzusetzen (§ 52 Abs. 1 und 3 GKG).
75 
Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor, denn es besteht weder eine grundsätzliche Bedeutung noch liegt ein Fall der Divergenz vor.
76 
Der Senat wendet die bereits vom EGMR wie auch dem BSG und dem BVerfG aufgestellten Grundsätze zur Prüfung einer überlangen Verfahrensdauer (Schwierigkeit des Verfahrens, Bedeutung des Verfahrens für die Beteiligten sowie Verhalten der Beteiligten und Dritter), die auch vom Deutschen Bundestag im Ergebnis in den Gesetzestext (§ 198 Abs. 1 Satz 2GVG) übernommen worden sind, unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles an.
77 
Hinsichtlich der vom Klägerbevollmächtigten aufgeworfenen Frage welche Verfahrensdauer angemessen im Sinne von § 198 GVG sei, wird auf den Kammerbeschluss des BVerfG vom 20. Juli 2000 (1 BvR 352/00, NJW 2001, 214; s.a. BVerfG Kammerbeschluss vom 27. September 2011 – 1 BvR 232/11; BVerfG Beschluss vom 7. Juni 2011 – 1 BvR 194/11, NVwZ-RR 2011, 625;) hingewiesen, wonach gerade keine feste Jahresgrenze hinsichtlich der Frage, wann ein Verfahren unangemessen lang sei, aufgestellt werden könne.

Gründe

 
I.
35 
Das Landessozialgericht Baden-Württemberg ist für die hier erhobene Klage zuständig (§ 51 Abs. 1 Nr. 10, § 202 S. 2 SGG in Verbindung mit den §§ 198 ff. GVG), da es sich bei den Ausgangsverfahren um Verfahren aus dem Bereich der Sozialgerichtsbarkeit handelt.
II.
36 
Die Klage ist bereits unzulässig. Sie ist zwar fristgerecht erhoben (dazu unter 1.), jedoch rechtsmissbräuchlich (dazu unter 2.)
1.
37 
Es handelt sich bei diesem Verfahren, das im September 2011 mit dem Urteil des SG vom 30. September 2011 (Zustellung an den Klägerbevollmächtigten am 6. Oktober 2011) nach Ablauf der Berufungsfrist seinen (rechtskräftigen) Abschluss fand, um ein "Altverfahren".
38 
Das Gerichtsverfahren im Sinne der §§ 198 ff. GVG beginnt mit der Einleitung, also der Klageerhebung, Antragstellung oder einem von Amts wegen veranlassten Tätigwerden (BT-Drs. 17/3802, Seite 22 zu § 198 Abs. 6 Nr. 1), wobei Verfahren über vorläufigen Rechtsschutz und die Gewährung von Prozesskostenhilfe mit erfasst werden (§ 198 Abs. 6 Nr. 1). Abgeschlossen ist das Gerichtsverfahren mit der (formellen) Rechtskraft, also wenn kein weiterer Rechtsbehelf mehr zur Verfügung steht. Maßgeblich ist daher nicht die einzelne Instanz (Roller DRiZ 2012 Heft Nr. 6 Beilage Seite 7 mit Hinweis auf BSG Urteil vom 2. Oktober 2008 – B 9 VH 1/07 R – SozR 4-3100 § 60 Nr. 4; EGMR Beschluss vom 10. Februar 2009 Nr. 30209/05, juris).
39 
Zwar bestand grundsätzlich noch als weiteres Rechtsmittel hier die Berufung zum LSG. Nachdem aber die Kläger zum 30. November 2011 aus der streitbefangenen Wohnung auszogen und dies auch schon zum Zeitpunkt der Entscheidung des SG am 30. September 2011 feststand, hatte sich die streitbefangene Kostensenkungsaufforderung erledigt und wäre eine mögliche Berufung schon aus diesem Grund ohne Erfolg geblieben. Daher war das Verfahren mit dem Urteil des SG vom 30. September 2011 abgeschlossen im oben genannten Sinne und damit dem Grunde nach die Möglichkeit für eine Individualbeschwerde zum EGMR bzw. sodann nach Inkrafttreten des Gesetzes zum Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren für eine Entschädigungsklage eröffnet.
40 
Gemäß Art. 23 des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und straf-rechtlichen Ermittlungsverfahren vom 24. November 2011 (BGBl. I Seite 2302), in Kraft seit 3. Dezember 2011, gilt dieses Gesetz auch für Verfahren, die bei seinem Inkrafttreten bereits anhängig waren, sowie für abgeschlossene Verfahren, deren Dauer bei seinem Inkrafttreten Gegenstand von anhängigen Beschwerden beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ist oder noch werden kann.
41 
In der Gesetzesbegründung (Bundesrats-Drucksache 540/10 Seite 46 bzw. BT-Drs. 17/3802 Seite 31 zu Art. 22) ist hierzu ausgeführt:
42 
"Nach Satz 1 werden als Altfälle auch Verfahren erfasst, die bei Inkrafttreten bereits anhängig oder abgeschlossen waren. Abgeschlossene Verfahren werden nur erfasst, wenn sie nach dem innerstaatlichen Abschluss vor dem EGMR zu einer Beschwerde wegen der Verfahrensdauer geführt haben oder noch führen können. Dadurch sollen weitere Verurteilungen der Bundesrepublik Deutschland verhindert und der EGMR entlastet werden. Da die Beschwerdefrist des Artikels 35 Abs. 1 EMRK sechs Monate beträgt, darf der Verfahrensabschluss nicht länger als sechs Monate zurückliegen."
43 
Hieraus ergibt sich nach Auffassung des Senates, dass nur solche abgeschlossenen Altverfahren (noch) zum Gegenstand einer statthaften Entschädigungsklage (hier) vor dem Landessozialgericht gemacht werden können, deren Dauer bereits in zulässiger Weise mit einer Beschwerde vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte beanstandet worden sind. Die Übergangsregelung greift hingegen nicht bereits dann ein, wenn ein Verfahren vor dem EGMR zwar formal noch anhängig ist, mit einem Erfolg der Beschwerde aber wegen offensichtlicher Verfristung nach Art. 35 Abs. 1 EMRK nicht gerechnet werden kann. Zweck der Übergangsregelung ist es, weitere Verurteilungen der Bundesrepublik Deutschland zu vermeiden und andererseits den EGMR zu entlasten. Dem würde es aber zuwiderlaufen, wenn bereits die Einlegung offensichtlich unzulässiger Beschwerden beim EGMR die Erhebung von Entschädigungsklagen vor den nationalen Gerichten ermöglichen würde. Dies wäre gerade dann der Fall, wenn bereits vor Jahren rechtskräftig abgeschlossene Verfahren vor nationalen Gerichten bei offensichtlicher Miss-achtung der Beschwerdefrist des Art. 35 Abs. 1 EMRK zum Gegenstand einer Individualbeschwerde vor dem EGMR gemacht werden könnten. Einerseits würde durch solche Beschwer-den, die zu sachwidrigen Zwecken erhoben würden, die Geschäftsbelastung des EGMR noch zusätzlich erhöht. Andererseits würde auch der Zweck, weiteren Erfolg versprechenden Individualbeschwerden gegen die Bundesrepublik Deutschland die Grundlage zu entziehen, verfehlt werden.
44 
Die Klage war am 4. April 2012 per Fax und damit gerechnet ab der Zustellung des SG-Urteils jedenfalls innerhalb der Sechsmonatsfrist nach Art. 23 Satz 1 des Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren i.V.m. Art 35 Abs. 1 EMRK erhoben worden. Es konnte daher auch offen bleiben, ob die Sechsmonatsfrist hier erst nach Ablauf der Berufungsfrist zu laufen begann; hierfür dürfte allerdings der Umstand sprechen, dass grundsätzlich auf den Eintritt der formellen Rechtskraft als „Abschluss des Verfahrens“ abgestellt wird (s. Roller aaO S. 7 mwN; Marx aaO § 198 GVG Rdnr.167).
2.
45 
Die Klage ist jedoch unzulässig, weil sie zur Überzeugung des Senates rechtsmissbräuchlich ist. Der EGMR hat in seinem Urteil vom 19. Januar 2010 (Nr. 22051/07) die dortige Individualbeschwerde nach der EMRK als unzulässig verworfen, da er sie für einen Missbrauch des Beschwerderechts hielt. Zu Grunde lag dem ein Fall, im Rahmen dessen im Zusammenhang mit einem Beihilfeantrag die Erstattung eines Kostenanteils von 7,99 EUR für ein Magnesiumpräparat im Streit stand. Hierzu hat der EGMR unter anderem ausgeführt, dass er hier alle Umstände der vorliegenden Rechtssache sorgfältig geprüft habe. Insbesondere habe er das Missverhältnis zwischen der Trivialität des Sachverhalts, also der Geringfügigkeit des in Rede stehenden Betrags und der Tatsache, dass es bei dem Verfahren um ein Nahrungsergänzungsmittel und nicht um ein Arzneimittel gegangen sei, und der ausgiebigen Inanspruchnahme gerichtlicher Verfahren – einschließlich der Anrufung eines internationalen Gerichts – vor dem Hintergrund der Überlastung dieses Gerichts und der Tatsache, dass eine große Anzahl von Beschwerden anhängig sei, in denen ernste Menschenrechtsfragen aufgeworfen würden, berücksichtigt. Darüber hinaus stellte der EGMR fest, dass Verfahren wie das dort in Rede stehende auch zu Überlastung der Gerichte auf der innerstaatlichen Ebene und somit zu einem der Gründe für die überlange Dauer gerichtlicher Verfahren beitragen würden.
46 
Nicht anders stellt sich der Fall hier dar. Die Klage im Ausgangsverfahren vor dem SG betraf eine Rechtsfrage, die allerspätestens kurz nach der Klageerhebung im Februar 2008 mit den weiteren BSG-Urteilen vom 27. Februar 2008 und 19. März 2008, die die frühere Entscheidung vom 7. November 2006 bestätigten, entschieden war. Ab diesem Zeitpunkt gab es überhaupt keinen – von den Klägern im Übrigen auch nicht im Ansatz geltend gemachten – Grund, das Verfahren noch weiter zu betreiben, insbesondere auf eine gerichtliche Entscheidung zu bestehen. Das Verfahren hatte für die Kläger damit keine Bedeutung mehr (siehe dazu auch unter III. 2.). Wer vor diesem Hintergrund den Umstand, dass das SG ein solches, eine höchstrichterlich bereits mehrfach geklärte Rechtsfrage betreffendes Verfahren zu Gunsten anderer vordringlicher Verfahren zurück stellte, zum Anlass nimmt, wegen überlanger Verfahrensdauer einen Entschädigungsanspruch geltend zu machen, missbraucht das Klagerecht auf Entschädigung.
III.
47 
Die Klage ist darüber hinaus auch unbegründet.
48 
Nach § 198 Abs. 1 GVG in der seit 3. Dezember 2011 geltenden Fassung gem. Art. 23 des Gesetzes vom 24. November 2011 (BGBl. I S. 2302) wird wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, angemessen entschädigt. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, ins-besondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.
49 
Gem. § 198 Abs. 2 GVG wird ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Hierfür kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß Absatz 4 ausreichend ist. Die Entschädigung gemäß Satz 2 beträgt 1 200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung. Ist der Betrag gemäß Satz 3 nach den Umständen des Einzelfalles unbillig, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen.
50 
Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter gem. § 198 Abs. 3 GVG nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge). Die Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Ver-fahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird; eine Wiederholung der Verzöge-rungsrüge ist frühestens nach sechs Monaten möglich, außer wenn ausnahmsweise eine kürzere Frist geboten ist. Kommt es für die Verfahrensförderung auf Umstände an, die noch nicht in das Verfahren eingeführt worden sind, muss die Rüge hierauf hinweisen. Anderenfalls werden sie von dem Gericht, das über die Entschädigung zu entscheiden hat (Entschädigungsgericht), bei der Bestimmung der angemessenen Verfahrensdauer nicht berücksichtigt. Verzögert sich das Verfahren bei einem anderen Gericht weiter, bedarf es einer erneuten Verzögerungsrüge.
51 
Nach § 198 Abs. 4 GVG ist Wiedergutmachung auf andere Weise insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Die Feststellung setzt keinen Antrag voraus. Sie kann in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung ausgesprochen werden; ebenso kann sie ausgesprochen werden, wenn eine oder mehrere Voraussetzungen des Absatzes 3 nicht erfüllt sind.
52 
Eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach Absatz 1 kann frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden. Die Klage muss spätestens sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben werden. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage ist der Anspruch nicht übertragbar (§ 198 Abs. 5 GVG).
53 
Gem. § 198 Abs. 6 GVG ist im Sinne dieser Vorschrift
54 
1. ein Gerichtsverfahren jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss einschließlich eines Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und zur Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe; ausgenommen ist das Insolvenzverfahren nach dessen Eröffnung; im eröffneten Insolvenzverfahren gilt die Herbeiführung einer Entscheidung als Gerichtsverfahren;
55 
2. ein Verfahrensbeteiligter jede Partei und jeder Beteiligte eines Gerichtsverfahrens mit Ausnahme der Verfassungsorgane, der Träger öffentlicher Verwaltung und sonstiger öffentlicher Stellen, soweit diese nicht in Wahrnehmung eines Selbstverwaltungsrechts an einem Verfahren beteiligt sind.
56 
Eine allgemein gültige Zeitvorgabe, wie lange ein (sozialgerichtliches) Verfahren höchstens dauern darf, um nicht als unangemessen lang zu gelten, ist dem Gesetz nicht zu entnehmen und kann auch der EMRK nicht entnommen werden (s. u.a. BVerfG Kammerbeschluss vom 27. September 2011 – 1 BvR 232/11; BVerfG Beschluss vom 7. Juni 2011 – 1 BvR 194/11, NVwZ-RR 2011, 625; Steinbeiß-Winkelmann in Steinbeiß-Winkelmann/Ott Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, Kommentar 2013 Einführung S.6/7 Rdnr. 13 bzw. Ott A § 198 GVG Rdnrn. 88 - 90). Auch sonst ist die generelle Festlegung, ab wann ein Verfahren unangemessen lange dauert – insbesondere als feste Jahresgrenze – angesichts der Unterschiedlichkeit der Verfahren nicht möglich (BVerfG stattgebender Kammerbeschluss vom 20. Juli 2000 – 1 BvR 352/00, NJW 2001,214; Scholz Sozialgerichtsbarkeit 2012 Seite 19, 21; Roller DRiZ 2012 Heft 6 Beilage Seite 7; Steinbeiß-Winkelmnann a.a.O. S. 6/7 Rdnr. 13, 14). Die vom Klägerbevollmächtigten behauptete maximal zulässige Bearbeitungsdauer von 6 Monaten in Verfahren nach dem SGB II findet daher gerade auch in der Rechtsprechung keinerlei Grundlage.
57 
Ob der Anspruch eines Verfahrensbeteiligten auf Entscheidung seines gerichtlichen Verfahrens in angemessener Zeit verletzt wurde, ist – wie in allen übrigen Verfahren - auch bei Gerichtsver-fahren, die Ansprüche aus dem SGB II betreffen, vielmehr im Lichte der Rechtsprechung des EGMR zu Art. 6 Abs. 1 EMRK sowie des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 19 Abs. 4, 20 Abs. 3 GG zu beurteilen (vgl. auch BT-Drs. 17/3802, S. 1, 15). Als Maßstab nennt § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG die Umstände des Einzelfalls, insbesondere die Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens sowie das Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter (vgl. insoweit auch EGMR, Urteil vom 24. Juni 2010, Beschwerde Nr. 21423/07, Rdnr. 32; Urteil vom 8. Juni 2006 Nr.75529/01 Rdnr. 128; Urteil vom 21. April 2011 Nr. 41599/09 Rdnr.42; BVerfG Beschluss vom 27. September 2011 – 1 BvR 232/11 - Rdnr. 16 in juris; Roller aaO S. 9; Scholz aaO S.22; Steinbeiß-Winkelmann a.a.O. S.6/7 Rdnr. 14).
1.
58 
Im Einzelnen ist unter Berücksichtigung der oben dargestellten Grundsätze auszuführen, dass hinsichtlich der Schwierigkeit des hier streitigen Ausgangsverfahrens an sich keine neuen Rechtsfragen mehr zur Debatte standen, denn durch die BSG-Urteile von November 2006, Februar 2008 und März 2008 war die hier streitige Rechtsfrage, nämlich ob die Kostensenkungsaufforderung einen Verwaltungsakt darstellt oder nicht, geklärt. Danach waren keine weiteren Tatsachenermittlungen notwendig. Auf der anderen Seite wollten die Kläger diese Rechtsprechung offen-sichtlich nicht akzeptieren. Wenn das SG der Rechtsauffassung der Kläger gefolgt wäre (wofür zumindest der PKH-Beschluss vom Januar 2009 spricht, in dem das SG auch Ausführungen hin-sichtlich einer schwierigen Rechtslage macht), wären noch Ermittlungen in der Sache zur Angemessenheit der Kosten der Unterkunft (KdU) notwendig gewesen. Hierzu hat aber der Bevollmächtigte der Kläger zu keinem Zeitpunkt auch nur irgendetwas vorgetragen, wiewohl er bereits mit Schreiben vom 2. Juli 2008 vom SG hierzu aufgefordert worden war.
59 
Aus dem Umstand, dass die vom Klägerbevollmächtigten thematisierte Rechtsfrage definitiv vom Revisionsgericht bereits mehrfach entschieden worden war, folgt schon, dass ein solches Verfahren gegenüber anderen vorrangigen Verfahren, insbesondere aus dem Bereich des SGB II, bei denen es im Zweifel auch um laufende (existenzielle) Leistungen geht, zurückgestellt werden kann.
2.
60 
Hinsichtlich der Bedeutung des Verfahrens ist hier vor allem auf das Interesse der Verfahrensbeteiligten an einer baldigen Entscheidung abzustellen (siehe hierzu u.a. EGMR Urteil vom 8. Juni 2006 Nr. 75529/01 Rdnr. 133; Ott in Steinbeiß-Winkelmann/Ott A § 198 GVG Rdnr. 109 ff mit Beispielen sowie Roller aaO S.9 unter Hinweis u.a., wenn die wirtschaftliche Existenz betroffen ist, auf BVerfG Beschluss vom 2. September 2009 – 1 BvR 3171/08, EuGRZ 2009; 695; BVerfG Beschluss vom 20. Juli 2000 – 1 BvR 352/00, NJW 2001, 214, 215; EGMR Urteil vom 21. Oktober 2010 Nr. 43155/08, juris und Urteil vom 13. Januar 2011, Nr. 34236/06, juris; wenn um den Lebensunterhalt sichernde sozialrechtliche Ansprüche gestritten wird siehe BVerfG Beschluss vom 27. September 2011 – 1 BvR 232/11, info also 2012, 28 ; EGMR Beschluss vom 25. März 2010 Nr. 901/05, juris ; anders EGMR Beschluss vom10. Februar 2009 Nr. 30209/05, juris ; s.a. Roderfeld in Marx/Roderfeld Rechtsschutz bei überlangen Gerichts- und Ermittlungsverfahren, Handkommentar 2012, § 198 GVG Rdnr. 11 mwN). Von einem solchen Interesse ist insbesondere dann auszugehen, wenn sich bei einer Verzögerung der Entscheidung für einen Beteiligten schwere und nicht oder nur begrenzt reparable Nachteile ergeben.
61 
Bezüglich der Bedeutung des Verfahrens machen zwar die Kläger geltend, die streitige Rechtsfrage hätte eine existenzielle Bedeutung gerade für Hartz-IV-Empfänger wie sie. Denn bei der vom BSG vertretenen Rechtsauffassung wäre die Folge, dass sie zunächst den tatsächlichen Absenkungsbescheid des SGB II-Trägers hätten abwarten und dann hiergegen klagen müssen, während gleichzeitig aber ihre Leistungen im Bereich der KdU gekürzt worden wären.
62 
Der beigemessenen evidenten Bedeutung ist aber schon das eigene Verhalten nicht gerecht geworden. So ist der Klägerbevollmächtigte trotz der eindeutigen Aufforderung im Schreiben des SG vom 2. Juli 2008, zur Rechtswidrigkeit der Kostensenkungsaufforderung noch Stellung zu nehmen, nicht nachgekommen. Wenn die Kläger der Auffassung sind, es handele sich um einen Verwaltungsakt, wäre konsequenterweise in diesem Verfahren vor dem SG auch der Inhalt der Kostensenkungsaufforderung, damit auch die Höhe der KdU und die Frage der Angemessenheit zu prüfen und hierzu weiterer Vortrag erforderlich gewesen. Alleine mit der Feststellung, dass es sich um einen Verwaltungsakt handele, wären die Kläger keinen Schritt weiter, wenn im Übrigen die Aufforderung in der Sache rechtmäßig wäre, weil ihre KdU unangemessen hoch wären und damit letztlich die Aufforderung zu Recht erfolgt wäre. Zur Klärung abstrakter Rechtsfragen ist die Gerichtsbarkeit jedoch nicht aufgefordert (siehe etwa Beschluss des BSG vom 13. Dezember 2005 - B 4 RA 220/04 B Rdnr. 32 nach Juris). Wenn also die Klägerseite der Auffassung gewesen wäre, es handele sich hier um einen Verwaltungsakt, wäre die Klägerseite auch aufgefordert gewesen, im weiteren Schritt konkret vorzutragen, aus welchen Gründen die Kostensenkungsaufforderung rechtswidrig gewesen wäre. Hierzu ist zu keinem Zeitpunkt irgendetwas vorgetragen worden, insbesondere auch nicht in der konkreten Antwort des Klägerbevollmächtigten vom 5. November 2008 auf das Schreiben des SG vom 2. Juli 2008. Von einer besonderen Bedeutung des Verfahrens für die Kläger kann vor diesem Hintergrund nicht ausgegangen werden. Im Gegenteil, nachdem der dortige beklagte SGB II-Träger während des Verfahrens auf Maßnahmen zur Senkung der KdU (insbesondere die Festsetzung niedrigerer KdU nach Ablauf der Sechsmonatsfrist) verzichtete und offenkundig die Bemühungen der Klägerin Ziff. 1 als ausreichend ansah – siehe hierzu Beschluss des LSG Baden-Württemberg vom 5. Oktober 2011 (L 12 AS 3830/11 ER-B), hatten die Kläger wirtschaftlich betrachtet überhaupt kein Interesse mehr an einer zügigen Beendigung und Entscheidung des Verfahrens, denn solange das Verfahren anhängig war, mussten sie gerade nicht mit irgendwelchen (weiteren) Kostensenkungsmaßnahmen rechnen und konnten nach wie vor in der bisherigen Wohnung bei voller Übernahme der KdU verbleiben. Hieran ändert auch der Umstand nichts, dass der SGB II-Träger ab April 2011 die bisherigen Nachweise über Bemühungen nach einer günstigeren Wohnung nicht mehr als ausreichend ansehen wollte. Hiergegen haben sich die Kläger erfolgreich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gewehrt.
63 
Soweit die Klägerseite die Auffassung vertritt, mit ihrer Antwort vom 5. November 2008 sei die Sache "jedenfalls ausgeschrieben" gewesen, kann der Senat dem nicht folgen. Denn wenn man wie die Klägerseite der Auffassung war, dass die Kostensenkungsaufforderung rechtswidrig gewesen sei und die Kläger damit beschwert gewesen seien – was auf jeden Fall Voraussetzung für eine Klage gegen einen behaupteten belastenden Verwaltungsakt gemäß § 54 Abs. 1 S. 2 SGG gewesen wäre – wären zumindest ansatzweise Ausführungen zur Angemessenheit der KdU der Kläger zu erwarten gewesen (keineswegs notwendigerweise mindestens 20 bis 30 Seiten).
64 
Soweit die Kläger ferner der Auffassung sind, dass aus dem Umstand, dass von Ihrer Seite insoweit nicht weiter vorgetragen worden sei und die Klage daher möglicherweise nicht begründet gewesen sei, keine Schlussfolgerungen hinsichtlich der Verfahrensdauer gezogen werden könnten, folgt der Senat dem ebensowenig. Vielmehr können zur Überzeugung des Senates sehr wohl auch aus der Art der Prozessführung Schlussfolgerungen hinsichtlich der (noch) bestehenden Bedeutung des Verfahrens für die Klägerseite gezogen werden. Dies gerade umso mehr vor dem Hintergrund, dass zu diesem Zeitpunkt die Rechtsfrage durch mehrere BSG-Urteile (vom 7. November 2006 – B 7b AS 10/06 R - juris Rdnr. 29; vom 27. Februar 2008 – B 14/7b AS 70/06 R - juris Rdnr. 13; und vom 19. März 2008 – B 11b AS 41/06 R – juris Rdnr. 20) bereits geklärt war. Denn gerade aufgrund dessen ist eine (besondere) Bedeutung des Verfahrens für die Kläger für den Senat nicht mehr erkennbar. Allein die „Ungewissheit“ für die Kläger, u.U. die Wohnung wechseln zu müssen bzw. Leistungskürzungen bei der KdU in Kauf nehmen zu müssen, reicht vor dem Hintergrund, dass die Rechtsfrage durch das BSG geklärt ist, nicht (mehr) aus um eine (besondere) Bedeutung begründen zu können. Vielmehr war dies gerade aufgrund der BSG-Rechtsprechung hinzunehmen. D.h. mit anderen Worten, den Klägern drohten gerade keine schwere und nicht oder nur begrenzt reparable Nachteile. Vielmehr handelte es sich bei der Kostensenkungsaufforderung lediglich um eine Aufklärung über eine sich bereits unmittelbar aus dem Gesetz (§ 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II) ergebende Obliegenheit. Darüber hinaus drohten Nachteile frühestens dann, wenn die Kläger der Aufforderung nicht nachgekommen wären und auch keine Nachweise über ernsthafte Bemühungen vorgelegt hätten, und zwar in Form von Kürzungen der KdU, die allerdings mit Klage und insbesondere einstweiligen Rechtsschutzes gegebenenfalls hätten abgewehrt werden können. Alleine die sich aus § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II ergebende Obliegenheit der Kläger, sich um günstigeren Wohnraum zu kümmern, lässt für den Senat nicht im Ansatz einen schweren und nicht oder nur bedingt reparablen Nachteil erkennen.
65 
In diesem Falle wäre nach Auffassung des Senates sehr wohl zu erwarten gewesen, dass in der Stellungnahme vom 5. November 2008 durch den Klägerbevollmächtigten trotz der eindeutigen Aufforderung durch das SG nicht lediglich die Ausführungen aus der Klageschrift wiederholt werden.
66 
Schließlich ist die behauptete besondere Bedeutung bzw. das besondere Interesse an einer - wie jetzt im Klageverfahren erstmals geltend gemachten - verfassungsrechtlichen Klärung der Frage zum Charakter der Kostensenkungsaufforderung im gesamten SG-Verfahren an keiner Stelle auch nur ansatzweise von Klägerseite dargetan worden. Dies wäre gerade auch vor dem Hinter-grund der schon vorliegenden Urteile des BSG zu dieser Rechtsfrage umso mehr zu erwarten gewesen. Zumal bei einer erneuten von den Klägern betriebenen Nichtzulassungsbeschwerde zum BSG (mit einer erneuten Zulassung der Revision durch das LSG wäre vor dem Hintergrund der vorliegenden BSG-Entscheidungen nicht zu rechnen gewesen) auch dem Klägerbevollmächtigten bekannt ist, dass für den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung u.a. notwendig ist, dass es auf die Rechtsfrage überhaupt ankommt (konkrete Klärungsfähigkeit = Entscheidungserheblichkeit). Darüber hinaus wäre es auch für die angeblich geplante Verfassungsbeschwerde notwendig gewesen, dass die Kläger „selbst, unmittelbar und gegenwärtig“ (so bereits BVerfGE 1, 97, 101) durch diese behördliche Maßnahme in ihren Rechten verletzt wurden. Auch dies hätte zumindest die Möglichkeit vorausgesetzt, dass die Kostensenkungsaufforderung rechtswidrig gewesen wäre (was bereits im SG-Verfahren hätte geklärt, zumindest aber von Klägerseite hätte schlüssig vorgetragen werden müssen).
67 
Wenn aber letztlich die Kostensenkungsaufforderung rechtmäßig sein sollte, weil tatsächlich die KdU der Kläger zu hoch gewesen wären, hätte die Frage, ob es sich hierbei um einen Verwaltungsakt handelt oder nicht, wohl keine Bedeutung gehabt. Auch vor diesem Hintergrund wäre zu erwarten gewesen, dass der Klägerbevollmächtigte ein vitales Interesse an einer Klärung der Frage hat, ob die KdU überhaupt angemessen sind oder nicht.
68 
Im Ergebnis kann der Senat vor diesem Hintergrund für die trotz der eindeutigen BSG-Rechtsprechung aufrechterhaltene Klage unter keinem Gesichtspunkt mehr eine wie auch immer geartete Bedeutung erkennen, insbesondere hatte das Verfahren gerade keine grundsätzliche Bedeutung mehr.
3.
69 
Des Weiteren ist Voraussetzung für einen Entschädigungsanspruch, dass die unangemessene Verfahrensdauer durch staatliches Fehlverhalten verursacht wurde, etwa organisatorisches Verschulden bei der ausreichenden personellen Ausstattung der Gerichte. D.h. auf der anderen Seite, Entschädigungsansprüche scheiden schon dann grundsätzlich aus, wenn und soweit die Verzögerung des Verfahrens ausschließlich durch die Verfahrensbeteiligten selbst oder durch Dritte verursacht worden ist und das Gericht keine Möglichkeit hatte, dem wirksam entgegen zu steuern (siehe Roller aaO S. 10/11 mit verschiedenen Beispielen und Fundstellen; Roderfeld aaO Rdnr. 12).
70 
Hierzu ist festzuhalten, dass jedenfalls bis November 2008 Verzögerungen allein auf die Kläger zurückgehen. So fehlten zunächst eine Vollmacht hinsichtlich des schon zum damaligen Zeitpunkt volljährigen Klägers Ziff. 2 bzw. die Zustimmungserklärungen hinsichtlich der minderjährigen Kläger durch den anderen sorgeberechtigten Elternteil, des Weiteren fehlte die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse, so dass zunächst das SG hierzu noch zur Vorlage der entsprechenden Unterlagen auffordern musste. Zum anderen hat der Klägerbevollmächtigte auf die Aufforderung des SG vom 2. Juli 2008 zur neuesten BSG Rechtsprechung (Urteil vom 28. Februar 2008) bezüglich der streitigen Rechtsfrage Stellung zu nehmen, erst nach mehreren Mahnungen mit Schreiben vom 5. November 2008 geantwortet. Dieser Zeitraum von sechs Monaten geht damit nicht zulasten des Beklagten. Der sich daran anschließende Zeitraum von ca. zweieinhalb Monaten bis zur PKH-Entscheidung am 21. Januar 2009 ist noch angemessen für die Prüfung und Bearbeitung dieser Entscheidung und daher nicht zu beanstanden. Damit verbleibt noch ab Februar 2009 ein Zeitraum von zwei Jahren und acht Monaten bis zum Urteil am 30. September 2011. Dieser Zeitraum ist aber vor dem Hintergrund, dass das Verfahren zur Überzeugung des Senates für die Kläger keinerlei Bedeutung hatte (siehe oben unter 2.), nicht als unangemessen lang im Sinne von § 198 GVG zu bewerten. Vielmehr ist es vor diesem Hintergrund gerechtfertigt, wenn das SG ein solches, eine bereits mehrfach geklärte Rechtsfrage betreffendes und damit im Endeffekt bedeutungsloses Verfahren zu Gunsten anderer vordringlicher und für die dortigen Betroffenen tatsächlich bedeutsamer Verfahren zurückstellt.
4.
71 
Dies alles zeigt für den Senat in der Gesamtschau, dass zwar das Verfahren insgesamt von seiner Verfahrensdauer vergleichsweise lang gedauert hat. Auf der anderen Seite können aber unter Berücksichtigung dessen, dass ganz offensichtlich für die Kläger überhaupt keine relevante Bedeutung mehr für das Verfahren bestand und von Seiten des Klägerbevollmächtigten ein auch nicht im Ansatz erkennbares wirkliches Interesse an der Klärung der Frage tatsächlich (noch) bestanden hat, unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles die Voraussetzungen für einen Entschädigungsanspruch nicht bejaht werden.
72 
Aus diesen Gründen war die Klage abzuweisen.
IV.
73 
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 197a, 183 Satz 5 SGG.
74 
Der Streitwert war in Höhe der geforderten Entschädigung mit 18.500,00 EUR festzusetzen (§ 52 Abs. 1 und 3 GKG).
75 
Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor, denn es besteht weder eine grundsätzliche Bedeutung noch liegt ein Fall der Divergenz vor.
76 
Der Senat wendet die bereits vom EGMR wie auch dem BSG und dem BVerfG aufgestellten Grundsätze zur Prüfung einer überlangen Verfahrensdauer (Schwierigkeit des Verfahrens, Bedeutung des Verfahrens für die Beteiligten sowie Verhalten der Beteiligten und Dritter), die auch vom Deutschen Bundestag im Ergebnis in den Gesetzestext (§ 198 Abs. 1 Satz 2GVG) übernommen worden sind, unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles an.
77 
Hinsichtlich der vom Klägerbevollmächtigten aufgeworfenen Frage welche Verfahrensdauer angemessen im Sinne von § 198 GVG sei, wird auf den Kammerbeschluss des BVerfG vom 20. Juli 2000 (1 BvR 352/00, NJW 2001, 214; s.a. BVerfG Kammerbeschluss vom 27. September 2011 – 1 BvR 232/11; BVerfG Beschluss vom 7. Juni 2011 – 1 BvR 194/11, NVwZ-RR 2011, 625;) hingewiesen, wonach gerade keine feste Jahresgrenze hinsichtlich der Frage, wann ein Verfahren unangemessen lang sei, aufgestellt werden könne.

(1) Wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, wird angemessen entschädigt. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.

(2) Ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, wird vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Hierfür kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß Absatz 4 ausreichend ist. Die Entschädigung gemäß Satz 2 beträgt 1 200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung. Ist der Betrag gemäß Satz 3 nach den Umständen des Einzelfalles unbillig, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen.

(3) Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge). Die Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird; eine Wiederholung der Verzögerungsrüge ist frühestens nach sechs Monaten möglich, außer wenn ausnahmsweise eine kürzere Frist geboten ist. Kommt es für die Verfahrensförderung auf Umstände an, die noch nicht in das Verfahren eingeführt worden sind, muss die Rüge hierauf hinweisen. Anderenfalls werden sie von dem Gericht, das über die Entschädigung zu entscheiden hat (Entschädigungsgericht), bei der Bestimmung der angemessenen Verfahrensdauer nicht berücksichtigt. Verzögert sich das Verfahren bei einem anderen Gericht weiter, bedarf es einer erneuten Verzögerungsrüge.

(4) Wiedergutmachung auf andere Weise ist insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Die Feststellung setzt keinen Antrag voraus. Sie kann in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung ausgesprochen werden; ebenso kann sie ausgesprochen werden, wenn eine oder mehrere Voraussetzungen des Absatzes 3 nicht erfüllt sind.

(5) Eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach Absatz 1 kann frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden. Die Klage muss spätestens sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben werden. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage ist der Anspruch nicht übertragbar.

(6) Im Sinne dieser Vorschrift ist

1.
ein Gerichtsverfahren jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss einschließlich eines Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und zur Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe; ausgenommen ist das Insolvenzverfahren nach dessen Eröffnung; im eröffneten Insolvenzverfahren gilt die Herbeiführung einer Entscheidung als Gerichtsverfahren;
2.
ein Verfahrensbeteiligter jede Partei und jeder Beteiligte eines Gerichtsverfahrens mit Ausnahme der Verfassungsorgane, der Träger öffentlicher Verwaltung und sonstiger öffentlicher Stellen, soweit diese nicht in Wahrnehmung eines Selbstverwaltungsrechts an einem Verfahren beteiligt sind.

Entscheidungen des Landessozialgerichts, seines Vorsitzenden oder des Berichterstatters können vorbehaltlich des § 160a Abs. 1 dieses Gesetzes und des § 17a Abs. 4 Satz 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden.