Bundessozialgericht Urteil, 01. Juni 2017 - B 5 R 2/16 R

ECLI:ECLI:DE:BSG:2017:010617UB5R216R0
bei uns veröffentlicht am01.06.2017

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 19. November 2015 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Aufhebung der Bewilligung einer Halbwaisenrente und die Rückforderung überzahlter Rentenleistungen.

2

Die Beklagte gewährte der im April 1991 geborenen Klägerin aus der Versicherung ihres im Mai 2010 verstorbenen Vaters ab 1.8.2010 Halbwaisenrente (Bescheid vom 12.7.2010). Die Halbwaisenrente war befristet bis zum voraussichtlichen Ende der Ausbildung der Klägerin zur staatlich anerkannten Erzieherin an der Fachschule Sozialpädagogik in P. (30.6.2012). Nach der Geburt ihres Sohnes am 27.3.2011 befand sich die Klägerin bis zum 26.5.2011 in Mutterschutz. Ab 27.5.2011 nahm sie Elternzeit in Anspruch und war seither vom Unterricht freigestellt. Nach den Feststellungen des LSG hatte die Klägerin die ernstliche Absicht, nach Ablauf der Elternzeit die unterbrochene Berufsausbildung fortzusetzen. Zum 1.8.2012 nahm die Klägerin ihre Ausbildung wieder auf und bezog Halbwaisenrente.

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Im Oktober 2011 setzte die Klägerin die Beklagte von der Unterbrechung ihrer Berufsausbildung in Kenntnis. Nach vorheriger Anhörung hob die Beklagte den Bescheid vom 12.7.2010 mit Wirkung ab dem 1.6.2011 auf und forderte von der Klägerin für die Monate Juni bis Oktober 2011 Erstattung überzahlter Halbwaisenrente in Höhe von 1010,96 Euro. Durch die ab 1.8.2004 geltende Neufassung des § 48 Abs 4 SGB VI(idF von Art 1 Nr 6 Buchst a RV-Nachhaltigkeitsgesetz vom 21.7.2004, BGBl I 1791) sei klargestellt, dass "für Zeiten des Erziehungsurlaubs" kein Anspruch auf Halbwaisenrente bestehe (Bescheid vom 24.11.2011 und Widerspruchsbescheid vom 15.3.2012).

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Das SG hat unter Bezugnahme auf die Urteile des 13. Senats vom 26.1.2000 - B 13 RJ 53/99 R - (BSG SozR 3-2600 § 48 Nr 3) und vom 17.4.2008 - B 13/4 R 49/06 R - (BSGE 100, 210 = SozR 4-2600 § 48 Nr 3)den Bescheid der Beklagten vom 24.11.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.3.2012 aufgehoben (Urteil vom 11.6.2013). Das LSG hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 19.11.2015). Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Ausbildung der Klägerin sei durch die Elternzeit lediglich unterbrochen worden. Die Unterbrechung der Ausbildung durch die Elternzeit sei für den Waisenrentenanspruch der Klägerin unschädlich gewesen. Zwar treffe es zu, dass mit der Neufassung von § 48 Abs 4 SGB VI eine gesetzliche Klarstellung im Zusammenhang mit der Waisenrentengewährung an volljährige Hinterbliebene in Schul- oder Berufsausbildung erfolgt sei. Dem Gesetzgebungsverfahren sei jedoch nicht zu entnehmen, dass damit eine abschließende (Neu-)Regelung der bislang vom BSG entwickelten Kasuistik vorgenommen werden sollte (vgl auch BSGE 100, 210 = SozR 4-2600 § 48 Nr 3 und BSG Urteil vom 1.7.2010 - B 13 R 86/09 R - SozR 4-2600 § 48 Nr 4 zur alten Rechtslage). Die vom BSG (BSGE 80, 205 = SozR 3-2200 § 1267 Nr 5 und BSG SozR 3-2600 § 48 Nr 3) für seine Rechtsprechung bislang maßgeblich angeführte Gefahr eines Wertungswiderspruchs sei durch die gesetzliche Neuregelung in keiner Weise gemindert. Zum einen solle mit der gesetzlich eingeräumten Elternzeit und mit dem Elterngeld die Kindererziehung in den ersten Lebensjahren gefördert werden. Andererseits solle aber die Waisenrente eines in Berufsausbildung befindlichen Elternteils wegfallen, wenn er Elternzeit in Anspruch nehme. Der Wertungswiderspruch erscheine noch relevanter, wenn zwar die Ableistung eines freiwilligen sozialen oder eines freiwilligen ökologischen Jahres als waisenrentenunschädlich bewertet werde (§ 48 Abs 4 S 1 Nr 2 Buchst c SGB VI), die Unterbrechung einer Schul- oder Berufsausbildung zur Klein(st)kindererziehung zum Verlust des Anspruchs auf Rente führen würde. Eine erziehungsbedingte Ausbildungsunterbrechung führe zudem typischerweise nicht zum Wegfall des zivilrechtlichen Unterhaltsanspruchs gegenüber einem lebenden Unterhaltsverpflichteten. Da die Aufhebung der Rentenbewilligung für die Klägerin mithin bereits mangels einer wesentlichen Änderung iS von § 48 Abs 1 S 1 SGB X rechtswidrig sei, könne offenbleiben, ob und inwieweit die Klägerin aufgrund etwaiger telefonischer Informationen der Beklagten oder aus sonstigen Gründen auf den Fortbestand der Rentenbewilligung vertrauen durfte.

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Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung von § 48 Abs 4 SGB VI. In § 48 Abs 4 S 3 und 4 SGB VI nF seien die waisenrentenunschädlichen Unterbrechungstatbestände ausdrücklich normiert worden. Der Gesetzgeber habe entgegen der bisherigen Rechtsprechung des BSG (BSGE 80, 205 = SozR 3-2200 § 1267 Nr 5 und BSG SozR 3-2600 § 48 Nr 3) die Elternzeit - welche von § 48 Abs 4 S 3 und 4 SGB VI nicht erfasst werde - nicht als unschädlichen Unterbrechungstatbestand aufgeführt. Angesichts des Wortlauts der seit 1.8.2004 geltenden Fassung würde auch der 13. Senat (Terminbericht Nr 58/13 vom 12.12.2013 zum Revisionsverfahren B 13 R 12/11 R) dazu neigen, an seiner bisherigen Rechtsprechung nicht weiter festzuhalten. Mit dieser Rechtsauffassung stimme die Entscheidung des LSG Baden-Württemberg vom 1.2.2011 (L 11 R 813/10 - NZS 2012, 23) überein, welche von der Kommentarliteratur unterstützt werde. Ein Anspruch auf Waisenrente während der Elternzeit komme nur in Betracht, wenn die Ausbildung während der Elternzeit im Rahmen eines wöchentlichen Zeitaufwandes von mehr als 20 Stunden weitergeführt werde oder der Zeitraum zwischen dem Ende der Mutterschutzfrist nach § 6 Abs 1 des Gesetzes zum Schutz der erwerbstätigen Mutter (MuSchG) und der Wiederaufnahme der Ausbildung nicht mehr als vier Kalendermonate umfasst; keiner dieser Ausnahmefälle habe bei der Klägerin vorgelegen.

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Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Aurich vom 11. Juni 2013 und das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 19. November 2015 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

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Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

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Sie hält die Urteile des SG und des LSG für zutreffend.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Revision der Beklagten ist im Sinne der Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und der Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet (vgl § 170 Abs 2 SGG). Eine Entscheidung in der Sache kann der Senat nicht treffen, weil weitere Tatsachenfeststellungen des LSG erforderlich sind.

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1. Der Bescheid vom 24.11.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.3.2012 verlautbart neben der Aufhebung des Verwaltungsakts über die Bewilligung der Halbwaisenrente ab 1.6.2011 im Bescheid vom 12.7.2010 die Feststellung der Überzahlung iHv 1010,96 Euro für die Zeit vom 1.6. bis 31.10.2011 und ein entsprechendes Zahlungsgebot an die Klägerin (vgl BSG SozR 3-1200 § 42 Nr 9 S 33). Das maßgebliche Begehren der Klägerin (§ 123 SGG) ist auf die Aufhebung aller drei Verwaltungsakte (§ 31 SGB X) im Wege der zulässigen objektiven Häufung (§ 56 SGG) von drei isolierten Anfechtungsklagen (§ 54 Abs 1 S 1 Alt 1 SGG) gerichtet (Senatsurteil vom 9.10.2012 - B 5 R 8/12 R - BSGE 112, 74, 76 = SozR 4-1300 § 45 Nr 10, RdNr 14).

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2. Nach § 48 Abs 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Wesentlich sind alle Änderungen, die dazu führen, dass die Behörde unter den nunmehr objektiv vorliegenden Verhältnissen den Verwaltungsakt nicht hätte erlassen dürfen. Die Feststellung einer wesentlichen Änderung richtet sich damit nach dem für die Leistung maßgeblichen materiellen Recht (BSG Urteil vom 21.3.2007 - B 11a AL 31/06 R - SozR 4-4300 § 118 Nr 1 RdNr 14 mwN).

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Mit der Inanspruchnahme von Elternzeit der Klägerin ab 27.5.2011 ist eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen iS des § 48 Abs 1 S 1 SGB X eingetreten, die beim Erlass des Bewilligungsbescheides vorgelegen haben. Denn ab diesem Zeitpunkt befand sich die Klägerin nicht weiter in einer Berufsausbildung iS des § 48 Abs 4 S 1 Nr 2 Buchst a SGB VI(in der hier anwendbaren, in der Zeit vom 1.6.2008 bis 2.5.2011 geltenden Fassung des Gesetzes zur Förderung von Jugendfreiwilligendiensten vom 16.5.2008, BGBl I 842). Die abweichende Auffassung des LSG, die Elternzeit der Klägerin sei eine rentenunschädliche Unterbrechungszeit, welche das begonnene Ausbildungsverhältnis der Klägerin fortbestehen lasse, verletzt Bundesrecht (§ 163 SGG).

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a) Gemäß § 48 Abs 1 SGB VI haben Kinder nach dem Tod eines Elternteils Anspruch auf Halbwaisenrente, wenn sie noch einen Elternteil haben, der unbeschadet der wirtschaftlichen Verhältnisse unterhaltspflichtig ist, und der verstorbene Elternteil die allgemeine Wartezeit erfüllt hat. Die Dauer des Anspruchs auf Halbwaisenrente ist abhängig von ihrem Alter. Er besteht stets bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres (§ 48 Abs 4 S 1 Nr 1 SGB VI), darüber hinaus nur dann, wenn einer der Tatbestände des § 48 Abs 4 S 1 Nr 2 - ggf iVm Abs 5 - SGB VI erfüllt ist(vgl BSG SozR 4-2600 § 48 Nr 4 RdNr 18 mwN). Die Klägerin, die im streitigen Zeitraum ihr 18. Lebensjahr (hier: 13.4.2009) bereits vollendet hatte, erfüllte während ihrer Elternzeit keinen dieser gesetzlichen Verlängerungstatbestände.

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aa) Mit dem LSG ist davon auszugehen, dass die Elternzeit der Klägerin tatbestandlich nicht als Übergangszeit iS von § 48 Abs 4 S 1 Nr 2 Bucht b SGB VI anzurechnen ist. Danach besteht ein Anspruch auf Halb- oder Vollwaisenrente längstens bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres, wenn die Waise sich in einer Übergangszeit von höchstens vier Kalendermonaten befindet, die zwischen zwei Ausbildungsabschnitten oder zwischen einem Ausbildungsabschnitt und der Ableistung des gesetzlichen Wehr- oder Zivildienstes oder der Ableistung eines freiwilligen Dienstes liegt. Kennzeichnend für eine Übergangszeit zwischen zwei Ausbildungsabschnitten ist, dass ein Ausbildungsabschnitt nicht mehr oder noch nicht vorliegt und die unvermeidbare Zwangspause gleichwohl einer Ausbildungszeit zugerechnet wird, während im Fall einer Unterbrechungszeit ein begonnenes Ausbildungsverhältnis als rechtlich fortbestehend behandelt wird (vgl BSG SozR 3-2600 § 48 Nr 3 - Juris RdNr 24 zu § 48 Abs 4 Nr 2 SGB VI aF). Die Berufsausbildenden Schulen P. haben der Klägerin mit Bescheinigung vom 6.10.2011 bestätigt, dass auf ihren Antrag hin das Ausbildungsverhältnis wegen Elternzeit zum Ruhen gekommen und eine Fortsetzung zum Schuljahr 2012/13 durch Neuanmeldung möglich ist. Zu Recht hat das LSG hieraus geschlossen, dass die Ausbildung der Klägerin lediglich tatsächlich, nicht aber rechtlich unterbrochen war und deshalb das Fortbestehen der Berufsausbildung allenfalls durch eine unschädliche Unterbrechungszeit begründet werden kann.

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bb) Entgegen der Rechtsauffassung des LSG führt die Unterbrechung der Berufsausbildung wegen der Inanspruchnahme von Elternzeit zu einem Wegfall des Anspruchs der Klägerin auf Waisenrente. Die bisherige Rechtsprechung des BSG (BSGE 80, 205 = SozR 3-2200 § 1267 Nr 5 und BSG SozR 3-2600 § 48 Nr 3) zur Rentenunschädlichkeit einer Unterbrechungszeit wegen Erziehungsurlaub kann nicht fortgeführt werden, weil die zum 1.8.2004 in Kraft getretene Neufassung des § 48 Abs 4 Nr 2 SGB VI ihr die gesetzliche Grundlage entzogen hat.

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Der Wortlaut der bis zum 31.7.2004 gültigen Fassung des § 48 Abs 4 Nr 2 SGB VI(BGBl I 1989, 2261; 1990 I 1337 bzw zuvor des § 1267 Abs 4 Nr 2 RVO) war geprägt durch seine relative Weite und inhaltliche Unschärfe. Ein Anspruch auf Waisenrente bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres bestand ua dann, wenn die Waise sich in Schulausbildung oder Berufsausbildung befand. Das BSG hat das "Sich-in-Schul-oder-Berufsausbildung-Befinden" seit jeher nicht nur rein begrifflich verstanden, sondern nach Sinngehalt und am Normzweck orientiert ausgelegt. Als Berufsausbildung hat es eine Ausbildung anerkannt, die einem zukünftigen, gegen Entgelt auszuübenden Beruf dient, sofern sie Zeit und Arbeitskraft des Kindes zumindest überwiegend beansprucht (BSG SozR 2200 § 1267 Nr 19). Auch sind Zeiten einer vorübergehenden, wenngleich längeren Krankheit (BSG SozR Nr 16 zu § 1267 RVO) ebenso als Berufsausbildung gewertet worden wie die Zeit einer schwangerschaftsbedingten Unterbrechung innerhalb der Mutterschutzfristen (BSG SozR 3-2600 § 48 Nr 3 und SozR Nr 34 zu § 1262 RVO), jedenfalls solange das Ausbildungsverhältnis nicht rechtswirksam beendet worden war und sowohl Ausbilder wie auch Waise den erkennbaren Willen hatten, nach der Wiedergenesung bzw nach Ablauf der Mutterschutzfristen die Ausbildung fortzusetzen. Über diese anerkannten Unterbrechungstatbestände hinaus hat der erkennende Senat in extensiver Auslegung des Begriffs der Schul- und Berufsausbildung entschieden, dass auch die Zeit der Unterbrechung dieser Ausbildung wegen der Inanspruchnahme von Kindererziehungsurlaub rentenunschädlich sei, weil die Aufnahme einer Berufstätigkeit während dieser Zeit unzumutbar sei. Dies ergebe sich aus Sinn und Zweck der Gewährung von Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub (BSGE 80, 205, 208 = SozR 3-2200 § 1267 Nr 5 S 22). Der 13. Senat hat sich dieser Rechtsauffassung angeschlossen (Urteil vom 26.1.2000 - B 13 RJ 53/99 R - SozR 3-2600 § 48 Nr 3).

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Durch das Rentenversicherungs-Nachhaltigkeitsgesetz (RVNG) vom 21.7.2004 (aaO) ist § 48 Abs 4 SGB VI zum 1.8.2004 unter Einbeziehung der bisherigen Rechtsprechung des BSG neu gefasst worden. Nach S 2 des § 48 Abs 4 SGB VI liegt eine Berufsausbildung iS des § 48 Abs 4 S 1 Nr 2 Buchst a SGB VI nur vor, wenn die Ausbildung einen tatsächlichen zeitlichen Aufwand von wöchentlich mehr als 20 Stunden erfordert. Nach S 3 ist der tatsächliche zeitliche Aufwand ohne Bedeutung für Zeiten, in denen das Ausbildungsverhältnis trotz einer Erkrankung fortbesteht und damit gerechnet werden kann, dass die Ausbildung fortgesetzt wird. Nach S 4 gilt dies auch für die Dauer der Schutzfristen nach dem MuSchG. Aufgrund der Neufassung des § 48 Abs 4 SGB VI kann an der Rechtsprechung des BSG zum Unterbrechungstatbestand des Erziehungsurlaubs nicht mehr festgehalten werden.

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(1) Nach dem abschließenden Wortlaut des § 48 Abs 4 SGB VI sind als Unterbrechungstatbestände allein die Erkrankung sowie die Schutzfristen nach dem MuSchG aufgeführt. Zeiten der Kindererziehung bzw Elternzeit werden nicht genannt.

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(2) Für diese Auslegung sprechen auch gesetzessystematische Erwägungen. Die Interpretation einer Norm bedarf der Berücksichtigung ihres Kontexts, also ihres Bedeutungszusammenhangs und der ihr zugrunde liegenden begrifflichen Systematik. Insoweit gilt es, das in § 48 Abs 4 SGB VI niedergelegte Regel-Ausnahme-Verhältnis zu beachten(vgl hierzu Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl 1991, S 353 ff). Dass § 48 Abs 4 S 1 Nr 2 SGB VI keine Ausnahmeregelung im Verhältnis zu § 48 Abs 4 S 1 Nr 1 SGB VI, sondern als erweiternder Leistungstatbestand allenfalls eine lex specialis darstellt, ist durch die Rechtsprechung des Senats geklärt(vgl BSGE 80, 205, 208 = SozR 3-2200 § 1267 Nr 5 S 22). Abweichendes gilt indes für den normativen Gehalt der S 3 und 4. Sie sind sowohl der Formulierung als auch der Sache nach als Ausnahme von dem in S 2 niedergelegten Grundsatz des für die Annahme einer Ausbildung erforderlichen tatsächlichen zeitlichen Aufwands von wöchentlich mehr als 20 Stunden ausgestaltet. Als Ausnahmevorschriften sind sie nach allgemeinen Auslegungsgrundsätzen eng auszulegen und einer erweiternden Auslegung grundsätzlich nicht zugängig. Wollte man sich nicht in Widerspruch zu den S 2 bis 4 und das diesen zugrunde liegende Regel-Ausnahmeverhältnis im Sinne von deren innerer Logik setzen, hätte es zur Fortgeltung des bislang von der Rechtsprechung anerkannten Unterbrechungstatbestandes der Kindererziehung einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung bedurft, die der Gesetzgeber nicht getroffen hat.

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(3) Diese Auslegung wird auch durch die Entstehungsgeschichte gestützt. Danach erweist sich die Neufassung des § 48 Abs 4 SGB VI durch Art 1 Nr 6 Buchst a RVNG als Reaktion des Gesetzgebers auf die Rechtsprechung des BSG zu den Unterbrechungs- und Übergangszeiten, welche der mangelnden inhaltlichen Ausgestaltung der bis dahin geltenden Regelung geschuldet war. Die Gesetzesmaterialien lassen dabei den Willen, nur einen Teil dieser gefestigten Rechtsprechung übernehmen zu wollen, deutlich erkennen.

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So verweist die Bundesregierung in den einleitenden Erläuterungen zum Gesetzentwurf zur Sicherung der nachhaltigen Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung auch auf Regelungen, "die nicht in erster Linie unter dem Aspekt der Sicherung der nachhaltigen Finanzierungsgrundlagen zu sehen" seien. Hierzu rechneten "Änderungen, die sich aufgrund der jüngeren Rechtsprechung des Bundessozialgerichts" ergäben, sowie nicht näher umschriebene "Klarstellungen" (BR-Drucks 1/04 S 2 f). Diese Änderungen und Klarstellungen sollen zwar nicht in erster Linie, aber doch auch dem übergreifenden Ziel dieses Gesetzes dienen, nämlich die nachhaltige Finanzierung der gesetzlichen Rentenversicherung sicherzustellen (vgl BSG Teilurteil vom 1.7.2010 - B 13 R 86/09 R - SozR 4-2600 § 48 Nr 4 RdNr 26; BR-Drucks 1/04 S 2 und S 39 f).

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Die im besonderen Teil der Entwurfsbegründung enthaltenen präzisierenden Erläuterungen sprechen ebenfalls für die Sichtweise des Senats. Dort wird ausgeführt, mit der Änderung des § 48 Abs 4 SGB VI werde "der Rechtsprechung des BSG gefolgt, nach der während so genannter Übergangszeiten, die zwischen zwei Ausbildungsabschnitten oder dem Wehr- oder Zivildienst liegen und aus organisatorischen Gründen für die Waisen regelmäßig unvermeidlich sind, die Waisenrente weiter geleistet wird". Darüber hinaus werde "klargestellt, dass für die Voraussetzungen für das Vorliegen einer Ausbildung die Rechtsprechung des BSG zu Anrechnungszeiten gilt" (BR-Drucks 1/04 S 49 f). Der 13. Senat (Teilurteil vom 1.7.2010, aaO, RdNr 27) hat hieraus den zutreffenden Schluss gezogen, dass aus dieser Formulierung nicht gefolgert werden könne, der Gesetzgeber habe die Rechtsprechung des BSG in jeglicher Hinsicht unverändert normativ abgebildet. Denn in diesem Fall hätte der Gesetzgeber nicht tätig werden müssen. Vielmehr wollte er mit der Neufassung des § 48 Abs 4 SGB VI erkennbar nur diejenigen von der Rechtsprechung als rentenunschädlich anerkannten Unterbrechungstatbestände kodifizieren, die er auch fortgeführt wissen wollte. Die Rechtsprechung des BSG zur Unterbrechungszeit durch Kindererziehung ist in der Vorschrift des § 48 Abs 4 SGB VI nicht niedergelegt, eine Weitergeltung scheidet damit aus.

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(4) Auch die Auslegung nach dem Sinn und Zweck des § 48 Abs 4 SGB VI gebietet kein anderes Verständnis. Die Waisenrente hat nach der ständigen Rechtsprechung des BSG Unterhaltsersatzfunktion, weil sie nach dem durch Tod bedingten Wegfall eines bis dahin unterhaltspflichtigen Versicherten eine finanzielle Unterstützung seitens der Versichertengemeinschaft sichern soll, bis die Waise - zumindest in dem durch die gesetzten zeitlichen Grenzen umschriebenen Regelfall - selbst in der Lage ist, für den eigenen Unterhalt aufzukommen (Senatsurteil vom 17.4.2007 - B 5 R 62/06 R - SozR 4-2600 § 58 Nr 8 - Juris RdNr 26). In den Fällen des § 48 Abs 4 S 1 Nr 2 Buchst a und b SGB VI ersetzt der Anspruch auf Waisenrente dabei in stark pauschalierender Weise den Ausbildungsunterhalt, den der Versicherte gemäß §§ 1601, 1602 Abs 1, § 1610 BGB hätte gewähren müssen, wenn er nicht verstorben wäre(vgl BSG Urteile vom 18.6.2003 - B 4 RA 37/02 R - SozR 4-2600 § 48 Nr 2 RdNr 17; vom 17.4.2007 - B 5 R 62/06 R - SozR 4-2600 § 58 Nr 8 RdNr 26 und vom 17.4.2008 - B 13/4 R 49/06 R - BSGE 100, 210 = SozR 4-2600 § 48 Nr 3, RdNr 18, 20). Wäre daher zivilrechtlich vom Versicherten typischerweise kein Unterhalt zu leisten, besteht auch kein Anlass, einen nicht bestehenden Unterhaltsanspruch durch Zahlung einer Waisenrente zu Lasten der gesetzlichen Rentenversicherung zu "kompensieren" (vgl BSG Urteil vom 18.6.2003 aaO RdNr 17 aE). So liegen die Dinge hier. Typischerweise richtet sich der Unterhaltsanspruch des ein Kleinkind betreuenden Elternteils gegen den anderen Elternteil des Kindes (vgl §§ 1360 f, 1361, 1570, 1615l BGB). Nur wenn dieser ausnahmsweise nicht leistungsfähig ist oder die Rechtsverfolgung gegen ihn erheblich erschwert oder ausgeschlossen ist, kommt eine ersatzweise Unterhaltspflicht der Eltern des betreuenden Elternteils in Betracht (vgl BFH Urteil vom 24.9.2009 - III R 79/06 - Juris RdNr 19). Allein die vom Senat vorgenommene Auslegung des § 48 Abs 4 SGB VI setzt demnach die Unterhaltsersatzfunktion der Waisenrente typisierend und in Übereinstimmung mit der unterhaltsrechtlichen Rechtslage um.

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(5) Dem LSG ist darin beizupflichten, dass das die bisherige Rechtsprechung tragende Argument der Gefahr eines Wertungswiderspruchs im Grundsatz unverändert gilt (vgl §§ 3 und 10 f des Gesetzes zum Elterngeld und zur Elternzeit). Ein solcher liegt vor, wenn auf der einen Seite mit der gesetzlich eingeräumten Elternzeit und mit der Sozialleistung Elterngeld die Kindererziehung in den ersten Lebensjahren gefördert werden soll, auf der anderen Seite aber die Waisenrente eines in Berufsausbildung befindlichen Elternteils wegfallen soll, wenn er Elternzeit in Anspruch nimmt. Gleichwohl hat die gesetzliche Neuregelung den Tatbestand des § 48 Abs 4 SGB VI bewusst enger geführt, sodass an der bisherigen extensiven Auslegung des Begriffs der Schul- und Berufsausbildung nicht festgehalten werden kann.

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(6) Insbesondere ist dieser Wertungswiderspruch nicht im Wege gesetzesimmanenter richterlicher Rechtsfortbildung durch eine analoge Anwendung des § 48 Abs 4 Nr 2 SGB VI aufzulösen, denn eine Gesetzeslücke scheidet aus. Eine Gesetzeslücke liegt vor, wenn ein Gesetz planwidrig unvollständig und damit ergänzungsbedürftig ist und wenn ihre Ergänzung nicht einer vom Gesetzgeber beabsichtigten Beschränkung auf bestimmte Tatbestände widerspricht. Der dem Gesetz zugrunde liegende Regelungsplan ist aus sich selbst heraus im Wege der historischen und teleologischen Auslegung zu erschließen (vgl Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl 1991, S 373; ders, NJW 1965, 1, 2). Eine Planwidrigkeit ist aber nicht schon dann gegeben, wenn eine erwünschte Ausnahmeregelung fehlt oder eine gesetzliche Regelung aus sozial- oder rechtspolitischen Erwägungen als unbefriedigend empfunden wird (BSG Urteil vom 18.9.2012 - B 2 U 11/11 R - BSGE 112, 43 = SozR 4-2700 § 90 Nr 2, RdNr 38). Sie muss aufgrund konkreter Umstände positiv festgestellt werden können, weil andernfalls jedes Schweigen des Gesetzgebers - und das ist der Normalfall, wenn er etwas nicht regeln will - als planwidrige Lücke im Wege der Analogie von den Gerichten ausgefüllt werden könnte (BGHZ 167, 178, 185). Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Gesetzgeber in Kenntnis der bisherigen Rechtsprechung des BSG die rentenunschädlichen Unterbrechungstatbestände nur unvollständig erfasst hätte. Vielmehr nehmen die durch die Neuregelung gesetzlich verankerten Unterbrechungstatbestände diejenigen Fallgestaltungen auf, für die der Gesetzgeber typisierend davon ausgeht, dass ein Eintreten der Versichertengemeinschaft auch über das 18. Lebensjahr des Waisen hinaus angemessen ist und vom Sinn und Zweck der Waisenrente getragen wird. Wie der Senat bereits dargelegt hat, sprechen weder historische noch teleologische Gesichtspunkte dafür, dass die jetzige Regelung hinter dem Plan des Gesetzgebers zurückgeblieben ist und der Kreis der Anspruchsberechtigten nur im Sinne einer "planwidrigen Unvollständigkeit" erfasst worden wäre. Es spricht im Gegenteil alles dafür, dass der Gesetzgeber bewusst von einer waisenrentenrechtlichen Gleichstellung von krankheits- und mutterschutzbedingten Unterbrechungszeiten und der einer der Mutterschutzzeit nachfolgenden Elternzeit abgesehen hat.

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cc) Der Wegfall des Anspruchs auf Waisenrente bei Unterbrechung der Ausbildung wegen Inanspruchnahme von Elternzeit verstößt auch nicht gegen höherrangiges Recht. Weder aus Art 6 Abs 1 GG noch aus Art 3 Abs 1 GG kann hergeleitet werden, dass der Verlängerungstatbestand des § 48 Abs 4 Nr 2 SGB VI auf Unterbrechungszeiten der Kindererziehung zu erstrecken ist.

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(1) Art 6 Abs 1 GG garantiert in seiner hier nicht betroffenen abwehrrechtlichen Funktion die Freiheit, über die Art und Weise der Gestaltung des ehelichen und familiären Zusammenlebens selbst zu entscheiden. Darüber hinaus enthält Art 6 Abs 1 GG eine "wertentscheidende Grundsatznorm", die für den Staat die Pflicht begründet, Ehe und Familie zu schützen und zu fördern (vgl BVerfGE 6, 55, 76; 82, 60, 81 = SozR 3-5870 § 10 Nr 1 - stRspr). Der Staat hat dafür Sorge zu tragen, dass es Eltern gleichermaßen möglich ist, teilweise und zeitweise auf eine eigene Erwerbstätigkeit zugunsten der persönlichen Betreuung ihrer Kinder zu verzichten wie auch Familientätigkeit und Erwerbstätigkeit miteinander zu verbinden (vgl BVerfGE 99, 216, 234). Dabei ist allerdings in Rechnung zu stellen, dass dem Gesetzgeber im Bereich der gewährenden Staatstätigkeit für die Abgrenzung der begünstigten Personengruppen grundsätzlich ein weiter Gestaltungsspielraum zukommt (vgl BVerfGE 99, 165, 178; 106, 166, 175 f = SozR 3-5870 § 3 Nr 4). So ergibt sich zwar aus Art 6 Abs 1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip die allgemeine Pflicht des Staates zu einem Familienlastenausgleich (vgl BVerfGE 107, 205, 213 = SozR 4-2500 § 10 Nr 1). Konkrete Ansprüche auf bestimmte staatliche Leistungen - etwa auf solche gerade aus dem System der gesetzlichen Rentenversicherung - lassen sich aus dem Förderungsgebot des Art 6 Abs 1 GG aber nicht herleiten (vgl BVerfGE 110, 412, 436). Der Staat ist nicht gehalten, jegliche die Familie betreffende Belastung auszugleichen (vgl BVerfGE 82, 60, 81 = SozR 3-5870 § 10 Nr 1).

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Der Gesetzgeber hat seinen Gestaltungsspielraum nicht überschritten, wenn er in § 48 Abs 4 S 4 SGB VI lediglich die Unterbrechung einer Berufsausbildung für die Dauer der Schutzfristen nach dem MuSchG als waisenrentenunschädlich anerkannt, darüber hinausgehende Unterbrechungen aufgrund Kindererziehung bei dieser Sozialleistung aber nicht als anspruchserhaltend einbezogen hat. Bereits das BVerfG hat darauf hingewiesen, das mit der Einrichtung von Elterngeld und Elternzeit die Möglichkeit der Eigenbetreuung von Kindern in beachtlichem Umfang gefördert wird und der Gesetzgeber zu einer weitergehenden Förderung der Kindesbetreuung in der jeweils von den Eltern gewählten Form innerhalb der Familie verfassungsrechtlich nicht verpflichtet ist (vgl BVerfG Beschluss vom 6.6.2011 - 1 BvR 2712/09 - NJW 2011, 2869, 2870 - Juris RdNr 9). Im Lichte des Art 6 Abs 1 iVm Art 20 Abs 1 GG ist es daher ausreichend, dass die Rechtsordnung Elternteile, die sich der Betreuung und Erziehung eines Kleinkindes widmen, während der Kindererziehungszeiten auf andere Weise hinreichend sozial absichert. Dies geschieht in erster Linie durch Einräumung eines familienrechtlichen Basisunterhaltsanspruchs gegen den anderen Elternteil bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres (vgl §§ 1360 f, 1361, 1570, 1615 l BGB), womit die freie Entscheidung eingeräumt werden soll, ob das Kind in dessen ersten drei Lebensjahren selbst erzogen wird oder andere Betreuungsmöglichkeiten in Anspruch genommen werden (vgl BGH Beschluss vom 7.5.2014 - XII ZB 258/13 - NJW 2014, 2109, 2114 - Juris RdNr 47). Soweit der realisierbare familienrechtliche Unterhaltsanspruch zur Gewährleistung des Existenzminimums des erziehenden Elternteils nicht ausreicht, stehen hilfsweise Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach Maßgabe des SGB II (vgl §§ 7, 10 Abs 1 Nr 3, 19 ff SGB II)bzw nach dem Unterhaltsvorschussgesetz (Neubekanntmachung vom 17.7.2007, BGBl I 1446, zuletzt geändert durch Gesetz vom 29.3.2017, BGBl I 626, 639) zur Verfügung.

29

(2) Der allgemeine Gleichheitssatz (Art 3 Abs 1 GG) gebietet dem Gesetzgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln (BVerfGE 113, 167, 214 = SozR 4-2500 § 266 Nr 8 RdNr 83 - stRspr). Er verwehrt dem Gesetzgeber allerdings nicht jede Differenzierung. Differenzierungen bedürfen jedoch stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Differenzierungsziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind. Der Gleichheitssatz ist dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten oder Normbetroffenen im Vergleich zu einer anderen anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die unterschiedliche Behandlung rechtfertigen können (vgl etwa BVerfGE 104, 126, 144 f = SozR 3-8570 § 11 Nr 5 S 48 f; stRspr). Hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Anforderungen an den die Ungleichbehandlung tragenden Sachgrund ergeben sich aus dem allgemeinen Gleichheitssatz je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen (BVerfGE 107, 27, 45). Bei lediglich verhaltensbezogenen Unterscheidungen hängt das Maß der Bindung davon ab, inwieweit die Betroffenen in der Lage sind, durch ihr Verhalten die Verwirklichung der Merkmale zu beeinflussen, nach denen unterschieden wird (BVerfGE 88, 87, 96). Überdies sind dem Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers umso engere Grenzen gesetzt, je stärker sich die Ungleichbehandlung von Personen oder Sachverhalten auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten nachteilig auswirken kann (vgl BVerfGE 95, 267, 316 f). Weitergehend ist im Bereich der Sozialversicherung einerseits die hohe Bedeutung ihrer Funktionsfähigkeit sowie ihrer finanziellen Stabilität für das gemeine Wohl und andererseits die diesbezüglich weitgehende sozialpolitische Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers zu beachten (vgl BVerfGE 113, 167, 215 = SozR 4-2500 § 266 Nr 8 RdNr 84).

30

Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben lässt sich ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz nicht feststellen. Die Ungleichbehandlung der Klägerin mit Waisen, deren (verlängerter) Rentenanspruch nach § 48 Abs 4 S 1 Nr 2 Buchst a SGB VI während einer Erkrankung und der Dauer der Schutzfristen nach dem MuSchG fortbesteht, verletzt zur Überzeugung des Senats kein Verfassungsrecht. Eine personenbezogene Differenzierung liegt nicht vor. In den Fällen der Unterbrechung einer Ausbildung infolge Erkrankung und während der Schutzfristen nach § 3 Abs 2 und § 6 Abs 1 S 1 MuSchG ist eine Waise schon aus objektiven Gründen wegen Erkrankung oder wegen des Beschäftigungsverbots nach dem MuSchG an der Ausbildung gehindert, weil ihr die Durchführung der Ausbildungsmaßnahmen nicht möglich oder nicht zumutbar ist(vgl BFHE 203, 106, 109). Hingegen setzt im Fall der Unterbrechung wegen der Betreuung eines eigenen Kindes die Waise ihre Ausbildung aufgrund eines eigenen, selbst getroffenen Entschlusses während dieser Zeit nicht fort (vgl BFH Urteil vom 24.9.2009 - III R 79/06 - Juris RdNr 17). Da diese Entscheidung aber auch das in Art 6 Abs 1 GG geschützte Recht der Waisen, die eigenen familiären Verhältnisse selbst zu gestalten, berührt, muss die Ungleichbehandlung durch hinreichende Sachgründe zu rechtfertigen sein (vgl BVerfG Beschluss vom 26.3.2014 - 1 BvR 1133/12 - NZS 2014, 414, 415 - Juris RdNr 19). Ein zureichender Grund ergibt sich hier aus der Zweckbestimmung der Waisenrenten innerhalb des Leistungssystems der gesetzlichen Rentenversicherung. Sie hat zum Ziel, in hochgradiger bzw grob typisierender Weise den Unterhaltsverlust der Waise aufgrund des Todes des unterhaltspflichtigen Elternteils - des Versicherten - teilweise auszugleichen (vgl BVerfGE 28, 324, 348 = SozR Nr 10 zu Art 6 GG; 40, 121, 134 f = SozR 2400 § 44 Nr 1). Eine solche Situation ist, wie der Senat bereits dargelegt hat, im Fall der Unterbrechung der Berufsausbildung zum Zwecke der Betreuung des eigenen Kindes nicht gegeben, weil der andere Elternteil des Kindeskindes grundsätzlich vorrangig unterhaltspflichtig ist. Diesem Nachrang der Unterhaltsverpflichtung der Eltern gegenüber ihrem Kind, das selbst ein eigenes Kind betreut, durfte der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der Voraussetzungen eines über das 18. Lebensjahr fortdauernden Waisenrentenanspruchs im Rahmen seiner ihm obliegenden sozialpolitischen Gestaltungsfreiheit in typisierender Weise Rechnung tragen. Er war deshalb von Verfassungs wegen nicht gehalten, auch diesen zwar möglichen, aber nur nachrangigen Unterhaltsanspruch einer Waisen gegen den verstorbenen Versicherten, wenn er noch leben würde, im Rahmen einer folgerichtigen Festlegung der Voraussetzungen für einen fortdauernden Waisenrentenanspruch mit zu normieren. Soweit auch während der Schutzfristen nach dem MuSchG vorrangige Unterhaltspflichten des Vaters aus Anlass der Geburt bestehen (nach § 1615l Abs 1 BGB auch bei nicht miteinander verheirateten Eltern), handelt es sich dabei nur um einen von vornherein auf wenige Wochen befristeten Zeitraum. Die Waisenrente behält für diese Zeit ihre Ersatzfunktion für verloren gegangene Unterhaltsansprüche (vgl BSG SozR 3-2600 § 48 Nr 3 S 10).

31

dd) Der Senat kann auf der Grundlage der von ihm für zutreffend erachteten Auslegung des § 48 Abs 4 SGB VI entscheiden, ohne zuvor ein Anfrageverfahren gemäß § 41 Abs 3 S 1 SGG durchzuführen. Er weicht mit seiner Rechtsauffassung nicht von der Rechtsprechung des 13. Senats (Urteil vom 26.1.2000 - B 13 RJ 53/99 R - SozR 3-2600 § 48 Nr 3) ab. Der 13. Senat hat auf der Grundlage des § 48 Abs 4 S 1 Nr 2 Buchst a SGB VI aF entschieden, dass es für den Anspruch auf Waisenrente unschädlich sei, wenn eine Waise, welche die Voraussetzungen des § 1 BErzGG erfüllt, ihre Schulausbildung wegen der Erziehung des Kindes während dessen ersten drei Lebensjahren unterbricht. Diese auf einer extensiven Auslegung des § 48 Abs 4 S 1 Nr 2 Buchst a SGB VI aF beruhende Rechtsprechung lässt sich aufgrund des engeren Wortlauts nicht auf § 48 Abs 4 SGB VI nF übertragen; sie ist durch die Rechtsentwicklung überholt. Unter diesen Umständen war eine Anfrage beim 13. Senat entbehrlich (vgl BSG Urteil vom 1.7.2010 - B 13 R 86/09 R - SozR 4-2600 § 48 Nr 4 RdNr 39 und Urteil vom 26.1.2005 - B 12 KR 23/03 R - SozR 4-2400 § 24 Nr 3 RdNr 9; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl 2017, § 41 RdNr 9).

32

Das Urteil des 13. Senats vom 17.4.2008 - B 13/4 R 49/06 R - (BSGE 100, 210 = SozR 4-2600 § 48 Nr 3, RdNr 23-25) steht der Auslegung des Senats ebenfalls nicht entgegen. Der 13. Senat hat außerhalb der tragenden Gründe darauf hingewiesen, dass er die in der Literatur vertretene Meinung, wonach mit der Neuregelung des § 48 Abs 4 S 1 Nr 2 Buchst b SGB VI zum 1.8.2004 der Gesetzgeber der Rechtsprechung des BSG "zur Elternzeit" nicht gefolgt sei, nicht nachvollziehen könne. Mit diesem obiter dictum verbindet sich indes keine Abweichung iS von § 41 Abs 3 S 1 SGG, was Voraussetzung für ein Anfrageverfahren wäre. Denn eine solche liegt nur dann vor, wenn die Rechtsfrage, hinsichtlich derer unterschiedliche Ansichten bestehen, für die neue und für die frühere Entscheidung entscheidungserheblich - also zwingend rechtlich bedeutsam - ist (vgl BSG BSGE 51, 23, 25 = SozR 1500 § 42 Nr 7 S 11 f; BVerwGE 16, 273, 276; BFHE 223, 15, 22).

33

b) Ist demnach in den tatsächlichen Verhältnissen wegen Unterbrechung der Ausbildung eine wesentliche Änderung eingetreten, kommt es für die streitige rückwirkende Aufhebung der Waisenrentenbewilligung maßgeblich darauf an, ob in der Person der Klägerin die zu § 48 Abs 1 S 2 Nr 2 oder Nr 4 SGB X genannten Voraussetzungen vorgelegen haben. Das LSG hat hierzu - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - keine tatsächlichen Feststellungen getroffen. Sie sind auch nicht entbehrlich, da der angefochtene Verwaltungsakt nach dem gegenwärtigen Sach- und Streitstand nicht schon aus anderen Gründen rechtswidrig ist.

34

Da der Senat die erforderlichen Tatsachenfeststellungen selbst nicht nachholen kann (vgl § 163 SGG), ist das angefochtene Urteil gemäß § 170 Abs 2 S 2 SGG aufzuheben und die Sache an das LSG zurückzuverweisen. Das Berufungsgericht wird insbesondere zu klären haben, ob ein atypischer Fall zu bejahen ist (vgl hierzu Schütze in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl 2014, § 48 RdNr 20 f). Dazu sind weitere Feststellungen erforderlich.

35

3. Die streitige Rückforderung des Betrags von 1010,96 Euro hat die Beklagte mit Bescheid vom 12.7.2010 auf § 50 Abs 1 SGB X gestützt. Da eine Erstattungspflicht der Klägerin in dieser Höhe nur dann besteht, wenn der Rentenbescheid vom 12.7.2010 für die Zeit ab 1.6.2011 zu Recht aufgehoben worden ist, kann auch hierüber noch nicht abschließend entschieden werden. Demnach ist das Berufungsurteil auch insoweit aufzuheben.

36

Die Kostenentscheidung bleibt der Entscheidung des LSG vorbehalten.

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(1) Leistungen nach diesem Buch erhalten Personen, die1.das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben,2.erwerbsfähig sind,3.hilfebedürftig sind und4.ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschla

Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - - SGB 10 | § 48 Aufhebung eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung bei Änderung der Verhältnisse


(1) Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Der Verwaltun

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(1) Soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist, sind bereits erbrachte Leistungen zu erstatten. Sach- und Dienstleistungen sind in Geld zu erstatten. (2) Soweit Leistungen ohne Verwaltungsakt zu Unrecht erbracht worden sind, sind sie zu erstatt

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(1) Ist die Revision unbegründet, so weist das Bundessozialgericht die Revision zurück. Ergeben die Entscheidungsgründe zwar eine Gesetzesverletzung, stellt sich die Entscheidung selbst aber aus anderen Gründen als richtig dar, so ist die Revision eb

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Das Gericht entscheidet über die vom Kläger erhobenen Ansprüche, ohne an die Fassung der Anträge gebunden zu sein.

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Mehrere Klagebegehren können vom Kläger in einer Klage zusammen verfolgt werden, wenn sie sich gegen denselben Beklagten richten, im Zusammenhang stehen und dasselbe Gericht zuständig ist.

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Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 1610 Maß des Unterhalts


(1) Das Maß des zu gewährenden Unterhalts bestimmt sich nach der Lebensstellung des Bedürftigen (angemessener Unterhalt). (2) Der Unterhalt umfasst den gesamten Lebensbedarf einschließlich der Kosten einer angemessenen Vorbildung zu einem Beruf,

Mutterschutzgesetz - MuSchG 2018 | § 3 Schutzfristen vor und nach der Entbindung


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(1) Kinder haben nach dem Tod eines Elternteils Anspruch auf Halbwaisenrente, wenn 1. sie noch einen Elternteil haben, der unbeschadet der wirtschaftlichen Verhältnisse unterhaltspflichtig ist, und2. der verstorbene Elternteil die allgemeine Wartezei

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(1) Kinder haben nach dem Tod eines Elternteils Anspruch auf Halbwaisenrente, wenn

1.
sie noch einen Elternteil haben, der unbeschadet der wirtschaftlichen Verhältnisse unterhaltspflichtig ist, und
2.
der verstorbene Elternteil die allgemeine Wartezeit erfüllt hat.

(2) Kinder haben nach dem Tod eines Elternteils Anspruch auf Vollwaisenrente, wenn

1.
sie einen Elternteil nicht mehr haben, der unbeschadet der wirtschaftlichen Verhältnisse unterhaltspflichtig war, und
2.
der verstorbene Elternteil die allgemeine Wartezeit erfüllt hat.

(3) Als Kinder werden auch berücksichtigt:

1.
Stiefkinder und Pflegekinder (§ 56 Abs. 2 Nr. 1 und 2 Erstes Buch), die in den Haushalt des Verstorbenen aufgenommen waren,
2.
Enkel und Geschwister, die in den Haushalt des Verstorbenen aufgenommen waren oder von ihm überwiegend unterhalten wurden.

(4) Der Anspruch auf Halb- oder Vollwaisenrente besteht längstens

1.
bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres oder
2.
bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres, wenn die Waise
a)
sich in Schulausbildung oder Berufsausbildung befindet oder
b)
sich in einer Übergangszeit von höchstens vier Kalendermonaten befindet, die zwischen zwei Ausbildungsabschnitten oder zwischen einem Ausbildungsabschnitt und der Ableistung des gesetzlichen Wehr- oder Zivildienstes oder der Ableistung eines freiwilligen Dienstes im Sinne des Buchstabens c liegt, oder
c)
einen freiwilligen Dienst im Sinne des § 32 Absatz 4 Satz 1 Nummer 2 Buchstabe d des Einkommensteuergesetzes leistet oder
d)
wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten.
Eine Schulausbildung oder Berufsausbildung im Sinne des Satzes 1 liegt nur vor, wenn die Ausbildung einen tatsächlichen zeitlichen Aufwand von wöchentlich mehr als 20 Stunden erfordert. Der tatsächliche zeitliche Aufwand ist ohne Bedeutung für Zeiten, in denen das Ausbildungsverhältnis trotz einer Erkrankung fortbesteht und damit gerechnet werden kann, dass die Ausbildung fortgesetzt wird. Das gilt auch für die Dauer der Schutzfristen nach dem Mutterschutzgesetz.

(5) In den Fällen des Absatzes 4 Nr. 2 Buchstabe a erhöht sich die für den Anspruch auf Waisenrente maßgebende Altersbegrenzung bei Unterbrechung oder Verzögerung der Schulausbildung oder Berufsausbildung durch den gesetzlichen Wehrdienst, Zivildienst oder einen gleichgestellten Dienst um die Zeit dieser Dienstleistung, höchstens um einen der Dauer des gesetzlichen Grundwehrdienstes oder Zivildienstes entsprechenden Zeitraum. Die Ableistung eines freiwilligen Dienstes im Sinne von Absatz 4 Nr. 2 Buchstabe c ist kein gleichgestellter Dienst im Sinne von Satz 1.

(6) Der Anspruch auf Waisenrente endet nicht dadurch, dass die Waise als Kind angenommen wird.

(1) Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit

1.
die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt,
2.
der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist,
3.
nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde, oder
4.
der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist.
Als Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse gilt in Fällen, in denen Einkommen oder Vermögen auf einen zurückliegenden Zeitraum auf Grund der besonderen Teile dieses Gesetzbuches anzurechnen ist, der Beginn des Anrechnungszeitraumes.

(2) Der Verwaltungsakt ist im Einzelfall mit Wirkung für die Zukunft auch dann aufzuheben, wenn der zuständige oberste Gerichtshof des Bundes in ständiger Rechtsprechung nachträglich das Recht anders auslegt als die Behörde bei Erlass des Verwaltungsaktes und sich dieses zugunsten des Berechtigten auswirkt; § 44 bleibt unberührt.

(3) Kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nach § 45 nicht zurückgenommen werden und ist eine Änderung nach Absatz 1 oder 2 zugunsten des Betroffenen eingetreten, darf die neu festzustellende Leistung nicht über den Betrag hinausgehen, wie er sich der Höhe nach ohne Berücksichtigung der Bestandskraft ergibt. Satz 1 gilt entsprechend, soweit einem rechtmäßigen begünstigenden Verwaltungsakt ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt zugrunde liegt, der nach § 45 nicht zurückgenommen werden kann.

(4) § 44 Abs. 3 und 4, § 45 Abs. 3 Satz 3 bis 5 und Abs. 4 Satz 2 gelten entsprechend. § 45 Abs. 4 Satz 2 gilt nicht im Fall des Absatzes 1 Satz 2 Nr. 1.

(1) Kinder haben nach dem Tod eines Elternteils Anspruch auf Halbwaisenrente, wenn

1.
sie noch einen Elternteil haben, der unbeschadet der wirtschaftlichen Verhältnisse unterhaltspflichtig ist, und
2.
der verstorbene Elternteil die allgemeine Wartezeit erfüllt hat.

(2) Kinder haben nach dem Tod eines Elternteils Anspruch auf Vollwaisenrente, wenn

1.
sie einen Elternteil nicht mehr haben, der unbeschadet der wirtschaftlichen Verhältnisse unterhaltspflichtig war, und
2.
der verstorbene Elternteil die allgemeine Wartezeit erfüllt hat.

(3) Als Kinder werden auch berücksichtigt:

1.
Stiefkinder und Pflegekinder (§ 56 Abs. 2 Nr. 1 und 2 Erstes Buch), die in den Haushalt des Verstorbenen aufgenommen waren,
2.
Enkel und Geschwister, die in den Haushalt des Verstorbenen aufgenommen waren oder von ihm überwiegend unterhalten wurden.

(4) Der Anspruch auf Halb- oder Vollwaisenrente besteht längstens

1.
bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres oder
2.
bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres, wenn die Waise
a)
sich in Schulausbildung oder Berufsausbildung befindet oder
b)
sich in einer Übergangszeit von höchstens vier Kalendermonaten befindet, die zwischen zwei Ausbildungsabschnitten oder zwischen einem Ausbildungsabschnitt und der Ableistung des gesetzlichen Wehr- oder Zivildienstes oder der Ableistung eines freiwilligen Dienstes im Sinne des Buchstabens c liegt, oder
c)
einen freiwilligen Dienst im Sinne des § 32 Absatz 4 Satz 1 Nummer 2 Buchstabe d des Einkommensteuergesetzes leistet oder
d)
wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten.
Eine Schulausbildung oder Berufsausbildung im Sinne des Satzes 1 liegt nur vor, wenn die Ausbildung einen tatsächlichen zeitlichen Aufwand von wöchentlich mehr als 20 Stunden erfordert. Der tatsächliche zeitliche Aufwand ist ohne Bedeutung für Zeiten, in denen das Ausbildungsverhältnis trotz einer Erkrankung fortbesteht und damit gerechnet werden kann, dass die Ausbildung fortgesetzt wird. Das gilt auch für die Dauer der Schutzfristen nach dem Mutterschutzgesetz.

(5) In den Fällen des Absatzes 4 Nr. 2 Buchstabe a erhöht sich die für den Anspruch auf Waisenrente maßgebende Altersbegrenzung bei Unterbrechung oder Verzögerung der Schulausbildung oder Berufsausbildung durch den gesetzlichen Wehrdienst, Zivildienst oder einen gleichgestellten Dienst um die Zeit dieser Dienstleistung, höchstens um einen der Dauer des gesetzlichen Grundwehrdienstes oder Zivildienstes entsprechenden Zeitraum. Die Ableistung eines freiwilligen Dienstes im Sinne von Absatz 4 Nr. 2 Buchstabe c ist kein gleichgestellter Dienst im Sinne von Satz 1.

(6) Der Anspruch auf Waisenrente endet nicht dadurch, dass die Waise als Kind angenommen wird.

(1) Ist die Revision unbegründet, so weist das Bundessozialgericht die Revision zurück. Ergeben die Entscheidungsgründe zwar eine Gesetzesverletzung, stellt sich die Entscheidung selbst aber aus anderen Gründen als richtig dar, so ist die Revision ebenfalls zurückzuweisen.

(2) Ist die Revision begründet, so hat das Bundessozialgericht in der Sache selbst zu entscheiden. Sofern dies untunlich ist, kann es das angefochtene Urteil mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Gericht zurückverweisen, welches das angefochtene Urteil erlassen hat.

(3) Die Entscheidung über die Revision braucht nicht begründet zu werden, soweit das Bundessozialgericht Rügen von Verfahrensmängeln nicht für durchgreifend erachtet. Dies gilt nicht für Rügen nach § 202 in Verbindung mit § 547 der Zivilprozeßordnung und, wenn mit der Revision ausschließlich Verfahrensmängel geltend gemacht werden, für Rügen, auf denen die Zulassung der Revision beruht.

(4) Verweist das Bundessozialgericht die Sache bei der Sprungrevision nach § 161 zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurück, so kann es nach seinem Ermessen auch an das Landessozialgericht zurückverweisen, das für die Berufung zuständig gewesen wäre. Für das Verfahren vor dem Landessozialgericht gelten dann die gleichen Grundsätze, wie wenn der Rechtsstreit auf eine ordnungsgemäß eingelegte Berufung beim Landessozialgericht anhängig geworden wäre.

(5) Das Gericht, an das die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen ist, hat seiner Entscheidung die rechtliche Beurteilung des Revisionsgerichts zugrunde zu legen.

Das Gericht entscheidet über die vom Kläger erhobenen Ansprüche, ohne an die Fassung der Anträge gebunden zu sein.

Verwaltungsakt ist jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Allgemeinverfügung ist ein Verwaltungsakt, der sich an einen nach allgemeinen Merkmalen bestimmten oder bestimmbaren Personenkreis richtet oder die öffentlich-rechtliche Eigenschaft einer Sache oder ihre Benutzung durch die Allgemeinheit betrifft.

Mehrere Klagebegehren können vom Kläger in einer Klage zusammen verfolgt werden, wenn sie sich gegen denselben Beklagten richten, im Zusammenhang stehen und dasselbe Gericht zuständig ist.

Tenor

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt Kosten des Revisionsverfahrens.

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich zuletzt gegen die Rückforderung von Rente wegen voller Erwerbsminderung iHv 4244,40 Euro für den Zeitraum vom 1.9.2004 bis 31.12.2004 wegen Überschreitens der Hinzuverdienstgrenze.

2

Der am 1968 geborene Kläger beantragte im August 2004 Rente wegen Erwerbsminderung. Dabei gab er an, Gesellschafter (Kommanditist) des Autohauses D. GmbH und Co. KG zu sein und bis Februar 2004 Geschäftsführer gewesen zu sein. Auf Nachfrage erklärte er unter dem 3.2.2005 auf dem Formblattvordruck Forms R 14345 ("Erklärung bei selbständiger Tätigkeit über steuerrechtlichen Gewinn") der Beklagten, im Zeitraum vom 1.9.2004 bis 8.11.2004 nach den allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommensteuerrechts einen steuerrechtlichen Gewinn aus dem Gewerbebetrieb in Höhe von "0 EUR" erzielt zu haben. Dabei war er ausdrücklich dazu aufgefordert worden, für die Höhe des Gewinns erforderlichenfalls eine gewissenhafte Schätzung vorzunehmen und ggf eine Bescheinigung des Steuerberaters beizufügen. Der Steuerberater bestätigte die Angaben des Klägers auf demselben Dokument.

3

Mit Bescheid vom 18.2.2005 bewilligte die Beklagte dem Kläger aufgrund eines "Leistungsfalls" vom 6.2.2004 eine befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung von September 2004 bis Februar 2007. Der Rentenbescheid enthält auf Seite 4 folgenden Hinweis:

        

"Die Rente wird auf der Grundlage einer vorausschauenden Beurteilung des Arbeitseinkommens im Sinne von § 15 SGB IV bewilligt. Dabei ist davon ausgegangen worden, dass entsprechend der Erklärung vom 03.02.2005 und dem Schreiben des Steuerberaters vom 31.01.2005 das Arbeitseinkommen im Sinne von § 15 SGB IV seit dem 01.09.2004 die Hinzuverdienstgrenze nicht überschreitet. Daher besteht die Verpflichtung, uns jeweils bei Abgabe der Einkommensteuererklärung für das Jahr des Rentenbeginns und der Folgejahre bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres das Arbeitseinkommen abzüglich der Betriebsausgaben - jedoch vor Abzug der Sonderausgaben und Freibeträge - mitzuteilen. (…)

        

Sollte sich herausstellen, dass das Arbeitseinkommen wider Erwarten für Zeiten des Bezuges der Rente die Hinzuverdienstgrenze überschritten hat, besteht für die jeweiligen Zeiträume kein Anspruch auf die gezahlte Rente. Zu Unrecht erhaltene Beträge sind zu erstatten."

4

Auch die Anfrage der Beklagten vom 17.5.2005 beantwortete der Kläger unter Bestätigung seines Steuerberaters unter dem 24.5.2005 dahin, dass für die Zeit vom 1.9.2004 bis zum 30.4.2005 kein Gewinn erzielt worden sei. Schließlich legte der Kläger im Rahmen des Verwaltungsverfahrens zur Weiterzahlung der Erwerbsminderungsrente den Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2004 vom 8.3.2006 vor. Dieser wies Einkünfte aus Gewerbebetrieb/Beteiligungen in Höhe von 27 325,00 Euro aus.

5

Nach Anhörung des Klägers nahm die Beklagte den Rentenbescheid vom 18.2.2005 "hinsichtlich der Rentenhöhe" mit Wirkung ab dem 1.9.2004 zurück und forderte die vom 1.9. bis 31.12.2004 entstandene Überzahlung iHv 4244,40 Euro zurück (Bescheid vom 14.6.2007). In der Begründung führte sie aus, die Rücknahme des Rentenbescheides sei sowohl für die Vergangenheit als auch für die Zukunft zulässig, weil der Kläger sich zum einen auf Vertrauen in den Rentenbescheid nicht berufen könne (§ 45 Abs 2 S 3 SGB X) und zum anderen die Fristen des § 45 Abs 3, 4 SGB X nicht abgelaufen seien. Auch im Wege des Ermessens sei die Bescheidrücknahme gerechtfertigt, weil Umstände, die die Rücknahme und die damit verbundene Rückforderung als unbillige Härte erscheinen ließen, nach Lage der Akten nicht ersichtlich seien.

6

Seinen Widerspruch begründete der Kläger damit, dass er im Jahre 2004 als Kommanditist am Autohaus D. GmbH und Co. KG beteiligt und darüber hinaus Miteigentümer eines ausschließlich an diese Firma vermieteten Grundstücks gewesen sei. Steuerrechtlich habe eine Betriebsaufspaltung vorgelegen, sodass die Vermietungseinkünfte (27 325,00 Euro) Einkünfte aus Gewerbebetrieb darstellten. Aus der Beteiligung an dem Autohaus D. sei ihm im Jahre 2004 ein Verlust von 19 685,29 Euro zugewiesen worden, der wegen § 15a Einkommensteuergesetz (EStG) steuerlich nicht im Entstehungsjahr berücksichtigt werde, sondern erst später mit den Gewinnen aus der KG verrechnet werden könne. Dieser Verlust sei jedoch für die hier relevante Berechnung des Arbeitseinkommens in Ansatz zu bringen. Maßgeblich sei insoweit der Bescheid für 2004 über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen und des verrechenbaren Verlustes nach § 15a EStG vom 7.2.2006, der sich als Grundlagenbescheid zum Einkommensteuerbescheid darstelle und die Höhe der Einkünfte aus dem Gewerbebetrieb verbindlich festlege. Aus diesem ergäben sich für den Kläger Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von 7639,80 Euro. Damit bestehe zumindest Anspruch auf eine Teilrente wegen voller Erwerbsminderung. Der Widerspruch blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 8.1.2008).

7

Das SG Frankfurt am Main hat mit Urteil vom 24.9.2010 entsprechend dem Antrag des Klägers den Bescheid vom 14.6.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8.1.2008 abgeändert, "stattdessen … eine Reduzierung auf nur 3/4 der Rente wegen voller Erwerbsminderung vorgenommen und den Erstattungsbetrag entsprechend gemindert". Das Hessische LSG hat die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG vom 24.9.2010 zurückgewiesen (Urteil vom 17.1.2012; Beschluss vom 19.3.2012: Berichtigung des Tenors in Ziffer II wegen offenbarer Unrichtigkeit). Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Der Bescheid vom 18.2.2005 sei im Zeitpunkt seines Erlasses objektiv rechtswidrig gewesen. Die Prognoseentscheidung der Beklagten habe auf Angaben des Klägers beruht, die dieser in wesentlicher Hinsicht unrichtig gemacht habe. Ausweislich des maßgeblichen Einkommensteuerbescheides vom 8.3.2006 für das Kalenderjahr 2004 habe nämlich das Arbeitseinkommen des Klägers im Jahr 2004 oberhalb der Hinzuverdienstgrenze von 345,00 Euro wie auch aller Teilrenten gelegen, sodass von Anfang an kein Rentenanspruch bestanden habe. Der von der Beklagten nicht näher informierte Kläger habe indessen auf die Angaben seines Steuerberaters vertrauen dürfen, sodass ihm weder grobe Fahrlässigkeit iS von § 45 Abs 2 S 3 Nr 3 Halbs 2 SGB X noch Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis der Rechtswidrigkeit des Bescheides vom 18.2.2005 vorgeworfen werden könne. Die Beklagte, die das ihr im Rahmen von § 45 SGB X zustehende Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt habe, dürfe auch nicht nachträglich die Rechtsgrundlage für ihren Aufhebungsbescheid austauschen und sich auf § 48 SGB X berufen.

8

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte sinngemäß eine Verletzung des § 45 Abs 2 S 3 Nr 2 SGB X und stützt ihre Begründung nunmehr auch auf § 48 SGB X. Der Rentenbescheid vom 18.2.2005 sei rechtswidrig, weil der Kläger bzw sein Steuerberater in grob fahrlässiger Weise unrichtige bzw unvollständige Angaben gemacht hätten. Bei der Ermittlung des Einkommens aus Gewerbebetrieb, das als Arbeitseinkommen nach § 15 Abs 1 SGB IV iVm den Vorschriften des Einkommensteuerrechts definiert werde, seien nicht die einkommensteuerrechtlichen Regelungen für Gesellschafter einer Kommanditgesellschaft beachtet worden. Der Kläger bzw der Steuerberater, dessen Verhalten dem Kläger zuzurechnen sei, hätten die Relevanz des § 15a EStG für den Hinzuverdienst kennen müssen. Der Formvordruck R 1434 verweise ausdrücklich auf den steuerrechtlichen Gewinn nach den allgemeinen Steuerermittlungsvorschriften des Einkommensteuerrechts. Die Beklagte sei daher berechtigt gewesen, den Rentenbescheid vom 18.2.2005 auch nach Ablauf von zwei Jahren zurückzunehmen und die Überzahlung zurückzufordern. Eine solche Befugnis ergebe sich auch, weil der Rentenbescheid mit einem Widerrufsvorbehalt erlassen worden sei. Im Übrigen habe sie - die Beklagte - entgegen der Ansicht des SG auch ihr von § 45 SGB X eingeräumtes Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt, was auch das LSG bestätigt habe.

9

Zudem sei vorliegend - in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung einiger Landessozialgerichte (LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 25.7.2005 - L 3 RJ 111/04; LSG Niedersachsen-Bremen Urteile vom 15.8.2002 - L 12 RA 7/01 - und vom 30.5.2007 - L 2 KN 12/07; Sächsisches LSG Urteil vom 12.10.2010 - L 4 R 263/09) - § 48 SGB X auch dann anwendbar, wenn der Einkommensteuerbescheid erst nach Bekanntgabe des Rentenbewilligungsbescheids ergehe. Denn erst mit Erlass bzw Bekanntgabe des Steuerbescheids für das fragliche Einkommensteuerjahr werde die Steuerschuld des Steuerpflichtigen konstitutiv festgestellt und das maßgebliche Einkommen gelte als "erzielt" iS von § 48 Abs 1 S 2 Nr 3 SGB X. Dem Einkommensteuerbescheid komme insoweit Tatbestandswirkung zu, als sich der zuständige Rentenversicherungsträger auf die im Einkommensteuerbescheid festgestellten Angaben stütze. Eine Änderung der Begründung durch den Wechsel der Rechtsgrundlage (§ 48 Abs 1 SGB X anstelle von § 45 Abs 1 SGB X) sei zulässig, § 41 Abs 2 SGB X sowie § 42 SGB X stünden nicht entgegen. Denn letztlich liege hier nur ein das Wesen des Aufhebungsbescheids nicht verändernder Begründungswechsel vor. Eine Umdeutung eines fehlerhaften Verwaltungsakts in einen anderen Verwaltungsakt iS von § 43 Abs 1 S 1 SGB X stelle das nicht dar. Denn ändere sich der Verfügungssatz nicht, so werde bei gleichbleibender Regelung lediglich die Begründung ausgetauscht. Weder der Bescheid vom 14.6.2007 noch der Bescheid vom 30.10.2008 sei in seinem jeweiligen Regelungsbereich dadurch nachträglich geändert worden, dass sie - die Beklagte - ihre Begründung nunmehr (auch) auf § 48 SGB X stütze.

10

Die Beklagte beantragt,

        

das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 17. Januar 2012 sowie das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 24. September 2010 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

11

Der Kläger beantragt,

        

die Revision zurückzuweisen.

12

Er hält das angegriffene Urteil des Berufungsgerichts im Wesentlichen für zutreffend.

Entscheidungsgründe

13

Die Revision ist unbegründet. Das LSG hat die Berufung der Beklagten zu Recht zurückgewiesen, weil das SG die angegriffenen Bescheide im Ergebnis zutreffend abgeändert hat.

14

Der Bescheid vom 14.6.2007 und der Widerspruchsbescheid vom 8.1.2008 verlautbaren neben der Aufhebung des Verwaltungsakts über den monatlichen Rentenzahlbetrag im Bescheid vom 18.2.2005 die Feststellung einer Überzahlung in Höhe von 4244,40 Euro für die Zeit vom 1.9. bis 31.12.2004 und ein entsprechendes Zahlungsgebot an den Kläger (vgl BSG SozR 3-1200 § 42 Nr 9 S 33). Das maßgebliche Begehren des Klägers (§ 123 SGG) ist auf die teilweise Aufhebung aller drei Verwaltungsakte (§ 31 SGB X) im Wege der zulässigen objektiven Häufung (§ 56 SGG) von drei isolierten Anfechtungsklagen (§ 54 Abs 1 S 1 Regelung 1 SGG) gerichtet.

15

Die Klagen sind begründet. Die Beklagte war zum Erlass eines Zahlungsgebots an den Kläger nicht ermächtigt, weil der Eingriffstatbestand des als Rechtsgrundlage allein in Betracht kommenden § 50 Abs 3 S 1 SGB X nicht erfüllt ist. Der beklagten DRV Bund steht der von ihr festgestellte Erstattungsanspruch in Höhe des Werts der dem Kläger vermeintlich zu Unrecht zugeflossenen Rente nicht zu. Insbesondere konnte die von der Beklagten verfügte Aufhebung des Verwaltungsakts über den monatlichen Rentenzahlbetrag keinen Bestand haben. Nicht streitgegenständlich ist demgegenüber die zusätzlich verlautbarte Rückforderung von Zuschüssen zur Krankenversicherung des Klägers.

16

Ein Erstattungsanspruch besteht zunächst in unmittelbarer oder analoger Anwendung von § 42 Abs 2 S 2 SGB I schon deshalb nicht, weil die Beklagte im Bescheid vom 18.2.2005, dessen Auslegung auch dem Revisionsgericht obliegt (BSGE 67, 104, 110 mwN = SozR 3-1300 § 32 Nr 2), eine das Verwaltungsverfahren abschließende und monatliche Zahlungsansprüche des Klägers endgültig begründende Entscheidung getroffen hat. Die Typus bildenden Merkmale einer einstweiligen Regelung vom Typ eines Vorschusses iS von § 42 Abs 1 SGB I oder vom Typ der Vorwegzahlung werden dort nicht mitgeteilt. Zu Recht hat die Beklagte auch während des gerichtlichen Verfahrens nichts anderes geltend gemacht. Die Merkmale derartiger vorläufiger Verwaltungsakte sind durch die oberstgerichtliche Rechtsprechung geklärt (vgl auch insofern BSG SozR 3-1200 § 42 Nr 9 S 37 f, 40 mwN sowie die Urteile des 13. Senats in BSG SozR 3-1200 § 42 Nr 6 S 19 ff und des erkennenden Senats BSGE 79, 61, 63 ff = SozR 3-1200 § 42 Nr 5). Hieran gemessen wird für einen an Treu und Glauben orientierten Begünstigten durch den Bescheid vom 18.2.2005 gerade nicht hinreichend deutlich, ihm werde lediglich vorschussweise und im Vorgriff auf dem Grunde nach zustehende monatliche "Rentenansprüche" eine vorläufige Leistung eigener Art zuerkannt, die mit der endgültigen nicht identisch ist und in jedem Fall noch durch deren Festsetzung ersetzt wird. Vielmehr werden mit dem Hinweis, die Rente werde auf der Grundlage einer "vorausschauenden Beurteilung" des Arbeitseinkommens iS von § 15 SGB IV bewilligt, ausdrücklich nach Grund und Höhe endgültige monatliche Zahlungsansprüche zuerkannt. Erst recht hat die Beklagte nicht zu erkennen gegeben, sie wolle ausnahmsweise im Wege der Vorwegzahlung Zahlungsansprüche nur einstweilig bewilligen, ohne geprüft zu haben, ob diese auch nur dem Grunde nach zustehen (zur Möglichkeit einer Leistungsgewährung im Wege der Vorschusszahlung bei verfahrenstechnischer Unmöglichkeit der endgültigen Gewährung oder einer Vorschusszahlung bei Ausstehen des Einkommensteuerbescheides für das maßgebliche Kalenderjahr BSG SozR 3-1300 § 32 Nr 4 S 34; BSGE 67, 104, 109 f = SozR 3-1300 § 32 Nr 2). Dem gleichzeitig verlautbarten Vorbehalt "Sollte sich herausstellen, dass das Arbeitseinkommen wider Erwarten für Zeiten des Bezuges der Rente die Hinzuverdienstgrenze überschritten hat, besteht für die jeweiligen Zeiträume kein Anspruch auf die gezahlte Rente. Zu Unrecht erhaltene Beträge sind zu erstatten" ist nichts Abweichendes zu entnehmen. Mit ihm wird gerade nicht verlautbart, dass die Beklagte eine auf jeden Fall nur vorläufige und der Ersetzung bedürftige Entscheidung treffen wollte. Der bloße Wille, möglicherweise auf die Entscheidung zurückzukommen und sich unter völlig offenen Voraussetzungen von der Bindung des erlassenen Verwaltungsakts zu befreien, kann im Kontext eines abschließenden Rentenbescheides dem behördlichen Willen, nur eine einstweilige Regelung zu treffen, nicht hinreichend bestimmt Ausdruck verleihen (s auch insofern BSGE 67, 104, 110 f mit umfangreichen weiteren Nachweisen = SozR 3-1300 § 32 Nr 2). Unter diesen Umständen ist nicht näher darauf einzugehen, dass der genannte Vorbehalt ohne drucktechnische Hervorhebung in der Vielzahl der dem Rentenbescheid beigefügten Belehrungen, Hinweise und Erläuterungen allenfalls bei Anwendung besonderer Sorgfalt durch einen geschulten Leser in seiner potenziellen Bedeutung erkannt werden konnte.

17

Nach § 50 Abs 1 S 1 SGB X sind bereits erbrachte Leistungen zu erstatten, soweit der Verwaltungsakt aufgehoben worden ist. Dem Kläger stehen jedoch die für September bis Dezember 2004 geleisteten Rentenbeträge zu, weil ihm ein Renten-Stammrecht mit entsprechendem Wert bindend (§ 77 SGG) zuerkannt ist und die Beklagte den zugleich verlautbarten Verwaltungsakt über die Höhe des monatlichen Zahlbetrags nicht mit Wirkung für die Vergangenheit zurücknehmen durfte.

18

Zwar hat die Beklagte vorliegend durch die Gesamtheit der Regelungen in dem angefochtenen "Rentenbescheid" vom 14.6.2007 und dem Widerspruchsbescheid vom 8.1.2008 noch hinreichend deutlich verlautbart, sie wolle - nur - den Verwaltungsakt über den monatlichen Rentenzahlbetrag im Rentenbescheid vom 18.2.2005 für die Zeit vom 1.9.2004 bis 31.12.2004 aufheben. Im Blick auf die auch insofern geklärte Rechtslage kann nämlich ohne weitere Hinweise nicht angenommen werden, die Zurücknahme des "Rentenbescheides vom 18.2.2005 … hinsichtlich der Rentenhöhe" in der "Anlage 10" und die eingangs verlautbarte Neuberechnung der bisherigen Rente wegen voller Erwerbsminderung könnten sich - auch - auf den gleichzeitig festgestellten Wert des Renten-Stammrechts beziehen (BSG SozR 4-2600 § 96a Nr 13 RdNr 17 mwN und zur Aufhebung allein wegen fehlerhaften Entzugs des Stamm-Rechts auf Rente bei Überschreiten der Hinzuverdienstgrenze BSG SozR 4-2600 § 313 Nr 1 RdNr 14). Gemäß § 96a Abs 1 S 1 SGB VI in der maßgeblichen Fassung vom 1.1.2004 bis 31.12.2007 wird eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nur geleistet, wenn die Hinzuverdienstgrenze nicht überschritten wird. Schon nach dem Wortlaut ("geleistet") bezieht sich die materielle Rechtsfolgenanordnung allein auf den aus dem (Stamm-)Recht erwachsenden und verwaltungsverfahrensrechtlich zusammen mit diesem zuerkannten monatlichen Rentenanspruch, sodass umgekehrt auch nur diese Regelung von der Aufhebung als actus contrarius betroffen ist und vorliegend durch die Feststellung ersetzt wird, dass die monatlichen Einzelansprüche für den streitigen Zeitraum zur Vermeidung einer Übersicherung des Klägers untergegangen sind (BSG SozR 4-2600 § 313 Nr 1 RdNr 14).

19

Die Beklagte kann diese Aufhebung nicht auf den Vorbehalt stützen "Sollte sich herausstellen, dass das Arbeitseinkommen wider Erwarten für Zeiten des Bezuges der Rente die Hinzuverdienstgrenze überschritten hat, besteht für die jeweiligen Zeiträume kein Anspruch auf die gezahlte Rente. Zu Unrecht erhaltene Beträge sind zu erstatten." Abgesehen davon, dass sie hiervon in den angegriffenen Bescheiden keinen Gebrauch gemacht hat, ist der genannte Zusatz allenfalls als Rückforderungsvorbehalt zu verstehen und umfasst seinem möglichen Wortsinn nach nicht auch die gegenüber der Erstattung zeitlich vorgängige und rechtlich vorrangige Aufhebung des zugrunde liegenden Verwaltungsakts (s bereits BSG SozR 3-1300 § 32 Nr 4 S 34). Ein derartiger Vorbehalt wäre im Übrigen auch nicht rechtmäßig gewesen. Die Beklagte hat mit dem Bescheid vom 18.2.2005 neben der abschließenden Entscheidung über Rentenart, Rentenbeginn und Rentenhöhe ua auch eine das damalige Verwaltungsverfahren abschließende (§ 8 SGB X) und die Beteiligten bindende (§ 77 SGG) endgültige Regelung des hieraus erwachsenden monatlichen Zahlbetrages getroffen. Der genannte Vorbehalt wäre - unterstellt er beträfe auch die Rücknahme - keine "gesetzliche Regelung" iS von § 77 SGG, die die Verbindlichkeit der gewährten Begünstigung aufheben oder reduzieren und die Anwendung von §§ 45, 48 SGB X hintanhalten könnte. Er hätte daher ursprünglich nicht beigefügt werden dürfen und dürfte nunmehr nicht ausgeübt werden. Eine Rechtsvorschrift iS von § 32 Abs 1 Regelung 1 SGB X, auf die sich die Beklagte stützen könnte, gibt es nicht. Um einen Fall der Sicherstellung der gesetzlichen Voraussetzungen des Verwaltungsaktes (§ 32 Abs 1 Regelung 2 SGB X)handelt es sich schon deshalb nicht, weil endgültige Verwaltungsakte erst nach abschließender Klärung der Sach- (§ 20 Abs 1, 2 SGB X) und Rechtslage ergehen dürfen, sich der genannte Vorbehalt der Beklagten aber gerade die Berücksichtigung erst nachträglich gewonnener Erkenntnisse vorbehält, um ggf zu ihren Gunsten in die Verbindlichkeit des Verwaltungsakts einzugreifen. Dies gilt aufgrund des umfassenden Verbots dem Zweck des Verwaltungsakts zuwiderlaufender Nebenbestimmungen (§ 32 Abs 3 SGB X) insbesondere auch für die in § 32 Abs 2 SGB X genannten Nebenbestimmungen. Schließlich würden durch die umfassende Zulassung von Vorbehalten zur Korrektur möglicher anfänglicher Fehler ebenso wie solcher Vorbehalte, die dazu ermächtigen sollen, den Verwaltungsakt wegen nach seinem Erlass objektiv eingetretener Änderungen aufzuheben oder abzuändern, die §§ 45 und 48 SGB X ins Leere laufen(vgl zu alledem bereits ausführlich BSGE 67, 104, 117 = SozR 3-1300 § 32 Nr 2).

20

Die Beklagte kann ihre Aufhebungsentscheidung auch nicht auf § 45 Abs 1 und Abs 4 S 1 SGB X stützen, die die Rücknahme eines (im Zeitpunkt seiner Bekanntgabe) rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakts mit Wirkung für die Vergangenheit nur unter den Voraussetzungen der Abs 2 bis 4 erlauben. Zwar begünstigt die Nicht-Anrechnungsentscheidung im Bescheid vom 18.2.2005, auf die sich die nach Grund und Höhe endgültige Zuerkennung monatlicher Zahlungsansprüche gründet, den Kläger doppelt rechtswidrig. Der Bescheid vom 18.2.2005 war im hier maßgeblichen Umfang schon deshalb rechtswidrig, weil die Beklagte gegen das verfahrensrechtliche Verbot des vorzeitigen Verfahrensabschlusses verstoßen hat, indem sie entgegen § 20 Abs 1 und 2 SGB X trotz dessen Einkommensabhängigkeit abschließend über den monatlichen Zahlbetrag der Rente des Klägers entschieden hat, obwohl sie weder selbst die erforderlichen steuerrechtlichen Feststellungen getroffen hatte noch ihr der für das Kalenderjahr 2004 maßgebliche Einkommensteuerbescheid vom 8.3.2006 vorlag, dem sie die erforderlichen Informationen jedenfalls mittelbar hätte entnehmen können (vgl grundlegend BSG SozR 3-1300 § 32 Nr 4 S 34 f). Zudem durfte eine derartige Entscheidung ausgehend von dem bei Erlass des genannten Verwaltungsakts objektiv bereits feststehenden Sachverhalt auch materiell-rechtlich nicht erlassen werden (s auch BSGE 108, 258 = SozR 4-4200 § 11 Nr 39 RdNr 16).

21

Ein (teilweises) Entfallen von monatlichen Rentenansprüchen setzt voraus, dass das für denselben Zeitraum tatsächlich erzielte Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen aus einer Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit die in § 96a Abs 2 SGB VI genannten, auf einen Monat bezogenen Beträge übersteigt, wobei ein zweimaliges Überschreiten um jeweils einen Betrag bis zur Höhe der Hinzuverdienstgrenze nach Abs 2 im Laufe eines Kalenderjahres außer Betracht bleibt. Nach § 96a Abs 1a SGB VI wird abhängig vom erzielten Hinzuverdienst eine Rente wegen voller Erwerbsminderung in voller Höhe, in Höhe von 3/4, 1/2 oder 1/4 bewilligt(§ 96a Abs 1a Nr 2 SGB VI aF), wobei die Hinzuverdienstgrenze bei einer vollen Erwerbsminderungsrente im Jahr 2004 ein Siebtel der monatlichen Bezugsgröße - 345,00 Euro - betrug (§ 96a Abs 2 Nr 2 SGB VI aF).

22

§ 96a SGB VI soll verhindern, dass der Versicherte durch Rente und Hinzuverdienst aus einer Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit ein höheres Gesamteinkommen erzielen kann, als vor dem Eintritt des Versicherungsfalls versichert war ("Übersicherung"). Verfassungsrechtliche Bedenken hiergegen bestehen nicht. § 96a SGB VI bestimmt das insofern maßgebliche "Arbeitseinkommen" nicht selbst, sodass die auch insofern einschlägige(§ 1 SGB IV) allgemeine Begriffsbestimmung in § 15 Abs 1 S 1 SGB IV heranzuziehen ist. Hiernach ist Arbeitseinkommen der nach den allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommensteuerrechts ermittelte Gewinn aus einer selbstständigen Tätigkeit. Neben der Frage der Höhe des als Arbeitseinkommen zu wertenden Einkommens entscheidet das Einkommensteuerrecht darüber hinaus gemäß § 15 Abs 1 S 2 SGB IV und ungeachtet des untechnischen Wortlauts der Norm auch allein und abschließend darüber, ob Einkommen aus selbstständiger Arbeit erzielt wird, das in der Terminologie des SGB als Arbeitseinkommen bezeichnet wird. Steuerrechtlich als "Einkünfte aus selbstständiger Arbeit" bewertetes Einkommen ist folglich entsprechend als "Arbeitseinkommen aus selbstständiger Tätigkeit" anzusehen. Den Sozialleistungsträgern soll auf diese Weise eine eigenständige Prüfung der Zuordnung und Ermittlung erspart werden (BSG SozR 4-2400 § 15 Nr 2 RdNr 11). Von den sieben Einkunftsarten des § 2 Abs 1 S 1 EStG sind damit Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft(Nr 1), aus Gewerbebetrieb (Nr 2) und aus selbstständiger Arbeit (Nr 3) als Arbeitseinkommen aus selbstständiger Tätigkeit iS von § 15 SGB IV zu bewerten.

23

Wie in anderen Fällen der Berücksichtigung von Erwerbseinkommen aus selbstständiger Tätigkeit bei der Bemessung - des Zahlbetrags - einer Sozialleistung steht der Gesetzgeber bei einem jeweils für den Bezugsmonat vorzunehmenden Vergleich des Erwerbseinkommens Selbstständiger wie des Klägers mit der individuellen Hinzuverdienstgrenze vor rechtlichen und verwaltungspraktischen Problemen. Das einkommensteuerrechtliche Jährlichkeitsprinzip (§§ 4 Abs 1 S 1, 36 Abs 1 EStG) erlaubt nämlich eine Feststellung von Arbeitseinkommen nicht vor Ablauf des Kalenderjahres, in dem die entsprechenden Einnahmen zufließen und "für" das sozialrechtlich eine Berücksichtigung erfolgen soll. Da vor Ablauf des Kalenderjahres rechtlich nicht von einem "Einkommen" Selbstständiger gesprochen werden kann, ergibt sich sozialrechtlich notwendig eine zeitliche Verzögerung bei der endgültigen Bemessung des Zahlbetrags der Sozialleistung. Dies entspricht der originären Funktion der Einkommensarten, die ihrerseits nach § 38 AO iVm § 36 Abs 1 EStG erst mit Ablauf des Veranlagungszeitraumes, das heißt nach § 25 Abs 1 EStG des Kalenderjahres, entstehende Steuerschuld als maßgebliche Rechtsfolge steuerrechtlicher Normen mit zu begründen(vgl BVerfGE 127, 31, 48 mwN). Vor Ablauf des Kalenderjahres ist im Sinne des Steuerrechts zu verstehendes Arbeitseinkommen daher auch im Kontext von § 96a SGB VI nicht (tatsächlich) "erzielt" und damit sozialrechtlich berücksichtigungsfähig. Anders als bei monatlich abgerechneten Arbeitsentgelten aus abhängiger Beschäftigung kann folglich bei einer Gewinnermittlung auf Jahresbasis ein konkreter Gewinn für einzelne Monate nicht jeweils parallel ermittelt und unterjährig laufend der jeweiligen monatlichen Hinzuverdienstgrenze gegenübergestellt werden. Vielmehr besteht - jedenfalls grundsätzlich und in aller Regel - erst im Nachhinein im Wege der Division des Jahreseinkommens durch die Zahl der Kalendermonate, in denen es erzielt wurde, die Möglichkeit, ein durchschnittliches Monatseinkommen zu ermitteln (BSGE 94, 286 RdNr 16 = SozR 4-2600 § 96a Nr 7).

24

Im Einzelfall und unter besonderen Voraussetzungen vermeidet oder vermindert der Gesetzgeber zwar Arbeitsaufwand und Verfahrensverzögerungen, die sich aus der Inkorporation des Einkommensteuerrechts ergeben, indem er ausnahmsweise materiell-rechtlich die abschließende Verbindlichkeit eines unter erleichterten Bedingungen festgestellten Sachverhalts anordnet. Indessen fehlt es vorliegend an Hinweisen darauf, dass ausnahmsweise anstelle des erst mit Ablauf des laufenden Kalenderjahres entstehenden und feststellbaren Gewinns aus einer selbstständigen Tätigkeit schon Teile des auf der Basis einer unterjährigen Prognose ermittelte Jahresergebnisses ausreichen könnten, um laufende monatliche Zahlungsansprüche zu entziehen (s auch bereits BSG SozR 4-2600 § 313 Nr 1). Ebenso wenig gibt § 96a SGB VI Anlass zu der Annahme, Teile eines in einem abgelaufenen Kalenderjahr erzielten und festgestellten einkommensteuerrechtlichen Gewinns dürften auf fiktiver Grundlage auch im laufenden Kalenderjahr anspruchsmindernd berücksichtigt werden(vgl etwa § 18b Abs 2 S 1 SGB IV). Schließlich durfte die Beklagte mangels gesetzlicher Grundlage Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit für ein abgelaufenes Kalenderjahr zur abschließenden Feststellung der hierfür entstandenen Ansprüche auch nicht - wie im Bescheid vom 18.2.2005 - auf lediglich hypothetischer Grundlage abschließend feststellen. Der materiell-rechtliche Tatbestand von § 96a Abs 1 S 2 SGB VI erfordert vielmehr für die abschließende Feststellung des sich unter Berücksichtigung des Einkommens aus einer selbstständigen Erwerbstätigkeit ergebenden monatlichen Zahlbetrages stets die abschließende Feststellung des tatsächlich erzielten Arbeitseinkommens auf der Basis der umfassenden und vollständigen Ermittlung(§ 20 SGB X) und Feststellung aller steuerrechtlich relevanten Umstände (BSGE 94, 286 RdNr 15 f = SozR 4-2600 § 96a Nr 7). Eine lediglich hypothetische Gewinn-Schätzung des Versicherten selbst und/oder eines zugezogenen Sach- und Rechtskundigen genügt insofern entgegen der Vorgehensweise der Beklagten von vorneherein nicht.

25

Hiernach ergibt sich, dass dem Kläger für die Monate September bis Dezember 2004 ein monatlicher Rentenzahlbetrag zuerkannt war, der ihm von Gesetzes wegen nicht zustand. Die Beklagte ist zu seinen Gunsten von einem "objektiv" unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen. Er hat nach den unangegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts ausweislich des maßgeblichen Steuerbescheides im Kalenderjahr 2004 Einkünfte aus Gewerbebetrieb/Beteiligungen in Höhe von 27 325,00 Euro erzielt. Dies entspricht einem monatlichen Durchschnittseinkommen von 2277,08 Euro. Der Hinzuverdienst lag damit oberhalb der Hinzuverdienstgrenze von 345,00 Euro sowie aller Teilrenten (3/4-Rente = 1001,30 Euro, 1/2-Rente = 1328,64 Euro, 1/4-Rente = 1655,99 Euro). Der für dasselbe Kalenderjahr durch den ebenfalls unangefochtenen Bescheid vom 7.2.2006 über die gesonderte und einheitliche Feststellung der Besteuerungsgrundlagen und des verrechenbaren Verlustes nach § 15a Abs 4 EStG zugewiesene Verlust aus der Beteiligung am Autohaus D. in Höhe von 19 685,29 Euro kann steuerrechtlich nicht im Entstehungsjahr berücksichtigt werden, sondern erst später mit den Gewinnen aus der KG verrechnet werden. Nach § 15a EStG können Kommanditisten Verluste, die zu einem negativen Kapitalkonto geführt haben oder dieses erhöhen, erst künftig und nur gegen Gewinne aus der Beteiligung verrechnen. Abs 1 der Norm bestimmt, dass Verluste grundsätzlich nur bis zur Höhe des Haftungsbetrages des Kommanditisten mit anderen positiven Einkünften ausgeglichen werden können. Der Verlust kann zudem auch nur mit Gewinnen späterer Jahre, die aus der Beteiligung dieses Kommanditisten fließen, verrechnet werden (Abs 2 aaO). Anders als beim Abzug von Verlusten nach Maßgabe des § 10d EStG (Verlustvortrag und Verlustrücktrag), der "wie eine Sonderausgabe" vom Gesamtbetrag der Einkünfte erfolgt(s hierzu Urteil des Senats in BSGE 88, 117, 121 f = SozR 3-2600 § 97 Nr 4), handelt es sich hier um eine Regelung zur Bestimmung allein des einem Kommanditisten aus Gewerbebetrieb erwachsenden Gewinns, die damit auch Teil der "allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommensteuerrechts" iS von § 15 Abs 1 S 1 SGB IV ist.

26

Dennoch kommt eine Aufhebung für die Vergangenheit nicht in Betracht. Die Feststellungen des LSG geben von vorneherein keinen Anlass, die Voraussetzungen des § 45 Abs 2 S 3 Nr 1 SGB X (Ausschluss von Vertrauen in den Bestand des Verwaltungsakts, den der Begünstigte durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat) und des § 45 Abs 3 S 2 SGB X(Vorliegen von Wiederaufnahmegründen entsprechend § 580 ZPO) zu prüfen. Der Verwaltungsakt vom 18.2.2005 beruht auch nicht auf "Angaben", die der Kläger vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig gemacht hat (§ 45 Abs 2 S 3 Nr 2 SGB X). Ebenso wenig kannte er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes oder ist ihm dessen Rechtswidrigkeit infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt geblieben (§ 45 Abs 2 S 3 Nr 3 Halbs 1 SGB X).

27

Die Beklagte hat als an Gesetz und Recht gebundener Träger öffentlicher Verwaltung (Art 20 Abs 3 GG) im Rahmen ihrer Zuständigkeit die von ihr jeweils anzuwendenden Rechtssätze in eigener Verantwortung festzustellen und den von ihr ohne Bindung an Vorbringen und Beweisanträge der Beteiligten umfassend und vollständig zu ermittelnden (§ 20 Abs 1, 2 SGB X) einschlägigen Lebenssachverhalt unter den Tatbestand der von ihr für einschlägig erachteten Normen zu subsumieren. Dies gilt auch für die Anwendung fachfremder Normen zur Beantwortung von Vorfragen wie vorliegend aus dem Bereich des Einkommensteuerrechts. Mitwirkungspflichten der Leistungsberechtigten (§ 21 Abs 2 SGB X, §§ 60 ff SGB I) ändern hieran grundsätzlich nichts und beschränken sich verfahrensrechtlich ausdrücklich auf die Mitwirkung bei der Aufklärung des Sachverhalts (§ 21 Abs 2 S 1 SGB X). § 45 Abs 2 S 3 Nr 2 SGB X trägt dem Rechnung, indem er das Vertrauen des Begünstigten auf den Bestand des Verwaltungsakts dann mit der Folge der Rücknehmbarkeit für die Vergangenheit als nicht schutzwürdig ansieht, wenn der Begünstigte selbst vorsätzlich oder fahrlässig durch in wesentlicher Beziehung unrichtige oder unvollständige Angaben ursächlich zum Ergehen des rechtswidrigen Verwaltungsakts beigetragen hat. Da Hinweise auf einen spezifischen Inhalt des Begriffs "Angaben" im Zusammenhang der Norm fehlen, ist davon auszugehen, dass hiermit (nur) die Angabe von Tatsachen (vgl Waschull in: Diering/Timme/Waschull, Sozialgesetzbuch X, 3. Aufl 2011, § 45 RdNr 32) gemeint ist, zu denen der Antragsteller materiell- und verwaltungsverfahrensrechtlich (§ 21 Abs 2 S 3 SGB X, § 60 SGB I) verpflichtet ist. Hiervon ist ohne nähere Erläuterung auch die bisherige Rechtsprechung ausgegangen (s etwa BSGE 61, 278, 281 = SozR 1300 § 45 Nr 29 und BSGE 96, 285 = SozR 4-4300 § 122 Nr 4, RdNr 23). Damit ergibt sich umgekehrt, dass weder die Anwendung von Rechtsnormen noch die Subsumtion unter einzelne Rechtsbegriffe auf den Antragsteller überwälzt werden dürfen. Die entsprechenden Äußerungen des Klägers im Verwaltungsverfahren sind folglich bereits keine "Angaben" iS von § 45 Abs 2 S 3 Nr 2 SGB X und damit auch von vorneherein nicht geeignet, insofern sein schutzwürdiges Vertrauen in den Bestand des Verwaltungsakts zu bestimmen.

28

Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat die Beklagte dem Kläger vorliegend aufgegeben, auf der Grundlage einer gewissenhaften Schätzung eine "Erklärung bei selbstständiger Tätigkeit über steuerrechtlichen Gewinn" abzugeben. Soweit der Kläger dem auf dem Formblattvordruck der Beklagten durch die Angabe "0 EUR" nachgekommen ist, handelt es sich nicht um eine Tatsachenangabe. Wie nämlich schon der Wortlaut von § 15 Abs 1 S 1 SGB IV zeigt, ist "Gewinn aus einer selbstständigen Tätigkeit" das Ergebnis der Anwendung der allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommensteuerrechts. Die entsprechenden Feststellungen beziehen sich damit stets auf das Vorliegen eines Rechtsbegriffs (vgl etwa BSGE 93, 226 = SozR 4-2400 § 15 Nr 2, RdNr 9, und BSGE 94, 174 = SozR 4-2600 § 96a Nr 5, RdNr 12)und sind umgekehrt einer unmittelbaren Klärung im Wege der Beweisaufnahme nicht zugänglich. Eine Übertragung entsprechender Aufgaben der Behörde auf den Antragsteller scheidet folglich auch dann von vorneherein aus, wenn diesem - wie vorliegend - gleichzeitig aufgegeben wird, seine Angaben durch einen Steuerberater bestätigen zu lassen. Eine entsprechende Zuziehung einschlägig Rechtskundiger ist nicht Bestandteil von Mitwirkungspflichten des Antragstellers iS der §§ 60 ff SGB I.

29

Die Beklagte kann eine rückwirkende Aufhebung auch nicht auf § 45 Abs 2 S 3 Nr 3 SGB X stützen. Der vom Berufungsgericht festgestellte Sachverhalt, gegen den die Revision keine Einwendungen erhebt, gibt keinen Hinweis darauf, dass dem Kläger die Rechtswidrigkeit des aufgehobenen Verwaltungsakts im maßgeblichen Zeitpunkt des Ergehens (BSG vom 27.1.2009 - B 7/7a AL 30/07 R - Juris RdNr 17) positiv bekannt gewesen sein könnte. Ebenso hat das Berufungsgericht unangegriffen festgestellt, dass dem Kläger hinsichtlich seiner Unkenntnis von der Rechtswidrigkeit des aufgehobenen Verwaltungsakts nicht wenigstens grobe Fahrlässigkeit vorgeworfen werden kann. Auch an diese Feststellungen ist der erkennende Senat im Blick darauf, dass das LSG die von der oberstgerichtlichen Rechtsprechung geklärten Voraussetzungen der "groben Fahrlässigkeit" zutreffend zugrunde gelegt hat, gebunden (§ 163 SGG).

30

Schließlich kann sich die Beklagte ungeachtet der Frage, ob eine entsprechende Umdeutung in Betracht kommt, auch nicht auf § 48 Abs 1 S 2 SGB X stützen, nach dem - unter weiteren Voraussetzungen - ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung wegen einer nach seinem Erlass (Bekanntgabe) eingetretenen wesentlichen Änderung der rechtlichen oder tatsächlichen Verhältnisse mit Wirkung für die Vergangenheit aufgehoben werden soll. Eine derartige Änderung ist nach dem Eingang des Bescheides vom 18.2.2005 beim damaligen Bevollmächtigten des Klägers nicht eingetreten. § 48 Abs 1 SGB X ermächtigt nicht zur Rücknahme wegen solcher - rechtlich wesentlicher - Tatsachen, die objektiv bereits bei Erlass des früheren Verwaltungsakts gegeben waren. Im Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides vom 18.2.2005 waren aber alle Umstände bereits objektiv gegeben, die nach § 96a SGB VI für eine Berücksichtigung von Erwerbseinkommen für das Kalenderjahr 2004 rechtlich erheblich waren. Darauf, wann der Einkommensteuerbescheid für das Kalenderjahr 2004 vom 8.3.2006 der Beklagten vorlag, kommt es entgegen der Revision und der von ihr zitierten Rechtsprechung nicht an (so auch bereits BSG SozR 3-1300 § 32 Nr 4 S 33). Die Einkommensteuerbescheide der Finanzverwaltung werden - anders als die "allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommensteuerrechts" - von § 15 Abs 1 S 1 SGB IV nicht in Bezug genommen. Sie beschränken sich im Übrigen gemäß § 157 AO grundsätzlich und in aller Regel auf eine deklaratorische(exemplarisch BFHE 156, 103, 109 und BFH/NV 2011, 430, 431) Feststellung der Einkommensteuerschuld und erfassen demgemäß ohnehin nicht bindend auch zugrunde liegende Feststellungen, auf die die Beklagte anstelle eigener Schlussfolgerungen hätte zurückgreifen können. Lediglich verfahrensrechtlich darf die Verwaltung mit der abschließenden vorbehaltslosen Feststellung des monatlichen Zahlbetrags der Rente so lange zuwarten, bis der Einkommensteuerbescheid vorliegt und muss dies im Blick auf § 20 Abs 1, 2 SGB X auch, wenn sie die erforderlichen materiell-rechtlichen Feststellungen zur Höhe des Arbeitseinkommens nicht ausnahmsweise vorher selbst auf der Grundlage des einschlägigen Steuerrechts getroffen hat.

31

Etwas anderes gölte von vorneherein selbst dann nicht, wenn man die von der Beklagten zu Unrecht zur Grundlage ihrer Ausgangsentscheidung erhobene Hypothese als Vergleichsmaßstab heranziehen wollte. Derartige Schätzungen des monatlichen Einkommens auf der Basis aller bis zum Ende des Verwaltungsverfahrens verfügbaren einschlägigen Umstände repräsentieren - wo sie rechtlich zulässig sind - die abschließende und endgültige tatsächliche Grundlage einer hierauf beruhenden endgültigen und vorbehaltslosen Entscheidung. Die ursprüngliche Rechtsfolgenfeststellung durch die Verwaltung beruht damit von vorneherein nicht auf sich erst später realisierenden tatsächlichen Gegebenheiten und wird durch erst nachträglich eintretende Umstände und Entwicklungen auch nicht im Sinne einer wesentlichen Änderung mit Wirkung für die Vergangenheit widerlegt (BSG SozR 3-2600 § 97 Nr 3 S 15 mwN). Derartige Schätzungen (Prognosen und Hypothesen) können demgemäß nur anfänglich unrichtig sein, wenn sie etwa die zum Zeitpunkt der Vornahme vorhandenen und erkennbaren Umstände und Zahlen nicht vollständig berücksichtigen und/oder die hieraus gezogenen Schlussfolgerungen nicht nachvollziehbar sind, insbesondere ein Verstoß gegen Denkgesetze vorliegt (s BSG SozR 3-7833 § 6 Nr 15 S 88).

32

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

(1) Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit

1.
die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt,
2.
der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist,
3.
nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde, oder
4.
der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist.
Als Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse gilt in Fällen, in denen Einkommen oder Vermögen auf einen zurückliegenden Zeitraum auf Grund der besonderen Teile dieses Gesetzbuches anzurechnen ist, der Beginn des Anrechnungszeitraumes.

(2) Der Verwaltungsakt ist im Einzelfall mit Wirkung für die Zukunft auch dann aufzuheben, wenn der zuständige oberste Gerichtshof des Bundes in ständiger Rechtsprechung nachträglich das Recht anders auslegt als die Behörde bei Erlass des Verwaltungsaktes und sich dieses zugunsten des Berechtigten auswirkt; § 44 bleibt unberührt.

(3) Kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nach § 45 nicht zurückgenommen werden und ist eine Änderung nach Absatz 1 oder 2 zugunsten des Betroffenen eingetreten, darf die neu festzustellende Leistung nicht über den Betrag hinausgehen, wie er sich der Höhe nach ohne Berücksichtigung der Bestandskraft ergibt. Satz 1 gilt entsprechend, soweit einem rechtmäßigen begünstigenden Verwaltungsakt ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt zugrunde liegt, der nach § 45 nicht zurückgenommen werden kann.

(4) § 44 Abs. 3 und 4, § 45 Abs. 3 Satz 3 bis 5 und Abs. 4 Satz 2 gelten entsprechend. § 45 Abs. 4 Satz 2 gilt nicht im Fall des Absatzes 1 Satz 2 Nr. 1.

Das Bundessozialgericht ist an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden, außer wenn in bezug auf diese Feststellungen zulässige und begründete Revisionsgründe vorgebracht sind.

(1) Kinder haben nach dem Tod eines Elternteils Anspruch auf Halbwaisenrente, wenn

1.
sie noch einen Elternteil haben, der unbeschadet der wirtschaftlichen Verhältnisse unterhaltspflichtig ist, und
2.
der verstorbene Elternteil die allgemeine Wartezeit erfüllt hat.

(2) Kinder haben nach dem Tod eines Elternteils Anspruch auf Vollwaisenrente, wenn

1.
sie einen Elternteil nicht mehr haben, der unbeschadet der wirtschaftlichen Verhältnisse unterhaltspflichtig war, und
2.
der verstorbene Elternteil die allgemeine Wartezeit erfüllt hat.

(3) Als Kinder werden auch berücksichtigt:

1.
Stiefkinder und Pflegekinder (§ 56 Abs. 2 Nr. 1 und 2 Erstes Buch), die in den Haushalt des Verstorbenen aufgenommen waren,
2.
Enkel und Geschwister, die in den Haushalt des Verstorbenen aufgenommen waren oder von ihm überwiegend unterhalten wurden.

(4) Der Anspruch auf Halb- oder Vollwaisenrente besteht längstens

1.
bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres oder
2.
bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres, wenn die Waise
a)
sich in Schulausbildung oder Berufsausbildung befindet oder
b)
sich in einer Übergangszeit von höchstens vier Kalendermonaten befindet, die zwischen zwei Ausbildungsabschnitten oder zwischen einem Ausbildungsabschnitt und der Ableistung des gesetzlichen Wehr- oder Zivildienstes oder der Ableistung eines freiwilligen Dienstes im Sinne des Buchstabens c liegt, oder
c)
einen freiwilligen Dienst im Sinne des § 32 Absatz 4 Satz 1 Nummer 2 Buchstabe d des Einkommensteuergesetzes leistet oder
d)
wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten.
Eine Schulausbildung oder Berufsausbildung im Sinne des Satzes 1 liegt nur vor, wenn die Ausbildung einen tatsächlichen zeitlichen Aufwand von wöchentlich mehr als 20 Stunden erfordert. Der tatsächliche zeitliche Aufwand ist ohne Bedeutung für Zeiten, in denen das Ausbildungsverhältnis trotz einer Erkrankung fortbesteht und damit gerechnet werden kann, dass die Ausbildung fortgesetzt wird. Das gilt auch für die Dauer der Schutzfristen nach dem Mutterschutzgesetz.

(5) In den Fällen des Absatzes 4 Nr. 2 Buchstabe a erhöht sich die für den Anspruch auf Waisenrente maßgebende Altersbegrenzung bei Unterbrechung oder Verzögerung der Schulausbildung oder Berufsausbildung durch den gesetzlichen Wehrdienst, Zivildienst oder einen gleichgestellten Dienst um die Zeit dieser Dienstleistung, höchstens um einen der Dauer des gesetzlichen Grundwehrdienstes oder Zivildienstes entsprechenden Zeitraum. Die Ableistung eines freiwilligen Dienstes im Sinne von Absatz 4 Nr. 2 Buchstabe c ist kein gleichgestellter Dienst im Sinne von Satz 1.

(6) Der Anspruch auf Waisenrente endet nicht dadurch, dass die Waise als Kind angenommen wird.

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 22. April 2009 wird hinsichtlich des Anspruchs auf Halbwaisenrente für die Monate Juni und Juli 2005 zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Streitig ist ein Anspruch des Klägers auf Halbwaisenrente für die ersten vier Kalendermonate des Zeitraums zwischen Beendigung der Schulausbildung und Aufnahme eines Studiums.

2

Der im Dezember 1985 geborene Kläger bezog nach dem Tod seines Vaters (27.1.2000) Halbwaisenrente. Die Leistung wurde nach den Feststellungen des LSG zuletzt in Höhe von monatlich 226,48 Euro gewährt und nach einer Mitteilung des Klägers, er werde die Schulausbildung voraussichtlich bis zum 31.3.2005 beenden, ab April 2005 nicht mehr gezahlt. Zuvor hatte die Beklagte, wie die Beteiligten im Revisionsverfahren übereinstimmend erklärt haben, mit Bescheid vom 17.11.2003 den Waisenrentenanspruch des Klägers bis zum 31.12.2012 (Vollendung des 27. Lebensjahres) befristet.

3

Der Kläger übersandte der Beklagten mit Schreiben vom 3.4.2005 eine Bescheinigung seines Gymnasiums, die als Ende der Ausbildung den 11.3.2005 auswies. Zugleich teilte er mit, aufgrund des vorgezogenen Abiturs in Rheinland-Pfalz (sog "Mainzer Studienstufe") und seiner Entscheidung, das Fach Politologie nicht an einer rheinland-pfälzischen Hochschule zu studieren, werde sich die Wartezeit bis zum Wintersemester 2005/06 verlängern. Mit Bescheid vom 4.5.2005 lehnte die Beklagte die Weitergewährung der Waisenrente über den 1.4.2005 hinaus ab, weil zwischen zwei Ausbildungsabschnitten nur vier Kalendermonate liegen dürften. Der Kläger focht diesen Bescheid nicht an. Ab Oktober 2005 bewilligte ihm die Beklagte antragsgemäß erneut Halbwaisenrente.

4

Im Februar 2007 machte der Kläger unter Hinweis auf ein Urteil des SG Speyer einen Anspruch auf Nachzahlung der Halbwaisenrente für die Monate April bis September 2005 in Höhe von insgesamt 1.358,88 Euro geltend. Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 21.2.2007 eine Korrektur ihres Bescheids vom 4.5.2005 ab, da weder von einem falschen Sachverhalt ausgegangen noch das Recht unrichtig angewandt worden sei. Den auf den Gleichbehandlungsgrundsatz gestützten Widerspruch des Klägers wies sie zurück (Widerspruchsbescheid vom 21.5.2007).

5

Auf die Klage hat das SG den Bescheid vom 21.2.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.5.2007 teilweise aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger unter teilweiser Rücknahme des Bescheids vom 4.5.2005 für die Monate April bis Juli 2005 Halbwaisenrente zu zahlen; im Übrigen hat es die Klage abgewiesen (Urteil des SG Speyer vom 10.9.2008). Nach Ansicht des SG lag in diesen Monaten kein Ausschlussgrund gemäß § 48 Abs 4 Satz 1 Nr 2 Buchst b SGB VI vor; die Rechtsprechung des BSG zum Fortbestehen des Anspruchs auf Waisenrente für vier Monate, wenn bei Beendigung des Wehr- oder Zivildienstes bekannt sei, dass die weitere Berufsausbildung erst nach Ablauf von mehr als vier Monaten aufgenommen oder fortgesetzt werden könne, sei auch auf den Fall des Klägers sowie unter der ab 1.8.2004 maßgeblichen Rechtslage nach dem RV-Nachhaltigkeitsgesetz (RVNG - vom 21.7.2004, BGBl I 1791) weiterhin anwendbar.

6

Auf die Berufung (nur) der Beklagten hat das LSG die Entscheidung des SG abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen (Urteil des LSG Rheinland-Pfalz vom 22.4.2009 - Juris). Der erkennende 6. Senat sei in Übereinstimmung mit dem LSG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 15.9.2006 - L 1 R 1048/06 - Juris) der Überzeugung, die Neuregelung des § 48 Abs 4 Satz 1 Nr 2 Buchst b SGB VI durch das RVNG enthalte nach ihrem Wortlaut eine Fortentwicklung der bisherigen Rechtsprechung des BSG. Diese sei auch unter Berücksichtigung des Gleichbehandlungsgrundsatzes nicht zu beanstanden; der Gesetzgeber sei zu einer typisierenden Regelung des Versicherungsrisikos befugt gewesen und habe die Gruppe der Waisen, bei denen zwischen dem Ende der Schulausbildung und dem möglichen Beginn der Hochschulausbildung mehr als vier Kalendermonate lägen, außer Acht lassen dürfen. Bei längeren Zwischenzeiten dürften und müssten sich die Ausbildungswilligen darauf einstellen, diese mit eigener Erwerbstätigkeit zu überbrücken. Eine verfassungskonforme Auslegung der Vorschrift sei nicht erforderlich, denn sie behandle alle Waisen gleich, deren Übergangszeit zwischen zwei wie auch immer gearteten Ausbildungsabschnitten länger als vier Monate dauere. Der Kläger könne auch aus der Entscheidung des BSG vom 17.4.2008 (BSGE 100, 210 = SozR 4-2600 § 48 Nr 3) nichts für sich herleiten, zumal dieses Urteil zur waisenrentenunschädlichen Unterbrechung einer Übergangszeit durch eine Elternzeit noch auf der alten Rechtslage des Jahres 2002 beruhe.

7

Der Kläger rügt mit der vom Senat zugelassenen Revision eine Verletzung des § 48 Abs 4 Satz 1 Nr 2 Buchst b SGB VI sowie des Art 3 Abs 1 GG. Der Gesetzgeber habe mit der Neuregelung durch das RVNG lediglich klarstellen wollen, dass der bisherigen Rechtsprechung des BSG zu den Übergangszeiten zwischen zwei Ausbildungsabschnitten oder dem Wehr-/Zivildienst, die aus organisatorischen Gründen unvermeidbar seien, gefolgt werden solle. Unstreitig sei er - der Kläger - von einer solchen unvermeidbaren Zwangspause aufgrund des besonderen Schulsystems in Rheinland-Pfalz betroffen. Dieses ermögliche es einem Schüler nicht, im März eines Jahres zu erkennen, ob die Ausbildungspause länger als vier Monate dauern werde. Der Gesetzgeber habe den ausbildungswilligen Waisen im Falle einer längeren Ausbildungspause jedenfalls für vier Monate eine Unterhaltsmöglichkeit verschaffen wollen; das sei der Versichertengemeinschaft im Hinblick auf die Beiträge des verstorbenen Versicherten auch zumutbar. Im Übrigen sei dem Wortlaut von § 48 Abs 4 Satz 1 Nr 2 Buchst b SGB VI nicht zu entnehmen, dass bei einer längeren Ausbildungspause die Waisenrente überhaupt nicht zu zahlen sei; eindeutig geregelt sei lediglich, dass die Rente keinesfalls länger als vier Monate gezahlt werden könne. Eine entsprechende Auslegung sei überdies zur Vermeidung einer verfassungswidrigen Ungleichbehandlung der Auszubildenden gegenüber den Wehr- oder Zivildienstleistenden geboten, denn rechtfertigende Gründe für eine unterschiedliche Behandlung dieser Gruppen seien nicht ersichtlich; der offene Wortlaut der Norm lasse eine solche Auslegung zu.

8

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 22. April 2009 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 10. September 2008 zurückzuweisen,

hilfsweise, das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 22. April 2009 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

9

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

10

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

11

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 165 Satz 1 iVm § 153 Abs 1, § 124 Abs 2 SGG).

Entscheidungsgründe

12

Der Senat entscheidet abschließend über die Revision des Klägers durch Teilurteil (§ 202 SGG iVm § 301 Abs 1 Satz 1 ZPO) nur insoweit, als dieser einen Anspruch auf Halbwaisenrente für die Monate Juni und Juli 2005 geltend macht. Nur in diesem Umfang ist das Rechtsmittel derzeit zu einer Endentscheidung reif (§ 300 Abs 1 ZPO - hierzu im Einzelnen unter 4.). Der Erlass eines Teilurteils ist einem Aufschub der Entscheidung vorzuziehen (vgl § 301 Abs 2 ZPO), da auf diese Weise die Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung, welche zur Zulassung der Revision geführt hat und die für die laufende Verwaltungspraxis der Rentenversicherungsträger von aktueller Bedeutung ist, so zeitnah wie möglich geklärt werden kann.

13

Hinsichtlich des auf diese Weise umgrenzten Streitgegenstands ist die Revision des Klägers nicht begründet. Das LSG hat im Ergebnis zu Recht entschieden, dass der Kläger die Zahlung von Halbwaisenrente für die Monate Juni und Juli 2005 nicht beanspruchen kann.

14

1. Verfahrenshindernisse, die bei zulässiger Revision von Amts wegen zu beachten sind, stehen einer Sachentscheidung nicht entgegen; insbesondere war bei einer Beschwer der Beklagten durch das Urteil des SG im Umfang von (4 x 226,48 =) 905,92 Euro die Berufungssumme von 750 Euro (§ 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG) überschritten.

15

2. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist eine kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage gemäß § 54 Abs 1 Satz 1 Varianten 1 und 3, § 56 SGG; mit ihr begehrt der Kläger die Verurteilung der Beklagten zum Erlass des zuvor von ihr abgelehnten Verwaltungsakts auf Rücknahme des Bescheids vom 4.5.2005, soweit dieser der Zahlung von Halbwaisenrente für die Monate April bis Juli 2005 entgegensteht. Der vom Kläger vor dem SG geltend gemachte weitergehende Anspruch, ihm Waisenrente auch noch für die Monate August und September 2005 zu bewilligen, ist nicht mehr Streitgegenstand, da der Kläger selbst kein Rechtsmittel (Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung bzw Anschlussberufung) gegen das insoweit klagabweisende SG-Urteil eingelegt hat, das somit in dem genannten Umfang für die Beteiligten bindend geworden ist (§ 141 Abs 1 SGG).

16

3. Der Kläger hat nach materiellem Rentenrecht keinen Anspruch auf Zahlung von Halbwaisenrente für die Monate April bis Juli 2005, welche Teil der von Mitte März bis Ende September 2005 andauernden Übergangszeit zwischen der Beendigung seiner Gymnasialausbildung und der Aufnahme eines Hochschulstudiums sind.

17

a) Rechtsgrundlage für den Anspruch auf Halbwaisenrente ist § 48 Abs 1 iVm Abs 4 Satz 1 Nr 2 Buchst b und Satz 2 SGB VI(hier anzuwenden idF des RVNG vom 21.7.2004, BGBl I 1791). Danach haben Kinder nach dem Tod eines Elternteils Anspruch auf Halbwaisenrente, wenn sie noch einen Elternteil haben, der unbeschadet der wirtschaftlichen Verhältnisse unterhaltspflichtig ist, und sofern der verstorbene Elternteil die allgemeine Wartezeit erfüllt hat. Diese Voraussetzungen sind nach den Feststellungen im LSG-Urteil erfüllt und im Übrigen zwischen den Beteiligten zu Recht unstreitig.

18

Die Dauer des Anspruchs auf Halbwaisenrente ist je nach Alter der Waise unterschiedlich. Sie besteht ohne weitere Voraussetzungen uneingeschränkt bis zur Vollendung des 18. Lebensjahrs (§ 48 Abs 4 Satz 1 Nr 1 SGB VI),darüber hinaus jedoch nur dann, wenn einer der Tatbestände des § 48 Abs 4 Satz 1 Nr 2 - ggf iVm Abs 5 - SGB VI vorliegt(vgl BSG SozR 3-2600 § 48 Nr 4 S 21; BSG SozR 4-2600 § 48 Nr 2 RdNr 11).

19

b) Der Kläger, der damals sein 18. Lebensjahr bereits vollendet hatte, erfüllte im Zeitraum nach Beendigung der Gymnasialausbildung bis zur Aufnahme des Hochschulstudiums keinen der gesetzlichen Tatbestände, die einen weiteren Bezug von Halbwaisenrente ermöglichen.

20

aa) Er befand sich ab Mitte März 2005 nicht mehr in einer Schulausbildung iS von § 48 Abs 4 Satz 1 Nr 2 Buchst a SGB VI. Nach den Feststellungen des LSG hatte er bis zum 11.3.2005 das Gymnasium besucht und damit die Schulausbildung beendet. Ab dem darauffolgenden Tag lag keine "Schulausbildung" nach Maßgabe der genannten Vorschrift mehr vor, denn es ist weder vom LSG festgestellt noch vom Kläger behauptet oder sonst ersichtlich, dass nach diesem Zeitpunkt eine Schulausbildung mit schulischem Ausbildungsgeschehen tatsächlich noch erfolgt wäre.

21

Der Senat folgt nicht der zum Teil in der Literatur vertretenen Ansicht, Schulausbildung an allgemein- und berufsbildenden Schulen finde in Schuljahren statt und diese endeten auch in waisenrentenrechtlicher Hinsicht stets - unabhängig davon, ob bereits zuvor die Abschlussprüfung beendet sei oder das Zeugnis ausgehändigt werde - am 31.7. eines Jahres (vgl Löns in Kreikebohm, SGB VI, 3. Aufl 2008, § 48 RdNr 13; W. Lilge in Handkomm SGB VI, Stand Mai 2009, § 48 Anm 13.2 und 16.5; Eicher/Michaelis, Die Rentenversicherung im SGB, Stand Dezember 2009, § 48 SGB VI Anm 5 a; Benkler ua, Komm zum Recht der Gesetzlichen Rentenversicherung , Stand Januar 2010, § 48 RdNr 12; Zweng/Scheerer/Buschmann/Dörr, Handbuch der Rentenversicherung, Teil II - SGB VI, Stand Februar 2008, § 48 RdNr 52; Kamprad in Hauck/Haines, SGB VI, Stand Februar 2010, K § 48 RdNr 26; Giese, SdL 2004, 264, 266 ff; kritisch hierzu Pohl in Wannagat, SGB, Stand Juni 2008, § 48 SGB VI RdNr 24).

22

Bereits im Urteil vom 17.4.2008 (BSGE 100, 210 = SozR 4-2600 § 48 Nr 3, RdNr 14) hat der Senat - ohne dass dies dort entscheidungserheblich gewesen wäre - in Übereinstimmung mit dem vormaligen 4. Senat (vgl BSG Urteile vom 5.12.1996 - 4 RA 101/95 - Juris RdNr 16; vom 4.8.1998 - B 4 RA 8/98 R - Juris RdNr 13; vom 31.8.2000 - B 4 RA 7/99 R - SozR 3-2600 § 58 Nr 14 S 79 f) auf das Datum des Abiturzeugnisses abgestellt; damit endet im Regelfall die Gymnasialausbildung (s auch BSG Urteil vom 17.4.2007 - B 5 R 62/06 R - SozR 4-2600 § 58 Nr 8 RdNr 1, 14). Ein Abweichen hiervon ist schon deshalb nicht veranlasst, weil nunmehr § 48 Abs 4 Satz 2 SGB VI idF des RVNG mit Wirkung ab 1.8.2004 ausdrücklich regelt, dass eine Schulausbildung im Sinne dieser Vorschrift nur vorliegt, wenn die Ausbildung "einen tatsächlichen zeitlichen Aufwand von wöchentlich mehr als 20 Stunden erfordert". Der Gesetzgeber wollte mit dieser Regelung klarstellen, "dass für die Voraussetzungen für das Vorliegen einer Ausbildung die Rechtsprechung des BSG zu Anrechnungszeiten gilt" (vgl Gesetzentwurf der Bundesregierung zum RVNG, BR-Drucks 1/04 S 50 - Zu Art 1, Zu Nr 6 <§ 48>); dies umfasst auch die zu Anrechnungszeiten gemäß § 58 SGB VI ergangenen Urteile des vormaligen 4. Senats des BSG. Mit der genannten Regelung ist die Auffassung unvereinbar, dass Schulausbildung auch während der Ferien zwischen zwei Schuljahren und selbst dann vorliege, wenn nach Ausstellung des Zeugnisses für einen abgeschlossenen Ausbildungsgang die vormaligen Schüler bis zum schulrechtlich festgelegten Schuljahresende in keiner Weise mehr unterrichtet werden. Auf das Ende des Schuljahres oder der Schulzeit im schulrechtlichen Sinne (vgl zB § 8 Abs 1 Schulgesetz Rheinland-Pfalz iVm § 3 Abs 4 der Landesverordnung über die gymnasiale Oberstufe; § 57 Hessisches Schulgesetz) kommt es im Rahmen der §§ 48, 58 SGB VI nicht an.

23

bb) Der Kläger, der somit am 11.3.2005 seine Gymnasialschulzeit beendet hatte, befand sich in dem daran anschließenden Zeitraum auch nicht in einer Übergangszeit gemäß § 48 Abs 4 Satz 1 Nr 2 Buchst b SGB VI. Nach dieser durch das RVNG ebenfalls neu gefassten Vorschrift besteht Anspruch auf Halb- oder Vollwaisenrente längstens bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres, wenn die Waise "sich in einer Übergangszeit von höchstens vier Kalendermonaten befindet, die zwischen zwei Ausbildungsabschnitten oder zwischen einem Ausbildungsabschnitt und der Ableistung des gesetzlichen Wehr- oder Zivildienstes oder der Ableistung eines freiwilligen Dienstes … liegt". Dieser Tatbestand ist nur erfüllt, wenn die gesamte Übergangszeit zwischen zwei Ausbildungsabschnitten (oder gleichgestellten Zeiträumen) höchstens vier volle Kalendermonate umfasst.

24

(1) Wie die Beklagte zu Recht geltend macht, spricht bereits der Wortlaut der Norm für diese Auslegung. Danach muss eine "Übergangszeit von höchstens vier Kalendermonaten" vorliegen, dh dieses Tatbestandsmerkmal bestimmt die Höchstdauer einer waisenrentenunschädlichen Übergangszeit und nicht - wie der Kläger meint - die Höchstdauer des Waisenrentenanspruchs unabhängig von der Dauer der Übergangszeit. Dem Rechtsstandpunkt des Klägers entspräche vielmehr eine Regelung, wonach Anspruch auf Halb- oder Vollwaisenrente über die Vollendung des 18. Lebensjahres hinaus bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres jeweils auch für die Dauer von höchstens vier Kalendermonaten besteht, wenn sich die Waise in einer Übergangszeit zwischen zwei Ausbildungsabschnitten befindet. Eine solche Formulierung hat der Gesetzgeber jedoch nicht gewählt.

25

(2) Aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift lassen sich keine eindeutigen Hinweise auf den vom Gesetzgeber gewollten Regelungsinhalt der Norm erschließen; die Gesamtumstände der Genese der Norm sprechen jedoch ebenfalls für die vom Senat für zutreffend erachtete Auslegung.

26

Die Änderung des § 48 Abs 4 Nr 2 SGB VI durch das RVNG ist - soweit ersichtlich - im Verlauf der parlamentarischen Beratungen nicht erörtert worden. In den Materialien zum Gesetzgebungsverfahren findet sich in den einleitenden Erläuterungen zum Gesetzentwurf der Bundesregierung allerdings der Hinweis, der Entwurf enthalte Regelungen, "die nicht in erster Linie unter dem Aspekt der Sicherung der nachhaltigen Finanzierungsgrundlagen zu sehen" seien; dabei handele es sich ua "um Änderungen, die sich aufgrund der jüngeren Rechtsprechung des BSG ergeben", und um Klarstellungen (BR-Drucks 1/04 S 3; inhaltsgleich Gesetzentwurf der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, BT-Drucks 15/2149 S 2). Das zeigt, dass die Änderungen, die aufgrund der jüngeren Rechtsprechung des BSG für notwendig bzw zweckmäßig erachtet wurden, zwar nicht in erster Linie, aber doch auch dem übergreifenden Ziel jenes Gesetzes dienen sollten, nämlich die nachhaltige Finanzierung der gesetzlichen Rentenversicherung sicherzustellen (BR-Drucks 1/04 S 2 und S 39 ff). Diesem Ziel entspricht die vom Senat vertretene Auslegung weitaus mehr als die vom Kläger favorisierte Interpretation.

27

Dem steht die im Besonderen Teil der Gesetzesbegründung wiedergegebene Aussage nicht entgegen, mit der Änderung des § 48 Abs 4 SGB VI werde "der Rechtsprechung des BSG gefolgt, nach der während so genannter Übergangszeiten, die zwischen zwei Ausbildungsabschnitten oder dem Wehr- oder Zivildienst liegen und aus organisatorischen Gründen für die Waisen regelmäßig unvermeidlich sind, die Waisenrente weiter geleistet wird". Aus dieser Formulierung kann nicht der Schluss gezogen werden, dass der Gesetzgeber die Rechtsprechung des BSG in jeglicher Hinsicht unverändert normativ abgebildet habe. Wäre dies beabsichtigt gewesen, so hätte es eines Tätigwerdens des Gesetzgebers überhaupt nicht bedurft, denn dann wäre in der Praxis ohnehin die Rechtsprechung des BSG weiter zur Anwendung gekommen. Deshalb ist es angebracht, den genauen Wortlaut der soeben zitierten Begründung ernst zu nehmen. Dieser beschränkt sich darauf, dass der Rechtsprechung des BSG in der grundsätzlichen Richtung gefolgt werden sollte, dh insbesondere darin, dass - über den damals maßgeblichen Wortlaut des Gesetzes hinaus in rechtsfortbildender Analogie (so zB BSG Urteile vom 22.2.1990 - 4 RA 38/89 - SozR 3-2200 § 1267 Nr 1 S 3, und vom 5.12.1996 - 4 RA 101/95 - Juris RdNr 17) - während so genannter Übergangszeiten, die für die Waisen aus organisatorischen Gründen regelmäßig unvermeidlich sind, die Waisenrente weiter zu leisten ist (in diesem Sinne bereits Senatsurteil vom 17.4.2008 - B 13/4 R 49/06 R - BSGE 100, 210 = SozR 4-2600 § 48 Nr 3, RdNr 23; s auch Pohl in Wannagat, SGB, Stand Juni 2008, § 48 SGB VI RdNr 26).

28

Dass die Rechtsprechung des BSG in jedem Detail übernommen und auf diese Weise "eins zu eins" kodifiziert werden sollte, wird hingegen in der Gesetzesbegründung nicht zum Ausdruck gebracht. Das ist mit der Neufassung des § 48 Abs 4 Satz 1 Nr 2 SGB VI offenkundig auch nicht erfolgt. Denn von der in § 48 Abs 4 Satz 1 Nr 2 Buchst b SGB VI normierten "Übergangszeit von höchstens vier Kalendermonaten" war in der Rechtsprechung des BSG bis dahin nie die Rede. Vielmehr war dort formuliert, im Rahmen der Waisenrente seien unvermeidbare Zwangspausen "längstens für die Dauer von vier Monaten" als Ausbildungszeit zu berücksichtigen, sofern "der nächste Ausbildungsabschnitt spätestens im vierten auf die Beendigung des vorherigen Ausbildungsabschnitts folgenden Monat beginnt" (vgl BSG Urteile vom 30.3.1994 - 4 RA 45/92 - SozR 3-2200 § 1267 Nr 3 S 16; vom 27.2.1997 - 4 RA 21/96 - SozR 3-2600 § 48 Nr 1 S 2). Die Verwendung des Begriffs "Kalendermonate" - der nach seinem Sinngehalt die mögliche Zeitdauer einer waisenrentenunschädlichen Übergangszeit ausdehnt, so dass diese sogar vier volle Kalendermonate umfassen kann - ist mithin nicht originär aus der Rechtsprechung des BSG übernommen, sondern enthält eine eigenständige Regelung.

29

Schließlich kann dem Gesetzgeber von vornherein nicht unterstellt werden, er habe eine erst nach Abfassung der Gesetzesbegründung (Ende 2003) ergangene Rechtsprechung vorausgesehen und übernehmen wollen. Denn bis zu diesem Zeitpunkt hatte das BSG lediglich entschieden, dass unvermeidliche Zwischenzeiten zwischen zwei Ausbildungsabschnitten waisenrentenunschädlich sind, wenn sie "von vornherein auf maximal vier Monate begrenzt sind" (vgl BSG Urteile vom 9.2.1984 - 11 RA 2/83 - BSGE 56, 148, 150 = SozR 2200 § 1259 Nr 81 S 223; vom 9.2.1984 - 11 RA 52/83 - SozR 2200 § 1267 Nr 31 S 74; vom 22.2.1990 - 4 RA 38/89 - SozR 3-2200 § 1267 Nr 1 S 3 f; vom 31.3.1992 - 4 RA 3/91 - SozR 3-2600 § 252 Nr 1 S 3; vom 5.12.1996 - 4 RA 101/95 - Juris RdNr 17; vom 26.1.2000 - B 13 RJ 53/99 R - SozR 3-2600 § 48 Nr 3 S 9; vom 31.8.2000 - B 4 RA 7/99 R - SozR 3-2600 § 58 Nr 14 S 80). Länger dauernde Übergangszeiten wurden nur dann bis zu einer Höchstdauer von vier Monaten als waisenrentenunschädlich angesehen, wenn der Ausbildungswillige "von hoher Hand" an der Ausbildung gehindert worden war; dies war bis dahin nur für Fälle der Einberufung zum Grundwehr- oder Zivildienst anerkannt (BSG Urteile vom 30.3.1994 - 4 RA 45/92 - SozR 3-2200 § 1267 Nr 3 S 16; vom 27.2.1997 - 4 RA 21/96 - SozR 3-2600 § 48 Nr 1 S 3, 5; zum Ausnahmecharakter dieser Rechtsprechung s Löns in Kreikebohm, SGB VI, 3. Aufl 2008, § 48 RdNr 18; Bohlken in juris Praxiskomm SGB VI, 2008, § 48 RdNr 82). Nichts anderes ergibt sich aus dem Urteil vom 31.8.2000 (B 4 RA 7/99 R - SozR 3-2600 § 58 Nr 14 S 80 f). In jener Entscheidung, welche die Anerkennung einer Anrechnungszeit betraf, wurde allerdings der Zeitraum zwischen Ablegung der Reifeprüfung und Ableistung des in der DDR in den Jahren zwischen 1957 und 1963 vor Aufnahme eines Hochschulstudiums vorgeschriebenen "praktischen Jahres" ebenfalls als unvermeidbare Zwischenzeit angesehen, weil den betroffenen Abiturienten aufgrund staatlicher Reglementierung eine nahtlose Studienaufnahme unmöglich gemacht worden sei. Der vormalige 4. Senat hat damit zwar an die Argumentation zu wehr- oder zivildienstbedingten Zwischenzeiten angeknüpft; er hat aber im konkreten Fall keinen länger als vier Monate andauernden Zeitraum als unvermeidbare Übergangszeit anerkannt (der streitige Zeitraum belief sich damals vom 7.6. bis 31.8.1958).

30

Vielmehr hat das BSG erstmals in den Urteilen vom 10.2.2005 (B 4 RA 26/04 R - SozR 4-2600 § 58 Nr 4; Parallelentscheidung B 4 RA 32/04 R vom selben Tage nicht veröffentlicht) angenommen, eine Übergangszeit zwischen Abitur und frühestmöglichem Studienbeginn sei auch dann als Anrechnungszeit zu berücksichtigen, wenn die Übergangszeit länger als vier Monate angedauert habe (in den entschiedenen Fällen jeweils vom 27.5. bis zum 30.9., dh lediglich um wenige Tage überschritten). Der von der bisherigen Rechtsprechung vorgegebene zeitliche Rahmen einer Übergangszeit von bis zu vier Monaten könne lediglich als Anhalt dienen; eine starre zeitliche Begrenzung sei damit jedoch nicht verbunden (vgl BSG SozR 4-2600 § 58 Nr 4 RdNr 16 f; zur Einordnung dieser Entscheidung als Einzelfallentscheidung aufgrund besonderer Umstände s BSG Urteil vom 17.4.2007 - B 5 R 62/06 R - SozR 4-2600 § 58 Nr 8 RdNr 17). Diese Entscheidungen können jedoch nicht als durch den Gesetzgeber in § 48 Abs 4 Satz 1 Nr 2 Buchst b SGB VI (idF des RVNG) kodifiziert angesehen werden. Selbst wenn in der genannten Norm eine Kodifizierung der Rechtsprechung des BSG ohne Abweichungen zu sehen wäre (in diesem Sinne möglicherweise der 5. Senat im Urteil vom 17.4.2007 - B 5 R 62/06 R - SozR 4-2600 § 58 Nr 8 RdNr 23; Gürtner in Kasseler Komm Sozialversicherungsrecht, Stand April 2010, § 48 SGB VI RdNr 43 f; aA Quinten in Reinhardt, Lehr- und Praxiskomm SGB VI, 2006, § 48 RdNr 15), könnte sich dies allenfalls auf den Stand der Judikatur Ende 2003 beziehen. Damals war aber - wie oben im Einzelnen belegt - eine Übergangszeit zwischen Abitur und Studienaufnahme nur dann als waisenrentenunschädlich anerkannt, wenn sie von vornherein auf maximal vier Monate begrenzt war.

31

(3) Für die vom Senat für zutreffend erachtete Auslegung des § 48 Abs 4 Satz 1 Nr 2 Buchst b SGB VI spricht auch die Systematik der Norm. Sie ist Bestandteil des Katalogs von Sachverhalten, bei deren Vorliegen Waisenrente abweichend von dem Grundsatz in § 48 Abs 4 Satz 1 Nr 1 SGB VI über die Vollendung des 18. Lebensjahres der Waise hinaus zu zahlen ist. Selbst wenn es sich insoweit nicht um Ausnahmevorschriften im eigentlichen Sinne handelt, die eng ausgelegt werden müssen (vgl BVerfG Beschluss vom 21.6.2005 - 2 BvR 957/04 - Juris RdNr 3; BSG Urteil vom 17.4.2007 - B 5 RJ 30/05 R - BSGE 98, 198 = SozR 4-1500 § 131 Nr 2, RdNr 19),ist doch die Grundentscheidung des Gesetzgebers zu beachten, dass volljährige Waisen ihren Lebensunterhalt selbst - ohne Rückgriff auf die von der Versichertengemeinschaft aufgebrachten Mittel - bestreiten müssen, wenn keiner der in § 48 Abs 4 SGB VI enumerativ aufgezählten Sachverhalte vorliegt.

32

Darüber hinaus ist in rechtssystematischer Hinsicht auch von Bedeutung, dass - wie bereits erwähnt - die Neufassung des § 48 Abs 4 Satz 1 Nr 2 Buchst b SGB VI im Kontext des RVNG erfolgte. Jenes Gesetz sollte einem Nachjustieren zur Stabilisierung der Finanzlage der gesetzlichen Rentenversicherung dienen, und zwar in erster Linie mit Hilfe mittel- und langfristig wirksamer Maßnahmen, nicht zuletzt aber auch unter Einsatz kurzfristig wirksamer Elemente zur Dämpfung des Anstiegs des Beitragssatzes; dabei sollten auch die Rentenempfänger einen Beitrag zur Verbesserung der Rahmenbedingungen bei den Lohnnebenkosten leisten (vgl Gesetzentwurf der Bundesregierung zum RVNG, BR-Drucks 1/04 S 2, 39, 40). Vor diesem Hintergrund hat die erstmalige und eigenständige Normierung der waisenrentenunschädlichen Übergangszeiten in § 48 Abs 4 Satz 1 Nr 2 Buchst b SGB VI offenbar die Funktion, einen solchen (Spar-)Beitrag der Waisenrentenbezieher (jedenfalls solcher mit wehr- oder zivildienstbedingt längeren Übergangszeiten) zu generieren. Auch dies spricht gegen eine erweiternde Auslegung im Sinne des Klägers.

33

(4) Die Auslegung, dass eine Übergangszeit zwischen zwei Ausbildungsabschnitten nur dann waisenrentenunschädlich ist, wenn die Übergangszeit selbst höchstens vier Kalendermonate dauert, entspricht auch dem Sinn und Zweck der Gewährung von Waisenrente an Erwachsene.

34

Die Waisenrente hat Unterhaltsersatzfunktion. Der Anspruch auf Waisenrente nach Vollendung des 18. Lebensjahres ersetzt in den Fällen des § 48 Abs 4 Satz 1 Nr 2 Buchst a und b SGB VI (idF des RVNG) in stark pauschalierender Weise und typisierend den Ausbildungsunterhalt, den der Versicherte gemäß §§ 1601, 1602 Abs 1, § 1610 BGB hätte gewähren müssen, wenn er nicht verstorben wäre(vgl BSG Urteile vom 18.6.2003 - B 4 RA 37/02 R - SozR 4-2600 § 48 Nr 2 RdNr 17; vom 17.4.2007 - B 5 R 62/06 R - SozR 4-2600 § 58 Nr 8 RdNr 26; vom 17.4.2008 - B 13/4 R 49/06 R - BSGE 100, 210 = SozR 4-2600 § 48 Nr 3, RdNr 18, 20). Wäre daher zivilrechtlich typischerweise kein Unterhalt zu leisten, besteht auch kein Anlass, eine Waisenrente zu Lasten der gesetzlichen Rentenversicherung zu zahlen (BSG Urteil vom 18.6.2003 - B 4 RA 37/02 R - aaO). Eine Auslegung des § 48 Abs 4 Satz 1 Nr 2 Buchst b SGB VI in dem Sinne, dass eine waisenrentenunschädliche Übergangszeit zwischen zwei Ausbildungsabschnitten nur vorliegt, wenn diese insgesamt höchstens vier Kalendermonate beträgt, setzt die Unterhaltsersatzfunktion der Waisenrente typisierend und in Übereinstimmung mit der unterhaltsrechtlichen Rechtslage um. Hingegen würde die vom Kläger favorisierte Auslegung zu einem durch nichts gerechtfertigten Auseinanderdriften beider Regelungsbereiche führen.

35

Denn die Rechtsprechung der Zivilgerichte billigt einen Anspruch auf Ausbildungsunterhalt nur für kurze Übergangszeiten zwischen zwei Ausbildungsabschnitten zu (vgl Diederichsen in Palandt, BGB, 70. Aufl 2010, § 1610 BGB RdNr 19). Dort ist anerkannt, dass sogar Minderjährige für die Übergangszeit zwischen Schule und Ausbildungsbeginn eine Obliegenheit zur Aufnahme zumindest einer Teilerwerbstätigkeit von 10 Stunden pro Woche haben, um den Unterhaltsbedarf aus eigenen Kräften zu decken (vgl OLG Rostock Beschluss vom 18.10.2006 - 10 WF 103/06 - FamRZ 2007, 1267 - betreffend einen Zeitraum von Februar bis August; ebenso OLG Koblenz Urteil vom 24.11.2003 - 13 UF 522/03 - JAmt 2004, 153 - betreffend einen 16-Jährigen für die Zeit nach Kündigung seines Ausbildungsverhältnisses bis zur Aufnahme einer Weiterbildungsmaßnahme: Februar bis September). Verneint wurde auch ein Unterhaltsanspruch für eine bereits Volljährige hinsichtlich des Zeitraums zwischen dem Abschluss eines Berufskollegs und dem Beginn eines unbezahlten Praktikums, das erforderlich war, um den erstrebten Ausbildungsplatz zu erhalten. Weil für die Betroffene erkennbar war, dass sie nach dem Schulabschluss nicht nahtlos in ein Ausbildungsverhältnis wechseln konnte, ist sie als verpflichtet angesehen worden, in dem Übergangszeitraum ihren Unterhaltsbedarf mit Hilfe einer Aushilfstätigkeit selbst sicherzustellen (OLG Frankfurt am Main Urteil vom 10.4.2006 - 1 UF 80/05 - Juris RdNr 22 - betreffend einen Zeitraum von August bis November). Auch in der Wartezeit bis zum Beginn eines Studiums muss ein volljähriges Kind grundsätzlich selbst für seinen Unterhalt sorgen (OLG Zweibrücken Urteil vom 29.3.1994 - 5 UF 210/91 - NJW-RR 1994, 1225 mwN; OLG Naumburg Beschluss vom 10.5.2007 - 4 UF 94/07 - FamRZ 2008, 86); eine Ausnahme wird insoweit nur für kurze Übergangszeiten unter dem Gesichtspunkt einer zuzubilligenden "Erholungsphase" sowie einer "angemessenen Orientierungs- und Vorbereitungszeit" gemacht (vgl OLG Hamm Urteil vom 21.12.2005 - 11 UF 218/05 - NJW-RR 2006, 509 - betreffend einen Zeitraum von der Abiturprüfung im Juli bis zum Studienbeginn im Oktober).

36

(5) Eine erweiternde Auslegung des § 48 Abs 4 Satz 1 Nr 2 Buchst b SGB VI ist auch nicht mit Rücksicht auf den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art 3 Abs 1 GG geboten(zum Gebot verfassungskonformer Auslegung und ihren durch Wortlaut und Regelungsabsicht des Gesetzgebers vorgegebenen Grenzen vgl BVerfG Beschlüsse vom 14.10.2008 - 1 BvR 3210/06 - BVerfGE 122, 39, 60 f, und vom 14.4.2010 - 1 BvL 8/08 - Juris RdNr 50).

37

Der Kläger macht in diesem Zusammenhang geltend, die Privilegierung der wehr- oder zivildienstbedingten Zwangspausen gegenüber den aufgrund schul- und hochschulrechtlicher Vorgaben unvermeidbaren Übergangszeiten zwischen zwei Ausbildungsabschnitten entbehre jeglichen sachlich rechtfertigenden Grundes. Diese Argumentation verkennt, dass die hier anzuwendende Neufassung des § 48 Abs 4 Satz 1 Nr 2 Buchst b SGB VI keine Differenzierung nach unterschiedlichen Ursachen für die Übergangszeit vornimmt(aA insoweit möglicherweise der 5. Senat im Urteil vom 17.4.2007 - B 5 R 62/06 R - SozR 4-2600 § 58 Nr 8 RdNr 18 ff, 23, 27). Zwar hat der vormalige 4. Senat des BSG im Urteil vom 27.2.1997 (4 RA 21/96 - SozR 3-2600 § 48 Nr 1 S 5) die benannten Gruppen waisenrentenrechtlich unterschiedlich behandelt. Der Gesetzgeber hat jedoch nunmehr eindeutig klargestellt, dass für die Anerkennung jeglicher Übergangszeiten als waisenrentenunschädlich - sei es zwischen zwei Ausbildungsabschnitten oder zwischen Ausbildung und Ableistung des gesetzlichen Wehr- oder Zivildienstes oder eines freiwilligen ökologischen oder sozialen Jahres im Sinne des Jugendfreiwilligendienstgesetzes - dieselbe tatbestandliche Voraussetzung einer "Übergangszeit von höchstens vier Kalendermonaten" maßgeblich ist.

38

Unterschiedlich behandelt werden allerdings nach § 48 Abs 4 Satz 1 Nr 2 Buchst b SGB VI jene Waisen mit Übergangszeiten von höchstens vier Kalendermonaten, denen der Waisenrentenanspruch für die gesamte Übergangszeit zugebilligt wird, gegenüber jenen mit länger dauernden Übergangszeiten, deren Anspruch bereits vom ersten Tag an entfällt. Diese Differenzierung ist jedoch entgegen der Ansicht des Klägers durch hinreichende sachliche Gründe (s hierzu zB BVerfG Beschluss vom 14.4.2010 - 1 BvL 8/08 R - Juris RdNr 52) gerechtfertigt, die sich insbesondere aus der bereits aufgezeigten Parallelität zum familienrechtlichen Anspruch auf Ausbildungsunterhalt ergeben.

39

cc) Der erkennende Senat kann die von ihm für zutreffend erachtete Auslegung des § 48 Abs 4 Satz 1 Nr 2 Buchst b SGB VI seiner Entscheidung zugrunde legen, ohne zuvor das Anfrageverfahren gemäß § 41 Abs 3 Satz 1 SGG durchzuführen. Er weicht damit nicht von der Rechtsauffassung des vormaligen 4. Senats des BSG in seinen Urteilen vom 10.2.2005 (B 4 RA 26/04 R - SozR 4-2600 § 58 Nr 4, sowie B 4 RA 32/04 R - nicht veröffentlicht; hierzu oben RdNr 30) ab. Denn diese ist zu § 58 Abs 1 Satz 1 Nr 4 SGB VI idF vom 23.12.2003 ergangen (vgl BSG SozR 4-2600 § 58 Nr 4 RdNr 11), während der Senat hier zu der durch das RVNG mit Wirkung ab 1.8.2004 neu ausgestalteten Rechtslage in § 48 Abs 4 Satz 1 Nr 2 Buchst b SGB VI befindet.

40

dd) Bei Zugrundelegung der vom Senat für zutreffend erachteten Auslegung von § 48 Abs 4 Satz 1 Nr 2 Buchst a und b SGB VI hat der Kläger im Zeitraum von April bis September 2005 die Voraussetzungen für eine ausnahmsweise Gewährung von Halbwaisenrente trotz Volljährigkeit nicht erfüllt. Die Übergangszeit zwischen dem Ende seiner Gymnasialausbildung Mitte März 2005 und dem Beginn des Hochschulstudiums im Oktober 2005 betrug mehr als vier Kalendermonate. Dies war für den Kläger auch bereits zu Beginn der Übergangszeit absehbar. Das ergibt sich aus seiner Mitteilung an die Beklagte vom 3.4.2005, aufgrund seiner Entscheidung zum Studium der Politologie an einer Hochschule außerhalb von Rheinland-Pfalz werde sich die Wartezeit bis zur Aufnahme des Studiums im Wintersemester verlängern. Deshalb geht die Argumentation der Revision fehl, die Abiturienten in Rheinland-Pfalz könnten jeweils die Dauer der Übergangszeit bis zur Fortsetzung ihrer Ausbildung nicht übersehen. Im Übrigen sei darauf hingewiesen, dass die anspruchsbegründenden Voraussetzungen für eine weitere Bewilligung von Waisenrente nur dann als gegeben angesehen werden können, wenn aufgrund konkreter Anhaltspunkte festgestellt werden kann, dass sich eine weitere Ausbildung, der Wehr- oder Zivildienst oder ein freiwilliges soziales oder ökologisches Jahr voraussichtlich innerhalb eines Zeitraums von maximal vier Kalendermonaten anschließen wird. Lässt sich ein derart konkretisiertes Ausbildungsvorhaben tatsächlich doch nicht realisieren, muss eine für die Übergangszeit bereits bewilligte Waisenrentenzahlung auf der Grundlage des § 48 Abs 1 SGB X wieder aufgehoben werden(zur Pflicht der Waisen, Änderungen in den für die Leistungsgewährung erheblichen Umständen von sich aus dem Rentenversicherungsträger unverzüglich mitzuteilen, s § 60 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB I).

41

4. Obgleich nach alledem der Kläger nach materiellem Rentenrecht keinen Anspruch auf Halbwaisenrente für die im Revisionsverfahren noch streitbefangenen Monate April bis Juli 2005 hat, kann der Senat seine Revision derzeit nicht in vollem Umfang zurückweisen (§ 170 Abs 1 SGG). Dies beruht auf nachfolgend aufgezeigten Umständen, die im bisherigen Verlauf des Rechtsstreits keine Rolle gespielt haben und es deshalb zunächst erforderlich machen, die Beteiligten anzuhören (§ 62 SGG).

42

a) Die Beklagte hat in dem vom Kläger angefochtenen Bescheid vom 21.2.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.5.2007 eine Korrektur des bindend gewordenen Bescheids vom 4.5.2005 gemäß § 44 SGB X abgelehnt. In jenem Bescheid hat die Beklagte die Bewilligung von Halbwaisenrente an den Kläger, die zuvor aufgrund des Bescheids vom 17.11.2003 bis zum 31.12.2012 (Vollendung des 27. Lebensjahres des Klägers) befristet worden war, rückwirkend zum 1.4.2005 aufgehoben. Der Kläger hat diesen Bescheid bestandskräftig werden lassen, begehrt aber nunmehr eine Korrektur dieser Entscheidung zu seinen Gunsten.

43

b) Ob § 44 Abs 1 SGB X eine solche Korrektur des ursprünglichen Entziehungsbescheids wegen verwaltungsverfahrensrechtlicher Fehler erlaubt, obwohl dem Betroffenen - wie hier - die Leistung nach materiellem Rentenrecht nicht zusteht, ist umstritten. Der 14. Senat des BSG (Urteil vom 28.5.1997 - 14/10 RKg 25/95 - SozR 3-1300 § 44 Nr 21 S 42 ff) und ihm folgend der 9. Senat (Urteil vom 4.2.1998 - B 9 V 16/96 R - SozR 3-1300 § 44 Nr 24 S 56 f) halten dies - abweichend von dem Grundsatz, es sei nicht Sinn des Zugunstenverfahrens nach § 44 SGB X, dem Antragsteller mehr zu gewähren, als ihm nach materiellem Recht zustehe(vgl BSG Urteil vom 22.3.1989 - 7 RAr 122/87 - SozR 1300 § 44 Nr 38, Leitsatz 2; s auch BSG Urteil vom 29.9.2009 - B 8 SO 16/08 R - BSGE 104, 213 = SozR 4-1300 § 44 Nr 20, RdNr 15) - im Falle einer Verletzung vertrauensschützender Vorschriften des Verfahrensrechts bei Erlass des bestandskräftig gewordenen Entziehungsbescheids für möglich. Dem wird jedoch im Schrifttum entgegengetreten (vgl Waschull in Diering/Timme/Waschull, Lehr- und Praxiskomm SGB X, 2. Aufl 2007, § 44 RdNr 15, 18b; ausführlich Steinwedel, DAngVers 1989, 372, 374; s auch Steinwedel in Kasseler Komm Sozialversicherung, § 44 SGB X RdNr 32 f, Stand Mai 2006; ferner Vogelgesang in Hauck/Noftz, SGB X, K § 44 RdNr 7, Stand März 2004; Marschner in Pickel/Marschner, SGB X, § 44 RdNr 14, Stand Juni 2009).

44

c) Dieser Meinungsstreit kann im vorliegenden Fall dahinstehen, soweit der Bescheid vom 4.5.2005 die Halbwaisenrente mit Wirkung für die Zukunft - also für Bezugszeiträume ab 1.6.2005 - aufgehoben hat. Insoweit ist der Bescheid auch in verwaltungsverfahrensrechtlicher Hinsicht rechtmäßig ergangen (§ 48 Abs 1 Satz 1 SGB X - zu einzelnen Aspekten vgl BSG vom 21.10.1999 - B 11 AL 25/99 R - BSGE 85, 92, 96 = SozR 3-1300 § 48 Nr 68 S 163; BSG Urteil vom 11.12.1992 - 9a RV 20/90 - BSGE 72, 1, 3 ff = SozR 3-1300 § 48 Nr 22 S 32 ff; BSG Urteil vom 19.2.2009 - B 10 KG 2/07 R - SozR 4-5870 § 1 Nr 2 RdNr 13); die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Fehlerkorrektur nach § 44 SGB X liegen somit für den genannten Zeitraum keinesfalls vor. Mithin ist die Revision des Klägers in jedem Fall zurückzuweisen, soweit er mit ihr die Zahlung von Halbwaisenrente für die Monate Juni und Juli 2005 geltend macht (§ 170 Abs 1, § 202 SGG iVm § 301 Abs 1 Satz 1 ZPO).

45

d) Soweit hingegen die im Bescheid vom 4.5.2005 verfügte Aufhebung der Bewilligung von Halbwaisenrente bereits zuvor fällig gewordene Ansprüche des Klägers auf monatliche Rentenzahlungen betrifft - hier also Leistungen für die Monate April und Mai 2005 (vgl § 272a Abs 1 Satz 1 SGB VI) -, handelt es sich um eine Anpassung mit Wirkung für die Vergangenheit. Ob diese Regelung gemessen an § 48 Abs 1 Satz 2 SGB X rechtmäßig war, vermag der Senat anhand der vom LSG festgestellten Tatsachen nicht zu beurteilen.

46

Sollte das Zugunstenverfahren nach § 44 SGB X auch dann zur Anwendung kommen, wenn beim Erlass eines - bestandskräftig gewordenen - Entziehungsbescheids gegen vertrauensschützende Regelungen des Verfahrensrechts(hier: § 48 Abs 1 Satz 2 SGB X) verstoßen wurde, so wäre der Senat gehalten, den Rechtsstreit zur weiteren Sachaufklärung an das LSG zurückzuverweisen (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG). Dies wäre allerdings entbehrlich (mit der Folge einer vollständigen Zurückweisung der Revision des Klägers gemäß § 170 Abs 1 SGG), wenn der Senat der Rechtsmeinung folgte, § 44 Abs 1 SGB X gewähre nach seinem Sinn und Zweck von vornherein keinen Anspruch auf (Wieder-)Einräumung einer nach materiellem Recht nicht zustehenden Rechtsposition, die unter Verstoß gegen vertrauensschützende Vorschriften bindend entzogen wurde. Damit würde der Senat jedoch von den Entscheidungen des 14. Senats und des 9. Senats inhaltlich abweichen (s oben RdNr 43); dies erforderte die vorherige Durchführung des Anfrageverfahrens gemäß § 41 Abs 3 SGG und gegebenenfalls die Anrufung des Großen Senats des BSG.

47

Der Senat lässt im Rahmen dieses Teilurteils ausdrücklich offen, welcher der genannten Auffassungen er zuneigt. Jedenfalls sind zunächst die Beteiligten anzuhören (§ 62 SGG); denn die soeben aufgeworfene Frage ist im Verlauf des bisherigen Verfahrens nicht problematisiert worden. Zudem würde ein möglicherweise nach § 41 SGG einzuleitendes Verfahren die abschließende (streitige) Erledigung des Rechtsstreits um einen Zeitraum verzögern, der für die Beteiligten außer Verhältnis zu dem noch streitbefangenen Betrag stehen könnte.

48

5. Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.

(1) Kinder haben nach dem Tod eines Elternteils Anspruch auf Halbwaisenrente, wenn

1.
sie noch einen Elternteil haben, der unbeschadet der wirtschaftlichen Verhältnisse unterhaltspflichtig ist, und
2.
der verstorbene Elternteil die allgemeine Wartezeit erfüllt hat.

(2) Kinder haben nach dem Tod eines Elternteils Anspruch auf Vollwaisenrente, wenn

1.
sie einen Elternteil nicht mehr haben, der unbeschadet der wirtschaftlichen Verhältnisse unterhaltspflichtig war, und
2.
der verstorbene Elternteil die allgemeine Wartezeit erfüllt hat.

(3) Als Kinder werden auch berücksichtigt:

1.
Stiefkinder und Pflegekinder (§ 56 Abs. 2 Nr. 1 und 2 Erstes Buch), die in den Haushalt des Verstorbenen aufgenommen waren,
2.
Enkel und Geschwister, die in den Haushalt des Verstorbenen aufgenommen waren oder von ihm überwiegend unterhalten wurden.

(4) Der Anspruch auf Halb- oder Vollwaisenrente besteht längstens

1.
bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres oder
2.
bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres, wenn die Waise
a)
sich in Schulausbildung oder Berufsausbildung befindet oder
b)
sich in einer Übergangszeit von höchstens vier Kalendermonaten befindet, die zwischen zwei Ausbildungsabschnitten oder zwischen einem Ausbildungsabschnitt und der Ableistung des gesetzlichen Wehr- oder Zivildienstes oder der Ableistung eines freiwilligen Dienstes im Sinne des Buchstabens c liegt, oder
c)
einen freiwilligen Dienst im Sinne des § 32 Absatz 4 Satz 1 Nummer 2 Buchstabe d des Einkommensteuergesetzes leistet oder
d)
wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten.
Eine Schulausbildung oder Berufsausbildung im Sinne des Satzes 1 liegt nur vor, wenn die Ausbildung einen tatsächlichen zeitlichen Aufwand von wöchentlich mehr als 20 Stunden erfordert. Der tatsächliche zeitliche Aufwand ist ohne Bedeutung für Zeiten, in denen das Ausbildungsverhältnis trotz einer Erkrankung fortbesteht und damit gerechnet werden kann, dass die Ausbildung fortgesetzt wird. Das gilt auch für die Dauer der Schutzfristen nach dem Mutterschutzgesetz.

(5) In den Fällen des Absatzes 4 Nr. 2 Buchstabe a erhöht sich die für den Anspruch auf Waisenrente maßgebende Altersbegrenzung bei Unterbrechung oder Verzögerung der Schulausbildung oder Berufsausbildung durch den gesetzlichen Wehrdienst, Zivildienst oder einen gleichgestellten Dienst um die Zeit dieser Dienstleistung, höchstens um einen der Dauer des gesetzlichen Grundwehrdienstes oder Zivildienstes entsprechenden Zeitraum. Die Ableistung eines freiwilligen Dienstes im Sinne von Absatz 4 Nr. 2 Buchstabe c ist kein gleichgestellter Dienst im Sinne von Satz 1.

(6) Der Anspruch auf Waisenrente endet nicht dadurch, dass die Waise als Kind angenommen wird.

Verwandte in gerader Linie sind verpflichtet, einander Unterhalt zu gewähren.

(1) Unterhaltsberechtigt ist nur, wer außerstande ist, sich selbst zu unterhalten.

(2) Ein minderjähriges Kind kann von seinen Eltern, auch wenn es Vermögen hat, die Gewährung des Unterhalts insoweit verlangen, als die Einkünfte seines Vermögens und der Ertrag seiner Arbeit zum Unterhalt nicht ausreichen.

(1) Das Maß des zu gewährenden Unterhalts bestimmt sich nach der Lebensstellung des Bedürftigen (angemessener Unterhalt).

(2) Der Unterhalt umfasst den gesamten Lebensbedarf einschließlich der Kosten einer angemessenen Vorbildung zu einem Beruf, bei einer der Erziehung bedürftigen Person auch die Kosten der Erziehung.

(1) Kinder haben nach dem Tod eines Elternteils Anspruch auf Halbwaisenrente, wenn

1.
sie noch einen Elternteil haben, der unbeschadet der wirtschaftlichen Verhältnisse unterhaltspflichtig ist, und
2.
der verstorbene Elternteil die allgemeine Wartezeit erfüllt hat.

(2) Kinder haben nach dem Tod eines Elternteils Anspruch auf Vollwaisenrente, wenn

1.
sie einen Elternteil nicht mehr haben, der unbeschadet der wirtschaftlichen Verhältnisse unterhaltspflichtig war, und
2.
der verstorbene Elternteil die allgemeine Wartezeit erfüllt hat.

(3) Als Kinder werden auch berücksichtigt:

1.
Stiefkinder und Pflegekinder (§ 56 Abs. 2 Nr. 1 und 2 Erstes Buch), die in den Haushalt des Verstorbenen aufgenommen waren,
2.
Enkel und Geschwister, die in den Haushalt des Verstorbenen aufgenommen waren oder von ihm überwiegend unterhalten wurden.

(4) Der Anspruch auf Halb- oder Vollwaisenrente besteht längstens

1.
bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres oder
2.
bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres, wenn die Waise
a)
sich in Schulausbildung oder Berufsausbildung befindet oder
b)
sich in einer Übergangszeit von höchstens vier Kalendermonaten befindet, die zwischen zwei Ausbildungsabschnitten oder zwischen einem Ausbildungsabschnitt und der Ableistung des gesetzlichen Wehr- oder Zivildienstes oder der Ableistung eines freiwilligen Dienstes im Sinne des Buchstabens c liegt, oder
c)
einen freiwilligen Dienst im Sinne des § 32 Absatz 4 Satz 1 Nummer 2 Buchstabe d des Einkommensteuergesetzes leistet oder
d)
wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten.
Eine Schulausbildung oder Berufsausbildung im Sinne des Satzes 1 liegt nur vor, wenn die Ausbildung einen tatsächlichen zeitlichen Aufwand von wöchentlich mehr als 20 Stunden erfordert. Der tatsächliche zeitliche Aufwand ist ohne Bedeutung für Zeiten, in denen das Ausbildungsverhältnis trotz einer Erkrankung fortbesteht und damit gerechnet werden kann, dass die Ausbildung fortgesetzt wird. Das gilt auch für die Dauer der Schutzfristen nach dem Mutterschutzgesetz.

(5) In den Fällen des Absatzes 4 Nr. 2 Buchstabe a erhöht sich die für den Anspruch auf Waisenrente maßgebende Altersbegrenzung bei Unterbrechung oder Verzögerung der Schulausbildung oder Berufsausbildung durch den gesetzlichen Wehrdienst, Zivildienst oder einen gleichgestellten Dienst um die Zeit dieser Dienstleistung, höchstens um einen der Dauer des gesetzlichen Grundwehrdienstes oder Zivildienstes entsprechenden Zeitraum. Die Ableistung eines freiwilligen Dienstes im Sinne von Absatz 4 Nr. 2 Buchstabe c ist kein gleichgestellter Dienst im Sinne von Satz 1.

(6) Der Anspruch auf Waisenrente endet nicht dadurch, dass die Waise als Kind angenommen wird.

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 31. März 2011 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt höhere Verletztenrente auf Grund eines höheren zu berücksichtigenden Jahresarbeitsverdienstes (JAV).

2

Der 1978 geborene Kläger wurde im Jahre 1986 auf dem Heimweg von der Schule von einem Lkw angefahren und zog sich erhebliche Verletzungen zu. Der Rechtsvorgänger der Beklagten (der Rheinische GUV) erkannte den Unfall in einem Bescheid vom 22.7.1988 als Arbeitsunfall an und stellte in dem Bescheid vom 31.1.1994 sein Recht auf Verletztenrente nach einer MdE von 90 vH fest. Dessen Jahreswert ergab sich aus dem Produkt aus dieser MdE und dem JAV. Als JAV wurden der Rentenberechnung bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres des Klägers 40 vH und danach 60 vH (Bescheid vom 12.7.1996) der im Zeitpunkt des Arbeitsunfalls maßgebenden Bezugsgröße zu Grunde gelegt.

3

Am 1.7.1997 begann der damals 19jährige Kläger bei der J. GmbH eine Ausbildung zum Fachinformatiker - Fachrichtung Anwendungsentwicklung, die er am 15.6.2000 erfolgreich abschloss. Nach dem Ende der Ausbildung schied er aus dem Unternehmen aus und nahm ein Informatikstudium auf.

4

In dem Bescheid vom 4.6.2004 stellte der Rheinische GUV fest, dem Kläger stehe ab 1.7.2000 höhere Verletztenrente zu. Dies ergebe sich aus einem höheren JAV, der gemäß § 90 Abs 1 SGB VII ab dem 16.6.2000, dem Tag nach Beendigung seiner Ausbildung, auf 21 381,09 EUR festgesetzt werde. Zur Begründung wird ausgeführt, die Neuberechnung des JAV erfolge auf Grundlage des Verdienstes eines Datenverarbeitungskaufmanns - Fachrichtung Fachinformatiker. Mit dem Widerspruch machte der Kläger geltend, die zur Ermittlung des JAV zu Grunde gelegte Berufsbezeichnung entspreche nicht dem von ihm erreichten Abschluss als "Fachinformatiker - Anwendungsentwicklung". Mit Widerspruchsbescheid vom 13.2.2008 wies die Beklagte als Rechtsnachfolgerin des Rheinischen GUV den Widerspruch des Klägers zurück.

5

Mit der Klage zum SG hat der Kläger weiterhin vorgetragen, er habe keine Ausbildung zum Datenverarbeitungskaufmann im Einzelhandel, sondern eine Ausbildung zum Fachinformatiker mit der Fachrichtung Anwendungsentwicklung absolviert, weshalb von dem ortsüblichen Entgelt eines Fachinformatikers auf dem Gebiet der Anwendungsentwicklung auszugehen sei. Angesichts der mit der Note "gut" abgeschlossenen Ausbildung sei ein JAV von mindestens 30 000,00 EUR angemessen.

6

Mit Urteil vom 31.3.2009 hat das SG die Beklagte unter Abänderung der angefochtenen Bescheide verurteilt, der Berechnung der Verletztenrente des Klägers einen anderen JAV unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu Grunde zu legen und ihm hierüber einen neuen Bescheid zu erteilen. Nach § 90 Abs 1 SGB VII sei ein anderer JAV zu Grunde zu legen, weil dieser an dem Entgelt in dem durch die Ausbildung angestrebten Beruf auszurichten sei.

7

Das LSG hat auf die Berufung der Beklagten am 31.3.2011 das Urteil des SG "geändert" und die Klage abgewiesen. Der JAV sei hier ab dem Tag nach dem Ende der Ausbildung des Klägers und damit ab 16.6.2000 neu festzusetzen gewesen. Es sei nach § 90 Abs 1 Satz 2 SGB VII der Tarifvertrag des Ausbildungsbetriebs zu Grunde zu legen. Habe - wie hier - ein zum Ausbildungsziel führendes Ausbildungsverhältnis nach dem Berufsbildungsgesetz zwischen dem Versicherten und einem Ausbildungsbetrieb bestanden, sei der für dieses Unternehmen seiner Art nach am Stichtag, dh dem Tag nach dem Ende der Ausbildung, geltende Tarifvertrag maßgeblich. Denn maßgebend sei nicht der berufsspezifische, sondern der branchenspezifische Tarifvertrag, der für das Unternehmen generell in Betracht komme. Hierauf sei auch dann abzustellen, wenn der Versicherte nach dem Ausbildungsende aus dem Unternehmen ausscheide, um ein Studium aufzunehmen. Dabei komme es auch nicht darauf an, ob der Versicherte im Ausbildungsunternehmen eine seiner Ausbildung entsprechende Tätigkeit hätte aufnehmen können. Für die ausnahmslose Anknüpfung an den für das Ausbildungsunternehmen seiner Art nach geltenden Tarifvertrag spreche insbesondere der Sinn und Zweck des § 90 SGB VII.

8

Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner vom LSG zugelassenen Revision. Er rügt eine Verletzung des § 90 Abs 1 SGB VII. Der Gesetzeswortlaut stelle ausdrücklich darauf ab, dass der Tarifvertrag für Personen gleicher Ausbildung und gleichen Alters zu Grunde zu legen sei. Es sei kein gesetzlicher Anhalt dafür ersichtlich, dass an die wirtschaftliche Ausrichtung des Ausbildungsbetriebs angeknüpft werden könne. Er habe stets unwidersprochen vorgetragen, dass er im technischen und gerade nicht im kaufmännischen Bereich ausgebildet worden sei.

9

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 31. März 2011 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 31. März 2009 zurückzuweisen.

10

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

11

Die Revision des Klägers ist nicht begründet. Das LSG hat im Ergebnis zutreffend das Urteil des SG aufgehoben und (sinngemäß) die gemäß § 54 Abs 4 SGG zulässige Kombination aus zulässiger Anfechtungs- und zulässiger (unechter) Leistungsklage abgewiesen. Der Kläger hat ab dem 1.7.2000 keinen Anspruch auf Feststellung eines noch höheren Werts seines Rechts auf Verletztenrente, als ihm die Beklagte in dem Bescheid vom 4.6.2004 (Widerspruchsbescheid vom 13.2.2008) nach Aufhebung des bis dahin festgestellten niedrigeren Werts insoweit unangefochten neu zuerkannt hatte. Dem Kläger stand kein Anspruch auf höhere Rente unter "Festsetzung" eines höheren JAV nach § 90 Abs 1 Satz 1 SGB VII zu, weil er die Ausbildung planmäßig und ohne Verzögerung beendet hatte (hierzu unter 1.). Eine analoge Anwendung des § 90 Abs 1 Satz 1 SGB VII auf Fallgestaltungen wie die vorliegende scheidet aus, weil § 90 Abs 1 Satz 1 SGB VII insofern keine Lücke aufweist (vgl unter 2.).

12

Ein höherer Rentenanspruch hätte für den Kläger gemäß § 56 Abs 3 SGB VII ab dem 1.7.2000 nur bestehen können, wenn ein noch höherer JAV, der zweite Wertfaktor der Rentenhöhe neben seiner unveränderten MdE von 90 vH, rechtlich maßgeblich geworden (= "neu festzusetzen" gewesen) wäre. Obwohl der Versicherungsfall schon 1986, also vor dem Inkrafttreten des SGB VII am 1.1.1997, eintrat, war dies hier gemäß § 214 Abs 2 Satz 1 SGB VII nach § 90 Abs 1 SGB VII zu beurteilen. Danach wird, wenn der Versicherungsfall ua während der Schulausbildung, wie hier, eingetreten ist, falls dies für den Versicherten günstiger ist, der nach § 90 Abs 1 Satz 2 SGB VII aus Tarifvertrag, hilfsweise aus dem am Betriebsort geltenden Arbeitsentgelt zu ermittelnde neue JAV von dem Zeitpunkt an rechtlich maßgeblich, in dem die Ausbildung ohne den Versicherungsfall voraussichtlich beendet worden wäre.

13

1. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 90 Abs 1 Satz 1 SGB VII waren nicht erfüllt. Zwar hatte der Kläger seine Berufsausbildung am 1.7.1997 begonnen. Er hatte sie aber am 15.6.2000 erfolgreich und ohne Verzögerung abgeschlossen.

14

§ 90 Abs 1 Satz 1 SGB VII bestimmt, dass dann, wenn der Versicherungsfall vor Beginn der Schulausbildung oder während einer Schul- oder Berufsausbildung eintritt, der JAV, wenn es für den Versicherten günstiger ist, von dem Zeitpunkt an neu festgesetzt wird, in dem die Ausbildung ohne den Versicherungsfall voraussichtlich beendet worden wäre. § 90 Abs 1 Satz 1 SGB VII gewährt einen neuen höheren JAV als den im Zeitpunkt des Versicherungsfalls maßgeblich gewordenen Ausgangs-JAV mithin nur, wenn die Ausbildung nicht oder verzögert abgeschlossen wurde. Es heißt in der Norm ausdrücklich nicht, dass der JAV von dem Zeitpunkt an neu festzusetzen ist, in dem die Ausbildung "beendet wurde oder" ohne den Versicherungsfall voraussichtlich beendet worden wäre. Die Vorschrift setzt damit als Zeitpunkt für die Neufestsetzung des JAV einen fiktiven Zeitpunkt fest, nämlich den, in dem die Ausbildung ohne den Versicherungsfall voraussichtlich beendet worden wäre.

15

Der Regelung des § 90 Abs 1 Satz 1 SGB VII liegt wegen des hypothetisch formulierten Wortlautes ("voraussichtlich beendet worden wäre") und nicht zuletzt auch auf Grund der Überschrift der Norm ("Neufestsetzung nach voraussichtlicher Schul- oder Berufsausbildung oder Altersstufen") der typisierende Gedanke zu Grunde, dass der zuvor erlittene Versicherungsfall der Grund dafür ist, dass die Ausbildung später als vorgesehen oder überhaupt nicht abgeschlossen wurde. Für eine solche Sichtweise spricht im Übrigen auch § 90 Abs 4 SGB VII, der § 90 Abs 1 SGB VII ergänzt. Danach wird für den Fall, dass sich bei Eintritt des Versicherungsfalls vor Beginn der Berufsausbildung auch unter Berücksichtigung der weiteren Schul- oder Berufsausbildung nicht feststellen lässt, welches Ausbildungsziel die Versicherten voraussichtlich erreicht hätten, ein bestimmter näher bezeichneter Wert des JAV festgelegt. Eine solche Unmöglichkeit der Feststellung ist indes aber nur für Fälle denkbar, in denen die Berufsausbildung nicht plangemäß abgeschlossen wurde, in denen also eine fiktive Betrachtungsweise erforderlich ist.

16

Für eine strikte Begrenzung der Regelung des § 90 Abs 1 Satz 1 SGB VII auf die Fälle der verzögerten oder nicht beendeten Ausbildung spricht auch die rechtsgeschichtliche Entwicklung der Norm. In der Gesetzesbegründung der Bundesregierung zum Gesetz zur Einordnung des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung in das Sozialgesetzbuch (Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz ) vom 7.8.1996 (BGBl I 1254) heißt es, die Vorschrift enthalte eine Neuregelung über eine pauschalierte, an der Bezugsgröße orientierte Neufestsetzung des JAV für bestimmte Unfälle im Kindesalter. In der Verwaltungspraxis und in der Rechtsprechung hätten sich bei der Anwendung des § 573 RVO dann Feststellungsschwierigkeiten ergeben, wenn sich der Versicherungsfall im frühen Lebensalter ereignet habe und sich weder aus der Zeit vor dem Versicherungsfall noch aus dem weiteren Werdegang des Kindes nach dem Versicherungsfall ausreichende Anhaltspunkte über dashypothetische Ausbildungsziel (ohne den Unfall) herleiten ließen (BT-Drucks 13/2204, S 96).

17

Auch die Vorgängervorschriften des § 90 Abs 1 Satz 1 SGB VII enthielten - in unterschiedlicher Ausprägung - jeweils hypothetische (typisierende) Elemente. Der Grundsatz, dass bei der Rentenberechnung von den Einkommensverhältnissen des Verletzten während des letzten Jahres vor dem Arbeitsunfall auszugehen ist, gilt seit dem Unfallversicherungsgesetz vom 6.7.1884 (RGBl S 69). Als Ergänzung war geregelt, dass zugunsten des Verletzten für das letzte Jahr vor dem Arbeitsunfall ein (fiktiver) Arbeitsverdienst anzunehmen ist, wenn der Verletzte vor dem Unfall noch kein volles Jahr in dem Betrieb beschäftigt war oder keinen Lohn oder weniger als das 300fache des ortsüblichen Tagelohns bezogen hatte (vgl etwa § 5 Abs 3 bis 5 des Unfallversicherungsgesetzes vom 6.7.1884, § 10 des Gewerbeunfallversicherungsgesetzes vom 5.7.1900 - RGBl S 573, 585 - und §§ 563 ff RVO vom 19.7.1911 - RGBl S 509). Ein hypothetisch-typisierendes Element enthielt dann die mit Art 11 des Dritten Gesetzes über Änderungen in der Unfallversicherung vom 20.12.1928 (RGBl I 405) für Versicherte, die im Feuerwehrdienst oder in Betrieben zur Hilfeleistung bei Unglücksfällen beschäftigt sind, neu eingefügte Sondervorschrift des § 569b RVO, dessen Abs 3 folgenden Wortlaut hatte: "War der Verletzte zur Zeit des Unfalls noch in seiner Berufs- oder Schulausbildung begriffen, so ist für die Berechnung des Jahresarbeitsverdienstes ein Erwerbseinkommen zu Grunde zu legen, wie es der Verletzte nach Vollendung seiner Ausbildung gehabt haben würde".

18

Auch in dem mit Art 1 Nr 1 des Sechsten Gesetzes über Änderungen in der Unfallversicherung vom 9.3.1942 (RGBl I 107) neu eingefügten § 565 RVO wird auf einen fiktiven Gesichtspunkt abgestellt. Dessen Abs 1 lautete wie folgt: "Befand sich der Verletzte zur Zeit des Unfalls noch in einer Berufs- oder Schulausbildung, so wird von dem Zeitpunkt ab, in welchem die begonnene Ausbildung voraussichtlich abgeschlossen worden wäre, der Jahresarbeitsverdienst nach dem Entgelt berechnet, der dann für Personen gleicher Ausbildung durch Tarif oder sonst allgemein für einzelne Berufsjahre festgesetzt ist; hierbei sind Verdiensterhöhungen, die von der Erreichung eines bestimmten Lebens- oder Berufsjahres ab allgemein festgesetzt sind, die der Verletzte aber voraussichtlich erst nach Vollendung seines dreißigsten Lebensjahres erreicht hätte, nicht zu berücksichtigen."

19

Der durch das Gesetz zur Neuregelung des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung (Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz ) vom 30.4.1963 (BGBl I 241) geschaffene § 573 RVO ist die unmittelbare Vorgängerregelung des § 90 SGB VII und war in seinem Abs 1 wie folgt formuliert: "Befand sich der Verletzte zur Zeit des Arbeitsunfalls noch in einer Schul- oder Berufsausbildung, so wird, wenn es für den Versicherten günstiger ist, der Jahresarbeitsverdienst für die Zeit nach der voraussichtlichen Beendigung der Ausbildung neu berechnet". Wenngleich das hypothetische Element in dieser Vorschrift mit dem Wort "voraussichtlich" nicht mehr so deutlich in Erscheinung tritt wie in § 565 RVO, waren inhaltliche Änderungen nicht beabsichtigt. Denn in der Begründung zum Entwurf des UVNG heißt es zur Regelung des § 573 RVO(§ 574 RVO in der Entwurfsfassung, BT-Drucks IV/120, S 11, 57): "Auch für Jugendliche und in der Ausbildung befindliche Verletzte sieht bereits § 565 RVO einen Ausgleich für Mindereinnahmen vor. Diese Regelung wird in § 574 beibehalten."

20

Aus diesen Vorgängervorschriften des § 90 SGB VII(vgl zur Entwicklung seit 1884 bis zur Schaffung des § 573 RVO auch: Windelen, SGb 1970, 408) und dem der heutigen Fassung des § 90 Abs 1 Satz 1 SGB VII jeweils ähnlichen bzw sogar gleich lautenden Wortlaut, sowie aus dem Umstand, dass sich Anhaltspunkte für eine andere Sichtweise aus allen angeführten Gesetzgebungsmaterialien nicht entnehmen lassen, folgt, dass von § 90 Abs 1 Satz 1 SGB VII jedenfalls nicht diejenigen Fallgestaltungen erfasst werden sollen, in denen die Ausbildung infolge des Arbeitsunfalls weder abgebrochen worden ist noch sie sich verzögert hat(vgl auch BSG, Urteil vom 7.11.2000 - B 2 U 31/99 R - Juris RdNr 20, SozR 3-2700 § 90 Nr 1; Merten in: Eichenhofer/Wenner, SGB VII, 1. Aufl 2010, § 90 RdNr 27).

21

In § 90 Abs 1 Satz 1 SGB VII wurde mithin nur die Voraussetzung in das Gesetz aufgenommen, dass die Ausbildung sich verzögert hatte oder ggf aus sonstigen Gründen nicht beendet wurde. Denn nur in solchen Fällen wurde durch den ursprünglichen Versicherungsfall in abstrakter, typisierender Wertung, also nicht als tatbestandliche Voraussetzung im Einzelfall, ein weiterer Schaden verursacht. Nur dieser (typisierend angenommene) zusätzliche Folgeschaden des Versicherungsfalls rechtfertigt ausnahmsweise eine Ersetzung des Ausgangs-JAV durch einen neuen (günstigeren) JAV. Für diesen ist das hypothetische Arbeitsentgelt bestimmend, das in einem Tarifvertrag oder hilfsweise am Beschäftigungsort üblicherweise in dem Zeitpunkt der voraussichtlichen (aber eben nicht eingetretenen) Beendigung der Ausbildung für Personen gleicher Ausbildung und Alters vorgesehen ist (und ohne den Ausfall oder die Verzögerung des Ausbildungsabschlusses bei Beendigung der Ausbildung typischerweise voraussichtlich erzielt worden wäre). Die Verletzten, die ihre Ausbildung rechtzeitig beenden, haben typischerweise zu diesem Zeitpunkt keinen weiteren Nachteil, weil sie entsprechend höher entlohnt werden.

22

Sachgrund für diese gesetzliche, also materiell-rechtlich direkt eintretende Änderung der abstrakten Schadensbewertung des Ausgangs-JAV ist, dass es unbillig wäre, solche jungen Verletzten trotz des weiteren Folgeschadens an diesem JAV festzuhalten. Damit durchbricht diese Ausnahmeregelung, wie alle in § 90 SGB VII geregelten Ausnahmen, materiell-rechtlich den gesetzlichen Grundsatz, dass der im Zeitpunkt des Versicherungsfalls maßgebliche Ausgangs-JAV für die gesamte Zeit, für die das Recht besteht, maßgeblich bleibt. Dieser Sachgrund der Norm spricht im Übrigen dagegen, dass die Norm aus verfassungsrechtlichen Gründen (Art 3 Abs 1 GG) zugunsten von Verletzten mit zeitgerechtem Ausbildungsabschluss korrigiert werden müsste (vgl hierzu im Einzelnen unten 2. c).

23

2. Das Begehren des Klägers hätte daher nur Erfolg haben können, wenn § 90 Abs 1 SGB VII analog anzuwenden gewesen wäre und dies einen noch höheren neuen JAV ergeben hätte, als von der Beklagten in den angefochtenen Bescheiden vom 4.6.2004/13.2.2008 zu Grunde gelegt wurde. § 90 Abs 1 SGB VII ist aber auf Verletzte, die ihre Ausbildung zeitgerecht abgeschlossen haben, nicht entsprechend anzuwenden.

24

a) Die Voraussetzungen für eine Analogie, nach der sich die Anwendung der Vorschrift des § 90 Abs 1 Satz 1 SGB VII auch auf die Fallgestaltungen erstrecken würde, in denen die Ausbildung plangemäß abgeschlossen worden ist, sind jedoch nicht gegeben. Diese Voraussetzungen lägen nur dann vor, wenn 1. eine (anfängliche oder nachträgliche) Gesetzeslücke besteht, 2. der nicht geregelte Tatbestand dem gesetzlich festgelegten ähnlich ist und 3. beide Tatbestände wegen ihrer Ähnlichkeit gleich zu bewerten sind (vgl BSG, Urteil vom 4.5.1999 - B 4 RA 55/98 R, SozR 3-2600 § 34 Nr 1 unter Verweis auf BSG SozR 4100 § 107 Nr 4 S 4 f; Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl 1995, S 202 ff).

25

b) Es fehlt hier bereits an der ersten Voraussetzung einer zulässigen Analogie, dem Vorliegen einer Gesetzeslücke, die durch richterliche Rechtsfortbildung geschlossen werden könnte, denn die Regelung des § 90 Abs 1 Satz 1 SGB VII enthält keine planwidrige Unvollständigkeit. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass das Gesetz den Kreis derjenigen, die bei typisierender Bewertung ihrer Schutzbedürftigkeit ausnahmsweise nicht weiter der Regelberechnung des JAV unterliegen, nur unvollständig erfasst hätte (vgl zu diesem Gesichtspunkt bei der Beitragspflicht zur Arbeitslosenversicherung von beurlaubten Berufssoldaten BSG, Urteil vom 29.7.2003 - B 12 KR 15/02 R, Juris RdNr 21, SozR 4-4100 § 169 Nr 1). Vielmehr erfasst das Gesetz im Rahmen der Neufeststellungsansprüche Fallgestaltungen, für die der Gesetzgeber typisierend davon ausgeht, dass es unbillig ist, für die Gewährung der Verletztenrente das tatsächliche Arbeitseinkommen der jeweils erfassten Personenkreise bei der Ermittlung des JAV zu Grunde zu legen. Insofern liegt dem § 90 SGB VII(iVm den §§ 82 ff SGB VII) ein stimmiges Konzept zu Grunde.

26

aa) § 90 Abs 1 SGB VII entspricht - wie bereits oben zu 1. dargestellt - im Wesentlichen dem am 1.1.1997 außer Kraft getretenen § 573 Abs 1 RVO(vgl Begründung zu Art 1 § 90 des Entwurfs eines UVEG, BT-Drucks 13/2204 S 96), der seinerseits mit Wirkung vom 1.7.1963 durch Art 1 des UVNG vom 30.4.1963 (BGBl I 241) in die damals neugefasste RVO übernommen wurde und dem der in wesentlichen Teilen inhaltsgleiche § 565 RVO vorausging, der durch das Sechste Gesetz über Änderungen in der Unfallversicherung vom 9.3.1942 (RGBl I 107) in die RVO eingefügt worden war.

27

Nach der bereits dargestellten Zweckbestimmung des § 90 Abs 1 SGB VII sollen - ebenso wie bei den genannten Vorgängervorschriften - Personen, die schon vor oder während der Zeit der Ausbildung für einen Beruf einen Arbeitsunfall erleiden und deshalb im Jahre vor dem Unfall regelmäßig noch nicht das volle Arbeitsentgelt erzielt haben, zur Vermeidung von Härten geschützt und so gestellt werden, als hätten sie den Unfall nach der voraussichtlichen Beendigung der Berufsausbildung - bei höherem JAV - erlitten(vgl BSG, Urteil vom 7.11.2000 - B 2 U 31/99 R, Juris RdNr 17, SozR 3-2700 § 90 Nr 1 unter Bezugnahme auf BSG, Urteil vom 4.12.1991 - 2 RU 69/90, HV-Info 1992, 598 mwN; Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 90 RdNr 2, Stand: 01/2007; Merten in: Eichenhofer/Wenner, SGB VII, 1. Aufl 2010, § 90 RdNr 4). Die zum Unfall führende Tätigkeit muss bei in Ausbildung stehenden Versicherten kein Teil der Ausbildung sein. Insoweit muss also kein innerer Zusammenhang zwischen der Schul- oder Berufsausbildung und der zum Unfall führenden Verrichtung gegeben sein; vielmehr genügt der zeitliche Zusammenhang mit der Ausbildung (BSGE 38, 216, 218, 219 = SozR 2200 § 573 Nr 2; BSGE 47, 137, 140 = SozR 2200 § 573 Nr 9; BSG, Urteil vom 24.6.1981 - 2 RU 11/80 - EzS 128/79; Ricke in: Kasseler Kommentar, § 90 SGB VII RdNr 4, Stand: Dezember 2010; Keller in: Hauck/Noftz, SGB VII, K § 90 RdNr 4, Stand: März 2012).

28

Die in § 90 SGB VII normierten Neufestsetzungsansprüche regeln dabei im Einzelnen, weshalb eine notwendigerweise vorangehende Erstfeststellung der Höhe der Rente wegen eines nachträglich gemäß § 90 SGB VII erheblich gewordenen hypothetischen Umstandes, der zu einem günstigeren JAV zu einem späteren Zeitpunkt führte, nach Maßgabe des § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 1 SGB X aufgehoben und ein höherer Rentenwert neu festgesetzt werden muss, worauf der Versicherte ggf einen Anspruch hat.

29

bb) Grundsätzlich wird durch die gesetzliche Unfallversicherung mittels der (hier umstrittenen) Verletztenrente (anteilig nach dem MdE-Grad) das durch den Versicherungsfall abstrakt auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt im weiteren Leben (möglicherweise) nicht mehr erzielbare Gesamteinkommen ersetzt. Deshalb wird zu dessen Schätzung im Rahmen der §§ 82 ff SGB VII grundsätzlich auf das Gesamteinkommen des letzten Kalenderjahres vor dem Versicherungsfall abgestellt, weil dies auch in der gesetzlichen Unfallversicherung zumeist eine hinreichende Beurteilungsgrundlage für das wirtschaftliche Ergebnis bildet, das der Verletzte ohne den Versicherungsfall voraussichtlich (weiterhin) erlangt hätte.

30

Dies geschieht aber schon bei der Erstfeststellung nicht schematisch, sondern mit Blick auf die Frage, ob und inwieweit die Entwicklung in diesem Jahr den wirtschaftlichen Standard wiedergibt, wie er ohne den Versicherungsfall fortbestanden hätte.

31

Im Rahmen der Regelberechnung regelt das Gesetz ab § 82 Abs 1 Satz 2 SGB VII bis § 86 sowie in § 88 SGB VII im Einzelnen Fallgruppen, in denen ua die Regelberechnung aus § 82 Abs 1 Satz 1 SGB VII keine gerechte oder billige Grundlage für die Schätzung des Entgangenen bildet. Soweit die Grundregelung und diese speziellen gesetzlichen Regelungen gleichwohl zu einem im Einzelfall erheblich unbilligen Ergebnis führen, sieht § 87 SGB VII subsidiär für die meisten von ihnen eine Einzelfall-Schätzung des JAV nach billigem Ermessen vor.

32

Schon bei der Erstfestsetzung der Rentenhöhe werden zur Schätzung des JAV ua nach § 82 Abs 2 Satz 2 und Satz 3 sowie § 82 Abs 4 SGB VII Hypothesen über den ohne den Versicherungsfall fortgesetzten oder erstmals eingetretenen Einkommensverlauf relevant. Schon hier hat das Gesetz die besondere Problematik der Regelberechnung für Berufsanfänger speziell aufgegriffen. Insbesondere § 82 Abs 2 Satz 3 SGB VII zeigt, dass die Erstschätzung des JAV vom Gesetz dann für möglicherweise "unangemessen" gehalten wird, wenn der Versicherungsfall binnen einen Jahres nach Abschluss der Berufsausbildung eintritt. Dann kann es unbillig sein, den Versicherten an einer ungünstigen Regelberechnung nach dem letzten Kalenderjahr vor dem Versicherungsfall festzuhalten, weil das keine angemessene Basis für die Schätzung ist, was er ohne den Versicherungsfall erlangt hätte.

33

cc) Gerade bei Kindern und Jugendlichen kann die Regelberechnung der Erstfeststellung allerdings grob unangemessen werden, wenn unberücksichtigt bleibt, dass ihr danach vermutlich fortgesetztes Gesamteinkommen (JAV der Erstfeststellung) unter Umständen nicht das wiedergibt, was sie im späteren Leben ohne den Versicherungsfall voraussichtlich als Einkommen zur Lebensführung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt abstrakt hätten erlangen können. Dann würde schon abstrakt nicht hinreichend beachtet, welche Einbußen der Versicherungsfall zur Folge hatte.

34

Der Gesetzgeber hat diese Problematik in § 90 Abs 1 bis § 90 Abs 6 SGB VII typisierend geregelt. Alle Absätze der Vorschrift regeln Ansprüche auf Neufestsetzung der Höhe von Versicherungsleistungen (also Aufhebung des Höchstwerts der bisherigen Wertfestsetzung des Rechts auf Leistung und Feststellung eines höheren Werts), die von einem zuvor bereits festgestellten, dh als maßgeblich zu Grunde gelegten JAV abhängen. Gemeinsame Voraussetzung ist, dass zeitlich danach ein Ereignis (in hypothetischer und typisierender Beurteilung wegen des Versicherungsfalls) nicht oder verspätet eingetreten ist, das ein höheres Gesamteinkommen/Arbeitsentgelt erbracht hätte als es bei der Erstfestsetzung des JAV zu Grunde gelegt worden ist.

35

Den einzelnen Absätzen des § 90 SGB VII liegt damit das folgende stimmige Konzept zu Grunde:

-       

§ 90 Abs 1 SGB VII regelt zunächst Folgendes: Tritt der Versicherungsfall vor oder während der Schul- oder Berufsausbildung ein und ist der Höchstwert des Rechts auf Leistung bereits wirksam festgestellt, ist dieser aufzuheben und ein höherer Wert neu festzustellen, falls der JAV für den Versicherten günstiger ist, der sich nach Maßgabe von § 90 Abs 1 Satz 2 SGB VII für den Tag ergibt, an dem der Versicherte seine Ausbildung voraussichtlich beendet hätte. Hat er sie an diesem Tag beendet, gibt es keinen Raum für eine hypothetische Prüfung. Auch ist ihm, der seine Ausbildung pünktlich abgeschlossen hat, in der für das Gesetz erlaubten typisierenden Betrachtung kein weiterer Nachteil aus dem Versicherungsfall entstanden, weil er typischerweise nicht durch den Versicherungsfall gehindert ist, ein dem Tarifentgelt des § 90 Abs 1 Satz 2 SGB VII entsprechendes Gesamteinkommen zu erzielen.

-       

Ist hingegen der Versicherungsfall vor der Berufsausbildung eingetreten und die Erstfeststellung des Höchstwerts der Versicherungsleistung wirksam festgestellt worden und vollendet der Versicherte das 21. Lebensjahr (oder später das 25. Lebensjahr) und lässt sich nicht feststellen, welches Ausbildungsziel der Versicherte ohne den Versicherungsfall voraussichtlich erreicht hätte, ist der JAV ab diesem Tag mit 75 vH der Bezugsgröße (später 100 vH) anzusetzen (§ 90 Abs 1 iVm § 90 Abs 4 SGB VII).

-       

§ 90 Abs 2 SGB VII erfasst dann die Fälle, in denen nach der Erstfeststellung bei unter dreißigjährigen Versicherten diese vor Vollendung des 30. Lebensjahres an tarifvertraglichen oder ortsüblichen Erhöhungen des Arbeitsentgelts nicht teilgenommen haben, die zur Zeit des Versicherungsfalls für Personen mit gleichartiger Tätigkeit für den späteren Fall vorgesehen waren, dass sie ein bestimmtes Berufsjahr erreicht oder ein bestimmtes Lebensjahr vollendet hatten. Ihnen ist in der gesetzlichen typisierenden Betrachtung regelmäßig wegen des Versicherungsfalls die Entgelterhöhung entgangen. Wenn diese einen günstigeren JAV brächte, besteht ein Neufeststellungsanspruch.

-       

Hat in den Fällen von § 90 Abs 1 oder Abs 2 SGB VII der Versicherungsfall eine Erwerbstätigkeit unmöglich gemacht, entsteht gemäß § 90 Abs 3 SGB VII, falls es günstiger ist, ein Neufeststellungsanspruch jeweils und sogar über das 30. Lebensjahr hinaus, falls zur Zeit des Versicherungsfalls tarifvertraglich oder ortsüblich spätere Entgelterhöhungen nach Lebensalter, Berufsjahren oder Ablauf von Bewährungszeiten vorgesehen sind und diese Voraussetzungen erfüllt werden.

-       

Unter Berücksichtigung des § 90 Abs 5 und des § 90 Abs 6 SGB VII sowie insbesondere auch der subsidiären Billigkeitsregelung in § 91 SGB VII mit der nochmals subsidiären Neufeststellung nach billigem Ermessen ergibt sich damit ein stimmiges Konzept, das typisierend Fallgestaltungen regelt, in denen das Gesetz typische Fälle erfasst, in denen davon ausgegangen werden kann, dass das eigentlich nach der Regelberechnung der §§ 82 ff SGB VII zu Grunde zu legende Arbeitseinkommen als unbillig erscheint. Dementsprechend ist es auch nicht gesetzesplanwidrig, dass eine Neufeststellung dann nicht beansprucht werden kann, wenn aus dem Versicherungsfall (typisch gesehen) kein durch den Versicherungsfall bedingter weiterer Einkommensnachteil eingetreten ist, der von der Regelberechnung nicht erfasst wäre.

-       

Im Übrigen wird selbst bei denjenigen, die lediglich von der Regelberechnung erfasst werden und keinen Anspruch auf Neufeststellung nach § 90 SGB VII haben, im Falle eines besonders niedrigen Erwerbseinkommens im letzten Jahr vor dem Versicherungsfall in jedem Fall entweder der Mindest-JAV des § 85 SGB VII oder - bei Kindern, die das 15. Lebensjahr noch nicht vollendet haben - ein besonders gesetzlich festgelegter JAV zu Grunde gelegt (§ 86 SGB VII).

36

Wenn danach ein stimmiges Konzept für die Fallgestaltungen vorliegt, in denen es dem Gesetz unbillig erscheint, die jeweils erfassten Personenkreise an ihrem (zu niedrigen) JAV nach Maßgabe der Regelberechnung nach den §§ 82 ff SGB VII festzuhalten, liegt für die Fallgestaltungen, in denen die Ausbildung - wie hier - plangemäß abgeschlossen worden ist, keine ausfüll-bare Gesetzeslücke vor. Dementsprechend kann § 90 Abs 1 Satz 1 SGB VII auch nicht zu Gunsten des Klägers analog angewandt werden. Das BSG ist nicht dazu befugt, eine - wie oben ausgeführt - rechtlich vollständige, sozial- oder rechtspolitisch jedoch von einzelnen Personen oder Gruppen als defizitär empfundene Regelung fortbildend zu ergänzen und sich damit unter Verkennung seiner eigenen Bindung an Gesetz und Recht (Art 20 Abs 3 GG) in die Rolle einer normsetzenden Instanz zu begeben (so auch BSG, Urteil vom 29.7.2003 - B 12 KR 15/02 R, Juris RdNr 22, SozR 4-4100 § 169 Nr 1 unter Hinweis auf BVerfGE 34, 269, 290; 65, 182, 194; 82, 6, 11 ff; 87, 273, 280; ferner BVerfGE 96, 375, 394 f; 113, 88, 103).

37

c) Die entgegenstehenden, damals nicht tragenden und nicht näher begründeten Ausführungen in der zu § 90 Abs 1 Satz 1 SGB VII ergangenen Entscheidung des Senats vom 7.11.2000 - B 2 U 31/99 R - (SozR 3-2700 § 90 Nr 1; vgl zuvor zu § 573 RVO: BSG, Urteil vom 15.6.1983 - 9b/8 RU 58/81 - SozR 2200 § 573 Nr 11) können demgemäß nicht aufrechterhalten bleiben, zumal die Voraussetzungen der Analogie dort nicht geprüft worden sind. Gleiches gilt für die eine solche Analogie befürwortenden Stimmen in der Literatur, die sich - soweit ersichtlich - nicht mit den rechtssystematischen Voraussetzungen der Analogiefähigkeit des § 90 Abs 1 Satz 1 SGB VII auseinandersetzen und lediglich die Entscheidung des BSG vom 7.11.2000 (aaO) zustimmend zitieren (vgl etwa Ricke in Kasseler Kommentar, § 90 SGB VII, RdNr 5, Stand: Dezember 2010; Keller in: Hauck/Noftz, SGB VII, K § 90 RdNr 9a, Stand: März 2012; Burchardt in: Becker/Burchardt/Krasney/Kruschinsky, SGB VII, § 90 RdNr 18a, Stand: März 2007; Rütenik in: juris-PK SGB VII, 1. Aufl 2009, § 90 RdNr 42; Dahm in: Lauterbach, UV , § 90 RdNr 18, Stand: Oktober 2006; Becker in: Lehr- und Praxiskommentar, SGB VII, 3. Aufl 2011, § 90 RdNr 5; Merten in: Eichenhofer/Wenner, SGB VII, § 90 RdNr 27; Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 90 SGB VII, RdNr 8.5, Stand 01/2007; Schmitt, SGB VII, 4. Aufl 2009, § 90 RdNr 7; Kater in: Kater/Leube, SGB VII, 1997, § 90 RdNr 27).

38

Die Methode der Analogie ist eine verfassungsrechtlich anerkannte Form der richterlichen Rechtsfortbildung (vgl zB BVerfGE 82, 6, 11 ff mwN). Sie ist allerdings von der dem Gesetzgeber vorbehaltenen Gesetzeskorrektur abzugrenzen. Die vom Verfassungsrecht gezogene Grenze verläuft im allgemeinen dort, wo die Gerichte ohne das Vorhandensein einer sich aus Systematik und Sinn des Gesetzes ergebenden Lücke allein unter Berufung auf allgemeine Rechtsprinzipien, die eine konkrete rechtliche Ableitung nicht zulassen, oder aus rechtspolitischen Erwägungen Neuregelungen oder Rechtsinstitute schaffen (BVerfGE 34, 269, 290; 65, 182, 194). Dem Gericht ist es grundsätzlich verwehrt, sich unter Verkennung seiner eigenen Bindung an Gesetz und Recht (Art 20 Abs 3 GG) aus der Rolle des Normanwenders in die einer normsetzenden Instanz zu begeben (BVerfGE 82, 6, 11 ff; 87, 273, 280). Demgemäß darf richterliche Rechtsfortbildung im Wege der Analogie stets nur dann eingesetzt werden, wenn das Gericht auf Grund einer Betrachtung und Wertung des einfachen Gesetzesrechts eine Gesetzeslücke feststellt (vgl BVerfG FamRZ 1995, 1052, 1054). Eine derartige Lücke ist aber nicht bereits dann gegeben, wenn eine erwünschte Ausnahmeregelung fehlt oder eine gesetzliche Regelung aus sozial- oder rechtspolitischen Erwägungen als unbefriedigend empfunden wird (vgl BVerfG NJW 1992, 1219; BVerfGE 65, 182, 194). Hat der Gesetzgeber eine eindeutige Entscheidung getroffen, dürfen die Gerichte diese - auch im Interesse der Rechtssicherheit für den einzelnen Bürger - nicht auf Grund eigener rechtspolitischer Vorstellungen verändern und durch eine judikative Lösung ersetzen, die so ggf im Parlament gar nicht erreichbar war (vgl BVerfG FamRZ 1995, 1052, 1054; BVerfGE 82, 6, 12). So spricht die Entscheidung des BSG im zum alten Recht ergangenen Urteil vom 15.6.1983 (aaO, S 35) ohne nähere Gesetzesprüfung von einem "wenig einleuchtenden Ergebnis", das zu korrigieren sei. Eine solche Betrachtungsweise entspricht aber gerade nicht den strengen Voraussetzungen für die "Lücken"schließung durch Analogie. Eine Lücke im Gesetz liegt vielmehr nur dort vor, wo es eine Regelung weder ausdrücklich noch schlüssig getroffen hat und es deshalb nach dem Konzept des Gesetzes, dem "Gesetzesplan", unvollständig und damit ergänzungsbedürftig ist. Keine Gesetzeslücke liegt also vor, wenn die Nichtregelung einer vom Gesetz gewollten Beschränkung auf bestimmte Tatbestände entspricht, seine richterliche Ergänzung also dem "Willen des Gesetzes" widerspricht. Es muss sich um eine dem Plan des Gesetzgebers widersprechende, also eine "planwidrige Unvollständigkeit" handeln (stRspr des BSG, vgl zB Urteil vom 25.2.2010 - B 10 LW 1/09 R - SozR 4-5868 § 13 Nr 5; Urteil des Senats vom 27.5.2008 - B 2 U 21/07 R, Juris RdNr 17, UV-Recht Aktuell 2008, 1162; Urteil vom 16.12.1997 - 4 RA 67/97 - SozR 3-2600 § 58 Nr 13 S 74 f; BSG SozR 4100 § 107 Nr 4 S 4; BSGE 63, 120, 131 = SozR 4100 § 138 Nr 17 S 92; BSGE 25, 150, 151; BSGE 43, 128, 129 = SozR 4100 § 100 Nr 1 S 1; vgl auch Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, 2. Aufl 1983, S 39, 197 f), die hier - wie soeben im Einzelnen unter 2 b) dargestellt - gerade nicht vorliegt.

39

Insbesondere verstößt § 90 Abs 1 Satz 1 SGB VII nicht gegen den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz des Art 3 Abs 1 GG. Es liegt weder eine willkürliche Regelung noch eine ungerechtfertigte Nichtbeachtung, geschweige denn eine unverhältnismäßige, von sachlichen Unterschieden zwischen beiden Personengruppen vor.

40

§ 90 Abs 1 Satz 1 SGB VII soll - wie oben unter 1. ausgeführt - bei Schülern und Auszubildenden einen typisierenden zusätzlichen Folgeschaden des Versicherungsfalls ausgleichen, nämlich die Tatsache, dass eine Ausbildung nach dem Versicherungsfall lediglich mit Verzögerungen oder überhaupt nicht beendet wurde. Dieser typisierte Schadensfall liegt bei dem Kläger und der von ihm repräsentierten Fallgruppe aber gerade nicht vor, weil die Ausbildung fristgerecht beendet wurde. Solche Versicherte haben daher, in der typisierenden Betrachtung des Gesetzes, keine weiteren (hypothetischen) Nachteile wegen des Versicherungsfalls erlitten. Zwischen den beiden Gruppen - privilegierte Verletzte mit verzögertem oder ausgefallenem Ausbildungsabschluss und typisiert unterstelltem Verzögerungsschaden einerseits und nicht durch § 90 Abs 1 Satz 1 SGB VII privilegierte Verletzte mit fristgerechtem Ausbildungsabschluss - bestehen daher gerade sachliche Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht(vgl BVerfGE 55, 72, 88; 84, 133, 157; 84, 197, 199; 85, 238, 244; 87, 1, 36; 95, 39, 45), dass sie vielmehr eine Ungleichbehandlung beider Gruppen im Lichte des Art 3 Abs 1 GG geradezu geboten erscheinen lassen. Denn andernfalls würde bei einem erfolgreichen Ausbildungsabschluss ein (hypothetischer) "Verzögerungsschaden" ersetzt, der tatsächlich überhaupt nicht vorliegt. Dadurch käme es wohl zu einer verfassungswidrigen Gleichbehandlung von wesentlich Ungleichem.

41

Soweit sich der Senat in der Entscheidung vom 7.11.2000 (aaO) ergänzend auf frühere Entscheidungen des BSG zur anders formulierten Vorgängerregelung des § 573 RVO berufen hat(Urteil vom 15.6.1983 - 9b/8 RU 58/81, SozR 2200 § 573 Nr 11; sowie Urteil vom 5.8.1993 - 2 RU 24/92 - SozR 3-2200 § 573 Nr 2), kann im Übrigen dahinstehen, inwieweit § 573 RVO einer entsprechenden Analogie tatsächlich zugänglich gewesen ist. Denn erst durch das UVEG vom 7.8.1996 (BGBl I 1254) ist das soeben umrissene stimmige Konzept auch deutlich formuliert worden.

42

Da der Kläger durch die angefochtene Höchstwertfestsetzung bereits mehr erhielt, als ihm nach dem Gesetz zusteht, konnte sein Begehren auf noch höhere Rente keinen Erfolg haben.

43

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 SGG.

(1) Kinder haben nach dem Tod eines Elternteils Anspruch auf Halbwaisenrente, wenn

1.
sie noch einen Elternteil haben, der unbeschadet der wirtschaftlichen Verhältnisse unterhaltspflichtig ist, und
2.
der verstorbene Elternteil die allgemeine Wartezeit erfüllt hat.

(2) Kinder haben nach dem Tod eines Elternteils Anspruch auf Vollwaisenrente, wenn

1.
sie einen Elternteil nicht mehr haben, der unbeschadet der wirtschaftlichen Verhältnisse unterhaltspflichtig war, und
2.
der verstorbene Elternteil die allgemeine Wartezeit erfüllt hat.

(3) Als Kinder werden auch berücksichtigt:

1.
Stiefkinder und Pflegekinder (§ 56 Abs. 2 Nr. 1 und 2 Erstes Buch), die in den Haushalt des Verstorbenen aufgenommen waren,
2.
Enkel und Geschwister, die in den Haushalt des Verstorbenen aufgenommen waren oder von ihm überwiegend unterhalten wurden.

(4) Der Anspruch auf Halb- oder Vollwaisenrente besteht längstens

1.
bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres oder
2.
bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres, wenn die Waise
a)
sich in Schulausbildung oder Berufsausbildung befindet oder
b)
sich in einer Übergangszeit von höchstens vier Kalendermonaten befindet, die zwischen zwei Ausbildungsabschnitten oder zwischen einem Ausbildungsabschnitt und der Ableistung des gesetzlichen Wehr- oder Zivildienstes oder der Ableistung eines freiwilligen Dienstes im Sinne des Buchstabens c liegt, oder
c)
einen freiwilligen Dienst im Sinne des § 32 Absatz 4 Satz 1 Nummer 2 Buchstabe d des Einkommensteuergesetzes leistet oder
d)
wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten.
Eine Schulausbildung oder Berufsausbildung im Sinne des Satzes 1 liegt nur vor, wenn die Ausbildung einen tatsächlichen zeitlichen Aufwand von wöchentlich mehr als 20 Stunden erfordert. Der tatsächliche zeitliche Aufwand ist ohne Bedeutung für Zeiten, in denen das Ausbildungsverhältnis trotz einer Erkrankung fortbesteht und damit gerechnet werden kann, dass die Ausbildung fortgesetzt wird. Das gilt auch für die Dauer der Schutzfristen nach dem Mutterschutzgesetz.

(5) In den Fällen des Absatzes 4 Nr. 2 Buchstabe a erhöht sich die für den Anspruch auf Waisenrente maßgebende Altersbegrenzung bei Unterbrechung oder Verzögerung der Schulausbildung oder Berufsausbildung durch den gesetzlichen Wehrdienst, Zivildienst oder einen gleichgestellten Dienst um die Zeit dieser Dienstleistung, höchstens um einen der Dauer des gesetzlichen Grundwehrdienstes oder Zivildienstes entsprechenden Zeitraum. Die Ableistung eines freiwilligen Dienstes im Sinne von Absatz 4 Nr. 2 Buchstabe c ist kein gleichgestellter Dienst im Sinne von Satz 1.

(6) Der Anspruch auf Waisenrente endet nicht dadurch, dass die Waise als Kind angenommen wird.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
BESCHLUSS
XII ZB258/13 Verkündet am:
7. Mai 2014
Küpferle,
Justizamtsinspektorin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in der Familiensache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja

a) Ist der neue Ehegatte des Unterhaltspflichtigen gegenüber dem geschiedenen
Ehegatten nach § 1609 Nr. 3 BGB nachrangig, ist dessen Unterhaltsanspruch
im Rahmen der Leistungsfähigkeit grundsätzlich nicht als sonstige
Verpflichtung zu berücksichtigen; der unterhaltsrechtliche Vorrang des geschiedenen
Ehegatten wirkt sich bei der Billigkeitsabwägung nach § 1581
BGB vielmehr in Höhe des vollen Unterhaltsbedarfs nach den ehelichen
Lebensverhältnissen aus, da die Rangvorschriften des § 1609 BGB selbst
Ausdruck einer gesetzlichen Billigkeitswertung sind.

b) Sind ein geschiedener und ein neuer Ehegatte nach § 1609 BGB gleichrangig
, ist im Rahmen der Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen eine Bil-
ligkeitsabwägung in Form einer Dreiteilung des gesamten unterhaltsrelevanten
Einkommens rechtsbeschwerderechtlich nicht zu beanstanden (im
Anschluss an Senatsurteil BGHZ 192, 45 = FamRZ 2012, 281).

c) Steht der neue Ehegatte des Unterhaltspflichtigen im Bezug von Elterngeld,
bleibt der nach § 11 Satz 1 BEEG geschonte Sockelbetrag des Elterngeldes
bei der Ermittlung des für die Dreiteilung verfügbaren Gesamteinkommens
unberücksichtigt (Fortführung von Senatsurteil vom 21. Juni 2006
- XII ZR 147/04 - FamRZ 2006, 1182).

d) Übt der neue Ehegatte des Unterhaltspflichtigen wegen der Betreuung der
im Haushalt lebenden gemeinsamen minderjährigen Kinder keine Erwerbstätigkeit
aus, können ihm bei der Ermittlung des Gesamteinkommens fiktive
Erwerbseinkünfte zugerechnet werden, wenn und soweit er im hypothetischen
Fall einer Scheidung trotz der Kindesbetreuung zur Ausübung einer
Erwerbstätigkeit verpflichtet wäre; während der ersten drei Lebensjahre des
Kindes kommt dies aber auch dann nicht in Betracht, wenn der Unterhaltspflichtige
als Rentner selbst keiner Erwerbstätigkeit mehr nachgeht.
BGH, Beschluss vom 7. Mai 2014 - XII ZB 258/13 - OLG Hamburg
AG Hamburg
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 7. Mai 2014 durch den Vorsitzenden Richter Dose und die Richter
Dr. Klinkhammer, Dr. Günter, Dr. Botur und Guhling

für Recht erkannt:
Auf die Rechtsbeschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des 1. Familiensenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg vom 3. Mai 2013 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben , als darin für die Zeit seit dem 22. Juli 2011 zum Nachteil des Antragstellers erkannt worden ist. Die weitergehende Rechtsbeschwerde wird mit der klarstellenden Maßgabe zurückgewiesen, dass der Abänderungsantrag des Antragstellers für die Zeit bis einschließlich 21. Juli 2011 insgesamt zurückgewiesen wird. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens , an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:

A.

1
Die mittlerweile im Rentenalter stehenden Beteiligten streiten im Rechtsbeschwerdeverfahren um die Abänderung einer Entscheidung zum nachehelichen Unterhalt für den Zeitraum seit dem 7. April 2011.
2
Der 1942 geborene Antragsteller und die 1946 geborene Antragsgegnerin heirateten am 30. Dezember 1975. Ihre Ehe, aus der eine im Jahre 1978 geborene Tochter hervorgegangen ist, wurde auf einen am 3. April 2008 zugestellten Scheidungsantrag durch Beschluss des Amtsgerichts vom 12. März 2010 rechtskräftig geschieden. Im Scheidungsverbund wurde der Versorgungsausgleich durchgeführt und der Antragsteller zur Zahlung eines nachehelichen Unterhalts an die Antragsgegnerin verurteilt, dessen Höhe im Berufungsverfahren durch Urteil des Oberlandesgerichts vom 29. Oktober 2010 rechtskräftig auf monatlich 1.853 € festgesetzt wurde, davon 1.265 € Elementarunterhalt und 588 € Krankenvorsorgeunterhalt.
3
Die Antragsgegnerin hatte in den 1970er Jahren an der Universität Frankfurt Philosophie, Psychologie und Romanistik studiert. Nach der Heirat mit dem Antragsteller, einem Umzug nach Hamburg und der anschließenden Geburt der gemeinsamen Tochter gab sie ihr Studium und ihr Promotionsvorhaben auf. Während der Ehezeit versorgte sie die Tochter und war daneben als freiberufliche Übersetzerin - hauptsächlich für den während der Ehe als Hochschullehrer tätig gewesenen Antragsteller - beschäftigt.
4
Der Antragsteller ist seit dem Jahr 2008 pensioniert. Er bezieht seither ein Ruhegehalt nach beamtenrechtlichen Vorschriften und ist noch freiberuflich wissenschaftlich tätig. Am 28. Dezember 2010 heiratete der Antragsteller seine jetzige Ehefrau, eine bei ihm angestellte wissenschaftliche Mitarbeiterin, die das Studium der Geschichte und Philosophie mit dem Magister abgeschlossen hat. Aus der neuen Ehe ging das am 22. Juli 2011 geborene Kind G. hervor. Seit der Geburt des gemeinsamen Kindes übt die im Jahr 1976 geborene Ehefrau des Antragstellers, die zunächst Mutterschaftsgeld und danach bis zum 21. Juli 2012 Elterngeld in Höhe von monatlich 608,76 € bezogen hatte, keine Berufstätigkeit mehr aus.
5
Seit dem 1. Dezember 2011 bezieht die Antragsgegnerin eine gesetzliche Altersrente in Höhe von monatlich zunächst 1.449,14 € (zuzüglich eines Zuschusses zu ihrer privaten Krankenversicherung in Höhe von 105,79 €), die ganz überwiegend auf den im Versorgungsausgleich erworbenen Rentenanrechten beruht. Das bis dahin aufgrund des Pensionistenprivilegs ungekürzt gezahlte monatliche (Brutto-)Ruhegehalt des Antragstellers, welches zuvor noch 3.877,46 € betragen hatte, wird seit Dezember 2011 wegen des Versorgungsausgleichs um 1.444,24 € gekürzt.
6
Auf den am 7. April 2011 zugestellten Abänderungsantrag des Antragstellers hat das Amtsgericht die im Urteil des Oberlandesgerichts vom 29. Oktober 2010 festgesetzte Unterhaltspflicht für die Zeit seit dem 7. April 2011 auf monatlich 1.614 € (davon 588 € Krankenvorsorgeunterhalt) und seit dem 20. Juli 2011 auf monatlich 1.155,16 € (davon 588 € Krankenvorsorgeunterhalt) herabgesetzt; für den Zeitraum seit dem 1. Dezember 2011 hat es den Antragsteller nur noch zur Zahlung eines Krankenvorsorgeunterhalts in monatlicher Höhe von 207 € verpflichtet gehalten.
7
Mit ihrer dagegen gerichteten Beschwerde hat die Antragsgegnerin erstrebt , den Abänderungsantrag des Antragstellers für den Zeitraum bis zum 14. Dezember 2011 insgesamt abzuweisen und den in der Ausgangsentscheidung titulierten Unterhaltsanspruch für den Zeitraum seit dem 15. Dezember 2011 noch in Höhe von 677,70 € (davon 637,70 € Krankenvorsorgeunterhalt) aufrechtzuerhalten. Der Antragsteller hat Zurückweisung der Beschwerde beantragt und sich der Beschwerde der Antragsgegnerin mit dem Ziel angeschlossen , seine Unterhaltspflicht für den Zeitraum seit dem 1. Dezember 2011 vollständig wegfallen zu lassen. Das Oberlandesgericht hat der Beschwerde weitgehend stattgegeben und die Anschlussbeschwerde zurückgewiesen. Es hat eine Abänderung der Ausgangsentscheidung für die Zeit bis zum 30. November 2011 insgesamt abgelehnt und der Antragsgegnerin für die Zeit seit dem 1. Dezember 2011 (allein) einen Krankenvorsorgeunterhalt in Höhe von 512,27 € bzw. von 506,85 € zuerkannt.
8
Dagegen wendet sich die zugelassene Rechtsbeschwerde des Antragstellers. Er erstrebt für den Zeitraum bis zum 30. November 2011 eine Wiederherstellung der amtsgerichtlichen Entscheidung und für die Zeit seit dem 1. Dezember 2011 weiterhin den vollständigen Wegfall seiner Unterhaltspflicht.

B.

9
Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg, soweit sie den Unterhaltszeitraum vom 7. April 2011 bis zum 21. Juli 2011 betrifft; im Übrigen führt sie zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.

I.

10
1. Das Beschwerdegericht hat eine Abänderung der Ausgangsentscheidung für den Unterhaltszeitraum zwischen Rechtshängigkeit des Abänderungs- antrages am 7. April 2011 und der Geburt des Kindes G. am (richtig:) 22. Juli 2011 abgelehnt und seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
11
Das Familiengericht habe den Antragsteller zu Unrecht als nicht (vollständig ) leistungsfähig zur Zahlung des mit der Entscheidung vom 29. Oktober 2010 titulierten Unterhalts an die Antragsgegnerin angesehen. Dies könne nicht daraus hergeleitet werden, dass der Antragsteller nach seiner Wiederverheiratung unter Berücksichtigung seiner Unterhaltspflicht gegenüber der neuen Ehefrau weniger als den eheangemessenen Selbstbehalt zur Verfügung habe. Die Antragsgegnerin sei der neuen Ehefrau des Antragstellers bis zur Geburt des Kindes unterhaltsrechtlich vorrangig. Die Ehe habe bis zur Zustellung des Scheidungsantrages über 31 Jahre gedauert, so dass der Unterhaltsanspruch der Antragsgegnerin wegen der langen Ehezeit im zweiten Unterhaltsrang (§ 1609 Nr. 2 BGB) einzuordnen sei. Bei dem mit einem Geldbetrag zu veranschlagenden Anspruch der neuen Ehefrau auf Gewährung von Familienunterhalt handele es sich demgegenüber um einen Anspruch nach § 1609 Nr. 3 BGB. Es könne deshalb dahinstehen, ob der Antragsteller in diesem Zeitabschnitt zur Zahlung des nachehelichen Unterhalts an die Antragsgegnerin als auch zur Zahlung von Familienunterhalt an seine Ehefrau leistungsfähig gewesen wäre. Wenn der geschiedene Ehegatte vorrangig sei, bestehe keine Veranlassung , den nachrangigen Unterhalt des neuen Ehegatten bei der Bewertung der Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen nach § 1581 BGB zu berücksichtigen.
12
Auch unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse sei eine Änderung des Urteils vom 29. Oktober 2010 nicht veranlasst. Der Antragsteller habe Versorgungsbezüge in Höhe von 3.433,05 € netto. Hiervon seien die eigenen Krankenversicherungsbeiträge des Antragstellers in Höhe von 200,11 € und die an die Antragsgegnerin zu zahlende Steuererstattung in Höhe von 74,33 € abzuziehen. Nach weiterem Abzug des titulierten Krankenvorsorgeunterhalts in Höhe von 588 € verblieben noch 2.570,61 €; hiervon die Hälfte ergebe 1.285,30 € und somit mehr, als nach der Ausgangsentscheidung vom 29. Oktober 2010 als Elementarunterhalt geschuldet sei.
13
2. Dies hält rechtlicher Überprüfung im Ergebnis stand.
14
Der Antragsteller hat sein Abänderungsbegehren für diesen Unterhaltszeitraum auf den Umstand seiner Wiederverheiratung am 28. Dezember 2010 sowie auf ein - infolge gestiegener Krankenversicherungsbeiträge und höherer Steuererstattungen an die Antragsgegnerin - gesunkenes unterhaltsrelevantes Einkommen gestützt. Insoweit handelt es sich um neue Tatsachen, die nach der mündlichen Verhandlung im Ausgangsverfahren entstanden sind (§ 238 Abs. 2 FamFG), aber im Ergebnis nicht zu einer wesentlichen Änderung der für die Unterhaltsbemessung maßgeblichen Verhältnisse führen und damit keine Anpassung der Unterhaltsentscheidung vom 29. Oktober 2010 rechtfertigen.
15
a) Im Ausgangspunkt zutreffend hat das Beschwerdegericht den Unterhaltsbedarf der Antragsgegnerin gemäß § 1578 Abs. 1 Satz 1 BGB nach den ehelichen Lebensverhältnissen bemessen. Ohne Auswirkung auf den Unterhaltsbedarf nach den ehelichen Lebensverhältnissen bleibt eine nacheheliche Entwicklung, die keinen Anknüpfungspunkt in der Ehe findet. Dies gilt im Anschluss an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfG FamRZ 2011, 437 Rn. 70) insbesondere für die Unterhaltspflicht gegenüber einem neuen Ehegatten, die erst nach der Scheidung der ersten Ehe eintreten kann (Senatsurteil BGHZ 192, 45 = FamRZ 2012, 281 Rn. 26). Gleiches gilt umgekehrt für die aus der neuen Ehe hervorgehenden finanziellen Vorteile wie den Splittingvorteil (vgl. BVerfG FamRZ 2003, 1821, 1823 f.; Senatsurteile BGHZ 163, 84, 90 f. = FamRZ 2005, 1817, 1819 und vom 14. März 2007 - XII ZR 158/04 - FamRZ 2007, 882 Rn. 24) oder sonstige, von der neuen Ehe abhängige Einkommenszuschläge (Senatsurteile BGHZ 192, 45 = FamRZ 2012, 281 Rn. 26 und BGHZ 171, 206 = FamRZ 2007, 793 Rn. 44 ff.).
16
aa) Ausgehend von diesen Grundsätzen hat das Beschwerdegericht den Unterhaltsbedarf der Antragsgegnerin zu Recht ohne Berücksichtigung des Splittingvorteils bemessen, welcher der neuen Ehe des Antragstellers vorbehalten bleibt. Es hat allerdings verkannt, dass die Wiederverheiratung des Antragstellers Auswirkungen auf die unterhaltsrechtliche Behandlung des ihm gewährten Familienzuschlages der Stufe 1 hat, der gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BeamtVG zu seinen ruhegehaltfähigen Dienstbezügen gehört. Der Berechnung des Ruhegehalts wird nach § 50 Abs. 1 BeamtVG iVm § 40 Abs. 1 BBesG ein Familienzuschlag der Stufe 1 zugrunde gelegt, wenn der Versorgungsempfänger verheiratet ist oder wenn er geschieden und aus der geschiedenen Ehe mindestens in Höhe dieses Zuschlages zum Unterhalt verpflichtet ist. Ist der Versorgungsempfänger daher seinem geschiedenen Ehegatten unterhaltspflichtig und ist er nach der Scheidung eine zweite Ehe eingegangen, wird ein Familienzuschlag der Stufe 1 bei der Berechnung des Ruhegeldes aus zwei alternativen Rechtsgründen (§ 50 Abs. 1 BeamtVG iVm § 40 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 3 BBesG) berücksichtigt, um damit sowohl die Unterhaltsbelastungen aus der geschiedenen Ehe als auch die aus der neuen Ehe herrührenden wirtschaftlichen Belastungen abzumildern (vgl. auch Senatsbeschluss vom 2. Februar 2011 - XII ZB 133/08 - FamRZ 2011, 706 Rn. 29). Wird der Familienzuschlag der Stufe 1 mithin wegen der bestehenden (zweiten) Ehe und zugleich wegen einer fortdauernden Unterhaltspflicht aus einer früheren Ehe gezahlt, ist er nach seinem Sinn und Zweck bei der Bemessung des Unterhaltsanspruchs der geschiedenen Ehefrau nur hälftig zu berücksichtigen (Senatsurteil BGHZ 171, 206 = FamRZ 2007, 793 Rn. 46 f.; vgl. weiterhin Wendl/Dose Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis 8. Aufl. § 1 Rn. 75; Niepmann/ Schwamb Die Rechtsprechung zur Höhe des Unterhalts 12. Aufl. Rn. 65).
17
bb) Im vorliegenden Fall bewirkt allerdings auch dieser Gesichtspunkt kein Absinken der für die Bemessung des Unterhaltsanspruchs maßgeblichen Einkünfte des Antragstellers gegenüber den in der Ausgangsentscheidung zugrunde gelegten Einkommensverhältnissen. Die gesamten ruhegehaltfähigen Dienstbezüge des Antragstellers betrugen in dem hier relevanten Unterhaltszeitraum seit April 2011 monatlich 5.294,30 €. Wird davon die Hälfte (56,52 €) des Familienzuschlages der Stufe 1 abgesetzt, errechnet sich aus den verbleibenden Bezügen von 5.237,78 € ein (fiktives) monatliches Bruttoruhegehalt in Höhe von 3.800,66 € (entspricht 5.237,78 € x 0,96750 Anpassungsfaktor nach § 69 e Abs. 3 BeamtVG x 75 % Ruhegehaltsatz). Hierauf hätte der Antragsteller - unter Berücksichtigung des von ihm tatsächlich in Anspruch genommenen monatlichen Steuerfreibetrages - nach der Grundtabelle (Steuerklasse I) Lohnsteuer in Höhe von 375,08 € und Solidaritätszuschlag in Höhe von 20,62 € zu zahlen, so dass sich ein monatliches Nettoruhegehalt in Höhe von 3.404,96 € ergibt. Die Feststellungen des Beschwerdegerichts zur Höhe der abzusetzenden Beträge für die private Krankenversicherung des Antragstellers (200,11 €) und für den steuerlichen Nachteilsausgleich im Zusammenhang mit der Inanspruchnahme des begrenzten Realsplittings (74,33 €) werden von der Rechtsbeschwerde nicht angegriffen und lassen keine Rechtsfehler erkennen. Damit ergibt sich auf Seiten des Antragstellers ein unterhaltsrelevantes Einkommen in bereinigter Höhe von 3.130,52 €; dies übersteigt sogar noch den Betrag, der in der Ausgangsentscheidung als Grundlage für die Bemessung des Unterhaltsanspruchs der Antragsgegnerin herangezogen worden ist (3.118 €).
18
b) Mit Recht hat das Beschwerdegericht weiter erkannt, dass die Wiederverheiratung des Antragstellers in dem hier interessierenden Unterhaltszeitraum auch auf die Beurteilung seiner Leistungsfähigkeit (§ 1581 BGB) keinen Einfluss hat.
19
aa) Allerdings muss der Unterhaltspflichtige nach § 1581 BGB nur insoweit Unterhalt leisten, als es mit Rücksicht auf die Bedürfnisse und Erwerbsund Vermögensverhältnisse der geschiedenen Ehegatten der Billigkeit entspricht , wenn er nach seinen Erwerbs- und Vermögensverhältnissen unter Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen außerstande ist, ohne Gefährdung des eigenen angemessenen Unterhalts den vollen Unterhalt der Unterhaltsberechtigten zu zahlen. Die Leistungsfähigkeit gegenüber einzelnen Unterhaltsberechtigten hängt mithin grundsätzlich auch von weiteren Unterhaltsverpflichtungen als sonstigen Verpflichtungen im Sinne des § 1581 BGB ab.
20
bb) Im Ausgangspunkt ist das Beschwerdegericht zutreffend davon ausgegangen , dass die Antragsgegnerin gegenüber der neuen Ehefrau des Antragstellers unter dem Aspekt der langen Ehedauer (§ 1609 Nr. 2 BGB), der in besonderem Maße den Schutz "traditioneller" Ehemodelle im Blick hat (vgl. Menne in Büte/Poppen/Menne Unterhaltsrecht 2. Aufl. § 1609 BGB Rn. 17; MünchKommBGB/Born 6. Aufl. § 1609 BGB Rn. 20), unterhaltsrechtlich vorrangig gewesen ist. Die Ehe der Beteiligten hat bis zur Zustellung des Scheidungsantrages mehr als 31 Jahre gedauert, und sie war aufgrund der gewählten Rollenverteilung und der Gestaltung der ehelichen Lebensverhältnisse von einer engen persönlichen und wirtschaftlichen Verflechtung geprägt (vgl. auch Senatsbeschluss vom 2. Februar 2011 - XII ZB 133/08 - FamRZ 2011, 706 Rn. 70). Diese beruhte auf dem - unstreitig ehebedingten - Abbruch der akademischen Ausbildung der Antragsgegnerin, der Übernahme der Haushaltsführung und Kinderbetreuung und schließlich auch darauf, dass die Antragsgegnerin ihre spätere Tätigkeit als Übersetzerin in der Ehezeit im Wesentlichen für den Antragsteller entfaltete. Demgegenüber war die neue Ehefrau des Antragstellers bis zur Geburt des Kindes G. nach § 1609 Nr. 3 BGB nachrangig; gegen diese Beurteilung erinnert auch die Rechtsbeschwerde nichts.
21
cc) Ist der neue Ehegatte gegenüber dem geschiedenen Ehegatten nachrangig, ist dessen Unterhaltsanspruch im Rahmen der Leistungsfähigkeit gegenüber dem geschiedenen Ehegatten grundsätzlich nicht als sonstige Verpflichtung zu berücksichtigen. Der unterhaltsrechtliche Vorrang des geschiedenen Ehegatten wirkt sich im Rahmen des § 1581 BGB vielmehr in Höhe des vollen Unterhaltsbedarfs nach den ehelichen Lebensverhältnissen aus, so dass der Unterhaltspflichtige in diesem Umfang regelmäßig auch leistungsfähig ist (Senatsurteil BGHZ 192, 45 = FamRZ 2012, 281 Rn. 49).
22
Eine abweichende Beurteilung ergibt sich unter den obwaltenden Umständen auch nicht deshalb, weil die im Rahmen des § 1581 BGB gebotene Billigkeitsabwägung auch solche Verteilungsergebnisse erlaubt, die sich neben dem Rang auf weitere individuelle Umstände stützen, und als zusätzliches Billigkeitskriterium insbesondere berücksichtigt werden kann, ob der Mindestbedarf eines Berechtigten gedeckt ist (Senatsurteil BGHZ 192, 45 = FamRZ 2012, 281 Rn. 50). Denn es ist grundsätzlich zu beachten, dass der sich aus § 1609 BGB ergebende Rang der Unterhaltsansprüche selbst Ausdruck einer gesetzlichen Billigkeitswertung ist, die den - vollständigen - Vorrang des vom Gesetzgeber als schutzbedürftiger angesehenen Unterhaltsberechtigten sichern soll (MünchKommBGB/Maurer 6. Aufl. § 1609 Rn. 20; Gerhardt/Gutdeutsch FamRZ 2011, 772, 775). Dies wird in der Regel - und auch hier - dazu führen, dem vorrangigen geschiedenen Ehegatten den nach den ehelichen Lebensverhältnissen bemessenen Bedarf insgesamt zu belassen und die neue Ehe ergänzend auf die durch den nachrangigen Ehegatten erzielten oder erzielbaren Einkünfte sowie auf die der neuen Ehe vorbehaltenen wirtschaftlichen Vorteile - hier also insbesondere den steuerlichen Splittingvorteil und den hälftigen Familienzuschlag der Stufe 1 - zu verweisen.

II.

23
1. Das Beschwerdegericht hat eine Abänderung der Ausgangsentscheidung auch für den Unterhaltszeitraum zwischen der Geburt des Kindes G. am 22. Juli 2011 und dem Eintritt der Antragsgegnerin in die gesetzliche Altersrente (und der damit einhergehenden Kürzung der Versorgungsbezüge des Antragstellers ) zum 1. Dezember 2011 abgelehnt.
24
Hierzu hat es im Wesentlichen das Folgende ausgeführt: Mit der Geburt des Kindes sei für den Antragsteller eine Unterhaltsverpflichtung entstanden, die gemäß § 1609 Nr. 1 BGB sowohl dem Unterhaltsanspruch der Antragsgegnerin als auch dem Unterhaltsanspruch seiner Ehefrau vorgehe. Solange der Antragsteller indessen noch die nicht durch den Versorgungsausgleich gekürzten Versorgungsbezüge bezogen habe, sei er zur Leistung von Unterhalt an seinen Sohn und seine Ehefrau als auch zur Zahlung des (titulierten) Unterhalts an die Antragsgegnerin leistungsfähig gewesen. Der "für die Bemessung seiner Leistungsfähigkeit der Antragsgegnerin gegenüber einzusetzende Kindesunterhalt" errechne sich aus seinem Nettoeinkommen ohne Berücksichtigung des auf der Wiederverheiratung beruhenden Splittingvorteils. Da der Antragsteller insgesamt drei Personen gegenüber unterhaltspflichtig sei, könne der Kindesunterhalt der Düsseldorfer Tabelle nach Herabstufung um eine Einkommensgruppe entnommen werden; daneben sei der Mehrbedarf des Kindes für seine Krankenversicherungsbeiträge zu berücksichtigen. Das in Höhe von 184 € gezahlte Kindergeld sei gemäß § 1612 b Abs. 1 Nr. 2 BGB in voller Höhe auf den Barbedarf des Kindes anzurechnen, weil das Kind im Haushalt beider Eltern lebe und deshalb davon auszugehen sei, dass es von beiden Elternteilen gemeinsam betreut werde. Das von der Ehefrau des Antragstellers bezogene Elterngeld sei in voller Höhe, mithin unter Einbeziehung des Sockelbetrages von 300 €, zu berücksichtigen. Das Elterngeld sei als Teil der Mittel anzusehen, die beiden Eltern für die Lebensführung zur Verfügung stünden. Es widerspräche dieser Regelung, diese Mittel nur einem der beiden Elternteile vorzubehalten. Zwar würden gemäß § 11 BEEG Unterhaltspflichten durch die Zahlung des Elterngeldes nur insoweit berührt, als diese 300 € monatlich überstiegen. Bei dem Anspruch auf Familienunterhalt handele es sich aber um einen gegenseitigen Anspruch der Ehegatten. Beide seien verpflichtet, mit ihrer Arbeit und ihrem Vermögen die Familie angemessen zu unterhalten; es gelte der Halbteilungsgrundsatz. Dem Sinn dieser Regelung entspreche es, das Elterngeld als Teil des Familieneinkommens anzusehen mit der Folge, dass es den Bedarf der Familie zu diesem Anteil decke.
25
Bei der Prüfung der Leistungsfähigkeit gemäß § 1581 BGB könne bei gleichrangigen Unterhaltspflichten darauf abgestellt werden, ob auf die gleichrangigen Unterhaltsberechtigten und die Unterhaltspflichtigen je ein Drittel der zur Verfügung stehenden Mittel entfielen. Dabei könnten im vorliegenden Fall die Beiträge des Antragstellers und der Antragsgegnerin zur Krankenvorsorge vorweg abgezogen werden, zumal die Ehefrau des Antragstellers während der Bezugsdauer des Elterngeldes in der gesetzlichen Krankenversicherung beitragsfrei versichert sei. Werde das (um den Splittingvorteil erhöhte) Nettoeinkommen des Antragstellers um sämtliche zu berücksichtigenden Abzugspositionen (Kindesunterhalt, eigener Krankenversicherungsbeitrag, Krankenvorsorgeunterhalt für die Antragsgegnerin in titulierter Höhe, steuerlicher Nachteilsausgleich ) bereinigt, ergebe sich unter Berücksichtigung der Elterngeldbezüge seiner Ehefrau im Rahmen der Dreiteilung ein verteilungsfähiges Einkommen in Höhe von 3.213,37 €. Hiervon ein Drittel betrage 1.071,12 €; werde dieser Betrag wegen der in der neuen Ehe des Antragstellers entstehenden Synergieeffekte zugunsten der Antragsgegnerin um 20 % erhöht, ergebe sich ein Betrag von 1.285,34 € und damit mehr, als zu ihren Gunsten tituliert sei.
26
2. Dies hält rechtlicher Überprüfung nicht in allen Punkten stand.
27
a) Das Beschwerdegericht hat allerdings zunächst zutreffend erkannt, dass sich die tatsächlichen Verhältnisse gegenüber der Ausgangsentscheidung in diesem Unterhaltszeitraum durch das Hinzutreten der nach § 1609 Nr. 1 BGB vorrangigen Unterhaltspflicht gegenüber dem Kind und die mit der Kinderbetreuung verbundene Rangverschiebung auf Seiten der neuen Ehefrau verändert haben. Ferner ist das Beschwerdegericht ersichtlich davon ausgegangen, dass der Unterhaltsbedarf der Antragsgegnerin nach den ehelichen Lebensverhältnissen auch durch das Hinzutreten der weiteren Unterhaltspflicht gegenüber dem Kind G. nicht nachteilig berührt worden ist. Auch dies ist zutreffend, weil die Unterhaltspflicht für ein nachehelich geborenes Kind weder in der geschiedenen Ehe angelegt noch bei fortbestehender Ehe mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten gewesen wäre. Diese Beurteilung gilt unabhängig davon, ob das nach Rechtskraft der Scheidung geborene Kind in einer neuen Ehe oder außerehelich geboren worden ist (Senatsurteil BGHZ 192, 45 = FamRZ 2012, 281 Rn. 27). Auch insoweit hat der Senat seine frühere, auf dem Stichtagsprinzip beruhende Rechtsprechung (Senatsurteile vom 12. Juli 1990 - XII ZR 85/89 - FamRZ 1990, 1091, 1094 und vom 25. Februar 1987 - IVb ZR 36/86 - FamRZ 1987, 456, 458 f.) wieder aufgegriffen.
28
b) Auch die rechtlichen Ausgangspunkte zur Beurteilung der Leistungsfähigkeit (§ 1581 BGB) des Antragstellers begegnen keinen grundsätzlichen Bedenken.
29
aa) Steht - wie in dem hier relevanten Unterhaltszeitraum - der Unterhaltsanspruch einer geschiedenen Ehefrau mit dem hinzugetretenen Unterhaltsanspruch der Mutter eines nachehelich geborenen Kindes im gleichen Unterhaltsrang , ist im Rahmen der Billigkeitsprüfung des § 1581 BGB grundsätzlich auch die hinzugekommene gleichrangige Unterhaltsverpflichtung zu be- rücksichtigen. Der geschiedene Ehegatte kann dann nicht mehr den vollen Unterhalt im Wege der Halbteilung verlangen, weil dem Unterhaltspflichtigen nur ein gleich hoher Betrag seines Einkommens verbliebe, der für seinen eigenen Unterhalt und den hinzugetretenen gleichrangigen Unterhaltsanspruch zu verwenden wäre. Sowohl dem Unterhaltspflichtigen als auch dem gleichrangig hinzugetretenen Unterhaltsberechtigten verbliebe dann deutlich weniger als der geschiedene Ehegatten beanspruchen könnte. Dies führt zu einem relativen Mangelfall zwischen dem Unterhaltspflichtigen und dem geschiedenen Ehegatten , der zu einer Kürzung des Unterhaltsanspruchs nach Billigkeit führen muss. Dem Unterhaltspflichtigen muss im Verhältnis zum geschiedenen Ehegatten somit mehr als die Hälfte des Einkommens verbleiben, um auch den hinzugekommenen gleichrangigen Unterhaltsanspruch bedienen zu können. Wenn der Tatrichter dieser wechselseitigen Beeinflussung im Rahmen der nach § 1581 BGB gebotenen Billigkeit bei gleichrangigen Unterhaltsberechtigten grundsätzlich im Wege der Dreiteilung des vorhandenen Gesamteinkommens aller Beteiligten Rechnung trägt, ist dies aus rechtsbeschwerderechtlicher Sicht nicht zu beanstanden (Senatsurteil BGHZ 192, 45 = FamRZ 2012, 281 Rn. 41 ff.; Senatsbeschluss vom 19. März 2014 - XII ZB 19/13 - juris Rn. 38 f.).
30
bb) Soweit im Rahmen der Leistungsfähigkeit gegenüber einem geschiedenen und einem gleichrangigen neuen Ehegatten bei der Billigkeitsabwägung eine Dreiteilung des vorhandenen Einkommens erfolgt, ist grundsätzlich das gesamte Einkommen aller Beteiligten zu berücksichtigen. Einzubeziehen sind daher auch der steuerliche Splittingvorteil (Senatsurteil BGHZ 192, 45 = FamRZ 2012, 281 Rn. 47) und der volle Familienzuschlag der Stufe 1 (vgl. auch Senatsurteil BGHZ 177, 356 = FamRZ 2008, 1911 Rn. 52 ff.), weil die Dreiteilung regelmäßig schon zu einer Kürzung der Unterhaltsansprüche des geschiedenen Ehegatten führen wird und es deshalb nicht mehr erforderlich ist, bestimmte Einkommensbestandteile für die neue Ehe zu reservieren.
31
cc) Es ist aus Rechtsgründen ebenfalls nichts dagegen zu erinnern, dass das Beschwerdegericht den Vorteil des Zusammenwohnens für die Ehegatten der neuen Ehe mit einem Abzug von 10 % ihres Gesamtbedarfs in Ansatz gebracht hat (Senatsurteil BGHZ 192, 45 = FamRZ 2012, 281 Rn. 46; Senatsbeschluss vom 19. März 2014 - XII ZB 19/13 - juris Rn. 38 f.).
32
c) Die Feststellungen des Beschwerdegerichts zu den im Rahmen der Billigkeitsabwägung nach § 1581 BGB zu berücksichtigenden Einkünften und Verbindlichkeiten der Beteiligten sind allerdings in mehrfacher Hinsicht mit Rechtsfehlern behaftet.
33
aa) Das Beschwerdegericht hat zunächst übersehen, dass dem Antragsteller schon in dem hier interessierenden Unterhaltszeitraum der kindbezogene Anteil des Familienzuschlages (§ 40 Abs. 2 BBesG) zustand, der einem Versorgungsempfänger gemäß § 50 Abs. 1 Satz 2 BeamtVG neben dem Ruhegehalt gewährt wird und im Rahmen einer Billigkeitsabwägung nach § 1581 BGB zu den zu berücksichtigenden Einkünften zählt. Hierdurch ist der Antragsteller allerdings nicht beschwert worden.
34
bb) Rechtlichen Bedenken begegnen die Erwägungen des Beschwerdegerichts zur Bemessung des vorrangigen Kindesunterhalts für das in der neuen Ehe geborene Kind des Antragstellers.
35
(1) Lebt das unterhaltsberechtigte Kind im Haushalt des Unterhaltspflichtigen und seines neuen Ehegatten, richtet sich sein Unterhaltsanspruch im Rahmen des Familienunterhalts (§ 1360 a Abs. 1 BGB) - abgesehen vom Taschengeld - nicht auf eine Geldzahlung, sondern auf die Gewährung von Wohnung , Nahrung, Kleidung und sonstigen Leistungen in Form von Naturalien. Um im Rahmen des § 1581 BGB die damit einhergehende Einschränkung der unterhaltsrechtlichen Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen bestimmen zu können, ist es erforderlich, den Anspruch des Kindes auf Leistung von Naturalunterhalt zu monetarisieren. Der Geldwert dieses Naturalunterhaltsanspruchs wird dabei mindestens mit dem (hypothetischen) Anspruch auf Barunterhalt zu veranschlagen sein, den das Kind im Falle einer Trennung seiner Eltern gegen den Unterhaltspflichtigen hätte (vgl. auch OLG Hamburg FamRZ 1993, 1453, 1455). Dies gebietet auch der Grundsatz der Gleichbehandlung der minderjährigen Kinder aus neuer und geschiedener Ehe. Denn soweit die Lebensstellung aller Kinder des Unterhaltspflichtigen gleichermaßen durch seine Einkommensverhältnisse bestimmt wird, kann sich für das Kind aus neuer Ehe kein geringerer Unterhaltsbedarf ergeben. Daraus folgt auch, dass der als vorrangige Verbindlichkeit im Rahmen des § 1581 BGB abzuziehende (tatsächliche oder hypothetische ) Barunterhaltsanspruch der minderjährigen Kinder unter Einbeziehung aller dem Unterhaltspflichtigen zur Verfügung stehenden Mittel und damit - entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts - auch unter Einschluss des steuerrechtlichen Splittingvorteils zu bemessen ist (Senatsurteile vom 2. Juni 2010 - XII ZR 160/08 - FamRZ 2010, 1318 Rn. 21 und BGHZ 178, 79 = FamRZ 2008, 2189 Rn. 30).
36
(2) Es entspricht der Rechtsprechung des Senats, dass der Abzug des vorrangigen Kindesunterhalts bei der Beurteilung der Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners für den Ehegattenunterhalt mit dem um das (ggf. anteilige ) Kindergeld geminderten Zahlbetrag vorzunehmen ist (Senatsurteil vom 24. Juni 2009 - XII ZR 161/08 - FamRZ 2009, 1477 Rn. 21 ff.). Soweit das Beschwerdegericht indessen auf den Unterhaltsanspruch des Kindes G. das volle gesetzliche Kindergeld in Höhe von 184 € angerechnet hat, begegnet dies rechtlichen Bedenken.
37
Nach § 1612 b Abs. 1 Nr. 1 BGB ist das auf das Kind entfallende Kindergeld zur Hälfte zur Deckung seines Barbedarfs zu verwenden, wenn ein Eltern- teil im Sinne von § 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB seine Unterhaltspflicht durch Betreuung des Kindes erfüllt. In allen anderen Fällen erfolgt die Anrechnung des Kindergeldes gemäß § 1612 b Abs. 1 Nr. 2 BGB in voller Höhe. Die Anrechnungsregel des § 1612 b Abs. 1 Nr. 1 BGB ist auf getrennt lebende Eltern zugeschnitten, in denen (nur) einer der beiden Elternteile das minderjährige Kind betreut, während der nicht betreuende Elternteil zur Zahlung einer Geldrente als Barunterhalt verpflichtet ist. Mit der Auffangvorschrift des § 1612 b Abs. 1 Nr. 2 BGB wollte der Gesetzgeber ausweislich der Begründung des Gesetzentwurfs solche Fälle in den Blick nehmen, in denen das Kind entweder wegen Volljährigkeit einer Betreuung nicht mehr bedarf oder die Betreuung eines minderjährigen Kindes (etwa bei Fremdunterbringung) nicht wenigstens durch einen der beiden Elternteile erfolgt und deshalb nur Barunterhalt zu leisten ist (vgl. BT-Drucks. 16/1830 S. 30).
38
Keine dieser Konstellationen, die der Gesetzgeber den Anrechnungsregeln in § 1612 b Abs. 1 BGB zu Grunde gelegt hat, liegt hier vor. Aus dem Gesetz lässt sich die Frage, in welcher Höhe das gesetzliche Kindergeld auf den monetarisierten Naturalunterhaltsanspruch eines von beiden Elternteilen im gemeinsamen Haushalt betreuten minderjährigen Kindes anzurechnen ist, nicht unmittelbar beantworten. Die Halbanrechnung des Kindergeldes beruht auf der gesetzgeberischen Erwägung, dass betreuende Elternteile bei der Erbringung ihrer Betreuungsleistungen unterstützt werden sollen (BT-Drucks. 16/1830 S. 30). Dieser Zweck wird auch bei der Betreuung des Kindes in der intakten Familie nicht verfehlt. Wenn - wie hier - der Barunterhaltsbedarf des in der neuen Ehe geborenen Kindes allein nach den Einkommensverhältnissen des Unterhaltspflichtigen bemessen wird, weil der neue Ehegatte keine oder nur sehr geringe Geldbeträge zum Familienunterhalt beisteuern kann, ist es demnach sachgerecht, das Kindergeld auf den so ermittelten hypothetischen Barunterhaltsanspruch des in der Familie betreuten Kindes nur zur Hälfte anzurech- nen. Jede andere Handhabung würde den nachrangigen Unterhaltsberechtigten einen zu hohen Anteil an der Verteilungsmasse zur Verfügung stellen und zu einer nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung mit minderjährigen Kindern aus geschiedener Ehe des Unterhaltspflichtigen führen.
39
cc) Rechtsfehlerhaft ist ferner die Auffassung des Beschwerdegerichts, dass der Sockelbetrag des von der Ehefrau des Antragstellers bezogenen Elterngeldes in die Ermittlung des Gesamteinkommens einzubeziehen sei.
40
Nach § 11 Satz 1 BEEG werden Unterhaltsverpflichtungen durch die Zahlung des Elterngeldes nur insoweit berührt, als die Zahlung 300 € monatlich übersteigt. § 11 Satz 1 BEEG umschreibt die "Unterhaltsverpflichtungen" nicht näher, nimmt insoweit aber auch keine Einschränkungen vor, so dass die Schonung des Sockelbetrages von 300 € grundsätzlich Unterhaltsverpflichtungen jeder Art umfasst (Buchner/Becker Mutterschutzgesetz und Bundeselterngeld - und Elternzeitgesetz 8. Aufl. § 11 BEEG Rn. 7 mwN). Entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts betrifft dies auch Unterhaltspflichten zwischen zusammenlebenden Ehegatten (von Koppenfels-Spies in Kreikebohm Kommentar zum Sozialrecht 3. Aufl. § 11 BEEG Rn. 2).
41
Dementsprechend hatte der Senat - unter der Geltung des Bundeserziehungsgeldgesetzes und der früheren unterhaltsrechtlichen Rangvorschriften - entschieden, dass das an die zweite Ehefrau eines den minderjährigen Kindern aus erster Ehe unterhaltspflichtigen Unterhaltsschuldners ausgezahlte Erziehungsgeld auch dann nach § 9 Satz 1 BErzGG a.F. unbeachtlich zu bleiben hatte, wenn der Anspruch der zweiten Ehefrau auf Familienunterhalt mit dem Kindesunterhalt im gleichen Rang stand und die Nichtberücksichtigung des Erziehungsgeldes zu einem absoluten Mangelfall und damit zu einer quotalen Kürzung des geschuldeten Kindesunterhalts führte (Senatsurteil vom 21. Juni 2006 - XII ZR 147/04 - FamRZ 2006, 1182, 1183 f.). Auf der Grundlage dieser Senatsrechtsprechung kommt es - auch mit Blick auf die sozialpolitische Zielsetzung des § 11 Satz 1 BEEG - erst recht nicht in Betracht, den geschonten Sockelbetrag des von der Ehefrau des Antragstellers bezogenen Elterngeldes in eine Billigkeitsentscheidung nach § 1581 BGB einzubeziehen, um im Gefolge der damit einhergehenden Kürzung des monetarisierten Familienunterhaltsanspruchs die für die Bedienung der gleichrangigen Unterhaltsansprüche der Antragsgegnerin verfügbaren Mittel zu erhöhen (vgl. auch OLG Bremen FamRZ 2009, 343, 344; OLG Hamm Beschluss vom 13. Juni 2013 - 4 UF 9/13 - juris Rn. 114). Ein Fall des § 11 Satz 4 BEEG liegt nicht vor und auch die dieser Ausnahmevorschrift zugrunde liegenden Rechtsgedanken kommen ersichtlich nicht zum Tragen.

III.

42
Für den Unterhaltszeitraum seit Rentenbezug der Antragsgegnerin ab dem 1. Dezember 2011 hat das Beschwerdegericht ihr einen Krankenvorsorgeunterhalt in wechselnder Höhe, zuletzt in Höhe von monatlich 506,85 € zugesprochen. Dabei hat es der Ehefrau des Antragstellers im Rahmen der Ermittlung des für die Dreiteilung auf der Ebene der Leistungsfähigkeit zur Verfügung stehenden Gesamteinkommens seit August 2012, d.h. für die Zeit nach dem Ende des Elterngeldbezuges, fiktive Erwerbseinkünfte in monatlicher Höhe von 560 € brutto zugerechnet und diese Entscheidung wie folgt begründet:
43
1. Die Ehefrau des Antragstellers treffe in dieser Zeit jedenfalls die Verpflichtung zur Ausübung einer Teilzeittätigkeit. Zwar sei ihr gleichrangiger Anspruch auf Familienunterhalt hypothetisch entsprechend dem Anspruch auf nachehelichen Unterhalt gemäß § 1570 BGB zu ermitteln. Dieser sei grundsätzlich bei einer Betreuung eines noch nicht dreijährigen Kindes gegeben, ohne dass den betreuenden Elternteil eine Erwerbsobliegenheit treffe. Die Monetarisierung diene der Vergleichbarkeit der Ansprüche bei konkurrierenden Ansprüchen mehrerer Unterhaltsberechtigter. Voraussetzung für die Heranziehung der Unterhaltstatbestände sei allerdings die Gleichartigkeit der Lebensverhältnisse, auf die der Unterhaltsanspruch abstelle. Der Unterhaltsanspruch gemäß § 1570 BGB, der allein aus Gründen des Kindeswohls zur Sicherstellung persönlicher Erziehung und Pflege des Kindes in den ersten drei Lebensjahren gewährt werde , betreffe aber nicht die Lebenssituation, in der sich die Ehefrau des Antragstellers befinde. Der Antragsteller und seine Ehefrau seien nicht getrennt. Der Antragsteller sei in seinem Beruf nur noch gelegentlich tätig, so dass der Anspruch des Kindes G. auf persönliche Betreuung deshalb teilweise auch durch den Vater erfüllt werden könne. Soweit sich der Antragsteller darauf berufe, dass ihm die Betreuung des Kindes aus Altersgründen nicht mehr zugemutet werden könne, sei dem entgegenzuhalten, dass er sich im "Großvateralter" befinde und Großeltern häufig einen Teil der Betreuungsaufgaben bei ihren Enkelkindern übernähmen. Da keine besonderen gesundheitlichen Belastungen vorgetragen seien, könne es dem Antragsteller zugemutet werden, seine Ehefrau teilweise von den Betreuungsaufgaben zu entlasten, damit diese beruflich tätig werden und zum eigenen Unterhalt beitragen könne. Es sei zwar nachvollziehbar , dass die Ehefrau des Antragstellers mit ihrem Studienabschluss nur schwierig einen Arbeitsplatz finden könne. Sie müsse sich aber auch auf berufsfremde Tätigkeiten, etwa als Büroangestellte, verweisen lassen, wo es ihr zumutbar und möglich sei, ein monatliches Bruttoeinkommen in Höhe von 560 € zu erzielen.
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2. Dies hält den Angriffen der Rechtsbeschwerde nicht stand.
45
a) Die Ehegatten sind gemäß § 1356 BGB berechtigt, ihre Rollenverteilung in der Ehe frei zu wählen und dadurch Ansprüche auf Familienunterhalt gegeneinander zu begründen. Es ist deshalb grundsätzlich nichts dagegen zu erinnern, wenn die Ehegatten - wie hier - einvernehmlich beschließen, dass der Partner eines bereits aus Altersgründen nicht mehr erwerbstätigen und Alterseinkünfte beziehenden Ehegatten seine Berufstätigkeit aufgeben oder einschränken solle, um sich der persönlichen Betreuung eines gemeinsamen minderjährigen Kindes zu widmen. Im vorliegenden Fall könnte die Rollenwahl in der neuen Familie des Antragstellers schon deshalb nicht dem Verdikt des Rechtsmissbrauchs unterworfen werden, weil die Ehegatten - was das Beschwerdegericht auch grundsätzlich nicht zu bezweifeln scheint ("Großvateralter" ) - zu der Beurteilung gelangen durften, dass sich die bei Geburt des Kindes 35-jährige Ehefrau des Antragstellers besser zur Betreuung und Versorgung eines Kleinkindes eignet als der seinerzeit im 70. Lebensjahr stehende Antragsteller.
46
b) Allerdings muss im Fall der unterhaltsrechtlichen Konkurrenz eines geschiedenen Ehegatten mit dem jetzigen Ehegatten berücksichtigt werden, dass durch die von den Ehegatten der neuen Ehe gewählte Rollenverteilung der bestehende Unterhaltsanspruch des geschiedenen Ehegatten nicht über Gebühr geschmälert werden darf. Dies ergibt sich vor allem aus der gesetzlichen Wertung des § 1609 Nr. 2 BGB, wonach im Falle der Unterhaltskonkurrenz zwischen geschiedenem und neuem Ehegatten beim neuen Ehegatten nicht auf den Familienunterhalt, sondern darauf abzustellen ist, ob er "im Falle einer Scheidung" wegen Betreuung eines Kindes unterhaltsberechtigt wäre. Dem liegt die allgemeine Billigkeitserwägung zugrunde, dass der neue Ehegatte des Unterhaltspflichtigen seine Erwerbsmöglichkeiten in gleicher Weise ausschöpfen soll, wie es auch von dem geschiedenen Ehegatten in einer vergleichbaren Lebenssituation erwartet werden würde (vgl. Senatsurteil BGHZ 183, 197 = FamRZ 2010, 111 Rn. 49).
47
c) Die Erwerbsobliegenheit eines kinderbetreuenden Ehegatten bestimmt sich daher auf der Grundlage einer hypothetischen Betrachtung der Verhältnisse , wie sie sich im Falle einer Scheidung der neuen Ehe darstellen würden. Mit der Einführung des Basisunterhalts bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres (§ 1570 Abs. 1 Satz 1 BGB) hat der Gesetzgeber dem betreuenden Elternteil die freie Entscheidung eingeräumt, ob er das Kind in dessen ersten drei Lebensjahren selbst erziehen oder andere Betreuungsmöglichkeiten - hierzu gehören grundsätzlich auch Betreuungsangebote des anderen Elternteils - in Anspruch nehmen will (Senatsurteile vom 6. Mai 2009 - XII ZR 114/08 - FamRZ 2009, 1124 Rn. 25 und BGHZ 180, 170 = FamRZ 2009, 770 Rn. 20). Eine Erwerbsobliegenheit des betreuenden Ehegatten besteht in diesem Zeitraum nicht, was das Beschwerdegericht im rechtlichen Ausgangspunkt auch erkannt hat. Die vom Beschwerdegericht angeführten Gesichtspunkte rechtfertigen es indessen nicht, die Ehefrau des Antragstellers in Abweichung von den vorgenannten Grundsätzen für erwerbspflichtig zu halten und ihr ein fiktives Erwerbseinkommen zuzurechnen.
48
aa) Eine Erwerbsobliegenheit im Basisunterhaltszeitraum kann für die Ehefrau des Antragstellers nicht damit begründet werden, dass sie tatsächlich nicht von dem Antragsteller getrennt lebe und sich ihre Lebenssituation daher von einem getrennt lebenden Betreuungselternteil unterscheide. Das Auseinanderfallen von tatsächlichen und gedachten Verhältnissen liegt in der Natur einer hypothetischen Betrachtungsweise.
49
bb) Es kann ebenfalls nicht ausschlaggebend sein, dass der pensionierte Antragsteller allenfalls noch sporadisch wissenschaftlichen Tätigkeiten nachgeht und deshalb an sich für die Betreuung des Kindes zur Verfügung stehen würde.
50
Der im Rentenalter stehende Antragsteller ist gegenüber der Antragsgegnerin nicht mehr zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit verpflichtet (vgl. Senatsurteil vom 11. Juli 2012 - XII ZR 72/10 - FamRZ 2012, 1483 Rn. 28 und BGHZ 188, 50 = FamRZ 2011, 454 Rn. 20). Die der Rollenwahl in der neuen Ehe des Antragstellers zugrunde liegende Lebenssituation ist schon deshalb nicht mit den Fällen des Rollentausches vergleichbar, auf denen die sogenannte Hausmann-Rechtsprechung des Senats (vgl. dazu Senatsurteil BGHZ 169, 200, 205 f. = FamRZ 2006, 1827, 1828 mwN) beruht. Die Annahme des Beschwerdegerichts , dass in der Ehe des Antragstellers eine Art "umgekehrter Rollentausch" vorgenommen worden sei, bei dem es der nicht mehr berufstätige Antragsteller seiner neuen Ehefrau (die keine Unterhaltspflichten gegenüber der Antragsgegnerin hat) durch Übernahme von Betreuungsaufgaben ermöglichen müsse, im Unterhaltsinteresse der Antragsgegnerin zeitweise wieder eine Erwerbstätigkeit auszuüben, lässt sich mit den Maßstäben des § 1570 BGB, die kraft gesetzlicher Wertung in § 1609 Nr. 2 BGB für die Rangfolge konkurrierender Unterhaltsansprüche zwischen neuem und geschiedenem Ehegatten maßgeblich sind, nicht in Einklang bringen. Denn unabhängig von der zwischen den Beteiligten streitigen Frage, ob und in welchem Umfang der Antragsteller zur Betreuung seines Kindes (noch) in der Lage ist, müsste sich die Ehefrau des Antragstellers als geschiedener Ehegatte im Basisunterhaltszeitraum bei hypothetischer Beurteilung ihres Unterhaltsanspruches nach § 1570 BGB nicht auf Betreuungsangebote des Antragstellers einlassen, um in dieser Zeit einer Erwerbstätigkeit nachgehen zu können. Wäre daher die Auffassung des Beschwerdegerichts richtig, würde damit der Ehefrau des Antragstellers gegenüber der Antragsgegnerin (faktisch) eine stärkere Erwerbsobliegenheit auferlegt , als im Falle der Scheidung gegenüber dem Antragsteller selbst bestünde.

IV.

51
Die angefochtene Entscheidung kann daher für die Unterhaltszeiträume nach der Geburt des Kindes G. am 22. Juli 2011 keinen Bestand haben. Der Senat kann in der Sache nicht abschließend entscheiden, weil weitere tatrichterliche Feststellungen und Würdigungen erforderlich sind.
52
1. Für das weitere Verfahren weist der Senat noch auf folgendes hin:
53
a) Das Beschwerdegericht hat sich an die rechtliche Beurteilung durch das Gericht der Ausgangsentscheidung gebunden gesehen, wonach der im Oktober 2010 erfolgte Kirchenbeitritt des Antragstellers nicht als eheprägend zu berücksichtigen sei, und es hat folgerichtig die Belastung der Versorgungsbezüge des Antragstellers mit Kirchensteuern bei der Bemessung des Unterhaltsbedarfs der Antragsgegnerin unberücksichtigt gelassen. Ob das Beschwerdegericht - was aus Rechtsgründen nicht ausgeschlossen wäre - die von dem Antragsteller aufgrund des nachträglichen Kirchenbeitritts zu zahlende Kirchensteuer gleichwohl als berücksichtigungsfähige "sonstige Verpflichtung" im Rahmen des § 1581 BGB ansehen will, lässt sich der Beschwerdeentscheidung nicht entnehmen. Denn das Beschwerdegericht hat die in die Dreiteilung eingestellten Einkünfte für einige Unterhaltszeiträume (2012) mit und für andere Unterhaltszeiträume (2013) ohne Abzug von Kirchensteuern ermittelt.
54
b) Bei der - gegebenenfalls fiktiven - Besteuerung der Versorgungsbezüge des Antragsgegners sind für die Unterhaltszeiträume seit dem 22. Juli 2011 auch die kindbezogenen steuerlichen Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG zu berücksichtigen.
55
c) Ein Solidaritätszuschlag in Höhe von 5,5 % der Einkommensteuer wird vom Steuerpflichtigen nur erhoben, wenn die als Bemessungsgrundlage heran- gezogene Einkommensteuer für zusammen veranlagte Ehegatten mehr als 1.944 € beträgt (§ 3 Abs. 3 Nr. 1 SolZG). Dies ist bereits nach den - ohne Berücksichtigung der Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG durchgeführten - fiktiven Steuerberechnungen des Beschwerdegerichts für die Jahre 2012 und 2013 durchgehend nicht der Fall gewesen.
56
d) Gegen die Auffassung des Beschwerdegerichts, dass ein verbleibender Unterhaltsanspruch der Antragsgegnerin nicht nach § 1578 b BGB zu begrenzen sei, lassen sich keine rechtlichen Bedenken erheben.
57
2. Auch das Beschwerdegericht geht offensichtlich - und grundsätzlich auch zu Recht - davon aus, dass die Frage der hypothetischen Erwerbsobliegenheit der Ehefrau des Antragstellers mit Vollendung des dritten Lebensjahres des Kindes G. im Juli 2014 erneut zu beurteilen sein wird. Die Zurückverweisung der Sache gibt dem Beschwerdegericht aber auch Gelegenheit zur Befassung mit dem in der Rechtsbeschwerdeinstanz neu gehaltenen Vortrag des Antragstellers , dass seine Ehefrau wieder schwanger sei.
Dose Klinkhammer Günter Botur Guhling
Vorinstanzen:
AG Hamburg, Entscheidung vom 13.04.2012 - 281 F 45/11 -
OLG Hamburg, Entscheidung vom 03.05.2013 - 10 UF 59/12 -

(1) Leistungen nach diesem Buch erhalten Personen, die

1.
das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben,
2.
erwerbsfähig sind,
3.
hilfebedürftig sind und
4.
ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungsberechtigte).
Ausgenommen sind
1.
Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Absatz 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts,
2.
Ausländerinnen und Ausländer,
a)
die kein Aufenthaltsrecht haben oder
b)
deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt,
und ihre Familienangehörigen,
3.
Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes.
Satz 2 Nummer 1 gilt nicht für Ausländerinnen und Ausländer, die sich mit einem Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten. Abweichend von Satz 2 Nummer 2 erhalten Ausländerinnen und Ausländer und ihre Familienangehörigen Leistungen nach diesem Buch, wenn sie seit mindestens fünf Jahren ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet haben; dies gilt nicht, wenn der Verlust des Rechts nach § 2 Absatz 1 des Freizügigkeitsgesetzes/EU festgestellt wurde. Die Frist nach Satz 4 beginnt mit der Anmeldung bei der zuständigen Meldebehörde. Zeiten des nicht rechtmäßigen Aufenthalts, in denen eine Ausreisepflicht besteht, werden auf Zeiten des gewöhnlichen Aufenthalts nicht angerechnet. Aufenthaltsrechtliche Bestimmungen bleiben unberührt.

(2) Leistungen erhalten auch Personen, die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben. Dienstleistungen und Sachleistungen werden ihnen nur erbracht, wenn dadurch Hemmnisse bei der Eingliederung der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten beseitigt oder vermindert werden. Zur Deckung der Bedarfe nach § 28 erhalten die dort genannten Personen auch dann Leistungen für Bildung und Teilhabe, wenn sie mit Personen in einem Haushalt zusammenleben, mit denen sie nur deshalb keine Bedarfsgemeinschaft bilden, weil diese aufgrund des zu berücksichtigenden Einkommens oder Vermögens selbst nicht leistungsberechtigt sind.

(3) Zur Bedarfsgemeinschaft gehören

1.
die erwerbsfähigen Leistungsberechtigten,
2.
die im Haushalt lebenden Eltern oder der im Haushalt lebende Elternteil eines unverheirateten erwerbsfähigen Kindes, welches das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, und die im Haushalt lebende Partnerin oder der im Haushalt lebende Partner dieses Elternteils,
3.
als Partnerin oder Partner der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten
a)
die nicht dauernd getrennt lebende Ehegattin oder der nicht dauernd getrennt lebende Ehegatte,
b)
die nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartnerin oder der nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartner,
c)
eine Person, die mit der erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenlebt, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen.
4.
die dem Haushalt angehörenden unverheirateten Kinder der in den Nummern 1 bis 3 genannten Personen, wenn sie das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, soweit sie die Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen beschaffen können.

(3a) Ein wechselseitiger Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, wird vermutet, wenn Partner

1.
länger als ein Jahr zusammenleben,
2.
mit einem gemeinsamen Kind zusammenleben,
3.
Kinder oder Angehörige im Haushalt versorgen oder
4.
befugt sind, über Einkommen oder Vermögen des anderen zu verfügen.

(4) Leistungen nach diesem Buch erhält nicht, wer in einer stationären Einrichtung untergebracht ist, Rente wegen Alters oder Knappschaftsausgleichsleistung oder ähnliche Leistungen öffentlich-rechtlicher Art bezieht. Dem Aufenthalt in einer stationären Einrichtung ist der Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung gleichgestellt. Abweichend von Satz 1 erhält Leistungen nach diesem Buch,

1.
wer voraussichtlich für weniger als sechs Monate in einem Krankenhaus (§ 107 des Fünften Buches) untergebracht ist oder
2.
wer in einer stationären Einrichtung nach Satz 1 untergebracht und unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 15 Stunden wöchentlich erwerbstätig ist.
Die Sätze 1 und 3 Nummer 2 gelten für Bewohner von Räumlichkeiten im Sinne des § 42a Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 und Satz 3 des Zwölften Buches entsprechend.

(4a) (weggefallen)

(5) Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes dem Grunde nach förderungsfähig ist, haben über die Leistungen nach § 27 hinaus keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Satz 1 gilt auch für Auszubildende, deren Bedarf sich nach § 61 Absatz 2, § 62 Absatz 3, § 123 Nummer 2 sowie § 124 Nummer 2 des Dritten Buches bemisst.

(6) Absatz 5 Satz 1 ist nicht anzuwenden auf Auszubildende,

1.
die aufgrund von § 2 Absatz 1a des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben,
2.
deren Bedarf sich nach den §§ 12, 13 Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 1 oder nach § 13 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 2 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes bemisst und die Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz
a)
erhalten oder nur wegen der Vorschriften zur Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen nicht erhalten oder
b)
beantragt haben und über deren Antrag das zuständige Amt für Ausbildungsförderung noch nicht entschieden hat; lehnt das zuständige Amt für Ausbildungsförderung die Leistungen ab, findet Absatz 5 mit Beginn des folgenden Monats Anwendung, oder
3.
die eine Abendhauptschule, eine Abendrealschule oder ein Abendgymnasium besuchen, sofern sie aufgrund des § 10 Absatz 3 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben.

(1) Einer erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person ist jede Arbeit zumutbar, es sei denn, dass

1.
sie zu der bestimmten Arbeit körperlich, geistig oder seelisch nicht in der Lage ist,
2.
die Ausübung der Arbeit die künftige Ausübung der bisherigen überwiegenden Arbeit wesentlich erschweren würde, weil die bisherige Tätigkeit besondere körperliche Anforderungen stellt,
3.
die Ausübung der Arbeit die Erziehung ihres Kindes oder des Kindes ihrer Partnerin oder ihres Partners gefährden würde; die Erziehung eines Kindes, das das dritte Lebensjahr vollendet hat, ist in der Regel nicht gefährdet, soweit die Betreuung in einer Tageseinrichtung oder in Tagespflege im Sinne der Vorschriften des Achten Buches oder auf sonstige Weise sichergestellt ist; die zuständigen kommunalen Träger sollen darauf hinwirken, dass erwerbsfähigen Erziehenden vorrangig ein Platz zur Tagesbetreuung des Kindes angeboten wird,
4.
die Ausübung der Arbeit mit der Pflege einer oder eines Angehörigen nicht vereinbar wäre und die Pflege nicht auf andere Weise sichergestellt werden kann,
5.
der Ausübung der Arbeit ein sonstiger wichtiger Grund entgegensteht.

(2) Eine Arbeit ist nicht allein deshalb unzumutbar, weil

1.
sie nicht einer früheren beruflichen Tätigkeit entspricht, für die die erwerbsfähige leistungsberechtigte Person ausgebildet ist oder die früher ausgeübt wurde,
2.
sie im Hinblick auf die Ausbildung der erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person als geringerwertig anzusehen ist,
3.
der Beschäftigungsort vom Wohnort der erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person weiter entfernt ist als ein früherer Beschäftigungs- oder Ausbildungsort,
4.
die Arbeitsbedingungen ungünstiger sind als bei den bisherigen Beschäftigungen der erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person,
5.
sie mit der Beendigung einer Erwerbstätigkeit verbunden ist, es sei denn, es liegen begründete Anhaltspunkte vor, dass durch die bisherige Tätigkeit künftig die Hilfebedürftigkeit beendet werden kann.

(3) Die Absätze 1 und 2 gelten für die Teilnahme an Maßnahmen zur Eingliederung in Arbeit entsprechend.

(1) Der Arbeitgeber darf eine schwangere Frau in den letzten sechs Wochen vor der Entbindung nicht beschäftigen (Schutzfrist vor der Entbindung), soweit sie sich nicht zur Arbeitsleistung ausdrücklich bereit erklärt. Sie kann die Erklärung nach Satz 1 jederzeit mit Wirkung für die Zukunft widerrufen. Für die Berechnung der Schutzfrist vor der Entbindung ist der voraussichtliche Tag der Entbindung maßgeblich, wie er sich aus dem ärztlichen Zeugnis oder dem Zeugnis einer Hebamme oder eines Entbindungspflegers ergibt. Entbindet eine Frau nicht am voraussichtlichen Tag, verkürzt oder verlängert sich die Schutzfrist vor der Entbindung entsprechend.

(2) Der Arbeitgeber darf eine Frau bis zum Ablauf von acht Wochen nach der Entbindung nicht beschäftigen (Schutzfrist nach der Entbindung). Die Schutzfrist nach der Entbindung verlängert sich auf zwölf Wochen

1.
bei Frühgeburten,
2.
bei Mehrlingsgeburten und,
3.
wenn vor Ablauf von acht Wochen nach der Entbindung bei dem Kind eine Behinderung im Sinne von § 2 Absatz 1 Satz 1 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch ärztlich festgestellt wird.
Bei vorzeitiger Entbindung verlängert sich die Schutzfrist nach der Entbindung nach Satz 1 oder nach Satz 2 um den Zeitraum der Verkürzung der Schutzfrist vor der Entbindung nach Absatz 1 Satz 4. Nach Satz 2 Nummer 3 verlängert sich die Schutzfrist nach der Entbindung nur, wenn die Frau dies beantragt.

(3) Die Ausbildungsstelle darf eine Frau im Sinne von § 1 Absatz 2 Satz 2 Nummer 8 bereits in der Schutzfrist nach der Entbindung im Rahmen der schulischen oder hochschulischen Ausbildung tätig werden lassen, wenn die Frau dies ausdrücklich gegenüber ihrer Ausbildungsstelle verlangt. Die Frau kann ihre Erklärung jederzeit mit Wirkung für die Zukunft widerrufen.

(4) Der Arbeitgeber darf eine Frau nach dem Tod ihres Kindes bereits nach Ablauf der ersten zwei Wochen nach der Entbindung beschäftigen, wenn

1.
die Frau dies ausdrücklich verlangt und
2.
nach ärztlichem Zeugnis nichts dagegen spricht.
Sie kann ihre Erklärung nach Satz 1 Nummer 1 jederzeit mit Wirkung für die Zukunft widerrufen.

(1) Der Arbeitgeber darf eine schwangere oder stillende Frau nicht an Sonn- und Feiertagen beschäftigen. Er darf sie an Sonn- und Feiertagen nur dann beschäftigen, wenn

1.
sich die Frau dazu ausdrücklich bereit erklärt,
2.
eine Ausnahme vom allgemeinen Verbot der Arbeit an Sonn- und Feiertagen nach § 10 des Arbeitszeitgesetzes zugelassen ist,
3.
der Frau in jeder Woche im Anschluss an eine ununterbrochene Nachtruhezeit von mindestens elf Stunden ein Ersatzruhetag gewährt wird und
4.
insbesondere eine unverantwortbare Gefährdung für die schwangere Frau oder ihr Kind durch Alleinarbeit ausgeschlossen ist.
Die schwangere oder stillende Frau kann ihre Erklärung nach Satz 2 Nummer 1 jederzeit mit Wirkung für die Zukunft widerrufen.

(2) Die Ausbildungsstelle darf eine schwangere oder stillende Frau im Sinne von § 1 Absatz 2 Satz 2 Nummer 8 nicht an Sonn- und Feiertagen im Rahmen der schulischen oder hochschulischen Ausbildung tätig werden lassen. Die Ausbildungsstelle darf sie an Ausbildungsveranstaltungen an Sonn- und Feiertagen teilnehmen lassen, wenn

1.
sich die Frau dazu ausdrücklich bereit erklärt,
2.
die Teilnahme zu Ausbildungszwecken zu dieser Zeit erforderlich ist,
3.
der Frau in jeder Woche im Anschluss an eine ununterbrochene Nachtruhezeit von mindestens elf Stunden ein Ersatzruhetag gewährt wird und
4.
insbesondere eine unverantwortbare Gefährdung für die schwangere Frau oder ihr Kind durch Alleinarbeit ausgeschlossen ist.
Die schwangere oder stillende Frau kann ihre Erklärung nach Satz 2 Nummer 1 jederzeit mit Wirkung für die Zukunft widerrufen.

(1) Der Vater hat der Mutter für die Dauer von sechs Wochen vor und acht Wochen nach der Geburt des Kindes Unterhalt zu gewähren. Dies gilt auch hinsichtlich der Kosten, die infolge der Schwangerschaft oder der Entbindung außerhalb dieses Zeitraums entstehen.

(2) Soweit die Mutter einer Erwerbstätigkeit nicht nachgeht, weil sie infolge der Schwangerschaft oder einer durch die Schwangerschaft oder die Entbindung verursachten Krankheit dazu außerstande ist, ist der Vater verpflichtet, ihr über die in Absatz 1 Satz 1 bezeichnete Zeit hinaus Unterhalt zu gewähren. Das Gleiche gilt, soweit von der Mutter wegen der Pflege oder Erziehung des Kindes eine Erwerbstätigkeit nicht erwartet werden kann. Die Unterhaltspflicht beginnt frühestens vier Monate vor der Geburt und besteht für mindestens drei Jahre nach der Geburt. Sie verlängert sich, solange und soweit dies der Billigkeit entspricht. Dabei sind insbesondere die Belange des Kindes und die bestehenden Möglichkeiten der Kinderbetreuung zu berücksichtigen.

(3) Die Vorschriften über die Unterhaltspflicht zwischen Verwandten sind entsprechend anzuwenden. Die Verpflichtung des Vaters geht der Verpflichtung der Verwandten der Mutter vor. § 1613 Abs. 2 gilt entsprechend. Der Anspruch erlischt nicht mit dem Tode des Vaters.

(4) Wenn der Vater das Kind betreut, steht ihm der Anspruch nach Absatz 2 Satz 2 gegen die Mutter zu. In diesem Falle gilt Absatz 3 entsprechend.

(1) Kinder haben nach dem Tod eines Elternteils Anspruch auf Halbwaisenrente, wenn

1.
sie noch einen Elternteil haben, der unbeschadet der wirtschaftlichen Verhältnisse unterhaltspflichtig ist, und
2.
der verstorbene Elternteil die allgemeine Wartezeit erfüllt hat.

(2) Kinder haben nach dem Tod eines Elternteils Anspruch auf Vollwaisenrente, wenn

1.
sie einen Elternteil nicht mehr haben, der unbeschadet der wirtschaftlichen Verhältnisse unterhaltspflichtig war, und
2.
der verstorbene Elternteil die allgemeine Wartezeit erfüllt hat.

(3) Als Kinder werden auch berücksichtigt:

1.
Stiefkinder und Pflegekinder (§ 56 Abs. 2 Nr. 1 und 2 Erstes Buch), die in den Haushalt des Verstorbenen aufgenommen waren,
2.
Enkel und Geschwister, die in den Haushalt des Verstorbenen aufgenommen waren oder von ihm überwiegend unterhalten wurden.

(4) Der Anspruch auf Halb- oder Vollwaisenrente besteht längstens

1.
bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres oder
2.
bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres, wenn die Waise
a)
sich in Schulausbildung oder Berufsausbildung befindet oder
b)
sich in einer Übergangszeit von höchstens vier Kalendermonaten befindet, die zwischen zwei Ausbildungsabschnitten oder zwischen einem Ausbildungsabschnitt und der Ableistung des gesetzlichen Wehr- oder Zivildienstes oder der Ableistung eines freiwilligen Dienstes im Sinne des Buchstabens c liegt, oder
c)
einen freiwilligen Dienst im Sinne des § 32 Absatz 4 Satz 1 Nummer 2 Buchstabe d des Einkommensteuergesetzes leistet oder
d)
wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten.
Eine Schulausbildung oder Berufsausbildung im Sinne des Satzes 1 liegt nur vor, wenn die Ausbildung einen tatsächlichen zeitlichen Aufwand von wöchentlich mehr als 20 Stunden erfordert. Der tatsächliche zeitliche Aufwand ist ohne Bedeutung für Zeiten, in denen das Ausbildungsverhältnis trotz einer Erkrankung fortbesteht und damit gerechnet werden kann, dass die Ausbildung fortgesetzt wird. Das gilt auch für die Dauer der Schutzfristen nach dem Mutterschutzgesetz.

(5) In den Fällen des Absatzes 4 Nr. 2 Buchstabe a erhöht sich die für den Anspruch auf Waisenrente maßgebende Altersbegrenzung bei Unterbrechung oder Verzögerung der Schulausbildung oder Berufsausbildung durch den gesetzlichen Wehrdienst, Zivildienst oder einen gleichgestellten Dienst um die Zeit dieser Dienstleistung, höchstens um einen der Dauer des gesetzlichen Grundwehrdienstes oder Zivildienstes entsprechenden Zeitraum. Die Ableistung eines freiwilligen Dienstes im Sinne von Absatz 4 Nr. 2 Buchstabe c ist kein gleichgestellter Dienst im Sinne von Satz 1.

(6) Der Anspruch auf Waisenrente endet nicht dadurch, dass die Waise als Kind angenommen wird.

(1) Bei dem Bundessozialgericht wird ein Großer Senat gebildet.

(2) Der Große Senat entscheidet, wenn ein Senat in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Senats oder des Großen Senats abweichen will.

(3) Eine Vorlage an den Großen Senat ist nur zulässig, wenn der Senat, von dessen Entscheidung abgewichen werden soll, auf Anfrage des erkennenden Senats erklärt hat, daß er an seiner Rechtsauffassung festhält. Kann der Senat, von dessen Entscheidung abgewichen werden soll, wegen einer Änderung des Geschäftsverteilungsplanes mit der Rechtsfrage nicht mehr befaßt werden, tritt der Senat an seine Stelle, der nach dem Geschäftsverteilungsplan für den Fall, in dem abweichend entschieden wurde, nunmehr zuständig wäre. Über die Anfrage und die Antwort entscheidet der jeweilige Senat durch Beschluß in der für Urteile erforderlichen Besetzung.

(4) Der erkennende Senat kann eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung dem Großen Senat zur Entscheidung vorlegen, wenn das nach seiner Auffassung zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist.

(5) Der Große Senat besteht aus dem Präsidenten, je einem Berufsrichter der Senate, in denen der Präsident nicht den Vorsitz führt, je zwei ehrenamtlichen Richtern aus dem Kreis der Versicherten und dem Kreis der Arbeitgeber sowie je einem ehrenamtlichen Richter aus dem Kreis der mit dem sozialen Entschädigungsrecht oder der Teilhabe behinderter Menschen vertrauten Personen und dem Kreis der Versorgungsberechtigten und der behinderten Menschen im Sinne des Neunten Buches Sozialgesetzbuch. Legt der Senat für Angelegenheiten des Vertragsarztrechts vor oder soll von dessen Entscheidung abgewichen werden, gehören dem Großen Senat außerdem je ein ehrenamtlicher Richter aus dem Kreis der Krankenkassen und dem Kreis der Vertragsärzte, Vertragszahnärzte und Psychotherapeuten an. Legt der Senat für Angelegenheiten des § 51 Abs. 1 Nr. 6a vor oder soll von dessen Entscheidung abgewichen werden, gehören dem Großen Senat außerdem zwei ehrenamtliche Richter aus dem Kreis der von der Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände Vorgeschlagenen an. Sind Senate personengleich besetzt, wird aus ihnen nur ein Berufsrichter bestellt; er hat nur eine Stimme. Bei einer Verhinderung des Präsidenten tritt ein Berufsrichter des Senats, dem er angehört, an seine Stelle.

(6) Die Mitglieder und die Vertreter werden durch das Präsidium für ein Geschäftsjahr bestellt. Den Vorsitz im Großen Senat führt der Präsident, bei Verhinderung das dienstälteste Mitglied. Bei Stimmengleichheit gibt die Stimme des Vorsitzenden den Ausschlag.

(7) Der Große Senat entscheidet nur über die Rechtsfrage. Er kann ohne mündliche Verhandlung entscheiden. Seine Entscheidung ist in der vorliegenden Sache für den erkennenden Senat bindend.

(1) Kinder haben nach dem Tod eines Elternteils Anspruch auf Halbwaisenrente, wenn

1.
sie noch einen Elternteil haben, der unbeschadet der wirtschaftlichen Verhältnisse unterhaltspflichtig ist, und
2.
der verstorbene Elternteil die allgemeine Wartezeit erfüllt hat.

(2) Kinder haben nach dem Tod eines Elternteils Anspruch auf Vollwaisenrente, wenn

1.
sie einen Elternteil nicht mehr haben, der unbeschadet der wirtschaftlichen Verhältnisse unterhaltspflichtig war, und
2.
der verstorbene Elternteil die allgemeine Wartezeit erfüllt hat.

(3) Als Kinder werden auch berücksichtigt:

1.
Stiefkinder und Pflegekinder (§ 56 Abs. 2 Nr. 1 und 2 Erstes Buch), die in den Haushalt des Verstorbenen aufgenommen waren,
2.
Enkel und Geschwister, die in den Haushalt des Verstorbenen aufgenommen waren oder von ihm überwiegend unterhalten wurden.

(4) Der Anspruch auf Halb- oder Vollwaisenrente besteht längstens

1.
bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres oder
2.
bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres, wenn die Waise
a)
sich in Schulausbildung oder Berufsausbildung befindet oder
b)
sich in einer Übergangszeit von höchstens vier Kalendermonaten befindet, die zwischen zwei Ausbildungsabschnitten oder zwischen einem Ausbildungsabschnitt und der Ableistung des gesetzlichen Wehr- oder Zivildienstes oder der Ableistung eines freiwilligen Dienstes im Sinne des Buchstabens c liegt, oder
c)
einen freiwilligen Dienst im Sinne des § 32 Absatz 4 Satz 1 Nummer 2 Buchstabe d des Einkommensteuergesetzes leistet oder
d)
wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten.
Eine Schulausbildung oder Berufsausbildung im Sinne des Satzes 1 liegt nur vor, wenn die Ausbildung einen tatsächlichen zeitlichen Aufwand von wöchentlich mehr als 20 Stunden erfordert. Der tatsächliche zeitliche Aufwand ist ohne Bedeutung für Zeiten, in denen das Ausbildungsverhältnis trotz einer Erkrankung fortbesteht und damit gerechnet werden kann, dass die Ausbildung fortgesetzt wird. Das gilt auch für die Dauer der Schutzfristen nach dem Mutterschutzgesetz.

(5) In den Fällen des Absatzes 4 Nr. 2 Buchstabe a erhöht sich die für den Anspruch auf Waisenrente maßgebende Altersbegrenzung bei Unterbrechung oder Verzögerung der Schulausbildung oder Berufsausbildung durch den gesetzlichen Wehrdienst, Zivildienst oder einen gleichgestellten Dienst um die Zeit dieser Dienstleistung, höchstens um einen der Dauer des gesetzlichen Grundwehrdienstes oder Zivildienstes entsprechenden Zeitraum. Die Ableistung eines freiwilligen Dienstes im Sinne von Absatz 4 Nr. 2 Buchstabe c ist kein gleichgestellter Dienst im Sinne von Satz 1.

(6) Der Anspruch auf Waisenrente endet nicht dadurch, dass die Waise als Kind angenommen wird.

(1) Bei dem Bundessozialgericht wird ein Großer Senat gebildet.

(2) Der Große Senat entscheidet, wenn ein Senat in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Senats oder des Großen Senats abweichen will.

(3) Eine Vorlage an den Großen Senat ist nur zulässig, wenn der Senat, von dessen Entscheidung abgewichen werden soll, auf Anfrage des erkennenden Senats erklärt hat, daß er an seiner Rechtsauffassung festhält. Kann der Senat, von dessen Entscheidung abgewichen werden soll, wegen einer Änderung des Geschäftsverteilungsplanes mit der Rechtsfrage nicht mehr befaßt werden, tritt der Senat an seine Stelle, der nach dem Geschäftsverteilungsplan für den Fall, in dem abweichend entschieden wurde, nunmehr zuständig wäre. Über die Anfrage und die Antwort entscheidet der jeweilige Senat durch Beschluß in der für Urteile erforderlichen Besetzung.

(4) Der erkennende Senat kann eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung dem Großen Senat zur Entscheidung vorlegen, wenn das nach seiner Auffassung zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist.

(5) Der Große Senat besteht aus dem Präsidenten, je einem Berufsrichter der Senate, in denen der Präsident nicht den Vorsitz führt, je zwei ehrenamtlichen Richtern aus dem Kreis der Versicherten und dem Kreis der Arbeitgeber sowie je einem ehrenamtlichen Richter aus dem Kreis der mit dem sozialen Entschädigungsrecht oder der Teilhabe behinderter Menschen vertrauten Personen und dem Kreis der Versorgungsberechtigten und der behinderten Menschen im Sinne des Neunten Buches Sozialgesetzbuch. Legt der Senat für Angelegenheiten des Vertragsarztrechts vor oder soll von dessen Entscheidung abgewichen werden, gehören dem Großen Senat außerdem je ein ehrenamtlicher Richter aus dem Kreis der Krankenkassen und dem Kreis der Vertragsärzte, Vertragszahnärzte und Psychotherapeuten an. Legt der Senat für Angelegenheiten des § 51 Abs. 1 Nr. 6a vor oder soll von dessen Entscheidung abgewichen werden, gehören dem Großen Senat außerdem zwei ehrenamtliche Richter aus dem Kreis der von der Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände Vorgeschlagenen an. Sind Senate personengleich besetzt, wird aus ihnen nur ein Berufsrichter bestellt; er hat nur eine Stimme. Bei einer Verhinderung des Präsidenten tritt ein Berufsrichter des Senats, dem er angehört, an seine Stelle.

(6) Die Mitglieder und die Vertreter werden durch das Präsidium für ein Geschäftsjahr bestellt. Den Vorsitz im Großen Senat führt der Präsident, bei Verhinderung das dienstälteste Mitglied. Bei Stimmengleichheit gibt die Stimme des Vorsitzenden den Ausschlag.

(7) Der Große Senat entscheidet nur über die Rechtsfrage. Er kann ohne mündliche Verhandlung entscheiden. Seine Entscheidung ist in der vorliegenden Sache für den erkennenden Senat bindend.

(1) Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit

1.
die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt,
2.
der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist,
3.
nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde, oder
4.
der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist.
Als Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse gilt in Fällen, in denen Einkommen oder Vermögen auf einen zurückliegenden Zeitraum auf Grund der besonderen Teile dieses Gesetzbuches anzurechnen ist, der Beginn des Anrechnungszeitraumes.

(2) Der Verwaltungsakt ist im Einzelfall mit Wirkung für die Zukunft auch dann aufzuheben, wenn der zuständige oberste Gerichtshof des Bundes in ständiger Rechtsprechung nachträglich das Recht anders auslegt als die Behörde bei Erlass des Verwaltungsaktes und sich dieses zugunsten des Berechtigten auswirkt; § 44 bleibt unberührt.

(3) Kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nach § 45 nicht zurückgenommen werden und ist eine Änderung nach Absatz 1 oder 2 zugunsten des Betroffenen eingetreten, darf die neu festzustellende Leistung nicht über den Betrag hinausgehen, wie er sich der Höhe nach ohne Berücksichtigung der Bestandskraft ergibt. Satz 1 gilt entsprechend, soweit einem rechtmäßigen begünstigenden Verwaltungsakt ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt zugrunde liegt, der nach § 45 nicht zurückgenommen werden kann.

(4) § 44 Abs. 3 und 4, § 45 Abs. 3 Satz 3 bis 5 und Abs. 4 Satz 2 gelten entsprechend. § 45 Abs. 4 Satz 2 gilt nicht im Fall des Absatzes 1 Satz 2 Nr. 1.

Das Bundessozialgericht ist an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden, außer wenn in bezug auf diese Feststellungen zulässige und begründete Revisionsgründe vorgebracht sind.

(1) Ist die Revision unbegründet, so weist das Bundessozialgericht die Revision zurück. Ergeben die Entscheidungsgründe zwar eine Gesetzesverletzung, stellt sich die Entscheidung selbst aber aus anderen Gründen als richtig dar, so ist die Revision ebenfalls zurückzuweisen.

(2) Ist die Revision begründet, so hat das Bundessozialgericht in der Sache selbst zu entscheiden. Sofern dies untunlich ist, kann es das angefochtene Urteil mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Gericht zurückverweisen, welches das angefochtene Urteil erlassen hat.

(3) Die Entscheidung über die Revision braucht nicht begründet zu werden, soweit das Bundessozialgericht Rügen von Verfahrensmängeln nicht für durchgreifend erachtet. Dies gilt nicht für Rügen nach § 202 in Verbindung mit § 547 der Zivilprozeßordnung und, wenn mit der Revision ausschließlich Verfahrensmängel geltend gemacht werden, für Rügen, auf denen die Zulassung der Revision beruht.

(4) Verweist das Bundessozialgericht die Sache bei der Sprungrevision nach § 161 zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurück, so kann es nach seinem Ermessen auch an das Landessozialgericht zurückverweisen, das für die Berufung zuständig gewesen wäre. Für das Verfahren vor dem Landessozialgericht gelten dann die gleichen Grundsätze, wie wenn der Rechtsstreit auf eine ordnungsgemäß eingelegte Berufung beim Landessozialgericht anhängig geworden wäre.

(5) Das Gericht, an das die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen ist, hat seiner Entscheidung die rechtliche Beurteilung des Revisionsgerichts zugrunde zu legen.

(1) Soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist, sind bereits erbrachte Leistungen zu erstatten. Sach- und Dienstleistungen sind in Geld zu erstatten.

(2) Soweit Leistungen ohne Verwaltungsakt zu Unrecht erbracht worden sind, sind sie zu erstatten. §§ 45 und 48 gelten entsprechend.

(2a) Der zu erstattende Betrag ist vom Eintritt der Unwirksamkeit eines Verwaltungsaktes, auf Grund dessen Leistungen zur Förderung von Einrichtungen oder ähnliche Leistungen erbracht worden sind, mit fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz jährlich zu verzinsen. Von der Geltendmachung des Zinsanspruchs kann insbesondere dann abgesehen werden, wenn der Begünstigte die Umstände, die zur Rücknahme, zum Widerruf oder zur Unwirksamkeit des Verwaltungsaktes geführt haben, nicht zu vertreten hat und den zu erstattenden Betrag innerhalb der von der Behörde festgesetzten Frist leistet. Wird eine Leistung nicht alsbald nach der Auszahlung für den bestimmten Zweck verwendet, können für die Zeit bis zur zweckentsprechenden Verwendung Zinsen nach Satz 1 verlangt werden; Entsprechendes gilt, soweit eine Leistung in Anspruch genommen wird, obwohl andere Mittel anteilig oder vorrangig einzusetzen sind; § 47 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bleibt unberührt.

(3) Die zu erstattende Leistung ist durch schriftlichen Verwaltungsakt festzusetzen. Die Festsetzung soll, sofern die Leistung auf Grund eines Verwaltungsakts erbracht worden ist, mit der Aufhebung des Verwaltungsaktes verbunden werden.

(4) Der Erstattungsanspruch verjährt in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Verwaltungsakt nach Absatz 3 unanfechtbar geworden ist. Für die Hemmung, die Ablaufhemmung, den Neubeginn und die Wirkung der Verjährung gelten die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs sinngemäß. § 52 bleibt unberührt.

(5) Die Absätze 1 bis 4 gelten bei Berichtigungen nach § 38 entsprechend.