Bundesverfassungsgericht Stattgebender Kammerbeschluss, 25. Apr. 2018 - 2 BvR 2435/17

ECLI:ECLI:DE:BVerfG:2018:rk20180425.2bvr243517
bei uns veröffentlicht am25.04.2018

Tenor

Das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 13. September 2017 - A 12 K 2159/17 - verletzt das Recht des Beschwerdeführers aus Artikel 19 Absatz 4 Satz 1 in Verbindung mit Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes. Die Entscheidung wird aufgehoben und die Sache an das Verwaltungsgericht Stuttgart zurückverwiesen.

Das Land Baden-Württemberg hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen für das Verfassungsbeschwerdeverfahren zu erstatten.

Der Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit wird für das Verfassungsbeschwerdeverfahren auf 10.000 € (in Worten: zehntausend Euro) festgesetzt.

Gründe

I.

1

1. Der am 9. November 1998 geborene Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger paschtunischer Volkszugehörigkeit und stammt aus der Region Kundus.

2

Der Beschwerdeführer verließ sein Heimatland im Jahr 2015. Er reiste 2016 als unbegleiteter Minderjähriger in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte im September 2016 einen Asylantrag. Diesen begründete er damit, dass er aus Afghanistan geflohen sei, weil er im Zusammenhang mit einer bewaffneten Aus-einandersetzung mit den Taliban in seinem Heimatdorf Bakhi Kali in deren Visier geraten sei. Die Taliban hätten von seinem Vater Getreide herausverlangt. Sein Vater habe sich jedoch geweigert. Als die Taliban ihn - den Beschwerdeführer - nach Hause geschickt hätten, um Säcke zu holen, habe er den Bürgermeister des Dorfes benachrichtigt. Als dieser zusammen mit weiteren Dorfbewohnern seinem Vater zu Hilfe gekommen sei, sei es zu einem Schusswechsel mit den Taliban gekommen, bei dem sein Vater verletzt und zwei Taliban getötet worden seien. Während er bei seinem Vater in Kundus im Krankenhaus gewesen sei, seien der Bürgermeister und die Dorfbewohner, die an dem Vorfall beteiligt gewesen seien, von den Taliban erschossen worden. Seine Mutter habe berichtet, dass die Taliban zu ihnen nach Hause gekommen seien, nach ihm gefragt und anschließend das Haus niedergebrannt hätten. Sie hätten ihn als Verräter bezeichnet und ein Bild von ihm mitgenommen. Eine Woche nach dem Vorfall sei er ausgereist. Seine Eltern lebten jetzt bei seinem Großvater in Kundus, wo sie keine Probleme mit den Taliban hätten.

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2. Mit Bescheid vom 13. Februar 2017 lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Beschwerdeführers als (einfach) unbegründet ab und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen. Zugleich drohte es die Abschiebung nach Afghanistan an.

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3. Der Beschwerdeführer erhob am 20. Februar 2017 Klage, die er auf die Zuerkennung internationalen Schutzes und die Feststellung von nationalen Abschiebungsverboten beschränkte. Er legte zur Begründung mehrere erstinstanzliche Urteile sowie einen Bericht des Immigration and Refugee Board of Canada (Januar 2016) zum Einfluss der Taliban vor. Außerdem wies er darauf hin, dass der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg in mehreren Verfahren die Berufung gegen erstinstanzliche Entscheidungen zugelassen habe, in denen die Klage auf Zuerkennung subsidiären Schutzes und auf Feststellung von Abschiebungsverboten abgewiesen worden seien, und zwar wegen grundsätzlicher Bedeutung unter anderem der Frage, ob junge, gesunde, alleinstehende Männer eine ausreichende Existenzgrundlage in den als interne Schutzmöglichkeit benannten Regionen erlangen könnten. Schließlich verwies er zur allgemeinen Sicherheitslage in Afghanistan auf Berichte von EASO, der Schweizer Flüchtlingshilfe, des Auswärtigen Amtes und von UNAMA (Dezember 2013 bis August 2017). Ferner machte er unter Vorlage einer fachpsychologischen Stellungnahme der Psychologischen Beratungsstelle Aalen vom 7. September 2017 und unter Verweis auf eine Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 5. April 2017 geltend, dass er angesichts seiner psychischen Erkrankung und deren Behandlungsbedürftigkeit nicht auf eine innerstaatliche Fluchtalternative verwiesen werden könne. Aus seiner Erkrankung folge auch ein nationales Abschiebungsverbot, weil er die notwendige psychotherapeutische Behandlung in Afghanistan nicht erhalten könne.

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4. Mit Urteil vom 13. September 2017, zugestellt am 6. Oktober 2017, wies das Verwaltungsgericht die Klage auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und subsidiären Schutzes als offensichtlich unbegründet, im Übrigen als einfach unbegründet ab. Es wertete den Vortrag des Beschwerdeführers als unglaubhaft, weil widersprüchlich und ungereimt. Da dies offensichtlich sei, werde die Klage als offensichtlich unbegründet abgewiesen. Die Einschätzung werde selbständig tragend auch auf § 30 Abs. 3 Nr. 1 AsylG gestützt.

6

Ein Anspruch auf Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG bestehe ebenfalls nicht. Allgemeine Gefahren wie Sicherheitsprobleme und schlechte Lebensbedingungen könnten nur dann zu einem Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führen, wenn der Ausländer gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde. Dafür bestünden aufgrund der Berichte des Auswärtigen Amtes vom 28. Juli 2017 und vom 19. Oktober 2016 sowie der Auskunft des UNHCR von Dezember 2016 keine hinreichenden Anhaltspunkte. Dabei werde nicht übersehen, dass die Umstände in Afghanistan auch durch militärische Auseinandersetzungen und andere Binnenkonflikte, Selbstmordanschläge und Versorgungsmängel (mit) geprägt würden. Allerdings sei in vielen Regionen die Sicherheitslage gar nicht so schlecht und in fast allen Regionen die Arbeitslosigkeit das größte Problem. Es ergebe sich auch keine individuelle Gefahr aus der geltend gemachten psychischen Erkrankung. Die fachpsychologische Stellungnahme entspreche nicht den an solche Stellungnahmen zu stellenden Anforderungen.

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Das Verwaltungsgericht lehnte außerdem drei in der mündlichen Verhandlung gestellte Hilfsbeweisanträge zu einer landesweit drohenden Verfolgung durch die Taliban, zu einer fehlenden zumutbaren Lebensperspektive in den sogenannten "sicheren Gebieten" aufgrund der gegenwärtigen Lage in Afghanistan und zu einer fehlenden Behandelbarkeit der psychischen Erkrankung in Afghanistan ab.

II.

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1. Der Beschwerdeführer hat am 3. November 2017 Verfassungsbeschwerde erhoben. Er rügt eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 4 Satz 1 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG.

9

Die angegriffene Entscheidung sei willkürlich und verletze ihn in seinem Grundrecht nach Art. 3 Abs. 1 GG. Fehlerhafte Rechtsanwendung allein mache eine Gerichtsentscheidung zwar nicht objektiv willkürlich. Schlechterdings unhaltbar sei eine fachgerichtliche Entscheidung aber dann, wenn eine offensichtlich einschlägige Norm nicht berücksichtigt, der Inhalt einer Norm in krasser Weise missverstanden oder sonst in nicht mehr nachvollziehbarer Weise angewendet werde. Ersteres sei hier der Fall. Das Verwaltungsgericht habe die Klage sowohl hinsichtlich der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft als auch hinsichtlich der Zuerkennung subsidiären Schutzes als offensichtlich unbegründet abgewiesen. Es habe das Offensichtlichkeitsurteil allerdings nur darauf gestützt, dass der Vortrag zum individuellen Verfolgungsschicksal krass widersprüchlich und ungereimt sei und dass die Klage insoweit als offensichtlich unbegründet abzuweisen sei. Das Urteil enthalte hingegen keinerlei Ausführungen dazu, ob aufgrund der allgemeinen Gefahrenlage in Afghanistan die Voraussetzungen des subsidiären Schutzes gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 2 und Nr. 3 AsylG erfüllt seien, geschweige denn, ob und weshalb die Voraussetzungen dieser Vorschrift "offensichtlich" nicht vorlägen. Diese Norm sei von dem Verwaltungsgericht offensichtlich nicht gesehen beziehungsweise angewandt worden.

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Die Frage, ob aufgrund der allgemeinen Gefahrenlage in Afghanistan ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 3 AsylG vorliege, habe sich angesichts der aktuellen Auskunftslage sowie der Verschärfung der Sicherheitslage innerhalb der letzten ein bis zwei Jahre jedoch aufgedrängt und sei auch entscheidungserheblich. Dies ergebe sich aus den im Klageverfahren vorgelegten Erkenntnissen sowie aus dem Afghanistan-Bericht des UNHCR vom Dezember 2016, in dem die Auffassung vertreten werde, dass das gesamte Staatsgebiet Afghanistans von einem innerstaatlichen Konflikt betroffen sei. Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg habe zudem mit Beschluss vom 4. April 2017 - A 11 S 737/17 - die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Frage nach einem in Afghanistan insgesamt bestehenden innerstaatlichen Konflikt zugelassen. Außerdem habe das Verwaltungsgericht prüfen müssen, ob bei einer Rückkehr des Beschwerdeführers nach Afghanistan eine erniedrigende Behandlung im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 2 AsylG in Verbindung mit Art. 3 EMRK drohe. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte könnten auch schlechte humanitäre Verhältnisse unter bestimmten Voraussetzungen ausnahmsweise als unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu bewerten sein. Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg habe mit Beschluss vom 24. Juli 2017 - A 11 S 1647/17 - die Berufung unter anderem im Hinblick auf die Frage zugelassen, ob die schlechte humanitäre Lage in Afghanistan auf einen Akteur im Sinne des § 3c AsylG zurückgehe.

11

Es sei willkürlich, dass das Verwaltungsgericht die Versorgungslage in Afghanistan nicht mit Blick auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes geprüft habe, sondern nur in Bezug auf das Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Schließlich habe das Verwaltungsgericht auch keinerlei Ausführungen zum Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG in Verbindung mit Art. 3 EMRK gemacht, obwohl hierzu einschlägige Rechtsprechung vorgelegt worden sei. Außerdem sei darauf hingewiesen worden, dass der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg die Berufung sowohl zu der Frage zugelassen habe, ob wegen der allgemeinen Versorgungslage ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG in Verbindung mit Art. 3 EMRK vorliege, als auch zu der Frage, ob es im Hinblick auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 13. Dezember 2016 - 41738/10 - (Popashvili) für einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK ausreiche, dass es im Falle einer Abschiebung zu einem ernsthaften, schnellen und unumkehrbaren Verfall der Existenzbedingungen komme, der zu intensivem Leiden oder einer signifikanten Verkürzung der Lebenserwartung führe. Die unterlassene Prüfung dieser entscheidungserheblichen Fragen begründe keinen Gehörsmangel, sondern vielmehr einen schwerwiegenden materiellen Rechtsfehler, der rechtlich nicht mehr vertretbar und damit willkürlich sei.

12

Das Versäumnis des Verwaltungsgerichts führe außerdem zu einer Verletzung von Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG. Die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die unanfechtbare Abweisung einer Klage als offensichtlich unbegründet gemäß § 78 Abs. 1 AsylG verlangten, dass sich die auf der Hand liegende Aussichtslosigkeit der Klage eindeutig aus der Entscheidung selbst ergeben müsse und die diesbezüglichen Annahmen auf einer hinreichend verlässlichen Grundlage beruhen müssten. Das Offensichtlichkeitsurteil müsse sich insbesondere auf den gesamten Streitgegenstand der Asylklage, also sowohl auf die Frage der Flüchtlingseigenschaft als auch auf den subsidiären Schutz erstrecken. Das Verwaltungsgericht habe die Abweisung der Klage als offensichtlich unbegründet jedoch allein damit begründet, dass es den Vortrag zum individuellen Verfolgungsschicksal als krass widersprüchlich und damit unglaubhaft eingestuft, und das Offensichtlichkeitsurteil auf § 30 Abs. 1 AsylG und § 30 Abs. 3 Nr. 1 AsylG gestützt habe. Soweit es um die Beurteilung der individuellen Angaben gehe, möge diese Begründung den verfassungsrechtlichen Maßstäben noch genügen. Es sei jedoch von Verfassungs wegen zu beanstanden, dass das Urteil zu der entscheidungserheblichen Frage, ob aufgrund der allgemeinen Gefahrenlage in Afghanistan ein ernsthafter Schaden im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 2 oder Nr. 3 AsylG drohe, keinerlei Ausführungen enthalte und sich deshalb auch nicht dazu verhalte, aus welchen Gründen die Klage auch insofern als offensichtlich unbegründet abzuweisen sei.

13

Der Beschwerdeführer hat im Verfassungsbeschwerdeverfahren zur allgemeinen Gefahrenlage in Afghanistan und speziell in Kundus weitere Erkenntnisse vorgelegt (u.a. Schnellrecherche der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 23. Au-gust 2017; Länderinformationsblatt Afghanistan des BFA Österreich, Stand: 19. Dezember 2016; EASO-Bericht aus November 2016 "Afghanistan Security Situation"; Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 14. September 2017 "Afghanistan: Update - Die aktuelle Sicherheitslage"; verschiedene Zeitungs- bzw. Medienberichte; Bericht von SIGAR vom 30. Oktober 2017).

14

2. Die Akten des Ausgangsverfahrens haben dem Bundesverfassungsgericht vorgelegen. Das Ministerium der Justiz und für Europa des Landes Baden-Württemberg hat von seinem Recht zur Äußerung keinen Gebrauch gemacht.

III.

15

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt. Die Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG liegen vor. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und offensichtlich begründet. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist gemäß § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG zur Durchsetzung der Rechte des Beschwerdeführers aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG angezeigt. Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen hat das Bundesverfassungsgericht bereits geklärt.

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1. Der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde steht nicht entgegen, dass der Beschwerdeführer gegen das angegriffene Urteil keine Anhörungsrüge nach § 152a VwGO erhoben hat. Denn er rügt mit der Verfassungsbeschwerde weder ausdrücklich noch der Sache nach eine Verletzung seines Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs, sondern macht geltend, dass das Verwaltungsgericht in willkürlicher, jedenfalls aber in einer effektiven Rechtsschutz vereitelnden Weise den Rechtsstandpunkt eingenommen habe, angesichts des als widersprüchlich eingestuften Vortrags des Beschwerdeführers zu seinem Verfolgungsschicksal weder andere Gründe für einen möglichen Anspruch auf subsidiären Schutz prüfen noch begründen zu müssen, warum sich die Klageabweisung als offensichtlich unbegründet auch auf diesen Anspruch beziehe. Eine etwaige Anhörungsrüge hätte diesen in einer verkürzten Prüfung der materiellen Rechtslage liegenden Verstoß nicht beheben können, weil Art. 103 Abs. 1 GG nicht davor schützt, dass das Gericht dem Vortrag der Beteiligten in materiell-rechtlicher Hinsicht nicht die aus ihrer Sicht richtige Bedeutung beimisst (vgl. BVerfGE 22, 267 <273>; BVerfG, Entscheidung der 3. Kammer des Ersten Senats vom 4. August 2004 - 1 BvR 1557/01 -, juris, Rn. 17). Eine deswegen offensichtlich unzulässige Anhörungsrüge musste jedoch auch unter Berücksichtigung der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde nicht erhoben werden (vgl. BVerfGE 126, 1 <18>).

17

2. Das angegriffene Urteil verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG.

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a) Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG beschränkt sich nicht auf die Einräumung der Möglichkeit, die Gerichte gegen Akte der öffentlichen Gewalt anzurufen, sondern gewährleistet einen Anspruch auf eine wirksame gerichtliche Kontrolle. Das Gebot des effektiven Rechtsschutzes verlangt nicht nur, dass jeder potentiell rechtsverletzende Akt der Exekutive in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht der richterlichen Prüfung unterstellt ist; vielmehr müssen die Gerichte den betroffenen Rechten auch tatsächliche Wirksamkeit verschaffen (vgl. BVerfGE 35, 263 <274>; 40, 272 <275>; 67, 43 <58>; 84, 34 <49>; stRspr). Das Maß dessen, was wirkungsvoller Rechtsschutz ist, bestimmt sich entscheidend auch nach dem sachlichen Gehalt des als verletzt behaupteten Rechts (vgl. BVerfGE 60, 253 <297>), hier des Rechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG), gegebenenfalls in Verbindung mit der Gewährleistung des Art. 3 EMRK im Lichte der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (vgl. BVerfGE 111, 307 <323 ff.>).

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Ein Instanzenzug kann zwar nicht beansprucht werden. Steht aber - wie im Fall der Abweisung einer Asylklage als offensichtlich unbegründet (§ 78 Abs. 1 AsylG) - nur eine Instanz zur Verfügung, so verstärkt dies die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Ausgestaltung des Verfahrens im Hinblick auf die Wahrheitserforschung (vgl. BVerfGE 83, 24 <31>; 87, 48 <61 f.>; BVerfG, Beschlüsse der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 7. November 2008 - 2 BvR 629/06 -, juris, Rn. 12 und vom 22. Oktober 2008 - 2 BvR 1819/07 -, juris, Rn. 11; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 20. Dezember 2006 - 2 BvR 2063/06 -, NVwZ 2007, S. 1046 = juris, Rn. 12).

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b) Die Abweisung einer Asylklage als offensichtlich unbegründet - mit der gravierenden Folge des Ausschlusses weiterer gerichtlicher Nachprüfung - setzt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts voraus, dass im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts (§ 77 Abs. 1 AsylG) an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen des Gerichts vernünftigerweise keine Zweifel bestehen können und sich bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung in Rechtsprechung und Lehre die Abweisung der Klage dem Verwaltungsgericht geradezu aufdrängt. Aus den Entscheidungsgründen muss sich zudem klar ergeben, weshalb das Gericht zu einem Urteil nach § 78 Abs. 1 AsylG kommt, warum somit die Klage nicht nur als schlicht unbegründet, sondern als offensichtlich unbegründet abgewiesen worden ist. Durch diese Darlegungspflicht wird die Gewähr für die materielle Richtigkeit verstärkt (vgl. BVerfGE 65, 76 <95 f.>; 71, 276 <292 f.>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 3. September 1996 - 2 BvR 2353/95 -, juris, Rn. 13). Die Entscheidungsgründe müssen die Maßstäbe erkennen lassen, die der Klageabweisung als offensichtlich unbegründet zugrunde liegen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 16. November 2000 - 2 BvR 1684/98 -, juris, Rn. 4), und sich nach diesen Maßstäben mit dem Einzelfall auseinandersetzen. Dabei erfordert die Darlegung besondere Sorgfalt, wenn das Bundesamt den Asylantrag lediglich als (einfach) unbegründet abgelehnt hat (vgl. BVerfG, Beschlüsse der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 7. November 2008 - 2 BvR 629/06 -, juris, Rn. 10 und vom 22. Oktober 2008 - 2 BvR 1819/07 -, juris, Rn. 12; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 20. Dezember 2006 - 2 BvR 2063/06 -, juris, Rn. 10; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 9. November 1993 - 2 BvR 1214/93 -, juris, Rn. 12). Die schlichte Behauptung, die Klage sei offensichtlich unbegründet, genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht (vgl. BVerfG, Beschlüsse der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 7. November 2008 - 2 BvR 629/06 -, juris, Rn. 10 und vom 2. Juli 2008 - 2 BvR 877/06 -, juris, Rn. 15; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 20. Dezember 2006 - 2 BvR 2063/06 -, juris, Rn. 10).

21

Diese Grundsätze gelten nicht nur für das Asylgrundrecht, sondern auch für Verfahren, die auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 3 AsylG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG), auf die Gewährung subsidiären Schutzes (§ 4 AsylG i.V.m. § 60 Abs. 2 AufenthG) oder auf die Feststellung von nationalen Abschiebungsverboten (§ 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG) gerichtet sind (vgl. zu § 60 Abs. 1 AufenthG und § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG: BVerfG, Beschlüsse der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 7. November 2008 - 2 BvR 629/06 -, juris, Rn. 11 und vom 22. Oktober 2008 - 2 BvR 1819/07 -, juris, Rn. 14; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 20. Dezember 2006 - 2 BvR 2063/06 -, juris, Rn. 11). Die verfassungsrechtlichen Anforderungen ergeben sich insoweit aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG. Auch im Anwendungsbereich des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG muss den schutzwürdigen Interessen des Betroffenen wirksam Rechnung getragen werden (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 7. November 2008 - 2 BvR 629/06 -, juris, Rn. 11; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 20. Dezember 2006 - 2 BvR 2063/06 -, juris, Rn. 11).

22

c) Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt das angegriffene Urteil nicht.

23

Das Verwaltungsgericht hat hinsichtlich der begehrten Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und des subsidiären Schutzes nach § 78 Abs. 1 Satz 2 AsylG ausgeführt, dass die den Kernbereich des behaupteten individuellen Verfolgungsschicksals betreffenden Angaben des Beschwerdeführers krass widersprüchlich und ungereimt seien. Da dies offensichtlich sei, werde die Klage als offensichtlich unbegründet abgewiesen. Diese Einschätzung werde selbständig tragend auch auf § 30 Abs. 3 Nr. 1 AsylG gestützt. Das lässt erkennen, dass das Verwaltungsgericht das Offensichtlichkeitsurteil der Sache nach auch auf die allgemeine Regelung des § 30 Abs. 1 AsylG gestützt hat, wonach ein Asylantrag offensichtlich unbegründet ist, wenn die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter und die Voraussetzungen für die Zuerkennung des internationalen Schutzes offensichtlich nicht vorliegen.

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aa) Diese Begründung wird bereits in formeller Hinsicht den verfassungsrechtlichen Darlegungsanforderungen an die Abweisung einer Klage als offensichtlich unbegründet nicht gerecht, soweit es die begehrte Zuerkennung subsidiären Schutzes angeht.

25

Ein Asylantrag im Sinne des § 78 Abs. 1 Satz 2 AsylG umfasst das Begehren auf Anerkennung als Asylberechtigter und auf Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 13 Abs. 1 und 2 AsylG); diese wiederum umfasst gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 3 AsylG) und die Zuerkennung subsidiären Schutzes (§ 4 AsylG). Das Offensichtlichkeitsurteil nach § 78 Abs. 1 Satz 2 AsylG kann daher bezüglich der drei selbstständigen Streitgegenstände "Anerkennung als Asylberechtigter", "Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft" und "Zuerkennung subsidiären Schutzes", soweit sie Gegenstand des Verfahrens sind, nur einheitlich erfolgen. Deshalb können die Anforderungen an die Abweisung einer Klage als offensichtlich unbegründet im Hinblick auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes keine anderen sein als im Hinblick auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder im Hinblick auf die Anerkennung als Asylberechtigter (vgl. zu § 51 Abs. 1 AuslG - heute § 60 Abs. 1 AufenthG - im Verhältnis zur Asylanerkennung: BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 20. September 2001 - 2 BvR 1392/00 -, juris, Rn. 18; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 3. September 1996 - 2 BvR 2353/95 -, juris, Rn. 14; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 9. August 1994 - 2 BvR 2576/93 -, juris, Rn. 3). Daher ist für jeden einzelnen Streitgegenstand eine Begründung der Offensichtlichkeitsentscheidung erforderlich, und es müssen die Entscheidungen zu jedem einzelnen Streitgegenstand auf einer hinreichend verlässlichen Grundlage beruhen.

26

Der Hinweis des Verwaltungsgerichts auf die Widersprüchlichkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers zur behaupteten Verfolgung durch die Taliban vermag das Offensichtlichkeitsurteil im Hinblick auf die Versagung subsidiären Schutzes nicht zu begründen. Erweist sich das Vorbringen eines Asylsuchenden zu den individuellen Vorfluchtgründen wegen Widersprüchlichkeit in wesentlichen Punkten insgesamt als unglaubhaft, kann dies die Abweisung der Klage als offensichtlich unbegründet lediglich in diesem Umfang rechtfertigen. Es steht damit jedoch nicht ohne Weiteres fest, dass Gleiches für die außerdem geltend gemachten - selbstständig zu beurteilenden - Gründe für das Schutzersuchen und damit für die Asylklage insgesamt gilt (vgl. zu selbstständigen Nachfluchtgründe: BVerfG, Beschlüsse der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 22. Mai 2000 - 2 BvR 349/97 -, juris, Rn. 4 und vom 3. September 1996 - 2 BvR 2353/95 -, juris, Rn. 15). Eine Widersprüchlichkeit des Vorbringens zum Verfolgungsschicksal vermag daher lediglich das Offensichtlichkeitsurteil im Hinblick auf die Ablehnung der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder, sofern ein flüchtlingsrelevanter Verfolgungsgrund im Sinne des § 3b AsylG nicht vorliegt, im Hinblick auf die Versagung subsidiären Schutzes wegen eines ernsthaften Schadens in Form von Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung durch einen Akteur (§ 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 2, § 3c AsylG i.V.m. Art. 3 EMRK) zu begründen. Die Ausführungen zum offensichtlichen Nichtbestehen individueller Verfolgungsgründe sind jedoch nicht geeignet, das Offensichtlichkeitsurteil auch im Hinblick auf die Versagung subsidiären Schutzes zu tragen, soweit dieser Anspruch damit begründet wird, dass dem Beschwerdeführer als Zivilperson aufgrund der schlechten humanitären Verhältnisse in Afghanistan ein ernsthafter Schaden in Form einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung (§ 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 2 AsylG i.V.m. Art. 3 EMRK) oder aufgrund der allgemeinen Gefahrenlage wegen einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts droht (§ 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 3 AsylG). Denn soweit diese Bestimmungen eine individuelle Gefahr für Leben und Unversehrtheit des Betroffenen voraussetzen, beruht diese doch auf Gefahren, die in erster Linie in den allgemeinen Verhältnissen im Herkunftsland begründet sind und als solche keinen Zusammenhang mit den individuellen Verfolgungsgründen aufweisen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 26. Juni 2017 - 2 BvR 1353/17 -, juris, Rn. 2).

27

Andere Gründe im Sinne von § 30 AsylG oder Art. 31 Abs. 8 der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes - Verfahrensrichtlinie - (ABl Nr. L 180), um das Schutzersuchen des Beschwerdeführers auch im Hinblick auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes als offensichtlich unbegründet abzulehnen, hat das Verwaltungsgericht nicht genannt. Eine nähere Darlegung dazu, welchen Maßstab es bei der Abweisung der Klage auf Zuerkennung subsidiären Schutzes als offensichtlich unbegründet zugrunde legt und worauf es sein "Offensichtlichkeitsurteil" im Einzelnen stützt, war aber schon deshalb erforderlich, weil das Bundesamt den Asylantrag lediglich als einfach unbegründet abgelehnt hat.

28

bb) Darüber hinaus hat das Verwaltungsgericht auch in materieller Hinsicht die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Abweisung der Klage auf Zuerkennung subsidiären Schutzes als offensichtlich unbegründet verfehlt.

29

(1) Das Verwaltungsgericht ist davon ausgegangen, dass eine Schutzgewährung wegen allgemeiner Gefahren nur dann - in Form eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG - in Betracht komme, wenn der Ausländer gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde. Diese Voraussetzungen hat es mit der Begründung verneint, dass hierfür keine hinreichenden Anhaltspunkte bestünden und insofern auf zwei Auskünfte des Auswärtigen Amtes (Lagebericht vom 19. Oktober 2016 und Lagebeurteilung vom 28. Juli 2017) sowie auf die Anmerkungen des UNHCR zur Situation in Afghanistan von Dezember 2016 verwiesen. Trotz der militärischen Auseinandersetzungen, Selbstmordanschläge und Versorgungsmängel sei die Sicherheitslage in vielen Regionen gar nicht so schlecht und in fast allen Regionen das größte Problem die Arbeitslosigkeit.

30

Diese nur rudimentären Erwägungen vermögen schon die einfache Abweisung der Klage auf Zuerkennung subsidiären Schutzes inhaltlich nicht nachvollziehbar zu rechtfertigen. Erst recht bieten sie keine tragfähige Grundlage für die Annahme einer auf der Hand liegenden Aussichtslosigkeit der Klage insoweit und damit für die Rechtfertigung der Klageabweisung als offensichtlich unbegründet. Indem das Verwaltungsgericht die von dem Beschwerdeführer geltend gemachten allgemeinen Gefahren ausschließlich unter dem Gesichtspunkt des nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG gewürdigt hat, hat es die für die Zuerkennung subsidiären Schutzes maßgebliche Rechtsvorschrift des § 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 2 und Nr. 3 AsylG und die dort vorgesehenen rechtlichen Voraussetzungen (unmenschliche oder erniedrigender Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK sowie ernsthafte Bedrohung für Leib und Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts) vollständig unberücksichtigt gelassen.

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(2) Das Urteil des Verwaltungsgerichts lässt auch sonst nicht erkennen, dass im Hinblick auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes unter dem Gesichtspunkt einer ernsthaften individuellen Bedrohung als Folge einer allgemeinen Gefahr (§ 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 3 AsylG) die besonderen Voraussetzungen für die Abweisung einer Klage als offensichtlich unbegründet erfüllt gewesen sein könnten. Weder lag im Zeitpunkt der Entscheidung die erforderliche gefestigte obergerichtliche Rechtsprechung vor, noch hat das Verwaltungsgericht eine solche festgestellt.

32

Zwar wurde in der jüngeren obergerichtlichen Rechtsprechung das Vorliegen der Voraussetzungen einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts für Zivilpersonen gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 3 AsylG in Bezug auf Afghanistan insgesamt, namentlich in Bezug auf bestimmte Regionen verneint (vgl. Bayerischer VGH, Beschlüsse vom 21. August 2017 - 13a ZB 17.30529 -, juris, Rn. 13 , vom 25. Juli 2017 - 13a ZB 17.30727 -, juris, Rn. 16 , vom 19. Juni 2017 - 13a ZB 17.30400 -, juris, Rn. 13 , vom 11. April 2017 - 13a ZB 17.30294 -, juris, Rn. 5 , vom 10. April 2017 - 13a ZB 17.30266 -, juris, Rn. 5 , vom 6. März 2017 - 13a ZB 17.30081 -, juris, Rn. 10 , vom 3. Februar 2017 - 13a ZB 16.31045 -, juris, Rn. 4 , vom 25. Januar 2017 - 13a ZB 16.30374 -, juris, Rn. 11 ; OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 1. September 2017 - 8 A 11005/17 -, juris, Rn. 8 ff. m.w.N. ; OVG NRW, Beschlüsse vom 28. August 2017 - 13 A 1994/17.A -, juris, Rn. 6 ff., vom 10. Juli 2017 - 13 A 1385/17.A -, juris, Rn. 5 ff., vom 20. Juni 2017 - 13 A 903/17.A -, juris, Rn. 5 ff. und vom 9. März 2017 - 13 A 2575/16.A -, juris, Rn. 5 ff.).

33

Es ist jedoch nicht festzustellen, dass es sich hierbei um eine "gefestigte" Rechtsprechung im Sinne der vorstehenden Maßstäbe handelt. Zum einen fehlt es an jüngeren Berufungsurteilen, die sich mit der Frage des ernsthaften Schadens im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 3 AsylG unter Auswertung der aktuellen Erkenntnislage und Rechtsprechung im Einzelnen auseinandersetzen. Es handelt sich vielmehr um Beschlüsse, mit denen die Zulassung der Berufung mangels hinreichender Darlegung des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache abgelehnt wurde. Insbesondere liegt auch kein aktuelleres Urteil des für das Verwaltungsgericht zuständigen und damit maßgeblichen Obergerichts zur Frage eines Anspruchs auf Zuerkennung subsidiären Schutzes im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 3 AsylG vor (vgl. zuletzt VGH Baden-Württemberg, Urteile vom 14. August 2013 - A 11 S 688/13 -, juris, Rn. 23 ff. und vom 27. April 2014 - A 11 S 3079/11 -, juris, Rn. 20 ff. ).

34

Zum anderen kann von einer gefestigten obergerichtlichen Rechtsprechung auch deswegen nicht gesprochen werden, weil die Verwaltungsgerichte bei einem Land, das - wie Afghanistan - aufgrund der Dynamik des dort herrschenden Konflikts von einer äußerst volatilen und zudem regional sehr unterschiedlichen Sicherheitslage geprägt ist und in dem wegen einer stetigen Verschlechterung der Sicherheitslage in den letzten zwei Jahren die Gefahr besteht, dass die Schwelle des § 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 3 AsylG überschritten sein könnte, verpflichtet sind, sich laufend über die tatsächlichen Entwicklungen zu unterrichten und nur auf der Grundlage aktueller Erkenntnisse zu entscheiden (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 27. März 2017 - 2 BvR 681/17 -, juris, Rn. 11 und Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 21. April 2016 - 2 BvR 273/16 -, juris, Rn. 11). Besteht aber eine Pflicht zu einer gleichsam "tagesaktuellen" Erfassung und Bewertung der entscheidungsrelevanten Tatsachengrundlage, kann sich schon aufgrund der in zeitlicher Hinsicht nur begrenzten Belastbarkeit der Tatsachenfeststellungen eine gefestigte obergerichtliche Rechtsprechung, die die Abweisung der Klage auf Zuerkennung subsidiären Schutzes als offensichtlich unbegründet rechtfertigen könnte, nicht sicher herausbilden. Dies gilt umso mehr, als die Beurteilung, ob eine ernsthafte individuelle Gefahr für Leib und Unversehrtheit im Rahmen eines innerstaatlichen Konflikts vorliegt, nach der - verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden - fachgerichtlichen Rechtsprechung neben den tatsächlichen Feststellungen zu etwaigen gefahrerhöhenden Umständen in der Person des Betroffenen auch stets umfangreiche und komplexe tatsächliche Feststellungen im Hinblick auf das Niveau willkürlicher Gewalt beziehungsweise die Gefahrendichte für die Zivilbevölkerung erfordert. Im Rahmen der jeweils gebotenen wertenden Gesamtbetrachtung kann aber schon bei Veränderung nur eines der maßgeblichen Tatsachenkomplexe eine rechtliche Neubewertung der Gefahrenverdichtung insgesamt veranlasst sein.

35

Der Annahme einer eindeutigen und gesicherten Auskunftslage, die ein Offensichtlichkeitsurteil tragen könnte, steht auch der Umstand entgegen, dass im Hinblick auf die Belastbarkeit und Validität des Datenmaterials, das für die Feststellung der Gefahrendichte im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 3 AsylG erforderlich ist, grundlegende allgemeine Bedenken erhoben werden (vgl. etwa Entscheidung des Schweizerischen Bundesverwaltungsgerichts vom 13. Oktober 2017 - D-5800/2016 - zur Unzulänglichkeit eines lediglich auf Opferzahlen abstellenden Ansatzes; insbesondere Abschnitte E 7.4.3. und E 6.3.1.).

36

3. Angesichts des Verstoßes gegen Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG bedarf die weiter erhobene Grundrechtsrüge (Art. 3 Abs. 1 GG) wegen willkürlicher Sachbehandlung keiner Entscheidung.

37

4. Die angegriffene Entscheidung beruht auf dem festgestellten Grundrechtsverstoß. Es ist nicht auszuschließen, dass das Verwaltungsgericht bei hinreichender Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Vorgaben zu einer anderen, dem Beschwerdeführer günstigeren Entscheidung gelangt wäre. Die Kammer hebt deshalb gemäß § 93c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 BVerfGG das angegriffene Urteil auf und verweist die Sache an das Verwaltungsgericht zurück.

38

Die Aufhebung und Zurückverweisung ist auch nicht deshalb entbehrlich, weil deutlich absehbar wäre, dass der Beschwerdeführer auch im Falle der Aufhebung und Zurückverweisung an das Ausgangsgericht mit seinem Begehren letztlich keinen Erfolg haben würde, so dass es an einem schweren Nachteil im Sinne des § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG fehlte (vgl. BVerfGE 90, 22 <25 f.>).

39

Zwar hat der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg als zuständiges Obergericht inzwischen verschiedene grundsätzlich bedeutsame Fragen zur Zuerkennung subsidiären Schutzes und zur Feststellung von nationalen Abschiebungsverboten in Kabul (vgl. Urteile vom 3. November 2017 - A 11 S 1704/17 -, juris, Rn. 96 ff. und vom 5. Dezember 2017 - A 11 S 1144/17 -, juris, Rn. 228 ff.), in der Provinz Ghazni (vgl. Urteil vom 17. Januar 2018 - A 11 S 241/17 -, juris, Rn. 206 ff.) und in der Provinz Daikundi (vgl. Urteil vom 24. Januar 2018 - A 11 S 1265/17 -, juris, Rn. 129 ff.) geklärt und ist zu der Einschätzung gelangt, dass in diesen Gebieten nicht ein so hohes Niveau willkürlicher Gewalt herrsche, dass eine Zivilperson allein durch ihre Anwesenheit dort tatsächlich Gefahr liefe, einer ernsthaften individuellen Bedrohung im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 3 AsylG ausgesetzt zu sein.

40

Eine Entscheidung zur Gefahrendichte in der Herkunftsregion des Beschwerdeführers - Kundus - ist jedoch noch nicht ergangen. Darüber hinaus erfordert die Beurteilung der Frage, ob eine Verdichtung der allgemeinen Gefahrenlage im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 3 AsylG vorliegt, stets auch eine Prüfung des Einzelfalls dahin, ob besondere persönliche gefahrerhöhende Umstände in der Person des Betroffenen vorliegen (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. November 2011 - 10 C 13.10 -, juris, Rn. 17 ff.). Solche Umstände hat der Beschwerdeführer mit dem Hinweis auf seine psychische Erkrankung und die daraus folgenden Einschränkungen in der Alltagsbewältigung geltend gemacht. Aus demselben Grund erscheint eine günstigere Entscheidung auch in Bezug auf die Feststellung des nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG in Verbindung mit Art. 3 EMRK nicht von vornherein ausgeschlossen.

IV.

41

Das Land Baden-Württemberg hat dem Beschwerdeführer gemäß § 34a Abs. 2 BVerfGG die notwendigen Auslagen zu erstatten. Die Festsetzung des Werts des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 RVG (vgl. BVerfGE 79, 365 <366 ff.>).

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Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 60 Verbot der Abschiebung


(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalit

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 3


(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. (2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin. (3) Ni

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 2


(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. (2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unver

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 103


(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör. (2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. (3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafge

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 4 Subsidiärer Schutz


(1) Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt: 1. die Verhängung oder Vollstreckung der To

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 19


(1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 3 Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft


(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich1.aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 77 Entscheidung des Gerichts


(1) In Streitigkeiten nach diesem Gesetz stellt das Gericht auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ab; ergeht die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung, ist der Zeitpunkt maßgebend, in dem die Entscheidung gefä

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 78 Rechtsmittel


(1) Das Urteil des Verwaltungsgerichts, durch das die Klage in Rechtsstreitigkeiten nach diesem Gesetz als offensichtlich unzulässig oder offensichtlich unbegründet abgewiesen wird, ist unanfechtbar. Das gilt auch, wenn nur das Klagebegehren gegen di

Gesetz über das Bundesverfassungsgericht


Bundesverfassungsgerichtsgesetz - BVerfGG

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 3b Verfolgungsgründe


(1) Bei der Prüfung der Verfolgungsgründe nach § 3 Absatz 1 Nummer 1 ist Folgendes zu berücksichtigen: 1. der Begriff der Rasse umfasst insbesondere die Aspekte Hautfarbe, Herkunft und Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe;2. der Begrif

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 3c Akteure, von denen Verfolgung ausgehen kann


Die Verfolgung kann ausgehen von 1. dem Staat,2. Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder3. nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließl

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 30 Offensichtlich unbegründete Asylanträge


(1) Ein Asylantrag ist offensichtlich unbegründet, wenn die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter und die Voraussetzungen für die Zuerkennung des internationalen Schutzes offensichtlich nicht vorliegen. (2) Ein Asylantrag ist

Bundesverfassungsgerichtsgesetz - BVerfGG | § 34a


(1) Erweist sich der Antrag auf Verwirkung der Grundrechte (§ 13 Nr. 1), die Anklage gegen den Bundespräsidenten (§ 13 Nr. 4) oder einen Richter (§ 13 Nr. 9) als unbegründet, so sind dem Antragsgegner oder dem Angeklagten die notwendigen Auslagen ein

Bundesverfassungsgerichtsgesetz - BVerfGG | § 93c


(1) Liegen die Voraussetzungen des § 93a Abs. 2 Buchstabe b vor und ist die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgebliche verfassungsrechtliche Frage durch das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden, kann die Kammer der Verfassungsb

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 152a


(1) Auf die Rüge eines durch eine gerichtliche Entscheidung beschwerten Beteiligten ist das Verfahren fortzuführen, wenn1.ein Rechtsmittel oder ein anderer Rechtsbehelf gegen die Entscheidung nicht gegeben ist und2.das Gericht den Anspruch dieses Bet

Bundesverfassungsgerichtsgesetz - BVerfGG | § 95


(1) Wird der Verfassungsbeschwerde stattgegeben, so ist in der Entscheidung festzustellen, welche Vorschrift des Grundgesetzes und durch welche Handlung oder Unterlassung sie verletzt wurde. Das Bundesverfassungsgericht kann zugleich aussprechen, daß

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 1 Geltungsbereich


(1) Dieses Gesetz gilt für Ausländer, die Folgendes beantragen: 1. Schutz vor politischer Verfolgung nach Artikel 16a Absatz 1 des Grundgesetzes oder2. internationalen Schutz nach der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vo

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 13 Asylantrag


(1) Ein Asylantrag liegt vor, wenn sich dem schriftlich, mündlich oder auf andere Weise geäußerten Willen des Ausländers entnehmen lässt, dass er im Bundesgebiet Schutz vor politischer Verfolgung sucht oder dass er Schutz vor Abschiebung oder einer s

Rechtsanwaltsvergütungsgesetz - RVG | § 37 Verfahren vor den Verfassungsgerichten


(1) Die Vorschriften für die Revision in Teil 4 Abschnitt 1 Unterabschnitt 3 des Vergütungsverzeichnisses gelten entsprechend in folgenden Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht oder dem Verfassungsgericht (Verfassungsgerichtshof, Staatsgerichtsh

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Bundesverfassungsgericht Stattgebender Kammerbeschluss, 25. Apr. 2018 - 2 BvR 2435/17 zitiert oder wird zitiert von 22 Urteil(en).

Bundesverfassungsgericht Stattgebender Kammerbeschluss, 25. Apr. 2018 - 2 BvR 2435/17 zitiert 11 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 03. Feb. 2017 - 13a ZB 16.31045

bei uns veröffentlicht am 03.02.2017

Tenor I. Der Antrag wird abgelehnt. II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben. Gründe Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil de

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 25. Jan. 2017 - 13a ZB 16.30374

bei uns veröffentlicht am 25.01.2017

Tenor I. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt. II. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt. III. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhobe

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 21. Aug. 2017 - 13a ZB 17.30529

bei uns veröffentlicht am 21.08.2017

Tenor I. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt. II. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt. III. Der Kläger hat die Kosten des Antragsverfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 25. Juli 2017 - 13a ZB 17.30727

bei uns veröffentlicht am 25.07.2017

Tenor I. Der Antrag wird abgelehnt. II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben. Gründe Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil de

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 19. Juni 2017 - 13a ZB 17.30400

bei uns veröffentlicht am 19.06.2017

Tenor I. Der Antrag wird abgelehnt. II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben. Gründe Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil de

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 11. Apr. 2017 - 13a ZB 17.30294

bei uns veröffentlicht am 11.04.2017

Tenor I. Der Antrag wird abgelehnt. II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben. Gründe Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 10. Apr. 2017 - 13a ZB 17.30266

bei uns veröffentlicht am 10.04.2017

Tenor I. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt. II. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt. III. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhobe

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 06. März 2017 - 13a ZB 17.30081

bei uns veröffentlicht am 06.03.2017

Tenor I. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt. II. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt. III. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhobe

Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil, 24. Jan. 2018 - A 11 S 1265/17

bei uns veröffentlicht am 24.01.2018

Tenor Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 24. Februar 2017 - A 2 K 5696/16 - wird zurückgewiesen.Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Berufungsverfahrens.Die Revision wird nicht zugelassen.

Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil, 17. Jan. 2018 - A 11 S 241/17

bei uns veröffentlicht am 17.01.2018

Tenor Die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 13. Oktober 2016 - A 2 K 3108/16 - wird zurückgewiesen.Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Berufungsverfahrens.Die Revision wird nicht zugelassen. Tatbestand

Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz Beschluss, 01. Sept. 2017 - 8 A 11005/17

bei uns veröffentlicht am 01.09.2017

weitere Fundstellen ... Tenor Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 15. Februar 2017 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Trier wird abgelehnt. Der Kläger hat die Kosten de
11 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bundesverfassungsgericht Stattgebender Kammerbeschluss, 25. Apr. 2018 - 2 BvR 2435/17.

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 25. Feb. 2019 - 13a ZB 18.32487

bei uns veröffentlicht am 25.02.2019

Tenor I. Der Antrag wird abgelehnt. II. Der Kläger hat die Kosten des Antragsverfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben. Gründe Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen d

Verwaltungsgericht München Urteil, 09. Nov. 2018 - M 21 K 17.42545

bei uns veröffentlicht am 09.11.2018

Tenor I. Die Klage wird als offensichtlich unbegründet abgewiesen. II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Tatbestand Der Kläger, der bislang weder Personalpapiere noch andere Identitätsnac

Verwaltungsgericht Ansbach Urteil, 27. Feb. 2019 - AN 17 K 18.31075

bei uns veröffentlicht am 27.02.2019

Tenor 1. Die Klage wird abgewiesen, gegen die Entscheidung über den Asylantrag als offensichtlich unbegründet. 2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben. Tatbestand

Verwaltungsgericht München Urteil, 21. Sept. 2018 - M 21 K 17.42249

bei uns veröffentlicht am 21.09.2018

Tenor I. Die Klage wird als offensichtlich unbegründet abgewiesen. II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Tatbestand Der Kläger, der bislang weder Personalpapiere noch andere Identitätsnac

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(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Ein Asylantrag ist offensichtlich unbegründet, wenn die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter und die Voraussetzungen für die Zuerkennung des internationalen Schutzes offensichtlich nicht vorliegen.

(2) Ein Asylantrag ist insbesondere offensichtlich unbegründet, wenn nach den Umständen des Einzelfalles offensichtlich ist, dass sich der Ausländer nur aus wirtschaftlichen Gründen oder um einer allgemeinen Notsituation zu entgehen, im Bundesgebiet aufhält.

(3) Ein unbegründeter Asylantrag ist als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn

1.
in wesentlichen Punkten das Vorbringen des Ausländers nicht substantiiert oder in sich widersprüchlich ist, offenkundig den Tatsachen nicht entspricht oder auf gefälschte oder verfälschte Beweismittel gestützt wird,
2.
der Ausländer im Asylverfahren über seine Identität oder Staatsangehörigkeit täuscht oder diese Angaben verweigert,
3.
er unter Angabe anderer Personalien einen weiteren Asylantrag oder ein weiteres Asylbegehren anhängig gemacht hat,
4.
er den Asylantrag gestellt hat, um eine drohende Aufenthaltsbeendigung abzuwenden, obwohl er zuvor ausreichend Gelegenheit hatte, einen Asylantrag zu stellen,
5.
er seine Mitwirkungspflichten nach § 13 Abs. 3 Satz 2, § 15 Abs. 2 Nr. 3 bis 5 oder § 25 Abs. 1 gröblich verletzt hat, es sei denn, er hat die Verletzung der Mitwirkungspflichten nicht zu vertreten oder ihm war die Einhaltung der Mitwirkungspflichten aus wichtigen Gründen nicht möglich,
6.
er nach §§ 53, 54 des Aufenthaltsgesetzes vollziehbar ausgewiesen ist oder
7.
er für einen nach diesem Gesetz handlungsunfähigen Ausländer gestellt wird oder nach § 14a als gestellt gilt, nachdem zuvor Asylanträge der Eltern oder des allein personensorgeberechtigten Elternteils unanfechtbar abgelehnt worden sind.

(4) Ein Asylantrag ist ferner als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder des § 3 Abs. 2 vorliegen oder wenn das Bundesamt nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen hat.

(5) Ein beim Bundesamt gestellter Antrag ist auch dann als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn es sich nach seinem Inhalt nicht um einen Asylantrag im Sinne des § 13 Abs. 1 handelt.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

(1) Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt:

1.
die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe,
2.
Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder
3.
eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.

(2) Ein Ausländer ist von der Zuerkennung subsidiären Schutzes nach Absatz 1 ausgeschlossen, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen hat, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen festzulegen,
2.
eine schwere Straftat begangen hat,
3.
sich Handlungen zuschulden kommen lassen hat, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen (BGBl. 1973 II S. 430, 431) verankert sind, zuwiderlaufen oder
4.
eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt.
Diese Ausschlussgründe gelten auch für Ausländer, die andere zu den genannten Straftaten oder Handlungen anstiften oder sich in sonstiger Weise daran beteiligen.

(3) Die §§ 3c bis 3e gelten entsprechend. An die Stelle der Verfolgung, des Schutzes vor Verfolgung beziehungsweise der begründeten Furcht vor Verfolgung treten die Gefahr eines ernsthaften Schadens, der Schutz vor einem ernsthaften Schaden beziehungsweise die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens; an die Stelle der Flüchtlingseigenschaft tritt der subsidiäre Schutz.

Die Verfolgung kann ausgehen von

1.
dem Staat,
2.
Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder
3.
nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen.

(2) In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.

(3) Die Grundrechte gelten auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind.

(4) Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen. Soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Artikel 10 Abs. 2 Satz 2 bleibt unberührt.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Das Urteil des Verwaltungsgerichts, durch das die Klage in Rechtsstreitigkeiten nach diesem Gesetz als offensichtlich unzulässig oder offensichtlich unbegründet abgewiesen wird, ist unanfechtbar. Das gilt auch, wenn nur das Klagebegehren gegen die Entscheidung über den Asylantrag als offensichtlich unzulässig oder offensichtlich unbegründet, das Klagebegehren im Übrigen hingegen als unzulässig oder unbegründet abgewiesen worden ist.

(2) In den übrigen Fällen steht den Beteiligten die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zu, wenn sie von dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.

(3) Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein in § 138 der Verwaltungsgerichtsordnung bezeichneter Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt.

(4) Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils zu beantragen. Der Antrag ist bei dem Verwaltungsgericht zu stellen. Er muss das angefochtene Urteil bezeichnen. In dem Antrag sind die Gründe, aus denen die Berufung zuzulassen ist, darzulegen. Die Stellung des Antrags hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(5) Über den Antrag entscheidet das Oberverwaltungsgericht durch Beschluss, der keiner Begründung bedarf. Mit der Ablehnung des Antrags wird das Urteil rechtskräftig. Lässt das Oberverwaltungsgericht die Berufung zu, wird das Antragsverfahren als Berufungsverfahren fortgesetzt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht.

(6) § 134 der Verwaltungsgerichtsordnung findet keine Anwendung, wenn das Urteil des Verwaltungsgerichts nach Absatz 1 unanfechtbar ist.

(7) Ein Rechtsbehelf nach § 84 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung ist innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung des Gerichtsbescheids zu erheben.

(8) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht abweichend von § 132 Absatz 1 und § 137 Absatz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung auch zu, wenn das Oberverwaltungsgericht

1.
in der Beurteilung der allgemeinen asyl-, abschiebungs- oder überstellungsrelevanten Lage in einem Herkunfts- oder Zielstaat von deren Beurteilung durch ein anderes Oberverwaltungsgericht oder durch das Bundesverwaltungsgericht abweicht und
2.
die Revision deswegen zugelassen hat.
Eine Nichtzulassungsbeschwerde kann auf diesen Zulassungsgrund nicht gestützt werden. Die Revision ist beschränkt auf die Beurteilung der allgemeinen asyl-, abschiebungs- oder überstellungsrelevanten Lage in einem Herkunfts- oder Zielstaat. In dem hierfür erforderlichen Umfang ist das Bundesverwaltungsgericht abweichend von § 137 Absatz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung nicht an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden. Das Bundesverwaltungsgericht berücksichtigt für die Beurteilung der allgemeinen Lage diejenigen herkunfts- oder zielstaatsbezogenen Erkenntnisse, die von den in Satz 1 Nummer 1 genannten Gerichten verwertet worden sind, die ihm zum Zeitpunkt seiner mündlichen Verhandlung oder Entscheidung (§ 77 Absatz 1) von den Beteiligten vorgelegt oder die von ihm beigezogen oder erhoben worden sind. Die Anschlussrevision ist ausgeschlossen.

(8a) Das Bundesministerium des Innern und für Heimat evaluiert im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Justiz die Revision nach Absatz 8 drei Jahre nach Inkrafttreten.

(1) Ein Asylantrag ist offensichtlich unbegründet, wenn die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter und die Voraussetzungen für die Zuerkennung des internationalen Schutzes offensichtlich nicht vorliegen.

(2) Ein Asylantrag ist insbesondere offensichtlich unbegründet, wenn nach den Umständen des Einzelfalles offensichtlich ist, dass sich der Ausländer nur aus wirtschaftlichen Gründen oder um einer allgemeinen Notsituation zu entgehen, im Bundesgebiet aufhält.

(3) Ein unbegründeter Asylantrag ist als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn

1.
in wesentlichen Punkten das Vorbringen des Ausländers nicht substantiiert oder in sich widersprüchlich ist, offenkundig den Tatsachen nicht entspricht oder auf gefälschte oder verfälschte Beweismittel gestützt wird,
2.
der Ausländer im Asylverfahren über seine Identität oder Staatsangehörigkeit täuscht oder diese Angaben verweigert,
3.
er unter Angabe anderer Personalien einen weiteren Asylantrag oder ein weiteres Asylbegehren anhängig gemacht hat,
4.
er den Asylantrag gestellt hat, um eine drohende Aufenthaltsbeendigung abzuwenden, obwohl er zuvor ausreichend Gelegenheit hatte, einen Asylantrag zu stellen,
5.
er seine Mitwirkungspflichten nach § 13 Abs. 3 Satz 2, § 15 Abs. 2 Nr. 3 bis 5 oder § 25 Abs. 1 gröblich verletzt hat, es sei denn, er hat die Verletzung der Mitwirkungspflichten nicht zu vertreten oder ihm war die Einhaltung der Mitwirkungspflichten aus wichtigen Gründen nicht möglich,
6.
er nach §§ 53, 54 des Aufenthaltsgesetzes vollziehbar ausgewiesen ist oder
7.
er für einen nach diesem Gesetz handlungsunfähigen Ausländer gestellt wird oder nach § 14a als gestellt gilt, nachdem zuvor Asylanträge der Eltern oder des allein personensorgeberechtigten Elternteils unanfechtbar abgelehnt worden sind.

(4) Ein Asylantrag ist ferner als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder des § 3 Abs. 2 vorliegen oder wenn das Bundesamt nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen hat.

(5) Ein beim Bundesamt gestellter Antrag ist auch dann als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn es sich nach seinem Inhalt nicht um einen Asylantrag im Sinne des § 13 Abs. 1 handelt.

(1) Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt:

1.
die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe,
2.
Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder
3.
eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.

(2) Ein Ausländer ist von der Zuerkennung subsidiären Schutzes nach Absatz 1 ausgeschlossen, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen hat, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen festzulegen,
2.
eine schwere Straftat begangen hat,
3.
sich Handlungen zuschulden kommen lassen hat, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen (BGBl. 1973 II S. 430, 431) verankert sind, zuwiderlaufen oder
4.
eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt.
Diese Ausschlussgründe gelten auch für Ausländer, die andere zu den genannten Straftaten oder Handlungen anstiften oder sich in sonstiger Weise daran beteiligen.

(3) Die §§ 3c bis 3e gelten entsprechend. An die Stelle der Verfolgung, des Schutzes vor Verfolgung beziehungsweise der begründeten Furcht vor Verfolgung treten die Gefahr eines ernsthaften Schadens, der Schutz vor einem ernsthaften Schaden beziehungsweise die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens; an die Stelle der Flüchtlingseigenschaft tritt der subsidiäre Schutz.

(1) Liegen die Voraussetzungen des § 93a Abs. 2 Buchstabe b vor und ist die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgebliche verfassungsrechtliche Frage durch das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden, kann die Kammer der Verfassungsbeschwerde stattgeben, wenn sie offensichtlich begründet ist. Der Beschluß steht einer Entscheidung des Senats gleich. Eine Entscheidung, die mit der Wirkung des § 31 Abs. 2 ausspricht, daß ein Gesetz mit dem Grundgesetz oder sonstigem Bundesrecht unvereinbar oder nichtig ist, bleibt dem Senat vorbehalten.

(2) Auf das Verfahren finden § 94 Abs. 2 und 3 und § 95 Abs. 1 und 2 Anwendung.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Auf die Rüge eines durch eine gerichtliche Entscheidung beschwerten Beteiligten ist das Verfahren fortzuführen, wenn

1.
ein Rechtsmittel oder ein anderer Rechtsbehelf gegen die Entscheidung nicht gegeben ist und
2.
das Gericht den Anspruch dieses Beteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat.
Gegen eine der Endentscheidung vorausgehende Entscheidung findet die Rüge nicht statt.

(2) Die Rüge ist innerhalb von zwei Wochen nach Kenntnis von der Verletzung des rechtlichen Gehörs zu erheben; der Zeitpunkt der Kenntniserlangung ist glaubhaft zu machen. Nach Ablauf eines Jahres seit Bekanntgabe der angegriffenen Entscheidung kann die Rüge nicht mehr erhoben werden. Formlos mitgeteilte Entscheidungen gelten mit dem dritten Tage nach Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Die Rüge ist schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bei dem Gericht zu erheben, dessen Entscheidung angegriffen wird. § 67 Abs. 4 bleibt unberührt. Die Rüge muss die angegriffene Entscheidung bezeichnen und das Vorliegen der in Absatz 1 Satz 1 Nr. 2 genannten Voraussetzungen darlegen.

(3) Den übrigen Beteiligten ist, soweit erforderlich, Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.

(4) Ist die Rüge nicht statthaft oder nicht in der gesetzlichen Form oder Frist erhoben, so ist sie als unzulässig zu verwerfen. Ist die Rüge unbegründet, weist das Gericht sie zurück. Die Entscheidung ergeht durch unanfechtbaren Beschluss. Der Beschluss soll kurz begründet werden.

(5) Ist die Rüge begründet, so hilft ihr das Gericht ab, indem es das Verfahren fortführt, soweit dies aufgrund der Rüge geboten ist. Das Verfahren wird in die Lage zurückversetzt, in der es sich vor dem Schluss der mündlichen Verhandlung befand. In schriftlichen Verfahren tritt an die Stelle des Schlusses der mündlichen Verhandlung der Zeitpunkt, bis zu dem Schriftsätze eingereicht werden können. Für den Ausspruch des Gerichts ist § 343 der Zivilprozessordnung entsprechend anzuwenden.

(6) § 149 Abs. 1 Satz 2 ist entsprechend anzuwenden.

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen.

(2) In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.

(3) Die Grundrechte gelten auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind.

(4) Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen. Soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Artikel 10 Abs. 2 Satz 2 bleibt unberührt.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Das Urteil des Verwaltungsgerichts, durch das die Klage in Rechtsstreitigkeiten nach diesem Gesetz als offensichtlich unzulässig oder offensichtlich unbegründet abgewiesen wird, ist unanfechtbar. Das gilt auch, wenn nur das Klagebegehren gegen die Entscheidung über den Asylantrag als offensichtlich unzulässig oder offensichtlich unbegründet, das Klagebegehren im Übrigen hingegen als unzulässig oder unbegründet abgewiesen worden ist.

(2) In den übrigen Fällen steht den Beteiligten die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zu, wenn sie von dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.

(3) Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein in § 138 der Verwaltungsgerichtsordnung bezeichneter Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt.

(4) Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils zu beantragen. Der Antrag ist bei dem Verwaltungsgericht zu stellen. Er muss das angefochtene Urteil bezeichnen. In dem Antrag sind die Gründe, aus denen die Berufung zuzulassen ist, darzulegen. Die Stellung des Antrags hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(5) Über den Antrag entscheidet das Oberverwaltungsgericht durch Beschluss, der keiner Begründung bedarf. Mit der Ablehnung des Antrags wird das Urteil rechtskräftig. Lässt das Oberverwaltungsgericht die Berufung zu, wird das Antragsverfahren als Berufungsverfahren fortgesetzt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht.

(6) § 134 der Verwaltungsgerichtsordnung findet keine Anwendung, wenn das Urteil des Verwaltungsgerichts nach Absatz 1 unanfechtbar ist.

(7) Ein Rechtsbehelf nach § 84 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung ist innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung des Gerichtsbescheids zu erheben.

(8) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht abweichend von § 132 Absatz 1 und § 137 Absatz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung auch zu, wenn das Oberverwaltungsgericht

1.
in der Beurteilung der allgemeinen asyl-, abschiebungs- oder überstellungsrelevanten Lage in einem Herkunfts- oder Zielstaat von deren Beurteilung durch ein anderes Oberverwaltungsgericht oder durch das Bundesverwaltungsgericht abweicht und
2.
die Revision deswegen zugelassen hat.
Eine Nichtzulassungsbeschwerde kann auf diesen Zulassungsgrund nicht gestützt werden. Die Revision ist beschränkt auf die Beurteilung der allgemeinen asyl-, abschiebungs- oder überstellungsrelevanten Lage in einem Herkunfts- oder Zielstaat. In dem hierfür erforderlichen Umfang ist das Bundesverwaltungsgericht abweichend von § 137 Absatz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung nicht an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden. Das Bundesverwaltungsgericht berücksichtigt für die Beurteilung der allgemeinen Lage diejenigen herkunfts- oder zielstaatsbezogenen Erkenntnisse, die von den in Satz 1 Nummer 1 genannten Gerichten verwertet worden sind, die ihm zum Zeitpunkt seiner mündlichen Verhandlung oder Entscheidung (§ 77 Absatz 1) von den Beteiligten vorgelegt oder die von ihm beigezogen oder erhoben worden sind. Die Anschlussrevision ist ausgeschlossen.

(8a) Das Bundesministerium des Innern und für Heimat evaluiert im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Justiz die Revision nach Absatz 8 drei Jahre nach Inkrafttreten.

(1) In Streitigkeiten nach diesem Gesetz stellt das Gericht auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ab; ergeht die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung, ist der Zeitpunkt maßgebend, in dem die Entscheidung gefällt wird. § 74 Absatz 2 Satz 2 bleibt unberührt.

(2) Das Gericht kann außer in den Fällen des § 38 Absatz 1 und des § 73b Absatz 7 bei Klagen gegen Entscheidungen nach diesem Gesetz im schriftlichen Verfahren durch Urteil entscheiden, wenn der Ausländer anwaltlich vertreten ist. Auf Antrag eines Beteiligten muss mündlich verhandelt werden. Hierauf sind die Beteiligten von dem Gericht hinzuweisen.

(3) Das Gericht sieht von einer weiteren Darstellung des Tatbestandes und der Entscheidungsgründe ab, soweit es den Feststellungen und der Begründung des angefochtenen Verwaltungsaktes folgt und dies in seiner Entscheidung feststellt oder soweit die Beteiligten übereinstimmend darauf verzichten.

(4) Wird während des Verfahrens der streitgegenständliche Verwaltungsakt, mit dem ein Asylantrag als unzulässig abgelehnt wurde, durch eine Ablehnung als unbegründet oder offensichtlich unbegründet ersetzt, so wird der neue Verwaltungsakt Gegenstand des Verfahrens. Das Bundesamt übersendet dem Gericht, bei dem das Verfahren anhängig ist, eine Abschrift des neuen Verwaltungsakts. Nimmt der Kläger die Klage daraufhin unverzüglich zurück, trägt das Bundesamt die Kosten des Verfahrens. Unterliegt der Kläger ganz oder teilweise, entscheidet das Gericht nach billigem Ermessen.

(1) Das Urteil des Verwaltungsgerichts, durch das die Klage in Rechtsstreitigkeiten nach diesem Gesetz als offensichtlich unzulässig oder offensichtlich unbegründet abgewiesen wird, ist unanfechtbar. Das gilt auch, wenn nur das Klagebegehren gegen die Entscheidung über den Asylantrag als offensichtlich unzulässig oder offensichtlich unbegründet, das Klagebegehren im Übrigen hingegen als unzulässig oder unbegründet abgewiesen worden ist.

(2) In den übrigen Fällen steht den Beteiligten die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zu, wenn sie von dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.

(3) Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein in § 138 der Verwaltungsgerichtsordnung bezeichneter Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt.

(4) Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils zu beantragen. Der Antrag ist bei dem Verwaltungsgericht zu stellen. Er muss das angefochtene Urteil bezeichnen. In dem Antrag sind die Gründe, aus denen die Berufung zuzulassen ist, darzulegen. Die Stellung des Antrags hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(5) Über den Antrag entscheidet das Oberverwaltungsgericht durch Beschluss, der keiner Begründung bedarf. Mit der Ablehnung des Antrags wird das Urteil rechtskräftig. Lässt das Oberverwaltungsgericht die Berufung zu, wird das Antragsverfahren als Berufungsverfahren fortgesetzt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht.

(6) § 134 der Verwaltungsgerichtsordnung findet keine Anwendung, wenn das Urteil des Verwaltungsgerichts nach Absatz 1 unanfechtbar ist.

(7) Ein Rechtsbehelf nach § 84 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung ist innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung des Gerichtsbescheids zu erheben.

(8) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht abweichend von § 132 Absatz 1 und § 137 Absatz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung auch zu, wenn das Oberverwaltungsgericht

1.
in der Beurteilung der allgemeinen asyl-, abschiebungs- oder überstellungsrelevanten Lage in einem Herkunfts- oder Zielstaat von deren Beurteilung durch ein anderes Oberverwaltungsgericht oder durch das Bundesverwaltungsgericht abweicht und
2.
die Revision deswegen zugelassen hat.
Eine Nichtzulassungsbeschwerde kann auf diesen Zulassungsgrund nicht gestützt werden. Die Revision ist beschränkt auf die Beurteilung der allgemeinen asyl-, abschiebungs- oder überstellungsrelevanten Lage in einem Herkunfts- oder Zielstaat. In dem hierfür erforderlichen Umfang ist das Bundesverwaltungsgericht abweichend von § 137 Absatz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung nicht an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden. Das Bundesverwaltungsgericht berücksichtigt für die Beurteilung der allgemeinen Lage diejenigen herkunfts- oder zielstaatsbezogenen Erkenntnisse, die von den in Satz 1 Nummer 1 genannten Gerichten verwertet worden sind, die ihm zum Zeitpunkt seiner mündlichen Verhandlung oder Entscheidung (§ 77 Absatz 1) von den Beteiligten vorgelegt oder die von ihm beigezogen oder erhoben worden sind. Die Anschlussrevision ist ausgeschlossen.

(8a) Das Bundesministerium des Innern und für Heimat evaluiert im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Justiz die Revision nach Absatz 8 drei Jahre nach Inkrafttreten.

(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich

1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,
2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder
3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.

(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er

1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder
2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
Wird der Schutz oder Beistand nach Satz 1 Nummer 1 nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig erklärt worden ist, sind die Absätze 1 und 2 anwendbar.

(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt:

1.
die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe,
2.
Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder
3.
eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.

(2) Ein Ausländer ist von der Zuerkennung subsidiären Schutzes nach Absatz 1 ausgeschlossen, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen hat, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen festzulegen,
2.
eine schwere Straftat begangen hat,
3.
sich Handlungen zuschulden kommen lassen hat, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen (BGBl. 1973 II S. 430, 431) verankert sind, zuwiderlaufen oder
4.
eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt.
Diese Ausschlussgründe gelten auch für Ausländer, die andere zu den genannten Straftaten oder Handlungen anstiften oder sich in sonstiger Weise daran beteiligen.

(3) Die §§ 3c bis 3e gelten entsprechend. An die Stelle der Verfolgung, des Schutzes vor Verfolgung beziehungsweise der begründeten Furcht vor Verfolgung treten die Gefahr eines ernsthaften Schadens, der Schutz vor einem ernsthaften Schaden beziehungsweise die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens; an die Stelle der Flüchtlingseigenschaft tritt der subsidiäre Schutz.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Das Urteil des Verwaltungsgerichts, durch das die Klage in Rechtsstreitigkeiten nach diesem Gesetz als offensichtlich unzulässig oder offensichtlich unbegründet abgewiesen wird, ist unanfechtbar. Das gilt auch, wenn nur das Klagebegehren gegen die Entscheidung über den Asylantrag als offensichtlich unzulässig oder offensichtlich unbegründet, das Klagebegehren im Übrigen hingegen als unzulässig oder unbegründet abgewiesen worden ist.

(2) In den übrigen Fällen steht den Beteiligten die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zu, wenn sie von dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.

(3) Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein in § 138 der Verwaltungsgerichtsordnung bezeichneter Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt.

(4) Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils zu beantragen. Der Antrag ist bei dem Verwaltungsgericht zu stellen. Er muss das angefochtene Urteil bezeichnen. In dem Antrag sind die Gründe, aus denen die Berufung zuzulassen ist, darzulegen. Die Stellung des Antrags hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(5) Über den Antrag entscheidet das Oberverwaltungsgericht durch Beschluss, der keiner Begründung bedarf. Mit der Ablehnung des Antrags wird das Urteil rechtskräftig. Lässt das Oberverwaltungsgericht die Berufung zu, wird das Antragsverfahren als Berufungsverfahren fortgesetzt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht.

(6) § 134 der Verwaltungsgerichtsordnung findet keine Anwendung, wenn das Urteil des Verwaltungsgerichts nach Absatz 1 unanfechtbar ist.

(7) Ein Rechtsbehelf nach § 84 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung ist innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung des Gerichtsbescheids zu erheben.

(8) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht abweichend von § 132 Absatz 1 und § 137 Absatz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung auch zu, wenn das Oberverwaltungsgericht

1.
in der Beurteilung der allgemeinen asyl-, abschiebungs- oder überstellungsrelevanten Lage in einem Herkunfts- oder Zielstaat von deren Beurteilung durch ein anderes Oberverwaltungsgericht oder durch das Bundesverwaltungsgericht abweicht und
2.
die Revision deswegen zugelassen hat.
Eine Nichtzulassungsbeschwerde kann auf diesen Zulassungsgrund nicht gestützt werden. Die Revision ist beschränkt auf die Beurteilung der allgemeinen asyl-, abschiebungs- oder überstellungsrelevanten Lage in einem Herkunfts- oder Zielstaat. In dem hierfür erforderlichen Umfang ist das Bundesverwaltungsgericht abweichend von § 137 Absatz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung nicht an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden. Das Bundesverwaltungsgericht berücksichtigt für die Beurteilung der allgemeinen Lage diejenigen herkunfts- oder zielstaatsbezogenen Erkenntnisse, die von den in Satz 1 Nummer 1 genannten Gerichten verwertet worden sind, die ihm zum Zeitpunkt seiner mündlichen Verhandlung oder Entscheidung (§ 77 Absatz 1) von den Beteiligten vorgelegt oder die von ihm beigezogen oder erhoben worden sind. Die Anschlussrevision ist ausgeschlossen.

(8a) Das Bundesministerium des Innern und für Heimat evaluiert im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Justiz die Revision nach Absatz 8 drei Jahre nach Inkrafttreten.

(1) Ein Asylantrag ist offensichtlich unbegründet, wenn die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter und die Voraussetzungen für die Zuerkennung des internationalen Schutzes offensichtlich nicht vorliegen.

(2) Ein Asylantrag ist insbesondere offensichtlich unbegründet, wenn nach den Umständen des Einzelfalles offensichtlich ist, dass sich der Ausländer nur aus wirtschaftlichen Gründen oder um einer allgemeinen Notsituation zu entgehen, im Bundesgebiet aufhält.

(3) Ein unbegründeter Asylantrag ist als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn

1.
in wesentlichen Punkten das Vorbringen des Ausländers nicht substantiiert oder in sich widersprüchlich ist, offenkundig den Tatsachen nicht entspricht oder auf gefälschte oder verfälschte Beweismittel gestützt wird,
2.
der Ausländer im Asylverfahren über seine Identität oder Staatsangehörigkeit täuscht oder diese Angaben verweigert,
3.
er unter Angabe anderer Personalien einen weiteren Asylantrag oder ein weiteres Asylbegehren anhängig gemacht hat,
4.
er den Asylantrag gestellt hat, um eine drohende Aufenthaltsbeendigung abzuwenden, obwohl er zuvor ausreichend Gelegenheit hatte, einen Asylantrag zu stellen,
5.
er seine Mitwirkungspflichten nach § 13 Abs. 3 Satz 2, § 15 Abs. 2 Nr. 3 bis 5 oder § 25 Abs. 1 gröblich verletzt hat, es sei denn, er hat die Verletzung der Mitwirkungspflichten nicht zu vertreten oder ihm war die Einhaltung der Mitwirkungspflichten aus wichtigen Gründen nicht möglich,
6.
er nach §§ 53, 54 des Aufenthaltsgesetzes vollziehbar ausgewiesen ist oder
7.
er für einen nach diesem Gesetz handlungsunfähigen Ausländer gestellt wird oder nach § 14a als gestellt gilt, nachdem zuvor Asylanträge der Eltern oder des allein personensorgeberechtigten Elternteils unanfechtbar abgelehnt worden sind.

(4) Ein Asylantrag ist ferner als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder des § 3 Abs. 2 vorliegen oder wenn das Bundesamt nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen hat.

(5) Ein beim Bundesamt gestellter Antrag ist auch dann als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn es sich nach seinem Inhalt nicht um einen Asylantrag im Sinne des § 13 Abs. 1 handelt.

(1) Das Urteil des Verwaltungsgerichts, durch das die Klage in Rechtsstreitigkeiten nach diesem Gesetz als offensichtlich unzulässig oder offensichtlich unbegründet abgewiesen wird, ist unanfechtbar. Das gilt auch, wenn nur das Klagebegehren gegen die Entscheidung über den Asylantrag als offensichtlich unzulässig oder offensichtlich unbegründet, das Klagebegehren im Übrigen hingegen als unzulässig oder unbegründet abgewiesen worden ist.

(2) In den übrigen Fällen steht den Beteiligten die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zu, wenn sie von dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.

(3) Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein in § 138 der Verwaltungsgerichtsordnung bezeichneter Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt.

(4) Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils zu beantragen. Der Antrag ist bei dem Verwaltungsgericht zu stellen. Er muss das angefochtene Urteil bezeichnen. In dem Antrag sind die Gründe, aus denen die Berufung zuzulassen ist, darzulegen. Die Stellung des Antrags hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(5) Über den Antrag entscheidet das Oberverwaltungsgericht durch Beschluss, der keiner Begründung bedarf. Mit der Ablehnung des Antrags wird das Urteil rechtskräftig. Lässt das Oberverwaltungsgericht die Berufung zu, wird das Antragsverfahren als Berufungsverfahren fortgesetzt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht.

(6) § 134 der Verwaltungsgerichtsordnung findet keine Anwendung, wenn das Urteil des Verwaltungsgerichts nach Absatz 1 unanfechtbar ist.

(7) Ein Rechtsbehelf nach § 84 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung ist innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung des Gerichtsbescheids zu erheben.

(8) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht abweichend von § 132 Absatz 1 und § 137 Absatz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung auch zu, wenn das Oberverwaltungsgericht

1.
in der Beurteilung der allgemeinen asyl-, abschiebungs- oder überstellungsrelevanten Lage in einem Herkunfts- oder Zielstaat von deren Beurteilung durch ein anderes Oberverwaltungsgericht oder durch das Bundesverwaltungsgericht abweicht und
2.
die Revision deswegen zugelassen hat.
Eine Nichtzulassungsbeschwerde kann auf diesen Zulassungsgrund nicht gestützt werden. Die Revision ist beschränkt auf die Beurteilung der allgemeinen asyl-, abschiebungs- oder überstellungsrelevanten Lage in einem Herkunfts- oder Zielstaat. In dem hierfür erforderlichen Umfang ist das Bundesverwaltungsgericht abweichend von § 137 Absatz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung nicht an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden. Das Bundesverwaltungsgericht berücksichtigt für die Beurteilung der allgemeinen Lage diejenigen herkunfts- oder zielstaatsbezogenen Erkenntnisse, die von den in Satz 1 Nummer 1 genannten Gerichten verwertet worden sind, die ihm zum Zeitpunkt seiner mündlichen Verhandlung oder Entscheidung (§ 77 Absatz 1) von den Beteiligten vorgelegt oder die von ihm beigezogen oder erhoben worden sind. Die Anschlussrevision ist ausgeschlossen.

(8a) Das Bundesministerium des Innern und für Heimat evaluiert im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Justiz die Revision nach Absatz 8 drei Jahre nach Inkrafttreten.

(1) Ein Asylantrag liegt vor, wenn sich dem schriftlich, mündlich oder auf andere Weise geäußerten Willen des Ausländers entnehmen lässt, dass er im Bundesgebiet Schutz vor politischer Verfolgung sucht oder dass er Schutz vor Abschiebung oder einer sonstigen Rückführung in einen Staat begehrt, in dem ihm eine Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 oder ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Absatz 1 droht.

(2) Mit jedem Asylantrag wird die Anerkennung als Asylberechtigter sowie internationaler Schutz im Sinne des § 1 Absatz 1 Nummer 2 beantragt. Der Ausländer kann den Asylantrag auf die Zuerkennung internationalen Schutzes beschränken. Er ist über die Folgen einer Beschränkung des Antrags zu belehren. § 24 Absatz 2 bleibt unberührt.

(3) Ein Ausländer, der nicht im Besitz der erforderlichen Einreisepapiere ist, hat an der Grenze um Asyl nachzusuchen (§ 18). Im Falle der unerlaubten Einreise hat er sich unverzüglich bei einer Aufnahmeeinrichtung zu melden (§ 22) oder bei der Ausländerbehörde oder der Polizei um Asyl nachzusuchen (§ 19). Der nachfolgende Asylantrag ist unverzüglich zu stellen.

(1) Dieses Gesetz gilt für Ausländer, die Folgendes beantragen:

1.
Schutz vor politischer Verfolgung nach Artikel 16a Absatz 1 des Grundgesetzes oder
2.
internationalen Schutz nach der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. L 337 vom 20.12.2011, S. 9); der internationale Schutz im Sinne der Richtlinie 2011/95/EU umfasst den Schutz vor Verfolgung nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560) und den subsidiären Schutz im Sinne der Richtlinie; der nach Maßgabe der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. L 304 vom 30.9.2004, S. 12) gewährte internationale Schutz steht dem internationalen Schutz im Sinne der Richtlinie 2011/95/EU gleich; § 104 Absatz 9 des Aufenthaltsgesetzes bleibt unberührt.

(2) Dieses Gesetz gilt nicht für heimatlose Ausländer im Sinne des Gesetzes über die Rechtsstellung heimatloser Ausländer im Bundesgebiet in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 243-1, veröffentlichten bereinigten Fassung in der jeweils geltenden Fassung.

(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich

1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,
2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder
3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.

(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er

1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder
2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
Wird der Schutz oder Beistand nach Satz 1 Nummer 1 nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig erklärt worden ist, sind die Absätze 1 und 2 anwendbar.

(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.

(1) Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt:

1.
die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe,
2.
Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder
3.
eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.

(2) Ein Ausländer ist von der Zuerkennung subsidiären Schutzes nach Absatz 1 ausgeschlossen, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen hat, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen festzulegen,
2.
eine schwere Straftat begangen hat,
3.
sich Handlungen zuschulden kommen lassen hat, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen (BGBl. 1973 II S. 430, 431) verankert sind, zuwiderlaufen oder
4.
eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt.
Diese Ausschlussgründe gelten auch für Ausländer, die andere zu den genannten Straftaten oder Handlungen anstiften oder sich in sonstiger Weise daran beteiligen.

(3) Die §§ 3c bis 3e gelten entsprechend. An die Stelle der Verfolgung, des Schutzes vor Verfolgung beziehungsweise der begründeten Furcht vor Verfolgung treten die Gefahr eines ernsthaften Schadens, der Schutz vor einem ernsthaften Schaden beziehungsweise die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens; an die Stelle der Flüchtlingseigenschaft tritt der subsidiäre Schutz.

(1) Das Urteil des Verwaltungsgerichts, durch das die Klage in Rechtsstreitigkeiten nach diesem Gesetz als offensichtlich unzulässig oder offensichtlich unbegründet abgewiesen wird, ist unanfechtbar. Das gilt auch, wenn nur das Klagebegehren gegen die Entscheidung über den Asylantrag als offensichtlich unzulässig oder offensichtlich unbegründet, das Klagebegehren im Übrigen hingegen als unzulässig oder unbegründet abgewiesen worden ist.

(2) In den übrigen Fällen steht den Beteiligten die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zu, wenn sie von dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.

(3) Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein in § 138 der Verwaltungsgerichtsordnung bezeichneter Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt.

(4) Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils zu beantragen. Der Antrag ist bei dem Verwaltungsgericht zu stellen. Er muss das angefochtene Urteil bezeichnen. In dem Antrag sind die Gründe, aus denen die Berufung zuzulassen ist, darzulegen. Die Stellung des Antrags hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(5) Über den Antrag entscheidet das Oberverwaltungsgericht durch Beschluss, der keiner Begründung bedarf. Mit der Ablehnung des Antrags wird das Urteil rechtskräftig. Lässt das Oberverwaltungsgericht die Berufung zu, wird das Antragsverfahren als Berufungsverfahren fortgesetzt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht.

(6) § 134 der Verwaltungsgerichtsordnung findet keine Anwendung, wenn das Urteil des Verwaltungsgerichts nach Absatz 1 unanfechtbar ist.

(7) Ein Rechtsbehelf nach § 84 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung ist innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung des Gerichtsbescheids zu erheben.

(8) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht abweichend von § 132 Absatz 1 und § 137 Absatz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung auch zu, wenn das Oberverwaltungsgericht

1.
in der Beurteilung der allgemeinen asyl-, abschiebungs- oder überstellungsrelevanten Lage in einem Herkunfts- oder Zielstaat von deren Beurteilung durch ein anderes Oberverwaltungsgericht oder durch das Bundesverwaltungsgericht abweicht und
2.
die Revision deswegen zugelassen hat.
Eine Nichtzulassungsbeschwerde kann auf diesen Zulassungsgrund nicht gestützt werden. Die Revision ist beschränkt auf die Beurteilung der allgemeinen asyl-, abschiebungs- oder überstellungsrelevanten Lage in einem Herkunfts- oder Zielstaat. In dem hierfür erforderlichen Umfang ist das Bundesverwaltungsgericht abweichend von § 137 Absatz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung nicht an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden. Das Bundesverwaltungsgericht berücksichtigt für die Beurteilung der allgemeinen Lage diejenigen herkunfts- oder zielstaatsbezogenen Erkenntnisse, die von den in Satz 1 Nummer 1 genannten Gerichten verwertet worden sind, die ihm zum Zeitpunkt seiner mündlichen Verhandlung oder Entscheidung (§ 77 Absatz 1) von den Beteiligten vorgelegt oder die von ihm beigezogen oder erhoben worden sind. Die Anschlussrevision ist ausgeschlossen.

(8a) Das Bundesministerium des Innern und für Heimat evaluiert im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Justiz die Revision nach Absatz 8 drei Jahre nach Inkrafttreten.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Bei der Prüfung der Verfolgungsgründe nach § 3 Absatz 1 Nummer 1 ist Folgendes zu berücksichtigen:

1.
der Begriff der Rasse umfasst insbesondere die Aspekte Hautfarbe, Herkunft und Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe;
2.
der Begriff der Religion umfasst insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme oder Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder einer Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind;
3.
der Begriff der Nationalität beschränkt sich nicht auf die Staatsangehörigkeit oder das Fehlen einer solchen, sondern bezeichnet insbesondere auch die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, die durch ihre kulturelle, ethnische oder sprachliche Identität, gemeinsame geografische oder politische Herkunft oder ihre Verwandtschaft mit der Bevölkerung eines anderen Staates bestimmt wird;
4.
eine Gruppe gilt insbesondere als eine bestimmte soziale Gruppe, wenn
a)
die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen gemeinsamen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten, und
b)
die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird;
als eine bestimmte soziale Gruppe kann auch eine Gruppe gelten, die sich auf das gemeinsame Merkmal der sexuellen Orientierung gründet; Handlungen, die nach deutschem Recht als strafbar gelten, fallen nicht darunter; eine Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe kann auch vorliegen, wenn sie allein an das Geschlecht oder die geschlechtliche Identität anknüpft;
5.
unter dem Begriff der politischen Überzeugung ist insbesondere zu verstehen, dass der Ausländer in einer Angelegenheit, die die in § 3c genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob er auf Grund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist.

(2) Bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Ausländers vor Verfolgung begründet ist, ist es unerheblich, ob er tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden.

(1) Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt:

1.
die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe,
2.
Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder
3.
eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.

(2) Ein Ausländer ist von der Zuerkennung subsidiären Schutzes nach Absatz 1 ausgeschlossen, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen hat, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen festzulegen,
2.
eine schwere Straftat begangen hat,
3.
sich Handlungen zuschulden kommen lassen hat, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen (BGBl. 1973 II S. 430, 431) verankert sind, zuwiderlaufen oder
4.
eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt.
Diese Ausschlussgründe gelten auch für Ausländer, die andere zu den genannten Straftaten oder Handlungen anstiften oder sich in sonstiger Weise daran beteiligen.

(3) Die §§ 3c bis 3e gelten entsprechend. An die Stelle der Verfolgung, des Schutzes vor Verfolgung beziehungsweise der begründeten Furcht vor Verfolgung treten die Gefahr eines ernsthaften Schadens, der Schutz vor einem ernsthaften Schaden beziehungsweise die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens; an die Stelle der Flüchtlingseigenschaft tritt der subsidiäre Schutz.

Die Verfolgung kann ausgehen von

1.
dem Staat,
2.
Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder
3.
nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.

(1) Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt:

1.
die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe,
2.
Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder
3.
eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.

(2) Ein Ausländer ist von der Zuerkennung subsidiären Schutzes nach Absatz 1 ausgeschlossen, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen hat, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen festzulegen,
2.
eine schwere Straftat begangen hat,
3.
sich Handlungen zuschulden kommen lassen hat, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen (BGBl. 1973 II S. 430, 431) verankert sind, zuwiderlaufen oder
4.
eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt.
Diese Ausschlussgründe gelten auch für Ausländer, die andere zu den genannten Straftaten oder Handlungen anstiften oder sich in sonstiger Weise daran beteiligen.

(3) Die §§ 3c bis 3e gelten entsprechend. An die Stelle der Verfolgung, des Schutzes vor Verfolgung beziehungsweise der begründeten Furcht vor Verfolgung treten die Gefahr eines ernsthaften Schadens, der Schutz vor einem ernsthaften Schaden beziehungsweise die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens; an die Stelle der Flüchtlingseigenschaft tritt der subsidiäre Schutz.

(1) Ein Asylantrag ist offensichtlich unbegründet, wenn die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter und die Voraussetzungen für die Zuerkennung des internationalen Schutzes offensichtlich nicht vorliegen.

(2) Ein Asylantrag ist insbesondere offensichtlich unbegründet, wenn nach den Umständen des Einzelfalles offensichtlich ist, dass sich der Ausländer nur aus wirtschaftlichen Gründen oder um einer allgemeinen Notsituation zu entgehen, im Bundesgebiet aufhält.

(3) Ein unbegründeter Asylantrag ist als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn

1.
in wesentlichen Punkten das Vorbringen des Ausländers nicht substantiiert oder in sich widersprüchlich ist, offenkundig den Tatsachen nicht entspricht oder auf gefälschte oder verfälschte Beweismittel gestützt wird,
2.
der Ausländer im Asylverfahren über seine Identität oder Staatsangehörigkeit täuscht oder diese Angaben verweigert,
3.
er unter Angabe anderer Personalien einen weiteren Asylantrag oder ein weiteres Asylbegehren anhängig gemacht hat,
4.
er den Asylantrag gestellt hat, um eine drohende Aufenthaltsbeendigung abzuwenden, obwohl er zuvor ausreichend Gelegenheit hatte, einen Asylantrag zu stellen,
5.
er seine Mitwirkungspflichten nach § 13 Abs. 3 Satz 2, § 15 Abs. 2 Nr. 3 bis 5 oder § 25 Abs. 1 gröblich verletzt hat, es sei denn, er hat die Verletzung der Mitwirkungspflichten nicht zu vertreten oder ihm war die Einhaltung der Mitwirkungspflichten aus wichtigen Gründen nicht möglich,
6.
er nach §§ 53, 54 des Aufenthaltsgesetzes vollziehbar ausgewiesen ist oder
7.
er für einen nach diesem Gesetz handlungsunfähigen Ausländer gestellt wird oder nach § 14a als gestellt gilt, nachdem zuvor Asylanträge der Eltern oder des allein personensorgeberechtigten Elternteils unanfechtbar abgelehnt worden sind.

(4) Ein Asylantrag ist ferner als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder des § 3 Abs. 2 vorliegen oder wenn das Bundesamt nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen hat.

(5) Ein beim Bundesamt gestellter Antrag ist auch dann als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn es sich nach seinem Inhalt nicht um einen Asylantrag im Sinne des § 13 Abs. 1 handelt.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt:

1.
die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe,
2.
Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder
3.
eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.

(2) Ein Ausländer ist von der Zuerkennung subsidiären Schutzes nach Absatz 1 ausgeschlossen, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen hat, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen festzulegen,
2.
eine schwere Straftat begangen hat,
3.
sich Handlungen zuschulden kommen lassen hat, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen (BGBl. 1973 II S. 430, 431) verankert sind, zuwiderlaufen oder
4.
eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt.
Diese Ausschlussgründe gelten auch für Ausländer, die andere zu den genannten Straftaten oder Handlungen anstiften oder sich in sonstiger Weise daran beteiligen.

(3) Die §§ 3c bis 3e gelten entsprechend. An die Stelle der Verfolgung, des Schutzes vor Verfolgung beziehungsweise der begründeten Furcht vor Verfolgung treten die Gefahr eines ernsthaften Schadens, der Schutz vor einem ernsthaften Schaden beziehungsweise die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens; an die Stelle der Flüchtlingseigenschaft tritt der subsidiäre Schutz.

Tenor

I. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

II. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

III. Der Kläger hat die Kosten des Antragsverfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe, da der Zulassungsantrag aus nachstehenden Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO).

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 17. März 2017 ist unbegründet, weil die Voraussetzungen des § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG nicht vorliegen.

Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Dieser Zulassungsgrund setzt voraus, dass die im Zulassungsantrag dargelegte konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war, ihre Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten ist und ihr eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124 Rn. 36).

Der Kläger hält für klärungsbedürftig,

– „ob § 12 AsylG in Form der zum 24.10.2015 in Kraft getretenen Änderung, dass nunmehr zur Vornahme von Verfahrenshandlungen nach dem Asylgesetz nur noch volljährige Ausländer berechtigt sind, auch auf Fälle anzuwenden ist, bei denen der betroffene Ausländer als Minderjähriger im Rahmen des behördlichen Verfahrens auf Grundlage der vor dem 24.10.2015 geltenden Fassung des § 12 AsylG als verfahrenshandlungsfähig behandelt worden sind und ohne Vormund Asylanträge gestellt und Verfahrenshandlungen, wie zum Beispiel Anhörungen ohne Vormund erfolgt sind“,

– „ob Verfahrensfehler im Rahmen des Vorverfahrens in Folge mangelnder Handlungsfähigkeit aufgrund Minderjährigkeit durch eine Klageerhebung bei Volljährigkeit nachträglich konkludent genehmigt wird“ und

– „ob aufgrund der genannten aktuellsten Erkenntnisse die Sicherheitslage in Afghanistan eine kritische Gefahrendichte erreicht hat, die zumindest ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG rechtfertigt“.

Er habe am 28. Juli 2015 als Minderjähriger ohne Vormund einen Asylantrag gestellt und sei am 6. August 2015 durch das Bundesamt angehört worden. Nach der seit dem 24. Oktober 2015 geltenden und gemäß § 77 Abs. 1 AsylG anzuwendenden Rechtslage seien diese Verfahrenshandlungen unwirksam und auch keine wirksame Anhörung des Klägers erfolgt, sodass die Beklagte hieraus keine Rechtswirkungen herleiten dürfe. Eine Übergangsregelung habe der Gesetzgeber nicht getroffen. Der angefochtene Bescheid sei damit rechtswidrig. Die Annahme einer nachträglichen konkludenten Heilung unwirksamer Verfahrenshandlungen durch Klageerhebung würde dem Minderjährigenschutz widersprechen. Zur Sache führt der Kläger aus, die bekanntlich angespannte Sicherheitslage müsse neu bewertet werden. Amnesty International komme zu dem Ergebnis, dass sich die Sicherheitslage extrem verschlechtert habe. UNHCR halte im Lagebericht vom Februar 2017 nicht mehr daran fest, dass es für alleinstehende, leistungsfähige Männer und verheiratete Paare im berufsfähigen Alter eine Schutzalternative geben könnte. Das Auswärtige Amt bezeichne die afghanische Regierung in einer internen Lagebewertung vom Februar 2017 als fragil. Der bisherige quantitative Ansatz der Rechtsprechung des Senats berücksichtige nicht die anhaltende Dynamik.

Die vom Kläger zur Minderjährigkeit aufgeworfenen Fragen bedürfen keiner Klärung in einem Berufungsverfahren. Zum einen ist der Kläger nunmehr volljährig. Zum anderen liegt ein Verfahrensfehler, wie ihn der Kläger annimmt, nicht vor. Gemäß § 12 Abs. 1 AsylVfG a.F. war ein Ausländer, der das 16. Lebensjahr vollendet hat, fähig zur Vornahme von Verfahrenshandlungen nach diesem Gesetz. Damit konnte der am 1. Januar 1998 geborene Kläger am 28. Juli 2015 wirksam einen Asylantrag stellen und auch weitere Verfahrenshandlungen vornehmen. Die spätere Gesetzesänderung, nach der die Verfahrenshandlungsfähigkeit erst mit der Volljährigkeit vorliegt, vermag hieran nichts mehr zu ändern. Einer bereits wirksamen Verfahrenshandlung wird dadurch nicht nachträglich der Boden entzogen und sie deshalb quasi rückwirkend unwirksam. Damit bedurfte es auch keiner gesetzlichen Übergangsregelung, auf die der Kläger verweist.

Soweit der Kläger auf § 77 Abs. 1 AsylG Bezug nimmt, ergibt sich ebenfalls nichts anderes. Diese Regelung betrifft allein die Frage, welche Sach- und Rechtslage für die gerichtliche Entscheidung maßgeblich ist. Das bestimmt sich im allgemeinen Verwaltungsprozess regelmäßig nicht nach dem Prozessrecht, sondern nach dem zugrundeliegenden materiellen Recht. Bei seiner Entscheidung hat das Gericht also zu prüfen, welche Vorgaben sich aus dem anzuwendenden materiellen Recht für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ergeben (siehe auch Seeger in BeckOK AuslR, Stand 1.5.2017, § 77 AsylG Rn. 1 mit Verweis auf Sodan/Ziekow/Wolff, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 113 Rn. 94).

Damit stellt sich auch die weiter vom Kläger sinngemäß aufgeworfene Frage, ob durch eine Klageerhebung bei Volljährigkeit eine nachträgliche konkludente Genehmigung erfolgen kann, nicht. Die Verfahrenshandlungen des Klägers waren wirksam, sodass es keiner Genehmigung bedarf. Im Übrigen kann – wie auch vom Verwaltungsgericht angenommen – ein vormals Handlungsunfähiger, wenn er handlungsfähig wird, bisherige Verfahrenshandlungen selbst genehmigen. Das ergibt sich aus § 108 Abs. 3 BGB.

In der Sache hat das Verwaltungsgericht die Voraussetzungen von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG und damit einen Anspruch auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes verneint (UA S. 23). Derzeit sei nicht davon auszugehen, dass bei Unterstellung eines bewaffneten Konflikts praktisch jede Zivilperson schon allein aufgrund ihrer Anwesenheit in der Herkunftsprovinz des Klägers, Balkh in der Nordregion, oder auch in der Zentralregion mit Kabul, das als Ort des internen Schutzes nach § 3e AsylG in Betracht komme, einer ernsthaften Bedrohung für Leib und Leben ausgesetzt wäre. Dabei hat das Verwaltungsgericht insbesondere auf die Opferzahlen abgestellt. Auch Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG lägen nicht vor.

Das klägerische Vorbringen ist bereits widersprüchlich. Es stellt einerseits auf die Gefahrendichte und damit auf die Frage ab, ob die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG vorliegen. Andererseits wird auf § 60 Abs. 5 AufenthG verwiesen. Letztendlich kann die Zielrichtung des klägerischen Antrags offenbleiben, weil in keinem Fall eine grundsätzliche Bedeutung gegeben ist. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof geht weiterhin davon aus, dass weder in der Zentralregion noch in der Nordostregion die Voraussetzungen einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG vorliegen und dass auch die Lage in Afghanistan nicht derart ist, dass eine Abschiebung ohne weiteres eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde und subsidiärer Schutz nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG oder ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG anzunehmen wäre (BayVGH, B.v. 3.2.2017 – 13a ZB 16.31045 – juris – zur Nordostregion; B.v. 11.4.2017 – 13a ZB 17.30294 – juris – zur Zentralregion unter Bezugnahme auf U.v. 12.2.2015 – 13a B 14.30309 – juris – und Verweis auf BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – NVwZ 2013, 1167). Auch in Bezug auf § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist geklärt, dass für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende afghanische Staatsangehörige angesichts der aktuellen Auskunftslage im Allgemeinen derzeit weiterhin nicht von einer extremen Gefahrenlage auszugehen ist, die zu einem Abschiebungsverbot in entsprechender Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führen würde (BayVGH, B.v. 19.6.2017 – 13a ZB 17.30400 – juris; B.v. 4.1.2017 – 13a ZB 16.30600 – juris; U.v. 12.2.2015 a.a.O.; U.v. 30.1.2014 –13a B 13.30279 – juris).

Die klägerischen Ausführungen insbesondere zur Verschlechterung der Sicherheitslage bieten keinen Anlass, im Rahmen eines Berufungsverfahrens in eine erneute Risikobewertung einzutreten. Sie berücksichtigen nicht die Anforderungen des Bundesverwaltungsgerichts zur Frage, wann eine für die Gewährung subsidiären Schutzes notwendige erhebliche individuelle Gefährdung anzunehmen sein kann (BVerwG, U.v. 27.4.2010 – 10 C 4.09 – BVerwGE 136, 360 = NVwZ 2011, 56). Danach bedarf es für die Feststellung der erforderlichen Gefahrendichte einer wertenden Gesamtbetrachtung auf der Grundlage der quantitativen Ermittlung des Tötungs- und Verletzungsrisikos (BVerwG, U.v. 13.2.2014 – 10 C 6.13 – NVwZ-RR 2014, 487; U.v. 17.11.2011 – 10 C 13.10 – NVwZ 2012, 454). Ausgehend von mindestens 27 Millionen Einwohnern (vielfach wird eine höhere Bevölkerungszahl angenommen) und von 11.418 Opfern in Afghanistan (nach UNAMA) liegt die Gefahrendichte im Jahr 2016 landesweit erheblich unter 0,12% oder 1:800. Selbst dieses Risiko wäre weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt (BVerwG, B.v. 17.11.2011 a.a.O. Rn. 23). Auch die bisher bekannt gewordenen Zahlen für 2017 liegen in etwa in dieser Größenordnung. Anderes wird auch vom Kläger nicht genannt. Insbesondere stellt er die vom Verwaltungsgericht dargestellten Opferzahlen nicht in Frage.

Soweit der UNHCR im Dezember 2016 („Anmerkungen von UNHCR zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des deutschen Bundesministeriums des Innern Dezember 2016“ unter Bezugnahme auf die UNHCR-Richtlinien vom 19.4.2016) auf die Verschlechterung der Sicherheitslage hinweist, folgt hieraus nichts anderes. Vor dem Hintergrund anhaltender Besorgnis in Bezug auf die Sicherheitslage werden dort Empfehlungen für den Schutzbedarf ausgesprochen und verschiedene Risikoprofile aufgezeigt, ohne dass Zahlen genannt würden, die die bisherige Einschätzung des Verwaltungsgerichtshofs in Frage stellen könnten. Die dortige Bewertung beruht zudem ebenso wie diejenige in der vom Kläger vorgelegten Position von Amnesty International zu Abschiebungen nach Afghanistan vom 22. Februar 2017 auf den jeweils selbst angelegten Maßstäben. Des Weiteren sind auch nach Auffassung des UNHCR alleinstehende, leistungsfähige Männer und verheiratete Paare im berufsfähigen Alter in der Lage, ohne Unterstützung von Familie und Gemeinschaft in urbanen und semi-urbanen Umgebungen zu leben (Richtlinien vom 19.4.2016, S. 10). Der Hinweis des Klägers im Zulassungsantrag auf einen Lagebericht des UNHCR vom Februar 2017, in dem diese Auffassung aufgegeben worden sein soll, kann bereits deswegen nicht zutreffen, da eine Stellungnahme des UNHCR zu Afghanistan vom Februar 2017 nicht vorliegt. Aus den sonstigen Ausführungen im Zulassungsantrag ergeben sich ebenfalls keine anderen Ausgangsdaten, die darauf schließen ließen, dass die vom Verwaltungsgerichtshof zugrunde gelegten Erkenntnisse zwischenzeitlich unrichtig oder überholt wären. Insbesondere gibt auch die vom Kläger genannte Einschätzung der Lage durch das Auswärtige Amt als „fragil“ keinen Anlass zu einer Neubewertung der bekanntlich angespannten Sicherheitslage.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.

II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 11. April 2017 ist unbegründet, weil die Voraussetzungen des § 78 Abs. 3 Nr. 1 und 3 AsylG nicht vorliegen.

Der Kläger rügt zunächst einen Verfahrensmangel nach § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO. Das Verwaltungsgericht habe gegen seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verstoßen, indem es seinen in der mündlichen Verhandlung am 5. April 2017 gestellten Beweisantrag mit einer nur pauschalen Begründung abgelehnt habe.

Das rechtliche Gehör als prozessuales Grundrecht (Art. 103 Abs. 1 GG) sichert den Parteien ein Recht auf Information, Äußerung und Berücksichtigung mit der Folge, dass sie ihr Verhalten eigenbestimmt und situationsspezifisch gestalten können, insbesondere dass sie mit ihren Ausführungen und Anträgen gehört werden (BVerfG, B.v. 30.4.2003 – 1 PBvU 1/02 – BVerfGE 107, 395/409 = NJW 2003, 1924). Die Ablehnung eines erheblichen Beweisangebots verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze mehr findet (BVerfG, B.v. 18.6.1993 – 2 BvR 1815/92 – NVwZ 1994, 60 = juris Rn. 39; B.v. 30.1.1985 – 1 BvR 393/84 – BVerfGE 69, 141/144 = NJW 1986, 833; BayVerfGH, E.v. 26.4.2005 – Vf. 97-VI-04 – VerfGH 58, 108 = BayVBl 2005, 721). Liegen zu einer erheblichen Tatsache bereits amtliche Auskünfte oder gutachtliche Stellungnahmen vor, richtet sich die im Ermessen des Gerichts stehende Entscheidung über einen Antrag auf Einholung weiterer Auskünfte oder Gutachten nach § 98 VwGO i.V.m. § 412 Abs. 1 ZPO. Danach kann das Gericht eine weitere Begutachtung anordnen, wenn es die vorliegenden Auskünfte oder Gutachten ohne Rechtsverstoß für ungenügend erachtet (§ 412 Abs. 1 ZPO); einer erneuten Begutachtung bedarf es jedenfalls dann nicht, wenn das Gegenteil der erneut behaupteten Tatsache bereits erwiesen ist (§ 244 Abs. 4 Satz 2 Halbs. 2 StPO). Ungenügend sind Auskünfte und Gutachten insbesondere dann, wenn sie erkennbare Mängel aufweisen, etwa unvollständig, widersprüchlich oder sonst nicht überzeugend sind, wenn das Gutachten von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht oder wenn der Gutachter erkennbar nicht sachkundig ist bzw. Zweifel an seiner Unparteilichkeit bestehen. Das gerichtliche Ermessen kann sich auch dann zu der Pflicht neuerlicher Begutachtung verdichten, wenn durch neuen entscheidungserheblichen Sachvortrag der Beteiligten oder eigene Ermittlungstätigkeit des Gerichts die Aktualität der vorliegenden Auskünfte zweifelhaft oder wenn sonst das bisherige Beweisergebnis ernsthaft erschüttert wird. Schließlich kann die Erforderlichkeit der Einholung weiterer Auskünfte oder Gutachten auch darauf beruhen, dass die Fragestellung der bisherigen Gutachten sich auf Grund tatsächlicher Entwicklungen oder wegen einer Rechtsprechungsänderung als unzureichend erweist. Reichen indes die in das Verfahren bereits eingeführten Erkenntnismittel zur Beurteilung der geltend gemachten Gefahren aus, kann das Gericht einen Beweisantrag auf Einholung weiterer Auskünfte unter Berufung auf eigene Sachkunde verfahrensfehlerfrei ablehnen, wenn es seine Sachkunde ggf. im Rahmen der Beweiswürdigung darstellt und belegt (BVerwG, B.v. 27.3.2013 – 10 B 34.12 – NVwZ-RR 2013, 620 = juris Rn. 4; B.v. 3.2.2010 – 2 B 73.09 – juris Rn. 9; B.v. 8.3.2006 – 1 B 84.05 – juris Rn. 7; stRspr.).

Gemessen hieran war dem Kläger das rechtliche Gehör nicht versagt. Das Ver-waltungsgericht hat den 12 Hauptpunkte umfassenden, im Wesentlichen einen Beweisbeschluss des Verwaltungsgerichts Wiesbaden vom 14. März 2017 (Az. 7 K 1757/16.WI/A) wiederholenden Beweisantrag in der mündlichen Verhandlung abgelehnt. Ausweislich der Niederschrift hat es u.a. darauf abgestellt, dass nicht substantiiert dargelegt sei, inwieweit die beantragte Beweiserhebung andere bzw. bessere Erkenntnisse bringen würde als die zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnisse. Auch handele es sich zum Teil um die Bewertung rechtlicher Fragen, die einer Beweiserhebung nicht zugänglich seien; teilweise liege ein unzulässiger Beweisermittlungsantrag vor. Angesichts des vier Seiten der Niederschrift und zwölf Haupt- und diverse Unterpunkte umfassenden pauschalen Beweisantrags ist nicht zu beanstanden, dass das Verwaltungsgericht nicht jeden einzelnen Beweisantragspunkt ausdrücklich abgehandelt hat. Im Übrigen ergibt sich weder aus dem Beweisantrag noch aus dem Zulassungsantrag, dass die herangezogenen Erkenntnismittel im Sinn der vorgenannten Rechtsprechung ungenügend wären. Dass das Verwaltungsgericht die Erkenntnismittel anders als der Kläger bewertet, vermag eine Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör nicht zu begründen, da aus dem Grundrecht auf rechtliches Gehör ein Anspruch darauf, dass sich das Gericht der Bewertung des Klägers anschließt, nicht hergeleitet werden kann (BayVerfGH, E.v. 2.10.2013 – Vf. 7-VI-12 – VerfGH 66, 179 = BayVBl 2014, 171).

Die Rechtssache hat auch keine grundsätzliche Bedeutung. Dieser Zulassungsgrund setzt voraus, dass die im Zulassungsantrag dargelegte konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war, ihre Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten ist und ihr eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124 Rn. 36).

Der Kläger hält für klärungsbedürftig, ob

– ihm „aufgrund der stark verschlechterten Sicherheitslage und den stark gestiegenen Opferzahlen seit 2016 nun ein ernsthafter Schaden infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts droht“,

– für ihn „eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit bzw. die Gefahr einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung bei einer Rückkehr nach Afghanistan besteht, weil sich die Sicherheits- und Existenzsicherungssituation auch aufgrund der gestiegenen Anzahl von Binnenvertriebenen und Rückkehrern und der wirtschaftlichen Situation in Afghanistan seit 2016 grundlegend und massiv verschlechtert hat“,

– „für einzelne Regionen bzw. einzelne Personengruppen, insbesondere für aus dem westlichen Ausland als abgelehnte Asylbewerber zurückkehrende Personen, besondere Risiken bestehen, die zu einer erhöhten Gefährdung führen“,

– „einzelne Zivilperson, insbesondere ein aus dem westlichen Ausland zurückkehrender abgelehnter Asylbewerber, einen sicheren Landesteil erreichen und sich dort auf Dauer rechtmäßig niederlassen und sein Existenzminimum sichern kann“,

– „aufgrund individueller Besonderheiten aus dem westlichen Ausland zurückkehrender Asylbewerber im gesamten Gebiet von Afghanistan eine besondere individuelle Gefährdung angenommen werden kann“,

– „das Zahlenmaterial, das die zivilen Opfer von Kriegshandlungen im Rahmen des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts erfasst, valide ist“ und 

– „eine alleinstehende Person in den von der Beklagten als sicher angenommenen Provinzen Laghman und Kabul ohne familiäre Hilfe eine Arbeitsstelle und eine Unterkunft finden und mit der Arbeit finanzieren kann.“

Das Verwaltungsgericht habe die neueren Berichte hierzu nicht bzw. nicht angemessen gewürdigt. Die afghanische Regierung fordere selbst einen Abschiebestopp aus Deutschland. Auch habe sich nach den „Anmerkungen von UNHCR zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des deutschen Bundesministeriums des Innern“ vom Dezember 2016 die Sicherheitslage seit April 2016 insgesamt nochmals deutlich verschlechtert. UNAMA beziffere im Jahresbericht 2016 den Anstieg ziviler Opfer in Afghanistan auf 11.408, was einer Zunahme von 3% entspreche. Von den Zivilopfern durch Suizid- und komplexe Angriffe entfielen allein auf Kabul 77%. Zudem sei nach UNAMA ein Rekordniveau von interner Flucht und Vertreibung erreicht. Hinzu komme die sehr große Anzahl von Rückkehrern aus Iran und Pakistan. Dies führe zu einer extremen Belastung der ohnehin bereits überstrapazierten Aufnahmekapazitäten. Das Wirtschaftswachstum in Afghanistan liege nach den Prognosen der Weltbank nur im 1%-Bereich. Auch Amnesty International gehe davon aus, dass die Sicherheit rückgeführter Afghanen aufgrund der sehr schlechten und sehr instabilen Sicherheitslage nicht gewährleistet werden könne. In einem Aufsatz einer Afghanistan-Expertin (Asylmagazin 2017, 73) werde der massive Einbruch der Wirtschaft in Afghanistan und die humanitäre Lage von Rückkehrern geschildert. Die Annahme, dass alleinstehende junge gesunde Männer ihr Überleben aus eigener Kraft sichern könnten, sei durch die derzeitige humanitäre Lage grundlegend in Frage gestellt.

Die Fragen zielen ohne Differenzierung darauf ab, ob hinsichtlich Afghanistan die Voraussetzungen für die Zuerkennung subsidiären Schutzes, insbesondere nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG, oder nationalen Schutzes nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG angenommen werden können. Das Verwaltungsgericht hat zu § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG ausgeführt, dem Kläger drohe bei einer Rückkehr nach Afghanistan keine ernsthafte individuelle Bedrohung seines Lebens oder seiner Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts. Ob von einem landesweiten bewaffneten Konflikt auszugehen sei, könne offen bleiben, da die Gefahrendichte weit von der Erheblichkeitsschwelle entfernt liege (UA S. 11 ff.). Es hat dabei insbesondere auf die Opferzahlen Bezug genommen. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG hat das Verwaltungsgericht ebenfalls verneint (UA S.15 ff.). Für den Kläger ergebe sich keine extreme allgemeine Gefahrenlage.

Dies entspricht der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, der hinsichtlich § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG a.F., der Vorgängerregelung des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG, für die Ostregion mit der Heimatprovinz des Klägers, Laghman, die Voraussetzungen einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts verneint hat und hieran auch angesichts der aktuellen Auskünfte weiter festhält (BayVGH, B.v. 4.4.2017 – 13a ZB 17.30169; B.v. 9.1.2015 – 13a ZB 14.30449 – juris; U.v. 22.3.2013 – 13a B 12.30044 – juris = AuAS 2013, 119 -LS-). Zudem geht der Verwaltungsgerichtshof weiterhin davon aus, dass auch angesichts der aktuellen Auskunftslage die Situation in Afghanistan nicht derart ist, dass für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende afghanische Staatsangehörige im Allgemeinen eine extreme Gefahrenlage anzunehmen wäre, die zu einem Abschiebungsverbot in entsprechender Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führen würde (BayVGH, B.v. 11.4.2017 – 13a ZB 17.30294 – juris; B.v. 22.12.2016 – 13a ZB 16.30684 – juris; BayVGH, U.v. 12.2.2015 – 13a B 14.30309 – juris). Ebenso wenig stellt eine Abschiebung ohne weiteres eine Verletzung von Art. 3 EMRK dar (BayVGH, U.v. 12.2.2015 a.a.O. unter Hinweis auf BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – NVwZ 2013, 1167, das wiederum verweist auf EGMR, U.v. 21.1.2011 – M.S.S./Belgien und Griechenland, Nr. 30696/09 – NVwZ 2011, 413; U.v. 28.6.2011 – Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich, Nr. 8319/07 – NVwZ 2012, 681; U.v. 13.10.2011 – Husseini/Schweden, Nr. 10611/09 – NJOZ 2012, 952).

Die klägerischen Ausführungen zur Verschlechterung der Sicherheitslage bieten keinen Anlass, im Rahmen eines Berufungsverfahrens in eine erneute Risikobewertung einzutreten. Sie berücksichtigen nicht die Anforderungen des Bundesverwaltungsgerichts zur Frage, wann eine für die Gewährung subsidiären Schutzes notwendige erhebliche individuelle Gefährdung anzunehmen sein kann (BVerwG, U.v. 27.4.2010 – 10 C 4.09 – BVerwGE 136, 360 = NVwZ 2011, 56). Danach bedarf es für die Feststellung der erforderlichen Gefahrendichte einer wertenden Gesamtbetrachtung auf der Grundlage der quantitativen Ermittlung des Tötungs- und Verletzungsrisikos (BVerwG, U.v. 13.2.2014 – 10 C 6.13 – NVwZ-RR 2014, 487; U.v. 17.11.2011 – 10 C 13.10 – NVwZ 2012, 454). Ausgehend von mindestens 27 Millionen Einwohnern (vielfach wird eine höhere Bevölkerungszahl angenommen) und von (vom Kläger selbst genannt) 11.408 Opfern in Afghanistan ergibt sich für das Jahr 2016 eine Gefahrendichte, die weit unter der vom Bundesverwaltungsgericht gebilligten Wahrscheinlichkeit von 0,12% oder 1:800 liegt. Anhaltspunkte, dass das von UNAMA (Afghanistan, Protection of Civilians in Armed Conflict, Annual Report, Februar 2017) genannte Zahlenmaterial nicht valide ist, werden vom Kläger nicht genannt. Die bisher bekannten Zahlen für 2017 liegen in etwa in der gleichen Höhe.

Aus den auch vom Verwaltungsgericht herangezogenen Anmerkungen des UNHCR vom Dezember 2016, die sich auf die UNHCR-Richtlinien vom 19. April 2016 beziehen, wonach sich die Sicherheitslage nochmals deutlich verschlechtert habe, ergibt sich nichts anderes. Vor dem Hintergrund anhaltender Besorgnis in Bezug auf die Sicherheitslage werden dort Empfehlungen für den Schutzbedarf ausgesprochen und verschiedene Risikoprofile aufgezeigt, ohne dass Zahlen genannt würden, die die bisherige Einschätzung des Verwaltungsgerichtshofs in Frage stellen könnten. Die dortige Bewertung beruht zudem auf den vom UNHCR selbst angelegten Maßstäben. Des Weiteren sind auch nach dessen Auffassung alleinstehende, leistungsfähige Männer und verheiratete Paare im berufsfähigen Alter in der Lage, ohne Unterstützung von Familie und Gemeinschaft in urbanen und semi-urbanen Umgebungen zu leben (Richtlinien vom 19.4.2016 S. 10). Soweit Stahlmann (Asylmagazin 2017, 73) die schwierige humanitäre Lage von Rückkehrern beschreibt, hängt auch nach ihren Ausführungen die Überlebenssicherung in Afghanistan von verschiedenen Faktoren ab, die sich nicht allgemein festlegen lassen. Die weiteren Ausführungen im Zulassungsantrag geben ebenfalls nicht hinreichend Anlass zu einer grundlegenden anderen Beurteilung. Dies gilt sowohl hinsichtlich des subsidiären wie des nationalen Abschiebungsschutzes.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.

II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 16. Februar 2017 ist unbegründet, weil die Voraussetzungen des § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG nicht vorliegen.

Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Dieser Zulassungsgrund setzt voraus, dass die im Zulassungsantrag dargelegte konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war, ihre Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten ist und ihr eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124 Rn. 36).

Der Kläger hält für klärungsbedürftig, ob

– ihm „aufgrund der stark verschlechterten Sicherheitslage und den stark gestiegenen Opferzahlen seit 2016 nun ein ernsthafter Schaden infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts droht“,

– für ihn „eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit bzw. die Gefahr einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung bei einer Rückkehr nach Afghanistan besteht, weil sich die Sicherheits- und Existenzsicherungssituation auch aufgrund der gestiegenen Anzahl von Binnenvertriebenen und Rückkehrern und der wirtschaftlichen Situation in Afghanistan seit 2016 grundlegend und massiv verschlechtert hat“,

-„für einzelne Regionen bzw. einzelne Personengruppen, insbesondere für aus dem westlichen Ausland als abgelehnte Asylbewerber zurückkehrende Personen, besondere Risiken bestehen, die zu einer erhöhten Gefährdung führen“,

-„einzelne Zivilperson, insbesondere ein aus dem westlichen Ausland zurückkehrender abgelehnter Asylbewerber, einen sicheren Landesteil erreichen und sich dort auf Dauer rechtmäßig niederlassen und sein Existenzminimum sichern kann“,

-„aufgrund individueller Besonderheiten aus dem westlichen Ausland zurückkehrender Asylbewerber im gesamten Gebiet von Afghanistan eine besondere individuelle Gefährdung angenommen werden kann“

-„das Zahlenmaterial, das die zivilen Opfer von Kriegshandlungen im Rahmen des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts erfasst, valide ist“ und

-„eine alleinstehende Person in den von der Beklagten als sicher angenommenen Provinzen Kabul, Pandijr, Bamyan, Mazar-e-Sharif oder Herat ohne familiäre Hilfe eine Arbeitsstelle und eine Unterkunft finden und mit der Arbeit finanzieren kann“.

Das Verwaltungsgericht habe die neueren Berichte hierzu nicht bzw. nicht angemessen gewürdigt. Nach den „Anmerkungen von UNHCR zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des deutschen Bundesministeriums des Inneren“ vom Dezember 2016 habe sich die Sicherheitslage seit April 2016 insgesamt nochmals deutlich verschlechtert. UNAMA (Afghanistan, Protection of Civilians in Armed Conflict, Annual Report, Februar 2017) beziffere den Anstieg ziviler Opfer in Afghanistan auf 11.408, was einer Zunahme von 3% entspreche. Von den Zivilopfern durch Suizid- und komplexe Angriffe entfielen allein auf Kabul 77%. Zudem sei nach UNAMA bei interner Flucht und Vertreibung ein Rekordniveau erreicht. Hinzu komme die sehr große Anzahl von Rückkehrern aus Iran und Pakistan. Dies führe zu einer extremen Belastung der ohnehin bereits überstrapazierten Aufnahmekapazitäten. Das Wirtschaftswachstum in Afghanistan liege nach den Prognosen der Weltbank nur im 1-Prozent-Bereich. Auch Amnesty International gehe davon aus, dass die Sicherheit rückgeführter Afghanen aufgrund der sehr schlechten und sehr instabilen Sicherheitslage nicht gewährleistet werden könne. In einem Aufsatz einer Afghanistan-Expertin (Asylmagazin 2017, 73) werde der massive Einbruch der Wirtschaft in Afghanistan und die humanitäre Lage von Rückkehrern geschildert. Die Annahme, dass alleinstehende junge gesunde Männer ihr Überleben aus eigener Kraft sichern könnten, sei durch die derzeitige humanitäre Lage grundlegend in Frage gestellt.

Die Fragen zielen ohne Differenzierung darauf ab, ob hinsichtlich Afghanistan die Voraussetzungen für die Zuerkennung subsidiären Schutzes, insbesondere nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG, oder nationalen Schutzes nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG angenommen werden können. Das Verwaltungsgericht hat zu § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG ausgeführt, dem Kläger drohe bei einer Rückkehr nach Afghanistan keine ernsthafte individuelle Bedrohung seines Lebens oder seiner Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts. Zwar sei von einem landesweiten bewaffneten Konflikt auszugehen, trotz der Zunahme der Gewalt könne aber weder für das ganze Land noch für einzelne Gebiete auf eine Extremgefahr im Sinn von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG geschlossen werden (UA S. 6 f.). Es hat dabei insbesondere auf die Opferzahlen Bezug genommen. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG hat das Verwaltungsgericht ebenfalls verneint (UA S. 7 ff.). Für den Kläger ergebe sich keine extreme allgemeine Gefahrenlage.

Dies entspricht der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, der hinsichtlich § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG a.F., der Vorgängerregelung des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG, für die Zentralregion mit der Heimatprovinz des Klägers, Parwan, die Voraussetzungen einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts verneint hat (U.v. 1.2.2013 - 13a B 12.30045 - juris zu § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG a.F.) und hieran auch angesichts der aktuellen Auskünfte weiter festhält (BayVGH, B.v. 28.3.2017 - 13a ZB 17.30212 - juris; B.v. 30.1.2017 - 13a ZB 16.30824 - juris; B.v. 30.7.2015 - 13a ZB 15.30031 - juris). Zudem geht der Verwaltungsgerichtshof weiterhin davon aus, dass auch angesichts der aktuellen Auskunftslage die Situation in Afghanistan nicht derart ist, dass für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende afghanische Staatsangehörige im Allgemeinen eine extreme Gefahrenlage anzunehmen wäre, die zu einem Abschiebungsverbot in entsprechender Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führen würde (BayVGH, B.v. 11.4.2017 - 13a ZB 17.30294 - juris; B.v. 22.12.2016 - 13a ZB 16.30684 - juris; BayVGH, U.v. 12.2.2015 - 13a B 14.30309 - juris). Ebenso wenig stellt eine Abschiebung ohne weiteres eine Verletzung von Art. 3 EMRK dar (BayVGH, U.v. 12.2.2015 a.a.O. unter Hinweis auf BVerwG, U.v. 31.1.2013 - 10 C 15.12 - NVwZ 2013, 1167, das wiederum verweist auf EGMR, U.v. 21.1.2011 - M.S.S./Belgien und Griechenland, Nr. 30696/09 - NVwZ 2011, 413; U.v. 28.6.2011 - Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich, Nr. 8319/07 - NVwZ 2012, 681; U.v. 13.10.2011 - Husseini/Schweden, Nr. 10611/09 - NJOZ 2012, 952).

Die klägerischen Ausführungen zur Verschlechterung der Sicherheitslage bieten keinen Anlass, im Rahmen eines Berufungsverfahrens in eine erneute Risikobewertung einzutreten. Sie berücksichtigen nicht die Anforderungen des Bundesverwaltungsgerichts zur Frage, wann eine für die Gewährung subsidiären Schutzes notwendige erhebliche individuelle Gefährdung anzunehmen sein kann (BVerwG, U.v. 27.4.2010 - 10 C 4.09 - BVerwGE 136, 360 = NVwZ 2011, 56). Danach bedarf es für die Feststellung der erforderlichen Gefahrendichte einer wertenden Gesamtbetrachtung auf der Grundlage der quantitativen Ermittlung des Tötungs- und Verletzungsrisikos (BVerwG, U.v. 13.2.2014 - 10 C 6.13 - NVwZ-RR 2014, 487; U.v. 17.11.2011 - 10 C 13.10 - NVwZ 2012, 454). Ausgehend von mindestens 27 Millionen Einwohnern (vielfach wird eine höhere Bevölkerungszahl angenommen) und von (nach der vom Kläger selbst genannten Bezifferung von UNAMA) 11.408 Opfern in Afghanistan ergibt sich für das Jahr 2016 eine Gefahrendichte, die weit unter der vom Bundesverwaltungsgericht gebilligten Wahrscheinlichkeit von 0,12% oder 1:800 liegt. Anhaltspunkte, dass das von UNAMA genannte Zahlenmaterial nicht valide ist, werden vom Kläger nicht genannt.

Aus den Anmerkungen des UNHCR vom Dezember 2016, die sich auf die UNHCR-Richtlinien vom 19. April 2016 beziehen, wonach sich die Sicherheitslage nochmals deutlich verschlechtert habe, ergibt sich nichts anderes. Vor dem Hintergrund anhaltender Besorgnis in Bezug auf die Sicherheitslage werden dort Empfehlungen für den Schutzbedarf ausgesprochen und verschiedene Risikoprofile aufgezeigt, ohne dass Zahlen genannt würden, die die bisherige Einschätzung des Verwaltungsgerichtshofs in Frage stellen könnten. Die dortige Bewertung beruht zudem auf den vom UNHCR selbst angelegten Maßstäben. Des Weiteren sind auch nach dessen Auffassung alleinstehende, leistungsfähige Männer und verheiratete Paare im berufsfähigen Alter in der Lage, ohne Unterstützung von Familie und Gemeinschaft in urbanen und semi-urbanen Umgebungen zu leben (Richtlinien vom 19.4.2016 S. 10). Soweit Stahlmann (Asylmagazin 2017, 73) die schwierige humanitäre Lage von Rückkehrern beschreibt, hängt auch nach ihren Ausführungen die Überlebenssicherung in Afghanistan von verschiedenen Faktoren ab, die sich nicht allgemein festlegen lassen. Die weiteren Ausführungen im Zulassungsantrag geben ebenfalls nicht hinreichend Anlass zu einer grundlegenden anderen Beurteilung. Dies gilt sowohl hinsichtlich des subsidiären wie des nationalen Abschiebungsschutzes.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.

Tenor

I.

Der Antrag wird abgelehnt.

II.

Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 23. Januar 2017 ist unbegründet, weil die Voraussetzungen des § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG nicht vorliegen.

Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Dieser Zulassungsgrund setzt voraus, dass die im Zulassungsantrag dargelegte konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war, ihre Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten ist und ihr eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124 Rn. 36).

Der Kläger hält für klärungsbedürftig, ob ihm „aufgrund der stark verschlechterten Sicherheitslage und den stark gestiegenen Opferzahlen seit 2016 nun ein ernsthafter Schaden infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts droht“, und ob für ihn „eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit bzw. die Gefahr einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung bei einer Rückkehr nach Afghanistan besteht, weil sich die Sicherheits- und Existenzsicherungssituation auch aufgrund der gestiegenen Anzahl von Binnenvertriebenen und Rückkehrern und der wirtschaftlichen Situation in Afghanistan seit 2016 grundlegend und massiv verschlechtert hat“. Das Verwaltungsgericht habe die neueren Berichte hierzu nicht gewürdigt. Nach den „Anmerkungen von UNHCR zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des deutschen Bundesministeriums des Inneren“ vom Dezember 2016 habe sich die Sicherheitslage seit April 2016 insgesamt nochmals deutlich verschlechtert. UNAMA (Afghanistan, Protection of Civilians in Armed Conflict, Annual Report, Februar 2017) beziffere den Anstieg ziviler Opfer in Afghanistan auf 11.408, was einer Zunahme von 3% entspreche. Von den Zivilopfern durch Suizid- und komplexe Angriffe entfielen allein auf Kabul 77%. Zudem sei bei interner Flucht und Vertreibung ein Rekordniveau erreicht (UNHCR a.a.O.). Hinzu komme die sehr große Anzahl von Rückkehrern aus Iran und Pakistan. Dies führe zu einer extremen Belastung der ohnehin bereits überstrapazierten Aufnahmekapazitäten. Das Wirtschaftswachstum in Afghanistan liege nach den Prognosen der Weltbank nur im 1-Prozent-Bereich.

Das Verwaltungsgericht hat zu § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG ausgeführt, dem Kläger drohe bei einer Rückkehr nach Afghanistan keine ernsthafte individuelle Bedrohung seines Lebens oder seiner Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts. Zwar sei von einem landesweiten bewaffneten Konflikt auszugehen, trotz der Zunahme der Gewalt könne aber weder für das ganze Land noch für einzelne Gebiete auf eine Extremgefahr im Sinn von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG geschlossen werden (UA S. 7 f.). Es hat dabei insbesondere auf die Opferzahlen Bezug genommen. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG hat das Verwaltungsgericht ebenfalls verneint (UA S. 10 f.). Für den Kläger ergebe sich keine extreme allgemeine Gefahrenlage.

Dies entspricht der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, der hinsichtlich § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG a.F., der Vorgängerregelung des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG, für die in der Zentralregion gelegene Stadt Kabul die Voraussetzungen einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts verneint hat (BayVGH, B.v. 4.4.2017 - 13a ZB 17.30231; B.v. 17.8.2016 - 13a ZB 16.30090 - juris; B.v. 30.7.2015 - 13a ZB 15.30031 - juris; U.v. 1.2.2013 - 13a B 12.30045 - juris zu § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG a.F.). Hierauf hat das Verwaltungsgericht abgestellt. Auch geht der Verwaltungsgerichtshof davon aus, dass die Lage in Afghanistan nicht derart ist, dass eine Abschiebung ohne weiteres eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde und subsidiärer Schutz nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG oder ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG anzunehmen wäre (BayVGH, U.v. 12.2.2015 - 13a B 14.30309 - juris - unter Hinweis auf BVerwG, U.v. 31.1.2013 - 10 C 15.12 - NVwZ 2013, 1167, das wiederum verweist auf EGMR, U.v. 21.1.2011 - M.S.S./Belgien und Griechenland, Nr. 30696/09 - NVwZ 2011, 413; U.v. 28.6.2011 - Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich, Nr. 8319/07 - NVwZ 2012, 681; U.v. 13.10.2011 - Husseini/Schweden, Nr. 10611/09 - NJOZ 2012, 952). Auch in Bezug auf § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist geklärt, dass für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende afghanische Staatsangehörige angesichts der aktuellen Auskunftslage im Allgemeinen derzeit nicht von einer extremen Gefahrenlage auszugehen ist, die zu einem Abschiebungsverbot in entsprechender Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führen würde (BayVGH, B.v. 4.1.2017 - 13a ZB 16.30600 - juris; BayVGH, U.v. 12.2.2015 a.a.O.; U.v. 30.1.2014 - 13a B 13.30279 - juris).

Die klägerischen Ausführungen zur Verschlechterung der Sicherheitslage bieten keinen Anlass, im Rahmen eines Berufungsverfahrens in eine erneute Risikobewertung einzutreten. Sie berücksichtigen nicht die Anforderungen des Bundesverwaltungsgerichts zur Frage, wann eine für die Gewährung subsidiären Schutzes notwendige erhebliche individuelle Gefährdung anzunehmen sein kann (BVerwG, U.v. 27.4.2010 - 10 C 4.09 - BVerwGE 136, 360 = NVwZ 2011, 56). Danach bedarf es für die Feststellung der erforderlichen Gefahrendichte einer wertenden Gesamtbetrachtung auf der Grundlage der quantitativen Ermittlung des Tötungs- und Verletzungsrisikos (BVerwG, U.v. 13.2.2014 - 10 C 6.13 - NVwZ-RR 2014, 487; U.v. 17.11.2011 - 10 C 13.10 - NVwZ 2012, 454). Ausgehend von mindestens 27 Millionen Einwohnern (vielfach wird eine höhere Bevölkerungszahl angenommen) und von (entsprechend den klägerischen Angaben) hochgerechnet ca. 11.500 Opfern in Afghanistan ergibt sich für das Jahr 2016 eine Gefahrendichte, die weit unter der vom Bundesverwaltungsgericht gebilligten Wahrscheinlichkeit von 0,12% oder 1:800 liegt.

Aus den Anmerkungen des UNHCR vom Dezember 2016, die sich auf die UNHCR-Richtlinien vom 19. April 2016 beziehen, wonach sich die Sicherheitslage nochmals deutlich verschlechtert habe, ergibt sich nichts anderes. Vor dem Hintergrund anhaltender Besorgnis in Bezug auf die Sicherheitslage werden dort Empfehlungen für den Schutzbedarf ausgesprochen und verschiedene Risikoprofile aufgezeigt, ohne dass Zahlen genannt würden, die die bisherige Einschätzung des Verwaltungsgerichtshofs in Frage stellen könnten. Die dortige Bewertung beruht zudem auf den vom UNHCR selbst angelegten Maßstäben. Des Weiteren sind auch nach dessen Auffassung alleinstehende, leistungsfähige Männer und verheiratete Paare im berufsfähigen Alter in der Lage, ohne Unterstützung von Familie und Gemeinschaft in urbanen und semi-urbanen Umgebungen zu leben (Richtlinien vom 19.4.2016 S. 10). Aus den weiteren Ausführungen im Zulassungsantrag ergeben sich ebenfalls keine anderen Ausgangsdaten, die darauf schließen ließen, dass die vom Verwaltungsgericht und vom Verwaltungsgerichtshof zugrunde gelegten Erkenntnisse zwischenzeitlich unrichtig oder überholt wären. Dies gilt sowohl hinsichtlich des subsidiären wie des nationalen Abschiebungsschutzes.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.

Tenor

I. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

II. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

III. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe, da der Zulassungsantrag aus nachstehenden Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO).

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 13. Januar 2017 ist unbegründet, weil die Voraussetzungen des § 78 Abs. 3 Nr. 1 und 3 AsylG nicht vorliegen.

Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Dieser Zulassungsgrund setzt voraus, dass die im Zulassungsantrag dargelegte konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war, ihre Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten ist und ihr eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124 Rn. 36).

Der Kläger hält für klärungsbedürftig, „ob bzw. dass [er] bei einer Rückkehr nach Afghanistan mit einer Gefahr für Leib und Leben rechnen muss und ob ihm insbesondere eine inländische Fluchtalternative zur Verfügung steht.“ Die Frage sei vom Verwaltungsgericht zu Unrecht verneint worden. Auch habe es als Erkenntnismittel ausschließlich den Lagebericht vom 19. Oktober 2016, nicht aber weitere Erkenntnisgrundlagen herangezogen. Aus den UNHCR-Richtlinien vom 19. April 2016, aus Berichten der Welthungerhilfe, von humans rights watch, von amnesty international und anderen Institutionen ergebe sich aber, dass die Situation in Afghanistan katastrophal sei.

Es ist bereits fraglich, inwieweit hier eine grundsätzliche klärungsbedürftige Frage aufgeworfen wurde. Jedenfalls ist in der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs geklärt, dass Angehörige der Zivilbevölkerung bei einer Rückkehr in die Südostregion (mit der Provinz G., aus der der Kläger stammt) im Allgemeinen keiner erheblichen individuellen Gefahr durch militante Gewalt ausgesetzt sind (B.v. 20.1.2017 - 13a ZB 16.30996 - juris; B.v. 20.8.2015 - 13a ZB 15.30062 - juris; U.v. 4.6.2013 - 13a B 12.30063 - juris). Auch geht der Verwaltungsgerichtshof davon aus, dass die Lage in Afghanistan nicht derart ist, dass eine Abschiebung ohne weiteres eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde und subsidiärer Schutz nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG oder ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG anzunehmen wäre (BayVGH, U.v. 12.2.2015 - 13a B 14.30309 - juris - unter Hinweis auf BVerwG, U.v. 31.1.2013 - 10 C 15.12 - NVwZ 2013, 1167, das wiederum verweist auf EGMR, U.v. 21.1.2011 - M.S.S./Belgien und Griechenland, Nr. 30696/09 - NVwZ 2011, 413; U.v. 28.6.2011 - Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich, Nr. 8319/07 - NVwZ 2012, 681; U.v. 13.10.2011 - Husseini/Schweden, Nr. 10611/09 - NJOZ 2012, 952). Auch in Bezug auf § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist geklärt, dass für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende afghanische Staatsangehörige angesichts der aktuellen Auskunftslage im Allgemeinen derzeit nicht von einer extremen Gefahrenlage auszugehen ist, die zu einem Abschiebungsverbot in entsprechender Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führen würde (BayVGH, B.v. 4.1.2017 - 13a ZB 16.30600 - juris; BayVGH, U.v. 12.2.2015 a.a.O.; U.v. 30.1.2014 - 13a B 13.30279 - juris).

Die klägerischen Ausführungen zur Verschlechterung der Sicherheitslage bieten keinen Anlass, im Rahmen eines Berufungsverfahrens in eine erneute Risikobewertung einzutreten. Sie berücksichtigen nicht die Anforderungen des Bundesverwaltungsgerichts zur Frage, wann eine für die Gewährung subsidiären Schutzes notwendige erhebliche individuelle Gefährdung anzunehmen sein kann (BVerwG, U.v. 27.4.2010 - 10 C 4.09 - BVerwGE 136, 360 = NVwZ 2011, 56). Danach bedarf es für die Feststellung der erforderlichen Gefahrendichte einer wertenden Gesamtbetrachtung auf der Grundlage der quantitativen Ermittlung des Tötungs- und Verletzungsrisikos (BVerwG, U.v. 13.2.2014 - 10 C 6.13 - NVwZ-RR 2014, 487; U.v. 17.11.2011 - 10 C 13.10 - NVwZ 2012, 454). Ausgehend von mindestens 27 Millionen Einwohnern (vielfach wird eine höhere Bevölkerungszahl angenommen) und ca. 11.500 Opfern in Afghanistan ergibt sich für das Jahr 2016 eine Gefahrendichte, die weit unter der vom Bundesverwaltungsgericht gebilligten Wahrscheinlichkeit von 0,12% oder 1:800 liegt (BayVGH, B.v. 4.4.2017 - 13a ZB 17.30108).

Aus den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des Internationalen Schutzbedarfs Afghanischer Schutzsuchender vom 19. April 2016, wonach sich die Sicherheitslage nochmals deutlich verschlechtert habe, ergibt sich nichts anderes. Vor dem Hintergrund anhaltender Besorgnis in Bezug auf die Sicherheitslage werden dort Empfehlungen für den Schutzbedarf ausgesprochen und verschiedene Risikoprofile aufgezeigt, ohne dass Zahlen genannt würden, die die bisherige Einschätzung des Verwaltungsgerichtshofs in Frage stellen könnten. Die dortige Bewertung beruht zudem auf den vom UNHCR selbst angelegten Maßstäben. Des Weiteren sind auch nach Auffassung von UNHCR alleinstehende, leistungsfähige Männer und verheiratete Paare im berufsfähigen Alter in der Lage, ohne Unterstützung von Familie und Gemeinschaft in urbanen und semi-urbanen Umgebungen zu leben (UNHCR-Richtlinien vom 19.4.2016 S. 10). In den weiteren im Zulassungsantrag genannten Quellen wird ebenfalls die Sicherheitslage nach eigenen Maßstäben bewertet und allgemein auf die sehr schwierige Versorgungslage hingewiesen. Rückkehrer seien in Afghanistan mit einem sich verschärfenden bewaffneten Konflikt, Gewalt, Armut und erneuter Vertreibung konfrontiert (Human Rights Watch vom 22.2.2017 für afghanische Flüchtlinge aus Pakistan). Dass die vom Verwaltungsgericht und vom Verwaltungsgerichtshof zugrunde gelegten Erkenntnisse zwischenzeitlich jedoch unrichtig wären, lässt sich den genannten Berichten nicht entnehmen. Dies gilt sowohl hinsichtlich des subsidiären wie des nationalen Abschiebungsschutzes.

Der weiteren Frage, ob für den Kläger in Afghanistan eine inländische Fluchtalternative besteht, kommt bereits deshalb keine grundsätzliche Bedeutung zu, weil diese einer allgemeinen Klärung nicht zugänglich ist. Ihre Beantwortung hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalls, insbesondere den individuellen Verhältnissen des Klägers ab, vgl. § 3e Abs. 2 AsylG i.V.m. Art. 4 Richtlinie 2011/95/EU.

Soweit der Kläger sinngemäß eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör rügt, ist sein Antrag ebenfalls unbegründet, weil die Voraussetzungen des § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO nicht vorliegen.

Der Kläger trägt hierzu vor, das Gericht habe nur den Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19. Oktober 2016, nicht aber andere Erkenntnismittel herangezogen. Dies verstoße auch gegen den Amtsermittlungsgrundsatz. Hätte es andere Quellen, etwa die UNHCR-Richtlinien vom 19. April 2016 miteinbezogen, wäre es zu einem anderen Ergebnis gelangt.

Das rechtliche Gehör gewährleistet im Sinn der Wahrung eines verfassungsrechtlich gebotenen Mindestmaßes, dass ein Kläger die Möglichkeit haben muss, sich im Prozess mit tatsächlichen und rechtlichen Argumenten zu behaupten (BVerfG, B.v. 21.4.1982 - 2 BvR 810/81 - BVerfGE 60, 305/310). Die Rüge der Verletzung der Aufklärungspflicht nach § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO berührt den Regelungsgehalt des Art. 103 Abs. 1 GG nicht; denn der Grundsatz des rechtlichen Gehörs stellt nur sicher, dass das Gericht die Ausführungen der Beteiligten würdigt. Art. 103 Abs. 1 GG gibt den am Prozess Beteiligten jedoch keinen Anspruch darauf, dass das Gericht Tatsachen erst beschafft oder von sich aus Beweis erhebt (BVerfG, B.v. 2.12.1969 - 2 BvR 320/69 - BVerfGE 27, 248/251; BayVerfGH, E.v. 13.3.1981 - Vf. 93-VI-78 - VerfGH 34, 47 = BayVBl 1981, 529). Aufklärungspflichten, die über die verfassungsrechtlichen Mindestanforderungen hinausgehen, sich zu dem der Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhalt zu äußern, sind, auch wenn sie im einfachen Prozessrecht verankert sind, nicht von der Schutzwirkung des Rechts auf Gehör umfasst (BayVerfGH, E.v. 29.1.2014 - Vf. 18-VI-12 - BayVBl 2014, 448). Gemessen an diesen Grundsätzen liegt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts kein Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör zugrunde. Es hat sich dem Vorbringen des Klägers befasst und dieses gewürdigt (UA S. 7 ff.).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.

Tenor

I. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

II. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

III. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe, da der Zulassungsantrag aus nachstehenden Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO).

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 12. Dezember 2016 ist unbegründet, weil die Voraussetzungen des § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG nicht vorliegen.

Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Dieser Zulassungsgrund setzt voraus, dass die im Zulassungsantrag dargelegte konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war, ihre Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten ist und ihr eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124 Rn. 36).

Der Kläger hält für klärungsbedürftig, ob

1. „für Angehörige der Zivilbevölkerung durch ihre Anwesenheit in Afghanistan aufgrund des Vorliegens eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib oder Leben im Sinne von § 4 I Satz 2 Nr. 3 AsylG in Verbindung mit Art. 15 c RL 2004/83/EG“ besteht,

2. „dieser Personenkreis internen Schutz im Sinne von § 3 e AsylG in anderen Landesteilen, insbesondere den afghanischen Großstädten finden“ kann,

3. „aufgrund der Situation in Afghanistan für Angehörige der Zivilbevölkerung von einem nationalen Abschiebeverbot im Sinne von § 60 V/VII Satz 1 AufenthG auszugehen“ ist.

Der UNHCR habe in seiner Stellungnahme vom Dezember 2016 darauf hingewiesen, dass sich die Sicherheitslage seit April 2016 insgesamt nochmals deutlich verschlechtert habe. Auch sei eine Unterscheidung zwischen sicheren und unsicheren Gebieten aufgrund der sich ständig ändernden Sicherheitslage nicht möglich. Daher erwäge auch der Innenminister von Schleswig-Holstein einen Abschiebestopp für Flüchtlinge aus Afghanistan. Das Bundesverfassungsgericht habe in seinem Beschluss vom 14. Dezember 2016 die Frage, ob angesichts der aktuellen Lage in Afghanistan Abschiebungen derzeit verfassungsrechtlich vertretbar seien, ausdrücklich offen gelassen. Insgesamt sei jedenfalls eine neue Risikobewertung durch den Senat geboten.

Das Verwaltungsgericht hat zu § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG ausgeführt, dem Kläger drohe bei einer Rückkehr nach Afghanistan keine ernsthafte individuelle Bedrohung seines Lebens oder seiner Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts. Zwar sei von einem landesweiten bewaffneten Konflikt auszugehen, trotz der Zunahme der Gewalt könne aber weder für das ganze Land noch für einzelne Gebiete auf eine Extremgefahr im Sinn von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG geschlossen werden (UA S. 7 f.). Es hat dabei insbesondere auf die Opferzahlen Bezug genommen. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG hat das Verwaltungsgericht ebenfalls verneint (UA S. 9 f.). Für den Kläger ergebe sich keine extreme allgemeine Gefahrenlage.

Dies entspricht der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, der hinsichtlich § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG a.F., der Vorgängerregelung des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG, für die in der Südregion liegenden Herkunftsprovinz des Klägers Uruzgan eine kritische Gefahrendichte verneint hat (U.v. 21.6.2013 - 13a B 12.30170 - juris.). Auch geht der Verwaltungsgerichtshof davon aus, dass die Lage in Afghanistan nicht derart ist, dass eine Abschiebung ohne weiteres eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde und subsidiärer Schutz nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG oder ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG anzunehmen wäre (BayVGH, U.v. 12.2.2015 - 13a B 14.30309 - juris - unter Hinweis auf BVerwG, U.v. 31.1.2013 - 10 C 15.12 - NVwZ 2013, 1167, das wiederum verweist auf EGMR, U.v. 21.1.2011 - M.S.S./Belgien und Griechenland, Nr. 30696/09 - NVwZ 2011, 413; U.v. 28.6.2011 - Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich, Nr. 8319/07 - NVwZ 2012, 681; U.v. 13.10.2011 - Husseini/Schweden, Nr. 10611/09 - NJOZ 2012, 952). Auch in Bezug auf § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist geklärt, dass für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende afghanische Staatsangehörige angesichts der aktuellen Auskunftslage im Allgemeinen derzeit nicht von einer extremen Gefahrenlage auszugehen ist, die zu einem Abschiebungsverbot in entsprechender Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führen würde (BayVGH, B.v. 4.1.2017 - 13a ZB 16.30600 - juris; BayVGH, U.v. 12.2.2015 a.a.O.; U.v. 30.1.2014 - 13a B 13.30279 - juris).

Die klägerischen Ausführungen zur Verschlechterung der Sicherheitslage bieten keinen Anlass, im Rahmen eines Berufungsverfahrens in eine erneute Risikobewertung einzutreten. Sie berücksichtigen nicht die Anforderungen des Bundesverwaltungsgerichts zur Frage, wann eine für die Gewährung subsidiären Schutzes notwendige erhebliche individuelle Gefährdung anzunehmen sein kann (BVerwG, U.v. 27.4.2010 - 10 C 4.09 - BVerwGE 136, 360 = NVwZ 2011, 56). Danach bedarf es für die Feststellung der erforderlichen Gefahrendichte einer wertenden Gesamtbetrachtung auf der Grundlage der quantitativen Ermittlung des Tötungs- und Verletzungsrisikos (BVerwG, U.v. 13.2.2014 - 10 C 6.13 - NVwZ-RR 2014, 487; U.v. 17.11.2011 - 10 C 13.10 - NVwZ 2012, 454). Ausgehend von mindestens 27 Millionen Einwohnern (vielfach wird eine höhere Bevölkerungszahl angenommen) und von (entsprechend den klägerischen Angaben) hochgerechnet ca. 11.500 Opfern in Afghanistan ergibt sich für das Jahr 2016 eine Gefahrendichte, die weit unter der vom Bundesverwaltungsgericht gebilligten Wahrscheinlichkeit von 0,12% oder 1:800 liegt.

Aus den Anmerkungen des UNHCR vom Dezember 2016, die sich auf die vom Verwaltungsgericht herangezogenen UNHCR-Richtlinien vom 19. April 2016 beziehen, wonach sich die Sicherheitslage nochmals deutlich verschlechtert habe, ergibt sich nichts anderes. Vor dem Hintergrund anhaltender Besorgnis in Bezug auf die Sicherheitslage werden dort Empfehlungen für den Schutzbedarf ausgesprochen und verschiedene Risikoprofile aufgezeigt, ohne dass dort Zahlen genannt würden, die die bisherige Einschätzung des Verwaltungsgerichtshofs in Frage stellen könnten. Die dortige Bewertung beruht zudem auf den vom UNHCR selbst angelegten Maßstäben. Des Weiteren sind auch nach dessen Auffassung alleinstehende, leistungsfähige Männer und verheiratete Paare im berufsfähigen Alter in der Lage, ohne Unterstützung von Familie und Gemeinschaft in urbanen und semi-urbanen Umgebungen zu leben (Richtlinien vom 19.4.2016). Aus den weiteren Ausführungen im Zulassungsantrag ergeben sich ebenfalls keine anderen Ausgangsdaten, die darauf schließen ließen, dass die vom Verwaltungsgericht und vom Verwaltungsgerichtshof zugrunde gelegten Erkenntnisse zwischenzeitlich unrichtig oder überholt wären. Dies gilt sowohl hinsichtlich des subsidiären wie des nationalen Abschiebungsschutzes. Die Überlegungen des Innenministers von Schleswig-Holstein zu einem Abschiebestopp basieren auf politischen Erwägungen. Der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Dezember 2016 (B.v. 14.12.2017 - 2 BvR 2557/16 -Asylmagazin 2017, 46) lag ein Folgeantrag eines afghanischen Asylbewerbers zugrunde, dessen Erstverfahren rund 30 Monate zurücklag und dem der Folgeantragsbescheid noch nicht bekannt gegeben worden war. Hier bedürfe es der Überprüfung, ob es Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG gebiete, in Fällen der Mitteilung des Bundesamts an die Ausländerbehörde nach § 71 Abs. 5 Satz 2 AsylG, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG nicht vorliegen, das Bundesamt zur Offenlegung der Gründe hierfür zu verpflichten und dem Asylbewerber Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben (BVerfG a.a.O. Rn. 13). Ein Anlass zu einer Neubewertung der bekanntlich angespannten Sicherheitslage ergibt sich hieraus nicht.

Der weiteren Frage, ob in Afghanistan Schutzalternativen bestehen, kommt bereits deshalb keine grundsätzliche Bedeutung zu, weil das Verwaltungsgericht nicht angenommen hat, der Kläger könne in einem andern Landesteil internen Schutz im Sinn von § 3e AsylG finden. Im Übrigen wäre die Frage einer allgemeinen Klärung nicht zugänglich. Ihre Beantwortung hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalls, insbesondere den individuellen Verhältnisse des Klägers ab.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.

II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 25. Oktober 2016 ist unbegründet, weil die Voraussetzungen des § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG nicht vorliegen.

Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung im Sinn von § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG. Dieser Zulassungsgrund setzt voraus, dass die im Zulassungsantrag dargelegte konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war, ihre Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten ist und ihr eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124 Rn. 36).

Der Kläger trägt vor, die Sache habe grundsätzliche Bedeutung, da die Situation und politische Lage im heutigen Afghanistan aufgrund der aktuellen Vorkommnisse der letzten Monate neu zu bewerten sei. Bezug nehmend auf die Ausführungen des Verwaltungsgerichts zum subsidiären Schutz nach § 4 AsylG rügt der Kläger, dass dessen Einschätzung auf Erkenntnissen basiere, die als nicht mehr aktuell anzusehen seien. Die Sicherheitslage habe sich in allen Landesteilen in der zweiten Jahreshälfte 2016 erheblich verschlechtert. Das ergebe sich aus den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des Internationalen Schutzbedarfs Afghanischer Asylsuchender vom 19. April 2016, dem Afghanistan-Update der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (Die aktuelle Sicherheitslage, 30.9.2016), dem Bericht von Pro Asyl vom 16. November 2016 zur 205. Sitzung der Innenministerkonferenz sowie aus Presseberichten.

Die somit sinngemäß aufgeworfene Frage, ob praktisch jede Zivilperson in Kunduz einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt sei, hat das Verwaltungsgericht nach Auswertung der aktuellen Erkenntnismittel verneint (UA S. 11 ff.). Die Gefahrendichte in der Provinz Kunduz sei nicht so hoch, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dieser Region einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt sei. Individuelle gefahrerhöhende Umstände, die zu einer Verdichtung der allgemeinen Gefahren in der Person des Klägers führen könnten, seien nicht ersichtlich. Mit dem Hinweis des Klägers auf die Verschlechterung der Sicherheitslage und den Anstieg von zivilen Opfern hat sich das Verwaltungsgericht in dem angefochtenen Urteil auseinandergesetzt (UA S. 12). Hierbei hat es sich auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs sowie insbesondere auf die aktuellen Berichte von UNAMA (Midyear Report 2016 und Annual Report 2015) gestützt und ist zu der Erkenntnis gelangt, dass das Risiko, durch Anschläge Schaden zu erleiden, in der Nordostregion, welche auch die Heimatprovinz des Klägers Kunduz umfasst, zwar angestiegen sei, aber mit 0,03% weit unter einem Promille liege. Das gelte auch dann, wenn berücksichtigt werde, dass sich die Opferzahl für das Jahr 2015 gegenüber dem Vorjahr verdoppelt habe.

Dem ist der Kläger nicht substantiiert entgegengetreten. Er wendet vielmehr nur pauschal ein, die vom Verwaltungsgericht herangezogene Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs und die Erkenntnismittel seien überholt. Aus welchem Grund die Auskunftslage keine Geltung mehr beanspruchen sollte, bleibt offen. Diese allgemeinen Ausführungen zur Verschlechterung der Sicherheitslage bieten keinen Anlass, im Rahmen eines Berufungsverfahrens in eine erneute Risikobewertung einzutreten. Soweit sich der Kläger auf die UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des Internationalen Schutzbedarfs Afghanischer Asylsuchender vom 19. April 2016, wonach sich die Sicherheitslage verschlechtert habe, bezieht, ergibt sich nichts anderes. Ungeachtet dessen, dass die im April 2016 erschienenen Richtlinien keine Aussage zur Situation im zweiten Halbjahr 2016 liefern können, werden dort zum einen nur vor dem Hintergrund anhaltender Besorgnis in Bezug auf die Sicherheitslage Empfehlungen für den Schutzbedarf ausgesprochen und verschiedene Risikoprofile aufgezeigt, ohne dass neuere Daten genannt würden, die die bisherige Einschätzung des Verwaltungsgerichtshofs in Frage stellen könnten. Zum anderen beruht die dortige Bewertung auf den von UNHCR selbst angelegten Maßstäben, die sich nicht mit den Anforderungen des Bundesverwaltungsgerichts an einen bewaffneten Konflikt und eine erhebliche individuelle Gefährdung (s. BVerwG, U.v. 27.4.2010 - 10 C 4.09 - BVerwGE 136, 360) decken. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem im Zulassungsantrag angeführten Afghanistan-Update der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 30. September 2016 und dem Bericht von Pro Asyl vom 16. November 2016 sowie den genannten Presseberichten. Insbesondere ist für den Kläger, der aus Kunduz stammt, die Situation in der Zentralregion und Kabul nicht maßgebend. Ferner befassen sich die Berichte zum Teil mit einer etwas anders gelagerten Problematik, so zum Beispiel bei Pro Asyl mit den beginnenden Abschiebungen und der Situation für Rückkehrer. Im Übrigen wird in den genannten Quellen ebenfalls nur die Sicherheitslage nach eigenen Maßstäben bewertet. Andere Ausgangsdaten, die darauf hindeuten, dass die vom Verwaltungsgericht und vom Verwaltungsgerichtshof zugrunde gelegten Erkenntnisse zwischenzeitlich unrichtig oder überholt wären, sind dort ebenfalls nicht genannt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.

Tenor

I. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

II. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

III. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe, da der Zulassungsantrag aus nachstehenden Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO).

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 30. August 2016 ist unbegründet, weil die Voraussetzungen des § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG nicht vorliegen.

Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Dieser Zulassungsgrund setzt voraus, dass die im Zulassungsantrag dargelegte konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war, ihre Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten ist und ihr eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124 Rn. 36).

Der Kläger hält für klärungsbedürftig, „ob für Angehörige der Zivilbevölkerung allein schon durch die Anwesenheit in A1 aufgrund des Vorliegens eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib oder Leben gemäß § 4 Nr. 3 AsylG i.V.m. Art. 15c der RL 2004/83/EG, hilfsweise nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 S. 1 AufenthG, anzunehmen ist und auch Kabul keine interne Schutzmöglichkeit darstellt“.

Die Lage in A1 habe sich seit 2015 drastisch verschlechtert und seien aktuell die Opferzahlen 2015/2016 höher als 2009, weshalb die Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs an die aktuellen Gegebenheiten angepasst werden müsse.

Das Verwaltungsgericht hat zu § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG ausgeführt, dem Kläger drohe bei einer Rückkehr nach A1 keine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts (UA S. 8). Die Frage, ob die in Afghanistan oder Teilen von Afghanistan stattfindenden gewalttätigen Auseinandersetzungen nach Intensität und Größenordnung als vereinzelt auftretende Gewalttaten oder als anhaltende Kampfhandlungen zu qualifizieren seien, könne dahinstehen, weil nach der Überzeugung des Gerichts der Kläger keiner erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben ausgesetzt wäre (UA S. 9). Denn es fehle vorliegend an einer Verdichtung allgemeiner Gefahren, die weitere Voraussetzung für die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG sei. Nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnissen erreiche in der Heimatprovinz des Klägers, Kabul, der einen innerstaatlichen bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt kein so hohes Niveau, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dieser Region einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre. Individuelle gefahrerhöhende Umstände habe der Kläger nicht vorgetragen. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG lägen ebenfalls nicht vor (UA S. 9). Für den Kläger ergebe sich in Kabul weder aus seiner Volkszugehörigkeit noch hinsichtlich der allgemeinen Sicherheitslage eine extreme allgemeine Gefahrenlage. Unter Heranziehung der Rechtsprechung des erkennenden Senats und des Lageberichte des Auswärtigen Amts vom 6. November 2015, vom 31. März 2014 und vom 4. Juni 2013 kommt das Verwaltungsgericht zu dem Ergebnis, das Risiko, in K. durch Anschläge Schaden an Leib oder Leben zu erleiden, sei weit unterhalb der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (UA S. 6 f.) und könne der volljährige, arbeitsfähige und mit den Lebensverhältnissen in A1 vertraute Kläger in Kabul seinen Lebensunterhalt sicherstellen (UA S. 7 f. und 9 f.).

Die Frage betreffend das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts kann nicht zur Zulassung der Berufung führen, weil es hierauf nicht entscheidungserheblich ankam. Vielmehr hat das Verwaltungsgericht in dem angefochtenen Urteil ausdrücklich dahinstehen lassen, ob die gewalttätigen Auseinandersetzungen in A1 oder Teilen hiervon als innerstaatlicher bewaffneter Konflikt zu qualifizieren sind.

Auch die Frage zu K. als „interne Schutzmöglichkeit“, gemeint sein dürfte damit, ob Kabul als interner Schutz im Sinn von § 3e AsylG in Betracht kommt, vermag keine grundsätzliche Bedeutung zu begründen, da es für die Zumutbarkeit nach § 3e AsylG auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls und die individuellen Verhältnisse des Klägers ankommt und die Frage damit einer allgemeinen Klärung nicht zugänglich ist. Hinzu kommt, dass diese Frage im Hinblick darauf, dass die Herkunftsregion des Klägers K. ist und er vor seiner Ausreise zuletzt in der Provinz K. gelebt hat (Akte des Bundesamts Bl. 30 und 31), auch wenn das Verwaltungsgericht zusätzlich auf K. als Fluchtalternative abgestellt hat (UA S. 6 f.), in einem Berufungsverfahren nicht entscheidungserheblich wäre und damit ebenfalls nicht zur Zulassung der Berufung führen kann. Damit scheidet mangels Entscheidungserheblichkeit auch eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof nach Art. 267 AEUV hinsichtlich der Auslegung des Begriffs „niederlässt“ in Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. 2011 L 337/9) im Unterschied zur vorhergehenden Fassung „aufhält“ in Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2004/83/EG aus.

Die weiter aufgeworfene Frage, ob praktisch jede Zivilperson in A1 bzw. K. einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt sei, hat das Verwaltungsgericht verneint. Individuelle gefahrerhöhende Umstände, die zu einer Verdichtung der allgemeinen Gefahren in der Person des Klägers führen könnten, habe dieser nicht vorgetragen. Hierbei ist das Verwaltungsgericht unter Heranziehung aktueller Lageberichte zu der Erkenntnis gelangt, dass das Risiko, durch Anschläge Schaden zu erleiden, in der Herkunftsregion des Klägers, K., weit unterhalb der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit liege (siehe hierzu BayVGH, B.v. 30.7.2015 - 13a ZB 15.30031 - juris; BayVGH, U.v. 1.2.2013 - 13a B 12.30045 - juris; U.v. 8.11.2012 - 13a B 11.30391 - juris).

Dem ist der Kläger nicht substantiiert entgegengetreten. Er wendet vielmehr pauschal ein, dass sich die Lage in A1 seit dem Jahr 2015 wieder extrem verschlechtert habe und somit die Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs den aktuellen Gegebenheiten angepasst werden müsste. Hierzu wurde aus dem Jahresbericht der United Nations Assistance Mission in A1 (UNAMA) für das Jahr 2015, aus zahlreichen Presseartikeln und den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des Internationalen Schutzbedarfs A1 Asylsuchender vom 19. April 2016 zitiert. Auch wird eine Reisewarnung des Auswärtigen Amts mit Stand vom 7. Juli 2016 angeführt sowie auf Berichte der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 22. Juli 2014 und vom 13. September 2015, auf eine Stellungnahme der International NGO Safety Organisation (INSO) und den Amnesty Report 2016 A1 von Amnesty International verwiesen.

Diese allgemeinen Ausführungen zur Verschlechterung der Sicherheitslage bieten keinen Anlass, im Rahmen eines Berufungsverfahrens in eine erneute Risikobewertung einzutreten. Der Verwaltungsgerichtshof geht daher weiterhin davon aus, dass in A1 für alleinstehende männliche Staatsangehörige keine extreme Gefahrenlage besteht (zuletzt B.v. 4.1.2017 - 13a ZB 16.30600 - juris). So werden in den UNHCR-Richtlinien vom 19. April 2016, wonach sich die Sicherheitslage verschlechtert habe, vor dem Hintergrund anhaltender Besorgnis in Bezug auf die Sicherheitslage Empfehlungen für den Schutzbedarf ausgesprochen und verschiedene Risikoprofile aufgezeigt, ohne dass neuere Daten genannt würden, die die bisherige Einschätzung des Verwaltungsgerichtshofs in Frage stellen könnten. Auch beruht die dortige Bewertung auf den vom UNHCR selbst angelegten Maßstäben, die sich nicht mit den Anforderungen des Bundesverwaltungsgerichts an einen bewaffneten Konflikt und eine erhebliche individuelle Gefährdung (s. BVerwG, U.v. 27.4.2010 - 10 C 4.09 - BVerwGE 136, 360) decken. Des Weiteren sind auch nach dessen Auffassung alleinstehende, leistungsfähige Männer und verheiratete Paare im berufsfähigen Alter in der Lage, ohne Unterstützung von Familie und Gemeinschaft in urbanen und semi-urbanen Umgebungen zu leben (S. 10). Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der im Zulassungsantrag angeführten Publikation der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 13. September 2015 (A1: Update, Die aktuelle Sicherheitslage) sowie den genannten Presseberichten. Dort wird ebenfalls nur die Sicherheitslage nach eigenen Maßstäben bewertet. Andere Ausgangsdaten, die darauf hindeuten, dass die vom Verwaltungsgericht und vom Verwaltungsgerichtshof zugrunde gelegten Erkenntnisse zwischenzeitlich unrichtig oder überholt wären, sind dort ebenfalls nicht genannt. Schließlich geben auch die Reisewarnungen des Auswärtigen Amts zu A1 keinen Anlass zu einer Neubewertung der bekanntlich angespannten Sicherheitslage. Gemäß der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kommt der vom Auswärtigen Amt ausgesprochenen Reisewarnung eine Indizwirkung nicht zu. Nach dem Wortlaut der Reisewarnung und den Grundsätzen für den Erlass einer solchen sei auszuschließen, dass die hierfür maßgebenden rechtlichen Maßstäbe zur Bewertung der Verfolgungs- bzw. Sicherheitslage und damit auch der aktuellen sicherheitsrelevanten Ereignisse mit den vorliegend anzuwendenden identisch seien (BVerwG, B.v. 27.6.2013 - 10 B 11.13 - juris; die hiergegen erhobene Verfassungsbeschwerde wurde nicht zur Entscheidung angenommen, BVerfG, B.v. 14.10.2015 - 2 BvR 1626/13).

Hinsichtlich § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist in der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs zudem geklärt, dass für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende afghanische Staatsangehörige angesichts der aktuellen Auskunftslage im Allgemeinen derzeit nicht von einer extremen Gefahrenlage auszugehen ist, die zu einem Abschiebungsverbot in entsprechender Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führen würde (BayVGH, U.v. 12.2.2015 - 13a B 14.30309 - juris; U.v. 30.1.2014 - 13a B 13.30279 - juris; U.v. 24.10.2013 - 13a B 13.30031 - juris = KommunalPraxisBY 2014, 62 - LS; U.v. 20.1.2012 - 13a B 11.30425 - juris; U.v. 8.12.2011 - 13a B 11.30276 - EzAR-NF 69 Nr. 11 = AuAS 2012, 35 -LS-). Der Verwaltungsgerichtshof geht davon aus, dass ein arbeitsfähiger, gesunder Mann regelmäßig auch ohne nennenswertes Vermögen im Fall einer zwangsweisen Rückführung in sein Heimatland A1 in der Lage wäre, durch Gelegenheitsarbeiten in seiner Heimatregion oder in K. ein kleines Einkommen zu erzielen und damit wenigstens ein Leben am Rande des Existenzminimums zu bestreiten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.

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Tenor

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 15. Februar 2017 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Trier wird abgelehnt.

Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das zweitinstanzliche Verfahren wird abgelehnt.

Gründe

1

Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist zulässig, bleibt aber in der Sache erfolglos.

2

Der geltend gemachte Zulassungsgrund nach § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG liegt nicht vor.

3

Das Verwaltungsgericht hat die auf Anerkennung des Klägers als Asylberechtigter, auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, auf Gewährung subsidiären Schutzes sowie auf Feststellung der Voraussetzungen eines Abschiebungsverbotes gerichtete Klage abgewiesen. Zur Begründung seiner Entscheidung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ebenso wie die Anerkennung des Klägers als Asylberechtigter nicht in Betracht komme, da die Schilderung seines Verfolgungsschicksals unglaubhaft sei. So habe er sowohl hinsichtlich seiner Tätigkeit für das Gemeinwohl-Ministerium als auch im Hinblick auf die Umstände des Sprengstoffattentats und die Tatsache, dass er den Täter festgehalten haben will, im Laufe seines Asylverfahrens in wesentlichen Punkten abweichende und unklare Angaben gemacht. Von daher sei auch nicht zu erwarten, dass er bei einer Rückkehr in sein Heimatland mit Nachstellungen durch die Taliban rechnen müsste. Im Hinblick auf die Voraussetzungen subsidiären Schutzes sowie die Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG hat das Verwaltungsgericht auf die Gründe des ablehnenden Bescheides der Beklagten vom 28. Juli 2016 Bezug genommen und ergänzend ausgeführt, dass es sich bei dem Kläger um einen jungen Mann handele, der keine gesundheitlichen Einschränkungen aufweise. Er verfüge über einen hohen Bildungsstand und sei bereits als Aufseher im Straßenbau tätig gewesen. Insoweit sei nicht zu erwarten, dass er bei einer Rückkehr in eine existenzielle Notlage geraten würde.

4

Dem Rechtsstreit kommt nicht die vom Kläger angenommene grundsätzliche Bedeutung nach § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG zu.

5

Er hat keine rechtliche oder tatsächliche Frage aufgeworfen, die für die Berufungsinstanz entscheidungserheblich ist und im Interesse der Rechtseinheit der Klärung bedarf. Als grundsätzlich klärungsbedürftig sieht er die Frage an, ob Zivilpersonen bei einer Rückkehr nach Afghanistan erhebliche individuelle Gefahren für das Leben und die körperliche Unversehrtheit aufgrund willkürlicher Gewalt drohen.

6

Zur Begründung verweist er darauf, dass das Verwaltungsgericht Erkenntnismittel aus den Jahren 2014 und 2015 herangezogen habe. Hierbei sei jedoch die aktuelle Sicherheitslage nicht berücksichtigt worden. Auch das Auswärtige Amt gehe mittlerweile von einer landesweiten Bedrohung in Afghanistan aus. Die Verhältnisse in Afghanistan seien so unbeständig, dass belastbare Prognosen für das gesamte Land nicht getroffen werden könnten. Auch in Landesteilen, die bisher als sicher gegolten hätten, wachse die Bedrohung rasant.

7

Die von dem Kläger aufgeworfene Frage lässt sich allerdings nicht allgemeingültig beantworten. Hierfür ist die Ausprägung des Konflikts in Afghanistan regional zu unterschiedlich. Weder aus den vom Kläger angeführten Erkenntnismitteln, noch aus den dem Gericht vorliegenden Unterlagen ergeben sich hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass in Afghanistan nunmehr landesweit von dem für eine landesweite Gefährdung erforderlichen hohen Grad willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konfliktes auszugehen ist. Es bestehen keine stichhaltigen Gründe für die Annahme, dass eine Zivilperson bei einer Rückkehr allein durch ihre Anwesenheit tatsächlich Gefahr läuft, einer ernsthaften Bedrohung im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG ausgesetzt zu sein.

8

Der Senat hat in seiner bisherigen Entscheidungspraxis für mehrere afghanische Provinzen angenommen, dass der Grad willkürlicher Gewalt durch einen innerstaatlichen bewaffneten Konflikt kein so hohes Niveau erreicht, dass für jede dorthin zurückkehrende Zivilperson eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens und der Unversehrtheit besteht (vgl. Urteil vom 21. März 2012 – 8 A 11048/10.OVG –, juris Rn. 48 betreffend die Provinz Ghazni; Urteil vom 21. März 2012 – 8 A 11050/10.OVG –, juris, Rn. 28 und 52 hinsichtlich der Provinz Balkh und der Hauptstadt Kabul). Auch die in der Folgezeit ergangene obergerichtliche Rechtsprechung kommt durchgängig zu dem Ergebnis, dass in Afghanistan jedenfalls keine landesweite individuelle Bedrohung jeder sich im Staatsgebiet aufhaltenden Zivilperson im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts anzunehmen ist. Vielmehr ist jeweils für einzelne Regionen eine entsprechende Gefährdung verneint worden (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 14. August 2013 – A 11 S 688/13 –, juris Rn. 24, Provinz Ghazni; Sächsisches OVG, Urteil vom 10. Oktober 2013 – A 1 A 474/09 –, juris Rn. 38, Provinzen Kabul und Kunar; HessVGH, Urteil vom 30. Januar 2014 – 8 A 119/12.A –, juris Rn. 43, Raum Kabul; OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 23. Juli 2014 – 3 L 53/12 –, juris Rn. 27, Provinz Laghman; OVG Lüneburg, Urteil vom 19. September 2016 – 9 LB 100/15 –, juris Rn. 67, Stadt Kabul; BayVGH, Beschluss vom 20.Januar 2017 – 13a ZB 16.30996 –, juris Rn. 9, Provinz Ghazni).

9

Grundlage dieser Entscheidungen ist die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, wonach eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens und der Unversehrtheit dann anzunehmen ist, wenn der Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreicht hat, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass eine Zivilperson bei einer Rückkehr in das Land oder die betroffene Region allein durch ihre Anwesenheit tatsächlich Gefahr liefe, einer ernsthaften Bedrohung ausgesetzt zu sein. Insoweit sei der Erwägungsgrund Nr. 26 der Richtlinie 2004/83/EG [nunmehr: Erwägungsgrund Nr. 35 der Richtlinie 2011/95/EU] – Qualifikationsrichtlinie – zu berücksichtigen, wonach Gefahren, denen die Bevölkerung insgesamt ausgesetzt sei, für sich genommen normalerweise keine individuelle Bedrohung darstellten, die als ernsthafter Schaden zu beurteilen wäre (vgl. EUGH, Urteil vom 17. Februar 2009; Rechtssache C-465/07 Elgafaji, InfAuslR 2009, 138 und juris Rn. 35-39). Liegt kein landesweiter bewaffneter Konflikt vor, so ist für die erforderliche Gefahrprognose auf den tatsächlichen Zielort des Ausländers bei einer Rückkehr abzustellen. Hierbei handelt es sich in der Regel um die Herkunftsregion, in die der Ausländer typischerweise zurückkehren wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 31. Januar 2013 – 10 C 15/12 –, BVerwGE 146, 12 und juris Rn. 13; Beschluss vom 14. November 2012 – 10 B 22/12 –, Informationsbrief Ausländerrecht 2013, 81 und juris Rn. 7). Das Vorliegen einer entsprechenden individuellen erheblichen Gefahr setzt eine jedenfalls annäherungsweise quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen einerseits und der Akte willkürlicher Gewalt andererseits, die von den Konfliktparteien gegen Leib oder Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden, voraus. Weiterhin bedarf es einer wertenden Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen bei der Zivilbevölkerung (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 – 10 C 4.09 –, BVerwGE 134, 188 und juris Rn. 33; Urteil vom 13. Februar 2014 – 10 C 6/13 –, NVwZ-RR 2014, 487 und juris Rn. 24; OVG RP, Urteil vom 21. März 2012 – 8 A 11048/10.OVG –, juris Rn. 47). Was die im Rahmen dieser Gesamtbetrachtung zu berücksichtigende quantitative Beurteilung angeht, hat das Bundesverwaltungsgericht das Risiko, bei innerstaatlichen Auseinandersetzungen mit einer Wahrscheinlichkeit von 1 : 800 verletzt oder getötet zu werden, als für die Annahme einer individuellen Gefahr keinesfalls hinreichend angesehen (vgl. Urteil vom 17. November 2011 – 10 C 13/10 –, juris Rn. 22 f.; zur Notwendigkeit einer gleichermaßen quantitativen wie qualitativen Betrachtung s.a.: Berlit, Die Bestimmung der „Gefahrendichte“ im Rahmen der Prüfung der Anerkennung als Flüchtling, ZAR 2017, 110, 119).

10

Anhand der genannten Kriterien ergeben sich aufgrund der dem Senat vorliegenden aktuellen Erkenntnismittel keine Anhaltspunkte dafür, dass nunmehr landesweit von einer individuellen Bedrohung jedes Rückkehrers durch einen innerstaatlichen bewaffneten Konflikt in Afghanistan auszugehen ist. Insoweit kann zwar festgestellt werden, dass sich die Sicherheitslage in Afghanistan insgesamt seit Anfang 2016 deutlich verschlechtert hat und die Situation in Afghanistan als volatil anzusehen ist (vgl. Anmerkungen von UNHCR zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des deutschen Bundesministeriums des Innern, Dezember 2016, S. 1; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 19. Juni 2017 zu Afghanistan: Sicherheitslage in der Stadt Kabul, S. 1). In der Hauptstadt Kabul ist die Situation gekennzeichnet durch eine große Anzahl schwerer Anschläge, die zwar überwiegend auf Regierungsinstitutionen, internationale Organisationen und Einrichtungen der afghanischen Armee und Polizei abzielen, vereinzelt aber auch direkt darauf gerichtet sind, Zivilpersonen zu töten und zu verletzen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, a.a.O., Seite 3).

11

Insgesamt lässt sich allerdings feststellen, dass die Bedrohungslage sowohl, was Angriffe gegen administrative Einrichtungen, Sicherheitsorgane sowie auf westliche Staatsangehörige, Einrichtungen und Hilfsorganisationen angeht, als auch was die Bedrohung der einheimischen Zivilbevölkerung betrifft, in den einzelnen Provinzen stark unterschiedlich ist. In den ländlichen Gebieten fordern vor allem Kampfhandlungen am Boden und improvisierte Sprengsätze Opfer unter der Zivilbevölkerung. Dabei treten die höchsten Opferzahlen in der südlichen (Provinzen: Nimroz, Helmand, Uruzgan, Kandahar und Zabul) und in der östlichen Region (Provinzen: Laghman, Nuristan, Kunar, Nangarhar) in Erscheinung. Demgegenüber stellt sich die Situation im Nordosten (Provinzen: Badakhshan, Takhar, Kunduz, Baghlan) - bei einer Konzentration der Kampfhandlungen um Kunduz und den Kunduz-Baghlan-Korridor -, im Westen (Provinzen: Badghis, Ghor, Herath und Farah) sowie der zentralen Hochlandregion (Provinzen: Daikundi und Bamian) insgesamt gesehen als vergleichsweise ruhig dar. Die städtische Bevölkerung insbesondere in Kabul wird vor allem durch Selbstmordanschläge, komplexe Attacken, gezielte Tötungen sowie Entführungen und Bedrohungen betroffen. Zwar weist die Opferzahl in der Provinz Kabul im ersten Halbjahr 2017 den höchsten absoluten Wert in Afghanistan auf. Gleichzeitig leben in dieser Provinz aber mit 4,4 Mill. Menschen die meisten Einwohner. Die relative Zahl der zivilen Opfer von 3 Toten oder Verletzten auf 10.000 Einwohner bewegte sich im Jahr 2016 im landesweiten Durchschnitt (vgl. zum Vorstehenden: Auswärtiges Amt, Lagebeurteilung 28. Juli 2017 für Afghanistan nach dem Anschlag vom 31. Mai 2017, Rn. 32 - 35).

12

Weiterhin ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass oppositionelle Gruppen bereits weite Teile des Landes beherrschten. So werden von 408 Distrikten in Afghanistan lediglich 30 von den Taliban dominiert. In 121 Distrikten üben sie trotz Präsenz staatlicher Sicherheitskräfte einen Einfluss aus. Insgesamt leben 65,6 % der Bevölkerung im Einflussbereich der Regierung (vgl. AA, Lagebeurteilung vom 28. Juli 2017 Rn. 18). Auch die aktuelle Entwicklung der Opferzahlen in Afghanistan lässt keine einheitliche Tendenz erkennen. Während die Opferzahlen für das erste Halbjahr 2017 in einigen Regionen gegenüber dem Vorjahr Steigerungen aufweisen, können in der Zentralregion, der östlichen, der südöstlichen, der nördlichen und der nordöstlichen Region Afghanistans leichte Rückgänge verzeichnet werden (vgl. UNAMA, United Nations Assistance Mission in Afghanistan, Afghanistan, Protection of civilians in armed conflict, Midyear Report 2017, Juli 2017 S. 10). Hiernach kann aber weiterhin nicht davon gesprochen werden, dass eine Zivilperson bei Rückkehr nach Afghanistan im gesamten Land allein durch ihre Anwesenheit Gefahr liefe, einer ernsthaften Bedrohung durch einen innerstaatlichen bewaffneten Konflikt ausgesetzt zu sein.

13

Auch aus den vom Kläger zitierten Unterlagen und Entscheidungen ergeben sich keine zusätzlichen Anhaltspunkte für eine entsprechende Bedrohungslage. Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 30. Januar 2014 (Rechtssache C-285/12 Diakité) greift lediglich die Kriterien der Elgafaji-Entscheidung (Urteil vom 17. Februar 2009, a.a.O.) auf. Die Stellungnahme von Pro Asyl (Afghanistan: Kein sicheres Land für Flüchtlinge) nimmt auf der Grundlage der Opferzahlen der UNAMA eine Gegenposition zur Flüchtlingspolitik der Bundesregierung ein. Auch der Amnesty Report Afghanistan 2017 zitiert zur Gesamtsituation den UNAMA-Bericht und verweist ergänzend auf einzelne Vorfälle.

14

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben.

15

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe war abzulehnen, da die Rechtsverfolgung des Klägers entgegen § 166 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO nach dem vorher Gesagten keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet.

(1) Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt:

1.
die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe,
2.
Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder
3.
eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.

(2) Ein Ausländer ist von der Zuerkennung subsidiären Schutzes nach Absatz 1 ausgeschlossen, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen hat, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen festzulegen,
2.
eine schwere Straftat begangen hat,
3.
sich Handlungen zuschulden kommen lassen hat, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen (BGBl. 1973 II S. 430, 431) verankert sind, zuwiderlaufen oder
4.
eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt.
Diese Ausschlussgründe gelten auch für Ausländer, die andere zu den genannten Straftaten oder Handlungen anstiften oder sich in sonstiger Weise daran beteiligen.

(3) Die §§ 3c bis 3e gelten entsprechend. An die Stelle der Verfolgung, des Schutzes vor Verfolgung beziehungsweise der begründeten Furcht vor Verfolgung treten die Gefahr eines ernsthaften Schadens, der Schutz vor einem ernsthaften Schaden beziehungsweise die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens; an die Stelle der Flüchtlingseigenschaft tritt der subsidiäre Schutz.

(1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen.

(2) In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.

(3) Die Grundrechte gelten auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind.

(4) Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen. Soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Artikel 10 Abs. 2 Satz 2 bleibt unberührt.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Wird der Verfassungsbeschwerde stattgegeben, so ist in der Entscheidung festzustellen, welche Vorschrift des Grundgesetzes und durch welche Handlung oder Unterlassung sie verletzt wurde. Das Bundesverfassungsgericht kann zugleich aussprechen, daß auch jede Wiederholung der beanstandeten Maßnahme das Grundgesetz verletzt.

(2) Wird der Verfassungsbeschwerde gegen eine Entscheidung stattgegeben, so hebt das Bundesverfassungsgericht die Entscheidung auf, in den Fällen des § 90 Abs. 2 Satz 1 verweist es die Sache an ein zuständiges Gericht zurück.

(3) Wird der Verfassungsbeschwerde gegen ein Gesetz stattgegeben, so ist das Gesetz für nichtig zu erklären. Das gleiche gilt, wenn der Verfassungsbeschwerde gemäß Absatz 2 stattgegeben wird, weil die aufgehobene Entscheidung auf einem verfassungswidrigen Gesetz beruht. Die Vorschrift des § 79 gilt entsprechend.

Tenor

Die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 13. Oktober 2016 - A 2 K 3108/16 - wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Berufungsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger begehrt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, hilfsweise subsidiären Schutzes und höchsthilfsweise die Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots.
Der am ... März 1997 in Ghazni/Afghanistan geborene Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger islamisch-schiitischen Glaubens vom Volk der Hazara. Er reiste nach eigenen Angaben am 7. September 2015 auf dem Landweg in die Bundesrepublik ein und beantragte am 3. Februar 2016 seine Anerkennung als Asylberechtigter.
Im Rahmen seiner Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) am 11. März 2016 gab der Kläger im Wesentlichen an, vor seiner Ausreise habe er in Afghanistan in der Provinz Ghazni im Distrikt Nahoor in der Region Sabzaab gelebt. Vor ungefähr neun Monaten sei er ausgereist. Die Reise habe bis zum Iran 60.000 Afghani gekostet. Die Kosten habe sein Bruder getragen. Für die weitere Reise nach Deutschland seien es etwa 9.000,00 EUR gewesen. Das Geld stamme aus dem Verkauf ihres Landes. Seine Eltern seien tot. Er habe keine nahen Verwandten in Afghanistan. Es gebe ein paar Cousins, zu denen er keinen Kontakt habe. Ihren Aufenthaltsort kenne er nicht. Er habe bis zur sechsten Klasse die Schule besucht. Er habe als Fliesenleger gearbeitet. Befragt zu seinem Verfolgungsschicksal gab der Kläger an, es habe in ihrer Region große Probleme mit Kutschi-Nomaden gegeben, die sie regelmäßig - schon als er noch ein Kind gewesen sei - im Frühling angegriffen und Vieh und Vorräte genommen hätten. Sie hätten auch seinen Vater getötet. Persönlich angegriffen worden sei er nicht. Er sei immer gegangen, bevor die Kutschi gekommen seien. Im letzten Jahr habe es einen großen Angriff der Kutschi gegeben. Es seien viele Menschen aus ihrer („unserer“) Heimatregion vertrieben worden.
Mit Bescheid vom 5. April 2016 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und auf die Anerkennung als Asylberechtigter sowie auch den Antrag auf subsidiären Schutz ab. Es stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen. Der Kläger wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen. Für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise wurde ihm die Abschiebung nach Afghanistan oder einen anderen Staat, in den er einreisen dürfe oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet sei, angedroht. Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung festgesetzt.
Gegen den am 20. Mai 2016 zugestellten Bescheid erhob der Kläger am 30. Juni 2016 unter Beantragung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Klagefrist Klage zum Verwaltungsgericht. Zur Begründung trug er vor, auf Grund einer fehlerhaften Namensbezeichnung sei ihm der Bescheid erst auf Nachfrage beim Sozialen Dienst und gezielte Suche hin am 23. Juni 2016 bekannt geworden. In der Sache selbst trug er vor, er habe im Ort Sabzeab in der Provinz Ghazni mit seinem Bruder und seinem Vater gelebt. Der Ort sei regelmäßig von Kutschi-Nomaden angegriffen worden. Das Land seines Vaters sei regelmäßig von Kutschi besetzt worden. Im Alter von 15 Jahren habe er mitansehen müssen, wie sein Vater von den Kutschi erschossen worden sei, als dieser versucht habe, sein Land zu verteidigen. Aus Angst vor Angriffen hätten der Kläger und sein Bruder das Land des Vaters verkauft und seien ins etwa drei Autostunden entfernte Nawur geflohen. Dort habe der Kläger als Fliesenleger arbeiten können. Von ehemaligen Nachbarn aus Sabzeab hätten sie erfahren, dass die Kutschi, die früher die Ländereien besetzt hätten, sie suchten. Die Kutschi verübelten ihnen, dass sie das Land verkauft hätten und dieses nun wegen der wehrhaften neuen Eigentümer nicht mehr besetzt werden konnte. Aus Angst von den Kutschi hätten die Brüder sich zur Flucht entschlossen. Mit dem Geld aus dem Landverkauf seien sie in den Iran geflohen. Von dort habe sie ein Schlepper für 60.000 Afghani zur türkischen Grenze gebracht. Dort habe er seinen Bruder bei einem Zusammenstoß mit türkischen Grenzbeamten verloren. Er habe seine Flucht über das Mittelmeer allein fortgesetzt und nochmals 9.000 EUR bezahlen müssen. Beim Bundesamt habe er nur sehr unvollständige Angaben gemacht, weil ihm nicht klar gewesen sei, wie ausführlich er habe berichten sollen. Er sei mittellos und in Afghanistan völlig auf sich allein gestellt. Zur Familie der Mutter bestehe schon seit deren Tod kein Kontakt mehr. Der Kontakt zu seinem Onkel väterlicherseits und dessen Familie sei abgebrochen. Außerdem verwies der Kläger auf die Situation der Volkszugehörigen der Hazara in Afghanistan im Allgemeinen.
In der mündlichen Verhandlung vom 13. Oktober 2016 vor dem Verwaltungsgericht beantragte der Kläger, ihm wegen der Versäumung der Klagefrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, den Bescheid des Bundesamts vom 5. April 2016 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft - hilfsweise subsidiären Schutz - zuzuerkennen und weiter hilfsweise, die Beklagte zu verpflichten festzustellen, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG vorliegen. Im Rahmen seiner Anhörung gab der Kläger an, er habe in Afghanistan einen Onkel, von dem er aber nicht wisse, wo er sich aufhalte. Wo sein Bruder sei, wisse er nicht. Verwandte in Deutschland habe er nicht. Er gehe hier zur Schule. Er habe sein Heimatdorf verlassen, weil sie im Dorf ständig von den Kutschi-Nomaden gestört worden seien. Sie seien von diesen geschlagen worden. Einmal sei sein Arm von einem der Kutschi mit einem Gewehrkolben gebrochen worden. Sein Vater sei hinzugekommen und erschlossen worden. Sie hätten bei der Polizei Anzeige erstattet, aber keine Hilfe erhalten. Sie hätten dann die Grundstücke unter Preis verkauft. Etwa drei bis vier Monate nach dem Tod des Vaters seien sie nach Nawur. Dort hätten sie zwei bis drei Monate bei einer Hazarafamilie gewohnt, die sie wegen ihrer Volkszugehörigkeit aufgenommen habe. Anders als sein Bruder habe er selbst wegen des gebrochenen Arms nicht arbeiten können. Die Kutschi hätten sie weiter gesucht. Danach seien sie ins etwa drei bis dreieinhalb Fußstunden entfernte Dorf Gorgoshte gegangen. Dort hätten sie drei bis dreieinhalb Monate bzw. vier bis fünf Monate lang gewohnt. Sie hätten dort einen Mann kennengelernt, mit dem sie dann etwa eineinhalb Jahre in einem Ort namens Kakrak gelebt hätten. Sie hätten für den Mann geputzt und beim Fliesenlegen geholfen. Befragt nach seinen Befürchtungen im Falle einer Rückkehr schilderte der Kläger unter Darstellung jüngster Vorfälle, Hazara würden in Afghanistan unterdrückt, entführt und schlecht behandelt. Hazara müssten in Kabul wegen der schlechten Sicherheitslage von Bodyguards geschützt werden.
Das Verwaltungsgericht wies die Klage mit Urteil vom 13. Oktober 2016 ab. Die Klage sei zwar zulässig, da hinsichtlich der versäumten Klagefrist angesichts des Ablaufs in der Gemeinschaftsunterkunft Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren sei. Ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft scheide aber aus. Ob der Kläger in seinem Heimatland in der Vergangenheit einer Verfolgung ausgesetzt gewesen sei könne offenbleiben, da er internen Schutz jedenfalls in der Stadt Kabul erlangen könne. Anhaltspunkte dafür, dass die Kutschi dem Kläger landesweit nachstellen könnten, seien nicht ersichtlich. Die Hazara unterlägen auch nicht als soziale Gruppe in Kabul einer flüchtlingsrelevanten Verfolgung. Auch der Zuerkennung subsidiären Schutzes stehe die Möglichkeit internen Schutzes entgegen. Nationale Abschiebungsverbote seien ebenfalls nicht gegeben. Da davon auszugehen sei, dass der Kläger in der Lage sein werde, seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, sei nicht ersichtlich, dass aus den humanitären Bedingungen im Abschiebungszielstaat ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK vorliege. Schließlich bestehe auch kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
Auf den Antrag des Klägers hat der Senat mit Beschluss vom 31. Januar 2017 die Berufung gegen das Urteil zugelassen.
Auf den am 7. Februar 2017 zugestellten Beschluss hat der Kläger nach entsprechend gewährter Fristverlängerung am 21. März 2017 unter Stellung eines Antrags die Berufung begründet. Er vertritt unter Wiederholung und Darstellung seiner Angaben im Verhandlungstermin beim Verwaltungsgericht sowie der Urteilsbegründung die Auffassung, ihm sei auf Grund erlittener flüchtlingsrelevanter Verfolgung in Afghanistan - dem Angriff der Kutschi-Nomaden, bei dem ihm selbst der Arm gebrochen worden und sein ihm zu Hilfe eilender Vater erschossen worden sei - die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Die im Urteil als widersprüchlich kritisierten Angaben beruhten womöglich darauf, dass der Kläger die Fragen beim Bundesamt nicht richtig verstanden habe. Es seien auch die mit 40 Minuten kurze Dauer der Bundesamtsanhörung, die fehlenden Rückfragen des Entscheiders, der Kulturkreis des Klägers sowie dessen Bildungsstand und Alter zu berücksichtigen. Unter Darstellung verschiedener Erkenntnisquellen argumentiert der Kläger, der Konflikt zwischen den Hazara und den Kutschi sei eine ethnisch bedingte, nichtstaatliche Verfolgung, vor der der afghanische Staat keinen Schutz gewähre bzw. gewähren könne. Interner Schutz in Kabul oder einem anderen Landesteil könne der Kläger in Anbetracht der Sicherheitslage nicht erlangen. Insbesondere sei es ihm angesichts der angespannten wirtschaftlichen und humanitären Lage, nicht zumutbar, sich in Kabul niederzulassen. Er könne seine Existenz dort nicht sichern. Zuletzt hat der Kläger zudem zu seiner gesundheitlichen Situation vorgetragen und ärztliche Schreiben zu einer bei ihm festgestellten und behandelten Herzrhythmusstörung vorgelegt.
10 
Der Kläger beantragt,
11 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 13. Oktober 2016 - A 2 K 3108/16 - zu ändern und die Beklagte unter entsprechender Aufhebung des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 5. April 2016 zu verpflichten, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen,
12 
hilfsweise die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger subsidiären Schutz zuzuerkennen,
13 
weiter hilfsweise die Beklagte zu verpflichten festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG im Hinblick auf Afghanistan bestehen.
14 
Die Beklagte beantragt,
15 
die Berufung zurückzuweisen.
16 
Zur Begründung trägt sie unter Darstellung zahlreicher Erkenntnisquellen vor, aus der Zugehörigkeit des Klägers zum Volk der Hazara folge nicht die Gefahr landesweiter Verfolgung.
17 
Der Senat hat den Kläger im Rahmen der am 13. Oktober 2017 durchgeführten mündlichen Verhandlung informatorisch angehört. Zum Inhalt der Anhörung wird auf die Niederschrift zum Verhandlungstermin Bezug genommen.
18 
Der Kläger hat unmittelbar vor sowie im Anschluss an Verhandlungstermin vom 13. Oktober 2017 ergänzend Unterlagen zu seinem gesundheitlichen Zustand vorgelegt. Es handelt sich um folgende Dokumente:
19 
- Schreiben des Universitätsklinikums H... vom 5. Oktober 2017 zur Vorstellung in der Chest Pain Unit des Klinikums am selben Tag mit der Verdachtsdiagnose „Wolff-Parkinson-White-Syndrom“ (einer Herzrhythmusstörung), wobei zum weiteren Vorgehen eine Wiedervorstellung zur Durchführung einer elektrophysiologischen Diagnostik und Kathetertherapie für den 23. Oktober 2017 vermerkt wurde sowie
20 
- Schreiben des Universitätsklinikum H… vom 23. Oktober 2017 zur erfolgreichen transseptalen Ablation einer linksposteroseptalen Bahn bei WPW-Syndrom;
21 
- Schreiben des Medizinischen Versorgungszentrums Dr. H. u.a. (Ärzte für Innere Medizin, Kardiologische Diagnostik u.a.) vom 6. November 2017, wonach beim Kläger am 23. Oktober 2017 im Rahmen der elektrophysiologischen Untersuchung erfolgreich abladiert und eine Leitungsbahn am Herzen erfolgreich habe verödet werden können;
22 
- Schreiben des Medizinischen Versorgungszentrums Dr. H. u.a. vom 13. November 2017 zu Rückfragen der Klägervertreterin bezüglich der Wahrscheinlichkeit sowie der Folgen eines möglichen Rezidivs.
23 
Die Beteiligten haben mit Schriftsätzen vom 28. und 29. November 2017 auf die Durchführung einer weiteren mündlichen Verhandlung verzichtet.
24 
Dem Senat liegen die verfahrensbezogenen Akten des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge sowie die des Verwaltungsgerichts vor. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf diese Akten, die im Verfahren gewechselten Schriftsätze sowie die in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittel verwiesen.

Entscheidungsgründe

 
25 
Die zulässige Berufung ist nicht begründet.
26 
Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.
27 
Die Klage ist zwar aus den zutreffenden Erwägungen der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung zulässig (vgl. ohnehin § 60 Abs. 5 VwGO). Sie bleibt aber in der Sache ohne Erfolg. Denn in dem nach § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung hat der Kläger weder einen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (I.) noch auf subsidiären Schutz (II.). Auch ein nationales Abschiebungsverbot liegt nicht vor (III.).
28 
I. Kein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft
29 
1. Rechtsgrundlage: §§ 3 bis 3e AsylG
30 
Nach § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG oder das Bundesamt hat nach § 60 Abs. 8 Satz 3 AufenthG von der Anwendung des § 60 Abs. 1 AufenthG abgesehen. Ein Ausländer ist nach § 3 Abs. 1 AsylG Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge - Genfer Flüchtlingskonvention GFK - (BGBl 1953 II S. 559), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugungen oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
31 
a) §§ 3, 3a AsylG
32 
Nach § 3a Abs. 1 AsylG (vgl. auch Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes, ABl EU L 337/9, kurz auch Anerkennungs-/Qualifikationsrichtlinie; im Folgenden RL 2011/95/EU) gelten als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG Handlungen, die 1. auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 EMRK keine Abweichung zulässig ist, oder 2. in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist. Nach § 3a Abs. 2 AsylG (vgl. Art. 9 Abs. 2 RL 2011/95/EU) können als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG u. a. gelten: 1. die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt, 2. gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden, 3. unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung, 4. Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung, 5. Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Abs. 2 AsylG fallen, 6. Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind. Nach § 3a Abs. 3 AsylG (vgl. Art. 9 Abs. 3 RL 2011/95/EU) muss zwischen den in § 3 Abs. 1 Nummer 1 in Verbindung mit den in § 3b genannten Verfolgungsgründen und den als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen eine Verknüpfung bestehen.
33 
Die Feststellung einer Verfolgungshandlung nach § 3a AsylG setzt voraus, dass das Verhalten des betreffenden Akteurs im Sinne einer objektiven Gerichtetheit auf die Verletzung eines nach der Vorschrift geschützten Rechtsguts selbst zielt.
34 
BVerwG, Urteil vom 21.04.2009 - 10 C 11.08 -, NVwZ 2009, 1237 Rn. 13 und vom 19.01.2009 -10 C 52.07 -, NVwZ 2009, 982 Rn. 23 ff.; VGH Bad.-Württ., Urteile vom 19.04.2017 - A 11 S 1411/16 -; vom 18.04.2017 - A 9 S 333/17 -, Asylmagazin 2017, 197, juris Rn. 39 und vom 27.08.2014 - A 11 S 1128/14 -, Asylmagazin 2014, 389, juris Rn. 26.
35 
b) § 3c AsylG
36 
Die Verfolgung kann nach § 3c AsylG (vgl. Art. 6 RL 2011/95/EU) ausgehen von 1. dem Staat, 2. Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder 3. nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder willens sind, im Sinne des § 3d AsylG (vgl. Art. 7 RL 2011/95/EU) Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.
37 
c) § 3e AsylG
38 
Die Flüchtlingseigenschaft wird nicht zuerkannt, wenn eine interne Schutzmöglichkeit besteht, was voraussetzt, dass der betroffene Ausländer in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und er sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (§ 3e AsylG).
39 
d) Wahrscheinlichkeitsmaßstab (beachtliche Wahrscheinlichkeit/real risk)
40 
Für die Beurteilung der Frage, ob die Furcht vor Verfolgung begründet ist, gilt der einheitliche Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit. Die relevanten Rechtsgutsverletzungen müssen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser aus dem Tatbestandsmerkmal „aus der begründeten Furcht vor Verfolgung“ des Art. 2d RL 2011/95/EU abzuleitende Maßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr abstellt („real risk“); dieser Maßstab ist kein anderer als der der beachtlichen Wahrscheinlichkeit.
41 
BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 -, NVwZ 2013, 936 Rn. 32.
42 
Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des gesamten zur Prüfung gestellten und relevanten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände die dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine qualifizierende bzw. bewertende Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung erforderlich. Entscheidend ist, ob aus der Sicht eines vernünftig denkenden und nicht übertrieben furchtsamen Menschen gerade in der Lage des konkreten Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar einzuschätzen ist. Unzumutbar kann eine Rückkehr in den Heimatstaat auch dann sein, wenn ein mathematischer Wahrscheinlichkeitsgrad von weniger als 50 Prozent für eine politische Verfolgung gegeben ist. In einem solchen Fall reicht zwar die bloße theoretische Möglichkeit einer Verfolgung nicht aus. Ein vernünftig denkender Mensch wird sie außer Betracht lassen. Ergeben jedoch die Gesamtumstände des Falls die tatsächliche Gefahr (sog. „real risk“) einer flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgung, wird auch ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen. Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände daneben auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen. Wenn nämlich bei quantitativer Betrachtungsweise nur eine eher geringere mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung besteht, kann es auch aus der Sicht eines besonnenen Menschen bei der Überlegung, ob er in seinen Heimatstaat zurückkehren kann, einen ganz erheblichen Unterschied bedeuten, ob er z. B. lediglich eine Gefängnisstrafe von einem Monat oder aber Folter oder gar die Todesstrafe riskiert. Auch gilt: Je unabwendbarer eine drohende Verfolgung erscheint, desto unmittelbarer steht sie bevor. Je schwerer der befürchtete Verfolgungseingriff ist, desto weniger kann es dem Gefährdeten zugemutet werden, mit der Flucht zuzuwarten, bis der Verfolger gewissermaßen unmittelbar vor der Tür steht. Das gilt auch dann, wenn der Eintritt der befürchteten Verfolgung von reiner Willkür abhängt, das befürchtete Ereignis somit im Grunde jederzeit eintreten kann, ohne dass allerdings im Einzelfall immer gesagt werden könnte, dass dessen Eintritt zeitlich in nächster Nähe bevorsteht. Die allgemeinen Begleitumstände, z.B. eine Willkürpraxis, die Repressionsmethoden gegen bestimmte oppositionelle oder verwundbare Gruppen, sind allgemeine Prognosetatsachen.
43 
VGH Bad.-Württ., Urteile vom 30.05.2017 - A 9 S 991/15 -, juris Rn. 25, vom 18.04.2017 - A 9 S 333/17 -, juris Rn. 40 und vom 03.11.2016 - A 9 S 303/15 -, Asylmagazin 2016, 232, juris Rn. 32.
44 
Für die Beurteilung sind alle Akte zu berücksichtigen und einzustellen, denen der Ausländer ausgesetzt war oder die ihm gedroht hatten, um festzustellen, ob unter Berücksichtigung seiner persönlichen Umstände diese Handlungen als Verfolgung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 RL 2011/95/EU gelten können.
45 
Zur Erstellung der erforderlichen Prognose sind objektiviert die Prognosetatsachen nach den allgemeinen Maßstäben des verwaltungsverfahrensrechtlichen und verwaltungsgerichtlichen Regelbeweismaßes der Überzeugungsgewissheit zu ermitteln und festzustellen. Diese Tatsachen liegen regelmäßig teils in der Vergangenheit, teils in der Gegenwart. Sie müssen sodann in einer Gesamtschau verknüpft und gewissermaßen in die Zukunft projiziert werden. Auch wenn insoweit - wie sich bereits aus dem Gefahrbegriff ergibt - eine beachtliche Wahrscheinlichkeit ausreicht und deshalb ein „voller Beweis“ nicht erbracht werden kann, ändert dies nichts daran, dass das Gericht von der Richtigkeit seiner verfahrensfehlerfrei gewonnenen Prognose drohender Verfolgung die volle Überzeugung gewonnen haben muss.
46 
VGH Bad.-Württ., Urteile vom 30.05.2017 - A 9 S 991/15 -, juris Rn. 27 und vom 18.04.2017 - A 9 S 333/17 -, juris Rn. 42.
47 
Der der Prognose zugrunde zu legende Wahrscheinlichkeitsmaßstab ist unabhängig davon, ob der Betroffene bereits vor seiner Ausreise verfolgt worden ist.
48 
BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 -, NVwZ 2013, 936 Rn. 32 und vom 01.06.2011 - 10 C 25.10 -, NVwZ 2011, 1463 Rn. 22; VGH Bad.-Württ., Urteile vom 19.04.2017 - A 11 S 1411/16 -; vom 18.04.2017 - A 9 S 333/17 -, Asylmagazin 2017, 197, juris Rn. 43 und vom 27.08.2014 - A 11 S 1128/14 -, Asylmagazin 2014, 389, juris Rn. 34 m.w.N.
49 
Die Tatsache, dass ein Ausländer bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden ernsthaft bedroht war, ist allerdings ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Ausländers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden (vgl. Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU); es besteht die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Den in der Vergangenheit liegenden Umständen wird Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft beigelegt. Dadurch wird der Vorverfolgte bzw. Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden bzw. schadenstiftenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland wiederholen werden. Diese Vermutung kann aber widerlegt werden; hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung bzw. des Eintritts eines solchen Schadens entkräften.
50 
e) Maßstab der Überzeugungsbildung
51 
Das Gericht trifft seine Entscheidung gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Auch im Asylverfahren muss die danach gebotene Überzeugungsgewissheit dergestalt bestehen, dass das Gericht die volle Überzeugung von der Wahrheit (nicht etwa nur von der Wahrscheinlichkeit) des vom Kläger behaupteten individuellen Verfolgungsschicksals erlangt hat. Wegen des sachtypischen Beweisnotstandes, in dem sich der Betroffene insbesondere hinsichtlich der von ihm vorgetragenen Vorgänge im Heimat-, also im „Verfolgerland“ vielfach befinden, genügt für diese Vorgänge in der Regel die Glaubhaftmachung, wodurch allerdings das Gericht nicht von einer Überzeugungsbildung im Sinne des § 108 Abs. 1 VwGO enthoben ist. Vielmehr darf das Gericht keine unerfüllbaren Beweisanforderungen stellen und keine unumstößliche Gewissheit verlangen. Es muss sich in tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen, der den Zweifeln Schweigen gebietet, auch wenn sie nicht völlig auszuschließen sind.
52 
Neben der bereits beschriebenen Besonderheit auf dem Gebiet des Beweismaßes (beachtliche Wahrscheinlichkeit, s.o. lit d)) ist im Flüchtlingsrecht daher auch die Modifikation im Bereich des Beweismittel zu beachten: Unter Berücksichtigung des beschriebenen Beweisnotstands kommt dem persönlichen Vorbringen des Klägers und dessen Würdigung gesteigerte Bedeutung zu, weswegen allein der Tatsachenvortrag des Asylsuchenden zum Erfolg der Klage führen kann, sofern seine Behauptungen unter Berücksichtigung aller sonstigen Umstände in dem Sinne „glaubhaft" sind, dass sich das Gericht von ihrer Wahrheit überzeugen kann.
53 
Grundlegend: BVerwG, Urteile vom 16.04.1985 - 9 C 109.84 -, NVwZ 1985, 567, juris Rn. 16 und vom 29.11.1977 - I C 33.71 -, juris, beide m.w.N.; außerdem: BVerwG, Beschlüsse vom 08.02.2011 - 10 B 1.11 -, NVwZ-RR 2011, 382 und vom 08.03.2007 - 1 B 101.06 -, BeckRS 2007, 22701; vgl. dazu auch Stuhlfauth, in: Bader, u.a., VwGO, 6. Aufl. 2014, § 108 VwGO Rn. 8, m.w.N.
54 
So sieht auch Art. 4 Abs. 5 RL 2011/95/EU unter bestimmten Umständen vor, dass die Einlassung des Schutzsuchenden ausreichend sein kann und es keiner Nachweise seiner Aussagen bedarf. Und zwar dann, wenn dieser sich offenkundig bemüht hat, seinen Antrag zu begründen, alle ihm verfügbaren Anhaltspunkte vorliegen, und er eine hinreichende Erklärung für das Fehlen anderer relevanter Anhaltspunkte gegeben hat, festgestellt wurde, dass seine Aussagen kohärent und plausibel sind und sie zu den für seinen Fall relevanten, verfügbaren besonderen und allgemeinen Informationen nicht in Widerspruch stehen, er internationalen Schutz zum frühestmöglichen Zeitpunkt beantragt hat (es sei denn, er kann gute Gründe dafür vorbringen, dass dies nicht möglich war) und schließlich auch seine generelle Glaubwürdigkeit festgestellt worden ist.
55 
Vgl. dazu EuGH, Urteil vom 22.11.2012 - C-277/11 - (M.M./Irland), NVwZ 2013, 59.
56 
Es ist demzufolge zunächst Sache des Schutzsuchenden, die Gründe für seine Furcht vor Verfolgung schlüssig vorzutragen. Dazu hat er unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei verständiger Würdigung ergibt, dass ihm in seinem Heimatstaat Verfolgung droht. Hierzu gehört, dass er zu den in seine Sphäre fallenden Ereignissen, insbesondere zu seinen persönlichen Erlebnissen, eine Schilderung gibt, die geeignet ist, den behaupteten Anspruch lückenlos zu tragen. Erhebliche Widersprüche und Unstimmigkeiten im Vorbringen können dem entgegenstehen, es sei denn, diese können überzeugend aufgelöst werden. Bei der Bewertung der Stimmigkeit des Sachverhalts müssen u.a. Persönlichkeitsstruktur, Wissensstand und Herkunft des Schutzsuchenden berücksichtigt werden.
57 
Dazu BVerwG, Beschluss vom 21.07.1989 - 9 B 239.89 -, NVwZ 1990, 171, juris Rn. 3 und 4 sowie auch OVG NRW, Urteil vom 02.07.2013 - 8 A 2632/06.A -, BeckRS 2013, 55090 juris Rn. 59.
58 
Mit anderen Worten: Für die richterliche Überzeugungsbildung ist eine bewertende Gesamtschau des gesamten Vorbringens des Schutzsuchenden unter Berücksichtigung seiner individuellen Aussagekompetenz und seiner Glaubwürdigkeit erforderlich, die die Stimmigkeit des Vorbringens an sich, dessen Detailtiefe und Individualität, sowie dessen Übereinstimmung mit den relevanten und verfügbaren Erkenntnismitteln ebenso berücksichtigt wie die Plausibilität des Vorbringens, an der es etwa fehlen kann, wenn nachvollziehbare Erklärungen fehlen oder unterbleiben, falsche oder missverständliche Urkunden nicht erklärt werden können bzw. wenn Beweise oder Vorbringen ohne nachvollziehbaren Grund verspätet vorgebracht werden.
59 
Vgl. insgesamt auch VGH Bad.-Württ., Urteil vom 19.04.2017 - A 11 S 1411/16 -, BeckRS 2017, 127389 Rn. 23 ff. sowie International Association of Refugee Law Judges, Assessment of Credibility in Refugee and Subsidiary Protection claims under the EU Qualification Directive, Judicial criteria and standards, https://www.iarlj.org/images/stories/Credo/Credo_Paper_March 2013-rev1.pdf, Seite 33 f.).
60 
2. Keine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft auf Grund von Vorverfolgung
61 
Gemessen an diesen Grundsätzen hat der Kläger keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Denn er befindet sich nicht aus begründeter Furcht vor Verfolgung außerhalb seines Heimatlandes. Dem Kläger droht in Afghanistan nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung.
62 
Eine insoweit relevante Vorverfolgung des Klägers, auf Grund derer der Kläger die Vermutung des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU für sich in Anspruch nehmen könnte, liegt nicht vor.
63 
Der Schilderung des Klägers beim Verwaltungsgericht und vor dem Senat, wonach ihm bei einem der regelmäßigen Angriffe der Kutschi-Nomaden auf die Ländereien seines Vaters durch einen Angreifer mittels eines Gewehrkolbens der Arm gebrochen worden sei, glaubt der Senat nicht.
64 
Zwar kommt es durchaus regelmäßig zu den vom Kläger beschriebenen Konflikten zwischen den paschtunischen Kutschi-Nomaden, die von den Hazara teils mit der Bezeichnung „taleban“ versehen werden, und niedergelassenen Hazara.
65 
Vgl. dazu insgesamt ausführlich Accord, Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Lage der Hazara, Zugang zu staatlichem Schutz und Hintergründe des Konflikts zwischen Kuchis und Hazara, 02.09.2016, dort auch S. 13 zur verbreiteten Bezeichnung „taleban“ für die Kutschi.
66 
Allerdings ist die Schilderung des Klägers nicht in Einklang zu bringen mit seinen Angaben beim Bundesamt und auch mit den (ansonsten detaillierten) Darstellungen im Schreiben zur Klagebegründung vom 7. Juli 2016. Beim Bundesamt hat der Kläger auf Frage, ob er persönlich bedroht oder angegriffen worden sei, angegeben, er sei immer weggegangen, bevor die Kutschi gekommen seien, nämlich in den Nachbardistrikt. Auch in der ausführlichen Klagebegründung wird ein Angriff auf den Kläger oder eine Verletzung nicht erwähnt, obwohl (in Steigerung zum Vortrag beim Bundesamt) nun erstmals geschildert wird, der Kläger habe mit ansehen müssen, wie sein Vater von den Kutschi beim Versuch, sein Land zu verteidigen, erschossen worden sei. Genau in diesem Zusammenhang soll nach der Schilderung des Klägers beim Verwaltungsgericht und vor dem Senat nun auch der Angriff auf den Kläger selbst erfolgt sein. Auf Vorhalt seiner Angaben beim Bundesamt hat der Kläger lediglich erklärt, man habe ihn gefragt, warum er nach Deutschland gekommen sei. Er habe keinerlei Gelegenheit bekommen, etwas dazu zu sagen. Auch auf wiederholte Nachfrage und Bitte um Erklärung seiner Antwort beim Bundesamt auf die ausdrücklich auf einen ihn persönlich betreffenden Angriff bezogene Frage hat der Kläger nur geäußert, er sei bedroht, weil Kutschi und Taliban dasselbe seien. Wieso der Kläger ein derart zentrales und auch für ihn persönlich prägendes Ereignis wie den Tod seines Vaters und den Angriff auf ihn selbst mit der Folge einer erheblichen Verletzung beim Bundesamt nicht geschildert hat, erschließt sich (auch im Hinblick auf die gehaltlos gebliebenen Erklärungsversuche des Klägers) nicht. Auch unter Berücksichtigung der vom Kläger angeführten Umstände - etwa der seiner Ansicht nach kurzen Dauer der Bundesamtsanhörung (welche richtigerweise nicht 40, sondern 55 Minuten dauerte), des kulturellen Hintergrunds sowie des Bildungsstands und des Alters des Klägers - ist der Senat nicht davon überzeugt, dass der Kläger seinen jüngsten Schilderungen entsprechend Opfer eines Übergriffs der Kutschi geworden ist, zumal die Angaben des Klägers im Verhandlungstermin vom 13. Oktober 2017 auch im Übrigen in sich widersprüchlich und unklar waren (etwa die Angaben zum Erlös aus dem Verkauf des väterlichen Lands, zu dem der Kläger zunächst 9.000 EUR und 60.000 Afghani, dann nur 9.000 EUR angegeben und zuletzt geäußert hat, er wisse überhaupt nicht, was sein - wechselnd jüngerer oder älterer - Bruder für den Verkauf erhalten habe).
67 
Danach fehlt es bereits an einer glaubhaft geschilderten Verfolgungshandlung (§ 3a AsylG), so dass es keiner weiteren Ausführungen dazu bedarf, ob der vom Kläger beschriebene Sachverhalt überhaupt an einen flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgungsgrund des § 3b AsylG (etwa - wie es das Verwaltungsgericht angedeutet hat - die Ethnie des Klägers) anknüpft, oder ob dieser schlicht kriminelles Unrecht betrifft.
68 
3. Keine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft wegen Gruppenverfolgung der Hazara
69 
Des Weiteren kommt auch eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft alleine auf Grundlage der Zugehörigkeit des Klägers zum Volk der Hazara nicht in Betracht. Denn nur die Anknüpfung an die Volkszugehörigkeit - ohne bzw. unabhängig von einer Vorverfolgung - wäre nur dann zur Begründung einer flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgung geeignet, wenn sich eine Verfolgung der gesamten Gruppe der Hazara feststellen ließe.
70 
Dies ist allerdings nicht der Fall.
71 
a) Rechtliche Anforderungen
72 
Zwar kann sich die Gefahr eigener Verfolgung für einen Ausländer, der die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft begehrt, nicht nur aus gegen ihn selbst gerichteten Maßnahmen, also einer anlassgeprägte Einzelverfolgung ergeben, sondern auch aus gegen Dritte gerichteten Maßnahmen, wenn diese Dritten wegen eines asyl- bzw. flüchtlingsrechtlich erheblichen Merkmals verfolgt werden, das er mit ihnen teilt, und wenn er sich mit ihnen in einer nach Ort, Zeit und Wiederholungsträchtigkeit vergleichbaren Lage befindet, also die Gefahr der Gruppenverfolgung besteht. Dabei ist je nach den tatsächlichen Gegebenheiten zu berücksichtigen, ob die Verfolgung allein an ein bestimmtes unverfügbares Merkmal wie die Religion anknüpft oder ob für die Bildung der verfolgten Gruppe und die Annahme einer individuellen Betroffenheit weitere Umstände oder Indizien hinzutreten müssen. Mit dem Begriff der Gruppenverfolgung werden daher lediglich schlagwortartig die Voraussetzungen bezeichnet, unter denen anzunehmen ist, dass jeder Gruppenangehörige ohne Rücksicht auf sein persönliches Schicksal in der Gefahr persönlicher Verfolgung steht. Der Begriff der Gruppenverfolgung ist damit nur ein Hilfsmittel, um aus Maßnahmen, die gegen die Gruppe gerichtet sind, auf eine individuelle Verfolgungsbetroffenheit zu schließen. Das Eingreifen der Regelvermutung
73 
- BVerwG, Urteile vom 21.04.2009 - 10 C 11.08 -, NVwZ 2009, 1237, Rn. 13, vom 18.07.2006 - 1 C 15.05 -, NVwZ 2006, 1420, juris Rn. 20 und vom 01.02.2007 - 1 C 24.06 -, NVwZ 2007, 590, juris Rn. 7; zum Teil auch als materiell-rechtlicher Anscheinsbeweis bezeichnet: Dawin, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Juni 2017, § 108 Rn. 73 -
74 
ohne Nachweis individueller konkreter Verfolgungsmaßnahmen setzt voraus, dass jedes im Verfolgungsgebiet im Verfolgungszeitraum lebende Gruppenmitglied nicht nur möglicherweise latent oder potentiell, sondern wegen seiner Gruppenzugehörigkeit aktuell gefährdet ist, weil den Gruppenangehörigen insgesamt Verfolgung droht. Die Verfolgungshandlungen müssen sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen ohne Weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht; dagegen sind nur vereinzelt bleibende, individuelle Übergriffe gegen Gruppenmitglieder nicht geeignet, eine Gruppenverfolgung zu begründen. Erforderlich ist vielmehr eine bestimmte Verfolgungsdichte mit einer großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in flüchtlingsrechtlich geschützte Rechtsgüter, die die Betroffenen gerade in Anknüpfung an flüchtlingsrechtlich erhebliche Merkmale treffen. Die Gruppenverfolgung kann dabei nicht nur aus unmittelbarer oder mittelbarer staatlicher Verfolgung resultieren, sondern auch von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen. Ob die Voraussetzungen einer Gruppenverfolgung vorliegen ist durch eine wertende Betrachtung im Sinne der Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung zu ermitteln. Die Verfolgungswahrscheinlichkeit aufgrund einer Gruppenverfolgung ist dabei ausgehend von der (jedenfalls annähend zu bestimmenden) Gesamtzahl der Angehörigen der von Verfolgungshandlungen betroffenen Gruppe zu ermitteln. Weiter müssen Anzahl und Intensität aller Verfolgungsmaßnahmen, gegen die Schutz weder von staatlichen Stellen noch von staatsähnlichen Herrschaftsorganisationen einschließlich internationaler Organisationen zu erlangen ist, möglichst detailliert festgestellt und hinsichtlich der Anknüpfung an ein oder mehrere unverfügbare Merkmale nach ihrer objektiven Gerichtetheit zugeordnet werden. Alle danach gleichgearteten, auf eine nach denselben Merkmalen zusammengesetzte Gruppe bezogenen Verfolgungsmaßnahmen müssen schließlich zur ermittelten Größe dieser Gruppe in Beziehung gesetzt werden. Denn eine bestimmte Anzahl von Eingriffen, die sich für eine kleine Gruppe von Verfolgten bereits als bedrohlich erweist, kann gegenüber einer großen Gruppe vergleichsweise geringfügig erscheinen. Auch für die Gruppenverfolgung gilt, dass sie mit Rücksicht auf den allgemeinen Grundsatz der Subsidiarität des Flüchtlingsrechts den Betroffenen einen Schutzanspruch im Ausland nur vermittelt, wenn sie im Herkunftsland landesweit droht, d.h. wenn auch keine erreich- und zumutbare Möglichkeit internen Schutzes offensteht.
75 
Vgl. insgesamt: BVerwG, Urteile vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 -, NVwZ 2013, 936, Rn. 41; vom 21.04.2009 - 10 C 11.08 -, NVwZ 2009, 1237, Rn. 13 ff.; vom 01.02.2007 - 1 C 24.06 -, NVwZ 2007, 590, juris Rn. 7 f. und vom 18.07.2006 - 1 C 15.05 - NVwZ 2006, 1420, juris Rn. 20 ff., jeweils m.w.N.; grundlegend zur Gruppenverfolgung auch: BVerfG, Urteil vom 23.01.1991 - 2 BvR 902/85, 515/90, 1827/89 -, NVwZ 1991, 768 und BVerwG, Urteil vom 05.07.1994 - 9 C 158.94 - NVwZ 1995, 175.
76 
b) Subsumtion: Keine Gruppenverfolgung von Hazara in Afghanistan
77 
Unter Berücksichtigung dieser Anforderungen scheidet eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft wegen einer Gruppenverfolgung der Hazara allerdings aus. Die Hazara bilden zwar eine ethnische Minderheit (aa)), es ist allerdings weder eine staatliche Verfolgung oder Diskriminierung festzustellen (bb)) noch lässt sich auf Grundlage der Situation der Hazara im alltäglichen Leben (cc)) eine Gruppenverfolgung ersehen, zumal auch positive Entwicklungen zu verzeichnen sind (dd)). Insbesondere vermag der Umstand, dass Volkszugehörige der Hazara Opfer von Anschlägen und kriminellen Übergriffen werden, eine Gruppenverfolgung nicht zu begründen (ee))
78 
aa) Die Volksgruppe der Hazara stellt im Vielvölkerstaat Afghanistan - nach den Paschtunen (40 %) und den Tadschiken (25 %) - mit einem Anteil von etwa 10 % der Bevölkerung eine Minderheit dar.
79 
Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19.10.2016 - Stand September 2016 -, S. 9; Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan, Republik Österreich Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vom 02.03.2017, aktualisiert am 27.06.2017, S. 55, 72, 94 und 96).
80 
Ihre Anzahl wird auf ungefähr drei Millionen geschätzt.
81 
Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19.10.2016 - Stand September 2016 -, S. 9.
82 
Teilweise wird abweichend hiervon eine Zahl von 2,7 bis 6 Millionen bzw. ein Anteil von 9 bis 20 % der Bevölkerung angegeben.
83 
Landinfo/Norwegian Country of Origin Information Centre: Report: Hazaras and Afghan insurgent groups, 03.10.2016, S. 6 m.w.N.).
84 
Hinsichtlich der Vergleichsgröße ist für das gesamte Land von einer Einwohnerzahl zwischen etwa 27 bis 34 Millionen auszugehen.
85 
Vgl. dazu Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan, Republik Österreich Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vom 02.03.2017, aktualisiert am 27.06.2017, S. 150: 33,3 Millionen; so auch UK Home Office, Country Policy and Information Note. Afghanistan: Security and humanitarian situation, August 2017, S. 11; vgl. auch „the world fact book“ - Afghanistan auf https://www.cia.gov/ für Juli 2017 geschätzt 34,124,811 Einwohner; ProAsyl, Afghanistan - No safe country for refugees - Mai 2017 -, S. 55: mindestens 31,5 Millionen; Schuster, Risks on return to Kabul, 12.08.2016, S. 18/Rn. 48: mindestens 30 Millionen; Islamic Republic of Afghanistan Central Statistics Organization - Estimated Population of Afghanistan 2017-2018, April 2017, S. 2: 29.724.323; Auswärtiges Amt, Zwischenbericht: Lagebeurteilung für Afghanistan nach dem Anschlag am 31. Mai 2017 - Stand Juli 2017, S. 8/Rn. 30: 27 bis 32 Millionen.
86 
Bei den Hazara handelt es sich um ein Volk mongolischer Abstammung. Auf Grund dieser Herkunft sind sie optisch wegen ihrer tendenziell eher zentralasiatischen Gesichtszüge meist als ihrer Volksgruppe zugehörig zu erkennen.
87 
ÖRK/Accord, Afghanistan, Dokumentation des Expertengespräches mit Thomas Ruttig und Michael Daxner, 04.05.2016, S. 7; Stahlmann, ZAR 2017, 189 (190 f.); Landinfo/Norwegian Country of Origin Information Centre: Report: Hazaras and Afghan insurgent groups, 03.10.2016, S. 6.
88 
Sie sprechen vorwiegend einen Dialekt des Persischen namens Hazaragi, der mongolische und turksprachige Wörter enthält. Die Hazara waren einst die größte ethnische Gruppe Afghanistans. Mehr als die Hälfte der Hazara-Bevölkerung war allerdings bereits im Jahr 1893 getötet worden, als die Hazara nach einem politischen Aufstand ihre Autonomie eingebüßt hatten. Die meisten Hazara leben auch heute noch im sogenannten Hazarajat (auch: Hazarestan) im zentralen Bergland Afghanistans, dem „Land der Hazara“. Dessen ca. 50.000 Quadratkilometer großes Gebiet ist in seiner exakten Abgrenzung zwar umstritten, es umfasst jedenfalls den Bereich der Provinz Bamiyan sowie Teile benachbarter Provinzen. Andere Hazara leben in den Bergen von Badachschan (eine Provinz im äußersten Nordosten Afghanistans), aber auch in weiteren Teilen Afghanistans, etwa in Daikundi und Ghazni.
89 
Landinfo/Norwegian Country of Origin Information Centre: Report: Hazaras and Afghan insurgent groups, 03.10.2016, S. 6; vgl. auch zu weiteren Distrikten Accord, Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Lage der Hazara, Zugang zu staatlichem Schutz und Hintergründe des Konflikts zwischen Kuchis und Hazara, 02.09.2016, S. 17; vgl. auch das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan, Republik Österreich Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vom 02.03.2017, aktualisiert am 27.06.2017, S. 152, dort werden als Kernland der Region des Hazarat die Provinzen Bamiyan, Ghazni, Daikundi, der Westen der Provinz Wardak und Teile der Provinzen Ghor, Uruzgan, Parwan, Samangan, Baghlan, Balkh, Badghis und Sar-e Pol genannt.
90 
In Bamiyan besteht die Bevölkerung beispielsweise zu 67 % aus Hazara.
91 
Accord, Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Aktuelle Situation der Volksgruppe der Hazara, 27.06.2016, S. 2.
92 
Die meisten Hazara in Kabul leben in dem überbevölkerten Gebiet Dasht-e Barchi.
93 
UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 19.04.2016, S. 87 f. Fn. 492.
94 
Der ganz überwiegende Teil der Hazara ist schiitischen Glaubens und stellt somit auch in religiöser Hinsicht - im Vergleich zu den mehrheitlich sunnitischen Muslimen des Landes - eine Minderheit dar.
95 
Vgl. insgesamt ausführlich: Accord, Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Aktuelle Situation der Volksgruppe der Hazara, 27.06.2016, S. 2 und 4 m.w.N. sowie auch ÖRK/Accord, Afghanistan, Dokumentation des Expertengespräches mit Thomas Ruttig und Michael Daxner, 04.05.2016, S. 7 und UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 19.04.2016, S. 59.
96 
bb) Für eine staatliche Verfolgung oder Diskriminierung der Hazara gibt es keine Anhaltspunkte.
97 
In der afghanischen Verfassung ist der Gleichheitsgrundsatz verankert. Sie schützt sämtliche ethnischen Minderheiten. Auch ist eine systematische, etwa auch nach dem Merkmal der Volkszugehörigkeit diskriminierende Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis für Afghanistan nicht erkennbar.
98 
Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19.10.2016 - Stand September 2016 -, S. 9 und S. 11; Landinfo/Norwegian Country of Origin Information Centre: Report: Hazaras and Afghan insurgent groups, 03.10.2016, S. 12 m.w.N.; Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan, Republik Österreich Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vom 02.03.2017, aktualisiert am 27.06.2017, S. 150; anschaulich auch Staatssekretariat für Migration SEM der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Notiz Afghanistan: Alltag in Kabul. Referat von Thomas Ruttig (Afghanistan Analysts Network) am 20. April 2017, 20.06.2017, S. 17.
99 
Nachdem die Hazara zuvor unter dem Regime der sunnitischen Taliban schwerwiegenden Misshandlungen - etwa auch Massakern und dem Vorenthalten von Nahrungsmitteln - ausgesetzt gewesen waren, konnten sie neben ihrer allgemeinen sozio-ökonomische Position insbesondere ihre gesellschaftliche Stellung auch in der Politik erheblich verbessern. So besetzte ein Hazara unter Präsident Karzai verschiedene hochrangige Regierungspositionen, u.a. auch das Amt des Vizepräsidenten. Auch ansonsten finden sich in hochrangigen Positionen in der öffentlichen Verwaltung und der Politik sowohl auf zentraler als auch lokaler Ebene Hazara. Die Hazara gelten insgesamt als in der Zivilgesellschaft gut vertreten.
100 
Landinfo/Norwegian Country of Origin Information Centre: Report: Hazaras and Afghan insurgent groups, 03.10.2016, S. 12 m.w.N.
101 
cc) Im alltäglichen, gesellschaftlichen Leben kommt es allerdings durchaus zu Diskriminierungen von Hazara. So wird - allgemein gehalten - davon berichtet, dass Hazara beständig sozial, rassisch oder religiös motivierter gesellschaftlicher Diskriminierung in Form von Gelderpressungen durch illegale Besteuerung, Zwangsrekrutierung, Zwangsarbeit, physischer Gewalt sowie Inhaftierung betroffen seien und sie beispielsweise auch innerhalb der Afghanischen Nationalen Sicherheitskräfte (ANSF) einem stärkeren Risiko ausgesetzt seien, in unsicheren Gebieten eingesetzt zu werden, als dies bei Nicht-Hazara-Beamten der Fall ist.
102 
Accord, Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Aktuelle Situation der Volksgruppe der Hazara, 27.06.2016, S. 5 f.; vgl. auch Accord, Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Lage der Hazara, Zugang zu staatlichem Schutz und Hintergründe des Konflikts zwischen Kuchis und Hazara, 02.09.2016, S. 2 m.w.N.; vgl. auch UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 19.04.2016, S. 87 sowie S. 59 Fn. 327, 328 sowie auch Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich - Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Afghanistan (Gesamtaktualisierung vom 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 27.06.2017), S. 153; außerdem: EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 114 m.w.N.; USDOS, Afghanistan 2016 Human Rights Report, 17.03.2017, S. 47.
103 
Ein Beispiel für die - jedenfalls als solche empfundene - Benachteiligung ist die Auseinandersetzung um den Verlauf einer Stromtrasse. Der Umstand, dass eine durch Bamiyan geplante internationale Hochspannungsleitung lediglich als Durchgangslinie angedacht war und nicht etwa das bislang nur durch eine staatliche Solaranlage (unter-) versorgte Bamiyan elektrifiziert werden sollte, wurde zum Ursprung einer Protestbewegung der Hazara, des sog. „Enlightenment Movement“.
104 
SRF, Bericht: Schiiten in Afghanistan - Das Volk der Hazara will mehr Licht; Diskriminiert - die Minderheit der Hazara in Afghanistan, 16.03.2017; vgl. auch Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19.10.2016 - Stand September 2016 -, S. 9 f.; vgl. dazu auch im Weiteren zur Demonstration der Hazara bzw. der Enlightenment-Bewegung vom 23. Juli 2016, die zum Ziel eines verheerenden Anschlags von IS-Kräften wurde.
105 
dd) Allerdings gibt es auch positive Entwicklungen. So stellt der Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 19. Oktober 2016 dar, dass sich die Lage der ca. 3.000.000 Hazara in Afghanistan grundsätzlich verbessert hat, auch wenn sie in der öffentlichen Verwaltung weiterhin unterrepräsentiert sind, was aber auch noch eine Nachwirkung vergangener Zeiten sein könnte.
106 
Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19.10.2016 - Stand September 2016 -, S. 9.
107 
Ähnliches lässt sich auch der Darstellung des UNHCR entnehmen, der von erheblichen politischen und wirtschaftlichen Fortschritten der Hazara seit dem Ende des Taliban Regimes im Jahr 2001 berichtet und u.a. auf die Anzahl der schiitischen Parlamentsmitglieder verweist, die in etwa dem Anteil der Schiiten in der Bevölkerung entspreche. Die Diskriminierung von Schiiten durch Sunniten hat danach deutlich abgenommen und aus Kabul sowie aus größeren Randgebieten seien keine Vorfälle mehr gemeldet worden. In Herat würden - bei einem großen schiitischen Bevölkerungsanteil - sowohl schiitische als auch sunnitische Führer von einem weitgehend harmonischen Zusammenleben berichten.
108 
UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 19.04.2016, S. 87, 59, dort insbesondere auch Fn. 326 unter Verweis auf den Bericht des US Department of State vom 14.10.2015: 2014 Report on International Religious Freedom - Afghanistan vgl. zur signifikanten Verbesserung der Lage der Hazara seit dem Sturz der Taliban im Jahr 2001 auch Landinfo/Norwegian Country of Origin Information Centre,: Report: Hazaras and Afghan insurgent groups, 03.10.2016, S. 3.
109 
In seinen Anmerkungen zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des deutschen Bundesministeriums des Innern von Dezember 2016
110 
- UNHCR, Anmerkung zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des deutschen Bundesministeriums des Innern, Dezember 2016, S. 5 f. -
111 
berichtet der UNHCR, dass Hazara-Familien aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit als Binnenflüchtlinge in der vergleichsweise ruhigen Provinz Bamiyan aufgenommen wurden, nachdem im Herbst 2016 Dörfer von Hazara im Rahmen der Taliban-Aufstände gegen regierungsnahe Kräfte angegriffen worden sind. Auch kam es zu Verhandlungen zwischen Gruppen der Hazara und der Taliban, durch die bereits einige Angelegenheiten geklärt werden konnten. In Ghazni haben die Taliban und die Hazaras einen Nichtangriffspakt geschlossen, auf der Grundlage, dass den Taliban erlaubt wurde, bestimmte Straßen durch die Gebiete der Hazara zu nutzen.
112 
Norwegian Country of Origin Information Centre, Landinfo, Report Afghanistan: Hazaras and Afghan insurgent groups, 03.10.2016, S. 18 f., vgl. auch S. 20 f.
113 
Hieraus allerdings eine sich verfestigende Lage oder gar eine dauerhafte Entwicklung ableiten zu wollen, ist angesichts der sich ständig ändernden Verbindungen, Partei- und Fraktionswechsel der verschiedenen Akteure (etwa der Bewegungen zwischen und auch innerhalb der Taliban, der IS-Bewegungen und sonstigen Gruppen) nicht angezeigt.
114 
Vgl. zu den von jeher üblichen „pragmatischen“ Doppelallianzen, Wechseln in den Loyalitäten, persönlichen Verbindungen, Meinungsunterschieden und -umschwüngen insbesondere der regierungsfeindlichen Gruppen eindrücklich: Stahlmann, ZAR 2017, 189 (S. 190 ff.), insbes. S. 192 sowie auch ÖRK/Accord, Afghanistan, Dokumentation des Expertengespräches mit Thomas Ruttig und Michael Daxner, 04.05.2016, S. 22 f.
115 
Vielmehr verbleibt es insgesamt bei einer unsicheren Situation, in der auch nicht von einer gleichförmigen Lage sämtlicher hazarischen Volkszugehörigen die Rede sein kann. So arbeiten die Hazara teilweise mit den Taliban zusammen oder gehören ihnen sogar an
116 
- EASO Country of Origin Information Report: Afghanistan - recruitment by armed groups, September 2016, S. 19 -,
117 
zuweilen findet - angesichts der üblicherweise schiitischen Religionszugehörigkeit der Hazara allerdings nur in Ausnahmefällen - sogar eine Rekrutierung von Hazara durch die (sunnitischen) Taliban statt.
118 
ÖRK/Accord, Afghanistan, Dokumentation des Expertengespräches mit Thomas Ruttig und Michael Daxner, 04.05.2016, S. 22.
119 
ee) Auch aus einer für Volkszugehörige der Hazara prekären Sicherheitslage lässt sich nicht auf eine Verfolgungsdichte nach den Anforderungen einer Gruppenverfolgung schließen.
120 
Die Vorfälle, durch die Hazara - oft auch als Angehörige der schiitischen Religion - betroffen waren bzw. verletzt oder sogar getötet wurden, sind zahlreich, was die nachfolgenden (nicht abschließenden) Ereignisse verdeutlichen.
121 
Im März 2016 wurden in der Provinz Sar-e Pol elf, im Juni 2016 17 Hazara entführt. Letztere wurden nach wenigen Tagen wieder freigelassen. Am 6. Juli 2016 töteten Taliban 22 Polizisten, die Angehörige der Hazara waren.
122 
Accord, Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Lage der Hazara, Zugang zu staatlichem Schutz und Hintergründe des Konflikts zwischen Kuchis und Hazara, 02.09.2016, S. 6 f. und S. 15 f. sowie außerdem im Bericht insgesamt auch ausführlich zu weiteren Vorfällen vor 2016; US Department of State, Afghanistan 2016 Human Rights Report, 17.03.2017, S. 3.
123 
Am 23. Juli 2016 ereignete sich in Kabul äußerst gravierender und „öffentlichkeitswirksamer“ Anschlag auf Angehörige der Hazara, der im Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19. Oktober 2016 - also aus einer Zeit vor dem schweren Anschlag vom 31. Mai 2017 - als schwerster Selbstmordanschlag in der afghanischen Geschichte bezeichnet wurde.
124 
Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19.10.2016 - Stand September 2016 -, S. 10.
125 
Bei einem Angriff auf eine Kundgebung der zuvor erwähnten „Enlightenment“-Bewegung in Kabul, zu dem sich die dem Islamischen Staat (auch bezeichnet als Daesh) zugehörige Splittergruppe ISKP (Islamic State Khorasan Province, auch ISIL-KP) bekannte, starben 80 Personen.
126 
UNHCR, Anmerkung zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des deutschen Bundesministeriums des Innern, Dezember 2016, S. 6; Accord, Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Lage der Hazara, Zugang zu staatlichem Schutz und Hintergründe des Konflikts zwischen Kuchis und Hazara, 02.09.2016, S. 8; Norwegian Country of Origin Information Centre, Landinfo, Report Afghanistan: Hazaras and Afghan insurgent groups vom 03.10.2016, S. 25; dort auch zur IS-Gruppe ISKP als einer Splittergruppe dies Islamischen Staats (IS), der auch Daesh genannt wird, ausführlich auf S. 22 ff. des Berichts sowie auch: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich - Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Afghanistan (Gesamtaktualisierung vom 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 27.06.2017), S. 18 und 30;
127 
Am 11. Oktober 2016 kam es zu zwei Angriffen auf schiitische Einrichtungen (einen Schrein und die Azrat-Moschee), bei denen mindestens 13 Zivilisten getötet wurden. Am 21. November 2016 wurde eine weitere schiitische Moschee in Kabul (Baqir-Ul-Olum) angegriffen, wobei 27 Zivilisten getötet und mindestens 30 verletzt wurden.
128 
Zu den (jeweils auch abweichenden) Zahlen: UK Home Office, Country Policy and Information Note - Afghanistan: Security and humanitarian situation, August 2017, S. 25; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 19. Juni 2017 zu Afghanistan: Sicherheitslage in Kabul, 19.06.2017, S. 5 f., 11 und 16 f. m.w.N.; Ecoi.net, Themendossier: Allgemeine Sicherheitslage in Afghanistan und Chronologie für Kabul, 11.04.2017, S. 10; Ecoi.net, Themendossier: Allgemeine Sicherheitslage in Afghanistan und Chronologie für Kabul, 11.04.2017, S. 10.
129 
Im Gegensatz zu den Selbstmordanschlägen und komplexen Attacken der Taliban richten sich vom ISKP durchgeführte Anschläge auch absichtlich gegen Zivilisten, insbesondere gegen die Hazara als schiitische Minderheit, da diese auch wegen der Teilnahme afghanischer Schiiten am Kampf gegen den IS auf Seiten des syrischen Regimes im Fokus des ISKP steht.
130 
Vgl. dazu den Bericht des Auswärtigen Amts zur Lagebeurteilung für Afghanistan nach dem Anschlag am 31. Mai 2017 - Stand Juli 2017 -, S. 10.
131 
Auch in der maßgeblich von Hazara bewohnten Provinz Bamiyan kommt es wiederholt zu gezielten Angriffen auf Hazara durch regierungsfeindliche Kräfte entlang der Hauptverkehrsstraßen. Dabei erweisen sich insbesondere die Route von Kabul über die Provinz Parwan sowie die Straße über Maidan Wardak als unsicher.
132 
UNHCR, Anmerkung zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des deutschen Bundesministeriums des Innern, Dezember 2016, S. 6; vgl. auch Accord, Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Lage der Hazara, Zugang zu staatlichem Schutz und Hintergründe des Konflikts zwischen Kuchis und Hazara, 02.09.2016, S. 11 „Todesstraße“/„Death Road“ und auch Accord Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Lage der Hazara, 24.02.2016, S. 3; vgl. auch Stahlmann, ZAR 2017, 189 (194) zur „Straße des Todes“.
133 
Die Vorfälle zum Nachteil von Hazara setzten sich auch im Jahr 2017 fort. Bereits am 1. Januar 2017 forderte eine Sprengstoffexplosion in einer schiitischen Moschee in Herat ein Todesopfer. Fünf Menschen wurden verletzt. Regierungsfeindliche Kräfte hielten am 6. Januar 2017 in der Provinz Baghlan einen Bus mit Minenarbeitern, die hauptsächlich Hazara waren, an. Sie töteten acht Passagiere und verletzten drei weitere. In Sar-e Pol wurden durch Anhänger des ISKP am 15. März 2017 drei Hazara getötet. Sie wurden erschossen und anschließend geköpft. Am 12. Mai 2017 verübte der Daesh/ISKP mittels einer ferngesteuerten Sprengvorrichtung einen Anschlag auf eine Bäckerei in einem schiitisch geprägten Stadtviertel vom Herat nahe einer religiösen Versammlung, bei dem sieben Menschen getötet und 17 verletzt wurden. Auch zu einem weiteren Anschlag auf eine schiitische Moschee in Kabul am 15. Juni 2017, bei dem fünf Zivilisten getötet und sieben weitere verletzt worden waren, bekannte sich der ISKP.
134 
UNAMA Midyear Report 2017: Afghanistan - protection of civilians in armed conflict, Juli 2017, S. 46 und 48, 49.
135 
Bei zwei weiteren Angriffen auf schiitische Moscheen in Kabul und in der Provinz Ghor am 20. Oktober 2017 wurden in Kabul mindestens 39, womöglich sogar mehr als 65 Personen getötet und 67 weitere verletzt; in Ghor wurden bis zu 33 Menschen getötet. Bei gegen die schiitische Minderheit gerichteten Anschlägen wurden im Zeitraum zwischen Januar und Ende Oktober 2017 insgesamt mindestens 149 Menschen getötet und 300 verletzt, wobei für den überwiegenden Anteil vermutlich der ISKP verantwortlich ist.
136 
Human Rights Watch: The Pain Behind the Numbers of Afghanistan’s Deadly Attacks, 23.10.2017; Spiegel-online, Terror in Afghanistan - Mehr als 50 Tote bei Attentaten auf Moscheen, 20.10.2017.
137 
ff) Angesichts vorstehender Ausführungen und auch im Hinblick auf die im Verhältnis zur Gesamtzahl der in Afghanistan lebenden Hazara nicht ausreichend gewichtigen Anzahl ist insgesamt trotz der dargestellten Vielzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle zum Nachteil von Hazara nicht festzustellen, dass über eine „nur“ latente oder potentielle Gefährdung hinaus ein Grad erreicht wäre, der die Feststellung zuließe, dass grundsätzlich die gesamte Gruppe mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit von Ein- bzw. Angriffen betroffen wäre. Auch kann aus dem Umstand, dass die Opfer der Vorfälle hazarische Volkszugehörige sind, nicht ohne weiteres darauf geschlossen werden, dass sie ihren Grund immer gerade in der Volks- oder auch in der schiitischen Religionszugehörigkeit der Geschädigten haben. Dies ist zwar für einzelne Ereignisse klar oder jedenfalls naheliegend.
138 
Vgl. etwa für den Anschlag auf die Demonstration vom 23. Juli 2016 oder die Anschläge auf schiitische Moscheen in der zweiten Hälfte des Jahrs 2016, vgl. dazu UNAMA, Annual Report 2016: Afghanistan - protection of civilians in armed conflict, Februar 2017, S. 41 f. sowie auch UK Home Office, Country Policy and Information Note. Afghanistan: Security and humanitarian situation Office, August 2017, S. 19.
139 
Teilweise lässt sich bereits nicht feststellen, ob es sich nicht schlicht um kriminelles Unrecht handelt, das letztlich zufällig zum Nachteil von Hazara wirkt, aber ebenso andere Volksgruppen treffen könnte und auch trifft. So kann etwa der Anteil betroffener Hazara auf der vorgenannten „Death Road“ auch auf andere Umstände als ihre Ethnie zurückzuführen sein, etwa darauf, dass sie überdurchschnittlich viel reisen. Auch der Umstand, dass ein großer Anteil von Hazara in Stadtzentren lebt, dort in höheren Positionen tätig ist und daher auch mehr Geld verdient, kann ihre hohe Betroffenheit erklären.
140 
So einer von mehreren Erklärungsansätzen laut Landinfo, Report Afghanistan: Hazaras and Afghan insurgent groups, 03.10.2016, S. 19.
141 
Auch bleibt oft unklar, von wem die Übergriffe letztlich ausgehen, da es oft kein oder umgekehrt mehrere Bekenntnisse verschiedener Gruppen gibt und beispielsweise auch eine Tendenz zu bestehen scheint, wonach die afghanische Regierung nicht zuordenbare Gruppen erst einmal dem IS zuschreibt.
142 
Staatssekretariat für Migration SEM der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Notiz Afghanistan: Alltag in Kabul. Referat von Thomas Ruttig (Afghanistan Analysts Network) am 20. April 2017, 20.06.2017, S. 22.
143 
Es bedarf daher auch keiner weiteren Ausführungen dazu, ob der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft wegen einer Gruppenverfolgung der Hazara nicht ohnehin entgegensteht, dass die Situation der Hazara sich in einzelnen Gebieten und Provinzen erheblich voneinander unterscheidet und sich daher auch die Frage einer internen Schutzmöglichkeit stellen könnte. So stellt sich in homogenen, hauptsächlich von Hazara bewohnten Gebieten die Situation durchaus abweichend von anderen Regionen dar: Die Provinzen Bamiyan und Daikundi werden zuweilen als großteils sicher bezeichnet, wobei aber wiederum Teile im nördlichen Bamiyan und in den an Urusgan angrenzenden Teilen Daikundis als instabil gelten, da sie an Regionen mit Aktivitäten Aufständischer angrenzen
144 
Accord, Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Lage der Hazara, Zugang zu staatlichem Schutz und Hintergründe des Konflikts zwischen Kuchis und Hazara, 02.09.2016, S. 9; zur Problematik der Gefahren für Hazara auch in verhältnismäßig sicheren Bereichen wegen erforderlicher Reisen in größere Städte zum Zwecke der Arbeit, Bildung und Gesundheitsversorgung ergänzend: S. 9 m.w.N.; zum hohen - subjektiven - Sicherheitsempfinden in Bamiyan mit 86,3 % vgl. den Bericht des Auswärtigen Amts zur Lagebeurteilung für Afghanistan nach dem Anschlag am 31. Mai 2017 - Stand Juli 2017 -, S. 9; dort auch auf S. 10 der Hinweis, dass bislang noch keine Anschläge des ISKP auf Hazara in deren angestammten Siedlungsgebieten der zentralen Hochlandregion bezeugt sind).
145 
Insgesamt liegen damit die Voraussetzungen einer Gruppenverfolgung von Volkszugehörigen der Hazara in Afghanistan nicht vor.
146 
So im Übrigen auch: BayVGH, Beschlüsse vom 20.01.2017 - 13a ZB 16.30996 -, juris Rn. 11 f.; vom 04.01.2017 - 13a ZB 16.30600 -, juris Rn. 6; und vom 19.12.2016 - 13a ZB 16.30581 -, juris Rn. 4; außerdem auch jüngere untergerichtliche Entscheidungen: eingehend VG Lüneburg, Urteile vom 15.05.2017 - 3 A 156/16 -, juris Rn. 24 ff. und vom 13.06.2017 - 3 A 136/16 -, juris Rn. 25 ff.; außerdem VG Cottbus, Urteil vom 01.08.2017 - 5 K 1488/16.A -, juris Rn. 21 ff.; VG Berlin, Urteil vom 14.06.2017 - 16 K 207/17 A -, juris Rn. 20; VG Osnabrück, Urteil vom 15.03.2017 - 1 A 19/17 -, asyl.net, S. 8 UA; VG Düsseldorf, Urteil vom 05.01.2017 - 18 K 2043/15.A -, juris Rn. 28 ff.
147 
II. Kein Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes
148 
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylG.
149 
1. § 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 1 AsylG
150 
Dem Kläger droht weder die Verhängung noch die Vollstreckung der Todesstrafe (§ 4 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 1 AsylG).
151 
2. § 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 2 AsylG
152 
Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 2 AsylG ist subsidiärer Schutz zuzuerkennen, wenn der Ausländer stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden in Gestalt von Folter oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung droht. Nach § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG gelten die § 3c bis 3e AsylG entsprechend. Insbesondere bedarf es also auch für die Zuerkennung des subsidiären Schutzes aus den in § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 genannten Gründen eines Verfolgungsakteurs im Sinne des § 3c AsylG (Art. 6 Richtlinie 2011/95/EU vom 13.12.2011, ABl EU L 337/95).
153 
An diesen Voraussetzungen fehlt es.
154 
Hinweise für drohende Folter (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Var. 1 AsylG) oder ernsthaften Schaden wegen einer unmenschlichen oder erniedrigen Bestrafung (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Var. 3 AsylG) gibt es nicht.
155 
Ebenso kommt die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus auf Grundlage eines gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Var. 2 AsylG relevanten ernsthaften Schadens in Form einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung vorliegend nicht in Betracht. Denn die Voraussetzungen der §§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Var. 2, Abs. 3 Satz 1, 3c bis 3e AsylG (a)) sind weder wegen des vorgebrachten individuellen Verfolgungsgeschehens erfüllt (b)) noch im Hinblick auf die humanitären Verhältnisse in Afghanistan, weil es insofern an einem Akteur im Sinne des § 3c AsylG fehlt (c)).
156 
a) Rechtliche Anforderungen
157 
aa) Der Begriff der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG ist im Gesetz nicht näher definiert. Da die Vorschrift der Umsetzung der RL 2011/95/EU dient, ist sie in Übereinstimmung mit dem entsprechenden Begriff in Art. 15b RL 2011/95/EU auszulegen. Unter Heranziehung der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) zu Art. 15b RL 2011/95/EU und des EGMR zu Art. 3 EMRK ist unter einer unmenschlichen Behandlung die absichtliche, d.h. vorsätzliche Zufügung schwerer körperlicher oder seelischer Leiden, die im Hinblick auf Intensität und Dauer eine hinreichende Schwere aufweisen, zu verstehen.
158 
EGMR, Urteile vom 21.01.2011 - 30696/09 - (M.S.S./Belgien und Griechenland), NVwZ 2011, 413 Rn. 220 m.w.N. sowie vom 11.07.2006 - 54810/00 - (Jalloh/ Deutschland), NJW 2006, 3117 Rn. 67; BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 - 10 C 15.12 -, NVwZ 2013, 1167 Rn. 22 ff. m.w.N.; siehe auch Hailbronner, Ausländerrecht, Mai 2017, § 4 AsylG Rn. 22 ff. und Jarass, Charta der Grundrechte, 3. Aufl. 2016, Art. 4 Rn. 9.
159 
Es muss zumindest eine erniedrigende Behandlung in der Form einer einen bestimmten Schweregrad erreichenden Demütigung oder Herabsetzung vorliegen. Diese ist dann gegeben, wenn bei dem Opfer Gefühle von Furcht, Todesangst und Minderwertigkeit verursacht werden, die geeignet sind, diese Person zu erniedrigen oder zu entwürdigen und möglicherweise ihren psychischen oder moralischen Widerstand zu brechen.
160 
Vgl. auch dazu im Einzelnen ausführlich Hailbronner, Ausländerrecht, Mai 2017, § 4 AsylG Rn. 22 ff., insbesondere Rn. 24, 25.
161 
bb) Wie bei der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gilt auch im Rahmen des subsidiären Schutzes für die Beurteilung der Frage, ob ein ernsthafter Schaden droht, der einheitliche Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit. Dieser aus dem Tatbestandsmerkmal „... tatsächlich Gefahr liefe ..." des Art. 2f RL 2011/95/EU abzuleitende Maßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des EGMR, der bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr abstellt („real risk“).
162 
BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 -, NVwZ 2012, 454 Rn. 20; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 20.03.2013 - 10 C 23.12 -, NVwZ 2013, 936 Rn. 32.
163 
Auch im Rahmen des § 4 AsylG ist der der Prognose zugrunde zu legende Wahrscheinlichkeitsmaßstab ist unabhängig davon, ob der Betroffene bereits vor seiner Ausreise einen ernsthaften Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 erlitten hat, dies stellt aber einen ernsthafter Hinweis dar, dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden. Denn auch diesbezüglich gilt die Vermutung gemäß Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU.
164 
b) Kein Anspruch auf Grund individueller Umstände
165 
Unter Berücksichtigung dieser Anforderung besteht keine tatsächliche Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Hinblick auf das individuelle Vorbringen des Klägers im Falle seiner Rückkehr.
166 
Nach der Schilderung des Klägers wäre eine solche in Anknüpfung an den von ihm als Vorverfolgungsgeschehen geschilderten Übergriff der Kutschi, bei dem sein Arm verletzt wurde, vorstellbar. Wie bereits ausgeführt vermag der Senat von einer solchen Vorverfolgung des Klägers nicht auszugehen, weil er dem Kläger das von ihm geschilderte Verfolgungsgeschehen nicht glaubt. Eine auf dieser Schilderung basierende Zuerkennung subsidiären Schutzes scheidet aus.
167 
c) Kein Anspruch auf Grund der schlechten humanitären Situation mangels Akteur
168 
Die Gewährung subsidiären Schutzes auf Grundlage von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG kommt auch nicht unter dem allgemeinen Gesichtspunkt der schlechten humanitären Situation in Afghanistan in Betracht. Denn es fehlt am erforderlichen Akteur § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG i.V.m. § 3c AsylG.
169 
Trotz der inhaltlichen Kongruenz von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG („Als ernsthafter Schaden gilt:... Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung ...“) und Art. 3 EMRK („Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.“)
170 
- vgl. dazu sowie auch zu Unterschieden: Storey, in: Hailbronner/Thym, EU Immigration and Asylum Law, 2. Aufl. 2016, Part D III, Art. 15 Rn. 3 f. -
171 
führt das Vorliegen der tatsächlichen Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK nicht zwingend zu einer Zuerkennung subsidiären Schutzes. Denn es reicht nicht aus, dass die Voraussetzungen eines Tatbestandes nach § 4 Abs. 1 AsylG erfüllt sind. Vielmehr sind - neben § 4 Abs. 2 AsylG - gemäß § 4 Abs. 3 AsylG auch die Anforderungen der § 3c bis 3e AsylG zu beachten, die für den subsidiären Schutz entsprechend gelten. Erforderlich ist daher, dass die Gefahr eines ernsthaften Schadens von einem der in § 3c AsylG genannten Akteure ausgeht, also vom Staat, von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die vorgenannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor einem ernsthaften Schaden beziehungsweise der tatsächlichen Gefahr eines ernsthaften Schadens zu bieten.
172 
Es ist in der Rechtsprechung des EuGH geklärt, dass ein ernsthafter Schaden im Sinne des Art. 15b RL 2011/95/EU eine Situation nicht erfasst, in der eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung auf fehlende Behandlungsmöglichkeiten einer Krankheit im Herkunftsstaat zurückzuführen ist, solange die notwendige Versorgung nicht absichtlich verweigert wird. Dies folgt u.a. daraus, dass Art. 6 RL 2011/95/EU eine Liste der Akteure enthält, von denen ein ernsthafter Schaden ausgehen kann. Schäden im Sinne des Art. 15 RL 2011/95/EU müssen daher von bestimmten Dritten verursacht werden.
173 
EuGH, Urteil vom 18.12.2014 - C-542/13 - (M´Bodj), NVwZ-RR 2015, 158, insb. Rn. 35 und 41.
174 
Dies bekräftigend hat auch Generalanwalt Bot jüngst ausgeführt, aus der Auslegung von Art. 6 RL 2004/83/EG - der Fall betrifft das Vereinigte Königreich - folge, dass die in Rede stehenden ernsthaften Schäden durch das Verhalten eines Dritten verursacht werden müssen. Ein Anspruch auf subsidiären Schutz ist nämlich nicht schon dann begründet, wenn nachgewiesen wird, dass für den Betroffenen bei einer Rückkehr in sein Herkunftsland die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung bestünde. Es muss auch nachgewiesen werden, dass diese Gefahr auf Faktoren beruht, die den Behörden dieses Landes direkt oder indirekt anzulasten und ihnen stets bewusst sind, und zwar entweder weil die Behörden des Staates, dem der Betroffene angehört, ihn persönlich bedrohen oder diese Bedrohung tolerieren, oder weil diese Bedrohung auf unabhängige Gruppen zurückgeht, vor denen die Behörden ihre Staatsangehörigen nicht wirksam schützen können.
175 
GA Bot, Schlussanträge vom 24.10.2017 - C-353/16 - (MP/Vereinigtes Königreich), Rn. 28 - 30.
176 
Insbesondere trifft es nicht zu, dass Art. 3 EMRK eine erweiternde Auslegung von Art 15b RL 2011/95/EU gebieten würde
177 
(so aber: Giesler/Wohnig, Uneinheitliche Entscheidungspraxis zu Afghanistan - Eine Untersuchung zur aktuellen Afghanistan-Entscheidungspraxis des BAMF und der Gerichte (Ergänzte Fassung zur Kurzfassung aus Asylmagazin 2017, 223) (asyl.net), dort S. 11),
178 
denn mit einer möglichen Versagung internationalen Schutzes wird unionsrechtlich nicht abschließend darüber entschieden, ob eine Rückführung in den Herkunftsstaat rechtlich zulässig ist, was sich u.a. aus Art. 5 RL 2008/115/EG ergibt. Der zu prüfende Grundsatz der Nichtzurückweisung ist hier umfassend und damit auch auf Art. 3 EMRK bezogen zu verstehen und damit weiter als derjenige aus Art. 33 Abs. 1 GFK.
179 
Vgl. Lutz, in: Hailbronner/Thym, EU Immigration and Asylum Law, 2. Aufl. 2016, Part C VII, Art. 5 Rn. 9.
180 
Diese Auslegung von Art. 15b RL 2011/95/EU steht im Einklang mit der herrschenden Lehre und Rechtsprechung.
181 
VG Berlin, Urteil vom 10.07.2017 - VG 34 K 197.16 A -, juris Rn. 54; VG Lüneburg, Urteil vom 15.05.2017 - 3 A 156/16 -, juris Rn. 51 f.; VG Osnabrück, Urteil vom 15.05.2017 - 1 A 19/17 -, asyl.net; außerdem: EASO, Qualification for International Protection Directive 2011/95/EU) - A judicial analysis, Dezember 2016, S. 109; vgl. auch Hinterberger/Klammer, Abschiebungsverbote aus gesundheitlichen Gründen: Die aktuelle EGMR- und EuGH-Rechtsprechung zum Non-Refoulement und deren Auswirkungen auf die deutsche Rechtslage, NVwZ 2017, 1180 [1181 f.] sowie wohl auch Marx, AsylG, 9. Aufl. 2017, § 4 Rn. 32 und Hailbronner, Ausländerrecht, Mai 2017, § 60 Rn. 57 zum „nicht in vollem Umfang“ identischen Schutzbereich von § 60 Abs. 5 AufenthG und von § 60 Abs. 2 AufenthG i.V.m. Art. 15 RL 2011/95/EU/§ 4 AsylG.
182 
An einem somit erforderlichen Akteur fehlt es vorliegend. Denn die humanitäre Lage und die prekären Lebensumstände sind keinem der genannten Akteure nach § 3c AsylG zuzurechnen.
183 
Vgl. zu dem Umstand, dass die schwierige humanitäre Situation in Afghanistan nicht unmittelbar dem afghanischen Staat zuzurechnen ist bereits VGH Bad.-Württ., Urteil vom 24.07.2013 - A 11 S 697/13 -, juris Rn. 108, dort zu § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK, sowie auch - anknüpfend an die vorgenannte Entscheidung: VGH Bad.-Württ., Urteil vom 26.02.2014 - A 11 S 2519/12 -, juris.
184 
Die schlechte Versorgungslage (betreffend Nahrung, Wohnraum, Gesundheitsversorgung) wird durch die schlechte wirtschaftliche Entwicklung Afghanistans, die dort herrschenden Umweltbedingungen (also insbesondere die schwierigen klimatischen Bedingungen sowie Naturkatastrophen) sowie maßgeblich durch die volatile Sicherheitslage negativ beeinflusst und bestimmt. Insofern ist nicht festzustellen, dass einem der in Betracht kommenden Akteure ein wesentlicher Beitrag direkt oder indirekt anzulasten wäre und eine Verhaltensänderung zu einer unmittelbaren Verbesserung der Lage führen könnte. Insbesondere wird weder die notwendige medizinische oder humanitäre Versorgung gezielt vorenthalten noch werden all diese Umstände gezielt herbeigeführt.
185 
Vgl. dazu im Folgenden die Darstellungen zu den Lebensverhältnissen im Rahmen von § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK.
186 
Daher scheidet die Zuerkennung subsidiären Schutzes auf Grundlage des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG bereits in Ermangelung eines tauglichen Akteurs aus.
187 
3. § 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 3 AsylG
188 
Auch die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG liegen nicht vor.
189 
a) Rechtliche Anforderungen
190 
Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 3 AsylG ist subsidiärer Schutz zuzuerkennen, wenn der Ausländer stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden in Gestalt einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts droht.
191 
aa) Dies ist der Fall, wenn der bewaffnete Konflikt eine solche Gefahrendichte für Zivilpersonen mit sich bringt, dass alle Bewohner des maßgeblichen, betroffenen Gebiets ernsthaft individuell bedroht sind. Das Vorherrschen eines so hohen Niveaus willkürlicher Gewalt, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass eine Zivilperson bei einer Rückkehr in das betreffende Land bzw. in die betreffende Region allein durch ihre Anwesenheit tatsächlich Gefahr liefe, einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit ausgesetzt zu sein, bleibt aber außergewöhnlichen Situationen vorbehalten, die durch einen sehr hohen Gefahrengrad gekennzeichnet sind. Eine Individualisierung kann sich insbesondere aus gefahrerhöhenden persönlichen Umständen in der Person des Schutzsuchenden ergeben, die ihn von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffenen erscheinen lassen.
192 
EuGH, Urteil vom 17.02.2009 - C-465/07 - (Elgafaji/Niederlande), NVwZ 2009, 705 und vom 30.01.2014 - C-285/12 - (Diakité/Belgien), NVwZ 2014, 573.
193 
Der für die Annahme einer individuellen Gefahr in diesem Sinne erforderliche Grad willkürlicher Gewalt wird daher umso geringer sein, je mehr der Schutzsuchende zu belegen vermag, dass er aufgrund solcher individueller gefahrerhöhender Umstände spezifisch betroffen ist. Solche persönlichen Umstände können sich z.B. aus dem Beruf des Schutzsuchenden etwa als Arzt oder Journalist ergeben, da diese regelmäßig gezwungen sind, sich nahe an einer Gefahrenquelle aufzuhalten. Ebenso können solche Umstände aber auch aus einer religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit herrühren, aufgrund derer der Schutzsuchende zusätzlich der Gefahr gezielter Gewalttaten ausgesetzt ist.
194 
Liegen keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich, welches mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit („real risk“) gegeben sein muss. So kann die notwendige Individualisierung ausnahmsweise bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre.
195 
BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 -, NVwZ 2012, 454 Rn. 19 m.w.N.; OVG NRW, Beschluss vom 09.03.2017 - 13 A 2575/16.A -, juris Rn. 13; NdsOVG Urteil vom 19.09.2016 - 9 LB 100/15 -, juris.
196 
Das besonders hohe Niveau kann nicht allein deshalb bejaht werden, weil ein Zustand permanenter Gefährdungen der Bevölkerung und schwerer Menschenrechtsverletzungen im Rahmen des innerstaatlichen Konflikts festgestellt werden. Vielmehr erfordert die Bestimmung der Gefahrendichte eine quantitative Ermittlung der Verletzten und getöteten Zivilpersonen im Verhältnis zur Einwohnerzahl (Gewaltniveau). Außerdem muss eine wertende Gesamtbetrachtung - etwa auch im Hinblick auf die medizinische Versorgungslage - erfolgen.
197 
BVerwG, Urteile vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 -, juris Rn. 23 und vom 13.02.2014 - 10 C 6.13 -, juris Rn. 24; OVG LSA, Urteil vom 23.07.2014 - 3 L 53/12 -, juris Rn. 24 ff.; NdsOVG, Urteil vom 19.09.2016 - 9 LB 100/15 -, juris.
198 
Das Bundesverwaltungsgericht hatte in den Urteilen vom 17. November 2011
199 
10 C 13.10, Rn. 22 und 10 C 11.10, Rn. 20
200 
- bezogen auf die Zahl der Opfer von willkürlicher Gewalt eines Jahres - ein Risiko von 1:800 (0,125 %) bzw. 1:1.000 (0,1 %) verletzt oder getötet zu werden, als weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt angesehen.
201 
Vgl. hieran anknüpfend auch: NdsOVG, Urteil vom 19.09.2016 - 9 LB 100/15 -, juris; OVG LSA, Urteil vom 23.07.2014 – 3 L 53/12 –, Rn. 26, juris.
202 
bb) Maßgeblicher Bezugspunkt für die Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 3 AsylG ist die Herkunftsregion des Betroffenen, in die er typischerweise zurückkehren wird. Denn für die Frage, welche Region als Zielort der Rückkehr eines Ausländers anzusehen ist, kommt es weder darauf an, für welche Region sich ein unbeteiligter Betrachter vernünftigerweise entscheiden würde, noch darauf, in welche Region der betroffene Ausländer aus seinem subjektiven Blickwinkel strebt. Der Begriff des „tatsächlichen Zielortes der Rückkehr“ im Sinne der Rechtsprechung des EuGH
203 
EuGH, Urteil vom 17.02.2009 - C-465/07 - (Elgafaji/Niederlande), NVwZ 2009, 705, vgl. auch BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 - 10 C 15.12 -, NVwZ 2013, 1167
204 
ist daher kein rein empirischer Begriff, bei dem auf die tatsächlich wahrscheinlichste oder subjektiv gewollte Rückkehrregion abzustellen ist. Da § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG vor den Gefahren eines - nicht notwendig landesweiten - bewaffneten Konflikts im Heimatstaat schützt, kommt bei der Bestimmung des Ortes der (voraussichtlichen) tatsächlichen Rückkehr der Herkunft als Ordnungs- und Zuschreibungsmerkmal eine besondere Bedeutung zu. Ein Abweichen von der Herkunftsregion kann daher auch nicht damit begründet werden, dass der Ausländer infolge eines bewaffneten Konflikts den personalen Bezug zu seiner Herkunftsregion verloren hat. Auch eine nachlassende subjektive Bindung zur Herkunftsregion durch Umstände, die mittelbare Folgen des bewaffneten Konflikts sind (z.B. Beeinträchtigung der sozialen und wirtschaftlichen Infrastruktur, nachhaltige Verschlechterung der Versorgungslage) ändert nichts daran, dass diese für die schutzrechtliche Betrachtung grundsätzlich ihre Relevanz behält. Allerdings ist jedenfalls dann nicht (mehr) auf die Herkunftsregion abzustellen, wenn sich der Ausländer schon vor der Ausreise und unabhängig von den fluchtauslösenden Umständen von dieser gelöst und in einem anderen Landesteil mit dem Ziel niedergelassen hatte, dort auf unabsehbare Zeit zu leben. Durch eine solche freiwillige Ablösung verliert die Herkunftsregion ihre Bedeutung als Ordnungs- und Zurechnungsmerkmal und scheidet damit als Anknüpfungspunkt für die Gefahrenprognose bei § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG aus.
205 
Vgl. BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 - 10 C 15.12 -, NVwZ 2013, 1167.
206 
b) Situation am maßgeblichen Ort, der Provinz Ghazni
207 
Unter Berücksichtigung dieser Voraussetzungen fehlt es - auch unter Berücksichtigung der individuellen Umstände (dazu lit. c)) - an der erforderlichen, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erwartenden Bedrohung für das Leben oder die körperliche Unversehrtheit des Klägers infolge willkürlicher Gewalt.
208 
Dabei ist in Anwendung vorstehender Anforderungen auf die Provinz Ghazni abzustellen, in der der Kläger geboren und aufgewachsen ist und wo er sich bis zu seiner Ausreise aus Afghanistan aufgehalten hat.
209 
Für diese ist allerdings sowohl nach quantitativer Betrachtung als auch in qualitativer Hinsicht die erforderliche Gefahrendichte nicht festzustellen.
210 
Denn das Risiko der Verletzung oder Tötung liegt für die Provinz Ghazni weit unterhalb den vorgenannten Schwellen von 0,125 % bzw. 0,1 %.
211 
Ghazni hat ca. 1.270.000 Einwohner. Es ist die Provinz mit der zweithöchsten Bevölkerungszahl und bildet gemeinsam mit den Provinzen Khost (Einwohnerzahl ca. 593.000), Paktia (Einwohnerzahl ca. 570.000) und Paktika (Einwohnerzahl ca. 450.000) die südöstliche Region Afghanistans.
212 
Zu den (geschätzten) Einwohnerzahlen (2017): Islamic Republic of Afghanistan Central Statistics Organization - Estimated Population of Afghanistan 2017-2018, April 2017: Ghazni 1.270.192, Paktia 570.534, Khost 593.691, Paktika 449.116. sowie auch UK Home Office, Country Policy and Information Note. Afghanistan: Security and humanitarian situation, August 2017, S. 11; zu 2016: Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan, Republik Österreich Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vom 02.03.2017, aktualisiert am 27.06.2017, S. 55, 71, 93 und 96 m.w.N. (CSO 2016): Ghazni: 1.249.000; Khost; 584.000; Paktia: 561.000; Paktika: 441.000; für 2015: EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Security Situation (November 2016), S. 94, 98, 101 und 106: Ghazni: 1.228.831, Paktia: 551.987; Khost: 574.582, Paktika: 434.742; zur Einordnung in die südöstliche Region: UNAMA, Annual Report 2016: Afghanistan - protection of civilians in armed conflict: 2016, Februar 2017, S. 2 und S. 12 Fn. 15.
213 
Für die südöstliche Region ergibt sich damit eine Gesamteinwohnerzahl von ca. 2.881.000.
214 
Für das Jahr 2015 erfasste die UNAMA eine Anzahl von 1.470 verletzten oder getöteten Zivilpersonen in der südöstlichen Region. Für das Jahr 2016 wurden insgesamt 903 gezählt.
215 
UNAMA, Annual Report 2016: Afghanistan - protection of civilians in armed conflict: 2016, Februar 2017, S. 21.
216 
Für die (mangels provinzbezogener Zahlen herangezogene) südöstliche Region ist damit orientiert an der Gesamteinwohnerzahl von ca. 2.881.000 für bei 1.470 Opfern für das Jahr 2015 von einer Wahrscheinlichkeit von 0,051 % und für das Jahr 2016 mit 903 Opfern von 0,031 % auszugehen. Nichts anderes ergibt sich, wenn der Provinz Ghazni die Hälfte der Opferzahlen für die südöstliche Region zurechnet werden, weil Ghazni rund 44 % der Einwohner der südöstlichen Region stellt (1.270.000 zu 2.881.000) und weil auf Ghazni in der Vergangenheit auch etwa die Hälfte der sicherheitsrelevanten Vorfälle (einschließlich Vorfällen, die nicht zum Nachteil von Zivilpersonen erfolgten) entfallen sind. So wurden im Zeitraum 1. September 2015 bis 31. Mai 2016 für Ghazni insgesamt 1.292 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert, während es im Vergleich dazu in Khost 441, in Paktia 394 und in Paktika 491 Vorfälle gab. Der Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle in der südöstlichen Region von damit insgesamt 2.618 stehen für Ghazni damit 1.292 Vorfälle gegenüber, also ein Anteil von etwa der Hälfte.
217 
Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan, Republik Österreich Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vom 02.03.2017, aktualisiert am 27.06.2017, S. 55, 72, 94 und 96; EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Security Situation (November 2016), S. 95, 99, 102 und106.
218 
Auch bei der Übertragung dieses Verhältnisses ergibt sich lediglich ein Anteil von 0,058 % für 2015 (die Hälfte von1.470 zu 1.270.000) bzw. 0,036 % für 2016 (die Hälfte von 903 zu 1.270.000).
219 
Für das erste Halbjahr 2017 hat die UNAMA die Anzahl der zivilen Opfer u.a. auch nach Provinzen aufgeführt. Für Ghazni wurden danach 165 Opfer erfasst
220 
- UNAMA, Midyear Report 2017: Afghanistan - protection of civilians in armed conflict, Juli 2017, Annex III, S. 73 -,
221 
was hochgerechnet für das gesamte Jahr 2017 eine Zahl von 330 Personen ergäbe. Für das Jahr 2017 errechnet sich mit der hochgerechneten Zahl von 330 Opfern in Orientierung an der Einwohnerzahl von Ghazni mit 1.270.000 ein Anteil von 0,026 %.
222 
Dabei ist dem Senat andererseits bewusst, dass die von der UNAMA berichteten zivilen Opferzahlen womöglich auf Grund der Methodik der UNAMA tatsächlich zu niedrig bemessen sein können.
223 
Zur Problematik der Aussagekraft der UNAMA-Zahlen im Hinblick auf das selbst auferlegte Erfordernis von drei unabhängigen Quellen vgl. Stahlmann, ZAR 2017, 189 (192 f.); hierauf unter Aufgreifen der Bedenken Bezug nehmend auch Berlit, ZAR 2017, 110 (116).
224 
Eine „Korrektur" der ausgewiesenen Zahlen mit Hilfe eines - ohnehin schwierig zu bemessenden - Faktors
225 
- in diese Richtung: NdsOVG, Urteil vom 07.09.2015 - 9 LB 98/13 -, juris Rn. 65; HessVGH, Urteil vom 30.01.2014 - 8 A 119/12.A -, BeckRS 2014, 48268; vgl. auch OVG NRW, Urteil vom 26.08.2014 - 13 A 2998/11.A -, NVwZ-RR 2014, 939, juris Rn. 151 und 230; jeweils unter hilfsweiser Betrachtung ("selbst wenn") mit einer Verdreifachung der UNAMA-Zahlen, orientiert an einer Stellungnahme von an einer Stellungnahme von Dr. Danesch an den HessVGH vom 03.09.2013, S. 11 -
226 
hält der Senat allerdings nicht für angezeigt. Denn es ergibt sich nicht mir unter Berücksichtigung des vorliegend schon quantitativ geringen Anteils auch unter qualitativen Gesichtspunkten nicht, dass sich die allgemeine Gefahr so weit verdichtet hätte, dass eine erhebliche individuelle Gefahr bzw. Bedrohung im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 3 AsylG zu bejahen wäre.
227 
Insbesondere ist bei der Bewertung auch zu berücksichtigen, dass sich die Sicherheitslage in Ghazni gegenüber dem Vorjahr erheblich verbessert hat. Die Zahl der zivilen Opfer ist um 26 % zurückgegangen.
228 
Vgl. UNAMA, Midyear Report 2017: Afghanistan - protection of civilians in armed conflict, Juli 2017, Annex III, S. 73.
229 
Der Senat verkennt nicht, dass es auch im Jahr 2017 zu Vorfällen zum Nachteil der Zivilbevölkerung gekommen ist und voraussichtlich auch weiter kommen wird. Allerdings sind die Gewinne der Taliban in der Region minimal und unbeständig. Im Gegensatz zum Jahr 2015 registrierte die UNAMA im Jahr 2016 auch keine Entführungsfälle der Hazara-Bevölkerung in Ghazni mehr. In vormals betroffenen Gegenden wurden Checkpoints der afghanischen Sicherheitskräfte errichtet, was als Abschreckung gewertet wird.
230 
Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan, Republik Österreich Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vom 02.03.2017, aktualisiert am 27.06.2017, S. 55; UNAMA, Annual Report 2016: Afghanistan - protection of civilians in armed conflict: 2016, Februar 2017, S. 74 f.; Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan, Republik Österreich Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vom 02.03.2017, aktualisiert am 27.06.2017, S. 56.
231 
Insgesamt ist daher sowohl bei quantitativer als auch bei qualitativer Betrachtung angesichts der Bevölkerungszahl auf der einen und den Verletzten und getöteten Zivilpersonen auf der anderen Seite für eine Zivilperson in der Provinz Ghazni nicht beachtlich wahrscheinlich, aufgrund eines sicherheitsrelevanten Vorfalls verletzt oder getötet zu werden.
232 
Vgl. auch BayVGH, Beschlüsse vom 10.04.2017 - 13 a ZB 17.30266 -, juris Rn. 5; vom 06.04.2017 - 13a ZB 17.30254 -, juris Rn. 7; NdsOVG, Urteil vom 07.09.2015 - 9 LB 98/13 -, juris Rn. 51 ff.
233 
c) Keine individuell gefahrerhöhenden Umstände als Hazara
234 
Insbesondere lässt sich dies auch unter Berücksichtigung individueller Umstände nicht feststellen. Denn im Falle des Klägers sind keine persönlichen gefahrerhöhenden Umstände gegeben, die eine erheblichen individuellen Gefährdung im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG zu begründen geeignet sind.
235 
So lassen sich solche nicht aus der Volkszugehörigkeit des Klägers herleiten.
236 
Wie aus den vorstehenden Ausführungen hervorgeht, sind Volkszugehörige der Hazara zwar wiederholt Opfer im andauernden Konflikt, da es in Afghanistan insgesamt, aber auch in der hier maßgeblichen Provinz Ghazni immer wieder zu gezielt gegen Hazara bzw. Schiiten gerichtete Aktionen kommt, etwa die Anschläge auf schiitische Moscheen sowie die (vermutlich) gerade auf Hazara zielende Entführungen. Hinsichtlich letzterer ist allerdings darauf hinzuweisen, dass im Gegensatz zum Jahr 2015 im Weiteren in der Provinz Ghazni keine solchen Entführungen mehr bekannt wurden und auch im Land insgesamt ein ganz erheblicher Rückgang festzustellen ist: Während im Jahr 2015 noch 224 Hazara entführt worden waren, waren es 2016 noch 84 Personen, was ohnehin nur 4 % der Gesamtzahl an Entführungsopfern des gesamten Landes darstellt.
237 
UNAMA, Annual Report 2016: Afghanistan - protection of civilians in armed conflict: 2016, Februar 2017, S. 74 f. und S. 65; UK Home Office, Country Policy and Information Note. Afghanistan: Security and humanitarian situation Office, August 2017, S. 19.
238 
Anhaltspunkte dahin, dass die zivilen Opfer in der Provinz Ghazni, deren Bevölkerung zu 49 % aus Paschtunen, zu 46 % aus Hazara und zu 5 % aus Tadschiken besteht
239 
- EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Security Situation (November 2016), S. 94 -,
240 
zu einem erheblichen Teil Volkszugehörige der Hazara sind, gibt es ebenso wenig wie dafür, dass dies für das gesamte Land der Fall wäre. So werden etwa als die Hauptziele regierungsfeindlicher Kräfte in Ghazni nicht etwa die Hazara genannt, sondern Mitglieder der Afghanischen Nationalen Sicherheitskräfte (ANSF) (hierzu gehören u.a. die Armee, die Luftstreitkräfte, die Polizei etc.), Distriktgouverneure, Stammesführer und Mitarbeiter von Nichtregierungsorganisationen. In Ghazni hatten die meisten sicherheitsrelevanten Vorfälle im Zeitraum zwischen September 2015 und Mai 2016 direkte bewaffnete Auseinandersetzungen und Luftangriffe zum Hintergrund (nämlich 952 von 1.292). Andere Ursachen sind eher untergeordnet (155 Vorfälle im Rahmen von Sicherheitsmaßnahmen wie Festnahmen etc., 144 im Zusammenhang mit Explosionen, 39 Fälle von gezielt gegen Einzelpersonen gerichteter Gewalt etc.).
241 
EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Security Situation (November 2016), S. 94 f.; zu den Definitionen S. 9 ff.
242 
Dass Hazara von den danach wesentlichen, bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Regierungstruppen und regierungsfeindlichen Kräften bzw. den Luftangriffen in besonderem Maße betroffen wären, ist nicht ersichtlich.
243 
Auch UNAMA hat im Midyear Report des Jahrs 2017 festgestellt, dass die Hauptursache für die Verletzung bzw. Tötung von Zivilisten Bodenkämpfe sind (diese umfassen etwa direkte bewaffnete Auseinandersetzungen und Zusammenstöße der Konfliktparteien, Kreuzfeuer etc.). An zweiter Stelle folgen improvisierte Sprengkörper (IEDs) und erst an dritter Stelle kommen gezielte bzw. absichtliche Tötungen.
244 
UNAMA Midyear Report 2017: Afghanistan - protection of civilians in armed conflict, Juli 2017, Annex III, S. 73 sowie S. 68.
245 
Danach lässt sich nicht feststellen, dass nur oder vor allem Hazara Opfer im Rahmen des bestehenden Konflikts wären oder dass Hazara in besonderem Maße Gefahr laufen, als unbeteiligte Zivilpersonen Opfer des Konflikts zu werden.
246 
III. Nationales Abschiebungsverbot
247 
Auch die Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK (1.) und nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG (2.) liegen nicht vor.
248 
1. § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK
249 
Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK auf Grund der schlechten humanitären Bedingungen in Afghanistan besteht nicht. Denn die rechtlichen Voraussetzungen (a)) hierfür sind unter Berücksichtigung der Lebensverhältnisse in Afghanistan insgesamt (b)) und der in Kabul als Ankunfts- bzw. Endort der Abschiebung (c)) sowie in Ansehung der der persönlichen Situation des Klägers (d)) nicht gegeben.
250 
a) Rechtliche Anforderungen
251 
Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten - EMRK - ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Gemäß Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden. Im Falle einer Abschiebung wird eine Verantwortlichkeit der Bundesrepublik Deutschland nach Art. 3 EMRK dann begründet, wenn erhebliche Gründe für die Annahme bestehen, dass der Betroffene im Fall der Abschiebung tatsächlich Gefahr läuft, einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein.
252 
aa) Unter dem Begriff der unmenschlichen Behandlung ist die vorsätzliche und beständige Verursachung körperlicher Verletzungen oder physischen oder psychischen Leids zu verstehen, während bei einer erniedrigenden Behandlung nicht die Zufügung von Schmerzen, sondern die Demütigung im Vordergrund steht.
253 
Auch schlechte humanitäre Verhältnisse können eine Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK darstellen.
254 
Vgl. dazu bereits VGH Bad.-Württ., Urteil vom 24.07.2013 - A 11 S 697/13 -, Leitsatz 4 sowie insbesondere auch juris Rn. 71 m.w.N.
255 
Dieses ist immer dann anzunehmen, wenn diese Verhältnisse ganz oder überwiegend auf staatlichem Handeln, auf Handlungen von Parteien eines innerstaatlichen Konflikts oder auf Handlungen sonstiger, nicht staatlicher Akteure, die dem Staat zurechenbar sind, beruhen, weil er der Zivilbevölkerung keinen ausreichenden Schutz bieten kann oder will.
256 
EGMR, Urteile vom 21.01.2011 - 30696/09 - (M.S.S./Belgien und Griechenland), NVwZ 2011, 413 und vom 28.06.2011 - 8319/07 und 11449/07 - (Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich), NVwZ 2012, 681.
257 
Aber auch dann, wenn diese Voraussetzungen nicht gegeben sind, weil es an einem verantwortlichen Akteur fehlt, können schlechte humanitäre Bedingungen im Zielgebiet dennoch als Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK zu qualifizieren sein, wenn ganz außerordentliche individuelle Umstände hinzutreten. Es sind also im Rahmen von § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK nicht nur Gefahren für Leib und Leben berücksichtigungsfähig, die seitens eines Staates oder einer staatsähnlichen Organisation drohen, sondern auch „nichtstaatliche“ Gefahren auf Grund prekärer Lebensbedingungen, wobei dies aber nur in ganz außergewöhnlichen Einzelfällen in Betracht kommt.
258 
BVerwG, Urteil vom 13.06.2013 - 10 C 13.12 -, NVwZ 2013, 1167, Rn. 24 f.; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 24.07.2013 - A 11 S 697/13 -, Leitsatz 5 sowie insbesondere auch juris Rn. 79 ff.; EGMR, Urteile vom 02.05.1997 - 146/1996/767/ 964 - (D./Vereinigtes Königreich), NVwZ 1998, 161; vom 27.05.2008 - 26565/05 - (N./Vereinigtes Königreich), NVwZ 2008, 1334; vom 21.01.2011 - 30696/09 - (M.S.S./Belgien und Griechenland) - NVwZ 2011, 413; vom 28.06.2011 - 8319/07 und 11449/07 - (Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich), NVwZ 2012, 681 und vom 13.10.2011 - 10611/09 - (Husseini/Schweden), NJOZ 2012, 952.
259 
Wenn der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Urteil vom 13. Dezember 2016
260 
- 41738/10 - (Paposhvili/Belgien), NVwZ 2017, 1187 Rn. 187und 189,
261 
aber nunmehr ausdrücklich wiederholt auf die allgemeinen Verhältnisse im Zielstaat der Abschiebung hinweist, auf deren Hintergrund die besondere Lage des Betroffenen zu beurteilen ist, wird hinreichend deutlich, dass außergewöhnliche individuelle Umstände bzw. Merkmale auch solche sein können, die eine Person mit anderen Personen teilt, die Träger des gleichen Merkmals sind bzw. sich in einer im Wesentlichen vergleichbaren Lage befinden. Auch in einem solchen Fall kann ausnahmsweise ein Verstoß gegen Art. 3 EMRK zu bejahen sein, wenn die Abschiebung zu einer ernsthaften, schnellen und irreversiblen Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Betroffenen führen würde, die ein schweres Leiden oder eine erhebliche Verringerung der Lebenserwartung zur Folge hätte.
262 
Bei entsprechenden Rahmenbedingungen können schlechte humanitäre Verhältnisse eine Gefahrenlage begründen, die zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinn von Art. 3 EMRK führt. Hierbei sind indes eine Vielzahl von Faktoren zu berücksichtigen, darunter etwa der Zugang für Rückkehrer zu Arbeit, Wasser, Nahrung, Gesundheitsversorgung sowie die Chance, eine adäquate Unterkunft zu finden, der Zugang zu sanitären Einrichtungen und nicht zuletzt die finanziellen Mittel zur Befriedigung elementarer Bedürfnisse, auch unter Berücksichtigung von Rückkehrhilfen usw.
263 
Vgl. dazu jüngst wieder ausführlich BayVGH, Urteil vom 23.03.2017 - 13a B 17.30030 -, BeckRS 2017, 113717; dieser bereits zuvor in seinen beiden Urteilen vom 21.11.2014 – 13a B 14.30285 -, BeckRS 2015, 41010 und - 13a B 14.30284 -; dort jeweils eingehend zur Bejahung von § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK wegen schlechter humanitärer Bedingungen bezüglich Familien mit minderjährigen Kindern wegen der Rahmenbedingungen in Afghanistan (m.w.N.).
264 
Vorliegend sind allein die hohen Anforderungen der letztgenannten Fallgestaltung maßgeblich, da die hier unter dem Gesichtspunkt des Art. 3 EMRK relevanten humanitären Verhältnisse in Afghanistan keinem Akteur zuzuordnen sind (s.o.).
265 
bb) Sowohl die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte als auch die des Bundesverwaltungsgerichts
266 
- EGMR, Urteil vom 28.06.2011 - 8319/07 und 11449/07 - (Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich), NVwZ 2012, 681 Rn. 278, 282 f. und BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 - 10 C 15.12 -, NVwZ 2013, 1167 -
267 
machen deutlich, dass ein sehr hohes Schädigungsniveau erforderlich ist, da nur dann ein außergewöhnlicher Fall vorliegt, in dem die humanitären Gründe entsprechend den Anforderungen des Art. 3 EMRK „zwingend“ sind. So hat das Bundesverwaltungsgericht in der Vergangenheit, als es die allgemeine Lage in Afghanistan als nicht ausreichend ernst für die Feststellung einer Verletzung des Art. 3 EMRK eingestuft hat, die Notwendigkeit einer besonderen Ausnahmesituation betont.
268 
BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 - 10 C 15.12 -, NVwZ 2013, 1167, insb. Leitsatz 3 -; vgl. auch: BayVGH, Urteil vom 21.11.2014 - 13a B 14.30284 -, juris Rn. 19.
269 
Dabei kann aber - schon nach der Gesetzessystematik - der nationale Maßstab für eine Extremgefahr nach § 60 Abs. 7 Satz 1 und 5 AufenthG nicht, insbesondere auch nicht analog, herangezogen werden. Da die Sachverhalte nicht vergleichbar sind, lassen sich die ggf. erhöhten Anforderungen an eine ausreichende Lebensgrundlage im Fall einer internen Schutzalternative gemäß § 3e AsylG ebenfalls nicht übertragen.
270 
BayVGH, Urteil vom 21.11.2014 - 13a B 14.30284 -, juris Rn. 19.
271 
Ein Zusammenhang zwischen Art. 3 EMRK und § 3e AsylG besteht lediglich dergestalt, dass für den Fall, dass die Situation am vermeintlichen Schutzort einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK darstellte, dieser Schutzort den Anforderungen des § 3e AsylG nicht genügen würde.
272 
Vgl. dazu VGH Bad.-Württ., Urteil vom 16.10.2017 - A 11 S 512/17 -, juris Rn. 85 m.w.N.
273 
cc) Auch im Rahmen des Art. 3 EMRK ist nach der Rechtsprechung des EGMR eine tatsächliche Gefahr („real risk“) erforderlich, d.h. es muss eine ausreichende reale, nicht nur auf bloßen Spekulationen gegründete Gefahr („a sufficiently real risk“) bestehen. Die tatsächliche Gefahr einer Art. 3 EMRK zuwiderlaufenden Behandlung muss danach aufgrund aller Umstände des Falles hinreichend sicher und darf nicht hypothetisch sein.
274 
EGMR, Urteil vom 28.06.2011 - 8319/07 und 11449/07 - (Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich), NVwZ 2012, 681; Entscheidung vom 22.09.2009 - 30471/08 - (Abdolkhani und Karimnia/Türkei), InfAuslR 2010, 47; Urteil vom 17.07.2008 - 25904/07 - (NA./Vereinigtes Königreich), juris; Urteil vom 28.02.2008 - 37201/06 - (Saadi/Italien), NVwZ 2008, 1330; vom 27.05.2008 - 26565/05 - (N./Vereinigtes Königreich), NVwZ 2008, 1334 sowie Urteil vom 06.02.2001 - 44599/98 - (Bensaid/Vereinigtes Königreich), NVwZ 2002, 453.
275 
Erforderlich ist danach die konkrete Gefahr der Folter oder unmenschlichen Behandlung. Es gilt - wie bei § 60 Abs. 1 AufenthG - der Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit, d.h. die für eine Verfolgung sprechenden Umstände müssen ein größeres Gewicht haben als die dagegen sprechenden Tatsachen.
276 
BVerwG, Urteil v. 27.04.2010 - 10 C 5.09 -, NVwZ 2011, 51; EGMR, Urteil vom 17.07.2008 - 25904/07 - (NA./Vereinigtes Königreich), juris.
277 
dd) Des Weiteren ist für die Beurteilung, ob außerordentliche Umstände vorliegen, die - wie hier - nicht in die unmittelbare Verantwortung des Abschiebungszielstaates fallen und die dem abschiebenden Staat nach Art. 3 EMRK eine Abschiebung des Ausländers verbieten, grundsätzlich auf den gesamten Abschiebungszielstaat abzustellen und zunächst zu prüfen, ob solche Umstände an dem Ort vorliegen, an dem die Abschiebung endet.
278 
BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 - 10 C 15.12 -, NVwZ 2013, 1167, Leitsatz 2 und EGMR, Urteil vom 28.06.2011 - 8319/07 und 11449/07 - (Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich), NVwZ 2012, 681, Rn. 265, 301, 309.
279 
Ankunfts- bzw. Endort der Abschiebung ist vorliegend Kabul.
280 
Vgl. zu den Flugverbindungen nach Afghanistan: Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19.10.2016 - Stand: September 2016, S. 25 sowie zu den bislang durchgeführten Abschiebungen nach Kabul (etwa am 15. Dezember 2016, 24. Januar 2017, 23. Februar 2017 und am 28. März 2017): Afghanistan Analysts Network - voluntary and forced returns to Afghanistan in 2016/17: trends, statistics and experiences, 19.05.2017, S. 3; Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 12 m.w.N.
281 
Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK kann nur beanspruchen, wem prinzipiell im gesamten Zielstaat der Abschiebung die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung landesweit droht. Es darf also für den Betroffenen keine interne/innerstaatliche Fluchtalternative („internal flight alternative“) bestehen.
282 
Für die Annahme einer solchen internen Fluchtalternative im Rahmen des Art. 3 EMRK müssen jedoch gewisse (dem internen Schutz nach § 3e AsylG durchaus ähnliche)
283 
- vgl. zu den Überschneidungen des Art. 3 EMRK mit dem internen Schutz nach § 3e AsylG (aber auch zu den Unterschieden) ausführlich Marx, ZAR 2017, 304 -
284 
Voraussetzungen erfüllt sein: Die abzuschiebende Person muss in der Lage sein, sicher in das betroffene Gebiet zu reisen, Zutritt zu diesem zu erhalten und sich dort niederzulassen. Ein anderer Ort im Zielstaat kann dem Betroffenen nicht zugemutet werden, wenn dort keine hinreichenden sozialen Bedingungen herrschen, die ein menschenwürdiges Dasein einschließlich des Zugangs zu einer Grundversorgung sowie der erforderlichen sanitären Einrichtungen für die individuell betroffene Person ermöglichen.
285 
EGMR, Urteil vom 28.06.2011 - 8319/07 und 11449/07 - (Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich), NVwZ 2012, 681 Rn. 266; EGMR, Urteil vom 11.01.2007 - 1948/04 - (Salah Sheekh/Niederlande) Rn. 141; Lehnert, in: Meyer-Ladewig u.a., EMRK, 4. Aufl. 2017, Art. 3 Rn. 70 m.w.N.
286 
Erforderlich ist eine Gesamtschau und auf den konkreten Einzelfall bezogene Prüfung unter Berücksichtigung objektiver Gesichtspunkte (darunter insbesondere die wirtschaftlichen und humanitären Verhältnisse einschließlich der Gesundheitsversorgung sowie die Sicherheitslage am Ankunftsort sowie an dem Ort, an den der Betroffene letztlich dauerhaft zurückkehren soll) und persönlicher und familiärer Umstände. Relevant kann dabei sein, ob die Person in der fraglichen Region eine familiäre Anbindung hat.
287 
EGMR, Urteil vom 28.06.2011 - 8319/07 und 11449/07 - (Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich), NVwZ 2012, 681 Rn. 294 f.
288 
Anknüpfend hieran ergibt sich unter Berücksichtigung der landesweiten Lebensverhältnisse in Afghanistan (dazu b)) und auch der in Kabul als Ankunfts- bzw. Endort der Abschiebung (dazu c)), dass unter Berücksichtigung der persönlichen Situation des Klägers (dazu d)) kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK vorliegt.
289 
b) Lebensverhältnisse landesweit
290 
Die landesweiten Lebensverhältnisse in Afghanistan und die Situation von Rückkehrern gestalten sich wie folgt:
291 
Afghanistan hat insgesamt etwa 27 bis 34 Millionen Einwohner (s.o.). Über 40 % der Bevölkerung sind unter 15 Jahre, zwei Drittel unter 25 Jahre alt.
292 
Sam Hall, Urban displaced youth in Kabul - mental health matters, Juni 2016, S. 7.
293 
Geprägt wird das Leben der Menschen im Land von einer schwierigen wirtschaftlichen Situation (aa)) und Versorgungslage (bb)), von prekären humanitären Gegebenheiten (cc)) sowie von einer volatilen Sicherheitslage (dd)). Zudem sehen sich Rückkehrer aus dem westlichen Ausland zusätzlichen Gefahren ausgesetzt (ee)). Andererseits ist zu berücksichtigen, dass Rückkehrer unter bestimmten Umständen spezielle Unterstützungsmaßnahmen erhalten können (ff)).
294 
aa) Afghanistan ist eines der ärmsten Länder der Welt. Es belegte im Jahr 2015 den Platz 171 und im Jahr 2016 den Platz 169 von 187 im Human Development Index. Mindestens 36 % der Bevölkerung des Landes leben unter der Armutsgrenze. Teils wird auch von einer Steigerung von 36 % für die Jahre 2007/2008 auf 39 % für die Jahre 2013/2014 berichtet, wobei ein Leben in Armut nach dem hier verfolgten Ansatz vorliegt, wenn das Einkommen unter der Armutsgrenze von 1.150 Afghani (20 US$) pro Monat liegt. Afghanistan weist im Vergleich mit allen asiatischen Ländern den höchsten Anteil armer Menschen auf. Die Zahl derjenigen, die humanitärer Unterstützung bedurften, hat sich von 2016 bis zum Beginn des Jahres 2017 um 13 % auf 9,3 Millionen erhöht. Dabei gibt es regionale Unterschiede. Sie reichen von einem Anteil von 27,7 % der Bevölkerung, die unter der Armutsgrenze lebt, im Südwesten bis zu 49,7 % im Nordosten.
295 
Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19.10.2016 - Stand: September 2016, S. 21; vgl. auch Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich - Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Afghanistan (Gesamtaktualisierung vom 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 27.06.2017), S. 176; EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 31 f. m.w.N.; Giesler/Wohnig, Uneinheitliche Entscheidungspraxis zu Afghanistan - Eine Untersuchung zur aktuellen Afghanistan-Entscheidungspraxis des BAMF und der Gerichte (Ergänzte Fassung zur Kurzfassung aus Asylmagazin 2017, 223) (asyl.net), S. 3 Fn. 17; World Food Programme, Country Brief, WFP Assistance, Juli 2017.
296 
Bei einer ohnehin schon zuvor schlechten Lage ist seit dem Jahr 2012 ein massiver Einbruch der Wirtschaft zu verzeichnen.
297 
Dazu Stahlmann, Asylmagazin 2017, 73 (74) m.w.N.
298 
Sie sieht sich in der Übergangsphase nach Beendigung des NATO-Kampfeinsatzes zum Jahresende 2014 konfrontiert mit sinkenden internationalen Investitionen und der stark schrumpfenden Nachfrage durch den Rückgang internationaler Truppen um etwa 90 % (von 140.000 internationalen Soldaten auf rund 14.000). Die Abwertung des Afghani gegenüber dem US-Dollar schreitet - bei gleichzeitiger Deflation - immer weiter voran. Ein selbsttragendes Wirtschaftswachstum ist kurzfristig nicht in Sicht.
299 
Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19.10.2016 - Stand: September 2016, S. 21.
300 
Zudem beruht die Wirtschaft zu großen Teilen auf irregulären und illegalen Aktivitäten, darunter der Opiumhandel.
301 
UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 19.04.2016, S. 15.
302 
Der Vergleich des Wachstums des Bruttoinlandsprodukts für das Jahr 2012 von 14,4 % mit dem des Jahres 2015, in dem nur noch 0,8 % Wachstum zu verzeichnen waren, macht den für das gesamte Land zu verzeichnenden Einbruch deutlich.
303 
Vgl. dazu Stahlmann, Asylmagazin 2017, 73 (74) m.w.N. sowie dies. auch in ihrer landeskundlichen Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 12 m.w.N.; siehe auch Staatssekretariat für Migration SEM der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Notiz Afghanistan: Alltag in Kabul. Referat von Thomas Ruttig (Afghanistan Analysts Network) am 20. April 2017, 20.06.2017, S. 5.
304 
Bis zum Jahr 2016 blieb es bei einem Wachstum von unter 2 %. Auf Grund der abgeschwächten Konjunktur, unter anderem wegen der mangelnden Sicherheit und der politischen Ungewissheit, wird erwartet, dass das Bruttoinlandsprodukt allenfalls geringfügig wächst.
305 
EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 19 m.w.N.
306 
Diese Wirtschaftslage spiegelt sich auch im Arbeitsmarkt wider, für den uneinheitliche Zahlen vorliegen.
307 
Vgl. EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 21 zur Bezeichnung der Arbeitsmarktzahlen als schwach und kontrovers ("weak and controversial").
308 
Je nach Quelle und Erfassungsweise werden etwa für das Jahr 2014 Arbeitslosenzahlen von 9,1 % bis 24 % genannt, teils wird - unter Berücksichtigung eines Anteils von 15,3 % unterbeschäftigter Personen - der Anteil der nicht erwerbstätigen Personen sogar mit 40 % angegeben.
309 
Im Einzelnen m.w.N.: EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 21.
310 
Im Jahr 2015 lag die landesweite Arbeitslosenquote bei 40 %. Der Anteil in den Städten war deutlich höher, da die Landwirtschaft, in der rund 60 % - in ländlichen Regionen sogar 70 % der erwerbstätigen Bevölkerung - tätig sind, weiterhin der stabilste Beschäftigungssektor ist.
311 
Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19.10.2016 - Stand: September 2016, S. 21; Stahlmann, Asylmagazin 2017, 73 (76) m.w.N. sowie dies. auch in ihrer landeskundlichen Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 13 m.w.N.; IOM, Länderinformationsblatt Afghanistan 2017, S. 2; IOM, Länderinformationsblatt Afghanistan 2016, S. 2.
312 
Auch für den Zeitraum Ende des Jahres 2016 wurde ein Arbeitslosenanteil mit etwa 40 % geschätzt und die Aussichten als sehr düster bezeichnet.
313 
EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 21; UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 19.04.2016, S. 15.
314 
Ebenso werden für die Jugendarbeitslosigkeit sehr unterschiedliche Größenordnungen genannt. So gibt die Weltbank für das Jahr 2014 einen Anteil von 23 % bezüglich junger Frauen und 16 % hinsichtlich junger Männern an (bei 9,1 % für dieses Jahr im Allgemeinen). Die Jugendarbeitslosigkeit in den Städten soll um 50 % höher sein als die städtische Arbeitslosigkeit insgesamt.
315 
EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 22.
316 
Es findet sich sogar die Angabe einer Jugendarbeitslosigkeit von 82 %.
317 
Stahlmann, Landeskundliche Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 14 m.w.N.; dies., Asylmagazin 2017, 73 (76).
318 
Gerade der städtische Arbeitsmarkt ist durch die bereits erwähnten Änderungen des internationalen Engagements geprägt. Dort waren mit der plötzlichen Ankunft internationaler Organisationen zunächst Qualifikationen gefragt, die auf dem lokalen Arbeitskräftemarkt nach den langen Kriegsjahren tatsächlich Mangelware waren - darunter Englischkenntnisse, Arbeitserfahrung mit der in internationalen Organisationen gepflegten Bürokratie und formelle Ausbildungs- und Studienabschlüsse. Außerdem hatte der Bauboom in den Städten, insbesondere im grundlegend zerstörten und rapide wachsenden Kabul, zunächst einen Markt für ungelernte Arbeitskräfte geschaffen.
319 
Stahlmann, Landeskundliche Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 13 f. m.w.N.; dies., Asylmagazin 2017, S. 73 (74); zum Arbeitsmarkt in Kabul auch Kohler, InfAuslR 2017, 99 (101) mit Verweis auf Islamic Republic of Afghanistan - Central Statistics Organisation, Socio-Demographic and Economic Survey, Figure 11 und Figure 12, dort allerdings nur für das Jahr 2013.
320 
Damals hatten - in begrenztem Maße - selbst die traditionell familiär organisierten privatwirtschaftlichen Betriebe externe Arbeitskräfte aufgenommen (wenn auch in den Grenzen kriegsbedingter Freund-/Feindschemata, so dass Fremde im Sinne ethnischer, religiöser oder lokaler Zugehörigkeit weiterhin weitgehend ausgeschlossen waren). Diese Entwicklung hat sich allerdings durch den bereits als prägend erwähnten Abzug der internationalen Truppen wieder verflüchtigt. Der Bauboom hat sich als kurzfristig erwiesen und auch der Dienstleistungsbereich ist eingebrochen. Geblieben ist der Umstand, dass zur Erlangung einer der wenigen vorhandenen Arbeitsplätze nicht die schulische oder berufliche Ausbildung, Qualifikation oder Erfahrung ausschlaggebend sind, sondern Beziehungen. Dies gilt für den gesamten Arbeitsmarkt, insbesondere auch für Arbeitsplätze im Staatsdienst.
321 
Stahlmann, Landeskundliche Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 14 f. m.w.N.; dies., Asylmagazin 2017, 73 (76); anschaulich hierzu auch die Beispiele von Schuster zur allein durch (teils verwandtschaftliche) Beziehungen gekennzeichnete Einstellungspraxis ohne Rücksicht auf die Qualifikation an der Kabuler Universität und verschiedenen Ministerien: Schuster, Report for the Upper Tribunal in the case of XXXX YYYY, 08.11.2016, S. 15/Rn. 44; vgl. auch EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 23 und 68; vgl. auch die Beispiele zu Rückkehrern, die trotz Qualifikation mangels Beziehungen keine Beschäftigung fanden: Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 65 ff. m.w.N.; zur „untergeordneten“ Rolle von Eignung, Befähigung und Leistung bei der Verteilung administrativer Ämter auch Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19.10.2016 - Stand: September 2016, S. 7.
322 
Das vor dem Hintergrund jahrzehntelanger Kriegs- und Konflikterfahrungen und anhaltender Alltagskriminalität als notwendig und bewährt erachtete System von Beziehungen bzw. Netzwerken ist geprägt durch eine Gegenseitigkeit, eine langfristige und belastbare Reziprozität. Wer in der Lage ist, einen Vorteil - etwa einen Arbeitsplatz - zu verschaffen, verknüpft hiermit die Erwartung, jedenfalls langfristig seinerseits einen Vorteil zu erlangen. Ist vom Arbeitssuchenden keine Gegenleistung zu erwarten, weil dieser nicht über die erforderlichen Beziehungen verfügt, ist nicht oder weniger zu erwarten, dass ihm eine Arbeitsstelle vermittelt wird. Ein entsprechendes Netzwerk ist daher der Schlüssel zum Arbeitsmarkt. Zudem gewährleistet das System der Empfehlungen, dass der Arbeitgeber sich sicher sein kann, dass der Arbeitssuchende, dessen örtliche und ethnische Herkunft sowie familiären Hintergrund er auf Grund der Empfehlung kennt, vertrauenswürdig ist.
323 
EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 67 f.: „Network as key to the job market“; Stahlmann, Landeskundliche Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 12. m.w.N.; Schuster, Report for the Upper Tribunal in the case of XXXX YYYY, 08.11.2016, S. 4/Rn. 12.
324 
So äußerten die meisten Arbeitgeber in einer Befragung zu ihrer Einstellungspraxis, sie nutzten das traditionellste System: Freunde (62,6 %) und Familie (57,9 %). Entsprechend beklagen die Arbeitssuchenden unabhängig von ihren Qualifikationen, dass die Vergabe von Arbeitsstellen von persönliche Verbindungen, sog. „wasita“ (wechselseitige Verbindungen zu Personen mit Macht oder Einfluss), abhängig sei. Erforderlich sind „shanaktht“ (jemanden kennen) und „safarish“ (eine Art Empfehlung). Nur etwa 15 % der Arbeitnehmer werden über den örtlichen Bazar angeworben, der größte Teil der Arbeitsplätze wird über Freunde oder Verwandte erlangt.
325 
EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 67.
326 
Die Beziehungen oder Netzwerke sind vielschichtig. Für manche besteht ihr Netzwerk aus nahen Verwandten, für andere ist es breiter angelegt und kann auch aus Freunden bestehen. Bei Angehörigen der Hazara kommt es vor, dass beim Zuzug in eine neue Stadt ein Netzwerk um die örtliche Moschee oder eine religiöse oder Wohlfahrtseinrichtung konzentriert ist. Ganz allgemein genügt die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Ethnie allein noch nicht, um ein solides Netzwerk für die Arbeitssuche zu begründen.
327 
EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 68.
328 
Eine staatliche Arbeitsvermittlung oder gar eine Arbeitslosenunterstützung nach westlichen Vorstellungen gibt es nicht. Allerdings werden freie Stellen im öffentlichen Sektor vom Civil Service Commission Management Directorate der Kommission für Öffentlichen Dienst und Verwaltungsreform online angekündigt. Außerdem bietet eine Nichtregierungsorganisation (ACBAR) Unterstützung für Arbeitssuchende an. Sie befindet sich in Charahi Shaheed, Sherpoor Bezirk in Kabul. Auf ihrer Website besteht die Möglichkeit, sich mit einem Lebenslauf und Motivationsschreiben auf relevante Jobs zu bewerben.
329 
BAMF/ZIRF/IOM, ZIRF-Anfrage: Medizinische Versorgung in Afghanistan, Unterstützung für Rückkehrer bei Arbeits- und Wohnungssuche, 21.09.2016; IOM, Länderinformationsblatt Afghanistan 2017, S. 2; IOM, Länderinformationsblatt Afghanistan 2016, S. 2.
330 
Soweit eine Arbeitsstelle gefunden werden kann
331 
- dazu Staatssekretariat für Migration SEM der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Notiz Afghanistan: Alltag in Kabul - Referat von Thomas Ruttig (Afghanistan Analysts Network) am 12.04.2017, 20.06.2017, S.10; siehe auch EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 22 zum „vulnerable employment“ -,
332 
ist das durchschnittliche Einkommen (insbesondere im Vergleich zu den Lebenshaltungskosten, dazu sogleich) gering. Das durchschnittliche monatliche Einkommen in Afghanistan wird in verschiedenen Quellen mit 80 bis 120 US$ angegeben, teilweise wird ein Mindestlohn von 95 US$ für nur vorübergehend beschäftigte Arbeitskräfte genannt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass - wie ausgeführt - bei 36 % der afghanischen Bevölkerung der Lohn bei unter 20 US$ pro Monat liegt.
333 
IOM, Länderinformationsblatt Afghanistan 2017, S. 2; IOM, Länderinformationsblatt Afghanistan 2016, S. 2; EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 23 f.
334 
Afghanistan bleibt eine hauptsächlich ländliche Gesellschaft, deren Wirtschaft maßgeblich auf der Landwirtschaft basiert. 76 % der Bevölkerung leben in ländlichen Gebieten. Mehr als die Hälfte der Arbeitskräfte des Landes ist im Bereich der Landwirtschaft beschäftigt. 96 % der Produktion bewegt sich im Bereich der Nahrungsmittelverarbeitung, also einem Bereich, der in hohem Maße von der Landwirtschaft abhängig ist.
335 
EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 22, 32.
336 
Einen nicht unwesentlichen Anteil in der Landwirtschaft hat allerdings auch der Opiumanbau (s.o.), da dieser zum einen eine große Gewinnmarge verspricht und zum anderen die Mohnpflanzen mit den widrigen Bedingungen (etwa der schlechten Bodenqualität) verhältnismäßig gut zurechtkommen.
337 
Zum Opiumanbau allgemein: General Assembly Security Council, The situation in Afghanistan and its implications for international peace and security - report of the Secretary-General, 03.03.2017, S. 11; ProAsyl, Afghanistan - No safe country for refugees, Mai 2017, S. 50; UNHCR, Anmerkungen zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des deutschen Bundesministerium des Inneren - Dezember 2016, S. 15; zur Verteilung des Opiumanbaus in den einzelnen Provinzen vgl. ausführlich EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Security Situation (November 2016): zu Daikundi, S. 70 f.; zu Kandahar, S. 73 -; zu Helmand, S. 77 („Afghanistan’s single largest opium poppy cultivating province in 2015, accounting for 47 % of the total area under opium poppy cultivation in the country.“); zu Uruzgan, S. 87 („opium poppy as a dominant crop“); zu Zabul - S. 90; zu Badakhshan, S. 133; zu Ghor, S. 171.
338 
Die Landwirtschaft leidet allerdings - neben der problematischen Sicherheitssituation - insbesondere auch unter vielfältigen Naturkatastrophen, weswegen das World Food Programme das ganze Jahr hindurch in verschiedenen Landesteilen auf Krisen bzw. Notsituationen wie Dürre, Überschwemmungen oder extremen Kälteeinbruch reagiert. Gerade der Norden - eigentlich die „Kornkammer“ des Landes - ist extremen Natureinflüssen wie Trockenheit, Überschwemmungen und Erdverschiebungen ausgesetzt
339 
- Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19.10.2016 - Stand: September 2016, S. 23; UNOCHA, Humanitarian Needs Overview 2017, November 2016, S. 8 -
340 
(vgl. im Weiteren ausführlicher bei den Darstellungen zur Versorgungslage und zur humanitären Situation unter lit. bb) und cc)).
341 
bb) Die Versorgungslage in Afghanistan ist schlecht. Wie bereits ausgeführt ist Afghanistan eines der ärmsten Länder der Welt, mit 9,3 Mio. Menschen, die Anfang 2017 auf humanitäre Hilfe angewiesen waren (s.o.).
342 
Im Jahr 2016 waren etwa 1,6 Millionen Afghanen (nach den Daten von UNOCHA - United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs - ein Anteil von 6 %) ernsthaft von Lebensmittelunsicherheit („severely food insecure“) betroffen, bei weiteren 9,7 Millionen Menschen (34 %) war dies in mäßiger Weise der Fall („moderately food insecure“).
343 
UNOCHA, Humanitarian Needs Overview 2017, November 2016, S. 5 f. und 26 sowie die Aufteilung nach Regionen auf S. 21; EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 42 m.w.N.; vgl. auch UK Home Office, Country Policy and Information Note - Afghanistan: Security and humanitarian situation, August 2017, S. 28; dort auch unter Bezugnahme auf UNOCHA der Hinweis auf die Wechselwirkung mit der steigenden Anzahl intern Vertriebener und Rückkehrer, die sich in den städtischen Zentren und Randgebieten sammeln sowie zur erwarteten Anzahl von mehr als einer Million neuer Rückkehrer im Sommer 2017); zur Lebensmittelunsicherheit in den Vorjahren vgl. auch Sam Hall, Urban Poverty Report - A study of poverty, food insecurity and resilience in Afghan Cities, November 2014: S. 6 f., 43, 54 und 56 - die Hälfte der Haushalte in Städten und 68 % der intern Vertriebenen werden als ernsthaft von Lebensmittelunsicherheit betroffen beschrieben.
344 
48 % der Haushalte von intern vertriebenen Personen, die in informellen Siedlungen in Kabul lebten, waren im Dezember 2015 ernsthaft von Lebensmittelunsicherheit betroffen.
345 
UNOCHA, Humanitarian Needs Overview 2017, November 2016, S. 7.
346 
Insbesondere die aus Konflikten und chronischer Unterentwicklung resultierenden Folgeerscheinungen im Süden und Osten haben dazu geführt, dass dort ca. eine Million oder fast ein Drittel aller Kinder als akut unterernährt gelten.
347 
Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19.10.2016 - Stand: September 2016, S. 23.
348 
In den Städten allgemein und insbesondere der Hauptstadt Kabul sind die Lebenshaltungskosten im Verhältnis zum Einkommen hoch. So finden sich - jeweils auch abhängig vom Lebensstil - Angaben von 100 bis 150 EUR oder 150 bis 250 US$ für einen alleinstehenden Mann in Kabul
349 
- BAMF/ZIRF/IOM, ZIRF-Anfrage Wohnraumsituation I: Lebenshaltungskosten in Kabul für alleinstehenden Mann, 09.05.2017; BAMF/ZIRFIOM, ZIRF-Anfrage: Lebenshaltungs-/Mietkosten in Kabul; Taxilizenz, 22.04.2016; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Afghanistan (Gesamtaktualisierung vom 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 27.06.2017, S. 188 -
350 
und mindestens 250 bis zu 600 EUR pro Monat für eine Familie, bestehend aus einem Vater und drei Kindern
351 
- BAMF/ZIRF/IOM, ZIRF-Anfrage Wohnraumsituation II: Lebenshaltungskosten in Kabul für Familie mit Vater und 3 Kindern, 09.05.2017 -,
352 
wobei jeweils noch keine Unterbringungs-/Mietkosten enthalten sind.
353 
Für die Kosten von Wohnraum finden sich - auch abhängig von der Lage - Angaben von einer Monatsmiete für ein Zimmer in Höhe von 100 US$, für ein Einzimmerapartment in Kabul von 88 US$/6.000 Afghani bis zu 146 US$/10.000 Afghani oder auch in Höhe von 160 bis 180 EUR (zuzüglich Nebenkosten von etwa 20 bis 25 EUR/Monat) sowie auch 300 US$. Die Miete für eine Dreizimmerwohnung in Kabul wird mit ca. 300 EUR/Monat bei Nebenkosten in Höhe von etwa 30 EUR angegeben, aber auch Preise von 400 bis 600 US$ zuzüglich Nebenkosten von etwa 40 US$ pro Monat werden genannt.
354 
Schuster, Report for the Upper Tribunal, 08.11.2016, S. 14/Rn. 41; BAMF/ZIRFIOM, ZIRF-Anfrage: Lebenshaltungs-/Mietkosten in Kabul; Taxilizenz, 22.04.2016; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Afghanistan (Gesamtaktualisierung vom 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 27.06.2017, S. 188; BAMF/ZIRF/IOM, ZIRF-Anfrage Wohnraumsituation I: Lebenshaltungskosten in Kabul für alleinstehenden Mann, 09.05.2017; BAMF/ZIRF/IOM, ZIRF-Anfrage Wohnraumsituation II: Lebenshaltungskosten in Kabul für Familie mit Vater und 3 Kindern, 09.05.2017; IOM, Länderinformationsblatt Afghanistan 2017, S. 3; IOM, Länderinformationsblatt Afghanistan 2016, S. 2; Stahlmann, Landeskundliche Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 16; dies., Asylmagazin 2017, S. 73 (76); vgl. auch Schuster, Risks on return to Kabul, 12.08.2016, S. 16/Rn. 42: Einzelzimmer für 4.000 bis 6.000 Afghani, bei einem Lohnniveau von 4.000 bis 4.500 Afghani pro Monat; EASO, Country of Origin Information Query - Query concerning the situations of returnees to Afghanistan, 22.06.2017, S. 7 m.w.N.: 300 US$.
355 
Die im Vergleich zum realistischer Weise zu erzielenden Einkommen immensen Unterbringungskosten bei gleichzeitig großem Zustrom neuer Einwohner erklären, dass etwa drei Viertel der Menschen in Slums lebt.
356 
Dazu ProAsyl, Afghanistan - No safe country for refugees, Mai 2017, S. 4; Stahlmann, Landeskundliche Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 16; dies., Asylmagazin 2017, S. 73 (76 f.).
357 
Sofern Wohnraum auf dem freien Markt verfügbar ist, haben in aller Regel wiederum nur diejenigen eine Chance darauf, die einen Bürgen beibringen können und in der Lage sind, bis zu sechs Monatsmieten im Voraus zu bezahlen. Im Rahmen der Wohnungssuche benötigt man also außergewöhnliche finanzielle Ressourcen, um eine Chance auf eine winterfeste Unterkunft zu haben, aber auch die beschriebenen sozialen Netzwerke. Diese sowie der Umstand, dass sich jemand für den künftigen Mieter und dessen vertrauenswürdigen Charakter gleichsam verbürgt, gewährleisten aus Sicht des Vermieters eine gewisse Sicherheit sowie insbesondere auch, dass der Mieter kein „unmoralisches“ Verhalten an den Tag legt und seine Miete zahlen wird.
358 
Stahlmann, Landeskundliche Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 16; dies., Asylmagazin 2017, S. 73 (76 f.); Schuster, Report for the Upper Tribunal, 08.11.2016, S. 4/Rn. 12 und auch S. 14/Rn. 41 und S. 15/ Rn. 44 m.w.N.
359 
Es gibt keine NGOs oder öffentliche Organisationen, die bei der Wohnungssuche unterstützen. Immobilienmakler bieten einen entsprechenden Service im Austausch für eine Monatsmiete von Mieter und Vermieter an.
360 
BAMF/ZIRF/IOM, ZIRF-Anfrage: Medizinische Versorgung in Afghanistan, Unterstützung für Rückkehrer bei Arbeits- und Wohnungssuche, 21.09.2016.
361 
Zwischen den Verhältnissen in den urbanen Zentren und den ländlichen Gebieten Afghanistans herrscht ein eklatantes Gefälle. Es fehlt außerhalb der Hauptstadt Kabul und der Provinzhauptstädte vielerorts an grundlegender Infrastruktur für Energie, Trinkwasser und Transport. Der Anteil der Bevölkerung, der Zugang zu Trinkwasser hat, beträgt nur 46 %.
362 
Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage vom 19.10.2016 - Stand September 2016 -, S. 21; UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 19.04.2016, S. 31.
363 
cc) Verschärft wird die Lage - insbesondere auf dem Arbeits- und dem Wohnungsmarkt - nicht zuletzt aufgrund erheblicher Migrationsbewegungen.
364 
Für das gesamte Land Afghanistan ist eine erhebliche, zudem stetig ansteigende Anzahl an Migranten festzustellen. Es handelt sich sowohl um Binnenvertriebene (internally displaced persons - IDPs), Rückkehrer (insbesondere aus Iran und Pakistan sowie aus dem westlichen Ausland) und Wirtschaftsmigranten.
365 
EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 40.
366 
Im Jahr 2015 gab es in ganz Afghanistan mindestens 1,1 Millionen Binnenvertriebene.
367 
Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19.10.2016 - Stand: September 2016, S. 21: zwischen 1,1 und 1,2 konfliktinduzierte Binnenflüchtlinge.
368 
Im April 2016 war deren Zahl auf 1,2 Millionen geschätzt worden.
369 
Stahlmann, Asylmagazin 2017, S. 73 (74 f.) m.w.N.;. a.i., My children will die this winter - Afghanistan´s broken promise to the displaced, 31.05.2016, S. 7.
370 
Bis Jahresende wurden 2016 insgesamt 620.000 bis 650.000 Menschen als kriegsbedingt vertrieben ausdrücklich und aktenkundig registriert - das sind dreimal so viele wie 2014 und sechsmal so viele wie 2012. Im Zeitraum seit Anfang 2017 bis ca. Juli 2017 haben etwa 150.000 Personen auf Grund innerstaatlicher Konflikte ihren Wohnort verlassen. Sie suchen mehrheitlich innerhalb ihrer Provinz Zuflucht, es sind aber auch Fluchtbewegungen in die Provinz Kabul zu verzeichnen.
371 
Stahlmann, Asylmagazin 2017, S. 73 (74) m.w.N.: 623.345; General Assembly Security Council, The situation in Afghanistan and its implications for international peace and security - report of the Secretary-General, 03.03.2017: S. 9 zur Verschlechterung bis ins Jahr 2017 mit Rekordzahlen neuer, konfliktbedingter Binnenvertreibung in Höhe von 651.751 Personen; vgl. auch Bericht des Auswärtigen Amts zur Lagebeurteilung für Afghanistan nach dem Anschlag am 31. Mai 2017 - Stand Juli 2017 -, S. 10.
372 
Daneben sind im Jahr 2016 etwa eine Million Menschen aus Iran und Pakistan nach Afghanistan zurückgekehrt, wobei als Rückkehrende auch jene gelten, deren Eltern schon im benachbarten Ausland geboren wurden. Hintergrund ist, dass der Iran vermehrt afghanische Staatsangehörige abschiebt und Pakistan im letzten Herbst 2016 entschieden hat, ab April 2017 keine afghanischen Personen mehr im Land zu dulden. Zusätzlich zu den 1,6 Millionen afghanischen Staatsangehörigen, die in Pakistan bisher einen Flüchtlingsstatus hatten, betrifft diese Entscheidung nach Schätzungen der pakistanischen Regierung zumindest eine weitere Million illegal dort lebender afghanischer Personen.
373 
UNHCR, Anmerkungen zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des deutschen Bundesministerium des Inneren - Dezember 2016, S. 4 zum Rekordniveau von interner Flucht und Vertreibung für das Jahr 2016: ca. 372.000 + 242.000 Flüchtlinge aus Pakistan und 420.000 aus dem Iran sowie eine Prognose für das Jahr 2017 mit 650.000 zurückkehrenden Flüchtlingen; Stahlmann, Asylmagazin 2017, S. 73 (74): 1.034.000 Rückkehrer aus Iran und Pakistan; a.i., Amnesty Report 2017 - Afghanistan (Berichtszeitraum 1. Januar 2016 bis 31. Dezember 2016): S. 1; Schuster, Risks on return to Kabul, 12.08.2016, S. 16 f./Rn. 43; ProAsyl, Afghanistan - No safe country for refugees, Mai 2017, S. 4: mehr als eine Million; General Assembly Security Council, The situation in Afghanistan and its implications for international peace and security - report of the Secretary-General, 03.03.2017: S. 9 zur Rückkehr von 620.000 Flüchtlingen und nicht dokumentierten Afghanen aus Pakistan.
374 
Plastisch hat der UNHCR die Versorgungs- und humanitäre Situation zusammengefasst. Er beschreibt, dass infolge des allgemein gestiegenen Sicherheitsrisikos - einschließlich der Zunahme der die Mitarbeiter von Hilfsorganisationen betreffenden Sicherheitsvorfälle - der Zugang zu den betroffenen Menschen für humanitäre Hilfsorganisationen begrenzt ist. Die begrenzte Präsenz jener Organisationen in den vom Konflikt betroffenen Gebieten behindert insbesondere den Zugang zu lebensrettender Unterstützung für die besonders schutzbedürftigen Teile der Bevölkerung. Jahrzehnte der Konflikte und wiederkehrender Naturkatastrophen haben die afghanische Bevölkerung in einen Zustand großer Schutzbedürftigkeit versetzt und die Überlebensmechanismen vieler Menschen erschöpft. Der fortwährende Konflikt greift durch die Zerstörung von Lebensgrundlagen und von Viehbestand, steigende Raten ansteckender Krankheiten, verstärkte Vertreibung, ständige Menschenrechtsverletzungen und höhere Kriminalitätsraten diese Schwachstellen weiter an. Ebenso haben der andauernde Konflikt, schwache Regierungsgewalt sowie ineffiziente oder korrupte Institutionen dazu geführt, dass Vorbereitungsmaßnahmen im Hinblick auf Katastrophen, Risikoreduzierung und Notfallmechanismen Berichten zufolge nicht oder kaum vorhanden sind. In der Folge stellen Naturkatastrophen wie Überflutungen, Schlammlawinen, Erdbeben, Dürren und harte Winter eine weitere Belastung für die Bevölkerung dar, deren Widerstandskraft ohnehin bereits geschwächt wird.
375 
UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 19.04.2016, S. 30 f.; vgl. auch UNOCHA, Humanitarian Needs Overview 2017, November 2016, S. 8.
376 
dd) Des Weiteren ist die Situation der Menschen in Afghanistan bestimmt durch eine anhaltend schlechte Sicherheitslage.
377 
Sie wird - bei starken regionalen Unterschieden - allgemein als anhaltend volatil beschrieben.
378 
Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19.10.2016 - Stand: September 2016, S. 4. Ruttig in Staatssekretariat für Migration SEM der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Notiz Afghanistan: Alltag in Kabul - Referat von Thomas Ruttig (Afghanistan Analysts Network) am 12.04.2017, 20.06.2017, S. 4 ff. spricht von der dreifachen Krise im Hinblick auf die Sicherheitslage, die sozio-ökonomische und die politische Situation in Afghanistan
379 
Afghanistan besetzt auf dem Global Peace Index (GPI) des Jahres 2017 bei den am wenigsten friedlichen Ländern den zweiten Platz hinter Syrien. In der weiteren Beschreibung des GPI wird dazu ausgeführt, die Gesamtbewertung Afghanistans habe sich das sechste Jahr in Folge weiter verschlechtert. Die Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen hat auch in den ersten Monaten des Jahres 2017 wieder zugenommen, insbesondere im Vergleich zu derselben Zeitspanne des Vorjahres.
380 
UK Home Office, Country Policy and Information Note - Afghanistan: Security and humanitarian situation, August 2017, S. 14 m.w.N. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Afghanistan (Gesamtaktualisierung vom 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 27.06.2017), S. 13 f.
381 
Eine Bedrohung für Leib und Leben von Zivilisten geht von den Kampfhandlungen der Konfliktparteien, aber auch von improvisierten Sprengkörpern, von Selbstmordanschlägen und komplexen Angriffen auf staatliche Einrichtungen aus. UNAMA gab im Bericht betreffend den Schutz von Zivilisten im bewaffneten Konflikt für das Jahr 2016 eine Zahl von 11.418 zivilen Opfern an, davon 7.920 Verletzte und 3.498 Tote. Der Halbjahresbericht vom Juli 2017 geht für das erste Halbjahr 2017 von einer Gesamtopferzahl (Tote und Verletzte) von 5.243 im Vergleich zu 5.267 im Vorjahreszeitraum aus. Die überwiegende Zahl von zivilen Opfern ist dabei auf Kampfhandlungen am Boden (38 % im Jahr 2016, 34 % im ersten Halbjahr 2017) und improvisierte Sprengsätze (19 % im Jahr 2016, 18 % im ersten Halbjahr 2017) zurückzuführen. Dabei ist die Bevölkerung immer dann gefährdet, wenn sie bei Kämpfen der Konfliktparteien zwischen die Fronten gerät oder Opfer improvisierter Sprengsätze wird, die für andere Ziele gedacht waren. Weniger ausschlaggebend ist dagegen, ob die afghanischen Sicherheitskräfte oder die Taliban die Kontrolle über einen Raum ausüben.
382 
Auswärtiges Amt, Zwischenbericht: Lagebeurteilung für Afghanistan nach dem Anschlag am 31. Mai 2017 - Stand Juli 2017, S. 8 f.; UNAMA, Midyear Report 2017: Afghanistan - protection of civilians in armed conflict, Juli 2017. S. 3; UNAMA, Annual Report 2016: Afghanistan - protection of civilians in armed conflict, Februar 2017, S. 10.
383 
Während zivile Opfer in ländlichen Gebieten vor allem auf Kampfhandlungen, Landminen, improvisierte Sprengsätze und Übergriffe von nicht-staatlichen Gruppen zurückzuführen sind, stellen für die städtische Bevölkerung vor allem Selbstmordanschläge, komplexe Attacken, gezielte Tötungen und Entführungen Bedrohungen dar. Dies gilt insbesondere für Kabul.
384 
Auswärtiges Amt, Zwischenbericht: Lagebeurteilung für Afghanistan nach dem Anschlag am 31. Mai 2017 - Stand Juli 2017, S. 9.
385 
Ein großer Teil des Landes wird von regierungsfeindlichen Kräften beherrscht, wobei die jeweilige Vorherrschaft der unterschiedlichen Kräfte ständigem Wandel unterworfen ist. Im ersten Quartal 2017 waren nur etwa 60 % der 407 Distrikte des Landes unter der Kontrolle oder dem Einfluss der afghanischen Regierung, was einen Anstieg um 2,5 Prozentpunkte im Vergleich zum Stand Mitte November 2016, aber einen Rückgang um 11 Prozentpunkte im Vergleich zum ersten Quartal 2016 bedeutet. Die Taliban behaupten, 16 der 34 Provinzen Afghanistans zu kontrollieren und in nur 89 Distrikten nicht präsent zu sein. In den südlichen Provinzen Helmand, Nimroz, Uruzgan, Zabul, Ghazni würden beinahe alle Distrikte von ihnen kontrolliert bzw. seien zumindest „umkämpft“.
386 
UK Home Office, Country Policy and Information Note - Afghanistan: Security and humanitarian situation, August 2017, S. 22 f. m.w.N.; siehe auch Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Afghanistan (Gesamtaktualisierung vom 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 27.06.2017), S. 27.
387 
Unter dem direkten Einfluss der Taliban standen im dritten Quartal 2016 etwa 2,9 Millionen Menschen, im vierten Quartal waren es noch ungefähr 2,5 Millionen.
388 
Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Afghanistan (Gesamtaktualisierung vom 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 27.06.2017), S. 26 f.
389 
Die afghanische Regierung konnte dabei die Kontrolle über Kabul sowie die Hauptbevölkerungszentren, die meisten Schlüsselverbindungsstrecken, Provinzhauptstädte und die Mehrzahl der Distriktzentren behalten, wobei Distriktzentren und Provinzhauptstädte von Taliban bekämpft bzw. bedroht und diese sich zeitweise der Hauptkommunikationsverbindungen im Land bemächtigt haben, insbesondere in den Provinzen Kunduz und Helmand.
390 
UK Home Office, Country Policy and Information Note - Afghanistan: Security and humanitarian situation, August 2017, S. 23 m.w.N.; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Afghanistan (Gesamtaktualisierung vom 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 27.06.2017), S. 24.
391 
In Afghanistan - aber auch grenzüberschreitend Richtung Pakistan - sind mehr als 20 aufständische Gruppen bzw. terroristische Netzwerke aktiv, darunter die Taliban, das Haqqani Netzwerk (verbündet mit den Taliban, aber nicht Teil von deren Kernbewegung), der Islamische Staat/Daesh in Gestalt der ISKP sowie al-Qaida.
392 
Zu den einzelnen Gruppen ausführlich u.a.: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Afghanistan (Gesamtaktualisierung vom 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 27.06.2017), S. 10 ff. und 27 ff.
393 
Die Sicherheitslage wird außerdem durch den Opiumanbau in Afghanistan beeinträchtigt. Die Einkünfte aus dem Drogenschmuggel versorgen sowohl die Aufständischen als auch daneben bestehende kriminelle Netzwerke. Die Anbaufläche für Opium vergrößerte sich im Jahr 2016 im Vergleich zum Vorjahr um 10 % auf etwa 201.000 Hektar. Das für das Jahr 2016 geschätzte Volumen der Opiumproduktion betrug 4.800 Tonnen, was eine Steigerung von etwa 43 % im Vergleich zum Vorjahr bedeutet. Die im Vergleich zur Ausweitung der Produktionsfläche auffallend hohe Steigerung der Produktionsmenge erklärt sich aus guten Anbaubedingungen bei zugleich weniger effektiven staatlichen Bekämpfungsmaßnahmen aufgrund von fehlenden finanziellen Ressourcen hierfür sowie der schlechten Sicherheitslage.
394 
Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Afghanistan (Gesamtaktualisierung vom 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 27.06.2017), S. 31; General Assembly Security Council, The situation in Afghanistan and its implications for international peace and security - report of the Secretary-General, 03.03.2017, S. 11; zur Instabilität infolge des Opiumhandels: UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 19.04.2016, S. 15.
395 
ee) Rückkehrer aus dem westlichen Ausland - freiwillig Zurückgekehrte aber insbesondere auch Abgeschobene - sind zusätzlichen Risiken ausgesetzt. Sie sehen sich dem generellen Verdacht gegenüber, ihr Land und ihre religiöse Pflicht verraten zu haben.
396 
Stahlmann, ZAR 2017, 189 (196); dies., Landeskundliche Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 4, je m.w.N.; UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 19.04.2016, S. 97, insb. Rn. 545.
397 
Ein Aufenthalt im westlichen Ausland wird vermehrt dahin wahrgenommen, der Zurückkehrende habe sich der europäischen Kultur und dem Lebensstil angepasst. Es herrscht die Erwartung, der Betroffene werde entsprechendes (Fehl-) Verhalten auch in Afghanistan weiter an den Tag legen, etwa außereheliche Beziehungen, Alkohol- und Drogenkonsum und alle möglichen Varianten von Apostasie. Schon entsprechende Gerüchte können ausreichen, um staatliche Verfolgung, jedenfalls aber Selbstjustiz bis hin zur Bestrafung mit dem Tod - auch durch Angehörige - wegen des vermeintlichen Bruchs kultureller und religiöser Normen auszulösen.
398 
Stahlmann, Landeskundliche Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 7 ff. m.w.N., dies., Asylmagazin 2017, 82 (83); Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 22. Januar 2016 zu Afghanistan: Situation einer ledigen Mutter der Hazara-Ethnie in Kabul, 22.01.2016, S. 9 f. sowie US Department of State, Afghanistan 2016 Human Rights Report, 17.03.2017, S. 11; zum Risiko der vermeintlichen „Kontamination“ durch die westliche Lebensweise: Schuster, Report for the Upper Tribunal in the case of XXXX YYYY, 08.11.2016, S. S. 4 f./Rn. 13 und dies., Risks on return to Kabul, 12.08.2016, S. 19/Rn. 49; Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 29 ff. m.w.N.; zur Problematik der vermeintlichen „Verwestlichung“ bei Frauen ausführlich Giesler/Wohnig, Uneinheitliche Entscheidungspraxis zu Afghanistan - Eine Untersuchung zur aktuellen Afghanistan-Entscheidungspraxis des BAMF und der Gerichte (Ergänzte Fassung zur Kurzfassung aus Asylmagazin 2017, 223) (asyl.net), S. 13 f. m.w.N.
399 
Die Unterstützung durch Angehörige und Familie - soweit vorhanden - ist darüber hinaus des Öfteren eingeschränkt, weil die Rückkehr nach Afghanistan als Ausdruck des Versagens trotz des vermeintlich leichten Lebens im Westen verstanden wird und gleichzeitig der Verdacht schwelt, der Zurückkehrende habe womöglich eine schwere Straftat in Europa begangen. Denn nach einer in Afghanistan weit verbreiteten Auffassung schiebt Europa nur Straftäter ab, weshalb ein Abgeschobener im vermeintlich regellosen Europa ein schweres Verbrechen verübt haben müsse.
400 
Stahlmann, Landeskundliche Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 9; zum Stigma des Versagens auch Naber, Asylmagazin 2016, 3 (7) und auch Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 35 sowie S. 36 zur Assoziation der Rückkehr mit Kriminalität, je m.w.N.
401 
Außerdem kann einer Unterstützung durch die Familie entgegenstehen, dass diese erhebliche Mittel aufgewendet oder sogar Geld geliehen hat, um die Reise zu finanzieren. Neben dem Vorwurf, der Zurückkehrende habe die erwartete (Versorgungs-) Leistung nicht erbracht, droht auch die Rückforderung durch Kreditgeber, mit der Folge, dass ein Rückkehrer seiner Familie nicht willkommen, sondern „bestenfalls“ nur eine Belastung für diese ist.
402 
Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 38 und 41.
403 
Des Weiteren wird als Gefahr beschrieben, dass die Taliban die Flucht als ein Verhalten werten, mit dem man sich ihrem Machtanspruch entziehen will. Nachvollziehbar erscheint angesichts dessen, dass von Seiten der Taliban das Interesse bestehen soll, zur allgemeinen Abschreckung diejenigen zur Rechenschaft zu ziehen, die sich ihnen entzogen haben.
404 
Stahlmann, ZAR 2017, 189 (196); dies., Landeskundliche Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 4 ff., je m.w.N.; UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 19.04.2016, S. 41 f.; Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 33 f. m.w.N.
405 
Entsprechend wird die ohnehin allgemein übliche Überprüfung der Biographie der Rückkehrer durch das neue soziale Umfeld noch sorgfältiger als üblich vorgenommen, da sie wegen ihrer Flucht grundsätzlich verdächtigt werden, sich persönlicher Verfolgung entzogen zu haben - sei es durch militante Gruppierungen oder Privatpersonen.
406 
Stahlmann, Landeskundliche Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 5, m.w.N.; ähnlich Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 40 und 43 m.w.N. vgl. auch S. 35 m.w.N. zur Problematik der Diskriminierung/Entlassung bei Bekanntwerden eines vorangegangenen Aufenthalts im westlichen Ausland.
407 
Zudem wird angesichts des - grob verzerrt und übersteigert wahrgenommenen - Reichtums in Europa („Jeder Europäer ist (Euro-)Millionär“) in Afghanistan oft davon ausgegangen, dass Rückkehrer während ihrer Zeit im Westen zu Wohlstand gekommen sind. Sowohl sie selbst als auch ihre Familien laufen daher Gefahr, Opfer von Entführungen zu werden, die lebensbedrohlich sein können, insbesondere wenn nicht gezahlt wird oder werden kann. Das gleiche gilt für bekanntgewordenen Kontakt mit Ausländern.
408 
Stahlmann, ZAR 2017, 189 (198); dies., Landeskundliche Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 10 f., je m.w.N.; Schuster, Report for the Upper Tribunal in the case of XXXX YYYY, 08.11.2016, S. 6 f./Rn. 18 sowie Schuster, Risks on return to Kabul, 12.08.2016, S. 20/Rn. 52; Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 29 f. und S. 40, je m.w.N.
409 
Schließlich berichten Rückkehrer von Problemen mit Behörden oder Sicherheitskräften, insbesondere weil sie als anders aussehend wahrgenommen werden, weil sie keine Tazkira haben, aber auch, weil sie als Sicherheitsrisiko empfunden werden, da sie mangels Ausbildung und mangels Chancen auf Arbeit als potentielle Drogenhändler oder durch bewaffnete regierungsfeindliche Kräfte leicht zu rekrutierende Personen gesehen werden.
410 
Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 18.
411 
ff) Andererseits können Rückkehrer - anders als die übrige Bevölkerung - von Unterstützungsmaßnahmen profitieren.
412 
Zusammenfassend hierzu: Afghanistan Analysts Network - voluntary and forced returns to Afghanistan in 2016/17: trends, statistics and experiences, 19.05.2017, S. 6 f. und Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 19 bis 29.
413 
Die Internationale Organisation für Migration (IOM) bietet in Deutschland verschiedene Rückkehrhilfen an. Unterstützung in Gestalt von Geldzahlungen können afghanische Rückkehrer, die sich freiwillig in ihr Heimatland zurückbegeben, über zwei Programme des IOM erlangen.
414 
Das REAG/GARP-Programm 2017 („Reintegration and Emigration Program for Asylum-Seekers in Germany“/„Government Assisted Repatriation Program“) gewährt eine Reisebeihilfe (etwa die Übernahme der Beförderungskosten) sowie eine Starthilfe, die für Erwachsene und Jugendliche 500 EUR und für Kinder unter zwölf Jahren 250 EUR beträgt.
415 
IOM, REAG/GARP-Programm 2017, Informationsblatt Projekt „Bundesweite finanzielle Unterstützung freiwilliger Rückkehrer/Innen“ (Juli 2017), S. 1; IOM, REAG/GARP-Programm 2017, Projekt „Bundesweite finanzielle Unterstützung freiwilliger Rückkehrer/Innen“, Merkblatt für deutsche Behörden, Mitglieder der Wohlfahrtsverbände, Fachberatungsstellen, zentrale Rückkehrberatungsstellen, Ausländerbeauftragte und den Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCHR) (Juli 2017), S. 5); IOM, REAG/GARP-Programm 2017, Projekt „Bundesweite finanzielle Unterstützung freiwilliger Rückkehrer/Innen“, Merkblatt für deutsche Behörden, Mitglieder der Wohlfahrtsverbände, Fachberatungsstellen, zentrale Rückkehrberatungsstellen, Ausländerbeauftragte und den Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCHR) (Januar 2017), S. 5.
416 
Das „StarthilfePlus-Programm 2017“, das zum Dezember 2017 aktualisiert und erweitert wurde, gewährt Personen, die freiwillig in ihr Heimatland zurückkehren, eine zusätzliche finanzielle Unterstützung. Bei Entscheidung zur Ausreise und Rücknahme des Asylantrags vor Abschluss des Asylverfahrens werden 1.200 EUR, für Kinder unter 12 Jahren 600 EUR pro Kind geleistet („Stufe 1“). Nach Zustellung eines negativen Asylerstbescheids verringert sich der Betrag auf 800 EUR bzw. für Kinder auf 400 EUR, sofern die verbindliche Entscheidung zur freiwilligen Ausreise innerhalb der im Bescheid gesetzten Ausreisefrist erfolgt und keine Rechtsbehelfe bzw. Rechtsmittel eingelegt bzw. bereits eingelegte zurückgenommen werden („Stufe 2“). Die zum Dezember 2017 neu eingeführten „Stufe S“ betrifft Leistungen an Personen mit Schutzstatus, die freiwillig auf ihren Schutzstatus verzichten („Stufe S“). Die Übergangsregelung der „Stufe Ü“, die bereits im Vorgängerprogramm der StarthilfePlus vom Januar 2017 enthalten war, sieht Leistungen ebenfalls im Umfang 800 EUR (bzw. 400 EUR pro Kind) vor. Sie betrifft Rückkehrwillige, die entweder vollziehbar ausreisepflichtig sind, auch wenn eine Abschiebungsandrohung noch nicht oder nicht mehr vollziehbar ist, oder solche, die eine Duldung besitzen, einen Folgeantrag oder einen Zweitantrag gestellt haben. Anders als im Vorgängerprogramm setzt die Gewährung der StarthilfePlus nun nicht mehr voraus, dass die Entscheidung zur freiwilligen Ausreise vor einem Stichtag (dies war bislang der 31. Juli 2017) zu erfolgen hat. Erforderlich ist lediglich, dass die betroffene Person vor dem 1. Februar 2017 in Deutschland registriert wurde und eine vollziehbare Ausreisepflicht, eine Duldung oder die Stellung eines Folge- oder Zweitantrags vor dem 1. August 2017 vorlag. Bei gemeinsamem Antrag von mehr als vier Familienmitgliedern ist zudem bei allen vier Stufen ein Familienzuschlag von 500 EUR vorgesehen. Ein Rechtsanspruch auf finanzielle Unterstützung besteht allerdings nicht.
417 
BAMF/IOM, StarthilfePlus-Programm 2017, Merkblatt für deutsche Behörden, Mitglieder der Wohlfahrtsverbände, Fachberatungsstellen, zentrale Rückkehrberatungsstellen, Ausländerbeauftragte und den Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCHR) (Dezember 2017), S. 2; BAMF/IOM, StarthilfePlus-Programm 2017, Merkblatt für deutsche Behörden, Mitglieder der Wohlfahrtsverbände, Fachberatungsstellen, zentrale Rückkehrberatungsstellen, Ausländerbeauftragte und den Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCHR) (Februar 2017), S. 2; BAMF/IOM, Übersichtsblatt zur StarthilfePlus 2017:Zusätzliche finanzielle Unterstützung bei der freiwilligen Rückkehr, Februar 2017.
418 
Die Auszahlung der Gelder aus dem Programm REAG/GARP erfolgt noch in Deutschland, die des StarthilfePlus-Programms 2017 je zur Hälfte am Abflughafen und zur Hälfte in Afghanistan nach etwa sechs bis acht Monaten. Ansonsten erfolgen Bargeldzahlungen durch die IOM üblicherweise unmittelbar nach der Ankunft am Flughafen oder in einem der IOM-Büros vor Ort.
419 
BAMF/IOM, StarthilfePlus-Programm 2017, Merkblatt für deutsche Behörden, Mitglieder der Wohlfahrtsverbände, Fachberatungsstellen, zentrale Rückkehrberatungsstellen, Ausländerbeauftragte und den Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCHR) (Dezember 2017), S. 3; IOM/ZIRF, Mitteilung vom 14.08.2017 zu den Programmen des IOM für freiwillige Rückkehrer (StarthilfePlus, REAG/GARP) auf eine Anfrage des VGH Bad.-Württ. vom 10.07.2017 (A 11 S 512/17); BAMF/IOM, Übersichtsblatt zur StarthilfePlus 2017: Zusätzliche finanzielle Unterstützung bei der freiwilligen Rückkehr, Februar 2017; Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 13, 17 und 25 m.w.N.
420 
Darüber hinaus bietet die IOM über das European Reintegration Network (ERIN) das Unterstützungsprogramm ERIN Specific Action Program für Rückkehrer nach Afghanistan an. Dieses hat allerdings - anders als die vorgenannten Programme - keine Geldleistungen zum Gegenstand. Es gewährt Unterstützung nach der Ankunft und bei der Reintegration in Afghanistan, wobei freiwillige Rückkehrer eine umfangreichere Unterstützung („larger re-integration packages”) erhalten als diejenigen, die nicht freiwillig zurückgekehrt sind. Die Inanspruchnahme setzt eine Bewerbung vor der Rückkehr voraus. Angeboten werden ein Empfangs- und Orientierungsservice bei der Ankunft am Flughafen, Unterstützung beim Weitertransport, Empfehlungen zur Sicherstellung der durchgehenden Versorgung mit dringender ärztlicher Behandlung und eine Notfallunterbringung von mindestens einer Woche. Zur weiteren Wiedereingliederung kann die Beratung durch einen IOM-Mitarbeiter in Anspruch genommen werden, der den Rückkehrern und ihren Familien etwa bei der Planung einer Strategie zur Reintegration helfen kann und auch dazu, wie sie die ihnen gewährten nationalen Zuschüsse sinnvoll verwenden können. Möglich sind Hilfestellungen bei Existenzgründungen, die Beratung bei der Suche und Vermittlung von Arbeitsstellen, die Vermittlung in Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen, Unterstützung in sozialen, medizinischen und rechtlichen Angelegenheit oder die Unterstützung bei der Wohnraumbeschaffung. Unterstützungsleistungen werden nicht durch Direktzahlungen, sondern durch Beratungs- und Sachleistungen erbracht. Bei rückgeführten Personen können diese höchstens einen Wert von 700 EUR haben. Als „berücksichtigungsfähige Kriterien“ bei der Prüfung werden existenzsichernde Maßnahmen, individueller medizinischer Bedarf, die Rückkehr weiterer Familienangehöriger, die Dauer des Aufenthalts in Deutschland bzw. der Abwesenheit im Heimatland sowie die Vulnerabilität des Betroffenen genannt. Die Reintegrationsmaßnahmen legen der Rückkehrer und der Mitarbeiter vor Ort individuell fest. Die Unterstützung soll nach drei bis sechs Monaten weitgehend abgeschlossen sein.
421 
Siehe insgesamt: BAMF/ERIN, Programmsteckbrief ERIN - European Reintegration Network, Rückkehrerhilfen (Projektdauer Juni 2016 bis Dezember 2021), 14.08.2017; IOM/ ERIN - European Reintegration Network, Specific Action Program, Afghanistan Briefing Note, 13.03.2017; ERIN/IOM, ERIN - European Reintegration Network, Specific Action Program, Afghanistan Leaflet, 13.03.2017.
422 
Sachleistungen können freiwillige Rückkehrer außerdem im Rahmen eines für den Zeitraum zwischen 1. Dezember 2017 und 28. Februar 2018 geltenden Sonderprogramms der StarthilfePlus zur Reintegrationsunterstützung beantragen. Diese umfassen u.a. Bau-, Renovierungs- und Instandhaltungsmaßnahmen, Basismobiliar und Grundausstattung für Küche und sanitäre Anlagen. Die Leistungen sind auf den Wert von 1.000 EUR pro Einzelperson und 3.000 EUR pro Familie begrenzt. Die konkrete Ausgestaltung der Reintegrationsunterstützung ist abhängig von einem nach der Rückkehr im Zielland zu erarbeitenden Reintegrationsplan.
423 
BAMF/IOM, Informationsblatt „Reintegrationsunterstützung im Bereich Wohnen im Bundesprogramm StarthilfePlus“ (Dezember 2017).
424 
IOM-Programme werden allerdings nur in geringem Umfang in Anspruch genommen. Dies scheint vor allem an technischen und bürokratischen Hürden zu liegen. Im Falle abgeschobener Personen kann hinzukommen, dass diese die Ankunft und Rückkehr am Flughafen in Kabul als demütigend empfinden, deswegen nicht das Bedürfnis verspüren, dort zu verweilen und entsprechend auch nicht den Kontakt zu dem dortigen IOM-Mitarbeiter suchen. Wenn der Umstand der Rückkehr als erdrückend empfunden wird, hat dies unter Umständen zur Folge, dass sie ihre Zeit mit dem Versuch verbringen, sich anzupassen, sie auf Grund von Depressionen nicht die Kraft für Verwaltungsaufgaben aufbringen, sie die Weitergabe von Informationen an die Behörden fürchten oder es ihnen an einem Telefon oder dem Geld für die Reise zu einem der IOM-Büros mangelt. Als maßgeblicher Grund wird auch vermutet, dass die Betroffenen nicht auf die Notwendigkeit der Kontaktaufnahme zu dem IOM-Mitarbeiter hingewiesen werden.
425 
Afghanistan Analysts Network - voluntary and forced returns to Afghanistan in 2016/17: trends, statistics and experiences, 19.05.2017, S. 9 f., Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 26 f. m.w.N.; dort auch auf S. 48 zur Problematik, dass von Teilnehmern des IOM-Programms bemängelt worden sei, keine individualisierte Beratung statt, sondern die Beratung zur Planung eines Geschäftsbetriebs sei immer gleich („one-size-fits-all“).
426 
Auch von Seiten der afghanischen Regierung gibt es Unterstützungsprogramme für Rückkehrer aus Europa.
427 
Im April 2015 hat die afghanische Regierung zunächst eine Hohe Kommission für Migration gegründet und im November 2016 dann ein gesondert auf die Belange von Rückkehrern gerichtetes Komitee (Displacement and Returnees Executive Committee). Dessen Funktion ist es, eine Strategie zur Koordination von humanitären und Entwicklungsprogrammen festzulegen sowie die Entwicklung von Richtlinien zur Unterstützung (u.a.) von Rückkehrern. Dabei geht es nicht nur um die finanzielle Unterstützung des Einzelnen. Damit die Rückkehrer nicht als gescheitert und unfähig zur Leistung des von ihnen erwarteten Beitrags erscheinen, ist auch die finanzielle Unterstützung des familiären bzw. sozialen Umfelds angedacht. Der Ansatz ist allerdings kritisiert worden, etwa weil er die örtliche Korruption nicht berücksichtige.
428 
Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 28, dort auch zu Unterstützungsangeboten für das Umfeld bzw. die Gemeinschaft der Rückkehrer („a more community-oriented financial support“).
429 
Die derzeit von Seiten der afghanischen Regierung gewährten Hilfen umfassen die Bereiche der Arbeitsvermittlung, des rechtlichen Beistands sowie Fragen von Grund und Boden und Obdach. Die Unterstützung wird nicht von einer einzelnen Institution gewährt, vielmehr muss der Rückkehrer selbst die Initiative ergreifen und sich an die jeweils zuständige Stelle wenden - etwa an das Arbeitsministerium, wenn er Hilfe bei der Arbeitssuche erhalten will. Rückkehrer aus Europa berichten, dass sie nur wenig Unterstützung in irgendeiner Art erhalten hätten, mit Ausnahme einer zweiwöchigen Unterbringung durch die Regierung.
430 
Afghanistan Analysts Network - voluntary and forced returns to Afghanistan in 2016/17: trends, statistics and experiences, 19.05.2017, S. 7; Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 28.
431 
Schließlich gibt es lokale nichtstaatliche Organisationen, die freiwillige und abgeschobene Rückkehrer unterstützen, etwa IPSO (International Psychosocial Organisation) und AMASO (Afghanistan Migrants Advice & Support Organisation). IPSO ist eine in Deutschland ansässige Organisation mit psychosozialen Unterstützungsangeboten (Selbsterfahrungsgruppen, Übungen zum Leben in Afghanistan, Eins-zu-Eins-Beratung, Malen und Handarbeit). AMASO gewährt Rückkehrern - vorwiegend aus nordischen Ländern - die Möglichkeit einer Unterkunft für mehr als zwei Wochen. Außerdem bietet eine örtliche Anwaltskanzlei (freiwilligen) Rückkehrern aus Norwegen ihre Dienstleistungen an. Etablierte Koordinationsmechanismen zur Sicherstellung der benötigten Unterstützung für alle Rückkehrer oder zu deren Gleichbehandlung scheint es allerdings insgesamt nicht zu geben.
432 
Afghanistan Analysts Network - voluntary and forced returns to Afghanistan in 2016/17: trends, statistics and experiences, 19.05.2017, S. 7, dort auch S. 10 zu AMASO und IPSO; Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 28 f., dort auf S. 53 auch ausführlicher zu IPSO sowie auf S. 64 ausführlicher zur AMASO, dort auch zur Betreuung eines aus Deutschland abgeschobenen, bei einem Bombenanschlag verletzten Rückkehrers.
433 
Eine weitere Unterstützungsleistung können Rückkehrer zudem in Form einer kurzfristigen Unterbringung erlangen. Die IOM bietet in einem sogenannten Empfangszentrum (Jangalak reception centre) eine vorübergehende Unterkunft für höchstens zwei Wochen. Es handelt sich um ein Gebäude auf dem Gelände des Ministeriums für Flüchtlinge und Neuverteilung auf dem Gelände der früheren Jangalak-Fabrik. Dort gibt es 24 Zimmer mit je zwei bis drei Betten. Sowohl freiwillige als auch abgeschobene Rückkehrer können dort unterkommen. Zwölf Mitarbeiter betreuen die Rückkehrer. 2016 nutzten 43 Personen das Angebot. Sie blieben durchschnittlich für sieben Nächte.
434 
Afghanistan Analysts Network - voluntary and forced returns to Afghanistan in 2016/17: trends, statistics and experiences, 19.05.2017, S. 9.
435 
Im Rahmen einer entsprechenden Befragung erklärten mehrere Rückkehrer, sie wollten auf das Angebot nicht zurückgreifen, weil sie glaubten, der Aufenthalt dort berge das Risiko, dass sie als Rückkehrer identifiziert würden.
436 
Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 63.
437 
c) Lebensverhältnisse in Kabul
438 
In Kabul als Ankunfts- bzw. Endort der Abschiebung gestalten sich die Lebensverhältnisse in Teilen ähnlich, es gibt allerdings auch Unterschiede zu den für das gesamte Land erläuterten Lebensverhältnissen.
439 
Wie bereits im Zusammenhang mit dem städtischen Wohnungsmarkt allgemein dargestellt, ist der Wohnungsmarkt in Kabul teuer und (insbesondere auch auf Grund der großen Zahl intern Vertriebener und Rückkehrern aus dem benachbarten Ausland) sehr angespannt. Denn die Stadt Kabul hat von der erheblichen, stetig ansteigenden Anzahl an Migranten einen unverhältnismäßig großen Anteil aufgenommen.
440 
EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 40.
441 
Kabul ist der Hauptzielort der größten Rückkehrbewegung und zugleich auch traditionell ein Zufluchtsgebiet der vom Konflikt betroffenen Binnenvertriebenen insbesondere aus der Zentralregion. Ein erheblicher Anteil der insgesamt 5,7 Millionen Menschen, die nach dem Fall der Taliban aus dem Iran und Pakistan zurückgekehrt waren, und der genannten 1,2 Millionen Binnenvertriebenen hat sich in bzw. um Kabul herum niedergelassen. Zu diesen kommen noch weitere Personen hinzu, etwa ein erheblicher Anteil der im Jahr 2016 aus Pakistan Zurückgekehrten. Ihre Zahl wurde zur Jahresmitte 2016 noch mit 54.600 bemessen. Zum Ende des Jahres 2016 nannte der UNHCR die Zahl ca. 625.000 Rückkehrern aus Pakistan allein für die letzten vier Monate des Jahres 2016. In Zusammenhang mit dieser Entwicklung wird auch die Verlautbarung eines Ministers der afghanischen Regierung (Balkhi) gebracht, Kabul könne nicht alle Personen aus gefährlichen Provinzen aufnehmen, verbunden mit der Bitte, Abschiebungen zu beenden.
442 
Schuster, Report for the Upper Tribunal in the case of XXXX YYYY, 08.11.2016, S. 18/Rn. 53; Schuster, Risks on return to Kabul, 12.08.2016, S. 16 f./Rn. 43; Stahlmann, Asylmagazin 2017, S. 73 (75); UNHCR, Anmerkungen zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des deutschen Bundesministerium des Inneren - Dezember 2016, S. 5 zur starken Betroffenheit u.a. von Kabul von der hohen Anzahl an Rückkehrern sowie S. 7 zu Kabul als traditionellem Zufluchtsort.
443 
Fast einem Viertel der 55.000 registrierten zurückkehrenden Familien und ein ähnlicher Anteil an nicht dokumentierten Rückkehrern aus Pakistan hat sich in den überfüllten informellen Siedlungen Kabuls niedergelassen. Deswegen bewertet auch der UNHCR im Hinblick auf den Rückgang der wirtschaftlichen Entwicklung in Kabul als Folge des massiven Abzugs der internationalen Streitkräfte im Jahr 2014 die Aufnahmekapazität der Stadt aufgrund begrenzter Möglichkeiten der Existenzsicherung, Marktliquidität, der fehlenden Verfügbarkeit angemessener Unterbringung sowie des mangelnden Zugangs zu grundlegenden Versorgungsleistungen insbesondere im Gesundheits- und Bildungswesen, als äußerst eingeschränkt.
444 
UNHCR, Anmerkungen zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des deutschen Bundesministerium des Inneren - Dezember 2016, S. 7.
445 
Ein nicht unerheblicher Teil der Migranten, aber auch der von jeher in Kabul ansässigen Bevölkerung, gehört dabei der Volksgruppe der Hazara an. In Kabul sollen nach Schätzungen über eine Million bzw. bis zu 1,5 Millionen Hazara leben. Die meisten davon sind Vertriebene, die sich erst vor Kurzem dort niedergelassen haben. Sie sind von den negativen Auswirkungen des hohen Arbeitslosigkeit in gleichem Maße wie auch die übrige Bevölkerung betroffen.
446 
Immigration and Refugee Board of Canada, Afghanistan: Situation of Hazara people living in Kabul City, including treatment by society, security situation, and access to employment; security situation for Hazara traveling to areas surrounding Kabul City to access employment, 20.04.2016.
447 
Als Folge des großen Zustroms nach Kabul wird beschrieben, dass die Migranten in besonderem Maße benachteiligt seien und oft in den überfüllten informellen Siedlungen endeten, für die insbesondere für den Winter die Zustände als schrecklich geschildert werden. Diese bestehen großteils aus behelfsmäßigen Zelten oder Lehmhütten ohne geeigneten Schutz vor Kälte und mit beschränkten Zugang zu sauberem Wasser und medizinischer Versorgung. Es wird von mehreren Dutzend Menschen, insbesondere Kindern und älteren Personen, berichtet, die in den Wintermonaten der Jahre 2012 und 2017 wegen der Kälte gestorben sind. Zum Anderen führt der immense Zuzug dazu, dass die existenziellen Ressourcen noch stärker umkämpft sind, die Arbeitslosigkeit und die Alltagskriminalität zunehmen.
448 
EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S.40; Stahlmann, Landeskundliche Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 15 f.; zu den Zuständen in den informellen Siedlungen auch EASO Country of Origin Information Query - Query concerning the situations of returnees to Afghanistan, 22.06.2015, S. 5 f. m.w.N.; a.i., My children will die this winter - Afghanistan´s broken promise to the displaced, 31.05.2016, S. 17.
449 
Im Übrigen bedeutet eine Wohnung in Kabul zu haben nicht automatisch den Zugang zu Wasser und Strom. Dieser hat sich zwar in den letzten 15 Jahren generell verbessert. Allerdings ist bei der zentralen Wasserversorgung die Wasserqualität schlecht geworden, da Infrastruktur ursprünglich für weit weniger Einwohner ausgelegt war. So funktioniert das öffentliche Wasserleitungssystem nur stundenweise. Zugang zu Leitungswasser haben nur ungefähr 34 % der Einwohner. Die meisten Menschen leben in den Slums und beziehen das Wasser entweder von öffentlichen Pumpen oder selbst angelegten Brunnen, mit denen das Grundwasser angezapft wird. Dessen Stand hat sich zwischenzeitlich von drei bis fünf Metern auf 70 bis 80 Meter Tiefe abgesenkt.
450 
Staatssekretariat für Migration SEM der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Notiz Afghanistan: Alltag in Kabul - Referat von Thomas Ruttig (Afghanistan Analysts Network) am 12.04.2017, 20.06.2017, S. 7; Sam Hall, Urban Poverty Report - A study of poverty, food insecurity and resilience in Afghan Cities, November 2014, S. 49.
451 
Schließlich ist auch die Sicherheitslage in Kabul prekär.
452 
Vgl. dazu die Übersicht: UK Home Office, Country Policy and Information Note - Afghanistan: Security and humanitarian situation, August 2017, S. 24 f.
453 
Sie war bereits in den vergangenen Jahren geprägt von zahlreichen Anschlägen, insbesondere auf medienwirksame Ziele ausländischer Streitkräfte und Organisationen sowie Regierungseinrichtungen.
454 
Dazu die ausführliche Darstellung bei Schuster, Report for the Upper Tribunal in the case of XXXX YYYY, 08.11.2016, S. 21 ff./Rn. 59 ff. und dies. Risks on return to Kabul, 12.08.2016, S. 7/Rn. 18 sowie auch Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 6. Juni 2016: Sicherheitslage in der Stadt Kabul, 06.06.2016; vgl. auch die genannte Entscheidung OVG NRW, Urteil vom 26.08.2014 - 13 A 2998/11 Rn. 207 bis 230 zur damaligen - vor Abzug internationalen der Streitkräfte liegenden - Sicherheitslage (Rn. 217: „aktuell als stabil eingeschätzt“) und der diesbezüglichen Rolle der Taliban.
455 
In jüngerer Zeit erweist sich die Sicherheitslage weiter als volatil. UNAMA hat für das Jahr 2016 für die gesamte Provinz Kabul 1.758 zivile Opfer registriert (376 Tote und 1.382 Verletzte). Kabul war damit die Provinz mit der höchsten Anzahl ziviler Opfer. Zur ersten Hälfte des Jahrs 2017 berichtete UNAMA, die Provinz Kabul weise weiterhin die höchste Zahl an zivilen Opfern auf, vorwiegend in Kabul City. Von den 1.048 zivilen Opfern (219 Tote und 829 Verletzte) in der Provinz Kabul waren 94 % die Folge von Selbstmordattentaten und komplexen Angriffen in Kabul City durch regierungsfeindliche Kräfte.
456 
UNAMA, Midyear Report 2017: Afghanistan - protection of civilians in armed conflict, Juli 2017, Annex III, S. 73 und S. 5, dort auch Fn. 11 zur Stadt Kabul: 986 zivile Opfer in den ersten sechs Monaten des Jahres (209 Todesopfer und 777 Verletzte); EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 83; UK Home Office, Country Policy and Information Note - Afghanistan: Security and humanitarian situation, August 2017, S. 24.
457 
Vom Dezember 2016 bis zum 31. Mai 2017 gab es insgesamt acht öffentlichkeitswirksame Angriffe in Kabul (bei 42 Angriffen an anderen Orten in Afghanistan). So waren beispielsweise bereits bei einem Angriff durch Aufständische auf einen Stützpunkt der Afghanische Nationalarmee 144 Mitarbeiter getötet und 65 weitere Personen verletzt worden. Der Vorfall, der bei Weitem die schwersten Folgen hatte und gleichzeitig die meiste Aufmerksamkeit in den Medien erfuhr, war allerdings der Anschlag vom 31. Mai 2017.
458 
UK Home Office, Country Policy and Information Note - Afghanistan: Security and humanitarian situation, August 2017, S. 24 f.; Auswärtiges Amt, Zwischenbericht: Lagebeurteilung für Afghanistan nach dem Anschlag am 31. Mai 2017 - Stand Juli 2017, S. 2; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Afghanistan (Gesamtaktualisierung vom 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 27.06.2017); S. 8 f. vgl. zu den weiteren zahlreichen Vorfällen die Darstellung in der Entscheidung des Senats: VGH Bad.-Württ., Urteil vom 16.10.2017 - A 11 S 512/17 -, juris Rn. 206 ff.
459 
Wie bei dem Vorfall vom 31. Mai 2017 wurden auch bei weiteren Anschlägen in Kabul, die erklärtermaßen gegen Regierungsinstitutionen, internationale Organisationen und Einrichtungen der afghanischen Armee und Polizei gerichtet waren, viele Angehörige der afghanischen Zivilbevölkerung (u.a. Passanten, Kinder usw.) verletzt und getötet.
460 
Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 19. Juni 2017 zu Afghanistan: Sicherheitslage in Kabul, 19.06.2017, S. 3 m.w.N.; vgl. auch dazu die Entscheidung des Senats: VGH Bad.-Württ., Urteil vom 16.10.2017 - A 11 S 512/17 -, juris Rn. 206 ff.
461 
Auch am 20. Oktober 2017 kam es wieder zu einem Selbstmordattentat, bei dem mindestens 39, womöglich sogar mehr als 65 Personen getötet wurden.
462 
Spiegel-online, Terror in Afghanistan - Mehr als 50 Tote bei Attentaten auf Moscheen, 20.10.2017; Human Rights Watch: The Pain Behind the Numbers of Afghanistan’s Deadly Attacks, 23.10.2017.
463 
Im Unterschied zu den vergangen Jahren kommt es nun zu einer Zunahme ziviler Opfer. Dieser Anstieg ist auf zahlreiche Selbstmordattentate und komplexe Angriffe in Kabul zurückzuführen. Anders als früher häufen sich nun auch Anschläge, die sich gezielt gegen Zivilpersonen richten. So beklagt UNAMA, dass sich zwischen dem 1. Januar und dem 30. Juni 2017 mindestens 40 % der von UNAMA dokumentierten zivilen, regierungsfeindlichen Elementen zuzuschreibenden Opfern (und 26 % der Gesamtzahl der zivilen Opfer) das Ergebnis von Angriffen oder Vorfällen sind, die sich gezielt gegen Zivilisten richteten.
464 
UNAMA, Midyear Report 2017: Afghanistan - protection of civilians in armed conflict, Juli 2017, S. 44; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 19. Juni 2017 zu Afghanistan: Sicherheitslage in Kabul, 19.06.2017, S. 3; vgl. zur vermehrt gezielt auf die Zivilbevölkerung gerichtete Anschläge, insbesondere der ISKP: Auswärtiges Amt, Zwischenbericht: Lagebeurteilung für Afghanistan nach dem Anschlag am 31. Mai 2017 - Stand Juli 2017, S. 10.
465 
Zusammenfassend ist hinsichtlich der allgemeinen Sicherheitslage in Kabul
466 
- vgl. hierzu ergänzend die Ausführungen im Urteil des Senats vom 16.10.2017 - A 11 S 512/17 -, juris Rn. 193, sowie auch zu den Verhältnissen in Kabul allgemein: juris Rn. 99 ff. -
467 
festzuhalten, dass sich nicht nur die Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle gehäuft hat, sondern - wohl maßgeblich auch wegen „neuen“ regierungsfeindlichen Kräfte (IS/Daesh/ISKP) - als weitere Tendenz festzustellen ist, dass bei Anschlägen nun vermehrt zivile Opfer in Kauf genommen werden und sogar gerade auf die Zivilbevölkerung zielen.
468 
Vgl. zum Argument, Angriffe auf die Zivilbevölkerung lägen nicht im Fokus bzw. im Interesse der Taliban, noch das Urteil des OVG NRW vom 26.08.2014 - 13 A 2998/11.A -, NVwZ-RR 2014, 939.
469 
d) Subsumtion
470 
Ausgehend von den dargestellten Verhältnissen in Afghanistan insgesamt sowie insbesondere in der Stadt Kabul als End- bzw. Ankunftsort einer Abschiebung ist im Falle des Klägers ein ganz außergewöhnlicher Fall, in dem humanitäre Gründe zwingend gegen seine Abschiebung sprächen, nicht festzustellen. Denn in Anbetracht der Situation, wie sie leistungsfähige, erwachsene Männer ohne Unterhaltsverpflichtungen und ohne familiäres oder soziales Netzwerk, zu denen auch der Kläger zählt, bei der Rückkehr aus dem westlichen Ausland in Kabul antreffen und unter Berücksichtigung der individuellen Verhältnisse des Klägers, sind die hohen Anforderungen des Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG, Art. 3 EMRK nicht erfüllt.
471 
Zwar ist die Lage in Kabul - wie im gesamten Land - prekär. Wie sich aus den vorstehenden Darstellungen ersehen lässt, sind sowohl die wirtschaftlichen Voraussetzungen als auch die humanitären Umstände schlecht. Dasselbe gilt für die in den letzten Jahren stetig schlechter gewordene Sicherheitslage.
472 
Dennoch kann nicht gleichsam für sämtliche Rückkehrer aus dem westlichen Ausland, denen es in Kabul oder in Afghanistan insgesamt in (familiären oder sonstigen) Beziehungen oder an Unterstützungsnetzwerken fehlt, angenommen werden, die schlechten Bedingungen im Land könnten generell und bei allen diesen Rückkehrern ganz außerordentliche individuelle Umstände darstellen und die hohen Anforderungen zur Bejahung des Art. 3 EMRK trotz fehlenden Akteurs erfüllen.
473 
Zwar ist Afghanistan und insbesondere Kabul gerade auch in jüngster Zeit mit der Rückkehr einer Vielzahl von Menschen aus dem benachbarten und westlichen Ausland konfrontiert. Dabei stellt sich deren Lage, obwohl die Situation für Rückkehrer schwierig ist, nicht für alle gleichermaßen problematisch dar. Berichte dahin, dass Rückkehrer generell oder aber jedenfalls in sehr großer Zahl und unabhängig von ihrer persönlichen Disposition ihr Existenzminimum nicht sichern könnten, gibt es nicht. Vielmehr sind bestimmte, vulnerable Gruppen wie etwa Familien mit jüngeren Kindern, alleinstehende Frauen, Kranke oder ältere Menschen in besonderem Maße gefährdet, ohne dass aber insgesamt festzustellen wäre, dass die Existenzsicherung oder gar das Überleben für sämtliche Rückkehrer nicht gewährleistet wäre.
474 
Insbesondere trifft dies auch nicht für Rückkehrer aus dem westlichen Ausland, aus Europa oder gar aus Deutschland zu, zumal beispielsweise mit Unterstützung der IOM seit dem Jahr 2003 insgesamt 15.041 Personen aus verschiedenen Ländern Europas (darunter das Vereinigte Königreich, Norwegen, die Niederlande, Deutschland, Schweden, Dänemark, Frankreich, Belgien und Österreich) freiwillig nach Afghanistan zurückgekehrt sind. Allein im Jahr 2016 unterstützte die IOM 6.864 Personen bei ihrer freiwilligen Rückkehr nach Afghanistan, davon über 3.000 aus Deutschland. Die meisten Rückkehrer (78 % oder 5.382) waren dabei junge Männer, von denen wiederum ein erheblicher Anteil zwischen 19 und 26 Jahren alt war (2.781) oder sogar Jugendliche mit bis zu 18 Jahren (2.101). Die Zahl der zurückgekehrten Familien wird mit 733 angegeben.
475 
Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 16; Afghanistan Analysts Network - voluntary and forced returns to Afghanistan in 2016/17: trends, statistics and experiences, 19.05.2017, S. 2; UN General Assembly Security Council, The situation in Afghanistan and its implications for international peace and security - report of the Secretary-General, 03.03.2017, S. 10.
476 
Neben diesen zahlreichen freiwilligen Rückkehrern gab und gibt es Abschiebungen aus Europa. So wurden im Zeitraum zwischen Oktober 2016 und April 2017 insgesamt 176 Personen aus Europa nach Afghanistan abgeschoben, darunter 106 aus Deutschland, von denen wiederum auch einige keine Verwandten in Kabul oder in Afghanistan insgesamt hatten (etwa, weil sie zuvor lange Jahre im Iran gelebt hatten).
477 
Afghanistan Analysts Network - voluntary and forced returns to Afghanistan in 2016/17: trends, statistics and experiences, 19.05.2017, S. 3 ff.
478 
Obwohl diese Rückkehrer sich - wie dargestellt - in Afghanistan vielen Belastungen gegenübersehen und die Situation im Land äußerst schwierig ist, sind den umfangreichen Erkenntnismitteln zur Lage in Afghanistan keine Informationen zu entnehmen, aus denen geschlossen werden könnte, allein der Umstand einer Rückkehr aus dem westlichen Ausland bei fehlenden Netzwerken vor Ort stehe einer Existenzsicherung in Afghanistan bzw. in Kabul (auch nur auf niedriger Stufe) entgegen. Zwar gibt es vereinzelte Rückkehrerberichte, die die oben geschilderte Bandbreite von Problemen betreffen. Erfahrungsberichte oder Schilderungen dahin, dass gerade auch leistungsfähige erwachsene männliche Rückkehrer ohne Unterhaltsverpflichtungen in großer Zahl oder sogar typischerweise von Obdachlosigkeit, Hunger, Krankheit betroffen oder infolge solcher Umstände gar verstorben wären, sind hingegen nicht ersichtlich.
479 
Insbesondere lässt sich aus dem Fehlen eines familiären oder sozialen Netzwerks in Kabul nicht die beachtliche Wahrscheinlichkeit eines Verstoßes gegen Art. 3 EMRK herleiten. So kann auch nach Auffassung des UNHCR im Falle von - wie er es formuliert - alleinstehenden, leistungsfähigen Männern ohne besonderen Schutzbedarf von dem grundsätzlich für erforderlich erachteten traditionellen Unterstützungsnetzwerk durch (unterstützungsfähige und - willige) Mitglieder der (erweiterten) Familie oder ihrer größeren ethnischen Gruppe trotz der schlechten Lebensbedingungen in Afghanistan abgesehen werden. Denn von diesen kann erwartet werden, ohne Unterstützung von Familie und Gemeinschaft in urbanen und semi-urbanen Umgebungen zu leben, die die notwendige Infrastruktur sowie Erwerbsmöglichkeiten zur Sicherung der Grundversorgung bieten und unter tatsächlicher staatlicher Kontrolle stehen, wobei allerdings dennoch immer eine einzelfallbezogene Analyse vorzunehmen ist.
480 
UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 19.04.2016, S. 10 und S. 99, wobei in der nachfolgenden Stellungnahme des UNHCR vom Dezember 2016 (Anmerkungen zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des deutschen Bundesministerium des Inneren - Dezember 2016) insofern keine Änderungen der Bewertung vorgenommen wurden (vgl. dort zur Aufrechterhaltung der Erwägungen der Richtlinien vom 19.04.2016: S. 7 f.).
481 
Von nicht unerheblicher Bedeutung kann allerdings sein, ob der Betroffene eine der beiden in Afghanistan gesprochenen Sprachen (Paschtu und Dari) beherrscht und sich somit hinreichend verständigen kann.
482 
Zu diesem Kriterium vgl. BayVGH, Urteil vom 16.01.2014 - 13a B 13.30025 -, Leitsatz sowie juris Rn. 25 (Sicherung des Existenzminimums für einen afghanischen Rückkehrer ohne Kenntnisse einer der Landessprachen verneint, wenn kein Vermögen vorhanden und keine familiäre Unterstützung zu erlangen ist).
483 
Dies ist beim Kläger, der Dari spricht, der Fall.
484 
Auch die zur Situation der Rückkehrer aus dem westlichen Ausland geschilderte, ablehnende Haltung der afghanischen Gesellschaft und das Misstrauen gegenüber Personen ohne Leumundszeugen ist für sich nicht geeignet, einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK zu begründen. Zwar sind Nachteile bei Unterkunfts- und Arbeitssuche durchaus nicht ausgeschlossen, zwangsläufig eintreten werden diese indes nicht. Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit, dass sich diese Situation auch im Falle des Klägers realisieren würde - dass also auch der Kläger entsprechend erkannt würde, dass er infolge dessen tatsächlich keinen Zugang zu einer auch nur einfachen Unterkunft haben würde oder vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen wäre -, vermag der Senat daher nicht festzustellen.
485 
Vielmehr handelt es sich beim Kläger um einen alleinstehenden, leistungsfähigen, erwachsenen Mann. Das Erwirtschaften eines - wenn auch womöglich sehr geringen - Einkommens wird ihm trotz des angespannten Arbeitsmarkts wenigstens als Tagelöhner möglich sein. Insbesondere steht dem der Gesundheitszustand des Klägers nicht entgegen. Er hat zwar geltend gemacht, er leide an einer Herzrhythmusstörungen, zu denen er im Rahmen der Anhörung vor dem Senat im Verhandlungstermin vom 13. Oktober 2017 erklärt hat, sie hätten Schlafstörungen und einen Gewichtsverlust verursacht. Die vorliegenden ärztlichen Unterlagen belegen allerdings auch, dass die Ursache der Herzrhythmusstörung im Rahmen des am 23. Oktober 2017 durchgeführten Eingriffs erfolgreich beseitigt werden konnte (dazu im Weiteren noch ausführlicher im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, s.u. III. 2). Eine Einschränkung des Klägers in seiner Erwerbs- und Leistungsfähigkeit liegt daher nicht vor. Der Kläger hat nach eigenen Angaben bereits in der Vergangenheit in Afghanistan gearbeitet, zuerst in der Landwirtschaft seines Vaters und im Weiteren auch als Fliesenleger. Auch der den Erkenntnismitteln zu entnehmende und auch vom Kläger selbst beschriebene Zusammenhalt unter den Volkszugehörigen der Hazara kann ihm bei einer Rückkehr nach Kabul zugutekommen, da - wie beschrieben - für Hazara beim Zuzug in eine neue Stadt die Möglichkeit besteht, auf ein Netzwerk um die örtliche Moschee oder eine religiöse bzw. eine Wohlfahrtseinrichtung zurückzugreifen.
486 
S.o.:EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 68.
487 
Zwar sind die Lebenshaltungskosten in Kabul hoch. Ausgehend von vorstehenden Ausführungen (ohne Unterbringungskosten) sind sie mit mindestens 100 EUR pro Monat zu bemessen, für die Mietkosten fallen mindestens 88 US$ bzw. 4.000 Afghani bzw. 75 EUR pro Monat an.
488 
S.o., insbesondere zu den monatlichen Lebenshaltungskosten von mindestens 100 EUR: BAMF/ZIRF/IOM, ZIRF-Anfrage Wohnraumsituation I: Lebenshaltungskosten in Kabul für alleinstehenden Mann, 09.05.2017 sowie zum Preis von ab 4.000 Afghani für ein Einzelzimmer: Schuster, Risks on return to Kabul, 12.08.2016, S. 16/Rn. 42.
489 
Der Kläger hat aber die Möglichkeit, zunächst im Jangalak-Zentrum zu wohnen, sich von dort um Arbeit und Unterkunft - beides ggf. auf niedrigem Niveau - zu bemühen und - sollte es nicht anders gehen - vorübergehend in einer der informellen Siedlungen unterzukommen. Dass die fraglos beklagenswerten Zustände in solchen Siedlungen insgesamt flächendeckend derart desolat sind, dass sie gleichsam für jeden Bewohner und damit auch für einen jungen, leistungsfähigen Mann, wie es der Kläger ist, mit den hohen Anforderungen des Art. 3 EMRK nicht zu vereinbaren wären, kann nicht festgestellt werden.
490 
Der Senat geht dabei allerdings davon aus, dass die dargestellten Rückkehrerhilfen für die Frage der Existenzsicherung des Klägers eine allenfalls untergeordnete Rolle spielen können, da sie bestenfalls eine anfängliche Unterstützung bzw. einen nur vorübergehenden Ausgleich schaffen können. Die 500,- EUR, die der Kläger bei einer Entscheidung zur freiwilligen Rückkehr über das REAG/GARP-Programm erhalten würde, vermögen ihm nur eine überschaubare Erleichterung bieten. Auch die Leistungen des ERIN-Programms stellt der Senat nicht in die Beurteilung ein. So besteht kein Rechtsanspruch auf diese Leistungen, weswegen unklar ist, ob der Kläger überhaupt Leistungen erhalten würde. Im Übrigen ist auch nicht im Voraus bestimmbar, welche Leistungen im Falle einer Leistungsgewährung vor Ort in Betracht gezogen werden könnten.
491 
Vgl. dazu VGH Bad.-Württ., Urteil vom 03.11.2017 - A 11 S 1704/17 -.
492 
Gleiches gilt für die Geldleistungen des im Dezember 2017 neu aufgelegten StarthilfePlus-Programms, auf die ein Rechtsanspruch nicht besteht. Auch welche Sachleistungen im Rahmen des bis 28. Februar 2018 befristeten Reintegrations-Programms der StarthilfePlus womöglich gewährt werden könnten, ist angesichts des erst vor Ort auszuarbeitenden Reintegrationsplans völlig offen.
493 
Des Weiteren lässt sich bezüglich der von Rückkehrern aus dem westlichen Ausland beschriebenen, unmittelbar gegen die körperliche Unversehrtheit und Freiheit gerichteten Handlungen - etwa wegen vermuteten Reichtums - nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit feststellen, dass gerade der Kläger Opfer eines entsprechenden Angriffs werden würde. Gleiches gilt für denkbare Übergriffe wegen eines unterstellten Bruchs mit kulturellen oder religiösen Normen oder wegen vermeintlicher Nähe zu westlichen Kräften. Denn aus der abstrakt bleibenden Möglichkeit solcher Übergriffe ist ein Abschiebungsverbot nicht herzuleiten. Der Umstand, dass von solchen Vorfällen wiederholt berichtet wird, erlaubt nicht den Rückschluss, dass (auch angesichts der erheblichen Zahl von Rückkehrern aus dem westlichen Ausland) der Kläger hiervon mit der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit betroffen sein wird.
494 
Ferner steht die Volkszugehörigkeit des Klägers einer Existenzsicherung nicht entgegen. Wie beschrieben können sich die Hazara als Minderheit zwar einerseits im Alltag durchaus Diskriminierungen ausgesetzt sehen, andererseits hat sich ihre Situation seit dem Jahr 2001 insgesamt verbessert. Gerade in Kabul lebt mit etwa 1 bis 1,5 Millionen Personen eine ganz erhebliche Anzahl von - teils (intern) vertriebenen - Hazara. Es ist nicht ersichtlich, dass sich die Verhältnisse für diese - und in Anknüpfung hieran womöglich auch für den Kläger - so gestalteten, dass ein Zugang zu Erwerbsmöglichkeiten und Unterkunft nicht (auch nicht auf einfachstem Niveau) gewährleistet wäre, zumal es trotz der großen Zahl der Hazara in Kabul keine Berichte dahin gibt, dass Hazara typischerweise keine Arbeit und/oder keine Unterkunft erhalten würden.
495 
Schließlich ist auch im Hinblick auf die durchaus schwierige Sicherheitslage in Kabul ein Verstoß im Sinne von § 60 Abs. 5 AufenthG, Art. 3 EMRK nicht festzustellen. So entspricht die Gefahrendichte in der Provinz Kabul insbesondere nicht der, wie sie im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts zur Gewährung subsidiären Schutzes (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG) erforderlich wäre.
496 
Zur Heranziehung dieses Kriteriums im Rahmen des Art. 3 EMRK bzw. des § 60 Abs. 5 AufenthG vgl. etwa VGH Bad.-Württ., Urteile vom 26.02.2014 - A 11 S 2519/19 -, vom 14.08.2013 – A 11 S 688/13 - und vom 24.07.2013 - A 11 S 727/13 -.
497 
So nennt UNAMA etwa für das erste Halbjahr 2017 für die Provinz Kabul die Anzahl von 1.048 zivilen Opfern (s.o.), was hochgerechnet für das gesamte Jahr 2017 eine Zahl von 2.096 Personen ergibt. Selbst wenn man dieser Zahl im Rahmen einer für den Kläger günstigen Herangehensweise die von der CSO genannten (wohl zu niedrig bemessenen) Einwohnerzahlen gegenüberstellte, reichte dies bei weitem nicht aus, um eine für § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG relevante Gefahrendichte von 0,125 % bzw. 0,1 % zu erreichen.
498 
Zu dieser: BVerwG, Urteile vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 -, juris Rn. 22 und vom 13.02.2014 - 10 C 6.13 -, juris Rn. 20; NdsOVG, Urteil vom 19.09.2016 - 9 LB 100/15 -, juris; OVG LSA, Urteil vom 23.07.2014 – 3 L 53/12 –, Rn. 26, juris.
499 
Denn es ergäbe sich bei einer Einwohnerzahl der Provinz Kabul von ca. 4.700.000, wie sie die CSO angibt, ein Anteil von 0,045 % (2.096 / 4.700.000). Tatsächlich wird dieser allerdings noch geringer sein. Denn allein die Zahl der Einwohner der Stadt Kabul dürfte die von der CSO angegebene Bevölkerungsgröße übersteigen. Sie wird mit bis zu sieben Millionen Menschen bemessenen.
500 
Vgl. EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 17: nach informellen Schätzungen über sieben Millionen; ProAsyl, Afghanistan: No safe country for refugees, Mai 2017, S. 17: fast sieben Millionen ; Schuster, Report for the Upper Tribunal, 08.11.2016, S. 18/Rn. 53: über sieben Millionen; zuvor Schuster, Risks on return to Kabul, 12.08.2016, S. 16/Rn. 42: über fünf Millionen; Auswärtiges Amt, Zwischenbericht: Lagebeurteilung für Afghanistan nach dem Anschlag am 31. Mai 2017 - Stand Juli 2017-, S. 10/Rn. 35: 4,4 Millionen; Islamic Republic of Afghanistan Central Statistics Organization - Estimated Population of Afghanistan 2017-2018, April 2017, S. 4: 3.961.487; EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Security Situation (November 2016), S. 39: Schätzungen von 3,6 bis 7 Millionen; zu den unterschiedlichen Angaben von bis zu sieben Millionen - oder auch mehr - und der möglicherweise zu Grunde liegenden Vermengung der Stadt und der Provinz Kabul sowie zur Problematik statistischer Angaben in Afghanistan allgemein auch Staatssekretariat für Migration SEM der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Notiz Afghanistan: Alltag in Kabul - Referat von Thomas Ruttig (Afghanistan Analysts Network) am 12.04.2017, 20.06.2017, S. 6.
501 
Daher wird bei realistischer Betrachtung die Anzahl der Opfer zu einer höheren Bevölkerungszahl ins Verhältnis zu setzen sein. Die nach dem Bundesverwaltungsgericht im Rahmen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG als bei Weitem nicht ausreichend erachtete Schwelle wird daher schon quantitativ nicht erreicht und auch in qualitativer Hinsicht ist zu bedenken, dass in Kabul die medizinische Versorgungssituation im Falle von Anschlägen typischerweise besser ist, als in anderen Regionen Afghanistans.
502 
Vgl. dazu im Übrigen auch ausführlicher VGH Bad.-Württ., Urteil vom 03.11.2017 - A 11 S 1704/17 -.
503 
Dabei verkennt der Senat nicht, dass unter den sicherheitsrelevanten Vorfällen in Kabul in jüngerer Zeit wiederholt solche zu verzeichnen waren, die sich gegen Volkszugehörige der Hazara bzw. Angehörige des schiitischen Glaubens gerichtet haben, etwa der bereits mehrfach erwähnte Anschlag vom 23. Juli 2016 (80 Tote) sowie die genannten Angriffe auf schiitische Moscheen bzw. Einrichtungen am 11. Oktober 2016 (mindestens 13 Tote), am 21. November 2016 (27 Tote), am 15. Juni 2017 (5 Tote) und am 20. Oktober 2017 (mindestens 39 Tote). Angesichts der über eine Million Hazara, die in Kabul leben, vermag auch dies einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK nicht zu begründen.
504 
Sicherheitsbedenken ergeben sich ferner nicht aus dem vom Kläger geschilderten Verfolgungsgeschehen, da die Angaben des Klägers nicht glaubhaft sind.
505 
Insgesamt liegen daher die Voraussetzungen gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK nicht vor.
506 
2. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG
507 
Auch ein nationales Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist nicht gegeben.
508 
a) Rechtliche Anforderungen
509 
Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht.
510 
Dies kann aus individuellen Gründen - etwa wegen drohender An- oder Übergriffe Dritter oder auf Grund von Krankheit - der Fall sein (aa)), kommt aber ausnahmsweise auch infolge einer allgemein unsicheren oder wirtschaftlich schlechten Lage im Zielstaat in Betracht (bb)).
511 
aa) Vom Tatbestand des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG werden existentielle Gefahren wie Tötung, Folter, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung umfasst
512 
- Koch, in: BeckOK Ausländerrecht, Stand 15.08.2016, § 60 Rn. 40; Möller/Stiegeler, in: Hofmann u.a., Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, § 60 Rn. 33 -,
513 
sowie insbesondere auch solche auf Grund von Krankheit.
514 
Vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 12.07.2015 - 1 B 84.16 - Rn. 4 m.w.N. sowie insgesamt auch BVerwG, Urteile vom 17.10.2006 - 1 C 18.05 - NVwZ 2007, 712, juris Rn. 14 ff.; vom 29.10.2002 - 1 C 1.02 - NVwZ 2003, Beilage Nr. I 7, 53 juris Rn. 9; vom 29.07.1999 - 9 C 2.99 -, juris Rn. 7 und vom 25.11.1997 - 9 C 58.96 -, NVwZ 1998, 524.
515 
Dabei reicht es entsprechend dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit nicht aus, wenn eine Verfolgung oder sonstige Rechtsgutverletzung im Bereich des Möglichen liegt. Vielmehr muss sie bei zusammenfassender Bewertung des Sachverhalts und verständiger Würdigung aller objektiven Umstände dahingehend vorliegen, dass bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen eine ernsthafte Furcht vor der Rechtsgutverletzung gerechtfertigt ist, die für eine Rechtsgutverletzung sprechenden Umstände also größeres Gewicht haben als die dagegen sprechenden Tatsachen, wobei auch die Zumutbarkeit eines mit der Rückkehr verbundenen Risikos und der Rang des gefährdeten Rechtsguts von Bedeutung sind.
516 
Vgl. zusammenfassend HTK-AuslR/§ 60 AufenthG/zu Abs. 7 Satz 1 bis 4/ Rn. 8 und Möller/Stiegeler, in: Hofmann u.a., Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, § 60 Rn. 32, beide m.w.N., sowie zum Maßstab bei individuellen Gründen u.a. auch BVerwG, Beschluss vom 18.07.2001 - 1 B 71.01 -, juris sowie Urteile vom 17.10.2006 – 1 C 18.05 -, NVwZ 2007, 712, juris Rn. 20 und vom 17.10.1995 – 9 C 9.95 -, NVwZ 1996, 1999, juris Rn. 16.
517 
Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt dabei gemäß § 60 Abs. 1 Satz 2 AufenthG nur bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen vor, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Die Verhältnisse im Zielstaat müssen also eine Gesundheitsbeeinträchtigung von besonderer Intensität, etwa eine wesentliche oder gar lebensbedrohliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes erwarten lassen. Die vorhandene Erkrankung des Ausländers muss sich aufgrund zielstaatsbezogener Umstände in einer Weise verschlimmern, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib oder Leben führt, das heißt, dass eine wesentliche Verschlimmerung der Erkrankung alsbald nach der Rückkehr des Ausländers droht, weil etwa die Behandlungsmöglichkeiten im Heimatland unzureichend sind oder die zwar grundsätzlich verfügbare medizinische Versorgung dem Betroffenen aus finanziellen oder sonstigen Gründen nicht zur Verfügung steht.
518 
Vgl. statt vieler: BVerwG, Beschluss vom 12.07.2015 - 1 B 84.16 - Rn. 4 m.w.N. sowie insgesamt auch BVerwG, Urteile vom 17.10.2006 - 1 C 18.05 - juris Rn. 14 ff.; vom 29.10.2002 - 1 C 1.02 - juris Rn. 9; vom 29.07.1999 - 9 C 2.99 - und vom 25.11.1997 - 9 C 58.96 -.
519 
bb) Neben den genannten individuellen Gefahren für Leib und Leben können unter bestimmten Voraussetzungen ausnahmsweise auch die generell herrschenden Lebensbedingungen im Zielstaat ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG begründen.
520 
Zwar sind allgemeine Gefahren - also auch die die Bevölkerung insgesamt treffenden (schlechten) Lebensbedingungen in einem Land - gemäß § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG bei Anordnungen zur vorübergehenden Aussetzung von Abschiebungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen und begründen demnach grundsätzlich kein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Eine Ausnahme liegt aber bei einer extremen Gefahrenlage vor, welche sich wiederum auch aus den den Ausländer erwartenden Lebensbedingungen ergeben kann. So können die im Zielstaat herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage einen Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ausnahmsweise begründen, wenn bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit eine extreme Gefahrenlage vorläge. Denn dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren. Ob dies der Fall ist, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden.
521 
Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit strengeren Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Dieser hohe Wahrscheinlichkeitsgrad ist ohne Unterschied in der Sache in der Formulierung mit umschrieben, dass die Abschiebung dann ausgesetzt werden müsse, wenn der Ausländer ansonsten gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde. Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren. Das bedeutet nicht, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Abschiebung, eintreten müssen. Vielmehr besteht eine extreme Gefahrenlage beispielsweise auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde.
522 
Dazu u.a. BVerwG, Urteile 13.06.2013 – 10 C 13.12 -, NVwZ 2013, 1489 Rn. 12 f.; vom 31.01.2013 – 10 C 15.12 -, Rn. 38.; vom 29.09.2011 – 10 C 24.10 -, NVwZ 2012, 451 Rn. 20; vom 08.09.2011 - 10 C 14.10 -, NVwZ 2012, 240 Rn. 22 f. und vom 29.06.2010 - 10 C 10.09 -, juris Rn. 14 f.; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 – 10 C 15.12 -, Rn. 28 zu den unterschiedlichen rechtlichen Maßstäben von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG60 Abs. 2 AufenthG a.F.) sowie auch Art. 3 EMRK einerseits und § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG andererseits.
523 
Von diesem Maßstab ausgehend gewährt § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG unter dem Gesichtspunkt der extremen Gefahrenlage keinen weitergehenden Schutz, als es § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK tut. Liegen also die Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK wegen schlechter humanitärer Bedingungen nicht vor, so scheidet auch eine im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG relevante, extreme Gefahrenlage aus.
524 
b) Subsumtion
525 
Danach hat der Kläger keinen Anspruch auf die Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
526 
aa) Zum einen besteht eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit des Klägers aus individuellen Gründen nicht.
527 
Hinsichtlich des durch den Kläger geschilderten Vorfalls (der Angriff und seine Verletzung durch die Kutschi) liegt eine entsprechende Gefahr nicht vor. Wie ausgeführt ist der diesbezügliche Vortrag des Klägers nicht glaubhaft.
528 
Aber auch im Hinblick auf die gesundheitliche Verfassung des Klägers sind die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht erfüllt.
529 
Aus den vom Kläger vorgelegten ärztlichen Schreiben geht zwar hervor, dass beim Kläger im Oktober 2017 eine Herzrhythmusstörung bei Verdacht auf ein sogenanntes Wolff-Parkinson-White-Syndrom diagnostiziert wurde, weswegen sich der Kläger am 23. Oktober 2017 einem operativen Eingriff unterzogen hat. Zum Ergebnis dieser Operation wird in den vorliegenden ärztlichen Schreiben vom 23. Oktober 2017, vom 6. November 2017 und vom 13. November 2017 übereinstimmend geschildert, dass erfolgreich eine Ablation durchgeführt werden konnte, dass der für die Störung ursächliche Erregungsherd verödet, die Herzrhythmusstörungen beseitigt und der Kläger beschwerdefrei entlassen werden konnte. Die Gefahr eines Rezidivs wird ausdrücklich als nur gering wahrscheinlich bezeichnet und die Rezidivrate mit knapp unter 5 % bemessen, wobei eine Medikation derzeit nicht notwendig sei. Eine bedrohliche, akute Gefährdung des Klägers besteht nach erfolgreicher Ablation nicht mehr.
530 
Angesichts dieser vom Kläger selbst mitgeteilten, nicht in Frage gestellten Angaben, bezüglich derer auch der Senat keinen Anlass zu Zweifeln hat, ist bereits nicht festzustellen, ob der Kläger angesichts der geringen Rezidivwahrscheinlichkeit überhaupt infolge seiner (derzeit) geheilten Erkrankung künftig wieder Einschränkungen haben wird. Erst recht nicht ist ersichtlich, dass ein Rezidiv und seine Folgen alsbald nach einer Rückkehr des Klägers nach Afghanistan eintreten werden.
531 
Insbesondere geht aus den Stellungnahmen auch hervor, dass zur Minderung der Rezidivgefahr eine (medikamentöse oder sonstige) Behandlung, für die sich die Frage der Verfügbarkeit in Afghanistan stellen könnte, nicht erfolgt, sondern sich das Behandlungsregime auf Wiedervorstellungstermine zu Kontrolluntersuchungen zum Zwecke des Ausschlusses eines (unwahrscheinlichen) Rezidivs und zur Prüfung der Integrität des Herzens beschränkt.
532 
Im Übrigen könnte selbst im unwahrscheinlichen Fall eines Rezidivs nicht von einer schwerwiegenden oder gar lebensbedrohlichen Verschlechterung des Gesundheitszustands des Klägers ausgegangen werden. Ein Rezidiv würde mit Phasen von Herzrasen einhergehen, wobei dabei Luftnot und ein Beklemmungsgefühl auftreten können, wie es der Kläger in ähnlicher Weise ausweislich der Anamnesebeschreibung im Arztbrief vom 23. Oktober 2017 bereits vor dem Eingriff verspürt hat („rezidivierendes thorakales Brennen und Stechen“). Die abstrakt denkbare, schwerste (aber als selten eingeordnete) Folge eines Rezidivs wäre ein Kreislaufkollaps bzw. eine Ohnmacht, was für sich ebenfalls nicht geeignet wäre, eine Verschlechterung des gesundheitlichen Zustands des Klägers von besonderer Intensität bzw. eine wesentliche oder gar lebensbedrohliche Verschlimmerung zu begründen.
533 
bb) Zum anderen lässt sich auch aus den dargestellten, schlechten Lebensverhältnissen in Afghanistan ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht begründen. Denn die beschriebenen hohen Anforderungen, aus denen wegen einer extremen Gefahrenlage ausnahmsweise ein solches Abschiebungsverbot hergeleitet werden könnte, liegen nicht vor. So vermögen die - fraglos schlechten - Lebensverhältnisse vorliegend schon keinen Verstoß gegen Art. 3 EMRK zu begründen (s.o.). Dass gerade der Kläger als leistungsfähiger, erwachsener Mann ohne Unterhaltsverpflichtungen im Falle einer Rückkehr alsbald sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert sein würde, kann der Senat danach nicht festzustellen. So liegen etwa Anhaltspunkte dahin, dass der Kläger mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod preisgegeben wäre, nicht vor.
534 
IV. Ergebnis, Nebenentscheidungen
535 
Die Berufung ist daher insgesamt mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen.
536 
Die Gerichtskostenfreiheit ergibt sich aus § 83b AsylG.
537 
Gründe im Sinne des § 132 Abs. 2 VwGO, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.

Gründe

 
25 
Die zulässige Berufung ist nicht begründet.
26 
Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.
27 
Die Klage ist zwar aus den zutreffenden Erwägungen der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung zulässig (vgl. ohnehin § 60 Abs. 5 VwGO). Sie bleibt aber in der Sache ohne Erfolg. Denn in dem nach § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung hat der Kläger weder einen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (I.) noch auf subsidiären Schutz (II.). Auch ein nationales Abschiebungsverbot liegt nicht vor (III.).
28 
I. Kein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft
29 
1. Rechtsgrundlage: §§ 3 bis 3e AsylG
30 
Nach § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG oder das Bundesamt hat nach § 60 Abs. 8 Satz 3 AufenthG von der Anwendung des § 60 Abs. 1 AufenthG abgesehen. Ein Ausländer ist nach § 3 Abs. 1 AsylG Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge - Genfer Flüchtlingskonvention GFK - (BGBl 1953 II S. 559), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugungen oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
31 
a) §§ 3, 3a AsylG
32 
Nach § 3a Abs. 1 AsylG (vgl. auch Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes, ABl EU L 337/9, kurz auch Anerkennungs-/Qualifikationsrichtlinie; im Folgenden RL 2011/95/EU) gelten als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG Handlungen, die 1. auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 EMRK keine Abweichung zulässig ist, oder 2. in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist. Nach § 3a Abs. 2 AsylG (vgl. Art. 9 Abs. 2 RL 2011/95/EU) können als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG u. a. gelten: 1. die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt, 2. gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden, 3. unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung, 4. Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung, 5. Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Abs. 2 AsylG fallen, 6. Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind. Nach § 3a Abs. 3 AsylG (vgl. Art. 9 Abs. 3 RL 2011/95/EU) muss zwischen den in § 3 Abs. 1 Nummer 1 in Verbindung mit den in § 3b genannten Verfolgungsgründen und den als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen eine Verknüpfung bestehen.
33 
Die Feststellung einer Verfolgungshandlung nach § 3a AsylG setzt voraus, dass das Verhalten des betreffenden Akteurs im Sinne einer objektiven Gerichtetheit auf die Verletzung eines nach der Vorschrift geschützten Rechtsguts selbst zielt.
34 
BVerwG, Urteil vom 21.04.2009 - 10 C 11.08 -, NVwZ 2009, 1237 Rn. 13 und vom 19.01.2009 -10 C 52.07 -, NVwZ 2009, 982 Rn. 23 ff.; VGH Bad.-Württ., Urteile vom 19.04.2017 - A 11 S 1411/16 -; vom 18.04.2017 - A 9 S 333/17 -, Asylmagazin 2017, 197, juris Rn. 39 und vom 27.08.2014 - A 11 S 1128/14 -, Asylmagazin 2014, 389, juris Rn. 26.
35 
b) § 3c AsylG
36 
Die Verfolgung kann nach § 3c AsylG (vgl. Art. 6 RL 2011/95/EU) ausgehen von 1. dem Staat, 2. Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder 3. nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder willens sind, im Sinne des § 3d AsylG (vgl. Art. 7 RL 2011/95/EU) Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.
37 
c) § 3e AsylG
38 
Die Flüchtlingseigenschaft wird nicht zuerkannt, wenn eine interne Schutzmöglichkeit besteht, was voraussetzt, dass der betroffene Ausländer in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und er sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (§ 3e AsylG).
39 
d) Wahrscheinlichkeitsmaßstab (beachtliche Wahrscheinlichkeit/real risk)
40 
Für die Beurteilung der Frage, ob die Furcht vor Verfolgung begründet ist, gilt der einheitliche Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit. Die relevanten Rechtsgutsverletzungen müssen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser aus dem Tatbestandsmerkmal „aus der begründeten Furcht vor Verfolgung“ des Art. 2d RL 2011/95/EU abzuleitende Maßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr abstellt („real risk“); dieser Maßstab ist kein anderer als der der beachtlichen Wahrscheinlichkeit.
41 
BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 -, NVwZ 2013, 936 Rn. 32.
42 
Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des gesamten zur Prüfung gestellten und relevanten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände die dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine qualifizierende bzw. bewertende Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung erforderlich. Entscheidend ist, ob aus der Sicht eines vernünftig denkenden und nicht übertrieben furchtsamen Menschen gerade in der Lage des konkreten Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar einzuschätzen ist. Unzumutbar kann eine Rückkehr in den Heimatstaat auch dann sein, wenn ein mathematischer Wahrscheinlichkeitsgrad von weniger als 50 Prozent für eine politische Verfolgung gegeben ist. In einem solchen Fall reicht zwar die bloße theoretische Möglichkeit einer Verfolgung nicht aus. Ein vernünftig denkender Mensch wird sie außer Betracht lassen. Ergeben jedoch die Gesamtumstände des Falls die tatsächliche Gefahr (sog. „real risk“) einer flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgung, wird auch ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen. Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände daneben auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen. Wenn nämlich bei quantitativer Betrachtungsweise nur eine eher geringere mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung besteht, kann es auch aus der Sicht eines besonnenen Menschen bei der Überlegung, ob er in seinen Heimatstaat zurückkehren kann, einen ganz erheblichen Unterschied bedeuten, ob er z. B. lediglich eine Gefängnisstrafe von einem Monat oder aber Folter oder gar die Todesstrafe riskiert. Auch gilt: Je unabwendbarer eine drohende Verfolgung erscheint, desto unmittelbarer steht sie bevor. Je schwerer der befürchtete Verfolgungseingriff ist, desto weniger kann es dem Gefährdeten zugemutet werden, mit der Flucht zuzuwarten, bis der Verfolger gewissermaßen unmittelbar vor der Tür steht. Das gilt auch dann, wenn der Eintritt der befürchteten Verfolgung von reiner Willkür abhängt, das befürchtete Ereignis somit im Grunde jederzeit eintreten kann, ohne dass allerdings im Einzelfall immer gesagt werden könnte, dass dessen Eintritt zeitlich in nächster Nähe bevorsteht. Die allgemeinen Begleitumstände, z.B. eine Willkürpraxis, die Repressionsmethoden gegen bestimmte oppositionelle oder verwundbare Gruppen, sind allgemeine Prognosetatsachen.
43 
VGH Bad.-Württ., Urteile vom 30.05.2017 - A 9 S 991/15 -, juris Rn. 25, vom 18.04.2017 - A 9 S 333/17 -, juris Rn. 40 und vom 03.11.2016 - A 9 S 303/15 -, Asylmagazin 2016, 232, juris Rn. 32.
44 
Für die Beurteilung sind alle Akte zu berücksichtigen und einzustellen, denen der Ausländer ausgesetzt war oder die ihm gedroht hatten, um festzustellen, ob unter Berücksichtigung seiner persönlichen Umstände diese Handlungen als Verfolgung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 RL 2011/95/EU gelten können.
45 
Zur Erstellung der erforderlichen Prognose sind objektiviert die Prognosetatsachen nach den allgemeinen Maßstäben des verwaltungsverfahrensrechtlichen und verwaltungsgerichtlichen Regelbeweismaßes der Überzeugungsgewissheit zu ermitteln und festzustellen. Diese Tatsachen liegen regelmäßig teils in der Vergangenheit, teils in der Gegenwart. Sie müssen sodann in einer Gesamtschau verknüpft und gewissermaßen in die Zukunft projiziert werden. Auch wenn insoweit - wie sich bereits aus dem Gefahrbegriff ergibt - eine beachtliche Wahrscheinlichkeit ausreicht und deshalb ein „voller Beweis“ nicht erbracht werden kann, ändert dies nichts daran, dass das Gericht von der Richtigkeit seiner verfahrensfehlerfrei gewonnenen Prognose drohender Verfolgung die volle Überzeugung gewonnen haben muss.
46 
VGH Bad.-Württ., Urteile vom 30.05.2017 - A 9 S 991/15 -, juris Rn. 27 und vom 18.04.2017 - A 9 S 333/17 -, juris Rn. 42.
47 
Der der Prognose zugrunde zu legende Wahrscheinlichkeitsmaßstab ist unabhängig davon, ob der Betroffene bereits vor seiner Ausreise verfolgt worden ist.
48 
BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 -, NVwZ 2013, 936 Rn. 32 und vom 01.06.2011 - 10 C 25.10 -, NVwZ 2011, 1463 Rn. 22; VGH Bad.-Württ., Urteile vom 19.04.2017 - A 11 S 1411/16 -; vom 18.04.2017 - A 9 S 333/17 -, Asylmagazin 2017, 197, juris Rn. 43 und vom 27.08.2014 - A 11 S 1128/14 -, Asylmagazin 2014, 389, juris Rn. 34 m.w.N.
49 
Die Tatsache, dass ein Ausländer bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden ernsthaft bedroht war, ist allerdings ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Ausländers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden (vgl. Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU); es besteht die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Den in der Vergangenheit liegenden Umständen wird Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft beigelegt. Dadurch wird der Vorverfolgte bzw. Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden bzw. schadenstiftenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland wiederholen werden. Diese Vermutung kann aber widerlegt werden; hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung bzw. des Eintritts eines solchen Schadens entkräften.
50 
e) Maßstab der Überzeugungsbildung
51 
Das Gericht trifft seine Entscheidung gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Auch im Asylverfahren muss die danach gebotene Überzeugungsgewissheit dergestalt bestehen, dass das Gericht die volle Überzeugung von der Wahrheit (nicht etwa nur von der Wahrscheinlichkeit) des vom Kläger behaupteten individuellen Verfolgungsschicksals erlangt hat. Wegen des sachtypischen Beweisnotstandes, in dem sich der Betroffene insbesondere hinsichtlich der von ihm vorgetragenen Vorgänge im Heimat-, also im „Verfolgerland“ vielfach befinden, genügt für diese Vorgänge in der Regel die Glaubhaftmachung, wodurch allerdings das Gericht nicht von einer Überzeugungsbildung im Sinne des § 108 Abs. 1 VwGO enthoben ist. Vielmehr darf das Gericht keine unerfüllbaren Beweisanforderungen stellen und keine unumstößliche Gewissheit verlangen. Es muss sich in tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen, der den Zweifeln Schweigen gebietet, auch wenn sie nicht völlig auszuschließen sind.
52 
Neben der bereits beschriebenen Besonderheit auf dem Gebiet des Beweismaßes (beachtliche Wahrscheinlichkeit, s.o. lit d)) ist im Flüchtlingsrecht daher auch die Modifikation im Bereich des Beweismittel zu beachten: Unter Berücksichtigung des beschriebenen Beweisnotstands kommt dem persönlichen Vorbringen des Klägers und dessen Würdigung gesteigerte Bedeutung zu, weswegen allein der Tatsachenvortrag des Asylsuchenden zum Erfolg der Klage führen kann, sofern seine Behauptungen unter Berücksichtigung aller sonstigen Umstände in dem Sinne „glaubhaft" sind, dass sich das Gericht von ihrer Wahrheit überzeugen kann.
53 
Grundlegend: BVerwG, Urteile vom 16.04.1985 - 9 C 109.84 -, NVwZ 1985, 567, juris Rn. 16 und vom 29.11.1977 - I C 33.71 -, juris, beide m.w.N.; außerdem: BVerwG, Beschlüsse vom 08.02.2011 - 10 B 1.11 -, NVwZ-RR 2011, 382 und vom 08.03.2007 - 1 B 101.06 -, BeckRS 2007, 22701; vgl. dazu auch Stuhlfauth, in: Bader, u.a., VwGO, 6. Aufl. 2014, § 108 VwGO Rn. 8, m.w.N.
54 
So sieht auch Art. 4 Abs. 5 RL 2011/95/EU unter bestimmten Umständen vor, dass die Einlassung des Schutzsuchenden ausreichend sein kann und es keiner Nachweise seiner Aussagen bedarf. Und zwar dann, wenn dieser sich offenkundig bemüht hat, seinen Antrag zu begründen, alle ihm verfügbaren Anhaltspunkte vorliegen, und er eine hinreichende Erklärung für das Fehlen anderer relevanter Anhaltspunkte gegeben hat, festgestellt wurde, dass seine Aussagen kohärent und plausibel sind und sie zu den für seinen Fall relevanten, verfügbaren besonderen und allgemeinen Informationen nicht in Widerspruch stehen, er internationalen Schutz zum frühestmöglichen Zeitpunkt beantragt hat (es sei denn, er kann gute Gründe dafür vorbringen, dass dies nicht möglich war) und schließlich auch seine generelle Glaubwürdigkeit festgestellt worden ist.
55 
Vgl. dazu EuGH, Urteil vom 22.11.2012 - C-277/11 - (M.M./Irland), NVwZ 2013, 59.
56 
Es ist demzufolge zunächst Sache des Schutzsuchenden, die Gründe für seine Furcht vor Verfolgung schlüssig vorzutragen. Dazu hat er unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei verständiger Würdigung ergibt, dass ihm in seinem Heimatstaat Verfolgung droht. Hierzu gehört, dass er zu den in seine Sphäre fallenden Ereignissen, insbesondere zu seinen persönlichen Erlebnissen, eine Schilderung gibt, die geeignet ist, den behaupteten Anspruch lückenlos zu tragen. Erhebliche Widersprüche und Unstimmigkeiten im Vorbringen können dem entgegenstehen, es sei denn, diese können überzeugend aufgelöst werden. Bei der Bewertung der Stimmigkeit des Sachverhalts müssen u.a. Persönlichkeitsstruktur, Wissensstand und Herkunft des Schutzsuchenden berücksichtigt werden.
57 
Dazu BVerwG, Beschluss vom 21.07.1989 - 9 B 239.89 -, NVwZ 1990, 171, juris Rn. 3 und 4 sowie auch OVG NRW, Urteil vom 02.07.2013 - 8 A 2632/06.A -, BeckRS 2013, 55090 juris Rn. 59.
58 
Mit anderen Worten: Für die richterliche Überzeugungsbildung ist eine bewertende Gesamtschau des gesamten Vorbringens des Schutzsuchenden unter Berücksichtigung seiner individuellen Aussagekompetenz und seiner Glaubwürdigkeit erforderlich, die die Stimmigkeit des Vorbringens an sich, dessen Detailtiefe und Individualität, sowie dessen Übereinstimmung mit den relevanten und verfügbaren Erkenntnismitteln ebenso berücksichtigt wie die Plausibilität des Vorbringens, an der es etwa fehlen kann, wenn nachvollziehbare Erklärungen fehlen oder unterbleiben, falsche oder missverständliche Urkunden nicht erklärt werden können bzw. wenn Beweise oder Vorbringen ohne nachvollziehbaren Grund verspätet vorgebracht werden.
59 
Vgl. insgesamt auch VGH Bad.-Württ., Urteil vom 19.04.2017 - A 11 S 1411/16 -, BeckRS 2017, 127389 Rn. 23 ff. sowie International Association of Refugee Law Judges, Assessment of Credibility in Refugee and Subsidiary Protection claims under the EU Qualification Directive, Judicial criteria and standards, https://www.iarlj.org/images/stories/Credo/Credo_Paper_March 2013-rev1.pdf, Seite 33 f.).
60 
2. Keine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft auf Grund von Vorverfolgung
61 
Gemessen an diesen Grundsätzen hat der Kläger keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Denn er befindet sich nicht aus begründeter Furcht vor Verfolgung außerhalb seines Heimatlandes. Dem Kläger droht in Afghanistan nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung.
62 
Eine insoweit relevante Vorverfolgung des Klägers, auf Grund derer der Kläger die Vermutung des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU für sich in Anspruch nehmen könnte, liegt nicht vor.
63 
Der Schilderung des Klägers beim Verwaltungsgericht und vor dem Senat, wonach ihm bei einem der regelmäßigen Angriffe der Kutschi-Nomaden auf die Ländereien seines Vaters durch einen Angreifer mittels eines Gewehrkolbens der Arm gebrochen worden sei, glaubt der Senat nicht.
64 
Zwar kommt es durchaus regelmäßig zu den vom Kläger beschriebenen Konflikten zwischen den paschtunischen Kutschi-Nomaden, die von den Hazara teils mit der Bezeichnung „taleban“ versehen werden, und niedergelassenen Hazara.
65 
Vgl. dazu insgesamt ausführlich Accord, Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Lage der Hazara, Zugang zu staatlichem Schutz und Hintergründe des Konflikts zwischen Kuchis und Hazara, 02.09.2016, dort auch S. 13 zur verbreiteten Bezeichnung „taleban“ für die Kutschi.
66 
Allerdings ist die Schilderung des Klägers nicht in Einklang zu bringen mit seinen Angaben beim Bundesamt und auch mit den (ansonsten detaillierten) Darstellungen im Schreiben zur Klagebegründung vom 7. Juli 2016. Beim Bundesamt hat der Kläger auf Frage, ob er persönlich bedroht oder angegriffen worden sei, angegeben, er sei immer weggegangen, bevor die Kutschi gekommen seien, nämlich in den Nachbardistrikt. Auch in der ausführlichen Klagebegründung wird ein Angriff auf den Kläger oder eine Verletzung nicht erwähnt, obwohl (in Steigerung zum Vortrag beim Bundesamt) nun erstmals geschildert wird, der Kläger habe mit ansehen müssen, wie sein Vater von den Kutschi beim Versuch, sein Land zu verteidigen, erschossen worden sei. Genau in diesem Zusammenhang soll nach der Schilderung des Klägers beim Verwaltungsgericht und vor dem Senat nun auch der Angriff auf den Kläger selbst erfolgt sein. Auf Vorhalt seiner Angaben beim Bundesamt hat der Kläger lediglich erklärt, man habe ihn gefragt, warum er nach Deutschland gekommen sei. Er habe keinerlei Gelegenheit bekommen, etwas dazu zu sagen. Auch auf wiederholte Nachfrage und Bitte um Erklärung seiner Antwort beim Bundesamt auf die ausdrücklich auf einen ihn persönlich betreffenden Angriff bezogene Frage hat der Kläger nur geäußert, er sei bedroht, weil Kutschi und Taliban dasselbe seien. Wieso der Kläger ein derart zentrales und auch für ihn persönlich prägendes Ereignis wie den Tod seines Vaters und den Angriff auf ihn selbst mit der Folge einer erheblichen Verletzung beim Bundesamt nicht geschildert hat, erschließt sich (auch im Hinblick auf die gehaltlos gebliebenen Erklärungsversuche des Klägers) nicht. Auch unter Berücksichtigung der vom Kläger angeführten Umstände - etwa der seiner Ansicht nach kurzen Dauer der Bundesamtsanhörung (welche richtigerweise nicht 40, sondern 55 Minuten dauerte), des kulturellen Hintergrunds sowie des Bildungsstands und des Alters des Klägers - ist der Senat nicht davon überzeugt, dass der Kläger seinen jüngsten Schilderungen entsprechend Opfer eines Übergriffs der Kutschi geworden ist, zumal die Angaben des Klägers im Verhandlungstermin vom 13. Oktober 2017 auch im Übrigen in sich widersprüchlich und unklar waren (etwa die Angaben zum Erlös aus dem Verkauf des väterlichen Lands, zu dem der Kläger zunächst 9.000 EUR und 60.000 Afghani, dann nur 9.000 EUR angegeben und zuletzt geäußert hat, er wisse überhaupt nicht, was sein - wechselnd jüngerer oder älterer - Bruder für den Verkauf erhalten habe).
67 
Danach fehlt es bereits an einer glaubhaft geschilderten Verfolgungshandlung (§ 3a AsylG), so dass es keiner weiteren Ausführungen dazu bedarf, ob der vom Kläger beschriebene Sachverhalt überhaupt an einen flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgungsgrund des § 3b AsylG (etwa - wie es das Verwaltungsgericht angedeutet hat - die Ethnie des Klägers) anknüpft, oder ob dieser schlicht kriminelles Unrecht betrifft.
68 
3. Keine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft wegen Gruppenverfolgung der Hazara
69 
Des Weiteren kommt auch eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft alleine auf Grundlage der Zugehörigkeit des Klägers zum Volk der Hazara nicht in Betracht. Denn nur die Anknüpfung an die Volkszugehörigkeit - ohne bzw. unabhängig von einer Vorverfolgung - wäre nur dann zur Begründung einer flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgung geeignet, wenn sich eine Verfolgung der gesamten Gruppe der Hazara feststellen ließe.
70 
Dies ist allerdings nicht der Fall.
71 
a) Rechtliche Anforderungen
72 
Zwar kann sich die Gefahr eigener Verfolgung für einen Ausländer, der die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft begehrt, nicht nur aus gegen ihn selbst gerichteten Maßnahmen, also einer anlassgeprägte Einzelverfolgung ergeben, sondern auch aus gegen Dritte gerichteten Maßnahmen, wenn diese Dritten wegen eines asyl- bzw. flüchtlingsrechtlich erheblichen Merkmals verfolgt werden, das er mit ihnen teilt, und wenn er sich mit ihnen in einer nach Ort, Zeit und Wiederholungsträchtigkeit vergleichbaren Lage befindet, also die Gefahr der Gruppenverfolgung besteht. Dabei ist je nach den tatsächlichen Gegebenheiten zu berücksichtigen, ob die Verfolgung allein an ein bestimmtes unverfügbares Merkmal wie die Religion anknüpft oder ob für die Bildung der verfolgten Gruppe und die Annahme einer individuellen Betroffenheit weitere Umstände oder Indizien hinzutreten müssen. Mit dem Begriff der Gruppenverfolgung werden daher lediglich schlagwortartig die Voraussetzungen bezeichnet, unter denen anzunehmen ist, dass jeder Gruppenangehörige ohne Rücksicht auf sein persönliches Schicksal in der Gefahr persönlicher Verfolgung steht. Der Begriff der Gruppenverfolgung ist damit nur ein Hilfsmittel, um aus Maßnahmen, die gegen die Gruppe gerichtet sind, auf eine individuelle Verfolgungsbetroffenheit zu schließen. Das Eingreifen der Regelvermutung
73 
- BVerwG, Urteile vom 21.04.2009 - 10 C 11.08 -, NVwZ 2009, 1237, Rn. 13, vom 18.07.2006 - 1 C 15.05 -, NVwZ 2006, 1420, juris Rn. 20 und vom 01.02.2007 - 1 C 24.06 -, NVwZ 2007, 590, juris Rn. 7; zum Teil auch als materiell-rechtlicher Anscheinsbeweis bezeichnet: Dawin, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Juni 2017, § 108 Rn. 73 -
74 
ohne Nachweis individueller konkreter Verfolgungsmaßnahmen setzt voraus, dass jedes im Verfolgungsgebiet im Verfolgungszeitraum lebende Gruppenmitglied nicht nur möglicherweise latent oder potentiell, sondern wegen seiner Gruppenzugehörigkeit aktuell gefährdet ist, weil den Gruppenangehörigen insgesamt Verfolgung droht. Die Verfolgungshandlungen müssen sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen ohne Weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht; dagegen sind nur vereinzelt bleibende, individuelle Übergriffe gegen Gruppenmitglieder nicht geeignet, eine Gruppenverfolgung zu begründen. Erforderlich ist vielmehr eine bestimmte Verfolgungsdichte mit einer großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in flüchtlingsrechtlich geschützte Rechtsgüter, die die Betroffenen gerade in Anknüpfung an flüchtlingsrechtlich erhebliche Merkmale treffen. Die Gruppenverfolgung kann dabei nicht nur aus unmittelbarer oder mittelbarer staatlicher Verfolgung resultieren, sondern auch von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen. Ob die Voraussetzungen einer Gruppenverfolgung vorliegen ist durch eine wertende Betrachtung im Sinne der Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung zu ermitteln. Die Verfolgungswahrscheinlichkeit aufgrund einer Gruppenverfolgung ist dabei ausgehend von der (jedenfalls annähend zu bestimmenden) Gesamtzahl der Angehörigen der von Verfolgungshandlungen betroffenen Gruppe zu ermitteln. Weiter müssen Anzahl und Intensität aller Verfolgungsmaßnahmen, gegen die Schutz weder von staatlichen Stellen noch von staatsähnlichen Herrschaftsorganisationen einschließlich internationaler Organisationen zu erlangen ist, möglichst detailliert festgestellt und hinsichtlich der Anknüpfung an ein oder mehrere unverfügbare Merkmale nach ihrer objektiven Gerichtetheit zugeordnet werden. Alle danach gleichgearteten, auf eine nach denselben Merkmalen zusammengesetzte Gruppe bezogenen Verfolgungsmaßnahmen müssen schließlich zur ermittelten Größe dieser Gruppe in Beziehung gesetzt werden. Denn eine bestimmte Anzahl von Eingriffen, die sich für eine kleine Gruppe von Verfolgten bereits als bedrohlich erweist, kann gegenüber einer großen Gruppe vergleichsweise geringfügig erscheinen. Auch für die Gruppenverfolgung gilt, dass sie mit Rücksicht auf den allgemeinen Grundsatz der Subsidiarität des Flüchtlingsrechts den Betroffenen einen Schutzanspruch im Ausland nur vermittelt, wenn sie im Herkunftsland landesweit droht, d.h. wenn auch keine erreich- und zumutbare Möglichkeit internen Schutzes offensteht.
75 
Vgl. insgesamt: BVerwG, Urteile vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 -, NVwZ 2013, 936, Rn. 41; vom 21.04.2009 - 10 C 11.08 -, NVwZ 2009, 1237, Rn. 13 ff.; vom 01.02.2007 - 1 C 24.06 -, NVwZ 2007, 590, juris Rn. 7 f. und vom 18.07.2006 - 1 C 15.05 - NVwZ 2006, 1420, juris Rn. 20 ff., jeweils m.w.N.; grundlegend zur Gruppenverfolgung auch: BVerfG, Urteil vom 23.01.1991 - 2 BvR 902/85, 515/90, 1827/89 -, NVwZ 1991, 768 und BVerwG, Urteil vom 05.07.1994 - 9 C 158.94 - NVwZ 1995, 175.
76 
b) Subsumtion: Keine Gruppenverfolgung von Hazara in Afghanistan
77 
Unter Berücksichtigung dieser Anforderungen scheidet eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft wegen einer Gruppenverfolgung der Hazara allerdings aus. Die Hazara bilden zwar eine ethnische Minderheit (aa)), es ist allerdings weder eine staatliche Verfolgung oder Diskriminierung festzustellen (bb)) noch lässt sich auf Grundlage der Situation der Hazara im alltäglichen Leben (cc)) eine Gruppenverfolgung ersehen, zumal auch positive Entwicklungen zu verzeichnen sind (dd)). Insbesondere vermag der Umstand, dass Volkszugehörige der Hazara Opfer von Anschlägen und kriminellen Übergriffen werden, eine Gruppenverfolgung nicht zu begründen (ee))
78 
aa) Die Volksgruppe der Hazara stellt im Vielvölkerstaat Afghanistan - nach den Paschtunen (40 %) und den Tadschiken (25 %) - mit einem Anteil von etwa 10 % der Bevölkerung eine Minderheit dar.
79 
Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19.10.2016 - Stand September 2016 -, S. 9; Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan, Republik Österreich Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vom 02.03.2017, aktualisiert am 27.06.2017, S. 55, 72, 94 und 96).
80 
Ihre Anzahl wird auf ungefähr drei Millionen geschätzt.
81 
Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19.10.2016 - Stand September 2016 -, S. 9.
82 
Teilweise wird abweichend hiervon eine Zahl von 2,7 bis 6 Millionen bzw. ein Anteil von 9 bis 20 % der Bevölkerung angegeben.
83 
Landinfo/Norwegian Country of Origin Information Centre: Report: Hazaras and Afghan insurgent groups, 03.10.2016, S. 6 m.w.N.).
84 
Hinsichtlich der Vergleichsgröße ist für das gesamte Land von einer Einwohnerzahl zwischen etwa 27 bis 34 Millionen auszugehen.
85 
Vgl. dazu Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan, Republik Österreich Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vom 02.03.2017, aktualisiert am 27.06.2017, S. 150: 33,3 Millionen; so auch UK Home Office, Country Policy and Information Note. Afghanistan: Security and humanitarian situation, August 2017, S. 11; vgl. auch „the world fact book“ - Afghanistan auf https://www.cia.gov/ für Juli 2017 geschätzt 34,124,811 Einwohner; ProAsyl, Afghanistan - No safe country for refugees - Mai 2017 -, S. 55: mindestens 31,5 Millionen; Schuster, Risks on return to Kabul, 12.08.2016, S. 18/Rn. 48: mindestens 30 Millionen; Islamic Republic of Afghanistan Central Statistics Organization - Estimated Population of Afghanistan 2017-2018, April 2017, S. 2: 29.724.323; Auswärtiges Amt, Zwischenbericht: Lagebeurteilung für Afghanistan nach dem Anschlag am 31. Mai 2017 - Stand Juli 2017, S. 8/Rn. 30: 27 bis 32 Millionen.
86 
Bei den Hazara handelt es sich um ein Volk mongolischer Abstammung. Auf Grund dieser Herkunft sind sie optisch wegen ihrer tendenziell eher zentralasiatischen Gesichtszüge meist als ihrer Volksgruppe zugehörig zu erkennen.
87 
ÖRK/Accord, Afghanistan, Dokumentation des Expertengespräches mit Thomas Ruttig und Michael Daxner, 04.05.2016, S. 7; Stahlmann, ZAR 2017, 189 (190 f.); Landinfo/Norwegian Country of Origin Information Centre: Report: Hazaras and Afghan insurgent groups, 03.10.2016, S. 6.
88 
Sie sprechen vorwiegend einen Dialekt des Persischen namens Hazaragi, der mongolische und turksprachige Wörter enthält. Die Hazara waren einst die größte ethnische Gruppe Afghanistans. Mehr als die Hälfte der Hazara-Bevölkerung war allerdings bereits im Jahr 1893 getötet worden, als die Hazara nach einem politischen Aufstand ihre Autonomie eingebüßt hatten. Die meisten Hazara leben auch heute noch im sogenannten Hazarajat (auch: Hazarestan) im zentralen Bergland Afghanistans, dem „Land der Hazara“. Dessen ca. 50.000 Quadratkilometer großes Gebiet ist in seiner exakten Abgrenzung zwar umstritten, es umfasst jedenfalls den Bereich der Provinz Bamiyan sowie Teile benachbarter Provinzen. Andere Hazara leben in den Bergen von Badachschan (eine Provinz im äußersten Nordosten Afghanistans), aber auch in weiteren Teilen Afghanistans, etwa in Daikundi und Ghazni.
89 
Landinfo/Norwegian Country of Origin Information Centre: Report: Hazaras and Afghan insurgent groups, 03.10.2016, S. 6; vgl. auch zu weiteren Distrikten Accord, Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Lage der Hazara, Zugang zu staatlichem Schutz und Hintergründe des Konflikts zwischen Kuchis und Hazara, 02.09.2016, S. 17; vgl. auch das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan, Republik Österreich Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vom 02.03.2017, aktualisiert am 27.06.2017, S. 152, dort werden als Kernland der Region des Hazarat die Provinzen Bamiyan, Ghazni, Daikundi, der Westen der Provinz Wardak und Teile der Provinzen Ghor, Uruzgan, Parwan, Samangan, Baghlan, Balkh, Badghis und Sar-e Pol genannt.
90 
In Bamiyan besteht die Bevölkerung beispielsweise zu 67 % aus Hazara.
91 
Accord, Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Aktuelle Situation der Volksgruppe der Hazara, 27.06.2016, S. 2.
92 
Die meisten Hazara in Kabul leben in dem überbevölkerten Gebiet Dasht-e Barchi.
93 
UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 19.04.2016, S. 87 f. Fn. 492.
94 
Der ganz überwiegende Teil der Hazara ist schiitischen Glaubens und stellt somit auch in religiöser Hinsicht - im Vergleich zu den mehrheitlich sunnitischen Muslimen des Landes - eine Minderheit dar.
95 
Vgl. insgesamt ausführlich: Accord, Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Aktuelle Situation der Volksgruppe der Hazara, 27.06.2016, S. 2 und 4 m.w.N. sowie auch ÖRK/Accord, Afghanistan, Dokumentation des Expertengespräches mit Thomas Ruttig und Michael Daxner, 04.05.2016, S. 7 und UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 19.04.2016, S. 59.
96 
bb) Für eine staatliche Verfolgung oder Diskriminierung der Hazara gibt es keine Anhaltspunkte.
97 
In der afghanischen Verfassung ist der Gleichheitsgrundsatz verankert. Sie schützt sämtliche ethnischen Minderheiten. Auch ist eine systematische, etwa auch nach dem Merkmal der Volkszugehörigkeit diskriminierende Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis für Afghanistan nicht erkennbar.
98 
Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19.10.2016 - Stand September 2016 -, S. 9 und S. 11; Landinfo/Norwegian Country of Origin Information Centre: Report: Hazaras and Afghan insurgent groups, 03.10.2016, S. 12 m.w.N.; Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan, Republik Österreich Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vom 02.03.2017, aktualisiert am 27.06.2017, S. 150; anschaulich auch Staatssekretariat für Migration SEM der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Notiz Afghanistan: Alltag in Kabul. Referat von Thomas Ruttig (Afghanistan Analysts Network) am 20. April 2017, 20.06.2017, S. 17.
99 
Nachdem die Hazara zuvor unter dem Regime der sunnitischen Taliban schwerwiegenden Misshandlungen - etwa auch Massakern und dem Vorenthalten von Nahrungsmitteln - ausgesetzt gewesen waren, konnten sie neben ihrer allgemeinen sozio-ökonomische Position insbesondere ihre gesellschaftliche Stellung auch in der Politik erheblich verbessern. So besetzte ein Hazara unter Präsident Karzai verschiedene hochrangige Regierungspositionen, u.a. auch das Amt des Vizepräsidenten. Auch ansonsten finden sich in hochrangigen Positionen in der öffentlichen Verwaltung und der Politik sowohl auf zentraler als auch lokaler Ebene Hazara. Die Hazara gelten insgesamt als in der Zivilgesellschaft gut vertreten.
100 
Landinfo/Norwegian Country of Origin Information Centre: Report: Hazaras and Afghan insurgent groups, 03.10.2016, S. 12 m.w.N.
101 
cc) Im alltäglichen, gesellschaftlichen Leben kommt es allerdings durchaus zu Diskriminierungen von Hazara. So wird - allgemein gehalten - davon berichtet, dass Hazara beständig sozial, rassisch oder religiös motivierter gesellschaftlicher Diskriminierung in Form von Gelderpressungen durch illegale Besteuerung, Zwangsrekrutierung, Zwangsarbeit, physischer Gewalt sowie Inhaftierung betroffen seien und sie beispielsweise auch innerhalb der Afghanischen Nationalen Sicherheitskräfte (ANSF) einem stärkeren Risiko ausgesetzt seien, in unsicheren Gebieten eingesetzt zu werden, als dies bei Nicht-Hazara-Beamten der Fall ist.
102 
Accord, Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Aktuelle Situation der Volksgruppe der Hazara, 27.06.2016, S. 5 f.; vgl. auch Accord, Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Lage der Hazara, Zugang zu staatlichem Schutz und Hintergründe des Konflikts zwischen Kuchis und Hazara, 02.09.2016, S. 2 m.w.N.; vgl. auch UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 19.04.2016, S. 87 sowie S. 59 Fn. 327, 328 sowie auch Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich - Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Afghanistan (Gesamtaktualisierung vom 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 27.06.2017), S. 153; außerdem: EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 114 m.w.N.; USDOS, Afghanistan 2016 Human Rights Report, 17.03.2017, S. 47.
103 
Ein Beispiel für die - jedenfalls als solche empfundene - Benachteiligung ist die Auseinandersetzung um den Verlauf einer Stromtrasse. Der Umstand, dass eine durch Bamiyan geplante internationale Hochspannungsleitung lediglich als Durchgangslinie angedacht war und nicht etwa das bislang nur durch eine staatliche Solaranlage (unter-) versorgte Bamiyan elektrifiziert werden sollte, wurde zum Ursprung einer Protestbewegung der Hazara, des sog. „Enlightenment Movement“.
104 
SRF, Bericht: Schiiten in Afghanistan - Das Volk der Hazara will mehr Licht; Diskriminiert - die Minderheit der Hazara in Afghanistan, 16.03.2017; vgl. auch Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19.10.2016 - Stand September 2016 -, S. 9 f.; vgl. dazu auch im Weiteren zur Demonstration der Hazara bzw. der Enlightenment-Bewegung vom 23. Juli 2016, die zum Ziel eines verheerenden Anschlags von IS-Kräften wurde.
105 
dd) Allerdings gibt es auch positive Entwicklungen. So stellt der Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 19. Oktober 2016 dar, dass sich die Lage der ca. 3.000.000 Hazara in Afghanistan grundsätzlich verbessert hat, auch wenn sie in der öffentlichen Verwaltung weiterhin unterrepräsentiert sind, was aber auch noch eine Nachwirkung vergangener Zeiten sein könnte.
106 
Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19.10.2016 - Stand September 2016 -, S. 9.
107 
Ähnliches lässt sich auch der Darstellung des UNHCR entnehmen, der von erheblichen politischen und wirtschaftlichen Fortschritten der Hazara seit dem Ende des Taliban Regimes im Jahr 2001 berichtet und u.a. auf die Anzahl der schiitischen Parlamentsmitglieder verweist, die in etwa dem Anteil der Schiiten in der Bevölkerung entspreche. Die Diskriminierung von Schiiten durch Sunniten hat danach deutlich abgenommen und aus Kabul sowie aus größeren Randgebieten seien keine Vorfälle mehr gemeldet worden. In Herat würden - bei einem großen schiitischen Bevölkerungsanteil - sowohl schiitische als auch sunnitische Führer von einem weitgehend harmonischen Zusammenleben berichten.
108 
UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 19.04.2016, S. 87, 59, dort insbesondere auch Fn. 326 unter Verweis auf den Bericht des US Department of State vom 14.10.2015: 2014 Report on International Religious Freedom - Afghanistan vgl. zur signifikanten Verbesserung der Lage der Hazara seit dem Sturz der Taliban im Jahr 2001 auch Landinfo/Norwegian Country of Origin Information Centre,: Report: Hazaras and Afghan insurgent groups, 03.10.2016, S. 3.
109 
In seinen Anmerkungen zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des deutschen Bundesministeriums des Innern von Dezember 2016
110 
- UNHCR, Anmerkung zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des deutschen Bundesministeriums des Innern, Dezember 2016, S. 5 f. -
111 
berichtet der UNHCR, dass Hazara-Familien aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit als Binnenflüchtlinge in der vergleichsweise ruhigen Provinz Bamiyan aufgenommen wurden, nachdem im Herbst 2016 Dörfer von Hazara im Rahmen der Taliban-Aufstände gegen regierungsnahe Kräfte angegriffen worden sind. Auch kam es zu Verhandlungen zwischen Gruppen der Hazara und der Taliban, durch die bereits einige Angelegenheiten geklärt werden konnten. In Ghazni haben die Taliban und die Hazaras einen Nichtangriffspakt geschlossen, auf der Grundlage, dass den Taliban erlaubt wurde, bestimmte Straßen durch die Gebiete der Hazara zu nutzen.
112 
Norwegian Country of Origin Information Centre, Landinfo, Report Afghanistan: Hazaras and Afghan insurgent groups, 03.10.2016, S. 18 f., vgl. auch S. 20 f.
113 
Hieraus allerdings eine sich verfestigende Lage oder gar eine dauerhafte Entwicklung ableiten zu wollen, ist angesichts der sich ständig ändernden Verbindungen, Partei- und Fraktionswechsel der verschiedenen Akteure (etwa der Bewegungen zwischen und auch innerhalb der Taliban, der IS-Bewegungen und sonstigen Gruppen) nicht angezeigt.
114 
Vgl. zu den von jeher üblichen „pragmatischen“ Doppelallianzen, Wechseln in den Loyalitäten, persönlichen Verbindungen, Meinungsunterschieden und -umschwüngen insbesondere der regierungsfeindlichen Gruppen eindrücklich: Stahlmann, ZAR 2017, 189 (S. 190 ff.), insbes. S. 192 sowie auch ÖRK/Accord, Afghanistan, Dokumentation des Expertengespräches mit Thomas Ruttig und Michael Daxner, 04.05.2016, S. 22 f.
115 
Vielmehr verbleibt es insgesamt bei einer unsicheren Situation, in der auch nicht von einer gleichförmigen Lage sämtlicher hazarischen Volkszugehörigen die Rede sein kann. So arbeiten die Hazara teilweise mit den Taliban zusammen oder gehören ihnen sogar an
116 
- EASO Country of Origin Information Report: Afghanistan - recruitment by armed groups, September 2016, S. 19 -,
117 
zuweilen findet - angesichts der üblicherweise schiitischen Religionszugehörigkeit der Hazara allerdings nur in Ausnahmefällen - sogar eine Rekrutierung von Hazara durch die (sunnitischen) Taliban statt.
118 
ÖRK/Accord, Afghanistan, Dokumentation des Expertengespräches mit Thomas Ruttig und Michael Daxner, 04.05.2016, S. 22.
119 
ee) Auch aus einer für Volkszugehörige der Hazara prekären Sicherheitslage lässt sich nicht auf eine Verfolgungsdichte nach den Anforderungen einer Gruppenverfolgung schließen.
120 
Die Vorfälle, durch die Hazara - oft auch als Angehörige der schiitischen Religion - betroffen waren bzw. verletzt oder sogar getötet wurden, sind zahlreich, was die nachfolgenden (nicht abschließenden) Ereignisse verdeutlichen.
121 
Im März 2016 wurden in der Provinz Sar-e Pol elf, im Juni 2016 17 Hazara entführt. Letztere wurden nach wenigen Tagen wieder freigelassen. Am 6. Juli 2016 töteten Taliban 22 Polizisten, die Angehörige der Hazara waren.
122 
Accord, Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Lage der Hazara, Zugang zu staatlichem Schutz und Hintergründe des Konflikts zwischen Kuchis und Hazara, 02.09.2016, S. 6 f. und S. 15 f. sowie außerdem im Bericht insgesamt auch ausführlich zu weiteren Vorfällen vor 2016; US Department of State, Afghanistan 2016 Human Rights Report, 17.03.2017, S. 3.
123 
Am 23. Juli 2016 ereignete sich in Kabul äußerst gravierender und „öffentlichkeitswirksamer“ Anschlag auf Angehörige der Hazara, der im Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19. Oktober 2016 - also aus einer Zeit vor dem schweren Anschlag vom 31. Mai 2017 - als schwerster Selbstmordanschlag in der afghanischen Geschichte bezeichnet wurde.
124 
Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19.10.2016 - Stand September 2016 -, S. 10.
125 
Bei einem Angriff auf eine Kundgebung der zuvor erwähnten „Enlightenment“-Bewegung in Kabul, zu dem sich die dem Islamischen Staat (auch bezeichnet als Daesh) zugehörige Splittergruppe ISKP (Islamic State Khorasan Province, auch ISIL-KP) bekannte, starben 80 Personen.
126 
UNHCR, Anmerkung zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des deutschen Bundesministeriums des Innern, Dezember 2016, S. 6; Accord, Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Lage der Hazara, Zugang zu staatlichem Schutz und Hintergründe des Konflikts zwischen Kuchis und Hazara, 02.09.2016, S. 8; Norwegian Country of Origin Information Centre, Landinfo, Report Afghanistan: Hazaras and Afghan insurgent groups vom 03.10.2016, S. 25; dort auch zur IS-Gruppe ISKP als einer Splittergruppe dies Islamischen Staats (IS), der auch Daesh genannt wird, ausführlich auf S. 22 ff. des Berichts sowie auch: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich - Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Afghanistan (Gesamtaktualisierung vom 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 27.06.2017), S. 18 und 30;
127 
Am 11. Oktober 2016 kam es zu zwei Angriffen auf schiitische Einrichtungen (einen Schrein und die Azrat-Moschee), bei denen mindestens 13 Zivilisten getötet wurden. Am 21. November 2016 wurde eine weitere schiitische Moschee in Kabul (Baqir-Ul-Olum) angegriffen, wobei 27 Zivilisten getötet und mindestens 30 verletzt wurden.
128 
Zu den (jeweils auch abweichenden) Zahlen: UK Home Office, Country Policy and Information Note - Afghanistan: Security and humanitarian situation, August 2017, S. 25; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 19. Juni 2017 zu Afghanistan: Sicherheitslage in Kabul, 19.06.2017, S. 5 f., 11 und 16 f. m.w.N.; Ecoi.net, Themendossier: Allgemeine Sicherheitslage in Afghanistan und Chronologie für Kabul, 11.04.2017, S. 10; Ecoi.net, Themendossier: Allgemeine Sicherheitslage in Afghanistan und Chronologie für Kabul, 11.04.2017, S. 10.
129 
Im Gegensatz zu den Selbstmordanschlägen und komplexen Attacken der Taliban richten sich vom ISKP durchgeführte Anschläge auch absichtlich gegen Zivilisten, insbesondere gegen die Hazara als schiitische Minderheit, da diese auch wegen der Teilnahme afghanischer Schiiten am Kampf gegen den IS auf Seiten des syrischen Regimes im Fokus des ISKP steht.
130 
Vgl. dazu den Bericht des Auswärtigen Amts zur Lagebeurteilung für Afghanistan nach dem Anschlag am 31. Mai 2017 - Stand Juli 2017 -, S. 10.
131 
Auch in der maßgeblich von Hazara bewohnten Provinz Bamiyan kommt es wiederholt zu gezielten Angriffen auf Hazara durch regierungsfeindliche Kräfte entlang der Hauptverkehrsstraßen. Dabei erweisen sich insbesondere die Route von Kabul über die Provinz Parwan sowie die Straße über Maidan Wardak als unsicher.
132 
UNHCR, Anmerkung zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des deutschen Bundesministeriums des Innern, Dezember 2016, S. 6; vgl. auch Accord, Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Lage der Hazara, Zugang zu staatlichem Schutz und Hintergründe des Konflikts zwischen Kuchis und Hazara, 02.09.2016, S. 11 „Todesstraße“/„Death Road“ und auch Accord Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Lage der Hazara, 24.02.2016, S. 3; vgl. auch Stahlmann, ZAR 2017, 189 (194) zur „Straße des Todes“.
133 
Die Vorfälle zum Nachteil von Hazara setzten sich auch im Jahr 2017 fort. Bereits am 1. Januar 2017 forderte eine Sprengstoffexplosion in einer schiitischen Moschee in Herat ein Todesopfer. Fünf Menschen wurden verletzt. Regierungsfeindliche Kräfte hielten am 6. Januar 2017 in der Provinz Baghlan einen Bus mit Minenarbeitern, die hauptsächlich Hazara waren, an. Sie töteten acht Passagiere und verletzten drei weitere. In Sar-e Pol wurden durch Anhänger des ISKP am 15. März 2017 drei Hazara getötet. Sie wurden erschossen und anschließend geköpft. Am 12. Mai 2017 verübte der Daesh/ISKP mittels einer ferngesteuerten Sprengvorrichtung einen Anschlag auf eine Bäckerei in einem schiitisch geprägten Stadtviertel vom Herat nahe einer religiösen Versammlung, bei dem sieben Menschen getötet und 17 verletzt wurden. Auch zu einem weiteren Anschlag auf eine schiitische Moschee in Kabul am 15. Juni 2017, bei dem fünf Zivilisten getötet und sieben weitere verletzt worden waren, bekannte sich der ISKP.
134 
UNAMA Midyear Report 2017: Afghanistan - protection of civilians in armed conflict, Juli 2017, S. 46 und 48, 49.
135 
Bei zwei weiteren Angriffen auf schiitische Moscheen in Kabul und in der Provinz Ghor am 20. Oktober 2017 wurden in Kabul mindestens 39, womöglich sogar mehr als 65 Personen getötet und 67 weitere verletzt; in Ghor wurden bis zu 33 Menschen getötet. Bei gegen die schiitische Minderheit gerichteten Anschlägen wurden im Zeitraum zwischen Januar und Ende Oktober 2017 insgesamt mindestens 149 Menschen getötet und 300 verletzt, wobei für den überwiegenden Anteil vermutlich der ISKP verantwortlich ist.
136 
Human Rights Watch: The Pain Behind the Numbers of Afghanistan’s Deadly Attacks, 23.10.2017; Spiegel-online, Terror in Afghanistan - Mehr als 50 Tote bei Attentaten auf Moscheen, 20.10.2017.
137 
ff) Angesichts vorstehender Ausführungen und auch im Hinblick auf die im Verhältnis zur Gesamtzahl der in Afghanistan lebenden Hazara nicht ausreichend gewichtigen Anzahl ist insgesamt trotz der dargestellten Vielzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle zum Nachteil von Hazara nicht festzustellen, dass über eine „nur“ latente oder potentielle Gefährdung hinaus ein Grad erreicht wäre, der die Feststellung zuließe, dass grundsätzlich die gesamte Gruppe mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit von Ein- bzw. Angriffen betroffen wäre. Auch kann aus dem Umstand, dass die Opfer der Vorfälle hazarische Volkszugehörige sind, nicht ohne weiteres darauf geschlossen werden, dass sie ihren Grund immer gerade in der Volks- oder auch in der schiitischen Religionszugehörigkeit der Geschädigten haben. Dies ist zwar für einzelne Ereignisse klar oder jedenfalls naheliegend.
138 
Vgl. etwa für den Anschlag auf die Demonstration vom 23. Juli 2016 oder die Anschläge auf schiitische Moscheen in der zweiten Hälfte des Jahrs 2016, vgl. dazu UNAMA, Annual Report 2016: Afghanistan - protection of civilians in armed conflict, Februar 2017, S. 41 f. sowie auch UK Home Office, Country Policy and Information Note. Afghanistan: Security and humanitarian situation Office, August 2017, S. 19.
139 
Teilweise lässt sich bereits nicht feststellen, ob es sich nicht schlicht um kriminelles Unrecht handelt, das letztlich zufällig zum Nachteil von Hazara wirkt, aber ebenso andere Volksgruppen treffen könnte und auch trifft. So kann etwa der Anteil betroffener Hazara auf der vorgenannten „Death Road“ auch auf andere Umstände als ihre Ethnie zurückzuführen sein, etwa darauf, dass sie überdurchschnittlich viel reisen. Auch der Umstand, dass ein großer Anteil von Hazara in Stadtzentren lebt, dort in höheren Positionen tätig ist und daher auch mehr Geld verdient, kann ihre hohe Betroffenheit erklären.
140 
So einer von mehreren Erklärungsansätzen laut Landinfo, Report Afghanistan: Hazaras and Afghan insurgent groups, 03.10.2016, S. 19.
141 
Auch bleibt oft unklar, von wem die Übergriffe letztlich ausgehen, da es oft kein oder umgekehrt mehrere Bekenntnisse verschiedener Gruppen gibt und beispielsweise auch eine Tendenz zu bestehen scheint, wonach die afghanische Regierung nicht zuordenbare Gruppen erst einmal dem IS zuschreibt.
142 
Staatssekretariat für Migration SEM der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Notiz Afghanistan: Alltag in Kabul. Referat von Thomas Ruttig (Afghanistan Analysts Network) am 20. April 2017, 20.06.2017, S. 22.
143 
Es bedarf daher auch keiner weiteren Ausführungen dazu, ob der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft wegen einer Gruppenverfolgung der Hazara nicht ohnehin entgegensteht, dass die Situation der Hazara sich in einzelnen Gebieten und Provinzen erheblich voneinander unterscheidet und sich daher auch die Frage einer internen Schutzmöglichkeit stellen könnte. So stellt sich in homogenen, hauptsächlich von Hazara bewohnten Gebieten die Situation durchaus abweichend von anderen Regionen dar: Die Provinzen Bamiyan und Daikundi werden zuweilen als großteils sicher bezeichnet, wobei aber wiederum Teile im nördlichen Bamiyan und in den an Urusgan angrenzenden Teilen Daikundis als instabil gelten, da sie an Regionen mit Aktivitäten Aufständischer angrenzen
144 
Accord, Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Lage der Hazara, Zugang zu staatlichem Schutz und Hintergründe des Konflikts zwischen Kuchis und Hazara, 02.09.2016, S. 9; zur Problematik der Gefahren für Hazara auch in verhältnismäßig sicheren Bereichen wegen erforderlicher Reisen in größere Städte zum Zwecke der Arbeit, Bildung und Gesundheitsversorgung ergänzend: S. 9 m.w.N.; zum hohen - subjektiven - Sicherheitsempfinden in Bamiyan mit 86,3 % vgl. den Bericht des Auswärtigen Amts zur Lagebeurteilung für Afghanistan nach dem Anschlag am 31. Mai 2017 - Stand Juli 2017 -, S. 9; dort auch auf S. 10 der Hinweis, dass bislang noch keine Anschläge des ISKP auf Hazara in deren angestammten Siedlungsgebieten der zentralen Hochlandregion bezeugt sind).
145 
Insgesamt liegen damit die Voraussetzungen einer Gruppenverfolgung von Volkszugehörigen der Hazara in Afghanistan nicht vor.
146 
So im Übrigen auch: BayVGH, Beschlüsse vom 20.01.2017 - 13a ZB 16.30996 -, juris Rn. 11 f.; vom 04.01.2017 - 13a ZB 16.30600 -, juris Rn. 6; und vom 19.12.2016 - 13a ZB 16.30581 -, juris Rn. 4; außerdem auch jüngere untergerichtliche Entscheidungen: eingehend VG Lüneburg, Urteile vom 15.05.2017 - 3 A 156/16 -, juris Rn. 24 ff. und vom 13.06.2017 - 3 A 136/16 -, juris Rn. 25 ff.; außerdem VG Cottbus, Urteil vom 01.08.2017 - 5 K 1488/16.A -, juris Rn. 21 ff.; VG Berlin, Urteil vom 14.06.2017 - 16 K 207/17 A -, juris Rn. 20; VG Osnabrück, Urteil vom 15.03.2017 - 1 A 19/17 -, asyl.net, S. 8 UA; VG Düsseldorf, Urteil vom 05.01.2017 - 18 K 2043/15.A -, juris Rn. 28 ff.
147 
II. Kein Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes
148 
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylG.
149 
1. § 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 1 AsylG
150 
Dem Kläger droht weder die Verhängung noch die Vollstreckung der Todesstrafe (§ 4 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 1 AsylG).
151 
2. § 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 2 AsylG
152 
Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 2 AsylG ist subsidiärer Schutz zuzuerkennen, wenn der Ausländer stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden in Gestalt von Folter oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung droht. Nach § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG gelten die § 3c bis 3e AsylG entsprechend. Insbesondere bedarf es also auch für die Zuerkennung des subsidiären Schutzes aus den in § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 genannten Gründen eines Verfolgungsakteurs im Sinne des § 3c AsylG (Art. 6 Richtlinie 2011/95/EU vom 13.12.2011, ABl EU L 337/95).
153 
An diesen Voraussetzungen fehlt es.
154 
Hinweise für drohende Folter (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Var. 1 AsylG) oder ernsthaften Schaden wegen einer unmenschlichen oder erniedrigen Bestrafung (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Var. 3 AsylG) gibt es nicht.
155 
Ebenso kommt die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus auf Grundlage eines gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Var. 2 AsylG relevanten ernsthaften Schadens in Form einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung vorliegend nicht in Betracht. Denn die Voraussetzungen der §§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Var. 2, Abs. 3 Satz 1, 3c bis 3e AsylG (a)) sind weder wegen des vorgebrachten individuellen Verfolgungsgeschehens erfüllt (b)) noch im Hinblick auf die humanitären Verhältnisse in Afghanistan, weil es insofern an einem Akteur im Sinne des § 3c AsylG fehlt (c)).
156 
a) Rechtliche Anforderungen
157 
aa) Der Begriff der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG ist im Gesetz nicht näher definiert. Da die Vorschrift der Umsetzung der RL 2011/95/EU dient, ist sie in Übereinstimmung mit dem entsprechenden Begriff in Art. 15b RL 2011/95/EU auszulegen. Unter Heranziehung der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) zu Art. 15b RL 2011/95/EU und des EGMR zu Art. 3 EMRK ist unter einer unmenschlichen Behandlung die absichtliche, d.h. vorsätzliche Zufügung schwerer körperlicher oder seelischer Leiden, die im Hinblick auf Intensität und Dauer eine hinreichende Schwere aufweisen, zu verstehen.
158 
EGMR, Urteile vom 21.01.2011 - 30696/09 - (M.S.S./Belgien und Griechenland), NVwZ 2011, 413 Rn. 220 m.w.N. sowie vom 11.07.2006 - 54810/00 - (Jalloh/ Deutschland), NJW 2006, 3117 Rn. 67; BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 - 10 C 15.12 -, NVwZ 2013, 1167 Rn. 22 ff. m.w.N.; siehe auch Hailbronner, Ausländerrecht, Mai 2017, § 4 AsylG Rn. 22 ff. und Jarass, Charta der Grundrechte, 3. Aufl. 2016, Art. 4 Rn. 9.
159 
Es muss zumindest eine erniedrigende Behandlung in der Form einer einen bestimmten Schweregrad erreichenden Demütigung oder Herabsetzung vorliegen. Diese ist dann gegeben, wenn bei dem Opfer Gefühle von Furcht, Todesangst und Minderwertigkeit verursacht werden, die geeignet sind, diese Person zu erniedrigen oder zu entwürdigen und möglicherweise ihren psychischen oder moralischen Widerstand zu brechen.
160 
Vgl. auch dazu im Einzelnen ausführlich Hailbronner, Ausländerrecht, Mai 2017, § 4 AsylG Rn. 22 ff., insbesondere Rn. 24, 25.
161 
bb) Wie bei der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gilt auch im Rahmen des subsidiären Schutzes für die Beurteilung der Frage, ob ein ernsthafter Schaden droht, der einheitliche Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit. Dieser aus dem Tatbestandsmerkmal „... tatsächlich Gefahr liefe ..." des Art. 2f RL 2011/95/EU abzuleitende Maßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des EGMR, der bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr abstellt („real risk“).
162 
BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 -, NVwZ 2012, 454 Rn. 20; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 20.03.2013 - 10 C 23.12 -, NVwZ 2013, 936 Rn. 32.
163 
Auch im Rahmen des § 4 AsylG ist der der Prognose zugrunde zu legende Wahrscheinlichkeitsmaßstab ist unabhängig davon, ob der Betroffene bereits vor seiner Ausreise einen ernsthaften Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 erlitten hat, dies stellt aber einen ernsthafter Hinweis dar, dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden. Denn auch diesbezüglich gilt die Vermutung gemäß Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU.
164 
b) Kein Anspruch auf Grund individueller Umstände
165 
Unter Berücksichtigung dieser Anforderung besteht keine tatsächliche Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Hinblick auf das individuelle Vorbringen des Klägers im Falle seiner Rückkehr.
166 
Nach der Schilderung des Klägers wäre eine solche in Anknüpfung an den von ihm als Vorverfolgungsgeschehen geschilderten Übergriff der Kutschi, bei dem sein Arm verletzt wurde, vorstellbar. Wie bereits ausgeführt vermag der Senat von einer solchen Vorverfolgung des Klägers nicht auszugehen, weil er dem Kläger das von ihm geschilderte Verfolgungsgeschehen nicht glaubt. Eine auf dieser Schilderung basierende Zuerkennung subsidiären Schutzes scheidet aus.
167 
c) Kein Anspruch auf Grund der schlechten humanitären Situation mangels Akteur
168 
Die Gewährung subsidiären Schutzes auf Grundlage von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG kommt auch nicht unter dem allgemeinen Gesichtspunkt der schlechten humanitären Situation in Afghanistan in Betracht. Denn es fehlt am erforderlichen Akteur § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG i.V.m. § 3c AsylG.
169 
Trotz der inhaltlichen Kongruenz von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG („Als ernsthafter Schaden gilt:... Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung ...“) und Art. 3 EMRK („Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.“)
170 
- vgl. dazu sowie auch zu Unterschieden: Storey, in: Hailbronner/Thym, EU Immigration and Asylum Law, 2. Aufl. 2016, Part D III, Art. 15 Rn. 3 f. -
171 
führt das Vorliegen der tatsächlichen Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK nicht zwingend zu einer Zuerkennung subsidiären Schutzes. Denn es reicht nicht aus, dass die Voraussetzungen eines Tatbestandes nach § 4 Abs. 1 AsylG erfüllt sind. Vielmehr sind - neben § 4 Abs. 2 AsylG - gemäß § 4 Abs. 3 AsylG auch die Anforderungen der § 3c bis 3e AsylG zu beachten, die für den subsidiären Schutz entsprechend gelten. Erforderlich ist daher, dass die Gefahr eines ernsthaften Schadens von einem der in § 3c AsylG genannten Akteure ausgeht, also vom Staat, von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die vorgenannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor einem ernsthaften Schaden beziehungsweise der tatsächlichen Gefahr eines ernsthaften Schadens zu bieten.
172 
Es ist in der Rechtsprechung des EuGH geklärt, dass ein ernsthafter Schaden im Sinne des Art. 15b RL 2011/95/EU eine Situation nicht erfasst, in der eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung auf fehlende Behandlungsmöglichkeiten einer Krankheit im Herkunftsstaat zurückzuführen ist, solange die notwendige Versorgung nicht absichtlich verweigert wird. Dies folgt u.a. daraus, dass Art. 6 RL 2011/95/EU eine Liste der Akteure enthält, von denen ein ernsthafter Schaden ausgehen kann. Schäden im Sinne des Art. 15 RL 2011/95/EU müssen daher von bestimmten Dritten verursacht werden.
173 
EuGH, Urteil vom 18.12.2014 - C-542/13 - (M´Bodj), NVwZ-RR 2015, 158, insb. Rn. 35 und 41.
174 
Dies bekräftigend hat auch Generalanwalt Bot jüngst ausgeführt, aus der Auslegung von Art. 6 RL 2004/83/EG - der Fall betrifft das Vereinigte Königreich - folge, dass die in Rede stehenden ernsthaften Schäden durch das Verhalten eines Dritten verursacht werden müssen. Ein Anspruch auf subsidiären Schutz ist nämlich nicht schon dann begründet, wenn nachgewiesen wird, dass für den Betroffenen bei einer Rückkehr in sein Herkunftsland die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung bestünde. Es muss auch nachgewiesen werden, dass diese Gefahr auf Faktoren beruht, die den Behörden dieses Landes direkt oder indirekt anzulasten und ihnen stets bewusst sind, und zwar entweder weil die Behörden des Staates, dem der Betroffene angehört, ihn persönlich bedrohen oder diese Bedrohung tolerieren, oder weil diese Bedrohung auf unabhängige Gruppen zurückgeht, vor denen die Behörden ihre Staatsangehörigen nicht wirksam schützen können.
175 
GA Bot, Schlussanträge vom 24.10.2017 - C-353/16 - (MP/Vereinigtes Königreich), Rn. 28 - 30.
176 
Insbesondere trifft es nicht zu, dass Art. 3 EMRK eine erweiternde Auslegung von Art 15b RL 2011/95/EU gebieten würde
177 
(so aber: Giesler/Wohnig, Uneinheitliche Entscheidungspraxis zu Afghanistan - Eine Untersuchung zur aktuellen Afghanistan-Entscheidungspraxis des BAMF und der Gerichte (Ergänzte Fassung zur Kurzfassung aus Asylmagazin 2017, 223) (asyl.net), dort S. 11),
178 
denn mit einer möglichen Versagung internationalen Schutzes wird unionsrechtlich nicht abschließend darüber entschieden, ob eine Rückführung in den Herkunftsstaat rechtlich zulässig ist, was sich u.a. aus Art. 5 RL 2008/115/EG ergibt. Der zu prüfende Grundsatz der Nichtzurückweisung ist hier umfassend und damit auch auf Art. 3 EMRK bezogen zu verstehen und damit weiter als derjenige aus Art. 33 Abs. 1 GFK.
179 
Vgl. Lutz, in: Hailbronner/Thym, EU Immigration and Asylum Law, 2. Aufl. 2016, Part C VII, Art. 5 Rn. 9.
180 
Diese Auslegung von Art. 15b RL 2011/95/EU steht im Einklang mit der herrschenden Lehre und Rechtsprechung.
181 
VG Berlin, Urteil vom 10.07.2017 - VG 34 K 197.16 A -, juris Rn. 54; VG Lüneburg, Urteil vom 15.05.2017 - 3 A 156/16 -, juris Rn. 51 f.; VG Osnabrück, Urteil vom 15.05.2017 - 1 A 19/17 -, asyl.net; außerdem: EASO, Qualification for International Protection Directive 2011/95/EU) - A judicial analysis, Dezember 2016, S. 109; vgl. auch Hinterberger/Klammer, Abschiebungsverbote aus gesundheitlichen Gründen: Die aktuelle EGMR- und EuGH-Rechtsprechung zum Non-Refoulement und deren Auswirkungen auf die deutsche Rechtslage, NVwZ 2017, 1180 [1181 f.] sowie wohl auch Marx, AsylG, 9. Aufl. 2017, § 4 Rn. 32 und Hailbronner, Ausländerrecht, Mai 2017, § 60 Rn. 57 zum „nicht in vollem Umfang“ identischen Schutzbereich von § 60 Abs. 5 AufenthG und von § 60 Abs. 2 AufenthG i.V.m. Art. 15 RL 2011/95/EU/§ 4 AsylG.
182 
An einem somit erforderlichen Akteur fehlt es vorliegend. Denn die humanitäre Lage und die prekären Lebensumstände sind keinem der genannten Akteure nach § 3c AsylG zuzurechnen.
183 
Vgl. zu dem Umstand, dass die schwierige humanitäre Situation in Afghanistan nicht unmittelbar dem afghanischen Staat zuzurechnen ist bereits VGH Bad.-Württ., Urteil vom 24.07.2013 - A 11 S 697/13 -, juris Rn. 108, dort zu § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK, sowie auch - anknüpfend an die vorgenannte Entscheidung: VGH Bad.-Württ., Urteil vom 26.02.2014 - A 11 S 2519/12 -, juris.
184 
Die schlechte Versorgungslage (betreffend Nahrung, Wohnraum, Gesundheitsversorgung) wird durch die schlechte wirtschaftliche Entwicklung Afghanistans, die dort herrschenden Umweltbedingungen (also insbesondere die schwierigen klimatischen Bedingungen sowie Naturkatastrophen) sowie maßgeblich durch die volatile Sicherheitslage negativ beeinflusst und bestimmt. Insofern ist nicht festzustellen, dass einem der in Betracht kommenden Akteure ein wesentlicher Beitrag direkt oder indirekt anzulasten wäre und eine Verhaltensänderung zu einer unmittelbaren Verbesserung der Lage führen könnte. Insbesondere wird weder die notwendige medizinische oder humanitäre Versorgung gezielt vorenthalten noch werden all diese Umstände gezielt herbeigeführt.
185 
Vgl. dazu im Folgenden die Darstellungen zu den Lebensverhältnissen im Rahmen von § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK.
186 
Daher scheidet die Zuerkennung subsidiären Schutzes auf Grundlage des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG bereits in Ermangelung eines tauglichen Akteurs aus.
187 
3. § 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 3 AsylG
188 
Auch die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG liegen nicht vor.
189 
a) Rechtliche Anforderungen
190 
Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 3 AsylG ist subsidiärer Schutz zuzuerkennen, wenn der Ausländer stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden in Gestalt einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts droht.
191 
aa) Dies ist der Fall, wenn der bewaffnete Konflikt eine solche Gefahrendichte für Zivilpersonen mit sich bringt, dass alle Bewohner des maßgeblichen, betroffenen Gebiets ernsthaft individuell bedroht sind. Das Vorherrschen eines so hohen Niveaus willkürlicher Gewalt, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass eine Zivilperson bei einer Rückkehr in das betreffende Land bzw. in die betreffende Region allein durch ihre Anwesenheit tatsächlich Gefahr liefe, einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit ausgesetzt zu sein, bleibt aber außergewöhnlichen Situationen vorbehalten, die durch einen sehr hohen Gefahrengrad gekennzeichnet sind. Eine Individualisierung kann sich insbesondere aus gefahrerhöhenden persönlichen Umständen in der Person des Schutzsuchenden ergeben, die ihn von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffenen erscheinen lassen.
192 
EuGH, Urteil vom 17.02.2009 - C-465/07 - (Elgafaji/Niederlande), NVwZ 2009, 705 und vom 30.01.2014 - C-285/12 - (Diakité/Belgien), NVwZ 2014, 573.
193 
Der für die Annahme einer individuellen Gefahr in diesem Sinne erforderliche Grad willkürlicher Gewalt wird daher umso geringer sein, je mehr der Schutzsuchende zu belegen vermag, dass er aufgrund solcher individueller gefahrerhöhender Umstände spezifisch betroffen ist. Solche persönlichen Umstände können sich z.B. aus dem Beruf des Schutzsuchenden etwa als Arzt oder Journalist ergeben, da diese regelmäßig gezwungen sind, sich nahe an einer Gefahrenquelle aufzuhalten. Ebenso können solche Umstände aber auch aus einer religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit herrühren, aufgrund derer der Schutzsuchende zusätzlich der Gefahr gezielter Gewalttaten ausgesetzt ist.
194 
Liegen keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich, welches mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit („real risk“) gegeben sein muss. So kann die notwendige Individualisierung ausnahmsweise bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre.
195 
BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 -, NVwZ 2012, 454 Rn. 19 m.w.N.; OVG NRW, Beschluss vom 09.03.2017 - 13 A 2575/16.A -, juris Rn. 13; NdsOVG Urteil vom 19.09.2016 - 9 LB 100/15 -, juris.
196 
Das besonders hohe Niveau kann nicht allein deshalb bejaht werden, weil ein Zustand permanenter Gefährdungen der Bevölkerung und schwerer Menschenrechtsverletzungen im Rahmen des innerstaatlichen Konflikts festgestellt werden. Vielmehr erfordert die Bestimmung der Gefahrendichte eine quantitative Ermittlung der Verletzten und getöteten Zivilpersonen im Verhältnis zur Einwohnerzahl (Gewaltniveau). Außerdem muss eine wertende Gesamtbetrachtung - etwa auch im Hinblick auf die medizinische Versorgungslage - erfolgen.
197 
BVerwG, Urteile vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 -, juris Rn. 23 und vom 13.02.2014 - 10 C 6.13 -, juris Rn. 24; OVG LSA, Urteil vom 23.07.2014 - 3 L 53/12 -, juris Rn. 24 ff.; NdsOVG, Urteil vom 19.09.2016 - 9 LB 100/15 -, juris.
198 
Das Bundesverwaltungsgericht hatte in den Urteilen vom 17. November 2011
199 
10 C 13.10, Rn. 22 und 10 C 11.10, Rn. 20
200 
- bezogen auf die Zahl der Opfer von willkürlicher Gewalt eines Jahres - ein Risiko von 1:800 (0,125 %) bzw. 1:1.000 (0,1 %) verletzt oder getötet zu werden, als weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt angesehen.
201 
Vgl. hieran anknüpfend auch: NdsOVG, Urteil vom 19.09.2016 - 9 LB 100/15 -, juris; OVG LSA, Urteil vom 23.07.2014 – 3 L 53/12 –, Rn. 26, juris.
202 
bb) Maßgeblicher Bezugspunkt für die Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 3 AsylG ist die Herkunftsregion des Betroffenen, in die er typischerweise zurückkehren wird. Denn für die Frage, welche Region als Zielort der Rückkehr eines Ausländers anzusehen ist, kommt es weder darauf an, für welche Region sich ein unbeteiligter Betrachter vernünftigerweise entscheiden würde, noch darauf, in welche Region der betroffene Ausländer aus seinem subjektiven Blickwinkel strebt. Der Begriff des „tatsächlichen Zielortes der Rückkehr“ im Sinne der Rechtsprechung des EuGH
203 
EuGH, Urteil vom 17.02.2009 - C-465/07 - (Elgafaji/Niederlande), NVwZ 2009, 705, vgl. auch BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 - 10 C 15.12 -, NVwZ 2013, 1167
204 
ist daher kein rein empirischer Begriff, bei dem auf die tatsächlich wahrscheinlichste oder subjektiv gewollte Rückkehrregion abzustellen ist. Da § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG vor den Gefahren eines - nicht notwendig landesweiten - bewaffneten Konflikts im Heimatstaat schützt, kommt bei der Bestimmung des Ortes der (voraussichtlichen) tatsächlichen Rückkehr der Herkunft als Ordnungs- und Zuschreibungsmerkmal eine besondere Bedeutung zu. Ein Abweichen von der Herkunftsregion kann daher auch nicht damit begründet werden, dass der Ausländer infolge eines bewaffneten Konflikts den personalen Bezug zu seiner Herkunftsregion verloren hat. Auch eine nachlassende subjektive Bindung zur Herkunftsregion durch Umstände, die mittelbare Folgen des bewaffneten Konflikts sind (z.B. Beeinträchtigung der sozialen und wirtschaftlichen Infrastruktur, nachhaltige Verschlechterung der Versorgungslage) ändert nichts daran, dass diese für die schutzrechtliche Betrachtung grundsätzlich ihre Relevanz behält. Allerdings ist jedenfalls dann nicht (mehr) auf die Herkunftsregion abzustellen, wenn sich der Ausländer schon vor der Ausreise und unabhängig von den fluchtauslösenden Umständen von dieser gelöst und in einem anderen Landesteil mit dem Ziel niedergelassen hatte, dort auf unabsehbare Zeit zu leben. Durch eine solche freiwillige Ablösung verliert die Herkunftsregion ihre Bedeutung als Ordnungs- und Zurechnungsmerkmal und scheidet damit als Anknüpfungspunkt für die Gefahrenprognose bei § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG aus.
205 
Vgl. BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 - 10 C 15.12 -, NVwZ 2013, 1167.
206 
b) Situation am maßgeblichen Ort, der Provinz Ghazni
207 
Unter Berücksichtigung dieser Voraussetzungen fehlt es - auch unter Berücksichtigung der individuellen Umstände (dazu lit. c)) - an der erforderlichen, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erwartenden Bedrohung für das Leben oder die körperliche Unversehrtheit des Klägers infolge willkürlicher Gewalt.
208 
Dabei ist in Anwendung vorstehender Anforderungen auf die Provinz Ghazni abzustellen, in der der Kläger geboren und aufgewachsen ist und wo er sich bis zu seiner Ausreise aus Afghanistan aufgehalten hat.
209 
Für diese ist allerdings sowohl nach quantitativer Betrachtung als auch in qualitativer Hinsicht die erforderliche Gefahrendichte nicht festzustellen.
210 
Denn das Risiko der Verletzung oder Tötung liegt für die Provinz Ghazni weit unterhalb den vorgenannten Schwellen von 0,125 % bzw. 0,1 %.
211 
Ghazni hat ca. 1.270.000 Einwohner. Es ist die Provinz mit der zweithöchsten Bevölkerungszahl und bildet gemeinsam mit den Provinzen Khost (Einwohnerzahl ca. 593.000), Paktia (Einwohnerzahl ca. 570.000) und Paktika (Einwohnerzahl ca. 450.000) die südöstliche Region Afghanistans.
212 
Zu den (geschätzten) Einwohnerzahlen (2017): Islamic Republic of Afghanistan Central Statistics Organization - Estimated Population of Afghanistan 2017-2018, April 2017: Ghazni 1.270.192, Paktia 570.534, Khost 593.691, Paktika 449.116. sowie auch UK Home Office, Country Policy and Information Note. Afghanistan: Security and humanitarian situation, August 2017, S. 11; zu 2016: Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan, Republik Österreich Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vom 02.03.2017, aktualisiert am 27.06.2017, S. 55, 71, 93 und 96 m.w.N. (CSO 2016): Ghazni: 1.249.000; Khost; 584.000; Paktia: 561.000; Paktika: 441.000; für 2015: EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Security Situation (November 2016), S. 94, 98, 101 und 106: Ghazni: 1.228.831, Paktia: 551.987; Khost: 574.582, Paktika: 434.742; zur Einordnung in die südöstliche Region: UNAMA, Annual Report 2016: Afghanistan - protection of civilians in armed conflict: 2016, Februar 2017, S. 2 und S. 12 Fn. 15.
213 
Für die südöstliche Region ergibt sich damit eine Gesamteinwohnerzahl von ca. 2.881.000.
214 
Für das Jahr 2015 erfasste die UNAMA eine Anzahl von 1.470 verletzten oder getöteten Zivilpersonen in der südöstlichen Region. Für das Jahr 2016 wurden insgesamt 903 gezählt.
215 
UNAMA, Annual Report 2016: Afghanistan - protection of civilians in armed conflict: 2016, Februar 2017, S. 21.
216 
Für die (mangels provinzbezogener Zahlen herangezogene) südöstliche Region ist damit orientiert an der Gesamteinwohnerzahl von ca. 2.881.000 für bei 1.470 Opfern für das Jahr 2015 von einer Wahrscheinlichkeit von 0,051 % und für das Jahr 2016 mit 903 Opfern von 0,031 % auszugehen. Nichts anderes ergibt sich, wenn der Provinz Ghazni die Hälfte der Opferzahlen für die südöstliche Region zurechnet werden, weil Ghazni rund 44 % der Einwohner der südöstlichen Region stellt (1.270.000 zu 2.881.000) und weil auf Ghazni in der Vergangenheit auch etwa die Hälfte der sicherheitsrelevanten Vorfälle (einschließlich Vorfällen, die nicht zum Nachteil von Zivilpersonen erfolgten) entfallen sind. So wurden im Zeitraum 1. September 2015 bis 31. Mai 2016 für Ghazni insgesamt 1.292 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert, während es im Vergleich dazu in Khost 441, in Paktia 394 und in Paktika 491 Vorfälle gab. Der Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle in der südöstlichen Region von damit insgesamt 2.618 stehen für Ghazni damit 1.292 Vorfälle gegenüber, also ein Anteil von etwa der Hälfte.
217 
Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan, Republik Österreich Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vom 02.03.2017, aktualisiert am 27.06.2017, S. 55, 72, 94 und 96; EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Security Situation (November 2016), S. 95, 99, 102 und106.
218 
Auch bei der Übertragung dieses Verhältnisses ergibt sich lediglich ein Anteil von 0,058 % für 2015 (die Hälfte von1.470 zu 1.270.000) bzw. 0,036 % für 2016 (die Hälfte von 903 zu 1.270.000).
219 
Für das erste Halbjahr 2017 hat die UNAMA die Anzahl der zivilen Opfer u.a. auch nach Provinzen aufgeführt. Für Ghazni wurden danach 165 Opfer erfasst
220 
- UNAMA, Midyear Report 2017: Afghanistan - protection of civilians in armed conflict, Juli 2017, Annex III, S. 73 -,
221 
was hochgerechnet für das gesamte Jahr 2017 eine Zahl von 330 Personen ergäbe. Für das Jahr 2017 errechnet sich mit der hochgerechneten Zahl von 330 Opfern in Orientierung an der Einwohnerzahl von Ghazni mit 1.270.000 ein Anteil von 0,026 %.
222 
Dabei ist dem Senat andererseits bewusst, dass die von der UNAMA berichteten zivilen Opferzahlen womöglich auf Grund der Methodik der UNAMA tatsächlich zu niedrig bemessen sein können.
223 
Zur Problematik der Aussagekraft der UNAMA-Zahlen im Hinblick auf das selbst auferlegte Erfordernis von drei unabhängigen Quellen vgl. Stahlmann, ZAR 2017, 189 (192 f.); hierauf unter Aufgreifen der Bedenken Bezug nehmend auch Berlit, ZAR 2017, 110 (116).
224 
Eine „Korrektur" der ausgewiesenen Zahlen mit Hilfe eines - ohnehin schwierig zu bemessenden - Faktors
225 
- in diese Richtung: NdsOVG, Urteil vom 07.09.2015 - 9 LB 98/13 -, juris Rn. 65; HessVGH, Urteil vom 30.01.2014 - 8 A 119/12.A -, BeckRS 2014, 48268; vgl. auch OVG NRW, Urteil vom 26.08.2014 - 13 A 2998/11.A -, NVwZ-RR 2014, 939, juris Rn. 151 und 230; jeweils unter hilfsweiser Betrachtung ("selbst wenn") mit einer Verdreifachung der UNAMA-Zahlen, orientiert an einer Stellungnahme von an einer Stellungnahme von Dr. Danesch an den HessVGH vom 03.09.2013, S. 11 -
226 
hält der Senat allerdings nicht für angezeigt. Denn es ergibt sich nicht mir unter Berücksichtigung des vorliegend schon quantitativ geringen Anteils auch unter qualitativen Gesichtspunkten nicht, dass sich die allgemeine Gefahr so weit verdichtet hätte, dass eine erhebliche individuelle Gefahr bzw. Bedrohung im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 3 AsylG zu bejahen wäre.
227 
Insbesondere ist bei der Bewertung auch zu berücksichtigen, dass sich die Sicherheitslage in Ghazni gegenüber dem Vorjahr erheblich verbessert hat. Die Zahl der zivilen Opfer ist um 26 % zurückgegangen.
228 
Vgl. UNAMA, Midyear Report 2017: Afghanistan - protection of civilians in armed conflict, Juli 2017, Annex III, S. 73.
229 
Der Senat verkennt nicht, dass es auch im Jahr 2017 zu Vorfällen zum Nachteil der Zivilbevölkerung gekommen ist und voraussichtlich auch weiter kommen wird. Allerdings sind die Gewinne der Taliban in der Region minimal und unbeständig. Im Gegensatz zum Jahr 2015 registrierte die UNAMA im Jahr 2016 auch keine Entführungsfälle der Hazara-Bevölkerung in Ghazni mehr. In vormals betroffenen Gegenden wurden Checkpoints der afghanischen Sicherheitskräfte errichtet, was als Abschreckung gewertet wird.
230 
Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan, Republik Österreich Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vom 02.03.2017, aktualisiert am 27.06.2017, S. 55; UNAMA, Annual Report 2016: Afghanistan - protection of civilians in armed conflict: 2016, Februar 2017, S. 74 f.; Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan, Republik Österreich Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vom 02.03.2017, aktualisiert am 27.06.2017, S. 56.
231 
Insgesamt ist daher sowohl bei quantitativer als auch bei qualitativer Betrachtung angesichts der Bevölkerungszahl auf der einen und den Verletzten und getöteten Zivilpersonen auf der anderen Seite für eine Zivilperson in der Provinz Ghazni nicht beachtlich wahrscheinlich, aufgrund eines sicherheitsrelevanten Vorfalls verletzt oder getötet zu werden.
232 
Vgl. auch BayVGH, Beschlüsse vom 10.04.2017 - 13 a ZB 17.30266 -, juris Rn. 5; vom 06.04.2017 - 13a ZB 17.30254 -, juris Rn. 7; NdsOVG, Urteil vom 07.09.2015 - 9 LB 98/13 -, juris Rn. 51 ff.
233 
c) Keine individuell gefahrerhöhenden Umstände als Hazara
234 
Insbesondere lässt sich dies auch unter Berücksichtigung individueller Umstände nicht feststellen. Denn im Falle des Klägers sind keine persönlichen gefahrerhöhenden Umstände gegeben, die eine erheblichen individuellen Gefährdung im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG zu begründen geeignet sind.
235 
So lassen sich solche nicht aus der Volkszugehörigkeit des Klägers herleiten.
236 
Wie aus den vorstehenden Ausführungen hervorgeht, sind Volkszugehörige der Hazara zwar wiederholt Opfer im andauernden Konflikt, da es in Afghanistan insgesamt, aber auch in der hier maßgeblichen Provinz Ghazni immer wieder zu gezielt gegen Hazara bzw. Schiiten gerichtete Aktionen kommt, etwa die Anschläge auf schiitische Moscheen sowie die (vermutlich) gerade auf Hazara zielende Entführungen. Hinsichtlich letzterer ist allerdings darauf hinzuweisen, dass im Gegensatz zum Jahr 2015 im Weiteren in der Provinz Ghazni keine solchen Entführungen mehr bekannt wurden und auch im Land insgesamt ein ganz erheblicher Rückgang festzustellen ist: Während im Jahr 2015 noch 224 Hazara entführt worden waren, waren es 2016 noch 84 Personen, was ohnehin nur 4 % der Gesamtzahl an Entführungsopfern des gesamten Landes darstellt.
237 
UNAMA, Annual Report 2016: Afghanistan - protection of civilians in armed conflict: 2016, Februar 2017, S. 74 f. und S. 65; UK Home Office, Country Policy and Information Note. Afghanistan: Security and humanitarian situation Office, August 2017, S. 19.
238 
Anhaltspunkte dahin, dass die zivilen Opfer in der Provinz Ghazni, deren Bevölkerung zu 49 % aus Paschtunen, zu 46 % aus Hazara und zu 5 % aus Tadschiken besteht
239 
- EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Security Situation (November 2016), S. 94 -,
240 
zu einem erheblichen Teil Volkszugehörige der Hazara sind, gibt es ebenso wenig wie dafür, dass dies für das gesamte Land der Fall wäre. So werden etwa als die Hauptziele regierungsfeindlicher Kräfte in Ghazni nicht etwa die Hazara genannt, sondern Mitglieder der Afghanischen Nationalen Sicherheitskräfte (ANSF) (hierzu gehören u.a. die Armee, die Luftstreitkräfte, die Polizei etc.), Distriktgouverneure, Stammesführer und Mitarbeiter von Nichtregierungsorganisationen. In Ghazni hatten die meisten sicherheitsrelevanten Vorfälle im Zeitraum zwischen September 2015 und Mai 2016 direkte bewaffnete Auseinandersetzungen und Luftangriffe zum Hintergrund (nämlich 952 von 1.292). Andere Ursachen sind eher untergeordnet (155 Vorfälle im Rahmen von Sicherheitsmaßnahmen wie Festnahmen etc., 144 im Zusammenhang mit Explosionen, 39 Fälle von gezielt gegen Einzelpersonen gerichteter Gewalt etc.).
241 
EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Security Situation (November 2016), S. 94 f.; zu den Definitionen S. 9 ff.
242 
Dass Hazara von den danach wesentlichen, bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Regierungstruppen und regierungsfeindlichen Kräften bzw. den Luftangriffen in besonderem Maße betroffen wären, ist nicht ersichtlich.
243 
Auch UNAMA hat im Midyear Report des Jahrs 2017 festgestellt, dass die Hauptursache für die Verletzung bzw. Tötung von Zivilisten Bodenkämpfe sind (diese umfassen etwa direkte bewaffnete Auseinandersetzungen und Zusammenstöße der Konfliktparteien, Kreuzfeuer etc.). An zweiter Stelle folgen improvisierte Sprengkörper (IEDs) und erst an dritter Stelle kommen gezielte bzw. absichtliche Tötungen.
244 
UNAMA Midyear Report 2017: Afghanistan - protection of civilians in armed conflict, Juli 2017, Annex III, S. 73 sowie S. 68.
245 
Danach lässt sich nicht feststellen, dass nur oder vor allem Hazara Opfer im Rahmen des bestehenden Konflikts wären oder dass Hazara in besonderem Maße Gefahr laufen, als unbeteiligte Zivilpersonen Opfer des Konflikts zu werden.
246 
III. Nationales Abschiebungsverbot
247 
Auch die Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK (1.) und nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG (2.) liegen nicht vor.
248 
1. § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK
249 
Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK auf Grund der schlechten humanitären Bedingungen in Afghanistan besteht nicht. Denn die rechtlichen Voraussetzungen (a)) hierfür sind unter Berücksichtigung der Lebensverhältnisse in Afghanistan insgesamt (b)) und der in Kabul als Ankunfts- bzw. Endort der Abschiebung (c)) sowie in Ansehung der der persönlichen Situation des Klägers (d)) nicht gegeben.
250 
a) Rechtliche Anforderungen
251 
Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten - EMRK - ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Gemäß Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden. Im Falle einer Abschiebung wird eine Verantwortlichkeit der Bundesrepublik Deutschland nach Art. 3 EMRK dann begründet, wenn erhebliche Gründe für die Annahme bestehen, dass der Betroffene im Fall der Abschiebung tatsächlich Gefahr läuft, einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein.
252 
aa) Unter dem Begriff der unmenschlichen Behandlung ist die vorsätzliche und beständige Verursachung körperlicher Verletzungen oder physischen oder psychischen Leids zu verstehen, während bei einer erniedrigenden Behandlung nicht die Zufügung von Schmerzen, sondern die Demütigung im Vordergrund steht.
253 
Auch schlechte humanitäre Verhältnisse können eine Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK darstellen.
254 
Vgl. dazu bereits VGH Bad.-Württ., Urteil vom 24.07.2013 - A 11 S 697/13 -, Leitsatz 4 sowie insbesondere auch juris Rn. 71 m.w.N.
255 
Dieses ist immer dann anzunehmen, wenn diese Verhältnisse ganz oder überwiegend auf staatlichem Handeln, auf Handlungen von Parteien eines innerstaatlichen Konflikts oder auf Handlungen sonstiger, nicht staatlicher Akteure, die dem Staat zurechenbar sind, beruhen, weil er der Zivilbevölkerung keinen ausreichenden Schutz bieten kann oder will.
256 
EGMR, Urteile vom 21.01.2011 - 30696/09 - (M.S.S./Belgien und Griechenland), NVwZ 2011, 413 und vom 28.06.2011 - 8319/07 und 11449/07 - (Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich), NVwZ 2012, 681.
257 
Aber auch dann, wenn diese Voraussetzungen nicht gegeben sind, weil es an einem verantwortlichen Akteur fehlt, können schlechte humanitäre Bedingungen im Zielgebiet dennoch als Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK zu qualifizieren sein, wenn ganz außerordentliche individuelle Umstände hinzutreten. Es sind also im Rahmen von § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK nicht nur Gefahren für Leib und Leben berücksichtigungsfähig, die seitens eines Staates oder einer staatsähnlichen Organisation drohen, sondern auch „nichtstaatliche“ Gefahren auf Grund prekärer Lebensbedingungen, wobei dies aber nur in ganz außergewöhnlichen Einzelfällen in Betracht kommt.
258 
BVerwG, Urteil vom 13.06.2013 - 10 C 13.12 -, NVwZ 2013, 1167, Rn. 24 f.; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 24.07.2013 - A 11 S 697/13 -, Leitsatz 5 sowie insbesondere auch juris Rn. 79 ff.; EGMR, Urteile vom 02.05.1997 - 146/1996/767/ 964 - (D./Vereinigtes Königreich), NVwZ 1998, 161; vom 27.05.2008 - 26565/05 - (N./Vereinigtes Königreich), NVwZ 2008, 1334; vom 21.01.2011 - 30696/09 - (M.S.S./Belgien und Griechenland) - NVwZ 2011, 413; vom 28.06.2011 - 8319/07 und 11449/07 - (Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich), NVwZ 2012, 681 und vom 13.10.2011 - 10611/09 - (Husseini/Schweden), NJOZ 2012, 952.
259 
Wenn der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Urteil vom 13. Dezember 2016
260 
- 41738/10 - (Paposhvili/Belgien), NVwZ 2017, 1187 Rn. 187und 189,
261 
aber nunmehr ausdrücklich wiederholt auf die allgemeinen Verhältnisse im Zielstaat der Abschiebung hinweist, auf deren Hintergrund die besondere Lage des Betroffenen zu beurteilen ist, wird hinreichend deutlich, dass außergewöhnliche individuelle Umstände bzw. Merkmale auch solche sein können, die eine Person mit anderen Personen teilt, die Träger des gleichen Merkmals sind bzw. sich in einer im Wesentlichen vergleichbaren Lage befinden. Auch in einem solchen Fall kann ausnahmsweise ein Verstoß gegen Art. 3 EMRK zu bejahen sein, wenn die Abschiebung zu einer ernsthaften, schnellen und irreversiblen Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Betroffenen führen würde, die ein schweres Leiden oder eine erhebliche Verringerung der Lebenserwartung zur Folge hätte.
262 
Bei entsprechenden Rahmenbedingungen können schlechte humanitäre Verhältnisse eine Gefahrenlage begründen, die zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinn von Art. 3 EMRK führt. Hierbei sind indes eine Vielzahl von Faktoren zu berücksichtigen, darunter etwa der Zugang für Rückkehrer zu Arbeit, Wasser, Nahrung, Gesundheitsversorgung sowie die Chance, eine adäquate Unterkunft zu finden, der Zugang zu sanitären Einrichtungen und nicht zuletzt die finanziellen Mittel zur Befriedigung elementarer Bedürfnisse, auch unter Berücksichtigung von Rückkehrhilfen usw.
263 
Vgl. dazu jüngst wieder ausführlich BayVGH, Urteil vom 23.03.2017 - 13a B 17.30030 -, BeckRS 2017, 113717; dieser bereits zuvor in seinen beiden Urteilen vom 21.11.2014 – 13a B 14.30285 -, BeckRS 2015, 41010 und - 13a B 14.30284 -; dort jeweils eingehend zur Bejahung von § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK wegen schlechter humanitärer Bedingungen bezüglich Familien mit minderjährigen Kindern wegen der Rahmenbedingungen in Afghanistan (m.w.N.).
264 
Vorliegend sind allein die hohen Anforderungen der letztgenannten Fallgestaltung maßgeblich, da die hier unter dem Gesichtspunkt des Art. 3 EMRK relevanten humanitären Verhältnisse in Afghanistan keinem Akteur zuzuordnen sind (s.o.).
265 
bb) Sowohl die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte als auch die des Bundesverwaltungsgerichts
266 
- EGMR, Urteil vom 28.06.2011 - 8319/07 und 11449/07 - (Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich), NVwZ 2012, 681 Rn. 278, 282 f. und BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 - 10 C 15.12 -, NVwZ 2013, 1167 -
267 
machen deutlich, dass ein sehr hohes Schädigungsniveau erforderlich ist, da nur dann ein außergewöhnlicher Fall vorliegt, in dem die humanitären Gründe entsprechend den Anforderungen des Art. 3 EMRK „zwingend“ sind. So hat das Bundesverwaltungsgericht in der Vergangenheit, als es die allgemeine Lage in Afghanistan als nicht ausreichend ernst für die Feststellung einer Verletzung des Art. 3 EMRK eingestuft hat, die Notwendigkeit einer besonderen Ausnahmesituation betont.
268 
BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 - 10 C 15.12 -, NVwZ 2013, 1167, insb. Leitsatz 3 -; vgl. auch: BayVGH, Urteil vom 21.11.2014 - 13a B 14.30284 -, juris Rn. 19.
269 
Dabei kann aber - schon nach der Gesetzessystematik - der nationale Maßstab für eine Extremgefahr nach § 60 Abs. 7 Satz 1 und 5 AufenthG nicht, insbesondere auch nicht analog, herangezogen werden. Da die Sachverhalte nicht vergleichbar sind, lassen sich die ggf. erhöhten Anforderungen an eine ausreichende Lebensgrundlage im Fall einer internen Schutzalternative gemäß § 3e AsylG ebenfalls nicht übertragen.
270 
BayVGH, Urteil vom 21.11.2014 - 13a B 14.30284 -, juris Rn. 19.
271 
Ein Zusammenhang zwischen Art. 3 EMRK und § 3e AsylG besteht lediglich dergestalt, dass für den Fall, dass die Situation am vermeintlichen Schutzort einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK darstellte, dieser Schutzort den Anforderungen des § 3e AsylG nicht genügen würde.
272 
Vgl. dazu VGH Bad.-Württ., Urteil vom 16.10.2017 - A 11 S 512/17 -, juris Rn. 85 m.w.N.
273 
cc) Auch im Rahmen des Art. 3 EMRK ist nach der Rechtsprechung des EGMR eine tatsächliche Gefahr („real risk“) erforderlich, d.h. es muss eine ausreichende reale, nicht nur auf bloßen Spekulationen gegründete Gefahr („a sufficiently real risk“) bestehen. Die tatsächliche Gefahr einer Art. 3 EMRK zuwiderlaufenden Behandlung muss danach aufgrund aller Umstände des Falles hinreichend sicher und darf nicht hypothetisch sein.
274 
EGMR, Urteil vom 28.06.2011 - 8319/07 und 11449/07 - (Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich), NVwZ 2012, 681; Entscheidung vom 22.09.2009 - 30471/08 - (Abdolkhani und Karimnia/Türkei), InfAuslR 2010, 47; Urteil vom 17.07.2008 - 25904/07 - (NA./Vereinigtes Königreich), juris; Urteil vom 28.02.2008 - 37201/06 - (Saadi/Italien), NVwZ 2008, 1330; vom 27.05.2008 - 26565/05 - (N./Vereinigtes Königreich), NVwZ 2008, 1334 sowie Urteil vom 06.02.2001 - 44599/98 - (Bensaid/Vereinigtes Königreich), NVwZ 2002, 453.
275 
Erforderlich ist danach die konkrete Gefahr der Folter oder unmenschlichen Behandlung. Es gilt - wie bei § 60 Abs. 1 AufenthG - der Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit, d.h. die für eine Verfolgung sprechenden Umstände müssen ein größeres Gewicht haben als die dagegen sprechenden Tatsachen.
276 
BVerwG, Urteil v. 27.04.2010 - 10 C 5.09 -, NVwZ 2011, 51; EGMR, Urteil vom 17.07.2008 - 25904/07 - (NA./Vereinigtes Königreich), juris.
277 
dd) Des Weiteren ist für die Beurteilung, ob außerordentliche Umstände vorliegen, die - wie hier - nicht in die unmittelbare Verantwortung des Abschiebungszielstaates fallen und die dem abschiebenden Staat nach Art. 3 EMRK eine Abschiebung des Ausländers verbieten, grundsätzlich auf den gesamten Abschiebungszielstaat abzustellen und zunächst zu prüfen, ob solche Umstände an dem Ort vorliegen, an dem die Abschiebung endet.
278 
BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 - 10 C 15.12 -, NVwZ 2013, 1167, Leitsatz 2 und EGMR, Urteil vom 28.06.2011 - 8319/07 und 11449/07 - (Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich), NVwZ 2012, 681, Rn. 265, 301, 309.
279 
Ankunfts- bzw. Endort der Abschiebung ist vorliegend Kabul.
280 
Vgl. zu den Flugverbindungen nach Afghanistan: Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19.10.2016 - Stand: September 2016, S. 25 sowie zu den bislang durchgeführten Abschiebungen nach Kabul (etwa am 15. Dezember 2016, 24. Januar 2017, 23. Februar 2017 und am 28. März 2017): Afghanistan Analysts Network - voluntary and forced returns to Afghanistan in 2016/17: trends, statistics and experiences, 19.05.2017, S. 3; Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 12 m.w.N.
281 
Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK kann nur beanspruchen, wem prinzipiell im gesamten Zielstaat der Abschiebung die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung landesweit droht. Es darf also für den Betroffenen keine interne/innerstaatliche Fluchtalternative („internal flight alternative“) bestehen.
282 
Für die Annahme einer solchen internen Fluchtalternative im Rahmen des Art. 3 EMRK müssen jedoch gewisse (dem internen Schutz nach § 3e AsylG durchaus ähnliche)
283 
- vgl. zu den Überschneidungen des Art. 3 EMRK mit dem internen Schutz nach § 3e AsylG (aber auch zu den Unterschieden) ausführlich Marx, ZAR 2017, 304 -
284 
Voraussetzungen erfüllt sein: Die abzuschiebende Person muss in der Lage sein, sicher in das betroffene Gebiet zu reisen, Zutritt zu diesem zu erhalten und sich dort niederzulassen. Ein anderer Ort im Zielstaat kann dem Betroffenen nicht zugemutet werden, wenn dort keine hinreichenden sozialen Bedingungen herrschen, die ein menschenwürdiges Dasein einschließlich des Zugangs zu einer Grundversorgung sowie der erforderlichen sanitären Einrichtungen für die individuell betroffene Person ermöglichen.
285 
EGMR, Urteil vom 28.06.2011 - 8319/07 und 11449/07 - (Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich), NVwZ 2012, 681 Rn. 266; EGMR, Urteil vom 11.01.2007 - 1948/04 - (Salah Sheekh/Niederlande) Rn. 141; Lehnert, in: Meyer-Ladewig u.a., EMRK, 4. Aufl. 2017, Art. 3 Rn. 70 m.w.N.
286 
Erforderlich ist eine Gesamtschau und auf den konkreten Einzelfall bezogene Prüfung unter Berücksichtigung objektiver Gesichtspunkte (darunter insbesondere die wirtschaftlichen und humanitären Verhältnisse einschließlich der Gesundheitsversorgung sowie die Sicherheitslage am Ankunftsort sowie an dem Ort, an den der Betroffene letztlich dauerhaft zurückkehren soll) und persönlicher und familiärer Umstände. Relevant kann dabei sein, ob die Person in der fraglichen Region eine familiäre Anbindung hat.
287 
EGMR, Urteil vom 28.06.2011 - 8319/07 und 11449/07 - (Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich), NVwZ 2012, 681 Rn. 294 f.
288 
Anknüpfend hieran ergibt sich unter Berücksichtigung der landesweiten Lebensverhältnisse in Afghanistan (dazu b)) und auch der in Kabul als Ankunfts- bzw. Endort der Abschiebung (dazu c)), dass unter Berücksichtigung der persönlichen Situation des Klägers (dazu d)) kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK vorliegt.
289 
b) Lebensverhältnisse landesweit
290 
Die landesweiten Lebensverhältnisse in Afghanistan und die Situation von Rückkehrern gestalten sich wie folgt:
291 
Afghanistan hat insgesamt etwa 27 bis 34 Millionen Einwohner (s.o.). Über 40 % der Bevölkerung sind unter 15 Jahre, zwei Drittel unter 25 Jahre alt.
292 
Sam Hall, Urban displaced youth in Kabul - mental health matters, Juni 2016, S. 7.
293 
Geprägt wird das Leben der Menschen im Land von einer schwierigen wirtschaftlichen Situation (aa)) und Versorgungslage (bb)), von prekären humanitären Gegebenheiten (cc)) sowie von einer volatilen Sicherheitslage (dd)). Zudem sehen sich Rückkehrer aus dem westlichen Ausland zusätzlichen Gefahren ausgesetzt (ee)). Andererseits ist zu berücksichtigen, dass Rückkehrer unter bestimmten Umständen spezielle Unterstützungsmaßnahmen erhalten können (ff)).
294 
aa) Afghanistan ist eines der ärmsten Länder der Welt. Es belegte im Jahr 2015 den Platz 171 und im Jahr 2016 den Platz 169 von 187 im Human Development Index. Mindestens 36 % der Bevölkerung des Landes leben unter der Armutsgrenze. Teils wird auch von einer Steigerung von 36 % für die Jahre 2007/2008 auf 39 % für die Jahre 2013/2014 berichtet, wobei ein Leben in Armut nach dem hier verfolgten Ansatz vorliegt, wenn das Einkommen unter der Armutsgrenze von 1.150 Afghani (20 US$) pro Monat liegt. Afghanistan weist im Vergleich mit allen asiatischen Ländern den höchsten Anteil armer Menschen auf. Die Zahl derjenigen, die humanitärer Unterstützung bedurften, hat sich von 2016 bis zum Beginn des Jahres 2017 um 13 % auf 9,3 Millionen erhöht. Dabei gibt es regionale Unterschiede. Sie reichen von einem Anteil von 27,7 % der Bevölkerung, die unter der Armutsgrenze lebt, im Südwesten bis zu 49,7 % im Nordosten.
295 
Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19.10.2016 - Stand: September 2016, S. 21; vgl. auch Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich - Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Afghanistan (Gesamtaktualisierung vom 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 27.06.2017), S. 176; EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 31 f. m.w.N.; Giesler/Wohnig, Uneinheitliche Entscheidungspraxis zu Afghanistan - Eine Untersuchung zur aktuellen Afghanistan-Entscheidungspraxis des BAMF und der Gerichte (Ergänzte Fassung zur Kurzfassung aus Asylmagazin 2017, 223) (asyl.net), S. 3 Fn. 17; World Food Programme, Country Brief, WFP Assistance, Juli 2017.
296 
Bei einer ohnehin schon zuvor schlechten Lage ist seit dem Jahr 2012 ein massiver Einbruch der Wirtschaft zu verzeichnen.
297 
Dazu Stahlmann, Asylmagazin 2017, 73 (74) m.w.N.
298 
Sie sieht sich in der Übergangsphase nach Beendigung des NATO-Kampfeinsatzes zum Jahresende 2014 konfrontiert mit sinkenden internationalen Investitionen und der stark schrumpfenden Nachfrage durch den Rückgang internationaler Truppen um etwa 90 % (von 140.000 internationalen Soldaten auf rund 14.000). Die Abwertung des Afghani gegenüber dem US-Dollar schreitet - bei gleichzeitiger Deflation - immer weiter voran. Ein selbsttragendes Wirtschaftswachstum ist kurzfristig nicht in Sicht.
299 
Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19.10.2016 - Stand: September 2016, S. 21.
300 
Zudem beruht die Wirtschaft zu großen Teilen auf irregulären und illegalen Aktivitäten, darunter der Opiumhandel.
301 
UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 19.04.2016, S. 15.
302 
Der Vergleich des Wachstums des Bruttoinlandsprodukts für das Jahr 2012 von 14,4 % mit dem des Jahres 2015, in dem nur noch 0,8 % Wachstum zu verzeichnen waren, macht den für das gesamte Land zu verzeichnenden Einbruch deutlich.
303 
Vgl. dazu Stahlmann, Asylmagazin 2017, 73 (74) m.w.N. sowie dies. auch in ihrer landeskundlichen Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 12 m.w.N.; siehe auch Staatssekretariat für Migration SEM der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Notiz Afghanistan: Alltag in Kabul. Referat von Thomas Ruttig (Afghanistan Analysts Network) am 20. April 2017, 20.06.2017, S. 5.
304 
Bis zum Jahr 2016 blieb es bei einem Wachstum von unter 2 %. Auf Grund der abgeschwächten Konjunktur, unter anderem wegen der mangelnden Sicherheit und der politischen Ungewissheit, wird erwartet, dass das Bruttoinlandsprodukt allenfalls geringfügig wächst.
305 
EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 19 m.w.N.
306 
Diese Wirtschaftslage spiegelt sich auch im Arbeitsmarkt wider, für den uneinheitliche Zahlen vorliegen.
307 
Vgl. EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 21 zur Bezeichnung der Arbeitsmarktzahlen als schwach und kontrovers ("weak and controversial").
308 
Je nach Quelle und Erfassungsweise werden etwa für das Jahr 2014 Arbeitslosenzahlen von 9,1 % bis 24 % genannt, teils wird - unter Berücksichtigung eines Anteils von 15,3 % unterbeschäftigter Personen - der Anteil der nicht erwerbstätigen Personen sogar mit 40 % angegeben.
309 
Im Einzelnen m.w.N.: EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 21.
310 
Im Jahr 2015 lag die landesweite Arbeitslosenquote bei 40 %. Der Anteil in den Städten war deutlich höher, da die Landwirtschaft, in der rund 60 % - in ländlichen Regionen sogar 70 % der erwerbstätigen Bevölkerung - tätig sind, weiterhin der stabilste Beschäftigungssektor ist.
311 
Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19.10.2016 - Stand: September 2016, S. 21; Stahlmann, Asylmagazin 2017, 73 (76) m.w.N. sowie dies. auch in ihrer landeskundlichen Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 13 m.w.N.; IOM, Länderinformationsblatt Afghanistan 2017, S. 2; IOM, Länderinformationsblatt Afghanistan 2016, S. 2.
312 
Auch für den Zeitraum Ende des Jahres 2016 wurde ein Arbeitslosenanteil mit etwa 40 % geschätzt und die Aussichten als sehr düster bezeichnet.
313 
EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 21; UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 19.04.2016, S. 15.
314 
Ebenso werden für die Jugendarbeitslosigkeit sehr unterschiedliche Größenordnungen genannt. So gibt die Weltbank für das Jahr 2014 einen Anteil von 23 % bezüglich junger Frauen und 16 % hinsichtlich junger Männern an (bei 9,1 % für dieses Jahr im Allgemeinen). Die Jugendarbeitslosigkeit in den Städten soll um 50 % höher sein als die städtische Arbeitslosigkeit insgesamt.
315 
EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 22.
316 
Es findet sich sogar die Angabe einer Jugendarbeitslosigkeit von 82 %.
317 
Stahlmann, Landeskundliche Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 14 m.w.N.; dies., Asylmagazin 2017, 73 (76).
318 
Gerade der städtische Arbeitsmarkt ist durch die bereits erwähnten Änderungen des internationalen Engagements geprägt. Dort waren mit der plötzlichen Ankunft internationaler Organisationen zunächst Qualifikationen gefragt, die auf dem lokalen Arbeitskräftemarkt nach den langen Kriegsjahren tatsächlich Mangelware waren - darunter Englischkenntnisse, Arbeitserfahrung mit der in internationalen Organisationen gepflegten Bürokratie und formelle Ausbildungs- und Studienabschlüsse. Außerdem hatte der Bauboom in den Städten, insbesondere im grundlegend zerstörten und rapide wachsenden Kabul, zunächst einen Markt für ungelernte Arbeitskräfte geschaffen.
319 
Stahlmann, Landeskundliche Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 13 f. m.w.N.; dies., Asylmagazin 2017, S. 73 (74); zum Arbeitsmarkt in Kabul auch Kohler, InfAuslR 2017, 99 (101) mit Verweis auf Islamic Republic of Afghanistan - Central Statistics Organisation, Socio-Demographic and Economic Survey, Figure 11 und Figure 12, dort allerdings nur für das Jahr 2013.
320 
Damals hatten - in begrenztem Maße - selbst die traditionell familiär organisierten privatwirtschaftlichen Betriebe externe Arbeitskräfte aufgenommen (wenn auch in den Grenzen kriegsbedingter Freund-/Feindschemata, so dass Fremde im Sinne ethnischer, religiöser oder lokaler Zugehörigkeit weiterhin weitgehend ausgeschlossen waren). Diese Entwicklung hat sich allerdings durch den bereits als prägend erwähnten Abzug der internationalen Truppen wieder verflüchtigt. Der Bauboom hat sich als kurzfristig erwiesen und auch der Dienstleistungsbereich ist eingebrochen. Geblieben ist der Umstand, dass zur Erlangung einer der wenigen vorhandenen Arbeitsplätze nicht die schulische oder berufliche Ausbildung, Qualifikation oder Erfahrung ausschlaggebend sind, sondern Beziehungen. Dies gilt für den gesamten Arbeitsmarkt, insbesondere auch für Arbeitsplätze im Staatsdienst.
321 
Stahlmann, Landeskundliche Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 14 f. m.w.N.; dies., Asylmagazin 2017, 73 (76); anschaulich hierzu auch die Beispiele von Schuster zur allein durch (teils verwandtschaftliche) Beziehungen gekennzeichnete Einstellungspraxis ohne Rücksicht auf die Qualifikation an der Kabuler Universität und verschiedenen Ministerien: Schuster, Report for the Upper Tribunal in the case of XXXX YYYY, 08.11.2016, S. 15/Rn. 44; vgl. auch EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 23 und 68; vgl. auch die Beispiele zu Rückkehrern, die trotz Qualifikation mangels Beziehungen keine Beschäftigung fanden: Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 65 ff. m.w.N.; zur „untergeordneten“ Rolle von Eignung, Befähigung und Leistung bei der Verteilung administrativer Ämter auch Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19.10.2016 - Stand: September 2016, S. 7.
322 
Das vor dem Hintergrund jahrzehntelanger Kriegs- und Konflikterfahrungen und anhaltender Alltagskriminalität als notwendig und bewährt erachtete System von Beziehungen bzw. Netzwerken ist geprägt durch eine Gegenseitigkeit, eine langfristige und belastbare Reziprozität. Wer in der Lage ist, einen Vorteil - etwa einen Arbeitsplatz - zu verschaffen, verknüpft hiermit die Erwartung, jedenfalls langfristig seinerseits einen Vorteil zu erlangen. Ist vom Arbeitssuchenden keine Gegenleistung zu erwarten, weil dieser nicht über die erforderlichen Beziehungen verfügt, ist nicht oder weniger zu erwarten, dass ihm eine Arbeitsstelle vermittelt wird. Ein entsprechendes Netzwerk ist daher der Schlüssel zum Arbeitsmarkt. Zudem gewährleistet das System der Empfehlungen, dass der Arbeitgeber sich sicher sein kann, dass der Arbeitssuchende, dessen örtliche und ethnische Herkunft sowie familiären Hintergrund er auf Grund der Empfehlung kennt, vertrauenswürdig ist.
323 
EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 67 f.: „Network as key to the job market“; Stahlmann, Landeskundliche Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 12. m.w.N.; Schuster, Report for the Upper Tribunal in the case of XXXX YYYY, 08.11.2016, S. 4/Rn. 12.
324 
So äußerten die meisten Arbeitgeber in einer Befragung zu ihrer Einstellungspraxis, sie nutzten das traditionellste System: Freunde (62,6 %) und Familie (57,9 %). Entsprechend beklagen die Arbeitssuchenden unabhängig von ihren Qualifikationen, dass die Vergabe von Arbeitsstellen von persönliche Verbindungen, sog. „wasita“ (wechselseitige Verbindungen zu Personen mit Macht oder Einfluss), abhängig sei. Erforderlich sind „shanaktht“ (jemanden kennen) und „safarish“ (eine Art Empfehlung). Nur etwa 15 % der Arbeitnehmer werden über den örtlichen Bazar angeworben, der größte Teil der Arbeitsplätze wird über Freunde oder Verwandte erlangt.
325 
EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 67.
326 
Die Beziehungen oder Netzwerke sind vielschichtig. Für manche besteht ihr Netzwerk aus nahen Verwandten, für andere ist es breiter angelegt und kann auch aus Freunden bestehen. Bei Angehörigen der Hazara kommt es vor, dass beim Zuzug in eine neue Stadt ein Netzwerk um die örtliche Moschee oder eine religiöse oder Wohlfahrtseinrichtung konzentriert ist. Ganz allgemein genügt die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Ethnie allein noch nicht, um ein solides Netzwerk für die Arbeitssuche zu begründen.
327 
EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 68.
328 
Eine staatliche Arbeitsvermittlung oder gar eine Arbeitslosenunterstützung nach westlichen Vorstellungen gibt es nicht. Allerdings werden freie Stellen im öffentlichen Sektor vom Civil Service Commission Management Directorate der Kommission für Öffentlichen Dienst und Verwaltungsreform online angekündigt. Außerdem bietet eine Nichtregierungsorganisation (ACBAR) Unterstützung für Arbeitssuchende an. Sie befindet sich in Charahi Shaheed, Sherpoor Bezirk in Kabul. Auf ihrer Website besteht die Möglichkeit, sich mit einem Lebenslauf und Motivationsschreiben auf relevante Jobs zu bewerben.
329 
BAMF/ZIRF/IOM, ZIRF-Anfrage: Medizinische Versorgung in Afghanistan, Unterstützung für Rückkehrer bei Arbeits- und Wohnungssuche, 21.09.2016; IOM, Länderinformationsblatt Afghanistan 2017, S. 2; IOM, Länderinformationsblatt Afghanistan 2016, S. 2.
330 
Soweit eine Arbeitsstelle gefunden werden kann
331 
- dazu Staatssekretariat für Migration SEM der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Notiz Afghanistan: Alltag in Kabul - Referat von Thomas Ruttig (Afghanistan Analysts Network) am 12.04.2017, 20.06.2017, S.10; siehe auch EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 22 zum „vulnerable employment“ -,
332 
ist das durchschnittliche Einkommen (insbesondere im Vergleich zu den Lebenshaltungskosten, dazu sogleich) gering. Das durchschnittliche monatliche Einkommen in Afghanistan wird in verschiedenen Quellen mit 80 bis 120 US$ angegeben, teilweise wird ein Mindestlohn von 95 US$ für nur vorübergehend beschäftigte Arbeitskräfte genannt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass - wie ausgeführt - bei 36 % der afghanischen Bevölkerung der Lohn bei unter 20 US$ pro Monat liegt.
333 
IOM, Länderinformationsblatt Afghanistan 2017, S. 2; IOM, Länderinformationsblatt Afghanistan 2016, S. 2; EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 23 f.
334 
Afghanistan bleibt eine hauptsächlich ländliche Gesellschaft, deren Wirtschaft maßgeblich auf der Landwirtschaft basiert. 76 % der Bevölkerung leben in ländlichen Gebieten. Mehr als die Hälfte der Arbeitskräfte des Landes ist im Bereich der Landwirtschaft beschäftigt. 96 % der Produktion bewegt sich im Bereich der Nahrungsmittelverarbeitung, also einem Bereich, der in hohem Maße von der Landwirtschaft abhängig ist.
335 
EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 22, 32.
336 
Einen nicht unwesentlichen Anteil in der Landwirtschaft hat allerdings auch der Opiumanbau (s.o.), da dieser zum einen eine große Gewinnmarge verspricht und zum anderen die Mohnpflanzen mit den widrigen Bedingungen (etwa der schlechten Bodenqualität) verhältnismäßig gut zurechtkommen.
337 
Zum Opiumanbau allgemein: General Assembly Security Council, The situation in Afghanistan and its implications for international peace and security - report of the Secretary-General, 03.03.2017, S. 11; ProAsyl, Afghanistan - No safe country for refugees, Mai 2017, S. 50; UNHCR, Anmerkungen zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des deutschen Bundesministerium des Inneren - Dezember 2016, S. 15; zur Verteilung des Opiumanbaus in den einzelnen Provinzen vgl. ausführlich EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Security Situation (November 2016): zu Daikundi, S. 70 f.; zu Kandahar, S. 73 -; zu Helmand, S. 77 („Afghanistan’s single largest opium poppy cultivating province in 2015, accounting for 47 % of the total area under opium poppy cultivation in the country.“); zu Uruzgan, S. 87 („opium poppy as a dominant crop“); zu Zabul - S. 90; zu Badakhshan, S. 133; zu Ghor, S. 171.
338 
Die Landwirtschaft leidet allerdings - neben der problematischen Sicherheitssituation - insbesondere auch unter vielfältigen Naturkatastrophen, weswegen das World Food Programme das ganze Jahr hindurch in verschiedenen Landesteilen auf Krisen bzw. Notsituationen wie Dürre, Überschwemmungen oder extremen Kälteeinbruch reagiert. Gerade der Norden - eigentlich die „Kornkammer“ des Landes - ist extremen Natureinflüssen wie Trockenheit, Überschwemmungen und Erdverschiebungen ausgesetzt
339 
- Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19.10.2016 - Stand: September 2016, S. 23; UNOCHA, Humanitarian Needs Overview 2017, November 2016, S. 8 -
340 
(vgl. im Weiteren ausführlicher bei den Darstellungen zur Versorgungslage und zur humanitären Situation unter lit. bb) und cc)).
341 
bb) Die Versorgungslage in Afghanistan ist schlecht. Wie bereits ausgeführt ist Afghanistan eines der ärmsten Länder der Welt, mit 9,3 Mio. Menschen, die Anfang 2017 auf humanitäre Hilfe angewiesen waren (s.o.).
342 
Im Jahr 2016 waren etwa 1,6 Millionen Afghanen (nach den Daten von UNOCHA - United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs - ein Anteil von 6 %) ernsthaft von Lebensmittelunsicherheit („severely food insecure“) betroffen, bei weiteren 9,7 Millionen Menschen (34 %) war dies in mäßiger Weise der Fall („moderately food insecure“).
343 
UNOCHA, Humanitarian Needs Overview 2017, November 2016, S. 5 f. und 26 sowie die Aufteilung nach Regionen auf S. 21; EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 42 m.w.N.; vgl. auch UK Home Office, Country Policy and Information Note - Afghanistan: Security and humanitarian situation, August 2017, S. 28; dort auch unter Bezugnahme auf UNOCHA der Hinweis auf die Wechselwirkung mit der steigenden Anzahl intern Vertriebener und Rückkehrer, die sich in den städtischen Zentren und Randgebieten sammeln sowie zur erwarteten Anzahl von mehr als einer Million neuer Rückkehrer im Sommer 2017); zur Lebensmittelunsicherheit in den Vorjahren vgl. auch Sam Hall, Urban Poverty Report - A study of poverty, food insecurity and resilience in Afghan Cities, November 2014: S. 6 f., 43, 54 und 56 - die Hälfte der Haushalte in Städten und 68 % der intern Vertriebenen werden als ernsthaft von Lebensmittelunsicherheit betroffen beschrieben.
344 
48 % der Haushalte von intern vertriebenen Personen, die in informellen Siedlungen in Kabul lebten, waren im Dezember 2015 ernsthaft von Lebensmittelunsicherheit betroffen.
345 
UNOCHA, Humanitarian Needs Overview 2017, November 2016, S. 7.
346 
Insbesondere die aus Konflikten und chronischer Unterentwicklung resultierenden Folgeerscheinungen im Süden und Osten haben dazu geführt, dass dort ca. eine Million oder fast ein Drittel aller Kinder als akut unterernährt gelten.
347 
Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19.10.2016 - Stand: September 2016, S. 23.
348 
In den Städten allgemein und insbesondere der Hauptstadt Kabul sind die Lebenshaltungskosten im Verhältnis zum Einkommen hoch. So finden sich - jeweils auch abhängig vom Lebensstil - Angaben von 100 bis 150 EUR oder 150 bis 250 US$ für einen alleinstehenden Mann in Kabul
349 
- BAMF/ZIRF/IOM, ZIRF-Anfrage Wohnraumsituation I: Lebenshaltungskosten in Kabul für alleinstehenden Mann, 09.05.2017; BAMF/ZIRFIOM, ZIRF-Anfrage: Lebenshaltungs-/Mietkosten in Kabul; Taxilizenz, 22.04.2016; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Afghanistan (Gesamtaktualisierung vom 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 27.06.2017, S. 188 -
350 
und mindestens 250 bis zu 600 EUR pro Monat für eine Familie, bestehend aus einem Vater und drei Kindern
351 
- BAMF/ZIRF/IOM, ZIRF-Anfrage Wohnraumsituation II: Lebenshaltungskosten in Kabul für Familie mit Vater und 3 Kindern, 09.05.2017 -,
352 
wobei jeweils noch keine Unterbringungs-/Mietkosten enthalten sind.
353 
Für die Kosten von Wohnraum finden sich - auch abhängig von der Lage - Angaben von einer Monatsmiete für ein Zimmer in Höhe von 100 US$, für ein Einzimmerapartment in Kabul von 88 US$/6.000 Afghani bis zu 146 US$/10.000 Afghani oder auch in Höhe von 160 bis 180 EUR (zuzüglich Nebenkosten von etwa 20 bis 25 EUR/Monat) sowie auch 300 US$. Die Miete für eine Dreizimmerwohnung in Kabul wird mit ca. 300 EUR/Monat bei Nebenkosten in Höhe von etwa 30 EUR angegeben, aber auch Preise von 400 bis 600 US$ zuzüglich Nebenkosten von etwa 40 US$ pro Monat werden genannt.
354 
Schuster, Report for the Upper Tribunal, 08.11.2016, S. 14/Rn. 41; BAMF/ZIRFIOM, ZIRF-Anfrage: Lebenshaltungs-/Mietkosten in Kabul; Taxilizenz, 22.04.2016; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Afghanistan (Gesamtaktualisierung vom 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 27.06.2017, S. 188; BAMF/ZIRF/IOM, ZIRF-Anfrage Wohnraumsituation I: Lebenshaltungskosten in Kabul für alleinstehenden Mann, 09.05.2017; BAMF/ZIRF/IOM, ZIRF-Anfrage Wohnraumsituation II: Lebenshaltungskosten in Kabul für Familie mit Vater und 3 Kindern, 09.05.2017; IOM, Länderinformationsblatt Afghanistan 2017, S. 3; IOM, Länderinformationsblatt Afghanistan 2016, S. 2; Stahlmann, Landeskundliche Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 16; dies., Asylmagazin 2017, S. 73 (76); vgl. auch Schuster, Risks on return to Kabul, 12.08.2016, S. 16/Rn. 42: Einzelzimmer für 4.000 bis 6.000 Afghani, bei einem Lohnniveau von 4.000 bis 4.500 Afghani pro Monat; EASO, Country of Origin Information Query - Query concerning the situations of returnees to Afghanistan, 22.06.2017, S. 7 m.w.N.: 300 US$.
355 
Die im Vergleich zum realistischer Weise zu erzielenden Einkommen immensen Unterbringungskosten bei gleichzeitig großem Zustrom neuer Einwohner erklären, dass etwa drei Viertel der Menschen in Slums lebt.
356 
Dazu ProAsyl, Afghanistan - No safe country for refugees, Mai 2017, S. 4; Stahlmann, Landeskundliche Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 16; dies., Asylmagazin 2017, S. 73 (76 f.).
357 
Sofern Wohnraum auf dem freien Markt verfügbar ist, haben in aller Regel wiederum nur diejenigen eine Chance darauf, die einen Bürgen beibringen können und in der Lage sind, bis zu sechs Monatsmieten im Voraus zu bezahlen. Im Rahmen der Wohnungssuche benötigt man also außergewöhnliche finanzielle Ressourcen, um eine Chance auf eine winterfeste Unterkunft zu haben, aber auch die beschriebenen sozialen Netzwerke. Diese sowie der Umstand, dass sich jemand für den künftigen Mieter und dessen vertrauenswürdigen Charakter gleichsam verbürgt, gewährleisten aus Sicht des Vermieters eine gewisse Sicherheit sowie insbesondere auch, dass der Mieter kein „unmoralisches“ Verhalten an den Tag legt und seine Miete zahlen wird.
358 
Stahlmann, Landeskundliche Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 16; dies., Asylmagazin 2017, S. 73 (76 f.); Schuster, Report for the Upper Tribunal, 08.11.2016, S. 4/Rn. 12 und auch S. 14/Rn. 41 und S. 15/ Rn. 44 m.w.N.
359 
Es gibt keine NGOs oder öffentliche Organisationen, die bei der Wohnungssuche unterstützen. Immobilienmakler bieten einen entsprechenden Service im Austausch für eine Monatsmiete von Mieter und Vermieter an.
360 
BAMF/ZIRF/IOM, ZIRF-Anfrage: Medizinische Versorgung in Afghanistan, Unterstützung für Rückkehrer bei Arbeits- und Wohnungssuche, 21.09.2016.
361 
Zwischen den Verhältnissen in den urbanen Zentren und den ländlichen Gebieten Afghanistans herrscht ein eklatantes Gefälle. Es fehlt außerhalb der Hauptstadt Kabul und der Provinzhauptstädte vielerorts an grundlegender Infrastruktur für Energie, Trinkwasser und Transport. Der Anteil der Bevölkerung, der Zugang zu Trinkwasser hat, beträgt nur 46 %.
362 
Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage vom 19.10.2016 - Stand September 2016 -, S. 21; UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 19.04.2016, S. 31.
363 
cc) Verschärft wird die Lage - insbesondere auf dem Arbeits- und dem Wohnungsmarkt - nicht zuletzt aufgrund erheblicher Migrationsbewegungen.
364 
Für das gesamte Land Afghanistan ist eine erhebliche, zudem stetig ansteigende Anzahl an Migranten festzustellen. Es handelt sich sowohl um Binnenvertriebene (internally displaced persons - IDPs), Rückkehrer (insbesondere aus Iran und Pakistan sowie aus dem westlichen Ausland) und Wirtschaftsmigranten.
365 
EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 40.
366 
Im Jahr 2015 gab es in ganz Afghanistan mindestens 1,1 Millionen Binnenvertriebene.
367 
Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19.10.2016 - Stand: September 2016, S. 21: zwischen 1,1 und 1,2 konfliktinduzierte Binnenflüchtlinge.
368 
Im April 2016 war deren Zahl auf 1,2 Millionen geschätzt worden.
369 
Stahlmann, Asylmagazin 2017, S. 73 (74 f.) m.w.N.;. a.i., My children will die this winter - Afghanistan´s broken promise to the displaced, 31.05.2016, S. 7.
370 
Bis Jahresende wurden 2016 insgesamt 620.000 bis 650.000 Menschen als kriegsbedingt vertrieben ausdrücklich und aktenkundig registriert - das sind dreimal so viele wie 2014 und sechsmal so viele wie 2012. Im Zeitraum seit Anfang 2017 bis ca. Juli 2017 haben etwa 150.000 Personen auf Grund innerstaatlicher Konflikte ihren Wohnort verlassen. Sie suchen mehrheitlich innerhalb ihrer Provinz Zuflucht, es sind aber auch Fluchtbewegungen in die Provinz Kabul zu verzeichnen.
371 
Stahlmann, Asylmagazin 2017, S. 73 (74) m.w.N.: 623.345; General Assembly Security Council, The situation in Afghanistan and its implications for international peace and security - report of the Secretary-General, 03.03.2017: S. 9 zur Verschlechterung bis ins Jahr 2017 mit Rekordzahlen neuer, konfliktbedingter Binnenvertreibung in Höhe von 651.751 Personen; vgl. auch Bericht des Auswärtigen Amts zur Lagebeurteilung für Afghanistan nach dem Anschlag am 31. Mai 2017 - Stand Juli 2017 -, S. 10.
372 
Daneben sind im Jahr 2016 etwa eine Million Menschen aus Iran und Pakistan nach Afghanistan zurückgekehrt, wobei als Rückkehrende auch jene gelten, deren Eltern schon im benachbarten Ausland geboren wurden. Hintergrund ist, dass der Iran vermehrt afghanische Staatsangehörige abschiebt und Pakistan im letzten Herbst 2016 entschieden hat, ab April 2017 keine afghanischen Personen mehr im Land zu dulden. Zusätzlich zu den 1,6 Millionen afghanischen Staatsangehörigen, die in Pakistan bisher einen Flüchtlingsstatus hatten, betrifft diese Entscheidung nach Schätzungen der pakistanischen Regierung zumindest eine weitere Million illegal dort lebender afghanischer Personen.
373 
UNHCR, Anmerkungen zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des deutschen Bundesministerium des Inneren - Dezember 2016, S. 4 zum Rekordniveau von interner Flucht und Vertreibung für das Jahr 2016: ca. 372.000 + 242.000 Flüchtlinge aus Pakistan und 420.000 aus dem Iran sowie eine Prognose für das Jahr 2017 mit 650.000 zurückkehrenden Flüchtlingen; Stahlmann, Asylmagazin 2017, S. 73 (74): 1.034.000 Rückkehrer aus Iran und Pakistan; a.i., Amnesty Report 2017 - Afghanistan (Berichtszeitraum 1. Januar 2016 bis 31. Dezember 2016): S. 1; Schuster, Risks on return to Kabul, 12.08.2016, S. 16 f./Rn. 43; ProAsyl, Afghanistan - No safe country for refugees, Mai 2017, S. 4: mehr als eine Million; General Assembly Security Council, The situation in Afghanistan and its implications for international peace and security - report of the Secretary-General, 03.03.2017: S. 9 zur Rückkehr von 620.000 Flüchtlingen und nicht dokumentierten Afghanen aus Pakistan.
374 
Plastisch hat der UNHCR die Versorgungs- und humanitäre Situation zusammengefasst. Er beschreibt, dass infolge des allgemein gestiegenen Sicherheitsrisikos - einschließlich der Zunahme der die Mitarbeiter von Hilfsorganisationen betreffenden Sicherheitsvorfälle - der Zugang zu den betroffenen Menschen für humanitäre Hilfsorganisationen begrenzt ist. Die begrenzte Präsenz jener Organisationen in den vom Konflikt betroffenen Gebieten behindert insbesondere den Zugang zu lebensrettender Unterstützung für die besonders schutzbedürftigen Teile der Bevölkerung. Jahrzehnte der Konflikte und wiederkehrender Naturkatastrophen haben die afghanische Bevölkerung in einen Zustand großer Schutzbedürftigkeit versetzt und die Überlebensmechanismen vieler Menschen erschöpft. Der fortwährende Konflikt greift durch die Zerstörung von Lebensgrundlagen und von Viehbestand, steigende Raten ansteckender Krankheiten, verstärkte Vertreibung, ständige Menschenrechtsverletzungen und höhere Kriminalitätsraten diese Schwachstellen weiter an. Ebenso haben der andauernde Konflikt, schwache Regierungsgewalt sowie ineffiziente oder korrupte Institutionen dazu geführt, dass Vorbereitungsmaßnahmen im Hinblick auf Katastrophen, Risikoreduzierung und Notfallmechanismen Berichten zufolge nicht oder kaum vorhanden sind. In der Folge stellen Naturkatastrophen wie Überflutungen, Schlammlawinen, Erdbeben, Dürren und harte Winter eine weitere Belastung für die Bevölkerung dar, deren Widerstandskraft ohnehin bereits geschwächt wird.
375 
UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 19.04.2016, S. 30 f.; vgl. auch UNOCHA, Humanitarian Needs Overview 2017, November 2016, S. 8.
376 
dd) Des Weiteren ist die Situation der Menschen in Afghanistan bestimmt durch eine anhaltend schlechte Sicherheitslage.
377 
Sie wird - bei starken regionalen Unterschieden - allgemein als anhaltend volatil beschrieben.
378 
Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19.10.2016 - Stand: September 2016, S. 4. Ruttig in Staatssekretariat für Migration SEM der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Notiz Afghanistan: Alltag in Kabul - Referat von Thomas Ruttig (Afghanistan Analysts Network) am 12.04.2017, 20.06.2017, S. 4 ff. spricht von der dreifachen Krise im Hinblick auf die Sicherheitslage, die sozio-ökonomische und die politische Situation in Afghanistan
379 
Afghanistan besetzt auf dem Global Peace Index (GPI) des Jahres 2017 bei den am wenigsten friedlichen Ländern den zweiten Platz hinter Syrien. In der weiteren Beschreibung des GPI wird dazu ausgeführt, die Gesamtbewertung Afghanistans habe sich das sechste Jahr in Folge weiter verschlechtert. Die Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen hat auch in den ersten Monaten des Jahres 2017 wieder zugenommen, insbesondere im Vergleich zu derselben Zeitspanne des Vorjahres.
380 
UK Home Office, Country Policy and Information Note - Afghanistan: Security and humanitarian situation, August 2017, S. 14 m.w.N. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Afghanistan (Gesamtaktualisierung vom 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 27.06.2017), S. 13 f.
381 
Eine Bedrohung für Leib und Leben von Zivilisten geht von den Kampfhandlungen der Konfliktparteien, aber auch von improvisierten Sprengkörpern, von Selbstmordanschlägen und komplexen Angriffen auf staatliche Einrichtungen aus. UNAMA gab im Bericht betreffend den Schutz von Zivilisten im bewaffneten Konflikt für das Jahr 2016 eine Zahl von 11.418 zivilen Opfern an, davon 7.920 Verletzte und 3.498 Tote. Der Halbjahresbericht vom Juli 2017 geht für das erste Halbjahr 2017 von einer Gesamtopferzahl (Tote und Verletzte) von 5.243 im Vergleich zu 5.267 im Vorjahreszeitraum aus. Die überwiegende Zahl von zivilen Opfern ist dabei auf Kampfhandlungen am Boden (38 % im Jahr 2016, 34 % im ersten Halbjahr 2017) und improvisierte Sprengsätze (19 % im Jahr 2016, 18 % im ersten Halbjahr 2017) zurückzuführen. Dabei ist die Bevölkerung immer dann gefährdet, wenn sie bei Kämpfen der Konfliktparteien zwischen die Fronten gerät oder Opfer improvisierter Sprengsätze wird, die für andere Ziele gedacht waren. Weniger ausschlaggebend ist dagegen, ob die afghanischen Sicherheitskräfte oder die Taliban die Kontrolle über einen Raum ausüben.
382 
Auswärtiges Amt, Zwischenbericht: Lagebeurteilung für Afghanistan nach dem Anschlag am 31. Mai 2017 - Stand Juli 2017, S. 8 f.; UNAMA, Midyear Report 2017: Afghanistan - protection of civilians in armed conflict, Juli 2017. S. 3; UNAMA, Annual Report 2016: Afghanistan - protection of civilians in armed conflict, Februar 2017, S. 10.
383 
Während zivile Opfer in ländlichen Gebieten vor allem auf Kampfhandlungen, Landminen, improvisierte Sprengsätze und Übergriffe von nicht-staatlichen Gruppen zurückzuführen sind, stellen für die städtische Bevölkerung vor allem Selbstmordanschläge, komplexe Attacken, gezielte Tötungen und Entführungen Bedrohungen dar. Dies gilt insbesondere für Kabul.
384 
Auswärtiges Amt, Zwischenbericht: Lagebeurteilung für Afghanistan nach dem Anschlag am 31. Mai 2017 - Stand Juli 2017, S. 9.
385 
Ein großer Teil des Landes wird von regierungsfeindlichen Kräften beherrscht, wobei die jeweilige Vorherrschaft der unterschiedlichen Kräfte ständigem Wandel unterworfen ist. Im ersten Quartal 2017 waren nur etwa 60 % der 407 Distrikte des Landes unter der Kontrolle oder dem Einfluss der afghanischen Regierung, was einen Anstieg um 2,5 Prozentpunkte im Vergleich zum Stand Mitte November 2016, aber einen Rückgang um 11 Prozentpunkte im Vergleich zum ersten Quartal 2016 bedeutet. Die Taliban behaupten, 16 der 34 Provinzen Afghanistans zu kontrollieren und in nur 89 Distrikten nicht präsent zu sein. In den südlichen Provinzen Helmand, Nimroz, Uruzgan, Zabul, Ghazni würden beinahe alle Distrikte von ihnen kontrolliert bzw. seien zumindest „umkämpft“.
386 
UK Home Office, Country Policy and Information Note - Afghanistan: Security and humanitarian situation, August 2017, S. 22 f. m.w.N.; siehe auch Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Afghanistan (Gesamtaktualisierung vom 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 27.06.2017), S. 27.
387 
Unter dem direkten Einfluss der Taliban standen im dritten Quartal 2016 etwa 2,9 Millionen Menschen, im vierten Quartal waren es noch ungefähr 2,5 Millionen.
388 
Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Afghanistan (Gesamtaktualisierung vom 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 27.06.2017), S. 26 f.
389 
Die afghanische Regierung konnte dabei die Kontrolle über Kabul sowie die Hauptbevölkerungszentren, die meisten Schlüsselverbindungsstrecken, Provinzhauptstädte und die Mehrzahl der Distriktzentren behalten, wobei Distriktzentren und Provinzhauptstädte von Taliban bekämpft bzw. bedroht und diese sich zeitweise der Hauptkommunikationsverbindungen im Land bemächtigt haben, insbesondere in den Provinzen Kunduz und Helmand.
390 
UK Home Office, Country Policy and Information Note - Afghanistan: Security and humanitarian situation, August 2017, S. 23 m.w.N.; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Afghanistan (Gesamtaktualisierung vom 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 27.06.2017), S. 24.
391 
In Afghanistan - aber auch grenzüberschreitend Richtung Pakistan - sind mehr als 20 aufständische Gruppen bzw. terroristische Netzwerke aktiv, darunter die Taliban, das Haqqani Netzwerk (verbündet mit den Taliban, aber nicht Teil von deren Kernbewegung), der Islamische Staat/Daesh in Gestalt der ISKP sowie al-Qaida.
392 
Zu den einzelnen Gruppen ausführlich u.a.: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Afghanistan (Gesamtaktualisierung vom 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 27.06.2017), S. 10 ff. und 27 ff.
393 
Die Sicherheitslage wird außerdem durch den Opiumanbau in Afghanistan beeinträchtigt. Die Einkünfte aus dem Drogenschmuggel versorgen sowohl die Aufständischen als auch daneben bestehende kriminelle Netzwerke. Die Anbaufläche für Opium vergrößerte sich im Jahr 2016 im Vergleich zum Vorjahr um 10 % auf etwa 201.000 Hektar. Das für das Jahr 2016 geschätzte Volumen der Opiumproduktion betrug 4.800 Tonnen, was eine Steigerung von etwa 43 % im Vergleich zum Vorjahr bedeutet. Die im Vergleich zur Ausweitung der Produktionsfläche auffallend hohe Steigerung der Produktionsmenge erklärt sich aus guten Anbaubedingungen bei zugleich weniger effektiven staatlichen Bekämpfungsmaßnahmen aufgrund von fehlenden finanziellen Ressourcen hierfür sowie der schlechten Sicherheitslage.
394 
Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Afghanistan (Gesamtaktualisierung vom 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 27.06.2017), S. 31; General Assembly Security Council, The situation in Afghanistan and its implications for international peace and security - report of the Secretary-General, 03.03.2017, S. 11; zur Instabilität infolge des Opiumhandels: UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 19.04.2016, S. 15.
395 
ee) Rückkehrer aus dem westlichen Ausland - freiwillig Zurückgekehrte aber insbesondere auch Abgeschobene - sind zusätzlichen Risiken ausgesetzt. Sie sehen sich dem generellen Verdacht gegenüber, ihr Land und ihre religiöse Pflicht verraten zu haben.
396 
Stahlmann, ZAR 2017, 189 (196); dies., Landeskundliche Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 4, je m.w.N.; UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 19.04.2016, S. 97, insb. Rn. 545.
397 
Ein Aufenthalt im westlichen Ausland wird vermehrt dahin wahrgenommen, der Zurückkehrende habe sich der europäischen Kultur und dem Lebensstil angepasst. Es herrscht die Erwartung, der Betroffene werde entsprechendes (Fehl-) Verhalten auch in Afghanistan weiter an den Tag legen, etwa außereheliche Beziehungen, Alkohol- und Drogenkonsum und alle möglichen Varianten von Apostasie. Schon entsprechende Gerüchte können ausreichen, um staatliche Verfolgung, jedenfalls aber Selbstjustiz bis hin zur Bestrafung mit dem Tod - auch durch Angehörige - wegen des vermeintlichen Bruchs kultureller und religiöser Normen auszulösen.
398 
Stahlmann, Landeskundliche Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 7 ff. m.w.N., dies., Asylmagazin 2017, 82 (83); Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 22. Januar 2016 zu Afghanistan: Situation einer ledigen Mutter der Hazara-Ethnie in Kabul, 22.01.2016, S. 9 f. sowie US Department of State, Afghanistan 2016 Human Rights Report, 17.03.2017, S. 11; zum Risiko der vermeintlichen „Kontamination“ durch die westliche Lebensweise: Schuster, Report for the Upper Tribunal in the case of XXXX YYYY, 08.11.2016, S. S. 4 f./Rn. 13 und dies., Risks on return to Kabul, 12.08.2016, S. 19/Rn. 49; Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 29 ff. m.w.N.; zur Problematik der vermeintlichen „Verwestlichung“ bei Frauen ausführlich Giesler/Wohnig, Uneinheitliche Entscheidungspraxis zu Afghanistan - Eine Untersuchung zur aktuellen Afghanistan-Entscheidungspraxis des BAMF und der Gerichte (Ergänzte Fassung zur Kurzfassung aus Asylmagazin 2017, 223) (asyl.net), S. 13 f. m.w.N.
399 
Die Unterstützung durch Angehörige und Familie - soweit vorhanden - ist darüber hinaus des Öfteren eingeschränkt, weil die Rückkehr nach Afghanistan als Ausdruck des Versagens trotz des vermeintlich leichten Lebens im Westen verstanden wird und gleichzeitig der Verdacht schwelt, der Zurückkehrende habe womöglich eine schwere Straftat in Europa begangen. Denn nach einer in Afghanistan weit verbreiteten Auffassung schiebt Europa nur Straftäter ab, weshalb ein Abgeschobener im vermeintlich regellosen Europa ein schweres Verbrechen verübt haben müsse.
400 
Stahlmann, Landeskundliche Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 9; zum Stigma des Versagens auch Naber, Asylmagazin 2016, 3 (7) und auch Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 35 sowie S. 36 zur Assoziation der Rückkehr mit Kriminalität, je m.w.N.
401 
Außerdem kann einer Unterstützung durch die Familie entgegenstehen, dass diese erhebliche Mittel aufgewendet oder sogar Geld geliehen hat, um die Reise zu finanzieren. Neben dem Vorwurf, der Zurückkehrende habe die erwartete (Versorgungs-) Leistung nicht erbracht, droht auch die Rückforderung durch Kreditgeber, mit der Folge, dass ein Rückkehrer seiner Familie nicht willkommen, sondern „bestenfalls“ nur eine Belastung für diese ist.
402 
Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 38 und 41.
403 
Des Weiteren wird als Gefahr beschrieben, dass die Taliban die Flucht als ein Verhalten werten, mit dem man sich ihrem Machtanspruch entziehen will. Nachvollziehbar erscheint angesichts dessen, dass von Seiten der Taliban das Interesse bestehen soll, zur allgemeinen Abschreckung diejenigen zur Rechenschaft zu ziehen, die sich ihnen entzogen haben.
404 
Stahlmann, ZAR 2017, 189 (196); dies., Landeskundliche Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 4 ff., je m.w.N.; UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 19.04.2016, S. 41 f.; Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 33 f. m.w.N.
405 
Entsprechend wird die ohnehin allgemein übliche Überprüfung der Biographie der Rückkehrer durch das neue soziale Umfeld noch sorgfältiger als üblich vorgenommen, da sie wegen ihrer Flucht grundsätzlich verdächtigt werden, sich persönlicher Verfolgung entzogen zu haben - sei es durch militante Gruppierungen oder Privatpersonen.
406 
Stahlmann, Landeskundliche Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 5, m.w.N.; ähnlich Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 40 und 43 m.w.N. vgl. auch S. 35 m.w.N. zur Problematik der Diskriminierung/Entlassung bei Bekanntwerden eines vorangegangenen Aufenthalts im westlichen Ausland.
407 
Zudem wird angesichts des - grob verzerrt und übersteigert wahrgenommenen - Reichtums in Europa („Jeder Europäer ist (Euro-)Millionär“) in Afghanistan oft davon ausgegangen, dass Rückkehrer während ihrer Zeit im Westen zu Wohlstand gekommen sind. Sowohl sie selbst als auch ihre Familien laufen daher Gefahr, Opfer von Entführungen zu werden, die lebensbedrohlich sein können, insbesondere wenn nicht gezahlt wird oder werden kann. Das gleiche gilt für bekanntgewordenen Kontakt mit Ausländern.
408 
Stahlmann, ZAR 2017, 189 (198); dies., Landeskundliche Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 10 f., je m.w.N.; Schuster, Report for the Upper Tribunal in the case of XXXX YYYY, 08.11.2016, S. 6 f./Rn. 18 sowie Schuster, Risks on return to Kabul, 12.08.2016, S. 20/Rn. 52; Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 29 f. und S. 40, je m.w.N.
409 
Schließlich berichten Rückkehrer von Problemen mit Behörden oder Sicherheitskräften, insbesondere weil sie als anders aussehend wahrgenommen werden, weil sie keine Tazkira haben, aber auch, weil sie als Sicherheitsrisiko empfunden werden, da sie mangels Ausbildung und mangels Chancen auf Arbeit als potentielle Drogenhändler oder durch bewaffnete regierungsfeindliche Kräfte leicht zu rekrutierende Personen gesehen werden.
410 
Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 18.
411 
ff) Andererseits können Rückkehrer - anders als die übrige Bevölkerung - von Unterstützungsmaßnahmen profitieren.
412 
Zusammenfassend hierzu: Afghanistan Analysts Network - voluntary and forced returns to Afghanistan in 2016/17: trends, statistics and experiences, 19.05.2017, S. 6 f. und Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 19 bis 29.
413 
Die Internationale Organisation für Migration (IOM) bietet in Deutschland verschiedene Rückkehrhilfen an. Unterstützung in Gestalt von Geldzahlungen können afghanische Rückkehrer, die sich freiwillig in ihr Heimatland zurückbegeben, über zwei Programme des IOM erlangen.
414 
Das REAG/GARP-Programm 2017 („Reintegration and Emigration Program for Asylum-Seekers in Germany“/„Government Assisted Repatriation Program“) gewährt eine Reisebeihilfe (etwa die Übernahme der Beförderungskosten) sowie eine Starthilfe, die für Erwachsene und Jugendliche 500 EUR und für Kinder unter zwölf Jahren 250 EUR beträgt.
415 
IOM, REAG/GARP-Programm 2017, Informationsblatt Projekt „Bundesweite finanzielle Unterstützung freiwilliger Rückkehrer/Innen“ (Juli 2017), S. 1; IOM, REAG/GARP-Programm 2017, Projekt „Bundesweite finanzielle Unterstützung freiwilliger Rückkehrer/Innen“, Merkblatt für deutsche Behörden, Mitglieder der Wohlfahrtsverbände, Fachberatungsstellen, zentrale Rückkehrberatungsstellen, Ausländerbeauftragte und den Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCHR) (Juli 2017), S. 5); IOM, REAG/GARP-Programm 2017, Projekt „Bundesweite finanzielle Unterstützung freiwilliger Rückkehrer/Innen“, Merkblatt für deutsche Behörden, Mitglieder der Wohlfahrtsverbände, Fachberatungsstellen, zentrale Rückkehrberatungsstellen, Ausländerbeauftragte und den Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCHR) (Januar 2017), S. 5.
416 
Das „StarthilfePlus-Programm 2017“, das zum Dezember 2017 aktualisiert und erweitert wurde, gewährt Personen, die freiwillig in ihr Heimatland zurückkehren, eine zusätzliche finanzielle Unterstützung. Bei Entscheidung zur Ausreise und Rücknahme des Asylantrags vor Abschluss des Asylverfahrens werden 1.200 EUR, für Kinder unter 12 Jahren 600 EUR pro Kind geleistet („Stufe 1“). Nach Zustellung eines negativen Asylerstbescheids verringert sich der Betrag auf 800 EUR bzw. für Kinder auf 400 EUR, sofern die verbindliche Entscheidung zur freiwilligen Ausreise innerhalb der im Bescheid gesetzten Ausreisefrist erfolgt und keine Rechtsbehelfe bzw. Rechtsmittel eingelegt bzw. bereits eingelegte zurückgenommen werden („Stufe 2“). Die zum Dezember 2017 neu eingeführten „Stufe S“ betrifft Leistungen an Personen mit Schutzstatus, die freiwillig auf ihren Schutzstatus verzichten („Stufe S“). Die Übergangsregelung der „Stufe Ü“, die bereits im Vorgängerprogramm der StarthilfePlus vom Januar 2017 enthalten war, sieht Leistungen ebenfalls im Umfang 800 EUR (bzw. 400 EUR pro Kind) vor. Sie betrifft Rückkehrwillige, die entweder vollziehbar ausreisepflichtig sind, auch wenn eine Abschiebungsandrohung noch nicht oder nicht mehr vollziehbar ist, oder solche, die eine Duldung besitzen, einen Folgeantrag oder einen Zweitantrag gestellt haben. Anders als im Vorgängerprogramm setzt die Gewährung der StarthilfePlus nun nicht mehr voraus, dass die Entscheidung zur freiwilligen Ausreise vor einem Stichtag (dies war bislang der 31. Juli 2017) zu erfolgen hat. Erforderlich ist lediglich, dass die betroffene Person vor dem 1. Februar 2017 in Deutschland registriert wurde und eine vollziehbare Ausreisepflicht, eine Duldung oder die Stellung eines Folge- oder Zweitantrags vor dem 1. August 2017 vorlag. Bei gemeinsamem Antrag von mehr als vier Familienmitgliedern ist zudem bei allen vier Stufen ein Familienzuschlag von 500 EUR vorgesehen. Ein Rechtsanspruch auf finanzielle Unterstützung besteht allerdings nicht.
417 
BAMF/IOM, StarthilfePlus-Programm 2017, Merkblatt für deutsche Behörden, Mitglieder der Wohlfahrtsverbände, Fachberatungsstellen, zentrale Rückkehrberatungsstellen, Ausländerbeauftragte und den Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCHR) (Dezember 2017), S. 2; BAMF/IOM, StarthilfePlus-Programm 2017, Merkblatt für deutsche Behörden, Mitglieder der Wohlfahrtsverbände, Fachberatungsstellen, zentrale Rückkehrberatungsstellen, Ausländerbeauftragte und den Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCHR) (Februar 2017), S. 2; BAMF/IOM, Übersichtsblatt zur StarthilfePlus 2017:Zusätzliche finanzielle Unterstützung bei der freiwilligen Rückkehr, Februar 2017.
418 
Die Auszahlung der Gelder aus dem Programm REAG/GARP erfolgt noch in Deutschland, die des StarthilfePlus-Programms 2017 je zur Hälfte am Abflughafen und zur Hälfte in Afghanistan nach etwa sechs bis acht Monaten. Ansonsten erfolgen Bargeldzahlungen durch die IOM üblicherweise unmittelbar nach der Ankunft am Flughafen oder in einem der IOM-Büros vor Ort.
419 
BAMF/IOM, StarthilfePlus-Programm 2017, Merkblatt für deutsche Behörden, Mitglieder der Wohlfahrtsverbände, Fachberatungsstellen, zentrale Rückkehrberatungsstellen, Ausländerbeauftragte und den Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCHR) (Dezember 2017), S. 3; IOM/ZIRF, Mitteilung vom 14.08.2017 zu den Programmen des IOM für freiwillige Rückkehrer (StarthilfePlus, REAG/GARP) auf eine Anfrage des VGH Bad.-Württ. vom 10.07.2017 (A 11 S 512/17); BAMF/IOM, Übersichtsblatt zur StarthilfePlus 2017: Zusätzliche finanzielle Unterstützung bei der freiwilligen Rückkehr, Februar 2017; Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 13, 17 und 25 m.w.N.
420 
Darüber hinaus bietet die IOM über das European Reintegration Network (ERIN) das Unterstützungsprogramm ERIN Specific Action Program für Rückkehrer nach Afghanistan an. Dieses hat allerdings - anders als die vorgenannten Programme - keine Geldleistungen zum Gegenstand. Es gewährt Unterstützung nach der Ankunft und bei der Reintegration in Afghanistan, wobei freiwillige Rückkehrer eine umfangreichere Unterstützung („larger re-integration packages”) erhalten als diejenigen, die nicht freiwillig zurückgekehrt sind. Die Inanspruchnahme setzt eine Bewerbung vor der Rückkehr voraus. Angeboten werden ein Empfangs- und Orientierungsservice bei der Ankunft am Flughafen, Unterstützung beim Weitertransport, Empfehlungen zur Sicherstellung der durchgehenden Versorgung mit dringender ärztlicher Behandlung und eine Notfallunterbringung von mindestens einer Woche. Zur weiteren Wiedereingliederung kann die Beratung durch einen IOM-Mitarbeiter in Anspruch genommen werden, der den Rückkehrern und ihren Familien etwa bei der Planung einer Strategie zur Reintegration helfen kann und auch dazu, wie sie die ihnen gewährten nationalen Zuschüsse sinnvoll verwenden können. Möglich sind Hilfestellungen bei Existenzgründungen, die Beratung bei der Suche und Vermittlung von Arbeitsstellen, die Vermittlung in Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen, Unterstützung in sozialen, medizinischen und rechtlichen Angelegenheit oder die Unterstützung bei der Wohnraumbeschaffung. Unterstützungsleistungen werden nicht durch Direktzahlungen, sondern durch Beratungs- und Sachleistungen erbracht. Bei rückgeführten Personen können diese höchstens einen Wert von 700 EUR haben. Als „berücksichtigungsfähige Kriterien“ bei der Prüfung werden existenzsichernde Maßnahmen, individueller medizinischer Bedarf, die Rückkehr weiterer Familienangehöriger, die Dauer des Aufenthalts in Deutschland bzw. der Abwesenheit im Heimatland sowie die Vulnerabilität des Betroffenen genannt. Die Reintegrationsmaßnahmen legen der Rückkehrer und der Mitarbeiter vor Ort individuell fest. Die Unterstützung soll nach drei bis sechs Monaten weitgehend abgeschlossen sein.
421 
Siehe insgesamt: BAMF/ERIN, Programmsteckbrief ERIN - European Reintegration Network, Rückkehrerhilfen (Projektdauer Juni 2016 bis Dezember 2021), 14.08.2017; IOM/ ERIN - European Reintegration Network, Specific Action Program, Afghanistan Briefing Note, 13.03.2017; ERIN/IOM, ERIN - European Reintegration Network, Specific Action Program, Afghanistan Leaflet, 13.03.2017.
422 
Sachleistungen können freiwillige Rückkehrer außerdem im Rahmen eines für den Zeitraum zwischen 1. Dezember 2017 und 28. Februar 2018 geltenden Sonderprogramms der StarthilfePlus zur Reintegrationsunterstützung beantragen. Diese umfassen u.a. Bau-, Renovierungs- und Instandhaltungsmaßnahmen, Basismobiliar und Grundausstattung für Küche und sanitäre Anlagen. Die Leistungen sind auf den Wert von 1.000 EUR pro Einzelperson und 3.000 EUR pro Familie begrenzt. Die konkrete Ausgestaltung der Reintegrationsunterstützung ist abhängig von einem nach der Rückkehr im Zielland zu erarbeitenden Reintegrationsplan.
423 
BAMF/IOM, Informationsblatt „Reintegrationsunterstützung im Bereich Wohnen im Bundesprogramm StarthilfePlus“ (Dezember 2017).
424 
IOM-Programme werden allerdings nur in geringem Umfang in Anspruch genommen. Dies scheint vor allem an technischen und bürokratischen Hürden zu liegen. Im Falle abgeschobener Personen kann hinzukommen, dass diese die Ankunft und Rückkehr am Flughafen in Kabul als demütigend empfinden, deswegen nicht das Bedürfnis verspüren, dort zu verweilen und entsprechend auch nicht den Kontakt zu dem dortigen IOM-Mitarbeiter suchen. Wenn der Umstand der Rückkehr als erdrückend empfunden wird, hat dies unter Umständen zur Folge, dass sie ihre Zeit mit dem Versuch verbringen, sich anzupassen, sie auf Grund von Depressionen nicht die Kraft für Verwaltungsaufgaben aufbringen, sie die Weitergabe von Informationen an die Behörden fürchten oder es ihnen an einem Telefon oder dem Geld für die Reise zu einem der IOM-Büros mangelt. Als maßgeblicher Grund wird auch vermutet, dass die Betroffenen nicht auf die Notwendigkeit der Kontaktaufnahme zu dem IOM-Mitarbeiter hingewiesen werden.
425 
Afghanistan Analysts Network - voluntary and forced returns to Afghanistan in 2016/17: trends, statistics and experiences, 19.05.2017, S. 9 f., Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 26 f. m.w.N.; dort auch auf S. 48 zur Problematik, dass von Teilnehmern des IOM-Programms bemängelt worden sei, keine individualisierte Beratung statt, sondern die Beratung zur Planung eines Geschäftsbetriebs sei immer gleich („one-size-fits-all“).
426 
Auch von Seiten der afghanischen Regierung gibt es Unterstützungsprogramme für Rückkehrer aus Europa.
427 
Im April 2015 hat die afghanische Regierung zunächst eine Hohe Kommission für Migration gegründet und im November 2016 dann ein gesondert auf die Belange von Rückkehrern gerichtetes Komitee (Displacement and Returnees Executive Committee). Dessen Funktion ist es, eine Strategie zur Koordination von humanitären und Entwicklungsprogrammen festzulegen sowie die Entwicklung von Richtlinien zur Unterstützung (u.a.) von Rückkehrern. Dabei geht es nicht nur um die finanzielle Unterstützung des Einzelnen. Damit die Rückkehrer nicht als gescheitert und unfähig zur Leistung des von ihnen erwarteten Beitrags erscheinen, ist auch die finanzielle Unterstützung des familiären bzw. sozialen Umfelds angedacht. Der Ansatz ist allerdings kritisiert worden, etwa weil er die örtliche Korruption nicht berücksichtige.
428 
Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 28, dort auch zu Unterstützungsangeboten für das Umfeld bzw. die Gemeinschaft der Rückkehrer („a more community-oriented financial support“).
429 
Die derzeit von Seiten der afghanischen Regierung gewährten Hilfen umfassen die Bereiche der Arbeitsvermittlung, des rechtlichen Beistands sowie Fragen von Grund und Boden und Obdach. Die Unterstützung wird nicht von einer einzelnen Institution gewährt, vielmehr muss der Rückkehrer selbst die Initiative ergreifen und sich an die jeweils zuständige Stelle wenden - etwa an das Arbeitsministerium, wenn er Hilfe bei der Arbeitssuche erhalten will. Rückkehrer aus Europa berichten, dass sie nur wenig Unterstützung in irgendeiner Art erhalten hätten, mit Ausnahme einer zweiwöchigen Unterbringung durch die Regierung.
430 
Afghanistan Analysts Network - voluntary and forced returns to Afghanistan in 2016/17: trends, statistics and experiences, 19.05.2017, S. 7; Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 28.
431 
Schließlich gibt es lokale nichtstaatliche Organisationen, die freiwillige und abgeschobene Rückkehrer unterstützen, etwa IPSO (International Psychosocial Organisation) und AMASO (Afghanistan Migrants Advice & Support Organisation). IPSO ist eine in Deutschland ansässige Organisation mit psychosozialen Unterstützungsangeboten (Selbsterfahrungsgruppen, Übungen zum Leben in Afghanistan, Eins-zu-Eins-Beratung, Malen und Handarbeit). AMASO gewährt Rückkehrern - vorwiegend aus nordischen Ländern - die Möglichkeit einer Unterkunft für mehr als zwei Wochen. Außerdem bietet eine örtliche Anwaltskanzlei (freiwilligen) Rückkehrern aus Norwegen ihre Dienstleistungen an. Etablierte Koordinationsmechanismen zur Sicherstellung der benötigten Unterstützung für alle Rückkehrer oder zu deren Gleichbehandlung scheint es allerdings insgesamt nicht zu geben.
432 
Afghanistan Analysts Network - voluntary and forced returns to Afghanistan in 2016/17: trends, statistics and experiences, 19.05.2017, S. 7, dort auch S. 10 zu AMASO und IPSO; Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 28 f., dort auf S. 53 auch ausführlicher zu IPSO sowie auf S. 64 ausführlicher zur AMASO, dort auch zur Betreuung eines aus Deutschland abgeschobenen, bei einem Bombenanschlag verletzten Rückkehrers.
433 
Eine weitere Unterstützungsleistung können Rückkehrer zudem in Form einer kurzfristigen Unterbringung erlangen. Die IOM bietet in einem sogenannten Empfangszentrum (Jangalak reception centre) eine vorübergehende Unterkunft für höchstens zwei Wochen. Es handelt sich um ein Gebäude auf dem Gelände des Ministeriums für Flüchtlinge und Neuverteilung auf dem Gelände der früheren Jangalak-Fabrik. Dort gibt es 24 Zimmer mit je zwei bis drei Betten. Sowohl freiwillige als auch abgeschobene Rückkehrer können dort unterkommen. Zwölf Mitarbeiter betreuen die Rückkehrer. 2016 nutzten 43 Personen das Angebot. Sie blieben durchschnittlich für sieben Nächte.
434 
Afghanistan Analysts Network - voluntary and forced returns to Afghanistan in 2016/17: trends, statistics and experiences, 19.05.2017, S. 9.
435 
Im Rahmen einer entsprechenden Befragung erklärten mehrere Rückkehrer, sie wollten auf das Angebot nicht zurückgreifen, weil sie glaubten, der Aufenthalt dort berge das Risiko, dass sie als Rückkehrer identifiziert würden.
436 
Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 63.
437 
c) Lebensverhältnisse in Kabul
438 
In Kabul als Ankunfts- bzw. Endort der Abschiebung gestalten sich die Lebensverhältnisse in Teilen ähnlich, es gibt allerdings auch Unterschiede zu den für das gesamte Land erläuterten Lebensverhältnissen.
439 
Wie bereits im Zusammenhang mit dem städtischen Wohnungsmarkt allgemein dargestellt, ist der Wohnungsmarkt in Kabul teuer und (insbesondere auch auf Grund der großen Zahl intern Vertriebener und Rückkehrern aus dem benachbarten Ausland) sehr angespannt. Denn die Stadt Kabul hat von der erheblichen, stetig ansteigenden Anzahl an Migranten einen unverhältnismäßig großen Anteil aufgenommen.
440 
EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 40.
441 
Kabul ist der Hauptzielort der größten Rückkehrbewegung und zugleich auch traditionell ein Zufluchtsgebiet der vom Konflikt betroffenen Binnenvertriebenen insbesondere aus der Zentralregion. Ein erheblicher Anteil der insgesamt 5,7 Millionen Menschen, die nach dem Fall der Taliban aus dem Iran und Pakistan zurückgekehrt waren, und der genannten 1,2 Millionen Binnenvertriebenen hat sich in bzw. um Kabul herum niedergelassen. Zu diesen kommen noch weitere Personen hinzu, etwa ein erheblicher Anteil der im Jahr 2016 aus Pakistan Zurückgekehrten. Ihre Zahl wurde zur Jahresmitte 2016 noch mit 54.600 bemessen. Zum Ende des Jahres 2016 nannte der UNHCR die Zahl ca. 625.000 Rückkehrern aus Pakistan allein für die letzten vier Monate des Jahres 2016. In Zusammenhang mit dieser Entwicklung wird auch die Verlautbarung eines Ministers der afghanischen Regierung (Balkhi) gebracht, Kabul könne nicht alle Personen aus gefährlichen Provinzen aufnehmen, verbunden mit der Bitte, Abschiebungen zu beenden.
442 
Schuster, Report for the Upper Tribunal in the case of XXXX YYYY, 08.11.2016, S. 18/Rn. 53; Schuster, Risks on return to Kabul, 12.08.2016, S. 16 f./Rn. 43; Stahlmann, Asylmagazin 2017, S. 73 (75); UNHCR, Anmerkungen zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des deutschen Bundesministerium des Inneren - Dezember 2016, S. 5 zur starken Betroffenheit u.a. von Kabul von der hohen Anzahl an Rückkehrern sowie S. 7 zu Kabul als traditionellem Zufluchtsort.
443 
Fast einem Viertel der 55.000 registrierten zurückkehrenden Familien und ein ähnlicher Anteil an nicht dokumentierten Rückkehrern aus Pakistan hat sich in den überfüllten informellen Siedlungen Kabuls niedergelassen. Deswegen bewertet auch der UNHCR im Hinblick auf den Rückgang der wirtschaftlichen Entwicklung in Kabul als Folge des massiven Abzugs der internationalen Streitkräfte im Jahr 2014 die Aufnahmekapazität der Stadt aufgrund begrenzter Möglichkeiten der Existenzsicherung, Marktliquidität, der fehlenden Verfügbarkeit angemessener Unterbringung sowie des mangelnden Zugangs zu grundlegenden Versorgungsleistungen insbesondere im Gesundheits- und Bildungswesen, als äußerst eingeschränkt.
444 
UNHCR, Anmerkungen zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des deutschen Bundesministerium des Inneren - Dezember 2016, S. 7.
445 
Ein nicht unerheblicher Teil der Migranten, aber auch der von jeher in Kabul ansässigen Bevölkerung, gehört dabei der Volksgruppe der Hazara an. In Kabul sollen nach Schätzungen über eine Million bzw. bis zu 1,5 Millionen Hazara leben. Die meisten davon sind Vertriebene, die sich erst vor Kurzem dort niedergelassen haben. Sie sind von den negativen Auswirkungen des hohen Arbeitslosigkeit in gleichem Maße wie auch die übrige Bevölkerung betroffen.
446 
Immigration and Refugee Board of Canada, Afghanistan: Situation of Hazara people living in Kabul City, including treatment by society, security situation, and access to employment; security situation for Hazara traveling to areas surrounding Kabul City to access employment, 20.04.2016.
447 
Als Folge des großen Zustroms nach Kabul wird beschrieben, dass die Migranten in besonderem Maße benachteiligt seien und oft in den überfüllten informellen Siedlungen endeten, für die insbesondere für den Winter die Zustände als schrecklich geschildert werden. Diese bestehen großteils aus behelfsmäßigen Zelten oder Lehmhütten ohne geeigneten Schutz vor Kälte und mit beschränkten Zugang zu sauberem Wasser und medizinischer Versorgung. Es wird von mehreren Dutzend Menschen, insbesondere Kindern und älteren Personen, berichtet, die in den Wintermonaten der Jahre 2012 und 2017 wegen der Kälte gestorben sind. Zum Anderen führt der immense Zuzug dazu, dass die existenziellen Ressourcen noch stärker umkämpft sind, die Arbeitslosigkeit und die Alltagskriminalität zunehmen.
448 
EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S.40; Stahlmann, Landeskundliche Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 15 f.; zu den Zuständen in den informellen Siedlungen auch EASO Country of Origin Information Query - Query concerning the situations of returnees to Afghanistan, 22.06.2015, S. 5 f. m.w.N.; a.i., My children will die this winter - Afghanistan´s broken promise to the displaced, 31.05.2016, S. 17.
449 
Im Übrigen bedeutet eine Wohnung in Kabul zu haben nicht automatisch den Zugang zu Wasser und Strom. Dieser hat sich zwar in den letzten 15 Jahren generell verbessert. Allerdings ist bei der zentralen Wasserversorgung die Wasserqualität schlecht geworden, da Infrastruktur ursprünglich für weit weniger Einwohner ausgelegt war. So funktioniert das öffentliche Wasserleitungssystem nur stundenweise. Zugang zu Leitungswasser haben nur ungefähr 34 % der Einwohner. Die meisten Menschen leben in den Slums und beziehen das Wasser entweder von öffentlichen Pumpen oder selbst angelegten Brunnen, mit denen das Grundwasser angezapft wird. Dessen Stand hat sich zwischenzeitlich von drei bis fünf Metern auf 70 bis 80 Meter Tiefe abgesenkt.
450 
Staatssekretariat für Migration SEM der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Notiz Afghanistan: Alltag in Kabul - Referat von Thomas Ruttig (Afghanistan Analysts Network) am 12.04.2017, 20.06.2017, S. 7; Sam Hall, Urban Poverty Report - A study of poverty, food insecurity and resilience in Afghan Cities, November 2014, S. 49.
451 
Schließlich ist auch die Sicherheitslage in Kabul prekär.
452 
Vgl. dazu die Übersicht: UK Home Office, Country Policy and Information Note - Afghanistan: Security and humanitarian situation, August 2017, S. 24 f.
453 
Sie war bereits in den vergangenen Jahren geprägt von zahlreichen Anschlägen, insbesondere auf medienwirksame Ziele ausländischer Streitkräfte und Organisationen sowie Regierungseinrichtungen.
454 
Dazu die ausführliche Darstellung bei Schuster, Report for the Upper Tribunal in the case of XXXX YYYY, 08.11.2016, S. 21 ff./Rn. 59 ff. und dies. Risks on return to Kabul, 12.08.2016, S. 7/Rn. 18 sowie auch Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 6. Juni 2016: Sicherheitslage in der Stadt Kabul, 06.06.2016; vgl. auch die genannte Entscheidung OVG NRW, Urteil vom 26.08.2014 - 13 A 2998/11 Rn. 207 bis 230 zur damaligen - vor Abzug internationalen der Streitkräfte liegenden - Sicherheitslage (Rn. 217: „aktuell als stabil eingeschätzt“) und der diesbezüglichen Rolle der Taliban.
455 
In jüngerer Zeit erweist sich die Sicherheitslage weiter als volatil. UNAMA hat für das Jahr 2016 für die gesamte Provinz Kabul 1.758 zivile Opfer registriert (376 Tote und 1.382 Verletzte). Kabul war damit die Provinz mit der höchsten Anzahl ziviler Opfer. Zur ersten Hälfte des Jahrs 2017 berichtete UNAMA, die Provinz Kabul weise weiterhin die höchste Zahl an zivilen Opfern auf, vorwiegend in Kabul City. Von den 1.048 zivilen Opfern (219 Tote und 829 Verletzte) in der Provinz Kabul waren 94 % die Folge von Selbstmordattentaten und komplexen Angriffen in Kabul City durch regierungsfeindliche Kräfte.
456 
UNAMA, Midyear Report 2017: Afghanistan - protection of civilians in armed conflict, Juli 2017, Annex III, S. 73 und S. 5, dort auch Fn. 11 zur Stadt Kabul: 986 zivile Opfer in den ersten sechs Monaten des Jahres (209 Todesopfer und 777 Verletzte); EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 83; UK Home Office, Country Policy and Information Note - Afghanistan: Security and humanitarian situation, August 2017, S. 24.
457 
Vom Dezember 2016 bis zum 31. Mai 2017 gab es insgesamt acht öffentlichkeitswirksame Angriffe in Kabul (bei 42 Angriffen an anderen Orten in Afghanistan). So waren beispielsweise bereits bei einem Angriff durch Aufständische auf einen Stützpunkt der Afghanische Nationalarmee 144 Mitarbeiter getötet und 65 weitere Personen verletzt worden. Der Vorfall, der bei Weitem die schwersten Folgen hatte und gleichzeitig die meiste Aufmerksamkeit in den Medien erfuhr, war allerdings der Anschlag vom 31. Mai 2017.
458 
UK Home Office, Country Policy and Information Note - Afghanistan: Security and humanitarian situation, August 2017, S. 24 f.; Auswärtiges Amt, Zwischenbericht: Lagebeurteilung für Afghanistan nach dem Anschlag am 31. Mai 2017 - Stand Juli 2017, S. 2; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Afghanistan (Gesamtaktualisierung vom 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 27.06.2017); S. 8 f. vgl. zu den weiteren zahlreichen Vorfällen die Darstellung in der Entscheidung des Senats: VGH Bad.-Württ., Urteil vom 16.10.2017 - A 11 S 512/17 -, juris Rn. 206 ff.
459 
Wie bei dem Vorfall vom 31. Mai 2017 wurden auch bei weiteren Anschlägen in Kabul, die erklärtermaßen gegen Regierungsinstitutionen, internationale Organisationen und Einrichtungen der afghanischen Armee und Polizei gerichtet waren, viele Angehörige der afghanischen Zivilbevölkerung (u.a. Passanten, Kinder usw.) verletzt und getötet.
460 
Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 19. Juni 2017 zu Afghanistan: Sicherheitslage in Kabul, 19.06.2017, S. 3 m.w.N.; vgl. auch dazu die Entscheidung des Senats: VGH Bad.-Württ., Urteil vom 16.10.2017 - A 11 S 512/17 -, juris Rn. 206 ff.
461 
Auch am 20. Oktober 2017 kam es wieder zu einem Selbstmordattentat, bei dem mindestens 39, womöglich sogar mehr als 65 Personen getötet wurden.
462 
Spiegel-online, Terror in Afghanistan - Mehr als 50 Tote bei Attentaten auf Moscheen, 20.10.2017; Human Rights Watch: The Pain Behind the Numbers of Afghanistan’s Deadly Attacks, 23.10.2017.
463 
Im Unterschied zu den vergangen Jahren kommt es nun zu einer Zunahme ziviler Opfer. Dieser Anstieg ist auf zahlreiche Selbstmordattentate und komplexe Angriffe in Kabul zurückzuführen. Anders als früher häufen sich nun auch Anschläge, die sich gezielt gegen Zivilpersonen richten. So beklagt UNAMA, dass sich zwischen dem 1. Januar und dem 30. Juni 2017 mindestens 40 % der von UNAMA dokumentierten zivilen, regierungsfeindlichen Elementen zuzuschreibenden Opfern (und 26 % der Gesamtzahl der zivilen Opfer) das Ergebnis von Angriffen oder Vorfällen sind, die sich gezielt gegen Zivilisten richteten.
464 
UNAMA, Midyear Report 2017: Afghanistan - protection of civilians in armed conflict, Juli 2017, S. 44; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 19. Juni 2017 zu Afghanistan: Sicherheitslage in Kabul, 19.06.2017, S. 3; vgl. zur vermehrt gezielt auf die Zivilbevölkerung gerichtete Anschläge, insbesondere der ISKP: Auswärtiges Amt, Zwischenbericht: Lagebeurteilung für Afghanistan nach dem Anschlag am 31. Mai 2017 - Stand Juli 2017, S. 10.
465 
Zusammenfassend ist hinsichtlich der allgemeinen Sicherheitslage in Kabul
466 
- vgl. hierzu ergänzend die Ausführungen im Urteil des Senats vom 16.10.2017 - A 11 S 512/17 -, juris Rn. 193, sowie auch zu den Verhältnissen in Kabul allgemein: juris Rn. 99 ff. -
467 
festzuhalten, dass sich nicht nur die Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle gehäuft hat, sondern - wohl maßgeblich auch wegen „neuen“ regierungsfeindlichen Kräfte (IS/Daesh/ISKP) - als weitere Tendenz festzustellen ist, dass bei Anschlägen nun vermehrt zivile Opfer in Kauf genommen werden und sogar gerade auf die Zivilbevölkerung zielen.
468 
Vgl. zum Argument, Angriffe auf die Zivilbevölkerung lägen nicht im Fokus bzw. im Interesse der Taliban, noch das Urteil des OVG NRW vom 26.08.2014 - 13 A 2998/11.A -, NVwZ-RR 2014, 939.
469 
d) Subsumtion
470 
Ausgehend von den dargestellten Verhältnissen in Afghanistan insgesamt sowie insbesondere in der Stadt Kabul als End- bzw. Ankunftsort einer Abschiebung ist im Falle des Klägers ein ganz außergewöhnlicher Fall, in dem humanitäre Gründe zwingend gegen seine Abschiebung sprächen, nicht festzustellen. Denn in Anbetracht der Situation, wie sie leistungsfähige, erwachsene Männer ohne Unterhaltsverpflichtungen und ohne familiäres oder soziales Netzwerk, zu denen auch der Kläger zählt, bei der Rückkehr aus dem westlichen Ausland in Kabul antreffen und unter Berücksichtigung der individuellen Verhältnisse des Klägers, sind die hohen Anforderungen des Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG, Art. 3 EMRK nicht erfüllt.
471 
Zwar ist die Lage in Kabul - wie im gesamten Land - prekär. Wie sich aus den vorstehenden Darstellungen ersehen lässt, sind sowohl die wirtschaftlichen Voraussetzungen als auch die humanitären Umstände schlecht. Dasselbe gilt für die in den letzten Jahren stetig schlechter gewordene Sicherheitslage.
472 
Dennoch kann nicht gleichsam für sämtliche Rückkehrer aus dem westlichen Ausland, denen es in Kabul oder in Afghanistan insgesamt in (familiären oder sonstigen) Beziehungen oder an Unterstützungsnetzwerken fehlt, angenommen werden, die schlechten Bedingungen im Land könnten generell und bei allen diesen Rückkehrern ganz außerordentliche individuelle Umstände darstellen und die hohen Anforderungen zur Bejahung des Art. 3 EMRK trotz fehlenden Akteurs erfüllen.
473 
Zwar ist Afghanistan und insbesondere Kabul gerade auch in jüngster Zeit mit der Rückkehr einer Vielzahl von Menschen aus dem benachbarten und westlichen Ausland konfrontiert. Dabei stellt sich deren Lage, obwohl die Situation für Rückkehrer schwierig ist, nicht für alle gleichermaßen problematisch dar. Berichte dahin, dass Rückkehrer generell oder aber jedenfalls in sehr großer Zahl und unabhängig von ihrer persönlichen Disposition ihr Existenzminimum nicht sichern könnten, gibt es nicht. Vielmehr sind bestimmte, vulnerable Gruppen wie etwa Familien mit jüngeren Kindern, alleinstehende Frauen, Kranke oder ältere Menschen in besonderem Maße gefährdet, ohne dass aber insgesamt festzustellen wäre, dass die Existenzsicherung oder gar das Überleben für sämtliche Rückkehrer nicht gewährleistet wäre.
474 
Insbesondere trifft dies auch nicht für Rückkehrer aus dem westlichen Ausland, aus Europa oder gar aus Deutschland zu, zumal beispielsweise mit Unterstützung der IOM seit dem Jahr 2003 insgesamt 15.041 Personen aus verschiedenen Ländern Europas (darunter das Vereinigte Königreich, Norwegen, die Niederlande, Deutschland, Schweden, Dänemark, Frankreich, Belgien und Österreich) freiwillig nach Afghanistan zurückgekehrt sind. Allein im Jahr 2016 unterstützte die IOM 6.864 Personen bei ihrer freiwilligen Rückkehr nach Afghanistan, davon über 3.000 aus Deutschland. Die meisten Rückkehrer (78 % oder 5.382) waren dabei junge Männer, von denen wiederum ein erheblicher Anteil zwischen 19 und 26 Jahren alt war (2.781) oder sogar Jugendliche mit bis zu 18 Jahren (2.101). Die Zahl der zurückgekehrten Familien wird mit 733 angegeben.
475 
Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 16; Afghanistan Analysts Network - voluntary and forced returns to Afghanistan in 2016/17: trends, statistics and experiences, 19.05.2017, S. 2; UN General Assembly Security Council, The situation in Afghanistan and its implications for international peace and security - report of the Secretary-General, 03.03.2017, S. 10.
476 
Neben diesen zahlreichen freiwilligen Rückkehrern gab und gibt es Abschiebungen aus Europa. So wurden im Zeitraum zwischen Oktober 2016 und April 2017 insgesamt 176 Personen aus Europa nach Afghanistan abgeschoben, darunter 106 aus Deutschland, von denen wiederum auch einige keine Verwandten in Kabul oder in Afghanistan insgesamt hatten (etwa, weil sie zuvor lange Jahre im Iran gelebt hatten).
477 
Afghanistan Analysts Network - voluntary and forced returns to Afghanistan in 2016/17: trends, statistics and experiences, 19.05.2017, S. 3 ff.
478 
Obwohl diese Rückkehrer sich - wie dargestellt - in Afghanistan vielen Belastungen gegenübersehen und die Situation im Land äußerst schwierig ist, sind den umfangreichen Erkenntnismitteln zur Lage in Afghanistan keine Informationen zu entnehmen, aus denen geschlossen werden könnte, allein der Umstand einer Rückkehr aus dem westlichen Ausland bei fehlenden Netzwerken vor Ort stehe einer Existenzsicherung in Afghanistan bzw. in Kabul (auch nur auf niedriger Stufe) entgegen. Zwar gibt es vereinzelte Rückkehrerberichte, die die oben geschilderte Bandbreite von Problemen betreffen. Erfahrungsberichte oder Schilderungen dahin, dass gerade auch leistungsfähige erwachsene männliche Rückkehrer ohne Unterhaltsverpflichtungen in großer Zahl oder sogar typischerweise von Obdachlosigkeit, Hunger, Krankheit betroffen oder infolge solcher Umstände gar verstorben wären, sind hingegen nicht ersichtlich.
479 
Insbesondere lässt sich aus dem Fehlen eines familiären oder sozialen Netzwerks in Kabul nicht die beachtliche Wahrscheinlichkeit eines Verstoßes gegen Art. 3 EMRK herleiten. So kann auch nach Auffassung des UNHCR im Falle von - wie er es formuliert - alleinstehenden, leistungsfähigen Männern ohne besonderen Schutzbedarf von dem grundsätzlich für erforderlich erachteten traditionellen Unterstützungsnetzwerk durch (unterstützungsfähige und - willige) Mitglieder der (erweiterten) Familie oder ihrer größeren ethnischen Gruppe trotz der schlechten Lebensbedingungen in Afghanistan abgesehen werden. Denn von diesen kann erwartet werden, ohne Unterstützung von Familie und Gemeinschaft in urbanen und semi-urbanen Umgebungen zu leben, die die notwendige Infrastruktur sowie Erwerbsmöglichkeiten zur Sicherung der Grundversorgung bieten und unter tatsächlicher staatlicher Kontrolle stehen, wobei allerdings dennoch immer eine einzelfallbezogene Analyse vorzunehmen ist.
480 
UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 19.04.2016, S. 10 und S. 99, wobei in der nachfolgenden Stellungnahme des UNHCR vom Dezember 2016 (Anmerkungen zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des deutschen Bundesministerium des Inneren - Dezember 2016) insofern keine Änderungen der Bewertung vorgenommen wurden (vgl. dort zur Aufrechterhaltung der Erwägungen der Richtlinien vom 19.04.2016: S. 7 f.).
481 
Von nicht unerheblicher Bedeutung kann allerdings sein, ob der Betroffene eine der beiden in Afghanistan gesprochenen Sprachen (Paschtu und Dari) beherrscht und sich somit hinreichend verständigen kann.
482 
Zu diesem Kriterium vgl. BayVGH, Urteil vom 16.01.2014 - 13a B 13.30025 -, Leitsatz sowie juris Rn. 25 (Sicherung des Existenzminimums für einen afghanischen Rückkehrer ohne Kenntnisse einer der Landessprachen verneint, wenn kein Vermögen vorhanden und keine familiäre Unterstützung zu erlangen ist).
483 
Dies ist beim Kläger, der Dari spricht, der Fall.
484 
Auch die zur Situation der Rückkehrer aus dem westlichen Ausland geschilderte, ablehnende Haltung der afghanischen Gesellschaft und das Misstrauen gegenüber Personen ohne Leumundszeugen ist für sich nicht geeignet, einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK zu begründen. Zwar sind Nachteile bei Unterkunfts- und Arbeitssuche durchaus nicht ausgeschlossen, zwangsläufig eintreten werden diese indes nicht. Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit, dass sich diese Situation auch im Falle des Klägers realisieren würde - dass also auch der Kläger entsprechend erkannt würde, dass er infolge dessen tatsächlich keinen Zugang zu einer auch nur einfachen Unterkunft haben würde oder vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen wäre -, vermag der Senat daher nicht festzustellen.
485 
Vielmehr handelt es sich beim Kläger um einen alleinstehenden, leistungsfähigen, erwachsenen Mann. Das Erwirtschaften eines - wenn auch womöglich sehr geringen - Einkommens wird ihm trotz des angespannten Arbeitsmarkts wenigstens als Tagelöhner möglich sein. Insbesondere steht dem der Gesundheitszustand des Klägers nicht entgegen. Er hat zwar geltend gemacht, er leide an einer Herzrhythmusstörungen, zu denen er im Rahmen der Anhörung vor dem Senat im Verhandlungstermin vom 13. Oktober 2017 erklärt hat, sie hätten Schlafstörungen und einen Gewichtsverlust verursacht. Die vorliegenden ärztlichen Unterlagen belegen allerdings auch, dass die Ursache der Herzrhythmusstörung im Rahmen des am 23. Oktober 2017 durchgeführten Eingriffs erfolgreich beseitigt werden konnte (dazu im Weiteren noch ausführlicher im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, s.u. III. 2). Eine Einschränkung des Klägers in seiner Erwerbs- und Leistungsfähigkeit liegt daher nicht vor. Der Kläger hat nach eigenen Angaben bereits in der Vergangenheit in Afghanistan gearbeitet, zuerst in der Landwirtschaft seines Vaters und im Weiteren auch als Fliesenleger. Auch der den Erkenntnismitteln zu entnehmende und auch vom Kläger selbst beschriebene Zusammenhalt unter den Volkszugehörigen der Hazara kann ihm bei einer Rückkehr nach Kabul zugutekommen, da - wie beschrieben - für Hazara beim Zuzug in eine neue Stadt die Möglichkeit besteht, auf ein Netzwerk um die örtliche Moschee oder eine religiöse bzw. eine Wohlfahrtseinrichtung zurückzugreifen.
486 
S.o.:EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 68.
487 
Zwar sind die Lebenshaltungskosten in Kabul hoch. Ausgehend von vorstehenden Ausführungen (ohne Unterbringungskosten) sind sie mit mindestens 100 EUR pro Monat zu bemessen, für die Mietkosten fallen mindestens 88 US$ bzw. 4.000 Afghani bzw. 75 EUR pro Monat an.
488 
S.o., insbesondere zu den monatlichen Lebenshaltungskosten von mindestens 100 EUR: BAMF/ZIRF/IOM, ZIRF-Anfrage Wohnraumsituation I: Lebenshaltungskosten in Kabul für alleinstehenden Mann, 09.05.2017 sowie zum Preis von ab 4.000 Afghani für ein Einzelzimmer: Schuster, Risks on return to Kabul, 12.08.2016, S. 16/Rn. 42.
489 
Der Kläger hat aber die Möglichkeit, zunächst im Jangalak-Zentrum zu wohnen, sich von dort um Arbeit und Unterkunft - beides ggf. auf niedrigem Niveau - zu bemühen und - sollte es nicht anders gehen - vorübergehend in einer der informellen Siedlungen unterzukommen. Dass die fraglos beklagenswerten Zustände in solchen Siedlungen insgesamt flächendeckend derart desolat sind, dass sie gleichsam für jeden Bewohner und damit auch für einen jungen, leistungsfähigen Mann, wie es der Kläger ist, mit den hohen Anforderungen des Art. 3 EMRK nicht zu vereinbaren wären, kann nicht festgestellt werden.
490 
Der Senat geht dabei allerdings davon aus, dass die dargestellten Rückkehrerhilfen für die Frage der Existenzsicherung des Klägers eine allenfalls untergeordnete Rolle spielen können, da sie bestenfalls eine anfängliche Unterstützung bzw. einen nur vorübergehenden Ausgleich schaffen können. Die 500,- EUR, die der Kläger bei einer Entscheidung zur freiwilligen Rückkehr über das REAG/GARP-Programm erhalten würde, vermögen ihm nur eine überschaubare Erleichterung bieten. Auch die Leistungen des ERIN-Programms stellt der Senat nicht in die Beurteilung ein. So besteht kein Rechtsanspruch auf diese Leistungen, weswegen unklar ist, ob der Kläger überhaupt Leistungen erhalten würde. Im Übrigen ist auch nicht im Voraus bestimmbar, welche Leistungen im Falle einer Leistungsgewährung vor Ort in Betracht gezogen werden könnten.
491 
Vgl. dazu VGH Bad.-Württ., Urteil vom 03.11.2017 - A 11 S 1704/17 -.
492 
Gleiches gilt für die Geldleistungen des im Dezember 2017 neu aufgelegten StarthilfePlus-Programms, auf die ein Rechtsanspruch nicht besteht. Auch welche Sachleistungen im Rahmen des bis 28. Februar 2018 befristeten Reintegrations-Programms der StarthilfePlus womöglich gewährt werden könnten, ist angesichts des erst vor Ort auszuarbeitenden Reintegrationsplans völlig offen.
493 
Des Weiteren lässt sich bezüglich der von Rückkehrern aus dem westlichen Ausland beschriebenen, unmittelbar gegen die körperliche Unversehrtheit und Freiheit gerichteten Handlungen - etwa wegen vermuteten Reichtums - nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit feststellen, dass gerade der Kläger Opfer eines entsprechenden Angriffs werden würde. Gleiches gilt für denkbare Übergriffe wegen eines unterstellten Bruchs mit kulturellen oder religiösen Normen oder wegen vermeintlicher Nähe zu westlichen Kräften. Denn aus der abstrakt bleibenden Möglichkeit solcher Übergriffe ist ein Abschiebungsverbot nicht herzuleiten. Der Umstand, dass von solchen Vorfällen wiederholt berichtet wird, erlaubt nicht den Rückschluss, dass (auch angesichts der erheblichen Zahl von Rückkehrern aus dem westlichen Ausland) der Kläger hiervon mit der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit betroffen sein wird.
494 
Ferner steht die Volkszugehörigkeit des Klägers einer Existenzsicherung nicht entgegen. Wie beschrieben können sich die Hazara als Minderheit zwar einerseits im Alltag durchaus Diskriminierungen ausgesetzt sehen, andererseits hat sich ihre Situation seit dem Jahr 2001 insgesamt verbessert. Gerade in Kabul lebt mit etwa 1 bis 1,5 Millionen Personen eine ganz erhebliche Anzahl von - teils (intern) vertriebenen - Hazara. Es ist nicht ersichtlich, dass sich die Verhältnisse für diese - und in Anknüpfung hieran womöglich auch für den Kläger - so gestalteten, dass ein Zugang zu Erwerbsmöglichkeiten und Unterkunft nicht (auch nicht auf einfachstem Niveau) gewährleistet wäre, zumal es trotz der großen Zahl der Hazara in Kabul keine Berichte dahin gibt, dass Hazara typischerweise keine Arbeit und/oder keine Unterkunft erhalten würden.
495 
Schließlich ist auch im Hinblick auf die durchaus schwierige Sicherheitslage in Kabul ein Verstoß im Sinne von § 60 Abs. 5 AufenthG, Art. 3 EMRK nicht festzustellen. So entspricht die Gefahrendichte in der Provinz Kabul insbesondere nicht der, wie sie im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts zur Gewährung subsidiären Schutzes (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG) erforderlich wäre.
496 
Zur Heranziehung dieses Kriteriums im Rahmen des Art. 3 EMRK bzw. des § 60 Abs. 5 AufenthG vgl. etwa VGH Bad.-Württ., Urteile vom 26.02.2014 - A 11 S 2519/19 -, vom 14.08.2013 – A 11 S 688/13 - und vom 24.07.2013 - A 11 S 727/13 -.
497 
So nennt UNAMA etwa für das erste Halbjahr 2017 für die Provinz Kabul die Anzahl von 1.048 zivilen Opfern (s.o.), was hochgerechnet für das gesamte Jahr 2017 eine Zahl von 2.096 Personen ergibt. Selbst wenn man dieser Zahl im Rahmen einer für den Kläger günstigen Herangehensweise die von der CSO genannten (wohl zu niedrig bemessenen) Einwohnerzahlen gegenüberstellte, reichte dies bei weitem nicht aus, um eine für § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG relevante Gefahrendichte von 0,125 % bzw. 0,1 % zu erreichen.
498 
Zu dieser: BVerwG, Urteile vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 -, juris Rn. 22 und vom 13.02.2014 - 10 C 6.13 -, juris Rn. 20; NdsOVG, Urteil vom 19.09.2016 - 9 LB 100/15 -, juris; OVG LSA, Urteil vom 23.07.2014 – 3 L 53/12 –, Rn. 26, juris.
499 
Denn es ergäbe sich bei einer Einwohnerzahl der Provinz Kabul von ca. 4.700.000, wie sie die CSO angibt, ein Anteil von 0,045 % (2.096 / 4.700.000). Tatsächlich wird dieser allerdings noch geringer sein. Denn allein die Zahl der Einwohner der Stadt Kabul dürfte die von der CSO angegebene Bevölkerungsgröße übersteigen. Sie wird mit bis zu sieben Millionen Menschen bemessenen.
500 
Vgl. EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 17: nach informellen Schätzungen über sieben Millionen; ProAsyl, Afghanistan: No safe country for refugees, Mai 2017, S. 17: fast sieben Millionen ; Schuster, Report for the Upper Tribunal, 08.11.2016, S. 18/Rn. 53: über sieben Millionen; zuvor Schuster, Risks on return to Kabul, 12.08.2016, S. 16/Rn. 42: über fünf Millionen; Auswärtiges Amt, Zwischenbericht: Lagebeurteilung für Afghanistan nach dem Anschlag am 31. Mai 2017 - Stand Juli 2017-, S. 10/Rn. 35: 4,4 Millionen; Islamic Republic of Afghanistan Central Statistics Organization - Estimated Population of Afghanistan 2017-2018, April 2017, S. 4: 3.961.487; EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Security Situation (November 2016), S. 39: Schätzungen von 3,6 bis 7 Millionen; zu den unterschiedlichen Angaben von bis zu sieben Millionen - oder auch mehr - und der möglicherweise zu Grunde liegenden Vermengung der Stadt und der Provinz Kabul sowie zur Problematik statistischer Angaben in Afghanistan allgemein auch Staatssekretariat für Migration SEM der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Notiz Afghanistan: Alltag in Kabul - Referat von Thomas Ruttig (Afghanistan Analysts Network) am 12.04.2017, 20.06.2017, S. 6.
501 
Daher wird bei realistischer Betrachtung die Anzahl der Opfer zu einer höheren Bevölkerungszahl ins Verhältnis zu setzen sein. Die nach dem Bundesverwaltungsgericht im Rahmen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG als bei Weitem nicht ausreichend erachtete Schwelle wird daher schon quantitativ nicht erreicht und auch in qualitativer Hinsicht ist zu bedenken, dass in Kabul die medizinische Versorgungssituation im Falle von Anschlägen typischerweise besser ist, als in anderen Regionen Afghanistans.
502 
Vgl. dazu im Übrigen auch ausführlicher VGH Bad.-Württ., Urteil vom 03.11.2017 - A 11 S 1704/17 -.
503 
Dabei verkennt der Senat nicht, dass unter den sicherheitsrelevanten Vorfällen in Kabul in jüngerer Zeit wiederholt solche zu verzeichnen waren, die sich gegen Volkszugehörige der Hazara bzw. Angehörige des schiitischen Glaubens gerichtet haben, etwa der bereits mehrfach erwähnte Anschlag vom 23. Juli 2016 (80 Tote) sowie die genannten Angriffe auf schiitische Moscheen bzw. Einrichtungen am 11. Oktober 2016 (mindestens 13 Tote), am 21. November 2016 (27 Tote), am 15. Juni 2017 (5 Tote) und am 20. Oktober 2017 (mindestens 39 Tote). Angesichts der über eine Million Hazara, die in Kabul leben, vermag auch dies einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK nicht zu begründen.
504 
Sicherheitsbedenken ergeben sich ferner nicht aus dem vom Kläger geschilderten Verfolgungsgeschehen, da die Angaben des Klägers nicht glaubhaft sind.
505 
Insgesamt liegen daher die Voraussetzungen gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK nicht vor.
506 
2. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG
507 
Auch ein nationales Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist nicht gegeben.
508 
a) Rechtliche Anforderungen
509 
Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht.
510 
Dies kann aus individuellen Gründen - etwa wegen drohender An- oder Übergriffe Dritter oder auf Grund von Krankheit - der Fall sein (aa)), kommt aber ausnahmsweise auch infolge einer allgemein unsicheren oder wirtschaftlich schlechten Lage im Zielstaat in Betracht (bb)).
511 
aa) Vom Tatbestand des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG werden existentielle Gefahren wie Tötung, Folter, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung umfasst
512 
- Koch, in: BeckOK Ausländerrecht, Stand 15.08.2016, § 60 Rn. 40; Möller/Stiegeler, in: Hofmann u.a., Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, § 60 Rn. 33 -,
513 
sowie insbesondere auch solche auf Grund von Krankheit.
514 
Vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 12.07.2015 - 1 B 84.16 - Rn. 4 m.w.N. sowie insgesamt auch BVerwG, Urteile vom 17.10.2006 - 1 C 18.05 - NVwZ 2007, 712, juris Rn. 14 ff.; vom 29.10.2002 - 1 C 1.02 - NVwZ 2003, Beilage Nr. I 7, 53 juris Rn. 9; vom 29.07.1999 - 9 C 2.99 -, juris Rn. 7 und vom 25.11.1997 - 9 C 58.96 -, NVwZ 1998, 524.
515 
Dabei reicht es entsprechend dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit nicht aus, wenn eine Verfolgung oder sonstige Rechtsgutverletzung im Bereich des Möglichen liegt. Vielmehr muss sie bei zusammenfassender Bewertung des Sachverhalts und verständiger Würdigung aller objektiven Umstände dahingehend vorliegen, dass bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen eine ernsthafte Furcht vor der Rechtsgutverletzung gerechtfertigt ist, die für eine Rechtsgutverletzung sprechenden Umstände also größeres Gewicht haben als die dagegen sprechenden Tatsachen, wobei auch die Zumutbarkeit eines mit der Rückkehr verbundenen Risikos und der Rang des gefährdeten Rechtsguts von Bedeutung sind.
516 
Vgl. zusammenfassend HTK-AuslR/§ 60 AufenthG/zu Abs. 7 Satz 1 bis 4/ Rn. 8 und Möller/Stiegeler, in: Hofmann u.a., Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, § 60 Rn. 32, beide m.w.N., sowie zum Maßstab bei individuellen Gründen u.a. auch BVerwG, Beschluss vom 18.07.2001 - 1 B 71.01 -, juris sowie Urteile vom 17.10.2006 – 1 C 18.05 -, NVwZ 2007, 712, juris Rn. 20 und vom 17.10.1995 – 9 C 9.95 -, NVwZ 1996, 1999, juris Rn. 16.
517 
Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt dabei gemäß § 60 Abs. 1 Satz 2 AufenthG nur bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen vor, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Die Verhältnisse im Zielstaat müssen also eine Gesundheitsbeeinträchtigung von besonderer Intensität, etwa eine wesentliche oder gar lebensbedrohliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes erwarten lassen. Die vorhandene Erkrankung des Ausländers muss sich aufgrund zielstaatsbezogener Umstände in einer Weise verschlimmern, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib oder Leben führt, das heißt, dass eine wesentliche Verschlimmerung der Erkrankung alsbald nach der Rückkehr des Ausländers droht, weil etwa die Behandlungsmöglichkeiten im Heimatland unzureichend sind oder die zwar grundsätzlich verfügbare medizinische Versorgung dem Betroffenen aus finanziellen oder sonstigen Gründen nicht zur Verfügung steht.
518 
Vgl. statt vieler: BVerwG, Beschluss vom 12.07.2015 - 1 B 84.16 - Rn. 4 m.w.N. sowie insgesamt auch BVerwG, Urteile vom 17.10.2006 - 1 C 18.05 - juris Rn. 14 ff.; vom 29.10.2002 - 1 C 1.02 - juris Rn. 9; vom 29.07.1999 - 9 C 2.99 - und vom 25.11.1997 - 9 C 58.96 -.
519 
bb) Neben den genannten individuellen Gefahren für Leib und Leben können unter bestimmten Voraussetzungen ausnahmsweise auch die generell herrschenden Lebensbedingungen im Zielstaat ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG begründen.
520 
Zwar sind allgemeine Gefahren - also auch die die Bevölkerung insgesamt treffenden (schlechten) Lebensbedingungen in einem Land - gemäß § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG bei Anordnungen zur vorübergehenden Aussetzung von Abschiebungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen und begründen demnach grundsätzlich kein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Eine Ausnahme liegt aber bei einer extremen Gefahrenlage vor, welche sich wiederum auch aus den den Ausländer erwartenden Lebensbedingungen ergeben kann. So können die im Zielstaat herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage einen Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ausnahmsweise begründen, wenn bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit eine extreme Gefahrenlage vorläge. Denn dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren. Ob dies der Fall ist, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden.
521 
Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit strengeren Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Dieser hohe Wahrscheinlichkeitsgrad ist ohne Unterschied in der Sache in der Formulierung mit umschrieben, dass die Abschiebung dann ausgesetzt werden müsse, wenn der Ausländer ansonsten gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde. Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren. Das bedeutet nicht, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Abschiebung, eintreten müssen. Vielmehr besteht eine extreme Gefahrenlage beispielsweise auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde.
522 
Dazu u.a. BVerwG, Urteile 13.06.2013 – 10 C 13.12 -, NVwZ 2013, 1489 Rn. 12 f.; vom 31.01.2013 – 10 C 15.12 -, Rn. 38.; vom 29.09.2011 – 10 C 24.10 -, NVwZ 2012, 451 Rn. 20; vom 08.09.2011 - 10 C 14.10 -, NVwZ 2012, 240 Rn. 22 f. und vom 29.06.2010 - 10 C 10.09 -, juris Rn. 14 f.; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 – 10 C 15.12 -, Rn. 28 zu den unterschiedlichen rechtlichen Maßstäben von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG60 Abs. 2 AufenthG a.F.) sowie auch Art. 3 EMRK einerseits und § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG andererseits.
523 
Von diesem Maßstab ausgehend gewährt § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG unter dem Gesichtspunkt der extremen Gefahrenlage keinen weitergehenden Schutz, als es § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK tut. Liegen also die Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK wegen schlechter humanitärer Bedingungen nicht vor, so scheidet auch eine im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG relevante, extreme Gefahrenlage aus.
524 
b) Subsumtion
525 
Danach hat der Kläger keinen Anspruch auf die Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
526 
aa) Zum einen besteht eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit des Klägers aus individuellen Gründen nicht.
527 
Hinsichtlich des durch den Kläger geschilderten Vorfalls (der Angriff und seine Verletzung durch die Kutschi) liegt eine entsprechende Gefahr nicht vor. Wie ausgeführt ist der diesbezügliche Vortrag des Klägers nicht glaubhaft.
528 
Aber auch im Hinblick auf die gesundheitliche Verfassung des Klägers sind die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht erfüllt.
529 
Aus den vom Kläger vorgelegten ärztlichen Schreiben geht zwar hervor, dass beim Kläger im Oktober 2017 eine Herzrhythmusstörung bei Verdacht auf ein sogenanntes Wolff-Parkinson-White-Syndrom diagnostiziert wurde, weswegen sich der Kläger am 23. Oktober 2017 einem operativen Eingriff unterzogen hat. Zum Ergebnis dieser Operation wird in den vorliegenden ärztlichen Schreiben vom 23. Oktober 2017, vom 6. November 2017 und vom 13. November 2017 übereinstimmend geschildert, dass erfolgreich eine Ablation durchgeführt werden konnte, dass der für die Störung ursächliche Erregungsherd verödet, die Herzrhythmusstörungen beseitigt und der Kläger beschwerdefrei entlassen werden konnte. Die Gefahr eines Rezidivs wird ausdrücklich als nur gering wahrscheinlich bezeichnet und die Rezidivrate mit knapp unter 5 % bemessen, wobei eine Medikation derzeit nicht notwendig sei. Eine bedrohliche, akute Gefährdung des Klägers besteht nach erfolgreicher Ablation nicht mehr.
530 
Angesichts dieser vom Kläger selbst mitgeteilten, nicht in Frage gestellten Angaben, bezüglich derer auch der Senat keinen Anlass zu Zweifeln hat, ist bereits nicht festzustellen, ob der Kläger angesichts der geringen Rezidivwahrscheinlichkeit überhaupt infolge seiner (derzeit) geheilten Erkrankung künftig wieder Einschränkungen haben wird. Erst recht nicht ist ersichtlich, dass ein Rezidiv und seine Folgen alsbald nach einer Rückkehr des Klägers nach Afghanistan eintreten werden.
531 
Insbesondere geht aus den Stellungnahmen auch hervor, dass zur Minderung der Rezidivgefahr eine (medikamentöse oder sonstige) Behandlung, für die sich die Frage der Verfügbarkeit in Afghanistan stellen könnte, nicht erfolgt, sondern sich das Behandlungsregime auf Wiedervorstellungstermine zu Kontrolluntersuchungen zum Zwecke des Ausschlusses eines (unwahrscheinlichen) Rezidivs und zur Prüfung der Integrität des Herzens beschränkt.
532 
Im Übrigen könnte selbst im unwahrscheinlichen Fall eines Rezidivs nicht von einer schwerwiegenden oder gar lebensbedrohlichen Verschlechterung des Gesundheitszustands des Klägers ausgegangen werden. Ein Rezidiv würde mit Phasen von Herzrasen einhergehen, wobei dabei Luftnot und ein Beklemmungsgefühl auftreten können, wie es der Kläger in ähnlicher Weise ausweislich der Anamnesebeschreibung im Arztbrief vom 23. Oktober 2017 bereits vor dem Eingriff verspürt hat („rezidivierendes thorakales Brennen und Stechen“). Die abstrakt denkbare, schwerste (aber als selten eingeordnete) Folge eines Rezidivs wäre ein Kreislaufkollaps bzw. eine Ohnmacht, was für sich ebenfalls nicht geeignet wäre, eine Verschlechterung des gesundheitlichen Zustands des Klägers von besonderer Intensität bzw. eine wesentliche oder gar lebensbedrohliche Verschlimmerung zu begründen.
533 
bb) Zum anderen lässt sich auch aus den dargestellten, schlechten Lebensverhältnissen in Afghanistan ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht begründen. Denn die beschriebenen hohen Anforderungen, aus denen wegen einer extremen Gefahrenlage ausnahmsweise ein solches Abschiebungsverbot hergeleitet werden könnte, liegen nicht vor. So vermögen die - fraglos schlechten - Lebensverhältnisse vorliegend schon keinen Verstoß gegen Art. 3 EMRK zu begründen (s.o.). Dass gerade der Kläger als leistungsfähiger, erwachsener Mann ohne Unterhaltsverpflichtungen im Falle einer Rückkehr alsbald sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert sein würde, kann der Senat danach nicht festzustellen. So liegen etwa Anhaltspunkte dahin, dass der Kläger mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod preisgegeben wäre, nicht vor.
534 
IV. Ergebnis, Nebenentscheidungen
535 
Die Berufung ist daher insgesamt mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen.
536 
Die Gerichtskostenfreiheit ergibt sich aus § 83b AsylG.
537 
Gründe im Sinne des § 132 Abs. 2 VwGO, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.

Sonstige Literatur

 
538 
Inhalt
        
                 
Tatbestand
- 3 -
Entscheidungsgründe
- 8 -
I. Kein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft
- 8 -
     1. Rechtsgrundlage: §§ 3 bis 3e AsylG
- 8 -
          a) §§ 3, 3a AsylG
- 9 -
          b) § 3c AsylG
- 10 -
          c) § 3e AsylG
- 10 -
          d) Wahrscheinlichkeitsmaßstab (beachtliche Wahrscheinlichkeit/real risk)
- 11 -
          e) Maßstab der Überzeugungsbildung
- 13 -
     2. Keine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft auf Grund von Vorverfolgung
- 15 -
     3. Keine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft wegen Gruppenverfolgung der Hazara            
- 17 -
          a) Rechtliche Anforderungen
- 17 -
          b) Subsumtion: Keine Gruppenverfolgung von Hazara in Afghanistan
- 19 -
II. Kein Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes
- 29 -
     1. § 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 1 AsylG
- 29 -
     2. § 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 2 AsylG
- 29 -
          a) Rechtliche Anforderungen
- 30 -
          b) Kein Anspruch auf Grund individueller Umstände
- 31 -
          c) Kein Anspruch auf Grund der schlechten humanitären Situation mangels Akteur
- 32 -
     3. § 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 3 AsylG
- 34 -
          a) Rechtliche Anforderungen
- 35 -
          b) Situation am maßgeblichen Ort, der Provinz Ghazni
- 37 -
          c) Keine individuell gefahrerhöhenden Umstände als Hazara
- 40 -
III. Nationales Abschiebungsverbot
- 42 -
     1. § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK
- 42 -
          a) Rechtliche Anforderungen
- 43 -
          b) Lebensverhältnisse landesweit
- 48 -
          c) Lebensverhältnisse in Kabul
- 70 -
          d) Subsumtion
- 75 -
     2. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG
- 82 -
          a) Rechtliche Anforderungen
- 83 -
          b) Subsumtion
- 86 -
IV. Ergebnis, Nebenentscheidungen
- 88 -

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 24. Februar 2017 - A 2 K 5696/16 - wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Berufungsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger begehrt die Gewährung subsidiären Schutzes, hilfsweise die Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots.
Er ist nach eigenen Angaben ein 22 Jahre alter afghanischer Staatsangehöriger vom Volk der Hazara. Er gibt an, über keine Ausweispapiere aus Afghanistan zu verfügen. Nach seiner Asylantragstellung am 10. November 2015 wurde er am 11. Oktober 2016 zu seinem Begehren durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge angehört. Hierbei gab er an in Mangor in der Provinz Daikundi geboren zu sein. Er habe dort 15 Jahre lang gelebt. Nach dem Tod seiner Mutter habe er niemanden mehr gehabt und sei 2011 in den Iran gegangen. 2015 habe er den Iran verlassen und sei über die Türkei und sodann Griechenland und dann auf der Balkanroute nach Deutschland gekommen. Sein Vater sei 2004 verstorben, er habe weder innerhalb noch außerhalb von Afghanistan noch lebende Verwandte. Seine Eltern hätten beide keine Geschwister gehabt. Er habe nie eine Schule besucht und sei Analphabet. Er habe im Iran in verschiedenen Stadtteilen Teherans gelebt, zuletzt in Mherdamad. Afghanen litten im Iran unter den Schikanen und Repressalien der Polizei. Er habe sich auf dem Bau im Iran die Hand gebrochen, so dass ein Metallstück eingesetzt worden sei. Daher könne er keine schweren Arbeiten mehr erledigten. Das Metall sei wieder herausgenommen worden.
Mit Bescheid vom 13. Oktober 2016 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und auf die Anerkennung als Asylberechtigter sowie auch auf die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus ab. Es stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen. Der Kläger wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen. Für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise wurde ihm die Abschiebung nach Afghanistan oder einen anderen Staat, in den er einreisen dürfe oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist, angedroht. Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet.
Gegen den am 20. Oktober 2016 zugestellten Bescheid hat der Kläger am 24. Oktober 2016 Klage erhoben mit den Begehren, den Bescheid aufzuheben und ihm die Flüchtlingseigenschaft, hilfsweise subsidiären Schutz zuzuerkennen und höchsthilfsweise ein nationales Abschiebungsverbot festzustellen. Zur Begründung hat er unter anderem vorgetragen, dass er Afghanistan als 15jährer Junge verlassen habe und daher im Notfall keinerlei Zugang zu irgendeiner Art sozioökonomischen Schutzes hätte.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 24. Februar 2017 abgewiesen. Auf den Antrag des Klägers vom 28. April 2017 hat der Senat mit Beschluss vom 31. Mai 2017 die Berufung gegen das ihm am 30. März 2017 zugestellte Urteil entsprechend seinem Antrag zugelassen, soweit in dem angefochtenen Urteil die Klage auf Verpflichtung zur Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus sowie auf Feststellungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG abgewiesen hat.
Zur Begründung beruft er sich auf die Lage in Daikundi, weil insoweit ein Anspruch nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG erfüllt sei. Im Übrigen müsse er damit rechnen, in Afghanistan sein Existenzminimum nicht erwirtschaften zu können. Dies führe auch auf ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG iVm Art. 3 EMRK. Hinsichtlich seiner Handgelenksverletzung legt er ein Attest einer Fachärztin für Chirurgie vom 8. November 2017 vor, wonach zu vermuten sei, dass es sich ehemals um einen körperfernen Bruch der Speiche gehandelt habe, er damals mit einer Kirschnerdrahtstiftung behandelt worden sei. Ein schwer einschränkender Dauerschaden liege nicht vor, es bestünden allein leichte Belastungsschmerzen. Der Kläger macht geltend, dass dies ein entscheidendes Handicap bei der Arbeitssuche sei, wozu ein Sachverständigengutachten beantragt werde.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 24. Februar 2017 - A 2 K 5696/16 - teilweise zu ändern und die Beklagte unter entsprechender Aufhebung des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 13. Oktober 2016 zu verpflichten, dem Kläger subsidiären Schutz zuzuerkennen, hilfsweise, die Beklagte zu verpflichten festzustellen, dass ein nationales Abschiebungsverbot hinsichtlich Afghanistans vorliegt.
Die Beklagte beantragt,
10 
die Berufung zurückzuweisen.
11 
Zur Begründung bezieht sie sich auf ihren Bescheid sowie das angegriffene Urteil.
12 
Der Senat hat den Kläger in der mündlichen Verhandlung persönlich angehört. Wegen des Ergebnisses der Anhörung verweist der Senat auf das Protokoll.
13 
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen.
14 
Dem Senat liegen die Akten der Beklagten sowie die Akten des Verwaltungsgerichts Stuttgart vor.

Entscheidungsgründe

 
15 
Die zulässige Berufung bleibt ohne Erfolg.
16 
Dem Kläger kommt weder der geltend gemachte Anspruch auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes noch der hilfsweise geltend gemachte Anspruch auf Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots zu. Die ablehnende Entscheidung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge erweist sich daher als rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in eigenen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
I.
17 
Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes, da er keine stichhaltigen Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsstaat ein ernsthafter Schaden droht, § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG. Dies gilt für alle drei Varianten des ernsthaften Schadens im Sinne des § 4 AsylG, die in § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bis Nr. 3 AsylG aufgeführt sind.
18 
1. Dem Kläger droht weder die Verhängung noch die Vollstreckung der Todesstrafe (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG).
19 
2. Ebenso wenig droht ihm Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG. Der Kläger bringt nicht mit Erfolg vor, individuell unmittelbar von dem Eintritt eines ernsthaften Schadens bedroht zu sein. Soweit er sich auf die Gefährdungen beruft, die sich aus den allgemeinen Lebensbedingungen in Afghanistan ergeben, fehlt es insoweit bereits an einem Verfolgungsakteurs im Sinne des § 3c AsylG und des Art. 6 RL 2011/95/EU vom 13.12.2011, ABl EU L 337/95. Im Übrigen besteht für den Kläger derzeit keine tatsächliche Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK für den Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan (dazu unten unter II.).
20 
a) Der Begriff der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG ist im Gesetz nicht näher definiert. Da die Vorschrift der Umsetzung der RL 2011/95/EU dient, ist sie in Übereinstimmung mit dem entsprechenden Begriff in Art. 15b RL 2011/95/EU auszulegen. Unter Heranziehung der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zu Art. 15b RL 2011/95/EU und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 3 EMRK ist unter einer unmenschlichen Behandlung die absichtliche, d.h. vorsätzliche Zufügung schwerer körperlicher oder seelischer Leiden, die im Hinblick auf Intensität und Dauer eine hinreichende Schwere aufweisen, zu verstehen.
21 
EGMR, Urteile vom 21.01.2011 - 30696/09 - (M.S.S./Belgien und Griechenland), NVwZ 2011, 413 Rn. 220 m.w.N. sowie vom 11.07.2006 - 54810/00 - (Jalloh/ Deutschland), NJW 2006, 3117 Rn. 67; BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 - 10 C 15.12 -, NVwZ 2013, 1167 Rn. 22 ff. m.w.N.; siehe auch Hailbronner, Ausländerrecht, Mai 2017, § 4 AsylG Rn. 22 ff. und Jarass, Charta der Grundrechte, 3. Aufl. 2016, Art. 4 Rn. 9.
22 
Es muss zumindest eine erniedrigende Behandlung in der Form einer einen bestimmten Schweregrad erreichenden Demütigung oder Herabsetzung vorliegen. Diese ist dann gegeben, wenn bei dem Opfer Gefühle von Furcht, Todesangst und Minderwertigkeit verursacht werden, die geeignet sind, diese Person zu erniedrigen oder zu entwürdigen und möglicherweise ihren psychischen oder moralischen Widerstand zu brechen.
23 
Vgl. auch dazu im Einzelnen ausführlich Hailbronner, Ausländerrecht, Mai 2017, § 4 AsylG Rn. 22 ff., insbesondere Rn. 24, 25.
24 
Im Rahmen des subsidiären Schutzes gilt für die Beurteilung der Frage, ob ein ernsthafter Schaden droht, der einheitliche Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit. Dieser aus dem Tatbestandsmerkmal „... tatsächlich Gefahr liefe ..." des Art. 2f RL 2011/95/EU abzuleitende Maßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, der bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr abstellt („real risk“).
25 
BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 -, NVwZ 2012, 454 Rn. 20; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 20.03.2013 - 10 C 23.12 -, NVwZ 2013, 936 Rn. 32.
26 
Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab, der der Prognose zugrunde zu legen ist, gilt unabhängig davon, ob der Betroffene bereits vor seiner Ausreise einen ernsthaften Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG erlitten hat: Ein solcher Umstand stellte aber einen ernsthafter Hinweis dar, dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden. Dies folgt aus der Vermutungswirkung des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU.
27 
b) Ausgehend von diesen Maßstäben besteht keine tatsächliche Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Hinblick auf das individuelle Vorbringen des Klägers im Falle seiner Rückkehr. Insbesondere folgt eine solche Gefahr nicht aus seiner Zugehörigkeit zum Volk der Hazara.
28 
aa) Die Volksgruppe der Hazara stellt im Vielvölkerstaat Afghanistan - nach den Paschtunen (40 %) und den Tadschiken (25 %) - mit einem Anteil von etwa 10 % der Bevölkerung eine große Minderheit dar.
29 
Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19.10.2016 - Stand September 2016 -, S. 9; Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan, Republik Österreich Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vom 02.03.2017, aktualisiert am 27.06.2017, S. 55, 72, 94 und 96).
30 
Nach Schätzungen des Auswärtigen Amtes leben etwa drei Millionen Hazara in Afghanistan.
31 
Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19.10.2016 - Stand September 2016 -, S. 9.
32 
Teilweise wird abweichend hiervon eine Zahl von 2,7 bis 6 Millionen bzw. ein Anteil von 9 bis 20 % der Bevölkerung angegeben.
33 
Landinfo/Norwegian Country of Origin Information Centre: Report: Hazaras and Afghan insurgent groups, 03.10.2016, S. 6 m.w.N.).
34 
Hinsichtlich der maßgeblichen Vergleichsgröße wird in diesem Zusammenhang die Einwohnerzahl für das gesamte Land zwischen etwa 27 bis 34 Millionen angegeben (siehe unten S. 27).
35 
Bei den Hazara handelt es sich um ein Volk mongolischer Abstammung. Auf Grund dieser Herkunft sind sie optisch wegen ihrer tendenziell eher zentralasiatischen Gesichtszüge meist als ihrer Volksgruppe zugehörig zu erkennen.
36 
ÖRK/Accord, Afghanistan, Dokumentation des Expertengespräches mit Thomas Ruttig und Michael Daxner, 04.05.2016, S. 7; Stahlmann, ZAR 2017, 189 (190 f.); Landinfo/Norwegian Country of Origin Information Centre: Report: Hazaras and Afghan insurgent groups, 03.10.2016, S. 6.
37 
Sie sprechen vorwiegend einen Dialekt des Persischen namens Hazaragi, der mongolische und turksprachige Wörter enthält. Die Hazara waren einst die größte ethnische Gruppe Afghanistans. Mehr als die Hälfte der Hazara-Bevölkerung war allerdings bereits im Jahr 1893 getötet worden, als die Hazara nach einem politischen Aufstand ihre Autonomie eingebüßt hatten. Die meisten Hazara leben auch heute noch im sogenannten Hazarajat (auch: Hazarestan) im zentralen Bergland Afghanistans, dem „Land der Hazara“. Dessen ca. 50.000 Quadratkilometer großes Gebiet ist in seiner exakten Abgrenzung zwar umstritten, es umfasst jedenfalls den Bereich der Provinz Bamiyan sowie Teile benachbarter Provinzen. Andere Hazara leben in den Bergen von Badachschan (eine Provinz im äußersten Nordosten Afghanistans), aber auch in weiteren Teilen Afghanistans, etwa in Daikundi und Ghazni.
38 
Landinfo/Norwegian Country of Origin Information Centre: Report: Hazaras and Afghan insurgent groups, 03.10.2016, S. 6; vgl. auch zu weiteren Distrikten Accord, Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Lage der Hazara, Zugang zu staatlichem Schutz und Hintergründe des Konflikts zwischen Kuchis und Hazara, 02.09.2016, S. 17; vgl. auch das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan, Republik Österreich Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vom 02.03.2017, aktualisiert am 27.06.2017, S. 152, dort werden als Kernland der Region des Hazarat die Provinzen Bamiyan, Ghazni, Daikundi, der Westen der Provinz Wardak und Teile der Provinzen Ghor, Uruzgan, Parwan, Samangan, Baghlan, Balkh, Badghis und Sar-e Pol genannt.
39 
Der ganz überwiegende Teil der Hazara ist schiitischen Glaubens und stellt somit auch in religiöser Hinsicht - im Vergleich zu den mehrheitlich sunnitischen Muslimen des Landes - eine Minderheit dar.
40 
Vgl. insgesamt ausführlich: Accord, Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Aktuelle Situation der Volksgruppe der Hazara, 27.06.2016, S. 2 und 4 m.w.N. sowie auch ÖRK/Accord, Afghanistan, Dokumentation des Expertengespräches mit Thomas Ruttig und Michael Daxner, 04.05.2016, S. 7 und UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 19.04.2016, S. 59.
41 
bb) Für eine staatliche Verfolgung oder Diskriminierung der Hazara gibt es keine Anhaltspunkte.
42 
In der afghanischen Verfassung ist der Gleichheitsgrundsatz verankert. Sie schützt sämtliche ethnischen Minderheiten. Auch ist eine systematische, etwa auch nach dem Merkmal der Volkszugehörigkeit diskriminierende Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis für Afghanistan nicht erkennbar.
43 
Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19.10.2016 - Stand September 2016 -, S. 9 und S. 11; Landinfo/Norwegian Country of Origin Information Centre: Report: Hazaras and Afghan insurgent groups, 03.10.2016, S. 12 m.w.N.; Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan, Republik Österreich Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vom 02.03.2017, aktualisiert am 27.06.2017, S. 150; anschaulich auch Staatssekretariat für Migration SEM der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Notiz Afghanistan: Alltag in Kabul. Referat von Thomas Ruttig (Afghanistan Analysts Network) am 20. April 2017, 20.06.2017, S. 17.
44 
Nachdem die Hazara zuvor unter dem Regime der sunnitischen Taliban schwerwiegenden Misshandlungen - etwa auch Massakern und dem Vorenthalten von Nahrungsmitteln - ausgesetzt gewesen waren, konnten sie neben ihrer allgemeinen sozio-ökonomische Position insbesondere ihre gesellschaftliche Stellung auch in der Politik erheblich verbessern. So besetzte ein Hazara unter Präsident Karzai verschiedene hochrangige Regierungspositionen, u.a. auch das Amt des Vizepräsidenten. Auch ansonsten finden sich in hochrangigen Position in der öffentlichen Verwaltung und der Politik sowohl auf zentraler als auch lokaler Ebene Hazara. Die Hazara gelten insgesamt als in der Zivilgesellschaft gut vertreten.
45 
Landinfo/Norwegian Country of Origin Information Centre: Report: Hazaras and Afghan insurgent groups, 03.10.2016, S. 12 m.w.N.
46 
cc) Im alltäglichen, gesellschaftlichen Leben kommt es allerdings durchaus zu Diskriminierungen von Hazara. So wird - allgemein gehalten - davon berichtet, dass Hazara beständig sozial, rassisch oder religiös motivierter gesellschaftlicher Diskriminierung in Form von Gelderpressungen durch illegale Besteuerung, Zwangsrekrutierung, Zwangsarbeit, physischer Gewalt sowie Inhaftierung betroffen seien und sie beispielsweise auch innerhalb der Afghanischen Nationalen Sicherheitskräfte (ANSF) einem stärkeren Risiko ausgesetzt seien, in unsicheren Gebieten eingesetzt zu werden, als dies bei Nicht-Hazara-Beamten der Fall ist.
47 
Accord, Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Aktuelle Situation der Volksgruppe der Hazara, 27.06.2016, S. 5 f.; vgl. auch Accord, Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Lage der Hazara, Zugang zu staatlichem Schutz und Hintergründe des Konflikts zwischen Kuchis und Hazara, 02.09.2016, S. 2 m.w.N.; vgl. auch UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 19.04.2016, S. 87 sowie S. 59 Fn. 327, 328 sowie auch Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich - Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Afghanistan (Gesamtaktualisierung vom 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 27.06.2017), S. 153; außerdem: EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 114 m.w.N.; USDOS, Afghanistan 2016 Human Rights Report, 17.03.2017, S. 47.
48 
Ein Beispiel für die - jedenfalls als solche empfundene - Benachteiligung ist die Auseinandersetzung um den Verlauf einer Stromtrasse. Der Umstand, dass eine durch Bamiyan geplante internationale Hochspannungsleitung lediglich als Durchgangslinie angedacht war und nicht etwa das bislang nur durch eine staatliche Solaranlage (unter-) versorgte Bamiyan elektrifiziert werden sollte, wurde zum Ursprung einer Protestbewegung der Hazara, des sog. „Enlightenment Movement“.
49 
SRF, Bericht: Schiiten in Afghanistan - Das Volk der Hazara will mehr Licht; Diskriminiert - die Minderheit der Hazara in Afghanistan, 16.03.2017; vgl. auch Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19.10.2016 - Stand September 2016 -, S. 9 f.; vgl. dazu auch im Weiteren zur Demonstration der Hazara bzw. der Enlightenment-Bewegung vom 23. Juli 2016, die zum Ziel eines verheerenden Anschlags von IS-Kräften wurde.
50 
dd) Daneben gibt es aber auch positive Entwicklungen. So stellt der Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 19. Oktober 2016 dar, dass sich die Lage der ca. 3.000.000 Hazara in Afghanistan grundsätzlich verbessert hat, auch wenn sie in der öffentlichen Verwaltung weiterhin unterrepräsentiert sind, was aber auch noch eine Nachwirkung vergangener Zeiten sein könnte.
51 
Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19.10.2016 - Stand September 2016 -, S. 9.
52 
Ähnliches lässt sich auch der Darstellung des UNHCR entnehmen, der von erheblichen politischen und wirtschaftlichen Fortschritten der Hazara seit dem Ende des Taliban Regimes im Jahr 2001 berichtet und u.a. auf die Anzahl der schiitischen Parlamentsmitglieder verweist, die in etwa dem Anteil der Schiiten in der Bevölkerung entspreche. Die Diskriminierung von Schiiten durch Sunniten hat danach deutlich abgenommen und aus Kabul sowie aus größeren Randgebieten seien keine Vorfälle mehr gemeldet worden. In Herat würden - bei einem großen schiitischen Bevölkerungsanteil - sowohl schiitische als auch sunnitische Führer von einem weitgehend harmonischen Zusammenleben berichten.
53 
UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 19.04.2016, S. 87, 59, dort insbesondere auch Fn. 326 unter Verweis auf den Bericht des US Department of State vom 14.10.2015: 2014 Report on International Religious Freedom - Afghanistan vgl. zur signifikanten Verbesserung der Lage der Hazara seit dem Sturz der Taliban im Jahr 2001 auch Landinfo/Norwegian Country of Origin Information Centre,: Report: Hazaras and Afghan insurgent groups, 03.10.2016, S. 3.
54 
In seinen Anmerkungen zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des deutschen Bundesministeriums des Innern von Dezember 2016
55 
- UNHCR, Anmerkung zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des deutschen Bundesministeriums des Innern, Dezember 2016, S. 5 f. -
56 
berichtet der UNHCR, dass Hazara-Familien aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit als Binnenflüchtlinge in der vergleichsweise ruhigen Provinz Bamiyan aufgenommen wurden, nachdem im Herbst 2016 Dörfer von Hazara im Rahmen der Taliban-Aufstände gegen regierungsnahe Kräfte angegriffen worden sind. Auch kam es zu Verhandlungen zwischen Gruppen der Hazara und der Taliban, durch die bereits einige Angelegenheiten geklärt werden konnten. In Ghazni haben die Taliban und die Hazaras einen Nichtangriffspakt geschlossen, auf der Grundlage, dass den Taliban erlaubt wurde, bestimmte Straßen durch die Gebiete der Hazara zu nutzen.
57 
Norwegian Country of Origin Information Centre, Landinfo, Report Afghanistan: Hazaras and Afghan insurgent groups, 03.10.2016, S. 18 f., vgl. auch S. 20 f.
58 
Hieraus allerdings eine sich verfestigende Lage oder gar eine dauerhafte Entwicklung ableiten zu wollen, ist angesichts der sich ständige ändernden Verbindungen, Partei- und Fraktionswechsel der verschiedenen Akteure (etwa der Bewegungen zwischen und auch innerhalb der Taliban, der IS-Bewegungen und sonstigen Gruppen) gegenwärtig nicht angezeigt.
59 
Vgl. zu den von jeher üblichen „pragmatischen“ Doppelallianzen, Wechseln in den Loyalitäten, persönlichen Verbindungen, Meinungsunterschieden und -umschwüngen insbesondere der regierungsfeindlichen Gruppen eindrücklich: Stahlmann, ZAR 2017, 189 (S. 190 ff.), insbes. S. 192 sowie auch ÖRK/Accord, Afghanistan, Dokumentation des Expertengespräches mit Thomas Ruttig und Michael Daxner, 04.05.2016, S. 22 f.
60 
Vielmehr verbleibt es insgesamt bei einer unsicheren Situation, in der auch nicht von einer gleichförmigen Lage sämtlicher hazarischen Volkszugehörigen die Rede sein kann. So arbeiten die Hazara teilweise mit den Taliban zusammen oder gehören ihnen sogar an
61 
- EASO Country of Origin Information Report: Afghanistan - recruitment by armed groups, September 2016, S. 19 -,
62 
zuweilen findet - angesichts der üblicherweise schiitischen Religionszugehörigkeit der Hazara allerdings nur in Ausnahmefällen - sogar eine Rekrutierung von Hazara durch die (sunnitischen) Taliban statt.
63 
ÖRK/Accord, Afghanistan, Dokumentation des Expertengespräches mit Thomas Ruttig und Michael Daxner, 04.05.2016, S. 22.
64 
ee) Auch aus einer für Volkszugehörige der Hazara prekären Sicherheitslage lässt sich nicht auf darauf schließen, dass grundsätzlich jeder Angehöriger der Gruppe nur wegen dieser Eigenschaft mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Eingriffe in Leib oder Leben zu gewärtigen hätte.
65 
Die Vorfälle, durch die Hazara - oft auch als Angehörige der schiitischen Religion - betroffen waren bzw. verletzt oder sogar getötet wurden, sind zahlreich, was die nachfolgenden (nicht abschließenden) Ereignisse verdeutlichen.
66 
Im März 2016 wurden in der Provinz Sar-e Pol elf, im Juni 2016 17 Hazara entführt. Letztere wurden nach wenigen Tagen wieder freigelassen. Am 6. Juli 2016 töteten Taliban 22 Polizisten, die Angehörige der Hazara waren.
67 
Accord, Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Lage der Hazara, Zugang zu staatlichem Schutz und Hintergründe des Konflikts zwischen Kuchis und Hazara, 02.09.2016, S. 6 f. und S. 15 f. sowie außerdem im Bericht insgesamt auch ausführlich zu weiteren Vorfällen vor 2016; US Department of State, Afghanistan 2016 Human Rights Report, 17.03.2017, S. 3.
68 
Am 23. Juli 2016 ereignete sich in Kabul äußerst gravierender und „öffentlichkeitswirksamer“ Anschlag auf Angehörige der Hazara, der im Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19. Oktober 2016 - also aus einer Zeit vor dem schweren Anschlag vom 31. Mai 2017 - als schwerster Selbstmordanschlag in der afghanischen Geschichte bezeichnet wurde.
69 
Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19.10.2016 - Stand September 2016 -, S. 10.
70 
Bei einem Angriff auf eine Kundgebung der zuvor erwähnten „Enlightenment“-Bewegung in Kabul, zu dem sich die dem Islamischen Staat (auch bezeichnet als Daesh) zugehörige Splittergruppe ISKP (Islamic State Khorasan Province, auch ISIL-KP) bekannte, starben 80 Personen.
71 
UNHCR, Anmerkung zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des deutschen Bundesministeriums des Innern, Dezember 2016, S. 6; Accord, Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Lage der Hazara, Zugang zu staatlichem Schutz und Hintergründe des Konflikts zwischen Kuchis und Hazara, 02.09.2016, S. 8; Norwegian Country of Origin Information Centre, Landinfo, Report Afghanistan: Hazaras and Afghan insurgent groups vom 03.10.2016, S. 25; dort auch zur IS-Gruppe ISKP als einer Splittergruppe dies Islamischen Staats (IS), der auch Daesh genannt wird, ausführlich auf S. 22 ff. des Berichts sowie auch: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich - Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Afghanistan (Gesamtaktualisierung vom 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 27.06.2017), S. 18 und 30;
72 
Am 11. Oktober 2016 kam es zu zwei Angriffen auf schiitische Einrichtungen (einen Schrein und die Azrat-Moschee), bei denen mindestens 13 Zivilisten getötet wurden. Am 21. November 2016 wurde eine weitere schiitische Moschee in Kabul (Baqir-Ul-Olum) angegriffen, wobei 27 Zivilisten getötet und mindestens 30 verletzt wurden.
73 
Zu den (jeweils auch abweichenden) Zahlen: UK Home Office, Country Policy and Information Note - Afghanistan: Security and humanitarian situation, August 2017, S. 25; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 19. Juni 2017 zu Afghanistan: Sicherheitslage in Kabul, 19.06.2017, S. 5 f., 11 und 16 f. m.w.N.; Ecoi.net, Themendossier: Allgemeine Sicherheitslage in Afghanistan und Chronologie für Kabul, 11.04.2017, S. 10; Ecoi.net, Themendossier: Allgemeine Sicherheitslage in Afghanistan und Chronologie für Kabul, 11.04.2017, S. 10.
74 
Im Gegensatz zu den Selbstmordanschlägen und komplexen Attacken der Taliban richten sich vom ISKP durchgeführte Anschläge auch absichtlich gegen Zivilisten, insbesondere gegen die Hazara als schiitische Minderheit, da diese auch wegen der Teilnahme afghanischer Schiiten am Kampf gegen den IS auf Seiten des syrischen Regimes im Fokus des ISKP steht.
75 
Vgl. dazu den Bericht des Auswärtigen Amts zur Lagebeurteilung für Afghanistan nach dem Anschlag am 31. Mai 2017 - Stand Juli 2017 -, S. 10.
76 
Die Vorfälle zum Nachteil von Hazara setzten sich auch im Jahr 2017 fort. Bereits am 1. Januar 2017 forderte eine Sprengstoffexplosion in einer schiitischen Moschee in Herat ein Todesopfer. Fünf Menschen wurden verletzt. Regierungsfeindliche Kräfte hielten am 6. Januar 2017 in der Provinz Baghlan einen Bus mit Minenarbeitern, die hauptsächlich Hazara waren, an. Sie töteten acht Passagiere und verletzten drei weitere. In Sar-e Pol wurden durch Anhänger des ISKP am 15. März 2017 drei Hazara getötet. Sie wurden erschossen und anschließend geköpft. Am 12. Mai 2017 verübte der Daesh/ISKP mittels einer ferngesteuerten Sprengvorrichtung einen Anschlag auf eine Bäckerei in einem schiitisch geprägten Stadtviertel vom Herat nahe einer religiösen Versammlung, bei dem sieben Menschen getötet und 17 verletzt wurden. Auch zu einem weiteren Anschlag auf eine schiitische Moschee in Kabul am 15. Juni 2017, bei dem fünf Zivilisten getötet und sieben weitere verletzt worden waren, bekannte sich der ISKP.
77 
UNAMA Midyear Report 2017: Afghanistan - protection of civilians in armed conflict, Juli 2017, S. 46 und 49.
78 
Bei zwei weiteren Angriffen auf schiitische Moscheen in Kabul und in der Provinz Ghor am 20. Oktober 2017 wurden in Kabul mindestens 39 Personen, möglicherweise sogar 65 Personen getötet und 67 weitere verletzt; in Ghor wurden bis zu 33 Menschen getötet. Bei gegen die schiitische Minderheit gerichteten Anschlägen wurden im Zeitraum zwischen Januar und Ende Oktober 2017 insgesamt mindestens 149 Menschen getötet und 300 verletzt, wobei für den überwiegenden Anteil vermutlich der ISKP verantwortlich ist.
79 
Human Rights Watch: The Pain Behind the Numbers of Afghanistan’s Deadly Attacks, 23.10.2017; Spiegel-online, Terror in Afghanistan - Mehr als 50 Tote bei Attentaten auf Moscheen, 20.10.2017.
80 
Angesichts der vorstehenden Ausführungen und auch im Hinblick auf die im Verhältnis zur Gesamtzahl der in Afghanistan lebenden Hazara nicht ausreichend gewichtigen Anzahl vermag der Senat insgesamt trotz der dargestellten Vielzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle zum Nachteil von Hazara nicht festzustellen, dass über eine „nur“ latente oder potentielle Gefährdung hinausgehend jeder Angehörige der Gruppe mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Eingriffe in Leib oder Leben zu gewärtigen hätte und ein Grad erreicht wäre, der den Rückschluss darauf zuließe, dass allein aus der Zugehörigkeit zu der Volksgruppe eine tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens iSd. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG bestünde.
81 
Dabei kann schon nicht aus dem Umstand, dass die Opfer der Vorfälle hazarische Volkszugehörige sind, ohne weiteres darauf geschlossen werden, dass diese Vorfälle ihren Grund gerade in der Volks- oder auch in der schiitischen Religionszugehörigkeit der Geschädigten haben, auch wenn dies für einzelne Ereignisse klar ist oder jedenfalls naheliegend.
82 
Vgl. etwa für den Anschlag auf die Demonstration vom 23. Juli 2016 oder die Anschläge auf schiitische Moscheen in der zweiten Hälfte des Jahrs 2016, vgl. dazu UNAMA, Annual Report 2016: Afghanistan - protection of civilians in armed conflict, Februar 2017, S. 41 f. sowie auch UK Home Office, Country Policy and Information Note. Afghanistan: Security and humanitarian situation Office, August 2017, S. 19. Vgl. zur verneinten Frage einer Gruppenverfolgung im Übrigen auch: BayVGH, Beschlüsse vom 20.01.2017 - 13a ZB 16.30996 -, juris Rn. 11 f.; vom 04.01.2017 - 13a ZB 16.30600 -, juris Rn. 6; und vom 19.12.2016 - 13a ZB 16.30581 -, juris Rn. 4; außerdem auch jüngere untergerichtliche Entscheidungen: eingehend VG Lüneburg, Urteile vom 15.05.2017 - 3 A 156/16 -, juris Rn. 24 ff. und vom 13.06.2017 - 3 A 136/16 -, juris Rn. 25 ff.; außerdem VG Cottbus, Urteil vom 01.08.2017 - 5 K 1488/16.A -, juris Rn. 21 ff.; VG Berlin, Urteil vom 14.06.2017 - 16 K 207/17 A -, juris Rn. 20; VG Osnabrück, Urteil vom 15.03.2017 - 1 A 19/17 -, asyl.net, S. 8 UA; VG Düsseldorf, Urteil vom 05.01.2017 - 18 K 2043/15.A -, juris Rn. 28 ff.
83 
Der Senat verkennt nicht, dass unter den sicherheitsrelevanten Vorfällen in Kabul in jüngerer Zeit wiederholt solche zu verzeichnen waren, die sich gegen Volkszugehörige der Hazara bzw. Angehörige des schiitischen Glaubens gerichtet haben, etwa der bereits mehrfach erwähnte Anschlag vom 23. Juli 2016 (80 Tote) sowie die genannten Angriffe auf schiitische Moscheen bzw. Einrichtungen am 11. Oktober 2016 (mindestens 13 Tote), am 21. November 2016 (27 Tote), am 15. Juni 2017 (5 Tote) und am 20. Oktober 2017 (mindestens 39 Tote). Angesichts der über eine Million Hazara, die in Kabul leben, vermag auch dies die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens im Falle der Abschiebung nicht zu begründen.
84 
c) Die Gewährung subsidiären Schutzes auf Grundlage von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG kommt auch nicht unter dem allgemeinen Gesichtspunkt der schlechten humanitären Situation in Afghanistan in Betracht. Denn es fehlt am erforderlichen Akteur § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG i.V.m. § 3c AsylG.
85 
Trotz der inhaltlichen Kongruenz von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG („Als ernsthafter Schaden gilt:... Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung ...“) und Art. 3 EMRK („Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.“)
86 
- vgl. dazu sowie auch zu Unterschieden: Storey, in: Hailbronner/Thym, EU Immigration and Asylum Law, 2. Aufl. 2016, Part D III, Art. 15 Rn. 3 f. -
87 
führt das Vorliegen der tatsächlichen Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK nicht zwingend zu einer Zuerkennung subsidiären Schutzes. Denn es reicht nicht aus, dass die Voraussetzungen eines Tatbestandes nach § 4 Abs. 1 AsylG erfüllt sind. Vielmehr sind - neben § 4 Abs. 2 AsylG - gemäß § 4 Abs. 3 AsylG auch die Anforderungen der § 3c bis 3e AsylG zu beachten, die für den subsidiären Schutz entsprechend gelten. Erforderlich ist daher, dass die Gefahr eines ernsthaften Schadens von einem der in § 3c AsylG genannten Akteure ausgeht, also vom Staat, von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die vorgenannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor einem ernsthaften Schaden beziehungsweise der tatsächlichen Gefahr eines ernsthaften Schadens zu bieten.
88 
VGH Bad.-Württ., Urteil vom 03.11.2017 - A 11 S 1704/17 -, juris
89 
Es ist in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union geklärt, dass ein ernsthafter Schaden im Sinne des Art. 15b RL 2011/95/EU eine Situation nicht erfasst, in der eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung auf fehlende Behandlungsmöglichkeiten einer Krankheit im Herkunftsstaat zurückzuführen ist, solange die notwendige Versorgung nicht absichtlich verweigert wird. Dies folgt u.a. daraus, dass Art. 6 RL 2011/95/EU eine Liste der Akteure enthält, von denen ein ernsthafter Schaden ausgehen kann. Schäden im Sinne des Art. 15 RL 2011/95/EU müssen daher von bestimmten Dritten verursacht werden.
90 
EuGH, Urteil vom 18.12.2014 - C-542/13 - (M´Bodj), NVwZ-RR 2015, 158, insb. Rn. 35 und 41.
91 
Dies bekräftigend hat auch Generalanwalt ausgeführt, aus der Auslegung von Art. 6 RL 2004/83/EG - der Fall betrifft das Vereinigte Königreich - folge, dass die in Rede stehenden ernsthaften Schäden durch das Verhalten eines Dritten verursacht werden müssen. Ein Anspruch auf subsidiären Schutz ist nämlich nicht schon dann begründet, wenn nachgewiesen wird, dass für den Betroffenen bei einer Rückkehr in sein Herkunftsland die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung bestünde. Es muss auch nachgewiesen werden, dass diese Gefahr auf Faktoren beruht, die den Behörden dieses Landes direkt oder indirekt anzulasten und ihnen stets bewusst sind, und zwar entweder weil die Behörden des Staates, dem der Betroffene angehört, ihn persönlich bedrohen oder diese Bedrohung tolerieren, oder weil diese Bedrohung auf unabhängige Gruppen zurückgeht, vor denen die Behörden ihre Staatsangehörigen nicht wirksam schützen können.
92 
GA Bot, Schlussanträge vom 24.10.2017 - C-353/16 - (MP/Vereinigtes Königreich), Rn. 28 - 30.
93 
Insbesondere trifft es nicht zu, dass Art. 3 EMRK eine erweiternde Auslegung von Art 15b RL 2011/95/EU gebieten würde
94 
so aber: Giesler/Wohnig, Uneinheitliche Entscheidungspraxis zu Afghanistan - Eine Untersuchung zur aktuellen Afghanistan-Entscheidungspraxis des BAMF und der Gerichte (Ergänzte Fassung zur Kurzfassung aus Asylmagazin 2017, 223) (asyl.net), dort S. 11,
95 
denn mit einer möglichen Versagung internationalen Schutzes wird unionsrechtlich nicht abschließend darüber entschieden, ob eine Rückführung in den Herkunftsstaat rechtlich zulässig ist, was sich u.a. aus Art. 5 RL 2008/115/EG ergibt. Der zu prüfende Grundsatz der Nichtzurückweisung ist hier umfassend und damit auch auf Art. 3 EMRK bezogen zu verstehen und damit weiter als derjenige aus Art. 33 Abs. 1 GFK.
96 
Vgl. Lutz, in: Hailbronner/Thym, EU Immigration and Asylum Law, 2. Aufl. 2016, Part C VII, Art. 5 Rn. 9.
97 
Diese Auslegung von Art. 15b RL 2011/95/EU, die der ständigen Rechtsprechung des Senats entspricht,
98 
VGH Bad.-Württ., Urteil vom 03.11.2017 - A 11 S 1704/17 -, juris, vom 05.12.2017 - A 11 S 1144/17 -, juris und vom 17.01.2018 - A 11 S 241/17 -, juris
99 
steht im Einklang mit der herrschenden Lehre und Rechtsprechung.
100 
VG Berlin, Urteil vom 10.07.2017 - VG 34 K 197.16 A -, juris Rn. 54; VG Lüneburg, Urteil vom 15.05.2017 - 3 A 156/16 -, juris Rn. 51 f.; VG Osnabrück, Urteil vom 15.05.2017 - 1 A 19/17 -, asyl.net; außerdem: EASO, Qualification for International Protection Directive 2011/95/EU) - A judicial analysis, Dezember 2016, S. 109; vgl. auch Hinterberger/Klammer, Abschiebungsverbote aus gesundheitlichen Gründen: Die aktuelle EGMR- und EuGH-Rechtsprechung zum Non-Refoulement und deren Auswirkungen auf die deutsche Rechtslage, NVwZ 2017, 1180 [1181 f.] sowie wohl auch Marx, AsylG, 9. Aufl. 2017, § 4 Rn. 32 und Hailbronner, Ausländerrecht, Mai 2017, § 60 Rn. 57 zum „nicht in vollem Umfang“ identischen Schutzbereich von § 60 Abs. 5 AufenthG und von § 60 Abs. 2 AufenthG i.V.m. Art. 15 RL 2011/95/EU/§ 4 AsylG.
101 
An einem somit erforderlichen Akteur fehlt es vorliegend. Denn die humanitäre Lage und die prekären Lebensumstände sind keinem der genannten Akteure nach § 3c AsylG zuzurechnen.
102 
Vgl. zu dem Umstand, dass die schwierige humanitäre Situation in Afghanistan nicht unmittelbar dem afghanischen Staat zuzurechnen ist bereits VGH Bad.-Württ., Urteil vom 24.07.2013 - A 11 S 697/13 -, juris Rn. 108, dort zu § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK, sowie auch - anknüpfend an die vorgenannte Entscheidung: VGH Bad.-Württ., Urteil vom 26.02.2014 - A 11 S 2519/12 -, juris.
103 
Die schlechte Versorgungslage (betreffend Nahrung, Wohnraum, Gesundheitsversorgung) wird durch die schlechte wirtschaftliche Entwicklung Afghanistans, die dort herrschenden Umweltbedingungen (also insbesondere die schwierigen klimatischen Bedingungen sowie Naturkatastrophen) sowie maßgeblich durch die volatile Sicherheitslage negativ beeinflusst und bestimmt. Insofern ist nicht festzustellen, dass einem der in Betracht kommenden Akteure ein wesentlicher Beitrag direkt oder indirekt anzulasten wäre und eine Verhaltensänderung zu einer unmittelbaren Verbesserung der Lage führen könnte. Insbesondere wird weder die notwendige medizinische oder humanitäre Versorgung gezielt vorenthalten noch werden all diese Umstände gezielt herbeigeführt.
104 
Vgl. dazu im Folgenden die Darstellungen zu den Lebensverhältnissen im Rahmen von § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK.
105 
Soweit teilweise in der Rechtsprechung vertreten wird, die schlechte humanitäre Lage sei überwiegend durch die seit Jahrzehnten herrschenden bewaffneten Konflikte und damit im Sinne von § 3c AsylG auf Aktionen staatlicher und nicht-staatlicher Konfliktparteien, gegen die der Staat keinen Schutz bieten könne, zurückzuführen,
106 
VG Köln, Urteil vom 12.12.2017 - 5 K 3637/17.A -
107 
übersieht dieser Ansatz gerade, dass die Anwendung von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG und damit auch Art. 15b RL 2011/95/EU eine gewisse Zielgerichtetheit des Verhaltens des Akteurs erfordert
108 
EASO, Qualification for International Protection (Directive 2011/95/EU) - A judicial analysis, Dezember 2016, S. 109;
109 
und daher reine Kausalitätserwägungen hier nicht anspruchsbegründend wirken können. Daher scheidet die Zuerkennung subsidiären Schutzes auf Grundlage des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG in Ermangelung eines tauglichen Akteurs aus.
110 
3. Auch die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG liegen nicht vor.
111 
Nach dieser Vorschrift ist subsidiärer Schutz zuzuerkennen, wenn der Ausländer stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden in Gestalt einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts droht.
112 
a) aa) Ein innerstaatlich bewaffneter Konflikt liegt vor, wenn die Streitkräfte eines Staates auf eine oder mehrere bewaffnete Gruppen treffen oder wenn zwei oder mehrere bewaffnete Gruppen aufeinandertreffen, ohne dass dieser Konflikt als bewaffneter Konflikt, der keinen internationalen Charakter aufweist, im Sinne des humanitären Völkerrechts eingestuft zu werden braucht und ohne dass die Intensität der bewaffneten Auseinandersetzungen, der Organisationsgrad der vorhandenen bewaffneten Streitkräfte oder die Dauer des Konflikts Gegenstand einer anderen Beurteilung als der des im betreffenden Gebiet herrschenden Grads an Gewalt ist.
113 
EuGH, Urteil vom 30.01.2014 - C-285/12 - Diakité, NVwZ 2014, 573 Rn. 35
114 
bb) Die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens für jedermann aufgrund eines solchen Konflikts ist erst dann gegeben, wenn der bewaffnete Konflikt eine solche Gefahrendichte für Zivilpersonen mit sich bringt, dass alle Bewohner des maßgeblichen, betroffenen Gebiets ernsthaft individuell bedroht sind. Das Vorherrschen eines so hohen Niveaus willkürlicher Gewalt, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass eine Zivilperson bei einer Rückkehr in das betreffende Land bzw. in die betreffende Region allein durch ihre Anwesenheit tatsächlich Gefahr liefe, einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit ausgesetzt zu sein, bleibt aber außergewöhnlichen Situationen vorbehalten, die durch einen sehr hohen Gefahrengrad gekennzeichnet sind. Eine Individualisierung kann sich insbesondere aus gefahrerhöhenden persönlichen Umständen in der Person des Schutzsuchenden ergeben, die ihn von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffenen erscheinen lassen.
115 
EuGH, Urteil vom 17.02.2009 - C-465/07 – Elgafaji -, NVwZ 2009, 705 Rn. 43 und vom 30.01.2014 - C-285/12 – Diakité - NVwZ 2014, 573 Rn. 30.
116 
Der für die Annahme einer individuellen Gefahr in diesem Sinne erforderliche Grad willkürlicher Gewalt wird daher umso geringer sein, je mehr der Schutzsuchende zu belegen vermag, dass er aufgrund solcher individueller gefahrerhöhender Umstände spezifisch betroffen ist. Solche persönlichen Umstände können sich z.B. aus dem Beruf des Schutzsuchenden etwa als Arzt oder Journalist ergeben, da diese regelmäßig gezwungen sind, sich nahe an einer Gefahrenquelle aufzuhalten. Ebenso können solche Umstände aber auch aus einer religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit herrühren, aufgrund derer der Schutzsuchende zusätzlich der Gefahr gezielter Gewalttaten ausgesetzt ist.
117 
Liegen keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich, welches mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit („real risk“) gegeben sein muss. So kann die notwendige Individualisierung ausnahmsweise bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre.
118 
BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 -, NVwZ 2012, 454 Rn. 19 m.w.N.; OVG NRW, Beschluss vom 09.03.2017 - 13 A 2575/16.A -, juris Rn. 13; NdsOVG Urteil vom 19.09.2016 - 9 LB 100/15 -, juris.
119 
Das besonders hohe Niveau kann nicht allein deshalb bejaht werden, weil ein Zustand permanenter Gefährdungen der Bevölkerung und schwerer Menschenrechtsverletzungen im Rahmen des innerstaatlichen Konflikts festgestellt werden. Vielmehr erfordert die Bestimmung der Gefahrendichte eine quantitative Ermittlung der Verletzten und getöteten Zivilpersonen im Verhältnis zur Einwohnerzahl (Gewaltniveau). Außerdem muss eine wertende Gesamtbetrachtung - etwa auch im Hinblick auf die medizinische Versorgungslage - erfolgen.
120 
BVerwG, Urteile vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 -, juris Rn. 23 und vom 13.02.2014 - 10 C 6.13 -, juris Rn. 24; OVG LSA, Urteil vom 23.07.2014 - 3 L 53/12 -, juris Rn. 24 ff.; NdsOVG, Urteil vom 19.09.2016 - 9 LB 100/15 -, juris.
121 
Das Bundesverwaltungsgericht hatte in den Urteilen vom 17. November 2011
122 
10 C 13.10, Rn. 22 und 10 C 11.10, Rn. 20
123 
- bezogen auf die Zahl der Opfer von willkürlicher Gewalt eines Jahres - ein Risiko von 1:800 (0,125 %) bzw. 1:1.000 (0,1 %) verletzt oder getötet zu werden, als weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt angesehen.
124 
Vgl. hieran anknüpfend auch: NdsOVG, Urteil vom 19.09.2016 - 9 LB 100/15 -, juris; OVG LSA, Urteil vom 23.07.2014 – 3 L 53/12 –, Rn. 26, juris.
125 
cc) Maßgeblicher Bezugspunkt für die Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 3 AsylG ist die Herkunftsregion des Betroffenen, in die er typischerweise zurückkehren wird. Denn für die Frage, welche Region als Zielort der Rückkehr eines Ausländers anzusehen ist, kommt es weder darauf an, für welche Region sich ein unbeteiligter Betrachter vernünftigerweise entscheiden würde, noch darauf, in welche Region der betroffene Ausländer aus seinem subjektiven Blickwinkel strebt. Der Begriff des „tatsächlichen Zielortes der Rückkehr“ im Sinne der Rechtsprechung des EuGH
126 
EuGH, Urteil vom 17.02.2009 - C-465/07 - Elgafaji -, NVwZ 2009, 705 Rn. 40, vgl. auch BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 - 10 C 15.12 -, NVwZ 2013, 1167
127 
ist daher kein rein empirischer Begriff, bei dem auf die tatsächlich wahrscheinlichste oder subjektiv gewollte Rückkehrregion abzustellen ist. Da § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG vor den Gefahren eines - nicht notwendig landesweiten - bewaffneten Konflikts im Heimatstaat schützt, kommt bei der Bestimmung des Ortes der (voraussichtlichen) tatsächlichen Rückkehr der Herkunft als Ordnungs- und Zuschreibungsmerkmal eine besondere Bedeutung zu. Ein Abweichen von der Herkunftsregion kann daher auch nicht damit begründet werden, dass der Ausländer infolge eines bewaffneten Konflikts den personalen Bezug zu seiner Herkunftsregion verloren hat. Auch eine nachlassende subjektive Bindung zur Herkunftsregion durch Umstände, die mittelbare Folgen des bewaffneten Konflikts sind (z.B. Beeinträchtigung der sozialen und wirtschaftlichen Infrastruktur, nachhaltige Verschlechterung der Versorgungslage) ändert nichts daran, dass diese für die schutzrechtliche Betrachtung grundsätzlich ihre Relevanz behält. Allerdings ist jedenfalls dann nicht (mehr) auf die Herkunftsregion abzustellen, wenn sich der Ausländer schon vor der Ausreise und unabhängig von den fluchtauslösenden Umständen von dieser gelöst und in einem anderen Landesteil mit dem Ziel niedergelassen hatte, dort auf unabsehbare Zeit zu leben. Durch eine solche freiwillige Ablösung verliert die Herkunftsregion ihre Bedeutung als Ordnungs- und Zurechnungsmerkmal und scheidet damit als Anknüpfungspunkt für die Gefahrenprognose bei § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG aus.
128 
Vgl. BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 - 10 C 15.12 -, NVwZ 2013, 1167.
129 
b) Ausgehend von den Angaben des Klägers, wonach er aus Daikundi stammen und diese Region nach dem Tod seiner Mutter Anfang der 2010er Jahre verlassen haben und nach Teheran übergesiedelt sein will, ist auf diese Provinz für die Beurteilung des Anspruchs auf subsidiären Schutz nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG abzustellen. Das dort vorherrschende Ausmaß an Gewalt genügt auch unter Berücksichtigung der Volkszugehörigkeit des Klägers eindeutig nicht, um eine tatsächliche Gefahr des Erleidens eines ernsthaften Schadens anzunehmen.
130 
In der Provinz Daikundi gab es zwischen 2015 und 2017 immer wieder Auseinandersetzungen zwischen Taliban oder anderen regierungsfeindlichen Kräften im Sinne der Definition von UNAMA einerseits und regierungsfreundlichen Gruppen und Truppen andererseits.
131 
EASO, Country of Origin Information Report – Afghanistan Security Situation, December 2017 S. 98 f.
132 
Zwischen dem 1. September 2016 und dem 31. Mai 2017 ließen sich 153 sicherheitsrelevante Zwischenfälle in der Provinz feststellen. Davon gingen 57 auf bewaffnete Auseinandersetzungen oder Luftangriffe, 12 auf Explosionen und 12 auf gegen Einzelpersonen gerichtete Gewalt zurück.
133 
EASO, Country of Origin Information Report – Afghanistan Security Situation, December 2017 S. 100.
134 
Nachdem UNAMA für das Jahr 2015 in den beiden Provinzen Bamyan und Daikundi zusammen 58 Opfer in der Zivilbevölkerung festgestellt hatte (davon 30 Todesopfer) und 2016 für die beiden Provinzen einen Anstieg auf 115 Opfer (davon 25 Todesopfer) auswies
135 
UNAMA, Annual Report 2016: Afghanistan - protection of civilians in armed conflict, Februar 2017 S. 5.
136 
geht UNAMA für die Zeit vom 01.01.2017 bis zum 30.06.2017 von 21 Opfern (davon 7 Todesopfer) aus, wobei die meisten dieser Zivilpersonen Opfer explosiver Kampfmittelrückstände waren.
137 
UNAMA, Midyear Report 2017: Afghanistan - protection of civilians in armed conflict, Juli 2017 S. 73.
138 
Die Opferzahlen sind im Verhältnis von einer Bevölkerungszahl von rund 460.000 Personen
139 
EASO, Country of Origin Information Report – Afghanistan Security Situation, December 2017 S. 98.
140 
gesehen erkennbar nicht geeignet, eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für die Annahme, dass eine jede Zivilperson bei einer Rückkehr in das betreffende Land bzw. in die betreffende Region allein durch ihre Anwesenheit tatsächlich Gefahr liefe, einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit ausgesetzt zu sein, zu begründen. Die Opferzahlen sind auch dann, wenn man davon ausginge, dass die Annahmen von UNAMA von unzutreffend geringen Opferzahlen ausgingen, weit davon entfernt, in einem Bereich zu sein, in dem das Bestehen einer tatsächlichen Gefahr des ernsthaften Schadens im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG entweder für jedermann oder aber auch für bestimmte, besonders gefährdete Gruppen auch nur in Erwägungen gezogen werden könnte.
II.
141 
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots, weder auf der Grundlage von § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK (1.), noch auf der Grundlage von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
142 
1. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK auf Grund der schlechten humanitären Bedingungen in Afghanistan besteht nicht. Denn die rechtlichen Voraussetzungen (a)) hierfür sind unter Berücksichtigung der Lebensverhältnisse in Afghanistan insgesamt (b)) und der in Kabul als Ankunfts- bzw. Endort der Abschiebung (c)) sowie in Ansehung der der persönlichen Situation des Klägers und insbesondere auch seiner Zugehörigkeit zu den Hazaras nicht gegeben (d)).
143 
a) Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten - EMRK - ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Gemäß Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden. Im Falle einer Abschiebung wird eine Verantwortlichkeit der Bundesrepublik Deutschland nach Art. 3 EMRK dann begründet, wenn erhebliche Gründe für die Annahme bestehen, dass der Betroffene im Fall der Abschiebung tatsächlich Gefahr läuft, einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein.
144 
aa) Unter dem Begriff der unmenschlichen Behandlung ist die vorsätzliche und beständige Verursachung körperlicher Verletzungen oder physischen oder psychischen Leids zu verstehen, während bei einer erniedrigenden Behandlung nicht die Zufügung von Schmerzen, sondern die Demütigung im Vordergrund steht.
145 
Auch schlechte humanitäre Verhältnisse können eine Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK darstellen.
146 
Vgl. dazu bereits VGH Bad.-Württ., Urteil vom 24.07.2013 - A 11 S 697/13 -, Leitsatz 4 sowie insbesondere auch juris Rn. 71 m.w.N.
147 
Dieses ist immer dann anzunehmen, wenn diese Verhältnisse ganz oder überwiegend auf staatlichem Handeln, auf Handlungen von Parteien eines innerstaatlichen Konflikts oder auf Handlungen sonstiger, nicht staatlicher Akteure, die dem Staat zurechenbar sind, beruhen, weil er der Zivilbevölkerung keinen ausreichenden Schutz bieten kann oder will.
148 
EGMR, Urteile vom 21.01.2011 - 30696/09 - (M.S.S./Belgien und Griechenland), NVwZ 2011, 413 und vom 28.06.2011 - 8319/07 und 11449/07 - (Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich), NVwZ 2012, 681.
149 
Aber auch dann, wenn diese Voraussetzungen nicht gegeben sind, weil es an einem verantwortlichen Akteur fehlt, können schlechte humanitäre Bedingungen im Zielgebiet dennoch als Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK zu qualifizieren sein, wenn ganz außerordentliche individuelle Umstände hinzutreten. Es sind also im Rahmen von § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK nicht nur Gefahren für Leib und Leben berücksichtigungsfähig, die seitens eines Staates oder einer staatsähnlichen Organisation drohen, sondern auch „nichtstaatliche“ Gefahren auf Grund prekärer Lebensbedingungen, wobei dies aber nur in ganz außergewöhnlichen Einzelfällen in Betracht kommt.
150 
BVerwG, Urteil vom 13.06.2013 - 10 C 13.12 -, NVwZ 2013, 1167, Rn. 24 f.; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 24.07.2013 - A 11 S 697/13 -, Leitsatz 5 sowie insbesondere auch juris Rn. 79 ff.; EGMR, Urteile vom 02.05.1997 - 146/1996/767/ 964 - (D./Vereinigtes Königreich), NVwZ 1998, 161; vom 27.05.2008 - 26565/05 - (N./Vereinigtes Königreich), NVwZ 2008, 1334; vom 21.01.2011 - 30696/09 - (M.S.S./Belgien und Griechenland) - NVwZ 2011, 413; vom 28.06.2011 - 8319/07 und 11449/07 - (Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich), NVwZ 2012, 681 und vom 13.10.2011 - 10611/09 - (Husseini/Schweden), NJOZ 2012, 952.
151 
Wenn der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Urteil vom 13. Dezember 2016
152 
- 41738/10 - (Paposhvili/Belgien), NVwZ 2017, 1187 Rn. 187 und 189,
153 
aber nunmehr ausdrücklich wiederholt auf die allgemeinen Verhältnisse im Zielstaat der Abschiebung hinweist, auf deren Hintergrund die besondere Lage des Betroffenen zu beurteilen ist, wird hinreichend deutlich, dass außergewöhnliche individuelle Umstände bzw. Merkmale auch solche sein können, die eine Person mit anderen Personen teilt, die Träger des gleichen Merkmals sind bzw. sich in einer im Wesentlichen vergleichbaren Lage befinden. Auch in einem solchen Fall kann ausnahmsweise ein Verstoß gegen Art. 3 EMRK zu bejahen sein, wenn die Abschiebung zu einer ernsthaften, schnellen und irreversiblen Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Betroffenen führen würde, die ein schweres Leiden oder eine erhebliche Verringerung der Lebenserwartung zur Folge hätte.
154 
VGH Bad.-Württ., Urteil vom 03.11.2017 - A 11 S 1704/17 -, juris.
155 
Bei entsprechenden Rahmenbedingungen können schlechte humanitäre Verhältnisse eine Gefahrenlage begründen, die zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinn von Art. 3 EMRK führt. Hierbei sind indes eine Vielzahl von Faktoren zu berücksichtigen, darunter etwa der Zugang für Rückkehrer zu Arbeit, Wasser, Nahrung, Gesundheitsversorgung sowie die Chance, eine adäquate Unterkunft zu finden, der Zugang zu sanitären Einrichtungen und nicht zuletzt die finanziellen Mittel zur Befriedigung elementarer Bedürfnisse, auch unter Berücksichtigung von Rückkehrhilfen usw.
156 
Vgl. dazu jüngst wieder ausführlich BayVGH, Urteil vom 23.03.2017 - 13a B 17.30030 -, BeckRS 2017, 113717; dieser bereits zuvor in seinen beiden Urteilen vom 21.11.2014 – 13a B 14.30285 -, BeckRS 2015, 41010 und - 13a B 14.30284 -; dort jeweils eingehend zur Bejahung von § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK wegen schlechter humanitärer Bedingungen bezüglich Familien mit minderjährigen Kindern wegen der Rahmenbedingungen in Afghanistan (m.w.N.).
157 
Vorliegend sind allein die hohen Anforderungen der letztgenannten Fallgestaltung maßgeblich, da die hier unter dem Gesichtspunkt des Art. 3 EMRK relevanten humanitären Verhältnisse in Afghanistan keinem Akteur zuzuordnen sind, sondern auf einer Vielzahl von Faktoren beruhen, darunter die allgemeinen wirtschaftlichen Lage und die Versorgungslage betreffend Nahrung, Wohnraum, Gesundheitsversorgung, Umweltbedingungen wie Klima und Naturkatastrophen sowie die Sicherheitslage. Wie bereits ausgeführt ist nicht festzustellen, dass der afghanische Staat, die in Afghanistan aktiven internationalen Streitkräfte oder ein sonstiger (etwa nichtstaatlicher) Akteur die maßgebliche Verantwortung hierfür trügen, insbesondere, dass etwa die notwendige medizinische oder humanitäre Versorgung gezielt vorenthalten würde.
158 
Vgl. dazu im Folgenden die Darstellungen zu den Lebensverhältnissen; so auch schon VGH Bad.-Württ., Urteil vom 24.07.2013 - A 11 S 697/13 -, juris Rn. 108 sowie auch anknüpfend an die vorgenannte Entscheidung: VGH Bad.-Württ., Urteil vom 26.02.2014 - A 11 S 2519/12 -, juris.
159 
bb) Sowohl die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte als auch die des Bundesverwaltungsgerichts
160 
- EGMR, Urteil vom 28.06.2011 - 8319/07 und 11449/07 - (Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich), NVwZ 2012, 681 Rn. 278, 282 f. und BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 - 10 C 15.12 -, NVwZ 2013, 1167 -
161 
machen deutlich, dass ein sehr hohes Schädigungsniveau erforderlich ist, da nur dann ein außergewöhnlicher Fall vorliegt, in dem die humanitären Gründe entsprechend den Anforderungen des Art. 3 EMRK „zwingend“ sind. So hat das Bundesverwaltungsgericht in der Vergangenheit, als es die allgemeine Lage in Afghanistan als nicht ausreichend ernst für die Feststellung einer Verletzung des Art. 3 EMRK eingestuft hat, die Notwendigkeit einer besonderen Ausnahmesituation betont.
162 
BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 - 10 C 15.12 -, NVwZ 2013, 1167, insb. Leitsatz 3 -; vgl. auch: BayVGH, Urteil vom 21.11.2014 - 13a B 14.30284 -, juris Rn. 19.
163 
Dabei kann aber - schon nach der Gesetzessystematik - der nationale Maßstab für eine Extremgefahr nach § 60 Abs. 7 Satz 1 und 5 AufenthG nicht, insbesondere auch nicht analog, herangezogen werden. Da die Sachverhalte nicht vergleichbar sind, lassen sich die ggf. erhöhten Anforderungen an eine ausreichende Lebensgrundlage im Fall einer internen Schutzalternative gemäß § 3e AsylG ebenfalls nicht übertragen.
164 
VGH Bad.-Württ., Urteil vom 03.11.2017 - A 11 S 1704/17 -, juris Rn. 180. BayVGH, Urteil vom 21.11.2014 - 13a B 14.30284 -, juris Rn. 19.
165 
Ein Zusammenhang zwischen Art. 3 EMRK und § 3e AsylG besteht lediglich dergestalt, dass für den Fall, dass die Situation am vermeintlichen Schutzort einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK darstellte, dieser Schutzort den Anforderungen des § 3e AsylG nicht genügen würde.
166 
Vgl. dazu VGH Bad.-Württ., Urteil vom 16.10.2017 - A 11 S 512/17 -, juris Rn. 85 m.w.N.
167 
cc) Auch im Rahmen des Art. 3 EMRK ist nach der Rechtsprechung des EGMR eine tatsächliche Gefahr („real risk“) erforderlich, d.h. es muss eine ausreichende reale, nicht nur auf bloßen Spekulationen, denen eine hinreichende Tatsachengrundlage fehlt, gegründete Gefahr („a sufficiently real risk“) bestehen. Die tatsächliche Gefahr einer Art. 3 EMRK zuwiderlaufenden Behandlung muss danach aufgrund aller Umstände des Falles hinreichend sicher und darf nicht hypothetisch sein.
168 
EGMR, Urteil vom 28.06.2011 - 8319/07 und 11449/07 - (Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich), NVwZ 2012, 681; Entscheidung vom 22.09.2009 - 30471/08 - (Abdolkhani und Karimnia/Türkei), InfAuslR 2010, 47; Urteil vom 17.07.2008 - 25904/07 - (NA./Vereinigtes Königreich), juris; Urteil vom 28.02.2008 - 37201/06 - (Saadi/Italien), NVwZ 2008, 1330; vom 27.05.2008 - 26565/05 - (N./Vereinigtes Königreich), NVwZ 2008, 1334 sowie Urteil vom 06.02.2001 - 44599/98 - (Bensaid/Vereinigtes Königreich), NVwZ 2002, 453.
169 
Erforderlich ist danach die konkrete Gefahr der Folter oder unmenschlichen Behandlung. Es gilt - wie bei § 60 Abs. 1 AufenthG - der Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit, d.h. die für eine Schädigung sprechenden Umstände müssen ein größeres Gewicht haben als die dagegen sprechenden Tatsachen.
170 
BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 5.09 -, NVwZ 2011, 51; EGMR, Urteil vom 17.07.2008 - 25904/07 - (NA./Vereinigtes Königreich), juris.
171 
Zu beachten ist allerdings, dass ein gewisser Grad an Mutmaßung dem präventiven Schutzzweck des Art. 3 EMRK immanent sein muss und es hier also nicht um den eindeutigen, über allen Zweifeln erhabenen Beweis gehen kann, dass der Betroffene im Falle seiner Rückkehr einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt wäre.
172 
EGMR, Urteil vom 09.01.2018 - 36417/16 - (X/Schweden) Rn. 50.
173 
dd) Des Weiteren ist für die Beurteilung, ob außerordentliche Umstände vorliegen, die - wie hier - nicht in die unmittelbare Verantwortung des Abschiebungszielstaates fallen und die dem abschiebenden Staat nach Art. 3 EMRK eine Abschiebung des Ausländers verbieten, grundsätzlich auf den gesamten Abschiebungszielstaat abzustellen und zunächst zu prüfen, ob solche Umstände an dem Ort vorliegen, an dem die Abschiebung endet.
174 
BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 - 10 C 15.12 -, NVwZ 2013, 1167, Leitsatz 2 und EGMR, Urteil vom 28.06.2011 - 8319/07 und 11449/07 - (Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich), NVwZ 2012, 681, Rn. 265, 301, 309.
175 
Dieser Ankunfts- bzw. Endort der Abschiebung ist hier Kabul.
176 
Vgl. zu den Flugverbindungen nach Afghanistan: Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19.10.2016 - Stand: September 2016, S. 25 sowie zu den bislang durchgeführten Abschiebungen nach Kabul (etwa am 15. Dezember 2016, 24. Januar 2017, 23. Februar 2017 und am 28. März 2017): Afghanistan Analysts Network - voluntary and forced returns to Afghanistan in 2016/17: trends, statistics and experiences, 19.05.2017, S. 3; Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 12 m.w.N.
177 
Unter Berücksichtigung der landesweiten Lebensverhältnisse in Afghanistan und gerade der in Kabul ergibt sich, dass unter Berücksichtigung der persönlichen Situation des Klägers kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK vorliegt.
178 
b) Die landesweiten Lebensverhältnisse in Afghanistan und die Situation von Rückkehrern gestalten sich wie folgt:
179 
Afghanistan hat insgesamt etwa 27 bis 34 Millionen Einwohner.
180 
Vgl. dazu Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan, Republik Österreich Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vom 02.03.2017, aktualisiert am 27.06.2017, S. 150: 33,3 Millionen; so auch UK Home Office, Country Policy and Information Note. Afghanistan: Security and humanitarian situation, August 2017, S. 11; vgl. auch „the world fact book“ - Afghanistan auf https://www.cia.gov/ für Juli 2017 geschätzt 34,124,811 Einwohner; ProAsyl, Afghanistan - No safe country for refugees - Mai 2017 -, S. 55: mindestens 31,5 Millionen; Schuster, Risks on return to Kabul, 12.08.2016, S. 18/Rn. 48: mindestens 30 Millionen; Islamic Republic of Afghanistan Central Statistics Organization - Estimated Population of Afghanistan 2017-2018, April 2017, S. 2: 29.724.323; Auswärtiges Amt, Zwischenbericht: Lagebeurteilung für Afghanistan nach dem Anschlag am 31. Mai 2017 - Stand Juli 2017, S. 8/Rn. 30: 27 bis 32 Millionen.
181 
Über 40 % der Bevölkerung sind unter 15 Jahre, zwei Drittel unter 25 Jahre alt.
182 
Sam Hall, Urban displaced youth in Kabul - mental health matters, Juni 2016, S. 7.
183 
Geprägt wird das Leben der Menschen im Land von einer schwierigen wirtschaftlichen Situation (aa)) und Versorgungslage (bb)), von prekären humanitären Gegebenheiten (cc)) sowie von einer volatilen Sicherheitslage (dd)). Zudem sehen sich Rückkehrer aus dem westlichen Ausland zusätzlichen Gefahren ausgesetzt (ee)). Andererseits ist zu berücksichtigen, dass Rückkehrer unter bestimmten Umständen spezielle Unterstützungsmaßnahmen erhalten können (ff)).
184 
aa) Afghanistan ist eines der ärmsten Länder der Welt. Es belegte im Jahr 2015 den Platz 171 und im Jahr 2016 den Platz 169 von 187 im Human Development Index. Mindestens 36 % der Bevölkerung des Landes leben unter der Armutsgrenze. Teils wird auch von einer Steigerung von 36 % für die Jahre 2007/2008 auf 39 % für die Jahre 2013/2014 berichtet, wobei ein Leben in Armut nach dem hier verfolgten Ansatz vorliegt, wenn das Einkommen unter der Armutsgrenze von 1.150 Afghani (20 US$) pro Monat liegt. Afghanistan weist im Vergleich mit allen asiatischen Ländern den höchsten Anteil armer Menschen auf. Die Zahl derjenigen, die humanitärer Unterstützung bedurften, hat sich von 2016 bis zum Beginn des Jahres 2017 um 13 % auf 9,3 Millionen erhöht. Dabei gibt es regionale Unterschiede. Sie reichen von einem Anteil von 27,7 % der Bevölkerung, die unter der Armutsgrenze lebt, im Südwesten bis zu 49,7 % im Nordosten.
185 
Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19.10.2016 - Stand: September 2016, S. 21; vgl. auch Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich - Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Afghanistan (Gesamtaktualisierung vom 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 27.06.2017), S. 176; EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 31 f. m.w.N.; Giesler/Wohnig, Uneinheitliche Entscheidungspraxis zu Afghanistan - Eine Untersuchung zur aktuellen Afghanistan-Entscheidungspraxis des BAMF und der Gerichte (Ergänzte Fassung zur Kurzfassung aus Asylmagazin 2017, 223) (asyl.net), S. 3 Fn. 17; World Food Programme, Country Brief, WFP Assistance, Juli 2017.
186 
Bei einer ohnehin schon zuvor schlechten Lage ist seit dem Jahr 2012 ein massiver Einbruch der Wirtschaft zu verzeichnen.
187 
Dazu Stahlmann, Asylmagazin 2017, 73 (74) m.w.N.
188 
Sie sieht sich in der Übergangsphase nach Beendigung des NATO-Kampfeinsatzes zum Jahresende 2014 konfrontiert mit sinkenden internationalen Investitionen und der stark schrumpfenden Nachfrage durch den Rückgang internationaler Truppen um etwa 90 % (von 140.000 internationalen Soldaten auf rund 14.000). Die Abwertung des Afghani gegenüber dem US-Dollar schreitet - bei gleichzeitiger Deflation - immer weiter voran. Ein selbsttragendes Wirtschaftswachstum ist kurzfristig nicht in Sicht.
189 
Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19.10.2016 - Stand: September 2016, S. 21.
190 
Zudem beruht die Wirtschaft zu großen Teilen auf irregulären und illegalen Aktivitäten, darunter der Opiumhandel.
191 
UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 19.04.2016, S. 15.
192 
Der Vergleich des Wachstums des Bruttoinlandsprodukts für das Jahr 2012 von 14,4 % mit dem des Jahres 2015, in dem nur noch 0,8 % Wachstum zu verzeichnen waren, macht den für das gesamte Land zu verzeichnenden Einbruch deutlich.
193 
Vgl. dazu Stahlmann, Asylmagazin 2017, 73 (74) m.w.N. sowie dies. auch in ihrer landeskundlichen Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 12 m.w.N.; siehe auch Staatssekretariat für Migration SEM der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Notiz Afghanistan: Alltag in Kabul. Referat von Thomas Ruttig (Afghanistan Analysts Network) am 20. April 2017, 20.06.2017, S. 5.
194 
Bis zum Jahr 2016 blieb es bei einem Wachstum von unter 2 %. Auf Grund der abgeschwächten Konjunktur, unter anderem wegen der mangelnden Sicherheit und der politischen Ungewissheit, wird erwartet, dass das Bruttoinlandsprodukt allenfalls geringfügig wächst.
195 
EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 19 m.w.N.
196 
Diese Wirtschaftslage spiegelt sich auch im Arbeitsmarkt wider, für den uneinheitliche Zahlen vorliegen.
197 
Vgl. EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 21 zur Bezeichnung der Arbeitsmarktzahlen als schwach und kontrovers ("weak and controversial").
198 
Je nach Quelle und Erfassungsweise werden etwa für das Jahr 2014 Arbeitslosenzahlen von 9,1 % bis 24 % genannt, teils wird - unter Berücksichtigung eines Anteils von 15,3 % unterbeschäftigter Personen - der Anteil der nicht erwerbstätigen Personen sogar mit 40 % angegeben.
199 
Im Einzelnen m.w.N.: EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 21.
200 
Im Jahr 2015 lag die landesweite Arbeitslosenquote bei 40 %. Der Anteil in den Städten war deutlich höher, da die Landwirtschaft, in der rund 60 % - in ländlichen Regionen sogar 70 % der erwerbstätigen Bevölkerung - tätig sind, weiterhin der stabilste Beschäftigungssektor ist.
201 
Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19.10.2016 - Stand: September 2016, S. 21; Stahlmann, Asylmagazin 2017, 73 (76) m.w.N. sowie dies. auch in ihrer landeskundlichen Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 13 m.w.N.; IOM, Länderinformationsblatt Afghanistan 2017, S. 2; IOM, Länderinformationsblatt Afghanistan 2016, S. 2.
202 
Auch für den Zeitraum Ende des Jahres 2016 wurde ein Arbeitslosenanteil mit etwa 40 % geschätzt und die Aussichten als sehr düster bezeichnet.
203 
EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 21; UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 19.04.2016, S. 15.
204 
Ebenso werden für die Jugendarbeitslosigkeit sehr unterschiedliche Größenordnungen genannt. So gibt die Weltbank für das Jahr 2014 einen Anteil von 23 % bezüglich junger Frauen und 16 % hinsichtlich junger Männern an (bei 9,1 % für dieses Jahr im Allgemeinen). Die Jugendarbeitslosigkeit in den Städten soll um 50 % höher sein als die städtische Arbeitslosigkeit insgesamt.
205 
EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 22.
206 
Es findet sich sogar die Angabe einer Jugendarbeitslosigkeit von 82 %.
207 
Stahlmann, Landeskundliche Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 14 m.w.N.; dies., Asylmagazin 2017, 73 (76).
208 
Gerade der städtische Arbeitsmarkt ist durch die bereits erwähnten Änderungen des internationalen Engagements geprägt. Dort waren mit der plötzlichen Ankunft internationaler Organisationen zunächst Qualifikationen gefragt, die auf dem lokalen Arbeitskräftemarkt nach den langen Kriegsjahren tatsächlich Mangelware waren – darunter Englischkenntnisse, Arbeitserfahrung mit der in internationalen Organisationen gepflegten Bürokratie und formelle Ausbildungs- und Studienabschlüsse. Außerdem hatte der Bauboom in den Städten, insbesondere im grundlegend zerstörten und rapide wachsenden Kabul, zunächst einen Markt für ungelernte Arbeitskräfte geschaffen.
209 
Stahlmann, Landeskundliche Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 13 f. m.w.N.; dies., Asylmagazin 2017, S. 73 (74); zum Arbeitsmarkt in Kabul auch Kohler, InfAuslR 2017, 99 (101) mit Verweis auf Islamic Republic of Afghanistan - Central Statistics Organisation, Socio-Demographic and Economic Survey, Figure 11 und Figure 12, dort allerdings nur für das Jahr 2013.
210 
Damals hatten - in begrenztem Maße - selbst die traditionell familiär organisierten privatwirtschaftlichen Betriebe externe Arbeitskräfte aufgenommen (wenn auch in den Grenzen kriegsbedingter Freund-/Feindschemata, so dass Fremde im Sinne ethnischer, religiöser oder lokaler Zugehörigkeit weiterhin weitgehend ausgeschlossen waren). Diese Entwicklung hat sich allerdings durch den bereits als prägend erwähnten Abzug der internationalen Truppen wieder verflüchtigt. Der Bauboom hat sich als kurzfristig erwiesen und auch der Dienstleistungsbereich ist eingebrochen. Geblieben ist der Umstand, dass zur Erlangung einer der wenigen vorhandenen Arbeitsplätze nicht die schulische oder berufliche Ausbildung, Qualifikation oder Erfahrung ausschlaggebend sind, sondern Beziehungen. Dies gilt für den gesamten Arbeitsmarkt, insbesondere auch für Arbeitsplätze im Staatsdienst.
211 
Stahlmann, Landeskundliche Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 14 f. m.w.N.; dies., Asylmagazin 2017, 73 (76); anschaulich hierzu auch die Beispiele von Schuster zur allein durch (teils verwandtschaftliche) Beziehungen gekennzeichnete Einstellungspraxis ohne Rücksicht auf die Qualifikation an der Kabuler Universität und verschiedenen Ministerien: Schuster, Report for the Upper Tribunal in the case of XXXX YYYY, 08.11.2016, S. 15/Rn. 44; vgl. auch EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 23 und 68; vgl. auch die Beispiele zu Rückkehrern, die trotz Qualifikation mangels Beziehungen keine Beschäftigung fanden: Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 65 ff. m.w.N.; zur „untergeordneten“ Rolle von Eignung, Befähigung und Leistung bei der Verteilung administrativer Ämter auch Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19.10.2016 - Stand: September 2016, S. 7.
212 
Das vor dem Hintergrund jahrzehntelanger Kriegs- und Konflikterfahrungen und anhaltender Alltagskriminalität als notwendig und bewährt erachtete System von Beziehungen bzw. Netzwerken ist geprägt durch eine Gegenseitigkeit, eine langfristige und belastbare Reziprozität. Wer in der Lage ist, einen Vorteil - etwa einen Arbeitsplatz - zu verschaffen, verknüpft hiermit die Erwartung, jedenfalls langfristig seinerseits einen Vorteil zu erlangen. Ist vom Arbeitssuchenden keine Gegenleistung zu erwarten, weil dieser nicht über die erforderlichen Beziehungen verfügt, ist nicht oder weniger zu erwarten, dass ihm eine Arbeitsstelle vermittelt wird. Ein entsprechendes Netzwerk ist daher der Schlüssel zum Arbeitsmarkt. Zudem gewährleistet das System der Empfehlungen, dass der Arbeitgeber sich sicher sein kann, dass der Arbeitssuchende, dessen örtliche und ethnische Herkunft sowie familiären Hintergrund er auf Grund der Empfehlung kennt, vertrauenswürdig ist.
213 
EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 67 f.: „Network as key to the job market“; Stahlmann, Landeskundliche Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 12. m.w.N.; Schuster, Report for the Upper Tribunal in the case of XXXX YYYY, 08.11.2016, S. 4/Rn. 12.
214 
So äußerten die meisten Arbeitgeber in einer Befragung zu ihrer Einstellungspraxis, sie nutzten das traditionellste System: Freunde (62,6 %) und Familie (57,9 %). Entsprechend beklagen die Arbeitssuchenden unabhängig von ihren Qualifikationen, dass die Vergabe von Arbeitsstellen von persönliche Verbindungen, sog. „wasita“ (wechselseitige Verbindungen zu Personen mit Macht oder Einfluss), abhängig sei. Erforderlich sind „shanaktht“ (jemanden kennen) und „safarish“ (eine Art Empfehlung). Nur etwa 15 % der Arbeitnehmer werden über den örtlichen Bazar angeworben, der größte Teil der Arbeitsplätze wird über Freunde oder Verwandte erlangt.
215 
EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 67.
216 
Die Beziehungen oder Netzwerke sind vielschichtig. Für manche besteht ihr Netzwerk aus nahen Verwandten, für andere ist es breiter angelegt und kann auch aus Freunden bestehen. Bei Angehörigen der Hazara kommt es vor, dass beim Zuzug in eine neue Stadt ein Netzwerk um die örtliche Moschee oder eine religiöse oder Wohlfahrtseinrichtung konzentriert ist. Ganz allgemein genügt die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Ethnie allein noch nicht, um ein solides Netzwerk für die Arbeitssuche zu begründen.
217 
EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 68.
218 
Eine staatliche Arbeitsvermittlung oder gar eine Arbeitslosenunterstützung nach westlichen Vorstellungen gibt es nicht. Allerdings werden freie Stellen im öffentlichen Sektor vom Civil Service Commission Management Directorate der Kommission für Öffentlichen Dienst und Verwaltungsreform online angekündigt. Außerdem bietet eine Nichtregierungsorganisation (ACBAR) Unterstützung für Arbeitssuchende an. Sie befindet sich in Charahi Shaheed, Sherpoor Bezirk in Kabul. Auf ihrer Website besteht die Möglichkeit, sich mit einem Lebenslauf und Motivationsschreiben auf relevante Jobs zu bewerben.
219 
BAMF/ZIRF/IOM, ZIRF-Anfrage: Medizinische Versorgung in Afghanistan, Unterstützung für Rückkehrer bei Arbeits- und Wohnungssuche, 21.09.2016; IOM, Länderinformationsblatt Afghanistan 2017, S. 2; IOM, Länderinformationsblatt Afghanistan 2016, S. 2.
220 
Soweit eine Arbeitsstelle gefunden werden kann
221 
- dazu Staatssekretariat für Migration SEM der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Notiz Afghanistan: Alltag in Kabul - Referat von Thomas Ruttig (Afghanistan Analysts Network) am 12.04.2017, 20.06.2017, S.10; siehe auch EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 22 zum „vulnerable employment“ -,
222 
ist das durchschnittliche Einkommen (insbesondere im Vergleich zu den Lebenshaltungskosten, dazu sogleich) gering. Das durchschnittliche monatliche Einkommen in Afghanistan wird in verschiedenen Quellen mit 80 bis 120 US$ angegeben, teilweise wird ein Mindestlohn von 95 US$ für nur vorübergehend beschäftigte Arbeitskräfte genannt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass - wie ausgeführt – bei 36 % der afghanischen Bevölkerung der Lohn bei unter 20 US$ pro Monat liegt.
223 
IOM, Länderinformationsblatt Afghanistan 2017, S. 2; IOM, Länderinformationsblatt Afghanistan 2016, S. 2; EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 23 f.
224 
Afghanistan bleibt eine hauptsächlich ländliche Gesellschaft, deren Wirtschaft maßgeblich auf der Landwirtschaft basiert. 76 % der Bevölkerung leben in ländlichen Gebieten. Mehr als die Hälfte der Arbeitskräfte des Landes ist im Bereich der Landwirtschaft beschäftigt. 96 % der Produktion bewegt sich im Bereich der Nahrungsmittelverarbeitung, also einem Bereich, der in hohem Maße von der Landwirtschaft abhängig ist.
225 
EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 22, 32.
226 
Einen nicht unwesentlichen Anteil in der Landwirtschaft hat allerdings auch der Opiumanbau (siehe auch S. 43), da dieser zum einen eine große Gewinnmarge verspricht und zum anderen die Mohnpflanzen mit den widrigen Bedingungen (etwa der schlechten Bodenqualität) verhältnismäßig gut zurechtkommen.
227 
Zum Opiumanbau allgemein: General Assembly Security Council, The situation in Afghanistan and its implications for international peace and security - report of the Secretary-General, 03.03.2017, S. 11; ProAsyl, Afghanistan - No safe country for refugees, Mai 2017, S. 50; UNHCR, Anmerkungen zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des deutschen Bundesministerium des Inneren - Dezember 2016, S. 15; zur Verteilung des Opiumanbaus in den einzelnen Provinzen vgl. ausführlich EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Security Situation (November 2016): zu Daikundi, S. 70 f.; zu Kandahar, S. 73 -; zu Helmand, S. 77 („Afghanistan’s single largest opium poppy cultivating province in 2015, accounting for 47 % of the total area under opium poppy cultivation in the country.“); zu Uruzgan, S. 87 („opium poppy as a dominant crop“); zu Zabul - S. 90; zu Badakhshan, S. 133; zu Ghor, S. 171.
228 
Die Landwirtschaft leidet allerdings - neben der problematischen Sicherheitssituation - insbesondere auch unter vielfältigen Naturkatastrophen, weswegen das World Food Programme das ganze Jahr hindurch in verschiedenen Landesteilen auf Krisen bzw. Notsituationen wie Dürre, Überschwemmungen oder extremen Kälteeinbruch reagiert. Gerade der Norden - eigentlich die „Kornkammer“ des Landes - ist extremen Natureinflüssen wie Trockenheit, Überschwemmungen und Erdrutschen ausgesetzt
229 
- Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19.10.2016 - Stand: September 2016, S. 23; UNOCHA, Humanitarian Needs Overview 2018, Dezember 2017, S. 16 -
230 
(vgl. im Weiteren ausführlicher bei den Darstellungen zur Versorgungslage und zur humanitären Situation unter lit. bb) und cc)).
231 
bb) Die Versorgungslage in Afghanistan ist schlecht. Wie bereits ausgeführt ist Afghanistan eines der ärmsten Länder der Welt, mit 9,3 Mio. Menschen, die Anfang 2017 auf humanitäre Hilfe angewiesen waren (s.o.). Für das Jahr 2018 geht UNOCHA - United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs - von 3,3 Millionen Personen aus, bei denen ein akuter Bedarf an unmittelbar lebensrettender humanitärer Hilfe besteht sowie weiterer 8,7 Millionen Menschen, die einen chronischen Bedarf an Unterstützungsleistungen aufweisen. Dabei kann aus dem Unterschied in der Darstellung von 9,3 Millionen (2017) zu nun 3,3 Millionen (2018) Personen mit dringenden Bedarfen in den Angaben zum Angewiesensein auf humanitäre Hilfe nicht auf eine Verbesserung der Lage geschlossen werden. Denn der Unterschied geht auf eine abweichende Methode der Datenerfassung zurück
232 
UNOCHA, Humanitarian Needs Overview 2018, Dezember 2017, S. 15.
233 
Im Jahr 2016 waren etwa 1,6 Millionen Afghanen (nach den Daten von UNOCHA ein Anteil von 6 %) schwerwiegender Ernährungsunsicherheit („severely food insecure“) betroffen, bei weiteren 9,7 Millionen Menschen (34 %) war dies in mäßiger Weise der Fall („moderately food insecure“).
234 
UNOCHA, Humanitarian Needs Overview 2017, November 2016, S. 5 f. und 26 sowie die Aufteilung nach Regionen auf S. 21; EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 42 m.w.N.; vgl. auch UK Home Office, Country Policy and Information Note - Afghanistan: Security and humanitarian situation, August 2017, S. 28; dort auch unter Bezugnahme auf UNOCHA der Hinweis auf die Wechselwirkung mit der steigenden Anzahl intern Vertriebener und Rückkehrer, die sich in den städtischen Zentren und Randgebieten sammeln sowie zur erwarteten Anzahl von mehr als einer Million neuer Rückkehrer im Sommer 2017); Ernährungsunsicherheit in den Vorjahren vgl. auch Sam Hall, Urban Poverty Report - A study of poverty, food insecurity and resilience in Afghan Cities, November 2014: S. 6 f., 43, 54 und 56 - die Hälfte der Haushalte in Städten und 68 % der intern Vertriebenen werden als ernsthaft von Ernährungsunsicherheit betroffen beschrieben.
235 
Für das Jahr 2017 war ein Anstieg auf 1,9 Millionen Personen, bei denen von einer schwerwiegenden Ernährungsunsicherheit auszugehen ist, zu verzeichnen. Ausgehend von der ernährungssicherheitsbezogenen Klassifizierung IPC (Integrated food security phase classification) bedeutet dies, dass sie mit einer extremen Nahrungsmittelunterversorgung konfrontiert sind, die zu akuter Mangel- oder Unterernährung mit einer überhöhten Sterblichkeitsrate führt. Weitere 5,6 Millionen Menschen werden der Gruppe zugeordnet, bei der eine akuter Nahrungsmittel und Existenzkrise angenommen wird, was bedeutet, dass eine beachtliche Nahrungsmittelunterversorgung vorliegt oder dass diese Unterversorgung nur durch den Verkauf letzter Vermögenswerte noch abgewendet werden kann. Schließlich ist bei weiteren 10 Millionen Menschen festzustellen, dass diese allein das Minimum der erforderlichen Nahrungsmittelversorgung sicherstellen können und damit eine vollständige Sicherung der Existenzgrundlage nicht gesichert erscheint.
236 
UNOCHA, Humanitarian Needs Overview 2018, Dezember 2017, S. 24.
237 
48 % der Haushalte von intern vertriebenen Personen, die in informellen Siedlungen in Kabul lebten, waren im Dezember 2015 ernsthaft von Ernährungsunsicherheit betroffen.
238 
UNOCHA, Humanitarian Needs Overview 2017, November 2016, S. 7.
239 
Insbesondere die aus Konflikten und chronischer Unterentwicklung resultierenden Folgeerscheinungen im Süden und Osten haben dazu geführt, dass dort ca. eine Million oder fast ein Drittel aller Kinder als akut unterernährt gelten.
240 
Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19.10.2016 - Stand: September 2016, S. 23.
241 
In den Städten allgemein und insbesondere der Hauptstadt Kabul sind die Lebenshaltungskosten im Verhältnis zum Einkommen hoch. So finden sich - jeweils auch abhängig vom Lebensstil - Angaben von 100 bis 150 EUR oder 150 bis 250 US$ für einen alleinstehenden Mann in Kabul
242 
- BAMF/ZIRF/IOM, ZIRF-Anfrage Wohnraumsituation I: Lebenshaltungskosten in Kabul für alleinstehenden Mann, 09.05.2017; BAMF/ZIRFIOM, ZIRF-Anfrage: Lebenshaltungs-/Mietkosten in Kabul; Taxilizenz, 22.04.2016; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Afghanistan (Gesamtaktualisierung vom 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 27.06.2017, S. 188 -
243 
und mindestens 250 bis zu 600 EUR pro Monat für eine Familie, bestehend aus einem Vater und drei Kindern
244 
- BAMF/ZIRF/IOM, ZIRF-Anfrage Wohnraumsituation II: Lebenshaltungskosten in Kabul für Familie mit Vater und 3 Kindern, 09.05.2017 -,
245 
wobei jeweils noch keine Unterbringungs-/Mietkosten enthalten sind.
246 
Für die Kosten von Wohnraum finden sich - auch abhängig von der Lage - Angaben von einer Monatsmiete für ein Zimmer in Höhe von 100 US$, für ein Einzimmerapartment in Kabul von 88 US$/6.000 Afghani bis zu 146 US$/10.000 Afghani oder auch in Höhe von 160 bis 180 EUR (zuzüglich Nebenkosten von etwa 20 bis 25 EUR/Monat) sowie auch 300 US$. Die Miete für eine Dreizimmerwohnung in Kabul wird mit ca. 300 EUR/Monat bei Nebenkosten in Höhe von etwa 30 EUR angegeben, aber auch Preise von 400 bis 600 US$ zuzüglich Nebenkosten von etwa 40 US$ pro Monat werden genannt.
247 
Schuster, Report for the Upper Tribunal, 08.11.2016, S. 14/Rn. 41; BAMF/ZIRFIOM, ZIRF-Anfrage: Lebenshaltungs-/Mietkosten in Kabul; Taxilizenz, 22.04.2016; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Afghanistan (Gesamtaktualisierung vom 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 27.06.2017, S. 188; BAMF/ZIRF/IOM, ZIRF-Anfrage Wohnraumsituation I: Lebenshaltungskosten in Kabul für alleinstehenden Mann, 09.05.2017; BAMF/ZIRF/IOM, ZIRF-Anfrage Wohnraumsituation II: Lebenshaltungskosten in Kabul für Familie mit Vater und 3 Kindern, 09.05.2017; IOM, Länderinformationsblatt Afghanistan 2017, S. 3; IOM, Länderinformationsblatt Afghanistan 2016, S. 2; Stahlmann, Landeskundliche Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 16; dies., Asylmagazin 2017, S. 73 (76); vgl. auch Schuster, Risks on return to Kabul, 12.08.2016, S. 16/Rn. 42: Einzelzimmer für 4.000 bis 6.000 Afghani, bei einem Lohnniveau von 4.000 bis 4.500 Afghani pro Monat; EASO, Country of Origin Information Query - Query concerning the situations of returnees to Afghanistan, 22.06.2017, S. 7 m.w.N.: 300 US$.
248 
Die im Vergleich zum realistischer Weise zu erzielenden Einkommen immensen Unterbringungskosten bei gleichzeitig großem Zustrom neuer Einwohner erklären, dass etwa drei Viertel der Menschen in Slums lebt.
249 
Dazu ProAsyl, Afghanistan - No safe country for refugees, Mai 2017, S. 4; Stahlmann, Landeskundliche Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 16; dies., Asylmagazin 2017, S. 73 (76 f.).
250 
Sofern Wohnraum auf dem freien Markt verfügbar ist, haben in aller Regel wiederum nur diejenigen eine Chance darauf, die einen Bürgen beibringen können und in der Lage sind, bis zu sechs Monatsmieten im Voraus zu bezahlen. Im Rahmen der Wohnungssuche benötigt man also außergewöhnliche finanzielle Ressourcen, um eine Chance auf eine winterfeste Unterkunft zu haben, aber auch die beschriebenen sozialen Netzwerke. Diese sowie der Umstand, dass sich jemand für den künftigen Mieter und dessen vertrauenswürdigen Charakter gleichsam verbürgt, gewährleisten aus Sicht des Vermieters eine gewisse Sicherheit sowie insbesondere auch, dass der Mieter kein „unmoralisches“ Verhalten an den Tag legt und seine Miete zahlen wird.
251 
Stahlmann, Landeskundliche Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 16; dies., Asylmagazin 2017, S. 73 (76 f.); Schuster, Report for the Upper Tribunal, 08.11.2016, S. 4/Rn. 12 und auch S. 14/Rn. 41 und S. 15/ Rn. 44 m.w.N.
252 
Es gibt keine NGOs oder öffentliche Organisationen, die bei der Wohnungssuche unterstützen. Immobilienmakler bieten einen entsprechenden Service im Austausch für eine Monatsmiete von Mieter und Vermieter an.
253 
BAMF/ZIRF/IOM, ZIRF-Anfrage: Medizinische Versorgung in Afghanistan, Unterstützung für Rückkehrer bei Arbeits- und Wohnungssuche, 21.09.2016.
254 
Zwischen den Verhältnissen in den urbanen Zentren und den ländlichen Gebieten Afghanistans herrscht ein eklatantes Gefälle. Es fehlt außerhalb der Hauptstadt Kabul und der Provinzhauptstädte vielerorts an grundlegender Infrastruktur für Energie, Trinkwasser und Transport. Der Anteil der Bevölkerung, der Zugang zu Trinkwasser hat, beträgt nur 46 %.
255 
Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage vom 19.10.2016 - Stand September 2016 -, S. 21; UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 19.04.2016, S. 31.
256 
cc) Verschärft wird die Lage - insbesondere auf dem Arbeits- und dem Wohnungsmarkt - nicht zuletzt aufgrund erheblicher Migrationsbewegungen.
257 
Für das gesamte Land ist eine erhebliche, zudem stetig ansteigende Anzahl an Migranten festzustellen. Es handelt sich sowohl um Binnenvertriebene (internally displaced persons - IDPs), Rückkehrer (insbesondere aus Iran und Pakistan sowie aus dem westlichen Ausland) und Wirtschaftsmigranten.
258 
EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 40.
259 
Im Jahr 2015 gab es in ganz Afghanistan mindestens 1,1 Millionen Binnenvertriebene.
260 
Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19.10.2016 - Stand: September 2016, S. 21: zwischen 1,1 und 1,2 konfliktinduzierte Binnenflüchtlinge.
261 
Im April 2016 war deren Zahl auf 1,2 Millionen geschätzt worden.
262 
Stahlmann, Asylmagazin 2017, S. 73 (74 f.) m.w.N.;. a.i., My children will die this winter - Afghanistan´s broken promise to the displaced, 31.05.2016, S. 7.
263 
Bis Jahresende wurden 2016 insgesamt 620.000 bis 650.000 Menschen als kriegsbedingt vertrieben ausdrücklich und aktenkundig registriert - das sind dreimal so viele wie 2014 und sechsmal so viele wie 2012. Im Zeitraum seit Anfang 2017 bis ca. Juli 2017 haben etwa 150.000 Personen auf Grund innerstaatlicher Konflikte ihren Wohnort verlassen. Sie suchen mehrheitlich innerhalb ihrer Provinz Zuflucht, es sind aber auch Fluchtbewegungen in die Provinz Kabul zu verzeichnen.
264 
Stahlmann, Asylmagazin 2017, S. 73 (74) m.w.N.: 623.345; General Assembly Security Council, The situation in Afghanistan and its implications for international peace and security - report of the Secretary-General, 03.03.2017: S. 9 zur Verschlechterung bis ins Jahr 2017 mit Rekordzahlen neuer, konfliktbedingter Binnenvertreibung in Höhe von 651.751 Personen; vgl. auch Bericht des Auswärtigen Amts zur Lagebeurteilung für Afghanistan nach dem Anschlag am 31. Mai 2017 - Stand Juli 2017 -, S. 10.
265 
Daneben sind im Jahr 2016 etwa eine Million Menschen aus Iran und Pakistan nach Afghanistan zurückgekehrt, wobei als Rückkehrende auch jene gelten, deren Eltern schon im benachbarten Ausland geboren wurden. Hintergrund ist, dass der Iran vermehrt afghanische Staatsangehörige abschiebt und Pakistan im letzten Herbst 2016 entschieden hat, ab April 2017 keine afghanischen Personen mehr im Land zu dulden. Zusätzlich zu den 1,6 Millionen afghanischen Staatsangehörigen, die in Pakistan bisher einen Flüchtlingsstatus hatten, betrifft diese Entscheidung nach Schätzungen der pakistanischen Regierung zumindest eine weitere Million illegal dort lebender afghanischer Personen.
266 
UNHCR, Anmerkungen zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des deutschen Bundesministerium des Inneren - Dezember 2016, S. 4 zum Rekordniveau von interner Flucht und Vertreibung für das Jahr 2016: ca. 372.000 + 242.000 Flüchtlinge aus Pakistan und 420.000 aus dem Iran sowie eine Prognose für das Jahr 2017 mit 650.000 zurückkehrenden Flüchtlingen; Stahlmann, Asylmagazin 2017, S. 73 (74): 1.034.000 Rückkehrer aus Iran und Pakistan; a.i., Amnesty Report 2017 - Afghanistan (Berichtszeitraum 1. Januar 2016 bis 31. Dezember 2016): S. 1; Schuster, Risks on return to Kabul, 12.08.2016, S. 16 f./Rn. 43; ProAsyl, Afghanistan - No safe country for refugees, Mai 2017, S. 4: mehr als eine Million; General Assembly Security Council, The situation in Afghanistan and its implications for international peace and security - report of the Secretary-General, 03.03.2017: S. 9 zur Rückkehr von 620.000 Flüchtlingen und nicht dokumentierten Afghanen aus Pakistan.
267 
Plastisch hat der UNHCR die Versorgungs- und humanitäre Situation zusammengefasst. Er beschreibt, dass infolge des allgemein gestiegenen Sicherheitsrisikos - einschließlich der Zunahme der die Mitarbeiter von Hilfsorganisationen betreffenden Sicherheitsvorfälle - der Zugang zu den betroffenen Menschen für humanitäre Hilfsorganisationen begrenzt ist. Die begrenzte Präsenz jener Organisationen in den vom Konflikt betroffenen Gebieten behindert insbesondere den Zugang zu lebensrettender Unterstützung für die besonders schutzbedürftigen Teile der Bevölkerung. Jahrzehnte der Konflikte und wiederkehrender Naturkatastrophen haben die afghanische Bevölkerung in einen Zustand großer Schutzbedürftigkeit versetzt und die Überlebensmechanismen vieler Menschen erschöpft. Der fortwährende Konflikt greift durch die Zerstörung von Lebensgrundlagen und von Viehbestand, steigende Raten ansteckender Krankheiten, verstärkte Vertreibung, ständige Menschenrechtsverletzungen und höhere Kriminalitätsraten diese Schwachstellen weiter an. Ebenso haben der andauernde Konflikt, schwache Regierungsgewalt sowie ineffiziente oder korrupte Institutionen dazu geführt, dass Vorbereitungsmaßnahmen im Hinblick auf Katastrophen, Risikoreduzierung und Notfallmechanismen Berichten zufolge nicht oder kaum vorhanden sind. In der Folge stellen Naturkatastrophen wie Überflutungen, Schlammlawinen, Erdbeben, Dürren und harte Winter eine weitere Belastung für die Bevölkerung dar, deren Widerstandskraft ohnehin bereits geschwächt wird.
268 
UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 19.04.2016, S. 30 f.; vgl. auch UNOCHA, Humanitarian Needs Overview 2017, November 2016, S. 8.
269 
dd) Des Weiteren ist die Situation der Menschen in Afghanistan bestimmt durch eine anhaltend schlechte Sicherheitslage.
270 
Sie wird - bei starken regionalen Unterschieden - allgemein als anhaltend volatil beschrieben.
271 
Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19.10.2016 - Stand: September 2016, S. 4. Ruttig in Staatssekretariat für Migration SEM der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Notiz Afghanistan: Alltag in Kabul - Referat von Thomas Ruttig (Afghanistan Analysts Network) am 12.04.2017, 20.06.2017, S. 4 ff. spricht von der dreifachen Krise im Hinblick auf die Sicherheitslage, die sozio-ökonomische und die politische Situation in Afghanistan
272 
Afghanistan besetzt auf dem Global Peace Index (GPI) des Jahres 2017 bei den am wenigsten friedlichen Ländern den zweiten Platz hinter Syrien. In der weiteren Beschreibung des GPI wird dazu ausgeführt, die Gesamtbewertung Afghanistans habe sich das sechste Jahr in Folge weiter verschlechtert. Die Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen hat auch in den ersten Monaten des Jahres 2017 wieder zugenommen, insbesondere im Vergleich zu derselben Zeitspanne des Vorjahres.
273 
UK Home Office, Country Policy and Information Note - Afghanistan: Security and humanitarian situation, August 2017, S. 14 m.w.N. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Afghanistan (Gesamtaktualisierung vom 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 27.06.2017), S. 13 f.
274 
Eine Bedrohung für Leib und Leben von Zivilisten geht von den Kampfhandlungen der Konfliktparteien, aber auch von improvisierten Sprengkörpern, von Selbstmordanschlägen und komplexen Angriffen auf staatliche Einrichtungen aus. UNAMA gab im Bericht betreffend den Schutz von Zivilisten im bewaffneten Konflikt für das Jahr 2016 eine Zahl von 11.418 zivilen Opfern an, davon 7.920 Verletzte und 3.498 Tote. Der Halbjahresbericht vom Juli 2017 geht für das erste Halbjahr 2017 von einer Gesamtopferzahl (Tote und Verletzte) von 5.243 im Vergleich zu 5.267 im Vorjahreszeitraum aus. Die überwiegende Zahl von zivilen Opfern ist dabei auf Kampfhandlungen am Boden (38 % im Jahr 2016, 34 % im ersten Halbjahr 2017) und improvisierte Sprengsätze (19 % im Jahr 2016, 18 % im ersten Halbjahr 2017) zurückzuführen. Dabei ist die Bevölkerung immer dann gefährdet, wenn sie bei Kämpfen der Konfliktparteien zwischen die Fronten gerät oder Opfer improvisierter Sprengsätze wird, die für andere Ziele gedacht waren. Weniger ausschlaggebend ist dagegen, ob die afghanischen Sicherheitskräfte oder die Taliban die Kontrolle über einen Raum ausüben.
275 
Auswärtiges Amt, Zwischenbericht: Lagebeurteilung für Afghanistan nach dem Anschlag am 31. Mai 2017 - Stand Juli 2017, S. 8 f.; UNAMA, Midyear Report 2017: Afghanistan - protection of civilians in armed conflict, Juli 2017. S. 3; UNAMA, Annual Report 2016: Afghanistan - protection of civilians in armed conflict, Februar 2017, S. 10.
276 
Während zivile Opfer in ländlichen Gebieten vor allem auf Kampfhandlungen, Landminen, improvisierte Sprengsätze und Übergriffe von nicht-staatlichen Gruppen zurückzuführen sind, stellen für die städtische Bevölkerung vor allem Selbstmordanschläge, komplexe Attacken, gezielte Tötungen und Entführungen Bedrohungen dar. Dies gilt insbesondere für Kabul.
277 
Auswärtiges Amt, Zwischenbericht: Lagebeurteilung für Afghanistan nach dem Anschlag am 31. Mai 2017 - Stand Juli 2017, S. 9.
278 
Ein großer Teil des Landes wird von regierungsfeindlichen Kräften beherrscht, wobei die jeweilige Vorherrschaft der unterschiedlichen Kräfte ständigem Wandel unterworfen ist. Im ersten Quartal 2017 waren nur etwa 60 % der 407 Distrikte des Landes unter der Kontrolle oder dem Einfluss der afghanischen Regierung, was einen Anstieg um 2,5 Prozentpunkte im Vergleich zum Stand Mitte November 2016, aber einen Rückgang um 11 Prozentpunkte im Vergleich zum ersten Quartal 2016 bedeutet. Die Taliban behaupten, 16 der 34 Provinzen Afghanistans zu kontrollieren und in nur 89 Distrikten nicht präsent zu sein. In den südlichen Provinzen Helmand, Nimroz, Uruzgan, Zabul, Ghazni würden beinahe alle Distrikte von ihnen kontrolliert bzw. seien zumindest „umkämpft“.
279 
UK Home Office, Country Policy and Information Note - Afghanistan: Security and humanitarian situation, August 2017, S. 22 f. m.w.N.; siehe auch Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Afghanistan (Gesamtaktualisierung vom 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 27.06.2017), S. 27.
280 
Unter dem direkten Einfluss der Taliban standen im dritten Quartal 2016 etwa 2,9 Millionen Menschen, im vierten Quartal waren es noch ungefähr 2,5 Millionen.
281 
Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Afghanistan (Gesamtaktualisierung vom 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 27.06.2017), S. 26 f.
282 
Die afghanische Regierung konnte dabei die Kontrolle über Kabul sowie die Hauptbevölkerungszentren, die meisten Schlüsselverbindungsstrecken, Provinzhauptstädte und die Mehrzahl der Distriktzentren behalten, wobei Distriktzentren und Provinzhauptstädte von Taliban bekämpft bzw. bedroht und diese sich zeitweise der Hauptkommunikationsverbindungen im Land bemächtigt haben, insbesondere in den Provinzen Kunduz und Helmand.
283 
UK Home Office, Country Policy and Information Note - Afghanistan: Security and humanitarian situation, August 2017, S. 23 m.w.N.; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Afghanistan (Gesamtaktualisierung vom 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 27.06.2017), S. 24.
284 
In Afghanistan - aber auch grenzüberschreitend Richtung Pakistan - sind mehr als 20 aufständische Gruppen bzw. terroristische Netzwerke aktiv, darunter die Taliban, das Haqqani Netzwerk (verbündet mit den Taliban, aber nicht Teil von deren Kernbewegung), der Islamische Staat (auch Daesh) in Gestalt des IS-Zweigs ISKP (auch ISIL-KP) sowie al-Qaida.
285 
Zu den einzelnen Gruppen ausführlich u.a.: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Afghanistan (Gesamtaktualisierung vom 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 27.06.2017), S. 10 ff. und 27 ff.
286 
Die Sicherheitslage wird außerdem durch den Opiumanbau in Afghanistan beeinträchtigt. Die Einkünfte aus dem Drogenschmuggel versorgen sowohl die Aufständischen als auch daneben bestehende kriminelle Netzwerke. Die Anbaufläche für Opium vergrößerte sich im Jahr 2016 im Vergleich zum Vorjahr um 10 % auf etwa 201.000 Hektar. Das für das Jahr 2016 geschätzte Volumen der Opiumproduktion betrug 4.800 Tonnen, was eine Steigerung von etwa 43 % im Vergleich zum Vorjahr bedeutet. Die im Vergleich zur Ausweitung der Produktionsfläche auffallend hohe Steigerung der Produktionsmenge erklärt sich aus guten Anbaubedingungen bei zugleich weniger effektiven staatlichen Bekämpfungsmaßnahmen aufgrund von fehlenden finanziellen Ressourcen hierfür sowie der schlechten Sicherheitslage.
287 
Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Afghanistan (Gesamtaktualisierung vom 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 27.06.2017), S. 31; General Assembly Security Council, The situation in Afghanistan and its implications for international peace and security - report of the Secretary-General, 03.03.2017, S. 11; zur Instabilität infolge des Opiumhandels: UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 19.04.2016, S. 15.
288 
ee) Rückkehrer aus dem westlichen Ausland - freiwillig Zurückgekehrte aber insbesondere auch Abgeschobene - sind zusätzlichen Risiken ausgesetzt. Sie sehen sich dem generellen Verdacht gegenüber, ihr Land und ihre religiöse Pflicht verraten zu haben.
289 
Stahlmann, ZAR 2017, 189 (196); dies., Landeskundliche Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 4, je m.w.N.; UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 19.04.2016, S. 97, insb. Rn. 545.
290 
Ein Aufenthalt im westlichen Ausland wird vermehrt dahin wahrgenommen, der Zurückkehrende habe sich der europäischen Kultur und dem Lebensstil angepasst. Es herrscht die Erwartung, der Betroffene werde entsprechendes (Fehl-) Verhalten auch in Afghanistan weiter an den Tag legen, etwa außereheliche Beziehungen, Alkohol- und Drogenkonsum und alle möglichen Varianten von Apostasie. Schon entsprechende Gerüchte können ausreichen, um staatliche Verfolgung, jedenfalls aber Selbstjustiz bis hin zur Bestrafung mit dem Tod - auch durch Angehörige - wegen des vermeintlichen Bruchs kultureller und religiöser Normen auszulösen.
291 
Stahlmann, Landeskundliche Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 7 ff. m.w.N., dies., Asylmagazin 2017, 82 (83); Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 22. Januar 2016 zu Afghanistan: Situation einer ledigen Mutter der Hazara-Ethnie in Kabul, 22.01.2016, S. 9 f. sowie US Department of State, Afghanistan 2016 Human Rights Report, 17.03.2017, S. 11; zum Risiko der vermeintlichen „Kontamination“ durch die westliche Lebensweise: Schuster, Report for the Upper Tribunal in the case of XXXX YYYY, 08.11.2016, S. S. 4 f./Rn. 13 und dies., Risks on return to Kabul, 12.08.2016, S. 19/Rn. 49; Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 29 ff. m.w.N.; zur Problematik der vermeintlichen „Verwestlichung“ bei Frauen ausführlich Giesler/Wohnig, Uneinheitliche Entscheidungspraxis zu Afghanistan - Eine Untersuchung zur aktuellen Afghanistan-Entscheidungspraxis des BAMF und der Gerichte (Ergänzte Fassung zur Kurzfassung aus Asylmagazin 2017, 223) (asyl.net), S. 13 f. m.w.N.
292 
Die Unterstützung durch Angehörige und Familie - soweit vorhanden - ist darüber hinaus des Öfteren eingeschränkt, weil die Rückkehr nach Afghanistan als Ausdruck des Versagens trotz des vermeintlich leichten Lebens im Westen verstanden wird und gleichzeitig der Verdacht schwelt, der Zurückkehrende habe womöglich eine schwere Straftat in Europa begangen. Denn nach einer in Afghanistan weit verbreiteten Auffassung schiebt Europa nur Straftäter ab, weshalb ein Abgeschobener im vermeintlich regellosen Europa ein schweres Verbrechen verübt haben müsse.
293 
Stahlmann, Landeskundliche Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 9; zum Stigma des Versagens auch Naber, Asylmagazin 2016, 3 (7) und auch Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 35 sowie S. 36 zur Assoziation der Rückkehr mit Kriminalität, je m.w.N.
294 
Außerdem kann einer Unterstützung durch die Familie entgegenstehen, dass diese erhebliche Mittel aufgewendet oder sogar Geld geliehen hat, um die Reise zu finanzieren. Neben dem Vorwurf, der Zurückkehrende habe die erwartete (Versorgungs-) Leistung nicht erbracht, droht auch die Rückforderung durch Kreditgeber, mit der Folge, dass ein Rückkehrer seiner Familie nicht willkommen, sondern „bestenfalls“ nur eine Belastung für diese ist.
295 
Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 38 und 41.
296 
Des Weiteren wird als Gefahr beschrieben, dass die Taliban die Flucht als ein Verhalten werten, mit dem man sich ihrem Machtanspruch entziehen will. Nachvollziehbar erscheint angesichts dessen, dass von Seiten der Taliban das Interesse bestehen soll, zur allgemeinen Abschreckung diejenigen zur Rechenschaft zu ziehen, die sich ihnen entzogen haben.
297 
Stahlmann, ZAR 2017, 189 (196); dies., Landeskundliche Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 4 ff., je m.w.N.; UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 19.04.2016, S. 41 f.; Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 33 f. m.w.N.
298 
Entsprechend wird die ohnehin allgemein übliche Überprüfung der Biographie der Rückkehrer durch das neue soziale Umfeld noch sorgfältiger als üblich vorgenommen, da sie wegen ihrer Flucht grundsätzlich verdächtigt werden, sich persönlicher Verfolgung entzogen zu haben - sei es durch militante Gruppierungen oder Privatpersonen.
299 
Stahlmann, Landeskundliche Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 5, m.w.N.; ähnlich Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 40 und 43 m.w.N. vgl. auch S. 35 m.w.N. zur Problematik der Diskriminierung/Entlassung bei Bekanntwerden eines vorangegangenen Aufenthalts im westlichen Ausland.
300 
Zudem wird angesichts des - grob verzerrt und übersteigert wahrgenommenen - Reichtums in Europa („Jeder Europäer ist (Euro-)Millionär“) in Afghanistan oft davon ausgegangen, dass Rückkehrer während ihrer Zeit im Westen zu Wohlstand gekommen sind. Sowohl sie selbst als auch ihre Familien laufen daher Gefahr, Opfer von Entführungen zu werden, die lebensbedrohlich sein können, insbesondere wenn nicht gezahlt wird oder werden kann. Das gleiche gilt für bekanntgewordenen Kontakt mit Ausländern.
301 
Stahlmann, ZAR 2017, 189 (198); dies., Landeskundliche Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 10 f., je m.w.N.; Schuster, Report for the Upper Tribunal in the case of XXXX YYYY, 08.11.2016, S. 6 f./Rn. 18 sowie Schuster, Risks on return to Kabul, 12.08.2016, S. 20/Rn. 52; Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 29 f. und S. 40, je m.w.N.
302 
Schließlich berichten Rückkehrer von Problemen mit Behörden oder Sicherheitskräften, insbesondere weil sie als anders aussehend wahrgenommen werden, weil sie keine Tazkira haben, aber auch, weil sie als Sicherheitsrisiko empfunden werden, da sie mangels Ausbildung und mangels Chancen auf Arbeit als potentielle Drogenhändler oder durch bewaffnete regierungsfeindliche Kräfte leicht zu rekrutierende Personen gesehen werden.
303 
Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 18.
304 
ff) Andererseits können Rückkehrer - anders als die übrige Bevölkerung - von Unterstützungsmaßnahmen profitieren.
305 
Zusammenfassend hierzu: Afghanistan Analysts Network - voluntary and forced returns to Afghanistan in 2016/17: trends, statistics and experiences, 19.05.2017, S. 6 f. und Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 19 bis 29.
306 
Die Internationale Organisation für Migration (IOM) bietet in Deutschland verschiedene Rückkehrhilfen an. Unterstützung in Gestalt von Geldzahlungen können afghanische Rückkehrer, die sich freiwillig in ihr Heimatland zurückbegeben, über zwei Programme des IOM erlangen.
307 
Das REAG/GARP-Programm 2017 („Reintegration and Emigration Program for Asylum-Seekers in Germany“/„Government Assisted Repatriation Program“) gewährt eine Reisebeihilfe (etwa die Übernahme der Beförderungskosten) sowie eine Starthilfe, die für Erwachsene und Jugendliche 500 EUR und für Kinder unter zwölf Jahren 250 EUR beträgt.
308 
IOM, REAG/GARP-Programm 2017, Informationsblatt Projekt „Bundesweite finanzielle Unterstützung freiwilliger Rückkehrer/Innen“ (Juli 2017), S. 1; IOM, REAG/GARP-Programm 2017, Projekt „Bundesweite finanzielle Unterstützung freiwilliger Rückkehrer/Innen“, Merkblatt für deutsche Behörden, Mitglieder der Wohlfahrtsverbände, Fachberatungsstellen, zentrale Rückkehrberatungsstellen, Ausländerbeauftragte und den Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCHR) (Juli 2017), S. 5); IOM, REAG/GARP-Programm 2017, Projekt „Bundesweite finanzielle Unterstützung freiwilliger Rückkehrer/Innen“, Merkblatt für deutsche Behörden, Mitglieder der Wohlfahrtsverbände, Fachberatungsstellen, zentrale Rückkehrberatungsstellen, Ausländerbeauftragte und den Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCHR) (Januar 2017), S. 5.
309 
Das „StarthilfePlus-Programm 2017“, das zum Dezember 2017 aktualisiert und erweitert wurde, gewährt Personen, die freiwillig in ihr Heimatland zurückkehren, eine zusätzliche finanzielle Unterstützung. Bei Entscheidung zur Ausreise und Rücknahme des Asylantrags vor Abschluss des Asylverfahrens werden 1.200 EUR, für Kinder unter 12 Jahren 600 EUR pro Kind geleistet („Stufe 1“). Nach Zustellung eines negativen Asylerstbescheids verringert sich der Betrag auf 800 EUR bzw. für Kinder auf 400 EUR, sofern die verbindliche Entscheidung zur freiwilligen Ausreise innerhalb der im Bescheid gesetzten Ausreisefrist erfolgt und keine Rechtsbehelfe bzw. Rechtsmittel eingelegt bzw. bereits eingelegte zurückgenommen werden („Stufe 2“). Die zum Dezember 2017 neu eingeführten „Stufe S“ betrifft Leistungen an Personen mit Schutzstatus, die freiwillig auf ihren Schutzstatus verzichten („Stufe S“). Die Übergangsregelung der „Stufe Ü“, die bereits im Vorgängerprogramm der StarthilfePlus vom Januar 2017 enthalten war, sieht Leistungen ebenfalls im Umfang 800 EUR (bzw. 400 EUR pro Kind) vor. Sie betrifft Rückkehrwillige, die entweder vollziehbar ausreisepflichtig sind, auch wenn eine Abschiebungsandrohung noch nicht oder nicht mehr vollziehbar ist, oder solche, die eine Duldung besitzen, einen Folgeantrag oder einen Zweitantrag gestellt haben. Anders als im Vorgängerprogramm setzt die Gewährung der StarthilfePlus nun nicht mehr voraus, dass die Entscheidung zur freiwilligen Ausreise vor einem Stichtag (dies war bislang der 31. Juli 2017) zu erfolgen hat. Erforderlich ist lediglich, dass die betroffene Person vor dem 1. Februar 2017 in Deutschland registriert wurde und eine vollziehbare Ausreisepflicht, eine Duldung oder die Stellung eines Folge- oder Zweitantrags vor dem 1. August 2017 vorlag. Bei gemeinsamem Antrag von mehr als vier Familienmitgliedern ist zudem bei allen vier Stufen ein Familienzuschlag von 500 EUR vorgesehen. Ein Rechtsanspruch auf finanzielle Unterstützung besteht allerdings nicht.
310 
BAMF/IOM, StarthilfePlus-Programm 2017, Merkblatt für deutsche Behörden, Mitglieder der Wohlfahrtsverbände, Fachberatungsstellen, zentrale Rückkehrberatungsstellen, Ausländerbeauftragte und den Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCHR) (Dezember 2017), S. 2; BAMF/IOM, StarthilfePlus-Programm 2017, Merkblatt für deutsche Behörden, Mitglieder der Wohlfahrtsverbände, Fachberatungsstellen, zentrale Rückkehrberatungsstellen, Ausländerbeauftragte und den Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCHR) (Februar 2017), S. 2; BAMF/IOM, Übersichtsblatt zur StarthilfePlus 2017:Zusätzliche finanzielle Unterstützung bei der freiwilligen Rückkehr, Februar 2017.
311 
Die Auszahlung der Gelder aus dem Programm REAG/GARP erfolgt noch in Deutschland, die des StarthilfePlus-Programms 2017 je zur Hälfte am Abflughafen und zur Hälfte in Afghanistan nach etwa sechs bis acht Monaten. Ansonsten erfolgen Bargeldzahlungen durch die IOM üblicherweise unmittelbar nach der Ankunft am Flughafen oder in einem der IOM-Büros vor Ort.
312 
BAMF/IOM, StarthilfePlus-Programm 2017, Merkblatt für deutsche Behörden, Mitglieder der Wohlfahrtsverbände, Fachberatungsstellen, zentrale Rückkehrberatungsstellen, Ausländerbeauftragte und den Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCHR) (Dezember 2017), S. 3; IOM/ZIRF, Mitteilung vom 14.08.2017 zu den Programmen des IOM für freiwillige Rückkehrer (StarthilfePlus, REAG/GARP) auf eine Anfrage des VGH Bad.-Württ. vom 10.07.2017 (A 11 S 512/17); BAMF/IOM, Übersichtsblatt zur StarthilfePlus 2017: Zusätzliche finanzielle Unterstützung bei der freiwilligen Rückkehr, Februar 2017; Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 13, 17 und 25 m.w.N.
313 
Darüber hinaus bietet die IOM über das European Reintegration Network (ERIN) das Unterstützungsprogramm ERIN Specific Action Program für Rückkehrer nach Afghanistan an. Dieses hat allerdings - anders als die vorgenannten Programme - keine Geldleistungen zum Gegenstand. Es gewährt Unterstützung nach der Ankunft und bei der Reintegration in Afghanistan, wobei freiwillige Rückkehrer eine umfangreichere Unterstützung („larger re-integration packages”) erhalten als diejenigen, die nicht freiwillig zurückgekehrt sind. Die Inanspruchnahme setzt eine Bewerbung vor der Rückkehr voraus. Angeboten werden ein Empfangs- und Orientierungsservice bei der Ankunft am Flughafen, Unterstützung beim Weitertransport, Empfehlungen zur Sicherstellung der durchgehenden Versorgung mit dringender ärztlicher Behandlung und eine Notfallunterbringung von mindestens einer Woche. Zur weiteren Wiedereingliederung kann die Beratung durch einen IOM-Mitarbeiter in Anspruch genommen werden, der den Rückkehrern und ihren Familien etwa bei der Planung einer Strategie zur Reintegration helfen kann und auch dazu, wie sie die ihnen gewährten nationalen Zuschüsse sinnvoll verwenden können. Möglich sind Hilfestellungen bei Existenzgründungen, die Beratung bei der Suche und Vermittlung von Arbeitsstellen, die Vermittlung in Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen, Unterstützung in sozialen, medizinischen und rechtlichen Angelegenheit oder die Unterstützung bei der Wohnraumbeschaffung. Unterstützungsleistungen werden nicht durch Direktzahlungen, sondern durch Beratungs- und Sachleistungen erbracht. Bei rückgeführten Personen können diese höchstens einen Wert von 700 EUR haben. Als „berücksichtigungsfähige Kriterien“ bei der Prüfung werden existenzsichernde Maßnahmen, individueller medizinischer Bedarf, die Rückkehr weiterer Familienangehöriger, die Dauer des Aufenthalts in Deutschland bzw. der Abwesenheit im Heimatland sowie die Vulnerabilität des Betroffenen genannt. Die Reintegrationsmaßnahmen legen der Rückkehrer und der Mitarbeiter vor Ort individuell fest. Die Unterstützung soll nach drei bis sechs Monaten weitgehend abgeschlossen sein.
314 
Siehe insgesamt: BAMF/ERIN, Programmsteckbrief ERIN - European Reintegration Network, Rückkehrerhilfen (Projektdauer Juni 2016 bis Dezember 2021), 14.08.2017; IOM/ ERIN - European Reintegration Network, Specific Action Program, Afghanistan Briefing Note, 13.03.2017; ERIN/IOM, ERIN - European Reintegration Network, Specific Action Program, Afghanistan Leaflet, 13.03.2017.
315 
Sachleistungen können freiwillige Rückkehrer außerdem im Rahmen eines für den Zeitraum zwischen 1. Dezember 2017 und 28. Februar 2018 geltenden Sonderprogramms der StarthilfePlus zur Reintegrationsunterstützung beantragen. Diese umfassen u.a. Bau-, Renovierungs- und Instandhaltungsmaßnahmen, Basismobiliar und Grundausstattung für Küche und sanitäre Anlagen. Die Leistungen sind auf den Wert von 1.000 EUR pro Einzelperson und 3.000 EUR pro Familie begrenzt. Die konkrete Ausgestaltung der Reintegrationsunterstützung ist abhängig von einem nach der Rückkehr im Zielland zu erarbeitenden Reintegrationsplan.
316 
BAMF/IOM, Informationsblatt „Reintegrationsunterstützung im Bereich Wohnen im Bundesprogramm StarthilfePlus“ (Dezember 2017).
317 
IOM-Programme werden allerdings nur in geringem Umfang in Anspruch genommen. Dies scheint vor allem an technischen und bürokratischen Hürden zu liegen. Im Falle abgeschobener Personen kann hinzukommen, dass diese die Ankunft und Rückkehr am Flughafen in Kabul als demütigend empfinden, deswegen nicht das Bedürfnis verspüren, dort zu verweilen und entsprechend auch nicht den Kontakt zu dem dortigen IOM-Mitarbeiter suchen. Wenn der Umstand der Rückkehr als erdrückend empfunden wird, hat dies unter Umständen zur Folge, dass sie ihre Zeit mit dem Versuch verbringen, sich anzupassen, sie auf Grund von Depressionen nicht die Kraft für Verwaltungsaufgaben aufbringen, sie die Weitergabe von Informationen an die Behörden fürchten oder es ihnen an einem Telefon oder dem Geld für die Reise zu einem der IOM-Büros mangelt. Als maßgeblicher Grund wird auch vermutet, dass die Betroffenen nicht auf die Notwendigkeit der Kontaktaufnahme zu dem IOM-Mitarbeiter hingewiesen werden.
318 
Afghanistan Analysts Network - voluntary and forced returns to Afghanistan in 2016/17: trends, statistics and experiences, 19.05.2017, S. 9 f., Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 26 f. m.w.N.; dort auch auf S. 48 zur Problematik, dass von Teilnehmern des IOM-Programms bemängelt worden sei, keine individualisierte Beratung statt, sondern die Beratung zur Planung eines Geschäftsbetriebs sei immer gleich („one-size-fits-all“).
319 
Auch von Seiten der afghanischen Regierung gibt es Unterstützungsprogramme für Rückkehrer aus Europa.
320 
Im April 2015 hat die afghanische Regierung zunächst eine Hohe Kommission für Migration gegründet und im November 2016 dann ein gesondert auf die Belange von Rückkehrern gerichtetes Komitee (Displacement and Returnees Executive Committee). Dessen Funktion ist es, eine Strategie zur Koordination von humanitären und Entwicklungsprogrammen festzulegen sowie die Entwicklung von Richtlinien zur Unterstützung (u.a.) von Rückkehrern. Dabei geht es nicht nur um die finanzielle Unterstützung des Einzelnen. Damit die Rückkehrer nicht als gescheitert und unfähig zur Leistung des von ihnen erwarteten Beitrags erscheinen, ist auch die finanzielle Unterstützung des familiären bzw. sozialen Umfelds angedacht. Der Ansatz ist allerdings kritisiert worden, etwa weil er die örtliche Korruption nicht berücksichtige.
321 
Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 28, dort auch zu Unterstützungsangeboten für das Umfeld bzw. die Gemeinschaft der Rückkehrer („a more community-oriented financial support“).
322 
Die derzeit von Seiten der afghanischen Regierung gewährten Hilfen umfassen die Bereiche der Arbeitsvermittlung, des rechtlichen Beistands sowie Fragen von Grund und Boden und Obdach. Die Unterstützung wird nicht von einer einzelnen Institution gewährt, vielmehr muss der Rückkehrer selbst die Initiative ergreifen und sich an die jeweils zuständige Stelle wenden - etwa an das Arbeitsministerium, wenn er Hilfe bei der Arbeitssuche erhalten will. Rückkehrer aus Europa berichten, dass sie nur wenig Unterstützung in irgendeiner Art erhalten hätten, mit Ausnahme einer zweiwöchigen Unterbringung durch die Regierung.
323 
Afghanistan Analysts Network - voluntary and forced returns to Afghanistan in 2016/17: trends, statistics and experiences, 19.05.2017, S. 7; Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 28.
324 
Schließlich gibt es lokale nichtstaatliche Organisationen, die freiwillige und abgeschobene Rückkehrer unterstützen, etwa IPSO (International Psychosocial Organisation) und AMASO (Afghanistan Migrants Advice & Support Organisation). IPSO ist eine in Deutschland ansässige Organisation mit psychosozialen Unterstützungsangeboten (Selbsterfahrungsgruppen, Übungen zum Leben in Afghanistan, Eins-zu-Eins-Beratung, Malen und Handarbeit). AMASO gewährt Rückkehrern - vorwiegend aus nordischen Ländern - die Möglichkeit einer Unterkunft für mehr als zwei Wochen. Außerdem bietet eine örtliche Anwaltskanzlei (freiwilligen) Rückkehrern aus Norwegen ihre Dienstleistungen an. Etablierte Koordinationsmechanismen zur Sicherstellung der benötigten Unterstützung für alle Rückkehrer oder zu deren Gleichbehandlung scheint es allerdings insgesamt nicht zu geben.
325 
Afghanistan Analysts Network - voluntary and forced returns to Afghanistan in 2016/17: trends, statistics and experiences, 19.05.2017, S. 7, dort auch S. 10 zu AMASO und IPSO; Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 28 f., dort auf S. 53 auch ausführlicher zu IPSO sowie auf S. 64 ausführlicher zur AMASO, dort auch zur Betreuung eines aus Deutschland abgeschobenen, bei einem Bombenanschlag verletzten Rückkehrers.
326 
Eine weitere Unterstützungsleistung können Rückkehrer zudem in Form einer kurzfristigen Unterbringung erlangen. Die IOM bietet in einem sogenannten Empfangszentrum (Jangalak reception centre) eine vorübergehende Unterkunft für höchstens zwei Wochen. Es handelt sich um ein Gebäude auf dem Gelände des Ministeriums für Flüchtlinge und Neuverteilung auf dem Gelände der früheren Jangalak-Fabrik. Dort gibt es 24 Zimmer mit je zwei bis drei Betten. Sowohl freiwillige als auch abgeschobene Rückkehrer können dort unterkommen. Zwölf Mitarbeiter betreuen die Rückkehrer. 2016 nutzten 43 Personen das Angebot. Sie blieben durchschnittlich für sieben Nächte.
327 
Afghanistan Analysts Network - voluntary and forced returns to Afghanistan in 2016/17: trends, statistics and experiences, 19.05.2017, S. 9.
328 
Im Rahmen einer entsprechenden Befragung erklärten mehrere Rückkehrer, sie wollten auf das Angebot nicht zurückgreifen, weil sie glaubten, der Aufenthalt dort berge das Risiko, dass sie als Rückkehrer identifiziert würden.
329 
Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 63.
330 
c) In Kabul als Ankunfts- bzw. Endort der Abschiebung gestalten sich die Lebensverhältnisse in Teilen ähnlich, es gibt allerdings auch Unterschiede zu den für das gesamte Land erläuterten Lebensverhältnissen.
331 
Wie bereits im Zusammenhang mit dem städtischen Wohnungsmarkt allgemein dargestellt, ist der Wohnungsmarkt in Kabul teuer und (insbesondere auch auf Grund der großen Zahl intern Vertriebener und Rückkehrern aus dem benachbarten Ausland) sehr angespannt. Denn die Stadt Kabul hat von der erheblichen, stetig ansteigenden Anzahl an Migranten einen unverhältnismäßig großen Anteil aufgenommen.
332 
EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 40.
333 
Kabul ist der Hauptzielort der größten Rückkehrbewegung und zugleich auch traditionell ein Zufluchtsgebiet der vom Konflikt betroffenen Binnenvertriebenen insbesondere aus der Zentralregion. Ein erheblicher Anteil der insgesamt 5,7 Millionen Menschen, die nach dem Fall der Taliban aus dem Iran und Pakistan zurückgekehrt waren, und der genannten 1,2 Millionen Binnenvertriebenen hat sich in bzw. um Kabul herum niedergelassen. Zu diesen kommen noch weitere Personen hinzu, etwa ein erheblicher Anteil der im Jahr 2016 aus Pakistan Zurückgekehrten. Ihre Zahl wurde zur Jahresmitte 2016 noch mit 54.600 bemessen. Zum Ende des Jahres 2016 nannte der UNHCR die Zahl ca. 625.000 Rückkehrern aus Pakistan allein für die letzten vier Monate des Jahres 2016. In Zusammenhang mit dieser Entwicklung wird auch die Verlautbarung eines Ministers der afghanischen Regierung (Balkhi) gebracht, Kabul könne nicht alle Personen aus gefährlichen Provinzen aufnehmen, verbunden mit der Bitte, Abschiebungen zu beenden.
334 
Schuster, Report for the Upper Tribunal in the case of XXXX YYYY, 08.11.2016, S. 18/Rn. 53; Schuster, Risks on return to Kabul, 12.08.2016, S. 16 f./Rn. 43; Stahlmann, Asylmagazin 2017, S. 73 (75); UNHCR, Anmerkungen zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des deutschen Bundesministerium des Inneren - Dezember 2016, S. 5 zur starken Betroffenheit u.a. von Kabul von der hohen Anzahl an Rückkehrern sowie S. 7 zu Kabul als traditionellem Zufluchtsort.
335 
Ein nicht unerheblicher Teil der Migranten, aber auch der von jeher in Kabul ansässigen Bevölkerung, gehört dabei der Volksgruppe der Hazara an. In Kabul sollen nach Schätzungen über eine Million bzw. bis zu 1,5 Millionen Hazara leben. Die meisten davon sind Vertriebene, die sich erst vor Kurzem dort niedergelassen haben. Sie sind von den negativen Auswirkungen des hohen Arbeitslosigkeit in gleichem Maße wie auch die übrige Bevölkerung betroffen.
336 
Immigration and Refugee Board of Canada, Afghanistan: Situation of Hazara people living in Kabul City, including treatment by society, security situation, and access to employment; security situation for Hazara traveling to areas surrounding Kabul City to access employment, 20.04.2016.
337 
Fast einem Viertel der 55.000 registrierten zurückkehrenden Familien und ein ähnlicher Anteil an nicht dokumentierten Rückkehrern aus Pakistan hat sich in den überfüllten informellen Siedlungen Kabuls niedergelassen. Deswegen bewertet auch der UNHCR im Hinblick auf den Rückgang der wirtschaftlichen Entwicklung in Kabul als Folge des massiven Abzugs der internationalen Streitkräfte im Jahr 2014 die Aufnahmekapazität der Stadt aufgrund begrenzter Möglichkeiten der Existenzsicherung, Marktliquidität, der fehlenden Verfügbarkeit angemessener Unterbringung sowie des mangelnden Zugangs zu grundlegenden Versorgungsleistungen insbesondere im Gesundheits- und Bildungswesen, als äußerst eingeschränkt.
338 
UNHCR, Anmerkungen zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des deutschen Bundesministerium des Inneren - Dezember 2016, S. 7.
339 
Als Folge des großen Zustroms nach Kabul wird beschrieben, dass die Migranten in besonderem Maße benachteiligt seien und oft in den überfüllten informellen Siedlungen endeten, für die insbesondere für den Winter die Zustände als schrecklich geschildert werden. Diese bestehen großteils aus behelfsmäßigen Zelten oder Lehmhütten ohne geeigneten Schutz vor Kälte und mit beschränktem Zugang zu sauberem Wasser und medizinischer Versorgung. Es wird von mehreren Dutzend Menschen, insbesondere Kindern und älteren Personen, berichtet, die in den Wintermonaten der Jahre 2012 und 2017 wegen der Kälte gestorben sind. Zum Anderen führt der immense Zuzug dazu, dass die existenziellen Ressourcen noch stärker umkämpft sind, die Arbeitslosigkeit und die Alltagskriminalität zunehmen.
340 
EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S.40; Stahlmann, Landeskundliche Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 15 f.; zu den Zuständen in den informellen Siedlungen auch EASO Country of Origin Information Query - Query concerning the situations of returnees to Afghanistan, 22.06.2015, S. 5 f. m.w.N.; a.i., My children will die this winter - Afghanistan´s broken promise to the displaced, 31.05.2016, S. 17.
341 
Im Übrigen bedeutet eine Wohnung in Kabul zu haben nicht automatisch den Zugang zu Wasser und Strom. Dieser hat sich zwar in den letzten 15 Jahren generell verbessert. Allerdings ist bei der zentralen Wasserversorgung die Wasserqualität schlecht geworden, da Infrastruktur ursprünglich für weit weniger Einwohner ausgelegt war. So funktioniert das öffentliche Wasserleitungssystem nur stundenweise. Zugang zu Leitungswasser haben nur ungefähr 34 % der Einwohner. Die meisten Menschen leben in den Slums und beziehen das Wasser entweder von öffentlichen Pumpen oder selbst angelegten Brunnen, mit denen das Grundwasser angezapft wird. Dessen Stand hat sich zwischenzeitlich von drei bis fünf Metern auf 70 bis 80 Meter Tiefe abgesenkt.
342 
Staatssekretariat für Migration SEM der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Notiz Afghanistan: Alltag in Kabul - Referat von Thomas Ruttig (Afghanistan Analysts Network) am 12.04.2017, 20.06.2017, S. 7; Sam Hall, Urban Poverty Report - A study of poverty, food insecurity and resilience in Afghan Cities, November 2014, S. 49.
343 
Schließlich ist auch die Sicherheitslage in Kabul prekär.
344 
Vgl. dazu die Übersicht: UK Home Office, Country Policy and Information Note - Afghanistan: Security and humanitarian situation, August 2017, S. 24 f.
345 
Sie war bereits in den vergangenen Jahren geprägt von zahlreichen Anschlägen, insbesondere auf medienwirksame Ziele ausländischer Streitkräfte und Organisationen sowie Regierungseinrichtungen.
346 
Dazu die ausführliche Darstellung bei Schuster, Report for the Upper Tribunal in the case of XXXX YYYY, 08.11.2016, S. 21 ff./Rn. 59 ff. und dies. Risks on return to Kabul, 12.08.2016, S. 7/Rn. 18 sowie auch Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 6. Juni 2016: Sicherheitslage in der Stadt Kabul, 06.06.2016; vgl. auch die genannte Entscheidung OVG NRW, Urteil vom 26.08.2014 - 13 A 2998/11 Rn. 207 bis 230 zur damaligen - vor Abzug internationalen der Streitkräfte liegenden - Sicherheitslage (Rn. 217: „aktuell als stabil eingeschätzt“) und der diesbezüglichen Rolle der Taliban.
347 
In jüngerer Zeit erweist sich die Sicherheitslage weiter als volatil. UNAMA hat für das Jahr 2016 für die gesamte Provinz Kabul 1.758 zivile Opfer registriert (376 Tote und 1.382 Verletzte). Kabul war damit die Provinz mit der höchsten Anzahl ziviler Opfer. Zur ersten Hälfte des Jahrs 2017 berichtete UNAMA, die Provinz Kabul weise weiterhin die höchste Zahl an zivilen Opfern auf, vorwiegend in Kabul City. Von den 1.048 zivilen Opfern (219 Tote und 829 Verletzte) in der Provinz Kabul waren 94 % die Folge von Selbstmordattentaten und komplexen Angriffen in Kabul City durch regierungsfeindliche Kräfte.
348 
UNAMA, Midyear Report 2017: Afghanistan - protection of civilians in armed conflict, Juli 2017, Annex III, S. 73 und S. 5, dort auch Fn. 11 zur Stadt Kabul: 986 zivile Opfer in den ersten sechs Monaten des Jahres (209 Todesopfer und 777 Verletzte); EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 83; UK Home Office, Country Policy and Information Note - Afghanistan: Security and humanitarian situation, August 2017, S. 24.
349 
Vom Dezember 2016 bis zum 31. Mai 2017 gab es insgesamt acht öffentlichkeitswirksame Angriffe in Kabul (bei 42 Angriffen an anderen Orten in Afghanistan). So waren beispielsweise bereits bei einem Angriff durch Aufständische auf einen Stützpunkt der Afghanische Nationalarmee 144 Mitarbeiter getötet und 65 weitere Personen verletzt worden. Der Vorfall, der bei Weitem die schwersten Folgen hatte und gleichzeitig die meiste Aufmerksamkeit in den Medien erfuhr, war allerdings der Anschlag vom 31. Mai 2017.
350 
UK Home Office, Country Policy and Information Note - Afghanistan: Security and humanitarian situation, August 2017, S. 24 f.; Auswärtiges Amt, Zwischenbericht: Lagebeurteilung für Afghanistan nach dem Anschlag am 31. Mai 2017 - Stand Juli 2017, S. 2; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Afghanistan (Gesamtaktualisierung vom 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 27.06.2017); S. 8 f. vgl. zu den weiteren zahlreichen Vorfällen die Darstellung in der Entscheidung des Senats: VGH Bad.-Württ., Urteil vom 16.10.2017 - A 11 S 512/17 -, juris Rn. 206 ff.
351 
Wie bei dem Vorfall vom 31. Mai 2017 wurden auch bei weiteren Anschlägen in Kabul, die erklärtermaßen gegen Regierungsinstitutionen, internationale Organisationen und Einrichtungen der afghanischen Armee und Polizei gerichtet waren, viele Angehörige der afghanischen Zivilbevölkerung (u.a. Passanten, Kinder usw.) verletzt und getötet.
352 
Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 19. Juni 2017 zu Afghanistan: Sicherheitslage in Kabul, 19.06.2017, S. 3 m.w.N.; vgl. auch dazu die Entscheidung des Senats: VGH Bad.-Württ., Urteil vom 16.10.2017 - A 11 S 512/17 -, juris Rn. 206 ff.
353 
Auch im vergangenen Herbst - am 20. Oktober 2017- kam es wieder zu einem Selbstmordattentat, bei dem mindestens 39 Personen, möglicherweise auch 65 Personen getötet wurden.
354 
Spiegel-online, Terror in Afghanistan - Mehr als 50 Tote bei Attentaten auf Moscheen, 20.10.2017.
355 
Im Unterschied zu den vergangen Jahren kommt es nun zu einer Zunahme ziviler Opfer. Dieser Anstieg ist auf zahlreiche Selbstmordattentate und komplexe Angriffe in Kabul zurückzuführen. Anders als früher häufen sich nun auch Anschläge, die sich gezielt gegen Zivilpersonen richten. So beklagt UNAMA, dass sich zwischen dem 1. Januar und dem 30. Juni 2017 mindestens 40 % der von UNAMA dokumentierten zivilen, regierungsfeindlichen Elementen zuzuschreibenden Opfern (und 26 % der Gesamtzahl der zivilen Opfer) das Ergebnis von Angriffen oder Vorfällen sind, die sich gezielt gegen Zivilisten richteten.
356 
UNAMA, Midyear Report 2017: Afghanistan - protection of civilians in armed conflict, Juli 2017, S. 44; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 19. Juni 2017 zu Afghanistan: Sicherheitslage in Kabul, 19.06.2017, S. 3; dort auch der Hinweis auf die drei schweren Anschläge vom 23. Juli 2016, vom 11. Oktober 2016 und vom 21. November 2016, dazu sogleich; vgl. zur vermehrt gezielt auf die Zivilbevölkerung gerichtete Anschläge, insbesondere der ISKP: Auswärtiges Amt, Zwischenbericht: Lagebeurteilung für Afghanistan nach dem Anschlag am 31. Mai 2017 - Stand Juli 2017, S. 10.
357 
Zusammenfassend ist hinsichtlich der allgemeinen Sicherheitslage in Kabul
358 
- vgl. hierzu ergänzend die Ausführungen im Urteil des Senats vom 16.10.2017 - A 11 S 512/17 -, juris Rn. 193, sowie auch zu den Verhältnissen in Kabul allgemein: juris Rn. 99 ff. -
359 
festzuhalten, dass sich nicht nur die Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle gehäuft hat, sondern - wohl maßgeblich auch wegen „neuen“ regierungsfeindlichen Kräfte (IS/Daesh/ISKP) - als weitere Tendenz festzustellen ist, dass bei Anschlägen nun vermehrt zivile Opfer in Kauf genommen werden und sogar gerade auf die Zivilbevölkerung zielen.
360 
Vgl. zum Argument, Angriffe auf die Zivilbevölkerung lägen nicht im Fokus bzw. im Interesse der Taliban, noch das Urteil des OVG NRW vom 26.08.2014 - 13 A 2998/11.A -, NVwZ-RR 2014, 939.
361 
d) Ausgehend von den dargestellten Verhältnissen in Afghanistan insgesamt sowie insbesondere in der Stadt Kabul als End- bzw. Ankunftsort einer Abschiebung ist im Falle der Kläger ein ganz außergewöhnlicher Fall, in dem humanitäre Gründe seiner Abschiebung zwingend entgegensprächen im Sinne von Art. 3 EMRK, nicht festzustellen.
362 
aa) Der Senat konnte sich keine Überzeugungsgewissheit (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) davon bilden, dass der Kläger im Falle seiner Rückkehr auf sich allein gestellt wäre und keine Verwandten oder andere Anlaufstellen in Kabul hätte.
363 
(1) Das Gericht trifft seine Entscheidung gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Auch im Asylverfahren muss die danach gebotene Überzeugungsgewissheit dergestalt bestehen, dass das Gericht die volle Überzeugung von der Wahrheit (nicht etwa nur von der Wahrscheinlichkeit) des vom Kläger behaupteten individuellen Schicksals erlangt hat. Wegen des sachtypischen Beweisnotstandes, in dem sich der Betroffene insbesondere hinsichtlich der von ihm vorgetragenen Vorgänge im vielfach befinden, genügt für diese Vorgänge in der Regel die Glaubhaftmachung, wodurch allerdings das Gericht nicht von einer Überzeugungsbildung im Sinne des § 108 Abs. 1 VwGO enthoben ist. Vielmehr darf das Gericht keine unerfüllbaren Beweisanforderungen stellen und keine unumstößliche Gewissheit verlangen. Es muss sich in tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen, der den Zweifeln Schweigen gebietet, auch wenn sie nicht völlig auszuschließen sind.
364 
Unter Berücksichtigung des beschriebenen Beweisnotstands kommt dem persönlichen Vorbringen des Klägers und dessen Würdigung gesteigerte Bedeutung zu, weswegen allein der Tatsachenvortrag des Schutzsuchenden zum Erfolg der Klage führen kann, sofern seine Behauptungen unter Berücksichtigung aller sonstigen Umstände in dem Sinne „glaubhaft" sind, dass sich das Gericht von ihrer Wahrheit überzeugen kann.
365 
Grundlegend: BVerwG, Urteile vom 16.04.1985 - 9 C 109.84 -, NVwZ 1985, 567, juris Rn. 16 und vom 29.11.1977 - I C 33.71 -, juris, beide m.w.N.; außerdem: BVerwG, Beschlüsse vom 08.02.2011 - 10 B 1.11 -, NVwZ-RR 2011, 382 und vom 08.03.2007 - 1 B 101.06 -, BeckRS 2007, 22701; vgl. dazu auch Stuhlfauth, in: Bader, u.a., VwGO, 6. Aufl. 2014, § 108 VwGO Rn. 8, m.w.N.
366 
So sieht auch Art. 4 Abs. 5 RL 2011/95EU - der hier bezogen auf das nationale Abschiebungsverbot keine unmittelbare Anwendung finden kann - unter bestimmten Umständen vor, dass die Einlassung des Schutzsuchenden ausreichend sein kann und es keiner Nachweise seiner Aussagen bedarf. Und zwar dann, wenn dieser sich offenkundig bemüht hat, seinen Antrag zu begründen, alle ihm verfügbaren Anhaltspunkte vorliegen, und er eine hinreichende Erklärung für das Fehlen anderer relevanter Anhaltspunkte gegeben hat, festgestellt wurde, dass seine Aussagen kohärent und plausibel sind und sie zu den für seinen Fall relevanten, verfügbaren besonderen und allgemeinen Informationen nicht in Widerspruch stehen, er internationalen Schutz zum frühestmöglichen Zeitpunkt beantragt hat (es sei denn, er kann gute Gründe dafür vorbringen, dass dies nicht möglich war) und schließlich auch seine generelle Glaubwürdigkeit festgestellt worden ist.
367 
Vgl. dazu EuGH, Urteil vom 22.11.2012 - C-277/11 - (M.M./Irland), NVwZ 2013, 59.
368 
Es ist demzufolge zunächst Sache des Schutzsuchenden, die Gründe für seine Furcht vor Verfolgung schlüssig vorzutragen. Dazu hat er unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei verständiger Würdigung ergibt, dass ihm in seinem Heimatstaat Verfolgung droht. Hierzu gehört, dass er zu den in seine Sphäre fallenden Ereignissen, insbesondere zu seinen persönlichen Erlebnissen, eine Schilderung gibt, die geeignet ist, den behaupteten Anspruch lückenlos zu tragen. Erhebliche Widersprüche und Unstimmigkeiten im Vorbringen können dem entgegenstehen, es sei denn, diese können überzeugend aufgelöst werden. Bei der Bewertung der Stimmigkeit des Sachverhalts müssen u.a. Persönlichkeitsstruktur, Wissensstand und Herkunft des Schutzsuchenden berücksichtigt werden.
369 
Dazu BVerwG, Beschluss vom 21.07.1989 - 9 B 239.89 -, NVwZ 1990, 171, juris Rn. 3 und 4 sowie auch OVG NRW, Urteil vom 02.07.2013 - 8 A 2632/06.A -, BeckRS 2013, 55090 juris Rn. 59.
370 
Mit anderen Worten: Für die richterliche Überzeugungsbildung ist eine bewertende Gesamtschau des gesamten Vorbringens des Schutzsuchenden unter Berücksichtigung seiner individuellen Aussagekompetenz und seiner Glaubwürdigkeit erforderlich, die die Stimmigkeit des Vorbringens an sich, dessen Detailtiefe und Individualität, sowie dessen Übereinstimmung mit den relevanten und verfügbaren Erkenntnismitteln ebenso berücksichtigt wie die Plausibilität des Vorbringens, an der es etwa fehlen kann, wenn nachvollziehbare Erklärungen fehlen oder unterbleiben, falsche oder missverständliche Urkunden nicht erklärt werden können bzw. wenn Beweise oder Vorbringen ohne nachvollziehbaren Grund verspätet vorgebracht werden.
371 
Vgl. insgesamt auch VGH Bad.-Württ., Urteil vom 19.04.2017 - A 11 S 1411/16 -, BeckRS 2017, 127389 Rn. 23 ff. sowie International Association of Refugee Law Judges, Assessment of Credibility in Refugee and Subsidiary Protection claims under the EU Qualification Directive, Judicial criteria and standards, https://www.iarlj.org/images /stories/Credo/Credo_Paper_March 2013-rev1.pdf, Seite 33 f.).
372 
Diese Maßstäbe sind auch bei der Prüfung des geltend gemachten Anspruchs auf Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots anzuwenden, soweit es um Tatsachenfeststellungen geht, die sich unmittelbar auf das Herkunftsland des Betroffenen beziehen. Denn insoweit sind die Interessenlage und der mögliche Beweisnotstand sehr ähnlich zu der Situation, in der sich ein Kläger befindet, der internationalen Schutz begehrt.
373 
(2) Ein großer Teil der Angaben des Klägers zu seiner Herkunft, Familie und Bildung erweisen sich nicht als kohärent im Sinne des Art. 4 Abs. 5 Buchstabe c) RL 2011/95/EU. Die Angaben in der Anhörung durch das Bundesamt, durch das Verwaltungsgericht und nunmehr durch den erkennenden Senat weisen erhebliche Widersprüche auf, die der Kläger nicht hat erläutern können und die teilweise auch nur dahingehend erklärbar sind, dass die Angaben nicht der Wahrheit entsprechen. Der Senat konnte nicht feststellen, ob eine der verschiedenen Varianten in den Schilderungen der Wahrheit entspricht.
374 
(a) Gegenüber dem Bundesamt behauptete der Kläger ausweislich der Niederschrift über die Anhörung vom 11. Oktober 2016, er sei Analphabet und weder in Afghanistan noch im Iran zur Schule gegangen. Hingegen gab er beim Verwaltungsgericht und gegenüber dem Senat an, sechs Jahre in Afghanistan zur Schule gegangen zu sein. Seine Einlassung, dass er die Angaben beim Bundesamt nicht so wie protokolliert gemacht habe, überzeugen den Senat jedenfalls deswegen nicht, weil der Kläger einmal ausweislich S. 46 der Bundesamtsakten bestätigt hat, dass ihm das Protokoll rückübersetzt worden sei und es den gemachten Angaben und zum anderen auch bei weiteren Unstimmigkeiten (dazu unten) allein auf eine unzutreffende Protokollierung verwiesen hat oder gar keine Erklärung für das inkohärente Aussageverhalten liefern konnte.
375 
(b) Hinsichtlich seiner Tätigkeiten im Iran nach der Handgelenksverletzung hatte er beim Bundesamt angegeben, bei einem anderen Arbeitgeber als Bauwächter gearbeitet zu haben. Beim Verwaltungsgericht ließ er sich dahin ein, als Reinigungskraft tätig gewesen zu sein. Er habe sauber gemacht. Gegenüber dem Senat hat er zunächst ebenfalls angegeben, Reinigungskraft gewesen zu sein um auf den Vorhalt seiner Angaben gegenüber dem Bundesamt zu behaupten, dass er beide Tätigkeiten verfolgt habe. Reinigungstätigkeiten und Security seien für ihn das Gleiche. Sowohl die Abweichungen als auch der Erklärungsversuch, der sich dem Senat als Schutzbehauptung darstellt, zeigen auf, dass sich der Kläger hier nicht bemüht hat, hinsichtlich seines persönlichen Schicksals im Iran die Wahrheit zu berichten. Denn die unterschiedlichen Angaben lassen sich unter keinen Umständen miteinander vereinbaren.
376 
(c) Während der Kläger sowohl beim Bundesamt als auch beim Verwaltungsgericht angegeben hatte, seine beiden Eltern seien jeweils Einzelkinder, hat er vor dem Senat erklärt, er habe einen Onkel in Pakistan. Auf den Vorhalt seiner Einlassung vor dem Bundesamt behauptete er, dort sei er nur gefragt worden, ob er Eltern habe. Dies stimmt zum einen nicht mit dem Protokollinhalt überein (siehe auch oben unter (a)) und vermag erst recht nicht die Einlassung gegenüber dem Verwaltungsgericht zu erklären. Der Senat kann sich daher über die Familienverhältnisse des Klägers keine Überzeugung bilden. Die Aussage gegenüber dem Verwaltungsgericht, es könne sein, dass er Verwandte gehabt habe, diese seien aber alle bereits verstorben, passt in das Bild des Einlassungsverhaltens des Klägers, der offenkundig darum bemüht ist, keine wahrheitsgemäßen Angaben zur Familiensituation zu machen.
377 
(d) Weiter sind die Angaben zur Motivation, Afghanistan zu verlassen und in den Iran überzusiedeln, in einer Weise widersprüchlich, dass sie keine Rückschlüsse auf die tatsächlichen Beweggründe zulassen. Gegenüber dem Bundesamt gab der Kläger an, nach dem Tod seiner Mutter in den Iran gegangen zu sein, um sich zu ernähren, da er in Afghanistan niemanden mehr gehabt und praktisch kein Zuhause mehr gehabt habe. Beim Verwaltungsgericht ließ er sich dahin ein, dass er sich nach dem Tod der Mutter auf den Weg nach Kabul gemacht habe, um sich als Soldat zu melden. Dort habe er auch seine Unterlagen abgegeben. Auf dem Weg sei er von Taliban kontrolliert und geschubst worden. In der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Senat war hingegen davon keine Rede mehr. Hier hat er sich dahingehend eingelassen, dass er nicht in Afghanistan bei den Nachbarn habe bleiben wollen. Andere substanzielle Angaben machte er auch auf Nachfragen nicht.
378 
(e) Diese vielen Unstimmigkeiten in wesentlichen Bereichen der Angaben und die aufgezeigten Unvereinbarkeiten der verschiedenen Aussagen mit- und untereinander führen dazu, dass sich der Senat zur Familiensituation des Klägers keine Überzeugung bilden kann. Da die Angaben hier - wie ausgeführt -in sich widersprüchlich sind, ohne dass dies erklärlich wäre, der Kläger aber andererseits auch keinen Nachweis über seine Identität führen kann oder will, kann der Senat nicht davon ausgehen, dass der Kläger in Kabul auf sich alleine gestellt wäre. Denn es ergibt zur Überzeugung des Senats nur dann Sinn, seine familiären Verhältnisse und damit einen Teil seiner Identität nicht Preis zu geben, wenn diese für ihn im Falle der Rückkehr günstig und damit für den geltend gemachten Anspruch ungünstig sind. Aufgrund der vielen Unstimmigkeiten im Vortrag lässt sich für den Kläger auch keine generelle Glaubwürdigkeit feststellen, so dass der Senat auch keine hinreichende Überzeugung davon gewinnen konnte, ob der Kläger tatsächlich vier oder fünf Jahre vor seiner Ausreise im Iran gelebt hat oder nicht. Daher lässt sich für den Senat auch die finanzielle Leistungsfähigkeit des Klägers nicht feststellen, was zur Folge hat, dass der Senat nicht davon ausgehen kann, dass der Kläger zur Begleichung der Lebenshaltungskosten in Kabul zwingend und unmittelbar nach Verbrauch etwaiger Rückkehr- und Starthilfen auf eine sofortige Erwerbstätigkeit angewiesen wäre.
379 
bb) Doch auch dann, wenn man zugunsten des Klägers unterstellt, er wäre allein stehend, hätte keine familiären Beziehungen in Kabul und habe mehrere Jahre im Iran gelebt und gearbeitet, führte dies nicht auf ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG.
380 
Der Senat geht in seiner Rechtsprechung (vgl. Urteil vom 09.11.2017 - A 11 S 789/17) davon aus, dass im Falle leistungsfähiger, erwachsener Männer ohne Unterhaltsverpflichtungen und ohne familiäres oder soziales Netzwerk bei der Rückkehr aus dem westlichen Ausland in Kabul die hohen Anforderungen des Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG, Art. 3 EMRK nicht erfüllt sind.
381 
(1) Zwar ist die Lage in Kabul - wie im gesamten Land - prekär. Wie sich aus den vorstehenden Darstellungen ersehen lässt, sind sowohl die wirtschaftlichen Voraussetzungen als auch die humanitären Umstände schlecht. Dasselbe gilt für die in den letzten Jahren stetig schlechter gewordene Sicherheitslage. Dennoch kann nicht gleichsam für sämtliche Rückkehrer aus dem westlichen Ausland, denen es in Kabul oder in Afghanistan insgesamt an (familiären oder sonstigen) Beziehungen oder an Unterstützungsnetzwerken fehlt, angenommen werden, die schlechten Bedingungen im Land könnten generell und bei allen diesen Rückkehrern ganz außerordentliche individuelle Umstände darstellen und die hohen Anforderungen zur Bejahung des Art. 3 EMRK trotz fehlenden Akteurs erfüllen.
382 
Afghanistan und insbesondere Kabul sind gerade auch in jüngster Zeit mit der Rückkehr einer Vielzahl von Menschen aus dem benachbarten und westlichen Ausland konfrontiert. Dabei stellt sich deren Lage, obwohl die Situation für Rückkehrer schwierig ist, nicht für alle gleichermaßen problematisch dar. Berichte dahin, dass Rückkehrer generell oder aber jedenfalls in sehr großer Zahl und unabhängig von ihrer persönlichen Disposition ihr Existenzminimum nicht sichern könnten, gibt es nicht. Vielmehr sind bestimmte, vulnerable Gruppen wie etwa Familien mit jüngeren Kindern, alleinstehende Frauen, Kranke oder ältere Menschen in besonderem Maße gefährdet, ohne dass aber insgesamt festzustellen wäre, dass die Existenzsicherung oder gar das Überleben für sämtliche Rückkehrer nicht gewährleistet wäre.
383 
Insbesondere trifft dies auch nicht für Rückkehrer aus dem westlichen Ausland, aus Europa oder gar aus Deutschland zu, zumal beispielsweise mit Unterstützung der IOM seit dem Jahr 2003 insgesamt 15.041 Personen aus verschiedenen Ländern Europas (darunter das Vereinigte Königreich, Norwegen, die Niederlande, Deutschland, Schweden, Dänemark, Frankreich, Belgien und Österreich) freiwillig nach Afghanistan zurückgekehrt sind. Allein im Jahr 2016 unterstützte die IOM 6.864 Personen bei ihrer freiwilligen Rückkehr nach Afghanistan, davon über 3.000 aus Deutschland. Die meisten Rückkehrer (78 % oder 5.382) waren dabei junge Männer, von denen wiederum ein erheblicher Anteil zwischen 19 und 26 Jahren alt war (2.781) oder sogar Jugendliche mit bis zu 18 Jahren (2.101). Die Zahl der zurückgekehrten Familien wird mit 733 angegeben.
384 
Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 16; Afghanistan Analysts Network - voluntary and forced returns to Afghanistan in 2016/17: trends, statistics and experiences, 19.05.2017, S. 2; UN General Assembly Security Council, The situation in Afghanistan and its implications for international peace and security - report of the Secretary-General, 03.03.2017, S. 10.
385 
Neben diesen zahlreichen freiwilligen Rückkehrern gab und gibt es Abschiebungen aus Europa. So wurden im Zeitraum zwischen Oktober 2016 und April 2017 insgesamt 176 Personen aus Europa nach Afghanistan abgeschoben, darunter 106 aus Deutschland, von denen wiederum auch einige keine Verwandten in Kabul oder in Afghanistan insgesamt hatten (etwa, weil sie zuvor lange Jahre im Iran gelebt hatten).
386 
Afghanistan Analysts Network - voluntary and forced returns to Afghanistan in 2016/17: trends, statistics and experiences, 19.05.2017, S. 3 ff.
387 
Obwohl diese Rückkehrer sich - wie dargestellt - in Afghanistan vielen Belastungen gegenübersehen und die Situation im Land äußerst schwierig ist, sind den umfangreichen Erkenntnismitteln zur Lage in Afghanistan keine Informationen zu entnehmen, aus denen geschlossen werden könnte, allein der Umstand einer Rückkehr aus dem westlichen Ausland bei fehlenden Netzwerken vor Ort stehe einer Existenzsicherung in Afghanistan bzw. in Kabul (auch nur auf niedriger Stufe) entgegen. Zwar gibt es vereinzelte Rückkehrerberichte, die die oben geschilderte Bandbreite von Problemen betreffen. Erfahrungsberichte oder Schilderungen dahin, dass gerade auch leistungsfähige erwachsene männliche Rückkehrer ohne Unterhaltsverpflichtungen gegenüber Kindern sowie kinderlose Ehepaare in großer Zahl oder sogar typischerweise von Obdachlosigkeit, Hunger, Krankheit betroffen oder infolge solcher Umstände gar verstorben wären, liegen hingegen nicht vor. Zwar lassen sich für den Senat Nachteile bei Unterkunfts- und Arbeitssuche durchaus nicht ausschließen, eine tatsächliche Gefahr, dass sie eintreten werden, besteht indes nicht. Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit, dass sich diese Situation auch im Falle des Klägers realisieren würde - dass also auch der Kläger entsprechend erkannt würde, dass er infolge dessen tatsächlich keinen Zugang zu einer auch nur einfachen Unterkunft haben würde oder vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen wäre -, vermag der Senat daher nicht festzustellen.
388 
(2) Insbesondere lässt sich aus dem Fehlen eines bereits bestehenden familiären oder sozialen Netzwerks in Kabul nicht die beachtliche Wahrscheinlichkeit eines Verstoßes gegen Art. 3 EMRK herleiten. Ein solches traditionelles Unterstützungsnetzwerk, das durch (unterstützungsfähige und - willige) Mitglieder der (erweiterten) Familie oder ihrer größeren ethnischen Gruppe gebildet wird, ist auch nach Auffassung von UNHCR im Falle von alleinstehenden, leistungsfähigen Männern ohne besonderen Schutzbedarf trotz der schlechten Lebensbedingungen in Afghanistan nicht geboten, um zu verhindern, dass im Falle der Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein kontinuierlicher Prozess in Gang gesetzt wird, in dem sie verelenden und bleibende schwere physische und seelische Schäden davontragen. Denn von diesen kann erwartet werden, ohne Unterstützung von Familie und Gemeinschaft in urbanen und semi-urbanen Umgebungen zu leben, die die notwendige Infrastruktur sowie Erwerbsmöglichkeiten zur Sicherung der Grundversorgung bieten und unter tatsächlicher staatlicher Kontrolle stehen, wobei allerdings dennoch immer eine einzelfallbezogene Analyse vorzunehmen ist.
389 
UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 19.04.2016, S. 10 und S. 99, wobei in der nachfolgenden Stellungnahme des UNHCR vom Dezember 2016 (Anmerkungen zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des deutschen Bundesministerium des Inneren - Dezember 2016) insofern keine Änderungen der Bewertung vorgenommen wurden (vgl. dort zur Aufrechterhaltung der Erwägungen der Richtlinien vom 19.04.2016: S. 7 f.).
390 
Von nicht unerheblicher Bedeutung kann allerdings sein, ob die Betroffenen eine der beiden in Afghanistan gesprochenen Sprachen (Paschtu und Dari) beherrschen und sich somit hinreichend verständigen können.
391 
Zu diesem Kriterium vgl. BayVGH, Urteil vom 16.01.2014 - 13a B 13.30025 -, Leitsatz sowie juris Rn. 25 (Sicherung des Existenzminimums für einen afghanischen Rückkehrer ohne Kenntnisse einer der Landessprachen verneint, wenn kein Vermögen vorhanden und keine familiäre Unterstützung zu erlangen ist).
392 
Dies ist bei dem Kläger der Fall. Weiter ist zu beachten, dass der den Erkenntnismitteln zu entnehmende Zusammenhalt unter den Volkszugehörigen der Hazara dem Kläger bei einer Rückkehr nach Kabul zugutekommen kann, da für Hazara beim Zuzug in eine neue Stadt die Möglichkeit besteht, auf ein Netzwerk um die örtliche Moschee oder eine religiöse bzw. eine Wohlfahrtseinrichtung zurückzugreifen.
393 
EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 68.
394 
Bereits aus dieser Möglichkeit ergibt sich, dass die Volkszugehörigkeit des Klägers seiner Existenzsicherung nicht entgegensteht. Aus den obigen Ausführungen unter I. 2. b) folgt weiter, dass die mögliche Alltagsdiskriminierung der Hazara sich nicht mit der hier zu prüfenden beachtlichen Wahrscheinlichkeit existenzbedrohend für den Kläger auswirkt. Insbesondere gibt es trotz der großen Zahl der Hazara in Kabul keine Berichte darüber, dass Hazara typischerweise keine Arbeit und/oder keine Unterkunft erhalten würden.
395 
(3) Das Erwirtschaften eines - wenn auch womöglich sehr geringen - Einkommens wird dem Kläger trotz des angespannten Arbeitsmarkts wenigstens als Tagelöhner möglich sein. Insbesondere vermag der Senat aus dem diagnostizierten „Zustand nach einer Extensionsfraktur des distalen Radius rechts“ nicht den Schluss zu ziehen, dass der Kläger in erheblicher Weise bei der Arbeitsplatzsuche eingeschränkt wäre. Denn die von ihm beauftragte Fachärztin für Chirurgie kommt in ihrer Bescheinigung vom 8. November 2011 zu dem Ergebnis, dass kein schwer einschränkender Dauerschaden vorläge sondern nur leichte Belastungsschmerzen zu verzeichnen seien. Ausgehend von diesen fachärztlichen Aussagen lässt sich eine mögliche, erhebliche Einschränkung bei der Arbeitsplatzsuche – etwa weil bereits eine Vielzahl von Angeboten aus körperlichen Gründen abgelehnt werden müssten – nicht feststellen.
396 
Unterstellt man die Angaben des Klägers zu seiner Beschäftigung und seinen Lebensumständen im Iran, so hat er dort im Übrigen bewiesen, dass er auf sich allein gestellt auch unmittelbar nach dem Handgelenksbruch flexibel genug reagieren konnte und Tätigkeiten im Reinigungs- und Bewachungsgewerbe finden konnte. Dies lässt jedenfalls nicht den Schluss zu, dass er zu einer erfolgreichen Arbeitsplatzsuche nicht in der Lage wäre.
397 
(4) Zwar sind die Lebenshaltungskosten für den Kläger in Kabul hoch. Ausgehend von vorstehenden Ausführungen (ohne Unterbringungskosten) sind sie mit mindestens 100 EUR pro Monat zu bemessen, die Mietkosten werden mit mindestens 88 US$ bzw. 4.000 Afghani bzw. 75 EUR pro Monat angegeben
398 
S.o., insbesondere zu den monatlichen Lebenshaltungskosten von mindestens 100 EUR: BAMF/ZIRF/IOM, ZIRF-Anfrage Wohnraumsituation I: Lebenshaltungskosten in Kabul für alleinstehenden Mann, 09.05.2017 sowie zum Preis von ab 4.000 Afghani für ein Einzelzimmer: Schuster, Risks on return to Kabul, 12.08.2016, S. 16/Rn. 42.
399 
Der Kläger hat die Möglichkeit, zunächst im Jangalak-Zentrum zu wohnen, sich von dort um Arbeit und Unterkunft - beides ggf. auf niedrigem Niveau - zu bemühen und - sollte es nicht anders gehen - vorübergehend in einer der informellen Siedlungen unterzukommen. Dass die fraglos beklagenswerten Zustände in solchen Siedlungen insgesamt flächendeckend derart desolat sind, dass sie gleichsam für jeden Bewohner und damit auch für die kinderlosen Kläger mit den hohen Anforderungen des Art. 3 EMRK nicht zu vereinbaren wären, vermag der Senat nicht festzustellen.
400 
(5) Der Senat geht dabei allerdings davon aus, dass die dargestellten Rückkehrerhilfen für die Frage der Existenzsicherung der Kläger keine nachhaltige Bedeutung haben können, da sie bestenfalls eine anfängliche Unterstützung bzw. einen nur vorübergehenden Ausgleich schaffen können. Die 500,- EUR, die die Kläger bei einer Entscheidung zur freiwilligen Rückkehr über das REAG/GARP-Programm erhalten würden, vermögen ihnen nur eine überschaubare Erleichterung zu bieten. Auch die Leistungen des ERIN-Programms stellt der Senat nicht in die Beurteilung ein. So besteht kein Rechtsanspruch auf diese Leistungen, weswegen unklar ist, ob der Kläger überhaupt Leistungen erhalten würd. Im Übrigen ist auch nicht im Voraus bestimmbar, welche Leistungen im Falle einer Leistungsgewährung vor Ort in Betracht gezogen werden könnten.
401 
Vgl. dazu VGH Bad.-Württ., Urteil vom 03.11.2017 - A 11 S 1704/17 -.
402 
Gleiches gilt für die Geldleistungen des im Dezember 2017 neu aufgelegten StarthilfePlus-Programms, auf die ein Rechtsanspruch nicht besteht. Auch welche Sachleistungen im Rahmen des bis 28. Februar 2018 befristeten Reintegrations-Programms der StarthilfePlus womöglich gewährt werden könnten, ist angesichts des erst vor Ort auszuarbeitenden Reintegrationsplans völlig offen.
403 
(6) Schließlich ist auch im Hinblick auf die durchaus schwierige Sicherheitslage in Kabul ein Verstoß im Sinne von § 60 Abs. 5 AufenthG, Art. 3 EMRK nicht festzustellen. So entspricht die Gefahrendichte in der Provinz Kabul insbesondere nicht der, wie sie im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts zur Gewährung subsidiären Schutzes (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG) erforderlich wäre, was oben bereits erläutert worden ist.
404 
Zur Heranziehung dieses Kriteriums im Rahmen des Art. 3 EMRK bzw. des § 60 Abs. 5 AufenthG vgl. etwa VGH Bad.-Württ., Urteile vom 09.11.2017 - A 11 S 789/17 -, juris; vom 26.02.2014 - A 11 S 2519/19 -, vom 14.08.2013 - A 11 S 688/13 - und vom 24.07.2013 - A 11 S 727/13 -.
405 
2. Auch auf der Grundlage von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist ein nationales Abschiebungsverbot nicht gegeben.
406 
a) Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht.
407 
Dies kann aus individuellen Gründen - etwa wegen drohender An- oder Übergriffe Dritter oder auf Grund von Krankheit - der Fall sein (a)), kommt aber ausnahmsweise auch infolge einer allgemein unsicheren oder wirtschaftlich schlechten Lage im Zielstaat in Betracht (b)).
408 
aa) Vom Tatbestand des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG werden existentielle Gefahren wie Tötung, Folter, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung umfasst
409 
- Koch, in: BeckOK Ausländerrecht, Stand 15.08.2016, § 60 Rn. 40; Möller/Stiegeler, in: Hofmann u.a., Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, § 60 Rn. 33 -,
410 
sowie insbesondere auch solche auf Grund von Krankheit.
411 
Vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 12.07.2015 - 1 B 84.16 - Rn. 4 m.w.N. sowie insgesamt auch BVerwG, Urteile vom 17.10.2006 - 1 C 18.05 - NVwZ 2007, 712, juris Rn. 14 ff.; vom 29.10.2002 - 1 C 1.02 - NVwZ 2003, Beilage Nr. I 7, 53 juris Rn. 9; vom 29.07.1999 - 9 C 2.99 -, juris Rn. 7 und vom 25.11.1997 - 9 C 58.96 -, NVwZ 1998, 524.
412 
Dabei reicht es entsprechend dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit nicht aus, wenn eine Verfolgung oder sonstige Rechtsgutverletzung im Bereich des Möglichen liegt. Vielmehr muss sie bei zusammenfassender Bewertung des Sachverhalts und verständiger Würdigung aller objektiven Umstände dahingehend vorliegen, dass bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen eine ernsthafte Furcht vor der Rechtsgutverletzung gerechtfertigt ist, die für eine Rechtsgutverletzung sprechenden Umstände also größeres Gewicht haben als die dagegen sprechenden Tatsachen, wobei auch die Zumutbarkeit eines mit der Rückkehr verbundenen Risikos und der Rang des gefährdeten Rechtsguts von Bedeutung sind.
413 
Vgl. zusammenfassend HTK-AuslR/§ 60 AufenthG/zu Abs. 7 Satz 1 bis 4/ Rn. 8 und Möller/Stiegeler, in: Hofmann u.a., Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, § 60 Rn. 32, beide m.w.N., sowie zum Maßstab bei individuellen Gründen u.a. auch BVerwG, Beschluss vom 18.07.2001 - 1 B 71.01 -, juris sowie Urteile vom 17.10.2006 – 1 C 18.05 -, NVwZ 2007, 712, juris Rn. 20 und vom 17.10.1995 – 9 C 9.95 -, NVwZ 1996, 1999, juris Rn. 16.
414 
bb) Neben den genannten individuellen Gefahren für Leib und Leben können unter bestimmten Voraussetzungen ausnahmsweise auch die generell herrschenden Lebensbedingungen im Zielstaat ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG begründen.
415 
Zwar sind allgemeine Gefahren - also auch die die Bevölkerung insgesamt treffenden (schlechten) Lebensbedingungen in einem Land - gemäß § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG bei Anordnungen zur vorübergehenden Aussetzung von Abschiebungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen und begründen demnach grundsätzlich kein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Eine Ausnahme liegt aber bei einer extremen Gefahrenlage vor, welche sich wiederum auch aus den den Ausländer erwartenden Lebensbedingungen ergeben kann. So können die im Zielstaat herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage einen Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ausnahmsweise begründen, wenn bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit eine extreme Gefahrenlage vorläge. Denn dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren. Ob dies der Fall ist, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden.
416 
Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit strengeren Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Dieser hohe Wahrscheinlichkeitsgrad ist ohne Unterschied in der Sache in der Formulierung mit umschrieben, dass die Abschiebung dann ausgesetzt werden müsse, wenn der Ausländer ansonsten gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde. Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren. Das bedeutet nicht, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Abschiebung, eintreten müssen. Vielmehr besteht eine extreme Gefahrenlage beispielsweise auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde.
417 
Dazu u.a. BVerwG, Urteile 13.06.2013 – 10 C 13.12 -, NVwZ 2013, 1489 Rn. 12 f.; vom 31.01.2013 – 10 C 15.12 -, Rn. 38.; vom 29.09.2011 – 10 C 24.10 -, NVwZ 2012, 451 Rn. 20; vom 08.09.2011 - 10 C 14.10 -, NVwZ 2012, 240 Rn. 22 f. und vom 29.06.2010 - 10 C 10.09 -, juris Rn. 14 f.; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 – 10 C 15.12 -, Rn. 28 zu den unterschiedlichen rechtlichen Maßstäben von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG60 Abs. 2 AufenthG a.F.) sowie auch Art. 3 EMRK einerseits und § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG andererseits.
418 
Von diesem Maßstab ausgehend gewährt § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG unter dem Gesichtspunkt der extremen Gefahrenlage keinen weitergehenden Schutz, als es § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK tut. Liegen also die Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK wegen schlechter humanitärer Bedingungen nicht vor, so scheidet auch eine im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG relevante, extreme Gefahrenlage aus.
419 
b) Danach hat der Kläger keinen Anspruch auf die Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
420 
aa) Zum einen besteht keine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit des Klägers aus individuellen Gründen. Insbesondere führen die vorhandenen leichten Belastungsschmerzen am Handgelenk nicht auf eine solche Gefahr.
421 
bb) Zum anderen lässt sich auch aus den dargestellten, schlechten Lebensverhältnissen in Afghanistan ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht begründen. Denn die beschriebenen hohen Anforderungen, aus denen wegen einer extremen Gefahrenlage ausnahmsweise ein solches Abschiebungsverbot hergeleitet werden könnte, liegen nicht vor. So vermögen die - fraglos schlechten - Lebensverhältnisse vorliegend schon keinen Verstoß gegen Art. 3 EMRK zu begründen (s.o.). Dass gerade der Kläger als leistungsfähiger, erwachsener Mann ohne Unterhaltsverpflichtungen im Falle einer Rückkehr alsbald sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert sein würde, kann der Senat danach nicht festzustellen. So liegen etwa Anhaltspunkte dahin, dass der Kläger mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod preisgegeben wäre, nicht vor.
III.
422 
Die Berufung ist daher insgesamt mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2, zurückzuweisen. Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 83b AsylG.
423 
Gründe im Sinne des § 132 Abs. 2 VwGO, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.

Gründe

 
15 
Die zulässige Berufung bleibt ohne Erfolg.
16 
Dem Kläger kommt weder der geltend gemachte Anspruch auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes noch der hilfsweise geltend gemachte Anspruch auf Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots zu. Die ablehnende Entscheidung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge erweist sich daher als rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in eigenen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
I.
17 
Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes, da er keine stichhaltigen Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsstaat ein ernsthafter Schaden droht, § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG. Dies gilt für alle drei Varianten des ernsthaften Schadens im Sinne des § 4 AsylG, die in § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bis Nr. 3 AsylG aufgeführt sind.
18 
1. Dem Kläger droht weder die Verhängung noch die Vollstreckung der Todesstrafe (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG).
19 
2. Ebenso wenig droht ihm Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG. Der Kläger bringt nicht mit Erfolg vor, individuell unmittelbar von dem Eintritt eines ernsthaften Schadens bedroht zu sein. Soweit er sich auf die Gefährdungen beruft, die sich aus den allgemeinen Lebensbedingungen in Afghanistan ergeben, fehlt es insoweit bereits an einem Verfolgungsakteurs im Sinne des § 3c AsylG und des Art. 6 RL 2011/95/EU vom 13.12.2011, ABl EU L 337/95. Im Übrigen besteht für den Kläger derzeit keine tatsächliche Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK für den Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan (dazu unten unter II.).
20 
a) Der Begriff der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG ist im Gesetz nicht näher definiert. Da die Vorschrift der Umsetzung der RL 2011/95/EU dient, ist sie in Übereinstimmung mit dem entsprechenden Begriff in Art. 15b RL 2011/95/EU auszulegen. Unter Heranziehung der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zu Art. 15b RL 2011/95/EU und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 3 EMRK ist unter einer unmenschlichen Behandlung die absichtliche, d.h. vorsätzliche Zufügung schwerer körperlicher oder seelischer Leiden, die im Hinblick auf Intensität und Dauer eine hinreichende Schwere aufweisen, zu verstehen.
21 
EGMR, Urteile vom 21.01.2011 - 30696/09 - (M.S.S./Belgien und Griechenland), NVwZ 2011, 413 Rn. 220 m.w.N. sowie vom 11.07.2006 - 54810/00 - (Jalloh/ Deutschland), NJW 2006, 3117 Rn. 67; BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 - 10 C 15.12 -, NVwZ 2013, 1167 Rn. 22 ff. m.w.N.; siehe auch Hailbronner, Ausländerrecht, Mai 2017, § 4 AsylG Rn. 22 ff. und Jarass, Charta der Grundrechte, 3. Aufl. 2016, Art. 4 Rn. 9.
22 
Es muss zumindest eine erniedrigende Behandlung in der Form einer einen bestimmten Schweregrad erreichenden Demütigung oder Herabsetzung vorliegen. Diese ist dann gegeben, wenn bei dem Opfer Gefühle von Furcht, Todesangst und Minderwertigkeit verursacht werden, die geeignet sind, diese Person zu erniedrigen oder zu entwürdigen und möglicherweise ihren psychischen oder moralischen Widerstand zu brechen.
23 
Vgl. auch dazu im Einzelnen ausführlich Hailbronner, Ausländerrecht, Mai 2017, § 4 AsylG Rn. 22 ff., insbesondere Rn. 24, 25.
24 
Im Rahmen des subsidiären Schutzes gilt für die Beurteilung der Frage, ob ein ernsthafter Schaden droht, der einheitliche Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit. Dieser aus dem Tatbestandsmerkmal „... tatsächlich Gefahr liefe ..." des Art. 2f RL 2011/95/EU abzuleitende Maßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, der bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr abstellt („real risk“).
25 
BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 -, NVwZ 2012, 454 Rn. 20; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 20.03.2013 - 10 C 23.12 -, NVwZ 2013, 936 Rn. 32.
26 
Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab, der der Prognose zugrunde zu legen ist, gilt unabhängig davon, ob der Betroffene bereits vor seiner Ausreise einen ernsthaften Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG erlitten hat: Ein solcher Umstand stellte aber einen ernsthafter Hinweis dar, dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden. Dies folgt aus der Vermutungswirkung des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU.
27 
b) Ausgehend von diesen Maßstäben besteht keine tatsächliche Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Hinblick auf das individuelle Vorbringen des Klägers im Falle seiner Rückkehr. Insbesondere folgt eine solche Gefahr nicht aus seiner Zugehörigkeit zum Volk der Hazara.
28 
aa) Die Volksgruppe der Hazara stellt im Vielvölkerstaat Afghanistan - nach den Paschtunen (40 %) und den Tadschiken (25 %) - mit einem Anteil von etwa 10 % der Bevölkerung eine große Minderheit dar.
29 
Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19.10.2016 - Stand September 2016 -, S. 9; Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan, Republik Österreich Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vom 02.03.2017, aktualisiert am 27.06.2017, S. 55, 72, 94 und 96).
30 
Nach Schätzungen des Auswärtigen Amtes leben etwa drei Millionen Hazara in Afghanistan.
31 
Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19.10.2016 - Stand September 2016 -, S. 9.
32 
Teilweise wird abweichend hiervon eine Zahl von 2,7 bis 6 Millionen bzw. ein Anteil von 9 bis 20 % der Bevölkerung angegeben.
33 
Landinfo/Norwegian Country of Origin Information Centre: Report: Hazaras and Afghan insurgent groups, 03.10.2016, S. 6 m.w.N.).
34 
Hinsichtlich der maßgeblichen Vergleichsgröße wird in diesem Zusammenhang die Einwohnerzahl für das gesamte Land zwischen etwa 27 bis 34 Millionen angegeben (siehe unten S. 27).
35 
Bei den Hazara handelt es sich um ein Volk mongolischer Abstammung. Auf Grund dieser Herkunft sind sie optisch wegen ihrer tendenziell eher zentralasiatischen Gesichtszüge meist als ihrer Volksgruppe zugehörig zu erkennen.
36 
ÖRK/Accord, Afghanistan, Dokumentation des Expertengespräches mit Thomas Ruttig und Michael Daxner, 04.05.2016, S. 7; Stahlmann, ZAR 2017, 189 (190 f.); Landinfo/Norwegian Country of Origin Information Centre: Report: Hazaras and Afghan insurgent groups, 03.10.2016, S. 6.
37 
Sie sprechen vorwiegend einen Dialekt des Persischen namens Hazaragi, der mongolische und turksprachige Wörter enthält. Die Hazara waren einst die größte ethnische Gruppe Afghanistans. Mehr als die Hälfte der Hazara-Bevölkerung war allerdings bereits im Jahr 1893 getötet worden, als die Hazara nach einem politischen Aufstand ihre Autonomie eingebüßt hatten. Die meisten Hazara leben auch heute noch im sogenannten Hazarajat (auch: Hazarestan) im zentralen Bergland Afghanistans, dem „Land der Hazara“. Dessen ca. 50.000 Quadratkilometer großes Gebiet ist in seiner exakten Abgrenzung zwar umstritten, es umfasst jedenfalls den Bereich der Provinz Bamiyan sowie Teile benachbarter Provinzen. Andere Hazara leben in den Bergen von Badachschan (eine Provinz im äußersten Nordosten Afghanistans), aber auch in weiteren Teilen Afghanistans, etwa in Daikundi und Ghazni.
38 
Landinfo/Norwegian Country of Origin Information Centre: Report: Hazaras and Afghan insurgent groups, 03.10.2016, S. 6; vgl. auch zu weiteren Distrikten Accord, Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Lage der Hazara, Zugang zu staatlichem Schutz und Hintergründe des Konflikts zwischen Kuchis und Hazara, 02.09.2016, S. 17; vgl. auch das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan, Republik Österreich Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vom 02.03.2017, aktualisiert am 27.06.2017, S. 152, dort werden als Kernland der Region des Hazarat die Provinzen Bamiyan, Ghazni, Daikundi, der Westen der Provinz Wardak und Teile der Provinzen Ghor, Uruzgan, Parwan, Samangan, Baghlan, Balkh, Badghis und Sar-e Pol genannt.
39 
Der ganz überwiegende Teil der Hazara ist schiitischen Glaubens und stellt somit auch in religiöser Hinsicht - im Vergleich zu den mehrheitlich sunnitischen Muslimen des Landes - eine Minderheit dar.
40 
Vgl. insgesamt ausführlich: Accord, Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Aktuelle Situation der Volksgruppe der Hazara, 27.06.2016, S. 2 und 4 m.w.N. sowie auch ÖRK/Accord, Afghanistan, Dokumentation des Expertengespräches mit Thomas Ruttig und Michael Daxner, 04.05.2016, S. 7 und UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 19.04.2016, S. 59.
41 
bb) Für eine staatliche Verfolgung oder Diskriminierung der Hazara gibt es keine Anhaltspunkte.
42 
In der afghanischen Verfassung ist der Gleichheitsgrundsatz verankert. Sie schützt sämtliche ethnischen Minderheiten. Auch ist eine systematische, etwa auch nach dem Merkmal der Volkszugehörigkeit diskriminierende Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis für Afghanistan nicht erkennbar.
43 
Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19.10.2016 - Stand September 2016 -, S. 9 und S. 11; Landinfo/Norwegian Country of Origin Information Centre: Report: Hazaras and Afghan insurgent groups, 03.10.2016, S. 12 m.w.N.; Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan, Republik Österreich Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vom 02.03.2017, aktualisiert am 27.06.2017, S. 150; anschaulich auch Staatssekretariat für Migration SEM der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Notiz Afghanistan: Alltag in Kabul. Referat von Thomas Ruttig (Afghanistan Analysts Network) am 20. April 2017, 20.06.2017, S. 17.
44 
Nachdem die Hazara zuvor unter dem Regime der sunnitischen Taliban schwerwiegenden Misshandlungen - etwa auch Massakern und dem Vorenthalten von Nahrungsmitteln - ausgesetzt gewesen waren, konnten sie neben ihrer allgemeinen sozio-ökonomische Position insbesondere ihre gesellschaftliche Stellung auch in der Politik erheblich verbessern. So besetzte ein Hazara unter Präsident Karzai verschiedene hochrangige Regierungspositionen, u.a. auch das Amt des Vizepräsidenten. Auch ansonsten finden sich in hochrangigen Position in der öffentlichen Verwaltung und der Politik sowohl auf zentraler als auch lokaler Ebene Hazara. Die Hazara gelten insgesamt als in der Zivilgesellschaft gut vertreten.
45 
Landinfo/Norwegian Country of Origin Information Centre: Report: Hazaras and Afghan insurgent groups, 03.10.2016, S. 12 m.w.N.
46 
cc) Im alltäglichen, gesellschaftlichen Leben kommt es allerdings durchaus zu Diskriminierungen von Hazara. So wird - allgemein gehalten - davon berichtet, dass Hazara beständig sozial, rassisch oder religiös motivierter gesellschaftlicher Diskriminierung in Form von Gelderpressungen durch illegale Besteuerung, Zwangsrekrutierung, Zwangsarbeit, physischer Gewalt sowie Inhaftierung betroffen seien und sie beispielsweise auch innerhalb der Afghanischen Nationalen Sicherheitskräfte (ANSF) einem stärkeren Risiko ausgesetzt seien, in unsicheren Gebieten eingesetzt zu werden, als dies bei Nicht-Hazara-Beamten der Fall ist.
47 
Accord, Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Aktuelle Situation der Volksgruppe der Hazara, 27.06.2016, S. 5 f.; vgl. auch Accord, Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Lage der Hazara, Zugang zu staatlichem Schutz und Hintergründe des Konflikts zwischen Kuchis und Hazara, 02.09.2016, S. 2 m.w.N.; vgl. auch UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 19.04.2016, S. 87 sowie S. 59 Fn. 327, 328 sowie auch Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich - Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Afghanistan (Gesamtaktualisierung vom 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 27.06.2017), S. 153; außerdem: EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 114 m.w.N.; USDOS, Afghanistan 2016 Human Rights Report, 17.03.2017, S. 47.
48 
Ein Beispiel für die - jedenfalls als solche empfundene - Benachteiligung ist die Auseinandersetzung um den Verlauf einer Stromtrasse. Der Umstand, dass eine durch Bamiyan geplante internationale Hochspannungsleitung lediglich als Durchgangslinie angedacht war und nicht etwa das bislang nur durch eine staatliche Solaranlage (unter-) versorgte Bamiyan elektrifiziert werden sollte, wurde zum Ursprung einer Protestbewegung der Hazara, des sog. „Enlightenment Movement“.
49 
SRF, Bericht: Schiiten in Afghanistan - Das Volk der Hazara will mehr Licht; Diskriminiert - die Minderheit der Hazara in Afghanistan, 16.03.2017; vgl. auch Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19.10.2016 - Stand September 2016 -, S. 9 f.; vgl. dazu auch im Weiteren zur Demonstration der Hazara bzw. der Enlightenment-Bewegung vom 23. Juli 2016, die zum Ziel eines verheerenden Anschlags von IS-Kräften wurde.
50 
dd) Daneben gibt es aber auch positive Entwicklungen. So stellt der Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 19. Oktober 2016 dar, dass sich die Lage der ca. 3.000.000 Hazara in Afghanistan grundsätzlich verbessert hat, auch wenn sie in der öffentlichen Verwaltung weiterhin unterrepräsentiert sind, was aber auch noch eine Nachwirkung vergangener Zeiten sein könnte.
51 
Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19.10.2016 - Stand September 2016 -, S. 9.
52 
Ähnliches lässt sich auch der Darstellung des UNHCR entnehmen, der von erheblichen politischen und wirtschaftlichen Fortschritten der Hazara seit dem Ende des Taliban Regimes im Jahr 2001 berichtet und u.a. auf die Anzahl der schiitischen Parlamentsmitglieder verweist, die in etwa dem Anteil der Schiiten in der Bevölkerung entspreche. Die Diskriminierung von Schiiten durch Sunniten hat danach deutlich abgenommen und aus Kabul sowie aus größeren Randgebieten seien keine Vorfälle mehr gemeldet worden. In Herat würden - bei einem großen schiitischen Bevölkerungsanteil - sowohl schiitische als auch sunnitische Führer von einem weitgehend harmonischen Zusammenleben berichten.
53 
UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 19.04.2016, S. 87, 59, dort insbesondere auch Fn. 326 unter Verweis auf den Bericht des US Department of State vom 14.10.2015: 2014 Report on International Religious Freedom - Afghanistan vgl. zur signifikanten Verbesserung der Lage der Hazara seit dem Sturz der Taliban im Jahr 2001 auch Landinfo/Norwegian Country of Origin Information Centre,: Report: Hazaras and Afghan insurgent groups, 03.10.2016, S. 3.
54 
In seinen Anmerkungen zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des deutschen Bundesministeriums des Innern von Dezember 2016
55 
- UNHCR, Anmerkung zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des deutschen Bundesministeriums des Innern, Dezember 2016, S. 5 f. -
56 
berichtet der UNHCR, dass Hazara-Familien aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit als Binnenflüchtlinge in der vergleichsweise ruhigen Provinz Bamiyan aufgenommen wurden, nachdem im Herbst 2016 Dörfer von Hazara im Rahmen der Taliban-Aufstände gegen regierungsnahe Kräfte angegriffen worden sind. Auch kam es zu Verhandlungen zwischen Gruppen der Hazara und der Taliban, durch die bereits einige Angelegenheiten geklärt werden konnten. In Ghazni haben die Taliban und die Hazaras einen Nichtangriffspakt geschlossen, auf der Grundlage, dass den Taliban erlaubt wurde, bestimmte Straßen durch die Gebiete der Hazara zu nutzen.
57 
Norwegian Country of Origin Information Centre, Landinfo, Report Afghanistan: Hazaras and Afghan insurgent groups, 03.10.2016, S. 18 f., vgl. auch S. 20 f.
58 
Hieraus allerdings eine sich verfestigende Lage oder gar eine dauerhafte Entwicklung ableiten zu wollen, ist angesichts der sich ständige ändernden Verbindungen, Partei- und Fraktionswechsel der verschiedenen Akteure (etwa der Bewegungen zwischen und auch innerhalb der Taliban, der IS-Bewegungen und sonstigen Gruppen) gegenwärtig nicht angezeigt.
59 
Vgl. zu den von jeher üblichen „pragmatischen“ Doppelallianzen, Wechseln in den Loyalitäten, persönlichen Verbindungen, Meinungsunterschieden und -umschwüngen insbesondere der regierungsfeindlichen Gruppen eindrücklich: Stahlmann, ZAR 2017, 189 (S. 190 ff.), insbes. S. 192 sowie auch ÖRK/Accord, Afghanistan, Dokumentation des Expertengespräches mit Thomas Ruttig und Michael Daxner, 04.05.2016, S. 22 f.
60 
Vielmehr verbleibt es insgesamt bei einer unsicheren Situation, in der auch nicht von einer gleichförmigen Lage sämtlicher hazarischen Volkszugehörigen die Rede sein kann. So arbeiten die Hazara teilweise mit den Taliban zusammen oder gehören ihnen sogar an
61 
- EASO Country of Origin Information Report: Afghanistan - recruitment by armed groups, September 2016, S. 19 -,
62 
zuweilen findet - angesichts der üblicherweise schiitischen Religionszugehörigkeit der Hazara allerdings nur in Ausnahmefällen - sogar eine Rekrutierung von Hazara durch die (sunnitischen) Taliban statt.
63 
ÖRK/Accord, Afghanistan, Dokumentation des Expertengespräches mit Thomas Ruttig und Michael Daxner, 04.05.2016, S. 22.
64 
ee) Auch aus einer für Volkszugehörige der Hazara prekären Sicherheitslage lässt sich nicht auf darauf schließen, dass grundsätzlich jeder Angehöriger der Gruppe nur wegen dieser Eigenschaft mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Eingriffe in Leib oder Leben zu gewärtigen hätte.
65 
Die Vorfälle, durch die Hazara - oft auch als Angehörige der schiitischen Religion - betroffen waren bzw. verletzt oder sogar getötet wurden, sind zahlreich, was die nachfolgenden (nicht abschließenden) Ereignisse verdeutlichen.
66 
Im März 2016 wurden in der Provinz Sar-e Pol elf, im Juni 2016 17 Hazara entführt. Letztere wurden nach wenigen Tagen wieder freigelassen. Am 6. Juli 2016 töteten Taliban 22 Polizisten, die Angehörige der Hazara waren.
67 
Accord, Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Lage der Hazara, Zugang zu staatlichem Schutz und Hintergründe des Konflikts zwischen Kuchis und Hazara, 02.09.2016, S. 6 f. und S. 15 f. sowie außerdem im Bericht insgesamt auch ausführlich zu weiteren Vorfällen vor 2016; US Department of State, Afghanistan 2016 Human Rights Report, 17.03.2017, S. 3.
68 
Am 23. Juli 2016 ereignete sich in Kabul äußerst gravierender und „öffentlichkeitswirksamer“ Anschlag auf Angehörige der Hazara, der im Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19. Oktober 2016 - also aus einer Zeit vor dem schweren Anschlag vom 31. Mai 2017 - als schwerster Selbstmordanschlag in der afghanischen Geschichte bezeichnet wurde.
69 
Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19.10.2016 - Stand September 2016 -, S. 10.
70 
Bei einem Angriff auf eine Kundgebung der zuvor erwähnten „Enlightenment“-Bewegung in Kabul, zu dem sich die dem Islamischen Staat (auch bezeichnet als Daesh) zugehörige Splittergruppe ISKP (Islamic State Khorasan Province, auch ISIL-KP) bekannte, starben 80 Personen.
71 
UNHCR, Anmerkung zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des deutschen Bundesministeriums des Innern, Dezember 2016, S. 6; Accord, Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Lage der Hazara, Zugang zu staatlichem Schutz und Hintergründe des Konflikts zwischen Kuchis und Hazara, 02.09.2016, S. 8; Norwegian Country of Origin Information Centre, Landinfo, Report Afghanistan: Hazaras and Afghan insurgent groups vom 03.10.2016, S. 25; dort auch zur IS-Gruppe ISKP als einer Splittergruppe dies Islamischen Staats (IS), der auch Daesh genannt wird, ausführlich auf S. 22 ff. des Berichts sowie auch: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich - Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Afghanistan (Gesamtaktualisierung vom 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 27.06.2017), S. 18 und 30;
72 
Am 11. Oktober 2016 kam es zu zwei Angriffen auf schiitische Einrichtungen (einen Schrein und die Azrat-Moschee), bei denen mindestens 13 Zivilisten getötet wurden. Am 21. November 2016 wurde eine weitere schiitische Moschee in Kabul (Baqir-Ul-Olum) angegriffen, wobei 27 Zivilisten getötet und mindestens 30 verletzt wurden.
73 
Zu den (jeweils auch abweichenden) Zahlen: UK Home Office, Country Policy and Information Note - Afghanistan: Security and humanitarian situation, August 2017, S. 25; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 19. Juni 2017 zu Afghanistan: Sicherheitslage in Kabul, 19.06.2017, S. 5 f., 11 und 16 f. m.w.N.; Ecoi.net, Themendossier: Allgemeine Sicherheitslage in Afghanistan und Chronologie für Kabul, 11.04.2017, S. 10; Ecoi.net, Themendossier: Allgemeine Sicherheitslage in Afghanistan und Chronologie für Kabul, 11.04.2017, S. 10.
74 
Im Gegensatz zu den Selbstmordanschlägen und komplexen Attacken der Taliban richten sich vom ISKP durchgeführte Anschläge auch absichtlich gegen Zivilisten, insbesondere gegen die Hazara als schiitische Minderheit, da diese auch wegen der Teilnahme afghanischer Schiiten am Kampf gegen den IS auf Seiten des syrischen Regimes im Fokus des ISKP steht.
75 
Vgl. dazu den Bericht des Auswärtigen Amts zur Lagebeurteilung für Afghanistan nach dem Anschlag am 31. Mai 2017 - Stand Juli 2017 -, S. 10.
76 
Die Vorfälle zum Nachteil von Hazara setzten sich auch im Jahr 2017 fort. Bereits am 1. Januar 2017 forderte eine Sprengstoffexplosion in einer schiitischen Moschee in Herat ein Todesopfer. Fünf Menschen wurden verletzt. Regierungsfeindliche Kräfte hielten am 6. Januar 2017 in der Provinz Baghlan einen Bus mit Minenarbeitern, die hauptsächlich Hazara waren, an. Sie töteten acht Passagiere und verletzten drei weitere. In Sar-e Pol wurden durch Anhänger des ISKP am 15. März 2017 drei Hazara getötet. Sie wurden erschossen und anschließend geköpft. Am 12. Mai 2017 verübte der Daesh/ISKP mittels einer ferngesteuerten Sprengvorrichtung einen Anschlag auf eine Bäckerei in einem schiitisch geprägten Stadtviertel vom Herat nahe einer religiösen Versammlung, bei dem sieben Menschen getötet und 17 verletzt wurden. Auch zu einem weiteren Anschlag auf eine schiitische Moschee in Kabul am 15. Juni 2017, bei dem fünf Zivilisten getötet und sieben weitere verletzt worden waren, bekannte sich der ISKP.
77 
UNAMA Midyear Report 2017: Afghanistan - protection of civilians in armed conflict, Juli 2017, S. 46 und 49.
78 
Bei zwei weiteren Angriffen auf schiitische Moscheen in Kabul und in der Provinz Ghor am 20. Oktober 2017 wurden in Kabul mindestens 39 Personen, möglicherweise sogar 65 Personen getötet und 67 weitere verletzt; in Ghor wurden bis zu 33 Menschen getötet. Bei gegen die schiitische Minderheit gerichteten Anschlägen wurden im Zeitraum zwischen Januar und Ende Oktober 2017 insgesamt mindestens 149 Menschen getötet und 300 verletzt, wobei für den überwiegenden Anteil vermutlich der ISKP verantwortlich ist.
79 
Human Rights Watch: The Pain Behind the Numbers of Afghanistan’s Deadly Attacks, 23.10.2017; Spiegel-online, Terror in Afghanistan - Mehr als 50 Tote bei Attentaten auf Moscheen, 20.10.2017.
80 
Angesichts der vorstehenden Ausführungen und auch im Hinblick auf die im Verhältnis zur Gesamtzahl der in Afghanistan lebenden Hazara nicht ausreichend gewichtigen Anzahl vermag der Senat insgesamt trotz der dargestellten Vielzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle zum Nachteil von Hazara nicht festzustellen, dass über eine „nur“ latente oder potentielle Gefährdung hinausgehend jeder Angehörige der Gruppe mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Eingriffe in Leib oder Leben zu gewärtigen hätte und ein Grad erreicht wäre, der den Rückschluss darauf zuließe, dass allein aus der Zugehörigkeit zu der Volksgruppe eine tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens iSd. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG bestünde.
81 
Dabei kann schon nicht aus dem Umstand, dass die Opfer der Vorfälle hazarische Volkszugehörige sind, ohne weiteres darauf geschlossen werden, dass diese Vorfälle ihren Grund gerade in der Volks- oder auch in der schiitischen Religionszugehörigkeit der Geschädigten haben, auch wenn dies für einzelne Ereignisse klar ist oder jedenfalls naheliegend.
82 
Vgl. etwa für den Anschlag auf die Demonstration vom 23. Juli 2016 oder die Anschläge auf schiitische Moscheen in der zweiten Hälfte des Jahrs 2016, vgl. dazu UNAMA, Annual Report 2016: Afghanistan - protection of civilians in armed conflict, Februar 2017, S. 41 f. sowie auch UK Home Office, Country Policy and Information Note. Afghanistan: Security and humanitarian situation Office, August 2017, S. 19. Vgl. zur verneinten Frage einer Gruppenverfolgung im Übrigen auch: BayVGH, Beschlüsse vom 20.01.2017 - 13a ZB 16.30996 -, juris Rn. 11 f.; vom 04.01.2017 - 13a ZB 16.30600 -, juris Rn. 6; und vom 19.12.2016 - 13a ZB 16.30581 -, juris Rn. 4; außerdem auch jüngere untergerichtliche Entscheidungen: eingehend VG Lüneburg, Urteile vom 15.05.2017 - 3 A 156/16 -, juris Rn. 24 ff. und vom 13.06.2017 - 3 A 136/16 -, juris Rn. 25 ff.; außerdem VG Cottbus, Urteil vom 01.08.2017 - 5 K 1488/16.A -, juris Rn. 21 ff.; VG Berlin, Urteil vom 14.06.2017 - 16 K 207/17 A -, juris Rn. 20; VG Osnabrück, Urteil vom 15.03.2017 - 1 A 19/17 -, asyl.net, S. 8 UA; VG Düsseldorf, Urteil vom 05.01.2017 - 18 K 2043/15.A -, juris Rn. 28 ff.
83 
Der Senat verkennt nicht, dass unter den sicherheitsrelevanten Vorfällen in Kabul in jüngerer Zeit wiederholt solche zu verzeichnen waren, die sich gegen Volkszugehörige der Hazara bzw. Angehörige des schiitischen Glaubens gerichtet haben, etwa der bereits mehrfach erwähnte Anschlag vom 23. Juli 2016 (80 Tote) sowie die genannten Angriffe auf schiitische Moscheen bzw. Einrichtungen am 11. Oktober 2016 (mindestens 13 Tote), am 21. November 2016 (27 Tote), am 15. Juni 2017 (5 Tote) und am 20. Oktober 2017 (mindestens 39 Tote). Angesichts der über eine Million Hazara, die in Kabul leben, vermag auch dies die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens im Falle der Abschiebung nicht zu begründen.
84 
c) Die Gewährung subsidiären Schutzes auf Grundlage von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG kommt auch nicht unter dem allgemeinen Gesichtspunkt der schlechten humanitären Situation in Afghanistan in Betracht. Denn es fehlt am erforderlichen Akteur § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG i.V.m. § 3c AsylG.
85 
Trotz der inhaltlichen Kongruenz von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG („Als ernsthafter Schaden gilt:... Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung ...“) und Art. 3 EMRK („Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.“)
86 
- vgl. dazu sowie auch zu Unterschieden: Storey, in: Hailbronner/Thym, EU Immigration and Asylum Law, 2. Aufl. 2016, Part D III, Art. 15 Rn. 3 f. -
87 
führt das Vorliegen der tatsächlichen Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK nicht zwingend zu einer Zuerkennung subsidiären Schutzes. Denn es reicht nicht aus, dass die Voraussetzungen eines Tatbestandes nach § 4 Abs. 1 AsylG erfüllt sind. Vielmehr sind - neben § 4 Abs. 2 AsylG - gemäß § 4 Abs. 3 AsylG auch die Anforderungen der § 3c bis 3e AsylG zu beachten, die für den subsidiären Schutz entsprechend gelten. Erforderlich ist daher, dass die Gefahr eines ernsthaften Schadens von einem der in § 3c AsylG genannten Akteure ausgeht, also vom Staat, von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die vorgenannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor einem ernsthaften Schaden beziehungsweise der tatsächlichen Gefahr eines ernsthaften Schadens zu bieten.
88 
VGH Bad.-Württ., Urteil vom 03.11.2017 - A 11 S 1704/17 -, juris
89 
Es ist in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union geklärt, dass ein ernsthafter Schaden im Sinne des Art. 15b RL 2011/95/EU eine Situation nicht erfasst, in der eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung auf fehlende Behandlungsmöglichkeiten einer Krankheit im Herkunftsstaat zurückzuführen ist, solange die notwendige Versorgung nicht absichtlich verweigert wird. Dies folgt u.a. daraus, dass Art. 6 RL 2011/95/EU eine Liste der Akteure enthält, von denen ein ernsthafter Schaden ausgehen kann. Schäden im Sinne des Art. 15 RL 2011/95/EU müssen daher von bestimmten Dritten verursacht werden.
90 
EuGH, Urteil vom 18.12.2014 - C-542/13 - (M´Bodj), NVwZ-RR 2015, 158, insb. Rn. 35 und 41.
91 
Dies bekräftigend hat auch Generalanwalt ausgeführt, aus der Auslegung von Art. 6 RL 2004/83/EG - der Fall betrifft das Vereinigte Königreich - folge, dass die in Rede stehenden ernsthaften Schäden durch das Verhalten eines Dritten verursacht werden müssen. Ein Anspruch auf subsidiären Schutz ist nämlich nicht schon dann begründet, wenn nachgewiesen wird, dass für den Betroffenen bei einer Rückkehr in sein Herkunftsland die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung bestünde. Es muss auch nachgewiesen werden, dass diese Gefahr auf Faktoren beruht, die den Behörden dieses Landes direkt oder indirekt anzulasten und ihnen stets bewusst sind, und zwar entweder weil die Behörden des Staates, dem der Betroffene angehört, ihn persönlich bedrohen oder diese Bedrohung tolerieren, oder weil diese Bedrohung auf unabhängige Gruppen zurückgeht, vor denen die Behörden ihre Staatsangehörigen nicht wirksam schützen können.
92 
GA Bot, Schlussanträge vom 24.10.2017 - C-353/16 - (MP/Vereinigtes Königreich), Rn. 28 - 30.
93 
Insbesondere trifft es nicht zu, dass Art. 3 EMRK eine erweiternde Auslegung von Art 15b RL 2011/95/EU gebieten würde
94 
so aber: Giesler/Wohnig, Uneinheitliche Entscheidungspraxis zu Afghanistan - Eine Untersuchung zur aktuellen Afghanistan-Entscheidungspraxis des BAMF und der Gerichte (Ergänzte Fassung zur Kurzfassung aus Asylmagazin 2017, 223) (asyl.net), dort S. 11,
95 
denn mit einer möglichen Versagung internationalen Schutzes wird unionsrechtlich nicht abschließend darüber entschieden, ob eine Rückführung in den Herkunftsstaat rechtlich zulässig ist, was sich u.a. aus Art. 5 RL 2008/115/EG ergibt. Der zu prüfende Grundsatz der Nichtzurückweisung ist hier umfassend und damit auch auf Art. 3 EMRK bezogen zu verstehen und damit weiter als derjenige aus Art. 33 Abs. 1 GFK.
96 
Vgl. Lutz, in: Hailbronner/Thym, EU Immigration and Asylum Law, 2. Aufl. 2016, Part C VII, Art. 5 Rn. 9.
97 
Diese Auslegung von Art. 15b RL 2011/95/EU, die der ständigen Rechtsprechung des Senats entspricht,
98 
VGH Bad.-Württ., Urteil vom 03.11.2017 - A 11 S 1704/17 -, juris, vom 05.12.2017 - A 11 S 1144/17 -, juris und vom 17.01.2018 - A 11 S 241/17 -, juris
99 
steht im Einklang mit der herrschenden Lehre und Rechtsprechung.
100 
VG Berlin, Urteil vom 10.07.2017 - VG 34 K 197.16 A -, juris Rn. 54; VG Lüneburg, Urteil vom 15.05.2017 - 3 A 156/16 -, juris Rn. 51 f.; VG Osnabrück, Urteil vom 15.05.2017 - 1 A 19/17 -, asyl.net; außerdem: EASO, Qualification for International Protection Directive 2011/95/EU) - A judicial analysis, Dezember 2016, S. 109; vgl. auch Hinterberger/Klammer, Abschiebungsverbote aus gesundheitlichen Gründen: Die aktuelle EGMR- und EuGH-Rechtsprechung zum Non-Refoulement und deren Auswirkungen auf die deutsche Rechtslage, NVwZ 2017, 1180 [1181 f.] sowie wohl auch Marx, AsylG, 9. Aufl. 2017, § 4 Rn. 32 und Hailbronner, Ausländerrecht, Mai 2017, § 60 Rn. 57 zum „nicht in vollem Umfang“ identischen Schutzbereich von § 60 Abs. 5 AufenthG und von § 60 Abs. 2 AufenthG i.V.m. Art. 15 RL 2011/95/EU/§ 4 AsylG.
101 
An einem somit erforderlichen Akteur fehlt es vorliegend. Denn die humanitäre Lage und die prekären Lebensumstände sind keinem der genannten Akteure nach § 3c AsylG zuzurechnen.
102 
Vgl. zu dem Umstand, dass die schwierige humanitäre Situation in Afghanistan nicht unmittelbar dem afghanischen Staat zuzurechnen ist bereits VGH Bad.-Württ., Urteil vom 24.07.2013 - A 11 S 697/13 -, juris Rn. 108, dort zu § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK, sowie auch - anknüpfend an die vorgenannte Entscheidung: VGH Bad.-Württ., Urteil vom 26.02.2014 - A 11 S 2519/12 -, juris.
103 
Die schlechte Versorgungslage (betreffend Nahrung, Wohnraum, Gesundheitsversorgung) wird durch die schlechte wirtschaftliche Entwicklung Afghanistans, die dort herrschenden Umweltbedingungen (also insbesondere die schwierigen klimatischen Bedingungen sowie Naturkatastrophen) sowie maßgeblich durch die volatile Sicherheitslage negativ beeinflusst und bestimmt. Insofern ist nicht festzustellen, dass einem der in Betracht kommenden Akteure ein wesentlicher Beitrag direkt oder indirekt anzulasten wäre und eine Verhaltensänderung zu einer unmittelbaren Verbesserung der Lage führen könnte. Insbesondere wird weder die notwendige medizinische oder humanitäre Versorgung gezielt vorenthalten noch werden all diese Umstände gezielt herbeigeführt.
104 
Vgl. dazu im Folgenden die Darstellungen zu den Lebensverhältnissen im Rahmen von § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK.
105 
Soweit teilweise in der Rechtsprechung vertreten wird, die schlechte humanitäre Lage sei überwiegend durch die seit Jahrzehnten herrschenden bewaffneten Konflikte und damit im Sinne von § 3c AsylG auf Aktionen staatlicher und nicht-staatlicher Konfliktparteien, gegen die der Staat keinen Schutz bieten könne, zurückzuführen,
106 
VG Köln, Urteil vom 12.12.2017 - 5 K 3637/17.A -
107 
übersieht dieser Ansatz gerade, dass die Anwendung von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG und damit auch Art. 15b RL 2011/95/EU eine gewisse Zielgerichtetheit des Verhaltens des Akteurs erfordert
108 
EASO, Qualification for International Protection (Directive 2011/95/EU) - A judicial analysis, Dezember 2016, S. 109;
109 
und daher reine Kausalitätserwägungen hier nicht anspruchsbegründend wirken können. Daher scheidet die Zuerkennung subsidiären Schutzes auf Grundlage des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG in Ermangelung eines tauglichen Akteurs aus.
110 
3. Auch die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG liegen nicht vor.
111 
Nach dieser Vorschrift ist subsidiärer Schutz zuzuerkennen, wenn der Ausländer stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden in Gestalt einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts droht.
112 
a) aa) Ein innerstaatlich bewaffneter Konflikt liegt vor, wenn die Streitkräfte eines Staates auf eine oder mehrere bewaffnete Gruppen treffen oder wenn zwei oder mehrere bewaffnete Gruppen aufeinandertreffen, ohne dass dieser Konflikt als bewaffneter Konflikt, der keinen internationalen Charakter aufweist, im Sinne des humanitären Völkerrechts eingestuft zu werden braucht und ohne dass die Intensität der bewaffneten Auseinandersetzungen, der Organisationsgrad der vorhandenen bewaffneten Streitkräfte oder die Dauer des Konflikts Gegenstand einer anderen Beurteilung als der des im betreffenden Gebiet herrschenden Grads an Gewalt ist.
113 
EuGH, Urteil vom 30.01.2014 - C-285/12 - Diakité, NVwZ 2014, 573 Rn. 35
114 
bb) Die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens für jedermann aufgrund eines solchen Konflikts ist erst dann gegeben, wenn der bewaffnete Konflikt eine solche Gefahrendichte für Zivilpersonen mit sich bringt, dass alle Bewohner des maßgeblichen, betroffenen Gebiets ernsthaft individuell bedroht sind. Das Vorherrschen eines so hohen Niveaus willkürlicher Gewalt, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass eine Zivilperson bei einer Rückkehr in das betreffende Land bzw. in die betreffende Region allein durch ihre Anwesenheit tatsächlich Gefahr liefe, einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit ausgesetzt zu sein, bleibt aber außergewöhnlichen Situationen vorbehalten, die durch einen sehr hohen Gefahrengrad gekennzeichnet sind. Eine Individualisierung kann sich insbesondere aus gefahrerhöhenden persönlichen Umständen in der Person des Schutzsuchenden ergeben, die ihn von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffenen erscheinen lassen.
115 
EuGH, Urteil vom 17.02.2009 - C-465/07 – Elgafaji -, NVwZ 2009, 705 Rn. 43 und vom 30.01.2014 - C-285/12 – Diakité - NVwZ 2014, 573 Rn. 30.
116 
Der für die Annahme einer individuellen Gefahr in diesem Sinne erforderliche Grad willkürlicher Gewalt wird daher umso geringer sein, je mehr der Schutzsuchende zu belegen vermag, dass er aufgrund solcher individueller gefahrerhöhender Umstände spezifisch betroffen ist. Solche persönlichen Umstände können sich z.B. aus dem Beruf des Schutzsuchenden etwa als Arzt oder Journalist ergeben, da diese regelmäßig gezwungen sind, sich nahe an einer Gefahrenquelle aufzuhalten. Ebenso können solche Umstände aber auch aus einer religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit herrühren, aufgrund derer der Schutzsuchende zusätzlich der Gefahr gezielter Gewalttaten ausgesetzt ist.
117 
Liegen keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich, welches mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit („real risk“) gegeben sein muss. So kann die notwendige Individualisierung ausnahmsweise bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre.
118 
BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 -, NVwZ 2012, 454 Rn. 19 m.w.N.; OVG NRW, Beschluss vom 09.03.2017 - 13 A 2575/16.A -, juris Rn. 13; NdsOVG Urteil vom 19.09.2016 - 9 LB 100/15 -, juris.
119 
Das besonders hohe Niveau kann nicht allein deshalb bejaht werden, weil ein Zustand permanenter Gefährdungen der Bevölkerung und schwerer Menschenrechtsverletzungen im Rahmen des innerstaatlichen Konflikts festgestellt werden. Vielmehr erfordert die Bestimmung der Gefahrendichte eine quantitative Ermittlung der Verletzten und getöteten Zivilpersonen im Verhältnis zur Einwohnerzahl (Gewaltniveau). Außerdem muss eine wertende Gesamtbetrachtung - etwa auch im Hinblick auf die medizinische Versorgungslage - erfolgen.
120 
BVerwG, Urteile vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 -, juris Rn. 23 und vom 13.02.2014 - 10 C 6.13 -, juris Rn. 24; OVG LSA, Urteil vom 23.07.2014 - 3 L 53/12 -, juris Rn. 24 ff.; NdsOVG, Urteil vom 19.09.2016 - 9 LB 100/15 -, juris.
121 
Das Bundesverwaltungsgericht hatte in den Urteilen vom 17. November 2011
122 
10 C 13.10, Rn. 22 und 10 C 11.10, Rn. 20
123 
- bezogen auf die Zahl der Opfer von willkürlicher Gewalt eines Jahres - ein Risiko von 1:800 (0,125 %) bzw. 1:1.000 (0,1 %) verletzt oder getötet zu werden, als weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt angesehen.
124 
Vgl. hieran anknüpfend auch: NdsOVG, Urteil vom 19.09.2016 - 9 LB 100/15 -, juris; OVG LSA, Urteil vom 23.07.2014 – 3 L 53/12 –, Rn. 26, juris.
125 
cc) Maßgeblicher Bezugspunkt für die Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 3 AsylG ist die Herkunftsregion des Betroffenen, in die er typischerweise zurückkehren wird. Denn für die Frage, welche Region als Zielort der Rückkehr eines Ausländers anzusehen ist, kommt es weder darauf an, für welche Region sich ein unbeteiligter Betrachter vernünftigerweise entscheiden würde, noch darauf, in welche Region der betroffene Ausländer aus seinem subjektiven Blickwinkel strebt. Der Begriff des „tatsächlichen Zielortes der Rückkehr“ im Sinne der Rechtsprechung des EuGH
126 
EuGH, Urteil vom 17.02.2009 - C-465/07 - Elgafaji -, NVwZ 2009, 705 Rn. 40, vgl. auch BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 - 10 C 15.12 -, NVwZ 2013, 1167
127 
ist daher kein rein empirischer Begriff, bei dem auf die tatsächlich wahrscheinlichste oder subjektiv gewollte Rückkehrregion abzustellen ist. Da § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG vor den Gefahren eines - nicht notwendig landesweiten - bewaffneten Konflikts im Heimatstaat schützt, kommt bei der Bestimmung des Ortes der (voraussichtlichen) tatsächlichen Rückkehr der Herkunft als Ordnungs- und Zuschreibungsmerkmal eine besondere Bedeutung zu. Ein Abweichen von der Herkunftsregion kann daher auch nicht damit begründet werden, dass der Ausländer infolge eines bewaffneten Konflikts den personalen Bezug zu seiner Herkunftsregion verloren hat. Auch eine nachlassende subjektive Bindung zur Herkunftsregion durch Umstände, die mittelbare Folgen des bewaffneten Konflikts sind (z.B. Beeinträchtigung der sozialen und wirtschaftlichen Infrastruktur, nachhaltige Verschlechterung der Versorgungslage) ändert nichts daran, dass diese für die schutzrechtliche Betrachtung grundsätzlich ihre Relevanz behält. Allerdings ist jedenfalls dann nicht (mehr) auf die Herkunftsregion abzustellen, wenn sich der Ausländer schon vor der Ausreise und unabhängig von den fluchtauslösenden Umständen von dieser gelöst und in einem anderen Landesteil mit dem Ziel niedergelassen hatte, dort auf unabsehbare Zeit zu leben. Durch eine solche freiwillige Ablösung verliert die Herkunftsregion ihre Bedeutung als Ordnungs- und Zurechnungsmerkmal und scheidet damit als Anknüpfungspunkt für die Gefahrenprognose bei § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG aus.
128 
Vgl. BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 - 10 C 15.12 -, NVwZ 2013, 1167.
129 
b) Ausgehend von den Angaben des Klägers, wonach er aus Daikundi stammen und diese Region nach dem Tod seiner Mutter Anfang der 2010er Jahre verlassen haben und nach Teheran übergesiedelt sein will, ist auf diese Provinz für die Beurteilung des Anspruchs auf subsidiären Schutz nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG abzustellen. Das dort vorherrschende Ausmaß an Gewalt genügt auch unter Berücksichtigung der Volkszugehörigkeit des Klägers eindeutig nicht, um eine tatsächliche Gefahr des Erleidens eines ernsthaften Schadens anzunehmen.
130 
In der Provinz Daikundi gab es zwischen 2015 und 2017 immer wieder Auseinandersetzungen zwischen Taliban oder anderen regierungsfeindlichen Kräften im Sinne der Definition von UNAMA einerseits und regierungsfreundlichen Gruppen und Truppen andererseits.
131 
EASO, Country of Origin Information Report – Afghanistan Security Situation, December 2017 S. 98 f.
132 
Zwischen dem 1. September 2016 und dem 31. Mai 2017 ließen sich 153 sicherheitsrelevante Zwischenfälle in der Provinz feststellen. Davon gingen 57 auf bewaffnete Auseinandersetzungen oder Luftangriffe, 12 auf Explosionen und 12 auf gegen Einzelpersonen gerichtete Gewalt zurück.
133 
EASO, Country of Origin Information Report – Afghanistan Security Situation, December 2017 S. 100.
134 
Nachdem UNAMA für das Jahr 2015 in den beiden Provinzen Bamyan und Daikundi zusammen 58 Opfer in der Zivilbevölkerung festgestellt hatte (davon 30 Todesopfer) und 2016 für die beiden Provinzen einen Anstieg auf 115 Opfer (davon 25 Todesopfer) auswies
135 
UNAMA, Annual Report 2016: Afghanistan - protection of civilians in armed conflict, Februar 2017 S. 5.
136 
geht UNAMA für die Zeit vom 01.01.2017 bis zum 30.06.2017 von 21 Opfern (davon 7 Todesopfer) aus, wobei die meisten dieser Zivilpersonen Opfer explosiver Kampfmittelrückstände waren.
137 
UNAMA, Midyear Report 2017: Afghanistan - protection of civilians in armed conflict, Juli 2017 S. 73.
138 
Die Opferzahlen sind im Verhältnis von einer Bevölkerungszahl von rund 460.000 Personen
139 
EASO, Country of Origin Information Report – Afghanistan Security Situation, December 2017 S. 98.
140 
gesehen erkennbar nicht geeignet, eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für die Annahme, dass eine jede Zivilperson bei einer Rückkehr in das betreffende Land bzw. in die betreffende Region allein durch ihre Anwesenheit tatsächlich Gefahr liefe, einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit ausgesetzt zu sein, zu begründen. Die Opferzahlen sind auch dann, wenn man davon ausginge, dass die Annahmen von UNAMA von unzutreffend geringen Opferzahlen ausgingen, weit davon entfernt, in einem Bereich zu sein, in dem das Bestehen einer tatsächlichen Gefahr des ernsthaften Schadens im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG entweder für jedermann oder aber auch für bestimmte, besonders gefährdete Gruppen auch nur in Erwägungen gezogen werden könnte.
II.
141 
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots, weder auf der Grundlage von § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK (1.), noch auf der Grundlage von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
142 
1. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK auf Grund der schlechten humanitären Bedingungen in Afghanistan besteht nicht. Denn die rechtlichen Voraussetzungen (a)) hierfür sind unter Berücksichtigung der Lebensverhältnisse in Afghanistan insgesamt (b)) und der in Kabul als Ankunfts- bzw. Endort der Abschiebung (c)) sowie in Ansehung der der persönlichen Situation des Klägers und insbesondere auch seiner Zugehörigkeit zu den Hazaras nicht gegeben (d)).
143 
a) Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten - EMRK - ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Gemäß Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden. Im Falle einer Abschiebung wird eine Verantwortlichkeit der Bundesrepublik Deutschland nach Art. 3 EMRK dann begründet, wenn erhebliche Gründe für die Annahme bestehen, dass der Betroffene im Fall der Abschiebung tatsächlich Gefahr läuft, einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein.
144 
aa) Unter dem Begriff der unmenschlichen Behandlung ist die vorsätzliche und beständige Verursachung körperlicher Verletzungen oder physischen oder psychischen Leids zu verstehen, während bei einer erniedrigenden Behandlung nicht die Zufügung von Schmerzen, sondern die Demütigung im Vordergrund steht.
145 
Auch schlechte humanitäre Verhältnisse können eine Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK darstellen.
146 
Vgl. dazu bereits VGH Bad.-Württ., Urteil vom 24.07.2013 - A 11 S 697/13 -, Leitsatz 4 sowie insbesondere auch juris Rn. 71 m.w.N.
147 
Dieses ist immer dann anzunehmen, wenn diese Verhältnisse ganz oder überwiegend auf staatlichem Handeln, auf Handlungen von Parteien eines innerstaatlichen Konflikts oder auf Handlungen sonstiger, nicht staatlicher Akteure, die dem Staat zurechenbar sind, beruhen, weil er der Zivilbevölkerung keinen ausreichenden Schutz bieten kann oder will.
148 
EGMR, Urteile vom 21.01.2011 - 30696/09 - (M.S.S./Belgien und Griechenland), NVwZ 2011, 413 und vom 28.06.2011 - 8319/07 und 11449/07 - (Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich), NVwZ 2012, 681.
149 
Aber auch dann, wenn diese Voraussetzungen nicht gegeben sind, weil es an einem verantwortlichen Akteur fehlt, können schlechte humanitäre Bedingungen im Zielgebiet dennoch als Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK zu qualifizieren sein, wenn ganz außerordentliche individuelle Umstände hinzutreten. Es sind also im Rahmen von § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK nicht nur Gefahren für Leib und Leben berücksichtigungsfähig, die seitens eines Staates oder einer staatsähnlichen Organisation drohen, sondern auch „nichtstaatliche“ Gefahren auf Grund prekärer Lebensbedingungen, wobei dies aber nur in ganz außergewöhnlichen Einzelfällen in Betracht kommt.
150 
BVerwG, Urteil vom 13.06.2013 - 10 C 13.12 -, NVwZ 2013, 1167, Rn. 24 f.; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 24.07.2013 - A 11 S 697/13 -, Leitsatz 5 sowie insbesondere auch juris Rn. 79 ff.; EGMR, Urteile vom 02.05.1997 - 146/1996/767/ 964 - (D./Vereinigtes Königreich), NVwZ 1998, 161; vom 27.05.2008 - 26565/05 - (N./Vereinigtes Königreich), NVwZ 2008, 1334; vom 21.01.2011 - 30696/09 - (M.S.S./Belgien und Griechenland) - NVwZ 2011, 413; vom 28.06.2011 - 8319/07 und 11449/07 - (Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich), NVwZ 2012, 681 und vom 13.10.2011 - 10611/09 - (Husseini/Schweden), NJOZ 2012, 952.
151 
Wenn der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Urteil vom 13. Dezember 2016
152 
- 41738/10 - (Paposhvili/Belgien), NVwZ 2017, 1187 Rn. 187 und 189,
153 
aber nunmehr ausdrücklich wiederholt auf die allgemeinen Verhältnisse im Zielstaat der Abschiebung hinweist, auf deren Hintergrund die besondere Lage des Betroffenen zu beurteilen ist, wird hinreichend deutlich, dass außergewöhnliche individuelle Umstände bzw. Merkmale auch solche sein können, die eine Person mit anderen Personen teilt, die Träger des gleichen Merkmals sind bzw. sich in einer im Wesentlichen vergleichbaren Lage befinden. Auch in einem solchen Fall kann ausnahmsweise ein Verstoß gegen Art. 3 EMRK zu bejahen sein, wenn die Abschiebung zu einer ernsthaften, schnellen und irreversiblen Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Betroffenen führen würde, die ein schweres Leiden oder eine erhebliche Verringerung der Lebenserwartung zur Folge hätte.
154 
VGH Bad.-Württ., Urteil vom 03.11.2017 - A 11 S 1704/17 -, juris.
155 
Bei entsprechenden Rahmenbedingungen können schlechte humanitäre Verhältnisse eine Gefahrenlage begründen, die zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinn von Art. 3 EMRK führt. Hierbei sind indes eine Vielzahl von Faktoren zu berücksichtigen, darunter etwa der Zugang für Rückkehrer zu Arbeit, Wasser, Nahrung, Gesundheitsversorgung sowie die Chance, eine adäquate Unterkunft zu finden, der Zugang zu sanitären Einrichtungen und nicht zuletzt die finanziellen Mittel zur Befriedigung elementarer Bedürfnisse, auch unter Berücksichtigung von Rückkehrhilfen usw.
156 
Vgl. dazu jüngst wieder ausführlich BayVGH, Urteil vom 23.03.2017 - 13a B 17.30030 -, BeckRS 2017, 113717; dieser bereits zuvor in seinen beiden Urteilen vom 21.11.2014 – 13a B 14.30285 -, BeckRS 2015, 41010 und - 13a B 14.30284 -; dort jeweils eingehend zur Bejahung von § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK wegen schlechter humanitärer Bedingungen bezüglich Familien mit minderjährigen Kindern wegen der Rahmenbedingungen in Afghanistan (m.w.N.).
157 
Vorliegend sind allein die hohen Anforderungen der letztgenannten Fallgestaltung maßgeblich, da die hier unter dem Gesichtspunkt des Art. 3 EMRK relevanten humanitären Verhältnisse in Afghanistan keinem Akteur zuzuordnen sind, sondern auf einer Vielzahl von Faktoren beruhen, darunter die allgemeinen wirtschaftlichen Lage und die Versorgungslage betreffend Nahrung, Wohnraum, Gesundheitsversorgung, Umweltbedingungen wie Klima und Naturkatastrophen sowie die Sicherheitslage. Wie bereits ausgeführt ist nicht festzustellen, dass der afghanische Staat, die in Afghanistan aktiven internationalen Streitkräfte oder ein sonstiger (etwa nichtstaatlicher) Akteur die maßgebliche Verantwortung hierfür trügen, insbesondere, dass etwa die notwendige medizinische oder humanitäre Versorgung gezielt vorenthalten würde.
158 
Vgl. dazu im Folgenden die Darstellungen zu den Lebensverhältnissen; so auch schon VGH Bad.-Württ., Urteil vom 24.07.2013 - A 11 S 697/13 -, juris Rn. 108 sowie auch anknüpfend an die vorgenannte Entscheidung: VGH Bad.-Württ., Urteil vom 26.02.2014 - A 11 S 2519/12 -, juris.
159 
bb) Sowohl die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte als auch die des Bundesverwaltungsgerichts
160 
- EGMR, Urteil vom 28.06.2011 - 8319/07 und 11449/07 - (Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich), NVwZ 2012, 681 Rn. 278, 282 f. und BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 - 10 C 15.12 -, NVwZ 2013, 1167 -
161 
machen deutlich, dass ein sehr hohes Schädigungsniveau erforderlich ist, da nur dann ein außergewöhnlicher Fall vorliegt, in dem die humanitären Gründe entsprechend den Anforderungen des Art. 3 EMRK „zwingend“ sind. So hat das Bundesverwaltungsgericht in der Vergangenheit, als es die allgemeine Lage in Afghanistan als nicht ausreichend ernst für die Feststellung einer Verletzung des Art. 3 EMRK eingestuft hat, die Notwendigkeit einer besonderen Ausnahmesituation betont.
162 
BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 - 10 C 15.12 -, NVwZ 2013, 1167, insb. Leitsatz 3 -; vgl. auch: BayVGH, Urteil vom 21.11.2014 - 13a B 14.30284 -, juris Rn. 19.
163 
Dabei kann aber - schon nach der Gesetzessystematik - der nationale Maßstab für eine Extremgefahr nach § 60 Abs. 7 Satz 1 und 5 AufenthG nicht, insbesondere auch nicht analog, herangezogen werden. Da die Sachverhalte nicht vergleichbar sind, lassen sich die ggf. erhöhten Anforderungen an eine ausreichende Lebensgrundlage im Fall einer internen Schutzalternative gemäß § 3e AsylG ebenfalls nicht übertragen.
164 
VGH Bad.-Württ., Urteil vom 03.11.2017 - A 11 S 1704/17 -, juris Rn. 180. BayVGH, Urteil vom 21.11.2014 - 13a B 14.30284 -, juris Rn. 19.
165 
Ein Zusammenhang zwischen Art. 3 EMRK und § 3e AsylG besteht lediglich dergestalt, dass für den Fall, dass die Situation am vermeintlichen Schutzort einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK darstellte, dieser Schutzort den Anforderungen des § 3e AsylG nicht genügen würde.
166 
Vgl. dazu VGH Bad.-Württ., Urteil vom 16.10.2017 - A 11 S 512/17 -, juris Rn. 85 m.w.N.
167 
cc) Auch im Rahmen des Art. 3 EMRK ist nach der Rechtsprechung des EGMR eine tatsächliche Gefahr („real risk“) erforderlich, d.h. es muss eine ausreichende reale, nicht nur auf bloßen Spekulationen, denen eine hinreichende Tatsachengrundlage fehlt, gegründete Gefahr („a sufficiently real risk“) bestehen. Die tatsächliche Gefahr einer Art. 3 EMRK zuwiderlaufenden Behandlung muss danach aufgrund aller Umstände des Falles hinreichend sicher und darf nicht hypothetisch sein.
168 
EGMR, Urteil vom 28.06.2011 - 8319/07 und 11449/07 - (Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich), NVwZ 2012, 681; Entscheidung vom 22.09.2009 - 30471/08 - (Abdolkhani und Karimnia/Türkei), InfAuslR 2010, 47; Urteil vom 17.07.2008 - 25904/07 - (NA./Vereinigtes Königreich), juris; Urteil vom 28.02.2008 - 37201/06 - (Saadi/Italien), NVwZ 2008, 1330; vom 27.05.2008 - 26565/05 - (N./Vereinigtes Königreich), NVwZ 2008, 1334 sowie Urteil vom 06.02.2001 - 44599/98 - (Bensaid/Vereinigtes Königreich), NVwZ 2002, 453.
169 
Erforderlich ist danach die konkrete Gefahr der Folter oder unmenschlichen Behandlung. Es gilt - wie bei § 60 Abs. 1 AufenthG - der Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit, d.h. die für eine Schädigung sprechenden Umstände müssen ein größeres Gewicht haben als die dagegen sprechenden Tatsachen.
170 
BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 5.09 -, NVwZ 2011, 51; EGMR, Urteil vom 17.07.2008 - 25904/07 - (NA./Vereinigtes Königreich), juris.
171 
Zu beachten ist allerdings, dass ein gewisser Grad an Mutmaßung dem präventiven Schutzzweck des Art. 3 EMRK immanent sein muss und es hier also nicht um den eindeutigen, über allen Zweifeln erhabenen Beweis gehen kann, dass der Betroffene im Falle seiner Rückkehr einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt wäre.
172 
EGMR, Urteil vom 09.01.2018 - 36417/16 - (X/Schweden) Rn. 50.
173 
dd) Des Weiteren ist für die Beurteilung, ob außerordentliche Umstände vorliegen, die - wie hier - nicht in die unmittelbare Verantwortung des Abschiebungszielstaates fallen und die dem abschiebenden Staat nach Art. 3 EMRK eine Abschiebung des Ausländers verbieten, grundsätzlich auf den gesamten Abschiebungszielstaat abzustellen und zunächst zu prüfen, ob solche Umstände an dem Ort vorliegen, an dem die Abschiebung endet.
174 
BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 - 10 C 15.12 -, NVwZ 2013, 1167, Leitsatz 2 und EGMR, Urteil vom 28.06.2011 - 8319/07 und 11449/07 - (Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich), NVwZ 2012, 681, Rn. 265, 301, 309.
175 
Dieser Ankunfts- bzw. Endort der Abschiebung ist hier Kabul.
176 
Vgl. zu den Flugverbindungen nach Afghanistan: Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19.10.2016 - Stand: September 2016, S. 25 sowie zu den bislang durchgeführten Abschiebungen nach Kabul (etwa am 15. Dezember 2016, 24. Januar 2017, 23. Februar 2017 und am 28. März 2017): Afghanistan Analysts Network - voluntary and forced returns to Afghanistan in 2016/17: trends, statistics and experiences, 19.05.2017, S. 3; Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 12 m.w.N.
177 
Unter Berücksichtigung der landesweiten Lebensverhältnisse in Afghanistan und gerade der in Kabul ergibt sich, dass unter Berücksichtigung der persönlichen Situation des Klägers kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK vorliegt.
178 
b) Die landesweiten Lebensverhältnisse in Afghanistan und die Situation von Rückkehrern gestalten sich wie folgt:
179 
Afghanistan hat insgesamt etwa 27 bis 34 Millionen Einwohner.
180 
Vgl. dazu Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan, Republik Österreich Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vom 02.03.2017, aktualisiert am 27.06.2017, S. 150: 33,3 Millionen; so auch UK Home Office, Country Policy and Information Note. Afghanistan: Security and humanitarian situation, August 2017, S. 11; vgl. auch „the world fact book“ - Afghanistan auf https://www.cia.gov/ für Juli 2017 geschätzt 34,124,811 Einwohner; ProAsyl, Afghanistan - No safe country for refugees - Mai 2017 -, S. 55: mindestens 31,5 Millionen; Schuster, Risks on return to Kabul, 12.08.2016, S. 18/Rn. 48: mindestens 30 Millionen; Islamic Republic of Afghanistan Central Statistics Organization - Estimated Population of Afghanistan 2017-2018, April 2017, S. 2: 29.724.323; Auswärtiges Amt, Zwischenbericht: Lagebeurteilung für Afghanistan nach dem Anschlag am 31. Mai 2017 - Stand Juli 2017, S. 8/Rn. 30: 27 bis 32 Millionen.
181 
Über 40 % der Bevölkerung sind unter 15 Jahre, zwei Drittel unter 25 Jahre alt.
182 
Sam Hall, Urban displaced youth in Kabul - mental health matters, Juni 2016, S. 7.
183 
Geprägt wird das Leben der Menschen im Land von einer schwierigen wirtschaftlichen Situation (aa)) und Versorgungslage (bb)), von prekären humanitären Gegebenheiten (cc)) sowie von einer volatilen Sicherheitslage (dd)). Zudem sehen sich Rückkehrer aus dem westlichen Ausland zusätzlichen Gefahren ausgesetzt (ee)). Andererseits ist zu berücksichtigen, dass Rückkehrer unter bestimmten Umständen spezielle Unterstützungsmaßnahmen erhalten können (ff)).
184 
aa) Afghanistan ist eines der ärmsten Länder der Welt. Es belegte im Jahr 2015 den Platz 171 und im Jahr 2016 den Platz 169 von 187 im Human Development Index. Mindestens 36 % der Bevölkerung des Landes leben unter der Armutsgrenze. Teils wird auch von einer Steigerung von 36 % für die Jahre 2007/2008 auf 39 % für die Jahre 2013/2014 berichtet, wobei ein Leben in Armut nach dem hier verfolgten Ansatz vorliegt, wenn das Einkommen unter der Armutsgrenze von 1.150 Afghani (20 US$) pro Monat liegt. Afghanistan weist im Vergleich mit allen asiatischen Ländern den höchsten Anteil armer Menschen auf. Die Zahl derjenigen, die humanitärer Unterstützung bedurften, hat sich von 2016 bis zum Beginn des Jahres 2017 um 13 % auf 9,3 Millionen erhöht. Dabei gibt es regionale Unterschiede. Sie reichen von einem Anteil von 27,7 % der Bevölkerung, die unter der Armutsgrenze lebt, im Südwesten bis zu 49,7 % im Nordosten.
185 
Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19.10.2016 - Stand: September 2016, S. 21; vgl. auch Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich - Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Afghanistan (Gesamtaktualisierung vom 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 27.06.2017), S. 176; EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 31 f. m.w.N.; Giesler/Wohnig, Uneinheitliche Entscheidungspraxis zu Afghanistan - Eine Untersuchung zur aktuellen Afghanistan-Entscheidungspraxis des BAMF und der Gerichte (Ergänzte Fassung zur Kurzfassung aus Asylmagazin 2017, 223) (asyl.net), S. 3 Fn. 17; World Food Programme, Country Brief, WFP Assistance, Juli 2017.
186 
Bei einer ohnehin schon zuvor schlechten Lage ist seit dem Jahr 2012 ein massiver Einbruch der Wirtschaft zu verzeichnen.
187 
Dazu Stahlmann, Asylmagazin 2017, 73 (74) m.w.N.
188 
Sie sieht sich in der Übergangsphase nach Beendigung des NATO-Kampfeinsatzes zum Jahresende 2014 konfrontiert mit sinkenden internationalen Investitionen und der stark schrumpfenden Nachfrage durch den Rückgang internationaler Truppen um etwa 90 % (von 140.000 internationalen Soldaten auf rund 14.000). Die Abwertung des Afghani gegenüber dem US-Dollar schreitet - bei gleichzeitiger Deflation - immer weiter voran. Ein selbsttragendes Wirtschaftswachstum ist kurzfristig nicht in Sicht.
189 
Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19.10.2016 - Stand: September 2016, S. 21.
190 
Zudem beruht die Wirtschaft zu großen Teilen auf irregulären und illegalen Aktivitäten, darunter der Opiumhandel.
191 
UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 19.04.2016, S. 15.
192 
Der Vergleich des Wachstums des Bruttoinlandsprodukts für das Jahr 2012 von 14,4 % mit dem des Jahres 2015, in dem nur noch 0,8 % Wachstum zu verzeichnen waren, macht den für das gesamte Land zu verzeichnenden Einbruch deutlich.
193 
Vgl. dazu Stahlmann, Asylmagazin 2017, 73 (74) m.w.N. sowie dies. auch in ihrer landeskundlichen Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 12 m.w.N.; siehe auch Staatssekretariat für Migration SEM der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Notiz Afghanistan: Alltag in Kabul. Referat von Thomas Ruttig (Afghanistan Analysts Network) am 20. April 2017, 20.06.2017, S. 5.
194 
Bis zum Jahr 2016 blieb es bei einem Wachstum von unter 2 %. Auf Grund der abgeschwächten Konjunktur, unter anderem wegen der mangelnden Sicherheit und der politischen Ungewissheit, wird erwartet, dass das Bruttoinlandsprodukt allenfalls geringfügig wächst.
195 
EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 19 m.w.N.
196 
Diese Wirtschaftslage spiegelt sich auch im Arbeitsmarkt wider, für den uneinheitliche Zahlen vorliegen.
197 
Vgl. EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 21 zur Bezeichnung der Arbeitsmarktzahlen als schwach und kontrovers ("weak and controversial").
198 
Je nach Quelle und Erfassungsweise werden etwa für das Jahr 2014 Arbeitslosenzahlen von 9,1 % bis 24 % genannt, teils wird - unter Berücksichtigung eines Anteils von 15,3 % unterbeschäftigter Personen - der Anteil der nicht erwerbstätigen Personen sogar mit 40 % angegeben.
199 
Im Einzelnen m.w.N.: EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 21.
200 
Im Jahr 2015 lag die landesweite Arbeitslosenquote bei 40 %. Der Anteil in den Städten war deutlich höher, da die Landwirtschaft, in der rund 60 % - in ländlichen Regionen sogar 70 % der erwerbstätigen Bevölkerung - tätig sind, weiterhin der stabilste Beschäftigungssektor ist.
201 
Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19.10.2016 - Stand: September 2016, S. 21; Stahlmann, Asylmagazin 2017, 73 (76) m.w.N. sowie dies. auch in ihrer landeskundlichen Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 13 m.w.N.; IOM, Länderinformationsblatt Afghanistan 2017, S. 2; IOM, Länderinformationsblatt Afghanistan 2016, S. 2.
202 
Auch für den Zeitraum Ende des Jahres 2016 wurde ein Arbeitslosenanteil mit etwa 40 % geschätzt und die Aussichten als sehr düster bezeichnet.
203 
EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 21; UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 19.04.2016, S. 15.
204 
Ebenso werden für die Jugendarbeitslosigkeit sehr unterschiedliche Größenordnungen genannt. So gibt die Weltbank für das Jahr 2014 einen Anteil von 23 % bezüglich junger Frauen und 16 % hinsichtlich junger Männern an (bei 9,1 % für dieses Jahr im Allgemeinen). Die Jugendarbeitslosigkeit in den Städten soll um 50 % höher sein als die städtische Arbeitslosigkeit insgesamt.
205 
EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 22.
206 
Es findet sich sogar die Angabe einer Jugendarbeitslosigkeit von 82 %.
207 
Stahlmann, Landeskundliche Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 14 m.w.N.; dies., Asylmagazin 2017, 73 (76).
208 
Gerade der städtische Arbeitsmarkt ist durch die bereits erwähnten Änderungen des internationalen Engagements geprägt. Dort waren mit der plötzlichen Ankunft internationaler Organisationen zunächst Qualifikationen gefragt, die auf dem lokalen Arbeitskräftemarkt nach den langen Kriegsjahren tatsächlich Mangelware waren – darunter Englischkenntnisse, Arbeitserfahrung mit der in internationalen Organisationen gepflegten Bürokratie und formelle Ausbildungs- und Studienabschlüsse. Außerdem hatte der Bauboom in den Städten, insbesondere im grundlegend zerstörten und rapide wachsenden Kabul, zunächst einen Markt für ungelernte Arbeitskräfte geschaffen.
209 
Stahlmann, Landeskundliche Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 13 f. m.w.N.; dies., Asylmagazin 2017, S. 73 (74); zum Arbeitsmarkt in Kabul auch Kohler, InfAuslR 2017, 99 (101) mit Verweis auf Islamic Republic of Afghanistan - Central Statistics Organisation, Socio-Demographic and Economic Survey, Figure 11 und Figure 12, dort allerdings nur für das Jahr 2013.
210 
Damals hatten - in begrenztem Maße - selbst die traditionell familiär organisierten privatwirtschaftlichen Betriebe externe Arbeitskräfte aufgenommen (wenn auch in den Grenzen kriegsbedingter Freund-/Feindschemata, so dass Fremde im Sinne ethnischer, religiöser oder lokaler Zugehörigkeit weiterhin weitgehend ausgeschlossen waren). Diese Entwicklung hat sich allerdings durch den bereits als prägend erwähnten Abzug der internationalen Truppen wieder verflüchtigt. Der Bauboom hat sich als kurzfristig erwiesen und auch der Dienstleistungsbereich ist eingebrochen. Geblieben ist der Umstand, dass zur Erlangung einer der wenigen vorhandenen Arbeitsplätze nicht die schulische oder berufliche Ausbildung, Qualifikation oder Erfahrung ausschlaggebend sind, sondern Beziehungen. Dies gilt für den gesamten Arbeitsmarkt, insbesondere auch für Arbeitsplätze im Staatsdienst.
211 
Stahlmann, Landeskundliche Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 14 f. m.w.N.; dies., Asylmagazin 2017, 73 (76); anschaulich hierzu auch die Beispiele von Schuster zur allein durch (teils verwandtschaftliche) Beziehungen gekennzeichnete Einstellungspraxis ohne Rücksicht auf die Qualifikation an der Kabuler Universität und verschiedenen Ministerien: Schuster, Report for the Upper Tribunal in the case of XXXX YYYY, 08.11.2016, S. 15/Rn. 44; vgl. auch EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 23 und 68; vgl. auch die Beispiele zu Rückkehrern, die trotz Qualifikation mangels Beziehungen keine Beschäftigung fanden: Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 65 ff. m.w.N.; zur „untergeordneten“ Rolle von Eignung, Befähigung und Leistung bei der Verteilung administrativer Ämter auch Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19.10.2016 - Stand: September 2016, S. 7.
212 
Das vor dem Hintergrund jahrzehntelanger Kriegs- und Konflikterfahrungen und anhaltender Alltagskriminalität als notwendig und bewährt erachtete System von Beziehungen bzw. Netzwerken ist geprägt durch eine Gegenseitigkeit, eine langfristige und belastbare Reziprozität. Wer in der Lage ist, einen Vorteil - etwa einen Arbeitsplatz - zu verschaffen, verknüpft hiermit die Erwartung, jedenfalls langfristig seinerseits einen Vorteil zu erlangen. Ist vom Arbeitssuchenden keine Gegenleistung zu erwarten, weil dieser nicht über die erforderlichen Beziehungen verfügt, ist nicht oder weniger zu erwarten, dass ihm eine Arbeitsstelle vermittelt wird. Ein entsprechendes Netzwerk ist daher der Schlüssel zum Arbeitsmarkt. Zudem gewährleistet das System der Empfehlungen, dass der Arbeitgeber sich sicher sein kann, dass der Arbeitssuchende, dessen örtliche und ethnische Herkunft sowie familiären Hintergrund er auf Grund der Empfehlung kennt, vertrauenswürdig ist.
213 
EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 67 f.: „Network as key to the job market“; Stahlmann, Landeskundliche Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 12. m.w.N.; Schuster, Report for the Upper Tribunal in the case of XXXX YYYY, 08.11.2016, S. 4/Rn. 12.
214 
So äußerten die meisten Arbeitgeber in einer Befragung zu ihrer Einstellungspraxis, sie nutzten das traditionellste System: Freunde (62,6 %) und Familie (57,9 %). Entsprechend beklagen die Arbeitssuchenden unabhängig von ihren Qualifikationen, dass die Vergabe von Arbeitsstellen von persönliche Verbindungen, sog. „wasita“ (wechselseitige Verbindungen zu Personen mit Macht oder Einfluss), abhängig sei. Erforderlich sind „shanaktht“ (jemanden kennen) und „safarish“ (eine Art Empfehlung). Nur etwa 15 % der Arbeitnehmer werden über den örtlichen Bazar angeworben, der größte Teil der Arbeitsplätze wird über Freunde oder Verwandte erlangt.
215 
EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 67.
216 
Die Beziehungen oder Netzwerke sind vielschichtig. Für manche besteht ihr Netzwerk aus nahen Verwandten, für andere ist es breiter angelegt und kann auch aus Freunden bestehen. Bei Angehörigen der Hazara kommt es vor, dass beim Zuzug in eine neue Stadt ein Netzwerk um die örtliche Moschee oder eine religiöse oder Wohlfahrtseinrichtung konzentriert ist. Ganz allgemein genügt die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Ethnie allein noch nicht, um ein solides Netzwerk für die Arbeitssuche zu begründen.
217 
EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 68.
218 
Eine staatliche Arbeitsvermittlung oder gar eine Arbeitslosenunterstützung nach westlichen Vorstellungen gibt es nicht. Allerdings werden freie Stellen im öffentlichen Sektor vom Civil Service Commission Management Directorate der Kommission für Öffentlichen Dienst und Verwaltungsreform online angekündigt. Außerdem bietet eine Nichtregierungsorganisation (ACBAR) Unterstützung für Arbeitssuchende an. Sie befindet sich in Charahi Shaheed, Sherpoor Bezirk in Kabul. Auf ihrer Website besteht die Möglichkeit, sich mit einem Lebenslauf und Motivationsschreiben auf relevante Jobs zu bewerben.
219 
BAMF/ZIRF/IOM, ZIRF-Anfrage: Medizinische Versorgung in Afghanistan, Unterstützung für Rückkehrer bei Arbeits- und Wohnungssuche, 21.09.2016; IOM, Länderinformationsblatt Afghanistan 2017, S. 2; IOM, Länderinformationsblatt Afghanistan 2016, S. 2.
220 
Soweit eine Arbeitsstelle gefunden werden kann
221 
- dazu Staatssekretariat für Migration SEM der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Notiz Afghanistan: Alltag in Kabul - Referat von Thomas Ruttig (Afghanistan Analysts Network) am 12.04.2017, 20.06.2017, S.10; siehe auch EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 22 zum „vulnerable employment“ -,
222 
ist das durchschnittliche Einkommen (insbesondere im Vergleich zu den Lebenshaltungskosten, dazu sogleich) gering. Das durchschnittliche monatliche Einkommen in Afghanistan wird in verschiedenen Quellen mit 80 bis 120 US$ angegeben, teilweise wird ein Mindestlohn von 95 US$ für nur vorübergehend beschäftigte Arbeitskräfte genannt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass - wie ausgeführt – bei 36 % der afghanischen Bevölkerung der Lohn bei unter 20 US$ pro Monat liegt.
223 
IOM, Länderinformationsblatt Afghanistan 2017, S. 2; IOM, Länderinformationsblatt Afghanistan 2016, S. 2; EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 23 f.
224 
Afghanistan bleibt eine hauptsächlich ländliche Gesellschaft, deren Wirtschaft maßgeblich auf der Landwirtschaft basiert. 76 % der Bevölkerung leben in ländlichen Gebieten. Mehr als die Hälfte der Arbeitskräfte des Landes ist im Bereich der Landwirtschaft beschäftigt. 96 % der Produktion bewegt sich im Bereich der Nahrungsmittelverarbeitung, also einem Bereich, der in hohem Maße von der Landwirtschaft abhängig ist.
225 
EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 22, 32.
226 
Einen nicht unwesentlichen Anteil in der Landwirtschaft hat allerdings auch der Opiumanbau (siehe auch S. 43), da dieser zum einen eine große Gewinnmarge verspricht und zum anderen die Mohnpflanzen mit den widrigen Bedingungen (etwa der schlechten Bodenqualität) verhältnismäßig gut zurechtkommen.
227 
Zum Opiumanbau allgemein: General Assembly Security Council, The situation in Afghanistan and its implications for international peace and security - report of the Secretary-General, 03.03.2017, S. 11; ProAsyl, Afghanistan - No safe country for refugees, Mai 2017, S. 50; UNHCR, Anmerkungen zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des deutschen Bundesministerium des Inneren - Dezember 2016, S. 15; zur Verteilung des Opiumanbaus in den einzelnen Provinzen vgl. ausführlich EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Security Situation (November 2016): zu Daikundi, S. 70 f.; zu Kandahar, S. 73 -; zu Helmand, S. 77 („Afghanistan’s single largest opium poppy cultivating province in 2015, accounting for 47 % of the total area under opium poppy cultivation in the country.“); zu Uruzgan, S. 87 („opium poppy as a dominant crop“); zu Zabul - S. 90; zu Badakhshan, S. 133; zu Ghor, S. 171.
228 
Die Landwirtschaft leidet allerdings - neben der problematischen Sicherheitssituation - insbesondere auch unter vielfältigen Naturkatastrophen, weswegen das World Food Programme das ganze Jahr hindurch in verschiedenen Landesteilen auf Krisen bzw. Notsituationen wie Dürre, Überschwemmungen oder extremen Kälteeinbruch reagiert. Gerade der Norden - eigentlich die „Kornkammer“ des Landes - ist extremen Natureinflüssen wie Trockenheit, Überschwemmungen und Erdrutschen ausgesetzt
229 
- Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19.10.2016 - Stand: September 2016, S. 23; UNOCHA, Humanitarian Needs Overview 2018, Dezember 2017, S. 16 -
230 
(vgl. im Weiteren ausführlicher bei den Darstellungen zur Versorgungslage und zur humanitären Situation unter lit. bb) und cc)).
231 
bb) Die Versorgungslage in Afghanistan ist schlecht. Wie bereits ausgeführt ist Afghanistan eines der ärmsten Länder der Welt, mit 9,3 Mio. Menschen, die Anfang 2017 auf humanitäre Hilfe angewiesen waren (s.o.). Für das Jahr 2018 geht UNOCHA - United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs - von 3,3 Millionen Personen aus, bei denen ein akuter Bedarf an unmittelbar lebensrettender humanitärer Hilfe besteht sowie weiterer 8,7 Millionen Menschen, die einen chronischen Bedarf an Unterstützungsleistungen aufweisen. Dabei kann aus dem Unterschied in der Darstellung von 9,3 Millionen (2017) zu nun 3,3 Millionen (2018) Personen mit dringenden Bedarfen in den Angaben zum Angewiesensein auf humanitäre Hilfe nicht auf eine Verbesserung der Lage geschlossen werden. Denn der Unterschied geht auf eine abweichende Methode der Datenerfassung zurück
232 
UNOCHA, Humanitarian Needs Overview 2018, Dezember 2017, S. 15.
233 
Im Jahr 2016 waren etwa 1,6 Millionen Afghanen (nach den Daten von UNOCHA ein Anteil von 6 %) schwerwiegender Ernährungsunsicherheit („severely food insecure“) betroffen, bei weiteren 9,7 Millionen Menschen (34 %) war dies in mäßiger Weise der Fall („moderately food insecure“).
234 
UNOCHA, Humanitarian Needs Overview 2017, November 2016, S. 5 f. und 26 sowie die Aufteilung nach Regionen auf S. 21; EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 42 m.w.N.; vgl. auch UK Home Office, Country Policy and Information Note - Afghanistan: Security and humanitarian situation, August 2017, S. 28; dort auch unter Bezugnahme auf UNOCHA der Hinweis auf die Wechselwirkung mit der steigenden Anzahl intern Vertriebener und Rückkehrer, die sich in den städtischen Zentren und Randgebieten sammeln sowie zur erwarteten Anzahl von mehr als einer Million neuer Rückkehrer im Sommer 2017); Ernährungsunsicherheit in den Vorjahren vgl. auch Sam Hall, Urban Poverty Report - A study of poverty, food insecurity and resilience in Afghan Cities, November 2014: S. 6 f., 43, 54 und 56 - die Hälfte der Haushalte in Städten und 68 % der intern Vertriebenen werden als ernsthaft von Ernährungsunsicherheit betroffen beschrieben.
235 
Für das Jahr 2017 war ein Anstieg auf 1,9 Millionen Personen, bei denen von einer schwerwiegenden Ernährungsunsicherheit auszugehen ist, zu verzeichnen. Ausgehend von der ernährungssicherheitsbezogenen Klassifizierung IPC (Integrated food security phase classification) bedeutet dies, dass sie mit einer extremen Nahrungsmittelunterversorgung konfrontiert sind, die zu akuter Mangel- oder Unterernährung mit einer überhöhten Sterblichkeitsrate führt. Weitere 5,6 Millionen Menschen werden der Gruppe zugeordnet, bei der eine akuter Nahrungsmittel und Existenzkrise angenommen wird, was bedeutet, dass eine beachtliche Nahrungsmittelunterversorgung vorliegt oder dass diese Unterversorgung nur durch den Verkauf letzter Vermögenswerte noch abgewendet werden kann. Schließlich ist bei weiteren 10 Millionen Menschen festzustellen, dass diese allein das Minimum der erforderlichen Nahrungsmittelversorgung sicherstellen können und damit eine vollständige Sicherung der Existenzgrundlage nicht gesichert erscheint.
236 
UNOCHA, Humanitarian Needs Overview 2018, Dezember 2017, S. 24.
237 
48 % der Haushalte von intern vertriebenen Personen, die in informellen Siedlungen in Kabul lebten, waren im Dezember 2015 ernsthaft von Ernährungsunsicherheit betroffen.
238 
UNOCHA, Humanitarian Needs Overview 2017, November 2016, S. 7.
239 
Insbesondere die aus Konflikten und chronischer Unterentwicklung resultierenden Folgeerscheinungen im Süden und Osten haben dazu geführt, dass dort ca. eine Million oder fast ein Drittel aller Kinder als akut unterernährt gelten.
240 
Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19.10.2016 - Stand: September 2016, S. 23.
241 
In den Städten allgemein und insbesondere der Hauptstadt Kabul sind die Lebenshaltungskosten im Verhältnis zum Einkommen hoch. So finden sich - jeweils auch abhängig vom Lebensstil - Angaben von 100 bis 150 EUR oder 150 bis 250 US$ für einen alleinstehenden Mann in Kabul
242 
- BAMF/ZIRF/IOM, ZIRF-Anfrage Wohnraumsituation I: Lebenshaltungskosten in Kabul für alleinstehenden Mann, 09.05.2017; BAMF/ZIRFIOM, ZIRF-Anfrage: Lebenshaltungs-/Mietkosten in Kabul; Taxilizenz, 22.04.2016; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Afghanistan (Gesamtaktualisierung vom 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 27.06.2017, S. 188 -
243 
und mindestens 250 bis zu 600 EUR pro Monat für eine Familie, bestehend aus einem Vater und drei Kindern
244 
- BAMF/ZIRF/IOM, ZIRF-Anfrage Wohnraumsituation II: Lebenshaltungskosten in Kabul für Familie mit Vater und 3 Kindern, 09.05.2017 -,
245 
wobei jeweils noch keine Unterbringungs-/Mietkosten enthalten sind.
246 
Für die Kosten von Wohnraum finden sich - auch abhängig von der Lage - Angaben von einer Monatsmiete für ein Zimmer in Höhe von 100 US$, für ein Einzimmerapartment in Kabul von 88 US$/6.000 Afghani bis zu 146 US$/10.000 Afghani oder auch in Höhe von 160 bis 180 EUR (zuzüglich Nebenkosten von etwa 20 bis 25 EUR/Monat) sowie auch 300 US$. Die Miete für eine Dreizimmerwohnung in Kabul wird mit ca. 300 EUR/Monat bei Nebenkosten in Höhe von etwa 30 EUR angegeben, aber auch Preise von 400 bis 600 US$ zuzüglich Nebenkosten von etwa 40 US$ pro Monat werden genannt.
247 
Schuster, Report for the Upper Tribunal, 08.11.2016, S. 14/Rn. 41; BAMF/ZIRFIOM, ZIRF-Anfrage: Lebenshaltungs-/Mietkosten in Kabul; Taxilizenz, 22.04.2016; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Afghanistan (Gesamtaktualisierung vom 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 27.06.2017, S. 188; BAMF/ZIRF/IOM, ZIRF-Anfrage Wohnraumsituation I: Lebenshaltungskosten in Kabul für alleinstehenden Mann, 09.05.2017; BAMF/ZIRF/IOM, ZIRF-Anfrage Wohnraumsituation II: Lebenshaltungskosten in Kabul für Familie mit Vater und 3 Kindern, 09.05.2017; IOM, Länderinformationsblatt Afghanistan 2017, S. 3; IOM, Länderinformationsblatt Afghanistan 2016, S. 2; Stahlmann, Landeskundliche Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 16; dies., Asylmagazin 2017, S. 73 (76); vgl. auch Schuster, Risks on return to Kabul, 12.08.2016, S. 16/Rn. 42: Einzelzimmer für 4.000 bis 6.000 Afghani, bei einem Lohnniveau von 4.000 bis 4.500 Afghani pro Monat; EASO, Country of Origin Information Query - Query concerning the situations of returnees to Afghanistan, 22.06.2017, S. 7 m.w.N.: 300 US$.
248 
Die im Vergleich zum realistischer Weise zu erzielenden Einkommen immensen Unterbringungskosten bei gleichzeitig großem Zustrom neuer Einwohner erklären, dass etwa drei Viertel der Menschen in Slums lebt.
249 
Dazu ProAsyl, Afghanistan - No safe country for refugees, Mai 2017, S. 4; Stahlmann, Landeskundliche Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 16; dies., Asylmagazin 2017, S. 73 (76 f.).
250 
Sofern Wohnraum auf dem freien Markt verfügbar ist, haben in aller Regel wiederum nur diejenigen eine Chance darauf, die einen Bürgen beibringen können und in der Lage sind, bis zu sechs Monatsmieten im Voraus zu bezahlen. Im Rahmen der Wohnungssuche benötigt man also außergewöhnliche finanzielle Ressourcen, um eine Chance auf eine winterfeste Unterkunft zu haben, aber auch die beschriebenen sozialen Netzwerke. Diese sowie der Umstand, dass sich jemand für den künftigen Mieter und dessen vertrauenswürdigen Charakter gleichsam verbürgt, gewährleisten aus Sicht des Vermieters eine gewisse Sicherheit sowie insbesondere auch, dass der Mieter kein „unmoralisches“ Verhalten an den Tag legt und seine Miete zahlen wird.
251 
Stahlmann, Landeskundliche Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 16; dies., Asylmagazin 2017, S. 73 (76 f.); Schuster, Report for the Upper Tribunal, 08.11.2016, S. 4/Rn. 12 und auch S. 14/Rn. 41 und S. 15/ Rn. 44 m.w.N.
252 
Es gibt keine NGOs oder öffentliche Organisationen, die bei der Wohnungssuche unterstützen. Immobilienmakler bieten einen entsprechenden Service im Austausch für eine Monatsmiete von Mieter und Vermieter an.
253 
BAMF/ZIRF/IOM, ZIRF-Anfrage: Medizinische Versorgung in Afghanistan, Unterstützung für Rückkehrer bei Arbeits- und Wohnungssuche, 21.09.2016.
254 
Zwischen den Verhältnissen in den urbanen Zentren und den ländlichen Gebieten Afghanistans herrscht ein eklatantes Gefälle. Es fehlt außerhalb der Hauptstadt Kabul und der Provinzhauptstädte vielerorts an grundlegender Infrastruktur für Energie, Trinkwasser und Transport. Der Anteil der Bevölkerung, der Zugang zu Trinkwasser hat, beträgt nur 46 %.
255 
Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage vom 19.10.2016 - Stand September 2016 -, S. 21; UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 19.04.2016, S. 31.
256 
cc) Verschärft wird die Lage - insbesondere auf dem Arbeits- und dem Wohnungsmarkt - nicht zuletzt aufgrund erheblicher Migrationsbewegungen.
257 
Für das gesamte Land ist eine erhebliche, zudem stetig ansteigende Anzahl an Migranten festzustellen. Es handelt sich sowohl um Binnenvertriebene (internally displaced persons - IDPs), Rückkehrer (insbesondere aus Iran und Pakistan sowie aus dem westlichen Ausland) und Wirtschaftsmigranten.
258 
EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 40.
259 
Im Jahr 2015 gab es in ganz Afghanistan mindestens 1,1 Millionen Binnenvertriebene.
260 
Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19.10.2016 - Stand: September 2016, S. 21: zwischen 1,1 und 1,2 konfliktinduzierte Binnenflüchtlinge.
261 
Im April 2016 war deren Zahl auf 1,2 Millionen geschätzt worden.
262 
Stahlmann, Asylmagazin 2017, S. 73 (74 f.) m.w.N.;. a.i., My children will die this winter - Afghanistan´s broken promise to the displaced, 31.05.2016, S. 7.
263 
Bis Jahresende wurden 2016 insgesamt 620.000 bis 650.000 Menschen als kriegsbedingt vertrieben ausdrücklich und aktenkundig registriert - das sind dreimal so viele wie 2014 und sechsmal so viele wie 2012. Im Zeitraum seit Anfang 2017 bis ca. Juli 2017 haben etwa 150.000 Personen auf Grund innerstaatlicher Konflikte ihren Wohnort verlassen. Sie suchen mehrheitlich innerhalb ihrer Provinz Zuflucht, es sind aber auch Fluchtbewegungen in die Provinz Kabul zu verzeichnen.
264 
Stahlmann, Asylmagazin 2017, S. 73 (74) m.w.N.: 623.345; General Assembly Security Council, The situation in Afghanistan and its implications for international peace and security - report of the Secretary-General, 03.03.2017: S. 9 zur Verschlechterung bis ins Jahr 2017 mit Rekordzahlen neuer, konfliktbedingter Binnenvertreibung in Höhe von 651.751 Personen; vgl. auch Bericht des Auswärtigen Amts zur Lagebeurteilung für Afghanistan nach dem Anschlag am 31. Mai 2017 - Stand Juli 2017 -, S. 10.
265 
Daneben sind im Jahr 2016 etwa eine Million Menschen aus Iran und Pakistan nach Afghanistan zurückgekehrt, wobei als Rückkehrende auch jene gelten, deren Eltern schon im benachbarten Ausland geboren wurden. Hintergrund ist, dass der Iran vermehrt afghanische Staatsangehörige abschiebt und Pakistan im letzten Herbst 2016 entschieden hat, ab April 2017 keine afghanischen Personen mehr im Land zu dulden. Zusätzlich zu den 1,6 Millionen afghanischen Staatsangehörigen, die in Pakistan bisher einen Flüchtlingsstatus hatten, betrifft diese Entscheidung nach Schätzungen der pakistanischen Regierung zumindest eine weitere Million illegal dort lebender afghanischer Personen.
266 
UNHCR, Anmerkungen zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des deutschen Bundesministerium des Inneren - Dezember 2016, S. 4 zum Rekordniveau von interner Flucht und Vertreibung für das Jahr 2016: ca. 372.000 + 242.000 Flüchtlinge aus Pakistan und 420.000 aus dem Iran sowie eine Prognose für das Jahr 2017 mit 650.000 zurückkehrenden Flüchtlingen; Stahlmann, Asylmagazin 2017, S. 73 (74): 1.034.000 Rückkehrer aus Iran und Pakistan; a.i., Amnesty Report 2017 - Afghanistan (Berichtszeitraum 1. Januar 2016 bis 31. Dezember 2016): S. 1; Schuster, Risks on return to Kabul, 12.08.2016, S. 16 f./Rn. 43; ProAsyl, Afghanistan - No safe country for refugees, Mai 2017, S. 4: mehr als eine Million; General Assembly Security Council, The situation in Afghanistan and its implications for international peace and security - report of the Secretary-General, 03.03.2017: S. 9 zur Rückkehr von 620.000 Flüchtlingen und nicht dokumentierten Afghanen aus Pakistan.
267 
Plastisch hat der UNHCR die Versorgungs- und humanitäre Situation zusammengefasst. Er beschreibt, dass infolge des allgemein gestiegenen Sicherheitsrisikos - einschließlich der Zunahme der die Mitarbeiter von Hilfsorganisationen betreffenden Sicherheitsvorfälle - der Zugang zu den betroffenen Menschen für humanitäre Hilfsorganisationen begrenzt ist. Die begrenzte Präsenz jener Organisationen in den vom Konflikt betroffenen Gebieten behindert insbesondere den Zugang zu lebensrettender Unterstützung für die besonders schutzbedürftigen Teile der Bevölkerung. Jahrzehnte der Konflikte und wiederkehrender Naturkatastrophen haben die afghanische Bevölkerung in einen Zustand großer Schutzbedürftigkeit versetzt und die Überlebensmechanismen vieler Menschen erschöpft. Der fortwährende Konflikt greift durch die Zerstörung von Lebensgrundlagen und von Viehbestand, steigende Raten ansteckender Krankheiten, verstärkte Vertreibung, ständige Menschenrechtsverletzungen und höhere Kriminalitätsraten diese Schwachstellen weiter an. Ebenso haben der andauernde Konflikt, schwache Regierungsgewalt sowie ineffiziente oder korrupte Institutionen dazu geführt, dass Vorbereitungsmaßnahmen im Hinblick auf Katastrophen, Risikoreduzierung und Notfallmechanismen Berichten zufolge nicht oder kaum vorhanden sind. In der Folge stellen Naturkatastrophen wie Überflutungen, Schlammlawinen, Erdbeben, Dürren und harte Winter eine weitere Belastung für die Bevölkerung dar, deren Widerstandskraft ohnehin bereits geschwächt wird.
268 
UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 19.04.2016, S. 30 f.; vgl. auch UNOCHA, Humanitarian Needs Overview 2017, November 2016, S. 8.
269 
dd) Des Weiteren ist die Situation der Menschen in Afghanistan bestimmt durch eine anhaltend schlechte Sicherheitslage.
270 
Sie wird - bei starken regionalen Unterschieden - allgemein als anhaltend volatil beschrieben.
271 
Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19.10.2016 - Stand: September 2016, S. 4. Ruttig in Staatssekretariat für Migration SEM der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Notiz Afghanistan: Alltag in Kabul - Referat von Thomas Ruttig (Afghanistan Analysts Network) am 12.04.2017, 20.06.2017, S. 4 ff. spricht von der dreifachen Krise im Hinblick auf die Sicherheitslage, die sozio-ökonomische und die politische Situation in Afghanistan
272 
Afghanistan besetzt auf dem Global Peace Index (GPI) des Jahres 2017 bei den am wenigsten friedlichen Ländern den zweiten Platz hinter Syrien. In der weiteren Beschreibung des GPI wird dazu ausgeführt, die Gesamtbewertung Afghanistans habe sich das sechste Jahr in Folge weiter verschlechtert. Die Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen hat auch in den ersten Monaten des Jahres 2017 wieder zugenommen, insbesondere im Vergleich zu derselben Zeitspanne des Vorjahres.
273 
UK Home Office, Country Policy and Information Note - Afghanistan: Security and humanitarian situation, August 2017, S. 14 m.w.N. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Afghanistan (Gesamtaktualisierung vom 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 27.06.2017), S. 13 f.
274 
Eine Bedrohung für Leib und Leben von Zivilisten geht von den Kampfhandlungen der Konfliktparteien, aber auch von improvisierten Sprengkörpern, von Selbstmordanschlägen und komplexen Angriffen auf staatliche Einrichtungen aus. UNAMA gab im Bericht betreffend den Schutz von Zivilisten im bewaffneten Konflikt für das Jahr 2016 eine Zahl von 11.418 zivilen Opfern an, davon 7.920 Verletzte und 3.498 Tote. Der Halbjahresbericht vom Juli 2017 geht für das erste Halbjahr 2017 von einer Gesamtopferzahl (Tote und Verletzte) von 5.243 im Vergleich zu 5.267 im Vorjahreszeitraum aus. Die überwiegende Zahl von zivilen Opfern ist dabei auf Kampfhandlungen am Boden (38 % im Jahr 2016, 34 % im ersten Halbjahr 2017) und improvisierte Sprengsätze (19 % im Jahr 2016, 18 % im ersten Halbjahr 2017) zurückzuführen. Dabei ist die Bevölkerung immer dann gefährdet, wenn sie bei Kämpfen der Konfliktparteien zwischen die Fronten gerät oder Opfer improvisierter Sprengsätze wird, die für andere Ziele gedacht waren. Weniger ausschlaggebend ist dagegen, ob die afghanischen Sicherheitskräfte oder die Taliban die Kontrolle über einen Raum ausüben.
275 
Auswärtiges Amt, Zwischenbericht: Lagebeurteilung für Afghanistan nach dem Anschlag am 31. Mai 2017 - Stand Juli 2017, S. 8 f.; UNAMA, Midyear Report 2017: Afghanistan - protection of civilians in armed conflict, Juli 2017. S. 3; UNAMA, Annual Report 2016: Afghanistan - protection of civilians in armed conflict, Februar 2017, S. 10.
276 
Während zivile Opfer in ländlichen Gebieten vor allem auf Kampfhandlungen, Landminen, improvisierte Sprengsätze und Übergriffe von nicht-staatlichen Gruppen zurückzuführen sind, stellen für die städtische Bevölkerung vor allem Selbstmordanschläge, komplexe Attacken, gezielte Tötungen und Entführungen Bedrohungen dar. Dies gilt insbesondere für Kabul.
277 
Auswärtiges Amt, Zwischenbericht: Lagebeurteilung für Afghanistan nach dem Anschlag am 31. Mai 2017 - Stand Juli 2017, S. 9.
278 
Ein großer Teil des Landes wird von regierungsfeindlichen Kräften beherrscht, wobei die jeweilige Vorherrschaft der unterschiedlichen Kräfte ständigem Wandel unterworfen ist. Im ersten Quartal 2017 waren nur etwa 60 % der 407 Distrikte des Landes unter der Kontrolle oder dem Einfluss der afghanischen Regierung, was einen Anstieg um 2,5 Prozentpunkte im Vergleich zum Stand Mitte November 2016, aber einen Rückgang um 11 Prozentpunkte im Vergleich zum ersten Quartal 2016 bedeutet. Die Taliban behaupten, 16 der 34 Provinzen Afghanistans zu kontrollieren und in nur 89 Distrikten nicht präsent zu sein. In den südlichen Provinzen Helmand, Nimroz, Uruzgan, Zabul, Ghazni würden beinahe alle Distrikte von ihnen kontrolliert bzw. seien zumindest „umkämpft“.
279 
UK Home Office, Country Policy and Information Note - Afghanistan: Security and humanitarian situation, August 2017, S. 22 f. m.w.N.; siehe auch Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Afghanistan (Gesamtaktualisierung vom 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 27.06.2017), S. 27.
280 
Unter dem direkten Einfluss der Taliban standen im dritten Quartal 2016 etwa 2,9 Millionen Menschen, im vierten Quartal waren es noch ungefähr 2,5 Millionen.
281 
Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Afghanistan (Gesamtaktualisierung vom 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 27.06.2017), S. 26 f.
282 
Die afghanische Regierung konnte dabei die Kontrolle über Kabul sowie die Hauptbevölkerungszentren, die meisten Schlüsselverbindungsstrecken, Provinzhauptstädte und die Mehrzahl der Distriktzentren behalten, wobei Distriktzentren und Provinzhauptstädte von Taliban bekämpft bzw. bedroht und diese sich zeitweise der Hauptkommunikationsverbindungen im Land bemächtigt haben, insbesondere in den Provinzen Kunduz und Helmand.
283 
UK Home Office, Country Policy and Information Note - Afghanistan: Security and humanitarian situation, August 2017, S. 23 m.w.N.; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Afghanistan (Gesamtaktualisierung vom 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 27.06.2017), S. 24.
284 
In Afghanistan - aber auch grenzüberschreitend Richtung Pakistan - sind mehr als 20 aufständische Gruppen bzw. terroristische Netzwerke aktiv, darunter die Taliban, das Haqqani Netzwerk (verbündet mit den Taliban, aber nicht Teil von deren Kernbewegung), der Islamische Staat (auch Daesh) in Gestalt des IS-Zweigs ISKP (auch ISIL-KP) sowie al-Qaida.
285 
Zu den einzelnen Gruppen ausführlich u.a.: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Afghanistan (Gesamtaktualisierung vom 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 27.06.2017), S. 10 ff. und 27 ff.
286 
Die Sicherheitslage wird außerdem durch den Opiumanbau in Afghanistan beeinträchtigt. Die Einkünfte aus dem Drogenschmuggel versorgen sowohl die Aufständischen als auch daneben bestehende kriminelle Netzwerke. Die Anbaufläche für Opium vergrößerte sich im Jahr 2016 im Vergleich zum Vorjahr um 10 % auf etwa 201.000 Hektar. Das für das Jahr 2016 geschätzte Volumen der Opiumproduktion betrug 4.800 Tonnen, was eine Steigerung von etwa 43 % im Vergleich zum Vorjahr bedeutet. Die im Vergleich zur Ausweitung der Produktionsfläche auffallend hohe Steigerung der Produktionsmenge erklärt sich aus guten Anbaubedingungen bei zugleich weniger effektiven staatlichen Bekämpfungsmaßnahmen aufgrund von fehlenden finanziellen Ressourcen hierfür sowie der schlechten Sicherheitslage.
287 
Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Afghanistan (Gesamtaktualisierung vom 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 27.06.2017), S. 31; General Assembly Security Council, The situation in Afghanistan and its implications for international peace and security - report of the Secretary-General, 03.03.2017, S. 11; zur Instabilität infolge des Opiumhandels: UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 19.04.2016, S. 15.
288 
ee) Rückkehrer aus dem westlichen Ausland - freiwillig Zurückgekehrte aber insbesondere auch Abgeschobene - sind zusätzlichen Risiken ausgesetzt. Sie sehen sich dem generellen Verdacht gegenüber, ihr Land und ihre religiöse Pflicht verraten zu haben.
289 
Stahlmann, ZAR 2017, 189 (196); dies., Landeskundliche Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 4, je m.w.N.; UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 19.04.2016, S. 97, insb. Rn. 545.
290 
Ein Aufenthalt im westlichen Ausland wird vermehrt dahin wahrgenommen, der Zurückkehrende habe sich der europäischen Kultur und dem Lebensstil angepasst. Es herrscht die Erwartung, der Betroffene werde entsprechendes (Fehl-) Verhalten auch in Afghanistan weiter an den Tag legen, etwa außereheliche Beziehungen, Alkohol- und Drogenkonsum und alle möglichen Varianten von Apostasie. Schon entsprechende Gerüchte können ausreichen, um staatliche Verfolgung, jedenfalls aber Selbstjustiz bis hin zur Bestrafung mit dem Tod - auch durch Angehörige - wegen des vermeintlichen Bruchs kultureller und religiöser Normen auszulösen.
291 
Stahlmann, Landeskundliche Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 7 ff. m.w.N., dies., Asylmagazin 2017, 82 (83); Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 22. Januar 2016 zu Afghanistan: Situation einer ledigen Mutter der Hazara-Ethnie in Kabul, 22.01.2016, S. 9 f. sowie US Department of State, Afghanistan 2016 Human Rights Report, 17.03.2017, S. 11; zum Risiko der vermeintlichen „Kontamination“ durch die westliche Lebensweise: Schuster, Report for the Upper Tribunal in the case of XXXX YYYY, 08.11.2016, S. S. 4 f./Rn. 13 und dies., Risks on return to Kabul, 12.08.2016, S. 19/Rn. 49; Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 29 ff. m.w.N.; zur Problematik der vermeintlichen „Verwestlichung“ bei Frauen ausführlich Giesler/Wohnig, Uneinheitliche Entscheidungspraxis zu Afghanistan - Eine Untersuchung zur aktuellen Afghanistan-Entscheidungspraxis des BAMF und der Gerichte (Ergänzte Fassung zur Kurzfassung aus Asylmagazin 2017, 223) (asyl.net), S. 13 f. m.w.N.
292 
Die Unterstützung durch Angehörige und Familie - soweit vorhanden - ist darüber hinaus des Öfteren eingeschränkt, weil die Rückkehr nach Afghanistan als Ausdruck des Versagens trotz des vermeintlich leichten Lebens im Westen verstanden wird und gleichzeitig der Verdacht schwelt, der Zurückkehrende habe womöglich eine schwere Straftat in Europa begangen. Denn nach einer in Afghanistan weit verbreiteten Auffassung schiebt Europa nur Straftäter ab, weshalb ein Abgeschobener im vermeintlich regellosen Europa ein schweres Verbrechen verübt haben müsse.
293 
Stahlmann, Landeskundliche Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 9; zum Stigma des Versagens auch Naber, Asylmagazin 2016, 3 (7) und auch Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 35 sowie S. 36 zur Assoziation der Rückkehr mit Kriminalität, je m.w.N.
294 
Außerdem kann einer Unterstützung durch die Familie entgegenstehen, dass diese erhebliche Mittel aufgewendet oder sogar Geld geliehen hat, um die Reise zu finanzieren. Neben dem Vorwurf, der Zurückkehrende habe die erwartete (Versorgungs-) Leistung nicht erbracht, droht auch die Rückforderung durch Kreditgeber, mit der Folge, dass ein Rückkehrer seiner Familie nicht willkommen, sondern „bestenfalls“ nur eine Belastung für diese ist.
295 
Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 38 und 41.
296 
Des Weiteren wird als Gefahr beschrieben, dass die Taliban die Flucht als ein Verhalten werten, mit dem man sich ihrem Machtanspruch entziehen will. Nachvollziehbar erscheint angesichts dessen, dass von Seiten der Taliban das Interesse bestehen soll, zur allgemeinen Abschreckung diejenigen zur Rechenschaft zu ziehen, die sich ihnen entzogen haben.
297 
Stahlmann, ZAR 2017, 189 (196); dies., Landeskundliche Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 4 ff., je m.w.N.; UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 19.04.2016, S. 41 f.; Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 33 f. m.w.N.
298 
Entsprechend wird die ohnehin allgemein übliche Überprüfung der Biographie der Rückkehrer durch das neue soziale Umfeld noch sorgfältiger als üblich vorgenommen, da sie wegen ihrer Flucht grundsätzlich verdächtigt werden, sich persönlicher Verfolgung entzogen zu haben - sei es durch militante Gruppierungen oder Privatpersonen.
299 
Stahlmann, Landeskundliche Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 5, m.w.N.; ähnlich Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 40 und 43 m.w.N. vgl. auch S. 35 m.w.N. zur Problematik der Diskriminierung/Entlassung bei Bekanntwerden eines vorangegangenen Aufenthalts im westlichen Ausland.
300 
Zudem wird angesichts des - grob verzerrt und übersteigert wahrgenommenen - Reichtums in Europa („Jeder Europäer ist (Euro-)Millionär“) in Afghanistan oft davon ausgegangen, dass Rückkehrer während ihrer Zeit im Westen zu Wohlstand gekommen sind. Sowohl sie selbst als auch ihre Familien laufen daher Gefahr, Opfer von Entführungen zu werden, die lebensbedrohlich sein können, insbesondere wenn nicht gezahlt wird oder werden kann. Das gleiche gilt für bekanntgewordenen Kontakt mit Ausländern.
301 
Stahlmann, ZAR 2017, 189 (198); dies., Landeskundliche Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 10 f., je m.w.N.; Schuster, Report for the Upper Tribunal in the case of XXXX YYYY, 08.11.2016, S. 6 f./Rn. 18 sowie Schuster, Risks on return to Kabul, 12.08.2016, S. 20/Rn. 52; Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 29 f. und S. 40, je m.w.N.
302 
Schließlich berichten Rückkehrer von Problemen mit Behörden oder Sicherheitskräften, insbesondere weil sie als anders aussehend wahrgenommen werden, weil sie keine Tazkira haben, aber auch, weil sie als Sicherheitsrisiko empfunden werden, da sie mangels Ausbildung und mangels Chancen auf Arbeit als potentielle Drogenhändler oder durch bewaffnete regierungsfeindliche Kräfte leicht zu rekrutierende Personen gesehen werden.
303 
Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 18.
304 
ff) Andererseits können Rückkehrer - anders als die übrige Bevölkerung - von Unterstützungsmaßnahmen profitieren.
305 
Zusammenfassend hierzu: Afghanistan Analysts Network - voluntary and forced returns to Afghanistan in 2016/17: trends, statistics and experiences, 19.05.2017, S. 6 f. und Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 19 bis 29.
306 
Die Internationale Organisation für Migration (IOM) bietet in Deutschland verschiedene Rückkehrhilfen an. Unterstützung in Gestalt von Geldzahlungen können afghanische Rückkehrer, die sich freiwillig in ihr Heimatland zurückbegeben, über zwei Programme des IOM erlangen.
307 
Das REAG/GARP-Programm 2017 („Reintegration and Emigration Program for Asylum-Seekers in Germany“/„Government Assisted Repatriation Program“) gewährt eine Reisebeihilfe (etwa die Übernahme der Beförderungskosten) sowie eine Starthilfe, die für Erwachsene und Jugendliche 500 EUR und für Kinder unter zwölf Jahren 250 EUR beträgt.
308 
IOM, REAG/GARP-Programm 2017, Informationsblatt Projekt „Bundesweite finanzielle Unterstützung freiwilliger Rückkehrer/Innen“ (Juli 2017), S. 1; IOM, REAG/GARP-Programm 2017, Projekt „Bundesweite finanzielle Unterstützung freiwilliger Rückkehrer/Innen“, Merkblatt für deutsche Behörden, Mitglieder der Wohlfahrtsverbände, Fachberatungsstellen, zentrale Rückkehrberatungsstellen, Ausländerbeauftragte und den Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCHR) (Juli 2017), S. 5); IOM, REAG/GARP-Programm 2017, Projekt „Bundesweite finanzielle Unterstützung freiwilliger Rückkehrer/Innen“, Merkblatt für deutsche Behörden, Mitglieder der Wohlfahrtsverbände, Fachberatungsstellen, zentrale Rückkehrberatungsstellen, Ausländerbeauftragte und den Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCHR) (Januar 2017), S. 5.
309 
Das „StarthilfePlus-Programm 2017“, das zum Dezember 2017 aktualisiert und erweitert wurde, gewährt Personen, die freiwillig in ihr Heimatland zurückkehren, eine zusätzliche finanzielle Unterstützung. Bei Entscheidung zur Ausreise und Rücknahme des Asylantrags vor Abschluss des Asylverfahrens werden 1.200 EUR, für Kinder unter 12 Jahren 600 EUR pro Kind geleistet („Stufe 1“). Nach Zustellung eines negativen Asylerstbescheids verringert sich der Betrag auf 800 EUR bzw. für Kinder auf 400 EUR, sofern die verbindliche Entscheidung zur freiwilligen Ausreise innerhalb der im Bescheid gesetzten Ausreisefrist erfolgt und keine Rechtsbehelfe bzw. Rechtsmittel eingelegt bzw. bereits eingelegte zurückgenommen werden („Stufe 2“). Die zum Dezember 2017 neu eingeführten „Stufe S“ betrifft Leistungen an Personen mit Schutzstatus, die freiwillig auf ihren Schutzstatus verzichten („Stufe S“). Die Übergangsregelung der „Stufe Ü“, die bereits im Vorgängerprogramm der StarthilfePlus vom Januar 2017 enthalten war, sieht Leistungen ebenfalls im Umfang 800 EUR (bzw. 400 EUR pro Kind) vor. Sie betrifft Rückkehrwillige, die entweder vollziehbar ausreisepflichtig sind, auch wenn eine Abschiebungsandrohung noch nicht oder nicht mehr vollziehbar ist, oder solche, die eine Duldung besitzen, einen Folgeantrag oder einen Zweitantrag gestellt haben. Anders als im Vorgängerprogramm setzt die Gewährung der StarthilfePlus nun nicht mehr voraus, dass die Entscheidung zur freiwilligen Ausreise vor einem Stichtag (dies war bislang der 31. Juli 2017) zu erfolgen hat. Erforderlich ist lediglich, dass die betroffene Person vor dem 1. Februar 2017 in Deutschland registriert wurde und eine vollziehbare Ausreisepflicht, eine Duldung oder die Stellung eines Folge- oder Zweitantrags vor dem 1. August 2017 vorlag. Bei gemeinsamem Antrag von mehr als vier Familienmitgliedern ist zudem bei allen vier Stufen ein Familienzuschlag von 500 EUR vorgesehen. Ein Rechtsanspruch auf finanzielle Unterstützung besteht allerdings nicht.
310 
BAMF/IOM, StarthilfePlus-Programm 2017, Merkblatt für deutsche Behörden, Mitglieder der Wohlfahrtsverbände, Fachberatungsstellen, zentrale Rückkehrberatungsstellen, Ausländerbeauftragte und den Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCHR) (Dezember 2017), S. 2; BAMF/IOM, StarthilfePlus-Programm 2017, Merkblatt für deutsche Behörden, Mitglieder der Wohlfahrtsverbände, Fachberatungsstellen, zentrale Rückkehrberatungsstellen, Ausländerbeauftragte und den Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCHR) (Februar 2017), S. 2; BAMF/IOM, Übersichtsblatt zur StarthilfePlus 2017:Zusätzliche finanzielle Unterstützung bei der freiwilligen Rückkehr, Februar 2017.
311 
Die Auszahlung der Gelder aus dem Programm REAG/GARP erfolgt noch in Deutschland, die des StarthilfePlus-Programms 2017 je zur Hälfte am Abflughafen und zur Hälfte in Afghanistan nach etwa sechs bis acht Monaten. Ansonsten erfolgen Bargeldzahlungen durch die IOM üblicherweise unmittelbar nach der Ankunft am Flughafen oder in einem der IOM-Büros vor Ort.
312 
BAMF/IOM, StarthilfePlus-Programm 2017, Merkblatt für deutsche Behörden, Mitglieder der Wohlfahrtsverbände, Fachberatungsstellen, zentrale Rückkehrberatungsstellen, Ausländerbeauftragte und den Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCHR) (Dezember 2017), S. 3; IOM/ZIRF, Mitteilung vom 14.08.2017 zu den Programmen des IOM für freiwillige Rückkehrer (StarthilfePlus, REAG/GARP) auf eine Anfrage des VGH Bad.-Württ. vom 10.07.2017 (A 11 S 512/17); BAMF/IOM, Übersichtsblatt zur StarthilfePlus 2017: Zusätzliche finanzielle Unterstützung bei der freiwilligen Rückkehr, Februar 2017; Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 13, 17 und 25 m.w.N.
313 
Darüber hinaus bietet die IOM über das European Reintegration Network (ERIN) das Unterstützungsprogramm ERIN Specific Action Program für Rückkehrer nach Afghanistan an. Dieses hat allerdings - anders als die vorgenannten Programme - keine Geldleistungen zum Gegenstand. Es gewährt Unterstützung nach der Ankunft und bei der Reintegration in Afghanistan, wobei freiwillige Rückkehrer eine umfangreichere Unterstützung („larger re-integration packages”) erhalten als diejenigen, die nicht freiwillig zurückgekehrt sind. Die Inanspruchnahme setzt eine Bewerbung vor der Rückkehr voraus. Angeboten werden ein Empfangs- und Orientierungsservice bei der Ankunft am Flughafen, Unterstützung beim Weitertransport, Empfehlungen zur Sicherstellung der durchgehenden Versorgung mit dringender ärztlicher Behandlung und eine Notfallunterbringung von mindestens einer Woche. Zur weiteren Wiedereingliederung kann die Beratung durch einen IOM-Mitarbeiter in Anspruch genommen werden, der den Rückkehrern und ihren Familien etwa bei der Planung einer Strategie zur Reintegration helfen kann und auch dazu, wie sie die ihnen gewährten nationalen Zuschüsse sinnvoll verwenden können. Möglich sind Hilfestellungen bei Existenzgründungen, die Beratung bei der Suche und Vermittlung von Arbeitsstellen, die Vermittlung in Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen, Unterstützung in sozialen, medizinischen und rechtlichen Angelegenheit oder die Unterstützung bei der Wohnraumbeschaffung. Unterstützungsleistungen werden nicht durch Direktzahlungen, sondern durch Beratungs- und Sachleistungen erbracht. Bei rückgeführten Personen können diese höchstens einen Wert von 700 EUR haben. Als „berücksichtigungsfähige Kriterien“ bei der Prüfung werden existenzsichernde Maßnahmen, individueller medizinischer Bedarf, die Rückkehr weiterer Familienangehöriger, die Dauer des Aufenthalts in Deutschland bzw. der Abwesenheit im Heimatland sowie die Vulnerabilität des Betroffenen genannt. Die Reintegrationsmaßnahmen legen der Rückkehrer und der Mitarbeiter vor Ort individuell fest. Die Unterstützung soll nach drei bis sechs Monaten weitgehend abgeschlossen sein.
314 
Siehe insgesamt: BAMF/ERIN, Programmsteckbrief ERIN - European Reintegration Network, Rückkehrerhilfen (Projektdauer Juni 2016 bis Dezember 2021), 14.08.2017; IOM/ ERIN - European Reintegration Network, Specific Action Program, Afghanistan Briefing Note, 13.03.2017; ERIN/IOM, ERIN - European Reintegration Network, Specific Action Program, Afghanistan Leaflet, 13.03.2017.
315 
Sachleistungen können freiwillige Rückkehrer außerdem im Rahmen eines für den Zeitraum zwischen 1. Dezember 2017 und 28. Februar 2018 geltenden Sonderprogramms der StarthilfePlus zur Reintegrationsunterstützung beantragen. Diese umfassen u.a. Bau-, Renovierungs- und Instandhaltungsmaßnahmen, Basismobiliar und Grundausstattung für Küche und sanitäre Anlagen. Die Leistungen sind auf den Wert von 1.000 EUR pro Einzelperson und 3.000 EUR pro Familie begrenzt. Die konkrete Ausgestaltung der Reintegrationsunterstützung ist abhängig von einem nach der Rückkehr im Zielland zu erarbeitenden Reintegrationsplan.
316 
BAMF/IOM, Informationsblatt „Reintegrationsunterstützung im Bereich Wohnen im Bundesprogramm StarthilfePlus“ (Dezember 2017).
317 
IOM-Programme werden allerdings nur in geringem Umfang in Anspruch genommen. Dies scheint vor allem an technischen und bürokratischen Hürden zu liegen. Im Falle abgeschobener Personen kann hinzukommen, dass diese die Ankunft und Rückkehr am Flughafen in Kabul als demütigend empfinden, deswegen nicht das Bedürfnis verspüren, dort zu verweilen und entsprechend auch nicht den Kontakt zu dem dortigen IOM-Mitarbeiter suchen. Wenn der Umstand der Rückkehr als erdrückend empfunden wird, hat dies unter Umständen zur Folge, dass sie ihre Zeit mit dem Versuch verbringen, sich anzupassen, sie auf Grund von Depressionen nicht die Kraft für Verwaltungsaufgaben aufbringen, sie die Weitergabe von Informationen an die Behörden fürchten oder es ihnen an einem Telefon oder dem Geld für die Reise zu einem der IOM-Büros mangelt. Als maßgeblicher Grund wird auch vermutet, dass die Betroffenen nicht auf die Notwendigkeit der Kontaktaufnahme zu dem IOM-Mitarbeiter hingewiesen werden.
318 
Afghanistan Analysts Network - voluntary and forced returns to Afghanistan in 2016/17: trends, statistics and experiences, 19.05.2017, S. 9 f., Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 26 f. m.w.N.; dort auch auf S. 48 zur Problematik, dass von Teilnehmern des IOM-Programms bemängelt worden sei, keine individualisierte Beratung statt, sondern die Beratung zur Planung eines Geschäftsbetriebs sei immer gleich („one-size-fits-all“).
319 
Auch von Seiten der afghanischen Regierung gibt es Unterstützungsprogramme für Rückkehrer aus Europa.
320 
Im April 2015 hat die afghanische Regierung zunächst eine Hohe Kommission für Migration gegründet und im November 2016 dann ein gesondert auf die Belange von Rückkehrern gerichtetes Komitee (Displacement and Returnees Executive Committee). Dessen Funktion ist es, eine Strategie zur Koordination von humanitären und Entwicklungsprogrammen festzulegen sowie die Entwicklung von Richtlinien zur Unterstützung (u.a.) von Rückkehrern. Dabei geht es nicht nur um die finanzielle Unterstützung des Einzelnen. Damit die Rückkehrer nicht als gescheitert und unfähig zur Leistung des von ihnen erwarteten Beitrags erscheinen, ist auch die finanzielle Unterstützung des familiären bzw. sozialen Umfelds angedacht. Der Ansatz ist allerdings kritisiert worden, etwa weil er die örtliche Korruption nicht berücksichtige.
321 
Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 28, dort auch zu Unterstützungsangeboten für das Umfeld bzw. die Gemeinschaft der Rückkehrer („a more community-oriented financial support“).
322 
Die derzeit von Seiten der afghanischen Regierung gewährten Hilfen umfassen die Bereiche der Arbeitsvermittlung, des rechtlichen Beistands sowie Fragen von Grund und Boden und Obdach. Die Unterstützung wird nicht von einer einzelnen Institution gewährt, vielmehr muss der Rückkehrer selbst die Initiative ergreifen und sich an die jeweils zuständige Stelle wenden - etwa an das Arbeitsministerium, wenn er Hilfe bei der Arbeitssuche erhalten will. Rückkehrer aus Europa berichten, dass sie nur wenig Unterstützung in irgendeiner Art erhalten hätten, mit Ausnahme einer zweiwöchigen Unterbringung durch die Regierung.
323 
Afghanistan Analysts Network - voluntary and forced returns to Afghanistan in 2016/17: trends, statistics and experiences, 19.05.2017, S. 7; Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 28.
324 
Schließlich gibt es lokale nichtstaatliche Organisationen, die freiwillige und abgeschobene Rückkehrer unterstützen, etwa IPSO (International Psychosocial Organisation) und AMASO (Afghanistan Migrants Advice & Support Organisation). IPSO ist eine in Deutschland ansässige Organisation mit psychosozialen Unterstützungsangeboten (Selbsterfahrungsgruppen, Übungen zum Leben in Afghanistan, Eins-zu-Eins-Beratung, Malen und Handarbeit). AMASO gewährt Rückkehrern - vorwiegend aus nordischen Ländern - die Möglichkeit einer Unterkunft für mehr als zwei Wochen. Außerdem bietet eine örtliche Anwaltskanzlei (freiwilligen) Rückkehrern aus Norwegen ihre Dienstleistungen an. Etablierte Koordinationsmechanismen zur Sicherstellung der benötigten Unterstützung für alle Rückkehrer oder zu deren Gleichbehandlung scheint es allerdings insgesamt nicht zu geben.
325 
Afghanistan Analysts Network - voluntary and forced returns to Afghanistan in 2016/17: trends, statistics and experiences, 19.05.2017, S. 7, dort auch S. 10 zu AMASO und IPSO; Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 28 f., dort auf S. 53 auch ausführlicher zu IPSO sowie auf S. 64 ausführlicher zur AMASO, dort auch zur Betreuung eines aus Deutschland abgeschobenen, bei einem Bombenanschlag verletzten Rückkehrers.
326 
Eine weitere Unterstützungsleistung können Rückkehrer zudem in Form einer kurzfristigen Unterbringung erlangen. Die IOM bietet in einem sogenannten Empfangszentrum (Jangalak reception centre) eine vorübergehende Unterkunft für höchstens zwei Wochen. Es handelt sich um ein Gebäude auf dem Gelände des Ministeriums für Flüchtlinge und Neuverteilung auf dem Gelände der früheren Jangalak-Fabrik. Dort gibt es 24 Zimmer mit je zwei bis drei Betten. Sowohl freiwillige als auch abgeschobene Rückkehrer können dort unterkommen. Zwölf Mitarbeiter betreuen die Rückkehrer. 2016 nutzten 43 Personen das Angebot. Sie blieben durchschnittlich für sieben Nächte.
327 
Afghanistan Analysts Network - voluntary and forced returns to Afghanistan in 2016/17: trends, statistics and experiences, 19.05.2017, S. 9.
328 
Im Rahmen einer entsprechenden Befragung erklärten mehrere Rückkehrer, sie wollten auf das Angebot nicht zurückgreifen, weil sie glaubten, der Aufenthalt dort berge das Risiko, dass sie als Rückkehrer identifiziert würden.
329 
Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 63.
330 
c) In Kabul als Ankunfts- bzw. Endort der Abschiebung gestalten sich die Lebensverhältnisse in Teilen ähnlich, es gibt allerdings auch Unterschiede zu den für das gesamte Land erläuterten Lebensverhältnissen.
331 
Wie bereits im Zusammenhang mit dem städtischen Wohnungsmarkt allgemein dargestellt, ist der Wohnungsmarkt in Kabul teuer und (insbesondere auch auf Grund der großen Zahl intern Vertriebener und Rückkehrern aus dem benachbarten Ausland) sehr angespannt. Denn die Stadt Kabul hat von der erheblichen, stetig ansteigenden Anzahl an Migranten einen unverhältnismäßig großen Anteil aufgenommen.
332 
EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 40.
333 
Kabul ist der Hauptzielort der größten Rückkehrbewegung und zugleich auch traditionell ein Zufluchtsgebiet der vom Konflikt betroffenen Binnenvertriebenen insbesondere aus der Zentralregion. Ein erheblicher Anteil der insgesamt 5,7 Millionen Menschen, die nach dem Fall der Taliban aus dem Iran und Pakistan zurückgekehrt waren, und der genannten 1,2 Millionen Binnenvertriebenen hat sich in bzw. um Kabul herum niedergelassen. Zu diesen kommen noch weitere Personen hinzu, etwa ein erheblicher Anteil der im Jahr 2016 aus Pakistan Zurückgekehrten. Ihre Zahl wurde zur Jahresmitte 2016 noch mit 54.600 bemessen. Zum Ende des Jahres 2016 nannte der UNHCR die Zahl ca. 625.000 Rückkehrern aus Pakistan allein für die letzten vier Monate des Jahres 2016. In Zusammenhang mit dieser Entwicklung wird auch die Verlautbarung eines Ministers der afghanischen Regierung (Balkhi) gebracht, Kabul könne nicht alle Personen aus gefährlichen Provinzen aufnehmen, verbunden mit der Bitte, Abschiebungen zu beenden.
334 
Schuster, Report for the Upper Tribunal in the case of XXXX YYYY, 08.11.2016, S. 18/Rn. 53; Schuster, Risks on return to Kabul, 12.08.2016, S. 16 f./Rn. 43; Stahlmann, Asylmagazin 2017, S. 73 (75); UNHCR, Anmerkungen zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des deutschen Bundesministerium des Inneren - Dezember 2016, S. 5 zur starken Betroffenheit u.a. von Kabul von der hohen Anzahl an Rückkehrern sowie S. 7 zu Kabul als traditionellem Zufluchtsort.
335 
Ein nicht unerheblicher Teil der Migranten, aber auch der von jeher in Kabul ansässigen Bevölkerung, gehört dabei der Volksgruppe der Hazara an. In Kabul sollen nach Schätzungen über eine Million bzw. bis zu 1,5 Millionen Hazara leben. Die meisten davon sind Vertriebene, die sich erst vor Kurzem dort niedergelassen haben. Sie sind von den negativen Auswirkungen des hohen Arbeitslosigkeit in gleichem Maße wie auch die übrige Bevölkerung betroffen.
336 
Immigration and Refugee Board of Canada, Afghanistan: Situation of Hazara people living in Kabul City, including treatment by society, security situation, and access to employment; security situation for Hazara traveling to areas surrounding Kabul City to access employment, 20.04.2016.
337 
Fast einem Viertel der 55.000 registrierten zurückkehrenden Familien und ein ähnlicher Anteil an nicht dokumentierten Rückkehrern aus Pakistan hat sich in den überfüllten informellen Siedlungen Kabuls niedergelassen. Deswegen bewertet auch der UNHCR im Hinblick auf den Rückgang der wirtschaftlichen Entwicklung in Kabul als Folge des massiven Abzugs der internationalen Streitkräfte im Jahr 2014 die Aufnahmekapazität der Stadt aufgrund begrenzter Möglichkeiten der Existenzsicherung, Marktliquidität, der fehlenden Verfügbarkeit angemessener Unterbringung sowie des mangelnden Zugangs zu grundlegenden Versorgungsleistungen insbesondere im Gesundheits- und Bildungswesen, als äußerst eingeschränkt.
338 
UNHCR, Anmerkungen zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des deutschen Bundesministerium des Inneren - Dezember 2016, S. 7.
339 
Als Folge des großen Zustroms nach Kabul wird beschrieben, dass die Migranten in besonderem Maße benachteiligt seien und oft in den überfüllten informellen Siedlungen endeten, für die insbesondere für den Winter die Zustände als schrecklich geschildert werden. Diese bestehen großteils aus behelfsmäßigen Zelten oder Lehmhütten ohne geeigneten Schutz vor Kälte und mit beschränktem Zugang zu sauberem Wasser und medizinischer Versorgung. Es wird von mehreren Dutzend Menschen, insbesondere Kindern und älteren Personen, berichtet, die in den Wintermonaten der Jahre 2012 und 2017 wegen der Kälte gestorben sind. Zum Anderen führt der immense Zuzug dazu, dass die existenziellen Ressourcen noch stärker umkämpft sind, die Arbeitslosigkeit und die Alltagskriminalität zunehmen.
340 
EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S.40; Stahlmann, Landeskundliche Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 15 f.; zu den Zuständen in den informellen Siedlungen auch EASO Country of Origin Information Query - Query concerning the situations of returnees to Afghanistan, 22.06.2015, S. 5 f. m.w.N.; a.i., My children will die this winter - Afghanistan´s broken promise to the displaced, 31.05.2016, S. 17.
341 
Im Übrigen bedeutet eine Wohnung in Kabul zu haben nicht automatisch den Zugang zu Wasser und Strom. Dieser hat sich zwar in den letzten 15 Jahren generell verbessert. Allerdings ist bei der zentralen Wasserversorgung die Wasserqualität schlecht geworden, da Infrastruktur ursprünglich für weit weniger Einwohner ausgelegt war. So funktioniert das öffentliche Wasserleitungssystem nur stundenweise. Zugang zu Leitungswasser haben nur ungefähr 34 % der Einwohner. Die meisten Menschen leben in den Slums und beziehen das Wasser entweder von öffentlichen Pumpen oder selbst angelegten Brunnen, mit denen das Grundwasser angezapft wird. Dessen Stand hat sich zwischenzeitlich von drei bis fünf Metern auf 70 bis 80 Meter Tiefe abgesenkt.
342 
Staatssekretariat für Migration SEM der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Notiz Afghanistan: Alltag in Kabul - Referat von Thomas Ruttig (Afghanistan Analysts Network) am 12.04.2017, 20.06.2017, S. 7; Sam Hall, Urban Poverty Report - A study of poverty, food insecurity and resilience in Afghan Cities, November 2014, S. 49.
343 
Schließlich ist auch die Sicherheitslage in Kabul prekär.
344 
Vgl. dazu die Übersicht: UK Home Office, Country Policy and Information Note - Afghanistan: Security and humanitarian situation, August 2017, S. 24 f.
345 
Sie war bereits in den vergangenen Jahren geprägt von zahlreichen Anschlägen, insbesondere auf medienwirksame Ziele ausländischer Streitkräfte und Organisationen sowie Regierungseinrichtungen.
346 
Dazu die ausführliche Darstellung bei Schuster, Report for the Upper Tribunal in the case of XXXX YYYY, 08.11.2016, S. 21 ff./Rn. 59 ff. und dies. Risks on return to Kabul, 12.08.2016, S. 7/Rn. 18 sowie auch Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 6. Juni 2016: Sicherheitslage in der Stadt Kabul, 06.06.2016; vgl. auch die genannte Entscheidung OVG NRW, Urteil vom 26.08.2014 - 13 A 2998/11 Rn. 207 bis 230 zur damaligen - vor Abzug internationalen der Streitkräfte liegenden - Sicherheitslage (Rn. 217: „aktuell als stabil eingeschätzt“) und der diesbezüglichen Rolle der Taliban.
347 
In jüngerer Zeit erweist sich die Sicherheitslage weiter als volatil. UNAMA hat für das Jahr 2016 für die gesamte Provinz Kabul 1.758 zivile Opfer registriert (376 Tote und 1.382 Verletzte). Kabul war damit die Provinz mit der höchsten Anzahl ziviler Opfer. Zur ersten Hälfte des Jahrs 2017 berichtete UNAMA, die Provinz Kabul weise weiterhin die höchste Zahl an zivilen Opfern auf, vorwiegend in Kabul City. Von den 1.048 zivilen Opfern (219 Tote und 829 Verletzte) in der Provinz Kabul waren 94 % die Folge von Selbstmordattentaten und komplexen Angriffen in Kabul City durch regierungsfeindliche Kräfte.
348 
UNAMA, Midyear Report 2017: Afghanistan - protection of civilians in armed conflict, Juli 2017, Annex III, S. 73 und S. 5, dort auch Fn. 11 zur Stadt Kabul: 986 zivile Opfer in den ersten sechs Monaten des Jahres (209 Todesopfer und 777 Verletzte); EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 83; UK Home Office, Country Policy and Information Note - Afghanistan: Security and humanitarian situation, August 2017, S. 24.
349 
Vom Dezember 2016 bis zum 31. Mai 2017 gab es insgesamt acht öffentlichkeitswirksame Angriffe in Kabul (bei 42 Angriffen an anderen Orten in Afghanistan). So waren beispielsweise bereits bei einem Angriff durch Aufständische auf einen Stützpunkt der Afghanische Nationalarmee 144 Mitarbeiter getötet und 65 weitere Personen verletzt worden. Der Vorfall, der bei Weitem die schwersten Folgen hatte und gleichzeitig die meiste Aufmerksamkeit in den Medien erfuhr, war allerdings der Anschlag vom 31. Mai 2017.
350 
UK Home Office, Country Policy and Information Note - Afghanistan: Security and humanitarian situation, August 2017, S. 24 f.; Auswärtiges Amt, Zwischenbericht: Lagebeurteilung für Afghanistan nach dem Anschlag am 31. Mai 2017 - Stand Juli 2017, S. 2; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Afghanistan (Gesamtaktualisierung vom 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 27.06.2017); S. 8 f. vgl. zu den weiteren zahlreichen Vorfällen die Darstellung in der Entscheidung des Senats: VGH Bad.-Württ., Urteil vom 16.10.2017 - A 11 S 512/17 -, juris Rn. 206 ff.
351 
Wie bei dem Vorfall vom 31. Mai 2017 wurden auch bei weiteren Anschlägen in Kabul, die erklärtermaßen gegen Regierungsinstitutionen, internationale Organisationen und Einrichtungen der afghanischen Armee und Polizei gerichtet waren, viele Angehörige der afghanischen Zivilbevölkerung (u.a. Passanten, Kinder usw.) verletzt und getötet.
352 
Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 19. Juni 2017 zu Afghanistan: Sicherheitslage in Kabul, 19.06.2017, S. 3 m.w.N.; vgl. auch dazu die Entscheidung des Senats: VGH Bad.-Württ., Urteil vom 16.10.2017 - A 11 S 512/17 -, juris Rn. 206 ff.
353 
Auch im vergangenen Herbst - am 20. Oktober 2017- kam es wieder zu einem Selbstmordattentat, bei dem mindestens 39 Personen, möglicherweise auch 65 Personen getötet wurden.
354 
Spiegel-online, Terror in Afghanistan - Mehr als 50 Tote bei Attentaten auf Moscheen, 20.10.2017.
355 
Im Unterschied zu den vergangen Jahren kommt es nun zu einer Zunahme ziviler Opfer. Dieser Anstieg ist auf zahlreiche Selbstmordattentate und komplexe Angriffe in Kabul zurückzuführen. Anders als früher häufen sich nun auch Anschläge, die sich gezielt gegen Zivilpersonen richten. So beklagt UNAMA, dass sich zwischen dem 1. Januar und dem 30. Juni 2017 mindestens 40 % der von UNAMA dokumentierten zivilen, regierungsfeindlichen Elementen zuzuschreibenden Opfern (und 26 % der Gesamtzahl der zivilen Opfer) das Ergebnis von Angriffen oder Vorfällen sind, die sich gezielt gegen Zivilisten richteten.
356 
UNAMA, Midyear Report 2017: Afghanistan - protection of civilians in armed conflict, Juli 2017, S. 44; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 19. Juni 2017 zu Afghanistan: Sicherheitslage in Kabul, 19.06.2017, S. 3; dort auch der Hinweis auf die drei schweren Anschläge vom 23. Juli 2016, vom 11. Oktober 2016 und vom 21. November 2016, dazu sogleich; vgl. zur vermehrt gezielt auf die Zivilbevölkerung gerichtete Anschläge, insbesondere der ISKP: Auswärtiges Amt, Zwischenbericht: Lagebeurteilung für Afghanistan nach dem Anschlag am 31. Mai 2017 - Stand Juli 2017, S. 10.
357 
Zusammenfassend ist hinsichtlich der allgemeinen Sicherheitslage in Kabul
358 
- vgl. hierzu ergänzend die Ausführungen im Urteil des Senats vom 16.10.2017 - A 11 S 512/17 -, juris Rn. 193, sowie auch zu den Verhältnissen in Kabul allgemein: juris Rn. 99 ff. -
359 
festzuhalten, dass sich nicht nur die Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle gehäuft hat, sondern - wohl maßgeblich auch wegen „neuen“ regierungsfeindlichen Kräfte (IS/Daesh/ISKP) - als weitere Tendenz festzustellen ist, dass bei Anschlägen nun vermehrt zivile Opfer in Kauf genommen werden und sogar gerade auf die Zivilbevölkerung zielen.
360 
Vgl. zum Argument, Angriffe auf die Zivilbevölkerung lägen nicht im Fokus bzw. im Interesse der Taliban, noch das Urteil des OVG NRW vom 26.08.2014 - 13 A 2998/11.A -, NVwZ-RR 2014, 939.
361 
d) Ausgehend von den dargestellten Verhältnissen in Afghanistan insgesamt sowie insbesondere in der Stadt Kabul als End- bzw. Ankunftsort einer Abschiebung ist im Falle der Kläger ein ganz außergewöhnlicher Fall, in dem humanitäre Gründe seiner Abschiebung zwingend entgegensprächen im Sinne von Art. 3 EMRK, nicht festzustellen.
362 
aa) Der Senat konnte sich keine Überzeugungsgewissheit (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) davon bilden, dass der Kläger im Falle seiner Rückkehr auf sich allein gestellt wäre und keine Verwandten oder andere Anlaufstellen in Kabul hätte.
363 
(1) Das Gericht trifft seine Entscheidung gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Auch im Asylverfahren muss die danach gebotene Überzeugungsgewissheit dergestalt bestehen, dass das Gericht die volle Überzeugung von der Wahrheit (nicht etwa nur von der Wahrscheinlichkeit) des vom Kläger behaupteten individuellen Schicksals erlangt hat. Wegen des sachtypischen Beweisnotstandes, in dem sich der Betroffene insbesondere hinsichtlich der von ihm vorgetragenen Vorgänge im vielfach befinden, genügt für diese Vorgänge in der Regel die Glaubhaftmachung, wodurch allerdings das Gericht nicht von einer Überzeugungsbildung im Sinne des § 108 Abs. 1 VwGO enthoben ist. Vielmehr darf das Gericht keine unerfüllbaren Beweisanforderungen stellen und keine unumstößliche Gewissheit verlangen. Es muss sich in tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen, der den Zweifeln Schweigen gebietet, auch wenn sie nicht völlig auszuschließen sind.
364 
Unter Berücksichtigung des beschriebenen Beweisnotstands kommt dem persönlichen Vorbringen des Klägers und dessen Würdigung gesteigerte Bedeutung zu, weswegen allein der Tatsachenvortrag des Schutzsuchenden zum Erfolg der Klage führen kann, sofern seine Behauptungen unter Berücksichtigung aller sonstigen Umstände in dem Sinne „glaubhaft" sind, dass sich das Gericht von ihrer Wahrheit überzeugen kann.
365 
Grundlegend: BVerwG, Urteile vom 16.04.1985 - 9 C 109.84 -, NVwZ 1985, 567, juris Rn. 16 und vom 29.11.1977 - I C 33.71 -, juris, beide m.w.N.; außerdem: BVerwG, Beschlüsse vom 08.02.2011 - 10 B 1.11 -, NVwZ-RR 2011, 382 und vom 08.03.2007 - 1 B 101.06 -, BeckRS 2007, 22701; vgl. dazu auch Stuhlfauth, in: Bader, u.a., VwGO, 6. Aufl. 2014, § 108 VwGO Rn. 8, m.w.N.
366 
So sieht auch Art. 4 Abs. 5 RL 2011/95EU - der hier bezogen auf das nationale Abschiebungsverbot keine unmittelbare Anwendung finden kann - unter bestimmten Umständen vor, dass die Einlassung des Schutzsuchenden ausreichend sein kann und es keiner Nachweise seiner Aussagen bedarf. Und zwar dann, wenn dieser sich offenkundig bemüht hat, seinen Antrag zu begründen, alle ihm verfügbaren Anhaltspunkte vorliegen, und er eine hinreichende Erklärung für das Fehlen anderer relevanter Anhaltspunkte gegeben hat, festgestellt wurde, dass seine Aussagen kohärent und plausibel sind und sie zu den für seinen Fall relevanten, verfügbaren besonderen und allgemeinen Informationen nicht in Widerspruch stehen, er internationalen Schutz zum frühestmöglichen Zeitpunkt beantragt hat (es sei denn, er kann gute Gründe dafür vorbringen, dass dies nicht möglich war) und schließlich auch seine generelle Glaubwürdigkeit festgestellt worden ist.
367 
Vgl. dazu EuGH, Urteil vom 22.11.2012 - C-277/11 - (M.M./Irland), NVwZ 2013, 59.
368 
Es ist demzufolge zunächst Sache des Schutzsuchenden, die Gründe für seine Furcht vor Verfolgung schlüssig vorzutragen. Dazu hat er unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei verständiger Würdigung ergibt, dass ihm in seinem Heimatstaat Verfolgung droht. Hierzu gehört, dass er zu den in seine Sphäre fallenden Ereignissen, insbesondere zu seinen persönlichen Erlebnissen, eine Schilderung gibt, die geeignet ist, den behaupteten Anspruch lückenlos zu tragen. Erhebliche Widersprüche und Unstimmigkeiten im Vorbringen können dem entgegenstehen, es sei denn, diese können überzeugend aufgelöst werden. Bei der Bewertung der Stimmigkeit des Sachverhalts müssen u.a. Persönlichkeitsstruktur, Wissensstand und Herkunft des Schutzsuchenden berücksichtigt werden.
369 
Dazu BVerwG, Beschluss vom 21.07.1989 - 9 B 239.89 -, NVwZ 1990, 171, juris Rn. 3 und 4 sowie auch OVG NRW, Urteil vom 02.07.2013 - 8 A 2632/06.A -, BeckRS 2013, 55090 juris Rn. 59.
370 
Mit anderen Worten: Für die richterliche Überzeugungsbildung ist eine bewertende Gesamtschau des gesamten Vorbringens des Schutzsuchenden unter Berücksichtigung seiner individuellen Aussagekompetenz und seiner Glaubwürdigkeit erforderlich, die die Stimmigkeit des Vorbringens an sich, dessen Detailtiefe und Individualität, sowie dessen Übereinstimmung mit den relevanten und verfügbaren Erkenntnismitteln ebenso berücksichtigt wie die Plausibilität des Vorbringens, an der es etwa fehlen kann, wenn nachvollziehbare Erklärungen fehlen oder unterbleiben, falsche oder missverständliche Urkunden nicht erklärt werden können bzw. wenn Beweise oder Vorbringen ohne nachvollziehbaren Grund verspätet vorgebracht werden.
371 
Vgl. insgesamt auch VGH Bad.-Württ., Urteil vom 19.04.2017 - A 11 S 1411/16 -, BeckRS 2017, 127389 Rn. 23 ff. sowie International Association of Refugee Law Judges, Assessment of Credibility in Refugee and Subsidiary Protection claims under the EU Qualification Directive, Judicial criteria and standards, https://www.iarlj.org/images /stories/Credo/Credo_Paper_March 2013-rev1.pdf, Seite 33 f.).
372 
Diese Maßstäbe sind auch bei der Prüfung des geltend gemachten Anspruchs auf Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots anzuwenden, soweit es um Tatsachenfeststellungen geht, die sich unmittelbar auf das Herkunftsland des Betroffenen beziehen. Denn insoweit sind die Interessenlage und der mögliche Beweisnotstand sehr ähnlich zu der Situation, in der sich ein Kläger befindet, der internationalen Schutz begehrt.
373 
(2) Ein großer Teil der Angaben des Klägers zu seiner Herkunft, Familie und Bildung erweisen sich nicht als kohärent im Sinne des Art. 4 Abs. 5 Buchstabe c) RL 2011/95/EU. Die Angaben in der Anhörung durch das Bundesamt, durch das Verwaltungsgericht und nunmehr durch den erkennenden Senat weisen erhebliche Widersprüche auf, die der Kläger nicht hat erläutern können und die teilweise auch nur dahingehend erklärbar sind, dass die Angaben nicht der Wahrheit entsprechen. Der Senat konnte nicht feststellen, ob eine der verschiedenen Varianten in den Schilderungen der Wahrheit entspricht.
374 
(a) Gegenüber dem Bundesamt behauptete der Kläger ausweislich der Niederschrift über die Anhörung vom 11. Oktober 2016, er sei Analphabet und weder in Afghanistan noch im Iran zur Schule gegangen. Hingegen gab er beim Verwaltungsgericht und gegenüber dem Senat an, sechs Jahre in Afghanistan zur Schule gegangen zu sein. Seine Einlassung, dass er die Angaben beim Bundesamt nicht so wie protokolliert gemacht habe, überzeugen den Senat jedenfalls deswegen nicht, weil der Kläger einmal ausweislich S. 46 der Bundesamtsakten bestätigt hat, dass ihm das Protokoll rückübersetzt worden sei und es den gemachten Angaben und zum anderen auch bei weiteren Unstimmigkeiten (dazu unten) allein auf eine unzutreffende Protokollierung verwiesen hat oder gar keine Erklärung für das inkohärente Aussageverhalten liefern konnte.
375 
(b) Hinsichtlich seiner Tätigkeiten im Iran nach der Handgelenksverletzung hatte er beim Bundesamt angegeben, bei einem anderen Arbeitgeber als Bauwächter gearbeitet zu haben. Beim Verwaltungsgericht ließ er sich dahin ein, als Reinigungskraft tätig gewesen zu sein. Er habe sauber gemacht. Gegenüber dem Senat hat er zunächst ebenfalls angegeben, Reinigungskraft gewesen zu sein um auf den Vorhalt seiner Angaben gegenüber dem Bundesamt zu behaupten, dass er beide Tätigkeiten verfolgt habe. Reinigungstätigkeiten und Security seien für ihn das Gleiche. Sowohl die Abweichungen als auch der Erklärungsversuch, der sich dem Senat als Schutzbehauptung darstellt, zeigen auf, dass sich der Kläger hier nicht bemüht hat, hinsichtlich seines persönlichen Schicksals im Iran die Wahrheit zu berichten. Denn die unterschiedlichen Angaben lassen sich unter keinen Umständen miteinander vereinbaren.
376 
(c) Während der Kläger sowohl beim Bundesamt als auch beim Verwaltungsgericht angegeben hatte, seine beiden Eltern seien jeweils Einzelkinder, hat er vor dem Senat erklärt, er habe einen Onkel in Pakistan. Auf den Vorhalt seiner Einlassung vor dem Bundesamt behauptete er, dort sei er nur gefragt worden, ob er Eltern habe. Dies stimmt zum einen nicht mit dem Protokollinhalt überein (siehe auch oben unter (a)) und vermag erst recht nicht die Einlassung gegenüber dem Verwaltungsgericht zu erklären. Der Senat kann sich daher über die Familienverhältnisse des Klägers keine Überzeugung bilden. Die Aussage gegenüber dem Verwaltungsgericht, es könne sein, dass er Verwandte gehabt habe, diese seien aber alle bereits verstorben, passt in das Bild des Einlassungsverhaltens des Klägers, der offenkundig darum bemüht ist, keine wahrheitsgemäßen Angaben zur Familiensituation zu machen.
377 
(d) Weiter sind die Angaben zur Motivation, Afghanistan zu verlassen und in den Iran überzusiedeln, in einer Weise widersprüchlich, dass sie keine Rückschlüsse auf die tatsächlichen Beweggründe zulassen. Gegenüber dem Bundesamt gab der Kläger an, nach dem Tod seiner Mutter in den Iran gegangen zu sein, um sich zu ernähren, da er in Afghanistan niemanden mehr gehabt und praktisch kein Zuhause mehr gehabt habe. Beim Verwaltungsgericht ließ er sich dahin ein, dass er sich nach dem Tod der Mutter auf den Weg nach Kabul gemacht habe, um sich als Soldat zu melden. Dort habe er auch seine Unterlagen abgegeben. Auf dem Weg sei er von Taliban kontrolliert und geschubst worden. In der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Senat war hingegen davon keine Rede mehr. Hier hat er sich dahingehend eingelassen, dass er nicht in Afghanistan bei den Nachbarn habe bleiben wollen. Andere substanzielle Angaben machte er auch auf Nachfragen nicht.
378 
(e) Diese vielen Unstimmigkeiten in wesentlichen Bereichen der Angaben und die aufgezeigten Unvereinbarkeiten der verschiedenen Aussagen mit- und untereinander führen dazu, dass sich der Senat zur Familiensituation des Klägers keine Überzeugung bilden kann. Da die Angaben hier - wie ausgeführt -in sich widersprüchlich sind, ohne dass dies erklärlich wäre, der Kläger aber andererseits auch keinen Nachweis über seine Identität führen kann oder will, kann der Senat nicht davon ausgehen, dass der Kläger in Kabul auf sich alleine gestellt wäre. Denn es ergibt zur Überzeugung des Senats nur dann Sinn, seine familiären Verhältnisse und damit einen Teil seiner Identität nicht Preis zu geben, wenn diese für ihn im Falle der Rückkehr günstig und damit für den geltend gemachten Anspruch ungünstig sind. Aufgrund der vielen Unstimmigkeiten im Vortrag lässt sich für den Kläger auch keine generelle Glaubwürdigkeit feststellen, so dass der Senat auch keine hinreichende Überzeugung davon gewinnen konnte, ob der Kläger tatsächlich vier oder fünf Jahre vor seiner Ausreise im Iran gelebt hat oder nicht. Daher lässt sich für den Senat auch die finanzielle Leistungsfähigkeit des Klägers nicht feststellen, was zur Folge hat, dass der Senat nicht davon ausgehen kann, dass der Kläger zur Begleichung der Lebenshaltungskosten in Kabul zwingend und unmittelbar nach Verbrauch etwaiger Rückkehr- und Starthilfen auf eine sofortige Erwerbstätigkeit angewiesen wäre.
379 
bb) Doch auch dann, wenn man zugunsten des Klägers unterstellt, er wäre allein stehend, hätte keine familiären Beziehungen in Kabul und habe mehrere Jahre im Iran gelebt und gearbeitet, führte dies nicht auf ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG.
380 
Der Senat geht in seiner Rechtsprechung (vgl. Urteil vom 09.11.2017 - A 11 S 789/17) davon aus, dass im Falle leistungsfähiger, erwachsener Männer ohne Unterhaltsverpflichtungen und ohne familiäres oder soziales Netzwerk bei der Rückkehr aus dem westlichen Ausland in Kabul die hohen Anforderungen des Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG, Art. 3 EMRK nicht erfüllt sind.
381 
(1) Zwar ist die Lage in Kabul - wie im gesamten Land - prekär. Wie sich aus den vorstehenden Darstellungen ersehen lässt, sind sowohl die wirtschaftlichen Voraussetzungen als auch die humanitären Umstände schlecht. Dasselbe gilt für die in den letzten Jahren stetig schlechter gewordene Sicherheitslage. Dennoch kann nicht gleichsam für sämtliche Rückkehrer aus dem westlichen Ausland, denen es in Kabul oder in Afghanistan insgesamt an (familiären oder sonstigen) Beziehungen oder an Unterstützungsnetzwerken fehlt, angenommen werden, die schlechten Bedingungen im Land könnten generell und bei allen diesen Rückkehrern ganz außerordentliche individuelle Umstände darstellen und die hohen Anforderungen zur Bejahung des Art. 3 EMRK trotz fehlenden Akteurs erfüllen.
382 
Afghanistan und insbesondere Kabul sind gerade auch in jüngster Zeit mit der Rückkehr einer Vielzahl von Menschen aus dem benachbarten und westlichen Ausland konfrontiert. Dabei stellt sich deren Lage, obwohl die Situation für Rückkehrer schwierig ist, nicht für alle gleichermaßen problematisch dar. Berichte dahin, dass Rückkehrer generell oder aber jedenfalls in sehr großer Zahl und unabhängig von ihrer persönlichen Disposition ihr Existenzminimum nicht sichern könnten, gibt es nicht. Vielmehr sind bestimmte, vulnerable Gruppen wie etwa Familien mit jüngeren Kindern, alleinstehende Frauen, Kranke oder ältere Menschen in besonderem Maße gefährdet, ohne dass aber insgesamt festzustellen wäre, dass die Existenzsicherung oder gar das Überleben für sämtliche Rückkehrer nicht gewährleistet wäre.
383 
Insbesondere trifft dies auch nicht für Rückkehrer aus dem westlichen Ausland, aus Europa oder gar aus Deutschland zu, zumal beispielsweise mit Unterstützung der IOM seit dem Jahr 2003 insgesamt 15.041 Personen aus verschiedenen Ländern Europas (darunter das Vereinigte Königreich, Norwegen, die Niederlande, Deutschland, Schweden, Dänemark, Frankreich, Belgien und Österreich) freiwillig nach Afghanistan zurückgekehrt sind. Allein im Jahr 2016 unterstützte die IOM 6.864 Personen bei ihrer freiwilligen Rückkehr nach Afghanistan, davon über 3.000 aus Deutschland. Die meisten Rückkehrer (78 % oder 5.382) waren dabei junge Männer, von denen wiederum ein erheblicher Anteil zwischen 19 und 26 Jahren alt war (2.781) oder sogar Jugendliche mit bis zu 18 Jahren (2.101). Die Zahl der zurückgekehrten Familien wird mit 733 angegeben.
384 
Asylos - research for asylum, Afghanistan: Situation of young male „Westernised“ returnees to Kabul, August 2017, S. 16; Afghanistan Analysts Network - voluntary and forced returns to Afghanistan in 2016/17: trends, statistics and experiences, 19.05.2017, S. 2; UN General Assembly Security Council, The situation in Afghanistan and its implications for international peace and security - report of the Secretary-General, 03.03.2017, S. 10.
385 
Neben diesen zahlreichen freiwilligen Rückkehrern gab und gibt es Abschiebungen aus Europa. So wurden im Zeitraum zwischen Oktober 2016 und April 2017 insgesamt 176 Personen aus Europa nach Afghanistan abgeschoben, darunter 106 aus Deutschland, von denen wiederum auch einige keine Verwandten in Kabul oder in Afghanistan insgesamt hatten (etwa, weil sie zuvor lange Jahre im Iran gelebt hatten).
386 
Afghanistan Analysts Network - voluntary and forced returns to Afghanistan in 2016/17: trends, statistics and experiences, 19.05.2017, S. 3 ff.
387 
Obwohl diese Rückkehrer sich - wie dargestellt - in Afghanistan vielen Belastungen gegenübersehen und die Situation im Land äußerst schwierig ist, sind den umfangreichen Erkenntnismitteln zur Lage in Afghanistan keine Informationen zu entnehmen, aus denen geschlossen werden könnte, allein der Umstand einer Rückkehr aus dem westlichen Ausland bei fehlenden Netzwerken vor Ort stehe einer Existenzsicherung in Afghanistan bzw. in Kabul (auch nur auf niedriger Stufe) entgegen. Zwar gibt es vereinzelte Rückkehrerberichte, die die oben geschilderte Bandbreite von Problemen betreffen. Erfahrungsberichte oder Schilderungen dahin, dass gerade auch leistungsfähige erwachsene männliche Rückkehrer ohne Unterhaltsverpflichtungen gegenüber Kindern sowie kinderlose Ehepaare in großer Zahl oder sogar typischerweise von Obdachlosigkeit, Hunger, Krankheit betroffen oder infolge solcher Umstände gar verstorben wären, liegen hingegen nicht vor. Zwar lassen sich für den Senat Nachteile bei Unterkunfts- und Arbeitssuche durchaus nicht ausschließen, eine tatsächliche Gefahr, dass sie eintreten werden, besteht indes nicht. Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit, dass sich diese Situation auch im Falle des Klägers realisieren würde - dass also auch der Kläger entsprechend erkannt würde, dass er infolge dessen tatsächlich keinen Zugang zu einer auch nur einfachen Unterkunft haben würde oder vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen wäre -, vermag der Senat daher nicht festzustellen.
388 
(2) Insbesondere lässt sich aus dem Fehlen eines bereits bestehenden familiären oder sozialen Netzwerks in Kabul nicht die beachtliche Wahrscheinlichkeit eines Verstoßes gegen Art. 3 EMRK herleiten. Ein solches traditionelles Unterstützungsnetzwerk, das durch (unterstützungsfähige und - willige) Mitglieder der (erweiterten) Familie oder ihrer größeren ethnischen Gruppe gebildet wird, ist auch nach Auffassung von UNHCR im Falle von alleinstehenden, leistungsfähigen Männern ohne besonderen Schutzbedarf trotz der schlechten Lebensbedingungen in Afghanistan nicht geboten, um zu verhindern, dass im Falle der Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein kontinuierlicher Prozess in Gang gesetzt wird, in dem sie verelenden und bleibende schwere physische und seelische Schäden davontragen. Denn von diesen kann erwartet werden, ohne Unterstützung von Familie und Gemeinschaft in urbanen und semi-urbanen Umgebungen zu leben, die die notwendige Infrastruktur sowie Erwerbsmöglichkeiten zur Sicherung der Grundversorgung bieten und unter tatsächlicher staatlicher Kontrolle stehen, wobei allerdings dennoch immer eine einzelfallbezogene Analyse vorzunehmen ist.
389 
UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 19.04.2016, S. 10 und S. 99, wobei in der nachfolgenden Stellungnahme des UNHCR vom Dezember 2016 (Anmerkungen zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des deutschen Bundesministerium des Inneren - Dezember 2016) insofern keine Änderungen der Bewertung vorgenommen wurden (vgl. dort zur Aufrechterhaltung der Erwägungen der Richtlinien vom 19.04.2016: S. 7 f.).
390 
Von nicht unerheblicher Bedeutung kann allerdings sein, ob die Betroffenen eine der beiden in Afghanistan gesprochenen Sprachen (Paschtu und Dari) beherrschen und sich somit hinreichend verständigen können.
391 
Zu diesem Kriterium vgl. BayVGH, Urteil vom 16.01.2014 - 13a B 13.30025 -, Leitsatz sowie juris Rn. 25 (Sicherung des Existenzminimums für einen afghanischen Rückkehrer ohne Kenntnisse einer der Landessprachen verneint, wenn kein Vermögen vorhanden und keine familiäre Unterstützung zu erlangen ist).
392 
Dies ist bei dem Kläger der Fall. Weiter ist zu beachten, dass der den Erkenntnismitteln zu entnehmende Zusammenhalt unter den Volkszugehörigen der Hazara dem Kläger bei einer Rückkehr nach Kabul zugutekommen kann, da für Hazara beim Zuzug in eine neue Stadt die Möglichkeit besteht, auf ein Netzwerk um die örtliche Moschee oder eine religiöse bzw. eine Wohlfahrtseinrichtung zurückzugreifen.
393 
EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City (August 2017), S. 68.
394 
Bereits aus dieser Möglichkeit ergibt sich, dass die Volkszugehörigkeit des Klägers seiner Existenzsicherung nicht entgegensteht. Aus den obigen Ausführungen unter I. 2. b) folgt weiter, dass die mögliche Alltagsdiskriminierung der Hazara sich nicht mit der hier zu prüfenden beachtlichen Wahrscheinlichkeit existenzbedrohend für den Kläger auswirkt. Insbesondere gibt es trotz der großen Zahl der Hazara in Kabul keine Berichte darüber, dass Hazara typischerweise keine Arbeit und/oder keine Unterkunft erhalten würden.
395 
(3) Das Erwirtschaften eines - wenn auch womöglich sehr geringen - Einkommens wird dem Kläger trotz des angespannten Arbeitsmarkts wenigstens als Tagelöhner möglich sein. Insbesondere vermag der Senat aus dem diagnostizierten „Zustand nach einer Extensionsfraktur des distalen Radius rechts“ nicht den Schluss zu ziehen, dass der Kläger in erheblicher Weise bei der Arbeitsplatzsuche eingeschränkt wäre. Denn die von ihm beauftragte Fachärztin für Chirurgie kommt in ihrer Bescheinigung vom 8. November 2011 zu dem Ergebnis, dass kein schwer einschränkender Dauerschaden vorläge sondern nur leichte Belastungsschmerzen zu verzeichnen seien. Ausgehend von diesen fachärztlichen Aussagen lässt sich eine mögliche, erhebliche Einschränkung bei der Arbeitsplatzsuche – etwa weil bereits eine Vielzahl von Angeboten aus körperlichen Gründen abgelehnt werden müssten – nicht feststellen.
396 
Unterstellt man die Angaben des Klägers zu seiner Beschäftigung und seinen Lebensumständen im Iran, so hat er dort im Übrigen bewiesen, dass er auf sich allein gestellt auch unmittelbar nach dem Handgelenksbruch flexibel genug reagieren konnte und Tätigkeiten im Reinigungs- und Bewachungsgewerbe finden konnte. Dies lässt jedenfalls nicht den Schluss zu, dass er zu einer erfolgreichen Arbeitsplatzsuche nicht in der Lage wäre.
397 
(4) Zwar sind die Lebenshaltungskosten für den Kläger in Kabul hoch. Ausgehend von vorstehenden Ausführungen (ohne Unterbringungskosten) sind sie mit mindestens 100 EUR pro Monat zu bemessen, die Mietkosten werden mit mindestens 88 US$ bzw. 4.000 Afghani bzw. 75 EUR pro Monat angegeben
398 
S.o., insbesondere zu den monatlichen Lebenshaltungskosten von mindestens 100 EUR: BAMF/ZIRF/IOM, ZIRF-Anfrage Wohnraumsituation I: Lebenshaltungskosten in Kabul für alleinstehenden Mann, 09.05.2017 sowie zum Preis von ab 4.000 Afghani für ein Einzelzimmer: Schuster, Risks on return to Kabul, 12.08.2016, S. 16/Rn. 42.
399 
Der Kläger hat die Möglichkeit, zunächst im Jangalak-Zentrum zu wohnen, sich von dort um Arbeit und Unterkunft - beides ggf. auf niedrigem Niveau - zu bemühen und - sollte es nicht anders gehen - vorübergehend in einer der informellen Siedlungen unterzukommen. Dass die fraglos beklagenswerten Zustände in solchen Siedlungen insgesamt flächendeckend derart desolat sind, dass sie gleichsam für jeden Bewohner und damit auch für die kinderlosen Kläger mit den hohen Anforderungen des Art. 3 EMRK nicht zu vereinbaren wären, vermag der Senat nicht festzustellen.
400 
(5) Der Senat geht dabei allerdings davon aus, dass die dargestellten Rückkehrerhilfen für die Frage der Existenzsicherung der Kläger keine nachhaltige Bedeutung haben können, da sie bestenfalls eine anfängliche Unterstützung bzw. einen nur vorübergehenden Ausgleich schaffen können. Die 500,- EUR, die die Kläger bei einer Entscheidung zur freiwilligen Rückkehr über das REAG/GARP-Programm erhalten würden, vermögen ihnen nur eine überschaubare Erleichterung zu bieten. Auch die Leistungen des ERIN-Programms stellt der Senat nicht in die Beurteilung ein. So besteht kein Rechtsanspruch auf diese Leistungen, weswegen unklar ist, ob der Kläger überhaupt Leistungen erhalten würd. Im Übrigen ist auch nicht im Voraus bestimmbar, welche Leistungen im Falle einer Leistungsgewährung vor Ort in Betracht gezogen werden könnten.
401 
Vgl. dazu VGH Bad.-Württ., Urteil vom 03.11.2017 - A 11 S 1704/17 -.
402 
Gleiches gilt für die Geldleistungen des im Dezember 2017 neu aufgelegten StarthilfePlus-Programms, auf die ein Rechtsanspruch nicht besteht. Auch welche Sachleistungen im Rahmen des bis 28. Februar 2018 befristeten Reintegrations-Programms der StarthilfePlus womöglich gewährt werden könnten, ist angesichts des erst vor Ort auszuarbeitenden Reintegrationsplans völlig offen.
403 
(6) Schließlich ist auch im Hinblick auf die durchaus schwierige Sicherheitslage in Kabul ein Verstoß im Sinne von § 60 Abs. 5 AufenthG, Art. 3 EMRK nicht festzustellen. So entspricht die Gefahrendichte in der Provinz Kabul insbesondere nicht der, wie sie im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts zur Gewährung subsidiären Schutzes (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG) erforderlich wäre, was oben bereits erläutert worden ist.
404 
Zur Heranziehung dieses Kriteriums im Rahmen des Art. 3 EMRK bzw. des § 60 Abs. 5 AufenthG vgl. etwa VGH Bad.-Württ., Urteile vom 09.11.2017 - A 11 S 789/17 -, juris; vom 26.02.2014 - A 11 S 2519/19 -, vom 14.08.2013 - A 11 S 688/13 - und vom 24.07.2013 - A 11 S 727/13 -.
405 
2. Auch auf der Grundlage von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist ein nationales Abschiebungsverbot nicht gegeben.
406 
a) Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht.
407 
Dies kann aus individuellen Gründen - etwa wegen drohender An- oder Übergriffe Dritter oder auf Grund von Krankheit - der Fall sein (a)), kommt aber ausnahmsweise auch infolge einer allgemein unsicheren oder wirtschaftlich schlechten Lage im Zielstaat in Betracht (b)).
408 
aa) Vom Tatbestand des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG werden existentielle Gefahren wie Tötung, Folter, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung umfasst
409 
- Koch, in: BeckOK Ausländerrecht, Stand 15.08.2016, § 60 Rn. 40; Möller/Stiegeler, in: Hofmann u.a., Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, § 60 Rn. 33 -,
410 
sowie insbesondere auch solche auf Grund von Krankheit.
411 
Vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 12.07.2015 - 1 B 84.16 - Rn. 4 m.w.N. sowie insgesamt auch BVerwG, Urteile vom 17.10.2006 - 1 C 18.05 - NVwZ 2007, 712, juris Rn. 14 ff.; vom 29.10.2002 - 1 C 1.02 - NVwZ 2003, Beilage Nr. I 7, 53 juris Rn. 9; vom 29.07.1999 - 9 C 2.99 -, juris Rn. 7 und vom 25.11.1997 - 9 C 58.96 -, NVwZ 1998, 524.
412 
Dabei reicht es entsprechend dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit nicht aus, wenn eine Verfolgung oder sonstige Rechtsgutverletzung im Bereich des Möglichen liegt. Vielmehr muss sie bei zusammenfassender Bewertung des Sachverhalts und verständiger Würdigung aller objektiven Umstände dahingehend vorliegen, dass bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen eine ernsthafte Furcht vor der Rechtsgutverletzung gerechtfertigt ist, die für eine Rechtsgutverletzung sprechenden Umstände also größeres Gewicht haben als die dagegen sprechenden Tatsachen, wobei auch die Zumutbarkeit eines mit der Rückkehr verbundenen Risikos und der Rang des gefährdeten Rechtsguts von Bedeutung sind.
413 
Vgl. zusammenfassend HTK-AuslR/§ 60 AufenthG/zu Abs. 7 Satz 1 bis 4/ Rn. 8 und Möller/Stiegeler, in: Hofmann u.a., Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, § 60 Rn. 32, beide m.w.N., sowie zum Maßstab bei individuellen Gründen u.a. auch BVerwG, Beschluss vom 18.07.2001 - 1 B 71.01 -, juris sowie Urteile vom 17.10.2006 – 1 C 18.05 -, NVwZ 2007, 712, juris Rn. 20 und vom 17.10.1995 – 9 C 9.95 -, NVwZ 1996, 1999, juris Rn. 16.
414 
bb) Neben den genannten individuellen Gefahren für Leib und Leben können unter bestimmten Voraussetzungen ausnahmsweise auch die generell herrschenden Lebensbedingungen im Zielstaat ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG begründen.
415 
Zwar sind allgemeine Gefahren - also auch die die Bevölkerung insgesamt treffenden (schlechten) Lebensbedingungen in einem Land - gemäß § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG bei Anordnungen zur vorübergehenden Aussetzung von Abschiebungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen und begründen demnach grundsätzlich kein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Eine Ausnahme liegt aber bei einer extremen Gefahrenlage vor, welche sich wiederum auch aus den den Ausländer erwartenden Lebensbedingungen ergeben kann. So können die im Zielstaat herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage einen Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ausnahmsweise begründen, wenn bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit eine extreme Gefahrenlage vorläge. Denn dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren. Ob dies der Fall ist, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden.
416 
Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit strengeren Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Dieser hohe Wahrscheinlichkeitsgrad ist ohne Unterschied in der Sache in der Formulierung mit umschrieben, dass die Abschiebung dann ausgesetzt werden müsse, wenn der Ausländer ansonsten gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde. Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren. Das bedeutet nicht, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Abschiebung, eintreten müssen. Vielmehr besteht eine extreme Gefahrenlage beispielsweise auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde.
417 
Dazu u.a. BVerwG, Urteile 13.06.2013 – 10 C 13.12 -, NVwZ 2013, 1489 Rn. 12 f.; vom 31.01.2013 – 10 C 15.12 -, Rn. 38.; vom 29.09.2011 – 10 C 24.10 -, NVwZ 2012, 451 Rn. 20; vom 08.09.2011 - 10 C 14.10 -, NVwZ 2012, 240 Rn. 22 f. und vom 29.06.2010 - 10 C 10.09 -, juris Rn. 14 f.; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 – 10 C 15.12 -, Rn. 28 zu den unterschiedlichen rechtlichen Maßstäben von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG60 Abs. 2 AufenthG a.F.) sowie auch Art. 3 EMRK einerseits und § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG andererseits.
418 
Von diesem Maßstab ausgehend gewährt § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG unter dem Gesichtspunkt der extremen Gefahrenlage keinen weitergehenden Schutz, als es § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK tut. Liegen also die Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK wegen schlechter humanitärer Bedingungen nicht vor, so scheidet auch eine im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG relevante, extreme Gefahrenlage aus.
419 
b) Danach hat der Kläger keinen Anspruch auf die Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
420 
aa) Zum einen besteht keine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit des Klägers aus individuellen Gründen. Insbesondere führen die vorhandenen leichten Belastungsschmerzen am Handgelenk nicht auf eine solche Gefahr.
421 
bb) Zum anderen lässt sich auch aus den dargestellten, schlechten Lebensverhältnissen in Afghanistan ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht begründen. Denn die beschriebenen hohen Anforderungen, aus denen wegen einer extremen Gefahrenlage ausnahmsweise ein solches Abschiebungsverbot hergeleitet werden könnte, liegen nicht vor. So vermögen die - fraglos schlechten - Lebensverhältnisse vorliegend schon keinen Verstoß gegen Art. 3 EMRK zu begründen (s.o.). Dass gerade der Kläger als leistungsfähiger, erwachsener Mann ohne Unterhaltsverpflichtungen im Falle einer Rückkehr alsbald sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert sein würde, kann der Senat danach nicht festzustellen. So liegen etwa Anhaltspunkte dahin, dass der Kläger mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod preisgegeben wäre, nicht vor.
III.
422 
Die Berufung ist daher insgesamt mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2, zurückzuweisen. Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 83b AsylG.
423 
Gründe im Sinne des § 132 Abs. 2 VwGO, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.

(1) Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt:

1.
die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe,
2.
Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder
3.
eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.

(2) Ein Ausländer ist von der Zuerkennung subsidiären Schutzes nach Absatz 1 ausgeschlossen, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen hat, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen festzulegen,
2.
eine schwere Straftat begangen hat,
3.
sich Handlungen zuschulden kommen lassen hat, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen (BGBl. 1973 II S. 430, 431) verankert sind, zuwiderlaufen oder
4.
eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt.
Diese Ausschlussgründe gelten auch für Ausländer, die andere zu den genannten Straftaten oder Handlungen anstiften oder sich in sonstiger Weise daran beteiligen.

(3) Die §§ 3c bis 3e gelten entsprechend. An die Stelle der Verfolgung, des Schutzes vor Verfolgung beziehungsweise der begründeten Furcht vor Verfolgung treten die Gefahr eines ernsthaften Schadens, der Schutz vor einem ernsthaften Schaden beziehungsweise die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens; an die Stelle der Flüchtlingseigenschaft tritt der subsidiäre Schutz.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Erweist sich der Antrag auf Verwirkung der Grundrechte (§ 13 Nr. 1), die Anklage gegen den Bundespräsidenten (§ 13 Nr. 4) oder einen Richter (§ 13 Nr. 9) als unbegründet, so sind dem Antragsgegner oder dem Angeklagten die notwendigen Auslagen einschließlich der Kosten der Verteidigung zu ersetzen.

(2) Erweist sich eine Verfassungsbeschwerde als begründet, so sind dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen ganz oder teilweise zu erstatten.

(3) In den übrigen Fällen kann das Bundesverfassungsgericht volle oder teilweise Erstattung der Auslagen anordnen.

(1) Die Vorschriften für die Revision in Teil 4 Abschnitt 1 Unterabschnitt 3 des Vergütungsverzeichnisses gelten entsprechend in folgenden Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht oder dem Verfassungsgericht (Verfassungsgerichtshof, Staatsgerichtshof) eines Landes:

1.
Verfahren über die Verwirkung von Grundrechten, den Verlust des Stimmrechts, den Ausschluss von Wahlen und Abstimmungen,
2.
Verfahren über die Verfassungswidrigkeit von Parteien,
3.
Verfahren über Anklagen gegen den Bundespräsidenten, gegen ein Regierungsmitglied eines Landes oder gegen einen Abgeordneten oder Richter und
4.
Verfahren über sonstige Gegenstände, die in einem dem Strafprozess ähnlichen Verfahren behandelt werden.

(2) In sonstigen Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht oder dem Verfassungsgericht eines Landes gelten die Vorschriften in Teil 3 Abschnitt 2 Unterabschnitt 2 des Vergütungsverzeichnisses entsprechend. Der Gegenstandswert ist unter Berücksichtigung der in § 14 Absatz 1 genannten Umstände nach billigem Ermessen zu bestimmen; er beträgt mindestens 5 000 Euro.