Bundesverfassungsgericht Stattgebender Kammerbeschluss, 18. Okt. 2016 - 1 BvR 354/11

ECLI:ECLI:DE:BVerfG:2016:rk20161018.1bvr035411
bei uns veröffentlicht am18.10.2016

Tenor

1. Die Beschwerdeführerin wird durch das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 12. August 2010 - 2 AZR 593/09 -, das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 19. Juni 2009 - 7 Sa 84/08 - und das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 15. Oktober 2008 - 14 Ca 7300/07 - in ihrem Grundrecht aus Artikel 4 Absatz 1 und 2 des Grundgesetzes verletzt. Die Urteile des Bundesarbeitsgerichts und des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg werden aufgehoben. Die Sache wird an das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg zurückverwiesen. Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

2. Das Land Baden-Württemberg hat der Beschwerdeführerin drei Viertel, die Bundesrepublik Deutschland ein Viertel ihrer notwendigen Auslagen zu erstatten.

3. Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit für das Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf 25.000 € (in Worten: fünfundzwanzigtausend Euro) festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft eine der Beschwerdeführerin, die als Erzieherin an einer Kindertagesstätte in kommunaler Trägerschaft beschäftigt ist, von ihrem Arbeitgeber erteilte Abmahnung wegen Tragen eines sogenannten "islamischen Kopftuchs" im Dienst sowie in diesem Zusammenhang ergangene arbeitsgerichtliche Entscheidungen.

2

1. Die insoweit maßgeblichen Vorschriften des § 7 Abs. 6 und 7 des baden-württembergischen Gesetzes über die Betreuung und Förderung von Kindern in Kindergärten, anderen Tageseinrichtungen und der Kindertagespflege (Kindertagesbetreuungsgesetz - KiTaG) in der zum Zeitpunkt der Ausgangsentscheidungen geltenden Fassung lauteten:

"(6) 1Fachkräfte im Sinne der Absätze 1 und 2 und andere Betreuungs- und Erziehungspersonen dürfen in Einrichtungen, auf die dieses Gesetz Anwendung findet und die in Trägerschaft des Landes, eines Landkreises, einer Gemeinde, einer Verwaltungsgemeinschaft, eines Zweck- oder Regionalverbandes stehen, keine politischen, religiösen, weltanschaulichen oder ähnliche äußeren Bekundungen abgeben, die geeignet sind, die Neutralität des Trägers gegenüber Kindern und Eltern oder den politischen, religiösen oder weltanschaulichen Frieden in Einrichtungen, auf die dieser Absatz Anwendung findet, zu gefährden oder zu stören. 2Insbesondere ist ein äußeres Verhalten unzulässig, welches bei Kindern oder Eltern den Eindruck hervorrufen kann, dass eine Fachkraft oder eine andere Betreuungs- oder Erziehungsperson gegen die Menschenwürde, die Gleichberechtigung der Menschen nach Artikel 3 des Grundgesetzes, die Freiheitsgrundrechte oder die freiheitlich-demokratische Grundordnung auftritt. 3Die Wahrnehmung des Auftrags nach Artikel 12 Abs. 1 der Verfassung des Landes Baden-Württemberg zur Erziehung der Jugend im Geiste der christlichen Nächstenliebe und zur Brüderlichkeit aller Menschen und die entsprechende Darstellung derartiger Traditionen widerspricht nicht dem Verhaltensgebot nach Satz 1.

(7) Die Einstellung einer Fachkraft im Sinne der Absätze 1 und 2 oder einer anderen Betreuungs- und Erziehungsperson in Einrichtungen nach Absatz 6 Satz 1 setzt als persönliches Eignungsmerkmal voraus, dass sie die Gewähr für die Einhaltung des Absatzes 6 während der gesamten Dauer ihres Arbeitsverhältnisses bietet."

3

2. Die in der Türkei geborene Beschwerdeführerin mit deutscher Staatsangehörigkeit ist staatlich anerkannte Erzieherin. Sie ist bei der im Ausgangsverfahren beklagten Stadt S., die über 34 kommunale Kindertagesstätten verfügt, seit September 2003 in Teilzeit beschäftigt. Zuvor war sie dort seit 2001 bereits als Praktikantin tätig. Die Beschwerdeführerin ist muslimischen Glaubens und trägt aus religiöser Überzeugung in der Öffentlichkeit und auch während ihrer Tätigkeit als Erzieherin ein Kopftuch.

4

3. Die Stadt forderte die Beschwerdeführerin auf, ihr Kopftuch während ihres Dienstes als Erzieherin abzulegen und damit der Verpflichtung aus § 7 Abs. 6 KiTaG a.F. (jetzt: § 7 Abs. 8 KiTaG) nachzukommen. Die Beschwerdeführerin folgte dem nicht. Daraufhin mahnte die Stadt sie ab.

5

4. Die Beschwerdeführerin verlangte erfolglos die Entfernung der Abmahnung aus ihrer Personalakte. Das Arbeitsgericht wies ihre Klage ab. Ihre hiergegen eingelegte Berufung blieb vor dem Landesarbeitsgericht ebenfalls ohne Erfolg.

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Das Bundesarbeitsgericht wies die Revision der Beschwerdeführerin zurück. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus:

7

a) Die Beschwerdeführerin habe mit dem Kopftuchtragen das Bekundungsverbot gemäß § 7 Abs. 6 Satz 1 KiTaG a.F. bewusst und dauerhaft verletzt.

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aa) Die bewusste Wahl einer religiös bestimmten Kleidung wie des Kopftuchs stelle eine religiöse Bekundung im Sinne dieser Vorschrift dar. Zur Bestimmung des Erklärungswerts einer solchen Kundgabe sei auf diejenige Deutungsmöglichkeit abzustellen, die für eine nicht unerhebliche Zahl von Betrachtern naheliege. Dabei komme es für die Deutung vor allem auf die Sicht eines objektiven Betrachters in der Situation der Kinder und Eltern einer Betreuungseinrichtung an. Ob einer bestimmten Bekleidung ein religiöser Aussagegehalt nach Art eines Symbols zukomme, hänge von der Wirkung des verwendeten Ausdrucksmittels ab, wobei alle sonstigen in Betracht kommenden Deutungsmöglichkeiten ebenfalls zu berücksichtigen seien. Der Symbolcharakter müsse sich nicht aus dem Kleidungsstück als solchem ergeben. Eine religiöse Bekundung könne auch darin liegen, dass dem Kleidungsstück in der besonderen Art und Weise seines Tragens offensichtlich eine besondere Bedeutung zukomme, etwa weil es erkennbar aus dem Rahmen der in der Einrichtung üblichen Bekleidung falle und ausnahmslos zu jeder Zeit getragen werde. Ein solch weitgehendes Verständnis entspreche dem Zweck des gesetzlichen Bekundungsverbots. Dieses wolle religiös-weltanschauliche Konflikte in Kindertagesbetreuungseinrichtungen schon im Ansatz verhindern und die Neutralität der Einrichtung und des Trägers auch nach außen wahren. Das verbiete eine Differenzierung zwischen Kleidungsstücken, deren religiöse oder weltanschauliche Motivation offen zutage trete, und solchen, deren Tragen in der Einrichtung einen entsprechenden Erklärungsbedarf auslöse. Die Beschwerdeführerin habe auch zu keiner Zeit behauptet, sie trage das Kopftuch nicht als Ausdruck ihres Glaubens. Ihr Hinweis, das Landesarbeitsgericht habe bei der Bewertung modische oder gesundheitliche Aspekte des Kopftuchtragens berücksichtigen müssen, sei unbeachtlich. Auch ein unbefangener Beobachter werde das "islamische Kopftuch" regelmäßig als Ausdruck eines bekundeten Religionsbrauchs und nicht als modisches Accessoire auffassen. Dies gelte auch unter Berücksichtigung der zunehmenden Verbreitung solcher Kopftücher im öffentlichen Leben und der öffentlichen Diskussion der letzten Jahre.

9

bb) Das Verhalten der Klägerin sei geeignet, die Neutralität der beklagten Stadt gegenüber Kindern und Eltern einer Kindertagesstätte und den religiösen Einrichtungsfrieden zu gefährden. Das Verbot des § 7 Abs. 6 Satz 1 KiTaG a.F. wolle schon der abstrakten Gefahr vorbeugen, konkrete Gefährdungen also gar nicht erst aufkommen lassen. Im Gesetzeswortlaut komme dies darin zum Ausdruck, dass religiöse Bekundungen bereits dann verboten seien, wenn sie "geeignet" seien, die genannten Schutzgüter zu gefährden. Der Landesgesetzgeber habe ersichtlich darauf Bedacht nehmen wollen, dass auch Kindertagesbetreuungseinrichtungen Orte seien, an denen unterschiedliche religiöse und politische Auffassungen unausweichlich aufeinanderträfen, deren friedliches Nebeneinander der Staat zu garantieren habe. Er habe ein solches Konfliktpotential erkennbar nicht nur für den Schulbereich gesehen, sondern sei davon ausgegangen, dass es durch eine größere religiöse Vielfalt in der Gesellschaft auch in Kindertagesstätten zu einem vermehrten Potential von Konflikten - auch unter den Eltern verschiedener Glaubensrichtungen oder mit Atheisten - kommen könne. In dieser Lage könne der religiöse und weltanschauliche Frieden in einer Einrichtung schon durch die berechtigte Sorge der Eltern vor einer ungewollten religiösen Beeinflussung ihres Kindes gefährdet werden. Hierzu könne das religiös bedeutungsvolle Erscheinungsbild des pädagogischen Personals Anlass geben. Die berechtigte Sorge von Eltern könne sich in Kindertagesstätten sogar noch verstärken, da Kinder im Kindergartenalter regelmäßig stärker beeinflussbar seien als Schüler. Eine Erzieherin habe zudem insbesondere bei einer Ganztagsbetreuung noch einen höheren Einfluss auf die Kindergartenkinder als dies bei einem Lehrer der Fall sei, der nur einzelne Fächer unterrichte. Für das spätere Sozialverhalten der Kinder wirke sie als zumeist erste Bezugsperson außerhalb des Elternhauses in hohem Maße prägend. Jede bekehrende Wirkung auszuschließen, die das Tragen des "islamischen Kopftuchs" haben könne, sei deshalb kaum möglich. Im Kindergartenalter sei es im Gegenteil wohl zumeist noch schwieriger, die Wirkung eines Kopftuchs durch entsprechende Erklärungen abzuschwächen.

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Es komme dementsprechend nicht darauf an, ob die Beschwerdeführerin den Gegenbeweis für eine Nichtgefährdung des Einrichtungsfriedens erbringen könne. Eine Berücksichtigung der konkreten Verhältnisse in einzelnen Einrichtungen sei im Gesetz nicht vorgesehen. Somit sei es auch ohne Belang, ob die Beschwerdeführerin bislang in einem friedlichen Verhältnis zu allen Beteiligten stehe, zumal sich diese Situation durch den Wechsel von Kindern und Eltern jederzeit ändern könne.

11

b) Die Regelung des § 7 Abs. 6 Satz 1 KiTaG a.F. verstoße nicht gegen höherrangiges Recht. Die Vorschrift sei weder verfassungswidrig noch verletze sie Art. 9 Abs. 1 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK).

12

aa) Die dortige Lösung des verfassungsrechtlichen Spannungsverhältnisses beachte die Grundsätze der praktischen Konkordanz der betroffenen Grundrechtspositionen hinreichend. Die Regelung liege im Rahmen der Gestaltungsfreiheit des Landesgesetzgebers. Dieser habe die positive Glaubensfreiheit sowie die Berufsausübungsfreiheit und das allgemeine Persönlichkeitsrecht einer Erzieherin hinter die Pflicht des öffentlichen Trägers einer Kinderbetreuungseinrichtung zur weltanschaulichen Neutralität, das Erziehungsrecht der Eltern und die negative Glaubensfreiheit der Kinder und Eltern zurücktreten lassen dürfen, um die Neutralität der Kindertagesstätten und deren Einrichtungsfrieden zu sichern.

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(1) Zwar schütze nach der Rechtsprechung Art. 4 Abs. 1 und 2 GG nicht nur die innere Glaubensfreiheit, sondern auch die äußere Freiheit, den Glauben in der Öffentlichkeit zu manifestieren und zu bekennen. Dazu gehöre auch das Recht des Einzelnen, sein gesamtes Verhalten an den Lehren des Glaubens auszurichten und seiner inneren Glaubensüberzeugung gemäß zu handeln. Auf Seiten der Kinder und Eltern entspreche dem aber umgekehrt die Freiheit, kultischen Handlungen eines nicht geteilten Glaubens fernzubleiben. Zwar habe der Einzelne in einer unterschiedlichen Glaubensüberzeugungen Raum gebenden Gesellschaft kein Recht darauf, von fremden Glaubensbekundungen gänzlich verschont zu bleiben. Davon sei aber eine vom Staat geschaffene Lage zu unterscheiden, in der ein Einzelner dem Einfluss und den Symbolen eines bestimmten Glaubens ausgesetzt werde. Insofern entfalte Art. 4 Abs. 1 GG seine freiheitssichernde Wirkung gerade in den Lebensbereichen, die nicht der gesellschaftlichen Selbstorganisation überlassen seien, sondern in denen der Staat Vorsorgeleistungen anbiete. Gemeinsam mit Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG, der den Eltern die Pflege und Erziehung ihrer Kinder als natürliches Recht garantiere, umfasse Art. 4 Abs. 1 GG auch das Recht zur Kindererziehung in religiöser und weltanschaulicher Hinsicht. Es sei Sache der Eltern, ihren Kindern diejenigen Überzeugungen in Glaubens- und Weltanschauungsfragen zu vermitteln, die sie für richtig hielten. Dem entspreche das Recht, die Kinder von Glaubensüberzeugungen fernzuhalten, die den Eltern falsch oder schädlich erschienen.

14

(2) Die Vermeidung religiöser und weltanschaulicher Konflikte in öffentlichen Kindertagesstätten stelle ein gewichtiges Gemeingut dar. Zu diesem Zweck seien gesetzliche Einschränkungen der Glaubensfreiheit rechtlich zulässig. Dabei sei es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn die landesgesetzliche Regelung religiöse Bekundungen von Erziehern in Kindertagesstätten ohne Rücksicht auf die Umstände des Einzelfalls untersage. Der Gesetzgeber dürfe Gefährdungen des Einrichtungsfriedens auch dadurch vorbeugen, dass er Erziehungskräften bereits das Tragen religiös bedeutsamer Kleidungsstücke oder Symbole verbiete und Konflikt vermeidende Regelungen nicht an die konkrete Gefahr einer drohenden Auseinandersetzung knüpfe. Diese von der Rechtsprechung zu den Schulgesetzen entwickelten Grundsätze seien auf Erzieher einer Kindertagesstätte in öffentlicher Trägerschaft übertragbar, da maßgebliche Unterschiede zwischen Schulen und Kindertagesstätten nicht erkennbar seien. Es stehe den Erziehungsberechtigten zwar grundsätzlich frei, ob sie ihr Kind in eine (bestimmte) Kindertagesstätte schicken wollten oder nicht. Deshalb bestehe auch keine vom Staat geschaffene Zwangssituation, in der der Einzelne dem Einfluss eines anderen Glaubensbekenntnisses ohne Ausweichmöglichkeiten ausgesetzt sei. Das Bekundungsverbot sei gleichwohl nicht unverhältnismäßig. Nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Achtes Buch (SGB VIII) hätten Eltern einen Anspruch auf Besuch einer Tageseinrichtung zur Kinderbetreuung. Verweise man sie auf andere Kindertagesstätten des kommunalen oder gar eines anderen Trägers, so sei dies - ungeachtet der Frage der Zumutbarkeit eines Wechsels - spätestens dann problematisch, wenn der kommunale Träger keine Kindertagesstätte anbieten könne, in der keine kopftuchtragenden oder andere religiöse Bekundungen abgebenden Erzieherinnen beschäftigt würden. Eine Verweisung der Eltern auf Kindertagesstätten eines freien Trägers hingegen sei mit dem Anspruch aus § 24 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII schwerlich vereinbar. Hinzu komme, dass zahlreiche faktische Zwänge dem Besuch einer anderen Kindertagesstätte entgegenstehen könnten, wie beispielsweise die nur geringe Anzahl von Kindertagesstätten im ländlichen Raum oder die Nähe einer Einrichtung zum Wohn- oder Arbeitsort der Eltern.

15

bb) § 7 Abs. 6 Satz 1 KiTaG a.F. greife auch nicht in verfassungswidriger Weise in das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden (Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG) ein. Der Landesgesetzgeber habe die Personalentscheidungsbefugnis der Kommunen nicht übermäßig begrenzt, sondern lediglich einen Teilaspekt der Verhaltenspflichten des Gemeindepersonals geregelt.

16

cc) Die Vorschrift verletze auch nicht den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG.

17

(1) Sie behandle die verschiedenen Religionen nicht unterschiedlich, sondern erfasse jede Art religiöser Bekundung unabhängig von deren Inhalt. Christliche Glaubensbekundungen würden nicht bevorzugt. Dies gelte auch mit Blick auf § 7 Abs. 6 Satz 3 KiTaG a.F. (jetzt: § 7 Abs. 8 Satz 3 KiTaG). Gegenstand dieser Regelung sei allein die Darstellung, nicht die Bekundung christlicher Werte. Diese sei nicht gleichzusetzen mit der Bekundung eines individuellen Bekenntnisses. Außerdem bezeichne der Begriff des "Christlichen" eine von Glaubensinhalten losgelöste, aus der Tradition der christlich-abendländischen Kultur hervorgegangene Wertewelt, die erkennbar auch dem Grundgesetz zugrunde liege und unabhängig von ihrer religiösen Fundierung Geltung beanspruche. Der Auftrag zur Weitergabe christlicher Bildungs- und Kulturwerte verpflichte und berechtige die Einrichtung deshalb nicht zur Vermittlung bestimmter Glaubensinhalte, sondern betreffe Werte, denen jeder Beschäftigte des öffentlichen Dienstes unabhängig von seiner religiösen Überzeugung vorbehaltlos zustimmen könne.

18

(2) Die Regelung behandle die Beschwerdeführerin auch nicht wegen ihres Geschlechts ungleich. Sie verbiete religiöse Bekundungen unabhängig vom Geschlecht und richte sich nicht speziell gegen das von Frauen getragene "islamische Kopftuch".

19

c) § 7 Abs. 6 Satz 1 KiTaG a.F. verletze als landesrechtliche Vorschrift schließlich ebensowenig das Diskriminierungsverbot des § 7 Abs. 1 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Zwar könne das Bekundungsverbot zu einer unmittelbaren Benachteiligung einer Erzieherin aus Gründen der Religion im Sinne von § 7 Abs. 1, §§ 1, 3 Abs. 1 AGG führen, weil die Unterlassung ihrer religiösen Bekundung zu einer entscheidenden Bedingung für die Ausübung ihrer Tätigkeit werde. Eine unterschiedliche Behandlung aus religiösen Gründen zur Erfüllung einer wesentlichen beruflichen Anforderung sei aber gemäß § 8 Abs. 1 AGG zulässig, weil vorliegend der Zweck rechtmäßig und die Anforderungen angemessen seien.

II.

20

Die Beschwerdeführerin hat fristgerecht Verfassungsbeschwerde erhoben. Sie rügt eine Verletzung von Art. 3 Abs. 3 Satz 1, Art. 4 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3, Art. 28 Abs. 2 und Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG sowie des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes als höherrangigem Recht im Sinne von Art. 31 GG durch die Abmahnung und die gerichtlichen Ausgangsentscheidungen. Zudem lässt sie erkennen, dass sie § 7 Abs. 6 und 7 KiTaG a.F. (jetzt: § 7 Abs. 8 und 9 KiTaG) - in der Auslegung durch die Ausgangsgerichte - für verfassungswidrig hält und die Vorschrift damit auch insoweit mittelbar angreift. Im Wesentlichen macht sie geltend:

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1. In den angegriffenen Entscheidungen würden der Schutzbereich sowie die Bedeutung und die Tragweite der einschlägigen Grundrechte und Verfassungsprinzipien grundsätzlich verkannt. Sie verletzten sie damit, da sie das Tragen einer Kopfbedeckung als verbindliches religiöses Gebot des Islam betrachte, in den bezeichneten Grundrechten.

22

Die Ausgangsgerichte hätten insbesondere die Bedeutung der Religionsfreiheit verkannt.

23

a) Sie ließen die notwendige Differenzierung zwischen Schule und Kindergarten vermissen. Im Unterschied zum Schulbereich sei der Verfassungsrang, den Art. 7 Abs. 1 GG dem staatlichen Erziehungsauftrag in öffentlichen Schulen verleihe, für den Kindergartenbereich nicht ersichtlich. Damit und mangels einer Kindergartenpflicht sei aber auch das in § 7 Abs. 6 Satz 1 KiTaG a.F. genannte Rechtsgut der staatlichen Neutralität keine geeignete Grundlage für die Rechtfertigung eines Eingriffs.

24

Der Umstand, dass Kindergärten nicht der gesellschaftlichen Selbstorganisation überlassen seien und faktische Zwänge zur Benutzung bestimmter Einrichtungen bestünden, habe nichts mit staatlicher Neutralität zu tun. Bestehe wie häufig, so zum Beispiel im Gesundheitswesen, der Zwang, bestimmte privat- oder öffentlich-rechtliche Einrichtungen zu nutzen, gelte insoweit dennoch kein Neutralitätsgebot.

25

Das Bundesverfassungsgericht habe im Übrigen bereits klargestellt, dass die dem Staat gebotene religiös-weltanschauliche Neutralität nicht als eine distanzierende, sondern als eine fördernde zu verstehen sei. Dort, wo der Staat nur hinnehme, dass Grundrechtsträger in der Schule oder in sonstigen Einrichtungen von ihrer Glaubensfreiheit Gebrauch machten, ohne dass er sich dies zu eigen mache oder es ihm zuzurechnen sei, gebiete es der Grundsatz der fördernden Neutralität im positiven Sinn, Raum für die aktive Betätigung der Glaubensüberzeugung und die Verwirklichung der autonomen Persönlichkeit auf weltanschaulich-religiösem Gebiet zu sichern.

26

Die Ausgangsgerichte wiesen ebenso wie der Landesgesetzgeber nur auf den Neutralitätsgrundsatz hin, erläuterten aber nicht, worin die Neutralität bestehen solle, und gingen auf die von der Verfassungsrechtsprechung hierbei zwingend verlangte Gleichbehandlung aller Religionen nicht ein. Vielmehr benutzten sie den Begriff nur, um eine missliebige Glaubensäußerung zu verbieten, was keine tragfähige Grundlage zur Einschränkung der Glaubensfreiheit darstelle.

27

b) Im Hinblick auf die negative Religionsfreiheit der Eltern und Kinder sei zu betonen, dass sie, die Beschwerdeführerin, im Dienst weder kultische Handlungen ausführe, noch ihre Religion überhaupt in irgendeiner Weise gegenüber Eltern oder Kindern thematisiere. Außerdem müsse insoweit zwischen Eltern und Kindern differenziert werden.

28

In den angegriffenen Entscheidungen werde übersehen, dass das Alter durchaus Einfluss auf die Religionsmündigkeit habe, was allgemein anerkannt sei. Die Kindergartenkinder seien zwischen drei und sechs Jahre alt und damit in einem Alter, in dem sie allenfalls in der Lage seien zu erkennen, dass eine religiöse Vielfalt existiere, nicht aber, zu Religionen oder deren Aussagen selbständig Stellung zu beziehen. Es fehle ihnen daher die Grundrechtsfähigkeit hinsichtlich der negativen Glaubensfreiheit. Den Eltern fehle es demgegenüber an einer hinreichend intensiven Beziehung, die im Sinne einer Unausweichlichkeit die negative Religionsfreiheit beeinträchtigen könne.

29

c) Das elterliche Erziehungsrecht gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 1 GG sei schon aufgrund des fehlenden Kindergartenzwangs nicht beeinträchtigt. Selbst wenn unter praktischen Gesichtspunkten eine zwangsähnliche Lage angenommen werde, liege eine Beeinträchtigung nicht vor. Es werde nicht behauptet, dass die Beschwerdeführerin sich entgegen den elterlichen Erziehungszielen betätige. Auch ziele § 7 Abs. 6 Satz 1 KiTaG a.F. nicht auf die Abwehr einer solchen Gefahr. Dergleichen würde vielmehr einen Verstoß gegen die üblichen Dienstpflichten darstellen und habe mit dem Kopftuch nichts zu tun.

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2. § 7 Abs. 6 Satz 1 KiTaG a.F., auf den die im Ausgangsverfahren ausgesprochene Abmahnung gestützt sei, sei in der Auslegung durch die Ausgangsgerichte verfassungswidrig.

31

a) Die Vorschrift greife unzulässig in das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden ein. Personalentscheidungen gehörten zum Kernbereich körperschaftlicher Selbstbestimmung. Indem § 7 Abs. 6 Sätze 1 und 2 KiTaG a.F. den Gemeinden keinerlei Spielraum belasse, schränke er deren Selbstverwaltungsrecht ein. Das Diktat dieser Vorschrift sei nicht zu rechtfertigen.

32

b) Die auf die ohne jede Ausnahme festgeschriebene Regel des § 7 Abs. 6 KiTaG a.F. gestützte Weisung an die Beschwerdeführerin, ihre Kopfbedeckung während der Arbeit abzunehmen, sei ferner unverhältnismäßig und verstoße damit gegen das Rechtsstaatsprinzip. Der Eingriffszweck des Schutzes der Neutralität und des Einrichtungsfriedens erfordere weder eine solche Weisung noch sei diese zur Erreichung dieses Ziels geeignet. Konkret ergebe sich aus ihrem Verhalten keinerlei Gefährdung des Einrichtungsfriedens. Es sei kein Vorfall bekannt, bei dem der Umstand, dass sie bei der Ausübung ihrer Tätigkeit ein Kopftuch trage, zu Irritationen, Auseinandersetzungen oder Beschwerden geführt habe. Damit werde ohne äußeren Anlass allein aufgrund des Bestehens der gesetzlichen Regelung in erheblichem Umfang in ihr Grundrecht aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG eingegriffen. Dies sei nicht gerechtfertigt.

33

3. Schließlich verstießen die Abmahnung und § 7 Abs. 6 Satz 1 KiTaG a.F. auch insoweit gegen höherrangiges Recht, als sie mit dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz nicht vereinbar seien. Mit Blick auf die Vereinbarkeit des Kopftuchverbots mit dem diesem zugrunde liegenden Richtlinienrecht der Europäischen Union habe zumindest die Pflicht zur Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union bestanden, so dass Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ebenfalls verletzt sei.

III.

34

Zu der Verfassungsbeschwerde haben das Staatsministerium Baden-Württemberg, das Bundesverwaltungsgericht, das Aktionsbündnis muslimischer Frauen in Deutschland e.V., der Dachverband Freier Weltanschauungsgemeinschaften e.V., die Evangelische Kirche in Deutschland, der Internationale Bund der Konfessionslosen und Atheisten e.V., die Türkisch Islamische Union der Anstalt für Religion e.V., der Zentralrat der Ex-Muslime e.V. und der Zentralrat der Juden in Deutschland Stellung genommen. Die Akten des Ausgangsverfahrens lagen der Kammer vor.

35

1. Das Staatsministerium Baden-Württemberg weist darauf hin, dass sich der Gesetzentwurf der Landesregierung (LT-Drs. 13/2793) ursprünglich auf den Schulbereich beschränkt habe. Die Übertragung der Anforderungen an Lehrkräfte hinsichtlich politischer, religiöser, weltanschaulicher und ähnlicher äußerer Bekundungen auf den Kindergartenbereich gehe auf zwei später gestellte Fraktionsanträge (LT-Drs. 13/4803 und LT-Drs. 13/4869) zurück. Der Ablauf des Gesetzgebungsverfahrens zeige, dass die Landesregierung ursprünglich nicht von einem vergleichbaren Regelungsbedürfnis ausgegangen sei.

36

2. Der 2. Revisionssenat des Bundesverwaltungsgerichts teilt mit, er habe es in seiner beamtenrechtlichen Rechtsprechung bislang - gestützt auf die Entscheidung des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts zum Kopftuchverbot für beamtete Lehrerinnen im Unterricht (vgl. BVerfGE 108, 282) - als von der Einschätzungsprärogative des die verschiedenen betroffenen Grundrechtspositionen abwägenden Gesetzgebers gedeckt angesehen, ein Kopftuchverbot bereits bei einer von diesem so gesehenen abstrakten Gefährdungslage zur Wahrung des Schulfriedens zu erlassen. Diese Auffassung halte er nach wie vor für vorzugswürdig.

37

3. Das Aktionsbündnis muslimischer Frauen e.V. hält § 7 Abs. 6 Sätze 1 und 3 KiTaG a.F. für verfassungswidrig. Dem Kopftuchverbot in Einrichtungen der Kindertagesbetreuung lägen rein politische Erwägungen zugrunde. Es sei geprägt von der Absicht, lediglich Bekundungen mit muslimischem Hintergrund zu verbieten und Zeichen anderer Religionen und Weltanschauungen zu privilegieren. Dies erfolge über die Definition des Kopftuchs als Symbol mit möglicherweise verfassungswidrigem Inhalt und die Behauptung, weder die staatliche Definition des Kopftuchs noch die Privilegierung christlich-abendländischer Zeichen stellten einen Verstoß gegen das staatliche Neutralitätsgebot dar. Ein Kopftuchverbot, das bereits eine abstrakte Gefährdungssituation ausreichen lasse, stütze sich auf keinerlei empirische Grundlagen und sei auch deswegen unverhältnismäßig. Schließlich treffe das Kopftuchverbot in seinen Auswirkungen ausschließlich muslimische Frauen und sei damit mittelbar diskriminierend. Im Kindergartenbereich treffe es dabei sogar noch eine größere Gruppe von Frauen als im Schuldienst.

38

4. Der Dachverband Freier Weltanschauungsgemeinschaften e.V. ist der Ansicht, § 7 Abs. 6 Satz 3 KiTaG a.F. sei verfassungswidrig, da er eine unangemessene Hervorhebung einer Religion beinhalte. In Verbindung mit § 7 Abs. 6 Satz 1 KiTaG a.F. werde außerdem der Eindruck erweckt, das Verbot äußerer Bekundungen einer Religion oder Weltanschauung beziehe sich nur auf bestimmte Religionen, wodurch die notwendige Gleichbehandlung nicht gewährleistet wäre. Im Übrigen sei § 7 Abs. 6 Satz 1 KiTaG a.F. verfassungskonform. Eine Kleiderordnung, die das Tragen bestimmter Kleidungsformen während des Dienstes untersage, sei mit der Religionsfreiheit vereinbar, sofern alle Religionen und Weltanschauungen gleichermaßen betroffen seien.

39

5. Die Evangelische Kirche in Deutschland führt aus, die Verfassungsbeschwerde weise im Vergleich zu den vom Ersten Senat des Bundesverfassungsgerichts Anfang des Jahres 2015 entschiedenen, eine Lehrerin und eine Sozialpädagogin im Anstellungsverhältnis betreffenden Fällen (vgl. BVerfGE 138, 296) kaum Besonderheiten auf. Ein Unterschied bestehe nur insoweit, als das Schulwesen vorrangig in staatlicher Hand liege, während Kinderbetreuungseinrichtungen von einer Vielfalt unterschiedlicher Träger mit unterschiedlichem religiös-weltanschaulichem Profil betrieben würden. Für den Fall einer kommunalen Kindertagesstätte stelle sich die Problemlage religiös konnotierter Bekleidung dadurch allerdings nicht anders dar als für eine öffentliche Schule. In pädagogischer Hinsicht seien die Unterschiede im Einfluss, der von Kleidung und Verhalten des betreuenden Personals ausgehe, eher gradueller und nicht prinzipieller Art. In einem religiös-weltanschaulich neutralen Staat seien religiöse Bezüge in öffentlichen Bildungseinrichtungen nicht von vornherein ausgeschlossen. Es stehe den Beteiligten frei, auch dort von ihrer Religionsfreiheit Gebrauch zu machen, sofern dies mit den Rechten anderer Beteiligter vereinbar sei. Die Neutralität der Einrichtung schließe es nicht aus, sondern ein, dass die Pluralität der Gesellschaft dort präsent werden könne. Nach den tragenden Gründen der Entscheidung des Ersten Senats komme es insoweit auf die tatsächlichen Umstände, nämlich darauf an, ob im Einzelfall das Tragen eines Kopftuchs und das übrige Verhalten der Beschwerdeführerin geeignet sei, die Neutralität des Trägers oder den Einrichtungsfrieden zu gefährden. Der gleiche Maßstab gelte, wenn Mitarbeitende Symbole anderer Religionen - auch des Christentums - trügen.

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6. Der Internationale Bund der Konfessionslosen und Atheisten e.V. hält die Verfassungsbeschwerde für unbegründet. Die Religionsfreiheit gewähre dem Berechtigten zwar das Recht, sein Leben an den Vorstellungen der eigenen Religion auszurichten und dies im öffentlichen Raum zu manifestieren, nicht aber, dies im geschützten persönlichen Bereich eines Dritten zu tun. Es liege keine Diskriminierung aufgrund des Bekenntnisses vor, da der Gläubige nicht aufgrund seines Glaubens, sondern deswegen ausgeschlossen werde, weil er sich weigere, die arbeitgeberseitigen Anforderungen hinsichtlich der Beschäftigung zu erfüllen.

41

7. Nach Ansicht der Türkisch Islamischen Union der Anstalt für Religion e.V. ist die Verfassungsbeschwerde begründet. Die Entscheidung sei durch die Erwägungen des Bundesverfassungsgerichts in der den Schulbereich betreffenden Entscheidung des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfGE 138, 296), die auf den vorliegenden Fall übertragbar seien, weitestgehend vorgegeben. Eine lediglich abstrakte Gefährdung sei als Grundlage für einen prohibitiven Grundrechtseingriff danach auch im Kindergartenbereich nicht ausreichend.

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8. Der Zentralrat der Ex-Muslime e.V. ist der Auffassung, die Verfassungsbeschwerde sei unbegründet. Es sei zu beachten, dass Kleinkinder viele Verhaltensweisen durch Beobachtung und Nachahmung von Personen, die für sie als Vorbild dienten, erlernten. Hierzu zählten mit zunehmender Ablösung vom Elternhaus auch Erzieher und Lehrer. Der Staat müsse gerade deswegen, weil Kinder viele verschiedene kulturelle Hintergründe mitbrächten, zwingend die religiös-weltanschauliche Neutralität wahren. Das Kopftuch setze im öffentlichen Erziehungs- und Bildungswesen - egal ob es staatliche Kindergärten, Kindertagesstätten, Grundschulen oder weiterführende Schulen betreffe - falsche kinder- und frauenpolitische sowie integrationspolitische Signale. Es solle dort deswegen in der Dienstzeit nicht getragen werden dürfen.

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9. Der Zentralrat der Juden in Deutschland hält die Verfassungsbeschwerde für begründet. Die Beschwerdeführerin werde in ihrem Persönlichkeitsrecht, dem Recht auf Gleichbehandlung sowie in der Religions- und ihrer Berufsfreiheit verletzt. Art. 4 Abs. 1 und 2 GG umfasse als äußere Bekundung der Religionszugehörigkeit auch das Tragen eines Kopftuchs beziehungsweise einer den Vorgaben einer Religion entsprechenden Kopfbedeckung. Insofern dürfe die Religionsfreiheit der Beschwerdeführerin nur dann eingeschränkt werden, wenn andere dadurch tatsächlich in ihren Rechten verletzt würden. Es gehöre in der heutigen Zeit zum täglichen Bild in der Öffentlichkeit und spiegle die plurale, interkulturelle Gesellschaft in Europa wie auch in Deutschland wieder, dass viele Angehörige verschiedenster Religionen in der Öffentlichkeit unterschiedliche Zeichen ihres Glaubens trügen. Dass Frauen aus religiösen Gründen ein Kopftuch trügen, sei insoweit keine auffällige Besonderheit, sondern Ausdruck einer offenen und toleranten Gesellschaft, in der alle Weltanschauungen und Religionen friedlich nebeneinander und miteinander lebten. Die Freiheit, seinen Glauben unter Einhaltung der jeweiligen religiösen Regeln zu leben, solange hierdurch niemand gestört werde, umfasse auch die Ausübung eines Berufs. Das Tragen eines Kopftuchs allein könne daher nicht automatisch für ein Verbot ausreichend sein, sondern nur dann, wenn durch die Religionsbekundung ein Konflikt entstehe oder geschürt werde. Die Verbotsvorschrift sei außerdem gleichheitswidrig, weil sie nur muslimische Frauen mit Kopftuch, nicht aber muslimische Männer und Musliminnen ohne Kopftuch treffe.

IV.

44

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, soweit dies zur Durchsetzung des Grundrechts der Beschwerdeführerin aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG; vgl. BVerfGE 90, 22 <25>). Auch die weiteren Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG liegen insoweit vor. Das Bundesverfassungsgericht hat die hier maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits entschieden. Die Verfassungsbeschwerde ist danach offensichtlich begründet. Im Übrigen liegen die Voraussetzungen für die Annahme zur Entscheidung nicht vor.

45

1. Die Annahmevoraussetzungen liegen nicht vor, soweit die Beschwerdeführerin auch die von ihrem Arbeitgeber erteilte Abmahnung zu ihrem Gegenstand machen möchte und soweit sie Verletzungen von Art. 28 Abs. 2 und von Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG geltend macht. Die gegen die Abmahnung selbst gerichtete Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich unzulässig. Unzulässig sind auch die Rügen einer Verletzung von Art. 28 Abs. 2 und Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG.

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a) Die Abmahnung stellt ungeachtet dessen, dass es sich bei der im Ausgangsverfahren beklagten Stadt um einen kommunalen Arbeitgeber handelt, und ungeachtet etwaiger Ausstrahlungswirkungen der Grundrechte auf den privatrechtlichen Bereich keinen Akt öffentlicher Gewalt im Sinne von Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG und § 90 Abs. 1 BVerfGG dar (vgl. zur ordentlichen Kündigung von Arbeitnehmern durch die öffentliche Hand BVerfGE 96, 171 <180>).

47

b) Auf eine etwaige Verletzung der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie gemäß Art. 28 Abs. 2 GG kann sich die Beschwerdeführerin nicht berufen, da es sich hierbei nicht um ein mit der Individualverfassungsbeschwerde durchsetzbares Grundrecht oder grundrechtsgleiches Recht handelt (vgl. Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, § 90 Abs. 1 BVerfGG). Eine Verletzung der Gewährleistung des Art. 28 Abs. 2 GG können vielmehr nur Gemeinden und Gemeindeverbände mit dem Mittel der Kommunalverfassungsbeschwerde geltend machen (vgl. Art. 93 Abs. 1 Nr. 4b GG). An der erforderlichen Beschwerdebefugnis fehlt es insoweit darüber hinaus auch mangels einer unmittelbaren Selbstbetroffenheit der Beschwerdeführerin (vgl. BVerfGE 100, 313 <354>; 109, 279 <305 ff.>; 113, 348 <362>; stRspr).

48

Eine Verletzung von Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG hat die Beschwerdeführerin nicht in einer den Substantiierungsanforderungen aus § 23 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1, § 92 BVerfGG genügenden Weise begründet.

49

2. Die im Übrigen zulässige Verfassungsbeschwerde ist weitgehend begründet.

50

a) Gegenstand der verfassungsrechtlichen Prüfung ist neben den unmittelbar angegriffenen Entscheidungen der Arbeitsgerichte allein die diesen zugrunde liegende Verbotsvorschrift des § 7 Abs. 6 Satz 1 KiTaG a.F. (jetzt: § 7 Abs. 8 Satz 1 KiTaG), soweit diese religiöse Bekundungen durch das äußere Erscheinungsbild betrifft. Die Prüfung ist hingegen nicht auf § 7 Abs. 6 Satz 3 KiTaG a.F. (jetzt: § 7 Abs. 8 Satz 3 KiTaG) zu erstrecken, weil die Beschwerdeführerin die Verletzung des Grundgesetzes durch diese Vorschrift mit der Verfassungsbeschwerde nicht rügt.

51

b) Die angegriffenen arbeitsgerichtlichen Entscheidungen verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht auf Glaubens- und Bekenntnisfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG.

52

aa) Die Anwendung des einfachen Rechts ist zunächst Sache der Fachgerichte. Sie unterliegt der verfassungsgerichtlichen Kontrolle aber insoweit, als die Fachgerichte in ihren Entscheidungen die Bedeutung und Tragweite der betroffenen Grundrechte beachten müssen, damit deren wertsetzende Bedeutung auch auf der Rechtsanwendungsebene gewahrt bleibt (vgl. BVerfGE 7, 198 <205 ff.>; stRspr). Dazu bedarf es einer Abwägung zwischen den widerstreitenden grundrechtlichen Schutzgütern, die im Rahmen der auslegungsfähigen Tatbestandsmerkmale der fachrechtlichen Vorschriften vorzunehmen ist und die die besonderen Umstände des Falles zu berücksichtigen hat (vgl. BVerfGE 99, 185 <196>). Das Bundesverfassungsgericht ist dabei auf die Prüfung beschränkt, ob die Fachgerichte den Grundrechtseinfluss ausreichend beachtet haben (vgl. BVerfGE 18, 85 <92 f.>; 94, 1 <9 f.>). Ein Grundrechtsverstoß, der zur Beanstandung der angegriffenen Entscheidungen führt, liegt demnach dann vor, wenn übersehen worden ist, dass bei Auslegung und Anwendung der verfassungsmäßigen Vorschriften des einfachen Rechts Grundrechte zu beachten waren, wenn der Schutzbereich der zu beachtenden Grundrechte unrichtig oder unvollkommen bestimmt oder ihr Gewicht unrichtig eingeschätzt worden ist, so dass darunter die Abwägung der beiderseitigen Rechtspositionen im Rahmen der fachrechtlichen Regelung leidet (vgl. BVerfGE 95, 28 <37>; 97, 391 <401>), und wenn die Entscheidung auf diesem Fehler beruht (vgl. BVerfGE 101, 361 <388>; stRspr).

53

bb) Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs haben die Arbeitsgerichte bei der Anwendung und Auslegung des § 7 Abs. 6 Satz 1 KiTaG a.F. die Bedeutung der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit der Beschwerdeführerin unrichtig eingeschätzt, worauf die angegriffenen Entscheidungen beruhen.

54

(1) Die in den Ausgangsverfahren ergangenen Urteile basieren auf einer gesetzlichen Grundlage, die einer einschränkenden verfassungskonformen Auslegung bedarf. Schon gegen eine Betroffenheit der negativen Glaubensfreiheit der Kindergartenkinder und des Erziehungsrechts der Eltern in religiöser und weltanschaulicher Hinsicht, auf deren Schutz die gesetzliche Regelung unter anderem abzielt (vgl. Gesetzesbegründung, a.a.O.), könnte sprechen, dass eine Pflicht zum Besuch einer Kindestagesstätte nicht besteht und zudem vielerorts eine Vielfalt an Einrichtungen gegeben ist, auf die auch im Rahmen des jugendhilferechtlichen Förderungsanspruchs nach § 24 SGB VIII nach der fachgerichtlichen Rechtsprechung verwiesen werden kann (vgl. zuletzt BayVGH, Urteil vom 22. Juli 2016 - 12 BV 15.719 -, juris, Rn. 24 und 29 m.w.N.). Dies könnte gegen das Bestehen einer mit der Schule vergleichbaren unausweichlichen Situation sprechen, in welcher der Einzelne ohne Ausweichmöglichkeiten dem Einfluss eines bestimmten Glaubens, den Handlungen, in denen dieser sich manifestiert, oder den Symbolen, in denen er sich darstellt, ausgesetzt ist (vgl. BVerfGE 93, 1 <15 f.>; 138, 296 <336 Rn. 104>). Auch könnte der unterschiedliche geistig-kognitive Entwicklungsstand von Kindergartenkindern und Schülern mit Blick auf deren Schutzbedürftigkeit insoweit möglicherweise Differenzierungen bedingen. Eine weitere Besonderheit besteht darin, dass die kindergartenrechtliche Regelung anders als im Schulbereich nicht überwiegend Beamtinnen und Beamte, sondern kommunale Beschäftigte trifft (vgl. hierzu bereits die Gesetzesbegründung, LT-Drs. 13/4869, S. 9).

55

Selbst wenn das Neutralitätsgebot für den Bereich des Kindergartens gleichermaßen Geltung beanspruchen sollte wie im Bereich der Schule, gelten für die Ausgestaltung neutralitätswahrender Verbotsregelungen die gleichen Einschränkungen wie in der Schule. Für den Schulbereich hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden, dass ein Verbot religiöser Bekundungen durch das äußere Erscheinungsbild, das bereits die abstrakte Gefahr einer Beeinträchtigung des Schulfriedens oder der staatlichen Neutralität ausreichen lässt, mit Blick auf die Glaubens- und Bekenntnisfreiheit der Pädagogen unangemessen und damit unverhältnismäßig ist, wenn die Bekundung auf ein als verpflichtend empfundenes religiöses Gebot zurückzuführen ist. Erforderlich ist insoweit vielmehr eine hinreichend konkrete Gefahr für die genannten Schutzgüter, die sich im Schulbereich zudem auf den gesamten Geltungsbereich der Untersagung beziehen muss (vgl. BVerfGE 138, 296 <327 Rn. 80>). Die dem zugrunde liegenden verfassungsrechtlichen Erwägungen gelten jedenfalls gleichermaßen auch für den Kindergartenbereich. Eine bloß abstrakte Gefährdung des Einrichtungsfriedens oder der Neutralität staatlicher Kindergartenträger kann daher bei der gebotenen verfassungskonformen Auslegung entgegen der Auffassung der Ausgangsgerichte auch hier nicht genügen, um das Bekundungsverbot gemäß § 7 Abs. 6 Satz 1 KiTaG a.F. auszulösen, wenn - was nach den tatrichterlichen Feststellungen im Ausgangsverfahren der Fall ist - die in Rede stehende äußere Bekundung auf ein als verpflichtend empfundenes religiöses Gebot zurückzuführen ist.

56

(2) Das den Entscheidungen der Ausgangsgerichte zugrunde liegende Verständnis des § 7 Abs. 6 Satz 1 KiTaG a.F., demzufolge bereits eine abstrakte Gefahr für den Einrichtungsfrieden oder die Neutralität genügt, um das Verbot äußerer Bekundungen auszulösen, führt zu einem erheblichen Eingriff in das Grundrecht der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit des Personals in Kindertageseinrichtungen, der in dieser Allgemeinheit unverhältnismäßig ist und daher verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt werden kann.

57

(a) Der Schutz des Grundrechts auf Glaubens- und Bekenntnisfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) gewährleistet auch den Erzieherinnen und Erziehern in Kindertageseinrichtungen in öffentlicher Trägerschaft die Freiheit, den Regeln ihres Glaubens gemäß einem religiösen Bedeckungsgebot zu genügen, wie dies etwa durch das Tragen eines Kopftuchs der Fall sein kann, wenn dies hinreichend plausibel begründet wird (vgl. für die öffentliche bekenntnisoffene Gemeinschaftsschule BVerfGE 138, 296 <328 Rn. 83>).

58

(aa) Art. 4 Abs. 1 und 2 GG enthält ein umfassend zu verstehendes einheitliches Grundrecht (vgl. BVerfGE 24, 236 <245 f.>; 32, 98 <106>; 44, 37 <49>; 83, 341 <354>; 108, 282 <297>; 125, 39 <79>; stRspr). Es erstreckt sich nicht nur auf die innere Freiheit, zu glauben oder nicht zu glauben, das heißt einen Glauben zu haben, zu verschweigen, sich vom bisherigen Glauben loszusagen und einem anderen Glauben zuzuwenden, sondern auch auf die äußere Freiheit, den Glauben zu bekunden und zu verbreiten, für seinen Glauben zu werben und andere von ihrem Glauben abzuwerben (vgl. BVerfGE 12, 1 <4>; 24, 236 <245>; 105, 279 <294>; 123, 148 <177>). Umfasst sind damit nicht allein kultische Handlungen und die Ausübung und Beachtung religiöser Gebräuche, sondern auch die religiöse Erziehung sowie andere Äußerungsformen des religiösen und weltanschaulichen Lebens (vgl. BVerfGE 24, 236 <245 f.>; 93, 1 <17>). Dazu gehört auch das Recht der Einzelnen, ihr gesamtes Verhalten an den Lehren ihres Glaubens auszurichten und dieser Überzeugung gemäß zu handeln, also glaubensgeleitet zu leben; dies betrifft nicht nur imperative Glaubenssätze (vgl. BVerfGE 108, 282 <297>; 138, 296 <328 f. Rn. 85>). Die Beschwerdeführerin kann sich auch als Angestellte im öffentlichen Dienst auf ihr Grundrecht aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG berufen; ihre Grundrechtsberechtigung wird durch die Eingliederung in den staatlichen Aufgabenbereich nicht von vornherein oder grundsätzlich in Frage gestellt (vgl. BVerfGE 138, 296 <328 Rn. 84> sowie für Beamte BVerfGE 108, 282 <297 f.>).

59

(bb) Bei der Würdigung dessen, was im Einzelfall als Ausübung von Religion und Weltanschauung zu betrachten ist, darf das Selbstverständnis der jeweils betroffenen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften und des einzelnen Grundrechtsträgers nicht außer Betracht bleiben (vgl. BVerfGE 24, 236 <247 f.>; 108, 282 <298 f.>). Die Musliminnen, die ein in der für ihren Glauben typischen Weise gebundenes Kopftuch tragen, können sich dafür auch bei der Ausübung ihres Berufs in einer öffentlichen Kindertagesstätte auf den Schutz der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG berufen. Darauf, dass im Islam unterschiedliche Auffassungen zum sogenannten Bedeckungsgebot vertreten werden, kommt es insoweit nicht an, da die religiöse Fundierung der Bekleidungswahl nach geistigem Gehalt und äußerer Erscheinung jedenfalls hinreichend plausibel ist (vgl. BVerfGE 108, 282 <298 f.>; 138, 296 <330 Rn. 87 ff.>).

60

(b) Die auf § 7 Abs. 6 Satz 1 KiTaG a.F. gestützte Untersagung des Tragens eines Kopftuchs während des Dienstes in der Kindertagesstätte stellt im Hinblick auf das von der Beschwerdeführerin als verpflichtend empfundene religiöse Bedeckungsgebot einen schwerwiegenden Eingriff in ihr Grundrecht auf Glaubens- und Bekenntnisfreiheit dar. Dies ergibt sich daraus, dass sich die Beschwerdeführerin nicht auf eine religiöse Empfehlung beruft, deren Befolgung für die einzelnen Gläubigen disponibel oder aufschiebbar ist, sondern auf ein nach ihrem Glaubensverständnis imperatives religiöses Bedeckungsgebot in der Öffentlichkeit. Ein Verbot kann aufgrund der nachvollziehbaren Berührung ihrer persönlichen Identität (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) sogar den Zugang zum Beruf verstellen (Art. 12 Abs. 1 GG). Vor diesem Hintergrund greift das gesetzliche Bekundungsverbot in ihr Grundrecht auf Glaubens- und Bekenntnisfreiheit trotz seiner zeitlichen und örtlichen Begrenzung auf den Bereich der Tätigkeit in der Kindertagesstätte mit erheblich größerem Gewicht ein, als dies bei einer religiösen Übung ohne plausiblen Verbindlichkeitsanspruch der Fall wäre (vgl. BVerfGE 138, 296 <332 f. Rn. 96>). Hieran vermag auch die vom Landesarbeitsgericht vorgenommene Relativierung, die einschlägige Koranstelle lasse den Schluss zu, dass gegenüber Kindern eine Ausnahme von einer möglichen Bedeckungspflicht bestehen könne, nichts zu ändern. Denn es ist offenkundig, dass sich die Tätigkeit in einer Kindertagesstätte jedenfalls nicht auf den Kontakt mit den betreuten Kindern beschränkt.

61

(c) Einschränkungen der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit müssen sich aus der Verfassung selbst ergeben, da Art. 4 Abs. 1 und 2 GG keinen Gesetzesvorbehalt enthält. Zu solchen verfassungsimmanenten Schranken zählen die Grundrechte Dritter sowie Gemeinschaftswerte von Verfassungsrang (vgl. BVerfGE 28, 243 <260 f.>; 41, 29 <50 f.>; 41, 88 <107>; 44, 37 <49 f., 53>; 52, 223 <247>; 93, 1 <21>; 108, 282 <297>; 138, 296 <333 Rn. 98>). Als mit der Glaubensfreiheit in Widerstreit tretende Verfassungsgüter kommen neben dem vom Gesetzgeber verfolgten Neutralitätsgebot, das sich hier allerdings anders als im Schulbereich nicht auf den staatlichen Erziehungsauftrag (Art. 7 Abs. 1 GG) beziehen kann, das elterliche Erziehungsrecht (Art. 6 Abs. 2 GG) und die negative Glaubensfreiheit der Schüler (Art. 4 Abs. 1 GG) in Betracht (vgl. BVerfGE 108, 282 <299>; 138, 296 <333 Rn. 98>). Das normative Spannungsverhältnis zwischen diesen Verfassungsgütern unter Berücksichtigung des Toleranzgebots zu lösen, obliegt zunächst dem demokratischen Gesetzgeber, der im öffentlichen Willensbildungsprozess einen für alle zumutbaren Kompromiss zu suchen hat. Die genannten Grundgesetznormen sind zusammen zu sehen, ihre Interpretation und ihr Wirkungsbereich sind aufeinander abzustimmen (vgl. BVerfGE 108, 282 <302 f.>; 138, 296 <333 Rn. 98>). Ein Verbot religiöser Bekundungen durch das äußere Erscheinungsbild, namentlich das Tragen religiös konnotierter Kleidung, schon wegen der bloß abstrakten Eignung zu einer Gefährdung des Einrichtungsfriedens oder der Neutralität des Trägers in öffentlichen Kindertagesstätten erweist sich vor diesem Hintergrund jedenfalls als unverhältnismäßig im engeren Sinne, wenn dieses Verhalten nachvollziehbar auf ein als verpflichtend verstandenes religiöses Gebot zurückzuführen ist. Ein angemessener, der Glaubensfreiheit der sich auf ein religiöses Bedeckungsgebot berufenden Erzieherinnen hinreichend Rechnung tragender Ausgleich mit gegenläufigen verfassungsrechtlich verankerten Positionen erfordert für die vorliegende Fallgestaltung eine einschränkende Auslegung der Verbotsnorm dergestalt, dass zumindest eine hinreichend konkrete Gefahr für die Schutzgüter vorliegen muss (vgl. BVerfGE 138, 296 <335 Rn. 101>).

62

(aa) Für die Beurteilung der tatsächlichen Gegebenheiten und Entwicklungen, von der abhängt, ob gegenläufige Grundrechtspositionen von Kindergartenkindern und Eltern oder andere Werte von Verfassungsrang eine Regelung rechtfertigen, die Erzieherinnen und Erzieher aller Bekenntnisse zu äußerster Zurückhaltung in der Verwendung von Kennzeichen mit religiösem Bezug verpflichtet, verfügt der Gesetzgeber über eine Einschätzungsprärogative (vgl. BVerfGE 108, 282 <310 f.>). Allerdings muss er, zumal bei einem weitgehend vorbeugend wirkenden Verbot äußerer religiöser Bekundungen, ein angemessenes Verhältnis zu dem Gewicht und der Bedeutung des Grundrechts des Kindertagesstättenpersonals auf Glaubens- und Bekenntnisfreiheit ebenso wahren, wie er bei einer Gesamtabwägung zwischen dem Gewicht des Eingriffs mit dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit beachten muss (vgl. BVerfGE 83, 1 <19>; 90, 145 <173>; 102, 197 <220>; 104, 337 <349>; 138, 296 <335 Rn. 102>).

63

(bb) Das Einbringen religiöser und weltanschaulicher Bezüge eröffnet zumindest die Möglichkeit einer Beeinflussung der Kindergartenkinder sowie von Konflikten mit Eltern, was zu einer Störung des Einrichtungsfriedens führen kann. Auch eine religiös motivierte und als Kundgabe einer Glaubensüberzeugung interpretierbare Bekleidung des Personals kann diese Wirkungen haben (vgl. für den Schulbereich BVerfGE 108, 282 <303>). Allerdings kommt diesen gegenläufigen verfassungsrechtlich verankerten Positionen kein solches Gewicht zu, als dass bereits die abstrakte Gefahr ihrer Beeinträchtigung ein Verbot rechtfertigen könnte, wenn auf der anderen Seite das Tragen religiös konnotierter Bekleidung oder Symbole nachvollziehbar auf ein als imperativ verstandenes religiöses Gebot zurückzuführen ist.

64

(α) Als verfassungsunmittelbare Schranke ist zunächst die negative Glaubens- und Bekenntnisfreiheit der Kindergartenkinder in den Blick zu nehmen. Art. 4 Abs. 1 und 2 GG gewährleistet zwar die Freiheit, kultischen Handlungen eines nicht geteilten Glaubens fernzubleiben; das bezieht sich auch auf Riten und Symbole, in denen ein Glaube oder eine Religion sich darstellen. Die Einzelnen haben in einer Gesellschaft, die unterschiedlichen Glaubensüberzeugungen Raum gibt, allerdings kein Recht darauf, von der Konfrontation mit ihnen fremden Glaubensbekundungen, kultischen Handlungen und religiösen Symbolen verschont zu bleiben. Davon zu unterscheiden ist eine vom Staat geschaffene Lage, in welcher der Einzelne ohne Ausweichmöglichkeiten dem Einfluss eines bestimmten Glaubens, den Handlungen, in denen sich dieser manifestiert, und den Symbolen, in denen er sich darstellt, ausgesetzt ist (vgl. BVerfGE 93, 1 <15 f.>; 138, 296 <336 Rn. 104>).

65

Es kann dahinstehen, ob allein faktische Zwänge genügen, um in Bezug auf Kindertagesstätten von einer solchen unausweichlichen Situation sprechen zu können, obwohl anders als in der Schule alternative Betreuungsangebote vorhanden sind und keine Besuchspflicht besteht, aufgrund derer Kinder gezwungen sein könnten, sich einer vom Staat angestellten Erzieherin mit "islamischem Kopftuch" ohne Ausweichmöglichkeit gegenüber zu sehen. Im Blick auf die Wirkung religiöser Ausdrucksmittel ist jedenfalls danach zu unterscheiden, ob das in Frage stehende Zeichen auf Veranlassung des Einrichtungsträgers oder aufgrund einer eigenen Entscheidung einzelner Erzieherinnen oder Erzieher verwendet wird, die hierfür das individuelle Freiheitsrecht des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG in Anspruch nehmen können. Der staatliche Einrichtungsträger, der eine mit dem Tragen eines Kopftuchs verbundene religiöse Aussage einer einzelnen Erzieherin hinnimmt, macht diese Aussage nicht schon dadurch zu seiner eigenen und muss sie sich auch nicht als von ihm beabsichtigt zurechnen lassen (vgl. BVerfGE 108, 282 <305 f.>; 138, 296 <336 f. Rn. 104>). Das Tragen eines "islamischen Kopftuchs", einer vergleichbaren Kopf- und Halsbedeckung oder einer sonst religiös konnotierten Bekleidung ist auch nicht von vornherein dazu angetan, die negative Glaubens- und Bekenntnisfreiheit der Kindergartenkinder zu beeinträchtigen. Solange die Erzieherinnen, die nur ein solches äußeres Erscheinungsbild an den Tag legen, nicht verbal für ihre Position oder für ihren Glauben werben und die von ihnen betreuten Kinder über ihr Auftreten hinausgehend zu beeinflussen versuchen, wird deren negative Glaubensfreiheit grundsätzlich nicht beeinträchtigt. Sie werden lediglich mit der ausgeübten positiven Glaubensfreiheit des Erziehungspersonals in Form einer glaubensgemäßen Bekleidung konfrontiert. Insofern spiegelt sich auch in Kindertagesstätten die religiös-pluralistische Gesellschaft wider. Im Übrigen wird diese Konfrontation durch das Auftreten anderer Erzieherinnen und Erzieher mit anderem Glauben oder anderer Weltanschauung in aller Regel relativiert und ausgeglichen (vgl. BVerfGE 138, 296 <337 Rn. 105>).

66

(β) Aus dem Elterngrundrecht ergibt sich nichts anderes. Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG garantiert den Eltern die Pflege und Erziehung ihrer Kinder als natürliches Recht und umfasst zusammen mit Art. 4 Abs. 1 und 2 GG auch das Recht zur Kindererziehung in religiöser und weltanschaulicher Hinsicht; daher ist es zuvörderst Sache der Eltern, ihren Kindern diejenigen Überzeugungen in Glaubens- und Weltanschauungsfragen zu vermitteln, die sie für richtig halten (vgl. BVerfGE 41, 29 <44, 47 f.>; 52, 223 <236>; 93, 1 <17>). Dem entspricht das Recht, die Kinder von Glaubensüberzeugungen fernzuhalten, die den Eltern als falsch oder schädlich erscheinen (vgl. BVerfGE 93, 1 <17>). Ein etwaiger Anspruch, die Kindergartenkinder vom Einfluss solcher Erzieherinnen fernzuhalten, die einer verbreiteten religiösen Bedeckungsregel folgen, lässt sich aus dem Elterngrundrecht allerdings nicht herleiten, soweit dadurch die negative Glaubens- und Bekenntnisfreiheit der Kinder nicht beeinträchtigt wird. Auch die negative Glaubensfreiheit der Eltern, die hier im Verbund mit dem elterlichen Erziehungsrecht ihre Wirkung entfalten kann, garantiert keine Verschonung von der Konfrontation mit religiös konnotierter Bekleidung von Erziehungspersonal, die nur den Schluss auf die Zugehörigkeit zu einer anderen Religion oder Weltanschauung zulässt, von der aber sonst kein gezielter beeinflussender Effekt ausgeht. Das gilt in Fällen der vorliegenden Art gerade deshalb, weil nicht ein dem Staat zurechenbares glaubensgeleitetes Verhalten in Rede steht, sondern eine erkennbar individuelle Grundrechtsausübung (vgl. BVerfGE 138, 296 <337 f. Rn. 106 f.>).

67

(γ) Schließlich ergibt sich auch nichts anderes aus dem Grundsatz staatlicher Neutralität. Das Grundgesetz begründet für den Staat als Heimstatt aller Staatsbürger in Art. 4 Abs. 1, Art. 3 Abs. 3 Satz 1, Art. 33 Abs. 3 GG sowie durch Art. 136 Abs. 1 und 4 und Art. 137 Abs. 1 Weimarer Reichsverfassung (WRV) in Verbindung mit Art. 140 GG die Pflicht zu weltanschaulich-religiöser Neutralität. Es verwehrt die Einführung staatskirchlicher Rechtsformen und untersagt die Privilegierung bestimmter Bekenntnisse ebenso wie die Ausgrenzung Andersgläubiger (vgl. BVerfGE 19, 206 <216>; 24, 236 <246>; 33, 23 <28>; 93, 1 <17>). Der Staat hat auf eine am Gleichheitssatz orientierte Behandlung der verschiedenen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften zu achten (vgl. BVerfGE 19, 1 <8>; 19, 206 <216>; 24, 236 <246>; 93, 1 <17>; 108, 282 <299 f.>) und darf sich nicht mit einer bestimmten Religionsgemeinschaft identifizieren (vgl. BVerfGE 30, 415 <422>; 93, 1 <17>; 108, 282 <300>). Der freiheitliche Staat des Grundgesetzes ist gekennzeichnet von Offenheit gegenüber der Vielfalt weltanschaulich-religiöser Überzeugungen und gründet dies auf ein Menschenbild, das von der Würde des Menschen und der freien Entfaltung der Persönlichkeit in Selbstbestimmung und Eigenverantwortung geprägt ist (vgl. BVerfGE 41, 29 <50>; 108, 282 <300 f.>). Die dem Staat gebotene weltanschaulich-religiöse Neutralität ist indessen nicht als eine distanzierende im Sinne einer strikten Trennung von Staat und Kirche zu verstehen, sondern als eine offene und übergreifende, die Glaubensfreiheit für alle Bekenntnisse gleichermaßen fördernde Haltung. Art. 4 Abs. 1 und 2 GG gebietet auch im positiven Sinn, den Raum für die aktive Betätigung der Glaubensüberzeugung und die Verwirklichung der autonomen Persönlichkeit auf weltanschaulich-religiösem Gebiet zu sichern (vgl. BVerfGE 41, 29 <49>; 93, 1 <16>). Der Staat darf lediglich keine gezielte Beeinflussung im Dienste einer bestimmten politischen, ideologischen oder weltanschaulichen Richtung betreiben oder sich durch von ihm ausgehende oder ihm zuzurechnende Maßnahmen ausdrücklich oder konkludent mit einem bestimmten Glauben oder einer bestimmten Weltanschauung identifizieren und dadurch den religiösen Frieden in einer Gesellschaft von sich aus gefährden (vgl. BVerfGE 93, 1 <16 f.>; 108, 282 <300>). Auch verwehrt es der Grundsatz weltanschaulich-religiöser Neutralität dem Staat, Glauben und Lehre einer Religionsgemeinschaft als solche zu bewerten (vgl. BVerfGE 33, 23 <29>; 108, 282 <300>; 137, 273 <305 Rn. 88>; 138, 296 <339 Rn. 110>).

68

Dies gilt auch für vom Staat in Vorsorge genommene Bereiche, für die ihrer Natur nach religiöse und weltanschauliche Vorstellungen von jeher relevant waren (vgl. BVerfGE 41, 29 <49>; 52, 223 <241>). Danach sind etwa christliche Bezüge bei der Gestaltung der öffentlichen Schule nicht ausgeschlossen; die Schule muss aber auch für andere weltanschauliche und religiöse Inhalte und Werte offen sein (vgl. BVerfGE 41, 29 <51>; 52, 223 <236 f.>). Weil Bezüge zu verschiedenen Religionen und Weltanschauungen in solchen Bereichen möglich sind, ist für sich genommen auch die bloß am äußeren Erscheinungsbild hervortretende Sichtbarkeit religiöser oder weltanschaulicher Zugehörigkeit einzelner Angestellter - unabhängig davon, welche Religion oder Weltanschauung im Einzelfall betroffen ist - durch die dem Staat gebotene weltanschaulich-religiöse Neutralität nicht ohne Weiteres ausgeschlossen. In dieser Offenheit bewahrt der freiheitliche Staat des Grundgesetzes seine religiöse und weltanschauliche Neutralität (vgl. BVerfGE 41, 29 <50>; 138, 296 <339 f. Rn. 111>).

69

(d) Davon ausgehend ist das - nach der Auslegung durch die Arbeitsgerichte in den angefochtenen Entscheidungen - an eine bloß abstrakte Gefährdung der in § 7 Abs. 6 Satz 1 KiTaG a.F. genannten Schutzgüter anknüpfende strikte Verbot einer äußeren religiösen Bekundung jedenfalls für die hier gegebenen Fallkonstellationen den betroffenen Grundrechtsträgern nicht zumutbar und verdrängt in unangemessener Weise deren Grundrecht auf Glaubensfreiheit. Mit dem Tragen eines Kopftuchs durch einzelne Erzieherinnen ist keine Identifizierung des Staates mit einem bestimmten Glauben verbunden. Auch eine Wertung in dem Sinne, dass allein das glaubensgeleitete Verhalten dieser Erzieherinnen als vorbildhaft angesehen und schon deshalb der Einrichtungsfrieden oder die staatliche Neutralität gefährdet oder gestört werden könnte, ist einer entsprechenden Duldung durch den öffentlichen Arbeitgeber nicht beizulegen. Hinzu kommt, dass die Beschwerdeführerin einem nachvollziehbar als verpflichtend empfundenen Glaubensgebot Folge leistet. Dadurch erhält ihre Glaubensfreiheit in der Abwägung mit den Grundrechten der Kindergartenkinder und der Eltern ein erheblich größeres Gewicht, als dies bei einer disponiblen Glaubensregel der Fall wäre (vgl. zu alldem BVerfGE 138, 296 <340 f. Rn. 112>).

70

Das Gewicht der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit des Personals von Kindertagesstätten in öffentlicher Trägerschaft erfordert demnach - wie im Bereich der Schule - jedenfalls für die hier gegebenen Fallkonstellationen eine reduzierende verfassungskonforme Auslegung des § 7 Abs. 6 Satz 1 KiTaG a.F. (jetzt: § 7 Abs. 8 Satz 1 KiTaG), soweit die Norm äußere religiöse Bekundungen untersagt. Hierfür ist das Merkmal der Eignung, den Einrichtungsfrieden oder die Neutralität des öffentlichen Einrichtungsträgers zu gefährden oder zu stören, dahin einzuschränken, dass von der äußeren religiösen Bekundung nicht nur eine abstrakte, sondern eine hinreichend konkrete Gefahr für die dort genannten Schutzgüter ausgehen muss. Das Vorliegen der konkreten Gefahr ist zu belegen und zu begründen. Allein das Tragen eines "islamischen Kopftuchs" begründet eine hinreichend konkrete Gefahr auch im Kindergartenbereich im Regelfall nicht. Denn vom Tragen einer solchen Kopfbedeckung geht für sich genommen noch kein werbender oder gar missionierender Effekt aus. Ein "islamisches Kopftuch" ist in Deutschland nicht unüblich, sondern spiegelt sich im gesellschaftlichen Alltag vielfach wieder. Die bloß visuelle Wahrnehmbarkeit ist in Kindertagesstätten als Folge individueller Grundrechtsausübung ebenso hinzunehmen, wie auch sonst grundsätzlich kein verfassungsrechtlicher Anspruch darauf besteht, von der Wahrnehmung anderer religiöser oder weltanschaulicher Bekenntnisse verschont zu bleiben (vgl. BVerfGE 138, 296 <342 f. Rn. 116>).

71

(3) Eine einschränkende Auslegung des § 7 Abs. 6 Satz 1 KiTaG a.F. (jetzt: § 7 Abs. 8 Satz 1 KiTaG) ist möglich und von Verfassungs wegen geboten. Sie dient der Vermeidung einer Normverwerfung und ist damit dem Gesichtspunkt der größtmöglichen Schonung der Gesetzgebung geschuldet. Sie nimmt Rücksicht darauf, dass die Norm auch andere Anwendungsbereiche hat, die sich von der hier vorliegenden Fallgestaltung unterscheiden. Dabei kann es sich etwa um gewichtige verbale Äußerungen und ein offen werbendes Verhalten handeln. Hier kann die Untersagungsvorschrift unter Umständen auch in einer Interpretation, die schon die abstrakte Gefahr erfasst, ihre Bedeutung haben. Der einschränkenden Auslegung steht nicht entgegen, dass dem Gesetzgeber entstehungsgeschichtlich ein Kopftuchverbot als typischer Anwendungsfall der Vorschrift vorgeschwebt hat (vgl. Gesetzesbegründung, LT-Drs. 13/4869, S. 12). Der Norm wird lediglich ein weniger weit reichender Anwendungsbereich zuerkannt (vgl. zur weitgehend inhaltsgleichen Regelung des § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NW a.F. BVerfGE 138, 296 <343 f. Rn. 117>).

72

(4) Die angegriffenen fachgerichtlichen Entscheidungen werden den Erfordernissen der gebotenen verfassungskonformen einschränkenden Auslegung nicht gerecht. Ihre rechtliche Würdigung, nach der bereits eine abstrakte Gefährdung der in § 7 Abs. 6 Satz 1 KiTaG a.F. genannten Schutzgüter zur Erfüllung des Verbotstatbestands genügt, trägt der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit der in Kindertagesstätten tätigen Erzieherinnen und Erzieher nicht in angemessener Weise Rechnung. Sie vernachlässigt das Gewicht ihrer positiven Glaubensfreiheit im Zusammenhang mit einem plausibel dargestellten imperativen religiösen Bedeckungsgebot.

73

Die bislang getroffenen Tatsachenfeststellungen geben im Übrigen keinerlei Anhalt für eine hinreichend konkrete Gefahr für den Einrichtungsfrieden oder die Neutralität des öffentlichen Trägers durch das Auftreten der Beschwerdeführerin mit dem "islamischen Kopftuch" an ihrem Arbeitsplatz.

74

Damit verletzen die angegriffenen Entscheidungen die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG.

75

c) In der wie dargelegt verfassungsrechtlich gebotenen Auslegung verstößt die Regelung des § 7 Abs. 6 Satz 1 KiTaG a.F. (jetzt: § 7 Abs. 8 Satz 1 KiTaG), soweit sie religiöse Bekundungen durch das äußere Erscheinungsbild von Erzieherinnen und Erziehern betrifft, nicht gegen weitere Grundrechte oder sonstiges Bundesrecht (Art. 31 GG). Sie ist insbesondere mit den einschlägigen Bestimmungen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) und der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) vereinbar. Die sich hieraus ergebenden Rechte gewährleisten keinen weitergehenden Schutz als denjenigen, der aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG folgt (vgl. im Einzelnen zu § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NW a.F. BVerfGE 138, 296 <352 ff. Rn. 139 ff.>).

76

3. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 und 3 BVerfGG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG und den Grundsätzen für die Festsetzung des Gegenstandswerts im verfassungsgerichtlichen Verfahren (vgl. BVerfGE 79, 365 <366 ff.>; BVerfGK 20, 336 <337 ff.>).

77

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

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Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 19. Juni 2009 - 7 Sa 84/08 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Abmahnung.

2

Die in der Türkei geborene, deutsche Klägerin ist staatlich anerkannte Erzieherin und seit September 2003 bei der beklagten Stadt, die über ca. 34 Kindertagesstätten verfügt, in Teilzeit beschäftigt. Sie ist muslimischen Glaubens und trägt aus religiöser Überzeugung in der Öffentlichkeit und auch während ihrer Tätigkeit als Erzieherin ein Kopftuch.

3

Seit Februar 2006 gilt in Baden-Württemberg das geänderte „Gesetz über die Betreuung und Förderung von Kindern in Kindergärten, anderen Tageseinrichtungen und der Kindertagespflege (Kindertagesbetreuungsgesetz - KiTaG)“ (im Folgenden: KiTaG BW), das seither in § 7 Absätze 6 - 7 lautet:

        

„(6)   

Fachkräfte im Sinne der Absätze 1 und 2 und andere Betreuungs- und Erziehungspersonen dürfen in Einrichtungen, auf die dieses Gesetz Anwendung findet und die in Trägerschaft des Landes, eines Landkreises, einer Gemeinde, einer Verwaltungsgemeinschaft, eines Zweck- oder Regionalverbandes stehen, keine politischen, religiösen, weltanschaulichen oder ähnliche äußeren Bekundungen abgeben, die geeignet sind, die Neutralität des Trägers gegenüber Kindern und Eltern oder dem politischen, religiösen oder weltanschaulichen Frieden in Einrichtungen, auf die dieser Absatz Anwendung findet, zu gefährden oder zu stören. Insbesondere ist ein äußeres Verhalten unzulässig, welches bei Kindern oder Eltern den Eindruck hervorrufen kann, dass eine Fachkraft oder eine andere Betreuungs- oder Erziehungsperson gegen die Menschenwürde, die Gleichberechtigung der Menschen nach Artikel 3 des Grundgesetzes, die Freiheitsgrundrechte oder die freiheitlich-demokratische Grundordnung auftritt. Die Wahrnehmung des Auftrags nach Artikel 12 Abs. 1 der Verfassung des Landes Baden-Württemberg zur Erziehung der Jugend im Geiste der christlichen Nächstenliebe und zur Brüderlichkeit aller Menschen und die entsprechende Darstellung derartiger Traditionen widerspricht nicht dem Verhaltensgebot nach Satz 1.

        

(7)     

Die Einstellung einer Fachkraft im Sinne der Absätze 1 und 2 oder einer anderen Betreuungs- und Erziehungsperson in Einrichtungen nach Absatz 6 Satz 1 setzt als persönliches Eignungsmerkmal voraus, dass sie die Gewähr für die Einhaltung des Absatzes 6 während der gesamten Dauer ihres Arbeitsverhältnisses bietet.“

4

Die Beklagte forderte die Klägerin erfolglos auf, ihrer Verpflichtung aus § 7 Abs. 6 KiTaG BW nachzukommen und ihr „islamisches Kopftuch“ während ihres Dienstes als Erzieherin abzulegen. Die Klägerin kam dieser Aufforderung nicht nach. Daraufhin mahnte die Beklagte sie mit Schreiben vom 8. August 2007 ab. In diesem heißt es ua.:

        

„Abmahnung

        

Sehr geehrte Frau ...,

        

am Montag, 09. Juli 2007 wurden Sie erneut, wie bereits in mehreren Gesprächen vorher, dazu aufgefordert innerhalb einer Woche Ihrer Verpflichtung gemäß § 7 Absatz 6 des Kindergartengesetzes nachzukommen und das islamische Kopftuch während Ihres Dienstes in der Kindertagesstätte abzulegen.

        

Bis einschließlich Dienstag, 17. Juli 2007 haben Sie jedoch nach wie vor das islamische Kopftuch im Dienst getragen und gegenüber Frau F zum Ausdruck gebracht, dass Sie dies auch weiterhin zu tun beabsichtigen.

        

Dieses Arbeitsverhalten können wir nicht weiter dulden, so dass wir gezwungen sind, Ihnen aufgrund des dargelegten Sachverhaltes eine

        

Abmahnung

        

zu erteilen verbunden mit der gleichzeitigen Aufforderung sich künftig an die gesetzlichen Vorschriften zu halten, die Ihnen das Tragen eines islamischen Kopftuches während der Dienstzeit in der Kindertagesstätte verbieten.

        

Wir weisen Sie ausdrücklich darauf hin, dass Sie bei nochmaligen Pflichtverletzungen mit weiteren arbeitsrechtlichen Konsequenzen, insbesondere einer Kündigung, zu rechnen haben.

        

...“   

5

Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin die Entfernung der Abmahnung aus ihrer Personalakte. Sie hat die Auffassung vertreten, ein Verstoß gegen die Pflichten aus § 7 Abs. 6 KiTaG BW liege nicht vor, da das Tragen eines Kopftuches keine Bekundung im Sinne dieser Norm sei. Sie trage das Kopftuch nicht als Symbol ihres Glaubens, sondern befolge nur eine religiös motivierte Bekleidungsvorschrift, die sich auch kulturell niedergeschlagen habe. Ihr Verhalten habe zu keiner Zeit die Neutralität der Beklagten oder den Einrichtungsfrieden in Frage gestellt. Ihr sei zumindest die Möglichkeit einzuräumen, eine Gefährdung zu widerlegen. Im Übrigen sei § 7 Abs. 6 KiTaG BW verfassungs- und europarechtswidrig und verstoße gegen Art. 9 EMRK. Ihrer Grundrechtsausübung stünden weder die Grundrechte der betreuten Kinder noch die der Eltern entgegen, da keine Kindergartenpflicht bestehe. Auch habe der Landesgesetzgeber in das kommunale Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden eingegriffen.

6

Die Klägerin hat - soweit für die Revision noch von Bedeutung - beantragt,

        

die beklagte Stadt zu verurteilen, die mit Schreiben vom 8. August 2007 erteilte Abmahnung aus ihrer Personalakte zu entfernen.

7

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Ansicht vertreten, dass die Klägerin ihre aus § 7 Abs. 6 KiTaG BW folgende Neutralitätspflicht verletzt habe. Das gesetzlich geregelte Kopftuchverbot sei rechtmäßig. Das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinde werde in seinem Kernbereich nicht angetastet.

8

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.

Entscheidungsgründe

9

Die Revision ist unbegründet. Die Klägerin kann die Entfernung der Abmahnung vom 8. August 2007 aus ihrer Personalakte nicht verlangen. Sie ist nicht zu Unrecht abgemahnt worden. Die beklagte Stadt hat zu Recht einen Verstoß der Klägerin gegen die bestehende gesetzliche Pflicht aus § 7 Abs. 6 KiTaG BW gerügt. Diese Norm verletzt kein höherrangiges Recht.

10

I. Arbeitnehmer können in entsprechender Anwendung der §§ 242, 1004 BGB die Entfernung einer zu Unrecht erteilten Abmahnung aus ihrer Personalakte verlangen. Der Entfernungsanspruch besteht, wenn die Abmahnung entweder inhaltlich unbestimmt ist, unrichtige Tatsachenbehauptungen enthält, auf einer unzutreffenden rechtlichen Bewertung des Verhaltens des Arbeitnehmers beruht, den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt oder kein schutzwürdiges Interesse des Arbeitgebers am Verbleib der Abmahnung in der Personalakte mehr besteht (vgl. Senat 27. November 2008 - 2 AZR 675/07 - Rn. 13 - 17 mwN, AP BGB § 611 Abmahnung Nr. 33 = EzA BGB 2002 § 314 Nr. 4).

11

II. Keine dieser Voraussetzungen ist erfüllt.

12

1. Die Abmahnung vom 8. August 2007 ist hinreichend bestimmt. Mit der Abmahnung wird die der Klägerin vorgeworfene Vertragspflichtverletzung und das von ihr erwartete zukünftige Verhalten hinreichend präzise beschrieben. Der Klägerin wird das Tragen eines „islamischen Kopftuchs“ vorgeworfen. Sie wird weiter aufgefordert, künftig auf das Tragen eines solchen Kopftuchs zu verzichten.

13

2. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht angenommen, dass die Klägerin mit dem Kopftuchtragen das Bekundungsverbot gemäß § 7 Abs. 6 Satz 1 KiTaG BW bewusst und dauerhaft verletzt hat.

14

a) Die Klägerin hat bewusst ihre Bekleidung gewählt. Sie will aufgrund ihrer religiösen Motive nicht ohne dieses Bekleidungsstück in der Öffentlichkeit arbeiten. Von einem ihr zurechenbaren und steuerbaren Verhalten, das grundsätzlich einer Abmahnung zugänglich ist, kann deshalb ohne Weiteres ausgegangen werden.

15

b) Nach § 7 Abs. 6 Satz 1 KiTaG BW dürfen Fachkräfte keine politischen, religiösen, weltanschaulichen oder ähnlichen äußeren Bekundungen abgeben, die geeignet sind, die Neutralität des Trägers gegenüber Kindern und Eltern oder den politischen, religiösen oder weltanschaulichen Frieden in Einrichtungen zu gefährden oder zu stören.

16

c) Die Klägerin hat dieses gesetzliche Gebot verletzt.

17

Sie ist staatlich anerkannte Erzieherin und als eine Fachkraft iSd. § 7 Abs. 1 Nr. 2 KiTaG BW in einer Kindertagesbetreuungseinrichtung(im Folgenden: KiTa) der Beklagten beschäftigt. Die bewusste Wahl einer religiös bestimmten Kleidung fällt unter das Verbot des § 7 Abs. 6 Satz 1 KiTaG BW. Das Tragen eines sog. islamischen Kopftuchs stellt eine religiöse Bekundung im Sinne dieser Vorschrift dar. Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

18

aa) Eine religiöse Bekundung iSd. § 7 Abs. 6 Satz 1 KiTaG BW ist die bewusste, an die Außenwelt gerichtete Kundgabe einer religiösen Überzeugung(Senat 10. Dezember 2009 - 2 AZR 55/09 - Rn. 16, AP GG Art. 4 Nr. 7 = EzTöD 100 TVöD-AT § 2 Diskriminierung Religion Nr. 2; 20. August 2009 - 2 AZR 499/08 - Rn. 14, AP GG Art. 4 Nr. 6 = EzA BGB 2002 § 611 Abmahnung Nr. 4; BVerwG 16. Dezember 2008 - 2 B 46.08 - Rn. 6, ZTR 2009, 167; 24. Juni 2004 - 2 C 45.03 - zu 2 a der Gründe, BVerwGE 121, 140). Zur Bestimmung des Erklärungswerts einer solchen Kundgabe ist auf diejenige Deutungsmöglichkeit abzustellen, die für eine nicht unerhebliche Zahl von Betrachtern naheliegt. Dabei kommt es im Streitfall für die Deutung vor allem auf die Sicht eines objektiven Betrachters in der Situation der Kinder und Eltern einer Betreuungseinrichtung an (BVerfG 24. September 2003 - 2 BvR 1436/02 - zu B II 5 a der Gründe, BVerfGE 108, 282). Ob einer bestimmten Bekleidung ein religiöser Aussagegehalt nach Art eines Symbols zukommt, hängt von der Wirkung des verwendeten Ausdrucksmittels ab, wobei alle sonstigen in Betracht kommenden Deutungsmöglichkeiten ebenfalls zu berücksichtigen sind. Der Symbolcharakter muss sich nicht aus dem Kleidungsstück als solchem ergeben. Eine religiöse Bekundung kann auch darin liegen, dass dem Kleidungsstück in der besonderen Art und Weise seines Tragens offensichtlich eine besondere Bedeutung zukommt, etwa weil es erkennbar aus dem Rahmen der in der Einrichtung üblichen Bekleidung fällt und ausnahmslos zu jeder Zeit getragen wird. Ein solch weitgehendes Verständnis entspricht dem Zweck des gesetzlichen Bekundungsverbots. Dieses will religiös-weltanschauliche Konflikte in Kindertagesbetreuungseinrichtungen schon im Ansatz verhindern und die Neutralität der Einrichtung und des Trägers auch nach außen wahren. Das verbietet eine Differenzierung zwischen Kleidungsstücken, deren religiöse oder weltanschauliche Motivation offen zutage tritt, und solchen, deren Tragen in der Einrichtung einen entsprechenden Erklärungsbedarf auslöst (zu gleichlautenden schulgesetzlichen Regelungen: Senat 10. Dezember 2009 - 2 AZR 55/09 - aaO; 20. August 2009 - 2 AZR 499/08 - Rn. 14 f., aaO; BVerwG 24. Juni 2004 - 2 C 45.03 - Rn. 21 f., aaO; 16. Dezember 2008 - 2 B 46.08 - Rn. 3 - 8, aaO).

19

bb) Das Landesarbeitsgericht hat deshalb zu Recht angenommen, im Tragen des sog. islamischen Kopftuchs liege eine religiöse Bekundung der Klägerin. Entgegen der Auffassung der Revision ist die Begründung des Landesarbeitsgerichts revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

20

(1) Die Klägerin hat zu keiner Zeit behauptet, sie trage das Kopftuch nicht als Ausdruck ihres Glaubens. Sie hat vielmehr mit der Klageschrift ausgeführt, sie trage das Kopftuch in der Öffentlichkeit aus religiöser Überzeugung. Dies muss sie sich ebenso entgegenhalten lassen wie die entsprechende, für das Revisionsgericht bindende Feststellung des Landesarbeitsgerichts, sie trage das Kopftuch aus religiöser Anschauung. Diese Feststellung hat die Klägerin nicht mit relevanten Verfahrensrügen angegriffen.

21

(2) Ihr weiterer Hinweis, das Landesarbeitsgericht hätte bei der Bewertung modische oder gesundheitliche Aspekte des Kopftuchtragens berücksichtigen müssen, ist unbeachtlich. Auch ein unbefangener Beobachter wird das sog. islamische Kopftuch regelmäßig als Ausdruck eines bekundeten Religionsbrauchs, den die Trägerin befolgen will, und nicht als modisches Accessoire auffassen (Senat 10. Dezember 2009 - 2 AZR 55/09 - Rn. 16, AP GG Art. 4 Nr. 7 = EzTöD 100 TVöD-AT § 2 Diskriminierung Religion Nr. 2). Ein solches Kleidungsstück fällt aus dem Rahmen der üblicherweise in einer KiTa getragenen Bekleidung. Dies gilt umso mehr, als es von der Klägerin ausnahmslos und zu jeder Zeit getragen wird (vgl. auch VGH Baden-Württemberg 14. März 2008 - 4 S 516/07 - Schütz/Maiwald BeamtR ES/A II 1.5 Nr. 57). Ein objektiver Beobachter wird deshalb selbst unter Berücksichtigung der zunehmenden Verbreitung solcher Kopftücher im öffentlichen Leben und der Diskussion in den letzten Jahren es mit der Religion des Islam in Verbindung bringen. Ihm ist bekannt, dass muslimische Frauen aus religiösen Gründen ihr Haar mit einem Kopftuch oder einem vergleichbaren Kleidungsstück bedecken (VGH Baden-Württemberg 14. März 2008 - 4 S 516/07 - aaO; so bereits Senat 10. Oktober 2002 - 2 AZR 472/01 - zu B II 3 c aa der Gründe, BAGE 103, 111, im Fall einer kopftuchtragenden Verkäuferin in der Privatwirtschaft).

22

cc) Das Verhalten der Klägerin ist geeignet, die Neutralität der beklagten Stadt gegenüber Kindern und Eltern einer KiTa und den religiösen Einrichtungsfrieden zu gefährden.

23

(1) Das Verbot des § 7 Abs. 6 Satz 1 KiTaG BW knüpft an einen abstrakten Gefährdungstatbestand an. Es erfasst nicht erst Bekundungen, die die Neutralität des Trägers oder den religiösen Einrichtungsfrieden konkret gefährden oder gar stören. Das Verbot will schon der abstrakten Gefahr vorbeugen, konkrete Gefährdungen also gar nicht erst aufkommen lassen. Im Gesetzeswortlaut kommt dies darin zum Ausdruck, dass religiöse Bekundungen bereits dann verboten sind, wenn sie „geeignet“ sind, die genannten Schutzgüter zu gefährden (vgl. Senat 10. Dezember 2009 - 2 AZR 55/09 - AP GG Art. 4 Nr. 7 = EzTöD 100 TVöD-AT § 2 Diskriminierung Religion Nr. 2; 20. August 2009 - 2 AZR 499/08 - Rn. 18, AP GG Art. 4 Nr. 6 = EzA BGB 2002 § 611 Abmahnung Nr. 4). Der Landesgesetzgeber wollte ersichtlich darauf Bedacht nehmen, dass auch Kindertagesbetreuungseinrichtungen Orte sind, an denen unterschiedliche religiöse und politische Auffassungen unausweichlich aufeinandertreffen, deren friedliches Nebeneinander der Staat aber zu garantieren hat (vgl. Senat in den Entscheidungen vom 10. Dezember 2009 - 2 AZR 55/09 - aaO und vom 20. August 2009 - 2 AZR 499/08 - aaO, zu den weitgehend inhaltsgleichen Normen des Schulgesetzes NRW). Er hat ein solches Konfliktpotential erkennbar nicht nur für den Schulbereich (vgl. § 38 Abs. 2 SchulG BW) gesehen, sondern ist davon ausgegangen, dass es durch eine größere religiöse Vielfalt in der Gesellschaft auch in KiTas zu einem vermehrten Potential von Konflikten - auch unter den Eltern verschiedener Glaubensrichtungen oder mit Atheisten - kommen kann. In dieser Lage kann der religiöse/weltanschauliche Frieden in einer Einrichtung schon durch die berechtigte Sorge der Eltern vor einer ungewollten religiösen Beeinflussung ihres Kindes gefährdet werden. Hierzu kann das religiös bedeutungsvolle Erscheinungsbild des pädagogischen Personals Anlass geben (so Senat 20. August 2009 - 2 AZR 499/08 - aaO und 10. Dezember 2009 - 2 AZR 55/09 - Rn. 18, aaO; BVerwG 24. Juni 2004 - 2 C 45.03 - Rn. 25, BVerwGE 121, 140). Die berechtigte Sorge von Eltern kann sich in KiTas sogar noch verstärken, da Kinder im Kindergartenalter regelmäßig noch stärker beeinflussbar sein werden als Schüler. Eine Erzieherin nimmt ebenso wie ein Lehrer als Bezugs- und Autoritätsperson eine starke Mittelpunktfunktion ein (so auch Wittinger VBl. BW 2006, 169, 171). Sie wird insbesondere bei einer Ganztagsbetreuung bei den zu betreuenden Kindern im Alter bis zu sechs Jahren im Vergleich zu einem Lehrer, der nur einzelne Fächer unterrichtet, sogar noch einen höheren Einfluss haben. Für das spätere Sozialverhalten der Kinder wirkt sie als zumeist erste Bezugsperson außerhalb des Elternhauses in hohem Maße prägend (BVerfG 10. März 1998 - 1 BvR 178/97 - zu B II 1 b aa der Gründe, BVerfGE 97, 332). Gerade in diesem Alter orientieren sich Kinder am Verhalten der Bezugsperson und sind oft leichter beeinflussbar als Schulkinder. Jede bekehrende Wirkung auszuschließen, die das Tragen des islamischen Kopftuchs haben könnte, dürfte deshalb kaum möglich sein (so auch EGMR 15. Februar 2001 - 42393/98 - NJW 2001, 2871). In diesem Alter dürfte es zumeist noch schwieriger sein, die Wirkung des Kopftuchs durch entsprechende Erklärungen abzuschwächen (vgl. Wittinger VBl. BW 2006, 169, 171).

24

(2) Dementsprechend kommt es nicht darauf an, ob die Klägerin den Gegenbeweis für eine Nichtgefährdung des Einrichtungsfriedens leisten könnte und welche Anforderungen insoweit zu stellen wären. Das Gesetz regelt einen abstrakten Gefährdungstatbestand, nach dem es gerade nicht auf die mögliche tatsächliche Gefährdung oder Störung ankommt. Eine Berücksichtigung der konkreten Verhältnisse in einzelnen Einrichtungen ist nicht vorgesehen (VGH Baden-Württemberg 14. März 2008 - 4 S 516/07 - Schütz/Maiwald BeamtR ES/A II 1.5 Nr. 57; BVerwG 24. Juni 2006 - 2 C 45.03 - zu 2 b der Gründe, BVerwGE 121, 140, jeweils zu inhaltsgleichen schulgesetzlichen Normen). Somit ist es auch ohne Belang, dass die Klägerin - wie sie mit der Revision geltend macht - bisher in einem friedlichen Verhältnis zu allen Beteiligten stand. Diese Situation könnte sich im Übrigen jederzeit durch den Wechsel von Kindern und Eltern verändern.

25

3. Die Regelung des § 7 Abs. 6 Satz 1 KiTaG BW verstößt nicht gegen höherrangiges Recht. Die Vorschrift ist weder verfassungswidrig noch verletzt sie Art. 9 Abs. 1 EMRK.

26

a) Das Bekundungsverbot des § 7 Abs. 6 Satz 1 KiTaG BW ist nicht verfassungswidrig. Der Landesgesetzgeber durfte die Pflichten der bei den Einrichtungsträgern iSd. § 1 KiTaG BW beschäftigten Fachkräfte konkretisieren und ihnen auch das Tragen solcher Kleidung oder Zeichen in der KiTa untersagen, die ihre Zugehörigkeit zu einer bestimmten politischen, religiösen oder weltanschaulichen Gruppe erkennen lässt.

27

aa) Der Landesgesetzgeber war zuständig und berechtigt, ein Gesetz zu erlassen, das den Ausgleich der widerstreitenden Interessen und Grundrechte von Fachkräften der KiTas, Kindern und Eltern sowie des Trägers der Einrichtung regelt (so BVerfG 24. September 2003 - 2 BvR 1436/02 - zu B II 6 der Gründe, BVerfGE 108, 282 für den Bereich der Schule; siehe auch Senat 10. Dezember 2009 - 2 AZR 55/09 - Rn. 21, AP GG Art. 4 Nr. 7 = EzTöD 100 TVöD-AT § 2 Diskriminierung Religion Nr. 2; 20. August 2009 - 2 AZR 499/08 - Rn. 21, AP GG Art. 4 Nr. 6 = EzA BGB 2002 § 611 Abmahnung Nr. 4).

28

Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht die Gesetzgebungskompetenz des Landesgesetzgebers gemäß Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG(konkurrierende Gesetzgebung auf dem Gebiet der öffentlichen Fürsorge) angenommen. Der Begriff der öffentlichen Fürsorge ist weit aufzufassen. Zu ihm gehört auch die Jugendpflege, die das körperliche, geistige und sittliche Wohl aller Jugendlichen fördern will, ohne dass eine Gefährdung im Einzelfall vorzuliegen braucht. Diesem Ziel dient auch die Kindertagesbetreuung. Sie hilft den Eltern bei der Erziehung, fördert und schützt die Kinder und trägt dazu bei, positive Lebensbedingungen für Familien mit Kindern zu schaffen (BVerfG 10. März 1998 - 1 BvR 178/97 - zu B II 1 b aa der Gründe, BVerfGE 97, 332). Zwar hat der Bundesgesetzgeber in §§ 22 - 26 SGB VIII Regelungen zur Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen und in der Kindertagespflege getroffen, jedoch eröffnet der Vorbehalt in § 26 SGB VIII es den Ländern, Inhalt und Umfang der Aufgaben sowie Leistungen näher selbst zu regeln. Von dieser Kompetenz hat der Landesgesetzgeber mit den Regelungen des KiTaG BW Gebrauch gemacht und in § 7 Abs. 6 Satz 1 nähere Regelungen für das pädagogische Personal getroffen.

29

bb) Die Regelung des § 7 Abs. 6 Satz 1 KiTaG BW ist inhaltlich hinreichend bestimmt. Sie bezeichnet die von ihr erfassten Schutzgüter - die Neutralität des Trägers und den Einrichtungsfrieden - deutlich. Sie knüpft allein an die abstrakte Eignung eines Verhaltens an, diese Schutzgüter zu gefährden oder zu stören. Sie erfasst, dem generellen Charakter eines Gesetzes entsprechend, jegliche Art von Bekundungen, also auch jedes äußere Verhalten. Die bewusste Wahl einer religiös oder weltanschaulich bestimmten Kleidung fällt unter diese Regelung. Die Bestimmtheit des Satzes 1 wird nicht durch die Regelung in Satz 3 in Frage gestellt. Die „Darstellung christlicher Traditionen“ bedeutet etwas anderes als die Bekundung eines individuellen Bekenntnisses. Bei der im Gesetz genannten „Darstellung“ geht es nicht um die Geltendmachung einer persönlichen, inneren Überzeugung (BVerwG 24. Juni 2004 - 2 C 45.03 - zu 4 a der Gründe, BVerwGE 121, 140 zur inhaltsgleichen Regelung des § 38 Abs. 2 Satz 1 SchulG BW).

30

cc) Die Lösung des verfassungsrechtlichen Spannungsverhältnisses durch § 7 Abs. 6 Satz 1 KiTaG BW beachtet die Grundsätze der praktischen Konkordanz der betroffenen Grundrechtspositionen hinreichend. Die Regelung liegt im Rahmen der Gestaltungsfreiheit des Landesgesetzgebers. Dieser durfte die positive Glaubensfreiheit sowie die Berufsausübungsfreiheit und das allgemeine Persönlichkeitsrecht einer Erzieherin hinter die Pflicht des öffentlichen Trägers einer kinderbetreuenden Einrichtung zur weltanschaulichen Neutralität, das Erziehungsrecht der Eltern und die negative Glaubensfreiheit der Kinder und Eltern zurücktreten lassen, um die Neutralität der Kindertagesstätten und deren Einrichtungsfrieden zu sichern.

31

(1) Zwar schützt nach der Rechtsprechung Art. 4 Abs. 1 und 2 GG nicht nur die innere Glaubensfreiheit, sondern auch die äußere Freiheit, den Glauben in der Öffentlichkeit zu manifestieren und zu bekennen. Dazu gehört auch das Recht des Einzelnen, sein gesamtes Verhalten an den Lehren des Glaubens auszurichten und seiner inneren Glaubensüberzeugung gemäß zu handeln (BVerfG 17. Dezember 1975 - 1 BvR 63/68 - zu C I 2 b der Gründe, BVerfGE 41, 29). Auf Seiten der Kinder und Eltern entspricht dem aber umgekehrt die Freiheit, kultischen Handlungen eines nicht geteilten Glaubens fernzubleiben. Zwar hat der Einzelne in einer Gesellschaft, die unterschiedlichen Glaubensüberzeugungen Raum gibt, kein Recht darauf, von fremden Glaubensbekundungen gänzlich verschont zu bleiben. Davon ist aber eine vom Staat geschaffene Lage zu unterscheiden, in der ein Einzelner dem Einfluss und den Symbolen eines bestimmten Glaubens ausgesetzt wird. Insofern entfaltet Art. 4 Abs. 1 GG seine freiheitssichernde Wirkung gerade in den Lebensbereichen, die nicht der gesellschaftlichen Selbstorganisation überlassen sind, sondern in denen der Staat Vorsorgeleistungen anbietet(BVerfG 16. Mai 1995 - 1 BvR 1087/91 - zu C II 1 der Gründe, BVerfGE 93, 1). Gemeinsam mit Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG, der den Eltern die Pflege und Erziehung ihrer Kinder als natürliches Recht garantiert, umfasst Art. 4 Abs. 1 GG auch das Recht zur Kindererziehung in religiöser und weltanschaulicher Hinsicht. Es ist Sache der Eltern, ihren Kindern diejenigen Überzeugungen in Glaubens- und Weltanschauungsfragen zu vermitteln, die sie für richtig halten. Dem entspricht das Recht, die Kinder von Glaubensüberzeugungen fernzuhalten, die den Eltern falsch oder schädlich erscheinen (BVerfG 16. Mai 1995 - 1 BvR 1087/91 - aaO).

32

(2) Die Vermeidung religiöser/weltanschaulicher Konflikte in öffentlichen Kitas stellt ein gewichtiges Gemeingut dar. Zu diesem Zweck sind gesetzliche Einschränkungen der Glaubensfreiheit rechtlich zulässig. Dabei ist es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn die landesgesetzliche Regelung religiöse Bekundungen von Erziehern in KiTas ohne Rücksicht auf die Umstände des Einzelfalls untersagt. Der Gesetzgeber darf Gefährdungen des KiTa-Friedens auch dadurch vorbeugen, dass er Erziehungskräften bereits das Tragen religiös bedeutsamer Kleidungsstücke oder Symbole verbietet und Konflikt vermeidende Regelungen nicht an die konkrete Gefahr einer drohenden Auseinandersetzung knüpft (Senat 10. Dezember 2009 - 2 AZR 55/09 - Rn. 28, AP GG Art. 4 Nr. 7 = EzTöD 100 TVöD-AT § 2 Diskriminierung Religion Nr. 2; 20. August 2009 - 2 AZR 499/08 - Rn. 22, AP GG Art. 4 Nr. 6 = EzA BGB 2002 § 611 Abmahnung Nr. 4; BVerwG 26. Juni 2008 - 2 C 22.07 - BVerwGE 131, 242; 16. Dezember 2008 - 2 B 46.08 - ZTR 2009, 167, zum Schulbereich).

33

(3) Diese von der Rechtsprechung zu den Schulgesetzen entwickelten Grundsätze gelten auch für Erzieher einer KiTa in öffentlicher Trägerschaft.

34

Maßgebliche Unterschiede zwischen Schulen und Kindertagesstätten sind nicht erkennbar. Zwar liegt dem Schulbesuch die gesetzliche Schulpflicht zugrunde. Zum Besuch einer KiTa besteht eine solche Pflicht nicht. Es steht den Erziehungsberechtigten grundsätzlich frei, ob sie ihr Kind in eine (bestimmte) KiTa schicken wollen oder nicht (vgl. Hess. VGH 30. Juni 2003 - 10 TG 553/03 - NJW 2003, 2846). Deshalb besteht auch keine vom Staat geschaffene „Zwangssituation“, in der der Einzelne dem Einfluss eines anderen Glaubensbekenntnisses ohne Ausweichmöglichkeiten ausgesetzt ist. Gleichwohl ist das landesrechtliche Bekundungsverbot nicht unverhältnismäßig (anders ArbG Dortmund 16. Januar 2003 - 6 Ca 5736/02 - zu I 3 c der Gründe; Engelken VBI. BW 2006, 209 f.). Nach § 24 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII haben Eltern einen Anspruch auf Besuch einer Tageseinrichtung zur Kinderbetreuung. Verwiese man sie auf andere KiTas des kommunale oder gar eines anderen Trägers, so wäre dies - ungeachtet der Frage der Zumutbarkeit eines Wechsels - spätestens dann problematisch, wenn der kommunale Träger keine KiTas anbieten könnte, in der keine kopftuchtragenden oder andere religiöse Bekundungen abgebenden Erzieherinnen beschäftigt werden. Eine Verweisung der Eltern auf andere KiTas eines freien Trägers wäre hingegen mit dem Anspruch aus § 24 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII schwerlich vereinbar. Hinzu kommt, dass zahlreiche faktische Zwänge einem Besuch einer anderen KiTa entgegenstehen können, wie beispielsweise die nur geringe Anzahl von KiTas im ländlichen Raum oder die Nähe einer Einrichtung zum Wohn- oder Arbeitsort der Eltern (siehe Wittinger VBl. BW 2006, 169, 170).

35

dd) § 7 Abs. 6 Satz 1 KiTaG BW greift nicht in verfassungswidriger Weise in das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden(Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG) ein.

36

(1) Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG gewährleistet den Gemeinden gegenüber dem Bund und den Ländern das Recht, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln. Diese Gewährleistung sichert ihnen grundsätzlich einen alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft umfassenden Aufgabenbereich („Allzuständigkeit“) sowie die Befugnis zu eigenverantwortlicher Führung der Geschäfte in diesem Bereich. Der Gesetzesvorbehalt erlaubt es dem Gesetzgeber nicht, die kommunale Selbstverwaltung völlig zu beseitigen oder derart auszuhöhlen, dass den Gemeinden kein ausreichender Spielraum mehr bleibt. Als institutionelle Garantie verbürgt Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG den Gemeinden aber nicht die Selbstverwaltungsrechte in allen Einzelheiten. Gesetzliche Beschränkungen der Selbstverwaltung sind mit Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG vereinbar, wenn und soweit sie deren Kernbereich unangetastet lassen(BVerfG 7. Oktober 1980 - 2 BvR 584/76, 2 BvR 598/76, 2 BvR 599/76, 2 BvR 604/76 - zu C II 3 a der Gründe, BVerfGE 56, 298).

37

(2) Zum gemeindlichen Selbstverwaltungsrecht gehört auch die Personalhoheit. Diese umfasst vor allem die Befugnis, das Gemeindepersonal auszuwählen, anzustellen, zu befördern und zu entlassen. Allerdings sind auch hier Beschränkungen mit dem Grundgesetz vereinbar, wenn der Kernbereich unangetastet bleibt (BVerfG 26. November 1963 - 2 BvL 12/62 - zu B II 1 der Gründe, BVerfGE 17, 172).

38

(3) § 7 Abs. 6 Satz 1 KiTaG BW beschränkt zwar die Personalhoheit der Gemeinden, wenn vom Gemeindepersonal bestimmte Verhaltensweisen und von der Gemeinde als Arbeitgeber die Umsetzung dieser Pflichten verlangt werden. Darin liegt aber eine zulässige Beschränkung der nicht absolut geschützten gemeindlichen Personalhoheit. Sie unterliegt der Ausformung durch den Gesetzgeber, der dabei seinerseits durch die Selbstverwaltungsgarantie gesetzlich gebunden ist (BVerfG 26. Oktober 1994 - 2 BvR 445/91 - zu C III 2 der Gründe, BVerfGE 91, 228). Nur der Wesensgehalt der gemeindlichen Selbstverwaltung darf nicht ausgehöhlt werden (BVerfG 26. Oktober 1994 - 2 BvR 445/91 - zu C I 2 a der Gründe, aaO). Im Streitfall hat der Landesgesetzgeber die Personalentscheidungsbefugnis der Kommunen nicht übermäßig begrenzt. Er hat lediglich einen Teilaspekt der Verhaltenspflichten des Gemeindepersonals geregelt. Eine rechtswidrige „Aushöhlung“ der Personalhoheit ist darin nicht zu sehen. Auch in anderer Hinsicht sind Beschränkungen der Auswahlbefugnis der Gemeinden anerkannt, beispielsweise bei der Einstellung von Frauenbeauftragten (BVerfG 26. Oktober 1994 - 2 BvR 445/91 - zu C III 2 der Gründe, aaO; Wittinger VBl. BW 2006, 169, 173).

39

ee) § 7 Abs. 6 KiTaG BW verletzt den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG nicht. Die Regelung behandelt die verschiedenen Religionen nicht unterschiedlich. Sie erfasst jede Art religiöser Bekundung unabhängig von deren Inhalt. Christliche Glaubensbekundungen werden nicht bevorzugt. Dies gilt auch mit Blick auf § 7 Abs. 6 Satz 3 KiTaG BW. Nach dieser Bestimmung widerspricht die Wahrnehmung des Erziehungsauftrags nach Art. 12 Abs. 1 Landesverfassung Baden-Württemberg und die entsprechende Darstellung christlicher Traditionen nicht dem Verhaltensgebot des § 7 Abs. 6 Satz 1 KiTaG BW. Gegenstand der Regelung in Satz 3 der Vorschrift ist die Darstellung, nicht die Bekundung christlicher Werte. Bestimmte Werte darzustellen heißt, sie zu erörtern und zum Gegenstand einer Diskussion zu machen. Das schließt die Möglichkeit der Rückfrage und Kritik ein. Die Darstellung christlicher Traditionen ist nicht gleichzusetzen mit der Bekundung eines individuellen Bekenntnisses. Bei ihr geht es nicht um die Kundgabe innerer Verbindlichkeiten, die der Darstellende für sich anerkannt hätte. Außerdem bezeichnet der Begriff des „Christlichen“ - ungeachtet seiner Herkunft aus dem religiösen Bereich - eine von Glaubensinhalten losgelöste, aus der Tradition der christlich-abendländischen Kultur hervorgegangene Wertewelt, die erkennbar auch dem Grundgesetz zugrunde liegt und unabhängig von ihrer religiösen Fundierung Geltung beansprucht. Der Auftrag zur Weitergabe christlicher Bildungs- und Kulturwerte verpflichtet und berechtigt die Einrichtung deshalb nicht zur Vermittlung bestimmter Glaubensinhalte, sondern betrifft Werte, denen jeder Beschäftigte des öffentlichen Dienstes unabhängig von seiner religiösen Überzeugung vorbehaltlos zustimmen kann (Senat 10. Dezember 2009 - 2 AZR 55/09 - Rn. 24, AP GG Art. 4 Nr. 7 = EzTöD 100 TVöD-AT § 2 Diskriminierung Religion Nr. 2; 20. August 2009 - 2 AZR 499/08 - Rn. 23, AP GG Art. 4 Nr. 6 = EzA BGB 2002 § 611 Abmahnung Nr. 4).

40

ff) Die Regelung des § 7 Abs. 6 Satz 1 KiTaG BW behandelt die Klägerin auch nicht wegen ihres Geschlechts ungleich. Die Vorschrift verbietet religiöse Bekundungen unabhängig vom Geschlecht. Sie richtet sich nicht speziell gegen das von Frauen getragene sog. islamische Kopftuch (Senat 10. Dezember 2009 - 2 AZR 55/09 - Rn. 25, AP GG Art. 4 Nr. 7 = EzTöD 100 TVöD-AT § 2 Diskriminierung Religion Nr. 2; 20. August 2009 - 2 AZR 499/08 - Rn. 24, AP GG Art. 4 Nr. 6 = EzA BGB 2002 § 611 Abmahnung Nr. 4).

41

b) § 7 Abs. 6 Satz 1 KiTaG BW verstößt nicht gegen Art. 9 EMRK.

42

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat entschieden, dass ein Verbot, während des Unterrichts an öffentlichen Schulen religiöse Symbole zu tragen, eine gemäß Art. 9 Abs. 2 EMRK notwendige Einschränkung der nach Abs. 1 der Bestimmung gewährleisteten Religionsfreiheit eines Lehrers ist. Sie sei wegen der möglichen Beeinträchtigung der Grundrechte der Schüler und Eltern gerechtfertigt, um die Neutralität des Unterrichts zu gewährleisten. Auf dieser Grundlage hat der Gerichtshof sowohl das Verbot, während des Unterrichts in einer Schweizer Grundschule ein islamisches Kopftuch zu tragen, als mit der Religionsfreiheit des Art. 9 Abs. 1 EMRK vereinbar angesehen als auch das generelle Verbot für Studentinnen gebilligt, ein solches Kopftuch an türkischen Hochschulen zu tragen(EGMR 10. November 2005 - 44774/98 - NVWZ 2006, 1389; 15. Februar 2001 - 42393/98 - NJW 2001, 2871).

43

Für die von den Gemeinden getragenen öffentlichen Kindertagesbetreuungseinrichtungen und deren Erzieher gilt nichts anderes. Der Eingriff ist gesetzlich vorgesehen und in der demokratischen Gesellschaft zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer - wie dargestellt - notwendig und verhältnismäßig.

44

4. § 7 Abs. 6 Satz 1 KiTaG BW verletzt als landesrechtliche Vorschrift auch nicht das Diskriminierungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG. Zwar kann das Bekundungsverbot zu einer unmittelbaren Benachteiligung einer Erzieherin aus Gründen der Religion iSv. § 7 Abs. 1, §§ 1, 3 Abs. 1 AGG führen, weil die Unterlassung ihrer religiösen Bekundung zu einer entscheidenden Bedingung für die Ausübung ihrer Tätigkeit wird. Eine unterschiedliche Behandlung aus religiösen Gründen zur Erfüllung einer wesentlichen beruflichen Anforderung ist aber gemäß § 8 Abs. 1 AGG zulässig, wenn der Zweck rechtmäßig und die Anforderung angemessen ist. Dies ist im Streitfall gegeben.

45

a) Der von der Regelung verfolgte Zweck, die Neutralität des Trägers und den religiösen Einrichtungsfrieden zu garantieren, ist rechtmäßig.

46

b) Die gesetzliche Anforderung, religiöse Bekundungen in der Einrichtung zu unterlassen, ist angemessen. Sie untersagt eine äußere Kundgabe der eigenen religiösen Überzeugung lediglich während des Aufenthalts im Bereich der Einrichtung und besteht ausschließlich um der - negativen - Religionsfreiheit anderer und dem Erziehungsrecht der Eltern willen. Der Begriff der Angemessenheit erfordert es nicht, das Tragen religiös bedeutungsvoller Kleidungsstücke nur mit Blick auf die konkreten Umstände und Verhältnisse der jeweiligen Einrichtung zu untersagen. Eine landesgesetzliche Bestimmung, die sich als verfassungsmäßiger Ausgleich widerstreitender Grundrechtspositionen erweist, ist angemessen im Sinne der bundesgesetzlichen Regelung des § 8 Abs. 1 AGG(Senat 10. Dezember 2009 - 2 AZR 55/09 - Rn. 27 - 29, AP GG Art. 4 Nr. 7 = EzTöD 100 TVöD-AT § 2 Diskriminierung Religion Nr. 2; 20. August 2009 - 2 AZR 499/08 - Rn. 26 - 28, AP GG Art. 4 Nr. 6 = EzA BGB 2002 § 611 Abmahnung Nr. 4).

47

5. Die Klägerin kann sich nicht auf Vertrauensschutz berufen, weil sie bereits vor der Gesetzesänderung mit einem islamischen Kopftuch gearbeitet hat.

48

Vertrauensschutz in die bestehende Gesetzeslage kann nur dahingehend bestehen, dass neuen Gesetzen keine Rückwirkung beigelegt wird. Im Streitfall liegt aber weder eine echte noch eine unechte Rückwirkung vor. Das Gesetz kommt nicht auf Zeiten vor seinem Inkrafttreten am 18. Februar 2006 (vgl. GBl. BW vom 17. Februar 2006 S. 17, 30, 32) zur Anwendung. Dass die Klägerin Dispositionen in der Erwartung getroffen haben mag, die Rechtslage werde sich nicht ändern, führt nicht zu einer für sie günstigeren Bewertung. Die bloße Annahme, rechtlich werde alles bleiben, wie es ist, genießt keinen Schutz (Senat 10. Dezember 2009 - 2 AZR 55/09 - Rn. 33, AP GG Art. 4 Nr. 7 = EzTöD 100 TVöD-AT § 2 Diskriminierung Religion Nr. 2).

49

III. Sonstige Gründe, die die Unwirksamkeit der Abmahnung zur Folge haben, sind nicht ersichtlich.

50

IV. Die Klägerin hat die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen (§ 97 Abs. 1 ZPO).

        

    Eylert    

        

    Berger    

        

    Gallner    

        

        

        

    Claes    

        

    Niebler    

                 

(1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.

(2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.

(3) Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

(1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.

(2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.

(3) Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.

(1) Ein Kind, das das erste Lebensjahr noch nicht vollendet hat, ist in einer Einrichtung oder in Kindertagespflege zu fördern, wenn

1.
diese Leistung für seine Entwicklung zu einer selbstbestimmten, eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit geboten ist oder
2.
die Erziehungsberechtigten
a)
einer Erwerbstätigkeit nachgehen, eine Erwerbstätigkeit aufnehmen oder Arbeit suchend sind,
b)
sich in einer beruflichen Bildungsmaßnahme, in der Schulausbildung oder Hochschulausbildung befinden oder
c)
Leistungen zur Eingliederung in Arbeit im Sinne des Zweiten Buches erhalten.
Lebt das Kind nur mit einem Erziehungsberechtigten zusammen, so tritt diese Person an die Stelle der Erziehungsberechtigten. Der Umfang der täglichen Förderung richtet sich nach dem individuellen Bedarf.

(2) Ein Kind, das das erste Lebensjahr vollendet hat, hat bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres Anspruch auf frühkindliche Förderung in einer Tageseinrichtung oder in Kindertagespflege. Absatz 1 Satz 3 gilt entsprechend.

(3) Ein Kind, das das dritte Lebensjahr vollendet hat, hat bis zum Schuleintritt Anspruch auf Förderung in einer Tageseinrichtung. Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe haben darauf hinzuwirken, dass für diese Altersgruppe ein bedarfsgerechtes Angebot an Ganztagsplätzen zur Verfügung steht. Das Kind kann bei besonderem Bedarf oder ergänzend auch in Kindertagespflege gefördert werden.

(4) Für Kinder im schulpflichtigen Alter ist ein bedarfsgerechtes Angebot in Tageseinrichtungen vorzuhalten. Absatz 1 Satz 3 und Absatz 3 Satz 3 gelten entsprechend.

(5) Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe oder die von ihnen beauftragten Stellen sind verpflichtet, Eltern oder Elternteile, die Leistungen nach den Absätzen 1 bis 4 in Anspruch nehmen wollen, über das Platzangebot im örtlichen Einzugsbereich und die pädagogische Konzeption der Einrichtungen zu informieren und sie bei der Auswahl zu beraten. Landesrecht kann bestimmen, dass die erziehungsberechtigten Personen den zuständigen Träger der öffentlichen Jugendhilfe oder die beauftragte Stelle innerhalb einer bestimmten Frist vor der beabsichtigten Inanspruchnahme der Leistung in Kenntnis setzen.

(6) Weitergehendes Landesrecht bleibt unberührt.

(1) Die verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern muß den Grundsätzen des republikanischen, demokratischen und sozialen Rechtsstaates im Sinne dieses Grundgesetzes entsprechen. In den Ländern, Kreisen und Gemeinden muß das Volk eine Vertretung haben, die aus allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen hervorgegangen ist. Bei Wahlen in Kreisen und Gemeinden sind auch Personen, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates der Europäischen Gemeinschaft besitzen, nach Maßgabe von Recht der Europäischen Gemeinschaft wahlberechtigt und wählbar. In Gemeinden kann an die Stelle einer gewählten Körperschaft die Gemeindeversammlung treten.

(2) Den Gemeinden muß das Recht gewährleistet sein, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln. Auch die Gemeindeverbände haben im Rahmen ihres gesetzlichen Aufgabenbereiches nach Maßgabe der Gesetze das Recht der Selbstverwaltung. Die Gewährleistung der Selbstverwaltung umfaßt auch die Grundlagen der finanziellen Eigenverantwortung; zu diesen Grundlagen gehört eine den Gemeinden mit Hebesatzrecht zustehende wirtschaftskraftbezogene Steuerquelle.

(3) Der Bund gewährleistet, daß die verfassungsmäßige Ordnung der Länder den Grundrechten und den Bestimmungen der Absätze 1 und 2 entspricht.

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

(1) Beschäftigte dürfen nicht wegen eines in § 1 genannten Grundes benachteiligt werden; dies gilt auch, wenn die Person, die die Benachteiligung begeht, das Vorliegen eines in § 1 genannten Grundes bei der Benachteiligung nur annimmt.

(2) Bestimmungen in Vereinbarungen, die gegen das Benachteiligungsverbot des Absatzes 1 verstoßen, sind unwirksam.

(3) Eine Benachteiligung nach Absatz 1 durch Arbeitgeber oder Beschäftigte ist eine Verletzung vertraglicher Pflichten.

Ziel des Gesetzes ist, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen.

(1) Eine unmittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts liegt in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 auch im Falle einer ungünstigeren Behandlung einer Frau wegen Schwangerschaft oder Mutterschaft vor.

(2) Eine mittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen wegen eines in § 1 genannten Grundes gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich.

(3) Eine Belästigung ist eine Benachteiligung, wenn unerwünschte Verhaltensweisen, die mit einem in § 1 genannten Grund in Zusammenhang stehen, bezwecken oder bewirken, dass die Würde der betreffenden Person verletzt und ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.

(4) Eine sexuelle Belästigung ist eine Benachteiligung in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4, wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch unerwünschte sexuelle Handlungen und Aufforderungen zu diesen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie unerwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen von pornographischen Darstellungen gehören, bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird, insbesondere wenn ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.

(5) Die Anweisung zur Benachteiligung einer Person aus einem in § 1 genannten Grund gilt als Benachteiligung. Eine solche Anweisung liegt in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 insbesondere vor, wenn jemand eine Person zu einem Verhalten bestimmt, das einen Beschäftigten oder eine Beschäftigte wegen eines in § 1 genannten Grundes benachteiligt oder benachteiligen kann.

(1) Eine unterschiedliche Behandlung wegen eines in § 1 genannten Grundes ist zulässig, wenn dieser Grund wegen der Art der auszuübenden Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, sofern der Zweck rechtmäßig und die Anforderung angemessen ist.

(2) Die Vereinbarung einer geringeren Vergütung für gleiche oder gleichwertige Arbeit wegen eines in § 1 genannten Grundes wird nicht dadurch gerechtfertigt, dass wegen eines in § 1 genannten Grundes besondere Schutzvorschriften gelten.

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

(1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.

(2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.

(3) Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

(1) Die verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern muß den Grundsätzen des republikanischen, demokratischen und sozialen Rechtsstaates im Sinne dieses Grundgesetzes entsprechen. In den Ländern, Kreisen und Gemeinden muß das Volk eine Vertretung haben, die aus allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen hervorgegangen ist. Bei Wahlen in Kreisen und Gemeinden sind auch Personen, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates der Europäischen Gemeinschaft besitzen, nach Maßgabe von Recht der Europäischen Gemeinschaft wahlberechtigt und wählbar. In Gemeinden kann an die Stelle einer gewählten Körperschaft die Gemeindeversammlung treten.

(2) Den Gemeinden muß das Recht gewährleistet sein, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln. Auch die Gemeindeverbände haben im Rahmen ihres gesetzlichen Aufgabenbereiches nach Maßgabe der Gesetze das Recht der Selbstverwaltung. Die Gewährleistung der Selbstverwaltung umfaßt auch die Grundlagen der finanziellen Eigenverantwortung; zu diesen Grundlagen gehört eine den Gemeinden mit Hebesatzrecht zustehende wirtschaftskraftbezogene Steuerquelle.

(3) Der Bund gewährleistet, daß die verfassungsmäßige Ordnung der Länder den Grundrechten und den Bestimmungen der Absätze 1 und 2 entspricht.

(1) Ausnahmegerichte sind unzulässig. Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden.

(2) Gerichte für besondere Sachgebiete können nur durch Gesetz errichtet werden.

(1) Das gesamte Schulwesen steht unter der Aufsicht des Staates.

(2) Die Erziehungsberechtigten haben das Recht, über die Teilnahme des Kindes am Religionsunterricht zu bestimmen.

(3) Der Religionsunterricht ist in den öffentlichen Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen ordentliches Lehrfach. Unbeschadet des staatlichen Aufsichtsrechtes wird der Religionsunterricht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt. Kein Lehrer darf gegen seinen Willen verpflichtet werden, Religionsunterricht zu erteilen.

(4) Das Recht zur Errichtung von privaten Schulen wird gewährleistet. Private Schulen als Ersatz für öffentliche Schulen bedürfen der Genehmigung des Staates und unterstehen den Landesgesetzen. Die Genehmigung ist zu erteilen, wenn die privaten Schulen in ihren Lehrzielen und Einrichtungen sowie in der wissenschaftlichen Ausbildung ihrer Lehrkräfte nicht hinter den öffentlichen Schulen zurückstehen und eine Sonderung der Schüler nach den Besitzverhältnissen der Eltern nicht gefördert wird. Die Genehmigung ist zu versagen, wenn die wirtschaftliche und rechtliche Stellung der Lehrkräfte nicht genügend gesichert ist.

(5) Eine private Volksschule ist nur zuzulassen, wenn die Unterrichtsverwaltung ein besonderes pädagogisches Interesse anerkennt oder, auf Antrag von Erziehungsberechtigten, wenn sie als Gemeinschaftsschule, als Bekenntnis- oder Weltanschauungsschule errichtet werden soll und eine öffentliche Volksschule dieser Art in der Gemeinde nicht besteht.

(6) Vorschulen bleiben aufgehoben.

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

(1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.

(2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.

(3) Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.

(1) Ausnahmegerichte sind unzulässig. Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden.

(2) Gerichte für besondere Sachgebiete können nur durch Gesetz errichtet werden.

(1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.

(2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.

(3) Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.

(1) Liegen die Voraussetzungen des § 93a Abs. 2 Buchstabe b vor und ist die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgebliche verfassungsrechtliche Frage durch das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden, kann die Kammer der Verfassungsbeschwerde stattgeben, wenn sie offensichtlich begründet ist. Der Beschluß steht einer Entscheidung des Senats gleich. Eine Entscheidung, die mit der Wirkung des § 31 Abs. 2 ausspricht, daß ein Gesetz mit dem Grundgesetz oder sonstigem Bundesrecht unvereinbar oder nichtig ist, bleibt dem Senat vorbehalten.

(2) Auf das Verfahren finden § 94 Abs. 2 und 3 und § 95 Abs. 1 und 2 Anwendung.

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

(1) Die verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern muß den Grundsätzen des republikanischen, demokratischen und sozialen Rechtsstaates im Sinne dieses Grundgesetzes entsprechen. In den Ländern, Kreisen und Gemeinden muß das Volk eine Vertretung haben, die aus allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen hervorgegangen ist. Bei Wahlen in Kreisen und Gemeinden sind auch Personen, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates der Europäischen Gemeinschaft besitzen, nach Maßgabe von Recht der Europäischen Gemeinschaft wahlberechtigt und wählbar. In Gemeinden kann an die Stelle einer gewählten Körperschaft die Gemeindeversammlung treten.

(2) Den Gemeinden muß das Recht gewährleistet sein, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln. Auch die Gemeindeverbände haben im Rahmen ihres gesetzlichen Aufgabenbereiches nach Maßgabe der Gesetze das Recht der Selbstverwaltung. Die Gewährleistung der Selbstverwaltung umfaßt auch die Grundlagen der finanziellen Eigenverantwortung; zu diesen Grundlagen gehört eine den Gemeinden mit Hebesatzrecht zustehende wirtschaftskraftbezogene Steuerquelle.

(3) Der Bund gewährleistet, daß die verfassungsmäßige Ordnung der Länder den Grundrechten und den Bestimmungen der Absätze 1 und 2 entspricht.

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

(1) Das Bundesverfassungsgericht entscheidet:

1.
über die Auslegung dieses Grundgesetzes aus Anlaß von Streitigkeiten über den Umfang der Rechte und Pflichten eines obersten Bundesorgans oder anderer Beteiligter, die durch dieses Grundgesetz oder in der Geschäftsordnung eines obersten Bundesorgans mit eigenen Rechten ausgestattet sind;
2.
bei Meinungsverschiedenheiten oder Zweifeln über die förmliche und sachliche Vereinbarkeit von Bundesrecht oder Landesrecht mit diesem Grundgesetze oder die Vereinbarkeit von Landesrecht mit sonstigem Bundesrechte auf Antrag der Bundesregierung, einer Landesregierung oder eines Viertels der Mitglieder des Bundestages;
2a.
bei Meinungsverschiedenheiten, ob ein Gesetz den Voraussetzungen des Artikels 72 Abs. 2 entspricht, auf Antrag des Bundesrates, einer Landesregierung oder der Volksvertretung eines Landes;
3.
bei Meinungsverschiedenheiten über Rechte und Pflichten des Bundes und der Länder, insbesondere bei der Ausführung von Bundesrecht durch die Länder und bei der Ausübung der Bundesaufsicht;
4.
in anderen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten zwischen dem Bunde und den Ländern, zwischen verschiedenen Ländern oder innerhalb eines Landes, soweit nicht ein anderer Rechtsweg gegeben ist;
4a.
über Verfassungsbeschwerden, die von jedermann mit der Behauptung erhoben werden können, durch die öffentliche Gewalt in einem seiner Grundrechte oder in einem seiner in Artikel 20 Abs. 4, 33, 38, 101, 103 und 104 enthaltenen Rechte verletzt zu sein;
4b.
über Verfassungsbeschwerden von Gemeinden und Gemeindeverbänden wegen Verletzung des Rechts auf Selbstverwaltung nach Artikel 28 durch ein Gesetz, bei Landesgesetzen jedoch nur, soweit nicht Beschwerde beim Landesverfassungsgericht erhoben werden kann;
4c.
über Beschwerden von Vereinigungen gegen ihre Nichtanerkennung als Partei für die Wahl zum Bundestag;
5.
in den übrigen in diesem Grundgesetze vorgesehenen Fällen.

(2) Das Bundesverfassungsgericht entscheidet außerdem auf Antrag des Bundesrates, einer Landesregierung oder der Volksvertretung eines Landes, ob im Falle des Artikels 72 Abs. 4 die Erforderlichkeit für eine bundesgesetzliche Regelung nach Artikel 72 Abs. 2 nicht mehr besteht oder Bundesrecht in den Fällen des Artikels 125a Abs. 2 Satz 1 nicht mehr erlassen werden könnte. Die Feststellung, dass die Erforderlichkeit entfallen ist oder Bundesrecht nicht mehr erlassen werden könnte, ersetzt ein Bundesgesetz nach Artikel 72 Abs. 4 oder nach Artikel 125a Abs. 2 Satz 2. Der Antrag nach Satz 1 ist nur zulässig, wenn eine Gesetzesvorlage nach Artikel 72 Abs. 4 oder nach Artikel 125a Abs. 2 Satz 2 im Bundestag abgelehnt oder über sie nicht innerhalb eines Jahres beraten und Beschluss gefasst oder wenn eine entsprechende Gesetzesvorlage im Bundesrat abgelehnt worden ist.

(3) Das Bundesverfassungsgericht wird ferner in den ihm sonst durch Bundesgesetz zugewiesenen Fällen tätig.

(1) Jedermann kann mit der Behauptung, durch die öffentliche Gewalt in einem seiner Grundrechte oder in einem seiner in Artikel 20 Abs. 4, Artikel 33, 38, 101, 103 und 104 des Grundgesetzes enthaltenen Rechte verletzt zu sein, die Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht erheben.

(2) Ist gegen die Verletzung der Rechtsweg zulässig, so kann die Verfassungsbeschwerde erst nach Erschöpfung des Rechtswegs erhoben werden. Das Bundesverfassungsgericht kann jedoch über eine vor Erschöpfung des Rechtswegs eingelegte Verfassungsbeschwerde sofort entscheiden, wenn sie von allgemeiner Bedeutung ist oder wenn dem Beschwerdeführer ein schwerer und unabwendbarer Nachteil entstünde, falls er zunächst auf den Rechtsweg verwiesen würde.

(3) Das Recht, eine Verfassungsbeschwerde an das Landesverfassungsgericht nach dem Recht der Landesverfassung zu erheben, bleibt unberührt.

(1) Die verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern muß den Grundsätzen des republikanischen, demokratischen und sozialen Rechtsstaates im Sinne dieses Grundgesetzes entsprechen. In den Ländern, Kreisen und Gemeinden muß das Volk eine Vertretung haben, die aus allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen hervorgegangen ist. Bei Wahlen in Kreisen und Gemeinden sind auch Personen, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates der Europäischen Gemeinschaft besitzen, nach Maßgabe von Recht der Europäischen Gemeinschaft wahlberechtigt und wählbar. In Gemeinden kann an die Stelle einer gewählten Körperschaft die Gemeindeversammlung treten.

(2) Den Gemeinden muß das Recht gewährleistet sein, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln. Auch die Gemeindeverbände haben im Rahmen ihres gesetzlichen Aufgabenbereiches nach Maßgabe der Gesetze das Recht der Selbstverwaltung. Die Gewährleistung der Selbstverwaltung umfaßt auch die Grundlagen der finanziellen Eigenverantwortung; zu diesen Grundlagen gehört eine den Gemeinden mit Hebesatzrecht zustehende wirtschaftskraftbezogene Steuerquelle.

(3) Der Bund gewährleistet, daß die verfassungsmäßige Ordnung der Länder den Grundrechten und den Bestimmungen der Absätze 1 und 2 entspricht.

(1) Das Bundesverfassungsgericht entscheidet:

1.
über die Auslegung dieses Grundgesetzes aus Anlaß von Streitigkeiten über den Umfang der Rechte und Pflichten eines obersten Bundesorgans oder anderer Beteiligter, die durch dieses Grundgesetz oder in der Geschäftsordnung eines obersten Bundesorgans mit eigenen Rechten ausgestattet sind;
2.
bei Meinungsverschiedenheiten oder Zweifeln über die förmliche und sachliche Vereinbarkeit von Bundesrecht oder Landesrecht mit diesem Grundgesetze oder die Vereinbarkeit von Landesrecht mit sonstigem Bundesrechte auf Antrag der Bundesregierung, einer Landesregierung oder eines Viertels der Mitglieder des Bundestages;
2a.
bei Meinungsverschiedenheiten, ob ein Gesetz den Voraussetzungen des Artikels 72 Abs. 2 entspricht, auf Antrag des Bundesrates, einer Landesregierung oder der Volksvertretung eines Landes;
3.
bei Meinungsverschiedenheiten über Rechte und Pflichten des Bundes und der Länder, insbesondere bei der Ausführung von Bundesrecht durch die Länder und bei der Ausübung der Bundesaufsicht;
4.
in anderen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten zwischen dem Bunde und den Ländern, zwischen verschiedenen Ländern oder innerhalb eines Landes, soweit nicht ein anderer Rechtsweg gegeben ist;
4a.
über Verfassungsbeschwerden, die von jedermann mit der Behauptung erhoben werden können, durch die öffentliche Gewalt in einem seiner Grundrechte oder in einem seiner in Artikel 20 Abs. 4, 33, 38, 101, 103 und 104 enthaltenen Rechte verletzt zu sein;
4b.
über Verfassungsbeschwerden von Gemeinden und Gemeindeverbänden wegen Verletzung des Rechts auf Selbstverwaltung nach Artikel 28 durch ein Gesetz, bei Landesgesetzen jedoch nur, soweit nicht Beschwerde beim Landesverfassungsgericht erhoben werden kann;
4c.
über Beschwerden von Vereinigungen gegen ihre Nichtanerkennung als Partei für die Wahl zum Bundestag;
5.
in den übrigen in diesem Grundgesetze vorgesehenen Fällen.

(2) Das Bundesverfassungsgericht entscheidet außerdem auf Antrag des Bundesrates, einer Landesregierung oder der Volksvertretung eines Landes, ob im Falle des Artikels 72 Abs. 4 die Erforderlichkeit für eine bundesgesetzliche Regelung nach Artikel 72 Abs. 2 nicht mehr besteht oder Bundesrecht in den Fällen des Artikels 125a Abs. 2 Satz 1 nicht mehr erlassen werden könnte. Die Feststellung, dass die Erforderlichkeit entfallen ist oder Bundesrecht nicht mehr erlassen werden könnte, ersetzt ein Bundesgesetz nach Artikel 72 Abs. 4 oder nach Artikel 125a Abs. 2 Satz 2. Der Antrag nach Satz 1 ist nur zulässig, wenn eine Gesetzesvorlage nach Artikel 72 Abs. 4 oder nach Artikel 125a Abs. 2 Satz 2 im Bundestag abgelehnt oder über sie nicht innerhalb eines Jahres beraten und Beschluss gefasst oder wenn eine entsprechende Gesetzesvorlage im Bundesrat abgelehnt worden ist.

(3) Das Bundesverfassungsgericht wird ferner in den ihm sonst durch Bundesgesetz zugewiesenen Fällen tätig.

(1) Jedermann kann mit der Behauptung, durch die öffentliche Gewalt in einem seiner Grundrechte oder in einem seiner in Artikel 20 Abs. 4, Artikel 33, 38, 101, 103 und 104 des Grundgesetzes enthaltenen Rechte verletzt zu sein, die Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht erheben.

(2) Ist gegen die Verletzung der Rechtsweg zulässig, so kann die Verfassungsbeschwerde erst nach Erschöpfung des Rechtswegs erhoben werden. Das Bundesverfassungsgericht kann jedoch über eine vor Erschöpfung des Rechtswegs eingelegte Verfassungsbeschwerde sofort entscheiden, wenn sie von allgemeiner Bedeutung ist oder wenn dem Beschwerdeführer ein schwerer und unabwendbarer Nachteil entstünde, falls er zunächst auf den Rechtsweg verwiesen würde.

(3) Das Recht, eine Verfassungsbeschwerde an das Landesverfassungsgericht nach dem Recht der Landesverfassung zu erheben, bleibt unberührt.

(1) Die verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern muß den Grundsätzen des republikanischen, demokratischen und sozialen Rechtsstaates im Sinne dieses Grundgesetzes entsprechen. In den Ländern, Kreisen und Gemeinden muß das Volk eine Vertretung haben, die aus allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen hervorgegangen ist. Bei Wahlen in Kreisen und Gemeinden sind auch Personen, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates der Europäischen Gemeinschaft besitzen, nach Maßgabe von Recht der Europäischen Gemeinschaft wahlberechtigt und wählbar. In Gemeinden kann an die Stelle einer gewählten Körperschaft die Gemeindeversammlung treten.

(2) Den Gemeinden muß das Recht gewährleistet sein, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln. Auch die Gemeindeverbände haben im Rahmen ihres gesetzlichen Aufgabenbereiches nach Maßgabe der Gesetze das Recht der Selbstverwaltung. Die Gewährleistung der Selbstverwaltung umfaßt auch die Grundlagen der finanziellen Eigenverantwortung; zu diesen Grundlagen gehört eine den Gemeinden mit Hebesatzrecht zustehende wirtschaftskraftbezogene Steuerquelle.

(3) Der Bund gewährleistet, daß die verfassungsmäßige Ordnung der Länder den Grundrechten und den Bestimmungen der Absätze 1 und 2 entspricht.

(1) Das Bundesverfassungsgericht entscheidet:

1.
über die Auslegung dieses Grundgesetzes aus Anlaß von Streitigkeiten über den Umfang der Rechte und Pflichten eines obersten Bundesorgans oder anderer Beteiligter, die durch dieses Grundgesetz oder in der Geschäftsordnung eines obersten Bundesorgans mit eigenen Rechten ausgestattet sind;
2.
bei Meinungsverschiedenheiten oder Zweifeln über die förmliche und sachliche Vereinbarkeit von Bundesrecht oder Landesrecht mit diesem Grundgesetze oder die Vereinbarkeit von Landesrecht mit sonstigem Bundesrechte auf Antrag der Bundesregierung, einer Landesregierung oder eines Viertels der Mitglieder des Bundestages;
2a.
bei Meinungsverschiedenheiten, ob ein Gesetz den Voraussetzungen des Artikels 72 Abs. 2 entspricht, auf Antrag des Bundesrates, einer Landesregierung oder der Volksvertretung eines Landes;
3.
bei Meinungsverschiedenheiten über Rechte und Pflichten des Bundes und der Länder, insbesondere bei der Ausführung von Bundesrecht durch die Länder und bei der Ausübung der Bundesaufsicht;
4.
in anderen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten zwischen dem Bunde und den Ländern, zwischen verschiedenen Ländern oder innerhalb eines Landes, soweit nicht ein anderer Rechtsweg gegeben ist;
4a.
über Verfassungsbeschwerden, die von jedermann mit der Behauptung erhoben werden können, durch die öffentliche Gewalt in einem seiner Grundrechte oder in einem seiner in Artikel 20 Abs. 4, 33, 38, 101, 103 und 104 enthaltenen Rechte verletzt zu sein;
4b.
über Verfassungsbeschwerden von Gemeinden und Gemeindeverbänden wegen Verletzung des Rechts auf Selbstverwaltung nach Artikel 28 durch ein Gesetz, bei Landesgesetzen jedoch nur, soweit nicht Beschwerde beim Landesverfassungsgericht erhoben werden kann;
4c.
über Beschwerden von Vereinigungen gegen ihre Nichtanerkennung als Partei für die Wahl zum Bundestag;
5.
in den übrigen in diesem Grundgesetze vorgesehenen Fällen.

(2) Das Bundesverfassungsgericht entscheidet außerdem auf Antrag des Bundesrates, einer Landesregierung oder der Volksvertretung eines Landes, ob im Falle des Artikels 72 Abs. 4 die Erforderlichkeit für eine bundesgesetzliche Regelung nach Artikel 72 Abs. 2 nicht mehr besteht oder Bundesrecht in den Fällen des Artikels 125a Abs. 2 Satz 1 nicht mehr erlassen werden könnte. Die Feststellung, dass die Erforderlichkeit entfallen ist oder Bundesrecht nicht mehr erlassen werden könnte, ersetzt ein Bundesgesetz nach Artikel 72 Abs. 4 oder nach Artikel 125a Abs. 2 Satz 2. Der Antrag nach Satz 1 ist nur zulässig, wenn eine Gesetzesvorlage nach Artikel 72 Abs. 4 oder nach Artikel 125a Abs. 2 Satz 2 im Bundestag abgelehnt oder über sie nicht innerhalb eines Jahres beraten und Beschluss gefasst oder wenn eine entsprechende Gesetzesvorlage im Bundesrat abgelehnt worden ist.

(3) Das Bundesverfassungsgericht wird ferner in den ihm sonst durch Bundesgesetz zugewiesenen Fällen tätig.

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

In der Begründung der Beschwerde sind das Recht, das verletzt sein soll, und die Handlung oder Unterlassung des Organs oder der Behörde, durch die der Beschwerdeführer sich verletzt fühlt, zu bezeichnen.

(1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.

(2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.

(3) Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.

(1) Ein Kind, das das erste Lebensjahr noch nicht vollendet hat, ist in einer Einrichtung oder in Kindertagespflege zu fördern, wenn

1.
diese Leistung für seine Entwicklung zu einer selbstbestimmten, eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit geboten ist oder
2.
die Erziehungsberechtigten
a)
einer Erwerbstätigkeit nachgehen, eine Erwerbstätigkeit aufnehmen oder Arbeit suchend sind,
b)
sich in einer beruflichen Bildungsmaßnahme, in der Schulausbildung oder Hochschulausbildung befinden oder
c)
Leistungen zur Eingliederung in Arbeit im Sinne des Zweiten Buches erhalten.
Lebt das Kind nur mit einem Erziehungsberechtigten zusammen, so tritt diese Person an die Stelle der Erziehungsberechtigten. Der Umfang der täglichen Förderung richtet sich nach dem individuellen Bedarf.

(2) Ein Kind, das das erste Lebensjahr vollendet hat, hat bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres Anspruch auf frühkindliche Förderung in einer Tageseinrichtung oder in Kindertagespflege. Absatz 1 Satz 3 gilt entsprechend.

(3) Ein Kind, das das dritte Lebensjahr vollendet hat, hat bis zum Schuleintritt Anspruch auf Förderung in einer Tageseinrichtung. Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe haben darauf hinzuwirken, dass für diese Altersgruppe ein bedarfsgerechtes Angebot an Ganztagsplätzen zur Verfügung steht. Das Kind kann bei besonderem Bedarf oder ergänzend auch in Kindertagespflege gefördert werden.

(4) Für Kinder im schulpflichtigen Alter ist ein bedarfsgerechtes Angebot in Tageseinrichtungen vorzuhalten. Absatz 1 Satz 3 und Absatz 3 Satz 3 gelten entsprechend.

(5) Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe oder die von ihnen beauftragten Stellen sind verpflichtet, Eltern oder Elternteile, die Leistungen nach den Absätzen 1 bis 4 in Anspruch nehmen wollen, über das Platzangebot im örtlichen Einzugsbereich und die pädagogische Konzeption der Einrichtungen zu informieren und sie bei der Auswahl zu beraten. Landesrecht kann bestimmen, dass die erziehungsberechtigten Personen den zuständigen Träger der öffentlichen Jugendhilfe oder die beauftragte Stelle innerhalb einer bestimmten Frist vor der beabsichtigten Inanspruchnahme der Leistung in Kenntnis setzen.

(6) Weitergehendes Landesrecht bleibt unberührt.

Tenor

I.

Das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 21. Januar 2015 - M 18 K 14.2448 - wird geändert.

Die Beklagte wird verpflichtet, über den Aufwendungsersatzanspruch des Klägers für die Monate April bis einschließlich Juni 2014 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu entscheiden.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen und die Berufung zurückgewiesen.

II.

Von den Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen tragen die Beklagte 3/5 und der Kläger 2/5. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei.

III.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Den Beteiligten wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festzusetzenden Kosten abzuwenden, wenn nicht die Gegenseite vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Erstattung von Mehraufwendungen für die Unterbringung des Klägers in einer privaten Kindertagesstätte.

Mit E-Mail vom 25. September 2013 meldete die Mutter des am 30. August 2011 geborenen Klägers bei der Beklagten den Bedarf für einen Vollzeitbetreuungsplatz (Tagesmutter oder Krippe) für den Kläger, da sie im November von K. nach M. ziehen würden. In einem am 3. Dezember 2013 bei der Beklagten eingegangenen Formblatt zur Bedarfsfeststellung wurde angegeben, ab dem 1. April 2014 einen Betreuungsplatz (Montag bis Freitag 7.30/8.00 bis 16.00 Uhr) zu benötigen. Mangels aktueller Wohnadresse in M. wurde die Adresse der künftigen Zahnarztpraxis (A.-str. 4) der Mutter des Klägers in M. als „Arbeitsadresse“ angegeben.

Mit E-Mail vom 29. Januar 2014 benannte die Beklagte freie Plätze bei insgesamt sechs Tagespflegepersonen, die mit E-Mail vom gleichen Tage von der Klägerseite abgelehnt wurden, da die vorgeschlagenen Tagespflegeangebote entweder zu früh schließen würden oder Freitag nicht geöffnet hätten. Am 5. Februar 2014 schlossen die Eltern des Klägers für diesen einen Betreuungsvertrag mit der privat betriebenen Kindertagesstätte „T.“, in die er ab 1. April 2014 aufgenommen wurde.

Mit Schriftsatz vom 21. Mai 2014, aus dem erstmals die Wohnadresse des Klägers (A.-str. 25A) in M. hervorging, teilte die Klägerbevollmächtigte der Beklagten mit, dass die Mutter des Klägers diesen in verschiedenen städtischen Einrichtungen angemeldet, aber nur Absagen erhalten habe. Die Vermittlung eines Platzes bei einem freien Träger sei nicht angeboten worden. Der wegen der Dringlichkeit beschaffte Ersatzplatz in einer völlig überteuerten privaten Einrichtung liege mit 1.380,-- Euro monatlich weit über dem zumutbaren 1,5-fachen Basiswert bzw. über dem Betrag der städtischen Kinderkrippen. Um Zurverfügungstellung eines städtischen oder vergleichbaren Platzes eines freien Trägers werde gebeten.

Die Beklagte teilte mit Schreiben vom 1. Juli 2014 mit, dass der Kläger für einen Betreuungsplatz in einer städtischen Einrichtung (M.-straße 7) vorgesehen sei, die voraussichtlich im August 2014 eröffne. Sollte vorab dringend ein Betreuungsplatz benötigt werden, werde versucht, im Rahmen der Tagespflege oder in einer befristeten Übergangsgruppe in einer anderen Einrichtung einen Platz bereitzustellen. Die Einrichtung M.-straße 7 hat im Oktober 2014 eröffnet.

Ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (M 18 E 14.2447) wurde mit Schriftsatz der Bevollmächtigten am 16. Juli 2014 zurückgenommen, weil für den Kläger ein Betreuungsplatz in einer privaten Einrichtung ab dem 1. September 2014 gefunden wurde.

Die mit Schriftsatz vom 7. Juni 2014 erhobene Klage auf Erstattung der Kosten für einen selbstbeschafften Kinderbetreuungsplatz wies das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 21. Januar 2015 ab. Selbst wenn die Tatbestandsvoraussetzungen des § 36a Abs. 1 Achtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII) vorliegen sollten und damit ein Sekundäranspruch dem Grunde nach entstanden wäre, würde dieser inhaltlich - hinsichtlich der Höhe der zu erstattenden Aufwendungen - leerlaufen. Nach § 36a Abs. 3 SGB VIII könnten diese nur dann verlangt werden, wenn bei einer rechtzeitigen Beschaffung durch den Jugendhilfeträger dieser für die inmitten stehende Maßnahme die Kosten dem Grunde nach zu tragen hätte. Eine Kostenerstattung im Rahmen des Sekundäranspruchs ohne Kostentragungspflicht des Jugendhilfeträgers für den Primäranspruch würde zu einer Besserstellung der „Selbstbeschaffer“ führen. Eine Verpflichtung zur Kostentragung könne weder aus den Vorschriften des Achten Buchs Sozialgesetzbuch noch aus dem Bayerischen Landesrecht entnommen werden. Die insoweit in Bezug genommene Norm des Art. 20 Satz 1 Nr. 3 des Bayerischen Kinderbildungs- und -betreuungsgesetzes (BayKiBiG) sei für die hier maßgebliche Frage der Förderung in Kindertageseinrichtungen nicht einschlägig. Die Erfüllung des Primäranspruchs aus § 24 Abs. 1 und Abs. 3 SGB VIII unterliege im Hinblick auf die Höhe der entstehenden Kostenbeitragspflicht nach § 90 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB VIII keiner gesetzlichen Zumutbarkeitsschranke. Da der streitgegenständliche Sekundäranspruch inhaltlich an die Verpflichtung des Jugendhilfeträgers zur Kostenerstattung bei Erfüllung des Primäranspruches anknüpfe, gelte insoweit das Gleiche. Hinsichtlich der Frage der Zumutbarkeit der Kostenbeiträge für die Inanspruchnahme einer Kindertageseinrichtung existiere mit § 90 Abs. 3 und Abs. 4 SGB VIII bereits ein gesetzliches Korrektiv.

Mit der vom Verwaltungsgericht zugelassenen Berufung verfolgt die Klägerseite ihr Begehren weiter. In der am 22. Mai 2015 mit Poststempel vom 17. Mai 2015 beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingegangenen Berufungsbegründung ist im Wesentlichen ausgeführt, die von der Beklagten angebotene Betreuung im Kindertagespflegebereich sei nicht geeignet gewesen, die notwendigen Betreuungszeiten abzudecken. Der früheste Tagespflegeplatz (C.-B. 128) sei erst ab 7.45 Uhr mit einer Fahrzeit von 30 Minuten mit dem öffentlichen Nahverkehr verfügbar gewesen. Zur Zeit der Praxisgründung habe die Mutter des Klägers auch keinen Pkw besessen. Ein Sekundäranspruch nach § 36a Abs. 3 SGB VIII könne nicht nur in dem Umfang bestehen, in dem der Jugendhilfeträger auch bei rechtzeitiger Erfüllung des Primäranspruchs zur Kostentragung verpflichtet sei. Das Verwaltungsgericht übersehe, dass es bei dem Anspruch aus § 24 Abs. 2 und 3 SGB VIII um die „geschuldete Leistung“ Tageseinrichtung gehe, ohne dass § 24 SGB VIII dies näher definiere. Der Rechtsanspruch auf einen Kinderbetreuungsplatz sei nicht erfüllt, wenn der Betreuungsplatz nur für einen Elternbeitrag zur Verfügung stehe, der den im Betreuungsbereich durchschnittlichen Elternbeitrag um ein Vielfaches übersteige. Nichts anderes sagten auch die „Hinweise zur Auslegung des Rechtsanspruchs für Kinder ab dem vollendeten 1. Lebensjahr mit Wirkung ab 1. August 2013“. Der Verweis auf § 90 Abs. 3 SGB VIII stehe im Widerspruch zum Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 12. September 2013 (Az. 5 C 35/12). In der alleinigen Bezugnahme auf den Anspruch aus § 90 Abs. 3 SGB VIII liege zugleich ein Verstoß gegen Art. 3 GG.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 21. Januar 2015 insoweit aufzuheben als seine Klage abgewiesen wurde und die Beklagte zu verurteilen, ihm für die Selbstbeschaffung eines Kinderbetreuungsplatzes in den Monaten April bis August 2014 einen Betrag in Höhe von 3.771,85 Euro zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Anspruch sei zum einen bereits durch das bedarfsdeckende Angebot im C.- B. 128 erfüllt. Ein darüber hinausgehender Bedarf werde bestritten. Dieser bestimme sich nach dem individuellen Bedarf des Kindes und nicht durch den der Erziehungsberechtigten. Der Regelförderbedarf liege bei 20 Stunden pro Woche bzw. einem Halbtagesplatz. Zum anderen habe der Kläger seit dem 1. April 2014 einen Platz in einer privaten Krippe im Wege der Selbstbeschaffung erhalten. Genau diesen Platz hätte auch die Beklagte ihm im Rahmen des Rechtsanspruchs aus § 24 Abs. 2 SGB VIII vermitteln können, wenn er nicht bereits von ihm belegt gewesen wäre. Ein Bereitstellen durch aktives Handeln sehe das Gesetz nicht vor. Auf den Rechtsgedanken des § 267 BGB werde verwiesen. Hilfsweise werde angemerkt, dass ein Tun im Sinne des § 194 BGB auch in der geschuldeten frühen Förderung selbst gesehen werden könnte.

Im Übrigen seien zu jeder Zeit Übergangsplätze vorhandenen gewesen oder hätten bereitgestellt werden können, wenn diese nachgefragt worden wären. Im Falle des Erlasses einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO hätte die Beklagte dem Kläger jederzeit sofort einen geeigneten Platz angeboten. Sie benennt beispielhaft einige in angemessener Zeit erreichbare Platzfreimeldungen sowie freie Plätze, die an den Kläger vermittelt oder von diesem hätten in Anspruch genommen werden können. Sie betont erneut ihre Auffassung der Gleichwertigkeit von Tagespflege und Einrichtung und verweist auf die Grenzen des Wunsch- und Wahlrechts im Rahmen der vorhandenen Kapazitäten, das bei ihr bestehende Konzept von Anmeldung und Geltendmachung des Rechtsanspruchs sowie auf die bei ihr vorliegende Trägervielfalt.

Des Weiteren sei sie über den Bedarf nicht rechtzeitig in Kenntnis gesetzt worden, jedenfalls sei die Frist des Art. 45a AGSG noch nicht abgelaufen gewesen. Auch der gewöhnliche Aufenthalt des Klägers habe seinerzeit noch nicht in ihrem Zuständigkeitsbereich gelegen. Ebenso wenig seien die tatbestandlichen Voraussetzungen analog § 36a Abs. 3 SGB VIII gegeben. Selbst wenn man jedoch das Vorliegen der Voraussetzungen des § 36a Abs. 3 SGB VIII analog unterstellen wolle, ergäbe sich auf der Rechtsfolgenseite kein Aufwendungsersatz, da eine kostenlose oder kostengünstigere Zurverfügungstellung von Betreuungsplätzen nach bayerischem Landesrecht nicht geschuldet sei. Auch eine einschränkende Auslegung des § 24 SGB VIII dahingehend, dass nur Betreuungsplätze mit zumutbaren Elternbeiträgen erfüllungsgeeignet seien, sei unzulässig, weil der Bundesgesetzgeber mit § 90 Abs. 3, 4 SGB VIII in Fällen einer individuell unzumutbaren Belastung bereits eine (volle oder teilweise) Übernahme des Beitrags vorgesehen habe. Sollte es nach dem Willen des Landesgesetzgebers tatsächlich eine Deckelung von Elternbeiträgen auf das 1,5-fache der staatlichen Förderung entsprechend den Auslegungshinweisen geben, wäre eine solche für den Bereich der Kindertagesbetreuung im Bayerischen Kinderbildungs- und -betreuungsgesetz zu verankern. Eine Verwaltungspraxis zur Leistung von einkommensunabhängigem Kostenersatz in vergleichbaren Fällen gebe es nicht. Die Beklagte könnte ihre derzeitige Gebühr im Krippenbereich von 370,00 € für einen 8-Stunden-Platz gem. Art. 8 Abs. 2 KAG bis zur Deckung der tatsächlichen Kosten um rund 663,00 € auf 1033,00 € erhöhen. Eine unterschiedliche Elternbeitragsbelastung sei angesichts der uneinheitlichen Finanzierungssysteme nach der geltenden Bundessowie ergänzenden bayerischen Landesgesetzgebung unvermeidlich. Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG liege nicht vor.

Bestritten werde, dass der Vater zur Betreuung im Hinblick auf das Bringen und Holen des Klägers umfassend verhindert sein solle; auch sei die Frage der Zugriffsmöglichkeit auf einen Pkw durch Vater oder Mutter bzw. des Carsharings nicht hinreichend geklärt. Hinsichtlich der zumutbaren Entfernung zwischen Wohnung und Tagesstätte werde auf den öffentlichen Personennahverkehr verwiesen, aber auch auf die Zumutbarkeit, sich einen Pkw zu verschaffen. Die Eltern des Klägers hätten nicht mitgeteilt, dass sie auf den öffentlichen Personennahverkehr angewiesen seien. Die Wegstreckenentfernung sei zulässig mittels Routenplaner zu ermitteln. Bestritten werde zudem die Erforderlichkeit der von der gewählten Einrichtung angebotenen „überobligatorischen Zusatzleistungen“, die zur Erfüllung der gesetzlich bestimmten Förderziele nicht notwendig seien.

Die Klägerbevollmächtigte hält dem entgegen, dass der Vater des Klägers im Außendienst tätig sei und sich unter der Woche nicht in M. aufhalte. Der Mutter habe weder zurzeit der Praxisgründung noch im streitbefangenen Zeitraum ein Pkw zur Verfügung gestanden. Es sei dem Kläger ab dem 1. Juli 2014 auch lediglich ein Betreuungsplatz in Aussicht gestellt worden. Die angedachte Einrichtung habe erst im August 2014 öffnen sollen.

Die Landesanwaltschaft Bayern ist dem Verfahren als Vertreterin des öffentlichen Interesses beigetreten. Sie teile nicht die Auffassung des Verwaltungsgerichts, nach der die Anknüpfung an die Leistungspflicht des Jugendhilfeträgers zur Folge habe, dass dieser im Fall des Bestehens eines Anspruchs analog § 36a Abs. 3 SGB VIII nur das zahlen müsse, was er bei rechtzeitiger Leistung hätte zahlen müssen und ausschließlich § 90 Abs. 3 SGB VIII die Zumutbarkeitsgrenze hinsichtlich der finanziellen Belastbarkeit definiere. Die Höhe des Anspruchs sei beschränkt durch den Vorbehalt der Erforderlichkeit, so dass zumutbare Möglichkeiten der Kostenbegrenzung im Rahmen der Selbstbeschaffung zu nutzen seien. Der Anspruchsinhaber solle nicht besser gestellt werden als derjenige, dessen Leistungsbegehren rechtzeitig erfüllt worden sei. § 90 Abs. 3 SGB VIII sei nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auf die Fälle der Selbstbeschaffung von Kinderbetreuungsplätzen nicht zugeschnitten und auch Art. 20 Satz 1 Ziff. 3 BayKiBiG greife nicht unmittelbar ein, weil die Vorschriften nur die Fördervoraussetzungen im Verhältnis Freistaat Bayern zum Träger der öffentlichen Jugendhilfe im Bereich der Kindertagespflege regle. Aus dieser Vorschrift lasse sich jedoch ableiten, dass - soweit nicht § 90 Abs. 3 SGB VIII unmittelbar greife - Eltern zumindest das 1,5-fache des staatlichen Förderanteils zumutbar sei. Eine analoge Anwendung dieser Vorschrift überschreite nicht die Kompetenzen des Landesgesetzgebers, da die Regelungen des BayKiBiG keine konkurrierenden Regelungen darstellten, sondern den Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz unterstützten und ergänzten, indem ein Sicherungsauftrag normiert, eine gesetzliche Grundförderung sichergestellt und eine qualitative Grundlage geschaffen werde. Mangels weiterer Regelung sei die finanzielle Zumutbarkeitsschwelle darüber hinaus individuell zu bestimmen. Die Beiträge, die sich Eltern anrechnen lassen müssten, seien unter Berücksichtigung der konkreten Einkommenssituation und der Höhe der Elternbeiträge der zumutbaren Kindertageseinrichtung festzustellen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die beigezogenen Gerichts- und Behördenakten, den in der Form eines Beschlusses ergangenen Vergleichsvorschlag des Senats vom 19. November 2015 sowie auf die Niederschrift der mündlichen Verhandlung vom 21. Juli 2016 Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Berufung hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.

A.

Die Berufung ist zulässig. Dem Kläger ist wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Die Frist für die Begründung des Rechtsmittels lief am 20. Mai 2015 ab, der Berufungsbegründungsschriftsatz ging jedoch erst am 22. Mai 2015 beim Bayer. Verwaltungsgerichtshof ein. Allerdings ist dem Briefumschlag zu entnehmen, dass die Aufgabe zur Post bereits am 17. Mai 2015 (Datum des Poststempels), mithin 3 Tage vor Fristablauf erfolgte, so dass dem Kläger bereits von Amts wegen Wiedereinsetzung in die versäumte Frist zu gewähren ist, weil offen zu Tage liegende Umstände - der Poststempel auf dem die Berufungsbegründung enthaltenden Umschlag - die Fristversäumung als unverschuldet erkennen lassen (vgl. BVerwG, B. v. 27.3.2000 - 3 B 41/00 -, NJW 2000, 1967; Czybulka, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 60 Rn. 129 f., 63).

B.

Die Berufung ist auch überwiegend begründet. Dem Kläger steht ein Aufwendungsersatzanspruch analog § 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII für die Monate April, Mai und Juni 2014 zu, weil die Beklagte dem Rechtsanspruch der Klägers aus § 24 Abs. 2 SGB VIII erst mit Schreiben vom 1. Juli 2014 in einer Übergangsgruppe, nicht aber wie gewünscht ab dem 1. April 2014 entsprechen konnte. Insoweit ist über den vom Kläger geltend gemachten Anspruch erneut entsprechend der Rechtsauffassung des Senats zu entscheiden (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO analog). Im Übrigen (für die Monate Juli und August 2014) war die Klage abzuweisen und die Berufung zurückzuweisen.

I.

1.) Die örtlich (§ 86 SGB VIII) und sachlich (§ 85 Abs. 1 SGB VIII) zuständigen Träger der Jugendhilfe, im Freistaat Bayern die Landkreise und kreisfreien Städte (vgl. § 69 Abs. 1 SGB VIII i. V. m. Art. 15 Abs. 1 AGSG), haben im Rahmen ihrer Gewährleistungsverantwortung (§ 79 Abs. 2 SGB VIII i. V. m. § 27 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 SGB I) sicherzustellen, dass für jedes Kind, das einen Rechtsanspruch (§ 24 Abs. 2 SGB VIII) besitzt und für das ein entsprechender Bedarf gemäß § 24 Abs. 5 Satz 2 SGB VIII i. V. m. Art. 45a AGSG an die dort genannten Stellen herangetragen wird, auch tatsächlich ein Platz zur Verfügung steht (vgl. Kaiser, in: Kunkel/Kepert/Pattar, SGB VIII, 6. Aufl. 2016, § 24 Rn. 13; Struck, in: Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, § 24 Rn. 20). Insoweit besteht eine unbedingte Gewährleistungspflicht (vgl. Rixen, NJW 2012, 2839 f.; Kaiser, in: Kunkel/Kepert/Pattar, SGB VIII, 6. Aufl. 2016, § 24 Rn. 12 f.; Grube, in: Hauck/Noftz, SGB VIII, Lfg. 1/14, § 24 Rn. 40 m. w. N.), die der Sache nach auf die Bereitstellung oder Verschaffung eines entsprechenden Platzes in einer Tageseinrichtung (§ 22 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII) oder in Kindertagespflege (§ 22 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. § 23 SGB VIII) gerichtet ist (vgl. Grube, in: Hauck/Noftz, a. a. O., § 24 Rn. 20; siehe auch BayVGH, B. v. 17.11.2015 - 12 ZB 15.1191 -, BayVBl. 2016, 448 [450 f.] Rn. 24). Die ausschließlich objektivrechtliche Verpflichtung der Gemeinden aus Art. 5 Abs. 1 des Bayerischen Kinderbildungs- und Betreuungsgesetzes - BayKiBiG (vgl. hierzu Jung/Lehner, BayKiBiG, 2. Aufl. 2009, Rn. 20; Bauer/Hundmeyer, Kindertagesbetreuung in Bayern, Art. 5 Anm. 3; Dunkl/Eirich, BayKiBiG, 4. Aufl. 2015, Art. 5 Anm. 1.1 u. 3), im eigenen Wirkungskreis und in den Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit zu gewährleisten, dass die nach der Bedarfsplanung (vgl. hierzu Art. 7 BayKiBiG) notwendigen Plätze in Kindertageseinrichtungen und in Kindertagespflege rechtzeitig zur Verfügung stehen, lässt die Gewährleistungsverantwortung der Träger der öffentlichen Jugendhilfe unberührt (vgl. Art. 5 Abs. 3, Art. 6 Abs. 1 Satz 1 und Art. 7 Satz 3 BayKiBiG).

a) Der örtliche Träger der öffentlichen Jugendhilfe hat dem anspruchsberechtigten Kind (und nicht den sorgeberechtigten Eltern, vgl. BVerwG, U. v. 12.9.2013 -5 C 35/12 -, NJW 2014, 1256 [1260] Rn. 47) deshalb entweder einen Platz in einer eigenen Kindertageseinrichtung zuzuweisen (zu verschaffen) oder in einer Einrichtung eines anderen (freien) Trägers bzw. einer kreisangehörigen Gemeinde oder in Kindertagespflege bei einem Tagesvater oder einer Tagesmutter nachzuweisen (bereitzustellen), der/die bereit ist, das Kind aufzunehmen (vgl. Lakies in: Münder/Meysen/Trenczek, Frankfurter Kommentar zum SGB VIII, 7. Aufl. 2013, § 24 Rn. 12, 67; Rixen, NJW 2012, 2839 [2840]; Struck, in: Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, § 24 Rn. 20; Kaiser, in: Kunkel/Kepert/Pattar, SGB VIII, 6. Aufl. 2016, § 24 Rn. 20; Grube, in: Hauck/Noftz, a. a. O., § 24 Rn. 20; Schübel-Pfister, NVwZ 2013, 385 [387]; Wiesner, ZKJ 2014, 458), sofern ein entsprechender Bedarf gemäß den Voraussetzungen des § 24 Abs. 5 Satz 2 SGB VIII i. V. m. Art. 45a AGSG rechtzeitig geltend gemacht wird (vgl. BayVGH, B. v. 17.11.2015 - 12 ZB 15.1191 -, BayVBl. 2016, 448 [451] Rn. 25). Nach diesen Vorschriften setzt die Zuweisung eines Betreuungsplatzes gemäß § 24 Abs. 2 SGB VIII in der ab dem 1. August 2013 geltenden Fassung grundsätzlich voraus, dass die Erziehungsberechtigten die Gemeinde und bei einer gewünschten Betreuung durch eine Tagespflegeperson den örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe mindestens drei Monate vor der geplanten Inanspruchnahme in Kenntnis setzen (vgl. näher LT-Drucks. 16/16443, S. 12). Im Zeitraum vom 16. Juli 2013 bis einschließlich 15. August 2013 galt Art. 45 a AGSG mit der Maßgabe, dass die Frist zwei Wochen, im Zeitraum ab dem 16. August 2013 bis 2015, einschließlich 16. Oktober 2013 mit der Maßgabe, dass die Frist vier Wochen betrug (vgl. Art. 118 Abs. 2 AGSG a. F.).

b) Der Anspruch kann bei allen Einrichtungen der Gemeinde bzw. des örtlichen Trägers der öffentlichen Jugendhilfe, namentlich in den kommunalen Kinderkrippen selbst, geltend gemacht werden, da sich § 24 Abs. 5 Satz 2 SGB VIII i. V. m. Art. 45 AGSG nicht entnehmen lässt, dass der Anspruch aus § 24 Abs. 2 SGB VIII bei einer bestimmten Stelle innerhalb der Gemeinde bzw. des örtlichen Trägers der öffentlichen Jugendhilfe zu erheben wäre. Voraussetzung ist lediglich, dass der Wille des Anspruchstellers bzw. seiner Eltern, nicht nur den einrichtungsbezogenen Anspruch aus Art. 21 Abs. 1 BayGO, sondern den Rechtsanspruch aus § 24 Abs. 2 SGB VIII geltend zu machen, hinreichend deutlich hervortritt. Denn nur in diesen Fällen kann (und muss) die Gemeinde bzw. der örtlich zuständige Jugendhilfeträger nach Weiterleitung gemäß § 16 Abs. 2 Satz 1 SGB I erkennen, dass sich der Bedarf des Anspruchsberechtigten nicht lediglich auf die konkret angefragten Einrichtungen beschränkt und im Hinblick auf den durch § 24 Abs. 2 SGB VIII gewährten Rechtsanspruch bislang unerfüllt geblieben ist (vgl. hierzu näher BayVGH, B. v. 17.11.2015 -12 ZB 15.1703 -, NJW 2016, 1460 [1461] Rn. 26). Macht der nach § 24 Abs. 2 SGB VIII Anspruchsberechtigte zunächst nur den einrichtungsbezogenen Anspruch aus Art. 21 Abs. 1 BayGO in einer oder mehreren bestimmten Kinderkrippen geltend und erhält er insoweit Absagen, so muss er deshalb entweder im Rahmen der Rückmeldung zur Aufrechterhaltung seiner Vormerkung oder aber durch Anmeldung des Rechtsanspruchs aus § 24 Abs. 2 SGB VIII innerhalb des durch § 24 Abs. 5 Satz 2 SGB VIII i. V. m. Art. 45a AGSG vorgesehenen Verfahrens selbst kundtun, dass sein Bedarf weiterhin fortbesteht, sich mithin auch auf entsprechende Plätze bei freien und privaten Trägern erstreckt, um das Anspruchssystem des § 24 Abs. 2 SGB VIII zu aktivieren (vgl. hierzu näher BayVGH, B. v. 17.11.2015 - 12 ZB 15.1703 -, NJW 2016, 1460 [1462] Rn. 32).

c) Hinsichtlich der Modalitäten der Anmeldung macht Art. 45a AGSG bewusst keine Vorgaben, um nicht in bereits vorhandene und bewährte Anmeldeverfahren einzugreifen (vgl. LT-Drucks. 16/16443, S. 12). Die Gemeinden bzw. örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe haben jedoch die Möglichkeit, das Anmeldeverfahren durch Satzungsrecht näher auszugestalten (vgl. LT-Drucks. 16/16443, S. 12). Geschieht dies nicht, so bietet Art. 45a AGSG keine Handhabe, über das Kriterium des Herantragens des Bedarfs im Wege eines bloßen „In-Kenntnis-Setzens“ hinaus weitere Anforderungen an den Beginn des Laufs der Anmeldefrist zu stellen. Fehlen der Gemeinde bzw. dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe für die Erfüllung des Rechtsanspruchs aus § 24 Abs. 2 SGB VIII noch weitere Informationen, so tritt allein dadurch eine Hemmung oder gar Unterbrechung des Laufs der Anmeldefrist nicht ein. Vielmehr muss die Gemeinde bzw. der Träger der öffentlichen Jugendhilfe die großzügig bemessene Frist des Art. 45a AGSG nutzen, um sich die noch fehlenden Informationen unter Mitwirkung des Antragstellers (vgl. §§ 60 ff. SGB I) zu beschaffen. Ungeachtet dessen dürfen Sozialleistungen wegen fehlender Mitwirkung auch nur versagt werden, nachdem der Leistungsberechtigte oder sein gesetzlicher Vertreter auf diese Folge schriftlich hingewiesen worden und seiner Mitwirkungspflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten angemessenen Frist nachgekommen ist (§ 66 Abs. 3 SGB I).

d) Hat der Leistungsberechtigte seinen Bedarf den Anforderungen des Art. 45a AGSG entsprechend an die dort genannten Adressaten herangetragen, so trifft den örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe unter den Voraussetzungen des § 24 Abs. 2 SGB VIII eine unbedingte Garantie- und Gewährleistungshaftung, die unabhängig von der jeweiligen finanziellen Situation der Kommunen zur Bereitstellung eines bedarfsgerechten Angebots und damit - sofern entsprechende Betreuungsplätze fehlen - zu einer Kapazitätserweiterung zwingt; dem Rechtsanspruch aus § 24 Abs. 2 SGB VIII kann der Einwand der Kapazitätserschöpfung nicht entgegengehalten werden (vgl. BVerfG, U. v. 21.7.2015 - 1 BvF 2/13 -, NJW 2015, 2399 [2401] Rn. 43; siehe auch Grube, in: Hauck/Noftz, a. a. O., § 24 Rn. 40; Lakies, in: Münder/Meysen/Trenczek, Frankfurter Kommentar zum SGB VIII, 7. Aufl. 2013, § 24 Rn. 67; Schübel-Pfister, NVwZ 2013, 385 [387] jeweils m. w. N.).

e) Der Rechtsanspruch aus § 24 Abs. 2 SGB VIII erschöpft sich nicht in einem wie auch immer gearteten „Versorgtsein mit einem Betreuungsplatz“; er erfordert auf der Grundlage der aus § 79 Abs. 2 SGB VIII folgenden Gewährleistungsverantwortung des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe die Verschaffung bzw. Bereitstellung eines entsprechenden Platzes durch aktives Handeln (Vermitteln) des örtlich zuständigen Trägers (vgl. näher Grube, in: Hauck/Noftz, SGB VIII, Lfg. 1/14, § 24 Rn. 20; Lakies, in: Münder/Meysen/Trenczek, Frankfurter Kommentar zum SGB VIII, 7. Aufl. 2013, § 24 Rn. 12, 67; Rixen, NJW 2012, 2839 [2840]; Kaiser, in: Kunkel/Kepert/Pattar, SGB VIII, 6. Aufl. 2016, § 24 Rn. 20; Schübel-Pfister, NVwZ 2013, 385 [387]; Wiesner, ZKJ 2014, 458; siehe auch bereits BayVGH, B. v. 17.11.2015 - 12 ZB 15.1191 -, BayVBl. 2016, 448 [450] Rn. 21). Zu Recht bezieht die Beklagte deshalb auch Personen, die sich zum Zeitpunkt des Herantragens des Bedarfs bzw. des Inkrafttretens des Rechtsanspruchs aus § 24 Abs. 2 SGB VIII am 1. August 2013 bereits im Besitz eines zum damaligen Zeitpunkt (notgedrungen) außerhalb des staatlichen Anspruchssystems der Jugendhilfe selbst beschafften, naturgemäß teureren privaten Betreuungsplatzes befanden, in ihre Vermittlungsbemühungen ein. § 24 Abs. 2 SGB VIII begründet einen Verschaffungsanspruch (so ausdrücklich BVerwG, U. v. 12.9.2013 - 5 C 35/12 -, NJW 2014, 1256 [1257] Rn. 14 u. 17), nicht lediglich einen Selbstbeschaffungsanspruch. Letzteres ist in einer freien Gesellschaft selbstverständlich und bedürfte keiner gesetzlichen Regelung. Die Inanspruchnahme von Betreuungsleistungen „auf dem freien Markt“ bleibt jedem Leistungsberechtigten unbenommen (vgl. statt aller Meysen, in: Münder/Meysen/Trenczek, Frankfurter Kommentar zum SGB VIII, 7. Aufl. 2013, § 36a Rn. 40). Sie erfolgt ausschließlich im Bereich und mit den Mitteln des bürgerlichen Rechts (vgl. Wiesner, ZKJ 2014, 458 [463]).

Dementsprechend stellt sich die Selbstbeschaffung eines Betreuungsplatzes im Vergleich zur Erlangung eines solchen Platzes im Wege des Verschaffungsanspruchs aus § 24 Abs. 2 SGB VIII auch (lediglich) als ein aliud dar (verkannt von VG Darmstadt, U. v. 9.11.2015 - 5 K 1331/14. DA - juris, Rn. 29). Allein der Umstand, dass der Rechtsanspruch aus § 24 Abs. 2 SGB VIII auch durch den Nachweis eines Platzes bei einem freien oder privaten Träger erfüllt werden kann, bewirkt keine wie auch immer geartete öffentlichrechtliche Überformung dieses Betreuungsangebots. Die freien und privaten Träger gestalten ihr Rechtsverhältnis zum Bürger autonom und agieren dabei ausschließlich im Bereich des bürgerlichen Rechts (vgl. Wiesner, ZKJ 2014, 458 [463]). Weder das Achte Buch Sozialgesetzbuch noch das Bayerische Kinderbildungs- und -betreuungsgesetz verleihen freien oder privaten Trägern hoheitliche Befugnisse. Eine wie auch immer geartete „Beauftragung“ liegt nicht vor (vgl. BayVGH, U. v. 23.10.2013 - 12 BV 13.650 -, BayVBl. 2014, 309 Rn. 18). Wer -wie die freien und privaten Träger - in Erfüllung einer eigenen (vertraglichen) Verbindlichkeit leistet, ist auch nicht Dritter im Sinne des § 267 BGB (vgl. Grüneberg, in: Palandt, BGB, 75. Aufl. 2016, § 267 Rn. 2). Die freien bzw. privaten Träger erbringen deshalb auch keine Leistung des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe im Rahmen des § 24 Abs. 2 SGB VIII, sondern eine eigene.

Demzufolge kann die (Selbst-)Beschaffung eines Betreuungsplatzes durch die Eltern eines anspruchsberechtigten Kindes auch keine Erfüllung des Verschaffungsanspruchs aus § 24 Abs. 2 SGB VIII bewirken. Erfüllung tritt stets nur dann ein, wenn die geschuldete Leistung - die Verschaffung eines Platzes auf der Grundlage von § 24 Abs. 2 SGB VIII - bewirkt wird (vgl. Fetzer, in: Münchener Kommentar zum BGB, 6. Aufl. 2012, § 362 Rn. 3; Grüneberg, in: Palandt, BGB, 75. Aufl. 2016, § 362 Rn. 3). Tritt der Erfolg ohne eine Leistung des Schuldners (Träger der öffentlichen Jugendhilfe) ein, etwa dadurch, dass die Eltern eine Selbst- oder Ersatzbeschaffung bei einem freien oder privaten Träger vornehmen, so erlischt die gesetzliche Verpflichtung aus § 24 Abs. 2 SGB VIII hierdurch nicht (vgl. Fetzer, in: Münchener Kommentar zum BGB, 6. Aufl. 2012, § 362 Rn. 2 m. w. N.). In einem solchen Fall wird vielmehr eine andere als die geschuldete Leistung erbracht. Eine Erfüllungswirkung tritt dadurch nicht ein (vgl. Fetzer, in: Münchener Kommentar zum BGB, 6. Aufl. 2012, § 362 Rn. 3; Grüneberg, in: Palandt, BGB, 75. Aufl. 2016, § 362 Rn. 3). Ersatzbzw. Selbstbeschaffung einerseits und Verschaffungsanspruch aus § 24 Abs. 2 SGB VIII andererseits mögen letztlich auf dasselbe Interesse - die Erlangung eines Betreuungsplatzes - gerichtet sein; sie sind aber gleichwohl nicht identisch. Die Selbstbeschaffung lässt den Rechtsanspruch aus § 24 Abs. 2 SGB VIII vielmehr unberührt. Infolgedessen kann das Innehaben eines selbst beschafften Betreuungsplatzes den Rechtsanspruch aus § 24 Abs. 2 SGB VIII nicht erfüllen. Dieser Primäranspruch wandelt sich vielmehr unter den Voraussetzungen analog § 36a Abs. 3 SGB VIII in einen Sekundäranspruch auf Aufwendungsersatz um.

Wer die Leistungsverwaltung durch Auslagerung von Aufgaben der Daseinsvorsorge in den privaten Sektor mehr und mehr zur bloßen Gewährleistungsverwaltung herabstuft, darf sich nicht wundern, wenn die kraft Gesetzes Leistungsberechtigten sich notgedrungen auch außerhalb des staatlichen Anspruchssystems bedienen, ohne dass dadurch eine Erfüllungswirkung zugunsten der Anspruchsverpflichteten (Träger der öffentlichen Jugendhilfe) eintritt. Das Handeln der Eltern lässt folglich die Gewährleistungsverantwortung des Jugendamtes unberührt.

f) Nach zutreffender Ansicht handelt es sich bei dem Rechtsanspruch aus § 24 Abs. 2 SGB VIII um einen echten Alternativanspruch („Tageseinrichtung oder Kindertagespflege“), der von keinen weiteren Voraussetzungen als dem Erreichen des in der Vorschrift genannten Alters abhängt (vgl. Rixen, NJW 2012, 2039; Lakies, in: Münder/Meysen/Trenczek, Frankfurter Kommentar zum SGB VIII, 7. Aufl. 2013, § 24 Rn. 67; Richter, NJW 2013, 2650 f.; VG Köln, B. v. 18.7.2013 - 19 L 877/13 -, JAmt 2013, 412 [413]; U. v. 9.5.2014 - 19 K 3602/13 - juris, Rn. 17 ff.; a.A. OVG NRW, B. v. 14.8.2013 - 12 B 793/13 -, NJW 2013, 3803 [3804 f.]; VGH BW, B. v. 29.11.2013 - 12 S 2175/13 -, JAmt 2014, 40 [41]; HessVGH, B. v. 4.2.2014 - 10 B 1973/13 -, NJW 2014, 1753 [1754] Rn. 8 allerdings jeweils unter Missachtung des bereits im Gesetzeswortlaut [„Tageseinrichtung oder Kindertagespflege“] mit hinreichender Deutlichkeit zum Ausdruck kommenden Willens des (Bundes-) Gesetzgebers, eine Betreuung entsprechend dem Elternwillen alternativ entweder in einer Tageseinrichtung oder in Kindertagespflege zu eröffnen, vgl. BT-Drs. 16/9299, S. 15:

„Dieser Rechtsanspruch wird entsprechend den Wünschen bzw. Bedürfnissen des Kindes und der Eltern sowohl in Tageseinrichtungen ... als auch in Kindertagespflege ... erfüllt.“

und BT-Drucks. 16/9299, S. 2:

„Eltern und Kinder benötigen aufgrund ihrer unterschiedlichen Lebenssituationen und Bedürfnisse Betreuungsangebote in großer Vielfalt. Dies kann nicht allein durch die Bereitstellung neuer Plätze in Tageseinrichtungen sichergestellt werden. Es geht um die Vielfalt der Angebote in Kinderkrippen, in altersgemischten Gruppen und in der Kindertagespflege.“

sowie BT-Drucks. 16/9299, S. 10:

„Nur durch eine vielfältige Betreuungslandschaft kann das Wahlrecht der Eltern vollständig realisiert werden.“;

siehe insoweit auch die Äußerung der damaligen, im Gesetzgebungsverfahren zuständigen Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend von der Leyen in der 2. Lesung des Bundestages, BT-Plenarprotokoll 16/180, S. 19236 (D):

„... Wir werden den Eltern nicht vorschreiben, wo und wie sie ihre Kinder betreuen und fördern. Sie sollen selbst organisieren, wie sie ihren Alltag mit Kindern leben, ob zu Hause, in einer altersgemischten Gruppe, einer Krippe oder der Kindertagespflege, ob wohnortnah oder betriebsnah. Wie immer sie ihren Alltag organisieren wollen, das liegt alleine im Ermessen der Eltern.“).

Letzteres bedeutet, dass die Eltern als Vertreter des allein anspruchsberechtigten Kindes vom Träger der öffentlichen Jugendhilfe nicht auf die Inanspruchnahme einer Tagesmutter oder eines Tagesvaters verwiesen werden können, wenn Plätze in einer Tageseinrichtung nicht oder nicht rechtzeitig zur Verfügung stehen und umgekehrt (vgl. Rixen, NJW 2012, 2039; Lakies, in: Münder/Meysen/Trenczek, Frankfurter Kommentar zum SGB VIII, 7. Aufl. 2013, § 24 Rn. 67; Richter, NJW 2013, 2650 f.; Schwarz/Lammert, ZKJ 2014, 360 [362; 364] - „Wahlschuld mit Wahlrecht der Eltern“; Schewe, NZFam 2015, 740; VG Köln, B. v. 18.7.2013 - 19 L 877/13 -, JAmt 2013, 412 [413]; U. v. 9.5.2014 - 19 K 3602/13 - juris, Rn. 17 ff.; a.A. Wiesner/Grube/Kössler, Der Anspruch auf frühkindliche Förderung und seine Durchsetzung, 2013, S. 29; Schübel-Pfister, NVwZ 2013, 385 [389]; Meysen/Beckmann, Rechtsanspruch U 3, Rn. 266, 267; Wiesner, ZKJ 2014, 458; Dunkl/Rath, BayVBl. 2016, 438 [439 f.]; OVG NRW, B. v. 14.8.2013 - 12 B 793/13 -, NJW 2013, 3803 [3804 f.]; VGH BW, B. v. 29.11.2013 - 12 S 2175/13 -, JAmt 2014, 40 [41]; HessVGH, B. v. 4.2.2014 - 10 B 1973/13 -, NJW 2014, 1753 [1754] Rn. 8).

Beide Alternativen stehen vielmehr gleichrangig - wenn auch nicht gleichwertig (vgl. zum „professionellen Gefälle“ zwischen Tageseinrichtungen und der Kindertagespflege Struck, in: Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, § 22 Rn. 24; Schwarz/Lammert, ZKJ 2014, 360 [362f.] - „lediglich fingierte Gleichrangigkeit“) -nebeneinander (vgl. Rixen, NJW 2012, 2839; Struck, in: Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, § 24 Rn. 22). Gewährt der Staat - wie in § 24 Abs. 2 SGB VIII geschehen -soziale Leistungen, so besteht damit zugleich auch ein aus Art. 3 Abs. 1 GG abzuleitendes, derivatives Teilhabe- und Leistungsrecht auf gleichheitsgerechte Entscheidung über die Leistungsgewährung (vgl. statt aller Osterloh/Nußberger, in: Sachs, GG, 7. Aufl. 2014, Art. 3 Rn. 53 m. w. N.). Dem Träger der Jugendhilfe kommt es infolgedessen nicht zu, das anspruchsberechtigte Kind entgegen dem Elternwillen gleichheitswidrig von der gewünschten Begünstigung - Tageseinrichtung statt Kindertagespflege - auszuschließen (im Ergebnis ebenso Rixen, NJW 2012, 2039; Lakies, in: Münder/Meysen/Trenczek, Frankfurter Kommentar zum SGB VIII, 7. Aufl. 2013, § 24 Rn. 67; Richter, NJW 2013, 2650 f.; Schwarz/Lammert, ZKJ 2014, 360 [362; 364]; Schewe, NZFam 2015, 740; a.A. unter unzutreffendem Hinweis auf den Gesichtspunkt der Gleichrangigkeit beider Betreuungsformen Schübel-Pfister, NVwZ 2013, 385 [389] u. NJW 2014, 1216 [1217]).

Der Gesichtspunkt der Gleichrangigkeit besagt lediglich, dass der Rechtsanspruch des Kindes - nach Wahl der Eltern - entweder in einer Tageseinrichtung oder in Kindertagespflege erfüllt werden kann; er legitimiert kein im Gesetz nicht vorgesehenes Zuweisungsrecht des Jugendhilfeträgers entgegen dem Elternwillen. Nach den Wünschen der Eltern und den Bedürfnissen des Kindes (vgl. BT-Drucks. 16/9299, S. 15), nicht aber nach den Vorstellungen des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe hat sich die Erfüllung des Rechtsanspruchs zu richten. Ungeachtet dessen ist im Lichte des verfassungsrechtlichen Erziehungsprimats der Eltern (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG, § 1 Abs. 2 SGB VIII) auch nicht ersichtlich, weshalb der Staat besser als die Erziehungsberechtigten selbst wissen sollte, was gut oder besser für das Kind ist und was nicht. Dies schließt zugleich auch eine wie auch immer geartete Ersetzungsbefugnis des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe aus. Kann der jugendhilferechtliche Bedarf im Einzelfall durch mehrere Hilfearten (Tageseinrichtung oder Kindertagespflege) gedeckt werden, so umfasst das Wunsch- und Wahlrecht aus § 5 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII (ausnahmsweise) auch die Art der Hilfe (vgl. statt aller Wiesner, in: Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, § 5 Rn. 11). Das Recht, zwischen einer Leistungsgewährung in einer Tageseinrichtung oder in Kindertagespflege zu wählen, steht daher entgegen der Auslegungsregel des § 262 BGB, nach der das Wahlrecht zwischen mehreren alternativ geschuldeten Leistungen lediglich im Zweifel dem Schuldner zukommt, nach dem Willen des Gesetzgebers allein den Eltern zu (vgl. hierzu auch bereits BayVGH, B. v. 17.11.2015 - 12 ZB 15.1191 -, BayVBl. 2016, 448 [451 f.] Rn. 27 -33). Dies gilt auch im Fall von Kapazitätsengpässen (verkannt von OVG NRW, U. v. 20.04.2016 - 12 A 1262/14 - juris, Rn. 79). § 24 Abs. 2 SGB VIII begründet einen einklagbaren Leistungsanspruch, der nicht unter Kapazitätsvorbehalt gestellt ist (so ausdrücklich BVerfG, U. v. 21.7.2015 - 1 BvF 2/13 -, NJW 2015, 2399 [2401] Rn. 43).

Die Systematik des Gesetzes (§ 24 Abs. 3 SGB VIII) steht dem schon deshalb nicht entgegen, weil der Gesetzgeber den Rechtsanspruch auf frühkindliche Förderung (§ 24 Abs. 2 SGB VIII) gänzlich anders ausgestaltet hat als den Rechtsanspruch auf Besuch einer Tageseinrichtung für Kinder über drei Jahren bis zum Schuleintritt (§ 24 Abs. 3 SGB VIII). Während § 24 Abs. 2 SGB VIII den Eltern ein Wahlrecht zwischen den Betreuungsformen der Förderung in einer Tageseinrichtung oder in Kindertagespflege eröffnet, gewährt § 24 Abs. 3 SGB VIII für über dreijährige Kinder „lediglich“ einen Rechtsanspruch auf Förderung in einer Tageseinrichtung und nur für den Fall eines besonderen Bedarfs bzw. ergänzend auch eine Förderung in Kindertagespflege (vgl. § 24 Abs. 3 Satz 3 SGB VIII). Die Vorschrift des § 24 Abs. 3 SGB VIII gibt daher für die Auslegung des § 24 Abs. 2 SGB VIII entgegen der Ansicht von Dunkl/Rath (vgl. BayVBl. 2016, 438 [439 f.]) nichts her. § 24 Abs. 2 SGB VIII und § 24 Abs. 3 SGB VIII betreffen unterschiedliche Sachverhalte, Personengruppen und Regelungsadressaten, weshalb Schlussfolgerungen aus der einen für die andere Vorschrift nicht gezogen werden können und dürfen.

Die „Ministerialbürokratie“ in Bund und Ländern mag mit der Formulierung „in einer Tageseinrichtung oder in Kindertagespflege“ in § 24 Abs. 2 SGB VIII durchaus die (rechtsirrige) Vorstellung verbunden haben, sie könne die Zuweisung von Betreuungsplätzen im Verwaltungsvollzug entsprechend eigenem Gutdünken nach Kapazitätsgesichtspunkten steuern (so offenbar auch Dunkl/Rath, BayVBl. 2016, 438 [440]). Indes sind diese Vorstellungen, wie sich den Gesetzgebungsmaterialien mit hinreichender Deutlichkeit entnehmen lässt, nicht Gesetz geworden. Sie wären darüber hinaus auch mit höherrangigem Recht (Art. 3 Abs. 1 GG) unvereinbar, denn nach welchen Auswahlkriterien und in welchem Auswahlverfahren sollte ohne konkrete Vorgaben des Gesetzgebers entschieden werden, welches Kind im Falle eines Kapazitätsengpasses einen Betreuungsplatz in einer Tageseinrichtung erhält und welches sich entgegen dem Elternwillen mit einem solchen bei einer Tagesmutter oder einem Tagesvater begnügen muss und umgekehrt. Es bestanden daher entgegen Dunkl/Rath (vgl. BayVBl. 2016, 438 [440]) sehr wohl sachliche Gründe seitens des Gesetzgebers, die Wahl zwischen einem Platz in einer Tageseinrichtung oder in Tagespflege nicht dem Jugendhilfeträger, sondern den Eltern zu überlassen.

g) Aufgrund der Verweisung in § 24 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII auf § 24 Abs. 1 Satz 3 SGB VIII richtet sich der Umfang der täglichen Förderung nach dem konkretindividuellen Bedarf des anspruchsberechtigten Kindes und seiner personensorgeberechtigten Eltern. Dieser kann nach Art und Dauer differieren und von einer Vormittags- oder Nachmittagsbis hin zu einer Ganztagsbetreuung reichen. Bedarfsgerecht ist ein Angebot nur dann, wenn es geeignet ist, die Nachfrage tatsächlich zu befriedigen. Bei einer Vormittags- oder Nachmittagsbetreuung muss die Betreuungsdauer in der Einrichtung oder in Tagespflege unter Berücksichtigung der Arbeits-, An- und Abfahrtszeiten der Eltern jeweils mindestens 6 Stunden, bei einer Ganztagsbetreuung mindestens 8 bis 9 Stunden und bei langen An- und Abfahrtszeiten auch bis zu 10 Stunden betragen (vgl. Lakies, in: Münder/Meysen/Trenczek, Frankfurter Kommentar zum SGB VIII, 7. Aufl. 2013, § 24 Rn. 67 u. 45; Rixen, NJW 2012, 2839 [2840]). Die Erziehungsberechtigten können, da der Anspruch aus § 24 Abs. 2 SGB VIII - anders als der aus Absatz 1 - nicht von der Erfüllung von Bedarfskriterien abhängig ist, auch dann eine Halb- oder Ganztagsbetreuung für ihr Kind in einer Tageseinrichtung oder in Kindertagespflege in Anspruch nehmen, wenn sie überhaupt nicht oder nur zum Teil erwerbstätig sind, im Rahmen der Ausübung des Wunschund Wahlrechts des Kindes (§ 5 SGB VIII) aber gleichwohl professioneller Betreuung den Vorzug geben wollen (vgl. BT-Drucks. 16/9299, S. 15: „Dieser Rechtsanspruch wird entsprechend den Wünschen bzw. Bedürfnissen des Kindes und der Eltern .... erfüllt“). Eine Differenzierung zwischen einem „infrastrukturellen Regelangebot (Grundanspruch)“ und einer „einzelfallindizierten Erweiterung dieses Regelangebots“ (hierfür namentlich Meysen/Beckmann, Rechtsanspruch U3, 2013, Rn. 45, 129 ff. u. 138 ff.) findet in § 24 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. § 24 Abs. 1 Satz 3 SGB VIII keine Stütze (zu Recht ablehnend Wiesner/Grube/Kößler, Der Anspruch auf frühkindliche Förderung und seine Durchsetzung, S.10; Struck, in: Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, § 24 Rn. 27 m. w. N.). Maßgeblich ist infolgedessen stets der durch die Erziehungsberechtigten definierte individuelle Bedarf, begrenzt allein durch das Wohl des zu betreuenden Kindes (insoweit zutreffend Meysen/Beckmann, Rechtsanspruch U3, 2013, Rn. 196 ff.). Der Anspruch des Kindes aus § 24 Abs. 2 SGB VIII ist an keinerlei Bedingungen geknüpft und hat - abgesehen von der Vollendung des ersten Lebensjahres - keine weiteren Voraussetzungen (so zutreffend Schewe, NZFam 2015, 697 699).

h) Angemessen Rechnung getragen wird dem Anspruch auf Förderung in einer Tageseinrichtung oder in Kindertagespflege regelmäßig nur dann, wenn diese entsprechend dem das Jugendhilferecht beherrschenden Prinzip der Wohnortnähe (vgl. § 80 Abs. 2 Nr. 1 SGB VIII) vom Wohnsitz des Kindes aus in vertretbarer Zeit erreicht werden können (vgl. Wiesner/Grube/Kößler, Der Anspruch auf frühkindliche Förderung und seine Durchsetzung, 2013, S. 29 f.; Lakies, in: Münder/Meysen/Trenczek, Frankfurter Kommentar zum SGB VIII, 7. Aufl. 2013, § 24 Rn. 69 u. 21; Struck, in: Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, § 24 Rn. 38 ff.; Kaiser, in: Kunkel/Kepert/Pattar, SGB VIII, 6. Aufl. 2016, § 24 Rn. 18; siehe auch BayVGH, B. v. 17.11.2015 - 12 ZB 15.1191 -, BayVBl. 2016, 448 [452] Rn. 34 f.).

In der Regel ist von der am nächsten gelegenen Einrichtung am Wohnort des Kindes auszugehen (vgl. OVG Lüneburg, B. v. 22.12.2008 - 4 ME 326/08 -, NVwZ-RR 2009, 425 [426]; VG Göttingen, B. v. 21.8.1998 - 2 B 2297/98 -, NVwZ-RR 1999, 130). Wünschenswert ist eine fußläufige Erreichbarkeit (vgl. OVG Frankfurt/Oder, B. v. 30.12.1996 - 4 B 175/96 -, NVwZ-RR 1997, 555 [558]), allerdings ist es den Kindern und damit auch ihren Eltern regelmäßig zumutbar, für den Weg zur Kindertageseinrichtung öffentliche Verkehrsmittel bzw. ihren (bereits vorhandenen) privaten PKW zu benutzen (vgl. Wiesner/Grube/Kößler, Der Anspruch auf frühkindliche Förderung und seine Durchsetzung, 2013, S. 30; siehe auch VG Halle, B. v. 27.9.2010 -7 B 238/10 - juris, Rn. 8. u. 9). Eine Obliegenheit oder gar rechtliche Verpflichtung, sich im Wege des Car-Sharing einen PKW erst zu beschaffen bzw. einen Mietwagen zu benutzen, um auch weiter entfernt liegende Einrichtungen noch zeitgerecht erreichen zu können, besteht indes nicht.

In der Rechtsprechung wurde ein kombinierter Fuß- und Busweg von 30 Minuten für eine Wegstrecke als nicht mehr zumutbar angesehen (vgl. VG Schleswig, B. v. 12.1.2000 - 15 B 62/99 -, ZfJ 2000, 193). Nach engerer Auffassung soll die Grenze bereits bei 20 Minuten zu ziehen sein (so OVG Saarlouis, B. v. 16.12.1997 - 8 W 6/97 -, NVwZ-RR 1998, 435 [436]). Welche Entfernung zwischen Wohnort und Tagesstätte noch zumutbar ist, lässt sich indes nicht abstraktgenerell festlegen (vgl. VG Hannover, B. v. 26.11.2002 - 7 B 5435/02 - juris, Rn. 15; OVG NRW, B. v. 14.8.2013 - 12 B 793/13 -, NJW 2013, 3803 [3805]). Vielmehr ist einerseits die Zumutbarkeit für das Kind selbst und andererseits auch der Zeitaufwand für den begleitenden Elternteil zu berücksichtigen (vgl. Lakies, in: Münder/Meysen/Trenczek, Frankfurter Kommentar zum SGB VIII, 7. Aufl. 2013, § 24 Rn. 69 u. 21; Wiesner/Grube/Kößler, Der Anspruch auf frühkindliche Förderung und seine Durchsetzung, 2013, S. 30; Meysen/Beckmann, Rechtsanspruch U3, Rn. 306 ff.). Einzubeziehen sind dabei auch die Entfernung zur Arbeitsstätte und der damit verbundene gesamte zeitliche Aufwand für die Eltern (vgl. Struck, in: Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, § 24 Rn. 40) bzw. den nach Absprache (§ 1627 BGB) primär betreuenden Elternteil (vgl. hierzu näher Peschel-Gutzeit, in: Staudinger, BGB, Neubearb. 2015, § 1627 Rn. 5, 6 u. 7). Letztlich maßgeblich ist damit eine konkretindividuelle Betrachtung im Einzelfall (vgl. Struck, in: Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, § 24 Rn. 39).

2.) Ist der Träger der öffentlichen Jugendhilfe entgegen seiner Gewährleistungsverpflichtung (§ 79 SGB VIII) nicht imstande, entsprechend dem jeweiligen Elternwillen einen angemessenen Betreuungsplatz in einer Tageseinrichtung oder in Kindertagespflege zur Verfügung zu stellen mit der Folge, dass der Rechtsanspruch des anspruchsberechtigten Kindes aus § 24 SGB VIII leerläuft, so hat der Träger der öffentlichen Jugendhilfe Aufwendungsersatz in Form der Kostenerstattung für einen selbstbeschafften Tagesstättenplatz bzw. für entsprechende Aufwendungen im Rahmen einer privaten Elterninitiative analog § 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII zu leisten, sofern dessen Voraussetzungen vorliegen (vgl. BVerwG, U. v. 12.9.2013 - 5 C 35/12 - NJW 2014, 1256 [1257] Rn. 17; OVG RhPf, U. v. 25.10.2012 - 7 A 10671/12 -, JAmt 2012, 603 [604 f.]; Schübel-Pfister, NJW 2014, 1216 ff.; Grube, in: Hauck/Noftz, a. a. O., § 24 Rn. 42; Kaiser, in: Kunkel/Kepert/Pattar, SGB VIII, 6. Aufl. 2016, § 24 Rn. 23 ff.). Die Primärverantwortung des Trägers schlägt in eine Sekundärverantwortung um, die darin besteht, nunmehr die Kosten der Ersatzbeschaffung zu tragen (vgl. BayVGH, B. v. 17.11.2015 - 12 ZB 15.1191 -, BayVBl. 2016, 448 452 Rn. 36).

a) Einer Beachtung des allgemeinen Grundsatzes, dass Primäransprüche gegenüber Sekundäransprüchen vorrangig im Wege der Inanspruchnahme von Eilrechtsschutz (§ 123 VwGO) geltend zu machen sind, bedarf es im Rahmen der Verwirklichung des Rechtsanspruchs aus § 24 Abs. 2 SGB VIII regelmäßig nicht (vgl. BVerwG, U. v. 12.9.2013 - 5 C 35/12 -, NJW 2014, 1256 [1261] Rn. 51: „Im Wortlaut des § 36a Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SGB VIII. hat das Erfordernis des Eilrechtsschutzes keinen Ausdruck gefunden“). Der Grundsatz der Vorrangigkeit des verwaltungsgerichtlichen Primärrechtsschutzes kommt - wenn überhaupt - nur dann zum Tragen, wenn das Nachsuchen um vorläufigen Rechtsschutz überhaupt zumutbar ist, mit anderen Worten, Abhilfe durch den Träger der öffentlichen Jugendhilfe tatsächlich erwartet werden kann (vgl. BVerwG, U. v. 12.9.2013 - 5 C 35/12 -, NJW 2014, 1256 [1261] Rn. 52). Daran fehlt es, wenn dem Rechtsanspruch nur unter Überschreitung des von Art. 45a AGSG vorgegebenen Rahmens und damit unter einer erheblichen zeitlichen Verzögerung, teilweise auch nur mittels ad hoc angebotener Übergangsgruppen Rechnung getragen werden kann und infolgedessen nicht von vornherein absehbar ist, wann der Träger seiner Bereitstellungs- und Nachweisverpflichtung im Einzelnen wird genügen können (BVerwG, U. v. 12.9.2013 - 5 C 35/12 -, NJW 2014, 1256 [1261] Rn. 52; OVG Rheinland-Pfalz, U. v. 25.10.2012 - 7 A 10671/12 -, JAmt 2012, 603 [605]; BayVGH, B. v. 17.11.2015 - 12 ZB 15.1191 -, BayVBl. 2016, 448 [452] Rn. 37; Meysen/Beckmann, Rechtsanspruch U 3; Rn. 444). Eine Verpflichtung, ein offensichtlich aussichtsloses Rechtsmittel einzulegen, ist der Rechtsordnung fremd (vgl. Fischer, in: Schellhorn/Fischer/Mann/Kern, SGB VIII, 4. Aufl. 2012, § 36a Rn. 30 a.E.).

b) Der Umfang der nach § 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII vom Träger der Jugendhilfe zu übernehmenden Aufwendungen entspricht in der Regel dem Betrag, der bei rechtzeitiger Gewährung der Hilfe entsprechend den zugrundeliegenden öffentlichrechtlichen Bestimmungen zu tragen gewesen wäre (vgl. BVerwG, U. v. 1.3.2012 - 5 C 12.11 -, BVerwGE 142, 115 [122] Rn. 22). Können die Anspruchsteller die erforderliche Hilfe zu diesen Konditionen jedoch selbst nicht beschaffen, etwa weil diese durch erhebliche staatliche Förderungen unter dem ansonsten Üblichen gehalten wird, so haben sie Anspruch auf Ersatz der Aufwendungen, die sie bei rechtmäßigem Handeln des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe erspart hätten (vgl. Meysen, in: Münder/Meysen/Trenczek, Frankfurter Kommentar zum SGB VIII, 7. Aufl. 2013, § 36a Rn. 55). Damit bezieht sich der Erstattungsanspruch aus § 36a Abs. 3 SGB VIII grundsätzlich auf die Aufwendungen, die im Rahmen anderweitiger Selbstbeschaffung tatsächlich entstanden sind (vgl. Kaiser, in: Kunkel/Kepert/Pattar, 6. Aufl. 2016, SGB VIII, § 24 Rn. 24; Meysen/Beckmann, Rechtsanspruch U 3, Rn. 475 m. w. N.). In der Höhe orientiert sich der Aufwendungsersatz infolgedessen letztlich an § 670 BGB (vgl. Meysen, in: Münder/Meysen/Trenczek, Frankfurter Kommentar zum SGB VIII, 7. Aufl. 2013, § 36a Rn. 55). Der Anspruch unterliegt insoweit grundsätzlich weder dem Mehrkostenvorbehalt des § 5 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII noch sind die Anspruchsteller verpflichtet, einen Leistungserbringer zu wählen, mit dem der Träger eine Vereinbarung nach § 78b SGB VIII abgeschlossen hat (vgl. Struck, in: Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, § 36a Rn. 54). Zu erstatten sind damit in der Regel diejenigen Aufwendungen, die der Selbstbeschaffer unter Berücksichtigung der Verpflichtung zu wirtschaftlichem Handeln nach Lage der Dinge für erforderlich halten durfte (vgl. Meysen/Beckmann, Rechtsanspruch U 3, Rn. 477 f.; Kaiser, in: Kunkel/Kepert/Pattar, 6. Aufl. 2016, SGB VIII, § 24 Rn. 24; Grube, in: Hauck/Noftz, a. a. O., § 24 Rn. 44; siehe auch OVG NRW, B. v. 17.3.2014 - 12 B 70/14 - juris, Rn. 31 ff.; VG Stuttgart, U. v. 28.11.2014 - 7 K 3274/14 -, JAmt 2015, 98 [102]). Dies schließt vermeidbare, nicht auf einem zwingenden Leistungskatalog des privaten Anbieters beruhende Luxusaufwendungen aus und aus sachlichen Gründen zu rechtfertigende Mehrausgaben ein. Gegebenenfalls ist eine Deckelung auf das Erforderliche vorzunehmen (vgl. auch bereits BayVGH, B. v. 17.11.2015 - 12 ZB 15.1191 -, BayVBl. 2016, 448 [452] Rn. 38). Den Nachweis einer (behaupteten) Unverhältnismäßigkeit der Aufwendungen hat der Träger der öffentlichen Jugendhilfe zu führen (vgl. Meysen/Beckmann, Rechtsanspruch U 3, Rn. 478 m. w. N.).

Erbringt der Träger der öffentlichen Jugendhilfe die von Gesetzes wegen geschuldete Leistung nicht, so sind die Betroffenen gezwungen, eine eigene Entscheidung über die Geeignetheit und die Erforderlichkeit der Maßnahmen zur angemessenen Lösung der Belastungssituation zu treffen. Dies hat zur Folge, dass die Verwaltungsgerichte nur das Vorhandensein des jugendhilferechtlichen Bedarfs zu prüfen haben, sich aber hinsichtlich der Geeignetheit und Erforderlichkeit der selbstbeschafften Hilfe auf eine fachliche Vertretbarkeitskontrolle aus exante Sicht der Leistungsberechtigten beschränken müssen (vgl. BVerwG, U. v. 18.10.2012 - 5 C 21.11 -, BVerwGE 145, 1 [10] Rn. 34; Wiesner, ZKJ 2015, 50 [61]; Struck, in: Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, § 24 Rn. 48). Die Höhe der Aufwendungen richtet sich deshalb nach dem auch sonst bei freien bzw. privaten Trägern Üblichen. Abzusetzen sind im Wege des Vorteilsausgleichs etwaige ersparte (fiktive) Kostenbeiträge nach § 90 Abs. 1 SGB VIII (vgl. OVG NRW, B. v. 17.3.2014 - 12 B 70/14 - juris, Rn. 35 m. w. N.; VG Stuttgart, U. v. 28.11.2014 - 7 K 3274/14 -, JAmt 2015, 98 [102]; Kaiser, in: Kunkel/Kepert/Pattar, SGB VIII, 6. Aufl. 2016, § 24 Rn. 23 a.E.; Struck, in: Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, § 24 Rn. 48 m. w. N.), die sich, sofern konkrete Anhaltspunkte für eine Bestimmung - wie etwa der in der Wunscheinrichtung zu zahlende Betrag - fehlen, im Wege einer typisierenden Betrachtung nach dem jeweiligen Durchschnitt der (gegebenenfalls nach dem Elterneinkommen gestaffelten) Beiträge der kommunalen Einrichtungen im Zuständigkeitsbereich des jeweiligen Jugendhilfeträgers richten, allerdings nur dann, wenn den Eltern und dem Kind die Übernahme eines solchen Beitrags überhaupt gemäß § 90 Abs. 3 SGB VIII zuzumuten gewesen wäre (vgl. BayVGH, B. v. 17.11.2015 - 12 ZB 15.1191 -, BayVBl. 2016, 448 [452 f.] Rn. 39; siehe auch Meysen/Beckmann, Rechtsanspruch U 3, Rn. 492 ff. m. w. N.). Da es sich um eine rein fiktive Berechnung handelt, sind die Beteiligten jeweils so zu stellen, wie wenn sie in den besagten Einrichtungen tatsächlich Aufnahme gefunden und mögliche Ermäßigungsanträge rechtzeitig gestellt hätten sowie etwaige Ausschlussfristen beachtet worden wären. Der nicht von vorneherein gänzlich unberechtigten Sorge, freie und private Träger könnten ihre Elternbeiträge beliebig erhöhen und die Eltern den Träger der öffentlichen Jugendhilfe auf Ausgleich auch dieser erhöhten Beträge in Anspruch nehmen, ist im Rahmen einer sachgerechten Wahrnehmung der Gewährleistungsverantwortung (§ 79 SGB VIII) zu begegnen. Den Trägern der öffentlichen Jugendhilfe bleibt es in den Grenzen der Verpflichtung zur Vorhaltung eines pluralen Angebots unbenommen, den Rechtsanspruch aus § 24 Abs. 2 SGB VIII auch ausschließlich mit kommunalen Angeboten zu erfüllen oder durch Abschluss sog. Leistungssicherstellungsvereinbarungen mit freien und privaten Trägern, die naturgemäß zugleich auch eine Defizitübernahme durch den Träger der öffentlichen Jugendhilfe beinhalten, ein im wesentlichen einheitliches Preisniveau herzustellen (vgl. zur Problematik näher Wiesner, ZKJ 2014, 458 [462]; Lakies, in: Münder/Meysen/Trenczek, SGB VIII, 7. Aufl. 2013, § 24 Rn. 13 ff. m. w. N.; siehe auch BayVGH, U. v. 23.10.2013 - 12 BV 13.650 -, BayVBl. 2014, 309 f. Rn. 18, 21 f., 28).

Für eine Begrenzung des Aufwendungsersatzanspruchs aus § 36a Abs. 3 SGB VIII auf den das 1,5-fache des staatlichen Förderanteils in der Kindertagespflege übersteigenden Betrag analog Art. 20 Satz 1 Ziffer 3 BayKiBiG (in diese Richtung offenbar die unter Mitwirkung des Bayerischen Staatsministeriums für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen, des Bayerischen Gemeindetags, des Bayerischen Städtetags, des Bayerischen Landkreistags, des Bayerischen Landesjugendamts, der bayerischen Jugendbehörden und des Staatsinstituts für Frühpädagogik erarbeiteten Hinweise zur Auslegung des Rechtsanspruchs für Kinder ab dem vollendeten ersten Lebensjahr mit Wirkung ab dem 1. August 2013 [Stand 2. Juli 2013], Bayer. Gemeindetag 2013, 334 [335]) besteht ohne ausdrückliche (bundes-)gesetzliche Anordnung keine Grundlage (vgl. auch bereits BayVGH, B. v. 17.11.2015 - 12 ZB 15.1191 -, BayVBl. 2016, 448 [453] Rn. 40). Zum einen betrifft Art. 20 Satz 1 Ziffer 3 BayKiBiG nur die Kindertagespflege, nicht aber die Höhe der Elternbeteiligung bei der Inanspruchnahme von Tageseinrichtungen. Zum anderen ist der bundesrechtlich konturierte Aufwendungsersatzanspruch analog § 36a Abs. 3 SGB VIII einer - zumal lediglich interpretatorischen - Einschränkung bzw. Überformung durch den Landesgesetzgeber bzw. das lediglich für die Umsetzung zuständige Landesministerium nicht zugänglich (vgl. hierzu in ähnlichem Zusammenhang bereits Wiesner, ZKJ 2014, 458 [461 ff.]).

Reine „Praktikabilitätsüberlegungen“ können eine analoge Anwendung von Art. 20 Satz 1 Ziffer 3 BayKiBiG entgegen Dunkl/Rath (vgl. BayVBl. 2016, 438 [441 f.]) ebenfalls nicht rechtfertigen. § 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII legt den Umfang des nach einer Selbstbeschaffung zu gewährenden Betrages mittels der Verpflichtung des Jugendhilfeträgers „zur Übernahme der erforderlichen Aufwendungen“ selbst abschließend fest. Für eine richterliche Rechtsfortbildung im Wege der Analogie bleibt insoweit keinerlei Raum, zumal eine solche letztlich auf eine Beschränkung des Anspruchsumfangs gerichtet wäre und sich deshalb als contra legem erwiese. Ebenso wenig eröffnet das Abstellen auf die Wunscheinrichtung bei der Bemessung der abzusetzenden (fiktiven) Kostenbeiträge die Möglichkeit der Manipulation. Die Eltern werden als Wunscheinrichtungen meist die kostengünstigeren kommunalen Einrichtungen wählen. Können sie nur erheblich teurere private Einrichtungen finden, so lässt sich in der Verpflichtung des Jugendhilfeträgers, die Differenz im Wege des Aufwendungsersatzes analog § 36a SGB VIII zu übernehmen, eine Manipulation auch nicht ansatzweise erkennen. Ungeachtet dessen hat der Jugendhilfeträger je derzeit die Möglichkeit - siehe hierzu später - durch auch nachträgliches Anbieten eines erfüllungstauglichen (kostengünstigeren) Platzes das Erlöschen des Sekundäranspruchs auf Aufwendungsersatz analog § 36a Abs. 3 SGB VIII zu bewirken (verkannt von Dunkl/Rath, BayVBl. 2016, 438 [441]).

c) Dem Anspruch auf Kostenerstattung analog § 36a Abs. 3 SGB VIII steht auch nicht entgegen, dass die Eltern des anspruchsberechtigten Kindes im Falle des „Systemversagens“ für dieses selbst einen Betreuungsplatz bei einem freien Träger beschafft haben (so aber Beutel, DVBl. 2014, 313; in diese Richtung nunmehr offenbar auch Wiesner, ZKJ 2015, 60 [61] u. Kepert, ZKJ 2015, 267 [268], die annehmen, der Primäranspruch werde dadurch ebenfalls erfüllt und ein etwaiger Sekundäranspruch könne infolgedessen gar nicht erst entstehen). Die Selbstbeschaffung ist entgegen dieser Auffassung vielmehr Anspruchsvoraussetzung für den Kostenerstattungsanspruch überhaupt und lässt ihn deshalb gerade nicht entfallen (so zutreffend VG Stuttgart, U. v. 28.11.2014 - 7 K 3274/14 -, JAmt 2015, 98 [101]; im Ergebnis ebenso Kaiser, in: Kunkel/Kepert/Pattar, SGB VIII, 6. Aufl. 2016, § 24 Rn. 23 ff.; Schübel-Pfister, NJW 2014, 1216 [1218]; Grube, in: Hauck/Noftz, a. a. O., § 24 Rn. 41 ff.).

§ 24 Abs. 2 SGB VIII vermittelt die Befugnis, von einem anderen - hier dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe - ein aktives Tun zu verlangen (vgl. hierzu auch die Legaldefinition des Anspruchs in § 194 BGB). Infolgedessen kann auch lediglich die Anspruchsbefriedigung durch den Schuldner - den Jugendhilfeträger - selbst, nicht aber die Ersatzbeschaffung durch das anspruchsberechtigte Kind bzw. dessen Eltern anspruchserfüllend wirken (unzutreffend daher Kepert, ZKJ 2015, 267 [268]). Nicht ohne Grund hat die Beklagte eigens eine Servicestelle eingerichtet, die sich ausschließlich um die Zuweisung und Bereitstellung (Vermittlung) von Betreuungsplätzen kümmert. Diese wäre weithin überflüssig, wenn allein das Tätigwerden der Eltern anspruchserfüllend wirken würde. Eine solche Ersatzbeschaffung kann die Gewährleistungsverantwortung (§ 79 Abs. 2 SGB VIII) des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe nicht beseitigen; sie ist vielmehr Ausdruck des „Systemversagens“, in dessen Folge sich der ursprüngliche Primäranspruch in einen Sekundäranspruch auf Aufwendungsersatz umwandelt. Der Rechtsanspruch aus § 24 Abs. 2 SGB VIII erschöpft sich nicht in einem wie auch immer gearteten „Versorgtsein mit einem Betreuungsplatz“ (so unzutreffend Beutel, DVBl. 2014, 313 u. Kepert, ZKJ 2015, 267); er erfordert auf der Grundlage der aus § 79 Abs. 2 SGB VIII folgenden Gewährleistungsverantwortung die Verschaffung bzw. Bereitstellung eines entsprechenden Platzes (vgl. näher Grube, in: Hauck/Noftz, SGB VIII, Lfg. 1/14, § 24 Rn. 20; Struck, in: Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, § 24 Rn. 20; siehe auch bereits BayVGH, B. v. 17.11.2015 - 12 ZB 15.1191 -, BayVBl. 2016, 448 [453] Rn. 41).

Letzteres gilt auch dann, wenn der Anspruchsteller vor Inkrafttreten des Rechtsanspruchs aus § 24 Abs. 2 SGB VIII bzw. des Erreichens der Anspruchsvoraussetzungen (Altersgrenze) bereits einen „auf dem freien Markt“ (selbst) beschafften Betreuungsplatz inne hatte, er aber nunmehr nach Inkrafttreten des Anspruchs bzw. dem Eintritt der Anspruchsvoraussetzungen - aus welchen Gründen auch immer -das staatliche Anspruchssystem durch Anmeldung seines Bedarfs erstmals aktiviert (vgl. § 24 Abs. 2 SGB VIII i. V. m. Art. 45a AGSG) und dadurch das Entstehen seines Leistungsanspruchs bewirkt (vgl. § 40 Abs. 1 SGB I). Die Inanspruchnahme von Betreuungsleistungen „auf dem freien Markt“ bleibt jedem Leistungsberechtigten unbenommen (vgl. statt aller Meysen, in: Münder/Meysen/Trenczek, Frankfurter Kommentar zum SGB VIII, 7. Aufl. 2013, § 36a Rn. 40). Sie erfolgt ausschließlich im Bereich und mit den Mitteln des bürgerlichen Rechts (vgl. Wiesner, ZKJ 2014, 458 [463]). Dementsprechend stellt sich die Selbstbeschaffung eines Betreuungsplatzes - wie bereits dargelegt - im Vergleich zur Erlangung eines solchen Platzes im Wege des Verschaffungsanspruchs aus § 24 Abs. 2 SGB VIII auch (lediglich) als ein aliud dar (verkannt von VG Darmstadt, U. v. 9.11.2015 - 5 K 1331/14. DA - juris, Rn. 29). Allein der Umstand, dass der Rechtsanspruch aus § 24 Abs. 2 SGB VIII auch durch den Nachweis eines Platzes bei einem freien oder privaten Träger erfüllt werden kann, bewirkt keine wie auch immer geartete öffentlichrechtliche Überformung dieses Betreuungsangebots.

Demzufolge kann die (Selbst-)Beschaffung eines Betreuungsplatzes durch die Eltern eines anspruchsberechtigten Kindes auch keine Erfüllung des Verschaffungsanspruchs aus § 24 Abs. 2 SGB VIII bewirken und dem Anspruch auf Aufwendungsersatz analog § 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII nicht mit Erfolg entgegengehalten werden. In einem solchen Fall wird vielmehr eine andere als die geschuldete Leistung erbracht. Eine Erfüllungswirkung tritt dadurch nicht ein (vgl. Fetzer, in: Münchener Kommentar zum BGB, 6. Aufl. 2012, § 362 Rn. 3; Grüneberg, in: Palandt, BGB, 75. Aufl. 2016, § 362 Rn. 3). Das Innehaben eines vor Entstehen der Anspruchsvoraussetzungen selbst beschafften Betreuungsplatzes kann infolgedessen den Rechtsanspruch aus § 24 Abs. 2 SGB VIII nicht erfüllen. Ebenso wenig steht das Innehaben eines solchen, bei einem freien oder privaten Träger vor Entstehung des Rechtsanspruchs selbst beschafften, naturgemäß teureren Platzes der Anspruchsberechtigung aus § 24 Abs. 2 SGB VIII entgegen.

Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe haben deshalb auch Personen, die sich zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Rechtsanspruchs aus § 24 Abs. 2 SGB VIII am 1. August 2013 bzw. des erstmaligen Herantragens des Bedarfs nach Entstehen der Anspruchsvoraussetzungen bereits im Besitz eines zum damaligen Zeitpunkt (notgedrungen) außerhalb des staatlichen Anspruchssystems der Jugendhilfe selbst beschafften, naturgemäß teureren privaten Betreuungsplatzes befanden, in ihre Vermittlungsbemühungen einzubeziehen. § 24 Abs. 2 SGB VIII begründet einen Verschaffungsanspruch (so ausdrücklich BVerwG, U. v. 12.9.2013 - 5 C 35/12 -, NJW 2014, 1256 [1257] Rn. 14 u. 17), nicht lediglich einen Selbstbeschaffungsanspruch. Letzteres ist in einer freien Gesellschaft selbstverständlich und bedürfte - wie bereits erwähnt - keiner gesetzlichen Regelung.

Kann der Jugendhilfeträger dieser - durch eigenes, aktives Handeln (Vermitteln) zu erfüllenden - Verpflichtung aus welchen Gründen auch immer nicht genügen und muss der Anspruchsberechtigte sich die Leistung deshalb selbst beschaffen, sei es weil er bislang weder einen kommunalen Betreuungsplatz noch einen solchen bei einem freien oder privaten Anbieter nachgewiesen erhalten hat, sei es weil er im Wege der Eigeninitiative vor Entstehen des Rechtsanspruchs bzw. des Eintritts der Anspruchsvoraussetzungen lediglich einen naturgemäß erheblich teureren Platz „auf dem freien Markt“ zu beschaffen vermochte, ohne dass der Jugendhilfeträger in der Lage wäre, ihm nunmehr einen geeigneten und zumutbaren Platz zu vermitteln, so hat der Träger die Kosten der Ersatzbeschaffung abzüglich etwaiger ersparter (fiktiver) Kostenbeiträge zu tragen. Jede andere Sicht der Dinge müsste dem System der staatlichen Jugendhilfe mit einem Rechtsanspruch auf kindgerechte Förderung einerseits und einer Ausfallhaftung analog § 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII im Falle des „Systemversagens“ andererseits die Grundlage entziehen (vgl. auch bereits BayVGH, B. v. 17.11.2015 - 12 ZB 15.1191 -, BayVBl. 2016, 448 [453] Rn. 41).

d) Ebenso wenig kann dem Anspruch auf Aufwendungsersatz analog § 36a Abs. 3 SGB VIII mit der Erwägung entgegengetreten werden, die Kostenerstattung im Rahmen eines Sekundäranspruchs erfordere unabhängig vom Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen, dass auch der zugrundeliegende Primäranspruch eine Kostenerstattungspflicht des öffentlichen Jugendhilfeträgers beinhalte (so namentlich VG München, U. v. 21.1.2015 - M 18 K 14.2448 -, Umdruck, S. 10 ff.) oder anders gewendet, wenn bereits der Primäranspruch aus § 24 Abs. 2 SGB VIII keine Kostenfreiheit vermittele, könne eine solche auch nicht im Wege eines Sekundäranspruchs aus § 36a Abs. 3 SGB VIII in Betracht kommen (so namentlich Kepert, ZKJ 2015, 267 [268]). Wer so argumentiert, berücksichtigt nicht, dass es sich beim Primäranspruch aus § 24 Abs. 2 SGB VIII um einen Sachleistungsanspruch, beim Sekundäranspruch aus § 36a Abs. 3 SGB VIII hingegen um einen Geldleistungsanspruch handelt mit der Folge, dass Maßstäbe und Grundsätze, die für den einen Anspruch gelten, nicht unbesehen auf den anderen übertragen werden können; er blendet zugleich auch den in der Vermittlung eines kostengünstigen kommunalen Betreuungsplatzes regelmäßig liegenden geldwerten Vorteil stillschweigend aus. Letzteres indes kommt im Lichte der Bindung jeglichen staatlichen Handelns an die Beachtung des Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) nicht in Betracht (siehe hierzu nachfolgend 3). Vielmehr ist der mangelnden Kostenfreiheit des Primäranspruchs auch im Rahmen des Sekundäranspruchs Rechnung zu tragen, nämlich dadurch, dass sich der Anspruchsteller im Wege des Vorteilsausgleichs etwaige Kostenbeiträge nach § 90 Abs. 1 SGB VIII anspruchsmindernd entgegenhalten lassen muss (vgl. statt aller Meysen/Beckmann, Rechtsanspruch U 3, Rn. 492 ff. m. w. N.). Dies hat zur Folge, dass der Sekundäranspruch im Fall der mangelnden Kostenfreiheit des Primäranspruchs der Sache nach lediglich auf den Ersatz der Mehrkosten der Selbstbeschaffung gerichtet ist. Dadurch wird zugleich erreicht, dass Primär- und Sekundäranspruch einander dem Werte nach entsprechen. Der Selbstbeschaffer wird damit entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts München nicht etwa besser, sondern allenfalls gleichgestellt (vgl. auch bereits BayVGH, B. v. 17.11.2015 -12 ZB 15.1191 -, BayVBl. 2016, 448 [453 f.] Rn. 42).

Maßgebend ist mithin allein, dass der Träger der öffentlichen Jugendhilfe den Bedarf des anspruchsberechtigten Kindes nicht gedeckt hat und derjenige, der sich eine unaufschiebbar notwendige Leistung, deren Gewährung zu Unrecht abgelehnt wurde oder über die nicht rechtzeitig entschieden wurde, selbst beschafft hat, nicht schlechter stehen darf, als derjenige, dessen Leistungsbegehren rechtzeitig erfüllt wurde (so ausdrückl. BVerwG, U. v. 12.9.2013 - 5 C 35/12 -, NJW 2014, 1256 [1259] Rn. 37 m. w. N.). Es verstieße gegen die gesetzliche Gewährleistung des Rechtsanspruchs schlechthin, wenn der Hilfebedürftige seiner Rechte alleine deshalb verlustig ginge, weil er die ihm zustehende Hilfe nicht rechtzeitig vom Leistungsträger erhalten hat (vgl. BVerwG, U. v. 12.9.2013 - 5 C 35/12 -, NJW 2014, 1256 [1259] Rn. 37 a.E. m. w. N.; VG Stuttgart, U. v. 28.11.2014 - 7 K 3274/14 -, JAmt 2015, 98 [101]) und in der Folge im Wege der Selbstbeschaffung tätig werden musste (vgl. auch bereits BayVGH, B. v. 17.11.2015 - 12 ZB 15.1191 -, BayVBl. 2016, 448 [453 f.] Rn. 43).

e) Anders verhält es sich lediglich dann, wenn der Anspruchsberechtigte sich die begehrte Leistung ohne jede Inanspruchnahme des staatlichen Systems der Jugendhilfe von vornherein „auf eigene Faust“ bei einem freien oder privaten Träger „besorgt“ und auch später keinen entsprechenden Bedarf an den Träger der öffentlichen Jugendhilfe heranträgt. Hier wird der Rechtsanspruch aus § 24 Abs. 2 SGB VIII mangels Anmeldung (§ 24 Abs. 5 Satz 2 SGB VIII i. V. m. Art. 45a AGSG) schon gar nicht erst effektuiert und das staatliche System der Jugendhilfe überhaupt nicht aktiviert, weder primär noch im Wege des Aufwendungsersatzes sekundär. Das Jugendamt kann in einem solchen Fall auch später nicht als reine „Zahlstelle“ in Anspruch genommen bzw. „missbraucht“ werden (vgl. Meysen, in: Münder/Meysen/Trenczek, Frankfurter Kommentar zum SGB VIII, 7. Aufl. 2013, § 36a Rn. 2 m. w. N.; siehe zum Erfordernis der „Vorbefassung des Trägers der Jugendhilfe“ auch BVerwG, U. v. 12.9.2013 - 5 C 35/12 -, NJW 2014, 1256 [1260] Rn. 40).

3.) Ungeachtet dessen sind die Träger der öffentlichen Jugendhilfe (Landkreise und kreisfreie Städte), insbesondere dann, wenn sie - wie die kreisfreien Städte -Gemeinde und Jugendhilfeträger zugleich sind, ohne Vorliegen eines besonderen -hier nicht ersichtlichen - Rechtstitels verpflichtet, alle ihre Bürger gleich zu behandeln (Art. 15 Abs. 1 Satz 2 AGSG i. V. m. Art. 11 Abs. 1 Satz 2 BayLKrO, Art. 15 Abs. 1 Satz 2 BayGO). Auch der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebietet, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln (vgl. BVerfGE 1, 14 [52]; 98, 365 [385]; 110, 412 [431]; st.Rspr.). Er verbietet ungleiche Belastungen ebenso wie ungleiche Begünstigungen (vgl. BVerfGE 79, 1 [17]; 110, 412 [431]). Verboten ist daher insbesondere ein gleichheitswidriger Begünstigungsausschluss (vgl. BVerfGE 93, 386 [396]; 105, 73 [110 ff., 133]; 110, 412 [431]), bei dem einem Personenkreis eine Begünstigung gewährt wird, einem anderen jedoch vorenthalten bleibt, ohne dass sich ausreichende Gründe für eine solche Differenzierung finden lassen (vgl. BVerfGE 93, 386 [396 f.]; 112, 164 [174]; 116, 164 [180]; 124, 251 [265]). Dies gilt selbst dann, wenn im Einzelfall kein Rechtsanspruch auf (kostenfreie) Leistung besteht (vgl. statt aller Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, 13. Aufl. 2014, Art. 3 Rn. 11; nicht gesehen von Wiesner, ZKJ, 2014, 458 [460; 461 ff.] u. Kepert, ZKJ 2015, 267 [268 f.]).

Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber und die Verwaltung (vgl. Rüfner, in: Bonner Kommentar zum GG, 67. Lfg. Okt. 1992, Art. 3 Rn. 130 u. 177), die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen (vgl. BVerfGE 110, 274 [291]; 112, 164 [174]; 124, 251 [265]). Eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG liegt regelmäßig vor, wenn sich ein vernünftiger, aus der Natur der Sache ergebender oder sonstwie einleuchtender Grund für eine Differenzierung nicht finden lässt (vgl. BVerfGE 1, 14 [52]; 89, 132 [141]; 105, 73 [110]) oder wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu einer anderen Gruppe unterschiedlich behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die unterschiedliche Behandlung rechtfertigen können (vgl. BVerfGE 93, 386 [397]; 105, 73 [110]; 107, 27 [45 f.]; 133, 377 [408] Rn. 76).

a) Der Träger der öffentlichen Jugendhilfe kann deshalb, insbesondere dann, wenn er - als kreisfreie Stadt - Gemeinde und Jugendhilfeträger zugleich ist, mit anderen Worten eine Doppelrolle wahrnimmt, ohne Vorschaltung eines alle Interessenten gleichermaßen einbeziehenden Auswahlverfahrens und ohne Festlegung sach- und interessengerechter Vergabekriterien, ein im Wesentlichen vergleichbares Angebot unterstellt, nicht einerseits einem Teil des anspruchsberechtigten Personenkreises einen „günstigen“ Platz in einer eigenen oder kommunalen Tageseinrichtung verschaffen, einen anderen, in gleicher Weise anspruchsberechtigten Personenkreis jedoch auf „weniger günstige“ Einrichtungen eines freigemeinnützigen oder gar „erheblich teurere“ Einrichtungen eines privaten Trägers verweisen bzw. mit der Folge der Selbstbeschaffung von vornherein ohne jedes Angebot belassen und damit letztlich ebenfalls einem erheblich teureren Privaten anheimgeben, der zwar bereit ist, das Kind aufzunehmen, jedoch zu einem erheblich höheren Betrag als in einer eigenen oder kommunalen Einrichtung. Hierin läge, ein im Wesentlichen vergleichbares Leistungsangebot unterstellt, ein weder verfassungsrechtlich (Art. 3 Abs. 1 GG) noch einfachrechtlich (Art. 15 Abs. 1 Satz 2 AGSG i. V. m. Art. 11 Abs. 1 Satz 2 BayLKrO bzw. Art. 15 Abs. 1 Satz 2 BayGO) zulässiger - gleichheitswidriger - Begünstigungsausschluss (vgl. auch bereits BayVGH, B. v. 17.11.2015 - 12 ZB 15.1191 -, BayVBl. 2016, 448 [454] Rn. 47).

Dem kann nicht mit Erfolg entgegengehalten werden, die in der Regel kostengünstigeren Plätze in kommunalen Einrichtungen würden bereits im Rahmen des einrichtungsbezogenen Anspruchs aus Art. 21 BayGO vergeben; insoweit habe jedes Kind die gleiche Chance, ebenfalls einen kostengünstigen Platz zu erlangen. Eine solche Betrachtung verkennt nicht nur, dass es sich bei dem hier in Rede stehenden Anspruch aus § 24 Abs. 2 SGB VIII um den im Vergleich mit Art. 21 BayGO weitergehenden Anspruch handelt; sie lässt zugleich auch unberücksichtigt, dass Art. 21 BayGO nicht als Gesamtvergabeanspruch hinsichtlich aller kostengünstigen (kommunalen) Betreuungsplätze konzipiert ist, sondern ausschließlich einen bestimmten Platz in einer konkreten Einrichtung zum Gegenstand hat. Die L. M. kennt kein zentrales Vergabe- bzw. Vermittlungsverfahren. Über den einrichtungsbezogenen Anspruch aus Art. 21 BayGO entscheidet auf der Grundlage der städtischen Krippensatzung allein die Leitung der jeweiligen Einrichtung (vgl. hierzu näher Wiesner, ZKJ 2014, 458 [460]). Es können deshalb gerade nicht alle Gemeindebürger gleichermaßen in den Genuss des geldwerten Vorteils eines günstigeren kommunalen Platzes gelangen, weil die Beklagte diese Plätze nicht in das gemäß § 24 Abs. 2 SGB VIII i. V. m. § 79 Abs. 2 SGB VIII geschuldete Vermittlungsverfahren einbezieht und dementsprechend auch keine den Anforderungen des Gleichheitssatzes Rechnung tragende Vergabekriterien entwickelt hat, sondern lediglich außerhalb dieses Verfahrens einen einrichtungsbezogenen Anspruch (Art. 21 BayGO) gewährt, der - wie bereits erwähnt - von vorneherein nicht als den Anforderungen des Gleichheitssatzes entsprechender Gesamtvergabeanspruch hinsichtlich aller kostengünstigen (kommunalen) Plätze konzipiert ist.

Der Gesichtspunkt der Vergabe kostengünstigerer kommunaler Plätze im Verhältnis zu erheblich teureren bei freien und privaten Trägern spielt nach der Krippensatzung der L. M. vom 26. Juli 2006 (vgl. Bek. vom 21.8.2006, MüABl. S. 257, in der Fassung vom 2.9.2015, MüABl. S. 318) für die Vergabeentscheidung keine Rolle. Diese richtet sich in dem (regelmäßig vorliegenden) Fall, dass nicht genügend freie Plätze verfügbar sind, ausschließlich nach Rangstufen (1 und 2) und innerhalb der Rangstufen nach Dringlichkeitsstufen (vgl. § 2 Abs. 4 d. Satzung). Sofern das aufzunehmende Kind nicht bereits im Vorjahr einen Platz in der Einrichtung erhalten hatte (Rangstufe 1), erfolgt die Verteilung auf die einzelnen Altersstufen in Rangstufe 2 entsprechend der jeweiligen Hauskonzeption (vgl. § 3 d. Satzung) und sodann nach den Dringlichkeitsstufen, „Erwerbstätigkeit beider Personensorgeberechtigten (Dringlichkeitsstufe A)“, „beide Personensorgeberechtigten arbeitssuchend (Dringlichkeitsstufe B)“ und „Kinder, die im Interesse der sozialen Integration der Betreuung bedürfen (Dringlichkeitsstufe C)“. Innerhalb der Dringlichkeitsstufe A erfolgt die Verteilung zusätzlich nach einem Punktesystem (vgl. § 4 d. Satzung). Die Platzvergabe nach der städtischen Satzung ist daher von vorneherein nicht auf die Herstellung von Verteilungsgerechtigkeit hinsichtlich der Vergabe kostengünstigerer kommunaler Plätze im Verhältnis zu erheblich teureren bei freien und privaten Trägern ausgerichtet.

Ungeachtet dessen darf auch nicht verkannt werden, dass zwischen freien und privaten Trägern ebenfalls ein erhebliches Kostengefälle besteht. Auch insoweit ist den Anforderungen des Art. 3 Abs. 1 GG Rechnung zu tragen und ein gleichheitswidriger Begünstigungsausschluss zu vermeiden, entweder dadurch, dass ein im Wesentlichen einheitliches Preisniveau für alle im Sinne des § 24 Abs. 2 SGB VIII erfüllungsgeeigneten Plätze hergestellt wird oder sachgerechte Kriterien für eine „Verwaltung des Mangels an kostengünstigen Einrichtungen“, beispielsweise unter Beachtung der Einkommensverhältnisse der Eltern (vgl. zur Berücksichtigung des Familieneinkommens im Bereich gleichheitskonformer Rechtsanwendung allgemein BVerfGE 97, 332 [344]), entwickelt werden.

Der L. kommt kein - vergleichbar etwa dem (Bundes-) Gesetzgeber - weiter Gestaltungsspielraum zu (vgl. hierzu BVerfGE 17, 210 [216]; 93, 319 [350]; 122, 1 [23]), der ihr Handeln legitimieren und einen hieraus resultierenden gleichheitswidrigen Begünstigungsausschluss rechtfertigen könnte (verkannt von Kaiser, in: Kunkel/Kepert/Pattar, SGB VIII, 6. Aufl. 2016, § 24 Rn. 13, der das Tätigwerden der Verwaltung in unzulässiger Weise und unter unzutreffender Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts mit einem solchen des Gesetzgebers gleichsetzt). Vielmehr ist die L. von Verfassungs wegen gehalten, ihre Verwaltung nach Art, Umfang und Leistungsvermögen entsprechend den Anforderungen sachgerechter Erledigung des sich aus der Bundesgesetzgebung ergebenden Aufgabenbestandes (vgl. § 24 Abs. 2 SGB VIII) einzurichten (vgl. BVerfGE 55, 274 [318]) und den Anforderungen des Gleichheitssatzes Rechnung zu tragen. Die L. kann daher entweder ein einheitliches Preisniveau für alle Plätze herstellen, indem sie die Preise der kommunalen Einrichtungen auf das Niveau der freien und privaten Träger anhebt oder mit den freien bzw. privaten Trägern im Rahmen von Leistungssicherstellungsvereinbarungen ein einheitliches Preisniveau festlegt und diesen einen entsprechenden Defizitausgleich gewährt (vgl. hierzu BayVGH, U. v. 23.10.2013 - 12 BV 13.650 -, BayVBl. 2014, 309 f. Rn. 18, 21 f., 28), den betroffenen Eltern im Falle der Vermittlung eines teureren Platzes einen Ausgleichsbetrag zahlt und den Freistaat Bayern auf Gewährung eines Mehrbelastungsausgleichs (Art. 83 Abs. 3 Satz 2 BV) in Anspruch nimmt (vgl. hierzu näher Wolff, in: Lindner/Möstl/Wolff, Verfassung des Freistaats Bayern, 2009, Art. 83 Rn. 127 ff.; Wollenschläger, in: Meder/Brechmann, Die Verfassung des Freistaats Bayern, 5. Aufl. 2014, Art. 83 Rn. 75 ff.; Zieglmeier, NVwZ 2008, 270 [273 ff.]; Huber/Wollenschläger, VerwArch 2009 (100), 305 [330, 338 f.]) oder den Mangel an kostengünstigen Plätzen durch Entwicklung den Anforderungen des Gleichheitssatzes Rechnung tragender Kriterien in einem einheitlichen Verfahren sachgerecht verteilt. Welchen Weg sie letztlich wählt, liegt alleine in ihrem Ermessen.

b) Die unter Mitwirkung des Bayerischen Staatsministeriums für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen, des Bayerischen Gemeindetags, des Bayerischen Städtetags, des Bayerischen Landkreistags, des Bayerischen Landesjugendamts, der bayerischen Jugendbehörden und des Staatsinstituts für Frühpädagogik erarbeiteten Hinweise zur Auslegung des Rechtsanspruchs für Kinder ab dem vollendeten ersten Lebensjahr mit Wirkung ab dem 1. August 2013 (Stand 2. Juli 2013) nehmen diese Gesichtspunkte auf und tragen ihnen, da sowohl das Herstellen eines einheitlichen Preisniveaus als auch die Anwendung „mangelverwaltender Kriterien“ auf nicht unerhebliche praktische Schwierigkeiten stoßen würde, durch folgende Vorgabe Rechnung (vgl. Bayer. Gemeindetag 2013, 334 [335]):

„Kann ein Kind nur auf einen Platz mit einem höheren Elternbeitrag verwiesen werden, ist den Eltern für die Dauer des Besuchs der zugewiesenen Einrichtung ein Ausgleichsbetrag zu zahlen.“

Auch wenn die genannten Auslegungshinweise eine Rechtsgrundlage für die Zahlung des Ausgleichsbetrags nicht ausdrücklich benennen, so ist diese nach dem zuvor Gesagten doch gleichwohl im allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit seinen einfachrechtlichen Ausprägungen in der Landkreis- und Gemeindeordnung zu sehen. Die Auszahlung selbst ist im Rahmen des § 90 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII zu bewirken (vgl. auch bereits BayVGH, B. v. 17.11.2015 - 12 ZB 15.1191 -, BayVBl. 2016, 448 [454] Rn. 50). Insoweit gilt: Kann ein Kind ohne Vorliegen sachlich rechtfertigender Gründe nur auf einen Platz mit einem höheren Elternbeitrag verwiesen werden, so ist der damit verbundene gleichheitswidrige Begünstigungsausschluss, der dem anspruchsberechtigten Kind regelmäßig auch ohne Berücksichtigung der Einkommensverhältnisse seiner Eltern unzumutbar ist, durch Zahlung eines Ausgleichsbetrags (§ 90 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII) bzw. im Falle der Selbstbeschaffung durch Übernahme der Mehrkosten analog § 36a Abs. 3 SGB VIII zu kompensieren. Die Höhe der entsprechenden Beträge bestimmt sich, sofern konkrete Anhaltspunkte für eine Bemessung fehlen, grundsätzlich nach der Differenz der tatsächlichen Kosten für einen Betreuungsplatz bei einem freien oder privaten Träger zu denen in einer kommunalen Einrichtung. Für eine Begrenzung auf den das 1,5-fache des staatlichen Förderanteils in der Kindertagespflege übersteigenden Betrag entsprechend Art. 20 Satz 1 Ziffer 3 BayKiBiG (in diese Richtung offenbar die unter Mitwirkung des Bayerischen Staatsministeriums für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen, des Bayerischen Gemeindetags, des Bayerischen Städtetags, des Bayerischen Landkreistags, des Bayerischen Landesjugendamts, der bayerischen Jugendbehörden und des Staatsinstituts für Frühpädagogik erarbeiteten Hinweise zur Auslegung des Rechtsanspruchs für Kinder ab dem vollendeten ersten Lebensjahr mit Wirkung ab dem 1. August 2013 [Stand 2. Juli 2013], Bayer. Gemeindetag 2013, 334 [335]) besteht ohne ausdrückliche gesetzliche Anordnung keine Grundlage. Art. 20 Satz 1 Ziffer 3 BayKiBiG betrifft im Übrigen auch nur die Kindertagespflege, nicht aber die Höhe der Elternbeteiligung bei der Inanspruchnahme von Tageseinrichtungen (vgl. hierzu näher Wiesner, in: ZKJ 2014, 458 [461 ff.]).

4. Bietet der örtlich zuständige Träger der öffentlichen Jugendhilfe nachträglich einen auch hinsichtlich der Entfernung zum Wohnort der Familie geeigneten Betreuungsplatz an, so erlischt der Sekundäranspruch auf Aufwendungsersatz dann, wenn dem anspruchsberechtigten Kind unter Berücksichtigung des Kindeswohls und der Verpflichtung zu wirtschaftlichem Handeln ein Einrichtungswechsel zumutbar ist (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, U. v. 28.5.2014 - 7 A 10276/14 -, JAmt 2014, 464 [466]; BayVGH, B. v. 17.11.2015 - 12 ZB 15.1191 -, BayVBl. 2016, 448 [455] Rn. 54; Meysen/Beckmann, Rechtsanspruch U 3, Rn. 486 ff.).

Zwar soll einem Kind der Aufbau einer neuen Beziehung verbunden mit einem Wechsel der Betreuungsperson nicht allzu oft zugemutet werden; leider lässt er sich aufgrund der Wechselfälle des Lebens (Ausscheiden der Betreuungsperson aus dem Berufsleben infolge Heirat, Schwangerschaft, Weiterbildung, Krankheit oder Erreichen der Altersgrenze bzw. Wohnsitzverlagerung der Eltern) aber nie ganz vermeiden. Von einer generellen Unzumutbarkeit eines solchen Wechsels kann daher nicht ausgegangen werden (so zutreffend OVG Rheinland-Pfalz, U. v. 28.5.2014 - 7 A 10276/14 -, JAmt 2014, 464 [466]; BayVGH, B. v. 17.11.2015 - 12 ZB 15.1191 -, BayVBl. 2016, 448 [455] Rn. 55).

Auch eine weitreichende Verfestigung des Aufenthalts in einer bestimmten Einrichtung, die unter dem Gesichtspunkt der Hilfekontinuität (vgl. hierzu näher Meysen/Beckmann, Rechtsanspruch U 3, Rn. 489) einen Wechsel unzumutbar erscheinen ließe mit der Folge, dass die durch die selbst gesuchte Betreuung entstehenden Mehrkosten unter Zurückstellung der Verpflichtung zu wirtschaftlichem Verhalten auch weiterhin vom Jugendhilfeträger zu erstatten wären (vgl. Meysen/Beckmann, a. a. O., Rn. 490), wird deshalb nur in seltenen Ausnahmefällen in Betracht kommen, etwa dann, wenn der Wechsel in den Kindergarten (§ 24 Abs. 3 SGB VIII) unmittelbar oder zumindest innerhalb weniger Monate bevorsteht.

II.

Gemessen an diesen Maßstäben und Grundsätzen steht dem Kläger ein Aufwendungsersatzanspruch analog § 36a Abs. 3 SGB VIII für die Monate April bis einschließlich Juni 2014 zu, weil die Beklagte dem Rechtsanspruch des Klägers erst mit Schreiben vom 1. Juli 2014, nicht aber wie gewünscht ab dem 1. April 2014 entsprechen konnte. Für die Monate Juli und August 2014 hingegen kommt ein Aufwendungsersatzanspruch nicht in Betracht, da die Eltern des Klägers das im Schreiben vom 1. Juli 2014 unterbreitete Angebot eines Betreuungsplatzes in einer Übergangsgruppe nicht nachgefragt haben.

1. Die Eltern des Klägers haben den Bedarf für einen Vollzeitplatz bereits mit E-Mail vom 25. September 2013 (vgl. Bl. 2 der Behördenakte) an die Beklagte herangetragen (§ 36a Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB VIII analog). Mit E-Mail vom 21. November 2013 (vgl. Bl. 1 d. Behördenakte) wurde als „(Arbeits-)-Adresse“ die Praxisanschrift „A.-straße 4“ angegeben. In dem am 3. Dezember 2013 bei der Beklagten eingegangenen Formblatt (vgl. Bl. 4 ff. der Behördenakte) wurde der Bedarf näher konkretisiert (ab 1.4.2014, Montag bis Freitag 7:30/8:00 bis 16:00). Dass die Eltern des Klägers zu diesen beiden Zeitpunkten - 25. September bzw. 3. Dezember 2013 - noch nicht in M. gemeldet waren, sondern erst zum 1. April 2014 von K. nach M. übersiedeln wollten, hindert die Annahme der Zuständigkeit der Beklagten für den beantragten Zeitraum ab 1. April 2014 nicht. Der Rechtsanspruch aus § 24 Abs. 2 SGB VIII entfaltet „Vorwirkung“. Wird der Bedarf - wie hier - für einen Zeitraum ab Verlagerung des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes rechtzeitig an den Jugendhilfeträger herangetragen, haben dessen Bemühungen unverzüglich einzusetzen. Den Anforderungen des Art. 45a AGSG war damit durch rechtzeitiges Herantragen des Bedarfs am 25. September 2013 mit Beginn ab dem 1. April 2014 Rechnung getragen. Die Anmeldefrist dieser Vorschrift lief unmittelbar mit Eingang der E-Mail am 25. September 2013 und nicht erst mit dem Rücklauf des Bedarfsformulars - ein solches ist in Art. 45a AGSG gar nicht vorgesehen - an, wobei zusätzlich zu berücksichtigen ist, dass zum damaligen Zeitpunkt noch die Übergangsregelung des Art. 118 Abs. 2 AGSG a. F. galt und die Frist lediglich 4 Wochen betrug. Aufgrund des Vorlaufs von über einem halben Jahr (25.09.2013 - 1.04.2014) kommt es auf Beginn und Länge der Frist indes nicht entscheidungserheblich an. Ungeachtet dessen gilt die Anmeldefrist des Art. 45a AGSG entsprechend dem Wortlaut der Vorschrift auch nur grundsätzlich.

Der Kenntnis der künftigen Wohnadresse der Eltern des Klägers bedurfte es entgegen der Auffassung der Beklagten nicht. Fehlen dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe für die Erfüllung des Rechtsanspruchs aus § 24 Abs. 2 SGB VIII noch weitere Informationen, so tritt allein dadurch eine Hemmung oder Unterbrechung des Laufs der Anmeldefrist nicht ein. Vielmehr muss die Gemeinde bzw. der Träger der öffentlichen Jugendhilfe die Frist des Art. 45a AGSG nutzen, um sich die noch fehlenden Informationen unter Mitwirkung des Antragstellers (§ 60 ff. SGB I) zu beschaffen. Ungeachtet dessen dürfen Sozialleistungen auch nur versagt werden, nachdem der Leistungsberechtigte oder sein gesetzlicher Vertreter schriftlich auf die Folgen fehlender Mitwirkung hingewiesen wurde und seiner Mitwirkungspflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Frist nachgekommen ist (§ 66 Abs. 3 SGB I). Die Beklagte hätte die Eltern des Klägers deshalb (rechtzeitig) zu einer Benennung der künftigen Wohnadresse auffordern müssen, um einen Anspruchsausschluss zu bewirken. Unabhängig hiervon war der Beklagten zumindest die Praxisadresse der Mutter des Klägers als insoweit maßgeblicher örtlicher Bezugspunkt für die Bereitstellung und Vermittlung eines bedarfsgerechten Angebots bekannt. Die (Drei-Monats-)Frist des Art. 45a AGSG lief daher nicht - wie die Beklagte rechtsirrig meint - erst mit Bekanntwerden der neuen Wohnadresse des Klägers in M. am 21. Mai 2014, sondern bereits am 25. September 2013 für den Zeitraum ab 1. April 2014 an. (Spätestens) ab diesem Zeitpunkt hatte der Kläger seinen gewöhnlichen Aufenthalt (§ 30 Abs. 1 SGB I) in M. mit der Folge, dass die L. zuständig (§ 86 Abs. 1 SGB VIII) und der Anspruch aus § 24 Abs. 2 SGB VIII fällig (§§ 41, 40 SGB I) war.

Der individuelle Bedarf des Klägers wurde durch die Angabe in „Vollzeit“ von vornherein auf einen Ganztagsplatz festgelegt (vgl. Bl. 2 d. Behördenakte). Gleiches gilt aufgrund der Angabe 7:30/8:00 Uhr bis 16:00 Uhr im Bedarfsmeldeformular (vgl. Bl. 5 d. Behördenakten). Etwas anderes ergibt sich entgegen der Auffassung der Beklagten auch nicht aus dem „Steckbrief Tagespflege“ vom 27. Januar 2014 (vgl. Bl. 84 f. der VG-Akte). Dort hat die Mutter des Klägers ebenfalls konkrete Zeiten (Mo - Fr., 7.30 bzw. 8.00 Uhr bis 15.00 bzw. 16.00 Uhr) angegeben und ergänzend handschriftlich ausgeführt „kann Zeiten momentan noch nicht festlegen“. Hieraus folgt entgegen der Auffassung der Beklagten jedoch nicht, es seien keine Betreuungszeiten über die „Regelförderung“ hinaus erforderlich. Die Mutter des Klägers hat lediglich zum Ausdruck gebracht, dass sie die Zeiten noch nicht exakt festlegen kann. Ein wie auch immer gearteter „Regelförderungsbedarf“, der den Anspruch des Klägers auf eine Halbtagsbetreuung reduzieren würde, existiert entgegen der Auffassung der Beklagten nicht. Eine solche Einschränkung findet im Gesetz keine Stütze. Jedenfalls müssen die Eltern sich auf einen solchen - mangels Bedarfskriterien -nicht verweisen lassen. Dass eine Vollzeitbetreuung dem Kindeswohl des Klägers widersprechen würde, ist weder dargelegt noch sonst ersichtlich.

2. Der Umstand, dass die Eltern des anspruchsberechtigten Klägers (bereits) am 5. Februar 2014 selbst auf eigenes Risiko einen Betreuungsplatz für den Zeitraum ab dem 1. April 2014 beschafften (vgl. Betreuungsvertrag, Bl. 23 ff. d. VG-Akte-Eilverfahren), lässt den Primäranspruch des Klägers aus § 24 Abs. 2 SGB VIII unberührt und kann dementsprechend dem Aufwendungsersatzanspruch analog § 36a Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB VIII nicht mit Erfolg entgegengehalten werden. § 24 Abs. 2 SGB VIII begründet einen Verschaffungsanspruch, nicht lediglich einen Selbstbeschaffungsanspruch. Letzteres ist in einer freien Gesellschaft selbstverständlich und bedürfte keiner gesetzlichen Regelung. Die Inanspruchnahme von Betreuungsleistungen „auf dem freien Markt“ bleibt jedem Leistungsberechtigten unbenommen. Sie erfolgt ausschließlich im Bereich und mit den Mitteln des bürgerlichen Rechts.

Dementsprechend stellt sich die Selbstbeschaffung eines Betreuungsplatzes im Vergleich zur Erlangung eines solchen Platzes im Wege des Verschaffungsanspruchs aus § 24 Abs. 2 SGB VIII auch (lediglich) als ein aliud dar. Allein der Umstand, dass der Rechtsanspruch aus § 24 Abs. 2 SGB VIII auch durch den Nachweis eines Platzes bei einem freien oder privaten Träger erfüllt werden kann, bewirkt keine wie auch immer geartete öffentlichrechtliche Überformung dieses Betreuungsangebots. Weder das Achte Buch Sozialgesetzbuch noch das Bayerische Kinderbildungs- und -betreuungsgesetz verleihen freien oder privaten Trägern hoheitliche Befugnisse. Eine wie auch immer geartete „Beauftragung“ liegt nicht vor. Die Beklagte hat nach eigenem Bekunden auch keine Leistungssicherstellungsvereinbarungen mit freien oder privaten Trägern abgeschlossen (vgl. Bl. 258 d. Senatsakten). Wer -wie die freien und privaten Träger - in Erfüllung einer eigenen (vertraglichen) Verbindlichkeit leistet, ist auch nicht Dritter im Sinne des § 267 BGB. Die freien bzw. privaten Träger erbringen deshalb auch keine Leistung des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe im Rahmen des § 24 Abs. 2 SGB VIII, sondern eine eigene.

Demzufolge kann die (Selbst-)Beschaffung eines Betreuungsplatzes durch die Eltern eines anspruchsberechtigten Kindes auch keine Erfüllung des Verschaffungsanspruchs aus § 24 Abs. 2 SGB VIII bewirken. Erfüllung tritt stets nur dann ein, wenn die geschuldete Leistung - die Verschaffung eines Platzes auf der Grundlage von § 24 Abs. 2 SGB VIII - bewirkt wird. Tritt der Erfolg ohne eine Leistung des Schuldners (Träger der öffentlichen Jugendhilfe) ein, etwa dadurch, dass die Eltern eine Selbst- oder Ersatzbeschaffung bei einem freien oder privaten Träger vornehmen, so erlischt das gesetzliche Schuldverhältnis aus § 24 Abs. 2 SGB VIII hierdurch nicht. In einem solchen Fall wird vielmehr eine andere als die geschuldete Leistung erbracht. Eine Erfüllungswirkung tritt dadurch nicht ein. Der Verschaffungsanspruch kann nur durch ein „aktives Handeln“ des Jugendhilfeträgers erfüllt werden; es gibt keine „Erfüllung durch Unterlassen“. Infolgedessen kann das bloße Innehaben eines selbst beschafften Betreuungsplatzes den Rechtsanspruch aus § 24 Abs. 2 SGB VIII nicht erfüllen. Ebenso wenig steht das Innehaben eines entsprechenden, bei einem freien oder privaten Träger vor Entstehung bzw. Fälligkeit des Rechtsanspruchs selbst beschafften, naturgemäß teureren Platzes der Anspruchsberechtigung aus § 24 Abs. 2 SGB VIII entgegen. Vielmehr wandelt sich dieser Primäranspruch unter den Voraussetzungen analog § 36a Abs. 3 SGB VIII in einen Sekundäranspruch auf Aufwendungsersatz um. Die vom Träger der öffentlichen Jugendhilfe geschuldete Vermittlungsleistung wird deshalb - soweit die Anspruchsberechtigten einen entsprechenden Bedarf an einem naturgemäß kostengünstigeren Platz rechtzeitig (Art. 45a AGSG) an den Jugendhilfeträger herantragen - nicht entbehrlich.

Kann der Jugendhilfeträger dieser - durch eigenes, aktives Handeln (Vermitteln) zu erfüllenden - Verpflichtung zum Fälligkeitszeitpunkt nicht genügen und muss der Anspruchsberechtigte sich die begehrte Leistung durch weitere Inanspruchnahme des zuvor auf eigenes Risiko „auf dem freien Markt“ besorgten Platzes selbst beschaffen, hat der Träger der Jugendhilfe die Kosten der (Ersatz-)Beschaffung abzüglich etwaiger ersparter (fiktiver) Kostenbeiträge zu tragen. Der Umstand, dass die besorgten Eltern des Klägers sich bereits unter dem 5. Februar 2014 für den Fall, dass die Beklagte zum 1. April 2014 „nicht werde liefern können“ auf eigenes Risiko einen Platz auf dem „freien Markt“ beschafft haben, steht daher weder der weiteren Geltendmachung des Primäranspruchs aus § 24 Abs. 2 SGB VIII nach diesem Zeitpunkt noch dem Einfordern von Aufwendungsersatz aufgrund Systemversagens bei weiterem Ausbleiben der Leistung entgegen.

3. Dem Anspruch auf Aufwendungsersatz analog § 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII steht auch nicht entgegen, dass die Beklagte den Eltern des Klägers Tagesmutterplätze angeboten hat (vgl. E-Mail vom 29.01.2014, Bl. 86 d. VG-Akte), die diese nicht angenommen haben (vgl. E-Mail vom 29.01.2014, Bl. 87 d. VG-Akte). Zum einen haben die Eltern des anspruchsberechtigten Kindes nach dem Willen des Gesetzgebers gegenüber dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe ein Wunsch- und Wahlrecht (§ 5 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII) und können damit selbst entscheiden, ob der Bedarf des Kindes in Kindertagespflege oder in einer Kindertageseinrichtung gedeckt werden soll. Die Eltern des Klägers haben dieses Wahlrecht auch betätigt, indem sie zum einen am 5. Februar 2014 einen Platz in einer (privaten) Tageseinrichtung beschafften (vgl. Betreuungsvertrag, Bl. 23 ff. d. VG-Akte-Eilverfahren) und darüber hinaus die Beklagte mittels eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung auf Vermittlung eines ebensolchen Platzes in Anspruch nahmen (vgl. Bl. 2. d. VG-Akte-Eilverfahren). Zum anderen waren bereits fünf der sechs von der Beklagten angebotenen Tagesmutterplätze nach dem im Formular abgefragten Bedarf von vornherein nicht bedarfsdeckend. Die Angebote „D.-str. 59“ und „R.-str. 53“ deckten den Freitag nicht ab. Die Angebote „S. Str. 183“ und „O.-Str.“ endeten am Dienstag und Donnerstag bereits um 15.00 Uhr, statt um 16.00 Uhr, und das Angebot „L. Str. 40“ konnte entgegen den Anforderungen am Mittwoch und Freitag keine Betreuung liefern (vgl. im Einzelnen Bl. 84 u. 86 d. VG-Akte). Auch eine Kombination aus diesen Angeboten kommt nach der Überzeugung des Senats aufgrund des damit verbundenen ständigen Wechsels der Bezugs- und Betreuungspersonen und der daraus resultierenden Beeinträchtigung des Kindeswohls nicht in Betracht, ungeachtet dessen, dass die Beklagte eine solche Kombination in ihrer E-Mail vom 29. Januar 2014 (vgl. Bl. 86 d. VG-Akte) gar nicht angeboten, sondern erstmals im Berufungsverfahren als Möglichkeit in den Raum gestellt hat. Auf einen sogenannten Grundbedarf (Halbtagsbetreuung) müssen die Eltern des anspruchsberechtigten Kindes sich - wie bereits erwähnt - nicht verweisen lassen.

Der von der Beklagten benannte Tagesmutterplatz „C.-B. 128“ (vgl. Bl. 86 d. VG-Akte) wäre zwar nach dem angegebenen individuellen Bedarf noch am ehesten geeignet gewesen, sofern man davon absieht, dass der Kläger dienstags und donnerstags bereits ab 7.30 Uhr eine Betreuung benötigte (vgl. Bl. 84 d. VG-Akte), die Tagesmutter jedoch erst ab 7.45 Uhr zur Verfügung gestanden hätte (vgl. Bl. 86 d. VG-Akte). Allerdings steht insoweit, was aufgrund des Umstands, dass nur ein zumutbarer Platz anspruchserfüllend wirken kann, bereits von Amts wegen zu prüfen ist, entgegen, dass der Tagesbetreuungsplatz vom Wohnsitz des Kindes bzw. der damals allein vorhandenen Praxisadresse der Mutter des Klägers aus nicht in vertretbarer Zeit erreicht werden konnte. Da die Mutter des Klägers im Zeitpunkt der möglichen Inanspruchnahme April 2014 - August 2014 mangels eigenem Auto auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen war, hätte der erforderliche Zeitaufwand für die einfache (schnellste) Wegstrecke zum Tagesmutterplatz - im Normalfall 29 bzw. 30 Minuten betragen (vgl. Bl. 96 d. VG-Akte [Berechnung Praxis] u. Bl. 92 u.100 d. VG-Akte [Berechnung Wohnsitz]). Dabei ist nicht nur zu berücksichtigen, dass neben einem insgesamt 10 Minuten in Anspruch nehmenden Fußweg zusätzlich auch noch Bus und U-Bahn hätten benutzt werden müssen (vgl. Bl. 100 u. 101 d. VG-Akte), vielmehr ist darüber hinaus auch zu beachten, dass dieser Weg im Ballungsraum der L. M. zu Zeiten des Berufsverkehrs hätte zurückgelegt werden sollen. Im Hinblick auf das das Jugendhilferecht beherrschende Prinzip der Wohnortnähe war dieses Angebot nach der Überzeugung des Senats infolgedessen nicht mehr zumutbar und deshalb auch nicht geeignet, den Rechtsanspruch des Klägers zu erfüllen. Allein der Zeitaufwand der freiberuflich erwerbstätigen Mutter des Klägers für die Bewältigung des Hin- und Rückwegs hätte zwei Stunden pro Tag betragen. Eine Obliegenheit oder gar Verpflichtung der Eltern, sich des Carsharings oder eines Mietwagens zu bedienen, um die Wegezeiten zu verkürzen, bestand entgegen der Ansicht der Beklagten nicht. Ebenso wenig waren die Eltern verpflichtet, sich die Bewältigung des täglichen Hin- und Rückwegs zur Betreuungseinrichtung zu teilen und damit erträglicher zu gestalten. Gemäß § 1627 BGB bestimmen allein die Eltern, wer sich der Betreuung des Kindes primär zu widmen hat und die Bewältigung des Weges zur Betreuungseinrichtung und zurück übernimmt (vgl. hierzu näher Peschel-Gutzeit, in: Staudinger, BGB, Neubearb. 2015, § 1627 Rn. 5, 6 u 7). Ungeachtet dessen kam der Vater des Klägers aufgrund seiner Außendienstverwendung außerhalb M. für eine Begleitung zur Betreuungseinrichtung von vorneherein nicht in Frage. Der Senat war daher entgegen der Auffassung der Beklagten auch nicht gehalten, die persönlichen Lebensumstände der Familie, namentlich diejenigen des Vaters des Klägers (Arbeitsorte, Arbeitszeiten, eigenes Kraftfahrzeug), über die abgegebenen Erklärungen (vgl. Schreiben vom 11. Juli 2016, Bl. 397 ff. d. Senatsakten) hinaus weiter aufzuklären.

Ebenso wenig waren die Eltern des Klägers verpflichtet, der Beklagten - ungefragt - mitzuteilen, dass sie auf die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel angewiesen seien. Vielmehr durften die Eltern entsprechend dem das Jugendhilferecht beherrschenden Prinzip der Wohnortnähe (vgl. § 80 Abs. 2 Nr. 1 SGB VIII) erwarten, dass sie nur in zumutbarer Entfernung zur angegebenen „Arbeitsadresse“ A.-straße 4 gelegene Angebote erreichen. Diese lag von der späteren Wohnung der Familie auch lediglich 450 Meter entfernt (vgl. Bl. 98 d. VG-Akte).

Soweit die Beklagte mit Schreiben vom 13. Juli 2016 erstmals mitgeteilt hat, sie hätte dem Kläger aufgrund von Platzfreimeldungen zum 1. April 2014 weitere Plätze vermitteln können (vgl. Bl. 355 ff. d. Senatsakten), kommt dieses Angebot - über 2 Jahre nach dem maßgeblichen Zeitpunkt am 1. April 2014 - nunmehr deutlich zu spät. Ungeachtet dessen sagt eine bloße Platzfreimeldung über die tatsächliche Nachfragelage am 1. April 2014 und damit die Erfüllbarkeit des Anspruchs auch überhaupt nichts aus.

4. Der Bedarf des Klägers war des Weiteren auch unaufschiebbar (§ 36a Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SGB VIII analog), da die durch § 24 Abs. 2 SGB VIII gewährte Leistung für die Vergangenheit nicht nachholbar ist und eine Betreuung, die nicht für den Zeitraum gewährt wird, für den sie begehrt wird, in irreversibler Weise unerfüllt bliebe (vgl. BVerwG, U. v. 12.9.2013 - 5 C 35/12 -, NJW 2014, 1256 [1259] Rn. 38). Eine weitere Vorenthaltung staatlicher bzw. staatlich vermittelter frühkindlicher Förderung ist regelmäßig unzumutbar, wenn sie bei rechtzeitiger Anmeldung nicht fristgerecht ermöglicht werden kann (vgl. Meysen/Beckmann, Rechtsanspruch U 3, Rn. 439 m.w.N). Angesichts des Ausbleibens eines zumutbaren Angebots seitens der Beklagten, haben sich die Eltern des Klägers zu Recht herausgefordert gesehen, am 5. Februar 2014 für den Zeitraum ab dem 1. April 2014 eine „Eigenbeschaffung“ auf dem „freien Markt“ durch Abschluss eines Betreuungsvertrages mit einer privaten Einrichtung ins Werk zu setzen (vgl. Betreuungsvertrag, Bl. 23 ff. d. VG-Akte-Eilverfahren), die mit dem endgültigen Ausbleiben jeglichen zumutbaren Angebots der Beklagten am 1. April 2014 in eine „Selbstbeschaffung“ analog § 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII überging. Nach der Überzeugung des Senats war vor dem Hintergrund des Umzugs der Familie von K. nach M. und der bevorstehenden Praxiseröffnung am 1. April 2014 jedes weitere Zuwarten unzumutbar. Die Familie benötigte Planungssicherheit.

Ebenso wenig waren die gesetzlichen Vertreter des Klägers gehalten, zunächst Primärrechtsschutz im Wege eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (§ 123 VwGO) in Anspruch zu nehmen. Der Grundsatz der Vorrangigkeit des Primärrechtsschutzes kommt - wenn überhaupt (vgl. BVerwG, U. v. 12.9.2013 - 5 C35/12 -, NJW 2014, 1256 [1261] Rn. 51) - nur dann zum Tragen, wenn das Nachsuchen um vorläufigen Rechtsschutz dem Betroffenen zumutbar ist, mit anderen Worten, Abhilfe auch tatsächlich erwartet werden kann und der Verweis auf dieses „Erfordernis“ nicht von vornherein als rechtsmissbräuchlich (§ 242 BGB) oder gar als schikanös (§ 226 BGB) erscheinen muss. An einer solchen Zumutbarkeit fehlt es, wenn dem Rechtsanspruch - wie hier - nur unter Überschreitung des von Art. 45a AGSG vorgegebenen Rahmens und damit unter einer erheblichen zeitlichen Verzögerung mittels einer „ad hoc“ angebotenen Übergangsgruppe Rechnung getragen werden kann und infolgedessen von vornherein nicht absehbar ist, wann der Träger seiner Bereitstellungsund Nachweisverpflichtung im Einzelnen würde genügen können. Die Beklagte kann nicht einerseits den Leistungszeitpunkt 1. April 2014 mit der Folge des Eintritts des Schuldnerverzuges analog § 286 BGB (vgl. zur entsprechenden Anwendbarkeit Ernst, in: Münchener Kommentar, BGB, 6. Aufl. 2012, § 286 Rn. 5 m. w. N.) ohne Verschaffung eines Platzes verstreichen lassen und andererseits vortragen, für den Fall des Erlasses einer einstweiligen Anordnung (§ 123 VwGO) durchaus in der Lage gewesen zu sein, einen Platz zur Verfügung zu stellen. Ein solches Vorgehen ist nicht nur rechtsmissbräuchlich (§ 242 BGB); es erweist sich zugleich auch als schikanös (§ 226 BGB).

Die Ausübung und das Beharren auf einem (vermeintlichen) Recht sind unzulässig, wenn sie - wie hier - ausschließlich den Zweck verfolgen, einem anderen - dem Kläger und dessen Eltern - Schaden zuzufügen, indem sie die Folgen des Verzugseintritts - die Verpflichtung zur Leistung von Aufwendungsersatz analog § 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII - für eine nicht unerhebliche Zeit hinausschieben oder gar gänzlich unmöglich machen (vgl. näher Ellenberger, in: Palandt, BGB, 75. Aufl. 2016, § 226 Rn. 2). Ungeachtet dessen hat der Kläger vorliegend unter dem 7. Juni 2014 auch tatsächlich einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, gerichtet auf die Zur-Verfügung-Stellung eines Betreuungsplatzes in einer Kindertageseinrichtung, stellen lassen, ohne dass die Beklagte diesem Begehren unmittelbar hätte entsprechen können. Erst mit Schreiben vom 1. Juli 2014 vermochte sie einen Platz in der städtischen Einrichtung M.-straße 7 ab voraussichtlich August 2014 in Aussicht zu stellen und für die Zwischenzeit einen Platz in einer Übergangseinrichtung anzubieten. Die Einrichtung M.-straße 7 hat dann auch nicht im August, sondern erst im Oktober 2014 geöffnet.

5. Allerdings steht dem Kläger ein Aufwendungsersatzanspruch analog § 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII nur für die Monate April bis Juni 2014 zu. Weitergehende (Aufwendungsersatz-)Ansprüche für die Monate Juli und August 2014 kommen - wie bereits erwähnt - nicht in Betracht:

Bietet der örtlich zuständige Träger der öffentlichen Jugendhilfe, wie vorliegend unter dem 1. Juli 2014 geschehen, nachträglich einen auch hinsichtlich der Entfernung zum Wohnort der Familie geeigneten Betreuungsplatz an, so erlischt der Sekundäranspruch auf Aufwendungsersatz dann, wenn dem anspruchsberechtigten Kind unter Berücksichtigung des Kindeswohls und der Verpflichtung zu wirtschaftlichem Handeln ein Einrichtungswechsel zumutbar ist (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, U. v. 28.5.2015 - 7 A 10276/14 -, JAmt 2014, 464 [466]; Meysen/Beckmann, Rechtsanspruch U3, Rn. 486 ff.; siehe zum Ganzen auch BayVGH, B. v. 17.11.2015 - 12 ZB 15.1191 -, BayVBl. 2016, 448 [455] Rn. 54).

Dem Kläger wurde am 1. Juli 2014 für den Fall eines dringenden Bedarfs im Rahmen des Angebots für die Kinderkrippe in der M.-straße zugleich ein Platz in einer Übergangsgruppe in einer anderen Einrichtung angeboten, der von ihm hätte in Anspruch genommen werden können, sofern dies von den Eltern gewünscht worden wäre. Die von der Beklagten im Schriftsatz vom 15. September 2015 (vgl. Bl. 91 d. Senatsakte) genannte Einrichtung „C.-krippe M.“ in der P.-Str. 29 b + c war auch in einer zumutbaren Entfernung zum Wohnort des Klägers gelegen (vgl. Bl. 30 d. Behördenakten).

Einem Kind soll zwar der Aufbau einer neuen Beziehung verbunden mit einem Wechsel der Betreuungsperson nicht allzu oft zugemutet werden; leider lässt er sich aufgrund der Wechselfälle des Lebens (Ausscheiden der Betreuungsperson aus dem Berufsleben in Folge Heirat, Schwangerschaft, Weiterbildung, Krankheit oder Erreichen der Altersgrenze bzw. Wohnsitzverlagerung der Eltern) aber nie ganz vermeiden. Von einer generellen Unzumutbarkeit kann daher nicht ausgegangen werden (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, U. v. 28.5.2014 - 7 A 10276/14 -, JAmt 2014, 464 [466]; BayVGH, B. v. 17.11.2015 - 12 ZB 15.1191 -, BayVBl. 2016, 448 [455] Rn. 55).

Vorliegend wäre es dem Kläger nach Auffassung des Senats zumutbar gewesen, die zunächst zur Verfügung gestellte Betreuungsmöglichkeit in der Übergangsgruppe in Anspruch zu nehmen und damit unnötige Kosten für die Allgemeinheit zu vermeiden. Dies gilt auch unter Berücksichtigung des Kindeswohls. Die Eltern des Klägers haben keine Anhaltspunkte dafür benannt, die einen Wechsel zum damaligen Zeitpunkt hätten als unzumutbar erscheinen lassen. Insbesondere haben sie, nachdem sie zunächst selbst einen privaten Betreuungsplatz gefunden hatten, ihrem Kind -aus Kostengründen - ebenfalls einen Einrichtungswechsel zugemutet.

6. Dem Kläger steht danach Aufwendungsersatz gemäß § 36a Abs. 3 SGB VIII analog für den Zeitraum April bis einschließlich Juni 2014 zu. Dieser erstreckt sich entgegen der Auffassung der Beklagten nicht lediglich auf einen sogenannten Grundbedarf (Halbtagsbetreuung). Der Primäranspruch des Klägers ist einer derartigen Beschränkung nicht unterworfen, ebenso wenig ist es der Sekundäranspruch analog § 36a SGB VIII. Zu erstatten sind damit - vorbehaltlich noch abzusetzender Beträge - diejenigen Aufwendungen, die die Eltern unter Berücksichtigung der Verpflichtung zu wirtschaftlichem Handeln nach Lage der Dinge für erforderlich halten durften, vorliegend mithin die Kosten der Betreuung des Klägers in der privaten Einrichtung „T.“ vom 1. April bis 30. Juni 2014.

Anhaltspunkte dafür, dass in dem monatlich anfallenden Betrag in Höhe von 1380 Euro „vermeidbare“, nicht auf einem zwingenden Leistungskatalog des Anbieters beruhende „Luxus“-Aufwendungen enthalten waren, sind weder dargelegt noch sonst ersichtlich. Die Eltern des Klägers hatten nach dem vorliegenden Vertragstext (vgl. Bl. 23 ff. d. VG-Akte-Eilverfahren) nur die Möglichkeit, den Leistungsumfang des privaten Anbieters zu akzeptieren oder auf dessen Angebot zu verzichten mit der Folge dass ihr Sohn ohne Betreuung geblieben und seines Rechtsanspruchs aus § 24 Abs. 2 SGB VIII für den zurückliegenden Zeitraum (ab 1. April 2014) verlustig gegangen wäre. Ungeachtet dessen trägt die L. mit Schreiben vom 13. Juli 2016 (vgl. Bl. 379 d. Senatsakten) selbst vor, dass ihr ein kommunaler Kindertagesstättenplatz -ohne Aufwendungen für Gebäude (Investitionskosten AfA, Heizung, Strom, Wasser, Immobilienbewirtschaftung, Reinigung) - (ebenfalls) 1033 Euro kostet. Der von der privaten Einrichtung erhobene Betrag von 1380 Euro lässt deshalb entgegen der Auffassung der Beklagten nicht von vornherein darauf schließen, dass dort „Luxus“ geboten würde. Der Private muss mit und nicht ohne die in der L. besonders hohen Gebäudekosten kalkulieren. Ferner beträgt der Stundensatz in der privaten Einrichtung nach dem Vertrag vom 5. Februar 2014 lediglich 8 Euro (vgl. Bl. 25 Rückseite d. VG-Akte-Eilverfahren). Auch dies lässt den Einwand der Beklagten, dort würde übertriebener „Luxus“ geboten, als von vornherein fernliegend erscheinen. Soweit die Beklagte darüber hinaus Aufwendungen der Eltern des Klägers für das Essensgeld bestreitet, ist darauf hinzuweisen, dass diese nach dem Betreuungsvertrag (vgl. Bl. 25 Rückseite d. VG-Akte-Eilverfahren) von vornherein nicht in dem vom Kläger eingeklagten Betrag von 1380 Euro monatlich enthalten sind und das Essensgeld von den Eltern gesondert entrichtet wurde (vgl. Kontoauszüge, Bl. 293 d. Senatsakte).

Aufgrund des den Eltern zukommenden Beurteilungsspielraums hat der Senat auch lediglich das Vorhandensein des jugendhilferechtlichen Bedarfs (die - unstreitige - Vollendung des ersten Lebensjahres des Klägers) zu prüfen, sich aber hinsichtlich der Geeignetheit und Erforderlichkeit der Maßnahme auf eine fachliche Vertretbarkeitskontrolle aus exante Sicht des Leistungsberechtigten zu beschränken (vgl. BVerwGE, U. v. 18.10.2012 - 5 C 21.11 -, BVerwGE 145, 1 [10] Rn. 34). Im Lichte dieses Maßstabes ist angesichts des vollständigen Ausfalls der von der Beklagten geschuldeten Vermittlungsleistung gegen die Auswahl der privaten Einrichtung „T.“ nach der Überzeugung des Senats nichts zu erinnern. Der Anspruch aus § 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII unterliegt weder dem Mehrkostenvorbehalt des § 5 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII noch ist der Anspruchsteller verpflichtet, einen Leistungserbringer zu wählen, mit dem der Träger eine Vereinbarung nach § 78b SGB VIII abgeschlossen hat (vgl. Struck, in: Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, § 36a Rn. 54), da die Beklagte als Trägerin der öffentlichen Jugendhilfe ihrer Steuerungsverantwortung in vorwerfbarer Weise nicht nachgekommen ist. Die Beklagte trägt darüber hinaus selbst vor, dass sie dem Kläger im Rahmen seines Rechtsanspruchs aus § 24 Abs. 2 SGB VIII genau denselben Platz bei der besagten privaten Einrichtung hätte vermitteln können, wenn er nicht bereits von ihm selbst belegt gewesen wäre. Damit ist ihr jedweder Einwand, die Eltern hätten sich um einen kostengünstigeren Platz bemühen müssen, aus der Hand genommen. Die Beklagte kann den Kläger nicht einerseits ohne jedes zumutbare Angebot belassen und damit die Rechtswirkungen der Auslegungshinweise des Bayer. Staatsministeriums für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen vom 2. Juli 2013 (vgl. Bayer. Gemeindetag 2013, 334 [335]) sehenden Auges unterlaufen, die für den Fall der Zuweisung eines Platzes mit einem höheren Elternbeitrag die Zahlung eines Ausgleichsbeitrags ausdrücklich vorsehen, dem Kläger sodann jedoch andererseits im Rahmen des § 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII analog entgegenhalten wollen, er habe in seiner Not eine zu teure - weil nicht in gleicher Weise wie die kommunalen Plätze subventionierte - Einrichtung gewählt. Ein solches Verhalten ist in hohem Maße widersprüchlich und rechtsmissbräuchlich.

Kommt der Träger der öffentlichen Jugendhilfe seiner Verschaffungspflicht nicht oder nur verspätet nach, so muss er die von den Eltern getroffene Beschaffungsentscheidung respektieren und kann nicht einwenden, er hätte - weil kostengünstiger -eine andere Lösung für geeigneter gehalten (vgl. BVerwGE, U. v. 18.10.2012 - 5 C 21.11 -, BVerwGE 145, 1 [10] Rn. 34 a.E.). Ungeachtet dessen hat alleine der Träger der öffentlichen Jugendhilfe den Nachweis einer behaupteten Unverhältnismä-ßigkeit des Kostenaufwands zu führen (vgl. Meysen/Beckmann, Rechtsanspruch U3, Rn. 478 a.E.). Ein solcher Nachweis ist angesichts des Umstands, dass die Beklagte nach eigenem Bekunden für das Zur-Verfügung-Stellen eines kommunalen Platzes -ohne Berücksichtigung der Gebäudekosten (Investitionskosten AfA, Heizung, Strom, Wasser, Immobilienbewirtschaftung, Reinigung) - bereits ebenfalls 1033 Euro monatlich aufwenden muss, nicht zur Überzeugung des Senats erbracht worden. Der private Anbieter kann nur inklusive der in der L. besonders hohen Gebäudekosten kalkulieren. Insoweit erscheinen 1380 Euro pro Monat für eine Vollzeitbetreuung im Umfang von 40 Wochenstunden nicht unverhältnismäßig hoch, zumal die Betreuungskosten pro Stunde insoweit lediglich 8 Euro betragen (vgl. Bl. 25 Rückseite d. VG-Akte-Eilverfahren).

7. Abzusetzen sind im Wege des Vorteilsausgleichs ersparte (fiktive) Kostenbeiträge (§ 90 Abs. 1 SGB VIII), die sich nach den in der Wunscheinrichtung zu zahlenden Beträgen richten. Vorliegend haben die Eltern des Klägers sich am 2. April 2014 um Aufnahme ihres Sohnes in kommunale (städtische) Einrichtungen bemüht, ohne jedoch Berücksichtigung finden zu können. Auf dem einheitlichen Aufnahmeantrag für Krippenplätze, Kindergartenplätze und Horte (vgl. Bl. 9 d. VG-Akte-Eilverfahren) ist zwar die Rubrik „Kindergartenplatz“ angekreuzt worden, allerdings findet sich auf dem Antragsformular unter dem Stichwort „gewünschter Zeitpunkt der Aufnahme“ der Eintrag „schnellstmöglich“. Angesichts des Umstandes, dass der am 30. August 2011 geborene Kläger am 2. April 2014 die Voraussetzungen für eine Aufnahme in den Kindergarten - die Vollendung des dritten Lebensjahres - noch gar nicht erfüllte, geht der Senat deshalb davon aus, dass nicht ein Kindergarten-, sondern ein Kinderkrippenplatz begehrt wurde und es sich insoweit lediglich um eine „Falschbezeichnung“ handelt. Letzteres deckt sich mit einem an den „Städtischen Kindergarten S.-straße 23“ gerichteten Schreiben der Eltern vom 2. Mai 2014 (vgl. Bl. 15 d. VG-Akte-Eilverfahren), in dem ausdrücklich gebeten wird, den Kläger auf der Vormerkliste zu belassen, da man „unbedingt auf einen Kita-Platz angewiesen“ sei und sich eine private Kinderbetreuungseinrichtung langfristig nicht leisten könne. Nach der Überzeugung des Senats bestehen daher keine vernünftigen Zweifel, dass Wunscheinrichtung der Eltern des Klägers in jedem Fall eine kommunale Kindertagesstätte war. Mithin sind ausschließlich diese Einrichtungen für die Berechnung des fiktiven Abzugsbetrages maßgebend. Da es sich um eine rein fiktive Berechnung handelt, sind die Beteiligten so zu stellen, wie wenn sie in den begehrten Einrichtungen tatsächlich Aufnahme gefunden hätten, etwaige Ermäßigungsanträge rechtzeitig gestellt und mögliche Ausschlussfristen beachtet worden wären.

Die Durchführung des Berechnungsverfahrens obliegt der Beklagten auf der Grundlage der vorgenannten Erwägungen im Rahmen einer entsprechenden Anwendung ihrer Kindertageseinrichtungsgebührensatzung nach vorheriger Erhebung der Daten zu den Einkommensverhältnissen der Eltern. Dies setzt die Durchführung eines eigenen Verwaltungsverfahrens voraus, dem im Rahmen des vorliegenden Berufungsverfahrens nicht vorgegriffen werden kann. Der Senat muss sich deshalb auf den Erlass eines Bescheidungsurteils analog § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO beschränken (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 20. Aufl. 2014, § 113 Rn. 193, 195 und 197; Knauff, in: Gärditz, VwGO, § 113 Rn. 101 f.).

Nach allem hat die Berufung in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.

III.

1. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 155 Abs. 1 i. V. m. § 188 Satz 2 VwGO.

2. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.

3. Gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO war die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen. Der vorliegende Fall gibt dem Bundesverwaltungsgericht Gelegenheit, Inhalt und Umfang des Rechtsanspruchs aus § 24 Abs. 2 SGB VIII und des auf ihn bezogenen Sekundäranspruchs analog § 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII im Anschluss an seine Entscheidung vom 12. September 2013 - 5 C 35.12 -, NJW 2014, 1256 näher zu konturieren. Derzeit sind weitere fünf vergleichbare Fälle aus dem Geschäftsbereich der Beklagten beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof anhängig. Eine nicht näher bekannte Anzahl ähnlicher Fälle beschäftigen das Verwaltungsgericht München.

(1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.

(2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.

(3) Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

(1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.

(2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.

(3) Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.

(1) Das gesamte Schulwesen steht unter der Aufsicht des Staates.

(2) Die Erziehungsberechtigten haben das Recht, über die Teilnahme des Kindes am Religionsunterricht zu bestimmen.

(3) Der Religionsunterricht ist in den öffentlichen Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen ordentliches Lehrfach. Unbeschadet des staatlichen Aufsichtsrechtes wird der Religionsunterricht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt. Kein Lehrer darf gegen seinen Willen verpflichtet werden, Religionsunterricht zu erteilen.

(4) Das Recht zur Errichtung von privaten Schulen wird gewährleistet. Private Schulen als Ersatz für öffentliche Schulen bedürfen der Genehmigung des Staates und unterstehen den Landesgesetzen. Die Genehmigung ist zu erteilen, wenn die privaten Schulen in ihren Lehrzielen und Einrichtungen sowie in der wissenschaftlichen Ausbildung ihrer Lehrkräfte nicht hinter den öffentlichen Schulen zurückstehen und eine Sonderung der Schüler nach den Besitzverhältnissen der Eltern nicht gefördert wird. Die Genehmigung ist zu versagen, wenn die wirtschaftliche und rechtliche Stellung der Lehrkräfte nicht genügend gesichert ist.

(5) Eine private Volksschule ist nur zuzulassen, wenn die Unterrichtsverwaltung ein besonderes pädagogisches Interesse anerkennt oder, auf Antrag von Erziehungsberechtigten, wenn sie als Gemeinschaftsschule, als Bekenntnis- oder Weltanschauungsschule errichtet werden soll und eine öffentliche Volksschule dieser Art in der Gemeinde nicht besteht.

(6) Vorschulen bleiben aufgehoben.

(1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.

(2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.

(3) Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

(1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.

(2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.

(3) Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

(1) Jeder Deutsche hat in jedem Lande die gleichen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten.

(2) Jeder Deutsche hat nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amte.

(3) Der Genuß bürgerlicher und staatsbürgerlicher Rechte, die Zulassung zu öffentlichen Ämtern sowie die im öffentlichen Dienste erworbenen Rechte sind unabhängig von dem religiösen Bekenntnis. Niemandem darf aus seiner Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einem Bekenntnisse oder einer Weltanschauung ein Nachteil erwachsen.

(4) Die Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse ist als ständige Aufgabe in der Regel Angehörigen des öffentlichen Dienstes zu übertragen, die in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis stehen.

(5) Das Recht des öffentlichen Dienstes ist unter Berücksichtigung der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums zu regeln und fortzuentwickeln.

Die Bestimmungen der Artikel 136, 137, 138, 139 und 141 der deutschen Verfassung vom 11. August 1919 sind Bestandteil dieses Grundgesetzes.

(1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.

(2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.

(3) Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.

(1) Erweist sich der Antrag auf Verwirkung der Grundrechte (§ 13 Nr. 1), die Anklage gegen den Bundespräsidenten (§ 13 Nr. 4) oder einen Richter (§ 13 Nr. 9) als unbegründet, so sind dem Antragsgegner oder dem Angeklagten die notwendigen Auslagen einschließlich der Kosten der Verteidigung zu ersetzen.

(2) Erweist sich eine Verfassungsbeschwerde als begründet, so sind dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen ganz oder teilweise zu erstatten.

(3) In den übrigen Fällen kann das Bundesverfassungsgericht volle oder teilweise Erstattung der Auslagen anordnen.

(1) Bei Rahmengebühren bestimmt der Rechtsanwalt die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers, nach billigem Ermessen. Ein besonderes Haftungsrisiko des Rechtsanwalts kann bei der Bemessung herangezogen werden. Bei Rahmengebühren, die sich nicht nach dem Gegenstandswert richten, ist das Haftungsrisiko zu berücksichtigen. Ist die Gebühr von einem Dritten zu ersetzen, ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist.

(2) Ist eine Rahmengebühr auf eine andere Rahmengebühr anzurechnen, ist die Gebühr, auf die angerechnet wird, so zu bestimmen, als sei der Rechtsanwalt zuvor nicht tätig gewesen.

(3) Im Rechtsstreit hat das Gericht ein Gutachten des Vorstands der Rechtsanwaltskammer einzuholen, soweit die Höhe der Gebühr streitig ist; dies gilt auch im Verfahren nach § 495a der Zivilprozessordnung. Das Gutachten ist kostenlos zu erstatten.