Bundesgerichtshof Urteil, 24. Nov. 2016 - 4 StR 289/16

ECLI:ECLI:DE:BGH:2016:241116U4STR289.16.0
24.11.2016

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 289/16
vom
24. November 2016
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung
ECLI:DE:BGH:2016:241116U4STR289.16.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 24. November 2016, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof Sost-Scheible,
Richterin am Bundesgerichtshof Roggenbuck, Richter am Bundesgerichtshof Cierniak, Dr. Mutzbauer, Dr. Quentin als beisitzende Richter,
Staatsanwältin beim Bundesgerichtshof als Vertreterin des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt als Verteidiger,
die Nebenklägerin in Person,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Detmold vom 22. Februar 2016 wird verworfen.
2. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels und die der Nebenklägerin hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Hiergegen richtet sich seine auf Verfahrensrügen und sachlich-rechtliche Beanstandungen gestützte Revision. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

I.


2
1. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen :
3
Der 1986 geborene Angeklagte war mit der Nebenklägerin seit 2007 verheiratet. Nachdem die Ehe zunächst harmonisch verlaufen war, kam es 2008/2009 zu ersten Problemen, da sich die Nebenklägerin zu anderen Männern hingezogen fühlte und der Angeklagte aufbrausend reagierte, wenn er im Studium (Lehramt in Theologie und Mathematik) schlechte Noten bekam. In dieser Zeit wurde die Nebenklägerin an ihrer neuen Arbeitsstelle zudem „ge- mobbt“, woraufhin sie psychosomatische Beschwerden entwickelte und 20 kg abnahm. Nach einer vorübergehenden Besserung der Beziehung nach der Geburt ihrer Tochter im Jahr 2010 verschlechterte sich diese wieder während der zweiten Schwangerschaft der Nebenklägerin 2011/2012. Die Nebenklägerin nahm weiter ab und wog im Februar 2012 bei 157 cm Größe noch 57 kg. Im März 2012 gebar sie ihr zweites Kind. In der Folge zog sich der Angeklagte, der sich überfordert fühlte, immer mehr zurück; die Nebenklägerin hatte das Gefühl, er benötige sie nur mehr als Haushaltshilfe. Sie verlor weiter an Gewicht und wog im Mai 2012 lediglich 48 kg. Auch in den Folgemonaten nahm die Nebenklägerin weiter ab. Der Angeklagte bemerkte dies, begleitete die Nebenklägerin auch bei Arztbesuchen, kümmerte sich aber nicht weiter um sie, als die Ärzte die Ursache des Gewichtsverlustes nicht aufklären konnten. Vielmehr flüchtete er sich in seine 2012 aufgenommene Tätigkeit als Referendar, zog sich weiter zurück und befasste sich insbesondere mit der Unterrichtsvorbereitung und Computerspielen. Mit dem Haushalt und der Betreuung der Kinder wollte er nichts zu tun haben; dies war nach seiner Ansicht Aufgabe der Nebenklägerin. Schließlich lebten der Angeklagte und die Nebenklägerin nur noch nebeneinander her.
4
Die Nebenklägerin nahm währenddessen weiter ab. Hierauf von Familienangehörigen angesprochen erklärte sie den Gewichtsverlust mit Nahrungsmittelunverträglichkeiten. Schließlich stellte sie Ende 2012 den Kontakt zu ihren Schwestern völlig ein, nachdem diese sie immer wieder auf ihr Gewicht angesprochen hatten.
5
Ende April/Anfang Mai 2013 wog die Nebenklägerin nur noch 34,5 kg. Am 30. April 2013 aß sie Himbeeren und litt daraufhin in der Nacht und am fol- genden Tag an starken Bauchschmerzen und Durchfall. Dies bemerkte der Angeklagte , dem die Nebenklägerin hiervon auch erzählte. Am Morgen des 2. Mai 2013 verließ der Angeklagte nach 6 Uhr das Haus und fuhr zur Arbeit. Um den gesundheitlichen Zustand der Nebenklägerin kümmerte er sich nicht weiter, obwohl er gesehen hatte, dass es ihr schlecht ging und sie sehr schwach war. Tatsächlich war ihre Blutzuckerkonzentration bereits unter den aus medizinischer Sicht kritischen Wert vom 50 mg/dl gesunken, ihr Blutdruck war sehr niedrig, der Herzschlag war verlangsamt und die Körpertemperatur war erheb- lich abgesunken. Gleichwohl versorgte die Nebenklägerin „so gut es ging“ die Kinder, verbrachte aber den Rest des Tages „zumeist völlig erschöpft“ auf dem Sofa. Im Verlauf des Tages ging ihr Blutzuckerspiegel weiter zurück; auch die Körpertemperatur sank weiter und sie „strahlte eine ‚Leichenkälte’ aus“.
6
Der Angeklagte, der gegen 15.20 Uhr nach Hause kam, bemerkte den gegenüber dem Morgen deutlich verschlechterten Zustand der Nebenklägerin und erkannte, dass sie dringend ärztlicher Hilfe bedurfte. Er unternahm jedoch nichts, sondern befasste sich bis 19.34 Uhr mit einem Computerspiel. Als er danach ins Wohnzimmer zurückkehrte, lag die Nebenklägerin auf dem Sofa und fror. Der Angeklagte deckte sie zu und bemerkte dabei die Kälte, die von ihrem Körper ausging. Er erkannte, dass „die Lage ernst“ war, verdrängte diesen Ge- danken jedoch, insbesondere rief er keinen Arzt, sondern zog sich erneut zurück , um bis ca. 21 Uhr zu arbeiten. Anschließend setzte er sich neben die Nebenklägerin auf das Sofa und sah fern. Auch hierbei bemerkte er die Kälte, die von der Nebenklägerin, deren Körpertemperatur inzwischen auf ca. 33 Grad Celsius gesunken war, ausging. Er unternahm aber auch weiterhin nichts, sondern legte sich neben die Nebenklägerin, um am kommenden Schultag ausgeschlafen zu sein.
7
Gegen 2 Uhr wachte der Angeklagte auf, da die Nebenklägerin ein Getränk , dass er ihr vor dem Einschlafen auf ihren Wunsch hin gebracht hatte, verschüttet hatte, weil sie zu schwach war, um die Flasche zu halten. Daraufhin holte der Angeklagte ihr eine neue Decke und deckte sie zu. Hierbei berührte er sie erneut und spürte abermals die von ihr ausgehende „Leichenkälte“. Er be- merkte ferner, dass sie nur noch apathisch auf dem Sofa lag, kaum noch Kraft hatte, sich zu bewegen, und auf Ansprache kaum mehr reagierte. Spätestens jetzt erkannte er, dass sich die Nebenklägerin in Lebensgefahr befand. Gleichwohl unternahm er auch weiterhin nichts, obwohl ihm bewusst war, dass er als Ehemann Verantwortung für die Nebenklägerin trug und verpflichtet war, ihr zu helfen. Ihm kam es vielmehr darauf an, in Ruhe weiterschlafen zu können.
8
Gegen 6 Uhr wachte der Angeklagte erneut auf. Die Nebenklägerin hatte sich erbrochen und war nicht mehr ansprechbar; ihre Augen waren starr und ihre Pupillen reagierten – wie der Angeklagte erkannte – nicht mehr. Daraufhin verständigte der Angeklagte den Notarzt. Bei der Aufnahme der Nebenklägerin in die Klinik wies sie eine Blutzuckerkonzentration von 21 mg/dl auf; ihre Körperkerntemperatur betrug weniger als 33 Grad Celsius, die Temperatur der Haut war „deutlich geringer“. Aus medizinischer Sicht war zu diesem Zeitpunkt nicht sicher, dass ihr Leben gerettet werden kann. Tatsächlich stabilisierte sich der Zustand der Nebenklägerin nach und nach, auch nahm sie wieder zu, so dass sie bei ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus am 4. Juni 2013 35,5 kg wog.
9
In der Folgezeit erhob die Nebenklägerin schwere Vorwürfe gegen den Angeklagten, unter anderem wegen sexuellen Missbrauchs ihrer Tochter. Die daraufhin eingeleiteten Ermittlungsverfahren wurden jedoch von der Staatsanwaltschaft mangels Tatverdachts nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt.
10
2. Die Strafkammer hat das Verhalten des Angeklagten am 3. Mai 2013 um 2 Uhr als gefährliche Körperverletzung durch Unterlassen (§ 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB) bewertet. Die Nebenklägerin sei zu diesem Zeitpunkt aufgrund ihres erheblich geschwächten Gesundheitszustandes nicht mehr in der Lage gewesen , selbst Maßnahmen zu ergreifen, um dem bereits begonnenen Sterbeprozess entgegenzuwirken. Der deshalb bestehenden konkreten Handlungspflicht des Angeklagten sei dieser nicht nachgekommen, obwohl es ihm möglich gewesen wäre, ärztliche Hilfe zu holen. Durch das Unterlassen, das für die Nebenklägerin lebensgefährdend gewesen sei, habe sich ihr Gesundheitszustand weiter verschlechtert. Von all dem habe der Angeklagte gewusst.
11
3. Der Angeklagte beanstandet mit Verfahrensrügen, dass mehrere Urkunden (Kassenbelege von Einkäufen der Nebenklägerin, ein Gutachten aus dem familiengerichtlichen Verfahren) sowie ein hilfsweise gestellter Beweisantrag auf Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens bezüglich der Nebenkläge- rin im Urteil „keinerlei Berücksichtigung“ gefunden hätten und der Hilfsbeweisantrag „seitens des Gerichts gänzlich unberücksichtigt geblieben“ sei. Mit der Sachrüge macht der Revisionsführer unter anderem geltend, dass sich das Urteil nicht zu der für die Verurteilung erforderlichen Steigerung des körperlichen Unwohlbefindens der Nebenklägerin nach 2 Uhr verhalte. Auch sei die Blutzuckerkonzentration und Körperkerntemperatur der Nebenklägerin für den Angeklagten als medizinischen Laien nicht erkennbar gewesen, zumal die Strafkammer in unzulässiger Weise unterstellt habe, dass es zwischen dem Angeklagten und der Nebenklägerin zu einer Berührung bzw. Hautkontakt gekommen sei.

II.


12
Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
13
1. Die Verfahrensrügen sind – wie der Generalbundesanwalts in seiner Antragsschrift vom 8. Juli 2016 ausgeführt hat – bereits unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO), da die Revision weder die Urkunden vorlegt, deren Erörterung im Urteil sie vermisst, noch den Beweisantrag auf Erholung des Sachverständigengutachtens wiedergibt.
14
2. Das Urteil hält im Ergebnis auch der sachlich-rechtlichen Überprüfung stand.
15
Dabei geht die Strafkammer zutreffend davon aus, dass jedenfalls bei – wiehier – bestehender Lebensgemeinschaft die Ehegatten einander als Garanten zum Schutz verpflichtet sind (BGH, Urteil vom 24. Juli 2003 – 3 StR 153/03, JR 2004, 156 m. Anm. Rönnau). Ferner hat es rechtsfehlerfrei dargelegt , dass der Angeklagte aufgrund dieser Garantenstellung um bzw. kurz nach 2 Uhr am 3. Mai 2013 verpflichtet gewesen sei, ärztliche Hilfe für die Nebenklägerin herbeizurufen, er dies jedoch – vorsätzlich – unterlassen habe. Hierdurch sei – wie das Landgericht ebenfalls rechtsfehlerfrei festgestellt hat – auch eine lebensgefährliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Nebenklägerin eingetreten (§ 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB).
16
a) Insofern begegnet insbesondere die Beweiswürdigung der Strafkammer keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
17
aa) Die revisionsgerichtliche Überprüfung der Beweiswürdigung beschränkt sich allein darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind (§ 337 Abs. 1 StPO). Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn sie widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder an die Überzeugung von der Schuld des Angeklagten überhöhte Anforderungen stellt. Liegen solche Rechtsfehler nicht vor, hat das Revisionsgericht die tatrichterliche Überzeugungsbildung auch dann hinzunehmen, wenn eine abweichende Würdigung der Beweise möglich oder sogar näherliegend gewesen wäre (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteile vom 20. September 2012 – 3 StR 158/12, NStZ-RR 2013, 89, 90; vom 26. April 2012 – 4 StR 599/11 mwN). Gleichermaßen Sache des Tatrichters ist es, die Bedeu- tung und das Gewicht der einzelnen be- oder entlastenden Indizien in der Gesamtwürdigung des Beweisergebnisses zu bewerten. Ist diese Bewertung nach den dargestellten rechtlichen Maßstäben vertretbar, so kann das Revisionsgericht nicht auf der Grundlage einer abweichenden Beurteilung der Bedeutung einer Indiztatsache in die Überzeugungsbildung des Tatrichters eingreifen (BGH, Urteile vom 9. Juni 2005 – 3 StR 269/04, NJW 2005, 2322, 2326; vom 20. September 2012 – 3 StR 158/12, NStZ-RR 2013, 89, 90).
18
bb) Hiervon ausgehend weist die Beweiswürdigung der Strafkammer keinen Rechtsfehler auf.
19
Entgegen der Ansicht des Revisionsführers hat die Strafkammer ausreichende Feststellungen zum Gesundheitszustand der Nebenklägerin am 3. Mai 2013 um 2 Uhr getroffen und hinreichend dargelegt, dass sich dieser bis 6 Uhr weiter verschlechtert hat (vgl. u.a. UA S. 15: Steigerung des pathologischen und lebensbedrohlichen Zustandes um 2 Uhr bis zur akuten Lebensgefahr um 6 Uhr). Die Erkennbarkeit des lebensbedrohlichen Zustandes der Nebenkläge- rin bereits um 2 Uhr stützt die Strafkammer vor dem Hintergrund des auch für den Angeklagten deutlich erkennbaren und erkannten Gewichtsverlustes der Nebenklägerin (vgl. dazu auch BGH, Urteile vom 12. Juli 2005 – 1 StR 65/05, NStZ-RR 2006, 174, 175; vom 4. August 2015 – 1 StR 624/14, juris Rn. 24) und die ihm bekannten aktuellen gesundheitlichen Probleme der Nebenklägerin nach dem Genuss der Himbeeren rechtsfehlerfrei im Wesentlichen auf die entsprechenden Ausführungen des rechtsmedizinischen Sachverständigen. Dieser hat unter anderem dargelegt, dass nicht nur wegen der von der Nebenklägerin ausgehenden „Leichenkälte“ selbst für einen medizinischen Laien die bestehende Lebensgefahr „klar gewesen“ sein müsse (UA S. 17). Vielmehr sei auch der apathische Zustand der Nebenklägerin von dem eines bloßen Verschlafenseins , auf das sich der Angeklagte beruft (UA S. 19, 14 oben) „deutlich zu un- terscheiden“ (UA S. 19). Auch im Übrigen – etwa zu den vom Landgericht fest- gestellten Berührungen der Nebenklägerin – weist die Beweiswürdigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf und ist daher vom Revisionsgericht hinzunehmen.
20
Soweit der Generalbundesanwalt beanstandet, dass die Aussage der Nebenklägerin lediglich in Ansätzen mitgeteilt sei und sich das Landgericht mit der Aussage nicht differenziert auseinandersetze, vermag der Senat ebenfalls keinen durchgreifenden Rechtsfehler zu erkennen. Denn den Entscheidungsgründen sind die Angaben der Nebenklägerin hinreichend zu entnehmen (vgl. etwa UA S. 18/19, 20). Auch hat die Strafkammer sich mit diesen differenziert auseinandergesetzt und dabei unter anderem dargelegt, dass sie ihnen nur teilweise folgt (vgl. UA S. 18/19) und insbesondere die Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs der Tochter oder einer vorsätzlichen Tötung – aus rechtsfehlerfreien Erwägungen (UA S. 10 und 20) – für „haltlos“ bzw. nicht erwiesen erach- tet. Soweit der Generalbundesanwalt die Erörterung „offensichtlich durch die Strafkammer angehörter Zeugen“ vermisst, ist dies einer revisionsgerichtlichen Überprüfung allein auf die Sachrüge hin nicht zugänglich.
21
b) Das Urteil hält entgegen der Ansicht des Revisionsführers und des Generalbundesanwalts rechtlicher Überprüfung auch stand, soweit die Strafkammer – lediglich im Rahmen der Strafzumessung – auf die „erhebliche Mitverantwortung (der Nebenklägerin) für die Eskalation des Geschehens“ und darauf verweist, dass die Nebenklägerin den Gewichtsverlust „durch unzureichende Nahrungsaufnahme eigenverantwortlich herbeigeführt hat“ (UA S. 22 Mitte). Hierdurch hat sie im Ergebnis zu Recht bejaht, dass die Garantenpflicht des Angeklagten auch und trotz einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung der Nebenklägerin bestand.
22
aa) Zwar unterfällt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine eigenverantwortlich gewollte und verwirklichte Selbstgefährdung grundsätzlich nicht den Tatbeständen eines Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts , wenn sich das mit der Gefährdung vom Opfer bewusst eingegangene Risiko realisiert. Wer eine solche Gefährdung veranlasst, ermöglicht oder fördert , kann daher nicht wegen eines Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts verurteilt werden; denn er nimmt an einem Geschehen teil, welches – soweit es um die Strafbarkeit wegen Tötung oder Körperverletzung geht – kein tatbestandsmäßiger und damit strafbarer Vorgang ist (vgl. etwa BGH, Urteil vom 28. Januar 2014 – 1 StR 494/13, BGHSt 59, 150, 167 Rn. 71; Beschluss vom 5. August 2015 – 1 StR 328/15, NStZ 2016, 406 f.).
23
bb) Eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung ihres Lebens oder ihrer Gesundheit durch die Nebenklägerin schloss hier jedoch die Garantenpflicht des Angeklagten zur Abwendung der (zumindest) lebensgefährlichen Gesundheitsschädigung der Nebenklägerin nicht aus.
24
(1) Der Bundesgerichtshof hat bereits entschieden, dass die Erfolgsabwendungspflicht eines Garanten nicht stets schon dann entfällt, wenn sein Verhalten zunächst lediglich eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung derjenigen Person ermöglicht, für dessen Rechtsgut bzw. Rechtsgüter er als Garant rechtlich im Sinne von § 13 Abs. 1 StGB einzustehen hat (vgl. BGH, Urteile vom 27. Juni 1984 – 3 StR 144/84, NStZ 1984, 452 und vom 9. November 1984 – 2 StR 257/84, NStZ 1985, 319, 320; Beschluss vom 5. August 2015 – 1 StR 328/15, NStZ 2016, 406 f.). Die Straflosigkeit des auf die Herbeiführung des Risikos gerichteten Verhaltens ändert nichts daran, dass für den Täter Garantenpflichten in dem Zeitpunkt bestehen, in dem aus dem allgemeinen Risiko eine besondere Gefahrenlage erwächst. Mit dem Eintritt einer solchen Gefahrenlage ist der Täter verpflichtet, den drohenden Erfolg abzuwenden (BGH, Urteile vom 27. Juni 1984 – 3 StR 144/84, NStZ 1984, 452 und vom 9. November 1984 – 2 StR 257/84, NStZ 1985, 319, 320; Beschluss vom 5. August 2015 – 1 StR 328/15, NStZ 2016, 406 f.).
25
(2) An diesen Grundsätzen ist jedenfalls dann festzuhalten, wenn das Verhalten des Opfers sich in Bezug auf das Rechtsgut Leben und Gesundheit in einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung erschöpft (vgl. BGH, Beschluss vom 5. August 2015 – 1 StR 328/15, NStZ 2016, 406 f.). In diesen Fällen bleibt zwar die Beteiligung an der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung für einen Garanten an sich straffrei, bei Realisierung des von dem betroffenen Rechtsgutsinhaber eingegangenen Risikos besteht indes eine strafbewehrte Erfolgsabwendungspflicht aus § 13 Abs. 1 StGB. Denn anders als in den Selbsttötungsfällen erschöpft sich im Fall der Selbstgefährdung die Preis- gabe des eigenen Rechtsguts gerade darin, dieses in einem vom Betroffenen jedenfalls in seinem wesentlichen Grad zutreffend erkannten Umfang einem Risiko auszusetzen. Eine Hinnahme des als möglich erkannten Erfolgseintritts bei Realisierung des eingegangenen Risikos ist mit der Vornahme der Selbstgefährdung indes nicht notwendig verbunden. Entwickelt sich das allein auf Selbstgefährdung angelegte Geschehen daher erwartungswidrig in Richtung auf den Verlust des Rechtsguts, umfasst die ursprüngliche Entscheidung des Rechtsgutsinhabers für die (bloße) Gefährdung seines Rechtsguts nicht zugleich den Verzicht auf Maßnahmen zum Erhalt des nunmehr in einen Zustand konkreter Gefahr geratenen Rechtsguts. Eine Person, die nach den allgemeinen Grundsätzen des § 13 Abs. 1 StGB Garant für das bedrohte Rechtsgut ist, trifft dann im Rahmen des tatsächlich Möglichen und ihr rechtlich Zumutbaren die Pflicht, den Eintritt des tatbestandlichen Erfolgs abzuwenden (BGH, Beschluss vom 5. August 2015 – 1 StR 328/15, NStZ 2016, 406 f. mwN).
26
(3) Dies zugrunde gelegt, bestand für den Angeklagten eine Garantenpflicht , der er nicht nachgekommen ist, weil er um bzw. kurz nach 2 Uhr, als die Möglichkeit der Abwendung der (weiteren) lebensgefährlichen Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Nebenklägerin bestand, auf das Herbeirufen medizinischer Hilfe verzichtet hat.
27
(3.1.) Nach den vom Landgericht rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen war die Nebenklägerin um bzw. kurz nach 2 Uhr nicht (mehr) zu einer hinreichenden Risikobeurteilung und -abwägung in der Lage. Dies hatte zur Folge, dass der Angeklagte mangels Eigenverantwortlichkeit der sich bis dahin (allenfalls ) selbst gefährdenden Nebenklägerin die Tat- bzw. Handlungsherrschaft über das Geschehen erlangte (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Januar 2014 – 1 StR 389/13, BGHR StGB § 227 Beteiligung 4, Rn. 20, 31; ferner BGH, Be- schluss vom 11. Januar 2011 – 5 StR 491/10, JR 2011, 266, 267 m. Anm. Kotz; Urteil vom 28. Januar 2014 – 1 StR 494/13, BGHSt 59, 150, 168, Rn. 73 mwN).
28
Denn nach den getroffenen Feststellungen bemerkte der Angeklagte bereits um 2 Uhr nicht nur die von der Nebenklägerin ausgehende „Leichenkälte“, sondern auch, dass sie nur noch apathisch auf dem Sofa lag, kaum noch Kraft hatte, sich zu bewegen, und kaum auf Ansprache reagierte (UA S. 9, 18/19; zur entsprechenden Einlassung des Angeklagten: UA S. 14 oben). Dies entspricht in objektiver Hinsicht den vom rechtsmedizinischen Sachverständigen mitgeteilten Folgen eines erheblichen Gewichtsverlustes, nämlich fortschreitender Unterkühlung , Bettlägerigkeit, Apathie und Lethargie (UA S. 15). Die Annahme der Strafkammer, die Nebenklägerin sei zu diesem Zeitpunkt aufgrund ihres erheblich geschwächten Gesundheitszustandes nicht mehr in der Lage gewesen, selbst Maßnahmen zu ergreifen, um dem bereits begonnenen Sterbeprozess entgegenzuwirken und der Angeklagte habe (auch) dies erkannt (UA S. 21), begegnet daher keinen Bedenken.
29
(3.2.) Aus den vom Landgericht getroffenen Feststellungen ergibt sich ferner, dass der Gewichtsverlust der Nebenklägerin nicht von einem (ernsthaften ) Selbsttötungswillen getragen war.
30
Auch dies weist trotz ihres teilweise aggressiven und abweisenden Verhaltens , wenn sie hierauf angesprochen wurde, vor dem Hintergrund, dass die Nebenklägerin noch um 2 Uhr ein Getränk zu sich nahm, um das sie den Angeklagten zuvor gebeten hatte, ihres Engagements innerhalb der Familie trotz des Eindrucks, dass der Angeklagte sie nur noch als Haushaltshilfe benötige, sowie der von ihr für den Gewichtsverlust abgegebenen Erklärungen (psycho- somatische Beschwerden in Zusammenhang mit dem „Mobbing“, eine mit der Schwangerschaft verbundene Hormonumstellung und eine damit einhergehende Appetitlosigkeit, Nahrungsmittelunverträglichkeiten), keinen Rechtsfehler auf.
31
(3.3.) Die Nebenklägerin hat in ihre (weitere) Gesundheitsschädigung auch nicht wirksam eingewilligt (§ 228 StGB).
32
Denn dies setzt – unter anderem – voraus, dass sie einen entsprechenden Willen frei bilden und entsprechend handeln konnte (vgl. EGMR, Urteil vom 19. Juli 2012 – 497/12, NJW 2013, 2953, 2955 mwN; BGH, Beschluss vom 10. November 2010 – 2 StR 320/10, JR 2011, 316, 317 m. Anm. Olzen/Metzmacher ). Hieran fehlte es indes – wie oben ausgeführt – jedenfalls für den hier maßgeblichen Zeitpunkt am 3. Mai 2013 um bzw. kurz nach 2 Uhr.
33
c) Auch im Übrigen weist das Urteil keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler auf (vgl. zu § 13 Abs. 1 StGB etwa BGH, Urteil vom 4. August 2015 – 1 StR 624/14, juris Rn. 39).
Sost-Scheible Roggenbuck Cierniak Mutzbauer Quentin

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Bundesgerichtshof Urteil, 24. Juli 2003 - 3 StR 153/03

bei uns veröffentlicht am 24.07.2003

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Bundesgerichtshof Beschluss, 05. Aug. 2015 - 1 StR 328/15

bei uns veröffentlicht am 05.08.2015

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Bundesgerichtshof Urteil, 04. Aug. 2015 - 1 StR 624/14

bei uns veröffentlicht am 04.08.2015

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Bundesgerichtshof Urteil, 03. Juli 2019 - 5 StR 132/18

bei uns veröffentlicht am 03.07.2019

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Bundesgerichtshof Beschluss, 02. Aug. 2017 - 4 StR 169/17

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BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 4 StR 169/17 vom 2. August 2017 BGHSt: nein BGHR: ja Nachschlagewerk: ja Veröffentlichung: ja –––––––––––––––––––––––––– StGB § 13 Abs. 1 Bei Beurteilung der Frage, ob eine strafrechtliche Garantenpflich

Referenzen

(1) Bieten die Ermittlungen genügenden Anlaß zur Erhebung der öffentlichen Klage, so erhebt die Staatsanwaltschaft sie durch Einreichung einer Anklageschrift bei dem zuständigen Gericht.

(2) Andernfalls stellt die Staatsanwaltschaft das Verfahren ein. Hiervon setzt sie den Beschuldigten in Kenntnis, wenn er als solcher vernommen worden ist oder ein Haftbefehl gegen ihn erlassen war; dasselbe gilt, wenn er um einen Bescheid gebeten hat oder wenn ein besonderes Interesse an der Bekanntgabe ersichtlich ist.

(1) Wer die Körperverletzung

1.
durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen,
2.
mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs,
3.
mittels eines hinterlistigen Überfalls,
4.
mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich oder
5.
mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung
begeht, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen.

(2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder wegen Verletzung einer anderen Rechtsnorm angefochten wird. Ersterenfalls müssen die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden.

Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja nur II. 2. der Gründe
Veröffentlichung: ja
_____________________________________
Die strafrechtliche Garantenpflicht unter Eheleuten endet, wenn sich ein Ehegatte
vom anderen in der ernsthaften Absicht getrennt hat, die eheliche Lebensgemeinschaft
nicht wieder herzustellen.
BGH, Urt. vom 24. Juli 2003 - 3 StR 153/03 - LG Oldenburg

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 153/03
vom
24. Juli 2003
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen schwerer Brandstiftung u. a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 24. Juli 2003,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Tolksdorf,
die Richter am Bundesgerichtshof
Winkler,
Pfister,
Becker,
Hubert
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger der Angeklagten S. ,
Justizamtsinspektorin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Oldenburg vom 27. Juni 2002 wird verworfen.
2. Auf die Revision der Angeklagten S. wird das vorbezeich- nete Urteil mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,
a) soweit die Beschwerdeführerin wegen Beihilfe zur Körperverletzung durch Unterlassen verurteilt worden ist,
b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels der Angeklagten, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weitergehende Revision der Angeklagten S. wird verworfen.
3. Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft und die den Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten M. wegen schwerer Brandstiftung unter Einbeziehung früherer Entscheidungen zu einer Jugendstrafe von vier Jahren und wegen gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung früherer Strafen zu einer Gesamtstrafe von einem Jahr und vier Monaten verurteilt ; es hat die Angeklagte S. wegen schwerer Brandstiftung und wegen durch Unterlassen begangener Beihilfe zur Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und einem Monat verurteilt. Von dem Vorwurf des gemeinschaftlich versuchten Mordes in zwei Fällen hat das Landgericht die Angeklagten freigesprochen. Gegen diesen Freispruch richtet sich die Revision der Staatsanwaltschaft mit sachlichrechtlichen Beanstandungen. Die Revision der Angeklagten S. rügt die Verletzung von Verfahrensrecht und erhebt materiellrechtliche Beanstandungen. Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft bleibt ohne, das der Angeklagten hat nur teilweisen Erfolg.
Zu den Verurteilungen hat das Landgericht festgestellt: Am Abend des 1. Juni 1996 drangen beide Angeklagte in das vom geschiedenen ersten Ehemann der Angeklagten S. , J. , bewohnte, in fremdem Eigentum stehende Haus in O. ein. In Abwesenheit des geschiedenen ersten Ehemanns legten der Angeklagte M. im Schlafzimmer und die Angeklagte S. im Bodenraum einen Brand, der das Haus vollständig zerstörte und einen Gebäudeschaden von mindestens 300.000 DM verursachte. Am 25. Januar 2001 würgte der Angeklagte M. den Ehemann der Angeklagten, Wilhelm S. , bis an die Grenze der Bewußtlosigkeit und schlug ihm mit der Faust in den Magen. Er war über sein Opfer verärgert, weil dieses ihn wegen eines Diebstahls bei der Polizei angezeigt hatte. Die Angeklagte S. hatte kurz vor der Tat von dem Vorhaben des Angeklagten M. Kenntnis erlangt,
unterließ es aber, ihren Ehemann, von dem sie sich etwa vier Wochen zuvor getrennt hatte, vor dem Angriff zu warnen. Auch unternahm sie keinerlei Bemühungen , den Angeklagten M. von seiner Tat abzuhalten.
Über den Gegenstand der Verurteilung hinaus war beiden Angeklagten in der Anklage zur Last gelegt worden, zweimal versucht zu haben, Wilhelm S. heimtückisch zu töten. Sie sollen im Januar 1998 dem Opfer einen Grog zu trinken gegeben haben, in den sie ein zuvor von dem Angeklagten M. beim Tierarzt Dr. H. entwendetes Mittel zur Tötung von Tieren ("T 61") gemischt hatten. Wilhelm S. soll mit dem Bemerken, der Grog sei salzig, das Getränk sofort wieder ausgespuckt und den Rest in die Güllegrube geschüttet haben. Im Jahr 2000 soll die Angeklagte S. ihrem Mann Ecstasy -Tabletten, die der Angeklagte M. zuvor besorgt hatte, verabreicht haben. Anstelle des von beiden Angeklagten erstrebten Todes soll es beim Opfer nur zu Kreislaufproblemen gekommen sein. Obwohl der Angeklagte M. diese Tatvorwürfe in der Hauptverhandlung einräumte, hat sich das Landgericht von einem solchen Geschehensablauf nicht überzeugen können und nicht auszuschließen vermocht, daß zwischen den Angeklagten nur unverbindliche Gespräche über solche Tatmöglichkeiten geführt worden waren.
I. Revision der Staatsanwaltschaft und Revision der Angeklagten S. , soweit sie sich gegen die Beweiswürdigung wendet
Die Staatsanwaltschaft rügt, das Landgericht habe die Angeklagten aufgrund einer rechtsfehlerhaften Beweiswürdigung vom Vorwurf des zweifach versuchten Mordes freigesprochen. Dabei hebt sie im wesentlichen darauf ab,
daß das Landgericht das Geständnis des Angeklagten M. insoweit nicht als ausreichend angesehen hatte, während es für die Verurteilung der Angeklagten wegen schwerer Brandstiftung und Körperverletzung ein Geständnis dieses Angeklagten hatte ausreichen lassen.
Die Angeklagte S. rügt hingegen, das Landgericht habe sie aufgrund einer rechtsfehlerhaften Beweiswürdigung wegen schwerer Brandstiftung verurteilt. Auf die Angaben des Angeklagten M. habe sich das Landgericht nicht stützen können, da es dessen Angaben zum Vorwurf des zweifach versuchten Mordes nicht als ausreichend für eine Überführung angesehen hatte.
Beide Revisionen zeigen mit ihren Beanstandungen keinen Rechtsfehler auf. Wenn der Tatrichter einem Beweismittel zu einem Teil folgt und zu einem anderen Teil nicht zu folgen vermag, ist er nur zu einer näheren Darlegung der hierfür maßgeblichen Gründe in der Beweiswürdigung gehalten (st. Rspr., vgl. z. B. BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung, widersprüchliche 4 und Beweiswürdigung 13; BGH NJW 1993, 2451; BGHR StPO § 261 Zeuge 8; BGH, Beschl. vom 14. Juli 1998 - 4 StR 289/98). Diese Darlegung ist dem Urteil zu entnehmen.
Von dem der Verurteilung wegen schwerer Brandstiftung zugrunde liegenden Geschehen hat sich das Landgericht aufgrund der geständigen Angaben des Angeklagten M. überzeugt, weil dessen Bekundungen durch weitere Beweisergebnisse (die Ausführungen des Brandsachverständigen und die Bekundungen eines Feuerwehrmannes zum Brandverlauf sowie die Aussage einer Vollzugsbediensteten über das Eingeständnis der Tat durch die Angeklagte ihr gegenüber) Bestätigung gefunden haben. Gleiches gilt auch für das
Geständnis des Mitangeklagten M. betreffend die Körperverletzung zum Nachteil des Wilhelm S. .
Bezüglich des Vorwurfs des zweifach versuchten Mordes hat das Landgericht zuerst die für eine Glaubhaftigkeit der Aussage des Angeklagten sprechenden Umstände (Selbstbelastung; kein nachvollziehbares Motiv für eine Falschbelastung der Mitangeklagten; Detailreichtum, Konstanz und Widerspruchsfreiheit der Aussage; Spontaneität der Aussageergänzungen; Lebensbeichte als Aussagemotivation) erörtert. Dem hat es Umstände entgegengestellt , die Zweifel an der Glaubhaftigkeit wecken konnten (Detailarmut gerade bei der Schilderung der entscheidenden Handlungsteile; Widerspruch zum Verhalten bei der Körperverletzung am 25. Januar 2001; Falschaussage des Angeklagten M. in einem Nebenpunkt). Insoweit enthält die Beweiswürdigung entgegen dem Revisionsvorbringen der Staatsanwaltschaft weder Lücken noch Widersprüche.
Es ist auch nicht zu besorgen, daß sich das Landgericht bei dem Freispruch von der rechtsfehlerhaften Annahme hätte leiten lassen, auf ein von weiteren Beweisergebnissen nicht bestätigtes Geständnis könne eine Verurteilung nicht gestützt werden. Anlaß für verbleibende Zweifel der Strafkammer an der Richtigkeit des Geständnisses war nämlich nicht nur die Tatsache, daß das vermeintliche Opfer sich an die geschilderten Tatumstände nicht zu erinnern vermochte; vielmehr standen einzelne Beweisergebnisse dem Geständnis des Angeklagten M. direkt entgegen: So fand die erste Einschläferung eines Tieres auf dem Hof der S. s mit dem Mittel "T 61" nach den Bekundungen des Tierarztes Ende März 1998, also erst nach dem angeblichen Mordversuch, statt. Auch konnte der Tierarzt nicht bestätigen, daß das Mittel bei ihm entwen-
det worden war. Zudem haben die Ermittlungen zum Geschmack des Giftes nichts für den - nach Darstellung des Angeklagten M. - von Wilhelm S. bemerkten starken Salzgeschmack ergeben.
Insgesamt ist das Landgericht der Verpflichtung nachgekommen, in der Beweiswürdigung näher darzulegen, warum es dem Mitangeklagten M. zu einem Teil gefolgt ist und ihm zu einem anderen Teil nicht zu folgen vermocht hat. Es stellt deshalb auch keinen Rechtsfehler dar, wenn die Strafkammer es nicht für ausgeschlossen erachtet, daß sich die Angeklagten möglicherweise nur im Gespräch und in im einzelnen nicht feststellbarer Weise mit dem Gedanken an eine Tötung des Wilhelm S. befaßt hatten. Ob auch eine andere , zur Verurteilung der Angeklagten führende Überzeugungsbildung rechtsfehlerfrei möglich gewesen wäre, ist für die Nachprüfung der vom Landgericht vorgenommenen Beweiswürdigung im Revisionsverfahren ohne Belang.
II. Revision der Angeklagten S. im übrigen
1. Auf die Verfahrensrüge, das Landgericht habe gegen die Hinweispflicht nach § 265 Abs. 1 StPO verstoßen, kommt es nicht an, da die insoweit allein betroffene Verurteilung wegen Beihilfe zur Körperverletzung auf die Sachrüge hin aufgehoben werden muß.
2. Die Verurteilung der Angeklagten wegen durch Unterlassen begangener Beihilfe zur Körperverletzung hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.

a) Entgegen den Angriffen der Revision kann dem Urteil entnommen werden, daß die Tat des Angeklagten M. zumindest erschwert worden wäre, wenn die Angeklagte S. sich bemüht hätte, ihn von der Tat abzuhalten, oder wenn sie ihren Ehemann telefonisch gewarnt hätte. Dies ist ausreichend. Es ist für die Annahme einer Beihilfe durch Unterlassen nicht erforderlich, daß die unterlassene Handlung den Taterfolg verhindert hätte (vgl. BGH NJW 1953, 1838 m. w. N.).

b) Die Feststellungen des Landgerichts ergeben jedoch nicht, daß die Angeklagte, wie es für ihre Verurteilung wegen durch Unterlassen begangener Beihilfe zur Körperverletzung erforderlich wäre, zum Tätigwerden zugunsten des Tatopfers verpflichtet gewesen ist. Nach ihnen ist es vielmehr möglich, daß die sich aus der Ehe ergebende Garantenpflicht hier dadurch weggefallen ist, daß sich die Angeklagte etwa vier Wochen vor der Tat von ihrem Ehemann getrennt und einem anderen Mann zugewandt hat. aa) Hinsichtlich der Garantenpflicht unter Ehegatten ist unstreitig, daß Ehegatten bei bestehender Lebensgemeinschaft einander als Garanten zum Schutz verpflichtet sind, also jeweils dafür im Sinne des § 13 StGB einzustehen haben, daß dem anderen Teil kein Schaden zugefügt wird, der sich als "Erfolg" eines Straftatbestands darstellt. Dementsprechend kann nicht zweifelhaft sein, daß die Angeklagte - hätte sie sich nicht von ihrem Ehemann getrennt - verpflichtet gewesen wäre, ihn vor der drohenden Körperverletzung durch den Mitangeklagten M. zu warnen bzw. zu versuchen, diesen von der beabsichtigten Tat abzuhalten.
bb) Unterschiedlich beurteilt wird, worin die Grundlage für die Annahme der Garantenpflicht zu sehen ist und welche Bedeutung eine Trennung der Eheleute für sie hat.
Insofern wird einerseits vertreten, daß sich die Garantenpflicht der Ehegatten , im Grundsatz ohne Rücksicht auf das tatsächliche Bestehen einer Lebensgemeinschaft , aus § 1353 Abs. 1 Satz 2 BGB ergebe (Jakobs, Strafrecht AT 2. Aufl. S. 823; Welzel, Strafrecht 11. Aufl. S. 217; Geilen FamRZ 1961, 148). Das tatsächliche Bestehen einer Gemeinschaft sei zwar nicht ohne jede Bedeutung. Ohne sie sei etwa eine Garantenpflicht für andere Rechtsgüter als Leib, Leben und Freiheit zu verneinen (Jescheck in LK 11. Aufl. § 13 Rdn. 23 aE). Die Einstandspflicht zum Schutze der genannten Rechtsgüter sei aber schlicht an den Fortbestand der Ehe geknüpft und werde - mit der Folge, daß der Schuldspruch hier keinen Bedenken begegnete - nicht schon dadurch beendet , daß die Ehegatten ihre Lebensgemeinschaft aufgeben und getrennte Wege gehen.
Nach anderer Auffassung findet die Garantenpflicht unter Eheleuten ihre Grundlage nicht in § 1353 BGB. Entscheidend für die Annahme einer Garantenstellung soll vielmehr allein das tatsächliche Bestehen eines gegenseitigen Vertrauens- und Abhängigkeitsverhältnis zwischen den Ehegatten im Hinblick auf den Schutz der bedrohten Rechtsgüter sein (Rudolphi in SK-StGB § 13 Rdn. 50 m. w. N.). Fehle es daran, wie z. B. in aller Regel bei tatsächlichem Getrenntleben der Ehegatten, so stehe das Unterlassen mangels eines Obhutsverhältnisses nicht dem aktiven Bewirken des tatbestandsmäßigen Unrechtserfolges gleich. Daran vermöge die sich aus § 1353 BGB ergebende Rechtspflicht zur Begründung der ehelichen Lebensgemeinschaft nichts zu än-
dern. Denn solange der Ehegatte diese Rechtspflicht nicht erfülle, es also an einem auf der tatsächlichen Lebensgemeinschaft basierenden gegenseitigen Vertrauens- und Abhängigkeitsverhältnis zwischen den Ehegatten fehle, solange sei er auch nicht Garant, sondern lediglich verpflichtet, ein garantenpflichtiges Obhutsverhältnis zu begründen. Diese Pflicht stehe aber - mit der Folge, daß die Verurteilung der Angeklagten hier keinen Bestand haben könnte - der Garantenpflicht nicht gleich (Rudolphi aaO).
Der Bundesgerichtshof hat zu der Frage der strafrechtlichen Garantenpflicht unter Ehegatten - soweit ersichtlich - noch nicht entscheidungserheblich Stellung genommen. Nach einer Entscheidung des 1. Strafsenats gründet die Verpflichtung der Ehegatten, sich gegenseitig zum Schutze beizustehen, auf die "enge, vom Treuegebot beherrschte Lebensgemeinschaft" (BGHSt 2, 150, 153), was in dem Sinne verstanden werden könnte, daß das Bestehen der Gemeinschaft das maßgebliche Kriterium ist. In der weiteren Begründung wird dann aber auf § 1353 BGB abgestellt und unter Berufung auf diese Norm die "Rechtspflicht" bejaht, "einander in Lebensgefahr nach Kräften zu schützen und zu helfen," wobei dieser Grundsatz allerdings wieder durch den Zusatz eingeschränkt wird, die Rechtspflicht bestehe "mindestens so lange, wie kein Teil das Recht zum Getrenntleben hat und beide Teile... in Hausgemeinschaft leben (vgl. RGSt 71, 187, 189)" (BGHSt 2, 150, 153 f.). Ob das Getrenntleben die Garantenstellung entfallen läßt, brauchte in der Entscheidung BGHSt 2, 150 nicht entschieden zu werden, weil die Eheleute in dem zu beurteilenden Sachverhalt noch zusammenlebten. Eine weitere - in dem hier in Rede stehenden Zusammenhang gelegentlich zitierte - Entscheidung (BGHSt 6, 322) betrifft nicht die Frage der wechselseitigen Schutzverpflichtung, sondern die der Rechtspflicht zur Verhinderung von Straftaten des anderen Teils und damit -
ebenso wie die Entscheidung des Senats NStE Nr. 3 zu § 13 StGB - andere Fallgestaltungen.
cc) Dem Senat erscheint im Ergebnis eine vermittelnde Betrachtung angezeigt :
Ihren Ausgangspunkt muß die Beantwortung der Frage nach den strafrechtlichen Schutzpflichten unter Eheleuten bei § 1353 BGB nehmen. Es ist nicht ersichtlich, warum, wenn Ehegatten nach dieser Norm Verantwortung füreinander tragen (§ 1353 Abs. 1 Satz 1 2. Halbs. BGB), dies im Grundsatz nicht auch für die strafrechtliche Betrachtung gelten sollte. Dementsprechend kann die gegenseitige Beistandspflicht nicht etwa schon mit dem bloßen Auszug eines Ehegatten aus der Ehewohnung als solchem, also mit der bloßen räumlichen Trennung als beendet angesehen werden. Das Fehlen einer häuslichen Gemeinschaft muß - je nach den Umständen - nicht bedeuten, daß die eheliche Lebensgemeinschaft aufgegeben worden ist (Palandt/Brudermüller, BGB 62. Aufl. § 1565 Rdn. 2). Dadurch unterscheidet sich die Ehe von der bloßen, auf gegenseitige Hilfeleistung angelegten Gemeinschaftsbeziehung, wie sie etwa auch bei einer Wohngemeinschaft gegeben sein mag. Bei letzterer wird die strafrechtliche Garantenpflicht im allgemeinen mit dem tatsächlichen Ende der Beziehung enden.
Andererseits würde es eine nicht zu rechtfertigende Überdehnung der strafrechtlichen Beistandspflicht unter Eheleuten bedeuten, wollte man annehmen , daß diese erst mit dem Ende der Ehe, ggf. also erst mit der Rechtskraft des Scheidungsurteils endet. Es sind zahlreiche Lebensgestaltungen denkbar, in denen - ungeachtet des formal fortbestehenden Ehebandes - keiner der bei-
den Ehegatten tatsächlich darauf vertraute oder auch nur Anlaß hätte, darauf zu vertrauen, der andere Teil würde ihm zum Schutze seiner Rechtsgüter beistehen. Das gilt besonders augenfällig etwa dann, wenn die Ehegatten bereits seit Jahren getrennt sind, dabei möglicherweise sogar mit anderen Partnern in einer Lebensgemeinschaft verbunden, wie auch dann, wenn sie - etwa aus rein wirtschaftlichen Gründen - nach schweren ein- oder beidseitigen Eheverfehlungen oder Zerwürfnissen in demselben Haus oder in derselben Wohnung getrennt voneinander leben.
In solchen Fällen ist die Annahme einer die Strafbarkeit wegen eines Unterlassungsdelikts begründenden Beistandspflicht unter Ehegatten auch ausgehend davon, daß diese ihre Grundlage in § 1353 BGB hat, keineswegs geboten. Denn für die Bestimmung der Grenzen der strafrechtlichen Beistandspflicht dürfen bei diesem Ansatz die gesetzlichen Regelungen, aus denen sich Beschränkungen der Pflicht zu ehelicher Lebensgemeinschaft ergeben , nicht außer Betracht bleiben. Dementsprechend endet die strafrechtliche Garantenpflicht unter Eheleuten, wenn sich ein Ehegatte vom anderen in der ernsthaften Absicht getrennt hat, die eheliche Lebensgemeinschaft nicht wieder herzustellen. Das entspricht den Regelungen in § 1353 Abs. 2 und § 1565 Abs. 1 BGB unter Berücksichtigung von § 1566 BGB.
Nach § 1565 Abs. 1 Satz 2 BGB ist die Ehe gescheitert, wenn die Lebensgemeinschaft der Ehegatten nicht mehr besteht und nicht erwartet werden kann, daß die Ehegatten sie wiederherstellen. Das Scheitern der Ehe hat nach § 1353 Abs. 2 BGB zur Folge, daß die Rechtspflicht zur ehelichen Lebensgemeinschaft nicht mehr besteht. Die danach erforderliche ernsthafte Aufgabe der ehelichen Lebensgemeinschaft, die auch der strafrechtlichen Beistands-
pflicht ihre rechtliche Grundlage entzieht, setzt dabei nicht voraus, daß die Ehegatten ein Jahr lang getrennt leben. Dieser Wertung steht § 1566 Abs. 1 BGB nicht entgegen. Danach wird das Scheitern der Ehe zwar unwiderlegbar vermutet, wenn die Ehegatten seit einem Jahr getrennt leben und beide Ehegatten die Scheidung beantragen oder der Antragsgegner der Scheidung zustimmt. Bei dieser Vorschrift handelt es sich aber nur um eine zwingende Beweisregel für das Scheitern der Ehe, die das Gericht von der Feststellung der Zerrüttung entlastet (Palandt/Brudermüller, BGB 62. Aufl. § 1566 Rdn. 1). Sie schließt die Annahme eines früheren Scheiterns - mit Folgen ggf. auch für die Prüfung der strafrechtlichen Garantenpflicht - indes nicht aus. Diese vermittelnde Auffassung, die bereits in der Entscheidung BGHSt 2, 150, 153 f. angelegt ist, dürfte mit der Meinung, nach der die strafrechtliche Garantenpflicht unter Eheleuten in ihrem Grund und in ihrem Umfang allein aus dem tatsächlichen Bestehen eines gegenseitigen Vertrauensverhältnis abzuleiten ist, im Ergebnis weitgehend übereinstimmen. Wenn Vertreter dieser Meinung etwa ausführen, daß die Garantenpflicht "in aller Regel bei tatsächlichem Getrenntleben der Eheleute" entfallen wird (vgl. etwa Rudolphi in SK-StGB § 13 Rd. 50), so sind - wie zu vermuten steht - gerade die Fälle ausgenommen, in denen sich die Ehegatten getrennt haben, um zu prüfen, ob ihre Beziehung eine Chance hat, während in den Fällen, in denen die Trennung die endgültige Aufhebung der Gemeinschaft bedeuten soll, auch nach Auffassung des Senats eine Garantenpflicht nicht mehr besteht.
dd) Auf der Grundlage dieser Auffassung kann die Verurteilung der Angeklagten wegen durch Unterlassen begangener Beihilfe zur Körperverletzung keinen Bestand haben. Nach den bisherigen Feststellungen ist es möglich, daß dem Auszug der Angeklagten S. ein ernsthafter Entschluß, die eheliche
Lebensgemeinschaft nicht mehr fortzusetzen, zugrunde gelegen hatte und da- mit die Garantenpflicht beendet war. Dafür könnte sprechen, daß sich die Angeklagte einem anderen Mann zugewandt hatte. Andererseits kann der zum Tatzeitpunkt erst kurze Zeit zurückliegende Auszug aus der Ehewohnung seinen Grund auch darin gehabt haben, daß sich die Angeklagte über die weitere Entwicklung der Ehe klar werden wollte. Feststellungen, die eine fortbestehende Garantenpflicht begründen, erscheinen insoweit nicht ausgeschlossen. Der Senat kann die Angeklagte deshalb von diesem Vorwurf nicht freisprechen.
3. Die Einzelstrafe wegen schwerer Brandstiftung wird von der Aufhebung der Verurteilung wegen Beihilfe zur Körperverletzung nicht berührt. Soweit die Revision im übrigen die Verneinung von § 21 StGB durch die Strafkammer sowie die Strafzumessung angreift, ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
4. Der neue Tatrichter wird das Augenmerk auch darauf zu richten haben , ob die Angeklagte S. dem Angeklagten M. bei der Körperverletzung nicht sogar durch positives Tun geholfen hat. Anlaß zu diesem Hinweis geben die bisherigen Feststellungen. Das Landgericht hat es für möglich gehalten, daß die Angeklagte S. in Kenntnis der vom Angeklagten M. beabsichtigten Körperverletzung zu diesem gesagt hatte, er solle es "ordentlich" machen. Es hat aber dahinstehen lassen, ob diese Worte tatsächlich gefallen sind, weil es ihnen für den Nachweis einer von der Angeklagten S. unternommenen, versuchten Anstiftung des Angeklagten M. zu einem Tötungsdelikt keine entscheidende Bedeutung beimessen wollte. Sollte sich der
neue Tatrichter von einer solchen Äußerung der Angeklagten S. überzeugen , läge eine psychische Beihilfe nahe.
Tolksdorf Winkler Pfister RiBGH Hubert ist wegen Becker Urlaubs an der Unterschrift gehindert. VRiBGH Prof. Dr. Tolksdorf ist an der Unterzeichnung des Verhinderungsvermerks gehindert, da er zwischenzeitlich ebenfalls im Urlaub ist. Winkler

(1) Wer die Körperverletzung

1.
durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen,
2.
mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs,
3.
mittels eines hinterlistigen Überfalls,
4.
mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich oder
5.
mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung
begeht, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(1) Die Revision kann nur darauf gestützt werden, daß das Urteil auf einer Verletzung des Gesetzes beruhe.

(2) Das Gesetz ist verletzt, wenn eine Rechtsnorm nicht oder nicht richtig angewendet worden ist.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 158/12
vom
20. September 2012
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlag u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
20. September 2012, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Schäfer,
Mayer,
Gericke,
Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Spaniol
als beisitzende Richter,
Staatsanwältin
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwältin
als Verteidigerin des Angeklagten,
Rechtsanwalt
als Vertreter des Nebenklägers,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Nebenklägers R. wird das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 18. Oktober 2011 mit den zugehörigen Feststellungen ausgehoben 1. soweit der Angeklagte im Fall B. I. der Urteilsgründe wegen gefährlicher Körperverletzung zum Nachteil dieses Nebenklägers verurteilt worden ist; 2. im Ausspruch über die Jugendstrafe.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit versuchtem Totschlag, sowie wegen schweren Raubes zu der Jugendstrafe von vier Jahren und drei Monaten verurteilt. Während die Schuldsprüche wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit versuchtem Totschlag sowie wegen schweren Raubes in Rechtskraft erwachsen sind, beanstandet der Nebenkläger R. mit seiner auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revision, dass das Landgericht bei der zu seinem Nachteil begangenen Tat einen bedingten Tötungsvorsatz des Angeklagten nicht festgestellt und diesen insoweit nur wegen gefährlicher Körperverletzung, nicht aber wegen tateinheitlich begangenen versuchten Totschlags verurteilt hat. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts befand sich der Angeklagte am 29. Mai 2010 am Rheinufer in Düsseldorf, um dort mit anderen den sogenannten Japan-Tag zu begehen. Ganz in der Nähe hatten sich andere junge Leute, unter ihnen der Nebenkläger, niedergelassen, die aus der Gruppe des Angeklagten heraus mit Steinchen beworfen wurden, was zu verbalen Reaktionen führte. Die dadurch hervorgerufene Unruhe bekam auch der Angeklagte mit, der unvermittelt ein mitgeführtes Springmesser hervorzog, mit ausgefahrener Klinge am ausgestreckten Arm vor sich hielt und schrie, wer hier Stress mache, den steche er ab. Als es in der Folge zu auch körperlichen Auseinandersetzungen zwischen den Mitgliedern beider Gruppen kam, griff der Angeklagte auf Seiten seiner Freunde ein, indem er mit dem Messer in der Faust auf den Nebenkläger, der von anderen zu Boden gebracht worden war und im Begriff stand, sich unter Abwehr seiner Gegner aufzurichten, zustürzte und "im Bewusstsein in der konkreten Art der jetzigen Anwendung Lebensgefährlichkeit des Messers" in schneller Folge vielfach auf diesen einstach. Dabei führte er möglicherweise zwanzig oder mehr unkontrollierte und unkoordinierte Stichbewegungen aus. Der Nebenkläger wurde im Bereich des Rückens, der Schulter und des linken Armes neun Mal vom Messer des Angeklagten getroffen, wobei die beiden tiefsten Einstiche einen vier bis fünf Zentimeter tiefen Stichkanal aufwiesen, von denen einer bis hinter das Bauchfell reichte. Die Stiche, die nicht lebensbedrohlich waren, führten zu keinen Organverletzungen. Während ein anderer beruhigend auf den Angeklagten einredete, nahm dieser wahr, wie der Nebenkläger sich aufrichtete, wandte sich aber ab und ging davon, wobei er in der Folge mit einem gezielten und wuchtigen Stich in den Rücken eines weiteren Geschädigten die von der Strafkammer rechtskräftig als versuchter Totschlag in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung abgeurteilte Tat beging.
3
Das Landgericht hat die Tat zum Nachteil des Nebenklägers als gefährliche Körperverletzung - mittels eines gefährlichen Werkzeugs und einer das Leben gefährdenden Behandlung sowie gemeinschaftlich begangen - gewürdigt und ausgeführt, es habe sich nicht die Überzeugung verschaffen können, dass der Angeklagte beim Einstechen auf den Nebenkläger mit bedingtem Vorsatz gehandelt habe. Zwar habe er kurze Zeit vor der Tat durch seine Äußerung eine hohe Gewaltbereitschaft und Kenntnis davon gezeigt, dass das geführte Messer zur Beibringung tödlicher Verletzungen geeignet sei. Doch habe er auf den Oberkörper des Nebenklägers nicht gezielt eingestochen, sondern im bewegten Geschehen des fortdauernden Kampfes in schneller Folge eine Vielzahl unkontrollierter und unkoordinierter Stichbewegungen ausgeführt, von denen viele das Opfer verfehlt oder nur gestreift hätten. Auch wenn es sich dabei um schwerwiegende Gewalthandlungen gehandelt habe, die die billigende Inkaufnahme des Todeseintritts nicht fernliegend erscheinen ließen, lasse sich aus dieser objektiven Gefährlichkeit wegen des wahllosen Einstechens auf den Nebenkläger, das ein bewusstes Zielen auf besonders empfindliche Körperregionen oder gar lebenswichtige Organe nicht habe erkennen lassen, ein hinreichend sicherer und vernünftigen Zweifeln Schweigen gebietender Schluss auf eine billigende Inkaufnahme des Todes des Nebenklägers als mögliche Folge der Tathandlung nicht ziehen.
4
2. Die Beweiswürdigung zur subjektiven Tatseite hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
5
a) Bedingt vorsätzliches Handeln setzt voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fern liegend erkennt, weiter, dass er ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen mit der Tatbestandsverwirklichung zumindest abfindet. Da die Schuldformen des bedingten Vorsatzes und der bewussten Fahrlässigkeit im Grenzbereich eng beieinander liegen, müssen vor der Annahme bedingten Vorsatzes beide Elemente der inneren Tatseite, also sowohl das Wissens- als auch das Willenselement, umfassend geprüft und gegebenenfalls durch tatsächliche Feststellungen belegt werden (vgl. BGH, Urteil vom 28. Januar 2010 - 3 StR 533/09, NStZRR 2010, 144). Hierzu bedarf es einer Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände des Einzelfalles, in welche vor allem die objektive Gefährlichkeit der Tathandlung, die konkrete Angriffsweise des Täters, seine psychische Verfassung bei der Tatbegehung und seine Motivationslage mit einzubeziehen sind (BGH, Urteile vom 22. März 2012 - 4 StR 558/11, NJW 2012, 1524; vom 23. Februar 2012 - 4 StR 608/11, NStZ 2012, 443; vom 27. August2009 - 3 StR 246/09, NStZ-RR 2009, 372).
6
Kann der Tatrichter auf der Grundlage dieser Gesamtbewertung aller Umstände Zweifel an der subjektiven Tatseite nicht überwinden, so hat das Revisionsgericht dies regelmäßig hinzunehmen, denn die Beweiswürdigung ist vom Gesetz dem Tatrichter übertragen (§ 261 StPO). Es obliegt allein ihm, sich unter dem umfassenden Eindruck der Hauptverhandlung ein Urteil über die Schuld oder Unschuld des Angeklagten zu bilden. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein; es genügt, dass sie möglich sind. Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich allein darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder an die Überzeugung von der Schuld des Angeklagten überhöhte Anforderungen stellt. Liegen solche Rechtsfehler nicht vor, hat das Revisionsgericht die tatrichterliche Überzeugungsbildung auch dann hinzunehmen, wenn eine abweichende Würdigung der Beweise möglich oder sogar näher liegend gewesen wäre (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 26. April 2012 - 4 StR 599/11 mwN).
7
Gleichermaßen Sache des Tatrichters ist es, die Bedeutung und das Gewicht der einzelnen be- oder entlastenden Indizien in der Gesamtwürdigung des Beweisergebnisses zu bewerten. Ist diese Bewertung nach den dargestellten rechtlichen Maßstäben vertretbar, so kann das Revisionsgericht nicht auf der Grundlage einer abweichenden Beurteilung der Bedeutung einer Indiztatsache in die Überzeugungsbildung des Tatrichters eingreifen (BGH, Urteil vom 9. Juni 2005 - 3 StR 269/04, NJW 2005, 2322, 2326). Dies muss insbesondere auch dann gelten, wenn der Tatrichter im Rahmen der Prüfung des bedingten Tötungsvorsatzes Gewalthandlungen des Täters festgestellt hat, die für das Opfer objektiv lebensbedrohlich sind. Zwar hat der Bundesgerichtshof die auf der Grundlage der dem Täter bekannten Umstände zu bestimmende objektive Gefährlichkeit der Tathandlung als wesentlichen Indikator sowohl für das Wissens - als auch für das Willenselement des bedingten Vorsatzes angesehen (BGH, Urteil vom 23. Februar 2012 - 4 StR 608/11, NStZ 2012, 443) und bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen das Vorliegen beider Elemente als naheliegend bezeichnet (BGH, Urteile vom 28. Januar 2010 - 3 StR 533/09, NStZRR 2010, 144; vom 22. März 2012 - 4 StR 558/11, NJW 2012, 1524; vom 27. August 2009 - 3 StR 246/09, NStZ-RR 2009, 372). Dies bedeutet jedoch nicht, dass der Tatrichter der objektiven Gefährlichkeit der Tathandlung bei der Prüfung der subjektiven Tatseite von Rechts wegen immer die ausschlaggebende indizielle Bedeutung beizumessen hätte. Darin läge vielmehr eine vom Einzelfall gelöste Festlegung des Beweiswerts und der Beweisrichtung eines im Zusammenhang mit derartigen Delikten immer wieder auftretenden Indizes, die einer unzulässigen Beweisregel nahekäme und deshalb dem Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung (§ 261 StPO) widerspräche.
8
Nach alledem ist es bei der Prüfung des bedingten Tötungsvorsatzes - nicht anders als sonst bei der Würdigung der Beweise - aus revisionsrechtlicher Sicht erforderlich, aber auch ausreichend, sämtliche objektiven und subjektiven , für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände des Einzelfalles in eine individuelle Gesamtschau einzubeziehen und zu bewerten. Dies gilt auch für solche Beweisanzeichen, die sich auf den ersten Blick als ambivalent darstellen, die also dem Tatrichter, je nachdem, wie er sie im Einzelfall bewertet , rechtlich zulässige Schlüsse sowohl zu Gunsten als auch zu Lasten des Angeklagten ermöglichen. Eine rechtlich vertretbare tatrichterliche Entscheidung darüber, in welchem der möglichen, zueinander in einem Gegensatz stehenden Beweiszusammenhänge ein solcher Umstand im konkreten Fall indizielle Bedeutung entfaltet, ist vom Revisionsgericht hinzunehmen. Der Tatrichter kann in einem solchen Falle nicht gehalten sein, denselben Umstand nochmals in dem anderen Beweiszusammenhang zu erwägen und damit Gefahr zu laufen , sich zu seinem anderweitig gewonnenen Ergebnis zu Gunsten oder zu Lasten des Angeklagten in Widerspruch zu setzen (vgl. BGH, Urteil vom 9. Juni 2005 - 3 StR 269/04, NJW 2005, 2322, 2326).
9
b) Auch unter Berücksichtigung dieses tatrichterlichen Bewertungsspielraums werden die Ausführungen des Landgerichts den Anforderungen an die Prüfung des bedingten Tötungsvorsatzes nicht gerecht.
10
Zwar entzieht es sich revisionsgerichtlicher Kontrolle, mit welcher Bewertung und in welchem Beweiszusammenhang das Landgericht vorliegend das ambivalente Indiz, dass der Angeklagte nicht gezielt auf den Nebenkläger eingestochen , sondern eine Vielzahl unkontrollierter und unkoordinierter Stichbewegungen ausgeführt hat, in seine Gesamtwürdigung eingestellt hat. Doch erweisen sich die Urteilsgründe in der Frage, welche indizielle Bedeutung der den Tätlichkeiten vorangegangenen Ankündigung des Angeklagten, wer Stress mache , den steche er ab, beizumessen ist, als teilweise widersprüchlich und lückenhaft. Denn während das Landgericht aus dieser von einem Vorzeigen des Messers mit ausgefahrener Klinge am ausgestreckten Arm begleiteten Bemerkung im Zusammenhang mit der später zum Nachteil eines weiteren Geschädigten verübten Tat die sowohl für das kognitive als auch für das voluntative Vorsatzelement wesentliche Folgerung gezogen hat, dem Angeklagten sei die Möglichkeit, mit dem Messer nicht nur verletzende, sondern auch tödliche Stiche versetzen zu können, bewusst und er sei hierzu jedenfalls grundsätzlich auch bereit gewesen, hat es ihr für die Tat zum Nachteil des Nebenklägers die allein für das Wissenselement bedeutsame Kenntnis um die Eignung des Messers zur Beibringung tödlicher Verletzungen entnommen. Bestand aber bereits vor Beginn der Tätlichkeiten eine grundsätzliche Bereitschaft des Angeklagten, im Rahmen der erwarteten Auseinandersetzung gegebenenfalls auch tödliche Stiche zu versetzen, dann bedurfte es der Erörterung, warum der Angeklagte erst bei der Tat zum Nachteil des anderen Geschädigten, dagegen noch nicht schon bei der vorangegangenen Tat zum Nachteil des Nebenklägers die Gefahr eines möglichen Todeseintritts in Kauf nahm.
11
Auf diesem Rechtsfehler beruht das Urteil. Entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts kann den Feststellungen nicht entnommen werden, dass der Angeklagte von einem möglichen Tötungsversuch zurückgetreten wä- re. Zwar lässt sich den Urteilsgründen entnehmen, dass der Angeklagte wahrnahm , wie der Nebenkläger sich aufrichtete, sich aber gleichwohl abwandte und davonging. Doch wurden Feststellungen zu der Vorstellung des Angeklagten über die Folgen der von ihm gesetzten Stiche, die Schlüsse auf einen möglichen Rücktrittshorizont zuließen, nicht getroffen.
12
Die teilweise Aufhebung des Schuldspruchs entzieht der verhängten Einheitsjugendstrafe die Grundlage.
Becker Schäfer RiBGH Mayer befindet sich im Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben. Becker Gericke Spaniol

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 599/11
vom
26. April 2012
in der Strafsache
gegen
wegen schwerer räuberischer Erpressung
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 26. April
2012, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Ernemann,
Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
Richter am Bundesgerichtshof
Cierniak,
Dr. Mutzbauer,
Bender
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 14. Juni 2011 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte freigesprochen worden ist.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die Revision des Angeklagten gegen das vorgenannte Urteil wird verworfen.
4. Der Angeklagte trägt die Kosten seines Rechtsmittels.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer räuberischer Erpressung in zwei Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und zehn Monaten verurteilt. Vom Vorwurf, einen weiteren Raubüberfall begangen zu haben, hat es den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Mit ihrer auf die Sachrüge und mehrere Verfahrensbeschwerden gestützten Revision beanstandet die Staatsanwaltschaft den Teilfreispruch. Der Angeklagte wendet sich mit seinem die Verletzung materiellen Rechts geltend machenden Rechtsmittel gegen die Verurteilung.
2
Die vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft hat mit der Sachrüge Erfolg, so dass es einer Erörterung der erhobenen Verfahrensbeanstandungen nicht bedarf. Das Rechtsmittel des Angeklagten ist unbegründet.

I.


3
Nach den zum Schuldspruch getroffenen Feststellungen schloss sich der Angeklagte in Weißrussland einer um H. bestehenden Bande an, die sich mit der Planung, Organisation und Durchführung von Banküberfällen in Deutschland befasste. Zur Begehung der Überfälle auf die von H. ausgewählten Banken reisten die Täter aus Weißrussland nach Deutschland und hielten sich nur für kurze Zeit im Inland auf. Der Angeklagte unterwarf sich den Regeln der Bande und ließ sich Ende September 2010 nach Deutschland schleusen. Am 1. und 12. Oktober 2010 beging er in K. und M. gemeinsam mit dem früheren Mitangeklagten R. jeweils unter Verwendung einer ungeladenen Schreckschusspistole zwei Banküberfälle, bei welchen 13.445 Euro und 24.950 Euro erbeutet wurden. Im Anschluss an die Tat am 12. Oktober 2010 in M. wurden der Angeklagte und sein Tatgenosse in der Nähe des Tatorts mit dem erbeuteten Bargeld festgenommen.
4
Hinsichtlich des Vorwurfs, am 15. Mai 2009 in L. zusammen mit einem Anderen eine Filiale der Sparkasse überfallen zu haben, ist das Verfahren in der Hauptverhandlung nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellt worden.
5
Von dem weiteren in der Anklage der Staatsanwaltschaft Essen vom 14. Januar 2011 erhobenen Vorwurf, am 22. Mai 2009 mit einem Tatgenossen einen Überfall auf eine Sparkasse in W. - verübt zu haben, hat das Landgericht den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Nach Auffassung der Strafkammer ist dem Angeklagten eine Beteiligung an dieser Tat nicht nachzuweisen, obwohl die bei dem Überfall am 22. Mai 2009 von der Überwachungskamera gefertigten Lichtbilder nach dem Ergebnis eines morphologischen Vergleichsgutachtens als einen der Täter mit Wahrscheinlichkeit den Angeklagten zeigen und an einem weißen Kapuzenpullover, den einer der Täter bei dem in L. am 15. Mai 2009 – sieben Tage vor der angeklagten Tat – verübten Überfall getragen hatte, u.a. eine DNA-Spur gesichert werden konnte, die mit einer Wahrscheinlichkeit von 1 : 10 Milliarden dem Angeklagten als Spurenverursacher zugeordnet werden kann.

II.


6
Revision der Staatsanwaltschaft
7
Der Teilfreispruch hält einer materiell-rechtlichen Prüfung nicht stand. Die Ausführungen der Strafkammer zur Begründung des Freispruchs entsprechen nicht den formellen Anforderungen, die gemäß § 267 Abs. 5 Satz 1 StPO an ein freisprechendes Urteil zu stellen sind. Zudem begegnen der Beweiswürdigung des Landgerichts durchgreifende rechtliche Bedenken.
8
1. Bei einem Freispruch aus tatsächlichen Gründen muss der Tatrichter grundsätzlich nach der Mitteilung des Anklagevorwurfs im Urteil zunächst diejenigen Feststellungen in einer geschlossenen Darstellung bezeichnen, die er für erwiesen hält, bevor er in der Beweiswürdigung dartut, aus welchen Gründen die für einen Schuldspruch notwendigen zusätzlichen Feststellungen nicht getroffen werden konnten. Die Begründung muss so abgefasst sein, dass das Revisionsgericht prüfen kann, ob dem Tatrichter bei der Beweiswürdigung Rechts- fehler unterlaufen sind, insbesondere ob der den Entscheidungsgegenstand bildende Sachverhalt erschöpfend gewürdigt ist (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 27. Januar 2011 – 4 StR 487/10, NStZ-RR 2011, 275, 276; vom 23. Juli 2008 – 2 StR 150/08, NJW 2008, 2792, 2793; vom 14. Februar 2008 – 4 StR 317/07, NStZ-RR 2008, 206, 207). Diesen Anforderungen wird das an- gefochtene Urteil nicht gerecht. Die Urteilsgründe lassen jegliche Darstellung des festgestellten Tatgeschehens vermissen. Es bleibt daher offen, welche Erkenntnisse zur Identität der Täter des am 22. Mai 2009 verübten Überfalls die Strafkammer hat gewinnen können. Die Ausführungen zur Beweiswürdigung lassen lediglich erkennen, dass der Angeklagte auf den während des Überfalls aufgenommenen Lichtbildern der Überwachungskamera seinen Nachbarn in Weißrussland L. als einen der Täter identifiziert hat und der Zeuge B. in einem gesondert geführten Verfahren vom Vorwurf der Beteiligung an diesem Überfall rechtskräftig freigesprochen worden ist. Auf dieser Grundlage ist es dem Senat nicht möglich zu beurteilen, ob die Annahme der Strafkammer, eine Täterschaft des Angeklagten sei nicht nachzuweisen, auf einer den entscheidungserheblichen Sachverhalt ausschöpfenden Beweiswürdigung beruht.
9
2. Das Revisionsgericht hat es regelmäßig hinzunehmen, wenn der Tatrichter einen Angeklagten freispricht, weil er Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag. Denn die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters (§ 261 StPO). Ihm obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen (vgl. BGH, Urteil vom 7. Oktober 1966 – 1 StR 305/66, BGHSt 21, 149, 151). Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Juni 1979 – 4 StR 441/78, BGHSt 29, 18, 20). Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich allein darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind.
Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 18. Januar 2011 – 1 StR 600/10, NStZ 2011, 302; vom 6. November 1998 – 2 StR 636/97, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 16). Insbesondere sind die Beweise erschöpfend zu würdigen (BGH, Beschluss vom 7. Juni 1979 – 4 StR 441/78 aaO). Das Urteil muss erkennen lassen, dass der Tatrichter solche Umstände, die geeignet sind, die Entscheidung zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat (vgl. BGH, Urteil vom 14. August 1996 – 3 StR 183/96, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 11). Aus den Urteilsgründen muss sich ferner ergeben, dass die einzelnen Beweisergebnisse nicht nur isoliert gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt wurden (BGH, Urteil vom 23. Juli 2008 – 2 StR 150/08 aaO). Rechtsfehlerhaft ist eine Beweiswürdigung schließlich dann, wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt sind (vgl. BGH, Urteile vom 6. November 1998 – 2 StR 636/97 aaO; vom 26. Juni 2003 – 1 StR 269/02, NStZ 2004, 35, 36). Es ist weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zu Gunsten des Angeklagten von Annahmen auszugehen, für deren Vorliegen das Beweisergebnis keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte erbracht hat (vgl. BGH, Urteile vom 18. August 2009 – 1 StR 107/09, NStZ-RR 2010, 85, 86; vom 21. Oktober 2008 – 1 StR 292/08, NStZ-RR 2009, 90, 91).
10
Dem wird die Beweiswürdigung des Landgerichts nicht in jeder Hinsicht gerecht.
11
a) Die Bewertung der Einlassung des Angeklagten beruht auf einer unvollständigen Würdigung. Das Landgericht hat der Einlassung des Angeklagten weder für sich noch in einer Zusammenschau mit den weiteren Beweisergebnissen eine für die Täterschaft des Angeklagten sprechende Beweisbedeutung beigemessen, weil sie widersprüchlich und im Ergebnis unverständlich geblieben sei. Dabei hat es die Strafkammer versäumt, sich mit dem Inhalt der Angaben des Angeklagten im Einzelnen näher auseinanderzusetzen, die sich daraus ergebenden Widersprüche zu bewerten und auf dieser Grundlage zu prüfen, ob nicht Teile der Angaben gegebenenfalls in Verbindung mit den übrigen Ergebnissen der Beweisaufnahme geeignet erscheinen, den Angeklagten im Sinne des Anklagevorwurfes zu belasten. So wäre zu erörtern gewesen, dass der Angeklagte die Tat am 22. Mai 2009 in W. – neben dem Überfall am 15. Mai 2009 und einem weiteren Banküberfall in H. – nicht nur pauschal eingeräumt, sondern sich selbst auf den während des Überfalls gefertigten Lichtbildern der Überwachungskamera als einen der Täter wiedererkannt hat, was mit der gleichzeitigen Behauptung, aber nicht „da gewesen“ zu sein, offenkundig nicht zu vereinbaren ist. Auch weist das Urteil auf einen Banküberfall in H. hin; dessen Tatzeit (28. Mai 2009) wäre mit der Einlassung, im Jahr 2009 nicht in Deutschland gewesen zu sein, unvereinbar. Die Angaben des Angeklagten zum eigenen Wiedererkennen hätten schließlich in die Würdigung des morphologischen Vergleichsgutachtens mit einbezogen werden und Anlass für die Erwägung geben müssen, ob das Ergebnis des Gutachtens und die Angaben des Angeklagten in einer Gesamtschau eine hinreichend sichere Identifizierung des Angeklagten ermöglichen.
12
b) Die Überlegungen der Strafkammer, mit welchen sie der dem Angeklagten mit hoher Wahrscheinlichkeit zuzuordnenden DNA-Spur auf dem nach der Tat in L. am 15. Mai 2009 sichergestellten Kapuzenpullover jeglichen Indizwert für eine Täterschaft des Angeklagten abgesprochen hat, sind ebenfalls lückenhaft. Das Landgericht hat die Einlassung des Angeklagten, er habe zum damaligen Zeitpunkt in einer Grenzstadt gelebt, viele Freunde gehabt , die nach Deutschland gefahren seien, und mit diesen eigentlich regelmäßig Kleidungsstücke – darunter auch einen solchen Kapuzenpullover – getauscht , als unwiderlegt angesehen. Konkrete tatsächliche Anhaltspunkte für die Richtigkeit dieser Behauptung hat es nicht festgestellt. Die Einlassung wird entgegen der Ansicht der Strafkammer auch nicht durch die im Urteil wiedergegebene Aussage des Zeugen S. bestätigt. Denn die Bekundungendes Zeugen, wonach die bei den Überfällen von den Tätern getrageneBekleidung jeweils von H. besorgt worden sei, lässt sich mit den Angaben des Angeklagten, mit nach Deutschland reisenden Freunden regelmäßig Kleidungsstücke ausgetauscht zu haben, in tatsächlicher Hinsicht ohne ergänzende , von der Strafkammer nicht vorgenommenen Erläuterungen nicht in Einklang bringen. Die Aussagen des Zeugen S. lässt zudem gerade die Möglichkeit offen, dass der Kapuzenpullover dem Angeklagten durch H. vor dem Überfall zur Verfügung gestellt und vom Angeklagten bei Begehung der Tat getragen wurde. Auch dies hat das Landgericht erkennbar nicht bedacht.

III.


13
Revision des Angeklagten
14
Die Revision des Angeklagten hat in der Sache keinen Erfolg. Die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung hat zum Schuld- und Strafausspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
Ernemann Roggenbuck Cierniak
Mutzbauer Bender

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 158/12
vom
20. September 2012
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlag u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
20. September 2012, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Schäfer,
Mayer,
Gericke,
Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Spaniol
als beisitzende Richter,
Staatsanwältin
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwältin
als Verteidigerin des Angeklagten,
Rechtsanwalt
als Vertreter des Nebenklägers,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Nebenklägers R. wird das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 18. Oktober 2011 mit den zugehörigen Feststellungen ausgehoben 1. soweit der Angeklagte im Fall B. I. der Urteilsgründe wegen gefährlicher Körperverletzung zum Nachteil dieses Nebenklägers verurteilt worden ist; 2. im Ausspruch über die Jugendstrafe.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit versuchtem Totschlag, sowie wegen schweren Raubes zu der Jugendstrafe von vier Jahren und drei Monaten verurteilt. Während die Schuldsprüche wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit versuchtem Totschlag sowie wegen schweren Raubes in Rechtskraft erwachsen sind, beanstandet der Nebenkläger R. mit seiner auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revision, dass das Landgericht bei der zu seinem Nachteil begangenen Tat einen bedingten Tötungsvorsatz des Angeklagten nicht festgestellt und diesen insoweit nur wegen gefährlicher Körperverletzung, nicht aber wegen tateinheitlich begangenen versuchten Totschlags verurteilt hat. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts befand sich der Angeklagte am 29. Mai 2010 am Rheinufer in Düsseldorf, um dort mit anderen den sogenannten Japan-Tag zu begehen. Ganz in der Nähe hatten sich andere junge Leute, unter ihnen der Nebenkläger, niedergelassen, die aus der Gruppe des Angeklagten heraus mit Steinchen beworfen wurden, was zu verbalen Reaktionen führte. Die dadurch hervorgerufene Unruhe bekam auch der Angeklagte mit, der unvermittelt ein mitgeführtes Springmesser hervorzog, mit ausgefahrener Klinge am ausgestreckten Arm vor sich hielt und schrie, wer hier Stress mache, den steche er ab. Als es in der Folge zu auch körperlichen Auseinandersetzungen zwischen den Mitgliedern beider Gruppen kam, griff der Angeklagte auf Seiten seiner Freunde ein, indem er mit dem Messer in der Faust auf den Nebenkläger, der von anderen zu Boden gebracht worden war und im Begriff stand, sich unter Abwehr seiner Gegner aufzurichten, zustürzte und "im Bewusstsein in der konkreten Art der jetzigen Anwendung Lebensgefährlichkeit des Messers" in schneller Folge vielfach auf diesen einstach. Dabei führte er möglicherweise zwanzig oder mehr unkontrollierte und unkoordinierte Stichbewegungen aus. Der Nebenkläger wurde im Bereich des Rückens, der Schulter und des linken Armes neun Mal vom Messer des Angeklagten getroffen, wobei die beiden tiefsten Einstiche einen vier bis fünf Zentimeter tiefen Stichkanal aufwiesen, von denen einer bis hinter das Bauchfell reichte. Die Stiche, die nicht lebensbedrohlich waren, führten zu keinen Organverletzungen. Während ein anderer beruhigend auf den Angeklagten einredete, nahm dieser wahr, wie der Nebenkläger sich aufrichtete, wandte sich aber ab und ging davon, wobei er in der Folge mit einem gezielten und wuchtigen Stich in den Rücken eines weiteren Geschädigten die von der Strafkammer rechtskräftig als versuchter Totschlag in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung abgeurteilte Tat beging.
3
Das Landgericht hat die Tat zum Nachteil des Nebenklägers als gefährliche Körperverletzung - mittels eines gefährlichen Werkzeugs und einer das Leben gefährdenden Behandlung sowie gemeinschaftlich begangen - gewürdigt und ausgeführt, es habe sich nicht die Überzeugung verschaffen können, dass der Angeklagte beim Einstechen auf den Nebenkläger mit bedingtem Vorsatz gehandelt habe. Zwar habe er kurze Zeit vor der Tat durch seine Äußerung eine hohe Gewaltbereitschaft und Kenntnis davon gezeigt, dass das geführte Messer zur Beibringung tödlicher Verletzungen geeignet sei. Doch habe er auf den Oberkörper des Nebenklägers nicht gezielt eingestochen, sondern im bewegten Geschehen des fortdauernden Kampfes in schneller Folge eine Vielzahl unkontrollierter und unkoordinierter Stichbewegungen ausgeführt, von denen viele das Opfer verfehlt oder nur gestreift hätten. Auch wenn es sich dabei um schwerwiegende Gewalthandlungen gehandelt habe, die die billigende Inkaufnahme des Todeseintritts nicht fernliegend erscheinen ließen, lasse sich aus dieser objektiven Gefährlichkeit wegen des wahllosen Einstechens auf den Nebenkläger, das ein bewusstes Zielen auf besonders empfindliche Körperregionen oder gar lebenswichtige Organe nicht habe erkennen lassen, ein hinreichend sicherer und vernünftigen Zweifeln Schweigen gebietender Schluss auf eine billigende Inkaufnahme des Todes des Nebenklägers als mögliche Folge der Tathandlung nicht ziehen.
4
2. Die Beweiswürdigung zur subjektiven Tatseite hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
5
a) Bedingt vorsätzliches Handeln setzt voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fern liegend erkennt, weiter, dass er ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen mit der Tatbestandsverwirklichung zumindest abfindet. Da die Schuldformen des bedingten Vorsatzes und der bewussten Fahrlässigkeit im Grenzbereich eng beieinander liegen, müssen vor der Annahme bedingten Vorsatzes beide Elemente der inneren Tatseite, also sowohl das Wissens- als auch das Willenselement, umfassend geprüft und gegebenenfalls durch tatsächliche Feststellungen belegt werden (vgl. BGH, Urteil vom 28. Januar 2010 - 3 StR 533/09, NStZRR 2010, 144). Hierzu bedarf es einer Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände des Einzelfalles, in welche vor allem die objektive Gefährlichkeit der Tathandlung, die konkrete Angriffsweise des Täters, seine psychische Verfassung bei der Tatbegehung und seine Motivationslage mit einzubeziehen sind (BGH, Urteile vom 22. März 2012 - 4 StR 558/11, NJW 2012, 1524; vom 23. Februar 2012 - 4 StR 608/11, NStZ 2012, 443; vom 27. August2009 - 3 StR 246/09, NStZ-RR 2009, 372).
6
Kann der Tatrichter auf der Grundlage dieser Gesamtbewertung aller Umstände Zweifel an der subjektiven Tatseite nicht überwinden, so hat das Revisionsgericht dies regelmäßig hinzunehmen, denn die Beweiswürdigung ist vom Gesetz dem Tatrichter übertragen (§ 261 StPO). Es obliegt allein ihm, sich unter dem umfassenden Eindruck der Hauptverhandlung ein Urteil über die Schuld oder Unschuld des Angeklagten zu bilden. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein; es genügt, dass sie möglich sind. Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich allein darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder an die Überzeugung von der Schuld des Angeklagten überhöhte Anforderungen stellt. Liegen solche Rechtsfehler nicht vor, hat das Revisionsgericht die tatrichterliche Überzeugungsbildung auch dann hinzunehmen, wenn eine abweichende Würdigung der Beweise möglich oder sogar näher liegend gewesen wäre (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 26. April 2012 - 4 StR 599/11 mwN).
7
Gleichermaßen Sache des Tatrichters ist es, die Bedeutung und das Gewicht der einzelnen be- oder entlastenden Indizien in der Gesamtwürdigung des Beweisergebnisses zu bewerten. Ist diese Bewertung nach den dargestellten rechtlichen Maßstäben vertretbar, so kann das Revisionsgericht nicht auf der Grundlage einer abweichenden Beurteilung der Bedeutung einer Indiztatsache in die Überzeugungsbildung des Tatrichters eingreifen (BGH, Urteil vom 9. Juni 2005 - 3 StR 269/04, NJW 2005, 2322, 2326). Dies muss insbesondere auch dann gelten, wenn der Tatrichter im Rahmen der Prüfung des bedingten Tötungsvorsatzes Gewalthandlungen des Täters festgestellt hat, die für das Opfer objektiv lebensbedrohlich sind. Zwar hat der Bundesgerichtshof die auf der Grundlage der dem Täter bekannten Umstände zu bestimmende objektive Gefährlichkeit der Tathandlung als wesentlichen Indikator sowohl für das Wissens - als auch für das Willenselement des bedingten Vorsatzes angesehen (BGH, Urteil vom 23. Februar 2012 - 4 StR 608/11, NStZ 2012, 443) und bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen das Vorliegen beider Elemente als naheliegend bezeichnet (BGH, Urteile vom 28. Januar 2010 - 3 StR 533/09, NStZRR 2010, 144; vom 22. März 2012 - 4 StR 558/11, NJW 2012, 1524; vom 27. August 2009 - 3 StR 246/09, NStZ-RR 2009, 372). Dies bedeutet jedoch nicht, dass der Tatrichter der objektiven Gefährlichkeit der Tathandlung bei der Prüfung der subjektiven Tatseite von Rechts wegen immer die ausschlaggebende indizielle Bedeutung beizumessen hätte. Darin läge vielmehr eine vom Einzelfall gelöste Festlegung des Beweiswerts und der Beweisrichtung eines im Zusammenhang mit derartigen Delikten immer wieder auftretenden Indizes, die einer unzulässigen Beweisregel nahekäme und deshalb dem Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung (§ 261 StPO) widerspräche.
8
Nach alledem ist es bei der Prüfung des bedingten Tötungsvorsatzes - nicht anders als sonst bei der Würdigung der Beweise - aus revisionsrechtlicher Sicht erforderlich, aber auch ausreichend, sämtliche objektiven und subjektiven , für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände des Einzelfalles in eine individuelle Gesamtschau einzubeziehen und zu bewerten. Dies gilt auch für solche Beweisanzeichen, die sich auf den ersten Blick als ambivalent darstellen, die also dem Tatrichter, je nachdem, wie er sie im Einzelfall bewertet , rechtlich zulässige Schlüsse sowohl zu Gunsten als auch zu Lasten des Angeklagten ermöglichen. Eine rechtlich vertretbare tatrichterliche Entscheidung darüber, in welchem der möglichen, zueinander in einem Gegensatz stehenden Beweiszusammenhänge ein solcher Umstand im konkreten Fall indizielle Bedeutung entfaltet, ist vom Revisionsgericht hinzunehmen. Der Tatrichter kann in einem solchen Falle nicht gehalten sein, denselben Umstand nochmals in dem anderen Beweiszusammenhang zu erwägen und damit Gefahr zu laufen , sich zu seinem anderweitig gewonnenen Ergebnis zu Gunsten oder zu Lasten des Angeklagten in Widerspruch zu setzen (vgl. BGH, Urteil vom 9. Juni 2005 - 3 StR 269/04, NJW 2005, 2322, 2326).
9
b) Auch unter Berücksichtigung dieses tatrichterlichen Bewertungsspielraums werden die Ausführungen des Landgerichts den Anforderungen an die Prüfung des bedingten Tötungsvorsatzes nicht gerecht.
10
Zwar entzieht es sich revisionsgerichtlicher Kontrolle, mit welcher Bewertung und in welchem Beweiszusammenhang das Landgericht vorliegend das ambivalente Indiz, dass der Angeklagte nicht gezielt auf den Nebenkläger eingestochen , sondern eine Vielzahl unkontrollierter und unkoordinierter Stichbewegungen ausgeführt hat, in seine Gesamtwürdigung eingestellt hat. Doch erweisen sich die Urteilsgründe in der Frage, welche indizielle Bedeutung der den Tätlichkeiten vorangegangenen Ankündigung des Angeklagten, wer Stress mache , den steche er ab, beizumessen ist, als teilweise widersprüchlich und lückenhaft. Denn während das Landgericht aus dieser von einem Vorzeigen des Messers mit ausgefahrener Klinge am ausgestreckten Arm begleiteten Bemerkung im Zusammenhang mit der später zum Nachteil eines weiteren Geschädigten verübten Tat die sowohl für das kognitive als auch für das voluntative Vorsatzelement wesentliche Folgerung gezogen hat, dem Angeklagten sei die Möglichkeit, mit dem Messer nicht nur verletzende, sondern auch tödliche Stiche versetzen zu können, bewusst und er sei hierzu jedenfalls grundsätzlich auch bereit gewesen, hat es ihr für die Tat zum Nachteil des Nebenklägers die allein für das Wissenselement bedeutsame Kenntnis um die Eignung des Messers zur Beibringung tödlicher Verletzungen entnommen. Bestand aber bereits vor Beginn der Tätlichkeiten eine grundsätzliche Bereitschaft des Angeklagten, im Rahmen der erwarteten Auseinandersetzung gegebenenfalls auch tödliche Stiche zu versetzen, dann bedurfte es der Erörterung, warum der Angeklagte erst bei der Tat zum Nachteil des anderen Geschädigten, dagegen noch nicht schon bei der vorangegangenen Tat zum Nachteil des Nebenklägers die Gefahr eines möglichen Todeseintritts in Kauf nahm.
11
Auf diesem Rechtsfehler beruht das Urteil. Entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts kann den Feststellungen nicht entnommen werden, dass der Angeklagte von einem möglichen Tötungsversuch zurückgetreten wä- re. Zwar lässt sich den Urteilsgründen entnehmen, dass der Angeklagte wahrnahm , wie der Nebenkläger sich aufrichtete, sich aber gleichwohl abwandte und davonging. Doch wurden Feststellungen zu der Vorstellung des Angeklagten über die Folgen der von ihm gesetzten Stiche, die Schlüsse auf einen möglichen Rücktrittshorizont zuließen, nicht getroffen.
12
Die teilweise Aufhebung des Schuldspruchs entzieht der verhängten Einheitsjugendstrafe die Grundlage.
Becker Schäfer RiBGH Mayer befindet sich im Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben. Becker Gericke Spaniol

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 65/05
vom
12. Juli 2005
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen schwerer Körperverletzung
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 12. Juli 2005,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Kolz,
Hebenstreit,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Elf,
der Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Graf,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
- für den Angeklagten Ha. L. -
Rechtsanwalt
- für die Angeklagte H. L. -
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Ellwangen vom 8. Oktober 2004 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine Strafkammer des Landgerichts Stuttgart zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:


Das Landgericht hat die Angeklagten wegen schwerer Körperverletzung jeweils zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren unter Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Gegen dieses Urteil hat die Staatsanwaltschaft zum Nachteil der Angeklagten Revision eingelegt, mit der sie Verfahrensrügen und die Sachrüge erhebt. Sie erstrebt eine Verurteilung der Angeklagten wegen wissentlicher schwerer Körperverletzung nach § 226 Abs. 2 StGB, der eine Mindestfreiheitsstrafe von drei Jahren vorsieht, und wegen tateinheitlich angeklagter Mißhandlung von Schutzbefohlenen im Sinne von § 225 Abs. 3 Nr. 1 und Nr. 2 StGB. Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft, das vom Generalbundesanwalt ver-
treten wird, hat mit der Sachbeschwerde Erfolg. Eines Eingehens auf die Verfahrensrügen bedarf es daher nicht. I. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen: 1. Das Tatopfer ist die am 29. August 1988 geborene jüngste Tochter E. der Angeklagten. Sie hat zwei inzwischen erwachsene Schwestern Ev. und Ey. . Ab Juli 1997 wohnte die Familie nach Verlust ihres Eigenheims in verschiedenen Ferienhäusern. Sie schottete sich nach außen hin ab. Alle drei Töchter gingen ab diesem Zeitpunkt nicht mehr zur Schule. Deshalb schalteten sich die Jugendämter ein. Im Jahre 1999 verbrachten die Töchter auf Veranlassung des zuständigen Jugendamtes ca. vier Monate in einem Jugendheim. Bereits damals wurden schwere psychopathologische Störungen und Fehlernährung festgestellt. Ende September 2000 wurden die minderjährigen Töchter, nach Entziehung der elterlichen Sorge, in einer geschlossenen jugendpsychiatrischen Einrichtung untergebracht. Alle drei litten an einer psychiatrischen Erkrankung. Bei der 17jährigen Ev. wurde ein Körpergewicht von 28,6 kg, bei der 15jährigen Ey. ein solches von 32,6 kg und bei der 12jährigen Er. eines von 24,8 kg festgestellt. Sie wurden notfallmäßig in verschiedene Kinderkliniken verlegt. Dort mußten sie intravenös oder mittels Magensonde ernährt, teils auch künstlich beatmet werden. BeiE. zeigten sich verlangsamte Reaktionen und fehlende Urinausscheidung. Am 24. Dezember 2000 durften die Eltern ihre Kinder besuchen und entführten sie alle drei. Aufgrund einer polizeilichen Fahndung wurde die Familie am 12. Januar 2001 ausfindig gemacht. Die Eltern verbüßten mehrere Monate Untersuchungshaft. Die Kinder kamen wieder in Kliniken. Aufgrund eines eingeholten Gutachtens erhielten die Eltern Anfang Juni 2001 die elterliche Sorge zurück mit Ausnahme
regelmäßiger Untersuchungen des Körpergewichts und der Stoffwechseltätigkeit. Danach stellten die Eltern die Kinder nur einmal, Ende Juni 2001 einem Arzt vor. Sämtliche Versuche des zuständigen Jugendamtes, den Gesundheitszustand der Kinder zu überprüfen, scheiterten. Am 10. Oktober 2003 beschloß das Amtsgericht Bad Mergentheim schließlich auf einen Antrag des Jugendamtes vom September 2002 die zwangsweise Vorführung der jetzt allein noch minderjährigen Tochter E. zur ärztlichen Untersuchung. Dagegen legten die Angeklagten Beschwerde ein. Am 14. Oktober 2003 sicherte der angeklagte Vater dem Jugendamt telefonisch und am 20. Oktober 2003 per Telefax zu, daß E. sich freiwillig vom Hausarzt untersuchen lassen werde. Am 21. Oktober 2003 setzte das Oberlandesgericht Stuttgart im Wege einer einstweiligen Anordnung die Vollziehung des angefochtenen Beschlusses des Amtsgerichts aus. An dem vom Vater mitgeteilten Untersuchungstermin vom 26. Oktober 2003 erschien E. nicht. Auf Antrag der Angeklagten vom 3. November 2003 erreichten sie eine Verlängerung der Frist zur Begründung ihrer Beschwerde bis zum 5. Dezember 2003. 2. Ab Mitte Oktober 2003, nach Kenntnis des Beschlusses, in dem die zwangsweise Vorführung zur ärztlichen Untersuchung angeordnet wurde, verschlechterte sich E. s Gesundheitszustand zunehmend. Sie hatte eine panische Angst davor, wieder zwangsweise aus der Familie herausgeholt zu werden , mit der Folge, daß sie kaum noch aß. Das Landgericht geht davon aus, daß die Versuche ihrer Eltern, sie zum Essen zu bewegen und sich freiwillig untersuchen zu lassen, erfolglos waren. In ihrer ablehnenden Haltung wurde sie von ihren Schwestern unterstützt. E. nahm immer mehr ab, so daß sie kaum noch ihr Bett verlassen konnte. Die Angeklagten erkannten den fort-
schreitenden Gewichtsverlust und den immer schlechter werdenden Gesundheitszustand ihrer Tochter. Sie hofften jedoch - so weiter das Landgericht -, ihn wieder selbst beheben zu können. Diese Hoffnung hatten sie auch noch, als E. spätestens ab dem 14. November 2003 keine Flüssigkeit mehr zu sich nahm. Sie erkannten nunmehr, daß der Gesundheitszustand äußerst bedenklich war, unterließen es jedoch weiterhin, aus falsch verstandener Rücksichtsnahme gegenüber dem Willen E. s, bis zum 18. November 2003 ärztliche Hilfe herbeizuholen. Das Landgericht konnte nicht ausschließen, daß die Angeklagten hierbei aufgrund des hochgradig gestörten pathologischen Systems der Familie in ihrer Steuerungsfähigkeit wegen einer schweren anderen seelischen Abartigkeit erheblich eingeschränkt waren. Erst am 18. November 2003 kam E. durch Einweisung des Hausarztes, den der Angeklagte auf Weisung des von ihm zugezogenen Heilpraktikers benachrichtigt hatte, in einem lebensbedrohlichen Zustand ins Krankenhaus. Die 15jährige wog bei einer Körpergröße von 156 cm nur noch 21,2 kg und bestand lediglich aus "Haut und Knochen". Einen Tag später trat bei ihr ein MultiOrganversagen ein, so daß sie künstlich beatmet und in ein künstliches Koma versetzt werden mußte. Aus diesem Koma erwachte sie im Januar 2004. Zum damaligen Zeitpunkt bestand eine Schädigung des Gehirns und der Nerven. Bei der tatrichterlichen Hauptverhandlung - ca. zehn Monate nach der Einlieferung - war das Sehvermögen noch nicht wieder vollständig hergestellt. Sie saß im Rollstuhl und war unfähig ihre Beine zu bewegen. Ob die Bewegungsfähigkeit ihrer Beine wieder hergestellt werden kann, war nicht abschließend zu klären. Die eingetretenen Folgen, insbesondere die Lähmung der Beine hätten die Angeklagten aufgrund der dargestellten Vorgeschichte erkennen und durch rechtzeitiges Herbeiholen ärztlicher Hilfe verhindern können. Sie hofften jedoch , daß keine bleibenden Schäden eintreten würden.
3. Die Angeklagten haben von ihrem Schweigerecht Gebrauch gemacht. Die Feststellungen zum Kerngeschehen beruhen im wesentlichen auf den Aussagen der Töchter, die übereinstimmend angaben, daß sie ihre Eltern lieben und daß es die besten Eltern seien, die man sich wünschen könne. Die beiden Schwestern der Geschädigten wurden ca. eine Woche nach deren Einlieferung bei einer Hausdurchsuchung ebenfalls in abgemagertem und entkräftetem Zustand aufgefunden und aufgrund einer einstweiligen Anordnung in eine Klinik eingeliefert. Der psychiatrische Sachverständige bestätigte in vorliegendem Verfahren für alle drei Töchter eine schwere Persönlichkeitsstörung. II. Aufgrund dieser Feststellungen bejaht die Strafkammer bei bestehender Garantenpflicht eine Körperverletzung durch Unterlassen. Sie nimmt einen bedingten Körperverletzungsvorsatz und eine fahrlässige Verursachung der Lähmung der Beine gemäß § 226 Abs. 1 Nr. 3 StGB an. Von einer absichtlichen oder wissentlichen Verursachung dieser schweren Folge im Sinne von § 226 Abs. 2 StGB konnte sie sich nicht überzeugen. Eine Mißhandlung von Schutzbefohlenen bleibt unerörtert. III. Die Beweiswürdigung zur subjektiven Tatseite hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Beweiswürdigung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters. Sie ist etwa dann rechtsfehlerhaft, wenn sie lückenhaft ist, namentlich wesentliche Feststellungen nicht erörtert, widersprüchlich oder unklar ist, gegen Gesetze der Logik oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewißheit überspannte Anforderungen gestellt sind. Dies ist auch dann der Fall, wenn eine nach den Feststellungen naheliegende Schlußfolgerung nicht gezogen ist, ohne daß konkrete Gründe angeführt sind, die dieses Ergebnis stützen können. Es ist weder im Hinblick auf den Zweifels-
satz noch sonst geboten, zugunsten des Angeklagten Tatvarianten zu unterstellen , für deren Vorliegen keine konkreten Anhaltspunkte erbracht sind (st. Rspr., BGH NStZ-RR 2003, 371; BGH NStZ 2004, 35, 36 m.w.Nachw.). Alledem wird die Beweiswürdigung der Strafkammer in mehrfacher Hinsicht nicht gerecht. 1. Die Kammer hätte eine Körperverletzung durch positives Tun in ihre Erwägungen einbeziehen müssen. Wenn E. ab Kenntnis des Beschlusses vom 10. Oktober 2003 über die angeordnete zwangsweise Vorführung zur ärztlichen Untersuchung trotz der Aufforderungen ihrer Eltern eine freiwillige ärztliche Untersuchung ablehnte und die Eltern aus falsch verstandener Rücksichtsnahme den erklärten Willen akzeptierten, hätte die Kammer sich damit auseinandersetzen müssen, warum der angeklagte Vater dem Jugendamt am 14. Oktober und am 20. Oktober 2003 zusicherte,E. werde sich freiwillig vom Hausarzt untersuchen lassen. In diesem Zusammenhang wäre auch zu erörtern gewesen, warum Beschwerde gegen den Vorführungsbeschluß eingelegt und im vorläufigen Rechtsschutz die Aussetzung der Vollziehung erwirkt wurde. Die Motivation für den Antrag vom 3. November 2003 - nach fruchtlosem Verstreichen des mitgeteilten Hausarzttermins vom 26. Oktober 2003 -, mit dem die Verlängerung der Frist zur Begründung der Beschwerde bis zum 5. Dezember 2003 erreicht wurde, wäre ebenso in diese Erörterung einzubeziehen gewesen. Schon deshalb, weil die Angeklagten von ihrem Schweigerecht Gebrauch gemacht haben, ist die Feststellung sogenannter innerer Tatsachen - hier der Motive für ihr Handeln - nur durch Rückschlüsse möglich (BGH NJW 1991, 2094 m.w.Nachw.). Neben objektiven Umständen können auch Erkenntnisse zur Interessenlage von Angeklagten ein wichtiger Anhaltspunkt für innere Tatsachen sein (BGH NStZ 2004,
35). Die Vorgeschichte zeigt objektiv und deutlich, daß die Angeklagten über Jahre hinweg ihre Kinder der Kontrolle der Jugendämter entzogen haben. Ihre Interessenlage ging seit Jahren dahin, die Familie gegenüber der Außenwelt abzuschotten und total zu isolieren. Unter den gegebenen Umständen liegt die Schlußfolgerung auf täuschendes Verhalten und gewolltes Verhindern einer ärztlichen Untersuchung und Behandlung nahe. Danach bestimmt sich, ob die Angeklagten die Körperverletzung durch aktives Tun oder durch Unterlassen verursacht haben. Die Rechtsprechung stellt insoweit wertend auf den Schwerpunkt des Vorwurfs ab (BGHSt 6, 46, 59; 40, 257). Auf den aufgezeigten Erörterungsmängeln beruht das Urteil, da sie zu einem anderen Schuldgehalt führen können. 2. Die Verneinung einer wissentlich schweren Körperverletzung nach § 226 Abs. 2 StGB ist nicht tragfähig begründet. Da es sich hier um einen Qualifikationstatbestand handelt, ist auch insoweit der Schuldvorwurf betroffen (BGH NJW 2001, 980; BGHR StGB § 226 Abs. 2, schwere Körperverletzung 2). Zur Erfüllung des Tatbestandes reicht es aus, daß der Täter die schwere Körperverletzung als sichere Folge seines Handelns voraussieht (BGH aaO). Das Landgericht meinte nicht feststellen zu können, daß die Angeklagten schwerwiegende Folgen im Sinne von § 226 Abs. 2 StGB als sicheres Resultat ihres Unterlassens (bzw. ihrer Handlungen) voraussahen. Es hat insoweit eine Abgrenzung zur bewußten Fahrlässigkeit vorgenommen und letztere bejaht (UA S. 15, 18). Die Feststellung des Wissensfaktors beim direkten Vorsatz 2. Grades ist hier wiederum nur durch Rückschlüsse möglich. Die Tatvorgeschichte, insbesondere die Abmagerung der Töchter mit den eingetretenen Folgen im Jahre 2000 und das im Zusammenhang damit gezeigte Verhalten der Angeklagten, legt die Schlußfolgerung auf
deren Wissen um die schweren Folgen einer derart extremen Abmagerung nahe. Die Kammer hätte hier gerade diesen Teil der Vorgeschichte konkret in ihre Würdigung einbeziehen und erörtern müssen, warum die damaligen Erkenntnisse ein solches Wissen nicht stützen können. Wenn aber die Angeklagten schwerwiegende Folgen als sicher voraussahen, dann ist es ohne Bedeutung, daß sie auf deren Ausbleiben und darauf hofften, daß sich der Gesundheitszustand von E. wieder von selbst bessere (Tröndle/Fischer, StGB 52. Aufl. § 15 Rdn. 7). Derjenige, der die Handlung bzw. das Unterlassen will, will auch das, was er als sichere Folge ansieht. Im übrigen aber sind keinerlei Anknüpfungstatsachen für eine derartige Hoffnung, auf die die Kammer die fahrlässige Verursachung der schweren Folge stützt, ausdrücklich dargelegt oder aus einer Gesamtschau der Urteilsgründe zu entnehmen. Da die Angeklagten schweigen, versteht sich diese Hoffnung nicht von selbst. Es ist aus keinem rechtlichen Gesichtspunkt geboten, zugunsten der Angeklagten von Annahmen auszugehen, für deren Vorliegen das Beweisergebnis keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte erbracht hat (BGH NJW 2002, 2188, 2189 m.w.Nachw.). 3. Nach Überprüfung der subjektiven Tatseite in den dargelegten Punkten mag auch der Tatbestand der Mißhandlung von Schutzbefohlenen durch böswillige Vernachlässigung der rechtlichen Würdigung zugänglich sein. 4. Danach war das Urteil auf die Sachrüge der Staatsanwaltschaft wegen der die Angeklagten begünstigenden Rechtsfehler aufzuheben. Der Senat macht von der Möglichkeit Gebrauch, die Sache an ein anderes Landgericht zurückzuverweisen (§ 354 Abs. 2 Satz 1 StPO). IV. Der Senat sieht Anlaß zu folgendem Hinweis:
Ob die Steuerungsfähigkeit bei Begehung der Tat "erheblich" im Sinne von § 21 StGB vermindert war, ist eine Rechtsfrage, die der Tatrichter ohne Bindung an die Äußerungen von Sachverständigen in eigen er Verantwortung zu beantworten hat. Dabei fließen normative Überlegungen ein. Entscheidend sind die Anforderungen, die die Rechtsordnung an jedermann stellt (BGHSt 43, 66, 77 m.w.Nachw.). Nack Kolz Hebenstreit Elf Graf
24
aa) Dies gilt insbesondere auch für den Schluss der Kammer auf einen bedingten Vorsatz beider Angeklagter. Die Kammer hat sich (zwar unter teil- weise abweichender Formulierung, vgl. UA S. 16, 37: „konnten … erkennen“) davon überzeugt, dass die Angeklagten genau alle Umstände gekannt haben, die zur Verschlechterung des Gesundheitszustandes und damit zu Schmerzen und unnötigen Leiden führen mussten (UA S. 50), dass sie die fortlaufende Verschlechterung des Gesundheitszustandes erkannten (UA S. 15) und den fortschreitenden körperlichen Abbau bemerkten (UA S. 18) sowie dass sie auch alle für die eingetretene konkrete Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung und der erheblichen Schädigung der körperlichen Entwicklung des Nebenklägers kannten (UA S. 50). Diese Schlussfolgerung liegt angesichts des festgestellten Krankheitsverlaufs auch überaus nahe, war der Nebenkläger Ende 2002 doch schon durch massive Unterernährung, blaue Fingerkuppen und gravierende Lungenfunktionseinschränkung gleichsam vom nahenden Tod gezeichnet. Zudem haben – worauf das Landgericht zutreffend abstellt – sämtliche Zeugen (Geschwister, Lehrer) den kontinuierlichen und besorgniserregenden körperlichen Leistungsabbau ab Mitte 2001 bei dem Nebenkläger bemerkt, so dass nichts dafür spricht, dass lediglich die Angeklagten insoweit ahnungslos gewesen sind. All dies rechtfertigt im Zusammenhang mit den übrigen Feststellungen auch den Schluss der Kammer, die Angeklagten hätten – weil sie weitere unangenehme Auseinandersetzungen mit dem pubertär-schwierigen Jungen scheuten – die durch die Verschlechterung des Gesundheitszustandes entstandenen Schmerzen und Leiden des Nebenklägers ebenso billigend in Kauf genommen wie die konkrete Gefahr einer schweren Gesundheitsschädi- gung und einer erheblichen Schädigung der körperlichen Entwicklung und deshalb jeweils mit Eventualvorsatz gehandelt.
71
1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs unterfällt eine eigenverantwortlich gewollte und verwirklichte Selbstgefährdung grundsätzlich nicht den Tatbeständen eines Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts, wenn sich das mit der Gefährdung vom Opfer bewusst eingegangene Risiko realisiert. Wer eine solche Gefährdung veranlasst, ermöglicht oder fördert, kann daher nicht wegen eines Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts verurteilt werden ; denn er nimmt an einem Geschehen teil, welches – soweit es um die Strafbarkeit wegen Tötung oder Körperverletzung geht – kein tatbestandsmäßiger und damit kein strafbarer Vorgang ist (BGH, Urteile vom 14. Februar1984 – 1StR 808/83, BGHSt 32, 262, 264 f.; vom 7. August 1984 – 1 StR 200/84, NStZ 1985, 25, 26; vom 11. April 2000 – 1 StR 638/99, NStZ 2001, 205; vom 7. Februar 2001 – 5 StR 474/00, BGHSt 46, 279, 288 f.; vom 29. April 2009 – 1StR 518/08, BGHSt 53, 288, 290 Rn. 5; BGH, Beschluss vom 11. Januar 2011 – 5 StR 491/10, NStZ 2011, 341, 342). Diese Grundsätze gelten sowohl für die vorsätzliche als auch die fahrlässige Veranlassung, Ermöglichung oder Förderung einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung oder Selbstverletzung (einschließlich der Selbsttötung; vgl. BGH, Urteil vom 14. Februar 1984 – 1 StR 808/83, BGHSt 32, 262, 264 f.).

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 328/15
vom
5. August 2015
BGHSt: ja
BGHR: ja
Nachschlagewerk: ja
Veröffentlichung: ja
_____________________________
Eine bewusste Selbstgefährdung lässt grundsätzlich die Erfolgsabwendungspflicht
des eintrittspflichtigen Garanten nicht entfallen, wenn sich das allein auf
Selbstge- fährdung angelegte Geschehen erwartungswidrig in Richtung auf den
Verlust des Rechtsguts entwickelt.
BGH, Beschluss vom 5. August 2015 - 1 StR 328/15 - LG München I
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags durch Unterlassen u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 5. August 2015 gemäß § 349
Abs. 2 StPO beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 19. Dezember 2014 wird verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags durch Unterlassen und wegen erpresserischen Menschenraubs in Tateinheit mit versuchter schwerer räuberischer Erpressung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt.
2
Seine dagegen auf die ausgeführte Sachrüge gestützte Revision ist unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

I.


3
Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen tragen den Schuldspruch wegen Totschlags durch Unterlassen (§ 212 Abs. 1, § 13 Abs. 1 StGB) im Fall B.II.1. der Urteilsgründe (Geschehen vom 18. April 2013). Das Landgericht hat ohne Rechtsfehler den Angeklagten für rechtlich verpflichtet gehalten, den Tod des später verstorbenen A. zu verhindern und hat ihm den eingetretenen Tod des Geschädigten zu seinem Vorsatz zugerechnet.
4
1. Nach den auf einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung beruhenden Feststellungen hatten sich mehrere Personen, u.a. der Angeklagte und A. , bereits im Verlaufe des Nachmittags getroffen und gemeinsam Alkohol sowie verschiedene Betäubungsmittel konsumiert. Gegen Abend begab sich die Gruppe in die in einem größeren Gebäudekomplex gelegene Wohnung des Angeklagten. Dort nahmen die Anwesenden weiterhin u.a. Alkohol, Amphetamin und Cannabis zu sich. Im Verlaufe des Abends bot der Angeklagte den übrigen Personen in der Wohnung an, Gammabutyrolacton (GBL) zu konsumieren. Dieser Stoff befand sich unverdünnt in einer im Besitz des Angeklagten befindlichen Glasflasche. Außer dem nicht revidierenden Mitangeklagten F. ging keiner der sonstigen Anwesenden auf das Angebot ein. Nachdem der Angeklagte und der Mitangeklagte etwa zwei bis drei Milliliter GBL, verdünnt in einem halben Liter Wasser, konsumiert hatten, blieb die Flasche mit dem GBL frei zugänglich in der Wohnung des Angeklagten stehen. Spätestens nach dem eigenen Konsum wies der Angeklagte seine Gäste darauf hin, dass GBL nicht unverdünnt zu sich genommen werden dürfe.
5
Einige Zeit danach setzte der später verstorbene A. die Flasche mit dem unverdünnten GBL direkt an und trank eine durch das Landgericht nicht mehr näher feststellbare Menge der Substanz. Der Angeklagte und der Mitangeklagte , die von der Aufnahme einer tödlich wirkenden Menge ausgingen, versuchten erfolglos, A. zum Erbrechen zu veranlassen. Dieser verlor vielmehr das Bewusstsein. Nachdem A. in eine stabile Seitenlage gebracht worden war, beschränkte sich der Angeklagte – wie auch die übrigen Anwesenden darauf – die Atemfrequenz des bewusstlosen Geschädigten zu kontrol- lieren. Spätestens als der Angeklagte wahrnahm, dass A. lediglich noch alle sechs bis acht Sekunden atmete, nahm er billigend in Kauf, dass der Geschädigte ohne das unverzügliche Herbeirufen von ärztlicher Hilfe an den Folgen der Einnahme des unverdünnten GBL versterben werde. Dennoch blieb er untätig. Hätte er zu diesem Zeitpunkt medizinische Hilfe angefordert, wäre das Leben des Geschädigten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gerettet worden. Auch nachdem – vom Angeklagten wahrgenommen – die Atemfrequenz von A. noch niedriger, die Atmung zudem unregelmäßig und geräuschintensiv wurde, leitete der Angeklagte zunächst weiterhin keine Rettungsmaßnahmen ein.
6
Später wurde, nicht ausschließbar auf die Initiative des Angeklagten, ein erster Rettungswagen verständigt. Als der Angeklagte beobachtete, dass dieser Rettungswagen abfuhr, ohne A. aufgenommen zu haben, ließ er einen zweiten Rettungswagen herbeirufen. Dessen Besatzung unternahm Wiederbelebungsversuche. Diese führten jedoch nicht zum Erfolg. A. verstarb an einem durch den Konsum von GBL ausgelösten Atemstillstand und der dadurch bewirkten Sauerstoffunterversorgung des Gehirns.
7
2. Nach diesen Feststellungen hat sich der Angeklagte wegen Totschlags durch Unterlassen strafbar gemacht.
8
a) Der Angeklagte hatte im Sinne von § 13 Abs. 1 StGB rechtlich dafür einzustehen, dass der Tod des Geschädigten A. nach dessen Konsum von GBL nicht eintritt. Diese Pflicht zur Abwendung des Todeserfolgs resultierte aus der tatsächlichen Herrschaft des Angeklagten über die in seinem Besitz befindliche und von ihm in seiner Wohnung für die übrigen dort Anwesenden frei zugängliche Flasche mit dem hochgradig gesundheits- und lebensgefährlichen GBL.
9
aa) In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist anerkannt, dass jeder, der eine Gefahrenquelle schafft oder unterhält, die nach Lage der Verhältnisse erforderlichen Vorkehrungen zum Schutz anderer Personen zu treffen hat (BGH, Urteil vom 13. November 2008 – 4 StR 252/08, BGHSt 53, 38, 41 f. Rn. 16 mwN; siehe auch BGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – 2 StR 295/11, NStZ 2012, 319). Die entsprechende Pflicht beschränkt sich auf das Ergreifen solcher Maßnahmen, die nach den Gesamtumständen zumutbar sind und die ein verständiger und umsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um Andere vor Schäden zu bewahren. Eine aus der Zuständigkeit für eine Gefahrenquelle folgende Erfolgsabwendungspflicht gemäß § 13 Abs. 1 StGB besteht allerdings lediglich dann, wenn mit der Eröffnung der Gefahrenquelle die nahe liegende Möglichkeit begründet wurde, dass Rechtsgüter anderer Personen verletzt werden können (vgl. bereits BGH, Urteil vom 13. November2008 – 4 StR 252/08, BGHSt 53, 38, 42 Rn. 16; BGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – 2 StR 295/11, NStZ 2012, 319). In welchem Umfang die Erfolgsabwendungs- pflicht besteht, bestimmt sich nach dem Grad der Gefahr. Die Anforderungen an den für die Gefahrenquelle Zuständigen sind umso höher, je größer bei erkennbarer Gefährlichkeit einer Handlung die Schadenswahrscheinlichkeit und Schadensintensität sind (BGH, Urteil vom 13. November 2008 – 4 StR 252/08, BGHSt 53, 38, 42 Rn. 16 mwN).
10
bb) An diesen Grundsätzen gemessen ist die rechtliche Würdigung des Tatgerichts, der Angeklagte sei Garant für das Leben des später verstorbenen A. gewesen, nicht zu beanstanden.
11
Die dem Konsum des unverdünnten GBL durch A. zeitlich vorausgegangenen Umstände legten die Möglichkeit nahe, dass es wegen des freien Zugangs aller in der Wohnung des Angeklagten Anwesenden zu einem Zugriff auf die Flasche mit dem GBL kommen werde. Alle sich dort Aufhaltenden und damit auch A. hatten bereits im Verlaufe des Nachmittags außerhalb der Wohnung unterschiedliche Suchtmittel zu sich genommen. In der Wohnung war es zu weiterem Konsum von Alkohol und verschiedenen Betäubungsmitteln gekommen. Angesichts dieses wahllosen Suchtmittelkonsumverhaltens der in der Wohnung anwesenden Personen war trotz der zunächst ausbleibenden Reaktion der Gäste auf die Aufforderung des Angeklagten, von dem GBL zu konsumieren, die Gefahr eines Zugriffs auch auf diese Substanz nahe liegend. Unabhängig von dem jeweils konkreten Umfang des Suchtmittelkonsums der verschiedenen Gäste und den jeweiligen individuellen Auswirkungen auf die Fähigkeit zur Risikoeinschätzung, entspricht eine enthemmende Wirkung von Suchtmittelkonsum allgemeiner Erfahrung. Dass es angesichts des bis zum Vorfallzeitpunkt von allen Anwesenden gezeigten Konsumverhaltens auch zu der Einnahme von GBL kommen würde, war daher eine voraussehbare Entwicklung.
12
Wegen der mit einer Einnahme des unverdünnt in der für jeden Anwesenden frei zugänglichen Flasche befindlichen GBL einhergehenden hohen Gefährlichkeit für das Leben und die Gesundheit von Konsumenten waren an den Angeklagten als Inhaber der Sachherrschaft über den gefährlichen Gegenstand hohe Sorgfaltsanforderungen zu stellen, um der Lebensgefährlichkeit des Konsums zu begegnen. Die ausgesprochene Warnung des Angeklagten, GBL nicht unverdünnt zu sich zu nehmen, genügte angesichts des frei zugänglichen Aufstellens der Flasche in der Wohnung in Anwesenheit mehrerer Personen, die bereits zuvor Alkohol und verschiedene Drogen konsumiert hatten, dazu nicht. Der Angeklagte hat daher als für die Flasche zuständiger Besitzer durch den geschilderten Umgang mit ihr eine Gefahrenquelle eröffnet. Dies begründete grundsätzlich seine Pflicht, dem von dieser Quelle für die Rechtsgüter Dritter ausgehenden Gefährlichkeitspotential durch geeignete und ihm zumutbare Maßnahmen zu begegnen.
13
b) Diese Pflicht entfiel – wie das Landgericht rechtsfehlerfrei angenommen hat – auch nicht deshalb, weil der später verstorbene A. trotz der ausgesprochenen Warnung des Angeklagten aus eigenem Entschluss das GBL unverdünnt zu sich genommen hat.
14
aa) Zwar unterfällt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine eigenverantwortlich gewollte und verwirklichte Selbstgefährdung grundsätzlich nicht den Tatbeständen eines Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts , wenn sich das mit der Gefährdung vom Opfer bewusst eingegangene Risiko realisiert. Wer eine solche Gefährdung veranlasst, ermöglicht oder fördert , kann daher nicht wegen eines Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts verurteilt werden; denn er nimmt an einem Geschehen teil, welches – soweit es um die Strafbarkeit wegen Tötung oder Körperverletzung geht – kein tatbestandsmäßiger und damit strafbarer Vorgang ist (siehe nur BGH, Urteil vom 28. Januar 2014 – 1 StR 494/13, BGHSt 59, 150, 167 Rn. 71 mit zahlr. Nachw.). Diese Grundsätze gelten sowohl für die vorsätzliche als auch die fahrlässige Veranlassung, Ermöglichung oder Förderung einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung oder Selbstverletzung (BGH, Urteil vom 28. Januar 2014 – 1 StR 494/13, BGHSt 59, 150, 168 Rn. 71).
15
bb) Eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung seines Lebens durch den Verstorbenen A. schloss jedoch die aus der Herrschaft über eine Gefahrenquelle resultierende Pflicht des Angeklagten zur Abwendung des drohenden Todeserfolgs gerade nicht aus, als sich nach der unverdünnten Einnahme von GBL gerade das Gefahrenpotential für das Leben A. s zu reali- sieren begann, das der Angeklagte durch das dem Zugriff seiner Gäste offene Abstellen der Flasche mit dem genannten Stoff gerade eröffnet hatte.
16
(1) Der Bundesgerichtshof hat bereits entschieden, dass die Erfolgsabwendungspflicht eines Garanten nicht entfällt, wenn sein Verhalten zunächst lediglich eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung derjenigen Person ermöglicht , für dessen Rechtsgut bzw. Rechtsgüter er als Garant rechtlich im Sinne von § 13 Abs. 1 StGB einzustehen hat (vgl. BGH, Urteile vom 27. Juni 1984 – 3 StR144/84, NStZ 1984, 452 und vom 9. November 1984 – 2 StR 257/84; im Ergebnis auch BGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – 2 StR 295/11, NStZ 2012, 319). Die Straflosigkeit des auf die Herbeiführung des Risikos gerichteten Verhaltens ändere nichts daran, dass für den Täter Garantenpflichten in dem Zeitpunkt bestehen, in dem aus dem allgemeinen Risiko eine besondere Gefahrenlage erwächst. Mit dem Eintritt einer solchen Gefahrenlage ist der Täter verpflichtet, den drohenden Erfolg abzuwenden (BGH, Urteile vom 27. Juni 1984 – 3 StR 144/84, NStZ 1984, 452 und vom 9. November 1984 – 2 StR 257/84; in der Sache ebenso BGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – 2 StR 295/11, NStZ 2012, 319).
17
(2) An diesen Grundsätzen ist jedenfalls dann festzuhalten, wenn – wie nach den tatrichterlichen Feststellungen hier (UA S. 22) – das Verhalten des Opfers sich in Bezug auf das Rechtsgut Leben in einer (möglichen) eigenverantwortlichen Selbstgefährdung erschöpft. Entgegen in der Strafrechtswissenschaft geäußerter Kritik (etwa Roxin, Strafrecht, AT/1, 4. Aufl., § 11 Rn. 112; Kühl in Lackner/Kühl, StGB, 28. Aufl., Vor § 211 Rn. 16; Fünfsinn StV 1985, 57 f.) ist es in diesen Konstellationen nicht wertungswidersprüchlich, zwar jegliche Beteiligung an der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung selbst für einen Garanten straffrei zu stellen, bei Realisierung des von dem betroffenen Rechts- gutsinhaber eingegangenen Risikos aber eine strafbewehrte Erfolgsabwendungspflicht aus § 13 Abs. 1 StGB anzunehmen. Denn anders als in den Selbsttötungsfällen erschöpft sich im Fall der Selbstgefährdung die Preisgabe des eigenen Rechtsguts gerade darin, dieses in einem vom Betroffenen jedenfalls in seinem wesentlichen Grad zutreffend erkannten Umfang (Kenntnis sämtlicher rechtsgutsbezogener Risiken des fraglichen Verhaltens wird nicht gefordert, vgl. BGH, Beschluss vom 11. Januar 2011 – 5 StR 491/10, NStZ 2011, 341, 342; siehe auch BGH, Urteil vom 28. Januar 2014 – 1 StR 494/13, BGHSt 59, 150, 169 f. Rn. 80 und 81) einem Risiko auszusetzen. Eine Hinnahme des als möglich erkannten Erfolgseintritts bei Realisierung des eingegangenen Risikos ist mit der Vornahme der Selbstgefährdung gerade nicht notwendig verbunden (siehe insoweit auch Freund in Münchener Kommentar zum StGB, 2. Aufl., § 13 Rn. 190; in der Sache anders dagegen Murmann NStZ 2012, 387, 388 f.).
18
Entwickelt sich das allein auf Selbstgefährdung angelegte Geschehen erwartungswidrig in Richtung auf den Verlust des Rechtsguts, umfasst die ursprüngliche Entscheidung des Rechtsgutsinhabers für die (bloße) Gefährdung seines Rechtsguts nicht zugleich den Verzicht auf Maßnahmen zum Erhalt des nunmehr in einen Zustand konkreter Gefahr geratenen Rechtsguts (vgl. Freund aaO). Eine Person, die nach den allgemeinen Grundsätzen des § 13 Abs. 1 StGB Garant für das bedrohte Rechtsgut ist, trifft dann im Rahmen des tatsächlich Möglichen und ihr rechtlich Zumutbaren die Pflicht, den Eintritt des tatbestandlichen Erfolgs abzuwenden.
19
Dem ist der Angeklagte nicht nachgekommen, weil er in dem Zeitraum, in dem noch die Möglichkeit der Abwendung des Todes von A. bestand, auf das Herbeirufen der lebensnotwendigen medizinischen Hilfe verzichtet hat.
20
(3) Ob für den Fall eines eigenverantwortlichen Suizids nach Verlust der Handlungsherrschaft des den Selbstmord Anstrebenden etwas anderes gilt (vgl. BGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – 2 StR 295/11, NStZ 2012, 319), bedarf keiner Entscheidung. Denn das Landgericht hat einen Selbsttötungswillen des Verstorbenen A. mit rechtsfehlerfreier Beweiswürdigung ausgeschlossen (UA S. 40).
21
c) Ohne Rechtsfehler hat das Landgericht, vor allem gestützt auf das rechtsmedizinische Sachverständigengutachten, festgestellt, dass A. bei rechtzeitigem Verständigen von medizinischer Hilfe mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit hätte gerettet werden können (UA S. 60–62).
22
d) Die Feststellungen zum bedingten Tötungsvorsatz werden durch eine umfassende, die Anforderungen an die Wissens- und die Willenskomponente dieser Vorsatzform berücksichtigende Gesamtwürdigung getragen (UA S. 63–

67).



II.


23
Der Schuldspruch wegen erpresserischen Menschenraubs in Tateinheit mit versuchter schwerer räuberischer Erpressung im Fall B.II.2. der Urteilsgründe (Geschehen vom 26./27. Mai 2013) weist ebenfalls keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.
24
1. Die getroffenen Feststellungen belegen die Tathandlung des SichBemächtigens im Sinne von § 239a Abs. 1 Halbs. 1 StGB spätestens ab dem Zeitpunkt des Verbringens des Nebenklägers in die Wohnung des (weiteren) nicht revidierenden Mitangeklagten J. . Sich-Bemächtigen liegt bereits vor, wenn der Täter die physische Herrschaft über einen anderen erlangt hat; dafür ist weder eine Ortsveränderung erforderlich noch muss der Tatbestand der Freiheitsberaubung erfüllt sein (BGH, Urteil vom 22. Oktober 2009 – 3 StR 372/09, NStZ 2010, 516). Die Umstände des Festhaltens in der fraglichen Wohnung (UA S. 26 und 27) ergeben die Erlangung physischer Herrschaft über den Nebenkläger. Dass es diesem zwischenzeitlich gelungen war, sich aus einer Fesselung durch Handschellen zu befreien, steht dem angesichts der sonstigen Umstände seines Festhaltens in der Wohnung nicht entgegen.
25
2. Soweit das Landgericht bezüglich § 239a StGB auf eine stabilisierte Bemächtigungslage abgestellt hat (UA S. 91), wäre es darauf nicht angekommen , weil der Angeklagte und sein nicht revidierender Mitangeklagter F. nach den getroffenen Feststellungen (auch) die Sorge des Vaters des geschädigten Nebenklägers um dessen Wohl zu einer Erpressung ausnutzen wollten. In solchen meist sog. Drei-Personen-Verhältnissen kommt nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs der Bemächtigungslage und deren Stabilisierung geringere Bedeutung zu als in sog. Zwei-Personen-Verhältnissen (Nachw. bei Fischer, StGB, 62. Aufl., § 239a Rn. 8b). Dass das Tatgericht sogar strengere Anforderungen an die Verwirklichung des Tatbestands gestellt hat, geht ersichtlich nicht zu Lasten des Angeklagten.

III.


26
Der Rechtsfolgenausspruch hält ebenfalls rechtlicher Prüfung stand.
27
Das Unterbleiben der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB hat das Landgericht ohne Rechtsfehler mit dem Fehlen eines Hangs des Angeklagten, alkoholische Getränke oder sonstige berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, begründet.
28
1. Hang im Sinne von § 64 StGB verlangt eine chronische, auf körperlicher Sucht beruhende Abhängigkeit oder zumindest eine eingewurzelte, auf psychischer Disposition beruhende oder durch Übung erworbene intensive Neigung , immer wieder Alkohol oder andere Rauschmittel im Übermaß zu sich zu nehmen. Ausreichend für die Annahme eines Hangs zum übermäßigen Genuss von Rauschmitteln ist jedenfalls, dass der Betroffene aufgrund seiner Konsumgewohnheiten sozial gefährdet oder gefährlich erscheint. Insoweit kann dem Umstand, dass durch den Rauschmittelgenuss bereits Gesundheit, Arbeits- und Leistungsfähigkeit erheblich beeinträchtigt sind, zwar indizielle Bedeutung für das Vorliegen eines Hangs zukommen; das Fehlen dieser Beeinträchtigungen schließt indessen nicht notwendigerweise die Bejahung eines Hangs aus (BGH, Beschluss vom 18. September 2013 – 1 StR 382/13, BGHR StGB § 64 Satz 1 Hang 1 mwN; Urteil vom 15. Mai 2014 – 3 StR 386/13 Rn. 10 [in NStZ-RR 2014, 271 nur LS]).
29
2. Diese Grundsätze hat das Landgericht zugrunde gelegt, sachverständig beraten jedoch die Voraussetzungen des Hangs weder im Sinne körperlicher Sucht noch psychischer Disposition, sondern lediglich einen schädlichen Gebrauch von Alkohol und sonstigen Mitteln festzustellen vermocht. Dabei hat es im rechtlichen Ausgangspunkt zutreffend berücksichtigt, dass vorhandene Beeinträchtigungen der Gesundheit sowie der Arbeits- und Lebensfähigkeit ebenso lediglich indizielle Bedeutung für den Hang haben wie umgekehrt das (bisherige) Fehlen solcher Beeinträchtigungen nur Indizien sind, die auf die Abwesenheit eines Hangs hindeuten können.
30
Da dem Landgericht die jeweils allein indizielle Bedeutung bewusst war, ist es rechtlich nicht zu beanstanden, dass es unter Berücksichtigung aller relevanten Aspekte vor allem aus dem geregelten Arbeitsleben des Angeklagten, seiner Fähigkeit, bisherige soziale Bindungen fortzuführen und neue zu knüpfen , sowie eingelegten Konsumpausen und dem Fehlen von Entzugserscheinungen nach der Festnahme in Übereinstimmung mit dem psychiatrischen Sachverständigen einen Hang verneint hat.
31
3. Angesichts des Vorstehenden kommt es nicht darauf an, ob auch – wie das Landgericht in Hilfserwägungen meint – der symptomatische Zu- sammenhang zwischen den begangenen Taten und einem (unterstellten) Hang fehlte.
Raum Jäger Radtke Mosbacher Fischer

(1) Wer es unterläßt, einen Erfolg abzuwenden, der zum Tatbestand eines Strafgesetzes gehört, ist nach diesem Gesetz nur dann strafbar, wenn er rechtlich dafür einzustehen hat, daß der Erfolg nicht eintritt, und wenn das Unterlassen der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes durch ein Tun entspricht.

(2) Die Strafe kann nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 328/15
vom
5. August 2015
BGHSt: ja
BGHR: ja
Nachschlagewerk: ja
Veröffentlichung: ja
_____________________________
Eine bewusste Selbstgefährdung lässt grundsätzlich die Erfolgsabwendungspflicht
des eintrittspflichtigen Garanten nicht entfallen, wenn sich das allein auf
Selbstge- fährdung angelegte Geschehen erwartungswidrig in Richtung auf den
Verlust des Rechtsguts entwickelt.
BGH, Beschluss vom 5. August 2015 - 1 StR 328/15 - LG München I
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags durch Unterlassen u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 5. August 2015 gemäß § 349
Abs. 2 StPO beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 19. Dezember 2014 wird verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags durch Unterlassen und wegen erpresserischen Menschenraubs in Tateinheit mit versuchter schwerer räuberischer Erpressung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt.
2
Seine dagegen auf die ausgeführte Sachrüge gestützte Revision ist unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

I.


3
Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen tragen den Schuldspruch wegen Totschlags durch Unterlassen (§ 212 Abs. 1, § 13 Abs. 1 StGB) im Fall B.II.1. der Urteilsgründe (Geschehen vom 18. April 2013). Das Landgericht hat ohne Rechtsfehler den Angeklagten für rechtlich verpflichtet gehalten, den Tod des später verstorbenen A. zu verhindern und hat ihm den eingetretenen Tod des Geschädigten zu seinem Vorsatz zugerechnet.
4
1. Nach den auf einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung beruhenden Feststellungen hatten sich mehrere Personen, u.a. der Angeklagte und A. , bereits im Verlaufe des Nachmittags getroffen und gemeinsam Alkohol sowie verschiedene Betäubungsmittel konsumiert. Gegen Abend begab sich die Gruppe in die in einem größeren Gebäudekomplex gelegene Wohnung des Angeklagten. Dort nahmen die Anwesenden weiterhin u.a. Alkohol, Amphetamin und Cannabis zu sich. Im Verlaufe des Abends bot der Angeklagte den übrigen Personen in der Wohnung an, Gammabutyrolacton (GBL) zu konsumieren. Dieser Stoff befand sich unverdünnt in einer im Besitz des Angeklagten befindlichen Glasflasche. Außer dem nicht revidierenden Mitangeklagten F. ging keiner der sonstigen Anwesenden auf das Angebot ein. Nachdem der Angeklagte und der Mitangeklagte etwa zwei bis drei Milliliter GBL, verdünnt in einem halben Liter Wasser, konsumiert hatten, blieb die Flasche mit dem GBL frei zugänglich in der Wohnung des Angeklagten stehen. Spätestens nach dem eigenen Konsum wies der Angeklagte seine Gäste darauf hin, dass GBL nicht unverdünnt zu sich genommen werden dürfe.
5
Einige Zeit danach setzte der später verstorbene A. die Flasche mit dem unverdünnten GBL direkt an und trank eine durch das Landgericht nicht mehr näher feststellbare Menge der Substanz. Der Angeklagte und der Mitangeklagte , die von der Aufnahme einer tödlich wirkenden Menge ausgingen, versuchten erfolglos, A. zum Erbrechen zu veranlassen. Dieser verlor vielmehr das Bewusstsein. Nachdem A. in eine stabile Seitenlage gebracht worden war, beschränkte sich der Angeklagte – wie auch die übrigen Anwesenden darauf – die Atemfrequenz des bewusstlosen Geschädigten zu kontrol- lieren. Spätestens als der Angeklagte wahrnahm, dass A. lediglich noch alle sechs bis acht Sekunden atmete, nahm er billigend in Kauf, dass der Geschädigte ohne das unverzügliche Herbeirufen von ärztlicher Hilfe an den Folgen der Einnahme des unverdünnten GBL versterben werde. Dennoch blieb er untätig. Hätte er zu diesem Zeitpunkt medizinische Hilfe angefordert, wäre das Leben des Geschädigten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gerettet worden. Auch nachdem – vom Angeklagten wahrgenommen – die Atemfrequenz von A. noch niedriger, die Atmung zudem unregelmäßig und geräuschintensiv wurde, leitete der Angeklagte zunächst weiterhin keine Rettungsmaßnahmen ein.
6
Später wurde, nicht ausschließbar auf die Initiative des Angeklagten, ein erster Rettungswagen verständigt. Als der Angeklagte beobachtete, dass dieser Rettungswagen abfuhr, ohne A. aufgenommen zu haben, ließ er einen zweiten Rettungswagen herbeirufen. Dessen Besatzung unternahm Wiederbelebungsversuche. Diese führten jedoch nicht zum Erfolg. A. verstarb an einem durch den Konsum von GBL ausgelösten Atemstillstand und der dadurch bewirkten Sauerstoffunterversorgung des Gehirns.
7
2. Nach diesen Feststellungen hat sich der Angeklagte wegen Totschlags durch Unterlassen strafbar gemacht.
8
a) Der Angeklagte hatte im Sinne von § 13 Abs. 1 StGB rechtlich dafür einzustehen, dass der Tod des Geschädigten A. nach dessen Konsum von GBL nicht eintritt. Diese Pflicht zur Abwendung des Todeserfolgs resultierte aus der tatsächlichen Herrschaft des Angeklagten über die in seinem Besitz befindliche und von ihm in seiner Wohnung für die übrigen dort Anwesenden frei zugängliche Flasche mit dem hochgradig gesundheits- und lebensgefährlichen GBL.
9
aa) In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist anerkannt, dass jeder, der eine Gefahrenquelle schafft oder unterhält, die nach Lage der Verhältnisse erforderlichen Vorkehrungen zum Schutz anderer Personen zu treffen hat (BGH, Urteil vom 13. November 2008 – 4 StR 252/08, BGHSt 53, 38, 41 f. Rn. 16 mwN; siehe auch BGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – 2 StR 295/11, NStZ 2012, 319). Die entsprechende Pflicht beschränkt sich auf das Ergreifen solcher Maßnahmen, die nach den Gesamtumständen zumutbar sind und die ein verständiger und umsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um Andere vor Schäden zu bewahren. Eine aus der Zuständigkeit für eine Gefahrenquelle folgende Erfolgsabwendungspflicht gemäß § 13 Abs. 1 StGB besteht allerdings lediglich dann, wenn mit der Eröffnung der Gefahrenquelle die nahe liegende Möglichkeit begründet wurde, dass Rechtsgüter anderer Personen verletzt werden können (vgl. bereits BGH, Urteil vom 13. November2008 – 4 StR 252/08, BGHSt 53, 38, 42 Rn. 16; BGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – 2 StR 295/11, NStZ 2012, 319). In welchem Umfang die Erfolgsabwendungs- pflicht besteht, bestimmt sich nach dem Grad der Gefahr. Die Anforderungen an den für die Gefahrenquelle Zuständigen sind umso höher, je größer bei erkennbarer Gefährlichkeit einer Handlung die Schadenswahrscheinlichkeit und Schadensintensität sind (BGH, Urteil vom 13. November 2008 – 4 StR 252/08, BGHSt 53, 38, 42 Rn. 16 mwN).
10
bb) An diesen Grundsätzen gemessen ist die rechtliche Würdigung des Tatgerichts, der Angeklagte sei Garant für das Leben des später verstorbenen A. gewesen, nicht zu beanstanden.
11
Die dem Konsum des unverdünnten GBL durch A. zeitlich vorausgegangenen Umstände legten die Möglichkeit nahe, dass es wegen des freien Zugangs aller in der Wohnung des Angeklagten Anwesenden zu einem Zugriff auf die Flasche mit dem GBL kommen werde. Alle sich dort Aufhaltenden und damit auch A. hatten bereits im Verlaufe des Nachmittags außerhalb der Wohnung unterschiedliche Suchtmittel zu sich genommen. In der Wohnung war es zu weiterem Konsum von Alkohol und verschiedenen Betäubungsmitteln gekommen. Angesichts dieses wahllosen Suchtmittelkonsumverhaltens der in der Wohnung anwesenden Personen war trotz der zunächst ausbleibenden Reaktion der Gäste auf die Aufforderung des Angeklagten, von dem GBL zu konsumieren, die Gefahr eines Zugriffs auch auf diese Substanz nahe liegend. Unabhängig von dem jeweils konkreten Umfang des Suchtmittelkonsums der verschiedenen Gäste und den jeweiligen individuellen Auswirkungen auf die Fähigkeit zur Risikoeinschätzung, entspricht eine enthemmende Wirkung von Suchtmittelkonsum allgemeiner Erfahrung. Dass es angesichts des bis zum Vorfallzeitpunkt von allen Anwesenden gezeigten Konsumverhaltens auch zu der Einnahme von GBL kommen würde, war daher eine voraussehbare Entwicklung.
12
Wegen der mit einer Einnahme des unverdünnt in der für jeden Anwesenden frei zugänglichen Flasche befindlichen GBL einhergehenden hohen Gefährlichkeit für das Leben und die Gesundheit von Konsumenten waren an den Angeklagten als Inhaber der Sachherrschaft über den gefährlichen Gegenstand hohe Sorgfaltsanforderungen zu stellen, um der Lebensgefährlichkeit des Konsums zu begegnen. Die ausgesprochene Warnung des Angeklagten, GBL nicht unverdünnt zu sich zu nehmen, genügte angesichts des frei zugänglichen Aufstellens der Flasche in der Wohnung in Anwesenheit mehrerer Personen, die bereits zuvor Alkohol und verschiedene Drogen konsumiert hatten, dazu nicht. Der Angeklagte hat daher als für die Flasche zuständiger Besitzer durch den geschilderten Umgang mit ihr eine Gefahrenquelle eröffnet. Dies begründete grundsätzlich seine Pflicht, dem von dieser Quelle für die Rechtsgüter Dritter ausgehenden Gefährlichkeitspotential durch geeignete und ihm zumutbare Maßnahmen zu begegnen.
13
b) Diese Pflicht entfiel – wie das Landgericht rechtsfehlerfrei angenommen hat – auch nicht deshalb, weil der später verstorbene A. trotz der ausgesprochenen Warnung des Angeklagten aus eigenem Entschluss das GBL unverdünnt zu sich genommen hat.
14
aa) Zwar unterfällt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine eigenverantwortlich gewollte und verwirklichte Selbstgefährdung grundsätzlich nicht den Tatbeständen eines Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts , wenn sich das mit der Gefährdung vom Opfer bewusst eingegangene Risiko realisiert. Wer eine solche Gefährdung veranlasst, ermöglicht oder fördert , kann daher nicht wegen eines Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts verurteilt werden; denn er nimmt an einem Geschehen teil, welches – soweit es um die Strafbarkeit wegen Tötung oder Körperverletzung geht – kein tatbestandsmäßiger und damit strafbarer Vorgang ist (siehe nur BGH, Urteil vom 28. Januar 2014 – 1 StR 494/13, BGHSt 59, 150, 167 Rn. 71 mit zahlr. Nachw.). Diese Grundsätze gelten sowohl für die vorsätzliche als auch die fahrlässige Veranlassung, Ermöglichung oder Förderung einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung oder Selbstverletzung (BGH, Urteil vom 28. Januar 2014 – 1 StR 494/13, BGHSt 59, 150, 168 Rn. 71).
15
bb) Eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung seines Lebens durch den Verstorbenen A. schloss jedoch die aus der Herrschaft über eine Gefahrenquelle resultierende Pflicht des Angeklagten zur Abwendung des drohenden Todeserfolgs gerade nicht aus, als sich nach der unverdünnten Einnahme von GBL gerade das Gefahrenpotential für das Leben A. s zu reali- sieren begann, das der Angeklagte durch das dem Zugriff seiner Gäste offene Abstellen der Flasche mit dem genannten Stoff gerade eröffnet hatte.
16
(1) Der Bundesgerichtshof hat bereits entschieden, dass die Erfolgsabwendungspflicht eines Garanten nicht entfällt, wenn sein Verhalten zunächst lediglich eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung derjenigen Person ermöglicht , für dessen Rechtsgut bzw. Rechtsgüter er als Garant rechtlich im Sinne von § 13 Abs. 1 StGB einzustehen hat (vgl. BGH, Urteile vom 27. Juni 1984 – 3 StR144/84, NStZ 1984, 452 und vom 9. November 1984 – 2 StR 257/84; im Ergebnis auch BGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – 2 StR 295/11, NStZ 2012, 319). Die Straflosigkeit des auf die Herbeiführung des Risikos gerichteten Verhaltens ändere nichts daran, dass für den Täter Garantenpflichten in dem Zeitpunkt bestehen, in dem aus dem allgemeinen Risiko eine besondere Gefahrenlage erwächst. Mit dem Eintritt einer solchen Gefahrenlage ist der Täter verpflichtet, den drohenden Erfolg abzuwenden (BGH, Urteile vom 27. Juni 1984 – 3 StR 144/84, NStZ 1984, 452 und vom 9. November 1984 – 2 StR 257/84; in der Sache ebenso BGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – 2 StR 295/11, NStZ 2012, 319).
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(2) An diesen Grundsätzen ist jedenfalls dann festzuhalten, wenn – wie nach den tatrichterlichen Feststellungen hier (UA S. 22) – das Verhalten des Opfers sich in Bezug auf das Rechtsgut Leben in einer (möglichen) eigenverantwortlichen Selbstgefährdung erschöpft. Entgegen in der Strafrechtswissenschaft geäußerter Kritik (etwa Roxin, Strafrecht, AT/1, 4. Aufl., § 11 Rn. 112; Kühl in Lackner/Kühl, StGB, 28. Aufl., Vor § 211 Rn. 16; Fünfsinn StV 1985, 57 f.) ist es in diesen Konstellationen nicht wertungswidersprüchlich, zwar jegliche Beteiligung an der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung selbst für einen Garanten straffrei zu stellen, bei Realisierung des von dem betroffenen Rechts- gutsinhaber eingegangenen Risikos aber eine strafbewehrte Erfolgsabwendungspflicht aus § 13 Abs. 1 StGB anzunehmen. Denn anders als in den Selbsttötungsfällen erschöpft sich im Fall der Selbstgefährdung die Preisgabe des eigenen Rechtsguts gerade darin, dieses in einem vom Betroffenen jedenfalls in seinem wesentlichen Grad zutreffend erkannten Umfang (Kenntnis sämtlicher rechtsgutsbezogener Risiken des fraglichen Verhaltens wird nicht gefordert, vgl. BGH, Beschluss vom 11. Januar 2011 – 5 StR 491/10, NStZ 2011, 341, 342; siehe auch BGH, Urteil vom 28. Januar 2014 – 1 StR 494/13, BGHSt 59, 150, 169 f. Rn. 80 und 81) einem Risiko auszusetzen. Eine Hinnahme des als möglich erkannten Erfolgseintritts bei Realisierung des eingegangenen Risikos ist mit der Vornahme der Selbstgefährdung gerade nicht notwendig verbunden (siehe insoweit auch Freund in Münchener Kommentar zum StGB, 2. Aufl., § 13 Rn. 190; in der Sache anders dagegen Murmann NStZ 2012, 387, 388 f.).
18
Entwickelt sich das allein auf Selbstgefährdung angelegte Geschehen erwartungswidrig in Richtung auf den Verlust des Rechtsguts, umfasst die ursprüngliche Entscheidung des Rechtsgutsinhabers für die (bloße) Gefährdung seines Rechtsguts nicht zugleich den Verzicht auf Maßnahmen zum Erhalt des nunmehr in einen Zustand konkreter Gefahr geratenen Rechtsguts (vgl. Freund aaO). Eine Person, die nach den allgemeinen Grundsätzen des § 13 Abs. 1 StGB Garant für das bedrohte Rechtsgut ist, trifft dann im Rahmen des tatsächlich Möglichen und ihr rechtlich Zumutbaren die Pflicht, den Eintritt des tatbestandlichen Erfolgs abzuwenden.
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Dem ist der Angeklagte nicht nachgekommen, weil er in dem Zeitraum, in dem noch die Möglichkeit der Abwendung des Todes von A. bestand, auf das Herbeirufen der lebensnotwendigen medizinischen Hilfe verzichtet hat.
20
(3) Ob für den Fall eines eigenverantwortlichen Suizids nach Verlust der Handlungsherrschaft des den Selbstmord Anstrebenden etwas anderes gilt (vgl. BGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – 2 StR 295/11, NStZ 2012, 319), bedarf keiner Entscheidung. Denn das Landgericht hat einen Selbsttötungswillen des Verstorbenen A. mit rechtsfehlerfreier Beweiswürdigung ausgeschlossen (UA S. 40).
21
c) Ohne Rechtsfehler hat das Landgericht, vor allem gestützt auf das rechtsmedizinische Sachverständigengutachten, festgestellt, dass A. bei rechtzeitigem Verständigen von medizinischer Hilfe mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit hätte gerettet werden können (UA S. 60–62).
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d) Die Feststellungen zum bedingten Tötungsvorsatz werden durch eine umfassende, die Anforderungen an die Wissens- und die Willenskomponente dieser Vorsatzform berücksichtigende Gesamtwürdigung getragen (UA S. 63–

67).



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Der Schuldspruch wegen erpresserischen Menschenraubs in Tateinheit mit versuchter schwerer räuberischer Erpressung im Fall B.II.2. der Urteilsgründe (Geschehen vom 26./27. Mai 2013) weist ebenfalls keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.
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1. Die getroffenen Feststellungen belegen die Tathandlung des SichBemächtigens im Sinne von § 239a Abs. 1 Halbs. 1 StGB spätestens ab dem Zeitpunkt des Verbringens des Nebenklägers in die Wohnung des (weiteren) nicht revidierenden Mitangeklagten J. . Sich-Bemächtigen liegt bereits vor, wenn der Täter die physische Herrschaft über einen anderen erlangt hat; dafür ist weder eine Ortsveränderung erforderlich noch muss der Tatbestand der Freiheitsberaubung erfüllt sein (BGH, Urteil vom 22. Oktober 2009 – 3 StR 372/09, NStZ 2010, 516). Die Umstände des Festhaltens in der fraglichen Wohnung (UA S. 26 und 27) ergeben die Erlangung physischer Herrschaft über den Nebenkläger. Dass es diesem zwischenzeitlich gelungen war, sich aus einer Fesselung durch Handschellen zu befreien, steht dem angesichts der sonstigen Umstände seines Festhaltens in der Wohnung nicht entgegen.
25
2. Soweit das Landgericht bezüglich § 239a StGB auf eine stabilisierte Bemächtigungslage abgestellt hat (UA S. 91), wäre es darauf nicht angekommen , weil der Angeklagte und sein nicht revidierender Mitangeklagter F. nach den getroffenen Feststellungen (auch) die Sorge des Vaters des geschädigten Nebenklägers um dessen Wohl zu einer Erpressung ausnutzen wollten. In solchen meist sog. Drei-Personen-Verhältnissen kommt nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs der Bemächtigungslage und deren Stabilisierung geringere Bedeutung zu als in sog. Zwei-Personen-Verhältnissen (Nachw. bei Fischer, StGB, 62. Aufl., § 239a Rn. 8b). Dass das Tatgericht sogar strengere Anforderungen an die Verwirklichung des Tatbestands gestellt hat, geht ersichtlich nicht zu Lasten des Angeklagten.

III.


26
Der Rechtsfolgenausspruch hält ebenfalls rechtlicher Prüfung stand.
27
Das Unterbleiben der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB hat das Landgericht ohne Rechtsfehler mit dem Fehlen eines Hangs des Angeklagten, alkoholische Getränke oder sonstige berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, begründet.
28
1. Hang im Sinne von § 64 StGB verlangt eine chronische, auf körperlicher Sucht beruhende Abhängigkeit oder zumindest eine eingewurzelte, auf psychischer Disposition beruhende oder durch Übung erworbene intensive Neigung , immer wieder Alkohol oder andere Rauschmittel im Übermaß zu sich zu nehmen. Ausreichend für die Annahme eines Hangs zum übermäßigen Genuss von Rauschmitteln ist jedenfalls, dass der Betroffene aufgrund seiner Konsumgewohnheiten sozial gefährdet oder gefährlich erscheint. Insoweit kann dem Umstand, dass durch den Rauschmittelgenuss bereits Gesundheit, Arbeits- und Leistungsfähigkeit erheblich beeinträchtigt sind, zwar indizielle Bedeutung für das Vorliegen eines Hangs zukommen; das Fehlen dieser Beeinträchtigungen schließt indessen nicht notwendigerweise die Bejahung eines Hangs aus (BGH, Beschluss vom 18. September 2013 – 1 StR 382/13, BGHR StGB § 64 Satz 1 Hang 1 mwN; Urteil vom 15. Mai 2014 – 3 StR 386/13 Rn. 10 [in NStZ-RR 2014, 271 nur LS]).
29
2. Diese Grundsätze hat das Landgericht zugrunde gelegt, sachverständig beraten jedoch die Voraussetzungen des Hangs weder im Sinne körperlicher Sucht noch psychischer Disposition, sondern lediglich einen schädlichen Gebrauch von Alkohol und sonstigen Mitteln festzustellen vermocht. Dabei hat es im rechtlichen Ausgangspunkt zutreffend berücksichtigt, dass vorhandene Beeinträchtigungen der Gesundheit sowie der Arbeits- und Lebensfähigkeit ebenso lediglich indizielle Bedeutung für den Hang haben wie umgekehrt das (bisherige) Fehlen solcher Beeinträchtigungen nur Indizien sind, die auf die Abwesenheit eines Hangs hindeuten können.
30
Da dem Landgericht die jeweils allein indizielle Bedeutung bewusst war, ist es rechtlich nicht zu beanstanden, dass es unter Berücksichtigung aller relevanten Aspekte vor allem aus dem geregelten Arbeitsleben des Angeklagten, seiner Fähigkeit, bisherige soziale Bindungen fortzuführen und neue zu knüpfen , sowie eingelegten Konsumpausen und dem Fehlen von Entzugserscheinungen nach der Festnahme in Übereinstimmung mit dem psychiatrischen Sachverständigen einen Hang verneint hat.
31
3. Angesichts des Vorstehenden kommt es nicht darauf an, ob auch – wie das Landgericht in Hilfserwägungen meint – der symptomatische Zu- sammenhang zwischen den begangenen Taten und einem (unterstellten) Hang fehlte.
Raum Jäger Radtke Mosbacher Fischer

(1) Wer es unterläßt, einen Erfolg abzuwenden, der zum Tatbestand eines Strafgesetzes gehört, ist nach diesem Gesetz nur dann strafbar, wenn er rechtlich dafür einzustehen hat, daß der Erfolg nicht eintritt, und wenn das Unterlassen der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes durch ein Tun entspricht.

(2) Die Strafe kann nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 328/15
vom
5. August 2015
BGHSt: ja
BGHR: ja
Nachschlagewerk: ja
Veröffentlichung: ja
_____________________________
Eine bewusste Selbstgefährdung lässt grundsätzlich die Erfolgsabwendungspflicht
des eintrittspflichtigen Garanten nicht entfallen, wenn sich das allein auf
Selbstge- fährdung angelegte Geschehen erwartungswidrig in Richtung auf den
Verlust des Rechtsguts entwickelt.
BGH, Beschluss vom 5. August 2015 - 1 StR 328/15 - LG München I
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags durch Unterlassen u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 5. August 2015 gemäß § 349
Abs. 2 StPO beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 19. Dezember 2014 wird verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags durch Unterlassen und wegen erpresserischen Menschenraubs in Tateinheit mit versuchter schwerer räuberischer Erpressung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt.
2
Seine dagegen auf die ausgeführte Sachrüge gestützte Revision ist unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

I.


3
Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen tragen den Schuldspruch wegen Totschlags durch Unterlassen (§ 212 Abs. 1, § 13 Abs. 1 StGB) im Fall B.II.1. der Urteilsgründe (Geschehen vom 18. April 2013). Das Landgericht hat ohne Rechtsfehler den Angeklagten für rechtlich verpflichtet gehalten, den Tod des später verstorbenen A. zu verhindern und hat ihm den eingetretenen Tod des Geschädigten zu seinem Vorsatz zugerechnet.
4
1. Nach den auf einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung beruhenden Feststellungen hatten sich mehrere Personen, u.a. der Angeklagte und A. , bereits im Verlaufe des Nachmittags getroffen und gemeinsam Alkohol sowie verschiedene Betäubungsmittel konsumiert. Gegen Abend begab sich die Gruppe in die in einem größeren Gebäudekomplex gelegene Wohnung des Angeklagten. Dort nahmen die Anwesenden weiterhin u.a. Alkohol, Amphetamin und Cannabis zu sich. Im Verlaufe des Abends bot der Angeklagte den übrigen Personen in der Wohnung an, Gammabutyrolacton (GBL) zu konsumieren. Dieser Stoff befand sich unverdünnt in einer im Besitz des Angeklagten befindlichen Glasflasche. Außer dem nicht revidierenden Mitangeklagten F. ging keiner der sonstigen Anwesenden auf das Angebot ein. Nachdem der Angeklagte und der Mitangeklagte etwa zwei bis drei Milliliter GBL, verdünnt in einem halben Liter Wasser, konsumiert hatten, blieb die Flasche mit dem GBL frei zugänglich in der Wohnung des Angeklagten stehen. Spätestens nach dem eigenen Konsum wies der Angeklagte seine Gäste darauf hin, dass GBL nicht unverdünnt zu sich genommen werden dürfe.
5
Einige Zeit danach setzte der später verstorbene A. die Flasche mit dem unverdünnten GBL direkt an und trank eine durch das Landgericht nicht mehr näher feststellbare Menge der Substanz. Der Angeklagte und der Mitangeklagte , die von der Aufnahme einer tödlich wirkenden Menge ausgingen, versuchten erfolglos, A. zum Erbrechen zu veranlassen. Dieser verlor vielmehr das Bewusstsein. Nachdem A. in eine stabile Seitenlage gebracht worden war, beschränkte sich der Angeklagte – wie auch die übrigen Anwesenden darauf – die Atemfrequenz des bewusstlosen Geschädigten zu kontrol- lieren. Spätestens als der Angeklagte wahrnahm, dass A. lediglich noch alle sechs bis acht Sekunden atmete, nahm er billigend in Kauf, dass der Geschädigte ohne das unverzügliche Herbeirufen von ärztlicher Hilfe an den Folgen der Einnahme des unverdünnten GBL versterben werde. Dennoch blieb er untätig. Hätte er zu diesem Zeitpunkt medizinische Hilfe angefordert, wäre das Leben des Geschädigten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gerettet worden. Auch nachdem – vom Angeklagten wahrgenommen – die Atemfrequenz von A. noch niedriger, die Atmung zudem unregelmäßig und geräuschintensiv wurde, leitete der Angeklagte zunächst weiterhin keine Rettungsmaßnahmen ein.
6
Später wurde, nicht ausschließbar auf die Initiative des Angeklagten, ein erster Rettungswagen verständigt. Als der Angeklagte beobachtete, dass dieser Rettungswagen abfuhr, ohne A. aufgenommen zu haben, ließ er einen zweiten Rettungswagen herbeirufen. Dessen Besatzung unternahm Wiederbelebungsversuche. Diese führten jedoch nicht zum Erfolg. A. verstarb an einem durch den Konsum von GBL ausgelösten Atemstillstand und der dadurch bewirkten Sauerstoffunterversorgung des Gehirns.
7
2. Nach diesen Feststellungen hat sich der Angeklagte wegen Totschlags durch Unterlassen strafbar gemacht.
8
a) Der Angeklagte hatte im Sinne von § 13 Abs. 1 StGB rechtlich dafür einzustehen, dass der Tod des Geschädigten A. nach dessen Konsum von GBL nicht eintritt. Diese Pflicht zur Abwendung des Todeserfolgs resultierte aus der tatsächlichen Herrschaft des Angeklagten über die in seinem Besitz befindliche und von ihm in seiner Wohnung für die übrigen dort Anwesenden frei zugängliche Flasche mit dem hochgradig gesundheits- und lebensgefährlichen GBL.
9
aa) In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist anerkannt, dass jeder, der eine Gefahrenquelle schafft oder unterhält, die nach Lage der Verhältnisse erforderlichen Vorkehrungen zum Schutz anderer Personen zu treffen hat (BGH, Urteil vom 13. November 2008 – 4 StR 252/08, BGHSt 53, 38, 41 f. Rn. 16 mwN; siehe auch BGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – 2 StR 295/11, NStZ 2012, 319). Die entsprechende Pflicht beschränkt sich auf das Ergreifen solcher Maßnahmen, die nach den Gesamtumständen zumutbar sind und die ein verständiger und umsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um Andere vor Schäden zu bewahren. Eine aus der Zuständigkeit für eine Gefahrenquelle folgende Erfolgsabwendungspflicht gemäß § 13 Abs. 1 StGB besteht allerdings lediglich dann, wenn mit der Eröffnung der Gefahrenquelle die nahe liegende Möglichkeit begründet wurde, dass Rechtsgüter anderer Personen verletzt werden können (vgl. bereits BGH, Urteil vom 13. November2008 – 4 StR 252/08, BGHSt 53, 38, 42 Rn. 16; BGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – 2 StR 295/11, NStZ 2012, 319). In welchem Umfang die Erfolgsabwendungs- pflicht besteht, bestimmt sich nach dem Grad der Gefahr. Die Anforderungen an den für die Gefahrenquelle Zuständigen sind umso höher, je größer bei erkennbarer Gefährlichkeit einer Handlung die Schadenswahrscheinlichkeit und Schadensintensität sind (BGH, Urteil vom 13. November 2008 – 4 StR 252/08, BGHSt 53, 38, 42 Rn. 16 mwN).
10
bb) An diesen Grundsätzen gemessen ist die rechtliche Würdigung des Tatgerichts, der Angeklagte sei Garant für das Leben des später verstorbenen A. gewesen, nicht zu beanstanden.
11
Die dem Konsum des unverdünnten GBL durch A. zeitlich vorausgegangenen Umstände legten die Möglichkeit nahe, dass es wegen des freien Zugangs aller in der Wohnung des Angeklagten Anwesenden zu einem Zugriff auf die Flasche mit dem GBL kommen werde. Alle sich dort Aufhaltenden und damit auch A. hatten bereits im Verlaufe des Nachmittags außerhalb der Wohnung unterschiedliche Suchtmittel zu sich genommen. In der Wohnung war es zu weiterem Konsum von Alkohol und verschiedenen Betäubungsmitteln gekommen. Angesichts dieses wahllosen Suchtmittelkonsumverhaltens der in der Wohnung anwesenden Personen war trotz der zunächst ausbleibenden Reaktion der Gäste auf die Aufforderung des Angeklagten, von dem GBL zu konsumieren, die Gefahr eines Zugriffs auch auf diese Substanz nahe liegend. Unabhängig von dem jeweils konkreten Umfang des Suchtmittelkonsums der verschiedenen Gäste und den jeweiligen individuellen Auswirkungen auf die Fähigkeit zur Risikoeinschätzung, entspricht eine enthemmende Wirkung von Suchtmittelkonsum allgemeiner Erfahrung. Dass es angesichts des bis zum Vorfallzeitpunkt von allen Anwesenden gezeigten Konsumverhaltens auch zu der Einnahme von GBL kommen würde, war daher eine voraussehbare Entwicklung.
12
Wegen der mit einer Einnahme des unverdünnt in der für jeden Anwesenden frei zugänglichen Flasche befindlichen GBL einhergehenden hohen Gefährlichkeit für das Leben und die Gesundheit von Konsumenten waren an den Angeklagten als Inhaber der Sachherrschaft über den gefährlichen Gegenstand hohe Sorgfaltsanforderungen zu stellen, um der Lebensgefährlichkeit des Konsums zu begegnen. Die ausgesprochene Warnung des Angeklagten, GBL nicht unverdünnt zu sich zu nehmen, genügte angesichts des frei zugänglichen Aufstellens der Flasche in der Wohnung in Anwesenheit mehrerer Personen, die bereits zuvor Alkohol und verschiedene Drogen konsumiert hatten, dazu nicht. Der Angeklagte hat daher als für die Flasche zuständiger Besitzer durch den geschilderten Umgang mit ihr eine Gefahrenquelle eröffnet. Dies begründete grundsätzlich seine Pflicht, dem von dieser Quelle für die Rechtsgüter Dritter ausgehenden Gefährlichkeitspotential durch geeignete und ihm zumutbare Maßnahmen zu begegnen.
13
b) Diese Pflicht entfiel – wie das Landgericht rechtsfehlerfrei angenommen hat – auch nicht deshalb, weil der später verstorbene A. trotz der ausgesprochenen Warnung des Angeklagten aus eigenem Entschluss das GBL unverdünnt zu sich genommen hat.
14
aa) Zwar unterfällt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine eigenverantwortlich gewollte und verwirklichte Selbstgefährdung grundsätzlich nicht den Tatbeständen eines Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts , wenn sich das mit der Gefährdung vom Opfer bewusst eingegangene Risiko realisiert. Wer eine solche Gefährdung veranlasst, ermöglicht oder fördert , kann daher nicht wegen eines Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts verurteilt werden; denn er nimmt an einem Geschehen teil, welches – soweit es um die Strafbarkeit wegen Tötung oder Körperverletzung geht – kein tatbestandsmäßiger und damit strafbarer Vorgang ist (siehe nur BGH, Urteil vom 28. Januar 2014 – 1 StR 494/13, BGHSt 59, 150, 167 Rn. 71 mit zahlr. Nachw.). Diese Grundsätze gelten sowohl für die vorsätzliche als auch die fahrlässige Veranlassung, Ermöglichung oder Förderung einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung oder Selbstverletzung (BGH, Urteil vom 28. Januar 2014 – 1 StR 494/13, BGHSt 59, 150, 168 Rn. 71).
15
bb) Eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung seines Lebens durch den Verstorbenen A. schloss jedoch die aus der Herrschaft über eine Gefahrenquelle resultierende Pflicht des Angeklagten zur Abwendung des drohenden Todeserfolgs gerade nicht aus, als sich nach der unverdünnten Einnahme von GBL gerade das Gefahrenpotential für das Leben A. s zu reali- sieren begann, das der Angeklagte durch das dem Zugriff seiner Gäste offene Abstellen der Flasche mit dem genannten Stoff gerade eröffnet hatte.
16
(1) Der Bundesgerichtshof hat bereits entschieden, dass die Erfolgsabwendungspflicht eines Garanten nicht entfällt, wenn sein Verhalten zunächst lediglich eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung derjenigen Person ermöglicht , für dessen Rechtsgut bzw. Rechtsgüter er als Garant rechtlich im Sinne von § 13 Abs. 1 StGB einzustehen hat (vgl. BGH, Urteile vom 27. Juni 1984 – 3 StR144/84, NStZ 1984, 452 und vom 9. November 1984 – 2 StR 257/84; im Ergebnis auch BGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – 2 StR 295/11, NStZ 2012, 319). Die Straflosigkeit des auf die Herbeiführung des Risikos gerichteten Verhaltens ändere nichts daran, dass für den Täter Garantenpflichten in dem Zeitpunkt bestehen, in dem aus dem allgemeinen Risiko eine besondere Gefahrenlage erwächst. Mit dem Eintritt einer solchen Gefahrenlage ist der Täter verpflichtet, den drohenden Erfolg abzuwenden (BGH, Urteile vom 27. Juni 1984 – 3 StR 144/84, NStZ 1984, 452 und vom 9. November 1984 – 2 StR 257/84; in der Sache ebenso BGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – 2 StR 295/11, NStZ 2012, 319).
17
(2) An diesen Grundsätzen ist jedenfalls dann festzuhalten, wenn – wie nach den tatrichterlichen Feststellungen hier (UA S. 22) – das Verhalten des Opfers sich in Bezug auf das Rechtsgut Leben in einer (möglichen) eigenverantwortlichen Selbstgefährdung erschöpft. Entgegen in der Strafrechtswissenschaft geäußerter Kritik (etwa Roxin, Strafrecht, AT/1, 4. Aufl., § 11 Rn. 112; Kühl in Lackner/Kühl, StGB, 28. Aufl., Vor § 211 Rn. 16; Fünfsinn StV 1985, 57 f.) ist es in diesen Konstellationen nicht wertungswidersprüchlich, zwar jegliche Beteiligung an der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung selbst für einen Garanten straffrei zu stellen, bei Realisierung des von dem betroffenen Rechts- gutsinhaber eingegangenen Risikos aber eine strafbewehrte Erfolgsabwendungspflicht aus § 13 Abs. 1 StGB anzunehmen. Denn anders als in den Selbsttötungsfällen erschöpft sich im Fall der Selbstgefährdung die Preisgabe des eigenen Rechtsguts gerade darin, dieses in einem vom Betroffenen jedenfalls in seinem wesentlichen Grad zutreffend erkannten Umfang (Kenntnis sämtlicher rechtsgutsbezogener Risiken des fraglichen Verhaltens wird nicht gefordert, vgl. BGH, Beschluss vom 11. Januar 2011 – 5 StR 491/10, NStZ 2011, 341, 342; siehe auch BGH, Urteil vom 28. Januar 2014 – 1 StR 494/13, BGHSt 59, 150, 169 f. Rn. 80 und 81) einem Risiko auszusetzen. Eine Hinnahme des als möglich erkannten Erfolgseintritts bei Realisierung des eingegangenen Risikos ist mit der Vornahme der Selbstgefährdung gerade nicht notwendig verbunden (siehe insoweit auch Freund in Münchener Kommentar zum StGB, 2. Aufl., § 13 Rn. 190; in der Sache anders dagegen Murmann NStZ 2012, 387, 388 f.).
18
Entwickelt sich das allein auf Selbstgefährdung angelegte Geschehen erwartungswidrig in Richtung auf den Verlust des Rechtsguts, umfasst die ursprüngliche Entscheidung des Rechtsgutsinhabers für die (bloße) Gefährdung seines Rechtsguts nicht zugleich den Verzicht auf Maßnahmen zum Erhalt des nunmehr in einen Zustand konkreter Gefahr geratenen Rechtsguts (vgl. Freund aaO). Eine Person, die nach den allgemeinen Grundsätzen des § 13 Abs. 1 StGB Garant für das bedrohte Rechtsgut ist, trifft dann im Rahmen des tatsächlich Möglichen und ihr rechtlich Zumutbaren die Pflicht, den Eintritt des tatbestandlichen Erfolgs abzuwenden.
19
Dem ist der Angeklagte nicht nachgekommen, weil er in dem Zeitraum, in dem noch die Möglichkeit der Abwendung des Todes von A. bestand, auf das Herbeirufen der lebensnotwendigen medizinischen Hilfe verzichtet hat.
20
(3) Ob für den Fall eines eigenverantwortlichen Suizids nach Verlust der Handlungsherrschaft des den Selbstmord Anstrebenden etwas anderes gilt (vgl. BGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – 2 StR 295/11, NStZ 2012, 319), bedarf keiner Entscheidung. Denn das Landgericht hat einen Selbsttötungswillen des Verstorbenen A. mit rechtsfehlerfreier Beweiswürdigung ausgeschlossen (UA S. 40).
21
c) Ohne Rechtsfehler hat das Landgericht, vor allem gestützt auf das rechtsmedizinische Sachverständigengutachten, festgestellt, dass A. bei rechtzeitigem Verständigen von medizinischer Hilfe mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit hätte gerettet werden können (UA S. 60–62).
22
d) Die Feststellungen zum bedingten Tötungsvorsatz werden durch eine umfassende, die Anforderungen an die Wissens- und die Willenskomponente dieser Vorsatzform berücksichtigende Gesamtwürdigung getragen (UA S. 63–

67).



II.


23
Der Schuldspruch wegen erpresserischen Menschenraubs in Tateinheit mit versuchter schwerer räuberischer Erpressung im Fall B.II.2. der Urteilsgründe (Geschehen vom 26./27. Mai 2013) weist ebenfalls keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.
24
1. Die getroffenen Feststellungen belegen die Tathandlung des SichBemächtigens im Sinne von § 239a Abs. 1 Halbs. 1 StGB spätestens ab dem Zeitpunkt des Verbringens des Nebenklägers in die Wohnung des (weiteren) nicht revidierenden Mitangeklagten J. . Sich-Bemächtigen liegt bereits vor, wenn der Täter die physische Herrschaft über einen anderen erlangt hat; dafür ist weder eine Ortsveränderung erforderlich noch muss der Tatbestand der Freiheitsberaubung erfüllt sein (BGH, Urteil vom 22. Oktober 2009 – 3 StR 372/09, NStZ 2010, 516). Die Umstände des Festhaltens in der fraglichen Wohnung (UA S. 26 und 27) ergeben die Erlangung physischer Herrschaft über den Nebenkläger. Dass es diesem zwischenzeitlich gelungen war, sich aus einer Fesselung durch Handschellen zu befreien, steht dem angesichts der sonstigen Umstände seines Festhaltens in der Wohnung nicht entgegen.
25
2. Soweit das Landgericht bezüglich § 239a StGB auf eine stabilisierte Bemächtigungslage abgestellt hat (UA S. 91), wäre es darauf nicht angekommen , weil der Angeklagte und sein nicht revidierender Mitangeklagter F. nach den getroffenen Feststellungen (auch) die Sorge des Vaters des geschädigten Nebenklägers um dessen Wohl zu einer Erpressung ausnutzen wollten. In solchen meist sog. Drei-Personen-Verhältnissen kommt nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs der Bemächtigungslage und deren Stabilisierung geringere Bedeutung zu als in sog. Zwei-Personen-Verhältnissen (Nachw. bei Fischer, StGB, 62. Aufl., § 239a Rn. 8b). Dass das Tatgericht sogar strengere Anforderungen an die Verwirklichung des Tatbestands gestellt hat, geht ersichtlich nicht zu Lasten des Angeklagten.

III.


26
Der Rechtsfolgenausspruch hält ebenfalls rechtlicher Prüfung stand.
27
Das Unterbleiben der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB hat das Landgericht ohne Rechtsfehler mit dem Fehlen eines Hangs des Angeklagten, alkoholische Getränke oder sonstige berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, begründet.
28
1. Hang im Sinne von § 64 StGB verlangt eine chronische, auf körperlicher Sucht beruhende Abhängigkeit oder zumindest eine eingewurzelte, auf psychischer Disposition beruhende oder durch Übung erworbene intensive Neigung , immer wieder Alkohol oder andere Rauschmittel im Übermaß zu sich zu nehmen. Ausreichend für die Annahme eines Hangs zum übermäßigen Genuss von Rauschmitteln ist jedenfalls, dass der Betroffene aufgrund seiner Konsumgewohnheiten sozial gefährdet oder gefährlich erscheint. Insoweit kann dem Umstand, dass durch den Rauschmittelgenuss bereits Gesundheit, Arbeits- und Leistungsfähigkeit erheblich beeinträchtigt sind, zwar indizielle Bedeutung für das Vorliegen eines Hangs zukommen; das Fehlen dieser Beeinträchtigungen schließt indessen nicht notwendigerweise die Bejahung eines Hangs aus (BGH, Beschluss vom 18. September 2013 – 1 StR 382/13, BGHR StGB § 64 Satz 1 Hang 1 mwN; Urteil vom 15. Mai 2014 – 3 StR 386/13 Rn. 10 [in NStZ-RR 2014, 271 nur LS]).
29
2. Diese Grundsätze hat das Landgericht zugrunde gelegt, sachverständig beraten jedoch die Voraussetzungen des Hangs weder im Sinne körperlicher Sucht noch psychischer Disposition, sondern lediglich einen schädlichen Gebrauch von Alkohol und sonstigen Mitteln festzustellen vermocht. Dabei hat es im rechtlichen Ausgangspunkt zutreffend berücksichtigt, dass vorhandene Beeinträchtigungen der Gesundheit sowie der Arbeits- und Lebensfähigkeit ebenso lediglich indizielle Bedeutung für den Hang haben wie umgekehrt das (bisherige) Fehlen solcher Beeinträchtigungen nur Indizien sind, die auf die Abwesenheit eines Hangs hindeuten können.
30
Da dem Landgericht die jeweils allein indizielle Bedeutung bewusst war, ist es rechtlich nicht zu beanstanden, dass es unter Berücksichtigung aller relevanten Aspekte vor allem aus dem geregelten Arbeitsleben des Angeklagten, seiner Fähigkeit, bisherige soziale Bindungen fortzuführen und neue zu knüpfen , sowie eingelegten Konsumpausen und dem Fehlen von Entzugserscheinungen nach der Festnahme in Übereinstimmung mit dem psychiatrischen Sachverständigen einen Hang verneint hat.
31
3. Angesichts des Vorstehenden kommt es nicht darauf an, ob auch – wie das Landgericht in Hilfserwägungen meint – der symptomatische Zu- sammenhang zwischen den begangenen Taten und einem (unterstellten) Hang fehlte.
Raum Jäger Radtke Mosbacher Fischer

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 389/13
vom
16. Januar 2014
in der Strafsache
gegen
wegen Körperverletzung mit Todesfolge u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 16. Januar 2014 beschlossen
:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Augsburg vom 7. Februar 2013 mit den Feststellungen
aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine Schwurgerichtskammer
des Landgerichts München I verwiesen.

Gründe:


I.


1
Das Landgericht hat den Angeklagten, einen auf die Substitutionsbehandlung Rauschgiftsüchtiger spezialisierten Arzt, wegen zweier tatmehrheitlicher Fälle der Körperverletzung mit Todesfolge, jeweils in Tateinheit mit vorsätzlicher unerlaubter Abgabe von Betäubungsmitteln, sowie wegen weiterer 673 tatmehrheitlicher Fälle der unerlaubten Abgabe von Betäubungsmitteln zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt und zugleich ein Berufs- verbot für die Dauer von vier Jahren sowie den Verfall von Wertersatz in Höhe von 11.600 Euro angeordnet.
2
Die Revision des Angeklagten hat Erfolg.
3
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts führte der Angeklagte seit vielen Jahren Substitutionsbehandlungen bei opiat-, vor allem heroinabhängigen Patienten durch. Ihm war bekannt, dass solche Patienten häufig unter Vortäuschung schwerer Schmerzzustände versuchen, sich in den Besitz von Schmerzpflastern auf Basis des Opiats Fentanyl zu bringen, um den darin enthaltenen Wirkstoff auszukochen und ihn sich zur Befriedigung ihrer Sucht intravenös zu injizieren. Ihm war auch bekannt, dass Fentanyl stark atemdepressiv wirkt, weshalb beim Einsatz solcher Pflaster ohne strenge ärztliche Kontrolle Lebensgefahr besteht.
4
a) Seit November 2005 führte der Angeklagte bei dem heroinabhängigen Geschädigten S. eine Substitutionsbehandlung durch. Im Januar 2008 brach dieser die Behandlung unvermittelt ab. Durch die Übersendung mehrerer ihm als "Hausarzt" übersandter Arztberichte erfuhr der Angeklagte jedoch in der Folgezeit davon, dass S. im ersten Halbjahr 2010 dreimal, zuletzt am 31. Mai 2010, erfolglos wegen seiner Heroinabhängigkeit stationär behandelt worden war.
5
Am 28. September 2010 sprach S. erstmals wieder in der Praxis des Angeklagten vor. Er trug ein aufgeklebtes Fentanyl-Schmerzpflaster und bat unter Hinweis auf eine bei ihm bestehende schwere Hüftgelenksverletzung um weitere Pflaster. Obwohl der Angeklagte erkannte, dass aufgrund der fortbestehenden Abhängigkeit die Abgabe von Fentanyl zur unkontrollierten Schmerzbehandlung kontraindiziert und S. infolge der Abhängigkeit als Hochrisikopatient im Hinblick auf einen möglichen Missbrauch einzustufen war, verordnete er ihm zehn Fentanyl-Pflaster mit einem Wirkstoffgehalt von je 100 Mikrogramm Fentanyl zum Eigengebrauch und stellte ihm auch bei drei weiteren Vorstellungen am 3. November 2010, am 1. Dezember 2010 und am 10. Januar 2011 jeweils Wiederholungsrezepte in gleichem Umfang aus. Eine eingehende Untersuchung des Patienten, insbesondere eine solche auf Drogenfreiheit , nahm er vor den Verschreibungen nicht vor.
6
Am Abend des 10. Januar 2011 kochte S. gemeinsam mit den Zeugen M. , A. und H. in seiner Wohnung die vom Angeklagten rezeptierten Fentanyl-Pflaster aus und injizierte sich den Wirkstoff. Dabei verabreichte er sich, was der Angeklagte nach den Feststellungen der Strafkammer für möglich hielt und billigend in Kauf nahm, versehentlich eine Überdosis und verstarb, für den Angeklagten als spezifische Folge seiner Verschreibung vorhersehbar und vermeidbar, unmittelbar an deren Folgen.
7
b) Seit November 1999 betreute der Angeklagte den langjährig heroinabhängigen Geschädigten T. .
8
Nachdem er diesem Patienten am 28. Januar 2009 zunächst ein Hausverbot in der Praxis erteilt hatte, stellte sich T. am 7. Dezember 2009 wegen eines vorgeblichen Lendenwirbelsyndroms überraschend wieder in der Praxis des Angeklagten vor. Er trug ein Fentanyl-Pflaster und bat um weitere gleichartige Verordnungen. Der Angeklagte rezeptierte ihm, ohne ihn zu untersuchen, zehn Fentanyl-Pflaster á 75 Mikrogramm zum Eigengebrauch , überwies ihn an einen Orthopäden und erbat von dort eine Bestätigung der Erforderlichkeit der Fentanyl-Behandlung. Ohne weitere Untersuchung und ohne Rücksprache mit dem Orthopäden rezeptierte er dem Geschädigten auch am 21. Dezember 2009 fünf, am 26. April 2010 zehn und am 23. Dezember 2010 nochmals fünf Fentanyl-Pflaster mit jeweils 75 Mikrogramm Fentanyl-Wirkstoff zum Eigengebrauch.
9
Wegen des ihm bekannten, langjährigen Suchtverlaufs waren dem Angeklagten die fortbestehende Abhängigkeit des Geschädigten T. und die damit verbundene Gefahr eines Missbrauchs von Heilmitteln bewusst.
10
T. injizierte sich, wie vom Angeklagten für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen, am 26. Dezember 2010 unter nicht näher aufklärbaren Umständen den ausgekochten Fentanyl-Wirkstoff intravenös. Für den Angeklagten als Folge seines Handelns vorhersehbar und vermeidbar, verabreichte er sich dabei eine Überdosis Fentanyl und verstarb unmittelbar an deren Folgen.
11
2. Seit 1999 war der Angeklagte behandelnder Arzt des opiatabhängigen Patienten K. . Der zu 100 % schwerbehinderte, an den Rollstuhl gefesselte Patient konsumierte, was dem Angeklagten bekannt war, seit 1999 abwechselnd L-Polamidon und Methadon.
12
In den Jahren 2010, 2011 und bis zu seiner Verhaftung am 18. Januar 2012 stellte der Angeklagte dem Patienten insgesamt 599 Privatrezepte im Umfang wöchentlicher Gesamtmengen jeweils 1%igen Methadonhydrochlorids von 105 ml (488 Rezepte), 210 ml (3 Rezepte) oder 308 ml (108 Rezepte) zum Eigengebrauch aus. Für - nicht näher verifizierte - Zeiträume, in denen der Geschädigte sich "auf Reisen" befand, verordnete ihm der Angeklagte in 68 Fällen jeweils 75 Methadicct-Tabletten mit einem Wirkstoffgehalt von je 40 mg Methadonhydrochlorid.
13
Eine umfassende Untersuchung des Patienten nahm der Angeklagte dabei zu keinem Zeitpunkt vor. Die jeweiligen Verordnungsdaten innerhalb des vorgenannten Zeitraums wählte er willkürlich. Mit Ausnahme von Urlaubszeiten stellte er dem Patienten wöchentlich fünf bis sechs Rezepte zum Preis von jeweils 30 Euro aus, die K. durch Mitarbeiterinnen des Angeklagten je- weils an der Hauseingangstür der Praxis übergeben wurden. Das Methadon verkaufte K. , soweit er es nicht selbst konsumierte, an Unbekannte weiter.
14
Der Angeklagte handelte in der Absicht, sich eine Erwerbsquelle von erheblichem Umfang und Dauer zu verschaffen. Durch die Rezeptverkäufe erzielte er einen Gesamterlös vor Steuern in Höhe von 20.010 Euro.

II.


15
Die Revision des Angeklagten ist bereits mit der Sachrüge begründet; auf die erhobene Verfahrensrüge kommt es daher nicht mehr an.
16
1. Die Verurteilung des Angeklagten wegen Körperverletzung mit Todesfolge zum Nachteil des Geschädigten S. hält revisionsgerichtlicher Prüfung nicht stand.
17
Bereits die Ausführungen des Landgerichts zum objektiven Tatbestand der Körperverletzung mit Todesfolge (§ 227 StGB) begegnen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
18
a) Im Ansatz zutreffend, hat die Strafkammer geprüft, ob der Angeklagte Beteiligter der zum Tode des Geschädigten S. führenden Körperverletzung sein konnte, obwohl sich dieser das Fentanyl ohne Mitwirkung des Angeklagten eigenhändig injizierte.
19
Wer eine fremde Selbstverletzung oder -gefährdung veranlasst, macht sich nicht wegen Tötungs- oder Körperverletzungsdelikten strafbar, wenn sich das mit der Gefährdung vom Opfer bewusst eingegangene Risiko realisiert. Wer eine solche Verletzung oder Gefährdung veranlasst, ermöglicht oder fördert , kann daher nicht wegen eines Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts verurteilt werden, denn er nimmt an einem Geschehen teil, welches - soweit es um die Strafbarkeit wegen Tötung oder Körperverletzung geht - kein tatbestandsmäßiger und damit kein strafbarer Vorgang ist (BGH, Beschluss vom 11. Januar 2011 - 5 StR 491/10; Urteile vom 29. April 2009 - 1 StR 518/08, BGHSt 53, 288, 290; vom 11. Dezember 2003 - 3 StR 120/03, BGHSt 49, 34, 39; vom 14. Februar 1984 - 1 StR 808/83, BGHSt 32, 262).
20
Maßgebliches Abgrenzungskriterium zwischen strafloser Beteiligung an einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung und einer - grundsätzlich tatbestandsmäßigen - Fremdgefährdung eines anderen ist die Trennungslinie zwischen Täterschaft und Teilnahme. Entscheidend ist damit die Eigen- bzw. Freiverantwortlichkeit des Entschlusses des Rechtsgutsinhabers, sein Leben oder seine körperliche Unversehrtheit selbst zu gefährden. Eine Täterschaft des die Selbstgefährdung Fördernden kommt daher nur in Betracht, wenn er infolge eines bei dem sich selbst Gefährdenden bestehenden Mangels der Eigenverantwortlichkeit Tat- bzw. Handlungsherrschaft über das Geschehen erlangt.
21
b) Die Strafkammer hat - im Ansatz zutreffend - eine solche Handlungsherrschaft des Angeklagten wegen dessen überlegenen Wissens bejaht, aber nicht rechtsfehlerfrei begründet.
22
aa) Hierzu hat sie ausgeführt, als "erfahrener Drogenarzt" habe der Angeklagte im "Wissen um das Risiko eines Missbrauchs durch Patienten mit problematischem Drogenhintergrund" das "weitere Geschehen aus der Hand" gegeben, indem er dem Patienten "unkontrolliert Fentanyl in großen Mengen überlassen" habe. Nicht "in Rechnung" zu stellen, dass Drogenabhängige "im Entzug jede Kontrolle über sich verlieren oder ein ihnen überlassenes Suchtmittel entgegen ärztlicher Anordnung intravenös injizieren und dabei auch eine Überdosis anwenden" können, schaffe geradezu einen „Anreiz zur Selbstge- fährdung, der als täterschaftliche Schaffung einer gefahrträchtigen Lage zu werten“ sei.
23
bb) Diese Begründung hält rechtlicher Prüfung nicht stand.
24
(1) Allerdings kann nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs überlegenes Sachwissen des die Selbstgefährdung bzw. -verletzung Fördernden dessen Handlungsherrschaft begründen (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Januar 2011 - 5 StR 491/10; BGH, Urteile vom 29. April 2009 - 1 StR 518/08, BGHSt 53, 288, 290 f.; vom 11. April 2000 - 1 StR 638/99, NStZ 2001,

205).

25
Die Strafkammer hat jedoch den rechtlichen Maßstab für die Prüfung überlegenen Wissens verkannt. Denn sie hat ausschließlich an den besonderen Kenntnissen des Angeklagten Maß genommen, dabei aber den Wissensstand des Geschädigten völlig unberücksichtigt gelassen (vgl. BayObLG, Beschluss vom 11. Dezember 2001 - 5St RR 298/01). Die Beurteilung der Überlegenheit des Sachwissens setzt jedoch Feststellungen zum Wissensstand sowohl des die Selbstgefährdung Fördernden als auch des sich selbst Gefährdenden zwingend voraus (zum Prüfungsmaßstab vgl. BGH, Urteil vom 11. April 2000 - 1 StR 638/99, NStZ 2001, 205 mwN).
26
(2) Durch diesen verkürzten Maßstab hat sich die Strafkammer im Weiteren den Blick auf Umstände verstellt, die hinreichend adäquates Sachwissen auch des Geschädigten in Bezug auf das rechtsgutsbezogene Risiko seines Verhaltens nahelegten und daher der Erörterung bedurft hätten:
27
So verfügte der Geschädigte über eine lange Suchtkarriere und kannte die grundlegenden Risiken des Drogenkonsums einschließlich des Risikos einer Überdosierung (vgl. auch BGH, Urteil vom 29. April 2009 - 1 StR 518/08, BGHSt 53, 288 ff.; BayObLG, Beschlüsse vom 11. Dezember 2001 - 5St RR 298/01, vom 14. Februar 1997 - 4St RR 4/97, NStZ 1997, 341, 342, und - zu einem insoweit anders gelagerten Fall - vom 28. August 2002 - 5St RR 179/02, NJW 2003, 371). Auch hinsichtlich des von ihm konkret praktizierten FentanylMissbrauchs legten die von der Strafkammer als glaubhaft erachteten Aussagen der Zeugen M. , A. und H. es nahe, dass der Geschädigte sich der Risiken seines Handelns, insbesondere der Gefahr einer Überdosis aufgrund der Injektion, bewusst war.
28
Eines darüber hinaus gehenden Verständnisses der exakten medizinischen Wirkzusammenhänge zwischen der Einnahme des als bei Überdosierung als lebensgefährlich bekannten Opiats und den möglichen Auswirkungen auf das eigene Leben und die eigene körperliche Unversehrtheit bedurfte es demgegenüber nicht.
29
c) Auch unter dem Aspekt eines etwaigen Ausschlusses der Fähigkeit zu eigenverantwortlicher Entscheidung belegen die Ausführungen der Strafkammer keine Tatherrschaft des Angeklagten.
30
Auch hier hat die Strafkammer bereits den rechtlichen Maßstab verfehlt.
31
Ihre - für sich genommen rechtsfehlerfrei getroffene - Feststellung der Opiatabhängigkeit des Geschädigten führt nicht automatisch zum Ausschluss der Eigenverantwortlichkeit (vgl. auch BGH, Beschluss vom 9. November 2011 - 2 StR 427/11, NStZ-RR 2012, 71; Urteile vom 17. Juni 2010 - 4 StR 47/10, und vom 14. Februar 1984 - 1 StR 808/83, NStZ 1984, 410, 411 m. Anm. Roxin ; sehr weitgehend demgegenüber noch BGH, Urteil vom 18. Juli 1978 - 1 StR 209/78, JR 1979, 429; Fischer, StGB, 61. Aufl., § 21 Rn. 13 mwN; ebenso für "Erfahrungen im Umgang mit Drogen" BGH, Beschluss vom 11. Januar 2011 - 5 StR 491/10; Urteil vom 11. April 2000 - 1 StR 638/99, BGHR StGB § 222 Zurechenbarkeit 2). Ein allgemeiner Erfahrungssatz, dass Betäubungsmittelkonsumenten zu eigenverantwortlicher Entscheidung nicht fähig sind, besteht nicht (s.a. BayObLG, Beschluss vom 11. Dezember 2001 - 5St RR 298/01). Vielmehr bedarf es der Feststellung konkreter die Eigenverantwortlichkeit einschränkender Umstände, etwa einer akuten Intoxikation (vgl. BGH, Urteil vom 28. Oktober 1982 - 1 StR 501/82, NStZ 1983, 72), unter Umständen auch eines entzugsbedingten akuten Suchtdrucks, verbunden mit der Angst vor körperlichen Entzugserscheinungen (zu §§ 20, 21 StGB vgl. BGH, Urteile vom 2. November 2005 - 2 StR 389/05, NStZ 2006, 151; vom 6. Juni 1989 - 5 StR 175/89,BGHR StGB § 21 BtM-Auswirkungen 5; Beschluss vom 10. April 1990 - 4 StR 148/90, BGHR StGB § 21 BtM-Auswirkungen 7 jew. mwN) oder konsumbedingter schwerer Persönlichkeitsveränderungen, die zum Verlust der Eigenverantwortlichkeit führen können (zu §§ 20, 21 StGB vgl. BGH, Beschluss vom 9. November 2011 - 2 StR 427/11, StV 2012, 282; Urteil vom 17. Juni 2010 - 4 StR 47/10).
32
Solche Feststellungen hat die Strafkammer jedoch nicht getroffen.
33
d) Soweit dem Urteil des Senats vom 18. Juli 1978 (1 StR 209/78, JR 1979, 429) über die Besonderheiten des dortigen konkreten Falles hinaus allgemein die Rechtsauffassung entnommen werden könnte, die aus der Behandlung eines opiatabhängigen Patienten resultierende Garantenpflicht des behandelnden Substitutionsarztes begründe eine "besondere Sorgfaltspflicht" des Arztes, Schaden von seinem Patienten abzuwenden, und führe - unabhängig von der Freiverantwortlichkeit des Patienten - stets zu einer Täterschaft begründenden Herrschaft des Arztes über das selbstschädigende Verhalten des Patienten, wäre daran nicht festzuhalten.
34
2. Aus denselben Gründen hält auch die Verurteilung des Angeklagten wegen Körperverletzung mit Todesfolge zum Nachteil des GeschädigtenT. revisionsgerichtlicher Überprüfung nicht stand.
35
3. Schließlich begegnet auch die Verurteilung des Angeklagten wegen unerlaubten Verschreibens von Betäubungsmitteln in den auf den Tatkomplex K. entfallenden 667 Fällen durchgreifenden Bedenken.
36
a) Die Annahme der Strafkammer, ungeachtet der - wie festgestellt - gemeinsamen Ausstellung mehrerer Rezepte liege hinsichtlich jedes einzelnen Rezepts eine gesonderte Straftat vor, ist rechtsfehlerhaft.
37
Aus dem Umstand, dass der Angeklagte jedes der ihm vorgelegten Rezepte überprüfte, ehe er es unterzeichnete, ergibt sich kein gesonderter Tatentschluss. Der Angeklagte handelte vielmehr ersichtlich mit der Absicht, alle ihm vorgelegten Rezepte, sofern diese formal ordnungsgemäß ausgestellt waren, innerhalb eines einheitlichen Prüfungsvorganges zu unterzeichnen, damit sie dem Patienten gemeinsam übergeben werden konnten.
38
b) Eine abschließende Beurteilung der Anzahl der Einzeltaten ist dem Senat nicht möglich, weil das Urteil insoweit keine widerspruchsfreien Feststellungen enthält.
39
Die Strafkammer legt als Tatzeitraum den Zeitraum vom 1. Januar 2010 bis zur Verhaftung des Angeklagten am 18. Januar 2012, also "ca. 107 Kalenderwochen" zugrunde. Sie führt hierzu jedoch aus, K. habe die Rezep- te lediglich "in der Regel", nämlich außerhalb von "Urlaubszeiten", wöchentlich abgeholt. Diese "Urlaubszeiten" - bei denen unklar bleibt, ob damit die "Reisezeiten" des Patienten gemeint sind - sind jedoch nicht näher verifiziert; es liegt nahe, dass sich die Anzahl der Rezeptübergaben unter Anrechnung dieser Zeiten verringert.

III.


40
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
41
1. Die in Fällen eigenverantwortlicher Selbstverletzung oder -gefährdung für eine Täterschaft wegen vorsätzlicher Körperverletzung aufgestellten Maßstäbe gelten entsprechend, sofern eine Bestrafung des die Selbstgefährdung Fördernden nur wegen fahrlässiger Körperverletzung bzw. Tötung in Betracht kommt. Daher bedarf es auch insoweit einer Handlungsherrschaft aufgrund überlegenen Sachwissens oder aufgrund erkennbarer Mängel der Fähigkeit zur eigenverantwortlichen Entscheidung bei dem sich selbst Gefährdenden (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Januar 2011 - 5 StR 491/10; Urteile vom 29. April 2009 - 1 StR 518/08, BGHSt 53, 288, 290; vom 11. Dezember 2003 - 3 StR 120/03, BGHSt 49, 34, 39; vom 14. Februar 1984 - 1 StR 808/83, BGHSt 32,

262).

42
2. Für den Fall, dass sich in einer neuen Hauptverhandlung hinreichende Feststellungen zur Annahme von Tat- bzw. Handlungsherrschaft des Angeklagten ergeben, wird der neue Tatrichter auch die subjektive Tatseite erneut eingehend zu prüfen haben:
43
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Abgrenzung von bedingtem Vorsatz und bewusster Fahrlässigkeit handelt der Täter vorsätzlich, wenn er den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt und damit in der Weise einverstanden ist, dass er die Tatbestandsverwirklichung billigend in Kauf nimmt oder sich um des erstrebten Zieles willen wenigstens mit ihr abfindet, mag ihm auch der Erfolgseintritt an sich unerwünscht sein; bewusste Fahrlässigkeit liegt hingegen dann vor, wenn der Täter mit der als möglich erkannten Tatbestandsverwirklichung nicht einverstanden ist und ernsthaft - nicht nur vage - darauf vertraut, der tatbestandliche Erfolg werde nicht eintreten (BGH, Urteil vom 4. November 1988 - 1 StR 262/88, BGHSt 36, 1, 9 f.).
44
Da beide Schuldformen im Grenzbereich eng beieinander liegen, müssen bei der Annahme bedingten Vorsatzes beide Elemente der inneren Tatseite , also sowohl das Wissenselement als auch das Willenselement, in jedem Einzelfall besonders geprüft und durch tatsächliche Feststellungen belegt werden (BGH aaO, vgl. auch Urteil vom 7. Juli 2011 - 5 StR 561/10, BGHSt 56, 277 ff.). Insbesondere die Würdigung zum voluntativen Vorsatzelement, also zur billigenden Inkaufnahme des Erfolges, muss sich mit den Feststellungen des Urteils zur Persönlichkeit des Täters auseinandersetzen und auch die zum Tatgeschehen bedeutsamen Umstände mit in Betracht ziehen (vergleiche BGH, Urteil vom 4. November 1988 - 1 StR 262/88, BGHSt 36, 1, 10, und vom 25. November 1987 - 3 StR 449/87, NStZ 1988, 175). Der Tatrichter darf nicht ohne Weiteres aus der Erkenntnisfähigkeit eines Täters oder seiner vorhandenen Erkenntnis auf die billigende Inkaufnahme des Erfolgs schließen (vgl. BGH, Urteil vom 25. November 1987 - 3 StR 449/87, NStZ 1988, 175).
45
Bei der Körperverletzung im Arzt-Patienten-Verhältnis ist zu berücksichtigen , dass die Annahme, die Art und Weise der Behandlung eines Patienten durch einen Arzt sei nicht am Wohl des Patienten orientiert, auch bei medizinisch grob fehlerhaftem Verhalten des Arztes häufig fernliegt (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2003 - 1 StR 269/02, NStZ 2004, 35 f.). Selbst erhebliche Sorgfaltspflichtverstöße schließen eine Verurteilung wegen nur fahrlässiger Tat nicht von vornherein aus (vgl. auch BayObLG, Beschluss vom 28. August 2002 - 5St RR 179/02, NJW 2003, 371, 372).
Raum Wahl Graf Jäger Cirener

(1) Verursacht der Täter durch die Körperverletzung (§§ 223 bis 226a) den Tod der verletzten Person, so ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.

(2) In minder schweren Fällen ist auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

5 StR 491/10

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 11. Januar 2011
in der Strafsache
gegen
wegen Körperverletzung mit Todesfolge u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 11. Januar 2011

beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 10. Mai 2010 gemäß § 349 Abs. 4 StPO mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen einer tateinheitlichen Tat der Körperverletzung mit Todesfolge und der Überlassung von Betäubungsmitteln mit Todesfolge (zwei tateinheitliche Fälle) sowie der gefährlichen Körperverletzung und der vorsätzlichen Überlassung von Betäubungsmitteln (fünf tateinheitliche Fälle) zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten verurteilt und ihn mit einem dauerhaften Berufsverbot für eine Tätigkeit als niedergelassener Arzt und als Psychotherapeut belegt. Seine hiergegen gerichtete Revision hat mit der Sachrüge Erfolg.

I.


2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts führte der Angeklagte, ein auf psychotherapeutische Behandlungen spezialisierter Arzt, sogenannte psycholytische Sitzungen durch. Bei diesen Gruppensitzungen werden die Patienten – so der Ansatz der Psycholyse – durch Drogen in ein Wachtraumerleben der Objektumgebung versetzt. Ziel dieser in Deutschland wissen- schaftlich nicht anerkannten Methode soll es sein, an unbewusste Inhalte der Psyche zu gelangen.
3
Am 19. September 2009 führte der Angeklagte mit einer Gruppe von zwölf Personen eine Intensivsitzung durch. Nach einer „Einstimmungs- und Befindlichkeitsrunde“ stellte er die zur Einnahme bereitgehaltenen Substanzen Neocor und MDMA vor. Nachdem der Angeklagte an neun der Gruppenmitglieder zunächst eine Tablette des nicht als Arzneimittel zugelassenen Neocor verabreicht hatte, fragte er, wer von den Anwesenden MDMA einnehmen wolle. Daraufhin meldeten sich sieben Mitglieder der Gruppe, darunter die später verstorbenen K. und Kn. . Von dem MDMA, das von dem Nebenkläger N. beschafft worden war, sollten sechs Mitglieder der Gruppe, die sich zur Einnahme entschlossen hatten, 120 mg, der Nebenkläger N. 140 mg erhalten. Der Angeklagte übernahm das Abwiegen des Rauschgifts. Dabei wunderte er sich zwar über das Volumen der abgewogenen Menge, verließ sich aber auf die Anzeige seiner Waage. Tatsächlich übergab er an die zum Drogenkonsum bereiten Gruppenmitglieder jedoch mindestens die zehnfache Menge. Etwa zehn bis 15 Minuten nach der Einnahme kam es bei diesen zu heftigen körperlichen Reaktionen. Einige erlitten Spasmen und waren unfähig, sich zu bewegen, mussten sich übergeben oder fingen an, um sich zu schlagen. Die körperlichen Ausfälle aufgrund der Vergiftung verstärkten sich zunehmend. Trotz der vom Angeklagten und der herbeigerufenen Notärztin veranlassten Hilfsmaßnahmen verstarben Kn. und K. an Multiorganversagen aufgrund der Überdosis MDMA. Der Nebenkläger N. war lebensgefährlich erkrankt, konnte jedoch nach Intensivbehandlung gerettet werden; die übrigen vier Gruppenmitglieder wurden nach einigen Tagen stationärer Behandlung wegen Vergiftungserscheinungen wieder entlassen.
4
2. Das Landgericht hat in der Verabreichung des MDMA eine vorsätzliche Körperverletzung gesehen. Der Angeklagte habe die Tatherrschaft über den Vorgang innegehabt, indem er das MDMA abgewogen und den Grup- penmitgliedern zur Verfügung gestellt habe. Eine Einwilligung fehle, weil er die Gruppenmitglieder nicht ausreichend aufgeklärt habe. Der durch diese Körperverletzungshandlung herbeigeführte Todeseintritt sei für ihn voraussehbar gewesen. Dies führe zugleich zu einer Strafbarkeit wegen des Überlassens von Betäubungsmitteln mit Todesfolge, weil der Angeklagte den Tod von K. und Kn. auch leichtfertig verursacht habe.

II.


5
Auf der Grundlage der Feststellungen des Landgerichts, das der Einlassung des Angeklagten im Hinblick auf eine versehentliche Überdosierung gefolgt ist, erweist sich die Revision des Angeklagten als begründet. Die Annahme einer vorsätzlichen Körperverletzung zu Lasten der MDMA konsumierenden Gruppenmitglieder begegnet durchgreifenden Bedenken.
6
1. Das Landgericht grenzt allerdings im Ansatz zutreffend die strafbare Körperverletzung von der straflosen Beteiligung an einer Selbstgefährdung ab. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs unterfällt die eigenverantwortlich gewollte und verwirklichte Selbstgefährdung grundsätzlich nicht den Tatbeständen eines Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts, wenn sich das mit der Gefährdung vom Opfer bewusst eingegangene Risiko realisiert. Wer eine solche Gefährdung veranlasst, ermöglicht oder fördert, kann daher nicht wegen eines Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts verurteilt werden; denn er nimmt an einem Geschehen teil, welches – soweit es um die Strafbarkeit wegen Tötung oder Körperverletzung geht – kein tatbestandsmäßiger und damit kein strafbarer Vorgang ist (BGH, Urteile vom 14. Februar 1984 – 1 StR 808/83, BGHSt 32, 262; vom 11. Dezember 2003 – 3 StR 120/03, BGHSt 49, 34, 39; vom 29. April 2009 – 1 StR 518/08, BGHSt 53, 288, 290).
7
Da sämtliche Mitglieder der Gruppe das Betäubungsmittel MDMA eigenhändig und wissentlich zu sich nahmen, liegt eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung vor. Dies schließt eine Strafbarkeit wegen einer vorsätzlichen Körperverletzung aus.
8
2. Eine strafrechtlich relevante Handlungsherrschaft wäre dem Angeklagten nur dann zugewachsen, wenn und soweit die Freiverantwortlichkeit des Selbstgefährdungsentschlusses der Gruppenteilnehmer beeinträchtigt gewesen wäre. Dies ist der Fall, wenn der Täter kraft überlegenen Fachwissens das Risiko besser erfasst als der Selbstgefährdende, namentlich wenn das Opfer einem Irrtum unterliegt, der seine Selbstverantwortlichkeit ausschließt (vgl. BGH, Urteile vom 29. April 2009 – 1 StR 518/08, BGHSt 53, 288, 290; vom 9. November 1984 – 2 StR 257/84, NStZ 1985, 319, 320), oder es infolge einer Intoxikation zu einer Risikoabwägung nicht mehr hinreichend in der Lage ist (BGH, Urteil vom 27. November 1985 – 3 StR 426/85, NStZ 1986, 266). Eine solche besondere Situation belegen die Urteilsgründe nicht.
9
a) Sämtliche Mitglieder der Gruppe nahmen das Betäubungsmittel MDMA willentlich zu sich. Ungeachtet der Tatsache, dass der Angeklagte die Dosierung bestimmte und die Betäubungsmittelportionen auch selbst abwog, verblieb ihnen ohne jede Einschränkung die letzte Entscheidung über die Einnahme.
10
b) Auch der von der Strafkammer angeführte Gesichtspunkt, der Angeklagte als Arzt und ehemaliger Suchtberater habe das Risiko besser erfasst als seine Gruppenmitglieder, die ihm vertraut hätten, begründet noch keine strafrechtlich relevante Handlungsherrschaft (vgl. Roxin, Strafrecht AT Bd. 1, 4. Aufl., § 11 Rdn. 111; vgl. sehr weitgehend BGH, Urteil vom 18. Juli 1978 – 1 StR 209/78, JR 1979, 429). Alle Gruppenmitglieder kannten die Illegalität der Droge. Bei der Psycholyse handelt es sich um eine in Deutschland wissenschaftlich nicht anerkannte Therapiemethode. Folglich mussten sie mit besonderen medizinischen Risiken rechnen. Darüber hinaus verfügten alle bereits über Erfahrungen mit der Droge; der später Verstorbene Kn.
hatte nach der Einnahme von MDMA überdies bereits früher Spasmen und Halluzinationen erlitten. Die Droge wurde vom Nebenkläger N. aus nicht näher geklärten – notwendigerweise jedoch illegalen – Quellen beschafft.
11
c) Angesichts dieser Umstände liegt eine eigenverantwortliche Selbstschädigung vor, selbst wenn der Angeklagte die einzelnen Gruppenmitglieder nicht über sämtliche – auch die eher seltenen – Risiken der MDMAEinnahme bei gängiger Verbrauchsdosierung, insbesondere nicht über ein bestehendes Todesrisiko, aufgeklärt hat, zumal sich diese Risiken im vorliegenden Fall nicht realisierten. Es bestehen zudem grundlegende Bedenken dagegen, die Grundsätze der Aufklärungspflicht bei ärztlicher Heilbehandlung uneingeschränkt in Fällen anzuwenden, in denen sich selbstverantwortliche Personen auf eine Behandlung einlassen, die offensichtlich die Grenzen auch nur ansatzweise anerkennenswerter ärztlicher Heilkunst überschreitet (vgl. auch § 13 BtMG).
12
3. Ein die Tatherrschaft des Angeklagten begründender Umstand wäre allerdings die Überdosierung mit der mindestens zehnfachen Menge des MDMA, weil hierdurch die Konsumenten der Drogen über einen ganz wesentlichen Gesichtspunkt im Unklaren gelassen wurden. Die wesentlich höhere Dosis hatte nämlich eine erhebliche Vergrößerung des Risikos zur Folge , das die Konsumenten nicht einschätzen konnten und auch tatsächlich verkannten.
13
Diese Fehldosierung durfte dem Angeklagten jedoch auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen nicht als vorsätzliche Körperverletzung zugerechnet werden. Das Landgericht folgt nämlich der Einlassung des Angeklagten , aufgrund einer Fehlfunktion seiner Waage sei es zur Überdosierung gekommen. Demnach fehlt es an einer Vermittlung der Tatherrschaft durch Irrtumsherrschaft, die bei der vorsätzlichen Körperverletzung nur durch ein vorsätzliches Handeln bewirkt werden kann. Wenn der Angeklagte die maßgebliche Risikoerhöhung durch die Falschdosierung nicht erkannt hat, liegt lediglich ein durch fahrlässiges Tun herbeigeführter Irrtum der Gruppenmitglieder vor. Der Angeklagte hätte deshalb auf der Basis der nach seiner Einlassung getroffenen Feststellungen – abhängig von den Folgen der Überdosierung bei den einzelnen Gruppenmitgliedern – lediglich wegen fahrlässiger Tötung (§ 222 StGB) und fahrlässiger Körperverletzung (§ 229 StGB) verurteilt werden können.

III.


14
Der Rechtsfehler nötigt angesichts der tateinheitlichen Verknüpfung sämtlicher verwirklichter Straftatbestände zu einer umfassenden Aufhebung des Schuldspruchs (vgl. BGH, Urteil vom 11. Dezember 2003 – 3 StR 120/03, BGHSt 49, 34, 45).
15
Abgesehen davon begegnet auch die Annahme einer Strafbarkeit wegen Überlassens der Betäubungsmittel mit Todesfolge (§ 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG) auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen Bedenken. Die Tatbestandsverwirklichung setzt im Hinblick auf die Todesfolge Leichtfertigkeit voraus (§ 18 StGB). Hierfür ist das Maß der Pflichtwidrigkeit im Moment des Wiegevorgangs entscheidend, weil der vom Landgericht angenommene Wiegefehler die den Todeserfolg auslösende Bedingung gesetzt hat. Das Landgericht hätte sich deshalb mit der Frage der Erkennbarkeit des Wiegefehlers vor dem Erfahrungshintergrund des Angeklagten als Arzt näher auseinandersetzen müssen.
16
Von einer Aufrechterhaltung von Teilen der Feststellungen sieht der Senat ab, um dem neuen Tatgericht eine umfassende Aufklärung zu ermöglichen. Das neue Tatgericht wird sich dabei kritisch mit der Einlassung des Angeklagten auseinandersetzen müssen, dass er infolge eines Fehlers der Waage die zehnfache Überdosierung des MDMA nicht erkannt habe (vgl. BGH, Beschluss vom 15. April 2010 – 5 StR 75/10, NStZ 2010, 503).
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71
1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs unterfällt eine eigenverantwortlich gewollte und verwirklichte Selbstgefährdung grundsätzlich nicht den Tatbeständen eines Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts, wenn sich das mit der Gefährdung vom Opfer bewusst eingegangene Risiko realisiert. Wer eine solche Gefährdung veranlasst, ermöglicht oder fördert, kann daher nicht wegen eines Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts verurteilt werden ; denn er nimmt an einem Geschehen teil, welches – soweit es um die Strafbarkeit wegen Tötung oder Körperverletzung geht – kein tatbestandsmäßiger und damit kein strafbarer Vorgang ist (BGH, Urteile vom 14. Februar1984 – 1StR 808/83, BGHSt 32, 262, 264 f.; vom 7. August 1984 – 1 StR 200/84, NStZ 1985, 25, 26; vom 11. April 2000 – 1 StR 638/99, NStZ 2001, 205; vom 7. Februar 2001 – 5 StR 474/00, BGHSt 46, 279, 288 f.; vom 29. April 2009 – 1StR 518/08, BGHSt 53, 288, 290 Rn. 5; BGH, Beschluss vom 11. Januar 2011 – 5 StR 491/10, NStZ 2011, 341, 342). Diese Grundsätze gelten sowohl für die vorsätzliche als auch die fahrlässige Veranlassung, Ermöglichung oder Förderung einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung oder Selbstverletzung (einschließlich der Selbsttötung; vgl. BGH, Urteil vom 14. Februar 1984 – 1 StR 808/83, BGHSt 32, 262, 264 f.).

Wer eine Körperverletzung mit Einwilligung der verletzten Person vornimmt, handelt nur dann rechtswidrig, wenn die Tat trotz der Einwilligung gegen die guten Sitten verstößt.

(1) Wer es unterläßt, einen Erfolg abzuwenden, der zum Tatbestand eines Strafgesetzes gehört, ist nach diesem Gesetz nur dann strafbar, wenn er rechtlich dafür einzustehen hat, daß der Erfolg nicht eintritt, und wenn das Unterlassen der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes durch ein Tun entspricht.

(2) Die Strafe kann nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

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aa) Dies gilt insbesondere auch für den Schluss der Kammer auf einen bedingten Vorsatz beider Angeklagter. Die Kammer hat sich (zwar unter teil- weise abweichender Formulierung, vgl. UA S. 16, 37: „konnten … erkennen“) davon überzeugt, dass die Angeklagten genau alle Umstände gekannt haben, die zur Verschlechterung des Gesundheitszustandes und damit zu Schmerzen und unnötigen Leiden führen mussten (UA S. 50), dass sie die fortlaufende Verschlechterung des Gesundheitszustandes erkannten (UA S. 15) und den fortschreitenden körperlichen Abbau bemerkten (UA S. 18) sowie dass sie auch alle für die eingetretene konkrete Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung und der erheblichen Schädigung der körperlichen Entwicklung des Nebenklägers kannten (UA S. 50). Diese Schlussfolgerung liegt angesichts des festgestellten Krankheitsverlaufs auch überaus nahe, war der Nebenkläger Ende 2002 doch schon durch massive Unterernährung, blaue Fingerkuppen und gravierende Lungenfunktionseinschränkung gleichsam vom nahenden Tod gezeichnet. Zudem haben – worauf das Landgericht zutreffend abstellt – sämtliche Zeugen (Geschwister, Lehrer) den kontinuierlichen und besorgniserregenden körperlichen Leistungsabbau ab Mitte 2001 bei dem Nebenkläger bemerkt, so dass nichts dafür spricht, dass lediglich die Angeklagten insoweit ahnungslos gewesen sind. All dies rechtfertigt im Zusammenhang mit den übrigen Feststellungen auch den Schluss der Kammer, die Angeklagten hätten – weil sie weitere unangenehme Auseinandersetzungen mit dem pubertär-schwierigen Jungen scheuten – die durch die Verschlechterung des Gesundheitszustandes entstandenen Schmerzen und Leiden des Nebenklägers ebenso billigend in Kauf genommen wie die konkrete Gefahr einer schweren Gesundheitsschädi- gung und einer erheblichen Schädigung der körperlichen Entwicklung und deshalb jeweils mit Eventualvorsatz gehandelt.