Bundesverfassungsgericht Urteil, 20. Apr. 2016 - 1 BvR 966/09, 1 BvR 1140/09

ECLI:ECLI:DE:BVerfG:2016:rs20160420.1bvr096609
bei uns veröffentlicht am20.04.2016

Tenor

1. § 20h Absatz 1 Nummer 1 c des Bundeskriminalamtgesetzes in der Fassung des Gesetzes zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus durch das Bundeskriminalamt vom 25. Dezember 2008 (Bundesgesetzblatt I Seite 3083) und in der Fassung späterer Gesetze verstößt gegen Artikel 13 Absatz 1 des Grundgesetzes und ist nichtig.

2. § 20v Absatz 6 Satz 5 Bundeskriminalamtgesetz verstößt gegen Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1, Artikel 10 Absatz 1, Artikel 13 Absatz 1, jeweils in Verbindung mit Artikel 19 Absatz 4 des Grundgesetzes, und ist nichtig.

3. § 14 Absatz 1 (ohne Satz 1 Nummer 2), § 20g Absatz 1 bis 3, §§ 20h, 20j, 20k, 20l, § 20m Absatz 1, 3, § 20u Absatz 1, 2 und § 20v Absatz 4 Satz 2, Absatz 5 Satz 1 bis 4 (ohne Satz 3 Nummer 2), Absatz 6 Satz 3 des Bundeskriminalamtgesetzes sind nach Maßgabe der Urteilsgründe mit Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1, Artikel 10 Absatz 1, Artikel 13 Absatz 1 und 3 - auch in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 und Artikel 19 Absatz 4 Grundgesetz - nicht vereinbar.

4. Bis zu einer Neuregelung, längstens jedoch bis zum 30. Juni 2018 gelten die für mit dem Grundgesetz unvereinbar erklärten Vorschriften mit der Maßgabe fort, dass Maßnahmen gemäß § 20g Absatz 2 Nummern 1, 2 b, 4 und 5 Bundeskriminalamtgesetz nur durch ein Gericht angeordnet werden dürfen; bei Gefahr im Verzug gilt § 20g Absatz 3 Satz 2 bis 4 Bundeskriminalamtgesetz entsprechend.

Maßnahmen gemäß § 20g Absatz 1 Satz 1 Nummer 2, § 20l Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und § 20m Absatz 1 Nummer 2 Bundeskriminalamtgesetz dürfen nur angeordnet werden, wenn die Voraussetzungen des § 20k Absatz 1 Satz 2 Bundeskriminalamtgesetz in der in den Urteilsgründen dargelegten verfassungskonformen Auslegung vorliegen.

Eine weitere Verwendung von Daten gemäß § 20v Absatz 4 Satz 2 Bundeskriminalamtgesetz oder eine Übermittlung von Daten gemäß § 20v Absatz 5 und § 14 Absatz 1 Bundeskriminalamtgesetz betreffend Daten aus Wohnraumüberwachungen (§ 20h Bundeskriminalamtgesetz) ist nur bei Vorliegen einer dringenden Gefahr und betreffend Daten aus Online-Durchsuchungen (§ 20k Bundeskriminalamtgesetz) nur bei Vorliegen einer im Einzelfall drohenden Gefahr für die jeweils maßgeblichen Rechtsgüter zulässig.

5. Die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers zu 4. in dem Verfahren 1 BvR 966/09 hat sich durch seinen Tod erledigt.

6. Im Übrigen werden die Verfassungsbeschwerden zurückgewiesen.

7. Die Bundesrepublik Deutschland hat den Beschwerdeführern ihre notwendigen Auslagen aus dem Verfassungsbeschwerdeverfahren zu erstatten.

Gründe

A.

I.

1

Die Verfassungsbeschwerden richten sich gegen Regelungen des Bundeskriminalamtgesetzes (im Folgenden: BKAG), die als Unterabschnitt 3a durch das Gesetz zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus durch das Bundeskriminalamt vom 25. Dezember 2008 (BGBl I S. 3083) mit Wirkung zum 1. Januar 2009 eingefügt wurden. Der Bundesgesetzgeber hat so auf der Grundlage des hierfür im Jahre 2006 neu geschaffenen Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a GG (BGBl I S. 2034) dem Bundeskriminalamt über die bisherigen Aufgaben der Strafverfolgung hinaus die bis dahin allein den Ländern vorbehaltene Aufgabe der Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus übertragen. Gegenstand der Verfassungsbeschwerden ist daneben eine bereits zuvor bestehende Regelung des Bundeskriminalamtgesetzes zur Übermittlung von Daten ins Ausland, die durch die Aufgabenerweiterung ein weiteres Anwendungsfeld erhält.

II.

2

Die Verfassungsbeschwerden wenden sich zum einen gegen die Einräumung verschiedener Ermittlungsbefugnisse. Angegriffen ist die Ermächtigung zur Befragung von Personen gemäß § 20c BKAG sowie zum Einsatz von besonderen Mitteln der Datenerhebung außerhalb von Wohnungen gemäß § 20g Abs. 1 bis 3 BKAG, wozu insbesondere das geheime Abhören und Aufzeichnen des nichtöffentlich gesprochenen Wortes, die Erstellung von Bildaufnahmen, die Anbringung von Peilsendern und der Einsatz von Vertrauenspersonen und Verdeckten Ermittlern gehören. Weiter richten sich die Verfassungsbeschwerden gegen die Befugnis zur Durchführung optischer und akustischer Wohnraumüberwachungen gemäß § 20h BKAG, zur Rasterfahndung gemäß § 20j BKAG, zu Zugriffen auf informationstechnische Systeme gemäß § 20k BKAG, zur Überwachung der laufenden Telekommunikation gemäß § 20l BKAG sowie zur Erhebung von Telekommunikationsverkehrsdaten gemäß § 20m Abs. 1, 3 BKAG. Angegriffen sind insoweit auch § 20u BKAG, der den Schutz zeugnisverweigerungsberechtigter Personen regelt, sowie § 20w BKAG, der die Pflicht zur Benachrichtigung der betroffenen Personen nach Abschluss der Überwachungsmaßnahme anordnet.

3

Zum anderen wenden sich die Verfassungsbeschwerden gegen Regelungen zur Datennutzung. Dies betrifft zunächst die Regelung zur Nutzung der nach dem Unterabschnitt 3a des Gesetzes erhobenen Daten gemäß § 20v Abs. 4 Satz 2 BKAG durch die Behörde selbst. Zur Prüfung gestellt sind des Weiteren die Befugnisse gemäß § 20v Abs. 5 BKAG - mit Ausnahme des Satzes 3 Nr. 2 - zur Übermittlung dieser Daten an andere öffentliche Stellen im Inland. Schließlich richten sich die Angriffe auch gegen § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 3 und Satz 2, Abs. 7 BKAG, der allgemein die Übermittlung von Daten an ausländische Stellen erlaubt. Nicht Gegenstand des Verfahrens ist demgegenüber § 14a BKAG, der daneben eine spezielle Befugnis zur Übermittlung personenbezogener Daten an Mitgliedstaaten der Europäischen Union begründet.

4

Die für das Verfahren maßgeblichen Normen lauten:

§ 4a Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus

(1) Das Bundeskriminalamt kann die Aufgabe der Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus in Fällen wahrnehmen, in denen

1. eine länderübergreifende Gefahr vorliegt,

2. die Zuständigkeit einer Landespolizeibehörde nicht erkennbar ist oder

3. die oberste Landesbehörde um eine Übernahme ersucht.

Es kann in diesen Fällen auch Straftaten verhüten, die in § 129a Abs. 1 und 2 des Strafgesetzbuchs bezeichnet und dazu bestimmt sind, die Bevölkerung auf erhebliche Weise einzuschüchtern, eine Behörde oder eine internationale Organisation rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt zu nötigen oder die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Staates oder einer internationalen Organisation zu beseitigen oder erheblich zu beeinträchtigen, und durch die Art ihrer Begehung oder ihre Auswirkungen einen Staat oder eine internationale Organisation erheblich schädigen können.

(2) Die Befugnisse der Länder und anderer Polizeibehörden des Bundes bleiben unberührt. Die zuständigen obersten Landesbehörden und, soweit zuständig, anderen Polizeibehörden des Bundes sind unverzüglich zu benachrichtigen, wenn das Bundeskriminalamt die Aufgabe nach Absatz 1 wahrnimmt. Die Aufgabenwahrnehmung erfolgt in gegenseitigem Benehmen. Stellt das Bundeskriminalamt bei der Aufgabenwahrnehmung nach Absatz 1 Satz 1 Nr. 2 die Zuständigkeit einer Landespolizeibehörde fest, so gibt es diese Aufgabe an diese Polizeibehörde ab, wenn nicht ein Fall des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 1 oder 3 vorliegt.

Unterabschnitt 2

§ 14 Befugnisse bei der Zusammenarbeit im internationalen Bereich

(1) Das Bundeskriminalamt kann an Polizei- und Justizbehörden sowie an sonstige für die Verhütung oder Verfolgung von Straftaten zuständige öffentliche Stellen anderer Staaten sowie zwischen- und überstaatliche Stellen, die mit Aufgaben der Verhütung oder Verfolgung von Straftaten befaßt sind, personenbezogene Daten übermitteln, soweit dies erforderlich ist

1. zur Erfüllung einer ihm obliegenden Aufgabe,

2. zur Verfolgung von Straftaten und zur Strafvollstreckung nach Maßgabe der Vorschriften über die internationale Rechtshilfe in strafrechtlichen Angelegenheiten oder der Vorschriften über die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof oder

3. zur Abwehr einer im Einzelfall bestehenden erheblichen Gefahr für die öffentliche Sicherheit.

Gleiches gilt, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, daß Straftaten von erheblicher Bedeutung begangen werden sollen.

(2) bis (6) …

(7) Die Verantwortung für die Zulässigkeit der Übermittlung trägt das Bundeskriminalamt. § 10 Abs. 4 Satz 2 gilt entsprechend. Das Bundeskriminalamt hat die Übermittlung und ihren Anlaß aufzuzeichnen. Der Empfänger personenbezogener Daten ist darauf hinzuweisen, daß sie nur zu dem Zweck genutzt werden dürfen, zu dem sie übermittelt worden sind. Ferner ist ihm der beim Bundeskriminalamt vorgesehene Löschungszeitpunkt mitzuteilen. Die Übermittlung personenbezogener Daten unterbleibt, soweit Grund zu der Annahme besteht, daß durch sie gegen den Zweck eines deutschen Gesetzes verstoßen würde. Die Übermittlung unterbleibt außerdem, soweit, auch unter Berücksichtigung des besonderen öffentlichen Interesses an der Datenübermittlung, im Einzelfall schutzwürdige Interessen der betroffenen Person an dem Ausschluss der Übermittlung überwiegen. Zu den schutzwürdigen Interessen der betroffenen Person gehört auch das Vorhandensein eines angemessenen Datenschutzniveaus im Empfängerstaat. Die schutzwürdigen Interessen der betroffenen Person können auch dadurch gewahrt werden, dass der Empfängerstaat oder die empfangende zwischen- oder überstaatliche Stelle im Einzelfall einen angemessenen Schutz der übermittelten Daten garantiert.

Unterabschnitt 3a Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus

§ 20a Allgemeine Befugnisse

(1) Das Bundeskriminalamt kann zur Erfüllung seiner Aufgabe nach § 4a Abs. 1 Satz 1 die notwendigen Maßnahmen treffen, um eine Gefahr abzuwehren, soweit nicht dieses Gesetz die Befugnisse des Bundeskriminalamtes besonders regelt. Die §§ 15 bis 20 des Bundespolizeigesetzes gelten entsprechend.

(2) Gefahr im Sinne dieses Unterabschnitts ist eine im Einzelfall bestehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit im Zusammenhang mit Straftaten gemäß § 4a Abs. 1 Satz 2.

§ 20b Erhebung personenbezogener Daten

(1) Das Bundeskriminalamt kann, sofern in diesem Unterabschnitt nichts anderes bestimmt ist, personenbezogene Daten erheben, soweit dies zur Erfüllung der ihm nach § 4a Abs. 1 obliegenden Aufgabe erforderlich ist.

(2) Zur Verhütung von Straftaten gemäß § 4a Abs. 1 Satz 2 ist eine Erhebung personenbezogener Daten nur zulässig, soweit Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass

1. die Person eine Straftat gemäß § 4a Abs. 1 Satz 2 begehen will und die erhobenen Daten zur Verhütung dieser Straftat erforderlich sind oder

2. die Person mit einer Person nach Nummer 1 nicht nur flüchtig oder in zufälligem Kontakt in Verbindung steht und

a) von der Vorbereitung einer Straftat gemäß § 4a Abs. 1 Satz 2 Kenntnis hat,

b) aus der Verwertung der Tat Vorteile ziehen oder

c) die Person nach Nummer 1 sich ihrer zur Begehung der Straftat bedienen könnte (Kontakt- und Begleitperson) und die Verhütung dieser Straftaten auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre.

(3) bis (8) …

§ 20c Befragung und Auskunftspflicht

(1) Das Bundeskriminalamt kann eine Person befragen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass die Person sachdienliche Angaben für die Erfüllung der dem Bundeskriminalamt nach § 4a Abs. 1 Satz 1 obliegenden Aufgabe machen kann. Zum Zwecke der Befragung kann die Person angehalten werden. Auf Verlangen hat die Person mitgeführte Ausweispapiere zur Prüfung auszuhändigen.

(2) Die befragte Person ist verpflichtet, Namen, Vornamen, Tag und Ort der Geburt, Wohnanschrift und Staatsangehörigkeit anzugeben, soweit dies zur Erfüllung der dem Bundeskriminalamt nach § 4a Abs. 1 Satz 1 obliegenden Aufgabe erforderlich ist. Eine weitergehende Auskunftspflicht besteht nur für die entsprechend den §§ 17 und 18 des Bundespolizeigesetzes Verantwortlichen und entsprechend den Voraussetzungen des § 20 Abs. 1 des Bundespolizeigesetzes für die dort bezeichneten Personen sowie für die Personen, für die gesetzliche Handlungspflichten bestehen, soweit die Auskunft zur Abwehr einer Gefahr erforderlich ist.

(3) Unter den in den §§ 52 bis 55 der Strafprozessordnung bezeichneten Voraussetzungen ist der Betroffene zur Verweigerung der Auskunft berechtigt. Dies gilt nicht, soweit die Auskunft zur Abwehr einer Gefahr für den Bestand oder die Sicherheit des Staates oder Leib, Leben oder Freiheit einer Person erforderlich ist. Eine in § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 2 oder 4 der Strafprozessordnung genannte Person ist auch in den Fällen des Satzes 2 zur Verweigerung der Auskunft berechtigt. Die betroffene Person ist über ihr Recht zur Verweigerung der Auskunft zu belehren. Auskünfte, die gemäß Satz 2 erlangt wurden, dürfen nur für den dort bezeichneten Zweck verwendet werden.

(4) § 136a der Strafprozessordnung gilt entsprechend. § 12 des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes findet keine Anwendung.

§ 20g Besondere Mittel der Datenerhebung

(1) Das Bundeskriminalamt kann personenbezogene Daten mit den besonderen Mitteln nach Absatz 2 erheben über

1. den entsprechend § 17 oder § 18 des Bundespolizeigesetzes Verantwortlichen oder entsprechend den Voraussetzungen des § 20 Abs. 1 des Bundespolizeigesetzes über die dort bezeichnete Person zur Abwehr einer Gefahr für den Bestand oder die Sicherheit des Staates oder für Leib, Leben oder Freiheit einer Person oder Sachen von bedeutendem Wert, deren Erhaltung im öffentlichen Interesse geboten ist,

2. die Person, bei der Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie Straftaten gemäß § 4a Abs. 1 Satz 2 begehen wird, oder

3. eine Kontakt- oder Begleitperson,

wenn die Abwehr der Gefahr oder die Verhütung der Straftaten auf andere Weise aussichtslos ist oder wesentlich erschwert wäre. Die Maßnahme kann auch durchgeführt werden, wenn Dritte unvermeidbar betroffen werden.

(2) Besondere Mittel der Datenerhebung sind

1. die planmäßig angelegte Beobachtung einer Person, die durchgehend länger als 24 Stunden dauern oder an mehr als zwei Tagen stattfinden soll (längerfristige Observation),

2. der Einsatz technischer Mittel außerhalb von Wohnungen in einer für den Betroffenen nicht erkennbaren Weise

a) zur Anfertigung von Bildaufnahmen oder -aufzeichnungen von Personen oder Sachen, die sich außerhalb von Wohnungen befinden, oder

b) zum Abhören oder Aufzeichnen des außerhalb von Wohnungen nicht öffentlich gesprochenen Wortes,

3. sonstige besondere für Observationszwecke bestimmte technische Mittel zur Erforschung des Sachverhalts oder zur Bestimmung des Aufenthaltsortes einer in Absatz 1 genannten Person,

4. der Einsatz von Privatpersonen, deren Zusammenarbeit mit dem Bundeskriminalamt Dritten nicht bekannt ist (Vertrauensperson), und

5. der Einsatz eines Polizeivollzugsbeamten unter einer ihm verliehenen und auf Dauer angelegten Legende (Verdeckter Ermittler).

(3) Maßnahmen nach Absatz 2 Nr. 5, die sich gegen eine bestimmte Person richten oder bei denen der Verdeckte Ermittler eine Wohnung betritt, die nicht allgemein zugänglich ist, dürfen nur auf Antrag der zuständigen Abteilungsleitung oder deren Vertretung durch das Gericht angeordnet werden. Bei Gefahr im Verzuge kann die Anordnung einer Maßnahme nach Satz 1 durch die Abteilungsleitung nach Satz 1 oder deren Vertretung getroffen werden. In diesem Fall ist die gerichtliche Entscheidung unverzüglich nachzuholen. Soweit die Anordnung nach Satz 2 nicht binnen drei Tagen durch das Gericht bestätigt wird, tritt sie außer Kraft. Die übrigen Maßnahmen nach Absatz 2 Nr. 1 bis 5 dürfen, außer bei Gefahr im Verzuge, nur durch die Abteilungsleitung nach Satz 1 oder deren Vertretung angeordnet werden. Die Anordnung ist unter Angabe der maßgeblichen Gründe aktenkundig zu machen und auf höchstens einen Monat zu befristen; im Fall des Absatzes 2 Nr. 4 und 5 ist die Maßnahme auf höchstens zwei Monate zu befristen. Die Verlängerung der Maßnahme bedarf einer neuen Anordnung. Die Entscheidung über die Verlängerung der Maßnahme darf in den Fällen des Absatzes 2 Nr. 1, 2 Buchstabe b, Nr. 4 und 5 nur durch das Gericht getroffen werden. Die Sätze 4 und 5 gelten entsprechend.

(4) …

§ 20h Besondere Bestimmungen über den Einsatz technischer Mittel in oder aus Wohnungen

(1) Das Bundeskriminalamt kann zur Abwehr einer dringenden Gefahr für den Bestand oder die Sicherheit des Staates oder für Leib, Leben oder Freiheit einer Person oder Sachen von bedeutendem Wert, deren Erhaltung im öffentlichen Interesse geboten ist, durch den verdeckten Einsatz technischer Mittel in oder aus Wohnungen

1. das nichtöffentlich gesprochene Wort einer Person abhören und aufzeichnen,

a) die entsprechend § 17 oder § 18 des Bundespolizeigesetzes verantwortlich ist,

b) bei der konkrete Vorbereitungshandlungen für sich oder zusammen mit weiteren bestimmten Tatsachen die begründete Annahme rechtfertigen, dass sie Straftaten gemäß § 4a Abs. 1 Satz 2 begehen wird, oder

c) die eine Kontakt- und Begleitperson einer Person nach Buchstabe a oder b ist, und

2. Lichtbilder und Bildaufzeichnungen über diese Person herstellen,

wenn die Abwehr der Gefahr auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre.

(2) Die Maßnahme darf sich nur gegen die in Absatz 1 genannte Person richten und nur in deren Wohnung durchgeführt werden. In Wohnungen anderer Personen ist die Maßnahme nur zulässig, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass

1. sich eine in Absatz 1 Nr. 1 Buchstabe a oder b genannte Person dort aufhält und

2. die Maßnahme in der Wohnung dieser Person allein nicht zur Abwehr der Gefahr nach Absatz 1 führen wird.

Die Maßnahme darf auch durchgeführt werden, wenn andere Personen unvermeidbar betroffen werden.

(3) Maßnahmen nach Absatz 1 dürfen nur auf Antrag des Präsidenten des Bundeskriminalamtes oder seines Vertreters durch das Gericht angeordnet werden. Bei Gefahr im Verzuge kann die Anordnung auch durch den Präsidenten des Bundeskriminalamtes oder seinen Vertreter getroffen werden. In diesem Fall ist die gerichtliche Entscheidung unverzüglich nachzuholen. Soweit die Anordnung des Präsidenten des Bundeskriminalamtes oder seines Vertreters nicht binnen drei Tagen durch das Gericht bestätigt wird, tritt sie außer Kraft.

(4) Die Anordnung ergeht schriftlich. In ihr sind anzugeben

1. der Name und die Anschrift der Person, gegen die sich die Maßnahme richtet, soweit möglich,

2. die zu überwachende Wohnung oder die zu überwachenden Wohnräume,

3. Art, Umfang und Dauer der Maßnahme und

4. die wesentlichen Gründe.

Die Anordnung ist auf höchstens einen Monat zu befristen. Eine Verlängerung um jeweils nicht mehr als einen Monat ist zulässig, soweit die in den Absätzen 1 und 5 bezeichneten Voraussetzungen unter Berücksichtigung der gewonnenen Erkenntnisse fortbestehen. Liegen die Voraussetzungen der Anordnung nicht mehr vor, so sind die auf Grund der Anordnung ergriffenen Maßnahmen unverzüglich zu beenden.

(5) Die Maßnahme nach Absatz 1 darf nur angeordnet und durchgeführt werden, soweit auf Grund tatsächlicher Anhaltspunkte, insbesondere zu der Art der zu überwachenden Räumlichkeiten und dem Verhältnis der zu überwachenden Personen zueinander, anzunehmen ist, dass durch die Überwachung Äußerungen, die dem Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzurechnen sind, nicht erfasst werden. Das Abhören und Beobachten nach Satz 1 ist unverzüglich zu unterbrechen, soweit sich während der Überwachung tatsächliche Anhaltspunkte dafür ergeben, dass Inhalte, die dem Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzurechnen sind, erfasst werden. Bestehen insoweit Zweifel, darf nur eine automatische Aufzeichnung fortgesetzt werden. Automatische Aufzeichnungen nach Satz 3 sind unverzüglich dem anordnenden Gericht zur Entscheidung über die Verwertbarkeit oder Löschung der Daten vorzulegen. Sind das Abhören und Beobachten nach Satz 2 unterbrochen worden, so darf es unter den in Satz 1 genannten Voraussetzungen fortgeführt werden. Erkenntnisse aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung, die durch eine Maßnahme nach Absatz 1 erlangt worden sind, dürfen nicht verwertet werden. Aufzeichnungen hierüber sind unverzüglich zu löschen. Die Tatsachen der Erfassung der Daten und der Löschung sind zu dokumentieren. Die Dokumentation darf ausschließlich für Zwecke der Datenschutzkontrolle verwendet werden. Sie ist zu löschen, wenn sie für diese Zwecke nicht mehr erforderlich ist, spätestens jedoch am Ende des Kalenderjahres, das dem Jahr der Dokumentation folgt.

§ 20j Rasterfahndung

(1) Das Bundeskriminalamt kann von öffentlichen oder nichtöffentlichen Stellen die Übermittlung von personenbezogenen Daten von bestimmten Personengruppen aus Dateien zum Zwecke des automatisierten Abgleichs mit anderen Datenbeständen verlangen, soweit dies zur Abwehr einer Gefahr für den Bestand oder die Sicherheit des Staates oder für Leib, Leben oder Freiheit einer Person oder Sachen von bedeutendem Wert, deren Erhalt im öffentlichen Interesse geboten ist, erforderlich ist; eine solche Gefahr liegt in der Regel auch dann vor, wenn konkrete Vorbereitungshandlungen die Annahme rechtfertigen, dass eine Straftat nach § 4a Abs. 1 Satz 2 begangen werden soll. Von den Verfassungsschutzämtern des Bundes und der Länder, dem Militärischen Abschirmdienst sowie dem Bundesnachrichtendienst kann die Übermittlung nach Satz 1 nicht verlangt werden.

(2) Das Übermittlungsersuchen ist auf Namen, Anschrift, Tag und Ort der Geburt sowie auf andere im Einzelfall festzulegende Merkmale zu beschränken; es darf sich nicht auf personenbezogene Daten erstrecken, die einem Berufs- oder besonderen Amtsgeheimnis unterliegen. Von Übermittlungsersuchen nicht erfasste personenbezogene Daten dürfen übermittelt werden, wenn wegen erheblicher technischer Schwierigkeiten oder wegen eines unangemessenen Zeit- oder Kostenaufwands eine Beschränkung auf die angeforderten Daten nicht möglich ist; diese Daten dürfen vom Bundeskriminalamt nicht verwendet werden.

(3) Ist der Zweck der Maßnahme erreicht oder zeigt sich, dass er nicht erreicht werden kann, sind die übermittelten und im Zusammenhang mit der Maßnahme zusätzlich angefallenen Daten zu löschen und die Akten zu vernichten, soweit sie nicht für ein mit dem Sachverhalt zusammenhängendes Verfahren erforderlich sind. Die getroffene Maßnahme ist zu dokumentieren. Diese Dokumentation ist gesondert aufzubewahren, durch technische und organisatorische Maßnahmen zu sichern und am Ende des Kalenderjahres, das dem Jahr der Löschung der Daten oder der Vernichtung der Akten nach Satz 1 folgt, zu vernichten.

(4) Die Maßnahme darf nur auf Antrag des Präsidenten des Bundeskriminalamtes oder seines Vertreters durch das Gericht angeordnet werden.

§ 20k Verdeckter Eingriff in informationstechnische Systeme

(1) Das Bundeskriminalamt darf ohne Wissen des Betroffenen mit technischen Mitteln in vom Betroffenen genutzte informationstechnische Systeme eingreifen und aus ihnen Daten erheben, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass eine Gefahr vorliegt für

1. Leib, Leben oder Freiheit einer Person oder

2. solche Güter der Allgemeinheit, deren Bedrohung die Grundlagen oder den Bestand des Staates oder die Grundlagen der Existenz der Menschen berührt.

Eine Maßnahme nach Satz 1 ist auch zulässig, wenn sich noch nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit feststellen lässt, dass ohne Durchführung der Maßnahme in näherer Zukunft ein Schaden eintritt, sofern bestimmte Tatsachen auf eine im Einzelfall durch bestimmte Personen drohende Gefahr für eines der in Satz 1 genannten Rechtsgüter hinweisen. Die Maßnahme darf nur durchgeführt werden, wenn sie für die Aufgabenerfüllung nach § 4a erforderlich ist und diese ansonsten aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre.

(2) Es ist technisch sicherzustellen, dass

1. an dem informationstechnischen System nur Veränderungen vorgenommen werden, die für die Datenerhebung unerlässlich sind, und

2. die vorgenommenen Veränderungen bei Beendigung der Maßnahme soweit technisch möglich automatisiert rückgängig gemacht werden.

Das eingesetzte Mittel ist nach dem Stand der Technik gegen unbefugte Nutzung zu schützen. Kopierte Daten sind nach dem Stand der Technik gegen Veränderung, unbefugte Löschung und unbefugte Kenntnisnahme zu schützen.

(3) Bei jedem Einsatz des technischen Mittels sind zu protokollieren

1. die Bezeichnung des technischen Mittels und der Zeitpunkt seines Einsatzes,

2. die Angaben zur Identifizierung des informationstechnischen Systems und die daran vorgenommenen nicht nur flüchtigen Veränderungen,

3. die Angaben, die die Feststellung der erhobenen Daten ermöglichen, und

4. die Organisationseinheit, die die Maßnahme durchführt.

Die Protokolldaten dürfen nur verwendet werden, um dem Betroffenen oder einer dazu befugten öffentlichen Stelle die Prüfung zu ermöglichen, ob die Maßnahme nach Absatz 1 rechtmäßig durchgeführt worden ist. Sie sind bis zum Ablauf des auf die Speicherung folgenden Kalenderjahres aufzubewahren und sodann automatisiert zu löschen, es sei denn, dass sie für den in Satz 2 genannten Zweck noch erforderlich sind.

(4) Die Maßnahme darf sich nur gegen eine Person richten, die entsprechend § 17 oder § 18 des Bundespolizeigesetzes verantwortlich ist. Die Maßnahme darf auch durchgeführt werden, wenn andere Personen unvermeidbar betroffen werden.

(5) Die Maßnahme nach Absatz 1 darf nur auf Antrag des Präsidenten des Bundeskriminalamtes oder seines Vertreters durch das Gericht angeordnet werden.

(6) Die Anordnung ergeht schriftlich. In ihr sind anzugeben

1. die Person, gegen die sich die Maßnahme richtet, soweit möglich, mit Name und Anschrift,

2. eine möglichst genaue Bezeichnung des informationstechnischen Systems, in das zur Datenerhebung eingegriffen werden soll,

3. Art, Umfang und Dauer der Maßnahme unter Benennung des Endzeitpunktes sowie

4. die wesentlichen Gründe.

Die Anordnung ist auf höchstens drei Monate zu befristen. Eine Verlängerung um jeweils nicht mehr als drei weitere Monate ist zulässig, soweit die Anordnungsvoraussetzungen unter Berücksichtigung der gewonnenen Erkenntnisse fortbestehen. Liegen die Voraussetzungen der Anordnung nicht mehr vor, sind die auf Grund der Anordnung ergriffenen Maßnahmen unverzüglich zu beenden.

(7) Liegen tatsächliche Anhaltspunkte für die Annahme vor, dass durch die Maßnahme allein Erkenntnisse aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung erlangt würden, ist die Maßnahme unzulässig. Soweit möglich, ist technisch sicherzustellen, dass Daten, die den Kernbereich privater Lebensgestaltung betreffen, nicht erhoben werden. Erhobene Daten sind unter der Sachleitung des anordnenden Gerichts nach Absatz 5 unverzüglich vom Datenschutzbeauftragten des Bundeskriminalamtes und zwei weiteren Bediensteten des Bundeskriminalamtes, von denen einer die Befähigung zum Richteramt hat, auf kernbereichsrelevante Inhalte durchzusehen. Der Datenschutzbeauftragte ist bei Ausübung dieser Tätigkeit weisungsfrei und darf deswegen nicht benachteiligt werden (§ 4f Abs. 3 des Bundesdatenschutzgesetzes). Daten, die den Kernbereich privater Lebensgestaltung betreffen, dürfen nicht verwertet werden und sind unverzüglich zu löschen. Die Tatsachen der Erfassung der Daten und der Löschung sind zu dokumentieren. Die Dokumentation darf ausschließlich für Zwecke der Datenschutzkontrolle verwendet werden. Sie ist zu löschen, wenn sie für diese Zwecke nicht mehr erforderlich ist, spätestens jedoch am Ende des Kalenderjahres, das dem Jahr der Dokumentation folgt.

§ 20l Überwachung der Telekommunikation

(1) Das Bundeskriminalamt kann ohne Wissen des Betroffenen die Telekommunikation einer Person überwachen und aufzeichnen,

1. die entsprechend § 17 oder § 18 des Bundespolizeigesetzes verantwortlich ist, und dies zur Abwehr einer dringenden Gefahr für den Bestand oder die Sicherheit des Staates oder für Leib, Leben oder Freiheit einer Person oder Sachen von bedeutendem Wert, deren Erhaltung im öffentlichen Interesse liegt, geboten ist,

2. bei der bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie Straftaten gemäß § 4a Abs. 1 Satz 2 vorbereitet,

3. bei der bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie für eine Person nach Nummer 1 bestimmte oder von dieser herrührende Mitteilungen entgegennimmt oder weitergibt, oder

4. bei der bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass eine Person nach Nummer 1 deren Telekommunikationsanschluss oder Endgerät benutzen wird,

und die Abwehr der Gefahr oder Verhütung der Straftaten auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre. Die Maßnahme darf auch durchgeführt werden, wenn andere Personen unvermeidbar betroffen werden.

(2) Die Überwachung und Aufzeichnung der Telekommunikation darf ohne Wissen des Betroffenen in der Weise erfolgen, dass mit technischen Mitteln in vom Betroffenen genutzte informationstechnische Systeme eingegriffen wird, wenn

1. durch technische Maßnahmen sichergestellt ist, dass ausschließlich laufende Telekommunikation überwacht und aufgezeichnet wird, und

2. der Eingriff in das informationstechnische System notwendig ist, um die Überwachung und Aufzeichnung der Telekommunikation insbesondere auch in unverschlüsselter Form zu ermöglichen.

§ 20k Abs. 2 und 3 gilt entsprechend. § 20k bleibt im Übrigen unberührt.

(3) Maßnahmen nach den Absätzen 1 und 2 dürfen nur auf Antrag des Präsidenten des Bundeskriminalamtes oder seines Vertreters durch das Gericht angeordnet werden. Bei Gefahr im Verzuge kann die Anordnung durch den Präsidenten des Bundeskriminalamtes oder seinen Vertreter getroffen werden. In diesem Fall ist die gerichtliche Entscheidung unverzüglich nachzuholen. Soweit diese Anordnung nicht binnen drei Tagen durch das Gericht bestätigt wird, tritt sie außer Kraft.

(4) Die Anordnung ergeht schriftlich. In ihr sind anzugeben

1. die Person, gegen die sich die Maßnahme richtet, soweit möglich, mit Name und Anschrift,

2. die Rufnummer oder eine andere Kennung des zu überwachenden Anschlusses oder des Endgeräts, sofern sich nicht aus bestimmten Tatsachen ergibt, dass diese zugleich einem anderen Endgerät zugeordnet ist,

3. Art, Umfang und Dauer der Maßnahme unter Benennung des Endzeitpunktes und

4. im Fall des Absatzes 2 auch eine möglichst genaue Bezeichnung des informationstechnischen Systems, in das zur Datenerhebung eingegriffen werden soll.

Die Anordnung ist auf höchstens drei Monate zu befristen. Eine Verlängerung um jeweils nicht mehr als drei weitere Monate ist zulässig, soweit die Voraussetzungen der Anordnung unter Berücksichtigung der gewonnenen Erkenntnisse fortbestehen. Liegen die Voraussetzungen der Anordnung nicht mehr vor, sind die auf Grund der Anordnung ergriffenen Maßnahmen unverzüglich zu beenden.

(5) Auf Grund der Anordnung hat jeder, der Telekommunikationsdienste erbringt oder daran mitwirkt (Diensteanbieter), dem Bundeskriminalamt die Maßnahmen nach Absatz 1 zu ermöglichen und die erforderlichen Auskünfte unverzüglich zu erteilen. Ob und in welchem Umfang hierfür Vorkehrungen zu treffen sind, bestimmt sich nach dem Telekommunikationsgesetz und der Telekommunikations-Überwachungsverordnung. Für die Entschädigung der Diensteanbieter ist § 23 des Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetzes entsprechend anzuwenden.

(6) Liegen tatsächliche Anhaltspunkte für die Annahme vor, dass durch eine Maßnahme nach den Absätzen 1 und 2 allein Erkenntnisse aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung erlangt würden, ist die Maßnahme unzulässig. Soweit im Rahmen von Maßnahmen nach den Absätzen 1 und 2 neben einer automatischen Aufzeichnung eine unmittelbare Kenntnisnahme erfolgt, ist die Maßnahme unverzüglich zu unterbrechen, soweit sich während der Überwachung tatsächliche Anhaltspunkte dafür ergeben, dass Inhalte, die dem Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzurechnen sind, erfasst werden. Bestehen insoweit Zweifel, darf nur eine automatische Aufzeichnung fortgesetzt werden. Automatische Aufzeichnungen nach Satz 3 sind unverzüglich dem anordnenden Gericht zur Entscheidung über die Verwertbarkeit oder Löschung der Daten vorzulegen. Ist die Maßnahme nach Satz 2 unterbrochen worden, so darf sie für den Fall, dass sie nicht nach Satz 1 unzulässig ist, fortgeführt werden. Erkenntnisse aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung, die durch eine Maßnahme nach den Absätzen 1 und 2 erlangt worden sind, dürfen nicht verwertet werden. Aufzeichnungen hierüber sind unverzüglich zu löschen. Die Tatsachen der Erfassung der Daten und der Löschung sind zu dokumentieren. Die Dokumentation darf ausschließlich für Zwecke der Datenschutzkontrolle verwendet werden. Sie ist zu löschen, wenn sie für diese Zwecke nicht mehr erforderlich ist, spätestens jedoch am Ende des Kalenderjahres, das dem Jahr der Dokumentation folgt.

§ 20m Erhebung von Telekommunikationsverkehrsdaten und Nutzungsdaten

(1) Das Bundeskriminalamt kann ohne Wissen des Betroffenen Verkehrsdaten (§ 96 Abs. 1 und § 113a des Telekommunikationsgesetzes) erheben zu

1. den entsprechend § 17 oder § 18 des Bundespolizeigesetzes Verantwortlichen zur Abwehr einer dringenden Gefahr für den Bestand oder die Sicherheit des Staates oder für Leib, Leben oder Freiheit einer Person oder Sachen von bedeutendem Wert, deren Erhaltung im öffentlichen Interesse geboten ist,

2. der Person, bei der bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie Straftaten gemäß § 4a Abs. 1 Satz 2 vorbereitet,

3. der Person, bei der bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie für eine Person nach Nummer 1 bestimmte oder von dieser herrührende Mitteilungen entgegennimmt oder weitergibt, oder

4. der Person, bei der bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass eine Person nach Nummer 1 deren Telekommunikationsanschluss oder Endgerät benutzen wird,

wenn die Abwehr der Gefahr oder Verhütung der Straftaten auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre.

(2) …

(3) § 20l Abs. 3 bis 5 gilt entsprechend mit der Maßgabe, dass an die Stelle des Präsidenten des Bundeskriminalamtes oder seines Vertreters die zuständige Abteilungsleitung oder deren Vertretung tritt. Abweichend von § 20l Abs. 4 Nr. 2 genügt eine räumlich und zeitlich hinreichende Bezeichnung der Telekommunikation, sofern anderenfalls die Erreichung des Zwecks der Maßnahme aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre.

§ 20u Schutz zeugnisverweigerungsberechtigter Personen

(1) Maßnahmen nach diesem Unterabschnitt, die sich gegen eine in § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 2 oder Nr. 4 der Strafprozessordnung genannte Person richten und voraussichtlich Erkenntnisse erbringen würden, über die diese Person das Zeugnis verweigern dürfte, sind unzulässig. § 20c Abs. 3 bleibt unberührt. Dennoch erlangte Erkenntnisse dürfen nicht verwertet werden. Aufzeichnungen hierüber sind unverzüglich zu löschen. Die Tatsache ihrer Erlangung und Löschung ist zu dokumentieren. Die Sätze 2 bis 4 gelten entsprechend, wenn durch eine Maßnahme, die sich nicht gegen eine in § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 2 oder Nr. 4 der Strafprozessordnung genannte Person richtet, von einer dort genannten Person Erkenntnisse erlangt werden, über die sie das Zeugnis verweigern dürfte.

(2) Soweit durch eine Maßnahme eine in § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 bis 3b oder Nr. 5 der Strafprozessordnung genannte Person betroffen wäre und dadurch voraussichtlich Erkenntnisse erlangt würden, über die diese Person das Zeugnis verweigern dürfte, ist dies im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit unter Würdigung des öffentlichen Interesses an den von dieser Person wahrgenommenen Aufgaben und des Interesses an der Geheimhaltung der dieser Person anvertrauten oder bekannt gewordenen Tatsachen besonders zu berücksichtigen. Soweit hiernach geboten, ist die Maßnahme zu unterlassen oder, soweit dies nach der Art der Maßnahme möglich ist, zu beschränken.

(3) Die Absätze 1 und 2 gelten entsprechend, soweit die in § 53a der Strafprozessordnung Genannten das Zeugnis verweigern dürften.

(4) Die Absätze 1 bis 3 gelten nicht, sofern Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass die zeugnisverweigerungsberechtigte Person für die Gefahr verantwortlich ist.

§ 20v Gerichtliche Zuständigkeit, Kennzeichnung, Verwendung und Löschung

(1) bis (2) …

(3) Die durch Maßnahmen nach den §§ 20g bis 20n erhobenen personenbezogenen Daten sind zu kennzeichnen. Nach einer Übermittlung an eine andere Stelle ist die Kennzeichnung durch diese aufrechtzuerhalten.

(4) Eine Maßnahme nach diesem Unterabschnitt ist unzulässig, soweit besondere bundesgesetzliche oder entsprechende landesgesetzliche Verwendungsregelungen entgegenstehen. Das Bundeskriminalamt darf die nach diesem Unterabschnitt erhobenen personenbezogenen Daten verwenden,

1. um seine Aufgabe nach § 4a Abs. 1 Satz 1 wahrzunehmen oder

2. soweit dies zur Wahrnehmung seiner Aufgaben nach den §§ 5 und 6 erforderlich ist.

(5) Das Bundeskriminalamt kann die nach diesem Unterabschnitt erhobenen personenbezogenen Daten an andere Polizeien des Bundes und der Länder sowie an sonstige öffentliche Stellen übermitteln, soweit dies erforderlich ist

1. zur Herbeiführung des gegenseitigen Benehmens nach § 4a Abs. 2 Satz 3,

2. zur Abwehr einer erheblichen Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder zur Verhütung von Straftaten, die in § 129a Abs. 1 und 2 des Strafgesetzbuchs bezeichnet sind, im Fall einer Maßnahme nach den §§ 20h, 20k oder § 20l nur zur Abwehr einer dringenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit, insbesondere einer gemeinen Gefahr oder einer Lebensgefahr, oder

3. zur Verfolgung von Straftaten, wenn ein Auskunftsverlangen nach der Strafprozessordung zulässig wäre. Daten, die nach den §§ 20h, 20k oder § 20l erhoben worden sind, dürfen nur zur Verfolgung von Straftaten übermittelt werden, die im Höchstmaß mit mindestens fünf Jahren Freiheitsstrafe bedroht sind.

In Fällen des Satzes 1 Nr. 2 ist § 20a Abs. 2 insoweit nicht anzuwenden, als die Gefahr im Zusammenhang mit Straftaten gemäß § 4a Abs. 1 Satz 2 stehen muss. Die vom Bundeskriminalamt nach diesem Unterabschnitt erlangten personenbezogenen Daten dürfen an die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder sowie an den Militärischen Abschirmdienst übermittelt werden, wenn

1. tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Daten erforderlich sind zur Sammlung und Auswertung von Informationen über Bestrebungen in der Bundesrepublik Deutschland, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen gegen die in § 3 Abs. 1 Nr. 1, 3 und 4 des Bundesverfassungsschutzgesetzes genannten Schutzgüter gerichtet sind, oder

2. bestimmte Tatsachen den Verdacht sicherheitsgefährdender oder geheimdienstlicher Tätigkeiten für eine fremde Macht begründen.

Die vom Bundeskriminalamt nach diesem Unterabschnitt erlangten personenbezogenen Daten dürfen an den Bundesnachrichtendienst übermittelt werden, wenn bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen, dass diese Daten für die Erfüllung der Aufgaben des Bundesnachrichtendienstes nach § 1 Abs. 2 des BND-Gesetzes zur Sammlung von Informationen über die in § 5 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 bis 3 des Artikel 10-Gesetzes genannten Gefahrbereiche erforderlich sind. Nach § 20h erhobene Daten dürfen nur übermittelt werden, um bei dem Bundesamt für Verfassungsschutz, den Verfassungsschutzbehörden der Länder, dem Bundesnachrichtendienst oder dem Militärischen Abschirmdienst Auskünfte einzuholen, die für die Erfüllung der Aufgabe des Bundeskriminalamtes nach § 4a Abs. 1 Satz 1 erforderlich sind. Der Empfänger darf die übermittelten Daten, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, nur zu dem Zweck verwenden, zu dem sie ihm übermittelt wurden.

(6) Sind die durch eine Maßnahme nach diesem Unterabschnitt erlangten personenbezogenen Daten zur Erfüllung des der Maßnahme zugrunde liegenden Zwecks und für eine etwaige gerichtliche Überprüfung der Maßnahme nicht mehr erforderlich, sind sie unverzüglich zu löschen. Die Löschung ist aktenkundig zu machen. Die Akten sind gesondert aufzubewahren, durch technische und organisatorische Maßnahmen zu sichern und am Ende des Kalenderjahres, das dem Jahr der Löschung der Daten folgt, zu löschen. Soweit die Löschung lediglich für eine etwaige gerichtliche Überprüfung der Maßnahme zurückgestellt ist, dürfen die Daten ohne Einwilligung der Betroffenen nur zu diesem Zweck verwendet werden; sie sind entsprechend zu sperren. Eine Löschung unterbleibt, soweit die Daten zur Verfolgung von Straftaten oder nach Maßgabe des § 8 zur Verhütung oder zur Vorsorge für die künftige Verfolgung einer Straftat mit erheblicher Bedeutung erforderlich sind.

§ 20w Benachrichtigung

(1) Über eine Maßnahme nach den §§ 20g bis 20n sind zu benachrichtigen im Fall

1. des § 20g Abs. 2 Nr. 1 bis 3 (längerfristige Observation, Bildaufnahmen, technische Observationsmittel) die Zielperson sowie die erheblich mitbetroffenen Personen,

2. des § 20g Abs. 2 Nr. 4 und 5 (Einsatz Vertrauensperson und Verdeckter Ermittler)

a) die Zielperson,

b) die erheblich mitbetroffenen Personen,

c) die Personen, deren nicht allgemein zugängliche Wohnung die Vertrauensperson oder der Verdeckte Ermittler betreten hat,

3. des § 20h (Wohnraumüberwachung)

a) die Person, gegen die sich die Maßnahme richtete,

b) sonstige überwachte Personen,

c) Personen, die die überwachte Wohnung zur Zeit der Durchführung der Maßnahme innehatten oder bewohnten,

4. des § 20i (Ausschreibung) die Zielperson und die Personen, deren personenbezogene Daten gemeldet worden sind,

5. des § 20j (Rasterfahndung) die betroffenen Personen, gegen die nach Auswertung der Daten weitere Maßnahmen getroffen wurden,

6. des § 20k (Verdeckter Eingriff in informationstechnische Systeme) die Zielperson sowie die mitbetroffenen Personen,

7. des § 20l (Telekommunikationsüberwachung) die Beteiligten der überwachten Telekommunikation,

8. des § 20m Abs. 1 (Erhebung von Verkehrsdaten) die Beteiligten der betroffenen Telekommunikation,

9. des § 20m Abs. 2 (Erhebung von Nutzungsdaten) der Nutzer,

10. des § 20n (IMSI-Catcher) die Zielperson.

Die Benachrichtigung unterbleibt, wenn ihr überwiegende schutzwürdige Belange einer betroffenen Person entgegenstehen. Zudem kann die Benachrichtigung einer in Satz 1 Nr. 6, 7 und 8 bezeichneten Person, gegen die sich die Maßnahme nicht gerichtet hat, unterbleiben, wenn diese von der Maßnahme nur unerheblich betroffen wurde und anzunehmen ist, dass sie kein Interesse an einer Benachrichtigung hat. Nachforschungen zur Feststellung der Identität einer in Satz 1 bezeichneten Person sind nur vorzunehmen, wenn dies unter Berücksichtigung der Eingriffsintensität der Maßnahme gegenüber dieser Person, des Aufwands für die Feststellung ihrer Identität sowie der daraus für diese oder andere Personen folgenden Beeinträchtigungen geboten ist.

(2) Die Benachrichtigung erfolgt, sobald dies ohne Gefährdung des Zwecks der Maßnahme, des Bestandes des Staates, von Leib, Leben oder Freiheit einer Person oder Sachen von bedeutendem Wert, deren Erhaltung im öffentlichen Interesse geboten ist, im Fall des § 20g Abs. 2 Nr. 4 und 5 auch der Möglichkeit der weiteren Verwendung des Verdeckten Ermittlers oder der Vertrauensperson möglich ist. Wird wegen des zugrunde liegenden Sachverhaltes ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren geführt, erfolgt die Benachrichtigung durch die Strafverfolgungsbehörde entsprechend den Vorschriften des Strafverfahrensrechts. Wird die Benachrichtigung aus einem der vorgenannten Gründe zurückgestellt, ist dies zu dokumentieren.

(3) Erfolgt die nach Absatz 2 zurückgestellte Benachrichtigung nicht binnen zwölf Monaten nach Beendigung der Maßnahme, bedarf die weitere Zurückstellung der gerichtlichen Zustimmung. Im Fall der §§ 20h und 20k beträgt die Frist sechs Monate. Das Gericht bestimmt die Dauer der weiteren Zurückstellung, im Fall der §§ 20h und 20k jedoch nicht länger als sechs Monate. Verlängerungen der Zurückstellungsdauer sind zulässig. Fünf Jahre nach Beendigung der Maßnahme kann mit gerichtlicher Zustimmung endgültig von der Benachrichtigung abgesehen werden, wenn die Voraussetzungen für die Benachrichtigung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch in Zukunft nicht eintreten werden. Sind mehrere Maßnahmen in einem engen zeitlichen Zusammenhang durchgeführt worden, beginnt die in Satz 1 genannte Frist mit der Beendigung der letzten Maßnahme.

III.

5

Die Beschwerdeführer im Verfahren 1 BvR 966/09 sind Rechtsanwälte, Journalisten, ein Arzt und ein Diplom-Psychologe, von denen die meisten in der Menschenrechtspolitik aktiv sind. Die Beschwerdeführer und Beschwerdeführerinnen im Verfahren 1 BvR 1140/09 sind - als Privatpersonen auftretende - ehemalige und gegenwärtige Abgeordnete des Deutschen Bundestags, die sich weithin gleichfalls in der Menschenrechtspolitik engagieren und teilweise auch als Rechtsanwalt oder Arzt tätig sind. Sie rügen der Sache nach die Verletzung von Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1 Satz 2, Art. 10, Art. 12, Art. 13, zum Teil auch in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4 und Art. 20 Abs. 3 GG.

6

1. Die Verfassungsbeschwerden seien zulässig.

7

Die Beschwerdeführer und Beschwerdeführerinnen seien von den angegriffenen Vorschriften unmittelbar, selbst und gegenwärtig betroffen. Sie gerieten, wie sie im Einzelnen darlegen, beruflich, als Abgeordnete oder privat wiederholt in Kontakt zu Personen, die extremistischen und terroristischen Organisationen zugerechnet würden oder Ziel staatlicher Überwachung im Rahmen der Terrorismusbekämpfung seien. Hinzu kämen Kontakte zu regierungsnahen und parlamentarischen Gesprächspartnern, zu Menschenrechtsaktivisten sowie zu - auch militanten - Separatisten und Oppositionellen aus dem Ausland, insbesondere auch aus Krisen- und Bürgerkriegsregionen. Es sei daher nicht fernliegend, im Rahmen dieser Kontakte Ziel oder Drittbetroffener einer der angegriffenen Maßnahmen zu werden. § 20u Abs. 1 BKAG in Verbindung mit § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StPO schütze nur in einem Teilbereich der vorgenannten Aktivitäten vor Überwachungsmaßnahmen des Bundeskriminalamts. Angesichts der Streubreite der Vorschriften, der Geheimhaltung des Vollzugs des Gesetzes und einer nur unzureichenden Pflicht zur Benachrichtigung des von einer Überwachungsmaßnahme Betroffenen reiche dies aus, um ihre Beschwerdebefugnis zu begründen.

8

Die Beschwerdefrist des § 93 Abs. 3 BVerfGG sei beachtet. Dies gelte auch für den schon früher und nicht erst im letzten Jahr in das Gesetz eingefügten § 14 BKAG. Die hier geregelte Übermittlung von Daten an das Ausland erhalte durch die neuen Befugnisse des Bundeskriminalamts zur Datenerhebung einen neuen Anwendungs- und Regelungsgehalt. Dies führe dazu, dass die Beschwerdefrist des § 93 Abs. 3 BVerfGG neu in Gang gesetzt werde.

9

2. Die Verfassungsbeschwerden seien begründet.

10

a) Die parallele Aufgabenwahrnehmung von Landespolizeibehörden und Bundeskriminalamt nach § 4a Abs. 2 BKAG sowie die Einräumung eines Ermessensspielraumes des Bundeskriminalamts bei der Wahrnehmung seiner Aufgaben nach § 4a Abs. 1 BKAG seien nicht mit der verfassungsrechtlichen Kompetenzordnung nach Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a GG vereinbar. Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a GG gebe dem Bund auch nicht die Kompetenz für Regelungen zur Verhütung von Straftaten, die im Vorfeld der Abwehr konkreter Gefahren ansetze. § 20g Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3, § 20l Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BKAG seien daher schon formell verfassungswidrig.

11

b) Der für die Aufgabenbestimmung des Bundeskriminalamts verwendete Begriff des "internationalen Terrorismus" sei mehrdeutig und verstoße gegen den Grundsatz der Normenklarheit. Gleiches gelte für den in § 20a Abs. 2 BKAG normierten Gefahrenbegriff mit seiner Bezugnahme auf § 4a Abs. 1 Satz 2 BKAG. Auch das in § 20g Abs. 1, § 20h Abs. 1, § 20j Abs. 1, § 20l Abs. 1, § 20m Abs. 1 und § 20w Abs. 2 BKAG festgelegte Schutzgut der "Sachen von bedeutendem Wert, deren Erhaltung im öffentlichen Interesse geboten ist", sei mangels Bestimmtheit verfassungswidrig.

12

c) § 20c Abs. 3 BKAG verletze - ebenso wie § 20u Abs. 2 BKAG - Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1 Satz 2 und Art. 12 Abs. 1 GG.

13

d) Die in § 20g Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BKAG bezüglich der besonderen Mittel der Datenerhebung normierte Befugnis zur Straftatenverhütung sei ferner mit dem Gebot der Normenklarheit nicht vereinbar. Die geringen tatbestandlichen Voraussetzungen wahrten nicht das Gebot der Verhältnismäßigkeit. Die Regelung überlasse der Verwaltung, wo die Grenze zu ziehen sei zwischen unverdächtigem und solchem Verhalten, das erwarten lässt, dass jemand eine Straftat begehen wird. Auch der Begriff der "Kontakt- und Begleitperson" in § 20g Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BKAG sei zu unbestimmt.

14

§ 20g Abs. 1, 2 BKAG verstoße gegen Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG, soweit die Beschwerdeführer in ihren Berufen betroffen seien gegen Art. 12 GG und, soweit sie in ihren Wohn- und Kanzleiräumen betroffen seien, gegen Art. 13 Abs. 1 GG. Die Norm ermögliche die Erstellung eines weitreichenden Profils der überwachten Person und den Zugriff auf nicht für die Öffentlichkeit bestimmte Kommunikation, auch durch systematische Täuschung durch Vertrauenspersonen und den Einsatz Verdeckter Ermittler. Durch die Möglichkeit der Inanspruchnahme von Nichtstörern und eine Datenerhebung zur Verhütung von Straftaten werde der Grundrechtseingriff trotz niedriger Eingriffsschwelle noch vertieft.

15

In § 20g Abs. 3 BKAG sei für besondere Mittel der Datenerhebung in verfassungswidriger Weise teilweise kein Richtervorbehalt vorgesehen. Zudem habe der Gesetzgeber die besondere Gefahr additiver Grundrechtseingriffe nicht berücksichtigt, weil neben dem Bundeskriminalamt auch Landespolizeibehörden tätig bleiben könnten.

16

e) Der Einsatz technischer Mittel in Wohnungen gemäß § 20h BKAG sei insbesondere mit Art. 13 Abs. 1, 4 GG unvereinbar. Der Begriff der "Sachen von bedeutendem Wert" in § 20h Abs. 1 BKAG erfülle nicht die Anforderungen der "gemeinen Gefahr" des Art. 13 Abs. 4 GG. Inkonsistent sei, dass in die Unverletzlichkeit der Wohnung anders als bei dem Zugriff auf informationstechnische Systeme schon zum bloßen Schutz von Sachwerten eingegriffen werden dürfe. Die in § 20h BKAG verwandte Formel einer "dringenden" Gefahr für die Gesundheit Dritter sei unbestimmt. Verfassungswidrig sei die Erlaubnis von Maßnahmen gegen Zustandsstörer, Begleit- und Kontaktpersonen sowie von Vorfeldermittlungen gemäß § 20h Abs. 1 Nr. 1 b BKAG. Der Kreis möglicher Adressaten werde angesichts der nur schwer nachvollziehbaren Verweisungskette nicht hinreichend bestimmt und in der Sache übermäßig ausgeweitet. § 20h Abs. 1 Nr. 2 BKAG sei unverhältnismäßig. Die optische Wohnraumüberwachung dürfe allenfalls unter erheblich höheren Eingriffsvoraussetzungen als die akustische Wohnraumüberwachung oder subsidiär zu dieser eingesetzt werden.

17

§ 20h Abs. 2 BKAG verstoße gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, denn die Regelung erlaube bereits eine Überwachung der Wohnung von Unbeteiligten, wenn sich dort eine Person, die eine Gefahr verursache oder eine Straftat im Sinne des § 4a Abs. 1 Satz 2 BKAG vorbereite, aufhalte.

18

§ 20h Abs. 4 BKAG verletze Art. 13 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG, da für die Anordnung der Wohnraumüberwachung nur die Angabe der wesentlichen Gründe verlangt werde und eine richterliche Verlaufskontrolle fehle.

19

f) Die Regelung zur Rasterfahndung nach § 20j BKAG verstoße gegen Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG. Sie sei unverhältnismäßig, soweit eine "Gefahr" bereits dann vorliegen solle, wenn konkrete Vorbereitungshandlungen die Annahme rechtfertigen, dass eine Straftat nach § 4a Abs. 1 Satz 2 BKAG begangen werden solle. Eine Rasterfahndung käme nur in Betracht, wenn eine hinreichend konkrete Gefahr für hochrangige Rechtsgüter vorliege und diese tatsachengestützt sei.

20

g) Die Regelung zum Zugriff auf informationstechnische Systeme in § 20k BKAG verstoße gegen Art. 13 Abs. 1 GG, weil nicht ausgeschlossen sei, dass die Infiltration eines informationstechnischen Systems durch Betreten der Wohnung erfolgen könne.

21

§ 20k Abs. 1 Satz 1 BKAG lasse eine Ausforschung der Persönlichkeit des Betroffenen zu. Die Tiefe des Eingriffs im konkreten Fall sei abhängig vom Stand der Technik und damit entwicklungsoffen. § 20k Abs. 1 Satz 1 BKAG beschränke sich nicht auf den Schutz überragend wichtiger Rechtsgüter.

22

Nicht hinnehmbar sei, dass § 20k Abs. 4 Satz 1 BKAG den Zugriff auf informationstechnische Systeme von Zustandsstörern erlaube. Dies werde dem personalisierten Gefahrbegriff für heimliche Überwachungsmaßnahmen nicht gerecht. Unverhältnismäßig lang sei die mögliche Dauer der Anordnung von bis zu drei Monaten nach § 20k Abs. 6 Satz 3 BKAG.

23

h) Die Telekommunikationsüberwachung nach § 20l Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BKAG sei mit dem Bestimmtheitsgebot nicht vereinbar, weil der Gesetzgeber nicht konkretisiere, wann jemand eine Straftat im Sinne des § 4a Abs. 1 Satz 2 BKAG vorbereite. § 20l Abs. 1 Satz 2 BKAG genüge dem verfassungsrechtlich gebotenen Schutz beruflich genutzter Anschlüsse von Arztpraxen und Rechtsanwaltskanzleien nicht.

24

Unverhältnismäßig sei die Quellen-Telekommunikationsüberwachung nach § 20l Abs. 2 BKAG. Es sei nicht möglich, auf einen Rechner zuzugreifen und hierbei lediglich laufende Telekommunikationsvorgänge abzuhören. Eine Überwachungssoftware, die auch andere Informationen erfasse, sei aber als Online-Durchsuchung zu werten. Ob gleichwohl Maßnahmen der Quellen-Telekommunikationsüberwachung stattfänden, sei aufgrund der Heimlichkeit der Maßnahme nicht überprüfbar.

25

i) Die Erhebung von Telekommunikationsverkehrsdaten nach § 20m BKAG greife unverhältnismäßig in Art. 10 Abs. 1 GG und bezüglich der als Rechtsanwalt und Arzt tätigen Beschwerdeführer in Art. 12 Abs. 1 GG ein. Sie ermögliche die Erstellung von Kontaktprofilen, Bewegungsbildern und die Standortüberwachung in Echtzeit. Die Streubreite und die Anknüpfung an ein nur vage bestimmtes Vorbereitungsstadium (§ 20m Abs. 1 Nr. 2 BKAG) erhöhten das Eingriffsgewicht. Bedenklich sei gerade in Bezug auf Berufsgeheimnisträger, dass § 20m Abs. 1 Nr. 2 bis 4 BKAG auch Nichtstörer als Zielpersonen erfasse und schon ein nur mittelbarer Bezug zu einer Gefahr ausreiche.

26

j) Die angegriffenen Vorschriften würden den verfassungsrechtlichen Anforderungen an Transparenz und effektiven Rechtsschutz nicht gerecht. Die Benachrichtigungspflichten seien unzureichend geregelt. § 20w Abs. 1 Satz 3 BKAG lege es mit offenen Kriterien weitgehend in die Hand der Ermittlungsbehörde, auf eine Benachrichtigung der Betroffenen zu verzichten; eine gerichtliche Überprüfung finde nicht statt. Die Zurückstellung der Benachrichtigung zum Schutz von Sachen gemäß § 20w Abs. 2 Satz 1 BKAG und zur Sicherung der weiteren Verwendung von Verdeckten Ermittlern oder Vertrauenspersonen verletze die Beschwerdeführer in ihrem verfassungsrechtlichen Recht auf Benachrichtigung zur Erlangung von Rechtsschutz. Der Verweis auf die Benachrichtigungsregelungen der Strafprozessordnung in § 20w Abs. 2 Satz 2 BKAG sei unzureichend, da das Strafverfahrensrecht selbst Lücken bei der Benachrichtigung des Betroffenen aufweise. Zudem werde damit der für eine Zurückhaltung der Benachrichtigung tragende Bezugspunkt in verfassungsrechtlich bedenklicher Weise ausgewechselt. Statt der Gefährdung des Zwecks der Überwachungsmaßnahme werde auf die Gefährdung eines strafverfahrensrechtlichen Untersuchungszwecks abgestellt. § 20w Abs. 3 Satz 5 BKAG sei mit den Anforderungen an einen effektiven Rechtsschutz nicht vereinbar, da bereits nach fünf Jahren von der Benachrichtigung des Betroffenen endgültig abgesehen werden könne.

27

k) Es fehle an ausreichenden gesetzlichen Regelungen zum Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung.

28

Vollständig fehlten solche Regelungen für die Überwachung außerhalb von Wohnungen nach § 20g BKAG. Sie seien aber jedenfalls für die längerfristige Observation und für die Überwachung mittels akustischer und optischer Mittel geboten. Auch außerhalb von Wohnungen könne der Kernbereich privater Lebensgestaltung berührt sein, etwa wenn sich die Zielperson außerhalb der Wohnung mit Familienangehörigen oder anderen Vertrauten bespreche.

29

§ 20h Abs. 5 Satz 1 BKAG beschränke den Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung auf "Äußerungen", obgleich auch durch die optische Wohnraumüberwachung kernbereichsrelevante Verhaltensweisen erfasst werden könnten. § 20h Abs. 5 Satz 3 BKAG sei unzureichend, da bei Zweifeln über die Kernbereichsrelevanz der Beobachtungen eine automatische Aufzeichnung erlaubt sei. Ferner beschränke § 20h Abs. 5 Satz 4 BKAG in unzulässiger Weise die gerichtliche Durchsicht der erhobenen Daten auf diese Fallkonstellation. Für den Fall des "Live"-Mithörens helfe das Gebot der Löschung kernbereichsrelevanter Daten nach § 20h Abs. 5 Satz 6 und 7 BKAG nicht. § 20h Abs. 5 Satz 9 und 10 BKAG (ebenso wie § 20k Abs. 7 Satz 8 und in § 20l Abs. 6 Satz 10 BKAG) verletzten die Garantie eines effektiven Rechtsschutzes, da die zu dokumentierende Erfassung und Löschung spätestens zum Ende des nächsten Jahres und damit möglicherweise noch vor einer Benachrichtigung des Betroffenen zu löschen seien.

30

Der verdeckte Zugriff auf informationstechnische Systeme sei nach § 20k Abs. 7 Satz 1 BKAG nur dann unzulässig, wenn durch ihn "allein" Erkenntnisse aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung erfasst würden. Danach wäre der Zugriff auf ein informationstechnisches System schon zulässig, wenn sich darauf nur irgendwelche Daten befinden würden, die nicht dem Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzurechnen wären. Da die Verarbeitung ausschließlich kernbereichsrelevanter Informationen auf einem informationstechnischen System auszuschließen sei, laufe die Vorschrift leer. Entsprechendes gelte für die Überwachung der Telekommunikation nach § 20l Abs. 6 Satz 1 BKAG. Demgegenüber sei es geboten, mittels einer fundierten Prognoseentscheidung zu vermeiden, dass überhaupt kernbereichsrelevante Daten erfasst würden. § 20k Abs. 7 Satz 3, 4 BKAG werde der gebotenen Durchsicht der erhobenen Daten durch eine unabhängige Stelle nicht gerecht; als eine solche komme grundsätzlich nur ein Gericht in Frage. An der Sichtung nach § 20k Abs. 7 Satz 3, 4 BKAG würden aber im Wesentlichen Personen des Bundeskriminalamts beteiligt. Was unter der vorgesehenen "Sachleitung" des anordnenden Gerichts zu verstehen sei, bleibe unklar; sie sichere die Unabhängigkeit der Sichtung nicht.

31

l) Der Schutz von Berufsgeheimnisträgern sei im Bundeskriminalamtgesetz nur unzureichend ausgestaltet.

32

§ 20u Abs. 1 BKAG verstoße gegen Art. 1 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG. Er schütze die in § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 2 und 4 StPO genannten Berufsgeheimnisträger - Geistliche, Abgeordnete und Verteidiger - nur insoweit, als sich die Maßnahme gegen sie selbst richte. Da sich eine Maßnahme aber in der Regel gegen einen Verdächtigen richten werde, laufe der Schutz des § 20u Abs. 1 BKAG weitgehend leer. Das Verwertungsverbot des § 20u Abs. 1 Satz 6 BKAG begründe einen nur unzureichenden Schutz.

33

§ 20u Abs. 2 BKAG verstoße gegen Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 GG sowie gegen das Rechtsstaatsprinzip, bei einer Überwachung von Kanzleiräumen auch gegen Art. 13 Abs. 1 GG.

34

Ärzte, Psychotherapeuten, Journalisten oder nicht als Verteidiger tätige Anwälte seien weniger weitreichend vor Überwachungsmaßnahmen geschützt als Geistliche, Verteidiger oder Abgeordnete, ohne dass dies zu rechtfertigen sei. Die Unterscheidung zwischen Rechtsanwälten und Verteidigern sei willkürlich und ein geringerer Schutzbedarf von nicht-strafrechtlichen Mandatsbeziehungen nicht ersichtlich. Das Berufsgeheimnis der Anwälte werde durch die Möglichkeit entsprechender Überwachungsmaßnahmen grundsätzlich in Frage gestellt, womit auch Art. 12 Abs. 1 GG verletzt werde. Gleiches gelte für das ärztliche Berufsgeheimnis, das in seinem Wesenskern getroffen werde. Auch die durch Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG gewährleisteten Funktionsvoraussetzungen der freien Presse schütze § 20u Abs. 2 BKAG nicht ausreichend. Im Übrigen sei der bloße Verweis auf eine Abwägung zu unbestimmt.

35

m) Verfassungswidrig sei das Gesetz auch, weil es auf gebotene verfahrensrechtliche Sicherungen und materiell-eingriffsrechtliche Abstufungen verzichte, um eine von Verfassungs wegen verbotene Rundumüberwachung durch die kumulative Anwendung eingriffsintensiver Maßnahmen zu verhindern.

36

n) Die Vorschriften zur weiteren Nutzung einmal erhobener Daten durch das Bundeskriminalamt selbst und zu ihrer Weiterleitung an sonstige innerstaatliche Behörden seien verfassungswidrig.

37

§ 20v Abs. 4 Satz 2 BKAG erlaube eine Nutzung der Daten unter gegenüber den Erhebungsvoraussetzungen abgesenkten Anforderungen und unabhängig von einer konkreten Bedrohung von Schutzgütern und emanzipiere sich als Aufgabennorm von konkreten Gefahren im polizeirechtlichen Sinne. Das unterlaufe den Grundsatz der Zweckbindung, wonach Daten nur zu dem Zweck verarbeitet werden dürften, zu dem sie erhoben worden seien. Auch die nach § 20v Abs. 4 Satz 2 Nr. 2 BKAG mögliche Nutzung der vom Bundeskriminalamt erhobenen Daten zur Wahrung der Aufgaben nach §§ 5 und 6 BKAG reiche weit in das Vorfeld von Rechtsgutverletzungen und entspreche nicht dem Gewicht der Rechtsgüter, die die Datenerhebung erfordere.

38

Auch § 20v Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 bis 3, Satz 4, 5 BKAG erlaube die Datennutzung unter abgesenkten Anforderungen. § 20v Abs. 5 Satz 1 BKAG sei nicht bestimmt genug, weil die Behörden nicht benannt würden, an die Informationen übermittelt werden dürften. § 20v Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 BKAG verstoße gegen Art. 13 GG sowie gegen das Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme. Nur im Fall des Art. 13 Abs. 4 GG sei eine Verwendung von Erkenntnissen erlaubt, die mittels eines Spähangriffs erlangt worden seien, nicht aber zum Zwecke der Strafverfolgung.

39

Auch § 20v Abs. 6 Satz 5 BKAG mit seinem Verweis auf die Nutzung von Daten zur Verhütung oder zur Vorsorge für die künftige Verfolgung einer Straftat mit erheblicher Bedeutung nach Maßgabe des § 8 BKAG werde dem Grundsatz nicht gerecht, dass die sekundäre Verwendung von Daten sich nach den Voraussetzungen ihrer Erhebung richten müsse.

40

o) § 14 Abs. 1 BKAG sei nicht mit dem Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme sowie mit Art. 10 Abs. 1 und Art. 13 Abs. 1 GG vereinbar. Es dürften Daten - insbesondere aus der Wohnraumüberwachung und aus einem Zugriff auf informationstechnische Systeme - an ausländische Behörden unter Voraussetzungen übermittelt werden, die für ihre Erhebung unzureichend wären.

IV.

41

Zu den Verfassungsbeschwerden haben die Bundesregierung, der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, mittels einer gemeinsamen Stellungnahme die Datenschutzbeauftragten der Länder, das Bundesverwaltungsgericht und der Bundesgerichtshof Stellung genommen.

42

1. Die Bundesregierung hält die Verfassungsbeschwerden teils für unzulässig, jedenfalls aber für unbegründet.

43

a) Die Rüge des § 20c Abs. 3 BKAG sei mangels Beschwer unzulässig. Die Norm regle eine offene Ermittlungsmaßnahme von begrenzter Streubreite, gegen die die Beschwerdeführer nicht die erforderliche eigene, unmittelbare und gegenwärtige Beschwer geltend gemacht hätten. Unzulässig sei auch die Rüge des § 14 Abs. 1 BKAG, der bereits vor Inkrafttreten des beschwerdegegenständlichen Gesetzes Teil des Bundeskriminalamtgesetzes gewesen sei, so dass die Beschwerdefrist des § 93 Abs. 3 BVerfGG nicht eingehalten sei.

44

b) Im Übrigen seien die Verfassungsbeschwerden zulässig, aber unbegründet.

45

aa) Der Bundesgesetzgeber verfüge gemäß Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a GG über die Kompetenz, dem Bundeskriminalamt die Abwehr von Gefahren und auch die im angegriffenen Gesetz vorgesehenen Maßnahmen der Gefahrenverhütung zuzuweisen. Da es bei der Straftatenverhütung um Sachverhalte gehe, in denen eine Straftat noch nicht begangen worden sei, handele es sich bei ihr um eine besondere Form der Gefahrenabwehr, die bereits vor der Schwelle einer konkreten Gefahr greife.

46

bb) Die im Gesetz vorgesehenen Eingriffsbefugnisse dienten dem Schutz verfassungsrechtlich geschützter Rechtsgüter von besonderem Gewicht und entsprächen damit dem Verhältnismäßigkeitsprinzip im engeren Sinne. Die angegriffenen Normen seien hinreichend bestimmt. Die qualifizierten Eingriffsbefugnisse gingen dabei von einem ähnlichen materiellen Standard aus.

47

Zum einen sehe das Gesetz Befugnisse zur Gefahrenabwehr vor. § 20a Abs. 2 BKAG stelle klar, dass der in den Befugnisnormen verwendete Gefahrenbegriff eine konkrete Gefahr bezeichne. § 20h Abs. 1 und § 20l Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BKAG verlangten das qualifizierte Erfordernis einer dringenden Gefahr. Überdies müssten sich alle angegriffenen Ermittlungsbefugnisse nach § 4a Abs. 1 Satz 2 BKAG auf bestimmte, als Tatbestand einzeln aufgeführte Straftaten beziehen, die in § 129a Abs. 1 und 2 StGB bezeichnet seien. Das Erfordernis eines Bezugs zum "internationalen Terrorismus" bei der Abwehr konkreter Gefahren in § 4a Abs. 1 Satz 1 BKAG bestimme und qualifiziere die Befugnisse darüber hinaus. Der Begriff des "internationalen Terrorismus" als solcher diene aber nicht als Grundlage einer Eingriffsbefugnis.

48

Neben die Befugnisse zur Abwehr konkreter Gefahren träten Befugnisse zur Straftatenverhütung gemäß § 4a Abs. 1 Satz 2 BKAG. Auch diese blieben hinreichend begrenzt. Die insoweit in Bezug genommenen Straftatbestände nach § 129a StGB beträfen allesamt qualifizierte Rechtsgüter; die Straftaten müssten terroristischen Zielen dienen und eine qualifizierte Schadensneigung aufweisen. Alle in Frage stehenden Befugnisnormen, die sich auf die Aufgabenbestimmung des § 4a Abs. 1 Satz 2 BKAG bezögen, verlangten darüber hinaus das Vorliegen von "Tatsachen" oder "konkreten Vorbereitungshandlungen", durch die die Vorbereitung einer Straftat objektiv erkennbar werde. Das Eingreifen im Rahmen der Straftatenverhütung werde hiermit in den Bereich einer individualisierten Gefahrenprognose gebracht. "Tatsachen" im Sinne des Gesetzes seien Sachverhalte, die sich auf das individualisierte Verhalten bestimmter Personen bezögen.

49

Die Befugnis zur Abwehr konkreter Gefahren für "Sachen von bedeutendem Wert, deren Erhaltung im öffentlichen Interesse geboten ist", entspreche den verfassungsrechtlichen Anforderungen. Die doppelte Qualifikation in Bezug auf den Wert der Sache und ihre Bedeutung für das öffentliche Interesse stelle klar, dass hieran anknüpfende Überwachungsmaßnahmen nur in besonders gelagerten Fällen zulässig seien, in denen am Erhalt der zu schützenden Sachwerte ihrerseits rechtlich geschützte Einrichtungen hingen, die über den Wert der Sache selbst in beträchtlichem Umfang hinausgingen.

50

cc) Die Datenerhebung gemäß § 20g BKAG stünde unter einem strengen Erforderlichkeitsvorbehalt und setze eine konkrete Gefahr für qualifizierte Rechtsgüter voraus. Die durch § 20g Abs. 2 BKAG aufgrund einer behördlichen Anordnung ermöglichten Maßnahmen berührten allesamt weder einen geschriebenen grundsätzlichen Richtervorbehalt noch griffen sie so intensiv in die Sphäre der Betroffenen ein, dass sie einen ungeschriebenen Richtervorbehalt auslösen könnten. Zur Ermittlung eingesetzte Personen dürften nach § 20g Abs. 3 Satz 1 BKAG die Wohnung des Betroffenen nur auf richterliche Anordnung betreten.

51

dd) Die Wohnraumüberwachung gemäß § 20h BKAG stehe ebenfalls unter einem Erforderlichkeitsvorbehalt und werde dem in Art. 13 Abs. 4 GG normierten Erfordernis gerecht, Grundrechtseingriffe nur bei einer "dringenden" Gefahr zuzulassen. Der Grundrechtseingriff werde durch eine auch mögliche optische Wohnraumüberwachung nicht vertieft, der Grundrechtsschutz des Art. 13 GG sei medienübergreifend. Eine permanente richterliche Verlaufskontrolle der Wohnraumüberwachung sei verfassungsrechtlich nicht geboten.

52

ee) Die Rasterfahndung nach § 20j BKAG sei ein zur Gefahrenabwehr geeignetes Instrument, weil sie den Zweck erfülle, in einer Gefahrensituation weitere Ermittlungsansätze zu gewinnen. Aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts lasse sich herleiten, dass der Gesetzgeber unter den Bedingungen bestimmter Tatbestandsvoraussetzungen nicht in jedem Fall am Erfordernis des konkreten Gefahrenmaßstabs festhalten müsse. Vor diesem Hintergrund erscheine die Regelung des § 20j Abs. 1 Satz 1, 2. Halbsatz BKAG verfassungsrechtlich unbedenklich.

53

ff) Die in § 20k Abs. 6 Satz 2 Nr. 4 BKAG normierte Nennung der "wesentlichen Gründe" für die Anordnung einer Überwachungsmaßnahme entspreche den verfassungsrechtlichen Vorgaben. Wenn das Bundesverfassungsgericht in seiner Rechtsprechung die Fachgerichte auf bestimmte Inhalte einer angemessenen Entscheidungsbegründung verpflichte, folge daraus nicht, dass der Gesetzgeber diese auch in gleicher Präzision zum Gegenstand der gesetzlichen Regelung machen müsse.

54

gg) Die Telekommunikationsüberwachung gemäß § 20l BKAG halte die Grenzen der materiellen Angemessenheit ein. Soweit es um die Befugnis nach § 20l Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BKAG zur Straftatenverhütung gehe, verweise die Norm auf mehrfach qualifizierte, tatbestandlich aufgezählte Straftaten, nicht einfach nur auf eine bestimmte Gruppe von Straftaten. Die zu schützenden Rechtsgüter würden benannt.

55

Die ermittelnde Behörde sei in der Lage, den Zugriff nach § 20l Abs. 2 BKAG auf Daten der laufenden Kommunikation zu beschränken. Die Überwachung der Telekommunikation dürfe daher nicht mit einem Eingriff in informationstechnische Systeme gleichgesetzt werden.

56

hh) Die Abfragebefugnis zur Abwehr konkreter Gefahren in § 20m Abs. 1 Nr. 1 BKAG entspreche den verfassungsrechtlichen Vorgaben. Gleiches gelte für die Abfragebefugnis im Rahmen der Straftatenverhütung, die das Vorliegen "bestimmter Tatsachen" zur Vorbereitung einer Straftat verlange.

57

ii) Hinsichtlich der Adressaten der Ermittlungsmaßnahmen sei zu beachten, dass eine Zurechnung im Bereich des Gefahrenabwehrrechts allein nach der Frage der Verursachung einer Gefahr, nicht aber nach dem Schuldprinzip erfolge. Ein Nichtstörer dürfe nur unter erhöhten Anforderungen und in speziellen Ausnahmekonstellationen in Anspruch genommen werden. Dies lasse sich beispielsweise für die Inanspruchnahme von in § 20b Abs. 2 BKAG näher definierten Kontakt- und Begleitpersonen nach § 20h Abs. 1 Nr. 1 c BKAG zeigen. Es kämen danach nur diejenigen als Adressaten einer Überwachungsmaßnahme in Betracht, die einen spezifisch tatbezogenen Kontakt mit einem Störer oder Nichtstörer im Sinne des Gesetzes gehabt hätten, nicht aber jedermann, der mit diesen Personen kommuniziere. Dies sei auch bei einer Wohnraumüberwachung zulässig.

58

jj) § 20w BKAG richte ein differenziertes Benachrichtigungsregime für die Ermittlungsbefugnisse ein, das dem Umstand Rechnung zu tragen habe, dass neben dem aus Art. 19 Abs. 4 GG folgenden Rechtsschutzinteresse der Ermittlungsadressaten auch die Ermittlungsinteressen der Allgemeinheit und mögliche Rechtspositionen Dritter verfassungsrechtlichen Schutz genössen und von der Benachrichtigung berührt sein könnten.

59

kk) Der Kernbereichsschutz sei als Folge des Grundrechtsschutzes stets zu beachten und müsse nicht in jeder polizeigesetzlichen Regelung abgebildet werden. Verfassungsrechtlich geboten erscheine ein gesetzlich normierter Kernbereichsschutz nur, wenn die Art der Eingriffsbefugnisse eine Berührung des Kernbereichs typischerweise möglich erscheinen lasse. Die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die konkrete Ausgestaltung des Kernbereichsschutzes könnten je nach Art der Informationserhebung und der durch sie erfassten Informationen unterschiedlich sein.

60

Unter diesen Voraussetzungen sei der Verzicht auf einen gesetzlich normierten Kernbereichsschutz in § 20g BKAG, der keine herausgehobenen Elemente kernbereichssensibler Ermittlungstätigkeit enthalte, verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

61

Durch die Unterscheidung in § 20h Abs. 5 BKAG zwischen automatischen Aufzeichnungen, über deren Verwertung das anordnende Gericht zu entscheiden habe, und anderen Ermittlungsformen, bei denen die Behörde über Abbruch oder Fortsetzung der Ermittlungen entscheide, werde sichergestellt, dass die vor Ort ermittelnden Beamten überhaupt nur solche Informationen zur Kenntnis nehmen könnten, an deren fehlender Kernbereichsrelevanz kein Zweifel bestehe. Automatisierte Aufzeichnungen als solche verstießen nicht gegen den Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung. Verfassungsrechtlich nicht erforderlich sei, dass sämtliche Informationen, die im Rahmen einer potentiell kernbereichsrelevanten Befugnisnorm erhoben würden, durch eine unabhängige Stelle zu kontrollieren seien.

62

Wenn in § 20k Abs. 7, § 20l Abs. 6 BKAG angeordnet werde, dass eine Überwachungsmaßnahme unzulässig sei, wenn "allein" Erkenntnisse aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung erlangt würden, komme hierin zum Ausdruck, dass die ermittelnden Behörden eine Einschätzung ex ante darüber abgeben müssten, ob die Maßnahmen geeignet seien, die Ermittlungsziele weiterzubringen, ohne den Kernbereich zu verletzen. Äußerungen, die beispielsweise die Planung einer schweren Straftat thematisierten, würden der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Folge gar nicht vom Kernbereichsschutz umfasst, also auch dann nicht, wenn sie in einer besonders privaten Situation getätigt würden.

63

§ 20k Abs. 7 Satz 3 BKAG ordne an, dass die erhobenen Daten unter der Sachleitung des anordnenden Gerichts durch den Datenschutzbeauftragten des Bundeskriminalamts und zwei Beamte, von denen einer die Befähigung zum Richteramt haben müsse, auf Kernbereichsrelevanz durchzusehen seien, weil sich die ermittelten Informationen bei der Durchsicht elektronischer Dateien ohne zusätzliche technische Fertigkeiten der beteiligten Beamten überhaupt nicht entschlüsseln ließen.

64

Die Regeln zur Löschung einer dokumentierten Kernbereichsverletzung und zur Benachrichtigung des Betroffenen seien ein Kompromiss zwischen den Rechtsschutzanliegen eines Betroffenen und der Vermeidung einer zu langen Speicherung sensibler personenbezogener Daten. Sie genügten den Anforderungen des Art. 19 Abs. 4 GG.

65

ll) Hinsichtlich des Schutzes von Berufsgeheimnisträgern sei die herausgehobene Schutzbedürftigkeit des Strafverteidigers gegenüber anderen Berufen in der Rechtsprechung anerkannt. Die Regelungen des § 20u Abs. 2 BKAG genügten daher sowohl materiell als auch ihrer Bestimmtheit nach den Anforderungen des Grundgesetzes. Ob die Regelung des § 20u BKAG den Schutzbereich des Art. 12 GG berühre, erscheine zweifelhaft; denn die einschlägigen Regelungen hätten keine berufsregelnde Tendenz. Selbst im Falle der Eröffnung des Schutzbereichs handele es sich aber um eine bloße Berufsausübungsregelung, die durch ein Gesetz und einen Gemeinwohlbelang gerechtfertigt sei.

66

mm) Die gesetzlichen Vorschriften zur Verwendung der vom Bundeskriminalamt zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus erhobenen Daten entsprächen den verfassungsrechtlichen Vorgaben.

67

§ 20v Abs. 4 Satz 2 BKAG stelle klar, dass das Bundeskriminalamt die ermittelten Daten nur zur Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben nach §§ 4a, 5, 6 BKAG verwenden dürfe. Bei dieser Regelung handele es sich um beschränkte Verwendungsregeln, die durch die Kohärenz der zu schützenden Rechtsgüter in gleicher Weise gerechtfertigt seien wie die Ermittlungsbefugnisse selbst.

68

Die Datenübermittlungsregeln des § 20v Abs. 5 Satz 1 BKAG verhielten sich akzessorisch zu den Kompetenzen des Bundeskriminalamts, bildeten im Bereich der Gefahrenabwehr den gesetzlichen Gefahrenmaßstab ab und beschränkten sich im Bereich der Strafverfolgung bei den besonders eingriffsintensiven Befugnissen der §§ 20h, 20k, 20l BKAG auf die Verfolgung schwerer Straftaten. Die Regelungen genügten auch dem Erfordernis der Normenklarheit. Die Datenübermittlung an "sonstige öffentliche Stellen" werde durch die Zweckgebundenheit der Übermittlung beschränkt. § 20v Abs. 5 Satz 5 BKAG sehe für die Übermittlung von Informationen, die mit Hilfe des besonders eingriffsintensiven § 20h BKAG ermittelt worden seien, keine Zweckänderung vor.

69

2. Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit hält die angegriffenen Vorschriften in wesentlichen Punkten aus denselben Gründen für verfassungswidrig wie die Beschwerdeführer. Bedenklich sei, dass die Aufgaben und Befugnisse des Bundeskriminalamts nicht hinreichend klar von denen der Polizeibehörden der Länder sowie der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder abgegrenzt seien. Zweifelhaft sei, ob die Befugnisse zur Straftatenverhütung nach § 4a Abs. 1 Satz 2 BKAG hinreichend normenklar ausgestaltet und die möglichen Eingriffe im Gefahrenvorfeld verhältnismäßig seien. Soweit Maßnahmen zum Schutz von "Sachen von bedeutendem Wert" erlaubt würden, seien sie unverhältnismäßig; wann die Erhaltung einer Sache im öffentlichen Interesse "geboten" sei, lasse sich den Vorschriften nicht entnehmen. Der Richtervorbehalt des § 20g Abs. 3 BKAG sei unzureichend und weise hinsichtlich der verschiedenen Observationsmittel wie auch im Verhältnis zu strafrechtlichen Vorschriften Wertungswidersprüche auf. Aufgrund unklarer Begrenzungen unverhältnismäßig weit seien die Regelungen zur Inanspruchnahme des Zustands- und Nichtstörers sowie von Kontakt- und Begleitpersonen. Überwiegend verfassungswidrig sei auch die Regelung der Benachrichtigungspflichten in § 20w BKAG. Eine dem § 20w Abs. 2 Satz 1 BKAG entsprechende Regelung habe das Bundesverfassungsgericht in Fällen der akustischen Wohnraumüberwachung bereits für unzulässig erklärt, und die Beschränkungen der Benachrichtigung in § 20w Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Nr. 2 b, Satz 3 BKAG seien zu unbestimmt; verfassungswidrig sei auch die Möglichkeit eines endgültigen Absehens von einer Benachrichtigung gemäß § 20w Abs. 3 Satz 5 BKAG. In Übereinstimmung mit den Argumenten der Beschwerdeführer hält der Bundesdatenschutzbeauftragte die in den angegriffenen Vorschriften getroffenen Regelungen zum Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung für unzureichend. Ebenso teilt er die verfassungsrechtlichen Bedenken der Beschwerdeführer hinsichtlich des Schutzes zeugnisverweigerungsberechtigter Personen gemäß § 20u BKAG. § 20v Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 BKAG sei unverhältnismäßig, weil die Verwendung von Daten aus einer Wohnraumüberwachung oder dem Zugriff auf informationstechnische Systeme schon für die Verfolgung von Straftaten erlaubt werde, die im Höchstmaß mit "mindestens" fünf Jahren bedroht seien. Im Falle des § 14 BKAG würden die verfassungsrechtlich gebotenen Restriktionen des § 20v Abs. 4, 5 BKAG für die Verwendung der Daten ins Leere laufen.

70

3. Die Datenschutzbeauftragten der Länder teilen im Wesentlichen gleichfalls die verfassungsrechtlichen Bedenken der Beschwerdeführer und des Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit.

71

Insbesondere sei der im Gesetz verwandte Gefahrbegriff nicht hinreichend normenklar und trennscharf formuliert. Die Befugnisse im Vorfeld der Gefahrenabwehr und zur Strafverfolgung genügten nicht den besonders hohen Anforderungen an die Bestimmtheit des Eingriffsanlasses. Für die Definition der Kontakt- und Begleitperson machen sie ergänzend geltend, dass § 20b Abs. 2 Nr. 2 BKAG seiner Bedeutung nach systematisch unklar und der Sache nach zu unbestimmt sei. Hinsichtlich der möglichen Dauer einer Anordnung zur Online-Durchsuchung weisen sie auf Wertungswidersprüche zwischen § 20k Abs. 6 BKAG und anderen Ermächtigungsnormen hin; die besondere Eingriffsintensität einer Online-Durchsuchung bedinge eine kürzere als die dreimonatige Anordnungsfrist.

72

4. Das Bundesverwaltungsgericht weist durch die Mitglieder des für das Polizeirecht zuständigen 6. Senats darauf hin, dass - nach der Rechtsprechung des Gerichts zu polizeilichen Meldeauflagen - für die Erfüllung polizeilicher Aufgaben im Vorfeld der Gefahrenabwehr die Bestimmtheitsanforderungen spezifisch an der Vorfeldsituation ausgerichtet sein müssen. Sehe der Gesetzgeber in solchen Lagen Grundrechtseingriffe vor, habe er hierfür eine spezielle Rechtsgrundlage mit handlungsbegrenzenden Tatbestandselementen zu schaffen.

73

Hinsichtlich der Benachrichtigung des von einer Überwachungsmaßnahme Betroffenen habe das Gericht im Zusammenhang mit Maßnahmen der Telekommunikationsüberwachung unter dem G10-Gesetz entschieden, dass die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG eine Benachrichtigung gebieten könne, wenn diese Form der Kenntnisgewähr Voraussetzung der Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes sei. Begrenzungen dieses Anspruchs, der einer gesetzlichen Ausgestaltung bedürfe, seien allerdings nicht ausgeschlossen. Im Lichte des Art. 19 Abs. 4 GG sei auch die grundsätzlich bestehende Pflicht zur Vernichtung nicht mehr erforderlicher Daten zu sehen. Die Vernichtungspflicht müsse für die Fälle, in denen der Betroffene die gerichtliche Kontrolle staatlicher Informations- und Datenerhebungsmaßnahmen anstrebe, mit der Rechtsschutzgarantie so abgestimmt werden, dass der Rechtsschutz nicht unterlaufen oder vereitelt werde. Die die Telekommunikationsüberwachung veranlassende Behörde sei grundrechtlich verpflichtet, den von der heimlichen Überwachungsmaßnahme Betroffenen so bald wie möglich zu unterrichten. Die Verzögerung der Mitteilung begründe einen neben der Datenerhebung liegenden, eigenständigen Grundrechtseingriff, der als solcher Gegenstand einer gerichtlichen Feststellung sein könne.

V.

74

In der mündlichen Verhandlung haben sich geäußert: die Beschwerdeführer, die Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, die Bundesregierung durch den Bundesminister des Inneren, das Bundeskriminalamt, der Generalbundesanwalt, das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik, die Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit und der Bayerische Landesbeauftragte für den Datenschutz. Als sachkundige Dritte wurden Prof. Dr. Matthias Bäcker, Prof. Dr. Felix Freiling, der Richter am Amtsgericht Wiesbaden Frank Hoffrichter, die Bundesrechtsanwaltskammer, der Deutsche Anwaltverein e.V., der Chaos Computer Club e.V., Netzpolitik.org und Amnesty International angehört. Die Bundesrechtsanwaltskammer hat ihre Stellungnahme mittels eines Schriftsatzes betreffend den Schutz von Rechtsanwälten nach § 20u Abs. 1, 2 BKAG ergänzt. Der Chaos Computer Club e.V. hat seine in der mündlichen Verhandlung getätigten Ausführungen mittels einer schriftlichen Stellungnahme zu den technischen Risiken bei der Infiltration eines informationstechnischen Systems, zum Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung, zur Quellen-Telekommunikationsüberwachung und zur Überprüfbarkeit von Trojaner-Funktionen weiter unterlegt.

B.

75

Die Verfassungsbeschwerden sind im Wesentlichen zulässig.

I.

76

Die Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführer wenden sich mit ihren Verfassungsbeschwerden gegen Überwachungs- und Ermittlungsbefugnisse des Bundeskriminalamts, dabei eigens auch gegen einen unzureichenden Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung und gegen Überwachungen zeugnisverweigerungsberechtigter Personen, sowie gegen Regelungen zur Datennutzung. Unmittelbar richten sich ihre Angriffe gegen die die Behörde jeweils ermächtigenden Befugnisnormen, mittelbar aber auch gegen die weiteren Regelungen, mit denen der Gesetzgeber diese Befugnisse zur Gewährleistung ihrer Verhältnismäßigkeit flankiert und ohne die ihre Verfassungsmäßigkeit nicht beurteilt werden kann. Bei verständiger Auslegung der Verfassungsbeschwerden erstrecken sich ihre Angriffe damit auf § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 3, Satz 2, Abs. 7, § 20c, § 20g Abs. 1 bis 3, § 20h, § 20j, § 20k, § 20l, § 20m Abs. 1, 3, § 20u Abs. 1, 2 und 4, § 20v Abs. 4 Satz 2, Abs. 5 (ohne den nicht substantiiert beanstandeten Satz 3 Nr. 2) und Abs. 6 sowie auf § 20w BKAG.

II.

77

Die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers zu 4) im Verfahren 1 BvR 966/09 hat sich durch seinen Tod erledigt. Die Voraussetzungen für eine Fortführung des Verfahrens nach dem Tod (vgl. BVerfGE 109, 279 <304>; 124, 300 <318 f.>) liegen nicht vor.

78

Unzulässig ist die Verfassungsbeschwerde in diesem Verfahren, soweit sie sich gegen § 20c BKAG richtet. Die Vorschrift ermächtigt allein zu Maßnahmen, die als offene Vollzugsakte gegenüber den Betroffenen ergehen; eine Verfassungsbeschwerde ist nur insoweit zulässig, als entsprechende Maßnahmen gegen sie selbst ergangen sind und sie sich dagegen vor den Fachgerichten erfolglos zur Wehr gesetzt haben (vgl. BVerfGE 122, 63 <78 ff.> m.w.N.). Dies ist hier nicht geschehen.

III.

79

Im Übrigen sind die Verfassungsbeschwerden zulässig.

80

1. Die Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführer sind beschwerdebefugt. Sie rügen eine mögliche Verletzung ihrer Grundrechte unmittelbar durch die angegriffenen Bestimmungen. Sie machen geltend, dass die angegriffenen Datenerhebungsbefugnisse in ihr Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung aus Art. 13 Abs. 1 GG, ihr Grundrecht auf Wahrung des Telekommunikationsgeheimnisses aus Art. 10 Abs. 1 GG sowie ihre Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG sowohl in der Ausformung als Recht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme als auch als Recht auf informationelle Selbstbestimmung eingreifen, und tragen eingehend vor, dass diese unverhältnismäßig ausgestaltet seien. Eine mögliche Grundrechtsverletzung ist insoweit hinreichend dargelegt. Dies gilt auch, soweit die Beschwerdeführer bezüglich der Befugnisse zur Datenerhebung eine Verletzung dieser Grundrechte in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG durch einen unzureichend normierten Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung rügen und Grundrechtsverletzungen durch die ihrer Ansicht nach unzureichenden und gleichheitswidrigen Regelungen zum Schutz zeugnisverweigerungsberechtigter Personen geltend machen. Möglich erscheint eine Grundrechtsverletzung schließlich auch durch die von ihnen angegriffenen Vorschriften zur Datenverwendung. In der weiteren Verwendung von Daten kann eine eigene Grundrechtsverletzung liegen; maßgeblich sind insoweit die Grundrechte, die jeweils für deren Erhebung einschlägig waren (vgl. BVerfGE 100, 313 <359 f., 391>; 109, 279 <374 f.>; 110, 33 <68 f.>; 113, 348 <365>; 125, 260 <312 f., 333>; 133, 277 <372 ff.>; stRspr).

81

2. Die Beschwerdeführer und Beschwerdeführerinnen sind durch die angegriffenen Vorschriften unmittelbar, selbst und gegenwärtig betroffen. Ihre Verfassungsbeschwerden erfüllen damit die spezifischen Anforderungen für Verfassungsbeschwerden unmittelbar gegen ein Gesetz.

82

a) Den Beschwerdeführern fehlt es nicht an einer unmittelbaren Betroffenheit. Zwar bedürfen die angegriffenen Befugnisse der Umsetzung durch weitere Vollzugsakte. Von einer unmittelbaren Betroffenheit durch Gesetz ist jedoch auch dann auszugehen, wenn Beschwerdeführer den Rechtsweg nicht beschreiten können, weil sie keine Kenntnis von der betreffenden Vollziehungsmaßnahme erhalten. In solchen Fällen steht ihnen die Verfassungsbeschwerde unmittelbar gegen das Gesetz zu (vgl. BVerfGE 133, 277 <311 Rn. 83>; stRspr). Die durch die angegriffenen Vorschriften ermöglichten Ermittlungs- und Überwachungsmaßnahmen werden grundsätzlich heimlich durchgeführt. Die im Gesetz vorgesehenen Benachrichtigungspflichten fangen dies nur teilweise auf, weil sie möglicherweise erst spät greifen und weitreichende Ausnahmen kennen. Keine Kenntnis erhalten die Betroffenen in der Regel auch von der weiteren Nutzung oder Übermittlung der Daten, die durch die angegriffenen Vorschriften erlaubt werden. Die Beschwerdeführer sind deswegen nicht darauf zu verweisen, entsprechende Vollzugsakte abzuwarten und gegen diese vorzugehen.

83

b) Die Beschwerdeführer sind auch selbst und gegenwärtig betroffen.

84

Die Beschwerdeführer legen dar, dass sie wegen ihrer spezifischen politischen, beruflichen und privaten Verbindungen zu potenziellen Zielpersonen von den angegriffenen Maßnahmen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit betroffen sind. Sie verweisen darauf, dass sie aufgrund ihrer politischen Tätigkeit, ihrer beruflichen Tätigkeit als Rechtsanwälte oder Psychotherapeuten oder aufgrund ihres Engagements in Menschenrechtsfragen leicht auch mit Personen in Kontakt geraten können, die möglicherweise dem internationalen Terrorismus zugerechnet werden. Angesichts der Streubreite der angegriffenen Vorschriften, die nicht von vornherein auf einen begrenzten spezifischen Personenkreis zugeschnitten sind, sondern nach § 4a BKAG der Abwehr des internationalen Terrorismus allgemein dienen und hierbei in weitem Umfang auch gutgläubige Dritte mit erfassen können, ist eine hinreichende Wahrscheinlichkeit ihrer gegenwärtigen Betroffenheit in eigenen Rechten dargetan (vgl. BVerfGE 109, 279 <307 f.>; 113, 348 <363 f.>; 133, 277 <312 f. Rn. 86 f.>).

85

3. Die Verfassungsbeschwerden sind nach § 93 Abs. 3 BVerfGG fristgerecht eingelegt. Dies gilt auch hinsichtlich § 14 Abs. 1, 7 BKAG. Die Vorschrift wurde zwar nicht durch das hier in Rede stehende Gesetz zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus durch das Bundeskriminalamt vom 25. Dezember 2008 (BGBl I S. 3083) eingeführt oder modifiziert, sondern geht zurück auf das Bundeskriminalamtgesetz in der Fassung vom 7. Juli 1997 (BGBl I S. 1650) und wurde vor dem Inkrafttreten des Unterabschnitts 3a des Bundeskriminalamtgesetzes zuletzt durch Artikel 9 des Gesetzes zur Ausführung des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs vom 17. Juli 1998 vom 21. Juni 2002 (BGBl I S. 2144) geändert. Durch die Reform des Bundeskriminalamtgesetzes zum 1. Januar 2009 hat § 14 Abs. 1, 7 BKAG jedoch einen neuen Gehalt bekommen. Dem Bundeskriminalamt wurden hierdurch erstmals die Aufgabe der präventiven Bekämpfung des internationalen Terrorismus und entsprechend neue Befugnisse übertragen. Damit bezieht sich die Übermittlung von Daten gemäß § 14 Abs. 1, 7 BKAG nunmehr auch auf Informationen, die mit neuen Mitteln aufgrund der neuen Aufgabe erlangt werden. Hierin liegt eine geänderte Beschwer, die die Beschwerdefrist gegen die Vorschrift erneut in Gang setzt (vgl. BVerfGE 78, 350 <356>; 79, 1 <13 f.>; 80, 137 <149>; 100, 313 <356>).

C.

86

Soweit sich die Verfassungsbeschwerden gegen die Ermittlungs- und Überwachungsbefugnisse richten, sind sie in verschiedener Hinsicht begründet.

I.

87

In kompetenzrechtlicher Hinsicht sind die angegriffenen Vorschriften indes verfassungsgemäß.

88

1. Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes ergibt sich aus Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a GG. Die angegriffenen neuen Befugnisse des Bundeskriminalamts beziehen sich ausschließlich auf die Wahrnehmung der Aufgaben nach § 4a Abs. 1 BKAG und sind hierdurch begrenzt. Satz 1 der Vorschrift lehnt sich dabei seinem Wortlaut nach eng an Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a GG an, und Satz 2 BKAG führt dies, ausdrücklich auf Satz 1 bezugnehmend, weiter aus. Dass dabei auch die Straftatenverhütung erfasst wird, ist durch Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a GG nicht ausgeschlossen. Grenzen einer Vorverlagerung von Maßnahmen in das Vorfeld konkreter Gefahren ergeben sich aus rechtsstaatlichen, insbesondere grundrechtlichen Anforderungen, nicht aber aus dem Kompetenztitel des Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a GG. Der Begriff der Gefahrenabwehr schließt kompetenzrechtlich die Straftatenverhütung ein. Unbedenklich ist auch, dass die angegriffenen Vorschriften Handlungsbefugnisse begründen, die sich teilweise mit denen der Landespolizeibehörden überschneiden. Der verfassungsändernde Gesetzgeber hat dies bewusst in Kauf genommen.

89

2. Die angegriffenen Vorschriften sind auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Verwaltungskompetenz zu beanstanden. Ungeachtet der Frage, wie das Verhältnis des Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG zu Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a und 10 GG genauer zu bestimmen ist, zielte die Einführung des Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a GG im Jahre 2006 von vornherein darauf, die neu zu schaffenden Regelungen in die Hände des Bundeskriminalamts zu legen. Nach dem Wortlaut des neuen Kompetenztitels soll ausdrücklich die Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus "durch das Bundeskriminalpolizeiamt" geregelt werden. Deshalb lässt sich die Verwaltungskompetenz des Bundeskriminalamts als Bundesbehörde jedenfalls auf eine Zusammenschau von Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a GG und Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG stützen.

II.

90

Die angegriffenen Überwachungs- und Ermittlungsbefugnisse ermächtigen zu Grundrechtseingriffen, die in Abhängigkeit von dem jeweils betroffenen Grundrecht und dem verschiedenen Eingriffsgewicht je einzeln am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und am Grundsatz der Normenklarheit und Bestimmtheit zu messen sind. Ihnen gemeinsam ist allerdings, dass die danach möglichen Eingriffe überwiegend schwer wiegen, mit dem Zweck der Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus aber ein legitimes Ziel verfolgen und hierfür auch geeignet und erforderlich sind.

91

1. Die angegriffenen Befugnisse ermächtigen das Bundeskriminalamt im Rahmen der Gefahrenabwehr und Straftatenverhütung zur heimlichen Erhebung personenbezogener Daten und begründen - unterschieden je nach der in Frage stehenden Befugnis - Eingriffe in die Grundrechte aus Art. 13 Abs. 1, Art. 10 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG, letzteres sowohl in seiner Ausprägung als Recht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme als auch als Recht auf informationelle Selbstbestimmung.

92

Es handelt sich bei all diesen Befugnissen um Rechtsgrundlagen für Überwachungs- und Ermittlungsmaßnahmen, die meistens ohne Kenntnis der Betroffenen heimlich durchgeführt werden und dabei tief in die Privatsphäre eingreifen können. Auch wenn hierbei berechtigte Vertraulichkeitserwartungen in verschiedenem Umfang berührt werden und das Eingriffsgewicht der Befugnisse sich deutlich unterscheidet, haben sie in aller Regel ein Eingriffsgewicht, das jedenfalls schwer wiegt. Anders liegt es nur bei einzelnen Maßnahmen gemäß § 20g Abs. 1, 2 BKAG.

93

2. Die Verfassungsmäßigkeit der Befugnisse hängt von den sich aus diesen Grundrechten jeweils ergebenden Grenzen und den hierbei für die Befugnisse je einzeln zu ermittelnden Verhältnismäßigkeitsanforderungen ab. Dabei muss die Einräumung dieser Befugnisse aber in allen Fällen nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit einem legitimen Ziel dienen und zu dessen Erreichung geeignet, erforderlich und verhältnismäßig im engeren Sinne sein (vgl. BVerfGE 67, 157 <173>; 70, 278 <286>; 104, 337 <347 ff.>; 120, 274 <318 f.>; 125, 260 <316>; stRspr).

94

Alle angegriffenen Befugnisse sind zudem am Grundsatz der Normenklarheit und Bestimmtheit zu messen, der der Vorhersehbarkeit von Eingriffen für die Bürgerinnen und Bürger, einer wirksamen Begrenzung der Befugnisse gegenüber der Verwaltung sowie der Ermöglichung einer effektiven Kontrolle durch die Gerichte dient (vgl. BVerfGE 113, 348 <375 ff.>; 120, 378 <407 f.>; 133, 277 <336 Rn. 140>; stRspr). Für die hier in Frage stehenden Befugnisse zur heimlichen Datenerhebung und -verarbeitung, die tief in die Privatsphäre hineinwirken können, stellt er besonders strenge Anforderungen. Da ihre Handhabung von den Betroffenen weitgehend nicht wahrgenommen und angegriffen werden kann, kann ihr Gehalt - anders als etwa durch Verwaltungsakt zu vollziehende auslegungsbedürftige Begriffe des Verwaltungsrechts sonst - nur sehr eingeschränkt im Wechselspiel von Anwendungspraxis und gerichtlicher Kontrolle konkretisiert werden. Im Einzelnen unterscheiden sich hierbei die Anforderungen allerdings maßgeblich nach dem Gewicht des Eingriffs und sind insoweit mit den jeweiligen materiellen Anforderungen der Verhältnismäßigkeit eng verbunden (vgl. BVerfGE 110, 33 <55>; 113, 348 <376>).

95

3. Die angegriffenen Vorschriften dienen einem legitimen Ziel und sind hierfür geeignet und erforderlich.

96

a) Die Befugnisse dienen einem legitimen Ziel. Sie geben dem Bundeskriminalamt Aufklärungsmittel an die Hand, mit denen dieses seine neue Aufgabe der Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus wahrnehmen soll. Der Begriff des internationalen Terrorismus ist dabei durch die Aufgabenbeschreibung des § 4a Abs. 1 BKAG und dessen Verweis auf § 129a Abs. 1, 2 StGB in enger Anlehnung an den EU-Rahmenbeschluss vom 13. Juni 2002 und die internationale Begrifflichkeit (ABl. EU Nr. L 164 S. 3; Entwurf einer Allgemeinen Konvention zum internationalen Terrorismus, in: Measures to eliminate international terrorism, Report of the Working Group vom 3. November 2010, UN Doc. A/C.6/65/L.10) definiert und - in Übereinstimmung mit den Vorstellungen des verfassungsändernden Gesetzgebers bei Schaffung des Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a GG (vgl. BTDrucks 16/813, S. 12) - auf spezifisch charakterisierte Straftaten von besonderem Gewicht begrenzt. Straftaten mit dem Gepräge des Terrorismus in diesem Sinne zielen auf eine Destabilisierung des Gemeinwesens und umfassen hierbei in rücksichtsloser Instrumentalisierung anderer Menschen Angriffe auf Leib und Leben beliebiger Dritter. Sie richten sich gegen die Grundpfeiler der verfassungsrechtlichen Ordnung und das Gemeinwesen als Ganzes. Die Bereitstellung von wirksamen Aufklärungsmitteln zu ihrer Abwehr ist ein legitimes Ziel und für die demokratische und freiheitliche Ordnung von großem Gewicht (vgl. BVerfGE 115, 320 <357 f.>; 120, 274 <319>; 133, 277 <333 f. Rn. 133>).

97

b) Die Einräumung der fraglichen Überwachungs- und Ermittlungsbefugnisse ist zur Erreichung dieses Ziels geeignet. Sie geben dem Bundeskriminalamt Mittel zur Aufklärung an die Hand, die dazu beitragen können, den Gefahren des internationalen Terrorismus entgegenzutreten. Die verschiedenen Befugnisse sind hierfür jedenfalls im Grundsatz auch erforderlich. Jede Befugnis ermöglicht spezifische Maßnahmen, die jedenfalls nicht immer durch andere ersetzt werden können. Mildere Mittel, die gleichermaßen effektiv ebenso weitgehende Aufklärungsmöglichkeiten zur Abwehr des internationalen Terrorismus ermöglichten, sind nicht ersichtlich. Dies lässt freilich unberührt, dass auch die Anwendung der Befugnisse im Einzelfall dem Grundsatz der Geeignetheit und Erforderlichkeit zu folgen hat.

III.

98

Begrenzungen ergeben sich maßgeblich aus den Anforderungen der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne. Danach müssen die Überwachungs- und Ermittlungsbefugnisse mit Blick auf das Eingriffsgewicht angemessen ausgestaltet sein. Es ist Aufgabe des Gesetzgebers, einen Ausgleich zwischen der Schwere der mit den hier zur Prüfung stehenden Eingriffen in die Grundrechte potentiell Betroffener auf der einen Seite und der Pflicht des Staates zum Schutz der Grundrechte auf der anderen Seite zu schaffen.

99

1. Der Gesetzgeber hat dabei auf der einen Seite das Eingriffsgewicht der durch die angegriffenen Vorschriften erlaubten Maßnahmen in Rechnung zu stellen. Sie ermöglichen - je nach Befugnis in verschiedenem Umfang - tiefgreifende Eingriffe in die Privatsphäre und können im Einzelfall auch in private Rückzugsräume eindringen, deren Schutz für die Wahrung der Menschenwürde von besonderer Bedeutung ist. Dabei hat der Gesetzgeber in seine Abwägung auch die Entwicklung der Informationstechnik einzustellen, die die Reichweite von Überwachungsmaßnahmen zunehmend ausdehnt, ihre Durchführbarkeit erleichtert und Verknüpfungen erlaubt, die bis hin zur Erstellung von Persönlichkeitsprofilen reichen. Überwachungsmaßnahmen erhalten dadurch ein gesteigertes Eingriffsgewicht, dem in der Abwägung Rechnung zu tragen ist.

100

2. Auf der anderen Seite hat der Gesetzgeber einen wirksamen Schutz der Grundrechte und Rechtsgüter der Bürgerinnen und Bürger zu sichern. Für die verfassungsrechtliche Prüfung der Angemessenheit ist zu berücksichtigen, dass die verfassungsmäßige Ordnung, der Bestand und die Sicherheit des Bundes und der Länder sowie Leib, Leben und Freiheit der Person Schutzgüter von hohem verfassungsrechtlichem Gewicht sind. Dementsprechend hat das Bundesverfassungsgericht hervorgehoben, dass die Sicherheit des Staates als verfasster Friedens- und Ordnungsmacht und die von ihm - unter Achtung von Würde und Eigenwert des Einzelnen - zu gewährleistende Sicherheit der Bevölkerung Verfassungswerte sind, die mit anderen hochwertigen Verfassungsgütern im gleichen Rang stehen. Es hat den Staat deshalb für verpflichtet erachtet, das Leben, die körperliche Unversehrtheit und die Freiheit des Einzelnen zu schützen, das heißt vor allem, auch vor rechtswidrigen Eingriffen von Seiten anderer zu bewahren (vgl. BVerfGE 115, 320 <346 f.>; siehe auch BVerfGE 49, 24 <56 f.>; 90, 145 <195>; 115, 118 <152 f.>).

101

Bei der Prüfung der Angemessenheit der angegriffenen Vorschriften ist zudem zu beachten, dass es sich nicht um Normen handelt, die in ihrer Eingriffswirkung mit großer Streubreite gleichsam die gesamte Bevölkerung betreffen. Es geht vielmehr ganz überwiegend um Bestimmungen, die die Sicherheitsbehörden einzelfallbezogen in den Stand setzen sollen, schwerwiegende Gefahren für Rechtsgüter von Verfassungsrang abzuwehren und Straftaten von großem Gewicht zu verhüten.

102

Dabei ist die Entscheidung über die Erhebung der Daten im Blick auf die Gefahren, die vom internationalen Terrorismus ausgehen, auch für den Informationsaustausch zwischen den innerstaatlichen Stellen und die möglichst effektive Zusammenarbeit mit den Sicherheitsbehörden anderer Staaten von besonderer Bedeutung. Ein funktionierender Informationsaustausch setzt im Interesse des verfassungsrechtlich gebotenen Schutzes der Menschen eine Übermittlung von im Inland erhobenen Erkenntnissen voraus und ist im Gegenzug auf Unterrichtungen durch ausländische Stellen angewiesen.

IV.

103

Für tief in die Privatsphäre eingreifende Ermittlungs- und Überwachungsbefugnisse, wie sie ganz überwiegend hier in Frage stehen, hat das Bundesverfassungsgericht aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz im engeren Sinne übergreifende Anforderungen abgeleitet. Diese betreffen spezifisch breitenwirksame Grundrechtsgefährdungspotenziale, insbesondere solche der elektronischen Datenverarbeitung (vgl. BVerfGE 100, 313 <358 ff.>; 115, 320 <341 ff.>; 125, 260 <316 ff.>; 133, 277 <335 ff. Rn. 138 ff.>), ebenso wie einzelfallbezogene Maßnahmen gegen Betroffene, die in den Fokus der handelnden Behörden geraten sind (BVerfGE 107, 299 <312 ff.> - Telekommunikationsverkehrsdatenerhebung -, BVerfGE 110, 33 <52 ff.>; 113, 348 <364 ff.>; 129, 208 <236 ff.> - Telekommunikationsüberwachung nach Bundes-, Landes- und Strafprozessrecht -, BVerfGE 109, 279 <335 ff.> - Wohnraumüberwachung -, BVerfGE 112, 304 <315 ff.> - GPS-Observierung -, BVerfGE 120, 274 <302 ff.> - Online-Durchsuchung -).

104

1. Heimliche Überwachungsmaßnahmen, sofern sie, wie die meisten der hier in Rede stehenden Maßnahmen, tief in die Privatsphäre eingreifen, sind mit der Verfassung nur vereinbar, wenn sie dem Schutz oder der Bewehrung von hinreichend gewichtigen Rechtsgütern dienen, für deren Gefährdung oder Verletzung im Einzelfall belastbare tatsächliche Anhaltspunkte bestehen. Sie setzen grundsätzlich voraus, dass der Adressat der Maßnahme in die mögliche Rechtsgutverletzung aus Sicht eines verständigen Dritten den objektiven Umständen nach verfangen ist. Eine vorwiegend auf den Intuitionen der Sicherheitsbehörden beruhende bloße Möglichkeit weiterführender Erkenntnisse genügt zur Durchführung solcher Maßnahmen nicht (vgl. BVerfGE 107, 299 <321 ff.>; 110, 33 <56>; 113, 348 <377 f., 380 f.>; 120, 274 <328>; 125, 260 <330>). Die Verfassung setzt so der Absenkung der Eingriffsschwellen für Maßnahmen der Straftatenverhütung, die heimlich durchgeführt werden und tief in die Privatsphäre hineinreichen können, deutliche Grenzen; für weniger tief in die Privatsphäre eingreifende Maßnahmen reichen die verfassungsrechtlich zulässigen Gestaltungsmöglichkeiten zur Straftatenverhütung demgegenüber weiter.

105

Bei der näheren Ausgestaltung der Einzelbefugnisse kommt es für deren Angemessenheit wie für die zu fordernde Bestimmtheit maßgeblich auf das Gewicht des jeweils normierten Eingriffs an. Je tiefer Überwachungsmaßnahmen in das Privatleben hineinreichen und berechtigte Vertraulichkeitserwartungen überwinden, desto strenger sind die Anforderungen. Besonders tief in die Privatsphäre dringen die Wohnraumüberwachung sowie der Zugriff auf informationstechnische Systeme.

106

a) Heimliche Überwachungsmaßnahmen müssen auf den Schutz oder die Bewehrung hinreichend gewichtiger Rechtsgüter begrenzt sein.

107

Für Maßnahmen, die der Strafverfolgung dienen und damit repressiven Charakter haben, kommt es auf das Gewicht der verfolgten Straftaten an, die der Gesetzgeber insoweit in - jeweils näher bestimmte - erhebliche, schwere und besonders schwere Straftaten eingeteilt hat. So bedarf die Durchführung einer Wohnraumüberwachung des Verdachts einer besonders schweren Straftat (vgl. BVerfGE 109, 279 <343 ff.>), die Durchführung einer Telekommunikationsüberwachung oder die Nutzung von vorsorglich erhobenen Telekommunikationsverkehrsdaten des Verdachts einer schweren Straftat (vgl. BVerfGE 125, 260 <328 f.>; 129, 208 <243>) und die Durchführung einer anlassbezogenen Telekommunikationsverkehrsdatenerhebung oder einer Observation etwa durch einen GPS-Sender einer - im ersten Fall durch Regelbeispiele konkretisierten - Straftat von erheblicher Bedeutung (vgl. BVerfGE 107, 299 <321 f.>; 112, 304 <315 f.>; zu letzterer Entscheidung vgl. auch EGMR, Uzun v. Deutschland, Entscheidung vom 2. September 2010, Nr. 35623/05, § 70, NJW 2011, S. 1333<1337>, zu Art. 8 EMRK).

108

Für Maßnahmen, die der Gefahrenabwehr dienen und damit präventiven Charakter haben, kommt es unmittelbar auf das Gewicht der zu schützenden Rechtsgüter an (vgl. BVerfGE 125, 260 <329>). Heimliche Überwachungsmaßnahmen, die tief in das Privatleben hineinreichen, sind nur zum Schutz besonders gewichtiger Rechtsgüter zulässig. Hierzu gehören Leib, Leben und Freiheit der Person sowie der Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes (vgl. BVerfGE 120, 274 <328>; 125, 260 <330>). Einen uneingeschränkten Sachwertschutz hat das Bundesverfassungsgericht demgegenüber nicht als ausreichend gewichtig für solche Maßnahmen angesehen. Es hat den Zugriff auf vorsorglich gespeicherte Daten (vgl. BVerfGE 125, 260 <330>) oder die Durchführung von Wohnraumüberwachungen jedoch auch bei einer gemeinen Gefahr (vgl. BVerfGE 109, 279 <379>) und Online-Durchsuchungen bei einer Gefahr für Güter der Allgemeinheit, die die Existenz der Menschen berühren (vgl. BVerfGE 120, 274 <328>), für im Grundsatz mit der Verfassung vereinbar gehalten. Der Gesetzgeber ist nicht gehindert, die maßgebliche Schwelle für den Rechtsgüterschutz dieser Überwachungsmaßnahmen hiervon ausgehend auch einheitlich zu bestimmen.

109

b) Die Erhebung von Daten durch heimliche Überwachungsmaßnahmen mit hoher Eingriffsintensität ist im Bereich der Gefahrenabwehr zum Schutz der genannten Rechtsgüter grundsätzlich nur verhältnismäßig, wenn eine Gefährdung dieser Rechtsgüter im Einzelfall hinreichend konkret absehbar ist und der Adressat der Maßnahmen aus Sicht eines verständigen Dritten den objektiven Umständen nach in sie verfangen ist (vgl. BVerfGE 120, 274 <328 f.>; 125, 260 <330 f.>).

110

Auch diese Anforderungen hängen im Einzelnen zunächst von Art und Gewicht des Eingriffs ab. Für die besonders tief in die Privatsphäre eindringenden Eingriffe der Wohnraumüberwachung verlangt Art. 13 Abs. 4 GG eine dringende Gefahr. Der Begriff der dringenden Gefahr nimmt dabei nicht nur im Sinne des qualifizierten Rechtsgüterschutzes auf das Ausmaß, sondern auch auf die Wahrscheinlichkeit eines Schadens Bezug (vgl. BVerfGE 130, 1 <32>).

111

Im Übrigen müssen die Anforderungen an eine hinreichend konkret absehbare Gefahrenlage hinsichtlich der genannten Rechtsgüter im Verhältnis zur Belastung des Betroffenen bestimmt werden. Verfassungsrechtlich ausreichend sind hierfür zunächst die Anforderungen zur Abwehr konkreter, unmittelbar bevorstehender oder gegenwärtiger Gefahren gegenüber polizeipflichtigen Personen nach den Maßgaben des allgemeinen Sicherheitsrechts für die hier relevanten Schutzgüter. Der traditionelle polizeirechtliche Begriff der "konkreten Gefahr" setzt eine Sachlage voraus, die bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens im Einzelfall in absehbarer Zeit mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einer Verletzung eines polizeilichen Schutzguts führt (vgl. BVerfGE 115, 320 <364>; BVerwGE 116, 347 <351>). Ein noch engerer zeitlicher Zusammenhang wird gefordert, wenn es nach der jeweiligen Ermächtigungsgrundlage auf eine "unmittelbar bevorstehende" oder "gegenwärtige Gefahr" ankommt (vgl. BVerwGE 45, 51 <57 f.>).

112

Der Gesetzgeber ist von Verfassungs wegen aber nicht von vornherein für jede Art der Aufgabenwahrnehmung auf die Schaffung von Eingriffstatbeständen beschränkt, die dem tradierten sicherheitsrechtlichen Modell der Abwehr konkreter, unmittelbar bevorstehender oder gegenwärtiger Gefahren entsprechen. Vielmehr kann er die Grenzen für bestimmte Bereiche mit dem Ziel schon der Straftatenverhütung auch weiter ziehen, indem er die Anforderungen an die Vorhersehbarkeit des Kausalverlaufs reduziert. Allerdings müssen die Eingriffsgrundlagen auch dann eine hinreichend konkretisierte Gefahr in dem Sinne verlangen, dass zumindest tatsächliche Anhaltspunkte für die Entstehung einer konkreten Gefahr für die Schutzgüter bestehen. Allgemeine Erfahrungssätze reichen insoweit allein nicht aus, um den Zugriff zu rechtfertigen. Vielmehr müssen bestimmte Tatsachen festgestellt sein, die im Einzelfall die Prognose eines Geschehens, das zu einer zurechenbaren Verletzung der hier relevanten Schutzgüter führt, tragen (vgl. BVerfGE 110, 33 <56 f., 61>; 113, 348 <377 f.>). Eine hinreichend konkretisierte Gefahr in diesem Sinne kann danach schon bestehen, wenn sich der zum Schaden führende Kausalverlauf noch nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit vorhersehen lässt, sofern bereits bestimmte Tatsachen auf eine im Einzelfall drohende Gefahr für ein überragend wichtiges Rechtsgut hinweisen. Die Tatsachen müssen dafür zum einen den Schluss auf ein wenigstens seiner Art nach konkretisiertes und zeitlich absehbares Geschehen zulassen, zum anderen darauf, dass bestimmte Personen beteiligt sein werden, über deren Identität zumindest so viel bekannt ist, dass die Überwachungsmaßnahme gezielt gegen sie eingesetzt und weitgehend auf sie beschränkt werden kann (BVerfGE 120, 274 <328 f.>; 125, 260 <330 f.>). In Bezug auf terroristische Straftaten, die oft durch lang geplante Taten von bisher nicht straffällig gewordenen Einzelnen an nicht vorhersehbaren Orten und in ganz verschiedener Weise verübt werden, können Überwachungsmaßnahmen auch dann erlaubt werden, wenn zwar noch nicht ein seiner Art nach konkretisiertes und zeitlich absehbares Geschehen erkennbar ist, jedoch das individuelle Verhalten einer Person die konkrete Wahrscheinlichkeit begründet, dass sie solche Straftaten in überschaubarer Zukunft begehen wird. Denkbar ist das etwa, wenn eine Person aus einem Ausbildungslager für Terroristen im Ausland in die Bundesrepublik Deutschland einreist.

113

Dagegen wird dem Gewicht eines Eingriffs durch heimliche polizeirechtliche Überwachungsmaßnahmen nicht hinreichend Rechnung getragen, wenn der tatsächliche Eingriffsanlass noch weiter in das Vorfeld einer in ihren Konturen noch nicht absehbaren konkreten Gefahr für die Schutzgüter der Norm verlegt wird. Eine Anknüpfung der Einschreitschwelle an das Vorfeldstadium ist verfassungsrechtlich angesichts der Schwere des Eingriffs nicht hinnehmbar, wenn nur relativ diffuse Anhaltspunkte für mögliche Gefahren bestehen. Die Tatsachenlage ist dann häufig durch eine hohe Ambivalenz der Bedeutung einzelner Beobachtungen gekennzeichnet. Die Geschehnisse können in harmlosen Zusammenhängen verbleiben, aber auch den Beginn eines Vorgangs bilden, der in eine Gefahr mündet (vgl. BVerfGE 120, 274 <329>; vgl. auch BVerfGE 110, 33 <59>; 113, 348 <377>). Solche Offenheit genügt für die Durchführung von eingriffsintensiven heimlichen Überwachungsmaßnahmen nicht. Nicht ausreichend für solche Maßnahmen ist insoweit etwa allein die Erkenntnis, dass sich eine Person zu einem fundamentalistischen Religionsverständnis hingezogen fühlt.

114

c) Gestufte Anforderungen ergeben sich hinsichtlich der Frage, wieweit Überwachungsmaßnahmen als Maßnahmen der Umfeldüberwachung auch gegenüber Personen durchgeführt werden dürfen, die nicht als Handlungs- oder Zustandsverantwortliche beziehungsweise Tatverdächtige in besonderer Verantwortung stehen.

115

Der Zugriff auf informationstechnische Systeme und die Wohnraumüberwachung dürfen sich unmittelbar nur gegen diejenigen als Zielperson richten, die für die drohende oder dringende Gefahr verantwortlich sind (vgl. BVerfGE 109, 279 <351, 352>; 120, 274 <329, 334>). Diese Maßnahmen dringen so tief in die Privatsphäre ein, dass sie auf weitere Personen nicht ausgedehnt werden dürfen. Verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist allerdings, wenn die gegen die Verantwortlichen angeordneten Maßnahmen, soweit unvermeidbar, auch Dritte miterfassen (vgl. BVerfGE 109, 279 <352 ff.>). Deshalb kann die Überwachung der Wohnung eines Dritten erlaubt werden, wenn aufgrund bestimmter Tatsachen vermutet werden kann, dass die Zielperson sich dort zur Zeit der Maßnahme aufhält, sie dort für die Ermittlungen relevante Gespräche führen wird und eine Überwachung ihrer Wohnung allein zur Erforschung des Sachverhalts nicht ausreicht (vgl. BVerfGE 109, 279 <353, 355 f.>). Ebenso kann eine Online-Durchsuchung auf informationstechnische Systeme Dritter erstreckt werden, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Zielperson dort ermittlungsrelevante Informationen speichert und ein auf ihre eigenen informationstechnischen Systeme beschränkter Zugriff zur Erreichung des Ermittlungsziels nicht ausreicht.

116

Eine Anordnung von anderen heimlichen Überwachungsmaßnahmen ist auch unmittelbar gegenüber Dritten nicht schlechthin ausgeschlossen. In Betracht kommt insoweit eine Befugnis zur Überwachung von Personen aus dem Umfeld einer Zielperson, etwa von - näher einzugrenzenden - Kontaktpersonen oder Nachrichtenmittlern. Solche Befugnisse rechtfertigen sich aus der objektiven Natur der Gefahrenabwehr und der Wahrheitsermittlung im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren. Ihre Erstreckung auf Dritte steht unter strengen Verhältnismäßigkeitsanforderungen und setzt eine spezifische individuelle Nähe der Betroffenen zu der aufzuklärenden Gefahr oder Straftat voraus. Hierfür reicht es nicht schon, dass sie mit einer Zielperson überhaupt in irgendeinem Austausch stehen. Vielmehr bedarf es zusätzlicher Anhaltspunkte, dass der Kontakt einen Bezug zum Ermittlungsziel aufweist und so eine nicht unerhebliche Wahrscheinlichkeit besteht, dass die Überwachungsmaßnahme der Aufklärung der Gefahr dienlich sein wird (vgl. BVerfGE 107, 299 <322 f.>; 113, 348 <380 f.>). Eine Überwachung von Personen, die - allein gestützt auf die Tatsache eines Kontaktes zu einer Zielperson - erst versucht herauszufinden, ob sich hierüber weitere Ermittlungsansätze erschließen, ist verfassungsrechtlich unzulässig. Dies hindert hinsichtlich solcher Kontaktpersonen allerdings von Verfassungs wegen nicht Ermittlungsmaßnahmen geringerer Eingriffstiefe mit dem Ziel, gegebenenfalls die Eingriffsschwelle für intensivere Überwachungsmaßnahmen zu erreichen.

117

2. Übergreifende Anforderungen ergeben sich aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz auch in verfahrensrechtlicher Hinsicht. Die hier ganz überwiegend in Rede stehenden eingriffsintensiven Überwachungs- und Ermittlungsmaßnahmen, bei denen damit zu rechnen ist, dass sie auch höchstprivate Informationen erfassen, und gegenüber den Betroffenen heimlich durchgeführt werden, bedürfen grundsätzlich einer vorherigen Kontrolle durch eine unabhängige Stelle, etwa in Form einer richterlichen Anordnung (vgl. dazu auch EGMR, Klass u.a. v. Deutschland, Urteil vom 6. September 1978, Nr. 5029/71, § 56; EGMR [GK], Zakharov v. Russland, Urteil vom 4. Dezember 2015, Nr. 47143/06, §§ 258, 275; EGMR, Szabó und Vissy v. Ungarn, Urteil vom 12. Januar 2016, Nr. 37138/14, § 77). Dies gilt für Maßnahmen der Wohnraumüberwachung bereits gemäß Art. 13 Abs. 3 und 4 GG (vgl. hierzu BVerfGE 109, 279 <357 ff.>) und folgt im Übrigen unmittelbar aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (vgl. BVerfGE 120, 274 <331 ff.>; 125, 260 <337 ff.>).

118

Der Gesetzgeber hat das Gebot vorbeugender unabhängiger Kontrolle in spezifischer und normenklarer Form mit strengen Anforderungen an den Inhalt und die Begründung der gerichtlichen Anordnung zu verbinden. Hieraus folgt zugleich das Erfordernis einer hinreichend substantiierten Begründung und Begrenzung des Antrags auf Anordnung, die es dem Gericht oder der unabhängigen Stelle erst erlaubt, eine effektive Kontrolle auszuüben. Insbesondere bedarf es der vollständigen Information seitens der antragstellenden Behörde über den zu beurteilenden Sachstand (vgl. BVerfGE 103, 142 <152 f.>). In Anknüpfung hieran ist es Aufgabe und Pflicht des Gerichts oder der sonst entscheidenden Personen, sich eigenverantwortlich ein Urteil darüber zu bilden, ob die beantragte heimliche Überwachungsmaßnahme den gesetzlichen Voraussetzungen entspricht. Hierfür die notwendigen sachlichen und personellen Voraussetzungen zu schaffen, obliegt der Landesjustizverwaltung und dem Präsidium des zuständigen Gerichts (vgl. BVerfGE 125, 260 <338>).

119

3. Neben den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die allgemeinen Eingriffsvoraussetzungen ergeben sich aus den jeweiligen Grundrechten in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG für die Durchführung von besonders eingriffsintensiven Überwachungsmaßnahmen besondere Anforderungen an den Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung.

120

a) Der verfassungsrechtliche Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung gewährleistet dem Individuum einen Bereich höchstpersönlicher Privatheit gegenüber Überwachung. Er wurzelt in den von den jeweiligen Überwachungsmaßnahmen betroffenen Grundrechten in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG und sichert einen dem Staat nicht verfügbaren Menschenwürdekern grundrechtlichen Schutzes gegenüber solchen Maßnahmen. Selbst überragende Interessen der Allgemeinheit können einen Eingriff in diesen absolut geschützten Bereich privater Lebensgestaltung nicht rechtfertigen (vgl. BVerfGE 109, 279 <313>; stRspr).

121

Zur Entfaltung der Persönlichkeit im Kernbereich privater Lebensgestaltung gehört die Möglichkeit, innere Vorgänge wie Empfindungen und Gefühle sowie Überlegungen, Ansichten und Erlebnisse höchstpersönlicher Art zum Ausdruck zu bringen (vgl. BVerfGE 109, 279 <313>; 120, 274 <335>; stRspr). Geschützt ist insbesondere die nichtöffentliche Kommunikation mit Personen des höchstpersönlichen Vertrauens, die in der berechtigten Annahme geführt wird, nicht überwacht zu werden, wie es insbesondere bei Gesprächen im Bereich der Wohnung der Fall ist. Zu diesen Personen gehören insbesondere Ehe- oder Lebenspartner, Geschwister und Verwandte in gerader Linie, vor allem, wenn sie im selben Haushalt leben, und können Strafverteidiger, Ärzte, Geistliche und enge persönliche Freunde zählen (vgl. BVerfGE 109, 279 <321 ff.>). Dieser Kreis deckt sich nur teilweise mit dem der Zeugnisverweigerungsberechtigten. Solche Gespräche verlieren dabei nicht schon dadurch ihren Charakter als insgesamt höchstpersönlich, dass sich in ihnen Höchstpersönliches und Alltägliches vermischen (vgl. BVerfGE 109, 279 <330>; 113, 348 <391 f.>).

122

Demgegenüber ist die Kommunikation unmittelbar über Straftaten nicht geschützt, selbst wenn sie auch Höchstpersönliches zum Gegenstand hat. Die Besprechung und Planung von Straftaten gehört ihrem Inhalt nach nicht zum Kernbereich privater Lebensgestaltung, sondern hat Sozialbezug (vgl. BVerfGE 80, 367 <375>; 109, 279 <319 f., 328>; 113, 348 <391>). Dies bedeutet freilich nicht, dass der Kernbereich unter einem allgemeinen Abwägungsvorbehalt in Bezug auf öffentliche Sicherheitsinteressen steht. Ein höchstpersönliches Gespräch fällt nicht schon dadurch aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung heraus, dass es für die Aufklärung von Straftaten oder Gefahren hilfreiche Aufschlüsse geben kann. Aufzeichnungen oder Äußerungen im Zwiegespräch, die zum Beispiel ausschließlich innere Eindrücke und Gefühle wiedergeben und keine Hinweise auf konkrete Straftaten enthalten, gewinnen nicht schon dadurch einen Gemeinschaftsbezug, dass sie Ursachen oder Beweggründe eines strafbaren Verhaltens freizulegen vermögen (vgl. BVerfGE 109, 279 <319>). Auch können trotz Straftatenbezugs Situationen, in denen Einzelnen gerade ermöglicht werden soll, ein Fehlverhalten einzugestehen oder sich auf dessen Folgen einzurichten, wie Beichtgespräche oder vertrauliche Gespräche mit einem Psychotherapeuten oder einem Strafverteidiger, der höchstpersönlichen Privatsphäre unterfallen, die dem Staat absolut entzogen ist (vgl. BVerfGE 109, 279 <322>). Ein hinreichender Sozialbezug besteht demgegenüber dann, wenn Gespräche - auch mit Vertrauenspersonen - sonst unmittelbar Straftaten zu ihrem Gegenstand haben (vgl. BVerfGE 109, 279 <319>).

123

b) Der Kernbereich privater Lebensgestaltung beansprucht gegenüber allen Überwachungsmaßnahmen Beachtung. Können sie typischerweise zur Erhebung kernbereichsrelevanter Daten führen, muss der Gesetzgeber Regelungen schaffen, die einen wirksamen Schutz normenklar gewährleisten (vgl. BVerfGE 109, 279 <318 f.>; 113, 348 <390 f.>; 120, 274 <335 ff.>). Außerhalb solch verletzungsgeneigter Befugnisse bedarf es eigener Regelungen nicht. Grenzen, die sich im Einzelfall auch hier gegenüber einem Zugriff auf höchstpersönliche Informationen ergeben können, sind bei deren Anwendung unmittelbar von Verfassungs wegen zu beachten.

124

c) Der Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung ist strikt und darf nicht durch Abwägung mit den Sicherheitsinteressen nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes relativiert werden (vgl. BVerfGE 109, 279 <314>; 120, 273 <339>; stRspr). Dies bedeutet jedoch nicht, dass jede tatsächliche Erfassung von höchstpersönlichen Informationen stets einen Verfassungsverstoß oder eine Menschenwürdeverletzung begründet. Angesichts der Handlungs- und Prognoseunsicherheiten, unter denen Sicherheitsbehörden ihre Aufgaben wahrnehmen, kann ein unbeabsichtigtes Eindringen in den Kernbereich privater Lebensgestaltung im Rahmen von Überwachungsmaßnahmen nicht für jeden Fall von vornherein ausgeschlossen werden (vgl. BVerfGE 120, 274 <337 f.>). Die Verfassung verlangt jedoch für die Ausgestaltung der Überwachungsbefugnisse die Achtung des Kernbereichs als eine strikte, nicht frei durch Einzelfallerwägungen überwindbare Grenze.

125

aa) Absolut ausgeschlossen ist damit zunächst, den Kernbereich zum Ziel staatlicher Ermittlungen zu machen und diesbezügliche Informationen in irgendeiner Weise zu verwerten oder sonst zur Grundlage der weiteren Ermittlungen zu nehmen. Auch wenn hierdurch weiterführende Erkenntnisse erlangt werden können, scheidet ein gezielter Zugriff auf die höchstprivate Sphäre - zu der freilich nicht die Besprechung von Straftaten gehört (siehe oben C IV 3 a) - von vornherein aus. Insbesondere darf der Kernbereichsschutz nicht unter den Vorbehalt einer Abwägung im Einzelfall gestellt werden.

126

bb) Des Weiteren folgt hieraus, dass bei der Durchführung von Überwachungsmaßnahmen dem Kernbereichsschutz auf zwei Ebenen Rechnung getragen werden muss. Zum einen sind auf der Ebene der Datenerhebung Vorkehrungen zu treffen, die eine unbeabsichtigte Miterfassung von Kernbereichsinformationen nach Möglichkeit ausschließen. Zum anderen sind auf der Ebene der nachgelagerten Auswertung und Verwertung die Folgen eines dennoch nicht vermiedenen Eindringens in den Kernbereich privater Lebensgestaltung strikt zu minimieren (vgl. BVerfGE 120, 274 <337 ff.>; 129, 208 <245 f.>).

127

d) In diesem Rahmen kann der Gesetzgeber den Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung in Abhängigkeit von der Art der Befugnis und deren Nähe zum absolut geschützten Bereich privater Lebensgestaltung für die verschiedenen Überwachungsmaßnahmen verschieden ausgestalten (vgl. BVerfGE 120, 274 <337>; 129, 208 <245>). Er hat hierbei jedoch auf beiden Ebenen Vorkehrungen zu treffen.

128

Auf der Ebene der Datenerhebung ist bei verletzungsgeneigten Maßnahmen durch eine vorgelagerte Prüfung sicherzustellen, dass die Erfassung von kernbereichsrelevanten Situationen oder Gesprächen jedenfalls insoweit ausgeschlossen ist, als sich diese mit praktisch zu bewältigendem Aufwand im Vorfeld vermeiden lässt (vgl. BVerfGE 109, 279 <318, 320, 324>; 113, 348 <391 f.>; 120, 274 <338>). Für Gespräche mit Personen höchstpersönlichen Vertrauens kann unter Umständen, die typischerweise auf eine vertrauliche Situation hinweisen, die Vermutung geboten sein, dass sie dem Kernbereichsschutz unterfallen und nicht überwacht werden dürfen (vgl. BVerfGE 109, 279 <321 ff.>; 129, 208 <247>). Eine solche Vermutung darf der Gesetzgeber als widerleglich ausgestalten und dabei insbesondere darauf abstellen, ob im Einzelfall Anhaltspunkte bestehen, dass in dem Gespräch Straftaten besprochen werden. Demgegenüber reicht es zur Widerlegung der Höchstvertraulichkeit eines Gespräches nicht, dass neben höchstpersönlichen Fragen auch Alltägliches zur Sprache kommen wird (vgl. BVerfGE 109, 279 <330>). In jedem Fall ist der Abbruch der Maßnahme vorzusehen, wenn erkennbar wird, dass eine Überwachung in den Kernbereich privater Lebensgestaltung eindringt (vgl. BVerfGE 109, 279 <318, 324, 331>; 113, 348 <392>; 120, 274 <338>).

129

Auf der Ebene der Auswertung und Verwertung hat der Gesetzgeber für den Fall, dass die Erfassung von kernbereichsrelevanten Informationen nicht vermieden werden konnte, in der Regel die Sichtung der erfassten Daten durch eine unabhängige Stelle vorzusehen, die die kernbereichsrelevanten Informationen vor deren Verwendung durch die Sicherheitsbehörden herausfiltert (vgl. BVerfGE 109, 279 <331 f., 333 f.>; 120, 274 <338 f.>). Die von Verfassungs wegen geforderten verfahrensrechtlichen Sicherungen gebieten jedoch nicht in allen Fallkonstellationen, dass neben staatlichen Ermittlungsbehörden weitere unabhängige Stellen eingerichtet werden (vgl. BVerfGE 129, 208 <250>). Die Erforderlichkeit einer solchen Sichtung hängt von der Art sowie gegebenenfalls auch der Ausgestaltung der jeweiligen Befugnis ab. Dabei kann auf die Sichtung durch eine unabhängige Stelle umso eher verzichtet werden, je verlässlicher schon auf der ersten Stufe die Erfassung kernbereichsrelevanter Sachverhalte vermieden wird und umgekehrt. Unberührt bleibt auch die Möglichkeit des Gesetzgebers, die notwendigen Regelungen zu treffen, um den Ermittlungsbehörden für Ausnahmefälle bei Gefahr im Verzug auch kurzfristig erste Handlungsmöglichkeiten einzuräumen. In jedem Fall hat der Gesetzgeber die sofortige Löschung von gegebenenfalls erfassten höchstpersönlichen Daten vorzusehen und jegliche Verwendung auszuschließen. Die Löschung ist in einer Weise zu protokollieren, die eine spätere Kontrolle ermöglicht (vgl. BVerfGE 109, 279 <318 f., 332 f.>; 113, 348 <392>; 120, 274 <337, 339>).

130

4. Eigene verfassungsrechtliche Grenzen ergeben sich hinsichtlich des Zusammenwirkens der verschiedenen Überwachungsmaßnahmen. Mit der Menschenwürde unvereinbar ist es, wenn eine Überwachung sich über einen längeren Zeitraum erstreckt und derart umfassend ist, dass nahezu lückenlos alle Bewegungen und Lebensäußerungen des Betroffenen registriert werden und zur Grundlage für ein Persönlichkeitsprofil werden können (vgl. BVerfGE 109, 279 <323>; 112, 304 <319>; 130, 1 <24>; stRspr). Beim Einsatz moderner, insbesondere dem Betroffenen verborgener Ermittlungsmethoden müssen die Sicherheitsbehörden mit Rücksicht auf das dem "additiven" Grundrechtseingriff innewohnende Gefährdungspotenzial koordinierend darauf Bedacht nehmen, dass das Ausmaß der Überwachung insgesamt beschränkt bleibt (vgl. BVerfGE 112, 304 <319 f.>). Die aus dem Gebot der Zweckbindung folgenden Grenzen für einen Austausch von Daten zwischen den Behörden bleiben hierdurch unberührt (siehe unten D I).

131

5. Eigene verfassungsrechtliche Grenzen heimlicher Überwachungsmaßnahmen können sich unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten gegenüber bestimmten Berufs- und anderen Personengruppen ergeben, deren Tätigkeit von Verfassungs wegen eine besondere Vertraulichkeit voraussetzt. Der Gesetzgeber muss gewährleisten, dass die Behörden bei der Anordnung und Durchführung von Überwachungsmaßnahmen solche Grenzen beachten.

132

Angesichts der schon grundsätzlich hohen Anforderungen an die Anordnung solcher Maßnahmen und der großen Bedeutung einer effektiven Terrorismusabwehr für die demokratische und freiheitliche Ordnung (vgl. BVerfGE 115, 320 <357 f.>; 120, 274 <319>; 133, 277 <333 f. Rn. 133>), die Sicherheit der Menschen sowie mit Blick auf die Vielgestaltigkeit der in Ausgleich zu bringenden Gesichtspunkte und zugleich die Notwendigkeit, Missbrauchsmöglichkeiten zu begrenzen, ist der Gesetzgeber in der Regel nicht verpflichtet, bestimmte Personengruppen von Überwachungsmaßnahmen von vornherein gänzlich auszunehmen (vgl. BVerfGE 129, 208 <262 ff.>). Vielmehr kann er den Schutz der Vertraulichkeit jedenfalls in der Regel von einer Abwägung im Einzelfall abhängig machen.

133

Bei der Abgrenzung und Ausgestaltung der zu schützenden Vertraulichkeitsbeziehungen verbleibt dem Gesetzgeber ein Gestaltungsspielraum. Er hat das öffentliche Interesse an einer effektiven Gefahrenabwehr in Ausgleich zu bringen mit dem Gewicht, das die Maßnahmen gegenüber auf besondere Vertraulichkeit verwiesenen Berufsgeheimnisträgern entfalten. Dabei hat er neben dem spezifischen Eingriffsgewicht, das diese Maßnahmen gegenüber solchen Personen hinsichtlich der insoweit allgemein maßgeblichen Grundrechte entfalten, auch zu berücksichtigen, wie sie sich auf weitere Grundrechte, insbesondere auf Art. 4 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 GG oder das freie Mandat nach Art. 38 Abs. 1 GG auswirken. Sofern er hierbei einzelne Berufsgruppen einem strikteren Schutz unterstellt, müssen diese in Bezug auf die Überwachungsziele geeignet abgegrenzt sein.

134

6. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz stellt auch Anforderungen an Transparenz, individuellen Rechtsschutz und aufsichtliche Kontrolle (BVerfGE 133, 277 <365 Rn. 204>; vgl. auch BVerfGE 65, 1 <44 ff.>; 100, 313 <361, 364>; 109, 279 <363 f.>; 125, 260 <334 ff.>; stRspr; vgl. ähnlich auch Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die zuständigen Behörden zum Zwecke der Verhütung, Untersuchung, Aufdeckung oder Verfolgung von Straftaten oder der Strafvollstreckung sowie zum freien Datenverkehr vom 25. Januar 2012, KOM[2012] 10 endgültig - Stand nach Abschluss des Trilogs, 16. Dezember 2015: 15174/15; Stand 28. Januar 2016: 5463/16, Anlage). Die insoweit geltenden Anforderungen ergeben sich aus dem jeweiligen Grundrecht in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG (vgl. BVerfGE 125, 260 <335>; 133, 277 <366 Rn. 206>).

135

Transparenz der Datenerhebung und -verarbeitung soll dazu beitragen, dass Vertrauen und Rechtssicherheit entstehen können und der Umgang mit Daten in einen demokratischen Diskurs eingebunden bleibt (BVerfGE 133, 277 <366 Rn. 206>). Durch sie soll, soweit möglich, den Betroffenen subjektiver Rechtsschutz ermöglicht und zugleich einer diffusen Bedrohlichkeit geheimer staatlicher Beobachtung entgegengewirkt werden (vgl. BVerfGE 125, 260 <335>; ähnlich EuGH, Urteil vom 8. April 2014 - C-293/12, C-594/12 -, Digital Rights Ireland Ldt/Minister for Communications, Marine and Natural Resources u.a., NJW 2014, S. 2169 <2170>, Rn. 37). Je weniger die Gewährleistung subjektiven Rechtsschutzes möglich ist, desto größere Bedeutung erhalten dabei Anforderungen an eine wirksame aufsichtliche Kontrolle und an die Transparenz des Behördenhandelns gegenüber der Öffentlichkeit (vgl. BVerfGE 133, 277 <366 f. Rn. 207>).

136

a) Zu den Anforderungen an die verhältnismäßige Ausgestaltung der fraglichen Überwachungsmaßnahmen gehört die gesetzliche Anordnung von Benachrichtigungspflichten. Da solche Maßnahmen, um ihren Zweck zu erreichen, heimlich durchgeführt werden müssen, hat der Gesetzgeber zur Gewährleistung subjektiven Rechtsschutzes im Sinne des Art. 19 Abs. 4 GG vorzusehen, dass die Betroffenen zumindest nachträglich von den Überwachungsmaßnahmen grundsätzlich in Kenntnis zu setzen sind. Ausnahmen kann er in Abwägung mit verfassungsrechtlich geschützten Rechtsgütern Dritter vorsehen. Sie sind jedoch auf das unbedingt Erforderliche zu beschränken (BVerfGE 125, 260 <336>). Denkbar sind Ausnahmen von den Benachrichtigungspflichten etwa, wenn die Kenntnis von der Maßnahme dazu führen würde, dass diese ihren Zweck verfehlt, wenn die Benachrichtigung nicht ohne Gefährdung von Leib und Leben einer Person geschehen kann, oder wenn ihr überwiegende Belange einer betroffenen Person entgegenstehen, etwa weil durch die Benachrichtigung von einer Maßnahme, die keine weiteren Folgen gehabt hat, der Grundrechtseingriff noch vertieft würde. Liegen zwingende Gründe vor, die eine nachträgliche Benachrichtigung ausschließen, ist dies richterlich zu bestätigen und in regelmäßigen Abständen zu prüfen (BVerfGE 125, 260 <336 f.>).

137

b) Zur Flankierung von informationsbezogenen Eingriffen, deren Vornahme oder Umfang die Betroffenen nicht sicher abschätzen können, hat der Gesetzgeber überdies Auskunftsrechte vorzusehen. Einschränkungen sind nur zulässig, wenn sie gegenläufigen Interessen von größerem Gewicht dienen. Gesetzliche Ausschlusstatbestände müssen sicherstellen, dass die betroffenen Interessen einander umfassend und auch mit Blick auf den Einzelfall zugeordnet werden (BVerfGE 120, 351 <365>). Wenn dann aber dennoch die praktische Wirksamkeit solcher Auskunftsrechte angesichts der Art der Aufgabenwahrnehmung - wie bei der heimlichen Datenverarbeitung zur Abwehr von Gefahren durch den internationalen Terrorismus - sehr begrenzt bleibt, ist das verfassungsrechtlich hinnehmbar (vgl. BVerfGE 133, 277 <367 f. Rn. 209 ff.>).

138

c) Eine verhältnismäßige Ausgestaltung der Überwachungsmaßnahmen verlangt im Lichte des Art. 19 Abs. 4 GG außerdem, dass die Betroffenen nach Benachrichtigung in zumutbarer Weise eine gerichtliche Rechtmäßigkeitskontrolle erwirken können (vgl. hierzu auch Art. 51, Art. 52 des Vorschlags für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die zuständigen Behörden zum Zwecke der Verhütung, Untersuchung, Aufdeckung oder Verfolgung von Straftaten oder der Strafvollstreckung sowie zum freien Datenverkehr, a.a.O.).

139

Überdies setzt eine verhältnismäßige Ausgestaltung wirksame Sanktionen bei Rechtsverletzungen voraus. Würden auch schwere Verletzungen der Eingriffsvoraussetzungen im Ergebnis sanktionslos bleiben mit der Folge, dass der Schutz des Persönlichkeitsrechts angesichts der immateriellen Natur dieses Rechts verkümmern würde, widerspräche dies der Verpflichtung der staatlichen Gewalt, die Entfaltung der Persönlichkeit wirksam zu schützen. Dies kann insbesondere der Fall sein, wenn eine unberechtigte Erhebung oder Verwendung der Daten mangels materiellen Schadens regelmäßig ohne einen der Genugtuung der Betroffenen dienenden Ausgleich bliebe. Der Gesetzgeber hat diesbezüglich allerdings einen weiten Gestaltungsspielraum (vgl. BVerfGE 125, 260 <339 f.> m.w.N.).

140

d) Weil eine Transparenz der Datenerhebung und -verarbeitung sowie die Ermöglichung individuellen Rechtsschutzes für heimliche Überwachungsmaßnahmen nur sehr eingeschränkt sichergestellt werden können, kommt der Gewährleistung einer effektiven aufsichtlichen Kontrolle umso größere Bedeutung zu. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz stellt für tief in die Privatsphäre reichende Überwachungsmaßnahmen deshalb an eine wirksame Ausgestaltung dieser Kontrolle sowohl auf der Ebene des Gesetzes als auch der Verwaltungspraxis gesteigerte Anforderungen (vgl. BVerfGE 133, 277 <369 Rn. 214>).

141

Die Gewährleistung einer wirksamen aufsichtlichen Kontrolle setzt zunächst eine mit wirksamen Befugnissen ausgestattete Stelle - wie nach geltendem Recht die Bundesdatenschutzbeauftragte - voraus (vgl. grundlegend BVerfGE 65, 1 <46>). Dazu ist erforderlich, dass die Datenerhebungen vollständig protokolliert werden. Es muss durch technische und organisatorische Maßnahmen sichergestellt werden, dass die Daten der Datenschutzbeauftragten in praktikabel auswertbarer Weise zur Verfügung stehen und die Protokollierung hinreichende Angaben zu dem zu kontrollierenden Vorgang enthält (BVerfGE 133, 277 <370 Rn. 215>). Angesichts der Kompensationsfunktion der aufsichtlichen Kontrolle für den schwach ausgestalteten Individualrechtsschutz kommt deren regelmäßiger Durchführung besondere Bedeutung zu und sind solche Kontrollen in angemessenen Abständen - deren Dauer ein gewisses Höchstmaß, etwa zwei Jahre, nicht überschreiten darf - durchzuführen. Dies ist bei der Ausstattung der Aufsichtsinstanz zu berücksichtigen (vgl. BVerfGE 133, 277 <370 f. Rn. 217>). Die Gewährleistung der verfassungsrechtlichen Anforderungen einer wirksamen aufsichtlichen Kontrolle obliegt dem Gesetzgeber und den Behörden gemeinsam (vgl. BVerfGE 133, 277 <371 Rn. 220>).

142

e) Zur Gewährleistung von Transparenz und Kontrolle bedarf es schließlich einer gesetzlichen Regelung von Berichtspflichten.

143

Da sich die Durchführung von heimlichen Überwachungsmaßnahmen der Wahrnehmung der Betroffenen und der Öffentlichkeit entzieht und dem auch Benachrichtigungspflichten oder Auskunftsrechte mit der Möglichkeit anschließenden subjektiven Rechtsschutzes nur begrenzt entgegenwirken können, sind hinsichtlich der Wahrnehmung dieser Befugnisse regelmäßige Berichte des Bundeskriminalamts gegenüber Parlament und Öffentlichkeit gesetzlich sicherzustellen. Sie sind erforderlich und müssen hinreichend gehaltvoll sein, um eine öffentliche Diskussion über Art und Ausmaß der auf diese Befugnisse gestützten Datenerhebung, einschließlich der Handhabung der Benachrichtigungspflichten und Löschungspflichten, zu ermöglichen und diese einer demokratischen Kontrolle und Überprüfung zu unterwerfen (vgl. BVerfGE 133, 277 <372 Rn. 221 f.>).

144

7. Zu den übergreifenden Verhältnismäßigkeitsanforderungen gehört auch die Regelung von Löschungspflichten (vgl. BVerfGE 65, 1 <46>; 133, 277 <366 Rn. 206>; stRspr). Mit ihnen ist sicherzustellen, dass eine Verwendung personenbezogener Daten auf die die Datenverarbeitung rechtfertigenden Zwecke begrenzt bleibt und nach deren Erledigung nicht mehr möglich ist. Die Löschung der Daten ist zur Gewährleistung von Transparenz und Kontrolle zu protokollieren.

V.

145

Die angegriffenen polizeirechtlichen Überwachungsbefugnisse genügen den vorstehend dargelegten verfassungsrechtlichen Anforderungen hinsichtlich ihrer jeweiligen Eingriffsvoraussetzungen in verschiedener Hinsicht nicht.

146

1. Nur teilweise mit der Verfassung vereinbar ist § 20g Abs. 1 bis 3 BKAG.

147

a) § 20g Abs. 1 BKAG erlaubt die Überwachung außerhalb von Wohnungen unter dem Einsatz besonderer, in § 20g Abs. 2 BKAG näher bestimmten Mittel der Datenerhebung. Er ermächtigt das Bundeskriminalamt damit zu Eingriffen in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG).

148

Die Vorschrift ermächtigt demgegenüber nicht auch zu Eingriffen in Art. 10 Abs. 1 GG. Anders als die §§ 20l, 20m BKAG erlauben die in § 20g Abs. 2 BKAG genannten Mittel keine Maßnahmen, die in das Telekommunikationsgeheimnis eingreifen. Sie gestatten auch keine Maßnahmen, die in das Recht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme eingreifen, wie eine Manipulation von solchen Systemen zur Observation. Auch ist die Vorschrift nicht an Art. 13 Abs. 1 GG zu messen. Sie berechtigt allein zur Überwachung außerhalb von Wohnungen (vgl. BTDrucks 16/9588, S. 23) und setzt damit voraus, dass auf sie gestützte Überwachungsmaßnahmen, wie gegebenenfalls auch technisch sichergestellt werden muss, an der Wohnungstür enden. Die darüber hinausgehenden Befugnisse des § 20g Abs. 4 BKAG sind nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.

149

b) Hinsichtlich seines Eingriffsgewichts deckt § 20g Abs. 1, 2 BKAG ein weites Spektrum ab. Es umfasst hierbei auch gravierende Eingriffe.

150

Die Vorschrift erlaubt Überwachungen außerhalb von Wohnungen mit den in Absatz 2 genannten Mitteln. Hierzu gehören insbesondere die längerfristige Observation, die Erstellung von heimlichen Bildaufzeichnungen, das Abhören des nichtöffentlich gesprochenen Wortes, das Nachverfolgen mittels Peilsendern oder der Einsatz von Vertrauenspersonen und Verdeckten Ermittlern.

151

Das Eingriffsgewicht dieser Maßnahmen kann sehr unterschiedlich sein. Es reicht von eher geringeren bis mittleren Eingriffen, wie dem Erstellen einzelner Fotos oder der zeitlich begrenzten schlichten Beobachtung, bis zu schweren Eingriffen wie dem langfristig-dauerhaften heimlichen Aufzeichnen von Wort und Bild einer Person. Insbesondere wenn diese Maßnahmen gebündelt durchgeführt werden und dabei unter Nutzung moderner Technik darauf zielen, möglichst alle Äußerungen und Bewegungen zu erfassen und bildlich wie akustisch festzuhalten, können sie tief in die Privatsphäre eindringen und ein besonders schweres Eingriffsgewicht erlangen.

152

Ebenso wie die Abwendung von anderen gewichtigen Rechtsgutverletzungen oder die Verfolgung von erheblichen Straftaten kann das öffentliche Interesse an einer effektiven Terrorismusabwehr solche Eingriffe jedoch rechtfertigen (siehe oben C II 3 a). Vorausgesetzt ist dabei, dass sie verhältnismäßig ausgestaltet sind. Das ist hier allerdings nur teilweise der Fall.

153

c) Nicht zu beanstanden ist die an das allgemeine Sicherheitsrecht angelehnte Regelung der Eingriffsvoraussetzungen in § 20g Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 BKAG.

154

aa) Die Vorschrift begrenzt Überwachungsmaßnahmen auf den Schutz hinreichend gewichtiger Rechtsgüter.

155

Dies gilt zunächst insoweit, als sie Maßnahmen zum Schutz des Bestandes oder der Sicherheit des Staates oder von Leib, Leben oder Freiheit einer Person erlaubt. Nichts anderes gilt aber auch, soweit sie Überwachungsmaßnahmen zum Schutz von Sachen von bedeutendem Wert gestattet, deren Erhaltung im öffentlichen Interesse geboten ist. Bei verständiger Auslegung kann hierunter nicht schon allein der Schutz von bedeutsamen Sachwerten verstanden werden. Gemeint sind hier im gesetzlichen Zusammenhang mit der Terrorismusabwehr vielmehr etwa wesentliche Infrastruktureinrichtungen oder sonstige Anlagen mit unmittelbarer Bedeutung für das Gemeinwesen (vgl. BVerfGE 133, 277 <365 Rn. 203>).

156

Die Eingriffsbefugnisse sind dabei gemäß § 20g Abs. 1 Nr. 1 BKAG darüber hinaus weiter dadurch eingeschränkt, dass Maßnahmen zum Schutz der genannten Rechtsgüter nur erlaubt sind, wenn diese durch eine der in § 4a Abs. 1 Satz 2 BKAG genannten Straftaten bedroht sind. Dies ergibt sich schon aus der Aufgabennorm des § 4a BKAG selbst, in die die Befugnisse der §§ 20a ff. BKAG eingebunden sind. Die Eingriffsbefugnisse werden so auf die Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus begrenzt. Dabei verweist der Gesetzgeber weder lediglich auf einen unbestimmten Begriff des Terrorismus noch pauschal auf § 129a StGB als solchen, sondern bestimmt, dass die Gefahr für die Rechtsgüter von bestimmten, in § 129a StGB einzeln festgelegten und besonders qualifizierten Straftaten ausgehen muss. Die Norm ist so auf den Schutz von besonders gewichtigen Rechtsgütern vor besonders bedrohlichen Angriffen begrenzt. Ungeachtet der Frage, wo diesbezüglich die verfassungsrechtlichen Grenzen für solche Maßnahmen im Allgemeinen - etwa auch für entsprechende Befugnisse nach den Landespolizeigesetzen - liegen, wird damit jedenfalls vorliegend den Verhältnismäßigkeitsanforderungen genügt.

157

Demgegenüber kann die in § 20g Abs. 1 Nr. 1 BKAG erfolgte Bezugnahme auf die in § 20a Abs. 2 BKAG enthaltene Legaldefinition der Gefahr nicht dahingehend verstanden werden, dass § 20a Abs. 2 BKAG die Begrenzung der Rechtsgüter in § 20g Abs. 1 Nr. 1 BKAG überspielt und schon für sich jede Gefahr für die öffentliche Sicherheit im Zusammenhang mit Straftaten gemäß § 4a Abs. 1 Satz 2 BKAG ausreichen lässt. Zwar konkretisiert § 20a Abs. 2 BKAG den Gefahrenbegriff für alle nachfolgenden Befugnisse hinsichtlich des Erfordernisses der Einzelfallbezogenheit. Er hat bei verständiger und verfassungsrechtlich gebotener Auslegung jedoch nicht die Funktion, die in den Einzelbefugnissen spezifisch begrenzten Anforderungen an den Rechtsgüterschutz aufzuheben.

158

bb) § 20g Abs. 1 Nr. 1 BKAG setzt auch einen hinreichend konkretisierten Anlass für die Anordnung der Maßnahmen voraus. Die Vorschrift stellt auf das Vorliegen einer Gefahr ab. Gemäß § 20a Abs. 2 BKAG ist hierunter eine "im Einzelfall bestehende Gefahr" und damit eine konkrete Gefahr im Sinne des allgemeinen Sicherheitsrechts zu verstehen. Angesichts der Konturen, die dieser Begriff durch die fachgerichtliche Rechtsprechung erhalten hat, sind hiergegen unter Bestimmtheits- und Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten keine Bedenken zu erheben.

159

cc) Keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen weiter gegen die in § 20g Abs. 1 Nr. 1 BKAG vorgenommene Bestimmung der Adressaten der Maßnahmen unter Rückgriff auf §§ 17, 18 und 20 BPolG und damit die Grundsätze der polizeirechtlichen Verantwortlichkeit. Der Gesetzgeber darf auch insoweit auf die Figuren des allgemeinen Sicherheitsrechts zurückgreifen. Ob hierbei im konkreten Kontext der Terrorismusabwehr durch das Bundeskriminalamt die Zustandsverantwortlichkeit gemäß § 18 BPolG praktisch wirksam werden kann, oder ob die Vorschrift insoweit im Ergebnis leerläuft (vgl. Bäcker, Terrorismusabwehr durch das Bundeskriminalamt, 2009, S. 75 ff.), ist verfassungsrechtlich unerheblich. Bezogen auf die hier in Frage stehenden Befugnisse des § 20g Abs. 1, 2 BKAG, die weder in Art. 10 Abs. 1 GG noch in die Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme noch in Art. 13 Abs. 1 GG eingreifen, ist auch nicht zu beanstanden, dass eine Überwachung gemäß § 20 BPolG unter den Voraussetzungen der Notstandspflicht auch gegen den Nichtstörer angeordnet werden darf. Die diesbezüglichen Vorschriften sind eng gefasst und streng auszulegen. Erforderlich ist das Vorliegen einer gegenwärtigen Gefahr für die in § 20g Abs. 1 Satz 1 BKAG genannten Rechtsgüter, für deren Abwehr die Maßnahme unmittelbar zielführend sein muss. Unter diesen Maßgaben ist eine Inanspruchnahme des Nichtstörers nicht unverhältnismäßig. Insbesondere öffnet sie damit auch keinen Weg, die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme von Kontaktpersonen zu umgehen.

160

dd) Zu unbestimmt oder unverhältnismäßig ist die Vorschrift auch nicht hinsichtlich der in § 20g Abs. 2 BKAG definierten Mittel der Überwachung. Allerdings umfassen diese - ungeachtet ihres unterschiedlichen Eingriffsgewichts im Einzelnen - auch sehr schwerwiegende Grundrechtseingriffe, wie etwa die Möglichkeit von langfristig angelegten Wort- und Bildaufzeichnungen privater Gespräche und Situationen oder das Ausnutzen von Vertrauen durch Verdeckte Ermittler oder Vertrauenspersonen. Zur Abwehr der in § 20g Abs. 1 Nr. 1 BKAG genannten besonders gewichtigen Gefahren können jedoch auch diese schwerwiegenden Eingriffe - nach Maßgabe einer im Einzelfall vorzunehmenden Prüfung der Verhältnismäßigkeit - verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein.

161

Keinen Bedenken unterliegt auch die technikoffene Bestimmung der Überwachungsmittel in § 20g Abs. 2 Nr. 2 und 3 BKAG. Der Gesetzgeber ist nicht dazu verpflichtet, die erlaubten Mittel für Überwachungen auf den jeweiligen technischen Stand und Zeitpunkt des Gesetzgebungsverfahrens zu begrenzen. Soweit die Art der erlaubten Überwachung aus der Norm hinreichend erkennbar ist, kann er in die Ermächtigung auch künftige technische Entwicklungen einbeziehen. Allerdings bleibt die Ermächtigung, wie bei ihrer Auslegung zu beachten ist, auf solche technische Mittel beschränkt, die in ihrer Qualität und in Blick auf das Eingriffsgewicht den bereits bekannten Mitteln entsprechen. Im Übrigen obliegt es dem Gesetzgeber, die technische Entwicklung insoweit aufmerksam zu beobachten und bei Fehlentwicklungen hinsichtlich der konkreten Ausfüllung offener Gesetzesbegriffe korrigierend einzugreifen (vgl. BVerfGE 112, 304 <316 f.>).

162

d) Mit den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht zu vereinbaren ist hingegen § 20g Abs. 1 Nr. 2 BKAG. Die Eingriffsvoraussetzungen genügen weder dem Grundsatz der Bestimmtheit noch dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne.

163

aa) § 20g Abs. 1 Nr. 2 BKAG ergänzt die auf die Gefahrenabwehr begrenzte Eingriffsgrundlage des § 20g Abs. 1 Nr. 1 BKAG und soll nach der Vorstellung des Gesetzgebers schon früher ansetzen und der Straftatenverhütung dienen.

164

Nach den oben dargelegten Maßstäben ist der Gesetzgeber hieran nicht grundsätzlich gehindert und zwingt ihn die Verfassung nicht, Sicherheitsmaßnahmen auf die Abwehr von - nach tradiertem Verständnis - konkreten Gefahren zu beschränken. Allerdings bedarf es aber auch bei Maßnahmen zur Straftatenverhütung zumindest einer auf bestimmte Tatsachen und nicht allein auf allgemeine Erfahrungssätze gestützten Prognose, die auf eine konkrete Gefahr bezogen ist. Grundsätzlich gehört hierzu, dass insoweit ein wenigstens seiner Art nach konkretisiertes und zeitlich absehbares Geschehen erkennbar ist (vgl. BVerfGE 110, 33 <56 f., 61>; 113, 348 <377 f.>; 120, 274 <328 f.>; 125, 260 <330>). In Bezug auf terroristische Straftaten kann der Gesetzgeber stattdessen aber auch darauf abstellen, ob das individuelle Verhalten einer Person die konkrete Wahrscheinlichkeit begründet, dass sie in überschaubarer Zukunft terroristische Straftaten begeht (siehe oben C IV 1 b). Die diesbezüglichen Anforderungen sind normenklar zu regeln.

165

bb) Dem genügt § 20g Abs. 1 Nr. 2 BKAG nicht. Zwar knüpft die Vorschrift an eine mögliche Begehung terroristischer Straftaten an. Die diesbezüglichen Prognoseanforderungen sind hierbei jedoch nicht hinreichend gehaltvoll ausgestaltet. Die Vorschrift schließt nicht aus, dass sich die Prognose allein auf allgemeine Erfahrungssätze stützt. Sie enthält weder die Anforderung, dass ein wenigstens seiner Art nach konkretisiertes und absehbares Geschehen erkennbar sein muss, noch die alternative Anforderung, dass das individuelle Verhalten einer Person die konkrete Wahrscheinlichkeit begründen muss, dass sie in überschaubarer Zukunft terroristische Straftaten begeht. Damit gibt sie den Behörden und Gerichten keine hinreichend bestimmten Kriterien an die Hand und eröffnet Maßnahmen, die unverhältnismäßig weit sein können.

166

e) Verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist bei verfassungskonformer Auslegung demgegenüber § 20g Abs. 1 Nr. 3 in Verbindung mit § 20b Abs. 2 Nr. 2 BKAG.

167

§ 20g Abs. 1 Nr. 3 BKAG erlaubt Maßnahmen auch gegenüber Kontakt- oder Begleitpersonen. Der Begriff der Kontakt- und Begleitpersonen wird dabei in § 20b Abs. 2 Nr. 2 BKAG eingegrenzt und ist bei sachgerechter Auslegung als zusammenfassende Bezeichnung allein der dort genannten Personengruppen zu verstehen.

168

In dieser Eingrenzung ist § 20g Abs. 1 Nr. 3 BKAG verfassungsrechtlich tragfähig. Der Gesetzgeber eröffnet hier nicht ins Blaue hinein die Möglichkeit der Überwachung des gesamten Umfelds einer Zielperson, um so - gestützt lediglich auf die Tatsache eines Kontaktes mit dieser - erst herauszufinden, ob sich hierüber weitere Ermittlungsansätze erschließen. Für die Anordnung von Maßnahmen gegenüber Dritten verlangt die Vorschrift vielmehr, dass diese eine besondere, in § 20b Abs. 2 Nr. 2 BKAG näher definierte Tatnähe aufweisen. Tatsachen, die die Annahme rechtfertigen, dass eines der in § 20b Abs. 2 Nr. 2 BKAG genannten Nähekriterien vorliegt, sind danach eine eigene, in den Gründen der Anordnung darzulegende Voraussetzung für entsprechende Maßnahmen. In dieser Ausgestaltung ist eine Regelung, die Überwachungsmaßnahmen auch gegenüber selbst nicht verantwortlichen Personen erlaubt, verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. BVerfGE 107, 299 <322 f.>; 113, 348 <380 f.>). Dem entspricht freilich, dass bei der Anwendung der Vorschrift die Voraussetzungen des § 20b Abs. 2 Nr. 2 BKAG nicht ihrerseits aus dem bloßen Kontakt oder der bloßen persönlichen Nähe des Betreffenden zur Zielperson hergeleitet werden können.

169

Keine Bedenken sind dabei auch gegen die Merkmale des § 20b Abs. 2 Nr. 2 a bis c BKAG im Einzelnen zu erheben. Freilich dürfen die Merkmale von Verfassungs wegen nicht entgrenzend weit verstanden werden, so dass sie jede Person einschlössen, die mit der Zielperson im weiten Vorfeld von etwaigen Straftaten in wirtschaftlichem Kontakt steht. Vielmehr begrenzt § 20b Abs. 2 Nr. 2 b BKAG die Vorteilsziehung auf die Verwertung der Tat und damit auf Früchte, die sich gerade aus deren Unrechtsgehalt ergeben, und verlangt auch § 20b Abs. 2 Nr. 2 c BKAG, dass die Instrumentalisierung des Betroffenen in einem engen Konnex zur Tat selbst steht. Liegen diese Voraussetzungen vor, sind entsprechende Anordnungen verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Dem steht nicht entgegen, dass damit Maßnahmen auch gegen gutgläubige Dritte gerichtet werden können, denen eine Gefahr nicht zugerechnet werden kann. Zwar liegt hierin ein besonders schwerer Eingriff, der jedoch als Inanspruchnahme für überragend wichtige Gemeinwohlinteressen - ähnlich wie Zeugen- oder Notstandspflichten - verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist.

170

f) Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht in jeder Hinsicht tragfähig sind die verfahrensmäßigen Anforderungen in § 20g Abs. 3 BKAG.

171

aa) Keinen Bedenken unterliegt allerdings, dass die Überwachungsmaßnahmen nach dieser Vorschrift zwar jeweils nur für eine vertretbar begrenzte Zeit angeordnet werden dürfen, aber deren Verlängerung nicht durch eine Obergrenze beschränkt wird. Der Gesetzgeber konnte davon ausgehen, dass eine konkretisierte Gefahrenlage, wie sie für die Anordnung oder Verlängerung der Maßnahmen vorausgesetzt ist, in der Regel nicht für einen übermäßig langen Zeitraum vorliegt, so dass eine unverhältnismäßige Dauerüberwachung hierdurch im Allgemeinen nicht droht. Im Übrigen kann eine Begrenzung, auch wenn eine absolute Höchstdauer nicht ausdrücklich bestimmt ist, aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Einzelfall folgen, da mit zunehmender Dauer der Observationsmaßnahmen der Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht immer intensiver wird und auch dazu führen kann, dass eine weitere Verlängerung verfassungsrechtlich nicht mehr zu rechtfertigen ist (vgl. BVerfGE 109, 279 <362>).

172

bb) Unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten unzureichend ist demgegenüber die Regelung des Richtervorbehalts in § 20g Abs. 3 BKAG.

173

§ 20g Abs. 3 BKAG sieht einen Richtervorbehalt unmittelbar für die erstmalige Anordnung der Maßnahme nur beim Einsatz Verdeckter Ermittler vor (vgl. § 20g Abs. 3 Satz 1 BKAG). In anderen Fällen erlaubt er die erstmalige Anordnung unmittelbar durch das Bundeskriminalamt selbst und fordert eine richterliche Entscheidung erst für deren etwaige Verlängerung (§ 20g Abs. 3 Satz 8 BKAG). Dies gilt einerseits für das Abhören und Aufzeichnen des nichtöffentlich gesprochenen Wortes und den Einsatz von Vertrauenspersonen oder Verdeckten Ermittlern (§ 20g Abs. 2 Nr. 2 b, 4 und 5 BKAG) sowie anderseits für längerfristige Observationen (§ 20g Abs. 2 Nr. 1 BKAG), wobei auch die Fälle eingeschlossen sind, in denen diese mittels Bildaufzeichnungen oder dem Einsatz von technischen Mitteln wie Peilsendern (vgl. § 20g Abs. 2 Nr. 2 a, 3 BKAG) durchgeführt werden.

174

Diese Regelung genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen nur teilweise. Nicht zu beanstanden ist allerdings, dass für die Anfertigung von Bildaufnahmen sowie für nur kurzfristige Observationen - auch mittels Bildaufzeichnungen oder technischer Mittel wie Peilsender - ein Richtervorbehalt nicht vorgesehen ist. Bleiben die Überwachungsmaßnahmen in dieser Weise begrenzt, haben sie kein so großes Eingriffsgewicht, dass deren Anordnung durch einen Richter verfassungsrechtlich geboten ist (vgl. strenger für die Observation mittels GPS-Sender Supreme Court of the United States, United States v. Jones, 132 S. Ct. 945 [2012]; zur Überwachung eines Verdächtigen mittels GPS zurückhaltender wiederum EGMR, Uzun v. Deutschland, Entscheidung vom 2. September 2010, Nr. 35623/05, NJW 2011, S. 1333 <1336 f.>, zu Art. 8 EMRK). Demgegenüber ist eine unabhängige Kontrolle verfassungsrechtlich aber unverzichtbar, wenn Observationen im Sinne des § 20g Abs. 2 Nr. 1 BKAG längerfristig - zumal unter Anfertigung von Bildaufzeichnungen oder unter Nutzung besonderer technischer Mittel wie Peilsender - durchgeführt werden, wenn nichtöffentliche Gespräche erfasst oder Vertrauenspersonen eingesetzt werden. Diese Maßnahmen dringen unter Umständen so tief in die Privatsphäre ein, dass deren Anordnung einer unabhängigen Instanz, etwa einem Gericht, vorbehalten bleiben muss. Insoweit reicht es nicht, die Anordnung der Maßnahmen zunächst der Sicherheitsbehörde selbst zu überlassen und die disziplinierende Wirkung wegen des Erfordernisses einer richterlichen Entscheidung erst für deren Verlängerung - möglicherweise auf der Grundlage der so gewonnenen Erkenntnisse - vorzusehen. Soweit für diese Maßnahmen eine erstmalige Anordnung ohne richterliche Entscheidung vorgesehen ist, genügt § 20g BKAG einer verhältnismäßigen verfahrensrechtlichen Ausgestaltung nicht.

175

g) § 20g BKAG genügt schließlich auch insoweit nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen, als er keine Regelung zum Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung enthält.

176

§ 20g BKAG ermächtigt zu Überwachungsmaßnahmen von verschiedener Qualität und Nähe zur Privatsphäre. Indem die Vorschrift dabei aber auch die Erlaubnis zu längerfristigen Bildaufzeichnungen und einem auf eine lange Zeit angelegten Abhören und Aufzeichnen des nichtöffentlich gesprochenen Wortes umfasst, ermöglicht sie Überwachungsmaßnahmen, die typischerweise tief in die Privatsphäre eindringen können. Zwar handelt es sich bei diesen Maßnahmen immer um eine Überwachung außerhalb von Wohnungen. Das stellt aber nicht in Frage, dass auch insoweit - sei es im Auto, sei es abseits in einem Restaurant, sei es zurückgezogen bei einem Spaziergang - mit einiger Wahrscheinlichkeit höchstvertrauliche Situationen erfasst werden können, die dem Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzurechnen sind (vgl. Poscher, JZ 2009, S. 269 <271 f.>).

177

Die Vorschrift weist demnach hinsichtlich mancher Befugnisse eine Kernbereichsnähe auf, die eine ausdrückliche gesetzliche Regelung zum Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung erforderlich macht. Der Gesetzgeber hat hierzu in normenklarer Weise Schutzvorschriften sowohl auf der Ebene der Datenerhebung als auch auf der Ebene der Datenauswertung und Datenverwertung vorzusehen (siehe oben C IV 3 c bb, d). An solchen Vorschriften fehlt es, so dass § 20g Abs. 1, 2 BKAG auch insoweit mit der Verfassung nicht zu vereinbaren sind.

178

2. § 20h BKAG genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen gleichfalls nur teilweise.

179

a) § 20h BKAG erlaubt die akustische und optische Überwachung in Wohnungen. Er greift damit in Art. 13 Abs. 1 GG ein.

180

Mit der Befugnis zur Wohnraumüberwachung ermächtigt die Vorschrift zu Grundrechtseingriffen, die besonders schwer wiegen. Sie erlaubt dem Staat auch in Räume einzudringen, die privater Rückzugsort des Einzelnen sind und einen engen Bezug zur Menschenwürde haben (vgl. BVerfGE 109, 279 <313 f.>). Dies schließt, wie sich aus Art. 13 Abs. 3, 4 GG ergibt, Überwachungsmaßnahmen nicht aus. Die Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus kann solche Maßnahmen rechtfertigen (siehe oben C II 3 a). Sie stehen aber unter besonders strengen Anforderungen, die § 20h BKAG nicht in jeder Hinsicht erfüllt.

181

b) Keinen verfassungsrechtlichen Bedenken unterliegt § 20h Abs. 1, 2 BKAG allerdings insoweit, als er - in Bezug auf alle möglichen Adressaten übergreifend - die allgemeinen Voraussetzungen der Wohnraumüberwachung regelt.

182

aa) Die Vorschrift genügt zunächst insoweit den verfassungsrechtlichen Anforderungen, als sie Maßnahmen auf den Schutz besonders gewichtiger Rechtsgüter beschränkt, dabei das Vorliegen einer dringenden Gefahr erfordert und als Adressaten die Handlungs- und Zustandsverantwortlichen bestimmt.

183

§ 20h Abs. 1 BKAG erlaubt Wohnraumüberwachungen nur zum Schutz besonders gewichtiger Rechtsgüter. Die hier bestimmten Rechtsgüter sind von solchem Gewicht, dass sie auch geeignet sind, eine Wohnraumüberwachung zu rechtfertigen (siehe oben C IV 1 a). Das gilt bei einem hier geboten engen, auf den Zusammenhang der Terrorismusabwehr bezogenen Verständnis auch für "Sachen von bedeutendem Wert, deren Erhaltung im öffentlichen Interesse geboten ist" (vgl. BVerfGE 133, 277 <365 Rn. 203>).

184

bb) In Übereinstimmung mit Art. 13 Abs. 4 GG verlangt die Vorschrift weiter das Vorliegen einer dringenden Gefahr. Zu berücksichtigen sind hierfür sowohl das Ausmaß als auch die Wahrscheinlichkeit des zu erwartenden Schadens (vgl. BVerfGE 130, 1 <32>). An das Vorliegen einer dringenden Gefahr, deren Anforderungen über die einer konkreten Gefahr noch hinausgehen, sind strenge Anforderungen zu stellen (vgl. BVerwGE 47, 31 <40>; BGHSt 54, 69 <83 f.>). Damit ist ein unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten hinreichend konkreter Anlass für die Durchführung solcher Maßnahmen gewährleistet (siehe oben C IV 1 b).

185

cc) Unverhältnismäßig ist die Regelung auch nicht deshalb, weil sie sowohl die akustische als auch die optische Wohnraumüberwachung erlaubt. Dass die Verfassung eine optische Wohnraumüberwachung für Eingriffe zur Gefahrenabwehr nach Art. 13 Abs. 4 GG nicht schon grundsätzlich ausschließt, ergibt sich aus einem Umkehrschluss zu Art. 13 Abs. 3 GG. Allerdings hat die Verbindung von akustischer und optischer Überwachung ein wesentlich größeres Eingriffsgewicht als etwa nur eine akustische Überwachung und bedarf besonderer Rechtfertigung. Dementsprechend sind die Anforderungen an die Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit bei der Anordnung der Maßnahmen für jede der Überwachungsformen eigens und gegebenenfalls auch mit Blick auf deren Verbindung zu prüfen. Dabei reicht es für die zusätzliche Anordnung einer optischen Überwachung regelmäßig nicht, auf bloße Erleichterungen für die Zuordnung von Stimmen zu verweisen, sondern bedarf es gewichtiger, für den Erfolg der Überwachung maßgeblicher eigener Gründe. Diesen Anforderungen kann und muss im Rahmen der Gesetzesanwendung Rechnung getragen werden. § 20h Abs. 1 Nr. 1 und 2 BKAG, der die akustische und die optische Wohnraumüberwachung als eigene und damit auch eigens zu prüfende Überwachungsmaßnahmen ausgestaltet, bietet hierfür eine hinreichende Grundlage.

186

c) Teilweise unverhältnismäßig und mit der Verfassung nicht vereinbar ist demgegenüber die Bestimmung der möglichen Adressaten von Wohnraumüberwachungen.

187

aa) Keine Bedenken bestehen insoweit freilich gegen § 20h Abs. 1 Nr. 1 a BKAG, der zur Anordnung von Wohnraumüberwachungen gegen die polizeilich Verantwortlichen nach §§ 17, 18 BPolG als Zielpersonen ermächtigt (siehe oben C IV 1 c).

188

Nicht zu beanstanden ist gleichfalls, dass § 20h Abs. 2 BKAG dabei die Überwachung solcher Personen nicht nur in deren eigener Wohnung, sondern auch in der Wohnung Dritter erlaubt, wenn sich die Zielperson dort aufhält und Maßnahmen in der Wohnung der Zielperson allein nicht zur Abwehr der Gefahr führen werden. Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht für solche Überwachungsmaßnahmen in Wohnungen Dritter eingrenzende Maßgaben zur Auslegung vorgeschrieben. Es bedarf insoweit eines konkretisierten Verdachts, dass sich die Zielperson zur Zeit der Maßnahme in der Wohnung des Dritten aufhält. Dies ist gegebenenfalls durch andere Maßnahmen, wie eine Observation, sicherzustellen. Nicht auf konkrete Anhaltspunkte gestützte Vermutungen für die Anwesenheit der Zielperson in der Wohnung des Dritten reichen für den Beginn der Maßnahme nicht aus (vgl. BVerfGE 109, 279 <356>). Darüber hinaus muss eine hinreichende Wahrscheinlichkeit bestehen, hierbei verfahrensrelevante Informationen zu gewinnen. Erforderlich sind auch insoweit tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass die Zielperson in den zu überwachenden Räumlichkeiten im Überwachungszeitraum verfahrensrelevante und im weiteren Verfahren verwertbare Gespräche führen wird. Bloße Vermutungen und eine Überwachung ins Blaue hinein, allein getragen von der Hoffnung auf Erkenntnisse, genügen nicht (vgl. BVerfGE 109, 279 <356 f.>).

189

bb) Verfassungsrechtlich tragfähig ist auch § 20h Abs. 1 Nr. 1 b BKAG, der eine Wohnraumüberwachung gegenüber Personen erlaubt, bei denen konkrete Vorbereitungshandlungen die Annahme der Begehung terroristischer Straftaten rechtfertigen.

190

Anders als in § 20g Abs. 1 Nr. 2 BKAG wird hier kein besonders weit ins Gefahrvorfeld vorverlagerter eigener Eingriffstatbestand geschaffen, sondern setzt die Vorschrift - im Einklang mit Art. 13 Abs. 4 GG - eine dringende Gefahr für qualifizierte Rechtsgüter voraus, für deren Abwehr die Überwachung erforderlich sein muss. Darüber hinaus ist auch der Kreis der Adressaten der Maßnahme in dieser Bestimmung hinreichend eingegrenzt: Indem die Vorschrift die Kenntnis von konkreten Vorbereitungshandlungen für - näher qualifizierte - terroristische Straftaten verlangt, setzt sie ein seiner Art nach konkretisiertes und zeitlich absehbares Geschehen voraus. Sie stellt damit auf einen den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügenden Anlass für die Durchführung solcher Maßnahmen ab (siehe oben C IV 1 b).

191

cc) Nicht mit Art. 13 Abs. 1, 4 GG vereinbar ist demgegenüber die Erlaubnis von Wohnraumüberwachungen auch gegenüber Kontakt- und Begleitpersonen (§ 20h Abs. 1 Nr. 1 c BKAG). Sie ist unverhältnismäßig.

192

Die Wohnraumüberwachung ist ein besonders schwerwiegender Eingriff, der tief in die Privatsphäre eindringt. Sie hat ihrer Grundtypik nach eine stärker belastende Wirkung als Überwachungsmaßnahmen außerhalb von Wohnungen oder auch als Maßnahmen der Telekommunikationsüberwachung und findet von ihrem Eingriffsgewicht nur bei Eingriffen in informationstechnische Systeme eine Entsprechung. Deshalb bleibt die Angemessenheit einer solchen Überwachungsmaßnahme nur gewahrt, wenn sie von vornherein ausschließlich auf Gespräche der gefahrenverantwortlichen Zielperson selbst gerichtet ist (vgl. BVerfGE 109, 279 <355>). Eine Erstreckung unmittelbar auf Dritte ist unverhältnismäßig und scheidet für einen solch gravierenden Eingriff aus (siehe oben C IV 1 c).

193

Unberührt bleibt hiervon, dass, soweit unvermeidbar, durch eine Wohnraumüberwachung in der Wohnung der Zielperson verfassungsrechtlich unbedenklich auch unbeteiligte Dritte erfasst werden dürfen (vgl. § 20h Abs. 2 Satz 3 BKAG) und zur Überwachung der Zielperson, wie dargelegt, sogar Wohnraumüberwachungen in Wohnungen Dritter durchgeführt werden dürfen.

194

d) Keinen verfassungsrechtlichen Bedenken unterliegt die Wohnraumüberwachung auch hinsichtlich ihrer verfahrensrechtlichen Ausgestaltung. Insbesondere ist sie durch einen Richter anzuordnen. Wenn das Gesetz dabei die Angabe der "wesentlichen Gründe" verlangt (§ 20h Abs. 4 Nr. 4 BKAG), liegt hierin - wie in den entsprechenden anderen Vorschriften des Gesetzes auch (vgl. § 20k Abs. 6 Nr. 4 BKAG) - keine Zurücknahme der verfassungsrechtlichen Prüfungs- und Begründungspflichten (vgl. BVerfGE 109, 279 <359 f.>), sondern die Betonung, dass alle rechtlich maßgeblichen Gesichtspunkte tragfähig dargelegt werden müssen.

195

Verfassungsrechtlich unbedenklich ist auch das Fehlen einer zeitlichen Obergrenze gegenüber einer wiederholten Anordnung der Wohnraumüberwachung, da eine zeitliche Begrenzung gegebenenfalls einzelfallbezogen aus Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten herzuleiten ist (vgl. BVerfGE 109, 279 <362>).

196

e) Verfassungsrechtlich unzureichend ist demgegenüber die Regelung zum Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung in § 20h Abs. 5 BKAG. Sie genügt den Anforderungen des Art. 13 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG nicht.

197

aa) Da Wohnraumüberwachungen besonders tief in die Privatsphäre und den persönlichen, zur Wahrung der Menschenwürde besonders wichtigen Rückzugsraum des Einzelnen eindringen können, sind ihnen gegenüber die Anforderungen an den Kernbereichsschutz besonders streng (vgl. BVerfGE 109, 279 <313 ff., 318 ff., 328 ff.>).

198

(1) Besondere Anforderungen gelten zum einen auf der Erhebungsebene. Bei der Prüfung, ob die Wahrscheinlichkeit einer Erfassung höchstprivater Situationen besteht, sind im Interesse der Effektivität des Kernbereichsschutzes Vermutungsregeln zugrunde zu legen (vgl. BVerfGE 109, 279 <320>). Danach gilt die Vermutung, dass Gespräche, die in Privaträumen mit Personen des besonderen persönlichen Vertrauens (siehe oben C IV 3 a) geführt werden, dem Kernbereich privater Lebensgestaltung unterfallen und nicht überwacht werden dürfen (vgl. BVerfGE 109, 279 <321 ff.>). Für Räume, in denen solche Gespräche zu erwarten sind, scheidet entsprechend auch eine automatische Dauerüberwachung aus (vgl. BVerfGE 109, 279 <324>). Diese Vermutung kann widerlegt werden, sofern für bestimmte Gespräche konkrete Anhaltspunkte vorliegen, dass sie im Sinne der oben dargelegten Maßstäbe einen unmittelbaren Straftatenbezug - der auch vorliegt, wenn sie mit höchstpersönlichen Inhalten durchsetzt sind - aufweisen oder ihnen insgesamt ein höchstvertraulicher Charakter fehlen wird. Hierfür reicht hingegen nicht schon die Prognose, dass sich in einem Gespräch höchstvertrauliche und alltägliche Fragen mischen werden (vgl. BVerfGE 109, 279 <330>; siehe oben C IV 3 a, d).

199

Besteht danach die Wahrscheinlichkeit, dass eine Überwachungsmaßnahme in den Kernbereich privater Lebensgestaltung eindringt, ist die Maßnahme zu unterlassen. Fehlen - auch unter Berücksichtigung der Vermutungsregeln - Anhaltspunkte für ein Eindringen in den höchstpersönlichen Privatbereich, dürfen die Maßnahmen demgegenüber durchgeführt werden. Wenn es dabei dennoch zur Erfassung höchstvertraulicher Situationen kommt, sind die Maßnahmen unverzüglich abzubrechen (vgl. BVerfGE 109, 279 <320, 323 f.>). Bestehen in dieser Lage über den höchstvertraulichen Charakter - etwa aus sprachlichen Gründen - Zweifel oder gibt es konkrete Anhaltspunkte, dass im Zusammenhang mit dem Austausch höchstprivater Gedanken auch Straftaten besprochen werden, kann die Überwachung in Form einer automatischen Aufzeichnung fortgeführt werden.

200

(2) Spezifische verfassungsrechtliche Anforderungen ergeben sich zum anderen aber auch auf der Auswertungs- und Verwertungsebene. Hier ist eine Sichtung der Ergebnisse der Überwachung durch eine unabhängige Stelle vorzusehen. Diese Sichtung dient sowohl der Rechtmäßigkeitskontrolle als auch dem Herausfiltern höchstvertraulicher Daten, so dass diese nach Möglichkeit der Sicherheitsbehörde gegenüber nicht offenbar werden. Dabei sind der unabhängigen Stelle Aufzeichnungen aus der Wohnraumüberwachung vollständig vorzulegen (vgl. BVerfGE 109, 279 <333 f.>; anders BVerfGK 11, 164 <178>).

201

Für den Fall, dass ungeachtet aller Schutzvorkehrungen dennoch kernbereichsrelevante Informationen erfasst werden, sind ein Verwertungsverbot und eine Löschungspflicht, einschließlich der Protokollierung der Löschung, vorzusehen (siehe oben C IV 3 c bb, d, 7).

202

bb) Hiervon ausgehend genügt § 20h Abs. 5 BKAG zwar den verfassungsrechtlichen Anforderungen auf der Erhebungsebene, nicht aber auf der Verwertungsebene.

203

(1) § 20h Abs. 5 Satz 1, 2, 3 und 5 BKAG ordnet der Sache nach an, dass bei Wohnraumüberwachungen eine Prüfung vorzunehmen ist, ob kernbereichsrelevante Informationen erfasst werden. Indem er die Überwachung nur bei der prognosegestützten Annahme erlaubt, dass Äußerungen, die dem Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzurechnen sind, nicht erfasst werden, und den Abbruch der Maßnahmen vorsieht, wenn es entgegen der Prognose im Zuge der Wohnraumüberwachung Anhaltspunkte dafür gibt, dass es doch zur Erfassung höchstprivater Informationen kommt, genügt die Vorschrift den verfassungsrechtlichen Anforderungen. Das gilt auch für die Erlaubnis zur automatischen Aufzeichnung nach Satz 3, die die Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen von Satz 1 nicht aufhebt, sondern an die nach Satz 2 gebotene Unterbrechung des persönlichen Abhörens und Beobachtens anknüpft. Wenn in § 20h Abs. 5 Satz 1 BKAG kernbereichsrelevante "Äußerungen" unter Schutz gestellt werden, ist dieses sachgerecht so zu verstehen, dass hierunter auch bildlich erfasste entsprechende Situationen fallen können.

204

(2) Nicht in jeder Hinsicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügen indes die Regelungen zum Kernbereichsschutz auf der Verwertungsebene. Zwar sieht das Gesetz eine Sichtung von Aufzeichnungen durch ein Gericht vor, jedoch begrenzt es diese Sichtung auf die automatischen Aufzeichnungen in Zweifelsfällen (§ 20h Abs. 5 Satz 4 BKAG). Der Gesetzgeber lässt sich insoweit ersichtlich von der Erwägung leiten, dass eine weitere unabhängige Sichtung nicht erforderlich ist, weil die Erfassung von höchstpersönlichen Informationen bei richtiger Gesetzesanwendung auf der Erhebungsstufe durch § 20h Abs. 5 Satz 1 und 2 BKAG ausgeschlossen wird. Damit lässt sich eine solche Beschränkung der unabhängigen Sichtung für Aufzeichnungen aus Wohnraumüberwachungen aber nicht rechtfertigen. Denn das Ziel solcher Sichtung liegt nicht allein in dem Herausfiltern von Zweifelsfällen, sondern auch in der Gewährleistung einer unabhängigen Kontrolle der dem Kernbereichsschutz dienenden Anforderungen insgesamt. Dies aber gewährleistet die nur eingeschränkte Kontrollbefugnis des Gerichts gemäß § 20h Abs. 5 Satz 4 BKAG nicht. Freilich lässt das Grundgesetz dem Gesetzgeber Raum, bei der Ausgestaltung der im Grundsatz umfassenden Kontrollbefugnis für Ausnahmefälle bei Gefahr im Verzug besondere Regelungen vorzusehen.

205

In Übereinstimmung mit den verfassungsrechtlichen Anforderungen hat der Gesetzgeber demgegenüber ein Verwertungsverbot sowie die sofortige Löschung, einschließlich deren Protokollierung, für dennoch erfasste höchstpersönliche Daten geregelt. Verfassungswidrig ist jedoch die kurze Frist des § 20h Abs. 5 Satz 10 BKAG, innerhalb derer die Löschungsprotokolle zu löschen sind. Diese ist so kurz bemessen, dass während der Aufbewahrungszeit der Löschungsprotokolle typischerweise weder mit einer Kontrolle durch den Datenschutzbeauftragten noch durch die Betroffenen gerechnet werden kann und die Protokollierung der Löschung damit ihren Sinn verliert (vgl. Bäcker, a.a.O., S. 88; vgl. hierzu auch BVerfGE 100, 313 <400>; 109, 279 <332 f.>). Weil die Löschungsprotokolle selbst keine die Betroffenen belastenden Daten enthalten, kann diese kurze Frist insbesondere nicht mit deren Schutz gerechtfertigt werden.

206

3. Verfassungsrechtlich unbedenklich ist die Regelung der Eingriffsvoraussetzungen der Rasterfahndung gemäß § 20j BKAG.

207

Die Regelung begründet einen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Sie ist hinsichtlich ihrer Eingriffsvoraussetzungen aber hinreichend bestimmt und verhältnismäßig ausgestaltet, so dass der Eingriff gerechtfertigt ist. Insbesondere wird die Rasterfahndung für den Schutz von hinreichend gewichtigen Rechtsgütern erlaubt (siehe oben C IV 1 a, V 1 c aa) und setzt gemäß § 20j Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 20a Abs. 2 BKAG eine konkrete Gefahr voraus. Verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist insoweit auch das Regelbeispiel in § 20j Abs. 1 Satz 1, 2. Halbsatz BKAG, mit dem der Gesetzgeber die geforderte Gefahrenlage exemplarisch konkretisiert. Die diesbezüglichen Anforderungen (vgl. BVerfGE 115, 320 <363 ff.>) bleiben hierdurch unberührt. Auch in verfahrensrechtlicher Hinsicht ist die Regelung verhältnismäßig ausgestaltet, insbesondere verlangt sie die Anordnung durch einen Richter.

208

4. § 20k BKAG ist bei verfassungskonformer Auslegung hinsichtlich seiner allgemeinen Eingriffsvoraussetzungen mit der Verfassung vereinbar. Nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügen demgegenüber die Regelungen zum Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung.

209

a) § 20k Abs. 1 BKAG ermächtigt zu einem Zugriff auf informationstechnische Systeme und erlaubt die geheime Durchführung von Online-Durchsuchungen, mit denen private, von den Betroffenen auf eigenen oder vernetzten fremden Computern (wie etwa der sogenannten Cloud) abgelegte oder hinterlassene Daten erhoben und deren Verhalten im Netz nachvollzogen werden kann. Die Vorschrift begründet damit einen Eingriff in das Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG).

210

Mit dieser eigenständigen Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts trägt die Verfassung der heute weit in die Privatsphäre hineinreichenden Bedeutung der Nutzung informationstechnischer Systeme für die Persönlichkeitsentfaltung Rechnung (vgl. BVerfGE 120, 274 <302 ff.>). Tagebuchartige Aufzeichnungen, intime Erklärungen oder sonstige schriftliche Verkörperungen des höchstpersönlichen Erlebens, Film- oder Tondokumente werden heute zunehmend in Dateiform angelegt, gespeichert und teilweise ausgetauscht. Weite Bereiche auch der höchstpersönlichen Kommunikation finden elektronisch mit Hilfe von Kommunikationsdiensten im Internet oder im Rahmen internetbasierter sozialer Netzwerke statt. Dabei befinden sich die Daten, auf deren Vertraulichkeit die Betroffenen angewiesen sind und auch vertrauen, in weitem Umfang nicht mehr nur auf eigenen informationstechnischen Systemen, sondern auf denen Dritter. Das Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme schützt dementsprechend vor einem geheimen Zugriff auf diese Daten und damit insbesondere vor Online-Durchsuchungen, mit denen private Computer wie sonstige informationstechnische Systeme manipuliert und ausgelesen, sowie persönliche Daten, die auf externen Servern in einem berechtigten Vertrauen auf Vertraulichkeit ausgelagert sind, erfasst und Bewegungen der Betroffenen im Netz verfolgt werden. Wegen der oft höchstpersönlichen Natur dieser Daten, die sich insbesondere auch aus deren Verknüpfung ergibt, ist ein Eingriff in dieses Grundrecht von besonderer Intensität. Er ist seinem Gewicht nach mit dem Eingriff in die Unverletzlichkeit der Wohnung vergleichbar.

211

b) Die Anforderungen des § 20k Abs. 1, 2 BKAG für einen Zugriff auf informationstechnische Systeme genügen bei verfassungskonformer Auslegung den verfassungsrechtlichen Anforderungen.

212

aa) Eingriffe in das Recht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme stehen allerdings unter strengen Bedingungen (vgl. BVerfGE 120, 274 <322 ff., 326 ff.>). Insbesondere müssen die Maßnahmen davon abhängig sein, dass tatsächliche Anhaltspunkte für eine im Einzelfall drohende konkrete Gefahr für ein überragend wichtiges Rechtsgut vorliegen (vgl. BVerfGE 120, 274 <326, 328>). Dem genügt § 20k Abs. 1 BKAG. Die Vorschrift beschränkt die Maßnahmen auf den Schutz von hinreichend qualifizierten Rechtsgütern. Auch genügt sie den verfassungsrechtlichen Anforderungen insoweit, als sie in Satz 1 - in Verbindung mit § 20a Abs. 2 BKAG - auf das Vorliegen bestimmter Tatsachen abstellt, die die Annahme rechtfertigen, dass eine im Einzelfall bestehende Gefahr vorliegt.

213

Einer verfassungskonform einschränkenden Auslegung bedarf allerdings § 20k Abs. 1 Satz 2 BKAG. Die in dieser Vorschrift eröffnete Möglichkeit, auch schon im Vorfeld einer konkreten Gefahr Maßnahmen durchzuführen, wenn bestimmte Tatsachen auf eine im Einzelfall erst drohende Gefahr einer Begehung terroristischer Straftaten hinweisen, ist dahingehend auszulegen, dass Maßnahmen nur erlaubt sind, wenn die Tatsachen den Schluss auf ein wenigstens seiner Art nach konkretisiertes und zeitlich absehbares Geschehen zulassen, und wenn erkennbar ist, dass bestimmte Personen beteiligt sein werden, über deren Identität zumindest so viel bekannt ist, dass die Überwachungsmaßnahme gezielt gegen sie eingesetzt und weitgehend auf sie beschränkt werden kann (vgl. BVerfGE 120, 274 <329>). Ausreichend ist insoweit auch, wenn zwar noch nicht ein seiner Art nach konkretisiertes und zeitlich absehbares Geschehen erkennbar ist, jedoch das individuelle Verhalten eines Betroffenen eine konkrete Wahrscheinlichkeit begründet, dass er solche Straftaten in überschaubarer Zukunft begehen wird (siehe oben C IV 1 b).

214

Da § 20k Abs. 1 Satz 2 BKAG in enger Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts formuliert ist (vgl. BVerfGE 120, 274 <329>), ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber hierauf Bezug nehmen wollte. Die Vorschrift ist damit noch einer verfassungskonformen Auslegung zugänglich.

215

bb) Im Übrigen genügt die Vorschrift hinsichtlich ihrer materiellen Eingriffsvoraussetzungen dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Insbesondere regelt § 20k Abs. 2 BKAG, dass die durch den Zugriff bedingten Veränderungen an dem informationstechnischen System zu minimieren, deren Nutzbarkeit durch Dritte zu vermeiden und sie nach Beendigung soweit möglich rückgängig zu machen sind (vgl. hierzu BVerfGE 120, 274 <325 f.>). Dass damit Folgeschäden nicht völlig ausgeschlossen werden können, macht die Maßnahme nicht von vornherein unverhältnismäßig. Zur Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im Einzelfall gehört auch, dass ein offener Zugriff auf die Datenbestände einer Zielperson vor einer heimlichen Infiltration grundsätzlich Vorrang hat.

216

c) Keine Bedenken bestehen weiter gegen die verfahrensrechtliche Ausgestaltung der Vorschrift (vgl. § 20k Abs. 5, 6 BKAG). Die Anordnung einer Maßnahme ist nur durch den Richter möglich und dabei sachhaltig zu begründen (vgl. BVerfGE 120, 274 <331 ff.>; siehe oben C IV 2). Die mögliche lange Dauer von drei Monaten, für die die Maßnahme angeordnet werden kann, ist verfassungsrechtlich allerdings nur mit der Maßgabe tragfähig, dass es sich hierbei für die jeweilige Anordnung um eine Obergrenze handelt und sich die tatsächliche Dauer der Anordnung nach einer Verhältnismäßigkeitsprüfung im Einzelfall richtet.

217

d) Nicht in jeder Hinsicht genügen demgegenüber die Regelungen zum Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung den verfassungsrechtlichen Anforderungen.

218

aa) Da der heimliche Zugriff auf informationstechnische Systeme typischerweise die Gefahr einer Erfassung auch höchstvertraulicher Daten in sich trägt und damit eine besondere Kernbereichsnähe aufweist, bedarf es ausdrücklicher gesetzlicher Vorkehrungen zum Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung (vgl. BVerfGE 120, 274 <335 ff.>). Die diesbezüglichen Anforderungen sind dabei mit denen der Wohnraumüberwachung nicht in jeder Hinsicht identisch und verschieben den Schutz ein Stück weit von der Erhebungsebene auf die nachgelagerte Aus- und Verwertungsebene (vgl. BVerfGE 120, 274 <337>). Dies hat seinen Grund in dem spezifischen Charakter des Zugriffs auf informationstechnische Systeme. Schutzmaßnahmen vor Kernbereichsverletzungen zielen hier nicht primär auf die Verhinderung des Erfassens und Festhaltens eines nur flüchtigen, höchstvertraulichen Moments an einem Ort privater Zurückgezogenheit, sondern auf die Verhinderung des Auslesens höchstvertraulicher Informationen aus einem Gesamtdatenbestand von ohnehin digital vorliegenden Informationen, die in ihrer Gesamtheit typischerweise nicht schon als solche den Charakter der Privatheit wie das Verhalten oder die Kommunikation in einer Wohnung aufweisen. Die Überwachung vollzieht sich hier nicht als ein zeitlich gegliedertes Geschehen an verschiedenen Orten, sondern als Zugriff mittels eines Ausforschungsprogramms, sodass - bezogen auf den Zugriff selbst - weitgehend die Alternativen von ganz oder gar nicht bestehen.

219

Dementsprechend sind die Anforderungen an den Kernbereichsschutz auf der Erhebungsebene ein Stück weit zurückgenommen. Allerdings ist auch hier vorzusehen, dass die Erhebung von Informationen, die dem Kernbereich zuzuordnen sind, soweit wie informationstechnisch und ermittlungstechnisch möglich unterbleibt. Insbesondere sind verfügbare informationstechnische Sicherungen einzusetzen; können mit deren Hilfe höchstvertrauliche Informationen aufgespürt und isoliert werden, ist der Zugriff auf diese untersagt (vgl. BVerfGE 120, 274 <338>).

220

Können demgegenüber kernbereichsrelevante Daten vor oder bei der Datenerhebung nicht ausgesondert werden, ist ein Zugriff auf das informationstechnische System jedoch auch dann zulässig, wenn hierbei eine Wahrscheinlichkeit besteht, dass am Rande auch höchstpersönliche Daten miterfasst werden. Der Gesetzgeber hat insofern dem Schutzbedarf der Betroffenen durch Sicherungen auf der Aus- und Verwertungsebene Rechnung zu tragen und die Auswirkungen eines solchen Zugriffs zu minimieren. Entscheidende Bedeutung hierfür kommt dabei einer Sichtung durch eine unabhängige Stelle zu, die kernbereichsrelevante Informationen vor ihrer Kenntnisnahme und Nutzung durch das Bundeskriminalamt herausfiltert (vgl. BVerfGE 120, 274 <338 f.>).

221

bb) Diesen Anforderungen genügt § 20k Abs. 7 BKAG nur teilweise.

222

(1) Bei verfassungskonformer Auslegung nicht zu beanstanden sind allerdings die Regelungen auf der Ebene der Datenerhebung. Satz 2 der Vorschrift sieht in Einklang mit den genannten Anforderungen vor, dass alle technischen Möglichkeiten zur Vermeidung der Erhebung von kernbereichsrelevanten Informationen zu nutzen sind. Im Übrigen verbietet die Vorschrift den Zugriff auf informationstechnische Systeme dann nur, wenn durch sie "allein" Informationen aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung erfasst werden. Das ist nach den dargelegten Maßstäben verfassungsrechtlich tragfähig. Hierbei ist die Vorschrift von Verfassungs wegen allerdings so auszulegen, dass eine Kommunikation über Höchstvertrauliches nicht schon deshalb aus dem strikt zu schützenden Kernbereich herausfällt, weil sich in ihr höchstvertrauliche mit alltäglichen Informationen vermischen (vgl. BVerfGE 109, 279 <330>). Die Vorschrift ist insoweit in Einklang mit den verfassungsrechtlichen Schutzanforderungen des Kernbereichs privater Lebensgestaltung und dem hierbei zugrunde gelegten Begriffsverständnis zu verstehen und anzuwenden (siehe oben C IV 3 a, d).

223

(2) Demgegenüber fehlt es für die in Rede stehenden Maßnahmen an verfassungsrechtlich hinreichenden Vorkehrungen auf der Ebene des nachgelagerten Kernbereichsschutzes. § 20k Abs. 7 Satz 3, 4 BKAG sieht keine hinreichend unabhängige Kontrolle vor.

224

Die verfassungsrechtlich gebotene Sichtung durch eine unabhängige Stelle dient neben der Rechtmäßigkeitskontrolle maßgeblich dem Ziel, kernbereichsrelevante Daten so frühzeitig herauszufiltern, dass sie den Sicherheitsbehörden nach Möglichkeit nicht offenbar werden. Dies setzt voraus, dass die Kontrolle im Wesentlichen von externen, nicht mit Sicherheitsaufgaben betrauten Personen wahrgenommen wird. Hierdurch wird eine - durch gesonderte Verschwiegenheitspflichten abgesicherte - Hinzuziehung auch eines Bediensteten des Bundeskriminalamts zur Gewährleistung von ermittlungsspezifischem Fachverstand nicht ausgeschlossen. Ebenso kann darüber hinaus für die Sichtung auf technische Unterstützung - etwa auch zur Sprachmittlung - durch das Bundeskriminalamt zurückgegriffen werden. Die tatsächliche Durchführung und Entscheidungsverantwortung muss jedoch maßgeblich in den Händen von dem Bundeskriminalamt gegenüber unabhängigen Personen liegen.

225

Das sichert die derzeitige Regelung nicht. Sie überlässt die Sichtung im Wesentlichen Bediensteten des Bundeskriminalamts selbst. Dass einer der Bediensteten als behördeninterner Datenschutzbeauftragter weisungsfrei ist, ändert daran ebenso wenig wie die Unterstellung der Sichtung unter eine allgemein bleibende "Sachleitung" des anordnenden Gerichts.

226

Demgegenüber stellt § 20k Abs. 7 Satz 5 bis 7 BKAG die weiteren auf Verwertungsebene gebotenen Vorkehrungen an einen wirksamen Kernbereichsschutz verfassungsrechtlich tragfähig sicher. Verfassungswidrig ist allerdings auch hier die übermäßig kurze Dauer für die Aufbewahrung der Löschungsprotokolle gemäß § 20k Abs. 7 Satz 8 BKAG (siehe oben C IV 3 d).

227

5. Nur teilweise mit der Verfassung zu vereinbaren ist § 20l BKAG.

228

a) § 20l BKAG regelt die Telekommunikationsüberwachung und begründet damit Eingriffe in Art. 10 Abs. 1 GG. An Art. 10 Abs. 1 GG ist dabei nicht nur § 20l Abs. 1 BKAG zu messen, der die herkömmliche Telekommunikationsüberwachung regelt, sondern auch § 20l Abs. 2 BKAG, der die Quellen-Telekommunikations-überwachung erlaubt, sofern durch technische Maßnahmen sichergestellt ist, dass ausschließlich laufende Telekommunikation erfasst wird. Zwar setzt diese technisch einen Zugriff auf das entsprechende informationstechnische System voraus. Jedoch erlaubt § 20l Abs. 2 BKAG ausschließlich Überwachungen, die sich auf den laufenden Telekommunikationsvorgang beschränken. Die Vorschrift hat damit lediglich die Aufgabe, den technischen Entwicklungen der Informationstechnik zu folgen und - ohne Zugriff auf weitere inhaltliche Informationen des informationstechnischen Systems - eine Telekommunikationsüberwachung auch dort zu ermöglichen, wo dies mittels der alten Überwachungstechnik nicht mehr möglich ist. Von daher ist sie nicht am Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme, sondern an Art. 10 Abs. 1 GG zu messen (vgl. BVerfGE 120, 274 <309>).

229

Eine Überwachung der Telekommunikation begründet Eingriffe, die schwer wiegen (vgl. BVerfGE 113, 348 <382>; 129, 208 <240>). Sie sind jedoch zur Abwehr des internationalen Terrorismus gerechtfertigt (siehe oben C II 3 a), sofern die Eingriffsgrundlagen im Einzelnen verhältnismäßig begrenzt sind. Dies ist durch § 20l BKAG nur teilweise sichergestellt.

230

b) § 20l Abs. 1 Nr. 1 bis 4 BKAG regelt verschiedene Eingriffstatbestände gegenüber verschiedenen Adressaten. Nicht alle genügen den verfassungsrechtlichen Anforderungen.

231

Keinen verfassungsrechtlichen Bedenken unterliegt freilich auch hier die auf den Schutz qualifizierter Rechtsgüter gerichtete und allein auf die Abwehr dringender Gefahren beschränkte Befugnis zur Überwachung gegenüber den polizeirechtlich Verantwortlichen gemäß § 20l Abs. 1 Nr. 1 BKAG.

232

Mit der Verfassung nicht zu vereinbaren ist demgegenüber die nicht näher eingeschränkte Erstreckung der Telekommunikationsüberwachung nach § 20l Abs. 1 Nr. 2 BKAG auf Personen, bei denen bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie terroristische Straftaten vorbereiten. Die Vorschrift, die über die Abwehr einer konkreten Gefahr hinaus die Eingriffsmöglichkeiten mit dem Ziel der Straftatenverhütung vorverlagert, verstößt in ihrer konturenarmen offenen Fassung gegen den Bestimmtheitsgrundsatz und ist unverhältnismäßig weit. Es gelten insoweit die gleichen Erwägungen wie zu § 20g Abs. 1 Nr. 2 BKAG (siehe oben C V 1 d). Die geringfügigen Formulierungsunterschiede gegenüber jener Vorschrift begründen keinen substantiellen Unterschied. Dies erhellt auch die Gesetzesbegründung, die den Gehalt des § 20l Abs. 1 Nr. 2 BKAG zum Teil mit den Worten, die der Gesetzgeber in § 20g Abs. 1 Nr. 2 BKAG benutzt, paraphrasiert (vgl. BTDrucks 16/10121, S. 31). Soweit sich § 20l Abs. 2 BKAG auf diese Vorschrift bezieht, kann nichts anderes gelten.

233

Demgegenüber ist die mögliche Erstreckung der Telekommunikationsüberwachung auf Nachrichtenmittler gemäß § 20l Abs. 1 Nr. 3 und 4 BKAG bei verfassungskonformer Auslegung mit Art. 10 Abs. 1 GG vereinbar. Die Vorschrift, die in ihrer Formulierung eng an § 100a Abs. 3 StPO angelehnt ist, ist hinreichend auslegungsfähig und genügt den Anforderungen des Bestimmtheitsgrundsatzes. Wie die Regelung zu den Kontakt- und Begleitpersonen in § 20b Abs. 2 Nr. 2 BKAG erlaubt die Vorschrift nicht, Überwachungsmaßnahmen ins Blaue hinein auf alle Personen zu erstrecken, die mit der Zielperson Nachrichten ausgetauscht haben, sondern setzt eigene, in der Anordnung darzulegende Anhaltspunkte voraus, dass der Nachrichtenmittler von der Zielperson in die Tatdurchführung eingebunden wird und somit eine besondere Tat- oder Gefahrennähe aufweist.

234

c) Keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken unterliegen die zusätzlichen weiteren Voraussetzungen, unter denen § 20l Abs. 2 BKAG subsidiär eine Quellen-Telekommunikationsüberwachung erlaubt. Insbesondere ist die Vorschrift nicht deshalb verfassungswidrig, weil sie, wie die Beschwerdeführer meinen, in ihrer Nummer 1 unerfüllbare Anforderungen stellt. Ob oder wie sich durch technische Maßnahmen sicherstellen lässt, dass ausschließlich die laufende Telekommunikation überwacht und aufgezeichnet wird, betrifft die Anwendung der Norm, nicht aber ihre Gültigkeit. Insoweit ist es nicht Aufgabe des vorliegenden Verfahrens, hierüber eine Klärung herbeizuführen. Das Gesetz lässt jedenfalls keinen Zweifel, dass eine Quellen-Telekommunikationsüberwachung nur bei einer technisch sichergestellten Begrenzung der Überwachung auf die laufende Telekommunikation erlaubt ist. Andernfalls kommt allein ein Vorgehen auf der Grundlage des § 20k Abs. 1 BKAG in Betracht. Sollten zum gegenwärtigen Zeitpunkt diese Anforderungen nicht erfüllbar sein, liefe die Vorschrift folglich bis auf weiteres leer. Auch dies machte sie jedoch nicht widersprüchlich und verfassungswidrig, weil damit nicht ausgeschlossen ist, dass die nötigen technischen Voraussetzungen in absehbarer Zukunft geschaffen werden können. Dabei schließt der für die Quellen-Telekommunikationsüberwachung erforderliche Zugriff auf das informationstechnische System eine Erfüllung dieser Voraussetzungen auch nicht etwa schon begrifflich aus mit der Folge, dass die Vorschrift selbstwidersprüchlich wäre. Denn maßgeblich ist nicht, ob durch eine technisch aufwendige Änderung des Überwachungsprogramms selbst - sei es durch die Behörde, sei es durch Dritte - dessen Begrenzung auf eine Erfassung der laufenden Telekommunikation aufgehoben werden kann, sondern ob das Programm so ausgestaltet ist, dass es - hinreichend abgesichert auch gegenüber Dritten - den mit der Überwachung betrauten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Bundeskriminalamts inhaltlich eine ausschließlich auf die laufenden Kommunikationsinhalte begrenzte Kenntnisnahme ermöglicht.

235

d) Verfahrensrechtlich normiert § 20l Abs. 3 BKAG in Einklang mit den verfassungsrechtlichen Anforderungen einen Richtervorbehalt (vgl. BVerfGE 125, 260 <337 f.>). Es fehlt indes eine gesetzliche Regelung, die - wie verfassungsrechtlich geboten (siehe oben C IV 2) - für die Anordnung der Telekommunikationsüberwachung eine Mitteilung der Gründe verlangt. Dies lässt sich auch nicht im Wege der verfassungskonformen Auslegung überwinden. Denn jedenfalls vor dem Hintergrund, dass das Gesetz in anderen Vorschriften eine Pflicht zur Begründung ausdrücklich anordnet (vgl. § 20g Abs. 3 Satz 6, § 20h Abs. 4, § 20k Abs. 6 BKAG), ist seine Deutung, nach der das Absehen von einer Regelung über die Mitteilung der Gründe hier als bewusste Entscheidung zu verstehen ist, nicht hinreichend sicher ausgeschlossen.

236

e) Die Regelungen zum Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung gemäß § 20l Abs. 6 BKAG sind mit der Verfassung im Wesentlichen vereinbar.

237

aa) Die Telekommunikationsüberwachung ist ein schwerer Eingriff, der eine besondere Kernbereichsnähe aufweist. Als inhaltliche Überwachung jeder Art von telekommunikationsbasiertem Austausch begründet sie typischerweise die Gefahr, auch höchstprivate Kommunikation, die dem Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung unterliegt, zu erfassen. Insofern bedarf es besonderer gesetzlicher Schutzvorkehrungen (vgl. BVerfGE 113, 348 <390 f.>; 129, 208 <245>).

238

Allerdings ist die Telekommunikationsüberwachung ihrem Gesamtcharakter nach nicht in gleicher Weise durch ein Eindringen in die Privatsphäre geprägt wie die Wohnraumüberwachung oder auch die Online-Durchsuchung (vgl. BVerfGE 113, 348 <391>). Sie erfasst Kommunikation aller Art in allen Situationen, die immer technisch vermittelt ist. Höchstvertrauliche Kommunikation ist ein kleiner Teil von ihr, der bei der Überwachung miterfasst zu werden droht, nicht aber - wie die Überwachung des Rückzugsbereichs der privaten Wohnung - typusprägend ist. Sie unterscheidet sich insoweit auch von Online-Durchsuchungen. Denn während diese oft gesamthaft über lange Zeit angesammelte Informationen einschließlich höchstprivater Aufzeichnungen erfassen und dabei unter Umständen durch deren Verknüpfung sowie das Nach- oder Mitverfolgen der Bewegungen im Internet auch geheim gehaltene Schwächen und Neigungen erschließen können, bezieht sich die Telekommunikationsüberwachung auf einzelne Akte unmittelbarer Kommunikation. Ihre Kernbereichsnähe beschränkt sich vor allem darauf, dass sie hierbei auch den höchstpersönlichen Austausch zwischen Vertrauenspersonen umfasst (vgl. BVerfGE 129, 208 <247>).

239

Dem kann der Gesetzgeber durch weniger strenge Anforderungen an den Kernbereichsschutz Rechnung tragen. Allerdings ist auch hier auf der Erhebungsstufe eine Prüfung geboten, ob die Wahrscheinlichkeit der Erfassung höchstprivater Gespräche besteht, deren Überwachung gegebenenfalls zu verbieten ist. Können solche nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit identifiziert werden, darf die Überwachung durchgeführt werden - nach Maßgabe einer Verhältnismäßigkeitsprüfung im Einzelfall auch in Form einer automatischen Dauerüberwachung (vgl. BVerfGE 113, 348 <391 f.>; 129, 208 <245>).

240

Für den nachgelagerten Kernbereichsschutz sind zwar Verwertungsverbote und Löschungspflichten einschließlich einer diesbezüglichen Protokollierungspflicht vorzusehen, nicht aber in jedem Fall auch die Sichtung durch eine unabhängige Stelle (vgl. BVerfGE 129, 208 <249>). Der Gesetzgeber kann eine solche Sichtung für die Telekommunikationsüberwachung vielmehr davon abhängig machen, in welchem Ausmaß mit einer etwaigen Erfassung höchstprivater Informationen zu rechnen ist. Dies kann auch in Wechselwirkung mit den Schutzvorkehrungen auf der Ebene der Datenerhebung stehen.

241

Der Gesetzgeber hat hierbei nicht unerheblichen Gestaltungsspielraum. So hat das Bundesverfassungsgericht im Zusammenhang mit einer Regelung, die auf der Stufe der Datenerhebung wie vorliegend § 20l Abs. 6 Satz 1 BKAG ausgestaltet war, sogar den vollständigen Verzicht auf eine unabhängige Sichtung als verfassungsmäßig beurteilt; es hat dabei freilich das auf der Erhebungsstufe geregelte Verbot von Telekommunikationsüberwachungen bei einem ausschließlichen Kernbereichsbezug sehr streng verstanden und danach eine Telekommunikationsüberwachung immer schon dann als verboten angesehen, wenn den Behörden erkennbar ist, dass es sich um die Kommunikation zwischen Personen des höchstpersönlichen Vertrauens handelt (vgl. BVerfGE 129, 208 <247>). Wenn in dieser Weise die Erfassung kernbereichsrelevanter Gespräche schon bei der Datenerhebung vermieden wird und so Zweifelsfälle weitgehend ausgeschlossen werden, ist eine Sichtung durch eine unabhängige Stelle für die Telekommunikationsüberwachung nicht erforderlich. Ein derart strenger Schutz auf der Erhebungsebene ist verfassungsrechtlich jedoch nicht geboten. Der Gesetzgeber muss nicht für jedes Gespräch zwischen Vertrauenspersonen ein Erhebungsverbot vorsehen, sondern kann dieses von weiteren Voraussetzungen abhängig machen und Widerlegungsmöglichkeiten für die Schutzbedürftigkeit solcher Kommunikation zulassen (siehe oben C IV 3 d). Erlaubt der Gesetzgeber in dieser Weise auch die Erhebung von Informationen, für die Zweifel bestehen können, ob sie dem Kernbereich privater Lebensgestaltung unterfallen, bedarf es für solche Aufzeichnungen dann aber auch der Sichtung durch eine unabhängige Stelle.

242

bb) § 20l Abs. 6 BKAG genügt diesen Anforderungen im Wesentlichen.

243

(1) § 20l Abs. 6 Satz 1 BKAG ordnet der Sache nach an, dass vor einer Telekommunikationsüberwachung im Hinblick auf den Kernbereichsschutz eine Prüfung stattfindet und Maßnahmen zu unterlassen sind, wenn tatsächliche Anhaltspunkte bestehen, dass allein Erkenntnisse aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung erlangt werden. Da auch dieser Vorschrift ein verfassungsrechtliches Begriffsverständnis zugrunde zu legen ist, nach dem Gespräche mit Personen engsten Vertrauens nicht schon dann aus dem strikten Schutz herausfallen, wenn sich in ihnen Höchstpersönliches und Alltägliches vermischt (vgl. BVerfGE 109, 279 <330>), ist hiergegen nichts zu erinnern. In Einklang mit der Verfassung sieht das Gesetz auch vor, dass die Maßnahme abzubrechen ist, wenn höchstvertrauliche Gespräche den überwachenden Personen unmittelbar zur Kenntnis kommen, und begrenzt das Gesetz die Überwachung bei aufkommenden Zweifel auf eine automatische Aufzeichnung, § 20l Abs. 6 Satz 2, 3 BKAG.

244

Allerdings erlaubt das Gesetz darüber hinaus automatische Aufzeichnungen auch allgemein, also auch, wenn hierbei neben anderen kernbereichsrelevante Gespräche erfasst werden können (vgl. § 20l Abs. 6 Satz 2, 1. Halbsatz BKAG). In Bezug auf Telekommunikationsüberwachungen ist dies verfassungsrechtlich jedoch noch hinnehmbar. Die diesbezüglichen strengeren Vorgaben der Wohnraumüberwachung (vgl. BVerfGE 109, 279 <324>), die ihrem Grundtypus nach eine noch größere Kernbereichsnähe aufweisen, gelten hier nicht. Freilich bedarf die Anordnung einer solchen automatischen Überwachung hinsichtlich ihres zeitlichen und sachlichen Umfangs einer strengen Verhältnismäßigkeitsprüfung im Einzelfall. Ebenso setzt die mit dieser Regelung in Kauf genommene Erfassung von höchstpersönlichen Informationen wirksame Schutzvorkehrungen auf der Stufe der Aus- und Verwertung voraus.

245

(2) Auch diesbezüglich erfüllt die Vorschrift die verfassungsrechtlichen Anforderungen weitgehend. Sie sieht nicht nur die erforderlichen Verwertungsverbote und Löschungspflichten, sondern für automatische Aufzeichnungen auch eine der Datenverwendung vorgelagerte Sichtung durch ein Gericht vor. Dass diese auf automatische Aufzeichnungen und damit die Erfassung von Zweifelsfällen beschränkt ist, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Anders als für die Wohnraumüberwachung kann die unabhängige Sichtung für die Telekommunikationsüberwachung auf Zweifelsfälle beschränkt werden.

246

Verfassungswidrig ist demgegenüber auch hier die zu knappe Aufbewahrungsfrist der Löschungsprotokolle gemäß § 20l Abs. 6 Satz 10 BKAG (siehe oben C IV 3 d).

247

6. § 20m Abs. 1, 3 BKAG teilt, soweit er sich mit § 20l BKAG deckt, dessen verfassungsrechtliche Mängel und ist insoweit auch seinerseits verfassungswidrig. Darüber hinaus ist die Vorschrift mit der Verfassung vereinbar.

248

a) § 20m Abs. 1, 3 BKAG, der die Erhebung von Telekommunikationsverkehrsdaten erlaubt, begründet einen Eingriff in das Telekommunikationsgeheimnis gemäß Art. 10 Abs. 1 GG. Dieses schützt nicht nur die Inhalte der Kommunikation, sondern auch die Vertraulichkeit der näheren Umstände des Kommunikationsvorgangs, zu denen insbesondere gehört, ob, wann und wie oft zwischen welchen Personen oder Telekommunikationseinrichtungen Telekommunikationsverkehr stattgefunden hat oder versucht worden ist (vgl. BVerfGE 67, 157 <172>; 130, 151 <179>; stRspr).

249

Ein Eingriff in Art. 10 Abs. 1 GG durch Erhebung von Telekommunikationsverkehrsdaten wiegt, auch wenn hierdurch nicht unmittelbar der Inhalt der Kommunikation erfasst wird, schwer (vgl. BVerfGE 107, 299 <318 ff.>; für die vorsorgliche Speicherung solcher Daten vgl. auch BVerfGE 125, 260 <318 ff.>). Er kann bei verhältnismäßiger Ausgestaltung zur Terrorismusabwehr jedoch gerechtfertigt sein. Wie bei § 20l BKAG ist dies auch hier nicht in jeder Hinsicht der Fall.

250

b) Für die verfassungsrechtliche Beurteilung der Vorschrift, deren Eingriffsvoraussetzungen sich mit denen des § 20l Abs. 1, 3 bis 5 BKAG im Wesentlichen decken, gelten die diesbezüglichen Ausführungen entsprechend. Da insoweit Anforderungen verfehlt werden, die sich für eingriffsintensive Ermittlungs- und Überwachungsmaßnahmen schon übergreifend aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ergeben (siehe oben C IV 1 b, 2), gilt für die Telekommunikationsverkehrsdatenerhebung nichts anderes als für die inhaltliche Überwachung der Telekommunikation.

251

Danach ist § 20m Abs. 1 Nr. 2 BKAG mit der Verfassung nicht vereinbar und bedarf § 20m Abs. 1 Nr. 3 und 4 BKAG einer verfassungskonformen Auslegung; auch fehlt es an einer gesetzlichen Pflicht, die Anordnung der Maßnahme sachhaltig zu begründen (siehe oben C V 5 b, d).

252

Im Übrigen ist § 20m Abs. 1, 3 BKAG mit der Verfassung vereinbar. Soweit er auf § 113a TKG (a.F.) verweist, läuft er leer, da das Bundesverfassungsgericht § 113a TKG (a.F.) für nichtig erklärt hat (vgl. BVerfGE 125, 260 <347 ff.>). Die Vorschrift entfaltet insoweit keine Beschwer. Die Neufassung des Telekommunikationsgesetzes durch Gesetz vom 10. Dezember 2015 (BGBl I S. 2218), dessen § 113a schon vom Regelungsgegenstand nicht identisch ist mit dem des § 113a TKG (a.F.), wird durch den Verweis nicht erfasst und ist nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens. Keinen verfassungsrechtlichen Bedenken unterliegt auch § 20m Abs. 3 Satz 2 BKAG, der für die Anordnung der Maßnahme Erleichterungen bezüglich der Bezeichnung der zu erhebenden Daten vorsieht; hierdurch bleibt unberührt, dass gemäß § 20m Abs. 1 BKAG nur auf einzelne Personen bezogene Datenerhebungen zulässig sind.

VI.

253

Die angegriffenen Ermittlungs- und Überwachungsbefugnisse sind in verschiedener Hinsicht auch hinsichtlich der weiteren, gleichartig an sie zu stellenden Anforderungen (siehe oben C IV 4 bis 7) nicht mit der Verfassung vereinbar. Es fehlt an flankierenden Regelungen, ohne die die Verhältnismäßigkeit dieser Eingriffe nicht gewahrt ist.

254

1. Keinen Bedenken unterliegt allerdings, dass das Gesetz keine ausdrückliche Regelung enthält, die mit Blick auf das Zusammenwirken der verschiedenen Befugnisse das Verbot der Rundumüberwachung näher ausformt (siehe oben C IV 4). Das Verbot der Rundumüberwachung gilt als Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zur Wahrung eines in der Menschenwürde wurzelnden unverfügbaren Kerns der Person unmittelbar von Verfassungs wegen und ist von den Sicherheitsbehörden im Rahmen ihrer Befugnisse von sich aus zu beachten (vgl. BVerfGE 109, 279 <323>; 112, 304 <319>; 130, 1 <24>; stRspr). Weiterer gesetzlicher Konkretisierung bedarf es insoweit nicht. Soweit es um die hierfür erforderliche Koordination der Befugnisse innerhalb des Bundeskriminalamts selbst geht, durfte der Gesetzgeber davon ausgehen, dass diese angesichts der vergleichsweise übersichtlichen Größe und Strukturen des Bundeskriminalamts im Rahmen der Leitungsverantwortung hinreichend gewährleistet ist. Soweit es demgegenüber um die Abstimmung mit Überwachungsmaßnahmen anderer Behörden geht, ist zu berücksichtigen, dass Beschränkungen des Informationsflusses zwischen den Sicherheitsbehörden auch eine grundrechtsschützende Dimension haben (vgl. BVerfGE 133, 277 <323 Rn. 113>). Es ist deshalb verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das Gesetz zur Verhinderung einer Rundumüberwachung auf eine Abstimmung im Rahmen der allgemeinen Vorschriften sowie insbesondere gemäß § 4a Abs. 2 BKAG vertraut.

255

2. Nicht in jeder Hinsicht mit den Anforderungen der Verfassung vereinbar ist dagegen die Ausgestaltung des Schutzes von Berufs- und anderen Personengruppen, deren Tätigkeit von Verfassungs wegen eine besondere Vertraulichkeit ihrer Kommunikation voraussetzt.

256

a) Allerdings hat der Gesetzgeber in § 20u BKAG eine Regelung geschaffen, die den verfassungsrechtlichen Anforderungen diesbezüglich weithin entspricht. Insbesondere ist nicht zu beanstanden, dass § 20u Abs. 2 BKAG - in enger Anlehnung an § 160a StPO - die Überwachung von Berufsgeheimnisträgern grundsätzlich nicht strikt, sondern nur nach Maßgabe einer Abwägung im Einzelfall ausschließt, und ein strikteres Überwachungsverbot in § 20u Abs. 1 BKAG nur für einen kleinen Personenkreis vorgesehen ist, für den der Gesetzgeber besonderen Schutzbedarf sieht (vgl. BVerfGE 129, 208 <258 ff.>). Bei der nach § 20u Abs. 2 BKAG vorzunehmenden Abwägung sind die Grundrechte der Betroffenen angemessen zu gewichten. Dabei ist die Abwägung durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz strukturiert. In Entsprechung zu § 160a Abs. 2 Satz 1, 2. Halbsatz StPO gebietet die Verfassung insoweit die Vermutung, dass von einem Überwiegen des Interesses des Bundeskriminalamts an der Erhebung der Daten in der Regel nicht auszugehen ist, wenn die Maßnahme nicht der Abwehr einer erheblichen Gefahr dient.

257

b) Verfassungsrechtlich nicht tragfähig ist insoweit allerdings die Ausgestaltung des Schutzes der Vertrauensverhältnisse von Rechtsanwälten zu ihren Mandanten. Die vom Gesetzgeber herangezogene Unterscheidung zwischen Strafverteidigern und den in anderen Mandatsverhältnissen tätigen Rechtsanwälten ist als Abgrenzungskriterium für einen unterschiedlichen Schutz schon deshalb ungeeignet, weil die in Frage stehenden Überwachungsmaßnahmen nicht der Strafverfolgung, sondern der Gefahrenabwehr dienen, die Strafverteidigung also hier gerade nicht entscheidend ist.

258

c) Darüber hinaus sind Grundrechtsverletzungen durch § 20u BKAG nicht zu erkennen. Ein Anspruch auf strikteren Schutz ergibt sich insbesondere nicht aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG für Medienvertreter (vgl. BVerfGE 107, 299 <332 f.>). Weitere Grenzen ergeben sich auch nicht aus Art. 3 Abs. 1 GG. Der Gesetzgeber darf die Zuerkennung eines strengeren Schutzes vor Überwachungsmaßnahmen als Ausnahme für spezifische Schutzlagen verstehen, hinsichtlich derer er einen erheblichen Einschätzungsspielraum hat. Die Anerkennung einer solchen besonderen Schutzbedürftigkeit von Geistlichen und Abgeordneten gegenüber anderen Berufsgruppen wurde durch die Entscheidung des Zweiten Senats vom 12. Oktober 2011 als zumindest tragfähig angesehen. Eine Pflicht zur Ausweitung dieses besonders strikten Schutzes auf weitere Gruppen kann hieraus nicht abgeleitet werden (vgl. BVerfGE 129, 208 <258 ff., 263 ff.>). Unberührt bleibt, dass in die für die anderen Berufsgeheimnisträger gebotene Abwägung auch unter Berücksichtigung des Art. 12 Abs. 1 GG die Vertrauensbedürftigkeit der jeweiligen Kommunikationsbeziehungen im jeweiligen Einzelfall maßgeblich einzufließen hat und darüber hinaus eine Überwachung - etwa für psychotherapeutische Gespräche - auch unter dem Gesichtspunkt des Kernbereichs privater Lebensgestaltung ausgeschlossen sein kann (siehe oben C IV 3 a).

259

3. Die Regelungen zur Gewährleistung von Transparenz, Rechtsschutz und aufsichtlicher Kontrolle genügen gleichfalls den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht in jeder Hinsicht.

260

a) Bei sachgerechter Auslegung nicht zu beanstanden ist allerdings die Regelung der Benachrichtigungspflichten in § 20w BKAG. Die in enger Anlehnung an § 101 Abs. 4 bis 6 StPO formulierte Vorschrift genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen (vgl. BVerfGE 129, 208 <250 ff.>).

261

Dies gilt auch für § 20w Abs. 2 Satz 1, 2. Halbsatz BKAG, der das Absehen von einer Benachrichtigung zur Sicherung des weiteren Einsatzes eines Verdeckten Ermittlers erlaubt. Denn anders als für die Zurückstellung der Benachrichtigung über den Einsatz von Verdeckten Ermittlern im Rahmen einer Wohnraumüberwachung, für die dieser Gesichtspunkt nicht ausreicht (vgl. BVerfGE 109, 279 <366 f.>), geht es bei dieser Ausnahme von der Benachrichtigungspflicht um den Einsatz von Verdeckten Ermittlern als solchen. Allerdings ist die Vorschrift so auszulegen, dass nicht schon jede bloß abstrakte Möglichkeit einer Beeinträchtigung der weiteren Verwendung der betreffenden Ermittlungsperson ausreicht, um von der Benachrichtigung abzusehen, sondern die Notwendigkeit eines solchen Schutzes für eine absehbare weitere Verwendung der betreffenden Person konkretisierbar sein muss.

262

Verfassungsmäßig ist auch das endgültige Absehen von einer Benachrichtigung nach Ablauf von mindestens fünf Jahren gemäß § 20w Abs. 3 Satz 5 BKAG. In Übereinstimmung mit der derzeitigen Praxis, wie sie in der mündlichen Verhandlung von Vertretern des Bundeskriminalamts geschildert wurde, setzt die Entscheidung über ein endgültiges Absehen von der Benachrichtigung bei verfassungskonformer Auslegung voraus, dass eine weitere Verwendung der Daten gegen den Betroffenen ausgeschlossen ist und die Daten gelöscht werden.

263

b) Auskunftsrechte sowie die Möglichkeit einer nachträglichen gerichtlichen Kontrolle und gegebenenfalls Wiedergutmachung werden in Bezug auf die angegriffenen Ermittlungs- und Überwachungsbefugnisse gleichfalls in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise gewährleistet.

264

Vom Grundsatz her ist ein Auskunftsrecht in § 19 BDSG anerkannt, dessen Anwendbarkeit für das Bundeskriminalamtgesetz nach § 37 BKAG nicht ausgeschlossen ist. Dass dabei im Zusammenhang mit Ermittlungen des Bundeskriminalamts zur Terrorismusabwehr häufig die Ausnahmetatbestände des § 19 Abs. 4 BDSG greifen dürften, nimmt diesen Rechten in tatsächlicher Hinsicht zwar erheblich an Wirksamkeit, ist aber für eine effektive Aufgabenwahrnehmung unvermeidlich und verfassungsrechtlich hinzunehmen (vgl. BVerfGE 133, 277 <367 f. Rn. 210>).

265

Die von der Verfassung geforderte Eröffnung nachträglichen Rechtsschutzes im Falle der unrechtmäßigen Überwachung ergibt sich aus Verwaltungsprozessrecht, hier der Feststellungs- oder Fortsetzungsfeststellungsklage, für die in solchen Fällen in der Regel ein Feststellungsinteresse anzuerkennen ist (vgl. Happ, in: Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 43 Rn. 34; Schmidt, in: Eyermann, a.a.O., § 113 Rn. 87 ff., 93; vgl. hierzu auch BVerfGE 96, 27 <39 f.>); Ansprüche auf Wiedergutmachung lassen sich auf die zivilrechtlichen Grundsätze zur Entschädigungspflicht bei schweren Eingriffen in das allgemeine Persönlichkeitsrecht stützen (siehe oben C IV 6 c).

266

c) Nicht verfassungsrechtlich hinreichend ausgestaltet ist demgegenüber die aufsichtliche Kontrolle (siehe oben C IV 6 d). Zwar ist nach den Vorschriften des Bundesdatenschutzgesetzes eine Kontrolle durch die Bundesdatenschutzbeauftragte eröffnet und verfügt diese insoweit auch über ausreichende Befugnisse (vgl. BVerfGE 133, 277 <370 Rn. 215>). Es fehlt jedoch an einer hinreichenden gesetzlichen Vorgabe zu turnusmäßigen Pflichtkontrollen, deren Abstand ein gewisses Höchstmaß, etwa zwei Jahre, nicht überschreiten darf (vgl. BVerfGE 133, 277 <370 f. Rn. 217>).

267

Auch fehlt es an einer umfassenden Protokollierungspflicht, die es ermöglicht, die jeweiligen Überwachungsmaßnahmen sachhaltig zu prüfen (vgl. BVerfGE 133, 277 <370 Rn. 215>). Das Gesetz sieht zwar vereinzelt Protokollierungspflichten vor wie § 20k Abs. 3 BKAG für den Eingriff in informationstechnische Systeme oder § 20w Abs. 2 Satz 3 BKAG für die Zurückstellung einer Benachrichtigung. Selbst dort, wo eine Protokollierung der Benachrichtigung vorgesehen ist, bleibt unklar, ob sie sich auch auf die Gründe für das Absehen bezieht. Die Regelungen bleiben jedenfalls punktuell und stellen eine nachträgliche Kontrolle der Überwachungsmaßnahmen nicht hinreichend sicher. Zwar werden zumindest wichtige Ergebnisse der Datenerhebung auf der Grundlage der allgemeinen Regeln zur Aktenführung dokumentiert. Jedoch ist dies weder umfassend klar noch in Bezug auf die datenschutzrechtlichen Erfordernisse einer wirksamen Kontrolle gesetzlich geregelt. Dies fällt umso mehr für den Bereich der Gefahrenabwehr ins Gewicht, wo die Aufklärung und Abwehr von Gefahren nicht wie im Strafprozess als Ermittlungsverfahren gegen bestimmte einzelne Personen durchgeführt werden müssen. Es ist insoweit nicht ersichtlich, dass die Nachvollziehbarkeit der Datenerhebung - auch für Betroffene in etwaigen späteren Strafverfahren - sichergestellt ist. Daran ändert die richterliche Anordnung der Maßnahme nichts. Denn aus dieser ergibt sich nur die Erlaubnis zu deren Durchführung, nicht aber, ob und wie hiervon Gebrauch gemacht wurde. Im Übrigen ist anders als für das Strafverfahren in § 100b Abs. 4 Satz 2 StPO noch nicht einmal eine Unterrichtung des anordnenden Gerichts über die Ergebnisse der Ermittlungen vorgesehen.

268

d) Schließlich fehlt es für eine verhältnismäßige Ausgestaltung der angegriffenen Überwachungsbefugnisse auch an Berichtspflichten gegenüber Parlament und Öffentlichkeit (vgl. BVerfGE 133, 277 <372 Rn. 221 f.>). Weder sieht das Gesetz Berichte darüber vor, in welchem Umfang von den Befugnissen aus Anlass welcher Art von Verdachtslagen Gebrauch gemacht wurde, noch darüber, wieweit die Betroffenen hierüber benachrichtigt wurden. Da sich die Wahrnehmung der in Frage stehenden Befugnisse sowohl dem Betroffenen als auch der Öffentlichkeit weitgehend entzieht, sind solche Berichte zur Ermöglichung einer öffentlichen Diskussion und demokratischen Kontrolle in regelmäßigen Abständen verfassungsrechtlich geboten (siehe oben C IV 6 e).

269

4. Verfassungsrechtlich nicht in jeder Hinsicht tragfähig ist auch die Regelung zur Löschung der Daten gemäß § 20v Abs. 6 BKAG.

270

a) Die Grundstruktur der Regelung ist freilich verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Daten sind nach Erfüllung des der Datenerhebung zugrundeliegenden Zwecks zu löschen (Satz 1). Dies verweist auf die verfassungsrechtlichen Grundsätze zur Zweckbindung (siehe unten D I). Mit Blick auf eine weitere Verwendung der Daten gemäß § 20v Abs. 4 Satz 2 BKAG kommt danach bei verfassungskonformer Auslegung ein Absehen von einer Löschung über den unmittelbaren Anlassfall hinaus nur insoweit in Betracht, als sich aus ihnen konkrete Ermittlungsansätze für die Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus ergeben. Die Löschung ist aktenkundig zu machen (Satz 2). Die Löschung kann für eine etwaige gerichtliche Überprüfung zurückgestellt werden; die Daten sind dann zu sperren (Satz 4). Verfahrensrechtlich steht die Vorschrift in Kontext mit § 32 BKAG. Nach dessen Absatz 3 sind neben der Einzelfallbearbeitung auch periodisierte Prüfungen der Löschungspflichten vorgesehen.

271

Für Maßnahmen der Rasterfahndung sind in § 20j Abs. 3 BKAG entsprechende eigene Löschungspflichten vorgesehen, die diese Regelung in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise konkretisieren.

272

b) Verfassungsrechtlich nicht tragfähig ist demgegenüber die Anordnung der sehr kurzen Frist zur Löschung der "Akten" in § 20v Abs. 6 Satz 3 BKAG, mit der das Gesetz die Löschung der Löschungsprotokolle regelt. Löschungsprotokolle dienen der Ermöglichung der späteren Nachvollziehbarkeit und Kontrolle. Die Frist ihrer Aufbewahrung muss demnach so bemessen sein, dass die Protokolle bei typisierender Betrachtung nach der Benachrichtigung der Betroffenen und im Rahmen der nächsten periodisch anstehenden Kontrolle durch die Datenschutzbeauftragte noch vorliegen (vgl. hierzu auch BVerfGE 100, 313 <400>).

273

Entsprechendes gilt für die Frist des § 20j Abs. 3 Satz 3 BKAG.

274

c) Verfassungswidrig ist darüber hinaus § 20v Abs. 6 Satz 5 BKAG. Die Vorschrift sieht ein Absehen von der Löschung auch nach Zweckerfüllung vor, soweit die Daten zur Verfolgung von Straftaten oder - nach Maßgabe des § 8 BKAG - zur Verhütung oder zur Vorsorge für die künftige Verfolgung einer Straftat mit erheblicher Bedeutung erforderlich sind. Sie erlaubt damit die Speicherung der Daten in Blick auf eine Nutzung zu neuen, nur allgemein umschriebenen Zwecken, für die das Gesetz keine Ermächtigungsgrundlage enthält und in dieser Offenheit auch nicht schaffen kann.

D.

275

Soweit sich die Verfassungsbeschwerden gegen die Befugnisse zur weiteren Nutzung der Daten und zu ihrer Übermittlung an inländische und ausländische Behörden richten, greifen die Rügen gleichfalls in verschiedener Hinsicht durch.

I.

276

Die Anforderungen an die weitere Nutzung und Übermittlung staatlich erhobener Daten richten sich nach den Grundsätzen der Zweckbindung und Zweckänderung (vgl. BVerfGE 65, 1 <51, 62>; 100, 313 <360 f., 389 f.>; 109, 279 <375 ff.>; 110, 33 <73>; 120, 351 <368 f.>; 125, 260 <333>; 130, 1 <33 f.>; 133, 277 <372 ff. Rn. 225 f.>; stRspr).

277

Erlaubt der Gesetzgeber die Nutzung von Daten über den konkreten Anlass und rechtfertigenden Grund einer Datenerhebung hinaus, muss er hierfür eine eigene Rechtsgrundlage schaffen (vgl. nur BVerfGE 109, 279 <375 f.>; 120, 351 <369>; 130, 1 <33>; stRspr). Er kann insoweit zum einen eine weitere Nutzung der Daten im Rahmen der für die Datenerhebung maßgeblichen Zwecke vorsehen; stellt er sicher, dass die weitere Nutzung der Daten den näheren verfassungsrechtlichen Anforderungen der Zweckbindung genügt, ist eine solche Regelung verfassungsrechtlich grundsätzlich zulässig (1.). Er kann zum anderen aber auch eine Zweckänderung erlauben; als Ermächtigung zu einer Datennutzung für neue Zwecke unterliegt sie spezifischen verfassungsrechtlichen Anforderungen (2.).

278

1. Der Gesetzgeber kann eine Datennutzung über das für die Datenerhebung maßgebende Verfahren hinaus als weitere Nutzung im Rahmen der ursprünglichen Zwecke dieser Daten erlauben. Er kann sich insoweit auf die der Datenerhebung zugrundeliegenden Rechtfertigungsgründe stützen und unterliegt damit nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine Zweckänderung.

279

a) Die zulässige Reichweite solcher Nutzungen richtet sich nach der Ermächtigung für die Datenerhebung. Die jeweilige Eingriffsgrundlage bestimmt Behörde, Zweck und Bedingungen der Datenerhebung und definiert damit die erlaubte Verwendung. Die Zweckbindung der auf ihrer Grundlage gewonnenen Informationen beschränkt sich folglich nicht allein auf eine Bindung an bestimmte, abstrakt definierte Behördenaufgaben, sondern bestimmt sich nach der Reichweite der Erhebungszwecke in der für die jeweilige Datenerhebung maßgeblichen Ermächtigungsgrundlage. Eine weitere Nutzung innerhalb der ursprünglichen Zwecksetzung kommt damit nur seitens derselben Behörde im Rahmen derselben Aufgabe und für den Schutz derselben Rechtsgüter in Betracht wie für die Datenerhebung maßgeblich: Ist diese nur zum Schutz bestimmter Rechtsgüter oder zur Verhütung bestimmter Straftaten erlaubt, so begrenzt dies deren unmittelbare sowie weitere Verwendung auch in derselben Behörde, soweit keine gesetzliche Grundlage für eine zulässige Zweckänderung eine weitergehende Nutzung erlaubt.

280

b) Nicht zu den Zweckbindungen, die für jede weitere Nutzung der Daten seitens derselben Behörde je neu beachtet werden müssen, gehören grundsätzlich die für die Datenerhebung maßgeblichen Anforderungen an Einschreitschwellen, wie sie traditionell die hinreichend konkretisierte Gefahrenlage im Bereich der Gefahrenabwehr und der hinreichende Tatverdacht im Bereich der Strafverfolgung darstellen. Das Erfordernis einer hinreichend konkretisierten Gefahrenlage oder eines qualifizierten Tatverdachts bestimmt den Anlass, aus dem entsprechende Daten erhoben werden dürfen, nicht aber die erlaubten Zwecke, für die die Daten der Behörde dann zur Nutzung offen stehen.

281

Folglich widerspricht es nicht von vornherein dem Gebot einer dem ursprünglichen Erhebungszweck entsprechenden Verwendung, wenn die weitere Nutzung solcher Daten bei Wahrnehmung derselben Aufgabe auch unabhängig von weiteren gesetzlichen Voraussetzungen als bloßer Spurenansatz erlaubt wird. Die Behörde kann die insoweit gewonnenen Kenntnisse zum Schutz derselben Rechtsgüter und im Rahmen derselben Aufgabenstellung - allein oder in Verbindung mit anderen ihr zur Verfügung stehenden Informationen - als schlichten Ausgangspunkt für weitere Ermittlungen nutzen. Dies trägt dem Umstand Rechnung, dass sich die Generierung von Wissen - nicht zuletzt auch, wenn es um das Verstehen terroristischer Strukturen geht - nicht vollständig auf die Addition von je getrennten, nach Rechtskriterien formell ein- oder ausblendbaren Einzeldaten reduzieren lässt. In den dargelegten Grenzen erkennt das die Rechtsordnung an. Diese Grenzen gewährleisten zugleich, dass damit keine Datennutzung ins Blaue hinein eröffnet ist. Durch die Bindung an die für die Datenerhebung maßgeblichen Aufgaben und die Anforderungen des Rechtsgüterschutzes hat auch eine Verwendung der Daten als Spurenansatz einen hinreichend konkreten Ermittlungsbezug, den der Gesetzgeber nicht durch weitere einschränkende Maßgaben absichern muss.

282

Für die Wahrung der Zweckbindung kommt es demnach darauf an, dass die erhebungsberechtigte Behörde die Daten im selben Aufgabenkreis zum Schutz derselben Rechtsgüter und zur Verfolgung oder Verhütung derselben Straftaten nutzt, wie es die jeweilige Datenerhebungsvorschrift erlaubt. Diese Anforderungen sind erforderlich, aber grundsätzlich auch ausreichend, um eine weitere Nutzung der Daten im Rahmen der Zweckbindung zu legitimieren.

283

Weiter reicht die Zweckbindung allerdings für Daten aus Wohnraumüberwachungen und Online-Durchsuchungen: Hier ist jede weitere Nutzung der Daten nur dann zweckentsprechend, wenn sie auch aufgrund einer den Erhebungsvoraussetzungen entsprechenden dringenden Gefahr (vgl. BVerfGE 109, 279 <377, 379>) oder im Einzelfall drohenden Gefahr (vgl. BVerfGE 120, 274 <326, 328 f.>) erforderlich ist. Das außerordentliche Eingriffsgewicht solcher Datenerhebungen spiegelt sich hier auch in einer besonders engen Bindung jeder weiteren Nutzung der gewonnenen Daten an die Voraussetzungen und damit Zwecke der Datenerhebung. Eine Nutzung der Erkenntnisse als bloßer Spuren- oder Ermittlungsansatz unabhängig von einer dringenden oder im Einzelfall drohenden Gefahr kommt hier nicht in Betracht.

284

2. Der Gesetzgeber kann eine weitere Nutzung der Daten auch zu anderen Zwecken als denen der ursprünglichen Datenerhebung erlauben (Zweckänderung). Er hat dann allerdings sicherzustellen, dass dem Eingriffsgewicht der Datenerhebung auch hinsichtlich der neuen Nutzung Rechnung getragen wird (vgl. BVerfGE 100, 313 <389 f.>; 109, 279 <377>; 120, 351 <369>; 130, 1 <33 f.>; 133, 277 <372 f. Rn. 225>).

285

a) Die Ermächtigung zu einer Nutzung von Daten zu neuen Zwecken begründet einen neuen Eingriff in das Grundrecht, in das durch die Datenerhebung eingegriffen wurde (vgl. BVerfGE 100, 313 <360, 391>; 109, 279 <375>; 110, 33 <68 f.>; 125, 260 <312 f., 333>; 133, 277 <372 Rn. 225>; vgl. auch EGMR, Weber und Saravia v. Deutschland, Entscheidung vom 29. Juni 2006, Nr. 54934/00, § 79, NJW 2007, S. 1433<1434>, zu Art. 8 EMRK). Zweckänderungen sind folglich jeweils an den Grundrechten zu messen, die für die Datenerhebung maßgeblich waren. Das gilt für jede Art der Verwendung von Daten zu einem anderen Zweck als dem Erhebungszweck, unabhängig davon, ob es sich um die Verwendung als Beweismittel oder als Ermittlungsansatz handelt (vgl. BVerfGE 109, 279 <377>).

286

b) Die Ermächtigung zu einer Zweckänderung ist dabei am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu messen. Hierbei orientiert sich das Gewicht, das einer solchen Regelung im Rahmen der Abwägung zukommt, am Gewicht des Eingriffs der Datenerhebung. Informationen, die durch besonders eingriffsintensive Maßnahmen erlangt wurden, können auch nur zu besonders gewichtigen Zwecken benutzt werden (vgl. BVerfGE 100, 313 <394>; 109, 279 <377>; 133, 277 <372 f. Rn. 225> m.w.N.).

287

aa) Während nach der früheren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts insoweit als Maßstab der Verhältnismäßigkeitsprüfung darauf abgestellt wurde, ob die geänderte Nutzung mit der ursprünglichen Zwecksetzung "unvereinbar" sei (vgl. BVerfGE 65, 1 <62>; 100, 313 <360, 389>; 109, 279 <376 f.>; 110, 33 <69>; 120, 351 <369>; 130, 1 <33>), ist dies inzwischen durch das Kriterium der hypothetischen Datenneuerhebung konkretisiert und ersetzt worden. Für Daten aus eingriffsintensiven Überwachungs- und Ermittlungsmaßnahmen wie denen des vorliegenden Verfahrens kommt es danach darauf an, ob die entsprechenden Daten nach verfassungsrechtlichen Maßstäben neu auch für den geänderten Zweck mit vergleichbar schwerwiegenden Mitteln erhoben werden dürften (vgl. BVerfGE 125, 260 <333>; 133, 277 <373 f. Rn. 225 f.>; der Sache nach ist diese Konkretisierung nicht neu, vgl. bereits BVerfGE 100, 313 <389 f.>, und findet sich unter der Bezeichnung "hypothetischer Ersatzeingriff" auch in BVerfGE 130, 1 <34>). Das Kriterium der Datenneuerhebung gilt allerdings nicht schematisch abschließend und schließt die Berücksichtigung weiterer Gesichtspunkte nicht aus (vgl. BVerfGE 133, 277 <374 Rn. 226>). So steht die Tatsache, dass die Zielbehörde bestimmte Datenerhebungen, zu denen die Ausgangsbehörde berechtigt ist, ihrerseits wegen ihres Aufgabenspektrums nicht vornehmen darf, einem Datenaustausch nicht prinzipiell entgegen (vgl. BVerfGE 100, 313 <390>). Auch können Gesichtspunkte der Vereinfachung und der Praktikabilität bei der Schaffung von Übermittlungsvorschriften es rechtfertigen, dass nicht alle Einzelanforderungen, die für die Datenerhebung erforderlich sind, in gleicher Detailliertheit für die Übermittlung der Daten gelten. Das Erfordernis einer Gleichgewichtigkeit der neuen Nutzung bleibt hierdurch jedoch unberührt.

288

bb) Voraussetzung für eine Zweckänderung ist danach aber jedenfalls, dass die neue Nutzung der Daten dem Schutz von Rechtsgütern oder der Aufdeckung von Straftaten eines solchen Gewichts dient, die verfassungsrechtlich ihre Neuerhebung mit vergleichbar schwerwiegenden Mitteln rechtfertigen könnten (vgl. BVerfGE 100, 313 <389 f.>; 109, 279 <377>; 110, 33 <73>; 120, 351 <369>; 130, 1 <34>).

289

Nicht in jedem Fall identisch sind die Voraussetzungen einer Zweckänderung mit denen einer Datenerhebung hingegen hinsichtlich des erforderlichen Konkretisierungsgrades der Gefahrenlage oder des Tatverdachts. Die diesbezüglichen Anforderungen bestimmen unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten primär den Anlass nur unmittelbar für die Datenerhebung selbst, nicht aber auch für die weitere Nutzung der erhobenen Daten. Als neu zu rechtfertigender Eingriff bedarf aber auch die Ermächtigung zu einer Nutzung für andere Zwecke eines eigenen, hinreichend spezifischen Anlasses. Verfassungsrechtlich geboten, aber regelmäßig auch ausreichend, ist insoweit, dass sich aus den Daten - sei es aus ihnen selbst, sei es in Verbindung mit weiteren Kenntnissen der Behörde - ein konkreter Ermittlungsansatz ergibt.

290

Der Gesetzgeber kann danach - bezogen auf die Datennutzung von Sicherheitsbehörden - eine Zweckänderung von Daten grundsätzlich dann erlauben, wenn es sich um Informationen handelt, aus denen sich im Einzelfall konkrete Ermittlungsansätze zur Aufdeckung von vergleichbar gewichtigen Straftaten oder zur Abwehr von zumindest auf mittlere Sicht drohenden Gefahren für vergleichbar gewichtige Rechtsgüter wie die ergeben, zu deren Schutz die entsprechende Datenerhebung zulässig ist.

291

Anderes gilt allerdings auch hier für Informationen aus Wohnraumüberwachungen oder dem Zugriff auf informationstechnische Systeme. Angesichts des besonderen Eingriffsgewichts dieser Maßnahmen muss für sie jede neue Nutzung der Daten wie bei der Datenerhebung selbst auch durch eine dringende Gefahr (vgl. BVerfGE 109, 279 <377, 379>) oder eine im Einzelfall hinreichend konkretisierte Gefahr (siehe oben C IV 1 b) gerechtfertigt sein.

292

cc) In diesen Anforderungen an die Zulässigkeit einer Zweckänderung liegt eine konkretisierende Konsolidierung einer langen Rechtsprechung beider Senate des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfGE 65, 1 <45 f., 61 f.>; 100, 313 <389 f.>; 109, 279 <377>; 110, 33 <68 f., 73>; 120, 351 <369>; 125, 260 <333>; 130, 1 <33 f.>; 133, 277 <372 f. Rn. 225>). Hierin liegt keine Verschärfung der Maßstäbe, sondern eine behutsame Einschränkung, indem das Kriterium der hypothetischen Datenneuerhebung nicht strikt angewandt (vgl. bereits BVerfGE 133, 277 <374 Rn. 226>), sondern in Blick auf die - die zu fordernde Aktualität der Gefahrenlage bestimmenden - Eingriffsschwellen gegenüber früheren Anforderungen (vgl. insbesondere BVerfGE 100, 313 <394>; 109, 279 <377>) teilweise zurückgenommen wird. Wollte man, wie es in einem Sondervotum befürwortet wird, darüber hinaus auch auf das Erfordernis eines vergleichbar gewichtigen Rechtsgüterschutzes verzichten, würden die Grenzen der Zweckbindung als Kernelement des verfassungsrechtlichen Datenschutzes (vgl. BVerfGE 65, 1 <45 f., 61 f.>) - erst recht wenn zugleich die Voraussetzung eines konkreten Ermittlungsansatzes als zu streng angesehen wird - für das Sicherheitsrecht praktisch hinfällig (oder beschränkten sich allenfalls noch rudimentär auf Daten aus Wohnraumüberwachungen und Online-Durchsuchungen).

II.

293

Ausgehend von den vorstehenden Maßstäben genügt § 20v Abs. 4 Satz 2 BKAG, der die Verwendung der vom Bundeskriminalamt erhobenen Daten durch dieses selbst regelt, den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht. Die Vorschrift ist verfassungswidrig.

294

1. Die in § 20v Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 BKAG allein zur Wahrnehmung der Aufgabe der Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus geregelte Datennutzung ist zwar im Grundsatz mit verfassungsrechtlichen Anforderungen vereinbar; es fehlt jedoch an einer hinreichenden Begrenzung für Daten aus Wohnraumüberwachungen und Online-Durchsuchungen.

295

a) Im Grundsatz bestehen gegen die Regelung keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken.

296

aa) Die Vorschrift erlaubt dem Bundeskriminalamt eine Verwendung der von ihm zur Terrorismusabwehr erhobenen Daten zur Wahrnehmung seiner Aufgabe nach § 4a Abs. 1 Satz 1 BKAG. Damit eröffnet sie zunächst - als innere Konsequenz der Ermächtigung zur Datenerhebung - eine Nutzung der Daten zu dem ihrer Erhebung konkret zugrundeliegenden Zweck. Darüber hinaus eröffnet sie aber auch eine über das jeweilige Ermittlungsverfahren hinausreichende Nutzung der Daten. Mit dem Verweis auf § 4a Abs. 1 Satz 1 BKAG ist diese weitere Nutzung der Daten auf die Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus begrenzt. Bei sachgerechtem Verständnis dieser Verweisung ergibt sich hieraus zugleich, dass die Daten allein zur Verhinderung der in § 4a Abs. 1 Satz 2 BKAG qualifizierten Straftaten und damit zum Schutz nur von solchen hochrangigen Rechtsgütern genutzt werden dürfen, zu deren Schutz auch die Datenerhebungsbefugnisse des Unterabschnitts 3a - einschließlich der besonders eingriffsintensiven Überwachungsbefugnisse der §§ 20g ff. BKAG - eingesetzt werden dürfen.

297

(1) Die Verweisung auf § 4a Abs. 1 Satz 1 BKAG wirft hinsichtlich ihrer Bedeutung allerdings Zweifel auf. Sie können im Wege der Auslegung jedoch überwunden werden, so dass die Vorschrift nicht an Bestimmtheitsanforderungen scheitert. Zwar ist unklar, wie sich § 4a Abs. 1 Satz 1 und 2 BKAG voneinander abgrenzen: Während sich Satz 1 für die Zuweisung der Aufgabe der Gefahrenabwehr an den Wortlaut des Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a GG anlehnt, der auch die Straftatenverhütung mitumfasst (siehe oben C I 1), wird die Straftatenverhütung in Satz 2 von der Gefahrenabwehr bewusst unterschieden. Da § 4a Abs. 1 Satz 1 BKAG angesichts seines Charakters als Aufgabennorm für die Gefahrenabwehr jedoch Ermittlungen im Vorfeld konkreter Gefahren einschließt, ist der Verweis in § 20v Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 BKAG letztlich doch hinreichend auslegungsfähig: Die Vorschrift will eine Nutzung der Daten allgemein, gegebenenfalls auch als Spurenansatz, zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus eröffnen.

298

Die Regelung ist auch nicht insoweit zu unbestimmt, als § 4a Abs. 1 BKAG nur allgemein auf "Gefahren des internationalen Terrorismus" abstellt. Auch wenn § 20v Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 BKAG allein auf Satz 1 der Vorschrift verweist, ist für die Konkretisierung der dort genannten Gefahren auf die nähere Definition in Satz 2 zurückzugreifen, der bestimmte Straftaten abschließend aufführt und näher qualifiziert. Dass die dort unter dem Gesichtspunkt der Straftatenverhütung aufgeführten Straftaten auch für die Gefahrenabwehr nach Satz 1 maßgeblich sind, entspricht der Systematik des Gesetzes auch sonst (vgl. nur § 20a Abs. 2 BKAG).

299

(2) Indem § 20v Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 BKAG eine Datennutzung nur zur Abwehr von Gefahren durch terroristische Straftaten im Sinne des § 4a Abs. 1 Satz 2 BKAG erlaubt, ist zugleich gewährleistet, dass diese Nutzung allein zum Schutz von Rechtsgütern eröffnet wird, zu deren Schutz auch von den Datenerhebungsbefugnissen Gebrauch gemacht werden darf. Dies gilt auch für Daten aus besonders eingriffsintensiven Überwachungsmaßnahmen, die nur zum Schutz besonders hochrangiger Rechtsgüter gerechtfertigt sind.

300

Fast alle in § 4a Abs. 1 Satz 2 BKAG in Verbindung mit § 129a Abs. 1, 2 StGB genannten Straftaten betreffen Delikte, die unmittelbar gegen Leib und Leben gerichtet sind oder - etwa als gemeingefährliche Delikte - ihren Unrechtsgehalt maßgeblich aus solchen Gefahren beziehen beziehungsweise Sachen von bedeutendem Wert betreffen, deren Erhaltung als wesentliche Infrastrukturen im öffentlichen Interesse geboten ist. Soweit dies hinsichtlich einzelner in § 129a StGB genannter Delikte nicht zwangsläufig der Fall ist, ist zu berücksichtigen, dass die Verhinderung solcher Straftaten gemäß § 4a Abs. 1 Satz 1, 2 BKAG nur dann in den Aufgabenbereich des Bundeskriminalamts fällt, wenn diese eine gesetzlich näher bestimmte terroristische Dimension haben. Damit ist bei sachgerechtem Verständnis der Norm hinreichend gesichert, dass die durch die einzelnen Ermittlungsbefugnisse gewonnenen Informationen auch bei der weiteren Verwendung gemäß § 20v Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 BKAG stets dem Schutz solcher Rechtsgüter dienen, zu deren Schutz auch bei eingriffsintensiven Maßnahmen schon die Erhebung der Daten gerechtfertigt wurde.

301

bb) Nicht zu beanstanden ist grundsätzlich auch, dass § 20v Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 BKAG die weitere Nutzung der Daten allgemein und damit unabhängig von konkreten Gefahren oder konkreten Ermittlungsansätzen auch als Spurenansatz erlaubt. Soweit nicht Daten aus Wohnraumüberwachungen oder Online-Durchsuchungen betroffen sind (siehe unten D II 1 b), hält sich dies im Rahmen der Zweckbindung. Es handelt sich um Daten, die das Bundeskriminalamt im Rahmen seiner Befugnisse zur Terrorismusabwehr erhoben hat, die es für diese Aufgabe weiter nutzen können soll und die dem Schutz derselben Rechtsgüter dienen, für deren Schutz sie erhoben werden durften. In dieser Situation muss ihre weitere Nutzung nach den oben entwickelten Maßstäben grundsätzlich nicht jeweils erneut von einer konkretisierten Gefahrenlage abhängig gemacht werden, sondern konnte der Gesetzgeber dem Bundeskriminalamt die weitere Nutzung dieser Daten für die Terrorismusabwehr ohne weitere Einschränkungen erlauben (siehe oben D I 1 b). Hiervon unberührt bleiben freilich die Löschungspflichten nach Erreichung des mit der Datenerhebung verfolgten Zwecks (siehe oben C IV 7, VI 4 a).

302

b) Unverhältnismäßig weit ist § 20v Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 BKAG hingegen insoweit, als er sich undifferenziert auf alle Daten erstreckt und damit auch die weitere Verwendung von Daten aus Wohnraumüberwachungen und Online-Durchsuchungen einschließt. Die Vorschrift eröffnet damit die weitere Verwendung solcher Informationen auch unabhängig von dem Vorliegen einer dringenden (vgl. BVerfGE 109, 279 <377, 379>) oder im Einzelfall hinreichend konkretisierten Gefahrenlage (siehe oben C IV 1 b; D I 2 b bb). Dies ist mit den Anforderungen des Übermaßverbots nicht vereinbar. Für Informationen aus diesen besonders intensiven Überwachungsmaßnahmen bedarf jede über das ursprüngliche Ermittlungsverfahren hinausgehende Nutzung jeweils erneut des Vorliegens aller Eingriffsvoraussetzungen, wie es für eine Datenneuerhebung mit diesen Mitteln verfassungsrechtlich geboten wäre (siehe oben D I 1 b).

303

2. Unvereinbar mit den verfassungsrechtlichen Anforderungen ist auch § 20v Abs. 4 Satz 2 Nr. 2 BKAG zur Verwendung der Daten zum Zeugen- und Personenschutz. Der einschränkungslos allgemeine Verweis auf die Aufgaben des Bundeskriminalamts nach §§ 5 und 6 BKAG genügt den oben entwickelten Maßstäben schon mangels Bestimmtheit nicht.

III.

304

§ 20v Abs. 5 BKAG, der die Übermittlung von Daten an andere Behörden regelt, genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen bezüglich verschiedener Regelungen nicht.

305

1. § 20v Abs. 5 BKAG stellt verschiedene Rechtsgrundlagen zur Übermittlung von zur Terrorismusabwehr erhobenen Daten an andere Behörden bereit. Es handelt sich hierbei um Ermächtigungen, mit denen der Gesetzgeber im Einzelfall anlassbezogen eine Zweckänderung der Datennutzung erlaubt. Er öffnet damit die Datennutzung durch andere Behörden, die - nach dem Bild einer Doppeltür - dabei auch ihrerseits zur Abfrage und Verwendung dieser Daten berechtigt sein müssen (vgl. BVerfGE 130, 151 <184>). Die Vorschrift eröffnet somit Grundrechtseingriffe, die jeweils an den Grundrechten zu messen sind, in die bei Erhebung der übermittelten Daten eingegriffen wurde (vgl. BVerfGE 100, 313 <360, 391>; 109, 279 <375>; 110, 33 <68 f.>; 125, 260 <312 f., 333>; 133, 277 <372 Rn. 225>; vgl. auch EGMR, Weber und Saravia v. Deutschland, Entscheidung vom 29. Juni 2006, Nr. 54934/00, § 79, NJW 2007, S. 1433<1434>, zu Art. 8 EMRK).

306

2. § 20v Abs. 5 BKAG verstößt nicht gegen die Anforderungen des Bestimmtheitsgebots. Das gilt auch insoweit, als die Vorschrift übergreifend eine Übermittlung an "sonstige öffentliche Stellen" erlaubt. Welche Stellen hierunter zu verstehen sind, richtet sich nach den jeweiligen Übermittlungszwecken, die die verschiedenen Übermittlungsbefugnisse näher regeln. Die möglichen Adressaten einer Übermittlung sind damit auf der Grundlage der Zuständigkeitsvorschriften hinreichend verlässlich bestimmbar.

307

3. Die Übermittlungsbefugnisse sind indes insoweit verfassungswidrig, als ihre Voraussetzungen den oben entwickelten Anforderungen in Bezug auf das Kriterium der hypothetischen Datenneuerhebung (siehe oben D I 2 b) nicht genügen.

308

a) Keinen verfassungsrechtlichen Bedenken unterliegt allerdings § 20v Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 BKAG. Die Datenübermittlung zur Herbeiführung des gegenseitigen Benehmens ist schon keine Zweckänderung. Sie dient der Koordinierung der Gefahrenabwehr in einer Weise, wie sie für die Aufgabenwahrnehmung durch das Bundeskriminalamt gemäß § 4a Abs. 2 BKAG stets geboten ist und ist damit in der Datenerhebungsvorschrift notwendig enthalten. Dies rechtfertigt auch die Weite der Regelung, die Einschränkungen der Datenübermittlung nicht enthält. Da eine Abstimmung nur hinsichtlich solcher Maßnahmen in Betracht kommt, die auf einer rechtmäßigen Datennutzung beruhen, ist auch ein Unterlaufen der Zweckbindung von Informationen aus Wohnraumüberwachungen oder Online-Durchsuchungen, deren Nutzung stets auch das Vorliegen einer hinreichend konkretisierten Gefahrenlage voraussetzt, nicht zu befürchten.

309

Die Vorschrift ist allerdings funktional eng auszulegen. Sie erlaubt allein die Übermittlung von Informationen für die Koordination der Aufgabenwahrnehmung zwischen den Bundes- und Landesbehörden. Auf diese interne Abstimmung ist die Nutzung der Daten nach dieser Vorschrift beschränkt. Sollen demgegenüber die Daten von der Zielbehörde auch operativ genutzt werden können, richtet sich die Übermittlung nach § 20v Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 ff. BKAG.

310

b) § 20v Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 BKAG, der die Übermittlung von Daten zur Gefahrenabwehr regelt, genügt im Wesentlichen den verfassungsrechtlichen Anforderungen. Unverhältnismäßig ist die Vorschrift allerdings insoweit, als sie eine Datenübermittlung allgemein schon zur Verhütung bestimmter Straftaten erlaubt.

311

aa) § 20v Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 BKAG erlaubt zum einen die Übermittlung von Daten aus Maßnahmen gemäß §§ 20h, 20k oder 20l BKAG zur Abwehr einer dringenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit. Mit dieser Schwelle, die unmittelbar Art. 13 Abs. 4 GG entnommen ist, orientiert sich der Gesetzgeber für die Zweckänderung an den Voraussetzungen einer hypothetischen Datenneuerhebung und ist eine Übermittlung auch von Informationen aus besonders eingriffsintensiven Maßnahmen einschließlich Wohnraumüberwachungen und Online-Durchsuchungen gerechtfertigt. Zwar ist es grundsätzlich Aufgabe des Gesetzgebers, die zu schützenden Rechtsgüter im Rahmen der Eingriffsvoraussetzungen näher zu konkretisieren und so auch dem offenen Begriff der öffentlichen Sicherheit des Art. 13 Abs. 4 GG, der nur einen Rahmen vorgibt, näheres Profil zu geben (vgl. entsprechend für Art. 14 Abs. 3 GG BVerfGE 134, 242<294 Rn. 177>). Vorliegend lässt sich eine solche Konkretisierung jedoch aus dem Regelungszusammenhang ableiten. Bei verständiger Auslegung muss es sich bei der dringenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit um eine Gefahr für die in §§ 20h, 20k und 20l BKAG genannten besonders hochrangigen Rechtsgüter handeln (vgl. hierzu auch BVerfGE 109, 279 <379>).

312

bb) Nicht zu beanstanden ist auch, dass für die Übermittlung von Daten, die durch andere Maßnahmen erhoben wurden, nur eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit verlangt wird. Unbedenklich ist dies zunächst in Bezug auf Daten, die durch niederschwelligere Eingriffe (vgl. etwa §§ 20b ff. oder §§ 20q ff. BKAG) erlangt werden. Diese dürfen schon grundsätzlich unter weniger strengen Anforderungen übermittelt werden. Verfassungsmäßig ist die Vorschrift aber auch in Bezug auf Daten aus eingriffsintensiven Maßnahmen wie gemäß §§ 20g, 20j oder 20m BKAG. Denn der Begriff der öffentlichen Sicherheit bezieht sich auch hier nicht im umfassenden Sinne der polizeilichen Generalklausel auf die Unverletzlichkeit der Rechtsordnung (vgl. Schoch, in: Schoch, Besonderes Verwaltungsrecht, 15. Aufl. 2013, 2. Kap., Rn. 109 f. m.w.N.), sondern erhält seine Konturen in der Verbindung mit dem Begriff der "erheblichen" Gefahr. Nach dem Verständnis des allgemeinen Sicherheitsrechts setzt dieser voraus, dass eine Gefahr für ein bedeutsames Rechtsgut gegeben sein muss, zu denen insbesondere Leib, Leben, Freiheit oder der Bestand des Staates gerechnet werden (vgl. Schoch, in: Schoch, a.a.O., 2. Kap., Rn. 150 m.w.N.). Auch hier ergibt sich bei einer verfassungsgeleiteten Auslegung der Vorschrift, dass für die Übermittlung von Daten aus besonders eingriffsintensiven Maßnahmen ein hinreichend gewichtiger Rechtsgüterschutz vorausgesetzt wird.

313

cc) Unverhältnismäßig weit und damit verfassungswidrig ist § 20v Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 BKAG demgegenüber insoweit, als er eine Übermittlung auch allgemein zur Verhütung der in § 129a Abs. 1, 2 StGB genannten Straftaten erlaubt. Zwar sind dies nur besonders schwerwiegende Straftaten. Indem das Gesetz eine Übermittlung aber allgemein zur Verhütung solcher Straftaten erlaubt, fehlt es an jeder eingrenzenden Konkretisierung des Übermittlungsanlasses und können Informationen, auch wenn sie aus eingriffsintensiven Maßnahmen stammen, schon mit Blick auf einen nur potentiellen Informationsgehalt als Spurenansatz übermittelt werden. Dies genügt nach den oben entwickelten Maßstäben verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht (siehe oben D I 2 b bb). Eine Übermittlung von Daten aus eingriffsintensiven Überwachungsmaßnahmen an andere Sicherheitsbehörden ist eine Zweckänderung und kommt nur dann in Betracht, wenn sich aus ihnen zumindest ein konkreter Ermittlungsansatz für die Aufdeckung entsprechender Straftaten ergibt. Dies stellt die Vorschrift nicht sicher.

314

c) Nicht mit der Verfassung vereinbar ist auch § 20v Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 BKAG, der die Übermittlung von Daten zur Strafverfolgung regelt.

315

aa) Unverhältnismäßig ist die Regelung zum einen insoweit, als sie in ihrer ersten Fallgruppe eine Übermittlung von Daten allgemein an die Maßstäbe eines Auskunftsverlangens nach der Strafprozessordnung knüpft und sich damit auch auf Daten aus nicht in Nr. 3 Satz 2 eigens geregelten, aber eingriffsintensiven Überwachungsmaßnahmen wie nach §§ 20g, 20j oder 20m BKAG bezieht. Mit der Anknüpfung an die Strafprozessordnung nimmt die Vorschrift insbesondere auf § 161 Abs. 1, 2 StPO Bezug. Dieser sichert die verfassungsrechtlich geforderte Begrenzung der Datenübermittlung jedoch nicht. Insbesondere folgt aus dieser Vorschrift nicht, dass die Daten nur zur Verfolgung solcher Straftaten genutzt werden dürfen, für die sie mit entsprechenden Mitteln erhoben werden dürften (siehe oben D I 2 b). § 161 Abs. 1 StPO regelt vielmehr eine Auskunfts- und damit Datenübermittlungspflicht für die Verfolgung von Straftaten aller Art. Die Beschränkungen des § 161 Abs. 2 StPO beziehen sich allein auf eine Verwertung der Daten zu Beweiszwecken im Strafverfahren. Demgegenüber schließen sie nicht aus, dass die Daten als Ermittlungsansatz auch zur Aufklärung aller, auch geringfügiger Straftaten genutzt werden dürfen (vgl. Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl. 2015, § 161 Rn. 18d f.). Dies stellt die verfassungsrechtlich gebotene Begrenzung der geänderten Datennutzung auf einen gleichgewichtigen Rechtsgüterschutz nicht sicher. Überdies gewährleistet die Vorschrift nicht, dass nur solche Daten übermittelt werden dürfen, die konkrete Ermittlungsansätze zur Aufdeckung der fraglichen Straftaten erkennen lassen.

316

bb) Unverhältnismäßig ist die Regelung zum anderen aber auch insoweit, als sie in Satz 2 für die Nutzung von Daten aus Maßnahmen gemäß §§ 20h, 20k und 20l BKAG eigene Anforderungen stellt. Der Gesetzgeber erlaubt deren Übermittlung zur Verfolgung von Straftaten, die im Höchstmaß mit mindestens fünf Jahren Freiheitsstrafe bedroht sind (§ 20v Abs. 5 Satz 1 Nr. 3, 2. Satz BKAG). Für Daten aus Maßnahmen gemäß §§ 20k und 20l BKAG wirkt dies gegenüber dem allgemeinen Verweis auf die Vorschriften der Strafprozessordnung und damit auf § 161 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 StPO als Einschränkung, für Daten aus Wohnraumüberwachungen hingegen, deren Verwendungsänderung in § 161 Abs. 2 Satz 2, § 100d Abs. 5 Nr. 3 StPO enger geregelt ist, als Erweiterung. Unabhängig hiervon genügt diese Schwelle dem Kriterium der hypothetischen Datenneuerhebung nicht. Für die Wohnraumüberwachung hat das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich festgestellt, dass eine Höchststrafe von mindestens fünf Jahren keine hinreichende Schwelle für die Anordnung einer solchen Maßnahme bildet und dies auch für jede weitere Verwendung der Daten, einschließlich einer solchen als Spurenansatz gilt (vgl. BVerfGE 109, 279 <347 f., 377>). Nichts anderes kann für den Zugriff auf informationstechnische Systeme gelten, der als vergleichbar schwerer Eingriff unter denselben Anforderungen steht. Weniger streng sind zwar die Anforderungen an die Telekommunikationsüberwachung. Doch setzen die Datenerhebung und entsprechend eine zweckändernde Übermittlungsbefugnis auch hier zumindest die Ausrichtung an schweren Straftaten voraus (vgl. BVerfGE 125, 260 <328 f.>; 129, 208 <243>). Es ist deshalb unverhältnismäßig, wenn § 20v Abs. 5 Satz 1 Nr. 3, 2. Satz BKAG schon Straftaten mit einer Höchststrafe von mindestens fünf Jahren genügen lässt, womit auch Delikte eingeschlossen sind, die nur zur mittleren Kriminalität zu rechnen sind und unter Umständen auch Delikte der Massenkriminalität wie den einfachen Diebstahl, die öffentliche Verleumdung oder die einfache Körperverletzung umfassen.

317

Verfassungsrechtlich zu beanstanden ist weiterhin, dass Daten aus optischen Wohnraumüberwachungen von einer Übermittlung an die Strafverfolgungsbehörden nicht ausgeschlossen sind. Art. 13 Abs. 3 GG erlaubt für die Strafverfolgung nur den Einsatz der akustischen Wohnraumüberwachung. Dies darf durch eine Übermittlung von Daten aus einer präventiv angeordneten optischen Wohnraumüberwachung nicht unterlaufen werden.

318

cc) Während an die Übermittlung von Daten aus besonders eingriffsintensiven Überwachungsmaßnahmen qualifizierte Anforderungen zu stellen sind, ist eine Übermittlung von Daten, die durch niederschwelligere Eingriffe erhoben wurden (vgl. etwa §§ 20b ff., §§ 20q ff. BKAG), in weitergehendem Umfang verfassungsrechtlich erlaubt. Die Voraussetzungen des § 20v Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 BKAG können hierfür eine tragfähige Grundlage bilden. Der Gesetzgeber muss hier jedoch zwischen den verschiedenen Daten unterscheiden. In der derzeitigen Fassung ist die Vorschrift undifferenziert weit und damit unverhältnismäßig.

319

d) Nicht mit den verfassungsrechtlichen Anforderungen vereinbar ist auch § 20v Abs. 5 Satz 3 Nr. 1 BKAG, der die Übermittlung von Daten an die Verfassungsschutzbehörden und den Militärischen Abschirmdienst erlaubt.

320

Die Vorschrift, die für alle Daten außer solche aus Wohnraumüberwachungsmaßnahmen gilt (vgl. § 20v Abs. 5 Satz 5 BKAG), erlaubt eine Übermittlung an die vorgenannten Behörden, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Daten zur Sammlung und Auswertung von Informationen erforderlich sind über Bestrebungen, die in den Aufgabenbereich der Verfassungsschutzbehörden oder des Militärischen Abschirmdienstes fallen. Damit genügt sie dem für eine zweckändernde Datenübermittlung maßgeblichen Kriterium der hypothetischen Neuerhebung nicht (siehe oben D I 2 b). Zwar dient die Datenübermittlung angesichts der insoweit in Bezug genommenen Aufgaben der Verfassungsschutzbehörden und des Militärischen Abschirmdienstes grundsätzlich dem Schutz besonders gewichtiger Rechtsgüter. Auch kann eine Übermittlung von bestimmten Daten wie solchen aus Maßnahmen gemäß § 20g BKAG mit Blick auf den für eine hypothetische Neuerhebung maßgeblichen § 8 BVerfSchG - über dessen Verfassungsmäßigkeit hier nicht zu entscheiden ist - in relativ weitem Umfang gerechtfertigt sein. Eine Regelung jedoch, die für praktisch alle Daten ohne konkretisierende Eingriffsschwelle die Übermittlung zur allgemeinen Unterstützung bei der Aufgabenwahrnehmung erlaubt, ist unverhältnismäßig weit. Das Kriterium der hypothetischen Datenneuerhebung verlangt zwar grundsätzlich nicht, dass eine für die Datenerhebung geforderte konkretisierte Gefahrenlage - wie sie ungeachtet ihres im Wesentlichen auf das Vorfeld von Gefahren beschränkten Handlungsauftrags grundsätzlich auch für Datenerhebungen der Verfassungsschutzbehörden verlangt wird (vgl. BVerfGE 100, 313 <383 f.>; 120, 274 <329 f.>; 130, 151 <205 f.>) - jeweils neu auch immer zur Voraussetzung einer Übermittlung gemacht werden muss (siehe oben D I 2 b bb). Verfassungsrechtlich geboten ist jedoch, dass nur Daten übermittelt werden dürfen, die aus Sicht des Bundeskriminalamts als konkrete Ermittlungsansätze für die Aufdeckung von Straftaten oder Gefahren für hochrangige Rechtsgüter zugleich konkrete Erkenntnisse zu einer Gefährdung hochrangiger Rechtsgüter erkennen lassen (vgl. für die Datenübermittlung von Nachrichtendiensten an das Bundeskriminalamt BVerfGE 133, 277 <329 Rn. 123>), die für die Lagebeurteilung nach Maßgabe der Aufgaben des Verfassungsschutzes bedeutsam sind. Für die Übermittlung von Daten aus Online-Durchsuchungen bedarf es darüber hinaus - ebenso wie für die vom Gesetzgeber insoweit bereits gesondert geregelten Daten aus Wohnraumüberwachungen - des Vorliegens der für die Datenerhebung maßgeblichen Eingriffsschwelle selbst, das heißt einer im Einzelfall drohenden Gefahr (vgl. BVerfGE 120, 274 <326, 328 f.>).

321

e) Entsprechend genügt auch § 20v Abs. 5 Satz 4 BKAG den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht. Die Vorschrift erlaubt eine Übermittlung von Daten an den Bundesnachrichtendienst unter entsprechenden Maßgaben wie § 20v Abs. 5 Satz 3 Nr. 1 BKAG. Die Unterschiede in den Formulierungen haben - auch unter Berücksichtigung der Gesetzesbegründung (vgl. BTDrucks 16/9588, S. 34) - keinen erkennbar sachlichen Gehalt und vermögen jedenfalls die verfassungsrechtliche Beurteilung nicht zu ändern. Die verfassungsrechtlichen Mängel des § 20v Abs. 5 Satz 3 Nr. 1 BKAG gelten auch für diese Vorschrift.

322

4. Hinsichtlich aller Übermittlungsbefugnisse fehlt es übergreifend schließlich an gesetzlichen Regelungen, die eine hinreichende aufsichtliche Kontrolle sicherstellen. Die für die Datenerhebung geltenden Anforderungen an eine sachhaltige Protokollierung und eine effektive Kontrolle durch die Bundesdatenschutzbeauftragte gelten auch hier (vgl. oben C IV 6 d).

IV.

323

§ 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 3, Satz 2 BKAG, der - sofern nicht für Mitgliedstaaten der Europäischen Union die hier nicht streitgegenständliche Regelung des § 14a BKAG einschlägig ist - die Übermittlung von Daten an öffentliche Stellen anderer Staaten regelt, genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen teilweise gleichfalls nicht.

324

1. Die Übermittlung von personenbezogenen Daten an öffentliche Stellen anderer Staaten ist, wie die Übermittlung an innerstaatliche Stellen auch, eine Zweckänderung. Sie ist insoweit nach den allgemeinen Grundsätzen jeweils an den Grundrechten zu messen, in die bei der Datenerhebung eingegriffen wurde (siehe oben D I 2 a). Für die Übermittlung ins Ausland gelten aber auch mit Blick auf die Achtung fremder Rechtsordnungen und -anschauungen eigene verfassungsrechtliche Bedingungen.

325

a) Eine Übermittlung von Daten ins Ausland führt dazu, dass die Gewährleistungen des Grundgesetzes nach der Übermittlung nicht mehr als solche zur Anwendung gebracht werden können und stattdessen die im Ausland geltenden Standards Anwendung finden. Dies steht einer Übermittlung ins Ausland jedoch nicht grundsätzlich entgegen. Das Grundgesetz bindet die Bundesrepublik Deutschland mit der Präambel, Art. 1 Abs. 2, Art. 9 Abs. 2, Art. 16 Abs. 2, Art. 23 bis Art. 26 und Art. 59 Abs. 2 GG in die internationale Gemeinschaft ein und hat die deutsche öffentliche Gewalt programmatisch auf internationale Zusammenarbeit ausgerichtet (vgl. BVerfGE 63, 343 <370>; 111, 307 <318 f.>; 112, 1 <25, 27>). Hierzu gehört ein Umgang mit anderen Staaten auch dann, wenn deren Rechtsordnungen und -anschauungen nicht vollständig mit den deutschen innerstaatlichen Auffassungen übereinstimmen (vgl. BVerfGE 31, 58 <75 ff.>; 63, 343 <366>; 91, 335 <340, 343 ff.>; 108, 238 <247 f.>). Ein solcher Datenaustausch zielt auch darauf, die zwischenstaatlichen Beziehungen im gegenseitigen Interesse wie auch die außenpolitische Handlungsfreiheit der Bundesregierung zu erhalten (vgl. BVerfGE 108, 129 <137>).

326

Auch bei der Entscheidung über eine Übermittlung von personenbezogenen Daten ins Ausland bleibt die deutsche Staatsgewalt im Ausgangspunkt allerdings an die Grundrechte gebunden (Art. 1 Abs. 3 GG); die ausländische Staatsgewalt ist nur ihren eigenen rechtlichen Bindungen verpflichtet.

327

Von daher ergeben sich zum einen Grenzen einer Übermittlung in Blick auf die Wahrung datenschutzrechtlicher Garantien. Die Grenzen der inländischen Datenerhebung und -verarbeitung des Grundgesetzes dürfen durch einen Austausch zwischen den Sicherheitsbehörden nicht in ihrer Substanz unterlaufen werden. Der Gesetzgeber hat daher dafür Sorge zu tragen, dass dieser Grundrechtsschutz durch eine Übermittlung der von deutschen Behörden erhobenen Daten ins Ausland und an internationale Organisationen ebenso wenig ausgehöhlt wird wie durch eine Entgegennahme und Verwertung von durch ausländische Behörden menschenrechtswidrig erlangten Daten.

328

Zum anderen ergeben sich Grenzen in Blick auf die Nutzung der Daten durch den Empfängerstaat, wenn dort Menschenrechtsverletzungen zu besorgen sind. Zwingend auszuschließen ist danach jedenfalls die Datenübermittlung an Staaten, wenn zu befürchten ist, dass elementare rechtsstaatliche Grundsätze verletzt werden (vgl. BVerfGE 108, 129 <136 f.>). Keinesfalls darf der Staat seine Hand zu Verletzungen der Menschenwürde reichen (vgl. BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 15. Dezember 2015 - 2 BvR 2735/14 -, Rn. 62 m.w.N.).

329

b) Die Übermittlung von Daten an das Ausland setzt danach eine Begrenzung auf hinreichend gewichtige Zwecke, für die die Daten übermittelt und genutzt werden dürfen (aa), sowie die Vergewisserung über einen rechtsstaatlichen Umgang mit diesen Daten im Empfängerland voraus (bb). Im Übrigen bedarf es auch hier der Sicherstellung einer wirksamen inländischen Kontrolle (cc). Die Anforderungen sind durch normenklare Grundlagen im deutschen Recht sicherzustellen (dd).

330

aa) Für die Anforderungen an den Übermittlungs- und Nutzungszweck gelten grundsätzlich die nach deutscher Rechtsordnung maßgeblichen verfassungsrechtlichen Kriterien der Zweckänderung (siehe oben D I 2): Eine Übermittlung ist zulässig, soweit die übermittelten Daten auch für den Übermittlungszweck mit vergleichbar schwerwiegenden Mitteln erhoben werden dürften (Kriterium der hypothetischen Datenneuerhebung). Die Übermittlung muss damit der Aufdeckung vergleichbar gewichtiger Straftaten oder dem Schutz vergleichbar gewichtiger Rechtsgüter dienen, wie sie für die ursprüngliche Datenerhebung maßgeblich waren. Sie ist allerdings grundsätzlich nicht an das Vorliegen der für die Datenerhebung erforderlichen Konkretisierung der Gefahrenlage oder des Tatverdachts gebunden; es reicht, dass sich aus den übermittelten Informationen oder der Anfrage des Empfängerstaats im Einzelfall konkrete Ermittlungsansätze zur Aufdeckung solcher Straftaten oder zur Abwehr von zumindest auf mittlere Sicht drohenden Gefahren für solche Rechtsgüter ergeben. Strenger sind insoweit die Voraussetzungen für die Übermittlung von Daten aus Wohnraumüberwachungen und Online-Durchsuchungen, für die die für die Datenerhebung maßgeblichen Eingriffsschwellen vollständig vorliegen müssen (siehe oben D I 2 b bb; vgl. ferner BVerfGE 109, 279 <377, 379>; 120, 274 <329 ff.>).

331

Hinsichtlich der damit verbundenen Beurteilung der für das Empfängerland zu eröffnenden Nutzung der Daten, wie sie insbesondere bei einem ausländischen Übermittlungsersuchen erforderlich ist, ist die Eigenständigkeit der jeweils anderen Rechtsordnung zu berücksichtigen. Für die Frage der Gleichgewichtigkeit der Nutzungszwecke ist insoweit einzustellen, dass die deutsche Rechtsordnung hier auf eine andere Rechtsordnung trifft, deren Abgrenzungslinien, Kategorien und Wertungen mit denen der deutschen Rechtsordnung und auch des Grundgesetzes nicht identisch sind und auch nicht sein müssen. Dass Zweckbegrenzungen in der ausländischen Rechtsordnung insoweit im Einzelnen nicht identisch zur deutschen Rechtsordnung abgebildet werden, steht einer Übermittlung nicht von vornherein entgegen. Verwendungsbeschränkungen sind den Empfangsbehörden bei der Übermittlung klar und ausdrücklich mitzuteilen.

332

bb) Die Übermittlung personenbezogener Daten ins Ausland setzt weiter einen datenschutzrechtlich angemessenen und mit elementaren Menschenrechtsgewährleistungen vereinbaren Umgang mit den übermittelten Daten im Empfängerstaat (1) und eine entsprechende Vergewisserung hierüber seitens des deutschen Staates (2) voraus.

333

(1) Eine Übermittlung von Daten ins Ausland verlangt, dass ein hinreichend rechtsstaatlicher Umgang mit den Daten im Empfängerstaat zu erwarten ist.

334

(a) Für die Anforderungen an den datenschutzrechtlichen Umgang mit den übermittelten Daten ist allerdings nicht erforderlich, dass im Empfängerstaat vergleichbare Regelungen zur Verarbeitung personenbezogener Daten wie nach der deutschen Rechtsordnung gelten oder ein gleichartiger Schutz gewährleistet ist wie nach dem Grundgesetz. Das Grundgesetz anerkennt vielmehr die Eigenständigkeit und Verschiedenartigkeit der Rechtsordnungen und respektiert sie grundsätzlich auch im Rahmen des Austauschs von Daten. Abgrenzungen und Wertungen müssen nicht mit denen der deutschen Rechtsordnung und auch des deutschen Grundgesetzes übereinstimmen.

335

Erlaubt ist eine Übermittlung der Daten ins Ausland jedoch nur, wenn auch durch den dortigen Umgang mit den übermittelten Daten nicht die Garantien des menschenrechtlichen Schutzes personenbezogener Daten unterlaufen werden. Dies bedeutet nicht, dass in der ausländischen Rechtsordnung institutionelle und verfahrensrechtliche Vorkehrungen nach deutschem Vorbild gewährleistet sein müssen; insbesondere müssen nicht die formellen und institutionellen Sicherungen vorhanden sein, die datenschutzrechtlich für deutsche Stellen gefordert werden (siehe oben C IV 6). Geboten ist in diesem Sinne die Gewährleistung eines angemessenen materiellen datenschutzrechtlichen Niveaus für den Umgang mit den übermittelten Daten im Empfängerstaat (vgl. ähnlich EuGH, Urteil vom 6. Oktober 2015 - C-362/14 -, Schrems/Digital Rights Ireland, NJW 2015, S. 3151 <3155>, Rn. 73; vgl. auch Art. 8 EMRK; dazu EGMR [GK], Zakharov v. Russland, Urteil vom 4. Dezember 2015, Nr. 47143/06, §§ 227 ff.; Art. 17 Abs. 1 Satz 1 Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 19. Dezember 1966, BGBl 1973 II S. 1534, UNTS 999, S. 171; Art. 12 Allgemeine Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948, Res. 217 A III der UN-Generalversammlung, GAOR III, Doc. A/810, S. 71; vgl. dazu The right to privacy in the digital age, UN General Assembly Resolution 68/167 vom 18. Dezember 2013, UN Doc. A/Res/68/167 [2014], Z. 4). In Betracht zu nehmen ist insoweit insbesondere, ob für die Verwendung der Daten die - bei der Übermittlung mitgeteilten - Grenzen durch Zweckbindung und Löschungspflichten sowie grundlegende Anforderungen an Kontrolle und Datensicherheit wenigstens grundsätzlich Beachtung finden. Maßgeblich für diese Beurteilung sind die innerstaatlichen Rechtsvorschriften und die internationalen Verpflichtungen des Empfängerstaats sowie ihre Umsetzung in der täglichen Anwendungspraxis (vgl. ähnlich EuGH, Urteil vom 6. Oktober 2015 - C-362/14 -, Schrems/Digital Rights Ireland, NJW 2015, S. 3151 <3155>, Rn. 75).

336

(b) Hinsichtlich der Besorgnis etwaiger Menschenrechtsverletzungen durch die Nutzung der Daten im Empfängerstaat muss insbesondere gewährleistet erscheinen, dass sie dort weder zu politischer Verfolgung noch unmenschlicher oder erniedrigender Bestrafung oder Behandlung verwendet werden (vgl. Art. 16a Abs. 3 GG). Der Gesetzgeber hat insgesamt Sorge zu tragen, dass der Schutz der Europäischen Menschenrechtskonvention und der anderen internationalen Menschenrechtsverträge (vgl. Art. 1 Abs. 2 GG) durch eine Übermittlung der von deutschen Behörden erhobenen Daten ins Ausland und an internationale Organisationen nicht ausgehöhlt wird.

337

(2) Die Gewährleistung des geforderten Schutzniveaus im Empfängerstaat muss nicht für jeden Fall einzeln geprüft und durch völkerrechtlich verbindliche Einzelzusagen abgesichert werden. Der Gesetzgeber kann diesbezüglich auch eine generalisierende tatsächliche Einschätzung der Sach- und Rechtslage der Empfängerstaaten durch das Bundeskriminalamt ausreichen lassen. Diese kann so lange Geltung beanspruchen, wie sie nicht durch entgegenstehende Tatsachen in besonders gelagerten Fällen erschüttert wird (vgl. BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 15. Dezember 2015 - 2 BvR 2735/14 -, Rn. 69 m.w.N.).

338

Lassen sich Entscheidungen mit Blick auf einen Empfängerstaat nicht auf solche Beurteilungen stützen, bedarf es aber einer mit Tatsachen unterlegten Einzelfallprüfung, aus der sich ergibt, dass die Beachtung jedenfalls der grundlegenden Anforderungen an den Umgang mit Daten hinreichend gewährleistet ist (siehe oben D IV 1 b bb (1)). Erforderlichenfalls können und müssen verbindliche Einzelgarantien abgegeben werden. Grundsätzlich ist eine verbindliche Zusicherung geeignet, etwaige Bedenken hinsichtlich der Zulässigkeit der Datenübermittlung auszuräumen, sofern nicht im Einzelfall zu erwarten ist, dass die Zusicherung nicht eingehalten wird (vgl. BVerfGE 63, 215 <224>; 109, 38 <62>; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 15. Dezember 2015 - 2 BvR 2735/14 -, Rn. 70). Welche Anforderungen im Einzelnen gelten, kann der Gesetzgeber auch von einer Einzelfallabwägung abhängig machen.

339

Die Vergewisserung über das geforderte Schutzniveau - sei es generalisiert, sei es im Einzelfall - ist eine nicht der freien politischen Disposition unterliegende Entscheidung deutscher Stellen. Sie hat sich auf gehaltvolle wie realitätsbezogene Informationen zu stützen und muss regelmäßig aktualisiert werden. Ihre Gründe müssen nachvollziehbar dokumentiert werden. Die Entscheidung muss durch die Datenschutzbeauftragten überprüfbar sein und einer gerichtlichen Kontrolle zugeführt werden können (vgl. auch EuGH, Urteil vom 6. Oktober 2015 - C-362/14 -, Schrems/Digital Rights Ireland, NJW 2015, S. 3151 <3155 ff.>, Rn. 78, 81, 89).

340

cc) Auch ansonsten gelten in Deutschland die Anforderungen an eine wirksame aufsichtliche Kontrolle einschließlich einer hierfür geeigneten Protokollierung der jeweiligen Übermittlungsvorgänge sowie das Erfordernis von Berichtspflichten (siehe oben C IV 6 d, e).

341

dd) Die vorstehend entwickelten Maßgaben müssen in einer den Grundsätzen der Bestimmtheit und Normenklarheit entsprechenden Weise gesetzlich ausgeformt sein. Dazu gehört auch, dass Ermächtigungsgrundlagen, die, soweit zulässig, eine Übermittlung von Daten zur Informationsgewinnung durch einen Abgleich mit Daten ausländischer Behörden und einen Rückfluss ergänzender Erkenntnisse herbeiführen sollen, als solche normenklar ausgestaltet sind.

342

2. Die Übermittlungstatbestände des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 3 und Satz 2 BKAG sind mit diesen Anforderungen nicht vereinbar.

343

a) § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BKAG genügt, soweit er als eigene Ermächtigungsgrundlage zu verstehen ist (vgl. Graulich, in: Schenke/Graulich/Ruthig, Sicherheitsrecht des Bundes, 2014, § 14 BKAG, Rn. 6), den verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine Zweckänderung nicht. Indem er dem Bundeskriminalamt eine Datenübermittlung allgemein zur Erfüllung der ihm obliegenden Aufgaben erlaubt, fehlt es an Maßgaben, die sicherstellen, dass Daten aus eingriffsintensiven Überwachungsmaßnahmen nur für Zwecke übermittelt werden dürfen, die dem Kriterium der hypothetischen Datenneuerhebung entsprechen (vgl. oben D I 2 b). Die Befugnis ist damit nicht hinreichend eingegrenzt und unverhältnismäßig.

344

b) Gleichfalls zu weit und deshalb mit den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht vereinbar ist § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BKAG in Bezug auf Daten aus Wohnraumüberwachungen. Nach den oben entwickelten Maßgaben ist für diese sicherzustellen, dass sie nur bei Vorliegen einer dringenden Gefahr übermittelt werden dürfen (siehe oben D I 2 b bb; vgl. ferner BVerfGE 109, 279 <377, 379>). Eine solche Begrenzung enthält die Vorschrift nicht.

345

Hinsichtlich anderer Daten ist die Vorschrift bei sachgerechter Auslegung demgegenüber verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Indem die Vorschrift in Anknüpfung an die Terminologie des allgemeinen Sicherheitsrechts eine "erhebliche Gefahr" für die öffentliche Sicherheit verlangt, erlaubt sie eine Übermittlung nur zum Schutz besonders qualifizierter Rechtsgüter und kann - entsprechend der Regelung des § 20v Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 BKAG (siehe oben D III 3 b bb) - im Lichte der entsprechenden Datenerhebungsvorschriften ausgelegt werden. Da die Vorschrift überdies klarstellt, dass es sich hierbei um eine auch im Einzelfall bestehende Gefahr handeln muss, erfüllt sie auch die Anforderungen an die Übermittlung von Daten aus Online-Durchsuchungen (siehe oben D I 2 b bb).

346

c) Mit den Anforderungen an eine Zweckänderung nicht vereinbar ist schließlich der Übermittlungstatbestand des § 14 Abs. 1 Satz 2 BKAG.

347

Die Vorschrift stellt nicht hinreichend sicher, dass die Übermittlung von Daten in Anknüpfung an das Kriterium der hypothetischen Datenneuerhebung auf den Schutz hinreichend gewichtiger Rechtsgüter begrenzt bleibt (vgl. oben D I 2 b). Sie erlaubt eine Übermittlung allgemein zur Verhütung von Straftaten von erheblicher Bedeutung, ohne zu unterscheiden, mit welchen Mitteln die jeweiligen Daten erhoben wurden. Diese Schwelle rechtfertigt jedoch die Übermittlung von Daten aus besonders eingriffsintensiven Maßnahmen nicht. Knüpft der Gesetzgeber bei Übermittlungen zur Gefahrenabwehr wie hier zur Straftatenverhütung für die Bestimmung der neuen Zwecke nicht unmittelbar an Rechtsgütern, sondern an der Art der zur verhütenden Straftaten an, so ist insoweit an die entsprechenden Gewichtungen, die für die strafprozessuale Datenerhebung gelten, anzuknüpfen. Danach ist etwa die Übermittlung von Daten aus Maßnahmen der Telekommunikationsüberwachung auf die Verhütung von schweren Straftaten und von Daten aus Wohnraumüberwachungen und Online-Durchsuchungen auf die Verhütung von besonders schweren Straftaten beschränkt (vgl. BVerfGE 109, 279 <343 ff.>; 125, 260 <328 f.>; 129, 208 <243>; siehe auch oben C IV 1 a). Entsprechende Anforderungen sieht die Vorschrift für die Übermittlung indessen nicht vor.

348

Darüber hinaus genügt die Vorschrift auch hinsichtlich des geforderten Konkretisierungsgrads der Gefahrenlage nicht in jeder Hinsicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen. Indem sie zur Übermittlung von Daten unterschiedslos dann ermächtigt, wenn "Anhaltspunkte" für eine künftige Straftatenbegehung bestehen, erlaubt sie auch eine Übermittlung von Daten aus Wohnraumüberwachungen und Online-Durchsuchungen, ohne eine dringende Gefahr (vgl. BVerfGE 109, 279 <377, 379> zur Wohnraumüberwachung) oder eine im Einzelfall hinreichend konkretisiert drohende Gefahr (vgl. BVerfGE 120, 274 <326, 328 f.> zur Online-Durchsuchung) zur Voraussetzung zu machen. Dies ist mit den oben dargelegten Anforderungen nicht vereinbar (vgl. oben D I 2 b bb). Soweit hingegen andere Daten betroffen sind, ist gegen diese Eingriffsschwelle nichts zu erinnern. Indem die Vorschrift Anhaltspunkte über eine Straftatenbegehung verlangt, macht sie die Übermittlung davon abhängig, dass sich aus den übermittelten Daten zumindest konkrete Ermittlungsansätze ergeben. Dies steht mit den verfassungsrechtlichen Anforderungen in Einklang.

349

d) Keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken unterliegt demgegenüber die übergreifende Regelung des § 14 Abs. 7 BKAG.

350

aa) Indem § 14 Abs. 7 Satz 7 BKAG anordnet, dass die Übermittlung unterbleibt, soweit im Einzelfall schutzwürdige Interessen der Betroffenen am Ausschluss der Übermittlung überwiegen, lässt die Regelung Raum für die von Verfassungs wegen geforderte Vergewisserung, dass die gebotenen menschenrechtlichen Standards eingehalten werden.

351

bb) Den datenschutzrechtlichen Anforderungen des Grundgesetzes trägt § 14 Abs. 7 BKAG Rechnung, indem er die Übermittlung verfahrensrechtlich ausgestaltet und Anforderungen an die Vergewisserung über ein angemessenes Datenschutzniveau im Empfängerstaat festlegt.

352

(1) Die Vorschrift begründet eine Verantwortung des Bundeskriminalamts für die Zulässigkeit der Datenübermittlung und verlangt damit insbesondere auch die Prüfung, ob sich aus den übermittelten Informationen selbst oder im Zusammenhang mit einem Übermittlungsersuchen hinreichend plausibel Anhaltspunkte ergeben, nach denen die Übermittlung der Daten für die jeweiligen Zwecke erlaubt ist. Bei sachgerechtem Verständnis stellt die Norm zugleich sicher, dass der Übermittlungszweck förmlich mitgeteilt sowie darauf hingewiesen wird, dass die Daten nur zu diesem Zweck genutzt werden dürfen. Nicht zu beanstanden ist insoweit, dass die Zweckbindung nur in Form eines Hinweises, nicht aber durch eine förmliche Verpflichtung abgesichert wird und auch über den Löschungszeitraum nur ein informatorischer Hinweis auf die deutsche Rechtslage vorgeschrieben ist. Grundsätzlich reicht es, wenn sich die Behörden mit Blick auf die Sach- und Rechtslage im Empfängerstaat in tatsächlicher Hinsicht über das Vorhandensein eines angemessenen Datenschutzniveaus im Empfängerstaat vergewissern.

353

(2) Eine solche Vergewisserung sieht § 14 Abs. 7 Satz 7 bis 9 BKAG vor. Bei verfassungskonformer Auslegung ist diese Regelung mit den verfassungsrechtlichen Anforderungen vereinbar. Sie verbietet eine Übermittlung, wenn nach Maßgabe einer Abwägung im Einzelfall schutzwürdige Interessen der betroffenen Person überwiegen und zählt hierzu das Vorhandensein eines angemessenen Datenschutzniveaus im Empfängerstaat. Bei einer Auslegung im Licht der Verfassung ist die Beachtung der grundrechtlichen Anforderungen an einen angemessenen datenschutzrechtlichen Umgang im Empfängerstaat allerdings nicht lediglich ein Abwägungsgesichtspunkt, der im Einzelfall zur Disposition der Behörden steht. Vielmehr sind insoweit grundrechtliche Mindestanforderungen stets zur Geltung zu bringen. Ist eine Vergewisserung über einen zumindest elementaren Anforderungen genügenden rechtsstaatlichen Umgang des Empfängerstaats mit den übermittelten Daten nicht anders zu erreichen, bedarf es insoweit des Rückgriffs auf eine Einzelfallgarantie nach § 14 Abs. 7 Satz 9 BKAG. Bei diesem Verständnis sind gegen die Verfassungsmäßigkeit der Regelung keine Bedenken zu erheben. Die allgemeine Vorschrift des § 27 Abs. 1 Nr. 1 BKAG stützt die Regelung dabei ergänzend ab.

354

e) Im Übrigen genügen die Übermittlungsregelungen des § 14 Abs. 1 BKAG insoweit nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen, als es an einer hinreichenden Regelung der aufsichtlichen Kontrolle sowie der Anordnung von Berichtspflichten zur Übermittlungspraxis fehlt (siehe oben C IV 6 d, e). Demgegenüber ist eine Protokollierungspflicht, wie verfassungsrechtlich geboten, in § 14 Abs. 7 Satz 3 BKAG vorgesehen (vgl. BVerfGE 133, 277 <370 Rn. 215>). Angesichts der Anwendbarkeit des § 19 BDSG fehlt es auch nicht an Auskunftsrechten der Betroffenen (vgl. BVerfGE 120, 351 <364 f.>; siehe oben C IV 6 b; C VI 3 b).

E.

I.

355

1. Die Feststellung einer Verfassungswidrigkeit gesetzlicher Vorschriften führt grundsätzlich zu deren Nichtigkeit. Allerdings kann sich das Bundesverfassungsgericht, wie sich aus § 31 Abs. 2 Satz 2 und 3 BVerfGG ergibt, auch darauf beschränken, eine verfassungswidrige Norm nur für mit der Verfassung unvereinbar zu erklären (BVerfGE 109, 190<235>). Es verbleibt dann bei einer bloßen Beanstandung der Verfassungswidrigkeit ohne den Ausspruch der Nichtigkeit. Die Unvereinbarkeitserklärung kann das Bundesverfassungsgericht dabei zugleich mit der Anordnung einer befristeten Fortgeltung der verfassungswidrigen Regelung verbinden. Dies kommt in Betracht, wenn die sofortige Ungültigkeit der zu beanstandenden Norm dem Schutz überragender Güter des Gemeinwohls die Grundlage entziehen würde und eine Abwägung mit den betroffenen Grundrechten ergibt, dass der Eingriff für eine Übergangszeit hinzunehmen ist (vgl. BVerfGE 33, 1 <13>; 33, 303 <347 f.>; 40, 276 <283>; 41, 251 <266 ff.>; 51, 268 <290 ff.>; 109, 190 <235 f.>). Für die Übergangszeit kann das Bundesverfassungsgericht vorläufige Anordnungen treffen, um die Befugnisse der Behörden bis zur Herstellung eines verfassungsmäßigen Zustandes durch den Gesetzgeber auf das zu reduzieren, was nach Maßgabe dieser Abwägung geboten ist (vgl. BVerfGE 40, 276 <283>; 41, 251 <267>).

356

2. Danach sind § 20h Abs. 1 Nr. 1 c und § 20v Abs. 6 Satz 5 BKAG für verfassungswidrig und nichtig zu erklären. Die Vorschriften genügen den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht und eine Regelung mit vergleichbarem Regelungsgehalt kann der Gesetzgeber auch durch Nachbesserung nicht herbeiführen.

357

Demgegenüber sind § 20g Abs. 1 bis 3, §§ 20h, 20j, 20k, 20l, § 20m Abs. 1, 3 - diesbezüglich auch § 20v Abs. 6 Satz 3, 2. Halbsatz - und § 20u Abs. 1, 2 sowie § 20v Abs. 4 Satz 2, Abs. 5 Satz 1 bis 4 (ohne Satz 3 Nr. 2), § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 3, Satz 2 BKAG lediglich für mit der Verfassung unvereinbar zu erklären; die Unvereinbarkeitserklärung ist mit der Anordnung ihrer vorübergehenden Fortgeltung bis zum Ablauf des 30. Juni 2018 zu verbinden. Die Gründe für die Verfassungswidrigkeit dieser Vorschriften betreffen nicht den Kern der mit ihnen eingeräumten Befugnisse, sondern nur einzelne Aspekte ihrer rechtsstaatlichen Ausgestaltung; die Reichweite ihrer Beurteilung als insgesamt verfassungswidrig ergibt sich dabei maßgeblich daraus, dass es an einzelnen übergreifend die Verhältnismäßigkeit sichernden Regelungen, etwa zur Gewährleistung einer effektiven Aufsicht, fehlt. Der Gesetzgeber kann in diesen Fällen die verfassungsrechtlichen Beanstandungen nachbessern und damit den Kern der mit den Vorschriften verfolgten Ziele auf verfassungsmäßige Weise verwirklichen. Angesichts der großen Bedeutung einer wirksamen Bekämpfung des internationalen Terrorismus für den freiheitlichen und demokratischen Rechtsstaat ist unter diesen Umständen ihre vorübergehende Fortgeltung eher hinzunehmen als deren Nichtigkeitserklärung, die dem Bundeskriminalamt bis zu einer Neuregelung zentrale Ermittlungsbefugnisse bei der Abwehr des internationalen Terrorismus nehmen würde.

358

Die Anordnung der Fortgeltung bedarf mit Blick auf die betroffenen Grundrechte jedoch einschränkender Maßgaben. Anzuordnen ist zum einen, dass Maßnahmen gemäß § 20g Abs. 2 Nr. 1, 2 b, 4 und 5 BKAG nur durch das Gericht angeordnet werden dürfen; bei Gefahr im Verzug gilt § 20g Abs. 3 Satz 2 bis 4 BKAG entsprechend. Zum anderen dürfen Maßnahmen gemäß § 20g Abs. 1 Nr. 2, § 20l Abs. 1 Nr. 2 und § 20m Abs. 1 Nr. 2 BKAG nur angeordnet werden, wenn die Voraussetzungen des § 20k Abs. 1 Satz 2 BKAG in der in den Urteilsgründen dargelegten verfassungskonformen Auslegung vorliegen. Schließlich ist eine weitere Verwendung von Daten gemäß § 20v Abs. 4 Satz 2 BKAG oder eine Übermittlung von Daten gemäß § 20v Abs. 5 und § 14 Abs. 1 BKAG betreffend Daten aus Wohnraumüberwachungen (§ 20h BKAG) nur bei Vorliegen einer dringenden Gefahr und betreffend Daten aus Online-Durchsuchungen (§ 20k BKAG) nur bei Vorliegen einer im Einzelfall drohenden Gefahr für die jeweils maßgeblichen Rechtsgüter zulässig.

II.

359

Die Entscheidung ist teilweise mit Gegenstimmen ergangen. Dies gilt insbesondere für die Verwerfung von § 20g Abs. 1 Nr. 2, § 20l Abs. 1 Nr. 2 und § 20m Abs. 1 Nr. 2 BKAG als verfassungswidrig (anstatt sie einer verfassungskonformen Auslegung zuzuführen), für die Annahme der Ermittlungsbefugnisse des § 20g BKAG als kernbereichstypisch, für die Beanstandung unzureichender Aufsichtsbefugnisse, Berichts- und Sanktionspflichten und teilweise auch fehlender Richtervorbehalte, die mit 5:3 Stimmen ergangen sind.

360

Die Auslagenentscheidung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.

Abw. Meinung

Abweichende Meinung 1

1

Ich kann das Urteil in einer Reihe der in Bezug auf die angegriffenen Normen gezogenen Schlussfolgerungen und in Teilen der Begründung nicht mittragen.

I.

2

Das Urteil fasst die in der Rechtsprechung des Gerichts entwickelten Grundsätze zur Datenerhebung und Datenweitergabe bei eingriffsintensiven Ermittlungsmaßnahmen für den hier maßgeblichen Bereich der Terrorismusabwehr zusammen, konsolidiert sie und entwickelt sie in Teilen fort. Den übergreifend formulierten Grundsätzen zu den spezifischen verfassungsrechtlichen Anforderungen an den Einsatz dieser Ermittlungs- und Überwachungsmaßnahmen und an die weitere Verwendung der daraus gewonnenen Erkenntnisse kann ich in weiten Teilen zustimmen. In einer ganzen Reihe von Punkten stellt der Senat jedoch überzogene Anforderungen an die Datenerhebung und -weiterverwendung und insbesondere an die daraus von ihm abgeleiteten Ausgestaltungspflichten für den Gesetzgeber. Zwar bewegt sich das Urteil in den grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Wertungen zur Zulässigkeit von Eingriffen in die Freiheitsrechte aus Gründen der vom Staat zu gewährleistenden Sicherheit wie auch in den daraus im Einzelnen abgeleiteten Anforderungen auf der Linie der hierzu vor allem in den letzten 12 Jahren entwickelten Rechtsprechung des Gerichts. Vorgaben dieser Strenge und Detailgenauigkeit an den Gesetzgeber ließen und lassen sich nach meiner Überzeugung der Verfassung aber nicht entnehmen (vgl. meine bereits in diese Richtung zielende Abweichende Meinung in BVerfGE 125, 380 zum Urteil des Senats zur Vorratsdatenspeicherung - BVerfGE 125, 260).

3

Die vom Senat aufgestellten Grundsätze sind fast ausschließlich auf der Stufe der Verhältnismäßigkeitsprüfung im engeren Sinne vorgenommene Ableitungen aus der Abwägung zwischen den Belastungen eingriffsintensiver Maßnahmen für die Grundrechte der Betroffenen einerseits und den Schutzpflichten des Staates bei der Abwehr terroristischer Gefahren andererseits. Dabei berücksichtigt der Senat nicht ausreichend, dass dem Gesetzgeber auch auf dieser Stufe der Verhältnismäßigkeitsprüfung eine Einschätzungsprärogative in Bezug auf die tatsächliche Beurteilung einer Gefahrenlage und ihre prognostische Entwicklung zukommt. Auch hat der Gesetzgeber einen ersten Zugriff bei der Gewichtung des mit dem Gesetz verfolgten Regelungsziels. Zwar unterliegt die vom Gesetzgeber vorgenommene Abwägung auf der Ebene der Verhältnismäßigkeitsprüfung im engeren Sinne einer grundsätzlich strengen Kontrolle durch das Bundesverfassungsgericht, ohne jedoch die Kontrollperspektive im Hinblick auf tatsächliche Einschätzungsprärogative und den Wertungsspielraum bei der Gewichtung des legitimen Ziels zu verlassen.

4

Auf dieser Grundlage gelange ich schon im Ausgangspunkt zu einer anderen Gewichtung bei der beschriebenen Abwägung, als sie der Entscheidung des Senats zugrunde liegt. Dies führt zu teilweise anderen Ergebnissen bei den Grundsätzen, insbesondere aber bei den konkreten Schlussfolgerungen für die angegriffenen Maßnahmen. Zwar sind die Grundrechtsberechtigten bereits durch die latente Drohung heimlicher Überwachungs- und Ermittlungsmaßnahmen Belastungen mit höchster Eingriffsintensität ausgesetzt und im Falle ihres Einsatzes auch direkt davon betroffen. Bei der Gewichtung der latenten Bedrohungslage ist jedoch zu berücksichtigen, dass die allermeisten der angegriffenen Normen zu Einzelmaßnahmen und nicht zu generalisierten Datenerhebungen mit großer Streubreite ermächtigen. Sofern durch den konkreten Einsatz von Ermittlungsmaßnahmen Menschen betroffen werden, die keine oder nur in geringem Umfang ihnen zurechenbare Verantwortung für den Ermittlungsanlass gegeben haben, wird ihnen damit in staatsbürgerlicher Inpflichtnahme ein Sonderopfer abverlangt für die öffentliche Gewährleistung von Sicherheit. Es ist bedauerlich, dass diese nach meiner Überzeugung völlig zutreffende Beschreibung und Bewertung der Ermittlungsmaßnahmen gegenüber im polizeirechtlichen Sinne nicht Verantwortlichen keinen Eingang in die Urteilsgründe gefunden hat.

5

Ausgehend davon, dass es sich bei im Grunde all den im Urteil wiedergegebenen übergreifenden Anforderungen an Verfahren und flankierende Schutzbestimmungen bei der Datenerhebung und -weitergabe und bei den daraus für die angegriffenen Normen gezogenen Konsequenzen um Ableitungen aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz handelt, hätte der Senat dem Gesetzgeber weniger detaillierte Vorgaben machen dürfen. Nicht alle der dem Gesetzgeber vorgeschriebenen Anforderungen an Verfahren, Transparenz und Kontrolle sind, selbst wenn viele von ihnen sinnvoll und richtig sein mögen, auch verfassungsrechtlich genau so gefordert. Hier wäre nach meiner Überzeugung deutlich mehr an richterlicher Zurückhaltung geboten gewesen. Stattdessen führt das Urteil durch die Generalisierung früherer Erkenntnisse in einer Art allgemeinen Teil trotz zu begrüßender Konsolidierungsschritte im Ergebnis jedenfalls zu einer problematischen Verfestigung der überzogenen verfassungsrechtlichen Anforderungen in diesem Bereich. Die vom Gesetzgeber zu berücksichtigenden genauen verfassungsrechtlichen Vorgaben für je nach Überwachungs- und Ermittlungsmaßnahme differenzierten Eingriffsschwellen, abgeschichteten Schutzgutanforderungen, an die den Einzelmaßnahmen angepassten flankierenden Schutzvorkehrungen und Weiterverwendungsdirektiven haben damit ein von ihm nur mit enormen Regulierungsaufwand zu bewältigendes Maß an Komplexität erreicht. Die daraus resultierenden umfänglichen Regelwerke in den Bundes- und Landespolizeigesetzen werden auch auf der Ebene des Vollzugs die Polizeibeamten oft vor nur schwer lösbare Probleme stellen. Zwar sind klare gesetzliche Vorgaben gerade im Bereich eingriffsintensiver Überwachungsmaßnahmen unverzichtbar, sollten aber - solange keine gegenteiligen Erkenntnisse vorliegen - auf der Grundlage eines grundsätzlichen Vertrauens auf gesetzmäßiges und insbesondere auch verhältnismäßiges Handeln der Sicherheitsbehörden in ihren Einzelentscheidungen deutlich zurückhaltender ausfallen. Sobald strukturelle Unzuträglichkeiten bekannt würden, bliebe es dem Gesetzgeber unbenommen, hinsichtlich der Eingriffsvoraussetzungen und der flankierenden Schutzmaßnahmen nachzubessern.

II.

6

Trotz des im beschriebenen Umfang abweichenden Ansatzes kann ich einem Großteil der im Urteil formulierten übergreifenden Grundsätze zur Datenerhebung, Datenweitergabe und auch zur Übermittlung ins Ausland zustimmen. Dies gilt über weite Strecken auch im Hinblick auf die daraus für die angegriffenen Regelungen abgeleiteten Schlussfolgerungen. Sie überzeugen und sind gut begründet. Die damit verbundenen Anforderungen an eine anspruchsvolle Gesetzgebung und Erschwernisse des Polizeivollzugs müssen zum Schutz der betroffenen Freiheitsrechte hingenommen werden. In verschiedenen Aussagen der allgemeinen Grundsätze und bei einer Reihe der daraus abgeleiteten gezogenen Schlüsse auf die Verfassungswidrigkeit von Einzelnormen, halte ich den Standpunkt des Urteils - auch wenn es sich dabei um Fortführungen früherer Entscheidungen handelt - jedoch für überzogen und so verfassungsrechtlich nicht gefordert. Hierbei geht es vor allem um folgende Punkte:

7

1. Ungeachtet der bereits prinzipiell angezeigten größeren Zurückhaltung des Gerichts in Bezug auf detaillierte Vorgaben an den Gesetzgeber für die flankierenden Verfahrens- und sonstige Schutzvorschriften halte ich es nach wie vor für überzogen, aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz abzuleiten, dass dem von einer eingriffsintensiven Überwachungsmaßnahme Betroffenen neben dem Zugang zu einer gerichtlichen Rechtmäßigkeitskontrolle auch wirksame Sanktionsmechanismen einschließlich eines etwaigen Ausgleichsanspruchs bei einer Rechtsverletzung zur Verfügung gestellt werden müssten (Urteil C IV 6 c), dass eine Kontrolle der Datenerhebung und -verarbeitung regelmäßig in Abständen durchgeführt werden müsste, deren Dauer ein gewisses Höchstmaß von etwa zwei Jahren nicht überschreiten dürfe (Urteil C IV 6 d) und dass der Gesetzgeber zur Gewährleistung von Transparenz und Kontrolle wegen der Heimlichkeit der Datenerhebung regelmäßige Berichte des Bundeskriminalamts gegenüber Parlament und Öffentlichkeit sicherzustellen habe (Urteil C IV 6 e). Für all diese Sicherungsmaßnahmen gibt es gute, im Urteil nachgewiesene Gründe. Dies allein rechtfertigt es allerdings nicht, sie dem Gesetzgeber als verfassungsrechtlich geboten vorzuschreiben und ihm dadurch andere Lösungswege zu versperren, die er im Rahmen seines Gestaltungsspielraums zur Erreichung eines verfassungsrechtlich gebotenen Sicherheitsniveaus hätte beschreiten können. Es hätte genügt - und Weitergehendes ist auch nicht gerechtfertigt - dem Gesetzgeber lediglich das Sicherheitsniveau vorzugeben.

8

2. In geringerem Umfang verfassungswidrig, als vom Senat angenommen, sind die angegriffenen einzelnen Ermittlungs- und Überwachungsbestimmungen.

9

a) Der Senat hält die Ermächtigungen zu einigen Aufklärungs- und Datenerhebungsmaßnahmen zum Zwecke der Straftatenverhütung für zu unbestimmt und unverhältnismäßig (Urteil C V 1 d bb, 5 b, 6 b), soweit darin lediglich gefordert wird, dass "Tatsachen" oder auch "bestimmte Tatsachen" die Annahme rechtfertigen, dass eine Person Straftaten im Sinne des § 129a StGB "begehen wird" oder "vorbereitet" (vgl. § 20g Abs. 1 Nr. 2; § 20l Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und § 20m Abs. 1 Nr. 2 BKAG). Damit unterlässt er es ohne Not, den in diesen Fällen möglichen Weg der verfassungskonformen Auslegung zu wählen. Der Senat hat in den allgemeinen Grundsätzen des Urteils die Voraussetzungen einer verfassungsgemäßen Gefahrenschwelle für so weit ins Vorfeld einer konkreten Gefahr verlagerte, eingriffsintensive Aufklärungsmaßnahmen erarbeitet. Demzufolge muss wenigstens ein seiner Art nach konkretisiertes und absehbares Geschehen in Richtung einer der genannten Straftaten erkennbar sein oder alternativ das individuelle Verhalten einer Person die konkrete Wahrscheinlichkeit begründen, dass sie terroristische Straftaten in überschaubarer Zukunft begeht. Die in diesen Formulierungen gelungene Präzisierung des Gefahrbegriffs im Vorfeldbereich der Straftatenverhütung verbunden mit der Ausweitung auf die alternative Möglichkeit einer Anknüpfung an das individuelle Verhalten einer Person sehe ich allerdings als deutlichen Gewinn gegenüber den Vorgaben aus der bisherigen Rechtsprechung, an die hier angeknüpft wird. Die Neuformulierung benennt die Eingriffsvoraussetzungen im Hinblick auf die Eingriffsschwelle in diesem Bereich klarer und trägt den berechtigten Sicherheitsbedürfnissen des Gemeinwesens an dieser Stelle besser als bisher Rechnung. Es widerspricht jedoch weder dem Wortlaut noch dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers, die hier in Rede stehenden und für sich genommen insoweit zu offen formulierten Ermittlungsermächtigungen unter Beachtung dieser verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Gefahrenschwelle einschränkend auszulegen. Dann wäre es aus Respekt vor dem Gesetzgeber geboten gewesen, die Normen zu erhalten, zumal mit dem Urteil nunmehr eine präzise Bestimmung der Gefahrenschwelle für die Fälle der Straftatenverhütung vorliegt und im Rahmen des Wortlauts der Normen ohne Weiteres zur Anwendung gebracht werden kann.

10

b) Anders als der Senat halte ich auch das vom Gesetzgeber in § 20g Abs. 3 Satz 5 bis 9 BKAG gewählte Konzept, erst für die Verlängerung eines Großteils der in § 20g Abs. 2 BKAG genannten Überwachungsmaßnahmen einen Richtervorbehalt vorzusehen, für verfassungsrechtlich vertretbar. Die dort vorgesehenen Überwachungsmaßnahmen wiegen zwar teilweise schwer, sind aber durchgängig an die Genehmigung durch den Abteilungsleiter geknüpft und mit einer Protokollierungspflicht verbunden. Damit hat der Gesetzgeber eine noch vertretbare Balance zwischen Aufklärungseffizienz und berechtigten Schutzinteressen der durch die Überwachungsmaßnahmen Betroffenen gefunden, zumal nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden kann, dass das Bundeskriminalamt den im ersten Monat fehlenden Richtervorbehalt regelmäßig zu unverhältnismäßigen Überwachungsmaßnahmen nutzen wird. Sollte sich das Vertrauen des Gesetzgebers in dieses zunächst auf der Ebene des Bundeskriminalamts angesiedelte Kontrollsystem als unberechtigt erweisen, hätte er dies allerdings zu korrigieren.

11

c) Nicht teilen kann ich die Annahme des Senats, § 20g BKAG sei auch deshalb verfassungswidrig, weil er keine Regelungen zum Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung enthält (Urteil C V 1 g).

12

Im Ausgangspunkt stimme ich allerdings dem Standpunkt des Urteils zu, dass der Gesetzgeber bei Normen, die zu typischerweise in den Kernbereich privater Lebensgestaltung eingreifenden Überwachungs- und Ermittlungsmaßnahmen ermächtigen, ein Sicherungs- und Kontrollregime vorsehen muss, das die im Urteil im einzelnen umschriebenen Bedingungen zur Vermeidung bereits der Erhebung solcher Daten vorsieht und - sofern dies nicht auszuschließen ist - dann auf der Auswertungs- und Verwertungsebene entsprechende behördenexterne Filter- und Sichtungsmechanismen enthält (Urteil C IV 3 d). Eine Pflicht des Gesetzgebers, schon im Vorhinein ein solches, auf die jeweilige Überwachungsnorm zugeschnittenes System des Kernbereichsschutzes vorzuschreiben, das solche Maßnahmen dann in aller Regel nur unter womöglich aufwändigen Vorkehrungen in verfahrensmäßiger und personeller Hinsicht erlaubt, ist nach meiner Überzeugung von Verfassungs wegen allerdings nur für solche Überwachungs- und Ermittlungsmaßnahmen geboten, von denen zu erwarten ist, dass sie mit einer gewissen Regelmäßigkeit und damit typischerweise kernbereichsrelevante Situationen erfassen.

13

Eine solche Ermächtigungsnorm für Überwachungsmaßnahmen, die typischerweise zur Erhebung kernbereichsrelevanter Daten führen können, ist § 20g BKAG jedoch nicht. Der Senat begründet seine gegenteilige Auffassung mit der Erwägung, die Vorschrift ermächtige unter anderem zu längerfristigen Bildaufzeichnungen und einem auf eine lange Zeit angelegten Abhören und Aufzeichnen des nichtöffentlich gesprochenen Wortes; sie ermögliche damit Überwachungsmaßnahmen, die typischerweise tief in die Privatsphäre eindringen könnten. Es dürfte zwar in der Tat nicht auszuschließen sein, dass gerade Überwachungsmaßnahmen der beschriebenen Art Situationen erfassen können, die dem Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzurechnen sind. Dass solche Maßnahmen im Einzelfall tief in die Privatsphäre eindringen können, bedeutet jedoch nicht, dass sie dies typischerweise tun, und erst recht nicht, dass sie dann auch typischerweise kernbereichsrelevante Vorgänge erfassen. Der Annahme einer solchen Typik steht vor allem entgegen, dass die Maßnahmen des § 20g Abs. 2 BKAG grundsätzlich im öffentlichen Raum stattfinden. Kommt es dann im konkreten Einzelfall dennoch zur Erfassung von Situationen, in denen der dem Kernbereichsschutz unterfallende Personenkreis in der berechtigten Annahme strenger Vertraulichkeit Höchstpersönliches austauscht, hat das Bundeskriminalamt die dann jeweils gebotenen Maßnahmen zum Schutz des Kernbereichs zu treffen (Urteil C IV 3 b).

14

3. Geht mit der weiteren Verwendung aus Überwachungsmaßnahmen gewonnener Daten eine Zweckänderung einher, liegt darin ein erneuter Eingriff in das Grundrecht, in das bereits bei Erhebung der Daten eingegriffen wurde. Das entspricht gefestigter, auch von mir geteilter Rechtsprechung des Gerichts. Die vom Senat geforderten Bedingungen, unter denen eine solche Zweckänderung erfolgen darf, errichten allerdings teilweise zu hohe Hürden. Sie werden insoweit nicht dem Umstand gerecht, dass es sich um die Weiternutzung bereits verfassungsgemäß erhobener Daten handelt.

15

a) Uneingeschränkt zu begrüßen ist allerdings das grundsätzliche Unterfangen des Urteils, die Figur der "hypothetischen Neuerhebung" als gedanklichen Ansatz zur Bestimmung der Zweckänderungsbedingungen zu präzisieren und zu konsolidieren (Urteil D I). Mit der Unterscheidung zwischen der weiteren Nutzung von Daten (innerhalb der ursprünglichen Zwecksetzung, seitens derselben Behörde und im Rahmen desselben Aufgabenkreises), für die es als Weiternutzungsschwelle lediglich eines bloßen Spurenansatzes bedarf (Urteil D I 1 b), und der darüber hinausgehenden Zweckänderung vorhandener Daten durch die Weitergabe an andere Behörden, die als legitimierenden Anlass lediglich verlangt, dass sich aus den Daten ein konkreter Ermittlungsansatz ergibt (Urteil D I 2 b bb), schafft das Urteil Rechtsklarheit und nimmt überzogene, aus der undifferenzierten Anwendung des Gedankens der hypothetischen Neuerhebung abgeleitete Anforderungen an den Anlass für die Weitergabe der Daten zurück. Damit trägt es dem Umstand Rechnung, dass die weitere Nutzung und insbesondere die Zweckänderung von Daten zwar den ursprünglichen, bei der Gewinnung der Daten erfolgten Grundrechtseingriff fortführen, das Grundrecht aber typischerweise eben nicht erneut in gleicher Intensität beeinträchtigen.

16

b) Nicht mitzutragen vermag ich jedoch die vom Senat im Anschluss an seine frühere Rechtsprechung (BVerfGE 109, 279 <377, 379>) geforderte Ausnahme von diesem Zweckänderungskonzept bei Daten, die aus Wohnraumüberwachung und Online-Durchsuchung gewonnen wurden. Hier verlangt das Urteil unter Berufung auf das besondere Eingriffsgewicht dieser Maßnahmen für jede weitere Nutzung und Zweckänderung die Rechtfertigung durch eine dringende oder eine im Einzelfall hinreichend konkretisierte Gefahr wie bei der Datenerhebung selbst (Urteil D I 1 b, 2 b bb). Der Schluss von der Eingriffsintensität bei der Datenerhebung gerade in diesen beiden Fallgruppen auf die Notwendigkeit einer gleich hohen Anlassschwelle für die Weiternutzung und Zweckänderung überzeugt nicht. In allen anderen Fallgruppen hat der Senat mit dem hier entwickelten neuen Konzept die Notwendigkeit einer Kongruenz zwischen dem gebotenen Erhebungsanlass und dem der Weiterverwendung in dem Urteil soeben zu Recht aufgegeben und stattdessen überzeugend nach dem Grad der Abweichung vom ursprünglichen Erhebungszweck differenziert. Für Daten aus Wohnraumüberwachung und Online-Durchsuchung gilt nichts anderes. Art. 13 Abs. 4 Satz 1 GG fordert eine dringende Gefahr für den Einsatz der Wohnraumüberwachung; zu den Bedingungen der Weiterverwendung der daraus gewonnenen Daten sagt er nichts. Vergleichbar den anderen eingriffsintensiven Überwachungsmaßnahmen erfolgt auch bei der Wohnraumüberwachung die eigentliche, massive Beeinträchtigung der Privatsphäre durch den Ermittlungszugriff auf den geschützten Bereich. Die weitere, auch zweckändernde Nutzung perpetuiert diesen Eingriff zwar, erreicht aber auch bei der Wohnraumüberwachung (und ebenso bei der Online-Durchsuchung) nicht mehr die ursprüngliche Eingriffsintensität. Die Weiternutzung und Zweckänderung aus diesen gewonnener Erkenntnisse hat daher den allgemeinen Regeln zu folgen. Der Senat hätte seine bisherige Rechtsprechung dementsprechend korrigieren sollen.

Abweichende Meinung 2

1

Soweit das Urteil die zu prüfenden gesetzlichen Bestimmungen von Verfassungs wegen beanstandet, vermag ich ihm in weiten Teilen dieses Ergebnisses und der zugehörigen Begründung nicht zuzustimmen.

2

Das Urteil geht zwar im Ansatz zutreffend davon aus, dass es die Aufgabe des Gesetzgebers ist, zwischen den Grundrechtseingriffen, die mit den zu prüfenden Eingriffsgrundlagen im Einzelfall verbunden sein können, und dem Schutzauftrag des Staates für die Grundrechte der Menschen und die Rechtsgüter der Allgemeinheit im Rahmen der Verhinderung terroristischer Straftaten einen angemessenen Ausgleich zu finden. In der Umsetzung dessen führt das jedoch zu einer meines Erachtens in verschiedener Hinsicht verfassungsrechtlich verfehlten Verhältnismäßigkeitsprüfung sowie zu überzogenen Anforderungen an die Bestimmtheit einzelner Regelungen. Die vom Senat vertretenen Positionen haben zugleich erhebliche Auswirkungen auf die Landespolizeigesetze der Länder, ohne dass diese Konsequenzen im Verfahren hinreichend vertieft worden wären. Damit beschneidet das Urteil zugleich die politische Gestaltungsmacht des Bundesgesetzgebers über das gebotene Maß hinaus, mittelbar aber auch diejenige der Landesgesetzgeber. Der Senat setzt mit zahlreichen gesetzgebungstechnischen Detailanforderungen letztlich seine konkretisierenden eigenen Vorstellungen von dem Regelwerk in meines Erachtens zu weit gehender Weise an die Stelle derjenigen des demokratisch legitimierten Gesetzgebers, der sich für seine Konzeption politisch zu verantworten hat und diese gegebenenfalls auch leicht korrigieren kann.

3

Anders als der Senat meint, wären einige der beanstandeten Bestimmungen auch verfassungskonform auslegbar gewesen (Voraussetzungen nach § 20g Abs. 1 Nr. 2, § 20l Abs. 1 Nr. 2, § 20m Abs. 1 Nr. 2, § 20v Abs. 4 Nr. 1 BKAG). Die von der Senatsmehrheit vermisste ausdrückliche Aufnahme einer kernbereichsschützenden Regelung für die Datenerhebungsmaßnahmen mit besonderen Mitteln namentlich außerhalb von Wohnungen (§ 20g BKAG) in das Gesetz ist verfassungsrechtlich keineswegs geboten, weil insoweit nicht typische Rückzugsräume der Privatheit in Rede stehen. Auch die Ausweitung des Richtervorbehalts für diese Maßnahmen nach § 20g BKAG ist aus Gründen der Verhältnismäßigkeit nicht zwingend. Soweit der Senat für die Auswertung von Überwachungsmaßnahmen zum Kernbereichsschutz die Einrichtung einer "unabhängigen Stelle" mit maximal einem sachkundigen Bediensteten des Bundeskriminalamts postuliert, beeinträchtigt dies die Wirksamkeit der gerade im Bereich der Gefahrenabwehr oft in besonderem Maße eil- und beschleunigungsbedürftigen Auswertung und Umsetzung von Erkenntnissen. Damit verfehlt er auch insoweit einen angemessenen Ausgleich. Mit den im Einzelnen geforderten zusätzlichen flankierenden verfahrensrechtlichen Maßnahmen, namentlich einer gesteigerten Datenschutzkontrolle und Pflichtkontrollen innerhalb eines bestimmten Zeitraumes sowie Berichtspflichten gegenüber Parlament und Öffentlichkeit und der Einforderung wirksamer Sanktionen bei Rechtsverletzungen werden gesetzesgestaltende Details verlangt, die den Gesetzgeber als Repräsentanten des Souveräns in zu kleinteiliger Weise einschränken. Hinsichtlich der beanstandeten Zweckänderungs- und Übermittlungsvorschriften, die an das Kriterium der hypothetischen Datenneuerhebung anknüpfen, folgen aus der Auffassung des Senats erhebliche Defizite für den Schutz der Grundrechte Dritter und der Rechtsgüter der Allgemeinheit. Dem Rechtsstaat wird partiell ein "Wegsehen" vor Gefahren für Rechtsgüter und Grundrechte Einzelner angesonnen; den von Gefahren für ihre Rechtsgüter Betroffenen wird damit in bestimmten Konstellationen der erforderliche Schutz vorenthalten.

4

Im Folgenden skizziere ich nur die wesentlichen Punkte näher, in denen meines Erachtens eine andere Beurteilung geboten gewesen wäre. Soweit einzelne Beanstandungen des Senats nicht angesprochen werden, vermag ich das Urteil in wichtigen Teilen auch mitzutragen. Das gilt insbesondere für die vom Senat akzeptierten reduzierten Anforderungen an den Gefahrbegriff, die Anforderungen an die Vorhersehbarkeit des Kausalverlaufs sowie die Maßnahmen der Umfeldüberwachung bei der ins Vorfeld der klassischen Gefahrenabwehr verschobenen Straftatenverhütung. Zu den einzelnen von mir nicht geteilten verfassungsrechtlichen Bewertungen ist anzumerken:

I.

5

Grundsätzlich ist vorweg festzuhalten, dass der Gesetzgeber bei der Verfolgung des Ziels, eine effektive Abwehr terroristischer Gefahren und Straftaten zu gewährleisten mit der von ihm gewählten Ausgestaltung des Spannungsverhältnisses zwischen den Grundrechten der von solchen polizeilichen Maßnahmen Betroffenen und den Eingriffsgrundlagen auf der einen Seite sowie seiner Schutzverpflichtung im Blick auf die Grundrechte der Einzelnen und die verfassungsmäßig verankerten Rechtsgüter der Allgemeinheit auf der anderen Seite einen im Wesentlichen angemessenen und zumutbaren Ausgleich gefunden hat. Der Gesetzgeber trägt damit dem Grundsatz Rechnung, dass der Einzelne sich im Rechtsstaat auf effektiven Schutz durch den Staat ebenso verlassen können muss wie auf den Schutz seiner Freiheitsgewährleistungen vor dem Staat (vgl. meine abw. Meinung in BVerfGE 125, 364 <369>; siehe zur Schutzpflicht bei terroristischen und anderen Bestrebungen auch der Senat in BVerfGE 120, 274 <319>). Soweit damit im Einzelfall auch Grundrechtsträger von solchen Maßnahmen betroffen werden können, die nicht selbst unter Terrorismusverdacht stehen oder die, wie sich später erweist, zu Unrecht in diesen geraten sind, sind die mit den eingreifenden Maßnahmen verbundenen Belastungen grundsätzlich als ihnen von der Gemeinschaft abverlangtes Sonderopfer hinzunehmen.

6

Die Urteilsgründe leiden indessen daran, dass nach den allgemeinen Ausführungen zu Bedeutung und Gewicht der vom Gesetzgeber verfolgten Ziele hinsichtlich der einzelnen Vorschriften keine substantielle Prüfung der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne und der Bestimmtheit mehr vorgenommen wird, sondern die verfassungsrechtlichen Beanstandungen einzelner Vorschriften lediglich mit der schlichten Rechtsbehauptung begründet werden, die jeweilige Bestimmung sei unverhältnismäßig oder zu unbestimmt. Eine wirkliche Angemessenheits- und Bestimmtheitsprüfung findet jeweils normbezogen nicht mehr statt. Die vom Senat zudem in ihrer Detailliertheit gemachten Vorgaben unter Berufung auf die Wahrung der Verhältnismäßigkeit verdeutlichen zudem die - wohlgemerkt: nur im Ergebnis - außergewöhnlich hohe Prüfungsdichte, die für die gesetzgebungstechnische Ausgestaltung kaum noch Spielräume belässt, wenn denn der Gesetzgeber die Gefahrenabwehr mit den von ihm gewollten Maßnahmen auszustatten gedenkt. Freilich ist die Vorgabe solcher gesetzgebungstechnischer Einzelheiten in der bisherigen jüngeren Spruchpraxis des Senats angelegt. Sie ist dort vornehmlich aber im Blick auf die spezifischen Grundrechtsgefährdungspotenziale der elektronischen Datenverarbeitung sowie die Breitenwirkung bestimmter Maßnahmen entwickelt worden, etwa in den Entscheidungen zur Antiterrordatei als Verbunddatei, sowie zur Vorratsdatenspeicherung, die die anlasslose Speicherung aller Telekommunikationsverkehrsdaten bei den Netzbetreibern vorsah (vgl. BVerfGE 125, 260 <316 ff.>; 133, 277 <320 ff.>). Im vorliegenden Fall geht es jedoch um einzelfallbezogene Maßnahmen gegen Betroffene, die in den Fokus der Verhütung terroristischer Gewalttaten geraten sind. Diese präventiv-polizeilichen Sachverhalte sind zudem dadurch geprägt, dass die in Rede stehenden Maßnahmen - anders als oft im Bereich der Strafverfolgung - in der Regel eine größere Nähe zu drohenden konkreten Rechtsgutsbeeinträchtigungen aufweisen. Die vom Senat hierzu gestellten Anforderungen werden zugleich erhebliche Folgewirkungen für nahezu alle Landespolizeigesetze haben, die weitgehend ähnliche oder gleiche Maßnahmen für die Abwehr von schwerwiegenden Straftaten der organisierten Kriminalität und der allgemeinen Kriminalität vorsehen, ohne dass diese Konsequenzen hinreichend durchdrungen und vertieft worden wären.

7

Im Ergebnis halte ich die vom Senat vorgenommene enge Verhältnismäßigkeitsprüfung hinsichtlich mehrerer beanstandeter Bestimmungen für nicht überzeugend und zum Teil gar für unangemessen. Dies erhellt sich gerade vor dem Hintergrund, dass das Gesetz mit seinen Eingriffsgrundlagen seit mehr als sieben Jahren in Kraft ist, es - wie die mündliche Verhandlung ergeben hat - seither nur wenige Anwendungsfälle gegeben hat und Misshelligkeiten bei der Gesetzesanwendung bislang nicht zu Tage getreten sind. Im Gegenteil: Die Befragung der zuständigen Beamten des Bundeskriminalamts, die für die operative Anwendung der Vorschriften unmittelbar verantwortlich sind, in der mündlichen Verhandlung hat den Eindruck eines äußerst verantwortungsbewussten Umgangs mit den Eingriffsgrundlagen unter der politischen Ressortverantwortung des zuständigen Ministers und letztlich auch der effektiven parlamentarischen Kontrolle vermittelt.

II.

8

Konkret bleibt zu einzelnen der vom Senat erhobenen Beanstandungen anzumerken:

9

1. Der Senat bemängelt, dass die Eingriffsvoraussetzungen bestimmter Rechtsgrundlagen nicht hinreichend gehaltvoll ausgestaltet und deshalb unverhältnismäßig und unbestimmt seien (§ 20g Abs. 1 Nr. 2, § 20l Abs. 1 Nr. 2, § 20m Abs. 1 Nr. 2 BKAG). Diese Bestimmungen erfordern, dass hinsichtlich der Person, gegen die sich die jeweilige Maßnahme richtet, Tatsachen vorliegen, die die Annahme rechtfertigen, dass sie terroristische Straftaten, wie sie in § 4a Abs. 1 Satz 2 BKAG umschrieben sind, begehen wird (in § 20l und § 20m BKAG ist die Rede von "bestimmten Tatsachen"). Für die vom Gesetzgeber formulierten Eingriffsvoraussetzungen wäre jedoch auf der Grundlage der Ausführungen des Urteils eine verfassungskonforme Interpretation möglich gewesen. Der Normbeanstandung hätte es nicht bedurft. Die benutzten Begrifflichkeiten sind im Bereich der Gefahrenabwehr, aber auch des Strafprozessrechts nicht unüblich. Sie sind der Auslegung zugänglich. Eine weitergehende "gehaltvolle Ausgestaltung" im Gesetz, wie sie der Senat einfordert, ist angesichts der Vielgestaltigkeit der Lebenssachverhalte schwierig und führt nur zu einer textlichen Ausuferung der Normen mit wiederum notwendigerweise allgemein zu haltenden auslegungsbedürftigen weiteren Begriffen.

10

2. Der Senat vermisst für die in § 20g Abs. 2 BKAG vorgesehenen besonderen Mittel der Datenerhebung eine ausdrückliche gesetzliche Regelung zum Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung auch insoweit, wie die dort aufgeführten Überwachungsmaßnahmen außerhalb von Wohnungen stattfinden und von verschiedener Qualität sein und Nähe zur Privatsphäre haben können. Dazu zählen etwa die längerfristige Observation, die Anfertigung von Bildaufnahmen von Personen außerhalb von Wohnungen oder das Abhören und Aufzeichnen des außerhalb von Wohnungen nicht öffentlich gesprochenen Wortes.

11

Diese Bewertung teile ich nicht. Ein typischer Rückzugsbereich ins Private (vgl. BVerfGE 109, 279 <320 f.>) ist in den Fällen technischer Maßnahmen außerhalb von Wohnungen regelmäßig nicht betroffen. Man mag sich zwar zur Besprechung vertraulicher Dinge - diese Beispiele nennt der Senat - auf einen Spaziergang begeben oder auf eine Autofahrt. Das ändert jedoch nichts daran, dass sich die Betroffenen im Grundsatz "in der Öffentlichkeit" bewegen, nicht jedoch in besonders geschützten Zonen der Privatheit (vgl. BVerfGE 120, 274 <331>). Ein schutzwürdiges Vertrauen wird sich unter solchen Umständen nicht in dem gleich hohen, schlechterdings nicht überbietbaren Maß herausbilden können wie bei Gesprächen in der eigenen Wohnung oder bezogen auf das eigene informationstechnische System. Deshalb hätte es insoweit keiner ausdrücklichen gesetzlichen kernbereichsschützenden Regelung bedurft. Vielmehr kann der Kernbereichsschutz auf der Rechtsanwendungsebene sichergestellt werden.

12

3. Die Ausweitung des Richtervorbehalts auch auf die erstmalige Anordnung von Maßnahmen nach § 20g Abs. 2 Nr. 1 bis 4 BKAG, namentlich solcher außerhalb von Wohnungen, halte ich aus Gründen der Verhältnismäßigkeit für nicht zwingend geboten. Angesichts der Besonderheiten und der typischen Eigendynamik der Fallgestaltungen bei der Verhütung und Abwehr schwerwiegender oder gar terroristischer Straftaten genügt es meines Erachtens, den Richtervorbehalt für die Verlängerung solcher Maßnahmen vorzusehen (§ 20g Abs. 3 Satz 8 BKAG). Im Übrigen beinhalten auch die meisten Landespolizeigesetze - insbesondere zur Verhinderung organisierter Kriminalität - gleiche oder ähnliche Befugnisse mit der Erstanordnungskompetenz der Behördenleitung, wie sie etwa in § 20g Abs. 2 BKAG normiert sind (vgl. z.B. § 15 Abs. 3, § 16 Abs. 5 Satz 1 HSOG, § 16a Abs. 2 Satz 1 PolG NW). Praktisch ist dies unter anderem bei dem Einsatz von Vertrauenspersonen etwa im Bereich der organisierten Kriminalität, insbesondere der Drogenkriminalität von großer Bedeutung.

13

Allerdings werden sich - nach meinem Verständnis der Urteilsgründe - kaum Auswirkungen auf das Strafprozessrecht ergeben, wo etwa der Einsatz von Vertrauenspersonen der sogenannten Ermittlungsgeneralklausel zugeordnet wird und im Übrigen lediglich in einer Verwaltungsvorschrift geregelt ist (§ 161 StPO; Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren - RiStBV -, Anlage D; kritisch dazu allerdings z.B. Eschelbach, in: SSW-StPO, 2. Aufl. § 110a Rn. 11). Die hier in Rede stehenden präventivpolizeilichen Maßnahmen der Straftatenverhütung im Vorfeld und der Gefahrenabwehr unterscheiden sich von strafprozessrechtlichen Ermittlungsmaßnahmen. Letztere erfolgen unter der Sachleitung eines Justizorgans (Staatsanwaltschaft), bewegen sich im weiteren Verlauf in den schützenden Formen eines differenziert ausgestalteten Verfahrens (Strafprozessordnung) und münden ohnehin regelmäßig in eine richterliche Befassung. Das gilt auch dann, wenn das Verfahren nicht zur Anklage führt, aber andere richterliche Anordnungen im Zuge der Ermittlungen erforderlich werden oder die Maßnahmen nach Verfahrenseinstellung zu einem späteren Zeitpunkt offen gelegt werden.

14

4. Nicht mittragen kann ich weiter die vom Senat geforderte Errichtung einer "unabhängigen Stelle", die auf der Auswertungs- und Verwertungsebene bei Maßnahmen der Wohnraumüberwachung und der Online-Durchsuchung einen nachgelagerten Kernbereichsschutz sicherstellen soll. Der Senat postuliert, dass diese Kontrolle "im Wesentlichen von externen, nicht mit Sicherheitsaufgaben betrauten Personen" wahrgenommen wird, in deren Händen die "tatsächliche Durchführung und Entscheidungsverantwortung" liegen soll (zu § 20h Abs. 5, § 20k Abs. 7 BKAG). Die Zuziehung eines Bediensteten des Bundeskriminalamts zur Gewährleistung ermittlungsspezifischen Fachverstandes hält der Senat für nicht ausgeschlossen. Damit geht der Senat über die bisher an den nachgelagerten Kernbereichsschutz gestellten verfassungsrechtlichen Anforderungen weit hinaus (vgl. nur BVerfGE 120, 274 <338 f.> zum Verfassungsschutzgesetz Nordrhein-Westfalen).

15

Entgegen dieser Auffassung halte ich die derzeitige Regelung, die die Sachleitung und mithin auch die Entscheidungsverantwortung des anordnenden Richters vorsieht oder jedenfalls einschließt (§ 20h Abs. 3 Satz 1, Abs. 5 Satz 4, § 20k Abs. 7 Satz 3 BKAG) sowie die Pflicht zur unverzüglichen Löschung von kernbereichsrelevanten Inhalten und die Protokollierung der Löschung zum Zwecke der Kontrolle vorschreibt (§ 20h Abs. 5 Satz 7, § 20k Abs. 7 Satz 5 BKAG) für genügend (so für die unverzügliche Löschung kernbereichsrelevanter Inhalte auch noch der Senat in BVerfGE 120, 274<339> zu Daten aus informationstechnischen Systemen). Die jetzt vom Senat geforderte "unabhängige Stelle" für die Auswertung und Verwertbarkeitskontrolle stellt gerade im Rahmen der Gefahrenabwehr und Straftatenverhütung die Wirksamkeit der Maßnahmen infrage, weil es hier typischerweise um Fallgestaltungen geht, bei denen die Auswertung von Erkenntnissen oft in hohem Maße beschleunigungs- und eilbedürftig ist. Dem kommt für die Angemessenheitsbeurteilung - im Blick auf die Wirksamkeit der Maßnahme - große Bedeutung zu. Die postulierte "unabhängige Stelle" müsste während der Dauer der Überwachungsmaßnahmen zumeist permanent aktionsfähig vorgehalten werden. Ihr die erste Sichtung unter weitgehendem Ausschluss der Sicherheitsbehörde um des nachgelagerten Kernbereichsschutzes willen vorzubehalten, vernachlässigt die besonderen Erfordernisse der Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus und der Verhütung terroristischer Taten (i.S.d. § 4a Abs. 1 BKAG). Anders als oft im strafprozessualen Ermittlungsverfahren liegen bei der Gefahrenabwehr Erhebung und Verwertung der Daten zumeist sehr nahe beieinander. Die gewonnenen Erkenntnisse werden regelmäßig eine schnelle, nicht selten eine sofortige Reaktion erfordern.

16

Wie sich die vom Senat verlangte Lösung bei einer sogenannten Liveüberwachung darstellen soll, bleibt weitgehend im Unklaren. Auch die oft gegebene prozedurale Situation, die bei der Hinzuziehung von Dolmetschern entsteht, wird nicht näher betrachtet. Gerade in fremdsprachigen Konstellationen kommt Sprachmittlern eine zentrale Rolle auch für die Ersteinschätzung von Gesprächen als höchstpersönlich zu. Mitunter werden hier auch sprachliche Besonderheiten (in Mitteleuropa selten vorkommende Sprachen, Dialekte) eine Rolle spielen. Kurzum: Die vom Senat verlangte Lösung trifft mit ihrer Komplizierung die Effektivität der Maßnahmen gerade im Bereich der Wohnraumüberwachung und wird deshalb im Ergebnis den Angemessenheitsanforderungen auf der anderen Seite, nämlich im Blick auf die Verfolgung des gesetzgeberischen Ziels einer wirksamen Abwendung terroristischer Straftaten, nicht hinreichend gerecht. Daran ändert auch nichts die dem Gesetzgeber vom Senat eröffnete Möglichkeit, "die notwendigen Regelungen zu treffen", um dem Bundeskriminalamt "für Ausnahmefälle bei Gefahr im Verzug auch kurzfristig erste Handlungsmöglichkeiten einzuräumen". Dabei bleibt nicht nur im Dunkeln, wie diese - in der Praxis ohnehin eher häufiger vorkommenden - Ausnahmefälle sinnvoll von den Sachverhalten abgegrenzt werden sollen, in denen den Urteilsgründen zufolge allein die "unabhängige Stelle" durchführungs- und kontrollbefugt sein soll, sondern auch, welche "notwendigen Regelungen" für diese "Ausnahmekonstellationen" tatsächlich beanstandungsfrei getroffen werden können. Im Übrigen steht dieses Zugeständnis an den Gesetzgeber, in Ausnahmefällen bei Gefahr im Verzug eine erste Sichtung ohne die "unabhängige Stelle" vorzunehmen, in deutlichem Kontrast zu der Annahme des Urteils, die besondere Schutzbedürftigkeit der Daten gebiete für den Regelfall die nahezu vollständige Herausnahme des Bundeskriminalamts aus der Erstsichtungsverantwortung.

17

5. Soweit der Senat auch fehlende flankierende verfahrensrechtliche Regelungen zu den Ermittlungs- und Überwachungsbefugnissen reklamiert, um Transparenz, Rechtsschutz und aufsichtliche Kontrolle in jeder Hinsicht zu gewährleisten, halte ich die auf Verhältnismäßigkeitserwägungen gestützten Anforderungen an die hier in Rede stehenden einzelfallbezogenen Maßnahmen zur Terrorismusabwehr teilweise für übermäßig. Neben Benachrichtigungspflichten und Auskunftsansprüchen auch noch Details einer turnusmäßigen datenschutzrechtlichen Pflichtkontrolle in bestimmten Mindestabständen vorzugeben, wirksame Sanktionsnormen bei Rechtsgutsverletzungen (durch solche Maßnahmen) - wohl über die bestehenden Haftungs- und Entschädigungsnormen hinausgehend - und gesetzlich ausgestaltete Berichtspflichten gegenüber Parlament und Öffentlichkeit einzufordern, erscheint mir in Ansehung der hier zu prüfenden Normen, die nicht die spezifischen Risiken vernetzter Datenverarbeitung oder von Datenerhebungen in großer Streubreite bergen, unangemessen und zum Schutz der Grundrechte derjenigen, die einzelfallbezogen in den Fokus der Verhinderung terroristischer Straftaten und der Gefahrenabwehr geraten, nicht geboten.

18

Diese in letzte Einzelheiten gehenden Anforderungen und Vorgaben halte ich auch im Blick auf das Verhältnis der Verfassungsgerichtsbarkeit zum Gesetzgeber hier für kaum vertretbar. Der Gesetzgeber selbst ist zunächst für die von ihm für zutreffend erachtete Kontroll- und Transparenzdichte politisch verantwortlich. Es ist - abgesehen von besonderen Fallgestaltungen - regelmäßig seine Sache, ob und wie er gegebenenfalls Kontroll- und Transparenzmechanismen in ein Gesetz aufnimmt. Das gilt gerade im Lichte der ohnehin gegebenen parlamentarischen Kontrollmechanismen, wie etwa des Frage- und Informationsrechts der Abgeordneten (vgl. dazu BVerfGE 130, 318 <342> m.w.N.) und des Zitierungsrechts des Bundestages sowie seiner Ausschüsse (Art. 43 Abs. 1 GG). Parlamentarische Anfragen vermögen regelmäßig umfangreiche Antworten der Exekutive auszulösen. Im besonderen Fall kommt die Möglichkeit der Einsetzung eines Untersuchungsausschusses in Betracht. Dabei ist die parlamentarische Verantwortlichkeit des zuständigen Ressortministers ebenso im Auge zu behalten wie die kritische Betrachtung und Bewertung durch die Medien. Den Gesetzgeber nun auch noch in dieser Weise mit zahlreichen Ausgestaltungsanforderungen zu Kontrolle, Transparenz und Rechtsschutz gleichsam "an die Hand nehmen" zu wollen, ist auch durch die bisherigen, in der mündlichen Verhandlung zu Tage getretenen praktischen Erfahrungen nicht veranlasst und engt die originäre Gestaltungsbefugnis des Gesetzgebers in meines Erachtens verfassungsrechtlich nicht angezeigter Weise ein.

III.

19

Soweit der Senat die Befugnisse zur weiteren Nutzung der im Rahmen der Terrorismusabwehr erhobenen Daten und zu deren Übermittlung an inländische und ausländische Stellen in verschiedener Hinsicht als verfassungswidrig erachtet, vermag ich dem ebenfalls nicht uneingeschränkt zu folgen. Das gilt insbesondere, soweit der Senat die Verwendung der rechtmäßig erhobenen Daten in anderen Zusammenhängen allein zum Schutz derselben oder gleichgewichtiger Rechtsgüter zulassen will. Dies hat allenfalls seine Berechtigung hinsichtlich der Erkenntnisse aus hochinvasiven Eingriffen wie der Wohnraumüberwachung und der Online-Durchsuchung informationstechnischer Systeme, führt jedoch bei anderen Maßnahmen in bestimmten Fallgestaltungen beim Anfall sogenannter Zufallserkenntnisse zu meines Erachtens nicht verantwortbaren Ergebnissen und kann in dieser dogmatischen Rigorosität gewichtige Rechtsgüter Einzelner und der Allgemeinheit schutzlos stellen.

20

1. Das Urteil macht die Übermittlung und Verwendung von Daten zu anderen Zwecken unter anderem davon abhängig, dass diese auch nach der Zweckänderung dem Schutz von Rechtsgütern oder der Aufdeckung von Straftaten eines solchen Gewichts dienen, die verfassungsrechtlich ihre neue Erhebung mit vergleichbar schwerwiegenden Mitteln rechtfertigen könnten (Kriterium der hypothetischen Datenneuerhebung). Diese Sichtweise mag ihre Berechtigung bei Erkenntnissen haben, die mittels hochinvasiver, besonders schwerwiegender Eingriffe gewonnen worden sind, wie das etwa bei der Wohnraumüberwachung und der Online-Durchsuchung informationstechnischer Systeme der Fall ist. Bei anderen Eingriffen, bei denen sogenannte Zufallserkenntnisse anfallen, kann dies jedoch - konsequent in der vom Senat verlangten Weise umgesetzt - zu meines Erachtens kaum erträglichen Ergebnissen führen, weil dies von der rechtsstaatlichen Ordnung nicht mehr und nicht weniger verlangt, als vor drohenden Gefahren für ebenfalls wenigstens gewichtige Rechtsgüter die Augen zu verschließen und die Realisierung von Straftaten und die Beschädigung von Rechtsgütern hinzunehmen. Damit verfehlt der Rechtsstaat insoweit seine Schutzaufgabe.

21

Dies lässt sich an Beispielen verdeutlichen: Für die behördeninterne Zweckänderung lässt sich vorstellen, dass etwa bei einer Maßnahme der Telefonüberwachung eine Zufallserkenntnis anfällt, die für den Bereich der Aufgaben des Personenschutzes durch das Bundeskriminalamt (§ 5 BKAG) Relevanz hat. Geht es etwa um Hinweise auf einen geplanten "Farbbeutel-Anschlag", so dürfte diese Zufallserkenntnis nicht an die innerhalb des Bundeskriminalamts zuständige Abteilung weitergegeben werden. Würde sie bei einer Leitungsbesprechung erwähnt, dürfte der zuständige Abteilungsleiter daraus nichts herleiten.

22

Für die behördenübergreifende Übermittlung und Verwendung solcher Zufallserkenntnisse lässt sich für den Bereich des Individualrechtsgüterschutzes das Beispiel bilden, dass es um beiläufige Erkenntnisse über eine Verabredung zur Behelligung von Passanten an einem bestimmten Ort geht, um diese unter der Ablenkung zu bestehlen (vgl. § 242 StGB). Weiter ist vorstellbar, dass konkrete Hinweise zur Einleitung von umweltschädlichen Stoffen in Gewässer oder den Boden anfallen (vgl. §§ 324, 325 StGB). Damit stünden jeweils Rechtsgüter in Rede, bei denen etwa eine Telekommunikationsüberwachung nicht statthaft wäre. Das Bundeskriminalamt dürfte in einem solchen Fall die Zufallserkenntnis nach der Dogmatik des Senats mangels Gleichwertigkeit der Rechtsgüter nicht an die örtlich zuständige Polizei weitergeben, um so gewichtige Rechtsgutsverletzungen zu verhindern. Den gefährdeten Rechtsgütern bliebe der gebotene Schutz versagt.

23

Unter der Voraussetzung, dass eine solche Zufallserkenntnis aufgrund eines recht- und damit auch verfassungsmäßigen Eingriffs angefallen ist, halte ich es für eine nicht hinnehmbare Konsequenz, dass der Rechtsstaat hier gezielt "wegsehen muss" und damit den potentiell betroffenen Einzelnen oder Rechtsgütern der Allgemeinheit der gebotene Schutz vorenthalten wird, um auf der anderen Seite dem Schutz der Daten derjenigen, mit denen sich die Maßnahmen befassen, den Vorrang einzuräumen, zumal es hier eben nicht um die Fallgestaltung der Zweckänderung von anlasslos in großer Breite erhobenen Massendaten geht. Im Blick auf den wirksamen Schutz von Rechtsgütern, dem der Rechtsstaat verpflichtet ist, kann es nicht untersagt sein, einen entsprechenden Hinweis an die zuständige Stelle weiterzugeben, um gefährdete Rechtsgüter vor Schaden zu bewahren. Freilich ist stets Voraussetzung, dass die Erkenntnis bei einem rechtmäßigen Eingriff angefallen ist, dieser sich auch nicht als Umgehungstatbestand erweist und die Verwendung nicht unvereinbar mit der ursprünglichen Zwecksetzung ist (vgl. dazu die Erwähnung dieser Gesichtspunkte in dem Beschluss des Zweiten Senats vom 7. Dezember 2011, BVerfGE 130, 1 <33 f.>; vgl. zum Strafprozess und zur Verwertbarkeit von Zufallserkenntnissen aus einer Telefonüberwachung zwar nicht zu Beweiszwecken, wohl aber als Spurenansatz: BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 29. Juni 2005 - 2 BvR 866/05 -, NJW 2005, S. 2766 m. Anm. Allgayer, NStZ 2006, S. 603 ff.).

24

Die gegenteilige Auffassung des Senats ist zwar in seiner jüngeren Spruchpraxis angelegt, dort aber vornehmlich zu Sachverhalten entwickelt worden, die spezifische Grundrechtsgefährdungen zum Gegenstand hatten, welche sich bei der Vernetzung großer Dateien (Antiterrordatei als Verbunddatei) oder der Verwendung anlasslos in großer Breite von Netzbetreibern erhobener und vorzuhaltender Daten ergeben (vgl. BVerfGE 125, 260; 133, 277). Noch in seinem Urteil zur strafprozessualen Wohnraumüberwachung (vom 3. März 2004, BVerfGE 109, 279 <376>) hat es der Senat für die Zweckänderung ausreichen lassen, dass diese durch Allgemeinbelange gerechtfertigt ist, die die grundrechtlich geschützten Interessen überwiegen, und dass die Verwendungszwecke nicht miteinander unvereinbar sind. Diese Anforderungen sind sukzessive ausgebaut worden und haben jetzt einen Punkt erreicht, an dem die Ergebnisse mir für bestimmte Fallgruppen nicht mehr vertretbar erscheinen. Nach meiner Bewertung darf die Zufallserkenntnis in der beschriebenen Fallgestaltung als Gefahrenverhütungsansatz zur Verhinderung einer gewichtigen Straftat oder zur Abwehr von Gefahren für gewichtige Rechtsgüter sehr wohl weitergegeben werden, weil hier Allgemeinbelange (die Schutzverpflichtung des Rechtsstaats) und die gefährdeten Rechtsgüter Dritter oder der Allgemeinheit das grundrechtlich geschützte Interesse des vom Eingriff Betroffenen überwiegen, nachdem die staatliche Stelle die Zufallserkenntnis auf legale Weise bereits erlangt hat. Das gilt auch dann, wenn das gefährdete Rechtsgut nicht in jeder Hinsicht eine Rechtsgutsäquivalenz zu den Eingriffs- und Datenerhebungsvoraussetzungen aufweist.

25

2. Der Senat hält die Verwendung der nach den in Rede stehenden Regelungen erhobenen personenbezogenen Daten zur Wahrnehmung der Aufgaben des Bundeskriminalamts im Bereich des Zeugenschutzes und des Schutzes von Mitgliedern der Verfassungsorgane (Personenschutz, Innenschutz; §§ 5, 6 BKAG) für in verfassungswidriger Weise unbestimmt. Das vermag nicht zu überzeugen. Eine die hinreichende Bestimmtheit gewährleistende verfassungskonforme Auslegung drängt sich selbst auf der Grundlage der Anforderungen des Senats zur Gleichgewichtigkeit der zu schützenden Rechtsgüter auf. Der nach dem Wortlaut einschränkungslose allgemeine Verweis in § 20v Abs. 4 Satz 2 Nr. 2 BKAG auf die Aufgaben des Bundeskriminalamts nach § 5 und § 6 BKAG erhellt und konturiert sich ohne weiteres aus den Aufgabennormen, auf die verwiesen wird, und ist damit einer einschränkenden verfassungskonformen Auslegung zugänglich. Da die Aufgaben des Personenschutzes, des inneren Schutzes im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 2 BKAG und des Zeugenschutzes ihrer Natur nach auf den Schutz von Leib, Leben und Freiheit der zu schützenden Personen angelegt sind, stehen hinreichend gewichtige Rechtsgüter in Rede. Werden die anderweit erhobenen personenbezogenen Daten in diesem Sinne verwendet, ist dagegen von Verfassungs wegen selbst auf der Grundlage der maßgeblichen Anforderungen des Senats nichts zu erinnern.

26

3. Ebenso wenig vermag ich der Würdigung des Senats zuzustimmen, wonach § 20v Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 BKAG, der die Übermittlung von Daten zur Verhütung der in § 129a Abs. 1 und 2 StGB genannten Straftaten erlaubt, mangels eingrenzender Konkretisierung des Übermittlungsanlasses unverhältnismäßig weit gefasst sei. Der Senat beanstandet, dass die Bestimmung es zulasse, schon mit Blick auf einen nur potentiellen Informationsgehalt als Spurenansatz die Information zu übermitteln. Er verlangt, dass sich aus der Information zumindest ein konkreter Ermittlungsansatz für die Aufdeckung entsprechender Straftaten ergeben müsse. Dies jedoch stelle die Vorschrift nicht sicher.

27

Damit geht der Senat daran vorbei, dass die Beurteilung der Relevanz der entsprechenden Information oft erst durch die Einfügung in weitere Erkenntnisse möglich ist, die der Zielbehörde vorliegen, und dass die verlangte Bewertung in tragfähiger Weise nur durch diese vorgenommen werden kann. Abgesehen davon wäre aber auch auf der Grundlage der Auffassung des Senats eine verfassungskonforme einengende Auslegung möglich gewesen.

28

4. Anders als der Senat meint, begegnet meines Erachtens auch die Vorschrift des § 14 BKAG, die die Übermittlung von Daten an öffentliche Stellen anderer Staaten regelt, in verfassungskonformer Auslegung keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Die vom Senat formulierten Einschränkungen sind zwar unbezweifelbar zutreffend: Durch die Übermittlung darf Menschenrechtsverletzungen in anderen Staaten nicht im Mindesten Vorschub geleistet werden. Insofern ist auch die Anforderung einer Vergewisserung über einen rechtsstaatlichen Umgang mit etwa übermittelten Daten im Empfängerland eine Selbstverständlichkeit. Weitergehend als im Gesetz geschehen hierfür jedoch zusätzlich die Schaffung "normenklarer" Rechtsgrundlagen und die Sicherstellung einer wirksamen Kontrolle zu fordern, ist angesichts der Vielfalt der in Betracht kommenden Konstellationen und der begrenzten Einwirkungsmöglichkeiten der deutschen Rechtsordnung auf die Standards in anderen Ländern nicht zielführend. Insoweit kommt gerade im Blick auf die mitunter schwierigen Abgrenzungen zwischen den Anforderungen einer effektiven Abwehr terroristischer Gewalttaten und des dafür grundsätzlich unverzichtbaren Austauschs von Informationen im internationalen Rahmen der Einzelfallabwägung sehr große Bedeutung zu. Die Entscheidungspraxis des Bundeskriminalamts ist an Recht und Gesetz, insbesondere an die Grundrechte und Menschenrechte gebunden und letztlich politisch zu kontrollieren und zu verantworten, gegebenenfalls auch fachgerichtlich zu überprüfen. Die Entscheidungen, die hier zu treffen sind, erscheinen auf der Grundlage des § 14 BKAG bei entsprechender Auslegung der Bestimmung als verfassungsrechtlich hinreichend abgesichert. Diese Vorschrift sieht ausdrücklich das Unterbleiben der Übermittlung personenbezogener Daten vor, soweit Grund zu der Annahme besteht, dass durch sie gegen den Zweck eines deutschen Gesetzes verstoßen würde oder im Einzelfall schutzwürdige Interessen der betroffenen Person überwiegen (§ 14 Abs. 7 Satz 4 und 5 BKAG). Zu diesen schutzwürdigen Interessen gehört auch das Vorhandensein eines angemessenen Datenschutzniveaus im Empfängerstaat (§ 14 Abs. 7 Satz 6 BKAG). Weitergehende Übermittlungsverbote und Verweigerungsgründe enthält die gemeinsame Vorschrift des § 27 BKAG (vgl. insbes. § 27 Abs. 1, Abs. 2 Nrn. 2 u. 4, Abs. 3 Nr. 2 Alt. 2 BKAG). § 27 Abs. 2 und 3 BKAG nehmen freilich nur auf die Vorschrift des § 14a BKAG Bezug, die die Übermittlung personenbezogener Daten an Mitgliedstaaten der Europäischen Union betrifft. Die dort aufgeführten detaillierteren Grundsätze sind bei einer systematischen Auslegung jedoch ohne weiteres auch auf die Auslegung der Regelung für die Übermittlung an Stellen von Nicht-EU-Staaten übertragbar, geben jedenfalls eine hinreichende Richtschnur für das Verständnis und die Auslegung des § 14 BKAG.

29

Die vom Senat eingeforderten ergänzenden gesetzlichen Regelungen werden das stets einzelfallbezogene Problem ohnehin nicht wirklich lösen können. Die vom Gesetzgeber nun zu schaffenden Konkretisierungen im Regelwerk werden auch in diesem Zusammenhang nur zu einer das Gegenteil von Normenklarheit bewirkenden textlichen Aufblähung des ohnehin schon überbordenden, nur schwer lesbaren und verständlichen Regelwerks führen. Dem dürfte überdies in der praktischen Anwendung kein nennenswertes Mehr an Schutznutzen für die betroffenen Personen gegenüberstehen.

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BND-Gesetz - BNDG | § 1 Organisation und Aufgaben


(1) Der Bundesnachrichtendienst ist eine Bundesoberbehörde im Geschäftsbereich des Bundeskanzleramtes. Einer polizeilichen Dienststelle darf er nicht angegliedert werden. (2) Der Bundesnachrichtendienst sammelt zur Gewinnung von Erkenntnissen übe

Bundespolizeigesetz - BGSG 1994 | § 18 Verantwortlichkeit für das Verhalten von Tieren oder den Zustand von Sachen


(1) Geht von einem Tier oder einer Sache eine Gefahr aus, so sind die Maßnahmen gegen den Inhaber der tatsächlichen Gewalt zu richten. Die nachfolgenden für Sachen geltenden Vorschriften sind auf Tiere entsprechend anzuwenden. (2) Maßnahmen können a

Strafprozeßordnung - StPO | § 100d Kernbereich privater Lebensgestaltung; Zeugnisverweigerungsberechtigte


(1) Liegen tatsächliche Anhaltspunkte für die Annahme vor, dass durch eine Maßnahme nach den §§ 100a bis 100c allein Erkenntnisse aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung erlangt werden, ist die Maßnahme unzulässig. (2) Erkenntnisse aus dem

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Bundesverfassungsgericht Urteil, 20. Apr. 2016 - 1 BvR 966/09, 1 BvR 1140/09 zitiert oder wird zitiert von 1 Urteil(en).

Bundesverfassungsgericht Urteil, 20. Apr. 2016 - 1 BvR 966/09, 1 BvR 1140/09 zitiert 1 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundesverfassungsgericht Beschluss, 15. Dez. 2015 - 2 BvR 2735/14

bei uns veröffentlicht am 15.12.2015

Tenor 1. Der Beschluss des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 7. November 2014 - III - 3 Ausl 108/14 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes, so

Referenzen

(1) Der Bund hat die ausschließliche Gesetzgebung über:

1.
die auswärtigen Angelegenheiten sowie die Verteidigung einschließlich des Schutzes der Zivilbevölkerung;
2.
die Staatsangehörigkeit im Bunde;
3.
die Freizügigkeit, das Paßwesen, das Melde- und Ausweiswesen, die Ein- und Auswanderung und die Auslieferung;
4.
das Währungs-, Geld- und Münzwesen, Maße und Gewichte sowie die Zeitbestimmung;
5.
die Einheit des Zoll- und Handelsgebietes, die Handels- und Schiffahrtsverträge, die Freizügigkeit des Warenverkehrs und den Waren- und Zahlungsverkehr mit dem Auslande einschließlich des Zoll- und Grenzschutzes;
5a.
den Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung ins Ausland;
6.
den Luftverkehr;
6a.
den Verkehr von Eisenbahnen, die ganz oder mehrheitlich im Eigentum des Bundes stehen (Eisenbahnen des Bundes), den Bau, die Unterhaltung und das Betreiben von Schienenwegen der Eisenbahnen des Bundes sowie die Erhebung von Entgelten für die Benutzung dieser Schienenwege;
7.
das Postwesen und die Telekommunikation;
8.
die Rechtsverhältnisse der im Dienste des Bundes und der bundesunmittelbaren Körperschaften des öffentlichen Rechtes stehenden Personen;
9.
den gewerblichen Rechtsschutz, das Urheberrecht und das Verlagsrecht;
9a.
die Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus durch das Bundeskriminalpolizeiamt in Fällen, in denen eine länderübergreifende Gefahr vorliegt, die Zuständigkeit einer Landespolizeibehörde nicht erkennbar ist oder die oberste Landesbehörde um eine Übernahme ersucht;
10.
die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder
a)
in der Kriminalpolizei,
b)
zum Schutze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des Bestandes und der Sicherheit des Bundes oder eines Landes (Verfassungsschutz) und
c)
zum Schutze gegen Bestrebungen im Bundesgebiet, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden,
sowie die Einrichtung eines Bundeskriminalpolizeiamtes und die internationale Verbrechensbekämpfung;
11.
die Statistik für Bundeszwecke;
12.
das Waffen- und das Sprengstoffrecht;
13.
die Versorgung der Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen und die Fürsorge für die ehemaligen Kriegsgefangenen;
14.
die Erzeugung und Nutzung der Kernenergie zu friedlichen Zwecken, die Errichtung und den Betrieb von Anlagen, die diesen Zwecken dienen, den Schutz gegen Gefahren, die bei Freiwerden von Kernenergie oder durch ionisierende Strahlen entstehen, und die Beseitigung radioaktiver Stoffe.

(2) Gesetze nach Absatz 1 Nr. 9a bedürfen der Zustimmung des Bundesrates.

(1) Wer eine Vereinigung (§ 129 Absatz 2) gründet, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet sind,

1.
Mord (§ 211) oder Totschlag (§ 212) oder Völkermord (§ 6 des Völkerstrafgesetzbuches) oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§ 7 des Völkerstrafgesetzbuches) oder Kriegsverbrechen (§§ 8, 9, 10, 11 oder § 12 des Völkerstrafgesetzbuches) oder
2.
Straftaten gegen die persönliche Freiheit in den Fällen des § 239a oder des § 239b
3.
(weggefallen)
zu begehen, oder wer sich an einer solchen Vereinigung als Mitglied beteiligt, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer eine Vereinigung gründet, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet sind,

1.
einem anderen Menschen schwere körperliche oder seelische Schäden, insbesondere der in § 226 bezeichneten Art, zuzufügen,
2.
Straftaten nach den §§ 303b, 305, 305a oder gemeingefährliche Straftaten in den Fällen der §§ 306 bis 306c oder 307 Abs. 1 bis 3, des § 308 Abs. 1 bis 4, des § 309 Abs. 1 bis 5, der §§ 313, 314 oder 315 Abs. 1, 3 oder 4, des § 316b Abs. 1 oder 3 oder des § 316c Abs. 1 bis 3 oder des § 317 Abs. 1,
3.
Straftaten gegen die Umwelt in den Fällen des § 330a Abs. 1 bis 3,
4.
Straftaten nach § 19 Abs. 1 bis 3, § 20 Abs. 1 oder 2, § 20a Abs. 1 bis 3, § 19 Abs. 2 Nr. 2 oder Abs. 3 Nr. 2, § 20 Abs. 1 oder 2 oder § 20a Abs. 1 bis 3, jeweils auch in Verbindung mit § 21, oder nach § 22a Abs. 1 bis 3 des Gesetzes über die Kontrolle von Kriegswaffen oder
5.
Straftaten nach § 51 Abs. 1 bis 3 des Waffengesetzes
zu begehen, oder wer sich an einer solchen Vereinigung als Mitglied beteiligt, wenn eine der in den Nummern 1 bis 5 bezeichneten Taten bestimmt ist, die Bevölkerung auf erhebliche Weise einzuschüchtern, eine Behörde oder eine internationale Organisation rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt zu nötigen oder die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Staates oder einer internationalen Organisation zu beseitigen oder erheblich zu beeinträchtigen, und durch die Art ihrer Begehung oder ihre Auswirkungen einen Staat oder eine internationale Organisation erheblich schädigen kann.

(3) Sind die Zwecke oder die Tätigkeit der Vereinigung darauf gerichtet, eine der in Absatz 1 und 2 bezeichneten Straftaten anzudrohen, ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen.

(4) Gehört der Täter zu den Rädelsführern oder Hintermännern, so ist in den Fällen der Absätze 1 und 2 auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren, in den Fällen des Absatzes 3 auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

(5) Wer eine in Absatz 1, 2 oder Absatz 3 bezeichnete Vereinigung unterstützt, wird in den Fällen der Absätze 1 und 2 mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in den Fällen des Absatzes 3 mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Wer für eine in Absatz 1 oder Absatz 2 bezeichnete Vereinigung um Mitglieder oder Unterstützer wirbt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(6) Das Gericht kann bei Beteiligten, deren Schuld gering und deren Mitwirkung von untergeordneter Bedeutung ist, in den Fällen der Absätze 1, 2, 3 und 5 die Strafe nach seinem Ermessen (§ 49 Abs. 2) mildern.

(7) § 129 Absatz 7 gilt entsprechend.

(8) Neben einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten kann das Gericht die Fähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden, und die Fähigkeit, Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen, aberkennen (§ 45 Abs. 2).

(9) In den Fällen der Absätze 1, 2, 4 und 5 kann das Gericht Führungsaufsicht anordnen (§ 68 Abs. 1).

(1) Verursacht eine Person eine Gefahr, so sind die Maßnahmen gegen sie zu richten.

(2) Ist die Person noch nicht vierzehn Jahre alt, so können die Maßnahmen auch gegen die Person gerichtet werden, die zur Aufsicht über sie verpflichtet ist. Ist für die Person ein Betreuer bestellt, so können die Maßnahmen auch gegen den Betreuer im Rahmen seines Aufgabenbereichs gerichtet werden.

(3) Verursacht eine Person, die zu einer Verrichtung bestellt ist, die Gefahr in Ausführung der Verrichtung, so können Maßnahmen auch gegen die Person gerichtet werden, die andere zu der Verrichtung bestellt hat.

(1) Geht von einem Tier oder einer Sache eine Gefahr aus, so sind die Maßnahmen gegen den Inhaber der tatsächlichen Gewalt zu richten. Die nachfolgenden für Sachen geltenden Vorschriften sind auf Tiere entsprechend anzuwenden.

(2) Maßnahmen können auch gegen den Eigentümer oder einen anderen Berechtigten gerichtet werden. Dies gilt nicht, wenn der Inhaber der tatsächlichen Gewalt diese ohne den Willen des Eigentümers oder Berechtigten ausübt.

(3) Geht die Gefahr von einer herrenlosen Sache aus, so können die Maßnahmen gegen denjenigen gerichtet werden, der das Eigentum an der Sache aufgegeben hat.

(1) Verursacht eine Person eine Gefahr, so sind die Maßnahmen gegen sie zu richten.

(2) Ist die Person noch nicht vierzehn Jahre alt, so können die Maßnahmen auch gegen die Person gerichtet werden, die zur Aufsicht über sie verpflichtet ist. Ist für die Person ein Betreuer bestellt, so können die Maßnahmen auch gegen den Betreuer im Rahmen seines Aufgabenbereichs gerichtet werden.

(3) Verursacht eine Person, die zu einer Verrichtung bestellt ist, die Gefahr in Ausführung der Verrichtung, so können Maßnahmen auch gegen die Person gerichtet werden, die andere zu der Verrichtung bestellt hat.

(1) Geht von einem Tier oder einer Sache eine Gefahr aus, so sind die Maßnahmen gegen den Inhaber der tatsächlichen Gewalt zu richten. Die nachfolgenden für Sachen geltenden Vorschriften sind auf Tiere entsprechend anzuwenden.

(2) Maßnahmen können auch gegen den Eigentümer oder einen anderen Berechtigten gerichtet werden. Dies gilt nicht, wenn der Inhaber der tatsächlichen Gewalt diese ohne den Willen des Eigentümers oder Berechtigten ausübt.

(3) Geht die Gefahr von einer herrenlosen Sache aus, so können die Maßnahmen gegen denjenigen gerichtet werden, der das Eigentum an der Sache aufgegeben hat.

(1) Verursacht eine Person eine Gefahr, so sind die Maßnahmen gegen sie zu richten.

(2) Ist die Person noch nicht vierzehn Jahre alt, so können die Maßnahmen auch gegen die Person gerichtet werden, die zur Aufsicht über sie verpflichtet ist. Ist für die Person ein Betreuer bestellt, so können die Maßnahmen auch gegen den Betreuer im Rahmen seines Aufgabenbereichs gerichtet werden.

(3) Verursacht eine Person, die zu einer Verrichtung bestellt ist, die Gefahr in Ausführung der Verrichtung, so können Maßnahmen auch gegen die Person gerichtet werden, die andere zu der Verrichtung bestellt hat.

(1) Geht von einem Tier oder einer Sache eine Gefahr aus, so sind die Maßnahmen gegen den Inhaber der tatsächlichen Gewalt zu richten. Die nachfolgenden für Sachen geltenden Vorschriften sind auf Tiere entsprechend anzuwenden.

(2) Maßnahmen können auch gegen den Eigentümer oder einen anderen Berechtigten gerichtet werden. Dies gilt nicht, wenn der Inhaber der tatsächlichen Gewalt diese ohne den Willen des Eigentümers oder Berechtigten ausübt.

(3) Geht die Gefahr von einer herrenlosen Sache aus, so können die Maßnahmen gegen denjenigen gerichtet werden, der das Eigentum an der Sache aufgegeben hat.

(1) Verursacht eine Person eine Gefahr, so sind die Maßnahmen gegen sie zu richten.

(2) Ist die Person noch nicht vierzehn Jahre alt, so können die Maßnahmen auch gegen die Person gerichtet werden, die zur Aufsicht über sie verpflichtet ist. Ist für die Person ein Betreuer bestellt, so können die Maßnahmen auch gegen den Betreuer im Rahmen seines Aufgabenbereichs gerichtet werden.

(3) Verursacht eine Person, die zu einer Verrichtung bestellt ist, die Gefahr in Ausführung der Verrichtung, so können Maßnahmen auch gegen die Person gerichtet werden, die andere zu der Verrichtung bestellt hat.

(1) Geht von einem Tier oder einer Sache eine Gefahr aus, so sind die Maßnahmen gegen den Inhaber der tatsächlichen Gewalt zu richten. Die nachfolgenden für Sachen geltenden Vorschriften sind auf Tiere entsprechend anzuwenden.

(2) Maßnahmen können auch gegen den Eigentümer oder einen anderen Berechtigten gerichtet werden. Dies gilt nicht, wenn der Inhaber der tatsächlichen Gewalt diese ohne den Willen des Eigentümers oder Berechtigten ausübt.

(3) Geht die Gefahr von einer herrenlosen Sache aus, so können die Maßnahmen gegen denjenigen gerichtet werden, der das Eigentum an der Sache aufgegeben hat.

(1) Verursacht eine Person eine Gefahr, so sind die Maßnahmen gegen sie zu richten.

(2) Ist die Person noch nicht vierzehn Jahre alt, so können die Maßnahmen auch gegen die Person gerichtet werden, die zur Aufsicht über sie verpflichtet ist. Ist für die Person ein Betreuer bestellt, so können die Maßnahmen auch gegen den Betreuer im Rahmen seines Aufgabenbereichs gerichtet werden.

(3) Verursacht eine Person, die zu einer Verrichtung bestellt ist, die Gefahr in Ausführung der Verrichtung, so können Maßnahmen auch gegen die Person gerichtet werden, die andere zu der Verrichtung bestellt hat.

(1) Geht von einem Tier oder einer Sache eine Gefahr aus, so sind die Maßnahmen gegen den Inhaber der tatsächlichen Gewalt zu richten. Die nachfolgenden für Sachen geltenden Vorschriften sind auf Tiere entsprechend anzuwenden.

(2) Maßnahmen können auch gegen den Eigentümer oder einen anderen Berechtigten gerichtet werden. Dies gilt nicht, wenn der Inhaber der tatsächlichen Gewalt diese ohne den Willen des Eigentümers oder Berechtigten ausübt.

(3) Geht die Gefahr von einer herrenlosen Sache aus, so können die Maßnahmen gegen denjenigen gerichtet werden, der das Eigentum an der Sache aufgegeben hat.

(1) Der Diensteanbieter darf folgende Verkehrsdaten erheben, soweit dies für die in diesem Abschnitt genannten Zwecke erforderlich ist:

1.
die Nummer oder Kennung der beteiligten Anschlüsse oder der Endeinrichtung, personenbezogene Berechtigungskennungen, bei Verwendung von Kundenkarten auch die Kartennummer, bei mobilen Anschlüssen auch die Standortdaten,
2.
den Beginn und das Ende der jeweiligen Verbindung nach Datum und Uhrzeit und, soweit die Entgelte davon abhängen, die übermittelten Datenmengen,
3.
den vom Nutzer in Anspruch genommenen Telekommunikationsdienst,
4.
die Endpunkte von festgeschalteten Verbindungen, ihren Beginn und ihr Ende nach Datum und Uhrzeit und, soweit die Entgelte davon abhängen, die übermittelten Datenmengen,
5.
sonstige zum Aufbau und zur Aufrechterhaltung der Telekommunikation sowie zur Entgeltabrechnung notwendige Verkehrsdaten.
Diese Verkehrsdaten dürfen nur verwendet werden, soweit dies für die in Satz 1 genannten oder durch andere gesetzliche Vorschriften begründeten Zwecke oder zum Aufbau weiterer Verbindungen erforderlich ist. Im Übrigen sind Verkehrsdaten vom Diensteanbieter nach Beendigung der Verbindung unverzüglich zu löschen.

(2) Eine über Absatz 1 hinausgehende Erhebung oder Verwendung der Verkehrsdaten ist unzulässig.

(3) Der Diensteanbieter darf teilnehmerbezogene Verkehrsdaten, die vom Anbieter eines öffentlich zugänglichen Telekommunikationsdienstes verwendet werden, zum Zwecke der Vermarktung von Telekommunikationsdiensten, zur bedarfsgerechten Gestaltung von Telekommunikationsdiensten oder zur Bereitstellung von Diensten mit Zusatznutzen im dazu erforderlichen Maß und im dazu erforderlichen Zeitraum nur verwenden, sofern der Betroffene in diese Verwendung eingewilligt hat. Die Daten der Angerufenen sind unverzüglich zu anonymisieren. Eine zielnummernbezogene Verwendung der Verkehrsdaten durch den Diensteanbieter zu den in Satz 1 genannten Zwecken ist nur mit Einwilligung der Angerufenen zulässig. Hierbei sind die Daten der Anrufenden unverzüglich zu anonymisieren.

(4) Bei der Einholung der Einwilligung ist dem Teilnehmer mitzuteilen, welche Datenarten für die in Absatz 3 Satz 1 genannten Zwecke verarbeitet werden sollen und wie lange sie gespeichert werden sollen. Außerdem ist der Teilnehmer darauf hinzuweisen, dass er die Einwilligung jederzeit widerrufen kann.

(1) Verursacht eine Person eine Gefahr, so sind die Maßnahmen gegen sie zu richten.

(2) Ist die Person noch nicht vierzehn Jahre alt, so können die Maßnahmen auch gegen die Person gerichtet werden, die zur Aufsicht über sie verpflichtet ist. Ist für die Person ein Betreuer bestellt, so können die Maßnahmen auch gegen den Betreuer im Rahmen seines Aufgabenbereichs gerichtet werden.

(3) Verursacht eine Person, die zu einer Verrichtung bestellt ist, die Gefahr in Ausführung der Verrichtung, so können Maßnahmen auch gegen die Person gerichtet werden, die andere zu der Verrichtung bestellt hat.

(1) Geht von einem Tier oder einer Sache eine Gefahr aus, so sind die Maßnahmen gegen den Inhaber der tatsächlichen Gewalt zu richten. Die nachfolgenden für Sachen geltenden Vorschriften sind auf Tiere entsprechend anzuwenden.

(2) Maßnahmen können auch gegen den Eigentümer oder einen anderen Berechtigten gerichtet werden. Dies gilt nicht, wenn der Inhaber der tatsächlichen Gewalt diese ohne den Willen des Eigentümers oder Berechtigten ausübt.

(3) Geht die Gefahr von einer herrenlosen Sache aus, so können die Maßnahmen gegen denjenigen gerichtet werden, der das Eigentum an der Sache aufgegeben hat.

(1) Wer eine Vereinigung (§ 129 Absatz 2) gründet, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet sind,

1.
Mord (§ 211) oder Totschlag (§ 212) oder Völkermord (§ 6 des Völkerstrafgesetzbuches) oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§ 7 des Völkerstrafgesetzbuches) oder Kriegsverbrechen (§§ 8, 9, 10, 11 oder § 12 des Völkerstrafgesetzbuches) oder
2.
Straftaten gegen die persönliche Freiheit in den Fällen des § 239a oder des § 239b
3.
(weggefallen)
zu begehen, oder wer sich an einer solchen Vereinigung als Mitglied beteiligt, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer eine Vereinigung gründet, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet sind,

1.
einem anderen Menschen schwere körperliche oder seelische Schäden, insbesondere der in § 226 bezeichneten Art, zuzufügen,
2.
Straftaten nach den §§ 303b, 305, 305a oder gemeingefährliche Straftaten in den Fällen der §§ 306 bis 306c oder 307 Abs. 1 bis 3, des § 308 Abs. 1 bis 4, des § 309 Abs. 1 bis 5, der §§ 313, 314 oder 315 Abs. 1, 3 oder 4, des § 316b Abs. 1 oder 3 oder des § 316c Abs. 1 bis 3 oder des § 317 Abs. 1,
3.
Straftaten gegen die Umwelt in den Fällen des § 330a Abs. 1 bis 3,
4.
Straftaten nach § 19 Abs. 1 bis 3, § 20 Abs. 1 oder 2, § 20a Abs. 1 bis 3, § 19 Abs. 2 Nr. 2 oder Abs. 3 Nr. 2, § 20 Abs. 1 oder 2 oder § 20a Abs. 1 bis 3, jeweils auch in Verbindung mit § 21, oder nach § 22a Abs. 1 bis 3 des Gesetzes über die Kontrolle von Kriegswaffen oder
5.
Straftaten nach § 51 Abs. 1 bis 3 des Waffengesetzes
zu begehen, oder wer sich an einer solchen Vereinigung als Mitglied beteiligt, wenn eine der in den Nummern 1 bis 5 bezeichneten Taten bestimmt ist, die Bevölkerung auf erhebliche Weise einzuschüchtern, eine Behörde oder eine internationale Organisation rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt zu nötigen oder die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Staates oder einer internationalen Organisation zu beseitigen oder erheblich zu beeinträchtigen, und durch die Art ihrer Begehung oder ihre Auswirkungen einen Staat oder eine internationale Organisation erheblich schädigen kann.

(3) Sind die Zwecke oder die Tätigkeit der Vereinigung darauf gerichtet, eine der in Absatz 1 und 2 bezeichneten Straftaten anzudrohen, ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen.

(4) Gehört der Täter zu den Rädelsführern oder Hintermännern, so ist in den Fällen der Absätze 1 und 2 auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren, in den Fällen des Absatzes 3 auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

(5) Wer eine in Absatz 1, 2 oder Absatz 3 bezeichnete Vereinigung unterstützt, wird in den Fällen der Absätze 1 und 2 mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in den Fällen des Absatzes 3 mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Wer für eine in Absatz 1 oder Absatz 2 bezeichnete Vereinigung um Mitglieder oder Unterstützer wirbt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(6) Das Gericht kann bei Beteiligten, deren Schuld gering und deren Mitwirkung von untergeordneter Bedeutung ist, in den Fällen der Absätze 1, 2, 3 und 5 die Strafe nach seinem Ermessen (§ 49 Abs. 2) mildern.

(7) § 129 Absatz 7 gilt entsprechend.

(8) Neben einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten kann das Gericht die Fähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden, und die Fähigkeit, Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen, aberkennen (§ 45 Abs. 2).

(9) In den Fällen der Absätze 1, 2, 4 und 5 kann das Gericht Führungsaufsicht anordnen (§ 68 Abs. 1).

(1) Aufgabe der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder ist die Sammlung und Auswertung von Informationen, insbesondere von sach- und personenbezogenen Auskünften, Nachrichten und Unterlagen, über

1.
Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben,
2.
sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten im Geltungsbereich dieses Gesetzes für eine fremde Macht,
3.
Bestrebungen im Geltungsbereich dieses Gesetzes, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden,
4.
Bestrebungen im Geltungsbereich dieses Gesetzes, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung (Artikel 9 Abs. 2 des Grundgesetzes), insbesondere gegen das friedliche Zusammenleben der Völker (Artikel 26 Abs. 1 des Grundgesetzes) gerichtet sind.

(2) Die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder wirken mit

1.
bei der Sicherheitsüberprüfung von Personen, denen im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftige Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse anvertraut werden, die Zugang dazu erhalten sollen oder ihn sich verschaffen können,
2.
bei der Sicherheitsüberprüfung von Personen, die an sicherheitsempfindlichen Stellen von lebens- oder verteidigungswichtigen Einrichtungen beschäftigt sind oder werden sollen,
3.
bei technischen Sicherheitsmaßnahmen zum Schutz von im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftigen Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen gegen die Kenntnisnahme durch Unbefugte,
4.
bei der Überprüfung von Personen in sonstigen gesetzlich bestimmten Fällen,
5.
bei der Geheimschutzbetreuung von nichtöffentlichen Stellen durch den Bund oder durch ein Land.
Die Befugnisse des Bundesamtes für Verfassungsschutz bei der Mitwirkung nach Satz 1 Nr. 1, 2 und 4 sind im Sicherheitsüberprüfungsgesetz vom 20. April 1994 (BGBl. I S. 867) geregelt. Bei der Mitwirkung nach Satz 1 Nummer 5 ist das Bundesamt für Verfassungsschutz zur sicherheitsmäßigen Bewertung der Angaben der nichtöffentlichen Stelle unter Berücksichtigung der Erkenntnisse der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder befugt. Sofern es im Einzelfall erforderlich erscheint, können bei der Mitwirkung nach Satz 1 Nummer 5 zusätzlich die Nachrichtendienste des Bundes sowie ausländische öffentliche Stellen um Übermittlung und Bewertung vorhandener Erkenntnisse und um Bewertung übermittelter Erkenntnisse ersucht werden.

(3) Die Verfassungsschutzbehörden sind an die allgemeinen Rechtsvorschriften gebunden (Artikel 20 des Grundgesetzes).

(1) Der Bundesnachrichtendienst ist eine Bundesoberbehörde im Geschäftsbereich des Bundeskanzleramtes. Einer polizeilichen Dienststelle darf er nicht angegliedert werden.

(2) Der Bundesnachrichtendienst sammelt zur Gewinnung von Erkenntnissen über das Ausland, die von außen- und sicherheitspolitischer Bedeutung für die Bundesrepublik Deutschland sind, die erforderlichen Informationen und wertet sie aus. Werden dafür im Geltungsbereich dieses Gesetzes Informationen einschließlich personenbezogener Daten erhoben, so richtet sich ihre Verarbeitung nach Satz 1 sowie den §§ 2 bis 8, 10 bis 39 sowie 59 bis 63.

(1) Auf Antrag des Bundesnachrichtendienstes dürfen Beschränkungen nach § 1 für internationale Telekommunikationsbeziehungen, soweit eine gebündelte Übertragung erfolgt, angeordnet werden. Die jeweiligen Telekommunikationsbeziehungen werden von dem nach § 10 Abs. 1 zuständigen Bundesministerium mit Zustimmung des Parlamentarischen Kontrollgremiums bestimmt. Beschränkungen nach Satz 1 sind nur zulässig zur Sammlung von Informationen über Sachverhalte, deren Kenntnis notwendig ist, um die Gefahr

1.
eines bewaffneten Angriffs auf die Bundesrepublik Deutschland,
2.
der Begehung internationaler terroristischer Anschläge mit unmittelbarem Bezug zur Bundesrepublik Deutschland,
3.
der internationalen Verbreitung von Kriegswaffen im Sinne des Gesetzes über die Kontrolle von Kriegswaffen sowie des unerlaubten Außenwirtschaftsverkehrs mit Waren, Datenverarbeitungsprogrammen und Technologien in Fällen von erheblicher Bedeutung,
4.
der unbefugten gewerbs- oder bandenmäßig organisierten Verbringung von Betäubungsmitteln in das Gebiet der Europäischen Union in Fällen von erheblicher Bedeutung mit Bezug zur Bundesrepublik Deutschland,
5.
der Beeinträchtigung der Geldwertstabilität im Euro-Währungsraum durch im Ausland begangene Geldfälschungen,
6.
der international organisierten Geldwäsche in Fällen von erheblicher Bedeutung,
7.
des gewerbs- oder bandenmäßig organisierten Einschleusens von ausländischen Personen in das Gebiet der Europäischen Union in Fällen von erheblicher Bedeutung mit Bezug zur Bundesrepublik Deutschland
a)
bei unmittelbarem Bezug zu den Gefahrenbereichen nach Nr. 1 bis 3 oder
b)
in Fällen, in denen eine erhebliche Anzahl geschleuster Personen betroffen ist, insbesondere wenn durch die Art der Schleusung von einer Gefahr für ihr Leib oder Leben auszugehen ist, oder
c)
in Fällen von unmittelbarer oder mittelbarer Unterstützung oder Duldung durch ausländische öffentliche Stellen oder
8.
des internationalen kriminellen, terroristischen oder staatlichen Angriffs mittels Schadprogrammen oder vergleichbaren schädlich wirkenden informationstechnischen Mitteln auf die Vertraulichkeit, Integrität oder Verfügbarkeit von IT-Systemen in Fällen von erheblicher Bedeutung mit Bezug zur Bundesrepublik Deutschland
rechtzeitig zu erkennen und einer solchen Gefahr zu begegnen. In den Fällen von Satz 3 Nr. 1 dürfen Beschränkungen auch für Postverkehrsbeziehungen angeordnet werden; Satz 2 gilt entsprechend.

(2) Bei Beschränkungen von Telekommunikationsbeziehungen darf der Bundesnachrichtendienst nur Suchbegriffe verwenden, die zur Aufklärung von Sachverhalten über den in der Anordnung bezeichneten Gefahrenbereich bestimmt und geeignet sind. Es dürfen keine Suchbegriffe verwendet werden, die

1.
Identifizierungsmerkmale enthalten, die zu einer gezielten Erfassung bestimmter Telekommunikationsanschlüsse führen, oder
2.
den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung betreffen.
Dies gilt nicht für Telekommunikationsanschlüsse im Ausland, sofern ausgeschlossen werden kann, dass Anschlüsse, deren Inhaber oder regelmäßige Nutzer deutsche Staatsangehörige sind, gezielt erfasst werden. Die Durchführung ist zu protokollieren. Die Protokolldaten dürfen ausschließlich zu Zwecken der Datenschutzkontrolle verwendet werden. Sie sind am Ende des Kalenderjahres, das dem Jahr der Protokollierung folgt, zu löschen.

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

(1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen.

(2) In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.

(3) Die Grundrechte gelten auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind.

(4) Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen. Soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Artikel 10 Abs. 2 Satz 2 bleibt unberührt.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

(1) Zur Verweigerung des Zeugnisses sind ferner berechtigt

1.
Geistliche über das, was ihnen in ihrer Eigenschaft als Seelsorger anvertraut worden oder bekanntgeworden ist;
2.
Verteidiger des Beschuldigten über das, was ihnen in dieser Eigenschaft anvertraut worden oder bekanntgeworden ist;
3.
Rechtsanwälte und Kammerrechtsbeistände, Patentanwälte, Notare, Wirtschaftsprüfer, vereidigte Buchprüfer, Steuerberater und Steuerbevollmächtigte, Ärzte, Zahnärzte, Psychotherapeuten, Psychologische Psychotherapeuten, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten, Apotheker und Hebammen über das, was ihnen in dieser Eigenschaft anvertraut worden oder bekanntgeworden ist; für Syndikusrechtsanwälte (§ 46 Absatz 2 der Bundesrechtsanwaltsordnung) und Syndikuspatentanwälte (§ 41a Absatz 2 der Patentanwaltsordnung) gilt dies vorbehaltlich des § 53a nicht hinsichtlich dessen, was ihnen in dieser Eigenschaft anvertraut worden oder bekanntgeworden ist;
3a.
Mitglieder oder Beauftragte einer anerkannten Beratungsstelle nach den §§ 3 und 8 des Schwangerschaftskonfliktgesetzes über das, was ihnen in dieser Eigenschaft anvertraut worden oder bekanntgeworden ist;
3b.
Berater für Fragen der Betäubungsmittelabhängigkeit in einer Beratungsstelle, die eine Behörde oder eine Körperschaft, Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts anerkannt oder bei sich eingerichtet hat, über das, was ihnen in dieser Eigenschaft anvertraut worden oder bekanntgeworden ist;
4.
Mitglieder des Deutschen Bundestages, der Bundesversammlung, des Europäischen Parlaments aus der Bundesrepublik Deutschland oder eines Landtages über Personen, die ihnen in ihrer Eigenschaft als Mitglieder dieser Organe oder denen sie in dieser Eigenschaft Tatsachen anvertraut haben, sowie über diese Tatsachen selbst;
5.
Personen, die bei der Vorbereitung, Herstellung oder Verbreitung von Druckwerken, Rundfunksendungen, Filmberichten oder der Unterrichtung oder Meinungsbildung dienenden Informations- und Kommunikationsdiensten berufsmäßig mitwirken oder mitgewirkt haben.
Die in Satz 1 Nr. 5 genannten Personen dürfen das Zeugnis verweigern über die Person des Verfassers oder Einsenders von Beiträgen und Unterlagen oder des sonstigen Informanten sowie über die ihnen im Hinblick auf ihre Tätigkeit gemachten Mitteilungen, über deren Inhalt sowie über den Inhalt selbst erarbeiteter Materialien und den Gegenstand berufsbezogener Wahrnehmungen. Dies gilt nur, soweit es sich um Beiträge, Unterlagen, Mitteilungen und Materialien für den redaktionellen Teil oder redaktionell aufbereitete Informations- und Kommunikationsdienste handelt.

(2) Die in Absatz 1 Satz 1 Nr. 2 bis 3b Genannten dürfen das Zeugnis nicht verweigern, wenn sie von der Verpflichtung zur Verschwiegenheit entbunden sind. Die Berechtigung zur Zeugnisverweigerung der in Absatz 1 Satz 1 Nr. 5 Genannten über den Inhalt selbst erarbeiteter Materialien und den Gegenstand entsprechender Wahrnehmungen entfällt, wenn die Aussage zur Aufklärung eines Verbrechens beitragen soll oder wenn Gegenstand der Untersuchung

1.
eine Straftat des Friedensverrats und der Gefährdung des demokratischen Rechtsstaats oder des Landesverrats und der Gefährdung der äußeren Sicherheit (§§ 80a, 85, 87, 88, 95, auch in Verbindung mit § 97b, §§ 97a, 98 bis 100a des Strafgesetzbuches),
2.
eine Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung nach den §§ 174 bis 174c, 176a, 176b, 177 Absatz 2 Nummer 1 des Strafgesetzbuches oder
3.
eine Geldwäsche nach § 261 des Strafgesetzbuches, deren Vortat mit einer im Mindestmaß erhöhten Freiheitsstrafe bedroht ist,
ist und die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes des Beschuldigten auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre. Der Zeuge kann jedoch auch in diesen Fällen die Aussage verweigern, soweit sie zur Offenbarung der Person des Verfassers oder Einsenders von Beiträgen und Unterlagen oder des sonstigen Informanten oder der ihm im Hinblick auf seine Tätigkeit nach Absatz 1 Satz 1 Nr. 5 gemachten Mitteilungen oder deren Inhalts führen würde.

(1) Die Verfassungsbeschwerde ist binnen eines Monats zu erheben und zu begründen. Die Frist beginnt mit der Zustellung oder formlosen Mitteilung der in vollständiger Form abgefaßten Entscheidung, wenn diese nach den maßgebenden verfahrensrechtlichen Vorschriften von Amts wegen vorzunehmen ist. In anderen Fällen beginnt die Frist mit der Verkündung der Entscheidung oder, wenn diese nicht zu verkünden ist, mit ihrer sonstigen Bekanntgabe an den Beschwerdeführer; wird dabei dem Beschwerdeführer eine Abschrift der Entscheidung in vollständiger Form nicht erteilt, so wird die Frist des Satzes 1 dadurch unterbrochen, daß der Beschwerdeführer schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle die Erteilung einer in vollständiger Form abgefaßten Entscheidung beantragt. Die Unterbrechung dauert fort, bis die Entscheidung in vollständiger Form dem Beschwerdeführer von dem Gericht erteilt oder von Amts wegen oder von einem an dem Verfahren Beteiligten zugestellt wird.

(2) War ein Beschwerdeführer ohne Verschulden verhindert, diese Frist einzuhalten, ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Der Antrag ist binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen. Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Rechtshandlung nachzuholen; ist dies geschehen, kann die Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden. Nach einem Jahr seit dem Ende der versäumten Frist ist der Antrag unzulässig. Das Verschulden des Bevollmächtigten steht dem Verschulden eines Beschwerdeführers gleich.

(3) Richtet sich die Verfassungsbeschwerde gegen ein Gesetz oder gegen einen sonstigen Hoheitsakt, gegen den ein Rechtsweg nicht offensteht, so kann die Verfassungsbeschwerde nur binnen eines Jahres seit dem Inkrafttreten des Gesetzes oder dem Erlaß des Hoheitsaktes erhoben werden.

(4) Ist ein Gesetz vor dem 1. April 1951 in Kraft getreten, so kann die Verfassungsbeschwerde bis zum 1. April 1952 erhoben werden.

(1) Der Bund hat die ausschließliche Gesetzgebung über:

1.
die auswärtigen Angelegenheiten sowie die Verteidigung einschließlich des Schutzes der Zivilbevölkerung;
2.
die Staatsangehörigkeit im Bunde;
3.
die Freizügigkeit, das Paßwesen, das Melde- und Ausweiswesen, die Ein- und Auswanderung und die Auslieferung;
4.
das Währungs-, Geld- und Münzwesen, Maße und Gewichte sowie die Zeitbestimmung;
5.
die Einheit des Zoll- und Handelsgebietes, die Handels- und Schiffahrtsverträge, die Freizügigkeit des Warenverkehrs und den Waren- und Zahlungsverkehr mit dem Auslande einschließlich des Zoll- und Grenzschutzes;
5a.
den Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung ins Ausland;
6.
den Luftverkehr;
6a.
den Verkehr von Eisenbahnen, die ganz oder mehrheitlich im Eigentum des Bundes stehen (Eisenbahnen des Bundes), den Bau, die Unterhaltung und das Betreiben von Schienenwegen der Eisenbahnen des Bundes sowie die Erhebung von Entgelten für die Benutzung dieser Schienenwege;
7.
das Postwesen und die Telekommunikation;
8.
die Rechtsverhältnisse der im Dienste des Bundes und der bundesunmittelbaren Körperschaften des öffentlichen Rechtes stehenden Personen;
9.
den gewerblichen Rechtsschutz, das Urheberrecht und das Verlagsrecht;
9a.
die Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus durch das Bundeskriminalpolizeiamt in Fällen, in denen eine länderübergreifende Gefahr vorliegt, die Zuständigkeit einer Landespolizeibehörde nicht erkennbar ist oder die oberste Landesbehörde um eine Übernahme ersucht;
10.
die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder
a)
in der Kriminalpolizei,
b)
zum Schutze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des Bestandes und der Sicherheit des Bundes oder eines Landes (Verfassungsschutz) und
c)
zum Schutze gegen Bestrebungen im Bundesgebiet, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden,
sowie die Einrichtung eines Bundeskriminalpolizeiamtes und die internationale Verbrechensbekämpfung;
11.
die Statistik für Bundeszwecke;
12.
das Waffen- und das Sprengstoffrecht;
13.
die Versorgung der Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen und die Fürsorge für die ehemaligen Kriegsgefangenen;
14.
die Erzeugung und Nutzung der Kernenergie zu friedlichen Zwecken, die Errichtung und den Betrieb von Anlagen, die diesen Zwecken dienen, den Schutz gegen Gefahren, die bei Freiwerden von Kernenergie oder durch ionisierende Strahlen entstehen, und die Beseitigung radioaktiver Stoffe.

(2) Gesetze nach Absatz 1 Nr. 9a bedürfen der Zustimmung des Bundesrates.

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.

(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.

(3) Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.

(1) Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden.

(2) Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht.

(3) Zwangsarbeit ist nur bei einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung zulässig.

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

(1) Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden.

(2) Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht.

(3) Zwangsarbeit ist nur bei einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung zulässig.

(1) Die Wohnung ist unverletzlich.

(2) Durchsuchungen dürfen nur durch den Richter, bei Gefahr im Verzuge auch durch die in den Gesetzen vorgesehenen anderen Organe angeordnet und nur in der dort vorgeschriebenen Form durchgeführt werden.

(3) Begründen bestimmte Tatsachen den Verdacht, daß jemand eine durch Gesetz einzeln bestimmte besonders schwere Straftat begangen hat, so dürfen zur Verfolgung der Tat auf Grund richterlicher Anordnung technische Mittel zur akustischen Überwachung von Wohnungen, in denen der Beschuldigte sich vermutlich aufhält, eingesetzt werden, wenn die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise unverhältnismäßig erschwert oder aussichtslos wäre. Die Maßnahme ist zu befristen. Die Anordnung erfolgt durch einen mit drei Richtern besetzten Spruchkörper. Bei Gefahr im Verzuge kann sie auch durch einen einzelnen Richter getroffen werden.

(4) Zur Abwehr dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit, insbesondere einer gemeinen Gefahr oder einer Lebensgefahr, dürfen technische Mittel zur Überwachung von Wohnungen nur auf Grund richterlicher Anordnung eingesetzt werden. Bei Gefahr im Verzuge kann die Maßnahme auch durch eine andere gesetzlich bestimmte Stelle angeordnet werden; eine richterliche Entscheidung ist unverzüglich nachzuholen.

(5) Sind technische Mittel ausschließlich zum Schutze der bei einem Einsatz in Wohnungen tätigen Personen vorgesehen, kann die Maßnahme durch eine gesetzlich bestimmte Stelle angeordnet werden. Eine anderweitige Verwertung der hierbei erlangten Erkenntnisse ist nur zum Zwecke der Strafverfolgung oder der Gefahrenabwehr und nur zulässig, wenn zuvor die Rechtmäßigkeit der Maßnahme richterlich festgestellt ist; bei Gefahr im Verzuge ist die richterliche Entscheidung unverzüglich nachzuholen.

(6) Die Bundesregierung unterrichtet den Bundestag jährlich über den nach Absatz 3 sowie über den im Zuständigkeitsbereich des Bundes nach Absatz 4 und, soweit richterlich überprüfungsbedürftig, nach Absatz 5 erfolgten Einsatz technischer Mittel. Ein vom Bundestag gewähltes Gremium übt auf der Grundlage dieses Berichts die parlamentarische Kontrolle aus. Die Länder gewährleisten eine gleichwertige parlamentarische Kontrolle.

(7) Eingriffe und Beschränkungen dürfen im übrigen nur zur Abwehr einer gemeinen Gefahr oder einer Lebensgefahr für einzelne Personen, auf Grund eines Gesetzes auch zur Verhütung dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, insbesondere zur Behebung der Raumnot, zur Bekämpfung von Seuchengefahr oder zum Schutze gefährdeter Jugendlicher vorgenommen werden.

(1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen.

(2) In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.

(3) Die Grundrechte gelten auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind.

(4) Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen. Soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Artikel 10 Abs. 2 Satz 2 bleibt unberührt.

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

(1) Die Wohnung ist unverletzlich.

(2) Durchsuchungen dürfen nur durch den Richter, bei Gefahr im Verzuge auch durch die in den Gesetzen vorgesehenen anderen Organe angeordnet und nur in der dort vorgeschriebenen Form durchgeführt werden.

(3) Begründen bestimmte Tatsachen den Verdacht, daß jemand eine durch Gesetz einzeln bestimmte besonders schwere Straftat begangen hat, so dürfen zur Verfolgung der Tat auf Grund richterlicher Anordnung technische Mittel zur akustischen Überwachung von Wohnungen, in denen der Beschuldigte sich vermutlich aufhält, eingesetzt werden, wenn die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise unverhältnismäßig erschwert oder aussichtslos wäre. Die Maßnahme ist zu befristen. Die Anordnung erfolgt durch einen mit drei Richtern besetzten Spruchkörper. Bei Gefahr im Verzuge kann sie auch durch einen einzelnen Richter getroffen werden.

(4) Zur Abwehr dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit, insbesondere einer gemeinen Gefahr oder einer Lebensgefahr, dürfen technische Mittel zur Überwachung von Wohnungen nur auf Grund richterlicher Anordnung eingesetzt werden. Bei Gefahr im Verzuge kann die Maßnahme auch durch eine andere gesetzlich bestimmte Stelle angeordnet werden; eine richterliche Entscheidung ist unverzüglich nachzuholen.

(5) Sind technische Mittel ausschließlich zum Schutze der bei einem Einsatz in Wohnungen tätigen Personen vorgesehen, kann die Maßnahme durch eine gesetzlich bestimmte Stelle angeordnet werden. Eine anderweitige Verwertung der hierbei erlangten Erkenntnisse ist nur zum Zwecke der Strafverfolgung oder der Gefahrenabwehr und nur zulässig, wenn zuvor die Rechtmäßigkeit der Maßnahme richterlich festgestellt ist; bei Gefahr im Verzuge ist die richterliche Entscheidung unverzüglich nachzuholen.

(6) Die Bundesregierung unterrichtet den Bundestag jährlich über den nach Absatz 3 sowie über den im Zuständigkeitsbereich des Bundes nach Absatz 4 und, soweit richterlich überprüfungsbedürftig, nach Absatz 5 erfolgten Einsatz technischer Mittel. Ein vom Bundestag gewähltes Gremium übt auf der Grundlage dieses Berichts die parlamentarische Kontrolle aus. Die Länder gewährleisten eine gleichwertige parlamentarische Kontrolle.

(7) Eingriffe und Beschränkungen dürfen im übrigen nur zur Abwehr einer gemeinen Gefahr oder einer Lebensgefahr für einzelne Personen, auf Grund eines Gesetzes auch zur Verhütung dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, insbesondere zur Behebung der Raumnot, zur Bekämpfung von Seuchengefahr oder zum Schutze gefährdeter Jugendlicher vorgenommen werden.

(1) Das Briefgeheimnis sowie das Post- und Fernmeldegeheimnis sind unverletzlich.

(2) Beschränkungen dürfen nur auf Grund eines Gesetzes angeordnet werden. Dient die Beschränkung dem Schutze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder des Bestandes oder der Sicherung des Bundes oder eines Landes, so kann das Gesetz bestimmen, daß sie dem Betroffenen nicht mitgeteilt wird und daß an die Stelle des Rechtsweges die Nachprüfung durch von der Volksvertretung bestellte Organe und Hilfsorgane tritt.

(1) Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden.

(2) Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht.

(3) Zwangsarbeit ist nur bei einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung zulässig.

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

(1) Zur Verweigerung des Zeugnisses sind ferner berechtigt

1.
Geistliche über das, was ihnen in ihrer Eigenschaft als Seelsorger anvertraut worden oder bekanntgeworden ist;
2.
Verteidiger des Beschuldigten über das, was ihnen in dieser Eigenschaft anvertraut worden oder bekanntgeworden ist;
3.
Rechtsanwälte und Kammerrechtsbeistände, Patentanwälte, Notare, Wirtschaftsprüfer, vereidigte Buchprüfer, Steuerberater und Steuerbevollmächtigte, Ärzte, Zahnärzte, Psychotherapeuten, Psychologische Psychotherapeuten, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten, Apotheker und Hebammen über das, was ihnen in dieser Eigenschaft anvertraut worden oder bekanntgeworden ist; für Syndikusrechtsanwälte (§ 46 Absatz 2 der Bundesrechtsanwaltsordnung) und Syndikuspatentanwälte (§ 41a Absatz 2 der Patentanwaltsordnung) gilt dies vorbehaltlich des § 53a nicht hinsichtlich dessen, was ihnen in dieser Eigenschaft anvertraut worden oder bekanntgeworden ist;
3a.
Mitglieder oder Beauftragte einer anerkannten Beratungsstelle nach den §§ 3 und 8 des Schwangerschaftskonfliktgesetzes über das, was ihnen in dieser Eigenschaft anvertraut worden oder bekanntgeworden ist;
3b.
Berater für Fragen der Betäubungsmittelabhängigkeit in einer Beratungsstelle, die eine Behörde oder eine Körperschaft, Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts anerkannt oder bei sich eingerichtet hat, über das, was ihnen in dieser Eigenschaft anvertraut worden oder bekanntgeworden ist;
4.
Mitglieder des Deutschen Bundestages, der Bundesversammlung, des Europäischen Parlaments aus der Bundesrepublik Deutschland oder eines Landtages über Personen, die ihnen in ihrer Eigenschaft als Mitglieder dieser Organe oder denen sie in dieser Eigenschaft Tatsachen anvertraut haben, sowie über diese Tatsachen selbst;
5.
Personen, die bei der Vorbereitung, Herstellung oder Verbreitung von Druckwerken, Rundfunksendungen, Filmberichten oder der Unterrichtung oder Meinungsbildung dienenden Informations- und Kommunikationsdiensten berufsmäßig mitwirken oder mitgewirkt haben.
Die in Satz 1 Nr. 5 genannten Personen dürfen das Zeugnis verweigern über die Person des Verfassers oder Einsenders von Beiträgen und Unterlagen oder des sonstigen Informanten sowie über die ihnen im Hinblick auf ihre Tätigkeit gemachten Mitteilungen, über deren Inhalt sowie über den Inhalt selbst erarbeiteter Materialien und den Gegenstand berufsbezogener Wahrnehmungen. Dies gilt nur, soweit es sich um Beiträge, Unterlagen, Mitteilungen und Materialien für den redaktionellen Teil oder redaktionell aufbereitete Informations- und Kommunikationsdienste handelt.

(2) Die in Absatz 1 Satz 1 Nr. 2 bis 3b Genannten dürfen das Zeugnis nicht verweigern, wenn sie von der Verpflichtung zur Verschwiegenheit entbunden sind. Die Berechtigung zur Zeugnisverweigerung der in Absatz 1 Satz 1 Nr. 5 Genannten über den Inhalt selbst erarbeiteter Materialien und den Gegenstand entsprechender Wahrnehmungen entfällt, wenn die Aussage zur Aufklärung eines Verbrechens beitragen soll oder wenn Gegenstand der Untersuchung

1.
eine Straftat des Friedensverrats und der Gefährdung des demokratischen Rechtsstaats oder des Landesverrats und der Gefährdung der äußeren Sicherheit (§§ 80a, 85, 87, 88, 95, auch in Verbindung mit § 97b, §§ 97a, 98 bis 100a des Strafgesetzbuches),
2.
eine Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung nach den §§ 174 bis 174c, 176a, 176b, 177 Absatz 2 Nummer 1 des Strafgesetzbuches oder
3.
eine Geldwäsche nach § 261 des Strafgesetzbuches, deren Vortat mit einer im Mindestmaß erhöhten Freiheitsstrafe bedroht ist,
ist und die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes des Beschuldigten auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre. Der Zeuge kann jedoch auch in diesen Fällen die Aussage verweigern, soweit sie zur Offenbarung der Person des Verfassers oder Einsenders von Beiträgen und Unterlagen oder des sonstigen Informanten oder der ihm im Hinblick auf seine Tätigkeit nach Absatz 1 Satz 1 Nr. 5 gemachten Mitteilungen oder deren Inhalts führen würde.

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.

(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.

(3) Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.

(1) Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden.

(2) Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht.

(3) Zwangsarbeit ist nur bei einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung zulässig.

(1) Die Wohnung ist unverletzlich.

(2) Durchsuchungen dürfen nur durch den Richter, bei Gefahr im Verzuge auch durch die in den Gesetzen vorgesehenen anderen Organe angeordnet und nur in der dort vorgeschriebenen Form durchgeführt werden.

(3) Begründen bestimmte Tatsachen den Verdacht, daß jemand eine durch Gesetz einzeln bestimmte besonders schwere Straftat begangen hat, so dürfen zur Verfolgung der Tat auf Grund richterlicher Anordnung technische Mittel zur akustischen Überwachung von Wohnungen, in denen der Beschuldigte sich vermutlich aufhält, eingesetzt werden, wenn die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise unverhältnismäßig erschwert oder aussichtslos wäre. Die Maßnahme ist zu befristen. Die Anordnung erfolgt durch einen mit drei Richtern besetzten Spruchkörper. Bei Gefahr im Verzuge kann sie auch durch einen einzelnen Richter getroffen werden.

(4) Zur Abwehr dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit, insbesondere einer gemeinen Gefahr oder einer Lebensgefahr, dürfen technische Mittel zur Überwachung von Wohnungen nur auf Grund richterlicher Anordnung eingesetzt werden. Bei Gefahr im Verzuge kann die Maßnahme auch durch eine andere gesetzlich bestimmte Stelle angeordnet werden; eine richterliche Entscheidung ist unverzüglich nachzuholen.

(5) Sind technische Mittel ausschließlich zum Schutze der bei einem Einsatz in Wohnungen tätigen Personen vorgesehen, kann die Maßnahme durch eine gesetzlich bestimmte Stelle angeordnet werden. Eine anderweitige Verwertung der hierbei erlangten Erkenntnisse ist nur zum Zwecke der Strafverfolgung oder der Gefahrenabwehr und nur zulässig, wenn zuvor die Rechtmäßigkeit der Maßnahme richterlich festgestellt ist; bei Gefahr im Verzuge ist die richterliche Entscheidung unverzüglich nachzuholen.

(6) Die Bundesregierung unterrichtet den Bundestag jährlich über den nach Absatz 3 sowie über den im Zuständigkeitsbereich des Bundes nach Absatz 4 und, soweit richterlich überprüfungsbedürftig, nach Absatz 5 erfolgten Einsatz technischer Mittel. Ein vom Bundestag gewähltes Gremium übt auf der Grundlage dieses Berichts die parlamentarische Kontrolle aus. Die Länder gewährleisten eine gleichwertige parlamentarische Kontrolle.

(7) Eingriffe und Beschränkungen dürfen im übrigen nur zur Abwehr einer gemeinen Gefahr oder einer Lebensgefahr für einzelne Personen, auf Grund eines Gesetzes auch zur Verhütung dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, insbesondere zur Behebung der Raumnot, zur Bekämpfung von Seuchengefahr oder zum Schutze gefährdeter Jugendlicher vorgenommen werden.

(1) Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden.

(2) Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht.

(3) Zwangsarbeit ist nur bei einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung zulässig.

(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.

(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.

(3) Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.

(1) Das Bundeskriminalamt kann die Aufgabe der Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus in Fällen wahrnehmen, in denen

1.
eine länderübergreifende Gefahr vorliegt,
2.
die Zuständigkeit einer Landespolizeibehörde nicht erkennbar ist oder
3.
die oberste Landesbehörde um eine Übernahme ersucht.
Gefahren des internationalen Terrorismus sind Gefahren der Verwirklichung von Straftaten, die in § 129a Absatz 1 und 2 des Strafgesetzbuchs bezeichnet und dazu bestimmt sind,
1.
die Bevölkerung auf erhebliche Weise einzuschüchtern,
2.
eine Behörde oder eine internationale Organisation rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt zu nötigen oder
3.
die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Staates oder einer internationalen Organisation zu beseitigen oder erheblich zu beeinträchtigen,
und durch die Art ihrer Begehung oder ihre Auswirkungen einen Staat oder eine internationale Organisation erheblich schädigen können. Das Bundeskriminalamt kann in den in Satz 1 bezeichneten Fällen auch zur Verhütung von Straftaten nach Satz 2 tätig werden.

(2) Die Befugnisse der Länder und anderer Polizeibehörden des Bundes bleiben unberührt. Die zuständigen obersten Landesbehörden und, soweit zuständig, anderen Polizeibehörden des Bundes sind unverzüglich zu benachrichtigen, wenn das Bundeskriminalamt die Aufgabe nach Absatz 1 wahrnimmt. Die Aufgabenwahrnehmung erfolgt in gegenseitigem Benehmen. Stellt das Bundeskriminalamt bei der Aufgabenwahrnehmung nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 die Zuständigkeit einer Landespolizeibehörde fest, so gibt es diese Aufgabe an diese Polizeibehörde ab, wenn nicht ein Fall des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 1 oder Nummer 3 vorliegt.

(3) Das Bundeskriminalamt ist unbeschadet der Absätze 1 und 2 zuständige Behörde nach § 1 Absatz 1 des Terroristische-Online-Inhalte-Bekämpfungs-Gesetzes für den Erlass und die Überprüfung von Entfernungsanordnungen nach den Artikeln 3 und 4 der Verordnung (EU) 2021/784 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2021 zur Bekämpfung der Verbreitung terroristischer Online-Inhalte (ABl. L 172 vom 17.5.2021, S. 79).

(1) Die Wohnung ist unverletzlich.

(2) Durchsuchungen dürfen nur durch den Richter, bei Gefahr im Verzuge auch durch die in den Gesetzen vorgesehenen anderen Organe angeordnet und nur in der dort vorgeschriebenen Form durchgeführt werden.

(3) Begründen bestimmte Tatsachen den Verdacht, daß jemand eine durch Gesetz einzeln bestimmte besonders schwere Straftat begangen hat, so dürfen zur Verfolgung der Tat auf Grund richterlicher Anordnung technische Mittel zur akustischen Überwachung von Wohnungen, in denen der Beschuldigte sich vermutlich aufhält, eingesetzt werden, wenn die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise unverhältnismäßig erschwert oder aussichtslos wäre. Die Maßnahme ist zu befristen. Die Anordnung erfolgt durch einen mit drei Richtern besetzten Spruchkörper. Bei Gefahr im Verzuge kann sie auch durch einen einzelnen Richter getroffen werden.

(4) Zur Abwehr dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit, insbesondere einer gemeinen Gefahr oder einer Lebensgefahr, dürfen technische Mittel zur Überwachung von Wohnungen nur auf Grund richterlicher Anordnung eingesetzt werden. Bei Gefahr im Verzuge kann die Maßnahme auch durch eine andere gesetzlich bestimmte Stelle angeordnet werden; eine richterliche Entscheidung ist unverzüglich nachzuholen.

(5) Sind technische Mittel ausschließlich zum Schutze der bei einem Einsatz in Wohnungen tätigen Personen vorgesehen, kann die Maßnahme durch eine gesetzlich bestimmte Stelle angeordnet werden. Eine anderweitige Verwertung der hierbei erlangten Erkenntnisse ist nur zum Zwecke der Strafverfolgung oder der Gefahrenabwehr und nur zulässig, wenn zuvor die Rechtmäßigkeit der Maßnahme richterlich festgestellt ist; bei Gefahr im Verzuge ist die richterliche Entscheidung unverzüglich nachzuholen.

(6) Die Bundesregierung unterrichtet den Bundestag jährlich über den nach Absatz 3 sowie über den im Zuständigkeitsbereich des Bundes nach Absatz 4 und, soweit richterlich überprüfungsbedürftig, nach Absatz 5 erfolgten Einsatz technischer Mittel. Ein vom Bundestag gewähltes Gremium übt auf der Grundlage dieses Berichts die parlamentarische Kontrolle aus. Die Länder gewährleisten eine gleichwertige parlamentarische Kontrolle.

(7) Eingriffe und Beschränkungen dürfen im übrigen nur zur Abwehr einer gemeinen Gefahr oder einer Lebensgefahr für einzelne Personen, auf Grund eines Gesetzes auch zur Verhütung dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, insbesondere zur Behebung der Raumnot, zur Bekämpfung von Seuchengefahr oder zum Schutze gefährdeter Jugendlicher vorgenommen werden.

(1) Das Briefgeheimnis sowie das Post- und Fernmeldegeheimnis sind unverletzlich.

(2) Beschränkungen dürfen nur auf Grund eines Gesetzes angeordnet werden. Dient die Beschränkung dem Schutze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder des Bestandes oder der Sicherung des Bundes oder eines Landes, so kann das Gesetz bestimmen, daß sie dem Betroffenen nicht mitgeteilt wird und daß an die Stelle des Rechtsweges die Nachprüfung durch von der Volksvertretung bestellte Organe und Hilfsorgane tritt.

(1) Die Wohnung ist unverletzlich.

(2) Durchsuchungen dürfen nur durch den Richter, bei Gefahr im Verzuge auch durch die in den Gesetzen vorgesehenen anderen Organe angeordnet und nur in der dort vorgeschriebenen Form durchgeführt werden.

(3) Begründen bestimmte Tatsachen den Verdacht, daß jemand eine durch Gesetz einzeln bestimmte besonders schwere Straftat begangen hat, so dürfen zur Verfolgung der Tat auf Grund richterlicher Anordnung technische Mittel zur akustischen Überwachung von Wohnungen, in denen der Beschuldigte sich vermutlich aufhält, eingesetzt werden, wenn die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise unverhältnismäßig erschwert oder aussichtslos wäre. Die Maßnahme ist zu befristen. Die Anordnung erfolgt durch einen mit drei Richtern besetzten Spruchkörper. Bei Gefahr im Verzuge kann sie auch durch einen einzelnen Richter getroffen werden.

(4) Zur Abwehr dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit, insbesondere einer gemeinen Gefahr oder einer Lebensgefahr, dürfen technische Mittel zur Überwachung von Wohnungen nur auf Grund richterlicher Anordnung eingesetzt werden. Bei Gefahr im Verzuge kann die Maßnahme auch durch eine andere gesetzlich bestimmte Stelle angeordnet werden; eine richterliche Entscheidung ist unverzüglich nachzuholen.

(5) Sind technische Mittel ausschließlich zum Schutze der bei einem Einsatz in Wohnungen tätigen Personen vorgesehen, kann die Maßnahme durch eine gesetzlich bestimmte Stelle angeordnet werden. Eine anderweitige Verwertung der hierbei erlangten Erkenntnisse ist nur zum Zwecke der Strafverfolgung oder der Gefahrenabwehr und nur zulässig, wenn zuvor die Rechtmäßigkeit der Maßnahme richterlich festgestellt ist; bei Gefahr im Verzuge ist die richterliche Entscheidung unverzüglich nachzuholen.

(6) Die Bundesregierung unterrichtet den Bundestag jährlich über den nach Absatz 3 sowie über den im Zuständigkeitsbereich des Bundes nach Absatz 4 und, soweit richterlich überprüfungsbedürftig, nach Absatz 5 erfolgten Einsatz technischer Mittel. Ein vom Bundestag gewähltes Gremium übt auf der Grundlage dieses Berichts die parlamentarische Kontrolle aus. Die Länder gewährleisten eine gleichwertige parlamentarische Kontrolle.

(7) Eingriffe und Beschränkungen dürfen im übrigen nur zur Abwehr einer gemeinen Gefahr oder einer Lebensgefahr für einzelne Personen, auf Grund eines Gesetzes auch zur Verhütung dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, insbesondere zur Behebung der Raumnot, zur Bekämpfung von Seuchengefahr oder zum Schutze gefährdeter Jugendlicher vorgenommen werden.

(1) Die Verfassungsbeschwerde ist binnen eines Monats zu erheben und zu begründen. Die Frist beginnt mit der Zustellung oder formlosen Mitteilung der in vollständiger Form abgefaßten Entscheidung, wenn diese nach den maßgebenden verfahrensrechtlichen Vorschriften von Amts wegen vorzunehmen ist. In anderen Fällen beginnt die Frist mit der Verkündung der Entscheidung oder, wenn diese nicht zu verkünden ist, mit ihrer sonstigen Bekanntgabe an den Beschwerdeführer; wird dabei dem Beschwerdeführer eine Abschrift der Entscheidung in vollständiger Form nicht erteilt, so wird die Frist des Satzes 1 dadurch unterbrochen, daß der Beschwerdeführer schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle die Erteilung einer in vollständiger Form abgefaßten Entscheidung beantragt. Die Unterbrechung dauert fort, bis die Entscheidung in vollständiger Form dem Beschwerdeführer von dem Gericht erteilt oder von Amts wegen oder von einem an dem Verfahren Beteiligten zugestellt wird.

(2) War ein Beschwerdeführer ohne Verschulden verhindert, diese Frist einzuhalten, ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Der Antrag ist binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen. Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Rechtshandlung nachzuholen; ist dies geschehen, kann die Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden. Nach einem Jahr seit dem Ende der versäumten Frist ist der Antrag unzulässig. Das Verschulden des Bevollmächtigten steht dem Verschulden eines Beschwerdeführers gleich.

(3) Richtet sich die Verfassungsbeschwerde gegen ein Gesetz oder gegen einen sonstigen Hoheitsakt, gegen den ein Rechtsweg nicht offensteht, so kann die Verfassungsbeschwerde nur binnen eines Jahres seit dem Inkrafttreten des Gesetzes oder dem Erlaß des Hoheitsaktes erhoben werden.

(4) Ist ein Gesetz vor dem 1. April 1951 in Kraft getreten, so kann die Verfassungsbeschwerde bis zum 1. April 1952 erhoben werden.

(1) Der Bund hat die ausschließliche Gesetzgebung über:

1.
die auswärtigen Angelegenheiten sowie die Verteidigung einschließlich des Schutzes der Zivilbevölkerung;
2.
die Staatsangehörigkeit im Bunde;
3.
die Freizügigkeit, das Paßwesen, das Melde- und Ausweiswesen, die Ein- und Auswanderung und die Auslieferung;
4.
das Währungs-, Geld- und Münzwesen, Maße und Gewichte sowie die Zeitbestimmung;
5.
die Einheit des Zoll- und Handelsgebietes, die Handels- und Schiffahrtsverträge, die Freizügigkeit des Warenverkehrs und den Waren- und Zahlungsverkehr mit dem Auslande einschließlich des Zoll- und Grenzschutzes;
5a.
den Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung ins Ausland;
6.
den Luftverkehr;
6a.
den Verkehr von Eisenbahnen, die ganz oder mehrheitlich im Eigentum des Bundes stehen (Eisenbahnen des Bundes), den Bau, die Unterhaltung und das Betreiben von Schienenwegen der Eisenbahnen des Bundes sowie die Erhebung von Entgelten für die Benutzung dieser Schienenwege;
7.
das Postwesen und die Telekommunikation;
8.
die Rechtsverhältnisse der im Dienste des Bundes und der bundesunmittelbaren Körperschaften des öffentlichen Rechtes stehenden Personen;
9.
den gewerblichen Rechtsschutz, das Urheberrecht und das Verlagsrecht;
9a.
die Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus durch das Bundeskriminalpolizeiamt in Fällen, in denen eine länderübergreifende Gefahr vorliegt, die Zuständigkeit einer Landespolizeibehörde nicht erkennbar ist oder die oberste Landesbehörde um eine Übernahme ersucht;
10.
die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder
a)
in der Kriminalpolizei,
b)
zum Schutze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des Bestandes und der Sicherheit des Bundes oder eines Landes (Verfassungsschutz) und
c)
zum Schutze gegen Bestrebungen im Bundesgebiet, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden,
sowie die Einrichtung eines Bundeskriminalpolizeiamtes und die internationale Verbrechensbekämpfung;
11.
die Statistik für Bundeszwecke;
12.
das Waffen- und das Sprengstoffrecht;
13.
die Versorgung der Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen und die Fürsorge für die ehemaligen Kriegsgefangenen;
14.
die Erzeugung und Nutzung der Kernenergie zu friedlichen Zwecken, die Errichtung und den Betrieb von Anlagen, die diesen Zwecken dienen, den Schutz gegen Gefahren, die bei Freiwerden von Kernenergie oder durch ionisierende Strahlen entstehen, und die Beseitigung radioaktiver Stoffe.

(2) Gesetze nach Absatz 1 Nr. 9a bedürfen der Zustimmung des Bundesrates.

(1) Wer eine Vereinigung (§ 129 Absatz 2) gründet, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet sind,

1.
Mord (§ 211) oder Totschlag (§ 212) oder Völkermord (§ 6 des Völkerstrafgesetzbuches) oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§ 7 des Völkerstrafgesetzbuches) oder Kriegsverbrechen (§§ 8, 9, 10, 11 oder § 12 des Völkerstrafgesetzbuches) oder
2.
Straftaten gegen die persönliche Freiheit in den Fällen des § 239a oder des § 239b
3.
(weggefallen)
zu begehen, oder wer sich an einer solchen Vereinigung als Mitglied beteiligt, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer eine Vereinigung gründet, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet sind,

1.
einem anderen Menschen schwere körperliche oder seelische Schäden, insbesondere der in § 226 bezeichneten Art, zuzufügen,
2.
Straftaten nach den §§ 303b, 305, 305a oder gemeingefährliche Straftaten in den Fällen der §§ 306 bis 306c oder 307 Abs. 1 bis 3, des § 308 Abs. 1 bis 4, des § 309 Abs. 1 bis 5, der §§ 313, 314 oder 315 Abs. 1, 3 oder 4, des § 316b Abs. 1 oder 3 oder des § 316c Abs. 1 bis 3 oder des § 317 Abs. 1,
3.
Straftaten gegen die Umwelt in den Fällen des § 330a Abs. 1 bis 3,
4.
Straftaten nach § 19 Abs. 1 bis 3, § 20 Abs. 1 oder 2, § 20a Abs. 1 bis 3, § 19 Abs. 2 Nr. 2 oder Abs. 3 Nr. 2, § 20 Abs. 1 oder 2 oder § 20a Abs. 1 bis 3, jeweils auch in Verbindung mit § 21, oder nach § 22a Abs. 1 bis 3 des Gesetzes über die Kontrolle von Kriegswaffen oder
5.
Straftaten nach § 51 Abs. 1 bis 3 des Waffengesetzes
zu begehen, oder wer sich an einer solchen Vereinigung als Mitglied beteiligt, wenn eine der in den Nummern 1 bis 5 bezeichneten Taten bestimmt ist, die Bevölkerung auf erhebliche Weise einzuschüchtern, eine Behörde oder eine internationale Organisation rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt zu nötigen oder die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Staates oder einer internationalen Organisation zu beseitigen oder erheblich zu beeinträchtigen, und durch die Art ihrer Begehung oder ihre Auswirkungen einen Staat oder eine internationale Organisation erheblich schädigen kann.

(3) Sind die Zwecke oder die Tätigkeit der Vereinigung darauf gerichtet, eine der in Absatz 1 und 2 bezeichneten Straftaten anzudrohen, ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen.

(4) Gehört der Täter zu den Rädelsführern oder Hintermännern, so ist in den Fällen der Absätze 1 und 2 auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren, in den Fällen des Absatzes 3 auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

(5) Wer eine in Absatz 1, 2 oder Absatz 3 bezeichnete Vereinigung unterstützt, wird in den Fällen der Absätze 1 und 2 mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in den Fällen des Absatzes 3 mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Wer für eine in Absatz 1 oder Absatz 2 bezeichnete Vereinigung um Mitglieder oder Unterstützer wirbt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(6) Das Gericht kann bei Beteiligten, deren Schuld gering und deren Mitwirkung von untergeordneter Bedeutung ist, in den Fällen der Absätze 1, 2, 3 und 5 die Strafe nach seinem Ermessen (§ 49 Abs. 2) mildern.

(7) § 129 Absatz 7 gilt entsprechend.

(8) Neben einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten kann das Gericht die Fähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden, und die Fähigkeit, Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen, aberkennen (§ 45 Abs. 2).

(9) In den Fällen der Absätze 1, 2, 4 und 5 kann das Gericht Führungsaufsicht anordnen (§ 68 Abs. 1).

(1) Die Wohnung ist unverletzlich.

(2) Durchsuchungen dürfen nur durch den Richter, bei Gefahr im Verzuge auch durch die in den Gesetzen vorgesehenen anderen Organe angeordnet und nur in der dort vorgeschriebenen Form durchgeführt werden.

(3) Begründen bestimmte Tatsachen den Verdacht, daß jemand eine durch Gesetz einzeln bestimmte besonders schwere Straftat begangen hat, so dürfen zur Verfolgung der Tat auf Grund richterlicher Anordnung technische Mittel zur akustischen Überwachung von Wohnungen, in denen der Beschuldigte sich vermutlich aufhält, eingesetzt werden, wenn die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise unverhältnismäßig erschwert oder aussichtslos wäre. Die Maßnahme ist zu befristen. Die Anordnung erfolgt durch einen mit drei Richtern besetzten Spruchkörper. Bei Gefahr im Verzuge kann sie auch durch einen einzelnen Richter getroffen werden.

(4) Zur Abwehr dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit, insbesondere einer gemeinen Gefahr oder einer Lebensgefahr, dürfen technische Mittel zur Überwachung von Wohnungen nur auf Grund richterlicher Anordnung eingesetzt werden. Bei Gefahr im Verzuge kann die Maßnahme auch durch eine andere gesetzlich bestimmte Stelle angeordnet werden; eine richterliche Entscheidung ist unverzüglich nachzuholen.

(5) Sind technische Mittel ausschließlich zum Schutze der bei einem Einsatz in Wohnungen tätigen Personen vorgesehen, kann die Maßnahme durch eine gesetzlich bestimmte Stelle angeordnet werden. Eine anderweitige Verwertung der hierbei erlangten Erkenntnisse ist nur zum Zwecke der Strafverfolgung oder der Gefahrenabwehr und nur zulässig, wenn zuvor die Rechtmäßigkeit der Maßnahme richterlich festgestellt ist; bei Gefahr im Verzuge ist die richterliche Entscheidung unverzüglich nachzuholen.

(6) Die Bundesregierung unterrichtet den Bundestag jährlich über den nach Absatz 3 sowie über den im Zuständigkeitsbereich des Bundes nach Absatz 4 und, soweit richterlich überprüfungsbedürftig, nach Absatz 5 erfolgten Einsatz technischer Mittel. Ein vom Bundestag gewähltes Gremium übt auf der Grundlage dieses Berichts die parlamentarische Kontrolle aus. Die Länder gewährleisten eine gleichwertige parlamentarische Kontrolle.

(7) Eingriffe und Beschränkungen dürfen im übrigen nur zur Abwehr einer gemeinen Gefahr oder einer Lebensgefahr für einzelne Personen, auf Grund eines Gesetzes auch zur Verhütung dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, insbesondere zur Behebung der Raumnot, zur Bekämpfung von Seuchengefahr oder zum Schutze gefährdeter Jugendlicher vorgenommen werden.

(1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen.

(2) In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.

(3) Die Grundrechte gelten auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind.

(4) Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen. Soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Artikel 10 Abs. 2 Satz 2 bleibt unberührt.

(1) Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden.

(2) Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht.

(3) Zwangsarbeit ist nur bei einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung zulässig.

(1) Das Bundeskriminalamt kann die Aufgabe der Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus in Fällen wahrnehmen, in denen

1.
eine länderübergreifende Gefahr vorliegt,
2.
die Zuständigkeit einer Landespolizeibehörde nicht erkennbar ist oder
3.
die oberste Landesbehörde um eine Übernahme ersucht.
Gefahren des internationalen Terrorismus sind Gefahren der Verwirklichung von Straftaten, die in § 129a Absatz 1 und 2 des Strafgesetzbuchs bezeichnet und dazu bestimmt sind,
1.
die Bevölkerung auf erhebliche Weise einzuschüchtern,
2.
eine Behörde oder eine internationale Organisation rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt zu nötigen oder
3.
die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Staates oder einer internationalen Organisation zu beseitigen oder erheblich zu beeinträchtigen,
und durch die Art ihrer Begehung oder ihre Auswirkungen einen Staat oder eine internationale Organisation erheblich schädigen können. Das Bundeskriminalamt kann in den in Satz 1 bezeichneten Fällen auch zur Verhütung von Straftaten nach Satz 2 tätig werden.

(2) Die Befugnisse der Länder und anderer Polizeibehörden des Bundes bleiben unberührt. Die zuständigen obersten Landesbehörden und, soweit zuständig, anderen Polizeibehörden des Bundes sind unverzüglich zu benachrichtigen, wenn das Bundeskriminalamt die Aufgabe nach Absatz 1 wahrnimmt. Die Aufgabenwahrnehmung erfolgt in gegenseitigem Benehmen. Stellt das Bundeskriminalamt bei der Aufgabenwahrnehmung nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 die Zuständigkeit einer Landespolizeibehörde fest, so gibt es diese Aufgabe an diese Polizeibehörde ab, wenn nicht ein Fall des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 1 oder Nummer 3 vorliegt.

(3) Das Bundeskriminalamt ist unbeschadet der Absätze 1 und 2 zuständige Behörde nach § 1 Absatz 1 des Terroristische-Online-Inhalte-Bekämpfungs-Gesetzes für den Erlass und die Überprüfung von Entfernungsanordnungen nach den Artikeln 3 und 4 der Verordnung (EU) 2021/784 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2021 zur Bekämpfung der Verbreitung terroristischer Online-Inhalte (ABl. L 172 vom 17.5.2021, S. 79).

(1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen.

(2) In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.

(3) Die Grundrechte gelten auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind.

(4) Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen. Soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Artikel 10 Abs. 2 Satz 2 bleibt unberührt.

(1) Die Wohnung ist unverletzlich.

(2) Durchsuchungen dürfen nur durch den Richter, bei Gefahr im Verzuge auch durch die in den Gesetzen vorgesehenen anderen Organe angeordnet und nur in der dort vorgeschriebenen Form durchgeführt werden.

(3) Begründen bestimmte Tatsachen den Verdacht, daß jemand eine durch Gesetz einzeln bestimmte besonders schwere Straftat begangen hat, so dürfen zur Verfolgung der Tat auf Grund richterlicher Anordnung technische Mittel zur akustischen Überwachung von Wohnungen, in denen der Beschuldigte sich vermutlich aufhält, eingesetzt werden, wenn die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise unverhältnismäßig erschwert oder aussichtslos wäre. Die Maßnahme ist zu befristen. Die Anordnung erfolgt durch einen mit drei Richtern besetzten Spruchkörper. Bei Gefahr im Verzuge kann sie auch durch einen einzelnen Richter getroffen werden.

(4) Zur Abwehr dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit, insbesondere einer gemeinen Gefahr oder einer Lebensgefahr, dürfen technische Mittel zur Überwachung von Wohnungen nur auf Grund richterlicher Anordnung eingesetzt werden. Bei Gefahr im Verzuge kann die Maßnahme auch durch eine andere gesetzlich bestimmte Stelle angeordnet werden; eine richterliche Entscheidung ist unverzüglich nachzuholen.

(5) Sind technische Mittel ausschließlich zum Schutze der bei einem Einsatz in Wohnungen tätigen Personen vorgesehen, kann die Maßnahme durch eine gesetzlich bestimmte Stelle angeordnet werden. Eine anderweitige Verwertung der hierbei erlangten Erkenntnisse ist nur zum Zwecke der Strafverfolgung oder der Gefahrenabwehr und nur zulässig, wenn zuvor die Rechtmäßigkeit der Maßnahme richterlich festgestellt ist; bei Gefahr im Verzuge ist die richterliche Entscheidung unverzüglich nachzuholen.

(6) Die Bundesregierung unterrichtet den Bundestag jährlich über den nach Absatz 3 sowie über den im Zuständigkeitsbereich des Bundes nach Absatz 4 und, soweit richterlich überprüfungsbedürftig, nach Absatz 5 erfolgten Einsatz technischer Mittel. Ein vom Bundestag gewähltes Gremium übt auf der Grundlage dieses Berichts die parlamentarische Kontrolle aus. Die Länder gewährleisten eine gleichwertige parlamentarische Kontrolle.

(7) Eingriffe und Beschränkungen dürfen im übrigen nur zur Abwehr einer gemeinen Gefahr oder einer Lebensgefahr für einzelne Personen, auf Grund eines Gesetzes auch zur Verhütung dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, insbesondere zur Behebung der Raumnot, zur Bekämpfung von Seuchengefahr oder zum Schutze gefährdeter Jugendlicher vorgenommen werden.

(1) Das Briefgeheimnis sowie das Post- und Fernmeldegeheimnis sind unverletzlich.

(2) Beschränkungen dürfen nur auf Grund eines Gesetzes angeordnet werden. Dient die Beschränkung dem Schutze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder des Bestandes oder der Sicherung des Bundes oder eines Landes, so kann das Gesetz bestimmen, daß sie dem Betroffenen nicht mitgeteilt wird und daß an die Stelle des Rechtsweges die Nachprüfung durch von der Volksvertretung bestellte Organe und Hilfsorgane tritt.

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

(1) Die Verfassungsbeschwerde ist binnen eines Monats zu erheben und zu begründen. Die Frist beginnt mit der Zustellung oder formlosen Mitteilung der in vollständiger Form abgefaßten Entscheidung, wenn diese nach den maßgebenden verfahrensrechtlichen Vorschriften von Amts wegen vorzunehmen ist. In anderen Fällen beginnt die Frist mit der Verkündung der Entscheidung oder, wenn diese nicht zu verkünden ist, mit ihrer sonstigen Bekanntgabe an den Beschwerdeführer; wird dabei dem Beschwerdeführer eine Abschrift der Entscheidung in vollständiger Form nicht erteilt, so wird die Frist des Satzes 1 dadurch unterbrochen, daß der Beschwerdeführer schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle die Erteilung einer in vollständiger Form abgefaßten Entscheidung beantragt. Die Unterbrechung dauert fort, bis die Entscheidung in vollständiger Form dem Beschwerdeführer von dem Gericht erteilt oder von Amts wegen oder von einem an dem Verfahren Beteiligten zugestellt wird.

(2) War ein Beschwerdeführer ohne Verschulden verhindert, diese Frist einzuhalten, ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Der Antrag ist binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen. Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Rechtshandlung nachzuholen; ist dies geschehen, kann die Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden. Nach einem Jahr seit dem Ende der versäumten Frist ist der Antrag unzulässig. Das Verschulden des Bevollmächtigten steht dem Verschulden eines Beschwerdeführers gleich.

(3) Richtet sich die Verfassungsbeschwerde gegen ein Gesetz oder gegen einen sonstigen Hoheitsakt, gegen den ein Rechtsweg nicht offensteht, so kann die Verfassungsbeschwerde nur binnen eines Jahres seit dem Inkrafttreten des Gesetzes oder dem Erlaß des Hoheitsaktes erhoben werden.

(4) Ist ein Gesetz vor dem 1. April 1951 in Kraft getreten, so kann die Verfassungsbeschwerde bis zum 1. April 1952 erhoben werden.

(1) Der Bund hat die ausschließliche Gesetzgebung über:

1.
die auswärtigen Angelegenheiten sowie die Verteidigung einschließlich des Schutzes der Zivilbevölkerung;
2.
die Staatsangehörigkeit im Bunde;
3.
die Freizügigkeit, das Paßwesen, das Melde- und Ausweiswesen, die Ein- und Auswanderung und die Auslieferung;
4.
das Währungs-, Geld- und Münzwesen, Maße und Gewichte sowie die Zeitbestimmung;
5.
die Einheit des Zoll- und Handelsgebietes, die Handels- und Schiffahrtsverträge, die Freizügigkeit des Warenverkehrs und den Waren- und Zahlungsverkehr mit dem Auslande einschließlich des Zoll- und Grenzschutzes;
5a.
den Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung ins Ausland;
6.
den Luftverkehr;
6a.
den Verkehr von Eisenbahnen, die ganz oder mehrheitlich im Eigentum des Bundes stehen (Eisenbahnen des Bundes), den Bau, die Unterhaltung und das Betreiben von Schienenwegen der Eisenbahnen des Bundes sowie die Erhebung von Entgelten für die Benutzung dieser Schienenwege;
7.
das Postwesen und die Telekommunikation;
8.
die Rechtsverhältnisse der im Dienste des Bundes und der bundesunmittelbaren Körperschaften des öffentlichen Rechtes stehenden Personen;
9.
den gewerblichen Rechtsschutz, das Urheberrecht und das Verlagsrecht;
9a.
die Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus durch das Bundeskriminalpolizeiamt in Fällen, in denen eine länderübergreifende Gefahr vorliegt, die Zuständigkeit einer Landespolizeibehörde nicht erkennbar ist oder die oberste Landesbehörde um eine Übernahme ersucht;
10.
die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder
a)
in der Kriminalpolizei,
b)
zum Schutze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des Bestandes und der Sicherheit des Bundes oder eines Landes (Verfassungsschutz) und
c)
zum Schutze gegen Bestrebungen im Bundesgebiet, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden,
sowie die Einrichtung eines Bundeskriminalpolizeiamtes und die internationale Verbrechensbekämpfung;
11.
die Statistik für Bundeszwecke;
12.
das Waffen- und das Sprengstoffrecht;
13.
die Versorgung der Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen und die Fürsorge für die ehemaligen Kriegsgefangenen;
14.
die Erzeugung und Nutzung der Kernenergie zu friedlichen Zwecken, die Errichtung und den Betrieb von Anlagen, die diesen Zwecken dienen, den Schutz gegen Gefahren, die bei Freiwerden von Kernenergie oder durch ionisierende Strahlen entstehen, und die Beseitigung radioaktiver Stoffe.

(2) Gesetze nach Absatz 1 Nr. 9a bedürfen der Zustimmung des Bundesrates.

(1) In bundeseigener Verwaltung mit eigenem Verwaltungsunterbau werden geführt der Auswärtige Dienst, die Bundesfinanzverwaltung und nach Maßgabe des Artikels 89 die Verwaltung der Bundeswasserstraßen und der Schiffahrt. Durch Bundesgesetz können Bundesgrenzschutzbehörden, Zentralstellen für das polizeiliche Auskunfts- und Nachrichtenwesen, für die Kriminalpolizei und zur Sammlung von Unterlagen für Zwecke des Verfassungsschutzes und des Schutzes gegen Bestrebungen im Bundesgebiet, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, eingerichtet werden.

(2) Als bundesunmittelbare Körperschaften des öffentlichen Rechtes werden diejenigen sozialen Versicherungsträger geführt, deren Zuständigkeitsbereich sich über das Gebiet eines Landes hinaus erstreckt. Soziale Versicherungsträger, deren Zuständigkeitsbereich sich über das Gebiet eines Landes, aber nicht über mehr als drei Länder hinaus erstreckt, werden abweichend von Satz 1 als landesunmittelbare Körperschaften des öffentlichen Rechtes geführt, wenn das aufsichtsführende Land durch die beteiligten Länder bestimmt ist.

(3) Außerdem können für Angelegenheiten, für die dem Bunde die Gesetzgebung zusteht, selbständige Bundesoberbehörden und neue bundesunmittelbare Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechtes durch Bundesgesetz errichtet werden. Erwachsen dem Bunde auf Gebieten, für die ihm die Gesetzgebung zusteht, neue Aufgaben, so können bei dringendem Bedarf bundeseigene Mittel- und Unterbehörden mit Zustimmung des Bundesrates und der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages errichtet werden.

(1) Der Bund hat die ausschließliche Gesetzgebung über:

1.
die auswärtigen Angelegenheiten sowie die Verteidigung einschließlich des Schutzes der Zivilbevölkerung;
2.
die Staatsangehörigkeit im Bunde;
3.
die Freizügigkeit, das Paßwesen, das Melde- und Ausweiswesen, die Ein- und Auswanderung und die Auslieferung;
4.
das Währungs-, Geld- und Münzwesen, Maße und Gewichte sowie die Zeitbestimmung;
5.
die Einheit des Zoll- und Handelsgebietes, die Handels- und Schiffahrtsverträge, die Freizügigkeit des Warenverkehrs und den Waren- und Zahlungsverkehr mit dem Auslande einschließlich des Zoll- und Grenzschutzes;
5a.
den Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung ins Ausland;
6.
den Luftverkehr;
6a.
den Verkehr von Eisenbahnen, die ganz oder mehrheitlich im Eigentum des Bundes stehen (Eisenbahnen des Bundes), den Bau, die Unterhaltung und das Betreiben von Schienenwegen der Eisenbahnen des Bundes sowie die Erhebung von Entgelten für die Benutzung dieser Schienenwege;
7.
das Postwesen und die Telekommunikation;
8.
die Rechtsverhältnisse der im Dienste des Bundes und der bundesunmittelbaren Körperschaften des öffentlichen Rechtes stehenden Personen;
9.
den gewerblichen Rechtsschutz, das Urheberrecht und das Verlagsrecht;
9a.
die Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus durch das Bundeskriminalpolizeiamt in Fällen, in denen eine länderübergreifende Gefahr vorliegt, die Zuständigkeit einer Landespolizeibehörde nicht erkennbar ist oder die oberste Landesbehörde um eine Übernahme ersucht;
10.
die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder
a)
in der Kriminalpolizei,
b)
zum Schutze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des Bestandes und der Sicherheit des Bundes oder eines Landes (Verfassungsschutz) und
c)
zum Schutze gegen Bestrebungen im Bundesgebiet, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden,
sowie die Einrichtung eines Bundeskriminalpolizeiamtes und die internationale Verbrechensbekämpfung;
11.
die Statistik für Bundeszwecke;
12.
das Waffen- und das Sprengstoffrecht;
13.
die Versorgung der Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen und die Fürsorge für die ehemaligen Kriegsgefangenen;
14.
die Erzeugung und Nutzung der Kernenergie zu friedlichen Zwecken, die Errichtung und den Betrieb von Anlagen, die diesen Zwecken dienen, den Schutz gegen Gefahren, die bei Freiwerden von Kernenergie oder durch ionisierende Strahlen entstehen, und die Beseitigung radioaktiver Stoffe.

(2) Gesetze nach Absatz 1 Nr. 9a bedürfen der Zustimmung des Bundesrates.

(1) In bundeseigener Verwaltung mit eigenem Verwaltungsunterbau werden geführt der Auswärtige Dienst, die Bundesfinanzverwaltung und nach Maßgabe des Artikels 89 die Verwaltung der Bundeswasserstraßen und der Schiffahrt. Durch Bundesgesetz können Bundesgrenzschutzbehörden, Zentralstellen für das polizeiliche Auskunfts- und Nachrichtenwesen, für die Kriminalpolizei und zur Sammlung von Unterlagen für Zwecke des Verfassungsschutzes und des Schutzes gegen Bestrebungen im Bundesgebiet, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, eingerichtet werden.

(2) Als bundesunmittelbare Körperschaften des öffentlichen Rechtes werden diejenigen sozialen Versicherungsträger geführt, deren Zuständigkeitsbereich sich über das Gebiet eines Landes hinaus erstreckt. Soziale Versicherungsträger, deren Zuständigkeitsbereich sich über das Gebiet eines Landes, aber nicht über mehr als drei Länder hinaus erstreckt, werden abweichend von Satz 1 als landesunmittelbare Körperschaften des öffentlichen Rechtes geführt, wenn das aufsichtsführende Land durch die beteiligten Länder bestimmt ist.

(3) Außerdem können für Angelegenheiten, für die dem Bunde die Gesetzgebung zusteht, selbständige Bundesoberbehörden und neue bundesunmittelbare Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechtes durch Bundesgesetz errichtet werden. Erwachsen dem Bunde auf Gebieten, für die ihm die Gesetzgebung zusteht, neue Aufgaben, so können bei dringendem Bedarf bundeseigene Mittel- und Unterbehörden mit Zustimmung des Bundesrates und der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages errichtet werden.

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

(1) Wer eine Vereinigung (§ 129 Absatz 2) gründet, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet sind,

1.
Mord (§ 211) oder Totschlag (§ 212) oder Völkermord (§ 6 des Völkerstrafgesetzbuches) oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§ 7 des Völkerstrafgesetzbuches) oder Kriegsverbrechen (§§ 8, 9, 10, 11 oder § 12 des Völkerstrafgesetzbuches) oder
2.
Straftaten gegen die persönliche Freiheit in den Fällen des § 239a oder des § 239b
3.
(weggefallen)
zu begehen, oder wer sich an einer solchen Vereinigung als Mitglied beteiligt, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer eine Vereinigung gründet, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet sind,

1.
einem anderen Menschen schwere körperliche oder seelische Schäden, insbesondere der in § 226 bezeichneten Art, zuzufügen,
2.
Straftaten nach den §§ 303b, 305, 305a oder gemeingefährliche Straftaten in den Fällen der §§ 306 bis 306c oder 307 Abs. 1 bis 3, des § 308 Abs. 1 bis 4, des § 309 Abs. 1 bis 5, der §§ 313, 314 oder 315 Abs. 1, 3 oder 4, des § 316b Abs. 1 oder 3 oder des § 316c Abs. 1 bis 3 oder des § 317 Abs. 1,
3.
Straftaten gegen die Umwelt in den Fällen des § 330a Abs. 1 bis 3,
4.
Straftaten nach § 19 Abs. 1 bis 3, § 20 Abs. 1 oder 2, § 20a Abs. 1 bis 3, § 19 Abs. 2 Nr. 2 oder Abs. 3 Nr. 2, § 20 Abs. 1 oder 2 oder § 20a Abs. 1 bis 3, jeweils auch in Verbindung mit § 21, oder nach § 22a Abs. 1 bis 3 des Gesetzes über die Kontrolle von Kriegswaffen oder
5.
Straftaten nach § 51 Abs. 1 bis 3 des Waffengesetzes
zu begehen, oder wer sich an einer solchen Vereinigung als Mitglied beteiligt, wenn eine der in den Nummern 1 bis 5 bezeichneten Taten bestimmt ist, die Bevölkerung auf erhebliche Weise einzuschüchtern, eine Behörde oder eine internationale Organisation rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt zu nötigen oder die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Staates oder einer internationalen Organisation zu beseitigen oder erheblich zu beeinträchtigen, und durch die Art ihrer Begehung oder ihre Auswirkungen einen Staat oder eine internationale Organisation erheblich schädigen kann.

(3) Sind die Zwecke oder die Tätigkeit der Vereinigung darauf gerichtet, eine der in Absatz 1 und 2 bezeichneten Straftaten anzudrohen, ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen.

(4) Gehört der Täter zu den Rädelsführern oder Hintermännern, so ist in den Fällen der Absätze 1 und 2 auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren, in den Fällen des Absatzes 3 auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

(5) Wer eine in Absatz 1, 2 oder Absatz 3 bezeichnete Vereinigung unterstützt, wird in den Fällen der Absätze 1 und 2 mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in den Fällen des Absatzes 3 mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Wer für eine in Absatz 1 oder Absatz 2 bezeichnete Vereinigung um Mitglieder oder Unterstützer wirbt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(6) Das Gericht kann bei Beteiligten, deren Schuld gering und deren Mitwirkung von untergeordneter Bedeutung ist, in den Fällen der Absätze 1, 2, 3 und 5 die Strafe nach seinem Ermessen (§ 49 Abs. 2) mildern.

(7) § 129 Absatz 7 gilt entsprechend.

(8) Neben einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten kann das Gericht die Fähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden, und die Fähigkeit, Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen, aberkennen (§ 45 Abs. 2).

(9) In den Fällen der Absätze 1, 2, 4 und 5 kann das Gericht Führungsaufsicht anordnen (§ 68 Abs. 1).

(1) Der Bund hat die ausschließliche Gesetzgebung über:

1.
die auswärtigen Angelegenheiten sowie die Verteidigung einschließlich des Schutzes der Zivilbevölkerung;
2.
die Staatsangehörigkeit im Bunde;
3.
die Freizügigkeit, das Paßwesen, das Melde- und Ausweiswesen, die Ein- und Auswanderung und die Auslieferung;
4.
das Währungs-, Geld- und Münzwesen, Maße und Gewichte sowie die Zeitbestimmung;
5.
die Einheit des Zoll- und Handelsgebietes, die Handels- und Schiffahrtsverträge, die Freizügigkeit des Warenverkehrs und den Waren- und Zahlungsverkehr mit dem Auslande einschließlich des Zoll- und Grenzschutzes;
5a.
den Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung ins Ausland;
6.
den Luftverkehr;
6a.
den Verkehr von Eisenbahnen, die ganz oder mehrheitlich im Eigentum des Bundes stehen (Eisenbahnen des Bundes), den Bau, die Unterhaltung und das Betreiben von Schienenwegen der Eisenbahnen des Bundes sowie die Erhebung von Entgelten für die Benutzung dieser Schienenwege;
7.
das Postwesen und die Telekommunikation;
8.
die Rechtsverhältnisse der im Dienste des Bundes und der bundesunmittelbaren Körperschaften des öffentlichen Rechtes stehenden Personen;
9.
den gewerblichen Rechtsschutz, das Urheberrecht und das Verlagsrecht;
9a.
die Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus durch das Bundeskriminalpolizeiamt in Fällen, in denen eine länderübergreifende Gefahr vorliegt, die Zuständigkeit einer Landespolizeibehörde nicht erkennbar ist oder die oberste Landesbehörde um eine Übernahme ersucht;
10.
die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder
a)
in der Kriminalpolizei,
b)
zum Schutze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des Bestandes und der Sicherheit des Bundes oder eines Landes (Verfassungsschutz) und
c)
zum Schutze gegen Bestrebungen im Bundesgebiet, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden,
sowie die Einrichtung eines Bundeskriminalpolizeiamtes und die internationale Verbrechensbekämpfung;
11.
die Statistik für Bundeszwecke;
12.
das Waffen- und das Sprengstoffrecht;
13.
die Versorgung der Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen und die Fürsorge für die ehemaligen Kriegsgefangenen;
14.
die Erzeugung und Nutzung der Kernenergie zu friedlichen Zwecken, die Errichtung und den Betrieb von Anlagen, die diesen Zwecken dienen, den Schutz gegen Gefahren, die bei Freiwerden von Kernenergie oder durch ionisierende Strahlen entstehen, und die Beseitigung radioaktiver Stoffe.

(2) Gesetze nach Absatz 1 Nr. 9a bedürfen der Zustimmung des Bundesrates.

(1) Die Wohnung ist unverletzlich.

(2) Durchsuchungen dürfen nur durch den Richter, bei Gefahr im Verzuge auch durch die in den Gesetzen vorgesehenen anderen Organe angeordnet und nur in der dort vorgeschriebenen Form durchgeführt werden.

(3) Begründen bestimmte Tatsachen den Verdacht, daß jemand eine durch Gesetz einzeln bestimmte besonders schwere Straftat begangen hat, so dürfen zur Verfolgung der Tat auf Grund richterlicher Anordnung technische Mittel zur akustischen Überwachung von Wohnungen, in denen der Beschuldigte sich vermutlich aufhält, eingesetzt werden, wenn die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise unverhältnismäßig erschwert oder aussichtslos wäre. Die Maßnahme ist zu befristen. Die Anordnung erfolgt durch einen mit drei Richtern besetzten Spruchkörper. Bei Gefahr im Verzuge kann sie auch durch einen einzelnen Richter getroffen werden.

(4) Zur Abwehr dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit, insbesondere einer gemeinen Gefahr oder einer Lebensgefahr, dürfen technische Mittel zur Überwachung von Wohnungen nur auf Grund richterlicher Anordnung eingesetzt werden. Bei Gefahr im Verzuge kann die Maßnahme auch durch eine andere gesetzlich bestimmte Stelle angeordnet werden; eine richterliche Entscheidung ist unverzüglich nachzuholen.

(5) Sind technische Mittel ausschließlich zum Schutze der bei einem Einsatz in Wohnungen tätigen Personen vorgesehen, kann die Maßnahme durch eine gesetzlich bestimmte Stelle angeordnet werden. Eine anderweitige Verwertung der hierbei erlangten Erkenntnisse ist nur zum Zwecke der Strafverfolgung oder der Gefahrenabwehr und nur zulässig, wenn zuvor die Rechtmäßigkeit der Maßnahme richterlich festgestellt ist; bei Gefahr im Verzuge ist die richterliche Entscheidung unverzüglich nachzuholen.

(6) Die Bundesregierung unterrichtet den Bundestag jährlich über den nach Absatz 3 sowie über den im Zuständigkeitsbereich des Bundes nach Absatz 4 und, soweit richterlich überprüfungsbedürftig, nach Absatz 5 erfolgten Einsatz technischer Mittel. Ein vom Bundestag gewähltes Gremium übt auf der Grundlage dieses Berichts die parlamentarische Kontrolle aus. Die Länder gewährleisten eine gleichwertige parlamentarische Kontrolle.

(7) Eingriffe und Beschränkungen dürfen im übrigen nur zur Abwehr einer gemeinen Gefahr oder einer Lebensgefahr für einzelne Personen, auf Grund eines Gesetzes auch zur Verhütung dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, insbesondere zur Behebung der Raumnot, zur Bekämpfung von Seuchengefahr oder zum Schutze gefährdeter Jugendlicher vorgenommen werden.

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

(1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.

(2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.

(3) Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.

(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.

(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.

(3) Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.

(1) Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden.

(2) Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht.

(3) Zwangsarbeit ist nur bei einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung zulässig.

(1) Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.

(2) Wahlberechtigt ist, wer das achtzehnte Lebensjahr vollendet hat; wählbar ist, wer das Alter erreicht hat, mit dem die Volljährigkeit eintritt.

(3) Das Nähere bestimmt ein Bundesgesetz.

(1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen.

(2) In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.

(3) Die Grundrechte gelten auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind.

(4) Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen. Soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Artikel 10 Abs. 2 Satz 2 bleibt unberührt.

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

(1) Das Briefgeheimnis sowie das Post- und Fernmeldegeheimnis sind unverletzlich.

(2) Beschränkungen dürfen nur auf Grund eines Gesetzes angeordnet werden. Dient die Beschränkung dem Schutze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder des Bestandes oder der Sicherung des Bundes oder eines Landes, so kann das Gesetz bestimmen, daß sie dem Betroffenen nicht mitgeteilt wird und daß an die Stelle des Rechtsweges die Nachprüfung durch von der Volksvertretung bestellte Organe und Hilfsorgane tritt.

(1) Die Wohnung ist unverletzlich.

(2) Durchsuchungen dürfen nur durch den Richter, bei Gefahr im Verzuge auch durch die in den Gesetzen vorgesehenen anderen Organe angeordnet und nur in der dort vorgeschriebenen Form durchgeführt werden.

(3) Begründen bestimmte Tatsachen den Verdacht, daß jemand eine durch Gesetz einzeln bestimmte besonders schwere Straftat begangen hat, so dürfen zur Verfolgung der Tat auf Grund richterlicher Anordnung technische Mittel zur akustischen Überwachung von Wohnungen, in denen der Beschuldigte sich vermutlich aufhält, eingesetzt werden, wenn die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise unverhältnismäßig erschwert oder aussichtslos wäre. Die Maßnahme ist zu befristen. Die Anordnung erfolgt durch einen mit drei Richtern besetzten Spruchkörper. Bei Gefahr im Verzuge kann sie auch durch einen einzelnen Richter getroffen werden.

(4) Zur Abwehr dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit, insbesondere einer gemeinen Gefahr oder einer Lebensgefahr, dürfen technische Mittel zur Überwachung von Wohnungen nur auf Grund richterlicher Anordnung eingesetzt werden. Bei Gefahr im Verzuge kann die Maßnahme auch durch eine andere gesetzlich bestimmte Stelle angeordnet werden; eine richterliche Entscheidung ist unverzüglich nachzuholen.

(5) Sind technische Mittel ausschließlich zum Schutze der bei einem Einsatz in Wohnungen tätigen Personen vorgesehen, kann die Maßnahme durch eine gesetzlich bestimmte Stelle angeordnet werden. Eine anderweitige Verwertung der hierbei erlangten Erkenntnisse ist nur zum Zwecke der Strafverfolgung oder der Gefahrenabwehr und nur zulässig, wenn zuvor die Rechtmäßigkeit der Maßnahme richterlich festgestellt ist; bei Gefahr im Verzuge ist die richterliche Entscheidung unverzüglich nachzuholen.

(6) Die Bundesregierung unterrichtet den Bundestag jährlich über den nach Absatz 3 sowie über den im Zuständigkeitsbereich des Bundes nach Absatz 4 und, soweit richterlich überprüfungsbedürftig, nach Absatz 5 erfolgten Einsatz technischer Mittel. Ein vom Bundestag gewähltes Gremium übt auf der Grundlage dieses Berichts die parlamentarische Kontrolle aus. Die Länder gewährleisten eine gleichwertige parlamentarische Kontrolle.

(7) Eingriffe und Beschränkungen dürfen im übrigen nur zur Abwehr einer gemeinen Gefahr oder einer Lebensgefahr für einzelne Personen, auf Grund eines Gesetzes auch zur Verhütung dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, insbesondere zur Behebung der Raumnot, zur Bekämpfung von Seuchengefahr oder zum Schutze gefährdeter Jugendlicher vorgenommen werden.

(1) Wer eine Vereinigung (§ 129 Absatz 2) gründet, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet sind,

1.
Mord (§ 211) oder Totschlag (§ 212) oder Völkermord (§ 6 des Völkerstrafgesetzbuches) oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§ 7 des Völkerstrafgesetzbuches) oder Kriegsverbrechen (§§ 8, 9, 10, 11 oder § 12 des Völkerstrafgesetzbuches) oder
2.
Straftaten gegen die persönliche Freiheit in den Fällen des § 239a oder des § 239b
3.
(weggefallen)
zu begehen, oder wer sich an einer solchen Vereinigung als Mitglied beteiligt, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer eine Vereinigung gründet, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet sind,

1.
einem anderen Menschen schwere körperliche oder seelische Schäden, insbesondere der in § 226 bezeichneten Art, zuzufügen,
2.
Straftaten nach den §§ 303b, 305, 305a oder gemeingefährliche Straftaten in den Fällen der §§ 306 bis 306c oder 307 Abs. 1 bis 3, des § 308 Abs. 1 bis 4, des § 309 Abs. 1 bis 5, der §§ 313, 314 oder 315 Abs. 1, 3 oder 4, des § 316b Abs. 1 oder 3 oder des § 316c Abs. 1 bis 3 oder des § 317 Abs. 1,
3.
Straftaten gegen die Umwelt in den Fällen des § 330a Abs. 1 bis 3,
4.
Straftaten nach § 19 Abs. 1 bis 3, § 20 Abs. 1 oder 2, § 20a Abs. 1 bis 3, § 19 Abs. 2 Nr. 2 oder Abs. 3 Nr. 2, § 20 Abs. 1 oder 2 oder § 20a Abs. 1 bis 3, jeweils auch in Verbindung mit § 21, oder nach § 22a Abs. 1 bis 3 des Gesetzes über die Kontrolle von Kriegswaffen oder
5.
Straftaten nach § 51 Abs. 1 bis 3 des Waffengesetzes
zu begehen, oder wer sich an einer solchen Vereinigung als Mitglied beteiligt, wenn eine der in den Nummern 1 bis 5 bezeichneten Taten bestimmt ist, die Bevölkerung auf erhebliche Weise einzuschüchtern, eine Behörde oder eine internationale Organisation rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt zu nötigen oder die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Staates oder einer internationalen Organisation zu beseitigen oder erheblich zu beeinträchtigen, und durch die Art ihrer Begehung oder ihre Auswirkungen einen Staat oder eine internationale Organisation erheblich schädigen kann.

(3) Sind die Zwecke oder die Tätigkeit der Vereinigung darauf gerichtet, eine der in Absatz 1 und 2 bezeichneten Straftaten anzudrohen, ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen.

(4) Gehört der Täter zu den Rädelsführern oder Hintermännern, so ist in den Fällen der Absätze 1 und 2 auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren, in den Fällen des Absatzes 3 auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

(5) Wer eine in Absatz 1, 2 oder Absatz 3 bezeichnete Vereinigung unterstützt, wird in den Fällen der Absätze 1 und 2 mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in den Fällen des Absatzes 3 mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Wer für eine in Absatz 1 oder Absatz 2 bezeichnete Vereinigung um Mitglieder oder Unterstützer wirbt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(6) Das Gericht kann bei Beteiligten, deren Schuld gering und deren Mitwirkung von untergeordneter Bedeutung ist, in den Fällen der Absätze 1, 2, 3 und 5 die Strafe nach seinem Ermessen (§ 49 Abs. 2) mildern.

(7) § 129 Absatz 7 gilt entsprechend.

(8) Neben einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten kann das Gericht die Fähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden, und die Fähigkeit, Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen, aberkennen (§ 45 Abs. 2).

(9) In den Fällen der Absätze 1, 2, 4 und 5 kann das Gericht Führungsaufsicht anordnen (§ 68 Abs. 1).

(1) Verursacht eine Person eine Gefahr, so sind die Maßnahmen gegen sie zu richten.

(2) Ist die Person noch nicht vierzehn Jahre alt, so können die Maßnahmen auch gegen die Person gerichtet werden, die zur Aufsicht über sie verpflichtet ist. Ist für die Person ein Betreuer bestellt, so können die Maßnahmen auch gegen den Betreuer im Rahmen seines Aufgabenbereichs gerichtet werden.

(3) Verursacht eine Person, die zu einer Verrichtung bestellt ist, die Gefahr in Ausführung der Verrichtung, so können Maßnahmen auch gegen die Person gerichtet werden, die andere zu der Verrichtung bestellt hat.

(1) Geht von einem Tier oder einer Sache eine Gefahr aus, so sind die Maßnahmen gegen den Inhaber der tatsächlichen Gewalt zu richten. Die nachfolgenden für Sachen geltenden Vorschriften sind auf Tiere entsprechend anzuwenden.

(2) Maßnahmen können auch gegen den Eigentümer oder einen anderen Berechtigten gerichtet werden. Dies gilt nicht, wenn der Inhaber der tatsächlichen Gewalt diese ohne den Willen des Eigentümers oder Berechtigten ausübt.

(3) Geht die Gefahr von einer herrenlosen Sache aus, so können die Maßnahmen gegen denjenigen gerichtet werden, der das Eigentum an der Sache aufgegeben hat.

(1) Das Briefgeheimnis sowie das Post- und Fernmeldegeheimnis sind unverletzlich.

(2) Beschränkungen dürfen nur auf Grund eines Gesetzes angeordnet werden. Dient die Beschränkung dem Schutze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder des Bestandes oder der Sicherung des Bundes oder eines Landes, so kann das Gesetz bestimmen, daß sie dem Betroffenen nicht mitgeteilt wird und daß an die Stelle des Rechtsweges die Nachprüfung durch von der Volksvertretung bestellte Organe und Hilfsorgane tritt.

(1) Die Wohnung ist unverletzlich.

(2) Durchsuchungen dürfen nur durch den Richter, bei Gefahr im Verzuge auch durch die in den Gesetzen vorgesehenen anderen Organe angeordnet und nur in der dort vorgeschriebenen Form durchgeführt werden.

(3) Begründen bestimmte Tatsachen den Verdacht, daß jemand eine durch Gesetz einzeln bestimmte besonders schwere Straftat begangen hat, so dürfen zur Verfolgung der Tat auf Grund richterlicher Anordnung technische Mittel zur akustischen Überwachung von Wohnungen, in denen der Beschuldigte sich vermutlich aufhält, eingesetzt werden, wenn die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise unverhältnismäßig erschwert oder aussichtslos wäre. Die Maßnahme ist zu befristen. Die Anordnung erfolgt durch einen mit drei Richtern besetzten Spruchkörper. Bei Gefahr im Verzuge kann sie auch durch einen einzelnen Richter getroffen werden.

(4) Zur Abwehr dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit, insbesondere einer gemeinen Gefahr oder einer Lebensgefahr, dürfen technische Mittel zur Überwachung von Wohnungen nur auf Grund richterlicher Anordnung eingesetzt werden. Bei Gefahr im Verzuge kann die Maßnahme auch durch eine andere gesetzlich bestimmte Stelle angeordnet werden; eine richterliche Entscheidung ist unverzüglich nachzuholen.

(5) Sind technische Mittel ausschließlich zum Schutze der bei einem Einsatz in Wohnungen tätigen Personen vorgesehen, kann die Maßnahme durch eine gesetzlich bestimmte Stelle angeordnet werden. Eine anderweitige Verwertung der hierbei erlangten Erkenntnisse ist nur zum Zwecke der Strafverfolgung oder der Gefahrenabwehr und nur zulässig, wenn zuvor die Rechtmäßigkeit der Maßnahme richterlich festgestellt ist; bei Gefahr im Verzuge ist die richterliche Entscheidung unverzüglich nachzuholen.

(6) Die Bundesregierung unterrichtet den Bundestag jährlich über den nach Absatz 3 sowie über den im Zuständigkeitsbereich des Bundes nach Absatz 4 und, soweit richterlich überprüfungsbedürftig, nach Absatz 5 erfolgten Einsatz technischer Mittel. Ein vom Bundestag gewähltes Gremium übt auf der Grundlage dieses Berichts die parlamentarische Kontrolle aus. Die Länder gewährleisten eine gleichwertige parlamentarische Kontrolle.

(7) Eingriffe und Beschränkungen dürfen im übrigen nur zur Abwehr einer gemeinen Gefahr oder einer Lebensgefahr für einzelne Personen, auf Grund eines Gesetzes auch zur Verhütung dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, insbesondere zur Behebung der Raumnot, zur Bekämpfung von Seuchengefahr oder zum Schutze gefährdeter Jugendlicher vorgenommen werden.

(1) Verursacht eine Person eine Gefahr, so sind die Maßnahmen gegen sie zu richten.

(2) Ist die Person noch nicht vierzehn Jahre alt, so können die Maßnahmen auch gegen die Person gerichtet werden, die zur Aufsicht über sie verpflichtet ist. Ist für die Person ein Betreuer bestellt, so können die Maßnahmen auch gegen den Betreuer im Rahmen seines Aufgabenbereichs gerichtet werden.

(3) Verursacht eine Person, die zu einer Verrichtung bestellt ist, die Gefahr in Ausführung der Verrichtung, so können Maßnahmen auch gegen die Person gerichtet werden, die andere zu der Verrichtung bestellt hat.

(1) Geht von einem Tier oder einer Sache eine Gefahr aus, so sind die Maßnahmen gegen den Inhaber der tatsächlichen Gewalt zu richten. Die nachfolgenden für Sachen geltenden Vorschriften sind auf Tiere entsprechend anzuwenden.

(2) Maßnahmen können auch gegen den Eigentümer oder einen anderen Berechtigten gerichtet werden. Dies gilt nicht, wenn der Inhaber der tatsächlichen Gewalt diese ohne den Willen des Eigentümers oder Berechtigten ausübt.

(3) Geht die Gefahr von einer herrenlosen Sache aus, so können die Maßnahmen gegen denjenigen gerichtet werden, der das Eigentum an der Sache aufgegeben hat.

(1) Die Wohnung ist unverletzlich.

(2) Durchsuchungen dürfen nur durch den Richter, bei Gefahr im Verzuge auch durch die in den Gesetzen vorgesehenen anderen Organe angeordnet und nur in der dort vorgeschriebenen Form durchgeführt werden.

(3) Begründen bestimmte Tatsachen den Verdacht, daß jemand eine durch Gesetz einzeln bestimmte besonders schwere Straftat begangen hat, so dürfen zur Verfolgung der Tat auf Grund richterlicher Anordnung technische Mittel zur akustischen Überwachung von Wohnungen, in denen der Beschuldigte sich vermutlich aufhält, eingesetzt werden, wenn die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise unverhältnismäßig erschwert oder aussichtslos wäre. Die Maßnahme ist zu befristen. Die Anordnung erfolgt durch einen mit drei Richtern besetzten Spruchkörper. Bei Gefahr im Verzuge kann sie auch durch einen einzelnen Richter getroffen werden.

(4) Zur Abwehr dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit, insbesondere einer gemeinen Gefahr oder einer Lebensgefahr, dürfen technische Mittel zur Überwachung von Wohnungen nur auf Grund richterlicher Anordnung eingesetzt werden. Bei Gefahr im Verzuge kann die Maßnahme auch durch eine andere gesetzlich bestimmte Stelle angeordnet werden; eine richterliche Entscheidung ist unverzüglich nachzuholen.

(5) Sind technische Mittel ausschließlich zum Schutze der bei einem Einsatz in Wohnungen tätigen Personen vorgesehen, kann die Maßnahme durch eine gesetzlich bestimmte Stelle angeordnet werden. Eine anderweitige Verwertung der hierbei erlangten Erkenntnisse ist nur zum Zwecke der Strafverfolgung oder der Gefahrenabwehr und nur zulässig, wenn zuvor die Rechtmäßigkeit der Maßnahme richterlich festgestellt ist; bei Gefahr im Verzuge ist die richterliche Entscheidung unverzüglich nachzuholen.

(6) Die Bundesregierung unterrichtet den Bundestag jährlich über den nach Absatz 3 sowie über den im Zuständigkeitsbereich des Bundes nach Absatz 4 und, soweit richterlich überprüfungsbedürftig, nach Absatz 5 erfolgten Einsatz technischer Mittel. Ein vom Bundestag gewähltes Gremium übt auf der Grundlage dieses Berichts die parlamentarische Kontrolle aus. Die Länder gewährleisten eine gleichwertige parlamentarische Kontrolle.

(7) Eingriffe und Beschränkungen dürfen im übrigen nur zur Abwehr einer gemeinen Gefahr oder einer Lebensgefahr für einzelne Personen, auf Grund eines Gesetzes auch zur Verhütung dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, insbesondere zur Behebung der Raumnot, zur Bekämpfung von Seuchengefahr oder zum Schutze gefährdeter Jugendlicher vorgenommen werden.

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

(1) Das Briefgeheimnis sowie das Post- und Fernmeldegeheimnis sind unverletzlich.

(2) Beschränkungen dürfen nur auf Grund eines Gesetzes angeordnet werden. Dient die Beschränkung dem Schutze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder des Bestandes oder der Sicherung des Bundes oder eines Landes, so kann das Gesetz bestimmen, daß sie dem Betroffenen nicht mitgeteilt wird und daß an die Stelle des Rechtsweges die Nachprüfung durch von der Volksvertretung bestellte Organe und Hilfsorgane tritt.

(1) Auch ohne Wissen der Betroffenen darf die Telekommunikation überwacht und aufgezeichnet werden, wenn

1.
bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen, dass jemand als Täter oder Teilnehmer eine in Absatz 2 bezeichnete schwere Straftat begangen, in Fällen, in denen der Versuch strafbar ist, zu begehen versucht, oder durch eine Straftat vorbereitet hat,
2.
die Tat auch im Einzelfall schwer wiegt und
3.
die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes des Beschuldigten auf andere Weise wesentlich erschwert oder aussichtslos wäre.
Die Überwachung und Aufzeichnung der Telekommunikation darf auch in der Weise erfolgen, dass mit technischen Mitteln in von dem Betroffenen genutzte informationstechnische Systeme eingegriffen wird, wenn dies notwendig ist, um die Überwachung und Aufzeichnung insbesondere in unverschlüsselter Form zu ermöglichen. Auf dem informationstechnischen System des Betroffenen gespeicherte Inhalte und Umstände der Kommunikation dürfen überwacht und aufgezeichnet werden, wenn sie auch während des laufenden Übertragungsvorgangs im öffentlichen Telekommunikationsnetz in verschlüsselter Form hätten überwacht und aufgezeichnet werden können.

(2) Schwere Straftaten im Sinne des Absatzes 1 Nr. 1 sind:

1.
aus dem Strafgesetzbuch:
a)
Straftaten des Friedensverrats, des Hochverrats und der Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates sowie des Landesverrats und der Gefährdung der äußeren Sicherheit nach den §§ 80a bis 82, 84 bis 86, 87 bis 89a, 89c Absatz 1 bis 4, 94 bis 100a,
b)
Bestechlichkeit und Bestechung von Mandatsträgern nach § 108e,
c)
Straftaten gegen die Landesverteidigung nach den §§ 109d bis 109h,
d)
Straftaten gegen die öffentliche Ordnung nach § 127 Absatz 3 und 4 sowie den §§ 129 bis 130,
e)
Geld- und Wertzeichenfälschung nach den §§ 146 und 151, jeweils auch in Verbindung mit § 152, sowie nach § 152a Abs. 3 und § 152b Abs. 1 bis 4,
f)
Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung in den Fällen der §§ 176, 176c, 176d und, unter den in § 177 Absatz 6 Satz 2 Nummer 2 genannten Voraussetzungen, des § 177,
g)
Verbreitung, Erwerb und Besitz kinder- und jugendpornographischer Inhalte nach § 184b, § 184c Absatz 2,
h)
Mord und Totschlag nach den §§ 211 und 212,
i)
Straftaten gegen die persönliche Freiheit nach den §§ 232, 232a Absatz 1 bis 5, den §§ 232b, 233 Absatz 2, den §§ 233a, 234, 234a, 239a und 239b,
j)
Bandendiebstahl nach § 244 Abs. 1 Nr. 2, Wohnungseinbruchdiebstahl nach § 244 Absatz 4 und schwerer Bandendiebstahl nach § 244a,
k)
Straftaten des Raubes und der Erpressung nach den §§ 249 bis 255,
l)
gewerbsmäßige Hehlerei, Bandenhehlerei und gewerbsmäßige Bandenhehlerei nach den §§ 260 und 260a,
m)
Geldwäsche nach § 261, wenn die Vortat eine der in den Nummern 1 bis 11 genannten schweren Straftaten ist,
n)
Betrug und Computerbetrug unter den in § 263 Abs. 3 Satz 2 genannten Voraussetzungen und im Falle des § 263 Abs. 5, jeweils auch in Verbindung mit § 263a Abs. 2,
o)
Subventionsbetrug unter den in § 264 Abs. 2 Satz 2 genannten Voraussetzungen und im Falle des § 264 Abs. 3 in Verbindung mit § 263 Abs. 5,
p)
Sportwettbetrug und Manipulation von berufssportlichen Wettbewerben unter den in § 265e Satz 2 genannten Voraussetzungen,
q)
Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt unter den in § 266a Absatz 4 Satz 2 Nummer 4 genannten Voraussetzungen,
r)
Straftaten der Urkundenfälschung unter den in § 267 Abs. 3 Satz 2 genannten Voraussetzungen und im Fall des § 267 Abs. 4, jeweils auch in Verbindung mit § 268 Abs. 5 oder § 269 Abs. 3, sowie nach § 275 Abs. 2 und § 276 Abs. 2,
s)
Bankrott unter den in § 283a Satz 2 genannten Voraussetzungen,
t)
Straftaten gegen den Wettbewerb nach § 298 und, unter den in § 300 Satz 2 genannten Voraussetzungen, nach § 299,
u)
gemeingefährliche Straftaten in den Fällen der §§ 306 bis 306c, 307 Abs. 1 bis 3, des § 308 Abs. 1 bis 3, des § 309 Abs. 1 bis 4, des § 310 Abs. 1, der §§ 313, 314, 315 Abs. 3, des § 315b Abs. 3 sowie der §§ 316a und 316c,
v)
Bestechlichkeit und Bestechung nach den §§ 332 und 334,
2.
aus der Abgabenordnung:
a)
Steuerhinterziehung unter den in § 370 Absatz 3 Satz 2 Nummer 1 genannten Voraussetzungen, sofern der Täter als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung von Taten nach § 370 Absatz 1 verbunden hat, handelt, oder unter den in § 370 Absatz 3 Satz 2 Nummer 5 genannten Voraussetzungen,
b)
gewerbsmäßiger, gewaltsamer und bandenmäßiger Schmuggel nach § 373,
c)
Steuerhehlerei im Falle des § 374 Abs. 2,
3.
aus dem Anti-Doping-Gesetz:

Straftaten nach § 4 Absatz 4 Nummer 2 Buchstabe b,
4.
aus dem Asylgesetz:
a)
Verleitung zur missbräuchlichen Asylantragstellung nach § 84 Abs. 3,
b)
gewerbs- und bandenmäßige Verleitung zur missbräuchlichen Asylantragstellung nach § 84a,
5.
aus dem Aufenthaltsgesetz:
a)
Einschleusen von Ausländern nach § 96 Abs. 2,
b)
Einschleusen mit Todesfolge und gewerbs- und bandenmäßiges Einschleusen nach § 97,
5a.
aus dem Ausgangsstoffgesetz:

Straftaten nach § 13 Absatz 3,
6.
aus dem Außenwirtschaftsgesetz:

vorsätzliche Straftaten nach den §§ 17 und 18 des Außenwirtschaftsgesetzes,
7.
aus dem Betäubungsmittelgesetz:
a)
Straftaten nach einer in § 29 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 in Bezug genommenen Vorschrift unter den dort genannten Voraussetzungen,
b)
Straftaten nach den §§ 29a, 30 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 4 sowie den §§ 30a und 30b,
8.
aus dem Grundstoffüberwachungsgesetz:

Straftaten nach § 19 Abs. 1 unter den in § 19 Abs. 3 Satz 2 genannten Voraussetzungen,
9.
aus dem Gesetz über die Kontrolle von Kriegswaffen:
a)
Straftaten nach § 19 Abs. 1 bis 3 und § 20 Abs. 1 und 2 sowie § 20a Abs. 1 bis 3, jeweils auch in Verbindung mit § 21,
b)
Straftaten nach § 22a Abs. 1 bis 3,
9a.
aus dem Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetz:

Straftaten nach § 4 Absatz 3 Nummer 1 Buchstabe a,
10.
aus dem Völkerstrafgesetzbuch:
a)
Völkermord nach § 6,
b)
Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach § 7,
c)
Kriegsverbrechen nach den §§ 8 bis 12,
d)
Verbrechen der Aggression nach § 13,
11.
aus dem Waffengesetz:
a)
Straftaten nach § 51 Abs. 1 bis 3,
b)
Straftaten nach § 52 Abs. 1 Nr. 1 und 2 Buchstabe c und d sowie Abs. 5 und 6.

(3) Die Anordnung darf sich nur gegen den Beschuldigten oder gegen Personen richten, von denen auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass sie für den Beschuldigten bestimmte oder von ihm herrührende Mitteilungen entgegennehmen oder weitergeben oder dass der Beschuldigte ihren Anschluss oder ihr informationstechnisches System benutzt.

(4) Auf Grund der Anordnung einer Überwachung und Aufzeichnung der Telekommunikation hat jeder, der Telekommunikationsdienste erbringt oder daran mitwirkt, dem Gericht, der Staatsanwaltschaft und ihren im Polizeidienst tätigen Ermittlungspersonen (§ 152 des Gerichtsverfassungsgesetzes) diese Maßnahmen zu ermöglichen und die erforderlichen Auskünfte unverzüglich zu erteilen. Ob und in welchem Umfang hierfür Vorkehrungen zu treffen sind, bestimmt sich nach dem Telekommunikationsgesetz und der Telekommunikations-Überwachungsverordnung. § 95 Absatz 2 gilt entsprechend.

(5) Bei Maßnahmen nach Absatz 1 Satz 2 und 3 ist technisch sicherzustellen, dass

1.
ausschließlich überwacht und aufgezeichnet werden können:
a)
die laufende Telekommunikation (Absatz 1 Satz 2), oder
b)
Inhalte und Umstände der Kommunikation, die ab dem Zeitpunkt der Anordnung nach § 100e Absatz 1 auch während des laufenden Übertragungsvorgangs im öffentlichen Telekommunikationsnetz hätten überwacht und aufgezeichnet werden können (Absatz 1 Satz 3),
2.
an dem informationstechnischen System nur Veränderungen vorgenommen werden, die für die Datenerhebung unerlässlich sind, und
3.
die vorgenommenen Veränderungen bei Beendigung der Maßnahme, soweit technisch möglich, automatisiert rückgängig gemacht werden.
Das eingesetzte Mittel ist nach dem Stand der Technik gegen unbefugte Nutzung zu schützen. Kopierte Daten sind nach dem Stand der Technik gegen Veränderung, unbefugte Löschung und unbefugte Kenntnisnahme zu schützen.

(6) Bei jedem Einsatz des technischen Mittels sind zu protokollieren

1.
die Bezeichnung des technischen Mittels und der Zeitpunkt seines Einsatzes,
2.
die Angaben zur Identifizierung des informationstechnischen Systems und die daran vorgenommenen nicht nur flüchtigen Veränderungen,
3.
die Angaben, die die Feststellung der erhobenen Daten ermöglichen, und
4.
die Organisationseinheit, die die Maßnahme durchführt.

(1) Das Briefgeheimnis sowie das Post- und Fernmeldegeheimnis sind unverletzlich.

(2) Beschränkungen dürfen nur auf Grund eines Gesetzes angeordnet werden. Dient die Beschränkung dem Schutze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder des Bestandes oder der Sicherung des Bundes oder eines Landes, so kann das Gesetz bestimmen, daß sie dem Betroffenen nicht mitgeteilt wird und daß an die Stelle des Rechtsweges die Nachprüfung durch von der Volksvertretung bestellte Organe und Hilfsorgane tritt.

(1) Eine Ermittlungsmaßnahme, die sich gegen eine in § 53 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, 2 oder Nummer 4 genannte Person, einen Rechtsanwalt oder einen Kammerrechtsbeistand richtet und voraussichtlich Erkenntnisse erbringen würde, über die diese das Zeugnis verweigern dürfte, ist unzulässig. Dennoch erlangte Erkenntnisse dürfen nicht verwendet werden. Aufzeichnungen hierüber sind unverzüglich zu löschen. Die Tatsache ihrer Erlangung und der Löschung der Aufzeichnungen ist aktenkundig zu machen.Die Sätze 2 bis 4 gelten entsprechend, wenn durch eine Ermittlungsmaßnahme, die sich nicht gegen eine in Satz 1 in Bezug genommene Person richtet, von dieser Person Erkenntnisse erlangt werden, über die sie das Zeugnis verweigern dürfte.

(2) Soweit durch eine Ermittlungsmaßnahme eine in § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 bis 3b oder Nr. 5 genannte Person betroffen wäre und dadurch voraussichtlich Erkenntnisse erlangt würden, über die diese Person das Zeugnis verweigern dürfte, ist dies im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit besonders zu berücksichtigen; betrifft das Verfahren keine Straftat von erheblicher Bedeutung, ist in der Regel nicht von einem Überwiegen des Strafverfolgungsinteresses auszugehen. Soweit geboten, ist die Maßnahme zu unterlassen oder, soweit dies nach der Art der Maßnahme möglich ist, zu beschränken. Für die Verwertung von Erkenntnissen zu Beweiszwecken gilt Satz 1 entsprechend. Die Sätze 1 bis 3 gelten nicht für Rechtsanwälte und Kammerrechtsbeistände.

(3) Die Absätze 1 und 2 sind entsprechend anzuwenden, soweit die in § 53a Genannten das Zeugnis verweigern dürften.

(4) Die Absätze 1 bis 3 sind nicht anzuwenden, wenn bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen, dass die zeugnisverweigerungsberechtigte Person an der Tat oder an einer Datenhehlerei, Begünstigung, Strafvereitelung oder Hehlerei beteiligt ist. Ist die Tat nur auf Antrag oder nur mit Ermächtigung verfolgbar, ist Satz 1 in den Fällen des § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 anzuwenden, sobald und soweit der Strafantrag gestellt oder die Ermächtigung erteilt ist.

(5) Die §§ 97, 100d Absatz 5 und § 100g Absatz 4 bleiben unberührt.

(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.

(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.

(3) Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

(1) Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden.

(2) Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht.

(3) Zwangsarbeit ist nur bei einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung zulässig.

(1) Für Maßnahmen nach den §§ 98a, 99, 100a bis 100f, 100h, 100i, 110a, 163d bis 163g gelten, soweit nichts anderes bestimmt ist, die nachstehenden Regelungen.

(2) Entscheidungen und sonstige Unterlagen über Maßnahmen nach den §§ 100b, 100c, 100f, 100h Abs. 1 Nr. 2 und § 110a werden bei der Staatsanwaltschaft verwahrt. Zu den Akten sind sie erst zu nehmen, wenn die Voraussetzungen für eine Benachrichtigung nach Absatz 5 erfüllt sind.

(3) Personenbezogene Daten, die durch Maßnahmen nach Absatz 1 erhoben wurden, sind entsprechend zu kennzeichnen. Nach einer Übermittlung an eine andere Stelle ist die Kennzeichnung durch diese aufrechtzuerhalten.

(4) Von den in Absatz 1 genannten Maßnahmen sind im Falle

1.
des § 98a die betroffenen Personen, gegen die nach Auswertung der Daten weitere Ermittlungen geführt wurden,
2.
des § 99 der Absender und der Adressat der Postsendung,
3.
des § 100a die Beteiligten der überwachten Telekommunikation,
4.
des § 100b die Zielperson sowie die erheblich mitbetroffenen Personen,
5.
des § 100c
a)
der Beschuldigte, gegen den sich die Maßnahme richtete,
b)
sonstige überwachte Personen,
c)
Personen, die die überwachte Wohnung zur Zeit der Durchführung der Maßnahme innehatten oder bewohnten,
6.
des § 100f die Zielperson sowie die erheblich mitbetroffenen Personen,
7.
des § 100h Abs. 1 die Zielperson sowie die erheblich mitbetroffenen Personen,
8.
des § 100i die Zielperson,
9.
des § 110a
a)
die Zielperson,
b)
die erheblich mitbetroffenen Personen,
c)
die Personen, deren nicht allgemein zugängliche Wohnung der Verdeckte Ermittler betreten hat,
10.
des § 163d die betroffenen Personen, gegen die nach Auswertung der Daten weitere Ermittlungen geführt wurden,
11.
des § 163e die Zielperson und die Person, deren personenbezogene Daten gemeldet worden sind,
12.
des § 163f die Zielperson sowie die erheblich mitbetroffenen Personen,
13.
des § 163g die Zielperson
zu benachrichtigen. Dabei ist auf die Möglichkeit nachträglichen Rechtsschutzes nach Absatz 7 und die dafür vorgesehene Frist hinzuweisen. Die Benachrichtigung unterbleibt, wenn ihr überwiegende schutzwürdige Belange einer betroffenen Person entgegenstehen. Zudem kann die Benachrichtigung einer in Satz 1 Nummer 2 und 3 bezeichneten Person, gegen die sich die Maßnahme nicht gerichtet hat, unterbleiben, wenn diese von der Maßnahme nur unerheblich betroffen wurde und anzunehmen ist, dass sie kein Interesse an einer Benachrichtigung hat. Nachforschungen zur Feststellung der Identität einer in Satz 1 bezeichneten Person sind nur vorzunehmen, wenn dies unter Berücksichtigung der Eingriffsintensität der Maßnahme gegenüber dieser Person, des Aufwands für die Feststellung ihrer Identität sowie der daraus für diese oder andere Personen folgenden Beeinträchtigungen geboten ist.

(5) Die Benachrichtigung erfolgt, sobald dies ohne Gefährdung des Untersuchungszwecks, des Lebens, der körperlichen Unversehrtheit und der persönlichen Freiheit einer Person und von bedeutenden Vermögenswerten, im Fall des § 110a auch der Möglichkeit der weiteren Verwendung des Verdeckten Ermittlers möglich ist. Wird die Benachrichtigung nach Satz 1 zurückgestellt, sind die Gründe aktenkundig zu machen.

(6) Erfolgt die nach Absatz 5 zurückgestellte Benachrichtigung nicht binnen zwölf Monaten nach Beendigung der Maßnahme, bedürfen weitere Zurückstellungen der gerichtlichen Zustimmung. Das Gericht bestimmt die Dauer weiterer Zurückstellungen. Es kann dem endgültigen Absehen von der Benachrichtigung zustimmen, wenn die Voraussetzungen für eine Benachrichtigung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch in Zukunft nicht eintreten werden. Sind mehrere Maßnahmen in einem engen zeitlichen Zusammenhang durchgeführt worden, so beginnt die in Satz 1 genannte Frist mit der Beendigung der letzten Maßnahme. Bei Maßnahmen nach den §§ 100b und 100c beträgt die in Satz 1 genannte Frist sechs Monate.

(7) Gerichtliche Entscheidungen nach Absatz 6 trifft das für die Anordnung der Maßnahme zuständige Gericht, im Übrigen das Gericht am Sitz der zuständigen Staatsanwaltschaft. Die in Absatz 4 Satz 1 genannten Personen können bei dem nach Satz 1 zuständigen Gericht auch nach Beendigung der Maßnahme bis zu zwei Wochen nach ihrer Benachrichtigung die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Maßnahme sowie der Art und Weise ihres Vollzugs beantragen. Gegen die Entscheidung ist die sofortige Beschwerde statthaft. Ist die öffentliche Klage erhoben und der Angeklagte benachrichtigt worden, entscheidet über den Antrag das mit der Sache befasste Gericht in der das Verfahren abschließenden Entscheidung.

(8) Sind die durch die Maßnahme erlangten personenbezogenen Daten zur Strafverfolgung und für eine etwaige gerichtliche Überprüfung der Maßnahme nicht mehr erforderlich, so sind sie unverzüglich zu löschen. Die Löschung ist aktenkundig zu machen. Soweit die Löschung lediglich für eine etwaige gerichtliche Überprüfung der Maßnahme zurückgestellt ist, dürfen die Daten ohne Einwilligung der betroffenen Personen nur zu diesem Zweck verwendet werden; ihre Verarbeitung ist entsprechend einzuschränken.

(1) Auch ohne Wissen des Betroffenen darf mit technischen Mitteln in ein von dem Betroffenen genutztes informationstechnisches System eingegriffen und dürfen Daten daraus erhoben werden (Online-Durchsuchung), wenn

1.
bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen, dass jemand als Täter oder Teilnehmer eine in Absatz 2 bezeichnete besonders schwere Straftat begangen oder in Fällen, in denen der Versuch strafbar ist, zu begehen versucht hat,
2.
die Tat auch im Einzelfall besonders schwer wiegt und
3.
die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes des Beschuldigten auf andere Weise wesentlich erschwert oder aussichtslos wäre.

(2) Besonders schwere Straftaten im Sinne des Absatzes 1 Nummer 1 sind:

1.
aus dem Strafgesetzbuch:
a)
Straftaten des Hochverrats und der Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates sowie des Landesverrats und der Gefährdung der äußeren Sicherheit nach den §§ 81, 82, 89a, 89c Absatz 1 bis 4, nach den §§ 94, 95 Absatz 3 und § 96 Absatz 1, jeweils auch in Verbindung mit § 97b, sowie nach den §§ 97a, 98 Absatz 1 Satz 2, § 99 Absatz 2 und den §§ 100, 100a Absatz 4,
b)
Betreiben krimineller Handelsplattformen im Internet in den Fällen des § 127 Absatz 3 und 4, sofern der Zweck der Handelsplattform im Internet darauf ausgerichtet ist, in den Buchstaben a und c bis o sowie in den Nummern 2 bis 10 genannte besonders schwere Straftaten zu ermöglichen oder zu fördern,
c)
Bildung krimineller Vereinigungen nach § 129 Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 5 Satz 3 und Bildung terroristischer Vereinigungen nach § 129a Absatz 1, 2, 4, 5 Satz 1 erste Alternative, jeweils auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1,
d)
Geld- und Wertzeichenfälschung nach den §§ 146 und 151, jeweils auch in Verbindung mit § 152, sowie nach § 152a Absatz 3 und § 152b Absatz 1 bis 4,
e)
Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung in den Fällen des § 176 Absatz 1 und der §§ 176c, 176d und, unter den in § 177 Absatz 6 Satz 2 Nummer 2 genannten Voraussetzungen, des § 177,
f)
Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornografischer Inhalte in den Fällen des § 184b Absatz 1 Satz 1 und Absatz 2,
g)
Mord und Totschlag nach den §§ 211, 212,
h)
Straftaten gegen die persönliche Freiheit in den Fällen des § 232 Absatz 2 und 3, des § 232a Absatz 1, 3, 4 und 5 zweiter Halbsatz, des § 232b Absatz 1 und 3 sowie Absatz 4, dieser in Verbindung mit § 232a Absatz 4 und 5 zweiter Halbsatz, des § 233 Absatz 2, des § 233a Absatz 1, 3 und 4 zweiter Halbsatz, der §§ 234 und 234a Absatz 1 und 2 sowie der §§ 239a und 239b,
i)
Bandendiebstahl nach § 244 Absatz 1 Nummer 2 und schwerer Bandendiebstahl nach § 244a,
j)
schwerer Raub und Raub mit Todesfolge nach § 250 Absatz 1 oder Absatz 2, § 251,
k)
räuberische Erpressung nach § 255 und besonders schwerer Fall einer Erpressung nach § 253 unter den in § 253 Absatz 4 Satz 2 genannten Voraussetzungen,
l)
gewerbsmäßige Hehlerei, Bandenhehlerei und gewerbsmäßige Bandenhehlerei nach den §§ 260, 260a,
m)
besonders schwerer Fall der Geldwäsche nach § 261 unter den in § 261 Absatz 5 Satz 2 genannten Voraussetzungen, wenn die Vortat eine der in den Nummern 1 bis 7 genannten besonders schweren Straftaten ist,
n)
Computerbetrug in den Fällen des § 263a Absatz 2 in Verbindung mit § 263 Absatz 5,
o)
besonders schwerer Fall der Bestechlichkeit und Bestechung nach § 335 Absatz 1 unter den in § 335 Absatz 2 Nummer 1 bis 3 genannten Voraussetzungen,
2.
aus dem Asylgesetz:
a)
Verleitung zur missbräuchlichen Asylantragstellung nach § 84 Absatz 3,
b)
gewerbs- und bandenmäßige Verleitung zur missbräuchlichen Asylantragstellung nach § 84a Absatz 1,
3.
aus dem Aufenthaltsgesetz:
a)
Einschleusen von Ausländern nach § 96 Absatz 2,
b)
Einschleusen mit Todesfolge oder gewerbs- und bandenmäßiges Einschleusen nach § 97,
4.
aus dem Außenwirtschaftsgesetz:
a)
Straftaten nach § 17 Absatz 1, 2 und 3, jeweils auch in Verbindung mit Absatz 6 oder 7,
b)
Straftaten nach § 18 Absatz 7 und 8, jeweils auch in Verbindung mit Absatz 10,
5.
aus dem Betäubungsmittelgesetz:
a)
besonders schwerer Fall einer Straftat nach § 29 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, 5, 6, 10, 11 oder 13, Absatz 3 unter der in § 29 Absatz 3 Satz 2 Nummer 1 genannten Voraussetzung,
b)
eine Straftat nach den §§ 29a, 30 Absatz 1 Nummer 1, 2, 4, § 30a,
6.
aus dem Gesetz über die Kontrolle von Kriegswaffen:
a)
eine Straftat nach § 19 Absatz 2 oder § 20 Absatz 1, jeweils auch in Verbindung mit § 21,
b)
besonders schwerer Fall einer Straftat nach § 22a Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 2,
7.
aus dem Grundstoffüberwachungsgesetz:Straftaten nach § 19 Absatz 3,
8.
aus dem Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetz:Straftaten nach § 4 Absatz 3 Nummer 1,
9.
aus dem Völkerstrafgesetzbuch:
a)
Völkermord nach § 6,
b)
Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach § 7,
c)
Kriegsverbrechen nach den §§ 8 bis 12,
d)
Verbrechen der Aggression nach § 13,
10.
aus dem Waffengesetz:
a)
besonders schwerer Fall einer Straftat nach § 51 Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 2,
b)
besonders schwerer Fall einer Straftat nach § 52 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit Absatz 5.

(3) Die Maßnahme darf sich nur gegen den Beschuldigten richten. Ein Eingriff in informationstechnische Systeme anderer Personen ist nur zulässig, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass

1.
der in der Anordnung nach § 100e Absatz 3 bezeichnete Beschuldigte informationstechnische Systeme der anderen Person benutzt, und
2.
die Durchführung des Eingriffs in informationstechnische Systeme des Beschuldigten allein nicht zur Erforschung des Sachverhalts oder zur Ermittlung des Aufenthaltsortes eines Mitbeschuldigten führen wird.
Die Maßnahme darf auch durchgeführt werden, wenn andere Personen unvermeidbar betroffen werden.

(4) § 100a Absatz 5 und 6 gilt mit Ausnahme von Absatz 5 Satz 1 Nummer 1 entsprechend.

(1) Der Bund hat die ausschließliche Gesetzgebung über:

1.
die auswärtigen Angelegenheiten sowie die Verteidigung einschließlich des Schutzes der Zivilbevölkerung;
2.
die Staatsangehörigkeit im Bunde;
3.
die Freizügigkeit, das Paßwesen, das Melde- und Ausweiswesen, die Ein- und Auswanderung und die Auslieferung;
4.
das Währungs-, Geld- und Münzwesen, Maße und Gewichte sowie die Zeitbestimmung;
5.
die Einheit des Zoll- und Handelsgebietes, die Handels- und Schiffahrtsverträge, die Freizügigkeit des Warenverkehrs und den Waren- und Zahlungsverkehr mit dem Auslande einschließlich des Zoll- und Grenzschutzes;
5a.
den Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung ins Ausland;
6.
den Luftverkehr;
6a.
den Verkehr von Eisenbahnen, die ganz oder mehrheitlich im Eigentum des Bundes stehen (Eisenbahnen des Bundes), den Bau, die Unterhaltung und das Betreiben von Schienenwegen der Eisenbahnen des Bundes sowie die Erhebung von Entgelten für die Benutzung dieser Schienenwege;
7.
das Postwesen und die Telekommunikation;
8.
die Rechtsverhältnisse der im Dienste des Bundes und der bundesunmittelbaren Körperschaften des öffentlichen Rechtes stehenden Personen;
9.
den gewerblichen Rechtsschutz, das Urheberrecht und das Verlagsrecht;
9a.
die Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus durch das Bundeskriminalpolizeiamt in Fällen, in denen eine länderübergreifende Gefahr vorliegt, die Zuständigkeit einer Landespolizeibehörde nicht erkennbar ist oder die oberste Landesbehörde um eine Übernahme ersucht;
10.
die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder
a)
in der Kriminalpolizei,
b)
zum Schutze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des Bestandes und der Sicherheit des Bundes oder eines Landes (Verfassungsschutz) und
c)
zum Schutze gegen Bestrebungen im Bundesgebiet, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden,
sowie die Einrichtung eines Bundeskriminalpolizeiamtes und die internationale Verbrechensbekämpfung;
11.
die Statistik für Bundeszwecke;
12.
das Waffen- und das Sprengstoffrecht;
13.
die Versorgung der Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen und die Fürsorge für die ehemaligen Kriegsgefangenen;
14.
die Erzeugung und Nutzung der Kernenergie zu friedlichen Zwecken, die Errichtung und den Betrieb von Anlagen, die diesen Zwecken dienen, den Schutz gegen Gefahren, die bei Freiwerden von Kernenergie oder durch ionisierende Strahlen entstehen, und die Beseitigung radioaktiver Stoffe.

(2) Gesetze nach Absatz 1 Nr. 9a bedürfen der Zustimmung des Bundesrates.

(1) Wer eine Vereinigung (§ 129 Absatz 2) gründet, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet sind,

1.
Mord (§ 211) oder Totschlag (§ 212) oder Völkermord (§ 6 des Völkerstrafgesetzbuches) oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§ 7 des Völkerstrafgesetzbuches) oder Kriegsverbrechen (§§ 8, 9, 10, 11 oder § 12 des Völkerstrafgesetzbuches) oder
2.
Straftaten gegen die persönliche Freiheit in den Fällen des § 239a oder des § 239b
3.
(weggefallen)
zu begehen, oder wer sich an einer solchen Vereinigung als Mitglied beteiligt, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer eine Vereinigung gründet, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet sind,

1.
einem anderen Menschen schwere körperliche oder seelische Schäden, insbesondere der in § 226 bezeichneten Art, zuzufügen,
2.
Straftaten nach den §§ 303b, 305, 305a oder gemeingefährliche Straftaten in den Fällen der §§ 306 bis 306c oder 307 Abs. 1 bis 3, des § 308 Abs. 1 bis 4, des § 309 Abs. 1 bis 5, der §§ 313, 314 oder 315 Abs. 1, 3 oder 4, des § 316b Abs. 1 oder 3 oder des § 316c Abs. 1 bis 3 oder des § 317 Abs. 1,
3.
Straftaten gegen die Umwelt in den Fällen des § 330a Abs. 1 bis 3,
4.
Straftaten nach § 19 Abs. 1 bis 3, § 20 Abs. 1 oder 2, § 20a Abs. 1 bis 3, § 19 Abs. 2 Nr. 2 oder Abs. 3 Nr. 2, § 20 Abs. 1 oder 2 oder § 20a Abs. 1 bis 3, jeweils auch in Verbindung mit § 21, oder nach § 22a Abs. 1 bis 3 des Gesetzes über die Kontrolle von Kriegswaffen oder
5.
Straftaten nach § 51 Abs. 1 bis 3 des Waffengesetzes
zu begehen, oder wer sich an einer solchen Vereinigung als Mitglied beteiligt, wenn eine der in den Nummern 1 bis 5 bezeichneten Taten bestimmt ist, die Bevölkerung auf erhebliche Weise einzuschüchtern, eine Behörde oder eine internationale Organisation rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt zu nötigen oder die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Staates oder einer internationalen Organisation zu beseitigen oder erheblich zu beeinträchtigen, und durch die Art ihrer Begehung oder ihre Auswirkungen einen Staat oder eine internationale Organisation erheblich schädigen kann.

(3) Sind die Zwecke oder die Tätigkeit der Vereinigung darauf gerichtet, eine der in Absatz 1 und 2 bezeichneten Straftaten anzudrohen, ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen.

(4) Gehört der Täter zu den Rädelsführern oder Hintermännern, so ist in den Fällen der Absätze 1 und 2 auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren, in den Fällen des Absatzes 3 auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

(5) Wer eine in Absatz 1, 2 oder Absatz 3 bezeichnete Vereinigung unterstützt, wird in den Fällen der Absätze 1 und 2 mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in den Fällen des Absatzes 3 mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Wer für eine in Absatz 1 oder Absatz 2 bezeichnete Vereinigung um Mitglieder oder Unterstützer wirbt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(6) Das Gericht kann bei Beteiligten, deren Schuld gering und deren Mitwirkung von untergeordneter Bedeutung ist, in den Fällen der Absätze 1, 2, 3 und 5 die Strafe nach seinem Ermessen (§ 49 Abs. 2) mildern.

(7) § 129 Absatz 7 gilt entsprechend.

(8) Neben einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten kann das Gericht die Fähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden, und die Fähigkeit, Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen, aberkennen (§ 45 Abs. 2).

(9) In den Fällen der Absätze 1, 2, 4 und 5 kann das Gericht Führungsaufsicht anordnen (§ 68 Abs. 1).

(1) Das Bundeskriminalamt kann die Aufgabe der Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus in Fällen wahrnehmen, in denen

1.
eine länderübergreifende Gefahr vorliegt,
2.
die Zuständigkeit einer Landespolizeibehörde nicht erkennbar ist oder
3.
die oberste Landesbehörde um eine Übernahme ersucht.
Gefahren des internationalen Terrorismus sind Gefahren der Verwirklichung von Straftaten, die in § 129a Absatz 1 und 2 des Strafgesetzbuchs bezeichnet und dazu bestimmt sind,
1.
die Bevölkerung auf erhebliche Weise einzuschüchtern,
2.
eine Behörde oder eine internationale Organisation rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt zu nötigen oder
3.
die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Staates oder einer internationalen Organisation zu beseitigen oder erheblich zu beeinträchtigen,
und durch die Art ihrer Begehung oder ihre Auswirkungen einen Staat oder eine internationale Organisation erheblich schädigen können. Das Bundeskriminalamt kann in den in Satz 1 bezeichneten Fällen auch zur Verhütung von Straftaten nach Satz 2 tätig werden.

(2) Die Befugnisse der Länder und anderer Polizeibehörden des Bundes bleiben unberührt. Die zuständigen obersten Landesbehörden und, soweit zuständig, anderen Polizeibehörden des Bundes sind unverzüglich zu benachrichtigen, wenn das Bundeskriminalamt die Aufgabe nach Absatz 1 wahrnimmt. Die Aufgabenwahrnehmung erfolgt in gegenseitigem Benehmen. Stellt das Bundeskriminalamt bei der Aufgabenwahrnehmung nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 die Zuständigkeit einer Landespolizeibehörde fest, so gibt es diese Aufgabe an diese Polizeibehörde ab, wenn nicht ein Fall des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 1 oder Nummer 3 vorliegt.

(3) Das Bundeskriminalamt ist unbeschadet der Absätze 1 und 2 zuständige Behörde nach § 1 Absatz 1 des Terroristische-Online-Inhalte-Bekämpfungs-Gesetzes für den Erlass und die Überprüfung von Entfernungsanordnungen nach den Artikeln 3 und 4 der Verordnung (EU) 2021/784 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2021 zur Bekämpfung der Verbreitung terroristischer Online-Inhalte (ABl. L 172 vom 17.5.2021, S. 79).

(1) Die Wohnung ist unverletzlich.

(2) Durchsuchungen dürfen nur durch den Richter, bei Gefahr im Verzuge auch durch die in den Gesetzen vorgesehenen anderen Organe angeordnet und nur in der dort vorgeschriebenen Form durchgeführt werden.

(3) Begründen bestimmte Tatsachen den Verdacht, daß jemand eine durch Gesetz einzeln bestimmte besonders schwere Straftat begangen hat, so dürfen zur Verfolgung der Tat auf Grund richterlicher Anordnung technische Mittel zur akustischen Überwachung von Wohnungen, in denen der Beschuldigte sich vermutlich aufhält, eingesetzt werden, wenn die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise unverhältnismäßig erschwert oder aussichtslos wäre. Die Maßnahme ist zu befristen. Die Anordnung erfolgt durch einen mit drei Richtern besetzten Spruchkörper. Bei Gefahr im Verzuge kann sie auch durch einen einzelnen Richter getroffen werden.

(4) Zur Abwehr dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit, insbesondere einer gemeinen Gefahr oder einer Lebensgefahr, dürfen technische Mittel zur Überwachung von Wohnungen nur auf Grund richterlicher Anordnung eingesetzt werden. Bei Gefahr im Verzuge kann die Maßnahme auch durch eine andere gesetzlich bestimmte Stelle angeordnet werden; eine richterliche Entscheidung ist unverzüglich nachzuholen.

(5) Sind technische Mittel ausschließlich zum Schutze der bei einem Einsatz in Wohnungen tätigen Personen vorgesehen, kann die Maßnahme durch eine gesetzlich bestimmte Stelle angeordnet werden. Eine anderweitige Verwertung der hierbei erlangten Erkenntnisse ist nur zum Zwecke der Strafverfolgung oder der Gefahrenabwehr und nur zulässig, wenn zuvor die Rechtmäßigkeit der Maßnahme richterlich festgestellt ist; bei Gefahr im Verzuge ist die richterliche Entscheidung unverzüglich nachzuholen.

(6) Die Bundesregierung unterrichtet den Bundestag jährlich über den nach Absatz 3 sowie über den im Zuständigkeitsbereich des Bundes nach Absatz 4 und, soweit richterlich überprüfungsbedürftig, nach Absatz 5 erfolgten Einsatz technischer Mittel. Ein vom Bundestag gewähltes Gremium übt auf der Grundlage dieses Berichts die parlamentarische Kontrolle aus. Die Länder gewährleisten eine gleichwertige parlamentarische Kontrolle.

(7) Eingriffe und Beschränkungen dürfen im übrigen nur zur Abwehr einer gemeinen Gefahr oder einer Lebensgefahr für einzelne Personen, auf Grund eines Gesetzes auch zur Verhütung dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, insbesondere zur Behebung der Raumnot, zur Bekämpfung von Seuchengefahr oder zum Schutze gefährdeter Jugendlicher vorgenommen werden.

(1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt.

(2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.

(3) Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen. Wegen der Höhe der Entschädigung steht im Streitfalle der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offen.

(1) Wer eine Vereinigung (§ 129 Absatz 2) gründet, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet sind,

1.
Mord (§ 211) oder Totschlag (§ 212) oder Völkermord (§ 6 des Völkerstrafgesetzbuches) oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§ 7 des Völkerstrafgesetzbuches) oder Kriegsverbrechen (§§ 8, 9, 10, 11 oder § 12 des Völkerstrafgesetzbuches) oder
2.
Straftaten gegen die persönliche Freiheit in den Fällen des § 239a oder des § 239b
3.
(weggefallen)
zu begehen, oder wer sich an einer solchen Vereinigung als Mitglied beteiligt, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer eine Vereinigung gründet, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet sind,

1.
einem anderen Menschen schwere körperliche oder seelische Schäden, insbesondere der in § 226 bezeichneten Art, zuzufügen,
2.
Straftaten nach den §§ 303b, 305, 305a oder gemeingefährliche Straftaten in den Fällen der §§ 306 bis 306c oder 307 Abs. 1 bis 3, des § 308 Abs. 1 bis 4, des § 309 Abs. 1 bis 5, der §§ 313, 314 oder 315 Abs. 1, 3 oder 4, des § 316b Abs. 1 oder 3 oder des § 316c Abs. 1 bis 3 oder des § 317 Abs. 1,
3.
Straftaten gegen die Umwelt in den Fällen des § 330a Abs. 1 bis 3,
4.
Straftaten nach § 19 Abs. 1 bis 3, § 20 Abs. 1 oder 2, § 20a Abs. 1 bis 3, § 19 Abs. 2 Nr. 2 oder Abs. 3 Nr. 2, § 20 Abs. 1 oder 2 oder § 20a Abs. 1 bis 3, jeweils auch in Verbindung mit § 21, oder nach § 22a Abs. 1 bis 3 des Gesetzes über die Kontrolle von Kriegswaffen oder
5.
Straftaten nach § 51 Abs. 1 bis 3 des Waffengesetzes
zu begehen, oder wer sich an einer solchen Vereinigung als Mitglied beteiligt, wenn eine der in den Nummern 1 bis 5 bezeichneten Taten bestimmt ist, die Bevölkerung auf erhebliche Weise einzuschüchtern, eine Behörde oder eine internationale Organisation rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt zu nötigen oder die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Staates oder einer internationalen Organisation zu beseitigen oder erheblich zu beeinträchtigen, und durch die Art ihrer Begehung oder ihre Auswirkungen einen Staat oder eine internationale Organisation erheblich schädigen kann.

(3) Sind die Zwecke oder die Tätigkeit der Vereinigung darauf gerichtet, eine der in Absatz 1 und 2 bezeichneten Straftaten anzudrohen, ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen.

(4) Gehört der Täter zu den Rädelsführern oder Hintermännern, so ist in den Fällen der Absätze 1 und 2 auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren, in den Fällen des Absatzes 3 auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

(5) Wer eine in Absatz 1, 2 oder Absatz 3 bezeichnete Vereinigung unterstützt, wird in den Fällen der Absätze 1 und 2 mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in den Fällen des Absatzes 3 mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Wer für eine in Absatz 1 oder Absatz 2 bezeichnete Vereinigung um Mitglieder oder Unterstützer wirbt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(6) Das Gericht kann bei Beteiligten, deren Schuld gering und deren Mitwirkung von untergeordneter Bedeutung ist, in den Fällen der Absätze 1, 2, 3 und 5 die Strafe nach seinem Ermessen (§ 49 Abs. 2) mildern.

(7) § 129 Absatz 7 gilt entsprechend.

(8) Neben einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten kann das Gericht die Fähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden, und die Fähigkeit, Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen, aberkennen (§ 45 Abs. 2).

(9) In den Fällen der Absätze 1, 2, 4 und 5 kann das Gericht Führungsaufsicht anordnen (§ 68 Abs. 1).

(1) Zu dem in § 160 Abs. 1 bis 3 bezeichneten Zweck ist die Staatsanwaltschaft befugt, von allen Behörden Auskunft zu verlangen und Ermittlungen jeder Art entweder selbst vorzunehmen oder durch die Behörden und Beamten des Polizeidienstes vornehmen zu lassen, soweit nicht andere gesetzliche Vorschriften ihre Befugnisse besonders regeln. Die Behörden und Beamten des Polizeidienstes sind verpflichtet, dem Ersuchen oder Auftrag der Staatsanwaltschaft zu genügen, und in diesem Falle befugt, von allen Behörden Auskunft zu verlangen.

(2) Soweit in diesem Gesetz die Löschung personenbezogener Daten ausdrücklich angeordnet wird, ist § 58 Absatz 3 des Bundesdatenschutzgesetzes nicht anzuwenden.

(3) Ist eine Maßnahme nach diesem Gesetz nur bei Verdacht bestimmter Straftaten zulässig, so dürfen die auf Grund einer entsprechenden Maßnahme nach anderen Gesetzen erlangten personenbezogenen Daten ohne Einwilligung der von der Maßnahme betroffenen Personen zu Beweiszwecken im Strafverfahren nur zur Aufklärung solcher Straftaten verwendet werden, zu deren Aufklärung eine solche Maßnahme nach diesem Gesetz hätte angeordnet werden dürfen. § 100e Absatz 6 Nummer 3 bleibt unberührt.

(4) In oder aus einer Wohnung erlangte personenbezogene Daten aus einem Einsatz technischer Mittel zur Eigensicherung im Zuge nicht offener Ermittlungen auf polizeirechtlicher Grundlage dürfen unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu Beweiszwecken nur verwendet werden (Artikel 13 Abs. 5 des Grundgesetzes), wenn das Amtsgericht (§ 162 Abs. 1), in dessen Bezirk die anordnende Stelle ihren Sitz hat, die Rechtmäßigkeit der Maßnahme festgestellt hat; bei Gefahr im Verzug ist die richterliche Entscheidung unverzüglich nachzuholen.

(1) Liegen tatsächliche Anhaltspunkte für die Annahme vor, dass durch eine Maßnahme nach den §§ 100a bis 100c allein Erkenntnisse aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung erlangt werden, ist die Maßnahme unzulässig.

(2) Erkenntnisse aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung, die durch eine Maßnahme nach den §§ 100a bis 100c erlangt wurden, dürfen nicht verwertet werden. Aufzeichnungen über solche Erkenntnisse sind unverzüglich zu löschen. Die Tatsache ihrer Erlangung und Löschung ist zu dokumentieren.

(3) Bei Maßnahmen nach § 100b ist, soweit möglich, technisch sicherzustellen, dass Daten, die den Kernbereich privater Lebensgestaltung betreffen, nicht erhoben werden. Erkenntnisse, die durch Maßnahmen nach § 100b erlangt wurden und den Kernbereich privater Lebensgestaltung betreffen, sind unverzüglich zu löschen oder von der Staatsanwaltschaft dem anordnenden Gericht zur Entscheidung über die Verwertbarkeit und Löschung der Daten vorzulegen. Die Entscheidung des Gerichts über die Verwertbarkeit ist für das weitere Verfahren bindend.

(4) Maßnahmen nach § 100c dürfen nur angeordnet werden, soweit auf Grund tatsächlicher Anhaltspunkte anzunehmen ist, dass durch die Überwachung Äußerungen, die dem Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzurechnen sind, nicht erfasst werden. Das Abhören und Aufzeichnen ist unverzüglich zu unterbrechen, wenn sich während der Überwachung Anhaltspunkte dafür ergeben, dass Äußerungen, die dem Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzurechnen sind, erfasst werden. Ist eine Maßnahme unterbrochen worden, so darf sie unter den in Satz 1 genannten Voraussetzungen fortgeführt werden. Im Zweifel hat die Staatsanwaltschaft über die Unterbrechung oder Fortführung der Maßnahme unverzüglich eine Entscheidung des Gerichts herbeizuführen; § 100e Absatz 5 gilt entsprechend. Auch soweit für bereits erlangte Erkenntnisse ein Verwertungsverbot nach Absatz 2 in Betracht kommt, hat die Staatsanwaltschaft unverzüglich eine Entscheidung des Gerichts herbeizuführen. Absatz 3 Satz 3 gilt entsprechend.

(5) In den Fällen des § 53 sind Maßnahmen nach den §§ 100b und 100c unzulässig; ergibt sich während oder nach Durchführung der Maßnahme, dass ein Fall des § 53 vorliegt, gilt Absatz 2 entsprechend. In den Fällen der §§ 52 und 53a dürfen aus Maßnahmen nach den §§ 100b und 100c gewonnene Erkenntnisse nur verwertet werden, wenn dies unter Berücksichtigung der Bedeutung des zugrunde liegenden Vertrauensverhältnisses nicht außer Verhältnis zum Interesse an der Erforschung des Sachverhalts oder der Ermittlung des Aufenthaltsortes eines Beschuldigten steht. § 160a Absatz 4 gilt entsprechend.

(1) Die Wohnung ist unverletzlich.

(2) Durchsuchungen dürfen nur durch den Richter, bei Gefahr im Verzuge auch durch die in den Gesetzen vorgesehenen anderen Organe angeordnet und nur in der dort vorgeschriebenen Form durchgeführt werden.

(3) Begründen bestimmte Tatsachen den Verdacht, daß jemand eine durch Gesetz einzeln bestimmte besonders schwere Straftat begangen hat, so dürfen zur Verfolgung der Tat auf Grund richterlicher Anordnung technische Mittel zur akustischen Überwachung von Wohnungen, in denen der Beschuldigte sich vermutlich aufhält, eingesetzt werden, wenn die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise unverhältnismäßig erschwert oder aussichtslos wäre. Die Maßnahme ist zu befristen. Die Anordnung erfolgt durch einen mit drei Richtern besetzten Spruchkörper. Bei Gefahr im Verzuge kann sie auch durch einen einzelnen Richter getroffen werden.

(4) Zur Abwehr dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit, insbesondere einer gemeinen Gefahr oder einer Lebensgefahr, dürfen technische Mittel zur Überwachung von Wohnungen nur auf Grund richterlicher Anordnung eingesetzt werden. Bei Gefahr im Verzuge kann die Maßnahme auch durch eine andere gesetzlich bestimmte Stelle angeordnet werden; eine richterliche Entscheidung ist unverzüglich nachzuholen.

(5) Sind technische Mittel ausschließlich zum Schutze der bei einem Einsatz in Wohnungen tätigen Personen vorgesehen, kann die Maßnahme durch eine gesetzlich bestimmte Stelle angeordnet werden. Eine anderweitige Verwertung der hierbei erlangten Erkenntnisse ist nur zum Zwecke der Strafverfolgung oder der Gefahrenabwehr und nur zulässig, wenn zuvor die Rechtmäßigkeit der Maßnahme richterlich festgestellt ist; bei Gefahr im Verzuge ist die richterliche Entscheidung unverzüglich nachzuholen.

(6) Die Bundesregierung unterrichtet den Bundestag jährlich über den nach Absatz 3 sowie über den im Zuständigkeitsbereich des Bundes nach Absatz 4 und, soweit richterlich überprüfungsbedürftig, nach Absatz 5 erfolgten Einsatz technischer Mittel. Ein vom Bundestag gewähltes Gremium übt auf der Grundlage dieses Berichts die parlamentarische Kontrolle aus. Die Länder gewährleisten eine gleichwertige parlamentarische Kontrolle.

(7) Eingriffe und Beschränkungen dürfen im übrigen nur zur Abwehr einer gemeinen Gefahr oder einer Lebensgefahr für einzelne Personen, auf Grund eines Gesetzes auch zur Verhütung dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, insbesondere zur Behebung der Raumnot, zur Bekämpfung von Seuchengefahr oder zum Schutze gefährdeter Jugendlicher vorgenommen werden.

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

(1) Alle Deutschen haben das Recht, Vereine und Gesellschaften zu bilden.

(2) Vereinigungen, deren Zwecke oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, sind verboten.

(3) Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Abreden, die dieses Recht einschränken oder zu behindern suchen, sind nichtig, hierauf gerichtete Maßnahmen sind rechtswidrig. Maßnahmen nach den Artikeln 12a, 35 Abs. 2 und 3, Artikel 87a Abs. 4 und Artikel 91 dürfen sich nicht gegen Arbeitskämpfe richten, die zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen von Vereinigungen im Sinne des Satzes 1 geführt werden.

(1) Die deutsche Staatsangehörigkeit darf nicht entzogen werden. Der Verlust der Staatsangehörigkeit darf nur auf Grund eines Gesetzes und gegen den Willen des Betroffenen nur dann eintreten, wenn der Betroffene dadurch nicht staatenlos wird.

(2) Kein Deutscher darf an das Ausland ausgeliefert werden. Durch Gesetz kann eine abweichende Regelung für Auslieferungen an einen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder an einen internationalen Gerichtshof getroffen werden, soweit rechtsstaatliche Grundsätze gewahrt sind.

(1) Der Bundespräsident vertritt den Bund völkerrechtlich. Er schließt im Namen des Bundes die Verträge mit auswärtigen Staaten. Er beglaubigt und empfängt die Gesandten.

(2) Verträge, welche die politischen Beziehungen des Bundes regeln oder sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung beziehen, bedürfen der Zustimmung oder der Mitwirkung der jeweils für die Bundesgesetzgebung zuständigen Körperschaften in der Form eines Bundesgesetzes. Für Verwaltungsabkommen gelten die Vorschriften über die Bundesverwaltung entsprechend.

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

Tenor

1. Der Beschluss des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 7. November 2014 - III - 3 Ausl 108/14 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes, soweit er die Auslieferung des Beschwerdeführers für zulässig erklärt; er wird in diesem Umfang aufgehoben. Damit wird der Beschluss des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 27. November 2014 - III - 3 Ausl 108/14 - gegenstandslos.

2. Die Sache wird an das Oberlandesgericht Düsseldorf zurückverwiesen.

3. Das Land Nordrhein-Westfalen hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu erstatten.

Gründe

A.

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Auslieferung des Beschwerdeführers nach Italien auf der Grundlage eines Europäischen Haftbefehls, der zur Vollstreckung eines in Abwesenheit des Beschwerdeführers ergangenen Strafurteils erlassen wurde.

I.

2

1. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger der Vereinigten Staaten von Amerika. Mit rechtskräftigem Urteil der Corte di Appello von Florenz aus dem Jahr 1992 wurde er in Abwesenheit wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung sowie der Einfuhr und des Besitzes von Kokain zu einer Freiheitsstrafe von 30 Jahren verurteilt. Im Jahr 2014 wurde er aufgrund eines Auslieferungsersuchens der Italienischen Republik, das sich auf einen Europäischen Haftbefehl der Generalstaatsanwaltschaft bei der Corte di Appello von Florenz aus demselben Jahr stützt, in Deutschland festgenommen.

3

a) Mit dem Europäischen Haftbefehl wird die Auslieferung des Beschwerdeführers zur Vollstreckung der gegen ihn verhängten Freiheitsstrafe begehrt. Aus dem Europäischen Haftbefehl geht hervor, dass dem Beschwerdeführer das zugrunde liegende Urteil aus dem Jahr 1992 nicht persönlich zugestellt wurde. Das Formblatt zum Europäischen Haftbefehl lautet insoweit:

d) Geben Sie an, ob die Person zu der Verhandlung, die zu der Entscheidung geführt hat, persönlich erschienen ist:

1. Ja, die Person ist zu der Verhandlung, die zu der Entscheidung geführt hat, persönlich erschienen.

2. Nein, die Person ist zu der Verhandlung, die zur Entscheidung geführt hat, nicht persönlich erschienen.

3. Bitte geben Sie zu der unter Nummer 2 angekreuzten Möglichkeit an, dass eine der folgenden Möglichkeiten zutrifft:

3.4 der Person wurde die Entscheidung nicht persönlich zugestellt, aber

- sie wird die Entscheidung unverzüglich nach der Übergabe zugestellt erhalten, und

- sie wird bei der Zustellung der Entscheidung ausdrücklich von ihrem Recht auf Wiederaufnahme des Verfahrens oder auf ein Berufungsverfahren in Kenntnis gesetzt werden, an dem die Person teilnehmen kann und bei dem der Sachverhalt, einschließlich neuer Beweismittel, erneut geprüft werden und die ursprünglich ergangene Entscheidung aufgehoben werden kann, und

- sie wird von der Frist in Kenntnis gesetzt werden, über die sie verfügt, um eine Wiederaufnahme des Verfahrens bzw. ein Berufungsverfahren zu beantragen, die … Tage beträgt.

4

Punkt 3.4 hatte die Generalstaatsanwaltschaft Florenz angekreuzt. Punkt 2, wonach die ersuchende Behörde bestätigt, dass die auszuliefernde Person zu der Verhandlung, die zu der Entscheidung geführt hat, nicht persönlich erschienen ist, ließ sie hingegen offen. Die Länge der in Punkt 3.4 des Formblatts zum Europäischen Haftbefehl genannten Antragsfrist gab die Generalstaatsanwaltschaft Florenz ebenfalls nicht an.

5

b) Buchstabe d, Punkt 3.4 des Formblatts zum Europäischen Haftbefehl geht auf Art. 4a Abs. 1 Buchstabe d Rahmenbeschluss 2002/584/JI des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten (ABl EU Nr. L 190 vom 18. Juli 2002, S. 1) in der durch den Rahmenbeschluss 2009/299/JI des Rates vom 26. Februar 2009 (ABl EU Nr. L 81 vom 27. März 2009, S. 24) geänderten Fassung (im Folgenden: Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl bzw. RbEuHb) zurück. Art. 4a Abs. 1 RbEuHb lautet:

Entscheidungen, die im Anschluss an eine Verhandlung ergangen sind, zu der die Person nicht persönlich erschienen ist

(1) Die vollstreckende Justizbehörde kann die Vollstreckung eines zur Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung ausgestellten Europäischen Haftbefehls auch verweigern, wenn die Person nicht persönlich zu der Verhandlung erschienen ist, die zu der Entscheidung geführt hat, es sei denn, aus dem Europäischen Haftbefehl geht hervor, dass die Person im Einklang mit den weiteren verfahrensrechtlichen Vorschriften des einzelstaatlichen Rechts des Ausstellungsmitgliedstaats

a) rechtzeitig

i) entweder persönlich vorgeladen wurde und dabei von dem vorgesehenen Termin und Ort der Verhandlung in Kenntnis gesetzt wurde, die zu der Entscheidung geführt hat, oder auf andere Weise tatsächlich offiziell von dem vorgesehenen Termin und Ort dieser Verhandlung in Kenntnis gesetzt wurde, und zwar auf eine Weise, dass zweifelsfrei nachgewiesen wurde, dass sie von der anberaumten Verhandlung Kenntnis hatte,

und

ii) davon in Kenntnis gesetzt wurde, dass eine Entscheidung auch dann ergehen kann, wenn sie zu der Verhandlung nicht erscheint;

oder

b) in Kenntnis der anberaumten Verhandlung ein Mandat an einen Rechtsbeistand, der entweder von der betroffenen Person oder vom Staat bestellt wurde, erteilt hat, sie bei der Verhandlung zu verteidigen, und bei der Verhandlung von diesem Rechtsbeistand tatsächlich verteidigt worden ist;

oder

c) nachdem ihr die Entscheidung zugestellt und sie ausdrücklich von ihrem Recht auf Wiederaufnahme des Verfahrens oder auf ein Berufungsverfahren in Kenntnis gesetzt worden ist, an dem die Person teilnehmen kann und bei dem der Sachverhalt, einschließlich neuer Beweismittel, erneut geprüft werden und die ursprünglich ergangene Entscheidung aufgehoben werden kann:

i) ausdrücklich erklärt hat, dass sie die Entscheidung nicht anficht;

oder

ii) innerhalb der geltenden Frist keine Wiederaufnahme des Verfahrens bzw. kein Berufungsverfahren beantragt hat;

oder

d) die Entscheidung nicht persönlich zugestellt erhalten hat, aber

i) sie unverzüglich nach der Übergabe persönlich zugestellt erhalten wird und ausdrücklich von ihrem Recht auf Wiederaufnahme des Verfahrens oder auf ein Berufungsverfahren in Kenntnis gesetzt werden wird, an dem die Person teilnehmen kann und bei dem der Sachverhalt, einschließlich neuer Beweismittel, erneut geprüft werden und die ursprünglich ergangene Entscheidung aufgehoben werden kann

und

ii) von der Frist in Kenntnis gesetzt werden wird, über die sie gemäß dem einschlägigen Europäischen Haftbefehl verfügt, um eine Wiederaufnahme des Verfahrens bzw. ein Berufungsverfahren zu beantragen.

6

Italien hat eine nach Artikel 8 Absatz 3 des Rahmenbeschlusses 2009/299/JI zulässige Erklärung abgegeben (ABl Nr. L 97 vom 16. April 2009, S. 26), infolge derer der Rahmenbeschluss spätestens ab dem 1. Januar 2014 Anwendung findet auf die Anerkennung und Durchführung von Entscheidungen der zuständigen italienischen Behörden, die im Anschluss an eine Verhandlung ergangen sind, bei der die betroffene Person nicht anwesend war.

7

c) Die für die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls maßgeblichen nationalen Vorschriften finden sich im Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen - IRG - (BGBl I 1982 S. 2071). In der hier anwendbaren Fassung des Gesetzes vom 20. Juli 2006 (BGBl I S. 1721) lauteten § 73 und § 83:

§ 73 Grenze der Rechtshilfe

Die Leistung von Rechtshilfe sowie die Datenübermittlung ohne Ersuchen ist unzulässig, wenn sie wesentlichen Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung widersprechen würde. Bei Ersuchen nach dem Achten, Neunten und Zehnten Teil ist die Leistung von Rechtshilfe unzulässig, wenn die Erledigung zu den in Artikel 6 des Vertrages über die Europäische Union enthaltenen Grundsätzen im Widerspruch stünde.

§ 83 Ergänzende Zulässigkeitsvoraussetzungen

Die Auslieferung ist nicht zulässig, wenn

3. bei Ersuchen zur Vollstreckung das dem Ersuchen zugrunde liegende Urteil in Abwesenheit des Verfolgten ergangen ist und der Verfolgte zu dem Termin nicht persönlich geladen oder nicht auf andere Weise von dem Termin, der zu dem Abwesenheitsurteil geführt hat, unterrichtet worden war, es sei denn, dass der Verfolgte in Kenntnis des gegen ihn gerichteten Verfahrens, an dem ein Verteidiger beteiligt war, eine persönliche Ladung durch Flucht verhindert hat oder ihm nach seiner Überstellung das Recht auf ein neues Gerichtsverfahren, in dem der gegen ihn erhobene Vorwurf umfassend überprüft wird, und auf Anwesenheit bei der Gerichtsverhandlung eingeräumt wird … .

8

d) Mit Beschluss vom 14. August 2014 entschied das Oberlandesgericht Düsseldorf, dass mit Blick auf das Vorliegen eines Abwesenheitsurteils die sich aus § 83 Nr. 3 IRG ergebenden Voraussetzungen derzeit nicht feststellbar seien.

9

Aus den Angaben der italienischen Behörden folge nicht mit der erforderlichen Sicherheit, dass der Beschwerdeführer nach seiner Überstellung die rechtliche und tatsächliche Möglichkeit habe, nachträglich eine umfassende gerichtliche Überprüfung der in seiner Abwesenheit erfolgten Verurteilung im Sinne einer neuen tatsächlichen Überprüfung der Feststellungen zum Schuldvorwurf und der erkannten Rechtsfolge zu erreichen. Dem Europäischen Haftbefehl lasse sich nicht entnehmen, dass der Beschwerdeführer dies durch einen einfachen Rechtsbehelf erreichen könne, der nicht an besondere Voraussetzungen geknüpft sei und der ihm keine Beweislast auferlege. Die Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß Art. 630 ff. CPP (Codice di procedura penale - italienische Strafprozessordnung) sei als außerordentlicher Rechtsbehelf ein Instrument mit Ausnahmecharakter und als solches an streng geregelte Wiederaufnahmegründe - insbesondere das Vorliegen neuer Beweise - gebunden. Das Oberlandesgericht forderte von den italienischen Behörden deshalb ergänzende Auskünfte zur tatsächlichen Kenntnis des Beschwerdeführers vom Verhandlungstermin und seiner anwaltlichen Vertretung sowie eine Zusicherung, dass ihm nach seiner Überstellung vorbehaltlos das Recht auf ein neues Gerichtsverfahren in seiner Anwesenheit eingeräumt werde, in dem der gegen ihn erhobene Vorwurf umfassend geprüft werde.

10

Mit Schreiben vom 7. Oktober 2014 teilte die Generalstaatsanwaltschaft Florenz mit, dass nach Art. 175 CPP der Verurteilte innerhalb von dreißig Tagen die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand der Rechtsmittelfrist beantragen könne, welche im Fall der Auslieferung aus dem Ausland mit dem Datum der Überstellung beginne. Über diesen Antrag werde der Richter entscheiden, der bei Antragstellung tätig sei, im Falle einer Verurteilung der Richter, der für die Rechtsmitteleinlegung zuständig sei. Gegen die Anordnung, die den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückweise, könne Kassationsbeschwerde eingelegt werden. Ferner heißt es (zitiert nach der im Ausgangsverfahren in Auftrag gegebenen Übersetzung):

Falls dem Antrag stattgegeben wird, muss erneut eine Hauptverhandlung gegen den Verurteilten stattfinden, welcher erneut durch Anordnung geladen wird. Dem Verurteilten wird sein Verteidigungsrecht ohne Vorbehalt zugesichert.

11

Außerdem fügte die Generalstaatsanwaltschaft den Wortlaut des Art. 175 CPP in der Fassung des Gesetzes Nr. 60 vom 22. April 2005, also in der vor der Strafprozessreform aus dem Jahr 2014 geltenden Fassung, bei. Dieser lautet auszugsweise (zitiert nach der im Ausgangsverfahren in Auftrag gegebenen Übersetzung):

2. Falls ein Versäumnisurteil oder ein Strafbefehl erlassen wurde, wird der Verurteilte auf seinen Antrag in die Rechtmittelfristen oder Einspruchsfristen wiedereingesetzt, es sei denn, dass dieser in Kenntnis des Verfahrens oder der Verfügung war und freiwillig auf Einspruch oder Rechtsmittel verzichtet hat. Zu diesem Zwecke wird die Justizbehörde jede erforderliche Prüfung vornehmen.

12

Über die Kenntnis des Beschwerdeführers vom Verhandlungstermin und seine anwaltliche Vertretung gab die Generalstaatsanwaltschaft Florenz keine näheren Auskünfte.

13

e) Mit Schriftsatz vom 21. Oktober 2014 machte der Beschwerdeführer geltend, er sei in Abwesenheit und ohne seine Kenntnis verurteilt worden. Ferner trug er unter Berufung auf deutschsprachige Literatur vor, die Wiedereinsetzung zur Einlegung eines Rechtsmittels stehe einem Recht auf das entzogene erstinstanzliche Verfahren nicht gleich. Die "verspätete" Berufung genüge wegen der beschränkten Prüfungskompetenz grundsätzlich nicht den Anforderungen an eine nachträgliche Gewährung rechtlichen Gehörs. Im Regelfall finde in der Hauptverhandlung keine erneute Beweisaufnahme statt. Es handele sich um ein reines Aktenverfahren, in dem eine Beweisaufnahme nur in Ausnahmefällen möglich sei. Nach aktueller Gesetzeslage sei eine erneute Beweisaufnahme im Falle einer Abwesenheitsverurteilung nicht vorgesehen. Der Beschwerdeführer teilte dem Oberlandesgericht den Inhalt des einschlägigen Art. 603 CPP in italienischer und deutscher Sprache mit. Dieser ist in seinen Absätzen 1 bis 3 seit seinem Inkrafttreten 1988 unverändert und lautet (Italienische Strafprozeßordnung, Zweisprachige Ausgabe, Bauer/König/Kreuzer/Riz/Zanon, 1991):

1. Hat eine Partei in der Berufungsschrift oder in den gemäß Artikel 585 Absatz 4 hinterlegten Gründen die neuerliche Aufnahme von Beweisen, die bereits im Verfahren erster Instanz aufgenommen worden sind, oder die Aufnahme neuer Beweise beantragt, so ordnet das Gericht, wenn es der Ansicht ist, dass es auf Grund der Aktenlage nicht entscheiden kann, die Erneuerung des Beweisverfahrens in der Hauptverhandlung an.

2. Sind die neuen Beweise erst nach dem Verfahren erster Instanz entstanden oder aufgefunden worden, so ordnet das Gericht in den in Artikel 495 Absatz 1 vorgesehenen Grenzen die Erneuerung des Beweisverfahrens in der Hauptverhandlung an.

3. Die Erneuerung des Beweisverfahrens in der Hauptverhandlung wird von Amts wegen angeordnet, wenn das Gericht sie für unumgänglich notwendig erachtet (604 Abs. 6).

14

Der Beschwerdeführer machte geltend, nach dem möglicherweise anwendbaren (mittlerweile allerdings durch Gesetz vom 28. April 2014 abgeschafften) Art. 603 Abs. 4 CPP 1988 werde eine neue Gerichtsverhandlung nur durchgeführt, wenn der Verurteilte nachweise, dass er von dem gegen ihn geführten Verfahren in keiner Weise und zu keinem Zeitpunkt Kenntnis gehabt und diesen Umstand auch nicht zu vertreten habe. Der Beschwerdeführer teilte auch den Inhalt von Art. 603 Abs. 4 CPP 1988 in italienischer und deutscher Sprache mit. Dieser lautet (Italienische Strafprozeßordnung, Zweisprachige Ausgabe, Bauer/König/Kreuzer/Riz/Zanon, 1991):

4. Das Gericht ordnet außerdem die Erneuerung des Beweisverfahrens in der Hauptverhandlung an, wenn der in erster Instanz säumige Angeklagte einen entsprechenden Antrag stellt und den Beweis erbringt, dass er wegen Zufalls, wegen höherer Gewalt oder deswegen, weil er keine Kenntnis vom Ladungsdekret erhalten hatte, nicht erscheinen konnte, freilich vorausgesetzt, dass dieser Umstand im gegebenen Fall nicht auf sein Verschulden zurückzuführen ist oder dass er sich, wenn die Ladung zum Verfahren erster Instanz durch Aushändigung an den Verteidiger in den in Artikeln 159, 161, Absatz 4, und 169 vorgesehenen Fällen erfolgt ist, nicht willentlich der Kenntnisnahme von den Verfahrenshandlungen entzogen hat.

15

Die in Art. 603 Abs. 4 CPP 1988 geregelte Beweis- und Darlegungslast sei identisch mit der Regelung in den früheren (vor 2005 geltenden) Fassungen des Art. 175 Abs. 2 CPP. Diese hätten dem Verurteilten die Beweis- und Darlegungslast hinsichtlich seiner Nichtkenntnis über das Verfahren auferlegt, was nach der einhelligen Rechtsprechung der Oberlandesgerichte ein Auslieferungshindernis begründet habe. Es liege nahe, dass Art. 603 Abs. 4 CPP 1988 auf ihn anwendbar sei, weil nach einer Entscheidung der italienischenCorte di Cassazione vom 17. Juli 2014 (No. 36848) auf Abwesenheitsverfahren, die vor Inkrafttreten des Gesetzes vom 28. April 2014 durchgeführt worden seien, die alte Rechtslage Anwendung finde. Die Entscheidung der Corte di Cassazione teilte der Beschwerdeführer dem Oberlandesgericht im Wortlaut mit. Dass Art. 603 Abs. 4 CPP 1988 auf ihn anwendbar sei, werde auch dadurch belegt, dass die Generalstaatsanwaltschaft Florenz den Wortlaut des Art. 175 CPP in der vor der Strafprozessreform des Jahres 2014 geltenden Fassung von 2005 übersandt habe.

16

f) Mit dem angegriffenen Beschluss vom 7. November 2014 erklärte das Oberlandesgericht die Auslieferung für zulässig. § 83 Nr. 3 IRG stehe ihr nicht entgegen. Nach den ergänzenden Angaben der Generalstaatsanwaltschaft Florenz vom 7. Oktober 2014 gehe der Senat davon aus, dass der Beschwerdeführer nach seiner Überstellung das Recht auf ein neues Gerichtsverfahren habe, in dem der gegen ihn erhobene Vorwurf umfassend überprüft werde und in dem ihm auch ein Recht auf Anwesenheit zustehe. Eine solche Überprüfung des Anklagevorwurfs sei durch den Rechtsbehelf der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Art. 175 CPP in der dort mitgeteilten Fassung gewährleistet. Danach werde der Verurteilte "auf seinen Antrag in die Rechtsmittel- oder Einspruchsfristen wieder eingesetzt, es sei denn, dass dieser in Kenntnis des Verfahrens oder der Verfügung" gewesen sei "und freiwillig auf den Einspruch oder Rechtsmittel verzichtet" habe.

17

Es sei davon auszugehen, dass dem Beschwerdeführer ein tatsächlich wirksamer, von seinem Antrag abhängiger und nicht im Ermessen der italienischen Justizbehörden stehender Rechtsbehelf auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Verfügung stehe. Zugleich sei eine umfassende Überprüfung des Abwesenheitsurteils gewährleistet. Offen bleiben könne, ob diese Prüfung im Rahmen einer Berufungshauptverhandlung oder in einem neuen erstinstanzlichen Verfahren stattfinde. Es sei schon fraglich, ob der Einwand des Beschwerdeführers, das Berufungsverfahren nach italienischem Recht biete keine umfassende Überprüfung im Sinne des § 83 Nr. 3 IRG, überhaupt durchgreifen könne. Selbst wenn - wie vom Beschwerdeführer vorgetragen - im Rahmen des italienischen Berufungsverfahrens ("appello", Art. 593 ff. CPP) in der Hauptverhandlung im Regelfall keine erneute Beweisaufnahme stattfinde, so handele es sich doch um ein Rechtsmittel, mit dem sowohl die Tat- als auch die Rechtsfrage der erneuten Prüfung unterworfen würden (unter Verweis auf Maiwald, Einführung in das italienische Strafrecht und Strafprozessrecht, 2009, S. 237). Daraus ergebe sich, dass in der Sache eine umfassende tatsächliche und rechtliche Überprüfung des Abwesenheitsurteils stattfinde, in deren Rahmen eine erneute Beweisaufnahme "jedenfalls nicht ausgeschlossen" sei.

18

Ein solches Verfahren genüge den Anforderungen des § 83 Nr. 3 IRG. Die Vorschrift gehe auf Art. 5 Nr. 1 RbEuHb (in der Fassung vom 13. Juni 2002, ABl EU Nr. L 190 vom 18. Juli 2002, S. 1) zurück. Bei dessen Umsetzung in deutsches Recht seien (zwar) die Voraussetzungen, unter denen ein Abwesenheitsurteil Grundlage der Auslieferung sein könne, an die von Rechtsprechung und Schrifttum zu § 73 IRG entwickelten Grundsätze angenähert worden. Aus den zu § 73 IRG entwickelten Grundsätzen ergebe sich indes kein Anspruch auf ein neues Gerichtsverfahren im Sinne einer vollständigen ersten Tatsachen- und Rechtsinstanz. Vielmehr reiche die Möglichkeit, sich nach Erlangung der Kenntnis von dem Urteil rechtliches Gehör verschaffen und wirksam verteidigen zu können. Dass mit der Einführung von § 83 Nr. 3 IRG eine Anhebung des zu § 73 IRG entwickelten Standards habe verbunden werden sollen, sei nicht ersichtlich.

19

Unabhängig von diesen allgemeinen Erwägungen ergebe sich für den vorliegenden Fall auch aus dem Antwortschreiben der Generalstaatsanwaltschaft Florenz vom 7. Oktober 2014 hinreichend deutlich, dass der Vorwurf gegen den Beschwerdeführer in einem neuen Gerichtsverfahren umfassend überprüft werde. Nach diesem Schreiben bestehe im Falle der Wiedereinsetzung ausdrücklich ein Anspruch auf eine neue Hauptverhandlung und eine erneute Ladung; auch werde dem Beschwerdeführer sein Verteidigungsrecht ohne Vorbehalt zugesichert. Auf die Frage, ob dieser gegebenenfalls einen Anspruch auf Nichtigkeitsfeststellung und/oder auf eine Wiederaufnahme gemäß Art. 603 Abs. 4 CPP habe, komme es nach alledem nicht mehr an. Die Einholung eines Rechtsgutachtens zur aktuellen Rechtslage in Italien sei nicht erforderlich gewesen.

20

2. a) Mit Gegenvorstellung vom 13. November 2014 machte der Beschwerdeführer geltend, mit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Art. 175 CPP könne er nach italienischem Strafprozessrecht überhaupt nur erreichen, in die Rechtsmittelfrist einer Berufung eingesetzt zu werden. Das ergebe sich bereits aus dem Schreiben der Generalstaatsanwaltschaft Florenz vom 7. Oktober 2014. Soweit die Generalstaatsanwaltschaft vortrage, es werde erneut eine Hauptverhandlung gegen den Verurteilten stattfinden, könne damit nur die Durchführung einer Berufungshauptverhandlung (Art. 593 ff. CPP) gemeint sein, da Art. 175 CPP lediglich die Wiedereinsetzung in eine Rechtsmittelfrist der Berufung ermögliche. Das Recht, Fragen an Belastungszeugen zu stellen oder stellen zu lassen oder die Ladung und Vernehmung von Entlastungszeugen unter denselben Bedingungen zu erwirken, wie sie für Belastungszeugen gelten, hätte der Beschwerdeführer nach italienischem Strafprozessrecht nur ganz ausnahmsweise, da er die Beweislast dafür trage, dass er von dem damaligen Verfahren keine Kenntnis gehabt habe. Ob eine erneute Beweisaufnahme stattfinde oder nicht, stehe zudem im Ermessen des Richters.

21

b) Mit Beschluss vom 27. November 2014 wies das Oberlandesgericht die Gegenvorstellung des Beschwerdeführers als unbegründet zurück. Der Senat halte an seiner Auffassung fest, dass dem Beschwerdeführer bereits mit der - effektiv gegebenen - Möglichkeit einer Wiedereinsetzung in die Rechtsmittelfrist des italienischen Berufungsverfahrens die Möglichkeit einer umfassenden Überprüfung des gegen ihn gerichteten Vorwurfs im Sinne von § 83 Nr. 3 IRG zur Verfügung stehe, da auf diese Weise eine vollständige Überprüfung der Stichhaltigkeit des gegen den Beschwerdeführer erhobenen Vorwurfs nicht nur in rechtlicher, sondern auch in tatsächlicher Hinsicht gewährleistet sei. Dass die Verteidigungsrechte des Beschwerdeführers gemäß Art. 6 Abs. 3 EMRK im Rahmen der Berufungshauptverhandlung eingeschränkt wären, vermöge der Senat mit Blick auf die ergänzende Auskunft der Generalstaatsanwaltschaft Florenz vom 7. Oktober 2014 nicht zu erkennen. Auch nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte bestehe im Übrigen bei einem in erster Instanz ergangenen Abwesenheitsurteil kein Anspruch auf Wiederholung des erstinstanzlichen Verfahrens; vielmehr solle eine Neuverhandlung vor einem Rechtsmittelgericht genügen.

22

Dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Jahre 1985 die verspätete Berufung nach italienischem Recht als nicht ausreichende Überprüfungsmöglichkeit angesehen habe, führe vorliegend zu keiner anderen Beurteilung. Nach den damals maßgeblichen Vorschriften habe das Berufungsgericht über die Stichhaltigkeit der Anklage unter tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkten nur entscheiden dürfen, wenn es der Ansicht gewesen sei, dass ein Verstoß der zuständigen Behörden gegen die bei der Erklärung einer strafverfolgten Person für "latitante" (untergetaucht) oder gegen die bei der Zustellung von Verfahrensdokumenten zu beachtenden Bestimmungen vorgelegen habe; zudem habe der Angeklagte beweisen müssen, dass er sich der Gerechtigkeit nicht habe entziehen wollen.

23

Eine derartige Beschränkung des italienischen Berufungsgerichts vermöge der Senat jedoch auch unter Berücksichtigung der von dem Beschwerdeführer vorgebrachten Bedenken für das auf diesen nunmehr anwendbare Berufungsverfahren nicht zu erkennen. Die danach jedenfalls bestehende Möglichkeit einer erneuten Erhebung bereits in erster Instanz erhobener Beweise bei der Überprüfung des Abwesenheitsurteils genüge den vom Senat in seinem Beschluss vom 7. November 2014 bereits ausführlich dargelegten Anforderungen an eine umfassende Überprüfung des Anklagevorwurfs im Sinne des § 83 Nr. 3 IRG. Die konkrete Ausgestaltung und Praxis des Berufungsverfahrens nach deutschem Recht könne im Rahmen der Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung an einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union insoweit kein Maßstab sein.

II.

24

Auf den mit der Verfassungsbeschwerde verbundenen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat die 3. Kammer des Zweiten Senats mit Beschluss vom 27. November 2014 entschieden, die Übergabe des Beschwerdeführers an die Behörden der Italienischen Republik bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde, längstens für die Dauer von sechs Monaten, einstweilen auszusetzen. Mit Beschluss vom 13. Mai 2015 hat die 3. Kammer des Zweiten Senats und mit Beschluss vom 3. November 2015 der Zweite Senat die einstweilige Anordnung vom 27. November 2014 für die Dauer von jeweils weiteren sechs Monaten, längstens jedoch bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde, wiederholt (§ 32 Abs. 6 Satz 2 BVerfGG).

III.

25

Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 1, Art. 2 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2, Art. 3 und Art. 103 Abs. 1 GG, seines Grundrechts auf ein faires Verfahren (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 6 Abs. 3 EMRK), eine Verletzung der nach Art. 25 GG verbindlichen völkerrechtlichen Mindeststandards sowie einen Verstoß gegen Art. 6 Abs. 3 EMRK. Er habe zu keinem Zeitpunkt davon Kenntnis gehabt, dass in Italien ein Ermittlungs- beziehungsweise Strafverfahren gegen ihn geführt worden sei. Zudem sei nicht gewährleistet, dass ihm nach seiner Auslieferung das Recht auf ein Gerichtsverfahren eingeräumt werde, in dem die Tatvorwürfe in seiner Anwesenheit erneut in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht überprüft würden.

26

Eine ausreichende Zusicherung der italienischen Regierung liege insoweit nicht vor. Dem Schreiben der Generalstaatsanwaltschaft Florenz vom 7. Oktober 2014 komme nicht die notwendige völkerrechtliche Verbindlichkeit zu. Das Oberlandesgericht habe die fehlende ausdrückliche Zusicherung nicht durch eine eigenständige Würdigung des Schreibens der Generalstaatsanwaltschaft Florenz vom 7. Oktober 2014 ersetzen dürfen. Es hätte überprüfen müssen, ob dieser Zusicherung mit absoluter Sicherheit vertraut werden könne. Bestehende Aufklärungsmöglichkeiten, etwa die Einholung eines Sachverständigengutachtens des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht, habe es nicht ausgeschöpft.

27

Dem Schreiben der Generalstaatsanwaltschaft Florenz lasse sich auch nicht entnehmen, in welcher Weise und in welchem Rechtszug neu verhandelt würde. Da Art. 175 CPP nur die Wiedereinsetzung in die Berufungsfrist gewähre, sei nach italienischem Strafverfahrensrecht (Art. 593 ff. CPP) eine erneute Beweisaufnahme nicht garantiert. Das Berufungsverfahren sei ein reines "Aktenverfahren", bei dem es nur in Ausnahmefällen zu einer erneuten Beweisaufnahme komme. Dies hänge davon ab, ob dem Beschwerdeführer der Nachweis der Unkenntnis von dem in Abwesenheit gegen ihn geführten Verfahren gelinge. Ob eine neue Beweisaufnahme durchgeführt werde, stehe zudem im Ermessen des Richters. Dem Schreiben der Generalstaatsanwaltschaft lasse sich nicht entnehmen, dass mit der neuen Verhandlung eine erstinstanzliche Hauptverhandlung gemeint sei.

IV.

28

Die Akten des Ausgangsverfahrens haben dem Senat vorgelegen. Der Deutsche Bundestag, der Bundesrat, die Bundesregierung, alle Landesregierungen, der Generalbundesanwalt und die Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf hatten Gelegenheit zur Äußerung. Von den Äußerungsberechtigten hat nur der Generalbundesanwalt Stellung genommen. Er hält die Verfassungsbeschwerde für unbegründet.

29

Die Rechtsanwendung durch das Oberlandesgericht sei verfassungsrechtlich unbedenklich. Die fachgerichtliche Würdigung der Erklärungen der italienischen Strafverfolgungsbehörden sei jedenfalls vertretbar. Die Erklärung der Generalstaatsanwaltschaft Florenz vom 7. Oktober 2014 habe das Oberlandesgericht als völkerrechtlich verbindliche Zusicherung eines neuen Verfahrens unter Wahrung der vollständigen Verteidigungsrechte des Beschwerdeführers verstehen dürfen. Die Erklärung enthalte sowohl die Zusicherung eines Verfahrens, in welchem der Tatvorwurf in tatsächlicher Hinsicht geprüft werde, als auch der Wahrung der Verteidigungsrechte.

30

Das Oberlandesgericht sei verfassungsrechtlich nicht gehalten gewesen, den Sachverhalt weiter aufzuklären. Es sei von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, dass das Oberlandesgericht der Erklärung der Generalstaatsanwaltschaft Florenz vertraue. Italien sei ein Mitgliedstaat der Europäischen Union, der bei der Anwendung seiner nationalen Rechtsnormen an die Vorgaben der Rahmenbeschlüsse der Europäischen Union und die Europäische Menschenrechtskonvention gebunden sei. Dass Italien die eingegangenen völkerrechtlichen Verpflichtungen verletzen würde, habe das Oberlandesgericht nicht unterstellen müssen, zumal dies dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung zuwiderlaufe, der das Recht der Europäischen Union präge.

31

Der Einwand des Beschwerdeführers, das Oberlandesgericht habe die Regelungen des italienischen Strafverfahrensrechts unzureichend interpretiert, gehe fehl. Die Behauptung, aus der Rechtsprechung der italienischen Corte di Cassazione ergebe sich, dass auf Verurteilungen, die vor dem 28. April 2014 erfolgt seien, Art. 175 CPP in seiner früheren Fassung anzuwenden sei, greife nicht durch. Eine solche Lesart sei im Antragsvorbringen nicht belegt. Dass die italienische Corte di Cassazione - unter eklatantem Bruch der Europäischen Menschenrechtskonvention und entgegen dem eindeutigen Willen des italienischen Gesetzgebers - zu der vor 2005 geltenden Rechtslage zurückgekehrt sei, erscheine derart fernliegend, dass es keiner weiteren Ausführungen hierzu bedurft habe. Zudem bezögen sich die Darlegungen des Beschwerdeführers primär auf die - offenbar im Jahr 2014 aufgehobene - Regelung zum Nichtigkeitsverfahren.

32

Der vom Beschwerdeführer behaupteten Umkehr der Beweislast zu seinen Lasten stehe jedenfalls die Auskunft der Generalstaatsanwaltschaft Florenz vom 7. Oktober 2014 entgegen, die die Anwendbarkeit der Beweislastregeln in der seit 2005 geltenden Fassung von Art. 175 CPP bestätigt habe. Dieser Fassung sei eine Beweislast zum Nachteil des Angeklagten nicht zu entnehmen. Das Oberlandesgericht habe deshalb keinen Grund zu der Annahme gehabt, der Antragsteller müsse - im Wiederaufnahmeverfahren - seine fehlende Kenntnis von dem gegen ihn in Abwesenheit geführten Verfahren beweisen.

33

In Anbetracht der Zusicherung der italienischen Behörden habe das Oberlandesgericht auch nicht der Frage nachgehen müssen, ob dem Beschwerdeführer die neue Hauptverhandlung in einem erstinstanzlichen Verfahren oder - bei mangelndem Erfolg eines Antrags auf Feststellung der Nichtigkeit des Abwesenheitsurteils aus dem Jahre 1992 - in einem Berufungsverfahren eröffnet würde. Es habe entscheidend darauf abstellen dürfen, dass der gegen den Beschwerdeführer erhobene Tatvorwurf nach seiner Überstellung in einer Tatsacheninstanz unter Wahrung sämtlicher Verteidigungsrechte geprüft werde. Die Erklärung der Generalstaatsanwaltschaft Florenz vom 7. Oktober 2014 sichere dies unter Buchstabe d zu. Im Übrigen genüge es den verfassungsrechtlichen Vorgaben, wenn der Beschwerdeführer nach seiner Überstellung seinen Anspruch auf rechtliches Gehör und wirksame Verteidigung in einem Verfahren wahrnehmen könne. Die Einhaltung dieser Mindestvoraussetzungen habe das Oberlandesgericht angesichts der vorliegenden Zusicherung als gewährleistet betrachten dürfen.

B.

34

Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig. Die strengen Voraussetzungen für eine Identitätskontrolle (vgl. Rn. 49) sind erfüllt. Im Kern zutreffend setzt sich die Beschwerdeschrift mit den verfassungsrechtlichen Aspekten von in Abwesenheit des Verfolgten ergangenen Strafurteilen sowie mit den damit zusammenhängenden Aufklärungspflichten der Gerichte auseinander. Aus der Verfassungsbeschwerde ergibt sich nachvollziehbar die Möglichkeit, dass dem Beschwerdeführer nach seiner Überstellung nach Italien kein Rechtsbehelf zur Verfügung stehen wird, durch den das in seiner Abwesenheit ergangene Strafurteil in einer Weise angefochten werden kann, die seine nach dem Grundgesetz unabdingbaren und von der Garantie der Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 GG umfassten Verteidigungsrechte gewährleistet (§ 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG). Wird die Verletzung der Menschenwürdegarantie geltend gemacht, so prüft das Bundesverfassungsgericht - ungeachtet der bisherigen Rechtsprechung zur Unzulässigkeit von Verfassungsbeschwerden und Vorlagen, mit denen die Verletzung in Grundrechten des Grundgesetzes durch sekundäres Gemeinschafts- beziehungsweise Unionsrecht gerügt wurde (vgl. BVerfGE 73, 339 <378 ff.>; 102, 147 <161 ff.>) - einen solchen schwerwiegenden Grundrechtsverstoß im Rahmen der Identitätskontrolle (vgl. BVerfGE 113, 273 <295 ff.>; 123, 267 <344, 353 f.>; 126, 286 <302 f.>; 129, 78 <100>; 134, 366 <384 f. Rn. 27>; dazu sogleich unter C.I.2.bis 5.).

C.

35

Die Verfassungsbeschwerde ist auch begründet. Die angegriffene Entscheidung verletzt den Beschwerdeführer in seinem Recht aus Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 23 Abs. 1 Satz 3 und Art. 79 Abs. 3 GG.

I.

36

Hoheitsakte der Europäischen Union und - soweit sie durch das Unionsrecht determiniert werden - Akte der deutschen öffentlichen Gewalt sind mit Blick auf den Anwendungsvorrang des Unionsrechts grundsätzlich nicht am Maßstab der im Grundgesetz verankerten Grundrechte zu messen (1.). Der Anwendungsvorrang findet seine Grenze jedoch in den durch Art. 23 Abs. 1 Satz 3 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG für integrationsfest erklärten Grundsätzen der Verfassung (2.). Dazu gehören namentlich die Grundsätze des Art. 1 GG einschließlich des in der Menschenwürdegarantie verankerten Schuldprinzips im Strafrecht (3.). Die Gewährleistung dieser Grundsätze ist auch bei der Anwendung des Rechts der Europäischen Union oder unionsrechtlich determinierter Vorschriften durch die deutsche öffentliche Gewalt im Einzelfall sicherzustellen (4.). Eine Verletzung dieses unabdingbaren Maßes an Grundrechtsschutz kann vor dem Bundesverfassungsgericht allerdings nur gerügt werden, wenn substantiiert dargelegt wird, dass die Würde des Menschen im konkreten Fall tatsächlich beeinträchtigt wird (5.).

37

1. Nach Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG wirkt die Bundesrepublik Deutschland an der Gründung und Fortentwicklung der Europäischen Union mit. Für den Erfolg der Europäischen Union ist die einheitliche Geltung ihres Rechts von zentraler Bedeutung (vgl. BVerfGE 73, 339 <368>; 123, 267 <399>; 126, 286 <301 f.>). Als Rechtsgemeinschaft von derzeit 28 Mitgliedstaaten könnte sie nicht bestehen, wenn die einheitliche Geltung und Wirksamkeit ihres Rechts nicht gewährleistet wäre (vgl. grundlegend EuGH, Urteil vom 15. Juli 1964, Costa/ENEL, 6/64, Slg. 1964, S. 1251 <1269 f.>). Art. 23 Abs. 1 GG enthält insoweit auch ein Wirksamkeits- und Durchsetzungsversprechen für das unionale Recht (vgl. BVerfGE 126, 286 <302>).

38

Mit der in Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG enthaltenen Ermächtigung, Hoheitsrechte auf die Europäische Union zu übertragen, billigt das Grundgesetz daher die im Zustimmungsgesetz zu den Verträgen enthaltene Einräumung eines Anwendungsvorrangs zugunsten des Unionsrechts. Der Anwendungsvorrang des Unionsrechts vor nationalem Recht gilt grundsätzlich auch mit Blick auf entgegenstehendes nationales Verfassungsrecht (vgl. BVerfGE 129, 78 <100>) und führt bei einer Kollision im konkreten Fall in aller Regel zu dessen Unanwendbarkeit (vgl. BVerfGE 126, 286 <301>).

39

Auf der Grundlage von Art. 23 Abs. 1 GG kann der Integrationsgesetzgeber nicht nur Organe und Stellen der Europäischen Union, soweit sie in Deutschland öffentliche Gewalt ausüben, von einer umfassenden Bindung an die Grundrechte und andere Gewährleistungen des Grundgesetzes freistellen, sondern auch deutsche Stellen, die Recht der Europäischen Union vollziehen (vgl. Streinz, Bundesverfassungsgerichtlicher Grundrechtsschutz und Europäisches Gemeinschaftsrecht, 1989, S. 247 ff.). Das gilt nicht zuletzt für die Gesetzgeber auf Bundes- und Landesebene, wenn diese Sekundär- oder Tertiärrecht umsetzen, ohne dabei über einen Gestaltungsspielraum zu verfügen (vgl. BVerfGE 118, 79 <95>; 122, 1 <20>). Umgekehrt sind die bei Bestehen eines Gestaltungsspielraums zur Ausfüllung erlassenen Rechtsakte einer verfassungsgerichtlichen Kontrolle zugänglich (vgl. BVerfGE 122, 1 <20 f.>; 129, 78 <90 f.>).

40

2. Der Anwendungsvorrang reicht jedoch nur soweit, wie das Grundgesetz und das Zustimmungsgesetz die Übertragung von Hoheitsrechten erlauben oder vorsehen (vgl. BVerfGE 73, 339 <375 f.>; 89, 155 <190>; 123, 267 <348 ff.>; 126, 286 <302>; 129, 78 <99>; 134, 366 <384 Rn. 26>). Der im Zustimmungsgesetz enthaltene Rechtsanwendungsbefehl kann nur im Rahmen der geltenden Verfassungsordnung erteilt werden (vgl. BVerfGE 123, 267 <402>). Grenzen für die Öffnung deutscher Staatlichkeit ergeben sich - jenseits des im Zustimmungsgesetz niedergelegten Integrationsprogramms in seiner konkreten Ausgestaltung - aus der in Art. 79 Abs. 3 GG niedergelegten Verfassungsidentität des Grundgesetzes (a). Dies ist mit dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit (Art. 4 Abs. 3 EUV) vereinbar (b) und wird auch dadurch bestätigt, dass sich im Verfassungsrecht der meisten anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union vergleichbare Grenzen finden (c).

41

a) Der Anwendungsvorrang des Unionsrechts wird im Wesentlichen durch die in Art. 23 Abs. 1 Satz 3 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG verfassungsänderungs- und integrationsfest ausgestaltete Verfassungsidentität des Grundgesetzes begrenzt (aa). Zu deren Sicherstellung dient die Identitätskontrolle durch das Bundesverfassungsgericht (bb).

42

aa) Soweit Maßnahmen eines Organs oder einer sonstigen Stelle der Europäischen Union Auswirkungen zeitigen, die die durch Art. 79 Abs. 3 GG in Verbindung mit den in Art. 1 und 20 GG niedergelegten Grundsätzen geschützte Verfassungsidentität berühren, gehen sie über die grundgesetzlichen Grenzen offener Staatlichkeit hinaus. Auf einer primärrechtlichen Ermächtigung kann eine derartige Maßnahme nicht beruhen, weil auch der mit der Mehrheit des Art. 23 Abs. 1 Satz 3 GG in Verbindung mit Art. 79 Abs. 2 GG entscheidende Integrationsgesetzgeber der Europäischen Union keine Hoheitsrechte übertragen kann, mit deren Inanspruchnahme eine Berührung der von Art. 79 Abs. 3 GG geschützten Verfassungsidentität einherginge (vgl. BVerfGE 113, 273 <296>; 123, 267 <348>; 134, 366 <384 Rn. 27>). Auf eine Rechtsfortbildung zunächst verfassungsmäßiger Einzelermächtigungen kann sie ebenfalls nicht gestützt werden, weil das Organ oder die Stelle der Europäischen Union damit ultra vires handelte (vgl. BVerfGE 134, 366 <384 Rn. 27>).

43

bb) Im Rahmen der Identitätskontrolle ist zu prüfen, ob die durch Art. 79 Abs. 3 GG für unantastbar erklärten Grundsätze durch eine Maßnahme der Europäischen Union berührt werden (vgl. BVerfGE 123, 267 <344, 353 f.>; 126, 286 <302>; 129, 78 <100>; 134, 366 <384 f. Rn. 27>). Diese Prüfung kann - wie der Solange-Vorbehalt (vgl. BVerfGE 37, 271 <277 ff.>; 73, 339 <387>; 102, 147 <161 ff.>) oder die Ultra-vires-Kontrolle (BVerfGE 58, 1 <30 f.>; 75, 223 <235, 242>; 89, 155 <188>; 123, 267 <353 ff.>; 126, 286 <302 ff.>; 134, 366 <382 ff. Rn. 23 ff.>) - im Ergebnis dazu führen, dass Unionsrecht in Deutschland in eng begrenzten Einzelfällen für unanwendbar erklärt werden muss. Um zu verhindern, dass sich deutsche Behörden und Gerichte ohne weiteres über den Geltungsanspruch des Unionsrechts hinwegsetzen, verlangt die europarechtsfreundliche Anwendung von Art. 79 Abs. 3 GG zum Schutz der Funktionsfähigkeit der unionalen Rechtsordnung und bei Beachtung des in Art. 100 Abs. 1 GG zum Ausdruck kommenden Rechtsgedankens aber, dass die Feststellung einer Verletzung der Verfassungsidentität dem Bundesverfassungsgericht vorbehalten bleibt (vgl. BVerfGE 123, 267 <354>). Dies wird auch durch die Regelung des Art. 100 Abs. 2 GG unterstrichen, nach der bei Zweifeln, ob eine allgemeine Regel des Völkerrechts Rechte und Pflichten für den Einzelnen erzeugt, das Bundesverfassungsgericht angerufen werden muss (vgl. BVerfGE 37, 271 <285>). Mit der Identitätskontrolle kann das Bundesverfassungsgericht auch im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG) befasst werden (vgl. BVerfGE 123, 267 <354 f.>).

44

b) Die Identitätskontrolle verstößt nicht gegen den Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit im Sinne von Art. 4 Abs. 3 EUV. Sie ist vielmehr in Art. 4 Abs. 2 Satz 1 EUV der Sache nach angelegt (vgl. zur Berücksichtigung der nationalen Identität auch EuGH, Urteil vom 2. Juli 1996, Kommission/Luxemburg, C-473/93, SIg. 1996, I-3207, Rn. 35; Urteil vom 14. Oktober 2004, Omega, C-36/02, Slg. 2004, I-9609, Rn. 31 ff.; Urteil vom 12. Juni 2014, Digibet und Albers, C-156/13, EU:C:2014:1756, Rn. 34) und entspricht insoweit auch den besonderen Gegebenheiten der Europäischen Union. Die Europäische Union ist ein Staaten-, Verfassungs-, Verwaltungs- und Rechtsprechungsverbund, der seine Grundlagen letztlich in völkerrechtlichen Verträgen der Mitgliedstaaten findet. Als Herren der Verträge entscheiden diese durch nationale Geltungsanordnungen darüber, ob und inwieweit das Unionsrecht im jeweiligen Mitgliedstaat Geltung und Vorrang beanspruchen kann (vgl. BVerfGE 75, 223 <242>; 89, 155 <190>; 123, 267 <348 f., 381 ff.>; 126, 286 <302 f.>; 134, 366 <384 Rn. 26>). Nicht entscheidend ist, ob die Geltungsanordnung - wie in Frankreich (Art. 55 FrzVerf.), Österreich (Bundesverfassungsgesetz über den Beitritt Österreichs zur Europäischen Union, BGBl für die Republik Österreich Nr. 744/1994) oder Spanien (Art. 96 Abs. 1 SpanVerf.) - im nationalen Verfassungsrecht oder - wie in Großbritannien - im Zustimmungsgesetz (European Communities Act 1972; vgl. Court of Appeal, Macarthys v. Smith, <1981> 1 All ER 111 <120>; Macarthys v. Smith, <1979> 3 All ER 325 <329>; House of Lords, Garland v. British Rail Engineering, <1982> 2 All ER 402 <415>) ausdrücklich niedergelegt ist, ob sie - wie in Deutschland - aufgrund einer systematischen, teleologischen und historischen Auslegung dem Zustimmungsgesetz entnommen oder ob die Nachrangigkeit des nationalen Rechts gegenüber dem Unionsrecht - wie in Italien - durch eine einzelfallbezogene Handhabung des nationalen Rechts erreicht wird (vgl. Corte Costituzionale, Entscheidung Nr. 170/1984, Granital, EuGRZ 1985, S. 98).

45

Es bedeutet daher keinen Widerspruch zur Europarechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes (Präambel, Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG), wenn das Bundesverfassungsgericht unter eng begrenzten Voraussetzungen die Maßnahme eines Organs oder einer Stelle der Europäischen Union für in Deutschland ausnahmsweise nicht anwendbar erklärt (vgl. BVerfGE 37, 271 <280 ff.>; 73, 339 <374 ff.>; 75, 223 <235, 242>; 89, 155 <174 f.>; 102, 147 <162 ff.>; 123, 267 <354, 401>).

46

Eine substantielle Gefahr für die einheitliche Anwendung des Unionsrechts ergibt sich daraus nicht. Zum einen wird gerade im Hinblick auf die hier in Rede stehenden Grundsätze des Art. 1 GG eine Verletzung schon deshalb nur selten vorkommen, weil Art. 6 EUV, die Charta der Grundrechte und die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union in der Regel einen wirksamen Schutz der Grundrechte gegenüber Maßnahmen von Organen, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Europäischen Union gewährleisten (vgl. nur EuGH, Urteil vom 9. November 2010, Schecke und Eifert, C-92/09 und C-93/09, Slg. 2010, I-11063, Rn. 43 ff.; Urteil vom 8. April 2014, Digital Rights Ireland und Seitlinger, C-293/12 und C-594/12, EU:C:2014:238, Rn. 23 ff.; Urteil vom 13. Mai 2014, Google Spain und Google, C-131/12, EU:C:2014:317, Rn. 42 ff., 62 ff., 89 ff.; Urteil vom 6. Oktober 2015, Schrems, C-362/14, EU:C:2015:650, Rn. 91 ff.). Zum anderen sind die dem Bundesverfassungsgericht vorbehaltenen Kontrollbefugnisse zurückhaltend und europarechtsfreundlich auszuüben (vgl. BVerfGE 126, 286 <303>). Soweit erforderlich, legt es seiner Prüfung dabei die Maßnahme in der Auslegung zugrunde, die ihr in einem Vorabentscheidungsverfahren gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV durch den Gerichtshof der Europäischen Union gegeben wurde. Das gilt nicht nur im Rahmen der Ultra-vires-Kontrolle, sondern auch vor der Feststellung der Unanwendbarkeit einer Maßnahme von Organen, Einrichtungen oder sonstigen Stellen der Europäischen Union in Deutschland wegen einer Berührung der durch Art. 79 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 1 und 20 GG geschützten Verfassungsidentität (vgl. BVerfGE 123, 267 <353>; 126, 286 <304>; 134, 366 <385 Rn. 27>).

47

c) Die Vereinbarkeit der verfassungsgerichtlichen Identitätskontrolle mit dem Unionsrecht wird zusätzlich dadurch unterstrichen, dass sich, mit Modifikationen im Detail, auch im Verfassungsrecht zahlreicher anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Union Vorkehrungen zum Schutz der Verfassungsidentität und der Grenzen der Übertragung von Souveränitätsrechten auf die Europäische Union finden (vgl. insoweit BVerfGE 134, 366 <387 Rn. 30>). Die weitaus überwiegende Zahl der Verfassungs- und Obergerichte der anderen Mitgliedstaaten teilt für ihren jeweiligen Zuständigkeitsbereich die Auffassung des Bundesverfassungsgerichts, dass der (Anwendungs-)Vorrang des Unionsrechts nicht unbegrenzt gilt, sondern dass ihm durch das nationale (Verfassungs-)Recht Grenzen gezogen werden (vgl. für das Königreich Dänemark: Højesteret, Urteil vom 6. April 1998 - I 361/1997 -, Abschn. 9.8; für die Republik Estland: Riigikohus, Urteil vom 12. Juli 2012 - 3-4-1-6-12 -, Abs.-Nr. 128, 223; für die Französische Republik: Conseil Constitutionnel, Entscheidung Nr. 2006-540 DC vom 27. Juli 2006, 19. Erwägungsgrund; Entscheidung Nr. 2011-631 DC vom 9. Juni 2011, 45. Erwägungsgrund; Conseil d'État, Urteil vom 8. Februar 2007, Nr. 287110 , Société Arcelor Atlantique et Lorraine, EuR 2008, S. 57 <60 f.>; für Irland: Supreme Court of Ireland, Crotty v. An Taoiseach, <1987>, I.R. 713 <783>; S.P.U.C. Ltd. v. Grogan, <1989>, I.R. 753 <765>; für die Italienische Republik: Corte Costituzionale, Entscheidung Nr. 98/1965, Acciaierie San Michele, EuR 1966, S. 146; Entscheidung Nr. 183/1973, Frontini, EuR 1974, S. 255; Entscheidung Nr. 170/1984, Granital, EuGRZ 1985, S. 98; Entscheidung Nr. 232/1989, Fragd; Entscheidung Nr. 168/1991; Entscheidung Nr. 117/1994, Zerini; für die Republik Lettland: Satversmes tiesa, Urteil vom 7. April 2009 - 2008-35-01 -, Abs.-Nr. 17; für die Republik Polen: Trybunal Konstytucyjny, Urteile vom 11. Mai 2005 - K 18/04 -, Rn. 4.1., 10.2.; vom 24. November 2010 - K 32/09 -, Rn. 2.1. ff.; vom 16. November 2011 - SK 45/09 -, Rn. 2.4., 2.5.; für das Königreich Spanien: Tribunal Constitucional, Erklärung vom 13. Dezember 2004, DTC 1/2004, Punkt 2 der Entscheidungsgründe, EuR 2005, S. 339 <343> und Entscheidung vom 13. Februar 2014, STC 26/2014, Punkt 3 der Entscheidungsgründe, HRLJ 2014, S. 475 <477 f.>; für die Tschechische Republik: Ústavni Soud, Urteil vom 8. März 2006, Pl. ÚS 50/04, Abschn. VI.B.; Urteil vom 3. Mai 2006, Pl. ÚS 66/04, Rn. 53; Urteil vom 26. November 2008, Pl. ÚS 19/08, Rn. 97, 113, 196; Urteil vom 3. November 2009, Pl. ÚS 29/09, Rn. 110 ff.; Urteil vom 31. Januar 2012, Pl. ÚS 5/12, Abschn. VII.; für das Vereinigte Königreich: High Court, Urteil vom 18. Februar 2002, Thoburn v. Sunderland City Council, <2002> EWHC 195 , Abs.-Nr. 69; UK Supreme Court, Urteil vom 22. Januar 2014, R v. The Secretary of State for Transport, <2014> UKSC 3, Abs.-Nr. 79, 207; Urteil vom 25. März 2015, Pham v. Secretary of State for the Home Department, <2015> UKSC 19, Abs.-Nr. 54, 58, 72 bis 92).

48

3. Zu den Schutzgütern der in Art. 79 Abs. 3 GG niedergelegten Verfassungsidentität, die auch vor Eingriffen durch die supranational ausgeübte öffentliche Gewalt geschützt sind, gehören die Grundsätze des Art. 1 GG, also die Verpflichtung aller staatlichen Gewalt, die Würde des Menschen zu achten und zu schützen (Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG), aber auch der in der Menschenwürdegarantie des Art. 1 Abs. 1 GG verankerte Grundsatz, dass jede Strafe Schuld voraussetzt (vgl. BVerfGE 123, 267 <413>).

49

4. Die in Art. 23 Abs. 1 Satz 3 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG für integrationsfest erklärten Schutzgüter dulden auch keine Relativierung im Einzelfall (vgl. BVerfGE 113, 273 <295 ff.>; 123, 267 <344>; 126, 286 <302 f.>; 129, 78 <100>; 129, 124 <177 ff.>; 132, 195 <239 ff. Rn. 106 ff.>; 134, 366 <384 ff. Rn. 27 ff.>). Dies gilt insbesondere mit Blick auf Art. 1 Abs. 1 GG. Die Menschenwürde stellt den höchsten Rechtswert innerhalb der verfassungsmäßigen Ordnung dar (vgl. BVerfGE 27, 1 <6>; 30, 173 <193>; 32, 98 <108>; 117, 71 <89>). Ihre Achtung und ihr Schutz gehören zu den Konstitutionsprinzipien des Grundgesetzes (vgl. BVerfGE 45, 187 <227>; 131, 268 <286>; stRspr), denen auch der in der Präambel und in Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG zum Ausdruck kommende Integrationsauftrag und die Europarechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes (vgl. BVerfGE 123, 267 <354>; 126, 286 <303>; 129, 124 <172>; 132, 287 <292 Rn. 11>) Rechnung tragen müssen. Vor diesem Hintergrund gewährleistet das Bundesverfassungsgericht im Wege der Identitätskontrolle den gemäß Art. 23 Abs. 1 Satz 3 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 und Art. 1 Abs. 1 GG unabdingbar gebotenen Grundrechtsschutz uneingeschränkt und im Einzelfall.

50

5. Die strengen Voraussetzungen für eine Aktivierung der Identitätskontrolle schlagen sich in erhöhten Zulässigkeitsanforderungen an entsprechende Verfassungsbeschwerden nieder. Es muss im Einzelnen substantiiert dargelegt werden, inwieweit im konkreten Fall die durch Artikel 1 GG geschützte Garantie der Menschenwürde verletzt ist.

II.

51

Die angegriffene Entscheidung des Oberlandesgerichts überschreitet die durch Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 23 Abs. 1 Satz 3 und Art. 79 Abs. 3 GG gezogenen Grenzen. Der Vollzug des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl betrifft das Schuldprinzip, das in der Garantie der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) und im Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) wurzelt und Teil der unverfügbaren Verfassungsidentität des Grundgesetzes ist (1.). Dies rechtfertigt und gebietet eine auf dieses Schutzgut beschränkte Prüfung der Entscheidung des Oberlandesgerichts am Maßstab des Grundgesetzes, obwohl diese unionsrechtlich determiniert ist (2.). Zwar genügen die der Entscheidung zugrunde liegenden Vorgaben des Unionsrechts und das zu dessen Umsetzung ergangene deutsche Recht den Anforderungen des Art. 1 Abs. 1 GG, da sie die notwendigen Rechte des Verfolgten bei Auslieferungen zur Vollstreckung von in Abwesenheit ergangenen Strafurteilen gewährleisten und eine angemessene Sachverhaltsaufklärung der mit der Auslieferung befassten Gerichte nicht nur zulassen, sondern fordern (3.). Ihre Anwendung durch das Oberlandesgericht verletzt das Schuldprinzip und damit den Beschwerdeführer jedoch in seinem Grundrecht aus Art. 1 Abs. 1 GG, weil sie der Bedeutung und Tragweite der Menschenwürde bei der Auslegung der Bestimmungen des Rahmenbeschlusses und des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen nicht hinreichend Rechnung trägt (4.).

52

1. Durch den Vollzug des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl kann Art. 1 Abs. 1 GG verletzt werden, weil bei einer Auslieferung zur Vollstreckung eines in Abwesenheit des Verfolgten ergangenen Strafurteils eine strafrechtliche Reaktion auf ein sozialethisches Fehlverhalten durchgesetzt wird, die ohne Feststellung der individuellen Vorwerfbarkeit mit der Garantie der Menschenwürde und dem Rechtsstaatsprinzip unvereinbar wäre (a). Auch in dem unionsrechtlich determinierten Verfahren der Auslieferung aufgrund eines Europäischen Haftbefehls müssen daher die der Ermittlung des wahren Sachverhalts dienenden rechtsstaatlichen Mindestgarantien an Verfahrensrechten des Beschuldigten sichergestellt sein, die zur Verwirklichung des materiellen Schuldprinzips erforderlich sind (b).

53

a) Das Strafrecht beruht auf dem Schuldgrundsatz (BVerfGE 123, 267 <413>; 133, 168 <197 Rn. 53>). Dieser den gesamten Bereich staatlichen Strafens beherrschende Grundsatz ist in der Garantie der Würde und Eigenverantwortlichkeit des Menschen sowie im Rechtsstaatsprinzip verankert (vgl. BVerfGE 45, 187 <259 f.>; 86, 288 <313>; 95, 96 <140>; 120, 224 <253 f.>; 130, 1 <26>; 133, 168 <197 Rn. 53>). Mit seiner Grundlage in der Menschenwürdegarantie des Art. 1 Abs. 1 GG gehört der Schuldgrundsatz zu der wegen Art. 79 Abs. 3 GG unverfügbaren Verfassungsidentität, die auch vor Eingriffen durch die supranational ausgeübte öffentliche Gewalt geschützt ist (vgl. BVerfGE 123, 267 <413>). Er muss daher auch bei einer Auslieferung zur Vollstreckung eines in Abwesenheit des Verfolgten ergangenen Strafurteils gewahrt werden.

54

aa) Der Grundsatz "Keine Strafe ohne Schuld" (nulla poena sine culpa) setzt die Eigenverantwortung des Menschen voraus, der sein Handeln selbst bestimmt und sich kraft seiner Willensfreiheit zwischen Recht und Unrecht entscheiden kann. Dem Schutz der Menschenwürde in Art. 1 Abs. 1 GG liegt die Vorstellung vom Menschen als einem geistig-sittlichen Wesen zugrunde, das darauf angelegt ist, sich in Freiheit selbst zu bestimmen und zu entfalten (vgl. BVerfGE 45, 187 <227>; 123, 267 <413>; 133, 168 <197 Rn. 54>). Deshalb bestimmt Art. 1 Abs. 1 GG auf dem Gebiet der Strafrechtspflege die Auffassung vom Wesen der Strafe und dem Verhältnis von Schuld und Sühne (vgl. BVerfGE 95, 96 <140>) sowie den Grundsatz, dass jede Strafe Schuld voraussetzt (vgl. BVerfGE 57, 250 <275>; 80, 367 <378>; 90, 145 <173>; 123, 267 <413>; 133, 168 <197 f. Rn. 54>). Mit der Strafe wird dem Täter ein sozialethisches Fehlverhalten vorgeworfen (vgl. BVerfGE 20, 323 <331>; 95, 96 <140>; 110, 1 <13>; 133, 168 <198 Rn. 54>). Das damit verbundene Unwerturteil berührt den Betroffenen in seinem in der Menschenwürde wurzelnden Wert- und Achtungsanspruch (vgl. BVerfGE 96, 245 <249>; 101, 275 <287>). Eine solche staatliche Reaktion wäre ohne Feststellung der individuellen Vorwerfbarkeit mit der Garantie der Menschenwürde und dem Rechtsstaatsprinzip unvereinbar (vgl. BVerfGE 20, 323 <331>; 95, 96 <140>; 133, 168 <198 Rn. 54>).

55

bb) Der Schuldgrundsatz ist somit zugleich ein zwingendes Erfordernis des Rechtsstaatsprinzips. Das Rechtsstaatsprinzip ist eines der elementaren Prinzipien des Grundgesetzes (BVerfGE 20, 323 <331>; 133, 168 <198 Rn. 55>). Es sichert den Gebrauch der Freiheitsrechte, indem es Rechtssicherheit gewährt, die Staatsgewalt an das Gesetz bindet und Vertrauen schützt (BVerfGE 95, 96 <130>). Das Rechtsstaatsprinzip umfasst als eine der Leitideen des Grundgesetzes auch die Forderung nach materieller Gerechtigkeit (vgl. BVerfGE 7, 89 <92>; 7, 194 <196>; 45, 187 <246>; 74, 129 <152>; 122, 248 <272>) und schließt den Grundsatz der Rechtsgleichheit als eines der grundlegenden Gerechtigkeitspostulate ein (vgl. BVerfGE 84, 90 <121>). Für den Bereich des Strafrechts werden diese rechtsstaatlichen Anliegen in dem Grundsatz aufgenommen, dass keine Strafe ohne Schuld verwirkt wird (BVerfGE 95, 96 <130 f.>; 133, 168 <198 Rn. 55>). Gemessen an der Idee der Gerechtigkeit müssen Straftatbestand und Rechtsfolge sachgerecht aufeinander abgestimmt sein (vgl. BVerfGE 20, 323 <331>; 25, 269 <286>; 27, 18 <29>; 50, 205 <214 f.>; 120, 224 <241>; stRspr). Die Strafe muss in einem gerechten Verhältnis zur Schwere der Tat und zum Verschulden des Täters stehen (vgl. BVerfGE 20, 323 <331>; 45, 187 <228>; 50, 5 <12>; 73, 206 <253>; 86, 288 <313>; 96, 245 <249>; 109, 133 <171>; 110, 1 <13>; 120, 224 <254>; 133, 168 <198 Rn. 55>). In diesem Sinne hat die Strafe die Bestimmung, gerechter Schuldausgleich zu sein (vgl. BVerfGE 45, 187 <253 f.>; 109, 133 <173>; 120, 224 <253 f.>; 133, 168 <198 Rn. 55>).

56

b) Die Verwirklichung des Schuldgrundsatzes ist gefährdet, wenn die Ermittlung des wahren Sachverhalts nicht sichergestellt ist (aa). Die Zumessung einer angemessenen Strafe, die zugleich einen sittlich-ethischen Vorwurf darstellt, setzt die Auseinandersetzung mit der Persönlichkeit des Angeklagten und damit grundsätzlich dessen Anwesenheit voraus. Der Schuldgrundsatz macht daher Mindestgarantien von Beschuldigtenrechten im Strafprozess erforderlich, durch die gewährleistet wird, dass der Beschuldigte Umstände vorbringen und prüfen lassen kann, die zu seiner Entlastung führen oder für die Strafzumessung relevant sein können (bb). Diese Garantien müssen auch bei der Auslieferung zur Vollstreckung eines in Abwesenheit des Verfolgten ergangenen Strafurteils gewahrt werden (cc).

57

aa) Die Ermittlung des wahren Sachverhalts, ohne den sich das materielle Schuldprinzip nicht verwirklichen lässt, ist zentrales Anliegen des Strafprozesses (vgl. BVerfGE 57, 250 <275>; 118, 212 <231>; 122, 248 <270>; 130, 1 <26>; 133, 168 <199 Rn. 56>). Dessen Aufgabe ist es, den Strafanspruch des Staates um des Schutzes der Rechtsgüter Einzelner und der Allgemeinheit willen in einem justizförmigen Verfahren durchzusetzen und dem mit Strafe Bedrohten eine wirksame Sicherung seiner Grundrechte zu gewährleisten. Der Strafprozess hat das aus der Würde des Menschen als eigenverantwortlich handelnder Person und dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitete Prinzip, dass keine Strafe ohne Schuld verhängt werden darf, zu sichern und entsprechende verfahrensrechtliche Vorkehrungen bereitzustellen (vgl. BVerfGE 122, 248 <270>; 133, 168 <199 Rn. 56>). Dem Täter müssen Tat und Schuld prozessordnungsgemäß nachgewiesen werden (vgl. BVerfGE 9, 167 <169>; 74, 358 <371>; 133, 168 <199 Rn. 56>). Bis zum Nachweis der Schuld wird seine Unschuld vermutet (vgl. BVerfGE 35, 311 <320>; 74, 358 <371>; stRspr).

58

bb) Ziel und Aufgabe des Strafverfahrens ist es, die dem Täter und der Tat angemessene Strafe auszusprechen. Im deutschen Rechtskreis ist mit Strafe weit mehr als ein belastender Rechtseingriff oder ein Übel, das den Täter trifft, gemeint. Als Charakteristikum der Kriminalstrafe wird hier neben einem solchen Eingriff oder Übel mit dem Strafausspruch auch ein Tadel oder Vorwurf zum Ausdruck gebracht. Es handelt sich um einen sozial-ethischen Vorwurf oder um eine besondere sittliche Missbilligung. Mit Strafe im Sinne des Grundgesetzes ist also nicht nur der Vorwurf irgendeiner Rechtsverletzung gemeint, sondern die Verletzung eines Teils des Rechts, das eine tiefere, nämlich eine sozial-ethische Fundierung besitzt (vgl. BVerfGE 25, 269 <286>; 90, 145 <200 - abw. M.>; 95, 96 <140>; 96, 10 <25>; 96, 245 <249>; 109, 133 <167>; 109, 190 <217>; 120, 224 <240>; 123, 267 <408>; siehe im Vergleich hierzu die Bewertung von Geldbußen in BVerfGE 42, 261 <263>; aus der Literatur siehe nur Weigend, in: Leipziger Kommentar, Band 1, 12. Aufl. 2007, Einleitung Rn. 1; Radtke, in: MüKo, StGB, 2. Aufl. 2012, Vorbem. zu §§ 38 ff., Rn. 14; ders., GA 2011, S. 636 <646>; Roxin, Strafrecht AT, Band 1, 4. Aufl. 2006, § 3 Rn. 46, S. 89). Daraus folgt aber, dass eine Strafe, die die Persönlichkeit des Täters nicht umfassend berücksichtigt, keine der Würde des Angeklagten angemessene Strafe sein kann. Dies wiederum setzt grundsätzlich voraus, dass das Gericht in der öffentlichen Hauptverhandlung in Anwesenheit des Angeklagten einen Einblick in seine Persönlichkeit, seine Beweggründe, seine Sicht der Tat, des Opfers und der Tatumstände erhält. Jedenfalls muss für den Angeklagten das Recht gewährleistet sein, insbesondere rechtfertigende, entschuldigende oder strafmildernde Umstände dem Gericht persönlich, im Gegenüber von Angeklagtem und Richter, darzulegen. Denn der Vorwurf eines sozial-ethischen Fehlverhaltens ist ein die Persönlichkeit des Verurteilten treffender Vorwurf (vgl. BVerfGE 96, 245 <249>; 101, 275 <287>), der ihn in seinem Wert- und Achtungsanspruch, der in der Menschenwürde wurzelt, berührt.

59

cc) Die durch den Schuldgrundsatz gebotenen Mindestgarantien von Beschuldigtenrechten im Strafprozess sind auch bei der Entscheidung über die Auslieferung zur Vollstreckung eines in Abwesenheit des Verfolgten ergangenen Strafurteils zu beachten (1). Die deutschen Gerichte trifft insoweit eine "Gewährleistungsverantwortung" mit Blick auf den ersuchenden Staat (2).

60

(1) In ständiger Rechtsprechung geht das Bundesverfassungsgericht davon aus, dass bei der Auslieferung zur Vollstreckung von Abwesenheitsurteilen die unabdingbaren verfassungsrechtlichen Grundsätze (vgl. BVerfGE 59, 280 <282 ff.>; BVerfGK 3, 27 <32>; 3, 314 <317>; 6, 13 <18>; 6, 334 <341 f.>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 17. November 1986 - 2 BvR 1255/86 -, NJW 1987, S. 830 <830>; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 24. Januar 1991 - 2 BvR 1704/90 -, NJW 1991, S. 1411 <1411>) beziehungsweise der unverzichtbare Bestand der deutschen öffentlichen Ordnung (BVerfGE 63, 332 <338>) zu beachten sind. Der Senat hat daher die Auslieferung zur Vollstreckung eines in Abwesenheit des Verfolgten ergangenen ausländischen Strafurteils für unzulässig erklärt, sofern der Verfolgte weder über die Tatsache der Durchführung und des Abschlusses des betreffenden Verfahrens unterrichtet noch ihm eine tatsächlich wirksame Möglichkeit eröffnet war, sich nach Erlangung dieser Kenntnis nachträglich rechtliches Gehör zu verschaffen und effektiv zu verteidigen (vgl. BVerfGE 63, 332 <338>; BVerfGK 3, 27 <32 f.>; 3, 314 <318>; 6, 13 <18>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 24. Januar 1991 - 2 BvR 1704/90 -, NJW 1991, S. 1411 <1411>).

61

Soll der Verfolgte im ersuchenden Staat nicht zum bloßen Objekt eines ihn betreffenden staatlichen Verfahrens gemacht werden, muss er die Möglichkeit haben, auf das Verfahren einzuwirken, sich persönlich zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen zu äußern, entlastende Umstände vorzutragen sowie deren Nachprüfung und gegebenenfalls auch Berücksichtigung zu erreichen.

62

(2) Die zuständigen Auslieferungsgerichte tragen insoweit auch für die Behandlung des Verfolgten im ersuchenden Staat Verantwortung. Zwar endet die grundrechtliche Verantwortlichkeit der deutschen öffentlichen Gewalt grundsätzlich dort, wo ein Vorgang in seinem wesentlichen Verlauf von einem fremden souveränen Staat nach dessen eigenem, von der Bundesrepublik Deutschland unabhängigen Willen gestaltet wird (vgl. BVerfGE 66, 39 <56 ff., 63 f.>). Gleichwohl darf die deutsche Hoheitsgewalt die Hand nicht zu Verletzungen der Menschenwürde durch andere Staaten reichen (vgl. BVerfGE 59, 280 <282 f.>; 60, 348 <355 ff.>; 63, 332 <337 f.>; 75, 1 <19>; 108, 129 <136 f.>; 113, 154 <162 f.>).

63

Das über die Auslieferung entscheidende Gericht trifft deshalb eine Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts, die ebenfalls dem Schutz von Art. 1 Abs. 1 GG unterfällt (a). Dies gilt unbeschadet des den europäischen Auslieferungsverkehr beherrschenden Grundsatzes des gegenseitigen Vertrauens (b).

64

(a) Inhalt und Umfang der prozessualen Aufklärungspflicht im gerichtlichen Auslieferungsverfahren lassen sich nicht abstrakt-generell festlegen, sondern hängen von den Gegebenheiten des Einzelfalls ab.

65

Zu dem von den deutschen Gerichten zu ermittelnden Sachverhalt gehört insbesondere die Behandlung, die der Verfolgte im ersuchenden Staat zu erwarten hat. Bei der Prüfung der Zulässigkeit der Auslieferung haben sie grundsätzlich die ihnen möglichen Ermittlungen zur Aufklärung einer behaupteten Verletzung der verfassungsrechtlichen Grundsätze von Amts wegen durchzuführen; den Betroffenen trifft insoweit keine Beweislast (vgl. BVerfGE 8, 81 <84 f.>; 52, 391 <406 f.>; 63, 215 <225>; 64, 46 <59>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 29. Mai 1996 - 2 BvR 66/96 -, EuGRZ 1996, S. 324 <326>; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 15. Dezember 1996 - 2 BvR 2407/96 -, juris, Rn. 6; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 9. September 2000 - 2 BvR 1560/00 -, NJW 2001, S. 3111 <3112>).

66

Umfang und Ausmaß der Ermittlungen, zu deren Vornahme das Gericht im Hinblick auf die Einhaltung des Schuldprinzips verpflichtet ist, richten sich nach Art und Gewicht der vom Verfolgten vorgetragenen Anhaltspunkte für eine Unterschreitung des durch Art. 1 Abs. 1 GG gebotenen Mindeststandards. Als Beweismittel kommen dabei sämtliche Erkenntnismittel in Betracht, die nach den Grundsätzen der Logik, allgemeiner Erfahrung oder wissenschaftlicher Erkenntnis geeignet sind oder geeignet sein können, die Überzeugung des Gerichts vom Vorhandensein entscheidungserheblicher Tatsachen und von der Richtigkeit einer Beurteilung oder Wertung von Tatsachen zu begründen (vgl. W.-R. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 21. Aufl. 2015, § 98 Rn. 3; Lagodny, in: Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5. Aufl. 2012, § 30 Rn. 22). Auch bietet sich eine Anfrage beim ersuchenden Staat an (vgl. § 30 Abs. 1, § 78 Abs. 1 IRG). Gegebenenfalls kann es erforderlich werden, ein Gutachten oder eine amtliche Auskunft einzuholen.

67

(b) Dies bedeutet nicht, dass die Grundlagen eines Auslieferungsersuchens von deutschen Gerichten stets umfassend nachvollzogen werden müssten. Gerade im europäischen Auslieferungsverkehr gilt der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens. Dieses Vertrauen kann jedoch erschüttert werden. Die Grundsätze, die den Auslieferungsverkehr auf völkerrechtlicher Grundlage beherrschen (aa), sind auf Auslieferungen im Vollzug des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl im hier in Rede stehenden Umfang übertragbar (bb).

68

(aa) Im Auslieferungsverkehr zwischen Deutschland und anderen Staaten ist dem ersuchenden Staat im Hinblick auf die Einhaltung der Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit und des Menschenrechtsschutzes grundsätzlich Vertrauen entgegenzubringen. Dieser Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens kann so lange Geltung beanspruchen, wie er nicht durch entgegenstehende Tatsachen erschüttert wird (vgl. BVerfGE 109, 13 <35 f.>; 109, 38 <61>). Ausnahmen sind nur in besonders gelagerten Fällen gerechtfertigt (vgl. BVerfGE 60, 348 <355 f.>; 63, 197 <206>; 109, 13 <33>; 109, 38 <59>).

69

Der Verfolgte hat - wie auch im asylrechtlichen Verfahren - eine Darlegungslast, mit der er den an der Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung beteiligten Stellen hinreichende Anhaltspunkte für ihre Ermittlungen geben muss (vgl. BVerfGK 6, 334 <342>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 29. Mai 1996 - 2 BvR 66/96 -, EuGRZ 1996, S. 324 <326>). Anlass zur Prüfung, ob die Auslieferung und die ihr zugrunde liegenden Akte mit dem vom Grundgesetz geforderten Mindeststandard an Grundrechtsschutz vereinbar sind, kann insbesondere bestehen, wenn ein ausländisches Strafurteil, zu dessen Vollstreckung ausgeliefert werden soll, in Abwesenheit des Verfolgten ergangen ist (vgl. BVerfGE 59, 280 <282 ff.>; 63, 332 <337>; BVerfGK 3, 27 <31 f.>; 6, 13 <17>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 24. Januar 1991 - 2 BvR 1704/90 -, NJW 1991, S. 1411 <1411>).

70

Eine entsprechende, im Auslieferungsverfahren erteilte, völkerrechtlich verbindliche Zusicherung ist grundsätzlich geeignet, etwaige Bedenken hinsichtlich der Zulässigkeit der Auslieferung auszuräumen, sofern nicht im Einzelfall zu erwarten ist, dass die Zusicherung nicht eingehalten wird (vgl. BVerfGE 63, 215 <224>; 109, 38 <62>; BVerfGK 2, 165 <172 f.>; 3, 159 <165>; 6, 13 <19>; 6, 334 <343>; 13, 128 <136>; 13, 557 <561>; 14, 372 <377>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 9. Dezember 2008 - 2 BvR 2386/08 -, juris, Rn. 16).

71

Die von einem Verfolgten behauptete Gefahr menschenrechtswidriger Behandlung steht einer Auslieferung nicht schon dann entgegen, wenn sie aufgrund eines bekanntgewordenen früheren Vorfalls nicht völlig ausgeschlossen werden kann. Vielmehr müssen begründete Anhaltspunkte für die Gefahr menschenrechtswidriger Behandlung vorliegen (vgl. BVerfGE 108, 129 <138>; BVerfG, Beschlüsse der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 22. Juni 1992 - 2 BvR 1901/91 -, juris, Rn. 4; vom 31. Mai 1994 - 2 BvR 1193/93 -, NJW 1994, S. 2883 <2884>; vom 29. Mai 1996 - 2 BvR 66/96 -, EuGRZ 1996, S. 324 <326>). Es müssen stichhaltige Gründe gegeben sein, nach denen gerade im konkreten Fall eine beachtliche Wahrscheinlichkeit besteht, dass in dem ersuchenden Staat die völkerrechtlichen Mindeststandards nicht beachtet werden. Auf konkrete Anhaltspunkte kommt es in der Regel nur dann nicht an, wenn in dem ersuchenden Staat eine ständige Praxis grober, offenkundiger oder massenhafter Verletzungen der Menschenrechte herrscht. Die Auslieferung in Staaten, die eine ständige Praxis umfassender und systematischer Menschenrechtsverletzungen aufweisen, wird regelmäßig die Wahrscheinlichkeit einer Verletzung der elementaren Grundsätze der deutschen verfassungsrechtlichen Ordnung begründen (vgl. BVerfGE 108, 129 <138 f.>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 15. Oktober 2007 - 2 BvR 1680/07 -, NVwZ 2008, S. 71 <72>).

72

(bb) Dies gilt, soweit es um die Gewährleistung des Schuldprinzips geht, auch für Auslieferungen, die auf der Grundlage des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl stattfinden.

73

Zwar ist einem Mitgliedstaat der Europäischen Union im Hinblick auf die Einhaltung der Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit und des Menschenrechtsschutzes grundsätzlich besonderes Vertrauen entgegenzubringen. Die Europäische Union bekennt sich zur Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und der Wahrung der Menschenrechte einschließlich der Rechte der Personen, die Minderheiten angehören (vgl. Art. 2 EUV). Ihre Mitgliedstaaten haben sich sämtlich der Europäischen Menschenrechtskonvention unterstellt. Soweit sie Unionsrecht durchführen, sind sie überdies an die Gewährleistungen der Charta der Grundrechte gebunden (vgl. Art. 51 Abs. 1 GRCh). Das Vertrauen in die Einhaltung der Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit und des Menschenrechtsschutzes umfasst namentlich die im Europäischen Haftbefehl getätigten Angaben des um Auslieferung ersuchenden Mitgliedstaats. Das für die Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung zuständige Gericht ist daher grundsätzlich nicht verpflichtet, bestehende Aufklärungsmöglichkeiten auszuschöpfen oder positiv festzustellen, dass dem um Auslieferung ersuchenden Mitgliedstaat hinsichtlich der Wahrung des Schuldprinzips vertraut werden kann.

74

Der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens wird jedoch dann erschüttert, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass im Falle einer Auslieferung die unverzichtbaren Anforderungen an den Schutz der Menschenwürde nicht eingehalten würden. Das über die Zulässigkeit der Auslieferung entscheidende Gericht trifft insoweit die Pflicht, Ermittlungen hinsichtlich der Rechtslage und der Praxis im ersuchenden Mitgliedstaat vorzunehmen, wenn der Betroffene hinreichende Anhaltspunkte für solche Ermittlungen dargelegt hat. Anlass zur Prüfung, ob die Auslieferung mit der Verfassungsidentität des Grundgesetzes vereinbar ist, besteht nicht allein deswegen, weil das Strafurteil, zu dessen Vollstreckung ausgeliefert werden soll, in Abwesenheit des Verfolgten ergangen ist. Ein Mitgliedstaat, der um die Auslieferung zur Vollstreckung einer in Abwesenheit des Verfolgten ergangenen Entscheidung nach Art. 4a Abs. 1 RbEuHb ersucht, erklärt durch seine ordnungsgemäß getätigten Angaben im Formblatt, dass der Verfolgte entweder tatsächlich von der Verhandlung und davon in Kenntnis gesetzt wurde, dass eine Entscheidung auch in seiner Abwesenheit ergehen kann (vgl. Art. 4a Abs. 1 Buchstabe a RbEuHb), dass der Verfolgte in Kenntnis der Verhandlung von einem Rechtsbeistand vertreten wurde (vgl. Art. 4a Abs. 1 Buchstabe b RbEuHb) oder dass der Verfolgte berechtigt ist, einen Rechtsbehelf gegen die Verurteilung einzulegen, bei dem der Sachverhalt, einschließlich neuer Beweismittel, erneut geprüft und die ursprünglich ergangene Entscheidung aufgehoben werden kann (vgl. Art. 4a Abs. 1 Buchstabe c und d RbEuHb).

75

Stellt sich nach Abschluss der Ermittlungen heraus, dass der vom Grundgesetz geforderte Mindeststandard vom ersuchenden Mitgliedstaat nicht eingehalten wird, darf das zuständige Gericht die Auslieferung nicht für zulässig erklären.

76

2. Die Absicherung des integrationsfesten Schuldprinzips rechtfertigt und gebietet eine auf diese verfahrensrechtlichen Mindestgarantien beschränkte Prüfung der Entscheidung des Oberlandesgerichts am Maßstab des Grundgesetzes, obwohl diese unionsrechtlich determiniert ist. Dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl kommt in der deutschen Rechtsordnung grundsätzlich Anwendungsvorrang zu (a). Dieser enthält nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union in Bezug auf die Auslieferung bei Abwesenheitsurteilen eine abschließende Regelung (b). Das entbindet das Oberlandesgericht jedoch nicht von der Verpflichtung, auch bei einer Auslieferung auf der Grundlage eines Europäischen Haftbefehls die Grundsätze des Art. 1 Abs. 1 GG in der Ausprägung des Schuldgrundsatzes sicherzustellen (c).

77

a) Am Anwendungsvorrang des Unionsrechts nehmen auch Rahmenbeschlüsse teil. In diesem Zusammenhang verlangt der Grundsatz der unionsrechtskonformen Auslegung, dass die nationalen Gerichte unter Berücksichtigung des gesamten innerstaatlichen Rechts und unter Anwendung der dort anerkannten Auslegungsmethoden alles tun, was in ihrer Zuständigkeit liegt, um die volle Wirksamkeit des Unionsrechts zu gewährleisten und zu einem Ergebnis zu gelangen, das mit dem von dem Rahmenbeschluss verfolgten Ziel in Einklang steht (vgl. EuGH, Urteil vom 5. Oktober 2004, Pfeiffer, C-397/01 bis C-403/01, Slg. 2004, I-8835, Rn. 115 f.; Urteil vom 5. September 2012, Lopes Da Silva Jorge, C-42/11, EU:C:2012:517, Rn. 56).

78

In der Sache hat der Gerichtshof bereits mehrfach festgestellt, dass die nationalen Justizbehörden die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls nur in den im Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl vorgesehenen Fällen ablehnen können (vgl. EuGH, Urteil vom 1. Dezember 2008, Leymann und Pustovarov, C-388/08 PPU, Slg. 2008, I-8993, Rn. 51; Urteil vom 30. Mai 2013, F., C-168/13 PPU, EU:C:2013:358, Rn. 36 m.w.N.). In der Rechtssache Melloni hat er betont, dass die Geltung des Rahmenbeschlusses nicht dadurch beeinträchtigt werden könne, dass ein Staat Vorschriften des nationalen Rechts, und hätten sie auch Verfassungsrang, gegen diesen ins Feld führt (vgl. EuGH, Urteil vom 26. Februar 2013, Melloni, C-399/11, EU:C:2013:107, Rn. 59). Grenzen einer rahmenbeschlusskonformen Auslegung des nationalen Rechts hat er bislang nicht thematisiert, obwohl das spanische Tribunal Constitucional seine Vorlage damit begründet hatte, dass die Auslieferung zur Vollstreckung von Abwesenheitsurteilen eine Verletzung des Wesensgehalts eines fairen Verfahrens im Sinne der spanischen Verfassung in einer Weise darstellen könne, die die Menschenwürde berühre (vgl. EuGH, a.a.O., Rn. 20; das spanische Tribunal Constitucional hat daraufhin allerdings betont, dass für den Fall, dass das Recht der Europäischen Union in seiner weiteren Entwicklung nicht mehr mit der spanischen Verfassung in Einklang zu bringen wäre, die Wahrung der Souveränität des spanischen Volkes und der Vorherrschaft, mit der sich die Verfassung versehen hat, in letzter Instanz verlangen könnten, die Probleme über die einschlägigen verfassungsrechtlichen Verfahren anzugehen, so Entscheidung vom 13. Februar 2014, STC 26/2014, Punkt 3 der Entscheidungsgründe, HRLJ 2014, S. 475 <478>).

79

b) Art. 4a RbEuHb regelt die Bedingungen, von denen Auslieferungen zur Vollstreckung von Abwesenheitsurteilen abhängig gemacht werden können, nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs abschließend.

80

Nach Art. 1 Abs. 2 RbEuHb vollstrecken die Mitgliedstaaten einen Europäischen Haftbefehl nach dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung und gemäß den Bestimmungen dieses Rahmenbeschlusses. Sie sind grundsätzlich verpflichtet, einem Europäischen Haftbefehl Folge zu leisten, und dürfen seine Vollstreckung nur in den Fällen an Bedingungen knüpfen, die in den Art. 3 bis 5 des Rahmenbeschlusses aufgeführt sind (vgl. EuGH, Urteil vom 1. Dezember 2008, Leymann und Pustovarov, C-388/08 PPU, Slg. 2008, I-8993, Rn. 51; Urteil vom 30. Mai 2013, F., C-168/13 PPU, EU:C:2013:358, Rn. 36 m.w.N.).

81

Die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls darf - wie im 10. Erwägungsgrund der Präambel zum Rahmenbeschluss vorgesehen - nach Auffassung des Gerichtshofs daher nur ausgesetzt werden, wenn eine schwere und anhaltende Verletzung der in Art. 6 Abs. 1 EUV enthaltenen Grundsätze durch einen Mitgliedstaat vorliegt und diese vom Rat gemäß Art. 7 Abs. 1 EUV mit den Folgen von Art. 7 Abs. 2 EUV festgestellt worden ist (vgl. EuGH, Urteil vom 30. Mai 2013, F., C-168/13 PPU, EU:C:2013:358, Rn. 49). Der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung beruhe auf dem gegenseitigen Vertrauen der Mitgliedstaaten darauf, dass die jeweiligen nationalen Rechtsordnungen in der Lage seien, einen gleichwertigen und wirksamen Schutz der auf Unionsebene und insbesondere in der Charta anerkannten Grundrechte zu bieten. Daher müssten Personen, gegen die ein Europäischer Haftbefehl erlassen worden sei, etwaige Rechtsschutzmöglichkeiten im Ausstellungsmitgliedstaat nutzen, um die Rechtmäßigkeit des Verfahrens der Strafverfolgung, der Strafvollstreckung oder der Verhängung einer freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung oder auch des strafrechtlichen Hauptverfahrens, das zur Verhängung dieser Strafe oder Maßregel geführt habe, in Frage zu stellen (vgl. EuGH, Urteil vom 22. Dezember 2010, Aguirre Zarraga, C-491/10 PPU, Slg. 2010, I-14247, Rn. 70 f.).

82

In der Rechtssache Melloni hat der Gerichtshof speziell mit Blick auf Art. 4a RbEuHb entschieden, dass die Vollstreckung eines Haftbefehls nicht von der Bedingung abhängig gemacht werden dürfe, dass die in Abwesenheit ausgesprochene Verurteilung im Ausstellungsmitgliedstaat überprüft werden könne (vgl. EuGH, Urteil vom 26. Februar 2013, Melloni, C-399/11, EU:C:2013:107, Rn. 46), wenn der Betroffene einer der vier in dieser Bestimmung aufgeführten Fallgestaltungen unterfalle (vgl. EuGH, a.a.O., Rn. 61). Überdies gestatte es auch Art. 53 GRCh den Mitgliedstaaten nicht, die Übergabe einer in Abwesenheit verurteilten Person von der Bedingung abhängig zu machen, dass die Verurteilung im Ausstellungsmitgliedstaat einer Überprüfung unterworfen werden könne (vgl. EuGH, a.a.O., Rn. 64).

83

c) Diese Vorgaben entbinden deutsche Behörden und Gerichte jedoch nicht von der Verpflichtung, auch bei einer Auslieferung zur Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls die Grundsätze des Art. 1 Abs. 1 GG sicherzustellen (Art. 23 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. Art. 79 Abs. 3 GG). Sie sind vielmehr gehalten, beim Vollzug des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl und des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen sicherzustellen, dass die von Art. 1 Abs. 1 GG geforderten Mindestgarantien von Beschuldigtenrechten auch im ersuchenden Mitgliedstaat beachtet werden, oder - wo dies nicht möglich ist - von einer Auslieferung abzusehen. Insoweit wird der den europäischen Auslieferungsverkehr beherrschende Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens durch die Garantie der Menschenwürde in Art. 1 Abs. 1 GG begrenzt. In diesem Umfang trifft das Gericht auch die beschriebene verfassungsrechtliche Ermittlungspflicht.

84

3. Einer unter Rückgriff auf Art. 79 Abs. 3 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG begründeten Begrenzung des dem Rahmenbeschluss zukommenden Anwendungsvorrangs bedarf es im vorliegenden Zusammenhang jedoch nicht, weil sowohl der Rahmenbeschluss selbst (a) als auch das diesen umsetzende Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (b) eine Auslegung gebieten, die den von Art. 1 Abs. 1 GG geforderten Mindestgarantien von Beschuldigtenrechten bei einer Auslieferung Rechnung trägt. Insofern genügen die einschlägigen Vorgaben des Unionsrechts den durch das Grundgesetz zur Absicherung des integrationsfesten Schuldprinzips gebotenen Mindestgarantien von Beschuldigtenrechten.

85

a) Die Pflicht, einem Europäischen Haftbefehl Folge zu leisten, ist schon unionsrechtlich begrenzt (vgl. Vogel, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der EU, Bd. I, Art. 82 AEUV Rn. 37 ; Gaede, NJW 2013, S. 1279 <1280>). Das Vertrauen zwischen den Mitgliedstaaten, das ausweislich des 10. Erwägungsgrundes der Präambel des Rahmenbeschlusses Grundlage für den Mechanismus des Europäischen Haftbefehls ist, kann erschüttert werden; erhebliche Grundrechtsverletzungen im Einzelfall sind selbst dann nicht ausgeschlossen, wenn die jeweiligen nationalen Rechtsordnungen grundsätzlich in der Lage sind, einen dem Grundgesetz gleichwertigen und wirksamen Schutz der Grundrechte zu bieten. Einem Europäischen Haftbefehl ist auch nach unionsrechtlichen Maßstäben nicht Folge zu leisten, wenn er den Anforderungen des Rahmenbeschlusses nicht genügt (aa) oder die Auslieferung mit einer Verletzung der unionalen Grundrechte einherginge (bb). Auch aus der Sicht des Unionsrechts gilt der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens insoweit nicht unbegrenzt (cc), so dass die Verweigerung der Auslieferung wegen eines Europäischen Haftbefehls zur Vollstreckung eines in Abwesenheit ergangenen Strafurteils unter bestimmten Voraussetzungen gerechtfertigt sein kann (dd).

86

aa) Nach Art. 4a Abs. 1 RbEuHb kann die vollstreckende Justizbehörde die Vollstreckung eines zur Vollstreckung einer Freiheitsstrafe ausgestellten Europäischen Haftbefehls verweigern, wenn nicht bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind.

87

Art. 4a Abs. 1 Buchstabe a und b RbEuHb sieht eine Pflicht zur Auslieferung zwecks Vollstreckung von Entscheidungen vor, die im Anschluss an eine Verhandlung ergangen sind, zu der die betroffene Person nicht persönlich erschienen ist, wenn diese Person tatsächlich offiziell von der Verhandlung und davon in Kenntnis gesetzt wurde, dass eine Entscheidung auch bei Abwesenheit ergehen kann, beziehungsweise diese Person in Kenntnis der Verhandlung von einem Rechtsbeistand vertreten wurde. Insofern handelt es sich um Fälle, in denen die Person auf ihr persönliches Anwesenheitsrecht aus freiem Willen und unmissverständlich verzichtet hat.

88

Art. 4a Abs. 1 Buchstabe c und d RbEuHb erfasst dagegen Konstellationen, in denen die betroffene Person berechtigt ist, einen Rechtsbehelf gegen die Verurteilung einzulegen, bei dem der Sachverhalt, einschließlich neuer Beweismittel, erneut geprüft werden und die ursprünglich ergangene Entscheidung aufgehoben werden kann. Dem Angeklagten wird es in diesen Fällen also ermöglicht, die ihm zur Last gelegten Vorwürfe durch ein Gericht auch in tatsächlicher Hinsicht überprüfen zu lassen. Das setzt voraus, dass auch das für ein eventuelles Rechtsbehelfsverfahren zuständige Gericht den Angeklagten anhört und prozessrechtlich dazu in der Lage ist, die ihm zur Last gelegten Vorwürfe nicht nur in rechtlicher, sondern auch in tatsächlicher Hinsicht zu prüfen. Soweit Art. 4a Abs. 1 Buchstabe d (i) RbEuHb ein Verfahren vorschreibt, bei dem der Sachverhalt, einschließlich neuer Beweismittel, erneut geprüft und die ursprüngliche Entscheidung aufgehoben werden "kann", wird dem mit der Sache befassten Gericht damit kein Ermessen eingeräumt. Das in Art. 4a Abs. 1 Buchstabe d (i) RbEuHb verwendete Verb "kann" dient vielmehr der Kennzeichnung der Befugnisse des Gerichts und bedeutet so viel wie "in der Lage ist". Treffender ist in der englischen Fassung von einem "retrial, or an appeal, in which the person has the right to participate and which allows the merits of the case, including fresh evidence, to be re-examined", die Rede oder in der französischen Fassung von einer "nouvelle procédure de jugement ou (…) une procédure d'appel, à laquelle l'intéressé a le droit de participer et qui permet de réexaminer l'affaire sur le fond, en tenant compte des nouveaux éléments de preuve".

89

Dieses Verständnis von Art. 4a Abs. 1 Buchstabe d (i) RbEuHb entspricht auch dem Willen des europäischen Gesetzgebers. Die Regelung wurde durch den Rahmenbeschluss 2009/299/JI des Rates vom 26. Februar 2009 zur Änderung der Rahmenbeschlüsse 2002/584/JI, 2005/214/JI, 2006/783/JI, 2008/909/JI und 2008/947/JI, zur Stärkung der Verfahrensrechte von Personen und zur Förderung der Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Entscheidungen, die im Anschluss an eine Verhandlung ergangen sind, zu der die betroffene Person nicht erschienen ist (ABl. Nr. L 81 vom 27. März 2009, S. 24 - "Rahmenbeschluss über Abwesenheitsurteile") in den Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl eingefügt. Ziel des Rahmenbeschlusses war es gemäß dessen Art. 1 Abs. 1, die Verfahrensrechte von Personen, gegen die ein Strafverfahren anhängig ist, zu stärken, zugleich die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen zu erleichtern und insbesondere die gegenseitige Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen zwischen den Mitgliedstaaten zu verbessern. Erwägungsgrund 11 des Rahmenbeschlusses über Abwesenheitsurteile lautet:

Die gemeinsamen Lösungen in Bezug auf die Gründe für die Nichtanerkennung in den einschlägigen geltenden Rahmenbeschlüssen sollten den unterschiedlichen Gegebenheiten in Bezug auf das Recht der betroffenen Person auf Wiederaufnahme des Verfahrens oder auf ein Berufungsverfahren Rechnung tragen. Eine solche Wiederaufnahme des Verfahrens oder Berufung bezweckt die Wahrung der Verteidigungsrechte und ist durch folgende Aspekte gekennzeichnet: Die betroffene Person hat das Recht, anwesend zu sein, der Sachverhalt, einschließlich neuer Beweismittel, wird (erneut) geprüft und das Verfahren kann zur Aufhebung der ursprünglich ergangenen Entscheidung führen.

Die Formulierung "der Sachverhalt, einschließlich neuer Beweismittel, wird (erneut) geprüft" zeigt, dass der Rat ersichtlich nicht von einem Ermessen des mit dem Berufungs- oder Wiederaufnahmeverfahren betrauten Richters, sondern davon ausging, dass die betroffene Person einen Anspruch darauf hat, dass die Beweismittel, die sie zu ihrer Entlastung vorbringt, erneut oder erstmals geprüft werden.

90

Teleologische Überlegungen erhärten diesen Befund. Könnte das Gericht von einer erneuten Prüfung des Sachverhalts gegen den Willen des in Abwesenheit Verurteilten absehen, könnte es eine erneute Prüfung der ihm zur Last gelegten Vorwürfe vereiteln. Der Verteidigung würde die Möglichkeit genommen, in einem Wiederaufnahmeverfahren die Zulassung neuer Beweise zu beantragen (vgl. EGMR, Jones v. Vereinigtes Königreich, Entscheidung vom 9. September 2003, Nr. 30900/02; EGMR , Sejdovic v. Italien, Urteil vom 1. März 2006, Nr. 56581/00, § 85). Die prozessuale Möglichkeit, das Abwesenheitsurteil anzufechten, würde sich in diesem Fall als unwirksam erweisen (vgl. auch EGMR, Colozza v. Italien, Urteil vom 12. Februar 1985, Nr. 9024/80, § 30; Medenica v. Schweiz, Urteil vom 14. Juni 2001, Nr. 20491/92, § 55).

91

bb) Auch die Bindung der Mitgliedstaaten der Europäischen Union an die Grundrechte (1), die Ausstrahlungswirkung der Grundrechtecharta auf das Sekundärrecht (2) sowie die Rechtsprechung des Europäischen Gerichthofes für Menschenrechte, die für die Bestimmung der sachlichen Tragweite des Art. 4a Abs. 1 RbEuHb beachtlich ist, sprechen für die dargelegte Auslegung des Art. 4a Abs. 1 Buchstabe d (i) RbEuHb (3).

92

(1) Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union dürfen - ungeachtet des Art. 7 EUV - einander nicht die Hand zu Menschenrechtsverletzungen reichen (Art. 6 Abs. 1 EUV; vgl. OLG München, Beschluss vom 15. Mai 2013 - OLG Ausl 31 Ausl A 442/13 <119/13> -, StV 2013, S. 710 <711>). Bei der Durchführung des Unionsrechts müssen sie die Unionsgrundrechte beachten (vgl. Art. 51 Abs. 1 GRCh; EuGH, Urteil vom 12. November 1969, Stauder, 29/69, Slg. 1969, S. 419, Rn. 7; Urteil vom 13. Juli 1989, Wachauf, 5/88, Slg. 1989, S. 2609, Rn. 19; Urteil vom 16. Juni 2005, Pupino, C-105/03, Slg. 2005, I-5285, Rn. 58 f.). Diese sind daher auch für die Auslegung (vgl. EuGH, Urteil vom 13. Dezember 1983, Kommission/Rat, C-218/82, Slg. 1983, S. 4063, Rn. 15; Urteil vom 16. Juni 2005, Pupino, C-105/03, Slg. 2005, I-5285, Rn. 58 ff.) und Rechtmäßigkeit (vgl. Art. 263, 267 Abs. 1 Buchstabe b AEUV; Art. 51 Abs. 1 GRCh; EuGH, Urteil vom 3. Mai 2007, Advocaten voor de Wereld, C-303/05, Slg. 2007, I-3633, Rn. 45; Urteil vom 26. Februar 2013, Melloni, C-399/11, EU:C:2013:107, Rn. 48 ff.) des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl maßgeblich.

93

In diesem Sinne heißt es in Art. 1 Abs. 3 RbEuHb ausdrücklich, dass der Rahmenbeschluss nicht die Pflicht berührt, die Grundrechte und die allgemeinen Rechtsgrundsätze, wie sie in Art. 6 EUV niedergelegt sind, zu achten. Nach dem 12. Erwägungsgrund achtet der Rahmenbeschluss die Grundrechte und wahrt die in Art. 6 EUV anerkannten Grundsätze, die in der Grundrechtecharta, insbesondere in deren Kapitel VI, zum Ausdruck kommen (Satz 1). Konsequenterweise darf keine Bestimmung des Rahmenbeschlusses in dem Sinne ausgelegt werden, dass eine Pflicht zur Übergabe einer Person besteht, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der genannte Haftbefehl zum Zwecke der Verfolgung oder Bestrafung einer Person aus Gründen ihres Geschlechts, ihrer Rasse, Religion, ethnischen Herkunft, Staatsangehörigkeit, Sprache oder politischen Überzeugung oder sexuellen Ausrichtung erlassen wurde oder dass die Stellung dieser Person aus einem dieser Gründe beeinträchtigt werden kann (Satz 2). Gemäß dem 13. Erwägungsgrund soll zudem niemand in einen Staat abgeschoben oder ausgewiesen oder an einen Staat ausgeliefert werden, in dem für sie oder ihn das ernsthafte Risiko der Todesstrafe, der Folter oder einer anderen unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung besteht.

94

Vor diesem Hintergrund ist ein Europäischer Haftbefehl dann nicht zu vollstrecken, wenn dem die gegenüber dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl vorrangige Grundrechtecharta entgegensteht (vgl. Kommissionsdokumente KOM <2006> 8 endgültig vom 24. Januar 2006, S. 7 und KOM <2011> 175 endgültig vom 11. April 2011, S. 7; BTDrucks 15/1718, S. 14; BRDrucks 70/06, S. 31; Schlussanträge GA Bot zu EuGH, Wolzenburg, C-123/08, Slg. 2009, I-9621, Rn. 147 ff. und zu EuGH, Mantello, C-261/09, Slg. 2010, I-11477, Rn. 87 f.; GA Cruz Villalón zu EuGH, I.B., C-306/09, Slg. 2010, I-10341, Rn. 43 f.; GA Mengozzi zu EuGH, Lopes da Silva Jorge, C-42/11, EU:C:2012:151, Rn. 28; GA Sharpston zu EuGH, Radu, C-396/11, EU:C:2012:648, Rn. 69 ff.).

95

Das wird durch die Entstehungsgeschichte des Rahmenbeschlusses bestätigt. Zwar konnte sich der Vorschlag, als weiteren Ablehnungsgrund vorzusehen, dass das Auslieferungsersuchen mit den Grundprinzipien des Vollstreckungsstaats oder der öffentlichen Ordnung unvereinbar ist, nicht durchsetzen. Dieser Vorschlag fand allerdings nur deshalb keinen Niederschlag im Text des Rahmenbeschlusses, weil sowohl in Art. 1 Abs. 3 RbEuHb als auch in den Erwägungsgründen 10, 12, 13 und 14 darauf verwiesen wird, dass für die strikte Wahrung der Grundrechte und individuellen Freiheiten, wie sie in der Europäischen Menschenrechtskonvention gewährleistet sind und sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten als allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechts ergeben (Art. 6 Abs. 2 EUV), Sorge zu tragen ist (vgl. RatsDok 14867/01 vom 4. Dezember 2001, S. 3).

96

(2) Die Grundrechtecharta verlangt im Hinblick auf Auslieferungen zur Vollstreckung von Abwesenheitsverurteilungen, dass auch das für ein eventuelles Rechtsbehelfsverfahren zuständige Gericht den Angeklagten hört und prozessrechtlich in der Lage ist, die diesem zur Last gelegten Vorwürfe nicht nur in rechtlicher, sondern auch in tatsächlicher Hinsicht zu prüfen.

97

Das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf ist ein allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts (vgl. EuGH, Urteil vom 15. Mai 1986, Johnston, C-222/84, Slg. 1986, S. 1651, Rn. 19; Erläuterungen zur Charta der Grundrechte, ABl EU Nr. C 303 vom 14. Dezember 2007, S. 17 <29>). Dazu gehört - als Teilgewährleistung - auch der Anspruch auf rechtliches Gehör in einem gerichtlichen Verfahren nach Art. 47 GRCh (vgl. Mayer, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Bd. I, nach Art. 6 EUV Rn. 369 ). Dieser Anspruch gewährleistet, dass der Richter erst nach der Anhörung der Parteien und der Würdigung der Beweismittel über den Antrag entscheidet und seine Entscheidung begründet (vgl. EuGH, Urteil vom 10. Dezember 1998, Schröder und Thamann/Kommission, C-221/97 P, Slg. 1998, I-8255, Rn. 24).

98

(3) Nach Art. 52 Abs. 3 Satz 1 GRCh haben die Rechte der Grundrechtecharta, soweit sie den durch die Europäische Menschenrechtskonvention garantierten Rechten entsprechen, die gleiche Bedeutung und Tragweite, wie sie ihnen in der Konvention verliehen wird. Das Recht der Union kann zwar einen weitergehenden Schutz gewähren (vgl. Art. 52 Abs. 3 Satz 2 GRCh); das Schutzniveau nach der Grundrechtecharta darf jedoch nicht unter jenes der Konvention sinken. Nach den Erläuterungen zur Grundrechtecharta entspricht Art. 47 Abs. 2 GRCh dem Art. 6 Abs. 1 EMRK und Art. 48 GRCh dem Art. 6 Abs. 2 und 3 EMRK (vgl. Erläuterungen zur Charta der Grundrechte, ABl EU Nr. C 303 vom 14. Dezember 2007, S. 17 <30>). Vor diesem Hintergrund stellen die Garantien des Art. 6 EMRK in der Auslegung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Mindestgarantien auch für den Rahmenbeschluss auf, hinter die dieser nicht zurückfallen darf.

99

Nach der Europäischen Menschenrechtskonvention ist eine Auslieferung unzulässig, wenn begründete Tatsachen ("substantial grounds") für die Annahme vorliegen, dass die betreffende Person im Falle ihrer Auslieferung einem realen Risiko ("real risk") der Folter, einer unmenschlichen oder herabwürdigenden Behandlung ausgesetzt wird (vgl. EGMR , Soering vs. Vereinigtes Königreich, Urteil vom 7. Juli 1989, Nr. 14038/88, § 91) oder eine eklatante Verweigerung eines fairen Verfahrens droht ("risks suffering a flagrant denial of a fair trial"; vgl. EGMR , Soering vs. Vereinigtes Königreich, Urteil vom 7. Juli 1989, Nr. 14038/88, § 113).

100

Insoweit verpflichtet Art. 6 EMRK jedes nationale Gericht zur Prüfung, ob der Verfolgte Kenntnis vom Verfahren erlangt hat (vgl. EGMR, Somogyi v. Italien, Urteil vom 18. Mai 2004, Nr. 67972/01, § 72). Art. 6 Abs. 1 EMRK gewährt zudem einen Anspruch auf rechtliches Gehör und in der Sache ein Recht auf ein kontradiktorisches Verfahren. Jede Partei muss grundsätzlich die Möglichkeit haben, Beweise anzubieten, und sich zu allen erbrachten Beweisen oder Vorbringen äußern können, die darauf gerichtet sind, die Entscheidung des Gerichts zu beeinflussen (vgl. EGMR, Mantovanelli v. Frankreich, Urteil vom 18. März 1997, Nr. 21497/93, § 33). Das Gericht hat die Pflicht, die Ausführungen und Beweisangebote der Parteien ernsthaft zu prüfen (vgl. EGMR, Van de Hurk v. Niederlande, Urteil vom 19. April 1994, Nr. 16034/90, § 59). In einem Strafverfahren bedeutet dies, dass sowohl die Staatsanwaltschaft als auch die Verteidigung die Möglichkeit haben müssen, zu Vortrag und Beweismitteln der anderen Seite Stellung zu nehmen (vgl. EGMR, Lietzow v. Deutschland, Urteil vom 13. Februar 2001, Nr. 24479/94, § 44).

101

Für ein faires Strafverfahren ist es von zentraler Bedeutung, dass der Angeklagte persönlich am Verfahren teilnimmt (vgl. EGMR, Poitrimol v. Frankreich, Urteil vom 23. November 1993, Nr. 14032/88, § 35). Das dient nicht nur allgemein seinem Anspruch auf rechtliches Gehör, sondern gibt dem Gericht auch die Möglichkeit, die Stichhaltigkeit seiner Aussagen zu prüfen und sie mit denen des Opfers und der Zeugen zu vergleichen (vgl. EGMR, a.a.O., § 35). Auch wenn dies nicht ausdrücklich in Art. 6 Abs. 1 EMRK angeführt wird, so folgt doch aus Sinn und Zweck dieses Rechts, dass eine Person, die einer Straftat angeklagt ist, das Recht hat, an der Verhandlung teilzunehmen (vgl. EGMR, Colozza v. Italien, Urteil vom 12. Februar 1985, Nr. 9024/80, § 27). Verfahren in Abwesenheit des Angeklagten können allerdings mit der Konvention vereinbar sein, wenn dieser auf sein Anwesenheits- und Verteidigungsrecht verzichtet hat oder ein Gericht die ihm zur Last gelegten Vorwürfe erneut in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht prüft, nachdem es den Angeklagten gehört hat (vgl. EGMR, Colozza v. Italien, Urteil vom 12. Februar 1985, Nr. 9024/80, § 29 f.; Medenica v. Schweiz, Urteil vom 14. Juni 2001, Nr. 20491/92, § 55).

102

Die Anwesenheit der Strafverteidigung - sei es im Ausgangsverfahren oder bei nochmaliger Prüfung - gehört zu den wesentlichen Anforderungen von Art. 6 EMRK. Ist es der Verteidigung in einem Wiederaufnahmeverfahren gestattet, an der Verhandlung vor dem (Berufungs-)Gericht teilzunehmen und die Zulassung neuer Beweise zu beantragen, ist eine neue Bewertung des Schuldvorwurfs in faktischer und rechtlicher Hinsicht möglich. Das Verfahren kann dann in seiner Gesamtheit als fair angesehen werden (vgl. EGMR, Jones v. Vereinigtes Königreich, Entscheidung vom 9. September 2003, Nr. 30900/02; EGMR , Sejdovic v. Italien, Urteil vom 1. März 2006, Nr. 56581/00, § 85). Umgekehrt führt die Weigerung des Gerichts, das Verfahren wiederzueröffnen, im Falle einer Abwesenheitsverurteilung - von den erwähnten Ausnahmen abgesehen - regelmäßig zu einem Verstoß gegen Art. 6 EMRK und die ihm zugrunde gelegten Prinzipien (vgl. EGMR, Stoichkov v. Bulgarien, Urteil vom 24. März 2005, Nr. 9808/02, § 56).

103

Ein Rechtsmittel muss in dieser Hinsicht effektiv sein. Deshalb darf dem Angeklagten nicht der Nachweis dafür obliegen, dass er sich einer Verurteilung nicht entziehen wollte oder seine Abwesenheit auf höhere Gewalt zurückgeht (vgl. EGMR, Colozza v. Italien, Urteil vom 12. Februar 1985, Nr. 9024/80, § 30). Den nationalen Behörden bleibt es allerdings unbenommen zu prüfen, ob der Angeklagte gute Gründe für seine Abwesenheit hatte oder ob sich in seiner Prozessakte etwas findet, das eine unverschuldete Abwesenheit stützt (vgl. EGMR, Medenica v. Schweiz, Urteil vom 14. Juni 2001, Nr. 20491/92, § 57; EGMR , Sejdovic v. Italien, Urteil vom 1. März 2006, Nr. 56581/00, § 88).

104

Verzichtet eine Person aus freiem Willen ausdrücklich oder konkludent auf die Garantie eines fairen Verfahrens, stehen dem weder Wortlaut noch Geist von Art. 6 EMRK entgegen (vgl. EGMR, Kwiatkowska v. Italien, Entscheidung vom 30. November 2000, Nr. 52868/99; Sejdovic v. Italien, Urteil vom 1. März 2006, Nr. 56581/00, § 86). Der Verzicht muss allerdings unmissverständlich ausgedrückt werden und gewissen Mindestanforderungen genügen (vgl. EGMR, Jones v. Vereinigtes Königreich, Entscheidung vom 9. September 2003, Nr. 30900/02). Dass ein Angeklagter, der nicht persönlich informiert wurde, auf mangelhafter faktischer Grundlage als flüchtig ("latitante") eingestuft wird, rechtfertigt jedenfalls nicht die Annahme eines freiwilligen Verzichts auf Anwesenheits- und Verteidigungsrechte (vgl. EGMR, Colozza v. Italien, Urteil vom 12. Februar 1985, Nr. 9024/80, § 28; EGMR , Sejdovic v. Italien, Urteil vom 1. März 2006, Nr. 56581/00, § 87).

105

cc) Dass der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens auch nach Unionsrecht nicht schrankenlos ist, bedeutet zugleich, dass die nationalen Justizbehörden bei entsprechenden Anhaltspunkten unionsrechtlich berechtigt und verpflichtet sind, die Einhaltung der rechtsstaatlichen Anforderungen zu prüfen, selbst wenn der Europäische Haftbefehl in formaler Hinsicht den Voraussetzungen des Rahmenbeschlusses entspricht (vgl. Böse, in: Grützner/Pötz/Kreß, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, 3. Aufl., Vor § 78 Rn. 26, 35 ). Das Unionsrecht steht daher Ermittlungen hinsichtlich der Wahrung der in der Grundrechtecharta garantierten rechtsstaatlichen Anforderungen durch die nationalen Justizbehörden nicht nur nicht im Wege, es verlangt sie. Zu Recht entfällt nach Ansicht der Europäischen Kommission die Pflicht zur Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls, wenn die vollstreckende Justizbehörde unter Berücksichtigung aller Umstände des Falls davon überzeugt ist, dass die Übergabe zu einem Verstoß gegen die Grundrechte des Betroffenen führen würde (vgl. Kommissionsdokument KOM <2011> 175 endgültig vom 11. April 2011, S. 7). Entstehende Verzögerungen im Auslieferungsverkehr sind hinzunehmen, auch wenn dies dem Ziel des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl zuwiderläuft, die Auslieferung zu beschleunigen (vgl. Erwägungsgrund 1 und 5 Präambel RbEuHb). Dementsprechend sieht der Rahmenbeschluss auch keine starren Fristen für die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls vor (vgl. Art. 17 Abs. 2<"sollte">, Abs. 3 <"sollte">, Abs. 4 <"Sonderfällen">, Abs. 7 <"bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände"> RbEuHb).

106

Ausweislich des 12. Erwägungsgrunds belässt der Rahmenbeschluss den Mitgliedstaaten unter anderem die Freiheit zur Anwendung ihrer verfassungsmäßigen Regelungen über ein ordnungsgemäßes und faires Gerichtsverfahren (vgl. EuGH, Urteil vom 30. Mai 2013, F., C-168/13 PPU, EU:C:2013:358, Rn. 53). Außerdem müssen Entscheidungen zur Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls einer ausreichenden Kontrolle durch die Gerichte der Mitgliedstaaten unterliegen (8. Erwägungsgrund; vgl. EuGH, Urteil vom 30. Mai 2013, F., C-168/13 PPU, EU:C:2013:358, Rn. 46). Eine effektive gerichtliche Kontrolle im Sinne der Art. 47, 52 Abs. 3 GRCh, Art. 6, 13 EMRK setzt jedoch auch aus der Sicht des Unionsrechts voraus, dass das zuständige Gericht in der Lage ist, entsprechende Ermittlungen anzustellen, solange nur die praktische Wirksamkeit des durch den Rahmenbeschluss errichteten Auslieferungssystems nicht in Frage gestellt wird (vgl. EuGH, a.a.O., Rn. 53; zum parallelen Problem im Asylrecht: EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011, N. S., C-411/10 und C-493/10, Slg. 2011, I-13905, Rn. 94).

107

dd) Damit bleiben die unionsrechtlichen Anforderungen an die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls nicht hinter denjenigen zurück, die das Grundgesetz als von Art. 1 Abs. 1 GG gebotene Mindestgarantien von Beschuldigtenrechten enthält. Ob und inwieweit zur Auslegung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl auf Art. 4 Abs. 2 Satz 1 EUV zurückzugreifen ist, wonach die Europäische Union die jeweilige nationale Identität ihrer Mitgliedstaaten achtet, und der Rahmenbeschluss daher unter Berücksichtigung der mitgliedstaatlichen Rechtslage auszulegen ist (vgl. v. Bogdandy/Schill, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Bd. I, Art. 4 EUV Rn. 13 ), kann deshalb offen bleiben.

108

b) Auch das den Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl umsetzende Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen begegnet im Hinblick auf den Schuldgrundsatz und seine in der Garantie der Menschenwürde verankerten Gewährleistungsinhalte insoweit keinen Bedenken. § 73 Satz 2 IRG sieht vor, dass bei Ersuchen nach dem Achten Teil ("Auslieferungs- und Durchlieferungsverkehr mit den Mitgliedstaaten der Europäischen Union") die Leistung von Rechtshilfe unzulässig ist, wenn die Erledigung zu den in Art. 6 EUV enthaltenen Grundsätzen im Widerspruch stünde. Wie immer diese Verweisung im Einzelnen zu verstehen sein mag, hindert sie Behörden und Gerichte jedenfalls nicht daran, bei der Auslegung der §§ 78 ff. IRG den norminternen Direktiven des Art. 1 Abs. 1 GG Rechnung zu tragen (vgl. allgemein BVerfGE 7, 198 <205 ff.>; 115, 320 <367>; stRspr).

109

4. Die angegriffene Entscheidung des Oberlandesgerichts wird diesen Anforderungen nicht in vollem Umfang gerecht. Zwar hat es zutreffend gesehen, dass die Auslieferung des Beschwerdeführers nur zulässig ist, wenn ihm nach seiner Überstellung ein effektiver Rechtsbehelf zur Verfügung steht. Es hat jedoch den Umfang der ihm obliegenden Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts und damit Bedeutung und Tragweite von Art. 1 Abs. 1 GG (a) verkannt. Der Beschwerdeführer hat substantiiert dargelegt, dass ihm das italienische Prozessrecht nicht die Möglichkeit eröffne, eine erneute Beweisaufnahme im Berufungsverfahren zu erwirken. Dem ist das Oberlandesgericht nicht in ausreichendem Maße nachgegangen. Es hat sich damit zufrieden gegeben, dass eine erneute Beweisaufnahme in Italien "jedenfalls nicht ausgeschlossen sei". Dies verletzt die Rechte des Beschwerdeführers aus Art. 1 Abs. 1 GG (b).

110

a) Beim Vollzug des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl und des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen müssen die Gerichte im Einzelfall sicherstellen, dass die Rechte des Verfolgten zumindest insoweit gewahrt werden, als sie am Schutz des Art. 1 Abs. 1 GG teilhaben. Mit Blick auf den in Art. 1 Abs. 1 GG verankerten Schuldgrundsatz gehört dazu, dass dem Verfolgten, der in Abwesenheit verurteilt wurde und nicht über die Tatsache der Durchführung und des Abschlusses des betreffenden Verfahrens unterrichtet war, zumindest die tatsächliche Möglichkeit eröffnet ist, sich nach Kenntniserlangung wirksam zu verteidigen, insbesondere Umstände vorzubringen und prüfen zu lassen, die zu seiner Entlastung führen können. Das über die Zulässigkeit der Auslieferung entscheidende Gericht trifft eine Pflicht, Ermittlungen hinsichtlich der Rechtslage und Praxis im ersuchenden Staat vorzunehmen, wenn der Verfolgte hinreichende Anhaltspunkte für entsprechende Ermittlungen dargelegt hat. Inhalt und Umfang dieser Aufklärungspflicht bemessen sich nach den vom Verfolgten vorgebrachten Anhaltspunkten für eine Unterschreitung des durch die Menschenwürde garantierten Mindeststandards. Stellt sich nach Abschluss der Ermittlungen heraus, dass dieser Mindeststandard vom ersuchenden Mitgliedstaat nicht eingehalten wird, darf das zuständige Gericht die Auslieferung nicht für zulässig erklären.

111

b) Zwar ist der Italienischen Republik - wie allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union - auch im Auslieferungsverkehr grundsätzlich Vertrauen im Hinblick auf die Einhaltung der Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit und des Menschenrechtsschutzes entgegenzubringen. Im vorliegenden Fall haben sich jedoch Fragen ergeben, die eine weitere Aufklärung des Sachverhalts erforderlich gemacht hätten.

112

Die Generalstaatsanwaltschaft Florenz hat mit dem Europäischen Haftbefehl erklärt, dass dem Beschwerdeführer die Entscheidung, mit der die Freiheitsstrafe gegen ihn verhängt worden ist, nicht persönlich zugestellt worden sei, er diese aber unverzüglich nach der Übergabe erhalten werde. Der Beschwerdeführer habe zudem ein Recht auf Wiederaufnahme des Verfahrens oder auf ein Berufungsverfahren, an dem er teilnehmen könne und bei dem der Sachverhalt, einschließlich neuer Beweismittel, erneut geprüft und die ursprünglich ergangene Entscheidung aufgehoben werden könne. Sie hat damit konkludent erklärt, dass es dem Beschwerdeführer ermöglicht werde, die ihm zur Last gelegten Vorwürfe nach Anhörung durch ein Gericht in faktischer und rechtlicher Hinsicht überprüfen zu lassen. Darüber hinaus hat die Generalstaatsanwaltschaft Florenz mit Schreiben vom 7. Oktober 2014 erklärt, dass der Beschwerdeführer die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand der Rechtsmittelfrist innerhalb von dreißig Tagen beantragen und sich ohne Vorbehalt verteidigen könne.

113

Das allein genügte im vorliegenden Fall jedoch nicht, um den von Art. 1 Abs. 1 GG gebotenen Mindeststandard an Beschuldigtenrechten und damit die Subjektstellung des Beschwerdeführers in dem in Italien durchzuführenden Strafprozess sicherzustellen. Denn der Beschwerdeführer hat begründete Anhaltspunkte dafür vorgetragen, dass ihm trotz der Zusicherung der Generalstaatsanwaltschaft Florenz keine tatsächlich wirksame Möglichkeit eröffnet sei, sich zu verteidigen, insbesondere Umstände vorzubringen und prüfen zu lassen, die zu seiner Entlastung führen können (aa). Die Begründung des Oberlandesgerichts, es reiche aus, dass im Berufungsverfahren eine erneute Beweisaufnahme "jedenfalls nicht ausgeschlossen" sei, ist nicht geeignet, die vom Beschwerdeführer aufgeworfenen Bedenken auszuräumen (bb). Auch mit Blick auf weitere Umstände hätte für das Oberlandesgericht Anlass bestanden, die Wahrung des dem Beschwerdeführer zustehenden Mindestbestands an prozessualen Verteidigungsmöglichkeiten eingehender zu prüfen (cc).

114

aa) Der Beschwerdeführer hat gegenüber dem Oberlandesgericht mit Schriftsatz vom 21. Oktober 2014 erklärt, dass er in Abwesenheit und ohne seine Kenntnis verurteilt worden sei, ohne auf sein Anwesenheitsrecht aus freiem Willen und unmissverständlich verzichtet zu haben. Dabei hat er plausibel dargelegt, dass er mit der ihm nach italienischem Recht eröffneten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nur erreichen könne, in die Rechtsmittelfrist für eine Berufung eingesetzt zu werden. Auch hat er unter Hinweis auf Fundstellen zum italienischen Strafprozessrecht in der deutschsprachigen Literatur vorgetragen, dass die nach italienischem Recht mögliche verspätete Berufung den Anforderungen an eine nachträgliche Gewährung rechtlichen Gehörs wegen der beschränkten Prüfungskompetenz des Rechtsmittelgerichts nicht genüge, weil in der Berufungshauptverhandlung im Regelfall keine erneute Beweisaufnahme stattfinde. Um dies zu belegen, hat er dem Oberlandesgericht den Inhalt von Art. 603 CPP in der Fassung des Gesetzes vom 28. April 2014 wie auch nach der Gesetzeslage vor Inkrafttreten dieses Gesetzes in italienischer und deutscher Sprache mitgeteilt.

115

Aus dem Wortlaut des Art. 603 CPP scheint zu folgen, dass im Berufungsverfahren grundsätzlich keine Erneuerung des Beweisverfahrens in der Hauptverhandlung stattfindet. Nach dessen Absatz 3 wird die erneute Durchführung des Beweisverfahrens von Amts wegen nur angeordnet, wenn sie das Gericht für unbedingt erforderlich hält. Beantragt eine Partei die Erhebung von Beweisen, verfügt das Gericht die Beweisaufnahme, wenn es nicht in der Lage ist, aufgrund der Aktenlage zu entscheiden (Abs. 1), oder die neuen Beweise erst nach dem Verfahren erster Instanz entstanden sind oder entdeckt wurden (Abs. 2). Nach Art. 603 Abs. 4 CPP a.F. (1988), der nach Angaben des Beschwerdeführers erst durch Gesetz vom 28. April 2014 abgeschafft worden ist, verfügt der Richter die Erneuerung des Beweisverfahrens in der Hauptverhandlung nur dann, wenn der in der ersten Instanz abwesende Beschuldigte dies beantragt und nachweist, dass er nicht in der Lage war, vor Gericht zu erscheinen, und zwar aufgrund von Ereignissen zufälligen Charakters oder höherer Gewalt oder weil er keine Kenntnis von der Ladungsschrift erhalten hat, sofern dies nicht durch seine Schuld geschehen ist, oder er sich nicht aus freiem Willen der Kenntnisnahme des Verfahrens entzogen hat. Der Beschwerdeführer hat plausibel dargelegt, dass Art. 603 Abs. 4 CPP 1988 auf ihn Anwendung finden könnte. Zur Begründung hat er auch auf eine Entscheidung ("Sentenza") der italienischen Corte di Cassazione vom 17. Juli 2014 verwiesen, wonach für Rechtsmittel gegen Verurteilungen in Abwesenheit, die vor dem Inkrafttreten des Gesetzes vom 28. April 2014 ergangen seien, die alte Rechtslage gelte. Diese Entscheidung hat er dem Oberlandesgericht im Wortlaut mitgeteilt. Dass im vorliegenden Fall tatsächlich die alte Rechtslage gelten könnte, erscheint auch deshalb nicht fernliegend, weil die Generalstaatsanwaltschaft Florenz in ihrem Schreiben vom 7. Oktober 2014 den Wortlaut des Art. 175 CPP in der vor der Strafprozessreform des Jahres 2014 geltenden Fassung übersandt hat. Auch hierauf hat der Beschwerdeführer das Oberlandesgericht hingewiesen.

116

Das Vorbringen des Beschwerdeführers lässt daher befürchten, dass ihm die Möglichkeit, eine erneute Beweisaufnahme im Berufungsverfahren zu erwirken, nach italienischem Recht nicht sicher eröffnet ist. Findet Art. 603 Abs. 4 CPP 1988 Anwendung, müsste er den negativen Beweis erbringen, dass er wegen Zufalls, wegen höherer Gewalt oder deswegen, weil er keine Kenntnis von der Ladungsschrift erhalten hat, nicht in der Lage war, vor Gericht zu erscheinen, vorausgesetzt, dass dies nicht durch seine Schuld geschehen ist oder - wenn die Ladungsschrift vom Gericht erster Instanz mittels Übergabe an den Verteidiger zugestellt wurde - er sich nicht aus freiem Willen der Kenntnisnahme des Verfahrens entzogen hat. Diese Formel entspricht jener des Art. 175 CPP in der bis 2005 geltenden Fassung. Hiernach konnte die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Erhebung eines Rechtsmittels vom Angeklagten beantragt werden, wenn dieser nachwies, dass er von der Verfügung tatsächlich keine Kenntnis erlangt hatte, sofern der Umstand nicht auf eigenes Verschulden zurückzuführen war, oder er sich nicht bewusst der Kenntnisnahme der Verfahrenshandlungen entzogen hatte, wenn das Säumnisurteil durch Aushändigung an den Verteidiger zugestellt worden war (vgl. Italienische Strafprozeßordnung, Zweisprachige Ausgabe, Bauer/König/Kreuzer/Riz/Zanon, 1991). Da ein Beweis von Negativtatsachen kaum zu führen ist, wurde die alte Fassung des Art. 175 CPP von den Oberlandesgerichten (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 19. Dezember 1991 - Ausl A 413/91 -, StV 1993, S. 207; OLG Nürnberg, Beschluss vom 31. Juli 1997 - Ausl. 9/97 -, StV 1997, S. 648 <649>; ThürOLG, Beschluss vom 2. Februar 1998 - Ausl 2/97 -, StV 1999, S. 265 <267 f.>; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 27. August 1998 - 4 Ausl (A) 201/98 - 259 - 250/98 III -, StV 1999, S. 270 <272>; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 28. August 1998 - 1 AK 14/98 -, StV 1999, S. 268 <270>; OLG Köln, Beschluss vom 15. Januar 2003 - Ausl 913/01 -, juris, Rn. 38; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 14. September 2004 - 1 AK 0/04 -, juris, Rn. 10; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 13. September 2004 - 1 AK 6/04 -, StV 2004, S. 547 <548>), vom Bundesgerichtshof (vgl. BGHSt 47, 120 <126>) sowie von der Ersten Sektion und der Großen Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte mit Blick auf die hier in Rede stehenden Schutzgüter beanstandet (vgl. EGMR , Sejdovic v. Italien, Urteil vom 10. November 2004, Nr. 56581/00, § 40; EGMR , Sejdovic v. Italien, Urteil vom 1. März 2006, Nr. 56581/00, § 103 ff.). Schon 1985 hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in der Sache Colozza v. Italien die Wirksamkeit des Rechtsmittels der "scheinbar verspäteten Berufung" nach italienischem Recht gerügt, weil das Berufungsgericht unter tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkten nur entscheiden durfte, wenn die betreffende Person beweisen konnte, dass sie sich der Justiz nicht habe entziehen wollen (vgl. EGMR, Colozza v. Italien, Urteil vom 12. Februar 1985, Nr. 9024/80, § 31).

117

Selbst wenn Art. 603 CPP in seiner durch Gesetz vom 28. April 2014 geänderten Fassung Anwendung finden sollte, ist denkbar, dass dem Beschwerdeführer keine wirksame Möglichkeit eröffnet wird, sich zu verteidigen. Nach Art. 603 CPP findet eine Beweisaufnahme nämlich nur statt, wenn die Beweise erst nach dem Urteil erster Instanz entstanden oder entdeckt worden sind (Abs. 2), wenn der Richter nicht in der Lage ist, nach dem Stand der Akten zu entscheiden (Abs. 1) oder wenn er die Durchführung einer Beweisaufnahme für unbedingt erforderlich hält (Abs. 3). Der Wortlaut von Art. 603 CPP in der der Entscheidung des Oberlandesgerichts zugrunde gelegten Version legt nahe, dass dem Berufungsgericht ein nicht unerheblicher Beurteilungsspielraum bei der Entscheidung über eine erneute Beweisaufnahme zukommt. Eine Pflicht des Berufungsgerichts, auf Antrag des Verfolgten überhaupt Beweis zu erheben, ergibt sich daraus nicht. Jedenfalls ist mit Blick auf den wenig bestimmten Wortlaut des Art. 603 Abs. 1 bis 3 CPP unklar, ob der Pflicht zur Ermittlung der Wahrheit im Strafverfahren hinreichend Rechnung getragen wird.

118

Die vom Beschwerdeführer mit Blick auf das italienische Berufungsverfahren vorgetragenen Bedenken werden dadurch verstärkt, dass in der Vergangenheit mehrere Oberlandesgerichte die Auslieferung nach Italien aufgrund einer Abwesenheitsverurteilung mit der Begründung abgelehnt haben, dass nach italienischem Recht in der Berufungsinstanz eine erneute umfassende gerichtliche Überprüfung der Sachentscheidung nicht stattfinde (vgl. OLG Frankfurt, 2 Ausl. 54/82, 2. September 1983, Nr. U 75, in: Eser/Lagodny/Wilkitzki, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, Rechtsprechungssammlung 1949-1992, 2. Aufl. 1993, S. 285 <288 f.>; OLG München, OLG Ausl. 77/85, 26. Juni 1985, Nr. U 112, in: Eser/Lagodny/Wilkitzki, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, Rechtsprechungssammlung 1949-1992, 2. Aufl. 1993, S. 412 <416>; KG Berlin, (4) Ausl. A. 277/85 (143/85), 24. März 1986, Nr. U 123, in: Eser/Lagodny/Wilkitzki, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, Rechtsprechungssammlung 1949-1992, 2. Aufl. 1993, S. 435 <438>; SchlHOLG, Beschluss vom 14. Januar 1994 - 1 Ausl 8/93 -, StV 1996, S. 102 <103>). Die damit verbundenen Bedenken werden auch in der Literatur geteilt (vgl. Schomburg/Hackner und Lagodny, jeweils in: Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5. Aufl. 2012, § 15 IRG Rn. 33e bzw. § 73 IRG Rn. 86).

119

bb) Den substantiierten und plausiblen Einwänden des Beschwerdeführers hätte das Oberlandesgericht nachgehen müssen. Seine Ermittlungen stellen sich als unzureichend dar.

120

Das Oberlandesgericht versucht, die Bedenken des Beschwerdeführers mit dem Argument auszuräumen, es genüge, wenn im italienischen Berufungsverfahren in der Sache eine umfassende tatsächliche und rechtliche Überprüfung der Abwesenheitsverurteilung stattfinde, im Rahmen derer eine erneute Beweisaufnahme "jedenfalls nicht ausgeschlossen" sei. Damit ist jedoch nicht sichergestellt, dass dem Beschwerdeführer tatsächlich eine Möglichkeit eröffnet ist, sich nach Erlangung der Kenntnis von der Abwesenheitsverurteilung wirksam zu verteidigen, insbesondere entlastende Umstände vorzutragen und deren umfassende und erschöpfende Nachprüfung und gegebenenfalls Berücksichtigung zu erreichen.

121

Der Einwand, dass es sich, selbst wenn im italienischen Berufungsverfahren im Regelfall keine erneute Beweisaufnahme stattfinde, doch um ein Rechtsmittel handele, mit dem sowohl die Tat- als auch die Rechtsfrage der erneuten Prüfung unterworfen würden, vermag ebenso wenig zu überzeugen. Wie eine umfassende Überprüfung der Tatfrage ohne Beweisaufnahme erfolgen soll, erschließt sich nicht. Darüber hinaus stützt sich das Oberlandesgericht für seine Ansicht lediglich auf eine einzige Quelle (Maiwald, Einführung in das italienische Strafrecht und Strafprozessrecht, 2009, S. 237). Eine genaue Darstellung des strafrechtlichen Berufungsverfahrens nach italienischem Recht lässt sich dieser Fundstelle nicht entnehmen. Vielmehr wird auch hier darauf hingewiesen, dass das Verfahren in zweiter Instanz grundsätzlich ein Aktenverfahren sei und keine erneute Beweisaufnahme stattfinde. Wie sich dieser Umstand mit einer erneuten Prüfung der Tatfrage vereinbaren lässt, wird nicht erläutert. Dass in der Sache eine umfassende tatsächliche Überprüfung des Abwesenheitsurteils stattfinde und die uneingeschränkte Möglichkeit einer erneuten Erhebung von bereits in erster Instanz erhobenen Beweisen bestehe, wie vom Oberlandesgericht angenommen, ergibt sich aus der zitierten Quelle nicht.

122

Der Hinweis des Oberlandesgerichts in seinem Beschluss vom 27. November 2014, dass bei einem in erster Instanz ergangenen Abwesenheitsurteil kein Anspruch auf Wiederholung des erstinstanzlichen Verfahrens bestehe, vielmehr eine Neuverhandlung vor einem Rechtsmittelgericht ausreiche, trägt seine Entscheidung ebenfalls nicht. In der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, die bei der Auslegung auch der Grundrechte des Grundgesetzes zu berücksichtigen ist (vgl. BVerfGE 74, 358 <370>; 83, 119 <128>; 111, 307 <317>; 120, 180 <200 f.>; 128, 326 <367 f.>), ist geklärt, dass das Gericht verpflichtet ist, die dem Verurteilten zur Last gelegten Vorwürfe erneut in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zu prüfen, nachdem es diesen gehört hat (vgl. EGMR, Colozza v. Italien, Urteil vom 12. Februar 1985, Nr. 9024/80, § 29; Einhorn v. Frankreich, Entscheidung vom 16. Oktober 2001, Nr. 71555/01, § 33). Zudem müssen sich die prozeduralen Möglichkeiten nach Recht und Praxis des Vertragsstaates als effektiv erweisen (vgl. EGMR, Colozza v. Italien, Urteil vom 12. Februar 1985, Nr. 9024/80, § 30; Medenica v. Schweiz, Urteil vom 14. Juni 2001, Nr. 20491/92, § 55). Zwar folgt aus der Entscheidung in der Sache Colozza v. Italien, wie das Oberlandesgericht zutreffend feststellt, dass bei einem in erster Instanz ergangenen Abwesenheitsurteil kein Anspruch auf Wiederholung des erstinstanzlichen Verfahrens besteht. Der Entscheidung kann allerdings nicht entnommen werden, dass dem in Abwesenheit Verurteilten, der keine Kenntnis von dem erstinstanzlichen Verfahren hatte, von vornherein kein Recht auf Durchführung einer Beweisaufnahme zustünde. Vielmehr betont der Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung das aus Art. 6 Abs. 1 EMRK fließende Recht, Beweis anzubieten und sich zu allen erbrachten Beweisen oder Vorbringen, die darauf gerichtet sind, die Entscheidung des Gerichts zu beeinflussen, äußern zu können (vgl. EGMR, Mantovanelli v. Frankreich, Urteil vom 18. März 1997, Nr. 21497/93, § 33; Lietzow v. Deutschland, Urteil vom 13. Februar 2001, Nr. 24479/94, § 44).

123

Die Auffassung des Oberlandesgerichts, es genüge, wenn im italienischen Berufungsverfahren in der Sache eine umfassende tatsächliche und rechtliche Überprüfung des Abwesenheitsurteils stattfinde, im Rahmen derer eine erneute Beweisaufnahme "jedenfalls nicht ausgeschlossen" sei, greift insoweit zu kurz.

124

cc) Darüber hinaus ist mit Blick auf die Aufklärungspflicht des Oberlandesgerichts zu bedenken, dass die Rechtslage in Italien angesichts der in der Vergangenheit erfolgten Beanstandungen durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte und der zahlreichen Änderungen des italienischen Codice Penale für einen deutschen Richter nicht ohne weiteres zu überblicken ist. Auch hat die Auskunft der Generalstaatsanwaltschaft Florenz vom 7. Oktober 2014 nur wenig zur Aufklärung beigetragen. Die italienischen Justizbehörden wurden vom Oberlandesgericht gebeten, ergänzende Auskunft über die tatsächliche Kenntnis des Beschwerdeführers vom Verhandlungstermin und dessen anwaltlicher Vertretung beziehungsweise eine Zusicherung zu erteilen, dass dem Beschwerdeführer nach seiner Überstellung vorbehaltlos das Recht auf ein neues Gerichtsverfahren in seiner Anwesenheit eingeräumt wird, in dem der gegen ihn erhobene Vorwurf umfassend geprüft werden wird. Ergänzende Auskunft über die Kenntnis des Beschwerdeführers vom Verhandlungstermin und dessen anwaltlicher Vertretung gab die Generalstaatsanwaltschaft Florenz nicht, obwohl sie im Europäischen Haftbefehl nicht angegeben hatte, ob der Beschwerdeführer zu der Verhandlung, die zu seiner Verurteilung geführt hat, persönlich erschienen war oder nicht. Eine Zusicherung, dass dem Beschwerdeführer nach seiner Überstellung vorbehaltlos das Recht auf ein neues Gerichtsverfahren in seiner Anwesenheit eingeräumt wird, in dem der gegen ihn erhobene Vorwurf umfassend geprüft werden wird, erteilte sie ebenfalls nicht. Trotz des präzisen Ersuchens um Auskunft und Zusicherung durch das Oberlandesgericht wies sie lediglich abstrakt darauf hin, dass unter der Bedingung, dass "dem Antrag stattgegeben wird", erneut eine Hauptverhandlung gegen den Verurteilten stattfinden werde. Dem Verurteilten wurde sein Verteidigungsrecht zwar ohne Vorbehalt zugesichert; der Umfang dieses Verteidigungsrechts blieb jedoch unklar.

D.

125

Einer Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union gemäß Art. 267 AEUV bedarf es nicht. Die richtige Anwendung des Unionsrechts ist derart offenkundig, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibt ("acte clair", vgl. EuGH, Urteil vom 6. Oktober 1982, C.I.L.F.I.T., C-283/81, Slg. 1982, S. 3415, Rn. 16 ff.). Das Unionsrecht gerät mit dem Menschenwürdeschutz des Grundgesetzes nach Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 23 Abs. 1 Satz 3 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG im vorliegenden Fall nicht in Konflikt. Der Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl verpflichtet, wie dargelegt, deutsche Gerichte und Behörden nicht, einen Europäischen Haftbefehl ohne Prüfung auf seine Vereinbarkeit mit den aus Art. 1 Abs. 1 GG folgenden Anforderungen zu vollstrecken. Dass die Grenzen der Ermittlungspflicht, insbesondere mit Blick auf den Umfang der nach Unionsrecht zulässigen Ermittlungen und der hiermit verbundenen Verzögerungen beim Vollzug des Haftbefehls in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union nicht geklärt sind, ändert daran nichts. Jedenfalls im hier zu entscheidenden Fall ist kein Anhaltspunkt erkennbar, dass Unionsrecht einer Pflicht des Oberlandesgerichts, die Wahrung der Rechte des Beschwerdeführers eingehender zu prüfen, entgegen stand. Das gilt vor allem mit Blick auf die substantiierten Anhaltspunkte, die der Beschwerdeführer dem Oberlandesgericht dafür vorgetragen hat, dass ihm nach italienischem Prozessrecht keine Möglichkeit eröffnet sei, sich wirksam zu verteidigen.

E.

126

Da die Verfassungsbeschwerde zulässig und begründet ist, sind dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen gemäß § 34a Abs. 2 BVerfGG vollständig zu erstatten.

(1) Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.

(2) Auf Absatz 1 kann sich nicht berufen, wer aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften oder aus einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist. Die Staaten außerhalb der Europäischen Gemeinschaften, auf die die Voraussetzungen des Satzes 1 zutreffen, werden durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, bestimmt. In den Fällen des Satzes 1 können aufenthaltsbeendende Maßnahmen unabhängig von einem hiergegen eingelegten Rechtsbehelf vollzogen werden.

(3) Durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, können Staaten bestimmt werden, bei denen auf Grund der Rechtslage, der Rechtsanwendung und der allgemeinen politischen Verhältnisse gewährleistet erscheint, daß dort weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet. Es wird vermutet, daß ein Ausländer aus einem solchen Staat nicht verfolgt wird, solange er nicht Tatsachen vorträgt, die die Annahme begründen, daß er entgegen dieser Vermutung politisch verfolgt wird.

(4) Die Vollziehung aufenthaltsbeendender Maßnahmen wird in den Fällen des Absatzes 3 und in anderen Fällen, die offensichtlich unbegründet sind oder als offensichtlich unbegründet gelten, durch das Gericht nur ausgesetzt, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Maßnahme bestehen; der Prüfungsumfang kann eingeschränkt werden und verspätetes Vorbringen unberücksichtigt bleiben. Das Nähere ist durch Gesetz zu bestimmen.

(5) Die Absätze 1 bis 4 stehen völkerrechtlichen Verträgen von Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften untereinander und mit dritten Staaten nicht entgegen, die unter Beachtung der Verpflichtungen aus dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, deren Anwendung in den Vertragsstaaten sichergestellt sein muß, Zuständigkeitsregelungen für die Prüfung von Asylbegehren einschließlich der gegenseitigen Anerkennung von Asylentscheidungen treffen.

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

Tenor

1. Der Beschluss des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 7. November 2014 - III - 3 Ausl 108/14 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes, soweit er die Auslieferung des Beschwerdeführers für zulässig erklärt; er wird in diesem Umfang aufgehoben. Damit wird der Beschluss des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 27. November 2014 - III - 3 Ausl 108/14 - gegenstandslos.

2. Die Sache wird an das Oberlandesgericht Düsseldorf zurückverwiesen.

3. Das Land Nordrhein-Westfalen hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu erstatten.

Gründe

A.

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Auslieferung des Beschwerdeführers nach Italien auf der Grundlage eines Europäischen Haftbefehls, der zur Vollstreckung eines in Abwesenheit des Beschwerdeführers ergangenen Strafurteils erlassen wurde.

I.

2

1. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger der Vereinigten Staaten von Amerika. Mit rechtskräftigem Urteil der Corte di Appello von Florenz aus dem Jahr 1992 wurde er in Abwesenheit wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung sowie der Einfuhr und des Besitzes von Kokain zu einer Freiheitsstrafe von 30 Jahren verurteilt. Im Jahr 2014 wurde er aufgrund eines Auslieferungsersuchens der Italienischen Republik, das sich auf einen Europäischen Haftbefehl der Generalstaatsanwaltschaft bei der Corte di Appello von Florenz aus demselben Jahr stützt, in Deutschland festgenommen.

3

a) Mit dem Europäischen Haftbefehl wird die Auslieferung des Beschwerdeführers zur Vollstreckung der gegen ihn verhängten Freiheitsstrafe begehrt. Aus dem Europäischen Haftbefehl geht hervor, dass dem Beschwerdeführer das zugrunde liegende Urteil aus dem Jahr 1992 nicht persönlich zugestellt wurde. Das Formblatt zum Europäischen Haftbefehl lautet insoweit:

d) Geben Sie an, ob die Person zu der Verhandlung, die zu der Entscheidung geführt hat, persönlich erschienen ist:

1. Ja, die Person ist zu der Verhandlung, die zu der Entscheidung geführt hat, persönlich erschienen.

2. Nein, die Person ist zu der Verhandlung, die zur Entscheidung geführt hat, nicht persönlich erschienen.

3. Bitte geben Sie zu der unter Nummer 2 angekreuzten Möglichkeit an, dass eine der folgenden Möglichkeiten zutrifft:

3.4 der Person wurde die Entscheidung nicht persönlich zugestellt, aber

- sie wird die Entscheidung unverzüglich nach der Übergabe zugestellt erhalten, und

- sie wird bei der Zustellung der Entscheidung ausdrücklich von ihrem Recht auf Wiederaufnahme des Verfahrens oder auf ein Berufungsverfahren in Kenntnis gesetzt werden, an dem die Person teilnehmen kann und bei dem der Sachverhalt, einschließlich neuer Beweismittel, erneut geprüft werden und die ursprünglich ergangene Entscheidung aufgehoben werden kann, und

- sie wird von der Frist in Kenntnis gesetzt werden, über die sie verfügt, um eine Wiederaufnahme des Verfahrens bzw. ein Berufungsverfahren zu beantragen, die … Tage beträgt.

4

Punkt 3.4 hatte die Generalstaatsanwaltschaft Florenz angekreuzt. Punkt 2, wonach die ersuchende Behörde bestätigt, dass die auszuliefernde Person zu der Verhandlung, die zu der Entscheidung geführt hat, nicht persönlich erschienen ist, ließ sie hingegen offen. Die Länge der in Punkt 3.4 des Formblatts zum Europäischen Haftbefehl genannten Antragsfrist gab die Generalstaatsanwaltschaft Florenz ebenfalls nicht an.

5

b) Buchstabe d, Punkt 3.4 des Formblatts zum Europäischen Haftbefehl geht auf Art. 4a Abs. 1 Buchstabe d Rahmenbeschluss 2002/584/JI des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten (ABl EU Nr. L 190 vom 18. Juli 2002, S. 1) in der durch den Rahmenbeschluss 2009/299/JI des Rates vom 26. Februar 2009 (ABl EU Nr. L 81 vom 27. März 2009, S. 24) geänderten Fassung (im Folgenden: Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl bzw. RbEuHb) zurück. Art. 4a Abs. 1 RbEuHb lautet:

Entscheidungen, die im Anschluss an eine Verhandlung ergangen sind, zu der die Person nicht persönlich erschienen ist

(1) Die vollstreckende Justizbehörde kann die Vollstreckung eines zur Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung ausgestellten Europäischen Haftbefehls auch verweigern, wenn die Person nicht persönlich zu der Verhandlung erschienen ist, die zu der Entscheidung geführt hat, es sei denn, aus dem Europäischen Haftbefehl geht hervor, dass die Person im Einklang mit den weiteren verfahrensrechtlichen Vorschriften des einzelstaatlichen Rechts des Ausstellungsmitgliedstaats

a) rechtzeitig

i) entweder persönlich vorgeladen wurde und dabei von dem vorgesehenen Termin und Ort der Verhandlung in Kenntnis gesetzt wurde, die zu der Entscheidung geführt hat, oder auf andere Weise tatsächlich offiziell von dem vorgesehenen Termin und Ort dieser Verhandlung in Kenntnis gesetzt wurde, und zwar auf eine Weise, dass zweifelsfrei nachgewiesen wurde, dass sie von der anberaumten Verhandlung Kenntnis hatte,

und

ii) davon in Kenntnis gesetzt wurde, dass eine Entscheidung auch dann ergehen kann, wenn sie zu der Verhandlung nicht erscheint;

oder

b) in Kenntnis der anberaumten Verhandlung ein Mandat an einen Rechtsbeistand, der entweder von der betroffenen Person oder vom Staat bestellt wurde, erteilt hat, sie bei der Verhandlung zu verteidigen, und bei der Verhandlung von diesem Rechtsbeistand tatsächlich verteidigt worden ist;

oder

c) nachdem ihr die Entscheidung zugestellt und sie ausdrücklich von ihrem Recht auf Wiederaufnahme des Verfahrens oder auf ein Berufungsverfahren in Kenntnis gesetzt worden ist, an dem die Person teilnehmen kann und bei dem der Sachverhalt, einschließlich neuer Beweismittel, erneut geprüft werden und die ursprünglich ergangene Entscheidung aufgehoben werden kann:

i) ausdrücklich erklärt hat, dass sie die Entscheidung nicht anficht;

oder

ii) innerhalb der geltenden Frist keine Wiederaufnahme des Verfahrens bzw. kein Berufungsverfahren beantragt hat;

oder

d) die Entscheidung nicht persönlich zugestellt erhalten hat, aber

i) sie unverzüglich nach der Übergabe persönlich zugestellt erhalten wird und ausdrücklich von ihrem Recht auf Wiederaufnahme des Verfahrens oder auf ein Berufungsverfahren in Kenntnis gesetzt werden wird, an dem die Person teilnehmen kann und bei dem der Sachverhalt, einschließlich neuer Beweismittel, erneut geprüft werden und die ursprünglich ergangene Entscheidung aufgehoben werden kann

und

ii) von der Frist in Kenntnis gesetzt werden wird, über die sie gemäß dem einschlägigen Europäischen Haftbefehl verfügt, um eine Wiederaufnahme des Verfahrens bzw. ein Berufungsverfahren zu beantragen.

6

Italien hat eine nach Artikel 8 Absatz 3 des Rahmenbeschlusses 2009/299/JI zulässige Erklärung abgegeben (ABl Nr. L 97 vom 16. April 2009, S. 26), infolge derer der Rahmenbeschluss spätestens ab dem 1. Januar 2014 Anwendung findet auf die Anerkennung und Durchführung von Entscheidungen der zuständigen italienischen Behörden, die im Anschluss an eine Verhandlung ergangen sind, bei der die betroffene Person nicht anwesend war.

7

c) Die für die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls maßgeblichen nationalen Vorschriften finden sich im Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen - IRG - (BGBl I 1982 S. 2071). In der hier anwendbaren Fassung des Gesetzes vom 20. Juli 2006 (BGBl I S. 1721) lauteten § 73 und § 83:

§ 73 Grenze der Rechtshilfe

Die Leistung von Rechtshilfe sowie die Datenübermittlung ohne Ersuchen ist unzulässig, wenn sie wesentlichen Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung widersprechen würde. Bei Ersuchen nach dem Achten, Neunten und Zehnten Teil ist die Leistung von Rechtshilfe unzulässig, wenn die Erledigung zu den in Artikel 6 des Vertrages über die Europäische Union enthaltenen Grundsätzen im Widerspruch stünde.

§ 83 Ergänzende Zulässigkeitsvoraussetzungen

Die Auslieferung ist nicht zulässig, wenn

3. bei Ersuchen zur Vollstreckung das dem Ersuchen zugrunde liegende Urteil in Abwesenheit des Verfolgten ergangen ist und der Verfolgte zu dem Termin nicht persönlich geladen oder nicht auf andere Weise von dem Termin, der zu dem Abwesenheitsurteil geführt hat, unterrichtet worden war, es sei denn, dass der Verfolgte in Kenntnis des gegen ihn gerichteten Verfahrens, an dem ein Verteidiger beteiligt war, eine persönliche Ladung durch Flucht verhindert hat oder ihm nach seiner Überstellung das Recht auf ein neues Gerichtsverfahren, in dem der gegen ihn erhobene Vorwurf umfassend überprüft wird, und auf Anwesenheit bei der Gerichtsverhandlung eingeräumt wird … .

8

d) Mit Beschluss vom 14. August 2014 entschied das Oberlandesgericht Düsseldorf, dass mit Blick auf das Vorliegen eines Abwesenheitsurteils die sich aus § 83 Nr. 3 IRG ergebenden Voraussetzungen derzeit nicht feststellbar seien.

9

Aus den Angaben der italienischen Behörden folge nicht mit der erforderlichen Sicherheit, dass der Beschwerdeführer nach seiner Überstellung die rechtliche und tatsächliche Möglichkeit habe, nachträglich eine umfassende gerichtliche Überprüfung der in seiner Abwesenheit erfolgten Verurteilung im Sinne einer neuen tatsächlichen Überprüfung der Feststellungen zum Schuldvorwurf und der erkannten Rechtsfolge zu erreichen. Dem Europäischen Haftbefehl lasse sich nicht entnehmen, dass der Beschwerdeführer dies durch einen einfachen Rechtsbehelf erreichen könne, der nicht an besondere Voraussetzungen geknüpft sei und der ihm keine Beweislast auferlege. Die Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß Art. 630 ff. CPP (Codice di procedura penale - italienische Strafprozessordnung) sei als außerordentlicher Rechtsbehelf ein Instrument mit Ausnahmecharakter und als solches an streng geregelte Wiederaufnahmegründe - insbesondere das Vorliegen neuer Beweise - gebunden. Das Oberlandesgericht forderte von den italienischen Behörden deshalb ergänzende Auskünfte zur tatsächlichen Kenntnis des Beschwerdeführers vom Verhandlungstermin und seiner anwaltlichen Vertretung sowie eine Zusicherung, dass ihm nach seiner Überstellung vorbehaltlos das Recht auf ein neues Gerichtsverfahren in seiner Anwesenheit eingeräumt werde, in dem der gegen ihn erhobene Vorwurf umfassend geprüft werde.

10

Mit Schreiben vom 7. Oktober 2014 teilte die Generalstaatsanwaltschaft Florenz mit, dass nach Art. 175 CPP der Verurteilte innerhalb von dreißig Tagen die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand der Rechtsmittelfrist beantragen könne, welche im Fall der Auslieferung aus dem Ausland mit dem Datum der Überstellung beginne. Über diesen Antrag werde der Richter entscheiden, der bei Antragstellung tätig sei, im Falle einer Verurteilung der Richter, der für die Rechtsmitteleinlegung zuständig sei. Gegen die Anordnung, die den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückweise, könne Kassationsbeschwerde eingelegt werden. Ferner heißt es (zitiert nach der im Ausgangsverfahren in Auftrag gegebenen Übersetzung):

Falls dem Antrag stattgegeben wird, muss erneut eine Hauptverhandlung gegen den Verurteilten stattfinden, welcher erneut durch Anordnung geladen wird. Dem Verurteilten wird sein Verteidigungsrecht ohne Vorbehalt zugesichert.

11

Außerdem fügte die Generalstaatsanwaltschaft den Wortlaut des Art. 175 CPP in der Fassung des Gesetzes Nr. 60 vom 22. April 2005, also in der vor der Strafprozessreform aus dem Jahr 2014 geltenden Fassung, bei. Dieser lautet auszugsweise (zitiert nach der im Ausgangsverfahren in Auftrag gegebenen Übersetzung):

2. Falls ein Versäumnisurteil oder ein Strafbefehl erlassen wurde, wird der Verurteilte auf seinen Antrag in die Rechtmittelfristen oder Einspruchsfristen wiedereingesetzt, es sei denn, dass dieser in Kenntnis des Verfahrens oder der Verfügung war und freiwillig auf Einspruch oder Rechtsmittel verzichtet hat. Zu diesem Zwecke wird die Justizbehörde jede erforderliche Prüfung vornehmen.

12

Über die Kenntnis des Beschwerdeführers vom Verhandlungstermin und seine anwaltliche Vertretung gab die Generalstaatsanwaltschaft Florenz keine näheren Auskünfte.

13

e) Mit Schriftsatz vom 21. Oktober 2014 machte der Beschwerdeführer geltend, er sei in Abwesenheit und ohne seine Kenntnis verurteilt worden. Ferner trug er unter Berufung auf deutschsprachige Literatur vor, die Wiedereinsetzung zur Einlegung eines Rechtsmittels stehe einem Recht auf das entzogene erstinstanzliche Verfahren nicht gleich. Die "verspätete" Berufung genüge wegen der beschränkten Prüfungskompetenz grundsätzlich nicht den Anforderungen an eine nachträgliche Gewährung rechtlichen Gehörs. Im Regelfall finde in der Hauptverhandlung keine erneute Beweisaufnahme statt. Es handele sich um ein reines Aktenverfahren, in dem eine Beweisaufnahme nur in Ausnahmefällen möglich sei. Nach aktueller Gesetzeslage sei eine erneute Beweisaufnahme im Falle einer Abwesenheitsverurteilung nicht vorgesehen. Der Beschwerdeführer teilte dem Oberlandesgericht den Inhalt des einschlägigen Art. 603 CPP in italienischer und deutscher Sprache mit. Dieser ist in seinen Absätzen 1 bis 3 seit seinem Inkrafttreten 1988 unverändert und lautet (Italienische Strafprozeßordnung, Zweisprachige Ausgabe, Bauer/König/Kreuzer/Riz/Zanon, 1991):

1. Hat eine Partei in der Berufungsschrift oder in den gemäß Artikel 585 Absatz 4 hinterlegten Gründen die neuerliche Aufnahme von Beweisen, die bereits im Verfahren erster Instanz aufgenommen worden sind, oder die Aufnahme neuer Beweise beantragt, so ordnet das Gericht, wenn es der Ansicht ist, dass es auf Grund der Aktenlage nicht entscheiden kann, die Erneuerung des Beweisverfahrens in der Hauptverhandlung an.

2. Sind die neuen Beweise erst nach dem Verfahren erster Instanz entstanden oder aufgefunden worden, so ordnet das Gericht in den in Artikel 495 Absatz 1 vorgesehenen Grenzen die Erneuerung des Beweisverfahrens in der Hauptverhandlung an.

3. Die Erneuerung des Beweisverfahrens in der Hauptverhandlung wird von Amts wegen angeordnet, wenn das Gericht sie für unumgänglich notwendig erachtet (604 Abs. 6).

14

Der Beschwerdeführer machte geltend, nach dem möglicherweise anwendbaren (mittlerweile allerdings durch Gesetz vom 28. April 2014 abgeschafften) Art. 603 Abs. 4 CPP 1988 werde eine neue Gerichtsverhandlung nur durchgeführt, wenn der Verurteilte nachweise, dass er von dem gegen ihn geführten Verfahren in keiner Weise und zu keinem Zeitpunkt Kenntnis gehabt und diesen Umstand auch nicht zu vertreten habe. Der Beschwerdeführer teilte auch den Inhalt von Art. 603 Abs. 4 CPP 1988 in italienischer und deutscher Sprache mit. Dieser lautet (Italienische Strafprozeßordnung, Zweisprachige Ausgabe, Bauer/König/Kreuzer/Riz/Zanon, 1991):

4. Das Gericht ordnet außerdem die Erneuerung des Beweisverfahrens in der Hauptverhandlung an, wenn der in erster Instanz säumige Angeklagte einen entsprechenden Antrag stellt und den Beweis erbringt, dass er wegen Zufalls, wegen höherer Gewalt oder deswegen, weil er keine Kenntnis vom Ladungsdekret erhalten hatte, nicht erscheinen konnte, freilich vorausgesetzt, dass dieser Umstand im gegebenen Fall nicht auf sein Verschulden zurückzuführen ist oder dass er sich, wenn die Ladung zum Verfahren erster Instanz durch Aushändigung an den Verteidiger in den in Artikeln 159, 161, Absatz 4, und 169 vorgesehenen Fällen erfolgt ist, nicht willentlich der Kenntnisnahme von den Verfahrenshandlungen entzogen hat.

15

Die in Art. 603 Abs. 4 CPP 1988 geregelte Beweis- und Darlegungslast sei identisch mit der Regelung in den früheren (vor 2005 geltenden) Fassungen des Art. 175 Abs. 2 CPP. Diese hätten dem Verurteilten die Beweis- und Darlegungslast hinsichtlich seiner Nichtkenntnis über das Verfahren auferlegt, was nach der einhelligen Rechtsprechung der Oberlandesgerichte ein Auslieferungshindernis begründet habe. Es liege nahe, dass Art. 603 Abs. 4 CPP 1988 auf ihn anwendbar sei, weil nach einer Entscheidung der italienischenCorte di Cassazione vom 17. Juli 2014 (No. 36848) auf Abwesenheitsverfahren, die vor Inkrafttreten des Gesetzes vom 28. April 2014 durchgeführt worden seien, die alte Rechtslage Anwendung finde. Die Entscheidung der Corte di Cassazione teilte der Beschwerdeführer dem Oberlandesgericht im Wortlaut mit. Dass Art. 603 Abs. 4 CPP 1988 auf ihn anwendbar sei, werde auch dadurch belegt, dass die Generalstaatsanwaltschaft Florenz den Wortlaut des Art. 175 CPP in der vor der Strafprozessreform des Jahres 2014 geltenden Fassung von 2005 übersandt habe.

16

f) Mit dem angegriffenen Beschluss vom 7. November 2014 erklärte das Oberlandesgericht die Auslieferung für zulässig. § 83 Nr. 3 IRG stehe ihr nicht entgegen. Nach den ergänzenden Angaben der Generalstaatsanwaltschaft Florenz vom 7. Oktober 2014 gehe der Senat davon aus, dass der Beschwerdeführer nach seiner Überstellung das Recht auf ein neues Gerichtsverfahren habe, in dem der gegen ihn erhobene Vorwurf umfassend überprüft werde und in dem ihm auch ein Recht auf Anwesenheit zustehe. Eine solche Überprüfung des Anklagevorwurfs sei durch den Rechtsbehelf der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Art. 175 CPP in der dort mitgeteilten Fassung gewährleistet. Danach werde der Verurteilte "auf seinen Antrag in die Rechtsmittel- oder Einspruchsfristen wieder eingesetzt, es sei denn, dass dieser in Kenntnis des Verfahrens oder der Verfügung" gewesen sei "und freiwillig auf den Einspruch oder Rechtsmittel verzichtet" habe.

17

Es sei davon auszugehen, dass dem Beschwerdeführer ein tatsächlich wirksamer, von seinem Antrag abhängiger und nicht im Ermessen der italienischen Justizbehörden stehender Rechtsbehelf auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Verfügung stehe. Zugleich sei eine umfassende Überprüfung des Abwesenheitsurteils gewährleistet. Offen bleiben könne, ob diese Prüfung im Rahmen einer Berufungshauptverhandlung oder in einem neuen erstinstanzlichen Verfahren stattfinde. Es sei schon fraglich, ob der Einwand des Beschwerdeführers, das Berufungsverfahren nach italienischem Recht biete keine umfassende Überprüfung im Sinne des § 83 Nr. 3 IRG, überhaupt durchgreifen könne. Selbst wenn - wie vom Beschwerdeführer vorgetragen - im Rahmen des italienischen Berufungsverfahrens ("appello", Art. 593 ff. CPP) in der Hauptverhandlung im Regelfall keine erneute Beweisaufnahme stattfinde, so handele es sich doch um ein Rechtsmittel, mit dem sowohl die Tat- als auch die Rechtsfrage der erneuten Prüfung unterworfen würden (unter Verweis auf Maiwald, Einführung in das italienische Strafrecht und Strafprozessrecht, 2009, S. 237). Daraus ergebe sich, dass in der Sache eine umfassende tatsächliche und rechtliche Überprüfung des Abwesenheitsurteils stattfinde, in deren Rahmen eine erneute Beweisaufnahme "jedenfalls nicht ausgeschlossen" sei.

18

Ein solches Verfahren genüge den Anforderungen des § 83 Nr. 3 IRG. Die Vorschrift gehe auf Art. 5 Nr. 1 RbEuHb (in der Fassung vom 13. Juni 2002, ABl EU Nr. L 190 vom 18. Juli 2002, S. 1) zurück. Bei dessen Umsetzung in deutsches Recht seien (zwar) die Voraussetzungen, unter denen ein Abwesenheitsurteil Grundlage der Auslieferung sein könne, an die von Rechtsprechung und Schrifttum zu § 73 IRG entwickelten Grundsätze angenähert worden. Aus den zu § 73 IRG entwickelten Grundsätzen ergebe sich indes kein Anspruch auf ein neues Gerichtsverfahren im Sinne einer vollständigen ersten Tatsachen- und Rechtsinstanz. Vielmehr reiche die Möglichkeit, sich nach Erlangung der Kenntnis von dem Urteil rechtliches Gehör verschaffen und wirksam verteidigen zu können. Dass mit der Einführung von § 83 Nr. 3 IRG eine Anhebung des zu § 73 IRG entwickelten Standards habe verbunden werden sollen, sei nicht ersichtlich.

19

Unabhängig von diesen allgemeinen Erwägungen ergebe sich für den vorliegenden Fall auch aus dem Antwortschreiben der Generalstaatsanwaltschaft Florenz vom 7. Oktober 2014 hinreichend deutlich, dass der Vorwurf gegen den Beschwerdeführer in einem neuen Gerichtsverfahren umfassend überprüft werde. Nach diesem Schreiben bestehe im Falle der Wiedereinsetzung ausdrücklich ein Anspruch auf eine neue Hauptverhandlung und eine erneute Ladung; auch werde dem Beschwerdeführer sein Verteidigungsrecht ohne Vorbehalt zugesichert. Auf die Frage, ob dieser gegebenenfalls einen Anspruch auf Nichtigkeitsfeststellung und/oder auf eine Wiederaufnahme gemäß Art. 603 Abs. 4 CPP habe, komme es nach alledem nicht mehr an. Die Einholung eines Rechtsgutachtens zur aktuellen Rechtslage in Italien sei nicht erforderlich gewesen.

20

2. a) Mit Gegenvorstellung vom 13. November 2014 machte der Beschwerdeführer geltend, mit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Art. 175 CPP könne er nach italienischem Strafprozessrecht überhaupt nur erreichen, in die Rechtsmittelfrist einer Berufung eingesetzt zu werden. Das ergebe sich bereits aus dem Schreiben der Generalstaatsanwaltschaft Florenz vom 7. Oktober 2014. Soweit die Generalstaatsanwaltschaft vortrage, es werde erneut eine Hauptverhandlung gegen den Verurteilten stattfinden, könne damit nur die Durchführung einer Berufungshauptverhandlung (Art. 593 ff. CPP) gemeint sein, da Art. 175 CPP lediglich die Wiedereinsetzung in eine Rechtsmittelfrist der Berufung ermögliche. Das Recht, Fragen an Belastungszeugen zu stellen oder stellen zu lassen oder die Ladung und Vernehmung von Entlastungszeugen unter denselben Bedingungen zu erwirken, wie sie für Belastungszeugen gelten, hätte der Beschwerdeführer nach italienischem Strafprozessrecht nur ganz ausnahmsweise, da er die Beweislast dafür trage, dass er von dem damaligen Verfahren keine Kenntnis gehabt habe. Ob eine erneute Beweisaufnahme stattfinde oder nicht, stehe zudem im Ermessen des Richters.

21

b) Mit Beschluss vom 27. November 2014 wies das Oberlandesgericht die Gegenvorstellung des Beschwerdeführers als unbegründet zurück. Der Senat halte an seiner Auffassung fest, dass dem Beschwerdeführer bereits mit der - effektiv gegebenen - Möglichkeit einer Wiedereinsetzung in die Rechtsmittelfrist des italienischen Berufungsverfahrens die Möglichkeit einer umfassenden Überprüfung des gegen ihn gerichteten Vorwurfs im Sinne von § 83 Nr. 3 IRG zur Verfügung stehe, da auf diese Weise eine vollständige Überprüfung der Stichhaltigkeit des gegen den Beschwerdeführer erhobenen Vorwurfs nicht nur in rechtlicher, sondern auch in tatsächlicher Hinsicht gewährleistet sei. Dass die Verteidigungsrechte des Beschwerdeführers gemäß Art. 6 Abs. 3 EMRK im Rahmen der Berufungshauptverhandlung eingeschränkt wären, vermöge der Senat mit Blick auf die ergänzende Auskunft der Generalstaatsanwaltschaft Florenz vom 7. Oktober 2014 nicht zu erkennen. Auch nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte bestehe im Übrigen bei einem in erster Instanz ergangenen Abwesenheitsurteil kein Anspruch auf Wiederholung des erstinstanzlichen Verfahrens; vielmehr solle eine Neuverhandlung vor einem Rechtsmittelgericht genügen.

22

Dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Jahre 1985 die verspätete Berufung nach italienischem Recht als nicht ausreichende Überprüfungsmöglichkeit angesehen habe, führe vorliegend zu keiner anderen Beurteilung. Nach den damals maßgeblichen Vorschriften habe das Berufungsgericht über die Stichhaltigkeit der Anklage unter tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkten nur entscheiden dürfen, wenn es der Ansicht gewesen sei, dass ein Verstoß der zuständigen Behörden gegen die bei der Erklärung einer strafverfolgten Person für "latitante" (untergetaucht) oder gegen die bei der Zustellung von Verfahrensdokumenten zu beachtenden Bestimmungen vorgelegen habe; zudem habe der Angeklagte beweisen müssen, dass er sich der Gerechtigkeit nicht habe entziehen wollen.

23

Eine derartige Beschränkung des italienischen Berufungsgerichts vermöge der Senat jedoch auch unter Berücksichtigung der von dem Beschwerdeführer vorgebrachten Bedenken für das auf diesen nunmehr anwendbare Berufungsverfahren nicht zu erkennen. Die danach jedenfalls bestehende Möglichkeit einer erneuten Erhebung bereits in erster Instanz erhobener Beweise bei der Überprüfung des Abwesenheitsurteils genüge den vom Senat in seinem Beschluss vom 7. November 2014 bereits ausführlich dargelegten Anforderungen an eine umfassende Überprüfung des Anklagevorwurfs im Sinne des § 83 Nr. 3 IRG. Die konkrete Ausgestaltung und Praxis des Berufungsverfahrens nach deutschem Recht könne im Rahmen der Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung an einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union insoweit kein Maßstab sein.

II.

24

Auf den mit der Verfassungsbeschwerde verbundenen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat die 3. Kammer des Zweiten Senats mit Beschluss vom 27. November 2014 entschieden, die Übergabe des Beschwerdeführers an die Behörden der Italienischen Republik bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde, längstens für die Dauer von sechs Monaten, einstweilen auszusetzen. Mit Beschluss vom 13. Mai 2015 hat die 3. Kammer des Zweiten Senats und mit Beschluss vom 3. November 2015 der Zweite Senat die einstweilige Anordnung vom 27. November 2014 für die Dauer von jeweils weiteren sechs Monaten, längstens jedoch bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde, wiederholt (§ 32 Abs. 6 Satz 2 BVerfGG).

III.

25

Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 1, Art. 2 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2, Art. 3 und Art. 103 Abs. 1 GG, seines Grundrechts auf ein faires Verfahren (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 6 Abs. 3 EMRK), eine Verletzung der nach Art. 25 GG verbindlichen völkerrechtlichen Mindeststandards sowie einen Verstoß gegen Art. 6 Abs. 3 EMRK. Er habe zu keinem Zeitpunkt davon Kenntnis gehabt, dass in Italien ein Ermittlungs- beziehungsweise Strafverfahren gegen ihn geführt worden sei. Zudem sei nicht gewährleistet, dass ihm nach seiner Auslieferung das Recht auf ein Gerichtsverfahren eingeräumt werde, in dem die Tatvorwürfe in seiner Anwesenheit erneut in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht überprüft würden.

26

Eine ausreichende Zusicherung der italienischen Regierung liege insoweit nicht vor. Dem Schreiben der Generalstaatsanwaltschaft Florenz vom 7. Oktober 2014 komme nicht die notwendige völkerrechtliche Verbindlichkeit zu. Das Oberlandesgericht habe die fehlende ausdrückliche Zusicherung nicht durch eine eigenständige Würdigung des Schreibens der Generalstaatsanwaltschaft Florenz vom 7. Oktober 2014 ersetzen dürfen. Es hätte überprüfen müssen, ob dieser Zusicherung mit absoluter Sicherheit vertraut werden könne. Bestehende Aufklärungsmöglichkeiten, etwa die Einholung eines Sachverständigengutachtens des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht, habe es nicht ausgeschöpft.

27

Dem Schreiben der Generalstaatsanwaltschaft Florenz lasse sich auch nicht entnehmen, in welcher Weise und in welchem Rechtszug neu verhandelt würde. Da Art. 175 CPP nur die Wiedereinsetzung in die Berufungsfrist gewähre, sei nach italienischem Strafverfahrensrecht (Art. 593 ff. CPP) eine erneute Beweisaufnahme nicht garantiert. Das Berufungsverfahren sei ein reines "Aktenverfahren", bei dem es nur in Ausnahmefällen zu einer erneuten Beweisaufnahme komme. Dies hänge davon ab, ob dem Beschwerdeführer der Nachweis der Unkenntnis von dem in Abwesenheit gegen ihn geführten Verfahren gelinge. Ob eine neue Beweisaufnahme durchgeführt werde, stehe zudem im Ermessen des Richters. Dem Schreiben der Generalstaatsanwaltschaft lasse sich nicht entnehmen, dass mit der neuen Verhandlung eine erstinstanzliche Hauptverhandlung gemeint sei.

IV.

28

Die Akten des Ausgangsverfahrens haben dem Senat vorgelegen. Der Deutsche Bundestag, der Bundesrat, die Bundesregierung, alle Landesregierungen, der Generalbundesanwalt und die Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf hatten Gelegenheit zur Äußerung. Von den Äußerungsberechtigten hat nur der Generalbundesanwalt Stellung genommen. Er hält die Verfassungsbeschwerde für unbegründet.

29

Die Rechtsanwendung durch das Oberlandesgericht sei verfassungsrechtlich unbedenklich. Die fachgerichtliche Würdigung der Erklärungen der italienischen Strafverfolgungsbehörden sei jedenfalls vertretbar. Die Erklärung der Generalstaatsanwaltschaft Florenz vom 7. Oktober 2014 habe das Oberlandesgericht als völkerrechtlich verbindliche Zusicherung eines neuen Verfahrens unter Wahrung der vollständigen Verteidigungsrechte des Beschwerdeführers verstehen dürfen. Die Erklärung enthalte sowohl die Zusicherung eines Verfahrens, in welchem der Tatvorwurf in tatsächlicher Hinsicht geprüft werde, als auch der Wahrung der Verteidigungsrechte.

30

Das Oberlandesgericht sei verfassungsrechtlich nicht gehalten gewesen, den Sachverhalt weiter aufzuklären. Es sei von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, dass das Oberlandesgericht der Erklärung der Generalstaatsanwaltschaft Florenz vertraue. Italien sei ein Mitgliedstaat der Europäischen Union, der bei der Anwendung seiner nationalen Rechtsnormen an die Vorgaben der Rahmenbeschlüsse der Europäischen Union und die Europäische Menschenrechtskonvention gebunden sei. Dass Italien die eingegangenen völkerrechtlichen Verpflichtungen verletzen würde, habe das Oberlandesgericht nicht unterstellen müssen, zumal dies dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung zuwiderlaufe, der das Recht der Europäischen Union präge.

31

Der Einwand des Beschwerdeführers, das Oberlandesgericht habe die Regelungen des italienischen Strafverfahrensrechts unzureichend interpretiert, gehe fehl. Die Behauptung, aus der Rechtsprechung der italienischen Corte di Cassazione ergebe sich, dass auf Verurteilungen, die vor dem 28. April 2014 erfolgt seien, Art. 175 CPP in seiner früheren Fassung anzuwenden sei, greife nicht durch. Eine solche Lesart sei im Antragsvorbringen nicht belegt. Dass die italienische Corte di Cassazione - unter eklatantem Bruch der Europäischen Menschenrechtskonvention und entgegen dem eindeutigen Willen des italienischen Gesetzgebers - zu der vor 2005 geltenden Rechtslage zurückgekehrt sei, erscheine derart fernliegend, dass es keiner weiteren Ausführungen hierzu bedurft habe. Zudem bezögen sich die Darlegungen des Beschwerdeführers primär auf die - offenbar im Jahr 2014 aufgehobene - Regelung zum Nichtigkeitsverfahren.

32

Der vom Beschwerdeführer behaupteten Umkehr der Beweislast zu seinen Lasten stehe jedenfalls die Auskunft der Generalstaatsanwaltschaft Florenz vom 7. Oktober 2014 entgegen, die die Anwendbarkeit der Beweislastregeln in der seit 2005 geltenden Fassung von Art. 175 CPP bestätigt habe. Dieser Fassung sei eine Beweislast zum Nachteil des Angeklagten nicht zu entnehmen. Das Oberlandesgericht habe deshalb keinen Grund zu der Annahme gehabt, der Antragsteller müsse - im Wiederaufnahmeverfahren - seine fehlende Kenntnis von dem gegen ihn in Abwesenheit geführten Verfahren beweisen.

33

In Anbetracht der Zusicherung der italienischen Behörden habe das Oberlandesgericht auch nicht der Frage nachgehen müssen, ob dem Beschwerdeführer die neue Hauptverhandlung in einem erstinstanzlichen Verfahren oder - bei mangelndem Erfolg eines Antrags auf Feststellung der Nichtigkeit des Abwesenheitsurteils aus dem Jahre 1992 - in einem Berufungsverfahren eröffnet würde. Es habe entscheidend darauf abstellen dürfen, dass der gegen den Beschwerdeführer erhobene Tatvorwurf nach seiner Überstellung in einer Tatsacheninstanz unter Wahrung sämtlicher Verteidigungsrechte geprüft werde. Die Erklärung der Generalstaatsanwaltschaft Florenz vom 7. Oktober 2014 sichere dies unter Buchstabe d zu. Im Übrigen genüge es den verfassungsrechtlichen Vorgaben, wenn der Beschwerdeführer nach seiner Überstellung seinen Anspruch auf rechtliches Gehör und wirksame Verteidigung in einem Verfahren wahrnehmen könne. Die Einhaltung dieser Mindestvoraussetzungen habe das Oberlandesgericht angesichts der vorliegenden Zusicherung als gewährleistet betrachten dürfen.

B.

34

Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig. Die strengen Voraussetzungen für eine Identitätskontrolle (vgl. Rn. 49) sind erfüllt. Im Kern zutreffend setzt sich die Beschwerdeschrift mit den verfassungsrechtlichen Aspekten von in Abwesenheit des Verfolgten ergangenen Strafurteilen sowie mit den damit zusammenhängenden Aufklärungspflichten der Gerichte auseinander. Aus der Verfassungsbeschwerde ergibt sich nachvollziehbar die Möglichkeit, dass dem Beschwerdeführer nach seiner Überstellung nach Italien kein Rechtsbehelf zur Verfügung stehen wird, durch den das in seiner Abwesenheit ergangene Strafurteil in einer Weise angefochten werden kann, die seine nach dem Grundgesetz unabdingbaren und von der Garantie der Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 GG umfassten Verteidigungsrechte gewährleistet (§ 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG). Wird die Verletzung der Menschenwürdegarantie geltend gemacht, so prüft das Bundesverfassungsgericht - ungeachtet der bisherigen Rechtsprechung zur Unzulässigkeit von Verfassungsbeschwerden und Vorlagen, mit denen die Verletzung in Grundrechten des Grundgesetzes durch sekundäres Gemeinschafts- beziehungsweise Unionsrecht gerügt wurde (vgl. BVerfGE 73, 339 <378 ff.>; 102, 147 <161 ff.>) - einen solchen schwerwiegenden Grundrechtsverstoß im Rahmen der Identitätskontrolle (vgl. BVerfGE 113, 273 <295 ff.>; 123, 267 <344, 353 f.>; 126, 286 <302 f.>; 129, 78 <100>; 134, 366 <384 f. Rn. 27>; dazu sogleich unter C.I.2.bis 5.).

C.

35

Die Verfassungsbeschwerde ist auch begründet. Die angegriffene Entscheidung verletzt den Beschwerdeführer in seinem Recht aus Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 23 Abs. 1 Satz 3 und Art. 79 Abs. 3 GG.

I.

36

Hoheitsakte der Europäischen Union und - soweit sie durch das Unionsrecht determiniert werden - Akte der deutschen öffentlichen Gewalt sind mit Blick auf den Anwendungsvorrang des Unionsrechts grundsätzlich nicht am Maßstab der im Grundgesetz verankerten Grundrechte zu messen (1.). Der Anwendungsvorrang findet seine Grenze jedoch in den durch Art. 23 Abs. 1 Satz 3 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG für integrationsfest erklärten Grundsätzen der Verfassung (2.). Dazu gehören namentlich die Grundsätze des Art. 1 GG einschließlich des in der Menschenwürdegarantie verankerten Schuldprinzips im Strafrecht (3.). Die Gewährleistung dieser Grundsätze ist auch bei der Anwendung des Rechts der Europäischen Union oder unionsrechtlich determinierter Vorschriften durch die deutsche öffentliche Gewalt im Einzelfall sicherzustellen (4.). Eine Verletzung dieses unabdingbaren Maßes an Grundrechtsschutz kann vor dem Bundesverfassungsgericht allerdings nur gerügt werden, wenn substantiiert dargelegt wird, dass die Würde des Menschen im konkreten Fall tatsächlich beeinträchtigt wird (5.).

37

1. Nach Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG wirkt die Bundesrepublik Deutschland an der Gründung und Fortentwicklung der Europäischen Union mit. Für den Erfolg der Europäischen Union ist die einheitliche Geltung ihres Rechts von zentraler Bedeutung (vgl. BVerfGE 73, 339 <368>; 123, 267 <399>; 126, 286 <301 f.>). Als Rechtsgemeinschaft von derzeit 28 Mitgliedstaaten könnte sie nicht bestehen, wenn die einheitliche Geltung und Wirksamkeit ihres Rechts nicht gewährleistet wäre (vgl. grundlegend EuGH, Urteil vom 15. Juli 1964, Costa/ENEL, 6/64, Slg. 1964, S. 1251 <1269 f.>). Art. 23 Abs. 1 GG enthält insoweit auch ein Wirksamkeits- und Durchsetzungsversprechen für das unionale Recht (vgl. BVerfGE 126, 286 <302>).

38

Mit der in Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG enthaltenen Ermächtigung, Hoheitsrechte auf die Europäische Union zu übertragen, billigt das Grundgesetz daher die im Zustimmungsgesetz zu den Verträgen enthaltene Einräumung eines Anwendungsvorrangs zugunsten des Unionsrechts. Der Anwendungsvorrang des Unionsrechts vor nationalem Recht gilt grundsätzlich auch mit Blick auf entgegenstehendes nationales Verfassungsrecht (vgl. BVerfGE 129, 78 <100>) und führt bei einer Kollision im konkreten Fall in aller Regel zu dessen Unanwendbarkeit (vgl. BVerfGE 126, 286 <301>).

39

Auf der Grundlage von Art. 23 Abs. 1 GG kann der Integrationsgesetzgeber nicht nur Organe und Stellen der Europäischen Union, soweit sie in Deutschland öffentliche Gewalt ausüben, von einer umfassenden Bindung an die Grundrechte und andere Gewährleistungen des Grundgesetzes freistellen, sondern auch deutsche Stellen, die Recht der Europäischen Union vollziehen (vgl. Streinz, Bundesverfassungsgerichtlicher Grundrechtsschutz und Europäisches Gemeinschaftsrecht, 1989, S. 247 ff.). Das gilt nicht zuletzt für die Gesetzgeber auf Bundes- und Landesebene, wenn diese Sekundär- oder Tertiärrecht umsetzen, ohne dabei über einen Gestaltungsspielraum zu verfügen (vgl. BVerfGE 118, 79 <95>; 122, 1 <20>). Umgekehrt sind die bei Bestehen eines Gestaltungsspielraums zur Ausfüllung erlassenen Rechtsakte einer verfassungsgerichtlichen Kontrolle zugänglich (vgl. BVerfGE 122, 1 <20 f.>; 129, 78 <90 f.>).

40

2. Der Anwendungsvorrang reicht jedoch nur soweit, wie das Grundgesetz und das Zustimmungsgesetz die Übertragung von Hoheitsrechten erlauben oder vorsehen (vgl. BVerfGE 73, 339 <375 f.>; 89, 155 <190>; 123, 267 <348 ff.>; 126, 286 <302>; 129, 78 <99>; 134, 366 <384 Rn. 26>). Der im Zustimmungsgesetz enthaltene Rechtsanwendungsbefehl kann nur im Rahmen der geltenden Verfassungsordnung erteilt werden (vgl. BVerfGE 123, 267 <402>). Grenzen für die Öffnung deutscher Staatlichkeit ergeben sich - jenseits des im Zustimmungsgesetz niedergelegten Integrationsprogramms in seiner konkreten Ausgestaltung - aus der in Art. 79 Abs. 3 GG niedergelegten Verfassungsidentität des Grundgesetzes (a). Dies ist mit dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit (Art. 4 Abs. 3 EUV) vereinbar (b) und wird auch dadurch bestätigt, dass sich im Verfassungsrecht der meisten anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union vergleichbare Grenzen finden (c).

41

a) Der Anwendungsvorrang des Unionsrechts wird im Wesentlichen durch die in Art. 23 Abs. 1 Satz 3 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG verfassungsänderungs- und integrationsfest ausgestaltete Verfassungsidentität des Grundgesetzes begrenzt (aa). Zu deren Sicherstellung dient die Identitätskontrolle durch das Bundesverfassungsgericht (bb).

42

aa) Soweit Maßnahmen eines Organs oder einer sonstigen Stelle der Europäischen Union Auswirkungen zeitigen, die die durch Art. 79 Abs. 3 GG in Verbindung mit den in Art. 1 und 20 GG niedergelegten Grundsätzen geschützte Verfassungsidentität berühren, gehen sie über die grundgesetzlichen Grenzen offener Staatlichkeit hinaus. Auf einer primärrechtlichen Ermächtigung kann eine derartige Maßnahme nicht beruhen, weil auch der mit der Mehrheit des Art. 23 Abs. 1 Satz 3 GG in Verbindung mit Art. 79 Abs. 2 GG entscheidende Integrationsgesetzgeber der Europäischen Union keine Hoheitsrechte übertragen kann, mit deren Inanspruchnahme eine Berührung der von Art. 79 Abs. 3 GG geschützten Verfassungsidentität einherginge (vgl. BVerfGE 113, 273 <296>; 123, 267 <348>; 134, 366 <384 Rn. 27>). Auf eine Rechtsfortbildung zunächst verfassungsmäßiger Einzelermächtigungen kann sie ebenfalls nicht gestützt werden, weil das Organ oder die Stelle der Europäischen Union damit ultra vires handelte (vgl. BVerfGE 134, 366 <384 Rn. 27>).

43

bb) Im Rahmen der Identitätskontrolle ist zu prüfen, ob die durch Art. 79 Abs. 3 GG für unantastbar erklärten Grundsätze durch eine Maßnahme der Europäischen Union berührt werden (vgl. BVerfGE 123, 267 <344, 353 f.>; 126, 286 <302>; 129, 78 <100>; 134, 366 <384 f. Rn. 27>). Diese Prüfung kann - wie der Solange-Vorbehalt (vgl. BVerfGE 37, 271 <277 ff.>; 73, 339 <387>; 102, 147 <161 ff.>) oder die Ultra-vires-Kontrolle (BVerfGE 58, 1 <30 f.>; 75, 223 <235, 242>; 89, 155 <188>; 123, 267 <353 ff.>; 126, 286 <302 ff.>; 134, 366 <382 ff. Rn. 23 ff.>) - im Ergebnis dazu führen, dass Unionsrecht in Deutschland in eng begrenzten Einzelfällen für unanwendbar erklärt werden muss. Um zu verhindern, dass sich deutsche Behörden und Gerichte ohne weiteres über den Geltungsanspruch des Unionsrechts hinwegsetzen, verlangt die europarechtsfreundliche Anwendung von Art. 79 Abs. 3 GG zum Schutz der Funktionsfähigkeit der unionalen Rechtsordnung und bei Beachtung des in Art. 100 Abs. 1 GG zum Ausdruck kommenden Rechtsgedankens aber, dass die Feststellung einer Verletzung der Verfassungsidentität dem Bundesverfassungsgericht vorbehalten bleibt (vgl. BVerfGE 123, 267 <354>). Dies wird auch durch die Regelung des Art. 100 Abs. 2 GG unterstrichen, nach der bei Zweifeln, ob eine allgemeine Regel des Völkerrechts Rechte und Pflichten für den Einzelnen erzeugt, das Bundesverfassungsgericht angerufen werden muss (vgl. BVerfGE 37, 271 <285>). Mit der Identitätskontrolle kann das Bundesverfassungsgericht auch im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG) befasst werden (vgl. BVerfGE 123, 267 <354 f.>).

44

b) Die Identitätskontrolle verstößt nicht gegen den Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit im Sinne von Art. 4 Abs. 3 EUV. Sie ist vielmehr in Art. 4 Abs. 2 Satz 1 EUV der Sache nach angelegt (vgl. zur Berücksichtigung der nationalen Identität auch EuGH, Urteil vom 2. Juli 1996, Kommission/Luxemburg, C-473/93, SIg. 1996, I-3207, Rn. 35; Urteil vom 14. Oktober 2004, Omega, C-36/02, Slg. 2004, I-9609, Rn. 31 ff.; Urteil vom 12. Juni 2014, Digibet und Albers, C-156/13, EU:C:2014:1756, Rn. 34) und entspricht insoweit auch den besonderen Gegebenheiten der Europäischen Union. Die Europäische Union ist ein Staaten-, Verfassungs-, Verwaltungs- und Rechtsprechungsverbund, der seine Grundlagen letztlich in völkerrechtlichen Verträgen der Mitgliedstaaten findet. Als Herren der Verträge entscheiden diese durch nationale Geltungsanordnungen darüber, ob und inwieweit das Unionsrecht im jeweiligen Mitgliedstaat Geltung und Vorrang beanspruchen kann (vgl. BVerfGE 75, 223 <242>; 89, 155 <190>; 123, 267 <348 f., 381 ff.>; 126, 286 <302 f.>; 134, 366 <384 Rn. 26>). Nicht entscheidend ist, ob die Geltungsanordnung - wie in Frankreich (Art. 55 FrzVerf.), Österreich (Bundesverfassungsgesetz über den Beitritt Österreichs zur Europäischen Union, BGBl für die Republik Österreich Nr. 744/1994) oder Spanien (Art. 96 Abs. 1 SpanVerf.) - im nationalen Verfassungsrecht oder - wie in Großbritannien - im Zustimmungsgesetz (European Communities Act 1972; vgl. Court of Appeal, Macarthys v. Smith, <1981> 1 All ER 111 <120>; Macarthys v. Smith, <1979> 3 All ER 325 <329>; House of Lords, Garland v. British Rail Engineering, <1982> 2 All ER 402 <415>) ausdrücklich niedergelegt ist, ob sie - wie in Deutschland - aufgrund einer systematischen, teleologischen und historischen Auslegung dem Zustimmungsgesetz entnommen oder ob die Nachrangigkeit des nationalen Rechts gegenüber dem Unionsrecht - wie in Italien - durch eine einzelfallbezogene Handhabung des nationalen Rechts erreicht wird (vgl. Corte Costituzionale, Entscheidung Nr. 170/1984, Granital, EuGRZ 1985, S. 98).

45

Es bedeutet daher keinen Widerspruch zur Europarechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes (Präambel, Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG), wenn das Bundesverfassungsgericht unter eng begrenzten Voraussetzungen die Maßnahme eines Organs oder einer Stelle der Europäischen Union für in Deutschland ausnahmsweise nicht anwendbar erklärt (vgl. BVerfGE 37, 271 <280 ff.>; 73, 339 <374 ff.>; 75, 223 <235, 242>; 89, 155 <174 f.>; 102, 147 <162 ff.>; 123, 267 <354, 401>).

46

Eine substantielle Gefahr für die einheitliche Anwendung des Unionsrechts ergibt sich daraus nicht. Zum einen wird gerade im Hinblick auf die hier in Rede stehenden Grundsätze des Art. 1 GG eine Verletzung schon deshalb nur selten vorkommen, weil Art. 6 EUV, die Charta der Grundrechte und die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union in der Regel einen wirksamen Schutz der Grundrechte gegenüber Maßnahmen von Organen, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Europäischen Union gewährleisten (vgl. nur EuGH, Urteil vom 9. November 2010, Schecke und Eifert, C-92/09 und C-93/09, Slg. 2010, I-11063, Rn. 43 ff.; Urteil vom 8. April 2014, Digital Rights Ireland und Seitlinger, C-293/12 und C-594/12, EU:C:2014:238, Rn. 23 ff.; Urteil vom 13. Mai 2014, Google Spain und Google, C-131/12, EU:C:2014:317, Rn. 42 ff., 62 ff., 89 ff.; Urteil vom 6. Oktober 2015, Schrems, C-362/14, EU:C:2015:650, Rn. 91 ff.). Zum anderen sind die dem Bundesverfassungsgericht vorbehaltenen Kontrollbefugnisse zurückhaltend und europarechtsfreundlich auszuüben (vgl. BVerfGE 126, 286 <303>). Soweit erforderlich, legt es seiner Prüfung dabei die Maßnahme in der Auslegung zugrunde, die ihr in einem Vorabentscheidungsverfahren gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV durch den Gerichtshof der Europäischen Union gegeben wurde. Das gilt nicht nur im Rahmen der Ultra-vires-Kontrolle, sondern auch vor der Feststellung der Unanwendbarkeit einer Maßnahme von Organen, Einrichtungen oder sonstigen Stellen der Europäischen Union in Deutschland wegen einer Berührung der durch Art. 79 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 1 und 20 GG geschützten Verfassungsidentität (vgl. BVerfGE 123, 267 <353>; 126, 286 <304>; 134, 366 <385 Rn. 27>).

47

c) Die Vereinbarkeit der verfassungsgerichtlichen Identitätskontrolle mit dem Unionsrecht wird zusätzlich dadurch unterstrichen, dass sich, mit Modifikationen im Detail, auch im Verfassungsrecht zahlreicher anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Union Vorkehrungen zum Schutz der Verfassungsidentität und der Grenzen der Übertragung von Souveränitätsrechten auf die Europäische Union finden (vgl. insoweit BVerfGE 134, 366 <387 Rn. 30>). Die weitaus überwiegende Zahl der Verfassungs- und Obergerichte der anderen Mitgliedstaaten teilt für ihren jeweiligen Zuständigkeitsbereich die Auffassung des Bundesverfassungsgerichts, dass der (Anwendungs-)Vorrang des Unionsrechts nicht unbegrenzt gilt, sondern dass ihm durch das nationale (Verfassungs-)Recht Grenzen gezogen werden (vgl. für das Königreich Dänemark: Højesteret, Urteil vom 6. April 1998 - I 361/1997 -, Abschn. 9.8; für die Republik Estland: Riigikohus, Urteil vom 12. Juli 2012 - 3-4-1-6-12 -, Abs.-Nr. 128, 223; für die Französische Republik: Conseil Constitutionnel, Entscheidung Nr. 2006-540 DC vom 27. Juli 2006, 19. Erwägungsgrund; Entscheidung Nr. 2011-631 DC vom 9. Juni 2011, 45. Erwägungsgrund; Conseil d'État, Urteil vom 8. Februar 2007, Nr. 287110 , Société Arcelor Atlantique et Lorraine, EuR 2008, S. 57 <60 f.>; für Irland: Supreme Court of Ireland, Crotty v. An Taoiseach, <1987>, I.R. 713 <783>; S.P.U.C. Ltd. v. Grogan, <1989>, I.R. 753 <765>; für die Italienische Republik: Corte Costituzionale, Entscheidung Nr. 98/1965, Acciaierie San Michele, EuR 1966, S. 146; Entscheidung Nr. 183/1973, Frontini, EuR 1974, S. 255; Entscheidung Nr. 170/1984, Granital, EuGRZ 1985, S. 98; Entscheidung Nr. 232/1989, Fragd; Entscheidung Nr. 168/1991; Entscheidung Nr. 117/1994, Zerini; für die Republik Lettland: Satversmes tiesa, Urteil vom 7. April 2009 - 2008-35-01 -, Abs.-Nr. 17; für die Republik Polen: Trybunal Konstytucyjny, Urteile vom 11. Mai 2005 - K 18/04 -, Rn. 4.1., 10.2.; vom 24. November 2010 - K 32/09 -, Rn. 2.1. ff.; vom 16. November 2011 - SK 45/09 -, Rn. 2.4., 2.5.; für das Königreich Spanien: Tribunal Constitucional, Erklärung vom 13. Dezember 2004, DTC 1/2004, Punkt 2 der Entscheidungsgründe, EuR 2005, S. 339 <343> und Entscheidung vom 13. Februar 2014, STC 26/2014, Punkt 3 der Entscheidungsgründe, HRLJ 2014, S. 475 <477 f.>; für die Tschechische Republik: Ústavni Soud, Urteil vom 8. März 2006, Pl. ÚS 50/04, Abschn. VI.B.; Urteil vom 3. Mai 2006, Pl. ÚS 66/04, Rn. 53; Urteil vom 26. November 2008, Pl. ÚS 19/08, Rn. 97, 113, 196; Urteil vom 3. November 2009, Pl. ÚS 29/09, Rn. 110 ff.; Urteil vom 31. Januar 2012, Pl. ÚS 5/12, Abschn. VII.; für das Vereinigte Königreich: High Court, Urteil vom 18. Februar 2002, Thoburn v. Sunderland City Council, <2002> EWHC 195 , Abs.-Nr. 69; UK Supreme Court, Urteil vom 22. Januar 2014, R v. The Secretary of State for Transport, <2014> UKSC 3, Abs.-Nr. 79, 207; Urteil vom 25. März 2015, Pham v. Secretary of State for the Home Department, <2015> UKSC 19, Abs.-Nr. 54, 58, 72 bis 92).

48

3. Zu den Schutzgütern der in Art. 79 Abs. 3 GG niedergelegten Verfassungsidentität, die auch vor Eingriffen durch die supranational ausgeübte öffentliche Gewalt geschützt sind, gehören die Grundsätze des Art. 1 GG, also die Verpflichtung aller staatlichen Gewalt, die Würde des Menschen zu achten und zu schützen (Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG), aber auch der in der Menschenwürdegarantie des Art. 1 Abs. 1 GG verankerte Grundsatz, dass jede Strafe Schuld voraussetzt (vgl. BVerfGE 123, 267 <413>).

49

4. Die in Art. 23 Abs. 1 Satz 3 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG für integrationsfest erklärten Schutzgüter dulden auch keine Relativierung im Einzelfall (vgl. BVerfGE 113, 273 <295 ff.>; 123, 267 <344>; 126, 286 <302 f.>; 129, 78 <100>; 129, 124 <177 ff.>; 132, 195 <239 ff. Rn. 106 ff.>; 134, 366 <384 ff. Rn. 27 ff.>). Dies gilt insbesondere mit Blick auf Art. 1 Abs. 1 GG. Die Menschenwürde stellt den höchsten Rechtswert innerhalb der verfassungsmäßigen Ordnung dar (vgl. BVerfGE 27, 1 <6>; 30, 173 <193>; 32, 98 <108>; 117, 71 <89>). Ihre Achtung und ihr Schutz gehören zu den Konstitutionsprinzipien des Grundgesetzes (vgl. BVerfGE 45, 187 <227>; 131, 268 <286>; stRspr), denen auch der in der Präambel und in Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG zum Ausdruck kommende Integrationsauftrag und die Europarechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes (vgl. BVerfGE 123, 267 <354>; 126, 286 <303>; 129, 124 <172>; 132, 287 <292 Rn. 11>) Rechnung tragen müssen. Vor diesem Hintergrund gewährleistet das Bundesverfassungsgericht im Wege der Identitätskontrolle den gemäß Art. 23 Abs. 1 Satz 3 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 und Art. 1 Abs. 1 GG unabdingbar gebotenen Grundrechtsschutz uneingeschränkt und im Einzelfall.

50

5. Die strengen Voraussetzungen für eine Aktivierung der Identitätskontrolle schlagen sich in erhöhten Zulässigkeitsanforderungen an entsprechende Verfassungsbeschwerden nieder. Es muss im Einzelnen substantiiert dargelegt werden, inwieweit im konkreten Fall die durch Artikel 1 GG geschützte Garantie der Menschenwürde verletzt ist.

II.

51

Die angegriffene Entscheidung des Oberlandesgerichts überschreitet die durch Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 23 Abs. 1 Satz 3 und Art. 79 Abs. 3 GG gezogenen Grenzen. Der Vollzug des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl betrifft das Schuldprinzip, das in der Garantie der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) und im Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) wurzelt und Teil der unverfügbaren Verfassungsidentität des Grundgesetzes ist (1.). Dies rechtfertigt und gebietet eine auf dieses Schutzgut beschränkte Prüfung der Entscheidung des Oberlandesgerichts am Maßstab des Grundgesetzes, obwohl diese unionsrechtlich determiniert ist (2.). Zwar genügen die der Entscheidung zugrunde liegenden Vorgaben des Unionsrechts und das zu dessen Umsetzung ergangene deutsche Recht den Anforderungen des Art. 1 Abs. 1 GG, da sie die notwendigen Rechte des Verfolgten bei Auslieferungen zur Vollstreckung von in Abwesenheit ergangenen Strafurteilen gewährleisten und eine angemessene Sachverhaltsaufklärung der mit der Auslieferung befassten Gerichte nicht nur zulassen, sondern fordern (3.). Ihre Anwendung durch das Oberlandesgericht verletzt das Schuldprinzip und damit den Beschwerdeführer jedoch in seinem Grundrecht aus Art. 1 Abs. 1 GG, weil sie der Bedeutung und Tragweite der Menschenwürde bei der Auslegung der Bestimmungen des Rahmenbeschlusses und des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen nicht hinreichend Rechnung trägt (4.).

52

1. Durch den Vollzug des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl kann Art. 1 Abs. 1 GG verletzt werden, weil bei einer Auslieferung zur Vollstreckung eines in Abwesenheit des Verfolgten ergangenen Strafurteils eine strafrechtliche Reaktion auf ein sozialethisches Fehlverhalten durchgesetzt wird, die ohne Feststellung der individuellen Vorwerfbarkeit mit der Garantie der Menschenwürde und dem Rechtsstaatsprinzip unvereinbar wäre (a). Auch in dem unionsrechtlich determinierten Verfahren der Auslieferung aufgrund eines Europäischen Haftbefehls müssen daher die der Ermittlung des wahren Sachverhalts dienenden rechtsstaatlichen Mindestgarantien an Verfahrensrechten des Beschuldigten sichergestellt sein, die zur Verwirklichung des materiellen Schuldprinzips erforderlich sind (b).

53

a) Das Strafrecht beruht auf dem Schuldgrundsatz (BVerfGE 123, 267 <413>; 133, 168 <197 Rn. 53>). Dieser den gesamten Bereich staatlichen Strafens beherrschende Grundsatz ist in der Garantie der Würde und Eigenverantwortlichkeit des Menschen sowie im Rechtsstaatsprinzip verankert (vgl. BVerfGE 45, 187 <259 f.>; 86, 288 <313>; 95, 96 <140>; 120, 224 <253 f.>; 130, 1 <26>; 133, 168 <197 Rn. 53>). Mit seiner Grundlage in der Menschenwürdegarantie des Art. 1 Abs. 1 GG gehört der Schuldgrundsatz zu der wegen Art. 79 Abs. 3 GG unverfügbaren Verfassungsidentität, die auch vor Eingriffen durch die supranational ausgeübte öffentliche Gewalt geschützt ist (vgl. BVerfGE 123, 267 <413>). Er muss daher auch bei einer Auslieferung zur Vollstreckung eines in Abwesenheit des Verfolgten ergangenen Strafurteils gewahrt werden.

54

aa) Der Grundsatz "Keine Strafe ohne Schuld" (nulla poena sine culpa) setzt die Eigenverantwortung des Menschen voraus, der sein Handeln selbst bestimmt und sich kraft seiner Willensfreiheit zwischen Recht und Unrecht entscheiden kann. Dem Schutz der Menschenwürde in Art. 1 Abs. 1 GG liegt die Vorstellung vom Menschen als einem geistig-sittlichen Wesen zugrunde, das darauf angelegt ist, sich in Freiheit selbst zu bestimmen und zu entfalten (vgl. BVerfGE 45, 187 <227>; 123, 267 <413>; 133, 168 <197 Rn. 54>). Deshalb bestimmt Art. 1 Abs. 1 GG auf dem Gebiet der Strafrechtspflege die Auffassung vom Wesen der Strafe und dem Verhältnis von Schuld und Sühne (vgl. BVerfGE 95, 96 <140>) sowie den Grundsatz, dass jede Strafe Schuld voraussetzt (vgl. BVerfGE 57, 250 <275>; 80, 367 <378>; 90, 145 <173>; 123, 267 <413>; 133, 168 <197 f. Rn. 54>). Mit der Strafe wird dem Täter ein sozialethisches Fehlverhalten vorgeworfen (vgl. BVerfGE 20, 323 <331>; 95, 96 <140>; 110, 1 <13>; 133, 168 <198 Rn. 54>). Das damit verbundene Unwerturteil berührt den Betroffenen in seinem in der Menschenwürde wurzelnden Wert- und Achtungsanspruch (vgl. BVerfGE 96, 245 <249>; 101, 275 <287>). Eine solche staatliche Reaktion wäre ohne Feststellung der individuellen Vorwerfbarkeit mit der Garantie der Menschenwürde und dem Rechtsstaatsprinzip unvereinbar (vgl. BVerfGE 20, 323 <331>; 95, 96 <140>; 133, 168 <198 Rn. 54>).

55

bb) Der Schuldgrundsatz ist somit zugleich ein zwingendes Erfordernis des Rechtsstaatsprinzips. Das Rechtsstaatsprinzip ist eines der elementaren Prinzipien des Grundgesetzes (BVerfGE 20, 323 <331>; 133, 168 <198 Rn. 55>). Es sichert den Gebrauch der Freiheitsrechte, indem es Rechtssicherheit gewährt, die Staatsgewalt an das Gesetz bindet und Vertrauen schützt (BVerfGE 95, 96 <130>). Das Rechtsstaatsprinzip umfasst als eine der Leitideen des Grundgesetzes auch die Forderung nach materieller Gerechtigkeit (vgl. BVerfGE 7, 89 <92>; 7, 194 <196>; 45, 187 <246>; 74, 129 <152>; 122, 248 <272>) und schließt den Grundsatz der Rechtsgleichheit als eines der grundlegenden Gerechtigkeitspostulate ein (vgl. BVerfGE 84, 90 <121>). Für den Bereich des Strafrechts werden diese rechtsstaatlichen Anliegen in dem Grundsatz aufgenommen, dass keine Strafe ohne Schuld verwirkt wird (BVerfGE 95, 96 <130 f.>; 133, 168 <198 Rn. 55>). Gemessen an der Idee der Gerechtigkeit müssen Straftatbestand und Rechtsfolge sachgerecht aufeinander abgestimmt sein (vgl. BVerfGE 20, 323 <331>; 25, 269 <286>; 27, 18 <29>; 50, 205 <214 f.>; 120, 224 <241>; stRspr). Die Strafe muss in einem gerechten Verhältnis zur Schwere der Tat und zum Verschulden des Täters stehen (vgl. BVerfGE 20, 323 <331>; 45, 187 <228>; 50, 5 <12>; 73, 206 <253>; 86, 288 <313>; 96, 245 <249>; 109, 133 <171>; 110, 1 <13>; 120, 224 <254>; 133, 168 <198 Rn. 55>). In diesem Sinne hat die Strafe die Bestimmung, gerechter Schuldausgleich zu sein (vgl. BVerfGE 45, 187 <253 f.>; 109, 133 <173>; 120, 224 <253 f.>; 133, 168 <198 Rn. 55>).

56

b) Die Verwirklichung des Schuldgrundsatzes ist gefährdet, wenn die Ermittlung des wahren Sachverhalts nicht sichergestellt ist (aa). Die Zumessung einer angemessenen Strafe, die zugleich einen sittlich-ethischen Vorwurf darstellt, setzt die Auseinandersetzung mit der Persönlichkeit des Angeklagten und damit grundsätzlich dessen Anwesenheit voraus. Der Schuldgrundsatz macht daher Mindestgarantien von Beschuldigtenrechten im Strafprozess erforderlich, durch die gewährleistet wird, dass der Beschuldigte Umstände vorbringen und prüfen lassen kann, die zu seiner Entlastung führen oder für die Strafzumessung relevant sein können (bb). Diese Garantien müssen auch bei der Auslieferung zur Vollstreckung eines in Abwesenheit des Verfolgten ergangenen Strafurteils gewahrt werden (cc).

57

aa) Die Ermittlung des wahren Sachverhalts, ohne den sich das materielle Schuldprinzip nicht verwirklichen lässt, ist zentrales Anliegen des Strafprozesses (vgl. BVerfGE 57, 250 <275>; 118, 212 <231>; 122, 248 <270>; 130, 1 <26>; 133, 168 <199 Rn. 56>). Dessen Aufgabe ist es, den Strafanspruch des Staates um des Schutzes der Rechtsgüter Einzelner und der Allgemeinheit willen in einem justizförmigen Verfahren durchzusetzen und dem mit Strafe Bedrohten eine wirksame Sicherung seiner Grundrechte zu gewährleisten. Der Strafprozess hat das aus der Würde des Menschen als eigenverantwortlich handelnder Person und dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitete Prinzip, dass keine Strafe ohne Schuld verhängt werden darf, zu sichern und entsprechende verfahrensrechtliche Vorkehrungen bereitzustellen (vgl. BVerfGE 122, 248 <270>; 133, 168 <199 Rn. 56>). Dem Täter müssen Tat und Schuld prozessordnungsgemäß nachgewiesen werden (vgl. BVerfGE 9, 167 <169>; 74, 358 <371>; 133, 168 <199 Rn. 56>). Bis zum Nachweis der Schuld wird seine Unschuld vermutet (vgl. BVerfGE 35, 311 <320>; 74, 358 <371>; stRspr).

58

bb) Ziel und Aufgabe des Strafverfahrens ist es, die dem Täter und der Tat angemessene Strafe auszusprechen. Im deutschen Rechtskreis ist mit Strafe weit mehr als ein belastender Rechtseingriff oder ein Übel, das den Täter trifft, gemeint. Als Charakteristikum der Kriminalstrafe wird hier neben einem solchen Eingriff oder Übel mit dem Strafausspruch auch ein Tadel oder Vorwurf zum Ausdruck gebracht. Es handelt sich um einen sozial-ethischen Vorwurf oder um eine besondere sittliche Missbilligung. Mit Strafe im Sinne des Grundgesetzes ist also nicht nur der Vorwurf irgendeiner Rechtsverletzung gemeint, sondern die Verletzung eines Teils des Rechts, das eine tiefere, nämlich eine sozial-ethische Fundierung besitzt (vgl. BVerfGE 25, 269 <286>; 90, 145 <200 - abw. M.>; 95, 96 <140>; 96, 10 <25>; 96, 245 <249>; 109, 133 <167>; 109, 190 <217>; 120, 224 <240>; 123, 267 <408>; siehe im Vergleich hierzu die Bewertung von Geldbußen in BVerfGE 42, 261 <263>; aus der Literatur siehe nur Weigend, in: Leipziger Kommentar, Band 1, 12. Aufl. 2007, Einleitung Rn. 1; Radtke, in: MüKo, StGB, 2. Aufl. 2012, Vorbem. zu §§ 38 ff., Rn. 14; ders., GA 2011, S. 636 <646>; Roxin, Strafrecht AT, Band 1, 4. Aufl. 2006, § 3 Rn. 46, S. 89). Daraus folgt aber, dass eine Strafe, die die Persönlichkeit des Täters nicht umfassend berücksichtigt, keine der Würde des Angeklagten angemessene Strafe sein kann. Dies wiederum setzt grundsätzlich voraus, dass das Gericht in der öffentlichen Hauptverhandlung in Anwesenheit des Angeklagten einen Einblick in seine Persönlichkeit, seine Beweggründe, seine Sicht der Tat, des Opfers und der Tatumstände erhält. Jedenfalls muss für den Angeklagten das Recht gewährleistet sein, insbesondere rechtfertigende, entschuldigende oder strafmildernde Umstände dem Gericht persönlich, im Gegenüber von Angeklagtem und Richter, darzulegen. Denn der Vorwurf eines sozial-ethischen Fehlverhaltens ist ein die Persönlichkeit des Verurteilten treffender Vorwurf (vgl. BVerfGE 96, 245 <249>; 101, 275 <287>), der ihn in seinem Wert- und Achtungsanspruch, der in der Menschenwürde wurzelt, berührt.

59

cc) Die durch den Schuldgrundsatz gebotenen Mindestgarantien von Beschuldigtenrechten im Strafprozess sind auch bei der Entscheidung über die Auslieferung zur Vollstreckung eines in Abwesenheit des Verfolgten ergangenen Strafurteils zu beachten (1). Die deutschen Gerichte trifft insoweit eine "Gewährleistungsverantwortung" mit Blick auf den ersuchenden Staat (2).

60

(1) In ständiger Rechtsprechung geht das Bundesverfassungsgericht davon aus, dass bei der Auslieferung zur Vollstreckung von Abwesenheitsurteilen die unabdingbaren verfassungsrechtlichen Grundsätze (vgl. BVerfGE 59, 280 <282 ff.>; BVerfGK 3, 27 <32>; 3, 314 <317>; 6, 13 <18>; 6, 334 <341 f.>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 17. November 1986 - 2 BvR 1255/86 -, NJW 1987, S. 830 <830>; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 24. Januar 1991 - 2 BvR 1704/90 -, NJW 1991, S. 1411 <1411>) beziehungsweise der unverzichtbare Bestand der deutschen öffentlichen Ordnung (BVerfGE 63, 332 <338>) zu beachten sind. Der Senat hat daher die Auslieferung zur Vollstreckung eines in Abwesenheit des Verfolgten ergangenen ausländischen Strafurteils für unzulässig erklärt, sofern der Verfolgte weder über die Tatsache der Durchführung und des Abschlusses des betreffenden Verfahrens unterrichtet noch ihm eine tatsächlich wirksame Möglichkeit eröffnet war, sich nach Erlangung dieser Kenntnis nachträglich rechtliches Gehör zu verschaffen und effektiv zu verteidigen (vgl. BVerfGE 63, 332 <338>; BVerfGK 3, 27 <32 f.>; 3, 314 <318>; 6, 13 <18>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 24. Januar 1991 - 2 BvR 1704/90 -, NJW 1991, S. 1411 <1411>).

61

Soll der Verfolgte im ersuchenden Staat nicht zum bloßen Objekt eines ihn betreffenden staatlichen Verfahrens gemacht werden, muss er die Möglichkeit haben, auf das Verfahren einzuwirken, sich persönlich zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen zu äußern, entlastende Umstände vorzutragen sowie deren Nachprüfung und gegebenenfalls auch Berücksichtigung zu erreichen.

62

(2) Die zuständigen Auslieferungsgerichte tragen insoweit auch für die Behandlung des Verfolgten im ersuchenden Staat Verantwortung. Zwar endet die grundrechtliche Verantwortlichkeit der deutschen öffentlichen Gewalt grundsätzlich dort, wo ein Vorgang in seinem wesentlichen Verlauf von einem fremden souveränen Staat nach dessen eigenem, von der Bundesrepublik Deutschland unabhängigen Willen gestaltet wird (vgl. BVerfGE 66, 39 <56 ff., 63 f.>). Gleichwohl darf die deutsche Hoheitsgewalt die Hand nicht zu Verletzungen der Menschenwürde durch andere Staaten reichen (vgl. BVerfGE 59, 280 <282 f.>; 60, 348 <355 ff.>; 63, 332 <337 f.>; 75, 1 <19>; 108, 129 <136 f.>; 113, 154 <162 f.>).

63

Das über die Auslieferung entscheidende Gericht trifft deshalb eine Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts, die ebenfalls dem Schutz von Art. 1 Abs. 1 GG unterfällt (a). Dies gilt unbeschadet des den europäischen Auslieferungsverkehr beherrschenden Grundsatzes des gegenseitigen Vertrauens (b).

64

(a) Inhalt und Umfang der prozessualen Aufklärungspflicht im gerichtlichen Auslieferungsverfahren lassen sich nicht abstrakt-generell festlegen, sondern hängen von den Gegebenheiten des Einzelfalls ab.

65

Zu dem von den deutschen Gerichten zu ermittelnden Sachverhalt gehört insbesondere die Behandlung, die der Verfolgte im ersuchenden Staat zu erwarten hat. Bei der Prüfung der Zulässigkeit der Auslieferung haben sie grundsätzlich die ihnen möglichen Ermittlungen zur Aufklärung einer behaupteten Verletzung der verfassungsrechtlichen Grundsätze von Amts wegen durchzuführen; den Betroffenen trifft insoweit keine Beweislast (vgl. BVerfGE 8, 81 <84 f.>; 52, 391 <406 f.>; 63, 215 <225>; 64, 46 <59>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 29. Mai 1996 - 2 BvR 66/96 -, EuGRZ 1996, S. 324 <326>; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 15. Dezember 1996 - 2 BvR 2407/96 -, juris, Rn. 6; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 9. September 2000 - 2 BvR 1560/00 -, NJW 2001, S. 3111 <3112>).

66

Umfang und Ausmaß der Ermittlungen, zu deren Vornahme das Gericht im Hinblick auf die Einhaltung des Schuldprinzips verpflichtet ist, richten sich nach Art und Gewicht der vom Verfolgten vorgetragenen Anhaltspunkte für eine Unterschreitung des durch Art. 1 Abs. 1 GG gebotenen Mindeststandards. Als Beweismittel kommen dabei sämtliche Erkenntnismittel in Betracht, die nach den Grundsätzen der Logik, allgemeiner Erfahrung oder wissenschaftlicher Erkenntnis geeignet sind oder geeignet sein können, die Überzeugung des Gerichts vom Vorhandensein entscheidungserheblicher Tatsachen und von der Richtigkeit einer Beurteilung oder Wertung von Tatsachen zu begründen (vgl. W.-R. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 21. Aufl. 2015, § 98 Rn. 3; Lagodny, in: Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5. Aufl. 2012, § 30 Rn. 22). Auch bietet sich eine Anfrage beim ersuchenden Staat an (vgl. § 30 Abs. 1, § 78 Abs. 1 IRG). Gegebenenfalls kann es erforderlich werden, ein Gutachten oder eine amtliche Auskunft einzuholen.

67

(b) Dies bedeutet nicht, dass die Grundlagen eines Auslieferungsersuchens von deutschen Gerichten stets umfassend nachvollzogen werden müssten. Gerade im europäischen Auslieferungsverkehr gilt der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens. Dieses Vertrauen kann jedoch erschüttert werden. Die Grundsätze, die den Auslieferungsverkehr auf völkerrechtlicher Grundlage beherrschen (aa), sind auf Auslieferungen im Vollzug des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl im hier in Rede stehenden Umfang übertragbar (bb).

68

(aa) Im Auslieferungsverkehr zwischen Deutschland und anderen Staaten ist dem ersuchenden Staat im Hinblick auf die Einhaltung der Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit und des Menschenrechtsschutzes grundsätzlich Vertrauen entgegenzubringen. Dieser Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens kann so lange Geltung beanspruchen, wie er nicht durch entgegenstehende Tatsachen erschüttert wird (vgl. BVerfGE 109, 13 <35 f.>; 109, 38 <61>). Ausnahmen sind nur in besonders gelagerten Fällen gerechtfertigt (vgl. BVerfGE 60, 348 <355 f.>; 63, 197 <206>; 109, 13 <33>; 109, 38 <59>).

69

Der Verfolgte hat - wie auch im asylrechtlichen Verfahren - eine Darlegungslast, mit der er den an der Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung beteiligten Stellen hinreichende Anhaltspunkte für ihre Ermittlungen geben muss (vgl. BVerfGK 6, 334 <342>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 29. Mai 1996 - 2 BvR 66/96 -, EuGRZ 1996, S. 324 <326>). Anlass zur Prüfung, ob die Auslieferung und die ihr zugrunde liegenden Akte mit dem vom Grundgesetz geforderten Mindeststandard an Grundrechtsschutz vereinbar sind, kann insbesondere bestehen, wenn ein ausländisches Strafurteil, zu dessen Vollstreckung ausgeliefert werden soll, in Abwesenheit des Verfolgten ergangen ist (vgl. BVerfGE 59, 280 <282 ff.>; 63, 332 <337>; BVerfGK 3, 27 <31 f.>; 6, 13 <17>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 24. Januar 1991 - 2 BvR 1704/90 -, NJW 1991, S. 1411 <1411>).

70

Eine entsprechende, im Auslieferungsverfahren erteilte, völkerrechtlich verbindliche Zusicherung ist grundsätzlich geeignet, etwaige Bedenken hinsichtlich der Zulässigkeit der Auslieferung auszuräumen, sofern nicht im Einzelfall zu erwarten ist, dass die Zusicherung nicht eingehalten wird (vgl. BVerfGE 63, 215 <224>; 109, 38 <62>; BVerfGK 2, 165 <172 f.>; 3, 159 <165>; 6, 13 <19>; 6, 334 <343>; 13, 128 <136>; 13, 557 <561>; 14, 372 <377>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 9. Dezember 2008 - 2 BvR 2386/08 -, juris, Rn. 16).

71

Die von einem Verfolgten behauptete Gefahr menschenrechtswidriger Behandlung steht einer Auslieferung nicht schon dann entgegen, wenn sie aufgrund eines bekanntgewordenen früheren Vorfalls nicht völlig ausgeschlossen werden kann. Vielmehr müssen begründete Anhaltspunkte für die Gefahr menschenrechtswidriger Behandlung vorliegen (vgl. BVerfGE 108, 129 <138>; BVerfG, Beschlüsse der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 22. Juni 1992 - 2 BvR 1901/91 -, juris, Rn. 4; vom 31. Mai 1994 - 2 BvR 1193/93 -, NJW 1994, S. 2883 <2884>; vom 29. Mai 1996 - 2 BvR 66/96 -, EuGRZ 1996, S. 324 <326>). Es müssen stichhaltige Gründe gegeben sein, nach denen gerade im konkreten Fall eine beachtliche Wahrscheinlichkeit besteht, dass in dem ersuchenden Staat die völkerrechtlichen Mindeststandards nicht beachtet werden. Auf konkrete Anhaltspunkte kommt es in der Regel nur dann nicht an, wenn in dem ersuchenden Staat eine ständige Praxis grober, offenkundiger oder massenhafter Verletzungen der Menschenrechte herrscht. Die Auslieferung in Staaten, die eine ständige Praxis umfassender und systematischer Menschenrechtsverletzungen aufweisen, wird regelmäßig die Wahrscheinlichkeit einer Verletzung der elementaren Grundsätze der deutschen verfassungsrechtlichen Ordnung begründen (vgl. BVerfGE 108, 129 <138 f.>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 15. Oktober 2007 - 2 BvR 1680/07 -, NVwZ 2008, S. 71 <72>).

72

(bb) Dies gilt, soweit es um die Gewährleistung des Schuldprinzips geht, auch für Auslieferungen, die auf der Grundlage des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl stattfinden.

73

Zwar ist einem Mitgliedstaat der Europäischen Union im Hinblick auf die Einhaltung der Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit und des Menschenrechtsschutzes grundsätzlich besonderes Vertrauen entgegenzubringen. Die Europäische Union bekennt sich zur Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und der Wahrung der Menschenrechte einschließlich der Rechte der Personen, die Minderheiten angehören (vgl. Art. 2 EUV). Ihre Mitgliedstaaten haben sich sämtlich der Europäischen Menschenrechtskonvention unterstellt. Soweit sie Unionsrecht durchführen, sind sie überdies an die Gewährleistungen der Charta der Grundrechte gebunden (vgl. Art. 51 Abs. 1 GRCh). Das Vertrauen in die Einhaltung der Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit und des Menschenrechtsschutzes umfasst namentlich die im Europäischen Haftbefehl getätigten Angaben des um Auslieferung ersuchenden Mitgliedstaats. Das für die Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung zuständige Gericht ist daher grundsätzlich nicht verpflichtet, bestehende Aufklärungsmöglichkeiten auszuschöpfen oder positiv festzustellen, dass dem um Auslieferung ersuchenden Mitgliedstaat hinsichtlich der Wahrung des Schuldprinzips vertraut werden kann.

74

Der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens wird jedoch dann erschüttert, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass im Falle einer Auslieferung die unverzichtbaren Anforderungen an den Schutz der Menschenwürde nicht eingehalten würden. Das über die Zulässigkeit der Auslieferung entscheidende Gericht trifft insoweit die Pflicht, Ermittlungen hinsichtlich der Rechtslage und der Praxis im ersuchenden Mitgliedstaat vorzunehmen, wenn der Betroffene hinreichende Anhaltspunkte für solche Ermittlungen dargelegt hat. Anlass zur Prüfung, ob die Auslieferung mit der Verfassungsidentität des Grundgesetzes vereinbar ist, besteht nicht allein deswegen, weil das Strafurteil, zu dessen Vollstreckung ausgeliefert werden soll, in Abwesenheit des Verfolgten ergangen ist. Ein Mitgliedstaat, der um die Auslieferung zur Vollstreckung einer in Abwesenheit des Verfolgten ergangenen Entscheidung nach Art. 4a Abs. 1 RbEuHb ersucht, erklärt durch seine ordnungsgemäß getätigten Angaben im Formblatt, dass der Verfolgte entweder tatsächlich von der Verhandlung und davon in Kenntnis gesetzt wurde, dass eine Entscheidung auch in seiner Abwesenheit ergehen kann (vgl. Art. 4a Abs. 1 Buchstabe a RbEuHb), dass der Verfolgte in Kenntnis der Verhandlung von einem Rechtsbeistand vertreten wurde (vgl. Art. 4a Abs. 1 Buchstabe b RbEuHb) oder dass der Verfolgte berechtigt ist, einen Rechtsbehelf gegen die Verurteilung einzulegen, bei dem der Sachverhalt, einschließlich neuer Beweismittel, erneut geprüft und die ursprünglich ergangene Entscheidung aufgehoben werden kann (vgl. Art. 4a Abs. 1 Buchstabe c und d RbEuHb).

75

Stellt sich nach Abschluss der Ermittlungen heraus, dass der vom Grundgesetz geforderte Mindeststandard vom ersuchenden Mitgliedstaat nicht eingehalten wird, darf das zuständige Gericht die Auslieferung nicht für zulässig erklären.

76

2. Die Absicherung des integrationsfesten Schuldprinzips rechtfertigt und gebietet eine auf diese verfahrensrechtlichen Mindestgarantien beschränkte Prüfung der Entscheidung des Oberlandesgerichts am Maßstab des Grundgesetzes, obwohl diese unionsrechtlich determiniert ist. Dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl kommt in der deutschen Rechtsordnung grundsätzlich Anwendungsvorrang zu (a). Dieser enthält nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union in Bezug auf die Auslieferung bei Abwesenheitsurteilen eine abschließende Regelung (b). Das entbindet das Oberlandesgericht jedoch nicht von der Verpflichtung, auch bei einer Auslieferung auf der Grundlage eines Europäischen Haftbefehls die Grundsätze des Art. 1 Abs. 1 GG in der Ausprägung des Schuldgrundsatzes sicherzustellen (c).

77

a) Am Anwendungsvorrang des Unionsrechts nehmen auch Rahmenbeschlüsse teil. In diesem Zusammenhang verlangt der Grundsatz der unionsrechtskonformen Auslegung, dass die nationalen Gerichte unter Berücksichtigung des gesamten innerstaatlichen Rechts und unter Anwendung der dort anerkannten Auslegungsmethoden alles tun, was in ihrer Zuständigkeit liegt, um die volle Wirksamkeit des Unionsrechts zu gewährleisten und zu einem Ergebnis zu gelangen, das mit dem von dem Rahmenbeschluss verfolgten Ziel in Einklang steht (vgl. EuGH, Urteil vom 5. Oktober 2004, Pfeiffer, C-397/01 bis C-403/01, Slg. 2004, I-8835, Rn. 115 f.; Urteil vom 5. September 2012, Lopes Da Silva Jorge, C-42/11, EU:C:2012:517, Rn. 56).

78

In der Sache hat der Gerichtshof bereits mehrfach festgestellt, dass die nationalen Justizbehörden die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls nur in den im Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl vorgesehenen Fällen ablehnen können (vgl. EuGH, Urteil vom 1. Dezember 2008, Leymann und Pustovarov, C-388/08 PPU, Slg. 2008, I-8993, Rn. 51; Urteil vom 30. Mai 2013, F., C-168/13 PPU, EU:C:2013:358, Rn. 36 m.w.N.). In der Rechtssache Melloni hat er betont, dass die Geltung des Rahmenbeschlusses nicht dadurch beeinträchtigt werden könne, dass ein Staat Vorschriften des nationalen Rechts, und hätten sie auch Verfassungsrang, gegen diesen ins Feld führt (vgl. EuGH, Urteil vom 26. Februar 2013, Melloni, C-399/11, EU:C:2013:107, Rn. 59). Grenzen einer rahmenbeschlusskonformen Auslegung des nationalen Rechts hat er bislang nicht thematisiert, obwohl das spanische Tribunal Constitucional seine Vorlage damit begründet hatte, dass die Auslieferung zur Vollstreckung von Abwesenheitsurteilen eine Verletzung des Wesensgehalts eines fairen Verfahrens im Sinne der spanischen Verfassung in einer Weise darstellen könne, die die Menschenwürde berühre (vgl. EuGH, a.a.O., Rn. 20; das spanische Tribunal Constitucional hat daraufhin allerdings betont, dass für den Fall, dass das Recht der Europäischen Union in seiner weiteren Entwicklung nicht mehr mit der spanischen Verfassung in Einklang zu bringen wäre, die Wahrung der Souveränität des spanischen Volkes und der Vorherrschaft, mit der sich die Verfassung versehen hat, in letzter Instanz verlangen könnten, die Probleme über die einschlägigen verfassungsrechtlichen Verfahren anzugehen, so Entscheidung vom 13. Februar 2014, STC 26/2014, Punkt 3 der Entscheidungsgründe, HRLJ 2014, S. 475 <478>).

79

b) Art. 4a RbEuHb regelt die Bedingungen, von denen Auslieferungen zur Vollstreckung von Abwesenheitsurteilen abhängig gemacht werden können, nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs abschließend.

80

Nach Art. 1 Abs. 2 RbEuHb vollstrecken die Mitgliedstaaten einen Europäischen Haftbefehl nach dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung und gemäß den Bestimmungen dieses Rahmenbeschlusses. Sie sind grundsätzlich verpflichtet, einem Europäischen Haftbefehl Folge zu leisten, und dürfen seine Vollstreckung nur in den Fällen an Bedingungen knüpfen, die in den Art. 3 bis 5 des Rahmenbeschlusses aufgeführt sind (vgl. EuGH, Urteil vom 1. Dezember 2008, Leymann und Pustovarov, C-388/08 PPU, Slg. 2008, I-8993, Rn. 51; Urteil vom 30. Mai 2013, F., C-168/13 PPU, EU:C:2013:358, Rn. 36 m.w.N.).

81

Die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls darf - wie im 10. Erwägungsgrund der Präambel zum Rahmenbeschluss vorgesehen - nach Auffassung des Gerichtshofs daher nur ausgesetzt werden, wenn eine schwere und anhaltende Verletzung der in Art. 6 Abs. 1 EUV enthaltenen Grundsätze durch einen Mitgliedstaat vorliegt und diese vom Rat gemäß Art. 7 Abs. 1 EUV mit den Folgen von Art. 7 Abs. 2 EUV festgestellt worden ist (vgl. EuGH, Urteil vom 30. Mai 2013, F., C-168/13 PPU, EU:C:2013:358, Rn. 49). Der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung beruhe auf dem gegenseitigen Vertrauen der Mitgliedstaaten darauf, dass die jeweiligen nationalen Rechtsordnungen in der Lage seien, einen gleichwertigen und wirksamen Schutz der auf Unionsebene und insbesondere in der Charta anerkannten Grundrechte zu bieten. Daher müssten Personen, gegen die ein Europäischer Haftbefehl erlassen worden sei, etwaige Rechtsschutzmöglichkeiten im Ausstellungsmitgliedstaat nutzen, um die Rechtmäßigkeit des Verfahrens der Strafverfolgung, der Strafvollstreckung oder der Verhängung einer freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung oder auch des strafrechtlichen Hauptverfahrens, das zur Verhängung dieser Strafe oder Maßregel geführt habe, in Frage zu stellen (vgl. EuGH, Urteil vom 22. Dezember 2010, Aguirre Zarraga, C-491/10 PPU, Slg. 2010, I-14247, Rn. 70 f.).

82

In der Rechtssache Melloni hat der Gerichtshof speziell mit Blick auf Art. 4a RbEuHb entschieden, dass die Vollstreckung eines Haftbefehls nicht von der Bedingung abhängig gemacht werden dürfe, dass die in Abwesenheit ausgesprochene Verurteilung im Ausstellungsmitgliedstaat überprüft werden könne (vgl. EuGH, Urteil vom 26. Februar 2013, Melloni, C-399/11, EU:C:2013:107, Rn. 46), wenn der Betroffene einer der vier in dieser Bestimmung aufgeführten Fallgestaltungen unterfalle (vgl. EuGH, a.a.O., Rn. 61). Überdies gestatte es auch Art. 53 GRCh den Mitgliedstaaten nicht, die Übergabe einer in Abwesenheit verurteilten Person von der Bedingung abhängig zu machen, dass die Verurteilung im Ausstellungsmitgliedstaat einer Überprüfung unterworfen werden könne (vgl. EuGH, a.a.O., Rn. 64).

83

c) Diese Vorgaben entbinden deutsche Behörden und Gerichte jedoch nicht von der Verpflichtung, auch bei einer Auslieferung zur Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls die Grundsätze des Art. 1 Abs. 1 GG sicherzustellen (Art. 23 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. Art. 79 Abs. 3 GG). Sie sind vielmehr gehalten, beim Vollzug des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl und des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen sicherzustellen, dass die von Art. 1 Abs. 1 GG geforderten Mindestgarantien von Beschuldigtenrechten auch im ersuchenden Mitgliedstaat beachtet werden, oder - wo dies nicht möglich ist - von einer Auslieferung abzusehen. Insoweit wird der den europäischen Auslieferungsverkehr beherrschende Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens durch die Garantie der Menschenwürde in Art. 1 Abs. 1 GG begrenzt. In diesem Umfang trifft das Gericht auch die beschriebene verfassungsrechtliche Ermittlungspflicht.

84

3. Einer unter Rückgriff auf Art. 79 Abs. 3 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG begründeten Begrenzung des dem Rahmenbeschluss zukommenden Anwendungsvorrangs bedarf es im vorliegenden Zusammenhang jedoch nicht, weil sowohl der Rahmenbeschluss selbst (a) als auch das diesen umsetzende Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (b) eine Auslegung gebieten, die den von Art. 1 Abs. 1 GG geforderten Mindestgarantien von Beschuldigtenrechten bei einer Auslieferung Rechnung trägt. Insofern genügen die einschlägigen Vorgaben des Unionsrechts den durch das Grundgesetz zur Absicherung des integrationsfesten Schuldprinzips gebotenen Mindestgarantien von Beschuldigtenrechten.

85

a) Die Pflicht, einem Europäischen Haftbefehl Folge zu leisten, ist schon unionsrechtlich begrenzt (vgl. Vogel, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der EU, Bd. I, Art. 82 AEUV Rn. 37 ; Gaede, NJW 2013, S. 1279 <1280>). Das Vertrauen zwischen den Mitgliedstaaten, das ausweislich des 10. Erwägungsgrundes der Präambel des Rahmenbeschlusses Grundlage für den Mechanismus des Europäischen Haftbefehls ist, kann erschüttert werden; erhebliche Grundrechtsverletzungen im Einzelfall sind selbst dann nicht ausgeschlossen, wenn die jeweiligen nationalen Rechtsordnungen grundsätzlich in der Lage sind, einen dem Grundgesetz gleichwertigen und wirksamen Schutz der Grundrechte zu bieten. Einem Europäischen Haftbefehl ist auch nach unionsrechtlichen Maßstäben nicht Folge zu leisten, wenn er den Anforderungen des Rahmenbeschlusses nicht genügt (aa) oder die Auslieferung mit einer Verletzung der unionalen Grundrechte einherginge (bb). Auch aus der Sicht des Unionsrechts gilt der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens insoweit nicht unbegrenzt (cc), so dass die Verweigerung der Auslieferung wegen eines Europäischen Haftbefehls zur Vollstreckung eines in Abwesenheit ergangenen Strafurteils unter bestimmten Voraussetzungen gerechtfertigt sein kann (dd).

86

aa) Nach Art. 4a Abs. 1 RbEuHb kann die vollstreckende Justizbehörde die Vollstreckung eines zur Vollstreckung einer Freiheitsstrafe ausgestellten Europäischen Haftbefehls verweigern, wenn nicht bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind.

87

Art. 4a Abs. 1 Buchstabe a und b RbEuHb sieht eine Pflicht zur Auslieferung zwecks Vollstreckung von Entscheidungen vor, die im Anschluss an eine Verhandlung ergangen sind, zu der die betroffene Person nicht persönlich erschienen ist, wenn diese Person tatsächlich offiziell von der Verhandlung und davon in Kenntnis gesetzt wurde, dass eine Entscheidung auch bei Abwesenheit ergehen kann, beziehungsweise diese Person in Kenntnis der Verhandlung von einem Rechtsbeistand vertreten wurde. Insofern handelt es sich um Fälle, in denen die Person auf ihr persönliches Anwesenheitsrecht aus freiem Willen und unmissverständlich verzichtet hat.

88

Art. 4a Abs. 1 Buchstabe c und d RbEuHb erfasst dagegen Konstellationen, in denen die betroffene Person berechtigt ist, einen Rechtsbehelf gegen die Verurteilung einzulegen, bei dem der Sachverhalt, einschließlich neuer Beweismittel, erneut geprüft werden und die ursprünglich ergangene Entscheidung aufgehoben werden kann. Dem Angeklagten wird es in diesen Fällen also ermöglicht, die ihm zur Last gelegten Vorwürfe durch ein Gericht auch in tatsächlicher Hinsicht überprüfen zu lassen. Das setzt voraus, dass auch das für ein eventuelles Rechtsbehelfsverfahren zuständige Gericht den Angeklagten anhört und prozessrechtlich dazu in der Lage ist, die ihm zur Last gelegten Vorwürfe nicht nur in rechtlicher, sondern auch in tatsächlicher Hinsicht zu prüfen. Soweit Art. 4a Abs. 1 Buchstabe d (i) RbEuHb ein Verfahren vorschreibt, bei dem der Sachverhalt, einschließlich neuer Beweismittel, erneut geprüft und die ursprüngliche Entscheidung aufgehoben werden "kann", wird dem mit der Sache befassten Gericht damit kein Ermessen eingeräumt. Das in Art. 4a Abs. 1 Buchstabe d (i) RbEuHb verwendete Verb "kann" dient vielmehr der Kennzeichnung der Befugnisse des Gerichts und bedeutet so viel wie "in der Lage ist". Treffender ist in der englischen Fassung von einem "retrial, or an appeal, in which the person has the right to participate and which allows the merits of the case, including fresh evidence, to be re-examined", die Rede oder in der französischen Fassung von einer "nouvelle procédure de jugement ou (…) une procédure d'appel, à laquelle l'intéressé a le droit de participer et qui permet de réexaminer l'affaire sur le fond, en tenant compte des nouveaux éléments de preuve".

89

Dieses Verständnis von Art. 4a Abs. 1 Buchstabe d (i) RbEuHb entspricht auch dem Willen des europäischen Gesetzgebers. Die Regelung wurde durch den Rahmenbeschluss 2009/299/JI des Rates vom 26. Februar 2009 zur Änderung der Rahmenbeschlüsse 2002/584/JI, 2005/214/JI, 2006/783/JI, 2008/909/JI und 2008/947/JI, zur Stärkung der Verfahrensrechte von Personen und zur Förderung der Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Entscheidungen, die im Anschluss an eine Verhandlung ergangen sind, zu der die betroffene Person nicht erschienen ist (ABl. Nr. L 81 vom 27. März 2009, S. 24 - "Rahmenbeschluss über Abwesenheitsurteile") in den Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl eingefügt. Ziel des Rahmenbeschlusses war es gemäß dessen Art. 1 Abs. 1, die Verfahrensrechte von Personen, gegen die ein Strafverfahren anhängig ist, zu stärken, zugleich die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen zu erleichtern und insbesondere die gegenseitige Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen zwischen den Mitgliedstaaten zu verbessern. Erwägungsgrund 11 des Rahmenbeschlusses über Abwesenheitsurteile lautet:

Die gemeinsamen Lösungen in Bezug auf die Gründe für die Nichtanerkennung in den einschlägigen geltenden Rahmenbeschlüssen sollten den unterschiedlichen Gegebenheiten in Bezug auf das Recht der betroffenen Person auf Wiederaufnahme des Verfahrens oder auf ein Berufungsverfahren Rechnung tragen. Eine solche Wiederaufnahme des Verfahrens oder Berufung bezweckt die Wahrung der Verteidigungsrechte und ist durch folgende Aspekte gekennzeichnet: Die betroffene Person hat das Recht, anwesend zu sein, der Sachverhalt, einschließlich neuer Beweismittel, wird (erneut) geprüft und das Verfahren kann zur Aufhebung der ursprünglich ergangenen Entscheidung führen.

Die Formulierung "der Sachverhalt, einschließlich neuer Beweismittel, wird (erneut) geprüft" zeigt, dass der Rat ersichtlich nicht von einem Ermessen des mit dem Berufungs- oder Wiederaufnahmeverfahren betrauten Richters, sondern davon ausging, dass die betroffene Person einen Anspruch darauf hat, dass die Beweismittel, die sie zu ihrer Entlastung vorbringt, erneut oder erstmals geprüft werden.

90

Teleologische Überlegungen erhärten diesen Befund. Könnte das Gericht von einer erneuten Prüfung des Sachverhalts gegen den Willen des in Abwesenheit Verurteilten absehen, könnte es eine erneute Prüfung der ihm zur Last gelegten Vorwürfe vereiteln. Der Verteidigung würde die Möglichkeit genommen, in einem Wiederaufnahmeverfahren die Zulassung neuer Beweise zu beantragen (vgl. EGMR, Jones v. Vereinigtes Königreich, Entscheidung vom 9. September 2003, Nr. 30900/02; EGMR , Sejdovic v. Italien, Urteil vom 1. März 2006, Nr. 56581/00, § 85). Die prozessuale Möglichkeit, das Abwesenheitsurteil anzufechten, würde sich in diesem Fall als unwirksam erweisen (vgl. auch EGMR, Colozza v. Italien, Urteil vom 12. Februar 1985, Nr. 9024/80, § 30; Medenica v. Schweiz, Urteil vom 14. Juni 2001, Nr. 20491/92, § 55).

91

bb) Auch die Bindung der Mitgliedstaaten der Europäischen Union an die Grundrechte (1), die Ausstrahlungswirkung der Grundrechtecharta auf das Sekundärrecht (2) sowie die Rechtsprechung des Europäischen Gerichthofes für Menschenrechte, die für die Bestimmung der sachlichen Tragweite des Art. 4a Abs. 1 RbEuHb beachtlich ist, sprechen für die dargelegte Auslegung des Art. 4a Abs. 1 Buchstabe d (i) RbEuHb (3).

92

(1) Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union dürfen - ungeachtet des Art. 7 EUV - einander nicht die Hand zu Menschenrechtsverletzungen reichen (Art. 6 Abs. 1 EUV; vgl. OLG München, Beschluss vom 15. Mai 2013 - OLG Ausl 31 Ausl A 442/13 <119/13> -, StV 2013, S. 710 <711>). Bei der Durchführung des Unionsrechts müssen sie die Unionsgrundrechte beachten (vgl. Art. 51 Abs. 1 GRCh; EuGH, Urteil vom 12. November 1969, Stauder, 29/69, Slg. 1969, S. 419, Rn. 7; Urteil vom 13. Juli 1989, Wachauf, 5/88, Slg. 1989, S. 2609, Rn. 19; Urteil vom 16. Juni 2005, Pupino, C-105/03, Slg. 2005, I-5285, Rn. 58 f.). Diese sind daher auch für die Auslegung (vgl. EuGH, Urteil vom 13. Dezember 1983, Kommission/Rat, C-218/82, Slg. 1983, S. 4063, Rn. 15; Urteil vom 16. Juni 2005, Pupino, C-105/03, Slg. 2005, I-5285, Rn. 58 ff.) und Rechtmäßigkeit (vgl. Art. 263, 267 Abs. 1 Buchstabe b AEUV; Art. 51 Abs. 1 GRCh; EuGH, Urteil vom 3. Mai 2007, Advocaten voor de Wereld, C-303/05, Slg. 2007, I-3633, Rn. 45; Urteil vom 26. Februar 2013, Melloni, C-399/11, EU:C:2013:107, Rn. 48 ff.) des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl maßgeblich.

93

In diesem Sinne heißt es in Art. 1 Abs. 3 RbEuHb ausdrücklich, dass der Rahmenbeschluss nicht die Pflicht berührt, die Grundrechte und die allgemeinen Rechtsgrundsätze, wie sie in Art. 6 EUV niedergelegt sind, zu achten. Nach dem 12. Erwägungsgrund achtet der Rahmenbeschluss die Grundrechte und wahrt die in Art. 6 EUV anerkannten Grundsätze, die in der Grundrechtecharta, insbesondere in deren Kapitel VI, zum Ausdruck kommen (Satz 1). Konsequenterweise darf keine Bestimmung des Rahmenbeschlusses in dem Sinne ausgelegt werden, dass eine Pflicht zur Übergabe einer Person besteht, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der genannte Haftbefehl zum Zwecke der Verfolgung oder Bestrafung einer Person aus Gründen ihres Geschlechts, ihrer Rasse, Religion, ethnischen Herkunft, Staatsangehörigkeit, Sprache oder politischen Überzeugung oder sexuellen Ausrichtung erlassen wurde oder dass die Stellung dieser Person aus einem dieser Gründe beeinträchtigt werden kann (Satz 2). Gemäß dem 13. Erwägungsgrund soll zudem niemand in einen Staat abgeschoben oder ausgewiesen oder an einen Staat ausgeliefert werden, in dem für sie oder ihn das ernsthafte Risiko der Todesstrafe, der Folter oder einer anderen unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung besteht.

94

Vor diesem Hintergrund ist ein Europäischer Haftbefehl dann nicht zu vollstrecken, wenn dem die gegenüber dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl vorrangige Grundrechtecharta entgegensteht (vgl. Kommissionsdokumente KOM <2006> 8 endgültig vom 24. Januar 2006, S. 7 und KOM <2011> 175 endgültig vom 11. April 2011, S. 7; BTDrucks 15/1718, S. 14; BRDrucks 70/06, S. 31; Schlussanträge GA Bot zu EuGH, Wolzenburg, C-123/08, Slg. 2009, I-9621, Rn. 147 ff. und zu EuGH, Mantello, C-261/09, Slg. 2010, I-11477, Rn. 87 f.; GA Cruz Villalón zu EuGH, I.B., C-306/09, Slg. 2010, I-10341, Rn. 43 f.; GA Mengozzi zu EuGH, Lopes da Silva Jorge, C-42/11, EU:C:2012:151, Rn. 28; GA Sharpston zu EuGH, Radu, C-396/11, EU:C:2012:648, Rn. 69 ff.).

95

Das wird durch die Entstehungsgeschichte des Rahmenbeschlusses bestätigt. Zwar konnte sich der Vorschlag, als weiteren Ablehnungsgrund vorzusehen, dass das Auslieferungsersuchen mit den Grundprinzipien des Vollstreckungsstaats oder der öffentlichen Ordnung unvereinbar ist, nicht durchsetzen. Dieser Vorschlag fand allerdings nur deshalb keinen Niederschlag im Text des Rahmenbeschlusses, weil sowohl in Art. 1 Abs. 3 RbEuHb als auch in den Erwägungsgründen 10, 12, 13 und 14 darauf verwiesen wird, dass für die strikte Wahrung der Grundrechte und individuellen Freiheiten, wie sie in der Europäischen Menschenrechtskonvention gewährleistet sind und sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten als allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechts ergeben (Art. 6 Abs. 2 EUV), Sorge zu tragen ist (vgl. RatsDok 14867/01 vom 4. Dezember 2001, S. 3).

96

(2) Die Grundrechtecharta verlangt im Hinblick auf Auslieferungen zur Vollstreckung von Abwesenheitsverurteilungen, dass auch das für ein eventuelles Rechtsbehelfsverfahren zuständige Gericht den Angeklagten hört und prozessrechtlich in der Lage ist, die diesem zur Last gelegten Vorwürfe nicht nur in rechtlicher, sondern auch in tatsächlicher Hinsicht zu prüfen.

97

Das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf ist ein allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts (vgl. EuGH, Urteil vom 15. Mai 1986, Johnston, C-222/84, Slg. 1986, S. 1651, Rn. 19; Erläuterungen zur Charta der Grundrechte, ABl EU Nr. C 303 vom 14. Dezember 2007, S. 17 <29>). Dazu gehört - als Teilgewährleistung - auch der Anspruch auf rechtliches Gehör in einem gerichtlichen Verfahren nach Art. 47 GRCh (vgl. Mayer, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Bd. I, nach Art. 6 EUV Rn. 369 ). Dieser Anspruch gewährleistet, dass der Richter erst nach der Anhörung der Parteien und der Würdigung der Beweismittel über den Antrag entscheidet und seine Entscheidung begründet (vgl. EuGH, Urteil vom 10. Dezember 1998, Schröder und Thamann/Kommission, C-221/97 P, Slg. 1998, I-8255, Rn. 24).

98

(3) Nach Art. 52 Abs. 3 Satz 1 GRCh haben die Rechte der Grundrechtecharta, soweit sie den durch die Europäische Menschenrechtskonvention garantierten Rechten entsprechen, die gleiche Bedeutung und Tragweite, wie sie ihnen in der Konvention verliehen wird. Das Recht der Union kann zwar einen weitergehenden Schutz gewähren (vgl. Art. 52 Abs. 3 Satz 2 GRCh); das Schutzniveau nach der Grundrechtecharta darf jedoch nicht unter jenes der Konvention sinken. Nach den Erläuterungen zur Grundrechtecharta entspricht Art. 47 Abs. 2 GRCh dem Art. 6 Abs. 1 EMRK und Art. 48 GRCh dem Art. 6 Abs. 2 und 3 EMRK (vgl. Erläuterungen zur Charta der Grundrechte, ABl EU Nr. C 303 vom 14. Dezember 2007, S. 17 <30>). Vor diesem Hintergrund stellen die Garantien des Art. 6 EMRK in der Auslegung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Mindestgarantien auch für den Rahmenbeschluss auf, hinter die dieser nicht zurückfallen darf.

99

Nach der Europäischen Menschenrechtskonvention ist eine Auslieferung unzulässig, wenn begründete Tatsachen ("substantial grounds") für die Annahme vorliegen, dass die betreffende Person im Falle ihrer Auslieferung einem realen Risiko ("real risk") der Folter, einer unmenschlichen oder herabwürdigenden Behandlung ausgesetzt wird (vgl. EGMR , Soering vs. Vereinigtes Königreich, Urteil vom 7. Juli 1989, Nr. 14038/88, § 91) oder eine eklatante Verweigerung eines fairen Verfahrens droht ("risks suffering a flagrant denial of a fair trial"; vgl. EGMR , Soering vs. Vereinigtes Königreich, Urteil vom 7. Juli 1989, Nr. 14038/88, § 113).

100

Insoweit verpflichtet Art. 6 EMRK jedes nationale Gericht zur Prüfung, ob der Verfolgte Kenntnis vom Verfahren erlangt hat (vgl. EGMR, Somogyi v. Italien, Urteil vom 18. Mai 2004, Nr. 67972/01, § 72). Art. 6 Abs. 1 EMRK gewährt zudem einen Anspruch auf rechtliches Gehör und in der Sache ein Recht auf ein kontradiktorisches Verfahren. Jede Partei muss grundsätzlich die Möglichkeit haben, Beweise anzubieten, und sich zu allen erbrachten Beweisen oder Vorbringen äußern können, die darauf gerichtet sind, die Entscheidung des Gerichts zu beeinflussen (vgl. EGMR, Mantovanelli v. Frankreich, Urteil vom 18. März 1997, Nr. 21497/93, § 33). Das Gericht hat die Pflicht, die Ausführungen und Beweisangebote der Parteien ernsthaft zu prüfen (vgl. EGMR, Van de Hurk v. Niederlande, Urteil vom 19. April 1994, Nr. 16034/90, § 59). In einem Strafverfahren bedeutet dies, dass sowohl die Staatsanwaltschaft als auch die Verteidigung die Möglichkeit haben müssen, zu Vortrag und Beweismitteln der anderen Seite Stellung zu nehmen (vgl. EGMR, Lietzow v. Deutschland, Urteil vom 13. Februar 2001, Nr. 24479/94, § 44).

101

Für ein faires Strafverfahren ist es von zentraler Bedeutung, dass der Angeklagte persönlich am Verfahren teilnimmt (vgl. EGMR, Poitrimol v. Frankreich, Urteil vom 23. November 1993, Nr. 14032/88, § 35). Das dient nicht nur allgemein seinem Anspruch auf rechtliches Gehör, sondern gibt dem Gericht auch die Möglichkeit, die Stichhaltigkeit seiner Aussagen zu prüfen und sie mit denen des Opfers und der Zeugen zu vergleichen (vgl. EGMR, a.a.O., § 35). Auch wenn dies nicht ausdrücklich in Art. 6 Abs. 1 EMRK angeführt wird, so folgt doch aus Sinn und Zweck dieses Rechts, dass eine Person, die einer Straftat angeklagt ist, das Recht hat, an der Verhandlung teilzunehmen (vgl. EGMR, Colozza v. Italien, Urteil vom 12. Februar 1985, Nr. 9024/80, § 27). Verfahren in Abwesenheit des Angeklagten können allerdings mit der Konvention vereinbar sein, wenn dieser auf sein Anwesenheits- und Verteidigungsrecht verzichtet hat oder ein Gericht die ihm zur Last gelegten Vorwürfe erneut in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht prüft, nachdem es den Angeklagten gehört hat (vgl. EGMR, Colozza v. Italien, Urteil vom 12. Februar 1985, Nr. 9024/80, § 29 f.; Medenica v. Schweiz, Urteil vom 14. Juni 2001, Nr. 20491/92, § 55).

102

Die Anwesenheit der Strafverteidigung - sei es im Ausgangsverfahren oder bei nochmaliger Prüfung - gehört zu den wesentlichen Anforderungen von Art. 6 EMRK. Ist es der Verteidigung in einem Wiederaufnahmeverfahren gestattet, an der Verhandlung vor dem (Berufungs-)Gericht teilzunehmen und die Zulassung neuer Beweise zu beantragen, ist eine neue Bewertung des Schuldvorwurfs in faktischer und rechtlicher Hinsicht möglich. Das Verfahren kann dann in seiner Gesamtheit als fair angesehen werden (vgl. EGMR, Jones v. Vereinigtes Königreich, Entscheidung vom 9. September 2003, Nr. 30900/02; EGMR , Sejdovic v. Italien, Urteil vom 1. März 2006, Nr. 56581/00, § 85). Umgekehrt führt die Weigerung des Gerichts, das Verfahren wiederzueröffnen, im Falle einer Abwesenheitsverurteilung - von den erwähnten Ausnahmen abgesehen - regelmäßig zu einem Verstoß gegen Art. 6 EMRK und die ihm zugrunde gelegten Prinzipien (vgl. EGMR, Stoichkov v. Bulgarien, Urteil vom 24. März 2005, Nr. 9808/02, § 56).

103

Ein Rechtsmittel muss in dieser Hinsicht effektiv sein. Deshalb darf dem Angeklagten nicht der Nachweis dafür obliegen, dass er sich einer Verurteilung nicht entziehen wollte oder seine Abwesenheit auf höhere Gewalt zurückgeht (vgl. EGMR, Colozza v. Italien, Urteil vom 12. Februar 1985, Nr. 9024/80, § 30). Den nationalen Behörden bleibt es allerdings unbenommen zu prüfen, ob der Angeklagte gute Gründe für seine Abwesenheit hatte oder ob sich in seiner Prozessakte etwas findet, das eine unverschuldete Abwesenheit stützt (vgl. EGMR, Medenica v. Schweiz, Urteil vom 14. Juni 2001, Nr. 20491/92, § 57; EGMR , Sejdovic v. Italien, Urteil vom 1. März 2006, Nr. 56581/00, § 88).

104

Verzichtet eine Person aus freiem Willen ausdrücklich oder konkludent auf die Garantie eines fairen Verfahrens, stehen dem weder Wortlaut noch Geist von Art. 6 EMRK entgegen (vgl. EGMR, Kwiatkowska v. Italien, Entscheidung vom 30. November 2000, Nr. 52868/99; Sejdovic v. Italien, Urteil vom 1. März 2006, Nr. 56581/00, § 86). Der Verzicht muss allerdings unmissverständlich ausgedrückt werden und gewissen Mindestanforderungen genügen (vgl. EGMR, Jones v. Vereinigtes Königreich, Entscheidung vom 9. September 2003, Nr. 30900/02). Dass ein Angeklagter, der nicht persönlich informiert wurde, auf mangelhafter faktischer Grundlage als flüchtig ("latitante") eingestuft wird, rechtfertigt jedenfalls nicht die Annahme eines freiwilligen Verzichts auf Anwesenheits- und Verteidigungsrechte (vgl. EGMR, Colozza v. Italien, Urteil vom 12. Februar 1985, Nr. 9024/80, § 28; EGMR , Sejdovic v. Italien, Urteil vom 1. März 2006, Nr. 56581/00, § 87).

105

cc) Dass der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens auch nach Unionsrecht nicht schrankenlos ist, bedeutet zugleich, dass die nationalen Justizbehörden bei entsprechenden Anhaltspunkten unionsrechtlich berechtigt und verpflichtet sind, die Einhaltung der rechtsstaatlichen Anforderungen zu prüfen, selbst wenn der Europäische Haftbefehl in formaler Hinsicht den Voraussetzungen des Rahmenbeschlusses entspricht (vgl. Böse, in: Grützner/Pötz/Kreß, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, 3. Aufl., Vor § 78 Rn. 26, 35 ). Das Unionsrecht steht daher Ermittlungen hinsichtlich der Wahrung der in der Grundrechtecharta garantierten rechtsstaatlichen Anforderungen durch die nationalen Justizbehörden nicht nur nicht im Wege, es verlangt sie. Zu Recht entfällt nach Ansicht der Europäischen Kommission die Pflicht zur Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls, wenn die vollstreckende Justizbehörde unter Berücksichtigung aller Umstände des Falls davon überzeugt ist, dass die Übergabe zu einem Verstoß gegen die Grundrechte des Betroffenen führen würde (vgl. Kommissionsdokument KOM <2011> 175 endgültig vom 11. April 2011, S. 7). Entstehende Verzögerungen im Auslieferungsverkehr sind hinzunehmen, auch wenn dies dem Ziel des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl zuwiderläuft, die Auslieferung zu beschleunigen (vgl. Erwägungsgrund 1 und 5 Präambel RbEuHb). Dementsprechend sieht der Rahmenbeschluss auch keine starren Fristen für die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls vor (vgl. Art. 17 Abs. 2<"sollte">, Abs. 3 <"sollte">, Abs. 4 <"Sonderfällen">, Abs. 7 <"bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände"> RbEuHb).

106

Ausweislich des 12. Erwägungsgrunds belässt der Rahmenbeschluss den Mitgliedstaaten unter anderem die Freiheit zur Anwendung ihrer verfassungsmäßigen Regelungen über ein ordnungsgemäßes und faires Gerichtsverfahren (vgl. EuGH, Urteil vom 30. Mai 2013, F., C-168/13 PPU, EU:C:2013:358, Rn. 53). Außerdem müssen Entscheidungen zur Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls einer ausreichenden Kontrolle durch die Gerichte der Mitgliedstaaten unterliegen (8. Erwägungsgrund; vgl. EuGH, Urteil vom 30. Mai 2013, F., C-168/13 PPU, EU:C:2013:358, Rn. 46). Eine effektive gerichtliche Kontrolle im Sinne der Art. 47, 52 Abs. 3 GRCh, Art. 6, 13 EMRK setzt jedoch auch aus der Sicht des Unionsrechts voraus, dass das zuständige Gericht in der Lage ist, entsprechende Ermittlungen anzustellen, solange nur die praktische Wirksamkeit des durch den Rahmenbeschluss errichteten Auslieferungssystems nicht in Frage gestellt wird (vgl. EuGH, a.a.O., Rn. 53; zum parallelen Problem im Asylrecht: EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011, N. S., C-411/10 und C-493/10, Slg. 2011, I-13905, Rn. 94).

107

dd) Damit bleiben die unionsrechtlichen Anforderungen an die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls nicht hinter denjenigen zurück, die das Grundgesetz als von Art. 1 Abs. 1 GG gebotene Mindestgarantien von Beschuldigtenrechten enthält. Ob und inwieweit zur Auslegung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl auf Art. 4 Abs. 2 Satz 1 EUV zurückzugreifen ist, wonach die Europäische Union die jeweilige nationale Identität ihrer Mitgliedstaaten achtet, und der Rahmenbeschluss daher unter Berücksichtigung der mitgliedstaatlichen Rechtslage auszulegen ist (vgl. v. Bogdandy/Schill, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Bd. I, Art. 4 EUV Rn. 13 ), kann deshalb offen bleiben.

108

b) Auch das den Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl umsetzende Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen begegnet im Hinblick auf den Schuldgrundsatz und seine in der Garantie der Menschenwürde verankerten Gewährleistungsinhalte insoweit keinen Bedenken. § 73 Satz 2 IRG sieht vor, dass bei Ersuchen nach dem Achten Teil ("Auslieferungs- und Durchlieferungsverkehr mit den Mitgliedstaaten der Europäischen Union") die Leistung von Rechtshilfe unzulässig ist, wenn die Erledigung zu den in Art. 6 EUV enthaltenen Grundsätzen im Widerspruch stünde. Wie immer diese Verweisung im Einzelnen zu verstehen sein mag, hindert sie Behörden und Gerichte jedenfalls nicht daran, bei der Auslegung der §§ 78 ff. IRG den norminternen Direktiven des Art. 1 Abs. 1 GG Rechnung zu tragen (vgl. allgemein BVerfGE 7, 198 <205 ff.>; 115, 320 <367>; stRspr).

109

4. Die angegriffene Entscheidung des Oberlandesgerichts wird diesen Anforderungen nicht in vollem Umfang gerecht. Zwar hat es zutreffend gesehen, dass die Auslieferung des Beschwerdeführers nur zulässig ist, wenn ihm nach seiner Überstellung ein effektiver Rechtsbehelf zur Verfügung steht. Es hat jedoch den Umfang der ihm obliegenden Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts und damit Bedeutung und Tragweite von Art. 1 Abs. 1 GG (a) verkannt. Der Beschwerdeführer hat substantiiert dargelegt, dass ihm das italienische Prozessrecht nicht die Möglichkeit eröffne, eine erneute Beweisaufnahme im Berufungsverfahren zu erwirken. Dem ist das Oberlandesgericht nicht in ausreichendem Maße nachgegangen. Es hat sich damit zufrieden gegeben, dass eine erneute Beweisaufnahme in Italien "jedenfalls nicht ausgeschlossen sei". Dies verletzt die Rechte des Beschwerdeführers aus Art. 1 Abs. 1 GG (b).

110

a) Beim Vollzug des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl und des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen müssen die Gerichte im Einzelfall sicherstellen, dass die Rechte des Verfolgten zumindest insoweit gewahrt werden, als sie am Schutz des Art. 1 Abs. 1 GG teilhaben. Mit Blick auf den in Art. 1 Abs. 1 GG verankerten Schuldgrundsatz gehört dazu, dass dem Verfolgten, der in Abwesenheit verurteilt wurde und nicht über die Tatsache der Durchführung und des Abschlusses des betreffenden Verfahrens unterrichtet war, zumindest die tatsächliche Möglichkeit eröffnet ist, sich nach Kenntniserlangung wirksam zu verteidigen, insbesondere Umstände vorzubringen und prüfen zu lassen, die zu seiner Entlastung führen können. Das über die Zulässigkeit der Auslieferung entscheidende Gericht trifft eine Pflicht, Ermittlungen hinsichtlich der Rechtslage und Praxis im ersuchenden Staat vorzunehmen, wenn der Verfolgte hinreichende Anhaltspunkte für entsprechende Ermittlungen dargelegt hat. Inhalt und Umfang dieser Aufklärungspflicht bemessen sich nach den vom Verfolgten vorgebrachten Anhaltspunkten für eine Unterschreitung des durch die Menschenwürde garantierten Mindeststandards. Stellt sich nach Abschluss der Ermittlungen heraus, dass dieser Mindeststandard vom ersuchenden Mitgliedstaat nicht eingehalten wird, darf das zuständige Gericht die Auslieferung nicht für zulässig erklären.

111

b) Zwar ist der Italienischen Republik - wie allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union - auch im Auslieferungsverkehr grundsätzlich Vertrauen im Hinblick auf die Einhaltung der Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit und des Menschenrechtsschutzes entgegenzubringen. Im vorliegenden Fall haben sich jedoch Fragen ergeben, die eine weitere Aufklärung des Sachverhalts erforderlich gemacht hätten.

112

Die Generalstaatsanwaltschaft Florenz hat mit dem Europäischen Haftbefehl erklärt, dass dem Beschwerdeführer die Entscheidung, mit der die Freiheitsstrafe gegen ihn verhängt worden ist, nicht persönlich zugestellt worden sei, er diese aber unverzüglich nach der Übergabe erhalten werde. Der Beschwerdeführer habe zudem ein Recht auf Wiederaufnahme des Verfahrens oder auf ein Berufungsverfahren, an dem er teilnehmen könne und bei dem der Sachverhalt, einschließlich neuer Beweismittel, erneut geprüft und die ursprünglich ergangene Entscheidung aufgehoben werden könne. Sie hat damit konkludent erklärt, dass es dem Beschwerdeführer ermöglicht werde, die ihm zur Last gelegten Vorwürfe nach Anhörung durch ein Gericht in faktischer und rechtlicher Hinsicht überprüfen zu lassen. Darüber hinaus hat die Generalstaatsanwaltschaft Florenz mit Schreiben vom 7. Oktober 2014 erklärt, dass der Beschwerdeführer die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand der Rechtsmittelfrist innerhalb von dreißig Tagen beantragen und sich ohne Vorbehalt verteidigen könne.

113

Das allein genügte im vorliegenden Fall jedoch nicht, um den von Art. 1 Abs. 1 GG gebotenen Mindeststandard an Beschuldigtenrechten und damit die Subjektstellung des Beschwerdeführers in dem in Italien durchzuführenden Strafprozess sicherzustellen. Denn der Beschwerdeführer hat begründete Anhaltspunkte dafür vorgetragen, dass ihm trotz der Zusicherung der Generalstaatsanwaltschaft Florenz keine tatsächlich wirksame Möglichkeit eröffnet sei, sich zu verteidigen, insbesondere Umstände vorzubringen und prüfen zu lassen, die zu seiner Entlastung führen können (aa). Die Begründung des Oberlandesgerichts, es reiche aus, dass im Berufungsverfahren eine erneute Beweisaufnahme "jedenfalls nicht ausgeschlossen" sei, ist nicht geeignet, die vom Beschwerdeführer aufgeworfenen Bedenken auszuräumen (bb). Auch mit Blick auf weitere Umstände hätte für das Oberlandesgericht Anlass bestanden, die Wahrung des dem Beschwerdeführer zustehenden Mindestbestands an prozessualen Verteidigungsmöglichkeiten eingehender zu prüfen (cc).

114

aa) Der Beschwerdeführer hat gegenüber dem Oberlandesgericht mit Schriftsatz vom 21. Oktober 2014 erklärt, dass er in Abwesenheit und ohne seine Kenntnis verurteilt worden sei, ohne auf sein Anwesenheitsrecht aus freiem Willen und unmissverständlich verzichtet zu haben. Dabei hat er plausibel dargelegt, dass er mit der ihm nach italienischem Recht eröffneten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nur erreichen könne, in die Rechtsmittelfrist für eine Berufung eingesetzt zu werden. Auch hat er unter Hinweis auf Fundstellen zum italienischen Strafprozessrecht in der deutschsprachigen Literatur vorgetragen, dass die nach italienischem Recht mögliche verspätete Berufung den Anforderungen an eine nachträgliche Gewährung rechtlichen Gehörs wegen der beschränkten Prüfungskompetenz des Rechtsmittelgerichts nicht genüge, weil in der Berufungshauptverhandlung im Regelfall keine erneute Beweisaufnahme stattfinde. Um dies zu belegen, hat er dem Oberlandesgericht den Inhalt von Art. 603 CPP in der Fassung des Gesetzes vom 28. April 2014 wie auch nach der Gesetzeslage vor Inkrafttreten dieses Gesetzes in italienischer und deutscher Sprache mitgeteilt.

115

Aus dem Wortlaut des Art. 603 CPP scheint zu folgen, dass im Berufungsverfahren grundsätzlich keine Erneuerung des Beweisverfahrens in der Hauptverhandlung stattfindet. Nach dessen Absatz 3 wird die erneute Durchführung des Beweisverfahrens von Amts wegen nur angeordnet, wenn sie das Gericht für unbedingt erforderlich hält. Beantragt eine Partei die Erhebung von Beweisen, verfügt das Gericht die Beweisaufnahme, wenn es nicht in der Lage ist, aufgrund der Aktenlage zu entscheiden (Abs. 1), oder die neuen Beweise erst nach dem Verfahren erster Instanz entstanden sind oder entdeckt wurden (Abs. 2). Nach Art. 603 Abs. 4 CPP a.F. (1988), der nach Angaben des Beschwerdeführers erst durch Gesetz vom 28. April 2014 abgeschafft worden ist, verfügt der Richter die Erneuerung des Beweisverfahrens in der Hauptverhandlung nur dann, wenn der in der ersten Instanz abwesende Beschuldigte dies beantragt und nachweist, dass er nicht in der Lage war, vor Gericht zu erscheinen, und zwar aufgrund von Ereignissen zufälligen Charakters oder höherer Gewalt oder weil er keine Kenntnis von der Ladungsschrift erhalten hat, sofern dies nicht durch seine Schuld geschehen ist, oder er sich nicht aus freiem Willen der Kenntnisnahme des Verfahrens entzogen hat. Der Beschwerdeführer hat plausibel dargelegt, dass Art. 603 Abs. 4 CPP 1988 auf ihn Anwendung finden könnte. Zur Begründung hat er auch auf eine Entscheidung ("Sentenza") der italienischen Corte di Cassazione vom 17. Juli 2014 verwiesen, wonach für Rechtsmittel gegen Verurteilungen in Abwesenheit, die vor dem Inkrafttreten des Gesetzes vom 28. April 2014 ergangen seien, die alte Rechtslage gelte. Diese Entscheidung hat er dem Oberlandesgericht im Wortlaut mitgeteilt. Dass im vorliegenden Fall tatsächlich die alte Rechtslage gelten könnte, erscheint auch deshalb nicht fernliegend, weil die Generalstaatsanwaltschaft Florenz in ihrem Schreiben vom 7. Oktober 2014 den Wortlaut des Art. 175 CPP in der vor der Strafprozessreform des Jahres 2014 geltenden Fassung übersandt hat. Auch hierauf hat der Beschwerdeführer das Oberlandesgericht hingewiesen.

116

Das Vorbringen des Beschwerdeführers lässt daher befürchten, dass ihm die Möglichkeit, eine erneute Beweisaufnahme im Berufungsverfahren zu erwirken, nach italienischem Recht nicht sicher eröffnet ist. Findet Art. 603 Abs. 4 CPP 1988 Anwendung, müsste er den negativen Beweis erbringen, dass er wegen Zufalls, wegen höherer Gewalt oder deswegen, weil er keine Kenntnis von der Ladungsschrift erhalten hat, nicht in der Lage war, vor Gericht zu erscheinen, vorausgesetzt, dass dies nicht durch seine Schuld geschehen ist oder - wenn die Ladungsschrift vom Gericht erster Instanz mittels Übergabe an den Verteidiger zugestellt wurde - er sich nicht aus freiem Willen der Kenntnisnahme des Verfahrens entzogen hat. Diese Formel entspricht jener des Art. 175 CPP in der bis 2005 geltenden Fassung. Hiernach konnte die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Erhebung eines Rechtsmittels vom Angeklagten beantragt werden, wenn dieser nachwies, dass er von der Verfügung tatsächlich keine Kenntnis erlangt hatte, sofern der Umstand nicht auf eigenes Verschulden zurückzuführen war, oder er sich nicht bewusst der Kenntnisnahme der Verfahrenshandlungen entzogen hatte, wenn das Säumnisurteil durch Aushändigung an den Verteidiger zugestellt worden war (vgl. Italienische Strafprozeßordnung, Zweisprachige Ausgabe, Bauer/König/Kreuzer/Riz/Zanon, 1991). Da ein Beweis von Negativtatsachen kaum zu führen ist, wurde die alte Fassung des Art. 175 CPP von den Oberlandesgerichten (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 19. Dezember 1991 - Ausl A 413/91 -, StV 1993, S. 207; OLG Nürnberg, Beschluss vom 31. Juli 1997 - Ausl. 9/97 -, StV 1997, S. 648 <649>; ThürOLG, Beschluss vom 2. Februar 1998 - Ausl 2/97 -, StV 1999, S. 265 <267 f.>; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 27. August 1998 - 4 Ausl (A) 201/98 - 259 - 250/98 III -, StV 1999, S. 270 <272>; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 28. August 1998 - 1 AK 14/98 -, StV 1999, S. 268 <270>; OLG Köln, Beschluss vom 15. Januar 2003 - Ausl 913/01 -, juris, Rn. 38; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 14. September 2004 - 1 AK 0/04 -, juris, Rn. 10; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 13. September 2004 - 1 AK 6/04 -, StV 2004, S. 547 <548>), vom Bundesgerichtshof (vgl. BGHSt 47, 120 <126>) sowie von der Ersten Sektion und der Großen Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte mit Blick auf die hier in Rede stehenden Schutzgüter beanstandet (vgl. EGMR , Sejdovic v. Italien, Urteil vom 10. November 2004, Nr. 56581/00, § 40; EGMR , Sejdovic v. Italien, Urteil vom 1. März 2006, Nr. 56581/00, § 103 ff.). Schon 1985 hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in der Sache Colozza v. Italien die Wirksamkeit des Rechtsmittels der "scheinbar verspäteten Berufung" nach italienischem Recht gerügt, weil das Berufungsgericht unter tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkten nur entscheiden durfte, wenn die betreffende Person beweisen konnte, dass sie sich der Justiz nicht habe entziehen wollen (vgl. EGMR, Colozza v. Italien, Urteil vom 12. Februar 1985, Nr. 9024/80, § 31).

117

Selbst wenn Art. 603 CPP in seiner durch Gesetz vom 28. April 2014 geänderten Fassung Anwendung finden sollte, ist denkbar, dass dem Beschwerdeführer keine wirksame Möglichkeit eröffnet wird, sich zu verteidigen. Nach Art. 603 CPP findet eine Beweisaufnahme nämlich nur statt, wenn die Beweise erst nach dem Urteil erster Instanz entstanden oder entdeckt worden sind (Abs. 2), wenn der Richter nicht in der Lage ist, nach dem Stand der Akten zu entscheiden (Abs. 1) oder wenn er die Durchführung einer Beweisaufnahme für unbedingt erforderlich hält (Abs. 3). Der Wortlaut von Art. 603 CPP in der der Entscheidung des Oberlandesgerichts zugrunde gelegten Version legt nahe, dass dem Berufungsgericht ein nicht unerheblicher Beurteilungsspielraum bei der Entscheidung über eine erneute Beweisaufnahme zukommt. Eine Pflicht des Berufungsgerichts, auf Antrag des Verfolgten überhaupt Beweis zu erheben, ergibt sich daraus nicht. Jedenfalls ist mit Blick auf den wenig bestimmten Wortlaut des Art. 603 Abs. 1 bis 3 CPP unklar, ob der Pflicht zur Ermittlung der Wahrheit im Strafverfahren hinreichend Rechnung getragen wird.

118

Die vom Beschwerdeführer mit Blick auf das italienische Berufungsverfahren vorgetragenen Bedenken werden dadurch verstärkt, dass in der Vergangenheit mehrere Oberlandesgerichte die Auslieferung nach Italien aufgrund einer Abwesenheitsverurteilung mit der Begründung abgelehnt haben, dass nach italienischem Recht in der Berufungsinstanz eine erneute umfassende gerichtliche Überprüfung der Sachentscheidung nicht stattfinde (vgl. OLG Frankfurt, 2 Ausl. 54/82, 2. September 1983, Nr. U 75, in: Eser/Lagodny/Wilkitzki, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, Rechtsprechungssammlung 1949-1992, 2. Aufl. 1993, S. 285 <288 f.>; OLG München, OLG Ausl. 77/85, 26. Juni 1985, Nr. U 112, in: Eser/Lagodny/Wilkitzki, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, Rechtsprechungssammlung 1949-1992, 2. Aufl. 1993, S. 412 <416>; KG Berlin, (4) Ausl. A. 277/85 (143/85), 24. März 1986, Nr. U 123, in: Eser/Lagodny/Wilkitzki, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, Rechtsprechungssammlung 1949-1992, 2. Aufl. 1993, S. 435 <438>; SchlHOLG, Beschluss vom 14. Januar 1994 - 1 Ausl 8/93 -, StV 1996, S. 102 <103>). Die damit verbundenen Bedenken werden auch in der Literatur geteilt (vgl. Schomburg/Hackner und Lagodny, jeweils in: Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5. Aufl. 2012, § 15 IRG Rn. 33e bzw. § 73 IRG Rn. 86).

119

bb) Den substantiierten und plausiblen Einwänden des Beschwerdeführers hätte das Oberlandesgericht nachgehen müssen. Seine Ermittlungen stellen sich als unzureichend dar.

120

Das Oberlandesgericht versucht, die Bedenken des Beschwerdeführers mit dem Argument auszuräumen, es genüge, wenn im italienischen Berufungsverfahren in der Sache eine umfassende tatsächliche und rechtliche Überprüfung der Abwesenheitsverurteilung stattfinde, im Rahmen derer eine erneute Beweisaufnahme "jedenfalls nicht ausgeschlossen" sei. Damit ist jedoch nicht sichergestellt, dass dem Beschwerdeführer tatsächlich eine Möglichkeit eröffnet ist, sich nach Erlangung der Kenntnis von der Abwesenheitsverurteilung wirksam zu verteidigen, insbesondere entlastende Umstände vorzutragen und deren umfassende und erschöpfende Nachprüfung und gegebenenfalls Berücksichtigung zu erreichen.

121

Der Einwand, dass es sich, selbst wenn im italienischen Berufungsverfahren im Regelfall keine erneute Beweisaufnahme stattfinde, doch um ein Rechtsmittel handele, mit dem sowohl die Tat- als auch die Rechtsfrage der erneuten Prüfung unterworfen würden, vermag ebenso wenig zu überzeugen. Wie eine umfassende Überprüfung der Tatfrage ohne Beweisaufnahme erfolgen soll, erschließt sich nicht. Darüber hinaus stützt sich das Oberlandesgericht für seine Ansicht lediglich auf eine einzige Quelle (Maiwald, Einführung in das italienische Strafrecht und Strafprozessrecht, 2009, S. 237). Eine genaue Darstellung des strafrechtlichen Berufungsverfahrens nach italienischem Recht lässt sich dieser Fundstelle nicht entnehmen. Vielmehr wird auch hier darauf hingewiesen, dass das Verfahren in zweiter Instanz grundsätzlich ein Aktenverfahren sei und keine erneute Beweisaufnahme stattfinde. Wie sich dieser Umstand mit einer erneuten Prüfung der Tatfrage vereinbaren lässt, wird nicht erläutert. Dass in der Sache eine umfassende tatsächliche Überprüfung des Abwesenheitsurteils stattfinde und die uneingeschränkte Möglichkeit einer erneuten Erhebung von bereits in erster Instanz erhobenen Beweisen bestehe, wie vom Oberlandesgericht angenommen, ergibt sich aus der zitierten Quelle nicht.

122

Der Hinweis des Oberlandesgerichts in seinem Beschluss vom 27. November 2014, dass bei einem in erster Instanz ergangenen Abwesenheitsurteil kein Anspruch auf Wiederholung des erstinstanzlichen Verfahrens bestehe, vielmehr eine Neuverhandlung vor einem Rechtsmittelgericht ausreiche, trägt seine Entscheidung ebenfalls nicht. In der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, die bei der Auslegung auch der Grundrechte des Grundgesetzes zu berücksichtigen ist (vgl. BVerfGE 74, 358 <370>; 83, 119 <128>; 111, 307 <317>; 120, 180 <200 f.>; 128, 326 <367 f.>), ist geklärt, dass das Gericht verpflichtet ist, die dem Verurteilten zur Last gelegten Vorwürfe erneut in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zu prüfen, nachdem es diesen gehört hat (vgl. EGMR, Colozza v. Italien, Urteil vom 12. Februar 1985, Nr. 9024/80, § 29; Einhorn v. Frankreich, Entscheidung vom 16. Oktober 2001, Nr. 71555/01, § 33). Zudem müssen sich die prozeduralen Möglichkeiten nach Recht und Praxis des Vertragsstaates als effektiv erweisen (vgl. EGMR, Colozza v. Italien, Urteil vom 12. Februar 1985, Nr. 9024/80, § 30; Medenica v. Schweiz, Urteil vom 14. Juni 2001, Nr. 20491/92, § 55). Zwar folgt aus der Entscheidung in der Sache Colozza v. Italien, wie das Oberlandesgericht zutreffend feststellt, dass bei einem in erster Instanz ergangenen Abwesenheitsurteil kein Anspruch auf Wiederholung des erstinstanzlichen Verfahrens besteht. Der Entscheidung kann allerdings nicht entnommen werden, dass dem in Abwesenheit Verurteilten, der keine Kenntnis von dem erstinstanzlichen Verfahren hatte, von vornherein kein Recht auf Durchführung einer Beweisaufnahme zustünde. Vielmehr betont der Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung das aus Art. 6 Abs. 1 EMRK fließende Recht, Beweis anzubieten und sich zu allen erbrachten Beweisen oder Vorbringen, die darauf gerichtet sind, die Entscheidung des Gerichts zu beeinflussen, äußern zu können (vgl. EGMR, Mantovanelli v. Frankreich, Urteil vom 18. März 1997, Nr. 21497/93, § 33; Lietzow v. Deutschland, Urteil vom 13. Februar 2001, Nr. 24479/94, § 44).

123

Die Auffassung des Oberlandesgerichts, es genüge, wenn im italienischen Berufungsverfahren in der Sache eine umfassende tatsächliche und rechtliche Überprüfung des Abwesenheitsurteils stattfinde, im Rahmen derer eine erneute Beweisaufnahme "jedenfalls nicht ausgeschlossen" sei, greift insoweit zu kurz.

124

cc) Darüber hinaus ist mit Blick auf die Aufklärungspflicht des Oberlandesgerichts zu bedenken, dass die Rechtslage in Italien angesichts der in der Vergangenheit erfolgten Beanstandungen durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte und der zahlreichen Änderungen des italienischen Codice Penale für einen deutschen Richter nicht ohne weiteres zu überblicken ist. Auch hat die Auskunft der Generalstaatsanwaltschaft Florenz vom 7. Oktober 2014 nur wenig zur Aufklärung beigetragen. Die italienischen Justizbehörden wurden vom Oberlandesgericht gebeten, ergänzende Auskunft über die tatsächliche Kenntnis des Beschwerdeführers vom Verhandlungstermin und dessen anwaltlicher Vertretung beziehungsweise eine Zusicherung zu erteilen, dass dem Beschwerdeführer nach seiner Überstellung vorbehaltlos das Recht auf ein neues Gerichtsverfahren in seiner Anwesenheit eingeräumt wird, in dem der gegen ihn erhobene Vorwurf umfassend geprüft werden wird. Ergänzende Auskunft über die Kenntnis des Beschwerdeführers vom Verhandlungstermin und dessen anwaltlicher Vertretung gab die Generalstaatsanwaltschaft Florenz nicht, obwohl sie im Europäischen Haftbefehl nicht angegeben hatte, ob der Beschwerdeführer zu der Verhandlung, die zu seiner Verurteilung geführt hat, persönlich erschienen war oder nicht. Eine Zusicherung, dass dem Beschwerdeführer nach seiner Überstellung vorbehaltlos das Recht auf ein neues Gerichtsverfahren in seiner Anwesenheit eingeräumt wird, in dem der gegen ihn erhobene Vorwurf umfassend geprüft werden wird, erteilte sie ebenfalls nicht. Trotz des präzisen Ersuchens um Auskunft und Zusicherung durch das Oberlandesgericht wies sie lediglich abstrakt darauf hin, dass unter der Bedingung, dass "dem Antrag stattgegeben wird", erneut eine Hauptverhandlung gegen den Verurteilten stattfinden werde. Dem Verurteilten wurde sein Verteidigungsrecht zwar ohne Vorbehalt zugesichert; der Umfang dieses Verteidigungsrechts blieb jedoch unklar.

D.

125

Einer Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union gemäß Art. 267 AEUV bedarf es nicht. Die richtige Anwendung des Unionsrechts ist derart offenkundig, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibt ("acte clair", vgl. EuGH, Urteil vom 6. Oktober 1982, C.I.L.F.I.T., C-283/81, Slg. 1982, S. 3415, Rn. 16 ff.). Das Unionsrecht gerät mit dem Menschenwürdeschutz des Grundgesetzes nach Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 23 Abs. 1 Satz 3 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG im vorliegenden Fall nicht in Konflikt. Der Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl verpflichtet, wie dargelegt, deutsche Gerichte und Behörden nicht, einen Europäischen Haftbefehl ohne Prüfung auf seine Vereinbarkeit mit den aus Art. 1 Abs. 1 GG folgenden Anforderungen zu vollstrecken. Dass die Grenzen der Ermittlungspflicht, insbesondere mit Blick auf den Umfang der nach Unionsrecht zulässigen Ermittlungen und der hiermit verbundenen Verzögerungen beim Vollzug des Haftbefehls in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union nicht geklärt sind, ändert daran nichts. Jedenfalls im hier zu entscheidenden Fall ist kein Anhaltspunkt erkennbar, dass Unionsrecht einer Pflicht des Oberlandesgerichts, die Wahrung der Rechte des Beschwerdeführers eingehender zu prüfen, entgegen stand. Das gilt vor allem mit Blick auf die substantiierten Anhaltspunkte, die der Beschwerdeführer dem Oberlandesgericht dafür vorgetragen hat, dass ihm nach italienischem Prozessrecht keine Möglichkeit eröffnet sei, sich wirksam zu verteidigen.

E.

126

Da die Verfassungsbeschwerde zulässig und begründet ist, sind dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen gemäß § 34a Abs. 2 BVerfGG vollständig zu erstatten.

(1) Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts binden die Verfassungsorgane des Bundes und der Länder sowie alle Gerichte und Behörden.

(2) In den Fällen des § 13 Nr. 6, 6a, 11, 12 und 14 hat die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts Gesetzeskraft. Das gilt auch in den Fällen des § 13 Nr. 8a, wenn das Bundesverfassungsgericht ein Gesetz als mit dem Grundgesetz vereinbar oder unvereinbar oder für nichtig erklärt. Soweit ein Gesetz als mit dem Grundgesetz oder sonstigem Bundesrecht vereinbar oder unvereinbar oder für nichtig erklärt wird, ist die Entscheidungsformel durch das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz im Bundesgesetzblatt zu veröffentlichen. Entsprechendes gilt für die Entscheidungsformel in den Fällen des § 13 Nr. 12 und 14.

(1) Erweist sich der Antrag auf Verwirkung der Grundrechte (§ 13 Nr. 1), die Anklage gegen den Bundespräsidenten (§ 13 Nr. 4) oder einen Richter (§ 13 Nr. 9) als unbegründet, so sind dem Antragsgegner oder dem Angeklagten die notwendigen Auslagen einschließlich der Kosten der Verteidigung zu ersetzen.

(2) Erweist sich eine Verfassungsbeschwerde als begründet, so sind dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen ganz oder teilweise zu erstatten.

(3) In den übrigen Fällen kann das Bundesverfassungsgericht volle oder teilweise Erstattung der Auslagen anordnen.

(1) Wer eine Vereinigung (§ 129 Absatz 2) gründet, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet sind,

1.
Mord (§ 211) oder Totschlag (§ 212) oder Völkermord (§ 6 des Völkerstrafgesetzbuches) oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§ 7 des Völkerstrafgesetzbuches) oder Kriegsverbrechen (§§ 8, 9, 10, 11 oder § 12 des Völkerstrafgesetzbuches) oder
2.
Straftaten gegen die persönliche Freiheit in den Fällen des § 239a oder des § 239b
3.
(weggefallen)
zu begehen, oder wer sich an einer solchen Vereinigung als Mitglied beteiligt, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer eine Vereinigung gründet, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet sind,

1.
einem anderen Menschen schwere körperliche oder seelische Schäden, insbesondere der in § 226 bezeichneten Art, zuzufügen,
2.
Straftaten nach den §§ 303b, 305, 305a oder gemeingefährliche Straftaten in den Fällen der §§ 306 bis 306c oder 307 Abs. 1 bis 3, des § 308 Abs. 1 bis 4, des § 309 Abs. 1 bis 5, der §§ 313, 314 oder 315 Abs. 1, 3 oder 4, des § 316b Abs. 1 oder 3 oder des § 316c Abs. 1 bis 3 oder des § 317 Abs. 1,
3.
Straftaten gegen die Umwelt in den Fällen des § 330a Abs. 1 bis 3,
4.
Straftaten nach § 19 Abs. 1 bis 3, § 20 Abs. 1 oder 2, § 20a Abs. 1 bis 3, § 19 Abs. 2 Nr. 2 oder Abs. 3 Nr. 2, § 20 Abs. 1 oder 2 oder § 20a Abs. 1 bis 3, jeweils auch in Verbindung mit § 21, oder nach § 22a Abs. 1 bis 3 des Gesetzes über die Kontrolle von Kriegswaffen oder
5.
Straftaten nach § 51 Abs. 1 bis 3 des Waffengesetzes
zu begehen, oder wer sich an einer solchen Vereinigung als Mitglied beteiligt, wenn eine der in den Nummern 1 bis 5 bezeichneten Taten bestimmt ist, die Bevölkerung auf erhebliche Weise einzuschüchtern, eine Behörde oder eine internationale Organisation rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt zu nötigen oder die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Staates oder einer internationalen Organisation zu beseitigen oder erheblich zu beeinträchtigen, und durch die Art ihrer Begehung oder ihre Auswirkungen einen Staat oder eine internationale Organisation erheblich schädigen kann.

(3) Sind die Zwecke oder die Tätigkeit der Vereinigung darauf gerichtet, eine der in Absatz 1 und 2 bezeichneten Straftaten anzudrohen, ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen.

(4) Gehört der Täter zu den Rädelsführern oder Hintermännern, so ist in den Fällen der Absätze 1 und 2 auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren, in den Fällen des Absatzes 3 auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

(5) Wer eine in Absatz 1, 2 oder Absatz 3 bezeichnete Vereinigung unterstützt, wird in den Fällen der Absätze 1 und 2 mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in den Fällen des Absatzes 3 mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Wer für eine in Absatz 1 oder Absatz 2 bezeichnete Vereinigung um Mitglieder oder Unterstützer wirbt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(6) Das Gericht kann bei Beteiligten, deren Schuld gering und deren Mitwirkung von untergeordneter Bedeutung ist, in den Fällen der Absätze 1, 2, 3 und 5 die Strafe nach seinem Ermessen (§ 49 Abs. 2) mildern.

(7) § 129 Absatz 7 gilt entsprechend.

(8) Neben einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten kann das Gericht die Fähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden, und die Fähigkeit, Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen, aberkennen (§ 45 Abs. 2).

(9) In den Fällen der Absätze 1, 2, 4 und 5 kann das Gericht Führungsaufsicht anordnen (§ 68 Abs. 1).

(1) Die Wohnung ist unverletzlich.

(2) Durchsuchungen dürfen nur durch den Richter, bei Gefahr im Verzuge auch durch die in den Gesetzen vorgesehenen anderen Organe angeordnet und nur in der dort vorgeschriebenen Form durchgeführt werden.

(3) Begründen bestimmte Tatsachen den Verdacht, daß jemand eine durch Gesetz einzeln bestimmte besonders schwere Straftat begangen hat, so dürfen zur Verfolgung der Tat auf Grund richterlicher Anordnung technische Mittel zur akustischen Überwachung von Wohnungen, in denen der Beschuldigte sich vermutlich aufhält, eingesetzt werden, wenn die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise unverhältnismäßig erschwert oder aussichtslos wäre. Die Maßnahme ist zu befristen. Die Anordnung erfolgt durch einen mit drei Richtern besetzten Spruchkörper. Bei Gefahr im Verzuge kann sie auch durch einen einzelnen Richter getroffen werden.

(4) Zur Abwehr dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit, insbesondere einer gemeinen Gefahr oder einer Lebensgefahr, dürfen technische Mittel zur Überwachung von Wohnungen nur auf Grund richterlicher Anordnung eingesetzt werden. Bei Gefahr im Verzuge kann die Maßnahme auch durch eine andere gesetzlich bestimmte Stelle angeordnet werden; eine richterliche Entscheidung ist unverzüglich nachzuholen.

(5) Sind technische Mittel ausschließlich zum Schutze der bei einem Einsatz in Wohnungen tätigen Personen vorgesehen, kann die Maßnahme durch eine gesetzlich bestimmte Stelle angeordnet werden. Eine anderweitige Verwertung der hierbei erlangten Erkenntnisse ist nur zum Zwecke der Strafverfolgung oder der Gefahrenabwehr und nur zulässig, wenn zuvor die Rechtmäßigkeit der Maßnahme richterlich festgestellt ist; bei Gefahr im Verzuge ist die richterliche Entscheidung unverzüglich nachzuholen.

(6) Die Bundesregierung unterrichtet den Bundestag jährlich über den nach Absatz 3 sowie über den im Zuständigkeitsbereich des Bundes nach Absatz 4 und, soweit richterlich überprüfungsbedürftig, nach Absatz 5 erfolgten Einsatz technischer Mittel. Ein vom Bundestag gewähltes Gremium übt auf der Grundlage dieses Berichts die parlamentarische Kontrolle aus. Die Länder gewährleisten eine gleichwertige parlamentarische Kontrolle.

(7) Eingriffe und Beschränkungen dürfen im übrigen nur zur Abwehr einer gemeinen Gefahr oder einer Lebensgefahr für einzelne Personen, auf Grund eines Gesetzes auch zur Verhütung dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, insbesondere zur Behebung der Raumnot, zur Bekämpfung von Seuchengefahr oder zum Schutze gefährdeter Jugendlicher vorgenommen werden.

(1) Zu dem in § 160 Abs. 1 bis 3 bezeichneten Zweck ist die Staatsanwaltschaft befugt, von allen Behörden Auskunft zu verlangen und Ermittlungen jeder Art entweder selbst vorzunehmen oder durch die Behörden und Beamten des Polizeidienstes vornehmen zu lassen, soweit nicht andere gesetzliche Vorschriften ihre Befugnisse besonders regeln. Die Behörden und Beamten des Polizeidienstes sind verpflichtet, dem Ersuchen oder Auftrag der Staatsanwaltschaft zu genügen, und in diesem Falle befugt, von allen Behörden Auskunft zu verlangen.

(2) Soweit in diesem Gesetz die Löschung personenbezogener Daten ausdrücklich angeordnet wird, ist § 58 Absatz 3 des Bundesdatenschutzgesetzes nicht anzuwenden.

(3) Ist eine Maßnahme nach diesem Gesetz nur bei Verdacht bestimmter Straftaten zulässig, so dürfen die auf Grund einer entsprechenden Maßnahme nach anderen Gesetzen erlangten personenbezogenen Daten ohne Einwilligung der von der Maßnahme betroffenen Personen zu Beweiszwecken im Strafverfahren nur zur Aufklärung solcher Straftaten verwendet werden, zu deren Aufklärung eine solche Maßnahme nach diesem Gesetz hätte angeordnet werden dürfen. § 100e Absatz 6 Nummer 3 bleibt unberührt.

(4) In oder aus einer Wohnung erlangte personenbezogene Daten aus einem Einsatz technischer Mittel zur Eigensicherung im Zuge nicht offener Ermittlungen auf polizeirechtlicher Grundlage dürfen unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu Beweiszwecken nur verwendet werden (Artikel 13 Abs. 5 des Grundgesetzes), wenn das Amtsgericht (§ 162 Abs. 1), in dessen Bezirk die anordnende Stelle ihren Sitz hat, die Rechtmäßigkeit der Maßnahme festgestellt hat; bei Gefahr im Verzug ist die richterliche Entscheidung unverzüglich nachzuholen.

(1) Das Bundeskriminalamt kann die Aufgabe der Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus in Fällen wahrnehmen, in denen

1.
eine länderübergreifende Gefahr vorliegt,
2.
die Zuständigkeit einer Landespolizeibehörde nicht erkennbar ist oder
3.
die oberste Landesbehörde um eine Übernahme ersucht.
Gefahren des internationalen Terrorismus sind Gefahren der Verwirklichung von Straftaten, die in § 129a Absatz 1 und 2 des Strafgesetzbuchs bezeichnet und dazu bestimmt sind,
1.
die Bevölkerung auf erhebliche Weise einzuschüchtern,
2.
eine Behörde oder eine internationale Organisation rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt zu nötigen oder
3.
die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Staates oder einer internationalen Organisation zu beseitigen oder erheblich zu beeinträchtigen,
und durch die Art ihrer Begehung oder ihre Auswirkungen einen Staat oder eine internationale Organisation erheblich schädigen können. Das Bundeskriminalamt kann in den in Satz 1 bezeichneten Fällen auch zur Verhütung von Straftaten nach Satz 2 tätig werden.

(2) Die Befugnisse der Länder und anderer Polizeibehörden des Bundes bleiben unberührt. Die zuständigen obersten Landesbehörden und, soweit zuständig, anderen Polizeibehörden des Bundes sind unverzüglich zu benachrichtigen, wenn das Bundeskriminalamt die Aufgabe nach Absatz 1 wahrnimmt. Die Aufgabenwahrnehmung erfolgt in gegenseitigem Benehmen. Stellt das Bundeskriminalamt bei der Aufgabenwahrnehmung nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 die Zuständigkeit einer Landespolizeibehörde fest, so gibt es diese Aufgabe an diese Polizeibehörde ab, wenn nicht ein Fall des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 1 oder Nummer 3 vorliegt.

(3) Das Bundeskriminalamt ist unbeschadet der Absätze 1 und 2 zuständige Behörde nach § 1 Absatz 1 des Terroristische-Online-Inhalte-Bekämpfungs-Gesetzes für den Erlass und die Überprüfung von Entfernungsanordnungen nach den Artikeln 3 und 4 der Verordnung (EU) 2021/784 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2021 zur Bekämpfung der Verbreitung terroristischer Online-Inhalte (ABl. L 172 vom 17.5.2021, S. 79).

(1) Wer eine fremde bewegliche Sache einem anderen in der Absicht wegnimmt, die Sache sich oder einem Dritten rechtswidrig zuzueignen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(1) Das Bundeskriminalamt kann die Aufgabe der Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus in Fällen wahrnehmen, in denen

1.
eine länderübergreifende Gefahr vorliegt,
2.
die Zuständigkeit einer Landespolizeibehörde nicht erkennbar ist oder
3.
die oberste Landesbehörde um eine Übernahme ersucht.
Gefahren des internationalen Terrorismus sind Gefahren der Verwirklichung von Straftaten, die in § 129a Absatz 1 und 2 des Strafgesetzbuchs bezeichnet und dazu bestimmt sind,
1.
die Bevölkerung auf erhebliche Weise einzuschüchtern,
2.
eine Behörde oder eine internationale Organisation rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt zu nötigen oder
3.
die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Staates oder einer internationalen Organisation zu beseitigen oder erheblich zu beeinträchtigen,
und durch die Art ihrer Begehung oder ihre Auswirkungen einen Staat oder eine internationale Organisation erheblich schädigen können. Das Bundeskriminalamt kann in den in Satz 1 bezeichneten Fällen auch zur Verhütung von Straftaten nach Satz 2 tätig werden.

(2) Die Befugnisse der Länder und anderer Polizeibehörden des Bundes bleiben unberührt. Die zuständigen obersten Landesbehörden und, soweit zuständig, anderen Polizeibehörden des Bundes sind unverzüglich zu benachrichtigen, wenn das Bundeskriminalamt die Aufgabe nach Absatz 1 wahrnimmt. Die Aufgabenwahrnehmung erfolgt in gegenseitigem Benehmen. Stellt das Bundeskriminalamt bei der Aufgabenwahrnehmung nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 die Zuständigkeit einer Landespolizeibehörde fest, so gibt es diese Aufgabe an diese Polizeibehörde ab, wenn nicht ein Fall des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 1 oder Nummer 3 vorliegt.

(3) Das Bundeskriminalamt ist unbeschadet der Absätze 1 und 2 zuständige Behörde nach § 1 Absatz 1 des Terroristische-Online-Inhalte-Bekämpfungs-Gesetzes für den Erlass und die Überprüfung von Entfernungsanordnungen nach den Artikeln 3 und 4 der Verordnung (EU) 2021/784 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2021 zur Bekämpfung der Verbreitung terroristischer Online-Inhalte (ABl. L 172 vom 17.5.2021, S. 79).

(1) Wer eine Vereinigung (§ 129 Absatz 2) gründet, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet sind,

1.
Mord (§ 211) oder Totschlag (§ 212) oder Völkermord (§ 6 des Völkerstrafgesetzbuches) oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§ 7 des Völkerstrafgesetzbuches) oder Kriegsverbrechen (§§ 8, 9, 10, 11 oder § 12 des Völkerstrafgesetzbuches) oder
2.
Straftaten gegen die persönliche Freiheit in den Fällen des § 239a oder des § 239b
3.
(weggefallen)
zu begehen, oder wer sich an einer solchen Vereinigung als Mitglied beteiligt, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer eine Vereinigung gründet, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet sind,

1.
einem anderen Menschen schwere körperliche oder seelische Schäden, insbesondere der in § 226 bezeichneten Art, zuzufügen,
2.
Straftaten nach den §§ 303b, 305, 305a oder gemeingefährliche Straftaten in den Fällen der §§ 306 bis 306c oder 307 Abs. 1 bis 3, des § 308 Abs. 1 bis 4, des § 309 Abs. 1 bis 5, der §§ 313, 314 oder 315 Abs. 1, 3 oder 4, des § 316b Abs. 1 oder 3 oder des § 316c Abs. 1 bis 3 oder des § 317 Abs. 1,
3.
Straftaten gegen die Umwelt in den Fällen des § 330a Abs. 1 bis 3,
4.
Straftaten nach § 19 Abs. 1 bis 3, § 20 Abs. 1 oder 2, § 20a Abs. 1 bis 3, § 19 Abs. 2 Nr. 2 oder Abs. 3 Nr. 2, § 20 Abs. 1 oder 2 oder § 20a Abs. 1 bis 3, jeweils auch in Verbindung mit § 21, oder nach § 22a Abs. 1 bis 3 des Gesetzes über die Kontrolle von Kriegswaffen oder
5.
Straftaten nach § 51 Abs. 1 bis 3 des Waffengesetzes
zu begehen, oder wer sich an einer solchen Vereinigung als Mitglied beteiligt, wenn eine der in den Nummern 1 bis 5 bezeichneten Taten bestimmt ist, die Bevölkerung auf erhebliche Weise einzuschüchtern, eine Behörde oder eine internationale Organisation rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt zu nötigen oder die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Staates oder einer internationalen Organisation zu beseitigen oder erheblich zu beeinträchtigen, und durch die Art ihrer Begehung oder ihre Auswirkungen einen Staat oder eine internationale Organisation erheblich schädigen kann.

(3) Sind die Zwecke oder die Tätigkeit der Vereinigung darauf gerichtet, eine der in Absatz 1 und 2 bezeichneten Straftaten anzudrohen, ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen.

(4) Gehört der Täter zu den Rädelsführern oder Hintermännern, so ist in den Fällen der Absätze 1 und 2 auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren, in den Fällen des Absatzes 3 auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

(5) Wer eine in Absatz 1, 2 oder Absatz 3 bezeichnete Vereinigung unterstützt, wird in den Fällen der Absätze 1 und 2 mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in den Fällen des Absatzes 3 mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Wer für eine in Absatz 1 oder Absatz 2 bezeichnete Vereinigung um Mitglieder oder Unterstützer wirbt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(6) Das Gericht kann bei Beteiligten, deren Schuld gering und deren Mitwirkung von untergeordneter Bedeutung ist, in den Fällen der Absätze 1, 2, 3 und 5 die Strafe nach seinem Ermessen (§ 49 Abs. 2) mildern.

(7) § 129 Absatz 7 gilt entsprechend.

(8) Neben einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten kann das Gericht die Fähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden, und die Fähigkeit, Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen, aberkennen (§ 45 Abs. 2).

(9) In den Fällen der Absätze 1, 2, 4 und 5 kann das Gericht Führungsaufsicht anordnen (§ 68 Abs. 1).