Arbeitsgericht Hamburg Beschluss, 21. Nov. 2018 - 8 Ca 123/18

bei uns veröffentlicht am21.11.2018

Tenor

I. Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden nach Art. 267 AEUV folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Benachteiligt eine einseitige Weisung des Arbeitgebers, die das Tragen jedes sichtbaren Zeichens politischer, weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen verbietet, Beschäftigte, die aufgrund religiöser Bedeckungsgebote bestimmte Bekleidungsregeln befolgen, im Sinne von Art. 2 Abs. 1 und 2 Buchst. a der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf unmittelbar wegen ihrer Religion?

2. Benachteiligt eine einseitige Weisung des Arbeitgebers, die das Tragen jedes sichtbaren Zeichens politischer, weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen verbietet, eine Arbeitnehmerin, die wegen ihres muslimischen Glaubens ein Kopftuch trägt, im Sinne von Art. 2 Abs. 1 und 2 Buchst. b der Richtlinie 2000/78/EG mittelbar wegen der Religion und/oder wegen des Geschlechts?

Insbesondere:

a) Kann nach der Richtlinie 2000/78/EG eine Benachteiligung wegen der Religion und/oder wegen des Geschlechts auch dann mit dem subjektiven Wunsch des Arbeitgebers, eine Politik politischer, weltanschaulicher und religiöser Neutralität zu verfolgen, gerechtfertigt werden, wenn der Arbeitgeber damit den subjektiven Wünschen seiner Kund*innen entsprechen möchte?

b) Stehen die Richtlinie 2000/78/EG und/oder das Grundrecht der unternehmerischen Freiheit nach Art. 16 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union angesichts Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG einer nationalen Regelung entgegen, nach der zum Schutz des Grundrechts der Religionsfreiheit ein Verbot religiöser Bekleidung nicht schon aufgrund einer abstrakten Eignung zur Gefährdung der Neutralität des Arbeitgebers, sondern nur aufgrund einer hinreichend konkreten Gefahr, insbesondere eines konkret drohenden wirtschaftlichen Nachteils für den Arbeitgeber oder einen betroffenen Dritten gerechtfertigt werden kann?

II. Das Verfahren wird ausgesetzt.

Gründe

1

Im vorliegenden Fall ist die Auslegung von Art. 2 und 4 der Richtlinie 78/2000/EG des Rates vom 27. November 2000 sowie von Art. 16 GRC entscheidungserheblich und zwischen den Parteien streitig, so dass das Verfahren dem EuGH als Vorabentscheidung vorgelegt wird. Bis zur Entscheidung des Gerichtshofes der Europäischen Union über dieses Vorabentscheidungsersuchen wird das Verfahren gemäß § 148 ZPO analog ausgesetzt.

2

A. Gegenstand des Ausgangsverfahrens

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Die Parteien streiten um eine Abmahnung.

4

Der Beklagte betreibt eine Vielzahl von Kindertagesstätten mit mehr als 600 Beschäftigten und ca. 3.500 betreuten Kindern. Der Beklagte ist überparteilich und überkonfessionell.

5

Auf seiner Internetseite heißt es zum Thema Diversität und Vertrauen:

6

„Ob Geschlecht, Herkunft, Kultur, Religion oder besondere Bedürfnisse - wir sind überzeugt davon, dass Vielfalt bereichert. Durch Offenheit und Neugier lernen wir, einander zu verstehen und Unterschiede zu respektieren. Weil bei uns alle Kinder und Eltern willkommen sind, schaffen wir eine Atmosphäre, in der sich Geborgenheit, Zugehörigkeit und Vertrauen entwickeln - die Grundlage für eine gesunde individuelle Entwicklung und ein friedvolles gesellschaftliches Miteinander.“

7

Der Beklagte folgt in seiner täglichen Arbeit den Hamburger Bildungsempfehlung für die Bildung und Erziehung von Kindern in Tageseinrichtungen, die die Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration im März 2012 veröffentlicht hat (in Auszügen vorgelegt als Anlage B3 Blatt 78 ff. der Akte).

8

Darin heißt es auszugsweise:

9

„Alle Kindertageseinrichtungen haben die Aufgabe, grundsätzliche ethische Fragen sowie religiöse und andere Weltanschauungen als Teil der Lebenswelt aufzugreifen und verständlich zu machen. Kitas geben daher Raum dafür, dass Kinder sich mit den Sinnfragen nach Freude und Leid, Gesundheit und Krankheit, Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit, Schuld und Versagen, Frieden und Streit und mit der Frage nach Gott auseinandersetzen. Sie unterstützen die Kinder darin, Empfindungen und Überzeugungen zu diesen Fragen einzubringen. Die Möglichkeit zu einer neugierigen, forschenden Auseinandersetzung mit diesen Fragen führt zur Beschäftigung mit Inhalten und Traditionen der in der Kindergruppe vertretenen religiösen und kulturellen Orientierungen. Auf diese Weise entwickeln sich Wertschätzung und Respekt gegenüber anderen Religionen, Kulturen und Weltanschauungen. Diese Auseinandersetzung stärkt das Kind in seinem Selbstverständnis und im Erleben einer funktionierenden Gesellschaft. Hierzu gehört auch, die Kinder religiös verwurzelte Feste im Jahresablauf erleben und aktiv gestalten zu lassen. In der Begegnung mit anderen Religionen erfahren Kinder unterschiedliche Formen der Besinnlichkeit, des Glaubens und der Spiritualität.“

10

Die Klägerin teilt diese Hamburger Bildungsempfehlungen uneingeschränkt.

11

Die Klägerin ist Heilerziehungspflegerin und auf Grundlage des Arbeitsvertrags vom 14. April 2014 (Anlage A1, Blatt 8 ff. der Akte) seit dem 1. Juli 2014, zuletzt zu einem durchschnittlichen Bruttomonatseinkommen von 2.900 € bei der Beklagten beschäftigt.

12

In der Zeit vom 15. Oktober 2016 bis 30. Mai 2018 war die Klägerin in Elternzeit. Die Klägerin ist muslimischen Glaubens. Anfang 2016 entschied sie sich, ein Kopftuch zu tragen. Während der Elternzeit der Klägerin war im Betrieb der Beklagten am 12. März 2018 die „Dienstanweisung zur Einhaltung des Neutralitätsgebots“ erlassen worden (Anlage 2, Blatt 18 ff. der Akte), die der Klägerin Ende Mai 2018 bekannt gemacht wurde.

13

In dieser heißt es auszugsweise:

14

[Der Beklagte]

15

„ist überkonfessionell und begrüßt ausdrücklich die Religions- und Kulturvielfalt. Um eine individuelle und freie Entwicklung der Kinder im Hinblick auf Religion, Weltanschauung und Politik zu gewährleisten, sind die Mitarbeiter [des Beklagten] dazu angehalten, das geltende Neutralitätsgebot gegenüber Eltern, Kindern und anderen Dritten strikt einzuhalten. [Der Beklagte] verfolgt diesen gegenüber eine Politik der politischen, weltanschaulichen und religiösen Neutralität. In diesem Zusammenhang dienen die nachfolgenden Regelungen als Grundsätze für die konkrete Einhaltung des Neutralitätsgebots am Arbeitsplatz.

16

- Die Mitarbeiter geben am Arbeitsplatz keine politischen, weltanschaulichen oder religiösen äußeren Bekundungen gegenüber Eltern, Kindern und Dritten ab.
- Die Mitarbeiter tragen gegenüber Eltern, Kindern und Dritten am Arbeitsplatz keine sichtbaren Zeichen ihrer politischen, weltanschaulichen oder religiösen Überzeugungen.
- Die Mitarbeiter bringen am Arbeitsplatz keine sich daraus ergebenden Riten gegenüber Eltern, Kindern und Dritten zum Ausdruck.
- (...)“

17

Diese Dienstanweisung hat die Klägerin am 31. Mai 2018 zur Kenntnis genommen.

18

Im „Informationsblatt zum Neutralitätsgebot“ heißt es zu der Frage, ob christliches Kreuz, muslimisches Kopftuch oder jüdische Kippa getragen werden dürfen:

19

„Nein, da die Kinder hinsichtlich einer Religion nicht von den Pädagogen beeinflusst werden sollen, ist dies nicht gestattet. Die bewusste Wahl einer religiös oder weltanschaulich bestimmten Kleidung steht im Widerspruch zum Neutralitätsgebot.“

20

Am Tag ihrer Arbeitsaufnahme nach der Elternzeit am 1. Juni 2018 wurde die Klägerin aufgefordert, ihr Kopftuch, welches das Haar gänzlich verdeckte, abzunehmen. Dies lehnte die Klägerin ab. Daraufhin wurde sie von der Leiterin der Kita vorerst von der Arbeit freigestellt.

21

Am 4. Juni 2018 erschien die Klägerin wiederum mit Kopftuch bekleidet zur Arbeit. Ihr wurde eine auf dasselbe Datum datierte Abmahnung übergeben (Anlage A3, Blatt 22 f. der Akte), mit der sie für das Tragen des Kopftuches am 1. Juni 2018 abgemahnt und mit Hinweis auf das Neutralitätsgebot aufgefordert wurde, ihre Arbeit zukünftig ohne Kopftuch zu verrichten. Da die Klägerin sich auch am 4. Juni weigerte, ihr Kopftuch abzulegen, wurde sei erneut nach Hause geschickt und vorerst freigestellt. Sie erhielt eine weitere Abmahnung vom selben Tage (Anlage A4, Blatt 24 f. der Akte).

22

Der Beklagte hat in der Folge auch im Fall einer Arbeitnehmerin, die ein Kreuz als Halskette trug, erwirkt, dass diese ihre Kette ablegte. Für die Beschäftigten des Beklagten in der Unternehmenszentrale gelten die Vorgaben des Neutralitätsgebots - mit Ausnahme der pädagogischen Fachberatung – nicht, da diese keinen Kundenkontakt haben.

23

Die Klägerin ist der Auffassung, dass Verbot ziele - trotz des allgemeinen Verbots sichtbarer Zeichen politischer, weltanschaulicher oder religiöser Überzeugung - auf das Tragen des islamischen Kopftuches ab. Das Kopftuchverbot treffe darüber hinaus ausschließlich Frauen und sei daher auch unter dem Gesichtspunkt der Diskriminierung wegen des Geschlechts zu prüfen. Zudem treffe ein Kopftuchverbot überproportional häufig Frauen mit Migrationshintergrund, sodass auch eine Diskriminierung wegen ethnischer Herkunft zu erwägen sei. Eine Untersagung des Tragens des Kopftuchs während des Dienstes in einer Kindertagesstätte stelle nach dem Bundesverfassungsgericht einen schwerwiegenden Eingriff in das Grundrecht auf Glaubens- und Bekenntnisfreiheit der Betroffenen dar. Selbst im öffentlichen Dienst könnten entsprechende Verbote nur an eine belegte, konkrete Gefahr anknüpfen. Nach dem Grundgesetz sei ein generelles Verbot des sichtbaren Tragens religiöser, weltanschaulicher, politischer Symbole / Kleidung nicht zulässig.

24

Wie die Entwicklung der betreuten Kinder zu Wertschätzung und Respekt nach der Hamburger Bildungsempfehlung verlaufen solle, wenn der Beklagte die erziehenden Personen in ihrer Religionsfreiheit einschränke, sei unklar.

25

Auch die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs in der Sache Achbita (Urteil vom 14. März 2017, Az. 157/15, ECLI:EU:C:2017:203) stehe ihrem Anspruch auf Entfernung der Abmahnung nicht entgegen. Mit der richtigen Auslegung des EuGH würden lediglich unionsrechtliche Mindeststandards gesetzt. Der in Deutschland erreichte Diskriminierungsschutz durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 4 Abs. 1 GG und durch § 8 AGG müsse nicht gesenkt werden. Gemäß § 8 AGG sei eine unterschiedliche Behandlung wegen der Religion ausschließlich zulässig, wenn diese in der Art der Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstelle, sofern der Zweck rechtmäßig und die Anforderung angemessen sei.

26

Die Klägerin beantragt, den Beklagten zu verurteilen,

27

die Abmahnung vom 4. Juni 2018 (Kopftuchtragen 1. Juni 2018) nebst sich darauf beziehenden Schriftwechsel aus der Personalakte der Klägerin zu entfernen und zu vernichten,

28

die Abmahnung vom 4. Juni 2018 (Kopftuchtragen 4. Juni 2018) nebst sich darauf beziehen Schriftwechsel aus der Personalakte der Klägerin zu entfernen und zu vernichten.

29

Die Beklagte beantragt,

30

die Klage abzuweisen.

31

Die Beklagte ist der Meinung, die Abmahnungen seien zu Recht ergangen. Die geltende Weisung zum Neutralitätsgebot, gegen die die Klägerin verstoßen habe, sei gemäß § 106 Satz 1 GewO in Verbindung mit §§ 7 Abs. 1, 2, 3 AGG rechtmäßig. Diese nationalrechtlichen Vorschriften seien unionsrechtkonform auszulegen. Nach der Achbita-Entscheidung des Gerichtshofes könne ein privater Arbeitgeber eine Neutralitätspolitik durchsetzen, solange er sie kohärent und systematisch verfolge und auf diejenigen Arbeitnehmer beschränke, die im Kontakt zu Kunden stünden. Eine mittelbare Diskriminierung läge nicht vor, wenn die betreffende Vorschrift durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt sei und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich seien. Der Wille des Arbeitgebers, im Verhältnis zu den öffentlichen und privaten Kunde*innen eine Politik der politischen, philosophischen oder religiösen Neutralität zu verfolgen, habe der EuGH als grundsätzlich rechtmäßig angesehen. Das erlassene Neutralitätsgebot sei auch angemessen und erforderlich, da nur diejenigen Beschäftigten einbezogen seien, die im direkten Kontakt mit Eltern und Kindern stünden.

32

Eine Versetzung der Klägerin in einen Bereich ohne Kundenkontakt sei dem Beklagten nicht möglich, da die Klägerin als Heilerziehungspflegerin eingestellt sei, sodass ein Einsatz ohne Kontakt zu Kindern und Eltern kein Aufgaben- und Verantwortungsgebiet darstellen würde, das ihren Fähigkeiten und Qualifikationen spreche.

33

Dieser Fall sei mit der Entscheidung Achbita vergleichbar, da die Eltern der Einrichtung auf die politische, weltanschauliche und religiöse Neutralität der Kindertagesstätte besonderen Wert legten. Eltern würden ohne das Neutralitätsgebot ihre Kinder aus der Betreuung durch den Beklagten nehmen, üblicherweise nachrückende Geschwisterkinder würden dem Beklagten nicht mehr zur Obhut anvertraut. Die Anmeldezahlen wären rückläufig. Der EuGH habe die Gewichtung der Grundrechte nach der Grundrechte-Charta im Falle eines arbeitgeberseitigen Neutralitätsgebot abschließend vorgenommen. Da § 3 Abs. 2 AGG der Durchführung von Unionsrecht diene, sei eine andere Gewichtung der Religionsfreiheit – wie durch das Bundesverfassungsgericht nach Art. 4 Abs. 1 GG - durch deutsche Gerichte nicht möglich, ohne dass gegen den Vorrang des Unionsrechts und den Grundsatz der unionsrechtskonformen Auslegung verstoßen werde.

34

Für den Fall, dass das Gericht wider Erwarten mit der deutschen Rechtsprechung eine konkrete Gefahr bzw. konkrete wirtschaftliche Nachteile für die Einschränkung der Religionsfreiheit fordern würde, lägen auch diese vor. Aus den Einträgen der Klägerin auf ihrem privaten Facebook-Profil, auf dem sie unterschiedliche Videos zum Thema geteilt habe, ergäbe sich, dass sie sie Dritte gezielt und bewusst beeinflussen möchte. Vom Tragen des Kopftuches als religiösem Symbol in Verbindung mit den Facebook-Inhalten gehe folglich ein gezielter, beeinflussender Effekt aus. Der gezielte, beeinflussende Effekt sei insbesondere angesichts der besonderen Situation der Kinder in der Kindertagesstätte zu beurteilen, die in ihrem Alter besonders empfänglich für Einflüsse jeder Art seien und sich in einer Phase befänden, in der die Persönlichkeit wesentlich geprägt werde. Diese Erwägungen führten dazu, dass konkrete betriebliche Störungen oder wirtschaftliche Einbußen zu befürchten seien. Die Beklagte müsse damit rechnen, dass die Klägerin die ihr anvertrauten Kinder in einer bestimmten Hinsicht beeinflusse, indem sie das Kopftuch-tragen als positiv vermittle und das Gedankengut von Pierre Vogel, einem auf ihrem Facebook-Profil erwähnten Predigers, teile, der mehrfach im Fokus der Ermittlung des Bundesamtes für Verfassungsschutz gestanden habe.

35

B. nationaler Rechtsrahmen

36

1. deutsche Verfassung

37

Art. 4 Abs. 1 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland(GG) lautet:

38

„Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.“

39

Art. 6 Abs. 2 GGlautet:

40

„Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.“

41

Art. 7 GGlautet:

42

„Abs. 1: Das gesamte Schulwesen steht unter der Aufsicht des Staates.

43

Abs. 2: Die Erziehungsberechtigten haben das Recht, über die Teilnahme des Kindes am Religionsunterricht zu bestimmen.

44

Abs. 3: Der Religionsunterricht ist in den öffentlichen Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen ordentliches Lehrfach. Unbeschadet des staatlichen Aufsichtsrechtes wird der Religionsunterricht in Übereinstimmung mit den Grund-sätzen der Religionsgemeinschaften erteilt. Kein Lehrer darf gegen seinen Willen verpflichtet werden, Religionsunterricht zu erteilen.“

45

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) fordert für einen Eingriff in das Grundrecht aus Art. 4 Abs. 1 GG (Religionsfreiheit) – sei es in Form einer unmittelbaren oder in Form einer mittelbaren Diskriminierung - in ständiger Rechtsprechung, dass sich die Einschränkung aus der Verfassung ergeben müsse, da Art. 4 Abs. 1 GG – im Gegensatz zu anderen Grundrechen der deutschen Verfassung - keinen Gesetzesvorbehalt enthalte. Zu solchen verfassungsimmanenten Schranken zählten die Grundrechte Dritter sowie Gemeinschaftswerte von Verfassungsrang (BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 18. Oktober 2016 – 1 BvR 354/11 –, Rn. 61, juris). Konkret kommen hier das elterliche Erziehungsrecht (Art. 6 Abs. 2 GG) und die negative Glaubensfreiheit der Schüler*innen in (Art. 4 Abs. 1 GG) in Betracht. Das staatlich verfolgte Neutralitätsgebot könne sich für den Bereich der Kindertagesbetreuung auf einen solchen Gemeinschaftswert mit Verfassungsrang nicht berufen, da sich der staatliche Erziehungsauftrag (Art. 7 Abs. 1 GG) nur auf Schulen beziehe.

46

In Bezug auf ein Verbot religiöser Bekundungen von Erzieher*innen und Kindertagesstätten hat das BVerfG entschieden, dass von der äußeren religiösen Bekundung eine hinreichend konkrete Gefahr oder Störung für den Frieden in der Kindertagesstätte oder der Neutralität de öffentlichen Einrichtungsträgers ausgehen müsse (ebenda, Rn. 70). Ein allgemeines Neutralitätsgebot ohne Bezug zu den zu erledigenden Aufgaben ist hiernach nicht geeignet, einen Eingriff in Art. 4 Abs. 1 GG zu rechtfertigen.

47

Gemäß § 31 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht (BVerfGG) binden die Entscheidungen des BVerfG die Verfassungsorgane des Bundes und der Länder sowie alle Gerichte und Behörden. Das vorlegende Gericht ist daher an diese Auslegung der Grenzen der Religionsfreiheit gemäß Art. 4 Abs. 1 durch das BVerfG gebunden.

48

2. Einfachgesetzliches Recht

49

a) Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG)

50

Die Richtlinie 2000/78/EG ist durch das AGG umgesetzt worden. Dieses regelt auszugsweise:

51

§ 1 Ziel des Gesetzes

52

„Ziel des Gesetzes ist, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen.“

53

§ 2 Anwendungsbereich

54

„Abs. 1: Benachteiligungen aus einem in § 1 genannten Grund sind nach Maßgabe dieses Gesetzes unzulässig in Bezug auf:

55

1. die Bedingungen, einschließlich Auswahlkriterien und Einstellungsbedingungen, für den Zugang zu unselbstständiger und selbstständiger Erwerbstätigkeit, unabhängig von Tätigkeitsfeld und beruflicher Position, sowie für den beruflichen Aufstieg,

56

2. die Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen einschließlich Arbeitsentgelt und Entlassungsbedingungen, insbesondere in individual- und kollektivrechtlichen Vereinbarungen und Maßnahmen bei der Durchführung und Beendigung eines Beschäftigungsverhältnisses sowie beim beruflichen Aufstieg,
(...)“

57

§ 3 Begriffsbestimmungen

58

„Abs. 1: Eine unmittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts liegt in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 auch im Falle einer ungünstigeren Behandlung einer Frau wegen Schwangerschaft oder Mutterschaft vor.

59

Abs. 2: Eine mittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen wegen eines in § 1 genannten Grundes gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich.“

60

§ 7 Benachteiligungsverbot

61

„Abs. 1: Beschäftigte dürfen nicht wegen eines in § 1 genannten Grundes benachteiligt werden; dies gilt auch, wenn die Person, die die Benachteiligung begeht, das Vorliegen eines in § 1 genannten Grundes bei der Benachteiligung nur annimmt.

62

Abs. 2: Bestimmungen in Vereinbarungen, die gegen das Benachteiligungsverbot des Absatzes 1 verstoßen, sind unwirksam.

63

Abs. 3: Eine Benachteiligung nach Absatz 1 durch Arbeitgeber oder Beschäftigte ist eine Verletzung vertraglicher Pflichten.“

64

§ 8 Zulässige unterschiedliche Behandlung wegen beruflicher Anforderungen

65

„Abs. 1: Eine unterschiedliche Behandlung wegen eines in § 1 genannten Grundes ist zulässig, wenn dieser Grund wegen der Art der auszuübenden Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, sofern der Zweck rechtmäßig und die Anforderung angemessen ist.“

66

§ 15 Entschädigung und Schadensersatz

67

„Abs.1: Bei einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot ist der Arbeitgeber verpflichtet, den hierdurch entstandenen Schaden zu ersetzen. Dies gilt nicht, wenn der Arbeitgeber die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.

68

Abs. 2: Wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, kann der oder die Beschäftigte eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen. Die Entschädigung darf bei einer Nichteinstellung drei Monatsgehälter nicht übersteigen, wenn der oder die Beschäftigte auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre.

69

Abs. 3: Der Arbeitgeber ist bei der Anwendung kollektivrechtlicher Vereinbarungen nur dann zur Entschädigung verpflichtet, wenn er vorsätzlich oder grob fahrlässig handelt.“

70

b) Gewerbeordnung

71

§ 106 Weisungsrecht des Arbeitgebers

72

„Der Arbeitgeber kann Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen, soweit diese Arbeitsbedingungen nicht durch den Arbeitsvertrag, Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung, eines anwendbaren Tarifvertrages oder gesetzliche Vorschriften festgelegt sind. Dies gilt auch hinsichtlich der Ordnung und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb. Bei der Ausübung des Ermessens hat der Arbeitgeber auch auf Behinderungen des Arbeitnehmers Rücksicht zu nehmen.“

73

C. unionsrechtlicher Rechtsrahmen

74

Die Vorlagefragen betreffen die Auslegung von Art. 2 und Art. 4 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf in Verbindung mit Art. 16 GRC.

75

D. Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefragen für das Ausgangsverfahren

76

1. Vorlagefrage:

77

Benachteiligt eine einseitige Weisung des Arbeitgebers, die das Tragen jedes sichtbaren Zeichens politischer, weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen verbietet, Beschäftigte, die aufgrund religiöser Bedeckungsgebote bestimmte Bekleidungsregeln befolgen, im Sinne von Art. 2 Abs. 1 und 2 Buchst. a der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf unmittelbar wegen ihrer Religion?

78

(1) Der Gerichtshof hat im Verfahren Urteil vom 14. März 2017 (Achbita, C-157/15, ECLI:EU:2017:203) festgestellt, dass eine interne Regel wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende keine unmittelbar auf der Religion oder der Weltanschauung beruhende Ungleichbehandlung im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Buchstabe a der Richtlinie 2000/78 begründe, da die Regel auf alle Beschäftigten gleich angewandt werde. Die Kammer ist allerdings der Auffassung, dass immer dann eine unmittelbare Diskriminierung vorliegt, wenn eine Regel direkt an ein bestimmtes, durch Art. 1 der Richtlinie 2000/78 geschütztes Merkmal anknüpft. So heißt es im Text des Art. 2 Abs. 2 EG/2000/78:

79

liegt eine unmittelbare Diskriminierung vor, wenn eine Person wegen eines der in Artikel 1 genannten Gründe in einer vergleichbaren Situation eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person erfährt, erfahren hat oder erfahren würde“.

80

Auch nach der Definition des § 3 Abs. 1 AGG läge im vorliegenden Fall wegen der Anknüpfung der benachteiligenden Behandlung an das Merkmal Religion eine unmittelbare Benachteiligung vor.

81

(2) Eine mittelbare Diskriminierung liegt dagegen vor, wenn ein scheinbar neutrales Merkmal (beispielsweise Teilzeitbeschäftigung) empirisch mehr Menschen einer Gruppe (im Beispiel: Frauen) betrifft. Dies ist im vorliegenden Fall nicht der Fall: die Regelung knüpft gerade explizit an das Merkmal Religion an, indem sie religiöse Merkmale verbietet.

82

Die Klägerin des Ausgangsverfahrens hätte eine andere Behandlung erfahren (keine Abmahnung erhalten), wenn sie nicht religiös wäre und dies durch religiöse Bekundung zum Ausdruck bringen würde. Sie hätte auch eine andere Behandlung erfahren, wenn sie zwar ein Kopftuch getragen hätte, jedoch nicht aus religiösen, sondern aus modischen Gründen. Das allgemeine Neutralitätsgebot des Arbeitgebers knüpft explizit an ein in Art. 1 der Richtlinie 200/78/EG genanntes Merkmal (Religion) eine negative Folge (Verbot des Tragens religiöser Merkmale). Stimmen in der Literatur halten Regelungen wie die hier streitige daher mit überzeugender Begründung – und im Widerspruch zu den Ausführungen des Gerichtshofs im Fall Achbita - für eine unmittelbare Benachteiligung wegen der religiösen Bekundung (Sagan, Unionaler Diskriminierungsschutz gegen Kopftuchverbote am Arbeitsplatz, EuZW 2017, 457, beck-online; Preis / Morgenbrodt, Religiöse Symbole am Arbeitsplatz zwischen Gleichbehandlung und unternehmerischer Freiheit, ZESAR 2017, 309; Aqilah Sandhu, Das EU-Antidiskriminierungsrecht zwischen ökonomischer und sozialer Integration: Zu den Grenzen unternehmerischer Freiheit, KJ 50 (2017), S. 517; Howard, Islamic Headscarves and the CJEU: Achbita and Bougnaoui, Maastricht Journal of European and Comparative Law, 2017, 348-366; Hennette-Vauchez, Equality and the Market: the unhappy fate of religious discrimination in Europe, European Constitutional Law Review, 2017, 744-758).

83

(3) Die Unterscheidung zwischen mittelbarer und unmittelbarer Diskriminierung kann nach Auffassung der Kammer nicht dadurch bedingt sein, ob auch andere Menschen mit anderen (geschützten oder ungeschützten) Merkmalen ähnlich schlecht behandelt werden, sondern ausschließlich danach, ob eine ungünstigere Behandlung explizit an ein geschütztes Merkmal anknüpft oder nicht (so auch Hennette-Vauchez, Equality and the Market: the unhappy fate of religious discrimination in Europe, European Constitutional Law Review, 2017, 744 (747)). Für die unmittelbare Diskriminierung gem. Art. 2 Abs. 2 Buchstabe a der Richtlinie 2000/78/EG ausschlaggebend wäre danach die individuelle Betrachtung, ob die konkret Betroffene durch die Behandlungwegen ihrer erkennbaren Religion einen Nachteil erleidet, indem unmittelbar an das geschützte Merkmal Religion angeknüpft wird. Die unmittelbare Benachteiligung wegen der Religion wird nicht dadurch zu einer mittelbaren, dass auch nichtreligiösen Beschäftigten bestimmte Verhaltensweisen verboten werden. Ob ausschließlich Angehörige einer bestimmten Kategorie benachteiligt werden, ist für die Frage, ob eine unmittelbare Diskriminierung vorliegt, im Gegenteil gerade unerheblich (Aqilah Sandhu, Das EU-Antidiskriminierungsrecht zwischen ökonomischer und sozialer Integration: Zu den Grenzen unternehmerischer Freiheit, KJ 50 (2017), S. 517 (523)), denn Grundfreiheiten gelten für Individuen, nicht für Kollektive. Auch der Richtlinienwortlaut selbst lässt keinen Anknüpfungspunkt für eine solche Abgrenzung erkennen (Preis / Morgenbrodt, Religiöse Symbole am Arbeitsplatz zwischen Gleichbehandlung und unternehmerischer Freiheit, ZESAR 2017, 309 (311)). Unmittelbarer als durch die Nennung eines geschützten Merkmals in der Verbotsregelung selbst kann gar nicht an die Religion angeknüpft werden.

84

Anders ausgedrückt: eine unmittelbare Diskriminierung kann nicht dadurch zu einer mittelbaren gemacht werden, dass einer weiteren Gruppe von Beschäftigten auch etwas verboten wird. Das würde dazu führen, dass eine allgemeine Feindlichkeit gegen alle Religionen als Neutralität wahrgenommen wird und nicht als direkte Diskriminierung.

85

(4) Die Kammer ist aufgrund der Anknüpfung der ungünstigen Behandlung der Klägerin (hier: Ausspruch einer Abmahnung) an das Merkmal Religion der Auffassung, dass es sich im vorliegenden Fall um eine unmittelbare Diskriminierung handelt. Da eine unmittelbare Diskriminierung im Sinne von Art. 2 Abs. 2 a) der Richtlinie 2000/78/EG gemäß Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie nur dann keine Diskriminierung darstellt, wenn das betreffende Merkmal aufgrund der Art einer bestimmten beruflichen Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, sofern es sich um einen rechtmäßigen Zweck und eine angemessene Anforderung handelt, wäre der Klage stattzugeben. Denn aus der Tätigkeit der Klägerin als Erzieherin ergibt sich keine entscheidende berufliche Anforderung, bei der Arbeit kein Kopftuch zu tragen. Aus den Hamburger Bildungsempfehlungen ergibt sich im Gegenteil der ausdrückliche Wunsch, dass Kinder kulturelle und religiöse Vielfalt in ihrem sozialen Umfeld erlernen.

86

Der Beklagte des Ausgangsverfahrens beruft sich explizit darauf, dass sein Verhalten von der Richtlinie 2000/78/EG gedeckt ist. Die Kammer sieht sich an einer stattgebenden Entscheidung daher durch die – allerdings auslegungsbedürftigen – Gründe des Urteils des Gerichtshofs vom 14. März 2017 (Achbita, C-157/15, ECLI:EU:2017:203) gehindert.

87

Sollte der Gerichtshof die erste Frage verneinen, kommt es zur Entscheidung des Rechtsstreits auf die 2. Vorlagefrage an:

88

Benachteiligt eine einseitige Weisung des Arbeitgebers, die das Tragen jedes sichtbaren Zeichens politischer, weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen verbietet, eine Arbeitnehmerin, die wegen ihres muslimischen Glaubens ein Kopftuch trägt, im Sinne von Art. 2 Abs. 1 und 2 Buchst. b der Richtlinie 2000/78/EG mittelbar wegen der Religion und/oder wegen des Geschlechts?

89

Insbesondere:

90

a) Kann nach der Richtlinie 2000/78/EG eine mittelbare Benachteiligung wegen der Religion und/oder wegen des Geschlechts auch dann mit dem subjektiven Wunsch des Arbeitgebers, eine Politik politischer, weltanschaulicher und religiöser Neutralität zu verfolgen, gerechtfertigt werden, wenn der Arbeitgeber damit den subjektiven Wünschen seiner Kund*innen entsprechen möchte?

91

b) Stehen die Richtlinie 2000/78/EG und/oder das Grundrecht der unternehmerischen Freiheit nach Art. 16 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union angesichts Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG einer nationalen Regelung entgegen, nach der zum Schutz des Grundrechts der Religionsfreiheit ein Verbot religiöser Bekleidung nicht schon aufgrund einer abstrakten Eignung zur Gefährdung der Neutralität des Arbeitgebers, sondern nur aufgrund einer hinreichend konkreten Gefahr, insbesondere eines konkret drohenden wirtschaftlichen Nachteils für den Arbeitgeber oder einen betroffenen Dritten, gerechtfertigt werden kann?

92

(1) Das Verbot des Zeigens religiöser Symbole trifft effektiv einige Religionen mehr als andere und die Geschlechter in unterschiedlicher Weise: religiöse jüdische Frauen tragen eine Perücke, die als solche meist nicht erkennbar ist. Ihnen wird daher das Befolgen des religiösen Bedeckungsgebots erlaubt. Muslimischen Frauen hingegen wird das Befolgen dieses Gebots – ebenso wie jüdischen Männern - verboten, da ihr religiöses Merkmal – das Tragen des Kopftuches bzw. der Kippa – sichtbar ist. Christliche Menschen können das Tragen des Kreuzes um den Hals unter einem weiteren Kleidungsstück verstecken. Die Befolgung dieses religiösen Gebots ist ihnen daher auch unter Anwendung einer Neutralitätsregel möglich. Statistisch trifft die Regelung des Beklagten fast ausschließlich muslimische Frauen, da die überwiegende Anzahl der Erzieher*innen in Kindertagesstätten weiblich und der Anteil der religiösen Juden unter den männlichen Erziehern verschwindend gering ist.

93

Im Urteil vom 14. März 2017 (Achbita, C-157/15, ECLI:EU:2017:203) hat der Gerichtshof die Frage, ob in dem betrieblichen Neutralitätsgebot eine mittelbare Diskriminierung wegen der Religion liegt, offengelassen.

94

Nicht erörtert hat das Gericht zudem, ob in einem betrieblichen Neutralitätsgebot eine mittelbare Diskriminierung von Frauen zu sehen ist, da dieses Verbot in der weit überwiegenden Zahl der Fälle (muslimische) Frauen betrifft.

95

(2) Gemäß Art. 2 Abs. 2 b) i) liegt keine mittelbare Benachteiligung vor, wenn diese Vorschriften, Kriterien oder Verfahren durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt, und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind.

96

Der EuGH hat im Urteil vom 14. März 2017 ausgeführt:

97

„Der Wunsch eines Arbeitgebers, den Kunden ein Bild der Neutralität zu vermitteln, gehört zur unternehmerischen Freiheit, die in Art. 16 der Charta anerkannt ist, und ist grundsätzlich rechtmäßig, insbesondere dann, wenn der Arbeitgeber bei der Verfolgung dieses Ziels nur die Arbeitnehmer einbezieht, die mit seinen Kunden in Kontakt treten sollen“.

98

Das Bundesverfassungsgericht fordert dagegen für einen Eingriff in das Grundrecht aus Art. 4 Abs. 1 GG (Religionsfreiheit) über das Vorliegen eines rechtmäßigen Ziels hinaus, dass von der äußeren religiösen Bekundung eine hinreichend konkrete Gefahr für Schutzgüter mit Verfassungsrang ausgehen muss (BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 18. Oktober 2016 – 1 BvR 354/11 –, juris). Das Landesarbeitsgericht Nürnberg (Urteil vom 27. März 2018 – 7 Sa 304/17 –, Rn. 60, juris) versteht die Rechtsprechung des Gerichtshofes in den Urteilen Achbita und Bougnaoui (Urteil vom 14. März 2017, Az. C-188/15, ECLI:EU:C:2017: 204) im Einklang mit dem Bundesverfassungsgericht so, dass der Wunsch des Arbeitgebers, Kund*innen ein Bild der Neutralität zu vermitteln, grundsätzlich nur dann rechtmäßig sei, wenn das Fehlen dieser Neutralität zu wirtschaftlichen Nachteilen führe. Die vorlegende Kammer kann – ebenso wie der Beklagte im Ausgangsverfahren - diese Einschränkung in den Entscheidungsgründen des Urteils des Gerichtshof vom 14. März 2017 (Achbita) nicht erkennen.

99

Die Kammer ist jedoch mit dem Bundesverfassungsgericht und dem LAG Nürnberg der Auffassung, dass im Hinblick auf das Gewicht des Grundrechts auf Religionsfreiheit und im Hinblick auf das Gebot der Verhältnismäßigkeit des Art. 52 Abs. 1 der Grundrechte-Charta dem Grundrecht des Arbeitgebers aus Art. 16 der Charta nicht schon dann der Vorrang vor der Religionsfreiheit eingeräumt werden kann, wenn der Arbeitgeber den Wunsch formuliert, Kund*innen gegenüber neutral aufzutreten, ohne dass dem Arbeitgeber aus der fehlenden Neutralität ein Nachteil erwachsen würde.

100

Die Kammer fühlt sich in dieser Auslegung bestätigt durch die Entscheidung des Gerichtshofs in der Sache Bougnaoui (Urteil vom 14. März 2017, Az. C-188/15, ECLI:EU:C:2017:204), in der der Gerichtshof den Wunsch des Arbeitgebers, den Wünschen eines Kunden zu entsprechen, die Leistungen dieses Arbeitgebers nicht mehr von einer Arbeitnehmerin ausführen zu lassen, die ein islamisches Kopftuch trägt, nicht als eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung im Sinne dieser Bestimmung anerkennt. Warum es dann jedoch zulässig sein soll, derselben Mitarbeiterin das Tragen des Kopftuches zu verbieten, wenn sich der Arbeitgeber diesen Wunsch des Kunden zu Eigen macht und qua allgemein geltender Unternehmensphilosophie (Neutralität) das Tragen des Kopftuches verbietet – so versteht die Kammer den Gerichtshof in der Sache Achbita – erschließt sich der Kammer nicht.

101

(3) Zwar werden in der Richtlinie 2000/78/EG laut Erwägungsgrund Nr. 28 / Art. 8 der Richtlinie lediglich Mindestanforderungen festgelegt. Es steht den Mitgliedstaaten somit frei, günstigere Vorschriften einzuführen oder beizubehalten. Die Umsetzung der Richtlinie dürfe keine Absenkung des in den Mitgliedstaaten bereits bestehenden Schutzniveaus rechtfertigen. Daher gibt es Stimmen in der deutschen rechtswissenschaftlichen Literatur, die meinen, durch die Entscheidungen Achbita und Bougnaoui werde der in Deutschland durch Art. 4 Abs. 1 und 2 GG gewährleistete höhere Schutz, nach dem für das Verbot des Zeigens religiöser Symbole am Arbeitsplatz der Nachweis betrieblicher Nachteile im Einzelfall gefordert wird, durch die Entscheidungen nicht beeinträchtigt (Aqilah Sandhu, Das EU-Antidiskriminierungsrecht zwischen ökonomischer und sozialer Integration: Zu den Grenzen unternehmerischer Freiheit, KJ 50 (2017), S. 517 (527)).

102

Allerdings sieht sich die Kammer an einer stattgebenden Entscheidung durch die Auslegung des Art. 16 GRC durch den Gerichtshof, mit der dieser den Wunsch des Arbeitsgebers nach religiöser Neutralität seiner Beschäftigten an sich als sachliche Rechtfertigung für eine mittelbare Diskriminierung ausreichen lässt (soweit diese angemessen und erforderlich ist), gehindert. Der Beklagte des Ausgangsverfahrens beruft sich explizit auf sein Recht aus Art. 16 GRC in der Auslegung des Gerichtshofs in der Achbita-Entscheidung, so dass diese Frage im Ausgangsrechtsstreit entscheidungserheblich ist. Der Arbeitgeber hat wirtschaftliche Einbußen oder eine konkrete Gefährdung von Rechtsgütern Dritter, die eine abweisende Entscheidung auch nach den Voraussetzungen des Art. 4 GG rechtfertigen könnten, nach Auffassung der Kammer nicht hinreichend substantiiert dargelegt.

103

E. Diese Entscheidung ist nicht anfechtbar (vgl. Greger in: Zöller, ZPO, 31. Auflage 2016, § 252, Rn. 1b).

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Landesarbeitsgericht Nürnberg Urteil, 27. März 2018 - 7 Sa 304/17

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(1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.

(2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.

(3) Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.

(1) Eine unterschiedliche Behandlung wegen eines in § 1 genannten Grundes ist zulässig, wenn dieser Grund wegen der Art der auszuübenden Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, sofern der Zweck rechtmäßig und die Anforderung angemessen ist.

(2) Die Vereinbarung einer geringeren Vergütung für gleiche oder gleichwertige Arbeit wegen eines in § 1 genannten Grundes wird nicht dadurch gerechtfertigt, dass wegen eines in § 1 genannten Grundes besondere Schutzvorschriften gelten.

Der Arbeitgeber kann Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen, soweit diese Arbeitsbedingungen nicht durch den Arbeitsvertrag, Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung, eines anwendbaren Tarifvertrages oder gesetzliche Vorschriften festgelegt sind. Dies gilt auch hinsichtlich der Ordnung und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb. Bei der Ausübung des Ermessens hat der Arbeitgeber auch auf Behinderungen des Arbeitnehmers Rücksicht zu nehmen.

(1) Beschäftigte dürfen nicht wegen eines in § 1 genannten Grundes benachteiligt werden; dies gilt auch, wenn die Person, die die Benachteiligung begeht, das Vorliegen eines in § 1 genannten Grundes bei der Benachteiligung nur annimmt.

(2) Bestimmungen in Vereinbarungen, die gegen das Benachteiligungsverbot des Absatzes 1 verstoßen, sind unwirksam.

(3) Eine Benachteiligung nach Absatz 1 durch Arbeitgeber oder Beschäftigte ist eine Verletzung vertraglicher Pflichten.

(1) Eine unmittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts liegt in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 auch im Falle einer ungünstigeren Behandlung einer Frau wegen Schwangerschaft oder Mutterschaft vor.

(2) Eine mittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen wegen eines in § 1 genannten Grundes gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich.

(3) Eine Belästigung ist eine Benachteiligung, wenn unerwünschte Verhaltensweisen, die mit einem in § 1 genannten Grund in Zusammenhang stehen, bezwecken oder bewirken, dass die Würde der betreffenden Person verletzt und ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.

(4) Eine sexuelle Belästigung ist eine Benachteiligung in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4, wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch unerwünschte sexuelle Handlungen und Aufforderungen zu diesen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie unerwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen von pornographischen Darstellungen gehören, bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird, insbesondere wenn ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.

(5) Die Anweisung zur Benachteiligung einer Person aus einem in § 1 genannten Grund gilt als Benachteiligung. Eine solche Anweisung liegt in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 insbesondere vor, wenn jemand eine Person zu einem Verhalten bestimmt, das einen Beschäftigten oder eine Beschäftigte wegen eines in § 1 genannten Grundes benachteiligt oder benachteiligen kann.

(1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.

(2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.

(3) Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

(1) Das gesamte Schulwesen steht unter der Aufsicht des Staates.

(2) Die Erziehungsberechtigten haben das Recht, über die Teilnahme des Kindes am Religionsunterricht zu bestimmen.

(3) Der Religionsunterricht ist in den öffentlichen Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen ordentliches Lehrfach. Unbeschadet des staatlichen Aufsichtsrechtes wird der Religionsunterricht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt. Kein Lehrer darf gegen seinen Willen verpflichtet werden, Religionsunterricht zu erteilen.

(4) Das Recht zur Errichtung von privaten Schulen wird gewährleistet. Private Schulen als Ersatz für öffentliche Schulen bedürfen der Genehmigung des Staates und unterstehen den Landesgesetzen. Die Genehmigung ist zu erteilen, wenn die privaten Schulen in ihren Lehrzielen und Einrichtungen sowie in der wissenschaftlichen Ausbildung ihrer Lehrkräfte nicht hinter den öffentlichen Schulen zurückstehen und eine Sonderung der Schüler nach den Besitzverhältnissen der Eltern nicht gefördert wird. Die Genehmigung ist zu versagen, wenn die wirtschaftliche und rechtliche Stellung der Lehrkräfte nicht genügend gesichert ist.

(5) Eine private Volksschule ist nur zuzulassen, wenn die Unterrichtsverwaltung ein besonderes pädagogisches Interesse anerkennt oder, auf Antrag von Erziehungsberechtigten, wenn sie als Gemeinschaftsschule, als Bekenntnis- oder Weltanschauungsschule errichtet werden soll und eine öffentliche Volksschule dieser Art in der Gemeinde nicht besteht.

(6) Vorschulen bleiben aufgehoben.

(1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.

(2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.

(3) Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.

Tenor

1. Die Beschwerdeführerin wird durch das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 12. August 2010 - 2 AZR 593/09 -, das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 19. Juni 2009 - 7 Sa 84/08 - und das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 15. Oktober 2008 - 14 Ca 7300/07 - in ihrem Grundrecht aus Artikel 4 Absatz 1 und 2 des Grundgesetzes verletzt. Die Urteile des Bundesarbeitsgerichts und des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg werden aufgehoben. Die Sache wird an das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg zurückverwiesen. Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

2. Das Land Baden-Württemberg hat der Beschwerdeführerin drei Viertel, die Bundesrepublik Deutschland ein Viertel ihrer notwendigen Auslagen zu erstatten.

3. Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit für das Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf 25.000 € (in Worten: fünfundzwanzigtausend Euro) festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft eine der Beschwerdeführerin, die als Erzieherin an einer Kindertagesstätte in kommunaler Trägerschaft beschäftigt ist, von ihrem Arbeitgeber erteilte Abmahnung wegen Tragen eines sogenannten "islamischen Kopftuchs" im Dienst sowie in diesem Zusammenhang ergangene arbeitsgerichtliche Entscheidungen.

2

1. Die insoweit maßgeblichen Vorschriften des § 7 Abs. 6 und 7 des baden-württembergischen Gesetzes über die Betreuung und Förderung von Kindern in Kindergärten, anderen Tageseinrichtungen und der Kindertagespflege (Kindertagesbetreuungsgesetz - KiTaG) in der zum Zeitpunkt der Ausgangsentscheidungen geltenden Fassung lauteten:

"(6) 1Fachkräfte im Sinne der Absätze 1 und 2 und andere Betreuungs- und Erziehungspersonen dürfen in Einrichtungen, auf die dieses Gesetz Anwendung findet und die in Trägerschaft des Landes, eines Landkreises, einer Gemeinde, einer Verwaltungsgemeinschaft, eines Zweck- oder Regionalverbandes stehen, keine politischen, religiösen, weltanschaulichen oder ähnliche äußeren Bekundungen abgeben, die geeignet sind, die Neutralität des Trägers gegenüber Kindern und Eltern oder den politischen, religiösen oder weltanschaulichen Frieden in Einrichtungen, auf die dieser Absatz Anwendung findet, zu gefährden oder zu stören. 2Insbesondere ist ein äußeres Verhalten unzulässig, welches bei Kindern oder Eltern den Eindruck hervorrufen kann, dass eine Fachkraft oder eine andere Betreuungs- oder Erziehungsperson gegen die Menschenwürde, die Gleichberechtigung der Menschen nach Artikel 3 des Grundgesetzes, die Freiheitsgrundrechte oder die freiheitlich-demokratische Grundordnung auftritt. 3Die Wahrnehmung des Auftrags nach Artikel 12 Abs. 1 der Verfassung des Landes Baden-Württemberg zur Erziehung der Jugend im Geiste der christlichen Nächstenliebe und zur Brüderlichkeit aller Menschen und die entsprechende Darstellung derartiger Traditionen widerspricht nicht dem Verhaltensgebot nach Satz 1.

(7) Die Einstellung einer Fachkraft im Sinne der Absätze 1 und 2 oder einer anderen Betreuungs- und Erziehungsperson in Einrichtungen nach Absatz 6 Satz 1 setzt als persönliches Eignungsmerkmal voraus, dass sie die Gewähr für die Einhaltung des Absatzes 6 während der gesamten Dauer ihres Arbeitsverhältnisses bietet."

3

2. Die in der Türkei geborene Beschwerdeführerin mit deutscher Staatsangehörigkeit ist staatlich anerkannte Erzieherin. Sie ist bei der im Ausgangsverfahren beklagten Stadt S., die über 34 kommunale Kindertagesstätten verfügt, seit September 2003 in Teilzeit beschäftigt. Zuvor war sie dort seit 2001 bereits als Praktikantin tätig. Die Beschwerdeführerin ist muslimischen Glaubens und trägt aus religiöser Überzeugung in der Öffentlichkeit und auch während ihrer Tätigkeit als Erzieherin ein Kopftuch.

4

3. Die Stadt forderte die Beschwerdeführerin auf, ihr Kopftuch während ihres Dienstes als Erzieherin abzulegen und damit der Verpflichtung aus § 7 Abs. 6 KiTaG a.F. (jetzt: § 7 Abs. 8 KiTaG) nachzukommen. Die Beschwerdeführerin folgte dem nicht. Daraufhin mahnte die Stadt sie ab.

5

4. Die Beschwerdeführerin verlangte erfolglos die Entfernung der Abmahnung aus ihrer Personalakte. Das Arbeitsgericht wies ihre Klage ab. Ihre hiergegen eingelegte Berufung blieb vor dem Landesarbeitsgericht ebenfalls ohne Erfolg.

6

Das Bundesarbeitsgericht wies die Revision der Beschwerdeführerin zurück. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus:

7

a) Die Beschwerdeführerin habe mit dem Kopftuchtragen das Bekundungsverbot gemäß § 7 Abs. 6 Satz 1 KiTaG a.F. bewusst und dauerhaft verletzt.

8

aa) Die bewusste Wahl einer religiös bestimmten Kleidung wie des Kopftuchs stelle eine religiöse Bekundung im Sinne dieser Vorschrift dar. Zur Bestimmung des Erklärungswerts einer solchen Kundgabe sei auf diejenige Deutungsmöglichkeit abzustellen, die für eine nicht unerhebliche Zahl von Betrachtern naheliege. Dabei komme es für die Deutung vor allem auf die Sicht eines objektiven Betrachters in der Situation der Kinder und Eltern einer Betreuungseinrichtung an. Ob einer bestimmten Bekleidung ein religiöser Aussagegehalt nach Art eines Symbols zukomme, hänge von der Wirkung des verwendeten Ausdrucksmittels ab, wobei alle sonstigen in Betracht kommenden Deutungsmöglichkeiten ebenfalls zu berücksichtigen seien. Der Symbolcharakter müsse sich nicht aus dem Kleidungsstück als solchem ergeben. Eine religiöse Bekundung könne auch darin liegen, dass dem Kleidungsstück in der besonderen Art und Weise seines Tragens offensichtlich eine besondere Bedeutung zukomme, etwa weil es erkennbar aus dem Rahmen der in der Einrichtung üblichen Bekleidung falle und ausnahmslos zu jeder Zeit getragen werde. Ein solch weitgehendes Verständnis entspreche dem Zweck des gesetzlichen Bekundungsverbots. Dieses wolle religiös-weltanschauliche Konflikte in Kindertagesbetreuungseinrichtungen schon im Ansatz verhindern und die Neutralität der Einrichtung und des Trägers auch nach außen wahren. Das verbiete eine Differenzierung zwischen Kleidungsstücken, deren religiöse oder weltanschauliche Motivation offen zutage trete, und solchen, deren Tragen in der Einrichtung einen entsprechenden Erklärungsbedarf auslöse. Die Beschwerdeführerin habe auch zu keiner Zeit behauptet, sie trage das Kopftuch nicht als Ausdruck ihres Glaubens. Ihr Hinweis, das Landesarbeitsgericht habe bei der Bewertung modische oder gesundheitliche Aspekte des Kopftuchtragens berücksichtigen müssen, sei unbeachtlich. Auch ein unbefangener Beobachter werde das "islamische Kopftuch" regelmäßig als Ausdruck eines bekundeten Religionsbrauchs und nicht als modisches Accessoire auffassen. Dies gelte auch unter Berücksichtigung der zunehmenden Verbreitung solcher Kopftücher im öffentlichen Leben und der öffentlichen Diskussion der letzten Jahre.

9

bb) Das Verhalten der Klägerin sei geeignet, die Neutralität der beklagten Stadt gegenüber Kindern und Eltern einer Kindertagesstätte und den religiösen Einrichtungsfrieden zu gefährden. Das Verbot des § 7 Abs. 6 Satz 1 KiTaG a.F. wolle schon der abstrakten Gefahr vorbeugen, konkrete Gefährdungen also gar nicht erst aufkommen lassen. Im Gesetzeswortlaut komme dies darin zum Ausdruck, dass religiöse Bekundungen bereits dann verboten seien, wenn sie "geeignet" seien, die genannten Schutzgüter zu gefährden. Der Landesgesetzgeber habe ersichtlich darauf Bedacht nehmen wollen, dass auch Kindertagesbetreuungseinrichtungen Orte seien, an denen unterschiedliche religiöse und politische Auffassungen unausweichlich aufeinanderträfen, deren friedliches Nebeneinander der Staat zu garantieren habe. Er habe ein solches Konfliktpotential erkennbar nicht nur für den Schulbereich gesehen, sondern sei davon ausgegangen, dass es durch eine größere religiöse Vielfalt in der Gesellschaft auch in Kindertagesstätten zu einem vermehrten Potential von Konflikten - auch unter den Eltern verschiedener Glaubensrichtungen oder mit Atheisten - kommen könne. In dieser Lage könne der religiöse und weltanschauliche Frieden in einer Einrichtung schon durch die berechtigte Sorge der Eltern vor einer ungewollten religiösen Beeinflussung ihres Kindes gefährdet werden. Hierzu könne das religiös bedeutungsvolle Erscheinungsbild des pädagogischen Personals Anlass geben. Die berechtigte Sorge von Eltern könne sich in Kindertagesstätten sogar noch verstärken, da Kinder im Kindergartenalter regelmäßig stärker beeinflussbar seien als Schüler. Eine Erzieherin habe zudem insbesondere bei einer Ganztagsbetreuung noch einen höheren Einfluss auf die Kindergartenkinder als dies bei einem Lehrer der Fall sei, der nur einzelne Fächer unterrichte. Für das spätere Sozialverhalten der Kinder wirke sie als zumeist erste Bezugsperson außerhalb des Elternhauses in hohem Maße prägend. Jede bekehrende Wirkung auszuschließen, die das Tragen des "islamischen Kopftuchs" haben könne, sei deshalb kaum möglich. Im Kindergartenalter sei es im Gegenteil wohl zumeist noch schwieriger, die Wirkung eines Kopftuchs durch entsprechende Erklärungen abzuschwächen.

10

Es komme dementsprechend nicht darauf an, ob die Beschwerdeführerin den Gegenbeweis für eine Nichtgefährdung des Einrichtungsfriedens erbringen könne. Eine Berücksichtigung der konkreten Verhältnisse in einzelnen Einrichtungen sei im Gesetz nicht vorgesehen. Somit sei es auch ohne Belang, ob die Beschwerdeführerin bislang in einem friedlichen Verhältnis zu allen Beteiligten stehe, zumal sich diese Situation durch den Wechsel von Kindern und Eltern jederzeit ändern könne.

11

b) Die Regelung des § 7 Abs. 6 Satz 1 KiTaG a.F. verstoße nicht gegen höherrangiges Recht. Die Vorschrift sei weder verfassungswidrig noch verletze sie Art. 9 Abs. 1 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK).

12

aa) Die dortige Lösung des verfassungsrechtlichen Spannungsverhältnisses beachte die Grundsätze der praktischen Konkordanz der betroffenen Grundrechtspositionen hinreichend. Die Regelung liege im Rahmen der Gestaltungsfreiheit des Landesgesetzgebers. Dieser habe die positive Glaubensfreiheit sowie die Berufsausübungsfreiheit und das allgemeine Persönlichkeitsrecht einer Erzieherin hinter die Pflicht des öffentlichen Trägers einer Kinderbetreuungseinrichtung zur weltanschaulichen Neutralität, das Erziehungsrecht der Eltern und die negative Glaubensfreiheit der Kinder und Eltern zurücktreten lassen dürfen, um die Neutralität der Kindertagesstätten und deren Einrichtungsfrieden zu sichern.

13

(1) Zwar schütze nach der Rechtsprechung Art. 4 Abs. 1 und 2 GG nicht nur die innere Glaubensfreiheit, sondern auch die äußere Freiheit, den Glauben in der Öffentlichkeit zu manifestieren und zu bekennen. Dazu gehöre auch das Recht des Einzelnen, sein gesamtes Verhalten an den Lehren des Glaubens auszurichten und seiner inneren Glaubensüberzeugung gemäß zu handeln. Auf Seiten der Kinder und Eltern entspreche dem aber umgekehrt die Freiheit, kultischen Handlungen eines nicht geteilten Glaubens fernzubleiben. Zwar habe der Einzelne in einer unterschiedlichen Glaubensüberzeugungen Raum gebenden Gesellschaft kein Recht darauf, von fremden Glaubensbekundungen gänzlich verschont zu bleiben. Davon sei aber eine vom Staat geschaffene Lage zu unterscheiden, in der ein Einzelner dem Einfluss und den Symbolen eines bestimmten Glaubens ausgesetzt werde. Insofern entfalte Art. 4 Abs. 1 GG seine freiheitssichernde Wirkung gerade in den Lebensbereichen, die nicht der gesellschaftlichen Selbstorganisation überlassen seien, sondern in denen der Staat Vorsorgeleistungen anbiete. Gemeinsam mit Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG, der den Eltern die Pflege und Erziehung ihrer Kinder als natürliches Recht garantiere, umfasse Art. 4 Abs. 1 GG auch das Recht zur Kindererziehung in religiöser und weltanschaulicher Hinsicht. Es sei Sache der Eltern, ihren Kindern diejenigen Überzeugungen in Glaubens- und Weltanschauungsfragen zu vermitteln, die sie für richtig hielten. Dem entspreche das Recht, die Kinder von Glaubensüberzeugungen fernzuhalten, die den Eltern falsch oder schädlich erschienen.

14

(2) Die Vermeidung religiöser und weltanschaulicher Konflikte in öffentlichen Kindertagesstätten stelle ein gewichtiges Gemeingut dar. Zu diesem Zweck seien gesetzliche Einschränkungen der Glaubensfreiheit rechtlich zulässig. Dabei sei es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn die landesgesetzliche Regelung religiöse Bekundungen von Erziehern in Kindertagesstätten ohne Rücksicht auf die Umstände des Einzelfalls untersage. Der Gesetzgeber dürfe Gefährdungen des Einrichtungsfriedens auch dadurch vorbeugen, dass er Erziehungskräften bereits das Tragen religiös bedeutsamer Kleidungsstücke oder Symbole verbiete und Konflikt vermeidende Regelungen nicht an die konkrete Gefahr einer drohenden Auseinandersetzung knüpfe. Diese von der Rechtsprechung zu den Schulgesetzen entwickelten Grundsätze seien auf Erzieher einer Kindertagesstätte in öffentlicher Trägerschaft übertragbar, da maßgebliche Unterschiede zwischen Schulen und Kindertagesstätten nicht erkennbar seien. Es stehe den Erziehungsberechtigten zwar grundsätzlich frei, ob sie ihr Kind in eine (bestimmte) Kindertagesstätte schicken wollten oder nicht. Deshalb bestehe auch keine vom Staat geschaffene Zwangssituation, in der der Einzelne dem Einfluss eines anderen Glaubensbekenntnisses ohne Ausweichmöglichkeiten ausgesetzt sei. Das Bekundungsverbot sei gleichwohl nicht unverhältnismäßig. Nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Achtes Buch (SGB VIII) hätten Eltern einen Anspruch auf Besuch einer Tageseinrichtung zur Kinderbetreuung. Verweise man sie auf andere Kindertagesstätten des kommunalen oder gar eines anderen Trägers, so sei dies - ungeachtet der Frage der Zumutbarkeit eines Wechsels - spätestens dann problematisch, wenn der kommunale Träger keine Kindertagesstätte anbieten könne, in der keine kopftuchtragenden oder andere religiöse Bekundungen abgebenden Erzieherinnen beschäftigt würden. Eine Verweisung der Eltern auf Kindertagesstätten eines freien Trägers hingegen sei mit dem Anspruch aus § 24 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII schwerlich vereinbar. Hinzu komme, dass zahlreiche faktische Zwänge dem Besuch einer anderen Kindertagesstätte entgegenstehen könnten, wie beispielsweise die nur geringe Anzahl von Kindertagesstätten im ländlichen Raum oder die Nähe einer Einrichtung zum Wohn- oder Arbeitsort der Eltern.

15

bb) § 7 Abs. 6 Satz 1 KiTaG a.F. greife auch nicht in verfassungswidriger Weise in das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden (Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG) ein. Der Landesgesetzgeber habe die Personalentscheidungsbefugnis der Kommunen nicht übermäßig begrenzt, sondern lediglich einen Teilaspekt der Verhaltenspflichten des Gemeindepersonals geregelt.

16

cc) Die Vorschrift verletze auch nicht den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG.

17

(1) Sie behandle die verschiedenen Religionen nicht unterschiedlich, sondern erfasse jede Art religiöser Bekundung unabhängig von deren Inhalt. Christliche Glaubensbekundungen würden nicht bevorzugt. Dies gelte auch mit Blick auf § 7 Abs. 6 Satz 3 KiTaG a.F. (jetzt: § 7 Abs. 8 Satz 3 KiTaG). Gegenstand dieser Regelung sei allein die Darstellung, nicht die Bekundung christlicher Werte. Diese sei nicht gleichzusetzen mit der Bekundung eines individuellen Bekenntnisses. Außerdem bezeichne der Begriff des "Christlichen" eine von Glaubensinhalten losgelöste, aus der Tradition der christlich-abendländischen Kultur hervorgegangene Wertewelt, die erkennbar auch dem Grundgesetz zugrunde liege und unabhängig von ihrer religiösen Fundierung Geltung beanspruche. Der Auftrag zur Weitergabe christlicher Bildungs- und Kulturwerte verpflichte und berechtige die Einrichtung deshalb nicht zur Vermittlung bestimmter Glaubensinhalte, sondern betreffe Werte, denen jeder Beschäftigte des öffentlichen Dienstes unabhängig von seiner religiösen Überzeugung vorbehaltlos zustimmen könne.

18

(2) Die Regelung behandle die Beschwerdeführerin auch nicht wegen ihres Geschlechts ungleich. Sie verbiete religiöse Bekundungen unabhängig vom Geschlecht und richte sich nicht speziell gegen das von Frauen getragene "islamische Kopftuch".

19

c) § 7 Abs. 6 Satz 1 KiTaG a.F. verletze als landesrechtliche Vorschrift schließlich ebensowenig das Diskriminierungsverbot des § 7 Abs. 1 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Zwar könne das Bekundungsverbot zu einer unmittelbaren Benachteiligung einer Erzieherin aus Gründen der Religion im Sinne von § 7 Abs. 1, §§ 1, 3 Abs. 1 AGG führen, weil die Unterlassung ihrer religiösen Bekundung zu einer entscheidenden Bedingung für die Ausübung ihrer Tätigkeit werde. Eine unterschiedliche Behandlung aus religiösen Gründen zur Erfüllung einer wesentlichen beruflichen Anforderung sei aber gemäß § 8 Abs. 1 AGG zulässig, weil vorliegend der Zweck rechtmäßig und die Anforderungen angemessen seien.

II.

20

Die Beschwerdeführerin hat fristgerecht Verfassungsbeschwerde erhoben. Sie rügt eine Verletzung von Art. 3 Abs. 3 Satz 1, Art. 4 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3, Art. 28 Abs. 2 und Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG sowie des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes als höherrangigem Recht im Sinne von Art. 31 GG durch die Abmahnung und die gerichtlichen Ausgangsentscheidungen. Zudem lässt sie erkennen, dass sie § 7 Abs. 6 und 7 KiTaG a.F. (jetzt: § 7 Abs. 8 und 9 KiTaG) - in der Auslegung durch die Ausgangsgerichte - für verfassungswidrig hält und die Vorschrift damit auch insoweit mittelbar angreift. Im Wesentlichen macht sie geltend:

21

1. In den angegriffenen Entscheidungen würden der Schutzbereich sowie die Bedeutung und die Tragweite der einschlägigen Grundrechte und Verfassungsprinzipien grundsätzlich verkannt. Sie verletzten sie damit, da sie das Tragen einer Kopfbedeckung als verbindliches religiöses Gebot des Islam betrachte, in den bezeichneten Grundrechten.

22

Die Ausgangsgerichte hätten insbesondere die Bedeutung der Religionsfreiheit verkannt.

23

a) Sie ließen die notwendige Differenzierung zwischen Schule und Kindergarten vermissen. Im Unterschied zum Schulbereich sei der Verfassungsrang, den Art. 7 Abs. 1 GG dem staatlichen Erziehungsauftrag in öffentlichen Schulen verleihe, für den Kindergartenbereich nicht ersichtlich. Damit und mangels einer Kindergartenpflicht sei aber auch das in § 7 Abs. 6 Satz 1 KiTaG a.F. genannte Rechtsgut der staatlichen Neutralität keine geeignete Grundlage für die Rechtfertigung eines Eingriffs.

24

Der Umstand, dass Kindergärten nicht der gesellschaftlichen Selbstorganisation überlassen seien und faktische Zwänge zur Benutzung bestimmter Einrichtungen bestünden, habe nichts mit staatlicher Neutralität zu tun. Bestehe wie häufig, so zum Beispiel im Gesundheitswesen, der Zwang, bestimmte privat- oder öffentlich-rechtliche Einrichtungen zu nutzen, gelte insoweit dennoch kein Neutralitätsgebot.

25

Das Bundesverfassungsgericht habe im Übrigen bereits klargestellt, dass die dem Staat gebotene religiös-weltanschauliche Neutralität nicht als eine distanzierende, sondern als eine fördernde zu verstehen sei. Dort, wo der Staat nur hinnehme, dass Grundrechtsträger in der Schule oder in sonstigen Einrichtungen von ihrer Glaubensfreiheit Gebrauch machten, ohne dass er sich dies zu eigen mache oder es ihm zuzurechnen sei, gebiete es der Grundsatz der fördernden Neutralität im positiven Sinn, Raum für die aktive Betätigung der Glaubensüberzeugung und die Verwirklichung der autonomen Persönlichkeit auf weltanschaulich-religiösem Gebiet zu sichern.

26

Die Ausgangsgerichte wiesen ebenso wie der Landesgesetzgeber nur auf den Neutralitätsgrundsatz hin, erläuterten aber nicht, worin die Neutralität bestehen solle, und gingen auf die von der Verfassungsrechtsprechung hierbei zwingend verlangte Gleichbehandlung aller Religionen nicht ein. Vielmehr benutzten sie den Begriff nur, um eine missliebige Glaubensäußerung zu verbieten, was keine tragfähige Grundlage zur Einschränkung der Glaubensfreiheit darstelle.

27

b) Im Hinblick auf die negative Religionsfreiheit der Eltern und Kinder sei zu betonen, dass sie, die Beschwerdeführerin, im Dienst weder kultische Handlungen ausführe, noch ihre Religion überhaupt in irgendeiner Weise gegenüber Eltern oder Kindern thematisiere. Außerdem müsse insoweit zwischen Eltern und Kindern differenziert werden.

28

In den angegriffenen Entscheidungen werde übersehen, dass das Alter durchaus Einfluss auf die Religionsmündigkeit habe, was allgemein anerkannt sei. Die Kindergartenkinder seien zwischen drei und sechs Jahre alt und damit in einem Alter, in dem sie allenfalls in der Lage seien zu erkennen, dass eine religiöse Vielfalt existiere, nicht aber, zu Religionen oder deren Aussagen selbständig Stellung zu beziehen. Es fehle ihnen daher die Grundrechtsfähigkeit hinsichtlich der negativen Glaubensfreiheit. Den Eltern fehle es demgegenüber an einer hinreichend intensiven Beziehung, die im Sinne einer Unausweichlichkeit die negative Religionsfreiheit beeinträchtigen könne.

29

c) Das elterliche Erziehungsrecht gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 1 GG sei schon aufgrund des fehlenden Kindergartenzwangs nicht beeinträchtigt. Selbst wenn unter praktischen Gesichtspunkten eine zwangsähnliche Lage angenommen werde, liege eine Beeinträchtigung nicht vor. Es werde nicht behauptet, dass die Beschwerdeführerin sich entgegen den elterlichen Erziehungszielen betätige. Auch ziele § 7 Abs. 6 Satz 1 KiTaG a.F. nicht auf die Abwehr einer solchen Gefahr. Dergleichen würde vielmehr einen Verstoß gegen die üblichen Dienstpflichten darstellen und habe mit dem Kopftuch nichts zu tun.

30

2. § 7 Abs. 6 Satz 1 KiTaG a.F., auf den die im Ausgangsverfahren ausgesprochene Abmahnung gestützt sei, sei in der Auslegung durch die Ausgangsgerichte verfassungswidrig.

31

a) Die Vorschrift greife unzulässig in das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden ein. Personalentscheidungen gehörten zum Kernbereich körperschaftlicher Selbstbestimmung. Indem § 7 Abs. 6 Sätze 1 und 2 KiTaG a.F. den Gemeinden keinerlei Spielraum belasse, schränke er deren Selbstverwaltungsrecht ein. Das Diktat dieser Vorschrift sei nicht zu rechtfertigen.

32

b) Die auf die ohne jede Ausnahme festgeschriebene Regel des § 7 Abs. 6 KiTaG a.F. gestützte Weisung an die Beschwerdeführerin, ihre Kopfbedeckung während der Arbeit abzunehmen, sei ferner unverhältnismäßig und verstoße damit gegen das Rechtsstaatsprinzip. Der Eingriffszweck des Schutzes der Neutralität und des Einrichtungsfriedens erfordere weder eine solche Weisung noch sei diese zur Erreichung dieses Ziels geeignet. Konkret ergebe sich aus ihrem Verhalten keinerlei Gefährdung des Einrichtungsfriedens. Es sei kein Vorfall bekannt, bei dem der Umstand, dass sie bei der Ausübung ihrer Tätigkeit ein Kopftuch trage, zu Irritationen, Auseinandersetzungen oder Beschwerden geführt habe. Damit werde ohne äußeren Anlass allein aufgrund des Bestehens der gesetzlichen Regelung in erheblichem Umfang in ihr Grundrecht aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG eingegriffen. Dies sei nicht gerechtfertigt.

33

3. Schließlich verstießen die Abmahnung und § 7 Abs. 6 Satz 1 KiTaG a.F. auch insoweit gegen höherrangiges Recht, als sie mit dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz nicht vereinbar seien. Mit Blick auf die Vereinbarkeit des Kopftuchverbots mit dem diesem zugrunde liegenden Richtlinienrecht der Europäischen Union habe zumindest die Pflicht zur Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union bestanden, so dass Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ebenfalls verletzt sei.

III.

34

Zu der Verfassungsbeschwerde haben das Staatsministerium Baden-Württemberg, das Bundesverwaltungsgericht, das Aktionsbündnis muslimischer Frauen in Deutschland e.V., der Dachverband Freier Weltanschauungsgemeinschaften e.V., die Evangelische Kirche in Deutschland, der Internationale Bund der Konfessionslosen und Atheisten e.V., die Türkisch Islamische Union der Anstalt für Religion e.V., der Zentralrat der Ex-Muslime e.V. und der Zentralrat der Juden in Deutschland Stellung genommen. Die Akten des Ausgangsverfahrens lagen der Kammer vor.

35

1. Das Staatsministerium Baden-Württemberg weist darauf hin, dass sich der Gesetzentwurf der Landesregierung (LT-Drs. 13/2793) ursprünglich auf den Schulbereich beschränkt habe. Die Übertragung der Anforderungen an Lehrkräfte hinsichtlich politischer, religiöser, weltanschaulicher und ähnlicher äußerer Bekundungen auf den Kindergartenbereich gehe auf zwei später gestellte Fraktionsanträge (LT-Drs. 13/4803 und LT-Drs. 13/4869) zurück. Der Ablauf des Gesetzgebungsverfahrens zeige, dass die Landesregierung ursprünglich nicht von einem vergleichbaren Regelungsbedürfnis ausgegangen sei.

36

2. Der 2. Revisionssenat des Bundesverwaltungsgerichts teilt mit, er habe es in seiner beamtenrechtlichen Rechtsprechung bislang - gestützt auf die Entscheidung des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts zum Kopftuchverbot für beamtete Lehrerinnen im Unterricht (vgl. BVerfGE 108, 282) - als von der Einschätzungsprärogative des die verschiedenen betroffenen Grundrechtspositionen abwägenden Gesetzgebers gedeckt angesehen, ein Kopftuchverbot bereits bei einer von diesem so gesehenen abstrakten Gefährdungslage zur Wahrung des Schulfriedens zu erlassen. Diese Auffassung halte er nach wie vor für vorzugswürdig.

37

3. Das Aktionsbündnis muslimischer Frauen e.V. hält § 7 Abs. 6 Sätze 1 und 3 KiTaG a.F. für verfassungswidrig. Dem Kopftuchverbot in Einrichtungen der Kindertagesbetreuung lägen rein politische Erwägungen zugrunde. Es sei geprägt von der Absicht, lediglich Bekundungen mit muslimischem Hintergrund zu verbieten und Zeichen anderer Religionen und Weltanschauungen zu privilegieren. Dies erfolge über die Definition des Kopftuchs als Symbol mit möglicherweise verfassungswidrigem Inhalt und die Behauptung, weder die staatliche Definition des Kopftuchs noch die Privilegierung christlich-abendländischer Zeichen stellten einen Verstoß gegen das staatliche Neutralitätsgebot dar. Ein Kopftuchverbot, das bereits eine abstrakte Gefährdungssituation ausreichen lasse, stütze sich auf keinerlei empirische Grundlagen und sei auch deswegen unverhältnismäßig. Schließlich treffe das Kopftuchverbot in seinen Auswirkungen ausschließlich muslimische Frauen und sei damit mittelbar diskriminierend. Im Kindergartenbereich treffe es dabei sogar noch eine größere Gruppe von Frauen als im Schuldienst.

38

4. Der Dachverband Freier Weltanschauungsgemeinschaften e.V. ist der Ansicht, § 7 Abs. 6 Satz 3 KiTaG a.F. sei verfassungswidrig, da er eine unangemessene Hervorhebung einer Religion beinhalte. In Verbindung mit § 7 Abs. 6 Satz 1 KiTaG a.F. werde außerdem der Eindruck erweckt, das Verbot äußerer Bekundungen einer Religion oder Weltanschauung beziehe sich nur auf bestimmte Religionen, wodurch die notwendige Gleichbehandlung nicht gewährleistet wäre. Im Übrigen sei § 7 Abs. 6 Satz 1 KiTaG a.F. verfassungskonform. Eine Kleiderordnung, die das Tragen bestimmter Kleidungsformen während des Dienstes untersage, sei mit der Religionsfreiheit vereinbar, sofern alle Religionen und Weltanschauungen gleichermaßen betroffen seien.

39

5. Die Evangelische Kirche in Deutschland führt aus, die Verfassungsbeschwerde weise im Vergleich zu den vom Ersten Senat des Bundesverfassungsgerichts Anfang des Jahres 2015 entschiedenen, eine Lehrerin und eine Sozialpädagogin im Anstellungsverhältnis betreffenden Fällen (vgl. BVerfGE 138, 296) kaum Besonderheiten auf. Ein Unterschied bestehe nur insoweit, als das Schulwesen vorrangig in staatlicher Hand liege, während Kinderbetreuungseinrichtungen von einer Vielfalt unterschiedlicher Träger mit unterschiedlichem religiös-weltanschaulichem Profil betrieben würden. Für den Fall einer kommunalen Kindertagesstätte stelle sich die Problemlage religiös konnotierter Bekleidung dadurch allerdings nicht anders dar als für eine öffentliche Schule. In pädagogischer Hinsicht seien die Unterschiede im Einfluss, der von Kleidung und Verhalten des betreuenden Personals ausgehe, eher gradueller und nicht prinzipieller Art. In einem religiös-weltanschaulich neutralen Staat seien religiöse Bezüge in öffentlichen Bildungseinrichtungen nicht von vornherein ausgeschlossen. Es stehe den Beteiligten frei, auch dort von ihrer Religionsfreiheit Gebrauch zu machen, sofern dies mit den Rechten anderer Beteiligter vereinbar sei. Die Neutralität der Einrichtung schließe es nicht aus, sondern ein, dass die Pluralität der Gesellschaft dort präsent werden könne. Nach den tragenden Gründen der Entscheidung des Ersten Senats komme es insoweit auf die tatsächlichen Umstände, nämlich darauf an, ob im Einzelfall das Tragen eines Kopftuchs und das übrige Verhalten der Beschwerdeführerin geeignet sei, die Neutralität des Trägers oder den Einrichtungsfrieden zu gefährden. Der gleiche Maßstab gelte, wenn Mitarbeitende Symbole anderer Religionen - auch des Christentums - trügen.

40

6. Der Internationale Bund der Konfessionslosen und Atheisten e.V. hält die Verfassungsbeschwerde für unbegründet. Die Religionsfreiheit gewähre dem Berechtigten zwar das Recht, sein Leben an den Vorstellungen der eigenen Religion auszurichten und dies im öffentlichen Raum zu manifestieren, nicht aber, dies im geschützten persönlichen Bereich eines Dritten zu tun. Es liege keine Diskriminierung aufgrund des Bekenntnisses vor, da der Gläubige nicht aufgrund seines Glaubens, sondern deswegen ausgeschlossen werde, weil er sich weigere, die arbeitgeberseitigen Anforderungen hinsichtlich der Beschäftigung zu erfüllen.

41

7. Nach Ansicht der Türkisch Islamischen Union der Anstalt für Religion e.V. ist die Verfassungsbeschwerde begründet. Die Entscheidung sei durch die Erwägungen des Bundesverfassungsgerichts in der den Schulbereich betreffenden Entscheidung des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfGE 138, 296), die auf den vorliegenden Fall übertragbar seien, weitestgehend vorgegeben. Eine lediglich abstrakte Gefährdung sei als Grundlage für einen prohibitiven Grundrechtseingriff danach auch im Kindergartenbereich nicht ausreichend.

42

8. Der Zentralrat der Ex-Muslime e.V. ist der Auffassung, die Verfassungsbeschwerde sei unbegründet. Es sei zu beachten, dass Kleinkinder viele Verhaltensweisen durch Beobachtung und Nachahmung von Personen, die für sie als Vorbild dienten, erlernten. Hierzu zählten mit zunehmender Ablösung vom Elternhaus auch Erzieher und Lehrer. Der Staat müsse gerade deswegen, weil Kinder viele verschiedene kulturelle Hintergründe mitbrächten, zwingend die religiös-weltanschauliche Neutralität wahren. Das Kopftuch setze im öffentlichen Erziehungs- und Bildungswesen - egal ob es staatliche Kindergärten, Kindertagesstätten, Grundschulen oder weiterführende Schulen betreffe - falsche kinder- und frauenpolitische sowie integrationspolitische Signale. Es solle dort deswegen in der Dienstzeit nicht getragen werden dürfen.

43

9. Der Zentralrat der Juden in Deutschland hält die Verfassungsbeschwerde für begründet. Die Beschwerdeführerin werde in ihrem Persönlichkeitsrecht, dem Recht auf Gleichbehandlung sowie in der Religions- und ihrer Berufsfreiheit verletzt. Art. 4 Abs. 1 und 2 GG umfasse als äußere Bekundung der Religionszugehörigkeit auch das Tragen eines Kopftuchs beziehungsweise einer den Vorgaben einer Religion entsprechenden Kopfbedeckung. Insofern dürfe die Religionsfreiheit der Beschwerdeführerin nur dann eingeschränkt werden, wenn andere dadurch tatsächlich in ihren Rechten verletzt würden. Es gehöre in der heutigen Zeit zum täglichen Bild in der Öffentlichkeit und spiegle die plurale, interkulturelle Gesellschaft in Europa wie auch in Deutschland wieder, dass viele Angehörige verschiedenster Religionen in der Öffentlichkeit unterschiedliche Zeichen ihres Glaubens trügen. Dass Frauen aus religiösen Gründen ein Kopftuch trügen, sei insoweit keine auffällige Besonderheit, sondern Ausdruck einer offenen und toleranten Gesellschaft, in der alle Weltanschauungen und Religionen friedlich nebeneinander und miteinander lebten. Die Freiheit, seinen Glauben unter Einhaltung der jeweiligen religiösen Regeln zu leben, solange hierdurch niemand gestört werde, umfasse auch die Ausübung eines Berufs. Das Tragen eines Kopftuchs allein könne daher nicht automatisch für ein Verbot ausreichend sein, sondern nur dann, wenn durch die Religionsbekundung ein Konflikt entstehe oder geschürt werde. Die Verbotsvorschrift sei außerdem gleichheitswidrig, weil sie nur muslimische Frauen mit Kopftuch, nicht aber muslimische Männer und Musliminnen ohne Kopftuch treffe.

IV.

44

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, soweit dies zur Durchsetzung des Grundrechts der Beschwerdeführerin aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG; vgl. BVerfGE 90, 22 <25>). Auch die weiteren Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG liegen insoweit vor. Das Bundesverfassungsgericht hat die hier maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits entschieden. Die Verfassungsbeschwerde ist danach offensichtlich begründet. Im Übrigen liegen die Voraussetzungen für die Annahme zur Entscheidung nicht vor.

45

1. Die Annahmevoraussetzungen liegen nicht vor, soweit die Beschwerdeführerin auch die von ihrem Arbeitgeber erteilte Abmahnung zu ihrem Gegenstand machen möchte und soweit sie Verletzungen von Art. 28 Abs. 2 und von Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG geltend macht. Die gegen die Abmahnung selbst gerichtete Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich unzulässig. Unzulässig sind auch die Rügen einer Verletzung von Art. 28 Abs. 2 und Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG.

46

a) Die Abmahnung stellt ungeachtet dessen, dass es sich bei der im Ausgangsverfahren beklagten Stadt um einen kommunalen Arbeitgeber handelt, und ungeachtet etwaiger Ausstrahlungswirkungen der Grundrechte auf den privatrechtlichen Bereich keinen Akt öffentlicher Gewalt im Sinne von Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG und § 90 Abs. 1 BVerfGG dar (vgl. zur ordentlichen Kündigung von Arbeitnehmern durch die öffentliche Hand BVerfGE 96, 171 <180>).

47

b) Auf eine etwaige Verletzung der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie gemäß Art. 28 Abs. 2 GG kann sich die Beschwerdeführerin nicht berufen, da es sich hierbei nicht um ein mit der Individualverfassungsbeschwerde durchsetzbares Grundrecht oder grundrechtsgleiches Recht handelt (vgl. Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, § 90 Abs. 1 BVerfGG). Eine Verletzung der Gewährleistung des Art. 28 Abs. 2 GG können vielmehr nur Gemeinden und Gemeindeverbände mit dem Mittel der Kommunalverfassungsbeschwerde geltend machen (vgl. Art. 93 Abs. 1 Nr. 4b GG). An der erforderlichen Beschwerdebefugnis fehlt es insoweit darüber hinaus auch mangels einer unmittelbaren Selbstbetroffenheit der Beschwerdeführerin (vgl. BVerfGE 100, 313 <354>; 109, 279 <305 ff.>; 113, 348 <362>; stRspr).

48

Eine Verletzung von Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG hat die Beschwerdeführerin nicht in einer den Substantiierungsanforderungen aus § 23 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1, § 92 BVerfGG genügenden Weise begründet.

49

2. Die im Übrigen zulässige Verfassungsbeschwerde ist weitgehend begründet.

50

a) Gegenstand der verfassungsrechtlichen Prüfung ist neben den unmittelbar angegriffenen Entscheidungen der Arbeitsgerichte allein die diesen zugrunde liegende Verbotsvorschrift des § 7 Abs. 6 Satz 1 KiTaG a.F. (jetzt: § 7 Abs. 8 Satz 1 KiTaG), soweit diese religiöse Bekundungen durch das äußere Erscheinungsbild betrifft. Die Prüfung ist hingegen nicht auf § 7 Abs. 6 Satz 3 KiTaG a.F. (jetzt: § 7 Abs. 8 Satz 3 KiTaG) zu erstrecken, weil die Beschwerdeführerin die Verletzung des Grundgesetzes durch diese Vorschrift mit der Verfassungsbeschwerde nicht rügt.

51

b) Die angegriffenen arbeitsgerichtlichen Entscheidungen verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht auf Glaubens- und Bekenntnisfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG.

52

aa) Die Anwendung des einfachen Rechts ist zunächst Sache der Fachgerichte. Sie unterliegt der verfassungsgerichtlichen Kontrolle aber insoweit, als die Fachgerichte in ihren Entscheidungen die Bedeutung und Tragweite der betroffenen Grundrechte beachten müssen, damit deren wertsetzende Bedeutung auch auf der Rechtsanwendungsebene gewahrt bleibt (vgl. BVerfGE 7, 198 <205 ff.>; stRspr). Dazu bedarf es einer Abwägung zwischen den widerstreitenden grundrechtlichen Schutzgütern, die im Rahmen der auslegungsfähigen Tatbestandsmerkmale der fachrechtlichen Vorschriften vorzunehmen ist und die die besonderen Umstände des Falles zu berücksichtigen hat (vgl. BVerfGE 99, 185 <196>). Das Bundesverfassungsgericht ist dabei auf die Prüfung beschränkt, ob die Fachgerichte den Grundrechtseinfluss ausreichend beachtet haben (vgl. BVerfGE 18, 85 <92 f.>; 94, 1 <9 f.>). Ein Grundrechtsverstoß, der zur Beanstandung der angegriffenen Entscheidungen führt, liegt demnach dann vor, wenn übersehen worden ist, dass bei Auslegung und Anwendung der verfassungsmäßigen Vorschriften des einfachen Rechts Grundrechte zu beachten waren, wenn der Schutzbereich der zu beachtenden Grundrechte unrichtig oder unvollkommen bestimmt oder ihr Gewicht unrichtig eingeschätzt worden ist, so dass darunter die Abwägung der beiderseitigen Rechtspositionen im Rahmen der fachrechtlichen Regelung leidet (vgl. BVerfGE 95, 28 <37>; 97, 391 <401>), und wenn die Entscheidung auf diesem Fehler beruht (vgl. BVerfGE 101, 361 <388>; stRspr).

53

bb) Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs haben die Arbeitsgerichte bei der Anwendung und Auslegung des § 7 Abs. 6 Satz 1 KiTaG a.F. die Bedeutung der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit der Beschwerdeführerin unrichtig eingeschätzt, worauf die angegriffenen Entscheidungen beruhen.

54

(1) Die in den Ausgangsverfahren ergangenen Urteile basieren auf einer gesetzlichen Grundlage, die einer einschränkenden verfassungskonformen Auslegung bedarf. Schon gegen eine Betroffenheit der negativen Glaubensfreiheit der Kindergartenkinder und des Erziehungsrechts der Eltern in religiöser und weltanschaulicher Hinsicht, auf deren Schutz die gesetzliche Regelung unter anderem abzielt (vgl. Gesetzesbegründung, a.a.O.), könnte sprechen, dass eine Pflicht zum Besuch einer Kindestagesstätte nicht besteht und zudem vielerorts eine Vielfalt an Einrichtungen gegeben ist, auf die auch im Rahmen des jugendhilferechtlichen Förderungsanspruchs nach § 24 SGB VIII nach der fachgerichtlichen Rechtsprechung verwiesen werden kann (vgl. zuletzt BayVGH, Urteil vom 22. Juli 2016 - 12 BV 15.719 -, juris, Rn. 24 und 29 m.w.N.). Dies könnte gegen das Bestehen einer mit der Schule vergleichbaren unausweichlichen Situation sprechen, in welcher der Einzelne ohne Ausweichmöglichkeiten dem Einfluss eines bestimmten Glaubens, den Handlungen, in denen dieser sich manifestiert, oder den Symbolen, in denen er sich darstellt, ausgesetzt ist (vgl. BVerfGE 93, 1 <15 f.>; 138, 296 <336 Rn. 104>). Auch könnte der unterschiedliche geistig-kognitive Entwicklungsstand von Kindergartenkindern und Schülern mit Blick auf deren Schutzbedürftigkeit insoweit möglicherweise Differenzierungen bedingen. Eine weitere Besonderheit besteht darin, dass die kindergartenrechtliche Regelung anders als im Schulbereich nicht überwiegend Beamtinnen und Beamte, sondern kommunale Beschäftigte trifft (vgl. hierzu bereits die Gesetzesbegründung, LT-Drs. 13/4869, S. 9).

55

Selbst wenn das Neutralitätsgebot für den Bereich des Kindergartens gleichermaßen Geltung beanspruchen sollte wie im Bereich der Schule, gelten für die Ausgestaltung neutralitätswahrender Verbotsregelungen die gleichen Einschränkungen wie in der Schule. Für den Schulbereich hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden, dass ein Verbot religiöser Bekundungen durch das äußere Erscheinungsbild, das bereits die abstrakte Gefahr einer Beeinträchtigung des Schulfriedens oder der staatlichen Neutralität ausreichen lässt, mit Blick auf die Glaubens- und Bekenntnisfreiheit der Pädagogen unangemessen und damit unverhältnismäßig ist, wenn die Bekundung auf ein als verpflichtend empfundenes religiöses Gebot zurückzuführen ist. Erforderlich ist insoweit vielmehr eine hinreichend konkrete Gefahr für die genannten Schutzgüter, die sich im Schulbereich zudem auf den gesamten Geltungsbereich der Untersagung beziehen muss (vgl. BVerfGE 138, 296 <327 Rn. 80>). Die dem zugrunde liegenden verfassungsrechtlichen Erwägungen gelten jedenfalls gleichermaßen auch für den Kindergartenbereich. Eine bloß abstrakte Gefährdung des Einrichtungsfriedens oder der Neutralität staatlicher Kindergartenträger kann daher bei der gebotenen verfassungskonformen Auslegung entgegen der Auffassung der Ausgangsgerichte auch hier nicht genügen, um das Bekundungsverbot gemäß § 7 Abs. 6 Satz 1 KiTaG a.F. auszulösen, wenn - was nach den tatrichterlichen Feststellungen im Ausgangsverfahren der Fall ist - die in Rede stehende äußere Bekundung auf ein als verpflichtend empfundenes religiöses Gebot zurückzuführen ist.

56

(2) Das den Entscheidungen der Ausgangsgerichte zugrunde liegende Verständnis des § 7 Abs. 6 Satz 1 KiTaG a.F., demzufolge bereits eine abstrakte Gefahr für den Einrichtungsfrieden oder die Neutralität genügt, um das Verbot äußerer Bekundungen auszulösen, führt zu einem erheblichen Eingriff in das Grundrecht der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit des Personals in Kindertageseinrichtungen, der in dieser Allgemeinheit unverhältnismäßig ist und daher verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt werden kann.

57

(a) Der Schutz des Grundrechts auf Glaubens- und Bekenntnisfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) gewährleistet auch den Erzieherinnen und Erziehern in Kindertageseinrichtungen in öffentlicher Trägerschaft die Freiheit, den Regeln ihres Glaubens gemäß einem religiösen Bedeckungsgebot zu genügen, wie dies etwa durch das Tragen eines Kopftuchs der Fall sein kann, wenn dies hinreichend plausibel begründet wird (vgl. für die öffentliche bekenntnisoffene Gemeinschaftsschule BVerfGE 138, 296 <328 Rn. 83>).

58

(aa) Art. 4 Abs. 1 und 2 GG enthält ein umfassend zu verstehendes einheitliches Grundrecht (vgl. BVerfGE 24, 236 <245 f.>; 32, 98 <106>; 44, 37 <49>; 83, 341 <354>; 108, 282 <297>; 125, 39 <79>; stRspr). Es erstreckt sich nicht nur auf die innere Freiheit, zu glauben oder nicht zu glauben, das heißt einen Glauben zu haben, zu verschweigen, sich vom bisherigen Glauben loszusagen und einem anderen Glauben zuzuwenden, sondern auch auf die äußere Freiheit, den Glauben zu bekunden und zu verbreiten, für seinen Glauben zu werben und andere von ihrem Glauben abzuwerben (vgl. BVerfGE 12, 1 <4>; 24, 236 <245>; 105, 279 <294>; 123, 148 <177>). Umfasst sind damit nicht allein kultische Handlungen und die Ausübung und Beachtung religiöser Gebräuche, sondern auch die religiöse Erziehung sowie andere Äußerungsformen des religiösen und weltanschaulichen Lebens (vgl. BVerfGE 24, 236 <245 f.>; 93, 1 <17>). Dazu gehört auch das Recht der Einzelnen, ihr gesamtes Verhalten an den Lehren ihres Glaubens auszurichten und dieser Überzeugung gemäß zu handeln, also glaubensgeleitet zu leben; dies betrifft nicht nur imperative Glaubenssätze (vgl. BVerfGE 108, 282 <297>; 138, 296 <328 f. Rn. 85>). Die Beschwerdeführerin kann sich auch als Angestellte im öffentlichen Dienst auf ihr Grundrecht aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG berufen; ihre Grundrechtsberechtigung wird durch die Eingliederung in den staatlichen Aufgabenbereich nicht von vornherein oder grundsätzlich in Frage gestellt (vgl. BVerfGE 138, 296 <328 Rn. 84> sowie für Beamte BVerfGE 108, 282 <297 f.>).

59

(bb) Bei der Würdigung dessen, was im Einzelfall als Ausübung von Religion und Weltanschauung zu betrachten ist, darf das Selbstverständnis der jeweils betroffenen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften und des einzelnen Grundrechtsträgers nicht außer Betracht bleiben (vgl. BVerfGE 24, 236 <247 f.>; 108, 282 <298 f.>). Die Musliminnen, die ein in der für ihren Glauben typischen Weise gebundenes Kopftuch tragen, können sich dafür auch bei der Ausübung ihres Berufs in einer öffentlichen Kindertagesstätte auf den Schutz der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG berufen. Darauf, dass im Islam unterschiedliche Auffassungen zum sogenannten Bedeckungsgebot vertreten werden, kommt es insoweit nicht an, da die religiöse Fundierung der Bekleidungswahl nach geistigem Gehalt und äußerer Erscheinung jedenfalls hinreichend plausibel ist (vgl. BVerfGE 108, 282 <298 f.>; 138, 296 <330 Rn. 87 ff.>).

60

(b) Die auf § 7 Abs. 6 Satz 1 KiTaG a.F. gestützte Untersagung des Tragens eines Kopftuchs während des Dienstes in der Kindertagesstätte stellt im Hinblick auf das von der Beschwerdeführerin als verpflichtend empfundene religiöse Bedeckungsgebot einen schwerwiegenden Eingriff in ihr Grundrecht auf Glaubens- und Bekenntnisfreiheit dar. Dies ergibt sich daraus, dass sich die Beschwerdeführerin nicht auf eine religiöse Empfehlung beruft, deren Befolgung für die einzelnen Gläubigen disponibel oder aufschiebbar ist, sondern auf ein nach ihrem Glaubensverständnis imperatives religiöses Bedeckungsgebot in der Öffentlichkeit. Ein Verbot kann aufgrund der nachvollziehbaren Berührung ihrer persönlichen Identität (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) sogar den Zugang zum Beruf verstellen (Art. 12 Abs. 1 GG). Vor diesem Hintergrund greift das gesetzliche Bekundungsverbot in ihr Grundrecht auf Glaubens- und Bekenntnisfreiheit trotz seiner zeitlichen und örtlichen Begrenzung auf den Bereich der Tätigkeit in der Kindertagesstätte mit erheblich größerem Gewicht ein, als dies bei einer religiösen Übung ohne plausiblen Verbindlichkeitsanspruch der Fall wäre (vgl. BVerfGE 138, 296 <332 f. Rn. 96>). Hieran vermag auch die vom Landesarbeitsgericht vorgenommene Relativierung, die einschlägige Koranstelle lasse den Schluss zu, dass gegenüber Kindern eine Ausnahme von einer möglichen Bedeckungspflicht bestehen könne, nichts zu ändern. Denn es ist offenkundig, dass sich die Tätigkeit in einer Kindertagesstätte jedenfalls nicht auf den Kontakt mit den betreuten Kindern beschränkt.

61

(c) Einschränkungen der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit müssen sich aus der Verfassung selbst ergeben, da Art. 4 Abs. 1 und 2 GG keinen Gesetzesvorbehalt enthält. Zu solchen verfassungsimmanenten Schranken zählen die Grundrechte Dritter sowie Gemeinschaftswerte von Verfassungsrang (vgl. BVerfGE 28, 243 <260 f.>; 41, 29 <50 f.>; 41, 88 <107>; 44, 37 <49 f., 53>; 52, 223 <247>; 93, 1 <21>; 108, 282 <297>; 138, 296 <333 Rn. 98>). Als mit der Glaubensfreiheit in Widerstreit tretende Verfassungsgüter kommen neben dem vom Gesetzgeber verfolgten Neutralitätsgebot, das sich hier allerdings anders als im Schulbereich nicht auf den staatlichen Erziehungsauftrag (Art. 7 Abs. 1 GG) beziehen kann, das elterliche Erziehungsrecht (Art. 6 Abs. 2 GG) und die negative Glaubensfreiheit der Schüler (Art. 4 Abs. 1 GG) in Betracht (vgl. BVerfGE 108, 282 <299>; 138, 296 <333 Rn. 98>). Das normative Spannungsverhältnis zwischen diesen Verfassungsgütern unter Berücksichtigung des Toleranzgebots zu lösen, obliegt zunächst dem demokratischen Gesetzgeber, der im öffentlichen Willensbildungsprozess einen für alle zumutbaren Kompromiss zu suchen hat. Die genannten Grundgesetznormen sind zusammen zu sehen, ihre Interpretation und ihr Wirkungsbereich sind aufeinander abzustimmen (vgl. BVerfGE 108, 282 <302 f.>; 138, 296 <333 Rn. 98>). Ein Verbot religiöser Bekundungen durch das äußere Erscheinungsbild, namentlich das Tragen religiös konnotierter Kleidung, schon wegen der bloß abstrakten Eignung zu einer Gefährdung des Einrichtungsfriedens oder der Neutralität des Trägers in öffentlichen Kindertagesstätten erweist sich vor diesem Hintergrund jedenfalls als unverhältnismäßig im engeren Sinne, wenn dieses Verhalten nachvollziehbar auf ein als verpflichtend verstandenes religiöses Gebot zurückzuführen ist. Ein angemessener, der Glaubensfreiheit der sich auf ein religiöses Bedeckungsgebot berufenden Erzieherinnen hinreichend Rechnung tragender Ausgleich mit gegenläufigen verfassungsrechtlich verankerten Positionen erfordert für die vorliegende Fallgestaltung eine einschränkende Auslegung der Verbotsnorm dergestalt, dass zumindest eine hinreichend konkrete Gefahr für die Schutzgüter vorliegen muss (vgl. BVerfGE 138, 296 <335 Rn. 101>).

62

(aa) Für die Beurteilung der tatsächlichen Gegebenheiten und Entwicklungen, von der abhängt, ob gegenläufige Grundrechtspositionen von Kindergartenkindern und Eltern oder andere Werte von Verfassungsrang eine Regelung rechtfertigen, die Erzieherinnen und Erzieher aller Bekenntnisse zu äußerster Zurückhaltung in der Verwendung von Kennzeichen mit religiösem Bezug verpflichtet, verfügt der Gesetzgeber über eine Einschätzungsprärogative (vgl. BVerfGE 108, 282 <310 f.>). Allerdings muss er, zumal bei einem weitgehend vorbeugend wirkenden Verbot äußerer religiöser Bekundungen, ein angemessenes Verhältnis zu dem Gewicht und der Bedeutung des Grundrechts des Kindertagesstättenpersonals auf Glaubens- und Bekenntnisfreiheit ebenso wahren, wie er bei einer Gesamtabwägung zwischen dem Gewicht des Eingriffs mit dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit beachten muss (vgl. BVerfGE 83, 1 <19>; 90, 145 <173>; 102, 197 <220>; 104, 337 <349>; 138, 296 <335 Rn. 102>).

63

(bb) Das Einbringen religiöser und weltanschaulicher Bezüge eröffnet zumindest die Möglichkeit einer Beeinflussung der Kindergartenkinder sowie von Konflikten mit Eltern, was zu einer Störung des Einrichtungsfriedens führen kann. Auch eine religiös motivierte und als Kundgabe einer Glaubensüberzeugung interpretierbare Bekleidung des Personals kann diese Wirkungen haben (vgl. für den Schulbereich BVerfGE 108, 282 <303>). Allerdings kommt diesen gegenläufigen verfassungsrechtlich verankerten Positionen kein solches Gewicht zu, als dass bereits die abstrakte Gefahr ihrer Beeinträchtigung ein Verbot rechtfertigen könnte, wenn auf der anderen Seite das Tragen religiös konnotierter Bekleidung oder Symbole nachvollziehbar auf ein als imperativ verstandenes religiöses Gebot zurückzuführen ist.

64

(α) Als verfassungsunmittelbare Schranke ist zunächst die negative Glaubens- und Bekenntnisfreiheit der Kindergartenkinder in den Blick zu nehmen. Art. 4 Abs. 1 und 2 GG gewährleistet zwar die Freiheit, kultischen Handlungen eines nicht geteilten Glaubens fernzubleiben; das bezieht sich auch auf Riten und Symbole, in denen ein Glaube oder eine Religion sich darstellen. Die Einzelnen haben in einer Gesellschaft, die unterschiedlichen Glaubensüberzeugungen Raum gibt, allerdings kein Recht darauf, von der Konfrontation mit ihnen fremden Glaubensbekundungen, kultischen Handlungen und religiösen Symbolen verschont zu bleiben. Davon zu unterscheiden ist eine vom Staat geschaffene Lage, in welcher der Einzelne ohne Ausweichmöglichkeiten dem Einfluss eines bestimmten Glaubens, den Handlungen, in denen sich dieser manifestiert, und den Symbolen, in denen er sich darstellt, ausgesetzt ist (vgl. BVerfGE 93, 1 <15 f.>; 138, 296 <336 Rn. 104>).

65

Es kann dahinstehen, ob allein faktische Zwänge genügen, um in Bezug auf Kindertagesstätten von einer solchen unausweichlichen Situation sprechen zu können, obwohl anders als in der Schule alternative Betreuungsangebote vorhanden sind und keine Besuchspflicht besteht, aufgrund derer Kinder gezwungen sein könnten, sich einer vom Staat angestellten Erzieherin mit "islamischem Kopftuch" ohne Ausweichmöglichkeit gegenüber zu sehen. Im Blick auf die Wirkung religiöser Ausdrucksmittel ist jedenfalls danach zu unterscheiden, ob das in Frage stehende Zeichen auf Veranlassung des Einrichtungsträgers oder aufgrund einer eigenen Entscheidung einzelner Erzieherinnen oder Erzieher verwendet wird, die hierfür das individuelle Freiheitsrecht des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG in Anspruch nehmen können. Der staatliche Einrichtungsträger, der eine mit dem Tragen eines Kopftuchs verbundene religiöse Aussage einer einzelnen Erzieherin hinnimmt, macht diese Aussage nicht schon dadurch zu seiner eigenen und muss sie sich auch nicht als von ihm beabsichtigt zurechnen lassen (vgl. BVerfGE 108, 282 <305 f.>; 138, 296 <336 f. Rn. 104>). Das Tragen eines "islamischen Kopftuchs", einer vergleichbaren Kopf- und Halsbedeckung oder einer sonst religiös konnotierten Bekleidung ist auch nicht von vornherein dazu angetan, die negative Glaubens- und Bekenntnisfreiheit der Kindergartenkinder zu beeinträchtigen. Solange die Erzieherinnen, die nur ein solches äußeres Erscheinungsbild an den Tag legen, nicht verbal für ihre Position oder für ihren Glauben werben und die von ihnen betreuten Kinder über ihr Auftreten hinausgehend zu beeinflussen versuchen, wird deren negative Glaubensfreiheit grundsätzlich nicht beeinträchtigt. Sie werden lediglich mit der ausgeübten positiven Glaubensfreiheit des Erziehungspersonals in Form einer glaubensgemäßen Bekleidung konfrontiert. Insofern spiegelt sich auch in Kindertagesstätten die religiös-pluralistische Gesellschaft wider. Im Übrigen wird diese Konfrontation durch das Auftreten anderer Erzieherinnen und Erzieher mit anderem Glauben oder anderer Weltanschauung in aller Regel relativiert und ausgeglichen (vgl. BVerfGE 138, 296 <337 Rn. 105>).

66

(β) Aus dem Elterngrundrecht ergibt sich nichts anderes. Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG garantiert den Eltern die Pflege und Erziehung ihrer Kinder als natürliches Recht und umfasst zusammen mit Art. 4 Abs. 1 und 2 GG auch das Recht zur Kindererziehung in religiöser und weltanschaulicher Hinsicht; daher ist es zuvörderst Sache der Eltern, ihren Kindern diejenigen Überzeugungen in Glaubens- und Weltanschauungsfragen zu vermitteln, die sie für richtig halten (vgl. BVerfGE 41, 29 <44, 47 f.>; 52, 223 <236>; 93, 1 <17>). Dem entspricht das Recht, die Kinder von Glaubensüberzeugungen fernzuhalten, die den Eltern als falsch oder schädlich erscheinen (vgl. BVerfGE 93, 1 <17>). Ein etwaiger Anspruch, die Kindergartenkinder vom Einfluss solcher Erzieherinnen fernzuhalten, die einer verbreiteten religiösen Bedeckungsregel folgen, lässt sich aus dem Elterngrundrecht allerdings nicht herleiten, soweit dadurch die negative Glaubens- und Bekenntnisfreiheit der Kinder nicht beeinträchtigt wird. Auch die negative Glaubensfreiheit der Eltern, die hier im Verbund mit dem elterlichen Erziehungsrecht ihre Wirkung entfalten kann, garantiert keine Verschonung von der Konfrontation mit religiös konnotierter Bekleidung von Erziehungspersonal, die nur den Schluss auf die Zugehörigkeit zu einer anderen Religion oder Weltanschauung zulässt, von der aber sonst kein gezielter beeinflussender Effekt ausgeht. Das gilt in Fällen der vorliegenden Art gerade deshalb, weil nicht ein dem Staat zurechenbares glaubensgeleitetes Verhalten in Rede steht, sondern eine erkennbar individuelle Grundrechtsausübung (vgl. BVerfGE 138, 296 <337 f. Rn. 106 f.>).

67

(γ) Schließlich ergibt sich auch nichts anderes aus dem Grundsatz staatlicher Neutralität. Das Grundgesetz begründet für den Staat als Heimstatt aller Staatsbürger in Art. 4 Abs. 1, Art. 3 Abs. 3 Satz 1, Art. 33 Abs. 3 GG sowie durch Art. 136 Abs. 1 und 4 und Art. 137 Abs. 1 Weimarer Reichsverfassung (WRV) in Verbindung mit Art. 140 GG die Pflicht zu weltanschaulich-religiöser Neutralität. Es verwehrt die Einführung staatskirchlicher Rechtsformen und untersagt die Privilegierung bestimmter Bekenntnisse ebenso wie die Ausgrenzung Andersgläubiger (vgl. BVerfGE 19, 206 <216>; 24, 236 <246>; 33, 23 <28>; 93, 1 <17>). Der Staat hat auf eine am Gleichheitssatz orientierte Behandlung der verschiedenen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften zu achten (vgl. BVerfGE 19, 1 <8>; 19, 206 <216>; 24, 236 <246>; 93, 1 <17>; 108, 282 <299 f.>) und darf sich nicht mit einer bestimmten Religionsgemeinschaft identifizieren (vgl. BVerfGE 30, 415 <422>; 93, 1 <17>; 108, 282 <300>). Der freiheitliche Staat des Grundgesetzes ist gekennzeichnet von Offenheit gegenüber der Vielfalt weltanschaulich-religiöser Überzeugungen und gründet dies auf ein Menschenbild, das von der Würde des Menschen und der freien Entfaltung der Persönlichkeit in Selbstbestimmung und Eigenverantwortung geprägt ist (vgl. BVerfGE 41, 29 <50>; 108, 282 <300 f.>). Die dem Staat gebotene weltanschaulich-religiöse Neutralität ist indessen nicht als eine distanzierende im Sinne einer strikten Trennung von Staat und Kirche zu verstehen, sondern als eine offene und übergreifende, die Glaubensfreiheit für alle Bekenntnisse gleichermaßen fördernde Haltung. Art. 4 Abs. 1 und 2 GG gebietet auch im positiven Sinn, den Raum für die aktive Betätigung der Glaubensüberzeugung und die Verwirklichung der autonomen Persönlichkeit auf weltanschaulich-religiösem Gebiet zu sichern (vgl. BVerfGE 41, 29 <49>; 93, 1 <16>). Der Staat darf lediglich keine gezielte Beeinflussung im Dienste einer bestimmten politischen, ideologischen oder weltanschaulichen Richtung betreiben oder sich durch von ihm ausgehende oder ihm zuzurechnende Maßnahmen ausdrücklich oder konkludent mit einem bestimmten Glauben oder einer bestimmten Weltanschauung identifizieren und dadurch den religiösen Frieden in einer Gesellschaft von sich aus gefährden (vgl. BVerfGE 93, 1 <16 f.>; 108, 282 <300>). Auch verwehrt es der Grundsatz weltanschaulich-religiöser Neutralität dem Staat, Glauben und Lehre einer Religionsgemeinschaft als solche zu bewerten (vgl. BVerfGE 33, 23 <29>; 108, 282 <300>; 137, 273 <305 Rn. 88>; 138, 296 <339 Rn. 110>).

68

Dies gilt auch für vom Staat in Vorsorge genommene Bereiche, für die ihrer Natur nach religiöse und weltanschauliche Vorstellungen von jeher relevant waren (vgl. BVerfGE 41, 29 <49>; 52, 223 <241>). Danach sind etwa christliche Bezüge bei der Gestaltung der öffentlichen Schule nicht ausgeschlossen; die Schule muss aber auch für andere weltanschauliche und religiöse Inhalte und Werte offen sein (vgl. BVerfGE 41, 29 <51>; 52, 223 <236 f.>). Weil Bezüge zu verschiedenen Religionen und Weltanschauungen in solchen Bereichen möglich sind, ist für sich genommen auch die bloß am äußeren Erscheinungsbild hervortretende Sichtbarkeit religiöser oder weltanschaulicher Zugehörigkeit einzelner Angestellter - unabhängig davon, welche Religion oder Weltanschauung im Einzelfall betroffen ist - durch die dem Staat gebotene weltanschaulich-religiöse Neutralität nicht ohne Weiteres ausgeschlossen. In dieser Offenheit bewahrt der freiheitliche Staat des Grundgesetzes seine religiöse und weltanschauliche Neutralität (vgl. BVerfGE 41, 29 <50>; 138, 296 <339 f. Rn. 111>).

69

(d) Davon ausgehend ist das - nach der Auslegung durch die Arbeitsgerichte in den angefochtenen Entscheidungen - an eine bloß abstrakte Gefährdung der in § 7 Abs. 6 Satz 1 KiTaG a.F. genannten Schutzgüter anknüpfende strikte Verbot einer äußeren religiösen Bekundung jedenfalls für die hier gegebenen Fallkonstellationen den betroffenen Grundrechtsträgern nicht zumutbar und verdrängt in unangemessener Weise deren Grundrecht auf Glaubensfreiheit. Mit dem Tragen eines Kopftuchs durch einzelne Erzieherinnen ist keine Identifizierung des Staates mit einem bestimmten Glauben verbunden. Auch eine Wertung in dem Sinne, dass allein das glaubensgeleitete Verhalten dieser Erzieherinnen als vorbildhaft angesehen und schon deshalb der Einrichtungsfrieden oder die staatliche Neutralität gefährdet oder gestört werden könnte, ist einer entsprechenden Duldung durch den öffentlichen Arbeitgeber nicht beizulegen. Hinzu kommt, dass die Beschwerdeführerin einem nachvollziehbar als verpflichtend empfundenen Glaubensgebot Folge leistet. Dadurch erhält ihre Glaubensfreiheit in der Abwägung mit den Grundrechten der Kindergartenkinder und der Eltern ein erheblich größeres Gewicht, als dies bei einer disponiblen Glaubensregel der Fall wäre (vgl. zu alldem BVerfGE 138, 296 <340 f. Rn. 112>).

70

Das Gewicht der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit des Personals von Kindertagesstätten in öffentlicher Trägerschaft erfordert demnach - wie im Bereich der Schule - jedenfalls für die hier gegebenen Fallkonstellationen eine reduzierende verfassungskonforme Auslegung des § 7 Abs. 6 Satz 1 KiTaG a.F. (jetzt: § 7 Abs. 8 Satz 1 KiTaG), soweit die Norm äußere religiöse Bekundungen untersagt. Hierfür ist das Merkmal der Eignung, den Einrichtungsfrieden oder die Neutralität des öffentlichen Einrichtungsträgers zu gefährden oder zu stören, dahin einzuschränken, dass von der äußeren religiösen Bekundung nicht nur eine abstrakte, sondern eine hinreichend konkrete Gefahr für die dort genannten Schutzgüter ausgehen muss. Das Vorliegen der konkreten Gefahr ist zu belegen und zu begründen. Allein das Tragen eines "islamischen Kopftuchs" begründet eine hinreichend konkrete Gefahr auch im Kindergartenbereich im Regelfall nicht. Denn vom Tragen einer solchen Kopfbedeckung geht für sich genommen noch kein werbender oder gar missionierender Effekt aus. Ein "islamisches Kopftuch" ist in Deutschland nicht unüblich, sondern spiegelt sich im gesellschaftlichen Alltag vielfach wieder. Die bloß visuelle Wahrnehmbarkeit ist in Kindertagesstätten als Folge individueller Grundrechtsausübung ebenso hinzunehmen, wie auch sonst grundsätzlich kein verfassungsrechtlicher Anspruch darauf besteht, von der Wahrnehmung anderer religiöser oder weltanschaulicher Bekenntnisse verschont zu bleiben (vgl. BVerfGE 138, 296 <342 f. Rn. 116>).

71

(3) Eine einschränkende Auslegung des § 7 Abs. 6 Satz 1 KiTaG a.F. (jetzt: § 7 Abs. 8 Satz 1 KiTaG) ist möglich und von Verfassungs wegen geboten. Sie dient der Vermeidung einer Normverwerfung und ist damit dem Gesichtspunkt der größtmöglichen Schonung der Gesetzgebung geschuldet. Sie nimmt Rücksicht darauf, dass die Norm auch andere Anwendungsbereiche hat, die sich von der hier vorliegenden Fallgestaltung unterscheiden. Dabei kann es sich etwa um gewichtige verbale Äußerungen und ein offen werbendes Verhalten handeln. Hier kann die Untersagungsvorschrift unter Umständen auch in einer Interpretation, die schon die abstrakte Gefahr erfasst, ihre Bedeutung haben. Der einschränkenden Auslegung steht nicht entgegen, dass dem Gesetzgeber entstehungsgeschichtlich ein Kopftuchverbot als typischer Anwendungsfall der Vorschrift vorgeschwebt hat (vgl. Gesetzesbegründung, LT-Drs. 13/4869, S. 12). Der Norm wird lediglich ein weniger weit reichender Anwendungsbereich zuerkannt (vgl. zur weitgehend inhaltsgleichen Regelung des § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NW a.F. BVerfGE 138, 296 <343 f. Rn. 117>).

72

(4) Die angegriffenen fachgerichtlichen Entscheidungen werden den Erfordernissen der gebotenen verfassungskonformen einschränkenden Auslegung nicht gerecht. Ihre rechtliche Würdigung, nach der bereits eine abstrakte Gefährdung der in § 7 Abs. 6 Satz 1 KiTaG a.F. genannten Schutzgüter zur Erfüllung des Verbotstatbestands genügt, trägt der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit der in Kindertagesstätten tätigen Erzieherinnen und Erzieher nicht in angemessener Weise Rechnung. Sie vernachlässigt das Gewicht ihrer positiven Glaubensfreiheit im Zusammenhang mit einem plausibel dargestellten imperativen religiösen Bedeckungsgebot.

73

Die bislang getroffenen Tatsachenfeststellungen geben im Übrigen keinerlei Anhalt für eine hinreichend konkrete Gefahr für den Einrichtungsfrieden oder die Neutralität des öffentlichen Trägers durch das Auftreten der Beschwerdeführerin mit dem "islamischen Kopftuch" an ihrem Arbeitsplatz.

74

Damit verletzen die angegriffenen Entscheidungen die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG.

75

c) In der wie dargelegt verfassungsrechtlich gebotenen Auslegung verstößt die Regelung des § 7 Abs. 6 Satz 1 KiTaG a.F. (jetzt: § 7 Abs. 8 Satz 1 KiTaG), soweit sie religiöse Bekundungen durch das äußere Erscheinungsbild von Erzieherinnen und Erziehern betrifft, nicht gegen weitere Grundrechte oder sonstiges Bundesrecht (Art. 31 GG). Sie ist insbesondere mit den einschlägigen Bestimmungen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) und der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) vereinbar. Die sich hieraus ergebenden Rechte gewährleisten keinen weitergehenden Schutz als denjenigen, der aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG folgt (vgl. im Einzelnen zu § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NW a.F. BVerfGE 138, 296 <352 ff. Rn. 139 ff.>).

76

3. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 und 3 BVerfGG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG und den Grundsätzen für die Festsetzung des Gegenstandswerts im verfassungsgerichtlichen Verfahren (vgl. BVerfGE 79, 365 <366 ff.>; BVerfGK 20, 336 <337 ff.>).

77

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

(1) Das gesamte Schulwesen steht unter der Aufsicht des Staates.

(2) Die Erziehungsberechtigten haben das Recht, über die Teilnahme des Kindes am Religionsunterricht zu bestimmen.

(3) Der Religionsunterricht ist in den öffentlichen Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen ordentliches Lehrfach. Unbeschadet des staatlichen Aufsichtsrechtes wird der Religionsunterricht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt. Kein Lehrer darf gegen seinen Willen verpflichtet werden, Religionsunterricht zu erteilen.

(4) Das Recht zur Errichtung von privaten Schulen wird gewährleistet. Private Schulen als Ersatz für öffentliche Schulen bedürfen der Genehmigung des Staates und unterstehen den Landesgesetzen. Die Genehmigung ist zu erteilen, wenn die privaten Schulen in ihren Lehrzielen und Einrichtungen sowie in der wissenschaftlichen Ausbildung ihrer Lehrkräfte nicht hinter den öffentlichen Schulen zurückstehen und eine Sonderung der Schüler nach den Besitzverhältnissen der Eltern nicht gefördert wird. Die Genehmigung ist zu versagen, wenn die wirtschaftliche und rechtliche Stellung der Lehrkräfte nicht genügend gesichert ist.

(5) Eine private Volksschule ist nur zuzulassen, wenn die Unterrichtsverwaltung ein besonderes pädagogisches Interesse anerkennt oder, auf Antrag von Erziehungsberechtigten, wenn sie als Gemeinschaftsschule, als Bekenntnis- oder Weltanschauungsschule errichtet werden soll und eine öffentliche Volksschule dieser Art in der Gemeinde nicht besteht.

(6) Vorschulen bleiben aufgehoben.

(1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.

(2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.

(3) Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.

(1) Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts binden die Verfassungsorgane des Bundes und der Länder sowie alle Gerichte und Behörden.

(2) In den Fällen des § 13 Nr. 6, 6a, 11, 12 und 14 hat die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts Gesetzeskraft. Das gilt auch in den Fällen des § 13 Nr. 8a, wenn das Bundesverfassungsgericht ein Gesetz als mit dem Grundgesetz vereinbar oder unvereinbar oder für nichtig erklärt. Soweit ein Gesetz als mit dem Grundgesetz oder sonstigem Bundesrecht vereinbar oder unvereinbar oder für nichtig erklärt wird, ist die Entscheidungsformel durch das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz im Bundesgesetzblatt zu veröffentlichen. Entsprechendes gilt für die Entscheidungsformel in den Fällen des § 13 Nr. 12 und 14.

(1) Eine unmittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts liegt in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 auch im Falle einer ungünstigeren Behandlung einer Frau wegen Schwangerschaft oder Mutterschaft vor.

(2) Eine mittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen wegen eines in § 1 genannten Grundes gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich.

(3) Eine Belästigung ist eine Benachteiligung, wenn unerwünschte Verhaltensweisen, die mit einem in § 1 genannten Grund in Zusammenhang stehen, bezwecken oder bewirken, dass die Würde der betreffenden Person verletzt und ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.

(4) Eine sexuelle Belästigung ist eine Benachteiligung in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4, wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch unerwünschte sexuelle Handlungen und Aufforderungen zu diesen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie unerwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen von pornographischen Darstellungen gehören, bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird, insbesondere wenn ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.

(5) Die Anweisung zur Benachteiligung einer Person aus einem in § 1 genannten Grund gilt als Benachteiligung. Eine solche Anweisung liegt in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 insbesondere vor, wenn jemand eine Person zu einem Verhalten bestimmt, das einen Beschäftigten oder eine Beschäftigte wegen eines in § 1 genannten Grundes benachteiligt oder benachteiligen kann.

(1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.

(2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.

(3) Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.

Tenor

1. Die Beschwerdeführerin wird durch das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 12. August 2010 - 2 AZR 593/09 -, das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 19. Juni 2009 - 7 Sa 84/08 - und das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 15. Oktober 2008 - 14 Ca 7300/07 - in ihrem Grundrecht aus Artikel 4 Absatz 1 und 2 des Grundgesetzes verletzt. Die Urteile des Bundesarbeitsgerichts und des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg werden aufgehoben. Die Sache wird an das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg zurückverwiesen. Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

2. Das Land Baden-Württemberg hat der Beschwerdeführerin drei Viertel, die Bundesrepublik Deutschland ein Viertel ihrer notwendigen Auslagen zu erstatten.

3. Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit für das Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf 25.000 € (in Worten: fünfundzwanzigtausend Euro) festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft eine der Beschwerdeführerin, die als Erzieherin an einer Kindertagesstätte in kommunaler Trägerschaft beschäftigt ist, von ihrem Arbeitgeber erteilte Abmahnung wegen Tragen eines sogenannten "islamischen Kopftuchs" im Dienst sowie in diesem Zusammenhang ergangene arbeitsgerichtliche Entscheidungen.

2

1. Die insoweit maßgeblichen Vorschriften des § 7 Abs. 6 und 7 des baden-württembergischen Gesetzes über die Betreuung und Förderung von Kindern in Kindergärten, anderen Tageseinrichtungen und der Kindertagespflege (Kindertagesbetreuungsgesetz - KiTaG) in der zum Zeitpunkt der Ausgangsentscheidungen geltenden Fassung lauteten:

"(6) 1Fachkräfte im Sinne der Absätze 1 und 2 und andere Betreuungs- und Erziehungspersonen dürfen in Einrichtungen, auf die dieses Gesetz Anwendung findet und die in Trägerschaft des Landes, eines Landkreises, einer Gemeinde, einer Verwaltungsgemeinschaft, eines Zweck- oder Regionalverbandes stehen, keine politischen, religiösen, weltanschaulichen oder ähnliche äußeren Bekundungen abgeben, die geeignet sind, die Neutralität des Trägers gegenüber Kindern und Eltern oder den politischen, religiösen oder weltanschaulichen Frieden in Einrichtungen, auf die dieser Absatz Anwendung findet, zu gefährden oder zu stören. 2Insbesondere ist ein äußeres Verhalten unzulässig, welches bei Kindern oder Eltern den Eindruck hervorrufen kann, dass eine Fachkraft oder eine andere Betreuungs- oder Erziehungsperson gegen die Menschenwürde, die Gleichberechtigung der Menschen nach Artikel 3 des Grundgesetzes, die Freiheitsgrundrechte oder die freiheitlich-demokratische Grundordnung auftritt. 3Die Wahrnehmung des Auftrags nach Artikel 12 Abs. 1 der Verfassung des Landes Baden-Württemberg zur Erziehung der Jugend im Geiste der christlichen Nächstenliebe und zur Brüderlichkeit aller Menschen und die entsprechende Darstellung derartiger Traditionen widerspricht nicht dem Verhaltensgebot nach Satz 1.

(7) Die Einstellung einer Fachkraft im Sinne der Absätze 1 und 2 oder einer anderen Betreuungs- und Erziehungsperson in Einrichtungen nach Absatz 6 Satz 1 setzt als persönliches Eignungsmerkmal voraus, dass sie die Gewähr für die Einhaltung des Absatzes 6 während der gesamten Dauer ihres Arbeitsverhältnisses bietet."

3

2. Die in der Türkei geborene Beschwerdeführerin mit deutscher Staatsangehörigkeit ist staatlich anerkannte Erzieherin. Sie ist bei der im Ausgangsverfahren beklagten Stadt S., die über 34 kommunale Kindertagesstätten verfügt, seit September 2003 in Teilzeit beschäftigt. Zuvor war sie dort seit 2001 bereits als Praktikantin tätig. Die Beschwerdeführerin ist muslimischen Glaubens und trägt aus religiöser Überzeugung in der Öffentlichkeit und auch während ihrer Tätigkeit als Erzieherin ein Kopftuch.

4

3. Die Stadt forderte die Beschwerdeführerin auf, ihr Kopftuch während ihres Dienstes als Erzieherin abzulegen und damit der Verpflichtung aus § 7 Abs. 6 KiTaG a.F. (jetzt: § 7 Abs. 8 KiTaG) nachzukommen. Die Beschwerdeführerin folgte dem nicht. Daraufhin mahnte die Stadt sie ab.

5

4. Die Beschwerdeführerin verlangte erfolglos die Entfernung der Abmahnung aus ihrer Personalakte. Das Arbeitsgericht wies ihre Klage ab. Ihre hiergegen eingelegte Berufung blieb vor dem Landesarbeitsgericht ebenfalls ohne Erfolg.

6

Das Bundesarbeitsgericht wies die Revision der Beschwerdeführerin zurück. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus:

7

a) Die Beschwerdeführerin habe mit dem Kopftuchtragen das Bekundungsverbot gemäß § 7 Abs. 6 Satz 1 KiTaG a.F. bewusst und dauerhaft verletzt.

8

aa) Die bewusste Wahl einer religiös bestimmten Kleidung wie des Kopftuchs stelle eine religiöse Bekundung im Sinne dieser Vorschrift dar. Zur Bestimmung des Erklärungswerts einer solchen Kundgabe sei auf diejenige Deutungsmöglichkeit abzustellen, die für eine nicht unerhebliche Zahl von Betrachtern naheliege. Dabei komme es für die Deutung vor allem auf die Sicht eines objektiven Betrachters in der Situation der Kinder und Eltern einer Betreuungseinrichtung an. Ob einer bestimmten Bekleidung ein religiöser Aussagegehalt nach Art eines Symbols zukomme, hänge von der Wirkung des verwendeten Ausdrucksmittels ab, wobei alle sonstigen in Betracht kommenden Deutungsmöglichkeiten ebenfalls zu berücksichtigen seien. Der Symbolcharakter müsse sich nicht aus dem Kleidungsstück als solchem ergeben. Eine religiöse Bekundung könne auch darin liegen, dass dem Kleidungsstück in der besonderen Art und Weise seines Tragens offensichtlich eine besondere Bedeutung zukomme, etwa weil es erkennbar aus dem Rahmen der in der Einrichtung üblichen Bekleidung falle und ausnahmslos zu jeder Zeit getragen werde. Ein solch weitgehendes Verständnis entspreche dem Zweck des gesetzlichen Bekundungsverbots. Dieses wolle religiös-weltanschauliche Konflikte in Kindertagesbetreuungseinrichtungen schon im Ansatz verhindern und die Neutralität der Einrichtung und des Trägers auch nach außen wahren. Das verbiete eine Differenzierung zwischen Kleidungsstücken, deren religiöse oder weltanschauliche Motivation offen zutage trete, und solchen, deren Tragen in der Einrichtung einen entsprechenden Erklärungsbedarf auslöse. Die Beschwerdeführerin habe auch zu keiner Zeit behauptet, sie trage das Kopftuch nicht als Ausdruck ihres Glaubens. Ihr Hinweis, das Landesarbeitsgericht habe bei der Bewertung modische oder gesundheitliche Aspekte des Kopftuchtragens berücksichtigen müssen, sei unbeachtlich. Auch ein unbefangener Beobachter werde das "islamische Kopftuch" regelmäßig als Ausdruck eines bekundeten Religionsbrauchs und nicht als modisches Accessoire auffassen. Dies gelte auch unter Berücksichtigung der zunehmenden Verbreitung solcher Kopftücher im öffentlichen Leben und der öffentlichen Diskussion der letzten Jahre.

9

bb) Das Verhalten der Klägerin sei geeignet, die Neutralität der beklagten Stadt gegenüber Kindern und Eltern einer Kindertagesstätte und den religiösen Einrichtungsfrieden zu gefährden. Das Verbot des § 7 Abs. 6 Satz 1 KiTaG a.F. wolle schon der abstrakten Gefahr vorbeugen, konkrete Gefährdungen also gar nicht erst aufkommen lassen. Im Gesetzeswortlaut komme dies darin zum Ausdruck, dass religiöse Bekundungen bereits dann verboten seien, wenn sie "geeignet" seien, die genannten Schutzgüter zu gefährden. Der Landesgesetzgeber habe ersichtlich darauf Bedacht nehmen wollen, dass auch Kindertagesbetreuungseinrichtungen Orte seien, an denen unterschiedliche religiöse und politische Auffassungen unausweichlich aufeinanderträfen, deren friedliches Nebeneinander der Staat zu garantieren habe. Er habe ein solches Konfliktpotential erkennbar nicht nur für den Schulbereich gesehen, sondern sei davon ausgegangen, dass es durch eine größere religiöse Vielfalt in der Gesellschaft auch in Kindertagesstätten zu einem vermehrten Potential von Konflikten - auch unter den Eltern verschiedener Glaubensrichtungen oder mit Atheisten - kommen könne. In dieser Lage könne der religiöse und weltanschauliche Frieden in einer Einrichtung schon durch die berechtigte Sorge der Eltern vor einer ungewollten religiösen Beeinflussung ihres Kindes gefährdet werden. Hierzu könne das religiös bedeutungsvolle Erscheinungsbild des pädagogischen Personals Anlass geben. Die berechtigte Sorge von Eltern könne sich in Kindertagesstätten sogar noch verstärken, da Kinder im Kindergartenalter regelmäßig stärker beeinflussbar seien als Schüler. Eine Erzieherin habe zudem insbesondere bei einer Ganztagsbetreuung noch einen höheren Einfluss auf die Kindergartenkinder als dies bei einem Lehrer der Fall sei, der nur einzelne Fächer unterrichte. Für das spätere Sozialverhalten der Kinder wirke sie als zumeist erste Bezugsperson außerhalb des Elternhauses in hohem Maße prägend. Jede bekehrende Wirkung auszuschließen, die das Tragen des "islamischen Kopftuchs" haben könne, sei deshalb kaum möglich. Im Kindergartenalter sei es im Gegenteil wohl zumeist noch schwieriger, die Wirkung eines Kopftuchs durch entsprechende Erklärungen abzuschwächen.

10

Es komme dementsprechend nicht darauf an, ob die Beschwerdeführerin den Gegenbeweis für eine Nichtgefährdung des Einrichtungsfriedens erbringen könne. Eine Berücksichtigung der konkreten Verhältnisse in einzelnen Einrichtungen sei im Gesetz nicht vorgesehen. Somit sei es auch ohne Belang, ob die Beschwerdeführerin bislang in einem friedlichen Verhältnis zu allen Beteiligten stehe, zumal sich diese Situation durch den Wechsel von Kindern und Eltern jederzeit ändern könne.

11

b) Die Regelung des § 7 Abs. 6 Satz 1 KiTaG a.F. verstoße nicht gegen höherrangiges Recht. Die Vorschrift sei weder verfassungswidrig noch verletze sie Art. 9 Abs. 1 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK).

12

aa) Die dortige Lösung des verfassungsrechtlichen Spannungsverhältnisses beachte die Grundsätze der praktischen Konkordanz der betroffenen Grundrechtspositionen hinreichend. Die Regelung liege im Rahmen der Gestaltungsfreiheit des Landesgesetzgebers. Dieser habe die positive Glaubensfreiheit sowie die Berufsausübungsfreiheit und das allgemeine Persönlichkeitsrecht einer Erzieherin hinter die Pflicht des öffentlichen Trägers einer Kinderbetreuungseinrichtung zur weltanschaulichen Neutralität, das Erziehungsrecht der Eltern und die negative Glaubensfreiheit der Kinder und Eltern zurücktreten lassen dürfen, um die Neutralität der Kindertagesstätten und deren Einrichtungsfrieden zu sichern.

13

(1) Zwar schütze nach der Rechtsprechung Art. 4 Abs. 1 und 2 GG nicht nur die innere Glaubensfreiheit, sondern auch die äußere Freiheit, den Glauben in der Öffentlichkeit zu manifestieren und zu bekennen. Dazu gehöre auch das Recht des Einzelnen, sein gesamtes Verhalten an den Lehren des Glaubens auszurichten und seiner inneren Glaubensüberzeugung gemäß zu handeln. Auf Seiten der Kinder und Eltern entspreche dem aber umgekehrt die Freiheit, kultischen Handlungen eines nicht geteilten Glaubens fernzubleiben. Zwar habe der Einzelne in einer unterschiedlichen Glaubensüberzeugungen Raum gebenden Gesellschaft kein Recht darauf, von fremden Glaubensbekundungen gänzlich verschont zu bleiben. Davon sei aber eine vom Staat geschaffene Lage zu unterscheiden, in der ein Einzelner dem Einfluss und den Symbolen eines bestimmten Glaubens ausgesetzt werde. Insofern entfalte Art. 4 Abs. 1 GG seine freiheitssichernde Wirkung gerade in den Lebensbereichen, die nicht der gesellschaftlichen Selbstorganisation überlassen seien, sondern in denen der Staat Vorsorgeleistungen anbiete. Gemeinsam mit Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG, der den Eltern die Pflege und Erziehung ihrer Kinder als natürliches Recht garantiere, umfasse Art. 4 Abs. 1 GG auch das Recht zur Kindererziehung in religiöser und weltanschaulicher Hinsicht. Es sei Sache der Eltern, ihren Kindern diejenigen Überzeugungen in Glaubens- und Weltanschauungsfragen zu vermitteln, die sie für richtig hielten. Dem entspreche das Recht, die Kinder von Glaubensüberzeugungen fernzuhalten, die den Eltern falsch oder schädlich erschienen.

14

(2) Die Vermeidung religiöser und weltanschaulicher Konflikte in öffentlichen Kindertagesstätten stelle ein gewichtiges Gemeingut dar. Zu diesem Zweck seien gesetzliche Einschränkungen der Glaubensfreiheit rechtlich zulässig. Dabei sei es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn die landesgesetzliche Regelung religiöse Bekundungen von Erziehern in Kindertagesstätten ohne Rücksicht auf die Umstände des Einzelfalls untersage. Der Gesetzgeber dürfe Gefährdungen des Einrichtungsfriedens auch dadurch vorbeugen, dass er Erziehungskräften bereits das Tragen religiös bedeutsamer Kleidungsstücke oder Symbole verbiete und Konflikt vermeidende Regelungen nicht an die konkrete Gefahr einer drohenden Auseinandersetzung knüpfe. Diese von der Rechtsprechung zu den Schulgesetzen entwickelten Grundsätze seien auf Erzieher einer Kindertagesstätte in öffentlicher Trägerschaft übertragbar, da maßgebliche Unterschiede zwischen Schulen und Kindertagesstätten nicht erkennbar seien. Es stehe den Erziehungsberechtigten zwar grundsätzlich frei, ob sie ihr Kind in eine (bestimmte) Kindertagesstätte schicken wollten oder nicht. Deshalb bestehe auch keine vom Staat geschaffene Zwangssituation, in der der Einzelne dem Einfluss eines anderen Glaubensbekenntnisses ohne Ausweichmöglichkeiten ausgesetzt sei. Das Bekundungsverbot sei gleichwohl nicht unverhältnismäßig. Nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Achtes Buch (SGB VIII) hätten Eltern einen Anspruch auf Besuch einer Tageseinrichtung zur Kinderbetreuung. Verweise man sie auf andere Kindertagesstätten des kommunalen oder gar eines anderen Trägers, so sei dies - ungeachtet der Frage der Zumutbarkeit eines Wechsels - spätestens dann problematisch, wenn der kommunale Träger keine Kindertagesstätte anbieten könne, in der keine kopftuchtragenden oder andere religiöse Bekundungen abgebenden Erzieherinnen beschäftigt würden. Eine Verweisung der Eltern auf Kindertagesstätten eines freien Trägers hingegen sei mit dem Anspruch aus § 24 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII schwerlich vereinbar. Hinzu komme, dass zahlreiche faktische Zwänge dem Besuch einer anderen Kindertagesstätte entgegenstehen könnten, wie beispielsweise die nur geringe Anzahl von Kindertagesstätten im ländlichen Raum oder die Nähe einer Einrichtung zum Wohn- oder Arbeitsort der Eltern.

15

bb) § 7 Abs. 6 Satz 1 KiTaG a.F. greife auch nicht in verfassungswidriger Weise in das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden (Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG) ein. Der Landesgesetzgeber habe die Personalentscheidungsbefugnis der Kommunen nicht übermäßig begrenzt, sondern lediglich einen Teilaspekt der Verhaltenspflichten des Gemeindepersonals geregelt.

16

cc) Die Vorschrift verletze auch nicht den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG.

17

(1) Sie behandle die verschiedenen Religionen nicht unterschiedlich, sondern erfasse jede Art religiöser Bekundung unabhängig von deren Inhalt. Christliche Glaubensbekundungen würden nicht bevorzugt. Dies gelte auch mit Blick auf § 7 Abs. 6 Satz 3 KiTaG a.F. (jetzt: § 7 Abs. 8 Satz 3 KiTaG). Gegenstand dieser Regelung sei allein die Darstellung, nicht die Bekundung christlicher Werte. Diese sei nicht gleichzusetzen mit der Bekundung eines individuellen Bekenntnisses. Außerdem bezeichne der Begriff des "Christlichen" eine von Glaubensinhalten losgelöste, aus der Tradition der christlich-abendländischen Kultur hervorgegangene Wertewelt, die erkennbar auch dem Grundgesetz zugrunde liege und unabhängig von ihrer religiösen Fundierung Geltung beanspruche. Der Auftrag zur Weitergabe christlicher Bildungs- und Kulturwerte verpflichte und berechtige die Einrichtung deshalb nicht zur Vermittlung bestimmter Glaubensinhalte, sondern betreffe Werte, denen jeder Beschäftigte des öffentlichen Dienstes unabhängig von seiner religiösen Überzeugung vorbehaltlos zustimmen könne.

18

(2) Die Regelung behandle die Beschwerdeführerin auch nicht wegen ihres Geschlechts ungleich. Sie verbiete religiöse Bekundungen unabhängig vom Geschlecht und richte sich nicht speziell gegen das von Frauen getragene "islamische Kopftuch".

19

c) § 7 Abs. 6 Satz 1 KiTaG a.F. verletze als landesrechtliche Vorschrift schließlich ebensowenig das Diskriminierungsverbot des § 7 Abs. 1 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Zwar könne das Bekundungsverbot zu einer unmittelbaren Benachteiligung einer Erzieherin aus Gründen der Religion im Sinne von § 7 Abs. 1, §§ 1, 3 Abs. 1 AGG führen, weil die Unterlassung ihrer religiösen Bekundung zu einer entscheidenden Bedingung für die Ausübung ihrer Tätigkeit werde. Eine unterschiedliche Behandlung aus religiösen Gründen zur Erfüllung einer wesentlichen beruflichen Anforderung sei aber gemäß § 8 Abs. 1 AGG zulässig, weil vorliegend der Zweck rechtmäßig und die Anforderungen angemessen seien.

II.

20

Die Beschwerdeführerin hat fristgerecht Verfassungsbeschwerde erhoben. Sie rügt eine Verletzung von Art. 3 Abs. 3 Satz 1, Art. 4 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3, Art. 28 Abs. 2 und Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG sowie des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes als höherrangigem Recht im Sinne von Art. 31 GG durch die Abmahnung und die gerichtlichen Ausgangsentscheidungen. Zudem lässt sie erkennen, dass sie § 7 Abs. 6 und 7 KiTaG a.F. (jetzt: § 7 Abs. 8 und 9 KiTaG) - in der Auslegung durch die Ausgangsgerichte - für verfassungswidrig hält und die Vorschrift damit auch insoweit mittelbar angreift. Im Wesentlichen macht sie geltend:

21

1. In den angegriffenen Entscheidungen würden der Schutzbereich sowie die Bedeutung und die Tragweite der einschlägigen Grundrechte und Verfassungsprinzipien grundsätzlich verkannt. Sie verletzten sie damit, da sie das Tragen einer Kopfbedeckung als verbindliches religiöses Gebot des Islam betrachte, in den bezeichneten Grundrechten.

22

Die Ausgangsgerichte hätten insbesondere die Bedeutung der Religionsfreiheit verkannt.

23

a) Sie ließen die notwendige Differenzierung zwischen Schule und Kindergarten vermissen. Im Unterschied zum Schulbereich sei der Verfassungsrang, den Art. 7 Abs. 1 GG dem staatlichen Erziehungsauftrag in öffentlichen Schulen verleihe, für den Kindergartenbereich nicht ersichtlich. Damit und mangels einer Kindergartenpflicht sei aber auch das in § 7 Abs. 6 Satz 1 KiTaG a.F. genannte Rechtsgut der staatlichen Neutralität keine geeignete Grundlage für die Rechtfertigung eines Eingriffs.

24

Der Umstand, dass Kindergärten nicht der gesellschaftlichen Selbstorganisation überlassen seien und faktische Zwänge zur Benutzung bestimmter Einrichtungen bestünden, habe nichts mit staatlicher Neutralität zu tun. Bestehe wie häufig, so zum Beispiel im Gesundheitswesen, der Zwang, bestimmte privat- oder öffentlich-rechtliche Einrichtungen zu nutzen, gelte insoweit dennoch kein Neutralitätsgebot.

25

Das Bundesverfassungsgericht habe im Übrigen bereits klargestellt, dass die dem Staat gebotene religiös-weltanschauliche Neutralität nicht als eine distanzierende, sondern als eine fördernde zu verstehen sei. Dort, wo der Staat nur hinnehme, dass Grundrechtsträger in der Schule oder in sonstigen Einrichtungen von ihrer Glaubensfreiheit Gebrauch machten, ohne dass er sich dies zu eigen mache oder es ihm zuzurechnen sei, gebiete es der Grundsatz der fördernden Neutralität im positiven Sinn, Raum für die aktive Betätigung der Glaubensüberzeugung und die Verwirklichung der autonomen Persönlichkeit auf weltanschaulich-religiösem Gebiet zu sichern.

26

Die Ausgangsgerichte wiesen ebenso wie der Landesgesetzgeber nur auf den Neutralitätsgrundsatz hin, erläuterten aber nicht, worin die Neutralität bestehen solle, und gingen auf die von der Verfassungsrechtsprechung hierbei zwingend verlangte Gleichbehandlung aller Religionen nicht ein. Vielmehr benutzten sie den Begriff nur, um eine missliebige Glaubensäußerung zu verbieten, was keine tragfähige Grundlage zur Einschränkung der Glaubensfreiheit darstelle.

27

b) Im Hinblick auf die negative Religionsfreiheit der Eltern und Kinder sei zu betonen, dass sie, die Beschwerdeführerin, im Dienst weder kultische Handlungen ausführe, noch ihre Religion überhaupt in irgendeiner Weise gegenüber Eltern oder Kindern thematisiere. Außerdem müsse insoweit zwischen Eltern und Kindern differenziert werden.

28

In den angegriffenen Entscheidungen werde übersehen, dass das Alter durchaus Einfluss auf die Religionsmündigkeit habe, was allgemein anerkannt sei. Die Kindergartenkinder seien zwischen drei und sechs Jahre alt und damit in einem Alter, in dem sie allenfalls in der Lage seien zu erkennen, dass eine religiöse Vielfalt existiere, nicht aber, zu Religionen oder deren Aussagen selbständig Stellung zu beziehen. Es fehle ihnen daher die Grundrechtsfähigkeit hinsichtlich der negativen Glaubensfreiheit. Den Eltern fehle es demgegenüber an einer hinreichend intensiven Beziehung, die im Sinne einer Unausweichlichkeit die negative Religionsfreiheit beeinträchtigen könne.

29

c) Das elterliche Erziehungsrecht gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 1 GG sei schon aufgrund des fehlenden Kindergartenzwangs nicht beeinträchtigt. Selbst wenn unter praktischen Gesichtspunkten eine zwangsähnliche Lage angenommen werde, liege eine Beeinträchtigung nicht vor. Es werde nicht behauptet, dass die Beschwerdeführerin sich entgegen den elterlichen Erziehungszielen betätige. Auch ziele § 7 Abs. 6 Satz 1 KiTaG a.F. nicht auf die Abwehr einer solchen Gefahr. Dergleichen würde vielmehr einen Verstoß gegen die üblichen Dienstpflichten darstellen und habe mit dem Kopftuch nichts zu tun.

30

2. § 7 Abs. 6 Satz 1 KiTaG a.F., auf den die im Ausgangsverfahren ausgesprochene Abmahnung gestützt sei, sei in der Auslegung durch die Ausgangsgerichte verfassungswidrig.

31

a) Die Vorschrift greife unzulässig in das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden ein. Personalentscheidungen gehörten zum Kernbereich körperschaftlicher Selbstbestimmung. Indem § 7 Abs. 6 Sätze 1 und 2 KiTaG a.F. den Gemeinden keinerlei Spielraum belasse, schränke er deren Selbstverwaltungsrecht ein. Das Diktat dieser Vorschrift sei nicht zu rechtfertigen.

32

b) Die auf die ohne jede Ausnahme festgeschriebene Regel des § 7 Abs. 6 KiTaG a.F. gestützte Weisung an die Beschwerdeführerin, ihre Kopfbedeckung während der Arbeit abzunehmen, sei ferner unverhältnismäßig und verstoße damit gegen das Rechtsstaatsprinzip. Der Eingriffszweck des Schutzes der Neutralität und des Einrichtungsfriedens erfordere weder eine solche Weisung noch sei diese zur Erreichung dieses Ziels geeignet. Konkret ergebe sich aus ihrem Verhalten keinerlei Gefährdung des Einrichtungsfriedens. Es sei kein Vorfall bekannt, bei dem der Umstand, dass sie bei der Ausübung ihrer Tätigkeit ein Kopftuch trage, zu Irritationen, Auseinandersetzungen oder Beschwerden geführt habe. Damit werde ohne äußeren Anlass allein aufgrund des Bestehens der gesetzlichen Regelung in erheblichem Umfang in ihr Grundrecht aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG eingegriffen. Dies sei nicht gerechtfertigt.

33

3. Schließlich verstießen die Abmahnung und § 7 Abs. 6 Satz 1 KiTaG a.F. auch insoweit gegen höherrangiges Recht, als sie mit dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz nicht vereinbar seien. Mit Blick auf die Vereinbarkeit des Kopftuchverbots mit dem diesem zugrunde liegenden Richtlinienrecht der Europäischen Union habe zumindest die Pflicht zur Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union bestanden, so dass Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ebenfalls verletzt sei.

III.

34

Zu der Verfassungsbeschwerde haben das Staatsministerium Baden-Württemberg, das Bundesverwaltungsgericht, das Aktionsbündnis muslimischer Frauen in Deutschland e.V., der Dachverband Freier Weltanschauungsgemeinschaften e.V., die Evangelische Kirche in Deutschland, der Internationale Bund der Konfessionslosen und Atheisten e.V., die Türkisch Islamische Union der Anstalt für Religion e.V., der Zentralrat der Ex-Muslime e.V. und der Zentralrat der Juden in Deutschland Stellung genommen. Die Akten des Ausgangsverfahrens lagen der Kammer vor.

35

1. Das Staatsministerium Baden-Württemberg weist darauf hin, dass sich der Gesetzentwurf der Landesregierung (LT-Drs. 13/2793) ursprünglich auf den Schulbereich beschränkt habe. Die Übertragung der Anforderungen an Lehrkräfte hinsichtlich politischer, religiöser, weltanschaulicher und ähnlicher äußerer Bekundungen auf den Kindergartenbereich gehe auf zwei später gestellte Fraktionsanträge (LT-Drs. 13/4803 und LT-Drs. 13/4869) zurück. Der Ablauf des Gesetzgebungsverfahrens zeige, dass die Landesregierung ursprünglich nicht von einem vergleichbaren Regelungsbedürfnis ausgegangen sei.

36

2. Der 2. Revisionssenat des Bundesverwaltungsgerichts teilt mit, er habe es in seiner beamtenrechtlichen Rechtsprechung bislang - gestützt auf die Entscheidung des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts zum Kopftuchverbot für beamtete Lehrerinnen im Unterricht (vgl. BVerfGE 108, 282) - als von der Einschätzungsprärogative des die verschiedenen betroffenen Grundrechtspositionen abwägenden Gesetzgebers gedeckt angesehen, ein Kopftuchverbot bereits bei einer von diesem so gesehenen abstrakten Gefährdungslage zur Wahrung des Schulfriedens zu erlassen. Diese Auffassung halte er nach wie vor für vorzugswürdig.

37

3. Das Aktionsbündnis muslimischer Frauen e.V. hält § 7 Abs. 6 Sätze 1 und 3 KiTaG a.F. für verfassungswidrig. Dem Kopftuchverbot in Einrichtungen der Kindertagesbetreuung lägen rein politische Erwägungen zugrunde. Es sei geprägt von der Absicht, lediglich Bekundungen mit muslimischem Hintergrund zu verbieten und Zeichen anderer Religionen und Weltanschauungen zu privilegieren. Dies erfolge über die Definition des Kopftuchs als Symbol mit möglicherweise verfassungswidrigem Inhalt und die Behauptung, weder die staatliche Definition des Kopftuchs noch die Privilegierung christlich-abendländischer Zeichen stellten einen Verstoß gegen das staatliche Neutralitätsgebot dar. Ein Kopftuchverbot, das bereits eine abstrakte Gefährdungssituation ausreichen lasse, stütze sich auf keinerlei empirische Grundlagen und sei auch deswegen unverhältnismäßig. Schließlich treffe das Kopftuchverbot in seinen Auswirkungen ausschließlich muslimische Frauen und sei damit mittelbar diskriminierend. Im Kindergartenbereich treffe es dabei sogar noch eine größere Gruppe von Frauen als im Schuldienst.

38

4. Der Dachverband Freier Weltanschauungsgemeinschaften e.V. ist der Ansicht, § 7 Abs. 6 Satz 3 KiTaG a.F. sei verfassungswidrig, da er eine unangemessene Hervorhebung einer Religion beinhalte. In Verbindung mit § 7 Abs. 6 Satz 1 KiTaG a.F. werde außerdem der Eindruck erweckt, das Verbot äußerer Bekundungen einer Religion oder Weltanschauung beziehe sich nur auf bestimmte Religionen, wodurch die notwendige Gleichbehandlung nicht gewährleistet wäre. Im Übrigen sei § 7 Abs. 6 Satz 1 KiTaG a.F. verfassungskonform. Eine Kleiderordnung, die das Tragen bestimmter Kleidungsformen während des Dienstes untersage, sei mit der Religionsfreiheit vereinbar, sofern alle Religionen und Weltanschauungen gleichermaßen betroffen seien.

39

5. Die Evangelische Kirche in Deutschland führt aus, die Verfassungsbeschwerde weise im Vergleich zu den vom Ersten Senat des Bundesverfassungsgerichts Anfang des Jahres 2015 entschiedenen, eine Lehrerin und eine Sozialpädagogin im Anstellungsverhältnis betreffenden Fällen (vgl. BVerfGE 138, 296) kaum Besonderheiten auf. Ein Unterschied bestehe nur insoweit, als das Schulwesen vorrangig in staatlicher Hand liege, während Kinderbetreuungseinrichtungen von einer Vielfalt unterschiedlicher Träger mit unterschiedlichem religiös-weltanschaulichem Profil betrieben würden. Für den Fall einer kommunalen Kindertagesstätte stelle sich die Problemlage religiös konnotierter Bekleidung dadurch allerdings nicht anders dar als für eine öffentliche Schule. In pädagogischer Hinsicht seien die Unterschiede im Einfluss, der von Kleidung und Verhalten des betreuenden Personals ausgehe, eher gradueller und nicht prinzipieller Art. In einem religiös-weltanschaulich neutralen Staat seien religiöse Bezüge in öffentlichen Bildungseinrichtungen nicht von vornherein ausgeschlossen. Es stehe den Beteiligten frei, auch dort von ihrer Religionsfreiheit Gebrauch zu machen, sofern dies mit den Rechten anderer Beteiligter vereinbar sei. Die Neutralität der Einrichtung schließe es nicht aus, sondern ein, dass die Pluralität der Gesellschaft dort präsent werden könne. Nach den tragenden Gründen der Entscheidung des Ersten Senats komme es insoweit auf die tatsächlichen Umstände, nämlich darauf an, ob im Einzelfall das Tragen eines Kopftuchs und das übrige Verhalten der Beschwerdeführerin geeignet sei, die Neutralität des Trägers oder den Einrichtungsfrieden zu gefährden. Der gleiche Maßstab gelte, wenn Mitarbeitende Symbole anderer Religionen - auch des Christentums - trügen.

40

6. Der Internationale Bund der Konfessionslosen und Atheisten e.V. hält die Verfassungsbeschwerde für unbegründet. Die Religionsfreiheit gewähre dem Berechtigten zwar das Recht, sein Leben an den Vorstellungen der eigenen Religion auszurichten und dies im öffentlichen Raum zu manifestieren, nicht aber, dies im geschützten persönlichen Bereich eines Dritten zu tun. Es liege keine Diskriminierung aufgrund des Bekenntnisses vor, da der Gläubige nicht aufgrund seines Glaubens, sondern deswegen ausgeschlossen werde, weil er sich weigere, die arbeitgeberseitigen Anforderungen hinsichtlich der Beschäftigung zu erfüllen.

41

7. Nach Ansicht der Türkisch Islamischen Union der Anstalt für Religion e.V. ist die Verfassungsbeschwerde begründet. Die Entscheidung sei durch die Erwägungen des Bundesverfassungsgerichts in der den Schulbereich betreffenden Entscheidung des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfGE 138, 296), die auf den vorliegenden Fall übertragbar seien, weitestgehend vorgegeben. Eine lediglich abstrakte Gefährdung sei als Grundlage für einen prohibitiven Grundrechtseingriff danach auch im Kindergartenbereich nicht ausreichend.

42

8. Der Zentralrat der Ex-Muslime e.V. ist der Auffassung, die Verfassungsbeschwerde sei unbegründet. Es sei zu beachten, dass Kleinkinder viele Verhaltensweisen durch Beobachtung und Nachahmung von Personen, die für sie als Vorbild dienten, erlernten. Hierzu zählten mit zunehmender Ablösung vom Elternhaus auch Erzieher und Lehrer. Der Staat müsse gerade deswegen, weil Kinder viele verschiedene kulturelle Hintergründe mitbrächten, zwingend die religiös-weltanschauliche Neutralität wahren. Das Kopftuch setze im öffentlichen Erziehungs- und Bildungswesen - egal ob es staatliche Kindergärten, Kindertagesstätten, Grundschulen oder weiterführende Schulen betreffe - falsche kinder- und frauenpolitische sowie integrationspolitische Signale. Es solle dort deswegen in der Dienstzeit nicht getragen werden dürfen.

43

9. Der Zentralrat der Juden in Deutschland hält die Verfassungsbeschwerde für begründet. Die Beschwerdeführerin werde in ihrem Persönlichkeitsrecht, dem Recht auf Gleichbehandlung sowie in der Religions- und ihrer Berufsfreiheit verletzt. Art. 4 Abs. 1 und 2 GG umfasse als äußere Bekundung der Religionszugehörigkeit auch das Tragen eines Kopftuchs beziehungsweise einer den Vorgaben einer Religion entsprechenden Kopfbedeckung. Insofern dürfe die Religionsfreiheit der Beschwerdeführerin nur dann eingeschränkt werden, wenn andere dadurch tatsächlich in ihren Rechten verletzt würden. Es gehöre in der heutigen Zeit zum täglichen Bild in der Öffentlichkeit und spiegle die plurale, interkulturelle Gesellschaft in Europa wie auch in Deutschland wieder, dass viele Angehörige verschiedenster Religionen in der Öffentlichkeit unterschiedliche Zeichen ihres Glaubens trügen. Dass Frauen aus religiösen Gründen ein Kopftuch trügen, sei insoweit keine auffällige Besonderheit, sondern Ausdruck einer offenen und toleranten Gesellschaft, in der alle Weltanschauungen und Religionen friedlich nebeneinander und miteinander lebten. Die Freiheit, seinen Glauben unter Einhaltung der jeweiligen religiösen Regeln zu leben, solange hierdurch niemand gestört werde, umfasse auch die Ausübung eines Berufs. Das Tragen eines Kopftuchs allein könne daher nicht automatisch für ein Verbot ausreichend sein, sondern nur dann, wenn durch die Religionsbekundung ein Konflikt entstehe oder geschürt werde. Die Verbotsvorschrift sei außerdem gleichheitswidrig, weil sie nur muslimische Frauen mit Kopftuch, nicht aber muslimische Männer und Musliminnen ohne Kopftuch treffe.

IV.

44

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, soweit dies zur Durchsetzung des Grundrechts der Beschwerdeführerin aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG; vgl. BVerfGE 90, 22 <25>). Auch die weiteren Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG liegen insoweit vor. Das Bundesverfassungsgericht hat die hier maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits entschieden. Die Verfassungsbeschwerde ist danach offensichtlich begründet. Im Übrigen liegen die Voraussetzungen für die Annahme zur Entscheidung nicht vor.

45

1. Die Annahmevoraussetzungen liegen nicht vor, soweit die Beschwerdeführerin auch die von ihrem Arbeitgeber erteilte Abmahnung zu ihrem Gegenstand machen möchte und soweit sie Verletzungen von Art. 28 Abs. 2 und von Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG geltend macht. Die gegen die Abmahnung selbst gerichtete Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich unzulässig. Unzulässig sind auch die Rügen einer Verletzung von Art. 28 Abs. 2 und Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG.

46

a) Die Abmahnung stellt ungeachtet dessen, dass es sich bei der im Ausgangsverfahren beklagten Stadt um einen kommunalen Arbeitgeber handelt, und ungeachtet etwaiger Ausstrahlungswirkungen der Grundrechte auf den privatrechtlichen Bereich keinen Akt öffentlicher Gewalt im Sinne von Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG und § 90 Abs. 1 BVerfGG dar (vgl. zur ordentlichen Kündigung von Arbeitnehmern durch die öffentliche Hand BVerfGE 96, 171 <180>).

47

b) Auf eine etwaige Verletzung der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie gemäß Art. 28 Abs. 2 GG kann sich die Beschwerdeführerin nicht berufen, da es sich hierbei nicht um ein mit der Individualverfassungsbeschwerde durchsetzbares Grundrecht oder grundrechtsgleiches Recht handelt (vgl. Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, § 90 Abs. 1 BVerfGG). Eine Verletzung der Gewährleistung des Art. 28 Abs. 2 GG können vielmehr nur Gemeinden und Gemeindeverbände mit dem Mittel der Kommunalverfassungsbeschwerde geltend machen (vgl. Art. 93 Abs. 1 Nr. 4b GG). An der erforderlichen Beschwerdebefugnis fehlt es insoweit darüber hinaus auch mangels einer unmittelbaren Selbstbetroffenheit der Beschwerdeführerin (vgl. BVerfGE 100, 313 <354>; 109, 279 <305 ff.>; 113, 348 <362>; stRspr).

48

Eine Verletzung von Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG hat die Beschwerdeführerin nicht in einer den Substantiierungsanforderungen aus § 23 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1, § 92 BVerfGG genügenden Weise begründet.

49

2. Die im Übrigen zulässige Verfassungsbeschwerde ist weitgehend begründet.

50

a) Gegenstand der verfassungsrechtlichen Prüfung ist neben den unmittelbar angegriffenen Entscheidungen der Arbeitsgerichte allein die diesen zugrunde liegende Verbotsvorschrift des § 7 Abs. 6 Satz 1 KiTaG a.F. (jetzt: § 7 Abs. 8 Satz 1 KiTaG), soweit diese religiöse Bekundungen durch das äußere Erscheinungsbild betrifft. Die Prüfung ist hingegen nicht auf § 7 Abs. 6 Satz 3 KiTaG a.F. (jetzt: § 7 Abs. 8 Satz 3 KiTaG) zu erstrecken, weil die Beschwerdeführerin die Verletzung des Grundgesetzes durch diese Vorschrift mit der Verfassungsbeschwerde nicht rügt.

51

b) Die angegriffenen arbeitsgerichtlichen Entscheidungen verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht auf Glaubens- und Bekenntnisfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG.

52

aa) Die Anwendung des einfachen Rechts ist zunächst Sache der Fachgerichte. Sie unterliegt der verfassungsgerichtlichen Kontrolle aber insoweit, als die Fachgerichte in ihren Entscheidungen die Bedeutung und Tragweite der betroffenen Grundrechte beachten müssen, damit deren wertsetzende Bedeutung auch auf der Rechtsanwendungsebene gewahrt bleibt (vgl. BVerfGE 7, 198 <205 ff.>; stRspr). Dazu bedarf es einer Abwägung zwischen den widerstreitenden grundrechtlichen Schutzgütern, die im Rahmen der auslegungsfähigen Tatbestandsmerkmale der fachrechtlichen Vorschriften vorzunehmen ist und die die besonderen Umstände des Falles zu berücksichtigen hat (vgl. BVerfGE 99, 185 <196>). Das Bundesverfassungsgericht ist dabei auf die Prüfung beschränkt, ob die Fachgerichte den Grundrechtseinfluss ausreichend beachtet haben (vgl. BVerfGE 18, 85 <92 f.>; 94, 1 <9 f.>). Ein Grundrechtsverstoß, der zur Beanstandung der angegriffenen Entscheidungen führt, liegt demnach dann vor, wenn übersehen worden ist, dass bei Auslegung und Anwendung der verfassungsmäßigen Vorschriften des einfachen Rechts Grundrechte zu beachten waren, wenn der Schutzbereich der zu beachtenden Grundrechte unrichtig oder unvollkommen bestimmt oder ihr Gewicht unrichtig eingeschätzt worden ist, so dass darunter die Abwägung der beiderseitigen Rechtspositionen im Rahmen der fachrechtlichen Regelung leidet (vgl. BVerfGE 95, 28 <37>; 97, 391 <401>), und wenn die Entscheidung auf diesem Fehler beruht (vgl. BVerfGE 101, 361 <388>; stRspr).

53

bb) Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs haben die Arbeitsgerichte bei der Anwendung und Auslegung des § 7 Abs. 6 Satz 1 KiTaG a.F. die Bedeutung der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit der Beschwerdeführerin unrichtig eingeschätzt, worauf die angegriffenen Entscheidungen beruhen.

54

(1) Die in den Ausgangsverfahren ergangenen Urteile basieren auf einer gesetzlichen Grundlage, die einer einschränkenden verfassungskonformen Auslegung bedarf. Schon gegen eine Betroffenheit der negativen Glaubensfreiheit der Kindergartenkinder und des Erziehungsrechts der Eltern in religiöser und weltanschaulicher Hinsicht, auf deren Schutz die gesetzliche Regelung unter anderem abzielt (vgl. Gesetzesbegründung, a.a.O.), könnte sprechen, dass eine Pflicht zum Besuch einer Kindestagesstätte nicht besteht und zudem vielerorts eine Vielfalt an Einrichtungen gegeben ist, auf die auch im Rahmen des jugendhilferechtlichen Förderungsanspruchs nach § 24 SGB VIII nach der fachgerichtlichen Rechtsprechung verwiesen werden kann (vgl. zuletzt BayVGH, Urteil vom 22. Juli 2016 - 12 BV 15.719 -, juris, Rn. 24 und 29 m.w.N.). Dies könnte gegen das Bestehen einer mit der Schule vergleichbaren unausweichlichen Situation sprechen, in welcher der Einzelne ohne Ausweichmöglichkeiten dem Einfluss eines bestimmten Glaubens, den Handlungen, in denen dieser sich manifestiert, oder den Symbolen, in denen er sich darstellt, ausgesetzt ist (vgl. BVerfGE 93, 1 <15 f.>; 138, 296 <336 Rn. 104>). Auch könnte der unterschiedliche geistig-kognitive Entwicklungsstand von Kindergartenkindern und Schülern mit Blick auf deren Schutzbedürftigkeit insoweit möglicherweise Differenzierungen bedingen. Eine weitere Besonderheit besteht darin, dass die kindergartenrechtliche Regelung anders als im Schulbereich nicht überwiegend Beamtinnen und Beamte, sondern kommunale Beschäftigte trifft (vgl. hierzu bereits die Gesetzesbegründung, LT-Drs. 13/4869, S. 9).

55

Selbst wenn das Neutralitätsgebot für den Bereich des Kindergartens gleichermaßen Geltung beanspruchen sollte wie im Bereich der Schule, gelten für die Ausgestaltung neutralitätswahrender Verbotsregelungen die gleichen Einschränkungen wie in der Schule. Für den Schulbereich hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden, dass ein Verbot religiöser Bekundungen durch das äußere Erscheinungsbild, das bereits die abstrakte Gefahr einer Beeinträchtigung des Schulfriedens oder der staatlichen Neutralität ausreichen lässt, mit Blick auf die Glaubens- und Bekenntnisfreiheit der Pädagogen unangemessen und damit unverhältnismäßig ist, wenn die Bekundung auf ein als verpflichtend empfundenes religiöses Gebot zurückzuführen ist. Erforderlich ist insoweit vielmehr eine hinreichend konkrete Gefahr für die genannten Schutzgüter, die sich im Schulbereich zudem auf den gesamten Geltungsbereich der Untersagung beziehen muss (vgl. BVerfGE 138, 296 <327 Rn. 80>). Die dem zugrunde liegenden verfassungsrechtlichen Erwägungen gelten jedenfalls gleichermaßen auch für den Kindergartenbereich. Eine bloß abstrakte Gefährdung des Einrichtungsfriedens oder der Neutralität staatlicher Kindergartenträger kann daher bei der gebotenen verfassungskonformen Auslegung entgegen der Auffassung der Ausgangsgerichte auch hier nicht genügen, um das Bekundungsverbot gemäß § 7 Abs. 6 Satz 1 KiTaG a.F. auszulösen, wenn - was nach den tatrichterlichen Feststellungen im Ausgangsverfahren der Fall ist - die in Rede stehende äußere Bekundung auf ein als verpflichtend empfundenes religiöses Gebot zurückzuführen ist.

56

(2) Das den Entscheidungen der Ausgangsgerichte zugrunde liegende Verständnis des § 7 Abs. 6 Satz 1 KiTaG a.F., demzufolge bereits eine abstrakte Gefahr für den Einrichtungsfrieden oder die Neutralität genügt, um das Verbot äußerer Bekundungen auszulösen, führt zu einem erheblichen Eingriff in das Grundrecht der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit des Personals in Kindertageseinrichtungen, der in dieser Allgemeinheit unverhältnismäßig ist und daher verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt werden kann.

57

(a) Der Schutz des Grundrechts auf Glaubens- und Bekenntnisfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) gewährleistet auch den Erzieherinnen und Erziehern in Kindertageseinrichtungen in öffentlicher Trägerschaft die Freiheit, den Regeln ihres Glaubens gemäß einem religiösen Bedeckungsgebot zu genügen, wie dies etwa durch das Tragen eines Kopftuchs der Fall sein kann, wenn dies hinreichend plausibel begründet wird (vgl. für die öffentliche bekenntnisoffene Gemeinschaftsschule BVerfGE 138, 296 <328 Rn. 83>).

58

(aa) Art. 4 Abs. 1 und 2 GG enthält ein umfassend zu verstehendes einheitliches Grundrecht (vgl. BVerfGE 24, 236 <245 f.>; 32, 98 <106>; 44, 37 <49>; 83, 341 <354>; 108, 282 <297>; 125, 39 <79>; stRspr). Es erstreckt sich nicht nur auf die innere Freiheit, zu glauben oder nicht zu glauben, das heißt einen Glauben zu haben, zu verschweigen, sich vom bisherigen Glauben loszusagen und einem anderen Glauben zuzuwenden, sondern auch auf die äußere Freiheit, den Glauben zu bekunden und zu verbreiten, für seinen Glauben zu werben und andere von ihrem Glauben abzuwerben (vgl. BVerfGE 12, 1 <4>; 24, 236 <245>; 105, 279 <294>; 123, 148 <177>). Umfasst sind damit nicht allein kultische Handlungen und die Ausübung und Beachtung religiöser Gebräuche, sondern auch die religiöse Erziehung sowie andere Äußerungsformen des religiösen und weltanschaulichen Lebens (vgl. BVerfGE 24, 236 <245 f.>; 93, 1 <17>). Dazu gehört auch das Recht der Einzelnen, ihr gesamtes Verhalten an den Lehren ihres Glaubens auszurichten und dieser Überzeugung gemäß zu handeln, also glaubensgeleitet zu leben; dies betrifft nicht nur imperative Glaubenssätze (vgl. BVerfGE 108, 282 <297>; 138, 296 <328 f. Rn. 85>). Die Beschwerdeführerin kann sich auch als Angestellte im öffentlichen Dienst auf ihr Grundrecht aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG berufen; ihre Grundrechtsberechtigung wird durch die Eingliederung in den staatlichen Aufgabenbereich nicht von vornherein oder grundsätzlich in Frage gestellt (vgl. BVerfGE 138, 296 <328 Rn. 84> sowie für Beamte BVerfGE 108, 282 <297 f.>).

59

(bb) Bei der Würdigung dessen, was im Einzelfall als Ausübung von Religion und Weltanschauung zu betrachten ist, darf das Selbstverständnis der jeweils betroffenen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften und des einzelnen Grundrechtsträgers nicht außer Betracht bleiben (vgl. BVerfGE 24, 236 <247 f.>; 108, 282 <298 f.>). Die Musliminnen, die ein in der für ihren Glauben typischen Weise gebundenes Kopftuch tragen, können sich dafür auch bei der Ausübung ihres Berufs in einer öffentlichen Kindertagesstätte auf den Schutz der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG berufen. Darauf, dass im Islam unterschiedliche Auffassungen zum sogenannten Bedeckungsgebot vertreten werden, kommt es insoweit nicht an, da die religiöse Fundierung der Bekleidungswahl nach geistigem Gehalt und äußerer Erscheinung jedenfalls hinreichend plausibel ist (vgl. BVerfGE 108, 282 <298 f.>; 138, 296 <330 Rn. 87 ff.>).

60

(b) Die auf § 7 Abs. 6 Satz 1 KiTaG a.F. gestützte Untersagung des Tragens eines Kopftuchs während des Dienstes in der Kindertagesstätte stellt im Hinblick auf das von der Beschwerdeführerin als verpflichtend empfundene religiöse Bedeckungsgebot einen schwerwiegenden Eingriff in ihr Grundrecht auf Glaubens- und Bekenntnisfreiheit dar. Dies ergibt sich daraus, dass sich die Beschwerdeführerin nicht auf eine religiöse Empfehlung beruft, deren Befolgung für die einzelnen Gläubigen disponibel oder aufschiebbar ist, sondern auf ein nach ihrem Glaubensverständnis imperatives religiöses Bedeckungsgebot in der Öffentlichkeit. Ein Verbot kann aufgrund der nachvollziehbaren Berührung ihrer persönlichen Identität (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) sogar den Zugang zum Beruf verstellen (Art. 12 Abs. 1 GG). Vor diesem Hintergrund greift das gesetzliche Bekundungsverbot in ihr Grundrecht auf Glaubens- und Bekenntnisfreiheit trotz seiner zeitlichen und örtlichen Begrenzung auf den Bereich der Tätigkeit in der Kindertagesstätte mit erheblich größerem Gewicht ein, als dies bei einer religiösen Übung ohne plausiblen Verbindlichkeitsanspruch der Fall wäre (vgl. BVerfGE 138, 296 <332 f. Rn. 96>). Hieran vermag auch die vom Landesarbeitsgericht vorgenommene Relativierung, die einschlägige Koranstelle lasse den Schluss zu, dass gegenüber Kindern eine Ausnahme von einer möglichen Bedeckungspflicht bestehen könne, nichts zu ändern. Denn es ist offenkundig, dass sich die Tätigkeit in einer Kindertagesstätte jedenfalls nicht auf den Kontakt mit den betreuten Kindern beschränkt.

61

(c) Einschränkungen der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit müssen sich aus der Verfassung selbst ergeben, da Art. 4 Abs. 1 und 2 GG keinen Gesetzesvorbehalt enthält. Zu solchen verfassungsimmanenten Schranken zählen die Grundrechte Dritter sowie Gemeinschaftswerte von Verfassungsrang (vgl. BVerfGE 28, 243 <260 f.>; 41, 29 <50 f.>; 41, 88 <107>; 44, 37 <49 f., 53>; 52, 223 <247>; 93, 1 <21>; 108, 282 <297>; 138, 296 <333 Rn. 98>). Als mit der Glaubensfreiheit in Widerstreit tretende Verfassungsgüter kommen neben dem vom Gesetzgeber verfolgten Neutralitätsgebot, das sich hier allerdings anders als im Schulbereich nicht auf den staatlichen Erziehungsauftrag (Art. 7 Abs. 1 GG) beziehen kann, das elterliche Erziehungsrecht (Art. 6 Abs. 2 GG) und die negative Glaubensfreiheit der Schüler (Art. 4 Abs. 1 GG) in Betracht (vgl. BVerfGE 108, 282 <299>; 138, 296 <333 Rn. 98>). Das normative Spannungsverhältnis zwischen diesen Verfassungsgütern unter Berücksichtigung des Toleranzgebots zu lösen, obliegt zunächst dem demokratischen Gesetzgeber, der im öffentlichen Willensbildungsprozess einen für alle zumutbaren Kompromiss zu suchen hat. Die genannten Grundgesetznormen sind zusammen zu sehen, ihre Interpretation und ihr Wirkungsbereich sind aufeinander abzustimmen (vgl. BVerfGE 108, 282 <302 f.>; 138, 296 <333 Rn. 98>). Ein Verbot religiöser Bekundungen durch das äußere Erscheinungsbild, namentlich das Tragen religiös konnotierter Kleidung, schon wegen der bloß abstrakten Eignung zu einer Gefährdung des Einrichtungsfriedens oder der Neutralität des Trägers in öffentlichen Kindertagesstätten erweist sich vor diesem Hintergrund jedenfalls als unverhältnismäßig im engeren Sinne, wenn dieses Verhalten nachvollziehbar auf ein als verpflichtend verstandenes religiöses Gebot zurückzuführen ist. Ein angemessener, der Glaubensfreiheit der sich auf ein religiöses Bedeckungsgebot berufenden Erzieherinnen hinreichend Rechnung tragender Ausgleich mit gegenläufigen verfassungsrechtlich verankerten Positionen erfordert für die vorliegende Fallgestaltung eine einschränkende Auslegung der Verbotsnorm dergestalt, dass zumindest eine hinreichend konkrete Gefahr für die Schutzgüter vorliegen muss (vgl. BVerfGE 138, 296 <335 Rn. 101>).

62

(aa) Für die Beurteilung der tatsächlichen Gegebenheiten und Entwicklungen, von der abhängt, ob gegenläufige Grundrechtspositionen von Kindergartenkindern und Eltern oder andere Werte von Verfassungsrang eine Regelung rechtfertigen, die Erzieherinnen und Erzieher aller Bekenntnisse zu äußerster Zurückhaltung in der Verwendung von Kennzeichen mit religiösem Bezug verpflichtet, verfügt der Gesetzgeber über eine Einschätzungsprärogative (vgl. BVerfGE 108, 282 <310 f.>). Allerdings muss er, zumal bei einem weitgehend vorbeugend wirkenden Verbot äußerer religiöser Bekundungen, ein angemessenes Verhältnis zu dem Gewicht und der Bedeutung des Grundrechts des Kindertagesstättenpersonals auf Glaubens- und Bekenntnisfreiheit ebenso wahren, wie er bei einer Gesamtabwägung zwischen dem Gewicht des Eingriffs mit dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit beachten muss (vgl. BVerfGE 83, 1 <19>; 90, 145 <173>; 102, 197 <220>; 104, 337 <349>; 138, 296 <335 Rn. 102>).

63

(bb) Das Einbringen religiöser und weltanschaulicher Bezüge eröffnet zumindest die Möglichkeit einer Beeinflussung der Kindergartenkinder sowie von Konflikten mit Eltern, was zu einer Störung des Einrichtungsfriedens führen kann. Auch eine religiös motivierte und als Kundgabe einer Glaubensüberzeugung interpretierbare Bekleidung des Personals kann diese Wirkungen haben (vgl. für den Schulbereich BVerfGE 108, 282 <303>). Allerdings kommt diesen gegenläufigen verfassungsrechtlich verankerten Positionen kein solches Gewicht zu, als dass bereits die abstrakte Gefahr ihrer Beeinträchtigung ein Verbot rechtfertigen könnte, wenn auf der anderen Seite das Tragen religiös konnotierter Bekleidung oder Symbole nachvollziehbar auf ein als imperativ verstandenes religiöses Gebot zurückzuführen ist.

64

(α) Als verfassungsunmittelbare Schranke ist zunächst die negative Glaubens- und Bekenntnisfreiheit der Kindergartenkinder in den Blick zu nehmen. Art. 4 Abs. 1 und 2 GG gewährleistet zwar die Freiheit, kultischen Handlungen eines nicht geteilten Glaubens fernzubleiben; das bezieht sich auch auf Riten und Symbole, in denen ein Glaube oder eine Religion sich darstellen. Die Einzelnen haben in einer Gesellschaft, die unterschiedlichen Glaubensüberzeugungen Raum gibt, allerdings kein Recht darauf, von der Konfrontation mit ihnen fremden Glaubensbekundungen, kultischen Handlungen und religiösen Symbolen verschont zu bleiben. Davon zu unterscheiden ist eine vom Staat geschaffene Lage, in welcher der Einzelne ohne Ausweichmöglichkeiten dem Einfluss eines bestimmten Glaubens, den Handlungen, in denen sich dieser manifestiert, und den Symbolen, in denen er sich darstellt, ausgesetzt ist (vgl. BVerfGE 93, 1 <15 f.>; 138, 296 <336 Rn. 104>).

65

Es kann dahinstehen, ob allein faktische Zwänge genügen, um in Bezug auf Kindertagesstätten von einer solchen unausweichlichen Situation sprechen zu können, obwohl anders als in der Schule alternative Betreuungsangebote vorhanden sind und keine Besuchspflicht besteht, aufgrund derer Kinder gezwungen sein könnten, sich einer vom Staat angestellten Erzieherin mit "islamischem Kopftuch" ohne Ausweichmöglichkeit gegenüber zu sehen. Im Blick auf die Wirkung religiöser Ausdrucksmittel ist jedenfalls danach zu unterscheiden, ob das in Frage stehende Zeichen auf Veranlassung des Einrichtungsträgers oder aufgrund einer eigenen Entscheidung einzelner Erzieherinnen oder Erzieher verwendet wird, die hierfür das individuelle Freiheitsrecht des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG in Anspruch nehmen können. Der staatliche Einrichtungsträger, der eine mit dem Tragen eines Kopftuchs verbundene religiöse Aussage einer einzelnen Erzieherin hinnimmt, macht diese Aussage nicht schon dadurch zu seiner eigenen und muss sie sich auch nicht als von ihm beabsichtigt zurechnen lassen (vgl. BVerfGE 108, 282 <305 f.>; 138, 296 <336 f. Rn. 104>). Das Tragen eines "islamischen Kopftuchs", einer vergleichbaren Kopf- und Halsbedeckung oder einer sonst religiös konnotierten Bekleidung ist auch nicht von vornherein dazu angetan, die negative Glaubens- und Bekenntnisfreiheit der Kindergartenkinder zu beeinträchtigen. Solange die Erzieherinnen, die nur ein solches äußeres Erscheinungsbild an den Tag legen, nicht verbal für ihre Position oder für ihren Glauben werben und die von ihnen betreuten Kinder über ihr Auftreten hinausgehend zu beeinflussen versuchen, wird deren negative Glaubensfreiheit grundsätzlich nicht beeinträchtigt. Sie werden lediglich mit der ausgeübten positiven Glaubensfreiheit des Erziehungspersonals in Form einer glaubensgemäßen Bekleidung konfrontiert. Insofern spiegelt sich auch in Kindertagesstätten die religiös-pluralistische Gesellschaft wider. Im Übrigen wird diese Konfrontation durch das Auftreten anderer Erzieherinnen und Erzieher mit anderem Glauben oder anderer Weltanschauung in aller Regel relativiert und ausgeglichen (vgl. BVerfGE 138, 296 <337 Rn. 105>).

66

(β) Aus dem Elterngrundrecht ergibt sich nichts anderes. Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG garantiert den Eltern die Pflege und Erziehung ihrer Kinder als natürliches Recht und umfasst zusammen mit Art. 4 Abs. 1 und 2 GG auch das Recht zur Kindererziehung in religiöser und weltanschaulicher Hinsicht; daher ist es zuvörderst Sache der Eltern, ihren Kindern diejenigen Überzeugungen in Glaubens- und Weltanschauungsfragen zu vermitteln, die sie für richtig halten (vgl. BVerfGE 41, 29 <44, 47 f.>; 52, 223 <236>; 93, 1 <17>). Dem entspricht das Recht, die Kinder von Glaubensüberzeugungen fernzuhalten, die den Eltern als falsch oder schädlich erscheinen (vgl. BVerfGE 93, 1 <17>). Ein etwaiger Anspruch, die Kindergartenkinder vom Einfluss solcher Erzieherinnen fernzuhalten, die einer verbreiteten religiösen Bedeckungsregel folgen, lässt sich aus dem Elterngrundrecht allerdings nicht herleiten, soweit dadurch die negative Glaubens- und Bekenntnisfreiheit der Kinder nicht beeinträchtigt wird. Auch die negative Glaubensfreiheit der Eltern, die hier im Verbund mit dem elterlichen Erziehungsrecht ihre Wirkung entfalten kann, garantiert keine Verschonung von der Konfrontation mit religiös konnotierter Bekleidung von Erziehungspersonal, die nur den Schluss auf die Zugehörigkeit zu einer anderen Religion oder Weltanschauung zulässt, von der aber sonst kein gezielter beeinflussender Effekt ausgeht. Das gilt in Fällen der vorliegenden Art gerade deshalb, weil nicht ein dem Staat zurechenbares glaubensgeleitetes Verhalten in Rede steht, sondern eine erkennbar individuelle Grundrechtsausübung (vgl. BVerfGE 138, 296 <337 f. Rn. 106 f.>).

67

(γ) Schließlich ergibt sich auch nichts anderes aus dem Grundsatz staatlicher Neutralität. Das Grundgesetz begründet für den Staat als Heimstatt aller Staatsbürger in Art. 4 Abs. 1, Art. 3 Abs. 3 Satz 1, Art. 33 Abs. 3 GG sowie durch Art. 136 Abs. 1 und 4 und Art. 137 Abs. 1 Weimarer Reichsverfassung (WRV) in Verbindung mit Art. 140 GG die Pflicht zu weltanschaulich-religiöser Neutralität. Es verwehrt die Einführung staatskirchlicher Rechtsformen und untersagt die Privilegierung bestimmter Bekenntnisse ebenso wie die Ausgrenzung Andersgläubiger (vgl. BVerfGE 19, 206 <216>; 24, 236 <246>; 33, 23 <28>; 93, 1 <17>). Der Staat hat auf eine am Gleichheitssatz orientierte Behandlung der verschiedenen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften zu achten (vgl. BVerfGE 19, 1 <8>; 19, 206 <216>; 24, 236 <246>; 93, 1 <17>; 108, 282 <299 f.>) und darf sich nicht mit einer bestimmten Religionsgemeinschaft identifizieren (vgl. BVerfGE 30, 415 <422>; 93, 1 <17>; 108, 282 <300>). Der freiheitliche Staat des Grundgesetzes ist gekennzeichnet von Offenheit gegenüber der Vielfalt weltanschaulich-religiöser Überzeugungen und gründet dies auf ein Menschenbild, das von der Würde des Menschen und der freien Entfaltung der Persönlichkeit in Selbstbestimmung und Eigenverantwortung geprägt ist (vgl. BVerfGE 41, 29 <50>; 108, 282 <300 f.>). Die dem Staat gebotene weltanschaulich-religiöse Neutralität ist indessen nicht als eine distanzierende im Sinne einer strikten Trennung von Staat und Kirche zu verstehen, sondern als eine offene und übergreifende, die Glaubensfreiheit für alle Bekenntnisse gleichermaßen fördernde Haltung. Art. 4 Abs. 1 und 2 GG gebietet auch im positiven Sinn, den Raum für die aktive Betätigung der Glaubensüberzeugung und die Verwirklichung der autonomen Persönlichkeit auf weltanschaulich-religiösem Gebiet zu sichern (vgl. BVerfGE 41, 29 <49>; 93, 1 <16>). Der Staat darf lediglich keine gezielte Beeinflussung im Dienste einer bestimmten politischen, ideologischen oder weltanschaulichen Richtung betreiben oder sich durch von ihm ausgehende oder ihm zuzurechnende Maßnahmen ausdrücklich oder konkludent mit einem bestimmten Glauben oder einer bestimmten Weltanschauung identifizieren und dadurch den religiösen Frieden in einer Gesellschaft von sich aus gefährden (vgl. BVerfGE 93, 1 <16 f.>; 108, 282 <300>). Auch verwehrt es der Grundsatz weltanschaulich-religiöser Neutralität dem Staat, Glauben und Lehre einer Religionsgemeinschaft als solche zu bewerten (vgl. BVerfGE 33, 23 <29>; 108, 282 <300>; 137, 273 <305 Rn. 88>; 138, 296 <339 Rn. 110>).

68

Dies gilt auch für vom Staat in Vorsorge genommene Bereiche, für die ihrer Natur nach religiöse und weltanschauliche Vorstellungen von jeher relevant waren (vgl. BVerfGE 41, 29 <49>; 52, 223 <241>). Danach sind etwa christliche Bezüge bei der Gestaltung der öffentlichen Schule nicht ausgeschlossen; die Schule muss aber auch für andere weltanschauliche und religiöse Inhalte und Werte offen sein (vgl. BVerfGE 41, 29 <51>; 52, 223 <236 f.>). Weil Bezüge zu verschiedenen Religionen und Weltanschauungen in solchen Bereichen möglich sind, ist für sich genommen auch die bloß am äußeren Erscheinungsbild hervortretende Sichtbarkeit religiöser oder weltanschaulicher Zugehörigkeit einzelner Angestellter - unabhängig davon, welche Religion oder Weltanschauung im Einzelfall betroffen ist - durch die dem Staat gebotene weltanschaulich-religiöse Neutralität nicht ohne Weiteres ausgeschlossen. In dieser Offenheit bewahrt der freiheitliche Staat des Grundgesetzes seine religiöse und weltanschauliche Neutralität (vgl. BVerfGE 41, 29 <50>; 138, 296 <339 f. Rn. 111>).

69

(d) Davon ausgehend ist das - nach der Auslegung durch die Arbeitsgerichte in den angefochtenen Entscheidungen - an eine bloß abstrakte Gefährdung der in § 7 Abs. 6 Satz 1 KiTaG a.F. genannten Schutzgüter anknüpfende strikte Verbot einer äußeren religiösen Bekundung jedenfalls für die hier gegebenen Fallkonstellationen den betroffenen Grundrechtsträgern nicht zumutbar und verdrängt in unangemessener Weise deren Grundrecht auf Glaubensfreiheit. Mit dem Tragen eines Kopftuchs durch einzelne Erzieherinnen ist keine Identifizierung des Staates mit einem bestimmten Glauben verbunden. Auch eine Wertung in dem Sinne, dass allein das glaubensgeleitete Verhalten dieser Erzieherinnen als vorbildhaft angesehen und schon deshalb der Einrichtungsfrieden oder die staatliche Neutralität gefährdet oder gestört werden könnte, ist einer entsprechenden Duldung durch den öffentlichen Arbeitgeber nicht beizulegen. Hinzu kommt, dass die Beschwerdeführerin einem nachvollziehbar als verpflichtend empfundenen Glaubensgebot Folge leistet. Dadurch erhält ihre Glaubensfreiheit in der Abwägung mit den Grundrechten der Kindergartenkinder und der Eltern ein erheblich größeres Gewicht, als dies bei einer disponiblen Glaubensregel der Fall wäre (vgl. zu alldem BVerfGE 138, 296 <340 f. Rn. 112>).

70

Das Gewicht der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit des Personals von Kindertagesstätten in öffentlicher Trägerschaft erfordert demnach - wie im Bereich der Schule - jedenfalls für die hier gegebenen Fallkonstellationen eine reduzierende verfassungskonforme Auslegung des § 7 Abs. 6 Satz 1 KiTaG a.F. (jetzt: § 7 Abs. 8 Satz 1 KiTaG), soweit die Norm äußere religiöse Bekundungen untersagt. Hierfür ist das Merkmal der Eignung, den Einrichtungsfrieden oder die Neutralität des öffentlichen Einrichtungsträgers zu gefährden oder zu stören, dahin einzuschränken, dass von der äußeren religiösen Bekundung nicht nur eine abstrakte, sondern eine hinreichend konkrete Gefahr für die dort genannten Schutzgüter ausgehen muss. Das Vorliegen der konkreten Gefahr ist zu belegen und zu begründen. Allein das Tragen eines "islamischen Kopftuchs" begründet eine hinreichend konkrete Gefahr auch im Kindergartenbereich im Regelfall nicht. Denn vom Tragen einer solchen Kopfbedeckung geht für sich genommen noch kein werbender oder gar missionierender Effekt aus. Ein "islamisches Kopftuch" ist in Deutschland nicht unüblich, sondern spiegelt sich im gesellschaftlichen Alltag vielfach wieder. Die bloß visuelle Wahrnehmbarkeit ist in Kindertagesstätten als Folge individueller Grundrechtsausübung ebenso hinzunehmen, wie auch sonst grundsätzlich kein verfassungsrechtlicher Anspruch darauf besteht, von der Wahrnehmung anderer religiöser oder weltanschaulicher Bekenntnisse verschont zu bleiben (vgl. BVerfGE 138, 296 <342 f. Rn. 116>).

71

(3) Eine einschränkende Auslegung des § 7 Abs. 6 Satz 1 KiTaG a.F. (jetzt: § 7 Abs. 8 Satz 1 KiTaG) ist möglich und von Verfassungs wegen geboten. Sie dient der Vermeidung einer Normverwerfung und ist damit dem Gesichtspunkt der größtmöglichen Schonung der Gesetzgebung geschuldet. Sie nimmt Rücksicht darauf, dass die Norm auch andere Anwendungsbereiche hat, die sich von der hier vorliegenden Fallgestaltung unterscheiden. Dabei kann es sich etwa um gewichtige verbale Äußerungen und ein offen werbendes Verhalten handeln. Hier kann die Untersagungsvorschrift unter Umständen auch in einer Interpretation, die schon die abstrakte Gefahr erfasst, ihre Bedeutung haben. Der einschränkenden Auslegung steht nicht entgegen, dass dem Gesetzgeber entstehungsgeschichtlich ein Kopftuchverbot als typischer Anwendungsfall der Vorschrift vorgeschwebt hat (vgl. Gesetzesbegründung, LT-Drs. 13/4869, S. 12). Der Norm wird lediglich ein weniger weit reichender Anwendungsbereich zuerkannt (vgl. zur weitgehend inhaltsgleichen Regelung des § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NW a.F. BVerfGE 138, 296 <343 f. Rn. 117>).

72

(4) Die angegriffenen fachgerichtlichen Entscheidungen werden den Erfordernissen der gebotenen verfassungskonformen einschränkenden Auslegung nicht gerecht. Ihre rechtliche Würdigung, nach der bereits eine abstrakte Gefährdung der in § 7 Abs. 6 Satz 1 KiTaG a.F. genannten Schutzgüter zur Erfüllung des Verbotstatbestands genügt, trägt der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit der in Kindertagesstätten tätigen Erzieherinnen und Erzieher nicht in angemessener Weise Rechnung. Sie vernachlässigt das Gewicht ihrer positiven Glaubensfreiheit im Zusammenhang mit einem plausibel dargestellten imperativen religiösen Bedeckungsgebot.

73

Die bislang getroffenen Tatsachenfeststellungen geben im Übrigen keinerlei Anhalt für eine hinreichend konkrete Gefahr für den Einrichtungsfrieden oder die Neutralität des öffentlichen Trägers durch das Auftreten der Beschwerdeführerin mit dem "islamischen Kopftuch" an ihrem Arbeitsplatz.

74

Damit verletzen die angegriffenen Entscheidungen die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG.

75

c) In der wie dargelegt verfassungsrechtlich gebotenen Auslegung verstößt die Regelung des § 7 Abs. 6 Satz 1 KiTaG a.F. (jetzt: § 7 Abs. 8 Satz 1 KiTaG), soweit sie religiöse Bekundungen durch das äußere Erscheinungsbild von Erzieherinnen und Erziehern betrifft, nicht gegen weitere Grundrechte oder sonstiges Bundesrecht (Art. 31 GG). Sie ist insbesondere mit den einschlägigen Bestimmungen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) und der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) vereinbar. Die sich hieraus ergebenden Rechte gewährleisten keinen weitergehenden Schutz als denjenigen, der aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG folgt (vgl. im Einzelnen zu § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NW a.F. BVerfGE 138, 296 <352 ff. Rn. 139 ff.>).

76

3. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 und 3 BVerfGG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG und den Grundsätzen für die Festsetzung des Gegenstandswerts im verfassungsgerichtlichen Verfahren (vgl. BVerfGE 79, 365 <366 ff.>; BVerfGK 20, 336 <337 ff.>).

77

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 28.03.2017 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer Anweisung.

Die Beklagte betreibt bundesweit eine Drogeriemarktkette.

Die Klägerin ist seit 02.11.2002 bei der Beklagten bzw. ihrer Rechtsvorgängerin beschäftigt. Dem Arbeitsverhältnis liegt ein schriftlicher Arbeitsvertrag vom 15.06.2004 zugrunde. Danach ist die Klägerin als „Verkaufsberater und Kassierer“ in der Filiale in A. tätig.

Die Klägerin befand sich vom 04.12.2011 bis 07.10.2014 in der Elternzeit.

Einige Tage vor der Wiederaufnahme ihrer Tätigkeit bei der Beklagten erschien die Klägerin im Betrieb. Sie trug, anders als vor der Elternzeit, ein Kopftuch. Die Filialleiterin, Frau P., wies die Klägerin darauf hin, dass man sie nicht beschäftigen werde, wenn sie ein Kopftuch trage.

Am 12.11.2014 erhob die Klägerin die vorliegende Klage zum Arbeitsgericht Nürnberg. Sie stellte zuletzt folgenden (Haupt) Antrag:

Es wird festgestellt, dass die Weisung der Beklagten an die Klägerin, nach dem die Klägerin entsprechend der Kleiderordnung und ohne auffällige großflächige religiöse, politische und sonstige weltanschauliche Zeichen am Arbeitsplatz zu erscheinen und ihre Arbeit aufzunehmen hat, unwirksam ist.

Darüber hinaus machte die Klägerin für den Zeitraum Juni 2016 bis Januar 2017 Entgeltansprüche und Urlaubsgeld sowie den pauschalen Schadensersatz gemäß § 288 Absatz 5 Satz 1 BGB geltend.

Mit Endurteil vom 28.03.2017 gab das Arbeitsgericht der Feststellungsklage im Hauptantrag statt. Gleichzeitig verurteilte es die Beklagte zu den beantragten Zahlungen mit Ausnahme des jeweils geltend gemachten pauschalen Schadensersatzanspruchs nach § 288 Absatz 5 Satz 1 BGB. Insoweit wies es die Klage ab.

Das Urteil wurde der Beklagten am 16.08.2017 zugestellt.

Die Beklagte legte gegen das Urteil am 01.09.2017 Berufung ein und begründete sie am 13.11.2017. Bis dahin war die Berufungsbegründungsfrist verlängert worden.

Die Beklagte führt aus, sie beschäftige insgesamt 14.794 Mitarbeiter aus 88 Nationen. In ihrem Unternehmen träfen daher ein Vielzahl von Kulturen und Religionen aufeinander. Damit sich die Mitarbeiter nicht durch andere Mitarbeiter in ihrer religiösen Überzeugung verletzt sähen und es hierdurch zu (vermeidbaren) Konflikten komme, bestehe die Verpflichtung, auf auffällige Symbole aller Art zu verzichten. Die Beklagte trägt vor, es habe in der Vergangenheit bereits verschiedene Konflikte zwischen Mitarbeitern gegeben. Beispielsweise habe es einen Bewerber gegeben, der sich aus religiösen Gründen geweigert habe, ihrer Mitarbeiterin Frau V… die Hand zu geben, weil sie eine Frau sei. Einem Mitarbeiter sei nach einem Arbeitsunfall ein Weinpaket mit einer Genesungskarte geschickt worden. Da er gläubiger Moslem gewesen sei, habe er das Geschenk zunächst als Beleidigung aufgefasst. In einem weiteren Fall habe eine Mitarbeiterin keine Spielsachen kommissionieren wollen, mit denen man Krieg spielen könne. Sie habe dies damit begründet, dass sie Zeugin Jehovas sei.

Im Verkauf bestehe zusätzlich das Ziel, dass sich Kunden in ihrer religiösen Überzeugung nicht verletzt sähen und aus diesem Grund ihr Unternehmen nicht mehr aufsuchten.

Die Beklagte trägt vor, bei ihr bestehe seit jeher ein Kleiderordnung mit folgender Regelung:

Wir legen größten Wert auf ein gepflegtes, professionelles Erscheinungsbild gegenüber unseren Kunden. Als Arbeitskleidung ist die für den jeweiligen Bereich vorgesehene Berufskleidung (z.B. weißer Berufsmantel) zu tragen. Legere Freizeitbekleidung, wie insbesondere Trainings- bzw. Jogginganzüge sowie Kopfbedeckungen aller Art dürfen bei Kundenkontakt nicht getragen werden.

Im Hinblick auf die Schlussanträge der Generalanwältin beim Europäischen Gerichtshof vom 31.05.2016 habe sie eine unternehmensweite Regelung geschaffen, wonach in Zukunft sichtbare religiöse, politische und sonstige weltanschauliche Zeichen am Arbeitsplatz unzulässig seien. Diese Regelung gelte für das gesamte Unternehmen bzw. alle Verkaufsfilialen. Daher habe sie der Klägerin im Juli 2016 im Rahmen des Direktionsrechts die Weisung erteilt, ohne auffällige großflächige religiöse, politische und sonstige weltanschauliche Zeichen am Arbeitsplatz zu erscheinen.

Die Beklagte macht geltend, die Weisung sei wirksam. Dies gelte insbesondere im Hinblick auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. Eine derartige Weisung stelle nach dieser Rechtsprechung keine unmittelbare Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung dar. Soweit eine mittelbare Diskriminierung zu bejahen sei, sei diese gerechtfertigt. Dabei genüge bereits der Wunsch des Arbeitgebers, den Kunden ein Bild der Neutralität zu vermitteln. Dieser Wunsch gehöre zur unternehmerischen Freiheit, die in Art. 16 der Charta anerkannt sei, und sei grundsätzlich rechtmäßig. Eine solche Unternehmerentscheidung sei gerichtlich nicht überprüfbar. Da ein Wunsch immer subjektiv sei, müsse die Entscheidung nicht aus objektiven Gründen plausibel sein.

Die Beklagte meint, die europäischen Grundfreiheiten stünden oberhalb des Grundgesetzes. Wenn der Europäische Gerichtshof ausführe, dass die Entscheidung, eine neutrale Unternehmenspolitik zu verfolgen, dem Recht der Unternehmerfreiheit entspringe und die Religionsfreiheit einschränke, entspreche dies der Abwägung auf Ebene der europäischen Grundfreiheiten. Eine Abwägung sei vom Europäischen Gerichtshof in einem nahezu identischen Fall bereits vorgenommen worden. Eine abweichende Auffassung verletze daher ihre, der Beklagten, Unternehmerfreiheit.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts abzuändern und wie folgt zu erkennen:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

Die Klägerin beantragt:

Die Berufung der Beklagten und Berufungsklägerin wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Klägerin beruft sich auf das ihr zustehende Grundrecht der Religionsfreiheit. Sie sehe das islamische Bedeckungsverbot als unbedingte religiöse Verpflichtung an. Dies beinhalte, dass sie in Gegenwart von Männern, mit denen sie nicht verwandt sei, ihren Körper mit Ausnahme von Gesicht, Händen und Füßen mit Kleidung derart zu bedecken habe, dass Konturen und Farbe des Körpers nicht zu sehen seien.

Die Klägerin bezieht sich auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und des Bundesverfassungsgerichts, wonach ein Kopftuchverbot am Arbeitsplatz regelmäßig und ohne Darlegung konkreter betrieblicher Störungen oder wirtschaftlicher Einbußen nicht gerechtfertigt sei. Die Beklagte habe derartige Störungen nicht vorgetragen. Diese seien auch nicht zu erwarten.

Wegen des weitergehenden Vorbringens der Parteien in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Eine Beweisaufnahme hat nicht stattgefunden.

Gründe

Die Berufung ist zulässig. Sie ist statthaft, § 64 Absatz 1 und Absatz 2 b) ArbGG, sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, § 66 Absatz 1 ArbGG.

Die Berufung ist unbegründet.

Wie das Erstgericht zu Recht entschieden hat, ist die Weisung der Beklagten, die Klägerin dürfe die Arbeit nur ohne das Kopftuch aufnehmen, unwirksam.

Dabei wird zugunsten der Beklagten ihre Entscheidung unterstellt, dass das sichtbare Tragen jedes politischen, philosophischen oder religiösen Zeichens am Arbeitsplatz verboten und die Weisung an die Klägerin Ausfluss dieses allgemeinen unternehmerischen Grundsatzes ist.

Die Weisung ist nicht vom Direktionsrecht gedeckt, § 106 GewO.

Allerdings ist der Arbeitgeber gemäß § 106 Satz 2 GewO befugt, dem Arbeitnehmer hinsichtlich seines Verhaltens und der Ordnung im Betrieb Weisungen zu erteilen. Hierzu gehören insbesondere auch Weisungen, die das äußere Erscheinungsbild des Arbeitnehmers betreffen.

Bei der Ausübung des Direktionsrechts hat der Arbeitgeber sein Ermessen nach Billigkeitsgesichtspunkten auszuüben. Ob die Beklagte ihr Ermessen in dieser Weise ausübt, ist vorliegend zum einen nach den Grundsätzen der §§ 7, 3, 1 AGG festzustellen, zum anderen ist zu prüfen, ob die Beklagte mit ihrem Verbot in unzulässiger Weise in die Religionsfreiheit der Klägerin eingreift. Insbesondere geht es um Art. 4 Absatz 1 und Absatz 2 GG.

Soweit sich die Beklagte darauf beruft, ihre Weisung sei nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu kirchlichen Arbeitgebern rechtmäßig, kann sie keinen Erfolg haben. Das von der Beklagten zitierte Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 24.09.2014 (5 AZR 611/12; juris) ist vor dem Hintergrund des in Art. 140 GG iVm Art. 137 Absatz 3 Satz 1 WRV garantierten Selbstbestimmungsrechts der Religionsgemeinschaften zu sehen. Einen solchen Sonderstatus kann die Beklagte nicht für sich reklamieren. Den Ausführungen des Bundesarbeitsgerichts ist zudem zwar zu entnehmen, dass der Religionsfreiheit der dortigen Klägerin jedenfalls kein höheres Gewicht zukomme als dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht. Diese Ausführungen standen indes unter dem Vorbehalt, dass es sich bei dem Krankenhaus, in dem die dortige Klägerin beschäftigt war, um eine der Evangelischen Kirche zuzuordnenden Einrichtung handelte. Daraus lässt sich folgern, dass die Abwägung bei nicht privilegierten Arbeitgebern zu anderen Ergebnissen führen kann.

Das Berliner Neutralitätsgesetz führt ebenfalls nicht zur Rechtmäßigkeit der streitgegenständlichen Weisung.

Das Berliner Neutralitätsgesetz gilt für Beschäftigte des Öffentlichen Dienstes und soll die Verpflichtung des Landes Berlin zur weltanschaulich-religiöser Neutralität bei der Ausübung hoheitlicher Tätigkeit umsetzen. Die Beklagte hingegen ist weder hoheitlich tätig noch hat sie einen sonstigen Auftrag zu weltanschaulicher und/oder religiöser Neutralität.

Nach Auffassung des erkennenden Gerichts ist die Weisung der Beklagten gemäß den §§ 7 Absatz 1 und 2, 3 Absatz 2, 1 AGG unwirksam. Sie stellt eine unzulässige Diskriminierung wegen der Religion dar.

Die Weisung der Beklagten knüpft nach dem Sachvortrag der Beklagten an ihre allgemeine Neutralitätsregelung bezüglich des sichtbaren Tragens von Zeichen für die politische, philosophische und religiöse Überzeugung an.

Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs stellt zwar eine allgemeine interne Regelung in einem Unternehmen, die das sichtbare Tragen jedes politischen, philosophischen oder religiösen Zeichens am Arbeitsplatz verbietet, keine unmittelbare Diskriminierung dar (Europäischer Gerichtshof ‒ Urteile vom 14.03.2017 ‒ C-157/15 und C-188/15; juris), da alle Arbeitnehmer gleich behandelt werden.

Der Europäische Gerichtshof führt im Einzelnen aus (C-157/15):

Eine solche interne Regel eines privaten Unternehmens kann indes eine mittelbare Diskriminierung im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2000/78 darstellen, wenn sich erweist, dass die dem Anschein nach neutrale Verpflichtung, die sie enthält, tatsächlich dazu führt, dass Personen mit einer bestimmten Religion oder Weltanschauung in besonderer Weise benachteiligt werden, es sei denn, sie ist durch ein rechtmäßiges Ziel wie die Verfolgung einer Politik der politischen, philosophischen und religiösen Neutralität durch den Arbeitgeber im Verhältnis zu seinen Kunden sachlich gerechtfertigt, und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels sind angemessen und erforderlich; dies zu prüfen, ist Sache des vorlegenden Gerichts.

Erstens ist zur Voraussetzung des Vorliegens eines rechtmäßigen Ziels darauf hinzuweisen, dass der Wille, im Verhältnis zu den öffentlichen und privaten Kunden eine Politik der politischen, philosophischen oder religiösen Neutralität zum Ausdruck zu bringen, als rechtmäßig anzusehen ist.

Der Wunsch eines Arbeitgebers, den Kunden ein Bild der Neutralität zu vermitteln, gehört nämlich zur unternehmerischen Freiheit, die in Art. 16 der Charta anerkannt ist, und ist grundsätzlich rechtmäßig, insbesondere dann, wenn der Arbeitgeber bei der Verfolgung dieses Ziels nur die Arbeitnehmer einbezieht, die mit seinen Kunden in Kontakt treten sollen.

Zweitens ist zur Angemessenheit einer internen Regel wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden festzustellen, dass das Verbot für Arbeitnehmer, Zeichen politischer, philosophischer oder religiöser Überzeugungen sichtbar zu tragen, zur Gewährleistung der ordnungsgemäßen Anwendung einer Politik der Neutralität geeignet ist, sofern diese Politik tatsächlich in kohärenter und systematischer Weise verfolgt wird.

Drittens ist in Bezug auf die Erforderlichkeit des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Verbots zu prüfen, ob es sich auf das unbedingt Erforderliche beschränkt. Im vorliegenden Fall ist zu klären, ob sich das Verbot des sichtbaren Tragens jedes Zeichens oder Kleidungsstücks, das mit einem religiösen Glauben oder einer politischen oder philosophischen Überzeugung in Verbindung gebracht werden kann, nur an die mit Kunden in Kontakt tretenden Arbeitnehmer von G4S richtet. Ist dies der Fall, ist das Verbot als für die Erreichung des verfolgten Ziels unbedingt erforderlich anzusehen.

Vorliegend ist eine mittelbare Diskriminierung im Sinne der Richtlinie 2000/78 bzw. des § 3 Absatz 2 AGG zu bejahen.

Die allgemeine interne Regelung beeinträchtigt Arbeitnehmerinnen muslimischen Glaubens in stärkerem Maße als Angehörige anderer Glaubensrichtungen oder Arbeitnehmer mit einer bestimmten politischen oder philosophischen Ausrichtung. Während die Gläubigen anderer Religionen und die zuletzt Genannten aufgrund ihrer Religion bzw. ihrer politischen oder philosophischen Einstellung nicht gehalten sind, auf ein bestimmtes äußeres Erscheinungsbild zu achten, gebietet es das teilweise vertretene muslimische Bedeckungsgebot den Frauen, die ein glaubensgeleitetes Leben führen möchten, in Anwesenheit nicht verwandter Männer den Körper mit Ausnahme des Gesichts, der Hände sowie der Füße zu verhüllen. Diese Art der Bedeckung wird als Ausdruck religiösen Bekenntnisses begriffen und wahrgenommen. Das Verbot, sichtbare religiöse Zeichen zu tragen, betrifft daher muslimische Frauen in weit stärkerem Maße als alle anderen Arbeitnehmer. Die Benachteiligung bezieht sich somit auf die Diskriminierungsmerkmale „Religion“ und „Geschlecht“.

Nach Auffassung des erkennenden Gerichts ist die Weisung der Beklagten nicht durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt.

Dabei wird nicht verkannt, dass der Europäische Gerichtshof, wie oben dargestellt, den Willen bzw. den Wunsch des Arbeitgebers, im Unternehmen eine Politik der Neutralität zu verfolgen, als rechtmäßiges Ziel angesehen hat. Dem vermag sich das erkennende Gericht zwar grundsätzlich, nicht aber im vorliegenden Fall anzuschließen.

Der Sachverhalt, über den der Europäische Gerichtshof in den zitierten Entscheidungen zu befinden hatte, ist mit dem vorliegenden nicht vergleichbar.

Im Rechtsstreit C- 157/15 ging es um ein Unternehmen, das für öffentliche und private Kunden u.a. Rezeptions- und Empfangsdienste erbringt. Die dortige Klägerin war als Rezeptionistin eingestellt.

Im Verfahren C-188/15 wurde die Klägerin als Softwaredesignerin eingestellt. Kunden der Arbeitgeberin nahmen an dem Kopftuch der Klägerin Anstoß.

In beiden Verfahren ging es somit um Unternehmen, die im Dienstleistungssektor tätig und somit in besonderem Maße auf das Wohlwollen und die Akzeptanz ihrer Kunden angewiesen sind. Besonders dann, wenn die Arbeitnehmerinnen der jeweiligen Arbeitgeber bei den Kunden arbeiten, sind die Arbeitgeber darauf angewiesen, dass ihre Mitarbeiter von den Kunden akzeptiert werden. Der Arbeitgeber ist daher, will er die Kunden nicht verlieren, berechtigt, seine Mitarbeiter anzuweisen, sich entsprechend den Kundenwünschen zu verhalten, insbesondere dem Wunsch nach einem bestimmten äußeren Erscheinungsbild nachzukommen. Dies gilt auch dann, wenn Kunden die Beschäftigung von Arbeitnehmern bzw. hier Arbeitnehmerinnen ablehnen, weil diese ihre Religionsfreiheit ausüben. Zwar ist die Religionsfreiheit ein zentrales Grundrecht. Wie der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ausgeführt hat, muss eine gesunde demokratische Gesellschaft Pluralismus und Mannigfaltigkeit aushalten (Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte – Urteil vom 15.01.2013 – 48420/10, 59842/10, 51671/10, 36516/10; NJW 2014/1935).

Es obliegt indes nicht dem einzelnen Arbeitgeber, zu seinem Schaden den Grundrechten seiner Mitarbeiter gegenüber Dritten Geltung zu verschaffen.

Das erkennende Gericht folgert aus diesen Überlegungen, dass es als rechtfertigendes Ziel im Sinne des § 3 Absatz 2 AGG nicht genügt, wenn der Arbeitgeber sich auf einen lediglich auf subjektiven Befindlichkeiten beruhenden Wunsch beruft, eine Neutralitätspolitik zu betreiben. Eine solchermaßen verordnete Neutralitätspolitik ist kein schützenswertes Gut der unternehmerischen Freiheit an sich. Diese Ansicht würde dazu führen, dass der unternehmerischen Freiheit gegenüber anderen gemeinschaftsrechtlichen Grundrechten stets der Vorzug zu geben wäre. Die Grundrechte stehen indes in keinem Rangverhältnis.

Es hat vielmehr eine Abwägung der beiderseitigen Interessen stattzufinden. Dies ergibt sich nicht zuletzt aus der zitierten Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Das Gericht hatte vier verschiedene Sachverhalte zu würdigen:

Eine Beschwerdeführerin wollte während der Arbeitszeit sichtbar eine Kette mit Kreuz tragen, eine weitere Beschwerdeführerin war als Krankenschwester in der Altenpflege tätig und wollte ebenfalls eine Kette mit Kreuz tragen. Eine Beschwerdeführerin, tätig als Standesbeamte, weigerte sich aus religiösen Gründen, gleichgeschlechtliche Partnerschaften im Rahmen von Verpartnerungen einzutragen. Ein Beschwerdeführer, der als Paartherapeut tätig war, weigerte sich aus religiösen Gründen, homosexuelle Paare zu betreuen.

Bezüglich der ersten Beschwerdeführerin erkannte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, die Ausgangsgerichte hätten dem Anliegen des Arbeitgebers, ein bestimmtes Unternehmensbild zu vermitteln, ein zu großes Gewicht gegeben. Bezüglich der anderen Beschwerdeführer ging der Gerichtshof von Störungen im Arbeitsverhältnis aus, die der Arbeitgeber nicht hinnehmen musste.

Anders sind auch die zitierten Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs nicht zu verstehen. In beiden Fällen ging es um einen Sachverhalt, bei dem der Arbeitgeber wirtschaftliche Nachteile hätte erwarten müssen, hätte er die Wünsche seiner Kunden nicht erfüllt.

Vorliegend liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Beklagte derartige Nachteile zu gewärtigen hätte, würde sie die Klägerin mit Kopftuch beschäftigen.

Die Beklagte tritt nicht als Dienstleisterin auf. Sie ist ein Einzelhandelsunternehmen, d.h., es kommen Kunden unterschiedlicher Herkunft in ihre Verkaufsräume. Es kaufen insbesondere auch Frauen mit muslimischem Kopftuch bei der Beklagten ein. Der Anteil der muslimischen Frauen, die ein Kopftuch wie die Klägerin tragen, ist in den letzten Jahren angestiegen, sie gehören mittlerweile zum Straßenbild und finden sich demgemäß auch im Einzelhandel nicht nur als Kundinnen, sondern auch als Verkaufspersonal wieder. Darüber hinaus ist der Kontakt der Kunden zu den beschäftigten Mitarbeitern relativ gering, da sich die Kunden die Ware selbst aus den Regalen nehmen, damit zur Kasse gehen, zahlen und das Geschäft danach wieder verlassen. Es liegt insbesondere ein gemeinsames Arbeitsumfeld nicht vor, wie dies bei einem Dienstleister der Fall ist, dessen Arbeitnehmer im Betrieb des Kunden tätig sind.

Es war nicht erforderlich, den Rechtsstreit gemäß Art. 267 AEUV dem Europäischen Gerichtshof mit der Frage vorzulegen, ob Art. 2 Absatz 2 a der Richtlinie 2000/78/EG dahin auszulegen ist, dass zwischen den gemeinschaftsrechtlichen Grundrechten einer Arbeitnehmerin, die sich auf die Religionsfreiheit (Art. 10 EU-GRCharta) beruft, und eines Arbeitgebers, der sich auf die unternehmerische Freiheit (Art. 16 EU-GRCharta) beruft, nach den betroffenen Interessen abzuwägen ist, welchem Grundrecht im konkreten Fall der Vorzug zu geben ist.

Selbst wenn die Weisung der Beklagten nicht eine Diskriminierung im Sinne der §§ 3 Absatz 2, 1 AGG darstellen würde, wäre sie unwirksam.

Die Weisung der Beklagten ist nicht von dem Ermessen gedeckt, das der Arbeitgeber im Rahmen des § 106 GewO auszuüben hat. Vielmehr verletzt sie die Klägerin in ihrem Grundrecht nach Art. 4 Absatz 1 und 2 GG.

Das erkennende Gericht ist nicht gehindert, das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland anzuwenden.

Dem steht insbesondere nicht die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 22.10.1986 (2 BvR 197/83; juris) entgegen. Der Kern dieser Entscheidung besteht darin, dass Art. 177 EWGV dem Europäischen Gerichtshof die Entscheidungsbefugnis über die Auslegung des Vertrages sowie über die Gültigkeit und die Auslegung der dort genannten abgeleiteten gemeinschaftsrechtlichen Akte zuspreche. Solange die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs einen wirksamen Schutz der Grundrechte gegenüber der Hoheitsgewalt der Gemeinschaften generell gewährleiste, der dem vom Grundgesetz als unabdingbar gebotenen Grundrechtsschutz im Wesentlichen gleich zu achten sei, zumal den Wesensgehalt der Grundrechte generell verbürge, werde das Bundesverfassungsgericht seine Gerichtsbarkeit über die Anwendbarkeit von abgeleitetem Gemeinschaftsrecht, das als Rechtsgrundlage für ein Verhalten deutscher Gerichte im Hoheitsbereich der Bundesrepublik Deutschland in Anspruch genommen werde, nicht mehr ausüben und dieses Recht mithin nicht mehr am Maßstab der Grundrechte des Grundgesetzes überprüfen.

Vorliegend geht es indes nicht um die Auslegung von Gemeinschaftsrecht, sondern um die Anwendung und Subsumtion des § 106 GewO auf den vorliegenden Sachverhalt, insbesondere darum, ob die Beklagte das ihr eingeräumte Ermessen in billiger Weise ausgeübt hat.

Die Anweisung der Beklagten, die Klägerin dürfe die Arbeit nur ohne Kopftuch verrichten, verletzt die Klägerin in ihrem Grundrecht auf Religionsfreiheit, Art. 4 Absatz 1 und 2 GG.

Art. 4 GG ist zwar zunächst ein Recht, das dem Bürger gegenüber dem Staat zusteht. Den Grundrechten kommt indes eine Drittwirkung zu. Dabei sind alle Grundrechte im Ausgangspunkt als gleichrangig anzusehen.

Sind bei der Auslegung und Anwendung einfachrechtlicher Normen mehrere Deutungen möglich, so verdient nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, der das erkennende Gericht folgt, diejenige den Vorzug, die den Wertentscheidungen der Verfassung entspricht und die die Grundrechte der Beteiligten möglichst weitgehend in praktischer Konkordanz zur Geltung bringt. Der Einfluss der Grundrechte auf die Auslegung und Anwendung der zivilrechtlichen Normen ist nicht auf Generalklauseln beschränkt, sondern erstreckt sich auf alle auslegungsfähigen und -bedürftigen Tatbestandsmerkmale der zivilrechtlichen Vorschriften. Dabei gibt das Grundgesetz den Zivilgerichten regelmäßig keine bestimmte Entscheidung vor (Bundesverfassungsgericht ‒ Beschluss vom 08.02.2018 ‒ 1 BvR 2112/15; juris).

Die Frage, ob die Beklagte ihr Ermessen in billiger Weise ausgeübt hat, ist ein solcher Fall.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts enthält Art. 4 Absatz 1 und 2 GG ein umfassend zu verstehendes einheitliches Grundrecht. Es erstreckt sich nicht nur auf die innere Freiheit zu glauben oder nicht zu glauben, das heißt einen Glauben zu haben, zu verschweigen, sich vom bisherigen Glauben loszusagen und einem anderen Glauben zuzuwenden, sondern auch auf die äußere Freiheit, den Glauben zu bekunden und zu verbreiten, für seinen Glauben zu werben und andere von ihrem Glauben abzuwerben. Umfasst sind damit nicht allein kultische Handlungen und die Ausübung und Beachtung religiöser Gebräuche, sondern auch die religiöse Erziehung sowie andere Äußerungsformen des religiösen und weltanschaulichen Lebens. Dazu gehört auch das Recht der Einzelnen, ihr gesamtes Verhalten an den Lehren ihres Glaubens auszurichten und dieser Überzeugung gemäß zu handeln, also glaubensgeleitet zu leben; dies betrifft nicht nur imperative Glaubenssätze. Bei der Würdigung dessen, was im Einzelfall als Ausübung von Religion und Weltanschauung zu betrachten ist, darf das Selbstverständnis der jeweils betroffenen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften und des einzelnen Grundrechtsträgers nicht außer Betracht bleiben. Die Musliminnen, die ein in der für ihren Glauben typischen Weise gebundenes Kopftuch tragen, können sich dafür auf den Schutz der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit aus Art. 4 Absatz 1 und 2 GG berufen. Darauf, dass im Islam unterschiedliche Auffassungen zum sogenannten Bedeckungsgebot vertreten werden, kommt es insoweit nicht an, da die religiöse Fundierung der Bekleidungswahl nach geistigem Gehalt und äußerer Erscheinung jedenfalls hinreichend plausibel ist (Bundesverfassungsgericht ‒ Beschluss vom 27.06.2017 ‒ 2 BvR 1333/17; juris).

Die Klägerin hat, zuletzt in der Sitzung am 27.03.2018, dargelegt, dass sie das Kopftuch aus religiösen Gründen trägt. Es ist nicht Sache der Gerichte, zu prüfen, ob die religiösen Überzeugungen der Klägerin dogmatisch „richtig“ oder zwingend sind.

Muss die Klägerin die Weisung der Beklagten befolgen, würde dies bedeuten, dass die Klägerin ihren Glauben im Arbeitsverhältnis mit der Beklagten nicht leben könnte.

Allerdings ist vorliegend nicht nur das Grundrecht der Klägerin auf Ausübung ihrer Religion betroffen. Einerseits ist das Grundrecht der Klägerin auf Religionsfreiheit tangiert, andererseits das Grundrecht der Beklagten auf die freie Ausübung ihrer Unternehmerschaft, Art. 12, 2 Absatz 1 GG.

Die unternehmerische Freiheit, geschützt durch die Art. 12 und Art. 2 Absatz 1 GG, umfasst das Recht auf wirtschaftliche Betätigung nach einem bestimmten unternehmerischen Konzept. Hierzu gehören insbesondere auch die Gestaltung des Betriebs sowie die Entscheidung über das Erscheinungsbild nach außen. Daher kann der Arbeitgeber grundsätzlich auch darauf Einfluss nehmen, wie seine Mitarbeiter gekleidet sind.

Kann sich jeder Vertragspartner auf ein Grundrecht berufen, bedarf es einer Abwägung der wechselseitig geschützten Grundrechtspositionen im Einzelfall, deren Ergebnis durch die Verfassung selbst nicht abschließend vorgegeben ist. Es ist vielmehr in erster Linie Sache der Gerichte, bezogen auf den konkreten Streitfall und das je betroffene Arbeitsverhältnis abzuwägen, ob im Einzelfall eine bestimmte Erwartungshaltung an das Verhalten des Arbeitnehmers eine bestimmte Maßnahme des Arbeitgebers rechtfertigen kann, wenn der Arbeitnehmer sich im Rahmen seiner grundrechtlich geschützten Freiheiten nicht in der Lage sieht, den an ihn herangetragenen Erwartungshaltungen gerecht zu werden (Bundesverfassungsgericht ‒ Beschluss vom 30.07.2003 ‒ 1 BvR 792/03; juris).

Die Abwägung der beiden Grundrechtspositionen führt im vorliegenden Fall dazu, dass der Religionsfreiheit der Klägerin gegenüber der unternehmerischen Freiheit der Beklagten der Vorzug zu geben ist.

Dass die Beklagte wirtschaftliche Nachteile zu gewärtigen hat, insbesondere Kunden abgehalten werden, bei ihr einzukaufen, ist nicht feststellbar. Insoweit wird auf die obigen Ausführungen Bezug genommen.

Die Beklagte kann sich auch nicht darauf berufen, sie wolle mögliche betriebliche Konflikte verhindern, insbesondere die negative Glaubensfreiheit der übrigen Mitarbeiter schützen.

Hierzu ist im Grundsatz auszuführen, dass die negative Glaubens- und Bekenntnisfreiheit kein Recht darauf vermittelt, nicht mit fremden oder überhaupt Glaubensbekundungen konfrontiert zu werden. Die Einzelnen haben in einer Gesellschaft, die unterschiedlichen Glaubensüberzeugungen Raum gibt, kein Recht darauf, von der Konfrontation mit ihnen fremden Glaubensbekundungen, kultischen Handlungen und religiösen Symbolen verschont zu bleiben (Bundesverfassungsgericht ‒ Beschluss vom 27.06.2017 ‒ 2 BvR 1333/17; juris). Insbesondere hat jeder Anspruch darauf, dass ein Andersgläubiger die Zugehörigkeit zu einer fremden oder gar keinen Glaubensbekundung respektiert.

Dies schließt nicht grundsätzlich aus, dass Beschränkungen der religiösen Freiheit im Arbeitsverhältnis geboten sein können, beispielsweise wenn die religiöse Haltung die ordnungsgemäße Erfüllung der arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeit beeinträchtigt oder andere Mitarbeiter in nicht hinnehmbarer Weise mit der (fremden) Glaubensbekundung konfrontiert werden.

Hierzu hat die Beklagte jedenfalls in Bezug auf die Klägerin nichts vorgetragen.

Die von der Beklagten vorgetragenen Beispiele ‒ Weigerung eines Bewerbers, einer Frau die Hand zu geben, Zurückweisung von Wein durch einen muslimischen Mitarbeiter, Weigerung einer Zeugin Jehovas, Kriegsspielzeug zu kommissionieren ‒ stehen nicht mit dem Tragen religiöser Zeichen in Verbindung, sondern sind unmittelbar Ausfluss religiöser Überzeugungen und haben sich auf das Verhalten der Mitarbeiter ausgewirkt. So hätte das Verbot, die eigene religiöse oder sonstige Überzeugung durch äußere Zeichen sichtbar zu machen, keinen der von der Beklagten vorgetragenen Konflikte vermeiden können. Vielmehr sind diese darauf zurückzuführen, dass die Mitarbeiter jeweils ihre Überzeugung anderen als die richtige aufoktruyieren wollten.

Dass die Klägerin die von ihr geschuldete Tätigkeit mit Kopftuch nicht ausüben könnte, behauptet die Beklagte selbst nicht.

Nachdem die Beklagte keine ausreichende Beeinträchtigung ihrer wirtschaftlichen bzw. unternehmerischen Betätigung vorgetragen hat, insbesondere negative Auswirkungen religiöser Zeichen nicht ersichtlich sind, geht die Grundrechtsabwägung zugunsten der Klägerin aus.

Hinsichtlich der Verurteilung zur Zahlung der Vergütung wird auf die Gründe des Ersturteils Bezug genommen, § 69 Absatz 2 ArbGG. Die Beklagte hat insbesondere bezüglich der Berechnung und der Höhe der einzelnen Ansprüche keine Einwendungen erhoben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Absatz 1 ZPO.

Die Revision war gemäß § 72 Absatz 2 Nr. 1 ArbGG zuzulassen.

(1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.

(2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.

(3) Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.