Bundesverwaltungsgericht Beschluss, 04. Apr. 2018 - 3 B 45/16

ECLI:ECLI:DE:BVerwG:2018:040418B3B45.16.0
04.04.2018

Gründe

I

1

Die Klägerin wendet sich gegen Gebührenzuschläge für amtliche Schlachttier-, Fleisch- und Trichinenuntersuchungen, die in ihrem Schlachtbetrieb im Monat März 2010 bei Schweinen bzw. Schweinefleisch vor 6:00 Uhr und nach 18:00 Uhr durchgeführt wurden. Der Beklagte setzte die Zuschläge mit Bescheid vom 19. April 2010 auf 23 501,28 € fest. Das Verwaltungsgericht hat die nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhobene Klage abgewiesen. Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung wurde im Jahr 2013 beim 3. Senat des Oberverwaltungsgerichts anhängig (3 LA 48/13). Das Präsidium des Oberverwaltungsgerichts änderte die Geschäftsverteilung für das Jahr 2015 durch Beschluss vom 10. Juni 2015 wie folgt:

"...

3. Zur Wahrung des Justizgewährleistungsanspruches werden Verfahren aus dem Jahr 2013 verteilt:

a) das Verfahren 3 LA 61/14 (vormals 1 LA 81/13) übernimmt der 2. Senat

b) die Verfahren 3 LA 8/13, 3 LA 9/13, 3 LA 48/13 und 3 LA 49/13 übernimmt der 4. Senat."

2

Mit Beschluss vom 11. November 2015 ließ der 4. Senat des Oberverwaltungsgerichts die Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil zu; das Berufungsverfahren erhielt das Aktenzeichen 4 LB 21/15. Der am 15. Dezember 2015 vom Präsidium des Oberverwaltungsgerichts beschlossene Geschäftsverteilungsplan für das Geschäftsjahr 2016 regelte die Verteilung der anhängigen Streitsachen auf die Senate wie folgt:

"Der zu Beginn des Geschäftsjahres zuständige Senat übernimmt jeweils die anhängigen Verfahren mit Ausnahme der Verfahren 2 LB 22/13; 4 LB 21/15, 4 LB 22/15 und aus dem Sachgebiet 'Sonstiges' (Sachgebietsnummer 17 00); diese verbleiben in den bisherigen Senaten." (S. 18, Ziffer V, zweiter Absatz).

3

Durch Urteil vom 23. Juni 2016 hat der 4. Senat des Oberverwaltungsgerichts das erstinstanzliche Urteil geändert. Er hat den Ausgangsbescheid und den Widerspruchsbescheid aufgehoben und den Beklagten verurteilt, an die Klägerin 23 501,28 € nebst Zinsen zu zahlen. Der angefochtene Bescheid sei rechtswidrig, da die landesrechtliche Gebührenregelung nicht den Anforderungen des im Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) wurzelnden Bestimmtheitsgebots genüge. Nach § 2 Abs. 1 Satz 3 des Veterinärbeleihungs- und Kostengesetzes (VetbKostG) würden die Gebühren auf der Grundlage der für die Überwachung des einzelnen Betriebs entstandenen Kosten festgesetzt. Die einschlägige Tarifstelle des Gebührentarifs zu § 1 der Landesverordnung über Verwaltungsgebühren in Angelegenheiten der Veterinärverwaltung (VetVwGebV) sehe für Schlachttier- und Fleischuntersuchungen bei Schweinen mit einem Schlachtgewicht von weniger als 25 kg einen Gebührenrahmen von 0,50 bis 565,40 € und bei einem Schlachtgewicht von mindestens 25 kg einen Gebührenrahmen von 1,00 bis 565,40 € vor. Grundsätzlich sei es nicht zu beanstanden, wenn in einer Gebührenverordnung nur ein Gebührenrahmen vorgegeben werde. Allerdings bedürfe es zusätzlicher Bemessungsfaktoren, wenn sich die Gebührenlast für den Gebührenschuldner wie hier nicht schon anhand des Gebührenrahmens in etwa absehen lasse. Solche Bemessungsfaktoren sehe die Landesverordnung über Verwaltungsgebühren in Angelegenheiten der Veterinärverwaltung nicht vor. § 2 Abs. 1 Satz 3 VetbKostG sei für sich genommen nicht geeignet, die Gebührenhöhe ausreichend deutlich zu umreißen. Es genüge auch nicht, dass § 2 Abs. 1 Satz 1 VetbKostG unter Übernahme der Regelung des Art. 27 Abs. 4 Buchst. a i.V.m. Anhang VI der Verordnung (EG) Nr. 882/2004 bestimme, welche Art von Kosten bei der Gebührenbemessung berücksichtigungsfähig seien. Es bedürfe zusätzlich der Angabe eines Maßstabes für die Verteilung der Kosten, wie etwa die Anknüpfung an Schlachtgewicht, Tierkategorie, Schlachtzahl u.ä. oder - bei Verzicht auf eine solche Unterscheidung - an eine einheitliche Untersuchungsgebühr.

4

Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat der Beklagte Beschwerde eingelegt, die er auf die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) sowie der nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des erkennenden Gerichts (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 138 Nr. 1 VwGO) gestützt hat.

5

Der beschließende Senat hat die Auskunft der Präsidentin des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom 2. Februar 2018 über den Präsidiumsbeschluss vom 10. Juni 2015 und den Geschäftsverteilungsplan für das Geschäftsjahr 2016 eingeholt.

II

6

Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Weder kommt der Rechtssache die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung i.S.d. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zu (1.) noch liegt der gerügte Verfahrensmangel einer vorschriftswidrigen Besetzung des Gerichts i.S.d. § 132 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 138 Nr. 1 VwGO vor (2.).

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1. Die von dem Beklagten aufgeworfene Frage

"Kann eine landesrechtliche Regelung über Fleischhygienegebühren, die für Fleischhygieneuntersuchungen einzelner Tierarten einer bestimmten Gewichtsklasse einen weiten Gebührenrahmen vorsieht, der die Gebühr für die Gebührenschuldner nur eingeschränkt abschätzbar macht, dadurch hinreichende Bestimmtheit erlangen, dass das Landesrecht vorgibt, welche Kostenarten der bei den Untersuchungen den zuständigen Behörden entstehenden Kosten in die Berechnung der Gebühr einbezogen werden dürfen, und zudem einen Maßstab zur Verteilung dieser Kosten auf die einzelnen Betriebe entbehrlich macht, indem es festlegt, dass die Gebühren auf der Grundlage der für die Überwachung des einzelnen Betriebes entstandenen Kosten festzusetzen sind?"

rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.

8

a) Die Frage betrifft ausgelaufenes Landesrecht, das mithin nicht mehr Gegenstand einer Überprüfung am Maßstab des Bundesrechts sein kann. Die Grundsätze, die für die grundsätzliche Bedeutung von Rechtsfragen ausgelaufenen revisiblen Rechts gelten, finden hier deshalb entsprechende Anwendung (BVerwG, Beschlüsse vom 26. Februar 2002 - 6 B 63.01 - Buchholz 422.2 Rundfunkrecht Nr. 36 S. 28 f. und vom 26. November 2009 - 6 B 33.09 - Buchholz 421.2 Hochschulrecht Nr. 169 Rn. 11).

9

Das angefochtene Urteil hat maßgeblich auf die Tarifstelle 1.2.1.3 des Gebührentarifs zu § 1 der Landesverordnung über Verwaltungsgebühren in Angelegenheiten der Veterinärverwaltung vom 18. November 2008 (GVOBl. Schl.-H. S. 650; im Folgenden: Veterinärverwaltungsgebührenverordnung) abgestellt, die für Schlachttier- und Fleischuntersuchungen in Bezug auf Schweinefleisch bei Tieren mit einem Schlachtgewicht von weniger als 25 kg einen Gebührenrahmen von 0,50 bis 565,40 € je Tier (Tarifstelle 1.2.1.3.1) und bei Tieren mit einem Schlachtgewicht von mindestens 25 kg einen Gebührenrahmen von 1,00 bis 565,40 € je Tier (Tarifstelle 1.2.1.3.2) vorgesehen hat. Durch Art. 2 Nr. 4 und 5 der "Landesverordnung zur Änderung der Landesverordnung über Verwaltungsgebühren in Angelegenheiten der Veterinärverwaltung vom 21. August 1974, der Landesverordnung über Verwaltungsgebühren in Angelegenheiten der Veterinärverwaltung vom 18. November 2008, der Landesverordnung über Verwaltungsgebühren in Angelegenheiten der Lebensmittel- und Bedarfsgegenständeüberwachung, des Weinrechts und der Veterinärverwaltung und der Landesverordnung über Verwaltungsgebühren für das Landeslabor Schleswig-Holstein (Lebensmittel-, Veterinär- und Umweltuntersuchungsamt)" vom 2. Februar 2017 (GVOBl. Schl.-H. S. 41) ist die Angabe "565,40" in den Tarifstellen 1.2.1.3.1 und 1.2.1.3.2 durch die Angabe "25,00" ersetzt worden. Zudem ist der "Anmerkung zu Tarifstellen 1.2.1.1 bis 1.2.1.10" die Nummer 3 angefügt worden, die Bestimmungen zur Ausfüllung des Gebührenrahmens enthält (Art. 2 Nr. 15 der Änderungsverordnung vom 2. Februar 2017). Diese Änderungen sind rückwirkend zum 1. Januar 2009 in Kraft getreten (Art. 5 Satz 2 der Änderungsverordnung vom 2. Februar 2017). Danach handelt es sich bei der Tarifstelle 1.2.1.3 zu § 1 der Veterinärverwaltungsgebührenverordnung um ausgelaufenes Recht.

10

Fragen zur Anwendung und Auslegung ausgelaufenen Rechts kommt regelmäßig keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zu, weil dieser Zulassungsgrund dazu dient, eine für die Zukunft geltende Klärung herbeizuführen (BVerwG, Beschlüsse vom 1. Juni 2010 - 3 B 9.10 - juris Rn. 4 m.w.N. und vom 20. Dezember 2012 - 3 B 35.12 - Buchholz 418.15 Rettungswesen Nr. 15 Rn. 8). Eine Ausnahme gilt, sofern das ausgelaufene Recht noch für einen nicht überschaubaren Personenkreis in nicht absehbarer Zukunft von Bedeutung sein könnte. Dafür ist hier wegen der rückwirkenden Änderung des Landesrechts nichts ersichtlich. Darüber hinaus bleibt eine Rechtsfrage, die grundsätzlich klärungsbedürftig war, ausnahmsweise trotz ausgelaufenen Rechts weiterhin klärungsbedürftig, wenn sie sich bei der gesetzlichen Bestimmung, die der außer Kraft getretenen Regelung nachfolgt, offensichtlich in gleicher Weise stellt (BVerwG, Beschluss vom 26. Juli 2005 - 6 B 24.05 - Buchholz 421 Kultur- und Schulwesen Nr. 129 S. 34 m.w.N.). Das Oberverwaltungsgericht hat entscheidungserheblich auf die "extreme Spreizung zwischen Unter- und Obergrenze" des Gebührenrahmens sowie auf das Fehlen konkretisierender Bemessungsfaktoren abgestellt. Dass diese Feststellungen gleichermaßen für die Tarifstellen 1.2.1.3.1 und 1.2.1.3.2 der Anlage zur Veterinärverwaltungsgebührenverordnung vom 18. November 2008 i.d.F. der Änderungsverordnung vom 2. Februar 2017 gelten würden, hat die Beschwerde nicht dargelegt.

11

b) Abgesehen davon unterliegt die Anwendung der landesrechtlichen Gebührenregelung gemäß § 137 Abs. 1 VwGO nicht der revisionsgerichtlichen Nachprüfung. Die Beschwerde macht zwar geltend, die aufgeworfene Rechtsfrage betreffe revisibles Recht, da sie die aus Art. 20 Abs. 3 GG folgenden Anforderungen an die Bestimmtheit von Abgabevorschriften zum Gegenstand habe. Daraus ergibt sich aber kein grundsätzlicher Klärungsbedarf i.S.d. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Die Frage, ob die vom Oberverwaltungsgericht herangezogenen Regelungen des Landesgebührenrechts den Anforderungen des verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebots genügen, könnte einen bundesrechtlichen Klärungsbedarf nur dann begründen, wenn die Auslegung der bundesrechtlichen Maßstabsnorm ihrerseits eine ungeklärte Frage von fallübergreifender Bedeutung aufwerfen würde (stRspr, BVerwG, Beschluss vom 18. Februar 2016 - 3 B 10.15 [ECLI:DE:BVerwG:2016:180216B3B10.15.0] - juris Rn. 10 m.w.N.). Das lässt sich der Beschwerdebegründung nicht entnehmen. Die Anforderungen, die das verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgebot an die Normierung von Gebührentatbeständen stellt, sind in der höchstrichterlichen Rechtsprechung geklärt (BVerwG, Urteil vom 27. Juni 2013 - 3 C 7.12 - Buchholz 418.5 Fleischbeschau Nr. 33 Rn. 16 m.w.N.). Das Bundesverwaltungsgericht hat auch bereits entschieden, dass es mit Bundesrecht vereinbar ist, wenn die Gebührenverordnung des Landes lediglich einen Gebührenrahmen vorgibt und die Festsetzung des konkreten Gebührensatzes den kommunalen Veterinärverwaltungen überlassen bleibt (BVerwG, Urteile vom 20. Dezember 2007 - 3 C 50.06 - Buchholz 418.5 Fleischbeschau Nr. 27 Rn. 17 und vom 26. April 2012 - 3 C 20.11 - Buchholz 418.5 Fleischbeschau Nr. 31 Rn. 11 und 13).

12

Von diesen bundesrechtlichen Maßgaben ist das Oberverwaltungsgericht ausgegangen. Ob gemessen daran eine landesrechtliche Gebührenregelung den Anforderungen des Bestimmtheitsgebots genügt, ist eine Frage des Einzelfalls. Ihre Beantwortung hängt insbesondere davon ab, welche weiteren Vorgaben das Landesrecht für die Bemessung der Gebührenhöhe enthält. Das Oberverwaltungsgericht hat angenommen, dass sich dem Veterinärbeleihungs- und Kostengesetz vom 4. Dezember 2007 (GVOBl. Schl.-H. S. 476) i.d.F. des Änderungsgesetzes vom 17. Mai 2016 (GVOBl. Schl.-H. S. 127) und der Veterinärverwaltungsgebührenverordnung keine Bemessungsfaktoren entnehmen ließen, die die Gebührenlast für den Gebührenschuldner zumindest annähernd berechenbar machten. An diese Auslegung des Landesrechts wäre der Senat in dem angestrebten Revisionsverfahren gebunden (§ 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 560 ZPO). Der Beklagte zeigt mit seinem Beschwerdevorbringen nicht auf, welcher fallübergreifende, bundesrechtliche Klärungsbedarf sich unter diesen Umständen ergeben soll. Der Sache nach macht er geltend, das Oberverwaltungsgericht habe bei der Anwendung (Subsumtion) des Bestimmtheitsgebots auf den in Rede stehenden landesrechtlichen Gebührentatbestand einen zu strengen Maßstab angelegt. Darin läge aber allenfalls ein Rechtsanwendungsfehler im Einzelfall, der der Grundsatzrüge nicht zum Erfolg verhelfen kann (stRspr, BVerwG, Beschlüsse vom 24. Juli 2000 - 10 B 4.99 - juris Rn. 16 m.w.N. und vom 28. Mai 2014 - 5 B 4.14 - juris Rn. 9).

13

2. Das angefochtene Urteil leidet auch nicht an dem geltend gemachten Verfahrensmangel. Das erkennende Berufungsgericht war nicht i.S.d. § 138 Nr. 1 VwGO vorschriftswidrig besetzt.

14

a) Für die Beurteilung, welcher Spruchkörper zuständig ist, ist auf den Geschäftsverteilungsplan abzustellen, der im Zeitpunkt der streitigen Sachentscheidung gilt (BVerwG, Urteile vom 30. Oktober 1984 - 9 C 67.82 - Buchholz 300 § 21e GVG Nr. 12 S. 10 und vom 18. Oktober 1990 - 3 C 19.88 - Buchholz 300 § 21e GVG Nr. 19 S. 1; Beschluss vom 3. Juni 1992 - 4 B 91.92 - juris Rn. 2). Der mithin maßgebliche Geschäftsverteilungsplan für das Jahr 2016 hat die zu Beginn des Geschäftsjahres anhängigen Verfahren jeweils dem Spruchkörper zugewiesen, der nach dem Geschäftsverteilungsplan zu Beginn des Jahres für das betreffende Rechtsgebiet zuständig ist. Anhängige Verfahren aus dem Sachgebiet "Lebensmittelrecht" einschließlich "Verwaltungsgebührenrecht" fielen danach in die Zuständigkeit des 3. Senats (vgl. Ziffer "I. Besetzung der Senate mit Berufsrichtern und Geschäftsbereich, 3. Senat", S. 5 ff. des Geschäftsverteilungsplans ). Davon ausgenommen war unter anderem das Verfahren 4 LB 21/15, das im bisherigen Senat verblieb (Ziffer V zweiter Absatz des Geschäftsverteilungsplans). Daraus ergibt sich kein Verstoß gegen das bei der Geschäftsverteilung zu beachtende Abstraktionsprinzip.

15

aa) Mit der Garantie des gesetzlichen Richters will Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verhindern, dass durch eine auf den Einzelfall bezogene Auswahl der zur Entscheidung berufenen Richter das Ergebnis der Entscheidung beeinflusst werden kann. Damit sollen die Unabhängigkeit der Rechtsprechung gewahrt und das Vertrauen der Rechtssuchenden und der Öffentlichkeit in die Unparteilichkeit und Sachlichkeit der Gerichte gesichert werden (BVerfG, Kammerbeschluss vom 23. Dezember 2016 - 2 BvR 2023/16 - juris Rn. 22 m.w.N.). Daher müssen die Regelungen, die der Bestimmung des gesetzlichen Richters dienen, im Voraus so eindeutig wie möglich festlegen, welches Gericht, welcher Spruchkörper und welche(r) Richter zur Entscheidung des Einzelfalls berufen sind. Auch die die gesetzlichen Bestimmungen ergänzenden Regelungen über die Geschäftsverteilung in den jährlich aufzustellenden Geschäftsverteilungsplänen der Gerichte, die die Zuständigkeit der jeweiligen Spruchkörper festlegen und diesen die erforderlichen Richter zuweisen (vgl. § 21e Abs. 1 GVG), müssen im Voraus generell-abstrakt die Zuständigkeit der Spruchkörper und die Zuweisung der einzelnen Richter regeln, damit die einzelne Sache "blindlings" aufgrund allgemeiner, vorab festgelegter Merkmale an den berufenen Richter gelangt (sog. Abstraktionsprinzip, BVerwG, Urteil vom 18. Oktober 1990 - 3 C 19.88 - Buchholz 300 § 21e GVG Nr. 19 S. 3; BVerfG, Kammerbeschluss vom 18. März 2009 - 2 BvR 229/09 - NJW 2009, 1734 Rn. 24, jeweils m.w.N.).

16

Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verbietet nicht, bereits anhängige Sachen durch den jährlichen Geschäftsverteilungsplan einem anderen Spruchkörper zuzuweisen (BVerwG, Urteile vom 30. Oktober 1984 - 9 C 67.82 - Buchholz 300 § 21e GVG Nr. 12 S. 12 f. und vom 18. Oktober 1990 - 3 C 19.88 - Buchholz 300 § 21e GVG Nr. 19 S. 3 f.; Beschluss vom 28. April 1989 - 8 C 65.88 - juris Rn. 4). Auch in diesen Fällen gilt aber, dass der Geschäftsverteilungsplan die umzuverteilenden Geschäfte nach allgemeinen, abstrakten und objektiven Merkmalen bestimmen muss. Das Abstraktionsprinzip schließt zwar nicht aus, bereits anhängige, neu zu verteilende Sachen - soweit notwendig - in gewissem Umfang zu konkretisieren. Es dürfen jedoch nicht einzelne ausgesuchte Verfahren zugewiesen werden (BVerwG, Urteil vom 18. Oktober 1990 - 3 C 19.98 - Buchholz 300 § 21e GVG Nr. 19 S. 3 m.w.N.; Beschluss vom 7. Januar 2004 - 1 B 141.03 - Buchholz 310 § 138 Ziff. 1 VwGO Nr. 39 S. 4 f.; BFH, Beschluss vom 23. November 2011 - IV B 30/10 - BFH/NV 2012, 431 Rn. 6 m.w.N).

17

bb) Dass das streitige Verfahren in der Zuständigkeitsregelung in Ziffer V, zweiter Absatz des Geschäftsverteilungsplans des Oberverwaltungsgerichts für das Jahr 2016 konkret benannt worden ist, kann zwar den Eindruck entstehen lassen, es handele sich um eine - mit dem Abstraktionsprinzip grundsätzlich nicht vereinbare - Einzelzuweisung. Hier liegt der Fall jedoch anders, weil die Zuweisung an die vorangehende Umverteilung durch die Geschäftsverteilungsänderung vom 10. Juni 2015 anknüpft.

18

Nach der Auskunft der Präsidentin des Oberverwaltungsgerichts vom 2. Februar 2018 zur Jahresgeschäftsverteilung 2016 hatte das Präsidium beschlossen, die umverteilten Verfahren aus dem 3. Senat - sofern noch nicht erledigt - in der Zuständigkeit des 4. Senats (4 LB 21/15 und 4 LB 22/15) bzw. des 2. Senats (2 LB 22/13) zu belassen, weil sie weitgehend gefördert gewesen seien und ihre Rückverteilung in den 3. Senat nicht nur die mit der Umverteilung bewirkte Entlastung zunichte gemacht hätte, sondern auch nicht absehbar gewesen wäre, wann die Verfahren dort einer Erledigung hätten zugeführt werden können. Diese Erwägungen des Präsidiums zur Perpetuierung der im Juni 2015 vorgenommenen Änderung der Geschäftsverteilung sind nicht sachwidrig und deshalb rechtlich nicht zu beanstanden. Danach erweist sich auch die spezielle Zuweisung des Verfahrens 4 LB 21/15 als unschädlich. Denn sie bestätigt lediglich die bereits mit Präsidiumsbeschluss vom 10. Juni 2015 vorgenommene Umverteilung des Verfahrens 3 LA 48/13, die ihrerseits - wie sich aus den nachstehenden Gründen ergibt - keinen verfassungsrechtlichen Bedenken unterliegt.

19

b) Der Präsidiumsbeschluss vom 10. Juni 2015 ist mit Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG vereinbar.

20

aa) Gemäß § 21e Abs. 3 Satz 1 GVG darf der Geschäftsverteilungsplan des Gerichts im Laufe des Geschäftsjahrs nur geändert werden, wenn dies wegen Überlastung oder ungenügender Auslastung eines Richters oder Spruchkörpers oder infolge Wechsels oder dauernder Verhinderung einzelner Richter nötig wird. Eine nachträgliche Änderung der Geschäftsverteilung ist insbesondere möglich und gegebenenfalls sogar geboten, um dem Verfassungsgebot einer Gewährleistung von Rechtsschutz innerhalb angemessener Zeit nachzukommen. Allerdings tritt in diesen Fällen das Recht auf den gesetzlichen Richter aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht vollständig zurück, denn es besteht der Anspruch auf eine zügige Entscheidung durch den gesetzlichen Richter. Vielmehr muss das Recht des Verfahrensbeteiligten auf den gesetzlichen Richter mit dem rechtsstaatlichen Gebot einer funktionstüchtigen Rechtspflege und dem verfassungsrechtlichen Beschleunigungsgrundsatz zu einem angemessenen Ausgleich gebracht werden (BVerfG, Kammerbeschluss vom 18. März 2009 - 2 BvR 229/09 - NJW 2009, 1734 Rn. 26 m.w.N.).

21

Zu den grundsätzlich zulässigen Maßnahmen i.S.d. § 21e Abs. 3 Satz 1 GVG bei Überlastung eines Spruchkörpers zählt auch die Umverteilung bereits anhängiger Rechtssachen. Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG steht dem jedenfalls dann nicht entgegen, wenn die Neuregelung generell gilt - zum Beispiel mehrere anhängige Verfahren und eine unbestimmte Vielzahl künftiger, gleichartiger Fälle erfasst - und nicht aus sachwidrigen Gründen geschieht (BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 18. März 2009 - 2 BvR 229/09 - NJW 2009, 1734 Rn. 27 und vom 20. Februar 2018 - 2 BvR 2675/17 - juris Rn. 19, jeweils m.w.N.; BGH, Beschluss vom 25. März 2015 - 5 StR 70/15 - NStZ 2015, 658 Rn. 9). In Ausnahmefällen ist auch eine Änderung des Geschäftsverteilungsplans zulässig, die ausschließlich bereits anhängige Verfahren betrifft, wenn nur so dem verfassungsrechtlichen Gebot effektiven Rechtsschutzes in angemessener Zeit Rechnung getragen werden kann (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 18. März 2009 - 2 BvR 229/09 - a.a.O.; BGH, Beschluss vom 7. Januar 2014 - 5 StR 613/13 - NStZ 2014, 287 Rn. 8 m.w.N.). In solchen Fällen kommt aber nicht nur dem Abstraktionsprinzip besondere Bedeutung zu. Zusätzlich müssen die Gründe für die Umverteilung dargelegt und dokumentiert werden (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 18. März 2009 - 2 BvR 229/09 - a.a.O.; BGH, Urteil vom 9. April 2009 - 3 StR 376/08 - BGHSt 53, 268 Rn. 11 und 17 ff. und Beschluss vom 10. Juni 2014 - 3 StR 57/14 - juris Rn. 21; Kissel/Mayer, GVG, 8. Aufl. 2015, § 21e Rn. 99).

22

bb) Der Präsidiumsbeschluss vom 10. Juni 2015 genügt diesen Anforderungen.

23

Dass sich das Präsidium im Laufe des Geschäftsjahrs 2015 zu einer Umverteilung der Geschäfte mit dem Ziel der Entlastung des 3. Senats veranlasst gesehen hat, ist nicht zu beanstanden. Die Überlastung eines Spruchkörpers i.S.v. § 21e Abs. 3 Satz 1 GVG, die eine Änderung der Geschäftsverteilung nötig macht, liegt vor, wenn über einen längeren Zeitraum ein erheblicher Überhang der Eingänge über die Erledigungen zu verzeichnen ist, sodass mit einer Bearbeitung der Sachen innerhalb eines angemessenen Zeitraums nicht zu rechnen ist und sich die Überlastung als so erheblich darstellt, dass der Ausgleich nicht bis zum Ende des Geschäftsjahres zurückgestellt werden kann (BGH, Beschluss vom 4. August 2009 - 3 StR 174/09 - juris Rn. 16; Kissel/Mayer, GVG, 8. Aufl. 2015, § 21e Rn. 112). Insoweit kann die Entscheidung des Präsidiums vom Revisionsgericht nur daraufhin überprüft werden, ob sie auf unvertretbaren, sachfremden und damit willkürlichen Erwägungen beruht (BVerwG, Urteil vom 29. Juni 1984 - 6 C 35.83 - Buchholz 300 § 21e GVG Nr. 11 S. 8; Beschluss vom 30. November 2004 - 1 B 48.04 - Buchholz 310 § 138 Ziff. 1 VwGO Nr. 43 S. 9; Kissel/Mayer, GVG, 8. Aufl. 2015, § 21e Rn. 111, 120). Dafür ist hier nichts ersichtlich. Nach den Erläuterungen der Präsidentin des Oberverwaltungsgerichts führte das Zusammentreffen mehrerer Umstände - geringe Zahl von Spruchkörpern, zeitweise Nichtbesetzung von Richterstellen, Schwankungen bei den Eingangszahlen - zu erheblichen Rückständen im 3. Senat, der deshalb durch Abgabe von Altverfahren aus dem Jahr 2013 entlastet werden sollte.

24

Der Präsidiumsbeschluss vom 10. Juni 2015 verstößt auch nicht gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, soweit er die vom 3. Senat in den 4. Senat umverteilten Verfahren unter Angabe des Aktenzeichens konkret benannt hat. Das könnte zwar den Eindruck erwecken, es seien einzeln ausgesuchte Sachen einem anderen Spruchkörper zugewiesen worden. In Verbindung mit der Auskunft der Präsidentin des Oberverwaltungsgerichts vom 2. Februar 2018 einschließlich der beigefügten Präsidiumsunterlage (Altverfahrensliste "Bestand aus dem Jahr 2013 am 31.05.2015") ergibt sich aber eindeutig, dass die Umverteilung nach allgemeinen, objektiven Merkmalen vorgenommen worden ist. Nach den Erläuterungen der Präsidentin hat das Präsidium von den seinerzeit im 3. Senat anhängigen Sachen aus dem Jahr 2013 (nach der Altverfahrensliste insgesamt zehn Verfahren) den gesamten Bestand aus dem Sachgebiet Lebensmittelrecht/Gebühren für Fleischuntersuchungen - nach der Altverfahrensliste die Verfahren 3 LA 8/13, 3 LA 9/13, 3 LA 48/13 und 3 LA 49/13 - dem 4. Senat zugewiesen. Die Anknüpfung an Eingangszeitraum und Rechtsgebiet sind zulässige, abstrakte Kriterien für eine Umverteilungsregelung (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Oktober 1984 - 9 C 67.82 - Buchholz 300 § 21e GVG Nr. 12 S. 12 f. und Beschluss vom 28. April 1989 - 8 C 65.88 - juris Rn. 4). Danach bestehen keine Anhaltspunkte, dass die unter Ziffer 3 Buchst. b des Präsidiumsbeschlusses vom 10. Juni 2015 getroffene Geschäftsverteilungsbestimmung auf eine unzulässige Einzelzuweisung gerichtet gewesen sein könnte.

25

Schließlich sind auch die Anforderungen an die Begründung und Dokumentation der Geschäftsverteilungsänderung (noch) eingehalten. Die einleitende Formulierung im Präsidiumsbeschluss "Zur Wahrung des Justizgewährleistungsanspruches" lässt erkennen, dass die Umverteilung dem Abbau von Altverfahren und der Gewährung von Rechtsschutz innerhalb angemessener Zeit dienen sollte. Dass der Beschluss nicht mit einer weitergehenden Begründung versehen ist und die Kriterien, nach denen die umverteilten Verfahren bestimmt worden sind, nicht klarer dargelegt hat, führt nicht zu einem durchgreifenden Rechtsfehler. In Verbindung mit den Erläuterungen der Präsidentin des Oberverwaltungsgerichts vom 2. Februar 2018 und den ergänzenden Unterlagen ermöglicht der Präsidiumsbeschluss die Prüfung seiner Rechtmäßigkeit (vgl. BGH, Beschluss vom 25. März 2015 - 5 StR 70/15 - NStZ 2015, 658 Rn. 12 m.w.N.). Der Zweck des Begründungs- und Dokumentationserfordernisses, den Anschein einer willkürlichen Zuständigkeitsverschiebung auszuschließen (BVerfG, Kammerbeschluss vom 18. März 2009 - 2 BvR 229/09 - NJW 2009, 1734 Rn. 27), ist damit erfüllt.

26

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG.

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Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 20


(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat. (2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 137


(1) Die Revision kann nur darauf gestützt werden, daß das angefochtene Urteil auf der Verletzung1.von Bundesrecht oder2.einer Vorschrift des Verwaltungsverfahrensgesetzes eines Landes, die ihrem Wortlaut nach mit dem Verwaltungsverfahrensgesetz des B

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 173


Soweit dieses Gesetz keine Bestimmungen über das Verfahren enthält, sind das Gerichtsverfassungsgesetz und die Zivilprozeßordnung einschließlich § 278 Absatz 5 und § 278a entsprechend anzuwenden, wenn die grundsätzlichen Unterschiede der beiden Verfa

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 101


(1) Ausnahmegerichte sind unzulässig. Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden. (2) Gerichte für besondere Sachgebiete können nur durch Gesetz errichtet werden.

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 138


Ein Urteil ist stets als auf der Verletzung von Bundesrecht beruhend anzusehen, wenn1.das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war,2.bei der Entscheidung ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramts kraft Gesetzes aus

Zivilprozessordnung - ZPO | § 560 Nicht revisible Gesetze


Die Entscheidung des Berufungsgerichts über das Bestehen und den Inhalt von Gesetzen, auf deren Verletzung die Revision nach § 545 nicht gestützt werden kann, ist für die auf die Revision ergehende Entscheidung maßgebend.

Gerichtsverfassungsgesetz - GVG | § 21e


(1) Das Präsidium bestimmt die Besetzung der Spruchkörper, bestellt die Ermittlungsrichter, regelt die Vertretung und verteilt die Geschäfte. Es trifft diese Anordnungen vor dem Beginn des Geschäftsjahres für dessen Dauer. Der Präsident bestimmt, wel

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Schleswig Holsteinisches Oberverwaltungsgericht Urteil, 23. Juni 2016 - 4 LB 22/15

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Tenor Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts - 1. Kammer - vom 30. Oktober 2013 geändert. Der Bescheid des Beklagten vom 15. Oktober 2010 und der Widerspruchsbescheid 6. April 2011 werden

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Tenor Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts – 1. Kammer – vom 30. Oktober 2013 geändert. Der Bescheid des Beklagten vom 19. April 2010 und der Widerspruchsbescheid vom 21. September 2010

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Tatbestand 1 I. Das der Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) vorangegangene Klageverfahren war im Jahre 2007 beim 4. Senat des Finanz

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Tenor

Soweit der Kläger die Klage zurückgenommen hat, wird das Verfahren eingestellt.

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts - 3. Kammer, Einzelrichterin - vom 7. August 2012 geändert.

Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 31. August 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. März 2011 verpflichtet, über den Antrag des Klägers auf straßenverkehrsrechtliche Maßnahmen gemäß § 45 StVO in Bezug auf seine Wohnung in der A-Straße unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden und bis dahin als kurzfristige Maßnahme sofort für die Nacht (22.00 Uhr bis 6.00 Uhr) als zulässige Höchstgeschwindigkeit 30 km/h (Verkehrszeichen 274) anzuordnen.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen und die Klage abgewiesen.

Für das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht werden dem Kläger 3/4 und der Beklagten 1/4 der Kosten des Verfahrens, für das Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht werden dem Kläger 9/10 und der Beklagten 1/10 der Kosten des Verfahrens auferlegt.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Der Kläger wohnt (…) in der Wohnanlage X in A-Stadt. Hierbei handelt es sich um ein als Mehrfamilienhaus genehmigtes dreigeschossiges Gebäude mit ca. 2000 Quadratmetern Grundfläche in U-Form. Die Wohnanlage liegt unmittelbar (8,5 m) an der Bundesstraße 76 innerhalb der Anbauverbotszone von 20 Metern (§ 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 FernStrG) im Außenbereich, aber vor der Ortstafel (Zeichen 311 der Anlage 3 zur StVO). Westlich hinter der Wohnanlage verläuft die Eisenbahnlinie, an der die G-wiesen anschließen. (…) auf der gegenüberliegenden Straßenseite liegt das Kurgebiet S-strand, das über eine Länge von 1,7 km an die B 76 angrenzt. Für das Gebiet existiert kein Bebauungsplan; auf dem Flächennutzungsplan ist die Wohnanlage als Wohnfläche ausgewiesen. Für den Bau der Wohnanlage wurde seinerzeit (1995) eine Ausnahmegenehmigung nach § 9 Abs. 8 FernStrG mit Auflagen erteilt. Auflage Nr. 12 lautet: „Soweit Schutzmaßnahmen gegen die von der Straße auf das Grundstück einwirkenden Emissionen erforderlich sind, hat der Bauherr diese Maßnahmen auf eigene Kosten zu bewirken. Dies gilt auch für Rechtsnachfolger. Eine Lärmsanierung zu Lasten des Baulastträgers ist ausgeschlossen.“ Diese Auflage ist als Auflage Nr. 40 zugleich Bestandteil der Baugenehmigung geworden.

2

Der Kläger verlangte mit mehreren Schreiben verkehrsberuhigende Maßnahmen im Bereich der Wohnanlage X und des Kurgebietes S-strand von der Beklagten, da das Verkehrsaufkommen auf der B 76 für ihn als Anwohner unzumutbar sei. Die Geschwindigkeitsbegrenzung auf 50 km/h überschritten viele Fahrer sehr häufig. Zusätzlich sei die Straße aufgrund des Mautumgehungsverkehrs sowohl tagsüber als auch nachts stark belastet. Dies führe dazu, dass ein sicheres Überqueren sowie ein Einbiegen auf die Fahrbahn nur schwer möglich seien. Der erhöhte Straßenlärm sei aufgrund des Status der A-Stadt als Ostseebad und des anliegenden Naturschutzgebietes nicht tragbar. Die Kurortverordnung verpflichte die Stadt, lärmsenkende Maßnahmen zu ergreifen. Die Beklagte habe in dem von ihr im Jahr 2008 aufgestellten Lärmaktionsplan irrtümlich behauptet, dass die B 76 im streitgegenständlichen Bereich kaum Wohnbebauung aufweise. Aus diesem Grund seien entgegen der Feststellungen im Lärmaktionsplan wegen der Überschreitung der Auslösekriterien von 65 dB(A) für den 24-Stundenwert und 55 dB(A) für den Nachtwert planunabhängige Maßnahmen erforderlich.

3

Die Beklagte lehnte das Begehren des Klägers mit Schreiben vom 31. August 2010 – zugleich koordinierend und verbindlich für die beteiligten zuständigen Behörden – ab. Für die Einführung einer Mautpflicht (nach § 5 Abs. 9 StVO) für die B 76 sei sie nicht zuständig; der Landesbetrieb sehe die Voraussetzungen als nicht gegeben an. Ein gefahrloses Kreuzen der Fahrbahn sei für Fußgänger und Radfahrer an der Lichtsignalanlage D-Straße möglich. Seit Jahren sei während der Saison eine verkehrsabhängige Geschwindigkeitsbegrenzung auf 30 km/h angeordnet. Geschwindigkeitsüberschreitungen würden von der Polizei geahndet. Eine Einengung der Straße sei aus tatsächlichen Gründen nicht möglich. Nach den Erhebungen des Landes habe der Gesamtverkehr, auch der Schwerlastverkehr, auf der B 76 abgenommen.

4

Der Kläger legte hiergegen am 1., ergänzend am 21. September 2010 Widerspruch ein, in dem er sein Begehren auf alle verkehrsberuhigenden zielführenden Maßnahmen sowohl für das Gebiet der Wohnanlage X als auch für das Kurgebiet S-strand erweiterte. Zur Begründung wiederholte und vertiefte er sein bisheriges Vorbringen. Die behauptete Geschwindigkeitsbegrenzung erfolge tatsächlich nur in seltenen Ausnahmefällen.

5

Auf mehrere Anforderungen des Klägers, einen rechtsmittelfähigen Bescheid zu erhalten, erklärte die Beklagte zunächst, dass das Ablehnungsschreiben vom 31. August 2010 mangels Regelungscharakters kein Verwaltungsakt sei. Mit Widerspruchsbescheid vom 30. März 2011 wies sie sodann den Widerspruch des Klägers als unzulässig und als unbegründet zurück. Sie verwies auf ihr bisheriges Vorbringen und führte weiter aus, dass die Einrichtung einer Tempo-30-Zone aus Verkehrssicherheitsgründen nicht notwendig sei, da kaum Unfälle bekannt seien. Aus Lärmschutzgründen (§ 45 Abs. 9 StVO) sei ebenfalls kein derartiges Handeln angebracht. Zwar gebe es keine aktuellen Lärmuntersuchungen, jedoch sei eine solche Maßnahme im Hinblick auf den Charakter der B 76 als Hauptverkehrsstraße unverhältnismäßig. Die Einrichtung einer Verkehrsinsel müsse vom Straßenbaulastträger gefordert werden, der zudem darauf hinweise, dass es insofern keinen Anspruch geben könne. Der Lärmaktionsplan sei nicht bindend. Ein Geschwindigkeitsanzeiger könne als nicht-amtliches Gerät von ihr nicht aufgestellt werden.

6

Der Kläger hat am 15. April 2011 Klage erhoben.

7

Zur Begründung hat er sein bisheriges Vorbringen wiederholt und vertieft. Ergänzend hat er ausgeführt, dass die Beklagte selbst das Überschreiten der zulässigen Immissionsgrenzwerte festgestellt und daher zum Handeln verpflichtet sei. Die Verkehrsstärke auf der B 76 habe kontinuierlich zugenommen. Deshalb habe er einen Anspruch auf planunabhängige Maßnahmen gemäß § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVO, hilfsweise auf Ergreifen geeigneter Maßnahmen aus einem öffentlich-rechtlichen Unterlassungsanspruch.

8

Der Kläger hat beantragt,

9

1. den Ablehnungsbescheid der Beklagten vom 31. August 2010 aufzuheben,

10

2. die Beklagte zu verpflichten, auf der B 76 im Bereich des Straßenabschnittes „Wohnanlage X" innerhalb vom Gericht zu bestimmender Fristen zielführende, verhältnismäßige und planunabhängige Maßnahmen zu ergreifen, die geeignet sind, am Immissionsort

11

• Gesundheitsgefährdungen des Klägers durch Reduzierung der Grenzwertüberschreitungen unter die Schwellwerte 65 dB(A) (LDEN) bzw. 55 dB(A) (LNight) kurzfristig zu vermeiden,

12

• erhebliche Lärmbelästigungen des Klägers durch Reduzierung der Grenzwertüberschreitungen unter die Schwellwerte 60 dB(A) (LDEN) bzw. 50 dB(A) (LNight) mittelfristig zu mindern,

13

• erhebliche Lärmbelästigungen des Klägers durch Reduzierung der Grenzwertüberschreitungen unter die Schwellwerte 55 dB(A) (LDEN) bzw. 45 dB(A) (LNight) langfristig zu vermeiden

14

sowie deren Einhaltung dauerhaft und nachhaltig sicherzustellen,

15

3. die Beklagte zu verpflichten, zukünftig im Bereich des „Kurgebietes S-strand" innerhalb einer vom Gericht zu bestimmenden Frist zielführende, verhältnismäßige und planunabhängige Maßnahmen ermessensfehlerfrei zu ergreifen, die hinsichtlich der B 76 auf eine bestmögliche Beschränkung des innerörtlichen Durchgangs- Ziel- und Quellverkehrs und Beschränkung der verkehrsbedingten Lärmimmissionen zielen und geeignet sind, im gesamten „Kurgebiet S-strand" maximale Immissionswerte am Tage von 45 dB(A) und in der Nacht von 35 dB(A) dauerhaft und nachhaltig sicherzustellen, um Beeinträchtigungen seinerseits im „Kurgebiet S-strand" hinsichtlich der Vorbeugung gegen Krankheiten, der Heilung oder Linderung von Krankheiten und der Erholung sowie um sonstige, verkehrsbedingte Störungen des Kurgebietes bestmöglich zu beschränken.

16

Die Beklagte hat beantragt,

17

die Klage abzuweisen.

18

Sie hat die Auffassung vertreten, dass selbst wenn man unterstelle, dass Immissionsschutzgrenzwerte überschritten seien, sie ermessensfehlerfrei gehandelt habe. Die vom Kläger begehrten Maßnahmen seien entweder nicht möglich oder nicht erforderlich oder rechtlich nicht zulässig.

19

Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 7. August 2012 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt:

20

§ 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVO gebe zwar einen Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung über ein straßenverkehrsrechtliches Einschreiten bei Beeinträchtigungen durch unzumutbaren Lärm, wobei die Immissionsgrenzwerte des § 2 Abs.1 der 16. BImSchVO als Orientierungshilfe für die Frage der Zumutbarkeit herangezogen werden könnten. Aber auch ein Überschreiten dieser Grenzwerte begründe keinen Anspruch, da dem Kläger der der Funktion der Straße entsprechende Verkehrslärm zuzumuten sei. Der Straßenverkehrslärm habe seit dem Jahr 2009 nicht in einem derartigen Maße zugenommen, dass die Entscheidung über eine verkehrsregelnde Maßnahme durch die Beklagte zwingend erforderlich sei. Das Interesse der Allgemeinheit an der Aufrechterhaltung der bisher vorhandenen straßenverkehrlichen Nutzung überwiege die Schutzbedürftigkeit des Klägers vor dem vorhandenen Verkehrslärm. Der vom Kläger behauptete Mautausweichverkehr sei nicht nachgewiesen. Auch bleibe es dem Lkw-Verkehr unbenommen, Bundesstraßen zu benutzen. Zudem sei die Teilstrecke C-Stadt-Gettorf der B 76, die von einem eventuellen Mautausweichverkehr benutzt werden müsste, mit einer Mautpflicht belegt.

21

Im Übrigen habe die Beklagte ohne rechtliche Verpflichtung zutreffende Ermessenserwägungen bezüglich der vom Kläger vorgeschlagenen Maßnahmen getroffen. So sei die vom Kläger begehrte dauerhafte Beschränkung der Höchstgeschwindigkeit auf 30 km/h unter dem Aspekt der Verhältnismäßigkeit als unangemessen und gegenüber den Verkehrsteilnehmern als nicht vermittelbar angesehen worden. Es könne auch nicht mit einer spürbaren Verminderung des Verkehrslärms gerechnet werden, zumal der Mittelungspegel bei Geschwindigkeiten zwischen 30 und 50 km/h überwiegend von der Fahrweise abhänge. Die Aufstellung eines Geschwindigkeitsanzeigers sei der Beklagten nicht möglich, da es sich um ein nicht amtliches Gerät handele. Eine fest installierte Messanlage komme nicht in Betracht, da derartige Anlagen der Verkehrsüberwachung dienten und an Unfallhäufungsschwerpunkten zum Einsatz kämen, worum es hier nicht gehe.

22

Andere Anspruchsgrundlagen gegenüber der Beklagten auf Reduzierung der Lärmbelästigungen seien nicht ersichtlich. Die Kurortverordnung sei auf der Grundlage des § 10 Abs. 7 KAG erlassen worden und begründe keine Rechte des Klägers, sondern ermögliche die Erhebung von (Kur)Abgaben (vgl. § 10 Abs. 5 KAG).

23

Hiergegen hat der Kläger die vom Senat zugelassene Berufung eingelegt, zu deren Begründung er im Wesentlichen sein bisheriges Klagevorbringen wiederholt und vertieft:

24

Nach der Lärmkartierung 2012 sei auf der B- Straße (Immissionsort) von einem Mittelungspegel von mindestens 70 dB(A) bis 75 dB(A) - 24-Stundenwert - und von mindestens 65 dB(A) bis 70 dB(A) - Nachtwert - auszugehen, in dem Straßenabschnitt Wohnpark X sogar von einem Mittelungspegel von mindestens 75 dB(A) bis 80 dB(A) - 24- Stundenwert. Im Rahmen der Klage sei zu überprüfen, ob und inwieweit die Voraussetzungen sowohl für verkehrsrechtliche Maßnahmen der Straßenverkehrsordnung (StVO) gemäß der 16. BlmSchV (Verkehrslärmschutzverordnung) und / oder VLärmSchR 97 (Richtlinien für den Verkehrslärmschutz an Bundesfernstraßen in der Baulast des Bundes), als auch für immissionsschutzrechtliche, planunabhängige Maßnahmen gemäß Bundesimmissionsschutzgesetz (BlmSchG: Lärmkartierung und Lärmaktionsplanung) vorlägen, um ihn - den Kläger - vor gesundheitsgefährdenden Lärmbelastungen zu schützen. Während im Straßenverkehrsrecht ein Mittelungspegel von 70 dB (A) am Tag und 60 dB (A) in der Nacht, der hier erheblich überschritten werde, einen Anspruch auf lärmmindernde Maßnahmen auslöse, gelte im Immissionsschutzrecht ein Pegel von 65 dB(A) (LDEN) bzw. 55 dB(A) (LNight).

25

Zum Beweis des Mautumgehungsverkehrs habe er umfangreiche Bilddokumentationen und Erkenntnisse vorgelegt. Auf der Strecke komme es zu erheblichen Geschwindigkeitsüberschreitungen (er habe 766 Fälle dokumentiert, weitere 675 Fälle während der Nachtruhezeiten, tw. über 100 km/h), die er zur Anzeige gebracht und in Videoaufnahmen dokumentiert habe. Die Sperrung der Rader-Hochbrücke habe erhebliche Auswirkungen auf das Verkehrsaufkommen gehabt.

26

Auch aus der Kurortverordnung bestehe ein Anspruch auf Einhaltung von Grenzwerten, die zudem noch niedriger seien (maximale Immissionswerte am Tag von 45 dB(A) und in der Nacht von 35 dB(A). Die Beklagte habe auf der B 76 im Abschnitt Lornsenstraße bis B- Straße (Gewerbebetriebe und Ferienwohnungen) eine (nächtliche) 30 km/h-Zone realisiert, weshalb er ebenfalls einen Anspruch habe.

27

Er ist zudem der Auffassung, dass Fragen zur Aufstellung von Lärmaktionsplänen an den Gerichtshof der Union vorzulegen seien, und zwar zur Auslegung der Umgebungslärm-Richtlinie - Richtlinie 2002/49/EG -, zum Bestehen eines subjektiven Rechts auf Aufstellung von Lärmaktionsplänen, zum Bestehen subjektiver Ansprüche aus aufgestellten Plänen sowie zur Umweltinformationsrichtlinie (Richtlinie 2003/4/EG).

28

Hierzu trägt er vor, dass er mit Klageschrift vom 15. April 2011 ausschließlich Klaganträge des Immissionsschutzrechts zur Abwehr von Gesundheitsgefährdungen und Lärmbelästigungen durch Umgebungslärm gestellt und hierbei seine Ansprüche primär auf die Anspruchsgrundlagen des Immissionsschutzes gestützt habe, so dass auch zunächst das Verfahren bei der 6. Kammer anhängig gewesen sei (6 A 109/11), welche die Klaganträge zu 2. und 3. abgetrennt und an die 3. Kammer abgegeben habe. Das Urteil der 3. Kammer habe zweifelsfrei auch zum Immissionsschutzrecht entschieden, soweit es ausgeführt habe, dass die Immissionsgrenzwerte des § 2 Abs.1 der 16. BImSchVO als Orientierungspunkte bei der Beurteilung der Zumutbarkeit der Lärmbelästigung für straßenverkehrsrechtliche Maßnahmen herangezogen werden könnten. Zudem habe es zum Schluss ausgeführt, dass andere Anspruchsgrundlagen gegenüber der Beklagten, die einen Anspruch auf Reduzierung von Lärmbelästigungen begründen könnten, nicht ersichtlich seien.

29

Entsprechend habe er bereits im Zulassungsantrag geltend gemacht, dass für den weiteren Fortgang der Verwaltungsrechtssache eine Prüfung der Klage nach dem Immissionsschutzrecht des Bundesimmissionsschutzgesetzes unerlässlich und nachzuholen sei. Er mache daher geltend, dass sein Vortrag primär nach dem Immissionsschutz zu entscheiden sei und hierbei die bisherigen Regelungen des Verkehrsrechts auf Unionskonformität im Hinblick auf die EU-Umgebungslärmrichtlinie zu überprüfen seien, sofern das Gericht nicht die unmittelbare Wirkung der Richtlinie annehme. Soweit der Senat zwischen Verkehrsrecht und Immissionsschutzrecht trenne und meine, dass letztere Fragen noch in der 1. Instanz anhängig seien, weiche er vom Urteil des Gerichtshofs der Union vom 25. Juli 2008 (C-237/07) ab, der zur insoweit ähnlichen Luftqualitätsrichtlinie entschieden habe, dass sich die Betroffenen in allen Fällen auf die Nichteinhaltung der Richtlinie, die zwingende Maßnahmen zum Schutz der öffentlichen Gesundheit vorgebe, berufen könnten. Da er unmittelbar von einer Gefahr der Grenzwertüberschreitung betroffen sei, könne er danach das Erstellen eines solchen Aktionsplans erwirken, der genaue Verpflichtungen für den Fall von Grenzwertüberschreitungen regele. Die EU-Umgebungslärmrichtlinie sei nur unzureichend in nationales Recht umgesetzt worden (unter Verweis auf ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland) und habe deshalb unmittelbare Wirkung, so dass eine getrennte Prüfung ausscheide. Insbesondere seien auch deren Berechnungsmethoden zugrunde zu legen. Die Grenzwerte der 16. BImSchV seien nur vorläufig heranzuziehen und müssten wesentlich unterhalb 65 dB(A) am Tag und 55 dB(A) in der Nacht liegen, wobei die unionsrechtskonformen Berechnungsmethoden nach der 34. BImSchV (VBUS/VBEB) heranzuziehen seien. Dabei sei sein Gebiet als unbeplanter Innenbereich gemäß § 34 Abs. 1 BauGB entsprechend in die Gebiete der Baunutzungsverordnung einzuordnen als reines Wohngebiet iVm § 3 BauNVO bzw. hinsichtlich des Kurgebietes S-strand und des Landschaftsschutzgebiets G-wiesen als sonstiges Sondergebiet zur Erholung nach § 11 Abs. 2 BauNVO.

30

Nachdem der Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 14. Oktober 2016 beantragt hat,

31

1. das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts - 3. Kammer, Einzelrichterin - vom 7. August 2012, Az.: 3 A 179/11 wird aufgehoben.

32

2. Der Ablehnungsbescheid der Beklagten vom 31. August 2010 und der entsprechende Widerspruchsbescheid werden aufgehoben.

33

3. Die Beklagte wird verurteilt, auf der B- Straße (B 76) in A-Stadt im Bereich des Straßenabschnittes „Wohnpark X" innerhalb vom Gericht zu bestimmender Fristen zielführende, verhältnismäßige und planunabhängige Maßnahmen ermessensfehlerfrei zu ergreifen, die geeignet sind,

34

Gesundheitsgefährdungen des Klägers durch Reduzierung der Lärmindizes unter die Schwellwerte 65 dB(A) (LDEN) bzw. 55 dB(A) (LNight) kurzfristig zu vermeiden,

35

erhebliche Lärmbelästigungen des Klägers durch Reduzierung der Lärmindizes unter die Schwellwerte 60 dB(A) (LDEN) bzw. 50 dB(A) (LNight) mittelfristig zu mindern,

36

erhebliche Lärmbelästigungen des Klägers durch Reduzierung der Lärmindizes unter die Schwellwerte 55 dB(A) (LDEN) bzw. 45 dB(A) (LNight) langfristig zu vermeiden,

37

sowie deren Einhaltung dauerhaft und nachhaltig sicherzustellen,

38

hilfsweise Grenzwertüberschreitungen unter vom Gericht zu bestimmende kurz-, mittel- und langfristige Schwellwerte zu reduzieren.

39

4. Die Beklagte wird verurteilt, gesundheitsgefährdende Lärmbelästigungen durch Straßenlärm der B- Straße (B 76) in A-Stadt im Bereich des Straßenabschnittes „Wohnpark X" innerhalb einer vom Gericht zu bestimmenden Frist oberhalb von 67 dB(A) am Tag und 57 dB(A) in der Nacht zu verhindern und hierzu unter anderem folgende, planunabhängige Sofortmaßnahmen zur Lärmminderung anzuordnen:

40

Durchfahrtsverbot für Lkws über 12 t am Tag und 7,5 t während der Nachtruhezeiten zwischen 22.00 und 06.00 Uhr,

41

hilfsweise andere, geeignete Maßnahmen, mit denen insbesondere Maut-Umgehungsverkehr unterbindbar ist,

42

maximal zulässige Höchstgeschwindigkeit ganztätig von 30 km/h,

43

hilfsweise während der Nachtruhezeiten zwischen 22.00 und 06.00 Uhr und / oder hilfsweise durch andere, geeignete Maßnahmen, mit denen gesundheitsgefährdende Lärmbelästigungen unterbindbar sind.

44

5. Die Beklagte wird verurteilt, zukünftig auf der B- Straße (B 76) in A-Stadt für den vor Straßenlärm ungeschützten Bereich des „Kurgebietes S-strand" innerhalb einer vom Gericht zu bestimmenden Frist zielführende, verhältnismäßige und planunabhängige Lärmminderungsmaßnahmen ermessensfehlerfrei zu regeln, die ortsüblich auf eine bestmögliche Beschränkung des innerörtlichen Durchgangs-, Ziel- und Quellverkehrs und Beschränkung der verkehrsbedingten Lärmimmissionen zielen und im gesamten ungeschützten Bereich des „Kurgebiet S-strand" eine maximale Lärmbelästigung am Tage von 45 dB(A) und in der Nacht von 35 dB(A) dauerhaft und nachhaltig sicherzustellen,

45

hilfsweise für den ungeschützten Bereich des „Kurgebietes S-strand" Lärmbelästigungen unter vom Gericht zu bestimmende maximale Immissionswerte zu reduzieren.

46

6. Die Beklagte wird verurteilt, auf der B- Straße (B 76) in A-Stadt im Bereich des Straßenabschnittes „Wohnpark X" die öffentliche Sicherheit und Ordnung - insbesondere Einhaltung der zulässigen Höchstgeschwindigkeiten und Lkw-Fahrverbote - durch geeignete Maßnahmen sicher zu stellen.

47

beantragt er nunmehr,

48

1. das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts - 3. Kammer, Einzelrichterin - vom 7. August 2012, Az.: 3 A 179/11, wird aufgehoben.

49

2. Der Ablehnungsbescheid der Beklagten vom 31. August 2010 und der entsprechende Widerspruchsbescheid werden aufgehoben.

50

3. Die Beklagte wird verurteilt, auf der B- Straße (B 76) in A-Stadt im Bereich des Straßenabschnittes „Wohnpark X" innerhalb vom Gericht zu bestimmender Fristen zielführende, verhältnismäßige und planunabhängige Lärmschutzmaßnahmen ermessensfehlerfrei zu ergreifen, die geeignet sind,

51

gesundheitsgefährdende Lärmbelästigungen des Klägers oberhalb von unionsrechtskonformen Grenzwerten sofort zu verhindern,

52

Gesundheitsgefährdungen des Klägers durch Reduzierung der Lärmindizes unter die Pegelwerte 65 dB(A) am Tag bzw. 55 dB(A) in der Nacht kurzfristig zu vermeiden,

53

erhebliche Lärmbelästigungen des Klägers durch Reduzierung der Lärmindizes unter die Pegelwerte 60 dB(A) am Tag bzw. 50 dB(A) in der Nacht mittelfristig zu mindern,

54

erhebliche Lärmbelästigungen des Klägers durch Reduzierung der Lärmindizes unter die Pegelwerte 55 dB(A) am Tag bzw. 45 dB(A) in der Nacht langfristig zu vermeiden,

55

den ungeschützten Kläger in umliegenden Sondergebieten wie dem Kurgebiet S-strand und / oder dem Naturschutzgebiet G-wiesen durch Reduzierung der Lärmindizes unter die Schwellwerte 45 dB(A) langfristig vor Gesundheitsgefährdungen zu schützen,

56

sowie deren Einhaltung zur Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung dauerhaft und nachhaltig durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen,

57

hilfsweise Lärmindizes unter vom Gericht zu bestimmende kurz-, mittel- und langfristige Pegelwerte zu reduzieren.

58

Die Beklagte widerspricht der Klagänderung zu Ziffer 3 Unterpunkte 1 und 5 und erklärt, soweit mit diesen Klaganträgen solche aus der mündlichen Verhandlung vom 14. Oktober 2016 zurückgenommen sind, hierzu ihr Einverständnis.

59

Sie beantragt,

60

die Berufung zurückzuweisen.

61

Sie ist der Auffassung, der Kläger müsse sich an seinen erstinstanzlichen Anträgen festhalten lassen.

62

Auf den Mautausweichverkehr habe sie - die Beklagte - keinen Einfluss, Maßnahmen innerhalb des Stadtgebiets brächten tatsächlich nichts, da (die K 14 oder) andere Straßen als Ausweichstrecke ungeeignet seien, so dass sich die Frage nach Maßnahmen im Sinne von § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO von vornherein nicht stelle.

63

Der Kläger könne allenfalls aus § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVO einen Anspruch herleiten. Insoweit sei derzeit nicht belegt, dass die Lärmbelastung die Grenze der Zumutbarkeit übersteige. Die Beklagte habe keine Messergebnisse, insbesondere nicht solche einer nach § 26 BImSchG anerkannten Messstelle oder Berechnungen auf der Grundlage der RLS-90. Da die Anlage im Außenbereich liege, könne allenfalls § 2 Abs. 1 Nr. 3 der 16. BImSchV als Orientierungspunkt in Betracht kommen. Unabhängig davon besitze der Einzelne keinen Anspruch auf behördliche Schutzmaßnahmen, wenn ein bestimmter Schallpegel überschritten werde. Selbst wenn ein bestimmter Schallpegel überschritten werde, habe die Behörde in ihre Ermessenserwägungen einzustellen, ob an anderer Stelle Unzuträglichkeiten auftreten würden, etwa durch eine nicht hinnehmbare Verschlechterung der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs oder noch gravierendere Lärmbeeinträchtigungen an anderer Stelle (Gesamtbilanz). Von Bedeutung seien dabei auch die Lärmvorbelastung und die Frage, ob der Verkehr die Straßen funktionsgerecht oder funktionswidrig in Anspruch nehme. Nach § 1 Abs. 1 Nr. 2, § 5 Abs. 4 FStrG sei von Bundesfernstraßen überörtlicher Verkehr, einschließlich des damit zusammenhängenden Schwerlastverkehrs, abzuwickeln. Maßnahmen die diese funktionsgerechte Nutzung beschränkten, setzten sich in Widerspruch zum Widmungszweck und seien daher unzulässig.

64

Ein Anspruch auf Gleichbehandlung mit dem Straßenabschnitt B- Straße 30-58 bestehe nicht, da das Grundstück des Klägers weder innerhalb der Ortsdurchfahrt noch im Innenbereich liege.

65

Der Senat hat mit Beweisbeschluss vom 21. November 2014, konkretisiert mit Beschluss vom 14. Oktober 2016 Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Lärmbelastung am Wohngebäude des Klägers durch Straßenlärm. Mit Beschluss vom 18. November 2016 hat der Senat seinen Beweisbeschluss dahingehend geändert, dass zum neuen Sachverständigen Dipl.-Ing. D., , D-Stadt bestellt worden ist. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das eingeholte Gutachten vom 14. Juli 2017 nebst Ergänzung vom 15. September 2017 verwiesen, das der Sachverständige in der mündlichen Verhandlung vom 9. November 2017 erläutert hat. Wegen der weiteren vom Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 14. Oktober 2016 gestellten Beweisanträge, die der Senat abgelehnt hat, wird Bezug genommen auf die Anlage zum Protokoll, wegen der Begründung der Ablehnungsentscheidung auf das Protokoll.

66

Die Verwaltungsvorgänge der Beklagten haben vorgelegen und sind zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden; wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungs- und Gerichtsakten ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

67

Soweit der Kläger die Klage zurückgenommen hat, war das Verfahren einzustellen (I). Soweit der Kläger im Berufungsverfahren einen neuen Klagantrag gestellt hat, war die Klage abzuweisen (II). Im Übrigen ist die Berufung teilweise begründet (III), so dass das Urteil des Verwaltungsgerichts zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 31. August 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. März 2011 zu verpflichten war, über den Antrag des Klägers auf straßenverkehrsrechtliche Maßnahmen gemäß § 45 StVO in Bezug auf seine Wohnung in der A-Straße unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden und bis dahin als kurzfristige Maßnahme sofort (nach Rechtskraft) für die Nacht (22.00 Uhr bis 6.00 Uhr) als zulässige Höchstgeschwindigkeit 30 km/h (Verkehrszeichen 274) anzuordnen. Im Übrigen war die Berufung zurückzuweisen.

68

I. Da der Kläger zuvor gestellte Anträge mit seinen in der mündlichen Verhandlung vom 9. November 2017 gestellten Anträgen nicht mehr verfolgt hat, war das Verfahren insoweit mit Einwilligung der Beklagten einzustellen (§ 125 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 92 Abs. 1 Satz 1 und 2 VwGO). Dies betrifft die über die erstinstanzlichen Anträge hinausgehenden, vor dem Berufungsgericht in der mündlichen Verhandlung vom 14. Oktober 2016 zu 4. und 6. gestellten Anträge, die der Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 9. November 2017 ausdrücklich nicht mehr gestellt hat.

69

Einer ausdrücklichen Verwendung des Wortes „Klagrücknahme“ oder einer ähnlichen Erklärung bedurfte es nicht, da eine konkludente Erklärung genügt (vgl. Schenke in: Kopp/Schenke, VwGO-Kommentar, 23. Aufl. 2017, § 92 Rn. 6 f., Wolff in: BeckOK VwGO, Posser/ Wolff, 44. Edition, Stand: 01.10.2016, § 92 Rn. 7, VGH München, Urteil vom 22. April 2008 - 1 B 04.3320 -, Rn. 34, juris, BGH, Urteil vom 06. März 1985 - VIII ZR 123/84 -, Rn. 10, juris). Das Gericht hat hierzu beim Klägervertreter nachgefragt, der diese Anträge nicht mehr weiter verfolgen wollte und die Beklagte hat ausdrücklich ihre Einwilligung zur darin enthaltenen teilweisen Klagrücknahme erklärt. Damit ist der Wille, die erhobene Klage nicht aufrechtzuerhalten, eindeutig zum Ausdruck gekommen. Dies genügt.

70

Soweit der Kläger den in dem vor dem Verwaltungsgericht zu 3. gestellten Antrag als maximalen Immissionswert für die Nacht genannten Wert von 35 dB(A) zwar in dem in der mündlichen Verhandlung vom 14. Oktober 2016 gestellten Antrag zu 5. noch wiederholt hat, nicht aber mehr in den in der mündlichen Verhandlung vom 9. November 2017 gestellten Anträgen (dort zu 3., Unterpunkt fünf), könnte es Zweifeln unterliegen, ob dies unbeabsichtigt war oder eine teilweise Berufungsrücknahme sein sollte. Dies genügt bereits, insoweit keine eindeutige Erklärung anzunehmen. Zudem hat die Beklagte dazu ihre nach § 126 Abs. 1 Satz 2 VwGO erforderliche Einwilligung nicht erklärt, so dass über den ursprünglich gestellten Antrag in der Sache zu entscheiden ist.

71

II. Der erstmals in der Berufungsinstanz in der mündlichen Verhandlung vom 9. November 2017 gestellte Klagantrag auf Lärmschutzmaßnahmen auf der B 76 im Bereich des Straßenabschnittes „Wohnpark X“ in A-Stadt, die geeignet sind, den ungeschützten Kläger in dem Naturschutzgebiet G-wiesen durch Reduzierung der Lärmindizes unter den Schwellwert 45 dB(A) langfristig vor Gesundheitsgefährdungen schützen (Klagantrag zu 3., letzter Unterpunkt) ist unzulässig, so dass die Klage insoweit abzuweisen war und die auch darauf abzielenden Beweisanträge als unerheblich abzulehnen waren.

72

Die Zulässigkeit der grundsätzlich auch noch in der Berufungsinstanz möglichen Klagerweiterung richtet sich, da kein Fall des § 173 VwGO i.V.m. § 264 ZPO gegeben ist, nach § 125 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 91 VwGO. Insoweit müsste, da die Beklagte der Klagerweiterung widersprochen hat, das Gericht sie für sachdienlich halten. Dies ist indes nicht der Fall, da mit dem nunmehr auch begehrten Schutz des Klägers in den G-wiesen vor Lärm ein neuer Streitgegenstand in das gerichtliche Verfahren eingeführt wird. Hierfür hätte es zum einen eines Vorverfahrens nach §§ 69 ff. VwGO bedurft, da es sich – auch wenn der Kläger eine „Verurteilung“ der Beklagten beantragt hat – um ein Verpflichtungsbegehren handelt, § 74 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 VwGO. Zum anderen ist dem Gericht vom Tatsächlichen her schon nicht bekannt, ob der Kläger überhaupt die G-wiesen betreten darf oder kann und ob es sich hierbei um ein Naturschutzgebiet handelt. In dem Katalog der ausgewiesenen Naturschutzgebiete des Kreises Rendsburg-Eckernförde sind die G-wiesen nicht enthalten.

73

Der weitere, erstmals in der Berufungsinstanz in der mündlichen Verhandlung vom 9. November 2017 gestellte Klagantrag (Klagantrag zu 3., erster Unterpunkt) auf Lärmschutzmaßnahmen auf der B 76 im Bereich des Straßenabschnittes „Wohnpark X", die geeignet sind, gesundheitsgefährdende Lärmbelästigungen des Klägers oberhalb von unionsrechtskonformen Grenzwerten sofort zu verhindern, stellt hingegen keine Klagänderung in Gestalt der Klagerweiterung dar (§ 173 VwGO i.V.m. § 264 Nr. 2 ZPO).

74

Nach § 88 VwGO darf das Gericht über das Klagebegehren nicht hinausgehen, ist aber an die Fassung der Anträge nicht gebunden. Es hat vielmehr das tatsächliche Rechtsschutzbegehren zu ermitteln. Maßgebend für den Umfang des Begehrens ist das aus dem gesamten Parteivorbringen zu entnehmende wirkliche Rechtsschutzziel. Wesentlich ist der geäußerte Parteiwille, wie er sich aus der prozessualen Erklärung und sonstigen Umständen ergibt; der Wortlaut der Erklärung tritt hinter deren Sinn und Zweck zurück. Ist der Rechtschutzsuchende bei der Fassung des Antrags anwaltlich vertreten worden, kommt der Antragsformulierung allerdings eine gesteigerte Bedeutung für die Ermittlung des tatsächlich Gewollten zu. Selbst dann darf die Auslegung jedoch vom Antragswortlaut abweichen, wenn die Begründung oder sonstige Umstände eindeutig erkennen lassen, dass das wirkliche Rechtsschutzziel von der Antragsfassung abweicht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 12. März 2012 - 9 B 7.12 -, Rn. 5 f. m.w.N., juris; BVerfG, Beschluss vom 29. Oktober 2015 - 2 BvR 1493/11 -, Rn. 37, juris).

75

Abgesehen davon, dass in dem Klagantrag zu 3., erster Unterpunkt, anders als in den nachfolgenden Unterpunkten, keine konkreten Grenzwerte genannt werden, so dass sich die Frage der hinreichenden Bestimmtheit stellt (dazu sogleich unter III. 4), entspricht dieser Antrag der vom Kläger während des gesamten Verfahrens vertretenen Rechtsauffassung, dass die Regelungen des Unionsrechts zum Lärmschutz anzuwenden seien, so dass nach der gemäß § 125 Abs. 1 Satz 1 VwGO auch im Berufungsverfahren anwendbaren Regelung des § 88 VwGO kein neues Klagebegehren vorliegt.

76

III. Die Berufung ist, soweit der Kläger die ermessensfehlerfreie Neubescheidung über Lärmschutzmaßnahmen in Bezug auf seinen Aufenthalt im Kurgebiet S-strand begehrt, unbegründet (2), ebenso, soweit er die ermessensfehlerfreie Neubescheidung über ordnungsrechtliche Maßnahmen zur Sicherstellung der Lärmschutzmaßnahmen begehrt (3). Soweit der Kläger die ermessensfehlerfreie Neubescheidung über Lärmschutzmaßnahmen in Bezug auf seine Eigentumswohnung begehrt, ist die Berufung teilweise begründet (4) mit der Folge, dass das entgegenstehende Urteil des Verwaltungsgerichts zu ändern und die angegriffenen Bescheide der Beklagten aufzuheben waren.

77

1. Wie bereits ausgeführt, darf das Gericht gemäß § 125 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 88 VwGO nicht über das Klagebegehren hinausgehen, ist aber an die Fassung der Anträge nicht gebunden. Vor dem Hintergrund des sich aus dem Vortrag des Klägers ergebenden Klagebegehrens sind seine Anträge wie folgt auszulegen:

78

Der Kläger begehrt die Verpflichtung der Beklagten, über straßenverkehrsrechtliche – oder wie er es bezeichnet: planunabhängige – Maßnahmen zur Begrenzung von Lärmimmissionen hinsichtlich des Straßenabschnitts der B 76 vor dem Wohnpark X in A-Stadt unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden. Dabei sollen diese Maßnahmen ihn sowohl vor Lärm in seiner Eigentumswohnung als auch vor Lärm bei einem Aufenthalt im Kurgebiet S-strand schützen, und zwar so, dass die in den Unterpunkten 2 bis 5 zum Klagantrag zu 3. genannten Grenzwerte kurz-, mittel- und langfristig nicht überschritten werden.

79

Dass der Kläger hinsichtlich dieser beiden auf straßenverkehrsrechtliche Lärmschutzmaßnahmen gerichteten Klagebegehren eine Verpflichtung der Beklagten zur Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts begehrt, folgt bereits aus der Antragsformulierung, in der er keine konkreten Maßnahmen nennt, aber dass diese „ermessensfehlerfrei“ ergriffen werden sollen, und die Fristbestimmung dem Gericht überlässt. Kann nur eine ermessensfehlerfreie und nicht eine bestimmte Entscheidung verlangt werden, so spricht das Gericht nach § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO die Verpflichtung zur Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts aus.

80

Soweit der Kläger die ermessensfehlerfreie Neubescheidung über ordnungsrechtliche Maßnahmen zur Sicherstellung der – noch zu treffenden (dazu näher unten 3) – Lärmschutzmaßnahmen begehrt, gilt nichts anderes. Auch insoweit benennt sein Klageantrag keine konkreten Maßnahmen, sondern verlangt nur, dass diese geeignet sein sollen.

81

Soweit der Kläger im Rahmen seines Berufungsvorbringens geltend macht, es gehe ihm auch um immissionsschutzrechtliche, planunabhängige Maßnahmen gemäß Bundesimmissionsschutzgesetz, und zwar um Lärmkartierung und Lärmaktionsplanung sowie Zugang zu Umweltinformationen, um ihn - den Kläger - vor gesundheitsgefährdenden Lärmbelastungen zu schützen; dort gelte ein geringerer Pegel als im Straßenverkehrsrecht von 65 dB(A) (LDEN) bzw. 55 dB(A) (LNight), sind diese Fragen bzw. darauf gerichtete Klaganträge nicht in der Berufungsinstanz anhängig (geworden). Das Verwaltungsgericht hat hierzu nicht entschieden. Die vom Kläger zitierten Stellen der erstinstanzlichen Entscheidung befassen sich mit straßenverkehrsrechtlichen Maßnahmen, nicht aber mit Ansprüchen des Klägers auf eine Lärmkartierung oder eine Lärmaktionsplanung. Ein ausdrücklicher Klagantrag etwa auf Einbeziehung oder Erstellung eines Lärmaktionsplans oder Maßnahmen aus einem Lärmaktionsplan oder auf Umweltinformationen ist weder dem angegriffenen Urteil des Verwaltungsgerichts zu entnehmen noch in der Berufungsinstanz gestellt worden. Solche Anträge hat der Kläger vielmehr etwa im Verfahren 6 A 4/14 (Urteil des Verwaltungsgerichts vom 10. Dezember 2015, Az des OVG: 1 LA 3/16) gestellt (so auch die Auslegung des eigenen Urteils durch das nachfolgende Urteil des Verwaltungsgerichts vom 25. Mai 2016 - 3 A 190/13 -, UA S. 10 u: „Ansprüche auf Lärmminderungsmaßnahmen im Zusammenhang mit der Umgebungslärm-Richtlinie waren Gegenstand des Verfahrens 6 A 4/14.“, Az des OVG 4 LA 7/17; vgl. auch das weitere Urteil des Verwaltungsgerichts vom 25. Mai 2016 - 3 A 259/13 -, Az des OVG: 4 LA 8/17).

82

Der Senat kann mangels entsprechender Anträge im Berufungsverfahren dahinstehen lassen, ob das angegriffene Urteil insoweit lückenhaft ist oder derartige Ansprüche in der für Immissionsschutzrecht zuständigen 6. Kammer des Verwaltungsgerichts (6 A 109/11) anhängig gewesen waren. Wären entsprechende Anträge in der Berufungsinstanz gestellt oder seine Anträge dahingehend auszulegen, wäre die Berufung insoweit als unzulässig zurückzuweisen. Denn selbst wenn das angegriffene Urteil lückenhaft gewesen wäre, kann eine Vervollständigung des Urteils im Rechtsmittelweg nicht erreicht werden. Ein daraufhin gerichteter Antrag ist mangels Beschwer unzulässig (vgl. BVerwG, Beschluss vom 11. August 2009 - 8 B 17.09 -, Rn. 9, juris; VGH München, Beschluss vom 1. Dezember 2009 - 20 ZB 09.2140 -, juris; OVG Schleswig, Beschluss vom 28. Juni 2017 - 2 LA 124/16 -, Rn. 4, juris). Ein Urteil, das unbeabsichtigt einen Teil des Streitgegenstandes unbeschieden ließe, ist zwar fehlerhaft, jedoch hätte der Kläger (beim Verwaltungsgericht) einen Antrag auf Urteilsergänzung gemäß § 120 Abs. 1 VwGO, gegebenenfalls zunächst einen Antrag auf Berichtigung des Tatbestandes gemäß § 119 Abs. 1 VwGO stellen müssen. Dementsprechend hat auch der Berufungszulassungsbeschluss des Senats – unabhängig vom Vortrag des Klägers im Berufungszulassungsverfahren – einen derartigen weiteren Streitgegenstand nicht erfassen können.

83

Aus diesem Grund ist auch weder eine Abgabe an den für Immissionsschutzrecht zuständigen 1. Senat zu prüfen gewesen noch ob die vom Kläger im Schriftsatz vom 25. April 2016 zu III. (S. 20 bis 26) formulierten Fragen zur Auslegung der Umgebungslärmrichtlinie - Richtlinie 2002/49/EG - dem Gerichtshof der Union vorzulegen waren.

84

Davon zu unterscheiden sind die materiell-rechtlichen Fragen des Einflusses des Immissionsschutzrechts und des Unionsrechts (insbesondere der EU-Umgebungslärmrichtlinie) auf die streitgegenständliche Prüfung der begehrten straßenverkehrsrechtlichen Maßnahmen zur Lärmreduzierung, die zweifelsfrei Gegenstand des Berufungsverfahrens ist.

85

2. Zutreffend hat das Verwaltungsgericht erkannt, dass keine Anspruchsgrundlagen ersichtlich sind für das Begehren des Klägers auf Lärmschutzmaßnahmen für seinen Aufenthalt im Kurgebiet S-strand (Klagantrag zu 3., letzter Unterpunkt, 1. Alternative). Die Klage ist insoweit bereits unzulässig, weil dem Kläger die Klagebefugnis fehlt. Die Berufung war daher insoweit als unbegründet und darauf gerichtete Beweisanträge waren – insbesondere die Beweisanträge zu I. 5 – als unerheblich abzulehnen.

86

Die Klage auf Erlass eines Verwaltungsaktes setzt nach § 42 Abs. 2 VwGO voraus, dass der Kläger geltend macht, durch die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsaktes in seinen Rechten verletzt zu sein. Die Verletzung eigener Rechte muss hiernach auf der Grundlage des Klagevorbringens wenigstens möglich sein. Diese Möglichkeit ist auszuschließen, wenn offensichtlich und eindeutig nach keiner Betrachtungsweise subjektive Rechte des Klägers verletzt sein können (vgl. BVerwG, Beschluss vom 13. Dezember 2006 - 6 C 23.05 -, Rn. 15 m.w.N., juris). Dies ist hier der Fall. Der Verweis des Klägers auf die Kurortverordnung in Verbindung mit den Qualitätsstandards für Kurorte des Deutschen Bäderverbandes e.V. und des Deutschen Fremdenverkehrsverbandes e.V., aus der er meint, einen Anspruch auf Einhaltung von Grenzwerten von maximal von 45 dB(A) am Tag und von 35 dB(A) in der Nacht herleiten zu können, führt nicht weiter. Die zitierten privatrechtlichen Qualitätsstandards können keine öffentlich-rechtlichen Ansprüche begründen. Die Kurortverordnung ist zwar eine öffentlich rechtliche Vorschrift, sie räumt Besuchern von Kurgebieten aber keine subjektiven Rechte ein. Auch sonstige Anspruchsgrundlagen sind nicht ersichtlich.

87

Die A-Stadt ist als Ostseebad anerkannt, weil sie die Voraussetzungen der §§ 2 und 3 Nr. 3 KurortVO erfüllt (u.a. Lage an der Meeresküste, mindestens eine Arztpraxis, gepflegter und bewachter Badestrand, Strandpromenaden, vom Verkehr ungestörte Parkanlagen sowie Strand- oder Landschaftswege, Möglichkeiten für Spiel und Sport). Soweit § 2 Abs. 2 KurortVO voraussetzt, dass eine Belastung des Bodens oder des Wassers durch Schadstoffe, der Luft durch gas- oder partikelförmige Beimengungen sowie der Lärmpegel die Möglichkeiten der Vorbeugung gegen Krankheiten, deren Heilung oder Linderung nicht beeinträchtigen dürfen, mag ein zu hoher Lärmpegel zwar zum Widerruf der Anerkennung als Kurort führen (etwa nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 KurortVO). Dieser Vorschrift sind aber keine darüberhinausgehenden Folgen, oder gar subjektiven Ansprüche, etwa solche der Kurgäste, zu entnehmen.

88

Dies folgt auch aus dem Zweck der Verordnung. Die Landesverordnung über die Anerkennung als Kurort, Erholungsort oder Tourismusort (KurortVO) ist aufgrund des § 10 Abs. 1 und 7 KAG aF (heute: § 10 Abs. 1 und 9 KAG) erlassen worden. Die Anerkennung ist Voraussetzung für die Erhebung von Kur- und Fremdenverkehrsabgaben (§ 10 Abs. 1 Satz 2 KAG aF), bzw. seit dem 1. August 2014 für die Erhebung von Kur- und Tourismusabgaben. § 10 Abs. 2 KAG ermöglicht die Erhebung von Kurabgaben für die Herstellung, Verwaltung und Unterhaltung der zu Kur- und Erholungszwecken bereitgestellten öffentlichen Einrichtungen und § 10 Abs. 6 KAG die Erhebung einer Tourismusabgabe für Zwecke der Tourismuswerbung und zur Deckung von Aufwendungen für die Herstellung, Verwaltung und Unterhaltung der zu Kur- und Erholungszwecken bereitgestellten öffentlichen Einrichtungen. Während die Kurabgabe von allen Personen erhoben wird, die sich im Erhebungsgebiet aufhalten, ohne dort ihren gewöhnlichen Aufenthalt zu haben (Ortsfremde) und denen die Möglichkeit zur Benutzung von öffentlichen Einrichtungen oder Teilnahme an Veranstaltungen geboten wird (§ 10 Abs. 3 KAG), wird die Tourismusabgabe von Personen und Personenvereinigungen erhoben, denen durch den Tourismus wirtschaftliche Vorteile geboten werden (§ 10 Abs. 7 KAG).

89

Soweit die vom Kläger genannten Grenzwerte für Kurorte in der Achtzehnten Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes - Sportanlagenlärmschutzverordnung (18. BImSchV) - genannt werden, ist diese schon nicht auf Straßenlärm anwendbar. § 2 Abs. 1 der 18. BImSchV bestimmt, dass Sportanlagen so zu errichten und zu betreiben sind, dass die in den Absätzen 2 bis 4 genannten Immissionsrichtwerte unter Einrechnung der Geräuschimmissionen anderer Sportanlagen nicht überschritten werden. Dabei betragen nach Absatz 2 Nr. 5 der Vorschrift die Immissionsrichtwerte für Immissionsorte außerhalb von Gebäuden u.a. in Kurgebieten tags 45 dB(A) und nachts 35 dB(A). Die B 76 ist aber keine Sportanlage. Die auf Straßenlärm anwendbare Sechzehnte Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetze - Verkehrlärmschutzverordnung (16. BImSchV) - enthält keine Vorgaben besonderer Lärmpegel für Kurgebiete (vgl. § 2 Abs. 2 der 16. BImSchV).

90

§ 45 Abs. 1a StVO erwähnt zwar auch Badeorte und gibt den Straßenverkehrsbehörden die Möglichkeit zur Ergreifung von Maßnahmen nach § 45 Abs. 4 StVO, wenn dadurch anders nicht vermeidbare Belästigungen durch den Fahrzeugverkehr verhütet werden können. § 45 Abs. 1a StVO erweitert die Möglichkeiten der Straßenverkehrsbehörde nach Absatz 1 Satz 2 zu den dort genannten Zwecken bzw. an den dort genannten Orten. Es mag dahinstehen, ob der Einschränkung – wenn dadurch nicht anders vermeidbare Belästigungen durch den Fahrzeugverkehr verhütet werden können – ein eigener Regelungsgehalt zukommt oder sie lediglich eine Ausprägung des allgemeinen Übermaßverbotes darstellt. Gemein ist allen Nummern des Absatzes 1a, dass hiermit der Schutz von Erholungs-, Genesungs- und Zerstreuungszwecken der Bevölkerung im Allgemeinen bezweckt wird (vgl. Wolf in: Freymann/ Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl. 2016, § 45 StVO, Rn. 19). Ein Anspruch eines einzelnen Besuchers eines Kurgebietes folgt daraus jedoch nicht.

91

3. Der Kläger begehrt eine Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts über ordnungsrechtliche Maßnahmen zur dauerhaften und nachhaltigen Sicherstellung der noch zu treffenden Lärmschutzmaßnahmen. Dies wäre ein zu unbestimmter Antrag, da noch nicht bekannt ist, ob und welche straßenverkehrsrechtlichen Lärmschutzmaßnahmen die Beklagte treffen wird.

92

Allerdings hat der Senat die Beklagte verpflichtet, bereits bis zu ihrer endgültigen Entscheidung als kurzfristige Maßnahme sofort (ab Rechtskraft) für die Nacht (22.00 Uhr bis 6.00 Uhr) als zulässige Höchstgeschwindigkeit 30 km/h (Verkehrszeichen 274) anzuordnen. Auch hat der Kläger vor dem Verwaltungsgericht und in der Berufungsinstanz geltend gemacht, dass eine Vielzahl der Auto- und Lkw-Fahrer die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h überschritten, so dass das Verwaltungsgericht Ansprüche auf Aufstellung eines Geschwindigkeitsanzeigers oder einer Geschwindigkeitsmessanlage zur Einhaltung der derzeit angeordneten Höchstgeschwindigkeit geprüft und verneint hat. So verstanden mangelt es dem Antrag nicht an hinreichender Bestimmtheit.

93

Indes hat das Verwaltungsgericht insoweit den Antrag ebenfalls zu Recht abgelehnt. Zur Begründung ist zunächst auf die Ausführungen des Verwaltungsgerichts zu verweisen. Darüberhinaus ist noch Folgendes auszuführen:

94

§ 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 StVO gewährt dem Einzelnen einen subjektiv-rechtlichen Anspruch auf die in § 45 Abs. 4 StVO bezeichneten straßenverkehrsrechtlichen Maßnahmen. Andere Maßnahmen als die Anordnung von Verkehrszeichen oder Verkehrseinrichtungen, also hier insbesondere Verkehrsüberwachungsmaßnahmen wie die Durchführung von Geschwindigkeitskontrollen, die Installierung von festen Geschwindigkeitsmessanlagen oder die Aufstellung von Geschwindigkeitsanzeigern kann der Kläger auf der Grundlage dieser Vorschrift nicht verlangen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 23. April 2013 - 3 B 59.12 -, Rn. 7, 18; juris; vgl. auch OVG Münster, Urteil vom 26. Januar 1982 - 4 A 2586/80 -, LSe, MDR 1982, 787 f.). Aus den vom Kläger in diesem Zusammenhang genannten Urteilen des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Urteile vom 22. Januar 1971 - 7 C 48.69 - und vom 4. Juni 1986 - 7 C 76.84 -) folgt nichts Abweichendes.

95

Eine sonstige Vorschrift, die einen individuellen Anspruch auf allgemeine ordnungsrechtliche Maßnahmen zur dauerhaften Überwachung des Straßenverkehrs gewähren könnte, gibt es nicht und eine solche wird auch vom Kläger nicht aufgezeigt.

96

Mangels Anspruchsgrundlage für diesen Klageantrag waren auch darauf abzielende Beweisanträge als unerheblich abzulehnen. Dies betrifft insbesondere die Beweisanträge zu III., wobei zum Beweisantrag zu III. 1. außerdem anzumerken ist, dass das Gericht den Inhalt der Gerichtsakte kennt.

97

4. Soweit der Kläger die ermessensfehlerfreie Neubescheidung über Lärmschutzmaßnahmen in Bezug auf seine Wohnung begehrt, ist seine Berufung teilweise begründet. Der Kläger kann von der Beklagten eine ermessensfehlerfreie Entscheidung über straßenverkehrsrechtliche Maßnahmen gemäß § 45 StVO in Bezug auf seine Wohnung in der A-Straße verlangen und bis zur Neubescheidung als kurzfristige Maßnahme sofort (ab Rechtskraft) für die Nacht (22.00 Uhr bis 6.00 Uhr) die Anordnung von 30 km/h (Verkehrszeichen 274) als zulässige Höchstgeschwindigkeit. Einen weitergehenden Anspruch hat er nicht, insbesondere nicht auf Verpflichtung der Beklagten zur ermessensfehlerfreien Entscheidung über straßenverkehrsrechtliche Maßnahmen, die geeignet sind, die von ihm genannten Lärmpegel bzw. Grenzwerte sofort, kurz- mittel- oder langfristig einzuhalten (a). Anhaltspunkte für Mautausweichverkehr bestehen nicht (b). Die Umgebungslärmrichtlinie gewährt ihm keine subjektiven Rechte (c).

98

Dabei ist der Klagantrag zu 3. im ersten Unterpunkt (Maßnahmen, die geeignet sind, gesundheitsgefährdende Lärmbelästigungen des Klägers oberhalb von unionsrechtskonformen Grenzwerten sofort zu verhindern) bereits unzulässig, da es ihm an einer hinreichenden Bestimmtheit mangelt. Der Kläger nennt selbst keine konkreten Grenzwerte, sondern vertritt nur die Auffassung, dass die Anwendung unionsrechtskonformer Grenzwerte unabdingbar sei, die nicht über 65 dB(A) am Tag und 55 dB(A) in der Nacht festgelegt werden dürften (Schriftsatz vom 25. April 2016, dort unter II. 2., GA Bl. 454). Die Festlegung konkreter Grenzwerte ist ihm auch nicht möglich, da es solche Grenzwerte nicht gibt. Insoweit zitiert er selbst aus Erwägungsgrund Nr. 8 Satz 2 und Art. 3 Buchst. s der Umgebungslärmrichtlinie (Schriftsatz vom 25. April 2016, dort unter II. 2., GA Bl. 452 f.), dass die Mitgliedsstaaten konkrete Grenzwerte festlegen (siehe dazu auch unten c).

99

Die übrigen Klaganträge zu 3. Unterpunkte 2 bis 4 sind zwar hinreichend bestimmt, jedoch hat der Kläger ausschließlich einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung nach den nachfolgend genannten Maßgaben, so dass auch insoweit die Berufung im Übrigen zurückzuweisen war.

100

a) Nach § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVO können die Straßenverkehrsbehörden die Benutzung bestimmter Straßen oder Straßenstrecken zum Schutz der Wohnbevölkerung vor Lärm und Abgasen beschränken oder verbieten oder den Verkehr umleiten. Die Vorschrift gibt dem Einzelnen einen Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung über ein straßenverkehrsrechtliches Einschreiten, wenn Lärm oder Abgase Beeinträchtigungen mit sich bringen, die jenseits dessen liegen, was unter Berücksichtigung der Belange des Verkehrs im konkreten Fall als ortsüblich hingenommen und damit zugemutet werden muss (BVerwG, Urteile vom 4. Juni 1986 - 7 C 76.84 -, LS, Rn. 13, juris, vom 22. Dezember 1993 - 11 C 45.92 -, NJW 1994, 2037 ff. und vom 13. März 2008 - 3 C 18.07 - juris, VGH München, Urteil vom 21. März 2012 - 11 B 10.1657 -, Rn. 24, juris, OVG Bremen, Beschluss vom 11. Februar 2016 -1 B 241/15 -, Rn. 18, juris).

101

Die Tatbestandsvoraussetzungen der Vorschrift sind erfüllt (aa); eine ermessensfehlerfreie Entscheidung der Beklagten über den Antrag des Klägers liegt bislang nicht vor (bb).

102

aa) Dabei bestimmt kein bestimmter Schallpegel oder Abgaswert die Grenze der Zumutbarkeit. Maßgeblich ist, ob der Lärm Beeinträchtigungen mit sich bringt, die jenseits dessen liegen, was unter Berücksichtigung der Belange des Verkehrs im konkreten Fall als ortsüblich hingenommen und damit zugemutet werden muss. Abzustellen ist auf die gebietsbezogene Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit der betroffenen Anlieger sowie auf eine eventuell gegebene Vorbelastung. Im Rahmen der Ermessensentscheidung sind ferner die Belange des Straßenverkehrs und der Verkehrsteilnehmer zu würdigen. Schließlich sind die Interessen anderer Anlieger, die durch lärm- oder abgasreduzierende Maßnahmen ihrerseits übermäßig durch Lärm oder Abgase beeinträchtigt würden, in Rechnung zu stellen. Dabei darf die Behörde in Wahrung allgemeiner Verkehrsrücksichten und sonstiger entgegenstehender Belange von verkehrsbeschränkenden Maßnahmen umso eher absehen, je geringer der Grad der Lärm- oder Abgasbeeinträchtigung ist, dem entgegengewirkt werden soll. Umgekehrt müssen bei erheblichen Lärm- oder Abgasbeeinträchtigungen die verkehrsberuhigenden oder verkehrslenkenden Maßnahmen entgegenstehenden Verkehrsbedürfnisse und Anliegerinteressen schon von einigem Gewicht sein, wenn mit Rücksicht auf diese Belange ein Handeln der Behörde unterbleibt. Die zuständige Behörde darf jedoch selbst bei erheblichen Lärm- oder Abgasbeeinträchtigungen von verkehrsbeschränkenden Maßnahmen absehen, wenn ihr dies mit Rücksicht auf die damit verbundenen Nachteile gerechtfertigt erscheint (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Juni 1986 - 7 C 76.84 -, LS, Rn. 12 f., 15, juris, Beschluss vom 18. Oktober 1999 - 3 B 105.99 -, Rn. 2, juris, VGH München, Urteil vom 21. März 2012 - 11 B 10.1657 -, Rn. 25, juris, OVG Münster, Urteil vom 21. Januar 2003 - 8 A 4230/01 - LS 1, Rn. 9, juris).

103

Die an der Wohnanlage X an (in) der Wohnung des Klägers festzustellende Lärmbelastung überschreitet die nach den vorstehenden Kriterien bestimmte Grenze der Zumutbarkeit. Dabei ist die gebietsbezogene Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit der Wohnanlage nicht als reines Wohngebiet, sondern – da für die Wohnanlage kein Bebauungsplan existiert und sie sich im Außenbereich befindet – als Kern-, Dorf- oder Mischgebiet anzusetzen. Selbst bei Einbeziehung der erheblichen Vorbelastung durch die B 76, die auch in der Baugenehmigung zum Ausdruck gekommen ist, ist die Lärmbelastung im Sinne des § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVO unzumutbar.

104

Die Grenze der zumutbaren Lärmbelastung, bei deren Überschreitung ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über Maßnahmen nach § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVO besteht, ist nicht durch auf Rechtsetzung beruhende Grenzwerte festgelegt; davon ist auch das Verwaltungsgericht zutreffend ausgegangen.

105

Die Richtlinien für straßenverkehrsrechtliche Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung vor Lärm (Lärmschutz-Richtlinien-StV) vom 23. November 2007 (VkBl 2007, 767) gelten zwar für bestehende Straßen und lehnen sich an die Verkehrslärmschutzrichtlinien an. Sie sollen den Straßenverkehrsbehörden aber nur eine Orientierungshilfe zur Entscheidung über straßenverkehrsrechtliche Maßnahmen zum Schutz der Wohnbevölkerung an die Hand geben. Diese Richtlinien gehen selbst davon aus, dass die Grenze des zumutbaren Verkehrslärms nicht normativ festgelegt ist (Nr. 1.2 Satz 1) und alle Umstände des Einzelfalls einzubeziehen sind (Nr. 1.3 Satz 1). In Nr. 2.1 benennen sie Richtwerte für Beurteilungspegel, bei deren Überschreitung straßenverkehrsrechtliche Maßnahmen „insbesondere“ in Betracht kommen, also eine Ermessensverdichtung auf Null angenommen werden kann, und zwar wenn der vom Straßenverkehr herrührende Mittelungspegel am Immissionsort einer der folgenden Richtwerte überschreitet: In reinen und allgemeinen Wohngebieten, Kleinsiedlungsgebieten sowie an Krankenhäusern, Schulen, Kurheimen und Altenheimen 70 dB (A) zwischen 6.00 und 22.00 Uhr (tags) und 60 dB (A) zwischen 22.00 und 6.00 Uhr (nachts), in Kerngebieten, Dorfgebieten und Mischgebieten 72 dB (A) zwischen 6.00 und 22.00 Uhr (tags) und 62 dB (A) zwischen 22.00 und 6.00 Uhr (nachts) sowie in Gewerbegebieten 75 dB (A) zwischen 6.00 und 22.00 Uhr (tags) und 65 dB (A) zwischen 22.00 und 6.00 Uhr (nachts). Dies besagt jedoch nur, dass sich in derartigen Fällen das Ermessen der Behörde zu einer Pflicht zum Einschreiten verdichten kann; es bedeutet jedoch nicht, dass geringere Lärmeinwirkungen straßenverkehrsrechtliche Maßnahmen ausschlössen (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Juni 1986 - 7 C 76.84 -, Rn. 14, juris, VGH München, Urteil vom 11. Mai 1999 - 11 B 97.695 -, Rn. 32, juris).

106

Ebenso wenig können die Vorschriften der Verkehrslärmschutzverordnung (16. BImSchV) bei der Beurteilung der Zumutbarkeit der Lärmbelastung im Rahmen des § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVO unmittelbar angewendet werden. Diese Verordnung bestimmt durch Festlegung von Immissionsgrenzwerten die Schwelle der Zumutbarkeit von Verkehrslärm nur für den Bau und die wesentliche Änderung u.a. von öffentlichen Straßen (vgl. § 1 Abs. 1, § 2 Abs. 1). Desgleichen gelten die Richtlinien für den Verkehrslärmschutz an Bundesfernstraßen in der Baulast des Bundes (Verkehrslärmschutzrichtlinien, VLärmSchR 97 vom 2. Juni 1997, VkBl 1997, 434) lediglich für planerische Maßnahmen bei der Linienführung und Trassierung (Lärmschutz durch Planung), für bauliche Maßnahmen an der Straße (aktiver Lärmschutz) und an lärmbetroffenen baulichen Anlagen (passiver Lärmschutz) beim Neubau und bei der wesentlichen Änderung von Straßen (Lärmvorsorge) und zur Verminderung der Lärmbelastung an bestehenden Straßen (Lärmsanierung) sowie für die Entschädigung wegen verbleibender Beeinträchtigungen (vgl. insbesondere Abschnitte A. I., II.; B. IV.; C. VI. 11 bis 13; D. XIV., 36 f.; E.XVII.). Demgegenüber geht es bei § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVO um straßenverkehrsrechtliche Maßnahmen des Lärmschutzes für bestehende Straßen (zum Ganzen vgl. VGH München, Urteil vom 21. März 2012 - 11 B 10.1657 -, Rn. 27, juris).

107

Die Immissionsgrenzwerte des § 2 Abs. 1 der Verkehrslärmschutzverordnung können aber im Anwendungsbereich des § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVO als Orientierungshilfe für die Bestimmung der Zumutbarkeitsgrenze, deren Überschreitung die Behörde zur Ermessensausübung verpflichtet, herangezogen werden. Die Immissionsgrenzwerte der Verkehrslärmschutzverordnung bringen ganz allgemein die Wertung des Normgebers zum Ausdruck, von welcher Schwelle an eine nicht mehr hinzunehmende Beeinträchtigung der jeweiligen Gebietsfunktion, zumindest auch dem Wohnen zu dienen, anzunehmen ist. Eine Unterschreitung der Immissionsgrenzwerte der Verkehrslärmschutzverordnung ist danach jedenfalls ein Indiz dafür, dass die Lärmbelastung auch die Zumutbarkeitsschwelle in straßenverkehrsrechtlicher Hinsicht nicht erreicht. Umgekehrt kommt bei einer Überschreitung dieser Immissionsgrenzwerte eine zur fehlerfreien Ermessensausübung verpflichtende Überschreitung der straßenverkehrsrechtlichen Zumutbarkeitsschwelle in Betracht (vgl. zum Ganzen: BVerwG, Urteil vom 22. Dezember 1993 - 11 C 45.92 -, DVBl 1994, 758 f., Urteil vom 13. März 2008 - 3 C 18.07 -, LS 3, Rn. 33, juris, Beschluss vom 13. Juli 2017 - 4 BN 10.17 -, Rn. 11, juris, VGH München, Urteile vom 21. März 2012 - 11 B 10.1657 -, Rn. 28, juris, vom 13. Mai 1997 - 8 B 96.3508 -, BayVBl 1999, 118, und vom 18. Februar 2002 - 11 B 00.1769 -, BayVBl 2003, 80, OVG Münster, Urteile vom 21. Januar 2003 - 8 A 4230/01-, LS 1, Rn. 16, juris, und vom 1. Juni 2005 - 8 A 2350/04 -, Rn. 33, juris). Die Orientierung an den Lärmwerten des § 2 Abs. 1 der Verkehrslärmschutzverordnung ist nur aussagekräftig, wenn zur Ermittlung der Lärmbelastung das nach dieser Verordnung vorgesehene Berechnungsverfahren angewendet wird (vgl. OVG Münster, Urteil vom 21. Januar 2003 - 8 A 4230/01 -, LS 2, Rn. 10, juris, vgl. auch OVG Bremen, Beschluss vom 11. Februar 2016 - 1 B 241/15 -, Rn. 21 ff., 26, juris).

108

Die Lärmbelastung des klägerischen Grundstücks lässt sich nach Ansicht des Senats aus den in sich widerspruchsfreien und nachvollziehbaren Berechnungen nach den Richtlinien für den Lärmschutz an Straßen (RLS-90) des vom Gericht in Auftrag gegebenen Sachverständigengutachtens ableiten. Diese Berechnungen ergeben auf der Basis der Verkehrsdaten entsprechend der Verkehrserhebung 2015 für die Wohnanlage X an dem am stärksten betroffenen Immissionspunkt (IP 11, im 1. Obergeschoss) der klägerischen Wohnung Beurteilungspegel von 68 dB (A) tags und 61 dB (A) nachts (vgl. S. 17 des Sachverständigengutachtens vom 14. Juli 2017).

109

Soweit die Beklagte hierzu eingewandt hat, dass es sich bei dem Immissionspunkt 11 nicht um den in der Baugenehmigung als Schlafzimmer ausgewiesenen Raum handelt, ist dem entgegenzuhalten, dass es hierauf nicht ankommt. Sämtliche Berechnungsvorschriften (§ 2 der 16. BImSchV, Nr. 2.1 und 2.2 der Lärmschutz-Richtlinien-StV, Nr. 4.0 der RLS-90) unterscheiden nicht nach der Art der genutzten Räume im Einzelnen, sondern es ist eine Lärmberechnung an der Fassade vorzunehmen. Nr. 37.2 der Verkehrslärmschutzrichtlinien unterscheiden zwar nach der Art der Nutzung der Räume, aber nur insoweit als zwischen gewerblichen genutzten Räumen und Räumen, die ganz oder überwiegend zum Wohnen genutzt werden, unterschieden wird. Abgesehen davon, ist es allgemein üblich, Schafzimmer nicht in den der Straße zugewandten Teil einer Wohnung zu legen, wovon auch die Normgeber bei der Festlegung der Richtwerte ausgegangen sind. Schließlich ist die Nutzung der einzelnen Räume dem Kläger überlassen und die Baugenehmigung macht diesbezüglich keine verbindlichen Vorgaben.

110

Der Kläger macht geltend, dass der Senat die Berechnungsmethoden der Umgebungslärmrichtlinie anzuwenden habe. Das ist nicht der Fall (vgl. OVG Münster, Urteil vom 21. Januar 2003 - 8 A 4230/01 -, LS 2, Rn. 10, juris, OVG Bremen, Beschluss vom 11. Februar 2016 - 1 B 241/15 -, Rn. 21 ff., 26, juris). Mit der Vorläufigen Berechnungsmethode für den Umgebungslärm an Straßen (VBUS) können die Lärmindizes LDEN (Tag-Abend-Nacht-Lärmindex) und LNight (Nacht-Lärmindex) der 34. Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Verordnung über die Lärmkartierung - 34. BImSchV) für den Straßenverkehr berechnet werden, die für die Kartierung von Umgebungslärm nach § 47c BImSchG benötigt werden. Die VBUS gilt nicht für Schallberechnungen nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz (Verkehrslärmschutzverordnung - 16. BImSchV). Die VBUS ist angelehnt an die Richtlinien für den Lärmschutz an Straßen (RLS-90), wurde jedoch an die Erfordernisse der Anhänge I und II der Richtlinie 2002/49/EG angepasst und ist bis zur verbindlichen Einführung eines harmonisierten Berechnungsverfahrens gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 2 der Richtlinie 2002/49/EG anzuwenden. Um eine Berechnung für die Kartierung von Umgebungslärm nach § 47c BImSchG geht es hier indes nicht. Ansprüche des Klägers aus der Umgebungslärmrichtlinie oder aus den Regelungen der Lärmminderungsplanung bestehen nicht, wie unten (c) noch auszuführen sein wird.

111

Unabhängig davon hat der Senat durch den Sachverständigen auch die Lärmbelastung nach dieser Berechnungsmethode (VBUS) errechnen lassen (S. 18 f. und Anlage 6 des Sachverständigengutachtens vom 14. Juli 2017), wobei für den Nachtzeitraum ähnliche Pegelwerte (59 dB (A) bis 61 dB (A)) ermittelt wurden; der 24-stündige Beurteilungszeitraum ergab Pegelwerte von 68 dB (A) bis 70 dB (A). Irgendeine Aussagekraft ist diesen Ergebnissen aber mangels entsprechender rechtlicher Anspruchsgrundlage (siehe unten c) nicht zu entnehmen. Dasselbe gilt für die Berechnungen zu den im Lärmaktionsplan der Beklagten angenommenen Prognosezahlen für 2018 und der von der Beklagten in einem anderen Verfahren des Klägers angegebenen täglichen Verkehrsstärke von 23.116 Fahrzeugen. Diese Zahlen haben sich durch die aktuelle Verkehrszählung 2015 als nicht aussagekräftig erwiesen und sind nicht zugrundezulegen. Die Daten der aktuellen Verkehrszählung hat der Sachverständige durch einen Eindruck vor Ort bestätigt (S. 8 f. des Sachverständigengutachtens vom 14. Juli 2017).

112

Die ausweislich des Sachverständigengutachtens festgestellten Beurteilungspegel (von 68 dB (A) tags und 61 dB (A) nachts) überschreiten die in § 2 Abs. 1 Nr. 3 der Verkehrslärmschutzverordnung für Kerngebiete, Dorfgebiete und Mischgebiete festgelegten Immissionsgrenzwerte von 64 dB (A) tags um 4 dB (A) und von 54 dB (A) nachts um 7 dB (A). Diese Überschreitung ist mehr als erheblich. Sie ist auch angesichts der Funktion der Straße als Bundestraße und der damit bestehenden Vorbelastung im Sinne des § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVO unzumutbar. Hierzu kann als Orientierung die Wertung des Normgebers in § 1 Abs. 2 Nr. 2 der Verkehrslärmschutzverordnung herangezogen werden, der eine Erhöhung des Beurteilungspegels um mindestens 3 dB (A) als wesentliche Änderung ansieht (ähnlich die Bewertung in Nr. 2.3 der Lärmschutz-Richtlinien-StV). Dabei bestehen keine Bedenken, auch insoweit die Aufrundungsregel gemäß Anlage 1 und 2 zu § 3 der 16. BImSchV anzuwenden, so dass die Erheblichkeitsschwelle bereits bei 2,1 dB (A) beginnt (vgl. BVerwG, Urteil vom 7. März 2007 - 9 C 2.06 -, Rn. 28, juris, vgl auch, Urteil vom 13. März 2008 - 3 C 18.07 - Rn. 34 m.w.N., juris).

113

Für den Nachtwert kommt noch hinzu, dass dieser den Beurteilungspegel von 60 dB (A) überschreitet, der nach der Wertung der Verkehrslärmschutzverordnung eine unzumutbare Lärmbeeinträchtigung darstellt. Nach § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 der Verkehrslärmschutzverordnung liegt eine wesentliche Lärmzunahme vor, wenn der Beurteilungspegel des Verkehrslärms auf mindestens 60 dB (A) in der Nacht erhöht wird. Nach § 1 Abs. 2 Satz 2 der Verkehrslärmschutzverordnung gilt dasselbe, wenn der Beurteilungspegel von mindestens 60 dB (A) in der Nacht weiter erhöht wird; das gilt nicht in Gewerbegebieten. Dem liegt eine Wertung des Verordnungsgebers zugrunde, die sich auf § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVO übertragen lässt. Danach ist auch eine geringere Lärmzunahme als eine solche um 3 dB (A) erheblich, wenn dadurch ein Beurteilungspegel von 60 dB (A) in der Nacht erreicht oder überschritten wird. Dann nämlich droht eine ohnehin bereits unzumutbare Situation noch verschlechtert oder jedenfalls verfestigt zu werden (vgl. zu dieser Wertung: BVerwG, Urteil vom 13. März 2008 - 3 C 18.07 -, LS 4, Rn. 43, juris, OVG Bremen, Beschluss vom 11. Februar 2016 -1 B 241/15 -, Rn. 18, juris).

114

Selbst wenn man die in § 2 Abs. 2 Nr. 4 der Verkehrslärmschutzverordnung für Gewerbegebiete festgelegten Grenzwerte von 69 dB (A) tags und 59 dB(A) nachts heranziehen würde – was der Senat nicht für angezeigt hält und wohl auch die Beklagte nicht tun will (vgl. Berufungserwiderungsschrift vom 20. November 2014 S. 7, GA Bl. 358) –, wären auch diese nachts um 2 dB (A) überschritten.

115

Zwar liegen die genannten Beurteilungspegel noch unter den in den Verkehrslärmschutzrichtlinien für den Lärmschutz durch bauliche Maßnahmen an bestehenden Straßen (Lärmsanierung) festgelegten Immissionsgrenzwerten für Kerngebiete, Dorfgebiete und Mischgebiete von 72 dB (A) tags und 62 dB (A) nachts. Entsprechendes gilt hinsichtlich der in den Lärmschutz-Richtlinien-StV für straßenverkehrsrechtliche Lärmschutzmaßnahmen bestimmten Richtwerte für Wohnbebauung im Außenbereich, die entsprechend ihrer Schutzbedürftigkeit als Kern,- Dorf- oder Mischgebiet zu beurteilen ist. Insoweit darf jedoch nicht übersehen werden, dass die Überschreitung dieser Richtwerte nach der Rechtsprechung nicht erst einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über Maßnahmen nach § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVO auslöst, sondern bereits die Verdichtung des Ermessens der Behörde zu einer Pflicht zum Einschreiten zur Folge haben kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Juni 1986 - 7 C 76.84 -, Rn. 14, juris, Beschluss vom 31. März 1988 - 7 B 52.88 -, Rn. 2, juris, VGH München Urteil vom 21. März 2012 - 11 B 10.1657 -, Rn. 30, juris).

116

Eine (punkt)genaue Bestimmung des Pegelwertes des noch als zumutbar hinzunehmenden Straßenverkehrslärms muss der Senat nicht vornehmen. Doch sind in Anbetracht der straßenverkehrlichen Vorbelastung durch die B 76 und des Umstands, dass die Wohnanlage X im Außenbereich liegt, Überschreitungen der vom Kläger im Klagantrag zu 3. in den Unterpunkten 2, 3 und 4 genannten (kurz-, mittel- und langfristig zu erreichenden) Pegelwerte im Sinne des § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVO als zumutbar hinzunehmen. Der Senat könnte sogar dahinstehen lassen, ob die im Unterpunkt zu 2 genannten Pegelwerte von 65 dB (A) am Tag und 55 dB (A) in der Nacht als unzumutbar bezeichnet werden können. Selbst dann würden sie nur einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über ein straßenverkehrsrechtliches Einschreiten auslösen. Beantragt ist aber nicht lediglich eine ermessensfehlerfreie Entscheidung oder gar eine Verpflichtung zu einer ermessensfehlerfreien Entscheidung, sondern der diesbezügliche Antrag geht von einer Verdichtung des Ermessens der Behörde zu einer Pflicht zum – zielgerichteten – Einschreiten aus, wenn es heißt:

117

Die Beklagte wird verurteilt, auf der B- Straße (B 76) in A-Stadt im Bereich des Straßenabschnittes „Wohnpark X" innerhalb vom Gericht zu bestimmender Fristen zielführende, verhältnismäßige und planunabhängige Lärmschutzmaßnahmen ermessensfehlerfrei zu ergreifen, die geeignet sind, (…)

118

Gesundheitsgefährdungen des Klägers durch Reduzierung der Lärmindizes unter die Pegelwerte 65 dB(A) am Tag bzw. 55 dB(A) in der Nacht kurzfristig zu vermeiden, (…)

119

hilfsweise Lärmindizes unter vom Gericht zu bestimmende kurz-, mittel- und langfristige Pegelwerte zu reduzieren.

120

Eine solche Pflicht zum Einschreiten vermag der Senat aber nur hinsichtlich der nächtlich erreichten Pegelwerte zu erkennen und dies auch nur in Anbetracht des Umstandes, dass sich mit der vom Senat bis zur Neubescheidung als kurzfristige Maßnahme angeordneten zulässigen Höchstgeschwindigkeit 30 km/h (Verkehrszeichen 274) in der Nacht eine erhebliche Reduzierung von bis zu 2,5 dB (A) erreichen lässt und diese Anordnung auch in Anbetracht der Verkehrsfunktion der B 76 an dieser Stelle aufgrund besonderer Umstände keine sonstigen nachteiligen Folgen nach sich zieht. Damit sind aber weder die vom Kläger angestrebten 55 dB (A) erreicht noch hat er einen Anspruch darauf, dass mit den (noch zu treffenden) Maßnahmen ein bestimmter Wert erreicht wird. Im Gegenteil folgt für den Einzelnen aus § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVO auch dann grundsätzlich „nur" ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung, wenn die in § 2 Abs. 1 der Verkehrslärmschutzverordnung genannten Grenzwerte überschritten werden, also die Lärmbeeinträchtigungen so intensiv sind, dass sie im Rahmen einer Planfeststellung Schutzauflagen auslösen würden. Denn bei straßenverkehrsrechtlichen Maßnahmen ist stets eine Gesamtbilanz vorzunehmen. Zu prüfen ist, ob die Verhältnisse nur um den Preis gebessert werden können, dass an anderer Stelle neue Unzuträglichkeiten auftreten. Es ist eine abwägende Ermessensentscheidung zu treffen, die die Belange des Straßenverkehrs und der Verkehrsteilnehmer sowie die Interessen anderer Anlieger berücksichtigt, die durch lärm- oder abgasreduzierende Maßnahmen ihrerseits übermäßig durch Lärm oder Abgase beeinträchtigt würden. Dabei darf die zuständige Behörde selbst bei erheblichen Lärm- oder Abgasbeeinträchtigungen von verkehrsbeschränkenden Maßnahmen absehen, wenn ihr dies mit Rücksicht auf die damit verbundenen Nachteile gerechtfertigt erscheint (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Juni 1986 - 7 C 76.84 -, Rn. 15, juris, VGH München, Urteil vom 18. Februar 2002 - 11 B 00.1769 -, BayVBl 2003, 80, OVG Münster, Urteile vom 2. Dezember 1997 - 25 A 4997/96 -, NWVBl 1998, 266, vom 21. Januar 2003 - 8 A 4230/01 -, VRS 105, 233 und vom 1. Juni 2005 - 8 A 2350/04 -, Rn. 34, juris). Dementsprechend ist auch der Hilfsantrag als nicht weiterführend abzulehnen gewesen.

121

bb) Die Ermessensentscheidung über verkehrsbeschränkende Maßnahmen, die der Kläger aufgrund der die Grenze des Zumutbaren überschreitenden Lärmbelastung seiner Eigentumswohnung beanspruchen kann, ist von der Beklagten bislang jedenfalls nicht fehlerfrei getroffen worden. Hierzu muss im Einzelfall eine Entscheidung getroffen worden sein, die erkennen lässt, welche Maßnahmen abgewogen worden sind und dass die jeweils gegenläufigen Interessen mit dem ihnen zukommenden Gewicht in die Ermessensentscheidung einbezogen worden sind. Dabei kann das Gericht die Ermessensentscheidung der Beklagten nur eingeschränkt daraufhin überprüfen, ob sie die gesetzlichen Grenzen ihres Ermessens überschritten hat und ob sie von ihrem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat (§ 114 VwGO).

122

Bei straßenverkehrsrechtlichen Maßnahmen ist eine Gesamtbilanz vorzunehmen. Zu prüfen ist, ob die Verhältnisse nur um den Preis gebessert werden können, dass an anderer Stelle neue Unzuträglichkeiten auftreten. Im Ergebnis würde sich die Gesamtsituation verschlechtern, wenn die Sicherheit und Leichtigkeit des Straßenverkehrs in nicht hinnehmbarer Weise beeinträchtigt oder wegen Änderungen von Verkehrsströmen noch gravierendere Lärmbeeinträchtigungen von Anliegern anderer Straßen drohen würden. Die Straßenverkehrsbehörde darf von Maßnahmen umso eher absehen, je geringer der Grad der Lärmbeeinträchtigung ist, dem entgegen gewirkt werden soll. Umgekehrt müssen bei erheblichen Lärmbeeinträchtigungen entgegenstehende Verkehrsbedürfnisse und Anliegerinteressen von einigem Gewicht sein, wenn mit Rücksicht auf diese verkehrsberuhigende oder verkehrslenkende Maßnahmen unterbleiben (BVerwG, Urteil vom 4. Juni 1986 - 7 C 76.84 -, Rn. 15, juris, OVG Münster, Urteil vom 21. Januar 2003 - 8 A 4230/01 -, Rn. 16, juris).

123

Die Beklagte hat sich in ihrem Widerspruchsbescheid nur mit vom Kläger vorgeschlagenen Maßnahmen (Einengung der Straße/ Verkehrsinsel, gefahrloses Queren für Fußgänger und Radfahrer, Geschwindigkeitsanzeiger/ -kontrollen) befasst und zu Maßnahmen nach § 45 Abs. 9 StVO ausgeführt, dass es zwar keine aktuellen Lärmuntersuchungen gebe, jedoch die Einrichtung einer Tempo-30-Zone im Hinblick auf den Charakter der B 76 als Hauptverkehrsstraße unverhältnismäßig sei. Letzteres ist dem Grunde nach nicht zu beanstanden, da sämtliche Maßnahmen (Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen) nach § 45 Abs. 9 Satz 1 StVO nur dort angeordnet werden dürfen, wo dies auf Grund der besonderen Umstände zwingend erforderlich ist. Zudem ist nach § 45 Abs. 1c Satz 2 StVO die Anordnung einer Tempo-30-Zone auf einer Bundestraße, um eine solche handelt es sich bei der B 76, unzulässig.

124

Irgendwelche Ausführungen zu § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVO enthalten ihre Bescheide aber nicht, allenfalls soweit es heißt, dass die Einrichtung einer Verkehrsinsel vom Straßenbaulastträger gefordert werden müsse, der zudem darauf hinweise, dass es insofern keinen Anspruch geben könne. Diesen Ausführungen sind keine Ermessenserwägungen im oben dargestellten Sinn zu entnehmen (Ermessensausfall). Ihre Argumentation, es werde seit Jahren während der Saison eine verkehrsabhängige Geschwindigkeitsbegrenzung auf 30 km/h angeordnet, befasst sich mit dem gefahrlosen Überqueren der Straße und betrifft keine Lärmschutzmaßnahmen; zudem wird die Geschwindigkeitsbeschränkung nicht vor der Wohnanlage des Klägers angeordnet.

125

Unabhängig von der Frage, ob eine im Verwaltungsverfahren unterbliebene Ermessensentscheidung im Sinne des § 114 Satz 2 VwGO überhaupt noch „ergänzt“ werden kann, sind auch die ergänzenden Ausführungen im Berufungsverfahren nicht ermessensfehlerfrei. Voraussetzung für die Eröffnung des behördlichen Ermessens in Bezug auf die Frage, ob überhaupt verkehrsbeschränkende Maßnahmen – und falls ja, welche – ergriffen werden sollen, ist das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen der Vorschrift, nämlich das Bestehen unzumutbarer Lärm- und/oder Abgasbelastungen. Insoweit geht die Beklagte unzutreffend pauschal davon aus, dass keine solchen unzumutbaren Belastungen vorhanden seien. Vor diesem Hintergrund konnte sie bereits nicht erkennen, dass ihr im Rahmen der Entscheidung über den vom Kläger gestellten Antrag überhaupt ein Ermessen eingeräumt war. Unabhängig hiervon ist auch nicht erkennbar, dass die von der Beklagten getroffene Entscheidung den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Ermessensausübung (vgl. § 73 LVwG) entspricht.

126

Zwar kann die zuständige Verkehrsbehörde im Rahmen einer Abwägung zwischen den unzumutbar beeinträchtigten Interessen der Anwohner und möglicherweise übergeordneten Verkehrsinteressen zu dem Ergebnis kommen, keine oder andere als die von den Betroffenen gewünschten verkehrsbeschränkenden Maßnahmen anzuordnen. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass eine solche Abwägung überhaupt nachvollziehbar stattgefunden hat und auch im Ergebnis vertretbar ist. Außer den Ausführungen zur bestimmungsgemäßen Funktion der B 76 fehlt jede Befassung mit den nachteiligen Folgen einer Geschwindigkeitsbeschränkung oder vergleichbarer verkehrsbeschränkender Maßnahmen. Es fehlt schon an einer nachvollziehbaren Befassung mit der Frage, welche verkehrsbeschränkenden Maßnahmen grundsätzlich in Betracht kämen, um eine ausreichende Lärmminderung erzielen zu können. Im Gegenteil wird mit der Feststellung, dass Bundesfernstraßen überörtlichen Verkehr, einschließlich des damit zusammenhängenden Schwerlastverkehrs abzuwickeln hätten, so dass Maßnahmen, die diese funktionsgerechte Nutzung beschränkten, sich in Widerspruch zum Widmungszweck setzten und daher unzulässig seien, von vornherein jede Verkehrsbeschränkungen abgelehnt. Für eine Abwägung im oben dargestellten Sinn ist nichts erkennbar. Zutreffend ist allerdings, dass Verkehrslärm, der von den Anliegern einer Bundesfernstraße (einschließlich Ortsdurchfahrt) oder auch einer Landesstraße bzw. einer Kreisstraße wegen ihrer der Widmung entsprechenden Verkehrsbedeutung ertragen werden muss, den Anliegern einer Ortserschließungsstraße nicht ohne weiteres in gleicher Weise zumutbar ist (vgl. OVG Münster, Urteil vom 21. Januar 2003 - 8 A 4230/01 -, Rn. 20, juris).

127

Soweit die Beklagte darauf verweist, dass kein Anspruch auf Gleichbehandlung mit dem Straßenabschnitt B- Straße 30-58 bestehe, da das Grundstück des Klägers weder innerhalb der Ortsdurchfahrt noch im Innenbereich liege, ist auch dies keine Prüfung im dargestellten Sinn. Die Beklagte verneint damit im Ergebnis unzumutbare Lärmbelastungen des Klägers. Die Beklagte hat im Berufungsverfahren zudem die Endfassung der „Schalltechnischen Berechnungen als Ergänzung zur Lärmaktionsplanung der A-Stadt im Bereich B- Straße 142-156“ des Büro LAIRM Consult GmbH vom 13. Oktober überreicht (Schriftsatz vom 13. Oktober 2016, Bl. 736 ff. GA) und die Einschätzung des von ihm beauftragten Sachverständigen wiedergegeben, der (wohl) zu dem Ergebnis kommt, dass die Lärmbelastungen aufgrund der Einschränkung in der Baugenehmigung zumutbar seien. Nicht in den Blick genommen ist hierbei, dass die Wohnanlage als Mehrfamilienhaus genehmigt worden ist und sich die Einschränkungen zum Immissionsschutz in der Baugenehmigung auf die Frage, wer die Kosten zu tragen hat, bezieht. Eine eigenständige Prüfung von verkehrsbeschränkenden Maßnahmen an der Wohnanlage X findet nicht statt. Nicht in den Blick genommen ist bei dieser Argumentation zudem, dass die Beklagte auf der B 76 in den Sommermonaten direkt nach der Wohnanlage in südöstlicher Richtung bis zum Ortsausgangsschild als zulässige Höchstgeschwindigkeit 30 km/h ganztägig anordnet und sich in diesem Bereich keine Wohnbebauung befindet.

128

Der Anspruch des Klägers auf fehlerfreie Ausübung des der Beklagten eingeräumten Ermessens ist nach alledem nicht erfüllt, so dass die Beklagte über den Antrag des Klägers erneut entscheiden muss. Bei der Entscheidung wird zu berücksichtigen sein, dass die Wohnruhe grundsätzlich ein besonderes berücksichtigungswürdiges Anliegen ist und deshalb das Bedürfnis nach Wohnruhe mit dem ihm zukommenden Gewicht in die Ermessensüberlegungen einbezogen und mit den übrigen privaten oder öffentlichen Interessen auf der Basis einer zutreffenden rechtlichen und tatsächlichen Ermittlung abgewogen werden muss (VGH München, Urteil vom 21. März 2012 - 11 B 10.1657 -, Rn. 34, juris, OVG Münster, Urteil vom 21. August 1989 - 12 A 1859/78 -, Rn. 6, juris). Weiter wird zu erwägen sein, dass die B 76 (B- Straße) aller Voraussicht nach – wie die alljährlichen Erfahrungen aus der Vergangenheit nahelegen, wenn in den Sommermonaten im Straßenabschnitt in südöstlicher Richtung direkt nach der Wohnanlage X bis zum Ortsausgangsschild ganztägig als zulässige Höchstgeschwindigkeit 30 km/h angeordnet ist – auch bei Anordnung einer Geschwindigkeitsbeschränkung nach wie vor in der Lage sein wird, den über sie abgewickelten Verkehr aufzunehmen. Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass es kein rechtlich geschütztes Individualinteresse von Verkehrsteilnehmern gibt, von der Anordnung von Geschwindigkeitsbeschränkungen oder sonstigen verkehrsbeschränkenden Maßnahmen verschont zu bleiben, um – bei Missachtung der Verkehrsbeschränkung – nicht mit Bußgeldern überzogen zu werden.

129

In ihre Abwägungen wird die Beklagte aber umgekehrt auch einzustellen haben, dass die B 76 die empfohlene Ausweichstrecke bei Bauarbeiten auf der Rader-Hochbrücke (Streckenabschnitt der BAB 7 über den Nord-Ostsee-Kanal) ist, so dass es bei derartigen Anlässen zu vermehrtem Verkehr, insbesondere auch zu vermehrtem Lkw-Verkehr kommen wird (siehe auch die Beweisanträge des Klägers zu IV). In derartigen Fällen könnte eine Geschwindigkeitsbeschränkung eher nachteilig wirken, wenn sich durch vermehrte Verkehrsflüsse bei unterschiedlichen zulässigen Höchstgeschwindigkeiten, die sich zudem auf den kurzen Streckenabschnitten (B- Straße 30-58 und Wohnanlage X, jeweils nachts 30 km/h und in dem übrigen, dazwischen und zum Ortsausgang Fahrtrichtung C-Stadt liegenden Streckenabschnitten 50 km/h) abwechseln, Staus bilden, bei denen ständiges Anfahren und Abbremsen zu einer erhöhten Lärmbelastung führen. Dies könnte dazu führen, dass – zeitlich befristet – während derartiger Bauarbeiten eine angeordnete Geschwindigkeitsbeschränkung aufzuheben ist.

130

Der Senat hat die in diesem Zusammenhang gestellten Beweisanträge zu I. als unerheblich abgelehnt. Sie zielen zu I. 1, 2, 4 und 5 auf die hier nicht anzuwendende Berechnung und Bewertung des Verkehrslärms nach der Umgebungslärmrichtlinie bzw. der Vorläufigen Berechnungsmethode für den Umgebungslärm an Straßen (VBUS) und der Vorläufigen Berechnungsmethode zur Ermittlung der Belastetenzahlen (VBEB) sowie auf Einholung einer Auskunft der Beklagten welche diesbezüglichen Daten ihr vorliegen bzw. vorgelegen haben. Ansprüche aus der Lärmkartierung oder Einbeziehung in den Lärmaktionsplan sind nicht Gegenstand dieses Rechtsstreits (siehe oben 1) bzw. verleihen dem Kläger keine subjektiven Rechte (siehe unten c). Zudem hat die Beklagte die ihr zur Verfügung stehenden Daten vorgelegt. Zu I. 5 sind die Beweisanträge auch deshalb unerheblich, weil sie auf die Lärmbelastung im Kurgebiet S-strand und nicht in bzw. an der Wohnung des Klägers zielen (zum Kurgebiet siehe oben 2). Dem Beweisantrag zu I. 3 a ist der Senat von Amtswegen durch Einholung amtlicher Auskünfte zu den Ergebnissen der Verkehrszählung nachgekommen. Der Beweisantrag zu 1.3 b (sofern es einer ist) zielt auf eine der Beweisaufnahme nicht zugängliche rechtliche Wertung ab.

131

Für die Zeit bis zur ermessensgerechten Entscheidung der Beklagten sieht sich der Senat aufgrund ihres bisherigen, mehr als nur zögerlichen Verhaltens veranlasst, die Beklagte zu verpflichten, als kurzfristige Maßnahme sofort (ab Rechtskraft) für die Nacht (22.00 Uhr bis 6.00 Uhr) als zulässige Höchstgeschwindigkeit 30 km/h (Verkehrszeichen 274) an der Wohnanlage X anzuordnen. Dabei ist zum Einen zu sehen, dass die Nachtwerte bereits die aus § 1 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 2 der Verkehrslärmschutzverordnung heranzuziehende Unzumutbarkeitsschwelle von 60 dB (A) übersteigen und sich bei einer angeordneten zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h (Verkehrszeichen 274) in der Nacht bereits eine erhebliche Reduzierung des nächtlichen Verkehrslärms von 61 dB (A) um bis zu 2,5 dB (A) erreichen lässt (nach der Wertung der Nr. 2.3 der Lärmschutzrichtlinen-StV ist eine Pegelminderung ab 2,1 dB (A) bereits erheblich; nach der Wertung des § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2, Satz 2 der 16. BImSchV ist zudem jede Reduzierung unter 60 dB (A) in der Nacht erheblich). Diese Reduzierung des Pegelwertes, die der Sachverständige in der mündlichen Verhandlung bestätigt hat, entnimmt das Gericht dem Lärmaktionsplan der Beklagten von 2013 (S. 41). Zum anderen zieht eine solche Anordnung auch unter Berücksichtigung der Verkehrsfunktion der B 76 an dieser Stelle keine sonstigen nachteiligen Folgen nach sich, wie sich aus dem Umstand ergibt, dass die Beklagte in den Sommermonaten direkt nach der Wohnanlage in südöstlicher Richtung bis zum Ortsausgangsschild ganztägig als zulässige Höchstgeschwindigkeit 30 km/h anordnet. Insoweit ist mangels von der Beklagten rechtsfehlerfrei angestellten Ermessenserwägungen und angesichts der damit einhergehenden erheblichen Lärmreduzierung ohne dass Nachteile ersichtlich wären derzeit in diesem Einzelfall ausnahmsweise sogar eine vorübergehende Ermessensreduzierung auf Null in Bezug auf eine bestimmte Maßnahme gegeben.

132

Ob die Beklagte im Rahmen ihrer Ermessensentscheidung zum gleichen Ergebnis kommt oder doch eine oder mehrere andere – auch nicht verkehrsrechtliche – Maßnahmen für angezeigt hält (etwa eine Änderung der Asphaltdecke, die Errichtung einer Lärmschutzwand vor der Wohnanlage oder weitere passive Schallschutzmaßnahmen an der Wohnanlage), wird sie noch zu prüfen haben. Sie wird auch zu prüfen haben, ob 30 km/h als zulässige Höchstgeschwindigkeit ganztägig angeordnet werden kann. Auch kann sich in der Zukunft (nach den Ergebnissen der künftigen Verkehrszählungen, etwa wegen des Ausbaus der BAB 7) eine veränderte Situation ergeben oder auch durch den Umstand, dass neuere Kraftfahrzeuge immer leiser werden (bis hin zu den fast nicht mehr hörbaren Elektromobilen). Schließlich mag eine Geschwindigkeitsreduzierung während der Sperrung der Rader-Hochbrücke sogar kontraproduktiv sein (s.o.). Der Senat weist darauf hin, dass er, da die Verkehrszählungen für 2015 auch die werktägliche Verkehrsstärke ausweisen, den Sachverständigen um eine ergänzende Berechnung gebeten hat, die eine werktägliche Pegelerhöhung um 1,2 dB (A) tags und 1,0 dB (A) nachts ergab (Ergänzung des Sachverständigen vom 15. September 2017). Dies kann die Beklagte in ihre Ermessenserwägungen einstellen, rechtlich ist sie dazu (bislang) nicht verpflichtet.

133

b) Weitergehende Ansprüche des Klägers aufgrund von Mautausweichverkehr bestehen nicht. Zwar dürfen nach § 45 Abs. 9 Satz 5 StVO sogar Beschränkungen und Verbote des fließenden Verkehrs nach Absatz 1 Satz 2 Nr. 3 der Vorschrift (zum Schutz der Wohnbevölkerung vor Lärm oder Abgasen) angeordnet werden zur Beseitigung oder Abmilderung von erheblichen Auswirkungen veränderter Verkehrsverhältnisse, die durch die Erhebung der Maut nach dem Bundesfernstraßenmautgesetz hervorgerufen worden sind. Indes bestehen keine Anhaltspunkte für das Vorliegen von Mautausweichverkehr.

134

Die am 1. Januar 2005 eingeführte Mautpflicht gilt für Lkw ab einem zulässigen Gesamtgewicht von 7,5 Tonnen grundsätzlich auf allen Bundesautobahnen (BAB) einschließlich Rastanlagen und beginnt mit der Auffahrt auf die Autobahn. Die Tonnagegrenze wurde am 1. Oktober 2015 von 12 Tonnen auf 7,5 Tonnen zulässiges Gesamtgewicht herabgesenkt. Daneben sind seit dem 1. Januar 2007 bestimmte Streckenabschnitte einzelner Bundesstraßen mautpflichtig, die in der Anlage zur Mautstreckenausdehnungsverordnung (vom 8. Dezember 2012, zuletzt geändert durch Art. 4 des Gesetzes vom 12. Juli 2011, BGBl I, S. 1378; siehe auch das Bundesfernstraßenmautgesetz (BFStrMG), das am 19. Juli 2011 in Kraft getreten ist und das Autobahnmautgesetz (ABMG) abgelöst hat) aufgeführt sind. In diesem Zusammenhang hat das Verwaltungsgericht zutreffend darauf hingewiesen, dass Teile der B 76, die von einem eventuellen Mautausweichverkehr, der an der Wohnanlage des Klägers vorbeiführt, benutzt werden müssten – nämlich die Teilstrecke C-Stadt - D-Stadt – mit einer Mautpflicht belegt sind (vgl. Bekanntmachung der Zusammenstellung des mautpflichtigen Streckennetzes nach der Verordnung zur Anordnung des Beginns der Mauterhebung auf Abschnitten von Bundesstraßen vom 5. Juli 2012, Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, BAnz AT 05.07.2012 B2 S. 1, 4, lfd. Nr. 64). Damit ist die Wahrscheinlichkeit, dass Lkw die B 76 benutzen, um eine Maut zu vermeiden, weiter herabgesetzt worden.

135

Ausschlaggebend sieht der Senat aber den Umstand an, dass sich nach den offiziellen Verkehrszählungen des Landesbetriebs für Straßenbau (bestätigt durch die Bundesanstalt für Straßenwesen mit Schreiben vom 30. März 2017) im Vergleich der Jahre 2005, 2010 und 2015 nicht nur der Straßenverkehr insgesamt von 21.632 Kfz/24h im Jahr 2000 (bzw. von 19.516 Kfz/24h im Jahr 2010) auf 18.894 Kfz/24h verringert hat, sondern auch der prozentuale Anteil des Lkw-Verkehrs (über 2,8 t) sich mehr als halbiert hat (im Jahr 2010: 6% tags und 7,5% nachts, im Jahr 2015 2,9 % tags und 3,7% nachts; Daten aufgrund der Analyse der Zählstelle Nr. 0405, vgl. Sachverständigengutachten vom 14. Juli 2017, S. 12, Tabelle 1). Damit ist der Lkw-Verkehr auch in absoluten Zahlen deutlich gesunken, was die Annahme eines Mautausweichverkehrs verbietet.

136

Unabhängig davon hat die Beklagte, die im Rahmen der zu § 45 Abs. 9 Satz 5 StVO anzustellenden Ermessenserwägungen ebenfalls eine Gesamtschau vorzunehmen hat, insoweit (in der Berufungsinstanz) ausgeführt, dass Maßnahmen innerhalb des Stadtgebiets tatsächlich nichts brächten, da (die K 14 oder) andere Straßen als Ausweichstrecke ungeeignet seien, so dass sich die Frage nach Maßnahmen im Sinne von § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO von vornherein nicht stelle. Das ist nicht zu beanstanden.

137

Die vom Kläger in diesem Zusammenhang gestellten Beweisanträge (zu II und zu IV) hat der Senat als unerheblich abgelehnt. Dies gilt zunächst für die Anträge zu IV, die den Umleitungsverkehr wegen der Sperrung der BAB 7 auf der Rader-Hochbrücke über den Nord-Ostsee-Kanal betreffen, denn Umleitungsverkehr ist nicht Mautausweichverkehr. Dabei bestätigen die zu IV 1. a und c vom Kläger erwarteten Beweisergebnisse überdies diese Ermessenserwägungen der Beklagten zu § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO. Für die Annahme zu IV. 1. b und IV 2. i geben die offiziellen Verkehrszählungen zudem keinen Anhalt. Die Beweisanträge zu II zielen zwar auf Mautausweichverkehr, waren aber ebenfalls als unerheblich abzulehnen. Die Anträge zu II. 1 auf Einsichtnahme der vom Kläger vorgelegten Dokumente (hierzu ist anzumerken: das Gericht kennt seine Akte) und zu II. 2 auf eine Augenscheinnahme durch den Senat vor Ort vermögen die amtlichen Zählungen nicht zu ersetzen (vgl. auch Sachverständigengutachten vom 14. Juli 2017 S. 10u) und sind daher zudem untauglich, abgesehen davon, dass der Beweisantrag zu II 2 auf eine der Beweisaufnahme nicht zugängliche Rechtsfrage zielt, nämlich auf die Feststellung, dass der Lärm unzumutbar sei. Angemerkt sei zudem, dass die Örtlichkeit einschließlich der Verkehrssituation dem Senat bekannt ist. Die Daten der aktuellen Verkehrszählung hat der Sachverständige zudem durch einen Eindruck vor Ort bestätigt (S. 8 f. des Sachverständigengutachtens vom 4. Juli 2017). Auch für den Beweisantrag zu II. 3 gilt, dass dieser die eindeutigen Daten aus den amtlichen Verkehrszählungen nicht zu ersetzen vermag. Zudem war dieser Beweisantrag unzulässig, da der Senat nicht im Wege der Beweisaufnahme wie bei einer Verkehrskontrolle Namen, Standorte der Spediteure, Datum und Uhrzeit der Durchfahrten und Fahrzeiten der einzelnen Fahrzeuge ermitteln kann. Irgendeine Rechtsgrundlage für ein solches Vorgehen nennt der Kläger nicht und eine solche gibt es auch nicht.

138

c) Weitergehende Ansprüche des Klägers lassen sich weder aus der Umgebungslärmrichtlinie noch aus den Regelungen der Lärmminderungsplanung herleiten, da diese dem Einzelnen keine subjektiven Rechte verleihen (vgl. OVG Berlin, Beschluss vom 6. April 2017 - OVG 11 N 16.13 -, Rn. 14, juris). Dies folgt bereits daraus, dass sich weder der Umgebungslärmrichtlinie noch den Ausführungsbestimmungen in §§ 47a ff. BImSchG verbindliche, den Schutz lärmbetroffener Dritter bezweckende Grenzwerte entnehmen lassen (ebenso: VGH Kassel, Urteil vom 26. Oktober 2017 - 9 C 873/15.T -, LS 2, Rn. 28, juris).

139

Aus den Regelungen zur Lärmminderungsplanung in den §§ 47a ff. BImSchG ergeben sich nur Pflichten der zuständigen Behörden zur Erarbeitung von Lärmkarten und zur Aufstellung von Lärmaktionsplänen, jedoch keine Schutzansprüche einzelner Immissionsbetroffener (vgl. BVerwG, Urteile vom 14. April 2010 - 9 A 43.08 -, Rn. 46, juris, vom 10. Oktober 2012 - 9 A 20.11 -, Rn. 30, juris, und - 9 A 18.11 -, Rn. 20 f., juris, vom 12. November 2014 - 4 C 34.13 -, Rn. 22 ff., juris, und vom 18. Dezember 2014 - 4 C 35.13 -, Rn. 56, juris, OVG Berlin, Beschluss vom 6. April 2017 - OVG 11 N 16.13 -, Rn. 12, juris). Hinzu kommt, dass der Wohnpark X nicht in die Lärmaktionsplanung der Beklagten einbezogen ist.

140

Das Unionsrecht verleiht dem Kläger ebenfalls kein Klagerecht. Art. 7 und 8 der Umgebungslärmrichtlinie stellen keine unbedingten und hinreichend genauen Be-stimmungen dar, auf die sich ein einzelner nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Union (EuGH, Urteil vom 25. Juli 2008 – C-237/07 –, Rn 36, juris) berufen kann (vgl. BVerwG, Urteile vom 12. November 2014 - 4 C 34.13 -, Rn 23 f., juris, vom 18. Dezember 2014 - 4 C 35.13 -, Rn 57 f., juris, und vom 10. Oktober 2012 - 9 A 18.11 -, Rn. 21., juris, OVG Berlin, Beschluss vom 6. April 2017 - OVG 11 N 16.13 -, Rn. 12 f., juris,). Dies gilt auch in Zusammenschau mit den Erwägungsgründen der Richtlinie (vgl. VGH Kassel, Urteil vom 26. Oktober 2017 - 9 C 873/15.T -, Rn. 36, juris). Art. 8 Abs. 1 Satz 2 Umgebungslärmrichtlinie stellt die in den Plänen genannten Maßnahmen zudem in das Ermessen der zuständigen Behörden (vgl. VGH Kassel, Urteil vom 26. Oktober 2017 - 9 C 873/15.T -, Rn. 40, juris). Die in den Regelungen in Anhang VI der Richtlinie unter Nr. 1.5 und 1.6 angegebenen dB(A)-Werte konkretisieren lediglich die Mitteilungspflichten der Mitgliedstaaten, die nach Art. 10 der Umgebungslärmrichtlinie bestehen und stellen keine drittschützenden Zumutbarkeitsgrenzen dar (vgl. VGH Kassel, Urteil vom 26. Oktober 2017 - 9 C 873/15.T -, Rn. 29, 44, juris). Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Umgebungslärm-RL räumt den Mitgliedstaaten zudem die Möglichkeit ein, bis zur verbindlichen Festlegung der Verwendung gemeinsamer Bewertungsmethoden für die Bestimmung von Lden und Lnight die bestehenden, nationalen Lärmindizes sowie die zugehörigen Daten verwenden zu können (VGH Kassel, Urteil vom 26. Oktober 2017 - 9 C 873/15.T -, Rn. 42, juris).

141

Der Verweis des Klägers auf das Urteil des Gerichtshofs der Union (EuGH, Urteil vom 25. Juli 2008 – Rs. C-237/07, Janecek – Slg. 2008, I-6221 Tenor 1 und Rn. 42) zu Art. 7 Abs. 3 der Richtlinie 96/62/EG (in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 1882/ 2003), das den von Immissionsgrenzwertüberschreitungen unmittelbar Betroffenen ein Klagerecht einräumt, hilft nicht weiter, da die beiden Richtlinien – entgegen der Auffassung des Klägers – nicht vergleichbar sind. Während die Luftqualitätsrichtlinie (Richtlinie 96/62/EG) den Mitgliedstaaten (der Rat auf Vorschlag der Kommission) aufgibt, Grenzwerte und/oder Alarmschwellen für das Ausmaß der Luftverschmutzung festzulegen (siehe die nachfolgenden Richtlinien 1999/30/EG und 2008/50/EG, wobei letztere in Art. 31 Abs. 1 die beiden vorgenannten Richtlinien mit Ausnahme der dort gesetzten Fristen aufhebt), was durch die Anhänge I bis III der Richtlinie 1999/30/EG und durch den Anhang XI der Richtlinie 2008/50/EG geschehen ist, und sie dazu verpflichtet, Aktionspläne aufzustellen, die Maßnahmen zur Beeinflussung von Tätigkeiten, die zur Überschreitung der festgesetzten Grenzwerte beitragen (Erwägungsgründe sowie Art. 4, 6, 7, 8 und 9 der Richtlinie 96/62/EG), enthalten müssen, überlässt die Umgebungslärmrichtlinie die Aufstellung von Grenzwerten bisher allein den Mitgliedstaaten (so auch: VGH Kassel, Urteil vom 26. Oktober 2017 - 9 C 873/15.T -, Rn. 37, juris).

142

Da die Bedingungen, unter denen einer natürlichen Person ein Klagerecht zur Durchsetzung unionsrechtlichen Umweltrechts zusteht, in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Union (hier insbes. EuGH, Urteil vom 25. Juli 2008 a.a.O.) grundsätzlich geklärt sind und nach den vorherigen Ausführungen die richtige Anwendung des Unionsrechts, insbesondere das Fehlen drittschützender Regelungen in der Umgebungslärmrichtlinie (gerade auch im Vergleich zur Luftqualitätsrichtlinie), derart offenkundig ist, dass für einen vernünftigen Zweifel kein Raum verbleibt, ist eine Vorlage an den Gerichtshof der Union entbehrlich (ebenso BVerwG, Urteil vom 12. November 2014 - 4 C 34.13 -, Rn. 26 f., juris und OVG Berlin, Beschluss vom 6. April 2017 - OVG 11 N 16.13 -, Rn. 14, juris).

143

Mangels Bestehen irgendwelcher Ansprüche aus der Umgebungslärmrichtlinie oder den Regelungen der Lärmminderungsplanung waren diesbezügliche Beweisanträge abzulehnen gewesen. Da die Umgebungslärmrichtlinie die Festlegung von Grenzwerten den Mitgliedstaaten selbst überlassen hat und mit dem Verweis auf die entsprechenden Grenzwerte der Mitgliedstaaten bis zur Aufstellung unionsrechtlicher Werte andere, in der Umgebungslärmrichtlinie aufgeführte Werte im Unterschied zu den national festgelegten Grenzwerten rechtlich nicht bindend sind, und die Vorläufige Berechnungsmethode für den Umgebungslärm an Straßen (VBUS) hier nicht anwendbar ist (siehe oben a), sind die vom Kläger gestellten Beweisanträge zu I unerheblich, abgesehen davon, dass die Beklagte die ihr zur Verfügung stehenden Daten mitgeteilt hat und das Gericht von Amtswegen eine amtliche Auskunft zum Ergebnis der Verkehrszählungen (Beweisantrag zu I. 3. a) eingeholt hat. Gleiches gilt für die Beweisanträge zu V, die darauf abzielen, festzustellen, dass die in den Richtlinien für den Lärmschutz an Straßen (RLS-90) festgesetzten Grenzwerte unionsrechtswidrig seien, und damit unerheblich sind. Ergänzend ist zu den Beweisanträgen zu V.1 darauf hinzuweisen, dass die privaten Schallpegelmessungen des Klägers keinen ausreichenden Beweis darstellen und auch hier gilt, dass das Gericht seine Akte kennt. Zu den Beweisanträgen zu V.2. merkt das Gericht ergänzend an, dass es sich überwiegend um Rechtsfragen handelt, die einer Beweisaufnahme nicht zugänglich sind.

144

Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 und Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.

145

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.


Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts – 1. Kammer – vom 30. Oktober 2013 geändert.

Der Bescheid des Beklagten vom 19. April 2010 und der Widerspruchsbescheid vom 21. September 2010 werden aufgehoben. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 23.501,28 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 8. Oktober 2010 zu zahlen.

Der Beklagte trägt die Kosten des gesamten Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Klägerin wendet sich gegen Gebührenzuschläge für die in ihrem Schlachtbetrieb im Monat März 2010 bei Schweinen bzw. Schweinefleisch durchgeführten Schlachttier- und Fleischuntersuchungen sowie Trichinenuntersuchungen vor 6.00 Uhr und nach 18.00 Uhr. Im Streitzeitraum sah das Gebührenverzeichnis des Beklagten vom 22. Januar 2008 eine Gebühr von 2,07 Euro für die Schlachttier- und Fleischuntersuchung einschließlich Hygienekontrollen in EG-Schlachtbetrieben mit öffentlichem Fleischhygieneamt bei Hausschweinen einschließlich der Untersuchung auf Trichinen vor. Die Gebühr erhöhte sich um bis zu 100 %, wenn die Amtshandlung auf Verlangen zwischen 18.00 und 7.00 Uhr, in Großbetrieben zwischen 18.00 Uhr und 6.00 Uhr, an Sonnabenden nach 15.00 Uhr durchgeführt wurde. Mit Bescheid vom 19. April 2010 verlangte der Beklagte von der Klägerin einen Zuschlag von 1,76 Euro (= 85 % von 2,07 Euro) pro Schwein, d.h. bei 13.353 Schweinen einen Gesamtbetrag von 23.501,28 Euro.

2

Nach erfolglosem Widerspruch hat die Klägerin Klage erhoben. Die Klägerin hat beantragt,

3

den Bescheid des Beklagten vom 19. April 2010 und den Widerspruchsbescheid vom 21. September 2010 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 23.501,28 Euro nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz auf diesen Betrag seit Zustellung der Klageschrift zu zahlen.

4

Der Beklagte hat beantragt,

5

die Klage abzuweisen.

6

Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 30. Oktober 2013 abgewiesen. Der angefochtene Bescheid beruhe auf einer hinreichend bestimmten Rechtsgrundlage. Die landesrechtlichen Gebührenvorschriften genügten dem Gesetzesvorbehalt. Tatbestand und Höhe der Gebühr seien in der Gebührenverordnung hinreichend genau bezeichnet. Nicht zu beanstanden sei, dass dort lediglich ein Gebührenrahmen vorgesehen sei und die Festsetzung der konkreten Gebührensätze den Verwaltungen in den kreisfreien Städten und Kreisen obliege. Einer Bestimmung der Gebührenhöhe durch Gesetz habe es nicht bedurft. Das Erfordernis eines Gesetzesvorbehalts bestehe bei einer Abweichung von gemeinschaftsrechtlich vorgeschriebenen einheitlichen Pauschalsätzen. Hier seien unionsrechtlich jedoch nur Mindestgebühren festgelegt, sodass die Möglichkeit einer Erhebung höherer Gebühren nicht von vornherein ausgeschlossen sei.

7

Die Gebührenerhebung entspreche auch der Form und der Höhe nach unionsrechtlichen Vorgaben. Die zuständigen Behörden seien befugt, kostendeckende Gebühren in Abweichung von den Mindestgebühren festzusetzen. Den unionsrechtlichen Vorgaben lasse sich weder ein Pauschalierungsverbot noch die Forderung nach einzelbetrieblicher Abrechnung entnehmen. Zwar dürfe die Gebühr nicht wie die EG-Pauschalbeträge unbeschadet des konkreten Untersuchungsumfangs erhoben werden. Kostenanteile für bestimmte Fleischuntersuchungen dürften nur dann in die Gebühr einfließen, wenn sie tatsächlich angefallen seien. Diese Vorgabe ändere aber nichts daran, dass es sich um eine „Gebühr“ handele, deren Höhe auf der Grundlage einer Kostenkalkulation ermittelt werde und nicht etwa durch eine nachträgliche Kostenabrechnung jedes Einzelfalls.

8

Der Beklagte habe die zu erhebenden Gebühren anhand einer Vorauskalkulation ermitteln dürfen. Bedenken mit Blick auf die gemeinschaftsrechtliche Beschränkung auf tatsächlich anfallende Kosten bestünden nicht, da der Beklagte am Ende eines Wirtschaftsjahres die verbrauchten Kosten abrechne und gegebenenfalls entstandene Überschüsse bei der anstehenden Vorauskalkulation berücksichtige.

9

Der von der Klägerin verfolgte hypothetische Kostenansatz ziele auf die Beurteilung der Erforderlichkeit des Umfanges amtlicher Kontrollen ab. Diesbezüglich komme indes den für die Durchführung der amtlichen Kontrollen zuständigen Behörden ein gerichtlich nicht überprüfbarer Beurteilungsspielraum über das „Wie“ der vorzunehmenden amtlichen Kontrollen zu. Dieser Spielraum sei nur daran zu messen, ob der kalkulierende Normgeber sich von sachlich nicht zu rechtfertigenden Erwägungen habe leiten lassen. Das von der Klägerin eingereichte Parteigutachten beschränke sich ausgehend von der Mindestuntersuchungszeit von 50 Sekunden pro Tier auf eine für angemessen erachtete Untersuchungszeit von 88 Sekunden. Die Mindestuntersuchungszeit gebe indes für eine Kostenüberschreitung nichts her. Durch die nicht näher spezifizierte Beaufschlagung der Mindestuntersuchungszeiten für einen Teil der durchzuführenden Kontrollaufgaben werde der erforderliche Gesamtaufwand nicht vollständig erfasst. Dies betreffe insbesondere die Personalkosten.

10

Gegen dieses Urteil richtet sich die vom Senat zugelassene Berufung der Klägerin.

11

Die Klägerin macht geltend, der Gebührenbescheid könne nicht auf eine wirksame Ermächtigungsgrundlage gestützt werden, da der Gebührenrahmen der Gebührenverordnung gegen das Bestimmtheitsgebot verstoße. Die Kalkulation nach dem Prinzip der Kostenüberdeckung/Kostenunterdeckung widerstreite dem Unionsrecht. Die Gebührensätze des Beklagten seien nicht mit dem Äquivalenzprinzip vereinbar, da eine aufwandsgerechte Untersuchungsgebühr einen Gebührensatz von 1,07 Euro pro Schwein im Betrieb der Klägerin nicht hätte überschreiten dürfen. Die Einrechnung von mittelbaren Kosten in die Gebühr sei unzulässig. Indem der Beklagte der Klägerin keine einzelbetriebliche Abrechnung erteilte habe, habe er gegen das Pauschalierungsverbot verstoßen.

12

Nachdem die Klägerin im Berufungsverfahren zunächst eine 6%ige Verzinsung gefordert hat, beantragt sie nunmehr zu erkennen:

13

1. Auf das Rechtsmittel der Berufung wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts vom 14. März/30. Oktober 2013 abgeändert und der Gebührenbescheid des Beklagten vom 19. April 2010 in der Form des Widerspruchsbescheides vom 21. September 2010 aufgehoben.

14

2. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 23.501,28 Euro nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz auf diesen Betrag seit Zustellung der Klageschrift vom 7. Oktober 2010 zu zahlen.

15

Der Beklagte beantragt,

16

die Berufung zurückzuweisen.

17

Der Beklagte trägt vor, aufgrund der spezifizierenden Gebührenrahmen der Gebührenverordnung sowie der gesetzlichen Vorgaben beruhe der Bescheid auf einer wirksamen Ermächtigungsgrundlage, die den Anforderungen des Bestimmtheitsgrundsatzes genüge. Weite Gebührenrahmen seien oftmals unvermeidlich. Das Unionsrecht fordere keine nachträgliche einzelbetriebliche Abrechnung und verbiete nicht die Einstellung von Verwaltungsgemeinkosten in die Kalkulation. Ein Verstoß gegen das unionsrechtliche Verbot einer indirekten Gebührenrückerstattung liege nicht vor, weil dieses den bei der Erstellung einer Kalkulation vorgenommenen Überdeckungsausgleich als bloß rechnerischen Vorgang nicht erfasse. Die Vornahme eines solchen Ausgleichs stehe in Einklang mit der Zulässigkeit einer Vorauskalkulation. Ein Verstoß gegen das Äquivalenzprinzip sei nicht gegeben. Das Parteigutachten der Klägerin setze sich nicht mit der Kalkulation des Beklagten auseinander, sondern beinhalte lediglich eine Zweitkalkulation.

18

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakten und den Verwaltungsvorgang des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

19

Die Berufung ist begründet. Der angefochtene Gebührenbescheid ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

20

Zwar ist der Beklagte gemäß § 12 VwKostG Kostengläubiger, da er die Schlachttier- und Fleischuntersuchung gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 2 der Landesverordnung über zuständige Behörden auf dem Gebiet des Lebensmittel-, Wein- und Futtermittelrechts (Lebensmittel-, Wein- und Futtermittelzuständigkeitsverordnung – LWFZVO) als Aufgabe zur Erfüllung nach Weisung wahrnimmt. Die Zuständigkeitsbestimmung ist von der Landesregierung im Verordnungswege auf der Grundlage von § 28 Abs. 4 LVwG erlassen worden.

21

Der Bescheid ist jedoch deshalb rechtswidrig, weil die materielle Rechtsgrundlage nicht dem Bestimmtheitsgebot genügt.

22

Der Bescheid stützt sich zum einen auf die Verordnung (EG) Nr. 882/2004 über amtliche Kontrollen zur Überprüfung der Einhaltung des Lebensmittel- und Futtermittelrechts sowie der Bestimmungen über Tiergesundheit und Tierschutz (ABl. Nr. L 165 S. 1, ber. ABl. Nr. L 191 S. 1) in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 596/2009 vom 18. Juni 2009 (ABl. Nr. L 188 S. 14) und zum anderen auf die zu ihrer Ausführung ergangenen landesrechtlichen Regelungen. Maßgeblich ist das Gesetz über die Übertragung und Finanzierung amtlicher Kontrollen bei bestimmten zum menschlichen Verzehr bestimmten Erzeugnissen tierischen Ursprungs (Veterinärbeleihungs- und Kostengesetz – VetbKostG) vom 4. Dezember 2007 (GVOBl. S. 476) in der Fassung des Änderungsgesetzes vom 17. Mai 2016 (GVOBl. S. 127). Das Änderungsgesetz gilt nach seinen Art. 2 und 3 auch rückwirkend ab dem 1. Januar 2008 für noch nicht bestandskräftige Bescheide. Ferner ist maßgeblich die auf der Grundlage von § 2 VwKostG i.V.m. § 4 Nr. 3 Buchst. e der Landesverordnung über Verwaltungsgebühren vom 15. Oktober 2008 (GVOBl. S. 383) in der Fassung der Verordnung vom 7. November 2008 (GVOBl. S. 567) erlassene Landesverordnung über Verwaltungsgebühren in Angelegenheiten der Veterinärverwaltung (VetVwGebV) vom 18. November 2008 (GVOBl. S. 586), die zwar gemäß Art. 3 Abs. 2 der Verordnung vom 8. September 2010 (GVOBl. S. 586) am 1. Oktober 2010 außer Kraft getreten, aber für den Streitzeitraum noch anwendbar ist. Die Gesetzgebungskompetenz des Landes ergibt sich aus Art. 72 Abs. 1 i.V.m. Art. 74 Abs. 1 Nr. 17 und Nr. 20 GG. Sie bestand schon unter der Geltung von § 24 Abs. 1 des Fleischhygienegesetzes; daran hat sich nach dem Außer-Kraft-Treten dieses Gesetzes nichts geändert (BVerwG, Urteil vom 20. Dezember 2007 – 3 C 50/06 –, juris Rn. 15).

23

Gemäß Art. 27 Abs. 2 bis 4 i.V.m. Anhang IV Abschnitt B der Verordnung (EG) Nr. 882/2004 beträgt die Mindestgebühr für die Untersuchung von Schweinefleisch 0,50 Euro pro Tier bei Tieren mit einem Schlachtgewicht von weniger als 25 kg und 1,00 Euro pro Tier bei Tieren mit einem Schlachtgewicht von mindestens 25 kg; die Gebühren dürfen nicht höher sein als die von den zuständigen Behörden getragenen Kosten. Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 3 VetbKostG werden die Gebühren auf der Grundlage der für die Überwachung des einzelnen Betriebs entstandenen Kosten festgesetzt. Die Tarifstelle 1.2.1.3. des Gebührentarifs zu § 1 VetVwGebV sieht für Schlachttier- und Fleischuntersuchungen in Bezug auf Schweinefleisch bei einem Schlachtgewicht von weniger als 25 kg eine Rahmengebühr von 0,50 bis 565,40 Euro und bei einem Schlachtgewicht von mindestens 25 kg eine Rahmengebühr von 1,00 bis 565,40 Euro vor.

24

Diese Gebührenregelung genügt nicht den Anforderungen des im Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) wurzelnden Bestimmtheitsgebots.

25

Der Grad der von Verfassungs wegen geforderten Bestimmtheit einer Norm hängt sowohl von der Eigenart des geregelten Sachverhalts und den jeweiligen (Grundrechts-)Auswirkungen der Regelung für die Betroffenen als auch von der Art und Intensität des zugelassenen behördlichen Eingriffs ab. Im Bereich des Gebühren- und Beitragsrechts fordert das Bestimmtheitsgebot eine dem jeweiligen Zusammenhang angemessene Regelungsdichte, die eine willkürliche Handhabung durch die Behörden ausschließt. Der Gebührenschuldner muss die Höhe der zu erwartenden Gebührenlast anhand der normativen Festlegungen im Wesentlichen abschätzen können. Soweit es sich um Abgaben mit dem unmittelbaren Zweck einer Kostendeckung handelt, bedarf es nicht zwingend der tatbestandlichen Bestimmung eines Abgabesatzes. Hinreichende Bestimmtheit kann vielmehr auch hergestellt werden, indem die Bemessungsfaktoren für die die Abgabe tragenden Kosten normiert werden (BVerwG, Urteil vom 27. Juni 2013 – 3 C 7/12 –, juris Rn. 16 m.w.N.). Grundsätzlich ist es nicht zu beanstanden, wenn in einer Gebührenverordnung lediglich ein Gebührenrahmen vorgegeben und die Festsetzung der konkreten Gebührensätze den Veterinärverwaltungen in den kreisfreien Städten und den Kreisen überlassen wird (BVerwG, Urteil vom 20. Dezember 2007 – 3 C 50/06 –, juris Rn. 17). Allerdings müssen Tatbestand und Höhe der Gebühr hinreichend genau bezeichnet werden; der Gebührenrahmen muss die Gebühr abschätzbar werden lassen (BVerwG, Urteil vom 26. April 2012 – 3 C 20/11 –, juris Rn. 13, Urteil vom 27. Juni 2013, a.a.O. Rn. 17). Das ist dann nicht der Fall, wenn der Gebührenrahmen so weit gefasst ist, dass kein wesentlicher Unterschied zu einer Situation besteht, in der ein Gebührenrahmen völlig fehlt. Bei fehlendem Gebührenrahmen verlangt das Bestimmtheitsgebot weitergehende Vorgaben in Gestalt von Bemessungsfaktoren, die die Gebührenlast für den Gebührenschuldner zumindest annähernd berechenbar machen (BVerwG, Urteil vom 27. Juni 2013, a.a.O. Rn. 17). Solcher zusätzlicher Bemessungsfaktoren bedarf es auch dann, wenn sich das Maß der Grundrechtsbetroffenheit nicht schon anhand des Gebührenrahmens in etwa absehen lässt.

26

Hiernach fehlt der Regelung zur Erhebung höherer Gebühren als den unionsrechtlichen Mindestgebühren für die Schlachttier- und Fleischuntersuchung bei Schweinen in Tarifstelle 1.2.1.3. des Gebührentarifs zu § 1 VetVwGebV die erforderliche Bestimmtheit. Ein Gebührenrahmen, der – wie hier – eine extreme Spreizung zwischen Unter- und Obergrenze ausweist, bietet für sich genommen noch keine ausreichende Orientierungsmöglichkeit für den Gebührenschuldner. Ferner lässt sich anhand des vom Verordnungsgeber vorgesehenen Gebührenrahmens die Intensität des Eingriffs in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb (Art. 14 Abs. 1 GG) sowie in die Freiheit der Berufswahl (Art. 12 Abs. 1 GG) nicht abschätzen. Während der Eingriff im unteren Bereich des Rahmen kaum ins Gewicht fällt bzw. zu verneinen ist, ermöglicht der obere Bereich eine Gebührenerhebung, die einem unternehmerisch tätigen Gebührenschuldner die Fortführung des Betriebes als wirtschaftliche Grundlage der Lebensführung ganz oder teilweise unmöglich macht. In der Bundesrepublik Deutschland belief sich im Jahr 2010 das durchschnittliche Schlachtgewicht bei Schweinen auf 94 kg; der durchschnittliche Preis in Versandschlachtereien und Fleischwarenfabriken je Kilogramm Schlachtfleisch lag bei 1,38 Euro (Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, Statistisches Jahrbuch über Ernährung, Landwirtschaft und Forsten der Bundesrepublik Deutschland 2015, S. 330 und 498). Bei einem Schwein mit einem Gewicht von 94 kg beträgt die Gebühr nach Tarifstelle 1.2.1.3. des Gebührentarifs pro Kilogramm Schlachtgewicht umgerechnet zwischen 0,01 und 6,01 Euro. Damit lag im Zeitraum der Gebührenerhebung ein erheblicher Teil des Gebührenrahmens jenseits des in der Regel erzielbaren Marktpreises für Schlachtfleisch. Bei der Belastung mit einer entsprechenden Gebühr wäre der Betrieb des Schlachtunternehmens nicht rentabel.

27

Diese Umstände machen weitergehende normative Vorgaben dazu nötig, wie die Gebühr innerhalb des Gebührenrahmens zu bemessen ist. Dem wird die Landesverordnung über Verwaltungsgebühren in Angelegenheiten der Veterinärverwaltung nicht gerecht. Es mangelt an Bemessungsfaktoren, die die Gebührenlast für den Gebührenschuldner zumindest annähernd berechenbar machen. Das Tatbestandsmerkmal der für die Überwachung des einzelnen Betriebs entstandenen Kosten in § 2 Abs. 1 Satz 3 VetbKostG verleiht der Gebührenregelung keine hinreichende Bestimmtheit. Dieser Verteilungsmaßstab soll eine Quersubventionierung zwischen den der Überwachung unterliegenden Betrieben ausschließen (LT-Drs. 16/1619 S. 9). Aus der Sicht des Gebührenschuldners verbessert dies die Abschätzbarkeit der Gebühr jedoch nicht, denn etwaige nicht absehbare Kostenschwankungen wirken sich bei einer einzelbetrieblichen Betrachtung im Allgemeinen eher stärker aus als bei der Bildung von Durchschnittswerten für eine Mehrzahl von Betrieben. Hinzukommt, dass der Maßstab für die Umlage der allgemeinen Verwaltungspersonal- und -sachkosten (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. April 2013 – 3 C 1/12 –, juris Rn. 13 ff.) durch die gesetzliche Vorgabe nicht geklärt ist. Demnach ist § 2 Abs. 1 Satz 3 VetbKostG für sich allein genommen nicht geeignet, die Gebührenhöhe ausreichend deutlich zu umreißen. Er bedarf der Ausfüllung und Konkretisierung durch einen engeren Maßstab für die Verteilung der Kosten, also der Bestimmung eines Bezugspunkts für den Gebührensatz, wie etwa die Anknüpfung an Schlachtgewicht, Tierkategorie, Schlachtzahl u.a. oder – bei Verzicht auf eine Unterscheidung – an eine einheitliche Untersuchungsgebühr (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Juni 2013 – 3 C 7/12 –, juris Rn. 17). Sollten, worauf der Beklagte hinweist, bei einem Verdacht der Anwendung verbotener Stoffe (beispielsweise Hormone oder Dioxine) sehr umfangreiche und teure Untersuchungen erforderlich werden, so besteht die Möglichkeit, dies durch die Bildung besonderer Gebührentatbestände zu erfassen. Das zeigt nicht zuletzt das Gebührenverzeichnis des Beklagten, das für solche Fälle eine Gebührenerhöhung vorsieht.

28

Gegen die Annahme mangelnder Bestimmtheit lässt sich nicht anführen, dass der Gesetzgeber in § 2 Abs. 1 Satz 1 VetbKostG unter Übernahme der entsprechenden Vorschrift der Verordnung (EG) Nr. 882/2004 (Art. 27 Abs. 4 Buchst. a i.V.m. Anhang VI) geregelt hat, welche Art von Kosten bei der Gebührenbemessung berücksichtigungsfähig ist. Richtig ist, dass damit die Bemessungsgrundlage für die Kosten im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 2 VetbKostG bzw. für den Aufwand im Sinne von § 2 Abs. 2 VetbKostG vorgegeben ist. Das verschafft dem Gebührentatbestand der Landesverordnung über Verwaltungsgebühren in Angelegenheiten der Veterinärverwaltung jedoch nicht die gebotene Regelungsdichte, weil damit die fehlende Vorgabe des anzuwendenden Verteilungsmaßstabs nicht kompensiert wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Juni 2013 – 3 C 7/12 –, juris Rn. 19).

29

Die Leistungsklage hat ebenfalls Erfolg. Gemäß § 113 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann gleichzeitig mit der Aufhebung des rechtswidrigen Verwaltungsakts ausgesprochen werden, dass und wie dessen Vollziehung rückgängig gemacht wird. Der Klägerin steht ein derartiger Anspruch zu. Sie hat die durch den angefochtenen Bescheid festgesetzte Gebühr in Höhe von insgesamt 23.501,28 Euro bezahlt; der Verwaltungsakt ist damit im Sinne von § 113 Abs. 1 Satz 2 VwGO „vollzogen“. Der Folgenbeseitigungsanspruch der Klägerin ergibt sich aus § 21 Abs. 1 VwKostG. Danach sind überzahlte oder zu Unrecht erhobene Kosten unverzüglich zu erstatten.

30

Auch der Zinsanspruch ist begründet. Da die Klägerin die Rückzahlung des vorausgeleisteten Betrages von Anfang an mit ihrer Anfechtungsklage verbunden hatte und auf diesen bezifferten Geldleistungsanspruch § 291 BGB entsprechend anwendbar ist (BVerwG, Urteil vom 24. März 1999 – 8 C 27/97 –, juris Rn. 22), stehen ihr Prozesszinsen ab Rechtshängigkeit, d.h. seit dem 8. Oktober 2010, in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu (§ 288 Abs. 1 Satz 2 BGB).

31

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 und in entsprechender Anwendung von § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.

32

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 132 Abs. 2 VwGO) liegen nicht vor.


Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts - 1. Kammer - vom 30. Oktober 2013 geändert.

Der Bescheid des Beklagten vom 15. Oktober 2010 und der Widerspruchsbescheid 6. April 2011 werden aufgehoben, soweit Gebühren von mehr als 55.093,11 Euro festgesetzt worden sind. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 67.385,15 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 21. April 2011 zu zahlen.

Der Beklagte trägt die Kosten des gesamten Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Klägerin wendet sich gegen Gebühren für die in ihrem Schlachtbetrieb im Monat September 2010 durchgeführten Schlachttier- und Fleischuntersuchungen. Im Streitzeitraum sah das Gebührenverzeichnis des Beklagten vom 22. Juni 2010 Fleischbeschaugebühren in EG-Schlachtbetrieben mit öffentlichem Fleischhygieneamt und mit Bandschlachtung in folgender Höhe vor:

2

Fallgruppe

Rinder/Kälber

Haus-
schweine

Schafe
Ziegen

mit amtlichen
BSE-Test
(> 48 Monate)

mit freiwilligem
BSE-Test
(< 48 Monate)

ohne
BSE-Test

werktags
06:00-21:00 Uhr

16,14 €

21,14 €

6,38 €

2,18 €

1,84 €

werktags
21:00-06:00 Uhr

20,65 €

25,65 €

10,89 €

3,94 €

3,38 €

3

Das Gebührenverzeichnis ordnete ferner an, dass sich die Gebühr um 50 % reduziert, wenn bei einem Schlachttier lediglich die amtliche Schlachttieruntersuchung durchgeführt wird. Mit Bescheid vom 15. Oktober 2010 verlangte der Beklagte von der Klägerin einen Betrag von 122.478,76 Euro, der sich wie folgt aufschlüsselte:

4

Rinder
werktags
06.00-21.00 Uhr

        

 2785

36

        

Rinder ohne BSE-Test

Rinder mit BSE-Test

  

x

x

  

 6,38

16,14

=

=

   17.768,30

581,04

Schweine
werktags
06.00-21.00 Uhr

        

 31.999

8

        

Schweine

Schweine
nur Schlachttieruntersuchung

x

x

 2,184

1,09

=

=

 69.757,82

8,72

Schweine
werktags
21.00-06.00 Uhr

        

8.524

        

Schweine

x

3,94   

=

33,584,56

Schafe/Ziegen
werktags
06.00-21.00 Uhr

        

423

        

Schafe/Ziegen

x

1,84   

=

778,32

5

Nach erfolglosem Widerspruch hat die Klägerin den Gebührenbescheid im Klagewege angefochten, soweit die EG-Mindestgebühren überschritten werden. Die Klägerin hat beantragt,

6

1. den Bescheid des Beklagten vom 15. Oktober 2010 und den Widerspruchsbescheid vom 6. April 2011 aufzuheben, soweit damit Fleischuntersuchungsgebühren von mehr als 55.093,11 Euro erhoben worden sind und

7

2. den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 67.385,15 Euro nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz auf diesen Betrag seit Zustellung der Klageschrift zu zahlen.

8

Der Beklagte hat beantragt,

9

die Klage abzuweisen.

10

Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 30. Oktober 2013 abgewiesen. Der angefochtene Bescheid beruhe auf einer hinreichend bestimmten Rechtsgrundlage. Die landesrechtlichen Gebührenvorschriften genügten dem Gesetzesvorbehalt. Tatbestand und Höhe der Gebühr seien in der Gebührenverordnung hinreichend genau bezeichnet. Nicht zu beanstanden sei, dass dort lediglich einen Gebührenrahmen vorgesehen sei und die Festsetzung der konkreten Gebührensätze den Verwaltungen in den kreisfreien Städten und Kreisen obliege. Einer Bestimmung der Gebührenhöhe durch Gesetz habe es nicht bedurft. Das Erfordernis eines Gesetzesvorbehalts bestehe bei einer Abweichung von gemeinschaftsrechtlich vorgeschriebenen einheitlichen Pauschalsätzen. Hier seien unionsrechtlich jedoch nur Mindestgebühren festgelegt, sodass die Möglichkeit einer Erhebung höherer Gebühren nicht von vornherein ausgeschlossen sei.

11

Die Gebührenerhebung entspreche auch der Form und der Höhe nach unionsrechtlichen Vorgaben. Die zuständigen Behörden seien befugt, kostendeckende Gebühren in Abweichung von den Mindestgebühren festzusetzen. Den unionsrechtlichen Vorgaben lasse sich weder ein Pauschalierungsverbot noch die Forderung nach einzelbetrieblicher Abrechnung entnehmen. Zwar dürfe die Gebühr nicht wie die EG-Pauschalbeträge unbeschadet des konkreten Untersuchungsumfangs erhoben werden. Kostenanteile für bestimmte Fleischuntersuchungen dürften nur dann in die Gebühr einfließen, wenn sie tatsächlich angefallen seien. Diese Vorgabe ändere aber nichts daran, dass es sich um eine „Gebühr" handele, deren Höhe auf der Grundlage einer Kostenkalkulation ermittelt werde und nicht etwa durch eine nachträgliche Kostenabrechnung jedes Einzelfalls.

12

Der Beklagte habe die zu erhebenden Gebühren anhand einer Vorauskalkulation ermitteln dürfen. Bedenken mit Blick auf die gemeinschaftsrechtliche Beschränkung auf tatsächlich anfallende Kosten bestünden nicht, da der Beklagte am Ende eines Wirtschaftsjahres die verbrauchten Kosten abrechne und gegebenenfalls entstandene Überschüsse bei der anstehenden Vorauskalkulation berücksichtige.

13

Der von der Klägerin verfolgte hypothetische Kostenansatz ziele auf die Beurteilung der Erforderlichkeit des Umfanges amtlicher Kontrollen ab. Diesbezüglich komme indes den für die Durchführung der amtlichen Kontrollen zuständigen Behörden ein gerichtlich nicht überprüfbarer Beurteilungsspielraum über das „Wie" der vorzunehmenden amtlichen Kontrollen zu. Dieser Spielraum sei nur daran zu messen, ob der kalkulierende Normgeber sich von sachlich nicht zu rechtfertigenden Erwägungen habe leiten lassen. Das von der Klägerin eingereichte Parteigutachten beschränke sich ausgehend von der Mindestuntersuchungszeit von 50 Sekunden pro Tier auf eine für angemessen erachtete Untersuchungszeit von 88 Sekunden. Die Mindestuntersuchungszeit gebe indes für eine Kostenüberschreitung nichts her. Durch die nicht näher spezifizierte Beaufschlagung der Mindestuntersuchungszeiten für einen Teil der durchzuführenden Kontrollaufgaben werde der erforderliche Gesamtaufwand nicht vollständig erfasst. Dies betreffe insbesondere die Personalkosten.

14

Gegen dieses Urteil richtet sich die vom Senat zugelassene Berufung der Klägerin.

15

Die Klägerin macht geltend, der Gebührenbescheid könne nicht auf eine wirksame Ermächtigungsgrundlage gestützt werden, da der Gebührenrahmen der Gebührenverordnung gegen das Bestimmtheitsgebot verstoße. Die Kalkulation nach dem Prinzip der Kostenüberdeckung/Kostenunterdeckung widerstreite dem Unionsrecht. Die Gebührensätze des Beklagten seien nicht mit dem Äquivalenzprinzip vereinbar. Bei Schweinen hätte eine aufwandsgerechte Untersuchungsgebühr einen Gebührensatz von 1,07 Euro pro Tier im Betrieb der Klägerin nicht überschreiten dürfen. Die Einrechnung von mittelbaren Kosten in die Gebühr sei unzulässig. Indem der Beklagte der Klägerin keine einzelbetriebliche Abrechnung erteilte habe, habe er gegen das Pauschalierungsverbot verstoßen.

16

Nachdem die Klägerin im Berufungsverfahren zunächst eine 6%ige Verzinsung gefordert hat, beantragt sie nunmehr zu erkennen:

17

1. Auf das Rechtsmittel der Berufung wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts vom 30. Oktober 2013 abgeändert und der Gebührenbescheid des Beklagten vom 15. Oktober 2010 in der Form des Widerspruchsbescheides aufgehoben, soweit aufgrund des Bescheides vom 15. Oktober 2010 Fleischuntersuchungsgebühren von mehr als 55.093,11 Euro vom Beklagten erhoben worden sind.

18

2. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 67.385,15 Euro nebst 5 % Zinsen über den Basiszinssatz auf diesen Betrag seit Zustellung der Klageschrift vom 21. April 2011 zu zahlen.

19

Der Beklagte beantragt,

20

die Berufung zurückzuweisen.

21

Der Beklagte trägt vor, aufgrund der spezifizierenden Gebührenrahmen der Gebührenverordnung sowie der gesetzlichen Vorgaben beruhe der Bescheid auf einer wirksamen Ermächtigungsgrundlage, die den Anforderungen des Bestimmtheitsgrundsatzes genüge. Weite Gebührenrahmen seien oftmals unvermeidlich. Das Unionsrecht fordere keine nachträgliche einzelbetriebliche Abrechnung und verbiete nicht die Einstellung von Verwaltungsgemeinkosten in die Kalkulation. Ein Verstoß gegen das unionsrechtliche Verbot einer indirekten Gebührenrückerstattung liege nicht vor, weil dieses den bei der Erstellung einer Kalkulation vorgenommenen Überdeckungsausgleich als bloß rechnerischen Vorgang nicht erfasse. Die Vornahme eines solchen Ausgleichs stehe in Einklang mit der Zulässigkeit einer Vorauskalkulation. Ein Verstoß gegen das Äquivalenzprinzip sei nicht gegeben. Das Parteigutachten der Klägerin setze sich nicht mit der Kalkulation des Beklagten auseinander, sondern beinhalte lediglich eine Zweitkalkulation.

22

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakten und den Verwaltungsvorgang des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

23

Die Berufung ist begründet. Der angefochtene Gebührenbescheid ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

24

Zwar ist der Beklagte gemäß § 12 VwKostG Kostengläubiger, da er die Schlachttier- und Fleischuntersuchung gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 2 der Landesverordnung über zuständige Behörden auf dem Gebiet des Lebensmittel-, Wein- und Futtermittelrechts (Lebensmittel-, Wein- und Futtermittelzuständigkeitsverordnung - LWFZVO) als Aufgabe zur Erfüllung nach Weisung wahrnimmt. Die Zuständigkeitsbestimmung ist von der Landesregierung im Verordnungswege auf der Grundlage von § 28 Abs. 4 LVwG erlassen worden.

25

Der Bescheid ist jedoch deshalb rechtswidrig, weil die materielle Rechtsgrundlage nicht dem Bestimmtheitsgebot genügt.

26

Der Bescheid stützt sich zum einen auf die Verordnung (EG) Nr. 882/2004 über amtliche Kontrollen zur Überprüfung der Einhaltung des Lebensmittel- und Futtermittelrechts sowie der Bestimmungen über Tiergesundheit und Tierschutz (ABl. Nr. L 165 S. 1, ber. ABl. Nr. L 191 S. 1) in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 596/2009 vom 18. Juni 2009 (ABl Nr. L 188 S. 14) und zum anderen auf die zu ihrer Ausführung ergangenen landesrechtlichen Regelungen. Maßgeblich ist das Gesetz über die Übertragung und Finanzierung amtlicher Kontrollen bei bestimmten zum menschlichen Verzehr bestimmten Erzeugnissen tierischen Ursprungs (Veterinärbeleihungs- und Kostengesetz - VetbKostG) vom 4. Dezember 2007 (GVOBl. S. 476) in der Fassung des Änderungsgesetzes vom 17. Mai 2016 (GVOBl. S. 127). Das Änderungsgesetz gilt nach seinen Art. 2 und 3 auch rückwirkend ab dem 1. Januar 2008 für noch nicht bestandskräftige Bescheide. Ferner ist maßgeblich die auf der Grundlage von § 2 VwKostG i.V.m. § 4 Nr. 3 Buchst. e der Landesverordnung über Verwaltungsgebühren vom 15. Oktober 2008 (GVOBl. S. 383) in der Fassung der Verordnung vom 7. November 2008 (GVOBl. S. 567) erlassene Landesverordnung über Verwaltungsgebühren in Angelegenheiten der Veterinärverwaltung (VetVwGebV) vom 18. November 2008 (GVOBl. S. 586), die zwar gemäß Art. 3 Abs. 2 der Verordnung vom 8. September 2010 (GVOBl. S. 586) am 1. Oktober 2010 außer Kraft getreten, aber für den Streitzeitraum noch anwendbar ist. Die Gesetzgebungskompetenz des Landes ergibt sich aus Art. 72 Abs. 1 i.V.m. Art. 74 Abs. 1 Nr. 17 und Nr. 20 GG. Sie bestand schon unter der Geltung von § 24 Abs. 1 des Fleischhygienegesetzes; daran hat sich nach dem Außer-Kraft-Treten dieses Gesetzes nichts geändert (BVerwG, Urteil vom 20. Dezember 2007 - 3 C 50/06 -, juris Rn. 15).

27

Gemäß Art. 27 Abs. 2 bis 4 i.V.m. Anhang IV Abschnitt B der Verordnung (EG) Nr. 882/2004 beträgt die Mindestgebühr für die Untersuchung von Rindfleisch 5,00 Euro pro Tier bei ausgewachsenen Rindern und 2,00 Euro pro Tier bei Jungrindern, für die Untersuchung von Schweinefleisch 0,50 Euro pro Tier bei Tieren mit einem Schlachtgewicht von weniger als 25 kg und 1,00 Euro pro Tier bei Tieren mit einem Schlachtgewicht von mindestens 25 kg, für die Untersuchung von Schaf- und Ziegenfleisch 0,15 Euro pro Tier bei Tieren mit einem Schlachtgewicht von weniger als 12 kg bei und 0,25 Euro pro Tier bei Tieren mit einem Schlachtgewicht von mindestens 12 kg; die Gebühren dürfen nicht höher sein als die von den zuständigen Behörden getragenen Kosten. Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 3 VetbKostG werden die Gebühren auf der Grundlage der für die Überwachung des einzelnen Betriebs entstandenen Kosten festgesetzt. Die einschlägigen Tarifstellen des Gebührentarifs zu § 1 VetVwGebV für Schlachttier- und Fleischuntersuchungen sind folgende:

28

Tarifstelle

        

Gegenstand

                          

Gebühr Euro

1.2.1.2

        

Rindfleisch

                                   

1.2.1.2.1

        

ausgewachsene Rinder

        

je Tier

        

5,00 bis 566,73

1.2.1.2.2

        

Jungrinder

        

je Tier

        

2,00 bis 566,73

1.2.1.3

        

Schweinefleisch
Tiere mit einem Schlachtgewicht von

                                   

1.2.1.3.1

        

weniger als 25 kg

        

je Tier

        

0,50 bis 565,40

1.2.1.3.2

        

mindestens 25 kg

        

je Tier

        

1,00 bis 565,40

1.2.1.4

        

Schaf- und Ziegenfleisch
Tiere mit einem Schlachtgewicht von

                                   

1.2.1.4.1

        

weniger als 12 kg

        

je Tier

        

0,15 bis 560,01

1.2.1.4.2

        

mindestens 12 kg

        

je Tier

        

0,25 bis 560,01

29

Diese Gebührenregelung genügt nicht den Anforderungen des im Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) wurzelnden Bestimmtheitsgebots.

30

Der Grad der von Verfassungs wegen geforderten Bestimmtheit einer Norm hängt sowohl von der Eigenart des geregelten Sachverhalts und den jeweiligen (Grundrechts-)Auswirkungen der Regelung für die Betroffenen als auch von der Art und Intensität des zugelassenen behördlichen Eingriffs ab. Im Bereich des Gebühren- und Beitragsrechts fordert das Bestimmtheitsgebot eine dem jeweiligen Zusammenhang angemessene Regelungsdichte, die eine willkürliche Handhabung durch die Behörden ausschließt. Der Gebührenschuldner muss die Höhe der zu erwartenden Gebührenlast anhand der normativen Festlegungen im Wesentlichen abschätzen können. Soweit es sich um Abgaben mit dem unmittelbaren Zweck einer Kostendeckung handelt, bedarf es nicht zwingend der tatbestandlichen Bestimmung eines Abgabesatzes. Hinreichende Bestimmtheit kann vielmehr auch hergestellt werden, indem die Bemessungsfaktoren für die die Abgabe tragenden Kosten normiert werden (BVerwG, Urteil vom 27. Juni 2013 - 3 C 7/12 -, juris Rn. 16 m.w.N.). Grundsätzlich ist es nicht zu beanstanden, wenn in einer Gebührenverordnung lediglich ein Gebührenrahmen vorgegeben und die Festsetzung der konkreten Gebührensätze den Veterinärverwaltungen in den kreisfreien Städten und den Kreisen überlassen wird (BVerwG, Urteil vom 20. Dezember 2007 - 3 C 50/06 -, juris Rn. 17). Allerdings müssen Tatbestand und Höhe der Gebühr hinreichend genau bezeichnet werden; der Gebührenrahmen muss die Gebühr abschätzbar werden lassen (BVerwG, Urteil vom 26. April 2012 - 3 C 20/11 -, juris Rn. 13, Urteil vom 27. Juni 2013, a.a.O. Rn. 17). Das ist dann nicht der Fall, wenn der Gebührenrahmen so weit gefasst ist, dass kein wesentlicher Unterschied zu einer Situation besteht, in der ein Gebührenrahmen völlig fehlt. Bei fehlendem Gebührenrahmen verlangt das Bestimmtheitsgebot weitergehende Vorgaben in Gestalt von Bemessungsfaktoren, die die Gebührenlast für den Gebührenschuldner zumindest annähernd berechenbar machen (BVerwG, Urteil vom 27. Juni 2013, a.a.O. Rn. 17). Solcher zusätzlicher Bemessungsfaktoren bedarf es auch dann, wenn sich das Maß der Grundrechtsbetroffenheit nicht schon anhand des Gebührenrahmens in etwa absehen lässt.

31

Hiernach fehlt der Regelung zur Erhebung höherer Gebühren als den unionsrechtlichen Mindestgebühren für die Schlachttier- und Fleischuntersuchung in den Tarifstellen 1.2.1.2.1 bis 1.2.1.4.2 des Gebührentarifs zu § 1 VetVwGebV die erforderliche Bestimmtheit. Ein Gebührenrahmen, der - wie hier - eine extreme Spreizung zwischen Unter- und Obergrenze ausweist, bietet für sich genommen noch keine ausreichende Orientierungsmöglichkeit für den Gebührenschuldner. Ferner lässt sich anhand des vom Verordnungsgeber vorgesehenen Gebührenrahmens die Intensität des Eingriffs in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb (Art. 14 Abs. 1 GG) sowie in die Freiheit der Berufswahl (Art. 12 Abs. 1 GG) nicht abschätzen. Während der Eingriff im unteren Bereich des Rahmen kaum ins Gewicht fällt bzw. zu verneinen ist, ermöglicht der obere Bereich eine Gebührenerhebung, die einem unternehmerisch tätigen Gebührenschuldner die Fortführung des Betriebes als wirtschaftliche Grundlage der Lebensführung ganz oder teilweise unmöglich macht. In der Bundesrepublik Deutschland belief sich im Jahr 2010 das durchschnittliche Schlachtgewicht bei Rindern auf 137 kg; der durchschnittliche Preis in Versandschlachtereien und Fleischwarenfabriken je Kilogramm Schlachtfleisch lag bei 2,86 Euro. Bei Schweinen betrug das durchschnittliche Schlachtgewicht 94 kg; der durchschnittliche Preis je Kilogramm Schlachtfleisch lag bei 1,38 Euro (Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, Statistisches Jahrbuch über Ernährung, Landwirtschaft und Forsten der Bundesrepublik Deutschland 2015, S. 330 und 498). Bei einem Rind mit einem Gewicht von 137 kg beträgt die Gebühr nach Tarifstelle 1.2.1.2.1 des Gebührentarifs pro Kilogramm Schlachtgewicht umgerechnet zwischen 0,04 und 4,14 Euro. Bei einem Schwein mit einem Gewicht von 94 kg beträgt die Gebühr nach Tarifstelle 1.2.1.3.1 des Gebührentarifs pro Kilogramm Schlachtgewicht umgerechnet zwischen 0,01 und 6,01 Euro. Damit lag im Zeitraum der Gebührenerhebung ein erheblicher Teil des Gebührenrahmens jenseits des in der Regel erzielbaren Marktpreises für Schlachtfleisch. Bei der Belastung mit einer entsprechenden Gebühr wäre der Betrieb des Schlachtunternehmens nicht rentabel.

32

Diese Umstände machen weitergehende normative Vorgaben dazu nötig, wie die Gebühr innerhalb des Gebührenrahmens zu bemessen ist. Dem wird die Landesverordnung über Verwaltungsgebühren in Angelegenheiten der Veterinärverwaltung nicht gerecht. Es mangelt an Bemessungsfaktoren, die die Gebührenlast für den Gebührenschuldner zumindest annähernd berechenbar machen. Das Tatbestandsmerkmal der für die Überwachung des einzelnen Betriebs entstandenen Kosten in § 2 Abs. 1 Satz 3 VetbKostG verleiht der Gebührenregelung keine hinreichende Bestimmtheit. Dieser Verteilungsmaßstab soll eine Quersubventionierung zwischen den der Überwachung unterliegenden Betrieben ausschließen (LT-Drs. 16/1619 S. 9). Aus der Sicht des Gebührenschuldners verbessert dies die Abschätzbarkeit der Gebühr jedoch nicht, denn etwaige nicht absehbare Kostenschwankungen wirken sich bei einer einzelbetrieblichen Betrachtung im Allgemeinen eher stärker aus als bei der Bildung von Durchschnittswerten für eine Mehrzahl von Betrieben. Hinzukommt, dass der Maßstab für die Umlage der allgemeinen Verwaltungspersonal- und -sachkosten (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. April 2013 - 3 C 1/12 -, juris Rn. 13 ff.) durch die gesetzliche Vorgabe nicht geklärt ist. Demnach ist § 2 Abs. 1 Satz 3 VetbKostG für sich allein genommen nicht geeignet, die Gebührenhöhe ausreichend deutlich zu umreißen. Er bedarf der Ausfüllung und Konkretisierung durch einen engeren Maßstab für die Verteilung der Kosten, also der Bestimmung eines Bezugspunkts für den Gebührensatz, wie etwa die Anknüpfung an Schlachtgewicht, Tierkategorie, Schlachtzahl u.a. oder - bei Verzicht auf eine Unterscheidung - an eine einheitliche Untersuchungsgebühr (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Juni 2013 - 3 C 7/12 -, juris Rn. 17). Sollten, worauf der Beklagte hinweist, bei einem Verdacht der Anwendung verbotener Stoffe (beispielsweise Hormone oder Dioxine) sehr umfangreiche und teure Untersuchungen erforderlich werden, so besteht die Möglichkeit, dies durch die Bildung besonderer Gebührentatbestände zu erfassen. Das zeigt nicht zuletzt das Gebührenverzeichnis des Beklagten, das für solche Fälle eine Gebührenerhöhung vorsieht.

33

Gegen die Annahme mangelnder Bestimmtheit lässt sich nicht anführen, dass der Gesetzgeber in § 2 Abs. 1 Satz 1 VetbKostG unter Übernahme der entsprechenden Vorschrift der Verordnung (EG) Nr. 882/2004 (Art. 27 Abs. 4 Buchst. a i.V.m. Anhang VI) geregelt hat, welche Art von Kosten bei der Gebührenbemessung berücksichtigungsfähig ist. Richtig ist, dass damit die Bemessungsgrundlage für die Kosten im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 2 VetbKostG bzw. für den Aufwand im Sinne von § 2 Abs. 2 VetbKostG vorgegeben ist. Das verschafft dem Gebührentatbestand der Landesverordnung über Verwaltungsgebühren in Angelegenheiten der Veterinärverwaltung jedoch nicht die gebotene Regelungsdichte, weil damit die fehlende Vorgabe des anzuwendenden Verteilungsmaßstabs nicht kompensiert wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Juni 2013 - 3 C 7/12 -, juris Rn. 19).

34

Der Gebührenbescheid kann daher nur in Höhe der EU-Mindestgebühren Bestand haben. Diese betragen 54.741,75 Euro und errechnen sich wie folgt:

35

2.821

  

Rinder

        

x

        

5,00

     

=

        

14.105,00

40.531

Schweine

        

x

        

1,00

     

=

        

40.531,00

423

Schafe/Ziegen

        

x

        

0,25

     

=

        

105,75

36

Da die Klägerin den Gebührenbescheid lediglich insoweit angreift, als ein 55.093,11 Euro übersteigender Betrag gefordert wird, ist die Anfechtungsklage in vollem Umfang begründet.

37

Die Leistungsklage hat ebenfalls Erfolg. Gemäß § 113 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann gleichzeitig mit der Aufhebung des rechtswidrigen Verwaltungsakts ausgesprochen werden, dass und wie dessen Vollziehung rückgängig gemacht wird. Der Klägerin steht ein derartiger Anspruch zu. Sie hat die durch den angefochtenen Bescheid festgesetzte Gebühr in Höhe von insgesamt 122.478,76 Euro bezahlt; der Verwaltungsakt ist damit im Sinne von §113 Abs. 1 Satz 2 VwGO „vollzogen". Der Folgenbeseitigungsanspruch der Klägerin ergibt sich aus § 21 Abs. 1 VwKostG. Danach sind überzahlte oder zu Unrecht erhobene Kosten unverzüglich zu erstatten. Nach Teilaufhebung des Bescheides bis auf 55.093,11 Euro ergibt sich eine Überzahlung von 67.385,65 Euro. Die Forderung der Klägerin übersteigt diesen Betrag nicht.

38

Auch der Zinsanspruch ist begründet. Da die Klägerin die Rückzahlung des vorausgeleisteten Betrages von Anfang an mit ihrer Anfechtungsklage verbunden hatte und auf diesen bezifferten Geldleistungsanspruch § 291 BGB entsprechend anwendbar ist (BVerwG, Urteil vom 24. März 1999 - 8 C 27/97 -, juris Rn. 22), stehen ihr Prozesszinsen ab Rechtshängigkeit, d.h. seit dem 21. April 2011, in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu (§ 288 Abs. 1 Satz 2 BGB).

39

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 und in entsprechender Anwendung von §155 Abs. 1 Satz 3 VwGO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.

40

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 132 Abs. 2 VwGO) liegen nicht vor.


(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

(1) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts (§ 49 Nr. 1) und gegen Beschlüsse nach § 47 Abs. 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht zu, wenn das Oberverwaltungsgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung das Bundesverwaltungsgericht sie zugelassen hat.

(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Das Bundesverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden.

Ein Urteil ist stets als auf der Verletzung von Bundesrecht beruhend anzusehen, wenn

1.
das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war,
2.
bei der Entscheidung ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramts kraft Gesetzes ausgeschlossen oder wegen Besorgnis der Befangenheit mit Erfolg abgelehnt war,
3.
einem Beteiligten das rechtliche Gehör versagt war,
4.
ein Beteiligter im Verfahren nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten war, außer wenn er der Prozeßführung ausdrücklich oder stillschweigend zugestimmt hat,
5.
das Urteil auf eine mündliche Verhandlung ergangen ist, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt worden sind, oder
6.
die Entscheidung nicht mit Gründen versehen ist.

(1) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts (§ 49 Nr. 1) und gegen Beschlüsse nach § 47 Abs. 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht zu, wenn das Oberverwaltungsgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung das Bundesverwaltungsgericht sie zugelassen hat.

(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Das Bundesverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden.

Ein Urteil ist stets als auf der Verletzung von Bundesrecht beruhend anzusehen, wenn

1.
das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war,
2.
bei der Entscheidung ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramts kraft Gesetzes ausgeschlossen oder wegen Besorgnis der Befangenheit mit Erfolg abgelehnt war,
3.
einem Beteiligten das rechtliche Gehör versagt war,
4.
ein Beteiligter im Verfahren nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten war, außer wenn er der Prozeßführung ausdrücklich oder stillschweigend zugestimmt hat,
5.
das Urteil auf eine mündliche Verhandlung ergangen ist, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt worden sind, oder
6.
die Entscheidung nicht mit Gründen versehen ist.

(1) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts (§ 49 Nr. 1) und gegen Beschlüsse nach § 47 Abs. 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht zu, wenn das Oberverwaltungsgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung das Bundesverwaltungsgericht sie zugelassen hat.

(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Das Bundesverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden.

(1) Die Revision kann nur darauf gestützt werden, daß das angefochtene Urteil auf der Verletzung

1.
von Bundesrecht oder
2.
einer Vorschrift des Verwaltungsverfahrensgesetzes eines Landes, die ihrem Wortlaut nach mit dem Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes übereinstimmt,
beruht.

(2) Das Bundesverwaltungsgericht ist an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden, außer wenn in bezug auf diese Feststellungen zulässige und begründete Revisionsgründe vorgebracht sind.

(3) Wird die Revision auf Verfahrensmängel gestützt und liegt nicht zugleich eine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 2 vor, so ist nur über die geltend gemachten Verfahrensmängel zu entscheiden. Im übrigen ist das Bundesverwaltungsgericht an die geltend gemachten Revisionsgründe nicht gebunden.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

(1) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts (§ 49 Nr. 1) und gegen Beschlüsse nach § 47 Abs. 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht zu, wenn das Oberverwaltungsgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung das Bundesverwaltungsgericht sie zugelassen hat.

(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Das Bundesverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden.

Soweit dieses Gesetz keine Bestimmungen über das Verfahren enthält, sind das Gerichtsverfassungsgesetz und die Zivilprozeßordnung einschließlich § 278 Absatz 5 und § 278a entsprechend anzuwenden, wenn die grundsätzlichen Unterschiede der beiden Verfahrensarten dies nicht ausschließen; Buch 6 der Zivilprozessordnung ist nicht anzuwenden. Die Vorschriften des Siebzehnten Titels des Gerichtsverfassungsgesetzes sind mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass an die Stelle des Oberlandesgerichts das Oberverwaltungsgericht, an die Stelle des Bundesgerichtshofs das Bundesverwaltungsgericht und an die Stelle der Zivilprozessordnung die Verwaltungsgerichtsordnung tritt. Gericht im Sinne des § 1062 der Zivilprozeßordnung ist das zuständige Verwaltungsgericht, Gericht im Sinne des § 1065 der Zivilprozeßordnung das zuständige Oberverwaltungsgericht.

Die Entscheidung des Berufungsgerichts über das Bestehen und den Inhalt von Gesetzen, auf deren Verletzung die Revision nach § 545 nicht gestützt werden kann, ist für die auf die Revision ergehende Entscheidung maßgebend.

Ein Urteil ist stets als auf der Verletzung von Bundesrecht beruhend anzusehen, wenn

1.
das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war,
2.
bei der Entscheidung ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramts kraft Gesetzes ausgeschlossen oder wegen Besorgnis der Befangenheit mit Erfolg abgelehnt war,
3.
einem Beteiligten das rechtliche Gehör versagt war,
4.
ein Beteiligter im Verfahren nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten war, außer wenn er der Prozeßführung ausdrücklich oder stillschweigend zugestimmt hat,
5.
das Urteil auf eine mündliche Verhandlung ergangen ist, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt worden sind, oder
6.
die Entscheidung nicht mit Gründen versehen ist.

(1) Das Präsidium bestimmt die Besetzung der Spruchkörper, bestellt die Ermittlungsrichter, regelt die Vertretung und verteilt die Geschäfte. Es trifft diese Anordnungen vor dem Beginn des Geschäftsjahres für dessen Dauer. Der Präsident bestimmt, welche richterlichen Aufgaben er wahrnimmt. Jeder Richter kann mehreren Spruchkörpern angehören.

(2) Vor der Geschäftsverteilung ist den Richtern, die nicht Mitglied des Präsidiums sind, Gelegenheit zur Äußerung zu geben.

(3) Die Anordnungen nach Absatz 1 dürfen im Laufe des Geschäftsjahres nur geändert werden, wenn dies wegen Überlastung oder ungenügender Auslastung eines Richters oder Spruchkörpers oder infolge Wechsels oder dauernder Verhinderung einzelner Richter nötig wird. Vor der Änderung ist den Vorsitzenden Richtern, deren Spruchkörper von der Änderung der Geschäftsverteilung berührt wird, Gelegenheit zu einer Äußerung zu geben.

(4) Das Präsidium kann anordnen, daß ein Richter oder Spruchkörper, der in einer Sache tätig geworden ist, für diese nach einer Änderung der Geschäftsverteilung zuständig bleibt.

(5) Soll ein Richter einem anderen Spruchkörper zugeteilt oder soll sein Zuständigkeitsbereich geändert werden, so ist ihm, außer in Eilfällen, vorher Gelegenheit zu einer Äußerung zu geben.

(6) Soll ein Richter für Aufgaben der Justizverwaltung ganz oder teilweise freigestellt werden, so ist das Präsidium vorher zu hören.

(7) Das Präsidium entscheidet mit Stimmenmehrheit. § 21i Abs. 2 gilt entsprechend.

(8) Das Präsidium kann beschließen, dass Richter des Gerichts bei den Beratungen und Abstimmungen des Präsidiums für die gesamte Dauer oder zeitweise zugegen sein können. § 171b gilt entsprechend.

(9) Der Geschäftsverteilungsplan des Gerichts ist in der von dem Präsidenten oder aufsichtführenden Richter bestimmten Geschäftsstelle des Gerichts zur Einsichtnahme aufzulegen; einer Veröffentlichung bedarf es nicht.

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts – 1. Kammer – vom 30. Oktober 2013 geändert.

Der Bescheid des Beklagten vom 19. April 2010 und der Widerspruchsbescheid vom 21. September 2010 werden aufgehoben. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 23.501,28 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 8. Oktober 2010 zu zahlen.

Der Beklagte trägt die Kosten des gesamten Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Klägerin wendet sich gegen Gebührenzuschläge für die in ihrem Schlachtbetrieb im Monat März 2010 bei Schweinen bzw. Schweinefleisch durchgeführten Schlachttier- und Fleischuntersuchungen sowie Trichinenuntersuchungen vor 6.00 Uhr und nach 18.00 Uhr. Im Streitzeitraum sah das Gebührenverzeichnis des Beklagten vom 22. Januar 2008 eine Gebühr von 2,07 Euro für die Schlachttier- und Fleischuntersuchung einschließlich Hygienekontrollen in EG-Schlachtbetrieben mit öffentlichem Fleischhygieneamt bei Hausschweinen einschließlich der Untersuchung auf Trichinen vor. Die Gebühr erhöhte sich um bis zu 100 %, wenn die Amtshandlung auf Verlangen zwischen 18.00 und 7.00 Uhr, in Großbetrieben zwischen 18.00 Uhr und 6.00 Uhr, an Sonnabenden nach 15.00 Uhr durchgeführt wurde. Mit Bescheid vom 19. April 2010 verlangte der Beklagte von der Klägerin einen Zuschlag von 1,76 Euro (= 85 % von 2,07 Euro) pro Schwein, d.h. bei 13.353 Schweinen einen Gesamtbetrag von 23.501,28 Euro.

2

Nach erfolglosem Widerspruch hat die Klägerin Klage erhoben. Die Klägerin hat beantragt,

3

den Bescheid des Beklagten vom 19. April 2010 und den Widerspruchsbescheid vom 21. September 2010 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 23.501,28 Euro nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz auf diesen Betrag seit Zustellung der Klageschrift zu zahlen.

4

Der Beklagte hat beantragt,

5

die Klage abzuweisen.

6

Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 30. Oktober 2013 abgewiesen. Der angefochtene Bescheid beruhe auf einer hinreichend bestimmten Rechtsgrundlage. Die landesrechtlichen Gebührenvorschriften genügten dem Gesetzesvorbehalt. Tatbestand und Höhe der Gebühr seien in der Gebührenverordnung hinreichend genau bezeichnet. Nicht zu beanstanden sei, dass dort lediglich ein Gebührenrahmen vorgesehen sei und die Festsetzung der konkreten Gebührensätze den Verwaltungen in den kreisfreien Städten und Kreisen obliege. Einer Bestimmung der Gebührenhöhe durch Gesetz habe es nicht bedurft. Das Erfordernis eines Gesetzesvorbehalts bestehe bei einer Abweichung von gemeinschaftsrechtlich vorgeschriebenen einheitlichen Pauschalsätzen. Hier seien unionsrechtlich jedoch nur Mindestgebühren festgelegt, sodass die Möglichkeit einer Erhebung höherer Gebühren nicht von vornherein ausgeschlossen sei.

7

Die Gebührenerhebung entspreche auch der Form und der Höhe nach unionsrechtlichen Vorgaben. Die zuständigen Behörden seien befugt, kostendeckende Gebühren in Abweichung von den Mindestgebühren festzusetzen. Den unionsrechtlichen Vorgaben lasse sich weder ein Pauschalierungsverbot noch die Forderung nach einzelbetrieblicher Abrechnung entnehmen. Zwar dürfe die Gebühr nicht wie die EG-Pauschalbeträge unbeschadet des konkreten Untersuchungsumfangs erhoben werden. Kostenanteile für bestimmte Fleischuntersuchungen dürften nur dann in die Gebühr einfließen, wenn sie tatsächlich angefallen seien. Diese Vorgabe ändere aber nichts daran, dass es sich um eine „Gebühr“ handele, deren Höhe auf der Grundlage einer Kostenkalkulation ermittelt werde und nicht etwa durch eine nachträgliche Kostenabrechnung jedes Einzelfalls.

8

Der Beklagte habe die zu erhebenden Gebühren anhand einer Vorauskalkulation ermitteln dürfen. Bedenken mit Blick auf die gemeinschaftsrechtliche Beschränkung auf tatsächlich anfallende Kosten bestünden nicht, da der Beklagte am Ende eines Wirtschaftsjahres die verbrauchten Kosten abrechne und gegebenenfalls entstandene Überschüsse bei der anstehenden Vorauskalkulation berücksichtige.

9

Der von der Klägerin verfolgte hypothetische Kostenansatz ziele auf die Beurteilung der Erforderlichkeit des Umfanges amtlicher Kontrollen ab. Diesbezüglich komme indes den für die Durchführung der amtlichen Kontrollen zuständigen Behörden ein gerichtlich nicht überprüfbarer Beurteilungsspielraum über das „Wie“ der vorzunehmenden amtlichen Kontrollen zu. Dieser Spielraum sei nur daran zu messen, ob der kalkulierende Normgeber sich von sachlich nicht zu rechtfertigenden Erwägungen habe leiten lassen. Das von der Klägerin eingereichte Parteigutachten beschränke sich ausgehend von der Mindestuntersuchungszeit von 50 Sekunden pro Tier auf eine für angemessen erachtete Untersuchungszeit von 88 Sekunden. Die Mindestuntersuchungszeit gebe indes für eine Kostenüberschreitung nichts her. Durch die nicht näher spezifizierte Beaufschlagung der Mindestuntersuchungszeiten für einen Teil der durchzuführenden Kontrollaufgaben werde der erforderliche Gesamtaufwand nicht vollständig erfasst. Dies betreffe insbesondere die Personalkosten.

10

Gegen dieses Urteil richtet sich die vom Senat zugelassene Berufung der Klägerin.

11

Die Klägerin macht geltend, der Gebührenbescheid könne nicht auf eine wirksame Ermächtigungsgrundlage gestützt werden, da der Gebührenrahmen der Gebührenverordnung gegen das Bestimmtheitsgebot verstoße. Die Kalkulation nach dem Prinzip der Kostenüberdeckung/Kostenunterdeckung widerstreite dem Unionsrecht. Die Gebührensätze des Beklagten seien nicht mit dem Äquivalenzprinzip vereinbar, da eine aufwandsgerechte Untersuchungsgebühr einen Gebührensatz von 1,07 Euro pro Schwein im Betrieb der Klägerin nicht hätte überschreiten dürfen. Die Einrechnung von mittelbaren Kosten in die Gebühr sei unzulässig. Indem der Beklagte der Klägerin keine einzelbetriebliche Abrechnung erteilte habe, habe er gegen das Pauschalierungsverbot verstoßen.

12

Nachdem die Klägerin im Berufungsverfahren zunächst eine 6%ige Verzinsung gefordert hat, beantragt sie nunmehr zu erkennen:

13

1. Auf das Rechtsmittel der Berufung wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts vom 14. März/30. Oktober 2013 abgeändert und der Gebührenbescheid des Beklagten vom 19. April 2010 in der Form des Widerspruchsbescheides vom 21. September 2010 aufgehoben.

14

2. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 23.501,28 Euro nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz auf diesen Betrag seit Zustellung der Klageschrift vom 7. Oktober 2010 zu zahlen.

15

Der Beklagte beantragt,

16

die Berufung zurückzuweisen.

17

Der Beklagte trägt vor, aufgrund der spezifizierenden Gebührenrahmen der Gebührenverordnung sowie der gesetzlichen Vorgaben beruhe der Bescheid auf einer wirksamen Ermächtigungsgrundlage, die den Anforderungen des Bestimmtheitsgrundsatzes genüge. Weite Gebührenrahmen seien oftmals unvermeidlich. Das Unionsrecht fordere keine nachträgliche einzelbetriebliche Abrechnung und verbiete nicht die Einstellung von Verwaltungsgemeinkosten in die Kalkulation. Ein Verstoß gegen das unionsrechtliche Verbot einer indirekten Gebührenrückerstattung liege nicht vor, weil dieses den bei der Erstellung einer Kalkulation vorgenommenen Überdeckungsausgleich als bloß rechnerischen Vorgang nicht erfasse. Die Vornahme eines solchen Ausgleichs stehe in Einklang mit der Zulässigkeit einer Vorauskalkulation. Ein Verstoß gegen das Äquivalenzprinzip sei nicht gegeben. Das Parteigutachten der Klägerin setze sich nicht mit der Kalkulation des Beklagten auseinander, sondern beinhalte lediglich eine Zweitkalkulation.

18

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakten und den Verwaltungsvorgang des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

19

Die Berufung ist begründet. Der angefochtene Gebührenbescheid ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

20

Zwar ist der Beklagte gemäß § 12 VwKostG Kostengläubiger, da er die Schlachttier- und Fleischuntersuchung gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 2 der Landesverordnung über zuständige Behörden auf dem Gebiet des Lebensmittel-, Wein- und Futtermittelrechts (Lebensmittel-, Wein- und Futtermittelzuständigkeitsverordnung – LWFZVO) als Aufgabe zur Erfüllung nach Weisung wahrnimmt. Die Zuständigkeitsbestimmung ist von der Landesregierung im Verordnungswege auf der Grundlage von § 28 Abs. 4 LVwG erlassen worden.

21

Der Bescheid ist jedoch deshalb rechtswidrig, weil die materielle Rechtsgrundlage nicht dem Bestimmtheitsgebot genügt.

22

Der Bescheid stützt sich zum einen auf die Verordnung (EG) Nr. 882/2004 über amtliche Kontrollen zur Überprüfung der Einhaltung des Lebensmittel- und Futtermittelrechts sowie der Bestimmungen über Tiergesundheit und Tierschutz (ABl. Nr. L 165 S. 1, ber. ABl. Nr. L 191 S. 1) in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 596/2009 vom 18. Juni 2009 (ABl. Nr. L 188 S. 14) und zum anderen auf die zu ihrer Ausführung ergangenen landesrechtlichen Regelungen. Maßgeblich ist das Gesetz über die Übertragung und Finanzierung amtlicher Kontrollen bei bestimmten zum menschlichen Verzehr bestimmten Erzeugnissen tierischen Ursprungs (Veterinärbeleihungs- und Kostengesetz – VetbKostG) vom 4. Dezember 2007 (GVOBl. S. 476) in der Fassung des Änderungsgesetzes vom 17. Mai 2016 (GVOBl. S. 127). Das Änderungsgesetz gilt nach seinen Art. 2 und 3 auch rückwirkend ab dem 1. Januar 2008 für noch nicht bestandskräftige Bescheide. Ferner ist maßgeblich die auf der Grundlage von § 2 VwKostG i.V.m. § 4 Nr. 3 Buchst. e der Landesverordnung über Verwaltungsgebühren vom 15. Oktober 2008 (GVOBl. S. 383) in der Fassung der Verordnung vom 7. November 2008 (GVOBl. S. 567) erlassene Landesverordnung über Verwaltungsgebühren in Angelegenheiten der Veterinärverwaltung (VetVwGebV) vom 18. November 2008 (GVOBl. S. 586), die zwar gemäß Art. 3 Abs. 2 der Verordnung vom 8. September 2010 (GVOBl. S. 586) am 1. Oktober 2010 außer Kraft getreten, aber für den Streitzeitraum noch anwendbar ist. Die Gesetzgebungskompetenz des Landes ergibt sich aus Art. 72 Abs. 1 i.V.m. Art. 74 Abs. 1 Nr. 17 und Nr. 20 GG. Sie bestand schon unter der Geltung von § 24 Abs. 1 des Fleischhygienegesetzes; daran hat sich nach dem Außer-Kraft-Treten dieses Gesetzes nichts geändert (BVerwG, Urteil vom 20. Dezember 2007 – 3 C 50/06 –, juris Rn. 15).

23

Gemäß Art. 27 Abs. 2 bis 4 i.V.m. Anhang IV Abschnitt B der Verordnung (EG) Nr. 882/2004 beträgt die Mindestgebühr für die Untersuchung von Schweinefleisch 0,50 Euro pro Tier bei Tieren mit einem Schlachtgewicht von weniger als 25 kg und 1,00 Euro pro Tier bei Tieren mit einem Schlachtgewicht von mindestens 25 kg; die Gebühren dürfen nicht höher sein als die von den zuständigen Behörden getragenen Kosten. Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 3 VetbKostG werden die Gebühren auf der Grundlage der für die Überwachung des einzelnen Betriebs entstandenen Kosten festgesetzt. Die Tarifstelle 1.2.1.3. des Gebührentarifs zu § 1 VetVwGebV sieht für Schlachttier- und Fleischuntersuchungen in Bezug auf Schweinefleisch bei einem Schlachtgewicht von weniger als 25 kg eine Rahmengebühr von 0,50 bis 565,40 Euro und bei einem Schlachtgewicht von mindestens 25 kg eine Rahmengebühr von 1,00 bis 565,40 Euro vor.

24

Diese Gebührenregelung genügt nicht den Anforderungen des im Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) wurzelnden Bestimmtheitsgebots.

25

Der Grad der von Verfassungs wegen geforderten Bestimmtheit einer Norm hängt sowohl von der Eigenart des geregelten Sachverhalts und den jeweiligen (Grundrechts-)Auswirkungen der Regelung für die Betroffenen als auch von der Art und Intensität des zugelassenen behördlichen Eingriffs ab. Im Bereich des Gebühren- und Beitragsrechts fordert das Bestimmtheitsgebot eine dem jeweiligen Zusammenhang angemessene Regelungsdichte, die eine willkürliche Handhabung durch die Behörden ausschließt. Der Gebührenschuldner muss die Höhe der zu erwartenden Gebührenlast anhand der normativen Festlegungen im Wesentlichen abschätzen können. Soweit es sich um Abgaben mit dem unmittelbaren Zweck einer Kostendeckung handelt, bedarf es nicht zwingend der tatbestandlichen Bestimmung eines Abgabesatzes. Hinreichende Bestimmtheit kann vielmehr auch hergestellt werden, indem die Bemessungsfaktoren für die die Abgabe tragenden Kosten normiert werden (BVerwG, Urteil vom 27. Juni 2013 – 3 C 7/12 –, juris Rn. 16 m.w.N.). Grundsätzlich ist es nicht zu beanstanden, wenn in einer Gebührenverordnung lediglich ein Gebührenrahmen vorgegeben und die Festsetzung der konkreten Gebührensätze den Veterinärverwaltungen in den kreisfreien Städten und den Kreisen überlassen wird (BVerwG, Urteil vom 20. Dezember 2007 – 3 C 50/06 –, juris Rn. 17). Allerdings müssen Tatbestand und Höhe der Gebühr hinreichend genau bezeichnet werden; der Gebührenrahmen muss die Gebühr abschätzbar werden lassen (BVerwG, Urteil vom 26. April 2012 – 3 C 20/11 –, juris Rn. 13, Urteil vom 27. Juni 2013, a.a.O. Rn. 17). Das ist dann nicht der Fall, wenn der Gebührenrahmen so weit gefasst ist, dass kein wesentlicher Unterschied zu einer Situation besteht, in der ein Gebührenrahmen völlig fehlt. Bei fehlendem Gebührenrahmen verlangt das Bestimmtheitsgebot weitergehende Vorgaben in Gestalt von Bemessungsfaktoren, die die Gebührenlast für den Gebührenschuldner zumindest annähernd berechenbar machen (BVerwG, Urteil vom 27. Juni 2013, a.a.O. Rn. 17). Solcher zusätzlicher Bemessungsfaktoren bedarf es auch dann, wenn sich das Maß der Grundrechtsbetroffenheit nicht schon anhand des Gebührenrahmens in etwa absehen lässt.

26

Hiernach fehlt der Regelung zur Erhebung höherer Gebühren als den unionsrechtlichen Mindestgebühren für die Schlachttier- und Fleischuntersuchung bei Schweinen in Tarifstelle 1.2.1.3. des Gebührentarifs zu § 1 VetVwGebV die erforderliche Bestimmtheit. Ein Gebührenrahmen, der – wie hier – eine extreme Spreizung zwischen Unter- und Obergrenze ausweist, bietet für sich genommen noch keine ausreichende Orientierungsmöglichkeit für den Gebührenschuldner. Ferner lässt sich anhand des vom Verordnungsgeber vorgesehenen Gebührenrahmens die Intensität des Eingriffs in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb (Art. 14 Abs. 1 GG) sowie in die Freiheit der Berufswahl (Art. 12 Abs. 1 GG) nicht abschätzen. Während der Eingriff im unteren Bereich des Rahmen kaum ins Gewicht fällt bzw. zu verneinen ist, ermöglicht der obere Bereich eine Gebührenerhebung, die einem unternehmerisch tätigen Gebührenschuldner die Fortführung des Betriebes als wirtschaftliche Grundlage der Lebensführung ganz oder teilweise unmöglich macht. In der Bundesrepublik Deutschland belief sich im Jahr 2010 das durchschnittliche Schlachtgewicht bei Schweinen auf 94 kg; der durchschnittliche Preis in Versandschlachtereien und Fleischwarenfabriken je Kilogramm Schlachtfleisch lag bei 1,38 Euro (Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, Statistisches Jahrbuch über Ernährung, Landwirtschaft und Forsten der Bundesrepublik Deutschland 2015, S. 330 und 498). Bei einem Schwein mit einem Gewicht von 94 kg beträgt die Gebühr nach Tarifstelle 1.2.1.3. des Gebührentarifs pro Kilogramm Schlachtgewicht umgerechnet zwischen 0,01 und 6,01 Euro. Damit lag im Zeitraum der Gebührenerhebung ein erheblicher Teil des Gebührenrahmens jenseits des in der Regel erzielbaren Marktpreises für Schlachtfleisch. Bei der Belastung mit einer entsprechenden Gebühr wäre der Betrieb des Schlachtunternehmens nicht rentabel.

27

Diese Umstände machen weitergehende normative Vorgaben dazu nötig, wie die Gebühr innerhalb des Gebührenrahmens zu bemessen ist. Dem wird die Landesverordnung über Verwaltungsgebühren in Angelegenheiten der Veterinärverwaltung nicht gerecht. Es mangelt an Bemessungsfaktoren, die die Gebührenlast für den Gebührenschuldner zumindest annähernd berechenbar machen. Das Tatbestandsmerkmal der für die Überwachung des einzelnen Betriebs entstandenen Kosten in § 2 Abs. 1 Satz 3 VetbKostG verleiht der Gebührenregelung keine hinreichende Bestimmtheit. Dieser Verteilungsmaßstab soll eine Quersubventionierung zwischen den der Überwachung unterliegenden Betrieben ausschließen (LT-Drs. 16/1619 S. 9). Aus der Sicht des Gebührenschuldners verbessert dies die Abschätzbarkeit der Gebühr jedoch nicht, denn etwaige nicht absehbare Kostenschwankungen wirken sich bei einer einzelbetrieblichen Betrachtung im Allgemeinen eher stärker aus als bei der Bildung von Durchschnittswerten für eine Mehrzahl von Betrieben. Hinzukommt, dass der Maßstab für die Umlage der allgemeinen Verwaltungspersonal- und -sachkosten (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. April 2013 – 3 C 1/12 –, juris Rn. 13 ff.) durch die gesetzliche Vorgabe nicht geklärt ist. Demnach ist § 2 Abs. 1 Satz 3 VetbKostG für sich allein genommen nicht geeignet, die Gebührenhöhe ausreichend deutlich zu umreißen. Er bedarf der Ausfüllung und Konkretisierung durch einen engeren Maßstab für die Verteilung der Kosten, also der Bestimmung eines Bezugspunkts für den Gebührensatz, wie etwa die Anknüpfung an Schlachtgewicht, Tierkategorie, Schlachtzahl u.a. oder – bei Verzicht auf eine Unterscheidung – an eine einheitliche Untersuchungsgebühr (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Juni 2013 – 3 C 7/12 –, juris Rn. 17). Sollten, worauf der Beklagte hinweist, bei einem Verdacht der Anwendung verbotener Stoffe (beispielsweise Hormone oder Dioxine) sehr umfangreiche und teure Untersuchungen erforderlich werden, so besteht die Möglichkeit, dies durch die Bildung besonderer Gebührentatbestände zu erfassen. Das zeigt nicht zuletzt das Gebührenverzeichnis des Beklagten, das für solche Fälle eine Gebührenerhöhung vorsieht.

28

Gegen die Annahme mangelnder Bestimmtheit lässt sich nicht anführen, dass der Gesetzgeber in § 2 Abs. 1 Satz 1 VetbKostG unter Übernahme der entsprechenden Vorschrift der Verordnung (EG) Nr. 882/2004 (Art. 27 Abs. 4 Buchst. a i.V.m. Anhang VI) geregelt hat, welche Art von Kosten bei der Gebührenbemessung berücksichtigungsfähig ist. Richtig ist, dass damit die Bemessungsgrundlage für die Kosten im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 2 VetbKostG bzw. für den Aufwand im Sinne von § 2 Abs. 2 VetbKostG vorgegeben ist. Das verschafft dem Gebührentatbestand der Landesverordnung über Verwaltungsgebühren in Angelegenheiten der Veterinärverwaltung jedoch nicht die gebotene Regelungsdichte, weil damit die fehlende Vorgabe des anzuwendenden Verteilungsmaßstabs nicht kompensiert wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Juni 2013 – 3 C 7/12 –, juris Rn. 19).

29

Die Leistungsklage hat ebenfalls Erfolg. Gemäß § 113 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann gleichzeitig mit der Aufhebung des rechtswidrigen Verwaltungsakts ausgesprochen werden, dass und wie dessen Vollziehung rückgängig gemacht wird. Der Klägerin steht ein derartiger Anspruch zu. Sie hat die durch den angefochtenen Bescheid festgesetzte Gebühr in Höhe von insgesamt 23.501,28 Euro bezahlt; der Verwaltungsakt ist damit im Sinne von § 113 Abs. 1 Satz 2 VwGO „vollzogen“. Der Folgenbeseitigungsanspruch der Klägerin ergibt sich aus § 21 Abs. 1 VwKostG. Danach sind überzahlte oder zu Unrecht erhobene Kosten unverzüglich zu erstatten.

30

Auch der Zinsanspruch ist begründet. Da die Klägerin die Rückzahlung des vorausgeleisteten Betrages von Anfang an mit ihrer Anfechtungsklage verbunden hatte und auf diesen bezifferten Geldleistungsanspruch § 291 BGB entsprechend anwendbar ist (BVerwG, Urteil vom 24. März 1999 – 8 C 27/97 –, juris Rn. 22), stehen ihr Prozesszinsen ab Rechtshängigkeit, d.h. seit dem 8. Oktober 2010, in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu (§ 288 Abs. 1 Satz 2 BGB).

31

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 und in entsprechender Anwendung von § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.

32

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 132 Abs. 2 VwGO) liegen nicht vor.


(1) Ausnahmegerichte sind unzulässig. Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden.

(2) Gerichte für besondere Sachgebiete können nur durch Gesetz errichtet werden.

(1) Das Präsidium bestimmt die Besetzung der Spruchkörper, bestellt die Ermittlungsrichter, regelt die Vertretung und verteilt die Geschäfte. Es trifft diese Anordnungen vor dem Beginn des Geschäftsjahres für dessen Dauer. Der Präsident bestimmt, welche richterlichen Aufgaben er wahrnimmt. Jeder Richter kann mehreren Spruchkörpern angehören.

(2) Vor der Geschäftsverteilung ist den Richtern, die nicht Mitglied des Präsidiums sind, Gelegenheit zur Äußerung zu geben.

(3) Die Anordnungen nach Absatz 1 dürfen im Laufe des Geschäftsjahres nur geändert werden, wenn dies wegen Überlastung oder ungenügender Auslastung eines Richters oder Spruchkörpers oder infolge Wechsels oder dauernder Verhinderung einzelner Richter nötig wird. Vor der Änderung ist den Vorsitzenden Richtern, deren Spruchkörper von der Änderung der Geschäftsverteilung berührt wird, Gelegenheit zu einer Äußerung zu geben.

(4) Das Präsidium kann anordnen, daß ein Richter oder Spruchkörper, der in einer Sache tätig geworden ist, für diese nach einer Änderung der Geschäftsverteilung zuständig bleibt.

(5) Soll ein Richter einem anderen Spruchkörper zugeteilt oder soll sein Zuständigkeitsbereich geändert werden, so ist ihm, außer in Eilfällen, vorher Gelegenheit zu einer Äußerung zu geben.

(6) Soll ein Richter für Aufgaben der Justizverwaltung ganz oder teilweise freigestellt werden, so ist das Präsidium vorher zu hören.

(7) Das Präsidium entscheidet mit Stimmenmehrheit. § 21i Abs. 2 gilt entsprechend.

(8) Das Präsidium kann beschließen, dass Richter des Gerichts bei den Beratungen und Abstimmungen des Präsidiums für die gesamte Dauer oder zeitweise zugegen sein können. § 171b gilt entsprechend.

(9) Der Geschäftsverteilungsplan des Gerichts ist in der von dem Präsidenten oder aufsichtführenden Richter bestimmten Geschäftsstelle des Gerichts zur Einsichtnahme aufzulegen; einer Veröffentlichung bedarf es nicht.

(1) Ausnahmegerichte sind unzulässig. Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden.

(2) Gerichte für besondere Sachgebiete können nur durch Gesetz errichtet werden.

(1) Das Präsidium bestimmt die Besetzung der Spruchkörper, bestellt die Ermittlungsrichter, regelt die Vertretung und verteilt die Geschäfte. Es trifft diese Anordnungen vor dem Beginn des Geschäftsjahres für dessen Dauer. Der Präsident bestimmt, welche richterlichen Aufgaben er wahrnimmt. Jeder Richter kann mehreren Spruchkörpern angehören.

(2) Vor der Geschäftsverteilung ist den Richtern, die nicht Mitglied des Präsidiums sind, Gelegenheit zur Äußerung zu geben.

(3) Die Anordnungen nach Absatz 1 dürfen im Laufe des Geschäftsjahres nur geändert werden, wenn dies wegen Überlastung oder ungenügender Auslastung eines Richters oder Spruchkörpers oder infolge Wechsels oder dauernder Verhinderung einzelner Richter nötig wird. Vor der Änderung ist den Vorsitzenden Richtern, deren Spruchkörper von der Änderung der Geschäftsverteilung berührt wird, Gelegenheit zu einer Äußerung zu geben.

(4) Das Präsidium kann anordnen, daß ein Richter oder Spruchkörper, der in einer Sache tätig geworden ist, für diese nach einer Änderung der Geschäftsverteilung zuständig bleibt.

(5) Soll ein Richter einem anderen Spruchkörper zugeteilt oder soll sein Zuständigkeitsbereich geändert werden, so ist ihm, außer in Eilfällen, vorher Gelegenheit zu einer Äußerung zu geben.

(6) Soll ein Richter für Aufgaben der Justizverwaltung ganz oder teilweise freigestellt werden, so ist das Präsidium vorher zu hören.

(7) Das Präsidium entscheidet mit Stimmenmehrheit. § 21i Abs. 2 gilt entsprechend.

(8) Das Präsidium kann beschließen, dass Richter des Gerichts bei den Beratungen und Abstimmungen des Präsidiums für die gesamte Dauer oder zeitweise zugegen sein können. § 171b gilt entsprechend.

(9) Der Geschäftsverteilungsplan des Gerichts ist in der von dem Präsidenten oder aufsichtführenden Richter bestimmten Geschäftsstelle des Gerichts zur Einsichtnahme aufzulegen; einer Veröffentlichung bedarf es nicht.

Tatbestand

1

I. Das der Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) vorangegangene Klageverfahren war im Jahre 2007 beim 4. Senat des Finanzgerichts (FG) unter dem Az. 4 K 59/07 (4) anhängig. Im März 2008 beschloss das Präsidium des FG, die Entscheidungszuständigkeit für das Klageverfahren der Klägerin sowie vier weitere Verfahren auf den 1. Senat des FG zu übertragen. Durch sein im Jahre 2010 ergangenes Urteil wies dieser die Klage ab.

2

Mit ihrer Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision rügt die Klägerin u.a. das Vorliegen eines Verfahrensmangels i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Der 1. Senat des FG habe zu Unrecht über die Klage entschieden; er sei nicht zuständig gewesen.

Entscheidungsgründe

3

II. Die Beschwerde ist begründet; sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 116 Abs. 6 FGO).

4

1. Die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO liegen vor. Das Urteil der Vorinstanz beruht --wie die Klägerin zutreffend geltend macht-- auf einem wesentlichen Verfahrensmangel i.S. von § 119 Nr. 1 FGO, weil das FG bei seiner Entscheidung nicht vorschriftsmäßig besetzt war. Ein solcher Verfahrensmangel ist u.a. gegeben, wenn durch eine die Besetzung des erkennenden Gerichts betreffende Maßnahme zugleich Art. 101 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes (GG) verletzt, d.h. der gesetzliche Richter entzogen ist (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 14. November 1995 VIII R 3-5/95, BFH/NV 1996, 481, unter II.1., m.w.N.). Diese Voraussetzung ist im Streitfall erfüllt.

5

a) "Erkennendes Gericht" i.S. des § 119 Nr. 1 FGO ist das Gericht in der Besetzung bei der abschließenden Entscheidung. Maßgebend für die Ordnungsmäßigkeit der Besetzung des Spruchkörpers ist der für diesen Zeitpunkt geltende Geschäftsverteilungsplan des Gerichts; er regelt konstitutiv auch die Zuständigkeit des Spruchkörpers für bereits anhängige Sachen (z.B. BFH-Urteil in BFH/NV 1996, 481; vgl. auch BFH-Beschlüsse vom 14. November 1995 VIII R 84/93, VIII R 1/94, BFH/NV 1996, 416; vom 11. Juli 2006 IX B 179/05, BFH/NV 2006, 1873). Denn der Geschäftsverteilungsplan einschließlich etwaiger Änderungen wirkt nur für die Dauer eines Geschäftsjahres (Jährlichkeitsprinzip) und tritt an dessen Ende ohne weiteres Zutun außer Kraft (z.B. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts --BVerwG-- vom 30. Oktober 1984  9 C 67/82, Deutsches Verwaltungsblatt --DVBl-- 1985, 574, m.w.N.).

6

b) § 21e Abs. 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes verbietet es nicht, durch den jährlichen Geschäftsverteilungsplan bereits anhängige Sachen einem anderen Spruchkörper zuzuweisen als dem, bei dem sie im Zeitpunkt ihres Einganges anhängig geworden sind (z.B. BFH-Urteil in BFH/NV 1996, 481; BFH-Beschluss in BFH/NV 2006, 1873; BVerwG-Urteil vom 18. Oktober 1990  3 C 19/88, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 1991, 1370). Hierbei ist jedoch --wie bei der Verteilung der Geschäfte allgemein-- das Abstraktionsprinzip (s. dazu z.B. BVerwG-Urteil in NJW 1991, 1370; BFH-Beschluss in BFH/NV 2006, 1873) zu beachten. Der jeweilige Geschäftsverteilungsplan muss die Aufgaben nach allgemeinen, abstrakten und objektiven Merkmalen (d.h. nicht speziell, sondern generell) verteilen. Dies schließt zwar nicht aus, bereits anhängige, neu zu verteilende Sachen --soweit notwendig-- in gewissem Umfang zu konkretisieren. Keinesfalls dürfen aber einzelne ausgesuchte Sachen einem anderen Spruchkörper zugewiesen werden (z.B. BFH-Beschlüsse in BFH/NV 1996, 416, und in BFH/NV 2006, 1873; BFH-Urteil in BFH/NV 1996, 481; auch Beschluss des Bundesverfassungsgerichts --BVerfG-- vom 16. Februar 2005  2 BvR 581/03, BFH/NV 2005, Beilage 4, 367; BVerwG-Urteile vom 29. Juni 1984  6 C 35/83, DVBl 1985, 165, und in NJW 1991, 1370). Geschieht dies dennoch --wenn auch wie im Streitfall in dem anerkennenswerten Bemühen, bestimmte Verfahren zu beschleunigen, deren Bearbeitung sich wegen Erkrankungen von Richtern verzögert hat--, wird Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt (BVerfG-Beschluss in BFH/NV 2005, Beilage 4, 367).

7

c) Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt) irrt, wenn er meint, im Streitfall liege schon deshalb kein Verfahrensfehler i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 und § 119 Nr. 1 FGO vor, weil der 1. Senat des FG seine Zuständigkeit nicht aufgrund schlechthin unvertretbarer, sachfremder und damit willkürlicher Erwägungen angenommen habe. Der BFH hat nämlich wiederholt entschieden, dass ein Verstoß gegen den gerichtlichen Geschäftsverteilungsplan dann zu einem Verfahrensfehler i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 und § 119 Nr. 1 FGO führt, wenn er sich --wie im Streitfall-- zugleich als Verletzung des verfassungsrechtlichen Anspruchs auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) darstellt (vgl. BFH-Beschlüsse vom 12. September 2005 VII B 1/05, BFH/NV 2006, 146; vom 19. Juli 2010 X B 21/10, BFH/NV 2010, 2093).

8

d) Auf die von der Klägerin aufgeworfene Frage, ob der Präsidiumsbeschluss vom 3. März 2008 insgesamt unwirksam sein könnte, weil er sowohl von einem abgeordneten Richter als auch von einem Richter kraft Auftrags unterzeichnet ist, kommt es danach ebenso wenig an wie auf die Frage, ob durch diesen Beschluss eine unmittelbare Zuweisung von Streitsachen in das Dezernat eines einzelnen Mitglieds des 1. Senats des FG in zulässiger Weise vorgenommen werden konnte.

9

2. Aus der am 9. März 2009 beschlossenen Änderung des Geschäftsverteilungsplans des FG für das Jahr 2009 lässt sich für das vorliegende Verfahren die Zuständigkeit des 1. Senats des FG ebenfalls nicht begründen. Denn die Regelung, wonach dem 1. Senat "alle bis zum 31. Dezember 2007 anhängig gewordenen Streitsachen aus dem Zuständigkeitsbereich des Finanzamts X" betreffend einzelne Steuerarten zugewiesen wurden, die "bis zum 9. März 2009 in den Dezernaten 3 des 3. und 4. Senats waren", sollte ersichtlich bereits umverteilte Verfahren nicht betreffen und kann ohnehin den in der ursprünglichen Zuweisung einzelner ausgewählter Verfahren liegenden Verstoß gegen das Abstraktionsprinzip nicht heilen (vgl. dazu BFH-Beschluss in BFH/NV 2006, 1873). Ob --wie die Klägerin meint-- der Änderungsbeschluss vom 9. März 2009 später durch weiteren Präsidiumsbeschluss vom 20. Juli 2009 gegenstandslos geworden ist, ist danach unerheblich.

10

3. Der Verfahrensfehler hat zur Folge, dass die Vorentscheidung ohne sachliche Nachprüfung aufzuheben und der Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen ist (§ 116 Abs. 6 FGO). Die im Ermessen des BFH stehende Zurückverweisung ist insbesondere dann sinnvoll, wenn die Vorinstanz unter Verstoß gegen die Vorschriften über die Besetzung des Gerichts entschieden hat (z.B. BFH-Beschlüsse vom 24. Februar 2005 VIII B 216/03, BFH/NV 2005, 1328, und in BFH/NV 2006, 1873).

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts – 1. Kammer – vom 30. Oktober 2013 geändert.

Der Bescheid des Beklagten vom 19. April 2010 und der Widerspruchsbescheid vom 21. September 2010 werden aufgehoben. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 23.501,28 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 8. Oktober 2010 zu zahlen.

Der Beklagte trägt die Kosten des gesamten Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Klägerin wendet sich gegen Gebührenzuschläge für die in ihrem Schlachtbetrieb im Monat März 2010 bei Schweinen bzw. Schweinefleisch durchgeführten Schlachttier- und Fleischuntersuchungen sowie Trichinenuntersuchungen vor 6.00 Uhr und nach 18.00 Uhr. Im Streitzeitraum sah das Gebührenverzeichnis des Beklagten vom 22. Januar 2008 eine Gebühr von 2,07 Euro für die Schlachttier- und Fleischuntersuchung einschließlich Hygienekontrollen in EG-Schlachtbetrieben mit öffentlichem Fleischhygieneamt bei Hausschweinen einschließlich der Untersuchung auf Trichinen vor. Die Gebühr erhöhte sich um bis zu 100 %, wenn die Amtshandlung auf Verlangen zwischen 18.00 und 7.00 Uhr, in Großbetrieben zwischen 18.00 Uhr und 6.00 Uhr, an Sonnabenden nach 15.00 Uhr durchgeführt wurde. Mit Bescheid vom 19. April 2010 verlangte der Beklagte von der Klägerin einen Zuschlag von 1,76 Euro (= 85 % von 2,07 Euro) pro Schwein, d.h. bei 13.353 Schweinen einen Gesamtbetrag von 23.501,28 Euro.

2

Nach erfolglosem Widerspruch hat die Klägerin Klage erhoben. Die Klägerin hat beantragt,

3

den Bescheid des Beklagten vom 19. April 2010 und den Widerspruchsbescheid vom 21. September 2010 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 23.501,28 Euro nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz auf diesen Betrag seit Zustellung der Klageschrift zu zahlen.

4

Der Beklagte hat beantragt,

5

die Klage abzuweisen.

6

Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 30. Oktober 2013 abgewiesen. Der angefochtene Bescheid beruhe auf einer hinreichend bestimmten Rechtsgrundlage. Die landesrechtlichen Gebührenvorschriften genügten dem Gesetzesvorbehalt. Tatbestand und Höhe der Gebühr seien in der Gebührenverordnung hinreichend genau bezeichnet. Nicht zu beanstanden sei, dass dort lediglich ein Gebührenrahmen vorgesehen sei und die Festsetzung der konkreten Gebührensätze den Verwaltungen in den kreisfreien Städten und Kreisen obliege. Einer Bestimmung der Gebührenhöhe durch Gesetz habe es nicht bedurft. Das Erfordernis eines Gesetzesvorbehalts bestehe bei einer Abweichung von gemeinschaftsrechtlich vorgeschriebenen einheitlichen Pauschalsätzen. Hier seien unionsrechtlich jedoch nur Mindestgebühren festgelegt, sodass die Möglichkeit einer Erhebung höherer Gebühren nicht von vornherein ausgeschlossen sei.

7

Die Gebührenerhebung entspreche auch der Form und der Höhe nach unionsrechtlichen Vorgaben. Die zuständigen Behörden seien befugt, kostendeckende Gebühren in Abweichung von den Mindestgebühren festzusetzen. Den unionsrechtlichen Vorgaben lasse sich weder ein Pauschalierungsverbot noch die Forderung nach einzelbetrieblicher Abrechnung entnehmen. Zwar dürfe die Gebühr nicht wie die EG-Pauschalbeträge unbeschadet des konkreten Untersuchungsumfangs erhoben werden. Kostenanteile für bestimmte Fleischuntersuchungen dürften nur dann in die Gebühr einfließen, wenn sie tatsächlich angefallen seien. Diese Vorgabe ändere aber nichts daran, dass es sich um eine „Gebühr“ handele, deren Höhe auf der Grundlage einer Kostenkalkulation ermittelt werde und nicht etwa durch eine nachträgliche Kostenabrechnung jedes Einzelfalls.

8

Der Beklagte habe die zu erhebenden Gebühren anhand einer Vorauskalkulation ermitteln dürfen. Bedenken mit Blick auf die gemeinschaftsrechtliche Beschränkung auf tatsächlich anfallende Kosten bestünden nicht, da der Beklagte am Ende eines Wirtschaftsjahres die verbrauchten Kosten abrechne und gegebenenfalls entstandene Überschüsse bei der anstehenden Vorauskalkulation berücksichtige.

9

Der von der Klägerin verfolgte hypothetische Kostenansatz ziele auf die Beurteilung der Erforderlichkeit des Umfanges amtlicher Kontrollen ab. Diesbezüglich komme indes den für die Durchführung der amtlichen Kontrollen zuständigen Behörden ein gerichtlich nicht überprüfbarer Beurteilungsspielraum über das „Wie“ der vorzunehmenden amtlichen Kontrollen zu. Dieser Spielraum sei nur daran zu messen, ob der kalkulierende Normgeber sich von sachlich nicht zu rechtfertigenden Erwägungen habe leiten lassen. Das von der Klägerin eingereichte Parteigutachten beschränke sich ausgehend von der Mindestuntersuchungszeit von 50 Sekunden pro Tier auf eine für angemessen erachtete Untersuchungszeit von 88 Sekunden. Die Mindestuntersuchungszeit gebe indes für eine Kostenüberschreitung nichts her. Durch die nicht näher spezifizierte Beaufschlagung der Mindestuntersuchungszeiten für einen Teil der durchzuführenden Kontrollaufgaben werde der erforderliche Gesamtaufwand nicht vollständig erfasst. Dies betreffe insbesondere die Personalkosten.

10

Gegen dieses Urteil richtet sich die vom Senat zugelassene Berufung der Klägerin.

11

Die Klägerin macht geltend, der Gebührenbescheid könne nicht auf eine wirksame Ermächtigungsgrundlage gestützt werden, da der Gebührenrahmen der Gebührenverordnung gegen das Bestimmtheitsgebot verstoße. Die Kalkulation nach dem Prinzip der Kostenüberdeckung/Kostenunterdeckung widerstreite dem Unionsrecht. Die Gebührensätze des Beklagten seien nicht mit dem Äquivalenzprinzip vereinbar, da eine aufwandsgerechte Untersuchungsgebühr einen Gebührensatz von 1,07 Euro pro Schwein im Betrieb der Klägerin nicht hätte überschreiten dürfen. Die Einrechnung von mittelbaren Kosten in die Gebühr sei unzulässig. Indem der Beklagte der Klägerin keine einzelbetriebliche Abrechnung erteilte habe, habe er gegen das Pauschalierungsverbot verstoßen.

12

Nachdem die Klägerin im Berufungsverfahren zunächst eine 6%ige Verzinsung gefordert hat, beantragt sie nunmehr zu erkennen:

13

1. Auf das Rechtsmittel der Berufung wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts vom 14. März/30. Oktober 2013 abgeändert und der Gebührenbescheid des Beklagten vom 19. April 2010 in der Form des Widerspruchsbescheides vom 21. September 2010 aufgehoben.

14

2. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 23.501,28 Euro nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz auf diesen Betrag seit Zustellung der Klageschrift vom 7. Oktober 2010 zu zahlen.

15

Der Beklagte beantragt,

16

die Berufung zurückzuweisen.

17

Der Beklagte trägt vor, aufgrund der spezifizierenden Gebührenrahmen der Gebührenverordnung sowie der gesetzlichen Vorgaben beruhe der Bescheid auf einer wirksamen Ermächtigungsgrundlage, die den Anforderungen des Bestimmtheitsgrundsatzes genüge. Weite Gebührenrahmen seien oftmals unvermeidlich. Das Unionsrecht fordere keine nachträgliche einzelbetriebliche Abrechnung und verbiete nicht die Einstellung von Verwaltungsgemeinkosten in die Kalkulation. Ein Verstoß gegen das unionsrechtliche Verbot einer indirekten Gebührenrückerstattung liege nicht vor, weil dieses den bei der Erstellung einer Kalkulation vorgenommenen Überdeckungsausgleich als bloß rechnerischen Vorgang nicht erfasse. Die Vornahme eines solchen Ausgleichs stehe in Einklang mit der Zulässigkeit einer Vorauskalkulation. Ein Verstoß gegen das Äquivalenzprinzip sei nicht gegeben. Das Parteigutachten der Klägerin setze sich nicht mit der Kalkulation des Beklagten auseinander, sondern beinhalte lediglich eine Zweitkalkulation.

18

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakten und den Verwaltungsvorgang des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

19

Die Berufung ist begründet. Der angefochtene Gebührenbescheid ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

20

Zwar ist der Beklagte gemäß § 12 VwKostG Kostengläubiger, da er die Schlachttier- und Fleischuntersuchung gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 2 der Landesverordnung über zuständige Behörden auf dem Gebiet des Lebensmittel-, Wein- und Futtermittelrechts (Lebensmittel-, Wein- und Futtermittelzuständigkeitsverordnung – LWFZVO) als Aufgabe zur Erfüllung nach Weisung wahrnimmt. Die Zuständigkeitsbestimmung ist von der Landesregierung im Verordnungswege auf der Grundlage von § 28 Abs. 4 LVwG erlassen worden.

21

Der Bescheid ist jedoch deshalb rechtswidrig, weil die materielle Rechtsgrundlage nicht dem Bestimmtheitsgebot genügt.

22

Der Bescheid stützt sich zum einen auf die Verordnung (EG) Nr. 882/2004 über amtliche Kontrollen zur Überprüfung der Einhaltung des Lebensmittel- und Futtermittelrechts sowie der Bestimmungen über Tiergesundheit und Tierschutz (ABl. Nr. L 165 S. 1, ber. ABl. Nr. L 191 S. 1) in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 596/2009 vom 18. Juni 2009 (ABl. Nr. L 188 S. 14) und zum anderen auf die zu ihrer Ausführung ergangenen landesrechtlichen Regelungen. Maßgeblich ist das Gesetz über die Übertragung und Finanzierung amtlicher Kontrollen bei bestimmten zum menschlichen Verzehr bestimmten Erzeugnissen tierischen Ursprungs (Veterinärbeleihungs- und Kostengesetz – VetbKostG) vom 4. Dezember 2007 (GVOBl. S. 476) in der Fassung des Änderungsgesetzes vom 17. Mai 2016 (GVOBl. S. 127). Das Änderungsgesetz gilt nach seinen Art. 2 und 3 auch rückwirkend ab dem 1. Januar 2008 für noch nicht bestandskräftige Bescheide. Ferner ist maßgeblich die auf der Grundlage von § 2 VwKostG i.V.m. § 4 Nr. 3 Buchst. e der Landesverordnung über Verwaltungsgebühren vom 15. Oktober 2008 (GVOBl. S. 383) in der Fassung der Verordnung vom 7. November 2008 (GVOBl. S. 567) erlassene Landesverordnung über Verwaltungsgebühren in Angelegenheiten der Veterinärverwaltung (VetVwGebV) vom 18. November 2008 (GVOBl. S. 586), die zwar gemäß Art. 3 Abs. 2 der Verordnung vom 8. September 2010 (GVOBl. S. 586) am 1. Oktober 2010 außer Kraft getreten, aber für den Streitzeitraum noch anwendbar ist. Die Gesetzgebungskompetenz des Landes ergibt sich aus Art. 72 Abs. 1 i.V.m. Art. 74 Abs. 1 Nr. 17 und Nr. 20 GG. Sie bestand schon unter der Geltung von § 24 Abs. 1 des Fleischhygienegesetzes; daran hat sich nach dem Außer-Kraft-Treten dieses Gesetzes nichts geändert (BVerwG, Urteil vom 20. Dezember 2007 – 3 C 50/06 –, juris Rn. 15).

23

Gemäß Art. 27 Abs. 2 bis 4 i.V.m. Anhang IV Abschnitt B der Verordnung (EG) Nr. 882/2004 beträgt die Mindestgebühr für die Untersuchung von Schweinefleisch 0,50 Euro pro Tier bei Tieren mit einem Schlachtgewicht von weniger als 25 kg und 1,00 Euro pro Tier bei Tieren mit einem Schlachtgewicht von mindestens 25 kg; die Gebühren dürfen nicht höher sein als die von den zuständigen Behörden getragenen Kosten. Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 3 VetbKostG werden die Gebühren auf der Grundlage der für die Überwachung des einzelnen Betriebs entstandenen Kosten festgesetzt. Die Tarifstelle 1.2.1.3. des Gebührentarifs zu § 1 VetVwGebV sieht für Schlachttier- und Fleischuntersuchungen in Bezug auf Schweinefleisch bei einem Schlachtgewicht von weniger als 25 kg eine Rahmengebühr von 0,50 bis 565,40 Euro und bei einem Schlachtgewicht von mindestens 25 kg eine Rahmengebühr von 1,00 bis 565,40 Euro vor.

24

Diese Gebührenregelung genügt nicht den Anforderungen des im Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) wurzelnden Bestimmtheitsgebots.

25

Der Grad der von Verfassungs wegen geforderten Bestimmtheit einer Norm hängt sowohl von der Eigenart des geregelten Sachverhalts und den jeweiligen (Grundrechts-)Auswirkungen der Regelung für die Betroffenen als auch von der Art und Intensität des zugelassenen behördlichen Eingriffs ab. Im Bereich des Gebühren- und Beitragsrechts fordert das Bestimmtheitsgebot eine dem jeweiligen Zusammenhang angemessene Regelungsdichte, die eine willkürliche Handhabung durch die Behörden ausschließt. Der Gebührenschuldner muss die Höhe der zu erwartenden Gebührenlast anhand der normativen Festlegungen im Wesentlichen abschätzen können. Soweit es sich um Abgaben mit dem unmittelbaren Zweck einer Kostendeckung handelt, bedarf es nicht zwingend der tatbestandlichen Bestimmung eines Abgabesatzes. Hinreichende Bestimmtheit kann vielmehr auch hergestellt werden, indem die Bemessungsfaktoren für die die Abgabe tragenden Kosten normiert werden (BVerwG, Urteil vom 27. Juni 2013 – 3 C 7/12 –, juris Rn. 16 m.w.N.). Grundsätzlich ist es nicht zu beanstanden, wenn in einer Gebührenverordnung lediglich ein Gebührenrahmen vorgegeben und die Festsetzung der konkreten Gebührensätze den Veterinärverwaltungen in den kreisfreien Städten und den Kreisen überlassen wird (BVerwG, Urteil vom 20. Dezember 2007 – 3 C 50/06 –, juris Rn. 17). Allerdings müssen Tatbestand und Höhe der Gebühr hinreichend genau bezeichnet werden; der Gebührenrahmen muss die Gebühr abschätzbar werden lassen (BVerwG, Urteil vom 26. April 2012 – 3 C 20/11 –, juris Rn. 13, Urteil vom 27. Juni 2013, a.a.O. Rn. 17). Das ist dann nicht der Fall, wenn der Gebührenrahmen so weit gefasst ist, dass kein wesentlicher Unterschied zu einer Situation besteht, in der ein Gebührenrahmen völlig fehlt. Bei fehlendem Gebührenrahmen verlangt das Bestimmtheitsgebot weitergehende Vorgaben in Gestalt von Bemessungsfaktoren, die die Gebührenlast für den Gebührenschuldner zumindest annähernd berechenbar machen (BVerwG, Urteil vom 27. Juni 2013, a.a.O. Rn. 17). Solcher zusätzlicher Bemessungsfaktoren bedarf es auch dann, wenn sich das Maß der Grundrechtsbetroffenheit nicht schon anhand des Gebührenrahmens in etwa absehen lässt.

26

Hiernach fehlt der Regelung zur Erhebung höherer Gebühren als den unionsrechtlichen Mindestgebühren für die Schlachttier- und Fleischuntersuchung bei Schweinen in Tarifstelle 1.2.1.3. des Gebührentarifs zu § 1 VetVwGebV die erforderliche Bestimmtheit. Ein Gebührenrahmen, der – wie hier – eine extreme Spreizung zwischen Unter- und Obergrenze ausweist, bietet für sich genommen noch keine ausreichende Orientierungsmöglichkeit für den Gebührenschuldner. Ferner lässt sich anhand des vom Verordnungsgeber vorgesehenen Gebührenrahmens die Intensität des Eingriffs in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb (Art. 14 Abs. 1 GG) sowie in die Freiheit der Berufswahl (Art. 12 Abs. 1 GG) nicht abschätzen. Während der Eingriff im unteren Bereich des Rahmen kaum ins Gewicht fällt bzw. zu verneinen ist, ermöglicht der obere Bereich eine Gebührenerhebung, die einem unternehmerisch tätigen Gebührenschuldner die Fortführung des Betriebes als wirtschaftliche Grundlage der Lebensführung ganz oder teilweise unmöglich macht. In der Bundesrepublik Deutschland belief sich im Jahr 2010 das durchschnittliche Schlachtgewicht bei Schweinen auf 94 kg; der durchschnittliche Preis in Versandschlachtereien und Fleischwarenfabriken je Kilogramm Schlachtfleisch lag bei 1,38 Euro (Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, Statistisches Jahrbuch über Ernährung, Landwirtschaft und Forsten der Bundesrepublik Deutschland 2015, S. 330 und 498). Bei einem Schwein mit einem Gewicht von 94 kg beträgt die Gebühr nach Tarifstelle 1.2.1.3. des Gebührentarifs pro Kilogramm Schlachtgewicht umgerechnet zwischen 0,01 und 6,01 Euro. Damit lag im Zeitraum der Gebührenerhebung ein erheblicher Teil des Gebührenrahmens jenseits des in der Regel erzielbaren Marktpreises für Schlachtfleisch. Bei der Belastung mit einer entsprechenden Gebühr wäre der Betrieb des Schlachtunternehmens nicht rentabel.

27

Diese Umstände machen weitergehende normative Vorgaben dazu nötig, wie die Gebühr innerhalb des Gebührenrahmens zu bemessen ist. Dem wird die Landesverordnung über Verwaltungsgebühren in Angelegenheiten der Veterinärverwaltung nicht gerecht. Es mangelt an Bemessungsfaktoren, die die Gebührenlast für den Gebührenschuldner zumindest annähernd berechenbar machen. Das Tatbestandsmerkmal der für die Überwachung des einzelnen Betriebs entstandenen Kosten in § 2 Abs. 1 Satz 3 VetbKostG verleiht der Gebührenregelung keine hinreichende Bestimmtheit. Dieser Verteilungsmaßstab soll eine Quersubventionierung zwischen den der Überwachung unterliegenden Betrieben ausschließen (LT-Drs. 16/1619 S. 9). Aus der Sicht des Gebührenschuldners verbessert dies die Abschätzbarkeit der Gebühr jedoch nicht, denn etwaige nicht absehbare Kostenschwankungen wirken sich bei einer einzelbetrieblichen Betrachtung im Allgemeinen eher stärker aus als bei der Bildung von Durchschnittswerten für eine Mehrzahl von Betrieben. Hinzukommt, dass der Maßstab für die Umlage der allgemeinen Verwaltungspersonal- und -sachkosten (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. April 2013 – 3 C 1/12 –, juris Rn. 13 ff.) durch die gesetzliche Vorgabe nicht geklärt ist. Demnach ist § 2 Abs. 1 Satz 3 VetbKostG für sich allein genommen nicht geeignet, die Gebührenhöhe ausreichend deutlich zu umreißen. Er bedarf der Ausfüllung und Konkretisierung durch einen engeren Maßstab für die Verteilung der Kosten, also der Bestimmung eines Bezugspunkts für den Gebührensatz, wie etwa die Anknüpfung an Schlachtgewicht, Tierkategorie, Schlachtzahl u.a. oder – bei Verzicht auf eine Unterscheidung – an eine einheitliche Untersuchungsgebühr (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Juni 2013 – 3 C 7/12 –, juris Rn. 17). Sollten, worauf der Beklagte hinweist, bei einem Verdacht der Anwendung verbotener Stoffe (beispielsweise Hormone oder Dioxine) sehr umfangreiche und teure Untersuchungen erforderlich werden, so besteht die Möglichkeit, dies durch die Bildung besonderer Gebührentatbestände zu erfassen. Das zeigt nicht zuletzt das Gebührenverzeichnis des Beklagten, das für solche Fälle eine Gebührenerhöhung vorsieht.

28

Gegen die Annahme mangelnder Bestimmtheit lässt sich nicht anführen, dass der Gesetzgeber in § 2 Abs. 1 Satz 1 VetbKostG unter Übernahme der entsprechenden Vorschrift der Verordnung (EG) Nr. 882/2004 (Art. 27 Abs. 4 Buchst. a i.V.m. Anhang VI) geregelt hat, welche Art von Kosten bei der Gebührenbemessung berücksichtigungsfähig ist. Richtig ist, dass damit die Bemessungsgrundlage für die Kosten im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 2 VetbKostG bzw. für den Aufwand im Sinne von § 2 Abs. 2 VetbKostG vorgegeben ist. Das verschafft dem Gebührentatbestand der Landesverordnung über Verwaltungsgebühren in Angelegenheiten der Veterinärverwaltung jedoch nicht die gebotene Regelungsdichte, weil damit die fehlende Vorgabe des anzuwendenden Verteilungsmaßstabs nicht kompensiert wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Juni 2013 – 3 C 7/12 –, juris Rn. 19).

29

Die Leistungsklage hat ebenfalls Erfolg. Gemäß § 113 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann gleichzeitig mit der Aufhebung des rechtswidrigen Verwaltungsakts ausgesprochen werden, dass und wie dessen Vollziehung rückgängig gemacht wird. Der Klägerin steht ein derartiger Anspruch zu. Sie hat die durch den angefochtenen Bescheid festgesetzte Gebühr in Höhe von insgesamt 23.501,28 Euro bezahlt; der Verwaltungsakt ist damit im Sinne von § 113 Abs. 1 Satz 2 VwGO „vollzogen“. Der Folgenbeseitigungsanspruch der Klägerin ergibt sich aus § 21 Abs. 1 VwKostG. Danach sind überzahlte oder zu Unrecht erhobene Kosten unverzüglich zu erstatten.

30

Auch der Zinsanspruch ist begründet. Da die Klägerin die Rückzahlung des vorausgeleisteten Betrages von Anfang an mit ihrer Anfechtungsklage verbunden hatte und auf diesen bezifferten Geldleistungsanspruch § 291 BGB entsprechend anwendbar ist (BVerwG, Urteil vom 24. März 1999 – 8 C 27/97 –, juris Rn. 22), stehen ihr Prozesszinsen ab Rechtshängigkeit, d.h. seit dem 8. Oktober 2010, in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu (§ 288 Abs. 1 Satz 2 BGB).

31

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 und in entsprechender Anwendung von § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.

32

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 132 Abs. 2 VwGO) liegen nicht vor.


(1) Ausnahmegerichte sind unzulässig. Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden.

(2) Gerichte für besondere Sachgebiete können nur durch Gesetz errichtet werden.

(1) Das Präsidium bestimmt die Besetzung der Spruchkörper, bestellt die Ermittlungsrichter, regelt die Vertretung und verteilt die Geschäfte. Es trifft diese Anordnungen vor dem Beginn des Geschäftsjahres für dessen Dauer. Der Präsident bestimmt, welche richterlichen Aufgaben er wahrnimmt. Jeder Richter kann mehreren Spruchkörpern angehören.

(2) Vor der Geschäftsverteilung ist den Richtern, die nicht Mitglied des Präsidiums sind, Gelegenheit zur Äußerung zu geben.

(3) Die Anordnungen nach Absatz 1 dürfen im Laufe des Geschäftsjahres nur geändert werden, wenn dies wegen Überlastung oder ungenügender Auslastung eines Richters oder Spruchkörpers oder infolge Wechsels oder dauernder Verhinderung einzelner Richter nötig wird. Vor der Änderung ist den Vorsitzenden Richtern, deren Spruchkörper von der Änderung der Geschäftsverteilung berührt wird, Gelegenheit zu einer Äußerung zu geben.

(4) Das Präsidium kann anordnen, daß ein Richter oder Spruchkörper, der in einer Sache tätig geworden ist, für diese nach einer Änderung der Geschäftsverteilung zuständig bleibt.

(5) Soll ein Richter einem anderen Spruchkörper zugeteilt oder soll sein Zuständigkeitsbereich geändert werden, so ist ihm, außer in Eilfällen, vorher Gelegenheit zu einer Äußerung zu geben.

(6) Soll ein Richter für Aufgaben der Justizverwaltung ganz oder teilweise freigestellt werden, so ist das Präsidium vorher zu hören.

(7) Das Präsidium entscheidet mit Stimmenmehrheit. § 21i Abs. 2 gilt entsprechend.

(8) Das Präsidium kann beschließen, dass Richter des Gerichts bei den Beratungen und Abstimmungen des Präsidiums für die gesamte Dauer oder zeitweise zugegen sein können. § 171b gilt entsprechend.

(9) Der Geschäftsverteilungsplan des Gerichts ist in der von dem Präsidenten oder aufsichtführenden Richter bestimmten Geschäftsstelle des Gerichts zur Einsichtnahme aufzulegen; einer Veröffentlichung bedarf es nicht.

(1) Ausnahmegerichte sind unzulässig. Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden.

(2) Gerichte für besondere Sachgebiete können nur durch Gesetz errichtet werden.

(1) Das Präsidium bestimmt die Besetzung der Spruchkörper, bestellt die Ermittlungsrichter, regelt die Vertretung und verteilt die Geschäfte. Es trifft diese Anordnungen vor dem Beginn des Geschäftsjahres für dessen Dauer. Der Präsident bestimmt, welche richterlichen Aufgaben er wahrnimmt. Jeder Richter kann mehreren Spruchkörpern angehören.

(2) Vor der Geschäftsverteilung ist den Richtern, die nicht Mitglied des Präsidiums sind, Gelegenheit zur Äußerung zu geben.

(3) Die Anordnungen nach Absatz 1 dürfen im Laufe des Geschäftsjahres nur geändert werden, wenn dies wegen Überlastung oder ungenügender Auslastung eines Richters oder Spruchkörpers oder infolge Wechsels oder dauernder Verhinderung einzelner Richter nötig wird. Vor der Änderung ist den Vorsitzenden Richtern, deren Spruchkörper von der Änderung der Geschäftsverteilung berührt wird, Gelegenheit zu einer Äußerung zu geben.

(4) Das Präsidium kann anordnen, daß ein Richter oder Spruchkörper, der in einer Sache tätig geworden ist, für diese nach einer Änderung der Geschäftsverteilung zuständig bleibt.

(5) Soll ein Richter einem anderen Spruchkörper zugeteilt oder soll sein Zuständigkeitsbereich geändert werden, so ist ihm, außer in Eilfällen, vorher Gelegenheit zu einer Äußerung zu geben.

(6) Soll ein Richter für Aufgaben der Justizverwaltung ganz oder teilweise freigestellt werden, so ist das Präsidium vorher zu hören.

(7) Das Präsidium entscheidet mit Stimmenmehrheit. § 21i Abs. 2 gilt entsprechend.

(8) Das Präsidium kann beschließen, dass Richter des Gerichts bei den Beratungen und Abstimmungen des Präsidiums für die gesamte Dauer oder zeitweise zugegen sein können. § 171b gilt entsprechend.

(9) Der Geschäftsverteilungsplan des Gerichts ist in der von dem Präsidenten oder aufsichtführenden Richter bestimmten Geschäftsstelle des Gerichts zur Einsichtnahme aufzulegen; einer Veröffentlichung bedarf es nicht.

(1) Ausnahmegerichte sind unzulässig. Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden.

(2) Gerichte für besondere Sachgebiete können nur durch Gesetz errichtet werden.

Tenor

Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Köln vom 30. August 2017 - 11 L 2304/17 - und der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 26. Oktober 2017 verletzen das Recht des Beschwerdeführers aus Artikel 101 Absatz 1 Satz 2 des Grundgesetzes. Die Entscheidungen werden aufgehoben und die Sache an das Verwaltungsgericht Köln zurückverwiesen.

Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

Das Land Nordrhein-Westfalen hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen für das Verfassungsbeschwerdeverfahren und für das Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu erstatten.

Der Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit wird für das Verfassungsbeschwerdeverfahren auf 10.000 € (in Worten: zehntausend Euro) und für den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung auf 5.000 € (in Worten: fünftausend Euro) festgesetzt.

Gründe

I.

1

1. Der Beschwerdeführer ist marokkanischer Staatsangehöriger. Er reiste am 15. März 1989 im Wege der Familienzusammenführung in die Bundesrepublik Deutschland ein.

2

2. Mit Verfügung vom 20. März 2014 wies die Ausländerbehörde des Rhein-Sieg-Kreises den Beschwerdeführer nach zuvor erfolgter Anhörung gemäß § 53 Nr. 1 und 2 AufenthG aus, ordnete die sofortige Vollziehbarkeit der Ausweisung an und drohte dem Beschwerdeführer die Abschiebung nach Marokko an. Er sei wegen einer Vielzahl von Eigentums- und Vermögensdelikten sowie des Erwerbs und Handeltreibens mit Betäubungsmitteln strafrechtlich in Erscheinung getreten und innerhalb von fünf Jahren zu mehreren Freiheitsstrafen von zusammen mindestens drei Jahren verurteilt worden. Er habe seine seit 18 Jahren bestehende Drogenabhängigkeit in mehreren Therapien nicht bekämpfen können und sei selbst während seines Strafvollzugs straffällig geworden. Eine trennungsbedingte Belastung sei dem Beschwerdeführer und seiner Familie zuzumuten, weil die Ausweisung aufgrund immer wiederkehrender schwerwiegender Straftaten erfolge. Von dem Beschwerdeführer, der seinen Drogenkonsum im Wege der Beschaffungskriminalität finanziere, gehe eine besondere Gefährlichkeit aus. Die Beziehung zu seiner Lebensgefährtin sei nicht durch Art. 6 GG geschützt. Auch wenn der Beschwerdeführer lange in Deutschland gelebt habe, sei es ihm nicht gelungen, sich in das wirtschaftliche, kulturelle und gesellschaftliche Leben zu integrieren. Duldungsgründe seien nicht ersichtlich.

3

3. In dem gegen diese Ausweisung gerichteten Klageverfahren schlossen der Beschwerdeführer und der Rhein-Sieg-Kreis am 24. Juni 2014 einen Vergleich. Danach sollte dem Beschwerdeführer eine einjährige Duldung erteilt werden, die erlosch, wenn er eine Suchttherapie nicht bis zum 1. September 2014 aufnahm oder diese vorzeitig beendete. Daraufhin nahm der Beschwerdeführer seine Klage zurück. Am 8. August 2014 erhielt er eine einjährige Duldung.

4

4. Unter dem 24. Mai 2017 erhob der Beschwerdeführer beim Verwaltungsgericht Köln Klage, mit der er die Erteilung einer Duldung begehrte. Zugleich stellte er einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung. Für die Verfahren war zu diesem Zeitpunkt nach dem Jahresgeschäftsverteilungsplan des Verwaltungsgerichts dessen 12. Kammer zuständig. Zur Begründung machte der Beschwerdeführer geltend, er habe seine Therapie inzwischen erfolgreich abgeschlossen und befinde sich in einem festen Arbeitsverhältnis. Außerdem sei er seit seiner Haftentlassung im Februar 2015 nicht mehr straffällig geworden. Zudem sei die ihm erteilte Duldung nicht erloschen; ihm sei Anfang des Jahres 2017 sogar die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis in Aussicht gestellt worden.

5

5. Das Verwaltungsgericht änderte seinen Geschäftsverteilungsplan für das Jahr 2017 durch Beschluss des Präsidiums vom 29. Juni 2017. In dieser 5. Änderung des Geschäftsverteilungsplans 2017 ist unter Ziffer II. 6. geregelt:

"Die 12. Kammer gibt die in dem Sachgebiet 0600 [Ausländer- und Aufenthaltsrecht ohne Asyl] im Jahr 2017 eingegangenen und noch anhängigen Verfahren aus dem Rhein-Sieg-Kreis und aus dem Oberbergischen Kreis an die 11. Kammer ab."

6

Der Übergang der unter Ziffer II. 6. genannten Verfahren auf die 11. Kammer des Verwaltungsgerichts erfolgte nach Ziffer I. 2. des Beschlusses vom 29. Juni 2017 zum 1. August 2017. Unter Ziffer II. 8. dieses Beschlusses findet sich die folgende Regelung:

"Ist bei den unter den Ziffern 6 und 7 genannten Verfahren von der abgebenden Kammer ein Termin zur mündlichen Verhandlung durchgeführt oder ein Gerichtsbescheid erlassen worden oder ist zum Zeitpunkt des Übergangs ein Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt oder ist ein Teil-/Zwischenurteil ergangen, so bleibt die Sache in der bisher zuständigen Kammer."

7

Mit Schreiben vom 1. August 2017 teilte das Verwaltungsgericht dem Beschwerdeführer mit, dass aufgrund der Änderung des Geschäftsverteilungsplans vom 29. Juni 2017 nun die 11. Kammer des Verwaltungsgerichts für seine Verfahren zuständig sei.

8

6. Mit Beschluss vom 30. August 2017 lehnte die 11. Kammer des Verwaltungsgerichts den Antrag des Beschwerdeführers auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ab. Seine Ausweisung sei durch Klagerücknahme im vorangegangenen gerichtlichen Verfahren bestandskräftig und binde das Verwaltungsgericht, soweit sich aus dem Vergleich vom 24. Juni 2014 oder aus zwischenzeitlichen Änderungen nichts Anderes ergebe. Der Beschwerdeführer habe keinen Anspruch auf Erteilung einer Duldung. Ein solcher Anspruch folge weder aus dem am 24. Juni 2014 geschlossenen Vergleich noch aus einem Vertrauenstatbestand oder Art. 6 GG beziehungsweise Art. 8 EMRK.

9

7. Gegen diesen Beschluss erhob der Beschwerdeführer Beschwerde zum Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen. Der Beschluss verstoße gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, weil die Änderung der Zuständigkeit für die Verfahren des Beschwerdeführers mit dem Gebot des gesetzlichen Richters nicht vereinbar sei. Die 5. Änderung des Geschäftsverteilungsplans des Verwaltungsgerichts für das Jahr 2017 regele die Frage des Umgangs mit bereits anhängigen Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz nicht. Dies sei jedoch erforderlich gewesen, weil es sich um eigenständige Verfahren handele. Es sei nicht eindeutig festgelegt, welcher Spruchkörper zur Entscheidung der entsprechenden Einzelfälle im Eilrechtsschutz berufen sei. Die Regelung in dem Präsidiumsbeschluss vom 29. Juni 2017, nach der im Falle einer bereits terminierten mündlichen Verhandlung kein Übergang des Verfahrens zum 1. August 2017 erfolge, biete zudem Raum für Manipulationen. Im Zeitraum zwischen dem 29. Juni 2017 und dem 1. August 2017 habe auch im Eilverfahren eine mündliche Verhandlung terminiert werden können, um den Übergang von Eilverfahren auf die andere Kammer zu verhindern. Diese Stichtagsregelung verletze die generell-abstrakte Zuständigkeitsbegründung im Voraus, weil sie die Zuständigkeit des jeweiligen Spruchkörpers von einem später eintretenden Umstand abhängig mache. Damit werde sie den Anforderungen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 23. Dezember 2016 - 2 BvR 2023/16 -, juris) an die Gewährleistung des gesetzlichen Richters nicht gerecht. In der 8. Änderung des Geschäftsverteilungsplans habe das Verwaltungsgericht hingegen geregelt, dass Verfahren, bei denen ein zugehöriges Eilverfahren in der ursprünglich zuständigen Kammer anhängig sei, in dieser Kammer verblieben. Eine solche Regelung fehle in dem Beschluss vom 29. Juni 2017. Das Verwaltungsgericht habe nicht erklärt, dass die Verfahren des Beschwerdeführers zur Gewährleistung von Rechtsschutz innerhalb angemessener Zeit auf eine andere Kammer hätten übertragen werden müssen. Zudem sei der Beschluss des Verwaltungsgerichts in der Sache fehlerhaft, weil aus der faktischen weiteren Duldung ein Vertrauenstatbestand erwachsen sei und der Beschwerdeführer inzwischen erfolgreich eine Entzugstherapie durchgeführt habe und einer Vollzeitbeschäftigung nachgehe.

10

Mit Beschluss vom 26. Oktober 2017, zugestellt am 2. November 2017, wies das Oberverwaltungsgericht die Beschwerde des Beschwerdeführers zurück. Seinen Ausführungen zu der Änderung des Geschäftsverteilungsplans sei kein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG zu entnehmen. Zudem sei aus der Beschwerdeschrift für die Frage, ob dem Beschwerdeführer ein materiell-rechtlicher Duldungsanspruch zustehe, nichts abzuleiten.

II.

11

1. Der Beschwerdeführer hat am 3. Dezember 2017 gegen die Ausweisungsverfügung sowie die Beschlüsse des Verwaltungsgerichts und des Oberverwaltungsgerichts Verfassungsbeschwerde erhoben und den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt. Er rügt die Verletzung seines Rechts aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG.

12

Zur Begründung wiederholt er den mit seiner Beschwerde im fachgerichtlichen Verfahren geltend gemachten Vortrag. Ergänzend führt er an, dass sich die 12. Kammer des Verwaltungsgerichts vor dem Übergang des Eilverfahrens bereits mit der Sache befasst habe. Der Vorsitzende der 12. Kammer habe die Auskunft gegeben, dass noch eine Stellungnahme durch den Beschwerdeführer erfolgen könne, bevor ein Beschluss ergehen werde. Daher sei unklar, inwiefern die Abgabe der Verfahren an eine andere Kammer eine Beschleunigung darstelle. Das Recht auf den gesetzlichen Richter werde hier dadurch verstärkt, dass der Beschwerdeführer um einen Verbleib im Bundesgebiet streite. Es fehle auch an einer Dokumentation der Gründe für die Übertragung der Verfahren von der 12. auf die 11. Kammer des Verwaltungsgerichts.

13

2. Die Akten der Ausgangsverfahren haben dem Bundesverfassungsgericht vorgelegen. Die Bundesregierung und das Ministerium der Justiz des Landes Nordrhein-Westfalen haben von ihrem Recht zur Äußerung keinen Gebrauch gemacht.

III.

14

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt. Die Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor. Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich begründet. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist zur Durchsetzung des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG angezeigt. Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen hat das Bundesverfassungsgericht bereits geklärt.

15

1. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts verletzt den Beschwerdeführer in seinem Recht aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG.

16

a) Mit der Garantie des gesetzlichen Richters will Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG der Gefahr vorbeugen, dass die Justiz durch eine Manipulation der rechtsprechenden Organe sachfremden Einflüssen ausgesetzt wird. Es soll vermieden werden, dass durch eine auf den Einzelfall bezogene Auswahl der zur Entscheidung berufenen Richter das Ergebnis der Entscheidung - gleichgültig von welcher Seite - beeinflusst werden kann (vgl. BVerfGE 17, 294 <299>; 48, 246 <254>; 82, 286 <296>; 95, 322 <327>).

17

Aus diesem Zweck des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG folgt, dass die Regelungen, die der Bestimmung des gesetzlichen Richters dienen, im Voraus so eindeutig wie möglich festlegen müssen, welches Gericht, welcher Spruchkörper und welche Richter zur Entscheidung des Einzelfalls berufen sind. Auch die die gesetzlichen Bestimmungen ergänzenden Regelungen über die Geschäftsverteilung in den jährlich aufzustellenden Geschäftsverteilungsplänen der Gerichte, die die Zuständigkeit der jeweiligen Spruchkörper und ihre Zusammensetzung festlegen, müssen die wesentlichen Merkmale gesetzlicher Vorschriften aufweisen (vgl. BVerfGE 17, 294 <299>; 18, 344 <349>; 95, 322 <328>). Sie müssen also zum einen der Schriftform genügen und zum anderen im Voraus generell-abstrakt die Zuständigkeit der Spruchkörper und die Zuweisung der einzelnen Richter regeln, damit die einzelne Sache "blindlings" aufgrund allgemeiner, vorab festgelegter Merkmale an den entscheidenden Richter gelangt und so der Verdacht einer Manipulation der rechtsprechenden Gewalt ausgeschlossen wird (vgl. BVerfGE 82, 286 <298>; 95, 322 <329>).

18

b) Dies schließt Neuregelungen nicht aus, die die Zuständigkeiten während des laufenden Geschäftsjahres ändern. Die Rechtsprechungstätigkeit der Gerichte und ihrer Spruchkörper oder Abteilungen wird immer wieder auch mit nicht vorhersehbaren Ereignissen und Entwicklungen wie Überlastung, unzureichender oder ungleicher Auslastung, Ausscheiden oder langfristiger Verhinderung einzelner Richter konfrontiert. Solche Umstände erfordern ein Eingreifen des Spruchkörpers oder des Präsidiums, um die Effizienz des Geschäftsablaufs zu erhalten oder wiederherzustellen (vgl. BVerfGE 17, 294 <300>; 18, 344 <349>; 95, 322 <332 f.>).

19

Eine nachträgliche Änderung der Geschäftsverteilung kann geboten sein, wenn nur auf diese Weise dem Verfassungsgebot einer Gewährleistung von Rechtsschutz innerhalb angemessener Zeit (vgl. BVerfGE 55, 349 <369>) nachzukommen ist. Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG steht einer Änderung der Zuständigkeit auch für bereits anhängige Verfahren jedenfalls dann nicht entgegen, wenn die Neuregelung generell gilt und nicht aus sachwidrigen Gründen geschieht (vgl. BVerfGE 24, 33 <54 f.>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 16. Februar 2005 - 2 BvR 581/03 -, juris, Rn. 19). Soweit bereits anhängige Verfahren von einer Neuverteilung bestehender Zuständigkeiten erfasst werden, sind Regelungen nur dann im Voraus generell-abstrakt, wenn die Neuverteilung durch den Geschäftsverteilungsplan selbst erfolgt. Sie sind demgegenüber nicht im Voraus generell-abstrakt, wenn sie im Einzelfall sowohl die Neuverteilung als auch die Beibehaltung bestehender Zuständigkeiten ermöglichen und dabei die konkreten Zuständigkeiten von Beschlüssen einzelner Spruchkörper abhängig machen (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 23. Dezember 2016 - 2 BvR 2023/16 -, juris, Rn. 24 ff.).

20

c) Betrifft ein Verfahren die Frage, ob eine Zuständigkeitsregel eines Geschäftsverteilungsplanes überhaupt als generell-abstrakte Regelung im Sinne der Garantie des gesetzlichen Richters anzusehen ist, nimmt das Bundesverfassungsgericht keine bloße Willkürprüfung vor, sondern überprüft vollumfänglich, ob die angewendete Regelung generell-abstrakt ist (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 16. Februar 2005 - 2 BvR 581/03 -, juris, Rn. 21 f.). Lediglich bei der Überprüfung, ob eine im Voraus abstrakt-generelle Zuständigkeitsregel durch einen Spruchkörper im Einzelfall fehlerhaft angewendet oder ausgelegt wurde, beschränkt sich das Bundesverfassungsgericht auf eine Willkürkontrolle (vgl. BVerfGE 82, 159 <194>).

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d) Nach diesen Maßstäben ist der angegriffene Beschluss des Verwaltungsgerichts nicht mit Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG vereinbar. Er erging durch einen Spruchkörper, dessen Zuständigkeit durch eine gegen das Gebot des gesetzlichen Richters verstoßende Änderung des Geschäftsverteilungsplans begründet wurde. Der Übergang der Zuständigkeit für die Verfahren des Beschwerdeführers von der 12. auf die 11. Kammer des Verwaltungsgerichts beruht auf einer Regelung im Geschäftsverteilungsplan, die nicht generell-abstrakt im Voraus die Zuständigkeit eines Spruchkörpers festgelegt hat.

22

Die Bestimmungen unter Ziffer II. 6. und Ziffer II. 8. des Präsidiumsbeschlusses vom 29. Juni 2017 nehmen unter anderem Verfahren von der Übertragung auf die 11. Kammer des Verwaltungsgerichts aus, in denen die abgebende Kammer bis zum Zeitpunkt des Übergangs am 1. August 2017 einen Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt hat oder ein Teil- oder Zwischenurteil ergangen ist. Diese Stichtagslösung räumt der abgebenden Kammer die Möglichkeit ein, innerhalb eines Zeitraums von mehr als einem Monat selbst auf den Übergang von bei ihr anhängigen ausländerrechtlichen Verfahren einzuwirken, indem sie in diesen etwa eine mündliche Verhandlung anberaumt. Dies ist grundsätzlich auch in einem - wie hier der Verfassungsbeschwerde zugrundeliegenden - Eilverfahren möglich (vgl. § 101 Abs. 3 VwGO). Eine ausdrückliche Bestimmung bezüglich des Übergangs von Eilverfahren ist in den Beschluss vom 29. Juni 2017 nicht aufgenommen worden. Die Regelungen in Ziffern II. 6. und 8. des Beschlusses vom 29. Juni 2017 bestimmen für die zu übertragenden Verfahren nicht selbst verbindlich die Zuständigkeit eines konkreten Spruchkörpers. Sie machen die Zuständigkeit des Spruchkörpers davon abhängig, ob die abgebende Kammer noch nach dem Beschlussdatum des 29. Juni 2017 eine mündliche Verhandlung anberaumt. Es ist gerade keine Formulierung gewählt worden, nach der diejenigen Verfahren von der Übertragung ausgenommen sind, in denen bereits im Zeitpunkt der Beschlussfassung am 29. Juni 2017 eine mündliche Verhandlung anberaumt war. Die gewählte Gestaltung der Stichtagsregelung hat es der abgebenden Kammer ermöglicht, die Übertragung von bei ihr anhängigen Verfahren durch Anberaumung einer mündlichen Verhandlung im Zeitraum vom 29. Juni 2017 bis zum 31. Juli 2017 zu verhindern. Eine solche Delegation der Entscheidung über die Geschäftsverteilung an die Spruchkörper, die gerade Adressaten der generell-abstrakten Zuständigkeit sein sollen, ist mit Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG unvereinbar (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 23. Dezember 2016 - 2 BvR 2023/16 -, juris, Rn. 31).

23

2. Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts wiederholt und vertieft die Verletzung des Rechts des Beschwerdeführers aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG.

IV.

24

Das Land Nordrhein-Westfalen hat dem Beschwerdeführer gemäß § 34a Abs. 2 BVerfGG die notwendigen Auslagen zu erstatten. Die Festsetzung des Werts des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 RVG (vgl. BVerfGE 79, 365 <366 ff.>).

9
Zu den grundsätzlich zulässigen Maßnahmen im Sinne des § 21e Abs. 3 GVG zählt die Einrichtung einer Hilfsstrafkammer für eine begrenzte Zeit. Die Regelung der mit der Errichtung einer Hilfsstrafkammer verbundenen Übertragung von Aufgaben der ordentlichen Strafkammer hat dabei denselben Grundsätzen zu folgen wie sonstige Änderungen im Sinne von § 21e Abs. 3 GVG. Insbesondere ist das Abstraktionsprinzip zu beachten. Danach ist die Zuweisung bestimmter einzelner Verfahren regelmäßig unzulässig. Hingegen steht Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG einer Änderung der (funktionellen) Zuständigkeit selbst für bereits anhängige Verfahren dann nicht grundsätzlich entgegen, wenn die Neuregelung generell gilt, also etwa außer mehreren anhängigen Verfahren auch eine unbestimmte Vielzahl künftiger, gleichartiger Fälle erfasst, und nicht aus sachwidrigen Gründen erfolgt.
8
Zu den grundsätzlich zulässigen Maßnahmen im Sinne des § 21e Abs. 3 GVG zählt die Einrichtung einer Hilfsstrafkammer für eine begrenzte Zeit. Die Regelung der mit der Errichtung einer Hilfsstrafkammer verbundenen Übertragung von Aufgaben der ordentlichen Strafkammer hat denselben Grundsätzen zu folgen, wie sonstige Änderungen im Sinne von § 21e Abs. 3 GVG; insbesondere ist auch insoweit das Abstraktionsprinzip zu beachten. Danach ist namentlich die Zuweisung bestimmter einzelner Verfahren regelmäßig unzulässig. Nach diesen Maßstäben steht Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG einer Änderung der (funktionellen) Zuständigkeit für bereits anhängige Verfahren dann nicht entgegen , wenn die Neuregelung generell gilt, also etwa außer mehreren anhängigen Verfahren auch eine unbestimmte Vielzahl künftiger, gleichartiger Fälle erfasst, und nicht aus sachwidrigen Gründen erfolgt. In Ausnahmefällen kann aber auch eine Änderung der Geschäftsverteilung zulässig sein, die der Hilfsstraf- kammer ausschließlich bereits anhängige Verfahren überträgt, wenn nur so dem verfassungs- und konventionsrechtlichen Zügigkeitsgebot insbesondere in Haftsachen (siehe Art. 5 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2, Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK) angemessen Rechnung getragen werden kann (vgl. BGH, Urteil vom 30. Juli 1998 – 5 StR 574/97, BGHSt 44, 161, 165 ff.). Jede Umverteilung, die bereits anhängige Verfahren erfasst, muss zudem geeignet sein, die Effizienz des Geschäftsablaufs zu erhalten oder wiederherzustellen. Denn Änderungen der Geschäftsverteilung , die diesen Anforderungen nicht genügen, sind nicht im Sinne des § 21e Abs. 3 Satz 1 GVG nötig und können vor allem vor Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG keinen Bestand haben (BGH, Urteil vom 9. April 2009 – 3 StR 376/08, BGHSt 53, 268, 271 f. mwN).
11
c) Obwohl die Umverteilung von Geschäftsaufgaben auf eine Hilfsstrafkammer nach diesen Maßstäben grundsätzlich zulässig ist, birgt sie doch stets erhebliche Gefahren für das verfassungsrechtliche Gebot der Gewährleistung des gesetzlichen Richters in sich. Dies gilt in besonderem Maße bei Überleitung bereits bei der überlasteten ordentlichen Strafkammer anhängiger Verfahren in die Zuständigkeit der Hilfsstrafkammer, weil dann schon eine anderweitige Zuständigkeit konkretisiert und begründet worden war. Daher ist es in solchen Fällen geboten, die Gründe, die eine derartige Umverteilung erfordern, zu dokumentieren und den Verfahrensbeteiligten - jedenfalls auf Verlangen - zur Kenntnis zu geben, um "dem Anschein einer willkürlichen Zuständigkeitsverschiebung" entgegen zu wirken (vgl. BVerfG NJW 2005, 2689, 2690; Beschl. vom 18. März 2009 - 2 BvR 229/09). Eine solche Pflicht zur umfassenden, nachvollziehbaren Dokumentation und Darlegung der Gründe besteht auch dann, wenn neben der Umverteilung bereits anhängiger Verfahren auch zukünftig eingehende Sachen auf die Hilfsstrafkammer übertragen werden (vgl. hierzu einschränkend - nicht tragend - BGH - 2. Strafsenat - NStZ 2007, 537; vgl. auch 5. Strafsenat in BGHR GVG § 21 e Abs. 3 Änderung 7; zur Begründungspflicht vgl. Kissel/Mayer aaO § 21 e Rdn. 73 aE; Velten aaO § 21 e Rdn. 30); denn auch bei einer derartigen Änderung der Geschäftsverteilung bedarf die Überleitung schon anhängiger Verfahren in eine neue Zuständigkeit besonderer Rechtfertigung.
21
Nach diesen in ständiger Rechtsprechung wiederholten und vom Schrifttum einhellig geteilten Grundsätzen war die Übertragung des Verfahrens "gegen K. u.a." an die 6. große Strafkammer erkennbar rechtsfehlerhaft, weil es sich dabei um eine unzulässige Einzelzuweisung handelte. Dem steht nicht entgegen, dass eine Entlastung der 4. großen Strafkammer sachgerecht gewesen sein mag und zu diesem Zweck auch die Zuständigkeit für bereits anhängige Verfahren geändert werden darf, denn auch in diesen Fällen muss die Neuregelung generell und abstrakt gelten und darf nicht nur ein bestimmtes, namentlich benanntes Verfahren betreffen (vgl. zur insoweit zulässigen Verteilung bereits anhängiger Verfahren BVerfG, Beschluss vom 18. März 2009 - 2 BvR 229/09, BVerfGK 15, 247, 248 f.).

(1) Das Präsidium bestimmt die Besetzung der Spruchkörper, bestellt die Ermittlungsrichter, regelt die Vertretung und verteilt die Geschäfte. Es trifft diese Anordnungen vor dem Beginn des Geschäftsjahres für dessen Dauer. Der Präsident bestimmt, welche richterlichen Aufgaben er wahrnimmt. Jeder Richter kann mehreren Spruchkörpern angehören.

(2) Vor der Geschäftsverteilung ist den Richtern, die nicht Mitglied des Präsidiums sind, Gelegenheit zur Äußerung zu geben.

(3) Die Anordnungen nach Absatz 1 dürfen im Laufe des Geschäftsjahres nur geändert werden, wenn dies wegen Überlastung oder ungenügender Auslastung eines Richters oder Spruchkörpers oder infolge Wechsels oder dauernder Verhinderung einzelner Richter nötig wird. Vor der Änderung ist den Vorsitzenden Richtern, deren Spruchkörper von der Änderung der Geschäftsverteilung berührt wird, Gelegenheit zu einer Äußerung zu geben.

(4) Das Präsidium kann anordnen, daß ein Richter oder Spruchkörper, der in einer Sache tätig geworden ist, für diese nach einer Änderung der Geschäftsverteilung zuständig bleibt.

(5) Soll ein Richter einem anderen Spruchkörper zugeteilt oder soll sein Zuständigkeitsbereich geändert werden, so ist ihm, außer in Eilfällen, vorher Gelegenheit zu einer Äußerung zu geben.

(6) Soll ein Richter für Aufgaben der Justizverwaltung ganz oder teilweise freigestellt werden, so ist das Präsidium vorher zu hören.

(7) Das Präsidium entscheidet mit Stimmenmehrheit. § 21i Abs. 2 gilt entsprechend.

(8) Das Präsidium kann beschließen, dass Richter des Gerichts bei den Beratungen und Abstimmungen des Präsidiums für die gesamte Dauer oder zeitweise zugegen sein können. § 171b gilt entsprechend.

(9) Der Geschäftsverteilungsplan des Gerichts ist in der von dem Präsidenten oder aufsichtführenden Richter bestimmten Geschäftsstelle des Gerichts zur Einsichtnahme aufzulegen; einer Veröffentlichung bedarf es nicht.

16
aa) Gemäß § 21 e Abs. 3 Satz 1 GVG darf das Präsidium die nach Abs. 1 Satz 1 dieser Vorschrift getroffenen Anordnungen im Laufe des Geschäftsjahres ändern, wenn dies wegen Überlastung eines Spruchkörpers nötig wird. Eine solche liegt vor, wenn über einen längeren Zeitraum ein erheblicher Überhang der Eingänge über die Erledigungen zu verzeichnen ist, sodass mit einer Bearbeitung der Sachen innerhalb eines angemessenen Zeitraumes nicht zu rechnen ist und sich die Überlastung daher als so erheblich darstellt, dass der Ausgleich nicht bis zum Ende des Geschäftsjahres zurückgestellt werden kann (BGH aaO Rdn. 9 m. w. N.). Eine nachträgliche Änderung der Geschäftsverteilung kann auch verfassungsrechtlich geboten sein, wenn nur auf diese Weise die Gewährung von Rechtsschutz innerhalb angemessener Zeit, insbesondere eine beschleunigte Behandlung von Strafsachen, erreicht werden kann. Das Beschleunigungsgebot lässt indes das Recht auf den gesetzlichen Richter nicht vollständig zurücktreten. Vielmehr besteht Anspruch auf eine zügige Entscheidung durch diesen. Daher muss in derartigen Fällen das Recht des Angeklagten auf den gesetzlichen Richter mit dem rechtsstaatlichen Gebot ei- ner funktionstüchtigen Strafrechtspflege und dem verfassungsrechtlichen Beschleunigungsgrundsatz zu einem angemessenen Ausgleich gebracht werden (BVerfG NJW 2005, 2689, 2690; 2009, 1734 f.).

(1) Das Präsidium bestimmt die Besetzung der Spruchkörper, bestellt die Ermittlungsrichter, regelt die Vertretung und verteilt die Geschäfte. Es trifft diese Anordnungen vor dem Beginn des Geschäftsjahres für dessen Dauer. Der Präsident bestimmt, welche richterlichen Aufgaben er wahrnimmt. Jeder Richter kann mehreren Spruchkörpern angehören.

(2) Vor der Geschäftsverteilung ist den Richtern, die nicht Mitglied des Präsidiums sind, Gelegenheit zur Äußerung zu geben.

(3) Die Anordnungen nach Absatz 1 dürfen im Laufe des Geschäftsjahres nur geändert werden, wenn dies wegen Überlastung oder ungenügender Auslastung eines Richters oder Spruchkörpers oder infolge Wechsels oder dauernder Verhinderung einzelner Richter nötig wird. Vor der Änderung ist den Vorsitzenden Richtern, deren Spruchkörper von der Änderung der Geschäftsverteilung berührt wird, Gelegenheit zu einer Äußerung zu geben.

(4) Das Präsidium kann anordnen, daß ein Richter oder Spruchkörper, der in einer Sache tätig geworden ist, für diese nach einer Änderung der Geschäftsverteilung zuständig bleibt.

(5) Soll ein Richter einem anderen Spruchkörper zugeteilt oder soll sein Zuständigkeitsbereich geändert werden, so ist ihm, außer in Eilfällen, vorher Gelegenheit zu einer Äußerung zu geben.

(6) Soll ein Richter für Aufgaben der Justizverwaltung ganz oder teilweise freigestellt werden, so ist das Präsidium vorher zu hören.

(7) Das Präsidium entscheidet mit Stimmenmehrheit. § 21i Abs. 2 gilt entsprechend.

(8) Das Präsidium kann beschließen, dass Richter des Gerichts bei den Beratungen und Abstimmungen des Präsidiums für die gesamte Dauer oder zeitweise zugegen sein können. § 171b gilt entsprechend.

(9) Der Geschäftsverteilungsplan des Gerichts ist in der von dem Präsidenten oder aufsichtführenden Richter bestimmten Geschäftsstelle des Gerichts zur Einsichtnahme aufzulegen; einer Veröffentlichung bedarf es nicht.

(1) Ausnahmegerichte sind unzulässig. Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden.

(2) Gerichte für besondere Sachgebiete können nur durch Gesetz errichtet werden.

(1) Das Präsidium bestimmt die Besetzung der Spruchkörper, bestellt die Ermittlungsrichter, regelt die Vertretung und verteilt die Geschäfte. Es trifft diese Anordnungen vor dem Beginn des Geschäftsjahres für dessen Dauer. Der Präsident bestimmt, welche richterlichen Aufgaben er wahrnimmt. Jeder Richter kann mehreren Spruchkörpern angehören.

(2) Vor der Geschäftsverteilung ist den Richtern, die nicht Mitglied des Präsidiums sind, Gelegenheit zur Äußerung zu geben.

(3) Die Anordnungen nach Absatz 1 dürfen im Laufe des Geschäftsjahres nur geändert werden, wenn dies wegen Überlastung oder ungenügender Auslastung eines Richters oder Spruchkörpers oder infolge Wechsels oder dauernder Verhinderung einzelner Richter nötig wird. Vor der Änderung ist den Vorsitzenden Richtern, deren Spruchkörper von der Änderung der Geschäftsverteilung berührt wird, Gelegenheit zu einer Äußerung zu geben.

(4) Das Präsidium kann anordnen, daß ein Richter oder Spruchkörper, der in einer Sache tätig geworden ist, für diese nach einer Änderung der Geschäftsverteilung zuständig bleibt.

(5) Soll ein Richter einem anderen Spruchkörper zugeteilt oder soll sein Zuständigkeitsbereich geändert werden, so ist ihm, außer in Eilfällen, vorher Gelegenheit zu einer Äußerung zu geben.

(6) Soll ein Richter für Aufgaben der Justizverwaltung ganz oder teilweise freigestellt werden, so ist das Präsidium vorher zu hören.

(7) Das Präsidium entscheidet mit Stimmenmehrheit. § 21i Abs. 2 gilt entsprechend.

(8) Das Präsidium kann beschließen, dass Richter des Gerichts bei den Beratungen und Abstimmungen des Präsidiums für die gesamte Dauer oder zeitweise zugegen sein können. § 171b gilt entsprechend.

(9) Der Geschäftsverteilungsplan des Gerichts ist in der von dem Präsidenten oder aufsichtführenden Richter bestimmten Geschäftsstelle des Gerichts zur Einsichtnahme aufzulegen; einer Veröffentlichung bedarf es nicht.

9
Zu den grundsätzlich zulässigen Maßnahmen im Sinne des § 21e Abs. 3 GVG zählt die Einrichtung einer Hilfsstrafkammer für eine begrenzte Zeit. Die Regelung der mit der Errichtung einer Hilfsstrafkammer verbundenen Übertragung von Aufgaben der ordentlichen Strafkammer hat dabei denselben Grundsätzen zu folgen wie sonstige Änderungen im Sinne von § 21e Abs. 3 GVG. Insbesondere ist das Abstraktionsprinzip zu beachten. Danach ist die Zuweisung bestimmter einzelner Verfahren regelmäßig unzulässig. Hingegen steht Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG einer Änderung der (funktionellen) Zuständigkeit selbst für bereits anhängige Verfahren dann nicht grundsätzlich entgegen, wenn die Neuregelung generell gilt, also etwa außer mehreren anhängigen Verfahren auch eine unbestimmte Vielzahl künftiger, gleichartiger Fälle erfasst, und nicht aus sachwidrigen Gründen erfolgt.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Im Rechtsmittelverfahren bestimmt sich der Streitwert nach den Anträgen des Rechtsmittelführers. Endet das Verfahren, ohne dass solche Anträge eingereicht werden, oder werden, wenn eine Frist für die Rechtsmittelbegründung vorgeschrieben ist, innerhalb dieser Frist Rechtsmittelanträge nicht eingereicht, ist die Beschwer maßgebend.

(2) Der Streitwert ist durch den Wert des Streitgegenstands des ersten Rechtszugs begrenzt. Das gilt nicht, soweit der Streitgegenstand erweitert wird.

(3) Im Verfahren über den Antrag auf Zulassung des Rechtsmittels und im Verfahren über die Beschwerde gegen die Nichtzulassung des Rechtsmittels ist Streitwert der für das Rechtsmittelverfahren maßgebende Wert.

(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.

(2) Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist ein Streitwert von 5 000 Euro anzunehmen.

(3) Betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf bezogenen Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend. Hat der Antrag des Klägers offensichtlich absehbare Auswirkungen auf künftige Geldleistungen oder auf noch zu erlassende, auf derartige Geldleistungen bezogene Verwaltungsakte, ist die Höhe des sich aus Satz 1 ergebenden Streitwerts um den Betrag der offensichtlich absehbaren zukünftigen Auswirkungen für den Kläger anzuheben, wobei die Summe das Dreifache des Werts nach Satz 1 nicht übersteigen darf. In Verfahren in Kindergeldangelegenheiten vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit ist § 42 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 3 entsprechend anzuwenden; an die Stelle des dreifachen Jahresbetrags tritt der einfache Jahresbetrag.

(4) In Verfahren

1.
vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit, mit Ausnahme der Verfahren nach § 155 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung und der Verfahren in Kindergeldangelegenheiten, darf der Streitwert nicht unter 1 500 Euro,
2.
vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit und bei Rechtsstreitigkeiten nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz nicht über 2 500 000 Euro,
3.
vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit über Ansprüche nach dem Vermögensgesetz nicht über 500 000 Euro und
4.
bei Rechtsstreitigkeiten nach § 36 Absatz 6 Satz 1 des Pflegeberufegesetzes nicht über 1 500 000 Euro
angenommen werden.

(5) Solange in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit der Wert nicht festgesetzt ist und sich der nach den Absätzen 3 und 4 Nummer 1 maßgebende Wert auch nicht unmittelbar aus den gerichtlichen Verfahrensakten ergibt, sind die Gebühren vorläufig nach dem in Absatz 4 Nummer 1 bestimmten Mindestwert zu bemessen.

(6) In Verfahren, die die Begründung, die Umwandlung, das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Beendigung eines besoldeten öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnisses betreffen, ist Streitwert

1.
die Summe der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen, wenn Gegenstand des Verfahrens ein Dienst- oder Amtsverhältnis auf Lebenszeit ist,
2.
im Übrigen die Hälfte der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen.
Maßgebend für die Berechnung ist das laufende Kalenderjahr. Bezügebestandteile, die vom Familienstand oder von Unterhaltsverpflichtungen abhängig sind, bleiben außer Betracht. Betrifft das Verfahren die Verleihung eines anderen Amts oder den Zeitpunkt einer Versetzung in den Ruhestand, ist Streitwert die Hälfte des sich nach den Sätzen 1 bis 3 ergebenden Betrags.

(7) Ist mit einem in Verfahren nach Absatz 6 verfolgten Klagebegehren ein aus ihm hergeleiteter vermögensrechtlicher Anspruch verbunden, ist nur ein Klagebegehren, und zwar das wertmäßig höhere, maßgebend.

(8) Dem Kläger steht gleich, wer sonst das Verfahren des ersten Rechtszugs beantragt hat.