Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz Urteil, 08. Feb. 2018 - 5 Sa 324/17

ECLI:ECLI:DE:LAGRLP:2018:0208.5Sa324.17.00
08.02.2018

Tenor

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen vom 5. April 2017, Az. 3 Ca 1108/16, unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

a) Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger € 7.916,67 brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.11.2016 zu zahlen.

b) Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger ein qualifiziertes Arbeitszeugnis zu erteilen.

c) Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Der Kläger wird auf die Widerklage verurteilt, an die Beklagte € 570.836,84 nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus € 45.919,66 vom 01.04. bis 15.08.2017, aus € 569.457,34 vom 16.08. bis 22.08.2017 und aus € 570.836,84 seit dem 23.08.2017 zu zahlen.

3. Die Kosten des Rechtsstreits erster und zweiter Instanz hat der Kläger zu tragen.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit mehrerer fristloser Kündigungen und unter anderem darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger eine Karenzentschädigung zu zahlen.

2

Die beklagte Aktiengesellschaft gehört zur H.-Gruppe, einem Baumarktkonzern. Sie ist die größte Tochtergesellschaft der H. Holding AG & Co. KGaA, der Konzernmutter. Die Beklagte betreibt 98 Bau- und Gartenmärkte in Deutschland. Über ihre Tochtergesellschaft, die H. International GmbH, werden 56 weitere Bau- und Gartenmärkte in acht europäischen Ländern (Luxemburg, Niederlande, Österreich, Rumänien, Slowakei, Schweden, Schweiz und Tschechien) betrieben.

3

Der 1960 geborene Kläger trat am 01.03.1996 in die H.-Gruppe in den Niederlanden ein. Vom 01.05.1998 bis 29.02.2008 war er Geschäftsführer der niederländischen Landesgesellschaft. Vom 01.03.2008 bis 29.02.2012 war er als Geschäftsführer der tschechischen Landesgesellschaft, der H. Baumarkt CS spol. s.r.o., in Prag tätig und für das Geschäft in Tschechien sowie in der Slowakei zuständig. Am 14.03.2012 schlossen die Parteien mit Wirkung ab dem 01.03.2012 einen Anstellungsvertrag, auf dessen Grundlage der Kläger die Funktion eines "Geschäftsführers International" bei der Beklagten übernahm. Der Kläger war Disziplinarvorgesetzter von sieben Landesgeschäftsführern. Seine Tätigkeit übte er unmittelbar unterhalb der Vorstandsebene aus. Er erbrachte seine Tätigkeit insbesondere in Deutschland und in den Niederlanden. Er bezog zuletzt ein monatliches Festge-halt von € 19.000,00 brutto. Als Sonderzahlung war ein Weihnachtsgeld in Höhe eines Bruttogehalts vereinbart. Zusätzlich erhielt der Kläger für das Geschäftsjahr 2014/2015 einen Bonus von € 71.542,79 brutto und für das Geschäftsjahr 2015/2016 einen Bonus von € 44.974,00 brutto.

4

Im schriftlichen Anstellungsvertrag vom 14.03.2012 ist ua. geregelt worden:

5

"§ 7 Verschwiegenheitspflicht

6

1. Der Arbeitnehmer verpflichtet sich, über alle vertraulichen Angelegenheiten und Vorgänge, die ihm im Rahmen der Tätigkeit zur Kenntnis gelangen, auch nach dem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis Stillschweigen zu bewahren.

7

2. Der Arbeitnehmer ist verpflichtet, im Rahmen des Arbeitsverhältnisses bekannt gewordene Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisse sowie über Angelegenheiten, die H. als vertraulich bezeichnet hat oder die offensichtlich vertraulich sind, Stillschweigen zu wahren und weder weiterzugeben noch sonst für sich zu verwerten.

8

3. Die Verschwiegenheitspflicht erstreckt sich auch auf die in diesem Vertrag getroffenen Vergütungsvereinbarungen."

9

Am 14.04.2016 kündigte der Kläger selbst das Arbeitsverhältnis mündlich.

10

Am 15.04.2016 wandte sich St. H., der Vorstandsvorsitzende der Beklagten, mit einer E-Mail (Bl. 465 d.A.) an einen Kreis von Mitarbeitern. Diese Mail hat folgenden Wortlaut:

11

"Betreff: personelle Änderungen im Bereich Operative

12

Sehr geehrte Damen und Herren,

13

hiermit möchte ich Sie darüber informieren, dass sich [der Kläger] nach über 20-jähriger Betriebszugehörigkeit auf eigenen Wunsch neuen beruflichen Herausforderungen zuwenden wird. [Der Kläger] war lange Jahre für die Regionen Niederlande und Tschechien/Slowakei als Landesgeschäftsführer verantwortlich. Im März 2012 übernahm er als Geschäftsführer International die Verantwortung für alle internationalen Regionen.

14

Ich möchte diese Gelegenheit nutzen, um mich für seinen langjährigen Einsatz und die geleistete Arbeit in unserem Unternehmen zu bedanken.

15

Wir wünschen ihm für seine berufliche und auch für seine persönliche Zukunft viel Glück und Erfolg. …"

16

Am 21.04.2016 kündigte der Kläger seinen Anstellungsvertrag unter Einhaltung der vereinbarten ordentlichen Kündigungsfrist zum 31.10.2016 schriftlich. Die Beklagte berief ihn mit Beschluss vom selben Tag mit sofortiger Wirkung vom Amt des Geschäftsführers der H. International GmbH ab. Außerdem stellte sie ihn unwiderruflich von seiner Arbeitsverpflichtung frei.

17

Nach Ausspruch der Eigenkündigung führten die Parteien Verhandlungen über den Abschluss eines Aufhebungsvertrags. Diese Verhandlungen wurden für die Beklagte von deren Personalvorstand K. geführt. Am 29.04.2016 sandte der Personalvorstand eine E-Mail (Bl. 567 d.A.) an den Kläger, die ua. folgenden Inhalt hat:

18

"Lieber …,

19

ich möchte Dich vor dem Wochenende gerne noch kurz informieren, dass ich Dir die finale Fassung unserer Vereinbarung am kommenden Montag zuleiten werde.

20

Die Abstimmungen mit St. und A. sind erfolgt.

21

Zu deinen Anmerkungen darf ich Dir folgendes sagen:

22

Selbstverständlich bekommt Du neben Deiner Prämie für das abgelaufene Geschäftsjahr auch ein anteiliges Weihnachtsgeld für 2016 …

23

Die vorgesehene Verrechnung anderweitiger Bezüge bei vorzeitiger Vertragsbeendigung kann aber nicht gestrichen werden. Das haben wir so auch nicht besprochen. Ich hatte Dir vielmehr in Aussicht gestellt, dass die Entschädigung für das Wettbewerbsverbot in einer Summe zur Auszahlung gelangen kann, wenn Du während dessen Laufzeit eine nachhaltige nicht wettbewerbliche Tätigkeit aufnimmst. Dieser Punkt ist aber in der jetzigen Fassung der Vereinbarung gegenstandlos geworden, weil wir nunmehr ohnehin eine Einmalzahlung der Entschädigung vorgesehen haben. Solltest Du also tatsächlich vor dem 31.Oktober in ein neues Dienstverhältnis eintreten wollen, müssten wir dann zu gegebener Zeit die vorzeitige Vertragsaufhebung regeln, so wie dies auch in Ziffer 1.4 niedergelegt ist.

24

Insgesamt, lieber [Kläger], glaube ich, dass wir mit dem jetzt vorliegenden Vertragsstand eine wirklich faire Lösung für Dein Ausscheiden gefunden haben. …"

25

Am 02.05.2016 übermittelte die Beklagte dem Kläger per Kurier eine durch zwei Vorstände unterzeichnete (aus ihrer Sicht finale) Fassung des Aufhebungsvertrags. Die Beklagte hielt das Angebot zuletzt bis zum 18.05.2016 aufrecht. Am 18.05.2016 ging bei der Beklagten der vom Kläger gegengezeichnete Vertrag ein, der - auszugsweise - folgende Regelungen enthält:

26

"…

27

1. Beendigung des Anstellungsverhältnisses

28

29

1.2. Der zwischen H. und [dem Kläger] bestehende Anstellungsvertrag vom 14. März 2012 wird auf Wunsch [des Klägers] im gegenseitigen Einvernehmen mit Wirkung zum 31. Oktober 2016 aufgehoben.

30

1.3. Bis zu diesem Zeitpunkt bzw. dem Zeitpunkt einer vorzeitigen Beendigung gemäß nachstehender Ziffer 1.4 erhält [der Kläger] fortlaufend seine monatliche Vergütung einschließlich aller vereinbarten Nebenleistungen und nimmt für das abgelaufene Geschäftsjahr 2015/16 auch an der gültigen Prämienregelung teil. Die Auszahlung der Prämie erfolgt mit der Gehaltsabrechnung für den Monat Mai 2016. Das anteilige 13. Monatsgehalt wird mit der Oktoberabrechnung gezahlt.

31

1.4 [Der Kläger] ist berechtigt, bereits vor dem 31. Oktober 2016 in ein aktives Dienstverhältnis zu einem neuen Arbeitgeber einzutreten. Er wird dies H. gegebenenfalls rechtzeitig schriftlich anzeigen. Die Parteien werden sich in diesem Falle schriftlich über eine vorzeitige Vertragsaufhebung sowie deren Konditionen verständigen.

32

2. Freistellung von den Dienstverpflichtungen/anderweitige Tätigkeit

33

2.1 [Der Kläger] ist mit Wirkung ab dem 21. April 2016 unter Anrechnung von Urlaubsansprüchen unwiderruflich von seinen Dienstverpflichtungen freigestellt.

34

2.2 Er ist unbeschadet des Fortlaufens seines Anstellungsvertrages bis zum 31. Oktober 2016 berechtigt, eine freiberufliche Tätigkeit z.B. als Berater auszuüben sowie Mandate in Aufsichtsgremien, Beiräten oder vergleichbaren Ämtern anzunehmen. Jedwede Tätigkeit - gleich ob entgeltlich oder unentgeltlich - für Wettbewerbsunternehmen der Bau- und Gartenmarktbranche oder des entsprechenden Fach- bzw. Internethandels sowie für Unternehmen, Verbände oder sonstige Institutionen, die mit H. in einer streitigen Auseinandersetzung stehen, sind jedoch ausgeschlossen.

35

2.3  Zur Prüfung eines etwaigen Interessenkonflikts hat [der Kläger] die Aufnahme einer Nebentätigkeit schriftlich anzuzeigen und dabei den Namen des Unternehmens, für das er arbeiten möchte, sowie Art, Ort und Dauer der Tätigkeit anzugeben, damit H. prüfen kann, ob betriebliche Interessen beeinträchtigt werden.

36

2.4 Während der Freistellung erlangter anderweitiger Verdienst wird gemäß § 615 S. 2 BGB auf die vertragliche Vergütung angerechnet.

37

38

4. Nachvertragliches Wettbewerbsverbot

39

4.1 [Dem Kläger] ist es untersagt, für die Dauer von zwei Jahren nach Beendigung seines Geschäftsführerdienstvertrags mit H., also im Zeitraum vom 01.11.2016 bis zum 31.10.2018, in selbständiger, unselbständiger oder sonstiger Weise für ein Unternehmen der B.-Gruppe oder der O.-Gruppe (Konkurrenzunternehmen) oder einem damit konzernverbundenen Unternehmen iSd. § 15 AktG tätig zu werden. Als Konkurrenzunternehmen gelten insbesondere, aber nicht abschließend, die in Anlage 4 zu diesem Vertrag genannten Unternehmen.

40

4.2  Das Wettbewerbsverbot gilt auch zu Gunsten der mit H. verbundenen Unternehmen iSd. § 15 AktG.

41

4.3  Während der Dauer des Wettbewerbsverbots erhält [der Kläger] eine Entschädigung, die für jedes Jahr des Verbots EUR 250.000,- brutto, mithin für die gesamte Dauer des Wettbewerbsverbots EUR 500.000,- beträgt. Diese gesamte Entschädigung wird für die gesamte Dauer des Wettbewerbsverbots in einem Einmalbetrag zum 31. Juli 2016 zur Auszahlung fällig.

42

4.4  Für jede Handlung, durch die der Arbeitnehmer das Verbot schuldhaft verletzt, hat er eine Vertragsstrafe in Höhe des letzten bei H. bezogenen Bruttomonatsgehalts, also in Höhe von EUR 19.000,- zu zahlen.

43

Besteht die Verletzungshandlung in der kapitalmäßigen Beteiligung an einem Wettbewerbsunternehmen oder der Eingehung eines Dauerschuldverhältnisses (z.B. Arbeits-, Dienst-, Handelsvertreter- oder Beraterverhältnis), wird die Vertragsstrafe für jeden angefangenen Monat, in dem die kapitalmäßige Beteiligung oder das Dauerschuldverhältnis besteht, neu verwirkt (Dauerverletzung). Mehrere Verletzungshandlungen lösen jeweils gesonderte Vertragsstrafen aus, ggf. auch mehrfach innerhalb eines Monats. Erfolgen dagegen einzelne Verletzungshandlungen im Rahmen einer Dauerverletzung, sind sie von der für die Dauerverletzung verwirkten Vertragsstrafe mit umfasst.

44

4.5  Bei Verwirkung mehrerer Vertragsstrafen innerhalb eines Kalendermonats ist der gesamte Betrag der zu zahlenden Vertragsstrafen auf das Dreifache des letzten Bruttomonatsgehalts begrenzt.

45

4.6  Die Geltendmachung von Schäden, die über die verwirkte Vertragsstrafe hinausgehen, bleibt H. vorbehalten, desgleichen die Geltendmachung aller sonstigen gesetzlichen Ansprüche und Rechtsfolgen aus einer Verletzung (z.B. Unterlassungsansprüche, Wegfall des Anspruchs auf Karenzentschädigung für die Dauer des Verstoßes etc.).

46

4.7  Im Übrigen gelten die §§ 74 ff. HGB entsprechend.

47

5. Verschwiegenheit

48

Beide Parteien verpflichten sich, über den Inhalt dieses Aufhebungsvertrages Stillschweigen zu bewahren. Unbeschadet dessen gelten auch die Bestimmungen des Anstellungsvertrages fort, wonach [der Kläger] auch nach Beendigung des Anstellungsverhältnisses verpflichtet bleibt, gegenüber Außenstehenden über alle Angelegenheiten der Gesellschaft - also insbesondere Betriebsgeheimnisse und sonstige betriebliche Interna - Stillschweigen zu bewahren.

49

6. Zeugnis

50

….

51

7. Ausgleichsklausel

52

7.1  Mit Erfüllung dieser Vereinbarung sind alle Ansprüche aus und im Zusammenhang mit dem Anstellungsverhältnis und seiner Beendigung, gleich aus welchem Rechtsgrund, seien sie bekannt oder unbekannt, erledigt.

53

7.2  Hiervon unberührt bleiben unverzichtbare Rechte des Klägers (z.B. unverzichtbare Ansprüche aus einer betrieblichen Altersversorgung).

54

…"

55

Die Beklagte kündigte dem Kläger außerordentlich mit Schreiben vom 02.06.2016 sowie vorsorglich nochmals mit drei Schreiben vom 28.06., 25.07. und 08.08.2016. Mit vier getrennten Schreiben vom 02.06.2016, 28.06.2016, 25.07.2016 und 08.08.2016 sagte sie sich außerdem von dem im Aufhebungsvertrag begründeten nachvertraglichen Wettbewerbsverbot los. Mit Schreiben vom 25.07.2016 verzichtete sie auf das nachvertragliche Wettbewerbsverbot.

56

Gegen sämtliche Kündigungen hat der Kläger jeweils rechtzeitig Klage erhoben (Klageantrag zu 1). Außerdem verlangt er Vergütung für die Monate Juni und Juli 2016 iHv. € 38.000,00 (Klageantrag zu 2), 10/12 des Weihnachtsgeldes 2016 iHv. € 15.833,33 (Klageantrag zu 3), die vertraglich vereinbarte Karenzentschädigung iHv. € 500.000,00 (Klageantrag zu 4) sowie ein qualifiziertes Arbeitszeugnis mit dem Ausstellungsdatum 31.10.2016 (Klageantrag zu 5).

57

Die erste außerordentliche Kündigung vom 02.06.2016 hat folgenden Hintergrund: Am 11.05.2016, vor Unterzeichnung des Aufhebungsvertrags, wandte sich der Kläger per E-Mail (Bl. 80 d.A.) an A. H., den Vorsitzenden des Aufsichtsrats, und R. P., den Finanzvorstand der Beklagten. Der Kläger schrieb, dass er kurzfristig über folgende Themen sprechen wolle:

58

"- Konzernprämie 2014/2015

59

 - Quartal zahlen 3 Q 2014

60

 - Quartal zahlen 3 Q 2015

61

 - Steuersituation Österreich/Rumänien.

62

 - Sonstiges"

63

Am 12.05.2016 fand ein Gespräch zwischen dem Kläger und dem Vorsitzenden des Aufsichtsrats statt. Im Nachgang zu diesem Gespräch sandte ihm der Kläger am 13.05.2016 eine E-Mail (Bl. 81 d.A.), die ua. folgenden Wortlaut hat:

64

"Ich schlage Folgende Änderungen vor:

65

-  Die Ausgleichsklausel wird gestrichen (gründen hierfür sind gestern ausreichend motiviert)

66

-  Die Ausbezahlung genannt in 4.3 wird innerhalb 10 Arbeitstage auf mein Konto überwiesen

67

-  Die Versteuerung wird basiert auf dem Fünftel Regelung (ist auch schon mündlich zugesagt durch [den Personalvorstand])"

68

Der Personalvorstand teilte dem Kläger daraufhin noch am 13.05.2016 per E-Mail (Bl. 360 d.A.) ua. folgendes mit:

69

„… jetzt bin ich über Dein Vorgehen doch einigermaßen irritiert.

70

71

Die Ausgleichsklausel in Ziffer 7 würde ich insbesondere in Deinem Interesse nicht streichen. Sie schützt Dich, wie [der Vorsitzende des Aufsichtsrats] Dir auch schon erläutert hat, gerade vor dem gestern von Dir aufgebrachten Risiko einer haftungsweisen Inanspruchnahme der H.-Gruppe aus Deiner Geschäftsführungstätigkeit. Im übrigen bist Du über unsere D&O Versicherung haftpflichtversichert. Das Risiko, von dritter Seite in Anspruch genommen zu werden, ist damit weitestgehend gedeckt.

72

73

Über Art und Höhe der Auszahlung der Entschädigung haben wir lange und ausführlich gesprochen. Das Ergebnis unserer Verhandlungen und unser maximal mögliches Entgegenkommen steht im Vertragsangebot. Hier wird es keine Änderung mehr geben.

74

…"

75

Mit E-Mail vom 13.05.2016 (Bl. 361 d.A.) beschwerte sich der Kläger beim Personalvorstand über den Umgang mit ihm nach Ausspruch seiner Eigenkündigung (u.a. die Weigerung Flüge nach Wien und Bukarest zu buchen, damit sich der Kläger dort persönlich von den Mitarbeitern verabschieden kann) sowie darüber, dass der beauftragte Kurier den Briefumschlag mit dem Aufhebungsvertrag bei seinem Nachbarn zugestellt, der den Umschlag versehentlich geöffnet habe, und schließt seine Ausführungen wie folgt:

76

"Meine Nachfolger ist schon vorgestellt, Ich bin nicht offiziell freigestellt, Fluge werden verweigert, wer müß jetzt irritiert sein??

77

Immer wieder drohen mit: "sehen wir uns an das Vertragsangebot nicht mehr gebunden" wirkt nicht. Ich habe ein Vorschlag Unterschrieben durch 2 Vorstände und Ich nehme mir die Zeit die ich brauche um mit ein Rechtsberater der Vorschlag zu prüfen, und lass mir keine deadline stellen.

78

Und was Ich frage … Kostet nichts, die Aufhebungsklausur ist ja eigentlich in mein Vorteil, Ich brauch Sie nicht, Du kannst Sie Streichen, 2 Monaten früher auszahlen?, die Zinsen kosten euch nichts, 5er regel war schon vereinbart.

79

Ich wurde Gut nachdenken in wie weit Ihr mir noch mehr Beschädigen wollt, Ich schätze und Respektiere Dich sehr und was ich frage kostet nichts. Es wäre schon wenn Ich Letstens am Pinkst Montag eine definitive Antwort habe. Bei ein Nein kann es sehr Teuer werden für H. und Fam. …"

80

In der Zeit vom 21.05.2016 bis zum 01.06.2016 schrieb der Kläger mehrere E-Mails an A. Sch., den Chief  C. Officer (CCO) der Beklagten. In der E-Mail vom 21.05.2016 (Bl. 91 d.A.) heißt es:

81

"Ich habe eine frage an dich als  C. Offizier, in das GF Jahr 2014/2015 ist für den meisten Mitarbeitern nur ein kleines teil der Konzern Prämie ausgezahlt. Obwohl der Plan vielfach übertroffen war, was Schon komisch war ist das in November 2014 in einmal Ohne Anlass die Prämie Rückstellung aufgelöst wurde.

82

Gerne will ich auch in Name alle MA das an Dir antragen um hier als  C. beauftragte zu Untersuchen ob H. hier kein Fehler gemacht hat, und wenn nicht was waren dann den Grund um nur ein sehr kleine betrag aus zu Zahlen?

83

Wir können gerne am Montag Telefonieren"

84

In der E-Mail des Klägers vom 24.05.2016 (Bl. 92 d.A.) mit dem Betreff "Unternehmens Prämie 2014/15" an den CCO heißt es u.a.

85

"Ich habe Mir Juristische Information besorgt …

86

Gerne will ich wissen ob Sie zeitnah dies Untersuchen …

87

wenn nicht und Sie können es nicht zeitnah behandeln werde ich mich ein Schreiben an die Betriebsrat Zentrale und Markte wenden. …"

88

In einer weiteren E-Mail des Klägers (Bl. 93 d.A.) an den CCO vom 30.05.2016 heißt es:

89

"Ich habe noch ein Thema, in Österreich wo ich auch GF wahr, haben wir etwas gemacht was nicht erlaubt war, Ich wusste das nicht, kann mir in jedenfalls das nicht erinnern. Wir haben die Rumänische Gesellschaft verkauft an H. Österreich um die Verluste van Rumänien mit die Steuer von Österreich zu Verrechnen. Dies war ein Auftrag [vom Finanzvorstand]. Später hat [der Finanzvorstand] in ein mail nochmal betont das wir es nur machen (verkauf Rumänien an Österreich) wenn H. auch ein Steuer Vorteil hat. Erst kürzlich habe Ich erfahren das dies nicht erlaubt ist. Da ich in der Zukunft hiermit nicht konfrontiert werden will, Schlage ich vor das H. ([der Finanzvorstand]) bei der Steuer in Österreich eine Selbst Anzeige macht. Ich gehe davon aus das Du als CCO hier die selbe Meinung hast und sorgts das wir hier schnell aus der Gefahren zone sind.

90

Gerne eine Bestätigung von Empfang diese mail und deine Aktion in diesen Sache."

91

Eine E-Mail des Klägers vom 01.06.2016 (Bl. 96 d.A.) an den CCO schließt wie folgt:

92

"Als Letztes muss Ich feststellen, dass Ich Ungeduldich werde so wenn Ich nicht Schnell Antworten (bis ende der Woche) Bekommen muss Ich mich an andere Instanzen wenden."

93

Am 01.06.2016 schrieb der Kläger eine E-Mail (Bl. 97 d.A.) an den Personalvorstand:

94

"Ich schreibe Sie an als Vertreter von diesen Gesellschaften, wenn Sie der Falsche Ansprechpartner sind, können Sie mir das dann Umgehend melden.

95

In meine Periode bei H. war Ich in die Periode

96

2008/2012 Geschäftsführer H. BAUMARKT SK spol. s r.o.

97

2012/2016 Geschäftsführer der H. Baumarkt GmbH, Österreich.

98

2012/2016 Geschäftsführer AWV-Agentur für Werbung und Verkaufsförderung GmbH

99

Für diese Tätigkeiten habe Ich bis jetzt noch immer keine Vergütung bekommen, gerne hatte Ich von Ihnen einen Vorschlag wie wir dies abrechnen"

100

Ab dem 16.05.2016 erhielten der Vorsitzende des Aufsichtsrats und der Finanzvorstand E-Mails unter dem Benutzernamen "m. m." und der Mail-Adresse "[email protected]". Der Kläger bestreitet die Urheberschaft.

101

In der E-Mail vom 16.05.2016 (Bl. 85 d.A., mit bestrittener Urheberschaft) heißt es:

102

"Ich hätte gerne Antwort auf die folgende fragen?

103

Die Konzernprämie 2014/15 wurde für viele MA nur zu 1/5 ausbezahlt Grund [der Finanzvorstand] hatte ein erhöhte plan in seine Schublade, warum ist dies nicht kommuniziert und was waren die Grunde hierfür. Der Aufsichtsrat wurde hier nicht über informiert,

104

komisch ???

105

Durch die Auflösung der Rückstellung im 3Q 2014/15 wurde das Resultat um ca. 8.0 Mio. Euro aufgebessert, Ich kann hier nichts über lesen im Quartal Bericht von diesen Periode. Ich weiß noch sehr gut das [der Finanzvorstand] sehr böse war aber des schlechten Quartals Ergebnisse. In die Presse Berichten lese ich hier nichts von. Muss man so ein Ereignis nicht kommunizieren. War vielleicht die zurückkauf der KF Aktien oder die Umwandlung ein Grund, oder angst das die Aktien die mann zurück gekauft hat fallen wurde in preis.

106

Nach meiner Auffassung ist durch den neue plan wodurch weniger Konzern Prämie ausgeschüttet wurde den Konzernüberschuss gestiegen, wodurch die Vorstände mehr Prämie bekommen haben, stimmt das? wenn nicht gerne Erklärung!

107

schade für die MA, verstehen die das?

108

Die Gewinnwarnung 3e Q 2015 ist laut meine Meinung auch ausgelöst durch die Auflösung der Rückstellung von den Konzern Prämie in 3e Quartal 2014 stimmt das?

109

muss man so etwas nicht melden an die Börsenaufsicht.

110

Ich hatte gerne Antwort in diese Woche, wird verfolgt, durch weitere Stories.

111

Viele Grüße

M."

112

In einer E-Mail vom 17.05.2016 an den Finanzvorstand (Bl. 86 d.A.; mit bestrittener Urheberschaft) heißt es:

113

"Hallo Herr P.,

114

In Österreich hat H. unter Ihren Leute, und mit Ihren mitwissen Vermütlich die Steuerbehörde falsch informiert, da ist ein Mail wo in Sie deutlich angeben das wir die Region RO nur an Östereich verkaufen, wird Wohl die falsche Wortlaut sein, um ein Steuer Vorteil zu haben, später habe ich erfahren das dies gerade nicht darf, stimmt das, haben Sie uns da ein bisschen bei der Nase genommen ?

115

Morgen wieder eine neue Storie.

116

Grüß

M.

117

Ps ich nutze diese Mail Adresse um das meine XX Mail gesperrt ist, und meine private leidet unter hacking versuche. Ist Complaince noch ein Thema bei H.? Warum? Wenn ich keine Antworten von Ihnen bekommen muß ich mich wenden an A., und ihm natürlich auch Schreiben das er Persönlich haften muss wenn er seine Arbeit nicht macht."

118

In einer E-Mail vom 18.05.2016 (Bl. 87 d.A.; mit bestrittener Urheberschaft) an den Finanzvorstand heißt es:

119

"Hallo R.,

120

Ich habe noch eine Bitte, die Namen der Aktionäre aus der Familie T. habe ich, auch natürlich die Namen der Aufsichtsrat der Wichtige Gesellschaften, aber könntest Du mir die Mail Adressen zur Verfügung stellen,

121

Vielen Dank und Schönen Abend

M."

122

In einer weiteren E-Mail vom 18.05.2016 (Bl. 88 d.A.; mit bestrittener Urheberschaft) an den Finanzvorstand heißt es:

123

"Sorry, R.,

124

Hatte noch Kontakt mit die Aktionärs Vereine, mit nähme die für die Kleinaktionäre waren sehr interessiert, wir wollen zusammen Auf treten auf die HV, ich bin ja auch Aktionär, suche noch nach die Anleger die ein Teil des KF Packet gekauft haben ?

125

Bis dann,

126

Gruß

M."

127

In der E-Mail vom 19.05.2016 an den Finanzvorstand (Bl. 89 d.A.; mit bestrittener Urheberschaft) heißt es:

128

"Dies ist keine drohung, aber ein Versprechung, Wenn keine Antwort auf meine Fragen, geht morgen Um 6 pm ein Mail an A. Sch. und Herr Dr R.,

129

MFG

M."

130

In der E-Mail vom 22.05.2016 mit dem Betreff "Schäde" (Bl. 90 d.A.; mit bestrittener Urheberschaft) an den Finanzvorstand heißt es:

131

"Meine Fragen waren deutlich, ich will nür Antwort auf Meine Fragen, Sie können mich auch anrufen, den Sie wissen wer ich bin, ich will nur Gerechtigkeit für Ihre und meine Mitarbeiter, natürlich auch für mich selber, und ich glaube Sie haben ein bisschen gemogelt mit die Ergebnisse/Zahlen. Ich will keine Schäden auch Sie nicht, aber der Anfang ist erstmal Ehrlichkeit durch eine Antwort auf meine Fragen? Ich habe Schon Kontakt mit sehr böse Investors die sehr interessiert sind in ……….

132

Herr P. nur die Wahrheit kann Ihnen helfen,

133

Grüße und ein schöner Abend"

134

Am 20.05.2016 versandte der Kläger - unstreitig - folgende E-Mail (Bl. 99 d.A.) mit dem Betreff "Abschied" an knapp 100 Mitarbeiter:

135

"Beste Kollegen,

136

Das mein Weggang nach den Worten von St. H. "sehr überraschend" war, glaube ich nicht. Aber Ich will nicht über anderen Schreiben aber über meine gründen um H. zu Verlassen.

137

Ich habe seit Dezember einige Gespräche mit St. geführt über den Kurs von H., unser stationäres Geschäft und Verschwendung durch u.a. Optimie-rungswahnsinn. Schon länger kämpfe ich gegen die Kultur Änderung die letzten Jahren, mit Name in Unseren Stationäres Geschäft in Deutschland, wo unseren Mitarbeiter und Management Teams oft arbeiten als Verwalter und Befehls Empfänger, und wo der abstand zwischen H. und Kunde/Mitarbeiter zu groß ist. Um jetzt ein Schuldige zu suchen (werden sicher viele sein) macht kein sinn, Berater auch nit, unseren Berater sind die Kunde, Markte, Merchants, mit dem muss mann viel und oft Sprechen!!

138

Hat es am Anfang ausgesehen das St. und Ich nicht soweit auseinander sind, wurde mir später dann doch klär das Ich an ein Totes Pferd ziehen, und wer A sägt Muss auch B sägen, so blieb mir keine andere Möglichkeit als meine Kündigung bei St. ein zu reichen.

139

20 Jahre und die meiste davon waren für H. und mich Erfolgreich, mit Meine direkte Kollegen haben wir immer mit sehr viel Spaß gearbeitet, und dadurch jede Krise überlebt, und waren immer besser als der Wettbewerb. So ich hoffe Ihr schafft es (vielen können es auch selber Beeinflussen) um unseren Mitarbeiter und Manager wieder mehr Vertrauen zu schenken, selber Entscheiden zu lassen, der Unternehmer vor Ort zu stimulieren, den wir haben Top Mitarbeiter die Intelligent und Fachkompetenz haben, die selber Nachdenken können, und dadurch kann Mann viel Verschwendung Sparen und haben die Leute wieder spaß an der Arbeit und Schlagt Ihr sicher jeden Wettbewerb.

140

Als letzten will Ich mich bedanken für die zusammen Arbeit mit euch, die Zentralisten, Merchants, LGF's, Management Teams in die Regionen und BZL/ML und natürlich unseren Spezialisten auf der Flache. Eine speziellen dank an M. V., H. P., S. J. und St. H. die meine Karriere bei H. geprägt haben und wo ich sehr viel von gelernt habe.

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Mein Nachfolger J. H. Wünsche ich sehr viel Erfolg, Spaß und Gesundheit, Du werdest Top Kollegen in den Regionen vorfinden die alle Fähigkeiten haben um mit Dir weitere erfolgen zu erzielen und H./International noch erfolgreicher zu machen.

142

Viele liebe Grüße"

143

Im Zuge des Trennungsprozesses zwischen den Parteien nutzte der Kläger bereits vor Ausspruch der fristlosen Kündigung ein Internetportal namens "JustAnswer". Es handelt sich um eine Frage- und Antwortplattform, über die (neben anderen Experten) auch Rechtsanwälte angeschrieben werden können, die dem Nutzer gegen Entgelt Auskunft zu rechtlichen Fragen erteilen. Die Betreiber von "JustAnswer" weisen dabei sowohl in ihren Allgemeinen Nutzungs- und Geschäftsbedingungen für Nutzer und Fragesteller (Nutzungsbedingungen) als auch in ihren Hinweisen zu Datenschutz und Sicherheit, die vor Vertragsschluss gelesen und bestätigt werden sollen, darauf hin, dass die Inhalte der Kommunikation zwischen dem Nutzer und dem jeweiligen Experten im Internet veröffentlicht werden.

144

Der Kläger stellte am 29.05.2016 im Internetportal "JustAnswer" eine Frage zu dem nachvertraglichen Wettbewerbsverbot aus dem zwischen den Parteien abgeschlossenen Aufhebungsvertrag (Ziff. 4) an die Experten, ohne sich, die Beklagte bzw. die H.-Gruppe und deren Konkurrenzunternehmen zuvor zu anonymisieren (vgl. Bl. 109 d.A.). Die Frage des Klägers lautete:

145

"Kann ich durch Zurückzahlung das Wettbewerbsverbot aufheben lassen?"

146

Am 01.06.2016 gab der Kläger im Internetportal "JustAnswer" ein Schreiben der von der Beklagten (damals) beauftragten Anwaltskanzlei vom 01.06.2016 nicht anonymisiert wieder, in dem er aufgefordert wurde, "im Zusammenhang mit der Aufklärung diverser arbeitsrechtswidriger Mails" am Folgetag an einer Telefonkonferenz teilzunehmen (vgl. Bl. 112 d.A.). Der Kläger stellte die Frage:

147

"Muss der CCO meine Frage nicht Vertraulich halten?"

148

Außerdem veröffentlichte der Kläger auf dieser Plattform seine "Abschieds"-E-Mail vom 20.05.2016 im vollen Wortlaut. Im Nachhinein wurden die personen- und unternehmensbezogenen Angaben von "JustAnswer" entfernt, wobei Einträge ua. auch unter der Nennung "H." mit Stand 01.07.2016 und unter der Nennung "A." (Bl. 117, 118 d.A.) noch am 11.07.2016 über die Suchmaschine "Google" zu finden waren.

149

Von den Veröffentlichungen auf "JustAnswer" erfuhr die Beklagte erst am 20.06.2016 und schob diesen Sachverhalt zur Rechtfertigung der Kündigung vom 02.06.2016 nach.

150

Der Kläger hat erstinstanzlich vorgetragen, die den Kündigungen zugrunde liegende Motivation der Beklagten dürfte darin bestanden haben, sich der Zahlung der bereits zum 31.07.2016 fälligen Karenzentschädigung zu entziehen. Der Beklagten sei bekannt gewesen, dass er bereits in der Vergangenheit das Angebot eines Konkurrenzunternehmens abgelehnt habe. Auch habe sie gewusst, dass er nach Vereinbarung des Aufhebungsvertrags wegen der Wettbewerbsklausel erneut das Angebot eines Konkurrenten ausgeschlagen habe bzw. habe ausschlagen müssen. Somit habe sich die Beklagte ohne erhebliches Risiko vom Wettbewerbsverbot lossagen können. Die Beklagte habe nicht nachgewiesen, dass er sie zu Unrecht bei externen Stellen angeschwärzt habe. Zum Großteil lege sie E-Mails vor, die nicht von ihm stammten. Insbesondere seien die Mails unter dem Benutzernamen ""m. m." von der E-Mail-Adresse "[email protected]" nicht von ihm. Er sei nicht der einzige Mitarbeiter, der sich intensiv mit dem Thema "Prämien" befasse. Hintergrund der Abschieds-E-Mail vom 20.05.2016 sei gewesen, dass der Personalvorstand ihm zugesagt habe, er könne sich an den verschiedenen Standorten persönlich von den Mitarbeitern verabschieden. Diese Zusage sei vom Vorstandvorsitzenden ohne nähere Begründung widerrufen worden. Hierüber sei er enttäuscht und emotional berührt gewesen. Er habe die Nutzungsbedingungen des Internetportals „JustAnswer“ nicht ausreichend zur Kenntnis genommen. Ihm sei nicht bewusst gewesen, dass seine Fragen und die Antworten weltweit im Internet veröffentlicht und über Suchmaschinen gefunden und eingesehen werden könnten. Zeitnah vor dem Gütetermin habe er die Internetplattform gebeten, den Chatverlauf zu löschen bzw. die nicht anonymisierten Daten zu schwärzen. Soweit sich die Beklagte auf die Veröffentlichung von Geschäftsgeheimnissen berufe, verweise er darauf, dass - entgegen einer Absprache - der Kurier mit dem Aufhebungsvertrag zu früh gekommen sei und das Dokument, weil er ihn nicht angetroffen habe, bei einem Nachbarn abgegeben habe. Dieser habe das Dokument versehentlich geöffnet, so dass im weiteren Verlauf die ganze Nachbarschaft über den Aufhebungsvertrag informiert gewesen sei.

151

Der Kläger hat erstinstanzlich zuletzt beantragt,

152

1. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die fristlosen Kündigungen der Beklagten vom 02.06.2016, vom 28.06.2016, vom 25.07.2016 und vom 08.08.2016 nicht beendet worden ist, sondern bis zum 31.10.2016 fortbestanden hat,

153

2. die Beklagte zu verurteilen, an ihn Vergütung in Höhe von € 38.000,00 brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus € 19.000,00 seit dem 01.07.2016 sowie nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus weiteren € 19.000,00 seit dem 01.08.2016 zu zahlen,

154

3. die Beklagte zu verurteilen, an ihn € 15.833,33 brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten hieraus über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.11.2016 zu zahlen,

155

4. die Beklagte zu verurteilen, an in € 500.000,00 nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten hieraus über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.08.2016 zu zahlen,

156

5. die Beklagte zu verurteilen, ihm ein wohlwollendes, qualifiziertes Zeugnis mit Ausstellungsdatum 31.10.2016 zu erteilen, welches sich auf Führung und Leistung erstreckt und das sein weiteres berufliches Fortkommen nicht hindern wird.

157

Die Beklagte hat beantragt,

158

die Klage abzuweisen.

159

Von einer weiteren Darstellung des unstreitigen Tatbestandes und des erstinstanzlichen Parteivorbringens wird gem. § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen und auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils vom 05.04.2017 Bezug genommen.

160

Das Arbeitsgericht Ludwigshafen hat mit Urteil vom 05.04.2017 der Klage stattgegeben. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht - zusammengefasst - ausgeführt, die vier fristlosen Kündigungen der Beklagten seien unwirksam. Für die erste Kündigung vom 02.06.2016 fehle ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB. Der Kläger habe mit seinen E-Mails zum Thema "Konzernprämie" und “Steuersituation Österreich“ nicht in verwerflicher Weise mit einer Veröffentlichung oder Verbreitung von Vermutungen gedroht, um den Preis für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses in die Höhe zu treiben. Eine solche Relation ergebe sich weder ausdrücklich noch konkludent aus einer der E-Mails, die unstreitig vom Kläger stammen oder aus den E-Mails, deren Urheberschaft streitig sei. Mit der "Abschieds"-E-Mail vom 20.05.2016 an ca. 100 Mitarbeiter habe der Kläger die Grenze zu einem schweren unsachlichen Angriff auf die Unternehmensleitung der Beklagten noch nicht überschritten. Zwar habe der Kläger durch die nicht anonymisierte Mitteilung des nachvertraglichen Wettbewerbsverbots und weiterer Korrespondenz im Internetportal "JustAnswer" objektiv in schwerwiegender Weise gegen seine Geheimhaltungspflichten verstoßen. Mangels Vorsatz liege jedoch kein wichtiger Grund für eine Kündigung vor. Es sei sicher naiv, sich bei Nutzung eines - auch kostenpflichtigen - Internetportals nicht explizit um die Nutzungsmodalitäten zu kümmern. Es gebe jedoch keine Anhaltspunkte dafür, dass dem Kläger bewusst gewesen sei, dass seine Fragen und Antworten ohne Änderung veröffentlicht werden und etwa über Suchmaschinen gefunden werden könnten. Insbesondere habe sich der Kläger bei seiner Anfrage vom 01.06.2016 wegen der kurzen Frist bis zu seiner beabsichtigten Anhörung in einer Ausnahme- und Drucksituation befunden und sich zu unverzüglichem Tätigwerden veranlasst gesehen. Der Kläger habe nachvollziehbare Fragen gestellt. Auch unter diesem Aspekt, gebe es keine Indizien für ein absichtliches „Vorführen“ der Beklagten. Auch in einer Gesamtschau reiche das Verhalten des Klägers nicht aus, um die vier außerordentlichen Kündigungen zu begründen. Die Kommunikation und Maßnahmen der Parteien - insbesondere die Nachrichten des Klägers und die Kündigungen der Beklagten - seien Ausdruck einer Spirale von Aktionen und Gegenreaktionen. Im Hinblick auf die besondere Situation des freigestellten Klägers nach einem 20 Jahre dauernden Arbeitsverhältnis sei die Vertragsfortsetzung für die Beklagte auch bei Berücksichtigung sämtlicher dem Kläger vorgeworfenen Aktionen bis zum 31.10.2016 noch zumutbar. Da das Arbeitsverhältnis erst am 31.10.2016 ende, könne der Kläger die Bruttogrundvergütung iHv. insgesamt € 38.000,00 für die Monate Juni und Juli 2016 sowie 10/12 des Weihnachtsgeldes für das Jahr 2016 iHv. € 15.833,33 brutto beanspruchen. Der Kläger habe auch einen Anspruch auf die Karenzentschädigung iHv. € 500.000,00 brutto aus Ziff. 4.3 des Aufhebungsvertrags. Die Beklagte habe sich nicht wirksam in entsprechender Anwendung des § 75 Abs. 1 HGB vom Wettbewerbsverbot losgesagt. Sie habe auch nicht mit ihrem Schreiben vom 25.07.2016 gemäß § 75a HGB in rechtlich erheblicher Weise auf das nachvertragliche Wettbewerbsverbot verzichtet. Die Auslegung des Aufhebungsvertrags ergebe, dass die Parteien sowohl das Verzichtsrecht gemäß § 75a HGB als auch die Anrechnungsvorschrift des § 74c HGB ausgeschlossen hätten. Schließlich sei die Beklagte verpflichtet, dem Kläger ein qualifiziertes Arbeitszeugnis mit dem Ausstellungsdatum 31.10.2016 zu erteilen. Wegen der weiteren Einzelheiten der erstinstanzlichen Begründung wird gem. § 69 Abs. 2 ArbGG auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils vom 05.04.2017 Bezug genommen.

161

Gegen das am 04.07.2017 zugestellte Urteil hat die Beklagte mit einem am 07.07.2017 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese innerhalb der bis zum 04.10.2017 verlängerten Frist mit einem am 04.10.2017 eingegangenen Schriftsatz begründet. Mit ihrer Widerklage macht sie die Rückzahlung der von ihr wegen der Zwangsvollstreckungsmaßnahmen des Klägers aus dem Urteil des Arbeitsgerichts geleisteten Beträge geltend. Dabei leistete sie insgesamt € 578.753,51. Davon führte sie € 245.866,00 Lohnsteuer und € 13.522,63 Solidaritätszuschlag an das Finanzamt ab (Aufstellung im Schriftsatz vom 04.10.2017, dort Seite 45 = Bl. 1.068 d.A.).

162

Die Beklagte macht nach Maßgabe ihres Schriftsatzes vom 04.10.2017 sowie des weiteren Schriftsatzes vom 31.01.2018, auf die ergänzend Bezug genommen wird, zur Begründung ihrer Berufung im Wesentlichen geltend, die fristlose Kündigung vom 02.06.2016 sei entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts wirksam. Das Arbeitsgericht habe den Kündigungssachverhalt unzureichend ausgewertet, weil es einzelne Äußerungen des Klägers betrachtet und isoliert in verharmlosender Weise bewertet habe, ohne das Gesamtverhalten und den Kontext angemessen zu würdigen. Der Kläger habe von ihr finanzielle Leistungen erhalten wollen, für die es keine Anspruchsgrundlage gegeben habe. Er habe ihren Vertretern falsche Vorwürfe gemacht und damit gedroht - was er nachfolgend auch teilweise realisiert habe - die Anschuldigungen an immer weitere Adressatenkreise zu verbreiten. Der Kläger habe beabsichtigt, mit den Anschuldigungen bei den verantwortlichen Mitarbeitern der Unternehmensleitung ein Einlenken hinsichtlich seiner finanziellen Forderungen zu bewirken. Wenn eindeutig falsche Vorwürfe erhoben würden, um Zahlungen durchzusetzen, auf die eindeutig kein Rechtsanspruch bestehe, sei nicht nur die Schwelle zu einer Erpressung, sondern arbeitsrechtlich auch die Schwelle zu einem wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB überschritten. Der Kläger habe sich im Zuge seines Ausscheidens weitere finanzielle Leistungen erhofft. Er sei schon vor Ausspruch seiner schriftlichen Eigenkündigung an sie mit der Forderung nach einer Abfindung herangetreten. Sie habe dann mit dem Kläger einen Aufhebungsvertrag vereinbart, der ua. ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot gegen Zahlung einer Karenzentschädigung iHv. € 500.000,00 vorgesehen habe. Sie sei nicht bereit gewesen, von ihrem verbindlichen Angebot vom 02.05.2016 zu Gunsten des Klägers abzurücken. Der Kläger habe dieses Angebot zwar am allerletzten Tag akzeptiert, jedoch versucht, weitere finanzielle Zugeständnisse zu erlangen. Dass der Kläger völlig enthemmt gehandelt habe, sei schon bei bloßer Lektüre seiner E-Mails offensichtlich. Er habe gegen ihre Vertreter erhebliche Vorwürfe erhoben, die allesamt falsch seien und damit gedroht, diese Vorwürfe einem immer weiteren Adressatenkreis zugänglich zu machen. Das Arbeitsgericht habe die Qualität des Verhaltens des Klägers verkannt, wenn es sein Vorgehen als eine legitime Befassung zuständiger Stellen mit möglicherweise kritischen Themen darstelle. Dem Kläger sei es nicht um sachliche Aufklärung gegangen, sondern um Einschüchterung und Bedrohung. Die Bedrohungslage habe darin gegipfelt, dass der Kläger damit gedroht habe, eine C.-Affäre herbeizuführen, die für eine börsennotierte Gesellschaft massive negative Auswirkungen haben könne.

163

Auch die Ehrverletzungen des Klägers stellten einen wichtigen Kündigungsgrund dar. Er habe mit seiner "Abschieds"-E-Mail vom 20.05.2016 an ca. 100 Mitarbeiter die Grenze zu einem im groben Maße unsachlichen Angriff überschritten. Der Vorwurf der "Verschwendung" und des "Optimierungswahnsinns" sowie der Vorwurf, sie würde Mitarbeiter zu "Befehlsempfängern" degradieren, könne als offene Äußerung gegenüber dem Vorstand oder einem kleinen Kreis von Führungskräften noch als überspitzte Kritik an einer als unrichtig empfundenen Strategie zulässig sein. Eine solche Situation habe hier jedoch nicht vorgelegen. Vielmehr habe sich der Kläger bewusst an einen großen Verteilerkreis, dem Mitarbeiter verschiedener Ebenen - nicht nur Führungskräfte - angehörten, gewandt. Seine Äußerungen gipfelten darin, dass er ihren Vorstandsvorsitzenden als "totes Pferd" bezeichnet habe, an dem es keinen Sinn mehr mache zu ziehen. Es sei ihm darum gegangen, die Unternehmensführung verächtlich zu machen und ihre Position zu untergraben.

164

Im Übrigen sei dem Kläger ein Bruch der Vertraulichkeit durch Veröffentlichungen auf der Internetplattform "JustAnswer" vorzuwerfen. Das Arbeitsgericht habe die subjektive Vorwerfbarkeit des pflichtwidrigen Verhaltens des Klägers fehlerhaft heruntergespielt, wenn es ihm lediglich bescheinige, sich naiv verhalten zu haben. Der Kläger habe vielmehr (mindestens) bedingt vorsätzlich gehandelt. Einem Nutzer des Portals "JustAnswer" könne es nicht verborgen bleiben, dass sowohl die Fragen als auch die Antworten auf der Website veröffentlicht werden. Das Arbeitsgericht habe es in seiner rechtlichen Würdigung unterlassen zu erwähnen, dass der Kläger auch seine "Abschieds"-E-Mail vom 20.05.2016 auf "JustAnswer" veröffentlicht habe, mit der Konsequenz, dass diese E-Mail weltweit von allen Interessenten durch einfache Google-Recherche einsehbar gewesen sei. Der Kläger habe die "Abschieds"-E-Mail mit ihren grob unsachlichen Angriffen, insbesondere gegen ihren Vorstandsvorsitzenden, nicht nur an einen breiten unternehmensinternen Verteiler versandt, sondern deren Inhalt auch im Internet veröffentlicht.

165

Da das Arbeitsverhältnis am 02.06.2016 geendet habe, könne der Kläger keine Vergütung für die Monate Juni und Juli 2016 und kein Weihnachtsgeld für 2016 beanspruchen. Der Kläger habe auch keinen Anspruch auf eine Karenzentschädigung, weil sie eine wirksame außerordentliche Kündigung ausgesprochen habe. Das nachvertragliche Wettbewerbsverbot sei daher hinfällig. Der mit der Widerklage geltend gemachte Rückzahlungsanspruch folge aus §§ 62 Abs. 2 ArbGG, 717 Abs. 2 ZPO. Ihr Schaden umfasse auch die gezahlten Steuern.

166

Die Beklagte beantragt zweitinstanzlich,

167

1. das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen vom 05.04.2017, Az. 3 Ca 1108/16, abzuändern und die Klage abzuweisen,

168

2. im Wege der Widerklage den Kläger zu verurteilen, an sie € 578.753,51 nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus € 53.833,33 seit dem 01.04.2017, aus € 577.374,01 seit dem 16.08.2017 und aus € 578.753,51 seit dem 23.08.2017 zu zahlen.

169

Der Kläger beantragt,

170

1. die Berufung zurückzuweisen,

171

2. die Widerklage abzuweisen.

172

Er verteidigt das angefochtene Urteil nach Maßgabe seiner Berufungserwiderungsschrift vom 12.12.2017 und seines weiteren Schriftsatzes vom 05.02.2018, auf die Bezug genommen wird. Die Berufung sei bereits unzulässig. Die Beklagte beschäftige sich zwar unter der Überschrift "Rechtsausführungen" zum Teil konkret mit dem erstinstanzlichen Urteil, allerdings unter konsequenter Zugrundelegung eines durch sie selbst erarbeiteten Sachverhalts, der weder durch das Arbeitsgericht im Tatbestand festgestellt noch durch ihn als unstreitig zugestanden worden sei. Die Beklagte zeige keine konkreten Rechtsfehler des Arbeitsgerichts auf. Er habe das Arbeitsverhältnis nicht deshalb gekündigt, weil er nicht zum Vorstandsmitglied der Beklagten berufen worden sei, sondern wegen einer aus seiner Sicht verfehlten unternehmerischen Ausrichtung sowie wegen des Umgangs der Beklagten mit ihren Mitarbeitern ("Thema: Konzernprämie"). Der Vorstandsvorsitzende der Beklagten sei nicht damit einverstanden gewesen, dass er selbst das Arbeitsverhältnis kündige. Man habe ihn inständig darum gebeten, es sich noch einmal zu überlegen und ihm diesbezüglich diverse Angebote unterbreitet. Die Beklagte habe es umgangssprachlich als "Majestätsbeleidigung" bzw. als "Hochverrat" angesehen, dass er von sich aus die vertraglichen Beziehungen beenden wollte. Dies sei für die Beklagte bzw. für ihren Vorstandsvorsitzenden dem Grunde nach undenkbar gewesen. Deshalb habe man ihm sofort die Zugangsberechtigung zu sämtlichen Räumlichkeiten im In- und Ausland entzogen. Er habe faktisch Hausverbot gehabt. Eine Freistellung dieser Art sei entgegen der Ansicht der Beklagten bei Führungskräften keineswegs "allgemein üblich". Eine Führungskraft werde im Gegenteil gedemütigt, insbesondere wenn sie sich nichts habe "zu Schulden kommen lassen". Die Darstellung der Beklagten hinsichtlich der Verhandlungen über den Aufhebungsvertrag sei insgesamt grob falsch. Er habe insbesondere nicht gegenüber dem Personalvorstand in einem Gespräch am 19.04.2016 eine finanzielle Entschädigung dafür gefordert, dass er nicht zum Vorstandsmitglied berufen worden sei. Da er das Arbeitsverhältnis selbst gekündigt habe, habe er keine finanziellen Forderungen erheben können.

173

Ein Großteil der E-Mail-Nachrichten, die die Beklagte zitiere, stammten nicht von ihm. Er sei insbesondere nicht Verfasser der Nachrichten von der Adresse "[email protected]". Es existiere entweder ein "Trittbrettfahrer", der sich unter einem Pseudonym seinem Anliegen anschließe, oder es handele sich um absichtlich hergestellte "Fake-Nachrichten", um ihm zu schaden. Das Arbeitsgericht habe zwar - auch bei Unterstellung seiner Urheberschaft - hinsichtlich dieser Nachrichten richtigerweise keine ausreichende Grundlage für die ausgesprochenen fristlosen Kündigungen gesehen. Dessen ungeachtet müsse er nicht die Verantwortung für etwas übernehmen, was er nicht veranlasst habe. Die Beklagte behaupte in auffallend kurzer Form, dass die durch ihn diskutierten  C.-Verstöße nicht vorlägen. Aus seiner Sicht sei die faktische Klärung dieser Fragen zur Entscheidung des Rechtsstreits nicht relevant. Er könne allerdings zum Thema Konzernprämie die falsche, d.h. die Mitarbeiter benachteiligende Abrechnungspraxis, der Beklagten beweisen. Die Beklagte wisse nur zu gut, und habe dies durch ihr gesamtes Verhalten seit Ausspruch der ersten fristlosen Kündigung auch hinreichend dokumentiert, dass seine Anliegen nicht "aus der Luft gegriffen" und/oder deshalb durch ihn thematisiert worden seien, um für sich selbst persönliche Vorteile zu generieren. Seine Anliegen fußten vielmehr auf einem Tatsachenkern. Sie seien aus seiner Sicht aus verschiedenen Motiven (zB. Selbstschutz/ Steuersituation Österreich oder Gerechtigkeitsgefühl/ Konzernprämie) zu klären. Es sei insbesondere unrichtig, dass er dem CCO nach dessen E-Mails im Mai 2016 telefonisch irgendetwas erläutert bzw. mit ihm geklärt habe. Er habe sich nachweislich per E-Mail am 21., 24., 30.05. und 01.06.2016 an den CCO mit seinen C.-Anliegen gewandt. Der CCO habe ihm lediglich am 25.05.2016 eine E-Mail mit dem Versprechen übermittelt, er werde sich um sein Anliegen kümmern. Geschehen sei diesbezüglich nichts. Stattdessen habe die Beklagte mit dem Ausspruch von fristlosen Kündigungen reagiert. Verharmlosend und falsch sei auch die Sachverhaltsdarstellung der Beklagten zum Thema "nicht erlaubte Verabschiedung". Neben dem erteilten Hausverbot, den Umständen bei Verhandlung und Abschluss des Aufhebungsvertrags (ua. Fristsetzung durch die Beklagte, Zustellung an einen Nachbarn etc. pp) und der dokumentierten Ignoranz bezüglich C., habe ihn die Beklagte hier erneut vorsätzlich gedemütigt und vorgeführt. Ihm sei es ein wichtiges Anliegen gewesen, sich von seinen langjährigen Mitarbeitern, mit denen er vertrauensvoll zusammengearbeitet habe, würdig zu verabschieden. Die entsprechende E-Mail vom 30.04.2016 an den Personalvorstand liege vor. Dem Grunde nach habe er sich bereits wegen des Hausverbots nicht mehr verabschieden können. Die Beklagte habe es zunächst schlichtweg abgelehnt, dass er sich verabschiede. Schließlich habe sie eine Verabschiedung "erlaubt", wenn er alles selbst organisiere und bezahle. Seine sog. "Abschied"-E-Mail könne insoweit nicht überraschen.

174

Es sei eine unbestreitbare Tatsache, dass er im Zeitraum zwischen seiner Eigenkündigung und dem Ausspruch der fristlosen Kündigung vom 02.06.2016 keine finanziellen Forderungen gegen die Beklagte erhoben habe. Wäre die Beklagte nicht ihrerseits an ihn mit dem Vorschlag eines Aufhebungsvertrags herangetreten, hätte es für ihn keinen Anspruch auf eine Karenzentschädigung iHv. € 500.000,00 brutto gegeben. Ob er Anspruch auf eine weitere Konzernprämie gehabt habe, sei für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits nicht relevant, weil er gegen die Beklagte diesbezüglich keine bezifferte Forderung stelle. Auslöser der ersten Kündigung sei augenscheinlich seine E-Mail vom 01.06.2016 an den Personalvorstand gewesen, mit der er nicht gezahlte Vergütungen für seine weiteren Geschäftsführertätigkeiten (ua. für die H. Baumarkt GmbH Österreich, aber auch für die A.-Agentur für Werbung und Verkaufsförderung GmbH) thematisiert habe. Mit dieser Nachricht habe er zum einen keine finanzielle Forderung gegen die hiesige Beklagte gestellt, zum anderen habe er dieses Thema auch nicht in irgendeinen Zusammenhang zu den zuvor thematisierten C.-Verstößen gestellt. Sein Wunsch zur Abänderung des durch die Beklagte selbst initiierten Aufhebungsvertrags hinsichtlich der Ausschlussklausel etc. pp habe auch für einen unbefangenen Dritten nichts mit der Erhebung von unberechtigten Forderungen zu tun.

175

Darüber hinaus habe er die Beklagte auch ansonsten nicht arbeitsvertragswidrig bedroht. Es könne sich bei möglicherweise kritischen Themen schon nicht um eine Drohung handeln, wenn ein Mitarbeiter in leitender Position sich zunächst an die Vorstände wende, danach an den hierfür zuständigen C.-Beauftragten und im weiteren Verlauf möglicherweise an den Betriebsrat bzw. möglicherweise noch an dritte Stellen. Hierdurch habe er nämlich genau die Reihenfolge eingehalten, die einzuhalten sei. Vollkommen richtig habe das Arbeitsgericht auch seine E-Mail vom 13.05.2016, insbesondere die dortige Äußerung: "Bei ein Nein kann es sehr teuer werden für H." bewertet. Diese Äußerung habe die Beklagte nicht dahin verstehen dürfen, dass er sie ggf. bei dritten Stellen anschwärzen und hierdurch Straf- bzw. Bußgeldzahlungen auf sie zukommen könnten. Das Arbeitsgericht habe zutreffend auf die objektive Situation abgestellt. Objektiv habe es ihm bis zur Unterzeichnung des Aufhebungsvertrags offen gestanden, zu einem Konkurrenzunternehmen zu wechseln und hierdurch ggf. die Gewinne der Beklagten zu schmälern. Um dies zu verhindern, habe ihm die Beklagte den Aufhebungsvertrag geradezu aufdrängen wollen.

176

Entgegen der Ansicht der Beklagten beinhalte seine "Abschieds"-E-Mail vom 20.05.2016 keine Formalbeleidigung von beteiligten Personen. Mit der Formulierung "an einem toten Pferd gezogen" sei nicht der Vorstandsvorsitzende der Beklagten gemeint, sondern im Sinne eines Sprichworts, die aus seiner Sicht verfehlte Unternehmenspolitik der Beklagten. Die E-Mail sei nicht einmal "frech", wie das Arbeitsgericht angenommen habe. Sie sei in Anbetracht des Umstandes, dass die Beklagte ihn nach seiner Eigenkündigung umgangssprachlich sofort "kaltgestellt" und es ihm auch nicht ermöglicht habe, sich angemessen von seinen Mitarbeitern zu verabschieden, durchaus sachlich gehalten.

177

Von den fahrlässig nicht anonymisierten Anfragen und Veröffentlichungen im Internetportal "JustAnswer" habe die Beklagte zum Zeitpunkt des Ausspruchs der ersten Kündigung noch keine Kenntnis gehabt, so dass es hierauf nicht ankomme. Er habe zwar objektiv durch die nicht anonymisierten Anfragen gegen seine Pflichten verstoßen. Dies reiche jedoch nicht aus, um ihm fristlos zu kündigen, weil er nicht vorsätzlich gehandelt habe. Art, Stil und Inhalt seiner Fragen an den jeweiligen Experten bei "JustAnswer" ließen nicht die Deutung zu, dass er vorsätzlich vertrauliche Informationen habe verbreiten wollen und es ihm (auch) darauf angekommen sei, dass die Beklagte einen Reputationsschaden erleidet. Hier versuche die Beklagte fast schon "gewaltsam", ihm eine subjektiv verwerfliche Einstellung zu unterstellen. Dass es überhaupt dazu gekommen sei, dass er fahrlässig die nicht anonymisierten Veröffentlichungen getätigt habe, habe mit der besonderen Druck- und Ausnahmesituation zu tun, in der er sich befunden habe. Bis zum Ausspruch der ersten fristlosen Kündigung sei er nicht davon ausgegangen, einen Rechtsanwalt persönlich zwecks Klärung der Sachverhalte aufsuchen zu müssen. Er sei bis zuletzt davon ausgegangen, dass er anwaltlichen Rat nicht beanspruchen müsse.

178

Selbst wenn man von einem wichtigen Grund ausgehen wollte, sei die Kündigung unverhältnismäßig. Es sei offensichtlich, dass man sich auf Seiten der Beklagten subjektiv über bestimmte Dinge geärgert habe, berechtigt oder nicht. Insoweit hätte es ihm keineswegs aufgrund seiner ehemaligen Spitzenposition und der damit verbundenen Vertrauens- und Pflichtenstellung klar sein müssen, dass die Beklagte plötzlich das Arbeitsverhältnis fristlos kündigt. Vielmehr hätte der Beklagten klar sein müssen, dass sie durch die erste fristlose Kündigung vom 02.06.2016 in Verbindung mit einem Verhalten, das man aus Spielfilmen nach US-amerikanischem Vorbild kenne (Zustellung der Kündigung durch schwarze Limousinen etc. pp) eine Spirale wechselseitiger Zerwürfnisse in Gang setze. Der Beklagten sei es sowohl bei der ersten Kündigung als auch bei allen Folgekündigungen möglich und zumutbar gewesen, das Arbeitsverhältnis noch einige Wochen bis zum 31.10.2016 fortzusetzen, denn es sei ohnehin klar gewesen, dass er bis zum Ablauf der Kündigungsfrist keine Arbeitsleistung mehr erbringen würde. Die fristlose Kündigung habe daher offensichtlich nur dazu gedient, etwaige Rachegelüste der Beklagten zu befriedigen sowie ihn mehrfach zu demütigen. Dies sei der Beklagten auch gut gelungen. Da das Arbeitsverhältnis bis zum 31.10.2016 fortbestanden habe, seien seine Zahlungsansprüche insgesamt begründet, die Widerklage unbegründet.

179

Der Kläger hat am 11.07.2017 in Österreich vor dem Landgericht Wiener Neustadt (Az. 4 Cga 91/17x) eine Klage gegen eine österreichische Tochtergesellschaft der Beklagten auf Zahlung von Vergütung iHv. € 401.881,67 eingereicht.

180

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie den Inhalt der Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

181

Die zulässige Berufung der Beklagten hat in der Sache überwiegend Erfolg. Auch ihre in zweiter Instanz erhobene Widerklage ist überwiegend begründet.

I.

182

Die nach § 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthafte Berufung der Beklagten ist gem. §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG iVm. §§ 519, 520 ZPO zulässig. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und - entgegen der Ansicht des Klägers - auch ordnungsgemäß iSv. § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO begründet worden. Die Berufungsbegründung enthält eine ausreichende Auseinandersetzung mit den tragenden Gründen der angefochtenen Entscheidung und eine Darlegung, aus welchen Gründen die Begründung des Arbeitsgerichts für unzutreffend gehalten wird (zu diesen Anforderungen an die Berufungsbegründung vgl. etwa BAG 14.03.2017 - 9 AZR 633/15 - Rn. 11 mwN). Die Berufungsbegründung der Beklagten lässt im Einzelnen erkennen, in welchen Punkten rechtlicher oder tatsächlicher Art und aus welchen Gründen das angefochtene Urteil fehlerhaft sein soll. Der Umfang der Berufungsbegründungsschrift (84 Seiten), den der Kläger als "Materialschlacht" empfindet, gibt keinen Anlass zu Beanstandungen.

183

Soweit sich die Berufung nicht mit dem verfolgten Anspruch auf ein Arbeitszeugnis "mit Ausstellungsdatum 31.10.2016" (Klageantrag zu 5) beschäftigt, dem das Arbeitsgericht stattgegeben hat, durfte insoweit eine Auseinandersetzung mit dem erstinstanzlichen Urteil unterbleiben. Die Begründetheit dieses Klagebegehrens setzt denknotwendig voraus, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch die fristlosen Kündigungen der Beklagten aufgelöst worden ist, sondern bis zum Kündigungstermin des Klägers am 31.10.2016 fortgestanden hat. Gegen die Erteilung eines qualifizierten Arbeitszeugnisses als solchem wendet sich die Berufung nicht.

II.

184

Die Berufung der Beklagten hat in der Sache überwiegend Erfolg. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts durch die erste außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 02.06.2016 mit sofortiger Wirkung aufgelöst worden. Der Kläger kann deshalb keine Vergütung für die Monate Juni und Juli 2016 iHv. insgesamt € 38.000,00 brutto beanspruchen. Er hat auch keinen Anspruch auf die im Aufhebungsvertrag vom 02./18.05.2016 vereinbarte Karenzentschädigung iHv. € 500.000,00. Der Kläger kann keine anteilige Sonderzahlung für das Jahr 2016 iHv. € 15.833,33 (10/12 von € 19.000,00), sondern lediglich iHv. € 7.916,67 brutto (5/12) beanspruchen. Außerdem steht ihm ein qualifiziertes Arbeitszeugnis zu, das allerdings nicht das Ausstellungsdatum 31.10.2016 tragen muss. Die zweitinstanzliche Widerklage ist teilweise begründet. Der Kläger ist verpflichtet, an die Beklagte von dem zur Abwendung der Zwangsvollstreckung aus dem erstinstanzlichen Urteil beigetriebenen Gesamtentgeltbetrag € 570.836,84 nebst Zinsen zurückzuzahlen.

185

1. Der Klageantrag zu 1) ist unbegründet. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 02.06.2016 mit sofortiger Wirkung aufgelöst worden. Entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts liegt ein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB vor.

186

a) Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile zumutbar ist oder nicht (vgl. BAG 01.06.2017 - 6 AZR 720/15 - Rn. 45 mwN). Im vorliegenden Fall ist daher zu prüfen, ob der Beklagten zumutbar war, das Arbeitsverhältnis bis zum 31.10.2016, dem Beendigungstermin der Eigenkündigung des Klägers, fortzusetzen.

187

b) Entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts rechtfertigt das Verhalten des Klägers "an sich" eine außerordentliche Kündigung, denn er hat in schwerwiegender Weise gegen seine arbeitsvertragliche Pflicht zur Rücksichtnahme auf die berechtigten Interessen seines Arbeitgebers verstoßen.

188

aa) Der Arbeitnehmer ist gemäß § 241 Abs. 2 BGB verpflichtet, Störungen des Betriebsfriedens oder Betriebsablaufs zu vermeiden. Dies entspricht dem berechtigten Interesse des Arbeitgebers an der Wahrung des Betriebsfriedens und der Einhaltung der betrieblichen Ordnung als Voraussetzung einer funktionierenden Arbeitsorganisation. Deshalb muss der Arbeitgeber beispielsweise unsachliche Angriffe, die zur Untergrabung der Position eines Vorgesetzten führen können, nicht hinnehmen (vgl. BAG 01.06.2017 - 6 AZR 720/15 - Rn. 49 mwN). Auch grobe Beleidigungen des Arbeitgebers und/oder seiner Vertreter und Repräsentanten oder von Arbeitskollegen, die nach Form und Inhalt eine erhebliche Ehrverletzung für den Betroffenen bedeuten, können einen gewichtigen Verstoß gegen die Pflicht zur Rücksichtnahme auf die berechtigten Interessen des Arbeitgebers darstellen und eine außerordentliche fristlose Kündigung an sich rechtfertigen (vgl. BAG 10.12.2009 - 2 AZR 534/08 - Rn. 17 mwN). Ein bewusst illoyales Verhalten gegenüber Vorgesetzten kann abhängig von den Umständen des Falls einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung darstellen (vgl. BAG 01.06.2017 - 6 AZR 720/15 - Rn. 49; BAG 13.04.2000 - 2 AZR 259/99 - zu II 4 der Gründe).

189

bb) So liegt der Fall hier.

190

(1) Entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts enthält die "Abschieds"-E-Mail des Klägers vom 20.05.2016, die er an einen Verteilerkreis von ca. 100 Arbeitnehmer der Beklagten bzw. der H.-Gruppe (nicht nur an Landesgeschäftsführer oder sonstige Führungskräfte der ersten und zweiten Leitungsebene, sondern auch an Mitarbeiter ohne Führungsposition) übermittelt hat, grob unsachliche Angriffe, die geeignet sind, die Unternehmensleitung der Beklagten betriebsöffentlich herabzusetzen und als unfähig darzustellen. Die "Abschieds"-E-Mail des Klägers war nicht nur "frech", "keinesfalls unterwürfig", unangemessen und unprofessionell, wie das Arbeitsgericht ausgeführt hat, sie war vielmehr auf Häme und Abrechnung gerichtet und stellt ein grob illoyales Verhalten dar. Es stand die Diffamierung der Person des Vorstandsvorsitzenden der Beklagten im Vordergrund, die diesen - jenseits polemischer und überspitzter Kritik - in erster Linie herabsetzen sollte. Der Kläger kann sich damit nicht erfolgreich auf sein Recht auf freie Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 GG) berufen. Dieses Grundrecht wird nicht schrankenlos gewährleistet, sondern ist insbesondere durch das Recht der persönlichen Ehre gemäß Art. 5 Abs. 2 GG beschränkt und muss mit diesem in ein ausgeglichenes Verhältnis gebracht werden (vgl. BAG 17.02.2012 - 2 AZR 646/11 - Rn. 22 mwN). Auch unterhalb der Schwelle eines strafbaren Verhaltens muss ein Arbeitnehmer angemessen auf Persönlichkeitsrechte seines Vorgesetzten Rücksicht nehmen. Dass der Kläger die "Abschieds"-E-Mail aus einem spontanen Erregungszustand heraus verfasst und abgeschickt hätte, behauptet er selbst nicht.

191

Wie die Berufung zutreffend ausführt, mag der Vorwurf der "Verschwendung durch u.a. Optimierungswahnsinn" sowie der Vorwurf, die Mitarbeiter würden als "Befehls Empfänger" behandelt, gegenüber dem Vorstand oder einem kleinen Kreis von Führungskräften noch als überspitzte Kritik zulässig sein. Eine solche Situation lag hier jedoch nicht vor, vielmehr wandte sich der Kläger an einen Kreis von ca. 100 Mitarbeitern. Außerdem erklärte der Kläger seine Eigenkündigung damit, dass er mit dem eingeschlagenen Unternehmenskurs nicht einverstanden gewesen sei. Er habe zunächst gemeint, dass er mit dem Vorstandsvorsitzenden nicht so weit auseinander liege, später sei ihm klar geworden, dass er "an ein totes Pferd" ziehe. Die Kammer folgt der Berufung auch darin, dass es bei einer solchen "Abschieds"-E-Mail nicht darum geht, Kritik - wenn auch in deutlichen Worten - zur Verbesserung einer aktuellen Unternehmenssituation zu äußern, sondern darum, den Vorstandsvorsitzenden verächtlich zu machen und seine Position zu untergraben. Dabei ist es gleichgültig, ob der Kläger den Vorstandsvorsitzenden als "totes Pferd" beleidigen oder - wie er behauptet, im Sinne eines Sprichworts - dessen verfehlte Unternehmenspolitik kritisieren wollte. Es handelt sich so oder so um einen im groben Maße unsachlichen Angriff. Ein derartiges Vorgehen schadet dem Unternehmen, zumal bei einem großen Verteilerkreis immer die Gefahr besteht, dass Informationen nach außen dringen und den Ruf schädigen. Das Verhalten des Klägers war somit nicht nur unangemessen, sondern grob pflichtwidrig. Dass seine E-Mail daneben auch nicht zu beanstandende Textpassagen enthielt, ändert hieran nichts.

192

(2) Auch die nicht anonymisierten Veröffentlichungen, die der Kläger auf der Internetplattform "JustAnswer" veranlasst hat, geben an sich einen wichtigen Grund zur fristlosen Kündigung ab. Der Kläger hat seine Verschwiegenheitspflichten in schwerwiegender Weise verletzt. Obwohl er sich in Ziff. 5 des Aufhebungsvertrags ausdrücklich verpflichtet hatte, über den Inhalt dieses Vertrags Stillschweigen zu bewahren, veranlasste er - bereits elf Tage später - die Veröffentlichung des nachvertraglichen Wettbewerbsverbots im vollen Wortlaut im Internet. Am 29.05.2016 stellte er den Experten von "JustAnswer" die Frage, ob er das Wettbewerbsverbot durch Zurückzahlung (der Karenzentschädigung) aufheben lassen könne. Dabei anonymisierte er weder seinen Namen, die Firma der Beklagten oder die H.-Gruppe oder die Konkurrenzunternehmen (O. und B.). Das nachvertragliche Wettbewerbsverbot war folglich öffentlich zugänglich und damit für einen unbegrenzten Kreis von Personen im Internet einsehbar. Nicht nur dadurch, dass jedermann sehen konnte, dass sich die Beklagte die Bereitschaft des Klägers, nicht zu den Mitbewerbern O. oder B. zu wechseln, eine halbe Million Euro kosten lässt, hat der Kläger seine Pflichten verletzt. Eine mangelnde Vertragstreue und Loyalität des Klägers kommt auch dadurch deutlich zum Ausdruck, dass er schon elf Tage nach Vertragsunterzeichnung durch die Frage "Kann ich durch Zurückzahlung das Wettbewerbsverbot aufheben lassen?", öffentlichkeitswirksam versucht hat, sich seiner Pflichten aus dem nachvertraglichen Wettbewerbsverbot zu entziehen. Darüber hinaus veranlasste der Kläger die Veröffentlichung seiner "Abschieds"-E-Mail vom 20.05.2016.

193

Entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts kann sich der Kläger nicht mit dem Argument entlasten, er habe nicht vorsätzlich gehandelt, weil er sich "nicht explizit" um die Nutzungsmodalitäten der Internetplattform "JustAnswer" gekümmert habe. Der Kläger ist nicht "naiv", wie das Arbeitsgericht meint, sondern ein erfahrener Geschäftsmann, der zwanzig Jahre in Führungspositionen tätig war. Die Pflichtverletzung hat der Kläger schuldhaft begangen, denn er handelte mindestens grob fahrlässig iSd. § 276 Abs. 2 BGB. Die Veröffentlichung war auch nicht durch eine "Ausnahme- und Drucksituation" gerechtfertigt oder entschuldbar, wie das Arbeitsgericht meint. Eine Anonymisierung wäre dem Kläger ohne weiteres möglich gewesen. Es war von ihm auch zu erwarten, dass er sich mit den Nutzungs- und Geschäftsbedingungen der Internetplattform vertraut macht. Dort wird deutlich darauf hingewiesen, dass die Fragen und die Antworten der Experten auf der Website veröffentlicht werden und weltweit auch außerhalb der Website im Internet - auch über Suchmaschinen - gefunden und eingesehen werden können. Dass dies dem Kläger nicht aufgefallen sein könnte, nimmt ihm die Berufungskammer nicht ab.

194

(3) Schließlich haben auch die E-Mails, die der Kläger seit dem 13.05.2016 an den Personalvorstand und den Chief- C.-Officer (CCO) der Beklagten verschickt hat, nötigenden Charakter und runden den Gesamteindruck ab, dass sich der Kläger im Anschluss an seine Eigenkündigung grob illoyal verhalten hat. Auf die Frage, ob der Kläger Urheber der E-Mails ist, die unter dem Namen "M. M." und der E-Mail-Anschrift: "[email protected]" abgeschickt worden sind, woran aus Sicht der Berufungskammer kein vernünftiger Zweifel besteht, kommt es nicht an.

195

In der E-Mail vom 13.05.2015 an den Personalvorstand, die unstreitig vom Kläger stammt, führt er abschließend aus: "Bei ein Nein kann es sehr Teuer werden für H. und Fam". Dieser Satz ist nicht "offen gehalten und vage", wie das Arbeitsgericht ausführt, sondern hat eindeutig nötigenden Charakter. Er war auch eindeutig so gemeint. Aus dem Kontext der E-Mail geht deutlich hervor, dass der Kläger die Streichung der Ausgleichsklausel, einen früheren Auszahlungszeitpunkt der Karenzentschädigung und die Anwendung der sog. Fünftelregelung für die Besteuerung von Abfindungen ("die Aufhebungsklausur ist ja eigentlich in mein Vorteil, Ich brauch Sie nicht, Du kannst Sie Streichen, 2 Monaten früher auszahlen?, die Zinsen kosten euch nichts, 5er regel war schon vereinbart") erreichen wollte. Ein derartiges Änderungsverlangen ist - isoliert betrachtet - gegenüber dem Verhandlungspartner nicht verwerflich, auch wenn die geforderte Steuerermäßigung rechtlich nicht zulässig ist. Es kann jedoch nicht unberücksichtigt bleiben, dass der Kläger sein Änderungsverlangen mit der eindeutigen Drohung verknüpft hat "bei ein Nein kann es sehr Teuer werden". Die Auslegung, mit dieser Äußerung sei gemeint, dass der Kläger zur Konkurrenz wechseln könne und hierdurch der Gewinn der Beklagten geschmälert werde, ist fernliegend.

196

Am 01.06.2016 drohte der Kläger dem CCO in einer E-Mail, die unstreitig von ihm stammt, sich an "andere Instanzen" zu wenden. Ein Arbeitnehmer, der in einer derartigen Form gegen seinen Arbeitgeber agiert und die Konfrontation sucht, zerstört regelmäßig das Vertrauensverhältnis nachhaltig und begründet ernsthafte Zweifel an seiner persönlichen Integrität und Loyalität. Schließlich sind auch die von dem Kläger behaupteten altruistischen Motive nicht geeignet, sein Verhalten in einem günstigeren Licht erscheinen zu lassen.

197

c) Bei der abschließenden Interessenabwägung überwiegt - entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts - das Interesse der Beklagten an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Dessen Fortsetzung war ihr bis zum 31.10.2016 nicht zuzumuten.

198

(aa) Entgegen der Ansicht des Klägers war der Beklagten die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum 31.10.2016 nicht schon deshalb zumutbar, weil sie ihn seit dem 21.04.2016 im Anschluss an seine schriftliche Eigenkündigung unwiderruflich von seiner Arbeitsverpflichtung freigestellt hat. Zudem ist die Freistellung auch in Ziff. 2.1. des Aufhebungsvertrags vom 02./18.05.2016 vereinbart worden. Ein Aufhebungsvertrag steht regelmäßig unter der aufschiebenden Bedingung, dass das Arbeitsverhältnis bis zu dem vereinbarten Auflösungszeitpunkt fortgesetzt wird. Löst später eine außerordentliche Kündigung das Arbeitsverhältnis vor dem vorgesehenen Auflösungszeitpunkt auf, wird der Aufhebungsvertrag gegenstandslos. Dies gilt erst Recht für eine in dem Aufhebungsvertrag vereinbarte unwiderrufliche Freistellung des Arbeitnehmers. Die unwiderrufliche Freistellung ist allerdings bei der Interessenabwägung zu berücksichtigen (vgl. BAG 05.04.2001 - 2 AZR 217/00 - Rn. 19 ff).

199

(bb) Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf. Auch Unterhaltspflichten und der Familienstand können - je nach Lage des Falls - Bedeutung gewinnen. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind (vgl. BAG 20.11.2014 - 2 AZR 651/13 - Rn. 21 mwN).

200

(cc) Unter Anwendung dieser Grundsätze war der Beklagten die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum 31.10.2016 nicht zuzumuten. Zugunsten des Klägers ist die zwanzigjährige Dauer des Anstellungsverhältnisses, dessen beanstandungsfreier Verlauf, sein Lebensalter und die Unterhaltspflichten sowie der Umstand zu berücksichtigen, dass er bereits seit 21.04.2016 unwiderruflich von seinen Dienstpflichten freigestellt war. Andererseits war das Vertrauen der Beklagten in die Integrität und Loyalität des Klägers vollständig und unwiederbringlich zerstört. Der Kläger hat durch sein bewusst illoyales Verhalten selbst einer weiteren vertrauensvollen Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses die Grundlage entzogen. Eine Abmahnung kam unter den gegebenen Umständen als milderes Mittel gegenüber einer Kündigung nicht in Betracht (vgl. BAG 20.11.2014 - 2 AZR 651/13 - Rn. 22 mwN). Der Kläger konnte nicht ernsthaft mit einer Billigung seines Verhaltens durch die Beklagte rechnen. Er hätte nach objektiven Maßstäben erkennen müssen, dass sein Verhalten für die Beklagte nicht hinnehmbar war. Im Übrigen hat sich der Kläger, worauf die Berufung zutreffend hinweist, auf einen "Konfrontationskurs" begeben, von dem er durch eine Abmahnung nicht mehr abzubringen gewesen wäre.

201

Schließlich befand sich der Kläger - entgegen seiner Ansicht - in keiner Konfliktsituation, die sein Verhalten in einem milderen Licht erscheinen lassen könnte. Er kann insbesondere nicht als Milderungsgrund für sich in Anspruch nehmen, dass die Beklagte eine "Spirale wechselseitiger Zerwürfnisse" in Gang gesetzt hätte, worauf das Arbeitsgericht maßgeblich abgestellt hat. Der Kläger hat das Arbeitsverhältnis zunächst mündlich am 14.04. zum 31.10.2016 selbst gekündigt. Dass Arbeitgeber auf Eigenkündigungen, insbesondere von Arbeitnehmern, die - wie der Kläger - eine Spitzenposition eingenommen haben, mit sofortigen (bezahlten) Freistellungen reagieren, gehört zum Standardrepertoire jeder Personalabteilung und kann dem Kläger nicht verborgen geblieben sein. Den freiwilligen Weggang des Klägers kommunizierte die Beklagte intern ebenfalls mit standardmäßigen Formulierungen in einer E-Mail vom 15.04.2016, die sie an einen Kreis von Mitarbeitern richtete. Als Grund für das Ausscheiden des Klägers wurden "neue berufliche Herausforderungen" genannt, die E-Mail schloss mit einer Dankesformel nebst guten Wünschen für die Zukunft. Eine "demütigende" Behandlung des Klägers ist nicht ansatzweise erkennbar. Auch die Frustration des Klägers darüber, dass sich die Beklagte am 10.05.2016 geweigert hat, ihm Flüge nach Wien und Bukarest zu buchen, damit er sich auf ihre Kosten bei einem Abendessen oder einer ähnlichen Veranstaltung von den dortigen Mitarbeitern persönlich verabschieden kann, rechtfertigt sein anschließendes Verhalten nicht. Es ist der Berufungskammer nicht nachvollziehbar, weshalb das Vorgehen der Beklagten im Anschluss an die Eigenkündigung des Klägers als "entwürdigend" empfunden werden könnte. Die Beklagte hat dem Kläger als Entschädigung für das nachvertragliche Wettbewerbsverbot, das sie mit ihm vereinbaren wollte, am 02.05.2016 eine Karenzentschädigung iHv. € 500.000,00 angeboten, die sie ihm als Einmalbetrag bereits zum 31.07.2016 auszahlen wollte. Sie hat die Annahmefrist bis zum 18.05.2016 verlängert und dem geschäftserfahrenen Kläger damit ausreichend Zeit gelassen, den Vertragsschluss zu überdenken und sich ggf. mit einem Rechtsanwalt oder Steuerberater zu beraten. Selbst wenn die Beklagte dem Kläger den Aufhebungsvertrag wegen des angestrebten Wettbewerbsverbots "geradezu aufdrängen" wollte, wie der Kläger behauptet, befand er sich in einer komfortablen Verhandlungsposition. Er hätte den Aufhebungsvertrag durch ein schlichtes "Nein" ablehnen, und ab 01.11.2016 zur Konkurrenz wechseln können. Eine Abfindung für den Verlust des Arbeitsplatzes stand ihm, wie der Kläger wiederholt selbst betont, nicht zu. Auch aus dem Umstand, dass sich die Beklagte geweigert hat, die Änderungswünsche des Klägers hinsichtlich des Vertragsinhalts umzusetzen (im Einzelnen: Streichung der Ausgleichsklausel in Ziff. 7.1; Auszahlung des Einmalbetrags zwei Monate früher am 31.05.2016, Versteuerung der Karenzentschädigung wie eine Abfindung nach der sog. Fünftelregelung), kann nicht gefolgert werden, die Beklagte habe einen aktiven Beitrag zur Konflikteskalation geleistet, den der Kläger als Milderungsgrund für sein Verhalten berücksichtigt wissen will. Schließlich kann sich der Kläger nicht damit entschuldigen, dass der von der Beklagten beauftragte Kurier den Brief mit dem Vertragsangebot am 02.05.2016 in den Briefkasten seines Nachbarn eingeworfen hat, den der Nachbar nicht nur aus Versehen geöffnet, sondern auch gelesen und anschließend in der Nachbarschaft verbreitet haben soll. Selbst wenn sich die Beklagte das Fehlverhalten des Kuriers noch zurechnen lassen müsste, trifft sie jedenfalls am Verhalten des Nachbarn keine Schuld. Etwaige "Rachegelüste" der Beklagten, die ihr der Kläger unterstellt, vermag die Berufungskammer nicht zu erkennen. Die Beklagte oder einer ihrer Repräsentanten (§ 278 BGB) haben die Ebene der Sachlichkeit im Anschluss an die Eigenkündigung des Klägers nicht verlassen. Im Rahmen der Interessenabwägung erhebliche, ihn entlastende besondere Umstände hat der Kläger folglich nicht vorgetragen. Von der Beklagten konnte nach alledem nicht verlangt werden, das Arbeitsverhältnis mit ihm bis zum 31.10.2016 fortzusetzen.

202

d) Die Beklagte konnte die Kündigungsgründe im Zusammenhang mit den Veröffentlichungen auf der Internetplattform "JustAnswer" - entgegen der Ansicht des Klägers - nachschieben. Von diesen Veröffentlichungen, die ab 29.05.2016 erfolgt sind, hat die Beklagte erst nach Ausspruch der ersten Kündigung vom 02.06.2016 am 20.06.2016 erfahren. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, der die Berufungskammer folgt, können Kündigungsgründe, die dem Kündigenden bei Ausspruch der Kündigung noch nicht bekannt waren, uneingeschränkt nachgeschoben werden, wenn sie - wie hier - bereits vor Ausspruch der Kündigung entstanden sind (vgl. BAG 06.09.2007 - 2 AZR 264/06 - Rn. 21). Ist bereits eine fristlose Kündigung ausgesprochen, muss der Gekündigte damit rechnen, dass bei Ausspruch der Kündigung bereits entstandene, aber bis dahin noch nicht entdeckte Kündigungsgründe nachgeschoben werden.

203

e) Die Beklagte hat die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB gewahrt. Nach dieser Vorschrift kann die außerordentliche Kündigung nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt in dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt.

204

Selbst bei isolierter Betrachtung der Einzelakte, die zur ersten Kündigung geführt haben, fanden die Pflichtverletzungen innerhalb der Zwei-Wochen-Frist vor ihrem Zugang am 02.06.2016 statt. Der Kläger hat die "Abschieds"-E-Mail am 20.05.2016 an ca. 100 Mitarbeiter verbreitet. Die - nicht anonymisierten - Veröffentlichungen im Internetportal "JustAnswer", die die Beklagte als Kündigungsgrund nachgeschoben hat, erfolgten ab 29.05.2016. Auch die inkriminierten E-Mails versandte der Kläger noch im Zwei-Wochen-Zeitraum. Hinzu kommt, dass sich die Pflichtverletzungen des Klägers zu einem Gesamtverhalten zusammenfassen lassen. In diesem Fall beginnt die Ausschlussfrist erst mit Kenntnis des letzten Vorfalls, der ein weiteres und letztes Glied in der Kette der Ereignisse bildet, die in ihrer Gesamtheit zum Anlass für eine Kündigung genommen werden (vgl. BAG 01.06.2017 - 6 AZR 720/15 - Rn. 64 mwN).

205

f) Weitere Unwirksamkeitsgründe sind nicht zu prüfen. Der Kläger beruft sich zweitinstanzlich ausdrücklich nicht darauf, dass die Beklagte gem. § 102 Abs. 1 BetrVG verpflichtet gewesen sei, den Betriebsrat vor Ausspruch der Kündigung vom 02.06.2016 anzuhören (vgl. Seite 15 des Schriftsatzes vom 12.12.2017, Bl. 1.177 d.A.). Es kann deshalb dahinstehen, ob der Kläger - wie die Beklagte meint und wofür alles spricht - in seiner Position als "Geschäftsführer International" als leitender Angestellter iSd. § 5 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 BetrVG zu qualifizieren war.

206

g) Weil das Arbeitsverhältnis durch die erste fristlose Kündigung der Beklagten vom 02.06.2016 mit deren Zugang sein Ende gefunden hat, kommt es auf die Wirksamkeit der vorsorglich erklärten fristlosen Kündigungen vom 28.06., 25.07. und 08.08.2016 nicht an.

207

2.  Der Klageantrag zu 2) ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Zahlung von Vergütung für die Monate Juni und Juli 2016 iHv. insgesamt € 38.000,00 brutto, weil das Arbeitsverhältnis der Parteien (wie oben unter Ziff. 1 ausgeführt) durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 02.06.2016 mit ihrem Zugang sein Ende gefunden hat.

208

3.  Der Klageantrag zu 3) ist zum Teil begründet. Der Kläger kann von der Beklagten für das Jahr 2016 eine anteilige Jahressonderzahlung beanspruchen. Der Anteil beträgt allerdings nicht 10/12, sondern 5/12 von € 19.000,00 brutto, mithin € 7.916,67 brutto.

209

Die Parteien haben in § 2 Ziff. 2 des schriftlichen Anstellungsvertrags vom 14.03.2012 vereinbart, dass "als Sonderzahlung ein Weihnachtsgeld in Höhe eines Bruttomonatsgehalts zum betriebsüblichen Auszahlungszeitpunkt gewährt" wird. Der Wortlaut nimmt zwar auf Weihnachten Bezug; Voraussetzung der Sonderzahlung ist nach der gem. §§ 133, 157 BGB gebotenen Auslegung der Vertragsabrede aber nicht, dass das Arbeitsverhältnis zu Weihnachten noch besteht. Bei der Sonderzahlung handelt es sich vielmehr um einen Vergütungsbestandteil, der im Synallagma zur erbrachten Arbeitsleistung steht. Der Kläger kann deshalb für jeden Kalendermonat, den das Arbeitsverhältnis im Jahr 2016 bestanden hat, ein Zwölftel der Sonderzahlung beanspruchen. Da das Arbeitsverhältnis der Parteien (wie oben unter Ziff. 1 ausgeführt) am 02.06.2016 sein Ende gefunden hat, stehen dem Kläger lediglich 5/12 von € 19.000,00 zu.

210

Der Anspruch auf Verzugszinsen seit dem 01.11.2016 folgt aus § 288 Abs. 1, § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB. Ausweislich Ziff. 1.3 des Aufhebungsvertrags vom 02./18.05.2016 war die Sonderzahlung, die dort als "anteilige[s] 13. Monatsgehalt" bezeichnet worden ist, mit der Oktoberabrechnung 2016 fällig.

211

4.  Der Klageantrag zu 4) ist unbegründet. Der Kläger kann von der Beklagten keine Karenzentschädigung iHv. € 500.000,00 beanspruchen.

212

Die Beklagte ist in entsprechender Anwendung des § 75 Abs. 1 HGB von der in Ziff. 4.3. des Aufhebungsvertrags vom 02./18.05.2016 eingegangenen Verpflichtung zur Zahlung der Karenzentschädigung befreit worden. Nach § 75 Abs. 1 HGB können sowohl der Arbeitgeber als auch der Arbeitnehmer bei vertragswidrigem Verhalten der anderen Arbeitsvertragspartei die Unwirksamkeit der nachvertraglichen Wettbewerbsvereinbarung durch einseitige schriftliche Erklärung vor Ablauf eines Monats nach der Kündigung herbeiführen. Die Beklagte hat das Arbeitsverhältnis (wie oben unter Ziff. 1 ausgeführt) wegen vertragswidrigen Verhaltens des Klägers aus wichtigem Grund am 02.06.2016 wirksam gekündigt und sich durch die gesonderte schriftliche Erklärung vom 02.06.2016 von dem vereinbarten nachvertraglichen Wettbewerbsverbot wirksam losgesagt (vgl. BAG 07.07.2015 - 10 AZR 260/14 - Rn. 14 mwN; 19.05.1998 - 9 AZR 327/96 - Rn. 16 mwN; Baumbach/Hopt/Roth 37. Aufl. HGB § 75 Rn. 2 mwN). Die Beklagte wurde dadurch von ihrer Pflicht zur Zahlung der Karenzentschädigung frei, musste dafür aber ihren Unterlassungsanspruch opfern. Hierauf hat sie den Kläger in ihrem Schreiben vom 02.06.2016 ausdrücklich hingewiesen, indem sie ausgeführt hat, dass das mit Aufhebungsvertrag vom 02./18.05.2016 vereinbarte Wettbewerbsverbot und die mit ihm im Zusammenhang stehenden Regelungen 4.1 bis 4.7 ab sofort ihre Gültigkeit verlieren.

213

5.  Der Klageantrag zu 5) ist teilweise begründet. Der Kläger kann von der Beklagten gem. § 109 Abs. 1 Satz 2 und Satz 3 GewO ein qualifiziertes Arbeitszeugnis beanspruchen. Darüber herrscht kein Streit. Das Zeugnis muss allerdings nicht wie vom Kläger beantragt "das Ausstellungsdatum 31.10.2016" enthalten, weil das Arbeitsverhältnis bereits mit Zugang der außerordentlichen Kündigung der Beklagten vom 02.06.2016 geendet hat. Den weiteren Antragsteilen - "wohlwollendes" Zeugnis, das "sein weiteres berufliches Fortkommen nicht hindern wird" - war mangels Bestimmtheit nicht stattzugeben. Es bleibt Sache des Arbeitgebers, das Zeugnis im Einzelnen abzufassen, wobei die Formulierung in seinem pflichtgemäßen Ermessen steht (vgl. BAG 14.02.2017 - 9 AZB 49/16 - Rn. 11 mwN).

214

6. Die Widerklage ist teilweise begründet. Die Beklagte hat gegenüber dem Kläger aus § 62 Abs. 2 ArbGG iVm. § 717 Abs. 2 Satz 1 ZPO einen Anspruch auf Rückzahlung von € 570.836,84 nebst Zinsen. Die weitergehende Widerklage war abzuweisen. Dies ist bei der Tenorierung versehentlich unterblieben.

215

Die Vorschrift des § 717 Abs. 2 ZPO soll gewährleisten, dass derjenige, der aufgrund eines vorläufig vollstreckbaren Urteils in Anspruch genommen wird, seine Leistung zur Abwehr der Vollstreckung nach Aufhebung des Titels sogleich zurückerhält. Dies ist auf den allgemeinen Rechtsgedanken zurückzuführen, dass der Gläubiger aus einem noch nicht endgültigen Titel auf eigene Gefahr vollstreckt. Nach einer Aufhebung oder Änderung des nur vorläufigen Titels, der den Gläubiger zur vorzeitigen Vollstreckung berechtigt, soll der daraus folgende Schaden des Schuldners aufgrund einer schuldunabhängigen Risikohaftung des Gläubigers ausgeglichen werden.

216

Von der Widerklageforderung in einer Gesamthöhe von € 578.753,51 war die Sonderzahlung für 2016 iHv. € 7.916,67 brutto abzusetzen, die die Beklagte dem Kläger (wie oben unter Ziff. 3 ausgeführt) schuldet. Bei teilweiser Abänderung ist nur der Schaden zu ersetzen, der durch die Vollstreckung des aufgehobenen Teils entstanden ist (vgl. MüKoZPO/Götz ZPO 5. Aufl. § 717 Rn. 18).

217

Die Beklagte zahlte an den empfangsberechtigten Prozessbevollmächtigten des Klägers nach ihrer unbestrittenen Zahlungsaufstellung (Bl. 1068 d.A.) und den vorgelegten Belegen am 31.07.2017 einen Betrag von € 32.097,50 netto, am 15.08.2017 einen Betrag von € 285.887,90 netto und am 22.08.2017 einen weiteren Betrag von € 1.379,48 netto, auch auf Zinsen und Kosten. Außerdem führte sie an das Finanzamt Lohnsteuer iHv. € 245.866,00 und Solidaritätszuschlag iHv. € 13.522,63 ab. Der Schadensersatzanspruch aus § 717 Abs. 2 ZPO umfasst bei einem zur Abwendung der Zwangsvollstreckung gezahlten Entgeltbetrag, wenn der Arbeitgeber - wie hier - zur Zahlung des Bruttobetrags verurteilt worden ist, die vom Arbeitgeber für den Arbeitnehmer gezahlte Lohnsteuer, den Solidaritätszuschlag und ggf. die Kirchensteuer (vgl. BAG 18.09.2012 - 9 AZR 1/11 - Rn. 42). Im Rahmen des § 717 Abs. 2 ZPO ist nicht maßgeblich, ob und ggf. was der Kläger erlangte, sondern der bei der Beklagten eingetretene Schaden. Dies ist der insgesamt gezahlte Betrag. Der gestaffelte Zinsanspruch folgt aus § 717 Abs. 2 Satz 2 ZPO iVm. § 291, 288 Abs. 1 BGB.

III.

218

Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits gem. §§ 91 Abs. 1, 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO zu tragen. Der Anteil des Unterliegens der Beklagten ist gemessen am geforderten Gesamtbetrag verhältnismäßig geringfügig und hat keine höheren Kosten veranlasst.

219

Die Zulassung der Revision war nicht veranlasst, weil hierfür die gesetzlichen Voraussetzungen (§ 72 Abs. 2 ArbGG) nicht vorliegen.

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Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Zivilprozessordnung - ZPO | § 91 Grundsatz und Umfang der Kostenpflicht


(1) Die unterliegende Partei hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, insbesondere die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Die Kostenerstattung um

Arbeitsgerichtsgesetz - ArbGG | § 72 Grundsatz


(1) Gegen das Endurteil eines Landesarbeitsgerichts findet die Revision an das Bundesarbeitsgericht statt, wenn sie in dem Urteil des Landesarbeitsgerichts oder in dem Beschluß des Bundesarbeitsgerichts nach § 72a Abs. 5 Satz 2 zugelassen worden ist.

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 288 Verzugszinsen und sonstiger Verzugsschaden


#BJNR001950896BJNE028103377 (1) Eine Geldschuld ist während des Verzugs zu verzinsen. Der Verzugszinssatz beträgt für das Jahr fünf Prozentpunkte über dem Basiszinssatz. (2) Bei Rechtsgeschäften, an denen ein Verbraucher nicht beteiligt ist, betr

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 286 Verzug des Schuldners


#BJNR001950896BJNE027902377 (1) Leistet der Schuldner auf eine Mahnung des Gläubigers nicht, die nach dem Eintritt der Fälligkeit erfolgt, so kommt er durch die Mahnung in Verzug. Der Mahnung stehen die Erhebung der Klage auf die Leistung sowie die Z

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 133 Auslegung einer Willenserklärung


Bei der Auslegung einer Willenserklärung ist der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften.

Arbeitsgerichtsgesetz - ArbGG | § 64 Grundsatz


(1) Gegen die Urteile der Arbeitsgerichte findet, soweit nicht nach § 78 das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde gegeben ist, die Berufung an die Landesarbeitsgerichte statt. (2) Die Berufung kann nur eingelegt werden, a) wenn sie in dem Urtei

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 157 Auslegung von Verträgen


Verträge sind so auszulegen, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.

Zivilprozessordnung - ZPO | § 520 Berufungsbegründung


(1) Der Berufungskläger muss die Berufung begründen. (2) Die Frist für die Berufungsbegründung beträgt zwei Monate und beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach der

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 5


(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Fi

Zivilprozessordnung - ZPO | § 519 Berufungsschrift


(1) Die Berufung wird durch Einreichung der Berufungsschrift bei dem Berufungsgericht eingelegt. (2) Die Berufungsschrift muss enthalten:1.die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Berufung gerichtet wird;2.die Erklärung, dass gegen dieses Urtei

Arbeitsgerichtsgesetz - ArbGG | § 66 Einlegung der Berufung, Terminbestimmung


(1) Die Frist für die Einlegung der Berufung beträgt einen Monat, die Frist für die Begründung der Berufung zwei Monate. Beide Fristen beginnen mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Mona

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 626 Fristlose Kündigung aus wichtigem Grund


(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unte

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 291 Prozesszinsen


Eine Geldschuld hat der Schuldner von dem Eintritt der Rechtshängigkeit an zu verzinsen, auch wenn er nicht im Verzug ist; wird die Schuld erst später fällig, so ist sie von der Fälligkeit an zu verzinsen. Die Vorschriften des § 288 Abs. 1 Satz 2, Ab

Arbeitsgerichtsgesetz - ArbGG | § 69 Urteil


(1) Das Urteil nebst Tatbestand und Entscheidungsgründen ist von sämtlichen Mitgliedern der Kammer zu unterschreiben. § 60 Abs. 1 bis 3 und Abs. 4 Satz 2 bis 4 ist entsprechend mit der Maßgabe anzuwenden, dass die Frist nach Absatz 4 Satz 3 vier Woch

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 241 Pflichten aus dem Schuldverhältnis


(1) Kraft des Schuldverhältnisses ist der Gläubiger berechtigt, von dem Schuldner eine Leistung zu fordern. Die Leistung kann auch in einem Unterlassen bestehen. (2) Das Schuldverhältnis kann nach seinem Inhalt jeden Teil zur Rücksicht auf die Re

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 278 Verantwortlichkeit des Schuldners für Dritte


Der Schuldner hat ein Verschulden seines gesetzlichen Vertreters und der Personen, deren er sich zur Erfüllung seiner Verbindlichkeit bedient, in gleichem Umfang zu vertreten wie eigenes Verschulden. Die Vorschrift des § 276 Abs. 3 findet keine Anwen

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 276 Verantwortlichkeit des Schuldners


(1) Der Schuldner hat Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten, wenn eine strengere oder mildere Haftung weder bestimmt noch aus dem sonstigen Inhalt des Schuldverhältnisses, insbesondere aus der Übernahme einer Garantie oder eines Beschaffungsrisikos

Betriebsverfassungsgesetz - BetrVG | § 102 Mitbestimmung bei Kündigungen


(1) Der Betriebsrat ist vor jeder Kündigung zu hören. Der Arbeitgeber hat ihm die Gründe für die Kündigung mitzuteilen. Eine ohne Anhörung des Betriebsrats ausgesprochene Kündigung ist unwirksam. (2) Hat der Betriebsrat gegen eine ordentliche Kün

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 615 Vergütung bei Annahmeverzug und bei Betriebsrisiko


Kommt der Dienstberechtigte mit der Annahme der Dienste in Verzug, so kann der Verpflichtete für die infolge des Verzugs nicht geleisteten Dienste die vereinbarte Vergütung verlangen, ohne zur Nachleistung verpflichtet zu sein. Er muss sich jedoch de

Betriebsverfassungsgesetz - BetrVG | § 5 Arbeitnehmer


(1) Arbeitnehmer (Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer) im Sinne dieses Gesetzes sind Arbeiter und Angestellte einschließlich der zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten, unabhängig davon, ob sie im Betrieb, im Außendienst oder mit Telearbeit beschäfti

Zivilprozessordnung - ZPO | § 717 Wirkungen eines aufhebenden oder abändernden Urteils


(1) Die vorläufige Vollstreckbarkeit tritt mit der Verkündung eines Urteils, das die Entscheidung in der Hauptsache oder die Vollstreckbarkeitserklärung aufhebt oder abändert, insoweit außer Kraft, als die Aufhebung oder Abänderung ergeht. (2) Wi

Aktiengesetz - AktG | § 15 Verbundene Unternehmen


Verbundene Unternehmen sind rechtlich selbständige Unternehmen, die im Verhältnis zueinander in Mehrheitsbesitz stehende Unternehmen und mit Mehrheit beteiligte Unternehmen (§ 16), abhängige und herrschende Unternehmen (§ 17), Konzernunternehmen (§ 1

Gewerbeordnung - GewO | § 109 Zeugnis


(1) Der Arbeitnehmer hat bei Beendigung eines Arbeitsverhältnisses Anspruch auf ein schriftliches Zeugnis. Das Zeugnis muss mindestens Angaben zu Art und Dauer der Tätigkeit (einfaches Zeugnis) enthalten. Der Arbeitnehmer kann verlangen, dass sich di

Arbeitsgerichtsgesetz - ArbGG | § 62 Zwangsvollstreckung


(1) Urteile der Arbeitsgerichte, gegen die Einspruch oder Berufung zulässig ist, sind vorläufig vollstreckbar. Macht der Beklagte glaubhaft, daß die Vollstreckung ihm einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde, so hat das Arbeitsgericht auf se

Handelsgesetzbuch - HGB | § 74c


(1) Der Handlungsgehilfe muß sich auf die fällige Entschädigung anrechnen lassen, was er während des Zeitraums, für den die Entschädigung gezahlt wird, durch anderweite Verwertung seiner Arbeitskraft erwirbt oder zu erwerben böswillig unterläßt, sowe

Handelsgesetzbuch - HGB | § 75


(1) Löst der Gehilfe das Dienstverhältnis gemäß den Vorschriften der§§ 70 und 71wegen vertragswidrigen Verhaltens des Prinzipals auf, so wird das Wettbewerbverbot unwirksam, wenn der Gehilfe vor Ablauf eines Monats nach der Kündigung schriftlich erkl

Handelsgesetzbuch - HGB | § 75a


Der Prinzipal kann vor der Beendigung des Dienstverhältnisses durch schriftliche Erklärung auf das Wettbewerbverbot mit der Wirkung verzichten, daß er mit dem Ablauf eines Jahres seit der Erklärung von der Verpflichtung zur Zahlung der Entschädigung

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Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz Urteil, 08. Feb. 2018 - 5 Sa 324/17 zitiert oder wird zitiert von 4 Urteil(en).

Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz Urteil, 08. Feb. 2018 - 5 Sa 324/17 zitiert 4 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundesarbeitsgericht Urteil, 01. Juni 2017 - 6 AZR 720/15

bei uns veröffentlicht am 01.06.2017

Tenor 1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom 16. Juli 2015 - 9 Sa 15/15 - aufgehoben.

Bundesarbeitsgericht Urteil, 20. Nov. 2014 - 2 AZR 651/13

bei uns veröffentlicht am 20.11.2014

Tenor Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 12. Juni 2013 - 7 Sa 1878/12 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Bundesarbeitsgericht Urteil, 27. Sept. 2012 - 2 AZR 646/11

bei uns veröffentlicht am 27.09.2012

Tenor Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 7. April 2011 - 11 Sa 58/11 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Bundesarbeitsgericht Urteil, 18. Sept. 2012 - 9 AZR 1/11

bei uns veröffentlicht am 18.09.2012

Tenor 1. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg - Kammern Freiburg - vom 2. Dezember 2010 - 22 Sa 59/10 - wird zurückgewiesen.

Referenzen

Kommt der Dienstberechtigte mit der Annahme der Dienste in Verzug, so kann der Verpflichtete für die infolge des Verzugs nicht geleisteten Dienste die vereinbarte Vergütung verlangen, ohne zur Nachleistung verpflichtet zu sein. Er muss sich jedoch den Wert desjenigen anrechnen lassen, was er infolge des Unterbleibens der Dienstleistung erspart oder durch anderweitige Verwendung seiner Dienste erwirbt oder zu erwerben böswillig unterlässt. Die Sätze 1 und 2 gelten entsprechend in den Fällen, in denen der Arbeitgeber das Risiko des Arbeitsausfalls trägt.

Verbundene Unternehmen sind rechtlich selbständige Unternehmen, die im Verhältnis zueinander in Mehrheitsbesitz stehende Unternehmen und mit Mehrheit beteiligte Unternehmen (§ 16), abhängige und herrschende Unternehmen (§ 17), Konzernunternehmen (§ 18), wechselseitig beteiligte Unternehmen (§ 19) oder Vertragsteile eines Unternehmensvertrags (§§ 291, 292) sind.

(1) Das Urteil nebst Tatbestand und Entscheidungsgründen ist von sämtlichen Mitgliedern der Kammer zu unterschreiben. § 60 Abs. 1 bis 3 und Abs. 4 Satz 2 bis 4 ist entsprechend mit der Maßgabe anzuwenden, dass die Frist nach Absatz 4 Satz 3 vier Wochen beträgt und im Falle des Absatzes 4 Satz 4 Tatbestand und Entscheidungsgründe von sämtlichen Mitgliedern der Kammer zu unterschreiben sind.

(2) Im Urteil kann von der Darstellung des Tatbestandes und, soweit das Berufungsgericht den Gründen der angefochtenen Entscheidung folgt und dies in seinem Urteil feststellt, auch von der Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen werden.

(3) Ist gegen das Urteil die Revision statthaft, so soll der Tatbestand eine gedrängte Darstellung des Sach- und Streitstandes auf der Grundlage der mündlichen Vorträge der Parteien enthalten. Eine Bezugnahme auf das angefochtene Urteil sowie auf Schriftsätze, Protokolle und andere Unterlagen ist zulässig, soweit hierdurch die Beurteilung des Parteivorbringens durch das Revisionsgericht nicht wesentlich erschwert wird.

(4) § 540 Abs. 1 der Zivilprozessordnung findet keine Anwendung. § 313a Abs. 1 Satz 2 der Zivilprozessordnung findet mit der Maßgabe entsprechende Anwendung, dass es keiner Entscheidungsgründe bedarf, wenn die Parteien auf sie verzichtet haben; im Übrigen sind die §§ 313a und 313b der Zivilprozessordnung entsprechend anwendbar.

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

(1) Löst der Gehilfe das Dienstverhältnis gemäß den Vorschriften der§§ 70 und 71wegen vertragswidrigen Verhaltens des Prinzipals auf, so wird das Wettbewerbverbot unwirksam, wenn der Gehilfe vor Ablauf eines Monats nach der Kündigung schriftlich erklärt, daß er sich an die Vereinbarung nicht gebunden erachte.

(2) In gleicher Weise wird das Wettbewerbsverbot unwirksam, wenn der Prinzipal das Dienstverhältnis kündigt, es sei denn, daß für die Kündigung ein erheblicher Anlaß in der Person des Gehilfen vorliegt oder daß sich der Prinzipal bei der Kündigung bereit erklärt, während der Dauer der Beschränkung dem Gehilfen die vollen zuletzt von ihm bezogenen vertragsmäßigen Leistungen zu gewähren. Im letzteren Falle finden die Vorschriften des § 74b entsprechende Anwendung.

(3) Löst der Prinzipal das Dienstverhältnis gemäß den Vorschriften der§§ 70 und 72wegen vertragswidrigen Verhaltens des Gehilfen auf, so hat der Gehilfe keinen Anspruch auf die Entschädigung.

Der Prinzipal kann vor der Beendigung des Dienstverhältnisses durch schriftliche Erklärung auf das Wettbewerbverbot mit der Wirkung verzichten, daß er mit dem Ablauf eines Jahres seit der Erklärung von der Verpflichtung zur Zahlung der Entschädigung frei wird.

(1) Der Handlungsgehilfe muß sich auf die fällige Entschädigung anrechnen lassen, was er während des Zeitraums, für den die Entschädigung gezahlt wird, durch anderweite Verwertung seiner Arbeitskraft erwirbt oder zu erwerben böswillig unterläßt, soweit die Entschädigung unter Hinzurechnung dieses Betrags den Betrag der zuletzt von ihm bezogenen vertragsmäßigen Leistungen um mehr als ein Zehntel übersteigen würde. Ist der Gehilfe durch das Wettbewerbsverbot gezwungen worden, seinen Wohnsitz zu verlegen, so tritt an die Stelle des Betrags von einem Zehntel der Betrag von einem Viertel. Für die Dauer der Verbüßung einer Freiheitsstrafe kann der Gehilfe eine Entschädigung nicht verlangen.

(2) Der Gehilfe ist verpflichtet, dem Prinzipal auf Erfordern über die Höhe seines Erwerbes Auskunft zu erteilen.

(1) Das Urteil nebst Tatbestand und Entscheidungsgründen ist von sämtlichen Mitgliedern der Kammer zu unterschreiben. § 60 Abs. 1 bis 3 und Abs. 4 Satz 2 bis 4 ist entsprechend mit der Maßgabe anzuwenden, dass die Frist nach Absatz 4 Satz 3 vier Wochen beträgt und im Falle des Absatzes 4 Satz 4 Tatbestand und Entscheidungsgründe von sämtlichen Mitgliedern der Kammer zu unterschreiben sind.

(2) Im Urteil kann von der Darstellung des Tatbestandes und, soweit das Berufungsgericht den Gründen der angefochtenen Entscheidung folgt und dies in seinem Urteil feststellt, auch von der Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen werden.

(3) Ist gegen das Urteil die Revision statthaft, so soll der Tatbestand eine gedrängte Darstellung des Sach- und Streitstandes auf der Grundlage der mündlichen Vorträge der Parteien enthalten. Eine Bezugnahme auf das angefochtene Urteil sowie auf Schriftsätze, Protokolle und andere Unterlagen ist zulässig, soweit hierdurch die Beurteilung des Parteivorbringens durch das Revisionsgericht nicht wesentlich erschwert wird.

(4) § 540 Abs. 1 der Zivilprozessordnung findet keine Anwendung. § 313a Abs. 1 Satz 2 der Zivilprozessordnung findet mit der Maßgabe entsprechende Anwendung, dass es keiner Entscheidungsgründe bedarf, wenn die Parteien auf sie verzichtet haben; im Übrigen sind die §§ 313a und 313b der Zivilprozessordnung entsprechend anwendbar.

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

(1) Urteile der Arbeitsgerichte, gegen die Einspruch oder Berufung zulässig ist, sind vorläufig vollstreckbar. Macht der Beklagte glaubhaft, daß die Vollstreckung ihm einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde, so hat das Arbeitsgericht auf seinen Antrag die vorläufige Vollstreckbarkeit im Urteil auszuschließen. In den Fällen des § 707 Abs. 1 und des § 719 Abs. 1 der Zivilprozeßordnung kann die Zwangsvollstreckung nur unter derselben Voraussetzung eingestellt werden. Die Einstellung der Zwangsvollstreckung nach Satz 3 erfolgt ohne Sicherheitsleistung. Die Entscheidung ergeht durch unanfechtbaren Beschluss.

(2) Im übrigen finden auf die Zwangsvollstreckung einschließlich des Arrests und der einstweiligen Verfügung die Vorschriften des Achten Buchs der Zivilprozeßordnung Anwendung. Die Entscheidung über den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung kann in dringenden Fällen, auch dann, wenn der Antrag zurückzuweisen ist, ohne mündliche Verhandlung ergehen. Eine in das Schutzschriftenregister nach § 945a Absatz 1 der Zivilprozessordnung eingestellte Schutzschrift gilt auch als bei allen Arbeitsgerichten der Länder eingereicht.

(1) Gegen die Urteile der Arbeitsgerichte findet, soweit nicht nach § 78 das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde gegeben ist, die Berufung an die Landesarbeitsgerichte statt.

(2) Die Berufung kann nur eingelegt werden,

a)
wenn sie in dem Urteil des Arbeitsgerichts zugelassen worden ist,
b)
wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600 Euro übersteigt,
c)
in Rechtsstreitigkeiten über das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses oder
d)
wenn es sich um ein Versäumnisurteil handelt, gegen das der Einspruch an sich nicht statthaft ist, wenn die Berufung oder Anschlussberufung darauf gestützt wird, dass der Fall der schuldhaften Versäumung nicht vorgelegen habe.

(3) Das Arbeitsgericht hat die Berufung zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
die Rechtssache Rechtsstreitigkeiten betrifft
a)
zwischen Tarifvertragsparteien aus Tarifverträgen oder über das Bestehen oder Nichtbestehen von Tarifverträgen,
b)
über die Auslegung eines Tarifvertrags, dessen Geltungsbereich sich über den Bezirk eines Arbeitsgerichts hinaus erstreckt, oder
c)
zwischen tariffähigen Parteien oder zwischen diesen und Dritten aus unerlaubten Handlungen, soweit es sich um Maßnahmen zum Zwecke des Arbeitskampfs oder um Fragen der Vereinigungsfreiheit einschließlich des hiermit im Zusammenhang stehenden Betätigungsrechts der Vereinigungen handelt, oder
3.
das Arbeitsgericht in der Auslegung einer Rechtsvorschrift von einem ihm im Verfahren vorgelegten Urteil, das für oder gegen eine Partei des Rechtsstreits ergangen ist, oder von einem Urteil des im Rechtszug übergeordneten Landesarbeitsgerichts abweicht und die Entscheidung auf dieser Abweichung beruht.

(3a) Die Entscheidung des Arbeitsgerichts, ob die Berufung zugelassen oder nicht zugelassen wird, ist in den Urteilstenor aufzunehmen. Ist dies unterblieben, kann binnen zwei Wochen ab Verkündung des Urteils eine entsprechende Ergänzung beantragt werden. Über den Antrag kann die Kammer ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

(4) Das Landesarbeitsgericht ist an die Zulassung gebunden.

(5) Ist die Berufung nicht zugelassen worden, hat der Berufungskläger den Wert des Beschwerdegegenstands glaubhaft zu machen; zur Versicherung an Eides Statt darf er nicht zugelassen werden.

(6) Für das Verfahren vor den Landesarbeitsgerichten gelten, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Berufung entsprechend. Die Vorschriften über das Verfahren vor dem Einzelrichter finden keine Anwendung.

(7) Die Vorschriften der §§ 46c bis 46g, 49 Abs. 1 und 3, des § 50, des § 51 Abs. 1, der §§ 52, 53, 55 Abs. 1 Nr. 1 bis 9, Abs. 2 und 4, des § 54 Absatz 6, des § 54a, der §§ 56 bis 59, 61 Abs. 2 und 3 und der §§ 62 und 63 über den elektronischen Rechtsverkehr, Ablehnung von Gerichtspersonen, Zustellungen, persönliches Erscheinen der Parteien, Öffentlichkeit, Befugnisse des Vorsitzenden und der ehrenamtlichen Richter, Güterichter, Mediation und außergerichtliche Konfliktbeilegung, Vorbereitung der streitigen Verhandlung, Verhandlung vor der Kammer, Beweisaufnahme, Versäumnisverfahren, Inhalt des Urteils, Zwangsvollstreckung und Übersendung von Urteilen in Tarifvertragssachen gelten entsprechend.

(8) Berufungen in Rechtsstreitigkeiten über das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses sind vorrangig zu erledigen.

(1) Die Frist für die Einlegung der Berufung beträgt einen Monat, die Frist für die Begründung der Berufung zwei Monate. Beide Fristen beginnen mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung. Die Berufung muß innerhalb einer Frist von einem Monat nach Zustellung der Berufungsbegründung beantwortet werden. Mit der Zustellung der Berufungsbegründung ist der Berufungsbeklagte auf die Frist für die Berufungsbeantwortung hinzuweisen. Die Fristen zur Begründung der Berufung und zur Berufungsbeantwortung können vom Vorsitzenden einmal auf Antrag verlängert werden, wenn nach seiner freien Überzeugung der Rechtsstreit durch die Verlängerung nicht verzögert wird oder wenn die Partei erhebliche Gründe darlegt.

(2) Die Bestimmung des Termins zur mündlichen Verhandlung muss unverzüglich erfolgen. § 522 Abs. 1 der Zivilprozessordnung bleibt unberührt; die Verwerfung der Berufung ohne mündliche Verhandlung ergeht durch Beschluss des Vorsitzenden. § 522 Abs. 2 und 3 der Zivilprozessordnung findet keine Anwendung.

(1) Die Berufung wird durch Einreichung der Berufungsschrift bei dem Berufungsgericht eingelegt.

(2) Die Berufungsschrift muss enthalten:

1.
die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Berufung gerichtet wird;
2.
die Erklärung, dass gegen dieses Urteil Berufung eingelegt werde.

(3) Mit der Berufungsschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils vorgelegt werden.

(4) Die allgemeinen Vorschriften über die vorbereitenden Schriftsätze sind auch auf die Berufungsschrift anzuwenden.

(1) Der Berufungskläger muss die Berufung begründen.

(2) Die Frist für die Berufungsbegründung beträgt zwei Monate und beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung. Die Frist kann auf Antrag von dem Vorsitzenden verlängert werden, wenn der Gegner einwilligt. Ohne Einwilligung kann die Frist um bis zu einem Monat verlängert werden, wenn nach freier Überzeugung des Vorsitzenden der Rechtsstreit durch die Verlängerung nicht verzögert wird oder wenn der Berufungskläger erhebliche Gründe darlegt.

(3) Die Berufungsbegründung ist, sofern sie nicht bereits in der Berufungsschrift enthalten ist, in einem Schriftsatz bei dem Berufungsgericht einzureichen. Die Berufungsbegründung muss enthalten:

1.
die Erklärung, inwieweit das Urteil angefochten wird und welche Abänderungen des Urteils beantragt werden (Berufungsanträge);
2.
die Bezeichnung der Umstände, aus denen sich die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergibt;
3.
die Bezeichnung konkreter Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen im angefochtenen Urteil begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten;
4.
die Bezeichnung der neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel sowie der Tatsachen, auf Grund derer die neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel nach § 531 Abs. 2 zuzulassen sind.

(4) Die Berufungsbegründung soll ferner enthalten:

1.
die Angabe des Wertes des nicht in einer bestimmten Geldsumme bestehenden Beschwerdegegenstandes, wenn von ihm die Zulässigkeit der Berufung abhängt;
2.
eine Äußerung dazu, ob einer Entscheidung der Sache durch den Einzelrichter Gründe entgegenstehen.

(5) Die allgemeinen Vorschriften über die vorbereitenden Schriftsätze sind auch auf die Berufungsbegründung anzuwenden.

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

(1) Kraft des Schuldverhältnisses ist der Gläubiger berechtigt, von dem Schuldner eine Leistung zu fordern. Die Leistung kann auch in einem Unterlassen bestehen.

(2) Das Schuldverhältnis kann nach seinem Inhalt jeden Teil zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils verpflichten.

Tenor

1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom 16. Juli 2015 - 9 Sa 15/15 - aufgehoben.

2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit zweier Kündigungen des Beklagten.

2

Der Beklagte ist ein gemeinnütziger eingetragener Verein, dessen Zweck die Förderung der Unfallverhütung ist. Er bildet den Dachverband für seine örtlichen Mitgliedsverbände und beschäftigt nicht mehr als zehn Arbeitnehmer. Seine Satzung enthält in der Fassung vom 27. April 2013 auszugsweise folgende Bestimmungen:

        

§ 4   

        

Mitgliedschaft

        

(1)     

Ordentliche Mitglieder der Landesverkehrswacht sind:

                 

a.)     

die örtlichen Verkehrswachten

                 

b.)     

die Mitglieder des Vorstandes

        

...     

        
        

§ 10   

        

Vorstand

        

(1)     

Der Vorstand besteht aus

                 

- dem Präsidenten

                 

- drei Vizepräsidenten

                 

- dem Schatzmeister

                 

- dem Schriftführer

                 

- bis zu zehn Beisitzern

        

(2)     

Der Vorstand ist verantwortlich für die Durchführung der Verkehrswachtarbeit. Er beschließt über alle im ganzen Land einheitlich durchzuführenden Maßnahmen, soweit sie sich auf den Zweck des Vereins gemäß § 2 dieser Satzung beziehen. Diese Beschlüsse sind für alle örtlichen Verkehrswachten bindend.

        

...     

        
        

§ 11   

        

Präsidium

        

(1)     

Das Präsidium besteht aus

                 

- dem Präsidenten

                 

- den drei Vizepräsidenten

                 

- dem Schatzmeister

        

(2)     

Je zwei Mitglieder des Präsidiums vertreten gemeinsam die Landesverkehrswacht Sachsen.

        

(3)     

Das Präsidium leitet die Landesverkehrswacht und beschließt über deren laufende Geschäfte, soweit sie nicht nach der Satzung in die Zuständigkeit anderer Vereinsorgane fallen. Das Präsidium ist beschlussfähig, wenn drei Mitglieder anwesend sind.

        

(4)     

Das Präsidium bleibt bis zur Wahl von Nachfolgern im Amt. Zur Aufrechterhaltung seiner Arbeitsfähigkeit kann der Vorstand eines seiner Mitglieder bis zur Wahl mit der Wahrnehmung der Geschäfte eines Präsidiumsmitgliedes beauftragen.

                 

…       

        

§ 12   

        

Geschäftsführung

        

(1)     

Am Sitz der Landesverkehrswacht Sachsen wird eine Geschäftsstelle unterhalten, die von einem Geschäftsführer oder einer Geschäftsführerin geleitet wird.

        

(2)     

Der (die) Geschäftsführer(in) wird vom Präsidium angestellt und bei Erfordernis vom Präsidium entlassen.

                          
        

...“   

        
3

Die 1961 geborene Klägerin war zuletzt auf der Grundlage eines schriftlichen Arbeitsvertrags vom 1. November 2011 für den Beklagten als dessen Geschäftsführerin tätig. Der Vertrag bestimmt die Geltung des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) vom 12. Oktober 2006.

4

Im Frühjahr 2013 kam es zwischen der Klägerin und dem damaligen Präsidenten K sowie dem Schatzmeister L zu Unstimmigkeiten bzgl. der Behandlung angeblicher Überstunden der Klägerin und Reisekostenabrechnungen des Präsidenten. Die Klägerin beauftragte daraufhin einen Rechtsanwalt mit der Abfassung eines Schreibens an den Präsidenten, das auch den weiteren Mitgliedern des Präsidiums zur Kenntnis gegeben werden sollte. In einer E-Mail der Klägerin an ihren Rechtsanwalt vom 12. August 2013 heißt es ua.:

        

„Der Präsident und der Schatzmeister lehnen es momentan nur mündlich ab, dass Sie von Überstunden Kenntnis hatten. D.h. er geht davon aus, dass eine mit 40 Std. beschäftigte Geschäftsführerin eine mit 40 Std. angestellte Buchhalterin in der eigentlichen Arbeitszeit ersetzen kann. Das ist aber nicht mein Problem.

        

Ich möchte nämlich unserem Präsidenten nachweisen, dass er durch sein Verhalten unseren Verein wirtschaftlich sehr schadet.

        

Wir sind als LVW projektgefördert beim SMWA und beim SMI. D.h. wir bekommen pro vertraglich vereinbarten Projekt Projektkosten und Regiekosten.

        

Unsere Regiekosten können wir pro fürs Projekt geleisteter Stunde mit 37,47 € den Ministerien und bis zu einer Höhe von 12.000,00 € auch der Deutschen Verkehrswacht in Rechnung stellen.

        

…       

        

Da es Herr K gemeinsam mit Herrn L ablehnt, von Überstunden etwas zu wissen, (da will mich einer ärgern) gehe ich jetzt davon aus, dass keine Anordnung erfolgte. Dadurch sind die Überstunden ja eigentlich gar nicht entstanden und damit kann ich die nun mittlerweile 300 Überstunden auch nicht einem Ministerium gegenüber abrechnen. Daher entgehen uns momentan 11.241,00 € als Verein. …

        

Wäre das ein Ansatz, bei dem man sagen kann das durch die Fehlentscheidung des Präsidenten und des Schatzmeisters ein wirtschaftlicher Schaden … entstanden ist? Nun habe ich die Entscheidung ja nicht schriftlich, so dass der Präsident ja wie er es momentan gern tut sagen kann, das habe ich nicht so gesagt oder eben anders gemeint.

        

Ich hätte von der Taktik her eine Frage, ob ich Ihm ein Schreiben diesbezüglich abfordern kann welches in etwa so lautet:

        

Sehr geehrter Herr K,

        

im Protokoll der Präsidiumssitzung vom 15.07.2013 und vom Personalgespräch vom 23.07.2013 wird nichts über das Handling der von mir geleisteten Stunden in Vertretung von Frau F geschrieben. Auf Nachfrage bei Herrn R teilte dieser mir mit, dass er das Thema in der Präsidiumssitzung kurz angesprochen hat und Herr L geäußert hätte, dass Sie und Herr L das entschieden haben, dass ich diese Stunden ohne Ihr Wissen geleistet habe. Da ich ja nicht wieder Gefahr laufen möchte mir berichtete Dinge falsch wieder zu geben hätte ich dazu gern eine klare Aussage von Ihnen.

        

Mir wäre sehr wichtig, dass Herr K dies ablehnt, denn bei einer wirtschaftlichen Schädigung des Vereins sehen unsere Verkehrswachten rot. …“

5

Eine weitere E-Mail der Klägerin an ihren Rechtsanwalt vom 22. August 2013 enthält folgende Passage:

        

„Abgestimmt haben wir dass Sie in meinem Namen ein Schreiben an Herrn K und in Kenntnis der anderen Präsidiumsmitglieder schicken, in denen die Vorwürfe stehen. Allerdings sind wir auch zur Erkenntnis gekommen, dass es von der Taktik her besser ist, dass die Präsidiumsmitglieder Herrn K am 11.09.2013 zur Präsidiumssitzung die Vertrauensfrage stellen sollten. Wenn er sich einsichtig zeigt, und seine Unterlagen nimmt und geht haben wir das erreicht was notwendig ist, wenn nicht werden wir danach handeln und die Verkehrswachten ins Boot holen. Damit kann aber dann auch jeder leben, da wir Ihm ja selbst die Wahl lassen, sich selbst zurückzuziehen und nicht mit den Verkehrswachten drohen. ...“

6

Der Rechtsanwalt fertigte unter dem Datum des 9. September 2013 ein entsprechendes Schreiben, welches allen Präsidiumsmitgliedern vor Beginn einer Präsidiumssitzung am 11. September 2013 zugegangen war. Dem Präsidium gehörten zu diesem Zeitpunkt neben dem Präsidenten die Vizepräsidenten Z, M, R sowie der Schatzmeister L an.

7

Unter dem Datum des 12. September 2013 wandte sich der Präsident mit folgendem Schreiben an die Mitglieder der örtlichen Verkehrswachten:

        

„Sehr geehrte Damen und Herren,

        

am 11.09.2013 fand in der Geschäftsstelle der Landesverkehrswacht Sachsen eine planmäßige Präsidiumssitzung statt. In dieser sollte auch geklärt werden, welche Aufgaben und Maßnahmen erforderlich sind, um die derzeit bestehenden Unstimmigkeiten zwischen dem Präsidium und der Geschäftsführerin zu beseitigen. Diese Unstimmigkeiten beziehen sich auf die inhaltliche Ausrichtung der Arbeit der Landesverkehrswacht und auf die Geschäftsführung durch Frau P im Besonderen.

        

Zu Beginn der Präsidiumssitzung erklärte der Vizepräsident Herr Z, dass er sein Wahlamt mit sofortiger Wirkung und unbefristet ruhen lässt. Über diese Entscheidung will er Sie persönlich informieren. Anschließend hat auch der Vizepräsident Herr R erklärt, dass er sein Wahlamt mit sofortiger Wirkung und unbefristet ruhen lässt. Damit können beide Herren bis zum Widerruf ihrer Entscheidung ihr Amt als Vizepräsident in der Landesverkehrswacht Sachsen e.V. nicht wahrnehmen. In der am gleichen Tag folgenden Vorstandssitzung habe ich die Vorstandsmitglieder über die bestehenden Unstimmigkeiten zwischen Präsidium und der Geschäftsführerin und über die Erklärungen der beiden Vizepräsidenten informiert.

        

Nach der Rückkehr des Schatzmeisters aus dem Urlaub, werde ich in der 39. KW eine außerordentliche Präsidiumssitzung einberufen, in welcher wir nach praktikablen Möglichkeiten zur Lösung des Problems suchen werden. Ich kann Ihnen versichern, dass ich mich dabei ausschließlich von den Interessen der Landesverkehrswacht und die der örtlichen Verkehrswachten leiten lassen werde. Über das Ergebnis werde ich Sie zeitnah informieren.

        

...“   

8

Am 15. September 2013 nahm die Klägerin per E-Mail Kontakt zu dem Vorsitzenden der Verkehrswacht „Z L“ auf. Auszugsweise heißt es darin:

        

„…    

        

nun mal zu dem Schreiben. Ich nehme an, dass du dir das Schreiben vom Präsident mal etwas genauer angeschaut hast. Nach meiner Auffassung (habe erst nächste Woche einen Termin beim RA) liefert er uns mehrere Steilvorlagen.

        

Schreiben 1. Abschnitt:

        

‚Diese Unstimmigkeiten beziehen sich auf die inhaltliche Ausrichtung der Arbeit der Landesverkehrswacht und auf die Geschäftsführung durch Frau P im Besonderen.‘

        

...     

        

Dies sagt uns nun, dass der Präsident der LVW Sachsen mit der Inhaltlichen Ausrichtung der LVW nicht einverstanden ist, denn die 2 ruhenden Vizepräsidenten z.B. Herr R werden wohl nichts gegen die Ausrichtung haben.

        

...     

        

Euer Schreiben müsste bitte an die LVW (Vorstand) adressiert werden. Ich warte im Moment noch auf eine Antwort des RA, ob als Zweck Abwahl des Präsidiums genannt werden kann. Bitte das Schreiben vorbereiten aber noch nicht abschicken. Ich melde mich dann sehr kurzfristig. Wichtig ist, dass das Schreiben bis 24.09.2013 bei uns sein muss.

        

...     

        

Momentan kann der Zweck so lauten:

        

Im Namen der Mitglieder der Gebietsverkehrswacht Z L e.V. fordere ich die umgehende Durchführung einer außerordentlichen Mitgliederversammlung um sich in dieser mit der fragwürdigen Arbeitsweise des Präsidenten und des Präsidiums auseinanderzusetzen. Der Zweck dieser außerordentlichen Mitgliederversammlung kann nach unserer Meinung nur die Abwahl des Präsidiums sein.“

9

In einer E-Mail vom selben Tag richtete die Klägerin ein Schreiben an die Verkehrswacht „S“. Darin schlug die Klägerin vor, ein Schreiben an die Vorstandsmitglieder des Beklagten mit folgendem Inhalt zu schicken:

        

„Sehr geehrte Vorstandsmitglieder,

        

mit dem Schreiben von Herrn K vom 12.09.2013 können wir uns nicht einverstanden erklären, im Gegenteil wir sind völlig Fassungslos.

        

Wie kommt ein Präsident der 8 Jahre Schatzmeister und nun bereits über 2 Jahre Präsident der LVW ist zu der plötzlichen Erkenntnis, dass er und seine Präsidiumsmitglieder mit der inhaltlichen Ausrichtung der Arbeit der Landesverkehrswacht Sachsen nicht einverstanden sind bzw. es derartige Unstimmigkeiten gibt, die dazu führen, dass zwei Präsidiumsmitglieder ihr Amt ruhen lassen?

        

...     

        

Wenn der Präsident schreibt das er sich ausschließlich von den Interessen der Landesverkehrswacht und die der örtlichen Verkehrswachten leiten lassen will, warum tritt er mit seinem ‚geschrumpften‘ Präsidium nicht zurück. Danach wäre ein Neuanfang für die sächsischen Verkehrswachten möglich. Vertrauen diesem Präsidium gegenüber ist von unserer Seite aus nicht mehr vorhanden.

        

Die Mitglieder der Verkehrswacht ‚S‘ fordern vom Vorstand der Landesverkehrswacht Sachsen e.V. die sofortige Einberufung einer außerordentlichen Mitgliederversammlung mit dem Grund Rechenschaftslegung des Präsidiums der Landesverkehrswacht Sachsen und dem Zweck der Abwahl des Präsidiums.“

10

Am 19. September 2013 versandte die Klägerin eine E-Mail an die Mitglieder des Beklagten. Darin heißt es:

        

„Sehr geehrte Mitglieder der Landesverkehrswacht,

        

wie ich bereits angekündigt habe, gibt es größere Probleme mit unserem Präsidenten. Am vergangenen Mittwoch fand die Präsidiums- und Vorstandssitzung statt bei der wir noch die Hoffnung hatten, dass unser Präsident Einsicht zeigt dass er hier nicht schalten und walten kann wie er will.

        

In dieser Präsidiumssitzung kam es nun zu der Situation dass 2 Vizepräsidenten ihre Funktion ruhen lassen. In der Vorstandssitzung danach wurde Herr K mehrfach aufgefordert, sein Amt niederzulegen. Alles fruchtete nicht. Nun bleibt nur noch die Möglichkeit, dass die Verkehrswachten und die natürlichen Mitglieder eine außerordentliche Mitgliederversammlung fordern. In dem beigefügten Schreiben sagt Herr K (wenn man es wirklich gut liest,) dass er mit der Inhaltlichen Ausrichtung der Arbeit der Landesverkehrswacht nicht einverstanden ist. Dann auch nicht mit der GF aber dass ist nur nebenbei. Ich bitte zu beachten, dass die Landesverkehrswacht unser Verein ist und unser Verein 60 Mitglieder hat und der Präsident nicht einverstanden ist mit der inhaltlichen Ausrichtung unseres Vereins. Ich benötige bitte von jedem Mitglied ein Schreiben, in dem man sein Unverständnis zum Ausdruck bringt über dieses Schreiben. Jeder der hier angeschriebenen wird hat sich für die Landesverkehrswacht eingesetzt.

        

Wichtig ist, dass in diesem Schreiben ein Grund angegeben werden muss. Dazu habe ich gerade einen Anwalt eingebunden. Ich schicke Ihnen spätestens am Montag dazu noch einmal ein paar Vorschläge. In der Hoffnung auf Ihre Unterstützung und das diese Situation nun endlich vorbei geht verbleibe ich

        

...“   

11

Die Vizepräsidenten R und Z nahmen ihre Funktionen wieder auf. Am 25. September 2013 fand eine Präsidiumssitzung statt, bei der auch die Klägerin anwesend war. Im Lauf dieser Sitzung richteten Mitglieder des Präsidiums Fragen an die Klägerin. Deren Inhalt ist zwischen den Parteien zum Teil streitig geblieben. Der Beklagte hat ein Protokoll der Sitzung vorgelegt, welches bzgl. der Befragung der Klägerin auszugsweise wie folgt lautet:

        

Frage: Welche Aktivitäten und Äußerungen haben Sie im Zusammenhang mit den von den örtlichen Verkehrswachten und den Mitgliedern der Landesverkehrswacht eingegangenen Briefen getätigt? Mit welcher Zielsetzung haben Sie die Gespräche in den örtlichen Verkehrswachten geführt? Welche Verkehrswachten haben Sie kontaktiert?

        

-       

Mit den eingegangenen Briefen habe ich nichts zu tun. Ich habe keine Gespräche diesbezüglich geführt.

        

…       

        

Frage: Was verstehen Sie unter Loyalität?

        

-       

Ich habe kein Vertrauensverhältnis zu Herrn K, daher kann ich ihm gegenüber nicht loyal sein.

        

Frage: Haben Sie noch etwas hinzuzufügen?

        

-       

Nein, ich habe nichts hinzuzufügen.“

12

Am 4. Oktober 2013 trat Herr R von seiner Funktion als Vizepräsident des Beklagten zurück. Ein Nachfolger wurde am 10. Mai 2014 gewählt.

13

In der Präsidiumssitzung am 7. Oktober 2013 beschlossen die damals verbliebenen Mitglieder des Präsidiums einstimmig, der Klägerin wegen grober Pflichtverletzungen eine fristlose, hilfsweise ordentliche Kündigung zu erklären. Das Kündigungsschreiben sollte durch den Präsidenten K und den Vizepräsidenten M unterschrieben werden. Der Klägerin ging ein solches Kündigungsschreiben mit Datum vom 7. Oktober 2013 am 9. Oktober 2013 zu.

14

Der Beklagte beauftragte nachfolgend eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft mit einer Begutachtung der Tätigkeit der Klägerin. Nach Vorlage der Ergebnisse kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin mit Schreiben vom 22. April 2014, der Klägerin zugegangen am 24. April 2014, erneut fristlos und hilfsweise ordentlich zum nächstmöglichen Termin.

15

Die Klägerin hat die Kündigungen für unwirksam gehalten. Sie seien schon mangels ordnungsgemäßer Beschlussfassung des Präsidiums unwirksam. Das Präsidium sei aufgrund des Rücktritts des Vizepräsidenten R bis zur Wahl seines Nachfolgers nicht vollständig besetzt gewesen, da eine Beauftragung nach § 11 Abs. 4 Satz 2 der Satzung nicht erfolgt sei. Die Satzung des Beklagten enthalte keine Bestimmung, wonach die Beschlussfähigkeit des Präsidiums auch dann gegeben wäre, wenn nicht alle Präsidiumsämter besetzt sind. § 11 Abs. 3 Satz 2 der Satzung, der die Anwesenheit von drei Präsidiumsmitgliedern für die Beschlussfähigkeit fordere, sei bei Ausscheiden eines Präsidiumsmitglieds nicht einschlägig. § 12 Abs. 2 der Satzung erfordere bei Einstellung und Entlassung der Geschäftsführerin bzw. des Geschäftsführers zudem eine einstimmige Entscheidung des vollbesetzten Präsidiums. Hierbei handle es sich nicht um ein laufendes Geschäft iSd. § 11 Abs. 3 Satz 1 der Satzung.

16

Ohnehin habe kein „Erfordernis der Entlassung“ iSd. § 12 Abs. 2 der Satzung und kein wichtiger Grund zur fristlosen Kündigung gemäß § 626 Abs. 1 BGB bestanden. Sie habe die Anerkennung der erbrachten Überstunden nicht zum eigenen materiellen Vorteil erstrebt, sondern um Schaden vom Beklagten abzuwenden. Der Beklagte könne von dem Sächsischen Innenministerium Personalkosten mit einem bestimmten Entgeltsatz pro geleisteter Arbeitsstunde ersetzt verlangen. Ihre vom Präsidenten zu Unrecht nicht anerkannten Überstunden hätten daher nicht in Rechnung gestellt werden können. Dem Beklagten fehlten deswegen über 10.000,00 Euro.

17

Sie habe auch nicht versucht, die Mitglieder zu manipulieren und den Präsidenten zum Rücktritt zu zwingen. Als Reaktion auf dessen Schreiben vom 12. September 2013 sei ein Teil der Mitglieder mit dem Anliegen an sie herangetreten, ihnen bei einem Antwortschreiben an den Vorstand behilflich zu sein. Die Erfüllung dieser Bitte habe zu ihren Aufgaben als Geschäftsführerin gezählt. Sie habe das Präsidium in der Sitzung am 25. September 2013 diesbezüglich nicht belogen. Zu den Schreiben, welche den Beklagten als Reaktion auf die Mitteilung des Präsidenten vom 12. September 2013 erreicht hatten, sei sie nicht befragt worden. Das vom Beklagten über die Präsidiumssitzung vom 25. September 2013 gefertigte Protokoll sei insoweit falsch.

18

Zudem hätte es vor einer Kündigung einer Abmahnung bedurft. Eine solche sei nicht erfolgt, obwohl das Arbeitsverhältnis bereits seit dem 1. Februar 2003 bestanden habe und beanstandungsfrei verlaufen sei.

19

Die fristlose Kündigung vom 7. Oktober 2013 scheitere auch daran, dass die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB nicht eingehalten sei. Der Sachverhalt sei dem Beklagten länger als zwei Wochen vor dem Zugang der Kündigung am 9. Oktober 2013 bekannt gewesen. Dies gelte auch bzgl. der fraglichen E-Mail-Korrespondenz mit den Mitgliedern des Beklagten vom 15. bzw. 19. September 2013. Diese sei dem Beklagten am 15. bzw. 19. September 2013 zur Kenntnis gelangt. Damit sei der Sachverhalt geklärt gewesen und es habe kein Anlass für zusätzliche Ermittlungen bestanden. Nach dem 19. September 2013 habe der Beklagte auch keine neuen Erkenntnisse gewonnen.

20

Die fristlose Kündigung vom 22. April 2014 sei ebenfalls ungerechtfertigt. Der Bericht der Wirtschaftsprüfer habe keinen Kündigungsgrund ergeben.

21

Die Klägerin hat beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die fristlose Kündigung des Beklagten vom 7. Oktober 2013 beendet worden ist;

        

2.    

festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die ordentliche Kündigung des Beklagten vom 7. Oktober 2013 beendet worden ist;

        

3.    

festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die fristlose Kündigung des Beklagten vom 22. April 2014 beendet worden ist;

        

4.    

festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die ordentliche Kündigung des Beklagten vom 22. April 2014 beendet worden ist.

22

Der Beklagte hat zur Begründung seines Klageabweisungsantrags angeführt, die Kündigungen seien satzungskonform beschlossen worden und das Verhalten der Klägerin erfülle die Voraussetzungen einer fristlosen Kündigung. Das erst seit einer Neubegründung am 1. November 2011 bestehende Arbeitsverhältnis sei bereits mit Zugang der Kündigung vom 7. Oktober 2013 beendet worden.

23

Das Präsidium sei in der Sitzung am 7. Oktober 2013 gemäß § 11 Abs. 3 Satz 2 der Satzung mit vier anwesenden Mitgliedern beschlussfähig gewesen. § 12 Abs. 2 der Satzung stelle keine erhöhten Anforderungen. Der sog. Rücktritt des Vizepräsidenten R sei für die Beschlussfähigkeit des Präsidiums unbeachtlich. Er sei nach § 11 Abs. 4 Satz 1 der Satzung bis zur Wahl des Nachfolgers formell noch im Amt gewesen. Zudem sei der Rücktritt unwirksam, weil er zur Unzeit erfolgt sei. Herr R habe mit seinem Rücktritt das Ziel verfolgt, die Klägerin als seine Lebensgefährtin vor einer Kündigung zu bewahren. Darin liege ein rechtsmissbräuchliches Verhalten.

24

Ein wichtiger Grund für die Kündigung liege darin, dass die Klägerin sich mehrfach illoyal gegenüber dem Präsidenten und dem Präsidium verhalten habe. Sie habe ihre Treuepflicht verletzt und den Betriebsfrieden gestört, indem sie versucht habe, die Mitglieder des Beklagten zu manipulieren und den Präsidenten zum Rücktritt zu zwingen. Ausweislich der E-Mail-Korrespondenz mit dem im August 2013 beauftragten Rechtsanwalt habe sie bereits zu diesem Zeitpunkt die Abwahl des Präsidenten geplant. Dies habe sie ausschließlich im Eigeninteresse getan. Insbesondere habe sie die Vergütung der von ihr behaupteten Überstunden erreichen wollen. Einnahmen des Vereins im Rahmen einer Kostenerstattung wären dabei nicht zu erzielen gewesen. Die Vereinstätigkeit werde durch das zuständige Staatsministerium pauschal und somit unabhängig von geleisteten Arbeitsstunden finanziert.

25

Die zweiwöchige Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB sei gewahrt. Ab dem 19. September 2013 seien Schreiben von Mitgliedern eingegangen, die angesichts des Konflikts mit der Klägerin vermuten ließen, dass sie von dieser in der Absicht initiiert worden seien, das Präsidium abwählen zu lassen. Deshalb sei die Klägerin in der Anhörung vom 25. September 2013 nach diesen Mitgliederschreiben befragt worden. Die Anhörung sei in dem vorgelegten Sitzungsprotokoll zutreffend wiedergegeben. Der erst durch die Anhörung der Klägerin vollends offenbarte Sachverhalt sei dann im Präsidium am 7. Oktober 2013 in der Gesamtschau beraten worden. Die vorgenommene Interessenabwägung sei zu Lasten der Klägerin ausgefallen. Eine Abmahnung sei angesichts der Schwere der Pflichtverletzungen entbehrlich gewesen. Die Anhörung habe außerdem gezeigt, dass die Klägerin auch nach einer Abmahnung ihr Verhalten nicht geändert hätte.

26

Das Arbeitsgericht hat die fristlose Kündigung vom 7. Oktober 2013 wegen Versäumung der Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB für unwirksam gehalten und die Klage im Übrigen abgewiesen. Das Arbeitsverhältnis habe aufgrund der hilfsweise ausgesprochenen ordentlichen Kündigung vom 7. Oktober 2013 mit Ablauf des 31. März 2014 geendet. Dabei ist das Arbeitsgericht von einem Bestand des Arbeitsverhältnisses seit dem 1. Februar 2003 ausgegangen. Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Berufung und der Beklagte Anschlussberufung eingelegt. Das Landesarbeitsgericht hat das Urteil des Arbeitsgerichts teilweise abgeändert und die Kündigungsschutzklage insgesamt abgewiesen. Die Kündigung vom 7. Oktober 2013 habe das Arbeitsverhältnis fristlos aufgelöst. Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Klageziele weiter.

Entscheidungsgründe

27

Die Revision ist begründet. Mit der Begründung des Landesarbeitsgerichts kann die Wirksamkeit der fristlosen Kündigung vom 7. Oktober 2013 nicht bejaht werden. Der Kündigung liegt zwar auch bei einem wirksamen Rücktritt des Vizepräsidenten R ein nach der Vereinssatzung wirksamer Beschluss des Präsidiums zugrunde. Wegen des grob illoyalen Verhaltens der Klägerin und der damit verbundenen Störung des Vereinsfriedens besteht auch ohne vorherige Abmahnung ein wichtiger Grund für die außerordentliche Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses. Der Senat konnte aber nicht abschließend beurteilen, ob die fristlose Kündigung vom 7. Oktober 2013 gemäß § 626 Abs. 2 BGB innerhalb von zwei Wochen nach Kenntniserlangung von den maßgebenden Tatsachen erklärt wurde. Den durch das Landesarbeitsgericht getroffenen Feststellungen lässt sich nicht hinreichend entnehmen, ob eine ordnungsgemäße Anhörung der Klägerin am 25. September 2013 den Fristbeginn gehemmt hat. Hieraus folgt die Aufhebung des Berufungsurteils ( § 562 Abs. 1 ZPO ) und die Zurückverweisung der Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht ( § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO ).

28

1. Die fristlose, hilfsweise ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Klägerin wurde am 7. Oktober 2013 vom Präsidium des Beklagten auch bei angenommener Vakanz eines Präsidiumspostens in Übereinstimmung mit den satzungsrechtlichen Vorgaben beschlossen.

29

a) Die Verfassung eines rechtsfähigen Vereins wird grundsätzlich durch die Vereinssatzung bestimmt (§ 25 BGB). Gemäß § 40 Satz 1 BGB sind die gesetzlichen Vorgaben bzgl. der Beschlussfassung eines Vereinsvorstands nach § 28 iVm. § 32 BGB satzungsdispositiv. Ein Verein kann insoweit selbst bestimmen, welche Voraussetzungen für einen wirksamen Vorstandsbeschluss erfüllt sein müssen. Dies entspricht der verfassungsrechtlich gewährleisteten Vereinsautonomie. Art. 9 Abs. 1 GG gewährleistet die Freiheit, sich zu Vereinigungen des privaten Rechts zusammenzuschließen. Der Schutz des Grundrechts umfasst sowohl für Mitglieder als auch für die Vereinigung die Selbstbestimmung über die eigene Organisation, das Verfahren ihrer Willensbildung und die Führung ihrer Geschäfte (BVerfG 24. September 2014 - 1 BvR 3017/11 - Rn. 13).

30

b) Bei dem Beklagten wird die Beschlussfähigkeit des Vorstands in § 11 Abs. 3 Satz 2 der Satzung geregelt. Dabei ist ohne Belang, dass der nach § 26 Abs. 1 Satz 1 BGB zwingend zu bildende Vorstand nach § 11 der Satzung als Präsidium bezeichnet wird.

31

aa) § 40 Satz 1 BGB, der „nachgiebige“, dh. abdingbare Vorschriften des Vereinsrechts aufzählt, nennt § 26 Abs. 1 BGB nicht. Nach § 26 Abs. 1 Satz 1 BGB muss der Verein einen Vorstand haben. § 26 Abs. 1 Satz 2 BGB weist dem Vorstand die Stellung des gesetzlichen Vertreters des Vereins zu. Ein in einer Vereinssatzung vorgesehenes Gremium ohne Vertretungsmacht kann daher nicht der Vorstand im rechtlichen Sinne sein. Es entspricht allerdings verbreiteter Übung, dass bei der Abfassung von Vereinssatzungen Organbezeichnungen gewählt werden, die sich mit der gesetzlichen Terminologie des Vereinsrechts nicht in Einklang bringen lassen (vgl. Sauter/Schweyer/Waldner Der eingetragene Verein 20. Aufl. Rn. 308 mwN; Oestreich RPfleger 2002, 67). Vorstand im Sinne der Satzung und Vorstand im Sinne des BGB sind nicht notwendig identisch (Palandt/Ellenberger 76. Aufl. § 26 BGB Rn. 3). So kann der vertretungsberechtigte Vorstand auch als Präsidium bezeichnet sein (vgl. MünchHdbGesR/Waldner Bd. 5 § 25 Rn. 56).

32

bb) Demnach handelt es sich bei dem Präsidium des Beklagten um dessen Vorstand, auch wenn die Satzung in § 10 diese Bezeichnung für ein anderes Organ verwendet. § 11 Abs. 2 der Satzung weist die Vertretung des Beklagten den Mitgliedern des Präsidiums zu. Für den „Vorstand“ nach § 10 der Satzung ist hingegen keine Vertretungsmacht vorgesehen. Es handelt sich um ein fakultatives Vereinsorgan, dem nur die in § 10 der Satzung vorgesehenen Aufgaben zukommen.

33

c) Ausgehend von der seitens der Klägerin vertretenen Rechtsauffassung, infolge des Rücktritts des Vizepräsidenten R sei das Präsidium nicht vollständig besetzt gewesen, wäre die Kündigung der Klägerin am 7. Oktober 2013 gleichwohl formell satzungskonform beschlossen worden. Die von der Revision in Abrede gestellte Beschlussfähigkeit wäre auch dann gegeben gewesen.

34

aa) § 12 Abs. 2 der Satzung lässt sich entgegen der Revision nicht entnehmen, dass die Entlassung der Geschäftsführerin oder des Geschäftsführers eine einstimmige Entscheidung des vollbesetzten Präsidiums voraussetzt. Die Vorschrift enthält keine speziellen Vorgaben zur Beschlussfähigkeit des Präsidiums. Diese bestimmt sich vielmehr auch bei der Entscheidung über die Anstellung und Entlassung der Geschäftsführerin oder des Geschäftsführers nach § 11 Abs. 3 Satz 2 der Satzung.

35

bb) Die Voraussetzungen der Beschlussfähigkeit nach § 11 Abs. 3 Satz 2 der Satzung sind erfüllt.

36

(1) In einer Vereinssatzung kann zur Sicherung der Handlungsfähigkeit des Vereins bestimmt werden, dass die Beschlussfähigkeit des Vorstands auch dann gegeben ist, wenn nicht alle Vorstandsposten besetzt sind (vgl. MüKoBGB/Arnold 7. Aufl. § 28 Rn. 3; Burhoff Vereinsrecht 9. Aufl. Rn. 577; Reichert VereinsR 13. Aufl. Rn. 2576; Bamberger/Roth/Schöpflin BGB 3. Aufl. § 28 Rn. 3; Sauter/Schweyer/Waldner Der eingetragene Verein 20. Aufl. Rn. 245a; Otto in jurisPK-BGB 8. Aufl. § 28 BGB Rn. 5; Stöber/Otto Handbuch Vereinsrecht 11. Aufl. Rn. 442, 557; aA wohl Steffen in BGB-RGRK 12. Aufl. § 28 Rn. 3). Die von der Revision angeführten Entscheidungen des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 17. Januar 1985 (- BReg 2 Z 74/84 -) und 24. Mai 1988 (- BReg 3 Z 53/88 -) befassen sich ebenso wie Hadding (in Soergel 13. Aufl. § 28 Rn. 4) nicht mit solchen Satzungsregelungen. Sieht eine Satzung die Aufrechterhaltung der Beschlussfähigkeit des Vorstands auch bei Nichtbesetzung einer Position vor, wird hierdurch entgegen der Auffassung der Revision die demokratische Legitimation eines von der Mitgliederversammlung gemäß § 27 Abs. 1 BGB bestellten Vorstands nicht verletzt. Die Legimation der verbleibenden Vorstandsmitglieder wird durch eine Vakanz nicht beseitigt.

37

(2) Entgegen der Revision ist § 11 Abs. 3 Satz 2 der Satzung des Beklagten zu entnehmen, dass die Beschlussfähigkeit des Präsidiums auch bei nicht vollständiger Besetzung aller Präsidiumsposten gegeben sein kann.

38

(a) Der Senat kann die Satzungsbestimmungen selbst auslegen. Das Revisionsgericht ist bei der Auslegung von Satzungsrecht nicht auf die Überprüfung beschränkt, ob die Auslegung des Tatrichters gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt oder wesentliche Tatsachen außer Acht gelassen hat (vgl. BGH 13. Oktober 2015 - II ZR 23/14 - Rn. 24, BGHZ 207, 144).

39

(b) Der Wortlaut des § 11 Abs. 3 Satz 2 der Satzung ist eindeutig. Die Beschlussfähigkeit des fünfköpfigen Präsidiums wird nur von der Anwesenheit dreier Präsidiumsmitglieder abhängig gemacht. Aus welchem Grund ein weiteres Mitglied nicht anwesend ist, spielt nach dem Wortlaut der Satzungsregelung für die Beschlussfähigkeit keine Rolle. Es macht daher keinen Unterschied, ob ein Mitglied vorübergehend (zB durch Urlaub oder Krankheit) oder dauerhaft (zB wegen Tod oder Rücktritt) verhindert ist.

40

(c) Die Beschlussfähigkeit des Präsidiums trotz einer Abwesenheit von (höchstens) zwei seiner Mitglieder dient der Handlungsfähigkeit des Präsidiums. Diese Zielsetzung deckt sich mit der des § 11 Abs. 4 Satz 2 der Satzung, wonach der „Vorstand“ iSd. § 10 der Satzung im Falle der Beendigung der Amtszeit eines Präsidiumsmitglieds ein Vorstandsmitglied mit der Wahrnehmung der Geschäfte eines Präsidiumsmitglieds bis zur Wahl eines Nachfolgers beauftragen kann. Die Regelung dient ausdrücklich der „Aufrechterhaltung der Arbeitsfähigkeit“ des Präsidiums. Der Satzungsgeber war sich folglich bewusst, dass das Ende der Amtszeit eines oder mehrerer Präsidiumsmitglieder Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit des Präsidiums haben kann und wollte eine Lähmung des Präsidiums verhindern. Entgegen der Revision hat er dem „Vorstand“ iSd. § 10 der Satzung einen Ermessensspielraum gelassen, ob dieser eine Beauftragung nach § 11 Abs. 4 Satz 2 der Satzung vornehmen will („kann … beauftragen“). Damit wird eine situationsgerechte Reaktion auf eine Vakanz ermöglicht. Bei erhöhtem Arbeitsanfall wird eine Beauftragung in Betracht gezogen werden, anderenfalls bleibt die Beschlussfähigkeit des Präsidiums auch bei einer Nichtbesetzung nach § 11 Abs. 3 Satz 2 der Satzung bestehen.

41

(d) Mit dieser Konzeption ist die Auffassung der Revision, wonach eine dauerhafte Vakanz, die nicht durch eine Beauftragung nach § 11 Abs. 4 Satz 2 der Satzung ausgeglichen wurde, zur Beschlussunfähigkeit des Präsidiums führt, nicht vereinbar. Zusammen mit § 11 Abs. 4 Satz 2 der Satzung sichert § 11 Abs. 3 Satz 2 der Satzung die Beschlussfähigkeit des Präsidiums sowohl bei vorübergehender als auch bei dauerhafter Abwesenheit von bis zu zwei seiner Mitglieder. Es kann daher unentschieden bleiben, ob Satzungsregelungen, die für die Beschlussfähigkeit nur eine Mindestzahl von Anwesenden bei einer Vorstandssitzung fordern, überhaupt die Beschlussfähigkeit ausschließen wollen, wenn die geforderte Mindestanzahl von Vorstandsmitgliedern nicht mehr vorhanden ist (ablehnend Burhoff Vereinsrecht 9. Aufl. Rn. 577).

42

(3) In der Sitzung am 7. Oktober 2013 war das Präsidium beschlussfähig. Es beschlossen vier von fünf Präsidiumsmitgliedern einstimmig die Entlassung der Klägerin.

43

d) Folglich ist ohne Belang, ob die Wirksamkeit der Kündigung überhaupt von einem ordnungsgemäßen Präsidiumsbeschluss abhängt oder ob es hierauf im Außenverhältnis zur Klägerin nicht ankommt, weil die wirksame Vertretung des Vereins eine satzungskonforme interne Willensbildung grundsätzlich nicht erfordert (vgl. hierzu Palandt/Ellenberger 76. Aufl. § 26 BGB Rn. 7; BeckOK BGB/Schöpflin Stand 1. Februar 2017 BGB § 28 Rn. 6 unter Verweis auf BT-Drs. 16/13542 S. 14; Otto in jurisPK-BGB 8. Aufl. § 26 BGB Rn. 36; Erman/Westermann BGB 14. Aufl. § 28 Rn. 1).

44

2. Die mit Schreiben vom 7. Oktober 2013 erklärte Kündigung ist durch einen wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB gerechtfertigt. Damit liegt auch ein „Erfordernis der Entlassung“ iSv. § 12 Abs. 2 der Satzung vor.

45

a) Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dabei ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“ und damit typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (BAG 17. November 2016 - 2 AZR 730/15 - Rn. 20; 20. Oktober 2016 - 6 AZR 471/15 - Rn. 14).

46

b) § 12 Abs. 2 der Satzung stellt keine höheren Anforderungen an einen Kündigungsgrund. Die Satzungsnorm soll nur verdeutlichen, dass das Präsidium eine Entlassung nicht grundlos vornehmen darf. Die gesetzlichen Bestandsschutzregelungen werden nicht im Sinne eines höheren Schutzniveaus modifiziert. § 12 Abs. 2 der Satzung ist daher auch mit der Unabdingbarkeit des Rechts zur außerordentlichen Kündigung nach § 626 BGB vereinbar(vgl. hierzu APS/Vossen 5. Aufl. BGB § 626 Rn. 7 ff.).

47

c) Das Landesarbeitsgericht hat ohne revisiblen Rechtsfehler das Vorliegen eines wichtigen Grundes iSd. § 626 Abs. 1 BGB angenommen. Die Klägerin hat sich gegenüber dem Präsidenten des Beklagten in hohem Maße illoyal verhalten und damit den Vereinsfrieden erheblich gestört. Dies rechtfertigt die fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses.

48

aa) Die Klägerin hat in schwerwiegender Weise gegen ihre arbeitsvertragliche Pflicht zur Rücksichtnahme auf die berechtigten Interessen ihres Arbeitgebers (§ 241 Abs. 2 BGB) verstoßen.

49

(1) Der Arbeitnehmer ist gemäß § 241 Abs. 2 BGB verpflichtet, Störungen des Betriebsfriedens oder Betriebsablaufs zu vermeiden(vgl. AR/Fischermeier 8. Aufl. § 626 BGB Rn. 74). Dies entspricht dem berechtigten Interesse des Arbeitgebers an der Wahrung des Betriebsfriedens und der Einhaltung der betrieblichen Ordnung als Voraussetzung einer funktionierenden Arbeitsorganisation. Deshalb muss der Arbeitgeber bspw. unsachliche Angriffe, die zur Untergrabung der Position eines Vorgesetzten führen können, nicht hinnehmen (vgl. zu ehrverletzenden Äußerungen BAG 10. Dezember 2009 - 2 AZR 534/08 - Rn. 17). Ein bewusst illoyales Verhalten gegenüber Vorgesetzten kann abhängig von den Umständen des Falls einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung darstellen (vgl. BAG 13. April 2000 - 2 AZR 259/99 - zu II 4 der Gründe, BAGE 94, 228). Dies gilt jedenfalls dann, wenn es eine tatsächliche Störung des Betriebsfriedens bewirkt hat (vgl. hierzu BAG 17. März 1988 - 2 AZR 576/87 - BAGE 58, 37; ErfK/Müller-Glöge/Niemann 17. Aufl. § 626 BGB Rn. 155; KR/Fischermeier 11. Aufl. § 626 BGB Rn. 432, 124; Stahlhacke/Preis 11. Aufl. Rn. 652).

50

(2) Dies ist hier der Fall. Die Klägerin hat die zwischen ihr und Teilen des Präsidiums bestehenden Differenzen gegenüber Vereinsmitgliedern nicht nur offenbart, sondern die Mitglieder instrumentalisiert, um den Rücktritt des Präsidenten bzw. die Abwahl des Präsidiums durchzusetzen. Die an ihren Rechtsanwalt gerichteten E-Mails vom 12. und 22. August 2013 belegen, dass die Klägerin schon damals den Rücktritt oder die Abwahl insbesondere des Präsidenten anstrebte. Nachdem dessen Rücktritt nicht erfolgte, wandte sich die Klägerin mit E-Mails vom 15. und 19. September 2013 an Mitglieder des Beklagten und forderte diese auf, eine außerordentliche Mitgliederversammlung zu verlangen. Dabei machte die Klägerin deutlich, dass im Rahmen dieser Versammlung die Neuwahl des Präsidiums stattfinden sollte. Hinsichtlich der Formulierung der Mitgliederschreiben gab die Klägerin konkrete Hilfestellung. Hierzu wäre sie als Geschäftsführerin selbst dann nicht verpflichtet gewesen, wenn einzelne Mitgliedsverbände sie hierum gebeten hätten. Im Gegenteil wäre es dann ihre Pflicht gewesen, im Sinne des Vereinsfriedens auf die Mitglieder mäßigend einzuwirken und das Präsidium über die Situation zu informieren. Stattdessen hat die Klägerin versucht, eine Eskalation herbeizuführen, um die von ihr persönlich verfolgten Ziele durchzusetzen. In der Gesamtschau hat die Klägerin eine Intrige - insbesondere gegen den Präsidenten - initiiert. Dies führte dazu, dass die Mitgliedsverbände sich zumindest zum Teil gegen das Präsidium stellten und die von der Klägerin gewünschten Schreiben verfassten. Selbst wenn die von der Klägerin behauptete Unzufriedenheit einiger Mitglieder mit der Arbeit des Präsidenten bestanden hätte, hat die Klägerin mit ihrer Vorgehensweise den Konflikt in pflichtwidriger Weise verstärkt.

51

bb) Dem Beklagten war die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist auch bei Berücksichtigung der Interessen der Klägerin nicht zumutbar.

52

(1) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Zu berücksichtigen sind regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind. Sie scheidet aus, wenn es ein „schonenderes“ Gestaltungsmittel - etwa Abmahnung, Versetzung, ordentliche Kündigung - gibt, das ebenfalls geeignet ist, den mit einer außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck - nicht die Sanktion des pflichtwidrigen Verhaltens, sondern die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen des Arbeitsverhältnisses - zu erreichen (BAG 20. Oktober 2016 - 6 AZR 471/15 - Rn. 30 mwN).

53

(2) Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend entschieden, dass die Interessen des Beklagten an der fristlosen Beendigung des Arbeitsverhältnisses auch dann überwiegen, wenn entsprechend der Angabe der Klägerin von einer Betriebszugehörigkeit von mehr als zehn Jahren auszugehen wäre.

54

(a) Es ist nicht zu verkennen, dass eine fristlose Kündigung die Klägerin in sozialer Hinsicht erheblich trifft. Die Klägerin hatte zum Kündigungszeitpunkt das 51. Lebensjahr bereits vollendet und dürfte angesichts der sehr spezifischen bisherigen Tätigkeit als Geschäftsführerin einer Landesverkehrswacht Schwierigkeiten haben, eine vergleichbare Neuanstellung zu finden.

55

(b) Dennoch überwiegt wegen der Schwere der Pflichtverletzung das Beendigungsinteresse des Beklagten. Die Klägerin hat durch ihre planvolle und konfliktorientierte Vorgehensweise eine weitere vertrauliche Zusammenarbeit mit dem Präsidium in seiner damaligen Zusammensetzung praktisch unmöglich gemacht. Sie hat erkennen lassen, dass sie die Loyalität zum Präsidium bzw. zum Präsidenten von ihrer eigenen Einschätzung abhängig macht und bereit ist, ihre Ziele unter Inkaufnahme erheblicher vereinsinterner Spannungen gegen das Präsidium durchzusetzen. Dies belegt der Umstand, dass sie den Präsidenten gegenüber den Mitgliedsverbänden für die entstandenen Meinungsverschiedenheiten verantwortlich machte. Für diese einseitige Darstellung bestand kein Anlass. Entgegen der Auffassung der Revision hatte der Präsident die Klägerin durch sein Schreiben vom 12. September 2013 nicht in Misskredit gebracht. Das Schreiben berichtet vielmehr in neutraler Diktion über die „derzeit bestehenden Unstimmigkeiten zwischen dem Präsidium und der Geschäftsführerin“ und den Verlauf der Präsidiumssitzung am 11. September 2013. Ein Bedürfnis der Klägerin nach „Verteidigung“ kann daraus objektiv nicht abgeleitet werden.

56

Die Aggressivität der Vorgehensweise der Klägerin lässt sich auch mit der von ihr behaupteten Überzeugung, zum Wohle des Beklagten zu handeln, nicht rechtfertigen. Es mag sein, dass die Klägerin entsprechend der Revisionsbegründung davon ausging, die Vereinsinteressen als „Sachnächste“ am besten beurteilen zu können. Das Landesarbeitsgericht hat unter Bezugnahme auf die Begründung des erstinstanzlichen Urteils jedoch nachvollziehbar darauf hingewiesen, dass die Klägerin auch ein finanzielles Eigeninteresse verfolgte (Vergütung von Überstunden). Dessen ungeachtet war die dargestellte Instrumentalisierung der Mitgliedsverbände zur Erzwingung einer Neuwahl offensichtlich kein angemessenes Mittel der Konfliktlösung. Letztlich überhöht die Klägerin die Bedeutung ihrer Einschätzung der Vereinsinteressen und negiert die Leitungsfunktion des Präsidiums nach § 11 Abs. 3 Satz 1 der Satzung. Allein deswegen bestand der Konflikt nicht nur zwischen ihr und dem Präsidenten, wie die Revision behauptet. Zudem hat die Klägerin in ihren E-Mails vom 15. September 2013 in ihrem Textentwurf ausdrücklich die Abwahl des gesamten Präsidiums als Zweck der außerordentlichen Mitgliederversammlung benannt. Damit war die Führungsstruktur des Beklagten als solche betroffen.

57

(c) Die außerordentliche Kündigung ist keine unverhältnismäßige Reaktion auf die dargestellte Pflichtverletzung der Klägerin.

58

(aa) Die Behauptung der Revision, „eine klare und unmissverständliche schriftliche Anweisung des Präsidenten des Beklagten, dass die Klägerin dasjenige zu machen habe, was der Präsident vorgibt“, hätte ausgereicht, um künftige Störungen zu vermeiden, ist angesichts der von der Klägerin gezeigten Ablehnung der Autorität des Präsidenten nicht nachvollziehbar.

59

(bb) Eine Abmahnung war gemäß § 314 Abs. 2 Satz 3 BGB entbehrlich. Die Pflichtverletzung war so schwerwiegend, dass selbst deren erstmalige Hinnahme durch den Beklagten nach objektiven Maßstäben unzumutbar und offensichtlich ausgeschlossen war (vgl. BAG 19. November 2015 - 2 AZR 217/15  - Rn. 24 ; 20. November 2014 -  2 AZR 651/13  - Rn. 22 , BAGE 150, 109 ).

60

3. Aufgrund der bisherigen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts kann der Senat aber nicht abschließend beurteilen, ob die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB eingehalten ist.

61

a) Gemäß § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB kann eine außerordentliche Kündigung nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt nach § 626 Abs. 2 Satz 2 BGB mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Dies ist der Fall, sobald er eine zuverlässige und hinreichend vollständige Kenntnis der einschlägigen Tatsachen hat, die ihm die Entscheidung darüber ermöglicht, ob er das Arbeitsverhältnis fortsetzen soll oder nicht (BAG 20. Oktober 2016 - 6 AZR 471/15 - Rn. 51; 16. Juli 2015 - 2 AZR 85/15 - Rn. 54). Handelt es sich bei dem Arbeitgeber um eine juristische Person, ist grundsätzlich die Kenntnis des gesetzlich oder satzungsgemäß für die Kündigung zuständigen Organs maßgeblich. Sind für den Arbeitgeber mehrere Personen gemeinsam vertretungsberechtigt, genügt grundsätzlich die Kenntnis schon eines der Gesamtvertreter (BAG 18. Juni 2015 - 2 AZR 256/14 - Rn. 48 mwN).

62

b) Im Falle des Beklagten ist dessen Präsidium nach § 12 Abs. 2 der Satzung für die Kündigung der Geschäftsführerin oder des Geschäftsführers zuständig. Nach dem Vortrag des Beklagten haben die Mitglieder des Präsidiums erst durch die Anhörung der Klägerin am 25. September 2013 von den kündigungsrelevanten Tatsachen hinreichend Kenntnis erlangt. Dies würde für die Wahrung der Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB ausreichen, da die Kündigung vom 7. Oktober 2013 der Klägerin am 9. Oktober 2013 zugegangen ist. Auf Grundlage der vom Landesarbeitsgericht getroffenen Feststellungen lässt sich jedoch nicht beurteilen, ob die Klägerin ordnungsgemäß angehört wurde. Die Revision rügt zu Recht die Nichtberücksichtigung des diesbezüglichen Vortrags der Klägerin.

63

aa) Die Kenntnis der Präsidiumsmitglieder von den Ereignissen bis einschließlich des 19. Septembers 2013 führt nicht zur Versäumung der Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB. Das Präsidium durfte die Anhörung der Klägerin zur Aufklärung der Gesamtumstände für erforderlich halten. Bei einer ordnungsgemäßen Anhörung am 25. September 2013 wäre diese auch hinreichend zeitnah durchgeführt worden.

64

(1) Bei Pflichtverletzungen, die zu einem Gesamtverhalten zusammengefasst werden können, beginnt die Ausschlussfrist erst mit Kenntnis des letzten Vorfalls, der ein weiteres und letztes Glied in der Kette der Ereignisse bildet, die in ihrer Gesamtheit zum Anlass für eine Kündigung genommen werden (vgl. BAG 24. November 1983 - 2 AZR 327/82 - zu B V der Gründe mwN; 27. Juni 1980 - 7 AZR 445/78 - zu II der Gründe; KR/Fischermeier 11. Aufl. § 626 BGB Rn. 343 mwN; BeckOK BGB/Fuchs Stand 1. Februar 2017 BGB § 626 Rn. 57; HaKo/Gieseler 5. Aufl. § 626 BGB Rn. 124; MüKoBGB/Henssler 7. Aufl. § 626 Rn. 308; ErfK/Müller-Glöge/Niemann 17. Aufl. § 626 BGB Rn. 214; Stahlhacke/Preis 11. Aufl. Rn. 801; APS/Vossen 5. Aufl. BGB § 626 Rn. 134).

65

(2) Das illoyale Verhalten der Klägerin, welches zu einer Störung des Vereinsfriedens geführt hat und deshalb als Kündigungsgrund angeführt wird, stellt eine solche Pflichtverletzung dar. Maßgeblich ist das Gesamtverhalten der Klägerin im Sinne einer zielgerichteten Vorgehensweise, die sich aus mehreren Einzelakten zusammensetzt. Es ist daher nicht allein auf das Schreiben des Rechtsanwalts der Klägerin vom 9. September 2013 oder deren E-Mails vom 15. bzw. 19. September 2013 abzustellen. Das allein kündigungsberechtigte Präsidium durfte vielmehr eine Anhörung der Klägerin zur Gewinnung eines Gesamtüberblicks für erforderlich halten.

66

(a) Der Kündigungsberechtigte, der bislang nur Anhaltspunkte für einen Sachverhalt hat, der zur außerordentlichen Kündigung berechtigen könnte, kann nach pflichtgemäßem Ermessen weitere Ermittlungen anstellen und den Betroffenen anhören, ohne dass die Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB zu laufen begänne. Dies gilt allerdings nur so lange, wie er aus verständigen Gründen mit der gebotenen Eile Ermittlungen durchführt, die ihm eine umfassende und zuverlässige Kenntnis des Kündigungssachverhalts und der Beweismittel verschaffen sollen. Soll der Kündigungsgegner angehört werden, muss dies innerhalb einer kurzen Frist erfolgen. Sie darf im Allgemeinen nicht mehr als eine Woche betragen (BAG 16. Juli 2015 - 2 AZR 85/15 - Rn. 54 mwN; 12. Februar 2015 - 6 AZR 845/13 - Rn. 94, BAGE 151, 1). Der Beginn der einwöchigen Anhörungsfrist richtet sich wie bei der Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB nach dem Kenntnisstand des Kündigungsberechtigten bzgl. des möglichen Kündigungsgrunds (vgl. BAG 27. Januar 2011 - 2 AZR 825/09 - Rn. 22, BAGE 137, 54; 5. Juni 2008 - 2 AZR 25/07 - Rn. 27; 15. Mai 1987 - 7 AZR 262/86 - zu II 2 der Gründe; 3. November 1977 - 2 AZR 400/76 - zu II 1 der Gründe; 6. Juli 1972 - 2 AZR 386/71 - zu II 3 der Gründe, BAGE 24, 341). Für den Beginn der Anhörungsfrist bzgl. Pflichtverletzungen, die sich zu einem Gesamtverhalten zusammenfassen lassen, bedeutet das, dass auch die einwöchige Anhörungsfrist erst mit Kenntnis des Vorfalls anläuft, der ein weiteres und letztes Glied in der Kette der Ereignisse bildet, die in ihrer Gesamtheit den Kündigungsentschluss tragen.

67

(b) Das Landesarbeitsgericht hat rechtsfehlerfrei auf den 19. September 2013 als Beginn der einwöchigen Anhörungsfrist abgestellt. An diesem Tag versandte die Klägerin eine E-Mail an alle Mitglieder mit dem Aufruf eine außerordentliche Mitgliederversammlung zu fordern. Im Rahmen des Konflikts mit der Klägerin durfte das Präsidium diesen den gesamten Verein betreffenden Vorfall zum Anlass nehmen, eine außerordentliche Kündigung der Klägerin zu erwägen und ihre Anhörung für erforderlich zu halten. Der Sachverhalt war noch nicht geklärt. Es war nicht auszuschließen, dass die Befragung der Klägerin zu neuen Erkenntnissen bzgl. ihrer Kontakte mit den Mitgliedsverbänden führte. Zudem bestand für die Klägerin bei einer Anhörung die Möglichkeit, ihr Handeln zu erläutern und ggf. zu rechtfertigen. Ob die Anhörung tatsächlich zu einem solchen Aufklärungsergebnis geführt hat, lässt sich erst nach ihrer Durchführung einschätzen und ist für die vorgelagerte Frage, ob eine Anhörung für erforderlich gehalten werden durfte, ohne Belang (vgl. BAG 20. März 2014 - 2 AZR 1037/12 - Rn. 14; 1. Februar 2007 - 2 AZR 333/06 - Rn. 19).

68

bb) Nach den bisherigen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts steht aber noch nicht fest, ob der Beklagte mit einer ordnungsgemäßen Anhörung der Klägerin in der Präsidiumssitzung am 25. September 2013 sachdienliche Ermittlungen angestellt hat, welche die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB hemmen konnten.

69

(1) Die Anforderungen an eine fristhemmende Anhörung richten sich nach den Umständen des Einzelfalls. Die Anhörung muss sich aber immer auf einen greifbaren Sachverhalt beziehen. Der Anzuhörende muss die Möglichkeit haben, bestimmte, zeitlich und räumlich eingegrenzte Tatsachen ggf. zu bestreiten und Tatsachen aufzuzeigen, welche die für die Kündigung sprechenden Umstände entkräften.

70

(2) Die Revision rügt zu Recht, das Landesarbeitsgericht habe den Vortrag der Klägerin zum Inhalt ihrer Befragung am 25. September 2013 unberücksichtigt gelassen. Das Landesarbeitsgericht hat nur festgestellt, dass eine Anhörung der Klägerin stattgefunden habe. Es hat sich aber nicht mit dem Vortrag der Klägerin auseinandergesetzt, wonach sie entgegen dem beklagtenseits vorgelegten Protokoll nicht zu den eingegangenen Briefen der Mitgliedsverbände und zu etwaigen Gesprächen mit diesen befragt worden sei. Gleiches gelte für die angebliche Frage zu ihrer Loyalität. Zudem blieb ungeklärt, ob der Klägerin Gelegenheit zur Darstellung ihrer Sicht und damit auch zur Entlastung gegeben wurde.

71

(3) Das Landesarbeitsgericht wird den Verlauf der Anhörung der Klägerin bezogen auf den angeführten Kündigungsgrund daher aufklären müssen. Sowohl der beweisbelastete Beklagte als auch die Klägerin haben Zeugen für den jeweils behaupteten Inhalt der Befragung angeboten.

72

4. Sollte am 25. September 2013 eine den Anforderungen genügende Anhörung stattgefunden haben, wäre die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB gewahrt und die außerordentliche Kündigung vom 7. Oktober 2013 wirksam. Anderenfalls wird das Landesarbeitsgericht die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung vom 7. Oktober 2013 zu prüfen haben. Bei der Berechnung der Kündigungsfrist wäre die streitige Frage der Beschäftigungszeit zu klären, um die nach § 34 Abs. 1 Satz 2 TV-L maßgebliche Frist ermitteln zu können. § 34 Abs. 3 Satz 1 TV-L sieht vor, dass Beschäftigungszeit die Zeit ist, die bei demselben Arbeitgeber im Arbeitsverhältnis zurückgelegt wurde, auch wenn sie unterbrochen ist.

        

    VRiBAG Dr. Fischermeier ist an der
Beifügung seiner Unterschrift verhindert.
Spelge    

        

    Spelge    

        

    Krumbiegel     

        

        

        

    Kammann     

        

    M. Jostes     

                 

(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.

(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.

(3) Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 7. April 2011 - 11 Sa 58/11 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.

2

Die 1956 geborene Klägerin war seit Mai 1982 bei der Beklagten - einer Bank für Privatkunden - als Kundenbetreuerin tätig. Seit Dezember 2006 war sie in einer Filiale in R eingesetzt. Die Zweigstelle gehört zum Vertriebsbereich D, für den ein Betriebsrat gewählt ist. Die regelmäßige Arbeitszeit der Klägerin betrug zuletzt 15 Wochenstunden.

3

Im Jahr 2009 mahnte die Beklagte die Klägerin dreimal ab. Zwei Abmahnungen wurden zwischenzeitlich - in einem Fall nach gerichtlicher Entscheidung, im anderen Fall aufgrund eines Vergleichs - aus deren Personalakte entfernt. Die dritte Abmahnung wurde von der Klägerin nicht gerichtlich angegriffen.

4

Am 17. März 2010 war die Klägerin an der Kasse eingesetzt, als zwei Kunden - wohl ein Ehepaar - die R Filiale betraten. Diese wollten ein aktuelles Festgeldangebot nutzen und wandten sich für eine Beratung an die Kundenbetreuerin K. Im Verlauf des Gesprächs kam es zu Unstimmigkeiten. Die Kundenbetreuerin hatte wegen einer ungewöhnlichen Farbschattierung Zweifel an der Echtheit eines der beiden Personalausweise, die ihr zu Identifikationszwecken vorgelegt wurden. Gegen 13:00 bis 13:10 Uhr setzte der Filialleiter die Betreuung der Kunden fort und bat diese in sein Büro. Die Mitarbeiterin K trat ihre Mittagspause an und begab sich zunächst in einen angrenzenden Sozialraum. Dort traf sie die Klägerin und eine andere Kollegin an. Nachdem Frau K ihre Arbeit wieder aufgenommen hatte, übergab ihr der Filialleiter Unterlagen aus dem Kundengespräch zur weiteren Bearbeitung. Beigefügt waren Fotokopien von zwei Ausweisdokumenten, die den Vermerk trugen, das Original habe vorgelegen.

5

Mit Schreiben vom 22. März 2010 wandte sich die Klägerin unter dem Betreff „Meldung eines Verstoßes gegen Sicherheitsrichtlinien“ an die „Zentrale Revision“ der Beklagten. Sie teilte - auszugsweise - Folgendes mit:

        

„...   

        

ich zeige Ihnen hiermit einen schweren und vorsätzlichen Verstoß gegen die Sicherheitsrichtlinien der T und ggfls. gegen gesetzliche Richtlinien an.

        

Datum:

Mittwoch, 17.03.2010

        

Ort:   

Filiale R

        

Verursacher:

Filialleiter …

        

Tathergang:

        

... An dem besagten Tage war ich an der Kasse eingesetzt. …

        

… Dabei stellte sich heraus, dass der Kunde statt eines Bundespersonalausweises nur eine Kopie davon mit bei sich hatte. Als die Kollegin dies bemängelte, übernahm der Zweigstellenleiter diesen Fall und bat den Kunden in einen separaten Raum. … Dabei kam es zu dem eklatanten Verstoß gegen die Sicherheitsregel: Der Kunde konnte keinen gültigen Personalausweis vorlegen: Er hatte wohl eine Fotokopie bei der Hand.

        

Der Zweigstellenleiter kopierte die Kopie und soll eigenhändig den Vermerk aufgeschrieben haben, das Original habe vorgelegen.

        

Letzteres durch Aussage der mit dem Fall befassten Kollegin.

        

Es obliegt Ihnen, die Schwere des Vergehens zusammen mit der erschwerenden Vorsätzlichkeit zu werten.

        

Zeugnis zur möglicherweise notwendigen Befragung: Kollegin … K“

6

Am 7. April 2010 wurde die Klägerin vom Personalreferenten der Beklagten zu dem Vorfall befragt. Sie sollte sich ua. dazu äußern, ob und inwieweit sie von der Kasse aus habe erkennen können, dass es sich um einen „falschen“ Ausweis gehandelt habe. Sie gab an, diese Beobachtung habe ihre Kollegin gemacht. Die gleichfalls befragte Mitarbeiterin K führte in einer schriftlichen Stellungnahme vom 16. April 2010 aus, der männliche Kunde habe auf ihre Bitte, sich zu legitimieren, verärgert und „offensichtlich ertappt“ reagiert. Auf ihren Versuch, die Ausweise zu kontrollieren, sei sie von beiden Kunden „in lautem, unverschämten Ton“ „angepöbelt“ worden. Dem Filialleiter, der daraufhin das Beratungsgespräch fortgeführt habe, seien die Papiere ebenfalls auffällig vorgekommen.

7

Am 30. April 2010 hörte die Beklagte den Filialleiter, der in der Zeit vom 23. März 2010 bis zum 12. April 2010 urlaubsabwesend war, zu den Vorwürfen an. Dieser erklärte, er habe die Ausweise unter einer im Kassenbereich angebrachten UV-Lampe überprüft. Dabei und bei der Datenaufnahme im Kundensystem habe er keine Unregelmäßigkeiten feststellen können.

8

Am 24. Juni 2010 unterhielten sich zwei Vertreter der Beklagten - darunter der Personalreferent - mit der Klägerin über das sich stetig verschlechternde Arbeitsklima in der Filiale. Dabei kam erneut die Anzeige vom 22. März 2010 zur Sprache. Diesbezüglich wurde ein weiteres Personalgespräch für den 13. Juli 2010 verabredet. Am 25. Juni 2010 fasste die Mitarbeiterin K auf Bitten der Beklagten nochmals die Vorgänge vom 17. März 2010 zusammen. Sie gab an, nach „Übernahme“ der Kunden durch den Filialleiter - „aufgeregt und erschrocken darüber“, dass dieser ihr in einer „so kniffligen Situation“ in den Rücken gefallen sei - „in die Küche“ gelaufen zu sein. Gegenüber ihren dort bereits anwesenden Kolleginnen - darunter die Klägerin - habe sie geäußert, die Kunden seien ihr „auf Anhieb komisch“ vorgekommen. Einer der Ausweise habe „so komisch“ ausgesehen als wäre er nicht echt; sie habe diesen nicht geprüft und wisse auch nicht, ob der Filialleiter, der die Kunden jetzt bediene, „das noch mache“. Sie habe nichts mehr mit dem Fall zu tun.

9

Am 26. Juni 2010 erhielt die Klägerin eine förmliche Einladung mit Tagesordnung zu dem anstehenden Gespräch. Mit E-Mail vom 28. Juni 2010 schrieb sie dem Personalreferenten, die Frage nach ihrer Motivation für die Anzeige vom 22. März 2010 habe in ihr „tiefste Zweifel“ ausgelöst. Das sei doch ihre „heiligste Pflicht“ gewesen. Sie habe eigentlich „Anerkennung für Pflichterfüllung … erwartet“. Sie habe bereits vorgehabt nachzufragen, ob die Sache nicht verfolgt würde oder „im Sande verlaufen sei“. Dies werde sie nunmehr „in Richtung Geschäftsführung/Zentralrevision“ erfragen.

10

Die Beklagte zog daraufhin das Personalgespräch auf den 2. Juli 2010 vor. An ihm nahmen neben einer weiteren Person der Personaldirektor der Beklagten, der Direktor „Human Resources Arbeitsrecht und Mitbestimmung“ und ein Mitglied des Betriebsrats teil. Der Klägerin wurde unter Fristsetzung aufgegeben, sich abschließend schriftlich zu dem Geschehen am 17. März 2010 zu äußern. Nach Eingang der Erklärung wollte die Beklagte über mögliche „arbeitsrechtliche Konsequenzen“ entscheiden. Die am 4. Juli 2010 verfasste und an die vorgenannten Direktoren der Beklagten adressierte Stellungnahme der Klägerin ging am 5. Juli 2010 auf einem allgemein zugänglichen Faxgerät der Filiale R ein. Parallel leitete die Klägerin die Erklärung allen Gesprächsteilnehmern vom 2. Juli 2010 und der Geschäftsleitung der Beklagten zu. Ihrer Kollegin K und einer weiteren Filialmitarbeiterin überreichte sie jeweils eine Abschrift. Inhaltlich verwahrte sie sich gegen den Vorwurf, in ihrer Anzeige falsche Angaben gemacht zu haben. Sie führte aus, eine bankinterne Überprüfung des verdächtigen Ausweises sei während ihrer Anwesenheit unterblieben. Weiter schrieb sie: „Obwohl Sie die Ankündigung eines Verfahrens wegen ‚übler Nachrede‘ wohl eher als Drohung verstanden wissen wollten, bin ich mit einem Strafverfahren nach § 186 StGB mehr als einverstanden. … Ich bedanke mich für den … vorgeschlagenen Weg der externen Klärungsmöglichkeit und erwarte nunmehr Ihre angekündigte Anzeige wegen übler Nachrede innerhalb eines angemessenen Zeitraums …“

11

Die Beklagte forderte die Klägerin auf, die Behauptung, ihr sei mit einer Strafanzeige gedroht worden, unter Richtigstellung des Sachverhalts zu widerrufen. Mit E-Mail vom 6. Juli 2010 erklärte diese, die Worte „üble Nachrede“ seien von Vertretern der Beklagten in den Raum gestellt worden. In Ermangelung eines gemeinsamen Gesprächsprotokolls sei sie aber bereit, einzelne Darstellungen in der Sache oder der Tendenz nach zu revidieren, falls der Beklagten diese als falsch erschienen.

12

Am Folgetag stellte die Beklagte die Klägerin von der Arbeitsleistung frei. Mit Schreiben vom 14. Juli 2010 kündigte sie das Arbeitsverhältnis - nach Anhörung des Betriebsrats und mit dessen Zustimmung - außerordentlich fristlos, hilfsweise außerordentlich mit „sozialer Auslauffrist“ zum 31. März 2011.

13

Die Klägerin hat fristgerecht Kündigungsschutzklage erhoben. Sie hat geltend gemacht, die Kündigungen seien unwirksam. Sie habe nicht bewusst falsche Anschuldigungen gegen den Filialleiter erhoben. Vielmehr habe sie über einen Vorfall berichtet, den die Beklagte bis zuletzt nicht vollständig aufgeklärt habe. Etwas anderes sei auch nicht ihrer im Vorprozess abgegebenen Erklärung zu entnehmen, sie habe „schon einige Filialleiter der Beklagten kommen und gehen sehen“ und werde auch den derzeitigen „aussitzen“. Sie habe sich durch die in kurzer zeitlicher Folge erteilten Abmahnungen unberechtigt angegriffen gefühlt und überreagiert. Ebenso wenig sei die Kündigung wegen ihres Verhaltens im Zusammenhang mit der Stellungnahme vom 4. Juli 2010 gerechtfertigt. Während des Gesprächs am 2. Juli 2010 habe sie den Eindruck gewonnen, die Beklagte beabsichtige, sie wegen vermeintlich übler Nachrede anzuzeigen. Sie sei weiterhin bereit, die Aussage, ihr sei ein Strafverfahren „angedroht“ worden, zu korrigieren.

14

Die Klägerin hat beantragt

        

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 14. Juli 2010 weder mit sofortiger Wirkung noch zum 31. März 2011 aufgelöst worden ist.

15

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, ein wichtiger Grund zur Kündigung iSd. § 626 Abs. 1 BGB liege vor. Die Klägerin habe den Filialleiter im Schreiben vom 22. März 2010 sinngemäß eines Verstoßes gegen das Geldwäschegesetz bezichtigt. Dabei habe sie den Eindruck vermittelt, der beschriebene „Tathergang“ sei Gegenstand ihrer eigenen Wahrnehmung, obwohl die Anschuldigungen tatsächlich auf reinen Mutmaßungen beruhten. Am 7. April 2010 habe sie erklärt, mit Sicherheit ausschließen zu können, dass der Filialleiter die Ausweise vorschriftsmäßig geprüft habe. Dabei sei ihr bewusst gewesen, dass auch ihre als Zeugin benannte Kollegin den Vorfall nicht durchgängig beobachtet habe. In den nachfolgenden Gesprächen habe sie unverändert an ihrem Standpunkt festgehalten. Erstmals mit ihrer Stellungnahme vom 4. Juli 2010 habe sie ihre Behauptungen auf die Zeit ihrer Anwesenheit beschränkt. Allerdings habe sie zugleich unzutreffend und wider besseres Wissen behauptet, ihr sei in dem vorausgegangenen Personalgespräch durch Vertreter der Beklagten mit einer Strafanzeige gedroht worden. Einer Abmahnung habe es nicht bedurft. Die Klägerin habe ihre Vertragspflichten grob verletzt. Ihre falschen Anschuldigungen habe sie gegenüber einem sich stetig vergrößernden Empfängerkreis wiederholt bzw. publik gemacht und keine Einsicht gezeigt. Damit habe sie das Ansehen des Filialleiters beschädigt und nachhaltig den Betriebsfrieden gestört. Ein Festhalten an dem Arbeitsverhältnis sei ihr - der Beklagten - unzumutbar. Die Anhörung des Betriebsrats sei ordnungsgemäß erfolgt. Die Frist des § 626 Abs. 2 BGB sei gewahrt.

16

Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit ihrer Revision begehrt die Beklagte weiterhin, die Klage abzuweisen.

Entscheidungsgründe

17

Die Revision ist unbegründet. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die Kündigung vom 14. Juli 2010 weder mit sofortiger Wirkung noch mit Ablauf einer der fiktiven ordentlichen Kündigungsfrist entsprechenden Auslauffrist aufgelöst worden.

18

I. Die fristlose Kündigung ist gemäß § 626 Abs. 1 BGB iVm. § 17 Ziff. 3 Abs. 1 Alt. 1 Manteltarifvertrag für das private Bankgewerbe und die öffentlichen Banken (MTV) unwirksam. Dies hat das Landesarbeitsgericht rechtsfehlerfrei erkannt.

19

1. Dem übereinstimmenden Vorbringen der Parteien zufolge fanden auf das Arbeitsverhältnis die jeweils geltenden Tarifverträge für das private Bankgewerbe und die öffentlichen Banken Anwendung. Gemäß § 17 Ziff. 3 Abs. 1 Alt. 1 MTV (in der maßgebenden, ab 22. April 2009 geltenden Fassung) sind Arbeitnehmer, die ihr 50. Lebensjahr bereits vollendet haben und dem Betrieb mindestens zehn Jahre ununterbrochen angehören - vorbehaltlich im Streitfall nicht einschlägiger Ausnahmetatbestände - nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes kündbar. Die Regelung, deren persönliche Voraussetzungen die Klägerin im Kündigungszeitpunkt erfüllte, nimmt auf § 626 BGB Bezug(vgl. zu § 17 Ziff. 3 Abs. 1 MTV in der ab 1. Oktober 1997 geltenden Fassung: BAG 10. Oktober 2002 - 2 AZR 418/01 - zu B I 1 der Gründe, EzA BGB 2002 § 626 Unkündbarkeit Nr. 1; allgemein zur Bedeutung des Begriffs „wichtiger Grund“ in Tarifverträgen: bspw. BAG 28. Oktober 2010 - 2 AZR 688/09 - Rn. 31, AP KSchG 1969 § 2 Nr. 148 = EzA KSchG § 2 Nr. 80; 12. Januar 2006 - 2 AZR 242/05 - Rn. 24, AP BGB § 626 Krankheit Nr. 13 = EzA BGB 2002 § 626 Unkündbarkeit Nr. 9).

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2. Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Bei ordentlicher Unkündbarkeit des Arbeitnehmers ist für die Beurteilung, ob ein Grund zur fristlosen Kündigung des Arbeitsverhältnisses vorliegt, auf den Ablauf der fiktiven ordentlichen Kündigungsfrist abzustellen (BAG 27. April 2006 - 2 AZR 386/05 - Rn. 34, BAGE 118, 104). Aus § 17 Ziff. 3 Abs. 1 Alt. 1 MTV ergeben sich insoweit keine Besonderheiten.

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3. Dabei ist zunächst zu untersuchen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“ und damit typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile jedenfalls bis zum Ablauf der (fiktiven) Kündigungsfrist zumutbar ist oder nicht (BAG 19. Juli 2012 - 2 AZR 989/11 - Rn. 38, NZA 2013, 143; 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 14, AP BGB § 626 Nr. 236 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 36; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 16, BAGE 134, 349).

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4. Einen in diesem Sinne die fristlose Kündigung „an sich“ rechtfertigenden Grund stellen ua. grobe Beleidigungen des Arbeitgebers oder seiner Vertreter und Repräsentanten oder von Arbeitskollegen dar, die nach Form und Inhalt eine erhebliche Ehrverletzung für den Betroffenen bedeuten (BAG 10. Dezember 2009 - 2 AZR 534/08 - Rn. 17 mwN, AP BGB § 626 Nr. 226 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 29). Entsprechendes gilt, wenn der Arbeitnehmer bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen über seinen Arbeitgeber oder Vorgesetzte bzw. Kollegen aufstellt, insbesondere wenn die Erklärungen den Tatbestand der üblen Nachrede erfüllen. Der Arbeitnehmer kann sich für ein solches Verhalten regelmäßig nicht auf sein Recht zur freien Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 GG) berufen. Das Grundrecht ist nicht schrankenlos gewährleistet (vgl. BAG 7. Dezember 2006 - 2 AZR 400/05 - AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 55 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 70). Die Meinungsfreiheit wird durch das Recht der persönlichen Ehre gemäß Art. 5 Abs. 2 GG beschränkt und muss mit diesem in ein ausgeglichenes Verhältnis gebracht werden. Zwar dürfen Arbeitnehmer - auch unternehmensöffentlich - Kritik am Arbeitgeber, ihren Vorgesetzten und den betrieblichen Verhältnissen üben und sich dabei auch überspitzt äußern. In grobem Maße unsachliche Angriffe, die zur Untergrabung der Position eines Vorgesetzten führen können, muss der Arbeitgeber aber nicht hinnehmen (vgl. BAG 10. Dezember 2009 - 2 AZR 534/08 - aaO; 24. November 2005 - 2 AZR 584/04 - Rn. 22, AP BGB § 626 Nr. 198 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 13; 10. Oktober 2002 - 2 AZR 418/01 - zu B I 3 a der Gründe, EzA BGB 2002 § 626 Unkündbarkeit Nr. 1; zur ordentlichen Kündigung: 12. Januar 2006 - 2 AZR 21/05 - Rn. 45, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 53 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 67).

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5. Von diesen Grundsätzen geht auch das Landesarbeitsgericht aus. Seine Auffassung, das Verhalten der Klägerin stelle schon keinen die fristlose Kündigung rechtfertigenden Grund „an sich“ dar, ist revisionsrechtlich zumindest insoweit nicht zu beanstanden, wie es davon ausgeht, die Klägerin habe weder im Zusammenhang mit dem Schreiben vom 22. März 2010 noch im Rahmen ihrer Stellungnahme zum Personalgespräch vom 2. Juli 2010 bewusst falsche Tatsachenbehauptungen aufgestellt.

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a) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, dem Schreiben vom 22. März 2010 sei unschwer zu entnehmen, dass die Anschuldigungen nicht durchgängig auf eigener Wahrnehmung der Klägerin beruhten. Das gelte insbesondere für die durch Fettdruck hervorgehobene Behauptung, hinsichtlich derer die Klägerin auf das Zeugnis der „mit dem Fall befassten Kollegin“ verwiesen habe. Spätestens aufgrund der anschließenden Befragungen habe der Beklagten klar sein müssen, dass weder die Klägerin noch die benannte Kollegin aus eigener Wahrnehmung hätten angeben können, der Filialleiter habe die erforderliche Kontrolle nicht vorgenommen. Verbleibende Zweifel habe die Beklagte durch eine persönliche Gegenüberstellung der Klägerin und des Filialleiters ausräumen können, was unterblieben sei. Unabhängig davon habe die Beklagte nicht dargetan, dass die Anschuldigungen, was die behaupteten Versäumnisse des Filialleiters im Rahmen der Legitimationsprüfung anbelange, unrichtig seien. Eine mögliche und zumutbare Befragung der Kunden sei nicht erfolgt. Was die Äußerungen der Klägerin im Rahmen ihrer Stellungnahme vom 4. Juli 2010 betreffe, sei nicht auszuschließen, dass sie die ihr gemachten Vorhaltungen als - konkludente - Drohung mit der Erstattung einer Strafanzeige missverstanden habe.

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b) Die dieser Würdigung zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen sind nach § 286 ZPO nur daraufhin überprüfbar, ob das Berufungsgericht von den zutreffenden Beurteilungsmaßstäben ausgegangen ist, die wesentlichen Umstände berücksichtigt und keine Denkgesetze, Erfahrungssätze oder Verfahrensvorschriften verletzt hat(vgl. BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 381/10 - Rn. 16 mwN, AP BGB § 626 Nr. 234 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 35; 16. Dezember 2010 - 2 AZR 485/08 - Rn. 21 mwN, AP BGB § 626 Nr. 232 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 33). Gemessen daran zeigt die Beklagte keinen revisionsrechtlich relevanten Rechtsfehler auf.

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aa) Soweit die Wertung des Landesarbeitsgerichts auf einer Auslegung der Erklärungen im Schreiben vom 22. März 2010 beruht, ist diese möglich. Die Klägerin beschrieb in ihrer „Anzeige“ einen Sachverhalt, für den sie sich im maßgebenden Punkt - dem behaupteten Verstoß gegen Sicherheitsrichtlinien bei der Legitimationsprüfung von Ausweispapieren - auf die Aussage einer Arbeitskollegin berief. Außerdem überließ sie es ausdrücklich weiteren Ermittlungen der Beklagten, die „Schwere des Vergehens zusammen mit der erschwerenden Vorsätzlichkeit zu werten“. Das lässt nicht - schon gar nicht zwingend - den Schluss zu, die Klägerin habe behaupten wollen, ihre Angaben beruhten insgesamt auf eigener Wahrnehmung. Ebenso wenig ist dem Schreiben mit der gebotenen Eindeutigkeit zu entnehmen, die Klägerin habe bewusst den - falschen - Eindruck erweckt oder erwecken wollen, unmittelbare Wahrnehmungen ihrer Kollegin K wiederzugeben. Gegen eine solche Interpretation als einzig mögliche Deutung spricht, dass die Klägerin für eine „möglicherweise notwendige“ Befragung auf das Zeugnis der betreffenden Mitarbeiterin verwies. Ein verständiger Empfänger der „Anzeige“ musste angesichts dieser Angaben in Rechnung stellen, dass die Klägerin lediglich Umstände beschrieb, die sie zwar nicht selbst kannte, von denen sie aber annahm, sie aufgrund greifbarer Anhaltspunkte vermuten zu dürfen.

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bb) Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts einschließlich der ihr zugrunde liegenden Auslegung lässt, anders als die Revision meint, nicht den Inhalt der nachfolgend geführten Personalgespräche außer Acht. Dabei kann zugunsten der Beklagten unterstellt werden, dass die Klägerin bei den Unterredungen am 7. April 2010, am 24. Juni 2010 und am 2. Juli 2010 jeweils an ihrer Anschuldigung festgehalten hat, der Filialleiter habe die Ausweise nicht wie vorgeschrieben überprüft. Auch dies ist kein evidentes, vernünftige Zweifel ausschließendes Indiz dafür, dass die Klägerin behaupten wollte, sie selbst habe dies beobachtet. Trotz der allgemein gehaltenen Formulierung kann den Umständen nach nicht ausgeschlossen werden, dass sie ihre Aussage in der Annahme, dies sei der Beklagten klar, stillschweigend auf Zeiten ihrer Anwesenheit im Verkaufsraum der Filiale bezogen hat. Dafür sprechen jedenfalls ihre klarstellenden Ausführungen in der Stellungnahme vom 4. Juli 2010. Überdies konnte die Klägerin davon ausgehen, dass der Beklagten ihr zeitweiliger Aufenthalt im Sozialraum bzw. der Küche bekannt war. Selbst wenn die Erklärung so zu verstehen sein sollte, die Klägerin habe behaupten wollen, der Filialleiter habe die fragliche Prüfung zu keiner Zeit, auch nicht während der Zeit ihrer Abwesenheit vom Arbeitsplatz vorgenommen, folgte daraus nicht - zumindest nicht zwingend -, dass sie bewusst über den Gegenstand ihrer eigenen Wahrnehmung oder den der Beobachtungen ihrer Kollegin zu täuschen versucht hätte. Ebenso gut kann es sein, dass sie - im Sinne einer wertenden Schlussfolgerung - auf der Grundlage der Angaben ihrer Kollegin zum äußeren Erscheinungsbild der Ausweise und dem Verhalten der Kunden zu dem Ergebnis gelangt ist, die vorgeschriebene Überprüfung der Ausweise könne nicht wirklich stattgefunden haben.

28

cc) Die Beklagte zeigt keinen materiellen Rechtsfehler auf, soweit sie sich gegen die Annahme des Landesarbeitsgerichts wendet, sie habe den Wahrheitsgehalt der Anschuldigungen nicht hinreichend aufgeklärt, sodass nicht davon ausgegangen werden könne, die Behauptungen der Klägerin seien unwahr. Damit hat das Landesarbeitsgericht weder grundlegend die Darlegungs- und Beweislast verkannt, noch hat es überzogene Anforderungen an den Vortrag der Beklagten gestellt. Diese ist für den Kündigungsgrund darlegungs- und beweispflichtig (vgl. BAG 3. November 2011 - 2 AZR 748/10 - Rn. 23 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 65 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 79). Das schließt die Darlegungslast für das Fehlen von Umständen ein, die den Arbeitnehmer entlasten (zur Darlegungslast bezüglich behaupteter Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründe: BAG 3. November 2011 - 2 AZR 748/10 - aaO; 18. September 2008 - 2 AZR 1039/06 - EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 13). Es war somit grundsätzlich Sache der Beklagten, die Unwahrheit der Behauptungen der Klägerin darzutun, dh. aufzuzeigen, dass eine hinreichende Legitimationsprüfung stattgefunden hat. Ob etwas anderes zu gelten hätte, wenn es an Anhaltspunkten für ein - mögliches - pflichtwidriges Verhalten des Filialleiters gänzlich gefehlt hätte, kann dahinstehen. So liegt der vorliegende Fall nicht. Die Klägerin hat ihre Vorwürfe nicht vollkommen „aus der Luft gegriffen“. Vielmehr stritten gewisse, wenngleich nicht zwingende Verdachtsmomente dafür, dass es sich bei einem der beiden Ausweispapiere nicht um ein echtes Dokument handelte. Wenn das Landesarbeitsgericht unter diesen Umständen angenommen hat, die Erklärung des Filialleiters, er habe die Ausweise unter der UV-Lampe im Kassenbereich geprüft, sei für sich genommen noch kein ausreichendes Indiz für die Einhaltung der Sicherheitsrichtlinien, ist dies jedenfalls vertretbar. Dies gilt umso mehr, als die Beklagte es unterlassen hat, ihre Aufklärungsmöglichkeiten auszuschöpfen. Eine solche Möglichkeit bestand objektiv in der Befragung der Kunden, von denen die Papiere stammten. Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte auch bei vorsichtig formulierter Nachfrage mit einer konkreten Gefährdung der Geschäftsbeziehung hätte rechnen müssen und ihr deshalb eine weitere Aufklärung unzumutbar gewesen wäre, sind weder dargelegt noch sonst ersichtlich. Da sich schon aus dem Unterlassen einer Nachfrage bei den Kunden ergibt, dass die Beklagte ihre Informationsmöglichkeiten nicht ausgeschöpft hat, kann dahinstehen, ob überdies eine persönliche „Gegenüberstellung“ der Klägerin und des Filialleiters angezeigt war, wie das Landesarbeitsgericht gemeint hat.

29

dd) Die Beklagte bringt vor, das Landesarbeitsgericht habe auf der Grundlage seiner Feststellungen nicht davon ausgehen dürfen, die Behauptung der Klägerin, ihr sei im Personalgespräch am 2. Juli 2010 mit einer Strafanzeige gedroht worden, beruhe auf einem Missverständnis. Insbesondere böten die Erklärungen der Klägerin in der E-Mail vom 6. Juli 2010 dafür keinen genügenden Anhaltspunkt. Damit zeigt die Beklagte keinen revisiblen Rechtsfehler auf. Sie will nur ihre eigene Bewertung der fraglichen individuellen Äußerungen an die Stelle einer zumindest vertretbaren Würdigung des Landesarbeitsgerichts setzen.

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ee) Mit ihren Verfahrensrügen dringt die Revision nicht durch.

31

(1) Soweit die Beklagte geltend macht, das Landesarbeitsgericht habe sie ausdrücklich darauf hinweisen müssen, dass es von der Zumutbarkeit einer Befragung des Kundenehepaars ausgehe, ist ihr Angriff unzulässig. Wird gerügt, das Berufungsgericht sei seiner richterlichen Hinweispflicht (§ 139 ZPO)nicht nachgekommen, muss der Rechtsmittelführer ua. im Einzelnen angeben, wie er auf einen entsprechenden Hinweis reagiert hätte. Der zunächst unterbliebene Vortrag muss nachgeholt werden. Mit der Verfahrensrüge muss er für die erforderliche Schlüssigkeit bzw. Substantiierung seines Vortrags sorgen (BAG 25. April 2006 - 3 AZR 78/05 - Rn. 39, AP BetrAVG § 7 Nr. 111 = EzA BetrAVG § 2 Nr. 27). Darüber hinaus muss er die Entscheidungserheblichkeit der Verletzung der Hinweispflicht dartun (BAG 14. März 2005 - 1 AZN 1002/04 - zu II 2 a der Gründe, BAGE 114, 67). Diesen Anforderungen wird die Revisionsbegründung nicht gerecht. Die Beklagte legt nicht dar, welchen - erheblichen - Vortrag sie im Hinblick auf den vermissten Hinweis hin geleistet und zu welchem entscheidungserheblichen Gesichtspunkt sie die Kunden als Zeugen benannt hätte.

32

(2) Die Beklagte beanstandet weiter, das Landesarbeitsgericht habe es ohne Begründung unterlassen, ihren unter I 2.1 bis 2.4 der Revisionsbegründung näher bezeichneten Beweisangeboten nachzugehen. Dadurch habe es ihren Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt und gegen das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 GG) verstoßen. Das trifft nicht zu.

33

(a) Die Rüge ist unzulässig, soweit die Beklagte meint, die Vernehmung einer weiteren namentlich genannten Filialmitarbeiterin hätte „zur Widerlegung der falschen Behauptungen der Klägerin beitragen können“. Es fehlt an der Darlegung, im Hinblick auf welche Tatsachen sie sich in welchem Schriftsatz auf das Zeugnis der betreffenden Arbeitnehmerin berufen hatte (zu den Anforderungen an die Rüge des Übergehens eines Beweisantritts: vgl. BAG 24. April 2008 - 8 AZR 347/07 - Rn. 20, AP BGB § 611 Haftung des Arbeitgebers Nr. 42 = EzA BGB 2002 § 611 Persönlichkeitsrecht Nr. 8). Entsprechendes gilt für die Rüge, das Landesarbeitsgericht habe es versäumt, die Teilnehmer des Gesprächs vom 2. Juli 2010 (nicht: 2011) zum Inhalt der Äußerungen ihrer Vertreter zu hören. Die Beklagte zeigt nicht auf, wo genau ihr vermeintlich übergangener Beweisantritt in den vorinstanzlichen Schriftsätzen zu finden sein soll und auf welchen dort gehaltenen Vortrag er sich bezieht.

34

(b) Die weiteren Angriffe der Revision sind - ihre Zulässigkeit unterstellt - unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat unterstellt, dass die Klägerin noch im Gespräch vom 2. Juli 2010 an ihren Anschuldigungen gegenüber dem Filialleiter festgehalten hat. Den Inhalt der Stellungnahmen der Mitarbeiterin K hat es für unstreitig erachtet. Es brauchte deshalb den vermeintlich übergangenen Beweisantritten nicht nachzugehen.

35

(3) Dem Berufungsurteil sind keine Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, dass das Landesarbeitsgericht davon ausgegangen wäre, die Klägerin habe objektiv die Möglichkeit gehabt zu beobachten, ob der Filialleiter eine Überprüfung der Echtheit der Personalausweise mittels UV-Lampe vorgenommen habe. Ebenso wenig enthält es tatbestandliche Feststellungen, die den Ausführungen der Beklagten zu einem Aufenthalt der Klägerin und ihrer Kolleginnen im Sozialraum während der Mittagspause widersprechen. Soweit die Beklagte beanstandet, entgegen den Feststellungen im Berufungsurteil habe ihr Filialleiter seinen Urlaub nicht am 23. März 2010, sondern bereits am 22. März 2010 angetreten, fehlt es an der Darlegung, wo genau der betreffende Vortrag zu finden sein soll. Darüber hinaus fehlt es - auch unter Berücksichtigung der offenbar postalisch erfolgten Übermittlung der „Anzeige“ der Klägerin vom 22. März 2010 - an der Darlegung, inwieweit der Zeitpunkt des Urlaubsantritts entscheidungserheblich war. Aus diesen Gründen greift auch die Erwägung der Beklagten nicht, bei Urteilszustellung binnen der Dreimonatsfrist des § 320 Abs. 2 Satz 3 ZPO wäre ein Antrag auf Tatbestandsberichtigung möglich gewesen.

36

6. Das Landesarbeitsgericht hat nicht näher geprüft, ob die Klägerin, auch wenn sie nicht bewusst falsche Tatsachenbehauptungen aufgestellt haben mag, ihre arbeitsvertragliche Pflicht zur Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB)dadurch verletzt hat, dass sie ihre Anschuldigungen nicht vorsichtiger vorgebracht, sondern ohne weitere Prüfung die rechtliche Schlussfolgerung eines „schweren und vorsätzlichen Verstoßes“ gegen Sicherheitsrichtlinien und ggf. „gesetzliche Richtlinien“ gezogen hat. Ebenso wenig hat es sich auf der ersten Prüfungsstufe des wichtigen Grundes mit der Frage befasst, ob die Klägerin ihre „Anzeige“ in der vorrangigen Absicht erstattet hat, ihrem Vorgesetzten zu schaden oder sich an diesem für die aus ihrer Sicht unberechtigten Abmahnungen zu rächen. Für eine solche Motivation könnte der Umstand sprechen, dass sie nicht das Gespräch mit dem Filialleiter gesucht hat. Überdies lassen ihre Ausführungen in der E-Mail vom 28. Juni 2010 eine erhebliche Belastungstendenz erkennen. Es erscheint nicht ausgeschlossen, in einem solchen Verhalten „an sich“ einen wichtigen Grund zur Kündigung zu erkennen.

37

a) Im Fall der Erstattung von Anzeigen bei Strafverfolgungsbehörden oder anderen zuständigen Stellen („Whistleblowing“) ist eine vertragswidrige Pflichtverletzung nicht stets schon dann zu verneinen, wenn der Arbeitnehmer die Anzeige erstattet, ohne dabei wissentlich oder leichtfertig falsche Angaben zu machen (BAG 7. Dezember 2006 - 2 AZR 400/05 - Rn. 18, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 55 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 70; 3. Juli 2003 - 2 AZR 235/02 - zu II 3 b der Gründe, BAGE 107, 36). Eine Anzeige kann unabhängig vom Nachweis der mitgeteilten Verfehlung und ihrer Strafbarkeit ein Grund zur Kündigung sein, wenn sie sich als eine unverhältnismäßige Reaktion auf das Verhalten des Arbeitgebers oder eines seiner Repräsentanten darstellt. Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, nach der Strafanzeigen gegen den Arbeitgeber mit dem Ziel, Missstände in Unternehmen oder Institutionen offenzulegen, grundsätzlich in den Anwendungsbereich des Art. 10 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten fallen(EGMR 21. Juli 2011 - 28274/08 - [Heinisch] Rn. 63 ff., AP BGB § 626 Nr. 235 = EzA BGB 2002 § 626 Anzeige gegen Arbeitgeber Nr. 1), schließt eine solche Bewertung nicht generell aus.

38

b) Es spricht einiges dafür, diese Grundsätze sinngemäß auf den Bereich innerbetrieblicher „Anzeigen“ zu übertragen. Auch unterhalb der Schwelle eines strafbaren Verhaltens muss ein Arbeitnehmer bei der Mitteilung vermeintlicher Missstände im Betrieb angemessen auf Persönlichkeitsrechte seiner Arbeitskollegen und Vorgesetzten Rücksicht nehmen. Das folgt schon aus dem berechtigten Interesse des Arbeitgebers an der Wahrung des Betriebsfriedens.

39

c) Die damit zusammenhängenden tatsächlichen und rechtlichen Fragen bedürfen im Streitfall keiner vertieften Erörterung. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die fristlose Kündigung erweise sich zumindest im Rahmen einer ggf. vorzunehmenden Einzelfallbeurteilung und Interessenabwägung als nicht gerechtfertigt. Das hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand.

40

aa) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen (st. Rspr., zuletzt bspw. BAG 19. Juli 2012 - 2 AZR 989/11 - Rn. 43, NZA 2013, 143; 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 26, AP BGB § 626 Nr. 236 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 36).

41

bb) Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 27, AP BGB § 626 Nr. 236 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 36; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 34, BAGE 134, 349). Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - aaO; 16. Dezember 2010 - 2 AZR 485/08 - Rn. 24, AP BGB § 626 Nr. 232 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 33). Als mildere Mittel gegenüber der außerordentlichen Kündigung sind - neben der hier ausgeschlossenen ordentlichen Kündigung - auch Abmahnung und Versetzung anzusehen (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - aaO; 30. Mai 1978 - 2 AZR 630/76 - BAGE 30, 309). Sie sind dann alternative Gestaltungsmittel, wenn schon sie geeignet sind, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck - die Vermeidung künftiger Störungen - zu erreichen. Einer Abmahnung bedarf es demnach nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach Abmahnung nicht zu erwarten steht, oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist (BAG 19. April 2012 - 2 AZR 186/11 - Rn. 22 mwN, EzA BGB 2002 § 626 Nr. 40; 9. Juni 2011 - 2 AZR 284/10 - Rn. 35 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 64 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 37).

42

cc) Dem Berufungsgericht kommt bei der Einzelfallprüfung und Interessenabwägung ein Beurteilungsspielraum zu. Seine Würdigung wird in der Revisionsinstanz daraufhin überprüft, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnormen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob es alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände widerspruchsfrei berücksichtigt hat (BAG 19. April 2012 - 2 AZR 258/11 - Rn. 16, EzA BGB 2002 § 626 Nr. 39; 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 29, AP BGB § 626 Nr. 236 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 36; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 17, BAGE 134, 349). Eine eigene Abwägung durch das Revisionsgericht ist dann möglich, wenn die des Berufungsgerichts fehlerhaft oder unvollständig ist und sämtliche relevanten Tatsachen feststehen (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - aaO; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 33, aaO). Daran gemessen liegt kein Abwägungsfehler des Landesarbeitsgerichts vor. Es hat die Kündigung - hinsichtlich beider Kündigungssachverhalte - als unverhältnismäßig angesehen. Die Beklagte sei verpflichtet gewesen, die Klägerin vorrangig abzumahnen. Damit hat das Landesarbeitsgericht seinen Beurteilungsspielraum nicht verletzt. Die in Rede stehenden Pflichtverletzungen der Klägerin wiegen nicht so schwer, dass eine Abmahnung entbehrlich gewesen wäre. Ebenso wenig liegen Umstände vor, die zu der Annahme berechtigten, auch ohne Abmahnung sei von einer negativen Zukunftsprognose auszugehen.

43

(1) Den Nachweis falscher Tatsachenbehauptungen hat die Beklagte nicht geführt. Die Anschuldigungen der Klägerin betreffend ein pflichtwidriges Verhalten des Filialleiters mögen auf „dürftigen“ Verdachtsmomenten beruht haben. Gleichwohl hat die Klägerin sie nicht „ins Blaue hinein“ erhoben. Ihre Pflicht zur Diskretion hat sie zumindest insofern gewahrt, als sie sich an die „Zentrale Revision“ der Beklagten gewandt hat. Selbst wenn die Klägerin - weil sie eine Pflichtverletzung allenfalls vermuten konnte - lediglich einen Verdacht hätte äußern dürfen, musste sie doch ihre Bedenken gegen ein ordnungsgemäßes Verhalten des Filialleiters nicht vollkommen zurückstellen. Einer damit möglicherweise verbundenen Pflichtverletzung der Klägerin hätte mit einer Abmahnung erfolgversprechend begegnet werden können. Das gilt auch dann, wenn der „Anzeige“ sachfremde Motive der Klägerin zugrunde gelegen haben sollten. Daraus folgt für sich genommen nicht, dass sie sich eine Abmahnung nicht hätte zur Warnung gereichen lassen, um künftig zurückhaltender vorzugehen und ggf. genauer zwischen eigenen Beobachtungen und subjektiven Schlussfolgerungen zu unterscheiden. Dies vermag der Senat, sollte das Landesarbeitsgericht diesen Aspekt bei seiner Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht genügend berücksichtigt haben, selbst zu entscheiden.

44

(2) Eine Abmahnung war auch nicht mit Blick auf die Behauptung der Klägerin entbehrlich, ihr sei im Personalgespräch vom 2. Juli 2010 eine Strafanzeige wegen übler Nachrede angedroht worden. Dabei kann zugunsten der Beklagten unterstellt werden, dass die Klägerin das ihr von den Vorinstanzen zugutegehaltene Missverständnis bei genauerer Prüfung hätte vermeiden können. Ihr Irrtum wäre auch dann nicht bedeutungslos (vgl. dazu BAG 14. Februar 1996 - 2 AZR 274/95 - zu II 4 der Gründe, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 26 = EzA BGB § 626 nF Nr. 160). Überdies hat die Klägerin mit ihrer E-Mail vom 6. Juli 2010 eine gewisse Einsicht gezeigt. Dass das Arbeitsverhältnis vor diesem Hintergrund durch das in Rede stehende Fehlverhalten so stark belastet wäre, dass eine Wiederherstellung des Vertrauens in ein künftig redliches Vorgehen der Klägerin selbst nach einer Abmahnung ausgeschlossen erschiene, ist nicht erkennbar.

45

(3) Dieser Bewertung steht nicht entgegen, dass die Klägerin ihre Stellungnahme vom 4. Juli 2010 Personen zugänglich gemacht hat, die an dem vorhergehenden Personalgespräch nicht beteiligt waren. Unabhängig davon, ob darin eine Pflichtverletzung liegt, steht auch dies einem Abmahnungserfordernis nicht entgegen. Die Beklagte beruft sich auf eine tiefgreifende Störung des Betriebsfriedens. Den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts zufolge hat sie es aber versäumt aufzuzeigen, dass eine entsprechende Störung tatsächlich eingetreten wäre. Dessen hätte es bedurft, da die Darlegung der bloßen Möglichkeit einer Störung eine verhaltensbedingte Kündigung nicht zu rechtfertigen vermag (vgl. BAG 12. Mai 2011 - 2 AZR 479/09 - Rn. 71 mwN, AP BGB § 123 Nr. 69 = EzA BGB 2002 § 123 Nr. 10). Soweit die Beklagte demgegenüber geltend macht, das Landesarbeitsgericht habe Vorbringen übergangen, zeigt sie nicht auf, wo genau sie welchen entscheidungserheblichen Vortrag zu einer konkreten Störung des Betriebsfriedens geleistet haben will. Soweit sie einen richterlichen Hinweis vermisst, fehlt es an der Darlegung, was sie hierauf Entscheidungserhebliches vorgetragen hätte. Schon aus diesen Gründen bleiben ihre Verfahrensrügen erfolglos.

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(4) Eine einschlägige Abmahnung liegt nicht vor. Die in der Personalakte verbliebene Abmahnung aus dem Jahr 2009 hatte - soweit ersichtlich - ein verspätetes Erscheinen der Klägerin zu einem Personalgespräch zum Gegenstand.

47

(5) Erweist sich die Kündigung wegen Fehlens einer Abmahnung als unverhältnismäßig, kann offenbleiben, ob die Beklagte vorrangig auch eine Versetzung der Klägerin hätte in Betracht ziehen müssen, wie das Landesarbeitsgericht gemeint hat. Einer Auseinandersetzung mit den hiergegen gerichteten Revisionsrügen bedarf es nicht.

48

II. Die hilfsweise zum 31. März 2011 erklärte außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist ist gleichfalls unwirksam. Auch insoweit fehlt es an einem wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB iVm. § 17 Ziff. 3 Abs. 1 MTV. Das Landesarbeitsgericht geht fehlerfrei davon aus, dass es dem Gebot der Verhältnismäßigkeit entsprochen hätte, die Klägerin vor Ausspruch einer Kündigung abzumahnen. Ohne eine solche Warnung war es der Beklagten nicht - weder bis zum Ablauf einer (fiktiven) ordentlichen Kündigungsfrist noch auf Dauer - unzumutbar, das Arbeitsverhältnis mit ihr fortzusetzen. Schon aus diesem Grund kann auch eine außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist keinen Bestand haben (zur Problematik: vgl. BAG 21. Juni 2012 - 2 AZR 343/11 - Rn. 18, 20, NZA 2013, 224).

49

III. Die Beklagte hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen.

        

    Berger    

        

    Rinck    

        

    Rachor    

        

        

        

    Gans    

        

    Pitsch    

                 

(1) Der Schuldner hat Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten, wenn eine strengere oder mildere Haftung weder bestimmt noch aus dem sonstigen Inhalt des Schuldverhältnisses, insbesondere aus der Übernahme einer Garantie oder eines Beschaffungsrisikos, zu entnehmen ist. Die Vorschriften der §§ 827 und 828 finden entsprechende Anwendung.

(2) Fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt.

(3) Die Haftung wegen Vorsatzes kann dem Schuldner nicht im Voraus erlassen werden.

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 12. Juni 2013 - 7 Sa 1878/12 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen fristlosen Kündigung.

2

Der Kläger ist bei der Beklagten und deren Rechtsvorgängerin seit 1996 als Kfz-Mechaniker tätig. Die Beklagte beschäftigt regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer.

3

Am 27. Juli 2012 betrat der Kläger die Sozialräume der Beklagten, um sich umzuziehen. Er traf dort auf die ihm bislang unbekannte Mitarbeiterin eines externen Reinigungsunternehmens. Bei seinem Eintreffen lehnte diese - Frau M. - in der Tür zwischen Wasch- und Umkleideraum und unterhielt sich mit zwei Kollegen des Klägers, die sich im Waschraum befanden. Dorthin begab sich auch der Kläger. Nachdem die beiden Kollegen die Räumlichkeiten verlassen hatten, führten der Kläger - während er sich Hände und Gesicht wusch - und Frau M. ein Gespräch. In dessen Verlauf stellte diese sich zunächst vor das Waschbecken und anschließend neben den Kläger. Der Kläger sagte zu ihr, sie habe einen schönen Busen und berührte sie an einer Brust. Frau M. erklärte, dass sie dies nicht wünsche. Der Kläger ließ sofort von ihr ab. Er zog sich um und verließ den Sozialraum. Frau M. arbeitete weiter. Sie schilderte den Vorfall später ihrem Arbeitgeber, der seinerseits an die Beklagte herantrat.

4

Am 31. Juli 2012 bat die Beklagte den Kläger zu einem Gespräch. Er gestand den Vorfall ein und erklärte, er habe sich eine Sekunde lang vergessen. „Die Sache“ tue ihm furchtbar leid. Er schäme sich, so etwas werde sich nicht wiederholen.

5

Mit Schreiben vom 31. Juli 2012 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien außerordentlich mit sofortiger Wirkung.

6

In der Folge richtete der Kläger ein Entschuldigungsschreiben an Frau M. Er führte mit ihr unter Zahlung eines Schmerzensgelds einen Täter-Opfer-Ausgleich herbei. Frau M. nahm seine Entschuldigung an und versicherte, die Angelegenheit sei damit für sie erledigt. Sie habe kein Interesse mehr an einer Strafverfolgung. Das gegen den Kläger eingeleitete Ermittlungsverfahren wurde gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt.

7

Der Kläger hat fristgerecht Kündigungsschutzklage erhoben. Er hat vorgetragen, er habe - subjektiv unstreitig - den Eindruck gehabt, Frau M. habe mit ihm geflirtet. Dann sei es zu einem plötzlichen „Blackout“ gekommen und er habe sich zu dem im Rückblick unverständlichen Übergriff hinreißen lassen. So unentschuldbar sein Fehlverhalten sei, so rechtfertige es doch keine außerordentliche Kündigung. Es habe sich um einen einmaligen „Ausrutscher“ gehandelt. Eine Abmahnung sei als Reaktion der Beklagten ausreichend gewesen.

8

Der Kläger hat beantragt

        

festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 31. Juli 2012 nicht aufgelöst worden ist.

9

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, der Kläger habe durch seine Bemerkung und die anschließende Berührung zwei eigenständige sexuelle Belästigungen begangen. Aufgrund der Schwere der Pflichtverletzungen sei die fristlose Kündigung gerechtfertigt. Sie - die Beklagte - sei verpflichtet, sowohl ihr eigenes als auch das weibliche Personal des externen Unternehmens vor weiteren sexuellen Belästigungen durch den Kläger zu schützen. Dessen Entschuldigungen seien lediglich unter dem Druck der ausgesprochenen Kündigung erfolgt.

10

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben. Mit ihrer Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

Entscheidungsgründe

11

Die Revision ist unbegründet.

12

A. Die außerordentliche Kündigung vom 31. Juli 2012 hat das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgelöst. Es fehlt an einem wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB.

13

I. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (BAG 10. April 2014 - 2 AZR 684/13 - Rn. 39; 21. November 2013 - 2 AZR 797/11 - Rn. 15, BAGE 146, 203).

14

II. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht einen „an sich“ wichtigen Grund angenommen. Der Kläger hat seine arbeitsvertraglichen Pflichten in erheblicher Weise verletzt. Er hat Frau M. sexuell belästigt.

15

1. Eine sexuelle Belästigung iSv. § 3 Abs. 4 AGG stellt nach § 7 Abs. 3 AGG eine Verletzung vertraglicher Pflichten dar. Sie ist „an sich“ als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB geeignet. Ob die sexuelle Belästigung im Einzelfall zur außerordentlichen Kündigung berechtigt, ist abhängig von den konkreten Umständen, ua. von ihrem Umfang und ihrer Intensität (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 16 mwN).

16

2. Der Kläger hat Frau M. sowohl verbal als auch körperlich sexuell belästigt.

17

a) Eine sexuelle Belästigung iSv. § 3 Abs. 4 AGG liegt vor, wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch sexuell bestimmte körperliche Berührungen und Bemerkungen sexuellen Inhalts gehören, bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird, insbesondere wenn ein etwa von Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird. Im Unterschied zu § 3 Abs. 3 AGG können auch einmalige sexuell bestimmte Verhaltensweisen den Tatbestand einer sexuellen Belästigung erfüllen(BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 18 mwN).

18

b) Bei der Aussage, Frau M. habe einen schönen Busen, handelte es sich nicht um ein sozialadäquates Kompliment, sondern um eine unangemessene Bemerkung sexuellen Inhalts. Die Feststellungen des Landesarbeitsgerichts tragen indes - entgegen der Ansicht der Revision - nicht die Annahme, der Kläger habe zum Ausdruck bringen wollen, Frau M. stelle in anzüglicher Weise ihre Reize zur Schau oder solle dies für ihn tun (zu einem solchen Fall vgl. BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 21). In der anschließenden Berührung lag ein sexuell bestimmter Eingriff in die körperliche Intimsphäre von Frau M. Sowohl die Bemerkung als auch die folgende Berührung waren objektiv unerwünscht. Dies war für den Kläger erkennbar (vgl. BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 22). Unmaßgeblich ist, wie er selbst sein Verhalten zunächst eingeschätzt und empfunden haben mag und verstanden wissen wollte (vgl. BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 24). Mit seinen erkennbar unerwünschten Handlungen hat der Kläger iSv. § 3 Abs. 4 AGG die Würde von Frau M. verletzt und sie zum Sexualobjekt erniedrigt.

19

III. Obschon der Kläger Frau M. sexuell belästigt hat, ist es der Beklagten zuzumuten, ihn weiter zu beschäftigen. Nach den Umständen des Streitfalls hätte eine Abmahnung als Reaktion von ihrer Seite ausgereicht.

20

1. Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen.

21

a) Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Dabei lassen sich die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumindest bis zum Ende der Frist für eine ordentliche Kündigung zumutbar war oder nicht, nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind. Im Vergleich zu einer außerordentlichen fristlosen Kündigung kommen als mildere Mittel insbesondere eine Abmahnung oder eine ordentliche Kündigung in Betracht. Sie sind dann alternative Gestaltungsmittel, wenn schon sie geeignet sind, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck - nicht die Sanktion pflichtwidrigen Verhaltens, sondern die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen des Arbeitsverhältnisses - zu erreichen (BAG 23. Oktober 2014 - 2 AZR 865/13 - Rn. 47; 25. Oktober 2012 - 2 AZR 495/11 - Rn. 15 mwN).

22

b) Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann. Ordentliche und außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus. Einer solchen bedarf es nach Maßgabe des auch in § 314 Abs. 2 iVm. § 323 Abs. 2 BGB zum Ausdruck kommenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach Abmahnung nicht zu erwarten steht, oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist(BAG 23. Oktober 2014 - 2 AZR 865/13 - Rn. 47; 25. Oktober 2012 - 2 AZR 495/11 - Rn. 16).

23

c) Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wird zudem durch § 12 Abs. 3 AGG konkretisiert. Danach hat der Arbeitgeber bei Verstößen gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG, zu denen auch sexuelle Belästigungen iSv. § 3 Abs. 4 AGG gehören, die geeigneten, erforderlichen und angemessenen arbeitsrechtlichen Maßnahmen - wie Abmahnung, Umsetzung, Versetzung oder Kündigung - zu ergreifen. Welche Maßnahmen er als verhältnismäßig ansehen darf, hängt von den konkreten Umständen ab. § 12 Abs. 3 AGG schränkt das Auswahlermessen allerdings insoweit ein, als der Arbeitgeber die Benachteiligung zu „unterbinden“ hat. Geeignet iSd. Verhältnismäßigkeit sind daher nur solche Maßnahmen, von denen der Arbeitgeber annehmen darf, dass sie die Benachteiligung für die Zukunft abstellen, dh. eine Wiederholung ausschließen (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 28 mwN).

24

d) Dem Berufungsgericht kommt bei der Prüfung und Interessenabwägung ein Beurteilungsspielraum zu. Seine Würdigung wird in der Revisionsinstanz lediglich daraufhin überprüft, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnormen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob es alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände widerspruchsfrei berücksichtigt hat (BAG 27. September 2012 - 2 AZR 646/11 - Rn. 42 mwN).

25

2. Das Landesarbeitsgericht hat die Abwägung fehlerfrei vorgenommen. Es hat die Kündigung als unverhältnismäßig angesehen. Die Beklagte sei verpflichtet gewesen, den Kläger vorrangig abzumahnen. Diese Würdigung liegt innerhalb des tatrichterlichen Beurteilungsspielraums. Es liegen keine Umstände vor, die zu der Annahme berechtigten, selbst nach einer Abmahnung sei von einer Wiederholungsgefahr auszugehen. Die in Rede stehende Pflichtverletzung des Klägers wiegt auch nicht so schwer, dass eine Abmahnung aus diesem Grund entbehrlich gewesen wäre.

26

a) Das Landesarbeitsgericht hat ohne Rechtsfehler angenommen, dass eine Abmahnung nicht deshalb verzichtbar war, weil bereits ex ante erkennbar gewesen wäre, dass eine Verhaltensänderung auch nach Abmahnung in Zukunft nicht zu erwarten stand.

27

aa) Es ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Kläger nicht unfähig sei, sein Verhalten zu ändern. Mit dem Hinweis auf einen unerklärlichen „Blackout“ wollte er ausdrücken, dass es sich bei seiner Handlungsweise um ein ihm wesensfremdes, einmaliges „Augenblicksversagen“ gehandelt habe. Es spricht nichts dafür, dass der Kläger sich noch einmal irrtümlich einbilden könnte, „angeflirtet“ zu werden, und auf eine solche Annahme erneut in vergleichbarer Weise reagieren müsste. Ersichtlich war er imstande, seine Fehleinschätzung sofort zu erkennen und entsprechend dieser Einsicht zu handeln, nämlich augenblicklich von Frau M. abzulassen.

28

bb) Das Landesarbeitsgericht hat rechtsfehlerfrei angenommen, dass der Kläger auch nicht unwillig sei, sein Verhalten zu ändern.

29

(1) Entgegen der Ansicht der Revision hat das Landesarbeitsgericht durchaus erkannt, dass es sich um eine mehraktige sexuelle Belästigung von sich steigernder Intensität gehandelt hat. Es ist allerdings angesichts des unstreitigen Geschehensablaufs von einer natürlichen Handlungseinheit ausgegangen und hat dem Kläger zugutegehalten, dass er sich über die Unerwünschtheit seines Verhaltens geirrt und dieses nach Erkennen seiner Fehleinschätzung sofort beendet habe. Daraus hat es den Schluss gezogen, der Kläger werde in dieser Weise künftig nicht mehr vorgehen und genauer zwischen eigenen Beobachtungen und subjektiven Schlussfolgerungen unterscheiden (vgl. dazu BAG 27. September 2012 - 2 AZR 646/11 - Rn. 43). Dies ist ohne Einschränkung vertretbar. Der Kläger hat nicht etwa notorisch Grenzen überschritten. Sein Verhalten ist nicht zu vergleichen mit dem des Klägers in der von der Beklagten herangezogenen Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 9. Juni 2011 (- 2 AZR 323/10 -). Dieser war bereits einschlägig abgemahnt und hatte einer Mitarbeiterin gleichwohl über mehrere Tage in immer neuen Varianten bei unterschiedlichsten Gelegenheiten trotz von ihm erkannter ablehnender Haltung zugesetzt und damit für diese ein Arbeitsumfeld geschaffen, in dem sie jederzeit mit weiteren entwürdigenden Anzüglichkeiten rechnen musste.

30

(2) Das Landesarbeitsgericht hat sich aufgrund der gesamten Umstände des Streitfalls die Überzeugung iSv. § 286 Abs. 1 ZPO gebildet, bereits durch eine Abmahnung werde eine Wiederholung iSv. § 12 Abs. 3 AGG „ausgeschlossen“. Es hat diese Überzeugung darauf gestützt, dass es sich um den ersten Vorfall nach langjähriger, beanstandungsfreier Beschäftigung gehandelt und der Kläger in dem Gespräch am 31. Juli 2012 sein Fehlverhalten ohne Zögern eingeräumt habe, obwohl er es aufgrund der „Vier-Augen-Situation“ im Waschraum möglicherweise erfolgreich hätte abstreiten können. Aus seiner Erklärung im Personalgespräch mit der Beklagten, der Vorfall tue ihm furchtbar leid und er schäme sich dafür, hat es den Schluss gezogen, dass der Kläger über sein Verhalten ehrlich erschrocken gewesen sei. In diese Richtung wiesen auch das Entschuldigungsschreiben und die Herbeiführung eines Täter-Opfer-Ausgleichs unter Zahlung eines Schmerzensgelds.

31

(3) Die Revision setzt dieser vertretbaren Würdigung nur ihre eigene Bewertung entgegen. Rechtsfehler zeigt sie nicht auf. Ein solcher liegt nicht darin, dass das Landesarbeitsgericht entschuldigendes Verhalten berücksichtigt hat, das der Kläger erst auf Vorhalt der Beklagten und unter dem Eindruck einer - drohenden - Kündigung und eines - drohenden - Strafverfahrens gezeigt hat. Zwar wirkt sich „Nachtatverhalten“ vor Zugang der Kündigung unter diesen Umständen nur schwach entlastend aus (vgl. BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 39). Jedoch kann es zumindest dann die Annahme fehlender Wiederholungsgefahr stützen, wenn es sich um die Fortsetzung einer zuvor gezeigten Einsicht handelt (zur Berücksichtigung nachträglich eingetretener Umstände vgl. allgemein BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 53, BAGE 134, 349). Das Landesarbeitsgericht durfte aufgrund seines Verhaltens nach der Zurückweisung durch Frau M. davon ausgehen, dass der Kläger noch vor dem Gespräch mit der Beklagten sein Fehlverhalten und dessen Schwere erkannt und - auch ausweislich seiner späteren Bemühungen - seine „Lektion“ schon von sich aus so weit gelernt hatte, dass eine Abmahnung ihr Übriges zum Ausschluss einer Wiederholungsgefahr getan hätte.

32

b) Das Landesarbeitsgericht hat nicht ausdrücklich geprüft, ob es einer Abmahnung deshalb nicht bedurfte, weil es sich um eine solch schwere Pflichtverletzung handelte, dass selbst deren erstmalige Hinnahme der Beklagten nach objektiven Maßstäben unzumutbar war. In der Sache hat es diese Prüfung bei der abschließenden Interessenabwägung vorgenommen. Eine eigene Beurteilung durch das Revisionsgericht ist insoweit möglich, wenn die des Berufungsgerichts fehlerhaft oder unvollständig ist und - wie hier - alle relevanten Tatsachen feststehen (BAG 25. Oktober 2012 - 2 AZR 495/11 - Rn. 31 mwN).

33

aa) Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht angeführt, dass es sich um eine einmalige Entgleisung gehandelt und der Kläger keinen Belästigungswillen gehabt habe. Er habe sich über die Unerwünschtheit seines Verhaltens geirrt (vgl. dazu BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 38).

34

bb) Entgegen der Annahme der Revision hat das Landesarbeitsgericht den Irrtum des Klägers nicht für unverschuldet erachtet oder gar Frau M. für diesen verantwortlich gemacht. Es hat weder den Gesprächsinhalt als verfänglich eingestuft, noch Frau M. die räumliche Annäherung vorgeworfen. Es ist nicht davon ausgegangen, dass sie ihrerseits die Privatsphäre des Klägers tangiert oder ein „Umschlagen“ der Situation provoziert habe. Das Landesarbeitsgericht durfte indes auch eine vermeidbare Fehleinschätzung zugunsten des Klägers berücksichtigen (vgl. BAG 27. September 2012 - 2 AZR 646/11 - Rn. 44; 14. Februar 1996 - 2 AZR 274/95 - zu II 4 der Gründe).

35

c) Da eine Abmahnung schon aus diesem Grunde nicht entbehrlich war, kommt es nicht mehr darauf an, dass das Landesarbeitsgericht auch die weitere Interessenabwägung angesichts des Irrtums über die Unerwünschtheit seines Verhaltens, der langen, beanstandungsfreien Beschäftigungszeit, des Einräumens der Pflichtverletzung trotz des Fehlens von Zeugen, der Entschuldigung und der Durchführung eines Täter-Opfer-Ausgleichs unter Zahlung eines Schmerzensgelds rechtsfehlerfrei zugunsten des Klägers vorgenommen hat. Das Beendigungsinteresse der Beklagten überwiegt nicht etwa aufgrund einer Drucksituation (vgl. dazu ErfK/Müller-Glöge 14. Aufl. § 626 BGB Rn. 185; ErfK/Oetker 14. Aufl. § 1 KSchG Rn. 142 ff.; Deinert RdA 2007, 275, 278). Es ist nicht ersichtlich, dass der Arbeitgeber von Frau M. als Auftragnehmer der Beklagten von dieser eine bestimmte Reaktion gegenüber dem Kläger gefordert hätte.

36

B. Eine Umdeutung (§ 140 BGB) in eine ordentliche Kündigung kommt nicht in Betracht. Eine solche wäre durch das Verhalten des Klägers nicht iSv. § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt. Der Beklagten war es aus den dargelegten Gründen zuzumuten, auf das mildere Mittel der Abmahnung zurückzugreifen (vgl. BAG 25. Oktober 2012 - 2 AZR 495/11 - Rn. 38).

37

C. Die Beklagte hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen.

        

    Kreft    

        

    Berger    

        

    Niemann    

        

        

        

    Krichel    

        

    Grimberg    

                 

Der Schuldner hat ein Verschulden seines gesetzlichen Vertreters und der Personen, deren er sich zur Erfüllung seiner Verbindlichkeit bedient, in gleichem Umfang zu vertreten wie eigenes Verschulden. Die Vorschrift des § 276 Abs. 3 findet keine Anwendung.

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

Tenor

1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom 16. Juli 2015 - 9 Sa 15/15 - aufgehoben.

2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit zweier Kündigungen des Beklagten.

2

Der Beklagte ist ein gemeinnütziger eingetragener Verein, dessen Zweck die Förderung der Unfallverhütung ist. Er bildet den Dachverband für seine örtlichen Mitgliedsverbände und beschäftigt nicht mehr als zehn Arbeitnehmer. Seine Satzung enthält in der Fassung vom 27. April 2013 auszugsweise folgende Bestimmungen:

        

§ 4   

        

Mitgliedschaft

        

(1)     

Ordentliche Mitglieder der Landesverkehrswacht sind:

                 

a.)     

die örtlichen Verkehrswachten

                 

b.)     

die Mitglieder des Vorstandes

        

...     

        
        

§ 10   

        

Vorstand

        

(1)     

Der Vorstand besteht aus

                 

- dem Präsidenten

                 

- drei Vizepräsidenten

                 

- dem Schatzmeister

                 

- dem Schriftführer

                 

- bis zu zehn Beisitzern

        

(2)     

Der Vorstand ist verantwortlich für die Durchführung der Verkehrswachtarbeit. Er beschließt über alle im ganzen Land einheitlich durchzuführenden Maßnahmen, soweit sie sich auf den Zweck des Vereins gemäß § 2 dieser Satzung beziehen. Diese Beschlüsse sind für alle örtlichen Verkehrswachten bindend.

        

...     

        
        

§ 11   

        

Präsidium

        

(1)     

Das Präsidium besteht aus

                 

- dem Präsidenten

                 

- den drei Vizepräsidenten

                 

- dem Schatzmeister

        

(2)     

Je zwei Mitglieder des Präsidiums vertreten gemeinsam die Landesverkehrswacht Sachsen.

        

(3)     

Das Präsidium leitet die Landesverkehrswacht und beschließt über deren laufende Geschäfte, soweit sie nicht nach der Satzung in die Zuständigkeit anderer Vereinsorgane fallen. Das Präsidium ist beschlussfähig, wenn drei Mitglieder anwesend sind.

        

(4)     

Das Präsidium bleibt bis zur Wahl von Nachfolgern im Amt. Zur Aufrechterhaltung seiner Arbeitsfähigkeit kann der Vorstand eines seiner Mitglieder bis zur Wahl mit der Wahrnehmung der Geschäfte eines Präsidiumsmitgliedes beauftragen.

                 

…       

        

§ 12   

        

Geschäftsführung

        

(1)     

Am Sitz der Landesverkehrswacht Sachsen wird eine Geschäftsstelle unterhalten, die von einem Geschäftsführer oder einer Geschäftsführerin geleitet wird.

        

(2)     

Der (die) Geschäftsführer(in) wird vom Präsidium angestellt und bei Erfordernis vom Präsidium entlassen.

                          
        

...“   

        
3

Die 1961 geborene Klägerin war zuletzt auf der Grundlage eines schriftlichen Arbeitsvertrags vom 1. November 2011 für den Beklagten als dessen Geschäftsführerin tätig. Der Vertrag bestimmt die Geltung des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) vom 12. Oktober 2006.

4

Im Frühjahr 2013 kam es zwischen der Klägerin und dem damaligen Präsidenten K sowie dem Schatzmeister L zu Unstimmigkeiten bzgl. der Behandlung angeblicher Überstunden der Klägerin und Reisekostenabrechnungen des Präsidenten. Die Klägerin beauftragte daraufhin einen Rechtsanwalt mit der Abfassung eines Schreibens an den Präsidenten, das auch den weiteren Mitgliedern des Präsidiums zur Kenntnis gegeben werden sollte. In einer E-Mail der Klägerin an ihren Rechtsanwalt vom 12. August 2013 heißt es ua.:

        

„Der Präsident und der Schatzmeister lehnen es momentan nur mündlich ab, dass Sie von Überstunden Kenntnis hatten. D.h. er geht davon aus, dass eine mit 40 Std. beschäftigte Geschäftsführerin eine mit 40 Std. angestellte Buchhalterin in der eigentlichen Arbeitszeit ersetzen kann. Das ist aber nicht mein Problem.

        

Ich möchte nämlich unserem Präsidenten nachweisen, dass er durch sein Verhalten unseren Verein wirtschaftlich sehr schadet.

        

Wir sind als LVW projektgefördert beim SMWA und beim SMI. D.h. wir bekommen pro vertraglich vereinbarten Projekt Projektkosten und Regiekosten.

        

Unsere Regiekosten können wir pro fürs Projekt geleisteter Stunde mit 37,47 € den Ministerien und bis zu einer Höhe von 12.000,00 € auch der Deutschen Verkehrswacht in Rechnung stellen.

        

…       

        

Da es Herr K gemeinsam mit Herrn L ablehnt, von Überstunden etwas zu wissen, (da will mich einer ärgern) gehe ich jetzt davon aus, dass keine Anordnung erfolgte. Dadurch sind die Überstunden ja eigentlich gar nicht entstanden und damit kann ich die nun mittlerweile 300 Überstunden auch nicht einem Ministerium gegenüber abrechnen. Daher entgehen uns momentan 11.241,00 € als Verein. …

        

Wäre das ein Ansatz, bei dem man sagen kann das durch die Fehlentscheidung des Präsidenten und des Schatzmeisters ein wirtschaftlicher Schaden … entstanden ist? Nun habe ich die Entscheidung ja nicht schriftlich, so dass der Präsident ja wie er es momentan gern tut sagen kann, das habe ich nicht so gesagt oder eben anders gemeint.

        

Ich hätte von der Taktik her eine Frage, ob ich Ihm ein Schreiben diesbezüglich abfordern kann welches in etwa so lautet:

        

Sehr geehrter Herr K,

        

im Protokoll der Präsidiumssitzung vom 15.07.2013 und vom Personalgespräch vom 23.07.2013 wird nichts über das Handling der von mir geleisteten Stunden in Vertretung von Frau F geschrieben. Auf Nachfrage bei Herrn R teilte dieser mir mit, dass er das Thema in der Präsidiumssitzung kurz angesprochen hat und Herr L geäußert hätte, dass Sie und Herr L das entschieden haben, dass ich diese Stunden ohne Ihr Wissen geleistet habe. Da ich ja nicht wieder Gefahr laufen möchte mir berichtete Dinge falsch wieder zu geben hätte ich dazu gern eine klare Aussage von Ihnen.

        

Mir wäre sehr wichtig, dass Herr K dies ablehnt, denn bei einer wirtschaftlichen Schädigung des Vereins sehen unsere Verkehrswachten rot. …“

5

Eine weitere E-Mail der Klägerin an ihren Rechtsanwalt vom 22. August 2013 enthält folgende Passage:

        

„Abgestimmt haben wir dass Sie in meinem Namen ein Schreiben an Herrn K und in Kenntnis der anderen Präsidiumsmitglieder schicken, in denen die Vorwürfe stehen. Allerdings sind wir auch zur Erkenntnis gekommen, dass es von der Taktik her besser ist, dass die Präsidiumsmitglieder Herrn K am 11.09.2013 zur Präsidiumssitzung die Vertrauensfrage stellen sollten. Wenn er sich einsichtig zeigt, und seine Unterlagen nimmt und geht haben wir das erreicht was notwendig ist, wenn nicht werden wir danach handeln und die Verkehrswachten ins Boot holen. Damit kann aber dann auch jeder leben, da wir Ihm ja selbst die Wahl lassen, sich selbst zurückzuziehen und nicht mit den Verkehrswachten drohen. ...“

6

Der Rechtsanwalt fertigte unter dem Datum des 9. September 2013 ein entsprechendes Schreiben, welches allen Präsidiumsmitgliedern vor Beginn einer Präsidiumssitzung am 11. September 2013 zugegangen war. Dem Präsidium gehörten zu diesem Zeitpunkt neben dem Präsidenten die Vizepräsidenten Z, M, R sowie der Schatzmeister L an.

7

Unter dem Datum des 12. September 2013 wandte sich der Präsident mit folgendem Schreiben an die Mitglieder der örtlichen Verkehrswachten:

        

„Sehr geehrte Damen und Herren,

        

am 11.09.2013 fand in der Geschäftsstelle der Landesverkehrswacht Sachsen eine planmäßige Präsidiumssitzung statt. In dieser sollte auch geklärt werden, welche Aufgaben und Maßnahmen erforderlich sind, um die derzeit bestehenden Unstimmigkeiten zwischen dem Präsidium und der Geschäftsführerin zu beseitigen. Diese Unstimmigkeiten beziehen sich auf die inhaltliche Ausrichtung der Arbeit der Landesverkehrswacht und auf die Geschäftsführung durch Frau P im Besonderen.

        

Zu Beginn der Präsidiumssitzung erklärte der Vizepräsident Herr Z, dass er sein Wahlamt mit sofortiger Wirkung und unbefristet ruhen lässt. Über diese Entscheidung will er Sie persönlich informieren. Anschließend hat auch der Vizepräsident Herr R erklärt, dass er sein Wahlamt mit sofortiger Wirkung und unbefristet ruhen lässt. Damit können beide Herren bis zum Widerruf ihrer Entscheidung ihr Amt als Vizepräsident in der Landesverkehrswacht Sachsen e.V. nicht wahrnehmen. In der am gleichen Tag folgenden Vorstandssitzung habe ich die Vorstandsmitglieder über die bestehenden Unstimmigkeiten zwischen Präsidium und der Geschäftsführerin und über die Erklärungen der beiden Vizepräsidenten informiert.

        

Nach der Rückkehr des Schatzmeisters aus dem Urlaub, werde ich in der 39. KW eine außerordentliche Präsidiumssitzung einberufen, in welcher wir nach praktikablen Möglichkeiten zur Lösung des Problems suchen werden. Ich kann Ihnen versichern, dass ich mich dabei ausschließlich von den Interessen der Landesverkehrswacht und die der örtlichen Verkehrswachten leiten lassen werde. Über das Ergebnis werde ich Sie zeitnah informieren.

        

...“   

8

Am 15. September 2013 nahm die Klägerin per E-Mail Kontakt zu dem Vorsitzenden der Verkehrswacht „Z L“ auf. Auszugsweise heißt es darin:

        

„…    

        

nun mal zu dem Schreiben. Ich nehme an, dass du dir das Schreiben vom Präsident mal etwas genauer angeschaut hast. Nach meiner Auffassung (habe erst nächste Woche einen Termin beim RA) liefert er uns mehrere Steilvorlagen.

        

Schreiben 1. Abschnitt:

        

‚Diese Unstimmigkeiten beziehen sich auf die inhaltliche Ausrichtung der Arbeit der Landesverkehrswacht und auf die Geschäftsführung durch Frau P im Besonderen.‘

        

...     

        

Dies sagt uns nun, dass der Präsident der LVW Sachsen mit der Inhaltlichen Ausrichtung der LVW nicht einverstanden ist, denn die 2 ruhenden Vizepräsidenten z.B. Herr R werden wohl nichts gegen die Ausrichtung haben.

        

...     

        

Euer Schreiben müsste bitte an die LVW (Vorstand) adressiert werden. Ich warte im Moment noch auf eine Antwort des RA, ob als Zweck Abwahl des Präsidiums genannt werden kann. Bitte das Schreiben vorbereiten aber noch nicht abschicken. Ich melde mich dann sehr kurzfristig. Wichtig ist, dass das Schreiben bis 24.09.2013 bei uns sein muss.

        

...     

        

Momentan kann der Zweck so lauten:

        

Im Namen der Mitglieder der Gebietsverkehrswacht Z L e.V. fordere ich die umgehende Durchführung einer außerordentlichen Mitgliederversammlung um sich in dieser mit der fragwürdigen Arbeitsweise des Präsidenten und des Präsidiums auseinanderzusetzen. Der Zweck dieser außerordentlichen Mitgliederversammlung kann nach unserer Meinung nur die Abwahl des Präsidiums sein.“

9

In einer E-Mail vom selben Tag richtete die Klägerin ein Schreiben an die Verkehrswacht „S“. Darin schlug die Klägerin vor, ein Schreiben an die Vorstandsmitglieder des Beklagten mit folgendem Inhalt zu schicken:

        

„Sehr geehrte Vorstandsmitglieder,

        

mit dem Schreiben von Herrn K vom 12.09.2013 können wir uns nicht einverstanden erklären, im Gegenteil wir sind völlig Fassungslos.

        

Wie kommt ein Präsident der 8 Jahre Schatzmeister und nun bereits über 2 Jahre Präsident der LVW ist zu der plötzlichen Erkenntnis, dass er und seine Präsidiumsmitglieder mit der inhaltlichen Ausrichtung der Arbeit der Landesverkehrswacht Sachsen nicht einverstanden sind bzw. es derartige Unstimmigkeiten gibt, die dazu führen, dass zwei Präsidiumsmitglieder ihr Amt ruhen lassen?

        

...     

        

Wenn der Präsident schreibt das er sich ausschließlich von den Interessen der Landesverkehrswacht und die der örtlichen Verkehrswachten leiten lassen will, warum tritt er mit seinem ‚geschrumpften‘ Präsidium nicht zurück. Danach wäre ein Neuanfang für die sächsischen Verkehrswachten möglich. Vertrauen diesem Präsidium gegenüber ist von unserer Seite aus nicht mehr vorhanden.

        

Die Mitglieder der Verkehrswacht ‚S‘ fordern vom Vorstand der Landesverkehrswacht Sachsen e.V. die sofortige Einberufung einer außerordentlichen Mitgliederversammlung mit dem Grund Rechenschaftslegung des Präsidiums der Landesverkehrswacht Sachsen und dem Zweck der Abwahl des Präsidiums.“

10

Am 19. September 2013 versandte die Klägerin eine E-Mail an die Mitglieder des Beklagten. Darin heißt es:

        

„Sehr geehrte Mitglieder der Landesverkehrswacht,

        

wie ich bereits angekündigt habe, gibt es größere Probleme mit unserem Präsidenten. Am vergangenen Mittwoch fand die Präsidiums- und Vorstandssitzung statt bei der wir noch die Hoffnung hatten, dass unser Präsident Einsicht zeigt dass er hier nicht schalten und walten kann wie er will.

        

In dieser Präsidiumssitzung kam es nun zu der Situation dass 2 Vizepräsidenten ihre Funktion ruhen lassen. In der Vorstandssitzung danach wurde Herr K mehrfach aufgefordert, sein Amt niederzulegen. Alles fruchtete nicht. Nun bleibt nur noch die Möglichkeit, dass die Verkehrswachten und die natürlichen Mitglieder eine außerordentliche Mitgliederversammlung fordern. In dem beigefügten Schreiben sagt Herr K (wenn man es wirklich gut liest,) dass er mit der Inhaltlichen Ausrichtung der Arbeit der Landesverkehrswacht nicht einverstanden ist. Dann auch nicht mit der GF aber dass ist nur nebenbei. Ich bitte zu beachten, dass die Landesverkehrswacht unser Verein ist und unser Verein 60 Mitglieder hat und der Präsident nicht einverstanden ist mit der inhaltlichen Ausrichtung unseres Vereins. Ich benötige bitte von jedem Mitglied ein Schreiben, in dem man sein Unverständnis zum Ausdruck bringt über dieses Schreiben. Jeder der hier angeschriebenen wird hat sich für die Landesverkehrswacht eingesetzt.

        

Wichtig ist, dass in diesem Schreiben ein Grund angegeben werden muss. Dazu habe ich gerade einen Anwalt eingebunden. Ich schicke Ihnen spätestens am Montag dazu noch einmal ein paar Vorschläge. In der Hoffnung auf Ihre Unterstützung und das diese Situation nun endlich vorbei geht verbleibe ich

        

...“   

11

Die Vizepräsidenten R und Z nahmen ihre Funktionen wieder auf. Am 25. September 2013 fand eine Präsidiumssitzung statt, bei der auch die Klägerin anwesend war. Im Lauf dieser Sitzung richteten Mitglieder des Präsidiums Fragen an die Klägerin. Deren Inhalt ist zwischen den Parteien zum Teil streitig geblieben. Der Beklagte hat ein Protokoll der Sitzung vorgelegt, welches bzgl. der Befragung der Klägerin auszugsweise wie folgt lautet:

        

Frage: Welche Aktivitäten und Äußerungen haben Sie im Zusammenhang mit den von den örtlichen Verkehrswachten und den Mitgliedern der Landesverkehrswacht eingegangenen Briefen getätigt? Mit welcher Zielsetzung haben Sie die Gespräche in den örtlichen Verkehrswachten geführt? Welche Verkehrswachten haben Sie kontaktiert?

        

-       

Mit den eingegangenen Briefen habe ich nichts zu tun. Ich habe keine Gespräche diesbezüglich geführt.

        

…       

        

Frage: Was verstehen Sie unter Loyalität?

        

-       

Ich habe kein Vertrauensverhältnis zu Herrn K, daher kann ich ihm gegenüber nicht loyal sein.

        

Frage: Haben Sie noch etwas hinzuzufügen?

        

-       

Nein, ich habe nichts hinzuzufügen.“

12

Am 4. Oktober 2013 trat Herr R von seiner Funktion als Vizepräsident des Beklagten zurück. Ein Nachfolger wurde am 10. Mai 2014 gewählt.

13

In der Präsidiumssitzung am 7. Oktober 2013 beschlossen die damals verbliebenen Mitglieder des Präsidiums einstimmig, der Klägerin wegen grober Pflichtverletzungen eine fristlose, hilfsweise ordentliche Kündigung zu erklären. Das Kündigungsschreiben sollte durch den Präsidenten K und den Vizepräsidenten M unterschrieben werden. Der Klägerin ging ein solches Kündigungsschreiben mit Datum vom 7. Oktober 2013 am 9. Oktober 2013 zu.

14

Der Beklagte beauftragte nachfolgend eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft mit einer Begutachtung der Tätigkeit der Klägerin. Nach Vorlage der Ergebnisse kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin mit Schreiben vom 22. April 2014, der Klägerin zugegangen am 24. April 2014, erneut fristlos und hilfsweise ordentlich zum nächstmöglichen Termin.

15

Die Klägerin hat die Kündigungen für unwirksam gehalten. Sie seien schon mangels ordnungsgemäßer Beschlussfassung des Präsidiums unwirksam. Das Präsidium sei aufgrund des Rücktritts des Vizepräsidenten R bis zur Wahl seines Nachfolgers nicht vollständig besetzt gewesen, da eine Beauftragung nach § 11 Abs. 4 Satz 2 der Satzung nicht erfolgt sei. Die Satzung des Beklagten enthalte keine Bestimmung, wonach die Beschlussfähigkeit des Präsidiums auch dann gegeben wäre, wenn nicht alle Präsidiumsämter besetzt sind. § 11 Abs. 3 Satz 2 der Satzung, der die Anwesenheit von drei Präsidiumsmitgliedern für die Beschlussfähigkeit fordere, sei bei Ausscheiden eines Präsidiumsmitglieds nicht einschlägig. § 12 Abs. 2 der Satzung erfordere bei Einstellung und Entlassung der Geschäftsführerin bzw. des Geschäftsführers zudem eine einstimmige Entscheidung des vollbesetzten Präsidiums. Hierbei handle es sich nicht um ein laufendes Geschäft iSd. § 11 Abs. 3 Satz 1 der Satzung.

16

Ohnehin habe kein „Erfordernis der Entlassung“ iSd. § 12 Abs. 2 der Satzung und kein wichtiger Grund zur fristlosen Kündigung gemäß § 626 Abs. 1 BGB bestanden. Sie habe die Anerkennung der erbrachten Überstunden nicht zum eigenen materiellen Vorteil erstrebt, sondern um Schaden vom Beklagten abzuwenden. Der Beklagte könne von dem Sächsischen Innenministerium Personalkosten mit einem bestimmten Entgeltsatz pro geleisteter Arbeitsstunde ersetzt verlangen. Ihre vom Präsidenten zu Unrecht nicht anerkannten Überstunden hätten daher nicht in Rechnung gestellt werden können. Dem Beklagten fehlten deswegen über 10.000,00 Euro.

17

Sie habe auch nicht versucht, die Mitglieder zu manipulieren und den Präsidenten zum Rücktritt zu zwingen. Als Reaktion auf dessen Schreiben vom 12. September 2013 sei ein Teil der Mitglieder mit dem Anliegen an sie herangetreten, ihnen bei einem Antwortschreiben an den Vorstand behilflich zu sein. Die Erfüllung dieser Bitte habe zu ihren Aufgaben als Geschäftsführerin gezählt. Sie habe das Präsidium in der Sitzung am 25. September 2013 diesbezüglich nicht belogen. Zu den Schreiben, welche den Beklagten als Reaktion auf die Mitteilung des Präsidenten vom 12. September 2013 erreicht hatten, sei sie nicht befragt worden. Das vom Beklagten über die Präsidiumssitzung vom 25. September 2013 gefertigte Protokoll sei insoweit falsch.

18

Zudem hätte es vor einer Kündigung einer Abmahnung bedurft. Eine solche sei nicht erfolgt, obwohl das Arbeitsverhältnis bereits seit dem 1. Februar 2003 bestanden habe und beanstandungsfrei verlaufen sei.

19

Die fristlose Kündigung vom 7. Oktober 2013 scheitere auch daran, dass die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB nicht eingehalten sei. Der Sachverhalt sei dem Beklagten länger als zwei Wochen vor dem Zugang der Kündigung am 9. Oktober 2013 bekannt gewesen. Dies gelte auch bzgl. der fraglichen E-Mail-Korrespondenz mit den Mitgliedern des Beklagten vom 15. bzw. 19. September 2013. Diese sei dem Beklagten am 15. bzw. 19. September 2013 zur Kenntnis gelangt. Damit sei der Sachverhalt geklärt gewesen und es habe kein Anlass für zusätzliche Ermittlungen bestanden. Nach dem 19. September 2013 habe der Beklagte auch keine neuen Erkenntnisse gewonnen.

20

Die fristlose Kündigung vom 22. April 2014 sei ebenfalls ungerechtfertigt. Der Bericht der Wirtschaftsprüfer habe keinen Kündigungsgrund ergeben.

21

Die Klägerin hat beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die fristlose Kündigung des Beklagten vom 7. Oktober 2013 beendet worden ist;

        

2.    

festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die ordentliche Kündigung des Beklagten vom 7. Oktober 2013 beendet worden ist;

        

3.    

festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die fristlose Kündigung des Beklagten vom 22. April 2014 beendet worden ist;

        

4.    

festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die ordentliche Kündigung des Beklagten vom 22. April 2014 beendet worden ist.

22

Der Beklagte hat zur Begründung seines Klageabweisungsantrags angeführt, die Kündigungen seien satzungskonform beschlossen worden und das Verhalten der Klägerin erfülle die Voraussetzungen einer fristlosen Kündigung. Das erst seit einer Neubegründung am 1. November 2011 bestehende Arbeitsverhältnis sei bereits mit Zugang der Kündigung vom 7. Oktober 2013 beendet worden.

23

Das Präsidium sei in der Sitzung am 7. Oktober 2013 gemäß § 11 Abs. 3 Satz 2 der Satzung mit vier anwesenden Mitgliedern beschlussfähig gewesen. § 12 Abs. 2 der Satzung stelle keine erhöhten Anforderungen. Der sog. Rücktritt des Vizepräsidenten R sei für die Beschlussfähigkeit des Präsidiums unbeachtlich. Er sei nach § 11 Abs. 4 Satz 1 der Satzung bis zur Wahl des Nachfolgers formell noch im Amt gewesen. Zudem sei der Rücktritt unwirksam, weil er zur Unzeit erfolgt sei. Herr R habe mit seinem Rücktritt das Ziel verfolgt, die Klägerin als seine Lebensgefährtin vor einer Kündigung zu bewahren. Darin liege ein rechtsmissbräuchliches Verhalten.

24

Ein wichtiger Grund für die Kündigung liege darin, dass die Klägerin sich mehrfach illoyal gegenüber dem Präsidenten und dem Präsidium verhalten habe. Sie habe ihre Treuepflicht verletzt und den Betriebsfrieden gestört, indem sie versucht habe, die Mitglieder des Beklagten zu manipulieren und den Präsidenten zum Rücktritt zu zwingen. Ausweislich der E-Mail-Korrespondenz mit dem im August 2013 beauftragten Rechtsanwalt habe sie bereits zu diesem Zeitpunkt die Abwahl des Präsidenten geplant. Dies habe sie ausschließlich im Eigeninteresse getan. Insbesondere habe sie die Vergütung der von ihr behaupteten Überstunden erreichen wollen. Einnahmen des Vereins im Rahmen einer Kostenerstattung wären dabei nicht zu erzielen gewesen. Die Vereinstätigkeit werde durch das zuständige Staatsministerium pauschal und somit unabhängig von geleisteten Arbeitsstunden finanziert.

25

Die zweiwöchige Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB sei gewahrt. Ab dem 19. September 2013 seien Schreiben von Mitgliedern eingegangen, die angesichts des Konflikts mit der Klägerin vermuten ließen, dass sie von dieser in der Absicht initiiert worden seien, das Präsidium abwählen zu lassen. Deshalb sei die Klägerin in der Anhörung vom 25. September 2013 nach diesen Mitgliederschreiben befragt worden. Die Anhörung sei in dem vorgelegten Sitzungsprotokoll zutreffend wiedergegeben. Der erst durch die Anhörung der Klägerin vollends offenbarte Sachverhalt sei dann im Präsidium am 7. Oktober 2013 in der Gesamtschau beraten worden. Die vorgenommene Interessenabwägung sei zu Lasten der Klägerin ausgefallen. Eine Abmahnung sei angesichts der Schwere der Pflichtverletzungen entbehrlich gewesen. Die Anhörung habe außerdem gezeigt, dass die Klägerin auch nach einer Abmahnung ihr Verhalten nicht geändert hätte.

26

Das Arbeitsgericht hat die fristlose Kündigung vom 7. Oktober 2013 wegen Versäumung der Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB für unwirksam gehalten und die Klage im Übrigen abgewiesen. Das Arbeitsverhältnis habe aufgrund der hilfsweise ausgesprochenen ordentlichen Kündigung vom 7. Oktober 2013 mit Ablauf des 31. März 2014 geendet. Dabei ist das Arbeitsgericht von einem Bestand des Arbeitsverhältnisses seit dem 1. Februar 2003 ausgegangen. Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Berufung und der Beklagte Anschlussberufung eingelegt. Das Landesarbeitsgericht hat das Urteil des Arbeitsgerichts teilweise abgeändert und die Kündigungsschutzklage insgesamt abgewiesen. Die Kündigung vom 7. Oktober 2013 habe das Arbeitsverhältnis fristlos aufgelöst. Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Klageziele weiter.

Entscheidungsgründe

27

Die Revision ist begründet. Mit der Begründung des Landesarbeitsgerichts kann die Wirksamkeit der fristlosen Kündigung vom 7. Oktober 2013 nicht bejaht werden. Der Kündigung liegt zwar auch bei einem wirksamen Rücktritt des Vizepräsidenten R ein nach der Vereinssatzung wirksamer Beschluss des Präsidiums zugrunde. Wegen des grob illoyalen Verhaltens der Klägerin und der damit verbundenen Störung des Vereinsfriedens besteht auch ohne vorherige Abmahnung ein wichtiger Grund für die außerordentliche Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses. Der Senat konnte aber nicht abschließend beurteilen, ob die fristlose Kündigung vom 7. Oktober 2013 gemäß § 626 Abs. 2 BGB innerhalb von zwei Wochen nach Kenntniserlangung von den maßgebenden Tatsachen erklärt wurde. Den durch das Landesarbeitsgericht getroffenen Feststellungen lässt sich nicht hinreichend entnehmen, ob eine ordnungsgemäße Anhörung der Klägerin am 25. September 2013 den Fristbeginn gehemmt hat. Hieraus folgt die Aufhebung des Berufungsurteils ( § 562 Abs. 1 ZPO ) und die Zurückverweisung der Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht ( § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO ).

28

1. Die fristlose, hilfsweise ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Klägerin wurde am 7. Oktober 2013 vom Präsidium des Beklagten auch bei angenommener Vakanz eines Präsidiumspostens in Übereinstimmung mit den satzungsrechtlichen Vorgaben beschlossen.

29

a) Die Verfassung eines rechtsfähigen Vereins wird grundsätzlich durch die Vereinssatzung bestimmt (§ 25 BGB). Gemäß § 40 Satz 1 BGB sind die gesetzlichen Vorgaben bzgl. der Beschlussfassung eines Vereinsvorstands nach § 28 iVm. § 32 BGB satzungsdispositiv. Ein Verein kann insoweit selbst bestimmen, welche Voraussetzungen für einen wirksamen Vorstandsbeschluss erfüllt sein müssen. Dies entspricht der verfassungsrechtlich gewährleisteten Vereinsautonomie. Art. 9 Abs. 1 GG gewährleistet die Freiheit, sich zu Vereinigungen des privaten Rechts zusammenzuschließen. Der Schutz des Grundrechts umfasst sowohl für Mitglieder als auch für die Vereinigung die Selbstbestimmung über die eigene Organisation, das Verfahren ihrer Willensbildung und die Führung ihrer Geschäfte (BVerfG 24. September 2014 - 1 BvR 3017/11 - Rn. 13).

30

b) Bei dem Beklagten wird die Beschlussfähigkeit des Vorstands in § 11 Abs. 3 Satz 2 der Satzung geregelt. Dabei ist ohne Belang, dass der nach § 26 Abs. 1 Satz 1 BGB zwingend zu bildende Vorstand nach § 11 der Satzung als Präsidium bezeichnet wird.

31

aa) § 40 Satz 1 BGB, der „nachgiebige“, dh. abdingbare Vorschriften des Vereinsrechts aufzählt, nennt § 26 Abs. 1 BGB nicht. Nach § 26 Abs. 1 Satz 1 BGB muss der Verein einen Vorstand haben. § 26 Abs. 1 Satz 2 BGB weist dem Vorstand die Stellung des gesetzlichen Vertreters des Vereins zu. Ein in einer Vereinssatzung vorgesehenes Gremium ohne Vertretungsmacht kann daher nicht der Vorstand im rechtlichen Sinne sein. Es entspricht allerdings verbreiteter Übung, dass bei der Abfassung von Vereinssatzungen Organbezeichnungen gewählt werden, die sich mit der gesetzlichen Terminologie des Vereinsrechts nicht in Einklang bringen lassen (vgl. Sauter/Schweyer/Waldner Der eingetragene Verein 20. Aufl. Rn. 308 mwN; Oestreich RPfleger 2002, 67). Vorstand im Sinne der Satzung und Vorstand im Sinne des BGB sind nicht notwendig identisch (Palandt/Ellenberger 76. Aufl. § 26 BGB Rn. 3). So kann der vertretungsberechtigte Vorstand auch als Präsidium bezeichnet sein (vgl. MünchHdbGesR/Waldner Bd. 5 § 25 Rn. 56).

32

bb) Demnach handelt es sich bei dem Präsidium des Beklagten um dessen Vorstand, auch wenn die Satzung in § 10 diese Bezeichnung für ein anderes Organ verwendet. § 11 Abs. 2 der Satzung weist die Vertretung des Beklagten den Mitgliedern des Präsidiums zu. Für den „Vorstand“ nach § 10 der Satzung ist hingegen keine Vertretungsmacht vorgesehen. Es handelt sich um ein fakultatives Vereinsorgan, dem nur die in § 10 der Satzung vorgesehenen Aufgaben zukommen.

33

c) Ausgehend von der seitens der Klägerin vertretenen Rechtsauffassung, infolge des Rücktritts des Vizepräsidenten R sei das Präsidium nicht vollständig besetzt gewesen, wäre die Kündigung der Klägerin am 7. Oktober 2013 gleichwohl formell satzungskonform beschlossen worden. Die von der Revision in Abrede gestellte Beschlussfähigkeit wäre auch dann gegeben gewesen.

34

aa) § 12 Abs. 2 der Satzung lässt sich entgegen der Revision nicht entnehmen, dass die Entlassung der Geschäftsführerin oder des Geschäftsführers eine einstimmige Entscheidung des vollbesetzten Präsidiums voraussetzt. Die Vorschrift enthält keine speziellen Vorgaben zur Beschlussfähigkeit des Präsidiums. Diese bestimmt sich vielmehr auch bei der Entscheidung über die Anstellung und Entlassung der Geschäftsführerin oder des Geschäftsführers nach § 11 Abs. 3 Satz 2 der Satzung.

35

bb) Die Voraussetzungen der Beschlussfähigkeit nach § 11 Abs. 3 Satz 2 der Satzung sind erfüllt.

36

(1) In einer Vereinssatzung kann zur Sicherung der Handlungsfähigkeit des Vereins bestimmt werden, dass die Beschlussfähigkeit des Vorstands auch dann gegeben ist, wenn nicht alle Vorstandsposten besetzt sind (vgl. MüKoBGB/Arnold 7. Aufl. § 28 Rn. 3; Burhoff Vereinsrecht 9. Aufl. Rn. 577; Reichert VereinsR 13. Aufl. Rn. 2576; Bamberger/Roth/Schöpflin BGB 3. Aufl. § 28 Rn. 3; Sauter/Schweyer/Waldner Der eingetragene Verein 20. Aufl. Rn. 245a; Otto in jurisPK-BGB 8. Aufl. § 28 BGB Rn. 5; Stöber/Otto Handbuch Vereinsrecht 11. Aufl. Rn. 442, 557; aA wohl Steffen in BGB-RGRK 12. Aufl. § 28 Rn. 3). Die von der Revision angeführten Entscheidungen des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 17. Januar 1985 (- BReg 2 Z 74/84 -) und 24. Mai 1988 (- BReg 3 Z 53/88 -) befassen sich ebenso wie Hadding (in Soergel 13. Aufl. § 28 Rn. 4) nicht mit solchen Satzungsregelungen. Sieht eine Satzung die Aufrechterhaltung der Beschlussfähigkeit des Vorstands auch bei Nichtbesetzung einer Position vor, wird hierdurch entgegen der Auffassung der Revision die demokratische Legitimation eines von der Mitgliederversammlung gemäß § 27 Abs. 1 BGB bestellten Vorstands nicht verletzt. Die Legimation der verbleibenden Vorstandsmitglieder wird durch eine Vakanz nicht beseitigt.

37

(2) Entgegen der Revision ist § 11 Abs. 3 Satz 2 der Satzung des Beklagten zu entnehmen, dass die Beschlussfähigkeit des Präsidiums auch bei nicht vollständiger Besetzung aller Präsidiumsposten gegeben sein kann.

38

(a) Der Senat kann die Satzungsbestimmungen selbst auslegen. Das Revisionsgericht ist bei der Auslegung von Satzungsrecht nicht auf die Überprüfung beschränkt, ob die Auslegung des Tatrichters gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt oder wesentliche Tatsachen außer Acht gelassen hat (vgl. BGH 13. Oktober 2015 - II ZR 23/14 - Rn. 24, BGHZ 207, 144).

39

(b) Der Wortlaut des § 11 Abs. 3 Satz 2 der Satzung ist eindeutig. Die Beschlussfähigkeit des fünfköpfigen Präsidiums wird nur von der Anwesenheit dreier Präsidiumsmitglieder abhängig gemacht. Aus welchem Grund ein weiteres Mitglied nicht anwesend ist, spielt nach dem Wortlaut der Satzungsregelung für die Beschlussfähigkeit keine Rolle. Es macht daher keinen Unterschied, ob ein Mitglied vorübergehend (zB durch Urlaub oder Krankheit) oder dauerhaft (zB wegen Tod oder Rücktritt) verhindert ist.

40

(c) Die Beschlussfähigkeit des Präsidiums trotz einer Abwesenheit von (höchstens) zwei seiner Mitglieder dient der Handlungsfähigkeit des Präsidiums. Diese Zielsetzung deckt sich mit der des § 11 Abs. 4 Satz 2 der Satzung, wonach der „Vorstand“ iSd. § 10 der Satzung im Falle der Beendigung der Amtszeit eines Präsidiumsmitglieds ein Vorstandsmitglied mit der Wahrnehmung der Geschäfte eines Präsidiumsmitglieds bis zur Wahl eines Nachfolgers beauftragen kann. Die Regelung dient ausdrücklich der „Aufrechterhaltung der Arbeitsfähigkeit“ des Präsidiums. Der Satzungsgeber war sich folglich bewusst, dass das Ende der Amtszeit eines oder mehrerer Präsidiumsmitglieder Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit des Präsidiums haben kann und wollte eine Lähmung des Präsidiums verhindern. Entgegen der Revision hat er dem „Vorstand“ iSd. § 10 der Satzung einen Ermessensspielraum gelassen, ob dieser eine Beauftragung nach § 11 Abs. 4 Satz 2 der Satzung vornehmen will („kann … beauftragen“). Damit wird eine situationsgerechte Reaktion auf eine Vakanz ermöglicht. Bei erhöhtem Arbeitsanfall wird eine Beauftragung in Betracht gezogen werden, anderenfalls bleibt die Beschlussfähigkeit des Präsidiums auch bei einer Nichtbesetzung nach § 11 Abs. 3 Satz 2 der Satzung bestehen.

41

(d) Mit dieser Konzeption ist die Auffassung der Revision, wonach eine dauerhafte Vakanz, die nicht durch eine Beauftragung nach § 11 Abs. 4 Satz 2 der Satzung ausgeglichen wurde, zur Beschlussunfähigkeit des Präsidiums führt, nicht vereinbar. Zusammen mit § 11 Abs. 4 Satz 2 der Satzung sichert § 11 Abs. 3 Satz 2 der Satzung die Beschlussfähigkeit des Präsidiums sowohl bei vorübergehender als auch bei dauerhafter Abwesenheit von bis zu zwei seiner Mitglieder. Es kann daher unentschieden bleiben, ob Satzungsregelungen, die für die Beschlussfähigkeit nur eine Mindestzahl von Anwesenden bei einer Vorstandssitzung fordern, überhaupt die Beschlussfähigkeit ausschließen wollen, wenn die geforderte Mindestanzahl von Vorstandsmitgliedern nicht mehr vorhanden ist (ablehnend Burhoff Vereinsrecht 9. Aufl. Rn. 577).

42

(3) In der Sitzung am 7. Oktober 2013 war das Präsidium beschlussfähig. Es beschlossen vier von fünf Präsidiumsmitgliedern einstimmig die Entlassung der Klägerin.

43

d) Folglich ist ohne Belang, ob die Wirksamkeit der Kündigung überhaupt von einem ordnungsgemäßen Präsidiumsbeschluss abhängt oder ob es hierauf im Außenverhältnis zur Klägerin nicht ankommt, weil die wirksame Vertretung des Vereins eine satzungskonforme interne Willensbildung grundsätzlich nicht erfordert (vgl. hierzu Palandt/Ellenberger 76. Aufl. § 26 BGB Rn. 7; BeckOK BGB/Schöpflin Stand 1. Februar 2017 BGB § 28 Rn. 6 unter Verweis auf BT-Drs. 16/13542 S. 14; Otto in jurisPK-BGB 8. Aufl. § 26 BGB Rn. 36; Erman/Westermann BGB 14. Aufl. § 28 Rn. 1).

44

2. Die mit Schreiben vom 7. Oktober 2013 erklärte Kündigung ist durch einen wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB gerechtfertigt. Damit liegt auch ein „Erfordernis der Entlassung“ iSv. § 12 Abs. 2 der Satzung vor.

45

a) Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dabei ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“ und damit typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (BAG 17. November 2016 - 2 AZR 730/15 - Rn. 20; 20. Oktober 2016 - 6 AZR 471/15 - Rn. 14).

46

b) § 12 Abs. 2 der Satzung stellt keine höheren Anforderungen an einen Kündigungsgrund. Die Satzungsnorm soll nur verdeutlichen, dass das Präsidium eine Entlassung nicht grundlos vornehmen darf. Die gesetzlichen Bestandsschutzregelungen werden nicht im Sinne eines höheren Schutzniveaus modifiziert. § 12 Abs. 2 der Satzung ist daher auch mit der Unabdingbarkeit des Rechts zur außerordentlichen Kündigung nach § 626 BGB vereinbar(vgl. hierzu APS/Vossen 5. Aufl. BGB § 626 Rn. 7 ff.).

47

c) Das Landesarbeitsgericht hat ohne revisiblen Rechtsfehler das Vorliegen eines wichtigen Grundes iSd. § 626 Abs. 1 BGB angenommen. Die Klägerin hat sich gegenüber dem Präsidenten des Beklagten in hohem Maße illoyal verhalten und damit den Vereinsfrieden erheblich gestört. Dies rechtfertigt die fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses.

48

aa) Die Klägerin hat in schwerwiegender Weise gegen ihre arbeitsvertragliche Pflicht zur Rücksichtnahme auf die berechtigten Interessen ihres Arbeitgebers (§ 241 Abs. 2 BGB) verstoßen.

49

(1) Der Arbeitnehmer ist gemäß § 241 Abs. 2 BGB verpflichtet, Störungen des Betriebsfriedens oder Betriebsablaufs zu vermeiden(vgl. AR/Fischermeier 8. Aufl. § 626 BGB Rn. 74). Dies entspricht dem berechtigten Interesse des Arbeitgebers an der Wahrung des Betriebsfriedens und der Einhaltung der betrieblichen Ordnung als Voraussetzung einer funktionierenden Arbeitsorganisation. Deshalb muss der Arbeitgeber bspw. unsachliche Angriffe, die zur Untergrabung der Position eines Vorgesetzten führen können, nicht hinnehmen (vgl. zu ehrverletzenden Äußerungen BAG 10. Dezember 2009 - 2 AZR 534/08 - Rn. 17). Ein bewusst illoyales Verhalten gegenüber Vorgesetzten kann abhängig von den Umständen des Falls einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung darstellen (vgl. BAG 13. April 2000 - 2 AZR 259/99 - zu II 4 der Gründe, BAGE 94, 228). Dies gilt jedenfalls dann, wenn es eine tatsächliche Störung des Betriebsfriedens bewirkt hat (vgl. hierzu BAG 17. März 1988 - 2 AZR 576/87 - BAGE 58, 37; ErfK/Müller-Glöge/Niemann 17. Aufl. § 626 BGB Rn. 155; KR/Fischermeier 11. Aufl. § 626 BGB Rn. 432, 124; Stahlhacke/Preis 11. Aufl. Rn. 652).

50

(2) Dies ist hier der Fall. Die Klägerin hat die zwischen ihr und Teilen des Präsidiums bestehenden Differenzen gegenüber Vereinsmitgliedern nicht nur offenbart, sondern die Mitglieder instrumentalisiert, um den Rücktritt des Präsidenten bzw. die Abwahl des Präsidiums durchzusetzen. Die an ihren Rechtsanwalt gerichteten E-Mails vom 12. und 22. August 2013 belegen, dass die Klägerin schon damals den Rücktritt oder die Abwahl insbesondere des Präsidenten anstrebte. Nachdem dessen Rücktritt nicht erfolgte, wandte sich die Klägerin mit E-Mails vom 15. und 19. September 2013 an Mitglieder des Beklagten und forderte diese auf, eine außerordentliche Mitgliederversammlung zu verlangen. Dabei machte die Klägerin deutlich, dass im Rahmen dieser Versammlung die Neuwahl des Präsidiums stattfinden sollte. Hinsichtlich der Formulierung der Mitgliederschreiben gab die Klägerin konkrete Hilfestellung. Hierzu wäre sie als Geschäftsführerin selbst dann nicht verpflichtet gewesen, wenn einzelne Mitgliedsverbände sie hierum gebeten hätten. Im Gegenteil wäre es dann ihre Pflicht gewesen, im Sinne des Vereinsfriedens auf die Mitglieder mäßigend einzuwirken und das Präsidium über die Situation zu informieren. Stattdessen hat die Klägerin versucht, eine Eskalation herbeizuführen, um die von ihr persönlich verfolgten Ziele durchzusetzen. In der Gesamtschau hat die Klägerin eine Intrige - insbesondere gegen den Präsidenten - initiiert. Dies führte dazu, dass die Mitgliedsverbände sich zumindest zum Teil gegen das Präsidium stellten und die von der Klägerin gewünschten Schreiben verfassten. Selbst wenn die von der Klägerin behauptete Unzufriedenheit einiger Mitglieder mit der Arbeit des Präsidenten bestanden hätte, hat die Klägerin mit ihrer Vorgehensweise den Konflikt in pflichtwidriger Weise verstärkt.

51

bb) Dem Beklagten war die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist auch bei Berücksichtigung der Interessen der Klägerin nicht zumutbar.

52

(1) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Zu berücksichtigen sind regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind. Sie scheidet aus, wenn es ein „schonenderes“ Gestaltungsmittel - etwa Abmahnung, Versetzung, ordentliche Kündigung - gibt, das ebenfalls geeignet ist, den mit einer außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck - nicht die Sanktion des pflichtwidrigen Verhaltens, sondern die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen des Arbeitsverhältnisses - zu erreichen (BAG 20. Oktober 2016 - 6 AZR 471/15 - Rn. 30 mwN).

53

(2) Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend entschieden, dass die Interessen des Beklagten an der fristlosen Beendigung des Arbeitsverhältnisses auch dann überwiegen, wenn entsprechend der Angabe der Klägerin von einer Betriebszugehörigkeit von mehr als zehn Jahren auszugehen wäre.

54

(a) Es ist nicht zu verkennen, dass eine fristlose Kündigung die Klägerin in sozialer Hinsicht erheblich trifft. Die Klägerin hatte zum Kündigungszeitpunkt das 51. Lebensjahr bereits vollendet und dürfte angesichts der sehr spezifischen bisherigen Tätigkeit als Geschäftsführerin einer Landesverkehrswacht Schwierigkeiten haben, eine vergleichbare Neuanstellung zu finden.

55

(b) Dennoch überwiegt wegen der Schwere der Pflichtverletzung das Beendigungsinteresse des Beklagten. Die Klägerin hat durch ihre planvolle und konfliktorientierte Vorgehensweise eine weitere vertrauliche Zusammenarbeit mit dem Präsidium in seiner damaligen Zusammensetzung praktisch unmöglich gemacht. Sie hat erkennen lassen, dass sie die Loyalität zum Präsidium bzw. zum Präsidenten von ihrer eigenen Einschätzung abhängig macht und bereit ist, ihre Ziele unter Inkaufnahme erheblicher vereinsinterner Spannungen gegen das Präsidium durchzusetzen. Dies belegt der Umstand, dass sie den Präsidenten gegenüber den Mitgliedsverbänden für die entstandenen Meinungsverschiedenheiten verantwortlich machte. Für diese einseitige Darstellung bestand kein Anlass. Entgegen der Auffassung der Revision hatte der Präsident die Klägerin durch sein Schreiben vom 12. September 2013 nicht in Misskredit gebracht. Das Schreiben berichtet vielmehr in neutraler Diktion über die „derzeit bestehenden Unstimmigkeiten zwischen dem Präsidium und der Geschäftsführerin“ und den Verlauf der Präsidiumssitzung am 11. September 2013. Ein Bedürfnis der Klägerin nach „Verteidigung“ kann daraus objektiv nicht abgeleitet werden.

56

Die Aggressivität der Vorgehensweise der Klägerin lässt sich auch mit der von ihr behaupteten Überzeugung, zum Wohle des Beklagten zu handeln, nicht rechtfertigen. Es mag sein, dass die Klägerin entsprechend der Revisionsbegründung davon ausging, die Vereinsinteressen als „Sachnächste“ am besten beurteilen zu können. Das Landesarbeitsgericht hat unter Bezugnahme auf die Begründung des erstinstanzlichen Urteils jedoch nachvollziehbar darauf hingewiesen, dass die Klägerin auch ein finanzielles Eigeninteresse verfolgte (Vergütung von Überstunden). Dessen ungeachtet war die dargestellte Instrumentalisierung der Mitgliedsverbände zur Erzwingung einer Neuwahl offensichtlich kein angemessenes Mittel der Konfliktlösung. Letztlich überhöht die Klägerin die Bedeutung ihrer Einschätzung der Vereinsinteressen und negiert die Leitungsfunktion des Präsidiums nach § 11 Abs. 3 Satz 1 der Satzung. Allein deswegen bestand der Konflikt nicht nur zwischen ihr und dem Präsidenten, wie die Revision behauptet. Zudem hat die Klägerin in ihren E-Mails vom 15. September 2013 in ihrem Textentwurf ausdrücklich die Abwahl des gesamten Präsidiums als Zweck der außerordentlichen Mitgliederversammlung benannt. Damit war die Führungsstruktur des Beklagten als solche betroffen.

57

(c) Die außerordentliche Kündigung ist keine unverhältnismäßige Reaktion auf die dargestellte Pflichtverletzung der Klägerin.

58

(aa) Die Behauptung der Revision, „eine klare und unmissverständliche schriftliche Anweisung des Präsidenten des Beklagten, dass die Klägerin dasjenige zu machen habe, was der Präsident vorgibt“, hätte ausgereicht, um künftige Störungen zu vermeiden, ist angesichts der von der Klägerin gezeigten Ablehnung der Autorität des Präsidenten nicht nachvollziehbar.

59

(bb) Eine Abmahnung war gemäß § 314 Abs. 2 Satz 3 BGB entbehrlich. Die Pflichtverletzung war so schwerwiegend, dass selbst deren erstmalige Hinnahme durch den Beklagten nach objektiven Maßstäben unzumutbar und offensichtlich ausgeschlossen war (vgl. BAG 19. November 2015 - 2 AZR 217/15  - Rn. 24 ; 20. November 2014 -  2 AZR 651/13  - Rn. 22 , BAGE 150, 109 ).

60

3. Aufgrund der bisherigen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts kann der Senat aber nicht abschließend beurteilen, ob die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB eingehalten ist.

61

a) Gemäß § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB kann eine außerordentliche Kündigung nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt nach § 626 Abs. 2 Satz 2 BGB mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Dies ist der Fall, sobald er eine zuverlässige und hinreichend vollständige Kenntnis der einschlägigen Tatsachen hat, die ihm die Entscheidung darüber ermöglicht, ob er das Arbeitsverhältnis fortsetzen soll oder nicht (BAG 20. Oktober 2016 - 6 AZR 471/15 - Rn. 51; 16. Juli 2015 - 2 AZR 85/15 - Rn. 54). Handelt es sich bei dem Arbeitgeber um eine juristische Person, ist grundsätzlich die Kenntnis des gesetzlich oder satzungsgemäß für die Kündigung zuständigen Organs maßgeblich. Sind für den Arbeitgeber mehrere Personen gemeinsam vertretungsberechtigt, genügt grundsätzlich die Kenntnis schon eines der Gesamtvertreter (BAG 18. Juni 2015 - 2 AZR 256/14 - Rn. 48 mwN).

62

b) Im Falle des Beklagten ist dessen Präsidium nach § 12 Abs. 2 der Satzung für die Kündigung der Geschäftsführerin oder des Geschäftsführers zuständig. Nach dem Vortrag des Beklagten haben die Mitglieder des Präsidiums erst durch die Anhörung der Klägerin am 25. September 2013 von den kündigungsrelevanten Tatsachen hinreichend Kenntnis erlangt. Dies würde für die Wahrung der Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB ausreichen, da die Kündigung vom 7. Oktober 2013 der Klägerin am 9. Oktober 2013 zugegangen ist. Auf Grundlage der vom Landesarbeitsgericht getroffenen Feststellungen lässt sich jedoch nicht beurteilen, ob die Klägerin ordnungsgemäß angehört wurde. Die Revision rügt zu Recht die Nichtberücksichtigung des diesbezüglichen Vortrags der Klägerin.

63

aa) Die Kenntnis der Präsidiumsmitglieder von den Ereignissen bis einschließlich des 19. Septembers 2013 führt nicht zur Versäumung der Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB. Das Präsidium durfte die Anhörung der Klägerin zur Aufklärung der Gesamtumstände für erforderlich halten. Bei einer ordnungsgemäßen Anhörung am 25. September 2013 wäre diese auch hinreichend zeitnah durchgeführt worden.

64

(1) Bei Pflichtverletzungen, die zu einem Gesamtverhalten zusammengefasst werden können, beginnt die Ausschlussfrist erst mit Kenntnis des letzten Vorfalls, der ein weiteres und letztes Glied in der Kette der Ereignisse bildet, die in ihrer Gesamtheit zum Anlass für eine Kündigung genommen werden (vgl. BAG 24. November 1983 - 2 AZR 327/82 - zu B V der Gründe mwN; 27. Juni 1980 - 7 AZR 445/78 - zu II der Gründe; KR/Fischermeier 11. Aufl. § 626 BGB Rn. 343 mwN; BeckOK BGB/Fuchs Stand 1. Februar 2017 BGB § 626 Rn. 57; HaKo/Gieseler 5. Aufl. § 626 BGB Rn. 124; MüKoBGB/Henssler 7. Aufl. § 626 Rn. 308; ErfK/Müller-Glöge/Niemann 17. Aufl. § 626 BGB Rn. 214; Stahlhacke/Preis 11. Aufl. Rn. 801; APS/Vossen 5. Aufl. BGB § 626 Rn. 134).

65

(2) Das illoyale Verhalten der Klägerin, welches zu einer Störung des Vereinsfriedens geführt hat und deshalb als Kündigungsgrund angeführt wird, stellt eine solche Pflichtverletzung dar. Maßgeblich ist das Gesamtverhalten der Klägerin im Sinne einer zielgerichteten Vorgehensweise, die sich aus mehreren Einzelakten zusammensetzt. Es ist daher nicht allein auf das Schreiben des Rechtsanwalts der Klägerin vom 9. September 2013 oder deren E-Mails vom 15. bzw. 19. September 2013 abzustellen. Das allein kündigungsberechtigte Präsidium durfte vielmehr eine Anhörung der Klägerin zur Gewinnung eines Gesamtüberblicks für erforderlich halten.

66

(a) Der Kündigungsberechtigte, der bislang nur Anhaltspunkte für einen Sachverhalt hat, der zur außerordentlichen Kündigung berechtigen könnte, kann nach pflichtgemäßem Ermessen weitere Ermittlungen anstellen und den Betroffenen anhören, ohne dass die Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB zu laufen begänne. Dies gilt allerdings nur so lange, wie er aus verständigen Gründen mit der gebotenen Eile Ermittlungen durchführt, die ihm eine umfassende und zuverlässige Kenntnis des Kündigungssachverhalts und der Beweismittel verschaffen sollen. Soll der Kündigungsgegner angehört werden, muss dies innerhalb einer kurzen Frist erfolgen. Sie darf im Allgemeinen nicht mehr als eine Woche betragen (BAG 16. Juli 2015 - 2 AZR 85/15 - Rn. 54 mwN; 12. Februar 2015 - 6 AZR 845/13 - Rn. 94, BAGE 151, 1). Der Beginn der einwöchigen Anhörungsfrist richtet sich wie bei der Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB nach dem Kenntnisstand des Kündigungsberechtigten bzgl. des möglichen Kündigungsgrunds (vgl. BAG 27. Januar 2011 - 2 AZR 825/09 - Rn. 22, BAGE 137, 54; 5. Juni 2008 - 2 AZR 25/07 - Rn. 27; 15. Mai 1987 - 7 AZR 262/86 - zu II 2 der Gründe; 3. November 1977 - 2 AZR 400/76 - zu II 1 der Gründe; 6. Juli 1972 - 2 AZR 386/71 - zu II 3 der Gründe, BAGE 24, 341). Für den Beginn der Anhörungsfrist bzgl. Pflichtverletzungen, die sich zu einem Gesamtverhalten zusammenfassen lassen, bedeutet das, dass auch die einwöchige Anhörungsfrist erst mit Kenntnis des Vorfalls anläuft, der ein weiteres und letztes Glied in der Kette der Ereignisse bildet, die in ihrer Gesamtheit den Kündigungsentschluss tragen.

67

(b) Das Landesarbeitsgericht hat rechtsfehlerfrei auf den 19. September 2013 als Beginn der einwöchigen Anhörungsfrist abgestellt. An diesem Tag versandte die Klägerin eine E-Mail an alle Mitglieder mit dem Aufruf eine außerordentliche Mitgliederversammlung zu fordern. Im Rahmen des Konflikts mit der Klägerin durfte das Präsidium diesen den gesamten Verein betreffenden Vorfall zum Anlass nehmen, eine außerordentliche Kündigung der Klägerin zu erwägen und ihre Anhörung für erforderlich zu halten. Der Sachverhalt war noch nicht geklärt. Es war nicht auszuschließen, dass die Befragung der Klägerin zu neuen Erkenntnissen bzgl. ihrer Kontakte mit den Mitgliedsverbänden führte. Zudem bestand für die Klägerin bei einer Anhörung die Möglichkeit, ihr Handeln zu erläutern und ggf. zu rechtfertigen. Ob die Anhörung tatsächlich zu einem solchen Aufklärungsergebnis geführt hat, lässt sich erst nach ihrer Durchführung einschätzen und ist für die vorgelagerte Frage, ob eine Anhörung für erforderlich gehalten werden durfte, ohne Belang (vgl. BAG 20. März 2014 - 2 AZR 1037/12 - Rn. 14; 1. Februar 2007 - 2 AZR 333/06 - Rn. 19).

68

bb) Nach den bisherigen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts steht aber noch nicht fest, ob der Beklagte mit einer ordnungsgemäßen Anhörung der Klägerin in der Präsidiumssitzung am 25. September 2013 sachdienliche Ermittlungen angestellt hat, welche die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB hemmen konnten.

69

(1) Die Anforderungen an eine fristhemmende Anhörung richten sich nach den Umständen des Einzelfalls. Die Anhörung muss sich aber immer auf einen greifbaren Sachverhalt beziehen. Der Anzuhörende muss die Möglichkeit haben, bestimmte, zeitlich und räumlich eingegrenzte Tatsachen ggf. zu bestreiten und Tatsachen aufzuzeigen, welche die für die Kündigung sprechenden Umstände entkräften.

70

(2) Die Revision rügt zu Recht, das Landesarbeitsgericht habe den Vortrag der Klägerin zum Inhalt ihrer Befragung am 25. September 2013 unberücksichtigt gelassen. Das Landesarbeitsgericht hat nur festgestellt, dass eine Anhörung der Klägerin stattgefunden habe. Es hat sich aber nicht mit dem Vortrag der Klägerin auseinandergesetzt, wonach sie entgegen dem beklagtenseits vorgelegten Protokoll nicht zu den eingegangenen Briefen der Mitgliedsverbände und zu etwaigen Gesprächen mit diesen befragt worden sei. Gleiches gelte für die angebliche Frage zu ihrer Loyalität. Zudem blieb ungeklärt, ob der Klägerin Gelegenheit zur Darstellung ihrer Sicht und damit auch zur Entlastung gegeben wurde.

71

(3) Das Landesarbeitsgericht wird den Verlauf der Anhörung der Klägerin bezogen auf den angeführten Kündigungsgrund daher aufklären müssen. Sowohl der beweisbelastete Beklagte als auch die Klägerin haben Zeugen für den jeweils behaupteten Inhalt der Befragung angeboten.

72

4. Sollte am 25. September 2013 eine den Anforderungen genügende Anhörung stattgefunden haben, wäre die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB gewahrt und die außerordentliche Kündigung vom 7. Oktober 2013 wirksam. Anderenfalls wird das Landesarbeitsgericht die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung vom 7. Oktober 2013 zu prüfen haben. Bei der Berechnung der Kündigungsfrist wäre die streitige Frage der Beschäftigungszeit zu klären, um die nach § 34 Abs. 1 Satz 2 TV-L maßgebliche Frist ermitteln zu können. § 34 Abs. 3 Satz 1 TV-L sieht vor, dass Beschäftigungszeit die Zeit ist, die bei demselben Arbeitgeber im Arbeitsverhältnis zurückgelegt wurde, auch wenn sie unterbrochen ist.

        

    VRiBAG Dr. Fischermeier ist an der
Beifügung seiner Unterschrift verhindert.
Spelge    

        

    Spelge    

        

    Krumbiegel     

        

        

        

    Kammann     

        

    M. Jostes     

                 

(1) Der Betriebsrat ist vor jeder Kündigung zu hören. Der Arbeitgeber hat ihm die Gründe für die Kündigung mitzuteilen. Eine ohne Anhörung des Betriebsrats ausgesprochene Kündigung ist unwirksam.

(2) Hat der Betriebsrat gegen eine ordentliche Kündigung Bedenken, so hat er diese unter Angabe der Gründe dem Arbeitgeber spätestens innerhalb einer Woche schriftlich mitzuteilen. Äußert er sich innerhalb dieser Frist nicht, gilt seine Zustimmung zur Kündigung als erteilt. Hat der Betriebsrat gegen eine außerordentliche Kündigung Bedenken, so hat er diese unter Angabe der Gründe dem Arbeitgeber unverzüglich, spätestens jedoch innerhalb von drei Tagen, schriftlich mitzuteilen. Der Betriebsrat soll, soweit dies erforderlich erscheint, vor seiner Stellungnahme den betroffenen Arbeitnehmer hören. § 99 Abs. 1 Satz 3 gilt entsprechend.

(3) Der Betriebsrat kann innerhalb der Frist des Absatzes 2 Satz 1 der ordentlichen Kündigung widersprechen, wenn

1.
der Arbeitgeber bei der Auswahl des zu kündigenden Arbeitnehmers soziale Gesichtspunkte nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat,
2.
die Kündigung gegen eine Richtlinie nach § 95 verstößt,
3.
der zu kündigende Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz im selben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden kann,
4.
die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nach zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen möglich ist oder
5.
eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers unter geänderten Vertragsbedingungen möglich ist und der Arbeitnehmer sein Einverständnis hiermit erklärt hat.

(4) Kündigt der Arbeitgeber, obwohl der Betriebsrat nach Absatz 3 der Kündigung widersprochen hat, so hat er dem Arbeitnehmer mit der Kündigung eine Abschrift der Stellungnahme des Betriebsrats zuzuleiten.

(5) Hat der Betriebsrat einer ordentlichen Kündigung frist- und ordnungsgemäß widersprochen, und hat der Arbeitnehmer nach dem Kündigungsschutzgesetz Klage auf Feststellung erhoben, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist, so muss der Arbeitgeber auf Verlangen des Arbeitnehmers diesen nach Ablauf der Kündigungsfrist bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits bei unveränderten Arbeitsbedingungen weiterbeschäftigen. Auf Antrag des Arbeitgebers kann das Gericht ihn durch einstweilige Verfügung von der Verpflichtung zur Weiterbeschäftigung nach Satz 1 entbinden, wenn

1.
die Klage des Arbeitnehmers keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet oder mutwillig erscheint oder
2.
die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers zu einer unzumutbaren wirtschaftlichen Belastung des Arbeitgebers führen würde oder
3.
der Widerspruch des Betriebsrats offensichtlich unbegründet war.

(6) Arbeitgeber und Betriebsrat können vereinbaren, dass Kündigungen der Zustimmung des Betriebsrats bedürfen und dass bei Meinungsverschiedenheiten über die Berechtigung der Nichterteilung der Zustimmung die Einigungsstelle entscheidet.

(7) Die Vorschriften über die Beteiligung des Betriebsrats nach dem Kündigungsschutzgesetz bleiben unberührt.

(1) Arbeitnehmer (Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer) im Sinne dieses Gesetzes sind Arbeiter und Angestellte einschließlich der zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten, unabhängig davon, ob sie im Betrieb, im Außendienst oder mit Telearbeit beschäftigt werden. Als Arbeitnehmer gelten auch die in Heimarbeit Beschäftigten, die in der Hauptsache für den Betrieb arbeiten. Als Arbeitnehmer gelten ferner Beamte (Beamtinnen und Beamte), Soldaten (Soldatinnen und Soldaten) sowie Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes einschließlich der zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten, die in Betrieben privatrechtlich organisierter Unternehmen tätig sind.

(2) Als Arbeitnehmer im Sinne dieses Gesetzes gelten nicht

1.
in Betrieben einer juristischen Person die Mitglieder des Organs, das zur gesetzlichen Vertretung der juristischen Person berufen ist;
2.
die Gesellschafter einer offenen Handelsgesellschaft oder die Mitglieder einer anderen Personengesamtheit, soweit sie durch Gesetz, Satzung oder Gesellschaftsvertrag zur Vertretung der Personengesamtheit oder zur Geschäftsführung berufen sind, in deren Betrieben;
3.
Personen, deren Beschäftigung nicht in erster Linie ihrem Erwerb dient, sondern vorwiegend durch Beweggründe karitativer oder religiöser Art bestimmt ist;
4.
Personen, deren Beschäftigung nicht in erster Linie ihrem Erwerb dient und die vorwiegend zu ihrer Heilung, Wiedereingewöhnung, sittlichen Besserung oder Erziehung beschäftigt werden;
5.
der Ehegatte, der Lebenspartner, Verwandte und Verschwägerte ersten Grades, die in häuslicher Gemeinschaft mit dem Arbeitgeber leben.

(3) Dieses Gesetz findet, soweit in ihm nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt ist, keine Anwendung auf leitende Angestellte. Leitender Angestellter ist, wer nach Arbeitsvertrag und Stellung im Unternehmen oder im Betrieb

1.
zur selbständigen Einstellung und Entlassung von im Betrieb oder in der Betriebsabteilung beschäftigten Arbeitnehmern berechtigt ist oder
2.
Generalvollmacht oder Prokura hat und die Prokura auch im Verhältnis zum Arbeitgeber nicht unbedeutend ist oder
3.
regelmäßig sonstige Aufgaben wahrnimmt, die für den Bestand und die Entwicklung des Unternehmens oder eines Betriebs von Bedeutung sind und deren Erfüllung besondere Erfahrungen und Kenntnisse voraussetzt, wenn er dabei entweder die Entscheidungen im Wesentlichen frei von Weisungen trifft oder sie maßgeblich beeinflusst; dies kann auch bei Vorgaben insbesondere aufgrund von Rechtsvorschriften, Plänen oder Richtlinien sowie bei Zusammenarbeit mit anderen leitenden Angestellten gegeben sein.
Für die in Absatz 1 Satz 3 genannten Beamten und Soldaten gelten die Sätze 1 und 2 entsprechend.

(4) Leitender Angestellter nach Absatz 3 Nr. 3 ist im Zweifel, wer

1.
aus Anlass der letzten Wahl des Betriebsrats, des Sprecherausschusses oder von Aufsichtsratsmitgliedern der Arbeitnehmer oder durch rechtskräftige gerichtliche Entscheidung den leitenden Angestellten zugeordnet worden ist oder
2.
einer Leitungsebene angehört, auf der in dem Unternehmen überwiegend leitende Angestellte vertreten sind, oder
3.
ein regelmäßiges Jahresarbeitsentgelt erhält, das für leitende Angestellte in dem Unternehmen üblich ist, oder,
4.
falls auch bei der Anwendung der Nummer 3 noch Zweifel bleiben, ein regelmäßiges Jahresarbeitsentgelt erhält, das das Dreifache der Bezugsgröße nach § 18 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch überschreitet.

Bei der Auslegung einer Willenserklärung ist der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften.

Verträge sind so auszulegen, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.

*

(1) Eine Geldschuld ist während des Verzugs zu verzinsen. Der Verzugszinssatz beträgt für das Jahr fünf Prozentpunkte über dem Basiszinssatz.

(2) Bei Rechtsgeschäften, an denen ein Verbraucher nicht beteiligt ist, beträgt der Zinssatz für Entgeltforderungen neun Prozentpunkte über dem Basiszinssatz.

(3) Der Gläubiger kann aus einem anderen Rechtsgrund höhere Zinsen verlangen.

(4) Die Geltendmachung eines weiteren Schadens ist nicht ausgeschlossen.

(5) Der Gläubiger einer Entgeltforderung hat bei Verzug des Schuldners, wenn dieser kein Verbraucher ist, außerdem einen Anspruch auf Zahlung einer Pauschale in Höhe von 40 Euro. Dies gilt auch, wenn es sich bei der Entgeltforderung um eine Abschlagszahlung oder sonstige Ratenzahlung handelt. Die Pauschale nach Satz 1 ist auf einen geschuldeten Schadensersatz anzurechnen, soweit der Schaden in Kosten der Rechtsverfolgung begründet ist.

(6) Eine im Voraus getroffene Vereinbarung, die den Anspruch des Gläubigers einer Entgeltforderung auf Verzugszinsen ausschließt, ist unwirksam. Gleiches gilt für eine Vereinbarung, die diesen Anspruch beschränkt oder den Anspruch des Gläubigers einer Entgeltforderung auf die Pauschale nach Absatz 5 oder auf Ersatz des Schadens, der in Kosten der Rechtsverfolgung begründet ist, ausschließt oder beschränkt, wenn sie im Hinblick auf die Belange des Gläubigers grob unbillig ist. Eine Vereinbarung über den Ausschluss der Pauschale nach Absatz 5 oder des Ersatzes des Schadens, der in Kosten der Rechtsverfolgung begründet ist, ist im Zweifel als grob unbillig anzusehen. Die Sätze 1 bis 3 sind nicht anzuwenden, wenn sich der Anspruch gegen einen Verbraucher richtet.

*

(1) Leistet der Schuldner auf eine Mahnung des Gläubigers nicht, die nach dem Eintritt der Fälligkeit erfolgt, so kommt er durch die Mahnung in Verzug. Der Mahnung stehen die Erhebung der Klage auf die Leistung sowie die Zustellung eines Mahnbescheids im Mahnverfahren gleich.

(2) Der Mahnung bedarf es nicht, wenn

1.
für die Leistung eine Zeit nach dem Kalender bestimmt ist,
2.
der Leistung ein Ereignis vorauszugehen hat und eine angemessene Zeit für die Leistung in der Weise bestimmt ist, dass sie sich von dem Ereignis an nach dem Kalender berechnen lässt,
3.
der Schuldner die Leistung ernsthaft und endgültig verweigert,
4.
aus besonderen Gründen unter Abwägung der beiderseitigen Interessen der sofortige Eintritt des Verzugs gerechtfertigt ist.

(3) Der Schuldner einer Entgeltforderung kommt spätestens in Verzug, wenn er nicht innerhalb von 30 Tagen nach Fälligkeit und Zugang einer Rechnung oder gleichwertigen Zahlungsaufstellung leistet; dies gilt gegenüber einem Schuldner, der Verbraucher ist, nur, wenn auf diese Folgen in der Rechnung oder Zahlungsaufstellung besonders hingewiesen worden ist. Wenn der Zeitpunkt des Zugangs der Rechnung oder Zahlungsaufstellung unsicher ist, kommt der Schuldner, der nicht Verbraucher ist, spätestens 30 Tage nach Fälligkeit und Empfang der Gegenleistung in Verzug.

(4) Der Schuldner kommt nicht in Verzug, solange die Leistung infolge eines Umstands unterbleibt, den er nicht zu vertreten hat.

(5) Für eine von den Absätzen 1 bis 3 abweichende Vereinbarung über den Eintritt des Verzugs gilt § 271a Absatz 1 bis 5 entsprechend.

(1) Löst der Gehilfe das Dienstverhältnis gemäß den Vorschriften der§§ 70 und 71wegen vertragswidrigen Verhaltens des Prinzipals auf, so wird das Wettbewerbverbot unwirksam, wenn der Gehilfe vor Ablauf eines Monats nach der Kündigung schriftlich erklärt, daß er sich an die Vereinbarung nicht gebunden erachte.

(2) In gleicher Weise wird das Wettbewerbsverbot unwirksam, wenn der Prinzipal das Dienstverhältnis kündigt, es sei denn, daß für die Kündigung ein erheblicher Anlaß in der Person des Gehilfen vorliegt oder daß sich der Prinzipal bei der Kündigung bereit erklärt, während der Dauer der Beschränkung dem Gehilfen die vollen zuletzt von ihm bezogenen vertragsmäßigen Leistungen zu gewähren. Im letzteren Falle finden die Vorschriften des § 74b entsprechende Anwendung.

(3) Löst der Prinzipal das Dienstverhältnis gemäß den Vorschriften der§§ 70 und 72wegen vertragswidrigen Verhaltens des Gehilfen auf, so hat der Gehilfe keinen Anspruch auf die Entschädigung.

(1) Der Arbeitnehmer hat bei Beendigung eines Arbeitsverhältnisses Anspruch auf ein schriftliches Zeugnis. Das Zeugnis muss mindestens Angaben zu Art und Dauer der Tätigkeit (einfaches Zeugnis) enthalten. Der Arbeitnehmer kann verlangen, dass sich die Angaben darüber hinaus auf Leistung und Verhalten im Arbeitsverhältnis (qualifiziertes Zeugnis) erstrecken.

(2) Das Zeugnis muss klar und verständlich formuliert sein. Es darf keine Merkmale oder Formulierungen enthalten, die den Zweck haben, eine andere als aus der äußeren Form oder aus dem Wortlaut ersichtliche Aussage über den Arbeitnehmer zu treffen.

(3) Die Erteilung des Zeugnisses in elektronischer Form ist ausgeschlossen.

(1) Urteile der Arbeitsgerichte, gegen die Einspruch oder Berufung zulässig ist, sind vorläufig vollstreckbar. Macht der Beklagte glaubhaft, daß die Vollstreckung ihm einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde, so hat das Arbeitsgericht auf seinen Antrag die vorläufige Vollstreckbarkeit im Urteil auszuschließen. In den Fällen des § 707 Abs. 1 und des § 719 Abs. 1 der Zivilprozeßordnung kann die Zwangsvollstreckung nur unter derselben Voraussetzung eingestellt werden. Die Einstellung der Zwangsvollstreckung nach Satz 3 erfolgt ohne Sicherheitsleistung. Die Entscheidung ergeht durch unanfechtbaren Beschluss.

(2) Im übrigen finden auf die Zwangsvollstreckung einschließlich des Arrests und der einstweiligen Verfügung die Vorschriften des Achten Buchs der Zivilprozeßordnung Anwendung. Die Entscheidung über den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung kann in dringenden Fällen, auch dann, wenn der Antrag zurückzuweisen ist, ohne mündliche Verhandlung ergehen. Eine in das Schutzschriftenregister nach § 945a Absatz 1 der Zivilprozessordnung eingestellte Schutzschrift gilt auch als bei allen Arbeitsgerichten der Länder eingereicht.

(1) Die vorläufige Vollstreckbarkeit tritt mit der Verkündung eines Urteils, das die Entscheidung in der Hauptsache oder die Vollstreckbarkeitserklärung aufhebt oder abändert, insoweit außer Kraft, als die Aufhebung oder Abänderung ergeht.

(2) Wird ein für vorläufig vollstreckbar erklärtes Urteil aufgehoben oder abgeändert, so ist der Kläger zum Ersatz des Schadens verpflichtet, der dem Beklagten durch die Vollstreckung des Urteils oder durch eine zur Abwendung der Vollstreckung gemachte Leistung entstanden ist. Der Beklagte kann den Anspruch auf Schadensersatz in dem anhängigen Rechtsstreit geltend machen; wird der Anspruch geltend gemacht, so ist er als zur Zeit der Zahlung oder Leistung rechtshängig geworden anzusehen.

(3) Die Vorschriften des Absatzes 2 sind auf die im § 708 Nr. 10 bezeichneten Berufungsurteile, mit Ausnahme der Versäumnisurteile, nicht anzuwenden. Soweit ein solches Urteil aufgehoben oder abgeändert wird, ist der Kläger auf Antrag des Beklagten zur Erstattung des von diesem auf Grund des Urteils Gezahlten oder Geleisteten zu verurteilen. Die Erstattungspflicht des Klägers bestimmt sich nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung. Wird der Antrag gestellt, so ist der Anspruch auf Erstattung als zur Zeit der Zahlung oder Leistung rechtshängig geworden anzusehen; die mit der Rechtshängigkeit nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts verbundenen Wirkungen treten mit der Zahlung oder Leistung auch dann ein, wenn der Antrag nicht gestellt wird.

Tenor

1. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg - Kammern Freiburg - vom 2. Dezember 2010 - 22 Sa 59/10 - wird zurückgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten noch über die Abgeltung von jeweils 30 Urlaubstagen aus den Jahren 2007 und 2008 sowie von 20 Urlaubstagen aus dem Jahr 2009 auf der Grundlage eines Abgeltungsbetrags von 71,76 Euro brutto pro Urlaubstag.

2

Die Klägerin war vom 15. März 1997 bis zum 31. Juli 2009 auf der Grundlage eines arbeitgeberseitig vorformulierten Formulararbeitsvertrags vom 22. März 1997 beschäftigt, zuletzt als Fachverkäuferin zu einem Stundenlohn von 9,20 Euro brutto mit einer Wochenarbeitszeit von 39 Stunden. Der Arbeitsvertrag lautet auszugsweise:

        

„Für das Arbeitsverhältnis gelten die für das Bäckerhandwerk Baden-Württemberg jeweils gültigen Bestimmungen des Manteltarifvertrages. Bei tarifvertragslosem Zustand gelten bis zum Abschluss eines neuen Tarifvertrages die Bestimmungen des alten als vereinbart.

        

Der/die Arbeitnehmer/in verpflichtet sich, bei Antritt der Tätigkeit seine/ihre Arbeitspapiere (Lohnsteuerkarte, Versicherungsnachweise, Urlaubsbescheinigung, Gesundheitszeugnis und soweit erforderlich eine Arbeitserlaubnis) ordnungsgemäß abzugeben.

        

…       

        

Der Arbeitnehmer hat ohne besondere Hinweise die gesetzlichen Bestimmungen der Aufsichtsbehörden (Gewerbeaufsichtsamt, Lebensmittelüberwachung, Gesundheitsamt, Berufsgenossenschaft etc.) hinsichtlich Sicherheit, Sauberkeit, Jugendarbeitsschutzgesetz etc. zu beachten.

        

Soweit vorstehend nichts anderes vereinbart wurde, gelten die jeweils gültigen Bestimmungen des Manteltarifvertrages für das Bäckerhandwerk in Baden-Württemberg (z. B. Anspruch auf Urlaub, zusätzliches Urlaubsgeld, Kündigung etc.).“

3

In dem Manteltarifvertrag für das Bäckerhandwerk in Baden-Württemberg vom 12. Dezember 1991 (MTV) heißt es ua.:

        

„§ 11 

        

Urlaub

        

…       

        
        

6.    

Der Urlaub muss im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden. Die Übertragung des Urlaubs auf das nächste Kalenderjahr ist statthaft, wenn dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe dies rechtfertigen. Im Falle der Übertragung ist der Urlaub in den ersten drei Monaten des folgenden Jahres geltend zu machen und zu gewähren. Der Urlaubsanspruch erlischt am 31. März, sofern er nicht vorher erfolglos geltend gemacht worden ist.

                 

Der Urlaubsplan wird zwischen Betriebsleitung und Betriebsrat oder, wo ein solcher nicht besteht, mit dem einzelnen Arbeitnehmer vereinbart und durch Aushang bekanntgegeben.

        

…       

        
        

14.     

Kann der Urlaub wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht gewährt werden, so ist er abzugelten. Endet ein Arbeitsverhältnis durch Vertragsbruch des Arbeitnehmers bzw. durch selbstverschuldete fristlose Entlassung, so verfällt der über den gesetzlichen Mindesturlaub hinausgehende Urlaubs- bzw. Abgeltungsanspruch.

        

…       

        
        

18.     

… Ab ... erhalten alle Arbeitnehmer 36 Werktage Urlaub.

        

…       

                 
        

§ 21   

        

Ausschlussfristen

        

Alle gegenseitigen Ansprüche sind innerhalb einer Frist von 6 Wochen nach Entstehen schriftlich geltend zu machen. Nach Ablauf dieser Frist ist die Geltendmachung dieser Ansprüche ausgeschlossen.

        

Ist ein Arbeitnehmer durch außerordentliche Störung seines körperlichen oder geistigen Zustandes nicht in der Lage, Ansprüche gemäß Satz 1 geltend zu machen, so ist der Lauf der Ausschlussfrist bis zu dem Tage gehemmt, an dem diese gesundheitlichen Beeinträchtigungen behoben sind.“

4

Ab Herbst 2007 war die Klägerin durchgängig arbeitsunfähig krank. Sie bezog ab Oktober 2007 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung, die zunächst bis zum 28. Februar 2009 befristet war und anschließend auf der Grundlage eines Bescheids vom 16. Oktober 2008 als Dauerrente weitergewährt wurde. Mit Schreiben vom 19. Februar 2009 forderte die Klägerin die Beklagte ohne Erfolg auf, die ihr noch zustehende Urlaubsabgeltung für die Kalenderjahre 2007 und 2008 bis zum 2. März 2009 abzurechnen und auszuzahlen.

5

Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, auch während der Zeit ihrer Arbeitsunfähigkeit und des Bezugs der Erwerbsminderungsrente seien Urlaubsansprüche entstanden, die nicht verfallen seien. Die Urlaubsregelung unterscheide nicht zwischen dem gesetzlichen Mindesturlaub und dem vereinbarten Mehrurlaub. Der mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses entstandene Anspruch auf Urlaubsabgeltung sei nicht aufgrund der tariflichen Ausschlussfrist des MTV untergegangen.

6

Die Klägerin hat - soweit für die Revision von Interesse - beantragt,

        

        

die Beklagte zu verurteilen, an sie 5.740,80 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit Rechtshängigkeit der Klage zu zahlen.

7

Die Beklagte hat zu ihrem Klageabweisungsantrag die Auffassung vertreten, in der Zeit ihrer Erwerbsunfähigkeit habe die Klägerin keinen Urlaubsanspruch erworben, weil das Arbeitsverhältnis wegen des Bezugs einer Rente wegen voller Erwerbsminderung geruht habe. Eine Ansammlung von Urlaubsansprüchen über mehrere Jahre hinweg sei nicht gerechtfertigt. Im Übrigen habe die Klägerin die Ausschlussfrist des § 21 MTV nicht gewahrt.

8

Das Arbeitsgericht hat der Klage - soweit für die Revision von Interesse - mit Urteil vom 22. Juni 2010 stattgegeben. Mit Schreiben vom 29. Juni 2010 beantragte die Klägerin die Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung des Urteils. Das erstinstanzliche Urteil wurde beiden Parteien am 1. Juli 2010 zugestellt und die vollstreckbare Ausfertigung am 12. Juli 2010 erteilt. Am 15. Juli 2010 forderte die Klägerin die Beklagte per Fax zur Zahlung auf. Danach zahlte die Beklagte den titulierten Betrag.

9

Die Beklagte hat in der Berufungsinstanz im Wege der Widerklage beantragt,

        

        

die Klägerin zu verurteilen, den aus dem Urteil - 7 Ca 63/10 - vollstreckten Betrag iHv. 5.740,80 Euro an sie zurückzuzahlen.

10

Die Klägerin hat zu ihrem Antrag auf Abweisung der Widerklage die Ansicht vertreten, die Beklagte habe schon deshalb keinen Rückzahlungsanspruch, weil sie aus freien Stücken geleistet habe.

11

Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert, die Klage insgesamt abgewiesen und der Widerklage stattgegeben. Die Klägerin verfolgt mit der Revision die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils und die Abweisung der Widerklage.

Entscheidungsgründe

12

Die Revision der Klägerin ist teilweise unzulässig und im Übrigen unbegründet.

13

I. Soweit die Klägerin ihren Zahlungsantrag in der Revisionsinstanz erstmals darauf stützt, die Beklagte sei mit der Aushändigung einer Niederschrift der wesentlichen Vertragsbedingungen iSd. Nachweisgesetzes in Verzug gewesen und schulde der Klägerin daher Schadensersatz, ist die Revision unzulässig. Die Schadensersatzklage betrifft einen neuen Streitgegenstand. Der Sache nach handelt es sich um eine Klageerweiterung, die in der Revisionsinstanz grundsätzlich unzulässig ist, weil das Revisionsgericht an das Tatsachenvorbringen und die Feststellungen im Berufungsverfahren gebunden ist (§ 559 ZPO; vgl. BAG 28. Oktober 2008 - 3 AZR 903/07 - Rn. 17 mwN, AP ZPO § 264 Nr. 9). Feststellungen des Landesarbeitsgerichts zum geltend gemachten Schadensersatzanspruch sind nicht getroffen.

14

II. Das Landesarbeitsgericht hat im Ergebnis zu Recht entschieden, dass die Klage unbegründet und die Widerklage der Beklagten begründet ist.

15

1. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Urlaubsabgeltung aus § 7 Abs. 4 BUrlG, § 11 Ziff. 14 MTV. Einer Geltendmachung des Abgeltungsanspruchs steht jedenfalls § 21 Satz 2 MTV entgegen. Nach dieser Vorschrift ist die Geltendmachung von Ansprüchen nach Ablauf der sechswöchigen Ausschlussfrist des § 21 Satz 1 MTV ausgeschlossen.

16

a) Entgegen der Rechtsansicht der Klägerin fand die Regelung des § 21 MTV auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung.

17

aa) Zwar lässt sich die Geltung des MTV nicht aus dem TVG ableiten. Der für allgemeinverbindlich erklärte MTV war zum 31. Dezember 1996 gekündigt worden (vgl. BAG 15. Oktober 2003 - 4 AZR 573/02 - zu I 2 der Gründe, BAGE 108, 114). Das Arbeitsverhältnis der Parteien wurde nach diesem Zeitpunkt begründet, sodass sich das Arbeitsverhältnis nicht gemäß § 4 Abs. 5 TVG nach dem MTV richtete. Die Nachwirkung von Tarifnormen erstreckt sich nicht auf ein Arbeitsverhältnis, das erst während des Nachwirkungszeitraums eines ursprünglich für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrags begründet wird (st. Rspr., vgl. BAG 2. März 2004 - 1 AZR 271/03 - zu I 2 der Gründe, BAGE 109, 369).

18

bb) Die Parteien haben die Anwendung der Ausschlussfrist des MTV jedoch vertraglich vereinbart. Die Begründung eines Arbeitsverhältnisses im Nachwirkungszeitraum schließt es nicht aus, dass die Arbeitsvertragsparteien die abgelaufenen Tarifbestimmungen einzelvertraglich in Bezug nehmen(BAG 9. Mai 2007 - 4 AZR 319/06 - Rn. 32, 36, AP BGB § 305c Nr. 8 = EzA BGB 2002 § 305c Nr. 12; 20. September 2006 - 10 AZR 33/06 - Rn. 20, NZA 2007, 164). Dies entsprach dem Willen der Parteien. Ihr Vertrag regelt ausdrücklich, dass „bei tarifvertragslosem Zustand“ die Bestimmungen des alten Tarifvertrags bis zum Abschluss eines neuen als vereinbart gelten. Es ist dabei unerheblich, dass in dem von der Beklagten vorformulierten Formulararbeitsvertrag zweifach mit unterschiedlichem Wortlaut auf den Tarifvertrag Bezug genommen wurde.

19

(1) Keine der beiden Bezugnahmeklauseln lässt sich im Hinblick auf ihren klaren Wortlaut so auslegen, dass die Bestimmungen des MTV und damit auch die Ausschlussfrist des § 21 MTV nicht in Bezug genommen werden. Für eine Anwendung des § 305c Abs. 2 BGB, nach dem Zweifel bei der Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen zulasten des Verwenders gehen, ist daher kein Raum.

20

(2) Die Bezugnahmeklauseln in dem von der Beklagten vorformulierten Arbeitsvertrag sind auch nicht gemäß § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB unwirksam. Nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB sind Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Eine unangemessene Benachteiligung kann sich auch daraus ergeben, dass die Bestimmung nicht klar und verständlich ist (§ 307 Abs. 1 Satz 2 BGB). Sinn des Transparenzgebots ist es, der Gefahr vorzubeugen, dass der Vertragspartner des Klauselverwenders von der Durchsetzung bestehender Rechte abgehalten wird ( BAG 24. Oktober 2007 - 10 AZR 825/06  - Rn. 14, BAGE 124, 259 ). Für die Annahme, eine Klausel verstoße gegen das Transparenzgebot, reicht es deshalb nicht aus, dass der Arbeitnehmer keine oder nur eine erschwerte Möglichkeit hat, die betreffende Regelung zu verstehen ( BAG 15. April 2008 - 9 AZR 159/07  - Rn. 77, AP TVG § 1 Altersteilzeit Nr. 38 = EzA TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 21). Erst in der Gefahr, dass der Arbeitnehmer wegen unklar abgefasster Allgemeiner Geschäftsbedingungen nicht erkennen kann, ob und wie er seine Rechte wahrnehmen kann, liegt die für die Rechtsfolge der Unwirksamkeit erforderliche unangemessene Benachteiligung iSv. § 307 Abs. 1 BGB(BAG 21. Juni 2011 - 9 AZR 236/10 - Rn. 43, AP TzBfG § 9 Nr. 7 = EzA TzBfG § 9 Nr. 5; 14. März 2007 - 5 AZR 630/06 - Rn. 27, BAGE 122, 12 ).

21

Die beiden Klauseln sind ausreichend klar und verständlich und in Bezug auf die Anwendbarkeit der tariflichen Vorschriften nicht widersprüchlich. Zwar enthält die den Vertrag einleitende Bezugnahme - anders als die zweite - keinen Vorbehalt dahin gehend, dass der Tarifvertrag nur insoweit zur Anwendung gelangen soll, als im Arbeitsvertrag nichts anderes vereinbart wurde. Dieser Vorbehalt ist jedoch grundsätzlich jeder arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel immanent, ohne dass er ausdrücklich vereinbart werden muss. Insofern haben beide Bezugnahmeklauseln den gleichen Inhalt. Der Arbeitsvertrag enthält weder eine Regelung, die dem Regelungsbereich des § 21 MTV entspricht, noch sind Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Parteien die Geltung von Ausschlussfristen für ihr Arbeitsverhältnis ausschließen wollten. Es bestand daher keine Gefahr, dass die Klägerin in der Annahme, die Verfallfristen sollten nicht gelten, von einer Geltendmachung von Ansprüchen abgesehen hat.

22

b) Die Parteien konnten die Geltung einer sechswöchigen tariflichen Ausschlussfrist vereinbaren.

23

aa) Entgegen der Ansicht der Revision ist die Länge der Verfallfrist keiner Angemessenheitskontrolle gemäß § 307 Abs. 1 BGB zu unterziehen.

24

(1) Nach dem Wortlaut des § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB finden die §§ 305 bis 310 BGB auf Tarifverträge keine Anwendung. § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB enthält seinem Wortlaut nach keine Einschränkung dahin, dass dies nur für Tarifverträge gelten soll, die kraft Tarifbindung unmittelbar und zwingend gelten(§ 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG). Der gesetzliche Gesamtzusammenhang spricht gleichfalls gegen eine Inhaltskontrolle einschlägiger tarifvertraglicher Regelungen, die im Arbeitsvertrag im Wege der Globalverweisung in Bezug genommen worden sind (BAG 28. Juni 2007 - 6 AZR 750/06 - Rn. 22, BAGE 123, 191). Nach § 310 Abs. 4 Satz 3 BGB stehen Tarifverträge Rechtsvorschriften iSv. § 307 Abs. 3 BGB gleich. Mit der uneingeschränkten Verweisung auf den einschlägigen Tarifvertrag erlangen die tarifvertraglichen Bestimmungen bei nicht tarifgebundenen Arbeitnehmern erst Geltung im Arbeitsverhältnis. Die Verweisung führt damit nicht zu einer Abweichung von Rechtsvorschriften iSv. § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB, sondern zu deren Anwendbarkeit. Eine Inhaltskontrolle hat in diesem Fall nicht zu erfolgen, weil sie gemäß § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB nur bei einer Abweichung von Rechtsvorschriften stattfindet(vgl. BAG 13. Juli 2010 - 9 AZR 264/09 - Rn. 50; 23. September 2004 - 6 AZR 442/03 - zu II 2 e der Gründe, BAGE 112, 64; ErfK/Preis 12. Aufl. §§ 305 - 310 BGB Rn. 13; HWK/Gotthardt 5. Aufl. § 307 BGB Rn. 14). Die Vermutung der Angemessenheit endet nicht mit der Kündigung des Tarifvertrags durch eine der Tarifvertragsparteien (aA wohl Thüsing/Lambrich NZA 2002, 1361, 1363). Das folgt schon daraus, dass das Gesetz bei tarifgebundenen Arbeitsvertragsparteien gemäß § 4 Abs. 5 TVG die Nachwirkung des gekündigten Tarifvertrags anordnet(vgl. BAG 16. August 1990 - 8 AZR 439/89 - zu 4 b der Gründe, BAGE 65, 359). Ordnet das Gesetz die Geltung des außer Kraft getretenen Tarifvertrags an (vgl. BAG 29. Januar 1975 - 4 AZR 218/74 - BAGE 27, 22), sind keine Gründe ersichtlich, die dagegen sprechen, eine solche Geltung auch ohne Angemessenheitsprüfung durch Formulararbeitsvertrag herbeiführen zu können. Ob etwas anderes gilt, wenn die Tarifvertragsparteien die Nachwirkung des Tarifvertrags ausgeschlossen haben (vgl. dazu BAG 3. September 1986 - 5 AZR 319/85 - zu I 1 b der Gründe, BAGE 53, 1), bedarf im vorliegenden Fall keiner Entscheidung.

25

(2) Die Parteien haben eine Globalverweisung in diesem Sinne vereinbart. Es sollten nach dem Wortlaut des Vertrags die jeweils gültigen Bestimmungen des Manteltarifvertrags für das Bäckerhandwerk in Baden-Württemberg zur Anwendung kommen. Dabei wurde nicht nur auf bestimmte Regelungsgegenstände Bezug genommen. In der zweiten Bezugnahmeklausel werden in einem Klammerzusatz zwar bestimmte Regelungskomplexe ausdrücklich erwähnt. Aus den Begriffen „z. B.“ und „etc.“ ergibt sich jedoch, dass diese Aufzählung nur beispielhaft und gerade nicht abschließend ist. Entgegen der Rechtsansicht der Klägerin folgt nicht allein aus der Formulierung „soweit vorstehend nichts anderes vereinbart wurde“, dass die Parteien nur eine Teilverweisung vereinbaren wollten. Die Klägerin hat keine Regelung des Arbeitsvertrags benannt, die dahin gehend auszulegen sei, dass durch sie eine vom Manteltarifvertrag abweichende Vereinbarung getroffen werden sollte. Es ist nicht ersichtlich, dass die der fraglichen Klausel vorangehenden Vereinbarungen der Parteien zu Arbeitspapieren, zum Direktionsrecht, zu Zulagen, Lohnabtretungen, Nebentätigkeiten und der Einhaltung von gesetzlichen Bestimmungen zulasten der Klägerin eine Regelung beinhalten, die dazu geeignet ist, die Angemessenheitsvermutung des Tarifvertrags infrage zu stellen. Vor diesem Hintergrund war nicht zu entscheiden, ob auch Teilverweisungen auf Tarifverträge zu einem Ausschluss der Angemessenheitsprüfung nach § 307 BGB führen(vgl. zum Meinungsstand: BAG 6. Mai 2009 - 10 AZR 390/08 - Rn. 29, AP BGB § 307 Nr. 44 = EzA BGB 2002 § 310 Nr. 8; ErfK/Preis §§ 305 - 310 BGB Rn. 17 ff.; HWK/Gotthardt § 307 BGB Rn. 14).

26

bb) Es kann dahinstehen, ob und ggf. inwieweit Tarifvertragsparteien beim Abschluss von Tarifverträgen an europäische Richtlinien iSd. Art. 288 AEUV gebunden sind. Die Ausschlussfristenregelung des § 21 MTV steht in Einklang mit den Vorgaben der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (ABl. EU L 299 vom 18. November 2003 S. 9).

27

(1) Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG gebietet nicht, dass eine Ausschlussfrist für den Urlaubsabgeltungsanspruch die Dauer des Bezugszeitraums des Urlaubsanspruchs deutlich übersteigt. Eine Vorlagepflicht nach Art. 267 Abs. 3 AEUV besteht nicht(BAG 13. Dezember 2011 - 9 AZR 399/10 - Rn. 22 ff., AP BUrlG § 7 Abgeltung Nr. 93 = EzA BUrlG § 7 Abgeltung Nr. 20).

28

(2) Die Ausschlussfrist schränkt die Effektivität der Durchsetzung des europarechtlich gewährleisteten Anspruchs auf Urlaubsabgeltung nicht unzulässig ein. Nach der Rechtsprechung des EuGH dürfen Verfahren, die den Schutz der dem Bürger aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen, die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (EuGH 8. Juli 2010 - C-246/09 - [Bulicke] Rn. 25 mwN, AP Richtlinie 2000/78/EG Nr. 16 = EzA AGG § 15 Nr. 8). Die Festsetzung angemessener Ausschlussfristen ist grundsätzlich mit dem Erfordernis der Effektivität vereinbar, weil eine solche Festsetzung ein Anwendungsfall des grundlegenden Prinzips der Rechtssicherheit ist. Die Prüfung der Angemessenheit ist Sache des nationalen Gerichts (EuGH 8. Juli 2010 - C-246/09 - [Bulicke] Rn. 36 mwN, 42, aaO). Eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 Abs. 3 AEUV ist daher nicht erforderlich(vgl. BAG 28. Juni 2012 - 6 AZR 682/10 - Rn. 38, NZA 2012, 1090).

29

Eine Frist von sechs Wochen ab Beendigung des Arbeitsverhältnisses erscheint nicht so kurz, dass es Arbeitnehmern, deren Arbeitsverhältnis endet, nicht gelingen kann, die Frist zur Geltendmachung ihrer Urlaubsabgeltungsansprüche zu wahren. Der Senat hat in seinem Urteil vom 13. Dezember 2011 (- 9 AZR 399/10 - Rn. 27, AP BUrlG § 7 Abgeltung Nr. 93 = EzA BUrlG § 7 Abgeltung Nr. 20)eine tarifliche Frist von zwei Monaten als ausreichend lang angesehen, weil der ausscheidende Arbeitnehmer grundsätzlich in der Lage ist, seine Ansprüche anhand des Bundesurlaubsgesetzes und der einschlägigen tariflichen Vorschriften selbst zu berechnen. Die Klägerin hat keine Umstände vorgetragen und es sind auch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass eine um etwas mehr als zwei Wochen kürzere Frist dazu führen würde, dass die Durchsetzung des Abgeltungsanspruchs übermäßig erschwert würde. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Ausschlussfrist nach § 21 Satz 3 MTV gehemmt ist, solange ein Arbeitnehmer durch außerordentliche Störung seines körperlichen oder geistigen Zustands nicht in der Lage ist, Ansprüche gemäß § 21 Satz 1 MTV geltend zu machen. Das Vorliegen einer solchen Störung hat die Klägerin nicht geltend gemacht.

30

cc) Nach nationalem Recht spricht eine Vermutung dafür, dass die sechswöchige Verfallfrist des § 21 Satz 1 MTV angemessen ist. Als tarifliche Regelung unterliegt sie keiner Angemessenheitskontrolle durch die Gerichte (vgl. BAG 22. September 1999 - 10 AZR 839/98 - zu II 3 b cc der Gründe, AP TVG § 1 Tarifverträge: Bau Nr. 226 = EzA TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 132; 6. September 1995 - 5 AZR 174/94 - zu III 1 der Gründe, BAGE 81, 5).

31

c) Die Klägerin hat ihren Abgeltungsanspruch nicht rechtzeitig iSd. § 21 MTV schriftlich geltend gemacht.

32

aa) Auf eine Geltendmachung in ihrem Kündigungsschreiben kann sich die Klägerin nicht mit Erfolg berufen. Zur Geltendmachung im Sinne tariflicher Ausschlussfristen gehört, die andere Seite zur Erfüllung des Anspruchs aufzufordern. Der Anspruchsinhaber muss unmissverständlich zum Ausdruck bringen, dass er Inhaber einer bestimmten Forderung ist und auf deren Erfüllung besteht. Eine Geltendmachung von Urlaubsabgeltungsansprüchen setzt daher jedenfalls voraus, dass der Anspruch seinem Grunde nach hinreichend deutlich bezeichnet wird (vgl. BAG 22. April 2004 - 8 AZR 652/02 - zu II 1 a der Gründe mwN, AP BAT-O §§ 22, 23 Nr. 28; ErfK/Preis §§ 194 - 218 BGB Rn. 59). Wenn die Klägerin gemäß ihrem Vortrag im Revisionsverfahren die Beklagte im Kündigungsschreiben bat, das Arbeitsverhältnis ordnungsgemäß zum 31. Juli 2009 abzurechnen, machte sie damit keine Urlaubsabgeltungsansprüche im Sinne von § 21 Satz 1 MTV geltend. Unabhängig davon, dass nach dem Wortlaut nur eine Abrechnung (vgl. § 108 GewO) und keine Zahlung verlangt wurde, fehlt auch jeglicher Hinweis darauf, dass eine Abgeltung von Urlaub beansprucht wurde.

33

bb) Ohne Rechtsfehler ist das Landesarbeitsgericht davon ausgegangen, dass auch durch das Schreiben der Klägerin vom 19. Februar 2009 die Ausschlussfrist des § 21 MTV nicht gewahrt wurde. Zu jenem Zeitpunkt war ein Anspruch auf Urlaubsabgeltung noch nicht entstanden. Der Anspruch auf Urlaubsabgeltung entsteht mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses (BAG 21. Februar 2012 - 9 AZR 486/10 - Rn. 22, NZA 2012, 750). Das Arbeitsverhältnis endete erst aufgrund der Eigenkündigung der Klägerin mit Ablauf des 31. Juli 2009. Vor dem Entstehen des Abgeltungsanspruchs konnte die Klägerin diesen im Februar 2009 nicht iSd. § 21 MTV geltend machen, zumal damals der Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht feststand.

34

(1) Aus dem Wortlaut des § 21 Satz 1 MTV, auf den es für die Tarifauslegung zunächst ankommt, folgt zwar nicht ausdrücklich, dass eine Geltendmachung erst nach dem Entstehen des Anspruchs erfolgen kann. Diese Vorschrift legt nur fest, dass alle gegenseitigen Ansprüche innerhalb einer Frist von sechs Wochen nach Entstehen schriftlich geltend zu machen sind. Auch § 21 Satz 2 MTV regelt nur, dass „nach Ablauf“ dieser Frist eine Geltendmachung ausgeschlossen ist.

35

(2) Aus dem Zweck der Ausschlussfrist ergibt sich jedoch, dass die anspruchsbegründenden Tatsachen nach dem Vorbringen des Anspruchstellers bei der Geltendmachung grundsätzlich bereits vorliegen oder ihr Eintreten als sicher gelten muss, um die tarifliche Ausschlussfrist zu wahren. Ausschlussfristen bezwecken, dass sich der Anspruchsgegner auf die aus Sicht des Anspruchstellers noch offenen Forderungen rechtzeitig einstellt, Beweise sichert oder vorsorglich Rücklagen bilden kann (vgl. BAG 11. Dezember 2003 - 6 AZR 539/02 - zu I 4 b der Gründe, BAGE 109, 100). Sie sollen zur raschen Klärung von Ansprüchen beitragen. Dieser Zweck kann nicht erfüllt werden, wenn Ansprüche vor ihrer Entstehung geltend gemacht werden und damit letztlich nur als möglich angekündigt werden (vgl. BAG 16. Juni 2010 - 4 AZR 924/08 - Rn. 35 mwN, AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 79; 22. Januar 2009 - 6 AZR 5/08 - Rn. 14 mwN, AP BAT § 70 Nr. 39). Vor dem Entstehen eines Anspruchs ist regelmäßig ungewiss, ob, wann und in welchem Umfang der Schuldner überhaupt zur Zahlung verpflichtet sein wird. Dementsprechend setzt die tariflich wirksame Geltendmachung eines Anspruchs nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts grundsätzlich den Bestand des Anspruchs voraus (BAG 16. Juni 2010 - 4 AZR 924/08 - aaO; vgl. 22. Januar 2009 - 6 AZR 5/08 - aaO; 9. März 2005 - 5 AZR 385/02 - zu III 1 a der Gründe, EzA TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 177; 11. Dezember 2003 - 6 AZR 539/02 - zu II 2 b der Gründe, BAGE 109, 100; ebenso Schaub/Treber ArbR-Hdb. 14. Aufl. § 209 Rn. 56; Weyand Ausschlussfristen im Tarifrecht Kap. 6 Rn. 78).

36

(3) Dies gilt im Hinblick auf die Geltendmachung von Urlaubsabgeltungsansprüchen jedenfalls dann, wenn Urlaubsabgeltung - wie hier - lange vor der Beendigung des Arbeitsverhältnisses beansprucht wird und die Beendigung oder der Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht sicher ist. In einem solchen Fall können weder Arbeitgeber noch Arbeitnehmer zum Zeitpunkt des Verlangens absehen, ob überhaupt Urlaubsabgeltungsansprüche entstehen und für wie viele Urlaubstage ggf. bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses tatsächlich noch ein Urlaubsabgeltungsanspruch in welcher Höhe entstehen wird. Aufgrund gesetzlicher oder tariflicher Verfallregelungen kann Urlaub zwischenzeitlich noch verfallen. Je nach dem Beendigungszeitpunkt kann dieser Kürzungsregelungen unterliegen (§ 5 Abs. 1 Buchst. c BUrlG). Die verfrühte Geltendmachung kann deshalb allenfalls punktuell den „Ist-Zustand“ der Urlaubshöhe zum Zeitpunkt der Geltendmachung abbilden, auf den es für den erst später entstehenden Urlaubsabgeltungsanspruch jedoch nicht ankommt. Soweit sie auf den noch ungewissen künftigen Beendigungszeitpunkt bezogen wird, geschieht sie „ins Blaue hinein“. Die Zulassung einer solchen „Vorratsgeltendmachung“ ohne erkennbaren Anlass in einer noch wandelbaren Situation würde nicht zur schnellen Klärung von Ansprüchen beitragen, sondern die Ausschlussfrist ins Leere laufen lassen.

37

2. Die Widerklage ist begründet. Die Beklagte hat gegenüber der Klägerin aus § 717 Abs. 2 Satz 1 ZPO einen Anspruch auf Rückzahlung von 5.740,80 Euro.

38

a) Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, dass die Beklagte die Zahlung in Höhe von 5.740,80 Euro brutto zur Abwendung der Zwangsvollstreckung leistete, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Urteil des Arbeitsgerichts war gemäß § 62 Abs. 1 Satz 1 ArbGG vorläufig vollstreckbar. Die Voraussetzungen einer Leistung zur Abwendung der Zwangsvollstreckung liegen vor.

39

aa) Der Schuldner leistet „zur Abwendung der Vollstreckung“ und nicht freiwillig, wenn er sich damit einem gegen ihn ausgeübten „Vollstreckungsdruck“ beugt. Der vollstreckungsabwendende Zweck der Leistung kann sich aus den Umständen ergeben (BAG 25. September 2003 - 8 AZR 427/02 - zu II 1 a aa der Gründe mwN, AP ZPO § 717 Nr. 8 = EzA ZPO 2002 § 717 Nr. 2). Es genügt, wenn der Schuldner damit rechnen musste, dass die Vollstreckung demnächst beginnt (BAG 18. Dezember 2008 - 8 AZR 105/08 - Rn. 25 mwN, AP ZPO § 717 Nr. 9). Nicht erforderlich ist, dass der Gläubiger bereits Vollstreckungsmaßnahmen eingeleitet hat. Wenn der Gläubiger alle Vollstreckungsvoraussetzungen herbeigeführt hat, trifft ihn nur dann keine Haftung nach § 717 Abs. 2 ZPO, wenn er gegenüber dem Schuldner deutlich macht, daraus keine Rechte herzuleiten(vgl. BGH 16. Dezember 2010 - Xa ZR 66/10 - Rn. 25, NJW-RR 2011, 338; Ulrici in BeckOK ZPO Stand 15. Juli 2012 § 717 Rn. 13.2).

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bb) Zwar hat das Landesarbeitsgericht nicht festgestellt, dass die Klägerin ausdrücklich mit Vollstreckungsmaßnahmen drohte. Den genauen Inhalt der schriftlichen Zahlungsaufforderung hat das Landesarbeitsgericht nicht aufgeklärt. Die Klägerin war jedoch über das zum Betreiben des Erkenntnisverfahrens Erforderliche hinausgegangen und hatte eine Handlung vorgenommen, die der Durchsetzung des Titels diente, indem sie unmittelbar nach der Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung des Titels eine Zahlungsaufforderung an die Beklagte sandte. Damit forderte sie erst, aber auch sofort zur Zahlung auf, nachdem die Voraussetzungen für die Vollstreckung des Urteils geschaffen waren. Die Klägerin hat nicht geltend gemacht, dass sie deutlich gemacht habe, trotz Vorliegens der Voraussetzungen keine Zwangsvollstreckung betreiben zu wollen. Das Verhalten der Klägerin konnte die Beklagte - auch ohne ausdrückliche Androhung von Vollstreckungsmaßnahmen in der Zahlungsaufforderung - nur so verstehen, dass bei einer Nichtzahlung die Vollstreckung bevorstand. Dies hat das Landesarbeitsgericht zu Recht angenommen.

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b) Der im Rahmen von § 717 Abs. 2 ZPO ersatzfähige Schaden umfasst auch die unstreitig abgeführten Steuern und den Arbeitnehmeranteil des Gesamtsozialversicherungsbeitrags. § 717 Abs. 2 ZPO gewährt einen materiellrechtlichen Anspruch auf Schadensersatz, nicht auf Herausgabe der Bereicherung. Er setzt daher nicht voraus, dass der Gläubiger durch die Vollstreckung etwas erlangt hat (BAG 25. September 2003 - 8 AZR 427/02 - zu II 1 b aa (1) der Gründe mwN, AP ZPO § 717 Nr. 8 = EzA ZPO 2002 § 717 Nr. 2). Für den Umfang des Schadensersatzanspruchs gelten die §§ 249 ff. BGB (BAG 18. Dezember 2008 - 8 AZR 105/08 - Rn. 28 mwN, AP ZPO § 717 Nr. 9).

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aa) Der Schadensersatzanspruch aus § 717 Abs. 2 ZPO umfasst bei einem zur Abwendung der Zwangsvollstreckung gezahlten Entgeltbetrag, wenn der Arbeitgeber - wie hier - zur Zahlung des Bruttobetrags verurteilt worden ist, die vom Arbeitgeber für den Arbeitnehmer gezahlte Lohnsteuer, den Solidaritätszuschlag und ggf. die Kirchensteuer (vgl. BAG 18. Dezember 2008 - 8 AZR 105/08 - Rn. 30 mwN, AP ZPO § 717 Nr. 9).

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bb) Der Schadensersatzanspruch aus § 717 Abs. 2 ZPO erstreckt sich auch auf den abgeführten Arbeitnehmeranteil des Gesamtsozialversicherungsbeitrags(vgl. LAG Düsseldorf 13. März 2012 - 17 Sa 277/11 - zu A V 2 a der Gründe; Hessisches LAG 28. Januar 2011 - 3 Sa 960/10 - zu II 2 d dd der Gründe).

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(1) Der Arbeitgeber schuldet dem Arbeitnehmer den gesamten Bruttobetrag. Die arbeitsrechtliche Vergütungspflicht beinhaltet nicht nur die Nettoauszahlung, sondern umfasst auch die Leistungen, die nicht in einer unmittelbaren Auszahlung an den Arbeitnehmer bestehen (BAG 29. März 2001 - 6 AZR 653/99 - zu II 2 der Gründe mwN, AP SGB IV § 26 Nr. 1 = EzA BGB § 812 Nr. 7). Bei der Zwangsvollstreckung aus einem Zahlungsurteil kann dementsprechend der volle Betrag beigetrieben werden (vgl. BAG 25. September 2003 - 8 AZR 427/02 - zu II 1 c aa (1) der Gründe mwN, AP ZPO § 717 Nr. 8 = EzA ZPO 2002 § 717 Nr. 2). Im Moment der Leistung zur Abwendung der Zahlungsverpflichtung musste die Beklagte davon ausgehen, dass eine Zwangsvollstreckung nur abgewendet werden könne, wenn der Anteil des titulierten Bruttobetrags, der dem Arbeitnehmeranteil des Gesamtsozialversicherungsbeitrags entspricht, auch gezahlt werde. Insofern stellt auch die geleistete Zahlung einen Schaden im Sinne des § 717 Abs. 2 ZPO dar.

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(2) Die Beklagte kann die Rückzahlung des Geldbetrags verlangen und muss sich nicht auf die Abtretung eines Erstattungsanspruchs aus § 26 SGB IV, der mit dem Aufwand und dem Risiko(vgl. zB Verfallklausel, § 26 Abs. 2 SGB IV sowie § 26 Abs. 1 Satz 2 und Satz 3 SGB IV) einer Rückabwicklung verbunden ist, verweisen lassen. Im Rahmen des § 717 Abs. 2 ZPO ist nicht maßgeblich, ob und ggf. was die Klägerin erlangte (vgl. dazu BAG 29. März 2001 - 6 AZR 653/99 - zu II 3 der Gründe mwN, AP SGB IV § 26 Nr. 1 = EzA BGB § 812 Nr. 7), sondern der bei der Beklagten eingetretene Schaden. Dies ist der insgesamt gezahlte Betrag.

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cc) Der Schadensersatzanspruch entfällt nicht dadurch, dass die Beklagte ggf. gegenüber Dritten die Rückzahlung der abgeführten Beträge verlangen könnte. Aus dem Rechtsgedanken des § 255 BGB folgt, dass ein Schadensersatzanspruch nicht dadurch ausgeschlossen wird, dass sich der Geschädigte wegen eines entstandenen Vermögensnachteils auch an einen Dritten halten kann(BAG 25. September 2003 - 8 AZR 427/02 - zu II 1 b bb der Gründe mwN, AP ZPO § 717 Nr. 8 = EzA ZPO 2002 § 717 Nr. 2).

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dd) Der Anspruch der Beklagten aus § 717 Abs. 2 ZPO ist auch nicht durch ein mitwirkendes Verschulden gemäß § 254 BGB gemindert oder ausgeschlossen. Der Einwand des Mitverschuldens ist nur zulässig, soweit es um den weiteren Vollstreckungsschaden (insbesondere Bürgschaftskosten, Zinsaufwendungen und -ausfälle) geht (vgl. BAG 18. Dezember 2008 - 8 AZR 105/08 - Rn. 38 mit ausführlicher Begründung und mwN, AP ZPO § 717 Nr. 9). Der Einwand ist dagegen ausgeschlossen, soweit der Schuldner des vorläufig vollstreckbaren Titels - wie hier - nach § 717 Abs. 2 ZPO nur die Erstattung desjenigen verlangt, was der Vollstreckungsgläubiger durch die Vollstreckung oder aufgrund einer zu deren Abwendung erbrachten Leistung des Vollstreckungsschuldners erhalten hat(vgl. BAG 18. Dezember 2008 - 8 AZR 105/08 - aaO).

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III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

        

    Brühler    

        

    Krasshöfer    

        

    Klose    

        

        

        

    Mehnert    

        

    Pielenz    

                 

(1) Die vorläufige Vollstreckbarkeit tritt mit der Verkündung eines Urteils, das die Entscheidung in der Hauptsache oder die Vollstreckbarkeitserklärung aufhebt oder abändert, insoweit außer Kraft, als die Aufhebung oder Abänderung ergeht.

(2) Wird ein für vorläufig vollstreckbar erklärtes Urteil aufgehoben oder abgeändert, so ist der Kläger zum Ersatz des Schadens verpflichtet, der dem Beklagten durch die Vollstreckung des Urteils oder durch eine zur Abwendung der Vollstreckung gemachte Leistung entstanden ist. Der Beklagte kann den Anspruch auf Schadensersatz in dem anhängigen Rechtsstreit geltend machen; wird der Anspruch geltend gemacht, so ist er als zur Zeit der Zahlung oder Leistung rechtshängig geworden anzusehen.

(3) Die Vorschriften des Absatzes 2 sind auf die im § 708 Nr. 10 bezeichneten Berufungsurteile, mit Ausnahme der Versäumnisurteile, nicht anzuwenden. Soweit ein solches Urteil aufgehoben oder abgeändert wird, ist der Kläger auf Antrag des Beklagten zur Erstattung des von diesem auf Grund des Urteils Gezahlten oder Geleisteten zu verurteilen. Die Erstattungspflicht des Klägers bestimmt sich nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung. Wird der Antrag gestellt, so ist der Anspruch auf Erstattung als zur Zeit der Zahlung oder Leistung rechtshängig geworden anzusehen; die mit der Rechtshängigkeit nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts verbundenen Wirkungen treten mit der Zahlung oder Leistung auch dann ein, wenn der Antrag nicht gestellt wird.

Eine Geldschuld hat der Schuldner von dem Eintritt der Rechtshängigkeit an zu verzinsen, auch wenn er nicht im Verzug ist; wird die Schuld erst später fällig, so ist sie von der Fälligkeit an zu verzinsen. Die Vorschriften des § 288 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2, Abs. 3 und des § 289 Satz 1 finden entsprechende Anwendung.

*

(1) Eine Geldschuld ist während des Verzugs zu verzinsen. Der Verzugszinssatz beträgt für das Jahr fünf Prozentpunkte über dem Basiszinssatz.

(2) Bei Rechtsgeschäften, an denen ein Verbraucher nicht beteiligt ist, beträgt der Zinssatz für Entgeltforderungen neun Prozentpunkte über dem Basiszinssatz.

(3) Der Gläubiger kann aus einem anderen Rechtsgrund höhere Zinsen verlangen.

(4) Die Geltendmachung eines weiteren Schadens ist nicht ausgeschlossen.

(5) Der Gläubiger einer Entgeltforderung hat bei Verzug des Schuldners, wenn dieser kein Verbraucher ist, außerdem einen Anspruch auf Zahlung einer Pauschale in Höhe von 40 Euro. Dies gilt auch, wenn es sich bei der Entgeltforderung um eine Abschlagszahlung oder sonstige Ratenzahlung handelt. Die Pauschale nach Satz 1 ist auf einen geschuldeten Schadensersatz anzurechnen, soweit der Schaden in Kosten der Rechtsverfolgung begründet ist.

(6) Eine im Voraus getroffene Vereinbarung, die den Anspruch des Gläubigers einer Entgeltforderung auf Verzugszinsen ausschließt, ist unwirksam. Gleiches gilt für eine Vereinbarung, die diesen Anspruch beschränkt oder den Anspruch des Gläubigers einer Entgeltforderung auf die Pauschale nach Absatz 5 oder auf Ersatz des Schadens, der in Kosten der Rechtsverfolgung begründet ist, ausschließt oder beschränkt, wenn sie im Hinblick auf die Belange des Gläubigers grob unbillig ist. Eine Vereinbarung über den Ausschluss der Pauschale nach Absatz 5 oder des Ersatzes des Schadens, der in Kosten der Rechtsverfolgung begründet ist, ist im Zweifel als grob unbillig anzusehen. Die Sätze 1 bis 3 sind nicht anzuwenden, wenn sich der Anspruch gegen einen Verbraucher richtet.

(1) Die unterliegende Partei hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, insbesondere die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Die Kostenerstattung umfasst auch die Entschädigung des Gegners für die durch notwendige Reisen oder durch die notwendige Wahrnehmung von Terminen entstandene Zeitversäumnis; die für die Entschädigung von Zeugen geltenden Vorschriften sind entsprechend anzuwenden.

(2) Die gesetzlichen Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts der obsiegenden Partei sind in allen Prozessen zu erstatten, Reisekosten eines Rechtsanwalts, der nicht in dem Bezirk des Prozessgerichts niedergelassen ist und am Ort des Prozessgerichts auch nicht wohnt, jedoch nur insoweit, als die Zuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig war. Die Kosten mehrerer Rechtsanwälte sind nur insoweit zu erstatten, als sie die Kosten eines Rechtsanwalts nicht übersteigen oder als in der Person des Rechtsanwalts ein Wechsel eintreten musste. In eigener Sache sind dem Rechtsanwalt die Gebühren und Auslagen zu erstatten, die er als Gebühren und Auslagen eines bevollmächtigten Rechtsanwalts erstattet verlangen könnte.

(3) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne der Absätze 1, 2 gehören auch die Gebühren, die durch ein Güteverfahren vor einer durch die Landesjustizverwaltung eingerichteten oder anerkannten Gütestelle entstanden sind; dies gilt nicht, wenn zwischen der Beendigung des Güteverfahrens und der Klageerhebung mehr als ein Jahr verstrichen ist.

(4) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne von Absatz 1 gehören auch Kosten, die die obsiegende Partei der unterlegenen Partei im Verlaufe des Rechtsstreits gezahlt hat.

(5) Wurde in einem Rechtsstreit über einen Anspruch nach Absatz 1 Satz 1 entschieden, so ist die Verjährung des Anspruchs gehemmt, bis die Entscheidung rechtskräftig geworden ist oder der Rechtsstreit auf andere Weise beendet wird.

(1) Gegen das Endurteil eines Landesarbeitsgerichts findet die Revision an das Bundesarbeitsgericht statt, wenn sie in dem Urteil des Landesarbeitsgerichts oder in dem Beschluß des Bundesarbeitsgerichts nach § 72a Abs. 5 Satz 2 zugelassen worden ist. § 64 Abs. 3a ist entsprechend anzuwenden.

(2) Die Revision ist zuzulassen, wenn

1.
eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, von einer Entscheidung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes, von einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts oder, solange eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts in der Rechtsfrage nicht ergangen ist, von einer Entscheidung einer anderen Kammer desselben Landesarbeitsgerichts oder eines anderen Landesarbeitsgerichts abweicht und die Entscheidung auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein absoluter Revisionsgrund gemäß § 547 Nr. 1 bis 5 der Zivilprozessordnung oder eine entscheidungserhebliche Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend gemacht wird und vorliegt.

(3) Das Bundesarbeitsgericht ist an die Zulassung der Revision durch das Landesarbeitsgericht gebunden.

(4) Gegen Urteile, durch die über die Anordnung, Abänderung oder Aufhebung eines Arrests oder einer einstweiligen Verfügung entschieden wird, ist die Revision nicht zulässig.

(5) Für das Verfahren vor dem Bundesarbeitsgericht gelten, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Revision mit Ausnahme des § 566 entsprechend.

(6) Die Vorschriften der §§ 46c bis 46g, 49 Abs. 1, der §§ 50, 52 und 53, des § 57 Abs. 2, des § 61 Abs. 2 und des § 63 dieses Gesetzes über den elektronischen Rechtsverkehr, Ablehnung von Gerichtspersonen, Zustellung, Öffentlichkeit, Befugnisse des Vorsitzenden und der ehrenamtlichen Richter, gütliche Erledigung des Rechtsstreits sowie Inhalt des Urteils und Übersendung von Urteilen in Tarifvertragssachen und des § 169 Absatz 3 und 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes über die Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen sowie Ton- und Filmaufnahmen bei der Entscheidungsverkündung gelten entsprechend.