Schleswig-Holsteinisches Finanzgericht Urteil, 05. Juni 2018 - 5 K 17/16

ECLI:ECLI:DE:FGSH:2018:0605.5K17.16.00
05.06.2018

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten darüber, ob gegen die Klägerin eine Glücksspielabgabe für das Streitjahr 2013 festgesetzt werden durfte.

2

Die Klägerin wurde am 7. Januar 2003 in das Unternehmensregister … (Ausland) eingetragen und verfügt über eine ausländische Spiellizenz vom 19. Juli 2011. Sie stellte mit Schreiben vom 15. Februar 2012 Genehmigungsanträge für den Vertrieb von Online-Casinospielen und Sportwetten gemäß der §§ 20, 23 des Schleswig-Holsteinischen Glücksspielgesetzes (GlSpielG SH). Die Glücksspiele sollten von der Klägerin im Ausland veranstaltet werden und ausschließlich über das Internet vertrieben werden.

3

Mit Genehmigungsbescheid vom 30. April 2012 genehmigte das Innenministerium Schleswig-Holstein der Klägerin, Sportwetten ab dem 1. Mai 2012 zu veranstalten und im Wege des Eigenvertriebes als Fernvertrieb nach § 3 Abs. 9 Satz 2 GlSpielG SH zu vertreiben.

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Mit weiterem Genehmigungsbescheid des Innenministeriums Schleswig-Holstein vom 19. Dezember 2012 wurde der Klägerin genehmigt, im Geltungsbereich des Gesetzes Online-Glücksspiele nach § 3 Abs. 9 Satz 2 GlSpielG SH zu vertreiben. Die Genehmigung erging nach Ziffer 2 unter der Auflage, dass sie nur im Geltungsbereich des Glücksspielgesetzes in Schleswig-Holstein Anwendung findet. Aufgrund dieser Genehmigung dürfe die Klägerin nur Spieler mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthaltsort im Geltungsbereich des Gesetzes zur Teilnahme an den genehmigten Glücksspielen zulassen. In einem Vergleichsbeschluss des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts vom 9. April 2014 wurde festgehalten, dass der Genehmigungsbescheid vom 19. Dezember 2012 dahingehend geändert werde, dass die Genehmigung nur für den Geltungsbereich des Glücksspielgesetzes in Schleswig-Holstein gelte. Zweifel, die durch den bisherigen Wortlaut entstanden wären, sollten damit ausgeräumt werden.

5

Am 13. April 2012 erfolgte die Registrierung der Klägerin als Glücksspielanbieter beim Finanzamt C. Als Empfangsbevollmächtigte wurden die Klägervertreter von der Klägerin benannt.

6

Mit Schreiben vom 2. August 2013 teilten die Empfangsbevollmächtigten dem Finanzamt mit, dass die Klägerin im Anschluss an die Erteilung der Genehmigung vom 19. Dezember 2012 eine Onlineplattform unter der Bezeichnung „E.de“ eingerichtet habe, die bisher für das Casinoangebot aber nicht freigeschaltet worden sei. Die Plattform diene der Umsetzung der vom Innenministerium erstellten Lizenz und sei erst kürzlich (wohl in der letzten Woche) für Nutzer ausschließlich aus Schleswig-Holstein aktiviert worden. Demzufolge würden demnächst erstmalig entsprechende Anmeldungen abgegeben werden.

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Mit Schreiben vom 27. November 2013 forderte der Beklagte die Klägerin auf, für das Jahr 2012 eine Jahreserklärung für die Glücksspielabgabe abzugeben.

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Die Klägerin reichte daraufhin Jahresanmeldungen der Glücksspielabgabe gem. § 40 Abs. 2 GlSpielG SH für die Jahre 2012 und 2013 jeweils vom 17. März 2014 ein und erklärte eine Glücksspielabgabe für das Jahr 2012 in Höhe von … € und für 2013 in Höhe von … €. In dem Anschreiben vom 17. März 2013 teilte die Klägerin mit, dass Roherträge aus dem Vertrieb an Personen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthaltsort in Schleswig-Holstein und Roherträge aus dem Vertrieb an Personen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthaltsort in der Bundesrepublik Deutschland berücksichtigt worden seien. Eine Aufschlüsselung der Roherträge hinsichtlich des Wohnsitzes der Spieler oder der Monate der erzielten Roherträge erfolgte weder in dem Anschreiben noch in den Jahreserklärungen. Mit der berichtigten Jahreserklärung vom 20. Februar 2015 wurde die Glücksspielabgabe für das Jahr 2013 auf … € erklärt, weil nachträglich festgestellt wurde, dass bei Abgabe der ursprünglichen Anmeldungen Fehler bei der Auslesung der Datenträger vorgekommen waren. In den angemeldeten Umsätzen sind keine Erträge der A enthalten.

9

Mit Bescheiden für 2012 und für 2013 vom 21. März 2014 wurde die Glücksspielabgabe jeweils erklärungsgemäß festgesetzt.

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Hiergegen erhob die Klägerin am 31. März 2014 Widerspruch. Zur Begründung führte sie aus, dass sich der Widerspruch gegen die Erhebung der Glücksspielabgabe auf Online-Casinospiele und Sportwetten beziehe, soweit diese aus dem Vertrieb an Personen resultiere, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthaltsort in der Bundesrepublik Deutschland, aber nicht in Schleswig-Holstein hätten. Betroffen sei für das Jahr 2013 insoweit eine Bemessungsgrundlage von … € und damit eine Glücksspielabgabe von ... €.

11

Die Lizenz für die Veranstaltung von Casinospielen sei ihr erst am 19. Dezember 2012 erteilt worden. Für den Zeitraum vom 30. April 2012 bis zum 19. Dezember 2012 fehle jeder Anknüpfungspunkt, der das Bundesland Schleswig-Holstein berechtigen könnte, eine Glücksspielabgabe für Umsätze mit Personen zu erheben, welche weder ihren Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Land Schleswig-Holstein hätten. Als Veranstalter des Spiels hätte die Klägerin ohnehin ihren Sitz nicht in Schleswig-Holstein und es gebe auch keine Genehmigung des Landes Schleswig-Holstein für die Veranstaltung dieser Spiele. Mangels Anknüpfungspunktes sei das Land daher nicht berechtigt für diesen Zeitraum von dem genannten Personenkreis eine Glücksspielabgabe zu erheben. Dem Land fehle die Verbandskompetenz. Nach allgemeinen Regeln müsse ein Verband einen Anknüpfungspunkt haben, um Abgaben erheben zu können. So dürfe eine Gemeinde Vergnügungssteuer nur erheben für entsprechende Veranstaltungen im Gemeindegebiet, ein Bundesland dürfe Grunderwerbssteuer nur erheben für in diesem Land belegene Grundstücke, das Gewerbesteueraufkommen werde im Rahmen der Zerlegung aufgeteilt etc.. Das Erfordernis einer sachlichen Anknüpfung für die Erhebung einer Steuer oder Abgabe ergebe sich aus dem Grundsatz der Verbandskompetenz und aus der zutreffenden Abgrenzung der Befugnisse zwischen den Bundesländern im Rahmen der bundesstaatlichen Ordnung. Die Bundesländer übten ihre Staatsgewalt jeweils auf ihren Territorien auf der Ebene der Gleichordnung im räumlichen Nebeneinander aus. Nach Feststellung des Bundesverfassungsgerichts sei demzufolge ein Land in seiner Verwaltungshoheit grundsätzlich auf sein eigenes Gebiet beschränkt. Dazu gehöre auch die Abgabenhoheit oder Steuerhoheit für Landessteuern. Die Begrenzung der entsprechenden Hoheitsgewalt des Bundeslandes resultiere aus der begrenzten räumlichen Reichweite der Landesgewalt, der sogenannten Verbandskompetenz. Hoheitsakte, die sich auf Personen oder Sachverhalte im Hoheitsbereich eines anderen Bundeslandes beziehen, dürfe eine Landesbehörde nicht erlassen. Zwischen dem Bundesland Schleswig-Holstein und den anderen Bundesländern bestehe auf der Grundlage des Glücksspielgesetzes auch keine Übereinkunft für eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit, aus der eine grenzüberschreitende Befugnis des Bundeslandes Schleswig-Holstein abgeleitet werden könnte. Das Land könne weder mittelbar noch unmittelbar Hoheitsakte für andere Bundesländer erlassen, zumal das Glücksspielgesetz auch vor dem historischen Hintergrund seiner Entstehung als Alleingang des Bundeslandes Schleswig-Holstein gerade nicht in Abstimmung mit den anderen Ländern erlassen worden sei.

12

Die Sportwettenkonzession vom 30. April 2012 sei kein geeigneter Anknüpfungspunkt für die Erhebung einer Abgabe auf Online-Glücksspiel. Es handele sich um unterschiedliche Glücksspielarten. Dementsprechend seien auch zwei Genehmigungen erteilt worden. Die Erhebung der Glücksspielabgabe für Onlinespiele bis zum 19. Dezember 2012 verstoße gegen die Regeln des Verfassungsrechts, weil jeglicher Anknüpfungspunkt für das Bundesland Schleswig-Holstein fehle, der eine Kompetenz für die Erhebung der Abgabe auf ausschließlich in anderen Bundesländern stattfindende Glücksspiele erlauben könnte. Nichts anderes gelte auch für den Zeitraum vom 19. Dezember 2012 bis zum 31. Dezember 2012. Die Genehmigung sei unter der Auflage ergangen, dass sie nur im Geltungsbereich des Glücksspielgesetzes Schleswig-Holstein Anwendung finde. Die Klägerin dürfe deshalb nur Spieler mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt in Schleswig-Holstein zur Teilnahme an diesen Glücksspielen zulassen. Die Klägerin habe demzufolge auch eine entsprechende Selbstverpflichtungserklärung im Antragsverfahren abgegeben, auf welche die Auflagen in Ziffer 2 des Genehmigungsbescheides vom 19. Dezember 2012 ausdrücklich hinweise. Da der Wirkungsbereich der Genehmigung räumlich auf das Bundesland beschränkt sei, könne aus der Existenz dieser Konzession keinesfalls abgeleitet werden, nunmehr bestünde auch die Verbandskompetenz zur Erhebung der Glücksspielabgabe außerhalb des Landes Schleswig-Holstein. Dies sei schon nach dem klaren Wortlaut der Genehmigung, die auf das Territorium des Landes beschränkt sei, nicht der Fall. Es komme deshalb auch gar nicht mehr darauf an, dass selbstverständlich eine Behörde durch eine Genehmigung nicht eine Verbandskompetenz begründen könne, die gegen die Verfassung verstoßen würde, nämlich gegen das Bundesstaats- und das Demokratieprinzip (Art. 20 GG).

13

Für 2013 gelte das entsprechend. Wäre die gegenteilige Sichtweise der Finanzverwaltung Schleswig-Holstein zutreffend, so könnte mit gleichem Recht auch eine Abgabenerhebung für Spiele im Ausland stattfinden.

14

Im gerichtlichen AdV-Verfahren 5 V 242/14 wurde vorgetragen, es gebe keine rechtliche Regel, nach der ein Bundesland – bezogen auf das räumliche Gebiet der anderen Bundesländer – handeln dürfte, solange das jeweilige Bundesland selbst nicht tätig werde. Eine solche Hilfs-, Subsidiär- oder Residual-Kompetenz existiere nicht. Bemerkenswert sei, dass das Land Schleswig-Holstein sich zur Herstellung von Wettbewerbsgleichheit der Glücksspielanbieter durch Erhebung einer bundesweiten Glücksspielabgabe berufen sehe. Dies erfolge, obwohl man durchaus erkenne, dass es eine ganz erhebliche Zahl von illegalen Anbietern gebe, die überhaupt keine Glücksspielabgabe und auch sonst keine Steuern in Deutschland zahlten, also nicht einmal eine Abgabe für das Glückspiel mit Spielern aus Schleswig-Holstein. Wie durch Ausdehnung der Abgabenerhebung für rechtstreue Glücksspielanbieter deren Wettbewerbssituation verbessert werden solle, erschließe sich nicht. Der Beklagte vergesse hinsichtlich der umsatzsteuerlichen Situation zu erwähnen, dass das Ausland zwar keine Umsatzsteuer auf Glücksspiele erhebe, aber eine Wettsteuer, welche die Klägerin selbstverständlich dort entrichte. Auch die Argumentation, es sei gängige Praxis, dass über das eigene Territorium hinaus besteuert werde und dazu auf die Einkommensteuer verwiesen werde, sei unzutreffend und nicht vertretbar. Die Einkommensteuer sei eine Bundessteuer, die lediglich von den Landesfinanzbehörden verwaltet werde. Es sei klar, dass sich bei einer Bundessteuer die Frage der Verbandskompetenz, nämlich der räumlichen Aufteilung der hoheitlichen Befugnisse zwischen den Bundesländern, nicht stelle. Die Glücksspielabgabe Schleswig-Holstein sei jedoch ein Landesgesetz. Die Genehmigung vom 30. April 2012 beziehe sich explizit auf „Sportwetten“. Dies werde im Betreff, in der Ziffer 1 und an einer Reihe von weiteren Stellen ausgeführt.

15

Aus dem Schriftsatz des Innenministeriums vom 19. März 2014 im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergebe sich die Auffassung des Landes zur Frage der Verbandskompetenz, soweit es um die ordnungsrechtliche Reichweite ginge. Die Verbandskompetenz habe keine unterschiedliche Reichweite und Bedeutung je nachdem, ob es um Ordnungsrecht oder ob es um Abgabenrecht gehe. Eingriffe des Landes Schleswig-Holstein in die Freiheitsrechte der Bürger anderer Bundesländer seien an der Verbandskompetenz zu messen, egal ob auf dem Gebiet des Ordnungsrechts oder auf dem Gebiet des Abgabenrechts.

16

Mit Bescheid vom 11. März 2015 setzte der Beklagte die Glücksspielabgabe für 2013 entsprechend der berichtigten Jahreserklärung vom 20. Februar 2015 auf … € fest.

17

Mit Widerspruchsentscheidung vom 11. Januar 2016 wurde der Widerspruch gegen den Bescheid für 2013 über die Glücksspielabgabe vom 11. März 2015 als unbegründet zurückgewiesen.

18

Hiergegen hat die Klägerin am Montag, den 15. Februar 2016, Klage erhoben. Zur Begründung trägt die Klägerin wie folgt vor:

19

Sie habe bereits im Jahr 2012 Online-Glücksspiel, insbesondere Online-Casino in Deutschland über eine Internetplattform angeboten, nämlich über die Website E.com. Darauf seien Online-Glücksspiele (Casino etc.) und Sportwetten angeboten worden. Bis Februar 2012 sei das Angebot für Kunden aus ganz Deutschland erfolgt. Mit Abgabe des Antrages auf Erteilung der Glücksspielkonzession im Februar 2012 seien Kunden aus Schleswig-Holstein vom Angebot der Website E.com ausgeschlossen worden. Ab Mai 2012 habe die Klägerin eine neue Internetplattform unter der Bezeichnung E.de gestartet. Darauf seien zunächst nur Sportwetten angeboten worden. Die Plattform sei zudem nur für Kunden aus Schleswig-Holstein bestimmt gewesen. Parallel seien weiterhin auf der Website E.com Sportwetten und Online-Glückspiel für Kunden aus dem gesamten Bundesgebiet, jedoch mit Ausschluss von Kunden aus Schleswig-Holstein, angeboten worden. Auch nach Erteilung der Genehmigung im Dezember 2012 für Online-Casinospiele sei das Angebot auf der für Spieler aus Schleswig-Holstein bestimmten Internetplattform E.de zunächst nicht um Online-Casino erweitert worden. Es seien weiterhin nur Sportwetten angeboten worden. Die Klägerin habe sodann im April 2013 die ausländischen Casino-Lizenzen, die sie seit längerer Zeit gehabt hätte, auf eine Schwestergesellschaft, die A übertragen. Seit April 2013 sei das Online-Casinoangebot über diese Gesellschaft, die A und nicht mehr über die Klägerin erfolgt. Allerdings sei das Online-Angebot der A für Kunden aus Schleswig-Holstein gesperrt worden. Das Online-Casinoangebot auf der Website E.de sei erst im Juli 2013 aktiviert worden und habe nur für Kunden aus Schleswig-Holstein gegolten. Im Zeitraum von Februar 2012 bis Anfang April 2013 habe es also kein Online-Casinoangebot der Klägerin für Spieler aus Schleswig-Holstein gegeben. Die Klägerin habe Anmeldungen für Online-Glückspiele auf der Grundlage erstellt, dass nur das Angebot gegenüber Spielern aus Schleswig-Holstein ab Freischaltung der Website E.de abgabepflichtig sei. Für das Jahr 2013 habe ab Freischaltung des Casino-Angebotes auf der Website E.de eine Anmeldung der Roherträge aus Online-Casino etc. stattgefunden. Die unter dem 17. März 2014 geänderten Jahresanmeldungen für 2012 und 2013 habe die Klägerin auf Basis der Rechtsauffassung der Beklagten abgegeben. Für 2013 seien entsprechend Roherträge aus Online-Glücksspielen von Personen in Schleswig-Holstein für das gesamte Jahr 2013 und Roherträge aus Online-Glücksspielen von Personen aus dem übrigen Bundesgebiet ebenfalls für das gesamte Jahr, ab April 2013 dann als Null-Erklärungen erfolgt.

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Gegen die Erhebung der Glücksspielabgabe bestünden verfassungs- und europarechtliche Bedenken.

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1. Fehlende Gesetzgebungskompetenz

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Insoweit wiederholt die Klägerin zunächst ihren Vortrag aus dem Widerspruchsverfahren und macht geltend, es bestünde keine Gesetzgebungskompetenz für § 35 Abs. 2 GlSpielG SH. Diese Norm verstoße mangels Gesetzgebungskompetenz gegen Art. 20 Abs. 1 und Art. 30 GG. Das Land Schleswig-Holstein habe nicht die Gesetzgebungskompetenz, in den dort geregelten Fällen eine Abgabe zu erheben. Nach dem Territorialitätsprinzip sei ein Bundesland darauf beschränkt, Abgaben von Gebietsfremden zu erheben, soweit ein sachlicher oder echter Anknüpfungspunkt in dem Bundesland bestehe. Ein solcher Anknüpfungspunkt fehle, wenn ein Genehmigungsinhaber außerhalb von Schleswig-Holstein Glücksspiele an Personen vertreibe, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthaltsort außerhalb von Schleswig-Holstein und im übrigen Gebiet der Bundesrepublik hätten. Die Glücksspieler selbst seien nicht in Schleswig-Holstein, weil sie dort weder ihren Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthaltsort hätten. Der Unternehmer, der die Glücksspiele veranstalte oder vertreibe, habe seinen Sitz nicht auf dem Gebiet des Bundeslandes Schleswig-Holstein. Er sei zwar „Genehmigungsinhaber“. Die vom Gesetz angesprochene Genehmigung, nämlich die erteilte Konzession für Sportwetten und Online-Glücksspiele seien in ihrem rechtlichen Regelungsgehalt und ihrer Wirkung aber auf das Gebiet des Landes Schleswig-Holstein beschränkt. Auch aus den Genehmigungen ergebe sich kein überörtlicher Bezug und damit auch kein sachlicher Anknüpfungspunkt für eine Abgabenerhebung über das Territorium des Bundeslandes hinaus. Der sachliche Anknüpfungspunkt werde nicht dadurch ersetzt, dass das Land in Schleswig-Holstein angeblich auch Lenkungszwecke über seine Landesgrenzen hinaus verfolge. Zur Verfolgung solcher Zwecke fehle dem Land Schleswig-Holstein wiederum jede Kompetenz. Ein Land, welches eigene Lenkungszwecke mit Bezug auf das Territorium eines anderen Bundeslandes verfolge, verhalte sich bundesstaatswidrig. Schließlich sei das Glücksspielangebot der Klägerin im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland in den Streitjahren auch nicht rechtswidrig gewesen. Die Klägerin habe sich vielmehr rechtskonform verhalten. Es sei nicht einmal zu irgendeinem Zeitpunkt zu einem gleichzeitigen Glücksspielangebot für Spieler in Schleswig-Holstein und für Spieler außerhalb von Schleswig-Holstein gekommen, nachdem die schleswig-holsteinische Genehmigung erteilt worden sei. Schon wegen dieses zeitlichen Ablaufs der Trennung des Zugangs zu den Internetplattformen sei es nicht zutreffend, damit zu argumentieren, die Klägerin habe sich nicht an die Verpflichtung gehalten, die Genehmigung des Bundeslandes Schleswig-Holstein nur in Schleswig-Holstein zu nutzen. Sie habe sich selbstverständlich an diese Verpflichtung gehalten. Außerhalb des Bundeslandes Schleswig-Holstein sei sie tätig geworden aufgrund der schon lange vorher bestehenden ausländischen Glücksspiellizenz. Diese Tätigkeit sei auch nicht verboten. Es handele sich eben gerade nicht um illegales Spiel. Schon deshalb sei der Rückgriff auf § 40 AO verfehlt.

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2. Unzulässige Sonderabgabe

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Darüber hinaus handele es sich um eine unzulässige Sonderabgabe mit Finanzierungsfunktion. Nach dem Willen des schleswig-holsteinischen Landesgesetzgebers solle es sich bei der Glücksspielabgabe um eine Sonderabgabe handeln. Erkennbar verfolgter Sachzweck sei es bei der Erhebung der Glücksspielabgabe Schleswig-Holstein „einer übermäßigen Ausweitung des Glücksspielangebotes“ entgegen zu wirken (§ 41 GlSpielG SH). Über die rechtliche Qualifizierung der Sonderabgabe entscheide aber nicht der Gesetzgeber sondern allein der materielle Gehalt der erhobenen Abgabe. Der Gesetzgeber habe mit einem namhaften Abgabenaufkommen gerechnet wie es sich auch aus § 42 Abs. 3 Satz 2 GlSpielG SH ergebe. Die tatsächlichen Einnahmen des Landes hätten 2013 bei 6.246.786,00 €, 2014 bei über 1 Million € und im Jahr 2015 (die Glücksspielabgabe lief aus) bei noch 1.457,00 € gelegen. Der Gesetzgeber habe also Geld zur Finanzierung der im Gesetz genannten Zwecke erlangen wollen. Dass neben dem Finanzierungszweck auch ein Lenkungszweck bestanden habe, sei unerheblich, da der Finanzierungszweck nicht einmal der Hauptzweck sein müsse.

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Die Glücksspielabgabe erfülle die Voraussetzungen, die das Bundesverfassungsgericht an eine Sonderabgabe mit Finanzierungsfunktion stelle, jedoch nicht. Mit einer Sonderabgabe könne eine gesellschaftliche Gruppe nur dann belastet werden, wenn sie eine homogene Gruppe bilde, die vor der Abgabenerhebung bereits bestanden habe. Die Gruppe der Abgabepflichtigen, die § 35 Abs. 1 und 2 sowie Abs. 4 GlSpielG SH erfasse, sei jedoch nicht homogen. Inhomogen sei die Gruppe schon deshalb, weil teilweise die Zugehörigkeit zu der Gruppe von der Existenz einer Genehmigung nach dem GlSpielG SH abhänge, zum anderen aber nicht. Inhomogen sei die Gruppe auch deshalb, weil für einen begrenzten Zeitraum auch Anbieter von Sportwetten erfasst gewesen seien (1. März bis zum 30. Juni 2012), danach aber nur noch Anbieter von Online-Glücksspiel. Inhomogen sei die Gruppe schließlich auch deshalb, weil Anbieter aus Drittländern überhaupt nicht abgabepflichtig seien. Schließlich fehle es auch an dem Erfordernis der gruppennützigen Verwendung des Abgabeaufkommens. Der ganz überwiegende Teil des Abgabeaufkommens von 90 % werde für Zwecke verwendet, die nicht der Gruppe der Abgabepflichtigen dienten, sondern fremden Dritten. Es handele sich insoweit um eine fremdnützige Verwendung. Als Sonderabgabe mit Finanzierungsfunktion sei die Glücksspielabgabe folglich verfassungswidrig.

26

Selbst wenn man die Glücksspielabgabe als Sonderabgabe mit Lenkungsfunktion sehe, genüge sie den dann geltenden verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht. In jedem Fall sei es unzulässig, das Aufkommen einer solchen Abgabe ganz überwiegend – zu 90 v. H. – in den allgemeinen Haushalt eingehen zu lassen und für allgemeine öffentliche oder gemeinnützige Zwecke zu verwenden. Der ganz überwiegende Teil des Aufkommens der Glücksspielabgabe werde für Bereiche verwendet, die mit dem Glücksspiel nicht das Mindeste zu tun hätten.

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3. Strukturelles Vollzugsdefizit

28

Darüber hinaus gelte im Abgabenrecht der verfassungsrechtliche Grundsatz, dass bei der Abgabenerhebung die Gleichheit des Vollzugs gewahrt sein müsse. Dies folge aus Art. 3 Abs. 1 GG und gelte aufgrund des EU-rechtlichen Diskriminierungsverbotes auch für EU-Gesellschaften. Die Vollzugsgleichheit sei bei den Internet-Glücksspielanbietern nicht gewährleistet. Es handele sich dabei nicht nur um ein faktisches, sondern um strukturelles Vollzugsdefizit, das nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Verfassungswidrigkeit der Abgabenerhebung führe. Denn das Bundesland Schleswig-Holstein habe keine gesetzlichen Möglichkeiten, die es erlauben würden, die Richtigkeit der abgegebenen Anmeldungen und Erklärungen zur Glücksspielabgabe Schleswig-Holstein zu überprüfen. Die dazu in § 47 GlSpielG SH vorgesehenen Möglichkeiten seien theoretischer Natur und würden in der Praxis nicht weiter helfen, weil die Abgabepflichtigen im Ausland ihren Sitz hätten. Ein entsprechendes Defizit bestehe bei der Abgabenerhebung. Denn die in § 47 Abs. 5 GlSpielG SH vorgesehene Möglichkeit der Beitreibung nach der Beitreibungsrichtlinie 2010 gehe ins Leere, weil diese EU-Richtlinie für Sonderabgaben überhaupt keine Anwendung finde, da Sonderabgaben als Abgaben nicht steuerlicher Art nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie fielen. Außerdem hätten die entsprechenden ausländischen Staaten keine nationalen Regelungen, die es den dortigen nationalen Finanzbehörden erlauben würden, die Vollstreckung deutscher Sonderabgaben in ihrem Land durchzuführen. Es stünden mithin strukturelle Vollzugsdefizite.

29

4. Verstoß gegen die Notifizierungspflicht

30

Schließlich verstoße der geänderte Wortlaut des § 35 Abs. 2 GlSpielG SH mit der Erstreckung der Abgabenpflicht auf das gesamte Bundesgebiet gegen die Notifizierungspflicht nach der Richtlinie 98/34/EG. Die Notifizierung sei nicht ordnungsgemäß erfolgt, so dass gegen Art. 8 Abs. 1 Info RL verstoßen worden sei. Nach der Rechtsprechung des EuGH könne sich der einzelne vor nationalen Gerichten und Behörden unmittelbar auf Art. 8 und 9 der Info RL berufen. Technische Vorschriften, die entgegen dieser Richtlinienbestimmungen erlassen würden, könnten ihm nicht entgegen gehalten werden. Die Richtlinie habe nach allgemeinen Grundsätzen Vorrang vor nationalen Vorschriften und ein Verstoß gegen die Richtlinie führe zur Unanwendbarkeit der entgegenstehenden nationalen Norm. Die Art. 8 und 9 der Info RL seien inhaltlich unbedingt und auch hinreichend bestimmt, so dass sie vor und von nationalen Gerichten unmittelbar anzuwenden seien. Aus dem zeitlichen Ablauf des Gesetzgebungsverfahrens ergebe sich, dass der geänderte Wortlaut des § 35 zur Abgabenpflicht erst als bereits verabschiedetes Gesetz zugeleitet worden sei. Da an dem Entwurf wesentliche Änderungen vorgenommen worden seien, hätte insoweit nochmals eine Notifizierung erfolgen müssen.

31

5. Verfahrensfragen

32

Der erkennende Senat könne dem Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts hier selbst Rechnung tragen. Anderenfalls bestehe die Möglichkeit die entsprechenden Fragen dem EuGH zur Vorabentscheidung gemäß Art. 267 AEUV vorzulegen. Eine Vorlageplicht bestehe jedenfalls dann, wenn eine Revision zum BFH wegen des Auslaufens der Glücksspielabgabe nicht möglich sein sollte. Hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Fragen komme eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht nach Art. 100 GG in Betracht. Nach Informationen der Klägerin hätten alle oder nahezu alle Genehmigungsinhaber, die beim Finanzamt Anmeldungen und Erklärungen für die Glücksspielabgabe abgegeben hätten, dagegen auch Einspruch eingelegt. Diese Einspruchsverfahren ruhten derzeit, so dass es sich im vorliegenden Rechtsstreit um eine Art „Musterverfahren“ handele. Da es im vorliegenden Verfahren um die Anwendung des GG gehe, sei Revisibilität gegeben und die Revision zum BFH zuzulassen.

33

Die Klägerin beantragt,

34

den Bescheid über die Glücksspielabgabe für 2013 vom 21. März 2014 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 11. März 2015 sowie in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Januar 2016 aufzuheben.

35

Der Beklagte beantragt,

36

die Klage abzuweisen.

37

zu 1.

38

Der Beklagte trägt vor, § 35 GlSpielG SH verstoße nicht gegen die Gesetzgebungskompetenz des Landes. Insoweit verweist er zur Begründung zunächst auf die Ausführungen in der Widerspruchsentscheidung und auf den Beschluss des Senats vom 17. September 2015 in dem Verfahren 5 V 242/14.

39

zu 2.

40

Ergänzend trägt er vor, dass die Glücksspielabgabe als Sonderabgabe mit Lenkungsfunktion konzipiert sei. Allein die Tatsache, dass eine Abgabe zu einem Aufkommen führe, bedeute nicht, dass der Finanzierungszweck auch in der Zielsetzung der Abgabe liege. Der Zweck der Glücksspielabgabe gehe aber über die Finanzmittelbeschaffung hinaus. Die Abgabe solle nach § 1 i.V.m. § 41 GlSpielG SH im Zusammenspiel mit den Vorschriften über das Genehmigungsverfahren und über den Spielerschutz die Glücksspielnachfrage der Bevölkerung zu legalen und überwachten Spielangeboten lenken und durch eine spürbare Verringerung des Gewinnanreizes des Anbieters einer übermäßigen Ausweitung des Glücksspielangebots entgegen wirken. Es werde vom Gesetzgeber also nicht vorrangig ein fiskalischer Zweck verfolgt.

41

Die Erhebung der Glücksspielabgabe genüge den verfassungsrechtlichen Anforderungen an Sonderabgaben ohne Finanzierungszweck. Aus der im Gesetz definierten Lenkungsfunktion ergebe sich ihre sachliche Legitimation. Die Abgabe treffe nur die Glücksspielanbieter, die eine schleswig-holsteinische Glücksspiellizenz beantragt und erhalten hätten und trage dadurch zugleich der Belastungsgleichheit der Abgabepflichtigen Rechnung. Da das Aufkommen der Glücksspielabgabe nach § 42 Abs. 1 GlSpielG SH in den Landeshaushalt fließe, werde der Grundsatz der Vollständigkeit des Haushaltsplans nicht berührt.

42

zu 3.

43

Es bestünde auch kein strukturelles Vollzugsdefizit und damit kein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Ein strukturelles Vollzugsdefizit bei der Erhebung müsse dem Gesetzgeber zuzurechnen sein. Jenseits eines Erhebungsdefizits sei ein strukturelles Vollzugsdefizit nur denkbar, wenn die Besteuerung aus politischen Gründen nicht vollzogen werde oder in einer Anlaufphase erkennbare Umsetzungsprobleme nicht beseitigt würden. Selbst wenn dem Gesetzgeber für die Festsetzung und Erhebung der Glücksspielabgabe von im (EU-) Ausland ansässigen Glücksspielanbietern ein tatsächliches Ermittlungsdefizit bestünde, so sei der Gesetzgeber dafür nicht die verantwortlich. Der Umstand, dass andere Glücksspielanbieter illegal tätig werden und der Abgabenerhebung ausweichen, begründe keinen Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 GG.

44

zu 4.

45

Es liege auch kein Verstoß gegen die Notifizierungspflicht nach der Richtlinie 98/34/EG vor. Das Land Schleswig-Holstein habe den Entwurf des Glücksspielgesetzes gegenüber der Europäischen Kommission im Februar 2011 zur Notifizierung angezeigt. Den Bemerkungen der Kommission, die sich in keiner Weise auf die Abgabenpflicht bezogen hätten, habe das Land Rechnung getragen. Dass der Kommission dann die endgültige Gesetzesfassung erst nach deren Inkrafttreten zugeleitet worden sei, rechtfertige nicht die Nichtanwendung des schleswig-holsteinischen Glücksspielgesetzes. Vor dem Hintergrund, dass Ziel der Richtlinie nur die Information der Kommission und der anderen Mitgliedsstaaten sei, erscheine es sachgerecht, Art. 8 und 9 der Richtlinie 98/34/EG dahingehend zu verstehen, dass es sich um ein einheitliches Notifizierungsverfahren handele, in dessen Verlauf sich Entwürfe auch ändern könnten. Zudem habe sich die Europäische Kommission mit Schreiben vom 7. Dezember 2012 erneut mit dem notifizierten GlSpielG SH und dessen vorgesehener Aufhebung auseinandergesetzt. Dabei habe sie nicht erkennen lassen, dass keine ordnungsgemäße Notifizierung vorliegen könnte.

46

zu 5.

47

Die Zulassung der Revision werde befürwortet, da es dem BFH obliege insbesondere zu prüfen, ob der Landesgesetzgeber nach dem GG zum Erlass des GlSpielG SH befugt gewesen sei. Zutreffend weise die Klägerin darauf hin, dass dem vorliegenden Fall durchaus die Funktion eines „Musterprozesses“ zukomme, da dem Finanzamt noch weitere Widersprüche gegen Bescheide über die Glücksspielabgabe vorlägen, die derzeit ruhten.

Entscheidungsgründe

48

Die zulässige Klage ist unbegründet.

49

Der geänderte Bescheid für 2013 über die Glücksspielabgabe vom 11. März 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Januar 2016 ist nicht rechtswidrig und verletzt die Klägerin somit nicht in ihren Rechten; eine Aufhebung kommt daher nicht in Betracht (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).

50

1. Nach § 35 Abs. 1 des Gesetzes zur Neuordnung des Glücksspiels (Glücksspielgesetz) vom 20. Oktober 2011 (GlSpielG SH) (GVOBl. 2011, 280) wird von Personen, die im Geltungsbereich dieses Gesetzes Glücksspiele vertreiben, eine Glückspielabgabe erhoben. Gemäß § 35 Abs. 2 S. 1 GlSpielG SH gelten Glücksspiele als im Geltungsbereich dieses Gesetzes vertrieben, sofern sie über diesen Geltungsbereich hinaus durch einen Genehmigungsinhaber nach diesem Gesetz Personen, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthaltsort im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland haben, bestimmungsgemäß zugänglich gemacht werden. Ein Vertrieb in diesem Sinne liegt auch vor, wenn ein genehmigungspflichtiges Glücksspiel ohne erforderliche Genehmigung bestimmungsgemäß zugänglich gemacht wird (§ 35 Abs. 2 Satz 2 GlSpielG SH). § 40 der Abgabenordnung gilt entsprechend (§ 35 Abs. 4 GlSpielG SH).

51

Der Abgabensatz beträgt gemäß § 36 Abs. 1 GlSpielG SH 20 vom Hundert der Bemessungsgrundlage. Bemessungsgrundlage ist der Rohertrag aus den angebotenen und durchgeführten Glücksspielen. Als Rohertrag gilt der Betrag, um den die Summe aller Spieleinsätze die Summe aller ausgezahlten Spielgewinne übersteigt. Abweichend hiervon gelten bei Glücksspielen, bei denen der Veranstalter kein Spielrisiko trägt (Spiele ohne Bankhalter), die Beträge als Bemessungsgrundlage, die dem Glücksspielanbieter aus dem Spiel zufließen (§ 36 Abs. 2 GlSpielG SH).

52

Die Abgabe entsteht gemäß § 37 Abs. 1 GlSpielG SH mit dem Zustandekommen des Spielvertrags. Abgabenschuldner ist nach § 38 Abs. 1 S. 1 GlSpielG SH der Glücksspielanbieter. Die Abgabe schuldet gemäß § 38 Abs. 1 S. 2 GlSpielG SH auch, wer nicht genehmigte Glücksspiele anbietet.

53

Der Glücksspielanbieter hat gemäß § 40 Abs. 2 GlSpielG SH für das Kalenderjahr eine Jahreserklärung auf amtlich vorgeschriebenem Vordruck bis zum 31. Mai des Folgejahres bei der zuständigen Finanzbehörde abzugeben. In dieser sind die Summe aller Spieleinsätze sowie die gesamte Bemessungsgrundlage nach § 36 aller im Kalenderjahr durchgeführten Glücksspiele nach Art der Glücksspiele getrennt und die darauf für das Kalenderjahr entfallende Glücksspielabgabe sowie die bereits nach Absatz 1 geleisteten Vorauszahlungen anzugeben. Eine verbleibende Zahllast beziehungsweise ein etwaiges Guthaben aus der Jahreserklärung werden von der Finanzbehörde durch Bescheid festgesetzt.

54

2. Es bestehen keine durchgreifenden rechtlichen Bedenken gegen die mit Bescheid vom 11. März 2015 über die Glücksspielabgabe für 2013 festgesetzte Glücksspielabgabe. Ausgehend von den einschlägigen Rechtsnormen des GlSpielG SH hat die Klägerin eine Jahresanmeldung der Glücksspielabgabe gem. § 40 Abs. 2 GlSpielG SH für das Jahr 2013 bei dem zuständigen Finanzamt eingereicht. Mit dem streitbefangenen Bescheid vom 11. März 2015 über die Glücksspielabgabe für 2013 wurde die Klägerin erklärungsgemäß veranlagt.

55

Die Klägerin hat unstreitig hinsichtlich der erklärten Spielumsätze mit Spielern aus Schleswig-Holstein den Abgabentatbestand des § 35 Abs. 1 GlSpielG SH erfüllt, da sie in Schleswig-Holstein und damit im Geltungsbereich des GlSpielG SH Glücksspiele vertrieben hat. Insoweit trägt die Klägerin vor, diese Umsätze hätten für das gesamte Streitjahr 2013 lediglich … € betragen.

56

Außerdem hat die Klägerin den gesetzlichen Abgabentatbestand des § 35 Abs. 2 Satz 1 GlSpielG SH verwirklicht, weil sie als Genehmigungsinhaber Personen, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthaltsort im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland haben, Glücksspiele bestimmungsgemäß zugänglich gemacht hat, so dass diese Glücksspiele nach der gesetzlichen Fiktion als im Geltungsbereich des Glücksspielgesetzes vertrieben gelten. Dabei ist von einer „bestimmungsgemäßen“ Verfügbarkeit des Glücksspielangebots in ganz Deutschland nicht nur dann auszugehen, wenn das betreffende Glücksspielangebot jenseits der schleswig-holsteinischen Landesgrenzen im gesamten Bundesgebiet aktiv beworben wird. „Bestimmungsgemäß zugänglich gemacht“ ist das Glücksspiel regelmäßig schon dann, wenn es über terrestrische Vertriebsstellen oder über das Internet in deutscher Sprache angeboten wird (Englisch in Streinz/Liesching/Hambach, Glücks- und Gewinnspielrecht in den Medien, Syst. Darst. Rn. 113). Im Streitfall ist dies der Fall, weil die Klägerin über das Internet insbesondere Online-Casinospiele bundesweit angeboten hatte. Dabei ist nach Auffassung des Senats entscheidend, dass die Klägerin ihr Angebot auf zwei Internetplattformen zugänglich machte, die jeweils die Bezeichnung „E“ und den Hinweis auf die erteilte schleswig-holsteinische Genehmigung auf den Web- sites hatten. Dass die eine Website von „E“ auf „com“ endete und die andere auf „de“ ist für den Kunden irrelevant, da dieser den Eindruck hat, ihm werde das der Klägerin in Schleswig-Holstein genehmigte und von dort überwachte Glücksspiel zugänglich gemacht. Die Klägerin hat im Übrigen auch klargestellt, dass nur die von ihr selbst erzielten Umsätze und nicht auch die ihrer Tochterunternehmen berücksichtigt wurden. Dementsprechend hat die Klägerin nur ihre eigenen Umsätze in ihrer Jahresanmeldung für 2013 erklärt. In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin auf Nachfrage mitgeteilt, dass sie davon ausgehe, dass die in der Jahreserklärung vom 20. Februar 2015 erklärten Umsätze mit Spielern in anderen Bundesländern in einer Höhe von … € den gesetzlichen Abgabentatbestand des § 35 Abs. 2 Satz 1 GlSpielG SH erfüllt hätten.

57

Hinsichtlich der Höhe der erklärungsgemäß festgesetzten Glücksspielabgaben bestehen keine Bedenken. Die Klägerin hat insoweit keine substantiierten Einwände erhoben und nicht vorgetragen, sie habe irrtümlich eine zu hohe Bemessungsgrundlage ermittelt. In der mündlichen Verhandlung hat sie zudem klargestellt, dass in den angemeldeten Beträgen keine Erträge ihrer Tochtergesellschaft A enthalten sind.

58

3. Die Klägerin kann sich nicht wegen einer fehlenden Notifizierung auf eine Nichtanwendbarkeit des schleswig-holsteinischen Glücksspielgesetzes und insbesondere dessen § 35 berufen. Gegen die Anwendung der im Streitfall einschlägigen gesetzlichen Vorschriften über die Glücksspielabgabe nach dem GlSpielG SH hat der Senat im Hinblick auf die Notifizierung nach der Richtlinie 98/34/EG keine Bedenken.

59

a) Der schleswig-holsteinische Landesgesetzgeber hat durch den Erlass des GlSpielG SH nicht gegen die für technische Vorschriften geltende Notifizierungspflicht des Art. 8 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 98/34/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Juni 1998 über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften (ABl L 204 vom 21. Juli 1998, S. 37, geändert durch die Richtlinie 2006/96/EG des Rates vom 20. November 2006, ABl. L 363, S. 81) verstoßen. Nach Art. 9 Abs. 1 Richtlinie 98/34/EG nehmen die Mitgliedstaaten den Entwurf einer technischen Vorschrift nicht vor Ablauf von drei Monaten nach Eingang der Mitteilung gemäß Art. 8 Abs. 1 Richtlinie 98/34/EG bei der Kommission an. Nach Art. 8 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 1 Halbs. 1 Richtlinie 98/34/EG übermitteln die Mitgliedstaaten der Kommission unverzüglich jeden Entwurf einer technischen Vorschrift, sofern es sich nicht um eine vollständige Übertragung einer internationalen oder europäischen Norm handelt. Nach Art. 8 Abs. 1 Unterabs. 3 Richtlinie 98/34/EG machen die Mitgliedstaaten eine weitere Mitteilung in der vorgenannten Art und Weise, wenn sie an dem Entwurf einer technischen Vorschrift wesentliche Änderungen vornehmen, die den Anwendungsbereich ändern, den ursprünglichen Zeitpunkt für die Anwendung vorverlegen, Spezifikationen oder Vorschriften hinzufügen oder verschärfen. 

60

Das GlSpielG SH war zwar insbesondere im Hinblick auf die §§ 18 bis 20 i.V.m. § 17 GlSpielG SH zu notifizieren. Im konkreten Notifizierungsverfahren hat das Land Schleswig-Holstein dabei den vollständigen Gesetzentwurf der EU-Kommission übermittelt. Die EU-Kommission hat im Mai 2011 Bemerkungen zu dem übermittelten Entwurf gemacht, denen das Land Schleswig-Holstein auch Rechnung getragen hat. Diese Bemerkungen bezogen sich weder auf die Abgabenpflicht noch den Abgabentatbestand. Der Regulierungsansatz des GlSpielG SH wurde dementsprechend im obligatorischen Notifizierungsverfahren nach der Informationsrichtlinie vorbehaltlos gebilligt (so auch Hambach/Riege in Streinz/Liesching/Hambach, Glücks- und Gewinnspielrecht in den Medien, Kommentar, §§ 1-3 GlüG SchlH Rn. 27). Der Gesetzentwurf wurde damit notifiziert. Auch in den nachfolgenden Äußerungen der EU zu Normen des deutschen Glückspielrechts wurde nie auf eine etwaige Verletzung der Notifizierungspflicht durch Schleswig-Holstein hingewiesen. Auch in der Literatur wird nicht vertreten, dass das GlSpielG SH nicht notifiziert worden sei, sondern es wird von einer Notifizierung ausgegangen (vgl. z.B. Hambach/Riege in Streinz/Liesching/Hambach, a.a.O., §§ 1-3 GlüG SchlH Rn. 27).

61

b) Der Gesetzgeber hat insbesondere bei Erlass der letztlich verabschiedeten Fassung des § 35 GlSpielG SH nicht gegen die für technische Vorschriften geltende Notifizierungspflicht des Art. 8 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 98/34/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Juni 1998 über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften (ABl. L 204 v. 21. Juli 1998, S. 37, geändert durch die Richtlinie 2006/96/EG des Rates vom 20. November 2006, ABl. L 363, S. 81) verstoßen. 

62

aa) Denn bei der abgabenrechtlichen Vorschrift des § 35 GlSpielG SH handelt es sich nicht um eine notifizierungspflichtige Vorschrift.

63

(1) Die Norm ist zunächst keine „technische Vorschrift“ nach Art. 1 Nr. 11 Abs. 1 der Richtlinie 98/34/EG. Unter den Begriff der technischen Vorschrift fällt gemäß Art. 1 Nr. 11 Richtlinie 98/34/EG erstens eine technische Spezifikation im Sinne des Art. 1 Nr. 3 Richtlinie 98/34/EG, die in einem Mitgliedstaat oder in einem großen Teil dieses Staates verbindlich ist, zweitens eine sonstige Vorschrift im Sinne von Art. 1 Nr. 4 Richtlinie 98/34/EG, die in einem Mitgliedstaat oder in einem großen Teil dieses Staates verbindlich ist, und drittens das Verbot von Herstellung, Einfuhr, Inverkehrbringen oder Verwendung eines Erzeugnisses. Keine der drei benannten Kategorien von technischen Vorschriften ist in Bezug auf § 35 GlSpielG SH einschlägig.

64

§ 35 GlSpielG SH beinhaltet keine technische Spezifikation im Sinne des Art. 1 Nr. 3 der Richtlinie 98/34/EG, weil sie sich nicht speziell auf ein Erzeugnis oder eine Verpackung bezieht. Eine sonstige Vorschrift im Sinne von Art. 1 Nr. 4 Richtlinie 98/34/EG liegt ebenfalls nicht vor. Begrifflich vorausgesetzt ist danach eine Vorschrift für ein Erzeugnis, die keine technische Spezifikation ist und insbesondere zum Schutz der Verbraucher oder der Umwelt erlassen wird und den Lebenszyklus des Erzeugnisses nach dem Inverkehrbringen betrifft, wie Vorschriften für Gebrauch, Wiederverwertung, Wiederverwendung oder Beseitigung, sofern diese Vorschriften die Zusammensetzung oder die Art des Erzeugnisses oder seine Vermarktung wesentlich beeinflussen können.

65

(2) Es handelt sich entgegen der Auffassung der Klägerin auch um keine Vorschrift, die unter den Begriff der technischen „De facto-Vorschrift“ des Art. 1 Nr. 11 Abs. 2 der Richtlinie 98/34/EG fällt.

66

Der Europäische Gerichtshof hat in seinem Urteil vom 11. Juni 2015 C-98/14 (Berlington Hungary u.a., Zeitschrift für Wett- und Glücksspielrecht -ZfWG- 2015, 336, Rz 97) entschieden, dass "steuerrechtliche Vorschriften ..., die von keiner technischen Spezifikation oder sonstigen Vorschrift begleitet werden, deren Einhaltung sie sicherstellen sollen, nicht als 'technische De-facto-Vorschriften' eingestuft werden" könnten. Nach Art. 1 Nr. 11 dritter Gedankenstrich der Richtlinie seien „technische De-facto-Vorschriften“ im Sinne dieser Bestimmung „technisch[e] Spezifikationen oder sonstig[e] Vorschriften oder … Vorschriften betreffend Dienste, die mit steuerlichen oder finanziellen Maßnahmen verbunden sind, die auf den Verbrauch der Erzeugnisse oder die Inanspruchnahme der Dienste Einfluss haben, indem sie die Einhaltung dieser technischen Spezifikationen oder sonstigen Vorschriften oder Vorschriften betreffend Dienste fördern“. Dem Wortlaut dieser Bestimmung zufolge bezeichne der Ausdruck „technische De-facto-Vorschriften“ nicht die steuerlichen Maßnahmen selbst, sondern die damit verbundenen technischen Spezifikationen oder sonstigen Vorschriften. Folglich könnten steuerrechtliche Vorschriften wie die im Ausgangsverfahren streitigen, die von keiner technischen Spezifikation oder sonstigen Vorschrift begleitet werden, deren Einhaltung sie sicherstellen sollen, nicht als „technische De-facto-Vorschriften“ eingestuft werden. Nationale Rechtsvorschriften, die den Betrag einer Pauschalsteuer auf den Betrieb von Geldspielautomaten in Spielhallen verfünffachten und darüber hinaus eine Proportionalsteuer auf diese Tätigkeit einführten, seien keine „technischen Vorschriften“ im Sinne dieser Bestimmung.

67

Ausgehend von diesen Grundsätzen kann § 35 GlSpielG SH, der von keiner technischen Spezifikation oder sonstigen Vorschrift begleitet wird, deren Einhaltung er sicherstellen soll, nicht als 'technische De-facto-Vorschrift' bezeichnet werden. Denn die Einhaltung der in den §§ 18-20 GlSpielG SH normierten Regelungen, die insbesondere die Notifizierungspflicht auslösen, soll durch die Glücksspielabgabe nicht sichergestellt werden.

68

c) Im Übrigen wurde im Rahmen des Notifizierungsverfahrens der gesamte Gesetzesentwurf einschließlich des § 35 GlSpielG SH in der Entwurfsversion notifiziert, so dass bereits deshalb mit der Regelung einer Glücksspielabgabe grundsätzlich nicht gegen die Notifizierungspflicht verstoßen wurde.

69

Die zuletzt geänderte Textfassung des § 35 Abs. 2 weitet zwar den Anwendungsbereich der Norm durch die nunmehr aufgenommene Fiktion aus, ist aber keine Änderung einer technischen De-facto-Vorschrift und deshalb ihrerseits nicht notifizierungspflichtig.

70

d) Schließlich liegt – worauf es allerdings mangels bestehender Notifizierungspflicht letztlich nicht ankommt - auch keine wesentliche Änderung des Entwurfs vor. Zwar wird durch die Regelungen in § 35 Abs. 2 Satz 1 GlSpielG SH die Erhebung einer Glücksspielabgabe durch die in der Vorschrift enthaltene Fiktion ausgeweitet. Diese Ausweitung des Abgabentatbestands ist aber im Hinblick darauf, dass der Kommission die im Ursprungsentwurf enthaltene Erhebung einer Glücksspielabgabe mitgeteilt wurde und eine Verletzung von unionsrechtlichen Vorgaben von vornherein nicht ersichtlich ist, keine wesentliche Änderung. Denn die Regelung des § 35 GlSpielG SH stellt zwar grundsätzlich eine Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit gemäß § Art. 56 AEUV dar, weil der Vertrieb von Glücksspielen weniger attraktiv ist. Die Erhebung einer Glücksspielabgabe wurde von der Kommission im Notifizierungsverfahren jedoch überhaupt nicht beanstandet. Da inländische und ausländische Glücksspielanbieter in gleicher Weise durch die Norm – auch in der geänderten Fassung des Absatzes 2 - betroffen sind, ist kein Verstoß gegen europarechtliche Normen ersichtlich.

71

4. Eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht gem. Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG i. V. m. § 80 Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht (BVerfGG) wegen der von der Klägerin behaupteten Verletzung des Grundgesetzes durch das GlSpielG SH kommt nicht in Betracht. Der Senat ist nicht von der Verfassungswidrigkeit des § 35 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 GlSpielG SH überzeugt. Gerade dies ist jedoch zwingende Voraussetzung für die Zulässigkeit eines konkreten Normenkontrollverfahrens. Bloße Zweifel genügen insoweit nicht (vgl. hierzu Moradi Karkaj in Barczak, BVerfGG, Kommentar, § 80 Rn. 58 m.w.N.).

72

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts muss die Überzeugung des vorlegenden Gerichts von der Verfassungswidrigkeit der zur Prüfung gestellten Norm näher begründet werden (§ 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG; vgl. BVerfG, Beschluss vom 7.4.1992 1 BvL 19/91, BVerfGE 86, 52 <57>). Das vorlegende Gericht darf sich dabei nicht nur auf die Benennung des verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstabes beschränken, sondern muss auch die für seine Überzeugung maßgebenden Erwägungen nachvollziehbar und umfassend darlegen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.5.1988 1 BvL 8/82, 1 BvL 9/82, BVerfGE 78, 165 <171 f.>; Beschluss vom 12.1.1993 1 BvL 7/92, 1 BvL 27/92, 1 BvL 49/92, BVerfGE 88, 70 <74>).

73

a) Den Einwand der Klägerin, es fehle dem schleswig-holsteinischen Landesgesetzgeber jedenfalls für die Erhebung der Glücksspielabgabe auf Online-Casinospiele und Sportwetten, soweit diese aus dem Vertrieb an Personen resultierten, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthaltsort in der Bundesrepublik Deutschland, aber nicht in Schleswig-Holstein hätten, jeglicher Anknüpfungspunkt, hält der Senat nicht für begründet.

74

aa) Das Land Schleswig-Holstein konnte im Glücksspielgesetz für Schleswig-Holstein grundsätzlich Regelungen für das Genehmigungsverfahren und die Erhebung einer Glücksspielabgabe treffen. Die Gesetzgebungskompetenz der Länder für den Bereich der Glücksspiele folgt aus der sicherungsrechtlichen Regelungskompetenz gemäß Art. 70 Abs. 1 GG, weil das Glücksspielwesen jedenfalls auch eine Materie der Gefahrenabwehr ist. Zudem werden die klassischen Glücksspiele der konkurrierenden (Wirtschafts-) Gesetzgebung nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG zugeordnet. So hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Grundsatzurteil vom 28.3.2006 (1 BvR 1054/01, BVerfGE 115, 276) entschieden, dass für eine Neuregelung im Falle des durch das bayerische Staatslotteriegesetzes geregelten Glücksspiels grundsätzlich sowohl durch den Bundes- wie den Landesgesetzgeber in Betracht komme. Insoweit könne auch der Bund, gestützt auf den Gesetzgebungstitel für das Recht der Wirtschaft nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG, unter den Voraussetzungen des Art 72 Abs. 2 GG tätig werden. Eine Kompetenz des Bundes scheitere nicht an dem ordnungsrechtlichen Aspekt der Regelungsmaterie.

75

Das Land Schleswig-Holstein hatte auch die Ertragshoheit, da diese bei den nichtsteuerlichen Abgaben, wie Sonderabgaben und sonstigen nichtsteuerlichen Abgaben, der Kompetenz folgt, für den betroffenen Bereich Gesetze zu erlassen (vgl. Müller-Franken, VerwArch 2012, 315, 335 m.w.N.).

76

bb) Die gesetzlichen Regelungen des Genehmigungsverfahrens und diejenigen über die Glücksspielabgabe im GlSpielG SH verstoßen nicht gegen den Grundsatz der Verbandskompetenz.

77

(1) Da es zur Reichweite der Hoheitsgewalt der Bundesländer keine Regelungen im deutschen Staatsrecht gibt, können diesbezügliche völkerrechtliche Grundsätze auf das Hoheitsgefüge der Bundesländer übertragen werden (VG Düsseldorf, Urteil vom 13. September 2011 27 K 1005/09, juris, Rz. 44). Aus dem Völkerrecht ergibt sich im Grundsatz keine Beschränkung der Regelungsgewalt eines Nationalstaats auf sein Hoheitsgebiet. Eine positive völkerrechtliche Regelung über die extraterritoriale Geltung staatlicher Normen gibt es nicht, das Völkerrecht kann die Geltung staatlicher Rechtsnormen nur begrenzen. Dies geschieht durch das Territorialitätsprinzip, nach dem Gesetzen auf wohl allen Rechtsgebieten grundsätzlich nur dann extraterritoriale Geltung beigelegt werden darf, wenn ein inländischer Anknüpfungspunkt vorhanden ist (Rojahn in von Münch/Kunig, GG-Kommentar, Band 2, Art. 25 Rn. 2; Streinz in Jahn, GG-Kommentar, 6. Auflage, Art. 25 Rn. 54). Die Erstreckung der Regelungsgewalt auf einen Auslandssachverhalt setzt also im Kern ausschließlich einen Anknüpfungspunkt des Auslandssachverhaltes an einen Inlandssachverhalt und die Hoheitsgewalt des die Regelung setzenden Staates voraus. Die Hoheitsgewalt eines Landes bezieht sich auf das dieser Gebietskörperschaft zugehörige Territorium (Verbandskompetenz). Bei der grenzüberschreitenden Regelung von Sachverhalten reicht nach völkerrechtlichen Grundsätzen zur Begründung der Regelungskompetenz eines Staates ein Anknüpfungspunkt im Inland aus, der eine Verletzung fremder Hoheitsgewalt ausschließt (Hambach/Riege in Streinz/Liesching/Hambach, Glücks- und Gewinnspielrecht in den Medien, §§ 1-3 GlüG SchlH Rn. 59 m.w.N.).

78

(2) Die gesetzlichen Regelungen des Genehmigungsverfahrens im GlSpielG SH verstoßen nach diesen Grundsätzen nicht gegen den Grundsatz der Verbandskompetenz. Genehmigungen nach § 4 GlSpielG SH erstrecken sich in ihrer Wirkung allein auf das Gebiet des Landes Schleswig-Holstein. Dies ergibt sich sowohl aus § 2 Abs. 1 als auch aus § 4 Abs. 1 GlSpielG SH, wonach das Angebot bzw. die Veranstaltung von öffentlichen Glücksspielen im Geltungsbereich des Glücksspielgesetzes geregelt wird bzw. der Genehmigung bedarf. Ein Verstoß gegen die Verbandskompetenz des Landes ist durch diese gesetzlichen Bestimmungen nicht ersichtlich, da mit ihnen das Veranstalten von Glücksspielen außerhalb des Hoheitsgebietes des Landes Schleswig-Holstein nicht verboten wird. Vielmehr wird durch den Gesetzgeber allein geregelt, dass eine Erlaubnis sich auf das Gebiet des Landes Schleswig-Holstein beschränkt.

79

Die auf dieser Grundlage der Klägerin erteilten ordnungsrechtlichen Genehmigungen vom 30. April 2012 und vom 19. Dezember 2012 gelten dementsprechend nur für den Geltungsbereich des GlSpielG SH. Zudem lässt der Vollzug von Landesrecht in der Regel auf eine nur landesweite Geltung der Anordnung schließen (vgl. BVerwG, Urteil vom 30.1.2002 9 A 20/01, BVerwGE 115, 373). Diese Beschränkung der Genehmigungen auf Schleswig-Holstein ist zwischen den Beteiligten auch unstrittig und wurde im vor dem schleswig-holsteinischen Verwaltungsgericht geschlossenen Vergleich in dem Verfahren 12 A 39/13 zwischen der Klägerin und dem Innenministerium Schleswig-Holstein hinsichtlich der Genehmigung vom 19. Dezember 2012 ausdrücklich klargestellt.

80

(3) Die Regelungen in § 35 Abs.1 und Abs. 2 Satz 1 GlSpielG SH über die Erhebung einer Glücksspielabgabe verstoßen nicht gegen den Grundsatz der Verbandskompetenz.

81

Anknüpfungspunkt in Schleswig-Holstein ist für die Abgabenpflicht nach § 35 Abs. 1 GlSpielG SH, dass eine Person im Geltungsbereich dieses Gesetzes Glücksspiele vertreibt. Dabei wird nicht zwischen inländischen und ausländischen Personen unterschieden. Die Verwirklichung eines Abgabentatbestandes im Gebiet Schleswig-Holsteins und die Herbeiführung eines abgabenrechtlich erheblichen Erfolges in Schleswig-Holstein sind nach dieser Rechtsnorm Voraussetzung für die Abgabenpflicht (vgl. zu diesen Voraussetzungen als hinreichenden Anknüpfungspunkt auch BVerfG, Beschluss vom 22.3.1983 2 BvR 475/78, BVerfGE 63, 343).

82

Darüber hinaus wird durch § 35 Abs. 2 Satz 1 GlSpielG SH fingiert, dass Glücksspiele als „im Geltungsbereich dieses Gesetzes vertrieben“ gelten, sofern sie über diesen Geltungsbereich hinaus durch einen Genehmigungsinhaber nach diesem Gesetz Personen, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthaltsort im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland haben, bestimmungsgemäß zugänglich gemacht werden. Die mit § 35 Abs. 2 GlSpielG SH erfolgte Ausweitung der Abgabenerhebung ist erst in den Beratungen vor der letzten Lesung des Gesetzes eingefügt worden (Bericht und Beschlussempfehlung des Innen- und Rechtsausschusses vom 14.09.2011, LT-Drs. 17/1785). Eine Begründung findet sich in den Gesetzesmaterialien hierzu nicht. Nach Auffassung des Senats weist die Regelung ebenfalls einen hinreichenden Anknüpfungspunkt zum Hoheitsgebiet des Landes Schleswig-Holstein auf. Denn der Glücksspielanbieter muss eine schleswig-holsteinische Glücksspiellizenz beantragt und eine Veranstaltungsgenehmigung nach dem GlSpielG SH erhalten haben, die ihn gerade dazu verpflichtet, das in Schleswig-Holstein genehmigte Glücksspiel nur in Schleswig-Holstein zu nutzen.

83

Ein Übergreifen in den Kompetenzbereich der anderen Bundesländer liegt nicht vor. Zwar muss der Landesgesetzgeber Rücksicht auf die Interessen der übrigen Bundesländer nehmen. Insoweit führen nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts allerdings nur offensichtliche Verstöße zur Verfassungswidrigkeit der landesrechtlichen Regelung (BVerfG, Urteil vom 1.12.1954 2 BvG 1/54, BVerfGE 4, 115 <140f.>). Ein solcher Verstoß liegt jedoch nicht vor, weil die Besteuerung des bundesweiten Angebots von in Schleswig-Holstein genehmigten Glücksspiels hinreichend legitimiert ist. Die lizensierten Anbieter solcher Glücksspiele dürfen gemäß § 26 GlSpielG SH für ihr Angebot Werbung betreiben, um die Nachfrage entsprechend § 1 Nr. 2 GlSpielG SH hin zu ihrem legalen und überwachten Glücksspielangebot zu lenken. Die entsprechenden Werbemaßnahmen in Internet, Radio und Fernsehen lassen sich aber schon technisch nicht auf den Empfang nur durch Einwohner von Schleswig-Holstein begrenzen. Die Liberalisierung des Glücksspiels kann damit zu verstärkten Spielanreizen auch im übrigen Bundesgebiet führen. Daher ist es grundsätzlich angemessen, wenn das Land Schleswig-Holstein durch die Glücksspielabgabe auch mit Wirkung für die anderen Bundesländer eine Maßnahme zur Eindämmung des Angebotes von in Schleswig-Holstein genehmigten Glücksspielen ergreift (Englisch in Streinz/Liesching/Hambach, Glücks- und Gewinnspielrecht in den Medien, Syst. Darst. Rn. 116).

84

Etwas anderes würde gelten, wenn auch andere Bundesländer entsprechende vergleichbare abgabenrechtliche Maßnahmen getroffen hätten. Dann würde das Gebot der bundesstaatlichen Rücksichtnahme einer Besteuerung des bundesweiten Angebots von in Schleswig-Holstein genehmigten Glücksspiels Schleswig-Holstein entgegenstehen. Eine solche Rechtslage bestand aber im Streitjahr nicht, da nur Schleswig-Holstein und kein anderes Bundesland eine Glücksspielabgabe oder vergleichbare Abgabe erhoben hatte.

85

Auch unter Berücksichtigung der Zielsetzung des GlSpielG SH und des Zwecks der Glücksspielabgabe, einerseits den Glücksspielmarkt nur für Schleswig-Holstein zu liberalisieren, und andererseits zunehmenden Suchtgefahren Rechnung zu tragen, erweist es sich als legitim, die Abgabenpflicht auch auf die Umsätze aus der Teilnahme von Spielern aus dem gesamten Bundesgebiet zu erstrecken, wenn der Glücksspielanbieter gegen die ihm erteilte Genehmigung verstößt. Die Glücksspielabgabe ist als nichtsteuerliche, lenkende Sonderabgabe konzipiert, die zu einem bestimmten Verhalten anreizen bzw. Fehlverhalten sanktionieren soll. Dieser Zielsetzung würde eine gesetzliche Regelung entgegenlaufen, die zwar das legale Spiel eines Genehmigungsinhabers mit einer Abgabe belegen würde, nicht jedoch dessen illegales Spiel. Deshalb verweist § 35 Abs. 4 GlSpielG SH ausdrücklich darauf, dass § 40 AO entsprechend Geltung hat. Wenn ein Glücksspielanbieter in Kenntnis der gesetzlichen Regelungen über die Glücksspielabgabe eine Genehmigung nach dem GlSpielG SH beantragt und erhält, kann er sich auch gesetzeskonform verhalten, so dass er nicht in Gefahr kommt, auch nach § 35 Abs. 2 Satz 1 GlSpielG SH veranlagt zu werden. Wenn gleichwohl Gewinne unter Ausnutzung der schleswig-holsteinischen Genehmigung für das Veranstalten von Glücksspielen mit Spielern in anderen Bundesländern erzielt werden, erscheint es dem Senat vom weitreichenden Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers gedeckt, auch diese Roherträge mit der Glücksspielabgabe zu belegen. Auf die ausländische Lizenz kann sich die Klägerin insoweit nicht berufen, weil diese für die Bundesrepublik keine legalisierende Wirkung hat.

86

Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung auch selbst eingeräumt, dass auf ihren Internetplattformen, mit denen Glücksspiele angeboten werden, auf die schleswig-holsteinische Genehmigung hingewiesen wird. Dies stellt einen erheblichen Wettbewerbsvorteil gegenüber nicht lizensierten Glücksspielanbietern dar, da sich die Klägerin dadurch als „seriöser Anbieter“ präsentieren kann.

87

Schließlich erfolgt durch das Gesetz kein Eingriff in Freiheitsrechte von Spielern, die in anderen Bundesländern wohnen. Denn durch das Glücksspielgesetz wird nicht von Bürgern anderer Bundesländer eine Abgabe erhoben, sondern die Abgabenpflicht besteht nur für die Glücksspielanbieter, von denen der durch genehmigte Glücksspiele erzielte Ertrag mit 20 % Glücksspielabgabe belegt wird. Ein Überschreiten der Verbandskompetenz ist deshalb nicht gegeben.

88

Ob der Gesetzgeber mit der Regelung des § 35 Abs. 2 Satz 2 GlSpielG in verfassungswidriger Weise seine Verbandskompetenz überschritten hat (vgl. insoweit Bedenken äußernd Hambach/Riege in Streinz/Liesching/Hambach, Glücks- und Gewinnspielrecht in den Medien, §§ 1-3 GlüG SchlH Rn. 65 m.w.N.), kann letztlich dahinstehen. Denn im Streitfall besteht bereits gemäß § 35 Abs. 2 Satz 1 GlSpielG SH eine Abgabenpflicht der Klägerin als Genehmigungsinhaber.

89

b) Eine Verfassungswidrigkeit der Regelungen über die Glücksspielabgabe ergibt sich auch nicht aus dem Einwand der Klägerin, dass eine unzulässige Sonderabgabe vorliege.Vielmehr genügt die Glücksspielabgabe den finanzverfassungsrechtlichen Anforderungen an die Erhebung von Sonderabgaben.

90

Die Erhebung nichtsteuerlicher Abgaben auf der Grundlage der Sachkompetenzen aus Art. 70 ff. GG bedarf mit Blick auf die Begrenzungs- und Schutzfunktion der Finanzverfassung (Art. 104a ff. GG) und zur Wahrung der Belastungsgleichheit der Abgabepflichtigen (Art. 3 Abs. 1 GG) einer über den Zweck der Einnahmeerzielung hinausgehenden besonderen sachlichen Rechtfertigung. Dies betrifft die Abgabenerhebung sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach. Für Sonderabgaben mit Finanzierungszweck gilt: Der Gesetzgeber darf sich einer solchen Abgabe nur im Rahmen der Verfolgung eines Sachzwecks bedienen, der über die bloße Mittelbeschaffung hinausgeht. Mit einer Sonderabgabe darf nur eine homogene Gruppe belegt werden. Die Gruppe muss zu dem mit der Abgabenerhebung verfolgten Zweck in einer Beziehung spezifischer Sachnähe stehen, aufgrund deren ihr eine besondere Finanzierungsverantwortung zugerechnet werden kann. Das Abgabenaufkommen muss außerdem gruppennützig verwendet werden (BVerfG, Urteil vom 28.1.2014 2 BvR 1561/12 u.a., BVerfGE 135, 155, unter I 2. a), m.w.N.).

91

Alle nichtsteuerlichen Abgaben bedürfen, wie das Bundesverfassungsgericht formuliert, über die Einnahmenerzielung hinaus oder an deren Stelle, einer besonderen sachlichen Rechtfertigung. Drei grundlegende Prinzipien begrenzen insoweit nach Auffassung des Gerichts die Auferlegung nichtsteuerlicher Abgaben: Erstens müssen sie sich ihrer Art nach von der Steuer, die voraussetzungslos auferlegt und geschuldet wird, deutlich unterscheiden. Zweitens muss die Erhebung einer nichtsteuerlichen Abgabe der Belastungsgleichheit der Abgabepflichtigen Rechnung tragen, die bereits Steuern zahlen. Schließlich tritt der Grundsatz der Vollständigkeit des Haushaltsplans (Art. 110 Abs. 1 GG) hinzu, der dann berührt ist, wenn der Gesetzgeber Einnahmen- und Ausgabenkreisläufe außerhalb des Budgets organisiert, wie es bei Sonderabgaben regelmäßig der Fall ist (BVerfG, Urteil vom 06. Juli 2005 – 2 BvR 2335/95 –, BVerfGE 113, 128).

92

Die von der Verfassung gezogenen Grenzen werden nicht schon deshalb überschritten, weil eine Sonderabgabe nicht in jeder Hinsicht den Anforderungen entspricht, die in dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 10. Dezember 1980 ( 2 BvF 3/77 - zur Berufsausbildungsabgabe, NJW 1981, S. 329 (330 f.) = BVerfGE 55, 276) als Voraussetzungen für die Einführung von Sonderabgaben erörtert werden. Soweit dieses Urteil eine Sachnähe der Abgabepflichtigen zum Abgabezweck für erforderlich hält, der eine besondere Gruppenverantwortung für die Erfüllung der mit den außersteuerlichen Abgaben zu finanzierenden Aufgabe entspringen müsse (a.a.O., NJW 1981, S. 329 (332)) und verlangt, das Aufkommen einer Abgabe sei im Interesse der Gruppe der Abgabepflichtigen "gruppennützig" zu verwenden (a.a.O., NJW 1981, S. 329 (332)), betreffen diese Anforderungen ersichtlich nur solche Abgaben, bei denen - wie es in der Mehrzahl der Fall sein dürfte - das Aufkommen zumindest primär zur Finanzierung vom Gesetz bestimmter Zwecke dient.Bei Abgaben jedoch, bei denen nicht die Finanzierung einer besonderen Aufgabe Anlass zu ihrer Einführung gab, können solche Maßstäbe nicht uneingeschränkt gelten (BVerfG, Urteil vom 26. Mai 1981 – 1 BvL 56/78 –, BVerfGE 57, 139).

93

Ausgehend von den vorstehend ausgeführten Grundsätzen des Bundesverfassungsgerichts ist ein Verfassungsverstoß nicht festzustellen.

94

Die Kompetenz des Landesgesetzgebers zur Einführung der Glücksspielabgabe als einer nichtsteuerlichen Sonderabgabe sowie zur Regelung ihrer Verwendung ergibt sich – wie bereits oben ausgeführt - aus seiner allgemeinen Sachzuständigkeit nach Art. 70 Abs. 1 GG bzw. nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG, da die Regelungen des Glücksspielgesetzes der Gefahrenabwehr dienen und dem Recht der Wirtschaft zuzuordnen sind.

95

Entgegen der Auffassung der Klägerin handelt es sich nicht um eine Sonderabgabe mit Finanzierungsfunktion. Nach den Vorstellungen des Gesetzgebers handelt es sich um eine nichtsteuerliche, lenkende Sonderabgabe (siehe LT-Drucks. 17/1100, 52). Dies findet seine Bestätigung im Gesetz, denn als Lenkungsziel der Glücksspielabgabe wird in § 41 GlSpielG SH die Erreichung der in § 1 GlSpielG SH aufgeführten allgemeinen ordnungsrechtlichen Ziele gesetzlich festgelegt. Die Finanzierungsfunktion tritt demgegenüber zurück, da vorrangig nicht ein fiskalischer Zweck, sondern ein Sachzweck verfolgt wird. Dieser besteht in der Schaffung eines dem jeweiligen Glücksspiel angemessenen Ordnungsrahmens. Es soll über den Spielerschutz eine Lenkung zu legalem und überwachten Glücksspiel erfolgen. Zudem soll durch die Glücksspielabgabe ein dämpfender Effekt auf das Glücksspielangebot erreicht werden.

96

Eine sachliche Legitimation der Sonderabgabe mit Lenkungsfunktion liegt - wie oben dargelegt – vor. Der Belastungsgleichheit der Abgabenpflichtigen wird Rechnung getragen. Denn die Glücksspielanbieter, die eine schleswig-holsteinische Genehmigung erhalten haben, werden in gleicher Weise belastet. Zudem ist auch die Vollständigkeit des Haushaltsplans gewährleistet, weil das Aufkommen gemäß § 42 Abs. 1 GlSpielG SH in den Landeshaushalt fließt. Dass eine Zweckbindung nach § 42 Abs. 2 und 3 GlSpielG SH besteht, ändert daran nichts. Schließlich ist davon auszugehen, dass es sich um eine Sonderabgabe und nicht um eine Steuer handelt, weil nur die Glücksspielanbieter, die in Schleswig-Holstein Glücksspiele vertreiben und Glücksspielanbieter, die eine schleswig-holsteinische Genehmigung beantragt und erhalten haben, mit der Abgabe belastet werden.

97

Selbst wenn man Zweifel hat, ob die Glücksspielabgabe – wie in der Literatur (Englisch in Streinz/Liesching/Hambach, Glücks- und Gewinnspielrecht in den Medien, Syst. Darst. Rn. 109) vertreten - nicht als Lenkungsabgabe sondern als Steuer zu qualifizieren sei, weil sie nicht in erster Linie die Missachtung einer Obliegenheit sanktioniere, wäre sie jedenfalls als Verkehrssteuer mit Lenkungszweck im Sinne des Art. 106 Abs. 2 Nr. 3 GG finanzverfassungsrechtlich zulässig. Denn die Entstehung der Abgabe knüpft gemäß § 37 Abs. 1 Satz 1 GlSpielG SH an das Zustandekommen des Spielvertrags und damit an einen Akt des Rechtsverkehrs an und hätte insoweit die Gesetzgebungskompetenz für die Einführung einer solchen Steuer (so Englisch in Streinz/Liesching/Hambach, Glücks- und Gewinnspielrecht in den Medien, Syst. Darst. Rn. 109). Ein finanzverfassungsrechtlicher Verstoß ist danach nicht ersichtlich.

98

c) Es ist auch nicht geboten, das Verfahren wegen des von der Klägerin geltend gemachten strukturellen Vollzugsdefizits auszusetzen und eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 des Grundgesetzes (GG) über die Verfassungsmäßigkeit des § 35 GlSpielG SH über die Glücksspielabgabe einzuholen.

99

Der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verlangt für das Steuerrecht, dass die Steuerpflichtigen durch ein Steuergesetz rechtlich und tatsächlich gleich belastet werden. Wird die Gleichheit im Belastungserfolg durch die rechtliche Gestaltung des Erhebungsverfahrens prinzipiell verfehlt, kann dies die Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Besteuerungsgrundlage nach sich ziehen. Nach dem Gebot tatsächlich gleicher Steuerbelastung durch gleichen Gesetzesvollzug begründet die in den Verantwortungsbereich des Gesetzgebers fallende strukturell gegenläufige Erhebungsregel im Zusammenwirken mit der zu vollziehenden materiellen Steuernorm deren Verfassungswidrigkeit. Strukturell gegenläufig wirken sich Erhebungsregelungen gegenüber einem Besteuerungstatbestand aus, wenn sie dazu führen, dass der Besteuerungsanspruch weitgehend nicht durchgesetzt werden kann. Die Frage, ob der Gesetzgeber von ihm erstrebte Ziele - im Steuerrecht die Erzielung von Einnahmen oder auch Lenkungsziele - faktisch erreicht, ist rechtsstaatlich allein noch nicht entscheidend. Vollzugsmängel, wie sie immer wieder vorkommen können und sich tatsächlich ereignen, führen allein noch nicht zur Verfassungswidrigkeit der materiellen Steuernorm. Verfassungsrechtlich verboten ist jedoch der Widerspruch zwischen dem normativen Befehl der materiell pflichtbegründenden Steuernorm und der nicht auf Durchsetzung dieses Befehls angelegten Erhebungsregel. Zur Gleichheitswidrigkeit führt nicht ohne weiteres die empirische Ineffizienz von Rechtsnormen, wohl aber das normative Defizit des widersprüchlich auf Ineffektivität angelegten Rechts (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 10.03.2008 2 BvR 2077/05, NJW 2008, 852)

100

Das BVerfG (Nichtannahmebeschluss vom 10.03.2008 2 BvR 2077/05, NJW 2008, 852) hat bestätigt, dass etwaige Erhebungsdefizite bei Auslandssachverhalten dem Gesetzgeber grundsätzlich nicht zuzurechnen sind, sofern er die ihm zumutbaren Vorkehrungen zur Durchsetzung des Steueranspruchs getroffen hat.

101

Der BFH hat in seinem Urteil vom 20.10.2010 I R 117/08 (BFHE 232, 15, BFH/NV 2011, 669) dazu ausgeführt: „Nach der Rechtsprechung des BVerfG können strukturell gegenläufige Erhebungsregeln im Zusammenwirken mit der zu vollziehenden Steuernorm eine Verletzung des Gleichheitssatzes aus Art. 3 Abs. 1 GG begründen (vgl. BVerfG-Beschluss vom 17. Februar 2010  1 BvR 2664/09, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2010, 651; BVerfG-Urteil vom 9. März 2004  2 BvL 17/02, BVerfGE 110, 94, BStBl II 2005, 56; BVerfG-Urteil vom 27. Juni 1991  2 BvR 1493/89, BVerfGE 84, 239, BStBl II 1991, 654). Bloße Vollzugsmängel führen allerdings noch nicht zur Verfassungswidrigkeit; erforderlich ist ein normatives Defizit des widersprüchlich auf Ineffektivität angelegten Rechts (vgl. BVerfG-Urteil in BVerfGE 110, 94, BStBl II 2005, 56; BVerfG-Urteil in BVerfGE 84, 239, BStBl II 1991, 654). Daraus folgt, dass nur solche Defizite ein strukturelles Erhebungsdefizit begründen können, die in den Verantwortungsbereich des Gesetzgebers fallen. Für Auslandssachverhalte fehlt dem Gesetzgeber jedoch bereits die Möglichkeit, Regelungen zu schaffen, die Ermittlungen im Ausland ermöglichen. Selbst wenn für die Besteuerung der Folgen ausländischer "Spin-off" ein tatsächliches Ermittlungsdefizit bestünde, so hat dieses Defizit seine Ursache nicht in dem vom deutschen Gesetzgeber zu verantwortenden System der materiellen und der das Verfahren betreffenden Steuerrechtsnormen. Eine Ausgangslage, die der deutsche Gesetzgeber nicht verändern kann, kann ihm nicht als Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Gebot der Gleichmäßigkeit der Steuererhebung angelastet werden (vgl. umfassend BFH-Urteil vom 18. Februar 1997 VIII R 33/95, BFHE 183, 45, BStBl II 1997, 499; BFH-Beschluss vom 18. November 2005 II B 23/05, BFH/NV 2006, 612).

102

Ausgehend von diesen Grundsätzen der Rechtsprechung liegt keine Verletzung des Gleichheitssatzes vor. Etwaige Vollzugsdefizite können nicht dem schleswig-holsteinischen Landesgesetzgeber angelastet werden, denn er hat zur Steuererhebung und Durchsetzung des § 35 GlSpielG SH insbesondere folgende ineinander greifende normative Vorkehrungen im Gesetz getroffen:

103

Es besteht zunächst eine Registrierungspflicht gemäß § 39 GlSpielG SH. Dadurch erfährt das Finanzamt von der Person des Abgabenschuldners und von seinen abgabenrechtlichen Aktivitäten. Ermittlungsfördernd wirkt in diesem Zusammenhang die Mitteilungspflicht der Genehmigungs- und Aufsichtsbehörde nach § 44 GlSpielG SH gegenüber der zuständigen Finanzbehörde. Dadurch erhält das Finanzamt selbst dann Kenntnis von der Aufnahme des Glücksspielangebots, wenn der Abgabenschuldner seiner Registrierungspflicht nicht nachkommt. Wesentlich für die Ermittlung der Abgabengrundlagen und die Verifikation der erklärten Einnahmen sind die Aufzeichnungs- und Aufbewahrungspflichten gemäß § 46 GlSpielG SH. Fördernd sind auch insoweit die Mitteilungspflichten der Genehmigungs- und Aufsichtsbehörde nach § 44 GlSpielG SH und die Möglichkeit der Nachschau nach § 47 GlSpielG SH. Schließlich besteht bei Verstößen gegen die abgabenrechtlichen Vorschriften die Möglichkeit des Widerrufs der Genehmigung gemäß § 4 Abs. 7 GlSpielG SH. Ein effektives Instrument zur Sicherung und Durchsetzung abgabenrechtlicher Forderungen ist die Verpflichtung zur Erbringung einer Sicherheitsleistung in Höhe von 1 bis 5 Mio € gemäß § 20 Abs. 7 GlSpielG SH bei Online-Casinospielen und nach § 23 Abs. 7 GlSpielG SH bei öffentlichen Wetten.

104

Der Gesetzgeber hat hiermit Kontrollmöglichkeiten geschaffen, damit die Erhebung der Abgabe nicht nur von der Erklärungsbereitschaft des Abgabenpflichtigen abhängt.

105

Sofern Vollzugsdefizite im Ausland bestehen sollten, wäre dies nicht dem Landesgesetzgeber zuzurechnen. Ein strukturelles Vollzugsdefizit liegt nicht vor (ebenso Englisch in Streinz/Liesching/Hambach, Syst. Darst. Rn. 144; vgl. auch Brüggemann, Die Besteuerung von Sportwetten im Rennwett- und Lotteriegesetz, S. 250 f. m.w.N.). Außerdem hat der Abgabenschuldner, der eine Genehmigung für Casinospiele beantragt hatte, eine Sicherheitsleistung in Höhe von mindestens 1 Mio € zu erbringen, so dass auch gegenüber im Ausland ansässigen Glücksspielanbietern abgabenrechtliche Forderungen (zumindest teilweise) auch ohne Beitreibung im Ausland durchgesetzt werden könnten.

106

Im Übrigen weist der Senat darauf hin, dass angesichts des Umstands, dass das GlSpielG SH erst 2012 in Kraft getreten ist, selbst aus einem etwaigen defizitären Vollzug des Gesetzes in der Praxis nicht auf eine Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Regelung geschlossen werden könnte. Das Bundesverfassungsgericht hat zum Deal im Strafprozess ausgeführt, dass aus dem defizitären Vollzug des Verständigungsgesetzes nicht auf eine Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Regelung geschlossen werden könne und der Gesetzgeber die weitere Entwicklung sorgfältig im Auge behalten müsse. Sollte sich die gerichtliche Praxis weiterhin in erheblichem Umfang über die gesetzlichen Regelungen hinwegsetzen und sollten die materiellen und prozeduralen Vorkehrungen des Verständigungsgesetzes nicht ausreichen, um das festgestellte Vollzugsdefizit zu beseitigen und dadurch die an eine Verständigung im Strafverfahren zu stellenden verfassungsrechtlichen Anforderungen zu erfüllen, müsse der Gesetzgeber der Fehlentwicklung durch geeignete Maßnahmen entgegenwirken. Unterbliebe dies, träte ein verfassungswidriger Zustand ein (BVerfG, Urteil vom 19.3.2013 2 BvR 2628/10, juris, Rn. 121).

107

Im Falle der Glücksspielabgabe bestehen jedenfalls für das Streitjahr 2013 keine verifizierten Anhaltspunkte für ein bestehendes Vollzugsdefizit. Durch die bereits zum 8. Februar 2013 erfolgte Aufhebung des Gesetzes und der Fortgeltung nur für erteilte Genehmigungen, die für sechs Jahre erteilt wurden, können dem Gesetzgeber jedenfalls für 2013 noch keine Versäumnisse angelastet werden. Ob der Gesetzgeber noch für Folgejahre Änderungen des Gesetzes vornehmen müsste, obwohl das Gesetz auslaufendes Recht darstellt, kann hier dahinstehen.

108

Nach alledem besteht für eine Aussetzung des Verfahrens und Vorlage an das Bundesverfassungsgericht nicht die erforderliche Überzeugung des Senats von der Verfassungswidrigkeit der im Streitfall anzuwendenden Vorschriften des GlSpielG SH.

109

Die Kosten des Verfahrens trägt gemäß § 135 Abs. 1 FGO die Klägerin.

110

5. Die Revision wird gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen. Zwar handelt es sich um grundsätzlich nicht revisibles Landesrecht. Soweit die Klägerin allerdings die Verletzung von Bundesrecht, insbesondere des Grundgesetzes, geltend macht, kann der BFH prüfen, ob die landesrechtliche Abgabenvorschrift mit Bundesrecht vereinbar ist.

111

Der Senat geht auch von einer grundsätzlichen Bedeutung im Sinne des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO aus. Das Allgemeininteresse an der Klärung einer Rechtsfrage fehlt grundsätzlich dann, wenn die zu klärende Rechtsfrage Recht, das ausgelaufen (außer Kraft getreten) ist oder demnächst ausläuft (außer Kraft tritt), oder Übergangsregelungen, auch wenn sie nicht ausdrücklich als solche gekennzeichnet sind, betrifft. Das erforderliche Allgemeininteresse ist in derartigen Fällen vor allem dann verneint worden, wenn gleichartige Fälle nicht anhängig waren. Stehen aber noch weitere Entscheidungen über dieselbe Rechtsfrage an, so wird - ausnahmsweise - ein Allgemeininteresse an der Klärung der Rechtsfrage anerkannt, allerdings wohl mit der zusätzlichen Forderung, dass die Klärung der Rechtsfrage noch für eine unbekannte Vielzahl und nicht nur für eine überschaubare, begrenzte Zahl von Entscheidungen Bedeutung hat (Werth in Gosch, AO/FGO, § 115 FGO Rn. 90 m.w.N.). Da es sich im vorliegenden Verfahren um ein „Musterverfahren“ handelt und eine Vielzahl von Widerspruchsverfahren noch bei dem Beklagten ruhen und nicht überschaubar ist, wie viele weitere Rechtsmittelverfahren angesichts einer Geltung der Genehmigungen für sechs Jahre noch folgen werden, bejaht der Senat hier ausnahmsweise eine grundsätzliche Bedeutung.


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(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragstellerin.

Die Beschwerde wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

I. Die Beteiligten streiten darüber, ob ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Bescheide für 2012 und 2013 über die Glücksspielabgabe bestehen.

2

Die Antragstellerin wurde am 7. Januar 2003 in das Unternehmensregister … (Ausland) eingetragen und verfügt über eine ausländische Spiellizenz vom 19. Juli 2011. Sie stellte mit Schreiben vom 15. Februar 2012 Genehmigungsanträge für den Vertrieb von Online-Casinospielen und Sportwetten gemäß der §§ 20, 23 des Schleswig-Holsteinischen Glücksspielgesetzes (GlSpielG SH). Die Glücksspiele sollten von der Antragstellerin im Ausland veranstaltet werden und ausschließlich über das Internet vertrieben werden.

3

Mit Genehmigungsbescheid vom 30. April 2012 genehmigte das Innenministerium Schleswig-Holstein der Antragstellerin, Sportwetten ab dem 1. Mai 2012 zu veranstalten und im Wege des Eigenvertriebes als Fernvertrieb nach § 3 Abs. 9 Satz 2 GlSpielG zu vertreiben. Hinsichtlich der Einzelheiten und der Nebenbestimmungen wird auf den Bescheid verwiesen.

4

Mit weiterem Genehmigungsbescheid des Innenministeriums Schleswig-Holstein vom 19. Dezember 2012 wurde der Antragstellerin genehmigt, im Geltungsbereich des Gesetzes Online-Glücksspiele nach § 3 Abs. 9 Satz 2 GlSpielG zu vertreiben. Die Genehmigung erging nach Ziffer 2 unter der Auflage, dass sie nur im Geltungsbereich des Glücksspielgesetzes in Schleswig-Holstein Anwendung findet. Aufgrund dieser Genehmigung dürfe die Antragstellerin nur Spieler mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthaltsort im Geltungsbereich des Gesetzes zur Teilnahme an den genehmigten Glücksspielen zulassen. Hinsichtlich der weiteren Inhalts- und Nebenbestimmungen der Genehmigung wird auf den Bescheid verwiesen.

5

Mit Schreiben vom 27. November 2013 forderte der Antragsgegner die Antragstellerin auf, für das Jahr 2012 eine Jahreserklärung für die Glücksspielabgabe abzugeben.

6

Die Antragstellerin reichte daraufhin Jahresanmeldungen der Glücksspielabgabe gem. § 40 Abs. 2 GlSpielG SH für die Jahre 2012 und 2013 jeweils vom 17. März 2014 ein und erklärte eine Glücksspielabgabe für das Jahr 2012 in Höhe von … € und für 2013 in Höhe von … €. In dem Anschreiben vom 17. März 2013 teilte die Antragstellerin mit, dass Roherträge aus dem Vertrieb an Personen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthaltsort in Schleswig-Holstein und Roherträge aus dem Vertrieb an Personen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthaltsort in der Bundesrepublik Deutschland berücksichtigt worden seien. Eine Aufschlüsselung der Roherträge hinsichtlich des Wohnsitzes der Spieler oder der Monate der erzielten Roherträge erfolgte weder in dem Anschreiben noch in den Jahreserklärungen.

7

Mit Bescheiden vom 21. März 2014 für 2012 und für 2013 wurde die Glücksspielabgabe jeweils erklärungsgemäß festgesetzt.

8

Hiergegen erhob die Antragstellerin am 31. März 2014 Widerspruch. Zur Begründung führte sie aus, dass sich der Widerspruch gegen die Erhebung der Glücksspielabgabe auf Online-Casinospiele und Sportwetten beziehe, soweit diese aus dem Vertrieb an Personen resultiere, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthaltsort in der Bundesrepublik Deutschland, aber nicht in Schleswig-Holstein hätten. Die Lizenz für die Veranstaltung von Casinospielen sei ihr erst am 19. Dezember 2012 erteilt worden. Für den Zeitraum vom 30. April 2012 bis zum 19. Dezember 2012 fehle jeder Anknüpfungspunkt, der das Bundesland Schleswig-Holstein berechtigen könnte, eine Glücksspielabgabe für Umsätze mit Personen zu erheben, welche weder ihren Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Land Schleswig-Holstein hätten. Als Veranstalter des Spiels hätte die Antragstellerin ohnehin ihren Sitz nicht in Schleswig-Holstein und es gebe auch keine Genehmigung des Landes Schleswig-Holstein für die Veranstaltung dieser Spiele. Mangels Anknüpfungspunktes sei das Land daher nicht berechtigt für diesen Zeitraum von dem genannten Personenkreis eine Glücksspielabgabe zu erheben. Dem Land fehle die Verbandskompetenz. Nach allgemeinen Regeln müsse ein Verband einen Anknüpfungspunkt haben, um Abgaben erheben zu können. So dürfe eine Gemeinde Vergnügungssteuer nur erheben für entsprechende Veranstaltungen im Gemeindegebiet, ein Bundesland dürfe Grunderwerbssteuer nur erheben für in diesem Land belegene Grundstücke, das Gewerbesteueraufkommen werde im Rahmen der Zerlegung aufgeteilt etc.. Das Erfordernis einer sachlichen Anknüpfung für die Erhebung einer Steuer oder Abgabe ergebe sich aus dem Grundsatz der Verbandskompetenz und aus der zutreffenden Abgrenzung der Befugnisse zwischen den Bundesländern im Rahmen der bundesstaatlichen Ordnung. Die Bundesländer übten ihre Staatsgewalt jeweils auf ihren Territorien auf der Ebene der Gleichordnung im räumlichen Nebeneinander aus. Nach Feststellung des Bundesverfassungsgerichts sei demzufolge ein Land in seiner Verwaltungshoheit grundsätzlich auf sein eigenes Gebiet beschränkt. Dazu gehöre auch die Abgabenhoheit oder Steuerhoheit für Landessteuern. Die Begrenzung der entsprechenden Hoheitsgewalt des Bundeslandes resultiere aus der begrenzten räumlichen Reichweite der Landesgewalt, der sogenannten Verbandskompetenz. Hoheitsakte, die sich auf Personen oder Sachverhalte im Hoheitsbereich eines anderen Bundeslandes beziehen, dürfe eine Landesbehörde nicht erlassen. Zwischen dem Bundesland Schleswig-Holstein und den anderen Bundesländern bestehe auf der Grundlage des Glücksspielgesetzes auch keine Übereinkunft für eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit, aus der eine grenzüberschreitende Befugnis des Bundeslandes Schleswig-Holstein abgeleitet werden könnte. Das Land könne weder mittelbar noch unmittelbar Hoheitsakte für andere Bundesländer erlassen, zumal das Glücksspielgesetz auch vor dem historischen Hintergrund seiner Entstehung als Alleingang des Bundeslandes Schleswig-Holstein gerade nicht in Abstimmung mit den anderen Ländern erlassen worden sei.

9

Die Sportwettenkonzession vom 30. April 2012 sei kein geeigneter Anknüpfungspunkt für die Erhebung einer Abgabe auf Online-Glücksspiel. Es handele sich um unterschiedliche Glücksspielarten. Dementsprechend seien auch zwei Genehmigungen erteilt worden. Die Erhebung der Glücksspielabgabe für Onlinespiele bis zum 19. Dezember 2012 verstoße gegen die Regel des Verfassungsrechts, weil jeglicher Anknüpfungspunkt für das Bundesland Schleswig-Holstein fehle, der eine Kompetenz für die Erhebung der Abgabe auf ausschließlich in anderen Bundesländern stattfindende Glücksspiele erlauben könnte. Nichts anderes gelte auch für den Zeitraum vom 19. Dezember 2012 bis zum 31. Dezember 2012. Die Genehmigung sei unter der Auflage ergangen, dass sie nur im Geltungsbereich des Glücksspielgesetzes Schleswig-Holstein Anwendung finde. Die Antragstellerin dürfe deshalb nur Spieler mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt in Schleswig-Holstein zur Teilnahme an diesen Glücksspielen zulassen. Die Antragstellerin habe demzufolge auch eine entsprechende Selbstverpflichtungserklärung im Antragsverfahren abgegeben, auf welche die Auflagen in Ziffer 2 des Genehmigungsbescheides vom 19. Dezember 2012 ausdrücklich hinweise. Da der Wirkungsbereich der Genehmigung räumlich auf das Bundesland beschränkt sei, könne aus der Existenz dieser Konzession keinesfalls abgeleitet werden, nunmehr bestünde auch die Verbandskompetenz zur Erhebung der Glücksspielabgabe außerhalb des Landes Schleswig-Holstein. Dies sei schon nach dem klaren Wortlaut der Genehmigung, die auf das Territorium des Landes beschränkt sei, nicht der Fall. Es komme deshalb auch gar nicht mehr darauf an, dass selbstverständlich eine Behörde durch eine Genehmigung nicht eine Verbandskompetenz begründen könne, die gegen die Verfassung verstoßen würde, nämlich gegen das Bundesstaats- und das Demokratieprinzip (Art. 20 GG).

10

Für 2013 gelte das entsprechend. Wäre die gegenteilige Sichtweise der Finanzverwaltung Schleswig-Holstein zutreffend, so könnte mit gleichem Recht auch eine Abgabenerhebung für Spiele im Ausland stattfinden.

11

Hinsichtlich der Glücksspielabgabe auf Sportwetten würden die gleichen Grundsätze gelten. Es bestünden deshalb ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der mit den Widersprüchen angegriffenen Abgabenfestsetzung und es werde daher auch die Aussetzung der Vollziehung beantragt.

12

Mit Bescheid vom 15. September 2014 lehnte der Antragsgegner den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ab und verwies die Antragstellerin darauf, dass die Möglichkeit bestünde, einen Antrag auf gerichtliche Aussetzung der Vollziehung beim Verwaltungsgericht Schleswig zu stellen. Hinsichtlich der Begründung im Einzelnen wird auf den Bescheid Bezug genommen.

13

Am 17. Oktober 2014 stellte die Antragstellerin einen Antrag bei dem Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgericht, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die Bescheide vom 21. März 2014 über die Glücksspielabgabe für 2012 und für 2013 anzuordnen.

14

Mit Beschluss vom 17. November 2014 hat das Schleswig-Holsteinische Verwaltungsgericht in dem Verfahren 12 B 37/14 den Verwaltungsrechtsweg für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Schleswig-Holsteinische Finanzgericht verwiesen.

15

Zur Begründung wiederholt die Antragstellerin im Wesentlichen ihr Vorbringen aus dem Widerspruchsschreiben vom 31. März 2014. Ergänzend trägt sie vor, es gebe keine rechtliche Regel, nach der ein Bundesland – bezogen auf das räumliche Gebiet der anderen Bundesländer – handeln dürfte, solange das jeweilige Bundesland selbst nicht tätig werde. Eine solche Hilfs-, Subsidiär- oder Residual-Kompetenz existiere nicht. Bemerkenswert sei, dass das Land Schleswig-Holstein sich zur Herstellung von Wettbewerbsgleichheit der Glücksspielanbieter durch Erhebung einer bundesweiten Glücksspielabgabe berufen sehe. Dies, obwohl man durchaus erkenne, dass es eine ganz erhebliche Zahl von illegalen Anbietern gebe, die überhaupt keine Glücksspielabgabe und auch sonst keine Steuern in Deutschland zahlten, also nicht einmal eine Abgabe für das Glückspiel mit Spielern aus Schleswig-Holstein. Wie durch Ausdehnung der Abgabenerhebung für rechtstreue Glücksspielanbieter deren Wettbewerbssituation verbessert werden solle, erschließe sich nicht.

16

Der Antragsgegner vergesse hinsichtlich der umsatzsteuerlichen Situation zu erwähnen, dass … (Ausländisches Land) zwar keine Umsatzsteuer auf Glücksspiele erhebe, aber eine Wettsteuer, die sogenannte Betting Tax, welche die Antragstellerin selbstverständlich dort entrichte. Auch die Argumentation, es sei gängige Praxis, dass über das eigene Territorium hinaus besteuert werde und dazu auf die Einkommensteuer verwiesen werde, sei unzutreffend und nicht vertretbar. Die Einkommensteuer sei eine Bundessteuer, die lediglich von den Landesfinanzbehörden verwaltet werde. Es sei klar, dass sich bei einer Bundessteuer die Frage der Verbandskompetenz, nämlich der räumlichen Aufteilung der hoheitlichen Befugnisse zwischen den Bundesländern, nicht stelle. Die Glücksspielabgabe Schleswig-Holstein sei jedoch ein Landesgesetz. Die Genehmigung vom 30. April 2012 beziehe sich explizit auf „Sportwetten“. Dies werde im Betreff, in der Ziffer 1 und an einer Reihe von weiteren Stellen ausgeführt. Wolle der Antragsgegner jetzt tatsächlich behaupten, diese Genehmigung habe bereits zur Veranstaltung von anderen Glücksspielen, etwa Online-Casinospielen berechtigt? Der Antragsgegner möge die Frage beantworten, warum dann, nach seinen Vorgaben und nach den von ihm geschaffenen Regeln, eine separate und dann erst viel später erteilte Genehmigung für Online-Casinospiele erforderlich gewesen sein solle.

17

Sie habe für das Jahr 2013 Berichtigungen vorgenommen, weil es nachträglich festgestellt worden sei, dass bei Abgabe der ursprünglichen Anmeldungen Fehler bei der Auslesung der Datenträger vorgekommen seien. Die geänderte Jahreserklärung 2013 weise irrtümlich einen Erstattungsbetrag von … € aus. Dies sei nicht zutreffend. Mit der berichtigten Jahreserklärung vom 20. Februar 2015 werde die Glücksspielabgabe für das Jahr 2013 auf … € erklärt. Zudem werde auf den Vergleichsbeschluss des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts vom 9. April 2014 verwiesen, nach dem der Genehmigungsbescheid vom 19. Dezember 2012 dahingehend geändert werde, dass die Genehmigung nur für den Geltungsbereich des Glücksspielgesetzes in Schleswig-Holstein gelte. Zweifel, die durch den bisherigen Wortlaut entstanden wären, sollten damit ausgeräumt werden. Aus dem Schriftsatz des Innenministeriums vom 19. März 2014 ergebe sich die damalige Auffassung des Landes zur Frage der Verbandskompetenz, soweit es um die ordnungsrechtliche Reichweite ginge. Diese Ausführungen könnten, wenn man den Begriff „ordnungsrechtlich“ durch den Begriff „abgabenrechtlich“ ersetzen würde, ohne weiteres als Begründung für das Vorbringen in diesem Verfahren dienen. Die Verbandskompetenz habe keine unterschiedliche Reichweite und Bedeutung je nachdem, ob es um Ordnungsrecht oder ob es um Abgabenrecht gehe. Eingriffe des Landes Schleswig-Holstein in die Freiheitsrechte der Bürger anderer Bundesländer seien an der Verbandskompetenz zu messen, egal ob auf dem Gebiet des Ordnungsrechts oder auf dem Gebiet des Abgabenrechts.

18

Die Antragstellerin beantragt,
den Bescheid vom 21. März 2014 über die Glücksspielabgabe für 2012 und des geänderten Bescheides für 2013 über die Glücksspielabgabe vom 11. März 2015 von der Vollziehung auszusetzen.

19

Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.

20

Der Antragsgegner trägt vor, das schleswig-holsteinische Glücksspielgesetz regele zwei selbständig nebeneinander stehende Grundtatbestände. Ordnungsrechtlich werde bis dahin illegales Glücksspiel legalisiert. Dieser neue ordnungsrechtliche Rahmen sei in seiner hoheitlichen Reichweite auf das Gebiet Schleswig-Holsteins beschränkt. Abgabenrechtlich werde ein neuer Abgabentatbestand geschaffen. Das ohnehin schon vor Einführung des GlSpielG SH illegal angebotene Glücksspiel werde nun – unter bestimmten Voraussetzungen – einer Sonderabgabe unterworfen. Die Sonderabgabe werde vom Finanzamt Kiel-Nord (§ 43 GlSpielG SH) nur in Schleswig-Holstein erhoben. Der Gesetzgeber habe abgabenrechtlich den Genehmigungsinhaber (für Sportwetten und/oder für übriges Glücksspiel) als Anknüpfungspunkt einer Abgabenpflicht bestimmt. Es sei nicht ersichtlich, warum der Schleswig-Holsteinische Gesetzgeber unter Hinweis auf eine Verbandskompetenz daran gehindert sein sollte, seine grundsätzlich bestehenden abgabenrechtlichen Handlungsspielräume zu nutzen, zumal in Rechte anderer Bundesländer nicht beschränkend eingegriffen worden sei. Deutschland unterwerfe i. Ü. das Welteinkommen der Steuern nach Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz. Zudem sei der Antrag auf Erteilung einer Lizenz in Kenntnis des Gesetzestextes gestellt worden. Der Antragsteller lege erst durch seinen eigenen Antrag den Anknüpfungspunkt für eine hier streitige, zuvor aber bekannte Abgabenpflicht. Um eine Abgabenpflicht für sein in den übrigen Bundesländern betriebenes illegales Glücksspiel zu vermeiden, hätte es also genügt, in Schleswig-Holstein einen Antrag auf Erteilung einer Schleswig-Holstein-Lizenz nicht zu stellen. Ganz allgemein und speziell unter dem soeben dargelegten Aspekt sei nicht ersichtlich, warum das Tatbestandsmerkmal „Genehmigungsinhaber“ einen unzulässigen Anknüpfungspunkt für eine Abgabenpflicht darstellen solle.

21

Für die Erteilung der Genehmigung habe dem Land Schleswig-Holstein die territoriale Hoheitsgewalt zugestanden. Dabei gehe auch das Finanzamt davon aus, dass die Genehmigung nach § 4 GlSpielG SH im Rahmen der landeseigenen Verwaltung grundsätzlich nur eine Erlaubnis mit Wirkung für das Gebiet des Landes Schleswig-Holstein umfasse. Das GlSpielG SH beschränke die Erhebung der Glücksspielabgabe allerdings nicht auf das Hoheitsgebiet des Landes Schleswig-Holstein. Um die Abgabenschuld auszulösen, genüge es vielmehr nach § 35 Abs. 2 GlSpielG SH, wenn sich der Spieler im Zeitpunkt des Abschlusses des Rechtsgeschäftes im Bundesgebiet befinde. Damit werde nicht unzulässigerweise in den Hoheitsbereich der anderen Bundesländer eingegriffen. Bei der Auswahl des Abgabengegenstands sowie bei der Bestimmung des Abgabensatzes habe der Gesetzgeber regelmäßig einen weitreichenden Gestaltungsspielraum. Als sachliche Gründe, die die Bemessung einer Abgabe rechtfertigen könnten, seien neben dem Zweck der Kostendeckung auch Zwecke des Vorteilsausgleichs, der Verhaltenslenkung sowie soziale Zwecke anerkannt. Unter Berücksichtigung der Zielsetzung des GlSpielG SH und des Zwecks der Abgabe erweise es sich als legitim, die Abgabenpflicht auch auf die Umsätze aus der Teilnahme von Spielern aus dem gesamten Bundesgebiet zu erstrecken. Die Glücksspielabgabe sei als nichtsteuerliche, lenkende Sonderabgabe konzipiert, die zu einem bestimmten Verhalten anreizen bzw. Fehlverhalten sanktionieren solle. Mit dieser Zielsetzung würde sich jedoch eine gesetzliche Regelung nicht vertragen, die zwar das legale Spiel eines Genehmigungsinhabers mit einer Abgabe belege, nicht jedoch dessen illegales Spiel. Aus diesem Grund verweise § 35 Abs. 4 GlSpielG SH ausdrücklich darauf, dass § 40 AO entsprechend Geltung habe. Bei der grenzüberschreitenden Regelung von Sachverhalten reiche nach völkerrechtlichen Grundsätzen zur Begründung der Regelungskompetenz eines Staates ein Anknüpfungspunkt im Inland aus. Dieser Grundsatz sei mangels Regelung im Staatsrecht auf das Hoheitsgefüge der Bundesländer übertragbar. Im GlSpielG SH finde sich neben dem terrestrischen Anknüpfungspunkt für in Schleswig-Holstein ansässige Spielteilnehmer als weiterer Anknüpfungspunkt aus diesem Grund die erteilte Genehmigung für die Veranstaltung und den Vertrieb von Sportwetten/Onlinecasinospielen. Die Festlegung dieses Abgabentatbestandes begegne entgegen der Rechtsansicht der Antragstellerin keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Die Lenkung der Glücksspielnachfrage der Bevölkerung zu legalen und überwachten Spielangeboten und die Eindämmung der Spielsucht seien ein überragend wichtiges Gemeinwohlziel, dessen Erreichung unter anderem durch die Erhebung der Glücksspielabgabe verfolgt werde. Die Erhebung der Glücksspielabgabe auf sämtliche Glücksspielumsätze des Genehmigungsinhabers sei zur Erreichung dieses Ziels geeignet und erforderlich.

22

Mit Bescheid vom 11. März 2015 hat der Antragsgegner die Glücksspielabgabe auf … € für 2013 festgesetzt.

23

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des übrigen Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der Gerichtsakte … und 1 Bd. Beiakten A sowie 4 Ordner … (Genehmigungsakten Innenministerium SH) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

24

II. Der zulässige Antrag ist unbegründet.

25

Im Streitfall ist für den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung der Glücksspielabgabe der Finanzrechtsweg eröffnet. Denn gemäß § 33 Abs.1 Nr. 4 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i. V. m. § 5 des Ersten Gesetzes zur Ausführung der Finanzgerichtsordnung i. d. F. d. B. vom 31. Dezember 1971 (FGOAG SH 1) ist in öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten über Steuern und andere öffentlich-rechtliche Abgaben, die der Landesgesetzgebung unterliegen (hier die Glücksspielabgabe), und die durch den Antragsgegner als einer Landesfinanzbehörde verwaltet werden (vgl. § 43 des Gesetzes zur Neuordnung des Glücksspiels (Glücksspielgesetz) vom 20. Oktober 2011 (GlSpielG SH); Art.108 Abs. 2 GG; § 2 Abs. 1 und § 17 Abs. 2 des Finanzverwaltungsgesetzes) der Finanzrechtsweg gegeben.

26

Nach § 69 Abs. 3 i. V. m. Abs. 2 Satz 2 Finanzgerichtsordnung (FGO) soll das Gericht der Hauptsache die Vollziehung eines angefochtenen Bescheides auf Antrag ganz oder teilweise aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

27

Ernstliche Zweifel i. S. des § 69 FGO liegen vor, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Verwaltungsakts im Aussetzungsverfahren neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zu Tage treten, die Unsicherheit oder Unentschiedenheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheiten in der Beurteilung von Tatfragen bewirken (ständige Rechtsprechung, vgl. Beschluss des Großen Senats des Bundesfinanzhofs -BFH- vom 5. März 1979, GrS 5/77, BFHE 127, 140, Bundessteuerblatt -BStBl- II 1979, 570). Da das Aussetzungsverfahren wegen seiner Eilbedürftigkeit und seines vorläufigen Charakters ein summarisches Verfahren ist, beschränkt sich die Überprüfung des Prozessstoffes auf die dem Gericht vorliegenden Unterlagen (insbesondere die Akten der Finanzbehörde) sowie auf die präsenten Beweismittel. Weitergehende Sachverhaltsermittlungen durch das Gericht sind nicht erforderlich (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Beschluss vom 21. Juli 1994, IX B 78/94, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des Bundesfinanzhofs -BFH/NV- 1995, 116). Es ist Sache der Beteiligten, die entscheidungserheblichen Tatsachen vorzutragen und glaubhaft zu machen. Glaubhaftmachung ist eine Beweisführung, die dem Richter nicht die volle Überzeugung, sondern nur einen geringeren Grad von Wahrscheinlichkeit vermitteln soll. Die im Hauptsacheverfahren geltenden Regeln zur Feststellungslast gelten auch für das Aussetzungsverfahren (vgl. Gräber/Koch, FGO, 7. Aufl. 2010, § 69 Rz. 121 m. w. N.). Die Tat- und Rechtsfragen brauchen nicht abschließend geprüft zu werden. Bei der notwendigen Abwägung der im Einzelfall entscheidungsrelevanten Umstände und Gründe sind die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs zu berücksichtigen. Irgendeine vage Erfolgsaussicht genügt jedoch nicht. Andererseits ist nicht erforderlich, dass die für die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts sprechenden Gründe überwiegen (BFH-Beschlüsse vom 20. Mai 1997, VIII B 108/96, BFHE 183, 174, BFH/NV BFH/R 1997, 462 und vom 23. August 2004, IV S 7/04, BFH/NV 2005, 9).

28

Nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage bestehen nach diesen Grundsätzen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verwaltungsakte.

29

Nach § 35 Abs. 1 des Gesetzes zur Neuordnung des Glücksspiels (Glücksspielgesetz) vom 20. Oktober 2011 (GlSpielG SH) wird von Personen, die im Geltungsbereich dieses Gesetzes Glücksspiele vertreiben, eine Glückspielabgabe erhoben.

30

Glücksspiele gelten als im Geltungsbereich dieses Gesetzes vertrieben, sofern sie über diesen Geltungsbereich hinaus durch einen Genehmigungsinhaber nach diesem Gesetz Personen, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthaltsort im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland haben, bestimmungsgemäß zugänglich gemacht werden. Ein Vertrieb in diesem Sinne liegt auch vor, wenn ein genehmigungspflichtiges Glücksspiel ohne erforderliche Genehmigung bestimmungsgemäß zugänglich gemacht wird (§ 35 Abs. 2 GlSpielG SH).§ 40 der Abgabenordnung gilt entsprechend (§ 35 Abs. 4 GlSpielG SH).

31

Der Abgabensatz beträgt gemäß § 36 Abs. 1 GlSpielG SH 20 vom Hundert der Bemessungsgrundlage. Bemessungsgrundlage ist der Rohertrag aus den angebotenen und durchgeführten Glücksspielen. Als Rohertrag gilt der Betrag, um den die Summe aller Spieleinsätze die Summe aller ausgezahlten Spielgewinne übersteigt. Abweichend hiervon gelten bei Glücksspielen, bei denen der Veranstalter kein Spielrisiko trägt (Spiele ohne Bankhalter), die Beträge als Bemessungsgrundlage, die dem Glücksspielanbieter aus dem Spiel zufließen (§ 36 Abs. 2 GlSpielG SH).

32

Die Abgabe entsteht gemäß § 37 Abs. 1 GlSpielG SH mit dem Zustandekommen des Spielvertrags. Abgabenschuldner ist nach § 38 Abs. 1 GlSpielG SH der Glücksspielanbieter. Die Abgabe schuldet auch, wer nicht genehmigte Glücksspiele anbietet.

33

Der Glücksspielanbieter hat gemäß § 40 Abs. 2 GlSpielG SH für das Kalenderjahr eine Jahreserklärung auf amtlich vorgeschriebenem Vordruck bis zum 31. Mai des Folgejahres bei der zuständigen Finanzbehörde abzugeben. In dieser sind die Summe aller Spieleinsätze sowie die gesamte Bemessungsgrundlage nach § 36 aller im Kalenderjahr durchgeführten Glücksspiele nach Art der Glücksspiele getrennt und die darauf für das Kalenderjahr entfallende Glücksspielabgabe sowie die bereits nach Absatz 1 geleisteten Vorauszahlungen anzugeben. Eine verbleibende Zahllast beziehungsweise ein etwaiges Guthaben aus der Jahreserklärung werden von der Finanzbehörde durch Bescheid festgesetzt.

34

Nach § 48 GlSpielG SH dürfen Genehmigungen nach diesem Gesetz erst mit Wirkung ab dem 1. März 2012 erteilt werden. Die Glücksspielabgabe nach diesem Gesetz wird ab dem 1. März 2012 erhoben.

35

Gegen die Rechtmäßigkeit dieser gesetzlichen Regelungen des GlSpielG SH hat der Senat nach summarischer Prüfung keine Bedenken.

36

Der Einwand der Antragstellerin, es fehle dem schleswig-holsteinischen Landesgesetzgeber jedenfalls für die Erhebung der Glücksspielabgabe auf Online-Casinospiele und Sportwetten, soweit diese aus dem Vertrieb an Personen resultierten, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthaltsort in der Bundesrepublik Deutschland, aber nicht in Schleswig-Holstein hätten, jeglichen Anknüpfungspunkt, hält der Senat nicht für begründet.

37

Das Land Schleswig-Holstein konnte im Glücksspielgesetz für Schleswig-Holstein grundsätzlich Regelungen für das Genehmigungsverfahren und die Erhebung einer Glücksspielabgabe treffen, da die Gesetzgebung im Bereich der Glücksspiele gemäß den Art. 70 und 72 des Grundgesetzes in die Zuständigkeit der Länder fällt.

38

Die gesetzlichen Regelungen des Genehmigungsverfahrens und über die Glücksspielabgabe im GlSpielG SH verstoßen nicht gegen den Grundsatz der Verbandskompetenz. Da es zur Reichweite der Hoheitsgewalt der Bundesländer keine Regelungen im deutschen Staatsrecht gibt, können diesbezügliche völkerrechtliche Grundsätze auf das Hoheitsgefüge der Bundesländer übertragen werden (VG Düsseldorf, Urteil vom 13. September 2011 27 K 1005/09, juris, Rz. 44). Aus dem Völkerrecht ergibt sich im Grundsatz keine Beschränkung der Regelungsgewalt eines Nationalstaats auf sein Hoheitsgebiet. Eine positive völkerrechtliche Regelung über die extraterritoriale Geltung staatlicher Normen gibt es nicht, das Völkerrecht kann die Geltung staatlicher Rechtsnormen nur begrenzen. Dies geschieht durch das Territorialitätsprinzip, nach dem Gesetzen auf wohl allen Rechtsgebieten grundsätzlich nur dann extraterritoriale Geltung beigelegt werden darf, wenn ein inländischer Anknüpfungspunkt vorhanden ist (Rojahn in von Münch/Kunig, GG-Kommentar, Band 2, Art. 25 Rn. 2; Streinz in Jahn, GG-Kommentar, 6. Auflage, Art. 25 Rn. 54). Die Erstreckung der Regelungsgewalt auf einen Auslandssachverhalt setzt also im Kern ausschließlich einen Anknüpfungspunkt des Auslandssachverhaltes an einen Inlandssachverhalt und die Hoheitsgewalt des die Regelung setzenden Staates voraus. Die Hoheitsgewalt eines Landes bezieht sich auf das dieser Gebietskörperschaft zugehörige Territorium (Verbandskompetenz). Bei der grenzüberschreitenden Regelung von Sachverhalten reicht nach völkerrechtlichen Grundsätzen zur Begründung der Regelungskompetenz eines Staates ein Anknüpfungspunkt im Inland aus.

39

Die gesetzlichen Regelungen des Genehmigungsverfahrens im GlSpielG SH verstoßen nach diesen Grundsätzen nicht gegen den Grundsatz der Verbandskompetenz. Genehmigungen nach § 4 GlSpielG SH erstrecken sich in ihrer Wirkung allein auf das Gebiet des Landes Schleswig-Holstein. Dies ergibt sich sowohl aus § 2 Abs. 1 als auch aus § 4 Abs. 1 GlSpielG SH, wonach das Angebot bzw. die Veranstaltung von öffentlichen Glücksspielen im Geltungsbereich des Glücksspielgesetzes geregelt wird bzw. der Genehmigung bedarf. Ein Verstoß gegen die Verbandskompetenz des Landes ist durch diese gesetzlichen Bestimmungen nicht ersichtlich, da mit ihnen das Veranstalten von Glücksspielen außerhalb des Hoheitsgebietes des Landes Schleswig-Holstein nicht verboten wird. Vielmehr wird durch den Gesetzgeber allein geregelt, dass eine Erlaubnis sich auf das Gebiet des Landes Schleswig-Holstein beschränkt.

40

Die auf dieser Grundlage erteilten ordnungsrechtlichen Genehmigungen vom 30. April 2012 und vom 19. Dezember 2012 gelten dementsprechend nur für den Geltungsbereich des GlSpielG SH. Zudem lässt der Vollzug von Landesrecht in der Regel auf eine nur landesweite Geltung der Anordnung schließen (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Januar 2002 9 A 20/01, BVerwGE 115, 373). Diese Beschränkung der Genehmigungen auf Schleswig-Holstein ist zwischen den Beteiligten auch unstrittig und wurde im vor dem schleswig-holsteinischen Verwaltungsgericht geschlossenen Vergleich in dem Verfahren … zwischen der Antragstellerin und dem Innenministerium Schleswig-Holstein hinsichtlich der Genehmigung vom 19. Dezember 2012 ausdrücklich klargestellt.

41

Die Regelungen des GlSpielG SH über die Erhebung einer Glücksspielabgabe verstoßen entgegen der Auffassung der Antragstellerin ebenfalls nicht gegen den Grundsatz der Verbandskompetenz. Anknüpfungspunkt in Schleswig-Holstein ist für die Abgabenpflicht nach § 35 Abs. 1 GlSpielG SH, dass eine Person im Geltungsbereich dieses Gesetzes Glücksspiele vertreibt. Dabei wird nicht zwischen inländischen und ausländischen Personen unterschieden. Die Verwirklichung eines Abgabentatbestandes im Gebiet Schleswig-Holsteins und die Herbeiführung eines abgabenrechtlich erheblichen Erfolges in Schleswig-Holstein sind nach dieser Rechtsnorm Voraussetzung für die Abgabenpflicht (vgl. zu diesen Voraussetzungen als hinreichenden Anknüpfungspunkt auch BVerfG, Beschluss vom 22. März 1983 2 BvR 475/78, BVerfGE 63, 343).

42

Darüber hinaus enthält die Regelung des § 35 Abs. 2 Satz 1 GlSpielG SH ebenfalls einen hinreichenden Anknüpfungspunkt zum Hoheitsgebiet des Landes Schleswig-Holstein, weil hiernach Glücksspiele durch einen Genehmigungsinhaber nach diesem Gesetz Personen, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthaltsort im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland haben, bestimmungsgemäß zugänglich gemacht werden. Der Glücksspielanbieter muss also eine schleswig-holsteinische Glücksspiellizenz beantragt und eine Veranstaltungsgenehmigung nach dem GlSpielG SH erhalten haben, die ihn gerade dazu verpflichtet, die Genehmigung nur im Hoheitsgebiet von Schleswig-Holstein zu nutzen. Unter Berücksichtigung der Zielsetzung des GlSpielG SH und des Zwecks der Glücksspielabgabe, einerseits den Glücksspielmarkt nur für Schleswig-Holstein zu liberalisieren und andererseits zunehmenden Suchtgefahren Rechnung zu tragen, erweist es sich als legitim, die Abgabenpflicht auch auf die Umsätze aus der Teilnahme von Spielern aus dem gesamten Bundesgebiet zu erstrecken, wenn der Glücksspielanbieter gegen die ihm erteilte Genehmigung verstößt. Die Glücksspielabgabe ist als nichtsteuerliche, lenkende Sonderabgabe konzipiert, die zu einem bestimmten Verhalten anreizen bzw. Fehlverhalten sanktionieren soll. Dieser Zielsetzung würde eine gesetzliche Regelung entgegenlaufen, die zwar das legale Spiel eines Genehmigungsinhabers mit einer Abgabe belegen würde, nicht jedoch dessen illegales Spiel. Deshalb verweist § 35 Abs. 4 GlSpielG SH ausdrücklich darauf, dass § 40 AO entsprechend Geltung hat. Wenn ein Glücksspielanbieter in Kenntnis der gesetzlichen Regelungen über die Glücksspielabgabe eine Genehmigung nach dem GlSpielG SH beantragt und erhält, kann er sich auch gesetzeskonform verhalten, so dass er nicht in Gefahr kommt, auch nach § 35 Abs. 2 Satz 1 GlSpielG SH veranlagt zu werden. Wenn gleichwohl Gewinne aus einer nicht gesetzeskonformen Ausnutzung der schleswig-holsteinischen Genehmigung für das Veranstalten von Glücksspielen mit Spielern in anderen Bundesländern erzielt werden, erscheint es dem Senat vom weitreichenden Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers gedeckt, auch diese Roherträge mit der Glücksspielabgabe zu belegen.

43

Der Einwand der Antragstellerin, die Verbandskompetenz habe im Ordnungsrecht und Abgabenrecht keine unterschiedliche Reichweite und Eingriffe des Landes Schleswig-Holstein in die Freiheitsrechte der Bürger anderer Bundesländer müssten sich an der Verbandskompetenz messen, überzeugt nicht. Vorliegend wird durch das Glücksspielgesetz nicht von Bürgern anderer Bundesländer eine Abgabe erhoben, sondern die Abgabenpflicht besteht nur für die Glücksspielanbieter, von denen der durch diese veranstalteten Glücksspiele erzielte Ertrag mit 20 % Glücksspielabgabe belegt wird. Insoweit erfolgt durch das Gesetz kein Eingriff in Freiheitsrechte von Spielern, die in anderen Bundesländern wohnen. Ein Überschreiten der Verbandskompetenz ist deshalb nicht gegeben.

44

Nach alledem hat der Gesetzgeber mit den Regelungen der §§ 35 ff GlSpielG zur Überzeugung des Senats nicht seine Verbandskompetenz unzulässigerweise überschritten.

45

Im Streitfall waren hinreichende sachliche Anknüpfungsmomente für die Erhebung des Abgabenanspruchs durch den schleswig-holsteinischen Fiskus gegeben.

46

Nach summarischer Prüfung bestehen insoweit keine rechtlichen Bedenken gegen die mit den Bescheiden vom 21. März 2014 über die Glücksspielabgabe für 2012 und vom 11. März 2015 über die Glücksspielabgabe für 2013 festgesetzte Glücksspielabgabe. Ausgehend von den einschlägigen Rechtsnormen des GlSpielG SH hat die Antragstellerin Jahresanmeldungen der Glücksspielabgabe gem. § 40 Abs. 2 GlSpielG SH für die Jahre 2012 und 2013 bei dem Antragsgegner eingereicht. Mit den streitbefangenen Bescheiden vom 21. März 2014 über die Glücksspielabgabe für 2012 und vom 11. März 2015 über die Glücksspielabgabe für 2013 wurde die Antragstellerin erklärungsgemäß veranlagt. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin hat der Antragsgegner insoweit zu Recht die Bemessungsgrundlage nicht reduziert. Abgesehen davon, dass die Antragstellerin in keiner Weise glaubhaft gemacht hat, ob und in welchem Umfang Spieler mit Wohnsitz oder Aufenthalt innerhalb und außerhalb von Schleswig-Holstein zum Rohertrag nach § 36 GlSpielG SH beigetragen haben, hat die Antragstellerin den gesetzlichen Abgabentatbestand verwirklicht. Sie hat im Geltungsbereich des GlSpielG SH Glücksspiele vertrieben und - wie sie selbst vorträgt - auch als Genehmigungsinhaber Personen, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthaltsort im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland haben, Glücksspiele bestimmungsgemäß zugänglich gemacht.

47

Hinsichtlich der Höhe der erklärungsgemäß festgesetzten Glücksspielabgaben bestehen nach summarischer Prüfung keine Bedenken. Die Antragstellerin hat insoweit auch keine substantiierten Einwände erhoben und nicht vorgetragen, sie habe irrtümlich eine zu hohe Bemessungsgrundlage ermittelt. Es bleibt der Antragstellerin insoweit unbenommen, im Rahmen des Widerspruchsverfahrens und eines etwaigen nachfolgenden Klageverfahrens ergänzend vorzutragen.

48

Die Kosten des Verfahrens trägt gemäß § 135 Abs. 1 FGO die Antragstellerin.

49

Gemäß § 128 Abs. 3 FGO i. V. m. § 115 FGO und § 118 Abs. 1 FGO kommt eine Beschwerdezulassung hier nicht in Betracht, weil die Verletzung von revisiblem Recht nicht ersichtlich ist. Mit der Revision kann gemäß § 118 Abs. 1 Satz 1 FGO grundsätzlich nur die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden. Landesrecht ist hingegen grundsätzlich nicht revisibel. Nur soweit im Fall des § 33 Abs. 1 Nr. 4 FGO die Vorschriften des Unterabschnittes 1. Revision, d. h. die Vorschriften der §§ 115 ff durch Landesgesetz für anwendbar erklärt werden, kann die Revision auch darauf gestützt werden, dass das Urteil auf der Verletzung von Landesrecht beruht (§ 118 Abs. 1 Satz 2 FGO). Die Eröffnung des Finanzrechtsweges durch § 5 FGO AG SH macht nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs das Landesrecht allerdings ebenso wenig revisibel wie die Zuweisung dieser Rechtsstreitigkeiten ausschließlich an das FG (vgl. Seer in Tipke/Kruse, § 118 FGO, Tz 21 m. w. N.; Ruban in Gräber, FGO, 7. Auflage, § 118 Rz. 18). Da die Vorschriften der §§ 115 ff und der FGO durch den schleswig-holsteinischen Landesgesetzgeber insgesamt nicht für anwendbar erklärt wurden, liegt kein revisibles Landesrecht vor. Durch die Bezugnahme auf Bundesrecht, hier beispielsweise auf § 40 der AO in § 35 Abs. 4 GlSpielG SH, wird das Landesrecht ebenfalls nicht revisibel (Ruban in Gräber, FGO, 7. Auflage, § 118 Rz. 14 m. w. N.).

50

Dieser Beschluss ist gemäß § 128 Abs. 3 FGO unanfechtbar.


(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

Die Ausübung der staatlichen Befugnisse und die Erfüllung der staatlichen Aufgaben ist Sache der Länder, soweit dieses Grundgesetz keine andere Regelung trifft oder zuläßt.

Für die Besteuerung ist es unerheblich, ob ein Verhalten, das den Tatbestand eines Steuergesetzes ganz oder zum Teil erfüllt, gegen ein gesetzliches Gebot oder Verbot oder gegen die guten Sitten verstößt.

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

(1) Hält ein Gericht ein Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, für verfassungswidrig, so ist das Verfahren auszusetzen und, wenn es sich um die Verletzung der Verfassung eines Landes handelt, die Entscheidung des für Verfassungsstreitigkeiten zuständigen Gerichtes des Landes, wenn es sich um die Verletzung dieses Grundgesetzes handelt, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes einzuholen. Dies gilt auch, wenn es sich um die Verletzung dieses Grundgesetzes durch Landesrecht oder um die Unvereinbarkeit eines Landesgesetzes mit einem Bundesgesetze handelt.

(2) Ist in einem Rechtsstreite zweifelhaft, ob eine Regel des Völkerrechtes Bestandteil des Bundesrechtes ist und ob sie unmittelbar Rechte und Pflichten für den Einzelnen erzeugt (Artikel 25), so hat das Gericht die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes einzuholen.

(3) Will das Verfassungsgericht eines Landes bei der Auslegung des Grundgesetzes von einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes oder des Verfassungsgerichtes eines anderen Landes abweichen, so hat das Verfassungsgericht die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes einzuholen.

Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragstellerin.

Die Beschwerde wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

I. Die Beteiligten streiten darüber, ob ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Bescheide für 2012 und 2013 über die Glücksspielabgabe bestehen.

2

Die Antragstellerin wurde am 7. Januar 2003 in das Unternehmensregister … (Ausland) eingetragen und verfügt über eine ausländische Spiellizenz vom 19. Juli 2011. Sie stellte mit Schreiben vom 15. Februar 2012 Genehmigungsanträge für den Vertrieb von Online-Casinospielen und Sportwetten gemäß der §§ 20, 23 des Schleswig-Holsteinischen Glücksspielgesetzes (GlSpielG SH). Die Glücksspiele sollten von der Antragstellerin im Ausland veranstaltet werden und ausschließlich über das Internet vertrieben werden.

3

Mit Genehmigungsbescheid vom 30. April 2012 genehmigte das Innenministerium Schleswig-Holstein der Antragstellerin, Sportwetten ab dem 1. Mai 2012 zu veranstalten und im Wege des Eigenvertriebes als Fernvertrieb nach § 3 Abs. 9 Satz 2 GlSpielG zu vertreiben. Hinsichtlich der Einzelheiten und der Nebenbestimmungen wird auf den Bescheid verwiesen.

4

Mit weiterem Genehmigungsbescheid des Innenministeriums Schleswig-Holstein vom 19. Dezember 2012 wurde der Antragstellerin genehmigt, im Geltungsbereich des Gesetzes Online-Glücksspiele nach § 3 Abs. 9 Satz 2 GlSpielG zu vertreiben. Die Genehmigung erging nach Ziffer 2 unter der Auflage, dass sie nur im Geltungsbereich des Glücksspielgesetzes in Schleswig-Holstein Anwendung findet. Aufgrund dieser Genehmigung dürfe die Antragstellerin nur Spieler mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthaltsort im Geltungsbereich des Gesetzes zur Teilnahme an den genehmigten Glücksspielen zulassen. Hinsichtlich der weiteren Inhalts- und Nebenbestimmungen der Genehmigung wird auf den Bescheid verwiesen.

5

Mit Schreiben vom 27. November 2013 forderte der Antragsgegner die Antragstellerin auf, für das Jahr 2012 eine Jahreserklärung für die Glücksspielabgabe abzugeben.

6

Die Antragstellerin reichte daraufhin Jahresanmeldungen der Glücksspielabgabe gem. § 40 Abs. 2 GlSpielG SH für die Jahre 2012 und 2013 jeweils vom 17. März 2014 ein und erklärte eine Glücksspielabgabe für das Jahr 2012 in Höhe von … € und für 2013 in Höhe von … €. In dem Anschreiben vom 17. März 2013 teilte die Antragstellerin mit, dass Roherträge aus dem Vertrieb an Personen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthaltsort in Schleswig-Holstein und Roherträge aus dem Vertrieb an Personen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthaltsort in der Bundesrepublik Deutschland berücksichtigt worden seien. Eine Aufschlüsselung der Roherträge hinsichtlich des Wohnsitzes der Spieler oder der Monate der erzielten Roherträge erfolgte weder in dem Anschreiben noch in den Jahreserklärungen.

7

Mit Bescheiden vom 21. März 2014 für 2012 und für 2013 wurde die Glücksspielabgabe jeweils erklärungsgemäß festgesetzt.

8

Hiergegen erhob die Antragstellerin am 31. März 2014 Widerspruch. Zur Begründung führte sie aus, dass sich der Widerspruch gegen die Erhebung der Glücksspielabgabe auf Online-Casinospiele und Sportwetten beziehe, soweit diese aus dem Vertrieb an Personen resultiere, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthaltsort in der Bundesrepublik Deutschland, aber nicht in Schleswig-Holstein hätten. Die Lizenz für die Veranstaltung von Casinospielen sei ihr erst am 19. Dezember 2012 erteilt worden. Für den Zeitraum vom 30. April 2012 bis zum 19. Dezember 2012 fehle jeder Anknüpfungspunkt, der das Bundesland Schleswig-Holstein berechtigen könnte, eine Glücksspielabgabe für Umsätze mit Personen zu erheben, welche weder ihren Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Land Schleswig-Holstein hätten. Als Veranstalter des Spiels hätte die Antragstellerin ohnehin ihren Sitz nicht in Schleswig-Holstein und es gebe auch keine Genehmigung des Landes Schleswig-Holstein für die Veranstaltung dieser Spiele. Mangels Anknüpfungspunktes sei das Land daher nicht berechtigt für diesen Zeitraum von dem genannten Personenkreis eine Glücksspielabgabe zu erheben. Dem Land fehle die Verbandskompetenz. Nach allgemeinen Regeln müsse ein Verband einen Anknüpfungspunkt haben, um Abgaben erheben zu können. So dürfe eine Gemeinde Vergnügungssteuer nur erheben für entsprechende Veranstaltungen im Gemeindegebiet, ein Bundesland dürfe Grunderwerbssteuer nur erheben für in diesem Land belegene Grundstücke, das Gewerbesteueraufkommen werde im Rahmen der Zerlegung aufgeteilt etc.. Das Erfordernis einer sachlichen Anknüpfung für die Erhebung einer Steuer oder Abgabe ergebe sich aus dem Grundsatz der Verbandskompetenz und aus der zutreffenden Abgrenzung der Befugnisse zwischen den Bundesländern im Rahmen der bundesstaatlichen Ordnung. Die Bundesländer übten ihre Staatsgewalt jeweils auf ihren Territorien auf der Ebene der Gleichordnung im räumlichen Nebeneinander aus. Nach Feststellung des Bundesverfassungsgerichts sei demzufolge ein Land in seiner Verwaltungshoheit grundsätzlich auf sein eigenes Gebiet beschränkt. Dazu gehöre auch die Abgabenhoheit oder Steuerhoheit für Landessteuern. Die Begrenzung der entsprechenden Hoheitsgewalt des Bundeslandes resultiere aus der begrenzten räumlichen Reichweite der Landesgewalt, der sogenannten Verbandskompetenz. Hoheitsakte, die sich auf Personen oder Sachverhalte im Hoheitsbereich eines anderen Bundeslandes beziehen, dürfe eine Landesbehörde nicht erlassen. Zwischen dem Bundesland Schleswig-Holstein und den anderen Bundesländern bestehe auf der Grundlage des Glücksspielgesetzes auch keine Übereinkunft für eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit, aus der eine grenzüberschreitende Befugnis des Bundeslandes Schleswig-Holstein abgeleitet werden könnte. Das Land könne weder mittelbar noch unmittelbar Hoheitsakte für andere Bundesländer erlassen, zumal das Glücksspielgesetz auch vor dem historischen Hintergrund seiner Entstehung als Alleingang des Bundeslandes Schleswig-Holstein gerade nicht in Abstimmung mit den anderen Ländern erlassen worden sei.

9

Die Sportwettenkonzession vom 30. April 2012 sei kein geeigneter Anknüpfungspunkt für die Erhebung einer Abgabe auf Online-Glücksspiel. Es handele sich um unterschiedliche Glücksspielarten. Dementsprechend seien auch zwei Genehmigungen erteilt worden. Die Erhebung der Glücksspielabgabe für Onlinespiele bis zum 19. Dezember 2012 verstoße gegen die Regel des Verfassungsrechts, weil jeglicher Anknüpfungspunkt für das Bundesland Schleswig-Holstein fehle, der eine Kompetenz für die Erhebung der Abgabe auf ausschließlich in anderen Bundesländern stattfindende Glücksspiele erlauben könnte. Nichts anderes gelte auch für den Zeitraum vom 19. Dezember 2012 bis zum 31. Dezember 2012. Die Genehmigung sei unter der Auflage ergangen, dass sie nur im Geltungsbereich des Glücksspielgesetzes Schleswig-Holstein Anwendung finde. Die Antragstellerin dürfe deshalb nur Spieler mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt in Schleswig-Holstein zur Teilnahme an diesen Glücksspielen zulassen. Die Antragstellerin habe demzufolge auch eine entsprechende Selbstverpflichtungserklärung im Antragsverfahren abgegeben, auf welche die Auflagen in Ziffer 2 des Genehmigungsbescheides vom 19. Dezember 2012 ausdrücklich hinweise. Da der Wirkungsbereich der Genehmigung räumlich auf das Bundesland beschränkt sei, könne aus der Existenz dieser Konzession keinesfalls abgeleitet werden, nunmehr bestünde auch die Verbandskompetenz zur Erhebung der Glücksspielabgabe außerhalb des Landes Schleswig-Holstein. Dies sei schon nach dem klaren Wortlaut der Genehmigung, die auf das Territorium des Landes beschränkt sei, nicht der Fall. Es komme deshalb auch gar nicht mehr darauf an, dass selbstverständlich eine Behörde durch eine Genehmigung nicht eine Verbandskompetenz begründen könne, die gegen die Verfassung verstoßen würde, nämlich gegen das Bundesstaats- und das Demokratieprinzip (Art. 20 GG).

10

Für 2013 gelte das entsprechend. Wäre die gegenteilige Sichtweise der Finanzverwaltung Schleswig-Holstein zutreffend, so könnte mit gleichem Recht auch eine Abgabenerhebung für Spiele im Ausland stattfinden.

11

Hinsichtlich der Glücksspielabgabe auf Sportwetten würden die gleichen Grundsätze gelten. Es bestünden deshalb ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der mit den Widersprüchen angegriffenen Abgabenfestsetzung und es werde daher auch die Aussetzung der Vollziehung beantragt.

12

Mit Bescheid vom 15. September 2014 lehnte der Antragsgegner den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ab und verwies die Antragstellerin darauf, dass die Möglichkeit bestünde, einen Antrag auf gerichtliche Aussetzung der Vollziehung beim Verwaltungsgericht Schleswig zu stellen. Hinsichtlich der Begründung im Einzelnen wird auf den Bescheid Bezug genommen.

13

Am 17. Oktober 2014 stellte die Antragstellerin einen Antrag bei dem Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgericht, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die Bescheide vom 21. März 2014 über die Glücksspielabgabe für 2012 und für 2013 anzuordnen.

14

Mit Beschluss vom 17. November 2014 hat das Schleswig-Holsteinische Verwaltungsgericht in dem Verfahren 12 B 37/14 den Verwaltungsrechtsweg für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Schleswig-Holsteinische Finanzgericht verwiesen.

15

Zur Begründung wiederholt die Antragstellerin im Wesentlichen ihr Vorbringen aus dem Widerspruchsschreiben vom 31. März 2014. Ergänzend trägt sie vor, es gebe keine rechtliche Regel, nach der ein Bundesland – bezogen auf das räumliche Gebiet der anderen Bundesländer – handeln dürfte, solange das jeweilige Bundesland selbst nicht tätig werde. Eine solche Hilfs-, Subsidiär- oder Residual-Kompetenz existiere nicht. Bemerkenswert sei, dass das Land Schleswig-Holstein sich zur Herstellung von Wettbewerbsgleichheit der Glücksspielanbieter durch Erhebung einer bundesweiten Glücksspielabgabe berufen sehe. Dies, obwohl man durchaus erkenne, dass es eine ganz erhebliche Zahl von illegalen Anbietern gebe, die überhaupt keine Glücksspielabgabe und auch sonst keine Steuern in Deutschland zahlten, also nicht einmal eine Abgabe für das Glückspiel mit Spielern aus Schleswig-Holstein. Wie durch Ausdehnung der Abgabenerhebung für rechtstreue Glücksspielanbieter deren Wettbewerbssituation verbessert werden solle, erschließe sich nicht.

16

Der Antragsgegner vergesse hinsichtlich der umsatzsteuerlichen Situation zu erwähnen, dass … (Ausländisches Land) zwar keine Umsatzsteuer auf Glücksspiele erhebe, aber eine Wettsteuer, die sogenannte Betting Tax, welche die Antragstellerin selbstverständlich dort entrichte. Auch die Argumentation, es sei gängige Praxis, dass über das eigene Territorium hinaus besteuert werde und dazu auf die Einkommensteuer verwiesen werde, sei unzutreffend und nicht vertretbar. Die Einkommensteuer sei eine Bundessteuer, die lediglich von den Landesfinanzbehörden verwaltet werde. Es sei klar, dass sich bei einer Bundessteuer die Frage der Verbandskompetenz, nämlich der räumlichen Aufteilung der hoheitlichen Befugnisse zwischen den Bundesländern, nicht stelle. Die Glücksspielabgabe Schleswig-Holstein sei jedoch ein Landesgesetz. Die Genehmigung vom 30. April 2012 beziehe sich explizit auf „Sportwetten“. Dies werde im Betreff, in der Ziffer 1 und an einer Reihe von weiteren Stellen ausgeführt. Wolle der Antragsgegner jetzt tatsächlich behaupten, diese Genehmigung habe bereits zur Veranstaltung von anderen Glücksspielen, etwa Online-Casinospielen berechtigt? Der Antragsgegner möge die Frage beantworten, warum dann, nach seinen Vorgaben und nach den von ihm geschaffenen Regeln, eine separate und dann erst viel später erteilte Genehmigung für Online-Casinospiele erforderlich gewesen sein solle.

17

Sie habe für das Jahr 2013 Berichtigungen vorgenommen, weil es nachträglich festgestellt worden sei, dass bei Abgabe der ursprünglichen Anmeldungen Fehler bei der Auslesung der Datenträger vorgekommen seien. Die geänderte Jahreserklärung 2013 weise irrtümlich einen Erstattungsbetrag von … € aus. Dies sei nicht zutreffend. Mit der berichtigten Jahreserklärung vom 20. Februar 2015 werde die Glücksspielabgabe für das Jahr 2013 auf … € erklärt. Zudem werde auf den Vergleichsbeschluss des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts vom 9. April 2014 verwiesen, nach dem der Genehmigungsbescheid vom 19. Dezember 2012 dahingehend geändert werde, dass die Genehmigung nur für den Geltungsbereich des Glücksspielgesetzes in Schleswig-Holstein gelte. Zweifel, die durch den bisherigen Wortlaut entstanden wären, sollten damit ausgeräumt werden. Aus dem Schriftsatz des Innenministeriums vom 19. März 2014 ergebe sich die damalige Auffassung des Landes zur Frage der Verbandskompetenz, soweit es um die ordnungsrechtliche Reichweite ginge. Diese Ausführungen könnten, wenn man den Begriff „ordnungsrechtlich“ durch den Begriff „abgabenrechtlich“ ersetzen würde, ohne weiteres als Begründung für das Vorbringen in diesem Verfahren dienen. Die Verbandskompetenz habe keine unterschiedliche Reichweite und Bedeutung je nachdem, ob es um Ordnungsrecht oder ob es um Abgabenrecht gehe. Eingriffe des Landes Schleswig-Holstein in die Freiheitsrechte der Bürger anderer Bundesländer seien an der Verbandskompetenz zu messen, egal ob auf dem Gebiet des Ordnungsrechts oder auf dem Gebiet des Abgabenrechts.

18

Die Antragstellerin beantragt,
den Bescheid vom 21. März 2014 über die Glücksspielabgabe für 2012 und des geänderten Bescheides für 2013 über die Glücksspielabgabe vom 11. März 2015 von der Vollziehung auszusetzen.

19

Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.

20

Der Antragsgegner trägt vor, das schleswig-holsteinische Glücksspielgesetz regele zwei selbständig nebeneinander stehende Grundtatbestände. Ordnungsrechtlich werde bis dahin illegales Glücksspiel legalisiert. Dieser neue ordnungsrechtliche Rahmen sei in seiner hoheitlichen Reichweite auf das Gebiet Schleswig-Holsteins beschränkt. Abgabenrechtlich werde ein neuer Abgabentatbestand geschaffen. Das ohnehin schon vor Einführung des GlSpielG SH illegal angebotene Glücksspiel werde nun – unter bestimmten Voraussetzungen – einer Sonderabgabe unterworfen. Die Sonderabgabe werde vom Finanzamt Kiel-Nord (§ 43 GlSpielG SH) nur in Schleswig-Holstein erhoben. Der Gesetzgeber habe abgabenrechtlich den Genehmigungsinhaber (für Sportwetten und/oder für übriges Glücksspiel) als Anknüpfungspunkt einer Abgabenpflicht bestimmt. Es sei nicht ersichtlich, warum der Schleswig-Holsteinische Gesetzgeber unter Hinweis auf eine Verbandskompetenz daran gehindert sein sollte, seine grundsätzlich bestehenden abgabenrechtlichen Handlungsspielräume zu nutzen, zumal in Rechte anderer Bundesländer nicht beschränkend eingegriffen worden sei. Deutschland unterwerfe i. Ü. das Welteinkommen der Steuern nach Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz. Zudem sei der Antrag auf Erteilung einer Lizenz in Kenntnis des Gesetzestextes gestellt worden. Der Antragsteller lege erst durch seinen eigenen Antrag den Anknüpfungspunkt für eine hier streitige, zuvor aber bekannte Abgabenpflicht. Um eine Abgabenpflicht für sein in den übrigen Bundesländern betriebenes illegales Glücksspiel zu vermeiden, hätte es also genügt, in Schleswig-Holstein einen Antrag auf Erteilung einer Schleswig-Holstein-Lizenz nicht zu stellen. Ganz allgemein und speziell unter dem soeben dargelegten Aspekt sei nicht ersichtlich, warum das Tatbestandsmerkmal „Genehmigungsinhaber“ einen unzulässigen Anknüpfungspunkt für eine Abgabenpflicht darstellen solle.

21

Für die Erteilung der Genehmigung habe dem Land Schleswig-Holstein die territoriale Hoheitsgewalt zugestanden. Dabei gehe auch das Finanzamt davon aus, dass die Genehmigung nach § 4 GlSpielG SH im Rahmen der landeseigenen Verwaltung grundsätzlich nur eine Erlaubnis mit Wirkung für das Gebiet des Landes Schleswig-Holstein umfasse. Das GlSpielG SH beschränke die Erhebung der Glücksspielabgabe allerdings nicht auf das Hoheitsgebiet des Landes Schleswig-Holstein. Um die Abgabenschuld auszulösen, genüge es vielmehr nach § 35 Abs. 2 GlSpielG SH, wenn sich der Spieler im Zeitpunkt des Abschlusses des Rechtsgeschäftes im Bundesgebiet befinde. Damit werde nicht unzulässigerweise in den Hoheitsbereich der anderen Bundesländer eingegriffen. Bei der Auswahl des Abgabengegenstands sowie bei der Bestimmung des Abgabensatzes habe der Gesetzgeber regelmäßig einen weitreichenden Gestaltungsspielraum. Als sachliche Gründe, die die Bemessung einer Abgabe rechtfertigen könnten, seien neben dem Zweck der Kostendeckung auch Zwecke des Vorteilsausgleichs, der Verhaltenslenkung sowie soziale Zwecke anerkannt. Unter Berücksichtigung der Zielsetzung des GlSpielG SH und des Zwecks der Abgabe erweise es sich als legitim, die Abgabenpflicht auch auf die Umsätze aus der Teilnahme von Spielern aus dem gesamten Bundesgebiet zu erstrecken. Die Glücksspielabgabe sei als nichtsteuerliche, lenkende Sonderabgabe konzipiert, die zu einem bestimmten Verhalten anreizen bzw. Fehlverhalten sanktionieren solle. Mit dieser Zielsetzung würde sich jedoch eine gesetzliche Regelung nicht vertragen, die zwar das legale Spiel eines Genehmigungsinhabers mit einer Abgabe belege, nicht jedoch dessen illegales Spiel. Aus diesem Grund verweise § 35 Abs. 4 GlSpielG SH ausdrücklich darauf, dass § 40 AO entsprechend Geltung habe. Bei der grenzüberschreitenden Regelung von Sachverhalten reiche nach völkerrechtlichen Grundsätzen zur Begründung der Regelungskompetenz eines Staates ein Anknüpfungspunkt im Inland aus. Dieser Grundsatz sei mangels Regelung im Staatsrecht auf das Hoheitsgefüge der Bundesländer übertragbar. Im GlSpielG SH finde sich neben dem terrestrischen Anknüpfungspunkt für in Schleswig-Holstein ansässige Spielteilnehmer als weiterer Anknüpfungspunkt aus diesem Grund die erteilte Genehmigung für die Veranstaltung und den Vertrieb von Sportwetten/Onlinecasinospielen. Die Festlegung dieses Abgabentatbestandes begegne entgegen der Rechtsansicht der Antragstellerin keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Die Lenkung der Glücksspielnachfrage der Bevölkerung zu legalen und überwachten Spielangeboten und die Eindämmung der Spielsucht seien ein überragend wichtiges Gemeinwohlziel, dessen Erreichung unter anderem durch die Erhebung der Glücksspielabgabe verfolgt werde. Die Erhebung der Glücksspielabgabe auf sämtliche Glücksspielumsätze des Genehmigungsinhabers sei zur Erreichung dieses Ziels geeignet und erforderlich.

22

Mit Bescheid vom 11. März 2015 hat der Antragsgegner die Glücksspielabgabe auf … € für 2013 festgesetzt.

23

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des übrigen Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der Gerichtsakte … und 1 Bd. Beiakten A sowie 4 Ordner … (Genehmigungsakten Innenministerium SH) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

24

II. Der zulässige Antrag ist unbegründet.

25

Im Streitfall ist für den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung der Glücksspielabgabe der Finanzrechtsweg eröffnet. Denn gemäß § 33 Abs.1 Nr. 4 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i. V. m. § 5 des Ersten Gesetzes zur Ausführung der Finanzgerichtsordnung i. d. F. d. B. vom 31. Dezember 1971 (FGOAG SH 1) ist in öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten über Steuern und andere öffentlich-rechtliche Abgaben, die der Landesgesetzgebung unterliegen (hier die Glücksspielabgabe), und die durch den Antragsgegner als einer Landesfinanzbehörde verwaltet werden (vgl. § 43 des Gesetzes zur Neuordnung des Glücksspiels (Glücksspielgesetz) vom 20. Oktober 2011 (GlSpielG SH); Art.108 Abs. 2 GG; § 2 Abs. 1 und § 17 Abs. 2 des Finanzverwaltungsgesetzes) der Finanzrechtsweg gegeben.

26

Nach § 69 Abs. 3 i. V. m. Abs. 2 Satz 2 Finanzgerichtsordnung (FGO) soll das Gericht der Hauptsache die Vollziehung eines angefochtenen Bescheides auf Antrag ganz oder teilweise aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

27

Ernstliche Zweifel i. S. des § 69 FGO liegen vor, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Verwaltungsakts im Aussetzungsverfahren neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zu Tage treten, die Unsicherheit oder Unentschiedenheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheiten in der Beurteilung von Tatfragen bewirken (ständige Rechtsprechung, vgl. Beschluss des Großen Senats des Bundesfinanzhofs -BFH- vom 5. März 1979, GrS 5/77, BFHE 127, 140, Bundessteuerblatt -BStBl- II 1979, 570). Da das Aussetzungsverfahren wegen seiner Eilbedürftigkeit und seines vorläufigen Charakters ein summarisches Verfahren ist, beschränkt sich die Überprüfung des Prozessstoffes auf die dem Gericht vorliegenden Unterlagen (insbesondere die Akten der Finanzbehörde) sowie auf die präsenten Beweismittel. Weitergehende Sachverhaltsermittlungen durch das Gericht sind nicht erforderlich (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Beschluss vom 21. Juli 1994, IX B 78/94, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des Bundesfinanzhofs -BFH/NV- 1995, 116). Es ist Sache der Beteiligten, die entscheidungserheblichen Tatsachen vorzutragen und glaubhaft zu machen. Glaubhaftmachung ist eine Beweisführung, die dem Richter nicht die volle Überzeugung, sondern nur einen geringeren Grad von Wahrscheinlichkeit vermitteln soll. Die im Hauptsacheverfahren geltenden Regeln zur Feststellungslast gelten auch für das Aussetzungsverfahren (vgl. Gräber/Koch, FGO, 7. Aufl. 2010, § 69 Rz. 121 m. w. N.). Die Tat- und Rechtsfragen brauchen nicht abschließend geprüft zu werden. Bei der notwendigen Abwägung der im Einzelfall entscheidungsrelevanten Umstände und Gründe sind die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs zu berücksichtigen. Irgendeine vage Erfolgsaussicht genügt jedoch nicht. Andererseits ist nicht erforderlich, dass die für die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts sprechenden Gründe überwiegen (BFH-Beschlüsse vom 20. Mai 1997, VIII B 108/96, BFHE 183, 174, BFH/NV BFH/R 1997, 462 und vom 23. August 2004, IV S 7/04, BFH/NV 2005, 9).

28

Nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage bestehen nach diesen Grundsätzen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verwaltungsakte.

29

Nach § 35 Abs. 1 des Gesetzes zur Neuordnung des Glücksspiels (Glücksspielgesetz) vom 20. Oktober 2011 (GlSpielG SH) wird von Personen, die im Geltungsbereich dieses Gesetzes Glücksspiele vertreiben, eine Glückspielabgabe erhoben.

30

Glücksspiele gelten als im Geltungsbereich dieses Gesetzes vertrieben, sofern sie über diesen Geltungsbereich hinaus durch einen Genehmigungsinhaber nach diesem Gesetz Personen, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthaltsort im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland haben, bestimmungsgemäß zugänglich gemacht werden. Ein Vertrieb in diesem Sinne liegt auch vor, wenn ein genehmigungspflichtiges Glücksspiel ohne erforderliche Genehmigung bestimmungsgemäß zugänglich gemacht wird (§ 35 Abs. 2 GlSpielG SH).§ 40 der Abgabenordnung gilt entsprechend (§ 35 Abs. 4 GlSpielG SH).

31

Der Abgabensatz beträgt gemäß § 36 Abs. 1 GlSpielG SH 20 vom Hundert der Bemessungsgrundlage. Bemessungsgrundlage ist der Rohertrag aus den angebotenen und durchgeführten Glücksspielen. Als Rohertrag gilt der Betrag, um den die Summe aller Spieleinsätze die Summe aller ausgezahlten Spielgewinne übersteigt. Abweichend hiervon gelten bei Glücksspielen, bei denen der Veranstalter kein Spielrisiko trägt (Spiele ohne Bankhalter), die Beträge als Bemessungsgrundlage, die dem Glücksspielanbieter aus dem Spiel zufließen (§ 36 Abs. 2 GlSpielG SH).

32

Die Abgabe entsteht gemäß § 37 Abs. 1 GlSpielG SH mit dem Zustandekommen des Spielvertrags. Abgabenschuldner ist nach § 38 Abs. 1 GlSpielG SH der Glücksspielanbieter. Die Abgabe schuldet auch, wer nicht genehmigte Glücksspiele anbietet.

33

Der Glücksspielanbieter hat gemäß § 40 Abs. 2 GlSpielG SH für das Kalenderjahr eine Jahreserklärung auf amtlich vorgeschriebenem Vordruck bis zum 31. Mai des Folgejahres bei der zuständigen Finanzbehörde abzugeben. In dieser sind die Summe aller Spieleinsätze sowie die gesamte Bemessungsgrundlage nach § 36 aller im Kalenderjahr durchgeführten Glücksspiele nach Art der Glücksspiele getrennt und die darauf für das Kalenderjahr entfallende Glücksspielabgabe sowie die bereits nach Absatz 1 geleisteten Vorauszahlungen anzugeben. Eine verbleibende Zahllast beziehungsweise ein etwaiges Guthaben aus der Jahreserklärung werden von der Finanzbehörde durch Bescheid festgesetzt.

34

Nach § 48 GlSpielG SH dürfen Genehmigungen nach diesem Gesetz erst mit Wirkung ab dem 1. März 2012 erteilt werden. Die Glücksspielabgabe nach diesem Gesetz wird ab dem 1. März 2012 erhoben.

35

Gegen die Rechtmäßigkeit dieser gesetzlichen Regelungen des GlSpielG SH hat der Senat nach summarischer Prüfung keine Bedenken.

36

Der Einwand der Antragstellerin, es fehle dem schleswig-holsteinischen Landesgesetzgeber jedenfalls für die Erhebung der Glücksspielabgabe auf Online-Casinospiele und Sportwetten, soweit diese aus dem Vertrieb an Personen resultierten, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthaltsort in der Bundesrepublik Deutschland, aber nicht in Schleswig-Holstein hätten, jeglichen Anknüpfungspunkt, hält der Senat nicht für begründet.

37

Das Land Schleswig-Holstein konnte im Glücksspielgesetz für Schleswig-Holstein grundsätzlich Regelungen für das Genehmigungsverfahren und die Erhebung einer Glücksspielabgabe treffen, da die Gesetzgebung im Bereich der Glücksspiele gemäß den Art. 70 und 72 des Grundgesetzes in die Zuständigkeit der Länder fällt.

38

Die gesetzlichen Regelungen des Genehmigungsverfahrens und über die Glücksspielabgabe im GlSpielG SH verstoßen nicht gegen den Grundsatz der Verbandskompetenz. Da es zur Reichweite der Hoheitsgewalt der Bundesländer keine Regelungen im deutschen Staatsrecht gibt, können diesbezügliche völkerrechtliche Grundsätze auf das Hoheitsgefüge der Bundesländer übertragen werden (VG Düsseldorf, Urteil vom 13. September 2011 27 K 1005/09, juris, Rz. 44). Aus dem Völkerrecht ergibt sich im Grundsatz keine Beschränkung der Regelungsgewalt eines Nationalstaats auf sein Hoheitsgebiet. Eine positive völkerrechtliche Regelung über die extraterritoriale Geltung staatlicher Normen gibt es nicht, das Völkerrecht kann die Geltung staatlicher Rechtsnormen nur begrenzen. Dies geschieht durch das Territorialitätsprinzip, nach dem Gesetzen auf wohl allen Rechtsgebieten grundsätzlich nur dann extraterritoriale Geltung beigelegt werden darf, wenn ein inländischer Anknüpfungspunkt vorhanden ist (Rojahn in von Münch/Kunig, GG-Kommentar, Band 2, Art. 25 Rn. 2; Streinz in Jahn, GG-Kommentar, 6. Auflage, Art. 25 Rn. 54). Die Erstreckung der Regelungsgewalt auf einen Auslandssachverhalt setzt also im Kern ausschließlich einen Anknüpfungspunkt des Auslandssachverhaltes an einen Inlandssachverhalt und die Hoheitsgewalt des die Regelung setzenden Staates voraus. Die Hoheitsgewalt eines Landes bezieht sich auf das dieser Gebietskörperschaft zugehörige Territorium (Verbandskompetenz). Bei der grenzüberschreitenden Regelung von Sachverhalten reicht nach völkerrechtlichen Grundsätzen zur Begründung der Regelungskompetenz eines Staates ein Anknüpfungspunkt im Inland aus.

39

Die gesetzlichen Regelungen des Genehmigungsverfahrens im GlSpielG SH verstoßen nach diesen Grundsätzen nicht gegen den Grundsatz der Verbandskompetenz. Genehmigungen nach § 4 GlSpielG SH erstrecken sich in ihrer Wirkung allein auf das Gebiet des Landes Schleswig-Holstein. Dies ergibt sich sowohl aus § 2 Abs. 1 als auch aus § 4 Abs. 1 GlSpielG SH, wonach das Angebot bzw. die Veranstaltung von öffentlichen Glücksspielen im Geltungsbereich des Glücksspielgesetzes geregelt wird bzw. der Genehmigung bedarf. Ein Verstoß gegen die Verbandskompetenz des Landes ist durch diese gesetzlichen Bestimmungen nicht ersichtlich, da mit ihnen das Veranstalten von Glücksspielen außerhalb des Hoheitsgebietes des Landes Schleswig-Holstein nicht verboten wird. Vielmehr wird durch den Gesetzgeber allein geregelt, dass eine Erlaubnis sich auf das Gebiet des Landes Schleswig-Holstein beschränkt.

40

Die auf dieser Grundlage erteilten ordnungsrechtlichen Genehmigungen vom 30. April 2012 und vom 19. Dezember 2012 gelten dementsprechend nur für den Geltungsbereich des GlSpielG SH. Zudem lässt der Vollzug von Landesrecht in der Regel auf eine nur landesweite Geltung der Anordnung schließen (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Januar 2002 9 A 20/01, BVerwGE 115, 373). Diese Beschränkung der Genehmigungen auf Schleswig-Holstein ist zwischen den Beteiligten auch unstrittig und wurde im vor dem schleswig-holsteinischen Verwaltungsgericht geschlossenen Vergleich in dem Verfahren … zwischen der Antragstellerin und dem Innenministerium Schleswig-Holstein hinsichtlich der Genehmigung vom 19. Dezember 2012 ausdrücklich klargestellt.

41

Die Regelungen des GlSpielG SH über die Erhebung einer Glücksspielabgabe verstoßen entgegen der Auffassung der Antragstellerin ebenfalls nicht gegen den Grundsatz der Verbandskompetenz. Anknüpfungspunkt in Schleswig-Holstein ist für die Abgabenpflicht nach § 35 Abs. 1 GlSpielG SH, dass eine Person im Geltungsbereich dieses Gesetzes Glücksspiele vertreibt. Dabei wird nicht zwischen inländischen und ausländischen Personen unterschieden. Die Verwirklichung eines Abgabentatbestandes im Gebiet Schleswig-Holsteins und die Herbeiführung eines abgabenrechtlich erheblichen Erfolges in Schleswig-Holstein sind nach dieser Rechtsnorm Voraussetzung für die Abgabenpflicht (vgl. zu diesen Voraussetzungen als hinreichenden Anknüpfungspunkt auch BVerfG, Beschluss vom 22. März 1983 2 BvR 475/78, BVerfGE 63, 343).

42

Darüber hinaus enthält die Regelung des § 35 Abs. 2 Satz 1 GlSpielG SH ebenfalls einen hinreichenden Anknüpfungspunkt zum Hoheitsgebiet des Landes Schleswig-Holstein, weil hiernach Glücksspiele durch einen Genehmigungsinhaber nach diesem Gesetz Personen, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthaltsort im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland haben, bestimmungsgemäß zugänglich gemacht werden. Der Glücksspielanbieter muss also eine schleswig-holsteinische Glücksspiellizenz beantragt und eine Veranstaltungsgenehmigung nach dem GlSpielG SH erhalten haben, die ihn gerade dazu verpflichtet, die Genehmigung nur im Hoheitsgebiet von Schleswig-Holstein zu nutzen. Unter Berücksichtigung der Zielsetzung des GlSpielG SH und des Zwecks der Glücksspielabgabe, einerseits den Glücksspielmarkt nur für Schleswig-Holstein zu liberalisieren und andererseits zunehmenden Suchtgefahren Rechnung zu tragen, erweist es sich als legitim, die Abgabenpflicht auch auf die Umsätze aus der Teilnahme von Spielern aus dem gesamten Bundesgebiet zu erstrecken, wenn der Glücksspielanbieter gegen die ihm erteilte Genehmigung verstößt. Die Glücksspielabgabe ist als nichtsteuerliche, lenkende Sonderabgabe konzipiert, die zu einem bestimmten Verhalten anreizen bzw. Fehlverhalten sanktionieren soll. Dieser Zielsetzung würde eine gesetzliche Regelung entgegenlaufen, die zwar das legale Spiel eines Genehmigungsinhabers mit einer Abgabe belegen würde, nicht jedoch dessen illegales Spiel. Deshalb verweist § 35 Abs. 4 GlSpielG SH ausdrücklich darauf, dass § 40 AO entsprechend Geltung hat. Wenn ein Glücksspielanbieter in Kenntnis der gesetzlichen Regelungen über die Glücksspielabgabe eine Genehmigung nach dem GlSpielG SH beantragt und erhält, kann er sich auch gesetzeskonform verhalten, so dass er nicht in Gefahr kommt, auch nach § 35 Abs. 2 Satz 1 GlSpielG SH veranlagt zu werden. Wenn gleichwohl Gewinne aus einer nicht gesetzeskonformen Ausnutzung der schleswig-holsteinischen Genehmigung für das Veranstalten von Glücksspielen mit Spielern in anderen Bundesländern erzielt werden, erscheint es dem Senat vom weitreichenden Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers gedeckt, auch diese Roherträge mit der Glücksspielabgabe zu belegen.

43

Der Einwand der Antragstellerin, die Verbandskompetenz habe im Ordnungsrecht und Abgabenrecht keine unterschiedliche Reichweite und Eingriffe des Landes Schleswig-Holstein in die Freiheitsrechte der Bürger anderer Bundesländer müssten sich an der Verbandskompetenz messen, überzeugt nicht. Vorliegend wird durch das Glücksspielgesetz nicht von Bürgern anderer Bundesländer eine Abgabe erhoben, sondern die Abgabenpflicht besteht nur für die Glücksspielanbieter, von denen der durch diese veranstalteten Glücksspiele erzielte Ertrag mit 20 % Glücksspielabgabe belegt wird. Insoweit erfolgt durch das Gesetz kein Eingriff in Freiheitsrechte von Spielern, die in anderen Bundesländern wohnen. Ein Überschreiten der Verbandskompetenz ist deshalb nicht gegeben.

44

Nach alledem hat der Gesetzgeber mit den Regelungen der §§ 35 ff GlSpielG zur Überzeugung des Senats nicht seine Verbandskompetenz unzulässigerweise überschritten.

45

Im Streitfall waren hinreichende sachliche Anknüpfungsmomente für die Erhebung des Abgabenanspruchs durch den schleswig-holsteinischen Fiskus gegeben.

46

Nach summarischer Prüfung bestehen insoweit keine rechtlichen Bedenken gegen die mit den Bescheiden vom 21. März 2014 über die Glücksspielabgabe für 2012 und vom 11. März 2015 über die Glücksspielabgabe für 2013 festgesetzte Glücksspielabgabe. Ausgehend von den einschlägigen Rechtsnormen des GlSpielG SH hat die Antragstellerin Jahresanmeldungen der Glücksspielabgabe gem. § 40 Abs. 2 GlSpielG SH für die Jahre 2012 und 2013 bei dem Antragsgegner eingereicht. Mit den streitbefangenen Bescheiden vom 21. März 2014 über die Glücksspielabgabe für 2012 und vom 11. März 2015 über die Glücksspielabgabe für 2013 wurde die Antragstellerin erklärungsgemäß veranlagt. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin hat der Antragsgegner insoweit zu Recht die Bemessungsgrundlage nicht reduziert. Abgesehen davon, dass die Antragstellerin in keiner Weise glaubhaft gemacht hat, ob und in welchem Umfang Spieler mit Wohnsitz oder Aufenthalt innerhalb und außerhalb von Schleswig-Holstein zum Rohertrag nach § 36 GlSpielG SH beigetragen haben, hat die Antragstellerin den gesetzlichen Abgabentatbestand verwirklicht. Sie hat im Geltungsbereich des GlSpielG SH Glücksspiele vertrieben und - wie sie selbst vorträgt - auch als Genehmigungsinhaber Personen, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthaltsort im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland haben, Glücksspiele bestimmungsgemäß zugänglich gemacht.

47

Hinsichtlich der Höhe der erklärungsgemäß festgesetzten Glücksspielabgaben bestehen nach summarischer Prüfung keine Bedenken. Die Antragstellerin hat insoweit auch keine substantiierten Einwände erhoben und nicht vorgetragen, sie habe irrtümlich eine zu hohe Bemessungsgrundlage ermittelt. Es bleibt der Antragstellerin insoweit unbenommen, im Rahmen des Widerspruchsverfahrens und eines etwaigen nachfolgenden Klageverfahrens ergänzend vorzutragen.

48

Die Kosten des Verfahrens trägt gemäß § 135 Abs. 1 FGO die Antragstellerin.

49

Gemäß § 128 Abs. 3 FGO i. V. m. § 115 FGO und § 118 Abs. 1 FGO kommt eine Beschwerdezulassung hier nicht in Betracht, weil die Verletzung von revisiblem Recht nicht ersichtlich ist. Mit der Revision kann gemäß § 118 Abs. 1 Satz 1 FGO grundsätzlich nur die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden. Landesrecht ist hingegen grundsätzlich nicht revisibel. Nur soweit im Fall des § 33 Abs. 1 Nr. 4 FGO die Vorschriften des Unterabschnittes 1. Revision, d. h. die Vorschriften der §§ 115 ff durch Landesgesetz für anwendbar erklärt werden, kann die Revision auch darauf gestützt werden, dass das Urteil auf der Verletzung von Landesrecht beruht (§ 118 Abs. 1 Satz 2 FGO). Die Eröffnung des Finanzrechtsweges durch § 5 FGO AG SH macht nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs das Landesrecht allerdings ebenso wenig revisibel wie die Zuweisung dieser Rechtsstreitigkeiten ausschließlich an das FG (vgl. Seer in Tipke/Kruse, § 118 FGO, Tz 21 m. w. N.; Ruban in Gräber, FGO, 7. Auflage, § 118 Rz. 18). Da die Vorschriften der §§ 115 ff und der FGO durch den schleswig-holsteinischen Landesgesetzgeber insgesamt nicht für anwendbar erklärt wurden, liegt kein revisibles Landesrecht vor. Durch die Bezugnahme auf Bundesrecht, hier beispielsweise auf § 40 der AO in § 35 Abs. 4 GlSpielG SH, wird das Landesrecht ebenfalls nicht revisibel (Ruban in Gräber, FGO, 7. Auflage, § 118 Rz. 14 m. w. N.).

50

Dieser Beschluss ist gemäß § 128 Abs. 3 FGO unanfechtbar.


(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

(1) Soweit ein angefochtener Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und die etwaige Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf auf; die Finanzbehörde ist an die rechtliche Beurteilung gebunden, die der Aufhebung zugrunde liegt, an die tatsächliche so weit, als nicht neu bekannt werdende Tatsachen und Beweismittel eine andere Beurteilung rechtfertigen. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, dass und wie die Finanzbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, dass der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, dass die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekannt zu geben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und die Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Satz 1 gilt nicht, soweit der Steuerpflichtige seiner Erklärungspflicht nicht nachgekommen ist und deshalb die Besteuerungsgrundlagen geschätzt worden sind. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlass des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, dass Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluss kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

Für die Besteuerung ist es unerheblich, ob ein Verhalten, das den Tatbestand eines Steuergesetzes ganz oder zum Teil erfüllt, gegen ein gesetzliches Gebot oder Verbot oder gegen die guten Sitten verstößt.

(1) Hält ein Gericht ein Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, für verfassungswidrig, so ist das Verfahren auszusetzen und, wenn es sich um die Verletzung der Verfassung eines Landes handelt, die Entscheidung des für Verfassungsstreitigkeiten zuständigen Gerichtes des Landes, wenn es sich um die Verletzung dieses Grundgesetzes handelt, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes einzuholen. Dies gilt auch, wenn es sich um die Verletzung dieses Grundgesetzes durch Landesrecht oder um die Unvereinbarkeit eines Landesgesetzes mit einem Bundesgesetze handelt.

(2) Ist in einem Rechtsstreite zweifelhaft, ob eine Regel des Völkerrechtes Bestandteil des Bundesrechtes ist und ob sie unmittelbar Rechte und Pflichten für den Einzelnen erzeugt (Artikel 25), so hat das Gericht die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes einzuholen.

(3) Will das Verfassungsgericht eines Landes bei der Auslegung des Grundgesetzes von einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes oder des Verfassungsgerichtes eines anderen Landes abweichen, so hat das Verfassungsgericht die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes einzuholen.

(1) Sind die Voraussetzungen des Artikels 100 Abs. 1 des Grundgesetzes gegeben, so holen die Gerichte unmittelbar die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ein.

(2) Die Begründung muß angeben, inwiefern von der Gültigkeit der Rechtsvorschrift die Entscheidung des Gerichts abhängig ist und mit welcher übergeordneten Rechtsnorm sie unvereinbar ist. Die Akten sind beizufügen.

(3) Der Antrag des Gerichts ist unabhängig von der Rüge der Nichtigkeit der Rechtsvorschrift durch einen Prozeßbeteiligten.

(1) Die Länder haben das Recht der Gesetzgebung, soweit dieses Grundgesetz nicht dem Bunde Gesetzgebungsbefugnisse verleiht.

(2) Die Abgrenzung der Zuständigkeit zwischen Bund und Ländern bemißt sich nach den Vorschriften dieses Grundgesetzes über die ausschließliche und die konkurrierende Gesetzgebung.

(1) Die konkurrierende Gesetzgebung erstreckt sich auf folgende Gebiete:

1.
das bürgerliche Recht, das Strafrecht, die Gerichtsverfassung, das gerichtliche Verfahren (ohne das Recht des Untersuchungshaftvollzugs), die Rechtsanwaltschaft, das Notariat und die Rechtsberatung;
2.
das Personenstandswesen;
3.
das Vereinsrecht;
4.
das Aufenthalts- und Niederlassungsrecht der Ausländer;
5.
(weggefallen)
6.
die Angelegenheiten der Flüchtlinge und Vertriebenen;
7.
die öffentliche Fürsorge (ohne das Heimrecht);
8.
(weggefallen)
9.
die Kriegsschäden und die Wiedergutmachung;
10.
die Kriegsgräber und Gräber anderer Opfer des Krieges und Opfer von Gewaltherrschaft;
11.
das Recht der Wirtschaft (Bergbau, Industrie, Energiewirtschaft, Handwerk, Gewerbe, Handel, Bank- und Börsenwesen, privatrechtliches Versicherungswesen) ohne das Recht des Ladenschlusses, der Gaststätten, der Spielhallen, der Schaustellung von Personen, der Messen, der Ausstellungen und der Märkte;
12.
das Arbeitsrecht einschließlich der Betriebsverfassung, des Arbeitsschutzes und der Arbeitsvermittlung sowie die Sozialversicherung einschließlich der Arbeitslosenversicherung;
13.
die Regelung der Ausbildungsbeihilfen und die Förderung der wissenschaftlichen Forschung;
14.
das Recht der Enteignung, soweit sie auf den Sachgebieten der Artikel 73 und 74 in Betracht kommt;
15.
die Überführung von Grund und Boden, von Naturschätzen und Produktionsmitteln in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft;
16.
die Verhütung des Mißbrauchs wirtschaftlicher Machtstellung;
17.
die Förderung der land- und forstwirtschaftlichen Erzeugung (ohne das Recht der Flurbereinigung), die Sicherung der Ernährung, die Ein- und Ausfuhr land- und forstwirtschaftlicher Erzeugnisse, die Hochsee- und Küstenfischerei und den Küstenschutz;
18.
den städtebaulichen Grundstücksverkehr, das Bodenrecht (ohne das Recht der Erschließungsbeiträge) und das Wohngeldrecht, das Altschuldenhilferecht, das Wohnungsbauprämienrecht, das Bergarbeiterwohnungsbaurecht und das Bergmannssiedlungsrecht;
19.
Maßnahmen gegen gemeingefährliche oder übertragbare Krankheiten bei Menschen und Tieren, Zulassung zu ärztlichen und anderen Heilberufen und zum Heilgewerbe, sowie das Recht des Apothekenwesens, der Arzneien, der Medizinprodukte, der Heilmittel, der Betäubungsmittel und der Gifte;
19a.
die wirtschaftliche Sicherung der Krankenhäuser und die Regelung der Krankenhauspflegesätze;
20.
das Recht der Lebensmittel einschließlich der ihrer Gewinnung dienenden Tiere, das Recht der Genussmittel, Bedarfsgegenstände und Futtermittel sowie den Schutz beim Verkehr mit land- und forstwirtschaftlichem Saat- und Pflanzgut, den Schutz der Pflanzen gegen Krankheiten und Schädlinge sowie den Tierschutz;
21.
die Hochsee- und Küstenschiffahrt sowie die Seezeichen, die Binnenschiffahrt, den Wetterdienst, die Seewasserstraßen und die dem allgemeinen Verkehr dienenden Binnenwasserstraßen;
22.
den Straßenverkehr, das Kraftfahrwesen, den Bau und die Unterhaltung von Landstraßen für den Fernverkehr sowie die Erhebung und Verteilung von Gebühren oder Entgelten für die Benutzung öffentlicher Straßen mit Fahrzeugen;
23.
die Schienenbahnen, die nicht Eisenbahnen des Bundes sind, mit Ausnahme der Bergbahnen;
24.
die Abfallwirtschaft, die Luftreinhaltung und die Lärmbekämpfung (ohne Schutz vor verhaltensbezogenem Lärm);
25.
die Staatshaftung;
26.
die medizinisch unterstützte Erzeugung menschlichen Lebens, die Untersuchung und die künstliche Veränderung von Erbinformationen sowie Regelungen zur Transplantation von Organen, Geweben und Zellen;
27.
die Statusrechte und -pflichten der Beamten der Länder, Gemeinden und anderen Körperschaften des öffentlichen Rechts sowie der Richter in den Ländern mit Ausnahme der Laufbahnen, Besoldung und Versorgung;
28.
das Jagdwesen;
29.
den Naturschutz und die Landschaftspflege;
30.
die Bodenverteilung;
31.
die Raumordnung;
32.
den Wasserhaushalt;
33.
die Hochschulzulassung und die Hochschulabschlüsse.

(2) Gesetze nach Absatz 1 Nr. 25 und 27 bedürfen der Zustimmung des Bundesrates.

Für die Besteuerung ist es unerheblich, ob ein Verhalten, das den Tatbestand eines Steuergesetzes ganz oder zum Teil erfüllt, gegen ein gesetzliches Gebot oder Verbot oder gegen die guten Sitten verstößt.

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

(1) Alle Einnahmen und Ausgaben des Bundes sind in den Haushaltsplan einzustellen; bei Bundesbetrieben und bei Sondervermögen brauchen nur die Zuführungen oder die Ablieferungen eingestellt zu werden. Der Haushaltsplan ist in Einnahme und Ausgabe auszugleichen.

(2) Der Haushaltsplan wird für ein oder mehrere Rechnungsjahre, nach Jahren getrennt, vor Beginn des ersten Rechnungsjahres durch das Haushaltsgesetz festgestellt. Für Teile des Haushaltsplanes kann vorgesehen werden, daß sie für unterschiedliche Zeiträume, nach Rechnungsjahren getrennt, gelten.

(3) Die Gesetzesvorlage nach Absatz 2 Satz 1 sowie Vorlagen zur Änderung des Haushaltsgesetzes und des Haushaltsplanes werden gleichzeitig mit der Zuleitung an den Bundesrat beim Bundestage eingebracht; der Bundesrat ist berechtigt, innerhalb von sechs Wochen, bei Änderungsvorlagen innerhalb von drei Wochen, zu den Vorlagen Stellung zu nehmen.

(4) In das Haushaltsgesetz dürfen nur Vorschriften aufgenommen werden, die sich auf die Einnahmen und die Ausgaben des Bundes und auf den Zeitraum beziehen, für den das Haushaltsgesetz beschlossen wird. Das Haushaltsgesetz kann vorschreiben, daß die Vorschriften erst mit der Verkündung des nächsten Haushaltsgesetzes oder bei Ermächtigung nach Artikel 115 zu einem späteren Zeitpunkt außer Kraft treten.

(1) Die Länder haben das Recht der Gesetzgebung, soweit dieses Grundgesetz nicht dem Bunde Gesetzgebungsbefugnisse verleiht.

(2) Die Abgrenzung der Zuständigkeit zwischen Bund und Ländern bemißt sich nach den Vorschriften dieses Grundgesetzes über die ausschließliche und die konkurrierende Gesetzgebung.

(1) Die konkurrierende Gesetzgebung erstreckt sich auf folgende Gebiete:

1.
das bürgerliche Recht, das Strafrecht, die Gerichtsverfassung, das gerichtliche Verfahren (ohne das Recht des Untersuchungshaftvollzugs), die Rechtsanwaltschaft, das Notariat und die Rechtsberatung;
2.
das Personenstandswesen;
3.
das Vereinsrecht;
4.
das Aufenthalts- und Niederlassungsrecht der Ausländer;
5.
(weggefallen)
6.
die Angelegenheiten der Flüchtlinge und Vertriebenen;
7.
die öffentliche Fürsorge (ohne das Heimrecht);
8.
(weggefallen)
9.
die Kriegsschäden und die Wiedergutmachung;
10.
die Kriegsgräber und Gräber anderer Opfer des Krieges und Opfer von Gewaltherrschaft;
11.
das Recht der Wirtschaft (Bergbau, Industrie, Energiewirtschaft, Handwerk, Gewerbe, Handel, Bank- und Börsenwesen, privatrechtliches Versicherungswesen) ohne das Recht des Ladenschlusses, der Gaststätten, der Spielhallen, der Schaustellung von Personen, der Messen, der Ausstellungen und der Märkte;
12.
das Arbeitsrecht einschließlich der Betriebsverfassung, des Arbeitsschutzes und der Arbeitsvermittlung sowie die Sozialversicherung einschließlich der Arbeitslosenversicherung;
13.
die Regelung der Ausbildungsbeihilfen und die Förderung der wissenschaftlichen Forschung;
14.
das Recht der Enteignung, soweit sie auf den Sachgebieten der Artikel 73 und 74 in Betracht kommt;
15.
die Überführung von Grund und Boden, von Naturschätzen und Produktionsmitteln in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft;
16.
die Verhütung des Mißbrauchs wirtschaftlicher Machtstellung;
17.
die Förderung der land- und forstwirtschaftlichen Erzeugung (ohne das Recht der Flurbereinigung), die Sicherung der Ernährung, die Ein- und Ausfuhr land- und forstwirtschaftlicher Erzeugnisse, die Hochsee- und Küstenfischerei und den Küstenschutz;
18.
den städtebaulichen Grundstücksverkehr, das Bodenrecht (ohne das Recht der Erschließungsbeiträge) und das Wohngeldrecht, das Altschuldenhilferecht, das Wohnungsbauprämienrecht, das Bergarbeiterwohnungsbaurecht und das Bergmannssiedlungsrecht;
19.
Maßnahmen gegen gemeingefährliche oder übertragbare Krankheiten bei Menschen und Tieren, Zulassung zu ärztlichen und anderen Heilberufen und zum Heilgewerbe, sowie das Recht des Apothekenwesens, der Arzneien, der Medizinprodukte, der Heilmittel, der Betäubungsmittel und der Gifte;
19a.
die wirtschaftliche Sicherung der Krankenhäuser und die Regelung der Krankenhauspflegesätze;
20.
das Recht der Lebensmittel einschließlich der ihrer Gewinnung dienenden Tiere, das Recht der Genussmittel, Bedarfsgegenstände und Futtermittel sowie den Schutz beim Verkehr mit land- und forstwirtschaftlichem Saat- und Pflanzgut, den Schutz der Pflanzen gegen Krankheiten und Schädlinge sowie den Tierschutz;
21.
die Hochsee- und Küstenschiffahrt sowie die Seezeichen, die Binnenschiffahrt, den Wetterdienst, die Seewasserstraßen und die dem allgemeinen Verkehr dienenden Binnenwasserstraßen;
22.
den Straßenverkehr, das Kraftfahrwesen, den Bau und die Unterhaltung von Landstraßen für den Fernverkehr sowie die Erhebung und Verteilung von Gebühren oder Entgelten für die Benutzung öffentlicher Straßen mit Fahrzeugen;
23.
die Schienenbahnen, die nicht Eisenbahnen des Bundes sind, mit Ausnahme der Bergbahnen;
24.
die Abfallwirtschaft, die Luftreinhaltung und die Lärmbekämpfung (ohne Schutz vor verhaltensbezogenem Lärm);
25.
die Staatshaftung;
26.
die medizinisch unterstützte Erzeugung menschlichen Lebens, die Untersuchung und die künstliche Veränderung von Erbinformationen sowie Regelungen zur Transplantation von Organen, Geweben und Zellen;
27.
die Statusrechte und -pflichten der Beamten der Länder, Gemeinden und anderen Körperschaften des öffentlichen Rechts sowie der Richter in den Ländern mit Ausnahme der Laufbahnen, Besoldung und Versorgung;
28.
das Jagdwesen;
29.
den Naturschutz und die Landschaftspflege;
30.
die Bodenverteilung;
31.
die Raumordnung;
32.
den Wasserhaushalt;
33.
die Hochschulzulassung und die Hochschulabschlüsse.

(2) Gesetze nach Absatz 1 Nr. 25 und 27 bedürfen der Zustimmung des Bundesrates.

(1) Der Ertrag der Finanzmonopole und das Aufkommen der folgenden Steuern stehen dem Bund zu:

1.
die Zölle,
2.
die Verbrauchsteuern, soweit sie nicht nach Absatz 2 den Ländern, nach Absatz 3 Bund und Ländern gemeinsam oder nach Absatz 6 den Gemeinden zustehen,
3.
die Straßengüterverkehrsteuer, die Kraftfahrzeugsteuer und sonstige auf motorisierte Verkehrsmittel bezogene Verkehrsteuern,
4.
die Kapitalverkehrsteuern, die Versicherungsteuer und die Wechselsteuer,
5.
die einmaligen Vermögensabgaben und die zur Durchführung des Lastenausgleichs erhobenen Ausgleichsabgaben,
6.
die Ergänzungsabgabe zur Einkommensteuer und zur Körperschaftsteuer,
7.
Abgaben im Rahmen der Europäischen Gemeinschaften.

(2) Das Aufkommen der folgenden Steuern steht den Ländern zu:

1.
die Vermögensteuer,
2.
die Erbschaftsteuer,
3.
die Verkehrsteuern, soweit sie nicht nach Absatz 1 dem Bund oder nach Absatz 3 Bund und Ländern gemeinsam zustehen,
4.
die Biersteuer,
5.
die Abgabe von Spielbanken.

(3) Das Aufkommen der Einkommensteuer, der Körperschaftsteuer und der Umsatzsteuer steht dem Bund und den Ländern gemeinsam zu (Gemeinschaftsteuern), soweit das Aufkommen der Einkommensteuer nicht nach Absatz 5 und das Aufkommen der Umsatzsteuer nicht nach Absatz 5a den Gemeinden zugewiesen wird. Am Aufkommen der Einkommensteuer und der Körperschaftsteuer sind der Bund und die Länder je zur Hälfte beteiligt. Die Anteile von Bund und Ländern an der Umsatzsteuer werden durch Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, festgesetzt. Bei der Festsetzung ist von folgenden Grundsätzen auszugehen:

1.
Im Rahmen der laufenden Einnahmen haben der Bund und die Länder gleichmäßig Anspruch auf Deckung ihrer notwendigen Ausgaben. Dabei ist der Umfang der Ausgaben unter Berücksichtigung einer mehrjährigen Finanzplanung zu ermitteln.
2.
Die Deckungsbedürfnisse des Bundes und der Länder sind so aufeinander abzustimmen, daß ein billiger Ausgleich erzielt, eine Überbelastung der Steuerpflichtigen vermieden und die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet gewahrt wird.
Zusätzlich werden in die Festsetzung der Anteile von Bund und Ländern an der Umsatzsteuer Steuermindereinnahmen einbezogen, die den Ländern ab 1. Januar 1996 aus der Berücksichtigung von Kindern im Einkommensteuerrecht entstehen. Das Nähere bestimmt das Bundesgesetz nach Satz 3.

(4) Die Anteile von Bund und Ländern an der Umsatzsteuer sind neu festzusetzen, wenn sich das Verhältnis zwischen den Einnahmen und Ausgaben des Bundes und der Länder wesentlich anders entwickelt; Steuermindereinnahmen, die nach Absatz 3 Satz 5 in die Festsetzung der Umsatzsteueranteile zusätzlich einbezogen werden, bleiben hierbei unberücksichtigt. Werden den Ländern durch Bundesgesetz zusätzliche Ausgaben auferlegt oder Einnahmen entzogen, so kann die Mehrbelastung durch Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, auch mit Finanzzuweisungen des Bundes ausgeglichen werden, wenn sie auf einen kurzen Zeitraum begrenzt ist. In dem Gesetz sind die Grundsätze für die Bemessung dieser Finanzzuweisungen und für ihre Verteilung auf die Länder zu bestimmen.

(5) Die Gemeinden erhalten einen Anteil an dem Aufkommen der Einkommensteuer, der von den Ländern an ihre Gemeinden auf der Grundlage der Einkommensteuerleistungen ihrer Einwohner weiterzuleiten ist. Das Nähere bestimmt ein Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf. Es kann bestimmen, daß die Gemeinden Hebesätze für den Gemeindeanteil festsetzen.

(5a) Die Gemeinden erhalten ab dem 1. Januar 1998 einen Anteil an dem Aufkommen der Umsatzsteuer. Er wird von den Ländern auf der Grundlage eines orts- und wirtschaftsbezogenen Schlüssels an ihre Gemeinden weitergeleitet. Das Nähere wird durch Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, bestimmt.

(6) Das Aufkommen der Grundsteuer und Gewerbesteuer steht den Gemeinden, das Aufkommen der örtlichen Verbrauch- und Aufwandsteuern steht den Gemeinden oder nach Maßgabe der Landesgesetzgebung den Gemeindeverbänden zu. Den Gemeinden ist das Recht einzuräumen, die Hebesätze der Grundsteuer und Gewerbesteuer im Rahmen der Gesetze festzusetzen. Bestehen in einem Land keine Gemeinden, so steht das Aufkommen der Grundsteuer und Gewerbesteuer sowie der örtlichen Verbrauch- und Aufwandsteuern dem Land zu. Bund und Länder können durch eine Umlage an dem Aufkommen der Gewerbesteuer beteiligt werden. Das Nähere über die Umlage bestimmt ein Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf. Nach Maßgabe der Landesgesetzgebung können die Grundsteuer und Gewerbesteuer sowie der Gemeindeanteil vom Aufkommen der Einkommensteuer und der Umsatzsteuer als Bemessungsgrundlagen für Umlagen zugrunde gelegt werden.

(7) Von dem Länderanteil am Gesamtaufkommen der Gemeinschaftsteuern fließt den Gemeinden und Gemeindeverbänden insgesamt ein von der Landesgesetzgebung zu bestimmender Hundertsatz zu. Im übrigen bestimmt die Landesgesetzgebung, ob und inwieweit das Aufkommen der Landessteuern den Gemeinden (Gemeindeverbänden) zufließt.

(8) Veranlaßt der Bund in einzelnen Ländern oder Gemeinden (Gemeindeverbänden) besondere Einrichtungen, die diesen Ländern oder Gemeinden (Gemeindeverbänden) unmittelbar Mehrausgaben oder Mindereinnahmen (Sonderbelastungen) verursachen, gewährt der Bund den erforderlichen Ausgleich, wenn und soweit den Ländern oder Gemeinden (Gemeindeverbänden) nicht zugemutet werden kann, die Sonderbelastungen zu tragen. Entschädigungsleistungen Dritter und finanzielle Vorteile, die diesen Ländern oder Gemeinden (Gemeindeverbänden) als Folge der Einrichtungen erwachsen, werden bei dem Ausgleich berücksichtigt.

(9) Als Einnahmen und Ausgaben der Länder im Sinne dieses Artikels gelten auch die Einnahmen und Ausgaben der Gemeinden (Gemeindeverbände).

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

Tatbestand

1

I. Die Beteiligten streiten über die steuerlichen Folgen der Zuteilung von Aktien. Streitjahr ist 1998.

2

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war am 7. April 1998 Inhaber von 1 500 Aktien einer US-amerikanischen Kapitalgesellschaft, der A. Neben einer (Quartals-)Bardividende wurden ihm zum 7. April 1998 als sog. Spin-Off-Dividende 393 Aktien an einer weiteren US-amerikanischen Kapitalgesellschaft und Tochtergesellschaft der A, der B, zugeteilt. Für jede A-Aktie wurden 0,262085 B-Aktien an die A-Aktionäre ausgeschüttet. Das Nominalkapital der A wurde dadurch nicht gemindert.

3

Die Kläger wurden im Streitjahr 1998 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Die zugeteilten B-Aktien erklärte der Kläger nicht als Einkünfte aus Kapitalvermögen.

4

Der Beklagte und Revisionbeklagte (das Finanzamt --FA--) war der Auffassung, die Zuteilung der Aktien an der B sei wie eine Bardividende zu behandeln. Die nicht von A gehaltenen Anteile an der B (19,3 %) seien bereits im Jahr 1996 fremden Aktionären am Markt angeboten worden. Auch habe die B in den Jahren 1996 und 1997 bereits 16,8 % bzw. 12 % zum konsolidierten Gewinn des Konzerns beigetragen. Wenn also eine Abspaltung stattgefunden habe, dann sei diese in früheren Jahren und nicht erst im Jahr 1998 erfolgt. Es lägen im Inland steuerpflichtige Kapitalerträge vor, die mit dem Kurswert der erhaltenen Aktien am 7. April 1998 (393 Stück zu je 74,75 US-Dollar --USD--, entspricht 29.376,75 USD) zu bewerten seien. Bei einem Kurs von 1,8143 DM je USD betrage der Wert der steuerpflichtigen Kapitalerträge insgesamt 53.298,24 DM.

5

Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg (Finanzgericht --FG-- Rheinland-Pfalz, Urteil vom 24. September 2007  5 K 1484/07, abgedruckt in Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 2008, 41).

6

Mit ihrer dagegen eingelegten Revision rügen die Kläger die Verletzung formellen und materiellen Rechts.

7

Während des Revisionsverfahrens hat das FA aus zwischen den Beteiligten nicht streitigen Gründen am 3. März 2010 einen geänderten Einkommensteuerbescheid 1998 erlassen.

8

Die Kläger beantragen sinngemäß, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils den Einkommensteuerbescheid 1998 vom 3. März 2010 dahingehend zu ändern, dass die Einkünfte aus Kapitalvermögen um 53.298 DM niedriger angesetzt werden, hilfsweise anzuordnen, dass die Einkommensteuer unter Anrechnung US-amerikanischer Körperschaftsteuer neu festgesetzt wird.

9

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

10

II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

11

1. Das angefochtene Urteil ist bereits aus verfahrensrechtlichen Gründen aufzuheben, weil sich während des Revisionsverfahrens der Verfahrensgegenstand, über dessen Rechtmäßigkeit das FG zu entscheiden hatte, geändert hat. Das FG hat über den Einkommensteuerbescheid 1998 vom 25. März 2002 und die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung vom 15. Oktober 2002 entschieden. An deren Stelle ist während des Revisionsverfahrens der Änderungsbescheid vom 3. März 2010 getreten, der nach § 68 Satz 1 i.V.m. § 121 Satz 1 FGO Gegenstand des Verfahrens geworden ist. Das angefochtene Urteil ist daher gegenstandslos. Der durch den nachfolgenden Bescheid überholte Bescheid entfaltet für die Dauer des Bestehens des nachfolgenden Bescheids keine Rechtswirkungen mehr (vgl. Beschluss des Großen Senats des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 25. Oktober 1972 GrS 1/72, BFHE 108, 1, BStBl II 1973, 231).

12

2. Obwohl sich die tatsächlichen Grundlagen des Streitstoffs durch den Bescheid vom 3. März 2010 nach übereinstimmender Auffassung aller Beteiligter nicht verändert haben, kann der erkennende Senat nicht in der Sache selbst entscheiden. Die Feststellungen des FG reichen für eine abschließende Entscheidung nicht aus. Das FG wird im zweiten Rechtsgang die tatsächlichen Feststellungen zum US-amerikanischen Handels- und Gesellschaftsrecht treffen müssen, die eine Entscheidung ermöglichen, ob es sich bei den dem Kläger übertragenen Anteilen an der B um eine ihm zurechenbare und steuerpflichtige Ausschüttung von Gewinnen oder um eine nicht der Besteuerung unterliegende Rückzahlung von Einlagen handelte.

13

a) Nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 der im Streitjahr geltenden Fassung des Einkommensteuergesetzes (EStG 1997) gehören zu den Einkünften aus Kapitalvermögen u.a. Gewinnanteile (Dividenden) und sonstige Bezüge aus Aktien. Zu den Einkünften aus Kapitalvermögen gehören gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG 1997 auch besondere Entgelte oder Vorteile, die neben den in § 20 Abs. 1 und 2 EStG 1997 bezeichneten Einnahmen oder an deren Stelle gewährt werden. Diese Regelung in § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG 1997 stellt klar, dass unter die sonstigen --d.h. nicht als Gewinnanteil (Dividende) ausgekehrten-- Bezüge alle Zuwendungen in Geld oder Geldeswert (§ 8 Abs. 1 EStG 1997) zu fassen sind, die dem Gesellschafter entweder von der Kapitalgesellschaft selbst oder von einem Dritten zufließen, soweit die Vorteilszuwendung nicht als Kapitalrückzahlung zu werten ist. Unerheblich ist hiernach insbesondere, ob die Bezüge zu Lasten des Gewinns oder zu Lasten der Vermögenssubstanz der Gesellschaft geleistet werden und in welcher Form die Vorteilszuwendung ausgestaltet ist (vgl. BFH-Urteil vom 7. Dezember 2004 VIII R 70/02, BFHE 208, 546, BStBl II 2005, 468, m.w.N.). Ebenso ist es für die Besteuerung unerheblich, ob es sich bei der ausschüttenden Gesellschaft um eine in- oder eine ausländische Kapitalgesellschaft handelt (vgl. Senatsurteil vom 20. August 2008 I R 34/08, BFHE 222, 521, BStBl II 2009, 263). Auch wenn das Gesetz nur den Begriff "Aktie" erwähnt, fallen unter den Begriff "Aktiengesellschaft" nicht nur solche, die nach deutschem Aktiengesetz errichtet wurden. Vielmehr werden von ihm auch ausländische Rechtsgebilde erfasst, die ihrer inneren Struktur nach einer nach deutschem Aktienrecht errichteten Aktiengesellschaft im Wesentlichen entsprechen (vgl. Senatsurteil vom 16. Dezember 1992 I R 32/92, BFHE 170, 354, BStBl II 1993, 399; zur einhelligen Meinung auch BFH-Urteil vom 14. März 2007 XI R 15/05, BFHE 217, 438, BStBl II 2007, 924, m.w.N.).

14

b) Danach führt --vorbehaltlich der Regelungen des Gesetzes über steuerrechtliche Maßnahmen bei Erhöhung des Nennkapitals aus Gesellschaftsmitteln-- grundsätzlich jede Vermögensübertragung einer in- oder ausländischen Kapitalgesellschaft auf ihren Gesellschafter zu Kapitaleinnahmen. Von der Besteuerung ausgenommen sind jedoch Kapitalrückzahlungen aufgrund einer handelsrechtlich wirksamen Kapitalherabsetzung in den Grenzen des § 20 Abs. 1 Nr. 2 EStG 1997 und --im Inlandsfall-- Bezüge, für die Eigenkapital i.S. des § 30 Abs. 2 Nr. 4 des Körperschaftsteuergesetzes a.F. als verwendet gilt (vgl. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG 1997).

15

Dieser Systematik folgend stellen einerseits Kapitalrückzahlungen aufgrund einer handelsrechtlich wirksamen Kapitalherabsetzung auch einer ausländischen Kapitalgesellschaft in Höhe des Betrags der Nennkapitalherabsetzung rechtlich und wirtschaftlich keinen Ertrag dar (vgl. Senatsurteil vom 14. Oktober 1992 I R 1/91, BFHE 169, 213, BStBl II 1993, 189). Andererseits sind, nach der Rechtslage im Streitjahr und über den Wortlaut des § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG 1997 hinaus, auch Kapitalrückzahlungen außerhalb der Herabsetzung von Nennkapital bei ausländischen Kapitalgesellschaften nicht zu besteuern, sofern unter Heranziehung des einschlägigen ausländischen Handels- und Gesellschaftsrechts von einer Rückzahlung aus einer Kapitalrücklage auszugehen ist (vgl. auch BRDrucks 542/1/06 vom 11. September 2006, unter Hinweis auf das Senatsurteil vom 27. April 2000 I R 58/99, BFHE 192, 428, BStBl II 2001, 168; Rödder/Schumacher, Deutsches Steuerrecht 2003, 909, 910; zur fehlenden Steuerpflicht der Ausgabe von Gratisaktien zu Lasten der Agiorücklage einer japanischen Kapitalgesellschaft Finanzministerium Nordrhein-Westfalen, Erlass vom 15. Februar 1982, Der Betrieb 1982, 1842). Angesichts dessen führen Sachausschüttungen auch außerhalb des Anwendungsbereichs des § 15 des Umwandlungssteuergesetzes nicht stets zu steuerpflichtigen Einkünften aus Kapitalvermögen i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG 1997 (anders wohl Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen --BMF-- vom 25. Oktober 2004, BStBl I 2004, 1034, Tz. 34).

16

c) Das FG hat in tatsächlicher Hinsicht und für den erkennenden Senat bindend festgestellt (§ 118 Abs. 2 FGO), dass dem Kläger als Inhaber von 1 500 A-Aktien am 7. April 1998 neben einer (Quartals-)Bardividende aufgrund eines "Spin-off" von A 393 Aktien an der B zu einem Wert von 53.298,24 DM übertragen wurden. Diese Übertragung ist grundsätzlich als Sachausschüttung an die Anteilseigner der übertragenden Gesellschaft zu behandeln; sie führt zu Einkünften aus Kapitalvermögen nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG 1997 (vgl. BMF-Schreiben in BStBl I 2004, 1034, Tz. 34; vom 22. Dezember 2009, BStBl I 2010, 94, Tz. 113). Ob die Übertragung der Aktien zu Lasten des Gewinns der A erfolgte oder als Einlagenrückgewähr anhand der richterrechtlich entwickelten Grundsätze zu Vermögensübertragungen von ausländischen Kapitalgesellschaften zu qualifizieren ist, lässt sich den Urteilsgründen des FG allerdings nicht entnehmen. Das FG hat (unter 2.a der Entscheidungsgründe) lediglich festgestellt, bei der Übertragung der Aktien habe "es sich nicht um die Rückzahlung von Kapital, sondern um den Zufluss weiterer geldwerter Aktien gehandelt". Weiterhin hat das FG festgestellt, es spiele keine Rolle, dass der von A gewährte Vorteil "im Gegensatz zu Bardividenden nicht aus ihrem Gewinn, sondern aus ihrem Anlagevermögen geleistet worden" sei. Ob die Verwendung des Begriffs "Gewinn" in diesem Zusammenhang nur als eine Umschreibung der für Bardividenden verwendbaren liquiden Mittel gemeint ist, so dass mit der Zuteilung der Aktien ebenso wie bei einer Bardividende Gewinn verteilt wurde, bleibt angesichts der insoweit mehrdeutigen Formulierung des FG ungewiss.

17

Das FG wird im zweiten Rechtsgang daher der Frage nachgehen müssen, ob die Übertragung der Aktien nach Maßgabe des einschlägigen US-amerikanischen Handels- und Gesellschaftsrechts als Kapitalrückzahlung oder als Gewinnausschüttung zu beurteilen ist (zur Anwendbarkeit ausländischen Rechts bei ausländischem Anteilsbesitz vgl. auch Gosch, KStG, 2. Aufl., § 8b Rz 115). Die Feststellung ausländischen Rechts gehört zu den Tatsachenfeststellungen i.S. des § 118 Abs. 2 FGO, die das FG von Amts wegen vorzunehmen hat (vgl. § 155 FGO i.V.m. § 293 der Zivilprozessordnung) und die nicht im Revisionsverfahren nachgeholt werden können. Die Art und Weise der Ermittlung ausländischen Rechts steht im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts (vgl. dazu Senatsurteil vom 19. Dezember 2007 I R 46/07, BFH/NV 2008, 930, m.w.N.). Jedenfalls können die Kläger gegen die Möglichkeit der Erfassung der zugeteilten Aktien als Kapitaleinkünfte nicht mit Erfolg einwenden, es habe, wie die Entwicklung der Börsenwerte zeige, nur eine Vermögensumverteilung stattgefunden. Denn mit der Übertragung der Aktien wurden dem Kläger nicht neue, aus seinem bisherigen Aktienbestand teilweise abgespaltene Mitgliedschaftsrechte, sondern --als Gegenstand eines Wechsels der Inhaberschaft-- weitere eigenständige Anteilsrechte zu Lasten der Beteiligungsquote der A eingeräumt (so ausdrücklich zum Erwerb von Bonusaktien BFH-Urteil in BFHE 208, 546, BStBl II 2005, 468; vgl. auch Blümich/Buciek, § 5 EStG Rz 960 "Tausch").

18

3. Vorausgesetzt, es handelte sich im Streitfall um eine Gewinnausschüttung, muss das FG darüber hinaus feststellen, ob ihr nach Maßgabe des US-amerikanischen Rechts ein dem Gewinnverteilungsbeschluss nach § 20 Abs. 2a Satz 2 EStG 1997 (jetzt § 20 Abs. 5 Satz 2 EStG 2009) vergleichbarer Rechtsakt der A zugrunde liegt, mit dem sich der allgemeine Anspruch des Klägers auf den Gewinn zu einem Anspruch auf Auszahlung dieses Gewinns konkretisiert hat. In diesem Fall wäre die Übertragung der Aktien nur dann ein steuerpflichtiger Kapitalertrag, wenn der Kläger im Zeitpunkt des die Auszahlung begründenden Rechtsaktes bereits Aktionär der A gewesen wäre. Sollte allerdings die Gewährung der B-Aktien unmittelbare Folge der im Wege des "Spin-off" erfolgten Umstrukturierung bei A sein und es an einem dem Gewinnverteilungsbeschluss vergleichbaren Rechtsakt fehlen, wäre die Zuteilung der Aktien, sofern es sich um eine Gewinnausschüttung handelte, ohne Weiteres dem Kläger zuzurechnen, da er im Zeitpunkt der Übertragung der Anteile an der B A-Aktionär war.

19

Das Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen und einiger anderer Steuern vom 29. August 1989 (DBA-USA 1989) stünde der Besteuerung in Deutschland nach Art. 10 Abs. 1 DBA-USA 1989 nicht entgegen, da es sich um Einkünfte aus Aktien (Art. 10 Abs. 4 DBA-USA 1989) handeln würde.

20

4. Im Streitfall ist es nicht geboten, das Verfahren wegen des von den Klägern geltend gemachten strukturellen Vollzugsdefizits auszusetzen und eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 des Grundgesetzes (GG) über die Verfassungsmäßigkeit der Besteuerung von Aktienübertragungen im Zuge ausländischer "Spin-off" einzuholen.

21

Nach der Rechtsprechung des BVerfG können strukturell gegenläufige Erhebungsregeln im Zusammenwirken mit der zu vollziehenden Steuernorm eine Verletzung des Gleichheitssatzes aus Art. 3 Abs. 1 GG begründen (vgl. BVerfG-Beschluss vom 17. Februar 2010  1 BvR 2664/09, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2010, 651; BVerfG-Urteil vom 9. März 2004  2 BvL 17/02, BVerfGE 110, 94, BStBl II 2005, 56; BVerfG-Urteil vom 27. Juni 1991  2 BvR 1493/89, BVerfGE 84, 239, BStBl II 1991, 654). Bloße Vollzugsmängel führen allerdings noch nicht zur Verfassungswidrigkeit; erforderlich ist ein normatives Defizit des widersprüchlich auf Ineffektivität angelegten Rechts (vgl. BVerfG-Urteil in BVerfGE 110, 94, BStBl II 2005, 56; BVerfG-Urteil in BVerfGE 84, 239, BStBl II 1991, 654). Daraus folgt, dass nur solche Defizite ein strukturelles Erhebungsdefizit begründen können, die in den Verantwortungsbereich des Gesetzgebers fallen. Für Auslandssachverhalte fehlt dem Gesetzgeber jedoch bereits die Möglichkeit, Regelungen zu schaffen, die Ermittlungen im Ausland ermöglichen. Selbst wenn für die Besteuerung der Folgen ausländischer "Spin-off" ein tatsächliches Ermittlungsdefizit bestünde, so hat dieses Defizit seine Ursache nicht in dem vom deutschen Gesetzgeber zu verantwortenden System der materiellen und der das Verfahren betreffenden Steuerrechtsnormen. Eine Ausgangslage, die der deutsche Gesetzgeber nicht verändern kann, kann ihm nicht als Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Gebot der Gleichmäßigkeit der Steuererhebung angelastet werden (vgl. umfassend BFH-Urteil vom 18. Februar 1997 VIII R 33/95, BFHE 183, 45, BStBl II 1997, 499; BFH-Beschluss vom 18. November 2005 II B 23/05, BFH/NV 2006, 612).

22

5. Angesichts der derzeit nicht entscheidungsreifen Vorfrage, ob es sich bei den dem Kläger übertragenen Aktien an der B überhaupt um zurechenbare steuerpflichtige Kapitalerträge handelt, bedarf es keiner Entscheidung zu der hilfsweise beantragten Anrechnung US-amerikanischer Körperschaftsteuer.

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

A. 

Die Beschwerdeführer wenden sich gegen ihre strafgerichtliche Verurteilung im Anschluss an eine Verständigung zwischen Gericht und Verfahrensbeteiligten. Mittelbar richten sich die Verfassungsbeschwerden der Beschwerdeführer zu I. und II. zudem gegen die Vorschrift des § 257c StPO, die durch das Gesetz zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren vom 29. Juli 2009 (BGBl I S. 2353) - im Folgenden: Verständigungsgesetz - in die Strafprozessordnung eingefügt wurde und seither die rechtliche Grundlage für die Verständigung bildet. 

I. 

1. Die Praxis urteilsbezogener Verständigungen hat sich - feststellbar jedenfalls seit den 70er-Jahren des vorigen Jahrhunderts - als Instrument zur Bewältigung von Strafverfahren herausgebildet, ohne dass es dafür eine ausdrückliche Rechtsgrundlage gegeben hätte. Es handelt sich hierbei um Absprachen zwischen dem Gericht, der Staatsanwaltschaft sowie der Verteidigung und dem Angeklagten, nach denen das Gericht dem Angeklagten für den Fall eines Geständnisses eine bestimmte Strafe oder jedenfalls eine Strafobergrenze zusagt. Solche Verständigungen wurden häufig außerhalb der Hauptverhandlung getroffen. Bei Abgabe des Geständnisses wurde sodann in der Regel auf eine weitere Beweisaufnahme verzichtet, so dass die Verständigung zu einer wesentlichen Verfahrensabkürzung führte. In den meisten Fällen wurde gegen ein Urteil, das auf einer solchen Verständigung beruhte, kein Rechtsmittel eingelegt, oftmals wurde sogar ausdrücklich auf Rechtsmittel verzichtet (vgl. zur Entwicklung der Verständigungspraxis Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl. 2012, Einl. Rn. 119 ff.). 

2. Eine wesentliche Ursache für die hohe praktische Bedeutung von Verständigungen wird in der stetig wachsenden Arbeitsbelastung der Strafjustiz gesehen, die bereits an die Grenze der Überlastung heranreiche (vgl. eingehend Krey/Windgätter, in: Festschrift für Hans Achenbach, 2011, S. 233 ff.). Neben der zunehmenden Komplexität der Fallgestaltungen infolge des wirtschaftlichen und technischen Fortschritts sowie der Globalisierung, die auch in neuen Formen grenzüberschreitender Kriminalität in Erscheinung tritt, trägt der Bundesgesetzgeber durch eine immer stärkere strafrechtliche Durchdringung vieler Lebensbereiche zu dieser Entwicklung bei. Die Regelungsdichte des materiellen Strafrechts ist in den vergangenen Jahrzehnten beständig gestiegen; dies gilt besonders für das Wirtschafts- und das Nebenstrafrecht (vgl. etwa Braun, AnwBl 2000, S. 222 <225>; Theile, MSchrKrim 2010, S. 147 <149 f.>; Krey/Windgätter, a.a.O., S. 249). Gleichzeitig bringt die zunehmende Differenzierung und Komplizierung des Strafprozessrechts immer höhere Anforderungen mit sich. So ist etwa die Rechtsprechung zu den Beweisverwertungsverboten für die tatrichterliche Praxis mittlerweile kaum noch überschaubar (vgl. Gössel, in: Festschrift für Reinhard Böttcher, 2007, S. 79 <80>; Krey/Windgätter, a.a.O., S. 242 ff.). Zudem bieten extensiv einsetzbare Verfahrensrechte der Verteidigung zahlreiche Möglichkeiten, den Fortgang des Verfahrens zu erschweren; vor allem Ablehnungsgesuche und Beweisanträge sowie das Fragerecht können zu diesem Zweck missbraucht werden (vgl. Gössel, a.a.O., S. 81; Krey/Windgätter, a.a.O., S. 238 ff.). Unterdessen sehen sich die Tatgerichte durch das Beschleunigungsgebot in Haftsachen einem immer stärkeren Druck ausgesetzt, die Verfahrensdauer trotz aller prozessualen Schwierigkeiten zu verkürzen. Dass die Bewertung richterlicher Arbeit und die Festsetzung der Arbeitspensen nicht unwesentlich nach quantitativen Gesichtspunkten erfolgt, schafft zusätzliche Anreize für eine möglichst rasche Verfahrenserledigung auch unter Inkaufnahme inhaltlicher Defizite. Der steigenden Belastung der Strafjustiz haben die Länder nicht durch eine entsprechende personelle und sachliche Ausstattung Rechnung getragen; vielmehr ist auch die Justiz immer wieder von Sparmaßnahmen betroffen (vgl. Krey/Windgätter, a.a.O., S. 235). 
 
3. Das Bundesverfassungsgericht prüfte 1987 in einer Kammerentscheidung (Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 27. Januar 1987 - 2 BvR 1133/86 -, NJW 1987, S. 2662 f.) die Zulässigkeit von Verständigungen im Strafprozess unter den Gesichtspunkten eines fairen, rechtsstaatlichen Verfahrens, der Gewährleistung einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege und des Schuldprinzips. Diese Grundsätze verböten nicht, außerhalb der Hauptverhandlung eine Verständigung zwischen Gericht und Verfahrensbeteiligten über Stand und Aussichten der Verhandlung herbeizuführen, der schon das Strafrecht Grenzen setze. Sie schlössen es aber aus, die Handhabung der richterlichen Aufklärungspflicht, die rechtliche Subsumtion und die Grundsätze der Strafzumessung in einer Hauptverhandlung, die letztlich mit einem Urteil zur Schuldfrage abschließen solle, ins Belieben oder zur freien Disposition der Verfahrensbeteiligten und des Gerichts zu stellen. Dem Gericht und der Staatsanwaltschaft sei es deshalb untersagt, sich auf einen „Vergleich“ im Gewande des Urteils, auf einen „Handel mit der Gerechtigkeit“ einzulassen. Das Gericht dürfe sich also beispielsweise nicht mit einem Geständnis des Angeklagten begnügen, das dieser gegen die Zusage oder das In-Aussicht-Stellen einer Strafmilderung abgelegt habe, obwohl es sich beim gegebenen Verfahrensstand mit Blick auf das Ziel der Wahrheitserforschung und der schuldangemessenen, gerechten Ahndung der Tat zu weiterer Beweiserhebung hätte gedrängt sehen müssen. Das Gericht müsse es sich auch versagen, den Angeklagten auf eine in Betracht kommende geständnisbedingte Strafmilderung hinzuweisen, mit der es den Boden schuldangemessenen Strafens verließe. Darüber hinaus sei die Freiheit der Willensentschließung und Willensbetätigung des Angeklagten vor beachtenswerter Beeinträchtigung geschützt, was seinen Ausdruck auch in der Bestimmung des § 136a StPO finde. Der Angeklagte dürfe infolgedessen nicht durch ein gesetzlich nicht vorgesehenes Vorteilsversprechen oder durch Täuschung zu einem Geständnis gedrängt werden. Das schließe jedoch eine Belehrung oder einen konkreten Hinweis auf die Beweislage oder die strafmildernde Wirkung eines Geständnisses nicht aus, wenn dies im Stand der Hauptverhandlung eine sachliche Grundlage finde. Nach diesen Maßstäben gelangte die Kammer im konkreten Fall zu dem Ergebnis, dass die Verständigung bei der im damaligen Ausgangsverfahren gegebenen besonderen Sachverhaltsgestaltung - der anwaltlich verteidigte Angeklagte hatte von sich aus eine Verständigung angeregt, als die Beweisaufnahme bereits vor ihrem Abschluss stand - keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken begegne. 

4. Nachdem der Bundesgerichtshof gegenüber Verständigungen (in dessen früherer Terminologie: „Absprachen“) außerhalb der Hauptverhandlung anfänglich eine ablehnende Haltung eingenommen hatte (vgl. etwa BGHSt 37, 298 <304 f.>; BGH, Beschlüsse vom 19. Oktober 1993 - 1 StR 662/93 -, NJW 1994, S. 1293 f., und vom 25. Oktober 1995 - 2 StR 529/95 -, wistra 1996, S. 68; BGHSt 42, 46 <48>), wurden Verständigungen innerhalb der Hauptverhandlung zunächst durch den 4. Strafsenat und sodann durch den Großen Senat für Strafsachen grundsätzlich gebilligt. 

a) In seiner Leitentscheidung vom 28. August 1997 (BGHSt 43, 195 ff.) erklärte der 4. Strafsenat - trotz ausdrücklicher Anerkennung der Vergleichsfeindlichkeit des Strafverfahrens und des Verbots einer Disposition über den staatlichen Strafanspruch - in der Hauptverhandlung getroffene Verständigungen für grundsätzlich zulässig und sprach zudem aus, dass sie - sofern nach den von ihm aufgestellten Vorgaben zustande gekommen - für das Gericht verbindlich seien. Unter folgenden Voraussetzungen könne eine Verständigung getroffen werden: Der Schuldspruch dürfe nicht Gegenstand der Verständigung sein. Ein verständigungsbasiertes Geständnis müsse auf seine Glaubhaftigkeit überprüft werden; sich hierzu aufdrängende Beweiserhebungen dürften nicht unterbleiben. Die freie Willensentschließung des Angeklagten müsse gewahrt bleiben; insbesondere dürfe er nicht durch Drohung mit einer höheren Strafe oder durch Versprechen eines gesetzlich nicht vorgesehenen Vorteils zu einem Geständnis gedrängt werden. Die Vereinbarung eines Rechtsmittelverzichts sei unzulässig. Die Verständigung selbst müsse in öffentlicher Hauptverhandlung erfolgen; Vorgespräche außerhalb der Hauptverhandlung seien aber möglich. In die Verständigung seien alle Verfahrensbeteiligten einzubeziehen. Das Ergebnis der Verständigung sei im Protokoll niederzulegen. Eine bestimmte Strafe dürfe das Gericht nicht zusagen; unbedenklich sei aber die Zusage einer Strafobergrenze. Von dieser dürfe nur abgewichen werden, wenn sich neue schwerwiegende Umstände zu Lasten des Angeklagten ergäben; auf eine beabsichtigte Abweichung sei in der Hauptverhandlung hinzuweisen. Der Strafausspruch dürfe den Boden schuldangemessenen Strafens nicht verlassen. 
 
b) Der Große Senat für Strafsachen hielt in seinem Beschluss vom 3. März 2005 (BGHSt 50, 40 ff.) an den vom 4. Strafsenat aufgestellten Voraussetzungen für die Zulässigkeit von Verständigungen fest und präzisierte diese dahingehend, dass die Differenz zwischen der verständigungsgemäßen und der bei einem „streitigen Verfahren“ zu erwartenden Sanktion nicht unangemessen groß sein („Sanktionsschere“) und das Gericht nicht nur wegen neuer Erkenntnisse von seiner Zusage abweichen dürfe, sondern - nach entsprechendem Hinweis - auch dann, wenn schon bei der Verständigung vorhandene relevante tatsächliche oder rechtliche Aspekte übersehen worden seien. Der nach einer Verständigung erklärte Rechtsmittelverzicht sei grundsätzlich unwirksam; die Unwirksamkeit entfalle jedoch, wenn der Rechtsmittelberechtigte darüber belehrt worden sei, dass er ungeachtet der Verständigung in seiner Entscheidung frei sei, Rechtsmittel einzulegen (qualifizierte Belehrung). Die grundsätzliche Billigung der Verständigung begründete der Große Strafsenat mit der Notwendigkeit, trotz knapper Ressourcen die Funktionstüchtigkeit der Strafjustiz zu gewährleisten, und mit Hinweisen auf den Beschleunigungsgrundsatz, die Prozessökonomie sowie den Zeugen- und Opferschutz. Allerdings sei die Strafprozessordnung in ihrer geltenden Form am Leitbild der materiellen Wahrheit orientiert, die vom Gericht in der Hauptverhandlung von Amts wegen zu ermitteln und der Disposition der Verfahrensbeteiligten weitgehend entzogen sei. Die Praxis der Verständigungen sei daher kaum ohne Bruch in das gegenwärtige System einzupassen. Aus diesem Grund appellierte der Große Senat für Strafsachen an den Gesetzgeber, die Zulässigkeit und, bejahendenfalls, die wesentlichen rechtlichen Voraussetzungen und Begrenzungen von Verständigungen im Strafprozess gesetzlich zu regeln. 

5. Dieser Forderung nach einer gesetzlichen Regelung hat der Gesetzgeber mit dem Verständigungsgesetz Rechnung getragen. Das darin enthaltene Regelungskonzept geht ausweislich der Begründung des Regierungsentwurfs (vgl. BTDrucks 16/12310, S. 8) in seinem Grundansatz davon aus, dass für die Verständigung im Strafverfahren keine neue - dem deutschen Strafprozess bislang unbekannte - Form einer konsensualen Verfahrenserledigung eingeführt werden sollte, die die Rolle des Gerichts, insbesondere seine Verpflichtung zur Ermittlung der materiellen Wahrheit, zurückdrängen würde. Die Grundsätze des Strafverfahrens sollten vielmehr weiterhin Geltung behalten, namentlich, dass eine Verständigung unter Beachtung aller maßgeblichen Verfahrensregeln einschließlich der Überzeugung des Gerichts vom festgestellten Sachverhalt und der Glaubhaftigkeit eines Geständnisses stattfinden müsse, die Grundsätze des fairen Verfahrens und des rechtlichen Gehörs, nicht zuletzt auch die Transparenz der Hauptverhandlung und die Unterrichtung der Öffentlichkeit in der Hauptverhandlung gewahrt sein müssten, und dass insbesondere der Boden schuldangemessenen Strafens nicht verlassen werden dürfe. 

Die zentrale Bestimmung des gesetzgeberischen Regelungskonzepts in § 257c StPO hat folgenden Wortlaut:

§ 257c
(1) Das Gericht kann sich in geeigneten Fällen mit den Verfahrensbeteiligten nach Maßgabe der folgenden Absätze über den weiteren Fortgang und das Ergebnis des Verfahrens verständigen. § 244 Absatz 2 bleibt unberührt. 
(2) Gegenstand dieser Verständigung dürfen nur die Rechtsfolgen sein, die Inhalt des Urteils und der dazugehörigen Beschlüsse sein können, sonstige verfahrensbezogene Maßnahmen im zugrundeliegenden Erkenntnisverfahren sowie das Prozessverhalten der Verfahrensbeteiligten. Bestandteil jeder Verständigung soll ein Geständnis sein. Der Schuldspruch sowie Maßregeln der Besserung und Sicherung dürfen nicht Gegenstand einer Verständigung sein. 
(3) Das Gericht gibt bekannt, welchen Inhalt die Verständigung haben könnte. Es kann dabei unter freier Würdigung aller Umstände des Falles sowie der allgemeinen Strafzumessungserwägungen auch eine Ober- und Untergrenze der Strafe angeben. Die Verfahrensbeteiligten erhalten Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Verständigung kommt zustande, wenn Angeklagter und Staatsanwaltschaft dem Vorschlag des Gerichtes zustimmen. 
(4) Die Bindung des Gerichtes an eine Verständigung entfällt, wenn rechtlich oder tatsächlich bedeutsame Umstände übersehen worden sind oder sich neu ergeben haben und das Gericht deswegen zu der Überzeugung gelangt, dass der in Aussicht gestellte Strafrahmen nicht mehr tat- oder schuldangemessen ist. Gleiches gilt, wenn das weitere Prozessverhalten des Angeklagten nicht dem Verhalten entspricht, das der Prognose des Gerichtes zugrunde gelegt worden ist. Das Geständnis des Angeklagten darf in diesen Fällen nicht verwertet werden. Das Gericht hat eine Abweichung unverzüglich mitzuteilen. 

(5) Der Angeklagte ist über die Voraussetzungen und Folgen einer Abweichung des Gerichtes von dem in Aussicht gestellten Ergebnis nach Absatz 4 zu belehren. 

Die Vorschrift erlaubt dem Gericht ausdrücklich eine Verständigung über den weiteren Fortgang und das Ergebnis des Verfahrens nach den darin genannten Maßgaben; sie stellt außerdem klar, dass die Pflicht des Gerichts zur Sachverhaltsaufklärung (§ 244 Abs. 2 StPO) unberührt bleibt. Hierdurch soll in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs die Beachtung der rechtsstaatlichen Anforderungen an das Strafverfahren gewährleistet und insbesondere die Schuldangemessenheit der Strafe sichergestellt werden (vgl. BTDrucks 16/12310, S. 9). 

Außerdem wurden Vorschriften eingeführt, die es der Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren sowie dem Gericht vor und nach Eröffnung des Hauptverfahrens sowie in der Hauptverhandlung ausdrücklich erlauben, „den Stand des Verfahrens mit den Verfahrensbeteiligten zu erörtern, soweit dies geeignet erscheint, das Verfahren zu fördern“ (§§ 160b, 202a, 212, 257b StPO). Der wesentliche Inhalt einer solchen Erörterung ist jeweils aktenkundig zu machen; der Inhalt einer in der Hauptverhandlung durchgeführten Erörterung ist in das Protokoll aufzunehmen (§ 273 Abs. 1 Satz 2 StPO). 

§ 160b
Die Staatsanwaltschaft kann den Stand des Verfahrens mit den Verfahrensbeteiligten erörtern, soweit dies geeignet erscheint, das Verfahren zu fördern. Der wesentliche Inhalt dieser Erörterung ist aktenkundig zu machen. 

§ 202a
Erwägt das Gericht die Eröffnung des Hauptverfahrens, kann es den Stand des Verfahrens mit den Verfahrensbeteiligten erörtern, soweit dies geeignet erscheint, das Verfahren zu fördern. Der wesentliche Inhalt dieser Erörterung ist aktenkundig zu machen. 

§ 212
Nach Eröffnung des Hauptverfahrens gilt § 202a entsprechend. 

§ 257b
Das Gericht kann in der Hauptverhandlung den Stand des Verfahrens mit den Verfahrensbeteiligten erörtern, soweit dies geeignet erscheint, das Verfahren zu fördern. 

§ 273
(1) […] In das Protokoll muss auch der wesentliche Ablauf und Inhalt einer Erörterung nach § 257b aufgenommen werden. […] 
Flankiert werden diese Regelungen durch weitere neue Vorschriften, die die Transparenz der Verständigung und die Möglichkeit einer Überprüfung durch das Rechtsmittelgericht gewährleisten sollen. Nach § 243 Abs. 4 StPO ist in der Hauptverhandlung mitzuteilen, ob - und falls ja mit welchem Inhalt - außerhalb der Hauptverhandlung Erörterungen des Verfahrensstandes zwischen Gericht und Verfahrensbeteiligten stattgefunden haben, in denen die Möglichkeit einer Verständigung nach § 257c StPO thematisiert wurde:

§ 243
[…] (4) Der Vorsitzende teilt mit, ob Erörterungen nach den §§ 202a, 212 stattgefunden haben, wenn deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung (§ 257c) gewesen ist und wenn ja, deren wesentlichen Inhalt. Diese Pflicht gilt auch im weiteren Verlauf der Hauptverhandlung, soweit sich Änderungen gegenüber der Mitteilung zu Beginn der Hauptverhandlung ergeben haben. […] 
Ist dem Urteil eine Verständigung nach § 257c StPO vorausgegangen, muss dies in den schriftlichen Urteilsgründen angegeben werden (§ 267 Abs. 3 Satz 5, Abs. 4 Satz 2 StPO). 

Die in § 273 StPO enthaltenen Vorschriften über die Protokollierung der Hauptverhandlung wurden wie folgt erweitert:

§ 273
[…] (1a) Das Protokoll muss auch den wesentlichen Ablauf und Inhalt sowie das Ergebnis einer Verständigung nach § 257c wiedergeben. Gleiches gilt für die Beachtung der in § 243 Absatz 4, § 257c Absatz 4 Satz 4 und Absatz 5 vorgeschriebenen Mitteilungen und Belehrungen. Hat eine Verständigung nicht stattgefunden, ist auch dies im Protokoll zu vermerken. […] 
Ist dem Urteil eine Verständigung nach § 257c StPO vorausgegangen, ist ein Rechtsmittelverzicht ausgeschlossen (§ 302 Abs. 1 Satz 2 StPO). In diesem Fall ist der Angeklagte darüber zu belehren, dass er in jedem Fall frei in seiner Entscheidung ist, ein Rechtsmittel einzulegen (§ 35a Satz 3 StPO). 

6. Das Regelungskonzept des Gesetzgebers ist teils auf Zustimmung (vgl. etwa Jahn/Müller, NJW 2009, S. 2625 ff.) gestoßen, teils aber auch auf scharfe Kritik (vgl. etwa Meyer-Goßner, ZRP 2009, S. 107 ff.; Bittmann, wistra 2009, S. 414 ff.; Fezer, NStZ 2010, S. 177 ff.). Nach verbreiteter Ansicht entsprechen die gesetzlichen Vorschriften über die Verständigung nicht den Bedürfnissen der Praxis. So werden die Protokollierungs- und Belehrungspflichten sowie der generelle Ausschluss eines Rechtsmittelverzichts als Erschwerung der richterlichen Tätigkeit und damit als Rückschritt gegenüber der früheren Rechtslage empfunden; der mit der Verständigung angestrebte Entlastungseffekt werde dadurch jedenfalls teilweise wieder zunichte gemacht (vgl. Polomski, DRiZ 2011, S. 315 f.). Ferner wird die Auffassung vertreten, § 257c StPO regele nur die „förmliche“ Verständigung, weshalb für „informelle“ Absprachen oder „Gentlemen‘s Agreements“ außerhalb der Hauptverhandlung weder die gesetzlichen Protokollierungs- und Belehrungspflichten noch der Ausschluss eines Rechtsmittelverzichts gälten (vgl. Peglau, jurisPR-StrafR 4/2012 Anm. 1; Niemöller, StV 2012, S. 387 <388 f.>; ders., in: Niemöller/Schlothauer/Weider, Gesetz zur Verständigung im Strafverfahren, 2010, § 273 Rn. 16, § 302 Rn. 5; Bittmann, a.a.O., S. 416 Fn. 25). 

II. 

1. a) Der Beschwerdeführer zu I. wurde als einer von vier Angeklagten durch das Landgericht München II mit Urteil vom 9. März 2010 wegen gemeinschaftlichen gewerbs- und bandenmäßigen Betruges in 259 tatmehrheitlichen Fällen in Tateinheit mit vier Fällen der Beihilfe zum vorsätzlichen unerlaubten Betreiben eines Bankgeschäfts zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Der Verurteilung ging eine Verständigung voraus. Unmittelbar nach Anklageverlesung und Belehrung der Angeklagten war die Hauptverhandlung für ein Rechtsgespräch unterbrochen worden. Anschließend gaben die Verteidiger für ihre Mandanten jeweils eine Erklärung ab, und die Angeklagten erklärten sich zu ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen. Der Vorsitzende schlug die Erteilung eines Hinweises vor, wonach das Gericht in voller Besetzung das Verfahren gemäß § 257b StPO mit den Verteidigern und dem Vertreter der Staatsanwaltschaft ausführlich erörtert habe. Unter Berücksichtigung der vorläufigen rechtlichen Bewer- tung, der Vorstrafen und eines angekündigten Geständnisses der Angeklagten rege die Kammer an, dass sich die Verfahrensbeteiligten dahingehend verständigten, dass der Beschwerdeführer zu I. zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von nicht mehr als sechs Jahren und die drei Mitangeklagten zu Gesamtfreiheitsstrafen von nicht mehr als fünf Jahren und sechs Monaten, zwei Jahren und vier Jahren verurteilt würden. Für den Fall einer Verurteilung in dieser Größenordnung habe die Staatsanwaltschaft angekündigt, ein dort noch anhängiges Ermittlungsverfahren zu einem weiteren Tatkomplex im Wesentlichen nach § 154 Abs. 1 StPOeinzustellen. Eine Belehrung nach § 257c Abs. 5 StPO erfolgte nicht. Die Angeklagten, die Verteidiger und der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft erklärten sich mit dem Vorschlag des Gerichts einverstanden. Im Anschluss machten die Angeklagten jeweils Angaben zur Sache, wobei der Beschwerdeführer zu I. auch Fragen beantwortete. Sämtliche polizeilichen Zeugenvernehmungsprotokolle wurden gemäß § 249 Abs. 2, § 251 Abs. 1 Satz 1 StPO im Selbstleseverfahren eingeführt und die entsprechenden Zeugen abgeladen. In der Folge vernahm die Kammer noch mehrere Polizeibeamte und Behördenmitarbeiter als Zeugen. Unterlagen wurden teils in Augenschein genommen oder verlesen, teils im Selbstleseverfahren eingeführt. 

b) Mit seiner Revision beanstandete der Beschwerdeführer zu I. den Verstoß gegen die Belehrungspflicht des § 257c Abs. 5 StPO und erhob die Sachrüge. Der Bundesgerichtshof verwarf die Revision mit Beschluss vom 8. Oktober 2010 gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet. In Bezug auf den Belehrungsfehler verwies der Bundesgerichtshof auf eine frühere Entscheidung (Beschluss vom 17. August 2010 - 4 StR 228/10 -), in der er die Rüge eines Verstoßes gegen § 257c Abs. 5 StPO mit der Erwägung zurückgewiesen hatte, das Urteil beruhe nicht auf dem Fehler, weil die Strafkammer die im Rahmen der Verständigung angekündigte Strafobergrenze eingehalten habe. 

2. a) Die Beschwerdeführer zu II. wurden durch das Landgericht München II mit Urteil vom 27. April 2010 wegen gemeinschaftlichen gewerbsmäßigen Betruges in 27 tatmehrheitlichen Fällen jeweils in Tateinheit mit vorsätzlichem gemeinschaftlichen unerlaubten Betreiben eines Bankgeschäfts zu Gesamtfreiheitsstrafen von drei Jahren und sechs Monaten (Beschwerdeführer zu II. 1)) und drei Jahren und vier Monaten (Beschwerdeführer zu II. 2)) verurteilt. Der Verurteilung ging eine Verständigung voraus. Zu Beginn der Hauptverhandlung hatte der Verteidiger des Beschwerdeführers zu II. 2) ein Rechtsgespräch angeregt, für das die Verhandlung unterbrochen wurde. In der Pause führten die Verteidiger, das Gericht und der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft Verständigungsgespräche. Nach Fortsetzung der Hauptverhandlung stellte das Gericht fest, das Verfahren gemäß § 257b StPO mit allen Verfahrensbeteiligten ausführlich erörtert zu haben. Die Kammer habe darauf hingewiesen, dass nach Aktenlage und vorbehaltlich des Ergebnisses der Hauptverhandlung und der Beweisaufnahme ein Schuldspruch wegen 27 Fällen des Betruges in besonders schwerem Fall jeweils in Tateinheit mit dem vorsätzlichen gemeinschaftlichen unerlaubten Betreiben eines Bankgeschäfts in Betracht komme. Unter Berücksichtigung dieser Bewertung sowie eines angekündigten Geständnisses rege die Kammer an, dass sich die Verfahrensbeteiligten dahingehend verständigten, dass der Beschwerdeführer zu II. 1) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von nicht mehr als drei Jahren und sechs Monaten verurteilt werde und der Beschwerdeführer zu II. 2) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von nicht mehr als drei Jahren und vier Monaten. Eine Belehrung nach § 257c Abs. 5 StPO erfolgte nicht. Dem Vorschlag stimmten die Beschwerdeführer zu II., ihre Verteidiger und die Staatsanwaltschaft ausdrücklich zu. Auf die Einvernahme von Zeugen - mit Ausnahme des ermittelnden Polizeibeamten - wurde allseits verzichtet. Die Verteidiger gaben Erklärungen zur Sache ab, die sich die Beschwerdeführer zu II. jeweils zu eigen machten. Die Feststellungen im Urteil beruhen ausschließlich auf diesen Erklärungen und auf den Angaben des ermittelnden Polizeibeamten sowie den im Wege des Selbstleseverfahrens in die Hauptverhandlung eingeführten Ergebnissen einer von der Polizei in Form von Fragebögen durchgeführten schriftlichen Zeugenbefragung. 

b) Mit ihrer Revision beanstandeten die Beschwerdeführer zu II. den Verstoß gegen die Belehrungspflicht des § 257c Abs. 5 StPO und erhoben die Sachrüge. Der Bundesgerichtshof verwarf die Revision mit Beschluss vom 2. November 2010 gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet. Zu dem Belehrungsmangel führte er aus, dass eine der von § 257c Abs. 4 StPO erfassten Fallgestaltungen, über deren Rechtsfolgen vorab zu belehren sei, nicht vorliege. Die verhängten Strafen überstiegen auch nicht die vom Gericht jeweils zugesicherte Höhe. Konkrete, fallbezogene Gründe, die für die auch nur entfernte Möglichkeit sprächen, dass sich der aufgezeigte Verfahrensmangel auf das Prozessverhalten der Angeklagten ausgewirkt haben könnte, so dass letztlich ein für sie günstigeres Urteil nicht auszuschließen wäre, seien weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. 

3. a) Der Beschwerdeführer zu III. wurde als einer von zwei Angeklagten durch das Landgericht Berlin mit Urteil vom 15. März 2011 wegen zweier Fälle des schweren Raubes und wegen Sachbeschädigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Der Verurteilung ging eine Verständigung voraus. Der Vorsitzende hatte die Angeklagten nach Verlesung der Anklageschrift darauf hingewiesen, dass es hinsichtlich der Raubtaten im Wesentlichen drei Möglichkeiten gebe. Die erste sei ein Freispruch, die zweite eine Verurteilung wegen eines oder zweier Fälle des schweren Raubes mit jeweils einer Mindestfreiheitsstrafe von drei Jahren nach streitiger Beweisaufnahme. In der zweitgenannten Konstellation - so die Urteilsgründe - „verspüre“ die Kammer angesichts dessen, dass es sich um Taten handele, die die Angeklagten als Polizeibeamte im Dienst begangen hätten, „wenig Neigung“ zur Annahme von minder schweren Fällen. Die dritte Möglichkeit schließlich sei hinsichtlich der Konsequenzen ein Mittelweg: Falls die Angeklagten sich zu Geständnissen, die eine Beweisaufnahme überflüssig machen, entschlössen, könne dieser Umstand bei der Gesamtabwägung, ob minder schwere Fälle vorliegen, eine entscheidende Rolle spielen und letztlich den Ausschlag zugunsten der Angeklagten geben. In diesem Fall seien Gesamtfreiheitsstrafen zu erwarten, deren Vollstreckung die Kammer zur Bewährung aussetzen könne. Während einer 85-minütigen Verhandlungspause hatten die Angeklagten Gelegenheit, über den Vorschlag des Gerichts nachzudenken und ihn mit ihren Verteidigern zu beraten. Der Vorsitzende mahnte derweil zur Eile. Nach dem Vortrag des Beschwerdeführers zu III. warnte ihn sein Verteidiger zudem vor der Möglichkeit einer „Saalverhaftung“, wenn er der vorgeschlagenen Verständigung nicht nähertrete. Nach der Verhandlungspause erklärten die Angeklagten und die Staatsanwaltschaft ihre Zustimmung zu dem Vorschlag des Gerichts, was entsprechend zu Protokoll genommen wurde. Nach allgemeiner und besonderer Belehrung gemäß § 257c Abs. 4 und 5 StPO legten die Angeklagten Geständnisse in Form einer schlichten Bestätigung des Anklagesatzes ab. Anschließend erklärten die Verteidiger jeweils, dass Fragen zur Sache nicht beantwortet würden. Auf die Vernehmung von Zeugen wurde allseits verzichtet. Nach den Plädoyers und dem letzten Wort der Angeklagten zog sich die Kammer zur Beratung zurück, trat sodann aber noch einmal in die Beweisaufnahme ein, um die Angeklagten zu fragen, ob sie bei den Taten ihre Dienstwaffen bei sich geführt hätten und ob diese geladen gewesen seien, was die Angeklagten bejahten. Die Feststellungen im Urteil beruhen ausschließlich auf den Erklärungen der Angeklagten und entsprechen weitgehend dem Anklagesatz. 

b) Mit seiner Revision machte der Beschwerdeführer zu III. im Wege der Verfahrensrüge Verstöße gegen § 244 Abs. 2 StPO und gegen § 136a StPO geltend und erhob daneben die Sachrüge. Der Bundesgerichtshof verwarf die Revision auf Antrag des Generalbundesanwalts gemäß § 349 Abs. 2 StPOals unbegründet und bemerkte lediglich ergänzend, dass er der Revision jenseits der vom Generalbundesanwalt zutreffend als unzulässig bewerteten Verfahrensrügen eine noch zulässig erhobene Beanstandung der Anwendung von § 257c StPO entnehme. Diese greife in der Sache aber nicht durch. Das Landgericht habe den Angeklagten vor Augen halten dürfen, dass im Verurteilungsfall nur unter der Voraussetzung eines Geständnisses der Strafrahmen des § 250 Abs. 3 StGB (minder schwerer Fall) eröffnet sein könne. Eine Drohung mit einer willkürlich bemessenen „Sanktionsschere“ liege deshalb nicht vor. Zu allen darüber hinausgehenden Behauptungen unzulässigen Drucks fehle es schon an ausreichendem Revisionsvortrag. Abgesehen davon sei insoweit ersichtlich nichts erwiesen. 

III. 

1. Die Beschwerdeführer zu I. und zu II. rügen eine Verletzung von Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG in Verbindung mit den Grundsätzen der Selbstbelastungsfreiheit und des fairen Verfahrens sowie dem Schuldprinzip, ferner Verstöße gegen Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 und Abs. 2 GG, Art. 19 Abs. 4 sowie Art. 101 Abs. 1 GG durch das Unterlassen der von § 257c Abs. 5 StPO verlangten Belehrung vor Zustandekommen der Verständigung. Hilfsweise rügen sie die Verfassungswidrigkeit des § 257c StPOwegen Verstoßes insbesondere gegen das Schuldprinzip und das Rechtsstaatsgebot. 

a) Die Möglichkeit einer Beeinflussung des Verfahrensausgangs durch eine Verständigung übe mittelbar Druck auf den Angeklagten aus, ein Geständnis abzulegen. Eine freiverantwortliche, auf autonomer Einschätzung des damit verbundenen Risikos beruhende Entscheidung über die Abgabe eines Geständnisses setze voraus, dass der Angeklagte wisse, dass sich das Gericht über § 257c Abs. 4 StPOwieder von der Verständigung lösen könne. Die Gerichte hätten diese Aufgabe, die der Gesetzgeber der Belehrungspflicht zugewiesen habe, übersehen und § 257c Abs. 5 StPO unter Verletzung von Art. 19 Abs. 4 GG zu einer reinen Ordnungsvorschrift entwertet. Käme nämlich - worauf die Revisionsentscheidung hinauslaufe - ein Verstoß gegen § 257c Abs. 5 StPO nur bei einer Abweichung des Gerichts von der Verständigung zum Tragen, so bliebe ein Verstoß gegen die Belehrungspflicht letztlich in allen Fällen ohne Konsequenz, da bei einer Abweichung von der Verständigung das Geständnis schon wegen § 257c Abs. 4 Satz 3 StPO nicht verwertbar sei. Auch aus tatsächlicher Sicht überzeuge die Auffassung des Bundesgerichtshofs nicht, da niemand wissen könne, ob bei ordnungsgemäßer Belehrung die Verständigung überhaupt zustande gekommen wäre. 

b) Die Vorschrift des § 257c StPO verstoße gegen das Schuldprinzip und das aus Rechtsstaatsgebot und Gleichheitssatz folgende Legalitätsprinzip, die beide die Ermittlung des wahren Sachverhalts verlangten. Das Bemühen um Gewährleistung einer - trotz der Verständigung - schuldangemessenen Strafe sei mit dem zugleich verfolgten Anliegen einer Verfahrensverkürzung unvereinbar. Dieser innere Widerspruch präge die gesamte Diskussion zu § 257c StPO. Die gesetzliche Regelung sei nicht geeignet, die Realität der Verständigungspraxis zu beeinflussen. Eine wirksame revisionsgerichtliche Kontrolle von Verständigungen sei nicht möglich. Die Verständigung laufe darauf hinaus, der gerichtlichen Entscheidung die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens zugrundezulegen; dieses sei aber gerade nicht zur Findung der materiellen Wahrheit, sondern lediglich zu einer Verdachtsklärung bestimmt. Die Schöffen, die den Akteninhalt nicht kennten, seien für ihre Überzeugungsbildung auf den Inbegriff der Hauptverhandlung angewiesen. Im Falle eines Scheiterns der Verständigung sei die Neutralität des Richters im weiteren Verlauf des Verfahrens gefährdet. Dass dem unverteidigten Angeklagten faktisch die Möglichkeit einer Verständigung verschlossen bleibe, verstoße gegen den Gleichheitssatz. 

2. Der Beschwerdeführer zu III. rügt eine Verletzung seiner Grundrechte auf effektiven Rechtsschutz und ein faires Verfahren gemäß Art. 2 Abs. 1 und Abs. 2, Art. 19 Abs. 4 und Art. 20 Abs. 3 GG. Der Bundesgerichtshof habe die Anforderungen an die Zulässigkeit von Verfahrensrügen in der Revision überspannt. Ferner verstoße die vom Landgericht angedrohte „Sanktionsschere“ gegen das Recht auf ein faires Verfahren. Schließlich habe das Landgericht seine Aufklärungspflicht verletzt, weil es das Geständnis nicht auf seinen Wahrheitsgehalt überprüft habe. 

IV. 

1. Die Bundesregierung vertritt die Auffassung, die durch das Verständigungsgesetz eingeführten Vorschriften seien mit dem Grundgesetz vereinbar. Durch die Verständigung werde nicht ermöglicht, dass sich die Verfahrensbeteiligten ohne Ermittlung des wahren Sachverhalts auf ein bestimmtes Ergebnis einigten. § 257c Abs. 1 Satz 2 StPO stelle vielmehr klar, dass der Amtsermittlungsgrundsatz auch im Falle einer Verständigung unberührt bleibe. Entsprechendes gelte für die Strafzumessung, die sich weiterhin nach § 46 StGB bestimme. Der Angeklagte könne unabhängig vom Vorliegen einer Verständigung frei entscheiden, ob er sich geständig einlassen wolle oder nicht. § 257c StPO lasse daher die Selbstbelastungsfreiheit unberührt. Auch die Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege werde durch die gesetzliche Regelung nicht beeinträchtigt. Vielmehr könne eine geständige Einlassung zu einer weniger umfangreichen Beweisaufnahme führen. Auch könnten Verständigungen eine Verbesserung des Opferschutzes bewirken, wenn ein Geständnis die Vernehmung von Opferzeugen in der Hauptverhandlung entbehrlich mache. 

2. Die Bayerische Staatsregierung, die sich zu den Verfassungsbeschwerden der Beschwerdeführer zu I. und zu II. geäußert hat, hält diese für unbegründet. Ein Verstoß gegen das Recht auf ein faires Verfahren liege nicht vor. Zum einen habe sich das Gericht an die zugesagten Strafobergrenzen gehalten, zum anderen mache die bloß abstrakte Möglichkeit, dass die Beschwerdeführer bei ordnungsgemäßer Belehrung von der Verständigung insgesamt Abstand genommen hätten, das Verfahren nicht unfair. § 257c StPO verletze weder das Schuldprinzip noch den Legalitätsgrundsatz. Die nunmehr gesetzlich vorgesehene Möglichkeit, ein Ermittlungs- oder Strafverfahren durch Einräumung von inneren und äußeren Umständen im Rahmen einer Verständigung abzukürzen, werde der Tatsache gerecht, dass dem Angeklagten aufgrund seiner Subjektqualität auch zugetraut werden müsse, Entscheidungen eigenverantwortlich zu treffen. Außerdem lasse § 257c Abs. 1 Satz 2 StPO die Amtsaufklärungspflicht unberührt. 

3. Der Präsident des Bundesgerichtshofs hat Stellungnahmen der Vorsitzenden des 1., 3., 4. und 5. Strafsenats vorgelegt. 

a) Der Vorsitzende des 1. Strafsenats führt aus, eine frühe Einbeziehung des Angeklagten und seines Verteidigers in die Überlegungen zur Strafzumessung bis hin zu einer Verständigung stärke die Stellung des Angeklagten als Subjekt. An der Bedeutung eines Geständnisses für die Strafzumessung habe sich durch § 257c StPO nichts geändert. Seien die zur Wahrheitsfindung erforderlichen Tatsachen nach Überzeugung des Gerichts durch ein Geständnis umfassend erwiesen, komme einer weiteren Beweisaufnahme keine Bedeutung mehr zu. Sie werde von § 244 Abs. 2 StPO nicht gefordert und sei zur Vermeidung unnötiger Belastung des Angeklagten, der Tatopfer sowie zum effektiven Einsatz der Ressource Recht zu vermeiden. Eine überdurchschnittliche Fehlerquote könne der Senat bei dem Verständigungsverfahren gemäß § 257c StPO nicht konstatieren. Von den im Jahr 2011 beim 1. Strafsenat anhängig gewordenen 650 Revisionsverfahren habe dem Urteil nur in 34 Fällen (ca. 5 %) eine Verständigung zugrunde gelegen. Nur in drei Fällen habe es Anlass zu Kritik gegeben: In zwei Fällen habe eine unzulässige Vereinbarung über den Schuldspruch vorgelegen, im dritten Fall eine unvertretbare Nichtberücksichtigung eines besonders schweren Falles. 

b) Die Vorsitzenden des 3. und 4. Strafsenats verweisen auf Entscheidungen ihrer Senate. Der Vorsitzende des 5. Strafsenats verweist ebenfalls auf Entscheidungen seines Senats und teilt mit, die von seinem Strafsenat bislang entschiedenen Fälle ließen aus seiner Sicht noch keine generelle Beurteilung der Normanwendung durch die Tatgerichte aus der in diesem Bereich ohnehin eingeschränkten Sicht des Revisionsgerichts zu. Der Senat hege bislang keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken gegen § 257c StPO.
 
4. Der Generalbundesanwalt hält § 257c StPO für grundsätzlich verfassungskonform. Die Norm ersetze nicht die bisherige Struktur des Strafprozesses durch ein adversatorisches Verfahren, sondern füge sich entsprechend dem Willen des Gesetzgebers in das bestehende System ein. Sie verletze weder das Schuldprinzip noch das Recht auf ein faires Verfahren. Die Unschuldsvermutung und die Selbstbelastungsfreiheit blieben ebenso unangetastet wie der Gleichheitssatz. Zwar führe die gesetzliche Zulassung von Verständigungen zu Spannungen mit zahlreichen Verfahrensmaximen des Strafprozesses. In Anbetracht des Gestaltungsermessens des Gesetzgebers folge hieraus aber nicht die Verfassungswidrigkeit der Norm. Erheblich für die Verfassungsmäßigkeit der Verständigung spreche, dass sie besonders geeignet sei, den - in seiner Bedeutung im Verhältnis zum Ideal der Wahrheitsfindung zuletzt deutlich aufgewerteten - Zweck der Herstellung von Rechtsfrieden zu erreichen. Dies gelte jedenfalls dann, wenn die Verständigung auch auf einer angemessenen Einbeziehung und Interessenwahrung des Opfers beruhe. Eine Legitimation der Verständigung lasse sich teilweise auch aus dem Prinzip der Disponibilität von Rechten ableiten. Die Rechtsordnung gewähre dem Angeklagten in weitem Umfang die Möglichkeit, auf Verfahrensrechte zu verzichten und die Art seines Verteidigungsverhaltens autonom zu bestimmen. Anführen lasse sich für die verfassungsrechtliche Zulässigkeit von Verständigungen ferner, dass diese Erledigungsart auf dem durchweg als modern und zeitgemäß empfundenen Gebot eines offenen und kommunikativen Verhandlungsstils aufbaue. 

Ungeachtet dessen entfalte die gesetzliche Verankerung der Verständigung eine erhebliche Sogwirkung in Richtung auf strukturelle Veränderungen des Strafprozesses. Die Anerkennung und Ausbreitung quasi-vertraglicher Erledigungsformen habe sich in mehreren Stufen mit bislang ungebrochen expansiver Tendenz vollzogen. Rechtsprechung und Gesetzgebung hätten die normative Kraft des Faktischen nur nachholend bestätigen können, wobei gegenläufige, auf eine Kanalisierung der Verständigungspraxis gerichtete Bestrebungen bislang nicht in der Lage gewesen seien, die Dynamik der Entwicklung aufzuhalten. Ein wesentliches Motiv für die gewachsene Zahl von Verständigungen sei die in den vergangenen Jahrzehnten gestiegene Arbeitsbelastung der Justiz, mit der deren sachliche und personelle Ausstattung nicht Schritt gehalten habe. Angesichts dessen beziehe die Verständigung als Gegenmodell zur Durchführung einer aufwendigen streitigen Hauptverhandlung einen wesentlichen Teil ihrer Attraktivität aus der Möglichkeit für alle Beteiligten, das Verfahren drastisch abzukürzen, es möglichst weiterer rechtlicher Kontrolle zu entziehen und so über die Einsparung von Arbeitsaufwand im konkreten Fall die jeweiligen Erledigungsquoten - beim Verteidiger zudem mit positiven ökonomischen Folgen - zu erhöhen. 

Zur Sicherung der Verfassungskonformität sei daher einer weiteren Expansion von Formen der Verständigung im Strafprozess Einhalt zu gebieten. Dieser Erledigungsart könne im strafprozessualen System nach dem Willen des Gesetzgebers nur eine ergänzende Funktion zukommen. Sie dürfe nicht zum Regelfall des Strafverfahrens werden. Um den mit ihr verbundenen mittelbaren Gefährdungen verfassungsrechtlich geschützter Verfahrensprinzipien auf Dauer entgegenzuwirken, bedürften Anwendungsbereich und Voraussetzungen des § 257c StPO in Fortführung bereits vorhandener Ansätze in der fachgerichtlichen Rechtsprechung einer einschränkenden Auslegung. Ferner seien die im Gesetz angelegten Restriktionspotenziale über die bisherige Rechtsanwendung hinaus weiter auszuschöpfen und weitere flankierende Maßnahmen geboten. 

Vor diesem Hintergrund hält der Generalbundesanwalt die Verfassungsbeschwerden der Beschwerdeführer zu I. und II. für unbegründet. Die vom Bundesgerichtshof vorgenommene Beruhensprüfung hinsichtlich des Belehrungsmangels sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers zu III. erachtet der Generalbundesanwalt dagegen auf der Grundlage der von ihm als notwendig erachteten verfassungskonformen Auslegung des § 257c StPOals nicht aussichtslos. Es fehle bereits an der plausiblen Darlegung der Eignung des Falles für eine Verständigung, auf die die Strafkammer vorschnell ausgewichen sei. Zudem habe das Landgericht das erkennbar auf eine reine Bestätigung der Anklage beschränkte Geständnis keiner weiteren Überprüfung unterzogen. Schließlich gehe die Verständigung auf ein verfassungsrechtlich bedenkliches Aufzeigen von Alternativstrafen zurück. 

5. Der Senat hat ferner Stellungnahmen des Deutschen Richterbundes, des Deutschen Anwaltvereins und der Bundesrechtsanwaltskammer eingeholt. 
a) Der Deutsche Richterbund vertritt die Auffassung, das Verständigungsgesetz habe zwar einen erheblichen Gewinn an Rechtssicherheit gebracht; gleichwohl habe sich die gesetzliche Regelung aus Sicht der Praxis nicht uneingeschränkt bewährt. Das Risiko, dass eine Verständigung auch und gerade wegen des erwünschten Beschleunigungseffekts einen Verzicht auf gründliche und umfassende Sachaufklärung zur Folge haben könne, sei unübersehbar. Die Verkürzung der Hauptverhandlung führe außerdem dazu, dass der - in der Praxis in aller Regel von der Polizei erstellte - schriftliche Inhalt der Akten an Bedeutung gewinne. Die Justiz drohe die gebotene Kontrolle über die polizeilichen Ermittlungsergebnisse zu verlieren. Hinzu komme, dass es für alle Verfahrensbeteiligten verführerisch sei, sich die oft notwendige Erfassung, Auswertung und Beurteilung umfangreicher elektronisch gespeicherter Beweismittel durch eine Verständigung zu ersparen unter Inkaufnahme und im Bewusstsein des Umstandes, dadurch nur einen kleinen Teil des Beweisstoffes zur Kenntnis zu nehmen. Nicht von der Hand zu weisen sei die Gefahr, dass gerade bei Verfahren großen Umfangs das zu einem frühen Zeitpunkt aus echter Reue abgegebene Geständnis im Vergleich zu dem im Hinblick auf eine mögliche Verständigung taktisch zurückgehaltenen Geständnis entwertet werde. Damit verbunden sei die bedenkliche Tendenz, „kleine“, häufig unverteidigte Straftäter härter zu bestrafen, während die Justiz in Großverfahren aus Mangel an Mitteln immer nachgiebiger werde. Die in vielen Ländern unzureichende Personalausstattung der Justiz führe in der Kombination mit weiteren ungünstigen Rahmenbedingungen des deutschen Strafprozesses, deren Verbesserung bislang nicht gelungen sei, immer wieder zu Hauptverhandlungen, die der Öffentlichkeit nicht als dem hohen Gerechtigkeitsanspruch der deutschen Justiz entsprechend vermittelt werden könnten. Dadurch leide das Ansehen der Rechtspflege insgesamt. Hinzu komme, dass das Verständigungsverfahren zahlreiche noch offene Probleme aufweise. So würden die Öffentlichkeits- und Protokollierungspflichten teilweise als Belastung empfunden; zugleich würden vielfältige Hinweis- und Fürsorgepflichten des Tatrichters die Handhabung des § 257c StPO erschweren. Auch die umfangreichen Belehrungspflichten des § 257c Abs. 5 StPO hätten sich als wenig praxistauglich erwiesen. Der Ausschluss des Verzichts auf Rechtsmittel stehe im Widerspruch zu der Erwartung der Praxis, mit der ausgehandelten Verständigung eine rasche Rechtskraft des Ergebnisses zu erreichen. Die Verlockung, „es so zu machen wie früher“ und eine unzulässige „informelle“ Absprache außerhalb des § 257c StPO zu treffen, erscheine daher evident. Nicht zu unterschätzen sei zudem die Gefahr, dass sich Gerichte, Staatsanwaltschaften und Verteidiger dergestalt an Absprachen gewöhnten, dass die Beendigung des Verfahrens auf diese Weise zum Regelfall werde. Die Warnungen vor einem „schleichend eingeläuteten Systemwechsel“ seien ernst zu nehmen. Dem Zeitgeist folgend versuche der Gesetzgeber, unter dem Deckmantel der Förderung eines offenen und kommunikativen Verhandlungsstils Versäumnisse bei der Ausgestaltung und Praktikabilität des formellen und materiellen Rechts zu kompensieren. Der Gesetzgeber sei jedoch verpflichtet, die prozessualen Rahmenbedingungen so auszugestalten, dass die Justiz ihrem gesetzlichen Strafverfolgungsauftrag gerecht werden könne, ohne sich auf Verhandlungen mit dem Angeklagten zulasten der materiellen Wahrheit und der Gerechtigkeit einlassen zu müssen. Um dem verfassungsrechtlichen Beschleunigungsgebot Genüge zu tun und die Handlungsfähigkeit der Justiz zu gewährleisten, kämen etwa eine Neuordnung des Ablehnungsrechts, die Befristung von Beweisanträgen, eine Neufassung des § 265 Abs. 3 StPO, Erleichterungen bei Beweistransfers aus dem Ermittlungsverfahren in die Hauptverhandlung (etwa bei der Einführung von Urkunden) und eine Änderung des § 273 Abs. 3 StPO in Betracht. 

b) Der Deutsche Anwaltverein hält die Anwendung des § 257c StPO durch die Gerichte in den Ausgangsverfahren für verfassungswidrig und die Verfassungsbeschwerden daher für begründet. Insbesondere verstoße die Verletzung der Belehrungspflicht aus § 257c Abs. 5 StPO gegen das Recht auf ein faires Verfahren, da bei fehlender Belehrung die Willensfreiheit des Angeklagten im Zeitpunkt der Entscheidung über den Abschluss der Verständigung nicht gegeben sei. Zudem bestünden an der Verfassungsmäßigkeit des § 257c StPO erhebliche Zweifel. Der Aufklärungsgrundsatz und das Schuldprinzip stünden dem mit § 257c StPO verfolgten Ziel einer Verfahrensverkürzung und -vereinfachung strukturell entgegen. Eine „Bändigung der Verständigung“ sei durch die gesetzliche Regelung nicht geglückt. Dieser Befund werde durch Erfahrungsberichte von Mitgliedern des Strafrechtsausschusses des Deutschen Anwaltvereins bestätigt. In einem Fall habe etwa der Vorsitzende einer Strafkammer im Gespräch mit dem Verteidiger geäußert, dass das Urteil, das aufgrund der Verständigung zustande kommen sollte, einer revisionsgerichtlichen Überprüfung vermutlich nicht standhalten würde. Dieses Risiko würde er aber eingehen, weil er davon ausgehe, dass sich alle Beteiligten an die Verständigung halten und daher keine Revision eingelegt werde. In einem anderen Fall habe die Kammer für die Abgabe umfassender Geständnisse im Sinne der Anklage eine Strafe im bewährungsfähigen Bereich in Aussicht gestellt, obwohl sich der Sachverhalt in der Hauptverhandlung anders dargestellt habe. Da für die Angeklagten die Freiheit wichtiger gewesen sei als die Wahrheit, seien entsprechende, die Anklage bestätigende Geständnisse abgegeben worden. Die Gefahr falscher Geständnisse habe durch das Verständigungsgesetz eher zugenommen. Benachteiligt werde der Angeklagte, der schon früh im Ermittlungsverfahren gestanden habe, da er für eine Verständigung nichts mehr anzubieten habe. Die Förmlichkeiten und Beschränkungen des gesetzlich vorgesehenen Verständigungsverfahrens würden in der Praxis überwiegend umgangen. Die Revisionsgerichte ließen die Möglichkeiten zur „Domestizierung“ der Verständigung ungenutzt. 

c) Die Bundesrechtsanwaltskammer hält § 257c StPO für verfassungsgemäß. Die Vorschrift stehe im Spannungsverhältnis zwischen den Verpflichtungen zur Ermittlung des wahren Sachverhalts und zur Bestimmung der schuldangemessenen Strafe als Elementen des Schuldprinzips, dem Grundsatz des fairen Verfahrens und dem Gebot wirksamer Strafrechtspflege. Die gesetzliche Regelung sei ausgerichtet auf einen praktisch konkordanten Ausgleich zwischen diesen Grundsätzen. Sie schaffe im Vergleich zur früheren Rechtslage ein beträchtliches Maß an Rechtssicherheit. Tragende Prinzipien eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens seien nicht verletzt. Dies gelte insbesondere für den Amtsermittlungsgrundsatz, die Grundsätze der Mündlichkeit und Unmittelbarkeit und das Gebot bestmöglicher Sachaufklärung. Das generell mit der Verurteilung auf der Grundlage eines Geständnisses verbundene Risiko eines Fehlurteils werde durch die gesetzlichen Verständigungsregelungen nicht signifikant erhöht. Dass der Bundesgerichtshof dazu neige, bei Verstößen gegen die formellen Voraussetzungen einer Verständigung, namentlich die Dokumentations-, Mitteilungs- und Belehrungspflichten, ein Beruhen des Urteils auszuschließen, sei der vom Gesetzgeber angestrebten Transparenz des mit einer Verständigung verbundenen Geschehens allerdings nicht förderlich. Die Eindämmung „informeller“ Absprachen werde dadurch erschwert. Im Ergebnis sei ein struktureller Mangel des Gesetzes zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren derzeit nicht erkennbar. Die Bundesrechtsanwaltskammer hält die Verfassungsbeschwerden der Beschwerdeführer zu I. und II. für unbegründet. Die unterbliebene Belehrung nach § 257c Abs. 5 StPO habe das Verfahren nicht insgesamt unfair gemacht, da das Gericht letztlich von der Verständigung nicht abgewichen sei. Die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers zu III. hält die Bundesrechtsanwaltskammer dagegen für begründet. Insbesondere habe das Landgericht seine Aufklärungspflicht verletzt, indem es sich mit einem Formalgeständnis begnügt habe. Zudem sei dem Geständnis ein Aufzeigen von Alternativstrafen vorausgegangen. Dies stelle einen Verstoß gegen das Schuldprinzip dar. 

V. 

Der Senat hat den Sachverständigen Prof. Dr. Altenhain, Universitätsprofessor an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, mit der Durchführung einer repräsentativen empirischen Untersuchung zur Praxis der Verständigung im Strafverfahren beauftragt. Zu diesem Zweck hat der Sachverständige im Zeitraum zwischen dem 17. April und 24. August 2012 insgesamt 190 mit Strafsachen befasste Richterinnen und Richter des Landes Nordrhein-Westfalen befragt, von denen 117 als Strafrichter oder Vorsitzende eines Schöffengerichts und 73 als Vorsitzende einer Strafkammer tätig waren. Als Kontrollgruppe wurden daneben 68 Staatsanwältinnen und Staatsanwälte sowie 76 Fachanwältinnen und Fachanwälte für Strafrecht befragt. 

Nach Einschätzung der befragten Richter wurden im Kalenderjahr 2011 17,9 % der Strafverfahren an Amtsgerichten und 23 % der Strafverfahren an Landgerichten durch Absprachen erledigt. Auf die Frage, in wieviel Prozent der Fälle nach ihrer Einschätzung in der gerichtlichen Praxis die gesetzlichen Vorschriften zur Verständigung verletzt würde, gaben etwas mehr als die Hälfte der Richter an, dass dies in mehr als der Hälfte aller Verfahren mit Absprachen der Fall sein dürfte. So gaben 58,9 % der befragten Richter an, mehr als die Hälfte ihrer Absprachen „informell“, also ohne Anwendung des § 257c StPOdurchgeführt zu haben, 26,7 % gaben an, immer so vorgegangen zu sein. 33 % der befragten Richter gaben an, außerhalb der Hauptverhandlung Absprachen geführt zu haben, ohne dass dies in der Hauptverhandlung offengelegt wurde, während 41,8 % der Staatsanwälte und 74,7 % der Verteidiger angaben, dies schon erlebt zu haben. Die Offenlegungspflicht wird von einem nicht unbeachtlichen Teil der Richter als überflüssiger Formalismus empfunden. Die Regelung zum sogenannten Negativattest (§ 273 Abs. 1a Satz 3 StPO) bleibt in der Praxis oft unbeachtet. 54,4 % der befragten Richter gaben an, eine nicht erfolgte Verständigung für im Protokoll nicht erwähnenswert zu halten. 46,7 % der befragten Richter weisen entgegen § 267 Abs. 3 Satz 5 StPO nicht in den Urteilsgründen auf eine dem Urteil vorausgegangene Verständigung hin. Sehr häufiger Inhalt von Absprachen ist die Einstellung beziehungsweise Beschränkung des Verfahrens nach §§ 154, 154a StPO; in diesem Zusammenhang wird auch die Einstellung anderer, nicht in die Anklage einbezogener Verfahren im Rahmen sogenannter „Gesamtlösungen“ immer wieder thematisiert. (Im Rahmen einer von G. Schöch durchgeführten anonymisierten empirischen Erhebung zur Absprachepraxis in München sind sogar „Familienlösungen“ bekanntgeworden, bei denen etwa der Mann eine höhere Freiheitsstrafe erhält und im Gegenzug die Frau eine Bewährungsstrafe, um zu Hause die Kinder versorgen zu können, oder die zukünftigen Strafen von Familienangehörigen in anderen Verfahren gleich mit abgesprochen werden [vgl. G. Schöch, Urteilsabsprachen in der Strafrechtspraxis, 2007, S. 147]). Teilweise werden ausweislich der Studie von Prof. Dr. Altenhain durch § 257c Abs. 2 StPO ausdrücklich ausgeschlossene Inhalte wie etwa der Schuldspruch in die Absprache aufgenommen. Während 61,7 % der Richter angaben, die Glaubhaftigkeit von im Anschluss an eine Absprache abgelegten Geständnissen immer zu überprüfen, räumten 38,3 % der Richter ein, die Glaubhaftigkeit des Geständnisses nicht immer, sondern nur häufig, manchmal, selten oder nie zu überprüfen. 35,3 % der befragten Richter haben nach eigenem Bekunden dem Angeklagten oder seinem Verteidiger in Verständigungsgesprächen neben der Strafobergrenze beziehungsweise dem bestimmten Strafmaß für den Fall einer Kooperation schon einmal eine zweite Strafe für den Fall einer „streitigen“ Hauptverhandlung genannt, 16 % gaben an, typischerweise so vorzugehen. Die Einlegung eines Rechtsmittels nach einer Absprache ist sehr selten. Nach Auskunft von 27,4 % der Richter wurde sogar bei Verständigungen gemäß § 257c StPO - entgegen § 302 Abs. 1 Satz 2 StPO - ausdrücklich auf Rechtsmittel verzichtet. Von den Richtern gaben 14,7 % an, dass bei ihnen nach einer Absprache „immer“ auf Rechtsmittel verzichtet werde; bei 56,6 % geschah dies „häufig“ (Staatsanwälte: 5,6 % bzw. 64,8 %; Verteidiger: 5,6 % bzw. 76,1 %). Nicht weniger als 16,4 % der Richter und 30,9 % der Staatsanwälte erklärten, sich im Rahmen einer Absprache schon auf eine ihrer Ansicht nach zu milde Strafe eingelassen zu haben.

Demgegenüber haben sich von den Verteidigern 30,3 % nach eigener Auskunft schon auf eine ihrer Ansicht nach zu hohe Strafe im Wege der Absprache eingelassen. Der „Strafrabatt“ im Anschluss an ein absprachegemäß abgelegtes Geständnis liegt nach Angaben der Befragten zumeist zwischen 25 % und 33,3 % der wahrscheinlich zu erwartenden Strafe nach „streitiger“ Verhandlung. 

VI. 

Mit Beschlüssen vom 22. Mai 2012 und vom 21. Juni 2012 hat die 1. Kammer des Zweiten Senats auf Antrag der sich zu dieser Zeit in Strafhaft befindenden Beschwerdeführer zu I. und II. die Vollstreckung aus den angegriffenen Urteilen des Landgerichts München II bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerden, längstens für sechs Monate, einstweilen ausgesetzt. Mit Beschlüssen vom 22. Oktober 2012 und vom 5. Dezember 2012 hat der Senat auf Antrag der Beschwerdeführer zu I. und II. die einstweiligen Anordnungen wiederholt. 

VII. 

In der mündlichen Verhandlung hat der Senat Prof. Dr. Altenhain zu dessen im Auftrag des Senats angefertigter empirischer Studie über die Praxis der Verständigung im Strafverfahren gehört, zu den Erfahrungen und Einschätzungen bei den Tat- und Revisionsgerichten den Präsidenten des Bundesgerichtshofs Prof. Dr. Tolksdorf, Generalbundesanwalt Range, Vorsitzenden Richter am Landgericht Marburg Dr. Paul, Vorsitzenden Richter am Landgericht Hildesheim Pohl, Vorsitzenden Richter am Landgericht Hamburg Dr. Tully und Vorsitzenden Richter am Landgericht Freiburg im Breisgau i.R. Royen. Prof. Dr. Frisch, Direktor der Abteilung 1 des Instituts für Strafrecht und Strafprozessrecht der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, hat sich zum Schuldprinzip und dessen Bedeutung für die Legitimation staatlichen Strafens im Rechtsstaat und die Erfüllung der freiheitssichernden Funktion des Strafrechts sowie zur Vereinbarkeit der Verständigungspraxis und des § 257c StPO mit dem Schuldprinzip geäußert. Die Bevollmächtigten der Beschwerdeführer sowie Vertreter der Bundesregierung, des Deutschen Richterbundes, des Deutschen Anwaltvereins und der Bundesrechtsanwaltskammer haben ihren schriftlichen Vortrag ergänzt und vertieft. Zur Verfassungsmäßigkeit von Verständigungen im Strafprozess hat ferner ein Vertreter der Neuen Richtervereinigung Stellung genommen. 

B. 

Die Verfassungsbeschwerden sind begründet, soweit sie sich gegen die angegriffenen Entscheidungen richten; im Übrigen haben sie keinen Erfolg. 

I. 

1. Das Strafrecht beruht auf dem Schuldgrundsatz (BVerfGE 123, 267 <413>), der den gesamten Bereich staatlichen Strafens beherrscht. Der Schuldgrundsatz hat Verfassungsrang; er ist in der Garantie der Würde und Eigenverantwortlichkeit des Menschen (Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 GG) sowie im Rechtsstaatsprinzip verankert (vgl. BVerfGE 45, 187 <259 f.>; 86, 288 <313>; 95, 96 <140>; 120, 224 <253 f.>; 130, 1 <26>). 
a) Der Grundsatz „Keine Strafe ohne Schuld“ (nulla poena sine culpa) setzt die Eigenverantwortung des Menschen voraus, der sein Handeln selbst bestimmt und sich kraft seiner Willensfreiheit zwischen Recht und Unrecht entscheiden kann. Dem Schutz der Menschenwürde in Art. 1 Abs. 1 GG liegt die Vorstellung vom Menschen als einem geistig-sittlichen Wesen zugrunde, das darauf angelegt ist, sich in Freiheit selbst zu bestimmen und zu entfalten (vgl. BVerfGE 45, 187 <227>; 123, 267 <413>). Auf dem Gebiet der Strafrechtspflege bestimmt Art. 1 Abs. 1 GG die Auffassung vom Wesen der Strafe und das Verhältnis von Schuld und Sühne (vgl. BVerfGE 95, 96 <140>) sowie den Grundsatz, dass jede Strafe Schuld voraussetzt (vgl. BVerfGE 57, 250 <275>; 80, 367 <378>; 90, 145 <173>; 123, 267 <413>). Die Strafe ist im Gegensatz zur reinen Präventionsmaßnahme dadurch gekennzeichnet, dass sie - wenn nicht ausschließlich, so doch auch - auf gerechte Vergeltung für ein rechtlich verbotenes Verhalten abzielt. Mit der Strafe wird dem Täter ein sozialethisches Fehlverhalten vorgeworfen (vgl. BVerfGE 20, 323 <331>; 95, 96 <140>; 110, 1 <13>). Eine solche strafrechtliche Reaktion wäre ohne Feststellung der individuellen Vorwerfbarkeit mit der Garantie der Menschenwürde und dem Rechtsstaatsprinzip unvereinbar (vgl. BVerfGE 20, 323 <331>; 95, 96 <140>). 

b) Das Rechtsstaatsprinzip ist eines der elementaren Prinzipien des Grundgesetzes (BVerfGE 20, 323 <331>). Es sichert den Gebrauch der Freiheitsrechte, indem es Rechtssicherheit gewährt, die Staatsgewalt an das Gesetz bindet und Vertrauen schützt (BVerfGE 95, 96 <130>). Das Rechtsstaatsprinzip umfasst als eine der Leitideen des Grundgesetzes auch die Forderung nach materieller Gerechtigkeit (vgl. BVerfGE 7, 89 <92>; 7, 194 <196>; 45, 187 <246>; 74, 129 <152>; 122, 248 <272>) und schließt den Grundsatz der Rechtsgleichheit als eines der grundlegenden Gerechtigkeitspostulate ein (vgl. BVerfGE 84, 90 <121>). Für den Bereich des Strafrechts werden diese rechtsstaatlichen Anliegen auch im Schuldgrundsatz aufgenommen (BVerfGE 95, 96 <130 f.>). Gemessen an der Idee der Gerechtigkeit müssen Straftatbestand und Rechtsfolge sachgerecht aufeinander abgestimmt sein (vgl. BVerfGE 20, 323 <331>; 25, 269 <286>; 27, 18 <29>; 50, 205 <214 f.>; 120, 224 <241>; stRspr). Die Strafe muss in einem gerechten Verhältnis zur Schwere der Tat und zum Verschulden des Täters stehen (vgl. BVerfGE 20, 323 <331>; 45, 187 <228>; 50, 5 <12>; 73, 206 <253>; 86, 288 <313>; 96, 245 <249>; 109, 133 <171>; 110, 1 <13>; 120, 224 <254>). In diesem Sinne hat die Strafe die Bestimmung, gerechter Schuldausgleich zu sein (vgl. BVerfGE 45, 187 <253 f.>; 109, 133 <173>; 120, 224 <253 f.>). 

2. Aufgabe des Strafprozesses ist es, den Strafanspruch des Staates um des Schutzes der Rechtsgüter Einzelner und der Allgemeinheit willen in einem justizförmigen Verfahren durchzusetzen und dem mit Strafe Bedrohten eine wirksame Sicherung seiner Grundrechte zu gewährleisten. Der Strafprozess hat das aus der Würde des Menschen als eigenverantwortlich handelnder Person und dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitete Prinzip, dass keine Strafe ohne Schuld verhängt werden darf (vgl. BVerfGE 80, 244 <255>; 95, 96 <140>), zu sichern und entsprechende verfahrensrechtliche Vorkehrungen bereitzustellen. Zentrales Anliegen des Strafprozesses ist die Ermittlung des wahren Sachverhalts, ohne den sich das materielle Schuldprinzip nicht verwirklichen lässt (vgl. BVerfGE 57, 250 <275>; 118, 212 <231>; 122, 248 <270>; 130, 1 <26>). Dem Täter müssen Tat und Schuld prozessordnungsgemäß nachgewiesen werden (vgl. BVerfGE 9, 167 <169>; 74, 358 <371>). Bis zum Nachweis der Schuld wird seine Unschuld vermutet (vgl. BVerfGE 35, 311 <320>; 74, 358 <371>). 

a) Der Staat ist von Verfassungs wegen gehalten, eine funktionstüchtige Strafrechtspflege zu gewährleisten, ohne die der Gerechtigkeit nicht zum Durchbruch verholfen werden kann (vgl. BVerfGE 33, 367 <383>; 46, 214 <222>; 122, 248 <272>; 130, 1 <26>). Der Schutz elementarer Rechtsgüter durch Strafrecht und seine Durchsetzung im Verfahren sind Verfassungsaufgaben (vgl. BVerfGE 107, 104 <118 f.>; 113, 29 <54>). Das erfordert, dass Straftäter im Rahmen der geltenden Gesetze verfolgt, abgeurteilt und einer gerechten, also schuldangemessenen Bestrafung zugeführt werden (vgl. BVerfGE 33, 367 <383>; 46, 214 <222>; 122, 248 <272 f.>; 129, 208 <260>). Die verfassungsrechtliche Pflicht des Staates, eine funktionstüchtige Strafrechtspflege zu gewährleisten, umfasst auch die Pflicht, die Durchführung eingeleiteter Strafverfahren und die Vollstreckung rechtskräftig erkannter (Freiheits-)Strafen sicherzustellen. Das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit, die Pflicht des Staates, die Sicherheit seiner Bürger und deren Vertrauen in die Funktionsfähigkeit der staatlichen Institutionen zu schützen, und der Anspruch aller in Strafverfahren Beschuldigten auf Gleichbehandlung erfordern grundsätzlich, dass der Strafanspruch durchgesetzt, also auch eingeleitete Verfahren fortgesetzt und rechtskräftig verhängte Strafen vollstreckt werden (BVerfGE 46, 214 <222 f.>; 49, 24 <54>; 51, 324 <344>). 

b) Bei alledem darf der Beschuldigte im Rechtsstaat des Grundgesetzes nicht bloßes Objekt des Strafverfahrens sein; ihm muss die Möglichkeit gegeben werden, zur Wahrung seiner Rechte auf den Gang und das Ergebnis des Verfahrens Einfluss zu nehmen (vgl. BVerfGE 65, 171 <174 f.>; 66, 313 <318>). 

aa) Als ein unverzichtbares Element der Rechtsstaatlichkeit des Strafverfahrens gewährleistet das Recht auf ein faires Verfahren dem Beschuldigten, prozessuale Rechte und Möglichkeiten mit der erforderlichen Sachkunde wahrnehmen und Übergriffe der staatlichen Stellen oder anderer Verfahrensbeteiligter angemessen abwehren zu können (vgl. BVerfGE 38, 105 <111>; 122, 248 <271 f.>). Dies bedeutet allerdings nicht, dass im Strafverfahren - unter dem Gesichtspunkt der „Waffengleichheit“ (vgl. BVerfGE 110, 226 <253>) - in der Rollenverteilung begründete verfahrensspezifische Unterschiede in den Handlungsmöglichkeiten von Staatsanwaltschaft und Verteidigung in jeder Beziehung ausgeglichen werden müssten (vgl. BVerfGE 63, 45 <67>; 63, 380 <392 f.>; 122, 248 <272>); vielmehr sind angesichts der besonderen, zur Objektivität verpflichtenden Stellung der Staatsanwaltschaft Differenzierungen möglich. Die Bestimmung der verfahrensrechtlichen Befugnisse und Hilfestellungen, die dem Beschuldigten nach dem Grundsatz des fairen Verfahrens im Einzelnen einzuräumen und die Festlegung, wie diese auszugestalten sind, ist in erster Linie dem Gesetzgeber und sodann - in den vom Gesetz gezogenen Grenzen - den Gerichten bei der ihnen obliegenden Rechtsauslegung und -anwendung aufgegeben. Eine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren liegt erst dann vor, wenn eine Gesamtschau auf das Verfahrensrecht - auch in seiner Auslegung und Anwendung durch die Gerichte - ergibt, dass rechtsstaatlich zwingende Folgerungen nicht gezogen worden sind oder rechtsstaatlich Unverzichtbares preisgegeben wurde (vgl. BVerfGE 57, 250 <276>; 64, 135 <145 f.>; 122, 248 <272>). Im Rahmen dieser Gesamtschau sind auch die Erfordernisse einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege in den Blick zu nehmen (vgl. BVerfGE 47, 239 <250>; 80, 367 <375>; 122, 248 <272>). Verfahrensgestaltungen, die den Erfordernissen einer wirksamen Strafrechtspflege dienen, verletzen daher nicht schon dann den grundrechtlichen Anspruch auf ein faires Strafverfahren, wenn verfahrensrechtliche Positionen des Angeklagten oder Beschuldigten dabei eine Zurücksetzung zugunsten einer wirksameren Strafrechtspflege erfahren (BVerfGE 122, 248 <273>). Das Beschleunigungsgebot ist bei der Konkretisierung des Rechts auf ein faires Verfahren ebenfalls zu berücksichtigen (vgl. BVerfGE 41, 246 <250>; 63, 45 <68 f.>; 122, 248 <273>), denn unnötige Verfahrensverzögerungen stellen nicht nur die Effektivität des Rechtsschutzes (vgl. BVerfGE 60, 253 <269>; 88, 118 <124>; 93, 1 <13>) und die Zwecke der Kriminalstrafe in Frage, sondern beeinträchtigen, da die Beweisgrundlage durch Zeitablauf verfälscht werden kann, auch die Verwirklichung der verfassungsrechtlichen Pflicht zur bestmöglichen Erforschung der materiellen Wahrheit (vgl. BVerfGE 57, 250 <280>; 122, 248 <273>; 130, 1 <27>). 

bb) Die Aussagefreiheit des Beschuldigten und das Verbot des Zwangs zur Selbstbelastung (nemo tenetur se ipsum accusare) sind notwendiger Ausdruck einer auf dem Leitgedanken der Achtung der Menschenwürde beruhenden rechtsstaatlichen Grundhaltung (vgl. BVerfGE 38, 105 <113 f.>; 55, 144 <150 f.>; 56, 37 <43>). Der Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit ist im Rechtsstaatsprinzip verankert und hat Verfassungsrang (vgl. BVerfGE 38, 105 <113 f.>; 55, 144 <150 f.>; 56, 37 <43>; 110, 1 <31>). Er umfasst das Recht auf Aussage- und Entschließungsfreiheit innerhalb des Strafverfahrens. Dazu gehört, dass im Rahmen des Strafverfahrens niemand gezwungen werden darf, sich durch seine eigene Aussage einer Straftat zu bezichtigen oder zu seiner Überführung aktiv beizutragen (vgl. BVerfGE 56, 37 <49>; 109, 279 <324>). Der Beschuldigte muss frei von Zwang eigenverantwortlich entscheiden können, ob und gegebenenfalls inwieweit er im Strafverfahren mitwirkt (vgl. BVerfGE 38, 105 <113>; 56, 37 <43>). Dies setzt voraus, dass er über seine Aussagefreiheit in Kenntnis gesetzt wird. 

cc) Die Unschuldsvermutung hat als besondere Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips ebenfalls Verfassungsrang (BVerfGE 74, 358 <371>). Sie verbietet zum einen, im konkreten Strafverfahren ohne prozessordnungsgemäßen - nicht notwendiger Weise rechtskräftigen - Schuldnachweis Maßnahmen gegen den Beschuldigten zu verhängen, die in ihrer Wirkung einer Strafe gleichkommen, und ihn verfahrensbezogen als schuldig zu behandeln; zum anderen verlangt sie den rechtskräftigen Nachweis der Schuld, bevor diese dem Verurteilten im Rechtsverkehr allgemein vorgehalten werden darf (vgl. BVerfGE 19, 342 <347>; 74, 358 <371>). Als Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips enthält die Unschuldsvermutung - wie auch das Recht des Beschuldigten auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren - allerdings keine in allen Einzelheiten bestimmten Ge- und Verbote; ihre Auswirkungen auf das Verfahrensrecht bedürfen vielmehr der Konkretisierung je nach den sachlichen Gegebenheiten. Dies ist in erster Linie Sache des Gesetzgebers (BVerfGE 74, 358 <371 f.>; vgl. auch BVerfGE 7, 89 <92 f.>; 57, 250 <275 f.>; 65, 283 <291>). 

3. Das Grundgesetz gewährleistet den Beteiligten eines gerichtlichen Verfahrens, vor einem unabhängigen und unparteilichen Richter zu stehen, der die Gewähr für Neutralität und Distanz gegenüber allen Verfahrensbeteiligten und dem Verfahrensgegenstand bietet (vgl. BVerfGE 4, 412 <416>; 21, 139 <145 f.>; 23, 321 <325>; 82, 286 <298>; 89, 28 <36>). Neben der sachlichen und persönlichen Unabhängigkeit des Richters (Art. 97 Abs.1 und 2 GG) ist es wesentliches Kennzeichen der Rechtsprechung im Sinne des Grundgesetzes, dass die richterliche Tätigkeit von einem „nicht beteiligten Dritten“ ausgeübt wird (vgl. BVerfGE 3, 377 <381>; 4, 331 <346>; 21, 139 <145>; 27, 312 <322>; 48, 300 <316>; 87, 68 <85>; 103, 111 <140>). Diese Vorstellung von neutraler Amtsführung ist mit den Begriffen „Richter“ und „Gericht“ untrennbar verknüpft (vgl. BVerfGE 4, 331 <346>; 60, 175 <214>; 103, 111 <140>). Die richterliche Tätigkeit erfordert daher unbedingte Neutralität gegenüber den Verfahrensbeteiligten (BVerfGE 21, 139 <146>; 103, 111 <140>). Das Recht auf den gesetzlichen Richter aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG gewährt deshalb nicht nur einen Anspruch auf den sich aus dem Gerichtsverfassungsgesetz, den Prozessordnungen sowie den Geschäftsverteilungs- und Besetzungsregelungen des Gerichts ergebenden Richter (vgl. BVerfGE 89, 28 <36>), sondern garantiert auch, dass der Betroffene nicht vor einem Richter steht, der aufgrund persönlicher oder sachlicher Beziehungen zu den Verfahrensbeteiligten oder zum Streitgegenstand die gebotene Neutralität vermissen lässt (BVerfGE 21, 139 <146>; 89, 28 <36>). Dieses Verlangen nach Unvoreingenommenheit und Neutralität des Richters ist zugleich ein Gebot der Rechtsstaatlichkeit (vgl. BVerfGE 3, 377 <381>; 37, 57 <65>). 

4. Das im Rechtsstaatsprinzip und dem allgemeinen Freiheitsrecht verankerte Recht auf ein faires Strafverfahren umfasst das Recht des Beschuldigten, sich von einem Anwalt seiner Wahl und seines Vertrauens verteidigen zu lassen (BVerfGE 66, 313 <318 f.>; 110, 226 <253>). Wenngleich das Recht auf ein faires Verfahren keine in allen Einzelheiten bestimmten Gebote und Verbote enthält, sondern der Konkretisierung durch den Gesetzgeber je nach den sachlichen Gegebenheiten bedarf, untersagt es jedenfalls eine Ausgestaltung des Strafverfahrens, bei der rechtsstaatlich unverzichtbare Erfordernisse nicht mehr gewahrt sind (BVerfGE 57, 250 <276>; 122, 248 <272>). Angesichts der besonderen Bedeutung, die dem Vertrauensverhältnis zwischen dem Beschuldigten und seinem Verteidiger unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten zukommt (vgl. BVerfGE 110, 226 <254>), verbietet es sich, im Strafprozess Verfahrensweisen vorzusehen, die - etwa aufgrund der Schaffung sachwidriger Anreize - erwarten lassen, dass dieses Vertrauen unterlaufen und damit das Recht auf eine effektive Verteidigung entwertet wird. 

II. 

Nach diesen Maßstäben kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt die Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Regelung der Verständigung im Strafverfahren nicht festgestellt werden. Der Gesetzgeber hat Verständigungen im Strafprozess lediglich in einem begrenzten Rahmen zugelassen und sein Regelungskonzept mit spezifischen Schutzmechanismen versehen, die bei der gebotenen präzisierenden Auslegung und Anwendung erwarten lassen, dass die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Ausgestaltung des Strafprozesses erfüllt werden (1. und 2.). Eine das Verständigungsgesetz in nicht unerheblichem Umfang vernachlässigende Praxis belegt derzeit noch kein verfassungsrechtlich relevantes Regelungsdefizit (3.). Der Gesetzgeber ist allerdings gehalten, die Wirksamkeit der zur Wahrung eines verfassungskonformen Strafverfahrens vorgesehenen Vorkehrungen zu beobachten und erforderlichenfalls erneut über die Zulässigkeit sowie die Bedingungen von Verständigungen zu entscheiden (4.). 

1. Das Verständigungsgesetz statuiert nach dem in seinem Wortlaut und Normgefüge zum Ausdruck kommenden objektivierten Willen des Gesetzgebers (a) kein neues, „konsensuales“ Verfahrensmodell. Vielmehr integriert es die von ihm zugelassene Verständigung mit dem Ziel in das geltende Strafprozessrechtssystem, weiterhin ein der Erforschung der materiellen Wahrheit und der Findung einer gerechten, schuldangemessenen Strafe verpflichtetes Strafverfahren sicherzustellen. Der Gesetzgeber hat ausdrücklich klargestellt, dass eine Verständigung als solche niemals alleinige Urteilsgrundlage sein kann, sondern das Gericht weiterhin an die in § 244 Abs. 2 StPO niedergelegte Amtsaufklärungspflicht gebunden ist und die rechtliche Würdigung nicht der Disposition der Beteiligten an einer Verständigung unterliegt (b). Das Verständigungsgesetz regelt die Zulässigkeit einer Verständigung im Strafverfahren abschließend; es untersagt damit die beschönigend als „informell“ bezeichneten Vorgehensweisen bei einer Verständigung (c). Der Gesetzgeber hat sein Regelungskonzept mit spezifischen Schutzmechanismen versehen, die eine vollständige Transparenz und Dokumentation des zu einer Verständigung führenden Geschehens sicherstellen und so die vom Gesetzgeber als erforderlich bewertete vollumfängliche Kontrolle des Verständigungsgeschehens durch die Öffentlichkeit, die Staatsanwaltschaft und das Rechtsmittelgericht ermöglichen sollen (d). Schließlich gewährleistet das Gesetz über eine Einschränkung der Bindungswirkung einer Verständigung die Neutralität des Gerichts und sieht mit der Pflicht zur Belehrung des Angeklagten über diese Einschränkung eine dessen Belangen dienende Sicherung vor (e). 

a) Maßgebend für die Auslegung von Gesetzen ist der in der Norm zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers, wie er sich aus dem Wortlaut der Vorschrift und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den sie hineingestellt ist (vgl. BVerfGE 1, 299 <312>; 11, 126 <130 f.>; 105, 135 <157>; stRspr). Der Erfassung des objektiven Willens des Gesetzgebers dienen die anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung aus dem Wortlaut der Norm, der Systematik, ihrem Sinn und Zweck sowie aus den Gesetzesmaterialien und der Entstehungsgeschichte, die einander nicht ausschließen, sondern sich gegenseitig ergänzen. Unter ihnen hat keine einen unbedingten Vorrang vor einer anderen (vgl. BVerfGE 11, 126 <130>; 105, 135 <157>). Ausgangspunkt der Auslegung ist der Wortlaut der Vorschrift. Er gibt allerdings nicht immer hinreichende Hinweise auf den Willen des Gesetzgebers. Unter Umständen wird erst im Zusammenhang mit Sinn und Zweck des Gesetzes oder anderen Auslegungsgesichtspunkten die im Wortlaut ausgedrückte, vom Gesetzgeber verfolgte Regelungskonzeption deutlich, der sich der Richter nicht entgegenstellen darf (vgl. BVerfGE 122, 248 <283> - abw. M.). Dessen Aufgabe beschränkt sich darauf, die intendierte Regelungskonzeption bezogen auf den konkreten Fall - auch unter gewandelten Bedingungen - möglichst zuverlässig zur Geltung zu bringen (vgl. BVerfGE 96, 375 <394 f.>). In keinem Fall darf richterliche Rechtsfindung das gesetzgeberische Ziel der Norm in einem wesentlichen Punkt verfehlen oder verfälschen oder an die Stelle der Regelungskonzeption des Gesetzgebers gar eine eigene treten lassen (vgl. BVerfGE 78, 20 <24> m.w.N.). Für die Beantwortung der Frage, welche Regelungskonzeption dem Gesetz zugrunde liegt, kommt daneben den Gesetzesmaterialien und der Systematik des Gesetzes eine nicht unerhebliche Indizwirkung zu. Die Eindeutigkeit der im Wege der Auslegung gewonnenen gesetzgeberischen Grundentscheidung wird nicht notwendig dadurch relativiert, dass der Wortlaut der einschlägigen Norm auch andere Deutungsmöglichkeiten eröffnet, soweit diese Deutungen offensichtlich eher fern liegen. Anderenfalls wäre es für den Gesetzgeber angesichts der Schwierigkeit, textlich Eindeutigkeit herzustellen, nahezu unmöglich, sein Regelungsanliegen gegenüber der Rechtsprechung über einen längeren Zeitraum durchzusetzen (vgl. BVerfGE 122, 248 <284> - abw. M.).  

b) Der Gesetzgeber hat eine gesetzliche Regelung der Verständigung im Strafverfahren als notwendig erachtet, weil das in der Praxis entstandene und dort bedeutsame, aber stets umstritten gebliebene Institut der Verständigung zur Herstellung von Rechtssicherheit und der Gewährleistung einer gleichmäßigen Rechtsanwendung dringend klarer gesetzlicher Vorgaben bedürfe. Dabei war dem Gesetzgeber bewusst, dass sich auf das Urteil bezogene Verständigungen des Gerichts mit den Verfahrensbeteiligten nicht ohne Weiteres mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben für das Strafverfahren, insbesondere hinsichtlich der Erforschung der materiellen Wahrheit, der Schuldangemessenheit der Strafe und der Verfahrensfairness, würden in Einklang bringen lassen (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, BTDrucks 16/12310, S. 1). Dementsprechend war es ausdrücklich sein zentrales Ziel, die Verständigung in einer den verfassungsrechtlichen Vorgaben gerecht werdenden Weise in das geltende Strafverfahrensrecht zu integrieren, ohne die den Strafprozess dominierenden Grundsätze der richterlichen Sachverhaltsaufklärung und Überzeugungsbildung anzutasten. Die Auslegung und Anwendung des Verständigungsgesetzes hat sich zuvörderst an diesem gesetzgeberischen Konzept zu orientieren. Das gilt auch für das Bundesverfassungsgericht, das dann, wenn eine präzisierende Auslegung eines Gesetzes möglich ist, diese seiner Prüfung zugrunde zu legen hat (vgl. zur Bestimmtheit von Strafnormen BVerfGE 126, 170 <196 f.>; siehe auch BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 18. Dezember 2012 - 1 BvR 1509/10 -). Der Gesetzgeber wollte zwar eine offene, kommunikative Verhandlungsführung des Gerichts stärken, aber gerade kein neues, „konsensuales“ Verfahrensmodell einführen. Vielmehr war es sein erklärtes Regelungsziel, weiterhin ein Strafverfahren sicherzustellen, das dem fundamentalen und verfassungsrechtlich verankerten Grundsatz der Wahrheitsermittlung sowie der Findung einer gerechten, schuldangemessenen Strafe verpflichtet ist (vgl. dazu Gesetzentwurf der Bundesregierung, BTDrucks 16/12310, S. 1, 8 f.), weshalb auch in der Verständigungssituation das Maß der Schuldangemessenheit weder über- noch unterschritten werden darf (vgl. BGH, Beschlüsse vom 20. Oktober 2010 - 1 StR 400/10 -, NStZ 2011, S. 592 <594>, und vom 5. Mai 2011 - 1 StR 116/11 -, juris, Rn. 23; Stuckenberg, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2013, § 257c Rn. 44). Um diese Aufgabenstellung zu verwirklichen, hat der Gesetzgeber nicht nur den zulässigen Inhalt von Verständigungen und das Verständigungsverfahren „umfassend“ normieren wollen, sondern einen Schwerpunkt seines Regelungskonzepts in der Herstellung von Transparenz, Öffentlichkeit und einer vollständigen Dokumentation des mit einer Verständigung verbundenen Geschehens gesehen, die wiederum die von ihm als erforderlich bewertete „vollumfängliche“ Rechtsmittelkontrolle ermöglichen und wirksam ausgestalten soll (vgl. nur Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung, BTDrucks 16/12310, S. 1, 8 f., 12, 15, sowie Gegenäußerung der Bundesregierung zur Stellungnahme des Bundesrats, BTDrucks 16/12310, S. 22). Das Verlangen nach umfassender Transparenz des Verständigungsgeschehens kennzeichnet die gesetzliche Regelung insgesamt (ebenso BGH, Urteil vom 29. November 2011 - 1 StR 287/11 -, NStZ 2012, S. 347 <348>, und Beschluss vom 22. Februar 2012 - 1 StR 349/11 -, StV 2012, S. 649 <652>). Hiernach muss sich eine Verständigung unter allen Umständen „im Lichte der öffentlichen Hauptverhandlung offenbaren“ (BTDrucks 16/12310, S. 12). 

aa) Als Ausdruck des gesetzgeberischen Willens, Möglichkeiten einer Verständigung in das geltende Strafprozessrechtssystem zu integrieren, ist vor allem die Klarstellung des § 257c Abs. 1 Satz 2 StPO zu verstehen, die in § 244 Abs. 2 StPO niedergelegte Pflicht des Gerichts zur Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen bleibe „unberührt“. Der Wortlaut von § 257c Abs. 1 Satz 2 StPO ist eindeutig; die Norm schließt jede Disposition über Gegenstand und Umfang der dem Gericht von Amts wegen obliegenden Pflicht zur Aufklärung des mit der Anklage vorgeworfenen Geschehens aus. Damit wird hervorgehoben, dass eine Verständigung niemals als solche die Grundlage eines Urteils bilden kann, sondern weiterhin allein und ausschließlich die - ausreichend fundierte - Überzeugung des Gerichts von dem von ihm festzustellenden Sachverhalt maßgeblich bleibt (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BTDrucks 16/12310, S. 13). Dem Gesetzgeber waren die Besonderheiten des aufgrund einer Verständigung abgegebenen Geständnisses, insbesondere dessen erhöhte Fehleranfälligkeit infolge der Anreiz- und Verlockungssituation, in der sich der Angeklagte wie auch sein Verteidiger befinden können, und demzufolge die Gefahr von „Falschgeständnissen“, bewusst, und er hat deshalb die Geltung der Amtsaufklärungspflicht des § 244 Abs. 2 StPO ausdrücklich klargestellt. Dementsprechend bleibt das nach § 244 Abs. 2 StPO erforderliche Maß an Beweiserhebung stets insoweit unberührt, als ein wirksamer Verzicht auf (weitere) Beweisanträge und Beweiserhebungen sich nicht außerhalb dessen bewegen kann, was durch die unverändert geltende Sachaufklärungspflicht des Gerichtes bestimmt ist (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BTDrucks 16/12310, S. 13; siehe auch BGH, Beschluss vom 31. Januar 2012 - 3 StR 285/11 -, StV 2012, S. 653 <654>; BGH, Beschluss vom 7. Februar 2012 - 3 StR 335/11 -, juris, Rn. 5). 

Die Regelung des § 257c Abs. 4 Satz 1 StPO, nach der die Bindung des Gerichts an eine Verständigung entfällt, wenn rechtlich oder tatsächlich bedeutsame Umstände übersehen worden sind oder sich neu ergeben haben und das Gericht deswegen zu der Überzeugung gelangt, dass der in Aussicht gestellte Strafrahmen nicht mehr tat- oder schuldangemessen ist, baut auf der Amtsaufklärungspflicht des § 244 Abs. 2 StPO auf und bestätigt die dargelegte Grundentscheidung des Gesetzgebers. Entsprechendes gilt für das die Zulässigkeit von Verständigungen nach § 257c Abs. 1 Satz 1 StPObeschränkende Kriterium der „geeigneten Fälle“, mit dem der Gesetzgeber nicht nur die Anwendung der Verständigung im Jugendstrafverfahren mit Blick auf den dieses beherrschenden Erziehungsgedanken einschränken, sondern vor allem auch sicherstellen wollte, dass das Gericht nicht vorschnell auf eine Verständigung ausweicht, ohne zuvor pflichtgemäß die Anklage tatsächlich und rechtlich überprüft zu haben (vgl. Begründung zum Regierungsentwurf, BTDrucks 16/12310, S. 10, 13; siehe auch BGHSt 50, 40 <49>, sowie BGH, Beschlüsse vom 20. April 2004 - 5 StR 11/04 -, juris, Rn. 14 ff., und vom 9. Juni 2004 - 5 StR 579/03 -, juris, Rn. 13 ff.). 

Aufgrund des klarstellenden Hinweises auf § 244 Abs. 2 StPO durch § 257c Abs. 1 Satz 2 StPO bedurfte es auch keiner zusätzlichen ausdrücklichen Festlegung der an ein Geständnis zu stellenden „Qualitätsanforderungen“. Vielmehr genügt dieser Hinweis, um einerseits zu verdeutlichen, dass auch in der Verständigungssituation ein bloßes inhaltsleeres Formalgeständnis - vor allem, wenn die Beantwortung von Fragen zum Sachverhalt verweigert wird - oder gar die nicht einmal ein Geständnis darstellende schlichte Erklärung, der Anklage nicht entgegenzutreten, allein keine taugliche Grundlage der richterlichen Überzeugungsbildung sein können. Andererseits hat es der Gesetzgeber damit den Gerichten ermöglicht, den Besonderheiten des Einzelfalls Rechnung zu tragen. 

Vor dem Hintergrund des Regelungsziels, die Grundsätze der Amtsaufklärungspflicht des Gerichts und der richterlichen Überzeugungsbildung unangetastet zu lassen, kann § 257c Abs. 1 Satz 2 StPO zudem nur so verstanden werden, dass das verständigungsbasierte Geständnis zwingend auf seine Richtigkeit zu überprüfen ist. Diese Überprüfung hat sich - unter zusätzlicher Berücksichtigung des Grundanliegens des Gesetzgebers, Verständigungen transparent und kontrollierbar zu machen - durch Beweiserhebung in der Hauptverhandlung (vgl. § 261 StPO) zu vollziehen. Freilich kann dies nicht bedeuten, dass die Überprüfung eines verständigungsbasierten Geständnisses strengeren Anforderungen unterliegt als sie an eine Beweisaufnahme in der nach herkömmlicher Verfahrensweise geführten Hauptverhandlung nach Abgabe eines Geständnisses zu stellen wären; so bleiben etwa Vorhalte oder das Selbstleseverfahren nach den allgemeinen Regeln möglich. Es genügt jedoch nicht, das verständigungsbasierte Geständnis durch einen bloßen Abgleich mit der Aktenlage zu überprüfen (anders noch BGHSt 50, 40 <49>, in diese Richtung auch Schmitt, StraFo 2012, S. 386 <387 f.>), da dies keine hinreichende Grundlage für die erforderliche Überzeugungsbildung aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung (§ 261 StPO) darstellt und mit einem solchen Verständnis dem Transparenzanliegen des Verständigungsgesetzes und der Ermöglichung einer wirksamen Kontrolle verständigungsbasierter Urteile gerade nicht Rechnung getragen werden könnte. 

Dieses Verständnis des § 257c Abs. 1 Satz 2 StPO wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass hiernach der Raum für Verständigungen - insbesondere mit Blick auf das Ausmaß der ermöglichten Verfahrensabkürzung - spürbar eingeengt wird. Diese Wirkung ist nicht etwa Ausdruck einer unauflösbaren inneren Widersprüchlichkeit der Norm, sondern achtet das ausdrückliche Ziel des Gesetzgebers, die Verständigung mit den Grundsätzen der Amtsaufklärung nach § 244 Abs. 2 StPO und der richterlichen Überzeugungsbildung in Einklang zu bringen. Die Beschränkung des praktischen Anwendungsbereichs von Verständigungen ist die zwangsläufige Konsequenz der Einfügung von Verständigungsmöglichkeiten in das System des geltenden Strafprozessrechts. 

bb) Nach dem Regelungsziel des Gesetzgebers, weiterhin ein der Wahrheitserforschung und der Findung einer gerechten, schuldangemessenen Strafe verpflichtetes Strafverfahren sicherzustellen, bleiben nicht nur die tatsächlichen Feststellungen, sondern auch deren rechtliche Würdigung der Disposition der an einer Verständigung Beteiligten entzogen (ebenso BGH, Urteil vom 21. Juni 2012 - 4 StR 623/11 -, juris, Rn. 16). Unmittelbaren Ausdruck findet das gesetzliche Regelungsanliegen in § 257c Abs. 2 Satz 1 StPO, der den zulässigen Gegenstand von Verständigungen ausdrücklich auf die „Rechtsfolgen“ beschränkt, ferner in dem von § 257c Abs. 2 Satz 3 StPO ausgesprochenen Verbot einer Verständigung über den Schuldspruch und dem Wegfall der Bindungswirkung einer Verständigung unter den Voraussetzungen des § 257c Abs. 4 Satz 1 und 2 StPO

Aus § 257c Abs. 2 Satz 1 StPO folgt unter Berücksichtigung der Systematik und von Sinn und Zweck des gesetzlichen Regelungskonzepts insbesondere, dass eine Strafrahmenverschiebung nicht Gegenstand einer Verständigung sein darf, und zwar auch dann nicht, wenn sie sich auf Sonderstrafrahmen für besonders schwere oder minder schwere Fälle im Vergleich zum Regelstrafrahmen bezieht. Zwar handelt es sich bei diesen Sonderstrafrahmen nach herrschender Meinung (vgl. BGHSt 23, 254 <256>; 26, 104 <105>; Stree/Kinzig, in: Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl. 2010, Vor §§ 38 ff., Rn. 47; Theune, in: Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Aufl. 2007, Vor §§ 46 ff. Rn. 18) um gesetzliche Strafzumessungsregeln, die mit Ausnahme von § 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB nicht in den Urteilstenor aufzunehmen sind. Allerdings weist die Regelungstechnik der besonders schweren und minder schweren Fälle eine spezifische Nähe zu Qualifikations- und Privilegierungstatbeständen auf. Wesentliche Unterschiede zwischen diesen Regelungsbereichen sind im Hinblick auf die Schuldangemessenheit des Strafens nicht zu erkennen. So werden die Regelbeispiele besonders schwerer Fälle als „tatbestandsähnlich“ angesehen (vgl. BGHSt 33, 370 <374>; BGH, Beschluss vom 21. Oktober 1997 - 5 StR 328/97 -, NStZ 1998, S. 91 <92>; Urteil vom 7. August 2001 - 1 StR 470/00 -, NStZ 2001, S. 642 <643>; Beschluss vom 28. Juli 2010 - 1 StR 332/10 -, NStZ 2011, S. 167). Die Regelungstechnik unterfällt auch dem Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG (vgl. BVerfGE 45, 363 <371>) sowie dem Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB (vgl. BGH, Beschlüsse vom 22. April 2004 - 3 StR 113/04-, NStZ-RR 2004, S. 262, und vom 20. Juli 2004 - 3 StR 231/04 -, NStZ-RR 2005, S. 373 <374>). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein Fall besonders schwer, wenn er sich nach dem Gewicht von Unrecht und Schuld vom Durchschnitt vorkommender Fälle so abhebt, dass die Anwendung des Ausnahmestrafrahmens geboten ist (vgl. BGHSt 28, 318, <319 f.>; BGH, Urteil vom 26. Juni 1991 - 3 StR 145/91 -, NStZ 1991, S. 529 <530>); für das Vorliegen eines minder schweren Falls ist zu prüfen, ob das gesamte Tatbild einschließlich aller subjektiven Momente und der Täterpersönlichkeit vom Durchschnitt der erfahrungsgemäß vorkommenden Fälle in einem so erheblichen Maß abweicht, dass die Anwendung des milderen Strafrahmens geboten erscheint (vgl. BGH, Beschluss vom 31. August 2000 - 5 StR 349/00 -, NJW 2000, S. 3580; Urteil vom 13. Februar 2003 - 3 StR 349/02 -, NJW 2003, S. 1679 <1680>; Beschluss vom 26. August 2008 - 3 StR 316/08 -, NStZ 2009, S. 37). Auch die Sonderstrafrahmen sind daher - wie jeder Strafrahmen - Ausdruck des Unwert- und Schuldgehalts, den der Gesetzgeber einem unter Strafe gestellten Verhalten beigemessen hat. Mit der Normierung von Sonderstrafrahmen bringt der Gesetzgeber - nicht anders als bei Qualifikationen und Privilegierungen - zum Ausdruck, innerhalb eines Deliktstypus eine Differenzierung schon auf der Ebene der Strafrahmenwahl für geboten zu erachten. Bei umfassender Würdigung des dem Verständigungsgesetz zugrundeliegenden Regelungskonzepts kann deshalb nicht davon ausgegangen werden, der Gesetzgeber habe diese Bewertung für den Fall einer Verständigung aufgeben und den Begriff der „Rechtsfolge“ in § 257c Abs. 2 Satz 1 StPO auch auf Strafrahmenverschiebungen ausdehnen wollen. 
c) Mit den Vorschriften des Verständigungsgesetzes hat die Zulassung von Verständigungen im Strafverfahren eine abschließende Regelung erfahren. Außerhalb des gesetzlichen Regelungskonzepts erfolgende sogenannte informelle Absprachen sind unzulässig. 

aa) Bereits aus dem Wortlaut von § 257c Abs. 1 Satz 1 StPO, der Verständigungen nur „nach Maßgabe der folgenden Absätze“ zulässt, folgt, dass jegliche sonstigen „informellen“ Absprachen, Vereinbarungen und „Gentlemen‘s Agreements“ untersagt sind. Damit wird das Ziel der gesetzlichen Regelung, der Verständigung zur Herstellung von Rechtssicherheit und der Gewährleistung einer gleichmäßigen Rechtsanwendung durch ein „umfassendes und differenziertes Regelungskonzept“ (Gesetzentwurf der Bundesregierung, BTDrucks 16/12310, S. 7 f., 9) klare Vorgaben zu setzen, verwirklicht. Hätte die Regelung keinen abschließenden Charakter, könnten die vom Gesetzgeber als erforderlich erachteten flankierenden Vorschriften, die Transparenz und Öffentlichkeit des mit einer Verständigung verbundenen Geschehens sichern, die ihnen zur Ermöglichung einer wirksamen Kontrolle von Verständigungen zugedachte Funktion von vornherein nicht wirksam erfüllen. Hierin liegt aber gerade ein zentrales Anliegen des Gesetzgebers. So ist im Gesetzgebungsverfahren die in der Stellungnahme des Bundesrats kritisierte Regelung des sogenannten „Negativattests“ in § 273 Abs. 1a Satz 3 StPO mit dem Argument verteidigt worden, dass mit ihrer Streichung „eine wichtige Regelung entfiele, die dazu dienen soll, mit höchst möglicher Gewissheit und in der Revision überprüfbar das Geschehen in der Hauptverhandlung zu dokumentieren und auszuschließen, dass ‚stillschweigend‘ und ohne Beachtung der gesetzlichen Förmlichkeiten eine Verständigung stattgefunden hat“ (Gegenäußerung der Bundesregierung zur Stellungnahme des Bundesrats, BTDrucks 16/12310, S. 22). Schließlich findet sich in dem Anliegen, eine „vollumfängliche“ Kontrolle durch das Rechtsmittelgericht zu gewährleisten, eine Bestätigung des abschließenden Charakters des gesetzlichen Regelungskonzepts. Diese Kontrolle soll nämlich gerade „einen unterstützenden Beitrag dazu leisten, dass Verständigungen in erster Instanz wirklich so ablaufen, wie es den Vorgaben des Gesetzgebers entspricht“ (Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BTDrucks 16/12310, S. 9). 

In Anbetracht der strikten Bindung jeglicher Ausübung hoheitlicher Gewalt an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG) bedurfte die Absicht des Gesetzgebers, nur solche Verständigungen zuzulassen, die sich innerhalb des vom Gesetz gezogenen Rahmens bewegen, keiner weiteren ausdrücklichen Hervorhebung. 

bb) Aus dem gesetzlichen Regelungskonzept zum Inhalt, zum Zustandekommen und zu den Folgen einer Verständigung folgt unter anderem, dass ein wirksamer Rechtsmittelverzicht auch dann ausgeschlossen ist, wenn sich die Beteiligten unter Verstoß gegen die gesetzlichen Vorschriften verständigt haben (vgl. dazu bereits BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 5. März 2012 - 2 BvR 1464/11 -, juris, Rn. 21 ff.; ebenso etwa Jahn/Müller, NJW 2009, S. 2625 <2630>; Schmitt, StraFo 2012, S. 386 <393>). Eine solche Verständigung unterliegt zudem der Protokollierungspflicht nach § 273 Abs. 1a Satz 1 StPO. Sollte in letzterem Fall ein Negativattest nach § 273 Abs. 1a Satz 3 StPO erteilt werden, wäre dieses falsch und könnte den Tatbestand der Falschbeurkundung im Amt (§ 348 StGB) erfüllen. 

cc) Ebenso wenig können etwaige Zusagen der Staatsanwaltschaft, andere bei ihr anhängige Ermittlungsverfahren - etwa nach § 154 Abs. 1 StPO - einzustellen, eine Bindungswirkung oder ein schutzwürdiges Vertrauen auslösen (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BTDrucks 16/12310, S. 13; anders noch zur Rechtslage vor dem Verständigungsgesetz BGHSt 37, 10 <13 f.>). Aus dem Wortlaut von § 257c Abs. 1 und 2 StPO folgt, dass sich Verständigungen ausschließlich auf das „zugrundeliegende Erkenntnisverfahren“ beziehen dürfen, also sogenannte „Gesamtlösungen“ unter Einbeziehung anderer Verfahren und nicht in der Kompetenz des Gerichts liegende Zusagen unzulässig sind (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Oktober 2010 - 2 StR 354/10 -, wistra 2011, S. 28; siehe auch Stuckenberg, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2013, § 257c Rn. 34; Schmitt, StraFo 2012, S. 386 <387>). Nur dieses Verständnis entspricht dem Ziel des Gesetzgebers, Verständigungen transparent und kontrollierbar zu machen. Bei Einbeziehung anderer, nicht den Gegenstand der Hauptverhandlung bildender Verfahren ist insoweit eine wirksame Kontrolle der Verständigung - insbesondere durch die Öffentlichkeit - nicht gewährleistet. 

d) Einen Schwerpunkt des Regelungskonzeptes des Verständigungsgesetzes bildet die Gewährleistung der vom Gesetzgeber ausdrücklich als „erforderlich“ bewerteten Transparenz und Dokumentation des mit einer Verständigung verbundenen Geschehens als Voraussetzung einer effektiven Kontrolle durch die Öffentlichkeit, die Staatsanwaltschaft und das Rechtsmittelgericht (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BTDrucks 16/12310, S. 1, 8 f.). Zur Erreichung dieses Ziels hat der Gesetzgeber spezifische, das Regelungskonzept prägende Schutzmechanismen vorgesehen. 

aa) In der Konzeption des Gesetzgebers kommt der Öffentlichkeit der Hauptverhandlung eine zentrale Bedeutung zu. Mit dem Gebot, die mit einer Verständigung verbundenen Vorgänge umfassend in die Hauptverhandlung einzubeziehen, gewährleistet der Gesetzgeber nicht nur vollständige Transparenz; er legt zugleich besonderes Gewicht auf die Kontrollfunktion der Öffentlichkeit der Hauptverhandlung und bekräftigt damit, dass auch im Fall der Verständigung der Inbegriff der Hauptverhandlung die Grundlage der richterlichen Überzeugungsbildung bleibt (§ 261 StPO). 
(1) (a) Dem Gesetzgeber kam es maßgeblich darauf an, die Transparenz der strafgerichtlichen Hauptverhandlung und die Unterrichtung der Öffentlichkeit in der Hauptverhandlung gerade im Falle einer Verständigung zu bewahren; die Verständigung müsse sich „im Lichte der öffentlichen Hauptverhandlung offenbaren“ (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BTDrucks 16/12310, S. 8, 12). Dementsprechend hat das Verständigungsgesetz umfassende Transparenz- und Dokumentationspflichten mit Bezug auf die Hauptverhandlung statuiert. Sie zielen darauf, nicht nur die Verständigung selbst, also den formalen Verständigungsakt des § 257c Abs. 3 StPO, sondern darüber hinausgehend auch die zu einer Verständigung führenden Vorgespräche in die Hauptverhandlung einzuführen. Zwar ist nach der Begründung des Regierungsentwurfs die „Vorbereitung“ einer Verständigung auch außerhalb der Hauptverhandlung möglich. Gegenstand einer Erörterung im Vorfeld der Hauptverhandlung kann es danach auch sein, Möglichkeit und Umstände einer Verständigung zu besprechen (vgl. BTDrucks 16/12310, S. 9, 12). Für alle Erörterungen außerhalb der Hauptverhandlung verlangt § 243 Abs. 4 StPO eine Mitteilung deren „wesentlichen Inhalts“. Diese Mitteilung ist gemäß § 273 Abs. 1a Satz 2 StPO zu protokollieren. Demgegenüber sind hinsichtlich der Verständigung selbst gemäß § 273 Abs. 1a Satz 1 StPO der wesentliche Ablauf und Inhalt sowie das Ergebnis wiederzugeben. Die Protokollierungspflicht hinsichtlich der Verständigung geht also über die Protokollierung der nach § 243 Abs. 4 StPO vorgeschriebenen Mitteilung hinaus. Dem liegt zugrunde, dass die Verständigung als solche nach § 257c Abs. 1 StPO nur in der Hauptverhandlung erfolgen kann. Die im Vergleich zur Verständigung selbst reduzierte Pflicht zur Dokumentation der Gespräche zur Vorbereitung einer Verständigung außerhalb der Hauptverhandlung gemäß § 273 Abs. 1a Satz 2, § 243 Abs. 4 StPO fügt sich in das vom Gesetzgeber verfolgte Konzept der Stärkung der Transparenz und Dokumentation ein, weil die Verständigung selbst erst in der Hauptverhandlung stattfinden kann und § 273 Abs. 1a Satz 1 StPOdie Dokumentation der wesentlichen Abläufe, des Inhalts und des Ergebnisses dieser Verständigung gebietet. Alle wesentlichen Elemente einer Verständigung, zu denen angesichts des vom Gesetzgeber verfolgten Konzepts auch außerhalb der Hauptverhandlung geführte Vorgespräche zählen, sind zum Gegenstand der Erörterung in der Hauptverhandlung zu machen und unterliegen der Protokollierungspflicht nach § 273 Abs. 1a Satz 1 StPO

(b) Hinsichtlich des Inhalts möglicher Erörterungen des Gerichts mit den Verfahrensbeteiligten und der dabei bestehenden Transparenz- und Dokumentationspflichten ist zu unterscheiden: 

(aa) Möglich sind Gespräche, die ausschließlich der Organisation sowie der verfahrenstechnischen Vorbereitung und Durchführung der Hauptverhandlung dienen, etwa die Abstimmung der Verhandlungstermine. Mangels eines Bezugs auf das Verfahrensergebnis sind diese Gespräche dem Regelungskonzept des Verständigungsgesetzes vorgelagert und von ihm nicht betroffen. Sie unterliegen deshalb nicht der Mitteilungspflicht des § 243 Abs. 4 StPO

(bb) In Betracht kommen weiterhin Gespräche, die als Vorbereitung einer Verständigung verstanden werden können und über deren wesentlichen Inhalt deshalb nach § 243 Abs. 4 StPO in der Hauptverhandlung zu informieren ist. Die Mitteilungspflicht greift ein, sobald bei im Vorfeld oder neben der Hauptverhandlung geführten Gesprächen ausdrücklich oder konkludent die Möglichkeit und die Umstände (vgl. BTDrucks 16/12310, S. 12) einer Verständigung im Raum stehen. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn Fragen des prozessualen Verhaltens in Konnex zum Verfahrensergebnis gebracht werden und damit die Frage nach oder die Äußerung zu einer Straferwartung naheliegt. Im Zweifel wird in der Hauptverhandlung zu informieren sein. Zum mitzuteilenden Inhalt solcher Erörterungen gehört, welche Standpunkte von den einzelnen Gesprächsteilnehmern vertreten wurden, von welcher Seite die Frage einer Verständigung aufgeworfen wurde und ob sie bei anderen Gesprächsteilnehmern auf Zustimmung oder Ablehnung gestoßen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Oktober 2010 - 3 StR 287/10 -, juris; siehe auch Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl. 2012, § 243 Rn. 18a; Altenhain/Haimerl, JZ 2010, S. 327 <336>; Schlothauer/Weider, StV 2009, S. 600 <603>). Fehlt im Hauptverhandlungsprotokoll der nach § 273 Abs. 1a Satz 2 StPO vorgeschriebene Hinweis auf eine Mitteilung nach § 243 Abs. 4 StPO, ergibt sich daraus lediglich, dass eine solche Mitteilung in der Hauptverhandlung unterblieben ist, nicht aber, dass es keine Erörterungen außerhalb der Hauptverhandlung gegeben hat, weil diese Tatsache nicht von der negativen Beweiskraft des Protokolls (§ 274 StPO) umfasst ist (a.A. ohne nähere Begründung Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl. 2012, § 243 Rn. 18a a.E.). 

(cc) Die Verständigung selbst hat zwingend in der Hauptverhandlung stattzufinden, wo die vom Gesetzgeber verlangte Protokollierung nach § 273 Abs. 1a Satz 1 StPO und damit eine Voraussetzung vollumfänglicher Kontrolle gewährleistet ist. Zum „wesentlichen Ablauf und Inhalt“ im Sinne dieser Norm gehört nach Sinn und Zweck der Dokumentationspflicht insbesondere, wer die Anregung zu den Gesprächen gab und welchen Inhalt die einzelnen „Diskussionsbeiträge“ aller Verfahrensbeteiligten sowie der Richter hatten, insbesondere von welchem Sachverhalt sie hierbei ausgingen und welche Ergebnisvorstellungen sie äußerten (vgl. Stuckenberg, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2013, § 257c Rn. 71). 

(2) Darüber hinaus folgt aus dem Ziel des Gesetzgebers, die Verständigung in das Licht der öffentlichen Hauptverhandlung zu stellen, dass er der Kontrollfunktion der Öffentlichkeit besondere Bedeutung beigemessen hat. 

Der in § 169 GVG niedergelegte Öffentlichkeitsgrundsatz soll eine Kontrolle der Justiz durch die am Verfahren nicht beteiligte Öffentlichkeit ermöglichen und ist Ausdruck der demokratischen Idee. Die mit der Möglichkeit einer Beobachtung der Hauptverhandlung durch die Allgemeinheit verbundene öffentliche Kontrolle der Justiz, die historisch als unverzichtbares Institut zur Verhinderung obrigkeitlicher Willkür eingeführt wurde (vgl. zum Ganzen Wickern, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2010, Vor § 169 GVG Rn. 2 ff. m.w.N.), erhält als demokratisches Gebot durch die gesetzliche Zulassung der in eine vertrauliche Atmosphäre drängenden Verständigungen zusätzliches Gewicht. Dem hat der Gesetzgeber durch die Mitteilungspflicht in § 243 Abs. 4 StPO Rechnung getragen (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BTDrucks 16/12310, S. 12). 
Die Öffentlichkeit kann ihre Kontrollfunktion nur ausüben, wenn sie die Informationen erhält, die zur Beurteilung der Angemessenheit einer etwaigen Verständigung erforderlich sind. Nur so bleibt der gerichtliche Entscheidungsprozess transparent und die Rechtsprechung auch in Verständigungsfällen für die Allgemeinheit durchschaubar. Dies ist notwendig, damit das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Fähigkeit des Staates, mittels einer wirksamen Strafverfolgung öffentliche Sicherheit und Ordnung zu gewährleisten (vgl. zu dieser Aufgabe des Öffentlichkeitsgrundsatzes Wickern, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2010, Vor § 169 GVG Rn. 2 ff.) und Gerechtigkeit im Einzelfall sowie eine gleichmäßige Behandlung aller zu garantieren, uneingeschränkt aufrechterhalten werden kann. 

(3) Die Einbeziehung des zu einer Verständigung führenden Geschehens in die öffentliche Hauptverhandlung hat auch die Aufgabe, deren Funktion als alleinige Grundlage richterlicher Überzeugungsbildung zu wahren. Nach dem Willen des Gesetzgebers soll diese Funktion der öffentlichen Hauptverhandlung unberührt bleiben. In den Materialien wird ausdrücklich hervorgehoben, dass die Überzeugung des Gerichts von dem festzustellenden Sachverhalt stets erforderlich bleibt und eine Verständigung als solche niemals die Grundlage eines Urteils bilden kann (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BTDrucks 16/12310, S. 8, 13). Das Gericht bildet sich seine Überzeugung aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung (vgl. § 261 StPO). Dieser Grundsatz ist nicht zuletzt im Hinblick auf die während der Hauptverhandlung das Richteramt in vollem Umfang und mit gleichem Stimmrecht wie die Berufsrichter ausübenden Schöffen (§§ 30, 77 Abs. 1 GVG) von Bedeutung. Da aus § 257c Abs. 4 StPO folgt, dass der Gesetzgeber der Verständigung eine - wenn auch nur eingeschränkte - Bindungswirkung für das Gericht beigemessen hat, musste er zugleich gewährleisten, dass die Schöffen in das zu einer Verständigung führende Geschehen, soweit es in der Hauptverhandlung stattfindet, unmittelbar eingebunden und im Übrigen nach § 243 Abs. 4 StPO umfassend über dieses unterrichtet sind. Anderenfalls wäre ihnen eine verantwortbare Entscheidung über die Verständigung - insbesondere die damit verbundene Zusage einer Strafobergrenze und Ankündigung einer Strafuntergrenze - und über den Inhalt des nach einer Verständigung oder nach dem Scheitern von Verständigungsbemühungen ergehenden Urteils nicht möglich. Dementsprechend ermöglicht § 257c StPO es ausschließlich „dem Gericht“ - nicht nur dem Vorsitzenden oder nur den Berufsrichtern -, eine Verständigung mit den Verfahrensbeteiligten herbeizuführen. Damit ist es ausgeschlossen, dass ohne eine Beteiligung der Schöffen Strafgrenzen mit der Bindungswirkung des § 257c Abs. 4 StPO in Aussicht gestellt werden. 

bb) Mit dem Erfordernis ihrer Zustimmung zu einer Verständigung weist der Gesetzgeber der Staatsanwaltschaft eine aktive Rolle bei der Verwirklichung seines Ziels zu, eine wirksame Kontrolle von Verständigungen zu gewährleisten. 

Ihr ist die Aufgabe zugewiesen, an der Sicherung der Gesetzmäßigkeit des Verfahrensablaufs und -ergebnisses mitzuwirken. Mit ihrer Verpflichtung zur Objektivität (§ 160 Abs. 2 StPO) ist sie Garantin für Rechtsstaatlichkeit und gesetzmäßige Verfahrensabläufe; als Vertreterin der Anklage gewährleistet sie eine effektive Strafrechtspflege (vgl. Kühne, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2006, Einl. J Rn. 42). Diese Bedeutung der Staatsanwaltschaft ist nicht auf die erstinstanzliche Hauptverhandlung beschränkt, sondern setzt sich in ihrer Aufgabenstellung im Rechtsmittelverfahren fort (vgl. § 296 Abs. 2, § 301 StPO). Ihren Niederschlag hat diese Stellung der Staatsanwaltschaft in den Bestimmungen der Nr. 127 Abs. 1 Satz 1 und Nr. 147 Abs. 1 der Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV) gefunden. 

In der Verständigungssituation kommt der Kontrolle durch die Staatsanwaltschaft herausgehobene Bedeutung zu, weil sich Angeklagter und Gericht hinsichtlich des möglichen Verfahrensergebnisses einer - wenngleich eingeschränkten - Bindung unterwerfen. Die Einbindung der Staatsanwaltschaft in die Verständigung hat damit vor allem den Zweck, deren Gesetzmäßigkeit zu sichern (vgl. auch BGH, Beschluss vom 5. Mai 2011 - 1 StR 116/11 -, juris, Rn. 23 f.; BGH, Beschluss vom 12. Juli 2011 - 1 StR 274/11 -, StV 2011, S. 645 f.; BGH, Urteil vom 9. November 2011 - 1 StR 302/11 -, juris, Rn. 45). Dem Verständigungsgesetz liegt die Erwartung zugrunde, dass die Staatsanwaltschaft - entsprechend ihrer Rolle als „Wächter des Gesetzes“ (vgl. hierzu Promemoria der Staats- und Justiz-Minister von Savigny und Uhden über die Einführung der Staats-Anwaltschaft im Kriminal-Prozesse vom 23. März 1846, abgedruckt bei Otto, Die Preußische Staatsanwaltschaft, 1899, S. 40 ff.) - sich gesetzwidrigen Vorgehensweisen im Zusammenhang mit Verständigungen verweigert. Weisungsgebundenheit und Berichtspflichten ermöglichen es, einheitliche Standards für die Erteilung der Zustimmung zu Verständigungen sowie für die Ausübung der Rechtsmittelbefugnis aufzustellen und durchzusetzen. Die Staatsanwaltschaft ist nicht nur gehalten, ihre Zustimmung zu einer gesetzwidrigen Verständigung zu versagen. Sie hat darüber hinaus gegen Urteile, die - beispielsweise von der Staatsanwaltschaft zunächst unerkannt - auf solchen Verständigungen beruhen, Rechtsmittel einzulegen. In Anbetracht der hohen Bedeutung, die der Gesetzgeber der Wahrung der verfassungsrechtlichen Vorgaben an den Strafprozess auch in Verständigungsfällen beigemessen hat, werden Verstöße gegen die Vorgaben des Verständigungsgesetzes in der Regel von wesentlicher Bedeutung (vgl. auch Nr. 147 Abs. 1 Satz 1 RiStBV) und deshalb durch die Staatsanwaltschaft einer revisionsgerichtlichen Kontrolle zuzuführen sein. Auch kann es angezeigt sein, dass sich die Generalstaatsanwaltschaften dieser Aufgabe in besonderer Weise annehmen. 

cc) Schließlich verfolgen die in dem Regelungskonzept des Verständigungsgesetzes vorgesehenen Schutzmechanismen das Ziel, eine wirksame „vollumfängliche“ Kontrolle verständigungsbasierter Urteile durch das Rechtsmittelgericht zu ermöglichen. 

(1) Diese Kontrolle soll dazu beitragen, dass „Verständigungen in erster Instanz wirklich so ablaufen, wie es den Vorgaben des Gesetzgebers entspricht“ (Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BTDrucks 16/12310, S. 9). Hiernach verzichtete der Gesetzgeber darauf, nach vorangegangener Verständigung Rechtsmittel auszuschließen oder einzuschränken, um die Verständigung in einer insbesondere mit dem Gebot schuldangemessenen Strafens und der daraus folgenden Pflicht zur Erforschung der materiellen Wahrheit in Einklang stehenden Weise in das geltende Strafverfahren integrieren zu können (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BTDrucks 16/12310, S. 1 f., 8 f.; siehe auch Stellungnahme der Bundesregierung zum Gesetzentwurf des Bundesrats, BTDrucks 16/4197, S. 12). Mit dieser Zielsetzung grenzt sich das Regelungskonzept des Verständigungsgesetzes ausdrücklich von dem vom Bundesrat vorgelegten Entwurf eines Gesetzes zur Regelung von Absprachen im Strafverfahren (BTDrucks 16/4197) ab, der die Rechtsmittelmöglichkeiten gegen ein verständigungsbasiertes Urteil durch einen Ausschluss der Berufung sowie eine Beschränkung der Revision auf im Zusammenhang mit der Verständigung stehende Verfahrensfehler und die Revisionsgründe des § 338 StPO wesentlich einschränken wollte (vgl. Gesetzentwurf und Begründung des Bundesrats, BTDrucks 16/4197, S. 5 f., 7, 11 sowie die Stellungnahme der Bundesregierung, BTDrucks 16/4197, S. 12). Die im Gesetzentwurf der Bundesregierung vorgesehene Möglichkeit eines Rechtsmittelverzichts nach gesonderter qualifizierter Belehrung hat der Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages verworfen, um sicherzustellen, dass sich die Berechtigten in Ruhe und ohne Druck überlegen können, ob sie Rechtsmittel einlegen wollen (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, BTDrucks 16/12310, S. 6, 15 sowie Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BTDrucks 16/13095, S. 7, 10). In bewusster Abkehr von den Entwürfen schränkt das Verständigungsgesetz die Rechtsmittelmöglichkeiten gegen verständigungsbasierte Urteile nicht ein, sondern schließt - über die dem Regelungskonzept weitgehend zugrundeliegende Entscheidung des Großen Strafsenats des Bundesgerichtshofs (BGHSt 50, 40 ff.) hinausgehend - einen Rechtsmittelverzicht nach einer Verständigung generell aus (§ 302 Abs. 1 Satz 2 StPO) und sichert die Ermöglichung einer Rechtsmittelkontrolle durch das Erfordernis einer qualifizierten Belehrung noch zusätzlich ab. 

(2) Die Wirksamkeit der Kontrolle soll durch umfassende Transparenz- und Dokumentationspflichten sichergestellt werden. Diese Schutzmechanismen können nicht als bloße Ordnungsvorschriften verstanden werden. Die Gewährleistung einer „vollumfänglichen“ Kontrolle verständigungsbasierter Urteile setzt umfassende Transparenz des Verständigungsgeschehens in der öffentlichen Hauptverhandlung sowie eine vollständige Dokumentation im Verhandlungsprotokoll voraus. Dementsprechend kommt im Wortlaut der Normen, in der Systematik des Regelungskonzepts und in den Materialien unmissverständlich zum Ausdruck, dass der Gesetzgeber eine Verständigung nur bei Wahrung der Transparenz- und Dokumentationspflichten für zulässig hält. Das gesetzliche Regelungskonzept ist damit als eine untrennbare Einheit aus Zulassung und inhaltlicher Beschränkung von Verständigungen bei gleichzeitiger Einhegung durch die Mitteilungs-, Belehrungs- und Dokumentationspflichten zu begreifen. Dabei dienen die Verfahrensnormen in gleicher Weise wie die den zulässigen Inhalt von Verständigungen beschränkenden Vorschriften und der Verweis des § 257c Abs. 1 Satz 2 StPO auf § 244 Abs. 2 StPO dem Ziel, die mit einer urteilsbezogenen Verständigung zwischen Gericht und Verfahrensbeteiligten verbundenen Risiken für die Verwirklichung der verfassungsrechtlichen Vorgaben an den Strafprozess zu minimieren. Die Vorschriften zur Transparenz des Verständigungsgeschehens in der öffentlichen Hauptverhandlung, zu dessen Dokumentation und zur Ermöglichung einer wirksamen Kontrolle auch durch das Rechtsmittelgericht zählen zum Kern des gesetzlichen Regelungskonzepts. 

(3) Ein Verstoß gegen die Transparenz- und Dokumentationspflichten führt deshalb grundsätzlich zur Rechtswidrigkeit einer gleichwohl getroffenen Verständigung. Hält sich das Gericht an eine solche gesetzwidrige Verständigung, wird ein Beruhen des Urteils auf diesem Gesetzesverstoß regelmäßig schon deshalb nicht auszuschließen sein, weil die Verständigung, auf der das Urteil beruht, ihrerseits mit einem Gesetzesverstoß behaftet ist. Diese Auslegung entspricht der Funktion dieser Vorschriften im Konzept des Verständigungsgesetzes. Dass Verstöße gegen die verfahrensrechtlichen Sicherungen der Verständigung nicht den absoluten Revisionsgründen zugeordnet worden sind, steht einer Auslegung des § 337 Abs. 1 StPO nicht entgegen, derzufolge das Revisionsgericht ein Beruhen des Urteils auf einem Verstoß gegen Transparenz- und Dokumentationspflichten - die nach dem Willen des Gesetzgebers gerade zum Kern des dem Verständigungsgesetz zugrunde liegenden Schutzkonzepts gehören - nur in besonderen Ausnahmefällen wird ausschließen können (vgl. zur Verletzung von § 258 Abs. 2 und 3 StPOBGHSt 21, 288<290>; 22, 278 <280 f.>). 

(4) Kommt eine Verständigung nicht zustande und fehlt es an der gebotenen Negativmitteilung nach § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Oktober 2010 - 3 StR 287/10 -, wistra 2011, S. 72 f. = StV 2011, S. 72 f.) oder dem vorgeschriebenen Negativattest nach § 273 Abs. 1a Satz 3 StPO, wird nach Sinn und Zweck des gesetzlichen Schutzkonzepts ein Beruhen des Urteils auf einem Verstoß gegen § 257c StPO grundsätzlich ebenfalls nicht auszuschließen sein (str., im Ergebnis wie hier Kirsch, StraFo 2010, S. 96 <100>; Schlothauer, StV 2011, S. 205 <206>; in der Tendenz auch Schmitt, StraFo 2012, S. 386 <390>; anders BGH, Beschluss vom 20. Oktober 2010 - 1 StR 400/10 -, NStZ 2011, S. 592 <593> zu § 243 Abs. 4 StPO), sofern nicht ausnahmsweise zweifelsfrei feststeht, dass es keinerlei Gespräche gegeben hat, in denen die Möglichkeit einer Verständigung im Raum stand (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 30. August 2011 - 32 Ss 87/11 -, juris, Rn. 11, 13). Bei einem Verstoß gegen Transparenz- und Dokumentationspflichten wird sich nämlich in den meisten Fällen nicht sicher ausschließen lassen, dass das Urteil auf eine gesetzwidrige „informelle“ Absprache oder diesbezügliche Gesprächsbemühungen zurückgeht.

e) Aus der in § 257c Abs. 4 StPO getroffenen Regelung ergibt sich zwar einerseits, dass das Gericht (nur) an eine nach den Vorgaben des Gesetzes entsprechende Verständigung grundsätzlich gebunden ist. Andererseits stellt die Regelung zugleich klar, dass die Bindungswirkung entfällt, wenn das Gericht nach Zustandekommen der Verständigung zu der Überzeugung gelangt, dass der nach § 257c Abs. 3 Satz 2 StPO in Aussicht gestellte Strafrahmen nicht (mehr) tat- und schuldangemessen ist. Die Bestimmung des § 257c Abs. 4 StPO ist somit Ausdruck des gesetzgeberischen Willens, die richterliche Überzeugungsbildung unangetastet zu lassen. Mit dem Verwertungsverbot des § 257c Abs. 4 Satz 3 StPO ist dort zudem eine dem Schutz des Angeklagten dienende Vorschrift enthalten, der im Vertrauen auf den Bestand einer Verständigung ein Geständnis abgegeben und damit von seinem Recht, sich nicht zur Sache einzulassen, keinen Gebrauch gemacht und der Verurteilung eine Grundlage verschafft hat. Mit dem Ziel, dem Angeklagten überhaupt eine autonome Entscheidung über das für ihn mit einer Mitwirkung an einer Verständigung verbundene Risiko zu ermöglichen, sieht schließlich § 257c Abs. 5 StPO vor, dass der Angeklagte vor der Verständigung über die Voraussetzungen und Folgen einer Abweichung des Gerichts von dem in Aussicht gestellten Ergebnis zu belehren ist. Hiermit wollte der Gesetzgeber die Fairness des Verständigungsverfahrens sichern und - wie sein Hinweis auf das Ziel der Ermöglichung einer autonomen Einschätzung (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BTDrucks 16/12310, S. 15) bestätigt - zugleich die Autonomie des Angeklagten im weiten Umfang schützen. Der Angeklagte sieht sich durch die Aussicht, mit der Verständigung eine das Gericht bindende Zusage einer Strafobergrenze zu erreichen und so Einfluss auf den Verfahrensausgang zu nehmen, einer besonderen Anreiz- und Verlockungssituation ausgesetzt. Der hiermit einhergehenden Gefährdung der Selbstbelastungsfreiheit soll unter anderem durch die Belehrung nach § 257c Abs. 5 StPO Rechnung getragen werden. Bei einem Verstoß gegen die Belehrungspflicht wird daher im Rahmen der revisionsgerichtlichen Prüfung regelmäßig davon auszugehen sein, dass das Geständnis und damit auch das Urteil auf dem Unterlassen der Belehrung beruht. Ein Beruhen wird nur dann verneint werden können, wenn sich feststellen lässt, dass der Angeklagte das Geständnis auch bei ordnungsgemäßer Belehrung abgegeben hätte (vgl. zu dem in seiner Bedeutung für die Selbstbelastungsfreiheit ähnlich gelagerten Verstoß gegen § 136 Abs. 1 Satz 2 StPOBGHSt 38, 214<226 f.>). Nur so ist gewährleistet, dass die Schutzfunktion der Belehrungspflicht ihre vorgesehene Wirkung entfaltet. 

2. Das Verständigungsgesetz ist mit dem Grundgesetz vereinbar. Dieses schließt Verständigungen im Strafprozess nicht schlechthin aus (a). Der Gesetzgeber hat ausreichende Vorkehrungen getroffen, um zu gewährleisten, dass sich Verständigungen im Rahmen der verfassungsrechtlichen Anforderungen an das Strafverfahren halten (b).

a) Verständigungen im Strafprozess berühren die verfassungsrechtlichen Anforderungen an das Strafverfahren (aa), der Gesetzgeber ist aber nicht gehindert, Verständigungen mit den zur Sicherung der Verfassungsmäßigkeit gebotenen Vorkehrungen zuzulassen (bb). 
aa) Der Strafprozess hat das Schuldprinzip zu verwirklichen und darf sich von dem ihm vorgegebenen Ziel der bestmöglichen Erforschung der materiellen Wahrheit und der Beurteilung der Sach- und Rechtslage durch ein unabhängiges und neutrales Gericht nicht entfernen. Das Fehlen eines nicht an den sachlichen Verfahrenszielen orientierten eigenen Interesses des Gerichts am Verfahrensausgang bildet im Zusammenwirken mit seiner Bindung an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG) die Grundlage für die bestmögliche Ermittlung des wahren Sachverhaltes und die richtige Anwendung des materiellen Rechts auf den festgestellten Sachverhalt. Dabei trägt das Gebot einer schuldangemessenen Bestrafung auch im Einzelfall dem Verlangen nach Rechtsgleichheit als einem der grundlegenden Gerechtigkeitspostulate Rechnung. Das Maß der verwirklichten Schuld legitimiert die Differenzierung in den Rechtsfolgen und sichert so zugleich die gebotene Gleichbehandlung der Beschuldigten im Strafverfahren. 
(1) Das verfassungsrechtliche Schuldprinzip steht nicht zur Disposition des Gesetzgebers (vgl. BVerfGE 123, 267 <413>). Dies schließt es nicht aus, den Strafverfolgungsbehörden Möglichkeiten zu einem Absehen von der Strafverfolgung zu eröffnen, namentlich in Fällen geringfügiger Kriminalität, in denen der Rechtsfrieden nicht ernsthaft beeinträchtigt und eine Kriminalstrafe zum Schuldausgleich nicht zwingend geboten ist, so dass ein öffentliches Interesse an einem Schuldspruch nicht besteht oder durch die Erfüllung von Auflagen oder/und Weisungen beseitigt werden kann. Solche Ausnahmen dürfen die Geltungskraft des Schuldprinzips nicht in Frage stellen und bedürfen stets einer gesetzlichen Regelung, wie sie der Gesetzgeber etwa in den §§ 153 ff. StPO getroffen hat. Als Ausnahmen von der verfassungsrechtlichen Pflicht des Staates zur Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs sind sie fest zu umgrenzen und bedürfen jeweils einer eigenständigen Legitimation (vgl. zu Beschränkungen der Sachverhaltsaufklärung BVerfGE 33, 367 <382 f.>; 46, 214 <222 f.>; 49, 24 <54>; 51, 324 <344>; 129, 208 <260>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 22. August 2000 - 1 BvR 77/96 -, NStZ 2001, S. 43 <44>). 

(2) Als unerlässliche Voraussetzung der Verwirklichung des Schuldprinzips unterliegt auch die Pflicht zur bestmöglichen Erforschung der materiellen Wahrheit nicht der Disposition des Gesetzgebers. Sie ist das bestimmende Ziel, von dem sich der Strafprozess nicht entfernen darf. Allerdings ist es Sache des Gesetzgebers, darüber zu befinden, auf welchen Wegen und mit welchen Mitteln er die Verwirklichung des Schuldprinzips gewährleistet. Es ist dem Gesetzgeber auch nicht versagt, unter Wahrung rechtsstaatlicher Grundsätze für Fälle einfach gelagerter und eindeutiger Sachverhalte - etwa bei einer sich mit den Ermittlungsergebnissen deckenden geständigen Einlassung schon im Ermittlungsverfahren oder bei einem auf frischer Tat angetroffenen Beschuldigten - ein vereinfachtes Verfahren zur Gewinnung der richterlichen Überzeugung von Schuld oder Unschuld des Angeschuldigten und der hieraus zu ziehenden Folgen ohne das Erfordernis einer öffentlichen Hauptverhandlung mit ihrer formalisierten Beweisaufnahme einzurichten, wie es die Strafprozessordnung mit dem Strafbefehlsverfahren gemäß § 407 Abs. 1 und 2 StPO vorsieht (vgl. dazu Gössel, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2009, Vor § 407 Rn. 25 f. m.w.N.). Ermöglichen es die in der Akte befindlichen Unterlagen und Beweismittel dem Richter, sich die Überzeugung von der Richtigkeit des dem Angeschuldigten zur Last gelegten Sachverhalts zu bilden, ist eine öffentliche Hauptverhandlung zur Gewinnung einer tragfähigen Grundlage für die Schuldfeststellung, die rechtliche Beurteilung und die Strafzumessung von Verfassungs wegen nicht zwingend geboten, sofern es der Angeschuldigte in der Hand hat, durch einfache Erklärung die Durchführung einer öffentlichen Hauptverhandlung zu erzwingen (vgl. BVerfGE 25, 158 <164 f.>; BVerfG, Beschlüsse der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 14. Februar 1995 - 2 BvR 1950/94 -, NJW 1995, S. 2545 <2546> und vom 4. Juli 2002 - 2 BvR 2168/00 -, NJW 2002, S. 3534 m.w.N.). 
(3) Das im Grundgesetz verankerte Schuldprinzip und die mit ihm verbundene Pflicht zur Erforschung der materiellen Wahrheit sowie der Grundsatz des fairen, rechtsstaatlichen Verfahrens, die Unschuldsvermutung und die Neutralitätspflicht des Gerichts schließen es jedoch aus, die Handhabung der Wahrheitserforschung, die rechtliche Subsumtion und die Grundsätze der Strafzumessung in der Hauptverhandlung, die letztlich mit einem Urteil zur Schuldfrage abschließen soll, zur freien Disposition der Verfahrensbeteiligten und des Gerichts zu stellen. Dem Gericht muss es untersagt bleiben, im Wege vertragsähnlicher Vereinbarungen mit den Verfahrensbeteiligten über die Pflicht zur Erforschung der materiellen Wahrheit zu verfügen und sich von dem Gebot schuldangemessenen Strafens zu lösen. Es ist Gericht und Staatsanwaltschaft untersagt, sich auf einen „Vergleich“ im Gewande des Urteils, auf einen „Handel mit der Gerechtigkeit“ einzulassen (vgl. schon BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 27. Januar 1987 - 2 BvR 1133/86 -, NJW 1987, S. 2662 <2663>) und mit dem Angeklagten einen bestimmten Schuldspruch oder auch nur eine konkrete Strafe zu vereinbaren. Der Rechtsanwendungspraxis ist es untersagt, das vom Gesetzgeber normierte Strafverfahren in einer Weise zu gestalten, die auf solche vertragsähnliche Erledigungsformen hinausläuft. 

Demgegenüber steht das Grundgesetz unverbindlichen Erörterungen der Beurteilung der Sach- und Rechtslage zwischen dem Gericht und den Verfahrensbeteiligten nicht entgegen. Eine offene, kommunikative Verhandlungsführung kann der Verfahrensförderung dienlich sein und ist daher heute selbstverständliche Anforderung an eine sachgerechte Prozessleitung. So begegnen etwa Rechtsgespräche und Hinweise auf die vorläufige Beurteilung der Beweislage oder die strafmildernde Wirkung eines Geständnisses keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Solche Formen der kommunikativen Verhandlungsführung stellen insbesondere nicht die Unvoreingenommenheit des Gerichts in Frage, solange sie transparent bleiben und kein Verfahrensbeteiligter hiervon ausgeschlossen ist. 

bb) Verständigungen zwischen Gericht und Verfahrensbeteiligten über Stand und Aussichten der Hauptverhandlung, die dem Angeklagten für den Fall eines Geständnisses eine Strafobergrenze zusagen und eine Strafuntergrenze ankündigen, tragen das Risiko in sich, dass die verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht in vollem Umfang beachtet werden. Gleichwohl ist es dem Gesetzgeber in Anbetracht seiner Gestaltungsmacht von Verfassungs wegen nicht schlechthin verwehrt, zur Verfahrensvereinfachung Verständigungen zuzulassen. Er muss jedoch zugleich durch hinreichende Vorkehrungen sicherstellen, dass die verfassungsrechtlichen Anforderungen gewahrt bleiben. Die Wirksamkeit der vorgesehenen Schutzmechanismen hat der Gesetzgeber fortwährend zu überprüfen. Ergibt sich, dass sie unvollständig oder ungeeignet sind, hat er insoweit nachzubessern und erforderlichenfalls seine Entscheidung für die Zulässigkeit strafprozessualer Absprachen zu revidieren (vgl. BVerfGE 110, 141 <158> m.w.N.). 

b) Das Verständigungsgesetz sichert die Einhaltung der verfassungsrechtlichen Vorgaben in ausreichender Weise. 

aa) Nach § 257c Abs. 2 Satz 1 StPO dürfen Gegenstand einer Verständigung nur die Rechtsfolgen sein, die Inhalt des Urteils und der dazugehörigen Beschlüsse sein können, sonstige verfahrensbezogene Maßnahmen im zugrunde liegenden Erkenntnisverfahren sowie das Prozessverhalten der Verfahrensbeteiligten. § 257c Abs. 2 Satz 3 StPO schließt den Schuldspruch sowie Maßregeln der Besserung und Sicherung als Gegenstand einer Verständigung aus. Das Verständigungsgesetz entbindet das Gericht auch nicht von der Beachtung der Strafzumessungsregeln, wenn es in § 257c Abs. 3 Satz 2 StPO das Gericht ermächtigt, bei der Bekanntgabe des möglichen Inhalts einer Verständigung unter freier Würdigung aller Umstände des Falles sowie der allgemeinen Strafzumessungserwägungen auch eine Ober- und Untergrenze der Strafe anzugeben. Damit sind nicht nur, wie vom Schuldgrundsatz gefordert, Verständigungen über den Schuldspruch wirksam ausgeschlossen, sondern es ist auch sichergestellt, dass die aus dem Gebot schuldangemessenen Strafens folgenden Grundsätze der Strafzumessung nicht zur Disposition der Verfahrensbeteiligten stehen. Dem Gericht ist es nicht gestattet, im Wege der Verständigung seine Wertungen an die Stelle derjenigen des Strafgesetzgebers zu setzen. Dabei ist zu beachten, dass eine maßgebliche Bedeutung insoweit den gesetzlichen Strafrahmen zukommt, die mit ihren nach Straftat und Strafhöhe gestaffelten Sanktionen die Abstufung der verschiedenen Straftaten nach ihrem Unrechtsgehalt erst zum Ausdruck bringen (vgl. BVerfGE 27, 18 <29>). Tatbestand und Rechtsfolge sind wechselseitig aufeinander bezogen und müssen - gemessen an der Idee der Gerechtigkeit - sachgerecht aufeinander abgestimmt sein. Einerseits richtet sich die Strafhöhe nach dem normativ festgelegten Wert des verletzten Rechtsgutes und der Schuld des Täters. Andererseits lässt sich das Gewicht einer Straftat, der ihr in der verbindlichen Wertung des Gesetzgebers beigemessene Unwertgehalt, in aller Regel erst aus der Höhe der angedrohten Strafe entnehmen. Insofern ist auch die Strafandrohung für die Charakterisierung, Bewertung und Auslegung des Straftatbestandes von entscheidender Bedeutung (BVerfGE 25, 269 <286>; 27, 18 <29>). Erst von einer differenzierenden Bewertung des Unwertgehaltes der verschiedenen Straftaten her wird die Abstufung der strafrechtlichen Sanktionen verständlich und sachlich gerechtfertigt (BVerfGE 27, 18 <29>). Innerhalb eines Deliktstypus kommt die differenzierende Bewertung des Unwertgehaltes vor allem durch Qualifikations- und Privilegierungstatbestände zum Ausdruck. Aber auch die Sonderstrafrahmen für besonders schwere und minder schwere Fälle nehmen an dieser Abstufung teil, auch wenn es sich hierbei nach überwiegender Auffassung um Strafzumessungsregeln handelt (Nachweise siehe oben unter B. II. 1. b) bb)). Diese Regelungstechnik ist dem Gesetzgeber nicht verwehrt (vgl. BVerfGK 14, 177 <182>). Wenn er jedoch mit der Einführung solcher Sonderstrafrahmen zum Ausdruck gebracht hat, eine Differenzierung schon bei der Strafandrohung für erforderlich zu halten, ist diese Bewertung für die Rechtsanwendung bindend. 

bb) Das Verständigungsgesetz wahrt den Schuldgrundsatz auch insoweit, als eine Verfahrensverkürzung um den Preis der Erforschung der materiellen Wahrheit ausgeschlossen ist. Wie dargestellt, enthebt die Möglichkeit einer Verständigung das Gericht nicht von der Pflicht zur Sachverhaltsermittlung von Amts wegen. Ein Geständnis darf nicht zur „Handelsware“ werden und kann als Grundlage der Zusage einer Strafobergrenze nur akzeptiert werden, wenn es - aus sich heraus oder aufgrund der Beantwortung von Fragen - überprüfbar ist. Das im Zusammenhang mit der Zusage einer Strafobergrenze abgegebene Geständnis in der - die Grundlage der richterlichen Überzeugung über Schuld oder Unschuld und die daran zu knüpfenden Folgen bildenden - Hauptverhandlung ist auf seine Richtigkeit zu überprüfen, denn eine solche Zusage kann den Angeklagten zur Abgabe eines (teilweise) falschen Geständnisses veranlassen. 

cc) Mit den Bestimmungen zum Entfallen der Bindung des Gerichts an eine Verständigung (§ 257c Abs. 4 StPO) hat der Gesetzgeber ferner die aus dem Schuldprinzip, der Pflicht des Gerichts zur Erforschung der materiellen Wahrheit und seiner Neutralitätspflicht sowie der Unschuldsvermutung zu ziehenden Konsequenzen für die Grenzen der richterlichen Selbstbindung an gegebene Zusagen konkretisiert. Es ist gewährleistet, dass die der Verständigung beigemessene Bindung entfällt, wenn sich im Laufe der Hauptverhandlung der in Aussicht gestellte eingegrenzte Strafrahmen als nicht (mehr) tat- oder schuldangemessen erweist. 

dd) Der insbesondere im Grundsatz der Verfahrensfairness verankerten Forderung, dass der Angeklagte autonom darüber entscheiden kann, ob er den Schutz der Selbstbelastungsfreiheit aufgibt, sich auf eine Verständigung einlässt und mit einem Geständnis sich seines Schweigerechts begibt, genügt das Verständigungsgesetz ebenfalls. Das Strafverfahrensrecht trägt dem Anliegen, die Entscheidungsfreiheit des Angeklagten zu wahren, bereits generell in allen Verfahrensstadien Rechnung. So haben Belehrungspflichten sowie die Freiheit von Willensentschließung und Willensbetätigung in den allgemeinen Vorschriften der §§ 136, 136a StPO und - beispielsweise - für das Ermittlungsverfahren in § 163a Abs. 4 Satz 2 StPO sowie für die Hauptverhandlung in § 243 Abs. 5 Satz 1 StPO ihren Niederschlag gefunden. Wenn diese Sicherungen schon bei der Entscheidungsfindung über allgemeines Aussageverhalten greifen, so haben sie eine umso größere Bedeutung, wenn es um die Frage eines Schuldeingeständnisses geht, vor allem in der für eine Verständigung typischen Anreiz- und Verlockungssituation (vgl. oben B. II. 1. e)). Vor diesem Hintergrund kommt der in § 257c Abs. 5 StPOvorgesehenen Belehrung über die Reichweite der Bindungswirkung und die Folgen eines Scheiterns der Verständigung besondere Bedeutung zu, der auch revisionsrechtlich Rechnung zu tragen ist. 

Von ebenso hohem Gewicht ist, dass der Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit es dem Gericht verbietet, dem Angeklagten eine geständnisbedingte Strafmilderung in Aussicht zu stellen, mit der es den Boden schuldangemessenen Strafens verließe. Der Angeklagte darf infolgedessen nicht durch ein gesetzlich nicht vorgesehenes Vorteilsversprechen, aber auch nicht durch Täuschung oder Drohung zu einem Geständnis gedrängt werden. Letzteres hat in § 136a StPO bereits seinen Ausdruck gefunden (vgl. BVerfG, Vorprüfungsausschuss, Beschluss vom 19. Oktober 1983 - 2 BvR 859/83 -, NStZ 1984, S. 82; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 27. Januar 1987 - 2 BvR 1133/86 -, NJW 1987, S. 2662 <2663>). Erst recht greift dieses Schutzgebot zugunsten eines Angeklagten, mit dessen Geständnis in der Hauptverhandlung der Ausgang des Verfahrens steht oder fällt. 
ee) Das Verständigungsgesetz trifft umfangreiche Vorkehrungen dahin, dass das maßgebliche Verständigungsgeschehen in die Hauptverhandlung einbezogen und dokumentiert wird, und gibt mit der in § 257c Abs. 3 Satz 4 StPO vorgesehenen Abhängigkeit der Verständigung von der Zustimmung der Staatsanwaltschaft dieser ein Mittel zur Wahrung rechtsstaatlicher Standards in die Hand, zu der die effektiv zu handhabende Überprüfung durch Rechtsmittel hinzutritt (vgl. oben B. II. 1. d)). Der Gesetzgeber begegnet damit der mit der Möglichkeit der Verfahrensverkürzung durch eine Verständigung einhergehenden Gefahr einer Motivationsverschiebung bei dem erkennenden Gericht und trägt dem mit der Zusage einer wesentlichen Strafmilderung für den Fall eines Geständnisses verbundenen Anreiz für den Angeklagten Rechnung, ein (teilweise) falsches Geständnis abzulegen. Zugleich wirkt er dem Risiko entgegen, dass sich ein möglicher Interessengleichlauf von Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung zum Nachteil des Angeklagten auswirkt. Die verfahrensrechtlichen Sicherungen lassen jedenfalls in ihrem Zusammenwirken erwarten, dass die mit Verständigungen verbundenen rechtsstaatlichen Risiken beherrscht werden. Dabei kann unentschieden bleiben, ob bestimmte Vorkehrungen von Verfassungs wegen unverzichtbar sind, solange ein ausreichendes Gewährleistungsniveau verwirklicht wird. 

ff) Schließlich hat der Gesetzgeber eindeutig entschieden, dass auf das Strafurteil bezogene „informelle“ Absprachen unzulässig sind. Ausweislich des § 257c Abs. 1 StPO sind Verständigungen über den weiteren Fortgang und das Ergebnis des Verfahrens nur nach Maßgabe der folgenden Absätze zulässig. Intransparente, unkontrollierbare „Deals“ sind im Strafprozess wegen der mit ihnen verbundenen Gefährdung des Schuldprinzips, der darin verankerten Wahrheitserforschungspflicht und des dem Rechtsstaatsprinzip innewohnenden Prinzips des fairen Verfahrens bereits von Verfassungs wegen untersagt, und der Gesetzgeber hat derartige Vorgehensweisen in unmissverständlicher Weise verworfen. 

3. Der in erheblichem Maße defizitäre Vollzug des Verständigungsgesetzes führt derzeit nicht zur Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Regelung. 

a) Die repräsentative empirische Erhebung von Prof. Dr. Altenhain, die Anhörung der Auskunftspersonen in der mündlichen Verhandlung, aber auch die schriftlichen Stellungnahmen zu den Verfassungsbeschwerden und die vorliegende obergerichtliche Rechtsprechung zeigen zwar, dass Gerichte, Staatsanwaltschaften und Verteidigung in einer hohen Zahl von Fällen die gesetzlichen Vorgaben missachten und die Rechtsmittelgerichte der ihnen zugewiesenen Aufgabe der Kontrolle der Verständigungspraxis nicht immer in genügendem Maße nachgekommen sind. Aus diesem empirischen Befund kann jedoch derzeit noch nicht auf ein in der Norm selbst angelegtes und daher zu deren Verfassungswidrigkeit führendes Versagen der zur Gewährleistung der verfassungsrechtlichen Vorgaben normierten Schutzmechanismen geschlossen werden. 

b) Eine gesetzliche Regelung, gegen die in der Rechtsanwendungspraxis in verfassungswidriger Weise verstoßen wird, verletzt nur dann auch selbst das Grundgesetz, wenn die verfassungswidrige Praxis auf die Vorschrift selbst zurückzuführen, mithin Ausdruck eines strukturbedingt zu dieser Praxis führenden normativen Regelungsdefizits ist. Ein solches Defizit kann im vorliegenden Zusammenhang nicht schon darin gesehen werden, dass der Gesetzgeber urteilsbezogene Verständigungen, welche sich durch ihre Grundstruktur für die Verwirklichung des Schuldprinzips als gefährlich erweisen, überhaupt gestattet hat. Dies ließe unberücksichtigt, dass er ihre Zulassung an umfangreiche flankierende Schutzmechanismen gekoppelt hat, die die Einhaltung der verfassungsrechtlichen Vorgaben an den Strafprozess sicherstellen sollen (vgl. auch BVerfGE 81, 123 <129 f.>; 83, 24 <31>; 118, 212 <231 f.>). Verfassungswidrig wäre das gesetzliche Regelungskonzept nur, wenn die vorgesehenen Schutzmechanismen in einer Weise lückenhaft oder sonst unzureichend wären, die eine gegen das Grundgesetz verstoßende „informelle“ Absprachepraxis fördert, das Vollzugsdefizit also durch die Struktur der Norm determiniert wäre. 

c) Ein strukturelles Regelungsdefizit kann gegenwärtig nicht festgestellt werden. Die Gründe für den erheblichen, keineswegs auf Einzelfälle beschränkten Vollzugsmangel sind vielschichtig und finden sich nach gegenwärtiger Erkenntnis nicht in einer Schutzlücke der gesetzlichen Regelung. Die gesetzliche Regelung traf auf Rahmenbedingungen, die von immer komplexer werdenden Lebenssachverhalten, einer stetigen Ausweitung des materiellen Strafrechts sowie immer differenzierteren Anforderungen an den Ablauf des Strafverfahrens geprägt sind, und hatte die schwierige Aufgabe, eine zuvor über drei Jahrzehnte in der Praxis entstandene und dort längst verfestigte Entwicklung in geordnete Bahnen zu lenken. Im Vergleich zu der lang andauernden und - wie auch die Entwicklung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zeigt - immer weiter um sich greifenden Praxis jedenfalls gesetzlich nicht geregelter Absprachen ist der Zeitraum der bisherigen Geltungsdauer der gesetzlichen Schutzmechanismen noch sehr kurz, was dafür spricht, dass die Durchsetzung der strikt umgrenzten und stark formalisierten Verständigungsform entsprechend dem gesetzlichen Regelungskonzept noch nicht abgeschlossen ist und insbesondere die hohe Bedeutung der Schutzmechanismen von der Praxis noch nicht vollständig verinnerlicht wurde. Hierfür spricht auch, dass in der Literatur Stellungnahmen anzutreffen sind, die dahin verstanden werden können, dass die gesetzliche Regelung nicht abschließend sei und die Schutzmechanismen insbesondere des § 273 Abs. 1a und des § 302 Abs. 1 Satz 2 StPO nicht für „informelle“ Vorgehensweisen außerhalb der Vorgaben des § 257c StPO gälten (vgl. etwa Peglau, jurisPR-StrafR 4/2012 Anm. 1; Niemöller, StV 2012, S. 387 <388 f.>; ders., in: Niemöller/Schlothauer/Weider, Gesetz zur Verständigung im Strafverfahren, 2010, § 273 Rn. 16, § 302 Rn. 5; Bittmann, wistra 2009, S. 414 <416>; Kirsch, StraFo 2010, S. 96 <101>). Hinzu kommt die nicht selten anzutreffende Bewertung gerade der Schutzmechanismen als „praxisuntauglich“, welche die Sicherung der verfassungsrechtlichen Vorgaben als zentrale Aufgabenstellung des Strafverfahrensrechts übergeht. Dies verkennt, dass im Rechtsstaat des Grundgesetzes das Recht die Praxis bestimmt und nicht die Praxis das Recht. 
d) Weder das Ergebnis der empirischen Erhebung noch die in den Verfassungsbeschwerdeverfahren abgegebenen Stellungnahmen zwingen zu der Annahme, dass es strukturelle Mängel des gesetzlichen Regelungskonzepts sind, die zu dem bisherigen Vollzugsdefizit geführt haben könnten. Als Hauptgrund für die Nichtbeachtung der gesetzlichen Regelungen wird in der empirischen Untersuchung vielmehr eine „fehlende Praxistauglichkeit“ der Vorschriften genannt. Dabei werden als praxisuntauglich oftmals die Begrenzung des zulässigen Inhalts von Verständigungen, die Transparenz- und Dokumentationspflichten - hier vor allem das Negativattest des § 273 Abs. 1a Satz 3 StPO - sowie das Verbot eines Rechtsmittelverzichts angeführt, also gerade diejenigen Vorschriften, die die Beachtung der verfassungsrechtlichen Vorgaben gewährleisten sollen. So gaben viele Verteidiger in der Befragung an, die gesetzliche Regelung widerspreche dem „Wesen des Deals“; dieser sei informell. Auch dies spricht für ein bisher nur unzureichend ausgeprägtes Bewusstsein, dass es Verständigungen ohne die Einhaltung der Anforderungen des Verständigungsgesetzes nicht geben darf. Die Ergebnisse der empirischen Untersuchung stützen daher nicht die Annahme eines im gesetzlichen Regelungskonzept verankerten strukturellen Defizits, sondern sprechen für interessengeleitete Missverständnisse und Bestrebungen, die gesetzliche Regelung wegen ihrer - als unpraktisch empfundenen - Schutzmechanismen zu umgehen. 

4. Auch wenn derzeit aus dem defizitären Vollzug des Verständigungsgesetzes nicht auf eine Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Regelung geschlossen werden kann, muss der Gesetzgeber die weitere Entwicklung sorgfältig im Auge behalten. Sollte sich die gerichtliche Praxis weiterhin in erheblichem Umfang über die gesetzlichen Regelungen hinwegsetzen und sollten die materiellen und prozeduralen Vorkehrungen des Verständigungsgesetzes nicht ausreichen, um das festgestellte Vollzugsdefizit zu beseitigen und dadurch die an eine Verständigung im Strafverfahren zu stellenden verfassungsrechtlichen Anforderungen zu erfüllen, muss der Gesetzgeber der Fehlentwicklung durch geeignete Maßnahmen entgegenwirken (vgl. zu Beobachtungs- und Nachbesserungspflichten des Gesetzgebers BVerfGE 25, 1 <12 f.>; 49, 89 <130>; 95, 267 <314>; 110, 141 <158, 166>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 24. November 2009 - 1 BvR 213/08 -, GRUR 2010, S. 332 <334>; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 27. Januar 2011 - 1 BvR 3222/09 -, NJW 2011, S. 1578 <1582>). Unterbliebe dies, träte ein verfassungswidriger Zustand ein. 

5. Das Normgefüge des Verständigungsgesetzes gestattet nach der hier zugrunde gelegten Auslegung des einfachen Rechts keine Verfahrensweise im Strafprozess, die den verfassungsrechtlichen Vorgaben widerspräche. Die durch das Verständigungsgesetz eingeführten Vorschriften sind deshalb weder für unvereinbar mit dem Grundgesetz zu erklären noch besteht Anlass, sie im Wege einer verfassungskonformen Auslegung einzugrenzen. Damit ist der Anwendungsbereich von § 79 BVerfGGnicht eröffnet. 

III.  

Die mit den Verfassungsbeschwerden angefochtenen fachgerichtlichen Entscheidungen sind mit den Vorgaben des Grundgesetzes für eine Verständigung im Strafprozess nicht zu vereinbaren. 

1. Die von den Beschwerdeführern zu I. und II. angegriffenen Entscheidungen des Landgerichts München II und des Bundesgerichtshofs verletzen die Beschwerdeführer in ihrem Recht auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren und verstoßen gegen die Selbstbelastungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG). Im Anschluss an die in beiden Fällen unterbliebene Belehrung der Angeklagten über die Voraussetzungen und Folgen des Wegfalls der Bindung an eine Verständigung (§ 257c Abs. 5 StPO) hat der Bundesgerichtshof im Rahmen der Prüfung, ob die Urteile des Landgerichts München II auf dem Gesetzesverstoß beruhen, die grundlegende Bedeutung der Belehrungspflicht nach § 257c Abs. 5 StPOfür die Fairness des Verfahrens und die Selbstbelastungsfreiheit verkannt. 

a) Eine Verständigung ist regelmäßig nur dann mit dem Grundsatz des fairen Verfahrens zu vereinbaren, wenn der Angeklagte vor ihrem Zustandekommen über deren nur eingeschränkte Bindungswirkung für das Gericht belehrt worden ist. Die Belehrungspflicht verliert nicht deshalb an Bedeutung oder wird gar obsolet, weil eine Lösung des Gerichts von der Verständigung nach § 257c Abs. 4 Satz 3 StPO das infolge der Verständigung abgegebene Geständnis unverwertbar macht. Denn die Belehrung hat sicherzustellen, dass der Angeklagte vor dem Eingehen einer Verständigung, deren Bestandteil das Geständnis ist, vollumfänglich über die Tragweite seiner Mitwirkung an der Verständigung informiert ist (vgl. auch Begründung zum Regierungsentwurf, BTDrucks 16/12310, S. 15). Nur so ist gewährleistet, dass er autonom darüber entscheiden kann, ob er von seiner Freiheit, die Aussage zu verweigern, (weiterhin) Gebrauch macht oder sich auf eine Verständigung einlässt. 

Zwar muss der Angeklagte unabhängig von der Möglichkeit einer Verständigung darüber befinden, ob und gegebenenfalls wie er sich zur Sache einlässt. Mit der Aussicht auf eine Verständigung wird jedoch eine verfahrensrechtliche Situation geschaffen, in der es dem Angeklagten in die Hand gegeben wird, durch sein Verhalten spezifischen Einfluss auf das Ergebnis des Prozesses zu nehmen. Anders als in einer nach der herkömmlichen Verfahrensweise geführten Hauptverhandlung kann er nämlich mit einem Geständnis die das Gericht grundsätzlich bindende Zusage einer Strafobergrenze und damit Sicherheit über den Ausgang des Verfahrens erreichen. Damit ist aus der Perspektive des Angeklagten das Festhalten an der Freiheit von Selbstbelastung nur noch um den Preis der Aufgabe der Gelegenheit zu einer das Gericht bindenden Verständigung und damit einer (vermeintlich) sicheren Strafobergrenze zu erlangen. Die Erwartung der Bindung des Gerichts bildet dementsprechend Anlass und Grundlage der Entscheidung des Angeklagten über sein prozessuales Mitwirken; damit entsteht eine wesentlich stärkere Anreiz- und Verführungssituation als es - mangels Erwartung einer festen Strafobergrenze - etwa in der Situation von § 136 Abs. 1 oder § 243 Abs. 5 Satz 1 StPO der Fall ist. Der Angeklagte muss deshalb wissen, dass die Bindung keine absolute ist, sondern unter bestimmten Voraussetzungen - die er ebenfalls kennen muss - entfällt. Nur so ist es ihm möglich, Tragweite und Risiken der Mitwirkung an einer Verständigung autonom einzuschätzen. Die in § 257c Abs. 5 StPO verankerte Belehrungspflicht ist aus diesem Grund keine bloße Ordnungsvorschrift, sondern eine zentrale rechtsstaatliche Sicherung des Grundsatzes des fairen Verfahrens und der Selbstbelastungsfreiheit. 

b) Die Entscheidungen des Bundesgerichtshofs verkennen diese besondere Funktion des § 257c Abs. 5 StPO. Eine Verständigung ohne vorherige Belehrung nach dieser Vorschrift verletzt den Angeklagten grundsätzlich in seinem Recht auf ein faires Verfahren und in seiner Selbstbelastungsfreiheit. Bleibt die unter Verstoß gegen die Belehrungspflicht zustande gekommene Verständigung bestehen und fließt das auf der Verständigung basierende Geständnis in das Urteil ein, beruht dieses auf der mit dem Verstoß einhergehenden Grundrechtsverletzung, es sei denn eine Ursächlichkeit des Belehrungsfehlers für das Geständnis kann ausgeschlossen werden, weil der Angeklagte dieses auch bei ordnungsgemäßer Belehrung abgegeben hätte. Hierzu müssen vom Revisionsgericht konkrete Feststellungen getroffen werden. Soweit der Bundesgerichtshof in beiden Fällen damit argumentiert, dass ein Entfallen der Bindung des Gerichts an die Verständigung nach § 257c Abs. 4 StPO nicht eingetreten sei, führt dies im Hinblick auf die Frage, ob die Urteile gerade wegen der Verwertung des nach einem Belehrungsmangel abgegebenen Geständnisses auf einer Verletzung der Autonomie des Angeklagten beruhen, nicht weiter. Wenn der Bundesgerichtshof im Fall der Beschwerdeführer zu II. ein Beruhen des Urteils auf dem Verstoß gegen § 257c Abs. 5 StPO darüber hinaus mit der Erwägung verneint, konkrete, fallbezogene Gründe, die für die auch nur entfernte Möglichkeit sprächen, dass sich der aufgezeigte Verfahrensmangel auf das Prozessverhalten der Angeklagten ausgewirkt haben könnte, seien weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, verkennt er die grundlegende Bedeutung des § 257c Abs. 5 StPO für den Grundsatz des fairen Verfahrens und die Selbstbelastungsfreiheit des Angeklagten. Es ist nicht auszuschließen, dass der Bundesgerichtshof bei Anwendung des oben genannten Maßstabs in beiden Fällen zu einer anderen Entscheidung gelangt wäre. Aus diesem Grund sind die angegriffenen Beschlüsse des Bundesgerichtshofs aufzuheben und die Sachen an diesen zurückzuverweisen. 

2. Die von dem Beschwerdeführer zu III. angegriffenen Entscheidungen des Landgerichts Berlin und des Bundesgerichtshofs verletzen den Beschwerdeführer in seinen Rechten aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG

a) Das Urteil des Landgerichts Berlin verstößt schon deshalb gegen den verfassungsrechtlichen Schuldgrundsatz und die darin verankerte Pflicht zur bestmöglichen Erforschung der materiellen Wahrheit, weil das Landgericht ein unter weitgehender Weigerung, Fragen zu beantworten, abgegebenes inhaltsleeres Formalgeständnis als Grundlage einer Verurteilung akzeptiert hat, ohne es - abgesehen von einer, dann auch beantworteten Frage zum Mitführen und Ladezustand der Dienstwaffen - durch eine weitere, auf eigenständige Spezifizierung seitens des Angeklagten zielende Beweiserhebung in der Hauptverhandlung zu überprüfen. Ein Geständnis, das sich in einer Bezugnahme auf die Anklage erschöpft, ist als Grundlage einer Verständigung bereits deshalb ungeeignet, weil es keine Grundlage für eine Überprüfung seiner Glaubhaftigkeit (§ 257c Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 244 Abs. 2 StPO) bietet. Darüber hinaus beruht das angegriffene Urteil auf einer Verständigung, die infolge der Kopplung eines Geständnisses „im Sinne der Anklage“ an den Verzicht auf die Stellung von Beweisanträgen „zur Schuldfrage“ unzulässig über den Schuldspruch disponiert und zudem eine Strafrahmenverschiebung zum Gegenstand hat. Deshalb stellt sich das Urteil als ein vom Grundgesetz untersagter „Handel mit der Gerechtigkeit“ dar. 
Hinzu kommt, dass dieser „Handel mit der Gerechtigkeit“ auf einer verfassungsrechtlich nicht mehr hinnehmbaren Beeinträchtigung der Selbstbelastungsfreiheit des Beschwerdeführers beruht. Dabei kommt es nicht darauf an, ob für den Fall einer Verurteilung ohne vorherige Verständigung für jede der beiden angeklagten schweren Raubtaten eine Mindeststrafe von drei Jahren in Aussicht gestellt wurde - so die dienstliche Stellungnahme des Vorsitzenden der Strafkammer im Revisionsverfahren - oder ob eine Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren im Raum stand, wie der Beschwerdeführer vorträgt. Entscheidend ist die vor dem Gebot schuldangemessenen Strafens nicht zu rechtfertigende Spannweite zwischen der zugesagten Strafobergrenze für den Fall einer Verständigung auf der einen Seite und der für den Fall einer Verurteilung in einer nach herkömmlicher Verfahrensweise geführten Hauptverhandlung im Raum stehenden Straferwartung auf der anderen Seite. Die Frage, wann die Grenze zu einer verfassungswidrigen Beeinträchtigung der Selbstbelastungsfreiheit überschritten ist, entzieht sich zwar einer exakten mathematischen Berechnung. Im vorliegenden Fall ist diese Grenze jedoch deutlich überschritten, nachdem eine schon für sich gesehen übermäßige Differenz zwischen den beiden Strafgrenzen noch zusätzlich mit der Zusage einer Strafaussetzung zur Bewährung verbunden wurde, die überhaupt nur aufgrund der ebenfalls zugesagten Strafrahmenverschiebung zu einem minder schweren Fall (§ 250 Abs. 3 StGB) möglich war. 

b) Das Urteil des Landgerichts Berlin ist aus diesen Gründen aufzuheben; gleiches gilt für den Beschluss des Bundesgerichtshofs, mit dem die Grundrechtsverletzung perpetuiert worden ist. Die Sache ist an das Landgericht Berlin zurückzuverweisen. 

C. 

Die Entscheidung über die Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs. 2 und Abs. 3 BVerfGG.
 

(1) Der unterliegende Beteiligte trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, soweit er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Besteht der kostenpflichtige Teil aus mehreren Personen, so haften diese nach Kopfteilen. Bei erheblicher Verschiedenheit ihrer Beteiligung kann nach Ermessen des Gerichts die Beteiligung zum Maßstab genommen werden.

(1) Gegen das Urteil des Finanzgerichts (§ 36 Nr. 1) steht den Beteiligten die Revision an den Bundesfinanzhof zu, wenn das Finanzgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Bundesfinanzhof sie zugelassen hat.

(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs erfordert oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Der Bundesfinanzhof ist an die Zulassung gebunden.