Bundesgerichtshof Urteil, 03. Juli 2019 - 5 StR 132/18

bei uns veröffentlicht am03.07.2019

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
Angesichts der gewachsenen Bedeutung der Selbstbestimmung
des Einzelnen auch bei Entscheidungen über seinLeben
kann in Fällen des freiverantwortlichen Suizids der Arzt, derdie
Umstände kennt, nicht mit strafrechtlichen Konsequenzen verpflichtet
werden, gegen den Willen des Suizidenten zu handeln.
BGH, Urteil vom 3. Juli 2019 5 StR 132/18
LG Hamburg
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
5 StR 132/18
vom
3. Juli 2019
in der Strafsache
gegen
wegen versuchter Tötung auf Verlangen u.a.
ECLI:DE:BGH:2019:030719U5STR132.18.0

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 3. Juli2019, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Mutzbauer,
Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Sander, Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Schneider, die Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. König, Köhler
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof S. , Richter am Landgericht K.
als Vertreter des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 8. November 2017 wird verworfen.
Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels und die hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten zu tragen.
- Von Rechts wegen -

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten von dem vom Hanseatischen Oberlandesgericht Hamburg in dessen Beschluss vom 8. Juni 2016 (NStZ 2016, 530) zugelassenen Anklagevorwurf freigesprochen, der 85-jährigen

W.

und der 81-jährigen M. für deren Selbsttötung die Medikamente Chloroquin und Diazepam mitgebracht sowie nach Eintritt der Bewusstlosigkeit der beiden Frauen Rettungsmaßnahmen unterlassen und sich hierdurch wegen versuchter Tötung auf Verlangen durch Unterlassen sowie wegen Überlassung von Betäubungsmitteln zum unmittelbaren Verbrauch strafbar gemacht zu haben. Mit ihrer gegen das Urteil gerichteten und auf die Sachrüge gestützten Revision erstrebt die Staatsanwaltschaft entsprechend ihrer ursprünglichen Anklage eine Verurteilung des Angeklagten wegen (gemeinschaftlichen) Totschlags
in mittelbarer Täterschaft in zwei tateinheitlichen Fällen. Das vom Generalbundesanwalt nicht vertretene Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

I.

2
1. Das Landgericht hat festgestellt:
3
W. und M. lebten seit vielen Jahren gemeinsam in einer Eigentumswohnung und führten ihren Haushalt weitgehend selbständig. Beide waren in qualifizierten Berufen tätig gewesen und wirtschaftlich gut situiert. Bis zu ihrem Tod waren sie geistig rege, nahmen aktiv am gesellschaftlichen Leben teil, unterhielten viele freundschaftliche und familiäre Beziehungen und pflegten Hobbys. Beide Frauen litten indes unter mehreren zwar nicht lebensbedrohlichen , aber die Lebensqualität und die persönlichen Handlungsmöglichkeiten zunehmend einschränkenden Krankheiten (unter anderem Bluthochdruck , beginnende Erblindung, Herzbeschwerden). In den letzten Monaten vor dem Tod nahmen ihre jeweiligen Beschwerden deutlich zu.
4
Schon im Jahr 2010 hatten Frau M. und Frau W. Patientenverfügungen verfasst. Als sich ihre Beschwerden und Krankheiten seit Ende 2010 verschlechterten, wuchs bei ihnen die Sorge, pflegebedürftig zu werden. Sie befürchteten, mit der Pflege der jeweils anderen physisch und psychisch überfordert zu sein. Die Möglichkeiten, in ein Pflegeheim zu ziehen oder eine häusliche Pflegekraft einzustellen, lehnten sie für sich nach Einholung von entsprechenden Informationen endgültig ab. Nachdem sie sich bereits seit mehreren Jahren mit dem Thema Suizid und Sterbebegleitung beschäftigt hatten, beschlossen sie – wahrscheinlich im Frühjahr 2012 –, gemeinsam aus dem Leben zu scheiden. Sie empfanden ihre zunehmenden Be- schwerden als „unerträglich“ und fanden, „es sei Zeit zu gehen“. Sie nahmen Kontakt zum Verein S. (S. ) auf, insbesondere zu dessen Vorsitzenden K. , und wurden gegen Zahlung eines Beitrags von jeweils 1.000 Euro Mitglieder dieses Vereins, um schmerzfrei und begleitet Sterbehilfe in Anspruch zu nehmen.
5
K. stellte den Kontakt zum Angeklagten her. Dieser ist approbierter Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, arbeitete viele Jahre als Arzt in einem Krankenhaus und erstellt seit dem Jahr 2003 ausschließlich neurologische und psychiatrische Gutachten über die Urteils- und Einsichtsfähigkeit von Suizidwilligen sowie über die Wohlerwogenheit ihres Suizidbeihilfewunsches. Die Frauen beauftragten den Angeklagten mit der Erstellung eines Gutachtens, das dem Verein als Grundlage für die Entscheidung über die Suizidbegleitung dienen sollte.
6
Bei einem persönlichen Treffen am 9. September 2012 schilderten sie dem Angeklagten ihre Biographien, ihre gesundheitlichen Beschwerden sowie die Gründe für ihre Suizidentschlüsse. Körperliche Untersuchungen führte der Angeklagte nicht durch. Zu diesem Zeitpunkt stand die Entscheidung der Frauen , sich das Leben nehmen zu wollen, bereits sicher fest. Im Rahmen dieses Treffens wurden auch mögliche Alternativen zur Lebensbeendigung, wie der Umzug in ein Seniorenheim oder die Einrichtung einer häuslichen Pflege angesprochen , die beide jedoch weiterhin ablehnten. Sie brachten mehrfach deutlich zum Ausdruck, dass sie fest zum Suizid entschlossen seien und sich ihre Entscheidung gut überlegt hätten. Hieran hatte der Angeklagte keinen Zweifel.
7
Gegen Ende des Treffens baten die Frauen den Angeklagten, sie auch später persönlich bei ihrem Suizid zu begleiten, was dieser zunächst ablehnte. In seinem am 13. September 2012 erstellten Gutachten attestierte er beiden Frauen aus psychiatrischer Sicht jeweils eine uneingeschränkte Einsichts- und Urteilsfähigkeit und kam zu dem Ergebnis, dass aus ärztlich-psychiatrischer Sicht keine Einwände gegen ihren Suizidbeihilfewunsch zu erkennen seien. Nachdem beide ihn in einem Brief nochmals um eine Begleitung bei ihrer Selbsttötung gebeten hatten, erklärte er sich schließlich hierzu bereit. Bei einem weiteren Treffen knapp drei Wochen vor ihrem Tod besprachen die Frauen mit dem Angeklagten die Einzelheiten und Formalitäten der Durchführung des Suizids , für den später der 10. November 2012 vereinbart wurde. Im Rahmen dieses Treffens wurden erneut der Sterbewunsch und Alternativen thematisiert.
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In den Folgetagen bereiteten die Frauen die Abwicklung ihres Nachlasses vor und erstellten einen „Leitfaden für Hinterbliebene“. Sie trafen sich letztmalig mit ihren Freunden und Angehörigen oder telefonierten mit ihnen, wobei sie ihre Selbsttötungspläne weiterhin nicht offenbarten. Am 5. November 2012 unterzeichneten sie auf Veranlassung des Angeklagten ein mit dem Titel „Auf- klärung und Einwilligung“ überschriebenes Formblatt, in dem sie den Wunsch äußerten, ihr Leben in Frieden und Würde zu beenden. Für den Fall ihrer Handlungsunfähigkeit untersagten sie jegliche Rettungsmaßnahmen. Am Tag vor ihrem Suizid verfassten sie eine weitere Erklärung, in der sie – auch unter Verweis auf ihre Patientenverfügungen – jeder sie etwa noch lebend antreffenden Person im Falle ihrer Handlungsunfähigkeit Rettungsmaßnahmen verboten. Sie beauftragten ergänzend Frau W. s Neffen, gegen dem Verbot zuwiderhandelnde Personen „Regress- und Schmerzensgeldforderungen“ einzuklagen. Schließlich verfassten sie Abschiedsbriefe an ihre Angehörigen und Freunde.
9
Als der Angeklagte am 10. November 2012 vereinbarungsgemäß in der Wohnung der Frauen eingetroffen war, berichteten sie ihm über die für ihren Tod getroffenen Vorbereitungen und bezahlten das vereinbarte Gutachtenhonorar in Höhe von 1.100 Euro. Ferner übergaben sie dem Angeklagten als Zuwendung 2.000 Euro, die dieser absprachegemäß einem Kinderhospiz spende- te. Sodann besprach der Angeklagte mit ihnen erneut die Einzelheiten der Medikamenteneinnahme. Er sagte ihnen zu, dass er ihrem Wunsch entsprechend bis zum sicheren Herzstillstand bleiben werde. Die Frauen sprachen über ihre Gefühle des Abschiednehmens. Der Angeklagte fragte sie nochmals, ob sie sicher seien, die Selbsttötung jetzt durchführen zu wollen. Beide Frauen bejahten dies; sie waren fest entschlossen, den von ihnen seit langem geplanten Suizid umzusetzen. Nachdem sie unter Mithilfe des Angeklagten die für ihre Selbsttötung erforderlichen Medikamente zerkleinert und in Wasser aufgelöst hatten, nahmen sie die Lösung selbständig ein. Bereits kurze Zeit später schliefen sie ein.
10
Im Zeitpunkt des Bewusstseinsverlustes der Frauen bestand zwar noch eine „gewisse Chance“, ihr Leben zuerhalten. Die Wahrscheinlichkeit einer er- folgreichen Rettung war jedoch äußerst gering. Wenn überhaupt, hätten beide mit schwersten Hirnschäden überlebt. Dies war dem Angeklagten bewusst. Er rief nicht den Notarzt und unternahm auch sonst keine Rettungsbemühungen, um dem Willen der Frauen zu entsprechen. Für eine Willensänderung ergaben sich auch nach der Medikamenteneinnahme keine Anzeichen. Beide Frauen verstarben etwa eine Stunde später.
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2. Die Strafkammer hat eine Strafbarkeit wegen Totschlags in mittelbarer Täterschaft und wegen eines Betäubungsmitteldelikts aus tatsächlichen, eine solche wegen versuchter Tötung auf Verlangen sowie unterlassener Hilfeleistung aus rechtlichen Gründen verneint.
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a) Sie konnte nicht feststellen, dass der Angeklagte den Frauen die bei der Selbsttötung angewandten Medikamente beschafft hatte, sondern ist davon ausgegangen, dass ihnen der S. diese zur Verfügung gestellt habe. Beide Frauen hätten die alleinige Tatherrschaft über die Herbeiführung ihres Todes gehabt. Ein die Tatherrschaft des Angeklagten begründender „Defektzustand“ habe bei ihnen nicht vorgelegen. Ihre von innerer Festigkeit und Zielstrebigkeit getragenen Suizidentschlüsse seien Ergebnis einer über einen längeren Zeitraum getroffenen Entscheidung und nicht etwa im Zustand einer depressiven Stimmung gefasst worden. Das durch den Angeklagten erstellte Gutachten sei weder mitursächlich für ihre Suizidentschlüsse noch inhaltlich falsch gewesen.
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b) Eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen versuchter Tötung auf Verlangen durch Unterlassen liege aus rechtlichen Gründen nicht vor. Denn den Angeklagten habe – unabhängig von dem bereits zweifelhaften Bestehen einer möglichen Garantenstellung – im Hinblick auf die ihm bekannte Freiverantwortlichkeit des Suizids der Frauen weder objektiv noch subjektiv eine Pflicht zur Abwendung ihres Todes getroffen.
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c) Aus rechtlichen Gründen habe sich der Angeklagte auch nicht wegen unterlassener Hilfeleistung strafbar gemacht. Es sei bereits fraglich, ob die seitens der beiden Frauen vorgenommene Selbsttötung einen Unglücksfall im Sinne des § 323c StGB darstelle. Jedenfalls sei in Fällen des freiverantwortlichen Suizides, in denen dem anwesenden Dritten der Suizidwille bekannt sei und es keine Anhaltspunkte für eine Willensänderung des Suizidenten gebe, eine Hilfeleistung nicht erforderlich und auch nicht zumutbar.

II.

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Die Revision der Staatsanwaltschaft ist unbegründet. Der Freispruch des Angeklagten hält rechtlicher Überprüfung stand.
16
1. Auf der Grundlage der rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen hat sich der Angeklagte nicht wegen eines vollendeten Tötungsdelikts durch aktives Tun (§ 212 Abs. 1 oder § 216 Abs. 1 StGB) strafbar gemacht. Vielmehr stellt sich sein Handeln insoweit als straflose Beihilfe zum eigenverantwortlichen Suizid dar.
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a) Die eigenverantwortlich gewollte und verwirklichte Selbsttötung erfüllt nicht den Tatbestand eines Tötungsdelikts (BGH, Urteil vom 4. Juli 1984 – 3 StR 96/84, BGHSt 32, 367,371). Für die Abgrenzung einer – dementsprechend mangels rechtswidriger Haupttat straflosen – Beihilfe zur Selbsttötung und der Tötung eines anderen, gegebenenfalls auf dessen ernsthaftes Verlangen , kommt es nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs darauf an, wer das zum Tod führende Geschehen zuletzt beherrscht (BGH, Urteile vom 14. August 1963 – 2 StR 181/63, BGHSt 19, 135, 139 f.; vom 7. Februar 2001 – 5 StR 474/00, BGHSt 46, 279, 284; vom 20. Mai 2003 – 5 StR 66/03, NJW 2003, 2326, 2327; vom 4. Juli 2018 – 2 StR 245/17, BGHSt 63, 161; Beschluss vom 25. November 1986 – 1 StR 613/86, NJW 1987, 1092; vgl. auch OLG München, NJW 1987, 2940, 2941). Begibt sich der Sterbewillige in die Hand eines Dritten und nimmt duldend von ihm den Tod entgegen, dann hat dieser die Tatherrschaft über das Geschehen. Nimmt dagegen der Sterbewillige selbst die todbringende Handlung vor und behält er dabei die freie Entscheidung über sein Schicksal, tötet er sich selbst, wenn auch mit fremder Hilfe.
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Letzteres ist hier der Fall. Zwar hat der Angeklagte das zur Bereitstellung der Medikamente vom S. geforderte Gutachten erstattet, die beiden Frauen über deren Einnahme beraten und diese bei der Herstellung der tödlichen Medikamentenlösung unterstützt. Nach den Feststellungen führten die Suizidentinnen aber den lebensbeendenden Akt eigenhändig aus, indem sie die Flüssigkeiten tranken und damit das zum Tod führende Geschehen bis zuletzt selbst beherrschten.
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b) Dem Angeklagten können die Selbsttötungshandlungen der Frauen auch nicht nach den Grundsätzen der mittelbaren Täterschaft zugerechnet werden.
20
aa) Notwendige Bedingung einer Strafbarkeit wegen eines Tötungsdelikts in mittelbarer Täterschaft in Konstellationen der Selbsttötung ist, dass derjenige , der allein oder unter Mitwirkung eines Dritten Hand an sich anlegt, unfrei handelt (vgl. BGH, Urteil vom 5. Juli 1983 – 1 StR 168/83, BGHSt 32, 38, 41 f.). Ein Begehen der Tat durch Benutzung des Suizidenten als „Werkzeug“ gegen sich selbst setzt daher voraus, dass dieser seinen Selbsttötungsentschluss aufgrund eines Wissens- oder Verantwortlichkeitsdefizits nicht freiverantwortlich gebildet hat (vgl. BGH, Urteile vom 5. Juli 1983 – 1 StR 168/83, BGHSt 32, 38, 41 f.; vom 28. Januar 2014 – 1 StR 494/13, BGHSt 59, 150, 168; Beschlüsse vom 11. Januar 2011 – 5 StR 491/10, NStZ 2011, 341, 342; vom 16. Januar 2014 – 1 StR 389/13, StV 2014, 601, 602). Befindet sich der Suizident – vom „Suizidhelfer“ erkannt – in einer seine freie Willensbildung ausschließenden La- ge, kann sich das Verschaffen der Möglichkeit des Suizids als in mittelbarer Täterschaft begangenes Tötungsdelikt darstellen (BGH, Urteil vom 28. Januar 2014 – 1 StR 494/13, BGHSt 59, 150, 168 f.; Beschluss vom 16. Januar 2014 – 1 StR 389/13).
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Freiverantwortlich ist demgegenüber ein Selbsttötungsentschluss, wenn das Opfer die natürliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit für seine Entscheidung besitzt und Mangelfreiheit des Suizidwillens sowie innere Festigkeit des Entschlusses gegeben sind (vgl. BGH, Urteile vom 7. August 1984 – 1 StR 200/84, NStZ 1985, 25, 26; vom 7. Oktober 2010 – 3 StR 168/10, NStZ 2011, 340 f., und vom 21. Dezember 2011 – 2 StR 295/11, NStZ 2012, 319, 320; Beschluss vom 8. Juli 1987 – 2 StR 298/87, NJW 1988, 1532). Zum Ausschluss der Freiverantwortlichkeit müssen konkrete Umstände festgestellt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Januar 2014 – 1 StR 389/13, StV 2014, 601, 603). Als solche kommen insbesondere Minderjährigkeit des Opfersoder krankheits- sowie intoxikationsbedingte Defizite in Frage (vgl. BGH, Urteile vom 22. Januar 1981 – 4 StR 480/80, NJW 1981, 932; vom 28. Oktober 1982 – 1 StR 501/82, NStZ 1983, 72; vom 11. April 2000 – 1 StR 638/99, NStZ 2001, 205, 206; vom 29. April 2009 – 1 StR 518/08, BGHSt 53, 288, 290, und vom 7. Oktober 2010 – 3 StR 168/10, NStZ 2011, 340 f.; Beschluss vom 11. Januar 2011 – 5 StR 491/10, NStZ 2011, 341, 342). Der Selbsttötungsentschluss kann auch dann mangelbehaftet sein, wenn er auf Zwang, Drohung oder Täuschung durch den Täter beruht (vgl. BGH, Urteile vom 5. Juli 1983 – 1 StR 168/83, BGHSt 32, 38, 43; vom 3. Dezember 1985 – 5 StR 637/85, JZ 1987, 474; Lackner/Kühl, StGB, 29. Aufl., Vor § 211 Rn. 13b; MüKo-StGB/Schneider, 3. Aufl., § 216 Rn. 22). Dasselbe gilt, wenn er einer bloßen depressiven Augenblicksstimmung entspringt, mithin nicht von innerer Festigkeit und Zielstrebigkeit getragen ist (vgl. BGH, Urteile vom 7. Oktober 2010 – 3 StR 168/10, NStZ 2011, 340, 341, und vom 14. September 2011 – 2 StR 145/11, NStZ 2012, 85, 86; MüKo-StGB/ Schneider, aaO, Rn. 19).
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bb) Gemessen hieran ist die auf rechtsfehlerfreien Feststellungen beruhende Wertung des Landgerichts nicht zu beanstanden, die Selbsttötungsentschlüsse der beiden Frauen seien freiverantwortlich gefasst gewesen.
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Die Strafkammer hat nach ausführlicher Würdigung der erhobenen Beweise keine Beeinträchtigungen ihrer Einsichts- und Urteilsfähigkeit, etwa durch eine psychische Störung, festgestellt. Es gab keine Anhaltspunkte dafür, dass bei den Frauen eine depressive Erkrankung etwa nicht erkannt worden sein könnte. Beider Wunsch, aus dem Leben zu scheiden, war über einen längeren Zeitraum unter Berücksichtigung von Alternativen erwogen worden und bereits gefasst, als sich die Frauen an die Sterbehilfeorganisation wandten und von ihr an den Angeklagten vermittelt wurden. Er bestand zum Zeitpunkt der tödlichen Handlungen fort. Die Frauen waren durch den Angeklagten über den genauen Ablauf des Suizids und die Wirkung der todbringenden Medikamente aufgeklärt worden, womit sie insoweit denselben Wissensstand aufwiesen, wie er selbst (vgl. dazu BGH, Beschlüsse vom 11. Januar 2011 – 5 StR 491/10, NStZ 2011, 341, 342; vom 16. Januar 2014 – 1 StR 389/13, StV 2014, 601, 602). Ihre Selbsttötungsentschlüsse unterlagen damit keinen eine Tatherrschaft des Angeklagten begründenden Wissens- oder Willensmängeln.
24
cc) Von einem freiverantwortlichen Willensentschluss der Frauen wäre auch unter Zugrundelegung der hierfür in der Literatur vertretenen Kriterien auszugehen.
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Die Frauen befanden sich nach den Feststellungen nicht in einem Zustand , der entsprechend §§ 19, 20, 35 StGB zu einem Verantwortlichkeitsausschluss führen würde (sogenannte Exkulpationslösung, vgl. MüKoStGB /Schneider, aaO, Vor § 211 Rn. 38; Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf, Strafrecht Besonderer Teil, 3. Aufl., § 3 Rn. 28; Roxin, NStZ 1984, 71; GA 2013, 313, 319 f.). Ihre Selbsttötungen waren das Resultat bilanzierender Reflexion, weswegen auch bei Heranziehung der Grundsätze der Einwilligung ein freiverantwortlicher Entschluss vorlag; auch an der Ernstlichkeit ihres Todeswunsches (vgl. § 216 StGB) bestanden keine Zweifel (so – mit Differenzierungen im Detail – diesogenannte Einwilligungslösung, vgl. Lackner/Kühl, aaO, Vorbemerkung §§ 211 bis 222 Rn. 13a; NK-StGB/Neumann, 5. Aufl., Vorbemerkungen zu § 211 Rn. 65; LK-StGB/Rosenau, 12. Aufl., Vor §§ 211 ff. Rn. 103; Wessels /Hettinger/Engländer, Strafrecht Besonderer Teil 1, 42. Aufl., Rn. 53 f.).
26
2. Ebenso mit Recht hat das Landgericht angenommen, dass eine Bestrafung des Angeklagten wegen vollendeter Tötung durch Unterlassen schon aus tatsächlichen Gründen nicht in Betracht kommt. Denn das Unterlassen von Rettungshandlungen nach Eintritt der Bewusstlosigkeit der Frauen durch den Angeklagten war für deren Tod nicht kausal.
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Ursächlichkeit liegt bei den (unechten) Unterlassungsdelikten vor, wenn bei Vornahme der pflichtgemäßen Handlung der tatbestandsmäßige Schadenserfolg mit dem für die Bildung der richterlichen Überzeugung erforderlichen Beweismaß der an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit verhindert worden wäre (vgl. BGH, Urteile vom 4. Juli 1984 – 3 StR 96/84, BGHSt 32, 367, 369 f.; vom 6. Juli 1990 – 2 StR 549/89, BGHSt 37, 106, 126 f.; vom 19. Dezember 1997 – 5 StR 569/96, BGHSt 43, 381, 397; vom 19. April 2000 – 3 StR 442/99, NJW 2000, 2754, 2757 und vom 4. September 2014 – 4 StR 473/13, BGHSt 59, 292, 301 f.; Beschluss vom 5. August 2015 – 1 StR 328/15, BGHSt 61, 21, 27).
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Der Nachweis, dass der Tod bei sofortiger Einleitung ärztlicher Rettungsmaßnahmen hätte verhindert oder hinausgeschoben werden können, ist nicht erbracht. Denn nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen schliefen die Frauen „kurze Zeit“ nach der Medikamenteneinnahme ein. Ab die- sem Zeitpunkt war die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Rettung „äußerst gering“ (UA S. 20).
29
3. Der Angeklagte hat sich auch nicht wegen eines versuchten Tötungsdelikts durch Unterlassen strafbar gemacht, da ihn keine Garantenstellung für das Leben der beiden Frauen traf und dies auch seiner Vorstellung entsprach.
30
a) Eine versuchte Tötung durch Unterlassen kann nach § 13 Abs. 1 StGB nur begehen, wer nach seiner Vorstellung rechtlich dafür einzustehen hat, dass der Erfolg nicht eintritt; zudem muss das Unterlassen der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes durch ein Tun entsprechen. Die Gleichstellung des Unterlassens mit dem aktiven Tun setzt voraus, dass der Täter als „Garant“zur Abwendung des tatbestandlichen Erfolges verpflichtet ist. Der eine Garantenstellung schaffende besondere Rechtsgrund kann seinen Ursprung etwa in Rechtsnormen, besonderen Vertrauensverhältnissen oder vorangegangenem gefährlichen Tun finden (vgl. nur BGH, Urteil vom 24. Juli 2003 – 3 StR 153/03, BGHSt 48, 301, 306). Verbindendes Element sämtlicher Entstehungsgründe ist dabei stets die Überantwortung einer besonderen Schutzfunktion für das betroffene Rechtsgut an den Obhuts- oder Überwachungspflichtigen (vgl. BGH, Urteile vom 25. September 2014 – 4 StR 586/13, BGHSt 59, 318, 323 und vom 29. Oktober 1992 – 4 StR 358/92, BGHSt 38, 388, 391; Beschluss vom 8. März 2017 – 1 StR 466/16, BGHSt 62, 72, 76).
31
b) Der Angeklagte war nicht kraft Übernahme der ärztlichen Behandlung für das Leben der beiden Frauen verantwortlich. Denn es bestand zwischen den Beteiligten kein Arzt-Patientinnen-Verhältnis (vgl. zu einer solchen Konstellation BGH, Urteil vom 4. Juli 1984 – 3 StR 96/84, BGHSt 32, 367, 377 f.). Mit den Suizidentinnen vereinbart war lediglich, sie bei ihrem Sterben zu begleiten; eine Beschützergarantenstellung für ihr Leben oblag ihm daher nicht (vgl. auch BGH, Urteil vom 26. Oktober 1982 – 1 StR 413/82, NJW 1983, 350, 351).
32
c) Der Angeklagte hat auch keine Garantenstellung aus vorangegangenem gefährlichen Tun (Ingerenz). Eine solche setzt ein pflichtwidriges – auch mittelbares – Schaffen einer Gefahr voraus (vgl. BGH, Urteil vom 17. Juli 2009 – 5 StR 394/08, BGHSt 54, 44, 47; Beschlüsse vom 8. März 2017 – 1 StR 466/16, BGHSt 62, 72, 80 und vom 15. Mai 2018 – 3 StR 130/18; zur mittelbaren Gefahrverursachung vgl. Schönke/Schröder/Bosch, 30. Aufl., § 13 Rn. 39; Roxin, NStZ 1985, 320, 321).
33
aa) Das Überlassen der Medikamente kommt als Anknüpfungspunkt insofern nicht in Betracht. Denn das Landgericht hat nicht festzustellen vermocht, dass der Angeklagte sie den Frauen zur Verfügung gestellt hat, er auf diese Weise mithin eine Gefahrenquelle für beider Leben geschaffen hat (vgl. BGH, Urteile vom 13. November 2008 – 4 StR 252/08, BGHSt 53, 38, 41 f.; vom 21. Dezember 2011 – 2 StR 295/11, NStZ 2012, 319, 320 und vom 22. November 2016 – 1 StR 354/16, BGHSt 61, 318, 323; Beschluss vom 5. August 2015 – 1 StR 328/15, BGHSt 61, 21, 23 f.).
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bb) Die Erstellung der Gutachten über die aus psychiatrischer Sicht bestehende Einsichts- und Urteilsfähigkeit der beiden Frauen führt nicht zur Begründung einer Garantenstellung aus vorangegangenem gefährlichem Tun. Denn dieses Handeln war nicht pflichtwidrig.
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(1) Eine Pflichtwidrigkeit des Vorverhaltens des Angeklagten ergab sich weder aus § 1 Abs. 1 BÄO noch aus dem ärztlichen Standesrecht.
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(a) Die Erstattung der Gutachten zur Vorbereitung der Gewährung von Hilfe bei einer Selbsttötung mag zwar in Widerspruch zu § 1 Abs. 1 BÄO stehen. Die Bundesärzteordnung regelt jedoch lediglich das ärztliche Berufsbild und die Voraussetzungen für die Ausübung des Arztberufs, insbesondere die Approbation.
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(b) Die ärztlichen Berufsordnungen enthalten Regelungen, wonach Ärzte keine Hilfe zur Selbsttötung leisten dürfen (vgl. § 16 Satz 3 der von der Bundesärztekammer beschlossenen Musterberufsordnung für Ärzte) oder sollen (vgl. § 16 Satz 3 der Berufsordnung der Ärztekammer Westfalen-Lippe). Soweit der Angeklagte sich über eine solche Regelung hinwegsetzte, begründete dies jedoch in seiner Person keine Garantenstellung aus Ingerenz.
38
Dabei kommt es nicht – wie das Landgericht in Betracht zieht – darauf an, dass die Ärztekammer Westfalen-Lippe, der der Angeklagte angehört, das in der Musterberufsordnung vorgeschlagene ausdrückliche uneingeschränkte Verbot der Hilfe zur Selbsttötung nicht übernommen hat. Der Senat braucht auch nicht zu entscheiden, ob ärztliche Berufsordnungen, die nicht im Rang eines formellen Gesetzes stehen, zur Begründung von strafbewehrten Erfolgsabwendungspflichten geeignet sind (ablehnend etwa Hillenkamp, MedR 2018, 379, 382; ZMGR 2018, 289, 294; Hoven, NStZ 2018, 281, 284) oder die Statuierung einer Garantenstellung eine Ordnung eines Lebensbereichs darstellt, die auf eine Entscheidung des Gesetzgebers zurückzuführen sein muss (vgl. BVerfGE 33, 125, 158).
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Denn jedenfalls muss die Pflichtwidrigkeit in der Verletzung eines Gebotes bestehen, das gerade dem Schutz des konkret gefährdeten Rechtsguts zu dienen bestimmt ist (BGH, Urteile vom 6. Juli 1990 – 2 StR 549/89, BGHSt 37, 106, 115 f. und vom 4. Dezember 2007 – 5 StR 324/07, NStZ 2008, 276, 277; Beschluss vom 8. März 2017 – 1 StR 540/16, wistra 2017, 437, 440; Schönke/ Schröder/Bosch, aaO, § 13 Rn. 35a). Dies ist bereits zweifelhaft, da das ärztliche Standesrecht grundsätzlich auf die Statuierung berufsethischer (Verhaltens -) Standards und nicht auf den Schutz von Rechtsgütern gerichtet ist (vgl. BVerfGE 76, 171, 187 für anwaltliche Standesrichtlinien; siehe auch VG Berlin, Urteil vom 30. März 2012 – 9 K 63.09; MüKo-StGB/Schneider, aaO, Vor § 211 Rn. 76; Eser, JZ 1986, 786, 789; Freund/Timm, GA 2012, 491, 494). Jedenfalls aber entfaltet das Standesrecht keine strafbegründende Wirkkraft, wenn das ärztliche Verhalten dem autonomen Willen des Suizidenten entspricht (vgl. § 1901a BGB, dazu auch BGH, Urteil vom heutigen Tag – 5 StR 393/18).
40
(2) Ein Pflichtwidrigkeitsurteil kann auch nicht aus dem durch das Gesetz zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung mit Wirkung vom 10. Dezember 2015 (BGBl. I S. 2177) in das Strafgesetzbuch eingefügten Straftatbestand des § 217 StGB abgeleitet werden. Zwar hat der Gesetzgeber damit zum Ausdruck gebracht, dass er das geschäftsmäßige Verschaffen der Gelegenheit zur Selbsttötung, wie es der Angeklagte durch seine regelmäßige Erstellung der von Sterbehilfeorganisationen vorausgesetzten Gutachten der vorliegenden Art erbracht hat, als strafwürdig und damit auch als pflichtwidrig erachtet (vgl. auch BT-Drucks. 18/5373, S. 11). Diese Norm kann freilich bereits aufgrund der vor ihrem Inkrafttreten liegenden Tatzeit die Pflichtwidrigkeit des Vorverhaltens des Angeklagten nicht begründen (Art. 103 Abs. 2 GG, §§ 1, 2 StGB).
41
(3) Auch die weiteren durch das Landgericht festgestellten aktiven Beiträge des Angeklagten, wie insbesondere die beratende Tätigkeit am Todestag sowie die Hilfe beim Zerkleinern und Auflösen der Tabletten, erfüllen nach dem oben Gesagten nicht die Voraussetzungen eines pflichtwidrigen Vorverhaltens. Da die Frauen nach den Feststellungen des Landgerichts schon vor der beratenden Tätigkeit des Angeklagten zum Selbstmord durch die Einnahme der Tabletten entschlossen waren, bestehen bereits Zweifel daran, ob dieses Vorverhalten des Angeklagten überhaupt die Gefahr des Eintritts des tatbestandsmäßigen Erfolgs begründete oder erhöhte (vgl. BGH, Urteile vom 6. Juli 1990 – 2 StR 549/89, BGHSt 37, 106 und vom 23. September 1997 – 1 StR 430/97, NStZ 1998, 83, 84). Jedenfalls haben die Frauen im Anschluss hieran die Tabletten freiverantwortlich selbst eingenommen, so dass das Risiko für die Verwirklichung der durch das Vorverhalten des Angeklagten gegebenenfalls erhöh- ten Gefahr allein in ihrem Verantwortungsbereich lag (vgl. BGH, Beschluss vom 13. November 1963 – 4 StR 267/63, BGHSt 19, 152, 155; Urteil vom 5. Dezember 1974 – 4 StR 529/74, BGHSt 26, 35, 38; LK-StGB/Weigend, aaO, § 13 Rn.

45).

42
Dem steht nicht entgegen, dass die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in Konstellationen einer sich erwartungswidrig entwickelnden Selbstgefährdung eine Erfolgsabwendungspflicht des das Tatmittel bereitstellenden Täters angenommen hat (vgl. BGH, Urteile vom 9. November 1984 – 2 StR 257/84, NStZ 1985, 319, 320; vom 27. Juni 1984 – 3 StR 144/84, NStZ 1984, 452 und vom 24. November 2016 – 4 StR 289/16, NStZ 2017, 219, 221; Beschluss vom 5. August 2015 – 1 StR 328/15, BGHSt 61, 21, 26). Denn in den Selbstgefährdungsfällen erschöpft sich die Preisgabe des eigenen Rechtsguts gerade darin, dieses in der Hoffnung auf einen guten Ausgang einem Risiko auszusetzen (BGH, Beschluss vom 5. August 2015 – 1 StR 328/15, BGHSt 61, 21, 26 f.; Urteil vom 24. November 2016 – 4 StR 289/16, NStZ 2017, 219, 221 f.). Demgegenüber vertraut der Suizident nicht darauf, dass sich die Gefahr, in die er seine Rechtsgüter bringt, nicht realisiert. Vielmehr kommt es ihm gerade auf den Eintritt der Rechtsgutsbeeinträchtigung an.
43
4. Das Landgericht hat schließlich eine Strafbarkeit wegen unterlassener Hilfeleistung (§ 323c Abs. 1 StGB) zutreffend verneint.
44
a) Entgegen den im angefochtenen Urteil insoweit geäußerten Zweifeln hält der Senat daran fest, dass die durch einen Selbstmordversuch herbeigeführte Gefahrenlage einen Unglücksfall im Sinne des § 323c Abs. 1 StGB darstellt (vgl. BGH, Beschluss vom 10. März 1954 – GSSt 4/53, BGHSt 6, 147, 152; Urteil vom 15. Mai 1959 – 4 StR 475/58, BGHSt 13, 162, 169; anders noch Urteil vom 12. Februar 1952 – 1 StR 59/50, BGHSt 2, 150). Für eine Abkehr von dieser Auffassung besteht, auch unter Berücksichtigung der hiergegen im Schrifttum erhobenen Einwände (vgl. NK-StGB/Gaede, aaO, § 323c Rn. 5; Lackner/Kühl, aaO, § 323c Rn. 2; MüKo-StGB/Freund, aaO, § 323c Rn. 59 ff.; Schönke/Schröder/Hecker, aaO, § 323c Rn. 8; Wessels/Hettinger/Engländer, aaO, Rn. 68; Schroth in Spickhoff/Kossak/Kvit, Aktuelle Fragen des Medizinrechts , S. 157, 161), kein Anlass.
45
Ungeachtet der durch den Bundesgerichtshof in der Vergangenheit vorgenommenen Bewertung der Selbsttötung als Verstoß gegen das Sittengesetz (vgl. BGH, Beschluss vom 10. März 1954, GSSt 4/53, aaO, 153; siehe auch BGH, Urteil vom 7. Februar 2001 – 5 StR 474/00, BGHSt 46, 279, 285), stellt die mit einem Suizid verbundene Zerstörung des grundrechtlich geschützten Rechtsguts Leben – von gravierenden Ausnahmefällen (vgl. etwa den BVerwGE 158, 142) abgesehen – bei natürlicher Betrachtung einen Unglücksfall im Rechtssinn dar (vgl. Kutzer, ZRP 2012, 135, 136). Anders als bei den dem Individualschutz dienenden Tötungs- oder Körperverletzungsdelikten schließt die aus dem Selbstbestimmungsrecht fließende Einsichts- und Urteilsfähigkeit des Suizidenten das der Vorschrift des § 323c StGB auch zugrundeliegende Erfordernis menschlicher Solidarität nicht aus (vgl. Otto, Gutachten D für den 56. Deutschen Juristentag, 1986, D 77; NJW 2006, 2217, 2222). Deshalb stellt die Annahme eines Suizids als Unglücksfall auch keinen Widerspruch zur Straflosigkeit des Teilnehmers an einer Selbsttötung dar (vgl. auch BGH, Urteil vom 15. Mai 1959 – 4 StR 475/58, BGHSt 13, 162, 169; aA LK-StGB/Spendel, 11. Aufl., § 323c Rn. 51; Eser, MedR 2018, 734, 735; Saliger, medstra 2015, 132,

136).

46
b) Dem Angeklagten war aber nicht zuzumuten, nach Eintritt der Bewusstlosigkeit der Frauen Rettungsmaßnahmen zu ergreifen. Damit hat er den Tatbestand des § 323c StGB nicht erfüllt (vgl. zur Einordnung der Zumutbarkeit als Tatbestandsmerkmal des § 323c StGB siehe BGH, Beschluss vom 2. März 1962 – 4 StR 355/61, BGHSt 17, 166, 170; SSW/Schöch, StGB, 4. Aufl., § 323c Rn. 17; Schönke/Schröder/Hecker, aaO, § 323c Rn. 1).
47
Soweit Maßnahmen zur Lebensrettung der bewusstlosen Frauen in Betracht kamen, befand sich der Angeklagte in einer für ihn unauflöslichen Konfliktsituation zwischen der aus § 323c Abs. 1 StGB erwachsenden allgemeinen Hilfspflicht und der Pflicht, das im allgemeinen Persönlichkeitsrecht verbürgte Selbstbestimmungsrecht der Frauen zu achten. Im Hinblick auf ihren geplanten Suizid hatten sie knapp eine Woche zuvor eine schriftliche Erklärung verfasst, in der sie ausdrücklich und unmissverständlich jegliche Rettungsmaßnahmen nach Eintritt ihrer Handlungsunfähigkeit untersagten (UA S. 14). Diese Verfügung zielte auf die nach Einnahme der todbringenden Medikamente eingetretene Situation und war für den Angeklagten verbindlich (§ 1901a Abs. 1 BGB; vgl. BGH, Beschlüsse vom 17. September 2014 – XII ZB 202/13, BGHZ 202, 226, 238; vom 6. Juli 2016 – XII ZB 61/16, BGHZ 211, 67, 82 und vom 14. November 2018 – XII ZB 107/18, NJW 2019, 600, 602; BT-Drucks. 16/8442, S. 11 f.). Zudem hatten die Frauen ihren Willen, nicht gerettet zu werden, auch in einer schriftlichen Erklärung an Frau W. s Neffen zum Ausdruck gebracht, mit der sie diesen im Fall der Zuwiderhandlung mit der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen beauftragten. Zu einer dem erklärten Willen zuwiderlaufenden Hilfeleistung verpflichtete § 323c Abs. 1 StGB den Angeklagten nicht (vgl. BGH, Urteile vom 3. Dezember 1982 – 2 StR 494/82, NStZ 1983, 117, 118 und vom 25. Juni 2010 – 2 StR 454/09, BGHSt 55, 191).
48
c) Der Senat weicht nicht in einer ein Anfrageverfahren nach § 132 Abs. 3 Satz 1 GVG erfordernden Weise von der vom 3. Strafsenat in seinem Urteil vom 4. Juli 1984 – 3 StR 96/84, BGHSt 32, 367, 381 – vertretenen Ansicht ab. Angesichts dessen, dass bei einer „Rettung“ der Frauen – ebenso wie dort – schwerste Hirnschäden zu erwarten gewesen wären (UA S. 20), liegt im Ergebnis keine Divergenz im Sinne des § 132 Abs. 3 Satz 1 GVG vor (vgl. BGH, Beschluss vom 24. März 1994 – 4 StR 656/93, NJW 1994, 2034, 2035; Urteil vom 22. April 1997 – 1 StR 701/96, BGHSt 43, 53, 58; KK-StPO/Feilcke, 8. Aufl., GVG § 132 Rn. 4; LR-StPO/Franke, 26. Aufl., GVG § 132 Rn. 6; MüKoStPO /Cierniak/Pohlit, 2018, GVG § 132 Rn. 12).

49
5. Gegen die Ablehnung einer Strafbarkeit wegen Überlassung von Betäubungsmitteln zum unmittelbaren Verbrauch (§ 29 Abs. 1 Nr. 6 Buchst. b, § 13 Abs. 1 BtMG) oder wegen unerlaubter Abgabe verschreibungspflichtiger Medikamente (§ 95 Abs. 1 Nr. 4 AMG) ist rechtlich nichts zu erinnern.
Mutzbauer Sander Schneider
König Köhler

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Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 103


(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör. (2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. (3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafge

Strafgesetzbuch - StGB | § 20 Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen


Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der

Strafgesetzbuch - StGB | § 212 Totschlag


(1) Wer einen Menschen tötet, ohne Mörder zu sein, wird als Totschläger mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft. (2) In besonders schweren Fällen ist auf lebenslange Freiheitsstrafe zu erkennen.

Strafgesetzbuch - StGB | § 2 Zeitliche Geltung


(1) Die Strafe und ihre Nebenfolgen bestimmen sich nach dem Gesetz, das zur Zeit der Tat gilt. (2) Wird die Strafdrohung während der Begehung der Tat geändert, so ist das Gesetz anzuwenden, das bei Beendigung der Tat gilt. (3) Wird das Gesetz, das

Gerichtsverfassungsgesetz - GVG | § 132


(1) Beim Bundesgerichtshof werden ein Großer Senat für Zivilsachen und ein Großer Senat für Strafsachen gebildet. Die Großen Senate bilden die Vereinigten Großen Senate. (2) Will ein Senat in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Sena

Strafgesetzbuch - StGB | § 13 Begehen durch Unterlassen


(1) Wer es unterläßt, einen Erfolg abzuwenden, der zum Tatbestand eines Strafgesetzes gehört, ist nach diesem Gesetz nur dann strafbar, wenn er rechtlich dafür einzustehen hat, daß der Erfolg nicht eintritt, und wenn das Unterlassen der Verwirklichun

Arzneimittelgesetz - AMG 1976 | § 95 Strafvorschriften


(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer1.entgegen § 5 Absatz 1 ein Arzneimittel in den Verkehr bringt oder bei anderen anwendet,2.entgegen § 6 Absatz 1 in Verbindung mit einer Rechtsverordnung nach § 6 Absatz

Betäubungsmittelgesetz - BtMG 1981 | § 13 Verschreibung und Abgabe auf Verschreibung


(1) Die in Anlage III bezeichneten Betäubungsmittel dürfen nur von Ärzten, Zahnärzten und Tierärzten und nur dann verschrieben oder im Rahmen einer ärztlichen, zahnärztlichen oder tierärztlichen Behandlung einschließlich der ärztlichen Behandlung ein

Strafgesetzbuch - StGB | § 1 Keine Strafe ohne Gesetz


Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

Strafgesetzbuch - StGB | § 323c Unterlassene Hilfeleistung; Behinderung von hilfeleistenden Personen


(1) Wer bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not nicht Hilfe leistet, obwohl dies erforderlich und ihm den Umständen nach zuzumuten, insbesondere ohne erhebliche eigene Gefahr und ohne Verletzung anderer wichtiger Pflichten möglich ist, wird

Strafgesetzbuch - StGB | § 217 Geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung


(1) Wer in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Als Teilnehmer blei

Strafgesetzbuch - StGB | § 216 Tötung auf Verlangen


(1) Ist jemand durch das ausdrückliche und ernstliche Verlangen des Getöteten zur Tötung bestimmt worden, so ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen. (2) Der Versuch ist strafbar.

Strafgesetzbuch - StGB | § 35 Entschuldigender Notstand


(1) Wer in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Leib oder Freiheit eine rechtswidrige Tat begeht, um die Gefahr von sich, einem Angehörigen oder einer anderen ihm nahestehenden Person abzuwenden, handelt ohne Schuld. Dies g

Strafgesetzbuch - StGB | § 19 Schuldunfähigkeit des Kindes


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Bundesärzteordnung - BÄO | § 1


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Bundesgerichtshof Beschluss, 17. Sept. 2014 - XII ZB 202/13

bei uns veröffentlicht am 17.09.2014

Tenor Auf die Rechtsbeschwerde der weiteren Beteiligten zu 2 und zu 3 wird der Beschluss der 3. Zivilkammer des Landgerichts Chemnitz vom 11. März 2013 aufgehoben.
2 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bundesgerichtshof Urteil, 03. Juli 2019 - 5 StR 132/18.

Bundesgerichtshof Beschluss, 28. Juni 2022 - 6 StR 68/21

bei uns veröffentlicht am 17.08.2022

Der Bundesgerichtshof konkretisiert die Kriterien zur Abgrenzung einer strafbaren Törung auf Verlangen von einer straflosen Beihilfe zum Suizid. Diese Abgrenzung erfordere eine normative Betrachtung und dürfe nicht lediglich danach entschie

Bundesgerichtshof Urteil, 03. Juli 2019 - 5 StR 393/18

bei uns veröffentlicht am 03.07.2019

Nachschlagewerk: ja BGHSt : ja Veröffentlichung : ja StGB §§ 212, 216, 13 Die Garantenstellung des Arztes für das Leben seines Patienten endet, wenn er vereinbarungsgemäß nur noch dessen freiverantwortlichen Suizid begleitet. BGH, Urteil vom 3. J

Referenzen

(1) Wer einen Menschen tötet, ohne Mörder zu sein, wird als Totschläger mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft.

(2) In besonders schweren Fällen ist auf lebenslange Freiheitsstrafe zu erkennen.

(1) Ist jemand durch das ausdrückliche und ernstliche Verlangen des Getöteten zur Tötung bestimmt worden, so ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(1) Wer es unterläßt, einen Erfolg abzuwenden, der zum Tatbestand eines Strafgesetzes gehört, ist nach diesem Gesetz nur dann strafbar, wenn er rechtlich dafür einzustehen hat, daß der Erfolg nicht eintritt, und wenn das Unterlassen der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes durch ein Tun entspricht.

(2) Die Strafe kann nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

(1) Wer bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not nicht Hilfe leistet, obwohl dies erforderlich und ihm den Umständen nach zuzumuten, insbesondere ohne erhebliche eigene Gefahr und ohne Verletzung anderer wichtiger Pflichten möglich ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer in diesen Situationen eine Person behindert, die einem Dritten Hilfe leistet oder leisten will.

(1) Wer einen Menschen tötet, ohne Mörder zu sein, wird als Totschläger mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft.

(2) In besonders schweren Fällen ist auf lebenslange Freiheitsstrafe zu erkennen.

(1) Ist jemand durch das ausdrückliche und ernstliche Verlangen des Getöteten zur Tötung bestimmt worden, so ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen.

(2) Der Versuch ist strafbar.

BUNDESGERICHTSHOF

 

Urteil vom 14.08.1963

Az.: 2 StR 181/63


In der Strafsache

.......

hat der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs
auf Grund der Hauptverhandlung vom 31. Juli 1963
in der Sitzung vom 14. August 1963,
an denen teilgenommen haben:

Senatspräsident Dr. Baldus als Vorsitzender,
Bundesrichter Dr. Dotterweich,
Bundesrichter Mayr,
Bundesrichter Meyer,
Bundesrichter Henning als beisitzende Richter,
Bundesanwalt Dr. ... als Vertreter der Bundesanwaltschaft,

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger wird das Urteil des Landgerichts in Duisburg vom 24. Juli 1962 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmitteln an das Landgericht zurückverwiesen.

Gründe

Der Angeklagte und die 16-jährige Gisela Di. empfanden tiefe Zuneigung füreinander; zwischen beiden entwickelten sich intime Liebesbeziehungen. Die Eltern mißbilligten jedoch diese Verbindung. Als auf Antrag der Eheleute Di. dem Angeklagten sogar durch einstweilige Verfügung verboten wurde, zu ihrer Tochter noch einmal Kontakt aufzunehmen, faßte Gisela den festen Entschluß, aus dem Leben zu scheiden. Als sie am Abend des 8. Juni 1959 mit dem Angeklagten zusammentraf, versuchte dieser vergeblich, das über sein Alter hinaus gereifte Mädchen umzustimmen. Weil er Gisela nicht allein sterben lassen wollte, beschloß er, mit ihr in den Tod zu gehen. Beide schrieben Abschiedsbriefe an ihre Eltern, fuhren dann zu einem Parkplatz und nahmen, im Kraftwagen des Angeklagten sitzend, Luminaltabletten ein. Als keine Wirkung eintrat, äußerte Gisela, daß man sich auf andere Weise töten müsse. Der Angeklagte schlug vor, die Auspuffgase in das Wageninnere zu leiten. Damit war Gisela einverstanden und meinte, das sei gilt, hoffentlich finde man sie nicht zu früh. Der Angeklagte schloß einen Schlauch an das Auspuffrohr an und führte ihn durch das linke Fenster in das Wageninnere. Dann versperrte er die linke Wagentür von außen, stieg von rechts in den Kraftwagen und setzte sich auf den Sitz des Fahrers. Das linke Wagenfenster drehte er so weit zu, wie es der Schlauch ermöglichte. Gisela, die neben dem Angeklagten auf dem rechten Vordersitz Platz nahm, verriegelte die rechte Tür von innen. Der Angeklagte ließ nun den Motor an und trat das Gaspedal durch, bis das einströmende Kohlenoxyd ihm die Besinnung raubte. Am Morgen des 9. Juni 1959 wurden der Angeklagte und Gisela im Kraftwagen, dessen Motor noch lief, gefunden. Sie waren in sich zusammengesunken und bewußtlos, lebten aber noch. Doch nur der Angeklagte konnte gerettet werden, Gisela verstarb alsbald.


Die Strafkammer hat den Angeklagten von dem Vorwurf, Gisela Di. auf ihr Verlangen getötet zu haben, freigesprochen. Sie ist der Meinung, er sei "mangels Tötungshandlung, mangels Tötungsvorsatzes und mangels erheblicher Tatherrschaft nicht als Täter und mangels Strafbarkeit des Selbstmords nicht als Gehilfe fremder Tötung zu bestrafen". Im einzelnen hat sie hierzu ausgeführt: Es spreche nichts dafür, daß Gisela an den Angeklagten mit der Bitte herangetreten sei, sie zu töten. Sie habe sich vielmehr selbst töten wollen. Sein Tatbeitrag stelle sich nicht als Tötungshandlung dar. Das Einnehmen der Tabletten sei als Selbsttötungsversuch Giselas anzusehen, den der Angeklagte - durch Zurückgabe der von ihm vor Tatbeginn verwahrten Tabletten - gefördert habe. Der Vorgang mit den Auspuffgasen könne nicht anders beurteilt werden. Das Hineinleiten der Gase in den Wagen habe den Tod Giselas so wenig verursacht, wie dies die Aushändigung der Tabletten vermocht habe. Wenn es dort notwendig gewesen sei, daß Gisela mit Freitodentschluß die Tabletten nahm, so sei es hier erforderlich gewesen, daß sie sich in den Wagen setzte, dort Platz behielt, die Tür schloß und die Gase einatmete. Abgesehen davon habe der Angeklagte nach seiner unwiderlegten Einlassung zwar sich selbst, nicht aber Gisela töten, dieser vielmehr ihre eigene Tötung selbst überlassen wollen. An ihrem Tode sei er nicht interessiert gewesen. Auch eine Tatherrschaft habe er weder gehabt noch haben wollen. Gisela habe vielmehr nach seinem Tatbeitrag - der Einführung der Gase in den Kraftwagen - die freie Entscheidung über Leben und Tod behalten, zumal da sie möglicherweise später als der Angeklagte das Bewußtsein verloren habe.
3
Gegen dieses Urteil wenden sich die Staatsanwaltschaft und die Eltern Gisela Di.s als Nebenkläger mit ihren Revisionen. Sie rügen Verletzung sachlichen Rechts, Die Rechtsmittel haben Erfolg. Die Feststellungen rechtfertigen den Freispruch des Angeklagten nicht. Die Würdigung der Strafkammer ist teils unvereinbar mit diesen Feststellungen, teils beruht sie auf Erwägungen, denen der Senat nicht folgen kann.


Für die Entscheidung der Schuldfrage kommt es nach dem erwiesenen Sachverhalt allein darauf an, ob die Tätigkeit des Angeklagten als straflose Beihilfe zur Selbsttötung oder als strafbare Tötung auf Verlangen zu beurteilen ist. Angesichts einzelner Formulierungen des angefochtenen Urteils muß zunächst klargestellt werden, daß der Angeklagte jedenfalls durch das ausdrückliche und ernstliche Verlangen des Mädchens zur Tat bestimmt wurde. Nachdem der Versuch mit den Luminaltabletten fehlgeschlagen war, gab ihm Gisela durch ihr entschlossenes Verhalten, insbesondere durch ihre Äußerung, sein Vorschlag sei gut und hoffentlich finde man sie nicht zu früh, unmißverständlich zu verstehen, daß sie auf dem von ihm angeregten Weg den Tod suche und wolle Diesen ernstlichen und im vollen Bewußtsein seiner Tragweite zum Ausdruck gebrachten Wunsch, der ihn zugleich zum Festhalten an seinem eigenen Selbsttötungsentschluß bestimmte, wollte der Angeklagte erfüllen. Was er tat, war auch ursächlich für den Tod des Mädchens. Daß Gisela dieses Handeln wünschte und - auf Grund ihres frei und unbeeinflußt gefaßten Entschlusses - durch Verbleiben im Wagen und Einatmen der einströmenden Gase wirksam werden ließ, schließt weder die Kausalität aus, noch wird dadurch der Vorsatz des Angeklagten in Frage gestellt. Indem er die notwendigen technischen Vorbereitungen traf und die giftigen Gase einströmen ließ in der Vorstellung, dadurch den beiderseitigen Tod herbeiführen zu können, hat er bewußt und gewollt, also vorsätzlich, auch eine Ursache zum eingetretenen Teilerfolg, dem Tod Giselas, gesetzt.

Daß der Tatbestand des § 216 StGB von der straflosen Beihilfe zur Selbsttötung nach den Grundsätzen der Teilnahmelehre abzugrenzen ist, kann als gesicherte Rechtsprechung angesehen werden. Dagegen läßt sich nicht einwenden, Selbsttötung und Beihilfe dazu seien für straffrei erklärt, also mangels Tatbestandsmäßigkeit keine Straftaten, während es die Teilnahmelehre nur mit solchen zu tun habe; denn die von der Teilnahmelehre vorgeschlagenen Unterscheidungsmerkmale sind begrifflich nicht in der Weise von der Pönalisierung abhängig, daß sie nicht auch auf Taten im "natürlichen" Sinne anwendbar wären. Nur insoweit ergibt sich aus der Straflosigkeit der Selbsttötung eine Besonderheit, als "Tatbeiträge" des Lebensmüden zu seinem Tod dem anderen nicht über § 47 StGB zugerechnet werden dürfen.

In BGHSt 13, 162, 166 [BGH 15.05.1959 - 4 StR 475/58] hat der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs ausgesprochen, nach § 216 StGB könne nur bestraft werden, wer das zum Tode führende Geschehen beherrschen wollte, d.h. mit "Täterwillen" gehandelt habe. Unter ausdrücklichen Hinweis auf diese Entscheidung meint die Strafkammer, der Angeklagte habe die Tatherrschaft weder gehabt noch haben wollen. Indessen beruht das Urteil des 4. Strafsenats im Ergebnis auf anderen Erwägungen, so daß es in der hier zu entscheidenden Abgrenzungsfrage nicht bindet. Auch können die Bedenken, die in der allgemeinen Teilnahmelehre gegen das Merkmal des "Willens zur Tatherrschaft" geltend gemacht werden, unerörtert bleiben. Nach Ansicht des erkennenden Senats sind jedenfalls für den Sonderfall der tatbestandlichen Abgrenzung des § 216 StGB gegenüber der straflosen Beihilfe zur Selbsttötung subjektiv bestimmte Kriterien, ob nämlich der Handelnde die Tat als eigene wollte, ob er den Täterwillen, den Willen zur Tatherrschaft oder ein eigenes Interesse an der Tat hatte, nicht geeignet, sinnvolle Ergebnisse zu gewährleisten. Das gilt vor allem für den "einseitig fehlgeschlagenen Doppelselbstmord", weil hier der freie und ernste Entschluß, gemeinsam zu sterben, die bewußte Verknüpfung des beiderseitigen Schicksals, gerade zu einer Übereinstimmung der inneren Haltung führt, die eine Unterscheidung nach subjektiven Merkmalen als besonders fragwürdig erscheinen läßt. Sehr deutlich wird das bei dem Urteil des Reichsgerichts in JW 1921, 579: Nach dem Entschluß, gemeinsam durch Gasvergiftung aus dem Leben zu scheiden, hatte der Mann die Gashähne geöffnet, das Mädchen die Türritzen verstopft. Der Mann war gerettet worden; seine Verurteilung wegen Tötung auf Verlangen wurde vom Reichsgericht gebilligt, weil die Annahme des Tatrichters, der Mann habe die Tat als eigene gewollt, rechtlich nicht zu beanstanden sei. Indessen ist nicht erfindlich, an welche Tatsachen diese Annahme angesichts des gemeinsamen Entschlusses und der beiderseits geleisteten Beiträge zu seiner Durchführung anknüpfen könnte. Das Ergebnis ist notwendigerweise willkürlich und unkontrollierbar. Wenn man dem Handelnden nicht gleichsam gestatten will, sich selbst von dem, was er tut, durch "besonderen Willensakt" zu distanzieren, so müßte die Entscheidung davon abhängen, mit welcher Intensität und Hartnäckigkeit der Lebensmüde oder der Partner des Überlebenden den Freitodentschluß verfolgt hat und in welchem Maße sich der Überlebende dem Willen des Partners gebeugt und untergeordnet hat. Davon ist offenbar die Strafkammer ausgegangen, weil sie wiederholt und betont die starke Persönlichkeit, die Zielstrebigkeit und den unbeugsamen Willen Giselas der Labilität, Beeinflußbarkeit und Willensschwäche des Angeklagten gegenüberstellt. Indessen gestattet das Gesetz eine solche Unterscheidung nicht. § 216 StGB setzt tatbestandlich die Unterordnung unter den fremden Willen gerade voraus. Deshalb ist es nach Ansicht des Senats nicht möglich, seine Anwendung an dem Maß dieser Unterordnung im Einzelfalle auszurichten. Wer den Lebensmüden erschießt, ist strafbar nach § 216 StGB, mag er zunächst noch so sehr Widerstand geleistet und mag der Getötete noch so hartnäckig und unermüdlich auf die Ausführung gedrängt und den Widerstand dadurch überwunden haben.

Sieht man von einer nach subjektiven Merkmalen ausgerichteten Unterscheidung ab, dann kann es allein darauf ankommen, wer das zum Tode führende Geschehen tatsächlich beherrscht hat. Im Einzelfall ist dafür entscheidend die Art und Weise, wie der Tote über sein Schicksal verfügt hat. Gab er sich in die Hand des Anderen, weil er duldend von ihm den Tod entgegennehmen wollte, dann hatte dieser die Tatherrschaft. Behielt er dagegen bis zuletzt die freie Entscheidung über sein Schicksal, dann tötete er sich selbst, wenn auch mit fremder Hilfe. Dieser "Vorbehalt der Entscheidung" darf allerdings nach Ansicht des Senats beim einseitig fehlgeschlagenen Doppelselbstmord nicht schlechthin damit gleichgesetzt werden, daß der eine nach dem Tatbeitrag des anderen tatsächlich noch die freie Entscheidung über Leben und Tod gehabt hat (vgl. Schönke-Schröder, StGB 11. Aufl. § 216 Anm. 14). Sonst hinge die Beurteilung vielfach von den Zufälligkeiten des Geschehensablaufs ab, insbesondere ließe sich das Tun der Beteiligten erst nachträglich vom Ergebnis her als Tötungshandlung kennzeichnen Es kommt vielmehr auf den Gesamtplan an. Soll nach ihm der Beitrag eines Beteiligten nicht bis zum Eintritt des Erfolges willensgesteuert fortdauern, sondern nur die Ursachenreihe so in Gang setzen, daß nach seinem Vollzug dem anderen Beteiligten noch die volle Freiheit verbleibt, sich den Auswirkungen zu entziehen oder sie zu beenden, so liegt nur Beihilfe zur Selbsttötung vor, mag sich auch in diesem Beitrag das gesamte Tätigwerden erschöpfen So war der Sachverhalt in dem bereits erwähnten vom Reichsgericht in JW 1921, 579 entschiedenen Fall, Hier aber war der Gesamtplan ein anderer. Der Angeklagte sollte das gesamte Geschehen bis zuletzt in der Hand haben und die auf den beiderseitigen. Tod abzielende Ausführungshandlung bis zum Eintritt eigener Bewußtlosigkeit fortsetzen. Gisela mag zunächst noch in der Lage gewesen sein, die rechte Wagentür wieder zu öffnen oder den Fuß des Angeklagten vom Gashebel zu stoßen. Sie hatte sich aber entschlossen, die fortdauernde auf den Tod zielende Handlung des Angeklagten duldend hinzunehmen und tat dies auch, nicht wissend, wann es ihr nicht mehr möglich sein werde, sich der tödlichen Wirkung zu entziehen. Alles das wußte der Angeklagte; seine Rolle bei Ausführung des Gesamtplanes war unter solchen Umständen die eines Täters nach § 216 StGB. Ob er vor oder nach Gisela das Bewußtsein verlor, ist unerheblich; von diesem zufälligen Umstand, dessen Ungewißheit zum Gesamtplan gehörte, darf die Beurteilung nicht abhängen.

Nach allem rechtfertigen die bisherigen Feststellungen den Freispruch nicht.


Baldus
Dotterweich
Mayr
Meyer
Henning

Nachschlagewerk: ja
BGHSt : ja
Veröffentlichung : ja
1. Die Einfuhr und die Überlassung eines Betäubungsmittels sind nicht dadurch
gerechtfertigt oder entschuldigt, daß der Täter einem unheilbar
schwerstkranken Betäubungsmittelempfänger, dem er nicht persönlich
nahesteht, zu einem freien Suizid verhelfen will.
2. Das Überlassen eines Betäubungsmittels zum freien Suizid an einen
unheilbar Schwerstkranken, der kein Betäubungsmittelkonsument ist,
erfüllt nicht den Tatbestand der Betäubungsmittelüberlassung mit leichtfertiger
Todesverursachung gemäß § 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG.
3. Im besonderen Einzelfall kann sich das Ermessen des Tatrichters derart
verengen, daß allein eine Verwarnung mit Strafvorbehalt in Betracht
kommt, so daß das Revisionsgericht auf diese Sanktion erkennen kann.
Eine rechtskräftig verhängte Geldstrafe kann gemäß § 55 StGB in eine
Verwarnung mit Strafvorbehalt einbezogen werden.
BGH, Urt. v. 7. Februar 2001 - 5 StR 474/00
LG Berlin -
IM NAMEN DES VOLKES
5 StR 474/00
URTEIL
vom 7. Februar 2001
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln u. a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Hauptverhandlung
vom 6. und 7. Februar 2001, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin Harms,
Richter Häger,
Richter Basdorf,
Richter Dr. Raum,
Richter Dr. Brause
als beisitzende Richter,
Richterin am Landgericht
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
am 7. Februar 2001 für Recht erkannt:
Auf die Revisionen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 21. Dezember 1999 im Rechtsfolgenausspruch dahin geändert, daß der Angeklagte unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Nürnberg vom 15. Oktober 1998, dessen Gesamtstrafenausspruch entfällt, und unter Einbeziehung der Verwarnung mit Strafvorbehalt aus dem Urteil des Amtsgerichts Freudenstadt vom 27. Oktober 1998 verwarnt wird und die Verurteilung zu einer Gesamtgeldstrafe von 70 Tagessätzen zu je 120,- DM vorbehalten bleibt.
Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen. Jedoch wird die Gebühr um die Hälfte ermäßigt. Die Staatskasse trägt die dem Angeklagten durch sein Rechtsmittel entstandenen notwendigen Auslagen und die hierdurch entstandenen gerichtlichen Auslagen je zur Hälfte.
Die Staatskasse hat die Kosten der Revision der Staatsanwaltschaft und die dem Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in Tateinheit mit unerlaubtem Überlassen von Betäubungsmitteln zum unmittelbaren Verbrauch unter Einbeziehung der Sanktionen aus zwei früheren Verurteilungen, nämlich zweier Einzelgeldstrafen und einer Verwarnung mit Strafvorbehalt, zu einer Gesamtgeldstrafe von 70 Tagessätzen zu je 120,- DM verurteilt. Die früheren Verurteilungen betrafen Taten, die der vorliegenden Tat ähnlich waren. Jeweils allein auf die Sachrüge gestützt, begehrt der Angeklagte mit seiner Revision einen Freispruch, während die Staatsanwaltschaft mit ihrem vom Generalbundesanwalt vertretenen Rechtsmittel einen Schuldspruch auch wegen Überlassens von Betäubungsmitteln mit leichtfertiger Todesverursachung nach § 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG erstrebt. Die Revision der Staatsanwaltschaft hat keinen Erfolg. Sie führt zugunsten des Angeklagten (§ 301 StPO) wie dessen eigene Revision zu einer Ä nderung des Rechtsfolgenausspruchs, nämlich zum Ausspruch einer Verwarnung mit Strafvorbehalt. Im übrigen bleibt auch die Revision des Angeklagten ohne Erfolg.
Der jetzt 83jährige Angeklagte, Schweizer Staatsbürger, ist Theologe und Psychologe. Er war bis zum Jahre 1986 als evangelischer Gemeindepfarrer sowie zwischenzeitlich zwölf Jahre lang als Leiter einer „Entgiftungsstelle“ in Basel tätig. Seit langem beschäftigt sich der Angeklagte aktiv mit dem Problembereich „Sterbehilfe und Sterbebegleitung“. Auslösend hierfür war der Krebstod seines besten Freundes, dessen unmittelbar miterlebter, über mehrere Monate andauernder qualvoller Sterbeprozeß den Angeklagten zu der Überzeugung führte, daß man – nach seinen eigenen Worten – „solchen Menschen einfach helfen muß, wenn sie sterben wollen“. Von diesem Wunsch geleitet, gründete der Angeklagte im Jahr 1982 die Vereinigung „E “ als deren Generalsekretär er seitdem ehrenamtlich fungiert. In den Statuten dieser Vereinigung heißt es u. a.: „1. Die Vereinigung setzt sich in Wort und Schrift für das Selbstbestim- mungsrecht aller Menschen über ihre Gesundheit und ihr Leben, also für die ‚Therapie-Hoheit des Patienten h. für die staatliche Anerkennung der Freiheit selbstbestimmten menschenwürdigen Sterbens. 2. Darüber hinaus besteht der Vereinszweck darin, seinen Mitgliedern, die unter hoffnungsloser Krankheit oder unzumutbarer Behinderung leiden, im selbstbestimmten Sterben beizustehen. 3. Unter der Voraussetzung, daß sich alle Möglichkeiten erschöpft haben, welche aus Sicht des Betroffenen ein lebenswertes Leben erlauben würden, leisten Beauftragte der Vereinigung Freitodbegleitung, wobei ein ärztliches Zeugnis die hoffnungslose Krankheit oder die unzumutbare Behinderung bezeugen muß und Angehörige resp. Bezugspersonen dem Vorhaben des Betroffenen zustimmen. 4. Um jede Form des Mißbrauchs zu verhindern, gibt die Vereinigung keinerlei Freitod-Anleitungen oder -Medikamente ohne Assistenz ab.“ Über die Funktion des Generalsekretärs der Vereinigung hinaus übernahm der Angeklagte auch die Aufgaben eines „Freitodbegleiters“. Nach eigenen Angaben ist er inzwischen in über 300 Fällen entsprechend tätig geworden. Für s ein Tätigwerden verlangt er kein Entgelt, sondern lediglich die Vorauserstattung seiner Reisekosten. Bei seiner Tätigkeit als „Freitodbegleiter“ verwendete der Angeklagte regelmäßig (Natrium-)Pentobarbital. Dieses Mittel ist seit dem Jahr 1981 – mit im Detail unterschiedlichen Einzelregelungen – v erkehrsfähiges und verschreibungsfähiges Betäubungsmittel nach Anlage III zu § 1 Abs. 1 BtMG. Es handelt sich um ein hochwirksames und sehr schnell anflutendes Barbiturat, das normalerweise bei einer Dosierung von bis zu 100 mg als Schlafmittel, im übrigen zur Behandlung von Angst- oder Erregungszuständen zum Einsatz kommt. In hoher Dosierung führt dieses Mittel jedoch zu einem sicheren, vom Einnehmenden allerdings schon nicht mehr wahrgenommen Tod. Namentlich tritt im Falle einer Überdosierung zunächst – vergleichbar einer Narkose – eine Ausschaltung des Bewußtseins und erst danach eine tödliche Atemlähmung ein, wobei im Regelfall 3 g des Mittels die für einen Erwachsenen tödliche Dosis darstellen. Die minimale letale Dosis beträgt etwa 1 g. Danach stuft der Angeklagte das Mittel als „geradezu ideal geeignet“ zur Herbeiführung eines „sanften“ Todes ein, insbesondere im Vergleich zum Zyankali, welches beim Einnehmenden zwar ebenfalls schnell zum Tode führt, aber zuvor noch bei Bewußtsein des Sterbenden schwere krampfartige Schmerzen auslöst.
Die verstorbene Frau Dr. T , die lange Zeit als Ä rztin tätig gewesen war, litt an Multipler Sklerose. Nach progredientem Verlauf der Krankheit von 1982 bis 1998 war Frau Dr. T sc hließlich weitestgehend bewegungsunfähig. Sie verbrachte die Tage in ihrem Haus in Berlin größtenteils in Rückenlage. Sie war wegen einer Sehschwäche auf eine Leselupe angewiesen, die sie infolge ihrer nachlassenden Kräfte nur über einen sehr kurzen Zeitraum halten konnte, so daß ihr die Lektüre längerer Texte nicht mehr möglich war. Ein im Jahr 1997 unternommener Selbsttötungsversuch scheiterte am Einschreiten ihres Ehemannes. In monatelangen Diskussionen überzeugte Frau Dr. T ihren Ehemann, daß er sie „gehen lassen“ müsse. Sie wandte sich an die Vereinigung „E “ mit dem Wunsch nach einer „Sterbebegleitung“ und übersandte dem Angeklagten ein ärztliches Gutachten, in dem der Verlauf ihrer Krankheit beschrieben und deren Unheilbarkeit bestätigt war. Bei einem Besuch verschaffte sich der Angeklagte im persönlichen Gespräch mit der Verstorbenen und ihrem Ehemann die Überzeugung, daß diese im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte war und ihr Todeswunsch ernsthaft und nicht Folge eines auch nur entfernt erkennbaren äußeren Drängens war. Nach alledem faßte der Angeklagte den Entschluß, die gewünschte „Sterbebegleitung“ zu gewähren, nämlich in der Schweiz 10 g Natrium-Pentobarbital zu beschaffen, diese in die Bundesrepublik Deutschland einzuführen und hier der Verstorbenen zur entsprechenden Verfügung zu stellen. Dabei ging er davon aus, daß aufgrund der hohen Dosis und der schnellen Anflutung des Mittels schon ab dem Eintritt einer Bewußtlosigkeit für die Verstorbene keine Rettungsmöglichkeit mehr bestehen werde. Er nahm an, daß sein Verhalten nach deutschem Recht nicht strafbar sei. Dabei ging er von der Straflosigkeit der Teilnahme an einer Selbsttötung aus. Er wußte nicht, daß Pentobarbital dem deutschen Betäubungsmittelrecht unterliegt. Entsprechende Erkundigungen unternahm er nicht. In die Schweiz zurückgekehrt, übergab der Angeklagte einem „Vertrauensarzt“ der „E “ das von der Verstorbenen überlassene Gutachten zur Prüfung, ob eine im Sinn der Statuten der Vereinigung hoffnungslose Krankheit vorliege. Darauf stellte dieser das erforderliche Rezept aus, mit dem der Angeklagte in einer Schweizer Apotheke 10 g NatriumPentobarbital in Pulverform erwarb. Am 20. April 1998 reiste der Angeklagte mit dem genannten Betäubungsmittel aus der Schweiz in die Bundesrepublik Deutschland ein. Im Haus der Familie T v ersicherte der Angeklagte sich im Beisein ihres Ehemannes davon, daß Frau Dr. T in vollem Besitz ihrer geistigen Kräfte war und ihr Todeswunsch nach wie vor bestand. Sie füllte eine formularmäßig vorbereitete „Freitoderklärung“ aus. In Abwesenheit des Ehemannes löste der Angeklagte die 10 g Natrium-Pentobarbital in einem Glas Wasser auf und reichte dies der Frau Dr. T zur sofort erfolgten Einnahme. Infolge der schnell eintretenden Wirkung des Mittels wurde Frau Dr. T nach drei Minuten bewußtlos. Bereits zu diesem Zeitpunkt wären alsdann eingeleitete Rettungsversuche, namentlich ein Auspumpen des Magens, erfolglos verlaufen, da wegen der schnellen Anflutung bereits ein tödliche Konzentration des Mittels im Blut der Verstorbenen erreicht war, wovon auch der Angeklagte ausging. Der Tod trat binnen der nächsten halben Stunde ein.

I.


Die sachlichrechtliche Überprüfung des angefochtenen Urteils deckt betreffend den Schuldspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.
1. Der Angeklagte hat Betäubungsmittel (gemäß Anlage III zu § 1 Abs. 1 BtMG) nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG eingeführt und nach Nr. 6 lit. b aaO zum unmittelbaren Verbrauch überlassen. Ein Fall der ärztlichen Verabreichung oder Überlassung nach § 13 Abs. 1 Satz 1 BtMG liegt nicht vor.

2. Demgegenüber ergibt sich – entgegen der Ansicht der Revision des Angeklagten – weder aus dem Prinzip der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) noch aus dem Gesichtspunkt der Straflosigkeit der Hilfe zur Selbsttötung oder aus der jüngsten Rechtsentwicklung des Problemkreises „Sterbehilfe und Sterbebegleitung“ eine Einschränkung des Anwendungsbereichs des Betäubungsmittelgesetzes; auch eine Rechtfertigung oder Entschuldigung allgemeiner Art kann so hier nicht begründet werden.

a) Allerdings ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und der einhelligen Lehre die – theoretisch gegebene – Teilnahme an der Selbsttötung eines vollverantwortlich Handelnden mangels einer Haupttat straflos (Tröndle/Fischer, StGB 50. Aufl. vor § 211 Rdn. 10 m.N. der Rspr. und des Schrifttums). Ein solcher Fall liegt hier vor. Frau Dr. T nahm sich, wie die vom Landgericht umfassend festgestellten Einzelheiten ergeben, in voller Selbstverantwortlichkeit das Leben. Der Angeklagte half ihr hierbei. Die Straflosigkeit seines Verhaltens unter dem vorstehend genannten Aspekt beschränkt sich jedoch auf eben diesen und erstreckt sich nicht etwa auf das vom Angeklagten begangene Betäubungsmitteldelikt, mit dem andere Rechtsgüter gefährdet wurden. Der Verordnungsgeber hat mit der Entscheidung, Pentobarbital in die Liste der Betäubungsmittel gemäß § 1 Abs. 1 BtMG aufzunehmen, dem Gesichtspunkt Rechnung getragen, daß ein Umgang mit diesem Betäubungsmittel für die Volksgesundheit grundsätzlich gefährlich ist.

b) Zudem ist in der rechtswissenschaftlichen und rechtspolitischen Diskussion des Problemkreises „Sterbehilfe und Sterbebegleitung“ in jüngster Zeit eine Entwicklung in zweierlei Richtungen zu verzeichnen. Zum einen wird dem Gesichtspunkt der Patientenautonomie ständig zunehmende Bedeutung beigemessen (vgl. Taupitz, Gutachten für den 63. Deutschen Juristentag 2000; Otto, Gutachten für den 56. Deutschen Juristentag 1986; jeweils m.N., und die Sitzungsberichte der jeweiligen Tagungen des Deutschen
Juristentages). Zum anderen ist die sog. „indirekte Sterbehilfe“ nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGHSt 42, 301, 305; vgl. auch BGHSt 37, 376; 40, 257) und einem nahezu einhelligen Grundkonsens im Schrifttum zulässig (Kutzer NStZ 1994, 110, 114 f. m.N.). Dabei wird unter indirekter Sterbehilfe verstanden, daß die ärztlich gebotene schmerzlindernde Medikation beim tödlich Kranken nicht dadurch unzulässig wird, daß sie als unbeabsichtigte, aber unvermeidbare Nebenfolge den Todeseintritt beschleunigen kann. Soweit eine solche Medikation den Tatbestand eines Tötungsdeliktes durch bedingt vorsätzliche Verursachung eines früheren Todes verwirklicht, ist das Handeln des Arztes nach § 34 StGB gerechtfertigt, sofern es nicht – ausnahmsweise – dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des Patienten widerspricht (Kutzer aaO; vgl. auch die demnächst veröffentlichte Podiumsdiskussion „Sterbehilfe – Sterbebegleitung“ anläßlich der 50. Wiederkehr der Errichtung des Bundesgerichtshofs am 4. Mai 2000).

c) Weder aus diesen Rechtsgesichtspunkten noch aus sonstigen allgemeinen Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründen kann die Straflosigkeit des Umgangs des Angeklagten mit dem Betäubungsmittel hergeleitet werden. Der Angeklagte handelte weder als Arzt noch als Angehöriger der Verstorbenen oder als sonst persönlich Betroffener, auf dessen Gewissensentscheidung es ankommen könnte. Er agierte vielmehr als persönlich Unbeteiligter im Rahmen einer moralpolitisch getragenen Bewegung, deren Ziele anerkennenswert sein mögen. Sein Handeln war nicht primär vom Zweck der Schmerzlinderung (unter Inkaufnahme eines früheren Todeseintritts ) getragen. Vielmehr zielte seine Aktivität direkt auf den Tod.
Zur Beantwortung der Frage, ob solches Verhalten unter den Gesichtspunkten des § 34 StGB gerechtfertigt oder unter den Aspekten des § 35 StGB entschuldigt sein kann, ist von den Grundentscheidungen der Rechtsordnung auszugehen. Das Leben eines Menschen steht in der Werteordnung des Grundgesetzes – ohne eine zulässige Relativierung – an oberster Stelle der zu schützenden Rechtsgüter. Die Rechtsordnung wertet eine
Selbsttötung deshalb – von äußersten Ausnahmefällen abgesehen – als rechtswidrig (BGHSt 6, 147, 153), stellt die Selbsttötung und die Teilnahme hieran lediglich straflos.
Dieser grundsätzliche Vorrang des Lebensschutzes ist zu beachten, wenn wie hier in eine Abwägung ein auch in Art. 1 Abs. 1 GG angelegtes Recht des Einzelnen auf ein Sterben unter „menschenwürdigen“ Bedingungen einzustellen ist. Dabei muß auch die Grundentscheidung berücksichtigt werden, die aus der Vorschrift des § 216 StGB spricht, wonach die Tötung auf Verlangen des Getöteten lediglich eine Strafmilderung gegenüber dem Totschlag auslöst. Dies zeigt an, daß die Rechtsordnung die Mitwirkung eines anderen am Freitod eines Menschen grundsätzlich mißbilligt.
Es kann dahingestellt bleiben, ob Besonderheiten namentlich etwa für das Handeln naher Angehöriger eines Sterbewilligen gelten können. Für Außenstehende wie hier den Angeklagten, der im Rahmen einer Organisation ohne persönliches Näheverhältnis handelte, kann eine Abwägung der genannten Art grundsätzlich nicht zur Straflosigkeit des Umgangs mit Betäubungsmitteln führen. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem moralpolitischen Engagement des Angeklagten.
3. Das Landgericht hat angenommen, daß dem Angeklagten die Verbotenheit seines Tuns unter dem Gesichtspunkt des deutschen Betäubungsmittelrechts nicht bekannt war, daß der Angeklagte diesen Verbotsirrtum jedoch hätte vermeiden können; es hat demzufolge die Vorschrift des § 17 Satz 1 StGB für nicht anwendbar erachtet. Auch dies birgt keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten.

a) Das Pentobarbital ist seit dem Jahr 1981 in der Bundesrepublik Deutschland als Betäubungsmittel in Anlage III zu § 1 Abs. 1 BtMG erfaßt. Die Einzelheiten unterlagen mehreren Ä nderungen: Mit dem Gesetz zur Neuordnung des Betäubungsmittelrechts vom 28. Juli 1981 (BGBl I 681, 700)
wurde das Pentobarbital in die Anlage III B aufgenommen. Ausgenommen blieben Zubereitungen, die ohne ein anderes Betäubungsmittel (außer Codein) „je abgeteilte Form bis 110 mg Pentobarbital enthalten“; damit waren namentlich Tabletten mit geringer Dosierung gemeint; von dieser Ausnahme waren jedoch die betäubungsmittelrechtlichen Vorschriften über die Einfuhr (und andere Handlungsformen) wiederum ausgenommen. Durch die Vierte Betäubungsmittelrechts-Ä nderungsverordnung vom 23. Dezember 1992 (BGBl I 2483, 2485) erhielt die Position Pentobarbital in der Anlage III B folgende Fassung: „ausgenommen in Zubereitungen, die ohne“ ein weiteres Betäubungsmittel „je abgeteilte Form bis zu 100 mg Pentobarbital, berechnet als Säure, enthalten“; die Ausnahme von der Ausnahme betreffend die Einfuhr entfiel also. Aufgrund der Zehnten BetäubungsmittelrechtsÄ nderungsverordnung vom 20. Januar 1998 (BGBl I 74, 79), in Kraft seit dem 1. Februar 1998, ist das Pentobarbital ohne jede Einschränkung in der nunmehr nicht mehr untergliederten Anlage III enthalten. Damit ist insbesondere die Ausnahme für Zubereitungen mit bis zu 100 mg Pentobarbital je abgeteilter Form entfallen.

b) Auch in der Schweiz unterfällt das Pentobarbital dem Betäubungsmittelrecht. Das Mittel ist im „Verzeichnis aller Betäubungsmittel“ (Anhang a zu Art. 1 Abs. 1 bis 3 Betäubungsmittelgesetz), allerdings auch im „Verzeichnis der von der Kontrolle teilweise ausgenommenen Betäubungsmittel“ (Anhang b aaO) enthalten (Verordnung des Bundesamtes für Gesundheit über die Betäubungsmittel und psychotropen Stoffe vom 12. Dezember 1996).

c) Die Einfuhr und die Überlassung zum unmittelbaren Verbrauch von Pentobarbital in der hier vorliegenden Dosis von 10 g sind mithin seit dem Jahr 1981 in der Bundesrepublik Deutschland strafbar. Die oben genannten differenzierten Regelungen betreffend abgeteilte Formen mit geringer Dosierung des Mittels kannte der Angeklagte nicht. Jedes Argument seiner Revision aus dieser Rechtsentwicklung muß daher im Rahmen der Prüfung der Vermeidbarkeit des Verbotsirrtums versagen. Das verwendete Mittel unter-
fällt auch dem Betäubungsmittelrecht der Schweiz. Es kommt folgendes hinzu : Wie der Angeklagte wußte, kam es aufgrund der etwas „liberaleren“ Regelung des Umgangs mit Pentobarbital in der Schweiz, scil. wegen „strengerer“ Rechtslage außerhalb der Schweiz, zu einem „Sterbetourismus“ von Ausländern in die Schweiz. In Deutschland wurde der Angeklagte in etwa 50 Fällen in gleicher Weise „geradezu routiniert“ tätig (UA S. 9 f., 22). Er ging dabei mit einem in der jeweiligen Dosierung tödlichen Stoff um. Nach alledem hat das Landgericht rechtsfehlerfrei eine Rechtserkundigungspflicht des Angeklagten angenommen und den Verbotsirrtum des Angeklagten als vermeidbar erachtet.

II.


Das angefochtene Urteil ist nicht mit einem sachlichrechtlichen Fehler zugunsten des Angeklagten behaftet.
1. Insbesondere bleibt die einzige ausdrückliche Beanstandung der Staatsanwaltschaft, der Angeklagte sei zu Unrecht nicht auch wegen Überlassung von Betäubungsmitteln mit leichtfertiger Todesverursachung nach § 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG verurteilt worden, ohne Erfolg. Das Landgericht hat aus dem „Prinzip der Eigenverantwortlichkeit“ eine „teleologische Reduktion des Tatbestandes“ hergeleitet und deshalb die genannte Vorschrift für nicht anwendbar erachtet. Diese Beurteilung ist zutreffend.

a) Allerdings hat der Angeklagte der Frau Dr. T das Betäubungsmittel zum unmittelbaren Verbrauch überlassen und dadurch eine Ursache für deren Tod gesetzt. Der Kausalzusammenhang wurde nicht dadurch unterbrochen, daß die Empfängerin des Betäubungsmittels sich dieses Mittel selbst verabreichte (BGH NStZ 1983, 72; BGH, Urteil vom 3. Juni 1980 – 1 StR 20/80 –, bei Holtz MDR 1980, 985). Ihr Tod war auch vom Vorsatz des Angeklagten umfaßt. Jedenfalls in anderen Regelungszusammenhängen findet der Gedanke Verwendung, daß Vorsatz die Fahrlässigkeit und die
Leichtfertigkeit als mindere Verschuldensformen einschließt (vgl. BGHSt 39, 100; Tröndle/Fischer, StGB 50. Aufl. § 18 Rdn. 5).

b) Indes gelten für den hier vorliegenden Fall des Freitodes des Betäubungsmittelempfängers besondere Regeln.
aa) Es greift der Grundsatz der Selbstverantwortung des sich selbst eigenverantwortlich gefährdenden Tatopfers ein. Danach ist von folgendem auszugehen:
(1) Die eigenverantwortlich gewollte und verwirklichte Selbstgefährdung unterfällt grundsätzlich nicht den Tatbeständen eines Körperverletzungs - oder Tötungsdelikts, wenn das mit der Gefährdung vom Opfer bewußt eingegangene Risiko sich realisiert. Wer lediglich eine solche Gefährdung veranlaßt, ermöglicht oder fördert, macht sich danach nicht wegen eines Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts strafbar (st. Rspr. des Bundesgerichtshofs seit BGHSt 32, 262; siehe auch BGHSt 37, 179; 39, 322, 324; BGH NStZ 1985, 319 – insowiet in BGHSt 33, 66 nicht abgedruckt – m. Anm. Roxin; BGH NStZ; 1987, 406; 1992, 489; BGH NJW 2000, 2286). Dabei hat der Bundesgerichtshof darauf abgestellt, daß derjenige, der sich an einem Akt der eigenverantwortlich gewollten und bewirkten Selbstgefährdung beteiligt , an einem Geschehen teilnimmt, welches – soweit es um die Strafbarkeit wegen Tötung oder Körperverletzung geht – kein tatbestandsmäßiger und damit kein strafbarer Vorgang ist (BGHSt 32, 262, 265). Das Gesetz bedroht nur die Tötung oder Verletzung eines anderen mit Strafe. Die Strafbarkeit des sich Beteiligenden wegen Körperverletzung oder Tötung beginnt erst dort, wo dieser kraft überlegenen Sachwissens das Risiko besser erfaßt als der sich selbst Gefährdende.
(2) Allerdings kann dieser Grundsatz nicht ohne weiteres auf das Betäubungsmittelrecht übertragen werden (BGHSt 37, 179). Das durch die betäubungsmittelrechtlichen Strafvorschriften geschützte Rechtsgut ist nicht nur
die Gesundheit des Einzelnen, sondern auch die Volksgesundheit. Dieses universale Rechtsgut steht dem Einzelnen nicht zur Disposition (Franke /Wienroeder, BtMG 2. Aufl. § 30 Rdn. 35; Weber, BtMG § 30 Rdn. 125 f.).
bb) Das Merkmal der Leichtfertigkeit im Sinne des § 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG wird durch den Bundesgerichtshof dahin interpretiert, daß leichtfertig handelt, wer die Möglichkeit eines tödlichen Verlaufs des Geschehens „aus besonderem Leichtsinn oder aus besonderer Gleichgültigkeit“ außer acht läßt (BGHSt 33, 66, 67). Solches ist bei der hiesigen besonderen Fallgestaltung , in der die Empfängerin des Betäubungsmittels in jeder Hinsicht selbstverantwortlich handelte, nicht gegeben (vgl. BGH NJW 2000, 2286). Insoweit erfaßt der Vorwurf der Leichtfertigkeit – ausnahmsweise – nicht „erst recht“ auch vorsätzliches Handeln.
cc) Auch die Entstehungsgeschichte der vorgenannten Vorschrift spricht für eine restriktive Interpretation der Art, daß das Überlassen eines Betäubungsmittels zum Zweck des in jeder Hinsicht freien Suizids des Empfängers den Qualifikationstatbestand nicht erfüllt. Hintergrund und auslösender Umstand für die Schaffung der Verbrechensvorschrift war „die rasch ansteigende Zahl von Todesfällen als Folge von Rauschgiftmißbrauch“ (BT-Drucks. 8/3551 S. 37). Damit waren die Todesfälle von Betäubungsmittelabhängigen und gelegentlichen Betäubungsmittelkonsumenten gemeint. Als besonders strafwürdig wurde die Tatsache gewertet, daß die Todesverursachung auf ein Handeln zurückgeht, das in Kenntnis der großen Gefährlichkeit des Tuns „unter Hintanstellung aller Bedenken“ erfolgt (Endriß/Malek, Betäubungsmittelstrafrecht 2. Aufl. Rdn. 464; Hügel/Junge, Deutsches Betäubungsmittelrecht 7. Aufl. § 30 Rdn. 4.1). An einen demgegenüber ganz und gar untypischen Fall wie den vorliegenden hat der Gesetzgeber ebenso wenig gedacht, wie dies danach die Kommentatoren getan haben.
dd) Zudem spiegelt der Strafrahmen des § 30 Abs. 1 BtMG von zwei bis 15 Jahren Freiheitsstrafe – selbst eingedenk des Ausnahmestrafrahmens
von drei Monaten bis fünf Jahren Freiheitsstrafe für minder schwere Fälle (§ 30 Abs. 2 BtMG) – eine vom Gesetzgeber ins Auge gefaßte Unrechtsdimension , hinter der Fälle der vorliegenden Art von vornherein weit zurückbleiben. Auch dies indiziert eine restriktive Auslegung der Vorschrift im vorstehenden Sinn.
2. Schließlich birgt das Urteil auch sonst keinen sachlichrechtlichen Fehler zugunsten des Angeklagten.
Insbesondere folgt im Ergebnis keine strafrechtliche Haftung des Angeklagten aus Tötungsdelikten – begangen durch Unterlassen – daraus, daß er als Lieferant des tödlichen Betäubungsmittels unter dem Gesichtspunkt seines vorausgegangenen rechtswidrigen gefährdenden Tuns grundsätzlich Lebensgarant sein konnte (vgl. Jähnke in LK 11. Aufl. § 222 Rdn. 11 sub Betäubungsmittel und Rdn. 21 sub Selbstgefährdung m.N.; Hügel/Junge, aaO § 30 Rdn. 4.4). Eine Verantwortlichkeit des Angeklagten unter diesem Gesichtspunkt würde jedenfalls voraussetzen, daß in dem Zeitpunkt, als Frau Dr. T durch den Eintritt ihrer Bewußtlosigkeit die Kontrolle über das Geschehen verlor, noch eine Möglichkeit zur Rettung ihres Lebens bestand (vgl. BGH NStZ 1984, 452 m. Anm. Fünfsinn StV 1985, 57; BGH NStZ 1985, 319, 320; BGH NStZ 1987, 406). Hierzu hat das Landgericht festgestellt, daß in dem Zeitpunkt, als Frau Dr. T bewußtlos wurde, etwaige Rettungsversuche – wegen der bereits eingetretenen gravierenden Wirkung des Mittels – gescheitert wären. Davon ging nach den Feststellungen auch der Angeklagte aus, so daß selbst ein versuchtes (Unterlassungs-) Tötungsdelikt ausscheidet. Schließlich kommt danach auch eine unterlassene Hilfeleistung nach § 323c StGB nicht in Betracht (vgl. BGH NStZ 1983, 117, 118).

III.


Der Strafausspruch hat keinen Bestand. Es ist allein eine Verwarnung mit Strafvorbehalt nach § 59 StGB auszusprechen.
Allerdings hat die genannte Vorschrift Ausnahmecharakter (Gribbohm in LK 11. Aufl. § 59 Rdn. 1; Lackner/Kühl, StGB 23. Aufl. § 59 Rdn. 1; Stree in Schönke/Schröder, StGB 25. Aufl. § 59 Rdn. 1). Zudem ist durch die Verwendung des Wortes „kann“ auf der Rechtsfolgenseite der Ermessenscharakter der Regelung in besonderer Weise hervorgehoben (vgl. Gribbohm aaO Rdn. 17 f.). Indes kann sich aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalles das Ermessen des Tatgerichts derart verengen, daß allein eine Verwarnung mit Strafvorbehalt in Betracht kommen kann. In einem solchen Fall kann auch das Revisionsgericht auf die besondere Sanktion nach § 59 StGB erkennen (OLG Celle StV 1988, 109; Horn in SK – StGB 27. Lfg. § 59 Rdn. 14; ähnlich Lackner/Kühl aaO Rdn. 10; Stree aaO Rdn. 16; a.A. Gribbohm aaO Rdn. 18; zweifelnd Tröndle/Fischer, StGB 50. Aufl. § 59 Rdn. 2). So liegt es hier. Der Angeklagte ging mit dem Betäubungsmittel in altruistischer Weise unter relativ geringer Gefährdung Unbeteiligter in der Absicht um, der in schwerster Weise unheilbar kranken Empfängerin zu einem in jeder Hinsicht freien Suizid zu verhelfen, was seinem humanen Engagement entsprang.
Der Senat verwarnt deshalb wegen der hier abzuurteilenden Tat den Angeklagten und behält die Verurteilung zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 120,- DM (nämlich der vom Landgericht verhängten Einzelgeldstrafe ) vor. Ferner erkennt der Senat unter Einbeziehung der im hiesigen Urteilstenor genannten Sanktionen auf eine Verwarnung als Gesamtsanktion, wobei die Verurteilung zu einer Gesamtgeldstrafe von 70 Tagessätzen zu je 120,- DM (also in gleicher Höhe wie vom Tatrichter unbedingt verhängt) vorbehalten bleibt.

Im Gesetz (namentlich in § 59c StGB) ist die Frage nicht eindeutig geregelt , ob eine bei einer Verwarnung vorbehaltene Geldstrafe mit einer zuvor unbedingt verhängten Geldstrafe im Wege der Verwarnung als Gesamtsanktion zusammengeführt werden kann (so Horn aaO § 59c Rdn. 4) oder ob solches etwa ausgeschlossen ist (so Gribbohm aaO § 59c Rdn. 5; Tröndle /Fischer aaO § 59c Rdn. 1). Der Senat behandelt die Frage wegen der Parallelität zur entsprechenden Regelung bei der Freiheitsstrafe in § 58 Abs. 1 StGB trotz des besonderen Charakters der Verwarnung mit Strafvorbehalt im erstgenannten Sinn.
Die nach § 268a StPO zu treffende Entscheidung über die Dauer der Bewährungszeit bleibt dem Landgericht vorbehalten.
Harms Häger Basdorf Raum Brause
Nachschlagewerk: nein
BGHSt : nein
Veröffentlichung: ja
Wer infolge einer Täuschung durch das Opfer vorsatzlos
aktive Sterbehilfe leistet, nimmt nicht an einer
tatbestandslosen Selbstgefährdung teil.
BGH, Urteil vom 20. Mai 2003 - 5 StR 66/03
LG Hamburg -

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 20. Mai 2003
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
20. Mai 2003, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin Harms,
Richter Häger,
Richterin Dr. Gerhardt,
Richter Dr. Brause,
Richter Schaal
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 10. Oktober 2002 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e Das Landgericht hat den Angeklagten von dem Vorwurf freigespro- chen, einen Schwerstbehinderten getötet zu haben, den er als Zivildienstleistender betreut hatte. Die dagegen mit der Sachrüge geführte Revision der Staatsanwaltschaft, die vom Generalbundesanwalt vertreten wird, hat Erfolg.

I.


Die Jugendkammer hat festgestellt:
Der 20 Jahre alte Angeklagte übernahm als Zivildienstleistender am 13. Februar 2001 ohne besondere Vorbereitung für die Dauer von zwei Wochen in der Z in Hamburg die Tagesbetreuung (10.00 bis 16.30 Uhr) des 28 Jahre alten S . Dieser litt an stark ausgeprägter progressiver Muskeldystrophie vom Typus Duchenne und vermochte neben einzelnen Fingern – diese aber ohne Kraft – nur noch Mund und Zun-
ge zu bewegen. Seine Arme und Beine waren in Beugestellung fixiert. De- formationen des Brustkorbes und der Wirbelsäule und eine starke Reduzierung der Atemmuskulatur ließen nur noch eine Atmungskapazität von zehn Prozent eines Gesunden zu. Der Ausstoß von Kohlendioxyd wurde durch ein zeitweise an die Nase angeschlossenes Beatmungsgerät gefördert. S verfügte über einen herausragenden Intellekt. Er konnte seine Vorstellungen genau artikulieren und dank seiner guten Menschenkenntnis einschätzen, an welche der Pflegekräfte er sich zu wenden hatte, um auch ausgefallene Wünsche zu verwirklichen. Schon im Dezember 1999 hatte er in einem elektronischen Brief einer ihm nahe stehenden Pflegehilfe eine Selbsttötungsphantasie mitgeteilt. Er hatte geschildert, dadurch sexuell erregt zu werden, daß er in zwei miteinander verklebten Müllsäcken verpackt mit zugeklebtem Mund in einen Behälter geworfen würde, um sodann – mit weiteren Müllsäcken bedeckt – anschließend durch die Müllabfuhr in die Verbrennungsanlage gebracht und dort verbrannt zu werden.
Er griff im Februar 2001 diese Gedanken auf und wollte sie mit Hilfe des Angeklagten verwirklichen. Zunächst hatte er diesen gebeten, ihm statt einer Hose eine Plastiktüte über den Unterleib bis zur Hüfte zu ziehen. Nachdem er dem Angeklagten erläutert hatte, gern Plastik auf der Haut zu spüren, kam der Angeklagte diesem Verlangen nach. Am 22. Februar 2001 gegen 12.15 Uhr äußerte S den Wunsch, ihn in Müllsäcke verpackt in einen Müllcontainer zu legen. Auf Nachfragen des Angeklagten versicherte er, dies schon öfter gemacht zu haben, und daß seine Bergung aus dem Container am Nachmittag sicher sei. Der Angeklagte erfüllte in dem Bestreben , dem ihm anvertrauten Schwerstbehinderten so gut wie möglich zu helfen , alle bestimmt vorgebrachten Anweisungen, ohne sie kritisch zu hinterfragen. Er packte S nackt in zwei Müllsäcke, schnitt eine Öffnung für den Kopf in den oberen Müllsack und verklebte beide Säcke. Bis auf eine kleine Öffnung verschloß er ferner – auf besonderen Wunsch S – dessen Mund mit Klebeband und legte ihn bei Außentemperaturen um den Gefrierpunkt in einen teilweise gefüllten Container. Weisungsgemäß stellte der
Angeklagte den Rollstuhl in den Abstellraum, räumte die Wohnung auf und verließ die Pflegeeinrichtung durch einen Seiteneingang. Diese Maßnahmen hatte S angeordnet, um eine gegenüber anderen Pflegekräften wahrheitswidrig mitgeteilte Abwesenheit zu belegen. Eine deshalb erst am Abend erfolgte Suche nach ihm blieb ergebnislos. Am nächsten Morgen wurde sein Leichnam im Container entdeckt. Der Tod war durch Ersticken, möglicherweise in Kombination mit Unterkühlung eingetreten. Entweder hatte der obere Müllsack die Atemwege verlegt oder die ohnehin nur flache Atmung war durch einen auf den Brustkorb gelangten weiteren Müllsack unmöglich geworden.

II.


In der rechtlichen Würdigung führt die Jugendkammer aus:
Das zu Tode führende Geschehen sei wegen der gemeinschaftlichen Tatherrschaft des Angeklagten und des Opfers nicht mehr als Beteiligung an einer Selbstgefährdung, sondern als einverständliche Fremdgefährdung zu werten. Die Gefährdung sei ausschließlich von dem Angeklagten, wenn auch auf alleinige Veranlassung des Geschädigten, ausgegangen, der sich dieser im Ergebnis lediglich ausgesetzt habe. Allerdings ergebe eine wertende Betrachtung aller Umstände, daß die einverständliche Fremdgefährdung entsprechend der Auffassung von Roxin (NStZ 1984, 411, 412) „unter allen relevanten Aspekten“ einer Selbstgefährdung gleichstehe. Dafür spreche die umfassende und sorgsame Planung des Geschehens durch das Opfer, die besondere, von Überforderung, Naivität, Vertrauensseligkeit und unzureichender Vorbereitung geprägte Situation des Angeklagten und dessen vorherrschendes Bestreben, alle Wünsche des Schwerstbehinderten zu erfüllen. Der Angeklagte sei letztendlich dazu benutzt worden, den Selbsttötungsplan zu verwirklichen, ohne darüber informiert gewesen zu sein. Damit sei die Zurechnung des Handelns des Angeklagten zum objektiven Tatbestand ausgeschlossen.

III.


Der Freispruch hält der sachlichrechtlichen Prüfung nicht stand. Die Feststellungen des Landgerichts tragen nicht dessen Wertung, der Angeklagte habe im Ergebnis an einer straflosen Selbstgefährdung teilgenommen.
1. In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist als Folge des Grundsatzes der Selbstverantwortung des sich selbst eigenverantwortlich gefährdenden Tatopfers anerkannt, daß gewollte und verwirklichte Selbstgefährdungen nicht dem Tatbestand eines Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts unterfallen, wenn das mit der Gefährlichkeit bewußt eingegangene Risiko sich realisiert. Wer lediglich eine solche Selbstgefährdung veranlaßt, ermöglicht oder fördert, macht sich nicht wegen eines vorsätzlichen oder fahrlässigen Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts strafbar (BGHSt 32, 262, 263 f.; BGH NStZ 1985, 25, 26 und 319, 320; 1986, 266, 267; 1987, 406; BGH NJW 2000, 2286; BGHSt 46, 279, 288). Diese Rechtsprechung gründet in erster Linie auf Sachverhalte, denen gemein ist, daß die den Verletzungs- oder Tötungserfolg verursachende schädigende Handlung – die Einnahme von Betäubungsmitteln (BGHSt 32, 262 f.; BGH NStZ 1985, 319; BGH NJW 2000, 2286; BGHSt 46, 279, 283), Stechapfeltee (BGH NStZ 1985, 25) oder Alkohol (BGH NStZ 1986, 266; 1987, 406) – durch das Opfer selbst erfolgt und erfährt dann eine Ausnahme, wenn der sich Beteiligende etwa kraft überlegenen Sachwissens das Risiko besser erfaßt als der sich selbst Gefährdende (BGHSt 32, 262, 265; BGH NStZ 1985, 25 f.; 1986, 266; 1987, 406; BGH NJW 2000, 2286; vgl. auch BayObLG JZ 1997, 521). Maßgebendes Kriterium zur Abgrenzung strafloser Selbstgefährdung ist in diesen Fällen somit – wie auch bei der Anwendung des § 216 StGB anerkannt (vgl. BGHSt 19, 135, 139 f.; BGH, Beschl. vom 25. November 1986 – 1 StR 613/86 insoweit nicht in NStZ 1987, 365 f. abgedruckt; Eser in Schönke/Schröder, StGB 26. Aufl. § 216 Rdn. 11) – der Sache nach die Trennungslinie zwischen Täterschaft und Teilnahme (vgl. Jähnke in LK 11. Aufl. Vor § 211 Rdn. 22; ders. aaO
§ 216 Rdn. 11; ders. aaO § 222 Rdn. 21 sub Selbstgefährdung; Tröndle /Fischer, StGB 51. Aufl. Vor §§ 211 bis 216 Rdn. 10; Neumann in NK-StGB 12. Lfg. Vor § 211 Rdn. 45). Deren Grundsätze werden von der Rechtsprechung auch herangezogen, soweit eine ausschließlich von dem Beteiligten ausgehende Gefährdung, wie sie etwa bei einer durch Täuschung bewogenen Vornahme der Tötungshandlung (vgl. BGHSt 32, 38, 41 f.) oder beim Geschlechtsverkehr eines HIV-Infizierten mit einem gesunden Menschen entsteht, zu beurteilen ist (vgl. BGHSt 36, 1, 17 f.; BayObLG NStZ 1990, 81 f.).
2. Diese Grundsätze sind auch bei dem hier vorliegenden Fall eines vom Angeklagten verursachten Tötungserfolges bei eigenverantwortlicher Planung und Durchführung nach den Wünschen des sich selbst Gefährdenden zugrundezulegen. Danach ist in wertender Betrachtung zu entscheiden, ob der Angeklagte im Vollzug des Gesamtplans des zum Tode führenden Geschehens über die Gefährdungsherrschaft verfügte oder als Werkzeug des Suizidenten handelte (vgl. BGHSt 19, 135, 140; Jähnke aaO § 216 Rdn. 11; Roxin NStZ 1987, 345, 347; Neumann aaO Rdn. 51). Letzteres wäre angesichts der eigenhändigen Ausführung der Gefährdungshandlungen durch den Angeklagten nur anzunehmen, falls der Lebensmüde den Angeklagten über das zum Tode führende Geschehen getäuscht und ihn mit Hilfe des hervorgerufenen Irrtums zum Werkzeug gegen sich selbst gemacht hätte (vgl. BGHSt 32, 38, 41 zur spiegelbildlichen Situation einer Täuschung des sich selbst Tötenden; vgl. auch OLG Nürnberg NJW 2003, 454 f.).
So liegt es hier aber nicht. Der Angeklagte wurde über die konkreten Umstände der von ihm allein verursachten extremen Gefährdung nicht getäuscht. Zwar hatte der Suizident erklärt, er habe solches Tun schon öfter veranlaßt. Diese Äußerung begründete aber keinen Irrtum des Angeklagten hinsichtlich der konkreten Tatumstände. Der Angeklagte hat seine Gefährdungshandlungen bewußt vorgenommen und dabei in extremer Weise im Widerspruch zu jedem medizinischen Alltagswissen gehandelt, indem er die
wesentlich reduzierten Atmungsmöglichkeiten weiter verringerte und das spätere Opfer lediglich mit Plastik eingekleidet gefährlicher Kälte preisgab. Auch die Vorspiegelung des Lebensmüden, von einem (unbekannten) Dritten am Nachmittag gerettet zu werden, begründet keinen die Tatherrschaft des Angeklagten in Frage stellenden Irrtum. Die darin enthaltene Aussicht, es werde alles gut gehen, beseitigt nicht das Bewußtsein von den über Stunden wirksam werdenden Gefährdungen, zu denen der fehlende Einsatz des Beatmungsgeräts und die naheliegende Gefahr einer weiteren Verringerung der Atmungskapazität durch einen auf die Brust des Lebensmüden auftreffenden Müllsack zu zählen waren, auch vor dem Hintergrund eines bewußt herbeigeführten verringerten Entdeckungsrisikos.
3. Allerdings werden im rechtswissenschaftlichen Schrifttum mit den Lehren der Risikoübernahme (vgl. Roxin, Strafrecht AT Bd. 1 3. Aufl. S. 343 f.), der Anerkennung einer „quasi mittäterschaftlichen Herrschaft“ (vgl. Neumann in NK-StGB 12. Lfg. Vor § 211 Rdn. 56; Lenckner in Schönke /Schröder, StGB 26. Aufl. Vorbemerkung §§ 32 ff. Rdn. 52a und 107 m. w. N. aus der Literatur; BayObLG NStZ 1990, 81, 82; vgl. auch Tröndle/Fischer, StGB 51. Aufl. § 222 Rdn. 3) und des Vorrangs des Willens zur Selbstgefährdung (vgl. Otto in FS für Tröndle S. 157, 171, 175) Auffassungen vertreten, die in einem weiteren Umfang zu einer straflosen Mitwirkung an einem Selbsttötungsgeschehen führen. Indes bestehen hier schon Bedenken, begrifflich noch eine Selbsttötung anzunehmen, falls die Tatherrschaft nicht uneingeschränkt beim Suizidenten verbleibt. Einer Anerkennung strafloser aktiver Sterbehilfe stünde zudem der sich aus der Werteordnung des Grundgesetzes ergebende vorrangige Schutz menschlichen Lebens entgegen (vgl. BGHSt 46, 279, 285 f.), der auch die sich aus § 216 StGB ergebende Einwilligungssperre legitimiert (vgl. BGHSt aaO S. 286). Änderungen des Rechtsgüterschutzes bleiben vor diesem Hintergrund allenfalls dem Gesetzgeber vorbehalten.
Der Senat verkennt nicht, daß die bestehende Rechtslage es einem vollständig bewegungsunfähigen, aber bewußtseinsklaren moribunden Schwerstbehinderten – wie hier – weitgehend verwehrt, ohne strafrechtliche Verstrickung Dritter aus dem Leben zu scheiden, und für ihn dadurch das Lebensrecht zur schwer erträglichen Lebenspflicht werden kann. Dieser Umstand kann aber nicht ein auch in Art. 1 Abs. 1 GG angelegtes Recht auf ein Sterben unter menschenwürdigen Bedingungen begründen (vgl. BGHSt aaO, 285; BGHSt 42, 301, 305). Die dafür erforderlichen Voraussetzungen einer indirekten Sterbehilfe (vgl. BGHSt 42 aaO; Tröndle /Fischer, StGB 51. Aufl. Vor §§ 211 bis 216 Rdn. 18) sind vorliegend nicht gegeben. Ein verfassungsrechtlich verbürgter Anspruch auf aktive Sterbehilfe, der eine Straflosigkeit des die Tötung Ausführenden zur Folge haben könnte, ist dagegen nicht anerkannt (vgl. BVerfGE 76, 248, 252; Tröndle/Fischer aaO Rdn. 17 m. w. N.).

IV.


Der Freispruch kann danach keinen Bestand haben. Sollte der neue Tatrichter zu den gleichen Feststellungen gelangen, werden diese in erster Linie hinsichtlich einer fahrlässigen Todesverursachung gemäß § 222 StGB zu würdigen sein (vgl. BGHSt 36, 1, 9 f.; BGH NStZ 2002, 315, 316 f.). Bei etwaiger Feststellung eines Körperverletzungs- oder Aussetzungsvorsatzes kämen die Vorschriften der §§ 221, 223 ff. StGB in Betracht. Die besondere, von Überforderung, Naivität, Vertrauensseligkeit und unzureichender Vorbereitung geprägte Tatsituation des Angeklagten wird der neue Tatrichter bei
der Beurteilung der Gleichstellung des heranwachsenden Angeklagten mit einem Jugendlichen nach § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG im Hinblick darauf zu würdigen haben, ob in dem Angeklagten noch in größerem Umfang Entwicklungskräfte wirksam waren (vgl. BGHSt 36, 37, 40).
Harms Häger Gerhardt Brause Schaal

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 245/17
vom
4. Juli 2018
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
BGHR: ja
Veröffentlichung: ja
StGB § 30 Abs. 2 Var. 1, § 211 Abs. 2
Wegen Sich-Bereiterklärens zu einem Tötungsverbrechen kann sich auch derjenige,
der die Erklärung gegenüber dem potenziellen Opfer abgibt, jedenfalls dann strafbar
machen, wenn die Erklärung in der konkreten Fallkonstellation geeignet ist, eine
motivationale Selbstbindung des Täter zu begründen.
BGH, Urteil vom 4. Juli 2018 – 2 StR 245/17 – LG Gießen
in der Strafsache
gegen
wegen Sich-Bereiterklärens zum Mord
ECLI:DE:BGH:2018:040718U2STR245.17.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom 20. Juni 2018 in der Sitzung am 4. Juli 2018, an denen teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Schäfer,
die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Eschelbach, Zeng, Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Bartel, Richter am Bundesgerichtshof Dr. Grube,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt in der Verhandlung als Verteidiger,
Amtsinspektorin in der Verhandlung, Justizangestellte bei der Verkündung als Urkundsbeamtinnen der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Gießen vom 3. Januar 2017 wird verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Sich-Bereiterklärens zu einem Mord zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Hiergegen richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

I.

2
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
1. Der Angeklagte entwickelte einen sexuellen Sadismus. Er fand Gefallen an Erhängungsszenen, bei denen er Frauen fesselte und sie durch Scheinhinrichtungen in Todesangst versetzte. Im Jahr 1987 wurde er deshalb wegen Vergewaltigung und Nötigung verurteilt, nachdem er eine Prostituierte mit Gewalt zur Duldung von Geschlechtsverkehr gezwungen und einer Schein- hinrichtung unterzogen hatte. 2007 folgte eine Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung, weil er eine psychisch labile Frau, die er über ein Internetforum kennengelernt hatte, bis zur Bewusstlosigkeit stranguliert hatte. Im Jahr 2013 erließ die Stadt F. gegen ihn ein Verbot, den sogenannten Straßenstrich zu betreten.
4
Ab dem 18. März 2016 hatte der Angeklagte unter einem Pseudonym im Internet über ein „Le. -Forum“ Kontakt mit der Zeugin R. , die in L. wohnte. Diese war als Kind sexuell missbraucht worden, litt unter einer Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typ und einer posttraumatischen Belastungsstörung. Sie fügte sich Selbstverletzungen zu und unternahm Selbsttötungsversuche mit Tabletten, von denen sie sich phasenweise distanzieren konnte. Ende 2015 verlor sie ihren Arbeitsplatz, was sie zusätzlich belastete. Sie war depressiv und befand sich wiederholt in stationärer psychiatrischer Behandlung.
5
In dem Internetforum äußerte die Zeugin Zweifel am Sinn ihres Lebens. Der Angeklagte lenkte Gespräche in der Internet-Kommunikation bereits von Beginn des Kontakts am 18. März 2016 an auf das Thema Selbsttötung; er suggerierte der Zeugin, dass Erhängen eine schmerzfreie Tötungsart sei und bot ihr an, ihr beim Sterben zu „helfen“. Sie lehnte die Annahme dieses Angebots „für diesen Tag ab, ohne das Ansinnen des Angeklagten gänzlichzurückzuweisen“. Dabei fühlte sie sich vom Angeklagten bedrängt; deshalb speicherte sie den Verlauf des Gesprächs, informierte die für das Internet-Forum Verantwortlichen und versprach ihnen, nicht auf das Drängen des Angeklagten einzugehen. Gleichwohl kommunizierte sie in der Folgezeit weiter vielfach mit ihm.
6
Dem Angeklagten gelang es, die Zeugin in zahlreichen Gesprächen zu destabilisieren. So hielt er ihr vor, dass sie nicht in ihrer Kindheit missbraucht worden sei, wie es tatsächlich geschehen war, sondern dass sie ihren Großvater verführt habe. Auch erklärte der Angeklagte ihr, dass sie wegen ihres Übergewichts keinen Partner finden werde. Schließlich erläuterte er der Zeugin seinen Plan für eine Hinrichtung. Er schlug ihr vor, dass sie mit dem Zug nach G. kommen solle, wo er sie am Bahnhof abholen werde, um mit ihr in einen Wald zu fahren. Dort solle sie sich entkleiden, während er einen Galgen vorbereiten und ihr die Hände auf den Rücken fesseln werde, so dass sie sich nicht mehr umentscheiden könne. Er werde ihr „einen guten Orgasmus“ verschaffen und sie anschließend erhängen. Der Tod werde rasch eintreten. Der Angeklagte war entschlossen, nicht nur eine Scheinhinrichtung zu inszenieren, sondern die Zeugin zu töten, um sich hierdurch eine sexuelle Stimulation zu verschaffen.
7
Am 24. März 2016 las die Zeugin im Internet Berichte darüber, dass ein Mann durch Telekommunikation über „Skype“ den Tod einer Frau aus B. verursacht hatte, die sich auf seine Aufforderung erhängt hatte. Die Zeugin hegte den Verdacht, dass dies der Angeklagte gewesen sei. Die Vorsitzende des Vereins „H. “, mit der die Zeugin in Kontakt stand, berichtete ihr, dass ein Reporterteam des Fernsehsenders nach diesem Mann suche. Die Zeugin beschloss daraufhin, sich von dem Angeklagten auf die von diesem angebotene Weise töten zu lassen, damit er anschließend auch für den Tod der Frau aus B. verantwortlich gemacht werden könne. Dadurch wollte sie ihrem Tod einen Sinn verleihen. Die Vorsitzende des Vereins „H. “ erfuhr davon und informierte die Polizei. Diese durchsuchte am 7. April 2016 die Wohnung der Zeugin, traf sie dabei aber nicht an.
8
Am 11. April 2016 wurde die Zeugin durch ihre Hausärztin in die psychiatrische Abteilung der Klinik in L. eingewiesen. Sie hatte zunächst noch ihr Mobiltelefon zur Verfügung und teilte dem Angeklagten ihren Aufenthaltsort mit. Dieser wusste deshalb, dass sie nicht in der Lage war, freiverantwortlich über eine Beendigung ihres Lebens zu entscheiden. Er drängte darauf, dass sie die Klinik verlassen solle und hielt sein Angebot aufrecht, sie in G. am Bahnhof abzuholen, in den Wald zu bringen, zu fesseln und zu erhängen. Die Zeugin stimmte zu, was unreflektiert und krankheitsbedingt geschah; dies erkannte der Angeklagte.
9
Als Zeitpunkt für die Ausführung des Vorhabens wurde der 19. April 2016 vereinbart. Der Angeklagte riet der Zeugin, sie solle „ihre fröhliche Seite“ zei- gen; wenn sie psychisch stabil erscheine, dürfe sie die Klinik verlassen. Dies gelang der Zeugin am 19. April 2016 aber noch nicht. Sie verfasste ein Testament und legte ihre Gedanken zu einem Treffen mit dem Angeklagten in einem „Tagebuch“ nieder. Dort notierte sie auch, der Angeklagte habe ihr am 24. April 2016, einem Sonntag, mitgeteilt, dass er an diesem Tag Zeit habe. Sie bat um Ausgang aus der Klinik, der ihr gewährt wurde, weil scheinbar keine Gefahr bestand. Die Zeugin vertraute ihrem Bekannten Hi. die Absicht an, sich mit dem Angeklagten zu treffen, damit er sie töte. Dem Zeugen Hi. gelang es an diesem Tag aber noch einmal, die Zeugin zur Rückkehr in die Klinik zu bewegen. Sie versicherte dort, keinen Kontakt mehr zum Angeklagten aufzunehmen und gab zur Demonstration dieses Willens die SIM-Karte ihres Mobiltelefons ab, blieb aber heimlich über das Internet mit dem Angeklagten in Kontakt.
10
Auf Anraten des Angeklagten spiegelte die Zeugin schließlich am 28. April 2016 den behandelnden Ärzten erfolgreich einen psychisch stabilen Zustand vor und erhielt Ausgang. Sie erwarb eine neue SIM-Karte für ihr Mobiltelefon und eine Zugfahrkarte nach G. . Dann begab sie sich auf die Reise zu dem Angeklagten, um sich von ihm töten zu lassen. Unterwegs verabschiedete sie sich fernmündlich von dem Zeugen Hi. . Dieser konnte sie nun zwar nicht mehr zur Rückkehr bewegen, überredete sie aber dazu, sich vor dem Treffen mit dem Angeklagten bei einem Zwischenaufenthalt am Hauptbahnhof in F. von Journalisten des Fernsehsenders interviewen zu lassen. Dieses Interview fand gegen 21.00 Uhr statt. Während des Interviews kam es zu einem Telefonkontakt mit dem Angeklagten. Die Zeugin informierte ihn darüber, dass sie auf dem Weg nach G. sei. Dem Angeklagten , der erst jetzt konkret von ihrer Anreise erfuhr, kam der Zeitpunkt ungelegen , weil die Konfirmation seiner Tochter bevorstand. Er machte der Zeugin Vorhaltungen wegen seiner späten Benachrichtigung, erklärte sich aber schließlich bereit, sie nach ihrer Ankunft in G. in den Wald zu bringen und auf die angekündigte Weise zu erhängen.
11
Die Zeugintraf gegen 01.10 Uhr am 29. April 2016 am Hauptbahnhof in G. ein, wo sie vom Angeklagten erwartet wurde. Beide gingen zu seinem Fahrzeug, in dem er Abschleppseile zum Erhängen und Kabelbinder zum Fesseln mitführte. Kurz vor Erreichen des Fahrzeugs wurde der Angeklagte festgenommen.
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2. Das Landgericht hat die Tat als Sich-Bereiterklären zu einem Verbrechen des Mordes gemäß § 30 Abs. 2, § 211 Abs. 2 StGB gewertet. Bei der in Aussicht genommenen Tötung habe es sich nicht um eine Beteiligung an der Selbsttötung der Zeugin, sondern um eine Fremdtötung gehandelt. Es sei auch nicht um eine Tötung auf Verlangen im Sinne von § 216 StGB gegangen, denn die Erklärungen der Zeugin seien wegen ihrer psychischen Störungen nicht als ernstliches Tötungsverlangen anzusehen. Der Anwendung von § 30 Abs. 2 StGB stehe auch nicht entgegen, dass die Erklärung gerade gegenüber dem Opfer des geplanten Verbrechens erfolgt sei.

II.

13
Die Revision ist unbegründet.
14
1. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen tragen den Schuldspruch.
15
Gemäß § 30 Abs. 2 Var. 1 StGB wird derjenige bestraft, der sich bereit erklärt, ein Verbrechen zu begehen. Dies hat der Angeklagte in der Kommunikation mit der Zeugin R. über das Internet schon im Zeitraum vom 18. bis zum 24. März 2016 getan, indem er ihr anbot, sie am Bahnhof in G. abzuholen , sie in den Wald zu bringen, dort einen Galgen vorzubereiten, während sie sich entkleiden sollte, um sie anschließend zu fesseln und zu erhängen.
16
a) Die Tat, zu deren Begehung der Angeklagte sich bereit erklärte, war ein Verbrechen des Mordes.
17
aa) Bei dem beabsichtigten Erhängen der Zeugin handelte es sich nicht um eine straflose Beteiligung des Angeklagten an einer Selbsttötung.
18
Selbsttötungen sind nicht strafbar; wer sich daran beteiligt, wird deshalb auch nicht bestraft (vgl. BGH, Urteil vom 14. Februar 1984 – 1 StR 808/83, BGHSt 32, 262, 264; Urteil vom 7. Februar 2001 – 5 StR 474/00, BGHSt 46, 279, 288; NK-StGB/Neumann, 5. Aufl., Vorbemerkungen zu § 211 Rn. 47). Anders liegt es bei einer Fremdtötung. Für die Abgrenzung zwischen einer straflosen Suizidbeteiligung und einer strafbaren Fremdtötung kommt es nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs darauf an, wer das zum Tod führende Geschehen zuletzt beherrscht. Wenn der Sterbewillige bis zuletzt die freie Entscheidung über sein Schicksal behält, tötet er sich selbst, wenn auch gegebenenfalls mit fremder Hilfe (vgl. Senat, Urteil vom 14. September 1963 – 2 StR181/63, BGHSt 19, 135, 139 f.). Gibt sich der zu Tötende demgegen- über in die Hand eines anderen, weil er duldend den Tod von diesem entgegennehmen will, so hat der andere die Tatherrschaft. In diesem Fall, in dem ein anderer die Herrschaft über den eigentlich todbringenden Akt innehat, liegt eine strafbare Fremdtötung vor. Nach dem der Geschädigten unterbreiteten Tatplan war Letzteres der Fall. Der Angeklagte beabsichtigte, die Zeugin zu fesseln und sie anschließend zu töten; sie sollte sich gerade nicht mehr wirkungsvoll gegen eine Tötung entscheiden können.
19
bb) Die geplante Tat war keine strafrechtlich privilegierte Tötung auf Verlangen gemäß § 216 Abs. 1 StGB, die als bloßes Vergehen kein tauglicher Anknüpfungspunkt für § 30 StGB wäre. § 216 Abs. 1 StGB setzt ein Tötungsverlangen voraus, das bereits begrifflich nicht mit einer bloßen Zustimmung des zu Tötenden gleichgesetzt werden kann. Vielmehr ist zur Privilegierung der Tötung eine bestimmende Einflussnahme des Opfers auf den Entschluss des Täters erforderlich (vgl. RG, Urteil vom 17. September 1934 – 2 D 839/33, RGSt 68, 306, 307; Schönke/Schröder/Eser/Sternberg-Lieben, StGB, 29. Aufl., § 216 Rn. 5; Knierim, Das Tatbestandsmerkmal „Verlangen“ im Strafrecht, 2018, S. 317; SK-StGB/Sinn, 9. Aufl., § 216 Rn. 6). Das Verlangen muss auch nach dem Zweck des § 216 Abs. 1 StPO, erheblich vermindertes Unrecht und reduzierte Schuld zu privilegieren, für den Täter handlungsleitend wirken (vgl. Senat, Urteil vom 22. April 2005 – 2 StR 310/04, BGHSt 50, 80, 92).
20
Das war hier nicht der Fall: Es fehlt bereits an einem Verlangen der Tötung durch das Opfer, das für den Täter handlungsleitend gewesen wäre.
21
Zurzeit des Sich-Bereiterklärens des Angeklagten zur Tötung der Zeugin in der Internetkommunikation im Zeitraum vom 18. bis zum 24. März 2016 hatte die Zeugin noch nicht ihre Bereitschaft erklärt, sich vom Angeklagten erhängen zu lassen. Erst während des Aufenthalts in der Klinik ab dem 11. April 2016 stimmte sie diesem Plan des Angeklagten zu. Diese Zustimmung der Zeugin ist im hiesigen Zusammenhang unbeachtlich. Denn der Angeklagte hatte die Initiative ergriffen, er war zur Tötung der Zeugin R. entschlossen und er verfolgte eigene sexuelle Interessen. Wer aber maßgeblich Eigeninteressen verfolgt, befindet sich nicht in einer Konfliktsituation, welche die Privilegierung gemäß § 216 Abs. 1 StGB rechtfertigt (vgl. BGH, Urteil vom 21. Februar 2018 – 5 StR 267/17, NStZ-RR 2018, 172). Der erklärte Sterbewunsch der Zeugin war für den Angeklagten zwar notwendige Voraussetzung zur Durchführung der Tat, aber nicht handlungsleitendes Motiv. Auf die vom Landgericht angesprochene Frage, ob dem Verlangen des Opfers eine fehlerfreie Willensbildung zugrunde lag (vgl. BGH, Urteil vom 7. Oktober 2010 – 3 StR 168/10, NStZ 2011, 340 f.; Urteil vom 14. September 2011 – 2 StR 145/11, NStZ 2012, 85, 86), kommt es danach für die Entscheidung über das Eingreifen des Privilegierungstatbestands nach § 216 StGB nicht an.
22
cc) Nach den Vorstellungen des Angeklagten wollte er die ZeuginR. zur Befriedigung seiner sexuellen Bedürfnisse töten. Die geplante Tat erfüllt deshalb den Tatbestand des Mordes gemäß § 211 Abs. 2 Var. 1 StGB. Mit diesem verwerflichen Motiv tötet der Täter einen anderen Menschen, wenn er in der Tötung seine geschlechtliche Befriedigung sucht (vgl. Senat, Urteil vom 22. April 2005 – 2 StR 310/04, BGHSt 50, 80, 92). Der Angeklagte wollte die Zeugin R. nackt und gefesselt erhängen, weil dies seiner sexuellen Präferenz entsprach.
23
b) Zur Begehung dieses Verbrechens hat sich der Angeklagte bereit erklärt.
24
aa) Das Sich-Bereiterklären im Sinne von § 30 Abs. 2 Var. 1 StGB besteht in der Kundgabe der Bereitschaft zur Begehung des Verbrechens gegenüber einer anderen Person (vgl. Jacoby, Die Aufforderung und das Erbieten zu einem Verbrechen und deren Annahme de lege lata und de lege ferenda, 1929, S. 19), wonach der Erklärende dem Empfänger gegenüber „im Wort steht“ (LK/Schünemann, StGB,12. Aufl., § 30 Rn. 3; Thalheimer, Die Vorfeldstrafbarkeit nach §§ 30, 31 StGB, 2008, S. 75) und deshalb nicht mehr uneingeschränkt von seinem Tatentschluss zurückstehen kann (vgl. Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil, Bd. II, 2003, § 28 Rn. 5).
25
Der Angeklagte erklärte sich nach den Feststellungen mit der gebotenen Ernsthaftigkeit (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Februar 2016 – AK 3/16, BeckRS 2016, 04193; SK-StGB/Hoyer, 9. Aufl., § 30 Rn. 38; MüKoStGB/Joecks, 3. Aufl., § 30 Rn. 46; LK/Schünemann, aaO § 30 Rn. 92; Thalheimer aaO S. 78) zur Tötung der Zeugin R. bereit; die geplante Tat war auch bereits ausreichend konkretisiert.
26
Eine verbreitete Auffassung in der Literatur fordert weiter, die Erklärung müsse dem Empfänger tatsächlich zugehen (vgl. Dessecker, JA 2005, 549, 552; Eisele in Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, Strafrecht Allgemeiner Teil, 12. Aufl., § 26 Rn. 189; SK-StGB/Hoyer, § 30 Rn. 39 f.; Jescheck/Weigend, Strafrecht Allgemeiner Teil, 5. Aufl., § 65 III 3, S. 705; MüKoStGB/Joecks, aaO § 30 Rn. 48; Mitsch in Festschrift für Maiwald, 2010, S. 539, 553 f.; SSWStGB /Murmann, 3. Aufl., § 30 Rn. 21; Piazena, Das Verabreden, Auffordern und Anleiten von Straftaten unter Nutzung der Kommunikationsmöglichkeiten des Internets, 2014, S. 169; aA Schönke/Schröder/Heine/Weißer, aaO § 30 Rn. 22). Ob dem zu folgen ist, kann dahinstehen; denn jedenfalls ist auch diese Voraussetzung erfüllt.
27
bb) Der Annahme eines tatbestandlichen Sich-Bereiterklären zur Begehung eines Verbrechens steht nicht entgegen, dass seine Erklärung nicht gegenüber einem potenziellen weiteren Tatbeteiligten, sondern gegenüber dem Tatopfer angegeben wurde. Wortlaut und Zweck der Norm gebieten eine Anwendung der Vorschrift auf die vorliegende Fallkonstellation; die Entwicklungsgeschichte der Norm und die Gesetzessystematik stehen dem jedenfalls nicht entgegen.
28
(1) Der Wortlaut des Gesetzes nennt keinen Adressaten, dem gegenüber die Tatbereitschaft erklärt werden muss. Auf die Abgabe der Erklärung gegenüber einer bestimmten Person kommt es danach nicht an. Zwar muss es irgendeinen Empfänger der Erklärung geben, weil andernfalls keine gefahrbegründende Selbstbindung des Erklärenden entstehen könnte (vgl. Mitsch aaO S. 545). Ein prospektiver Tatbeteiligter muss dies aber nicht sein, wenn die Erklärung auch gegenüber einer anderen Person eine motivationale Selbstbindung des Täters begründen kann. Erklärungsempfänger kann daher auch das voraussichtliche Tatopfer sein, wenn dessen Zustimmung oder sonstige Mitwirkung nach der Vorstellung des Täters die Tatausführung ermöglicht und der Täter mit seiner Erklärung auf die Herbeiführung dieser Zustimmung oder sonstigen Mitwirkung abzielt.
29
Etwas anderes folgt auch nicht aus der gesetzlichen Überschrift. Die Bezeichnung des Delikts als „Versuch der Beteiligung“ deutet nicht darauf hin, dass Adressat in der Konstellation des § 30 Abs. 2 Var. 1 StGB ein potenzieller Tatbeteiligter sein muss (aA Mitsch aaO S. 556); denn die Überschrift ist kein verbindlicher Teil des Inhalts der strafrechtlichen Bestimmung.
30
(2) Der Normzweck des § 30 Abs. 2 StGB spricht für dessen Anwendung auf den Fall des Sich-Bereiterklärens des Täters zur Begehung eines Mordes auch gegenüber dem potenziellen Opfer. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Erklärung in der konkreten Fallkonstellation geeignet ist, eine motivationale Selbstbindung des Täters zu begründen.
31
Der Zweck des § 30 Abs. 2 StGB besteht in der Bekämpfung von Gefahren für das von dem Verbrechenstatbestand geschützte Rechtsgut durch eine motivationale Bindung des Täters (vgl. BT-Drucks. V/4095, S. 13). Diese Bindung kann auch gegenüber dem potenziellen Opfer des Verbrechens erfolgen, wenn das Opfer ein eigenes Interesse an der Tatbegehung hat und seine Einbeziehung in die Ausführung der Tat deren Begehung erleichtern oder nach der Vorstellung des Täters überhaupt erst ermöglichen soll. Unter diesen Umstän- den ist auch das Tatopfer als eine „Person mit Eigeninteresse an der Verbrechensbegehung“ (Thalheimer aaO S. 76) ein geeigneter Erklärungsadressat des Erbietens des Täters zur Begehung des Verbrechens im Sinne von § 30 Abs. 2 Var. 1 StGB.
32
Diese Fallkonstellation bewegt sich zwischen den Gestaltungen des so genannten „echten Sich-Erbietens“ eines noch nicht endgültig zur Tat ent- schlossenen Täters, der die Ausführung seines Plans noch von einer Annahme des Erbietens durch einen potenziellen Teilnehmer als Erklärungsempfänger abhängig macht, und eines „unechten Sich-Erbietens“, bei dem die Ausführung nicht von einer Annahme des Angebots abhängen soll (vgl. dazu LK/Schünemann, aaO § 30 Rn. 90; Thalheimer aaO S. 73). Zwar wurde vom Angeklagten keine Annahme des Angebots durch einen weiteren Tatbeteiligten vorausgesetzt, wohl aber war die Mitwirkung des künftigen Tatopfers nach seinem Plan zur Tatausführung erforderlich. Auch in dieser Konstellation liegt beim Sich-Erbieten zur Tötung des Opfers nicht nur eine Verlautbarung des Tatent- schlusses, sondern eine Handlung mit dem Ziel, eine Reaktion hervorzurufen, welche das sexuell motivierte Erhängen ermöglichen sollte.
33
(3) Die Entwicklungsgeschichte des Gesetzes ergibt zwar nicht, dass die Ausdehnung der Strafbarkeit auf das Vorfeld zum Versuchsstadium des Verbrechens auch den Fall erfassen soll, dass sich der Täter des geplanten Verbrechens gegenüber dem Opfer zur Tatbegehung bereit erklärt. Sie steht diesem Ergebnis aber auch nicht entgegen.
34
Die ursprüngliche Regelung des § 49a RStGB, die einen eigenständigen Straftatbestand enthielt, war – nach mehreren Änderungen gegenüber dem ersten Entwurf (vgl. Witte, Erörterungen über den § 49a des Strafgesetzbuches für das Deutsche Reich, 1886, S. 18 ff.) – durch eine Novelle vom 26. Februar 1876 zum Reichsstrafgesetzbuch eingeführt worden (Gesetz, betreffend die Abänderung von Bestimmungen des Strafgesetzbuchs für das Deutsche Reich vom 15. Mai 1871 und die Ergänzungen desselben, RGBl. 1876 I S. 25). Anlass dafür war das historische Ereignis, dass der belgische Kesselschmied Duchesne -Poncelet dem Erzbischof von Paris während des Kulturkampfes angeboten hatte, Reichskanzler Otto von Bismarck gegen Entgelt zu töten, was der Erzbischof jedoch abgelehnt hatte. Deshalb wurde eine Strafbarkeit schon im Vorfeld des Versuchs der Verbrechensbegehung eingeführt (vgl. Becker, Der Strafgrund der Verbrechensverabredung gem. § 30 Abs. 2, Alt. 3 StGB, 2012, S. 16 ff.; Dessecker, JA 2005, 549, 550 f.; Rogall in Festschrift für Puppe, 2011, S. 865, 861 f.). Das Reichsgericht ging davon aus, dass durch § 49a RStGB nicht etwa die gesetzestreue Gesinnung, sondern das Rechtsgut der „Sicherheit der Person“ geschützt werden soll (vgl. RG, Urteil vom 4. Januar1904 – Rep. 3865/03, RGSt 37, 45, 46). Die Strafdrohung war von Anfang an umstritten. Sie wurde im Lauf der Zeit mehrfach geändert, jedoch ungeachtet der grundsätzlichen Kritik nicht aufgehoben.
35
Nach dem Zweiten Weltkrieg entschied der Bundesgerichtshof, dass § 49a RStGB in der Fassung durch die Strafrechtsangleichungsverordnung vom 29. Mai 1943 (RGBl. I S. 339) zwar eine Tendenz zum Gesinnungsstrafrecht aufweise. Es handele sich aber nicht um typisch nationalsozialistisches Gedankengut , weshalb die Regelung weiter gelte (vgl. Senat, Urteil vom 16. Februar 1951 – 2 StR 109/50, BGHSt 1, 59, 60 f.). Die Fassung wurde durch das 3. Strafrechtsänderungsgesetz vom 4. August 1953 (BGBl. I S. 735) modifiziert, die erneut auch eine Strafdrohung gegen das Sich-Bereiterklären zur Begehung eines Verbrechens vorsah. Der Alternativentwurf des Jahres 1962 sah zwar eine Streichung aller Varianten bis auf den Versuch der Anstiftung vor (vgl. Becker aaO S. 35 mwN). Dieser Vorschlag wurde aber nicht umgesetzt. Der Gesetzgeber verwies auf die Möglichkeit gefährlicher Bindungen des Täters durch die Kommunikation im Sinne von § 30 StGB. Er hatte dabei allerdings vor allem diejenigen Bindungen im Blick, die durch Erklärungen gegenüber einem potenziellen Tatbeteiligten entstehen können (vgl. BT-Drucks. IV/650, S. 154; V/4095, S. 13). An die Möglichkeit einer motivationalen Selbstbindung des Täters gegenüber dem potenziellen Verbrechensopfer hat er ersichtlich nicht gedacht, diese aber auch nicht erkennbar ausgeschlossen.
36
(4) Systematische Erwägungen stehen dem aufgrund von Wortlaut und Zweck der Norm gefundenen Auslegungsergebnis ebenfalls nicht entgegen.
37
Zwar ist die Regelung des Versuchs der Beteiligung erst im Anschluss an die Vorschriften über die Beteiligung (§§ 25 bis 29 StGB) und nicht hinter denjenigen des Versuchs der Tat (§§ 22 bis 24 StGB) eingeordnet. Dieser systematische Aspekt besitzt aber nur geringe Aussagekraft. Ihr wirkt entgegen, dass der Gesetzgeber die Regelung insgesamt getroffen hat, um die Vorbereitung schwerster Delikte rechtzeitig auch mit den Mitteln des Strafrechts zu verhindern. Der Gesetzgeber hat sich somit für eine Ausdehnung der Strafbarkeit in das Vorbereitungsstadium entschieden. Auch die Rücktrittsregelung des § 31 StGB bestätigt dies (vgl. LK/Schünemann, aaO § 30 Rn. 2a). Deshalb ist ihr Anwendungsbereich von § 30 Abs. 2 Var. 1 StGB nicht notwendig auf den Versuch der Beteiligung an der Tat beschränkt, an der eine weitere Person in strafbarer Weise mitwirken soll.
38
2. Weder die Gesetzesvorschrift des § 30 Abs. 2 Var. 1 StGB noch deren Anwendung auf den Fall des Sich-Erbietens des Täters gegenüber dem Opfer zu dessen Ermordung verstößt gegen Verfassungsrecht.
39
a) Zum Teil wird in der Literatur angenommen, § 30 Abs. 2 Var. 1 StGB begründe kein strafwürdiges Unrecht und verstoße deshalb gegen den Schuldgrundsatz (vgl. Köhler, Strafrecht Allgemeiner Teil, 1997, Rn. 545; Puschke, Legitimation, Grenzen und Dogmatik von Vorbereitungstatbeständen, 2017, S. 343 f.; krit. auch LK/Schünemann, aaO § 30 Rn. 12). Er verletze zudem das Bestimmtheitsgebot aus Art. 103 Abs. 2 GG (vgl. NK/Zaczyk, StGB, 5. Aufl., § 30 Rn. 34).
40
b) Dem folgt der Senat nicht.
41
aa) Der Wortlaut der Norm, der die Kundgabe der Bereitschaft zur Begehung eines Verbrechens voraussetzt, ist hinreichend bestimmt (vgl. LK/Schünemann, aaO, § 30 Rn. 3). Dadurch sind die Grenzen der Strafbarkeit für Normadressaten zur Tatzeit vorhersehbar.
42
bb) Auch im Hinblick auf den Schuldgrundsatz und das Verhältnismäßigkeitsprinzip bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Strafdrohung und ihre Anwendung auf Fallkonstellationen des Sich-Erbietens durch den Alleintäter gegenüber dem Tatopfer zu dessen Ermordung.
43
(1) Der Gesetzgeber ist nicht gehindert, schon die Verursachung abstrakter Gefahren für ein Rechtsgut mit Strafe zu bedrohen. Es kann keine Rede davon sein, dass Strafvorschriften, weil sie sich nicht gegen eine konkrete Gefährdung eines Rechtsguts richten, schlechthin verfassungswidrig seien (vgl. BVerfG, Beschluss vom 15. April 1970 – 2 BvR 396/69, BVerfGE 28, 175, 188). Die Frage, ob der Gesetzgeber die Strafdrohung für angemessen hält, ist in erster Linie kriminalpolitischer, nicht verfassungsrechtlicher Natur (vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. Februar 2008 – 2 BvR 392/07, BVerfGE 120, 224, 241). Bei der Einschätzung drohender Gefahren und der Bewertung ihrer Strafwürdigkeit steht dem Gesetzgeber ein Beurteilungsspielraum zu (vgl. BGH, Urteil vom 8. Mai 2014 – 3 StR 243/13, BGHSt 59, 218, 227). Es ist seine Sache, den Bereich strafbaren Handelns festzulegen. Er ist bei der Entscheidung grundsätzlich frei, wie er ein wichtiges Rechtsgut mit den Mitteln des Strafrechts verteidigen will (vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. Februar 2008 – 2 BvR 392/07, BVerfGE 120, 224, 240). Mit Strafdrohungen können in gewissem Umfang auch präventive Zwecke verfolgt werden (vgl. BGH, aaO, BGHSt 59, 218, 231 mwN). Die Verteidigung der von Verbrechenstatbeständen geschützten Rechtsgüter bereits im Vorfeld zum Versuch nicht nur mit polizeirechtlichen Maßnahmen zur Gefahrenabwehr, sondern auch mit den Reaktionsmitteln des Strafrechts, ist insbesondere bei der Verteidigung des menschlichen Lebens gegen Tötungsverbrechen auch angemessen.
44
(2) Da der Anwendungsbereich des § 30 Abs. 2 Var. 1 StGB in Fällen der Erklärung des Täters gegenüber dem Opfer eng begrenzt ist, bleibt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit auch im Übrigen gewahrt. Die Anwendung des § 30 Abs. 2 Var. 1 StGB ist auf Fälle des Sich-Bereiterklärens des Täters gegenüber dem Opfer zur Begehung eines Tötungsverbrechens beschränkt. In anderen Fällen des Sich-Bereiterklärens zur Verletzung eines Individualrechtsguts wirkt das Einverständnis des vom Täter angesprochenen Opfers tatbe- standsausschließend. Nur in die Vernichtung des Rechtsguts des Lebens kann der Träger des Rechtsguts nicht wirksam einwilligen. Überdies beschränkt die Rücktrittsregelung des § 31 StGB, welche eine Strafbefreiung schon durch Aufgabe des Vorhabens durch den Täter ermöglicht, den Anwendungsbereich des § 30 Abs. 2 Var. 1 StGB auch in der Konstellation des Sich-Bereiterklärens des Täters gegenüber dem Opfer weiter ein (vgl. Schönke/Schröder/Heine/Weißer, aaO, § 30 Rn. 22).
45
(3) Die Ansicht, das bloße Sich-Bereiterklären zur Tatbegehung enthalte noch kein strafwürdiges Unrecht, trifft nicht zu (vgl. MüKoStGB/Joecks, aaO, § 30 Rn. 45; Thalheimer, aaO, S. 75). Es begründet eine kommunikative Beziehung zwischen dem Erklärenden und dem Adressaten (vgl. Jacoby, aaO, S. 21), die einer versuchten Kettenanstiftung ähnelt, bei der lediglich der Erstanstifter und der präsumtive Täter identisch sind (Thalheimer, aaO, S. 72). Das Sich-Erbieten zur Tatbegehung steht nach der Vorstellung des Täters am Anfang einer Kausalkette, die in die Vollendung der Tat einmünden soll. Die Erklärung der Tatbereitschaft gegenüber einem anderen kann auch schon eine (abstrakte) Gefährdung des geschützten Rechtsguts verursachen, weil sich der Täter hiernach an seine nach außen hervorgetretene Erklärung gebunden fühlen kann und im Einzelfall auch vom Erklärungsempfänger weiter zur Tatbegehung motiviert werden mag. Eine initiative Erklärung von Tatbereitschaft bewirkt somit eine Risikoerhöhung für das vom Verbrechenstatbestand geschützte Rechtsgut.
46
(4) Der vorliegende Fall, in dem die Erklärung der Tatbereitschaft gegenüber dem Tatopfer abgegeben wurde, zeigt dieses Gefahrenpotenzial auf. Der Angeklagte hat sich gegenüber der Zeugin R. als potenziellem Tatopfer zu deren Tötung erboten, um sie zu der nach seinem Tatplan erforderlichen Mitwirkung zu veranlassen. Die Zeugin hat danach die bestehenden Hindernisse auf dem Weg zu einem Treffen mit dem Angeklagten überwunden, um ihm den Mord zu ermöglichen. Dem Angeklagten kam die späte Nachricht von ihrer bevorstehenden Ankunft ungelegen; gleichwohl bereitete er die dem Opfer zugesagte Tatausführung durch Bereitstellen von Werkzeugen zur Fesselung und zum Erhängen des Opfers sowie dessen Abholung am Bahnhof vor. Aus alledem wird deutlich, dass die Erklärung der Bereitschaft zur Begehung des Verbrechens als Beginn einer Kausalkette eine zwar abstrakte, aber sich durch Mitwirkungsakte beider Beteiligten steigernde Gefahr ausgelöst hat, die Strafe rechtfertigt.
Schäfer Eschelbach Zeng Bartel Grube

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 494/13
vom
28. Januar 2014
BGHSt: ja
BGHR: ja
Nachschlagewerk: ja
Veröffentlichung: ja
__________________________
BtMG § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 Buchst. a, § 13 Abs. 1
1. Zur "begründeten Anwendung" im Sinne von § 13 Abs. 1 BtMG bei der ärztlichen
Verschreibung von Betäubungsmitteln im Rahmen der Substitutionstherapie opiatabhängiger
Patienten.
2. Die Stellung als behandelnder Substitutionsarzt eines opiatabhängigen Patienten
als solche begründet keine Handlungsherrschaft des Arztes bei missbräuchlicher
Verwendung des verschriebenen Substitutionsmedikaments durch den Patienten.
Ein Arzt kann in solchen Konstellationen lediglich als Täter eines Körperverletzungsoder
Tötungsdelikts strafbar sein, wenn die selbstschädigende oder selbstgefährdende
Handlung des Patienten nicht eigenverantwortlich erfolgte.
BGH, Urteil vom 28. Januar 2014 - 1 StR 494/13 - LG Deggendorf
in der Strafsache
gegen
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
28. Januar 2014, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Raum
und die Richter am Bundesgerichtshof
Rothfuß,
Dr. Graf,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Cirener,
der Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Radtke,
Erster Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt - in der Verhandlung -,
Rechtsanwalt - in der Verhandlung -
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revisionen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Deggendorf vom 22. März 2013 werden verworfen. 2. Der Angeklagte trägt die Kosten seines Rechtsmittels. Die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft und die hierdurch dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Verschreibens von Betäubungsmitteln in 125 Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 360 Tagessätzen zu je 110,00 Euro verurteilt. Zugleich hat es ihm für die Dauer von fünf Jahren untersagt, als Arzt drogenabhängige Patienten zu substituieren. Im Übrigen ist er freigesprochen worden.
2
Der Angeklagte wendet sich mit seiner Revision gegen die Verurteilung in 100 der ihm zur Last gelegten Fälle. Die Verurteilung in den sonstigen Fällen sowie den Maßregelausspruch hat er von seinem Rechtsmittelausgenommen. Die Staatsanwaltschaft beanstandet mit ihrer Revision, dass der Angeklagte nicht wegen eines Tötungsdelikts aufgrund des Todes eines von ihm substituierten Patienten verurteilt worden ist. Zudem rügt sie die Strafzumessung sowohl hinsichtlich der Einzelstrafen als auch der Gesamtstrafe.
3
Die Rechtsmittel bleiben ohne Erfolg.

A.

4
Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

I.

5
1. Der Angeklagte behandelte in seiner ärztlichen Praxis opiatabhängige Substitutionspatienten. Er führte bei diesen jeweils ordnungsgemäße Eingangsuntersuchungen durch und sorgte für deren psycho-soziale Betreuung. In den der Verurteilung zugrunde liegenden Einzelfällen verschrieb er zwischen Januar 2008 und August 2011 vier seiner Patienten die Substitutionsmittel Methadon oder Levomethadon im Rahmen von sog. Take-Home-Verordnungen. Bei dieser Art der Verordnung wird den Patienten eine Verschreibung über die für bis zu sieben Tage benötigte Menge des Mittels ausgehändigt und das Methadon diesen damit zur eigenverantwortlichen Einnahme überlassen (UA S. 23). In den verfahrensgegenständlichen Fällen hätten nach den Feststellungen und Wertungen des Tatgerichts Verschreibungen in diesem Verfahren nicht erfolgen dürfen. Die betroffenen Patienten waren entgegen den Voraussetzungen für Take-Home-Verschreibungen nicht stabil eingestellt. In einigen Einzelfällen fehlte es auch an der erforderlichen Kontrolle auf Beikonsum, also die zusätzliche Einnahme von unerlaubten Betäubungsmitteln zum Methadon. Teilweise hatten durchgeführte Tests auch den Nachweis von Beikonsum von verbotenen Betäubungsmitteln erbracht. In fünf den später an den Folgen der Methadoneinnahme verstorbenen Patienten K. betreffenden Fällen erfolgte die Verschreibung ohne einen persönlichen Kontakt zu diesem. Der Angeklagte nahm insgesamt billigend eine nicht ordnungsgemäße Verwendung des Methadons durch die vier betroffenen Patienten in Kauf.
6
2. Das Landgericht hat hinsichtlich der einzelnen Patienten Folgendes festgestellt:
7
a) Fälle 1 bis 35 (B.I. der Urteilsgründe)
8
Im Zeitraum zwischen Januar 2008 und Ende Juni 2009 verordnete der Angeklagte der Patientin H. in 35 Einzelfällen im Rahmen des TakeHome -Verfahrens Methadon, obwohl ihm bekannt war, dass die Patientin nicht stabil eingestellt war und sie ständig mehr Methadon konsumierte, als sie als Tagesdosen in den jeweiligen Verschreibungszeiträumen hätte zu sich nehmen dürfen. Den Mehrverbrauch dokumentierte der Angeklagte in einigen Fällen in der Patientenakte.
9
b) Fälle 36 bis 43 (B.II. der Urteilsgründe)
10
Zwischen Januar und Mai 2008 verschrieb der Angeklagte seinem Patienten He. in acht Einzelfällen Methadon im Take-Home-Verfahren. Dem Angeklagten war dabei bekannt, dass der Patient unzuverlässig und nicht stabil eingestellt war. Nach den weiteren Feststellungen des Tatgerichts hatten zwei Drogentests im Dezember 2007 ein negatives Ergebnis hinsichtlich Methadon erbracht. Damit wusste der Angeklagte um die fehlende Einnahme des Substitutionsmedikaments durch He. in diesem Monat. Tests Anfang und Ende 2008 waren zudem positiv auf THC ausgefallen.
11
c) Fälle 44 bis 65 (B.III. der Urteilsgründe)
12
Der Angeklagte verschrieb dem Patienten U. , der bereits seit rund 20 Jahren durch andere Ärzte verschriebene Substitutionsmedikamente eingenommen hatte, im Zeitraum von Anfang März bis Ende Dezember 2009 in 22 Einzelfällen durch Take-Home-Verordnung Methadon. Ihm war jedoch bekannt , dass bei dem Patienten Ende Februar 2009 ein Drogentest THC und ein weiterer Test rund vier Wochen später Benzodiazepine nachgewiesen hatte. Ein Drogentest Mitte Juni 2009 fiel wiederum positiv auf THC aus. In einer größeren Zahl von Einzelfällen hatte der Angeklagte den Mehrverbrauch des Patienten dokumentiert.
13
d) Fälle 66 bis 125 (B.IV. der Urteilsgründe)
14
Der zumindest seit 2005 opiatabhängige Patient K. befand sich ab dem Sommer 2009 in der Substitutionsbehandlung bei dem Angeklagten. Der Patient nahm das Methadon intravenös über seine Beinvenen ein.
15
Zwischen Mitte Januar 2010 und dem 22. August 2011 verschrieb der Angeklagte dem Patienten in 60 Einzelfällen Methadon. Im Jahr 2010 nahm er bei K. insgesamt acht Drogentests vor. Sechs dieser Tests wiesen kein Me- thadon nach. Dem Angeklagten war damit bekannt, dass „K. dasihm ver- ordnete Medikament nicht bestimmungsgemäß einnahm“ (UA S. 14). Der letzte, am 21. Oktober 2010 durchgeführte Test erbrachte wiederum ein Negativergebnis bezüglich Methadon. Die Ergebnisse der beiden weiteren Tests wiesen THC bzw. Benzodiazepine nach.
16
Die Verschreibung von Methadon an den Patienten erfolgte in der ganz überwiegenden Zahl der Fälle jeweils nach persönlichem Kontakt mit ihm. In den Fällen 121 bis 125 im Zeitraum von Mitte Juli bis Mitte August 2011 be- stand ein solcher Kontakt jedoch nicht. K. befand sich in diesem Zeitraum in der Justizvollzugsanstalt. Gegenüber dem Angeklagten hatte er vorgegeben, in der fraglichen Zeit in Oberbayern zu arbeiten, und ihn deshalb gebeten, die Methadonrezepte an seine (K. s) Ehefrau zu übergeben. Diesem Wunsch kam der Angeklagte nach. Die Ehefrau beschaffte das verschriebene Methadon in der Apotheke.
17
Nach der Entlassung des Patienten aus der Justizvollzugsanstalt Ende August 2011 waren in seiner Wohnung 35 Fläschchen Methadon vorhanden. In der Nacht vom 1. auf den 2. September 2011 wurde er dort tot aufgefunden. Er hatte den Inhalt von zumindest drei Fläschchen Methadon intravenös eingenommen und war an den Folgen der Überdosis gestorben.

II.

18
Das Landgericht hat in sämtlichen genannten Einzelfällen eine Strafbarkeit des Angeklagten aus § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 Buchst. a in Verbindung mit § 13 Abs. 1 BtMG und § 5 BtMVV (in der jeweils im Tatzeitraum maßgeblichen Fassung) angenommen. Dagegen hat es den Angeklagten nicht wegen eines Tötungsdelikts im Hinblick auf den Tod des Patienten K. verurteilt. Zudem hat es den Angeklagten in weiteren sechs Fällen vom Vorwurf des Verstoßes gegen § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 Buchst. a BtMG – teils aus tatsächlichen, teils aus rechtlichen Gründen – freigesprochen.
19
1. Das Tatgericht hat die Strafbarkeit des Angeklagten nach dem Betäubungsmittelgesetz damit begründet, dass der auf der Grundlage der Verordnungsermächtigung in § 13 Abs. 3 Satz 1 BtMG erlassene § 5 BtMVV eine Verschreibung von Substitutionsmedikamenten lediglich unter bestimmten Voraus- setzungen zulässt. Nach den inhaltlich weitgehend übereinstimmenden, im Tatzeitraum geltenden drei Fassungen von § 5 BtMVV ist dem behandelnden Arzt eine Verschreibung über die für bis zu sieben Tage benötigte Menge des Substitutionsmittels gestattet, wenn und solange der Behandlungsverlauf dies zulässt sowie dadurch die Sicherheit und Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs nicht beeinträchtigt werden. Die ab dem 25. März 2009 geltende Fassung der Verordnung schließe in § 5 Abs. 8 Satz 4 BtMVV eine Verschreibung der bis zu sieben Tage benötigten Menge des Substitutionsmittels aus, wenn die Untersuchungen und Erhebungen des Arztes zu Erkenntnissen geführt haben, nach denen der Patient Stoffe konsumiert, die ihn zusammen mit der der Einnahme des Substitutionsmittels gefährden, dieser unter Berücksichtigung der Toleranzentwicklung noch nicht auf eine stabile Dosis eingestellt ist oder der Patient missbräuchlich Stoffe konsumiert.
20
Um die Vorgaben der Verordnung inhaltlich näher auszufüllen, hat das Landgericht auf die Richtlinien der Bundesärztekammer zur Durchführung der substitutionsgestützten Behandlung Opiatabhängiger zurückgegriffen. Einen zum Ausschluss der Take-Home-Verordnung führenden „nicht regelgerechten Vorfall“ (UA S. 24) hat es dabei vorallem bei der Feststellung von Beikonsum, eines Mehrverbrauchs oder eines negativen Methadontests angenommen. Das Tatgericht hat allerdings zugunsten des Angeklagten unter Abweichung der genannten Richtlinien lediglich einen Zeitraum von einem Monat zugrunde gelegt, in dem der Patient sich als zuverlässig erwiesen haben muss, um vom TakeHome -Verfahren Gebrauch machen zu können. Die Richtlinien der Bundesärztekammer sehen dagegen nach der Darlegung des Tatgerichts eine wenigstens sechsmonatige Zuverlässigkeit des Patienten vor.
21
2. a) Anhand dieser Maßstäbe stützt das Landgericht die Strafbarkeit des Angeklagten in den 35 die Patientin H. (B.I. der Urteilsgründe) betref- fenden Fällen unter Darlegung im Einzelnen jeweils auf den ihm bekannten und in einigen Fällen sogar in den Patientenunterlagen dokumentierten Mehrverbrauch.
22
b) In den den Patienten He. (B.II. der Urteilsgründe) betreffenden Fällen 36 bis 38 leitet das Tatgericht den Verstoß des Angeklagten gegen das Betäubungsmittelgesetz aus den diesem bekannten Ergebnissen der Drogentests im Dezember 2007 und Januar 2008 ab. Diese hatten teils ein negatives Ergebnis auf Methadon, teils positive Ergebnisse auf Beikonsum erbracht. Die Verschreibung im Fall 39 erfolgte, obwohl He. sich nach dem Drogentest Ende Januar 2008 (positives Ergebnis auf Benzodiazepine) sich noch nicht über einen Monat als zuverlässig erwiesen hatte. Entsprechendes gilt in den Fällen 41 bis 43. Die Verschreibungen erfolgten in einem Zeitraum von 14 Tagen nach einem positiv auf THC ausgefallenen Test. Für den Fall 40 stützt sich das Tatgericht auf den dem Angeklagten bekannten Mehrverbrauch des Patienten , der daher nicht stabil eingestellt war.
23
c) Hinsichtlich des Patienten U. (B.III. der Urteilsgründe) hat das Tatgericht die Strafbarkeitsvoraussetzungen in den Fällen 44 bis 50 auf den dem Angeklagten durch die Ergebnisse von Drogentests bekannten Beikonsum von THC bzw. Benzodiazepinen gestützt. In den Fällen 51 bis 65 hat es unter näheren Darlegungen die zum Ausschluss des Take-Home-Verfahrens führende Unzuverlässigkeit des Patienten aus dessen Mehrverbrauch abgeleitet. Dieser war dem Angeklagten bekannt, zumal er ihn in einigen Fällen in den Patientenunterlagen dokumentiert hatte.
24
d) In Bezug auf die 60 den Patienten K. (B.IV. der Urteilsgründe) betreffenden Fälle hat das Tatgericht die Voraussetzungen der Strafbarkeit aus § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 Buchst. a i.V.m. § 13 Abs. 1 BtMG und § 5 BtMVV jeweils auf unterschiedliche Erwägungen gestützt.
25
In den Fällen 66 bis 69, 86 bis 89, 103 bis 106 hätten durchgeführte Drogentests jeweils ein negatives Ergebnis auf Methadon erbracht. Dementsprechend sei dem Angeklagten die nicht bestimmungsgemäße Verwendung des Substitutionsmedikaments durch den Patienten bekannt gewesen. Zudemläge in den Fällen 96 bis 102 neben einem Mehrverbrauch und dem daraus abzuleitenden Fehlen einer stabilen Einstellung des Patienten ebenfalls ein negatives Drogentestergebnis auf Methadon vor. Daraus ergebe sich zusätzlich das Fehlen der Voraussetzungen für das Take-Home-Verfahren.
26
Hinsichtlich der Fälle 70 und 71 sowie 78, 85, 90 und 115 bis 117 habe der Angeklagte nicht die monatlich zur Überprüfung der Zuverlässigkeit des Patienten notwendigen Drogentests durchgeführt. Deshalb hätten in den genannten Fällen keine Take-Home-Verordnungen erfolgen dürfen.
27
In den Fällen 72 bis 77, 91 bis 102 sowie 118 bis 120 hat das Tatgericht jeweils darauf abgestellt, dass bei dem Patienten ein dem Angeklagten bekannter , teils von ihm in den Patientenunterlagen vermerkter Mehrkonsum vorliege, aus dem sich das Fehlen einer ausreichend stabilen medikamentösen Einstellung des Patienten ergebe. Hinsichtlich der Fälle 96 bis 102 gründet sich die Unzuverlässigkeit des Patienten zudem auf das negativ auf Methadon ausgefallene Testergebnis.
28
Für die Fälle 79 bis 84 und 107 bis 114 hat sich das Tatgericht auf die den Nachweis von THC bzw. Benzodiazepine erbringenden Ergebnisse von Drogentests gestützt. Wegen des dem Angeklagten bekannten Beikonsums hätte er von dem Take-Home-Verfahren erst wieder Gebrauch machen dürfen, wenn sich der Patient K. für wenigstens einen Monat als zuverlässig erwiesen hätte.
29
Die Verschreibungen in den Fällen 121 bis 125 seien ohne den erforderlichen persönlichen Kontakt zu dem Patienten erfolgt.
30
3. Die Voraussetzungen einer tateinheitlich mit den Betäubungsmitteldelikten in den Fällen 121 bis 125 verwirklichten fahrlässigen Tötung (§ 222 StGB) des Angeklagten zu Lasten seines Patienten K. hat das Tatgericht verneint. Es liege eine Konstellation sog. eigenverantwortlicher Selbstgefährdung des zu Tode gekommenen Patienten vor. Bei dieser sei eine Strafbarkeit des daran Mitwirkenden, hier des Angeklagten, lediglich dann zu begründen, wenn er kraft überlegenen „Fachwissens“ das Risiko des selbstgefährdenden Verhaltens besser erfasst habe, als der sich Selbstgefährdende. Dies hat das Landgericht im Hinblick auf die Aussage der Ehefrau des verstorbenen Patienten K. verneint. Dieser habe Methadon bereits seit Jahren intravenös eingenommen und die damit verbundenen Risiken, auch die einer Überdosierung, gekannt. Gegen einen seine freie Willensentschließung beeinträchtigenden Zustand spreche, dass K. die Beschaffung von Substitutionsmedikamenten mit Hilfe seiner Ehefrau für die Dauer seiner Haft planmäßig vorbereitet habe.

III.

31
Gegen dieses Urteil wenden sich sowohl der Angeklagte mit seiner auf die Sachrüge gestützten, im Umfang beschränkten Revision als auch die Staatsanwaltschaft mit ihrem zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten Rechtsmittel.

32
Der Angeklagte hat die Verurteilungen in den fehlende oder negativ auf Methadon ausgefallene Drogentests betreffenden Fällen 36 bis 38, 66 bis 71, 78, 85, 86, 102, 108 bis 112, 115, 117 und 121 bis 125 sowie den Maßregelausspruch von seinem Rechtsmittelangriff ausgenommen. Hinsichtlich der verbleibenden Fälle wendet sich die Revision u.a. dagegen, dass das Tatgericht die Strafbarkeitsvoraussetzungen auf den dem Angeklagten bekannten Beikonsum von Rauschgiften bzw. auf die fehlende klinische Stabilität der betroffenen Patienten gestützt hat.
33
Die Staatsanwaltschaft beanstandet, dass der Angeklagte wegen der zwischen dem 25. Juli und dem 22. August 2011 (Fälle 121 bis 125) erfolgten Verschreibungen von Methadon für den Patienten K. nicht wegen eines Tötungsdelikts verurteilt worden ist. Darüber hinaus macht sie geltend, die Einzelstrafen und die Gesamtstrafe würden dem Unrechtsgehalt der Taten nicht gerecht.

B.

34
Die Revision des Angeklagten hat keinen Erfolg.

I.

35
Ob die Beschränkung der Revision des Angeklagten auch auf den Maßregelausspruch wirksam ist, kann dahinstehen, weil sein Rechtsmittel insgesamt ohne Erfolg bleibt.

II.

36
Das Landgericht hat auf der Grundlage rechtsfehlerfrei getroffener Feststellungen in sämtlichen noch verfahrensgegenständlichen Fällen die Verschreibungen von Methadon bzw. L-Polamidon (Levomethadon) durch den Angeklagten zutreffend als gemäß § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 Buchst. a i.V.m. § 13 Abs. 1 BtMG strafbares Verhalten gewertet.
37
1. § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 Buchst. a BtMG stellt das gegen § 13 Abs. 1 BtMG verstoßende Verschreiben von Betäubungsmitteln unter Strafe. Die letztgenannte Vorschrift bestimmt, dass Ärzte die in Anlage III des Betäubungsmittelgesetzes genannten Stoffe – wie hier Methadon und L-Polamidon – nur dann verschreiben dürfen, wenn ihre Anwendung im oder am menschlichen Körper „begründet“ ist. Unter welchen Voraussetzungen eine im Sinne von § 13 Abs. 1 BtMG „begründete Anwendung“ dererfassten Betäubungsmittel anzunehmen ist, legt das Betäubungsmittelgesetz selbst in den Einzelheiten nicht fest. Konkretisierungen der begründeten Anwendungen von Betäubungsmitteln ergeben sich aus der auf der Verordnungsermächtigung in § 13 Abs. 3 BtMG beruhenden (Rechts)Verordnung über das Verschreiben, die Abgabe und den Nachweis des Verbleibs von Betäubungsmitteln (Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung [BtMVV] in den jeweils im Tatzeitraum geltenden Fassungen). Für die hier in Rede stehende Substitutionsbehandlung von opiatabhängigen Patienten durch Ärzte ergeben sich nähere Beschreibungen der „begründeten Anwendung“ von Betäubungsmitteln bei deren Verschreibung aus § 5 BtMVV. So gestaltet § 5 Abs. 1 BtMVV (in der seit 21. Juli 2009 geltenden Fassung sowie entsprechend die Vorgängerregelungen) die Ziele einer Substitutionsbehandlung aus; Abs. 2 beschreibt die für eine Verschreibung gemäß § 13 Abs. 1 BtMG erforderlichen Voraussetzungen im Einzelnen. In § 5 Abs. 8 BtMVV hat der Verordnungsgeber die Erfordernisse für die Anwendung der sog. TakeHome -Verordnung in den Details festgelegt. Entsprechende Vorgaben fanden sich auch in den vom Tatgericht jeweils herangezogenen, in den jeweiligen Tatzeiträumen geltenden früheren Fassungen der Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung.
38
Verfassungsrechtliche Bedenken gegen § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 Buchst. a i.V.m. § 13 Abs. 1 BtMG im Hinblick auf die Anforderungen des Bestimmtheitsgrundsatzes des Art. 103 Abs. 2 GG bestehen nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Mai 1991 – 3 StR 8/91, BGHSt 37, 383, 384 f.; Urteil vom 2. Februar 2012 – 3 StR 321/11, NStZ 2012, 337, 338; siehe auch Nestler MedR 2009, 211, 215 sowie BGH, Urteil vom 8. Mai 1979 – 1 StR 118/79, BGHSt 29, 6, 8 hinsichtlich der Vorgängerregelung § 11 Abs. 1 Nr. 9 Buchst. a BtMG aF). Die näheren Voraussetzungen der Strafbarkeit dürfen in einer Rechtsverordnung geregelt werden, wenn diese – wie vorliegend die Betäubungsmittel -Verschreibungsverordnung – Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG entspricht (BVerfGE 14, 174, 185) und die die Strafvorschrift ausfüllende Rechtsverordnung ihrerseits den Anforderungen aus Art. 103 Abs. 2 GG an die inhaltliche Bestimmtheit genügt (vgl. BVerfG NStZ-RR 2002, 22; Radtke in Epping/ Hillgruber, GG, 2. Aufl., Art. 103 Rn. 29 mwN). Die Voraussetzungen der Strafbarkeit müssen sich allerdings bereits dem Straftatbestand als solchem entnehmen lassen. Der Verordnung dürfen lediglich Konkretisierungen überlassen bleiben (BVerfGE 75, 329, 342; siehe auch BVerfGE 14, 174, 185 f.).
39
Dem genügen § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 Buchst. a, § 13 Abs. 1 BtMG i.V.m. § 5 BtMVV. Mit den gesetzlichen Regelungen selbst wird hinreichend zum Ausdruck gebracht, dass (u.a.) Ärzten die Verschreibung von in Anlage III des Betäubungsmittelgesetzes erfassten Betäubungsmitteln lediglich dann ge- stattet ist, wenn die Anwendung der entsprechenden Stoffe am oder im menschlichen Körper medizinisch begründet ist, also eine Indikation für eine solche Anwendung nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft besteht (vgl. BGH, Urteil vom 2. Februar 2012 – 3 StR 321/11, NStZ 2012, 337, 338). Der Bundesgerichtshof hat in der Sache damit weitgehend übereinstimmend auch bereits die frühere Regelung in § 11 Abs. 1 Nr. 9 Buchst. a BtMG 1972 dahingehend ausgelegt, dass eine begründete Verschreibung von Betäubungsmitteln durch einen Arzt vorliegt, wenn das Mittel nach den allgemeinen oder weitaus überwiegend anerkannten Regeln der ärztlichen Wissenschaft als Heilmittel für das Leiden des Patienten geeignet ist (BGH, Urteil vom 8. Mai 1979 – 1 StR 118/79, BGHSt 29, 6, 9 mwN; siehe auch BGH, Beschluss vom 17. Mai 1991 – 3 StR 8/91, BGHSt 37, 383, 384). Ob an der vorgenannten Auslegung auch für das geltende Recht in jeder Hinsicht festgehalten werden kann, bedarf vorliegend keiner Entscheidung (siehe bereits BGH aaO, BGHSt 37, 383, 384). Für die geltende Strafvorschrift lässt sich jedenfalls aus § 13 Abs. 1 Satz 2 BtMG, der im Sinne einer ultima ratio (BGH, Urteil vom 2. Februar 2012 – 3 StR 321/11, NStZ 2012, 337, 338; näher Patzak in Körner/Patzak/Volkmer, BtMG, 7. Aufl., § 13 Rn. 20-23) eine Anwendung von Betäubungsmitteln bei Vorhandensein anderer Möglichkeiten der Zweckerreichung ausschließt, erkennen , dass die in § 13 Abs. 1 BtMG enthaltene Verhaltensnorm auf die medizinische Notwendigkeit einer (Substitutions-)Behandlung mit an sich verbotenen Betäubungsmitteln, also eine ärztliche Bewertung der Voraussetzungen einer solchen Behandlung, abstellt (Nestler aaO). Das legt das erlaubte Verhalten von Ärzten und anderen in § 13 BtMG genannten Berufsgruppen im Umgang mit Betäubungsmitteln bei der Substitutionsbehandlung im Gesetz selbst ausreichend bestimmt fest. Da die Strafvorschrift § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 Buchst. a BtMG an eine gegen § 13 Abs. 1 BtMG verstoßende Verschreibung anknüpft, entspricht sie ihrerseits dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebot. Die inhaltlich klaren und sehr detaillierten Vorgaben in § 5 BtMVV stehen mit Art. 103 Abs. 2 GG ebenfalls in Einklang. In ihrem Zusammenspiel normieren § 13 BtMG und § 5 BtMVV die materiellen Voraussetzungen einer erlaubten ärztlichen Substitutionsbehandlung (vgl. BGH, Urteil vom 4. Juni 2008 – 2 StR 577/07, BGHSt 52, 271, 273 Rn. 11) bei Anwendung ansonsten unerlaubter Stoffe in einer für den solche Behandlungen durchführenden Arzt eindeutig erkennbaren Weise.
40
2. Die Verschreibungen von Methadon bzw. L-Polamidon (Levomethadon ) an die betroffenen Patienten erfolgte in sämtlichen noch verfahrensgegenständlichen Fällen ohne Vorliegen der materiellen Voraussetzungen einer Substitutionsbehandlung Opiatabhängiger aus § 13 BtMG i.V.m. § 5 BtMVV. Das begründet die Strafbarkeit aus § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 Buchst. a BtMG.
41
a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs verwirklicht eine ärztliche Substitutionsbehandlung den Straftatbestand § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 Buchst. a BtMG, wenn eine solche ohne Indikationsstellung oder ohne ausreichende Prüfung von Behandlungsalternativen (§ 13 Abs. 1 Satz 2 BtMG) erfolgt (BGH, Urteil vom 2. Februar 2012 – 3 StR 321/11, NStZ 2012, 337, 338). Gleiches gilt im Hinblick auf die Konkretisierung der gesetzlichen Verhaltensnormen durch § 5 Abs. 2 Satz 1 BtMVV bei einer unzureichenden Kontrolle bzw. Begleitung der Behandlung durch den verschreibenden Arzt (BGH aaO). Der in § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 BtMVV vorgegebene „erforderliche Umfang“ der Konsultati- on des behandelnden Arztes bildet dabei eine „verbindliche Richtschnur“ einer sorgfältigen Substitutionsbehandlung (BGH aaO).
42
Über die bereits in der bisherigen Rechtsprechung anerkannten Konstellationen einer aus der unterbliebenen oder unzureichenden Beachtung der in § 5 BtMVV enthaltenen Vorgaben abgeleiteten Strafbarkeit aus § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 Buchst. a i.V.m. § 13 BtMG hinaus erweisen sich auch andere Verstöße gegen die in der Verordnung niedergelegten Maßstäbe der Substitutionsbehandlung als Verletzung der materiellen Voraussetzungen dieser Therapie und damit als nach § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 Buchst. a BtMG strafbares Verhalten. Das gilt neben der Nichtbeachtung des in § 5 Abs. 1 BtMVV formulierten Behandlungsziels jedenfalls für die Ausschlussgründe des § 5 Abs. 2 BtMVV sowie die in § 5 Abs. 8 BtMVV niedergelegten Voraussetzungen bzw. spezifischen Ausschlussgründe von Take-Home-Verordnungen. Diese Vorschriften dienen der Sicherstellung der materiellen Erfordernisse in § 13 Abs. 1 BtMG, Ärzten eine Substitutionsbehandlung mit an sich unerlaubten Betäubungsmitteln lediglich im Rahmen einer entsprechenden Indikation unter Beachtung des ultima-ratio-Gedankens (§ 13 Abs. 1 Satz 2 BtMG) sowie bei Sicherstellung einer dem Stand der medizinischen Wissenschaft entsprechenden Durchführung der Therapie zu gestatten.
43
Allerdings ist bei der Anwendung von § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 Buchst. a BtMG ungeachtet der Konkretisierungen der Bedingungen von Suchttherapien vor allem durch § 5 BtMVV dem Arzt eine gewisse Therapiefreiheit zu belassen (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Mai 1991 – 3 StR 8/91, BGHSt 37, 383, 385; siehe auch bereits BGH, Urteil vom 8. Mai 1979 – 1 StR 118/79, BGHSt 29, 6, 11 f.; Patzak in Körner/Patzak/Volkmer, aaO, § 29 Teil 15 Rn. 9). Der Verordnungsgeber hat diesen Aspekt im Rahmen von § 5 BtMVV berücksichtigt, indem in einzelnen Regelungen, etwa in § 5 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 8 Satz 6 BtMVV, für die Bewertung von Voraussetzungen oder Ausschlussgründen der Substitutionstherapie auf den „allgemein anerkannten Stand der medizinischen Wissenschaft“ abgestellt wird. Zur Ausfüllung dessen kann auf die von der Bun- desärztekammer zuletzt am 19. Februar 2010 verabschiedeten Richtlinien zur Durchführung der substitutionsgestützten Behandlung Opiatabhängiger bzw. deren Vorgängerrichtlinien abgestellt werden. Für die hier relevanten Ver- schreibungen von Betäubungsmitteln im Rahmen der Substitutionstherapie ergibt sich bei Anwendung des Take-Home-Verfahrens aus § 5 Abs. 8 Satz 6 BtMVV, dass die Bewertung des Verlaufs der Behandlung dem behandelnden Arzt obliegt, der sich allerdings an dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Wissenschaft zu orientieren hat. Dies eröffnet dem Arzt im Rahmen der Therapiefreiheit in den Grenzen der Vorgaben der BetäubungsmittelVerschreibungsverordnung Bewertungsspielräume. Werden diese überschritten und die Voraussetzungen der Substitutionsbehandlung im Take-HomeVerfahren aus § 13 BtMG i.V.m. § 5 BtMVV nicht eingehalten, begründet dies die Strafbarkeit aus § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 Buchst. a BtMG.
44
b) Nach diesen Maßstäben tragen die vom Tatgericht getroffenen Feststellungen in sämtlichen noch verfahrensgegenständlichen Einzelfällen den Schuldspruch nach dieser Vorschrift.
45
aa) Fälle 1 bis 35 (Patientin H. – B.I. der Urteilsgründe)
46
(1) Hinsichtlich der Patientin H. ergibt sich das Fehlen einer begründeten Anwendung (§ 13 Abs. 1 BtMG) der Verschreibung in den das Jahr 2008 betreffenden Fällen 1 bis 13 bereits aus dem vom Tatgericht festgestellten Unterbleiben der erforderlichen regelmäßigen Drogentests während des gesamten Jahres (UA S. 5). § 5 Abs. 2 Satz 1 (insb. Nr. 4) sowie Abs. 8 BtMVV setzen die regelmäßige Durchführung von Tests des Patienten auf den Konsum anderer Stoffe als des Substitutionsmittels sowie auf die Einnahme des Substitutionsmittels selbst erkennbar voraus, auch wenn eine Anordnung entsprechender Tests nicht ausdrücklich vorgeschrieben wird. § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 BtMVV benennt „Untersuchungen und Erhebungen des Arztes“, die sich nach den Buchstaben c und d dieser Bestimmung auf den Gebrauch von Stoffen, deren Konsum die Substitution gefährden, sowie auf die bestimmungsgemäße Verwendung des verschriebenen Substitutionsmittels beziehen. Das TakeHome -Verfahren ist gemäß § 5 Abs. 8 Satz 5 BtMVV nicht zulässig, wenn die „Untersuchungen und Erhebungen des Arztes“Erkenntnisse über den Konsum den Patienten gefährdender Stoffe (Ziffer 1) sowie den missbräuchlichen Konsum von Stoffen (Ziffer 3) erbringen. Die angesprochenen Richtlinien der Bundesärztekammer sehen in Ziffer 11 eine Therapiekontrolle anhand klinischer und laborchemischer Parameter vor. Ein durchgängig geltendes Zeitintervall für die Kontrollen wird nicht vorgegeben. Diese sind dem Behandlungsverlauf anzupassen. Die Beurteilung des Therapieverlaufs obliegt zuvörderst dem behandelnden Arzt.
47
Auch unter Berücksichtigung des Vorgenannten hat der Bundesgerichtshof angesichts der Vorgaben der Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung und der Richtlinien der Bundesärztekammer eine unzureichende ärztliche Kontrolle der Substitutionsbehandlung als gemäß § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 Buchst. a BtMG strafbares Verhalten bewertet (BGH, Urteil vom 2. Februar 2012 – 3 StR 321/11, NStZ 2012, 337, 338). Das vollständige Fehlen von Drogentests an der Patientin H. im Jahr 2008 macht die Verschreibung von Methadon bzw. Levomethadon in den Fällen 1 bis 13 jeweils zu einer nicht begründeten Anwendung im Sinne von § 13 Abs. 1 BtMG.
48
(2) In den den Zeitraum Anfang März bis Ende Juni 2009 betreffenden Fällen 14 bis 35 hat das Landgericht die Strafbarkeit des Angeklagten im Ergebnis zutreffend jeweils auf einen von ihm so bezeichneten Mehrverbrauch gestützt. Nach den getroffenen Feststellungen verschrieb der Angeklagte der Patientin H. im Rahmen von Take-Home-Verordnungen jeweils in den Einzelfällen unterschiedliche Tagesdosen des Substitutionsmittels. § 5 Abs. 8 Satz 4 BtMVV bzw. der inhaltsgleichen Vorgängerregelung folgend betrug die Anzahl der zunächst verschriebenen Tagesdosen maximal sieben Tage. Die Patientin verteilte den Konsum der jeweiligen Tagesdosen aber nicht über die entsprechende Anzahl von Tagen, sondern konsumierte die verordnete Gesamtmenge vorzeitig. Der Angeklagte verschrieb in Kenntnis dessen dennoch vor Ablauf der von ihm durch die Anzahl der verordneten Einzeldosen vorgesehenen Dauer der Einnahme des Substitutionsmittels weitere Einzeldosen. So hatte der Angeklagte etwa im Fall 20 der Patientin am 14. März 2009 sieben Einzeldosen (Tagesdosen) sowie eine weitere Einzeldosis verschrieben. Bereits am 17. März 2009 erfolgte jedoch die Verschreibung weiterer drei Einzeldosen (Fall 21), weil die Patientin die aus der vorhergehenden Verschreibung stammenden Dosen vorzeitig vollständig konsumiert hatte. In sämtlichen weiteren die Patientin H. betreffenden Fällen hat das Tatgericht entsprechende Feststellungen im Hinblick auf die Verschreibungen durch den Angeklagten getroffen.
49
Diese von ihm über einen Zeitraum von rund 1 ½ Jahren – auch bei den Verordnungen im Jahr 2008 hatte es außer dem Fehlen von Drogentests (Fälle 1 bis 13) bereits den vorstehend beschriebenen Mehrverbrauch gegeben – praktizierte Durchführung der Substitutionstherapie verstößt in schwerwiegender Weise gegen die Vorgaben der Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung. Die Behandlung durch den Angeklagten erweist sich deshalb als insgesamt unsorgfältig (vgl. insoweit Patzak in Körner/Patzak/Volkmer, aaO, § 29 Teil 15 Rn. 41 aE). Die Anwendung der verschriebenen Betäubungsmittel bei der Patientin war deshalb nicht im Sinne von § 13 Abs. 1 BtMG begründet.
50
Die Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung gestattet eine Verschreibung von Betäubungsmitteln unter den Voraussetzungen von § 13 Abs. 1 BtMG lediglich dann, wenn dem behandelnden Arzt aufgrund seiner Untersuchungen und Erhebungen keine Erkenntnisse über einen nicht bestimmungsgemäßen Gebrauch der verschriebenen Substitutionsmittel vorliegen (§ 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Buchst. d BtMVV sowie entsprechend die Vorgängerregelungen ). Um einen nicht bestimmungsgemäßen Gebrauch möglichst auszuschließen , sieht § 5 Abs. 5 bis 7 BtMVV als Regelfall der Substitutionsbehandlung die Überlassung des Substitutionsmittels an den Patienten zum unmittelbaren Verbrauch vor (§ 5 Abs. 6 Satz 1 BtMVV). Dabei hat die Überlassung zum unmittelbaren Verbrauch in durch § 5 Abs. 7 Satz 1 BtMVV näher beschriebenen geeigneten Einrichtungen zu erfolgen. Der durch die Verordnungsgeber vorgesehene Regelfall der Substitutionsbehandlung ist damit die Einnahme des entsprechenden Mittels durch den Patienten unter kontrollierten Bedingungen, die eine missbräuchliche Verwendung durch diesen ausschließen.
51
Bei dem von dem Angeklagten angewendeten Take-Home-Verfahren gemäß § 5 Abs. 8 BtMVV handelt es sich um eine Ausnahme der Durchführung der Substitutionsbehandlung. Sie darf lediglich auf Substitutionspatienten angewendet werden, deren Zustand eine eigenverantwortliche, nicht mehr kontrollierte Einnahme (vgl. § 5 Abs. 6 und 7 BtMVV) gestattet. § 5 Abs. 8 Satz 1 BtMVV stellt ausdrücklich auf Patienten ab, bei denen der Verlauf der Behandlung eine eigenverantwortliche Einnahme gestattet. § 5 Abs. 8 Satz 4 BtMVV setzt zudem eine Stabilisierung des Zustands des Patienten voraus; § 5 Abs. 8 Satz 5 Nr. 2 BtMVV lässt die Anwendung des Take-Home-Verfahrens nicht zu, wenn dieser unter Berücksichtigung einer Toleranzentwicklung noch nicht auf eine stabile Dosis eingestellt worden ist. Bei der Anwendung der vorgenannten Vorgaben ist zudem das in den hier fraglichen Fällen allein relevante Ziel der Substitutionsbehandlung des Opiatabhängigen, die schrittweise Wiederherstellung der Betäubungsmittelabstinenz einschließlich der Besserung und Stabilisierung seines Gesundheitszustandes, zu berücksichtigen (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 BtMVV).

52
Vor dem Hintergrund des Ausnahmecharakters des Take-HomeVerfahrens sowie des genannten Ziels der Substitutionsbehandlung lagen auch unter Beachtung eines dem Angeklagten zustehenden Beurteilungsspielraums über den Behandlungsverlauf (vgl. § 5 Abs. 8 Satz 6 BtMVV) der Patientin H. die Voraussetzungen für Take-Home-Verordnungen nicht vor. Die Patientin war, wie sich aus ihrem durchgängig vorzeitigen Verbrauch der für einen längeren Zeitraum vom Angeklagten vorgesehenen Substitutionsmittel ergibt, gerade nicht zu deren eigenverantwortlicher Einnahme in der Lage. Sie war auch nicht auf eine stabile Dosis eingestellt. Denn es erfolgte aufgrund des Verschreibungsverhaltens des Angeklagten stets eine Verordnung von Substitutionsmitteln und dadurch bedingt deren Konsum in einem Umfang pro Zeiteinheit , der deutlich über den Umfang hinausging, den er an sich vorgesehen hatte. Die Behandlung der Patientin war im gesamten verfahrensgegenständlichen Zeitraum durch eine permanente Überschreitung der vom Angeklagten zunächst verschriebenen Einzeldosen pro Zeiteinheit gekennzeichnet. Eine Ausrichtung der Therapie auf das Behandlungsziel ist so nicht zu erkennen. Insgesamt stand die Durchführung der Substitutionstherapie damit nicht in Einklang mit den gesetzlichen und durch die Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung konkretisierten Voraussetzungen der Substitutionsbehandlung.
53
(3) Da dem Angeklagten die tatsächlichen Umstände bekannt waren, aus denen sich die Nichteinhaltung der Vorschriften über diese Behandlung ableitet (vgl. Patzak in Körner/Patzak/Volkmer, aaO, § 29 Teil 15 Rn. 47), hat das Tatgericht zu Recht vorsätzliches Handeln angenommen. Das Vorbringen der Revision , der Angeklagte habe auf der Grundlage der Richtlinien der Bundesärztekammer in der Fassung vom 22. März 2002 (in Kraft bis zur Neufassung durch die Richtlinien vom 19. Februar 2010) davon ausgehen dürfen, über die Anwendung des Take-Home-Verfahrens entscheide ausschließlich der behandelnde Arzt, schließt den Tatbestandsvorsatz nicht aus. Maßgeblich sind die im Gesetz und der Verordnung normierten Voraussetzungen der Substitutionsbehandlung. Die Vorstellung, in Einklang mit den Richtlinien der Bundesärztekammer gehandelt zu haben, steht der Kenntnis der den Gesetzesverstoß begründenden Umstände gerade nicht entgegen.
54
bb) Fälle 39 bis 43 (Patient He. – B.II. der Urteilsgründe)
55
Die Substitutionsbehandlung des Patienten He. in den noch verfahrensgegenständlichen Fällen erfolgte – auch unter Berücksichtigung der nicht angefochtenen Fälle 36 bis 38 – ohne Vorliegen der Voraussetzungen des Take-Home-Verfahrens. Sie stellt sich insgesamt als unbegründete Anwendung von Betäubungsmitteln im Sinne von § 13 Abs. 1 BtMG dar.
56
In den Fällen 39 sowie 41 bis 43 hat das Landgericht die Strafbarkeit des Angeklagten zutreffend auf mangelnde Zuverlässigkeit (siehe B.II.2.b.aa.) des Patienten gestützt und diese mit den Ergebnissen durchgeführter Drogentests begründet. Diese hatten entweder ein auf Methadon negatives oder auf Beikonsum von THC bzw. auch Benzodiazepinen positives Ergebnis erbracht. Zwar führt nicht jeder Beikonsum von verbotenen Betäubungsmitteln während der Substitutionsbehandlung zu einer unbegründeten Anwendung und damit zu einem gemäß § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 Buchst. a i.V.m. § 13 Abs. 1 BtMG strafbaren Verhalten des Arztes. Im Hinblick auf den ihm zustehenden Beurteilungsspielraum über die Therapie und deren Verlauf darf dieser trotz Beikonsums die Substitutionsbehandlung (weiter) durchführen, wenn noch berechtigte Aussichten darauf bestehen, den zusätzlichen Konsum von Betäubungsmitteln zu be- herrschen, indem dieser zunächst eingeschränkt und schließlich abgestellt wird (Patzak in Körner/Patzak/Volkmer, aaO, § 29 Teil 15 Rn. 21).
57
Eine solche (normativ) berechtigte Erwartung bestand vorliegend jedoch nicht. Nach den Feststellungen des Tatrichters hatten die Drogentests innerhalb eines Zeitraums von wenigen Monaten die Einnahme verschiedener Betäubungsmittel belegt (Nachweis von THC sowie von Benzodiazepinen). Maßnahmen zur Eindämmung des Konsums sind nicht ersichtlich. Der Patient war zudem auch im Hinblick auf die Einnahme des Substitutionsmittels selbst unzuverlässig. Dies war dem Angeklagten aufgrund eines negativen Testergebnisses auf Methadon bekannt.
58
In der Gesamtschau der für die Bewertung der Therapievoraussetzungen maßgeblichen Umstände ergab sich selbst unter Berücksichtigung einer Einschätzungsprärogative zugunsten des Angeklagten eindeutig nicht die von § 5 Abs. 8 BtMVV verlangte Zuverlässigkeit und Stabilität des Patienten. Die Substitutionsbehandlung im Take-Home-Verfahren hätte daher nicht weiter durchgeführt werden dürfen. Dementsprechend verstieß auch die Verschreibung im Fall 41, bei der zusätzlich noch Mehrverbrauch vorlag, gegen die Vorgaben der Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung. Aus den dargelegten Gründen war die Substitutionsbehandlung damit nicht im Sinne von § 13 Abs. 1 BtMVV begründet.
59
Die für die Beurteilung der Voraussetzungen der Therapie im Wege des Take-Home-Verfahrens maßgeblichen tatsächlichen Umstände waren dem Angeklagten voll umfänglich bekannt. Daraus und aus den tatsächlichen Verhältnissen selbst hat das Landgericht rechtsfehlerfrei auf eine vorsätzliche Verwirklichung von § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 Buchst. a BtMG geschlossen.

60
cc) Fälle 44 bis 65 (Patient U. – B.III. der Urteilsgründe)
61
Bei den 22 für den Patienten U. zwischen Anfang März und Ende Dezember 2009 erfolgten Verschreibungen von L-Polamidon (Levomethadon ) handelt es sich jeweils um unbegründete Anwendungen von Betäubungsmitteln. Aus den Ergebnissen im Februar, März und Juni 2009 durchgeführter Drogentests wusste der Angeklagte um den Beikonsum des Patienten, teils von THC-haltigen Betäubungsmitteln, teils von Benzodiazepinen. Angesichts der Dauer des nachgewiesenen Beikonsums sowie des Wechsels zwischen verschiedenen zusätzlich eingenommenen Rauschmitteln bestand keine berechtigte Erwartung auf eine Beherrschbarkeit des Beikonsums. Zudem lag bei U. nach den Feststellungen (Tabelle UA S. 12) spätestens ab dem 13. Juli 2009 (Fall 51) ein permanenter Mehrverbrauch (dazu B.II.2.b.aa.) vor. Dies war dem Angeklagten bekannt. Der Patient war daher insgesamt eindeutig nicht für die Substitutionstherapie im Rahmen des Take-Home-Verfahrens geeignet.
62
Angesichts dessen kann offenbleiben, ob bei dem Patienten bei der bereits seit mehr als 20 Jahre andauernden Substitutionstherapie überhaupt noch ein zulässiges Therapieziel (vgl. § 5 Abs. 1 BtMVV) verfolgt werden konnte.
63
dd) Fälle 72 bis 77, 79 bis 84, 87 bis 101, 103 bis 107, 113, 114, 116, 118 und 119 (Patient K. – B.IV. der Urteilsgründe)
64
Nach den unter B.II.2.b.aa. dargestellten Maßstäben hat das Tatgericht in sämtlichen den später verstorbenen Patienten K. betreffenden, noch verfahrensgegenständlichen Fällen die Voraussetzungen des § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 Buchst. a BtMG rechtsfehlerfrei angenommen. Es fehlte sämtlich an den für eine begründete Anwendung gemäß § 13 Abs. 1 BtMG erforderlichen Vo- raussetzungen einer Substitutionstherapie im Take-Home-Verfahren. Es mangelte jeweils an der erforderlichen Sorgfalt der Substitutionsbehandlung und an der notwendigen Zuverlässigkeit des Patienten, derer es bedarf, um eine Einnahme des Substitutionsmittels außerhalb der in § 5 Abs. 5 bis 7 BtMVV genannten Rahmenbedingungen zu gestatten.
65
(1) In den Fällen 87 bis 89 sowie 103 und 106 erfolgten Verschreibungen , obwohl zuvor durchgeführte Drogentests jeweils ein negatives Ergebnis auf Methadon erbracht hatten. Dem Angeklagten war damit eine nicht bestimmungsgemäße , nämlich unterbliebene Verwendung des verschriebenen Substitutionsmittels bekannt. Dem kommt bei der Beurteilung einer begründeten Anwendung von Betäubungsmitteln im Rahmen der Substitutionstherapie erhebliche Bedeutung zu. § 13 BtMG bezweckt wie die Regelungen der Betäubungsmittel -Verschreibungsverordnung, die Sicherheit und Kontrolle des legalen Betäubungsmittelverkehrs zu gewährleisten (Patzak in Körner/Patzak/Volkmer, aaO, § 13 Rn. 2). Es soll gerade verhindert werden, dass außerhalb der therapeutischen Anwendung verbotene Betäubungsmittel aufgrund ärztlicher Verschreibungen auf den illegalen Markt gelangen, indem Substitutionspatienten die ihnen verschriebenen Medikamente nicht einnehmen, sondern in Verkehr bringen. Unter anderem um dieser Gefahr zu begegnen, sieht § 5 Abs. 5 bis 7 BtMVV für die Substitutionstherapie – wie dargelegt – grundsätzlich lediglich die Überlassung des Substitutionsmittels zum unmittelbaren kontrollierten Verbrauch vor. Die Verschreibung eines Rezepts im Take-Home-Verfahren, bei der die Einnahme des verordneten Mittels gerade ohne (weitere) Kontrolle erfolgt, setzt deshalb gemäß § 5 Abs. 8 BtMVV die Zuverlässigkeit des Patienten voraus. Unterbleibt die Einnahme, fehlt es an dieser Zuverlässigkeit und es droht gerade die Realisierung der Gefahr eines In-den-Markt-Gelangens außerhalb der Therapie unerlaubter Mittel. Setzt der Arzt trotz Kenntnis der Nichtein- nahme des Mittels durch den Patienten über einen gewissen Zeitraum das Take-Home-Verfahren fort, ist die Anwendung nicht mehr begründet.
66
(2) In weiteren Fällen (90 und 116 – sowie in den vom Rechtsmittelangriff ausgenommen) resultiert die unbegründete Anwendung aus dem Unterbleiben erforderlicher regelmäßiger Drogentests oder auf durch Tests nachgewiesenem und wegen der festgestellten Umstände nicht mehr beherrschbarem Beikonsum (Fälle 79 bis 84 sowie 107 und 114). Im Übrigen hat das Landgericht die Strafbarkeitsvoraussetzungen zutreffend auf den langandauernden, dem Angeklagten bekannten Mehrverbrauch (B.II.2.b.aa.) des Patienten gestützt.

III.

67
Soweit sich die Revision gegen die Strafzumessung des Tatgerichts wendet, hat das Rechtsmittel aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 1. Oktober 2013 dargelegten Gründen (dort Ziffer II.2.) keinen Erfolg.
68
Die Anordnung des auf die ärztliche Tätigkeit der Substitution drogenabhängiger Patienten beschränkten und auf fünf Jahre befristeten Berufsverbots (§ 70 Abs. 1 StGB) ist rechtsfehlerfrei.

C.

69
Die Revision der Staatsanwaltschaft bleibt ebenfalls ohne Erfolg.
70
Das Landgericht hat auf der Grundlage der von ihm rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zu Recht die Voraussetzungen einer Strafbarkeit des Angeklagten aus einem Tötungsdelikt wegen der Verschreibung von Methadon in den Fällen 121 bis 125 und des durch eine Überdosis Methadon eingetretenen Todes seines Patienten K. verneint. Es hat dabei zutreffend zwischen einer strafbaren täterschaftlichen Begehung eines Tötungsdelikts und einer straflosen Beteiligung an einer Selbstgefährdung bzw. Selbstverletzung des zu Tode gekommenen Rechtsgutsinhabers abgegrenzt.

I.

71
1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs unterfällt eine eigenverantwortlich gewollte und verwirklichte Selbstgefährdung grundsätzlich nicht den Tatbeständen eines Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts, wenn sich das mit der Gefährdung vom Opfer bewusst eingegangene Risiko realisiert. Wer eine solche Gefährdung veranlasst, ermöglicht oder fördert, kann daher nicht wegen eines Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts verurteilt werden ; denn er nimmt an einem Geschehen teil, welches – soweit es um die Strafbarkeit wegen Tötung oder Körperverletzung geht – kein tatbestandsmäßiger und damit kein strafbarer Vorgang ist (BGH, Urteile vom 14. Februar1984 – 1StR 808/83, BGHSt 32, 262, 264 f.; vom 7. August 1984 – 1 StR 200/84, NStZ 1985, 25, 26; vom 11. April 2000 – 1 StR 638/99, NStZ 2001, 205; vom 7. Februar 2001 – 5 StR 474/00, BGHSt 46, 279, 288 f.; vom 29. April 2009 – 1StR 518/08, BGHSt 53, 288, 290 Rn. 5; BGH, Beschluss vom 11. Januar 2011 – 5 StR 491/10, NStZ 2011, 341, 342). Diese Grundsätze gelten sowohl für die vorsätzliche als auch die fahrlässige Veranlassung, Ermöglichung oder Förderung einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung oder Selbstverletzung (einschließlich der Selbsttötung; vgl. BGH, Urteil vom 14. Februar 1984 – 1 StR 808/83, BGHSt 32, 262, 264 f.).

72
2. Maßgebend ist damit die Eigen- bzw. Freiverantwortlichkeit des Entschlusses des Rechtsgutsinhabers, sein Leben oder seine körperliche Unversehrtheit selbst zu gefährden oder zu verletzen. Fehlt es daran, kann sich der an dem entsprechenden Geschehen Beteiligende als Täter eines fahrlässigen oder vorsätzlichen Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts strafbar machen.
73
In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist bereits über Konstellationen entschieden worden, in denen es an der Eigenverantwortlichkeit des sich selbst gefährdenden oder verletzenden Rechtsgutsinhabers fehlt und deshalb eine zur Täterschaft des sich Beteiligenden führende – normativ zu bestimmende – Handlungsherrschaft gegeben ist. Dies ist dann der Fall, wenn der sich beteiligende Dritte kraft überlegenen Fachwissens das Risiko besser erfasst als der sich selbst Gefährdende oder Verletzende (siehe BGH, Urteile vom 9. November 1984 – 2 StR 257/84, NStZ 1985, 319, 320; vom 11. April 2000 – 1 StR 638/99, NStZ 2001, 205; vom 29. April 2009 – 1 StR 518/08, BGHSt 53, 288, 290; BGH, Beschluss vom 11. Januar 2011 – 5 StR 491/10, NStZ 2011, 341, 342). Ein solches überlegenes Wissen kommt vor allem bei einem Irrtum des sich Gefährdenden in Betracht (BGH aaO NStZ 2011, 341, 342); wobei es sich lediglich um für die Entscheidung zur Gefährdung oder Verletzung des Rechtsguts bedeutsame Irrtümer handeln kann. Darüber hinaus hat der Bundesgerichtshof die Eigenverantwortlichkeit ausgeschlossen, wenn der sich Gefährdende oder Verletzende infolge einer Intoxikation bzw. Intoxikationspsychose nicht (mehr) zu einer hinreichenden Risikobeurteilung und -abwägung in der Lage ist (vgl. BGH, Urteile vom 27. November 1985 – 3 StR 426/85, NStZ 1986, 266, 267; vom 29. April 2009 – 1 StR 518/08, BGHSt 53, 288, 290 Rn. 7; BGH, Beschluss vom 11. Januar 2011 – 5 StR 491/10, NStZ 2011, 341, 342).

II.

74
Unter Anwendung dieser Grundsätze hat das Landgericht eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen eines Tötungsdelikts zu Lasten seines Patienten Karlin ohne Rechtsfehler verneint.
75
1. In tatsächlicher Hinsicht hat der später zu Tode gekommene K. durch die intravenöse Einnahme von drei Fläschchen Methadon eine selbstschädigende Handlung vorgenommen. Das Landgericht ist daher im rechtlichen Ausgangspunkt zutreffend davon ausgegangen, zu einem strafbaren Verhalten des Angeklagten durch die Verschreibung von Methadon lediglich bei fehlender Eigenverantwortlichkeit K. s bei der Vornahme der Injektion gelangen zu können.
76
2. Fehlende Eigenverantwortlichkeit lässt sich angesichts der Feststellungen des Tatgerichts jedoch unter keinem der vorstehend genannten Gesichtspunkte annehmen.
77
a) Ein zur täterschaftlichen Begehung eines Tötungsdelikts durch den Angeklagten führendes, gegenüber K. überlegenes Sachwissen liegt nicht vor.
78
Das Landgericht hat insoweit festgestellt, dass der Patient bereits seit mehreren Jahren die ihm verschriebenen Substitutionsmittel nicht wie vorgesehen oral, sondern intravenös über die Beinvenen einnahm. Er war daher gerade bei dieser Anwendungsform erfahren (UA S. 22). Ihm waren die Risiken dieser Anwendungsform sowie diejenigen einer Überdosierung bekannt.
79
Diese Feststellungen konnte das Landgericht ohne revisiblen Rechtsfehler auf die als detailliert und glaubhaft bewerteten Aussagen der Ehefrau K. s stützen. Lücken oder Widersprüche in der Beweiswürdigung liegen nicht vor. Aus dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen und der ihnen zugrunde liegenden Beweiswürdigung lässt sich ableiten, dass dem Patienten auch das Risiko bekannt gewesen ist, durch eine zu hohe Dosis Methadon, insbesondere bei intravenöser Einnahme, sterben zu können.
80
Ob er Kenntnis über eventuell in der medizinischen Wissenschaft vorhandene Erkenntnisse hinsichtlich erfahrungsgemäß zum Tod führender Dosen von Methadon oder Levomethadon hatte, ist zwar nicht festgestellt. Darauf kommt es aber für die Eigenverantwortlichkeit der Entscheidung zur Einnahme von drei Fläschchen Methadon auch nicht an. Maßgebend ist, ob der sich selbst Gefährdende bzw. Verletzende das rechtsgutsbezogene Risiko seines Verhaltens zutreffend eingeschätzt hat. Dafür bedarf es – jedenfalls bei den sonstigen festgestellten Umständen des Einzelfalls – nicht der exakten medizinischen Wirkzusammenhänge zwischen der Einnahme eines bei Überdosierung als lebensgefährlich bekannten Mittels und den Auswirkungen auf das eigene Leben und die eigene körperliche Unversehrtheit.
81
Dementsprechend hat der Bundesgerichtshof auch bereits entschieden, dass es der Eigenverantwortlichkeit nicht entgegensteht, wenn die sich selbst gefährdende Person bei grundsätzlich vorhandener Kenntnis über die Risiken der Einnahme von ihnen bekannten Stoffen nicht über sämtliche vorhandenen Risiken aufgeklärt war (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Januar 2011 – 5 StR 491/10, NStZ 2011, 341, 342).
82
Auch wenn der Angeklagte genauere Erkenntnisse über die – falls medizinisch überhaupt generell benennbar – regelmäßig tödliche Dosis bei der Ein- nahme von Methadon oder Levomethadon als sein Patient K. gehabt haben sollte, stünde dies der Eigenverantwortlichkeit K. s bei der Einnahme der zu seinem Tod führenden Dosis Methadon nicht entgegen. Das Tatgericht war daher nicht gehalten, weitergehende Feststellungen darüber zu treffen.
83
b) Die Feststellungen ergeben auch keine aufgrund der allgemein bestehenden Opiatabhängigkeit oder den Folgen des der übermäßigen Methadoneinnahme vorausgehenden Strafvollzuges eingetretene Einschränkung der Fähigkeit des Patienten K. , eigenverantwortlich das Risiko seines selbstgefährdenden Verhaltens einzuschätzen und abzuwägen. K. stand bei der Einnahme des zum Tode führenden Methadons nicht unter dem Einfluss von Alkohol oder von unerlaubten Betäubungsmitteln (UA S. 21).
84
c) Ob eine relevante Einschränkung der Fähigkeit zu freiverantwortlicher Entscheidung über die Vornahme als risikoreich erkannten selbstgefährdenden Verhaltens bei Vorliegen von akuten körperlichen Entzugserscheinungen oder bei Angst vor solchen aufgrund früher erlebter Wirkungen des Entzugs (vgl. dazu für den Fall der Einschränkung der Schuldfähigkeit bei Straftatbegehung durch Abhängige BGH, Urteil vom 2. November 2005 – 2 StR 389/05, NStZ 2006, 151, 152) eintreten kann, bedarf vorliegend keiner Entscheidung. Solche Umstände hat das Tatgericht nicht festgestellt. Die getroffenen Feststellungen erlauben auch keinen tragfähigen Rückschluss auf einen derartigen Zustand des Patienten nach seiner Entlassung aus der Justizvollzugsanstalt am 29. August 2011. Die planmäßige Beschaffung eines größeren Vorrats des Substitutionsmittels unter Einschaltung seiner Ehefrau lässt unter Berücksichtigung der sonstigen Feststellungen keinen Schluss auf eine durch Suchtdruck – in dem vorgenannten Sinne – hervorgerufene Einschränkung der Fähigkeit zu eigenverantwortlichem Handeln im Umgang mit den verschriebenen Substitutionsmitteln zu. Ausweislich der mitgeteilten Ergebnisse der durchgeführten Dro- gentests hatte K. auch bereits früher über längere Zeiten hinweg das Substitutionsmittel gerade nicht eingenommen. Der festgestellte Umfang des durch Tests nachgewiesenen (Bei)Konsums verbotener Betäubungsmittel trägt zwar die Bewertung, der Patient sei unzuverlässig und daher nicht für das TakeHome -Verfahren geeignet. Anhaltspunkte dahingehend, dass der Patient die Kontrolle über sich und damit die Fähigkeit zu freiverantwortlicher, risikoabwägender Entscheidung verlieren werde, lassen sich dem jedoch nicht entnehmen.
85
Soweit die Staatsanwaltschaft nähere Feststellungen über das Vorhandensein von erheblichen Entzugserscheinungen bei dem Patienten K. nach dem Ende des Strafvollzuges im August 2011 vermisst, hätte es der Erhebung einer entsprechenden Aufklärungsrüge bedurft.
86
d) Die getroffenen Feststellungen schließen auch eine sukzessive Einnahme der drei Fläschchen Methadon, bei der nach der ersten Einnahme die Eigenverantwortlichkeit durch die Wirkungen des Mittels beeinträchtigt gewesen sein könnte, aus.
87
3. Soweit dem Urteil des Senats vom 18. Juli 1978 (1 StR 209/78, JR 1979, 429) über die Besonderheiten des dortigen konkreten Falles hinaus allgemein die Rechtsauffassung entnommen werden könnte, die aus der Behandlung eines opiatabhängigen Patienten resultierende Garantenpflicht des behan- delnden Substitutionsarztes begründe eine „besondere Sorgfaltspflicht“ des Arztes, Schaden von seinem Patienten abzuwenden, und führe – unabhängig von der Freiverantwortlichkeit des Patienten – stets zu einer Täterschaft begründenden Herrschaft des Arztes über das selbstschädigende Verhalten des Patienten, wäre daran nicht festzuhalten.

III.

88
Angesichts der fehlenden Zurechenbarkeit des Todes des Patienten K. zum Verhalten des Angeklagten war das Tatgericht unter Berücksichtigung der sonst getroffenen Feststellungen nicht gehalten, einen unbeschriebenen besonders schweren Fall gemäß § 29 Abs. 3 Satz 1 BtMG in Betracht zu ziehen. Die Strafzumessung weist auch im Übrigen keine Rechtsfehler auf. Raum Rothfuß Graf RinBGH Cirener ist erkrankt und deshalb an der Unterschriftsleistung gehindert. Raum Radtke
5 StR 491/10

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 11. Januar 2011
in der Strafsache
gegen
wegen Körperverletzung mit Todesfolge u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 11. Januar 2011

beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 10. Mai 2010 gemäß § 349 Abs. 4 StPO mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen einer tateinheitlichen Tat der Körperverletzung mit Todesfolge und der Überlassung von Betäubungsmitteln mit Todesfolge (zwei tateinheitliche Fälle) sowie der gefährlichen Körperverletzung und der vorsätzlichen Überlassung von Betäubungsmitteln (fünf tateinheitliche Fälle) zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten verurteilt und ihn mit einem dauerhaften Berufsverbot für eine Tätigkeit als niedergelassener Arzt und als Psychotherapeut belegt. Seine hiergegen gerichtete Revision hat mit der Sachrüge Erfolg.

I.


2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts führte der Angeklagte, ein auf psychotherapeutische Behandlungen spezialisierter Arzt, sogenannte psycholytische Sitzungen durch. Bei diesen Gruppensitzungen werden die Patienten – so der Ansatz der Psycholyse – durch Drogen in ein Wachtraumerleben der Objektumgebung versetzt. Ziel dieser in Deutschland wissen- schaftlich nicht anerkannten Methode soll es sein, an unbewusste Inhalte der Psyche zu gelangen.
3
Am 19. September 2009 führte der Angeklagte mit einer Gruppe von zwölf Personen eine Intensivsitzung durch. Nach einer „Einstimmungs- und Befindlichkeitsrunde“ stellte er die zur Einnahme bereitgehaltenen Substanzen Neocor und MDMA vor. Nachdem der Angeklagte an neun der Gruppenmitglieder zunächst eine Tablette des nicht als Arzneimittel zugelassenen Neocor verabreicht hatte, fragte er, wer von den Anwesenden MDMA einnehmen wolle. Daraufhin meldeten sich sieben Mitglieder der Gruppe, darunter die später verstorbenen K. und Kn. . Von dem MDMA, das von dem Nebenkläger N. beschafft worden war, sollten sechs Mitglieder der Gruppe, die sich zur Einnahme entschlossen hatten, 120 mg, der Nebenkläger N. 140 mg erhalten. Der Angeklagte übernahm das Abwiegen des Rauschgifts. Dabei wunderte er sich zwar über das Volumen der abgewogenen Menge, verließ sich aber auf die Anzeige seiner Waage. Tatsächlich übergab er an die zum Drogenkonsum bereiten Gruppenmitglieder jedoch mindestens die zehnfache Menge. Etwa zehn bis 15 Minuten nach der Einnahme kam es bei diesen zu heftigen körperlichen Reaktionen. Einige erlitten Spasmen und waren unfähig, sich zu bewegen, mussten sich übergeben oder fingen an, um sich zu schlagen. Die körperlichen Ausfälle aufgrund der Vergiftung verstärkten sich zunehmend. Trotz der vom Angeklagten und der herbeigerufenen Notärztin veranlassten Hilfsmaßnahmen verstarben Kn. und K. an Multiorganversagen aufgrund der Überdosis MDMA. Der Nebenkläger N. war lebensgefährlich erkrankt, konnte jedoch nach Intensivbehandlung gerettet werden; die übrigen vier Gruppenmitglieder wurden nach einigen Tagen stationärer Behandlung wegen Vergiftungserscheinungen wieder entlassen.
4
2. Das Landgericht hat in der Verabreichung des MDMA eine vorsätzliche Körperverletzung gesehen. Der Angeklagte habe die Tatherrschaft über den Vorgang innegehabt, indem er das MDMA abgewogen und den Grup- penmitgliedern zur Verfügung gestellt habe. Eine Einwilligung fehle, weil er die Gruppenmitglieder nicht ausreichend aufgeklärt habe. Der durch diese Körperverletzungshandlung herbeigeführte Todeseintritt sei für ihn voraussehbar gewesen. Dies führe zugleich zu einer Strafbarkeit wegen des Überlassens von Betäubungsmitteln mit Todesfolge, weil der Angeklagte den Tod von K. und Kn. auch leichtfertig verursacht habe.

II.


5
Auf der Grundlage der Feststellungen des Landgerichts, das der Einlassung des Angeklagten im Hinblick auf eine versehentliche Überdosierung gefolgt ist, erweist sich die Revision des Angeklagten als begründet. Die Annahme einer vorsätzlichen Körperverletzung zu Lasten der MDMA konsumierenden Gruppenmitglieder begegnet durchgreifenden Bedenken.
6
1. Das Landgericht grenzt allerdings im Ansatz zutreffend die strafbare Körperverletzung von der straflosen Beteiligung an einer Selbstgefährdung ab. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs unterfällt die eigenverantwortlich gewollte und verwirklichte Selbstgefährdung grundsätzlich nicht den Tatbeständen eines Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts, wenn sich das mit der Gefährdung vom Opfer bewusst eingegangene Risiko realisiert. Wer eine solche Gefährdung veranlasst, ermöglicht oder fördert, kann daher nicht wegen eines Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts verurteilt werden; denn er nimmt an einem Geschehen teil, welches – soweit es um die Strafbarkeit wegen Tötung oder Körperverletzung geht – kein tatbestandsmäßiger und damit kein strafbarer Vorgang ist (BGH, Urteile vom 14. Februar 1984 – 1 StR 808/83, BGHSt 32, 262; vom 11. Dezember 2003 – 3 StR 120/03, BGHSt 49, 34, 39; vom 29. April 2009 – 1 StR 518/08, BGHSt 53, 288, 290).
7
Da sämtliche Mitglieder der Gruppe das Betäubungsmittel MDMA eigenhändig und wissentlich zu sich nahmen, liegt eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung vor. Dies schließt eine Strafbarkeit wegen einer vorsätzlichen Körperverletzung aus.
8
2. Eine strafrechtlich relevante Handlungsherrschaft wäre dem Angeklagten nur dann zugewachsen, wenn und soweit die Freiverantwortlichkeit des Selbstgefährdungsentschlusses der Gruppenteilnehmer beeinträchtigt gewesen wäre. Dies ist der Fall, wenn der Täter kraft überlegenen Fachwissens das Risiko besser erfasst als der Selbstgefährdende, namentlich wenn das Opfer einem Irrtum unterliegt, der seine Selbstverantwortlichkeit ausschließt (vgl. BGH, Urteile vom 29. April 2009 – 1 StR 518/08, BGHSt 53, 288, 290; vom 9. November 1984 – 2 StR 257/84, NStZ 1985, 319, 320), oder es infolge einer Intoxikation zu einer Risikoabwägung nicht mehr hinreichend in der Lage ist (BGH, Urteil vom 27. November 1985 – 3 StR 426/85, NStZ 1986, 266). Eine solche besondere Situation belegen die Urteilsgründe nicht.
9
a) Sämtliche Mitglieder der Gruppe nahmen das Betäubungsmittel MDMA willentlich zu sich. Ungeachtet der Tatsache, dass der Angeklagte die Dosierung bestimmte und die Betäubungsmittelportionen auch selbst abwog, verblieb ihnen ohne jede Einschränkung die letzte Entscheidung über die Einnahme.
10
b) Auch der von der Strafkammer angeführte Gesichtspunkt, der Angeklagte als Arzt und ehemaliger Suchtberater habe das Risiko besser erfasst als seine Gruppenmitglieder, die ihm vertraut hätten, begründet noch keine strafrechtlich relevante Handlungsherrschaft (vgl. Roxin, Strafrecht AT Bd. 1, 4. Aufl., § 11 Rdn. 111; vgl. sehr weitgehend BGH, Urteil vom 18. Juli 1978 – 1 StR 209/78, JR 1979, 429). Alle Gruppenmitglieder kannten die Illegalität der Droge. Bei der Psycholyse handelt es sich um eine in Deutschland wissenschaftlich nicht anerkannte Therapiemethode. Folglich mussten sie mit besonderen medizinischen Risiken rechnen. Darüber hinaus verfügten alle bereits über Erfahrungen mit der Droge; der später Verstorbene Kn.
hatte nach der Einnahme von MDMA überdies bereits früher Spasmen und Halluzinationen erlitten. Die Droge wurde vom Nebenkläger N. aus nicht näher geklärten – notwendigerweise jedoch illegalen – Quellen beschafft.
11
c) Angesichts dieser Umstände liegt eine eigenverantwortliche Selbstschädigung vor, selbst wenn der Angeklagte die einzelnen Gruppenmitglieder nicht über sämtliche – auch die eher seltenen – Risiken der MDMAEinnahme bei gängiger Verbrauchsdosierung, insbesondere nicht über ein bestehendes Todesrisiko, aufgeklärt hat, zumal sich diese Risiken im vorliegenden Fall nicht realisierten. Es bestehen zudem grundlegende Bedenken dagegen, die Grundsätze der Aufklärungspflicht bei ärztlicher Heilbehandlung uneingeschränkt in Fällen anzuwenden, in denen sich selbstverantwortliche Personen auf eine Behandlung einlassen, die offensichtlich die Grenzen auch nur ansatzweise anerkennenswerter ärztlicher Heilkunst überschreitet (vgl. auch § 13 BtMG).
12
3. Ein die Tatherrschaft des Angeklagten begründender Umstand wäre allerdings die Überdosierung mit der mindestens zehnfachen Menge des MDMA, weil hierdurch die Konsumenten der Drogen über einen ganz wesentlichen Gesichtspunkt im Unklaren gelassen wurden. Die wesentlich höhere Dosis hatte nämlich eine erhebliche Vergrößerung des Risikos zur Folge , das die Konsumenten nicht einschätzen konnten und auch tatsächlich verkannten.
13
Diese Fehldosierung durfte dem Angeklagten jedoch auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen nicht als vorsätzliche Körperverletzung zugerechnet werden. Das Landgericht folgt nämlich der Einlassung des Angeklagten , aufgrund einer Fehlfunktion seiner Waage sei es zur Überdosierung gekommen. Demnach fehlt es an einer Vermittlung der Tatherrschaft durch Irrtumsherrschaft, die bei der vorsätzlichen Körperverletzung nur durch ein vorsätzliches Handeln bewirkt werden kann. Wenn der Angeklagte die maßgebliche Risikoerhöhung durch die Falschdosierung nicht erkannt hat, liegt lediglich ein durch fahrlässiges Tun herbeigeführter Irrtum der Gruppenmitglieder vor. Der Angeklagte hätte deshalb auf der Basis der nach seiner Einlassung getroffenen Feststellungen – abhängig von den Folgen der Überdosierung bei den einzelnen Gruppenmitgliedern – lediglich wegen fahrlässiger Tötung (§ 222 StGB) und fahrlässiger Körperverletzung (§ 229 StGB) verurteilt werden können.

III.


14
Der Rechtsfehler nötigt angesichts der tateinheitlichen Verknüpfung sämtlicher verwirklichter Straftatbestände zu einer umfassenden Aufhebung des Schuldspruchs (vgl. BGH, Urteil vom 11. Dezember 2003 – 3 StR 120/03, BGHSt 49, 34, 45).
15
Abgesehen davon begegnet auch die Annahme einer Strafbarkeit wegen Überlassens der Betäubungsmittel mit Todesfolge (§ 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG) auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen Bedenken. Die Tatbestandsverwirklichung setzt im Hinblick auf die Todesfolge Leichtfertigkeit voraus (§ 18 StGB). Hierfür ist das Maß der Pflichtwidrigkeit im Moment des Wiegevorgangs entscheidend, weil der vom Landgericht angenommene Wiegefehler die den Todeserfolg auslösende Bedingung gesetzt hat. Das Landgericht hätte sich deshalb mit der Frage der Erkennbarkeit des Wiegefehlers vor dem Erfahrungshintergrund des Angeklagten als Arzt näher auseinandersetzen müssen.
16
Von einer Aufrechterhaltung von Teilen der Feststellungen sieht der Senat ab, um dem neuen Tatgericht eine umfassende Aufklärung zu ermöglichen. Das neue Tatgericht wird sich dabei kritisch mit der Einlassung des Angeklagten auseinandersetzen müssen, dass er infolge eines Fehlers der Waage die zehnfache Überdosierung des MDMA nicht erkannt habe (vgl. BGH, Beschluss vom 15. April 2010 – 5 StR 75/10, NStZ 2010, 503).
Raum Brause Schaal Schneider Bellay

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 389/13
vom
16. Januar 2014
in der Strafsache
gegen
wegen Körperverletzung mit Todesfolge u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 16. Januar 2014 beschlossen
:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Augsburg vom 7. Februar 2013 mit den Feststellungen
aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine Schwurgerichtskammer
des Landgerichts München I verwiesen.

Gründe:


I.


1
Das Landgericht hat den Angeklagten, einen auf die Substitutionsbehandlung Rauschgiftsüchtiger spezialisierten Arzt, wegen zweier tatmehrheitlicher Fälle der Körperverletzung mit Todesfolge, jeweils in Tateinheit mit vorsätzlicher unerlaubter Abgabe von Betäubungsmitteln, sowie wegen weiterer 673 tatmehrheitlicher Fälle der unerlaubten Abgabe von Betäubungsmitteln zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt und zugleich ein Berufs- verbot für die Dauer von vier Jahren sowie den Verfall von Wertersatz in Höhe von 11.600 Euro angeordnet.
2
Die Revision des Angeklagten hat Erfolg.
3
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts führte der Angeklagte seit vielen Jahren Substitutionsbehandlungen bei opiat-, vor allem heroinabhängigen Patienten durch. Ihm war bekannt, dass solche Patienten häufig unter Vortäuschung schwerer Schmerzzustände versuchen, sich in den Besitz von Schmerzpflastern auf Basis des Opiats Fentanyl zu bringen, um den darin enthaltenen Wirkstoff auszukochen und ihn sich zur Befriedigung ihrer Sucht intravenös zu injizieren. Ihm war auch bekannt, dass Fentanyl stark atemdepressiv wirkt, weshalb beim Einsatz solcher Pflaster ohne strenge ärztliche Kontrolle Lebensgefahr besteht.
4
a) Seit November 2005 führte der Angeklagte bei dem heroinabhängigen Geschädigten S. eine Substitutionsbehandlung durch. Im Januar 2008 brach dieser die Behandlung unvermittelt ab. Durch die Übersendung mehrerer ihm als "Hausarzt" übersandter Arztberichte erfuhr der Angeklagte jedoch in der Folgezeit davon, dass S. im ersten Halbjahr 2010 dreimal, zuletzt am 31. Mai 2010, erfolglos wegen seiner Heroinabhängigkeit stationär behandelt worden war.
5
Am 28. September 2010 sprach S. erstmals wieder in der Praxis des Angeklagten vor. Er trug ein aufgeklebtes Fentanyl-Schmerzpflaster und bat unter Hinweis auf eine bei ihm bestehende schwere Hüftgelenksverletzung um weitere Pflaster. Obwohl der Angeklagte erkannte, dass aufgrund der fortbestehenden Abhängigkeit die Abgabe von Fentanyl zur unkontrollierten Schmerzbehandlung kontraindiziert und S. infolge der Abhängigkeit als Hochrisikopatient im Hinblick auf einen möglichen Missbrauch einzustufen war, verordnete er ihm zehn Fentanyl-Pflaster mit einem Wirkstoffgehalt von je 100 Mikrogramm Fentanyl zum Eigengebrauch und stellte ihm auch bei drei weiteren Vorstellungen am 3. November 2010, am 1. Dezember 2010 und am 10. Januar 2011 jeweils Wiederholungsrezepte in gleichem Umfang aus. Eine eingehende Untersuchung des Patienten, insbesondere eine solche auf Drogenfreiheit , nahm er vor den Verschreibungen nicht vor.
6
Am Abend des 10. Januar 2011 kochte S. gemeinsam mit den Zeugen M. , A. und H. in seiner Wohnung die vom Angeklagten rezeptierten Fentanyl-Pflaster aus und injizierte sich den Wirkstoff. Dabei verabreichte er sich, was der Angeklagte nach den Feststellungen der Strafkammer für möglich hielt und billigend in Kauf nahm, versehentlich eine Überdosis und verstarb, für den Angeklagten als spezifische Folge seiner Verschreibung vorhersehbar und vermeidbar, unmittelbar an deren Folgen.
7
b) Seit November 1999 betreute der Angeklagte den langjährig heroinabhängigen Geschädigten T. .
8
Nachdem er diesem Patienten am 28. Januar 2009 zunächst ein Hausverbot in der Praxis erteilt hatte, stellte sich T. am 7. Dezember 2009 wegen eines vorgeblichen Lendenwirbelsyndroms überraschend wieder in der Praxis des Angeklagten vor. Er trug ein Fentanyl-Pflaster und bat um weitere gleichartige Verordnungen. Der Angeklagte rezeptierte ihm, ohne ihn zu untersuchen, zehn Fentanyl-Pflaster á 75 Mikrogramm zum Eigengebrauch , überwies ihn an einen Orthopäden und erbat von dort eine Bestätigung der Erforderlichkeit der Fentanyl-Behandlung. Ohne weitere Untersuchung und ohne Rücksprache mit dem Orthopäden rezeptierte er dem Geschädigten auch am 21. Dezember 2009 fünf, am 26. April 2010 zehn und am 23. Dezember 2010 nochmals fünf Fentanyl-Pflaster mit jeweils 75 Mikrogramm Fentanyl-Wirkstoff zum Eigengebrauch.
9
Wegen des ihm bekannten, langjährigen Suchtverlaufs waren dem Angeklagten die fortbestehende Abhängigkeit des Geschädigten T. und die damit verbundene Gefahr eines Missbrauchs von Heilmitteln bewusst.
10
T. injizierte sich, wie vom Angeklagten für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen, am 26. Dezember 2010 unter nicht näher aufklärbaren Umständen den ausgekochten Fentanyl-Wirkstoff intravenös. Für den Angeklagten als Folge seines Handelns vorhersehbar und vermeidbar, verabreichte er sich dabei eine Überdosis Fentanyl und verstarb unmittelbar an deren Folgen.
11
2. Seit 1999 war der Angeklagte behandelnder Arzt des opiatabhängigen Patienten K. . Der zu 100 % schwerbehinderte, an den Rollstuhl gefesselte Patient konsumierte, was dem Angeklagten bekannt war, seit 1999 abwechselnd L-Polamidon und Methadon.
12
In den Jahren 2010, 2011 und bis zu seiner Verhaftung am 18. Januar 2012 stellte der Angeklagte dem Patienten insgesamt 599 Privatrezepte im Umfang wöchentlicher Gesamtmengen jeweils 1%igen Methadonhydrochlorids von 105 ml (488 Rezepte), 210 ml (3 Rezepte) oder 308 ml (108 Rezepte) zum Eigengebrauch aus. Für - nicht näher verifizierte - Zeiträume, in denen der Geschädigte sich "auf Reisen" befand, verordnete ihm der Angeklagte in 68 Fällen jeweils 75 Methadicct-Tabletten mit einem Wirkstoffgehalt von je 40 mg Methadonhydrochlorid.
13
Eine umfassende Untersuchung des Patienten nahm der Angeklagte dabei zu keinem Zeitpunkt vor. Die jeweiligen Verordnungsdaten innerhalb des vorgenannten Zeitraums wählte er willkürlich. Mit Ausnahme von Urlaubszeiten stellte er dem Patienten wöchentlich fünf bis sechs Rezepte zum Preis von jeweils 30 Euro aus, die K. durch Mitarbeiterinnen des Angeklagten je- weils an der Hauseingangstür der Praxis übergeben wurden. Das Methadon verkaufte K. , soweit er es nicht selbst konsumierte, an Unbekannte weiter.
14
Der Angeklagte handelte in der Absicht, sich eine Erwerbsquelle von erheblichem Umfang und Dauer zu verschaffen. Durch die Rezeptverkäufe erzielte er einen Gesamterlös vor Steuern in Höhe von 20.010 Euro.

II.


15
Die Revision des Angeklagten ist bereits mit der Sachrüge begründet; auf die erhobene Verfahrensrüge kommt es daher nicht mehr an.
16
1. Die Verurteilung des Angeklagten wegen Körperverletzung mit Todesfolge zum Nachteil des Geschädigten S. hält revisionsgerichtlicher Prüfung nicht stand.
17
Bereits die Ausführungen des Landgerichts zum objektiven Tatbestand der Körperverletzung mit Todesfolge (§ 227 StGB) begegnen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
18
a) Im Ansatz zutreffend, hat die Strafkammer geprüft, ob der Angeklagte Beteiligter der zum Tode des Geschädigten S. führenden Körperverletzung sein konnte, obwohl sich dieser das Fentanyl ohne Mitwirkung des Angeklagten eigenhändig injizierte.
19
Wer eine fremde Selbstverletzung oder -gefährdung veranlasst, macht sich nicht wegen Tötungs- oder Körperverletzungsdelikten strafbar, wenn sich das mit der Gefährdung vom Opfer bewusst eingegangene Risiko realisiert. Wer eine solche Verletzung oder Gefährdung veranlasst, ermöglicht oder fördert , kann daher nicht wegen eines Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts verurteilt werden, denn er nimmt an einem Geschehen teil, welches - soweit es um die Strafbarkeit wegen Tötung oder Körperverletzung geht - kein tatbestandsmäßiger und damit kein strafbarer Vorgang ist (BGH, Beschluss vom 11. Januar 2011 - 5 StR 491/10; Urteile vom 29. April 2009 - 1 StR 518/08, BGHSt 53, 288, 290; vom 11. Dezember 2003 - 3 StR 120/03, BGHSt 49, 34, 39; vom 14. Februar 1984 - 1 StR 808/83, BGHSt 32, 262).
20
Maßgebliches Abgrenzungskriterium zwischen strafloser Beteiligung an einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung und einer - grundsätzlich tatbestandsmäßigen - Fremdgefährdung eines anderen ist die Trennungslinie zwischen Täterschaft und Teilnahme. Entscheidend ist damit die Eigen- bzw. Freiverantwortlichkeit des Entschlusses des Rechtsgutsinhabers, sein Leben oder seine körperliche Unversehrtheit selbst zu gefährden. Eine Täterschaft des die Selbstgefährdung Fördernden kommt daher nur in Betracht, wenn er infolge eines bei dem sich selbst Gefährdenden bestehenden Mangels der Eigenverantwortlichkeit Tat- bzw. Handlungsherrschaft über das Geschehen erlangt.
21
b) Die Strafkammer hat - im Ansatz zutreffend - eine solche Handlungsherrschaft des Angeklagten wegen dessen überlegenen Wissens bejaht, aber nicht rechtsfehlerfrei begründet.
22
aa) Hierzu hat sie ausgeführt, als "erfahrener Drogenarzt" habe der Angeklagte im "Wissen um das Risiko eines Missbrauchs durch Patienten mit problematischem Drogenhintergrund" das "weitere Geschehen aus der Hand" gegeben, indem er dem Patienten "unkontrolliert Fentanyl in großen Mengen überlassen" habe. Nicht "in Rechnung" zu stellen, dass Drogenabhängige "im Entzug jede Kontrolle über sich verlieren oder ein ihnen überlassenes Suchtmittel entgegen ärztlicher Anordnung intravenös injizieren und dabei auch eine Überdosis anwenden" können, schaffe geradezu einen „Anreiz zur Selbstge- fährdung, der als täterschaftliche Schaffung einer gefahrträchtigen Lage zu werten“ sei.
23
bb) Diese Begründung hält rechtlicher Prüfung nicht stand.
24
(1) Allerdings kann nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs überlegenes Sachwissen des die Selbstgefährdung bzw. -verletzung Fördernden dessen Handlungsherrschaft begründen (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Januar 2011 - 5 StR 491/10; BGH, Urteile vom 29. April 2009 - 1 StR 518/08, BGHSt 53, 288, 290 f.; vom 11. April 2000 - 1 StR 638/99, NStZ 2001,

205).

25
Die Strafkammer hat jedoch den rechtlichen Maßstab für die Prüfung überlegenen Wissens verkannt. Denn sie hat ausschließlich an den besonderen Kenntnissen des Angeklagten Maß genommen, dabei aber den Wissensstand des Geschädigten völlig unberücksichtigt gelassen (vgl. BayObLG, Beschluss vom 11. Dezember 2001 - 5St RR 298/01). Die Beurteilung der Überlegenheit des Sachwissens setzt jedoch Feststellungen zum Wissensstand sowohl des die Selbstgefährdung Fördernden als auch des sich selbst Gefährdenden zwingend voraus (zum Prüfungsmaßstab vgl. BGH, Urteil vom 11. April 2000 - 1 StR 638/99, NStZ 2001, 205 mwN).
26
(2) Durch diesen verkürzten Maßstab hat sich die Strafkammer im Weiteren den Blick auf Umstände verstellt, die hinreichend adäquates Sachwissen auch des Geschädigten in Bezug auf das rechtsgutsbezogene Risiko seines Verhaltens nahelegten und daher der Erörterung bedurft hätten:
27
So verfügte der Geschädigte über eine lange Suchtkarriere und kannte die grundlegenden Risiken des Drogenkonsums einschließlich des Risikos einer Überdosierung (vgl. auch BGH, Urteil vom 29. April 2009 - 1 StR 518/08, BGHSt 53, 288 ff.; BayObLG, Beschlüsse vom 11. Dezember 2001 - 5St RR 298/01, vom 14. Februar 1997 - 4St RR 4/97, NStZ 1997, 341, 342, und - zu einem insoweit anders gelagerten Fall - vom 28. August 2002 - 5St RR 179/02, NJW 2003, 371). Auch hinsichtlich des von ihm konkret praktizierten FentanylMissbrauchs legten die von der Strafkammer als glaubhaft erachteten Aussagen der Zeugen M. , A. und H. es nahe, dass der Geschädigte sich der Risiken seines Handelns, insbesondere der Gefahr einer Überdosis aufgrund der Injektion, bewusst war.
28
Eines darüber hinaus gehenden Verständnisses der exakten medizinischen Wirkzusammenhänge zwischen der Einnahme des als bei Überdosierung als lebensgefährlich bekannten Opiats und den möglichen Auswirkungen auf das eigene Leben und die eigene körperliche Unversehrtheit bedurfte es demgegenüber nicht.
29
c) Auch unter dem Aspekt eines etwaigen Ausschlusses der Fähigkeit zu eigenverantwortlicher Entscheidung belegen die Ausführungen der Strafkammer keine Tatherrschaft des Angeklagten.
30
Auch hier hat die Strafkammer bereits den rechtlichen Maßstab verfehlt.
31
Ihre - für sich genommen rechtsfehlerfrei getroffene - Feststellung der Opiatabhängigkeit des Geschädigten führt nicht automatisch zum Ausschluss der Eigenverantwortlichkeit (vgl. auch BGH, Beschluss vom 9. November 2011 - 2 StR 427/11, NStZ-RR 2012, 71; Urteile vom 17. Juni 2010 - 4 StR 47/10, und vom 14. Februar 1984 - 1 StR 808/83, NStZ 1984, 410, 411 m. Anm. Roxin ; sehr weitgehend demgegenüber noch BGH, Urteil vom 18. Juli 1978 - 1 StR 209/78, JR 1979, 429; Fischer, StGB, 61. Aufl., § 21 Rn. 13 mwN; ebenso für "Erfahrungen im Umgang mit Drogen" BGH, Beschluss vom 11. Januar 2011 - 5 StR 491/10; Urteil vom 11. April 2000 - 1 StR 638/99, BGHR StGB § 222 Zurechenbarkeit 2). Ein allgemeiner Erfahrungssatz, dass Betäubungsmittelkonsumenten zu eigenverantwortlicher Entscheidung nicht fähig sind, besteht nicht (s.a. BayObLG, Beschluss vom 11. Dezember 2001 - 5St RR 298/01). Vielmehr bedarf es der Feststellung konkreter die Eigenverantwortlichkeit einschränkender Umstände, etwa einer akuten Intoxikation (vgl. BGH, Urteil vom 28. Oktober 1982 - 1 StR 501/82, NStZ 1983, 72), unter Umständen auch eines entzugsbedingten akuten Suchtdrucks, verbunden mit der Angst vor körperlichen Entzugserscheinungen (zu §§ 20, 21 StGB vgl. BGH, Urteile vom 2. November 2005 - 2 StR 389/05, NStZ 2006, 151; vom 6. Juni 1989 - 5 StR 175/89,BGHR StGB § 21 BtM-Auswirkungen 5; Beschluss vom 10. April 1990 - 4 StR 148/90, BGHR StGB § 21 BtM-Auswirkungen 7 jew. mwN) oder konsumbedingter schwerer Persönlichkeitsveränderungen, die zum Verlust der Eigenverantwortlichkeit führen können (zu §§ 20, 21 StGB vgl. BGH, Beschluss vom 9. November 2011 - 2 StR 427/11, StV 2012, 282; Urteil vom 17. Juni 2010 - 4 StR 47/10).
32
Solche Feststellungen hat die Strafkammer jedoch nicht getroffen.
33
d) Soweit dem Urteil des Senats vom 18. Juli 1978 (1 StR 209/78, JR 1979, 429) über die Besonderheiten des dortigen konkreten Falles hinaus allgemein die Rechtsauffassung entnommen werden könnte, die aus der Behandlung eines opiatabhängigen Patienten resultierende Garantenpflicht des behandelnden Substitutionsarztes begründe eine "besondere Sorgfaltspflicht" des Arztes, Schaden von seinem Patienten abzuwenden, und führe - unabhängig von der Freiverantwortlichkeit des Patienten - stets zu einer Täterschaft begründenden Herrschaft des Arztes über das selbstschädigende Verhalten des Patienten, wäre daran nicht festzuhalten.
34
2. Aus denselben Gründen hält auch die Verurteilung des Angeklagten wegen Körperverletzung mit Todesfolge zum Nachteil des GeschädigtenT. revisionsgerichtlicher Überprüfung nicht stand.
35
3. Schließlich begegnet auch die Verurteilung des Angeklagten wegen unerlaubten Verschreibens von Betäubungsmitteln in den auf den Tatkomplex K. entfallenden 667 Fällen durchgreifenden Bedenken.
36
a) Die Annahme der Strafkammer, ungeachtet der - wie festgestellt - gemeinsamen Ausstellung mehrerer Rezepte liege hinsichtlich jedes einzelnen Rezepts eine gesonderte Straftat vor, ist rechtsfehlerhaft.
37
Aus dem Umstand, dass der Angeklagte jedes der ihm vorgelegten Rezepte überprüfte, ehe er es unterzeichnete, ergibt sich kein gesonderter Tatentschluss. Der Angeklagte handelte vielmehr ersichtlich mit der Absicht, alle ihm vorgelegten Rezepte, sofern diese formal ordnungsgemäß ausgestellt waren, innerhalb eines einheitlichen Prüfungsvorganges zu unterzeichnen, damit sie dem Patienten gemeinsam übergeben werden konnten.
38
b) Eine abschließende Beurteilung der Anzahl der Einzeltaten ist dem Senat nicht möglich, weil das Urteil insoweit keine widerspruchsfreien Feststellungen enthält.
39
Die Strafkammer legt als Tatzeitraum den Zeitraum vom 1. Januar 2010 bis zur Verhaftung des Angeklagten am 18. Januar 2012, also "ca. 107 Kalenderwochen" zugrunde. Sie führt hierzu jedoch aus, K. habe die Rezep- te lediglich "in der Regel", nämlich außerhalb von "Urlaubszeiten", wöchentlich abgeholt. Diese "Urlaubszeiten" - bei denen unklar bleibt, ob damit die "Reisezeiten" des Patienten gemeint sind - sind jedoch nicht näher verifiziert; es liegt nahe, dass sich die Anzahl der Rezeptübergaben unter Anrechnung dieser Zeiten verringert.

III.


40
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
41
1. Die in Fällen eigenverantwortlicher Selbstverletzung oder -gefährdung für eine Täterschaft wegen vorsätzlicher Körperverletzung aufgestellten Maßstäbe gelten entsprechend, sofern eine Bestrafung des die Selbstgefährdung Fördernden nur wegen fahrlässiger Körperverletzung bzw. Tötung in Betracht kommt. Daher bedarf es auch insoweit einer Handlungsherrschaft aufgrund überlegenen Sachwissens oder aufgrund erkennbarer Mängel der Fähigkeit zur eigenverantwortlichen Entscheidung bei dem sich selbst Gefährdenden (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Januar 2011 - 5 StR 491/10; Urteile vom 29. April 2009 - 1 StR 518/08, BGHSt 53, 288, 290; vom 11. Dezember 2003 - 3 StR 120/03, BGHSt 49, 34, 39; vom 14. Februar 1984 - 1 StR 808/83, BGHSt 32,

262).

42
2. Für den Fall, dass sich in einer neuen Hauptverhandlung hinreichende Feststellungen zur Annahme von Tat- bzw. Handlungsherrschaft des Angeklagten ergeben, wird der neue Tatrichter auch die subjektive Tatseite erneut eingehend zu prüfen haben:
43
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Abgrenzung von bedingtem Vorsatz und bewusster Fahrlässigkeit handelt der Täter vorsätzlich, wenn er den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt und damit in der Weise einverstanden ist, dass er die Tatbestandsverwirklichung billigend in Kauf nimmt oder sich um des erstrebten Zieles willen wenigstens mit ihr abfindet, mag ihm auch der Erfolgseintritt an sich unerwünscht sein; bewusste Fahrlässigkeit liegt hingegen dann vor, wenn der Täter mit der als möglich erkannten Tatbestandsverwirklichung nicht einverstanden ist und ernsthaft - nicht nur vage - darauf vertraut, der tatbestandliche Erfolg werde nicht eintreten (BGH, Urteil vom 4. November 1988 - 1 StR 262/88, BGHSt 36, 1, 9 f.).
44
Da beide Schuldformen im Grenzbereich eng beieinander liegen, müssen bei der Annahme bedingten Vorsatzes beide Elemente der inneren Tatseite , also sowohl das Wissenselement als auch das Willenselement, in jedem Einzelfall besonders geprüft und durch tatsächliche Feststellungen belegt werden (BGH aaO, vgl. auch Urteil vom 7. Juli 2011 - 5 StR 561/10, BGHSt 56, 277 ff.). Insbesondere die Würdigung zum voluntativen Vorsatzelement, also zur billigenden Inkaufnahme des Erfolges, muss sich mit den Feststellungen des Urteils zur Persönlichkeit des Täters auseinandersetzen und auch die zum Tatgeschehen bedeutsamen Umstände mit in Betracht ziehen (vergleiche BGH, Urteil vom 4. November 1988 - 1 StR 262/88, BGHSt 36, 1, 10, und vom 25. November 1987 - 3 StR 449/87, NStZ 1988, 175). Der Tatrichter darf nicht ohne Weiteres aus der Erkenntnisfähigkeit eines Täters oder seiner vorhandenen Erkenntnis auf die billigende Inkaufnahme des Erfolgs schließen (vgl. BGH, Urteil vom 25. November 1987 - 3 StR 449/87, NStZ 1988, 175).
45
Bei der Körperverletzung im Arzt-Patienten-Verhältnis ist zu berücksichtigen , dass die Annahme, die Art und Weise der Behandlung eines Patienten durch einen Arzt sei nicht am Wohl des Patienten orientiert, auch bei medizinisch grob fehlerhaftem Verhalten des Arztes häufig fernliegt (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2003 - 1 StR 269/02, NStZ 2004, 35 f.). Selbst erhebliche Sorgfaltspflichtverstöße schließen eine Verurteilung wegen nur fahrlässiger Tat nicht von vornherein aus (vgl. auch BayObLG, Beschluss vom 28. August 2002 - 5St RR 179/02, NJW 2003, 371, 372).
Raum Wahl Graf Jäger Cirener

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 494/13
vom
28. Januar 2014
BGHSt: ja
BGHR: ja
Nachschlagewerk: ja
Veröffentlichung: ja
__________________________
BtMG § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 Buchst. a, § 13 Abs. 1
1. Zur "begründeten Anwendung" im Sinne von § 13 Abs. 1 BtMG bei der ärztlichen
Verschreibung von Betäubungsmitteln im Rahmen der Substitutionstherapie opiatabhängiger
Patienten.
2. Die Stellung als behandelnder Substitutionsarzt eines opiatabhängigen Patienten
als solche begründet keine Handlungsherrschaft des Arztes bei missbräuchlicher
Verwendung des verschriebenen Substitutionsmedikaments durch den Patienten.
Ein Arzt kann in solchen Konstellationen lediglich als Täter eines Körperverletzungsoder
Tötungsdelikts strafbar sein, wenn die selbstschädigende oder selbstgefährdende
Handlung des Patienten nicht eigenverantwortlich erfolgte.
BGH, Urteil vom 28. Januar 2014 - 1 StR 494/13 - LG Deggendorf
in der Strafsache
gegen
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
28. Januar 2014, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Raum
und die Richter am Bundesgerichtshof
Rothfuß,
Dr. Graf,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Cirener,
der Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Radtke,
Erster Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt - in der Verhandlung -,
Rechtsanwalt - in der Verhandlung -
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revisionen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Deggendorf vom 22. März 2013 werden verworfen. 2. Der Angeklagte trägt die Kosten seines Rechtsmittels. Die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft und die hierdurch dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Verschreibens von Betäubungsmitteln in 125 Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 360 Tagessätzen zu je 110,00 Euro verurteilt. Zugleich hat es ihm für die Dauer von fünf Jahren untersagt, als Arzt drogenabhängige Patienten zu substituieren. Im Übrigen ist er freigesprochen worden.
2
Der Angeklagte wendet sich mit seiner Revision gegen die Verurteilung in 100 der ihm zur Last gelegten Fälle. Die Verurteilung in den sonstigen Fällen sowie den Maßregelausspruch hat er von seinem Rechtsmittelausgenommen. Die Staatsanwaltschaft beanstandet mit ihrer Revision, dass der Angeklagte nicht wegen eines Tötungsdelikts aufgrund des Todes eines von ihm substituierten Patienten verurteilt worden ist. Zudem rügt sie die Strafzumessung sowohl hinsichtlich der Einzelstrafen als auch der Gesamtstrafe.
3
Die Rechtsmittel bleiben ohne Erfolg.

A.

4
Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

I.

5
1. Der Angeklagte behandelte in seiner ärztlichen Praxis opiatabhängige Substitutionspatienten. Er führte bei diesen jeweils ordnungsgemäße Eingangsuntersuchungen durch und sorgte für deren psycho-soziale Betreuung. In den der Verurteilung zugrunde liegenden Einzelfällen verschrieb er zwischen Januar 2008 und August 2011 vier seiner Patienten die Substitutionsmittel Methadon oder Levomethadon im Rahmen von sog. Take-Home-Verordnungen. Bei dieser Art der Verordnung wird den Patienten eine Verschreibung über die für bis zu sieben Tage benötigte Menge des Mittels ausgehändigt und das Methadon diesen damit zur eigenverantwortlichen Einnahme überlassen (UA S. 23). In den verfahrensgegenständlichen Fällen hätten nach den Feststellungen und Wertungen des Tatgerichts Verschreibungen in diesem Verfahren nicht erfolgen dürfen. Die betroffenen Patienten waren entgegen den Voraussetzungen für Take-Home-Verschreibungen nicht stabil eingestellt. In einigen Einzelfällen fehlte es auch an der erforderlichen Kontrolle auf Beikonsum, also die zusätzliche Einnahme von unerlaubten Betäubungsmitteln zum Methadon. Teilweise hatten durchgeführte Tests auch den Nachweis von Beikonsum von verbotenen Betäubungsmitteln erbracht. In fünf den später an den Folgen der Methadoneinnahme verstorbenen Patienten K. betreffenden Fällen erfolgte die Verschreibung ohne einen persönlichen Kontakt zu diesem. Der Angeklagte nahm insgesamt billigend eine nicht ordnungsgemäße Verwendung des Methadons durch die vier betroffenen Patienten in Kauf.
6
2. Das Landgericht hat hinsichtlich der einzelnen Patienten Folgendes festgestellt:
7
a) Fälle 1 bis 35 (B.I. der Urteilsgründe)
8
Im Zeitraum zwischen Januar 2008 und Ende Juni 2009 verordnete der Angeklagte der Patientin H. in 35 Einzelfällen im Rahmen des TakeHome -Verfahrens Methadon, obwohl ihm bekannt war, dass die Patientin nicht stabil eingestellt war und sie ständig mehr Methadon konsumierte, als sie als Tagesdosen in den jeweiligen Verschreibungszeiträumen hätte zu sich nehmen dürfen. Den Mehrverbrauch dokumentierte der Angeklagte in einigen Fällen in der Patientenakte.
9
b) Fälle 36 bis 43 (B.II. der Urteilsgründe)
10
Zwischen Januar und Mai 2008 verschrieb der Angeklagte seinem Patienten He. in acht Einzelfällen Methadon im Take-Home-Verfahren. Dem Angeklagten war dabei bekannt, dass der Patient unzuverlässig und nicht stabil eingestellt war. Nach den weiteren Feststellungen des Tatgerichts hatten zwei Drogentests im Dezember 2007 ein negatives Ergebnis hinsichtlich Methadon erbracht. Damit wusste der Angeklagte um die fehlende Einnahme des Substitutionsmedikaments durch He. in diesem Monat. Tests Anfang und Ende 2008 waren zudem positiv auf THC ausgefallen.
11
c) Fälle 44 bis 65 (B.III. der Urteilsgründe)
12
Der Angeklagte verschrieb dem Patienten U. , der bereits seit rund 20 Jahren durch andere Ärzte verschriebene Substitutionsmedikamente eingenommen hatte, im Zeitraum von Anfang März bis Ende Dezember 2009 in 22 Einzelfällen durch Take-Home-Verordnung Methadon. Ihm war jedoch bekannt , dass bei dem Patienten Ende Februar 2009 ein Drogentest THC und ein weiterer Test rund vier Wochen später Benzodiazepine nachgewiesen hatte. Ein Drogentest Mitte Juni 2009 fiel wiederum positiv auf THC aus. In einer größeren Zahl von Einzelfällen hatte der Angeklagte den Mehrverbrauch des Patienten dokumentiert.
13
d) Fälle 66 bis 125 (B.IV. der Urteilsgründe)
14
Der zumindest seit 2005 opiatabhängige Patient K. befand sich ab dem Sommer 2009 in der Substitutionsbehandlung bei dem Angeklagten. Der Patient nahm das Methadon intravenös über seine Beinvenen ein.
15
Zwischen Mitte Januar 2010 und dem 22. August 2011 verschrieb der Angeklagte dem Patienten in 60 Einzelfällen Methadon. Im Jahr 2010 nahm er bei K. insgesamt acht Drogentests vor. Sechs dieser Tests wiesen kein Me- thadon nach. Dem Angeklagten war damit bekannt, dass „K. dasihm ver- ordnete Medikament nicht bestimmungsgemäß einnahm“ (UA S. 14). Der letzte, am 21. Oktober 2010 durchgeführte Test erbrachte wiederum ein Negativergebnis bezüglich Methadon. Die Ergebnisse der beiden weiteren Tests wiesen THC bzw. Benzodiazepine nach.
16
Die Verschreibung von Methadon an den Patienten erfolgte in der ganz überwiegenden Zahl der Fälle jeweils nach persönlichem Kontakt mit ihm. In den Fällen 121 bis 125 im Zeitraum von Mitte Juli bis Mitte August 2011 be- stand ein solcher Kontakt jedoch nicht. K. befand sich in diesem Zeitraum in der Justizvollzugsanstalt. Gegenüber dem Angeklagten hatte er vorgegeben, in der fraglichen Zeit in Oberbayern zu arbeiten, und ihn deshalb gebeten, die Methadonrezepte an seine (K. s) Ehefrau zu übergeben. Diesem Wunsch kam der Angeklagte nach. Die Ehefrau beschaffte das verschriebene Methadon in der Apotheke.
17
Nach der Entlassung des Patienten aus der Justizvollzugsanstalt Ende August 2011 waren in seiner Wohnung 35 Fläschchen Methadon vorhanden. In der Nacht vom 1. auf den 2. September 2011 wurde er dort tot aufgefunden. Er hatte den Inhalt von zumindest drei Fläschchen Methadon intravenös eingenommen und war an den Folgen der Überdosis gestorben.

II.

18
Das Landgericht hat in sämtlichen genannten Einzelfällen eine Strafbarkeit des Angeklagten aus § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 Buchst. a in Verbindung mit § 13 Abs. 1 BtMG und § 5 BtMVV (in der jeweils im Tatzeitraum maßgeblichen Fassung) angenommen. Dagegen hat es den Angeklagten nicht wegen eines Tötungsdelikts im Hinblick auf den Tod des Patienten K. verurteilt. Zudem hat es den Angeklagten in weiteren sechs Fällen vom Vorwurf des Verstoßes gegen § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 Buchst. a BtMG – teils aus tatsächlichen, teils aus rechtlichen Gründen – freigesprochen.
19
1. Das Tatgericht hat die Strafbarkeit des Angeklagten nach dem Betäubungsmittelgesetz damit begründet, dass der auf der Grundlage der Verordnungsermächtigung in § 13 Abs. 3 Satz 1 BtMG erlassene § 5 BtMVV eine Verschreibung von Substitutionsmedikamenten lediglich unter bestimmten Voraus- setzungen zulässt. Nach den inhaltlich weitgehend übereinstimmenden, im Tatzeitraum geltenden drei Fassungen von § 5 BtMVV ist dem behandelnden Arzt eine Verschreibung über die für bis zu sieben Tage benötigte Menge des Substitutionsmittels gestattet, wenn und solange der Behandlungsverlauf dies zulässt sowie dadurch die Sicherheit und Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs nicht beeinträchtigt werden. Die ab dem 25. März 2009 geltende Fassung der Verordnung schließe in § 5 Abs. 8 Satz 4 BtMVV eine Verschreibung der bis zu sieben Tage benötigten Menge des Substitutionsmittels aus, wenn die Untersuchungen und Erhebungen des Arztes zu Erkenntnissen geführt haben, nach denen der Patient Stoffe konsumiert, die ihn zusammen mit der der Einnahme des Substitutionsmittels gefährden, dieser unter Berücksichtigung der Toleranzentwicklung noch nicht auf eine stabile Dosis eingestellt ist oder der Patient missbräuchlich Stoffe konsumiert.
20
Um die Vorgaben der Verordnung inhaltlich näher auszufüllen, hat das Landgericht auf die Richtlinien der Bundesärztekammer zur Durchführung der substitutionsgestützten Behandlung Opiatabhängiger zurückgegriffen. Einen zum Ausschluss der Take-Home-Verordnung führenden „nicht regelgerechten Vorfall“ (UA S. 24) hat es dabei vorallem bei der Feststellung von Beikonsum, eines Mehrverbrauchs oder eines negativen Methadontests angenommen. Das Tatgericht hat allerdings zugunsten des Angeklagten unter Abweichung der genannten Richtlinien lediglich einen Zeitraum von einem Monat zugrunde gelegt, in dem der Patient sich als zuverlässig erwiesen haben muss, um vom TakeHome -Verfahren Gebrauch machen zu können. Die Richtlinien der Bundesärztekammer sehen dagegen nach der Darlegung des Tatgerichts eine wenigstens sechsmonatige Zuverlässigkeit des Patienten vor.
21
2. a) Anhand dieser Maßstäbe stützt das Landgericht die Strafbarkeit des Angeklagten in den 35 die Patientin H. (B.I. der Urteilsgründe) betref- fenden Fällen unter Darlegung im Einzelnen jeweils auf den ihm bekannten und in einigen Fällen sogar in den Patientenunterlagen dokumentierten Mehrverbrauch.
22
b) In den den Patienten He. (B.II. der Urteilsgründe) betreffenden Fällen 36 bis 38 leitet das Tatgericht den Verstoß des Angeklagten gegen das Betäubungsmittelgesetz aus den diesem bekannten Ergebnissen der Drogentests im Dezember 2007 und Januar 2008 ab. Diese hatten teils ein negatives Ergebnis auf Methadon, teils positive Ergebnisse auf Beikonsum erbracht. Die Verschreibung im Fall 39 erfolgte, obwohl He. sich nach dem Drogentest Ende Januar 2008 (positives Ergebnis auf Benzodiazepine) sich noch nicht über einen Monat als zuverlässig erwiesen hatte. Entsprechendes gilt in den Fällen 41 bis 43. Die Verschreibungen erfolgten in einem Zeitraum von 14 Tagen nach einem positiv auf THC ausgefallenen Test. Für den Fall 40 stützt sich das Tatgericht auf den dem Angeklagten bekannten Mehrverbrauch des Patienten , der daher nicht stabil eingestellt war.
23
c) Hinsichtlich des Patienten U. (B.III. der Urteilsgründe) hat das Tatgericht die Strafbarkeitsvoraussetzungen in den Fällen 44 bis 50 auf den dem Angeklagten durch die Ergebnisse von Drogentests bekannten Beikonsum von THC bzw. Benzodiazepinen gestützt. In den Fällen 51 bis 65 hat es unter näheren Darlegungen die zum Ausschluss des Take-Home-Verfahrens führende Unzuverlässigkeit des Patienten aus dessen Mehrverbrauch abgeleitet. Dieser war dem Angeklagten bekannt, zumal er ihn in einigen Fällen in den Patientenunterlagen dokumentiert hatte.
24
d) In Bezug auf die 60 den Patienten K. (B.IV. der Urteilsgründe) betreffenden Fälle hat das Tatgericht die Voraussetzungen der Strafbarkeit aus § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 Buchst. a i.V.m. § 13 Abs. 1 BtMG und § 5 BtMVV jeweils auf unterschiedliche Erwägungen gestützt.
25
In den Fällen 66 bis 69, 86 bis 89, 103 bis 106 hätten durchgeführte Drogentests jeweils ein negatives Ergebnis auf Methadon erbracht. Dementsprechend sei dem Angeklagten die nicht bestimmungsgemäße Verwendung des Substitutionsmedikaments durch den Patienten bekannt gewesen. Zudemläge in den Fällen 96 bis 102 neben einem Mehrverbrauch und dem daraus abzuleitenden Fehlen einer stabilen Einstellung des Patienten ebenfalls ein negatives Drogentestergebnis auf Methadon vor. Daraus ergebe sich zusätzlich das Fehlen der Voraussetzungen für das Take-Home-Verfahren.
26
Hinsichtlich der Fälle 70 und 71 sowie 78, 85, 90 und 115 bis 117 habe der Angeklagte nicht die monatlich zur Überprüfung der Zuverlässigkeit des Patienten notwendigen Drogentests durchgeführt. Deshalb hätten in den genannten Fällen keine Take-Home-Verordnungen erfolgen dürfen.
27
In den Fällen 72 bis 77, 91 bis 102 sowie 118 bis 120 hat das Tatgericht jeweils darauf abgestellt, dass bei dem Patienten ein dem Angeklagten bekannter , teils von ihm in den Patientenunterlagen vermerkter Mehrkonsum vorliege, aus dem sich das Fehlen einer ausreichend stabilen medikamentösen Einstellung des Patienten ergebe. Hinsichtlich der Fälle 96 bis 102 gründet sich die Unzuverlässigkeit des Patienten zudem auf das negativ auf Methadon ausgefallene Testergebnis.
28
Für die Fälle 79 bis 84 und 107 bis 114 hat sich das Tatgericht auf die den Nachweis von THC bzw. Benzodiazepine erbringenden Ergebnisse von Drogentests gestützt. Wegen des dem Angeklagten bekannten Beikonsums hätte er von dem Take-Home-Verfahren erst wieder Gebrauch machen dürfen, wenn sich der Patient K. für wenigstens einen Monat als zuverlässig erwiesen hätte.
29
Die Verschreibungen in den Fällen 121 bis 125 seien ohne den erforderlichen persönlichen Kontakt zu dem Patienten erfolgt.
30
3. Die Voraussetzungen einer tateinheitlich mit den Betäubungsmitteldelikten in den Fällen 121 bis 125 verwirklichten fahrlässigen Tötung (§ 222 StGB) des Angeklagten zu Lasten seines Patienten K. hat das Tatgericht verneint. Es liege eine Konstellation sog. eigenverantwortlicher Selbstgefährdung des zu Tode gekommenen Patienten vor. Bei dieser sei eine Strafbarkeit des daran Mitwirkenden, hier des Angeklagten, lediglich dann zu begründen, wenn er kraft überlegenen „Fachwissens“ das Risiko des selbstgefährdenden Verhaltens besser erfasst habe, als der sich Selbstgefährdende. Dies hat das Landgericht im Hinblick auf die Aussage der Ehefrau des verstorbenen Patienten K. verneint. Dieser habe Methadon bereits seit Jahren intravenös eingenommen und die damit verbundenen Risiken, auch die einer Überdosierung, gekannt. Gegen einen seine freie Willensentschließung beeinträchtigenden Zustand spreche, dass K. die Beschaffung von Substitutionsmedikamenten mit Hilfe seiner Ehefrau für die Dauer seiner Haft planmäßig vorbereitet habe.

III.

31
Gegen dieses Urteil wenden sich sowohl der Angeklagte mit seiner auf die Sachrüge gestützten, im Umfang beschränkten Revision als auch die Staatsanwaltschaft mit ihrem zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten Rechtsmittel.

32
Der Angeklagte hat die Verurteilungen in den fehlende oder negativ auf Methadon ausgefallene Drogentests betreffenden Fällen 36 bis 38, 66 bis 71, 78, 85, 86, 102, 108 bis 112, 115, 117 und 121 bis 125 sowie den Maßregelausspruch von seinem Rechtsmittelangriff ausgenommen. Hinsichtlich der verbleibenden Fälle wendet sich die Revision u.a. dagegen, dass das Tatgericht die Strafbarkeitsvoraussetzungen auf den dem Angeklagten bekannten Beikonsum von Rauschgiften bzw. auf die fehlende klinische Stabilität der betroffenen Patienten gestützt hat.
33
Die Staatsanwaltschaft beanstandet, dass der Angeklagte wegen der zwischen dem 25. Juli und dem 22. August 2011 (Fälle 121 bis 125) erfolgten Verschreibungen von Methadon für den Patienten K. nicht wegen eines Tötungsdelikts verurteilt worden ist. Darüber hinaus macht sie geltend, die Einzelstrafen und die Gesamtstrafe würden dem Unrechtsgehalt der Taten nicht gerecht.

B.

34
Die Revision des Angeklagten hat keinen Erfolg.

I.

35
Ob die Beschränkung der Revision des Angeklagten auch auf den Maßregelausspruch wirksam ist, kann dahinstehen, weil sein Rechtsmittel insgesamt ohne Erfolg bleibt.

II.

36
Das Landgericht hat auf der Grundlage rechtsfehlerfrei getroffener Feststellungen in sämtlichen noch verfahrensgegenständlichen Fällen die Verschreibungen von Methadon bzw. L-Polamidon (Levomethadon) durch den Angeklagten zutreffend als gemäß § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 Buchst. a i.V.m. § 13 Abs. 1 BtMG strafbares Verhalten gewertet.
37
1. § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 Buchst. a BtMG stellt das gegen § 13 Abs. 1 BtMG verstoßende Verschreiben von Betäubungsmitteln unter Strafe. Die letztgenannte Vorschrift bestimmt, dass Ärzte die in Anlage III des Betäubungsmittelgesetzes genannten Stoffe – wie hier Methadon und L-Polamidon – nur dann verschreiben dürfen, wenn ihre Anwendung im oder am menschlichen Körper „begründet“ ist. Unter welchen Voraussetzungen eine im Sinne von § 13 Abs. 1 BtMG „begründete Anwendung“ dererfassten Betäubungsmittel anzunehmen ist, legt das Betäubungsmittelgesetz selbst in den Einzelheiten nicht fest. Konkretisierungen der begründeten Anwendungen von Betäubungsmitteln ergeben sich aus der auf der Verordnungsermächtigung in § 13 Abs. 3 BtMG beruhenden (Rechts)Verordnung über das Verschreiben, die Abgabe und den Nachweis des Verbleibs von Betäubungsmitteln (Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung [BtMVV] in den jeweils im Tatzeitraum geltenden Fassungen). Für die hier in Rede stehende Substitutionsbehandlung von opiatabhängigen Patienten durch Ärzte ergeben sich nähere Beschreibungen der „begründeten Anwendung“ von Betäubungsmitteln bei deren Verschreibung aus § 5 BtMVV. So gestaltet § 5 Abs. 1 BtMVV (in der seit 21. Juli 2009 geltenden Fassung sowie entsprechend die Vorgängerregelungen) die Ziele einer Substitutionsbehandlung aus; Abs. 2 beschreibt die für eine Verschreibung gemäß § 13 Abs. 1 BtMG erforderlichen Voraussetzungen im Einzelnen. In § 5 Abs. 8 BtMVV hat der Verordnungsgeber die Erfordernisse für die Anwendung der sog. TakeHome -Verordnung in den Details festgelegt. Entsprechende Vorgaben fanden sich auch in den vom Tatgericht jeweils herangezogenen, in den jeweiligen Tatzeiträumen geltenden früheren Fassungen der Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung.
38
Verfassungsrechtliche Bedenken gegen § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 Buchst. a i.V.m. § 13 Abs. 1 BtMG im Hinblick auf die Anforderungen des Bestimmtheitsgrundsatzes des Art. 103 Abs. 2 GG bestehen nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Mai 1991 – 3 StR 8/91, BGHSt 37, 383, 384 f.; Urteil vom 2. Februar 2012 – 3 StR 321/11, NStZ 2012, 337, 338; siehe auch Nestler MedR 2009, 211, 215 sowie BGH, Urteil vom 8. Mai 1979 – 1 StR 118/79, BGHSt 29, 6, 8 hinsichtlich der Vorgängerregelung § 11 Abs. 1 Nr. 9 Buchst. a BtMG aF). Die näheren Voraussetzungen der Strafbarkeit dürfen in einer Rechtsverordnung geregelt werden, wenn diese – wie vorliegend die Betäubungsmittel -Verschreibungsverordnung – Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG entspricht (BVerfGE 14, 174, 185) und die die Strafvorschrift ausfüllende Rechtsverordnung ihrerseits den Anforderungen aus Art. 103 Abs. 2 GG an die inhaltliche Bestimmtheit genügt (vgl. BVerfG NStZ-RR 2002, 22; Radtke in Epping/ Hillgruber, GG, 2. Aufl., Art. 103 Rn. 29 mwN). Die Voraussetzungen der Strafbarkeit müssen sich allerdings bereits dem Straftatbestand als solchem entnehmen lassen. Der Verordnung dürfen lediglich Konkretisierungen überlassen bleiben (BVerfGE 75, 329, 342; siehe auch BVerfGE 14, 174, 185 f.).
39
Dem genügen § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 Buchst. a, § 13 Abs. 1 BtMG i.V.m. § 5 BtMVV. Mit den gesetzlichen Regelungen selbst wird hinreichend zum Ausdruck gebracht, dass (u.a.) Ärzten die Verschreibung von in Anlage III des Betäubungsmittelgesetzes erfassten Betäubungsmitteln lediglich dann ge- stattet ist, wenn die Anwendung der entsprechenden Stoffe am oder im menschlichen Körper medizinisch begründet ist, also eine Indikation für eine solche Anwendung nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft besteht (vgl. BGH, Urteil vom 2. Februar 2012 – 3 StR 321/11, NStZ 2012, 337, 338). Der Bundesgerichtshof hat in der Sache damit weitgehend übereinstimmend auch bereits die frühere Regelung in § 11 Abs. 1 Nr. 9 Buchst. a BtMG 1972 dahingehend ausgelegt, dass eine begründete Verschreibung von Betäubungsmitteln durch einen Arzt vorliegt, wenn das Mittel nach den allgemeinen oder weitaus überwiegend anerkannten Regeln der ärztlichen Wissenschaft als Heilmittel für das Leiden des Patienten geeignet ist (BGH, Urteil vom 8. Mai 1979 – 1 StR 118/79, BGHSt 29, 6, 9 mwN; siehe auch BGH, Beschluss vom 17. Mai 1991 – 3 StR 8/91, BGHSt 37, 383, 384). Ob an der vorgenannten Auslegung auch für das geltende Recht in jeder Hinsicht festgehalten werden kann, bedarf vorliegend keiner Entscheidung (siehe bereits BGH aaO, BGHSt 37, 383, 384). Für die geltende Strafvorschrift lässt sich jedenfalls aus § 13 Abs. 1 Satz 2 BtMG, der im Sinne einer ultima ratio (BGH, Urteil vom 2. Februar 2012 – 3 StR 321/11, NStZ 2012, 337, 338; näher Patzak in Körner/Patzak/Volkmer, BtMG, 7. Aufl., § 13 Rn. 20-23) eine Anwendung von Betäubungsmitteln bei Vorhandensein anderer Möglichkeiten der Zweckerreichung ausschließt, erkennen , dass die in § 13 Abs. 1 BtMG enthaltene Verhaltensnorm auf die medizinische Notwendigkeit einer (Substitutions-)Behandlung mit an sich verbotenen Betäubungsmitteln, also eine ärztliche Bewertung der Voraussetzungen einer solchen Behandlung, abstellt (Nestler aaO). Das legt das erlaubte Verhalten von Ärzten und anderen in § 13 BtMG genannten Berufsgruppen im Umgang mit Betäubungsmitteln bei der Substitutionsbehandlung im Gesetz selbst ausreichend bestimmt fest. Da die Strafvorschrift § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 Buchst. a BtMG an eine gegen § 13 Abs. 1 BtMG verstoßende Verschreibung anknüpft, entspricht sie ihrerseits dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebot. Die inhaltlich klaren und sehr detaillierten Vorgaben in § 5 BtMVV stehen mit Art. 103 Abs. 2 GG ebenfalls in Einklang. In ihrem Zusammenspiel normieren § 13 BtMG und § 5 BtMVV die materiellen Voraussetzungen einer erlaubten ärztlichen Substitutionsbehandlung (vgl. BGH, Urteil vom 4. Juni 2008 – 2 StR 577/07, BGHSt 52, 271, 273 Rn. 11) bei Anwendung ansonsten unerlaubter Stoffe in einer für den solche Behandlungen durchführenden Arzt eindeutig erkennbaren Weise.
40
2. Die Verschreibungen von Methadon bzw. L-Polamidon (Levomethadon ) an die betroffenen Patienten erfolgte in sämtlichen noch verfahrensgegenständlichen Fällen ohne Vorliegen der materiellen Voraussetzungen einer Substitutionsbehandlung Opiatabhängiger aus § 13 BtMG i.V.m. § 5 BtMVV. Das begründet die Strafbarkeit aus § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 Buchst. a BtMG.
41
a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs verwirklicht eine ärztliche Substitutionsbehandlung den Straftatbestand § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 Buchst. a BtMG, wenn eine solche ohne Indikationsstellung oder ohne ausreichende Prüfung von Behandlungsalternativen (§ 13 Abs. 1 Satz 2 BtMG) erfolgt (BGH, Urteil vom 2. Februar 2012 – 3 StR 321/11, NStZ 2012, 337, 338). Gleiches gilt im Hinblick auf die Konkretisierung der gesetzlichen Verhaltensnormen durch § 5 Abs. 2 Satz 1 BtMVV bei einer unzureichenden Kontrolle bzw. Begleitung der Behandlung durch den verschreibenden Arzt (BGH aaO). Der in § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 BtMVV vorgegebene „erforderliche Umfang“ der Konsultati- on des behandelnden Arztes bildet dabei eine „verbindliche Richtschnur“ einer sorgfältigen Substitutionsbehandlung (BGH aaO).
42
Über die bereits in der bisherigen Rechtsprechung anerkannten Konstellationen einer aus der unterbliebenen oder unzureichenden Beachtung der in § 5 BtMVV enthaltenen Vorgaben abgeleiteten Strafbarkeit aus § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 Buchst. a i.V.m. § 13 BtMG hinaus erweisen sich auch andere Verstöße gegen die in der Verordnung niedergelegten Maßstäbe der Substitutionsbehandlung als Verletzung der materiellen Voraussetzungen dieser Therapie und damit als nach § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 Buchst. a BtMG strafbares Verhalten. Das gilt neben der Nichtbeachtung des in § 5 Abs. 1 BtMVV formulierten Behandlungsziels jedenfalls für die Ausschlussgründe des § 5 Abs. 2 BtMVV sowie die in § 5 Abs. 8 BtMVV niedergelegten Voraussetzungen bzw. spezifischen Ausschlussgründe von Take-Home-Verordnungen. Diese Vorschriften dienen der Sicherstellung der materiellen Erfordernisse in § 13 Abs. 1 BtMG, Ärzten eine Substitutionsbehandlung mit an sich unerlaubten Betäubungsmitteln lediglich im Rahmen einer entsprechenden Indikation unter Beachtung des ultima-ratio-Gedankens (§ 13 Abs. 1 Satz 2 BtMG) sowie bei Sicherstellung einer dem Stand der medizinischen Wissenschaft entsprechenden Durchführung der Therapie zu gestatten.
43
Allerdings ist bei der Anwendung von § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 Buchst. a BtMG ungeachtet der Konkretisierungen der Bedingungen von Suchttherapien vor allem durch § 5 BtMVV dem Arzt eine gewisse Therapiefreiheit zu belassen (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Mai 1991 – 3 StR 8/91, BGHSt 37, 383, 385; siehe auch bereits BGH, Urteil vom 8. Mai 1979 – 1 StR 118/79, BGHSt 29, 6, 11 f.; Patzak in Körner/Patzak/Volkmer, aaO, § 29 Teil 15 Rn. 9). Der Verordnungsgeber hat diesen Aspekt im Rahmen von § 5 BtMVV berücksichtigt, indem in einzelnen Regelungen, etwa in § 5 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 8 Satz 6 BtMVV, für die Bewertung von Voraussetzungen oder Ausschlussgründen der Substitutionstherapie auf den „allgemein anerkannten Stand der medizinischen Wissenschaft“ abgestellt wird. Zur Ausfüllung dessen kann auf die von der Bun- desärztekammer zuletzt am 19. Februar 2010 verabschiedeten Richtlinien zur Durchführung der substitutionsgestützten Behandlung Opiatabhängiger bzw. deren Vorgängerrichtlinien abgestellt werden. Für die hier relevanten Ver- schreibungen von Betäubungsmitteln im Rahmen der Substitutionstherapie ergibt sich bei Anwendung des Take-Home-Verfahrens aus § 5 Abs. 8 Satz 6 BtMVV, dass die Bewertung des Verlaufs der Behandlung dem behandelnden Arzt obliegt, der sich allerdings an dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Wissenschaft zu orientieren hat. Dies eröffnet dem Arzt im Rahmen der Therapiefreiheit in den Grenzen der Vorgaben der BetäubungsmittelVerschreibungsverordnung Bewertungsspielräume. Werden diese überschritten und die Voraussetzungen der Substitutionsbehandlung im Take-HomeVerfahren aus § 13 BtMG i.V.m. § 5 BtMVV nicht eingehalten, begründet dies die Strafbarkeit aus § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 Buchst. a BtMG.
44
b) Nach diesen Maßstäben tragen die vom Tatgericht getroffenen Feststellungen in sämtlichen noch verfahrensgegenständlichen Einzelfällen den Schuldspruch nach dieser Vorschrift.
45
aa) Fälle 1 bis 35 (Patientin H. – B.I. der Urteilsgründe)
46
(1) Hinsichtlich der Patientin H. ergibt sich das Fehlen einer begründeten Anwendung (§ 13 Abs. 1 BtMG) der Verschreibung in den das Jahr 2008 betreffenden Fällen 1 bis 13 bereits aus dem vom Tatgericht festgestellten Unterbleiben der erforderlichen regelmäßigen Drogentests während des gesamten Jahres (UA S. 5). § 5 Abs. 2 Satz 1 (insb. Nr. 4) sowie Abs. 8 BtMVV setzen die regelmäßige Durchführung von Tests des Patienten auf den Konsum anderer Stoffe als des Substitutionsmittels sowie auf die Einnahme des Substitutionsmittels selbst erkennbar voraus, auch wenn eine Anordnung entsprechender Tests nicht ausdrücklich vorgeschrieben wird. § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 BtMVV benennt „Untersuchungen und Erhebungen des Arztes“, die sich nach den Buchstaben c und d dieser Bestimmung auf den Gebrauch von Stoffen, deren Konsum die Substitution gefährden, sowie auf die bestimmungsgemäße Verwendung des verschriebenen Substitutionsmittels beziehen. Das TakeHome -Verfahren ist gemäß § 5 Abs. 8 Satz 5 BtMVV nicht zulässig, wenn die „Untersuchungen und Erhebungen des Arztes“Erkenntnisse über den Konsum den Patienten gefährdender Stoffe (Ziffer 1) sowie den missbräuchlichen Konsum von Stoffen (Ziffer 3) erbringen. Die angesprochenen Richtlinien der Bundesärztekammer sehen in Ziffer 11 eine Therapiekontrolle anhand klinischer und laborchemischer Parameter vor. Ein durchgängig geltendes Zeitintervall für die Kontrollen wird nicht vorgegeben. Diese sind dem Behandlungsverlauf anzupassen. Die Beurteilung des Therapieverlaufs obliegt zuvörderst dem behandelnden Arzt.
47
Auch unter Berücksichtigung des Vorgenannten hat der Bundesgerichtshof angesichts der Vorgaben der Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung und der Richtlinien der Bundesärztekammer eine unzureichende ärztliche Kontrolle der Substitutionsbehandlung als gemäß § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 Buchst. a BtMG strafbares Verhalten bewertet (BGH, Urteil vom 2. Februar 2012 – 3 StR 321/11, NStZ 2012, 337, 338). Das vollständige Fehlen von Drogentests an der Patientin H. im Jahr 2008 macht die Verschreibung von Methadon bzw. Levomethadon in den Fällen 1 bis 13 jeweils zu einer nicht begründeten Anwendung im Sinne von § 13 Abs. 1 BtMG.
48
(2) In den den Zeitraum Anfang März bis Ende Juni 2009 betreffenden Fällen 14 bis 35 hat das Landgericht die Strafbarkeit des Angeklagten im Ergebnis zutreffend jeweils auf einen von ihm so bezeichneten Mehrverbrauch gestützt. Nach den getroffenen Feststellungen verschrieb der Angeklagte der Patientin H. im Rahmen von Take-Home-Verordnungen jeweils in den Einzelfällen unterschiedliche Tagesdosen des Substitutionsmittels. § 5 Abs. 8 Satz 4 BtMVV bzw. der inhaltsgleichen Vorgängerregelung folgend betrug die Anzahl der zunächst verschriebenen Tagesdosen maximal sieben Tage. Die Patientin verteilte den Konsum der jeweiligen Tagesdosen aber nicht über die entsprechende Anzahl von Tagen, sondern konsumierte die verordnete Gesamtmenge vorzeitig. Der Angeklagte verschrieb in Kenntnis dessen dennoch vor Ablauf der von ihm durch die Anzahl der verordneten Einzeldosen vorgesehenen Dauer der Einnahme des Substitutionsmittels weitere Einzeldosen. So hatte der Angeklagte etwa im Fall 20 der Patientin am 14. März 2009 sieben Einzeldosen (Tagesdosen) sowie eine weitere Einzeldosis verschrieben. Bereits am 17. März 2009 erfolgte jedoch die Verschreibung weiterer drei Einzeldosen (Fall 21), weil die Patientin die aus der vorhergehenden Verschreibung stammenden Dosen vorzeitig vollständig konsumiert hatte. In sämtlichen weiteren die Patientin H. betreffenden Fällen hat das Tatgericht entsprechende Feststellungen im Hinblick auf die Verschreibungen durch den Angeklagten getroffen.
49
Diese von ihm über einen Zeitraum von rund 1 ½ Jahren – auch bei den Verordnungen im Jahr 2008 hatte es außer dem Fehlen von Drogentests (Fälle 1 bis 13) bereits den vorstehend beschriebenen Mehrverbrauch gegeben – praktizierte Durchführung der Substitutionstherapie verstößt in schwerwiegender Weise gegen die Vorgaben der Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung. Die Behandlung durch den Angeklagten erweist sich deshalb als insgesamt unsorgfältig (vgl. insoweit Patzak in Körner/Patzak/Volkmer, aaO, § 29 Teil 15 Rn. 41 aE). Die Anwendung der verschriebenen Betäubungsmittel bei der Patientin war deshalb nicht im Sinne von § 13 Abs. 1 BtMG begründet.
50
Die Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung gestattet eine Verschreibung von Betäubungsmitteln unter den Voraussetzungen von § 13 Abs. 1 BtMG lediglich dann, wenn dem behandelnden Arzt aufgrund seiner Untersuchungen und Erhebungen keine Erkenntnisse über einen nicht bestimmungsgemäßen Gebrauch der verschriebenen Substitutionsmittel vorliegen (§ 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Buchst. d BtMVV sowie entsprechend die Vorgängerregelungen ). Um einen nicht bestimmungsgemäßen Gebrauch möglichst auszuschließen , sieht § 5 Abs. 5 bis 7 BtMVV als Regelfall der Substitutionsbehandlung die Überlassung des Substitutionsmittels an den Patienten zum unmittelbaren Verbrauch vor (§ 5 Abs. 6 Satz 1 BtMVV). Dabei hat die Überlassung zum unmittelbaren Verbrauch in durch § 5 Abs. 7 Satz 1 BtMVV näher beschriebenen geeigneten Einrichtungen zu erfolgen. Der durch die Verordnungsgeber vorgesehene Regelfall der Substitutionsbehandlung ist damit die Einnahme des entsprechenden Mittels durch den Patienten unter kontrollierten Bedingungen, die eine missbräuchliche Verwendung durch diesen ausschließen.
51
Bei dem von dem Angeklagten angewendeten Take-Home-Verfahren gemäß § 5 Abs. 8 BtMVV handelt es sich um eine Ausnahme der Durchführung der Substitutionsbehandlung. Sie darf lediglich auf Substitutionspatienten angewendet werden, deren Zustand eine eigenverantwortliche, nicht mehr kontrollierte Einnahme (vgl. § 5 Abs. 6 und 7 BtMVV) gestattet. § 5 Abs. 8 Satz 1 BtMVV stellt ausdrücklich auf Patienten ab, bei denen der Verlauf der Behandlung eine eigenverantwortliche Einnahme gestattet. § 5 Abs. 8 Satz 4 BtMVV setzt zudem eine Stabilisierung des Zustands des Patienten voraus; § 5 Abs. 8 Satz 5 Nr. 2 BtMVV lässt die Anwendung des Take-Home-Verfahrens nicht zu, wenn dieser unter Berücksichtigung einer Toleranzentwicklung noch nicht auf eine stabile Dosis eingestellt worden ist. Bei der Anwendung der vorgenannten Vorgaben ist zudem das in den hier fraglichen Fällen allein relevante Ziel der Substitutionsbehandlung des Opiatabhängigen, die schrittweise Wiederherstellung der Betäubungsmittelabstinenz einschließlich der Besserung und Stabilisierung seines Gesundheitszustandes, zu berücksichtigen (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 BtMVV).

52
Vor dem Hintergrund des Ausnahmecharakters des Take-HomeVerfahrens sowie des genannten Ziels der Substitutionsbehandlung lagen auch unter Beachtung eines dem Angeklagten zustehenden Beurteilungsspielraums über den Behandlungsverlauf (vgl. § 5 Abs. 8 Satz 6 BtMVV) der Patientin H. die Voraussetzungen für Take-Home-Verordnungen nicht vor. Die Patientin war, wie sich aus ihrem durchgängig vorzeitigen Verbrauch der für einen längeren Zeitraum vom Angeklagten vorgesehenen Substitutionsmittel ergibt, gerade nicht zu deren eigenverantwortlicher Einnahme in der Lage. Sie war auch nicht auf eine stabile Dosis eingestellt. Denn es erfolgte aufgrund des Verschreibungsverhaltens des Angeklagten stets eine Verordnung von Substitutionsmitteln und dadurch bedingt deren Konsum in einem Umfang pro Zeiteinheit , der deutlich über den Umfang hinausging, den er an sich vorgesehen hatte. Die Behandlung der Patientin war im gesamten verfahrensgegenständlichen Zeitraum durch eine permanente Überschreitung der vom Angeklagten zunächst verschriebenen Einzeldosen pro Zeiteinheit gekennzeichnet. Eine Ausrichtung der Therapie auf das Behandlungsziel ist so nicht zu erkennen. Insgesamt stand die Durchführung der Substitutionstherapie damit nicht in Einklang mit den gesetzlichen und durch die Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung konkretisierten Voraussetzungen der Substitutionsbehandlung.
53
(3) Da dem Angeklagten die tatsächlichen Umstände bekannt waren, aus denen sich die Nichteinhaltung der Vorschriften über diese Behandlung ableitet (vgl. Patzak in Körner/Patzak/Volkmer, aaO, § 29 Teil 15 Rn. 47), hat das Tatgericht zu Recht vorsätzliches Handeln angenommen. Das Vorbringen der Revision , der Angeklagte habe auf der Grundlage der Richtlinien der Bundesärztekammer in der Fassung vom 22. März 2002 (in Kraft bis zur Neufassung durch die Richtlinien vom 19. Februar 2010) davon ausgehen dürfen, über die Anwendung des Take-Home-Verfahrens entscheide ausschließlich der behandelnde Arzt, schließt den Tatbestandsvorsatz nicht aus. Maßgeblich sind die im Gesetz und der Verordnung normierten Voraussetzungen der Substitutionsbehandlung. Die Vorstellung, in Einklang mit den Richtlinien der Bundesärztekammer gehandelt zu haben, steht der Kenntnis der den Gesetzesverstoß begründenden Umstände gerade nicht entgegen.
54
bb) Fälle 39 bis 43 (Patient He. – B.II. der Urteilsgründe)
55
Die Substitutionsbehandlung des Patienten He. in den noch verfahrensgegenständlichen Fällen erfolgte – auch unter Berücksichtigung der nicht angefochtenen Fälle 36 bis 38 – ohne Vorliegen der Voraussetzungen des Take-Home-Verfahrens. Sie stellt sich insgesamt als unbegründete Anwendung von Betäubungsmitteln im Sinne von § 13 Abs. 1 BtMG dar.
56
In den Fällen 39 sowie 41 bis 43 hat das Landgericht die Strafbarkeit des Angeklagten zutreffend auf mangelnde Zuverlässigkeit (siehe B.II.2.b.aa.) des Patienten gestützt und diese mit den Ergebnissen durchgeführter Drogentests begründet. Diese hatten entweder ein auf Methadon negatives oder auf Beikonsum von THC bzw. auch Benzodiazepinen positives Ergebnis erbracht. Zwar führt nicht jeder Beikonsum von verbotenen Betäubungsmitteln während der Substitutionsbehandlung zu einer unbegründeten Anwendung und damit zu einem gemäß § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 Buchst. a i.V.m. § 13 Abs. 1 BtMG strafbaren Verhalten des Arztes. Im Hinblick auf den ihm zustehenden Beurteilungsspielraum über die Therapie und deren Verlauf darf dieser trotz Beikonsums die Substitutionsbehandlung (weiter) durchführen, wenn noch berechtigte Aussichten darauf bestehen, den zusätzlichen Konsum von Betäubungsmitteln zu be- herrschen, indem dieser zunächst eingeschränkt und schließlich abgestellt wird (Patzak in Körner/Patzak/Volkmer, aaO, § 29 Teil 15 Rn. 21).
57
Eine solche (normativ) berechtigte Erwartung bestand vorliegend jedoch nicht. Nach den Feststellungen des Tatrichters hatten die Drogentests innerhalb eines Zeitraums von wenigen Monaten die Einnahme verschiedener Betäubungsmittel belegt (Nachweis von THC sowie von Benzodiazepinen). Maßnahmen zur Eindämmung des Konsums sind nicht ersichtlich. Der Patient war zudem auch im Hinblick auf die Einnahme des Substitutionsmittels selbst unzuverlässig. Dies war dem Angeklagten aufgrund eines negativen Testergebnisses auf Methadon bekannt.
58
In der Gesamtschau der für die Bewertung der Therapievoraussetzungen maßgeblichen Umstände ergab sich selbst unter Berücksichtigung einer Einschätzungsprärogative zugunsten des Angeklagten eindeutig nicht die von § 5 Abs. 8 BtMVV verlangte Zuverlässigkeit und Stabilität des Patienten. Die Substitutionsbehandlung im Take-Home-Verfahren hätte daher nicht weiter durchgeführt werden dürfen. Dementsprechend verstieß auch die Verschreibung im Fall 41, bei der zusätzlich noch Mehrverbrauch vorlag, gegen die Vorgaben der Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung. Aus den dargelegten Gründen war die Substitutionsbehandlung damit nicht im Sinne von § 13 Abs. 1 BtMVV begründet.
59
Die für die Beurteilung der Voraussetzungen der Therapie im Wege des Take-Home-Verfahrens maßgeblichen tatsächlichen Umstände waren dem Angeklagten voll umfänglich bekannt. Daraus und aus den tatsächlichen Verhältnissen selbst hat das Landgericht rechtsfehlerfrei auf eine vorsätzliche Verwirklichung von § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 Buchst. a BtMG geschlossen.

60
cc) Fälle 44 bis 65 (Patient U. – B.III. der Urteilsgründe)
61
Bei den 22 für den Patienten U. zwischen Anfang März und Ende Dezember 2009 erfolgten Verschreibungen von L-Polamidon (Levomethadon ) handelt es sich jeweils um unbegründete Anwendungen von Betäubungsmitteln. Aus den Ergebnissen im Februar, März und Juni 2009 durchgeführter Drogentests wusste der Angeklagte um den Beikonsum des Patienten, teils von THC-haltigen Betäubungsmitteln, teils von Benzodiazepinen. Angesichts der Dauer des nachgewiesenen Beikonsums sowie des Wechsels zwischen verschiedenen zusätzlich eingenommenen Rauschmitteln bestand keine berechtigte Erwartung auf eine Beherrschbarkeit des Beikonsums. Zudem lag bei U. nach den Feststellungen (Tabelle UA S. 12) spätestens ab dem 13. Juli 2009 (Fall 51) ein permanenter Mehrverbrauch (dazu B.II.2.b.aa.) vor. Dies war dem Angeklagten bekannt. Der Patient war daher insgesamt eindeutig nicht für die Substitutionstherapie im Rahmen des Take-Home-Verfahrens geeignet.
62
Angesichts dessen kann offenbleiben, ob bei dem Patienten bei der bereits seit mehr als 20 Jahre andauernden Substitutionstherapie überhaupt noch ein zulässiges Therapieziel (vgl. § 5 Abs. 1 BtMVV) verfolgt werden konnte.
63
dd) Fälle 72 bis 77, 79 bis 84, 87 bis 101, 103 bis 107, 113, 114, 116, 118 und 119 (Patient K. – B.IV. der Urteilsgründe)
64
Nach den unter B.II.2.b.aa. dargestellten Maßstäben hat das Tatgericht in sämtlichen den später verstorbenen Patienten K. betreffenden, noch verfahrensgegenständlichen Fällen die Voraussetzungen des § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 Buchst. a BtMG rechtsfehlerfrei angenommen. Es fehlte sämtlich an den für eine begründete Anwendung gemäß § 13 Abs. 1 BtMG erforderlichen Vo- raussetzungen einer Substitutionstherapie im Take-Home-Verfahren. Es mangelte jeweils an der erforderlichen Sorgfalt der Substitutionsbehandlung und an der notwendigen Zuverlässigkeit des Patienten, derer es bedarf, um eine Einnahme des Substitutionsmittels außerhalb der in § 5 Abs. 5 bis 7 BtMVV genannten Rahmenbedingungen zu gestatten.
65
(1) In den Fällen 87 bis 89 sowie 103 und 106 erfolgten Verschreibungen , obwohl zuvor durchgeführte Drogentests jeweils ein negatives Ergebnis auf Methadon erbracht hatten. Dem Angeklagten war damit eine nicht bestimmungsgemäße , nämlich unterbliebene Verwendung des verschriebenen Substitutionsmittels bekannt. Dem kommt bei der Beurteilung einer begründeten Anwendung von Betäubungsmitteln im Rahmen der Substitutionstherapie erhebliche Bedeutung zu. § 13 BtMG bezweckt wie die Regelungen der Betäubungsmittel -Verschreibungsverordnung, die Sicherheit und Kontrolle des legalen Betäubungsmittelverkehrs zu gewährleisten (Patzak in Körner/Patzak/Volkmer, aaO, § 13 Rn. 2). Es soll gerade verhindert werden, dass außerhalb der therapeutischen Anwendung verbotene Betäubungsmittel aufgrund ärztlicher Verschreibungen auf den illegalen Markt gelangen, indem Substitutionspatienten die ihnen verschriebenen Medikamente nicht einnehmen, sondern in Verkehr bringen. Unter anderem um dieser Gefahr zu begegnen, sieht § 5 Abs. 5 bis 7 BtMVV für die Substitutionstherapie – wie dargelegt – grundsätzlich lediglich die Überlassung des Substitutionsmittels zum unmittelbaren kontrollierten Verbrauch vor. Die Verschreibung eines Rezepts im Take-Home-Verfahren, bei der die Einnahme des verordneten Mittels gerade ohne (weitere) Kontrolle erfolgt, setzt deshalb gemäß § 5 Abs. 8 BtMVV die Zuverlässigkeit des Patienten voraus. Unterbleibt die Einnahme, fehlt es an dieser Zuverlässigkeit und es droht gerade die Realisierung der Gefahr eines In-den-Markt-Gelangens außerhalb der Therapie unerlaubter Mittel. Setzt der Arzt trotz Kenntnis der Nichtein- nahme des Mittels durch den Patienten über einen gewissen Zeitraum das Take-Home-Verfahren fort, ist die Anwendung nicht mehr begründet.
66
(2) In weiteren Fällen (90 und 116 – sowie in den vom Rechtsmittelangriff ausgenommen) resultiert die unbegründete Anwendung aus dem Unterbleiben erforderlicher regelmäßiger Drogentests oder auf durch Tests nachgewiesenem und wegen der festgestellten Umstände nicht mehr beherrschbarem Beikonsum (Fälle 79 bis 84 sowie 107 und 114). Im Übrigen hat das Landgericht die Strafbarkeitsvoraussetzungen zutreffend auf den langandauernden, dem Angeklagten bekannten Mehrverbrauch (B.II.2.b.aa.) des Patienten gestützt.

III.

67
Soweit sich die Revision gegen die Strafzumessung des Tatgerichts wendet, hat das Rechtsmittel aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 1. Oktober 2013 dargelegten Gründen (dort Ziffer II.2.) keinen Erfolg.
68
Die Anordnung des auf die ärztliche Tätigkeit der Substitution drogenabhängiger Patienten beschränkten und auf fünf Jahre befristeten Berufsverbots (§ 70 Abs. 1 StGB) ist rechtsfehlerfrei.

C.

69
Die Revision der Staatsanwaltschaft bleibt ebenfalls ohne Erfolg.
70
Das Landgericht hat auf der Grundlage der von ihm rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zu Recht die Voraussetzungen einer Strafbarkeit des Angeklagten aus einem Tötungsdelikt wegen der Verschreibung von Methadon in den Fällen 121 bis 125 und des durch eine Überdosis Methadon eingetretenen Todes seines Patienten K. verneint. Es hat dabei zutreffend zwischen einer strafbaren täterschaftlichen Begehung eines Tötungsdelikts und einer straflosen Beteiligung an einer Selbstgefährdung bzw. Selbstverletzung des zu Tode gekommenen Rechtsgutsinhabers abgegrenzt.

I.

71
1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs unterfällt eine eigenverantwortlich gewollte und verwirklichte Selbstgefährdung grundsätzlich nicht den Tatbeständen eines Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts, wenn sich das mit der Gefährdung vom Opfer bewusst eingegangene Risiko realisiert. Wer eine solche Gefährdung veranlasst, ermöglicht oder fördert, kann daher nicht wegen eines Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts verurteilt werden ; denn er nimmt an einem Geschehen teil, welches – soweit es um die Strafbarkeit wegen Tötung oder Körperverletzung geht – kein tatbestandsmäßiger und damit kein strafbarer Vorgang ist (BGH, Urteile vom 14. Februar1984 – 1StR 808/83, BGHSt 32, 262, 264 f.; vom 7. August 1984 – 1 StR 200/84, NStZ 1985, 25, 26; vom 11. April 2000 – 1 StR 638/99, NStZ 2001, 205; vom 7. Februar 2001 – 5 StR 474/00, BGHSt 46, 279, 288 f.; vom 29. April 2009 – 1StR 518/08, BGHSt 53, 288, 290 Rn. 5; BGH, Beschluss vom 11. Januar 2011 – 5 StR 491/10, NStZ 2011, 341, 342). Diese Grundsätze gelten sowohl für die vorsätzliche als auch die fahrlässige Veranlassung, Ermöglichung oder Förderung einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung oder Selbstverletzung (einschließlich der Selbsttötung; vgl. BGH, Urteil vom 14. Februar 1984 – 1 StR 808/83, BGHSt 32, 262, 264 f.).

72
2. Maßgebend ist damit die Eigen- bzw. Freiverantwortlichkeit des Entschlusses des Rechtsgutsinhabers, sein Leben oder seine körperliche Unversehrtheit selbst zu gefährden oder zu verletzen. Fehlt es daran, kann sich der an dem entsprechenden Geschehen Beteiligende als Täter eines fahrlässigen oder vorsätzlichen Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts strafbar machen.
73
In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist bereits über Konstellationen entschieden worden, in denen es an der Eigenverantwortlichkeit des sich selbst gefährdenden oder verletzenden Rechtsgutsinhabers fehlt und deshalb eine zur Täterschaft des sich Beteiligenden führende – normativ zu bestimmende – Handlungsherrschaft gegeben ist. Dies ist dann der Fall, wenn der sich beteiligende Dritte kraft überlegenen Fachwissens das Risiko besser erfasst als der sich selbst Gefährdende oder Verletzende (siehe BGH, Urteile vom 9. November 1984 – 2 StR 257/84, NStZ 1985, 319, 320; vom 11. April 2000 – 1 StR 638/99, NStZ 2001, 205; vom 29. April 2009 – 1 StR 518/08, BGHSt 53, 288, 290; BGH, Beschluss vom 11. Januar 2011 – 5 StR 491/10, NStZ 2011, 341, 342). Ein solches überlegenes Wissen kommt vor allem bei einem Irrtum des sich Gefährdenden in Betracht (BGH aaO NStZ 2011, 341, 342); wobei es sich lediglich um für die Entscheidung zur Gefährdung oder Verletzung des Rechtsguts bedeutsame Irrtümer handeln kann. Darüber hinaus hat der Bundesgerichtshof die Eigenverantwortlichkeit ausgeschlossen, wenn der sich Gefährdende oder Verletzende infolge einer Intoxikation bzw. Intoxikationspsychose nicht (mehr) zu einer hinreichenden Risikobeurteilung und -abwägung in der Lage ist (vgl. BGH, Urteile vom 27. November 1985 – 3 StR 426/85, NStZ 1986, 266, 267; vom 29. April 2009 – 1 StR 518/08, BGHSt 53, 288, 290 Rn. 7; BGH, Beschluss vom 11. Januar 2011 – 5 StR 491/10, NStZ 2011, 341, 342).

II.

74
Unter Anwendung dieser Grundsätze hat das Landgericht eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen eines Tötungsdelikts zu Lasten seines Patienten Karlin ohne Rechtsfehler verneint.
75
1. In tatsächlicher Hinsicht hat der später zu Tode gekommene K. durch die intravenöse Einnahme von drei Fläschchen Methadon eine selbstschädigende Handlung vorgenommen. Das Landgericht ist daher im rechtlichen Ausgangspunkt zutreffend davon ausgegangen, zu einem strafbaren Verhalten des Angeklagten durch die Verschreibung von Methadon lediglich bei fehlender Eigenverantwortlichkeit K. s bei der Vornahme der Injektion gelangen zu können.
76
2. Fehlende Eigenverantwortlichkeit lässt sich angesichts der Feststellungen des Tatgerichts jedoch unter keinem der vorstehend genannten Gesichtspunkte annehmen.
77
a) Ein zur täterschaftlichen Begehung eines Tötungsdelikts durch den Angeklagten führendes, gegenüber K. überlegenes Sachwissen liegt nicht vor.
78
Das Landgericht hat insoweit festgestellt, dass der Patient bereits seit mehreren Jahren die ihm verschriebenen Substitutionsmittel nicht wie vorgesehen oral, sondern intravenös über die Beinvenen einnahm. Er war daher gerade bei dieser Anwendungsform erfahren (UA S. 22). Ihm waren die Risiken dieser Anwendungsform sowie diejenigen einer Überdosierung bekannt.
79
Diese Feststellungen konnte das Landgericht ohne revisiblen Rechtsfehler auf die als detailliert und glaubhaft bewerteten Aussagen der Ehefrau K. s stützen. Lücken oder Widersprüche in der Beweiswürdigung liegen nicht vor. Aus dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen und der ihnen zugrunde liegenden Beweiswürdigung lässt sich ableiten, dass dem Patienten auch das Risiko bekannt gewesen ist, durch eine zu hohe Dosis Methadon, insbesondere bei intravenöser Einnahme, sterben zu können.
80
Ob er Kenntnis über eventuell in der medizinischen Wissenschaft vorhandene Erkenntnisse hinsichtlich erfahrungsgemäß zum Tod führender Dosen von Methadon oder Levomethadon hatte, ist zwar nicht festgestellt. Darauf kommt es aber für die Eigenverantwortlichkeit der Entscheidung zur Einnahme von drei Fläschchen Methadon auch nicht an. Maßgebend ist, ob der sich selbst Gefährdende bzw. Verletzende das rechtsgutsbezogene Risiko seines Verhaltens zutreffend eingeschätzt hat. Dafür bedarf es – jedenfalls bei den sonstigen festgestellten Umständen des Einzelfalls – nicht der exakten medizinischen Wirkzusammenhänge zwischen der Einnahme eines bei Überdosierung als lebensgefährlich bekannten Mittels und den Auswirkungen auf das eigene Leben und die eigene körperliche Unversehrtheit.
81
Dementsprechend hat der Bundesgerichtshof auch bereits entschieden, dass es der Eigenverantwortlichkeit nicht entgegensteht, wenn die sich selbst gefährdende Person bei grundsätzlich vorhandener Kenntnis über die Risiken der Einnahme von ihnen bekannten Stoffen nicht über sämtliche vorhandenen Risiken aufgeklärt war (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Januar 2011 – 5 StR 491/10, NStZ 2011, 341, 342).
82
Auch wenn der Angeklagte genauere Erkenntnisse über die – falls medizinisch überhaupt generell benennbar – regelmäßig tödliche Dosis bei der Ein- nahme von Methadon oder Levomethadon als sein Patient K. gehabt haben sollte, stünde dies der Eigenverantwortlichkeit K. s bei der Einnahme der zu seinem Tod führenden Dosis Methadon nicht entgegen. Das Tatgericht war daher nicht gehalten, weitergehende Feststellungen darüber zu treffen.
83
b) Die Feststellungen ergeben auch keine aufgrund der allgemein bestehenden Opiatabhängigkeit oder den Folgen des der übermäßigen Methadoneinnahme vorausgehenden Strafvollzuges eingetretene Einschränkung der Fähigkeit des Patienten K. , eigenverantwortlich das Risiko seines selbstgefährdenden Verhaltens einzuschätzen und abzuwägen. K. stand bei der Einnahme des zum Tode führenden Methadons nicht unter dem Einfluss von Alkohol oder von unerlaubten Betäubungsmitteln (UA S. 21).
84
c) Ob eine relevante Einschränkung der Fähigkeit zu freiverantwortlicher Entscheidung über die Vornahme als risikoreich erkannten selbstgefährdenden Verhaltens bei Vorliegen von akuten körperlichen Entzugserscheinungen oder bei Angst vor solchen aufgrund früher erlebter Wirkungen des Entzugs (vgl. dazu für den Fall der Einschränkung der Schuldfähigkeit bei Straftatbegehung durch Abhängige BGH, Urteil vom 2. November 2005 – 2 StR 389/05, NStZ 2006, 151, 152) eintreten kann, bedarf vorliegend keiner Entscheidung. Solche Umstände hat das Tatgericht nicht festgestellt. Die getroffenen Feststellungen erlauben auch keinen tragfähigen Rückschluss auf einen derartigen Zustand des Patienten nach seiner Entlassung aus der Justizvollzugsanstalt am 29. August 2011. Die planmäßige Beschaffung eines größeren Vorrats des Substitutionsmittels unter Einschaltung seiner Ehefrau lässt unter Berücksichtigung der sonstigen Feststellungen keinen Schluss auf eine durch Suchtdruck – in dem vorgenannten Sinne – hervorgerufene Einschränkung der Fähigkeit zu eigenverantwortlichem Handeln im Umgang mit den verschriebenen Substitutionsmitteln zu. Ausweislich der mitgeteilten Ergebnisse der durchgeführten Dro- gentests hatte K. auch bereits früher über längere Zeiten hinweg das Substitutionsmittel gerade nicht eingenommen. Der festgestellte Umfang des durch Tests nachgewiesenen (Bei)Konsums verbotener Betäubungsmittel trägt zwar die Bewertung, der Patient sei unzuverlässig und daher nicht für das TakeHome -Verfahren geeignet. Anhaltspunkte dahingehend, dass der Patient die Kontrolle über sich und damit die Fähigkeit zu freiverantwortlicher, risikoabwägender Entscheidung verlieren werde, lassen sich dem jedoch nicht entnehmen.
85
Soweit die Staatsanwaltschaft nähere Feststellungen über das Vorhandensein von erheblichen Entzugserscheinungen bei dem Patienten K. nach dem Ende des Strafvollzuges im August 2011 vermisst, hätte es der Erhebung einer entsprechenden Aufklärungsrüge bedurft.
86
d) Die getroffenen Feststellungen schließen auch eine sukzessive Einnahme der drei Fläschchen Methadon, bei der nach der ersten Einnahme die Eigenverantwortlichkeit durch die Wirkungen des Mittels beeinträchtigt gewesen sein könnte, aus.
87
3. Soweit dem Urteil des Senats vom 18. Juli 1978 (1 StR 209/78, JR 1979, 429) über die Besonderheiten des dortigen konkreten Falles hinaus allgemein die Rechtsauffassung entnommen werden könnte, die aus der Behandlung eines opiatabhängigen Patienten resultierende Garantenpflicht des behan- delnden Substitutionsarztes begründe eine „besondere Sorgfaltspflicht“ des Arztes, Schaden von seinem Patienten abzuwenden, und führe – unabhängig von der Freiverantwortlichkeit des Patienten – stets zu einer Täterschaft begründenden Herrschaft des Arztes über das selbstschädigende Verhalten des Patienten, wäre daran nicht festzuhalten.

III.

88
Angesichts der fehlenden Zurechenbarkeit des Todes des Patienten K. zum Verhalten des Angeklagten war das Tatgericht unter Berücksichtigung der sonst getroffenen Feststellungen nicht gehalten, einen unbeschriebenen besonders schweren Fall gemäß § 29 Abs. 3 Satz 1 BtMG in Betracht zu ziehen. Die Strafzumessung weist auch im Übrigen keine Rechtsfehler auf. Raum Rothfuß Graf RinBGH Cirener ist erkrankt und deshalb an der Unterschriftsleistung gehindert. Raum Radtke

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 389/13
vom
16. Januar 2014
in der Strafsache
gegen
wegen Körperverletzung mit Todesfolge u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 16. Januar 2014 beschlossen
:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Augsburg vom 7. Februar 2013 mit den Feststellungen
aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine Schwurgerichtskammer
des Landgerichts München I verwiesen.

Gründe:


I.


1
Das Landgericht hat den Angeklagten, einen auf die Substitutionsbehandlung Rauschgiftsüchtiger spezialisierten Arzt, wegen zweier tatmehrheitlicher Fälle der Körperverletzung mit Todesfolge, jeweils in Tateinheit mit vorsätzlicher unerlaubter Abgabe von Betäubungsmitteln, sowie wegen weiterer 673 tatmehrheitlicher Fälle der unerlaubten Abgabe von Betäubungsmitteln zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt und zugleich ein Berufs- verbot für die Dauer von vier Jahren sowie den Verfall von Wertersatz in Höhe von 11.600 Euro angeordnet.
2
Die Revision des Angeklagten hat Erfolg.
3
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts führte der Angeklagte seit vielen Jahren Substitutionsbehandlungen bei opiat-, vor allem heroinabhängigen Patienten durch. Ihm war bekannt, dass solche Patienten häufig unter Vortäuschung schwerer Schmerzzustände versuchen, sich in den Besitz von Schmerzpflastern auf Basis des Opiats Fentanyl zu bringen, um den darin enthaltenen Wirkstoff auszukochen und ihn sich zur Befriedigung ihrer Sucht intravenös zu injizieren. Ihm war auch bekannt, dass Fentanyl stark atemdepressiv wirkt, weshalb beim Einsatz solcher Pflaster ohne strenge ärztliche Kontrolle Lebensgefahr besteht.
4
a) Seit November 2005 führte der Angeklagte bei dem heroinabhängigen Geschädigten S. eine Substitutionsbehandlung durch. Im Januar 2008 brach dieser die Behandlung unvermittelt ab. Durch die Übersendung mehrerer ihm als "Hausarzt" übersandter Arztberichte erfuhr der Angeklagte jedoch in der Folgezeit davon, dass S. im ersten Halbjahr 2010 dreimal, zuletzt am 31. Mai 2010, erfolglos wegen seiner Heroinabhängigkeit stationär behandelt worden war.
5
Am 28. September 2010 sprach S. erstmals wieder in der Praxis des Angeklagten vor. Er trug ein aufgeklebtes Fentanyl-Schmerzpflaster und bat unter Hinweis auf eine bei ihm bestehende schwere Hüftgelenksverletzung um weitere Pflaster. Obwohl der Angeklagte erkannte, dass aufgrund der fortbestehenden Abhängigkeit die Abgabe von Fentanyl zur unkontrollierten Schmerzbehandlung kontraindiziert und S. infolge der Abhängigkeit als Hochrisikopatient im Hinblick auf einen möglichen Missbrauch einzustufen war, verordnete er ihm zehn Fentanyl-Pflaster mit einem Wirkstoffgehalt von je 100 Mikrogramm Fentanyl zum Eigengebrauch und stellte ihm auch bei drei weiteren Vorstellungen am 3. November 2010, am 1. Dezember 2010 und am 10. Januar 2011 jeweils Wiederholungsrezepte in gleichem Umfang aus. Eine eingehende Untersuchung des Patienten, insbesondere eine solche auf Drogenfreiheit , nahm er vor den Verschreibungen nicht vor.
6
Am Abend des 10. Januar 2011 kochte S. gemeinsam mit den Zeugen M. , A. und H. in seiner Wohnung die vom Angeklagten rezeptierten Fentanyl-Pflaster aus und injizierte sich den Wirkstoff. Dabei verabreichte er sich, was der Angeklagte nach den Feststellungen der Strafkammer für möglich hielt und billigend in Kauf nahm, versehentlich eine Überdosis und verstarb, für den Angeklagten als spezifische Folge seiner Verschreibung vorhersehbar und vermeidbar, unmittelbar an deren Folgen.
7
b) Seit November 1999 betreute der Angeklagte den langjährig heroinabhängigen Geschädigten T. .
8
Nachdem er diesem Patienten am 28. Januar 2009 zunächst ein Hausverbot in der Praxis erteilt hatte, stellte sich T. am 7. Dezember 2009 wegen eines vorgeblichen Lendenwirbelsyndroms überraschend wieder in der Praxis des Angeklagten vor. Er trug ein Fentanyl-Pflaster und bat um weitere gleichartige Verordnungen. Der Angeklagte rezeptierte ihm, ohne ihn zu untersuchen, zehn Fentanyl-Pflaster á 75 Mikrogramm zum Eigengebrauch , überwies ihn an einen Orthopäden und erbat von dort eine Bestätigung der Erforderlichkeit der Fentanyl-Behandlung. Ohne weitere Untersuchung und ohne Rücksprache mit dem Orthopäden rezeptierte er dem Geschädigten auch am 21. Dezember 2009 fünf, am 26. April 2010 zehn und am 23. Dezember 2010 nochmals fünf Fentanyl-Pflaster mit jeweils 75 Mikrogramm Fentanyl-Wirkstoff zum Eigengebrauch.
9
Wegen des ihm bekannten, langjährigen Suchtverlaufs waren dem Angeklagten die fortbestehende Abhängigkeit des Geschädigten T. und die damit verbundene Gefahr eines Missbrauchs von Heilmitteln bewusst.
10
T. injizierte sich, wie vom Angeklagten für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen, am 26. Dezember 2010 unter nicht näher aufklärbaren Umständen den ausgekochten Fentanyl-Wirkstoff intravenös. Für den Angeklagten als Folge seines Handelns vorhersehbar und vermeidbar, verabreichte er sich dabei eine Überdosis Fentanyl und verstarb unmittelbar an deren Folgen.
11
2. Seit 1999 war der Angeklagte behandelnder Arzt des opiatabhängigen Patienten K. . Der zu 100 % schwerbehinderte, an den Rollstuhl gefesselte Patient konsumierte, was dem Angeklagten bekannt war, seit 1999 abwechselnd L-Polamidon und Methadon.
12
In den Jahren 2010, 2011 und bis zu seiner Verhaftung am 18. Januar 2012 stellte der Angeklagte dem Patienten insgesamt 599 Privatrezepte im Umfang wöchentlicher Gesamtmengen jeweils 1%igen Methadonhydrochlorids von 105 ml (488 Rezepte), 210 ml (3 Rezepte) oder 308 ml (108 Rezepte) zum Eigengebrauch aus. Für - nicht näher verifizierte - Zeiträume, in denen der Geschädigte sich "auf Reisen" befand, verordnete ihm der Angeklagte in 68 Fällen jeweils 75 Methadicct-Tabletten mit einem Wirkstoffgehalt von je 40 mg Methadonhydrochlorid.
13
Eine umfassende Untersuchung des Patienten nahm der Angeklagte dabei zu keinem Zeitpunkt vor. Die jeweiligen Verordnungsdaten innerhalb des vorgenannten Zeitraums wählte er willkürlich. Mit Ausnahme von Urlaubszeiten stellte er dem Patienten wöchentlich fünf bis sechs Rezepte zum Preis von jeweils 30 Euro aus, die K. durch Mitarbeiterinnen des Angeklagten je- weils an der Hauseingangstür der Praxis übergeben wurden. Das Methadon verkaufte K. , soweit er es nicht selbst konsumierte, an Unbekannte weiter.
14
Der Angeklagte handelte in der Absicht, sich eine Erwerbsquelle von erheblichem Umfang und Dauer zu verschaffen. Durch die Rezeptverkäufe erzielte er einen Gesamterlös vor Steuern in Höhe von 20.010 Euro.

II.


15
Die Revision des Angeklagten ist bereits mit der Sachrüge begründet; auf die erhobene Verfahrensrüge kommt es daher nicht mehr an.
16
1. Die Verurteilung des Angeklagten wegen Körperverletzung mit Todesfolge zum Nachteil des Geschädigten S. hält revisionsgerichtlicher Prüfung nicht stand.
17
Bereits die Ausführungen des Landgerichts zum objektiven Tatbestand der Körperverletzung mit Todesfolge (§ 227 StGB) begegnen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
18
a) Im Ansatz zutreffend, hat die Strafkammer geprüft, ob der Angeklagte Beteiligter der zum Tode des Geschädigten S. führenden Körperverletzung sein konnte, obwohl sich dieser das Fentanyl ohne Mitwirkung des Angeklagten eigenhändig injizierte.
19
Wer eine fremde Selbstverletzung oder -gefährdung veranlasst, macht sich nicht wegen Tötungs- oder Körperverletzungsdelikten strafbar, wenn sich das mit der Gefährdung vom Opfer bewusst eingegangene Risiko realisiert. Wer eine solche Verletzung oder Gefährdung veranlasst, ermöglicht oder fördert , kann daher nicht wegen eines Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts verurteilt werden, denn er nimmt an einem Geschehen teil, welches - soweit es um die Strafbarkeit wegen Tötung oder Körperverletzung geht - kein tatbestandsmäßiger und damit kein strafbarer Vorgang ist (BGH, Beschluss vom 11. Januar 2011 - 5 StR 491/10; Urteile vom 29. April 2009 - 1 StR 518/08, BGHSt 53, 288, 290; vom 11. Dezember 2003 - 3 StR 120/03, BGHSt 49, 34, 39; vom 14. Februar 1984 - 1 StR 808/83, BGHSt 32, 262).
20
Maßgebliches Abgrenzungskriterium zwischen strafloser Beteiligung an einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung und einer - grundsätzlich tatbestandsmäßigen - Fremdgefährdung eines anderen ist die Trennungslinie zwischen Täterschaft und Teilnahme. Entscheidend ist damit die Eigen- bzw. Freiverantwortlichkeit des Entschlusses des Rechtsgutsinhabers, sein Leben oder seine körperliche Unversehrtheit selbst zu gefährden. Eine Täterschaft des die Selbstgefährdung Fördernden kommt daher nur in Betracht, wenn er infolge eines bei dem sich selbst Gefährdenden bestehenden Mangels der Eigenverantwortlichkeit Tat- bzw. Handlungsherrschaft über das Geschehen erlangt.
21
b) Die Strafkammer hat - im Ansatz zutreffend - eine solche Handlungsherrschaft des Angeklagten wegen dessen überlegenen Wissens bejaht, aber nicht rechtsfehlerfrei begründet.
22
aa) Hierzu hat sie ausgeführt, als "erfahrener Drogenarzt" habe der Angeklagte im "Wissen um das Risiko eines Missbrauchs durch Patienten mit problematischem Drogenhintergrund" das "weitere Geschehen aus der Hand" gegeben, indem er dem Patienten "unkontrolliert Fentanyl in großen Mengen überlassen" habe. Nicht "in Rechnung" zu stellen, dass Drogenabhängige "im Entzug jede Kontrolle über sich verlieren oder ein ihnen überlassenes Suchtmittel entgegen ärztlicher Anordnung intravenös injizieren und dabei auch eine Überdosis anwenden" können, schaffe geradezu einen „Anreiz zur Selbstge- fährdung, der als täterschaftliche Schaffung einer gefahrträchtigen Lage zu werten“ sei.
23
bb) Diese Begründung hält rechtlicher Prüfung nicht stand.
24
(1) Allerdings kann nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs überlegenes Sachwissen des die Selbstgefährdung bzw. -verletzung Fördernden dessen Handlungsherrschaft begründen (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Januar 2011 - 5 StR 491/10; BGH, Urteile vom 29. April 2009 - 1 StR 518/08, BGHSt 53, 288, 290 f.; vom 11. April 2000 - 1 StR 638/99, NStZ 2001,

205).

25
Die Strafkammer hat jedoch den rechtlichen Maßstab für die Prüfung überlegenen Wissens verkannt. Denn sie hat ausschließlich an den besonderen Kenntnissen des Angeklagten Maß genommen, dabei aber den Wissensstand des Geschädigten völlig unberücksichtigt gelassen (vgl. BayObLG, Beschluss vom 11. Dezember 2001 - 5St RR 298/01). Die Beurteilung der Überlegenheit des Sachwissens setzt jedoch Feststellungen zum Wissensstand sowohl des die Selbstgefährdung Fördernden als auch des sich selbst Gefährdenden zwingend voraus (zum Prüfungsmaßstab vgl. BGH, Urteil vom 11. April 2000 - 1 StR 638/99, NStZ 2001, 205 mwN).
26
(2) Durch diesen verkürzten Maßstab hat sich die Strafkammer im Weiteren den Blick auf Umstände verstellt, die hinreichend adäquates Sachwissen auch des Geschädigten in Bezug auf das rechtsgutsbezogene Risiko seines Verhaltens nahelegten und daher der Erörterung bedurft hätten:
27
So verfügte der Geschädigte über eine lange Suchtkarriere und kannte die grundlegenden Risiken des Drogenkonsums einschließlich des Risikos einer Überdosierung (vgl. auch BGH, Urteil vom 29. April 2009 - 1 StR 518/08, BGHSt 53, 288 ff.; BayObLG, Beschlüsse vom 11. Dezember 2001 - 5St RR 298/01, vom 14. Februar 1997 - 4St RR 4/97, NStZ 1997, 341, 342, und - zu einem insoweit anders gelagerten Fall - vom 28. August 2002 - 5St RR 179/02, NJW 2003, 371). Auch hinsichtlich des von ihm konkret praktizierten FentanylMissbrauchs legten die von der Strafkammer als glaubhaft erachteten Aussagen der Zeugen M. , A. und H. es nahe, dass der Geschädigte sich der Risiken seines Handelns, insbesondere der Gefahr einer Überdosis aufgrund der Injektion, bewusst war.
28
Eines darüber hinaus gehenden Verständnisses der exakten medizinischen Wirkzusammenhänge zwischen der Einnahme des als bei Überdosierung als lebensgefährlich bekannten Opiats und den möglichen Auswirkungen auf das eigene Leben und die eigene körperliche Unversehrtheit bedurfte es demgegenüber nicht.
29
c) Auch unter dem Aspekt eines etwaigen Ausschlusses der Fähigkeit zu eigenverantwortlicher Entscheidung belegen die Ausführungen der Strafkammer keine Tatherrschaft des Angeklagten.
30
Auch hier hat die Strafkammer bereits den rechtlichen Maßstab verfehlt.
31
Ihre - für sich genommen rechtsfehlerfrei getroffene - Feststellung der Opiatabhängigkeit des Geschädigten führt nicht automatisch zum Ausschluss der Eigenverantwortlichkeit (vgl. auch BGH, Beschluss vom 9. November 2011 - 2 StR 427/11, NStZ-RR 2012, 71; Urteile vom 17. Juni 2010 - 4 StR 47/10, und vom 14. Februar 1984 - 1 StR 808/83, NStZ 1984, 410, 411 m. Anm. Roxin ; sehr weitgehend demgegenüber noch BGH, Urteil vom 18. Juli 1978 - 1 StR 209/78, JR 1979, 429; Fischer, StGB, 61. Aufl., § 21 Rn. 13 mwN; ebenso für "Erfahrungen im Umgang mit Drogen" BGH, Beschluss vom 11. Januar 2011 - 5 StR 491/10; Urteil vom 11. April 2000 - 1 StR 638/99, BGHR StGB § 222 Zurechenbarkeit 2). Ein allgemeiner Erfahrungssatz, dass Betäubungsmittelkonsumenten zu eigenverantwortlicher Entscheidung nicht fähig sind, besteht nicht (s.a. BayObLG, Beschluss vom 11. Dezember 2001 - 5St RR 298/01). Vielmehr bedarf es der Feststellung konkreter die Eigenverantwortlichkeit einschränkender Umstände, etwa einer akuten Intoxikation (vgl. BGH, Urteil vom 28. Oktober 1982 - 1 StR 501/82, NStZ 1983, 72), unter Umständen auch eines entzugsbedingten akuten Suchtdrucks, verbunden mit der Angst vor körperlichen Entzugserscheinungen (zu §§ 20, 21 StGB vgl. BGH, Urteile vom 2. November 2005 - 2 StR 389/05, NStZ 2006, 151; vom 6. Juni 1989 - 5 StR 175/89,BGHR StGB § 21 BtM-Auswirkungen 5; Beschluss vom 10. April 1990 - 4 StR 148/90, BGHR StGB § 21 BtM-Auswirkungen 7 jew. mwN) oder konsumbedingter schwerer Persönlichkeitsveränderungen, die zum Verlust der Eigenverantwortlichkeit führen können (zu §§ 20, 21 StGB vgl. BGH, Beschluss vom 9. November 2011 - 2 StR 427/11, StV 2012, 282; Urteil vom 17. Juni 2010 - 4 StR 47/10).
32
Solche Feststellungen hat die Strafkammer jedoch nicht getroffen.
33
d) Soweit dem Urteil des Senats vom 18. Juli 1978 (1 StR 209/78, JR 1979, 429) über die Besonderheiten des dortigen konkreten Falles hinaus allgemein die Rechtsauffassung entnommen werden könnte, die aus der Behandlung eines opiatabhängigen Patienten resultierende Garantenpflicht des behandelnden Substitutionsarztes begründe eine "besondere Sorgfaltspflicht" des Arztes, Schaden von seinem Patienten abzuwenden, und führe - unabhängig von der Freiverantwortlichkeit des Patienten - stets zu einer Täterschaft begründenden Herrschaft des Arztes über das selbstschädigende Verhalten des Patienten, wäre daran nicht festzuhalten.
34
2. Aus denselben Gründen hält auch die Verurteilung des Angeklagten wegen Körperverletzung mit Todesfolge zum Nachteil des GeschädigtenT. revisionsgerichtlicher Überprüfung nicht stand.
35
3. Schließlich begegnet auch die Verurteilung des Angeklagten wegen unerlaubten Verschreibens von Betäubungsmitteln in den auf den Tatkomplex K. entfallenden 667 Fällen durchgreifenden Bedenken.
36
a) Die Annahme der Strafkammer, ungeachtet der - wie festgestellt - gemeinsamen Ausstellung mehrerer Rezepte liege hinsichtlich jedes einzelnen Rezepts eine gesonderte Straftat vor, ist rechtsfehlerhaft.
37
Aus dem Umstand, dass der Angeklagte jedes der ihm vorgelegten Rezepte überprüfte, ehe er es unterzeichnete, ergibt sich kein gesonderter Tatentschluss. Der Angeklagte handelte vielmehr ersichtlich mit der Absicht, alle ihm vorgelegten Rezepte, sofern diese formal ordnungsgemäß ausgestellt waren, innerhalb eines einheitlichen Prüfungsvorganges zu unterzeichnen, damit sie dem Patienten gemeinsam übergeben werden konnten.
38
b) Eine abschließende Beurteilung der Anzahl der Einzeltaten ist dem Senat nicht möglich, weil das Urteil insoweit keine widerspruchsfreien Feststellungen enthält.
39
Die Strafkammer legt als Tatzeitraum den Zeitraum vom 1. Januar 2010 bis zur Verhaftung des Angeklagten am 18. Januar 2012, also "ca. 107 Kalenderwochen" zugrunde. Sie führt hierzu jedoch aus, K. habe die Rezep- te lediglich "in der Regel", nämlich außerhalb von "Urlaubszeiten", wöchentlich abgeholt. Diese "Urlaubszeiten" - bei denen unklar bleibt, ob damit die "Reisezeiten" des Patienten gemeint sind - sind jedoch nicht näher verifiziert; es liegt nahe, dass sich die Anzahl der Rezeptübergaben unter Anrechnung dieser Zeiten verringert.

III.


40
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
41
1. Die in Fällen eigenverantwortlicher Selbstverletzung oder -gefährdung für eine Täterschaft wegen vorsätzlicher Körperverletzung aufgestellten Maßstäbe gelten entsprechend, sofern eine Bestrafung des die Selbstgefährdung Fördernden nur wegen fahrlässiger Körperverletzung bzw. Tötung in Betracht kommt. Daher bedarf es auch insoweit einer Handlungsherrschaft aufgrund überlegenen Sachwissens oder aufgrund erkennbarer Mängel der Fähigkeit zur eigenverantwortlichen Entscheidung bei dem sich selbst Gefährdenden (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Januar 2011 - 5 StR 491/10; Urteile vom 29. April 2009 - 1 StR 518/08, BGHSt 53, 288, 290; vom 11. Dezember 2003 - 3 StR 120/03, BGHSt 49, 34, 39; vom 14. Februar 1984 - 1 StR 808/83, BGHSt 32,

262).

42
2. Für den Fall, dass sich in einer neuen Hauptverhandlung hinreichende Feststellungen zur Annahme von Tat- bzw. Handlungsherrschaft des Angeklagten ergeben, wird der neue Tatrichter auch die subjektive Tatseite erneut eingehend zu prüfen haben:
43
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Abgrenzung von bedingtem Vorsatz und bewusster Fahrlässigkeit handelt der Täter vorsätzlich, wenn er den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt und damit in der Weise einverstanden ist, dass er die Tatbestandsverwirklichung billigend in Kauf nimmt oder sich um des erstrebten Zieles willen wenigstens mit ihr abfindet, mag ihm auch der Erfolgseintritt an sich unerwünscht sein; bewusste Fahrlässigkeit liegt hingegen dann vor, wenn der Täter mit der als möglich erkannten Tatbestandsverwirklichung nicht einverstanden ist und ernsthaft - nicht nur vage - darauf vertraut, der tatbestandliche Erfolg werde nicht eintreten (BGH, Urteil vom 4. November 1988 - 1 StR 262/88, BGHSt 36, 1, 9 f.).
44
Da beide Schuldformen im Grenzbereich eng beieinander liegen, müssen bei der Annahme bedingten Vorsatzes beide Elemente der inneren Tatseite , also sowohl das Wissenselement als auch das Willenselement, in jedem Einzelfall besonders geprüft und durch tatsächliche Feststellungen belegt werden (BGH aaO, vgl. auch Urteil vom 7. Juli 2011 - 5 StR 561/10, BGHSt 56, 277 ff.). Insbesondere die Würdigung zum voluntativen Vorsatzelement, also zur billigenden Inkaufnahme des Erfolges, muss sich mit den Feststellungen des Urteils zur Persönlichkeit des Täters auseinandersetzen und auch die zum Tatgeschehen bedeutsamen Umstände mit in Betracht ziehen (vergleiche BGH, Urteil vom 4. November 1988 - 1 StR 262/88, BGHSt 36, 1, 10, und vom 25. November 1987 - 3 StR 449/87, NStZ 1988, 175). Der Tatrichter darf nicht ohne Weiteres aus der Erkenntnisfähigkeit eines Täters oder seiner vorhandenen Erkenntnis auf die billigende Inkaufnahme des Erfolgs schließen (vgl. BGH, Urteil vom 25. November 1987 - 3 StR 449/87, NStZ 1988, 175).
45
Bei der Körperverletzung im Arzt-Patienten-Verhältnis ist zu berücksichtigen , dass die Annahme, die Art und Weise der Behandlung eines Patienten durch einen Arzt sei nicht am Wohl des Patienten orientiert, auch bei medizinisch grob fehlerhaftem Verhalten des Arztes häufig fernliegt (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2003 - 1 StR 269/02, NStZ 2004, 35 f.). Selbst erhebliche Sorgfaltspflichtverstöße schließen eine Verurteilung wegen nur fahrlässiger Tat nicht von vornherein aus (vgl. auch BayObLG, Beschluss vom 28. August 2002 - 5St RR 179/02, NJW 2003, 371, 372).
Raum Wahl Graf Jäger Cirener

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 168/10
vom
7. Oktober 2010
in der Strafsache
gegen
wegen Tötung auf Verlangen
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom
30. September 2010 in der Sitzung am 7. Oktober 2010, an denen teilgenommen
haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
Richter am Bundesgerichtshof
von Lienen,
Richterin am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible,
die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Schäfer,
Mayer
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt - in der Verhandlung -
als Verteidiger,
Rechtsanwalt - in der Verhandlung -
als Vertreter der Nebenklägerin,
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Nebenklägerin wird das Urteil des Landgerichts Verden vom 13. November 2009 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine Strafkammer des Landgerichts Stade zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Tötung auf Verlangen (§ 216 StGB) zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision der Nebenklägerin , die einen Schuldspruch wegen Mordes erstrebt. Nach ihrer Auffassung ist das Landgericht zu Unrecht zu der Annahme gelangt, dass der Angeklagte durch ein ausdrückliches und ernsthaftes Verlangen des Tatopfers zu dessen Tötung bestimmt wurde. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
2
1. Nach den Feststellungen war der zur Tatzeit 74 Jahre alte Angeklagte mit dem späteren Tatopfer, der 53 Jahre alt gewordenen B. , seit 1986 in vierter Ehe verheiratet. Frau B. litt seit mehreren Jahren an einem Myom, das auf eine Masse von 1.885 Gramm herangewachsen war, fast die gesamte Bauchhöhle ausfüllte und infolge seiner Verhärtung von außen unter der Bauchdecke ertastbar war. Es verursachte zumindest unbestimmte Unterleibsschmerzen sowie Verdauungsstörungen und Harndrang. Frau B. hatte die Tumorerkrankung erkannt, verheimlichte sie aber vor ihrem persönlichen Umfeld; auch dem Angeklagten offenbarte sie erst wenige Tage vor der Tat, dass sie an Unterleibsschmerzen leide, ohne auf Nachfragen weiter einzugehen. Ob sie sich in ärztliche Behandlung begeben hatte, konnte das Landgericht nicht feststellen.
3
Da sie Handwerker erwarteten, standen die Eheleute am 3. Juni 2009 früh auf. Zwischen ihnen entwickelte sich ein Gespräch, in dem Frau B. dem Angeklagten eröffnete, sie leide an einem bösartigen Unterleibsgeschwür, habe starke Schmerzen, die sie nicht mehr ertragen könne, und fühle sich körperlich am Ende. Sie hatte "zu diesem Zeitpunkt" ihren Lebensmut verloren und wollte sterben. Deshalb äußerte sie "ernsthaft und eindeutig" den Wunsch, aus dem Leben zu scheiden. Sie bat den Angeklagten sie zu erschießen. Zwischen den Eheleuten "entspann sich daraufhin eine längere Diskussion", in deren Verlauf der Angeklagte sich schließlich bereiterklärte, Frau B. "ihrem dringend vorgetragenen Wunsch entsprechend" zu töten; er wolle dann aber "mit ihr gehen". Er versprach, auch den gemeinsamen Hund und anschließend sich selbst zu töten. Frau B. legte ordentliche Kleidung und Schmuck an, schminkte sich und legte sich im Wohnzimmer auf das Sofa. Der Angeklagte trat von hinten an sie heran und schoss ihr mit einem im Scheitelbereich aufgesetzten Revolver in den Kopf. Frau B. verstarb nach wenigen Minuten. Anschließend tötete der Angeklagte den Hund; wenig später schoss er sich mit einer aufgesetzten Pistole in die linke Brustseite. Er überlebte mit schweren Verletzungen.
4
2. Das angefochtene Urteil hält in zweifacher Hinsicht rechtlicher Überprüfung nicht stand. Zum einen ist die Beweiswürdigung wegen lückenhafter Darlegungen zur Überzeugungsbildung des Landgerichts für den Senat nicht insgesamt nachvollziehbar, zum anderen ermöglichen die getroffenen Feststellungen dem Senat nicht die Prüfung, ob das Tötungsverlangen des Tatopfers ernstlich im Sinne des § 216 Abs. 1 StGB war.
5
a) Die Feststellungen des Landgerichts zum Tötungsverlangen des Opfers beruhen auf den entsprechenden Angaben des Angeklagten in der Hauptverhandlung , die er durch seinen Verteidiger verlesen ließ, als seine Einlassung bestätigte und mündlich ergänzte. Die Strafkammer hat nach einer "Gesamtbewertung sämtlicher vorhandener Indizien" nicht auszuschließen vermocht, dass sich das Tatgeschehen so abspielte, wie vom Angeklagten geschildert, und hat ihn daher in Anwendung des Zweifelssatzes nach § 216 StGB schuldig gesprochen. Ob das Landgericht bei der dem zugrunde liegenden Überzeugungsbildung den Beweisstoff in dem gebotenen Umfang ausgeschöpft hat, bleibt indes in einem entscheidenden Punkt offen. Dies führt zur Aufhebung des Urteils (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 337 Rn. 26 f.). Im Einzelnen:
6
Das Landgericht hat zum Vorgeschehen der Tat, insbesondere zur Kenntnis der Ehefrau des Angeklagten von der genauen Art ihrer Erkrankung und deren Verheimlichung vor ihrem persönlichen Umfeld keine Feststellungen zu treffen vermocht, die es als unvereinbar mit der Einlassung des Angeklagten ansieht. Auch für ein abweichendes Tatmotiv des Angeklagten hat es keine hinreichenden Belege gesehen. Vor diesem Hintergrund hat es die Richtigkeit der Einlassung des Angeklagten zunächst dadurch gestützt gefunden, dass sich das objektive Spurenbild mit seinen Angaben in Einklang bringen lässt. Auch die Einlassung zu seinem - durch eine Panikattacke veranlassten - Verhalten zwischen der Tat und seinem Selbstmordversuch finde eine Entsprechung in der von mehreren Zeugen geschilderten Auffindesituation (Gartentor und Haustüren offen). Hinzu komme die emotionale Betroffenheit des Angeklagten während der Verlesung der Erklärung durch seinen Verteidiger.
7
Demgegenüber hat das Landgericht mehrere Beweisanzeichen festgestellt , die gegen die Richtigkeit der Angaben des Angeklagten sprechen können. So wollten die Eheleute Mitte Juli 2009 die Mutter von Frau B. in Süddeutschland besuchen und während der anschließenden Ferien die Enkelkinder des Tatopfers bei sich aufnehmen. Zudem hatten sie selbst eine Urlaubsreise in Aussicht genommen. Zunächst sollte jedoch am 3. Juni 2009, dem Tattag, die schon länger geplante Renovierung des gemeinsamen Wohnhauses beginnen, auf die Frau B. sich freute, die ihr wegen des vorgesehenen Umfangs der Arbeiten aber auch Angst machte. Die Handwerker wurden für den Morgen des Tattages erwartet. In der Nacht zuvor arbeitete Frau B. ihrer Gewohnheit entsprechend bis kurz vor 1.00 Uhr am Computer, las aktuelle Nachrichten und bearbeitete Bilder von ihrem Garten. Hinzu kommt, dass der Angeklagte erstmals am vierten Hauptverhandlungstag das Tötungsverlangen seiner Ehefrau behauptete, nachdem zuvor das rechtsmedizinische Gutachten über das Obduktionsergebnis erstattet worden war.
8
Das Landgericht hat zwar die Beweisbedeutung dieser Indizien nicht verkannt ; es hat sie jedoch nicht für derart gewichtig erachtet, dass sie geeignet wären, die Richtigkeit der Einlassung des Angeklagten zu widerlegen. Deren Glaubhaftigkeit werde insbesondere nicht dadurch erschüttert, dass er weder bei den Explorationsgesprächen mit dem psychiatrischen Sachverständigen noch bei der mündlichen Haftprüfung durch das Landgericht und in dem sich anschließenden Haftbeschwerdeverfahren die in der Hauptverhandlung behauptete Tatversion vorgetragen habe; denn dies lasse sich durch die physischen und psychischen Folgen des Selbstmordversuchs erklären. Die Straf- kammer gehe daher zugunsten des Angeklagten davon aus, dass er aufgrund seines Krankheitszustandes zunächst zu einer Einlassung überhaupt nicht in der Lage gewesen sei.
9
Diese Würdigung leidet an einem durchgreifenden Mangel. Angesichts der besonderen Beweissituation musste sich das Landgericht mit dem genauen Inhalt der früheren Einlassungen des Angeklagten im Verfahren im Einzelnen auseinandersetzen. Aus den Urteilsgründen ergibt sich aber nur, dass sich der Angeklagte offensichtlich vor Beginn der Hauptverhandlung bereits mehrfach zur Sache eingelassen hatte und diese Einlassungen nicht mit seinen Angaben in der Hauptverhandlung übereinstimmten. Was er ursprünglich zum Tatgeschehen geäußert hatte, teilt das Urteil hingegen nicht mit. Nur bei näherer Betrachtung der früheren Behauptungen zum Tatgeschehen kann jedoch nachvollzogen werden, ob der Schluss des Landgerichts, das abweichende Einlassungsverhalten des Angeklagten sei mit seinem wechselnden Gesundheitszustand erklärbar, frei von Rechtsfehlern ist. Schon dies führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils.
10
b) Gemäß § 216 Abs. 1 StGB setzt die Privilegierung der Tötung auf Verlangen voraus, dass das Tötungsverlangen des Opfers, das den Täter zur Tat bestimmt, ausdrücklich und ernsthaft ist. Während die Ausdrücklichkeit bestimmte Anforderungen an den Inhalt des Verlangens stellt, grenzt die Ernstlichkeit unter normativen Gesichtspunkten rechtlich anzuerkennende Beweggründe des Tatopfers für sein Tötungsverlangen von solchen ab, denen die Rechtsordnung eine privilegierende Wirkung versagt. Wo insoweit die Grenze zu ziehen ist, ist indessen streitig.
11
aa) In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist die Frage, welche Anforderungen an die Ernstlichkeit eines Tötungsverlangens zu stellen sind, nicht abschließend geklärt.
12
Allerdings hat der Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 22. Januar 1981 (4 StR 480/80, NJW 1981, 932) festgehalten, dass ernstlich im Sinne des § 216 StGB nur ein Verlangen sei, das auf fehlerfreier Willensbildung beruhe. Der seinen Tod verlangende Mensch müsse die Urteilskraft besitzen, um Bedeutung und Tragweite seines Entschlusses verstandesmäßig zu überblicken und abzuwägen. Es komme deshalb auf die natürliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit des Lebensmüden an; sei dieser zu einer freien Selbstbestimmung über sein Leben entweder allgemein oder in der konkreten Situation nicht imstande, z.B. als Geisteskranker oder Jugendlicher (s. aber auch BGH, Urteil vom 14. August 1963 - 2 StR 181/63, BGHSt 19, 135, zum "ernstlichen und in vollem Bewusstsein seiner Tragweite zum Ausdruck gebrachten" Todesverlangen eines 16-jährigen, "über sein Alter hinaus gereifte(n) Mädchen(s)"), der nicht die entsprechende Verstandesreife besitze, so fehle es an einem ernstlichen Verlangen. Dem entsprechend hat er im Urteil vom 22. April 2005 - nicht tragend - einem Tötungsverlangen die Anerkennung versagt, weil das Tatopfer durch eine krankhafte seelische Störung in seiner natürlichen Einsichts- und Willensfähigkeit beeinträchtigt war und deshalb die Tragweite seines Entschlusses, sich töten zu lassen, nicht rational überblickte (2 StR 310/04, BGHSt 50, 80, Rn. 5,

37).

13
Damit sind indessen lediglich die grundlegenden Voraussetzungen umschrieben , die für jeden Verzicht des Betroffenen auf ein persönliches Rechtsgut zu fordern sind und die ungeachtet dessen, dass ihr Vorliegen keinen die Straflosigkeit begründenden Rechtfertigungsgrund für die Tötung eines Menschen zu schaffen vermag, auch für § 216 StGB Geltung beanspruchen. Dass ein Tötungsverlangen von vornherein nur dann Anerkennung verdient, wenn das Opfer die zureichende natürliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit besitzt, um frei verantwortlich entscheiden sowie die Bedeutung und die Tragweite seines Entschlusses verstandesmäßig überblicken und abwägen zu können, ist unumstritten. Auch das Schrifttum versagt einem Tötungsverlangen dann die Anerkennung , wenn dem Opfer diese Fähigkeit - etwa infolge alters- oder krankheitsbedingter Mängel oder unter dem Einfluss von Alkohol oder Drogen - fehlt (vgl. Fischer, StGB, 57. Aufl., § 216 Rn. 7; Lackner/Kühl, StGB, 27. Aufl., § 216 Rn. 2; LK-Jähnke, StGB, 11. Aufl., § 216 Rn. 7; MünchKommStGB/Schneider § 216 Rn. 21; S/S-Eser, StGB, 26. Aufl., § 216 Rn. 8; SK-StGB/Horn, 6. Aufl., § 216 Rn. 8).
14
Gleiches gilt für einen Todeswunsch, der deshalb nicht auf einem in freier Eigenverantwortung gefassten Entschluss beruht, weil der Täter ihn durch Zwang, Drohung oder arglistige Täuschung hervorrief, etwa durch Vorspiegelung eigener Suizidabsicht (Fischer aaO; Jähnke aaO; Eser aaO; Schneider aaO Rn. 22; vgl. auch BGH, Urteil vom 3. Dezember 1985 - 5 StR 637/85, JZ 1987, 474).
15
bb) Damit sind die inhaltlichen Anforderungen, die das normative Tatbestandsmerkmal der Ernstlichkeit für die privilegierende Wirkung des Tötungsverlangens voraussetzt, jedoch nicht abschließend umschrieben. Das Fehlen von Willensmängeln der genannten Art ist zwar notwendige, nicht aber auch hinreichende Voraussetzung der Ernstlichkeit des Tötungsverlangens. Der Senat stimmt insoweit im Grundsatz der im strafrechtlichen Schrifttum einhellig geäußerten Auffassung zu, dass einem Todesbegehren die privilegierende Wirkung mangels Ernstlichkeit auch dann zu versagen sein kann, wenn es auf einem Entschluss des Opfers beruhte, der nach obigen Maßstäben frei von Willensmängeln war.
16
Welche weiteren Eingrenzungen des Tatbestandsmerkmals danach geboten sind, wird aber in der Literatur nicht einheitlich beantwortet. Teils wird einem Todeswunsch die Ernstlichkeit schon dann abgesprochen, wenn er als unüberlegt anzusehen ist (Kühl aaO), ohne diesem Begriff allerdings schärfere Konturen zu geben. Überwiegend wird einem Verlangen die Anerkennung dann versagt, wenn es einer Augenblicksstimmung oder einer vorübergehenden Depression entsprang (Fischer; Jähnke; Eser; Horn; jeweils aaO). Gelegentlich wird der Wunsch des Opfers, sterben zu wollen, darüber hinaus auch dann für unbeachtlich gehalten, wenn es bei seinem Entschluss von unzutreffenden Voraussetzungen ausging oder einem wesentlichen Motivirrtum unterlag, so etwa bei irriger Annahme einer unheilbaren Erkrankung (Eser; Horn; jeweils aaO). Am weitesten geht die Auffassung, das Tötungsverlangen sei ein Unterfall der Einwilligung, weshalb es grundsätzlich schon dann anzuerkennen sei, wenn das Tatopfer keinen einwilligungsrelevanten Willensmängeln unterlag; auch diese Ansicht verlangt aber einschränkend eine durch Willensfestigkeit und Zielstrebigkeit gezeichnete innere Haltung des Lebensmüden, die einem beiläufig oder leichthin artikulierten Tötungsverlangen fehle (Schneider aaO Rn. 19 f.).
17
Der Senat muss sich nicht im Einzelnen festlegen, welcher dieser Ansichten zu folgen ist. Selbst die Auffassung, nach der ein frei von Willensmängeln geäußerter Todeswunsch die weitestgehende Anerkennung verdient, lässt ein Verlangen in depressiver Augenblicksstimmung jedenfalls dann nicht genügen , wenn es nicht von innerer Festigkeit und Zielstrebigkeit getragen wird (Schneider aaO). Dem schließt sich der Senat insoweit an, als damit eine Voraussetzung umschrieben ist, welcher ein Tötungsverlangen mindestens zu genügen hat, um als ernstlich zu gelten. Bereits bei Anlegung eines solchen Maßstabs reichen die Feststellungen indes nicht aus, um beurteilen zu können, ob das Verlangen der Getöteten ernstlich war; denn das Urteil beschränkt sich in- soweit im Wesentlichen darauf, den Gesetzeswortlaut zu wiederholen. Es teilt weder den Inhalt des Gesprächs wenige Tage vor der Tat noch insbesondere den Inhalt der längeren Diskussion zwischen dem Angeklagtem und seiner Ehefrau unmittelbar vor der Tat mit. Ebenso wenig setzt es sich mit den genannten weiteren Beweisanzeichen auseinander, die gegen einen von innerer Festigkeit und Zielstrebigkeit getragenen Todeswunsch sprechen, insbesondere dass das Tatopfer bereits seit geraumer Zeit an seiner Erkrankung litt, was es aber nicht hinderte, konkrete Planungen für die nähere Zukunft anzustellen und bis kurz vor der Tat seinen gewohnten Alltagsbeschäftigungen nachzugehen.
Becker von Lienen Sost-Scheible Schäfer Mayer

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 295/11
vom
21. Dezember 2011
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags durch Unterlassen
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 21. Dezember
2011, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Fischer
als Vorsitzender
und die Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Schmitt,
Dr. Berger,
Dr. Eschelbach
und die Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Ott,
Bundesanwältin
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Trier vom 17. Februar 2011 wird verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels einschließlich der notwendigen Auslagen der Nebenkläger zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags durch Unterlassen zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Hiergegen richtet sich seine auf die Sachbeschwerde gestützte Revision. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

I.

2
Nach den Feststellungen des Landgerichts war der Angeklagte seit dem Jahre 2006 mit der Geschädigten befreundet. Es entstand eine intime Beziehung , in der sich der Angeklagte dominant zeigte, während ihm die Geschädigte "in Hörigkeit und Liebe" zugetan war. Der Angeklagte war zeitweise aggressiv. Er demütigte die Geschädigte in diesen Phasen durch sexuell motivierte Machtspiele und betrieb "emotionale Erpressung". Die Geschädigte zog sich in ihrer Familie und im Freundeskreis immer mehr zurück. Sie verfolgte aber ihre Ausbildung zielstrebig und nahm zum Wintersemester 2008/2009 ein Studium in Trier auf. Vor diesem Hintergrund erklärten der Angeklagte und die Geschä- digte jeweils, dass sie ihre Beziehung beenden wollten. Der Angeklagte wandte sich einer neuen Freundin zu, mit der er sich verlobte. Er stand aber weiter mit der Geschädigten in Kontakt, rief sie am 7. Juni 2009 nach einem Streit mit seiner Verlobten an und vereinbarte mit ihr, dass beide einige Zeit gemeinsam in Trier verbringen würden, wo die Geschädigte über ein Zimmer in einer Wohngemeinschaft verfügte. Der Angeklagte nahm eine zu mehr als der Hälfte gefüllte Flasche "Cleanmagic" dorthin mit. Dabei handelte es sich um ein Reinigungsmittel mit dem Wirkstoff Gamma-Butyrolacton. Er hatte sich im Internet über die Wirkungsweise informiert und benutzte es sehr vorsichtig in genau dosierten Mengen als Drogenersatz. Er hatte auch der Geschädigten angeboten, ebenfalls dieses Mittel zu konsumieren, was aber nicht erfolgt war. Die Geschädigte wusste von der Gefährlichkeit des Mittels, ohne ebenso eingehend wie der Angeklagte darüber informiert zu sein. Der Angeklagte stellte die Flasche "Cleanmagic" im Zimmer der Geschädigten auf den Wohnzimmertisch. Das Paar verbrachte in den folgenden Tagen die meiste Zeit in diesem Zimmer und war mehrfach täglich miteinander intim. Die Geschädigte, die den Angeklagten als "die Liebe ihres Lebens" bezeichnete, hoffte wieder auf eine gemeinsame Zukunft.
3
Am 12. Juni 2009 erklärte ihr der Angeklagte jedoch, dass er weiter an seiner Verlobung mit einer anderen Frau festhalte. Die Geschädigte war darüber tief enttäuscht. Gegen 23.00 Uhr hörte W. , die in derselben Wohngemeinschaft lebte, laute Geräusche aus dem Zimmer der Geschädigten und erkundigte sich durch die geschlossene Zimmertür, ob alles in Ordnung sei, was die Geschädigte bejahte. Danach, jedenfalls aber vor 23.35 Uhr, nahm die Geschädigte, die nie zuvor Selbsttötungsgedanken geäußert hatte, aus einem spontanen Entschluss heraus die Flasche "Cleanmagic", schüttete vor den Augen des Angeklagten etwa 30 Milliliter des Reinigungsmittels in ein Glas, mischte dies mit einem Getränk und trank die Hälfte der Mischung, darunter 15 bis 25 Milliliter des Reinigungsmittels. Bereits 6 bis 7 Milliliter bewirken bei einer Person von ihrer Statur Bewusstlosigkeit, Verflachung der Atmung und Atemstillstand.
4
Der Angeklagte, der am Computer saß, hatte zuvor die Verzweiflung der Geschädigten bemerkt und wahrgenommen, dass sie aus der Flasche von "Cleanmagic" trank. Er erkannte an der verbleibenden Restmenge die erhebliche Dosis. Er wusste um die schnelle Resorption und die Lebensgefährlichkeit des Mittels für Menschen, die es trinken. Er forderte die Geschädigte auf, sich zu übergeben. Diese erbrach aber erst fünf Minuten nach dem Verschlucken des Reinigungsmittels einen Teil der Flüssigkeit und verfiel in Bewusstlosigkeit. Der Angeklagte suchte im Internet nach Informationen über Gegenmaßnahmen, unterließ es aber, notärztliche Hilfe zu rufen, und nahm dabei den Tod der Geschädigten in Kauf. Er beobachtete lediglich die Situation und recherchierte weiter im Internet. Hätte er unverzüglich einen Notarzt gerufen, so hätte die Geschädigte zumindest innerhalb einer halben Stunde nach Einnahme des Mittels gerettet werden können. Gegen 00.30 Uhr klopfte W. an der Zimmertür , um sich nach der Geschädigten zu erkundigen. Der Angeklagte hatte sich aber dazu entschlossen, keine fremde Hilfe heranzulassen und erklärte, dass sie schlafe. Um 01.55 Uhr beendete er seine Computerrecherchen und verließ die Wohnung. Danach entdeckten W. und deren Freund die leblose Geschädigte und riefen den Notarzt, der sie dann aber nicht mehr retten konnte.
5
Das Landgericht hat angenommen, der Angeklagte sei verpflichtet gewesen , unverzüglich ärztliche Hilfe zu rufen; dem stehe keine Eigenverantwortlichkeit der Geschädigten entgegen. Der Angeklagte habe seine Rettungspflicht mit bedingtem Tötungsvorsatz verletzt und den Tod des Opfers verursacht.

II.

6
Die Revision des Angeklagten ist unbegründet. Er hat sich des Totschlags durch Unterlassen schuldig gemacht (§§ 212 Abs. 1, 13 Abs. 1 StGB).
7
Nach allgemeinen Grundsätzen hat jeder, der Gefahrenquellen schafft, die erforderlichen Vorkehrungen zum Schutz anderer Personen zu treffen (vgl. BGHSt 53, 38, 42). Da eine absolute Sicherung gegen Gefahren nicht erreichbar ist, beschränkt sich die Verkehrssicherungspflicht auf das Ergreifen solcher Maßnahmen, die nach den Gesamtumständen zumutbar sind und die ein umsichtiger Mensch für notwendig hält, um Andere vor Schäden zu bewahren. Strafbar ist die Nichtabwendung einer Gefahr aus der vom Garanten eröffneten Gefahrenquelle dann, wenn eine nahe liegende Möglichkeit begründet wurde, dass Rechtsgüter anderer Personen verletzt werden können. Der Angeklagte hatte durch Abstellen der Flasche mit dem gefährlichen Mittel auf dem Wohnzimmertisch im Zimmer der Geschädigten eine erhebliche Gefahrenquelle geschaffen. Er hatte der Geschädigten früher den Konsum angeboten, weshalb auch die Möglichkeit bestand, dass sie davon trinken würde. Eine Handlungspflicht für den Angeklagten wurde in dem Augenblick begründet, in dem er wahrnahm, dass die Geschädigte tatsächlich davon trank. Da er nach den Feststellungen genau um die rasche Wirkung und die besondere Gefährlichkeit der Einnahme des Mittels durch Menschen wusste und erkannte, dass die Geschädigte eine erhebliche Menge des Mittels getrunken hatte, hätte er nachdem er bemerkt hatte, dass sie die Flüssigkeit nicht sogleich erbrach, unverzüglich den Notarzt rufen müssen. Diese Pflicht hat er schuldhaft nicht erfüllt. Das Unterlassen ist nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Landgerichts für den Tod der Geschädigten im Sinne einer hypothetischen Rettung bei unverzüglichem Herbeirufen des Notarztes ursächlich geworden.
8
Eine eigenverantwortlich versuchte Selbsttötung der Geschädigten lag nicht vor. Fehlt es an einer ernst gemeinten und freiverantwortlichen Entscheidung des Opfers sich zu töten, dann ist das Nichtverhindern des Todes durch einen Garanten als Totschlag durch Unterlassen zu beurteilen (vgl. Wessels/ Hettinger, Strafrecht Besonderer Teil, Bd. 1, 34. Aufl. 2010, Rn. 54). Das Landgericht hat rechtsfehlerfrei angenommen, dem spontanen Trinken des Reinigungsmittels habe kein ernstlicher Selbsttötungsentschluss zu Grunde gelegen. Da die Geschädigte in Anwesenheit des Angeklagten von dem Reinigungsmittel trank, ist davon auszugehen, dass sie dies tat, um auf sich aufmerksam zu machen. Es lag kein freiverantwortlicher Selbsttötungsentschluss zugrunde. Dies wird daraus deutlich, dass sie der Aufforderung des Angeklagten, sich zu erbrechen , Folge leistete.
Fischer Schmitt Berger Eschelbach Ott

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 389/13
vom
16. Januar 2014
in der Strafsache
gegen
wegen Körperverletzung mit Todesfolge u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 16. Januar 2014 beschlossen
:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Augsburg vom 7. Februar 2013 mit den Feststellungen
aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine Schwurgerichtskammer
des Landgerichts München I verwiesen.

Gründe:


I.


1
Das Landgericht hat den Angeklagten, einen auf die Substitutionsbehandlung Rauschgiftsüchtiger spezialisierten Arzt, wegen zweier tatmehrheitlicher Fälle der Körperverletzung mit Todesfolge, jeweils in Tateinheit mit vorsätzlicher unerlaubter Abgabe von Betäubungsmitteln, sowie wegen weiterer 673 tatmehrheitlicher Fälle der unerlaubten Abgabe von Betäubungsmitteln zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt und zugleich ein Berufs- verbot für die Dauer von vier Jahren sowie den Verfall von Wertersatz in Höhe von 11.600 Euro angeordnet.
2
Die Revision des Angeklagten hat Erfolg.
3
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts führte der Angeklagte seit vielen Jahren Substitutionsbehandlungen bei opiat-, vor allem heroinabhängigen Patienten durch. Ihm war bekannt, dass solche Patienten häufig unter Vortäuschung schwerer Schmerzzustände versuchen, sich in den Besitz von Schmerzpflastern auf Basis des Opiats Fentanyl zu bringen, um den darin enthaltenen Wirkstoff auszukochen und ihn sich zur Befriedigung ihrer Sucht intravenös zu injizieren. Ihm war auch bekannt, dass Fentanyl stark atemdepressiv wirkt, weshalb beim Einsatz solcher Pflaster ohne strenge ärztliche Kontrolle Lebensgefahr besteht.
4
a) Seit November 2005 führte der Angeklagte bei dem heroinabhängigen Geschädigten S. eine Substitutionsbehandlung durch. Im Januar 2008 brach dieser die Behandlung unvermittelt ab. Durch die Übersendung mehrerer ihm als "Hausarzt" übersandter Arztberichte erfuhr der Angeklagte jedoch in der Folgezeit davon, dass S. im ersten Halbjahr 2010 dreimal, zuletzt am 31. Mai 2010, erfolglos wegen seiner Heroinabhängigkeit stationär behandelt worden war.
5
Am 28. September 2010 sprach S. erstmals wieder in der Praxis des Angeklagten vor. Er trug ein aufgeklebtes Fentanyl-Schmerzpflaster und bat unter Hinweis auf eine bei ihm bestehende schwere Hüftgelenksverletzung um weitere Pflaster. Obwohl der Angeklagte erkannte, dass aufgrund der fortbestehenden Abhängigkeit die Abgabe von Fentanyl zur unkontrollierten Schmerzbehandlung kontraindiziert und S. infolge der Abhängigkeit als Hochrisikopatient im Hinblick auf einen möglichen Missbrauch einzustufen war, verordnete er ihm zehn Fentanyl-Pflaster mit einem Wirkstoffgehalt von je 100 Mikrogramm Fentanyl zum Eigengebrauch und stellte ihm auch bei drei weiteren Vorstellungen am 3. November 2010, am 1. Dezember 2010 und am 10. Januar 2011 jeweils Wiederholungsrezepte in gleichem Umfang aus. Eine eingehende Untersuchung des Patienten, insbesondere eine solche auf Drogenfreiheit , nahm er vor den Verschreibungen nicht vor.
6
Am Abend des 10. Januar 2011 kochte S. gemeinsam mit den Zeugen M. , A. und H. in seiner Wohnung die vom Angeklagten rezeptierten Fentanyl-Pflaster aus und injizierte sich den Wirkstoff. Dabei verabreichte er sich, was der Angeklagte nach den Feststellungen der Strafkammer für möglich hielt und billigend in Kauf nahm, versehentlich eine Überdosis und verstarb, für den Angeklagten als spezifische Folge seiner Verschreibung vorhersehbar und vermeidbar, unmittelbar an deren Folgen.
7
b) Seit November 1999 betreute der Angeklagte den langjährig heroinabhängigen Geschädigten T. .
8
Nachdem er diesem Patienten am 28. Januar 2009 zunächst ein Hausverbot in der Praxis erteilt hatte, stellte sich T. am 7. Dezember 2009 wegen eines vorgeblichen Lendenwirbelsyndroms überraschend wieder in der Praxis des Angeklagten vor. Er trug ein Fentanyl-Pflaster und bat um weitere gleichartige Verordnungen. Der Angeklagte rezeptierte ihm, ohne ihn zu untersuchen, zehn Fentanyl-Pflaster á 75 Mikrogramm zum Eigengebrauch , überwies ihn an einen Orthopäden und erbat von dort eine Bestätigung der Erforderlichkeit der Fentanyl-Behandlung. Ohne weitere Untersuchung und ohne Rücksprache mit dem Orthopäden rezeptierte er dem Geschädigten auch am 21. Dezember 2009 fünf, am 26. April 2010 zehn und am 23. Dezember 2010 nochmals fünf Fentanyl-Pflaster mit jeweils 75 Mikrogramm Fentanyl-Wirkstoff zum Eigengebrauch.
9
Wegen des ihm bekannten, langjährigen Suchtverlaufs waren dem Angeklagten die fortbestehende Abhängigkeit des Geschädigten T. und die damit verbundene Gefahr eines Missbrauchs von Heilmitteln bewusst.
10
T. injizierte sich, wie vom Angeklagten für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen, am 26. Dezember 2010 unter nicht näher aufklärbaren Umständen den ausgekochten Fentanyl-Wirkstoff intravenös. Für den Angeklagten als Folge seines Handelns vorhersehbar und vermeidbar, verabreichte er sich dabei eine Überdosis Fentanyl und verstarb unmittelbar an deren Folgen.
11
2. Seit 1999 war der Angeklagte behandelnder Arzt des opiatabhängigen Patienten K. . Der zu 100 % schwerbehinderte, an den Rollstuhl gefesselte Patient konsumierte, was dem Angeklagten bekannt war, seit 1999 abwechselnd L-Polamidon und Methadon.
12
In den Jahren 2010, 2011 und bis zu seiner Verhaftung am 18. Januar 2012 stellte der Angeklagte dem Patienten insgesamt 599 Privatrezepte im Umfang wöchentlicher Gesamtmengen jeweils 1%igen Methadonhydrochlorids von 105 ml (488 Rezepte), 210 ml (3 Rezepte) oder 308 ml (108 Rezepte) zum Eigengebrauch aus. Für - nicht näher verifizierte - Zeiträume, in denen der Geschädigte sich "auf Reisen" befand, verordnete ihm der Angeklagte in 68 Fällen jeweils 75 Methadicct-Tabletten mit einem Wirkstoffgehalt von je 40 mg Methadonhydrochlorid.
13
Eine umfassende Untersuchung des Patienten nahm der Angeklagte dabei zu keinem Zeitpunkt vor. Die jeweiligen Verordnungsdaten innerhalb des vorgenannten Zeitraums wählte er willkürlich. Mit Ausnahme von Urlaubszeiten stellte er dem Patienten wöchentlich fünf bis sechs Rezepte zum Preis von jeweils 30 Euro aus, die K. durch Mitarbeiterinnen des Angeklagten je- weils an der Hauseingangstür der Praxis übergeben wurden. Das Methadon verkaufte K. , soweit er es nicht selbst konsumierte, an Unbekannte weiter.
14
Der Angeklagte handelte in der Absicht, sich eine Erwerbsquelle von erheblichem Umfang und Dauer zu verschaffen. Durch die Rezeptverkäufe erzielte er einen Gesamterlös vor Steuern in Höhe von 20.010 Euro.

II.


15
Die Revision des Angeklagten ist bereits mit der Sachrüge begründet; auf die erhobene Verfahrensrüge kommt es daher nicht mehr an.
16
1. Die Verurteilung des Angeklagten wegen Körperverletzung mit Todesfolge zum Nachteil des Geschädigten S. hält revisionsgerichtlicher Prüfung nicht stand.
17
Bereits die Ausführungen des Landgerichts zum objektiven Tatbestand der Körperverletzung mit Todesfolge (§ 227 StGB) begegnen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
18
a) Im Ansatz zutreffend, hat die Strafkammer geprüft, ob der Angeklagte Beteiligter der zum Tode des Geschädigten S. führenden Körperverletzung sein konnte, obwohl sich dieser das Fentanyl ohne Mitwirkung des Angeklagten eigenhändig injizierte.
19
Wer eine fremde Selbstverletzung oder -gefährdung veranlasst, macht sich nicht wegen Tötungs- oder Körperverletzungsdelikten strafbar, wenn sich das mit der Gefährdung vom Opfer bewusst eingegangene Risiko realisiert. Wer eine solche Verletzung oder Gefährdung veranlasst, ermöglicht oder fördert , kann daher nicht wegen eines Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts verurteilt werden, denn er nimmt an einem Geschehen teil, welches - soweit es um die Strafbarkeit wegen Tötung oder Körperverletzung geht - kein tatbestandsmäßiger und damit kein strafbarer Vorgang ist (BGH, Beschluss vom 11. Januar 2011 - 5 StR 491/10; Urteile vom 29. April 2009 - 1 StR 518/08, BGHSt 53, 288, 290; vom 11. Dezember 2003 - 3 StR 120/03, BGHSt 49, 34, 39; vom 14. Februar 1984 - 1 StR 808/83, BGHSt 32, 262).
20
Maßgebliches Abgrenzungskriterium zwischen strafloser Beteiligung an einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung und einer - grundsätzlich tatbestandsmäßigen - Fremdgefährdung eines anderen ist die Trennungslinie zwischen Täterschaft und Teilnahme. Entscheidend ist damit die Eigen- bzw. Freiverantwortlichkeit des Entschlusses des Rechtsgutsinhabers, sein Leben oder seine körperliche Unversehrtheit selbst zu gefährden. Eine Täterschaft des die Selbstgefährdung Fördernden kommt daher nur in Betracht, wenn er infolge eines bei dem sich selbst Gefährdenden bestehenden Mangels der Eigenverantwortlichkeit Tat- bzw. Handlungsherrschaft über das Geschehen erlangt.
21
b) Die Strafkammer hat - im Ansatz zutreffend - eine solche Handlungsherrschaft des Angeklagten wegen dessen überlegenen Wissens bejaht, aber nicht rechtsfehlerfrei begründet.
22
aa) Hierzu hat sie ausgeführt, als "erfahrener Drogenarzt" habe der Angeklagte im "Wissen um das Risiko eines Missbrauchs durch Patienten mit problematischem Drogenhintergrund" das "weitere Geschehen aus der Hand" gegeben, indem er dem Patienten "unkontrolliert Fentanyl in großen Mengen überlassen" habe. Nicht "in Rechnung" zu stellen, dass Drogenabhängige "im Entzug jede Kontrolle über sich verlieren oder ein ihnen überlassenes Suchtmittel entgegen ärztlicher Anordnung intravenös injizieren und dabei auch eine Überdosis anwenden" können, schaffe geradezu einen „Anreiz zur Selbstge- fährdung, der als täterschaftliche Schaffung einer gefahrträchtigen Lage zu werten“ sei.
23
bb) Diese Begründung hält rechtlicher Prüfung nicht stand.
24
(1) Allerdings kann nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs überlegenes Sachwissen des die Selbstgefährdung bzw. -verletzung Fördernden dessen Handlungsherrschaft begründen (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Januar 2011 - 5 StR 491/10; BGH, Urteile vom 29. April 2009 - 1 StR 518/08, BGHSt 53, 288, 290 f.; vom 11. April 2000 - 1 StR 638/99, NStZ 2001,

205).

25
Die Strafkammer hat jedoch den rechtlichen Maßstab für die Prüfung überlegenen Wissens verkannt. Denn sie hat ausschließlich an den besonderen Kenntnissen des Angeklagten Maß genommen, dabei aber den Wissensstand des Geschädigten völlig unberücksichtigt gelassen (vgl. BayObLG, Beschluss vom 11. Dezember 2001 - 5St RR 298/01). Die Beurteilung der Überlegenheit des Sachwissens setzt jedoch Feststellungen zum Wissensstand sowohl des die Selbstgefährdung Fördernden als auch des sich selbst Gefährdenden zwingend voraus (zum Prüfungsmaßstab vgl. BGH, Urteil vom 11. April 2000 - 1 StR 638/99, NStZ 2001, 205 mwN).
26
(2) Durch diesen verkürzten Maßstab hat sich die Strafkammer im Weiteren den Blick auf Umstände verstellt, die hinreichend adäquates Sachwissen auch des Geschädigten in Bezug auf das rechtsgutsbezogene Risiko seines Verhaltens nahelegten und daher der Erörterung bedurft hätten:
27
So verfügte der Geschädigte über eine lange Suchtkarriere und kannte die grundlegenden Risiken des Drogenkonsums einschließlich des Risikos einer Überdosierung (vgl. auch BGH, Urteil vom 29. April 2009 - 1 StR 518/08, BGHSt 53, 288 ff.; BayObLG, Beschlüsse vom 11. Dezember 2001 - 5St RR 298/01, vom 14. Februar 1997 - 4St RR 4/97, NStZ 1997, 341, 342, und - zu einem insoweit anders gelagerten Fall - vom 28. August 2002 - 5St RR 179/02, NJW 2003, 371). Auch hinsichtlich des von ihm konkret praktizierten FentanylMissbrauchs legten die von der Strafkammer als glaubhaft erachteten Aussagen der Zeugen M. , A. und H. es nahe, dass der Geschädigte sich der Risiken seines Handelns, insbesondere der Gefahr einer Überdosis aufgrund der Injektion, bewusst war.
28
Eines darüber hinaus gehenden Verständnisses der exakten medizinischen Wirkzusammenhänge zwischen der Einnahme des als bei Überdosierung als lebensgefährlich bekannten Opiats und den möglichen Auswirkungen auf das eigene Leben und die eigene körperliche Unversehrtheit bedurfte es demgegenüber nicht.
29
c) Auch unter dem Aspekt eines etwaigen Ausschlusses der Fähigkeit zu eigenverantwortlicher Entscheidung belegen die Ausführungen der Strafkammer keine Tatherrschaft des Angeklagten.
30
Auch hier hat die Strafkammer bereits den rechtlichen Maßstab verfehlt.
31
Ihre - für sich genommen rechtsfehlerfrei getroffene - Feststellung der Opiatabhängigkeit des Geschädigten führt nicht automatisch zum Ausschluss der Eigenverantwortlichkeit (vgl. auch BGH, Beschluss vom 9. November 2011 - 2 StR 427/11, NStZ-RR 2012, 71; Urteile vom 17. Juni 2010 - 4 StR 47/10, und vom 14. Februar 1984 - 1 StR 808/83, NStZ 1984, 410, 411 m. Anm. Roxin ; sehr weitgehend demgegenüber noch BGH, Urteil vom 18. Juli 1978 - 1 StR 209/78, JR 1979, 429; Fischer, StGB, 61. Aufl., § 21 Rn. 13 mwN; ebenso für "Erfahrungen im Umgang mit Drogen" BGH, Beschluss vom 11. Januar 2011 - 5 StR 491/10; Urteil vom 11. April 2000 - 1 StR 638/99, BGHR StGB § 222 Zurechenbarkeit 2). Ein allgemeiner Erfahrungssatz, dass Betäubungsmittelkonsumenten zu eigenverantwortlicher Entscheidung nicht fähig sind, besteht nicht (s.a. BayObLG, Beschluss vom 11. Dezember 2001 - 5St RR 298/01). Vielmehr bedarf es der Feststellung konkreter die Eigenverantwortlichkeit einschränkender Umstände, etwa einer akuten Intoxikation (vgl. BGH, Urteil vom 28. Oktober 1982 - 1 StR 501/82, NStZ 1983, 72), unter Umständen auch eines entzugsbedingten akuten Suchtdrucks, verbunden mit der Angst vor körperlichen Entzugserscheinungen (zu §§ 20, 21 StGB vgl. BGH, Urteile vom 2. November 2005 - 2 StR 389/05, NStZ 2006, 151; vom 6. Juni 1989 - 5 StR 175/89,BGHR StGB § 21 BtM-Auswirkungen 5; Beschluss vom 10. April 1990 - 4 StR 148/90, BGHR StGB § 21 BtM-Auswirkungen 7 jew. mwN) oder konsumbedingter schwerer Persönlichkeitsveränderungen, die zum Verlust der Eigenverantwortlichkeit führen können (zu §§ 20, 21 StGB vgl. BGH, Beschluss vom 9. November 2011 - 2 StR 427/11, StV 2012, 282; Urteil vom 17. Juni 2010 - 4 StR 47/10).
32
Solche Feststellungen hat die Strafkammer jedoch nicht getroffen.
33
d) Soweit dem Urteil des Senats vom 18. Juli 1978 (1 StR 209/78, JR 1979, 429) über die Besonderheiten des dortigen konkreten Falles hinaus allgemein die Rechtsauffassung entnommen werden könnte, die aus der Behandlung eines opiatabhängigen Patienten resultierende Garantenpflicht des behandelnden Substitutionsarztes begründe eine "besondere Sorgfaltspflicht" des Arztes, Schaden von seinem Patienten abzuwenden, und führe - unabhängig von der Freiverantwortlichkeit des Patienten - stets zu einer Täterschaft begründenden Herrschaft des Arztes über das selbstschädigende Verhalten des Patienten, wäre daran nicht festzuhalten.
34
2. Aus denselben Gründen hält auch die Verurteilung des Angeklagten wegen Körperverletzung mit Todesfolge zum Nachteil des GeschädigtenT. revisionsgerichtlicher Überprüfung nicht stand.
35
3. Schließlich begegnet auch die Verurteilung des Angeklagten wegen unerlaubten Verschreibens von Betäubungsmitteln in den auf den Tatkomplex K. entfallenden 667 Fällen durchgreifenden Bedenken.
36
a) Die Annahme der Strafkammer, ungeachtet der - wie festgestellt - gemeinsamen Ausstellung mehrerer Rezepte liege hinsichtlich jedes einzelnen Rezepts eine gesonderte Straftat vor, ist rechtsfehlerhaft.
37
Aus dem Umstand, dass der Angeklagte jedes der ihm vorgelegten Rezepte überprüfte, ehe er es unterzeichnete, ergibt sich kein gesonderter Tatentschluss. Der Angeklagte handelte vielmehr ersichtlich mit der Absicht, alle ihm vorgelegten Rezepte, sofern diese formal ordnungsgemäß ausgestellt waren, innerhalb eines einheitlichen Prüfungsvorganges zu unterzeichnen, damit sie dem Patienten gemeinsam übergeben werden konnten.
38
b) Eine abschließende Beurteilung der Anzahl der Einzeltaten ist dem Senat nicht möglich, weil das Urteil insoweit keine widerspruchsfreien Feststellungen enthält.
39
Die Strafkammer legt als Tatzeitraum den Zeitraum vom 1. Januar 2010 bis zur Verhaftung des Angeklagten am 18. Januar 2012, also "ca. 107 Kalenderwochen" zugrunde. Sie führt hierzu jedoch aus, K. habe die Rezep- te lediglich "in der Regel", nämlich außerhalb von "Urlaubszeiten", wöchentlich abgeholt. Diese "Urlaubszeiten" - bei denen unklar bleibt, ob damit die "Reisezeiten" des Patienten gemeint sind - sind jedoch nicht näher verifiziert; es liegt nahe, dass sich die Anzahl der Rezeptübergaben unter Anrechnung dieser Zeiten verringert.

III.


40
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
41
1. Die in Fällen eigenverantwortlicher Selbstverletzung oder -gefährdung für eine Täterschaft wegen vorsätzlicher Körperverletzung aufgestellten Maßstäbe gelten entsprechend, sofern eine Bestrafung des die Selbstgefährdung Fördernden nur wegen fahrlässiger Körperverletzung bzw. Tötung in Betracht kommt. Daher bedarf es auch insoweit einer Handlungsherrschaft aufgrund überlegenen Sachwissens oder aufgrund erkennbarer Mängel der Fähigkeit zur eigenverantwortlichen Entscheidung bei dem sich selbst Gefährdenden (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Januar 2011 - 5 StR 491/10; Urteile vom 29. April 2009 - 1 StR 518/08, BGHSt 53, 288, 290; vom 11. Dezember 2003 - 3 StR 120/03, BGHSt 49, 34, 39; vom 14. Februar 1984 - 1 StR 808/83, BGHSt 32,

262).

42
2. Für den Fall, dass sich in einer neuen Hauptverhandlung hinreichende Feststellungen zur Annahme von Tat- bzw. Handlungsherrschaft des Angeklagten ergeben, wird der neue Tatrichter auch die subjektive Tatseite erneut eingehend zu prüfen haben:
43
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Abgrenzung von bedingtem Vorsatz und bewusster Fahrlässigkeit handelt der Täter vorsätzlich, wenn er den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt und damit in der Weise einverstanden ist, dass er die Tatbestandsverwirklichung billigend in Kauf nimmt oder sich um des erstrebten Zieles willen wenigstens mit ihr abfindet, mag ihm auch der Erfolgseintritt an sich unerwünscht sein; bewusste Fahrlässigkeit liegt hingegen dann vor, wenn der Täter mit der als möglich erkannten Tatbestandsverwirklichung nicht einverstanden ist und ernsthaft - nicht nur vage - darauf vertraut, der tatbestandliche Erfolg werde nicht eintreten (BGH, Urteil vom 4. November 1988 - 1 StR 262/88, BGHSt 36, 1, 9 f.).
44
Da beide Schuldformen im Grenzbereich eng beieinander liegen, müssen bei der Annahme bedingten Vorsatzes beide Elemente der inneren Tatseite , also sowohl das Wissenselement als auch das Willenselement, in jedem Einzelfall besonders geprüft und durch tatsächliche Feststellungen belegt werden (BGH aaO, vgl. auch Urteil vom 7. Juli 2011 - 5 StR 561/10, BGHSt 56, 277 ff.). Insbesondere die Würdigung zum voluntativen Vorsatzelement, also zur billigenden Inkaufnahme des Erfolges, muss sich mit den Feststellungen des Urteils zur Persönlichkeit des Täters auseinandersetzen und auch die zum Tatgeschehen bedeutsamen Umstände mit in Betracht ziehen (vergleiche BGH, Urteil vom 4. November 1988 - 1 StR 262/88, BGHSt 36, 1, 10, und vom 25. November 1987 - 3 StR 449/87, NStZ 1988, 175). Der Tatrichter darf nicht ohne Weiteres aus der Erkenntnisfähigkeit eines Täters oder seiner vorhandenen Erkenntnis auf die billigende Inkaufnahme des Erfolgs schließen (vgl. BGH, Urteil vom 25. November 1987 - 3 StR 449/87, NStZ 1988, 175).
45
Bei der Körperverletzung im Arzt-Patienten-Verhältnis ist zu berücksichtigen , dass die Annahme, die Art und Weise der Behandlung eines Patienten durch einen Arzt sei nicht am Wohl des Patienten orientiert, auch bei medizinisch grob fehlerhaftem Verhalten des Arztes häufig fernliegt (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2003 - 1 StR 269/02, NStZ 2004, 35 f.). Selbst erhebliche Sorgfaltspflichtverstöße schließen eine Verurteilung wegen nur fahrlässiger Tat nicht von vornherein aus (vgl. auch BayObLG, Beschluss vom 28. August 2002 - 5St RR 179/02, NJW 2003, 371, 372).
Raum Wahl Graf Jäger Cirener
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: nein
Veröffentlichung: ja
_______________________
Zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit bei Abgabe von Heroin und Tod des Rauschgiftkonsumenten.
BGH, Urt. vom 11. April 2000 - 1 StR 638/99 - LG Karlsruhe

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 638/99
vom
11. April 2000
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer
Menge u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 11. April 2000,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Schäfer
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Granderath,
Nack,
Dr. Boetticher,
Schluckebier,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof ,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 21. Juli 1999 wird als unbegründet verworfen. Die Kosten des Rechtsmittels und die der Angeklagten durch diese Revision entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.

Von Rechts wegen

Gründe:

Das Landgericht hat die Angeklagte wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen zur Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Die Staatsanwaltschaft erstrebt mit ihrer Revision in einem der Fälle eine Verurteilung auch wegen tateinheitlich begangener fahrlässiger Tötung und rügt die Verletzung sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.

I.

1. Nach den Feststellungen zum Fall II 2 der Urteilsgründe erhielt die Angeklagte im August 1998 aus Kirgistan eine Lieferung von wenigstens 10 g Heroin zum Zwecke der Weiterveräußerung. Dabei handelte es sich um sehr starkes ("weißes") Heroin, dessen Heroinhydrochloridanteil bei mindestens 80 Prozent lag. Die Angeklagte wußte, daß die Injektion dieses hochprozentigen Rauschgifts lebensgefährlich war. Sie verkaufte aus dieser Menge an ver-
schiedene Personen, darunter am 7. September 1998 an den damals 20jährigen K. und am 15. September 1998 an den ebenfalls 20jährigen Ka. jeweils ein Gramm zum Preise von 150 DM. Sie wies die Abnehmer darauf hin, daß es sich um sehr starkes Material handele. Beim Konsumieren müsse man aufpassen und "nicht spritzen, sondern nur sniefen". K. k onsumierte das von ihm erworbene Heroin wenig später auf nicht bekannte Art und Weise; er erlitt dadurch am 9. September 1998 eine toxische Hirnschädigung. Im Krankenhaus entwickelte sich ein Wachkoma mit spastischer Lähmung aller vier Extremitäten. Im weiteren Verlauf wurde er in ein Fachkrankenhaus für Hirnverletzte verlegt. Er kann sich nicht mehr gezielt bewegen, sich nicht selbst an- und auskleiden, nicht ohne Hilfe essen, nicht sprechen, nicht stehen und auch Sinnzusammenhänge nur begrenzt erfassen. Ka. k onsumierte das Rauschgift noch am 15. September 1998 durch Sniefen und verstarb aufgrund dessen. Er war zu diesem Zeitpunkt nicht drogenabhängig, hatte in zurückliegender Zeit gelegentlich Drogen konsumiert, damit aber im Februar 1998 aufgehört und nun wieder Heroin genommen, weil er "mal wieder Lust darauf hatte". Zum Zeitpunkt des Konsums war er weder krank noch alkoholisiert. Den Hinweis der Angeklagten beim Erwerb, es handele sich um sehr starkes Heroin, hatte er verstanden. Zwei weitere Personen nahmen an dem von der Angeklagten erworbenen und von ihnen konsumierten Heroin keinen Schaden. Der eine war im Umgang mit Drogen erfahren und an harte Drogen gewöhnt. Der andere nahm die Warnung der Angeklagten sehr ernst und konsumierte das Heroin nur in kleinen Mengen. Ka. als Gelegenheitskonsument hatte die Warnung der An-
geklagten indessen nicht zum Anlaß genommen, das erworbene Rauschgift in kleinere Portionen aufzuteilen. 2. Das Landgericht hat den Tatbestand des § 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG (leichtfertige Todesverursachung durch Abgabe von Betäubungsmitteln) geprüft und leichtfertiges Handeln der Angeklagten verneint. Ka. s ei nicht drogenabhängig und auch nicht erkennbar erkrankt gewesen. Die Angeklagte habe ihn, wie schon zuvor andere Käufer, vor der starken Wirkung des von ihr verkauften Heroins gewarnt. Aus diesem Grunde sei sie auch nicht der fahrlässigen Tötung schuldig. Ka. s ei weder durch eine Intoxikationspsychose noch sonst in seiner Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit eingeschränkt gewesen. Die Strafbarkeit der Angeklagten sei daher insoweit durch den Rechtsgedanken der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung des Opfers ausgeschlossen.

II.

Diese Würdigung des Landgerichts hält rechtlicher Nachprüfung stand. 1. Die Maßstäbe der strafrechtlichen Verantwortlichkeit für den im Anschluß an die Abgabe von Betäubungsmitteln eingetretenen Tod des Rauschgiftkonsumenten sind in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs geklärt.
a) Der Bundesgerichtshof hat in mittlerweile ständiger Rechtsprechung hervorgehoben, daß im Grundsatz die eigenverantwortlich gewollte und verwirklichte Selbstgefährdung nicht den Tatbeständen eines Körperverletzungsoder Tötungsdelikts unterfällt, wenn das mit der Gefährdung vom Opfer bewußt eingegangene Risiko sich realisiert. Wer lediglich eine solche Gefährdung veranlaßt, ermöglicht oder fördert, macht sich danach nicht wegen eines Körperverletzungs - oder Tötungsdelikts strafbar (so grundlegend BGHSt 32, 262;
siehe auch BGHSt 37, 179; BGH NStZ 1987, 406; 1992, 489). Das gilt auch für den Fall der Abgabe von Heroin (so BGH NStZ 1985, 319 f.). Dabei hat der Bundesgerichtshof darauf abgestellt, daß derjenige, der sich an einem Akt der eigenverantwortlich gewollten und bewirkten Selbstgefährdung beteiligt, an einem Geschehen teilnimmt, welches - soweit es um die Strafbarkeit wegen Tötung oder Körperverletzung geht - kein tatbestandsmäßiger und damit kein strafbarer Vorgang ist (BGHSt 32, 262, 265). Das Gesetz bedroht nur die Tötung oder Verletzung eines anderen mit Strafe. Die Strafbarkeit des sich Beteiligenden wegen Körperverletzung oder Tötungsdelikts beginnt erst dort, wo dieser kraft überlegenen Sachwissens das Risiko besser erfaßt als der sich selbst Gefährdende. Der Senat hat auf sich beruhen lassen, wie es sich verhielte , wenn der sich selbst Gefährdende außerstande war, die Risiken seines Tuns sachgerecht abzuwägen oder der Verlockung zum Drogenkonsum viel Widerstand entgegenzusetzen. Offengeblieben ist auch die Frage, was gilt, wenn denjenigen, der sich an der Selbstgefährdung eines eigenverantwortlich Handelnden aktiv beteiligt, Garantenpflichten für dessen Leib oder Leben treffen (BGH aaO S. 266).
b) Anerkannt ist darüber hinaus in der Rechtsprechung, daß das im Bereich der Körperverletzungs- und Tötungsdelikte entwickelte Prinzip der Selbstverantwortung und die Grundsätze zur bewußten Selbstgefährdung bei der Auslegung und Anwendung der Straftatbestände des Betäubungsmittelgesetzes eine Einschränkung erfahren (BGHSt 37, 179; zu weiteren schutzzwekkorientierten Einschränkungen des Grundsatzes eigenverantwortlicher Selbstgefährdung vgl. BGHSt 39, 322, 324 f.). Denn strafrechtliche Verantwortlichkeit ist Verantwortlichkeit unter einem bestimmten rechtlichen Aspekt nach den dafür geltenden normativen Voraussetzungen (BGHSt 32, 262, 266). Gerade dem - vom Landgericht geprüften - Tatbestand des § 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG, der den
Tod eines Menschen infolge der unerlaubten Abgabe von Betäubungsmitteln voraussetzt, ist damit nach dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers typischerweise eine selbstgefährdende Handlung des später zu Tode Gekommenen immanent. Der Regelungsinhalt des § 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG ist dadurch geprägt, daß der Gesichtspunkt der Selbstgefährdung nach der positivrechtlichen Entscheidung des Gesetzgebers die objektive Zurechnung der Todesfolge nicht hindern soll (so schon BGHSt 37, 179, 182/183). Allerdings erweist sich die auf der subjektiven Tatseite zu stellende Anforderung, daß dem Täter Leichtfertigkeit zur Last fallen muß, als gewisse Einschränkung des Anwendungsbereichs. 2. Der Senat hält an diesen Maßstäben fest (vgl. aber Jähnke in LK 11. Aufl. § 222 Rdn. 11, 21). Sie gelten auch für den vorliegenden Fall. Auf dieser Grundlage begegnet die Ablehnung einer der Angeklagten zuzurechnenden fahrlässigen Tötung zum Nachteil Ka. k einen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Den festgestellten Gesamtumständen ist zu entnehmen, daß der zu Tode gekommene Ka. nicht etwa außer Stande war, die Risiken seines Tuns sachgerecht abzuwägen oder der Verlockung zum Drogenkonsum nennenswerten Widerstand entgegenzusetzen. Vielmehr ergeben die Urteilsgründe, daß er eigenverantwortlich und aus freien Stücken das Heroin in selbstgefährdender Weise konsumiert hat.Ka. war weder alkoholisiert noch in irgendeiner Weise erkrankt, als er das Heroin sniefte. Im Umgang mit Drogen, auch Heroin, war er nicht unerfahren, weil er in früherer Zeit Gelegenheitskonsument gewesen war. Zum Vorfallszeitpunkt war er nicht drogenabhängig. Auch hatte er die Warnung der Angeklagten verstanden. Wenn das Landgericht bei dieser Sachlage von einer freiverantwortlich getroffenen Entschließung des Opfers
zur Selbstgefährdung ausgeht, so läßt das einen Rechtsmangel nicht erkennen. Eine täterschaftliche Verantwortung der Angeklagten für den Tod des Ka. ergibt sich schließlich auch nicht unter dem Gesichtspunkt eines überlegenen Sachwissens, das grundsätzlich die Zurechnung des vom Opfer selbst bewirkten Todeseintritts zu rechtfertigen vermag (vgl. BGHSt 32, 262, 265; BGH NStZ 1986, 266; siehe auch BGHSt 36, 1, 17 zum Sexualverkehr eines HIV-Infizierten; vgl. in der Literatur Jähnke in LK 11. Aufl. § 222 Rdn. 21; Wessels/Beulke, Strafrecht AT 28. Aufl. Rdn. 187; Wessels/Hettinger, Strafrecht BT Teil 1 23. Aufl. Rdn. 191). Wann ein solches Sachwissen als überlegen zu erachten ist, hängt von den Umständen des Falles ab und unterliegt in erster Linie der Würdigung des Tatrichters (vgl. in anderem Zusammenhang BGHSt 7, 112, 115). Dessen Feststellungen zum Wissensstand der Angeklagten und des Opfers erweisen sich nicht als lückenhaft; seine Bewertung ist tragfähig und verkennt den rechtlichen Zurechnungsmaßstab nicht. Ka. kannte den Warnhinweis der Angeklagten, es handele sich um sehr starkes Heroin, man müsse beim Konsumieren aufpassen. Ihm war - neben dem ebenfalls als allgemeinbekannt vorauszusetzenden grundsätzlichen Risiko bei Heroinkonsum - überdies zum Zeitpunkt seines Rauschgiftgenusses bekannt, daß zuvor K. infolge Heroinkonsums ins Koma gefallen war und im Krankenhaus lag. Wiewohl ihm die Kenntnis fehlte, daß K. sein Heroin aus derselben Quelle bezogen hatte wie er, so war dieser Umstand doch ganz allgemein dazu angetan, warnende Wirkung zu entfalten und ihm auch die mahnenden Worte der Angeklagten ins Bewußtsein zu rufen. Die Beschwerdeführerin vermißt weitergehende Feststellungen dazu, ob auch der Angeklagten der Umstand bekannt war, daß K. ins Koma gefal-
len war. Auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen konnte es darauf indessen ersichtlich nicht mehr entscheidend ankommen, zumal die Strafkammer ausdrücklich hervorgehoben hat, K. habe das Heroin auf nicht bekannte Art und Weise konsumiert und Ka. sei das Schicksal des K. bekannt gewesen. Unter diesen Rahmenbedingungen hätte ein etwaiger weiterer Hinweis der Angeklagten an Ka. , ein anderer Abnehmer des Heroins der selben Qualität sei bereits ins Koma gefallen, die im übrigen bereits ausgesprochene Warnung allenfalls unterstreichen können, die Aussagekraft der Warnung aber inhaltlich nicht wesentlich zu steigern vermocht; denn über Dosierung und Umstände des Konsums durch K. war nichts feststellbar. Ein etwa weitergehendes Sachwissen der Angeklagten wäre unter den gegebenen Umständen kein insoweit überlegenes Wissen gewesen. Die Erfassung des Risikos durch den im Umgang mit Drogen nicht unerfahrenen Ka. hing maßgeblich vom Wissen um die Stärke des Stoffes ab. Darauf aber hatte die Angeklagte hingewiesen und so ihr überlegenes Sachwissen in dem wesentlichen Punkt an das Opfer vermittelt. Danach erschöpfte sich der Beitrag der Angeklagten unter dem Aspekt des § 222 StGB in der Förderung eigenverantwortlicher Selbstgefährdung des Opfers. Die Bewertung des Landgerichts ist deshalb vom Revisionsgericht hinzunehmen. Im übrigen hat das Landgericht auch eine leichtfertige Verursachung des Todes im Sinne des § 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG rechtsfehlerfrei abgelehnt. Dies beanstandet auch die Beschwerdeführerin nicht.
3. Das angefochtene Urteil läßt auch sonst weder einen Rechtsfehler zu Gunsten der Angeklagten noch einen solchen zu ihrem Nachteil (vgl. § 301 StPO) erkennen. Das Landgericht durfte die schweren Folgen der Tat im Fall II 2 der Urteilsgründe, die Hirnschädigung bei K. und den Tod von Ka. , bei der Strafzumessung zu Lasten der Angeklagten berücksichtigen (vgl. BGH NStZ 1992, 489). Schäfer Granderath Nack Boetticher Schluckebier

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 168/10
vom
7. Oktober 2010
in der Strafsache
gegen
wegen Tötung auf Verlangen
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom
30. September 2010 in der Sitzung am 7. Oktober 2010, an denen teilgenommen
haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
Richter am Bundesgerichtshof
von Lienen,
Richterin am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible,
die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Schäfer,
Mayer
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt - in der Verhandlung -
als Verteidiger,
Rechtsanwalt - in der Verhandlung -
als Vertreter der Nebenklägerin,
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Nebenklägerin wird das Urteil des Landgerichts Verden vom 13. November 2009 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine Strafkammer des Landgerichts Stade zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Tötung auf Verlangen (§ 216 StGB) zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision der Nebenklägerin , die einen Schuldspruch wegen Mordes erstrebt. Nach ihrer Auffassung ist das Landgericht zu Unrecht zu der Annahme gelangt, dass der Angeklagte durch ein ausdrückliches und ernsthaftes Verlangen des Tatopfers zu dessen Tötung bestimmt wurde. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
2
1. Nach den Feststellungen war der zur Tatzeit 74 Jahre alte Angeklagte mit dem späteren Tatopfer, der 53 Jahre alt gewordenen B. , seit 1986 in vierter Ehe verheiratet. Frau B. litt seit mehreren Jahren an einem Myom, das auf eine Masse von 1.885 Gramm herangewachsen war, fast die gesamte Bauchhöhle ausfüllte und infolge seiner Verhärtung von außen unter der Bauchdecke ertastbar war. Es verursachte zumindest unbestimmte Unterleibsschmerzen sowie Verdauungsstörungen und Harndrang. Frau B. hatte die Tumorerkrankung erkannt, verheimlichte sie aber vor ihrem persönlichen Umfeld; auch dem Angeklagten offenbarte sie erst wenige Tage vor der Tat, dass sie an Unterleibsschmerzen leide, ohne auf Nachfragen weiter einzugehen. Ob sie sich in ärztliche Behandlung begeben hatte, konnte das Landgericht nicht feststellen.
3
Da sie Handwerker erwarteten, standen die Eheleute am 3. Juni 2009 früh auf. Zwischen ihnen entwickelte sich ein Gespräch, in dem Frau B. dem Angeklagten eröffnete, sie leide an einem bösartigen Unterleibsgeschwür, habe starke Schmerzen, die sie nicht mehr ertragen könne, und fühle sich körperlich am Ende. Sie hatte "zu diesem Zeitpunkt" ihren Lebensmut verloren und wollte sterben. Deshalb äußerte sie "ernsthaft und eindeutig" den Wunsch, aus dem Leben zu scheiden. Sie bat den Angeklagten sie zu erschießen. Zwischen den Eheleuten "entspann sich daraufhin eine längere Diskussion", in deren Verlauf der Angeklagte sich schließlich bereiterklärte, Frau B. "ihrem dringend vorgetragenen Wunsch entsprechend" zu töten; er wolle dann aber "mit ihr gehen". Er versprach, auch den gemeinsamen Hund und anschließend sich selbst zu töten. Frau B. legte ordentliche Kleidung und Schmuck an, schminkte sich und legte sich im Wohnzimmer auf das Sofa. Der Angeklagte trat von hinten an sie heran und schoss ihr mit einem im Scheitelbereich aufgesetzten Revolver in den Kopf. Frau B. verstarb nach wenigen Minuten. Anschließend tötete der Angeklagte den Hund; wenig später schoss er sich mit einer aufgesetzten Pistole in die linke Brustseite. Er überlebte mit schweren Verletzungen.
4
2. Das angefochtene Urteil hält in zweifacher Hinsicht rechtlicher Überprüfung nicht stand. Zum einen ist die Beweiswürdigung wegen lückenhafter Darlegungen zur Überzeugungsbildung des Landgerichts für den Senat nicht insgesamt nachvollziehbar, zum anderen ermöglichen die getroffenen Feststellungen dem Senat nicht die Prüfung, ob das Tötungsverlangen des Tatopfers ernstlich im Sinne des § 216 Abs. 1 StGB war.
5
a) Die Feststellungen des Landgerichts zum Tötungsverlangen des Opfers beruhen auf den entsprechenden Angaben des Angeklagten in der Hauptverhandlung , die er durch seinen Verteidiger verlesen ließ, als seine Einlassung bestätigte und mündlich ergänzte. Die Strafkammer hat nach einer "Gesamtbewertung sämtlicher vorhandener Indizien" nicht auszuschließen vermocht, dass sich das Tatgeschehen so abspielte, wie vom Angeklagten geschildert, und hat ihn daher in Anwendung des Zweifelssatzes nach § 216 StGB schuldig gesprochen. Ob das Landgericht bei der dem zugrunde liegenden Überzeugungsbildung den Beweisstoff in dem gebotenen Umfang ausgeschöpft hat, bleibt indes in einem entscheidenden Punkt offen. Dies führt zur Aufhebung des Urteils (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 337 Rn. 26 f.). Im Einzelnen:
6
Das Landgericht hat zum Vorgeschehen der Tat, insbesondere zur Kenntnis der Ehefrau des Angeklagten von der genauen Art ihrer Erkrankung und deren Verheimlichung vor ihrem persönlichen Umfeld keine Feststellungen zu treffen vermocht, die es als unvereinbar mit der Einlassung des Angeklagten ansieht. Auch für ein abweichendes Tatmotiv des Angeklagten hat es keine hinreichenden Belege gesehen. Vor diesem Hintergrund hat es die Richtigkeit der Einlassung des Angeklagten zunächst dadurch gestützt gefunden, dass sich das objektive Spurenbild mit seinen Angaben in Einklang bringen lässt. Auch die Einlassung zu seinem - durch eine Panikattacke veranlassten - Verhalten zwischen der Tat und seinem Selbstmordversuch finde eine Entsprechung in der von mehreren Zeugen geschilderten Auffindesituation (Gartentor und Haustüren offen). Hinzu komme die emotionale Betroffenheit des Angeklagten während der Verlesung der Erklärung durch seinen Verteidiger.
7
Demgegenüber hat das Landgericht mehrere Beweisanzeichen festgestellt , die gegen die Richtigkeit der Angaben des Angeklagten sprechen können. So wollten die Eheleute Mitte Juli 2009 die Mutter von Frau B. in Süddeutschland besuchen und während der anschließenden Ferien die Enkelkinder des Tatopfers bei sich aufnehmen. Zudem hatten sie selbst eine Urlaubsreise in Aussicht genommen. Zunächst sollte jedoch am 3. Juni 2009, dem Tattag, die schon länger geplante Renovierung des gemeinsamen Wohnhauses beginnen, auf die Frau B. sich freute, die ihr wegen des vorgesehenen Umfangs der Arbeiten aber auch Angst machte. Die Handwerker wurden für den Morgen des Tattages erwartet. In der Nacht zuvor arbeitete Frau B. ihrer Gewohnheit entsprechend bis kurz vor 1.00 Uhr am Computer, las aktuelle Nachrichten und bearbeitete Bilder von ihrem Garten. Hinzu kommt, dass der Angeklagte erstmals am vierten Hauptverhandlungstag das Tötungsverlangen seiner Ehefrau behauptete, nachdem zuvor das rechtsmedizinische Gutachten über das Obduktionsergebnis erstattet worden war.
8
Das Landgericht hat zwar die Beweisbedeutung dieser Indizien nicht verkannt ; es hat sie jedoch nicht für derart gewichtig erachtet, dass sie geeignet wären, die Richtigkeit der Einlassung des Angeklagten zu widerlegen. Deren Glaubhaftigkeit werde insbesondere nicht dadurch erschüttert, dass er weder bei den Explorationsgesprächen mit dem psychiatrischen Sachverständigen noch bei der mündlichen Haftprüfung durch das Landgericht und in dem sich anschließenden Haftbeschwerdeverfahren die in der Hauptverhandlung behauptete Tatversion vorgetragen habe; denn dies lasse sich durch die physischen und psychischen Folgen des Selbstmordversuchs erklären. Die Straf- kammer gehe daher zugunsten des Angeklagten davon aus, dass er aufgrund seines Krankheitszustandes zunächst zu einer Einlassung überhaupt nicht in der Lage gewesen sei.
9
Diese Würdigung leidet an einem durchgreifenden Mangel. Angesichts der besonderen Beweissituation musste sich das Landgericht mit dem genauen Inhalt der früheren Einlassungen des Angeklagten im Verfahren im Einzelnen auseinandersetzen. Aus den Urteilsgründen ergibt sich aber nur, dass sich der Angeklagte offensichtlich vor Beginn der Hauptverhandlung bereits mehrfach zur Sache eingelassen hatte und diese Einlassungen nicht mit seinen Angaben in der Hauptverhandlung übereinstimmten. Was er ursprünglich zum Tatgeschehen geäußert hatte, teilt das Urteil hingegen nicht mit. Nur bei näherer Betrachtung der früheren Behauptungen zum Tatgeschehen kann jedoch nachvollzogen werden, ob der Schluss des Landgerichts, das abweichende Einlassungsverhalten des Angeklagten sei mit seinem wechselnden Gesundheitszustand erklärbar, frei von Rechtsfehlern ist. Schon dies führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils.
10
b) Gemäß § 216 Abs. 1 StGB setzt die Privilegierung der Tötung auf Verlangen voraus, dass das Tötungsverlangen des Opfers, das den Täter zur Tat bestimmt, ausdrücklich und ernsthaft ist. Während die Ausdrücklichkeit bestimmte Anforderungen an den Inhalt des Verlangens stellt, grenzt die Ernstlichkeit unter normativen Gesichtspunkten rechtlich anzuerkennende Beweggründe des Tatopfers für sein Tötungsverlangen von solchen ab, denen die Rechtsordnung eine privilegierende Wirkung versagt. Wo insoweit die Grenze zu ziehen ist, ist indessen streitig.
11
aa) In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist die Frage, welche Anforderungen an die Ernstlichkeit eines Tötungsverlangens zu stellen sind, nicht abschließend geklärt.
12
Allerdings hat der Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 22. Januar 1981 (4 StR 480/80, NJW 1981, 932) festgehalten, dass ernstlich im Sinne des § 216 StGB nur ein Verlangen sei, das auf fehlerfreier Willensbildung beruhe. Der seinen Tod verlangende Mensch müsse die Urteilskraft besitzen, um Bedeutung und Tragweite seines Entschlusses verstandesmäßig zu überblicken und abzuwägen. Es komme deshalb auf die natürliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit des Lebensmüden an; sei dieser zu einer freien Selbstbestimmung über sein Leben entweder allgemein oder in der konkreten Situation nicht imstande, z.B. als Geisteskranker oder Jugendlicher (s. aber auch BGH, Urteil vom 14. August 1963 - 2 StR 181/63, BGHSt 19, 135, zum "ernstlichen und in vollem Bewusstsein seiner Tragweite zum Ausdruck gebrachten" Todesverlangen eines 16-jährigen, "über sein Alter hinaus gereifte(n) Mädchen(s)"), der nicht die entsprechende Verstandesreife besitze, so fehle es an einem ernstlichen Verlangen. Dem entsprechend hat er im Urteil vom 22. April 2005 - nicht tragend - einem Tötungsverlangen die Anerkennung versagt, weil das Tatopfer durch eine krankhafte seelische Störung in seiner natürlichen Einsichts- und Willensfähigkeit beeinträchtigt war und deshalb die Tragweite seines Entschlusses, sich töten zu lassen, nicht rational überblickte (2 StR 310/04, BGHSt 50, 80, Rn. 5,

37).

13
Damit sind indessen lediglich die grundlegenden Voraussetzungen umschrieben , die für jeden Verzicht des Betroffenen auf ein persönliches Rechtsgut zu fordern sind und die ungeachtet dessen, dass ihr Vorliegen keinen die Straflosigkeit begründenden Rechtfertigungsgrund für die Tötung eines Menschen zu schaffen vermag, auch für § 216 StGB Geltung beanspruchen. Dass ein Tötungsverlangen von vornherein nur dann Anerkennung verdient, wenn das Opfer die zureichende natürliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit besitzt, um frei verantwortlich entscheiden sowie die Bedeutung und die Tragweite seines Entschlusses verstandesmäßig überblicken und abwägen zu können, ist unumstritten. Auch das Schrifttum versagt einem Tötungsverlangen dann die Anerkennung , wenn dem Opfer diese Fähigkeit - etwa infolge alters- oder krankheitsbedingter Mängel oder unter dem Einfluss von Alkohol oder Drogen - fehlt (vgl. Fischer, StGB, 57. Aufl., § 216 Rn. 7; Lackner/Kühl, StGB, 27. Aufl., § 216 Rn. 2; LK-Jähnke, StGB, 11. Aufl., § 216 Rn. 7; MünchKommStGB/Schneider § 216 Rn. 21; S/S-Eser, StGB, 26. Aufl., § 216 Rn. 8; SK-StGB/Horn, 6. Aufl., § 216 Rn. 8).
14
Gleiches gilt für einen Todeswunsch, der deshalb nicht auf einem in freier Eigenverantwortung gefassten Entschluss beruht, weil der Täter ihn durch Zwang, Drohung oder arglistige Täuschung hervorrief, etwa durch Vorspiegelung eigener Suizidabsicht (Fischer aaO; Jähnke aaO; Eser aaO; Schneider aaO Rn. 22; vgl. auch BGH, Urteil vom 3. Dezember 1985 - 5 StR 637/85, JZ 1987, 474).
15
bb) Damit sind die inhaltlichen Anforderungen, die das normative Tatbestandsmerkmal der Ernstlichkeit für die privilegierende Wirkung des Tötungsverlangens voraussetzt, jedoch nicht abschließend umschrieben. Das Fehlen von Willensmängeln der genannten Art ist zwar notwendige, nicht aber auch hinreichende Voraussetzung der Ernstlichkeit des Tötungsverlangens. Der Senat stimmt insoweit im Grundsatz der im strafrechtlichen Schrifttum einhellig geäußerten Auffassung zu, dass einem Todesbegehren die privilegierende Wirkung mangels Ernstlichkeit auch dann zu versagen sein kann, wenn es auf einem Entschluss des Opfers beruhte, der nach obigen Maßstäben frei von Willensmängeln war.
16
Welche weiteren Eingrenzungen des Tatbestandsmerkmals danach geboten sind, wird aber in der Literatur nicht einheitlich beantwortet. Teils wird einem Todeswunsch die Ernstlichkeit schon dann abgesprochen, wenn er als unüberlegt anzusehen ist (Kühl aaO), ohne diesem Begriff allerdings schärfere Konturen zu geben. Überwiegend wird einem Verlangen die Anerkennung dann versagt, wenn es einer Augenblicksstimmung oder einer vorübergehenden Depression entsprang (Fischer; Jähnke; Eser; Horn; jeweils aaO). Gelegentlich wird der Wunsch des Opfers, sterben zu wollen, darüber hinaus auch dann für unbeachtlich gehalten, wenn es bei seinem Entschluss von unzutreffenden Voraussetzungen ausging oder einem wesentlichen Motivirrtum unterlag, so etwa bei irriger Annahme einer unheilbaren Erkrankung (Eser; Horn; jeweils aaO). Am weitesten geht die Auffassung, das Tötungsverlangen sei ein Unterfall der Einwilligung, weshalb es grundsätzlich schon dann anzuerkennen sei, wenn das Tatopfer keinen einwilligungsrelevanten Willensmängeln unterlag; auch diese Ansicht verlangt aber einschränkend eine durch Willensfestigkeit und Zielstrebigkeit gezeichnete innere Haltung des Lebensmüden, die einem beiläufig oder leichthin artikulierten Tötungsverlangen fehle (Schneider aaO Rn. 19 f.).
17
Der Senat muss sich nicht im Einzelnen festlegen, welcher dieser Ansichten zu folgen ist. Selbst die Auffassung, nach der ein frei von Willensmängeln geäußerter Todeswunsch die weitestgehende Anerkennung verdient, lässt ein Verlangen in depressiver Augenblicksstimmung jedenfalls dann nicht genügen , wenn es nicht von innerer Festigkeit und Zielstrebigkeit getragen wird (Schneider aaO). Dem schließt sich der Senat insoweit an, als damit eine Voraussetzung umschrieben ist, welcher ein Tötungsverlangen mindestens zu genügen hat, um als ernstlich zu gelten. Bereits bei Anlegung eines solchen Maßstabs reichen die Feststellungen indes nicht aus, um beurteilen zu können, ob das Verlangen der Getöteten ernstlich war; denn das Urteil beschränkt sich in- soweit im Wesentlichen darauf, den Gesetzeswortlaut zu wiederholen. Es teilt weder den Inhalt des Gesprächs wenige Tage vor der Tat noch insbesondere den Inhalt der längeren Diskussion zwischen dem Angeklagtem und seiner Ehefrau unmittelbar vor der Tat mit. Ebenso wenig setzt es sich mit den genannten weiteren Beweisanzeichen auseinander, die gegen einen von innerer Festigkeit und Zielstrebigkeit getragenen Todeswunsch sprechen, insbesondere dass das Tatopfer bereits seit geraumer Zeit an seiner Erkrankung litt, was es aber nicht hinderte, konkrete Planungen für die nähere Zukunft anzustellen und bis kurz vor der Tat seinen gewohnten Alltagsbeschäftigungen nachzugehen.
Becker von Lienen Sost-Scheible Schäfer Mayer

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 145/11
vom
14. September 2011
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
14. September 2011, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Appl
als Vorsitzender
und die Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Schmitt,
Dr. Berger,
Prof. Dr. Krehl,
Dr. Eschelbach,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizhauptsekretärin in der Verhandlung,
Justizangestellte bei der Verkündung
als Urkundsbeamtinnen der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Wiesbaden vom 1. Dezember 2010 wird verworfen. Der Angeklagte hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags unter Annahme eines minderschweren Falls gemäß § 213 2. Alt. StGB zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Hiergegen richtet sich seine auf Verfahrensrügen sowie die Sachbeschwerde gestützte Revision. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

I.

2
Nach den Feststellungen des Landgerichts ist der Angeklagte nach zwei missglückten Hüftgelenksoperationen seit 2009 auf einen Rollstuhl angewiesen. Außerdem leidet er an einer Netzhauterkrankung mit der Folge zunehmender Erblindung. Vor diesem Hintergrund wurde er - von seiner Ehefrau Monika M. umsorgt - immer depressiver. Die Ehe war harmonisch; beide Partner hatten allerdings Alkoholprobleme. Zu Beginn des Jahres 2009 verlor Monika M. deshalb ihren Arbeitsplatz, was sie zunächst innerhalb der Familie ver- schwieg. Sie erlitt durch ihre Alkoholerkrankung eine Hirnschädigung; danach litt sie an Epilepsie. Außerdem hatte sie Asthma. Ihr Zustand verschlechterte sich zunehmend, sie lag meist auf der Couch oder im Bett und nahm 20 kg ab. Der Angeklagte versorgte sie so gut er konnte. Er sah auf einem Auge nichts mehr; auf dem anderen Auge hatte er nur noch eine Sehfähigkeit von 30 %. Außerdem hörte er schlecht. Er war der Situation nicht mehr gewachsen, gab dies aber nach außen nicht zu erkennen.
3
Seine Ehefrau hatte am Morgen des 15. Januar 2010 einen epileptischen Anfall, weshalb der Angeklagte den Notarzt rief. Dieser wollte die Patientin in eine Klinik einweisen, was diese jedoch ablehnte. Daher informierte der Notarzt den Hausarzt, der für 13.00 Uhr zum Hausbesuch erscheinen wollte. Der Angeklagte war nach dem Besuch des Notarztes erschöpft und schlief auf der Couch ein. Als er wieder wach wurde, hatte seine Ehefrau erneut einen epileptischen Anfall. Der Angeklagte rief diesmal nicht den Notarzt, weil er meinte, dass dieser die Lage doch nicht dauerhaft bessern könne. Monika M. äußerte dann erstmals, dass sie nicht mehr leben wolle. Der Angeklagte entschloss sich daraufhin , seine Ehefrau und sich selbst zu töten. Er trank sich in der Küche mit Glühwein Mut an. Nach einem weiteren epileptischen Anfall seiner Ehefrau holte er einen Steakhammer und ein Messer, schlug ihr mit dem Hammer auf die Stirn, um sie zu betäuben, und stach ihr mit dem Messer sieben Mal in den Hals, wodurch sie alsbald verstarb. Nach der Tat trank der Angeklagte den restlichen Glühwein, setzte sich auf die Bettkante, stach sich mit dem Messer in den Hals und versuchte sich die Pulsadern zu öffnen. Er wurde daraufhin bewusstlos , überlebte aber den Selbsttötungsversuch.
4
Das Landgericht hat eine Privilegierung der Tat als Tötung auf Verlangen gemäß § 216 StGB abgelehnt. Es sei bereits zweifelhaft, ob von MonikaM. tatsächlich die Tötung verlangt oder nur zum Ausdruck gebracht worden sei, dass sie die Situation nicht mehr ertrage. Jedenfalls wäre ein Tötungsverlangen nicht ernstlich erfolgt. Auch eine irrtümliche Annahme der Ernstlichkeit des Tötungsverlangens habe nicht vorgelegen. Ein Eingangsmerkmal für eine Beeinträchtigung der Unrechtseinsichts- und Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit nach §§ 20, 21 StGB habe nicht vorgelegen. Der Alkoholkonsum des Angeklagten vor der Tat sei dafür nicht ausreichend. Zwar habe zur Tatzeit eine akute Belastungsreaktion vorgelegen; diese erfülle jedoch kein Eingangsmerkmal im Sinne des § 20 StGB.

II.

5
Die Revision des Angeklagten ist unbegründet. Die Verfahrensrügen haben aus den vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 10. Mai 2011 genannten Gründen keinen Erfolg. Auch die Sachrüge zeigt keinen Rechtsfehler auf. Der Erörterung bedarf nur Folgendes:
6
Der objektive Tatbestand der Tötung auf Verlangen kommt nicht in Betracht. Gemäß § 216 Abs. 1 StGB setzt die Privilegierung voraus, dass das Tötungsverlangen des Opfers, welches den Täter zur Tat bestimmt, ausdrücklich und ernsthaft ist. Ernstlich ist ein derartiges Verlangen nur, wenn es auf fehlerfreier Willensbildung beruht. Der seinen Tod verlangende Mensch muss dazu die Urteilskraft besitzen, um die Bedeutung und Tragweite seines Entschlusses zu überblicken und abzuwägen. Dem entsprechend ist einem Tötungsverlangen die Anerkennung im Sinne des Privilegierungstatbestands für den Täter zu versagen, wenn das Opfer durch eine Erkrankung in seiner natürlichen Einsichts- und Willensfähigkeit beeinträchtigt war und es deshalb die Tragweite seines Entschlusses, sich töten zu lassen, nicht überblickte. Unbeachtlich ist aber auch ein Tötungsverlangen in depressiver Augenblicksstimmung , zumindest wenn es nicht von innerer Festigkeit und Zielstrebigkeit getra- gen wird (BGH, Urteil vom 7. Oktober 2010 - 3 StR 168/10). Nach diesem Maßstab hat das Landgericht die erstmalige Äußerung des Todeswunsches durch die Ehefrau des Angeklagten zwischen mehreren epileptischen Anfällen zu Recht nicht als ernstliches Verlangen einer Tötung bewertet, zumal deren Zeit und Ausführungsart unbestimmt geblieben waren.
7
Geht der Täter allerdings irrtümlich davon aus, dass der Getötete seine Tötung ernstlich verlangt habe, dann greift § 16 Abs. 2 StGB ein, so dass die Privilegierung gemäß § 216 StGB im Ergebnis ebenfalls zu seinen Gunsten zur Anwendung kommen kann (vgl. Eser in Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl., § 216 Rn. 14; Fischer, StGB, 58. Aufl., § 216 Rn. 11). Ein auf Tatsachen bezogener Irrtum des Angeklagten in diesem Sinne ist jedoch vom Landgericht rechtsfehlerfrei ausgeschlossen worden. Der Angeklagte kannte alle Umstände, die zu der Äußerung des Todeswunsches seiner Ehefrau geführt hatten. Auch die besondere Befindlichkeit des Angeklagten zum Tatzeitpunkt hat das Landgericht - wie sich den Urteilsgründen noch entnehmen lässt - hinreichend bedacht.
8
Auch die Voraussetzungen des § 21 StGB sind vom Landgericht rechtsfehlerfrei verneint worden. Eine akute Belastungsreaktion, wie sie nach den Urteilsfeststellungen zur Tatzeit beim Angeklagten vorgelegen hatte, erfüllt im Allgemeinen nicht das Eingangsmerkmal der schweren anderen seelischen Abartigkeit im Sinne von § 20 StGB. Als schwer kann nur eine solche seelische Abartigkeit gelten, bei der sich nach dem Erscheinungsbild und Ausprägungsgrad der psychischen Störung eine Aufhebung der Unrechtseinsichts- oder Steuerungsfähigkeit oder eine erhebliche Minderung des Hemmungsvermögens geradezu aufdrängt (vgl. LK/Schöch, StGB, 12. Aufl., § 20 Rn. 73) oder bei der die Störung das Gewicht krankhafter seelischer Störungen erreicht (vgl. BGHSt 34, 22, 24 f.; 35, 76, 78 f.; 37, 397, 401). Es muss feststehen, dass der Täter aus einem für ihn mehr oder weniger unüberwindlichen Zwang heraus gehandelt hat (vgl. BGH NStZ-RR 2008, 70, 71). Einen solchen Fall hat das Landgericht mit Hinweis darauf ausgeschlossen, dass der Angeklagte die Tat planmäßig in Etappen ausgeführt habe, ein Impulskontrollverlust nicht eingetreten sei, Empathie vorgelegen habe, die Wahrnehmung des Geschehens und seine Erinnerung hieran nicht beeinträchtigt gewesen sei, der Notarzt sein Verhalten kurz vor der Tat als normal beschrieben habe und erst nach der Tat eine schwere depressive Episode ohne psychotische Symptome eingetreten sei. Dagegen ist rechtlich nichts zu erinnern.
Appl Schmitt Berger Krehl Eschelbach
5 StR 491/10

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 11. Januar 2011
in der Strafsache
gegen
wegen Körperverletzung mit Todesfolge u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 11. Januar 2011

beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 10. Mai 2010 gemäß § 349 Abs. 4 StPO mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen einer tateinheitlichen Tat der Körperverletzung mit Todesfolge und der Überlassung von Betäubungsmitteln mit Todesfolge (zwei tateinheitliche Fälle) sowie der gefährlichen Körperverletzung und der vorsätzlichen Überlassung von Betäubungsmitteln (fünf tateinheitliche Fälle) zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten verurteilt und ihn mit einem dauerhaften Berufsverbot für eine Tätigkeit als niedergelassener Arzt und als Psychotherapeut belegt. Seine hiergegen gerichtete Revision hat mit der Sachrüge Erfolg.

I.


2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts führte der Angeklagte, ein auf psychotherapeutische Behandlungen spezialisierter Arzt, sogenannte psycholytische Sitzungen durch. Bei diesen Gruppensitzungen werden die Patienten – so der Ansatz der Psycholyse – durch Drogen in ein Wachtraumerleben der Objektumgebung versetzt. Ziel dieser in Deutschland wissen- schaftlich nicht anerkannten Methode soll es sein, an unbewusste Inhalte der Psyche zu gelangen.
3
Am 19. September 2009 führte der Angeklagte mit einer Gruppe von zwölf Personen eine Intensivsitzung durch. Nach einer „Einstimmungs- und Befindlichkeitsrunde“ stellte er die zur Einnahme bereitgehaltenen Substanzen Neocor und MDMA vor. Nachdem der Angeklagte an neun der Gruppenmitglieder zunächst eine Tablette des nicht als Arzneimittel zugelassenen Neocor verabreicht hatte, fragte er, wer von den Anwesenden MDMA einnehmen wolle. Daraufhin meldeten sich sieben Mitglieder der Gruppe, darunter die später verstorbenen K. und Kn. . Von dem MDMA, das von dem Nebenkläger N. beschafft worden war, sollten sechs Mitglieder der Gruppe, die sich zur Einnahme entschlossen hatten, 120 mg, der Nebenkläger N. 140 mg erhalten. Der Angeklagte übernahm das Abwiegen des Rauschgifts. Dabei wunderte er sich zwar über das Volumen der abgewogenen Menge, verließ sich aber auf die Anzeige seiner Waage. Tatsächlich übergab er an die zum Drogenkonsum bereiten Gruppenmitglieder jedoch mindestens die zehnfache Menge. Etwa zehn bis 15 Minuten nach der Einnahme kam es bei diesen zu heftigen körperlichen Reaktionen. Einige erlitten Spasmen und waren unfähig, sich zu bewegen, mussten sich übergeben oder fingen an, um sich zu schlagen. Die körperlichen Ausfälle aufgrund der Vergiftung verstärkten sich zunehmend. Trotz der vom Angeklagten und der herbeigerufenen Notärztin veranlassten Hilfsmaßnahmen verstarben Kn. und K. an Multiorganversagen aufgrund der Überdosis MDMA. Der Nebenkläger N. war lebensgefährlich erkrankt, konnte jedoch nach Intensivbehandlung gerettet werden; die übrigen vier Gruppenmitglieder wurden nach einigen Tagen stationärer Behandlung wegen Vergiftungserscheinungen wieder entlassen.
4
2. Das Landgericht hat in der Verabreichung des MDMA eine vorsätzliche Körperverletzung gesehen. Der Angeklagte habe die Tatherrschaft über den Vorgang innegehabt, indem er das MDMA abgewogen und den Grup- penmitgliedern zur Verfügung gestellt habe. Eine Einwilligung fehle, weil er die Gruppenmitglieder nicht ausreichend aufgeklärt habe. Der durch diese Körperverletzungshandlung herbeigeführte Todeseintritt sei für ihn voraussehbar gewesen. Dies führe zugleich zu einer Strafbarkeit wegen des Überlassens von Betäubungsmitteln mit Todesfolge, weil der Angeklagte den Tod von K. und Kn. auch leichtfertig verursacht habe.

II.


5
Auf der Grundlage der Feststellungen des Landgerichts, das der Einlassung des Angeklagten im Hinblick auf eine versehentliche Überdosierung gefolgt ist, erweist sich die Revision des Angeklagten als begründet. Die Annahme einer vorsätzlichen Körperverletzung zu Lasten der MDMA konsumierenden Gruppenmitglieder begegnet durchgreifenden Bedenken.
6
1. Das Landgericht grenzt allerdings im Ansatz zutreffend die strafbare Körperverletzung von der straflosen Beteiligung an einer Selbstgefährdung ab. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs unterfällt die eigenverantwortlich gewollte und verwirklichte Selbstgefährdung grundsätzlich nicht den Tatbeständen eines Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts, wenn sich das mit der Gefährdung vom Opfer bewusst eingegangene Risiko realisiert. Wer eine solche Gefährdung veranlasst, ermöglicht oder fördert, kann daher nicht wegen eines Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts verurteilt werden; denn er nimmt an einem Geschehen teil, welches – soweit es um die Strafbarkeit wegen Tötung oder Körperverletzung geht – kein tatbestandsmäßiger und damit kein strafbarer Vorgang ist (BGH, Urteile vom 14. Februar 1984 – 1 StR 808/83, BGHSt 32, 262; vom 11. Dezember 2003 – 3 StR 120/03, BGHSt 49, 34, 39; vom 29. April 2009 – 1 StR 518/08, BGHSt 53, 288, 290).
7
Da sämtliche Mitglieder der Gruppe das Betäubungsmittel MDMA eigenhändig und wissentlich zu sich nahmen, liegt eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung vor. Dies schließt eine Strafbarkeit wegen einer vorsätzlichen Körperverletzung aus.
8
2. Eine strafrechtlich relevante Handlungsherrschaft wäre dem Angeklagten nur dann zugewachsen, wenn und soweit die Freiverantwortlichkeit des Selbstgefährdungsentschlusses der Gruppenteilnehmer beeinträchtigt gewesen wäre. Dies ist der Fall, wenn der Täter kraft überlegenen Fachwissens das Risiko besser erfasst als der Selbstgefährdende, namentlich wenn das Opfer einem Irrtum unterliegt, der seine Selbstverantwortlichkeit ausschließt (vgl. BGH, Urteile vom 29. April 2009 – 1 StR 518/08, BGHSt 53, 288, 290; vom 9. November 1984 – 2 StR 257/84, NStZ 1985, 319, 320), oder es infolge einer Intoxikation zu einer Risikoabwägung nicht mehr hinreichend in der Lage ist (BGH, Urteil vom 27. November 1985 – 3 StR 426/85, NStZ 1986, 266). Eine solche besondere Situation belegen die Urteilsgründe nicht.
9
a) Sämtliche Mitglieder der Gruppe nahmen das Betäubungsmittel MDMA willentlich zu sich. Ungeachtet der Tatsache, dass der Angeklagte die Dosierung bestimmte und die Betäubungsmittelportionen auch selbst abwog, verblieb ihnen ohne jede Einschränkung die letzte Entscheidung über die Einnahme.
10
b) Auch der von der Strafkammer angeführte Gesichtspunkt, der Angeklagte als Arzt und ehemaliger Suchtberater habe das Risiko besser erfasst als seine Gruppenmitglieder, die ihm vertraut hätten, begründet noch keine strafrechtlich relevante Handlungsherrschaft (vgl. Roxin, Strafrecht AT Bd. 1, 4. Aufl., § 11 Rdn. 111; vgl. sehr weitgehend BGH, Urteil vom 18. Juli 1978 – 1 StR 209/78, JR 1979, 429). Alle Gruppenmitglieder kannten die Illegalität der Droge. Bei der Psycholyse handelt es sich um eine in Deutschland wissenschaftlich nicht anerkannte Therapiemethode. Folglich mussten sie mit besonderen medizinischen Risiken rechnen. Darüber hinaus verfügten alle bereits über Erfahrungen mit der Droge; der später Verstorbene Kn.
hatte nach der Einnahme von MDMA überdies bereits früher Spasmen und Halluzinationen erlitten. Die Droge wurde vom Nebenkläger N. aus nicht näher geklärten – notwendigerweise jedoch illegalen – Quellen beschafft.
11
c) Angesichts dieser Umstände liegt eine eigenverantwortliche Selbstschädigung vor, selbst wenn der Angeklagte die einzelnen Gruppenmitglieder nicht über sämtliche – auch die eher seltenen – Risiken der MDMAEinnahme bei gängiger Verbrauchsdosierung, insbesondere nicht über ein bestehendes Todesrisiko, aufgeklärt hat, zumal sich diese Risiken im vorliegenden Fall nicht realisierten. Es bestehen zudem grundlegende Bedenken dagegen, die Grundsätze der Aufklärungspflicht bei ärztlicher Heilbehandlung uneingeschränkt in Fällen anzuwenden, in denen sich selbstverantwortliche Personen auf eine Behandlung einlassen, die offensichtlich die Grenzen auch nur ansatzweise anerkennenswerter ärztlicher Heilkunst überschreitet (vgl. auch § 13 BtMG).
12
3. Ein die Tatherrschaft des Angeklagten begründender Umstand wäre allerdings die Überdosierung mit der mindestens zehnfachen Menge des MDMA, weil hierdurch die Konsumenten der Drogen über einen ganz wesentlichen Gesichtspunkt im Unklaren gelassen wurden. Die wesentlich höhere Dosis hatte nämlich eine erhebliche Vergrößerung des Risikos zur Folge , das die Konsumenten nicht einschätzen konnten und auch tatsächlich verkannten.
13
Diese Fehldosierung durfte dem Angeklagten jedoch auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen nicht als vorsätzliche Körperverletzung zugerechnet werden. Das Landgericht folgt nämlich der Einlassung des Angeklagten , aufgrund einer Fehlfunktion seiner Waage sei es zur Überdosierung gekommen. Demnach fehlt es an einer Vermittlung der Tatherrschaft durch Irrtumsherrschaft, die bei der vorsätzlichen Körperverletzung nur durch ein vorsätzliches Handeln bewirkt werden kann. Wenn der Angeklagte die maßgebliche Risikoerhöhung durch die Falschdosierung nicht erkannt hat, liegt lediglich ein durch fahrlässiges Tun herbeigeführter Irrtum der Gruppenmitglieder vor. Der Angeklagte hätte deshalb auf der Basis der nach seiner Einlassung getroffenen Feststellungen – abhängig von den Folgen der Überdosierung bei den einzelnen Gruppenmitgliedern – lediglich wegen fahrlässiger Tötung (§ 222 StGB) und fahrlässiger Körperverletzung (§ 229 StGB) verurteilt werden können.

III.


14
Der Rechtsfehler nötigt angesichts der tateinheitlichen Verknüpfung sämtlicher verwirklichter Straftatbestände zu einer umfassenden Aufhebung des Schuldspruchs (vgl. BGH, Urteil vom 11. Dezember 2003 – 3 StR 120/03, BGHSt 49, 34, 45).
15
Abgesehen davon begegnet auch die Annahme einer Strafbarkeit wegen Überlassens der Betäubungsmittel mit Todesfolge (§ 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG) auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen Bedenken. Die Tatbestandsverwirklichung setzt im Hinblick auf die Todesfolge Leichtfertigkeit voraus (§ 18 StGB). Hierfür ist das Maß der Pflichtwidrigkeit im Moment des Wiegevorgangs entscheidend, weil der vom Landgericht angenommene Wiegefehler die den Todeserfolg auslösende Bedingung gesetzt hat. Das Landgericht hätte sich deshalb mit der Frage der Erkennbarkeit des Wiegefehlers vor dem Erfahrungshintergrund des Angeklagten als Arzt näher auseinandersetzen müssen.
16
Von einer Aufrechterhaltung von Teilen der Feststellungen sieht der Senat ab, um dem neuen Tatgericht eine umfassende Aufklärung zu ermöglichen. Das neue Tatgericht wird sich dabei kritisch mit der Einlassung des Angeklagten auseinandersetzen müssen, dass er infolge eines Fehlers der Waage die zehnfache Überdosierung des MDMA nicht erkannt habe (vgl. BGH, Beschluss vom 15. April 2010 – 5 StR 75/10, NStZ 2010, 503).
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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 389/13
vom
16. Januar 2014
in der Strafsache
gegen
wegen Körperverletzung mit Todesfolge u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 16. Januar 2014 beschlossen
:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Augsburg vom 7. Februar 2013 mit den Feststellungen
aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine Schwurgerichtskammer
des Landgerichts München I verwiesen.

Gründe:


I.


1
Das Landgericht hat den Angeklagten, einen auf die Substitutionsbehandlung Rauschgiftsüchtiger spezialisierten Arzt, wegen zweier tatmehrheitlicher Fälle der Körperverletzung mit Todesfolge, jeweils in Tateinheit mit vorsätzlicher unerlaubter Abgabe von Betäubungsmitteln, sowie wegen weiterer 673 tatmehrheitlicher Fälle der unerlaubten Abgabe von Betäubungsmitteln zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt und zugleich ein Berufs- verbot für die Dauer von vier Jahren sowie den Verfall von Wertersatz in Höhe von 11.600 Euro angeordnet.
2
Die Revision des Angeklagten hat Erfolg.
3
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts führte der Angeklagte seit vielen Jahren Substitutionsbehandlungen bei opiat-, vor allem heroinabhängigen Patienten durch. Ihm war bekannt, dass solche Patienten häufig unter Vortäuschung schwerer Schmerzzustände versuchen, sich in den Besitz von Schmerzpflastern auf Basis des Opiats Fentanyl zu bringen, um den darin enthaltenen Wirkstoff auszukochen und ihn sich zur Befriedigung ihrer Sucht intravenös zu injizieren. Ihm war auch bekannt, dass Fentanyl stark atemdepressiv wirkt, weshalb beim Einsatz solcher Pflaster ohne strenge ärztliche Kontrolle Lebensgefahr besteht.
4
a) Seit November 2005 führte der Angeklagte bei dem heroinabhängigen Geschädigten S. eine Substitutionsbehandlung durch. Im Januar 2008 brach dieser die Behandlung unvermittelt ab. Durch die Übersendung mehrerer ihm als "Hausarzt" übersandter Arztberichte erfuhr der Angeklagte jedoch in der Folgezeit davon, dass S. im ersten Halbjahr 2010 dreimal, zuletzt am 31. Mai 2010, erfolglos wegen seiner Heroinabhängigkeit stationär behandelt worden war.
5
Am 28. September 2010 sprach S. erstmals wieder in der Praxis des Angeklagten vor. Er trug ein aufgeklebtes Fentanyl-Schmerzpflaster und bat unter Hinweis auf eine bei ihm bestehende schwere Hüftgelenksverletzung um weitere Pflaster. Obwohl der Angeklagte erkannte, dass aufgrund der fortbestehenden Abhängigkeit die Abgabe von Fentanyl zur unkontrollierten Schmerzbehandlung kontraindiziert und S. infolge der Abhängigkeit als Hochrisikopatient im Hinblick auf einen möglichen Missbrauch einzustufen war, verordnete er ihm zehn Fentanyl-Pflaster mit einem Wirkstoffgehalt von je 100 Mikrogramm Fentanyl zum Eigengebrauch und stellte ihm auch bei drei weiteren Vorstellungen am 3. November 2010, am 1. Dezember 2010 und am 10. Januar 2011 jeweils Wiederholungsrezepte in gleichem Umfang aus. Eine eingehende Untersuchung des Patienten, insbesondere eine solche auf Drogenfreiheit , nahm er vor den Verschreibungen nicht vor.
6
Am Abend des 10. Januar 2011 kochte S. gemeinsam mit den Zeugen M. , A. und H. in seiner Wohnung die vom Angeklagten rezeptierten Fentanyl-Pflaster aus und injizierte sich den Wirkstoff. Dabei verabreichte er sich, was der Angeklagte nach den Feststellungen der Strafkammer für möglich hielt und billigend in Kauf nahm, versehentlich eine Überdosis und verstarb, für den Angeklagten als spezifische Folge seiner Verschreibung vorhersehbar und vermeidbar, unmittelbar an deren Folgen.
7
b) Seit November 1999 betreute der Angeklagte den langjährig heroinabhängigen Geschädigten T. .
8
Nachdem er diesem Patienten am 28. Januar 2009 zunächst ein Hausverbot in der Praxis erteilt hatte, stellte sich T. am 7. Dezember 2009 wegen eines vorgeblichen Lendenwirbelsyndroms überraschend wieder in der Praxis des Angeklagten vor. Er trug ein Fentanyl-Pflaster und bat um weitere gleichartige Verordnungen. Der Angeklagte rezeptierte ihm, ohne ihn zu untersuchen, zehn Fentanyl-Pflaster á 75 Mikrogramm zum Eigengebrauch , überwies ihn an einen Orthopäden und erbat von dort eine Bestätigung der Erforderlichkeit der Fentanyl-Behandlung. Ohne weitere Untersuchung und ohne Rücksprache mit dem Orthopäden rezeptierte er dem Geschädigten auch am 21. Dezember 2009 fünf, am 26. April 2010 zehn und am 23. Dezember 2010 nochmals fünf Fentanyl-Pflaster mit jeweils 75 Mikrogramm Fentanyl-Wirkstoff zum Eigengebrauch.
9
Wegen des ihm bekannten, langjährigen Suchtverlaufs waren dem Angeklagten die fortbestehende Abhängigkeit des Geschädigten T. und die damit verbundene Gefahr eines Missbrauchs von Heilmitteln bewusst.
10
T. injizierte sich, wie vom Angeklagten für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen, am 26. Dezember 2010 unter nicht näher aufklärbaren Umständen den ausgekochten Fentanyl-Wirkstoff intravenös. Für den Angeklagten als Folge seines Handelns vorhersehbar und vermeidbar, verabreichte er sich dabei eine Überdosis Fentanyl und verstarb unmittelbar an deren Folgen.
11
2. Seit 1999 war der Angeklagte behandelnder Arzt des opiatabhängigen Patienten K. . Der zu 100 % schwerbehinderte, an den Rollstuhl gefesselte Patient konsumierte, was dem Angeklagten bekannt war, seit 1999 abwechselnd L-Polamidon und Methadon.
12
In den Jahren 2010, 2011 und bis zu seiner Verhaftung am 18. Januar 2012 stellte der Angeklagte dem Patienten insgesamt 599 Privatrezepte im Umfang wöchentlicher Gesamtmengen jeweils 1%igen Methadonhydrochlorids von 105 ml (488 Rezepte), 210 ml (3 Rezepte) oder 308 ml (108 Rezepte) zum Eigengebrauch aus. Für - nicht näher verifizierte - Zeiträume, in denen der Geschädigte sich "auf Reisen" befand, verordnete ihm der Angeklagte in 68 Fällen jeweils 75 Methadicct-Tabletten mit einem Wirkstoffgehalt von je 40 mg Methadonhydrochlorid.
13
Eine umfassende Untersuchung des Patienten nahm der Angeklagte dabei zu keinem Zeitpunkt vor. Die jeweiligen Verordnungsdaten innerhalb des vorgenannten Zeitraums wählte er willkürlich. Mit Ausnahme von Urlaubszeiten stellte er dem Patienten wöchentlich fünf bis sechs Rezepte zum Preis von jeweils 30 Euro aus, die K. durch Mitarbeiterinnen des Angeklagten je- weils an der Hauseingangstür der Praxis übergeben wurden. Das Methadon verkaufte K. , soweit er es nicht selbst konsumierte, an Unbekannte weiter.
14
Der Angeklagte handelte in der Absicht, sich eine Erwerbsquelle von erheblichem Umfang und Dauer zu verschaffen. Durch die Rezeptverkäufe erzielte er einen Gesamterlös vor Steuern in Höhe von 20.010 Euro.

II.


15
Die Revision des Angeklagten ist bereits mit der Sachrüge begründet; auf die erhobene Verfahrensrüge kommt es daher nicht mehr an.
16
1. Die Verurteilung des Angeklagten wegen Körperverletzung mit Todesfolge zum Nachteil des Geschädigten S. hält revisionsgerichtlicher Prüfung nicht stand.
17
Bereits die Ausführungen des Landgerichts zum objektiven Tatbestand der Körperverletzung mit Todesfolge (§ 227 StGB) begegnen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
18
a) Im Ansatz zutreffend, hat die Strafkammer geprüft, ob der Angeklagte Beteiligter der zum Tode des Geschädigten S. führenden Körperverletzung sein konnte, obwohl sich dieser das Fentanyl ohne Mitwirkung des Angeklagten eigenhändig injizierte.
19
Wer eine fremde Selbstverletzung oder -gefährdung veranlasst, macht sich nicht wegen Tötungs- oder Körperverletzungsdelikten strafbar, wenn sich das mit der Gefährdung vom Opfer bewusst eingegangene Risiko realisiert. Wer eine solche Verletzung oder Gefährdung veranlasst, ermöglicht oder fördert , kann daher nicht wegen eines Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts verurteilt werden, denn er nimmt an einem Geschehen teil, welches - soweit es um die Strafbarkeit wegen Tötung oder Körperverletzung geht - kein tatbestandsmäßiger und damit kein strafbarer Vorgang ist (BGH, Beschluss vom 11. Januar 2011 - 5 StR 491/10; Urteile vom 29. April 2009 - 1 StR 518/08, BGHSt 53, 288, 290; vom 11. Dezember 2003 - 3 StR 120/03, BGHSt 49, 34, 39; vom 14. Februar 1984 - 1 StR 808/83, BGHSt 32, 262).
20
Maßgebliches Abgrenzungskriterium zwischen strafloser Beteiligung an einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung und einer - grundsätzlich tatbestandsmäßigen - Fremdgefährdung eines anderen ist die Trennungslinie zwischen Täterschaft und Teilnahme. Entscheidend ist damit die Eigen- bzw. Freiverantwortlichkeit des Entschlusses des Rechtsgutsinhabers, sein Leben oder seine körperliche Unversehrtheit selbst zu gefährden. Eine Täterschaft des die Selbstgefährdung Fördernden kommt daher nur in Betracht, wenn er infolge eines bei dem sich selbst Gefährdenden bestehenden Mangels der Eigenverantwortlichkeit Tat- bzw. Handlungsherrschaft über das Geschehen erlangt.
21
b) Die Strafkammer hat - im Ansatz zutreffend - eine solche Handlungsherrschaft des Angeklagten wegen dessen überlegenen Wissens bejaht, aber nicht rechtsfehlerfrei begründet.
22
aa) Hierzu hat sie ausgeführt, als "erfahrener Drogenarzt" habe der Angeklagte im "Wissen um das Risiko eines Missbrauchs durch Patienten mit problematischem Drogenhintergrund" das "weitere Geschehen aus der Hand" gegeben, indem er dem Patienten "unkontrolliert Fentanyl in großen Mengen überlassen" habe. Nicht "in Rechnung" zu stellen, dass Drogenabhängige "im Entzug jede Kontrolle über sich verlieren oder ein ihnen überlassenes Suchtmittel entgegen ärztlicher Anordnung intravenös injizieren und dabei auch eine Überdosis anwenden" können, schaffe geradezu einen „Anreiz zur Selbstge- fährdung, der als täterschaftliche Schaffung einer gefahrträchtigen Lage zu werten“ sei.
23
bb) Diese Begründung hält rechtlicher Prüfung nicht stand.
24
(1) Allerdings kann nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs überlegenes Sachwissen des die Selbstgefährdung bzw. -verletzung Fördernden dessen Handlungsherrschaft begründen (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Januar 2011 - 5 StR 491/10; BGH, Urteile vom 29. April 2009 - 1 StR 518/08, BGHSt 53, 288, 290 f.; vom 11. April 2000 - 1 StR 638/99, NStZ 2001,

205).

25
Die Strafkammer hat jedoch den rechtlichen Maßstab für die Prüfung überlegenen Wissens verkannt. Denn sie hat ausschließlich an den besonderen Kenntnissen des Angeklagten Maß genommen, dabei aber den Wissensstand des Geschädigten völlig unberücksichtigt gelassen (vgl. BayObLG, Beschluss vom 11. Dezember 2001 - 5St RR 298/01). Die Beurteilung der Überlegenheit des Sachwissens setzt jedoch Feststellungen zum Wissensstand sowohl des die Selbstgefährdung Fördernden als auch des sich selbst Gefährdenden zwingend voraus (zum Prüfungsmaßstab vgl. BGH, Urteil vom 11. April 2000 - 1 StR 638/99, NStZ 2001, 205 mwN).
26
(2) Durch diesen verkürzten Maßstab hat sich die Strafkammer im Weiteren den Blick auf Umstände verstellt, die hinreichend adäquates Sachwissen auch des Geschädigten in Bezug auf das rechtsgutsbezogene Risiko seines Verhaltens nahelegten und daher der Erörterung bedurft hätten:
27
So verfügte der Geschädigte über eine lange Suchtkarriere und kannte die grundlegenden Risiken des Drogenkonsums einschließlich des Risikos einer Überdosierung (vgl. auch BGH, Urteil vom 29. April 2009 - 1 StR 518/08, BGHSt 53, 288 ff.; BayObLG, Beschlüsse vom 11. Dezember 2001 - 5St RR 298/01, vom 14. Februar 1997 - 4St RR 4/97, NStZ 1997, 341, 342, und - zu einem insoweit anders gelagerten Fall - vom 28. August 2002 - 5St RR 179/02, NJW 2003, 371). Auch hinsichtlich des von ihm konkret praktizierten FentanylMissbrauchs legten die von der Strafkammer als glaubhaft erachteten Aussagen der Zeugen M. , A. und H. es nahe, dass der Geschädigte sich der Risiken seines Handelns, insbesondere der Gefahr einer Überdosis aufgrund der Injektion, bewusst war.
28
Eines darüber hinaus gehenden Verständnisses der exakten medizinischen Wirkzusammenhänge zwischen der Einnahme des als bei Überdosierung als lebensgefährlich bekannten Opiats und den möglichen Auswirkungen auf das eigene Leben und die eigene körperliche Unversehrtheit bedurfte es demgegenüber nicht.
29
c) Auch unter dem Aspekt eines etwaigen Ausschlusses der Fähigkeit zu eigenverantwortlicher Entscheidung belegen die Ausführungen der Strafkammer keine Tatherrschaft des Angeklagten.
30
Auch hier hat die Strafkammer bereits den rechtlichen Maßstab verfehlt.
31
Ihre - für sich genommen rechtsfehlerfrei getroffene - Feststellung der Opiatabhängigkeit des Geschädigten führt nicht automatisch zum Ausschluss der Eigenverantwortlichkeit (vgl. auch BGH, Beschluss vom 9. November 2011 - 2 StR 427/11, NStZ-RR 2012, 71; Urteile vom 17. Juni 2010 - 4 StR 47/10, und vom 14. Februar 1984 - 1 StR 808/83, NStZ 1984, 410, 411 m. Anm. Roxin ; sehr weitgehend demgegenüber noch BGH, Urteil vom 18. Juli 1978 - 1 StR 209/78, JR 1979, 429; Fischer, StGB, 61. Aufl., § 21 Rn. 13 mwN; ebenso für "Erfahrungen im Umgang mit Drogen" BGH, Beschluss vom 11. Januar 2011 - 5 StR 491/10; Urteil vom 11. April 2000 - 1 StR 638/99, BGHR StGB § 222 Zurechenbarkeit 2). Ein allgemeiner Erfahrungssatz, dass Betäubungsmittelkonsumenten zu eigenverantwortlicher Entscheidung nicht fähig sind, besteht nicht (s.a. BayObLG, Beschluss vom 11. Dezember 2001 - 5St RR 298/01). Vielmehr bedarf es der Feststellung konkreter die Eigenverantwortlichkeit einschränkender Umstände, etwa einer akuten Intoxikation (vgl. BGH, Urteil vom 28. Oktober 1982 - 1 StR 501/82, NStZ 1983, 72), unter Umständen auch eines entzugsbedingten akuten Suchtdrucks, verbunden mit der Angst vor körperlichen Entzugserscheinungen (zu §§ 20, 21 StGB vgl. BGH, Urteile vom 2. November 2005 - 2 StR 389/05, NStZ 2006, 151; vom 6. Juni 1989 - 5 StR 175/89,BGHR StGB § 21 BtM-Auswirkungen 5; Beschluss vom 10. April 1990 - 4 StR 148/90, BGHR StGB § 21 BtM-Auswirkungen 7 jew. mwN) oder konsumbedingter schwerer Persönlichkeitsveränderungen, die zum Verlust der Eigenverantwortlichkeit führen können (zu §§ 20, 21 StGB vgl. BGH, Beschluss vom 9. November 2011 - 2 StR 427/11, StV 2012, 282; Urteil vom 17. Juni 2010 - 4 StR 47/10).
32
Solche Feststellungen hat die Strafkammer jedoch nicht getroffen.
33
d) Soweit dem Urteil des Senats vom 18. Juli 1978 (1 StR 209/78, JR 1979, 429) über die Besonderheiten des dortigen konkreten Falles hinaus allgemein die Rechtsauffassung entnommen werden könnte, die aus der Behandlung eines opiatabhängigen Patienten resultierende Garantenpflicht des behandelnden Substitutionsarztes begründe eine "besondere Sorgfaltspflicht" des Arztes, Schaden von seinem Patienten abzuwenden, und führe - unabhängig von der Freiverantwortlichkeit des Patienten - stets zu einer Täterschaft begründenden Herrschaft des Arztes über das selbstschädigende Verhalten des Patienten, wäre daran nicht festzuhalten.
34
2. Aus denselben Gründen hält auch die Verurteilung des Angeklagten wegen Körperverletzung mit Todesfolge zum Nachteil des GeschädigtenT. revisionsgerichtlicher Überprüfung nicht stand.
35
3. Schließlich begegnet auch die Verurteilung des Angeklagten wegen unerlaubten Verschreibens von Betäubungsmitteln in den auf den Tatkomplex K. entfallenden 667 Fällen durchgreifenden Bedenken.
36
a) Die Annahme der Strafkammer, ungeachtet der - wie festgestellt - gemeinsamen Ausstellung mehrerer Rezepte liege hinsichtlich jedes einzelnen Rezepts eine gesonderte Straftat vor, ist rechtsfehlerhaft.
37
Aus dem Umstand, dass der Angeklagte jedes der ihm vorgelegten Rezepte überprüfte, ehe er es unterzeichnete, ergibt sich kein gesonderter Tatentschluss. Der Angeklagte handelte vielmehr ersichtlich mit der Absicht, alle ihm vorgelegten Rezepte, sofern diese formal ordnungsgemäß ausgestellt waren, innerhalb eines einheitlichen Prüfungsvorganges zu unterzeichnen, damit sie dem Patienten gemeinsam übergeben werden konnten.
38
b) Eine abschließende Beurteilung der Anzahl der Einzeltaten ist dem Senat nicht möglich, weil das Urteil insoweit keine widerspruchsfreien Feststellungen enthält.
39
Die Strafkammer legt als Tatzeitraum den Zeitraum vom 1. Januar 2010 bis zur Verhaftung des Angeklagten am 18. Januar 2012, also "ca. 107 Kalenderwochen" zugrunde. Sie führt hierzu jedoch aus, K. habe die Rezep- te lediglich "in der Regel", nämlich außerhalb von "Urlaubszeiten", wöchentlich abgeholt. Diese "Urlaubszeiten" - bei denen unklar bleibt, ob damit die "Reisezeiten" des Patienten gemeint sind - sind jedoch nicht näher verifiziert; es liegt nahe, dass sich die Anzahl der Rezeptübergaben unter Anrechnung dieser Zeiten verringert.

III.


40
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
41
1. Die in Fällen eigenverantwortlicher Selbstverletzung oder -gefährdung für eine Täterschaft wegen vorsätzlicher Körperverletzung aufgestellten Maßstäbe gelten entsprechend, sofern eine Bestrafung des die Selbstgefährdung Fördernden nur wegen fahrlässiger Körperverletzung bzw. Tötung in Betracht kommt. Daher bedarf es auch insoweit einer Handlungsherrschaft aufgrund überlegenen Sachwissens oder aufgrund erkennbarer Mängel der Fähigkeit zur eigenverantwortlichen Entscheidung bei dem sich selbst Gefährdenden (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Januar 2011 - 5 StR 491/10; Urteile vom 29. April 2009 - 1 StR 518/08, BGHSt 53, 288, 290; vom 11. Dezember 2003 - 3 StR 120/03, BGHSt 49, 34, 39; vom 14. Februar 1984 - 1 StR 808/83, BGHSt 32,

262).

42
2. Für den Fall, dass sich in einer neuen Hauptverhandlung hinreichende Feststellungen zur Annahme von Tat- bzw. Handlungsherrschaft des Angeklagten ergeben, wird der neue Tatrichter auch die subjektive Tatseite erneut eingehend zu prüfen haben:
43
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Abgrenzung von bedingtem Vorsatz und bewusster Fahrlässigkeit handelt der Täter vorsätzlich, wenn er den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt und damit in der Weise einverstanden ist, dass er die Tatbestandsverwirklichung billigend in Kauf nimmt oder sich um des erstrebten Zieles willen wenigstens mit ihr abfindet, mag ihm auch der Erfolgseintritt an sich unerwünscht sein; bewusste Fahrlässigkeit liegt hingegen dann vor, wenn der Täter mit der als möglich erkannten Tatbestandsverwirklichung nicht einverstanden ist und ernsthaft - nicht nur vage - darauf vertraut, der tatbestandliche Erfolg werde nicht eintreten (BGH, Urteil vom 4. November 1988 - 1 StR 262/88, BGHSt 36, 1, 9 f.).
44
Da beide Schuldformen im Grenzbereich eng beieinander liegen, müssen bei der Annahme bedingten Vorsatzes beide Elemente der inneren Tatseite , also sowohl das Wissenselement als auch das Willenselement, in jedem Einzelfall besonders geprüft und durch tatsächliche Feststellungen belegt werden (BGH aaO, vgl. auch Urteil vom 7. Juli 2011 - 5 StR 561/10, BGHSt 56, 277 ff.). Insbesondere die Würdigung zum voluntativen Vorsatzelement, also zur billigenden Inkaufnahme des Erfolges, muss sich mit den Feststellungen des Urteils zur Persönlichkeit des Täters auseinandersetzen und auch die zum Tatgeschehen bedeutsamen Umstände mit in Betracht ziehen (vergleiche BGH, Urteil vom 4. November 1988 - 1 StR 262/88, BGHSt 36, 1, 10, und vom 25. November 1987 - 3 StR 449/87, NStZ 1988, 175). Der Tatrichter darf nicht ohne Weiteres aus der Erkenntnisfähigkeit eines Täters oder seiner vorhandenen Erkenntnis auf die billigende Inkaufnahme des Erfolgs schließen (vgl. BGH, Urteil vom 25. November 1987 - 3 StR 449/87, NStZ 1988, 175).
45
Bei der Körperverletzung im Arzt-Patienten-Verhältnis ist zu berücksichtigen , dass die Annahme, die Art und Weise der Behandlung eines Patienten durch einen Arzt sei nicht am Wohl des Patienten orientiert, auch bei medizinisch grob fehlerhaftem Verhalten des Arztes häufig fernliegt (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2003 - 1 StR 269/02, NStZ 2004, 35 f.). Selbst erhebliche Sorgfaltspflichtverstöße schließen eine Verurteilung wegen nur fahrlässiger Tat nicht von vornherein aus (vgl. auch BayObLG, Beschluss vom 28. August 2002 - 5St RR 179/02, NJW 2003, 371, 372).
Raum Wahl Graf Jäger Cirener

Schuldunfähig ist, wer bei Begehung der Tat noch nicht vierzehn Jahre alt ist.

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

(1) Wer in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Leib oder Freiheit eine rechtswidrige Tat begeht, um die Gefahr von sich, einem Angehörigen oder einer anderen ihm nahestehenden Person abzuwenden, handelt ohne Schuld. Dies gilt nicht, soweit dem Täter nach den Umständen, namentlich weil er die Gefahr selbst verursacht hat oder weil er in einem besonderen Rechtsverhältnis stand, zugemutet werden konnte, die Gefahr hinzunehmen; jedoch kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden, wenn der Täter nicht mit Rücksicht auf ein besonderes Rechtsverhältnis die Gefahr hinzunehmen hatte.

(2) Nimmt der Täter bei Begehung der Tat irrig Umstände an, welche ihn nach Absatz 1 entschuldigen würden, so wird er nur dann bestraft, wenn er den Irrtum vermeiden konnte. Die Strafe ist nach § 49 Abs. 1 zu mildern.

(1) Ist jemand durch das ausdrückliche und ernstliche Verlangen des Getöteten zur Tötung bestimmt worden, so ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen.

(2) Der Versuch ist strafbar.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 473/13
vom
4. September 2014
BGHSt: ja
BGHR: ja
Nachschlagewerk: ja
Veröffentlichung: ja
––––––––––––––––––––––––––-
1. Hat es der hierfür verantwortliche Polizeibeamte unterlassen, nach einer ohne
richterliche Entscheidung erfolgten Ingewahrsamnahme oder Festnahme, an der
er selbst nicht beteiligt war, die für die Fortdauer der Freiheitsentziehung erforderliche
unverzügliche Vorführung beim Richter vorzunehmen bzw. die für sie
gebotene richterliche Entscheidung unverzüglich herbeizuführen, ist dies geeignet
, den Vorwurf der Freiheitsberaubung durch Unterlassen zu begründen.
2. Jedoch entfällt die Kausalität eines solchen Unterlassens jedenfalls dann, wenn
mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass der
zuständige Richter bei unverzüglicher Vorführung und rechtmäßiger Entscheidung
- unter Ausschöpfung ihm zustehender Beurteilungsspielräume zugunsten
des Angeklagten - die Fortdauer der Freiheitsentziehung angeordnet hätte.
BGH, Urteil vom 4. September 2014 - 4 StR 473/13 - LG Magdeburg
in der Strafsache
gegen
wegen fahrlässiger Tötung
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Verhandlung vom
28. August 2014 und in der Sitzung am 4. September 2014, an der teilgenommen
haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible,
Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
Richter am Bundesgerichtshof
Cierniak,
Dr. Mutzbauer,
Dr. Quentin
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof - in der Verhandlung
-,
Bundesanwältin beim Bundesgerichtshof - bei der Verkündung
-
als Vertreter des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt und
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
der Nebenkläger M. D. in Person - bei der Verkündung
-,
Rechtsanwalt
als Vertreter der Nebenkläger B. D. und A.
D. ,
Rechtsanwältin
als Vertreterin des Nebenklägers M. D. ,
Herr S. aus Frankfurt am Main
als allgemein vereidigter Dolmetscher für die Sprache Fulla,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revisionen des Angeklagten, der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger gegen das Urteil des Landgerichts Magdeburg vom 13. Dezember 2012 werden verworfen.
2. Die Rechtsmittelführer haben die Kosten ihrer Rechtsmittel zu tragen. Ferner werden der Staatskasse die durch das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft verursachten notwendigen Auslagen des Angeklagten auferlegt.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Nachdem der Bundesgerichtshof das den Angeklagten nach 58-tägiger Hauptverhandlung vom Vorwurf der Körperverletzung mit Todesfolge freisprechende Urteil des Landgerichts Dessau-Roßlau vom 8. Dezember 2008 mit Urteil vom 7. Januar 2010 mit den Feststellungen wegen Rechtsfehlern in der Beweiswürdigung aufgehoben hatte, verurteilte das Landgericht Magdeburg nach 67-tägiger Hauptverhandlung den Angeklagten nunmehr wegen fahrlässiger Tötung zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 90 €. Ferner hat es bestimmt, dass davon infolge einer dem Angeklagten nicht anzulastenden Verfahrensverzögerung 20 Tagessätze als vollstreckt gelten. Gegen das Urteil richten sich die Revisionen des Angeklagten, der Staatsanwaltschaft und dreier Nebenkläger jeweils mit der Sachrüge. Der Angeklagte sowie die Nebenkläger beanstanden zudem das Verfahren. Keines der Rechtsmittel hat Erfolg.

I.


2
Das Verfahren betrifft den Tod des damals knapp 22 Jahre alten, in Sierra-Leone geborenen J. in einer Gewahrsamszelle des Polizeireviers De. am 7. Januar 2005, in dem der damals 44jährige Angeklagte als Dienstgruppenleiter tätig war.
3
1. Hierzu hat das Landgericht im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:
4
Am 7. Januar 2005 ab 8.03 Uhr teilte die Zeugin Be. , die mit weiteren Frauen im Rahmen eines sogenannten 1-Euro-Jobs Pflegearbeiten in den Verkehrs- und Grünflächen im Bereich der T. straße in De. verrichtete, der Polizeibeamtin H. telefonisch mehrfach mit, dass sie von einem "Ausländer belästigt" werden. Frau H. war damals beim Polizeirevier De. als stellvertretende Dienstgruppenleiterin und "Streifeneinsatzführerin" tätig. Die daraufhin von ihr verständigten Polizeibeamten Mä. und Sc. trafen um 8.20 Uhr vor Ort ein. Ihnen war zum Grund des Einsatzes mitgeteilt worden, dass vier weibliche Personen durch einen Ausländer massiv belästigt werden, der hinter ihnen herrenne und versuche, sie "anzutatschen". Während der Zeuge Mä. sich zunächst den anwesenden Frauen zuwandte, fragte der Zeuge Sc. den ihm nicht bekannten, in der Nähe stehenden und sich unauffällig verhaltenden J. nach seinem "Passport". Nachdem J. dessen Herausgabe verweigert hatte, forderte der Zeuge Sc. ihn auf, in das Polizeifahrzeug zu steigen; er wollte " J. erst einmal vor Ort weg und ins Revier bringen". Auch dies lehnte J. ab. Als der Polizeibeamte Sc. ihn daraufhin zu dem Polizeifahrzeug verbringen wollte, setzte sich J. dagegen durch Hin- und Herdrehen zu Wehr. Ihm wurden sodann bei fortdauernder Gegenwehr Handfesseln angelegt und er wurde vom Zeugen Mä. und dessen Kollegen in das Polizeifahrzeug und zum Polizeirevier De. verbracht. Der Grund hierfür wurde J. weder zu diesem Zeitpunkt noch später mitgeteilt; auch wurde er zu keinem Zeitpunkt belehrt oder befragt, ob jemand von seiner Ingewahrsamnahme unterrichtet werden soll. Noch im Polizeifahrzeug versuchte J. nach dem Polizeibeamten Sc. zu treten, wobei entweder durch diesen oder durch einen weiteren Tritt die Plastikverkleidung an der Kurbel der hinteren Seitenscheibe des Polizeifahrzeugs beschädigt wurde. Auch während der Fahrt zum Polizeirevier machte J. "weiterhin sich wehrende Körperbewegungen", wobei er möglicherweise mit der Nase gegen die Fahrzeugscheibe stieß und sich hierbei leicht verletzte.
5
Auf dem Polizeirevier wurde J. von den Polizeibeamten Mä. und Sc. zunächst in das im Untergeschoss im Gewahrsamsbereich gelegene sogenannte "Arztzimmer" verbracht, wo er sich "erneut renitent" verhielt und unter anderem mit seinem Kopf in Richtung Wand und Tisch schlug, woraufhin er vom Zeugen Mä. durch Wegrücken des Stuhles, auf dem er saß, und Festhalten "von erheblichen Selbstverletzungen" abgehalten wurde. Bei seiner Durchsuchung wurde eine seine Personalien ausweisende, hinsichtlich einzelner Buchstaben oder Ziffern (des Geburtsjahres und der Straße seines Wohnsitzes) allerdings nicht oder nur schlecht lesbare, mit einem Lichtbild versehene "Duldung" (Aussetzung der Abschiebung) des Landkreises An. aufgefunden. Hiervon wurde der Angeklagte unterrichtet, der von der Polizeibeamtin H. auch über den Grund der Verbringung des J. in den Gewahrsam, nämlich dessen Belästigung von Passanten, seine Widerstandhandlung bei dem Versuch der Personalienfeststellung, seine unklaren Personalien und seinen alkoholisierten Zustand unterrichtet worden war. Der Angeklagte versuchte daraufhin um 8.44 Uhr vergeblich, Auskunft über J. beim Einwohnermeldeamt zu erhalten. Nachdem er auch vom Ausländeramt keine vollständigen Daten erhalten hatte, führte der Angeklagte eine INPOL-Abfrage durch, die die Personalien aus der "Duldung" im Wesentlichen bestätigte und ergab, dass J. bereits in den Jahren 2000, 2001 und 2002 unter anderem in De. und in R. jeweils durch Fertigung eines Lichtbildes sowie von Finger- und Handflächenabdrücken erkennungsdienstlich behandelt worden war. Eine erkennungsdienstliche Behandlung von J. hatte zwischenzeitlich auch der Zeuge Mä. angeordnet. Ferner verständigte der Angeklagte um 8.47 Uhr den Arzt Dr. Bl. , der J. eine Blutprobe entnehmen sollte und - trotz weiterer Gegenwehr - um 9.15 Uhr entnahm. Deren spätere Untersuchung ergab eine Blutalkoholkonzentration von 2,98 Promille ; ferner wurden im untersuchten Blut Cocain-Metaboliten nachgewiesen. Dr. Bl. bejahte auch die Gewahrsamsfähigkeit von J. .
6
Im Anschluss an die Blutentnahme wurde der etwa 170 cm große und 60 kg schwere J. von mehreren Polizeibeamten - da er auch hierzu nicht freiwillig bereit war - in die Gewahrsamszelle Nr. 5 gebracht und - nach Rücksprache mit Dr. Bl. - auf dem Rücken liegend mit vier Hand- bzw.Fußfesseln auf einer Matratze fixiert, indem an jedem Hand- bzw. Fußgelenk eine entsprechende Fessel angebracht und mit jeweils einem in den Podest, auf dem die Matratze lag, bzw. in der Wand eingelassenen Metallbügel verbunden wurde. Trotz dieser Fixierung war es J. möglich, seinen Oberkörper in eine sitzende Position aufzurichten und seine Hosentaschen mit den Händen zu erreichen.
7
In der Zelle befand sich - an der Decke - ein Rauchmelder, der bei einem Auslösen in dem im ersten Stock des Dienstgebäudes befindlichen Zimmer des Dienstgruppenleiters einen Piepton und eine blinkende Diode am Bedienele- ment der Alarmanlage einschaltete. Ferner war in der in der Wand der Zelle befindlichen Belüftungsanlage ein ebenfalls auf Rauch reagierender Alarmmelder angebracht. Auch dieser löste - allerdings später als der an der Decke angebrachte Rauchmelder - im Zimmer des Dienstgruppenleiters ein akustisches Signal aus. In der Zelle befand sich zudem eine mit dem Zimmer des Dienstgruppenleiters verbundene Wechselsprechanlage. Vor der Zelle war am Anfang und am Ende des Flures jeweils eine Kamera angebracht, deren Bilder - ohne Aufzeichnung - auf einen Monitor im Zimmer des Dienstgruppenleiters übertragen wurden. In der Zelle selbst war keine Kamera angebracht. Eine Überwachung durch einen im Zellentrakt ununterbrochen anwesenden Polizeibeamten fand nicht statt.
8
Nachdem die Zellentür und die Tür zum Flur der Zellenräume abgeschlossen worden waren, brachte der Polizeibeamte Mä. die hierfür benötigten Schlüssel sowie die Schlüssel der Fußfesseln in das Zimmer des Dienstgruppenleiters. Er informierte den Angeklagten darüber, dass J. fortdauernd renitent geblieben sei, sich selbst zu verletzen versucht habe und er deshalb in der Zelle Nr. 5 vierfach fixiert worden sei, nunmehr sei aber alles in Ordnung. Der Angeklagte trug daraufhin die Ingewahrsamnahme mit den entsprechenden Uhrzeiten sowie den Personalien von J. in das Buch über Freiheitsentziehungen ein und gab als Grund "Identitätsfeststellung § 163 StPO" an; auch die "Fixierung zur Eigensicherung" vermerkte er und versah die Eintragung mit dem Zusatz "i.O.". Er ging davon aus, dass J. zum eigenen Schutz aufgrund seines alkoholisierten Zustands sowie zur genaueren Identitätsfeststellung wegen des Vorwurfs der Sachbeschädigung (an dem Polizeifahrzeug ) und des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte ordnungsgemäß festgenommen worden war und bis etwa 14.00 Uhr in der Zelle bleiben muss. Davon, ob durch die Fixierung weitere selbstgefährdende Handlungen von J. - etwa ein Schlagen des Kopfes gegen die Zellenwand - ausgeschlossen waren, überzeugte er sich nicht. Auch einen Richter verständigte der Angeklagte von der Ingewahrsamnahme des J. nicht, da ihm die entsprechenden Vorschriften unbekannt waren und während seiner Zeit als Dienstgruppenleiter seit 1993 noch nie ein Richter über eine freiheitsentziehende Maßnahme zur Identitätsfeststellung oder nach dem damals in SachsenAnhalt geltenden Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (SOG LSA) informiert worden war. Vielmehr ging er davon aus, dass solche Ingewahrsamnahmen (ohne richterliche Anordnung) bis zu 12 Stunden andauern dürfen. Auch nach dem Tod von Ma. Bi. im Oktober 2002, der "zum Ausnüchtern" in die Gewahrsamszelle Nr. 5 des Polizeireviers De. verbracht und dort während der Dienstschicht des Angeklagten 16 Stunden später an den Folgen eines Schädelbruchs verstorben war, und dem hierzu gegen den Angeklagten eingeleiteten - schließlich gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellten - staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren wurde der Angeklagte auf einen - im damaligen Verfahren "nicht thematisierten" - Richtervorbehalt bei Ingewahrsamnahmen nicht hingewiesen, obwohl seinen Vorgesetzten die Praxis der Beamten des Polizeireviers De. , keine richterlichen Entscheidungen zu erholen, bekannt war. Auch der vom Angeklagten gegen 11.30 Uhr von der Ingewahrsamnahme des J. unterrichtete Einsatzleiter K. wies ihn nicht darauf hin, dass er hiervon einen Richter informieren müsse. Dem Angeklagten hätte jedoch bewusst sein müssen, dass es einer ständigen optischen Überwachung des stark alkoholisierten J. , der zuvor schon versucht hatte, sich selbst zu verletzen, bedurft hätte, um diesen von weiteren Selbstgefährdungen abzuhalten, und allein die akustische Überwachung und die Überwachung zu bestimmten Kontrollzeiten nicht geeignet waren, eine Gesundheitsbeeinträchtigung oder -verschlechterung bei ihm zu verhindern. Einer Überwachung der Zelle durch einen im Zellentrakt ständig anwesenden Beam- ten stand indes zumindest aus Sicht des Angeklagten die geringe Personalstärke an jenem Tag entgegen; seinen Vorgesetzten teilte er das Problem oder entsprechende Bedenken aber nicht mit. Vielmehr sollten - wie bei Ma. Bi. - neben den in Betrieb befindlichen Alarmmeldern lediglich regelmäßige , bei J. in halbstündlichem Abstand erfolgende Zellenkontrollen sowie die akustische Überwachung über die Wechselsprechanlage stattfinden.
9
Um 10.03, 10.37 und 11.05 Uhr wurde J. in seiner Zelle von einem bzw. mehreren Polizeibeamten auch kontrolliert; eine weitere, vom Angeklagten für 9.30 Uhr eingetragene Kontrolle war - wie er wusste - nicht erfolgt. Ferner betrat möglicherweise gegen 11.30 Uhr der Polizeibeamte Mä. die Gewahrsamszelle , um nach seinem Feuerzeug zu suchen, das er dort jedoch nicht auffand. Um 11.45 Uhr begab sich die Polizeibeamtin H. mit einem Kollegen zur Zelle des J. , da dieser schon einige Zeit lang durch lautes Schimpfen und Rufen über die Wechselsprechanlage zu hören war und verlangt hatte, dass ihm die Fesseln gelöst werden. J. bat auch die Beamtin , seine Fesseln zu lösen, und fragte, warum er sich in der Zelle befinde, was die Zeugin damit beantwortete, er wisse schon, warum er dort sei.
10
Nachdem J. auch bei dieser Kontrolle der Grund seines Gewahrsams nicht genannt worden war und er den Eindruck hatte, dass er mit einer alsbaldigen Lösung der Fixierung nicht rechnen konnte, kam er auf die Idee, in der Zelle ein Feuer anzuzünden, wobei er davon ausging, dass Polizeibeamte alsbald auf das Feuer aufmerksam und ihn aus der Zelle herausholen werden. Mit einem Feuerzeug, das er entweder bei sich hatte, weil es bei seiner Durchsuchung übersehen worden war, oder das der Polizeibeamte Mä. in der Zelle verloren hatte, gelang es J. , die schwer entflammbare Polyesterummantelung der etwa neun Zentimeter dicken Matratze durch Erhitzen mit dem in der rechten Hand gehaltenen Feuerzeug aufzuweichen und aufzureißen und die aus Polyurethan bestehende Füllung der Matratze auf einer Länge von bis zu 50 cm und einer Breite von maximal 30 cm freizulegen. Anschließend setzte er kurz vor 12.05 Uhr das Füllmaterial der Matratze in Brand, wobei bis zu dessen selbständigem Brennen weder Rauch noch Ruß entstand, der ausreichte , um einen der Rauchmelder auszulösen. Entweder um dem sich ausbreitenden Feuer auszuweichen oder bei dem Versuch, das Feuer auszublasen , geriet J. bei leicht erhobenem Oberkörper mit der Nase über oder in die heißen Gase der Flamme oder in die Flamme selbst und atmete Luft mit einer Temperatur von 180ºC oder mehr ein. Hierbei erlitt er einen inhalativen Hitzeschock, der zu seinem sofortigen Tod führte. Ob J. zuvor Hilfeoder Schmerzensschreie ausgestoßen hatte, vermochte das Schwurgericht nicht festzustellen.
11
Am Arbeitsplatz des Angeklagten waren über die Wechselsprechanlage zu Beginn des Brandgeschehens von dem Feuer verursachte Geräusche zu hören, die dort wie Plätschern zu vernehmen waren. Auf diese Geräusche machte die Zeugin H. den Angeklagten aufmerksam, der sie aber ebenfalls nicht einordnen konnte. Kurz darauf wurde von dem in der Decke der Zelle angebrachten Rauchmelder Alarm ausgelöst und im Zimmer des Dienstgruppenleiters mit einem lauten Piepen und einer blinkenden Diode angezeigt. Daraufhin schaltete der Angeklagte den Alarm ab, da er ihn für einen im Jahr 2004 schon mehrmals ausgelösten Fehlalarm hielt. Auch das etwa zehn Sekunden später erneut einsetzende Alarmsignal wurde entweder vom Angeklagten oder von der Zeugin H. abgeschaltet. Der Angeklagte - der bis dahin J. nicht zu Gesicht bekommen hatte - verließ sodann das Zimmer in Richtung Gewahrsamsbereich. Da er nicht alle Schlüssel mitgenommen hatte, musste er jedoch umkehren und diese holen, wobei er entweder zuvor oder auf dem Weg zum Zellentrakt den Einsatzleiter K. von dem Alarm verständigte. Nachdem der Angeklagte sodann mit einem auf dem Weg in den Gewahrsamsbereich hinzugebetenen Kollegen die Türen zum Zellentrakt und zur Zelle Nr. 5 geöffnet hatte und ihm dort "eine große Menge verrußter Luft" entgegengekommen war, lief der Angeklagte auf den Parkplatz des Polizeireviers, während sein Kollege vergeblich versuchte, das Feuer in der Zelle zu löschen. Dies gelang letztlich erst der um 12.20 Uhr eingetroffenen Feuerwehr.
12
2. Das Landgericht ist nach umfangreicher Beweisaufnahme von einer Brandlegung durch J. selbst überzeugt. Misshandlungen von J. durch den Angeklagten oder andere Polizeibeamte vermochte die Kammer auch hinsichtlich eines bei der zweiten Obduktion entdeckten Nasenbeinbruchs des J. nicht festzustellen. Andere Brandursachen - insbesondere einen technischen Defekt oder eine Brandlegung durch Polizeibeamte oder Dritte - schloss das Schwurgericht aus. Zugunsten des Angeklagten ging es davon aus, dass J. schon im Zeitpunkt des im Zimmer des Dienstgruppenleiters über die Wechselsprechanlage zu hörenden Plätscherns verstorben war und er deshalb auch bei einem sofortigen Hinuntereilen des Angeklagten nach dem Wahrnehmen dieses Plätscherns oder des ersten Alarmsignals nicht mehr hätte gerettet werden können.
13
Die Verurteilung des Angeklagten wegen fahrlässiger Tötung stützt das Schwurgericht auf der Grundlage der diesem bekannten, damals geltenden Polizeigewahrsamsordnung darauf, dass er trotz des Wissens um die Selbstverletzungsversuche des J. und um die Einschränkung seiner Willensbestimmung dessen Gewahrsam ohne ständige optische Überwachung und - falls ihm dies wegen der knappen Personallage nicht möglich gewesen sei - ohne Remonstration bei seinen Vorgesetzten zugelassen habe. Zwar habe der An- geklagte - insbesondere aufgrund der Mitteilungen des Zeugen Mä. - davon ausgehen dürfen, dass die Ingewahrsamnahme des J. rechtmäßig gewesen sei, da gegen diesen der Verdacht einer Straftat bestanden habe, seine Personalien noch nicht abschließend geklärt gewesen seien und die Gefahr einer Selbstschädigung bestanden habe. Auch sei die Fixierung des J. rechtmäßig gewesen. Nach der Überzeugung des Schwurgerichts hätte dem Angeklagten aber zumindest aufgrund seiner Erfahrungen in Zusammenhang mit dem Tod von Ma. Bi. sowie der erkennbar starken Alkoholisierung des J. und seiner Versuche, sich zu verletzen, bewusst sein können und müssen, dass eine Zellenkontrolle im halbstündlichen Abstand nicht ausreichend gewesen sei, um bei Fortsetzung des selbstschädigenden Verhaltens oder einer Gesundheitsgefahr aus anderen Gründen rechtzeitig eingreifen zu können. Der Tod von J. sei für den Angeklagten vorhersehbar gewesen. Der Angeklagte hätte ihn auch vermeiden können, zumal Ziffer 5.2 der damals geltenden Polizeigewahrsamsordnung geregelt habe, dass - sollte während der Unterbringungszeit ausreichend Personal für den Gewahrsamsdienst nicht zur Verfügung stehen - die Unterbringung im Wege der Amtshilfe in einer Justizvollzugsanstalt zu erfolgen habe. Für eine Verurteilung wegen eines vorsätzlichen Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts fehle es dagegen am Vorsatz. Eine Verurteilung wegen Freiheitsberaubung mit Todesfolge, die nach Ansicht des Schwurgerichts wegen der Missachtung des Richtervorbehalts nach der Ingewahrsamnahme des J. in Betracht gekommen wäre, scheide aus, weil der Angeklagte insofern einem unvermeidbaren Verbotsirrtum erlegen sei.

II.


14
Die vom Angeklagten erhobenen Verfahrensrügen haben keinen Erfolg.
15
1. Die Rüge, das Schwurgericht habe den Sachverhalt "nicht umfassend genug aufgeklärt", weil es den Angeklagten hinsichtlich der - im Urteil bejahten - Pflicht zur Remonstration nicht zum Inhalt seines Gesprächs mit dem Zeugen K. befragt habe, ist bereits unzulässig. Denn die Revision teilt das Beweisergebnis , also die zu erwartenden Angaben des Angeklagten hierzu, nicht mit (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 57. Aufl., § 244 Rn. 81 mwN).
16
Eine Rüge, das Gericht hätte den Angeklagten darauf hinweisen müssen , dass es die Verletzung der Pflicht zur Remonstration zur Begründung des Fahrlässigkeitsvorwurfs heranziehen könnte, ist nicht erhoben. Die Beanstandung wurde vom Verteidiger des Angeklagten in der Revisionsbegründungsschrift vielmehr (mehrfach) ausdrücklich als Aufklärungsrüge bezeichnet. Der dortige Vortrag zu dem gerichtlichen Hinweis diente ersichtlich allein dazu, deutlich zu machen, dass für den Angeklagten und seine Verteidiger in der Hauptverhandlung kein Anlass bestand, sich zu diesem Punkt zu äußern bzw. hierauf die Befragung des Angeklagten auszuweiten. Dem Senat ist es daher verwehrt, sich in diesem Zusammenhang mit einer Verletzung des § 265 StPO zu befassen. Denn Voraussetzung und Grundlage einer zulässigen Verfahrensrüge ist die präzise Bezeichnung der Handlung oder Unterlassung des Gerichts, gegen die der Vorwurf der fehlerhaften Verfahrensweise erhoben wird (vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. Dezember 2005 - 2 BvR 449/05, StV 2006, 57, 58 mwN). Allein die sich hieraus ergebende Angriffsrichtung bestimmt den Prüfungsumfang seitens des Revisionsgerichts, da es einem Revisionsführer wegen seiner Dispositionsbefugnis freisteht, ein Prozessgeschehen nur unter einem bestimmten Gesichtspunkt zu rügen, einen etwa zusätzlich begangenen Verfahrensverstoß aber hinzunehmen (vgl. BGH, Urteil vom 3. September 2013 - 5 StR 318/13, BGHR StPO § 344 Abs. 2 Satz 2 Zulässigkeit 1 mwN).
17
2. Soweit der Angeklagte geltend macht, das Schwurgericht "hätte den Fall Bi. weiter ausermitteln müssen", ist die Verfahrensrüge unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO), da schon nicht mitgeteilt wird, welcher Beweismittel es sich hierbei hätte bedienen sollen (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, aaO).
18
3. Auch die zur Vorhersehbarkeit des Taterfolgs für den Angeklagten erhobene Aufklärungsrüge hat keinen Erfolg. Soweit die Revisionsbegründung insofern konkrete Beweismittel benennt, wurden die Beweise vom Schwurgericht erhoben.
19
4. Die Rüge, das Schwurgericht habe gegen § 265 Abs. 1 StPO verstoßen , weil es den Angeklagten nicht darauf hingewiesen habe, "dass er wegen seiner Erfahrungen aus dem Fall Bi. und aus einer vermeintlichen allgemeinen Lebenserfahrung hätte erkennen müssen, dass eine stetige visuelle Beobachtung geboten war und deshalb eine Verurteilung wegen Fahrlässigkeit in Betracht gezogen werde", ist aus den vom Generalbundesanwalt in der Antragsschrift vom 12. Dezember 2013 aufgeführten Erwägungen jedenfalls unbegründet.

III.


20
Die Verfahrensrüge des Nebenklägers M. D. , mit der er geltend macht, dass an den Hauptverhandlungstagen vom 14. Januar und 6. Dezember 2011 für ihn kein Dolmetscher zugezogen worden sei, greift nicht durch. Auch die Verfahrensrügen der Nebenkläger B. und A. D. haben keinen Erfolg.
21
1. a) Der Rüge des Nebenklägers M. D. liegt im Wesentlichen folgender Verfahrensgang zugrunde:
22
Am 14. Januar 2011 war für den Nebenkläger M. D. bei Sitzungsbeginn zwar eine Dolmetscherin für die französische Sprache anwesend ; diese wurde aber nach kurzer Zeit entlassen, weil der Nebenkläger M. D. nicht französisch, sondern nur Fulla spricht. Lediglich am Nachmittag wurde für die Abgabe einer Erklärung des Nebenklägers ein Dolmetscher für Fulla zugezogen. Die Hauptverhandlung im Übrigen, unter anderem die Vernehmung zweier Zeugen, wurde an diesem Tag ohne Dolmetscher für den Nebenkläger durchgeführt. Auch am 6. Dezember 2011 wurden mehrere Zeugen vernommen, Urkunden verlesen und ein Augenschein eingenommen , ohne dass für den Nebenkläger ein Dolmetscher tätig war.
23
b) Die Rüge hat keinen Erfolg.
24
aa) Der Nebenkläger gehört nicht zu den Personen, deren Anwesenheit in der Hauptverhandlung das Gesetz vorschreibt (BGH, Urteil vom 30. Juli 1996 - 5 StR 199/96, BGHR StPO § 400 Abs. 1 Prüfungsumfang 2; Meyer-Goßner/ Schmitt, aaO, § 338 Rn. 42). Seine Abwesenheit in der Hauptverhandlung führt daher nicht zum Vorliegen des absoluten Revisionsgrundes des § 338 Nr. 5 StPO, vielmehr kann er sie lediglich nach § 337 StPO rügen (BGH aaO; Beschluss vom 13. Januar 1999 - 2 StR 586/98, NStZ 1999, 259; Meyer-Goßner/ Schmitt, aaO). Nichts anderes gilt in Fällen, in denen der Nebenkläger zwar anwesend ist, ihm aber kein Dolmetscher zur Seite steht. Zwar ist nach § 185 GVG von Amts wegen ein Dolmetscher zuzuziehen, wenn in der Hauptverhandlung ein Beteiligter - ein solcher ist auch der Nebenkläger - der deutschen Sprache nicht mächtig ist (BGH, Beschluss vom 22. November 2002 - 1 StR 298/02, BGHR GVG § 185 Zuziehung 3). Da die Abwesenheit eines notwendigen Dolmetschers aber für den Nebenkläger zur Folge hat, dass er der Hauptverhandlung nicht folgen und er dort seine Rechte nicht wahrnehmen, sie also nicht beeinflussen kann, kann er bei Vorliegen einer solchen Gesetzesverletzung - revisionsrechtlich - nicht besser gestellt sein, als wenn er gar nicht anwesend war. Wie seine eigene Abwesenheit kann er deshalb auch die Abwesenheit des für ihn notwendigen Dolmetschers lediglich als relativen Revisionsgrund geltend machen.
25
bb) Die hierfür erforderliche Verfahrensrüge ist jedoch nicht zulässig erhoben.
26
(1) Zwar braucht sich die Revisionsbegründung mit der Frage des Beruhens grundsätzlich nicht zu befassen (vgl. dazu indes BGH, Urteil vom 26. Mai 1981 - 1 StR 48/81, BGHSt 30, 131, 135). Nach § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO ist es aber erforderlich, dass die Revisionsbegründung den zur Beurteilung der Zulässigkeit erforderlichen Sachverhalt eigenständig und vollständig vorträgt. Hierfür muss sie im Fall einer Nebenklägerrevision auch - soweit sich dies nicht schon aus dem Antrag ergibt oder von selbst versteht - darlegen, dass sie mit der Verfahrensrüge ein nach § 400 StPO zulässiges Ziel verfolgt. Beanstandet der Nebenkläger daher, dass er an der Hauptverhandlung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht oder nur eingeschränkt teilnehmen konnte, muss er vortragen, dass er - läge die Gesetzesverletzung nicht vor - Tatsachen hätte vorbringen oder Beweismittel hätte benennen können, die für den Schuldspruch wegen eines Nebenklagedelikts wesentliche Bedeutung haben konnten (vgl. BGH, Urteil vom 30. Juli 1996 - 5 StR 199/96, BGHR StPO § 400 Abs. 1 Prüfungsumfang 2; Beschluss vom 13. Januar 1999 - 2 StR 586/98, NStZ 1999, 259).
27
(2) Den sich hieraus ergebenden Anforderungen genügt der Vortrag der Revision, die ohne weitere Konkretisierung lediglich behauptet, dass der Nebenkläger "Anträge oder Erklärungen abgegeben hätte, die das Urteil hätten beeinflussen können", jedenfalls angesichts der Besonderheiten des vorliegenden Falles nicht. Denn es ist nichts dafür ersichtlich, dass der bei dem Tatgeschehen nicht anwesende Nebenkläger, dessen anwaltlicher Beistand auch an den in Frage stehenden Hauptverhandlungstagen ununterbrochen anwesend war, ohne die Abwesenheit des Dolmetschers zu beanstanden, an diesen beiden Tagen Tatsachen hätte vorbringen oder Beweismittel hätte benennen können , die für den Schuldspruch wegen eines Nebenklagedelikts wesentliche Bedeutung haben konnten, zumal an mehreren weiteren Hauptverhandlungstagen für ihn Dolmetscher tätig waren und ihm auf Anregung seiner Rechtsanwältin auch am Nachmittag des 14. Januar 2011 für die Abgabe einer Erklärung ein Dolmetscher zur Seite gestellt wurde. Dass der Nebenkläger M. D. in seinen Rechten dadurch betroffen wurde, dass er bei anderer Gelegenheit keine (sachdienlichen) Erklärungen abgeben, Tatsachen vorbringen oder Beweisanträge stellen konnte, weil er der an den beiden Verhandlungstagen durchgeführten Beweisaufnahme bzw. Hauptverhandlung im Übrigen ohne einen Dolmetscher nicht folgen konnte, hat die Revision nicht behauptet und nicht geltend gemacht.
28
(3) Im Übrigen versäumt es die Revision vorzutragen, dass die Vertreterin des Nebenklägers M. D. selbst mit Schriftsatz vom 15. November 2011 mitgeteilt hat, dass ihr Mandant in der Hauptverhandlung einen Dolmetscher für die französische Sprache benötige. Auch dies hat die Unzulässigkeit der Verfahrensrüge zur Folge (vgl. KK-Gericke, StPO, 7. Aufl., § 344 Rn. 38 mwN).
29
2. Die Verfahrensrügen der Nebenkläger B. und A. D. haben bereits aus diesen Gründen keinen Erfolg, soweit sie ebenfalls beanstanden , dass für den Nebenkläger M. D. an den Hauptverhandlungstagen vom 14. Januar und 6. Dezember 2011 kein Dolmetscher für Fulla zugezogen worden war; denn auch ihr Revisionsvortrag geht nicht weiter als der des Nebenklägers M. D. . Soweit sie ferner geltend machen, auch sie seien der deutschen Sprache nicht mächtig, trägt die Revision selbst vor, dass diese Nebenkläger an keinem der Hauptverhandlungstage zugegen waren. Auf einer Gesetzesverletzung zu ihrem Nachteil durch die Abwesenheit eines Dolmetschers kann das Urteil daher nicht beruhen.

IV.


30
Die Überprüfung des Urteils aufgrund der vom Angeklagten erhobenen Sachrüge hat keinen durchgreifenden Rechtsfehler zu seinem Nachteil ergeben.
31
1. Der Schuldspruch wegen fahrlässiger Tötung hält der Überprüfung stand. Insbesondere ist das Schwurgericht rechtsfehlerfrei von einer Pflichtverletzung des Angeklagten ausgegangen, dem es aufgrund des Zustandes und des Verhaltens von J. oblag, dessen ständige (auch) optische Überwachung in der Zelle zu veranlassen, um hierdurch der Gefahr eines gesundheitlichen Schadens für J. zu begegnen.
32
a) Fahrlässig handelt, wer eine objektive Pflichtwidrigkeit begeht, sofern er diese nach seinen subjektiven Kenntnissen und Fähigkeiten vermeiden konnte , und die Pflichtwidrigkeit objektiv und subjektiv vorhersehbar den Erfolg herbeigeführt hat (BGH, Beschluss vom 10. Mai 2001 - 3 StR 45/01; Urteile vom 26. Mai 2004 - 2 StR 505/03, BGHSt 49, 166, 174; vom 20. November 2008 - 4 StR 328/08, BGHSt 53, 55, 58).
33
b) Diese Voraussetzungen hat das Schwurgericht rechtsfehlerfrei bejaht.
34
aa) Insbesondere ist das Landgericht aufgrund einer aus Rechtsgründen nicht zu beanstandenden Würdigung von einem pflichtwidrigen Verhalten des Angeklagten ausgegangen.
35
Pflichtwidrig handelt, wer objektiv gegen eine Sorgfaltspflicht verstößt, die gerade dem Schutz des beeinträchtigten Rechtsguts dient. Dabei bestimmen sich Art und Maß der anzuwendenden Sorgfalt nach den Anforderungen, die bei objektiver Betrachtung der Gefahrenlage ex ante an einen besonnenen und gewissenhaften Menschen in der konkreten Lage und sozialen Rolle des Handelnden zu stellen sind (BGH, Urteil vom 1. Februar 2005 - 1 StR 422/04, BGHR StGB § 222 Pflichtverletzung 6 mwN). Nicht entscheidend ist dagegen, ob die Pflichtwidrigkeit durch ein aktives Tun begangen wurde oder in einem Unterlassen begründet ist (BGH, Urteile vom 1. Februar 2005 - 1 StR 422/04, aaO; vom 14. März 2003 - 2 StR 239/02, NStZ 2003, 657, jeweils mwN).
36
Die Pflichten eines im Jahr 2005 in De. für denGewahrsamsvollzug verantwortlichen Polizeibeamten ergeben sich insbesondere aus der Polizeigewahrsamsordnung (in der damals geltenden Fassung vom 27. März 1995, MBl. LSA Nr. 34/1995 S. 1211 ff.; im Folgenden abgekürzt als PGO). Diese forderte schon in Nummer 3.1. Satz 2, dass der Gewahrsamsvollzug so auszugestalten ist, dass "die Gefahr gesundheitlicher Schäden" für die verwahrte Person vermieden wird. Hierzu regelte Nummer 5.2. Sätze 5 und 6 PGO, dass für die Unterbringungszeit ausreichend Personal - insbesondere für den Gewahr- samsdienst (dazu Nummer 7. PGO) - zur Verfügung stehen muss oder - soweit diese Voraussetzung nicht erfüllt ist - die Unterbringung im Wege der Amtshilfe in einer Justizvollzugsanstalt zu erfolgen hat. Zudem bestimmte Nummer 31.3. PGO, dass betrunkene Personen im Abstand von "höchstens" 30 Minuten zu kontrollieren sind, soweit seitens des untersuchenden Arztes keine besonderen Hinweise ergangen sind.
37
Daran gemessen begegnet es keinen Bedenken, dass das Schwurgericht bei der gebotenen objektiven Betrachtung ex ante einen Sorgfaltsverstoß des Angeklagten bejaht hat, weil er nicht für eine ständige auch optische Überwachung des J. gesorgt hat. Denn der Angeklagte war - wie erwusste - trotz der Einschaltung eines Arztes zur Prüfung der Gewahrsamsfähigkeit des J. gemäß Nummer 2.1. Satz 4 PGO selbst für den ordnungsgemäßen Vollzug der Polizeigewahrsamsordnung verantwortlich. Ihm oblag es daher auch, durch geeignete Maßnahmen der Gefahr eines gesundheitlichen Schadens für J. entgegenzuwirken. Eine solche - erforderliche und geeignete - Maßnahme hat das Schwurgericht rechtsfehlerfrei in der ständigen optischen Überwachung des J. gesehen. Denn dieser war nicht nur stark alkoholisiert, so dass schon nach Nummer 31.3. PGO eine Kontrolle in "höchstens" halbstündlichem Abstand zu erfolgen hatte. Vielmehr war er - wie der Angeklagte wusste - an allen Gliedmaßen fixiert und daher allenfalls eingeschränkt in der Lage, den aufgrund seines (alkoholisierten) Zustandes bestehenden Gesundheitsgefahren zu begegnen. Hinzu kam, dass dem Angeklagten auch das zuvor von J. gezeigte aggressive, insbesondere sein selbstverletzendes Verhalten bekannt war (unter anderem mit Stößen des Kopfes in Richtung Wand und Tisch, wobei er erst durch das Eingreifen eines Polizeibeamten von "erheblichen Selbstverletzungen" abgehalten werden konnte). Vor diesem Hintergrund ist es aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, dass das Schwurgericht - auch angesichts der Erfahrungen des Angeklagten im "Fall Bi. " - das Unterlassen der Anordnung einer ständigen optischen Überwachung des J. durch den Angeklagten als eine den Fahrlässigkeitsvorwurf gegen diesen begründende Pflichtverletzung gewertet hat.
38
bb) Da die genannten Regelungen in den Nummern 3.1., 5.2. und 31.3. der Polizeigewahrsamsordnung zumindest auch zum Schutz von Leben und Gesundheit der verwahrten Person bestimmt waren, hat der Angeklagte mit deren Missachtung gegen eine ihm obliegende Sorgfaltspflicht verstoßen, die gerade dem Schutz des beeinträchtigten Rechtsguts gedient hat.
39
cc) Auch konnte der Angeklagte, der eingeräumt hat, die Polizeigewahrsamsordnung und deren hier einschlägige Regelungen gekannt zu haben, nach den Feststellungen des Landgerichts die Pflichtverletzung nach seinen subjektiven Kenntnissen und Fähigkeiten insbesondere dadurch vermeiden, dass er die dauerhafte optische Überwachung von J. von einem der im "üblichen Streifeneinsatzdienst" befindlichen Polizeibeamten als einem im Zellenbereich ununterbrochen anwesenden Gewahrsamsbeamten vornehmen lässt oder er die Verbringung des J. in eine Justizvollzugsanstalt veranlasst.
40
dd) Das Schwurgericht ist ferner ohne Rechtsfehler davon ausgegangen, dass die Pflichtwidrigkeit objektiv und subjektiv vorhersehbar den Erfolg herbeigeführt hat.
41
Die Vorhersehbarkeit erfordert nicht, dass der Angeklagte die Folgen seines Nicht-Handelns in allen Einzelheiten voraussehen konnte; vielmehr genügt , dass sie in ihrem Gewicht im Wesentlichen voraussehbar waren (BGH, Urteile vom 8. September 1993 - 3 StR 341/93, BGHSt 39, 322, 324; vom 26. Mai 2004 - 2 StR 505/03, BGHSt 49, 166, 174; Beschluss vom 10. Mai 2001 - 3 StR 45/01; Urteil vom 20. November 2008 - 4 StR 328/08, BGHSt 53, 55, 59). Tritt der Erfolg durch das Zusammenwirken mehrerer Umstände ein, müssen dem Täter alle - jedoch ebenfalls nicht in allen Einzelheiten - erkennbar sein (vgl. BGH, Urteil vom 10. Januar 2008 - 3 StR 463/07, BGHR StGB § 222 Vorhersehbarkeit 1 mwN).
42
Dies war hier nach den Feststellungen und rechtsfehlerfreien Wertungen des Schwurgerichts der Fall. Dass der betrunkene J. , der bereitszuvor versucht hatte, sich selbst zu verletzten, dieses Verhalten fortsetzen und für sich gefährliche Handlungen vornehmen wird, lag unter den gegebenen Umständen - auch angesichts seiner fortwährenden Beschwerden über die Fortdauer des Gewahrsams und der Fesselung - nach dem Maßstab des gewöhnlichen Erfahrungsbereiches eines Polizeibeamten nicht fern und war daher objektiv und subjektiv für den Angeklagten als erfahrenem Polizeibeamten vorhersehbar (vgl. auch BGH, Urteil vom 10. Januar 2008 - 3 StR 463/07, aaO). Zwar kann insbesondere eine gänzlich vernunftswidrige Handlungsweise eines Getöteten die Vorhersehbarkeit des Erfolgs entfallen lassen (vgl. BGH, Urteile vom 2. Oktober 1952 - 3 StR 389/52, BGHSt 3, 218, 220; vom 23. April 1953 - 3 StR 894/52, BGHSt 4, 182, 187; vom 10. Juli 1958 - 4 StR 180/58, BGHSt 12, 75, 78). Jedoch musste der Angeklagte zum einen, wie die Selbstverletzungsversuche belegen, mit irrationalen Handlungen des J. gerade rechnen. Zum anderen entfällt in solchen Fällen die Vorhersehbarkeit nur, wenn der Getötete zu einer freien Entscheidung fähig war, er mithin insbesondere - anders als hier - nicht stark betrunken war (vgl. BGH, Urteil vom 10. Januar 2008 - 3 StR 463/07, aaO). Eine die Vorhersehbarkeit möglicherweise beseitigende eigenverantwortliche Selbsttötung liegt nicht vor, weil es nach den Feststellungen des Landgerichts an einer ernst gemeinten und freiverantwortlichen Entscheidung des Opfers, sich zu töten, gefehlt hat (vgl. dazu auch nachfolgend ee) (2) sowie BGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 - 2 StR 295/11, NStZ 2012, 319, 320).
43
ee) Die Kausalität des Nicht-Handelns des Angeklagten für den Eintritt des Erfolges hat das Schwurgericht rechtsfehlerfrei ebenfalls nicht in Frage gestellt. Auch die insbesondere von Teilen des Schrifttums geforderte Zurechenbarkeit des Todes ist zu bejahen.
44
(1) Eine Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung gemäß § 222 StGB erfordert , dass das tatbestandsrelevante Verhalten des Angeklagten den Erfolg verursacht hat, also der Erfolg auf der Fahrlässigkeit beruht (BGH, Urteil vom 12. Januar 2010 - 1 StR 272/09, BGHR StGB § 13 Abs. 1 Ursächlichkeit 3 mwN).
45
Die danach gebotene Prüfung, ob eine ständige auch optische Überwachung von J. dessen Tod verhindert hätte, hat das Schwurgerichtvorgenommen und rechtsfehlerfrei bejaht. Dies begegnet keinen durchgreifenden Bedenken. Denn schon der zwischen dem Ansengen des Matratzenbezugs und dem Inbrandsetzen der Füllung vergangene Zeitraum sowie die festgestellten Tätigkeiten des J. , die er bis zum Inbrandsetzen vorgenommen hat, belegen hinreichend den Schluss des Landgerichts, dass bei einer ständigen optischen Überwachung der Tod von J. verhindert worden wäre.
46
(2) In der Rechtsprechung ist zudem anerkannt, dass eine Ursache im Rechtssinne ihre Bedeutung nicht verliert, wenn außer ihr noch andere Ursachen zur Herbeiführung des Erfolges beitragen (vgl. BGH, Urteil vom 10. Januar 2008 - 3 StR 463/07, aaO, mwN). Ein Ursachenzusammenhang ist jedoch dann zu verneinen, wenn ein späteres Ereignis die Fortwirkung der ursprünglichen Bedingung beseitigt und seinerseits allein unter Eröffnung einer neuen Ursachenreihe den Erfolg herbeigeführt hat (BGH, Urteil vom 10. Januar 2008 - 3 StR 463/07, aaO). Dies kann der Fall sein, wenn eine Selbstgefährdung oder ein selbstschädigendes Verhalten vorliegt (BGH, Urteil vom 20. November 2008 - 4 StR 328/08, BGHSt 53, 55, 60). Auch macht sich nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, sofern er nicht kraft überlegenen Sachwissens das Risiko besser erfasst als der sich selbst Tötende oder Verletzende, grundsätzlich nicht strafbar, wer das zu einer Selbsttötung oder Selbstverletzung führende eigenverantwortliche Handeln des Selbstschädigers vorsätzlich oder fahrlässig veranlasst, ermöglicht oder fördert (BGH, Urteil vom 20. November 2008 - 4 StR 328/08, BGHSt 53, 55, 60 mwN). Straffrei ist ein solches Handeln regelmäßig auch dann, wenn es nicht auf die Selbsttötung oder -verletzung gerichtet war, sich aber ein entsprechendes, vom Opfer bewusst eingegangenes Risiko realisiert hat (BGH aaO).
47
Es kann dahinstehen, ob und inwiefern diese Grundsätze eine Ausnahme erfahren, wenn der sich selbst Gefährdende oder Tötende hoheitlich verwahrt wird. Denn nach den Feststellungen des Schwurgerichts wollte J. sich gerade nicht selbst verletzen oder töten, sondern wollte mittels der Brandlegung das Lösen der Fixierung und seine Freilassung ohne eigene Schädigung erreichen (vgl. auch BGH, Urteile vom 4. Dezember 2007 - 5 StR 324/07, StV 2008, 182, 184; vom 29. April 2010 - 5 StR 18/10, BGHSt 55, 121, 137 mwN). Auch dass J. bei der Brandlegung bewusst das Risiko einer Selbstverletzung oder -tötung eingegangen ist, hat das Landgericht nicht festgestellt; es ist vielmehr davon ausgegangen, dass dieser darauf vertraut hat, dass die Polizeibeamten "alsbald" auf das Feuer aufmerksam werden und ihn (rechtzeitig) aus der Zelle holen.
48
2. Der Strafausspruch weist ebenfalls keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler auf.
49
Insbesondere ist bei Verhängung einer Geldstrafe diese bei einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung nicht um einen bezifferten Abschlag zu ermäßigen, sondern - wie dies das Schwurgericht getan hat - die schuldangemessene Geldstrafe in der Urteilsformel auszusprechen und zugleich festzusetzen , dass ein bezifferter Teil der zugemessenen Tagessätze als bereits vollstreckt gilt (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Januar 2008 - GSSt 1/07, BGHSt 52, 124).
50
Auch dass das Landgericht die Anwendung von § 13 Abs. 2 StGB nicht erörtert hat, stellt angesichts der Tatumstände und des Fahrlässigkeitsdelikten ohnehin immanenten Unterlassens der gebotenen Sorgfalt keinen durchgreifenden Rechtsfehler dar.

V.


51
Die Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger haben mit der Sachrüge ebenfalls keinen Erfolg. Die Verurteilung des Angeklagten lediglich wegen fahrlässiger Tötung weist keinen ihn begünstigenden Rechtsfehler auf.
52
1. Insbesondere begegnet es im Ergebnis keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken, dass das Schwurgericht den Angeklagten nicht der Freiheitsberaubung mit Todesfolge schuldig gesprochen hat.
53
a) Der Senat folgt allerdings nicht der Auffassung des Landgerichts, der Angeklagte könne bereits deshalb nicht wegen Freiheitsberaubung mit Todesfolge bestraft werden, weil er hinsichtlich des Richtervorbehalts bei der Gewahrsamsanordnung bzw. deren Aufrechterhaltung einem unvermeidbaren Verbotsirrtum erlegen sei.
54
Unvermeidbar ist ein Verbotsirrtum nur, wenn der Täter trotz der ihm nach den Umständen des Falles, seiner Persönlichkeit sowie seines Lebensund Berufskreises zuzumutenden Anspannung des Gewissens die Einsicht in das Unrechtmäßige seines Handelns nicht zu gewinnen vermochte (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 18. März 1952 - GSSt 2/51, BGHSt 2, 194; Urteil vom 7. März 1996 - 4 StR 742/95, NJW 1996, 1604, 1606; vgl. auch Fischer, StGB, 61. Aufl., § 17 Rn. 7 ff. mwN). Bei einem erfahrenen Polizeibeamten wie dem Angeklagten, der mit dem Vollzug von grundrechtsbeschränkenden Gesetzen betraut ist, liegt dies hinsichtlich der sich bereits aus dem Gesetz unzweifelhaft ergebenden Voraussetzungen gängiger Befugnisse zu schwerwiegenden Grundrechtseingriffen wie einer Freiheitsentziehung derart fern, dass schon die - allenfalls bei einem hier ersichtlich nicht gegebenen Vorliegen gänzlich außergewöhnlicher Umstände in Betracht kommende - Prüfung der Unvermeidbarkeit eines Verbotsirrtums nicht geboten war.
55
b) Jedoch begegnet es aus einem anderen Grund keinen durchgreifenden Bedenken, dass das Schwurgericht den Angeklagten nicht der Freiheitsberaubung mit Todesfolge schuldig gesprochen hat.
56
aa) Das Landgericht ist im Ergebnis rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass der Vorwurf der Freiheitsberaubung nicht allein darauf gestützt werden kann, dass J. nach seiner Verbringung in die Gewahrsamszelle fixiert worden war. Denn diese Fesselung war zulässig. Rechtsgrundlage für sie war § 64 Nr. 3 SOG LSA (Schutz vor Selbstschädigung), dessen Voraussetzungen auf der Grundlage des vorangegangenen Verhaltens von J. und der entsprechenden - indes den Angeklagten nicht bindenden (vgl. Nummer 11.1. Satz 2 PGO) - Empfehlung des seine Gewahrsamsfähigkeit bestätigenden Arztes gegeben waren (zur Fortdauer der Fixierung: unten dd) (3) (c) (aa)).
57
Ebenso wenig kann die Rechtswidrigkeit der Freiheitsentziehung dem Angeklagten allein deshalb angelastet werden, weil J. der Grund seiner Ingewahrsamnahme nicht mitgeteilt und er nicht belehrt wurde (vgl. dazu u.a. §§ 136, 137, 163c Abs. 1 Satz 3 StPO; § 39 SOG LSA; Nummer 15. PGO; Art. 36 Abs. 1 WÜK). Zwar erfolgte die Ingewahrsamnahme nicht mit dem Einverständnis von J. , jedoch hatte der Angeklagte, der weder die Festnahme vorgenommen hat, noch unmittelbar mit der Vernehmung von J. befasst war, nach den Feststellungen der Strafkammer keine Kenntnis davon, dass dieser weder vom Grund seiner Festnahme informiert, noch über seine Rechte belehrt worden war. Tragfähige Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte berechtigte Zweifel an der Ordnungsmäßigkeit des entsprechenden Ablaufs der Ingewahrsamnahme hätte haben müssen oder er sich aus sonstigen Gründen hiervon hätte überzeugen müssen, liegen nicht vor, zumal es sich um eine gängige polizeiliche Maßnahme ohne besondere rechtliche oder tatsächliche Problematik handelte.
58
bb) Ferner nimmt das Schwurgericht rechtsfehlerfrei an, dass dem Angeklagten hinsichtlich der in seinen Verantwortungsbereich fallenden Fortdauer der Freiheitsentziehung des J. kein aktives Tun, sondern ein Unterlassen zur Last zu legen wäre.
59
Die Rechtsprechung fasst die Abgrenzung zwischen Tun und Unterlassen als Wertungsfrage auf, die nicht nach rein äußeren oder formalen Kriterien zu entscheiden ist, sondern eine wertende (normative) Betrachtung unter Berücksichtigung des sozialen Handlungssinns verlangt. Maßgeblich ist insofern, wo der Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit liegt (vgl. BGH, Urteil vom 14. März 2003 - 2 StR 239/02, BGHR StGB § 13 Abs. 1 Tun 3; Beschluss vom 1. Februar 2005 - 1 StR 422/04, BGHR StGB § 222 Pflichtverletzung 6; Urteile vom 7. September 2011 - 2 StR 600/10, NJW 2011, 3528, 3529; vom 7. Juli 2011 - 5 StR 561/10, BGHSt 56, 277, 286 mwN).
60
Daran gemessen ist nicht zu beanstanden, dass das Schwurgericht hinsichtlich des hier maßgeblichen Zeitraums ab etwa 9.30 Uhr von einem Unterlassen ausgegangen ist. Denn der Schwerpunkt des insofern strafrechtlich möglicherweise relevanten Verhaltens des Angeklagten lag ab diesem Zeitpunkt im Aufrechterhalten des Gewahrsams von J. ohne Einschalten eines Richters, also in einem passiven Verhalten, nicht aber in einem aktiven Tun (vgl. RG, Urteil vom 20. Oktober 1893 - Rep. 2727/93, RGSt 24, 339, 340). Hinsichtlich des davor liegenden Zeitraums kann dahinstehen, ob insofern ein aktives Tun des Angeklagten (insbesondere mit der in dem Eintrag in das Buch über Freiheitsentziehungen liegenden Entscheidung ["i.O."]) oder ein Unterlassen vorliegt. Denn ein aktives Tun hätte ebenso wie ein Unterlassen nicht zu einer rechtswidrigen Freiheitsberaubung geführt, da auch in diesem Zeitraum, in dem die Einholung einer richterlichen Entscheidung noch nicht unerlässlich war, ein Gewahrsamsgrund vorlag (vgl. dazu im Einzelnen die nachfolgenden Ausführungen).
61
cc) Der Angeklagte war jedenfalls insofern auch Garant für den Schutz des J. vor rechtswidriger Freiheitsentziehung, als deren Rechtmäßig- keit von Handlungen oder Unterlassungen abhing, die ihm oblagen oder für die er die Verantwortung trug.
62
Denn als Dienstgruppenleiter trug er an diesem Tag die Verantwortung dafür, dass die zulässige Dauer der Freiheitsentziehung nicht überschritten wird (Nummer 33.2. PGO) und der Gewahrsam "ordnungsgemäß" vollzogen wird (Nummer 2.1. Satz 4 PGO). Dementsprechend oblag es dem Angeklagten auch, dafür Sorge zu tragen, dass in den ihm bekannten Gewahrsamsfällen die der Polizei zugeordneten Voraussetzungen der gesetzesgemäßen Fortdauer einer Ingewahrsamnahme gewahrt und erfüllt werden bzw. bleiben. Deshalb hat er es zu Recht als seine Aufgabe angesehen, "das Dienstgeschehen zu überwachen" und dies auch auf den Gewahrsam von J. bezogen, für den er als Dienstgruppenleiter verantwortlich gewesen ist.
63
dd) Als sogenanntem "Beschützergaranten" (vgl. BGH, Urteil vom 6. November 2002 - 5 StR 281/01, BGHSt 48, 77, 82 ff., 91 f. mwN) oblag dem Angeklagten eine Erfolgsabwendungspflicht, hier mithin die Pflicht, die unverzügliche Vorführung von J. beim zuständigen Richter zu veranlassen bzw. unverzüglich dessen Entscheidung über die Fortdauer des Gewahrsams herbeizuführen.
64
(1) Der Inhalt und der Umfang der Garantenpflicht bestimmen sich aus dem konkreten Pflichtenkreis, den der Verantwortliche übernommen hat (BGH, Urteil vom 17. Juli 2009 - 5 StR 394/08, BGHSt 54, 44, 49).
65
(2) Dieser Pflichtenkreis umfasste beim Angeklagten - wie sich aus obigen Ausführungen zu seiner Garantenstellung ergibt - die Wahrung der der Polizei zugeordneten Voraussetzungen für die Rechtmäßigkeit der Freiheitsentziehung von J. .
66
Dabei bedarf es - wie ausgeführt - schon wegen der fehlenden Kenntnis und des damit fehlenden Vorsatzes hinsichtlich eines entsprechenden Pflichtenverstoßes auch an dieser Stelle keiner Entscheidung darüber, ob die Ingewahrsamnahme von J. als solche rechtmäßig war. Maßgeblichist vielmehr, ob die Freiheitsentziehung zur Wahrung ihrer Rechtmäßigkeit ab dem Zeitpunkt, in dem der Angeklagte mit ihr befasst war, weiteren polizeilichen Handelns bedurfte und ob bejahendenfalls der Angeklagte vorsätzlich ihm obliegende und mögliche Handlungen unterlassen hat, um einen drohenden oder bestehenden rechtswidrigen Zustand zu verhindern oder zu beseitigen.
67
Dies hat das Schwurgericht rechtsfehlerfrei bejaht, da dem Angeklagten bekannt war, dass die Freiheitsentziehung weder mit dem Einverständnis von J. erfolgt war noch von einem Richter angeordnet oder bestätigt worden war. Dass er hierauf gerichtete Handlungen gleichwohl unterließ, ist angesichts des Gewichts eines solchen Eingriffs in das Freiheitsrecht des Betroffenen und der Bedeutung der für eine solche Maßnahme erforderlichen richterlichen Entscheidung grundsätzlich geeignet, den Vorwurf der Freiheitsberaubung durch Unterlassen zu begründen.
68
(a) Für den schwersten Eingriff in das Recht auf Freiheit, die Freiheitsentziehung , fügt Art. 104 Abs. 2 GG dem Vorbehalt des Gesetzes den weiteren, verfahrensrechtlichen Vorbehalt einer richterlichen Entscheidung hinzu. Der Richtervorbehalt dient der verstärkten Sicherung des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG. Alle staatlichen Organe sind verpflichtet, dafür Sorge zu tragen , dass der Richtervorbehalt als Grundrechtssicherung praktisch wirksam wird. Diese praktische Wirksamkeit wird nur erreicht, wenn in jedem Fall, in dem die Freiheitsentziehung ohne vorherige richterliche Entscheidung ausnahmsweise zulässig ist, diese Entscheidung unverzüglich nachgeholt wird (BVerfG, Beschlüsse vom 15. Mai 2002 - 2 BvR 2292/00, BVerfGE 105, 239; vom 4. September 2009 - 2 BvR 2520/07, jeweils mwN). Dabei gilt diese verfahrensmäßige Seite der grundrechtlichen Freiheitsverbürgung nicht nur für die Strafverfolgung, sondern auch bei Freiheitsentziehungen fürsorgerischer Art und bei sonstigen Freiheitsentziehungen (BGH, Urteil vom 30. April 1987 - 4 StR 30/87, BGHSt 34, 365, 368 mwN; siehe auch VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 10. Januar 2012 - 1 S 2963/11, NVwZ-RR 2012, 346; Nr. 37 der Ausführungsbestimmungen zum Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung des Landes Sachsen-Anhalt).
69
(b) Dementsprechend setzten alle im vorliegenden Fall als Rechtsgrundlage für den Eingriff in das Freiheitsrecht des J. in Betracht kommenden Normen grundsätzlich eine unverzüglich zu erholende richterliche Entscheidung voraus (vgl. zur vorläufigen Festnahme wegen des Verdachts einer Straftat: § 128 Abs. 1 StPO; zur Festnahme zur Identitätsfeststellung: § 163c Abs. 1 StPO und § 38 Abs. 1 SOG LSA; zum "Schutzgewahrsam" und zum Gewahrsam zur Verhinderung der Begehung oder Fortsetzung einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit: § 38 Abs. 1 SOG LSA).
70
(c) Ausnahmen von diesem Grundsatz waren im vorliegenden Fall offensichtlich nicht gegeben.
71
Soweit § 128 Abs. 1, § 163c Abs. 1 StPO und § 38 Abs. 1 SOG LSA die "unverzügliche" Vorführung bzw. das "unverzügliche" Herbeiführen einer richterlichen Entscheidung fordern, ist dem schon im Hinblick auf den seit der Ingewahrsamnahme des J. (ca. 8.30 Uhr) und Befassung des Angeklagten (spätestens ab 8.44 Uhr) bis zum Tod des J. (nach 12.00 Uhr) vergangenen Zeitraum nicht genügt. Denn "unverzüglich" ist - wie bei Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG - dahin auszulegen, dass die richterliche Entscheidung ohne jede Verzögerung, die sich nicht aus sachlichen Gründen rechtfertigen lässt, nachgeholt werden muss (BVerfG, Beschlüsse vom 15. Mai 2002 - 2 BvR 2292/00, aaO; vom 19. Januar 2007 - 2 BvR 1206/04, NVwZ 2007, 1044, 1045; vom 4. September 2009 - 2 BvR 2520/07, jeweils mwN). Zwar sind nicht vermeidbar z.B. die Verzögerungen, die durch die Länge des Weges, Schwierigkeiten beim Transport, die notwendige Registrierung und Protokollierung , ein renitentes Verhalten des Festgenommenen oder vergleichbare Umstände bedingt sind (BVerfG aaO). Solche Umstände waren vorliegend aber nicht gegeben bzw. ihnen konnte - etwa hinsichtlich des renitenten Verhaltens des J. - durch geeignete Maßnahmen, wie sie etwa mit seiner Fesselung und der Überwachung durch Polizeibeamte schon nach der Festnahme ergriffen worden waren, zumindest so weit entgegengewirkt werden, dass eine Vorführung möglich gewesen wäre. Dass sich J. in einem Zustand befunden hat, der seine unverzügliche Vorführung schlechterdings unmöglich machte, ergeben die vom Landgericht getroffenen Feststellungen nicht. Auch lagen die Voraussetzungen des § 420 Abs. 2 FamFG, die ohnehin lediglich ein Absehen von der Anhörung, nicht aber der richterlichen Befassung ermöglichen , ersichtlich nicht vor (vgl. dazu auch VGH Baden-Württemberg, NVwZ-RR 2012, 346). Unabhängig davon, ob der Zustand von J. dazu ausgereicht hätte, zumindest eine lediglich "symbolische" Vorführung - wie sie Nr. 51 RiStBV für Fälle des § 128 StPO vorsieht (siehe dazu auch Träger/ Schluckebier in LK-StGB, 11. Aufl., § 239 Rn. 23) - vorzunehmen, zielt der Richtervorbehalt auf eine Kontrolle der Maßnahme in ihren konkreten gegenwärtigen Voraussetzungen durch eine unabhängige und neutrale Instanz (vgl.
BVerfG, Beschluss vom 12. Februar 2007 - 2 BvR 273/06, NJW 2007, 1345, 1346 [zu § 81a StPO]), erschöpft sich mithin nicht in der bloßen Gewährung rechtlichen Gehörs, sondern dient auch dazu, dem Richter insbesondere in den Fällen des "Schutzgewahrsams" die Möglichkeit eines persönlichen Eindrucks von dem Betroffenen zu verschaffen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. Juni 2007 - 1 BvR 338/07, NJW 2007, 3560 mwN).
72
Die in § 163c Abs. 2 StPO und § 40 Abs. 2 SOG LSA geregelte 12-Stunden -Frist, auf die sich der Angeklagte beruft, setzt dem Festhalten einer Person zur Identitätsfeststellung lediglich eine äußerste Grenze, befreit aber nicht von der Verpflichtung, eine richterliche Entscheidung unverzüglich herbeizuführen (vgl. - zu Art. 104 Abs. 2 Satz 3 GG - auch BVerfG, Beschlüsse vom 15. Mai 2002 - 2 BvR 2292/00; vom 4. September 2009 - 2 BvR 2520/07, aaO).
73
Es bestehen auch keine tragfähigen Anhaltspunkte dafür, dass die richterliche Entscheidung über die Freiheitsentziehung längere Zeit in Anspruch genommen hätte als die Identitätsfeststellung (vgl. § 163c Abs. 1 Satz 2 StPO; § 38 Abs. 1 Satz 2 SOG LSA) bzw. erst nach dem Wegfall des Grundes für den "Schutzgewahrsam" ergangen wäre (vgl. § 38 Abs. 1 Satz 2 SOG LSA sowie VGH Baden-Württemberg aaO). Denn der 7. Januar 2005 war ein Werktag und die Vorführung wäre zu einer üblichen Arbeitszeit erfolgt, so dass - entsprechend den Feststellungen des Schwurgerichts - davon auszugehen ist, dass die richterliche Entscheidung alsbald ergangen wäre. Zudem sollte mit der erkennungsdienstlichen Behandlung von J. erst um 14.00 Uhr begonnen werden; dies war auch der vom Angeklagten prognostizierte Zeitpunkt, bis zu dem J. in der Zelle verbleiben sollte.
74
(3) Jedoch fehlt es nach den vom Schwurgericht getroffenen Feststellungen an der Kausalität des Unterlassens des Angeklagten für eine rechtswidrige Freiheitsberaubung.
75
(a) Ein Unterlassen, also ein Nichtgeschehen kann - ontologisch - nicht Ursache eines Erfolges sein. Deshalb stellen die ständige Rechtsprechung und die allgemeine Lehre zur - notwendigerweise normativen - Beurteilung der Kausalität bei den unechten Unterlassungsdelikten auf die "hypothetische Kausalität" , die so genannte "Quasi-Kausalität", ab. Diese birgt für die Fälle des Unterlassens die Entsprechung zu der nach der Äquivalenztheorie in den Fällen aktiven Tuns anzuwendenden conditio sine qua non-Formel. Nach ihr ist ein Unterlassen mit dem tatbestandsmäßigen Erfolg als "quasi-ursächlich" in Zurechnungsverbindung zu setzen und zu prüfen, ob dieser beim Hinzudenken der gebotenen Handlung entfiele, ob also die gebotene Handlung den Erfolg verhindert hätte (st. Rspr., vgl. BGH, Urteile vom 4. März 1954 - 3 StR 281/53, BGHSt 6, 1, 2; vom 26. Juni 1990 - 2 StR 549/89, BGHSt 37, 106, 126; vom 19. Dezember 1997 - 5 StR 569/96, BGHSt 43, 381, 397; vom 6. November 2002 - 5 StR 281/01, BGHSt 48, 77, 93). Hierfür muss - da es sich nicht um die Feststellung realer Kausalzusammenhänge handelt - das Gericht eine hypothetische Erwägung anstellen und sich auf deren Grundlage eine Überzeugung bilden (BGH, Urteil vom 12. Januar 2010 - 1 StR 272/09, BGHR StGB § 13 Abs. 1 Ursächlichkeit 3 mwN; vgl. auch SSW-StGB/Schluckebier, aaO, § 239 Rn. 8 a.E. mwN).
76
Dabei streitet für einen Angeklagten der Grundsatz in dubio pro reo. Allerdings steht der Bejahung der Ursächlichkeit die bloße gedankliche Möglichkeit eines gleichen Erfolgs auch bei Vornahme der gebotenen Handlung nicht entgegen. Ebenso wenig genügt es, dass das Unterlassen der gebotenen Handlung lediglich das Risiko des Erfolgseintritts erhöht hat (BGH, Urteil vom 12. Januar 2010 - 1 StR 272/09, aaO, mwN). Vielmehr muss sich die alternative Bewertung, der gleiche Erfolg wäre auch bei Vornahme der gebotenen Handlung eingetreten, aufgrund bestimmter Tatsachen so verdichtet haben, dass die Überzeugung vom Gegenteil mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vernünftigerweise ausgeschlossen ist (BGH, Beschlüsse vom 25. September 1957 - 4 StR 354/57, BGHSt 11, 1; vom 29. November 1985 - 2 StR 596/85, NStZ 1986, 217; vom 25. April 2001 - 1 StR 130/01; vom 6. März 2008- 4 StR 669/07, BGHSt 52, 159, 164; Urteile vom 26. Juni 1990 - 2 StR 549/89, BGHSt 37, 106, 126 f.; vom 19. April 2000 - 3 StR 442/99, BGHR StGB § 13 Abs. 1 Ursächlichkeit 1; vom 12. Januar 2010 - 1 StR 272/09, aaO, mwN).
77
Die Formulierung, „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ müsse die Ursächlichkeit der Pflichtverletzung für den Taterfolg in diesem Sinn feststehen, bedeutet jedoch nicht, dass höhere Anforderungen an das erforderliche Maß an Gewissheit von der Kausalität als sonst gestellt werden müssen. „Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ ist nichts anderes als die überkommene Beschreibung des für die richterliche Überzeugung erforderlichen Beweismaßes (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 1990 - 2 StR 549/89, BGHSt 37, 106, 127).
78
(b) Für den vorliegenden Fall ergibt sich hieraus das Folgende:
79
Welche Handlung eines Unterlassungstäters im Rahmen der Kausalitätsprüfung hinzuzudenken ist, bestimmt sich bei bestehenden Handlungsalternativen vorrangig danach, ob und gegebenenfalls welche von ihnen geeignet ist, den Erfolgseintritt zu verhindern. Bei erfolgsqualifizierten Delikten wie § 239 Abs. 4 StGB ist dabei der für diese Prüfung maßgebliche "Erfolg" - jedenfalls zunächst - nicht die Todesfolge, sondern der des Grunddelikts, mithin eine rechtswidrige Freiheitsentziehung, da deren Verhinderung bei Vornahme einer der gebotenen Handlungen zur Straflosigkeit führen würde. Kommen dabei - wie vorliegend - alternative Handlungen in Betracht, die den Erfolgseintritt entweder durch die Beendigung der Freiheitsentziehung als solcher (z.B. durch Entlassen des J. aus dem Gewahrsam) oder aber durch das Herbeiführen ihrer Rechtmäßigkeit verhindert hätten, besteht bei der Prüfung der hypothetischen Kausalität kein "Vorrang" von sich auf die Freiheitsentziehung als solche beziehenden Handlungen gegenüber denjenigen, die (erst) deren Rechtswidrigkeit beseitigen. Dies gilt jedenfalls im vorliegenden Fall, in dem der Wille des Angeklagten als dem Unterlassenden auf die Fortsetzung des Gewahrsams gerichtet war (im Ergebnis ebenso: BGH, Urteil vom 4. April 1978 - 1 StR 628/77, bei Holtz MDR 1978, 624; Träger/Schluckebier in LK-StGB, aaO, § 239 Rn. 17).
80
Da die gebotene Handlung des Angeklagten bei Fortführung des Gewahrsams das Veranlassen der unverzüglichen (zumindest "symbolischen") Vorführung des J. beim zuständigen Richter bzw. das unverzügliche Herbeiführen von dessen Entscheidung war, entfällt die Kausalität, wenn diese Handlung vorgenommen worden wäre und der Richter den Gewahrsam jedenfalls bis einschließlich zum Zeitpunkt des Todes von J. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit angeordnet hätte (ähnlich für den Fall der Fixierung eines Heiminsassen ohne vormundschaftgerichtliche Anordnung: Träger/Schluckebier in LK-StGB, aaO, § 239 Rn. 17; vgl. auch BGH, Urteil vom 4. April 1978 - 1 StR 628/77, bei Holtz MDR 1978, 624). Hierbei ist eine Recht und Gesetz entsprechende Entscheidung des Richters zugrunde zu legen. Soweit dem Richter dabei jedoch Beurteilungsspielräume eingeräumt sind, gebietet es der Grundsatz in dubio pro reo, diese zugunsten des Angeklagten auszu- schöpfen (vgl. dazu auch Träger/Schluckebier in LK-StGB, aaO, § 239 Rn. 20 a.E.).
81
(c) Auf dieser Grundlage ist für die Beurteilung der "Quasi-Kausalität" des Unterlassens des Angeklagten davon auszugehen, dass der zuständige Richter den Gewahrsam des J. angeordnet hätte. Damit entfällt die Ursächlichkeit des Unterlassens des Angeklagten für eine rechtswidrige Freiheitsentziehung des J. .
82
(aa) Die Annahme, der zuständige Richter hätte den diesen Zeitraum umfassenden Gewahrsam des J. angeordnet, kann sich zwar nichtauf § 127 StPO (vorläufige Festnahme nach einer Straftat) bzw. § 37 Abs. 1 Nr. 2 SOG LSA (Gewahrsam zur Verhinderung einer unmittelbar bevorstehenden Straftat oder Ordnungswidrigkeit bzw. zur Verhinderung deren Fortsetzung) stützen. Denn es war schon bei der Festnahme weder Fluchtgefahr gegeben, noch lagen die weiteren Voraussetzungen eines Haft- oder Unterbringungsbefehls vor oder bestanden tragfähige Anhaltspunkte dafür, dass im Zeitpunkt der richterlichen Entscheidung Straftaten oder erhebliche Ordnungswidrigkeiten unmittelbar bevorstehen bzw. deren Fortsetzung droht, zu deren Verhinderung die Ingewahrsamnahme von J. unerlässlich war.
83
Auch die Voraussetzungen des als Rechtsgrundlage für das Festhalten des J. in Betracht kommenden § 163b Abs. 1 Satz 2 StPO (Identitätsfeststellung für Zwecke der Strafverfolgung), des § 127 Abs. 1 StPO (in der die Identitätsfestellung betreffenden Alternative) oder von § 20 Abs. 4 SOG LSA (Identitätsfeststellung zur Gefahrenabwehr) lagen jedenfalls schon geraume Zeit vor dem unmittelbar zum Tod von J. führenden Geschehen nicht mehr vor. Denn ein hierauf gegründeter Eingriff in das Freiheitsgrundrechtdes J. kam erst dann in Betracht bzw. durfte - wenn er rechtmäßig begonnen worden war - nur fortgesetzt werden, wenn die der Polizei bereits bekannten Daten des J. noch nicht ausreichten, um dessen Identität eindeutig zu bestimmen. Dies wäre etwa der Fall gewesen, wenn konkreter Anlass bestanden hätte, an der Echtheit der bei seiner Durchsuchung aufgefundenen, mit seinem Lichtbild und seinen Personalien versehenen "Duldung" zu zweifeln. Für eine solche Annahme bestand indes ab dem Zeitpunkt, in dem die vom Angeklagten vorgenommene INPOL-Abfrage diese Personalien zumindest im Wesentlichen bestätigt hatte, kein Anhalt mehr. Jedenfalls mit dem ersichtlich zeitnah möglichen Abgleich mit dem Ergebnis bereits früher - auch in De. - durchgeführter erkennungsdienstlicher Behandlungen war die Rechtsgrundlage für ein weiteres Festhalten des J. zur Identitätsfeststellung entfallen (vgl. auch BVerfG, Beschlüsse vom 27. Januar 1992 - 2 BvR 658/90, NVwZ 1992, 767; vom 11. Juli 2006 - 2 BvR 1255/04, NStZ-RR 2006, 381 mwN). Selbst wenn der zuständige Richter zunächst noch die Fortdauer der Freiheitsentziehung zur Identitätsfeststellung angeordnet hätte, wäre diese von ihm derart befristet worden, dass J. lange vor dem tödlichen Geschehen entlassen worden wäre.
84
Jedoch ist davon auszugehen, dass der zuständige Richter den "Schutzgewahrsam" des J. gemäß § 37 Abs. 1 Nr. 1 SOG LSA auch über 12.00 Uhr hinaus angeordnet hätte. Nach dieser Vorschrift waren die Ingewahrsamnahme und deren weiterer Vollzug zulässig, "wenn dies zum Schutz der Person gegen eine Gefahr für Leib oder Leben erforderlich ist, insbesondere weil die Person sich erkennbar in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand oder in sonst hilfloser Lage befindet". Diese Voraussetzungen waren - am oben dargelegten Maßstab gemessen - gegeben. Denn J. war stark alkoholisiert. Die bei ihm um 9.15 Uhr entnommene Blut- probe ergab eine Blutalkoholkonzentration von 2,98 Promille, die Blutalkoholkonzentration im Leichenblut betrug noch 2,68 Promille; zudem wurden im untersuchten Blut Cocain-Metaboliten nachgewiesen. Hinzu kam sein - bis hin zum Anzünden der Matratze - gezeigtes selbstgefährdendes Verhalten, das schon kurz nach dem Eintreffen auf dem Polizeirevier und den Kopfstößen in Richtung Tisch und Wand einen Polizeibeamten zum Eingreifen zugunsten von J. gezwungen und den Arzt, der ihn auf seine Gewahrsamstauglichkeit untersucht hat, dazu veranlasst hat, die Fixierung von J. zu empfehlen. Auch war sein zunächst noch anlasslos belästigendes, später aber aggressives und - bei den Widerstandshandlungen - mit körperlicher Gewalt verbundenes Verhalten mit der Gefahr verbunden, dass sich die Betroffenen dagegen zur Wehr setzen und hierdurch (berechtigt) die Gesundheit von J. beeinträchtigen. Dabei belegen insbesondere die hohe Alkoholisierung und das schon vor dem Eingreifen der Polizeibeamten von J. gezeigte Verhalten hinreichend, dass die Gefahr für dessen Gesundheit nicht lediglich durch die seiner (möglichen) Einschätzung nach unberechtigte Ingewahrsamnahme, sondern zumindest wesentlich durch seine Alkoholisierung und den Drogenkonsum bedingt waren.
85
Aufgrund dieser Tatsachen ist "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" davon auszugehen, dass der zuständige Richter - bei Ausschöpfen ihm eröffneter Beurteilungsspielräume zugunsten des Angeklagten - die Fortdauer des Gewahrsams des J. auch über 12.00 Uhr hinaus angeordnet hätte.
86
Tragfähige Anhaltspunkte dafür, dass nach einer solchen richterlichen Entscheidung (zumindest) die Fixierung hätte beendet werden müssen oder beendet worden wäre, bestehen nicht. Dies liegt aufgrund des von J.
gezeigten Verhaltens auch nicht nahe. Zwar darf nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit auch eine solche Sicherungsmaßnahme nicht länger aufrechterhalten werden als es notwendig und angemessen ist; sie ist ferner zu beenden , wenn mildere Mittel den Zweck ebenfalls erreichen würden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 13. April 1999 - 2 BvR 827/98, NStZ 1999, 428, 429). Im Hinblick auf die bestehende Gefahr selbstgefährdenden Verhaltens des J. , das sich bis hin zum Anzünden der Matratze fortsetzte, überschritt der Zeitraum der Fixierung aber trotz der zunehmenden Dauer und der mit ihr verbundenen Belastungen aus den oben dargelegten Gründen (noch) nicht den Beurteilungsspielraum, der (auch) den Polizeibeamten bei ihrer Anordnung und dem Vollzug einer solchen Sicherungsmaßnahme zukommt. Einer besonderen richterlichen Gestattung oder Anordnung der Fixierung bedurfte es jedenfalls unter den gegebenen Umständen nicht (vgl. § 64 Nr. 3 SOG LSA; ferner BVerfG, Beschluss vom 8. Juli 1993 - 2 BvR 213/93, NJW 1994, 1339; Dürig in Maunz/Dürig, GG, Art. 104 Rn. 28 [Stand: 2014]).
87
(bb) Für die Beurteilung der "Quasi-Kausalität" des Unterlassens des Angeklagten kommt es in Fällen parallelen Unterlassens gleichrangiger Garanten zwar nicht auf das alleinige Verhalten des einzelnen Garanten, sondern auf das Verhalten der Garantengemeinschaft an (vgl. BGH, Urteil vom 6. November 2002 - 5 StR 281/01, BGHSt 48, 77, 87 mwN). Ein solcher Fall ist vorliegend aber nicht gegeben.
88
Sollte nämlich das Verhalten anderer, für den Gewahrsam des J. verantwortlicher Polizeibeamter ebenfalls als pflichtwidrig zu bewerten sein, würde nicht eine Garantengemeinschaft im obigen Sinn vorliegen, sondern Nebentäterschaft. Denn der Angeklagte hätte allein durch eigenes Handeln , mithin unabhängig vom (Nicht-)Handeln der anderen, die ihm obliegenden Voraussetzungen für eine rechtmäßige Freiheitsentziehung herbeiführen können. Ein Fall des objektiven Ineinandergreifens jeweils individuell rechtswidrigen Verhaltens im Sinn einer Garantengemeinschaft liegt daher nicht vor (vgl. auch BGH, Urteil vom 12. Januar 2010 - 1 StR 272/09, aaO, mwN).
89
(cc) Der Senat ist - jedenfalls aufgrund der Besonderheiten des Falles - befugt, die Prüfung der "Quasi-Kausalität" selbst vorzunehmen.
90
Dabei steht der Entscheidung durch den Senat nicht entgegen, dass die Staatsanwaltschaft die Ausführungen des Schwurgerichts dahin versteht, dieses habe nicht feststellen können, ob die Ingewahrsamnahme von J. zu dessen Schutz unerlässlich gewesen sei. Denn die - wie ausgeführt - normative Beurteilung der Kausalität des Unterlassens bezieht sich nicht darauf, ob die Gefahr tatsächlich vorlag und der Gewahrsam zu ihrer Abwendung unerlässlich war, sondern beschränkt sich im Wesentlichen auf die Prüfung, welche Entscheidung ein rechtmäßig handelnder Richter hierzu getroffen hätte. Dafür stand dem Schwurgericht und steht dem Senat angesichts der von jenem rechtsfehlerfrei und vollständig getroffenen, im - wie die (erfolglosen) Verfahrensrügen belegen - angefochtenen Urteil auch umfassend mitgeteilten Feststellungen eine ausreichende und tragfähige Grundlage zur Verfügung.
91
2. Soweit das Schwurgericht die Verwirklichung anderer Straftatbestände durch den Angeklagten ausgeschlossen hat, begegnet dies ebenfalls keinen Bedenken.
92
Wegen Totschlags durch Unterlassen hätte sich der Angeklagte nur strafbar gemacht, wenn das gebotene Handeln den als möglich erkannten Tod noch hätte verhindern können und er sich dessen bewusst war (vgl. BGH, Be- schluss vom 14. Februar 2012 - 3 StR 446/11, NStZ 2012, 379, 380 mwN). Letzteres hat das Landgericht indes ebenso rechtsfehlerfrei verneint wie hinsichtlich weiterer in Betracht kommender Strafvorschriften den Vorsatz.
93
Ein strafbarer Versuch der Freiheitsberaubung (mit Todesfolge) liegt nicht vor, da bei diesem der Tatplan - von hier nicht gegebenen Ausnahmefällen abgesehen - auf einen nach der Vorstellung des Täters kausal durch sein Verhalten herbeigeführten Erfolg gerichtet sein muss (vgl. SSW-StGB/Kudlich/ Schuhr, 2. Aufl., § 22 Rn. 16, 24). An einem entsprechenden Vorsatz (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Februar 2014 - 1 StR 577/13 [Rn. 36]) fehlt es - wie oben ausgeführt - jedoch.
94
3. Auch der Strafausspruch enthält keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Vor- oder zum Nachteil (§ 301 StPO) des Angeklagten.

VI.


95
Ein Teilfreispruch vom Vorwurf der Körperverletzung bzw. Freiheitsberaubung mit Todesfolge war und ist - entgegen der Ansicht der Verteidiger des Angeklagten - nicht geboten (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, aaO, § 260 Rn. 10).
96
Im Revisionsverfahren ist eine Entscheidung über die notwendigen Auslagen der dort Beteiligten nur insofern veranlasst, als diese das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft und die hierdurch verursachten notwendigen Auslagen des Angeklagten betrifft (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, aaO, § 473 Rn. 10a, 15, 18 mwN).
Sost-Scheible Roggenbuck Cierniak
Mutzbauer Quentin

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 328/15
vom
5. August 2015
BGHSt: ja
BGHR: ja
Nachschlagewerk: ja
Veröffentlichung: ja
_____________________________
Eine bewusste Selbstgefährdung lässt grundsätzlich die Erfolgsabwendungspflicht
des eintrittspflichtigen Garanten nicht entfallen, wenn sich das allein auf
Selbstge- fährdung angelegte Geschehen erwartungswidrig in Richtung auf den
Verlust des Rechtsguts entwickelt.
BGH, Beschluss vom 5. August 2015 - 1 StR 328/15 - LG München I
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags durch Unterlassen u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 5. August 2015 gemäß § 349
Abs. 2 StPO beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 19. Dezember 2014 wird verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags durch Unterlassen und wegen erpresserischen Menschenraubs in Tateinheit mit versuchter schwerer räuberischer Erpressung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt.
2
Seine dagegen auf die ausgeführte Sachrüge gestützte Revision ist unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

I.


3
Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen tragen den Schuldspruch wegen Totschlags durch Unterlassen (§ 212 Abs. 1, § 13 Abs. 1 StGB) im Fall B.II.1. der Urteilsgründe (Geschehen vom 18. April 2013). Das Landgericht hat ohne Rechtsfehler den Angeklagten für rechtlich verpflichtet gehalten, den Tod des später verstorbenen A. zu verhindern und hat ihm den eingetretenen Tod des Geschädigten zu seinem Vorsatz zugerechnet.
4
1. Nach den auf einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung beruhenden Feststellungen hatten sich mehrere Personen, u.a. der Angeklagte und A. , bereits im Verlaufe des Nachmittags getroffen und gemeinsam Alkohol sowie verschiedene Betäubungsmittel konsumiert. Gegen Abend begab sich die Gruppe in die in einem größeren Gebäudekomplex gelegene Wohnung des Angeklagten. Dort nahmen die Anwesenden weiterhin u.a. Alkohol, Amphetamin und Cannabis zu sich. Im Verlaufe des Abends bot der Angeklagte den übrigen Personen in der Wohnung an, Gammabutyrolacton (GBL) zu konsumieren. Dieser Stoff befand sich unverdünnt in einer im Besitz des Angeklagten befindlichen Glasflasche. Außer dem nicht revidierenden Mitangeklagten F. ging keiner der sonstigen Anwesenden auf das Angebot ein. Nachdem der Angeklagte und der Mitangeklagte etwa zwei bis drei Milliliter GBL, verdünnt in einem halben Liter Wasser, konsumiert hatten, blieb die Flasche mit dem GBL frei zugänglich in der Wohnung des Angeklagten stehen. Spätestens nach dem eigenen Konsum wies der Angeklagte seine Gäste darauf hin, dass GBL nicht unverdünnt zu sich genommen werden dürfe.
5
Einige Zeit danach setzte der später verstorbene A. die Flasche mit dem unverdünnten GBL direkt an und trank eine durch das Landgericht nicht mehr näher feststellbare Menge der Substanz. Der Angeklagte und der Mitangeklagte , die von der Aufnahme einer tödlich wirkenden Menge ausgingen, versuchten erfolglos, A. zum Erbrechen zu veranlassen. Dieser verlor vielmehr das Bewusstsein. Nachdem A. in eine stabile Seitenlage gebracht worden war, beschränkte sich der Angeklagte – wie auch die übrigen Anwesenden darauf – die Atemfrequenz des bewusstlosen Geschädigten zu kontrol- lieren. Spätestens als der Angeklagte wahrnahm, dass A. lediglich noch alle sechs bis acht Sekunden atmete, nahm er billigend in Kauf, dass der Geschädigte ohne das unverzügliche Herbeirufen von ärztlicher Hilfe an den Folgen der Einnahme des unverdünnten GBL versterben werde. Dennoch blieb er untätig. Hätte er zu diesem Zeitpunkt medizinische Hilfe angefordert, wäre das Leben des Geschädigten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gerettet worden. Auch nachdem – vom Angeklagten wahrgenommen – die Atemfrequenz von A. noch niedriger, die Atmung zudem unregelmäßig und geräuschintensiv wurde, leitete der Angeklagte zunächst weiterhin keine Rettungsmaßnahmen ein.
6
Später wurde, nicht ausschließbar auf die Initiative des Angeklagten, ein erster Rettungswagen verständigt. Als der Angeklagte beobachtete, dass dieser Rettungswagen abfuhr, ohne A. aufgenommen zu haben, ließ er einen zweiten Rettungswagen herbeirufen. Dessen Besatzung unternahm Wiederbelebungsversuche. Diese führten jedoch nicht zum Erfolg. A. verstarb an einem durch den Konsum von GBL ausgelösten Atemstillstand und der dadurch bewirkten Sauerstoffunterversorgung des Gehirns.
7
2. Nach diesen Feststellungen hat sich der Angeklagte wegen Totschlags durch Unterlassen strafbar gemacht.
8
a) Der Angeklagte hatte im Sinne von § 13 Abs. 1 StGB rechtlich dafür einzustehen, dass der Tod des Geschädigten A. nach dessen Konsum von GBL nicht eintritt. Diese Pflicht zur Abwendung des Todeserfolgs resultierte aus der tatsächlichen Herrschaft des Angeklagten über die in seinem Besitz befindliche und von ihm in seiner Wohnung für die übrigen dort Anwesenden frei zugängliche Flasche mit dem hochgradig gesundheits- und lebensgefährlichen GBL.
9
aa) In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist anerkannt, dass jeder, der eine Gefahrenquelle schafft oder unterhält, die nach Lage der Verhältnisse erforderlichen Vorkehrungen zum Schutz anderer Personen zu treffen hat (BGH, Urteil vom 13. November 2008 – 4 StR 252/08, BGHSt 53, 38, 41 f. Rn. 16 mwN; siehe auch BGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – 2 StR 295/11, NStZ 2012, 319). Die entsprechende Pflicht beschränkt sich auf das Ergreifen solcher Maßnahmen, die nach den Gesamtumständen zumutbar sind und die ein verständiger und umsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um Andere vor Schäden zu bewahren. Eine aus der Zuständigkeit für eine Gefahrenquelle folgende Erfolgsabwendungspflicht gemäß § 13 Abs. 1 StGB besteht allerdings lediglich dann, wenn mit der Eröffnung der Gefahrenquelle die nahe liegende Möglichkeit begründet wurde, dass Rechtsgüter anderer Personen verletzt werden können (vgl. bereits BGH, Urteil vom 13. November2008 – 4 StR 252/08, BGHSt 53, 38, 42 Rn. 16; BGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – 2 StR 295/11, NStZ 2012, 319). In welchem Umfang die Erfolgsabwendungs- pflicht besteht, bestimmt sich nach dem Grad der Gefahr. Die Anforderungen an den für die Gefahrenquelle Zuständigen sind umso höher, je größer bei erkennbarer Gefährlichkeit einer Handlung die Schadenswahrscheinlichkeit und Schadensintensität sind (BGH, Urteil vom 13. November 2008 – 4 StR 252/08, BGHSt 53, 38, 42 Rn. 16 mwN).
10
bb) An diesen Grundsätzen gemessen ist die rechtliche Würdigung des Tatgerichts, der Angeklagte sei Garant für das Leben des später verstorbenen A. gewesen, nicht zu beanstanden.
11
Die dem Konsum des unverdünnten GBL durch A. zeitlich vorausgegangenen Umstände legten die Möglichkeit nahe, dass es wegen des freien Zugangs aller in der Wohnung des Angeklagten Anwesenden zu einem Zugriff auf die Flasche mit dem GBL kommen werde. Alle sich dort Aufhaltenden und damit auch A. hatten bereits im Verlaufe des Nachmittags außerhalb der Wohnung unterschiedliche Suchtmittel zu sich genommen. In der Wohnung war es zu weiterem Konsum von Alkohol und verschiedenen Betäubungsmitteln gekommen. Angesichts dieses wahllosen Suchtmittelkonsumverhaltens der in der Wohnung anwesenden Personen war trotz der zunächst ausbleibenden Reaktion der Gäste auf die Aufforderung des Angeklagten, von dem GBL zu konsumieren, die Gefahr eines Zugriffs auch auf diese Substanz nahe liegend. Unabhängig von dem jeweils konkreten Umfang des Suchtmittelkonsums der verschiedenen Gäste und den jeweiligen individuellen Auswirkungen auf die Fähigkeit zur Risikoeinschätzung, entspricht eine enthemmende Wirkung von Suchtmittelkonsum allgemeiner Erfahrung. Dass es angesichts des bis zum Vorfallzeitpunkt von allen Anwesenden gezeigten Konsumverhaltens auch zu der Einnahme von GBL kommen würde, war daher eine voraussehbare Entwicklung.
12
Wegen der mit einer Einnahme des unverdünnt in der für jeden Anwesenden frei zugänglichen Flasche befindlichen GBL einhergehenden hohen Gefährlichkeit für das Leben und die Gesundheit von Konsumenten waren an den Angeklagten als Inhaber der Sachherrschaft über den gefährlichen Gegenstand hohe Sorgfaltsanforderungen zu stellen, um der Lebensgefährlichkeit des Konsums zu begegnen. Die ausgesprochene Warnung des Angeklagten, GBL nicht unverdünnt zu sich zu nehmen, genügte angesichts des frei zugänglichen Aufstellens der Flasche in der Wohnung in Anwesenheit mehrerer Personen, die bereits zuvor Alkohol und verschiedene Drogen konsumiert hatten, dazu nicht. Der Angeklagte hat daher als für die Flasche zuständiger Besitzer durch den geschilderten Umgang mit ihr eine Gefahrenquelle eröffnet. Dies begründete grundsätzlich seine Pflicht, dem von dieser Quelle für die Rechtsgüter Dritter ausgehenden Gefährlichkeitspotential durch geeignete und ihm zumutbare Maßnahmen zu begegnen.
13
b) Diese Pflicht entfiel – wie das Landgericht rechtsfehlerfrei angenommen hat – auch nicht deshalb, weil der später verstorbene A. trotz der ausgesprochenen Warnung des Angeklagten aus eigenem Entschluss das GBL unverdünnt zu sich genommen hat.
14
aa) Zwar unterfällt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine eigenverantwortlich gewollte und verwirklichte Selbstgefährdung grundsätzlich nicht den Tatbeständen eines Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts , wenn sich das mit der Gefährdung vom Opfer bewusst eingegangene Risiko realisiert. Wer eine solche Gefährdung veranlasst, ermöglicht oder fördert , kann daher nicht wegen eines Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts verurteilt werden; denn er nimmt an einem Geschehen teil, welches – soweit es um die Strafbarkeit wegen Tötung oder Körperverletzung geht – kein tatbestandsmäßiger und damit strafbarer Vorgang ist (siehe nur BGH, Urteil vom 28. Januar 2014 – 1 StR 494/13, BGHSt 59, 150, 167 Rn. 71 mit zahlr. Nachw.). Diese Grundsätze gelten sowohl für die vorsätzliche als auch die fahrlässige Veranlassung, Ermöglichung oder Förderung einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung oder Selbstverletzung (BGH, Urteil vom 28. Januar 2014 – 1 StR 494/13, BGHSt 59, 150, 168 Rn. 71).
15
bb) Eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung seines Lebens durch den Verstorbenen A. schloss jedoch die aus der Herrschaft über eine Gefahrenquelle resultierende Pflicht des Angeklagten zur Abwendung des drohenden Todeserfolgs gerade nicht aus, als sich nach der unverdünnten Einnahme von GBL gerade das Gefahrenpotential für das Leben A. s zu reali- sieren begann, das der Angeklagte durch das dem Zugriff seiner Gäste offene Abstellen der Flasche mit dem genannten Stoff gerade eröffnet hatte.
16
(1) Der Bundesgerichtshof hat bereits entschieden, dass die Erfolgsabwendungspflicht eines Garanten nicht entfällt, wenn sein Verhalten zunächst lediglich eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung derjenigen Person ermöglicht , für dessen Rechtsgut bzw. Rechtsgüter er als Garant rechtlich im Sinne von § 13 Abs. 1 StGB einzustehen hat (vgl. BGH, Urteile vom 27. Juni 1984 – 3 StR144/84, NStZ 1984, 452 und vom 9. November 1984 – 2 StR 257/84; im Ergebnis auch BGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – 2 StR 295/11, NStZ 2012, 319). Die Straflosigkeit des auf die Herbeiführung des Risikos gerichteten Verhaltens ändere nichts daran, dass für den Täter Garantenpflichten in dem Zeitpunkt bestehen, in dem aus dem allgemeinen Risiko eine besondere Gefahrenlage erwächst. Mit dem Eintritt einer solchen Gefahrenlage ist der Täter verpflichtet, den drohenden Erfolg abzuwenden (BGH, Urteile vom 27. Juni 1984 – 3 StR 144/84, NStZ 1984, 452 und vom 9. November 1984 – 2 StR 257/84; in der Sache ebenso BGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – 2 StR 295/11, NStZ 2012, 319).
17
(2) An diesen Grundsätzen ist jedenfalls dann festzuhalten, wenn – wie nach den tatrichterlichen Feststellungen hier (UA S. 22) – das Verhalten des Opfers sich in Bezug auf das Rechtsgut Leben in einer (möglichen) eigenverantwortlichen Selbstgefährdung erschöpft. Entgegen in der Strafrechtswissenschaft geäußerter Kritik (etwa Roxin, Strafrecht, AT/1, 4. Aufl., § 11 Rn. 112; Kühl in Lackner/Kühl, StGB, 28. Aufl., Vor § 211 Rn. 16; Fünfsinn StV 1985, 57 f.) ist es in diesen Konstellationen nicht wertungswidersprüchlich, zwar jegliche Beteiligung an der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung selbst für einen Garanten straffrei zu stellen, bei Realisierung des von dem betroffenen Rechts- gutsinhaber eingegangenen Risikos aber eine strafbewehrte Erfolgsabwendungspflicht aus § 13 Abs. 1 StGB anzunehmen. Denn anders als in den Selbsttötungsfällen erschöpft sich im Fall der Selbstgefährdung die Preisgabe des eigenen Rechtsguts gerade darin, dieses in einem vom Betroffenen jedenfalls in seinem wesentlichen Grad zutreffend erkannten Umfang (Kenntnis sämtlicher rechtsgutsbezogener Risiken des fraglichen Verhaltens wird nicht gefordert, vgl. BGH, Beschluss vom 11. Januar 2011 – 5 StR 491/10, NStZ 2011, 341, 342; siehe auch BGH, Urteil vom 28. Januar 2014 – 1 StR 494/13, BGHSt 59, 150, 169 f. Rn. 80 und 81) einem Risiko auszusetzen. Eine Hinnahme des als möglich erkannten Erfolgseintritts bei Realisierung des eingegangenen Risikos ist mit der Vornahme der Selbstgefährdung gerade nicht notwendig verbunden (siehe insoweit auch Freund in Münchener Kommentar zum StGB, 2. Aufl., § 13 Rn. 190; in der Sache anders dagegen Murmann NStZ 2012, 387, 388 f.).
18
Entwickelt sich das allein auf Selbstgefährdung angelegte Geschehen erwartungswidrig in Richtung auf den Verlust des Rechtsguts, umfasst die ursprüngliche Entscheidung des Rechtsgutsinhabers für die (bloße) Gefährdung seines Rechtsguts nicht zugleich den Verzicht auf Maßnahmen zum Erhalt des nunmehr in einen Zustand konkreter Gefahr geratenen Rechtsguts (vgl. Freund aaO). Eine Person, die nach den allgemeinen Grundsätzen des § 13 Abs. 1 StGB Garant für das bedrohte Rechtsgut ist, trifft dann im Rahmen des tatsächlich Möglichen und ihr rechtlich Zumutbaren die Pflicht, den Eintritt des tatbestandlichen Erfolgs abzuwenden.
19
Dem ist der Angeklagte nicht nachgekommen, weil er in dem Zeitraum, in dem noch die Möglichkeit der Abwendung des Todes von A. bestand, auf das Herbeirufen der lebensnotwendigen medizinischen Hilfe verzichtet hat.
20
(3) Ob für den Fall eines eigenverantwortlichen Suizids nach Verlust der Handlungsherrschaft des den Selbstmord Anstrebenden etwas anderes gilt (vgl. BGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – 2 StR 295/11, NStZ 2012, 319), bedarf keiner Entscheidung. Denn das Landgericht hat einen Selbsttötungswillen des Verstorbenen A. mit rechtsfehlerfreier Beweiswürdigung ausgeschlossen (UA S. 40).
21
c) Ohne Rechtsfehler hat das Landgericht, vor allem gestützt auf das rechtsmedizinische Sachverständigengutachten, festgestellt, dass A. bei rechtzeitigem Verständigen von medizinischer Hilfe mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit hätte gerettet werden können (UA S. 60–62).
22
d) Die Feststellungen zum bedingten Tötungsvorsatz werden durch eine umfassende, die Anforderungen an die Wissens- und die Willenskomponente dieser Vorsatzform berücksichtigende Gesamtwürdigung getragen (UA S. 63–

67).



II.


23
Der Schuldspruch wegen erpresserischen Menschenraubs in Tateinheit mit versuchter schwerer räuberischer Erpressung im Fall B.II.2. der Urteilsgründe (Geschehen vom 26./27. Mai 2013) weist ebenfalls keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.
24
1. Die getroffenen Feststellungen belegen die Tathandlung des SichBemächtigens im Sinne von § 239a Abs. 1 Halbs. 1 StGB spätestens ab dem Zeitpunkt des Verbringens des Nebenklägers in die Wohnung des (weiteren) nicht revidierenden Mitangeklagten J. . Sich-Bemächtigen liegt bereits vor, wenn der Täter die physische Herrschaft über einen anderen erlangt hat; dafür ist weder eine Ortsveränderung erforderlich noch muss der Tatbestand der Freiheitsberaubung erfüllt sein (BGH, Urteil vom 22. Oktober 2009 – 3 StR 372/09, NStZ 2010, 516). Die Umstände des Festhaltens in der fraglichen Wohnung (UA S. 26 und 27) ergeben die Erlangung physischer Herrschaft über den Nebenkläger. Dass es diesem zwischenzeitlich gelungen war, sich aus einer Fesselung durch Handschellen zu befreien, steht dem angesichts der sonstigen Umstände seines Festhaltens in der Wohnung nicht entgegen.
25
2. Soweit das Landgericht bezüglich § 239a StGB auf eine stabilisierte Bemächtigungslage abgestellt hat (UA S. 91), wäre es darauf nicht angekommen , weil der Angeklagte und sein nicht revidierender Mitangeklagter F. nach den getroffenen Feststellungen (auch) die Sorge des Vaters des geschädigten Nebenklägers um dessen Wohl zu einer Erpressung ausnutzen wollten. In solchen meist sog. Drei-Personen-Verhältnissen kommt nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs der Bemächtigungslage und deren Stabilisierung geringere Bedeutung zu als in sog. Zwei-Personen-Verhältnissen (Nachw. bei Fischer, StGB, 62. Aufl., § 239a Rn. 8b). Dass das Tatgericht sogar strengere Anforderungen an die Verwirklichung des Tatbestands gestellt hat, geht ersichtlich nicht zu Lasten des Angeklagten.

III.


26
Der Rechtsfolgenausspruch hält ebenfalls rechtlicher Prüfung stand.
27
Das Unterbleiben der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB hat das Landgericht ohne Rechtsfehler mit dem Fehlen eines Hangs des Angeklagten, alkoholische Getränke oder sonstige berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, begründet.
28
1. Hang im Sinne von § 64 StGB verlangt eine chronische, auf körperlicher Sucht beruhende Abhängigkeit oder zumindest eine eingewurzelte, auf psychischer Disposition beruhende oder durch Übung erworbene intensive Neigung , immer wieder Alkohol oder andere Rauschmittel im Übermaß zu sich zu nehmen. Ausreichend für die Annahme eines Hangs zum übermäßigen Genuss von Rauschmitteln ist jedenfalls, dass der Betroffene aufgrund seiner Konsumgewohnheiten sozial gefährdet oder gefährlich erscheint. Insoweit kann dem Umstand, dass durch den Rauschmittelgenuss bereits Gesundheit, Arbeits- und Leistungsfähigkeit erheblich beeinträchtigt sind, zwar indizielle Bedeutung für das Vorliegen eines Hangs zukommen; das Fehlen dieser Beeinträchtigungen schließt indessen nicht notwendigerweise die Bejahung eines Hangs aus (BGH, Beschluss vom 18. September 2013 – 1 StR 382/13, BGHR StGB § 64 Satz 1 Hang 1 mwN; Urteil vom 15. Mai 2014 – 3 StR 386/13 Rn. 10 [in NStZ-RR 2014, 271 nur LS]).
29
2. Diese Grundsätze hat das Landgericht zugrunde gelegt, sachverständig beraten jedoch die Voraussetzungen des Hangs weder im Sinne körperlicher Sucht noch psychischer Disposition, sondern lediglich einen schädlichen Gebrauch von Alkohol und sonstigen Mitteln festzustellen vermocht. Dabei hat es im rechtlichen Ausgangspunkt zutreffend berücksichtigt, dass vorhandene Beeinträchtigungen der Gesundheit sowie der Arbeits- und Lebensfähigkeit ebenso lediglich indizielle Bedeutung für den Hang haben wie umgekehrt das (bisherige) Fehlen solcher Beeinträchtigungen nur Indizien sind, die auf die Abwesenheit eines Hangs hindeuten können.
30
Da dem Landgericht die jeweils allein indizielle Bedeutung bewusst war, ist es rechtlich nicht zu beanstanden, dass es unter Berücksichtigung aller relevanten Aspekte vor allem aus dem geregelten Arbeitsleben des Angeklagten, seiner Fähigkeit, bisherige soziale Bindungen fortzuführen und neue zu knüpfen , sowie eingelegten Konsumpausen und dem Fehlen von Entzugserscheinungen nach der Festnahme in Übereinstimmung mit dem psychiatrischen Sachverständigen einen Hang verneint hat.
31
3. Angesichts des Vorstehenden kommt es nicht darauf an, ob auch – wie das Landgericht in Hilfserwägungen meint – der symptomatische Zu- sammenhang zwischen den begangenen Taten und einem (unterstellten) Hang fehlte.
Raum Jäger Radtke Mosbacher Fischer

(1) Wer es unterläßt, einen Erfolg abzuwenden, der zum Tatbestand eines Strafgesetzes gehört, ist nach diesem Gesetz nur dann strafbar, wenn er rechtlich dafür einzustehen hat, daß der Erfolg nicht eintritt, und wenn das Unterlassen der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes durch ein Tun entspricht.

(2) Die Strafe kann nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja nur II. 2. der Gründe
Veröffentlichung: ja
_____________________________________
Die strafrechtliche Garantenpflicht unter Eheleuten endet, wenn sich ein Ehegatte
vom anderen in der ernsthaften Absicht getrennt hat, die eheliche Lebensgemeinschaft
nicht wieder herzustellen.
BGH, Urt. vom 24. Juli 2003 - 3 StR 153/03 - LG Oldenburg

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 153/03
vom
24. Juli 2003
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen schwerer Brandstiftung u. a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 24. Juli 2003,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Tolksdorf,
die Richter am Bundesgerichtshof
Winkler,
Pfister,
Becker,
Hubert
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger der Angeklagten S. ,
Justizamtsinspektorin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Oldenburg vom 27. Juni 2002 wird verworfen.
2. Auf die Revision der Angeklagten S. wird das vorbezeich- nete Urteil mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,
a) soweit die Beschwerdeführerin wegen Beihilfe zur Körperverletzung durch Unterlassen verurteilt worden ist,
b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels der Angeklagten, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weitergehende Revision der Angeklagten S. wird verworfen.
3. Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft und die den Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten M. wegen schwerer Brandstiftung unter Einbeziehung früherer Entscheidungen zu einer Jugendstrafe von vier Jahren und wegen gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung früherer Strafen zu einer Gesamtstrafe von einem Jahr und vier Monaten verurteilt ; es hat die Angeklagte S. wegen schwerer Brandstiftung und wegen durch Unterlassen begangener Beihilfe zur Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und einem Monat verurteilt. Von dem Vorwurf des gemeinschaftlich versuchten Mordes in zwei Fällen hat das Landgericht die Angeklagten freigesprochen. Gegen diesen Freispruch richtet sich die Revision der Staatsanwaltschaft mit sachlichrechtlichen Beanstandungen. Die Revision der Angeklagten S. rügt die Verletzung von Verfahrensrecht und erhebt materiellrechtliche Beanstandungen. Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft bleibt ohne, das der Angeklagten hat nur teilweisen Erfolg.
Zu den Verurteilungen hat das Landgericht festgestellt: Am Abend des 1. Juni 1996 drangen beide Angeklagte in das vom geschiedenen ersten Ehemann der Angeklagten S. , J. , bewohnte, in fremdem Eigentum stehende Haus in O. ein. In Abwesenheit des geschiedenen ersten Ehemanns legten der Angeklagte M. im Schlafzimmer und die Angeklagte S. im Bodenraum einen Brand, der das Haus vollständig zerstörte und einen Gebäudeschaden von mindestens 300.000 DM verursachte. Am 25. Januar 2001 würgte der Angeklagte M. den Ehemann der Angeklagten, Wilhelm S. , bis an die Grenze der Bewußtlosigkeit und schlug ihm mit der Faust in den Magen. Er war über sein Opfer verärgert, weil dieses ihn wegen eines Diebstahls bei der Polizei angezeigt hatte. Die Angeklagte S. hatte kurz vor der Tat von dem Vorhaben des Angeklagten M. Kenntnis erlangt,
unterließ es aber, ihren Ehemann, von dem sie sich etwa vier Wochen zuvor getrennt hatte, vor dem Angriff zu warnen. Auch unternahm sie keinerlei Bemühungen , den Angeklagten M. von seiner Tat abzuhalten.
Über den Gegenstand der Verurteilung hinaus war beiden Angeklagten in der Anklage zur Last gelegt worden, zweimal versucht zu haben, Wilhelm S. heimtückisch zu töten. Sie sollen im Januar 1998 dem Opfer einen Grog zu trinken gegeben haben, in den sie ein zuvor von dem Angeklagten M. beim Tierarzt Dr. H. entwendetes Mittel zur Tötung von Tieren ("T 61") gemischt hatten. Wilhelm S. soll mit dem Bemerken, der Grog sei salzig, das Getränk sofort wieder ausgespuckt und den Rest in die Güllegrube geschüttet haben. Im Jahr 2000 soll die Angeklagte S. ihrem Mann Ecstasy -Tabletten, die der Angeklagte M. zuvor besorgt hatte, verabreicht haben. Anstelle des von beiden Angeklagten erstrebten Todes soll es beim Opfer nur zu Kreislaufproblemen gekommen sein. Obwohl der Angeklagte M. diese Tatvorwürfe in der Hauptverhandlung einräumte, hat sich das Landgericht von einem solchen Geschehensablauf nicht überzeugen können und nicht auszuschließen vermocht, daß zwischen den Angeklagten nur unverbindliche Gespräche über solche Tatmöglichkeiten geführt worden waren.
I. Revision der Staatsanwaltschaft und Revision der Angeklagten S. , soweit sie sich gegen die Beweiswürdigung wendet
Die Staatsanwaltschaft rügt, das Landgericht habe die Angeklagten aufgrund einer rechtsfehlerhaften Beweiswürdigung vom Vorwurf des zweifach versuchten Mordes freigesprochen. Dabei hebt sie im wesentlichen darauf ab,
daß das Landgericht das Geständnis des Angeklagten M. insoweit nicht als ausreichend angesehen hatte, während es für die Verurteilung der Angeklagten wegen schwerer Brandstiftung und Körperverletzung ein Geständnis dieses Angeklagten hatte ausreichen lassen.
Die Angeklagte S. rügt hingegen, das Landgericht habe sie aufgrund einer rechtsfehlerhaften Beweiswürdigung wegen schwerer Brandstiftung verurteilt. Auf die Angaben des Angeklagten M. habe sich das Landgericht nicht stützen können, da es dessen Angaben zum Vorwurf des zweifach versuchten Mordes nicht als ausreichend für eine Überführung angesehen hatte.
Beide Revisionen zeigen mit ihren Beanstandungen keinen Rechtsfehler auf. Wenn der Tatrichter einem Beweismittel zu einem Teil folgt und zu einem anderen Teil nicht zu folgen vermag, ist er nur zu einer näheren Darlegung der hierfür maßgeblichen Gründe in der Beweiswürdigung gehalten (st. Rspr., vgl. z. B. BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung, widersprüchliche 4 und Beweiswürdigung 13; BGH NJW 1993, 2451; BGHR StPO § 261 Zeuge 8; BGH, Beschl. vom 14. Juli 1998 - 4 StR 289/98). Diese Darlegung ist dem Urteil zu entnehmen.
Von dem der Verurteilung wegen schwerer Brandstiftung zugrunde liegenden Geschehen hat sich das Landgericht aufgrund der geständigen Angaben des Angeklagten M. überzeugt, weil dessen Bekundungen durch weitere Beweisergebnisse (die Ausführungen des Brandsachverständigen und die Bekundungen eines Feuerwehrmannes zum Brandverlauf sowie die Aussage einer Vollzugsbediensteten über das Eingeständnis der Tat durch die Angeklagte ihr gegenüber) Bestätigung gefunden haben. Gleiches gilt auch für das
Geständnis des Mitangeklagten M. betreffend die Körperverletzung zum Nachteil des Wilhelm S. .
Bezüglich des Vorwurfs des zweifach versuchten Mordes hat das Landgericht zuerst die für eine Glaubhaftigkeit der Aussage des Angeklagten sprechenden Umstände (Selbstbelastung; kein nachvollziehbares Motiv für eine Falschbelastung der Mitangeklagten; Detailreichtum, Konstanz und Widerspruchsfreiheit der Aussage; Spontaneität der Aussageergänzungen; Lebensbeichte als Aussagemotivation) erörtert. Dem hat es Umstände entgegengestellt , die Zweifel an der Glaubhaftigkeit wecken konnten (Detailarmut gerade bei der Schilderung der entscheidenden Handlungsteile; Widerspruch zum Verhalten bei der Körperverletzung am 25. Januar 2001; Falschaussage des Angeklagten M. in einem Nebenpunkt). Insoweit enthält die Beweiswürdigung entgegen dem Revisionsvorbringen der Staatsanwaltschaft weder Lücken noch Widersprüche.
Es ist auch nicht zu besorgen, daß sich das Landgericht bei dem Freispruch von der rechtsfehlerhaften Annahme hätte leiten lassen, auf ein von weiteren Beweisergebnissen nicht bestätigtes Geständnis könne eine Verurteilung nicht gestützt werden. Anlaß für verbleibende Zweifel der Strafkammer an der Richtigkeit des Geständnisses war nämlich nicht nur die Tatsache, daß das vermeintliche Opfer sich an die geschilderten Tatumstände nicht zu erinnern vermochte; vielmehr standen einzelne Beweisergebnisse dem Geständnis des Angeklagten M. direkt entgegen: So fand die erste Einschläferung eines Tieres auf dem Hof der S. s mit dem Mittel "T 61" nach den Bekundungen des Tierarztes Ende März 1998, also erst nach dem angeblichen Mordversuch, statt. Auch konnte der Tierarzt nicht bestätigen, daß das Mittel bei ihm entwen-
det worden war. Zudem haben die Ermittlungen zum Geschmack des Giftes nichts für den - nach Darstellung des Angeklagten M. - von Wilhelm S. bemerkten starken Salzgeschmack ergeben.
Insgesamt ist das Landgericht der Verpflichtung nachgekommen, in der Beweiswürdigung näher darzulegen, warum es dem Mitangeklagten M. zu einem Teil gefolgt ist und ihm zu einem anderen Teil nicht zu folgen vermocht hat. Es stellt deshalb auch keinen Rechtsfehler dar, wenn die Strafkammer es nicht für ausgeschlossen erachtet, daß sich die Angeklagten möglicherweise nur im Gespräch und in im einzelnen nicht feststellbarer Weise mit dem Gedanken an eine Tötung des Wilhelm S. befaßt hatten. Ob auch eine andere , zur Verurteilung der Angeklagten führende Überzeugungsbildung rechtsfehlerfrei möglich gewesen wäre, ist für die Nachprüfung der vom Landgericht vorgenommenen Beweiswürdigung im Revisionsverfahren ohne Belang.
II. Revision der Angeklagten S. im übrigen
1. Auf die Verfahrensrüge, das Landgericht habe gegen die Hinweispflicht nach § 265 Abs. 1 StPO verstoßen, kommt es nicht an, da die insoweit allein betroffene Verurteilung wegen Beihilfe zur Körperverletzung auf die Sachrüge hin aufgehoben werden muß.
2. Die Verurteilung der Angeklagten wegen durch Unterlassen begangener Beihilfe zur Körperverletzung hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.

a) Entgegen den Angriffen der Revision kann dem Urteil entnommen werden, daß die Tat des Angeklagten M. zumindest erschwert worden wäre, wenn die Angeklagte S. sich bemüht hätte, ihn von der Tat abzuhalten, oder wenn sie ihren Ehemann telefonisch gewarnt hätte. Dies ist ausreichend. Es ist für die Annahme einer Beihilfe durch Unterlassen nicht erforderlich, daß die unterlassene Handlung den Taterfolg verhindert hätte (vgl. BGH NJW 1953, 1838 m. w. N.).

b) Die Feststellungen des Landgerichts ergeben jedoch nicht, daß die Angeklagte, wie es für ihre Verurteilung wegen durch Unterlassen begangener Beihilfe zur Körperverletzung erforderlich wäre, zum Tätigwerden zugunsten des Tatopfers verpflichtet gewesen ist. Nach ihnen ist es vielmehr möglich, daß die sich aus der Ehe ergebende Garantenpflicht hier dadurch weggefallen ist, daß sich die Angeklagte etwa vier Wochen vor der Tat von ihrem Ehemann getrennt und einem anderen Mann zugewandt hat. aa) Hinsichtlich der Garantenpflicht unter Ehegatten ist unstreitig, daß Ehegatten bei bestehender Lebensgemeinschaft einander als Garanten zum Schutz verpflichtet sind, also jeweils dafür im Sinne des § 13 StGB einzustehen haben, daß dem anderen Teil kein Schaden zugefügt wird, der sich als "Erfolg" eines Straftatbestands darstellt. Dementsprechend kann nicht zweifelhaft sein, daß die Angeklagte - hätte sie sich nicht von ihrem Ehemann getrennt - verpflichtet gewesen wäre, ihn vor der drohenden Körperverletzung durch den Mitangeklagten M. zu warnen bzw. zu versuchen, diesen von der beabsichtigten Tat abzuhalten.
bb) Unterschiedlich beurteilt wird, worin die Grundlage für die Annahme der Garantenpflicht zu sehen ist und welche Bedeutung eine Trennung der Eheleute für sie hat.
Insofern wird einerseits vertreten, daß sich die Garantenpflicht der Ehegatten , im Grundsatz ohne Rücksicht auf das tatsächliche Bestehen einer Lebensgemeinschaft , aus § 1353 Abs. 1 Satz 2 BGB ergebe (Jakobs, Strafrecht AT 2. Aufl. S. 823; Welzel, Strafrecht 11. Aufl. S. 217; Geilen FamRZ 1961, 148). Das tatsächliche Bestehen einer Gemeinschaft sei zwar nicht ohne jede Bedeutung. Ohne sie sei etwa eine Garantenpflicht für andere Rechtsgüter als Leib, Leben und Freiheit zu verneinen (Jescheck in LK 11. Aufl. § 13 Rdn. 23 aE). Die Einstandspflicht zum Schutze der genannten Rechtsgüter sei aber schlicht an den Fortbestand der Ehe geknüpft und werde - mit der Folge, daß der Schuldspruch hier keinen Bedenken begegnete - nicht schon dadurch beendet , daß die Ehegatten ihre Lebensgemeinschaft aufgeben und getrennte Wege gehen.
Nach anderer Auffassung findet die Garantenpflicht unter Eheleuten ihre Grundlage nicht in § 1353 BGB. Entscheidend für die Annahme einer Garantenstellung soll vielmehr allein das tatsächliche Bestehen eines gegenseitigen Vertrauens- und Abhängigkeitsverhältnis zwischen den Ehegatten im Hinblick auf den Schutz der bedrohten Rechtsgüter sein (Rudolphi in SK-StGB § 13 Rdn. 50 m. w. N.). Fehle es daran, wie z. B. in aller Regel bei tatsächlichem Getrenntleben der Ehegatten, so stehe das Unterlassen mangels eines Obhutsverhältnisses nicht dem aktiven Bewirken des tatbestandsmäßigen Unrechtserfolges gleich. Daran vermöge die sich aus § 1353 BGB ergebende Rechtspflicht zur Begründung der ehelichen Lebensgemeinschaft nichts zu än-
dern. Denn solange der Ehegatte diese Rechtspflicht nicht erfülle, es also an einem auf der tatsächlichen Lebensgemeinschaft basierenden gegenseitigen Vertrauens- und Abhängigkeitsverhältnis zwischen den Ehegatten fehle, solange sei er auch nicht Garant, sondern lediglich verpflichtet, ein garantenpflichtiges Obhutsverhältnis zu begründen. Diese Pflicht stehe aber - mit der Folge, daß die Verurteilung der Angeklagten hier keinen Bestand haben könnte - der Garantenpflicht nicht gleich (Rudolphi aaO).
Der Bundesgerichtshof hat zu der Frage der strafrechtlichen Garantenpflicht unter Ehegatten - soweit ersichtlich - noch nicht entscheidungserheblich Stellung genommen. Nach einer Entscheidung des 1. Strafsenats gründet die Verpflichtung der Ehegatten, sich gegenseitig zum Schutze beizustehen, auf die "enge, vom Treuegebot beherrschte Lebensgemeinschaft" (BGHSt 2, 150, 153), was in dem Sinne verstanden werden könnte, daß das Bestehen der Gemeinschaft das maßgebliche Kriterium ist. In der weiteren Begründung wird dann aber auf § 1353 BGB abgestellt und unter Berufung auf diese Norm die "Rechtspflicht" bejaht, "einander in Lebensgefahr nach Kräften zu schützen und zu helfen," wobei dieser Grundsatz allerdings wieder durch den Zusatz eingeschränkt wird, die Rechtspflicht bestehe "mindestens so lange, wie kein Teil das Recht zum Getrenntleben hat und beide Teile... in Hausgemeinschaft leben (vgl. RGSt 71, 187, 189)" (BGHSt 2, 150, 153 f.). Ob das Getrenntleben die Garantenstellung entfallen läßt, brauchte in der Entscheidung BGHSt 2, 150 nicht entschieden zu werden, weil die Eheleute in dem zu beurteilenden Sachverhalt noch zusammenlebten. Eine weitere - in dem hier in Rede stehenden Zusammenhang gelegentlich zitierte - Entscheidung (BGHSt 6, 322) betrifft nicht die Frage der wechselseitigen Schutzverpflichtung, sondern die der Rechtspflicht zur Verhinderung von Straftaten des anderen Teils und damit -
ebenso wie die Entscheidung des Senats NStE Nr. 3 zu § 13 StGB - andere Fallgestaltungen.
cc) Dem Senat erscheint im Ergebnis eine vermittelnde Betrachtung angezeigt :
Ihren Ausgangspunkt muß die Beantwortung der Frage nach den strafrechtlichen Schutzpflichten unter Eheleuten bei § 1353 BGB nehmen. Es ist nicht ersichtlich, warum, wenn Ehegatten nach dieser Norm Verantwortung füreinander tragen (§ 1353 Abs. 1 Satz 1 2. Halbs. BGB), dies im Grundsatz nicht auch für die strafrechtliche Betrachtung gelten sollte. Dementsprechend kann die gegenseitige Beistandspflicht nicht etwa schon mit dem bloßen Auszug eines Ehegatten aus der Ehewohnung als solchem, also mit der bloßen räumlichen Trennung als beendet angesehen werden. Das Fehlen einer häuslichen Gemeinschaft muß - je nach den Umständen - nicht bedeuten, daß die eheliche Lebensgemeinschaft aufgegeben worden ist (Palandt/Brudermüller, BGB 62. Aufl. § 1565 Rdn. 2). Dadurch unterscheidet sich die Ehe von der bloßen, auf gegenseitige Hilfeleistung angelegten Gemeinschaftsbeziehung, wie sie etwa auch bei einer Wohngemeinschaft gegeben sein mag. Bei letzterer wird die strafrechtliche Garantenpflicht im allgemeinen mit dem tatsächlichen Ende der Beziehung enden.
Andererseits würde es eine nicht zu rechtfertigende Überdehnung der strafrechtlichen Beistandspflicht unter Eheleuten bedeuten, wollte man annehmen , daß diese erst mit dem Ende der Ehe, ggf. also erst mit der Rechtskraft des Scheidungsurteils endet. Es sind zahlreiche Lebensgestaltungen denkbar, in denen - ungeachtet des formal fortbestehenden Ehebandes - keiner der bei-
den Ehegatten tatsächlich darauf vertraute oder auch nur Anlaß hätte, darauf zu vertrauen, der andere Teil würde ihm zum Schutze seiner Rechtsgüter beistehen. Das gilt besonders augenfällig etwa dann, wenn die Ehegatten bereits seit Jahren getrennt sind, dabei möglicherweise sogar mit anderen Partnern in einer Lebensgemeinschaft verbunden, wie auch dann, wenn sie - etwa aus rein wirtschaftlichen Gründen - nach schweren ein- oder beidseitigen Eheverfehlungen oder Zerwürfnissen in demselben Haus oder in derselben Wohnung getrennt voneinander leben.
In solchen Fällen ist die Annahme einer die Strafbarkeit wegen eines Unterlassungsdelikts begründenden Beistandspflicht unter Ehegatten auch ausgehend davon, daß diese ihre Grundlage in § 1353 BGB hat, keineswegs geboten. Denn für die Bestimmung der Grenzen der strafrechtlichen Beistandspflicht dürfen bei diesem Ansatz die gesetzlichen Regelungen, aus denen sich Beschränkungen der Pflicht zu ehelicher Lebensgemeinschaft ergeben , nicht außer Betracht bleiben. Dementsprechend endet die strafrechtliche Garantenpflicht unter Eheleuten, wenn sich ein Ehegatte vom anderen in der ernsthaften Absicht getrennt hat, die eheliche Lebensgemeinschaft nicht wieder herzustellen. Das entspricht den Regelungen in § 1353 Abs. 2 und § 1565 Abs. 1 BGB unter Berücksichtigung von § 1566 BGB.
Nach § 1565 Abs. 1 Satz 2 BGB ist die Ehe gescheitert, wenn die Lebensgemeinschaft der Ehegatten nicht mehr besteht und nicht erwartet werden kann, daß die Ehegatten sie wiederherstellen. Das Scheitern der Ehe hat nach § 1353 Abs. 2 BGB zur Folge, daß die Rechtspflicht zur ehelichen Lebensgemeinschaft nicht mehr besteht. Die danach erforderliche ernsthafte Aufgabe der ehelichen Lebensgemeinschaft, die auch der strafrechtlichen Beistands-
pflicht ihre rechtliche Grundlage entzieht, setzt dabei nicht voraus, daß die Ehegatten ein Jahr lang getrennt leben. Dieser Wertung steht § 1566 Abs. 1 BGB nicht entgegen. Danach wird das Scheitern der Ehe zwar unwiderlegbar vermutet, wenn die Ehegatten seit einem Jahr getrennt leben und beide Ehegatten die Scheidung beantragen oder der Antragsgegner der Scheidung zustimmt. Bei dieser Vorschrift handelt es sich aber nur um eine zwingende Beweisregel für das Scheitern der Ehe, die das Gericht von der Feststellung der Zerrüttung entlastet (Palandt/Brudermüller, BGB 62. Aufl. § 1566 Rdn. 1). Sie schließt die Annahme eines früheren Scheiterns - mit Folgen ggf. auch für die Prüfung der strafrechtlichen Garantenpflicht - indes nicht aus. Diese vermittelnde Auffassung, die bereits in der Entscheidung BGHSt 2, 150, 153 f. angelegt ist, dürfte mit der Meinung, nach der die strafrechtliche Garantenpflicht unter Eheleuten in ihrem Grund und in ihrem Umfang allein aus dem tatsächlichen Bestehen eines gegenseitigen Vertrauensverhältnis abzuleiten ist, im Ergebnis weitgehend übereinstimmen. Wenn Vertreter dieser Meinung etwa ausführen, daß die Garantenpflicht "in aller Regel bei tatsächlichem Getrenntleben der Eheleute" entfallen wird (vgl. etwa Rudolphi in SK-StGB § 13 Rd. 50), so sind - wie zu vermuten steht - gerade die Fälle ausgenommen, in denen sich die Ehegatten getrennt haben, um zu prüfen, ob ihre Beziehung eine Chance hat, während in den Fällen, in denen die Trennung die endgültige Aufhebung der Gemeinschaft bedeuten soll, auch nach Auffassung des Senats eine Garantenpflicht nicht mehr besteht.
dd) Auf der Grundlage dieser Auffassung kann die Verurteilung der Angeklagten wegen durch Unterlassen begangener Beihilfe zur Körperverletzung keinen Bestand haben. Nach den bisherigen Feststellungen ist es möglich, daß dem Auszug der Angeklagten S. ein ernsthafter Entschluß, die eheliche
Lebensgemeinschaft nicht mehr fortzusetzen, zugrunde gelegen hatte und da- mit die Garantenpflicht beendet war. Dafür könnte sprechen, daß sich die Angeklagte einem anderen Mann zugewandt hatte. Andererseits kann der zum Tatzeitpunkt erst kurze Zeit zurückliegende Auszug aus der Ehewohnung seinen Grund auch darin gehabt haben, daß sich die Angeklagte über die weitere Entwicklung der Ehe klar werden wollte. Feststellungen, die eine fortbestehende Garantenpflicht begründen, erscheinen insoweit nicht ausgeschlossen. Der Senat kann die Angeklagte deshalb von diesem Vorwurf nicht freisprechen.
3. Die Einzelstrafe wegen schwerer Brandstiftung wird von der Aufhebung der Verurteilung wegen Beihilfe zur Körperverletzung nicht berührt. Soweit die Revision im übrigen die Verneinung von § 21 StGB durch die Strafkammer sowie die Strafzumessung angreift, ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
4. Der neue Tatrichter wird das Augenmerk auch darauf zu richten haben , ob die Angeklagte S. dem Angeklagten M. bei der Körperverletzung nicht sogar durch positives Tun geholfen hat. Anlaß zu diesem Hinweis geben die bisherigen Feststellungen. Das Landgericht hat es für möglich gehalten, daß die Angeklagte S. in Kenntnis der vom Angeklagten M. beabsichtigten Körperverletzung zu diesem gesagt hatte, er solle es "ordentlich" machen. Es hat aber dahinstehen lassen, ob diese Worte tatsächlich gefallen sind, weil es ihnen für den Nachweis einer von der Angeklagten S. unternommenen, versuchten Anstiftung des Angeklagten M. zu einem Tötungsdelikt keine entscheidende Bedeutung beimessen wollte. Sollte sich der
neue Tatrichter von einer solchen Äußerung der Angeklagten S. überzeugen , läge eine psychische Beihilfe nahe.
Tolksdorf Winkler Pfister RiBGH Hubert ist wegen Becker Urlaubs an der Unterschrift gehindert. VRiBGH Prof. Dr. Tolksdorf ist an der Unterzeichnung des Verhinderungsvermerks gehindert, da er zwischenzeitlich ebenfalls im Urlaub ist. Winkler

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 586/13
vom
25. September 2014
BGHSt: ja
BGHR: ja
Nachschlagewerk: ja
Veröffentlichung: ja
––––––––––––––––––––––––––-
§ 4a Abs. 2 Nr. 1 RVG begründet kraft Gesetzes eine Garantenstellung des Rechtsanwalts
, der vor Abschluss einer Erfolgshonorarvereinbarung seinen Mandanten
über die voraussichtliche gesetzliche Vergütung aufzuklären hat.
BGH, Urteil vom 25. September 2014 – 4 StR 586/13 – LG Arnsberg
in der Strafsache
gegen
wegen Verdachts des Betruges u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 25. September
2014, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible,
Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
Richter am Bundesgerichtshof
Cierniak,
Bender,
Dr. Quentin
als beisitzende Richter,
Staatsanwältin – in der Verhandlung –,
Bundesanwältin beim Bundesgerichtshof – bei der
Verkündung –
als Vertreterinnen des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt – in der Verhandlung
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Arnsberg vom 5. Juli 2013 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte vom Vorwurf des Betruges in Tateinheit mit Wucher zum Nachteil des G. durch den Abschluss der Vergütungsvereinbarung vom 17. August 2010 freigesprochen worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf des Betruges in drei Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit Wucher, freigesprochen. Hiergegen richtet sich die mit der Sachrüge begründete, vom Generalbundesanwalt im Umfang der Aufhebung vertretene Revision der Staatsanwaltschaft. Das Rechtsmittel hat teilweise Erfolg.

I.


2
1. Die unverändert zur Hauptverhandlung zugelassene Anklage hatte dem Angeklagten zur Last gelegt, sich wegen Betruges in drei Fällen gemäß § 263 Abs. 1, Abs. 3 Sätze 1 und 2 Nr. 2 StGB, davon einmal in Tateinheit mit Wucher nach § 291 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StGB, strafbar gemacht zu haben: Er habe als Rechtsanwalt, kurz bevor der Widerruf seiner Zulassung zur Rechtsanwaltschaft am 26. August 2010 wirksam geworden sei, die Vertretung des G. in einer Erbschaftsangelegenheit übernommen. Er habe mit seinem Mandanten, der unter einer Minderbegabung leide, am 17. August 2010 eine nicht den Vorgaben des Gesetzes entsprechende Honorarvereinbarung geschlossen, auf die sein in rechtlichen und wirtschaftlichen Belangen unerfahrener Mandant nach dem Erlöschen der Anwaltszulassung insgesamt 82.223,97 € gezahlt habe. Danach habe er auf der Grundlage schriftlicher Darlehensverträge vom 26. Mai 2011 und vom 6. Juni 2011 von G. 60.000 € und 128.000 € erhalten, welche er nach Kündigung und Ablauf der Kündigungsfrist vorgefasster Absicht entsprechend nicht zurückgezahlt habe.
3
2. Der Angeklagte hat die Tatvorwürfe bestritten. Das Landgericht hat ihn „aus tatsächlichen Gründen“ freigesprochen.
4
a) Es hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:
5
Der Angeklagte war als Rechtsanwalt und Notar in einer Kanzlei in M. tätig. Wegen Vermögensverfalls enthob ihn zunächst der Präsident des Oberlandesgerichts H. des Notaramts; sodann widerrief die zuständige Rechtsanwaltskammer seine Zulassung zur Rechtsanwaltschaft. Der Widerrufsbescheid vom 28. Juli 2008 wurde mit Zustellung der letztinstanzlichen Ent- scheidung des Bundesgerichtshofs vom 12. Juli 2010 am 26. August 2010 rechtskräftig. Danach war der Angeklagte in seiner früheren Kanzlei als „Kooperationspartner“ mit dem Zusatz „Assessor jur., Unternehmensberatung“ be- schäftigt.
6
aa) Anfang August 2010 beauftragte der Zeuge G. die „Rechtsanwälte K. & S. “, ihn in einer erbrechtlichen Angelegenheit zu vertreten. G. , zur Zeit der tatrichterlichen Hauptverhandlung 54 Jahre alt, hatte die Sonderschule ohne Abschluss verlassen und war seither als In- dustriearbeiter tätig. Der Zeuge „erweckt nach außen den Eindruck eines auf- geschlossenen, freundlich zugänglichen Menschen, der zwar einfach strukturiert erscheint, jedoch einen durchaus lebenstüchtigen Eindruck vermittelt und sein Leben – teils mit Hilfe Dritter – eigenverantwortlich und mit eigener Ent- scheidungskompetenz bewältigt.“ Ein gerichtliches Betreuungsverfahren wurde mit dem Ergebnis beendet, „dassder Zeuge in der Lage sei, sein Leben selbständig ohne Hilfe eines Betreuers zu bewältigen.“ Der Vater des Zeugen war in der Schweiz verstorben; der Wert des Nachlasses betrug ca. 700.000 bis 800.000 €. Der Erblasser hatte testamentarisch seinen Bruder als Alleinerben eingesetzt; bei einem Termin am 17. August 2010 teilte der – das Mandat bearbeitende – Angeklagte dem Zeugen G. jedoch mit, „dass laut Schweizer Erbrecht Kindern eines Verstorbenen 75 % des Erbes zustehen, auch wenn ein Testament vorhanden sei.“ In diesem Termin schloss der Angeklagte mit seinem Mandanten eine von ihm vorbereitete schriftliche „Vergü- tungsvereinbarung“. Die Höhe der Vergütung knüpfte danach „an die Höhe des derzeit der Höhe nach unbekannten Erbteilsanspruchs“ an, und zwar bei Zahlungen auf den Erbteil bis 400.000 € in Höhe von 20 %, für den Mehrbetrag bis 600.000 € in Höhe von 25 % und für darüber hinausgehende Beträge in Höhe von 30 % (jeweils zuzüglich Umsatzsteuer). G. empfand die Vergü- tung zwar als hoch, aber auch als angemessen, zumal er bei erfolglosem Bemühen des Angeklagten keine Kosten würde tragen müssen. Er war nicht gewillt , der vom Angeklagten dargestellten Alternative einer Abrechnung auf Stundenbasis mit einem Stundensatz von 400 € nebst Vorschusszahlung näher zu treten. Der Angeklagte seinerseits klärte G. „über den Umstand, dass Rechtsanwälte von Gesetzes wegen ihre Vergütung anhand des sogenannten Gegenstandswertes berechnen und hiernach gegebenenfalls eine erheblich geringere Vergütung abzurechnen gewesen wäre“, nicht auf. Er ging „zum Zeitpunkt des Abschlusses der Honorarvereinbarung“ davon aus, dass eine solche Vereinbarung wirksam möglich sei. In der Folge erreichte der Angeklagte aufgrund eines Vergleichs vom 3./6. Januar 2011 die Auszahlung von insgesamt rund 493.000 € aus dem Nachlass. Gemäß Kostenberechnung vom 1. März 2011, die der Angeklagte mit „Ass. Jur. K. “ unterschrieben hatte, brachte er hiervon 82.223,97 € in Abzug. G. ging davon aus, dass der Angeklagte weiterhin als Rechtsanwalt zugelassen war.
7
bb) Kurz vor dem Termin zur Versteigerung seines aus Wohnhaus und Pferdestallungen bestehenden Anwesens suchte der Angeklagte im Mai 2011 G. auf und teilte ihm mit, er befinde sich in Geldschwierigkeiten, es drohe die Versteigerung seines Hofs. Er bat ihn um ein Darlehen in Höhe von 200.000 € und erklärte, „er zahle so viel zurück wie er könne, es könne möglicherweise aber eine Zeit dauern, bis er in der Lage sei das Darlehen abzutragen ; (er) äußerte die Hoffnung, eine Rückzahlung innerhalb von drei Jahren leisten zu können.“ Der Geschädigte begab sich mit dem Angeklagten zu seiner Hausbank und hob 60.000 € ab; mehr konnte die Bank kurzfristig nicht zur Verfügung stellen. Sodann wurde in der Kanzlei des Angeklagten ein schriftlicher Vertrag geschlossen, der ein mit 3 % verzinsliches Darlehen über den genannten Betrag vorsah. Auch sollte monatlich eine in der Höhe nicht festgelegte Til- gung erfolgen, ein Zeitrahmen für die Rückzahlung war nicht festgelegt. Der Angeklagte verwandte das Geld als Sicherheitsleistung, um seinem Bruder die Ersteigerung der Immobilie zu ermöglichen.
8
cc) Etwa eine Woche später erklärte der Angeklagte dem Geschädigten, er benötige einen weiteren Betrag, um die Sache endgültig zu regeln. G. war – „mehr oder weniger … von sich aus“ – bereit, dem Angeklagten zusätzlich 128.000 € darlehensweise zur Verfügung zu stellen. Nachdem der Geschädigte das Geld bei seiner Bank abgehoben hatte, erklärte ihm der Angeklagte zur Beruhigung, eine frühere Mandantin habe ihn in ihrem Testament bedacht; nach Verwertung der ererbten Aktien werde er „das Geld“ zurückzahlen. In der Kanzlei übergab G. dem Angeklagten den zuvor abgehobenen Betrag und die Beteiligten schlossen einen schriftlichen Darlehensvertrag vergleichbaren Inhalts.
9
dd) G. , der den Angeklagten nach wie vor für einen zugelassenen Rechtsanwalt hielt, und dieser selbst (UA 15) gingen davon aus, dass die Darlehen in absehbarer Zeit zurückgeführt würden. Tatsächlich zahlte der Angeklagte neun Monate lang lediglich die Darlehenszinsen; danach folgten keine Zahlungen mehr. Daraufhin kündigte der Geschädigte – auf Intervention seines Arbeitgebers – beide Darlehen. Der Angeklagte wurde rechtskräftig zur Rückzahlung der Darlehen wie auch des Großteils der von ihm vereinnahmten Vergütung verurteilt; insoweit gingen die Zivilgerichte von einem „gesetzlichen Gebührenanspruch“ in Höhe von lediglich 3.745,88 € aus. Die gegen ihn gerichteten titulierten Ansprüche konnte der Angeklagte mangels Zahlungsfähigkeit nicht erfüllen. Sein Anwesen verlor er bei einer zweiten Versteigerung.
10
b) Zur Begründung des Freispruchs hat das Landgericht im Wesentlichen ausgeführt:
11
Strafbarer Wucher nach § 291 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StGB im Zusammenhang mit der Honorarvereinbarung liege bereits mangels einer tatbestandlichen Opferlage nicht vor. Auch fehle es an einem Ausbeuten und einem darauf gerichteten Vorsatz. Ein Betrug durch den Abschluss der Honorarvereinbarung scheitere schon am Fehlen einer Täuschungshandlung; ein strafbares Unterlassen scheide aus, da den Angeklagten keine Rechtspflicht zur Offenbarung sonstiger Abrechnungsmethoden oder des Widerrufs seiner Zulassung getroffen habe. Auch fehle es an einer Vermögensverfügung und – für die Annahme eines (versuchten) Eingehungsbetrugs – am Vorsatz des Angeklagten. Im Zusammenhang mit der Abrechnung des Honorars liege ebenfalls keine Vermögensverfügung vor. Letztlich scheitere eine Betrugsstrafbarkeit an der fehlen- den Kausalität „zwischen einer etwaigen Täuschungshandlung und einer Vermögensverfügung bzw. einem Vermögensschaden“. Denn der Geschädigte sei mit der Arbeit des Angeklagten sehr zufrieden und jedenfalls bis April 2011 bereit gewesen, sich an der Honorarvereinbarung festhalten zu lassen.
12
Im Hinblick auf die Darlehensverträge habe der Angeklagte weder Zahlungswilligkeit noch Zahlungsfähigkeit vorgespiegelt. Jedenfalls liege kein Täuschungsvorsatz vor, denn der Angeklagte habe Grund zu der Annahme gehabt, er könne weiterhin Einnahmen erzielen und Liquidität beschaffen. Der Hinweis auf eine Erbschaft sei erst nach der Entscheidung des Geschädigten zur Ausreichung des zweiten Darlehens erfolgt, habe daher nicht mehr kausal werden können.
13
Das Verhalten des Angeklagten erfülle auch keine weiteren Strafnormen wie etwa den Tatbestand der Gebührenüberhebung oder der Untreue.

II.


14
Die Revision der Staatsanwaltschaft erweist sich teilweise als begründet.
15
1. Das angefochtene Urteil hält rechtlicher Nachprüfung stand, soweit das Landgericht den Angeklagten vom Vorwurf des Betruges durch den Abschluss der beiden Darlehensverträge im Mai und Juni 2011 freigesprochen hat. Das Landgericht hat rechtsfehlerfrei eine Täuschungshandlung des Angeklagten verneint.
16
2. Durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet das Urteil jedoch, soweit das Landgericht den Angeklagten auch von dem Vorwurf freigesprochen hat, sich durch den Abschluss der Vergütungsvereinbarung vom 17. August 2010 strafbar gemacht zu haben.
17
a) Allerdings hat die Wirtschaftsstrafkammer mit Recht eine Straftat des Wuchers nach § 291 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StGB verneint. Nach den bisher getroffenen Feststellungen liegt die im Gesetz beschriebene sogenannte Opferlage nicht vor.
18
b) Demgegenüber hält das angefochtene Urteil rechtlicher Nachprüfung nicht stand, soweit das Landgericht eine Strafbarkeit wegen Betruges gemäß § 263 StGB verneint hat. Nach den bisher getroffenen Feststellungen hat der Angeklagte G. bei der Vereinbarung des Erfolgshonorars durch Unterlassen getäuscht.
19
aa) Begehen durch Unterlassen ist nach § 13 Abs. 1 StGB nur dann strafbar, wenn der Täter rechtlich dafür einzustehen hat, dass der Erfolg nicht eintritt, und wenn das Unterlassen der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes durch ein Tun entspricht. Während bei den Begehungsdelikten die objektive Zurechnung auf der Verursachung des tatbestandsmäßigen Erfolgs beruht , reicht bei den unechten Unterlassungsdelikten die Tatsache, dass eine mögliche Handlung den Erfolg verhindert hätte, nicht aus, um die Beeinträchtigung des Rechtsguts jedem Handlungsfähigen als von ihm zu verantwortendes Unrecht zur Last legen zu können. Vielmehr muss ein besonderer Rechtsgrund nachgewiesen werden, wenn jemand ausnahmsweise dafür verantwortlich gemacht werden soll, dass er es unterlassen hat, zum Schutz fremder Rechtsgüter positiv tätig zu werden. Die Gleichstellung des Unterlassens mit dem aktiven Tun setzt deshalb voraus, dass der Täter als „Garant“ für die Abwendung des Erfolgs einzustehen hat. Alle Erfolgsabwendungspflichten beruhen auf dem Grundgedanken, dass eine bestimmte Person in besonderer Weise zum Schutz des gefährdeten Rechtsguts aufgerufen ist und dass sich alle übrigen Beteiligten auf das helfende Eingreifen dieser Person verlassen und verlassen dürfen (BGH, Urteile vom 25. Juli 2000 – 1 StR 162/00, NJW 2000, 3013, 3014, und vom 10. Juli 2012 – VI ZR 341/10, BGHZ 194, 26, 33; Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts, Allgemeiner Teil, 5. Aufl., S. 620; SSW-StGB/Kudlich, 2. Aufl., § 13 Rn. 15, 18).
20
bb) Entgegen der Auffassung des Landgerichts war der Angeklagte verpflichtet , seinen Mandanten G. über die im Rechtsanwaltsvergütungsgesetz als Regel vorgesehene Abrechnung nach den gesetzlichen Gebüh- ren und Auslagen aufzuklären. Diese Garantenstellung folgt aus Gesetz, nämlich aus der Regelung in § 4a Abs. 2 Nr. 1 RVG:
21
Der Angeklagte hat sich – was die Wirtschaftsstrafkammer nicht verkannt hat – in der Vergütungsvereinbarung ein Erfolgshonorar im Sinne des § 49b Abs. 2 Satz 1 BRAO versprechen lassen. Eine solche Vereinbarung muss unter anderem die voraussichtliche gesetzliche Vergütung enthalten. Das bedeutet, dass der Rechtsanwalt unter Zugrundelegung des Gegenstandswerts die sich voraussichtlich aus dem Vergütungsverzeichnis ergebenden Gebühren sowie seine Auslagen zu berechnen hat. Diese Verpflichtung hat der Gesetzgeber dem Rechtsanwalt gerade zum Schutz des Mandanten auferlegt, mit dem jener ein Erfolgshonorar vereinbaren möchte (BT-Drucks. 16/8384 S. 8); nach den Materialien bietet allein diese Angabe „einen verlässlichen und transparenten Vergleichsmaßstab für die rechtsuchenden Bürgerinnen und Bürger“ (BT- Drucks. 16/8384 S. 15). Damit hat der Gesetzgeber an die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Verfassungswidrigkeit eines generellen Verbots anwaltlicher Erfolgshonorare angeknüpft, in der das Gericht den „Schutz der Rechtsuchenden vor einer Übervorteilung durch überhöhte Vergütungssätze“ hervorgehoben und auf die asymmetrische Informationsverteilung zwischen Mandant und Rechtsanwalt sowie auf die sich hieraus ergebenden Gefahren für die wirtschaftlichen Interessen des Rechtsuchenden hingewiesen hat (BVerfG, NJW 2007, 979, 980 f., 983). Um daher dem Mandanten zu verdeutlichen, dass der Verzicht des Anwalts auf eine Vergütung im Misserfolgsfall mit der Verpflichtung zur Zahlung eines – gegebenenfalls hohen – Zuschlags im Erfolgsfall verbunden ist, sieht § 4a Abs. 2 Nr. 1 RVG u.a. die Angabe der voraussichtlichen gesetzlichen Vergütung vor (BT-Drucks. 16/8384 S. 11; Bischof in Bischof/ Jungbauer, RVG, 6. Aufl., § 4a Rn. 20). Demnach ist es gerechtfertigt, aus die- ser Aufklärungs- und Informationspflicht des Anwalts eine Garantenstellung kraft Gesetzes im Sinne des § 13 Abs. 1 StGB zu entnehmen.
22
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus § 4b RVG, der lediglich eine Sonderregelung für die zivilrechtlichen Folgen trifft, wenn eine Erfolgshonorarvereinbarung unter anderem gegen § 4a Abs. 1 und 2 RVG verstößt (vgl. BGH, Urteil vom 5. Juni 2014 – IX ZR 137/12, NJW 2014, 2653). Eine Einschränkung der strafrechtlichen Verfolgbarkeit kann hieraus nicht hergeleitet werden.
23
Seiner Pflicht, dievoraussichtliche gesetzliche Vergütung zu berechnen, ist der Angeklagte nach den bisher getroffenen Feststellungen nicht nachgekommen.
24
cc) Die Feststellungen des Landgerichts stehen auch im Übrigen einer Betrugsstrafbarkeit durch Unterlassen nicht entgegen: Die Wirtschaftsstrafkammer hat selbst ausgeführt, dass G. davon ausgegangen sei, es gebe zu den ihm vom Angeklagten aufgezeigten Möglichkeiten der Abrechnung keine Alternative. Aufgrund dieses Irrtums verfügte er über sein Vermögen, indem er die Honorarvereinbarung abschloss und dadurch einen Anspruch auf eine Rechtsdienstleistung erwarb, die er anderweitig zu einem geringen Bruchteil des vereinbarten Honorars hätte erlangen können (vgl. zum Schaden auch BGH, Urteil vom 5. März 2014 – 2 StR 616/12, NJW 2014, 2595, 2598 f.). Da der Angeklagte zum Abzug des Erfolgshonorars von der auf sein Konto zu überweisenden Erbschaft berechtigt war, lag zumindest eine schadensgleiche Vermögensgefährdung vor (vgl. zum sogenannten Kontoeröffnungsbetrug BGH, Urteil vom 13. Juni 1985 – 4 StR 213/85, BGHSt 33, 244, 245 f.; Beschlüsse vom 21. November 2001 – 2 StR 260/01, BGHSt 47, 160, 167, und vom 14. Oktober 2010 – 2 StR 447/10, NStZ 2011, 160). Der Umstand, dass G. mit der aufgrund der Honorarvereinbarung erbrachten Leistung des Angeklagten zufrieden war, stellt entgegen der Meinung des Landgerichts die Kausalität „zwischen einer etwaigen Täuschungshandlung und einer Vermögensverfügung bzw. einem Vermögensschaden“ nicht infrage. Auf den Ab- schluss dieser Honorarvereinbarung, auf den er, wie er wusste, keinen Anspruch hatte, kam es dem Angeklagten gerade an.
25
Die Sache bedarf daher insoweit neuer Verhandlung und Entscheidung, ohne dass es noch darauf ankommt, ob auch die Beweiswürdigung des Landgerichts in diesem Fall rechtlichen Bedenken begegnet.
Sost-Scheible Roggenbuck Cierniak
Bender Quentin

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 466/16
vom
8. März 2017
BGHSt: ja
BGHR: ja
Nachschlagewerk: ja
Veröffentlichung: ja
______________________
Vorangegangenes gefährliches Tun (Ingerenz) kann eine Aufklärungspflicht
nicht nur bei Vorverhalten mit objektivem Täuschungscharakter begründen.
Werden durch das Vorverhalten diejenigen vermögensrelevanten Umstände
verändert, deren Fortbestehen Grundlage weiterer Vermögensverfügungen des
Getäuschten ist, kann dies ebenfalls eine Aufklärungspflicht begründen, die bei
Nichterfüllung zu einer Täuschung durch Unterlassen führt.
BGH, Beschluss vom 8. März 2017 - 1 StR 466/16 - LG Würzburg
in der Strafsache
gegen
1.
2.
ECLI:DE:BGH:2017:080317B1STR466.16.1

3.



wegen Betrugs u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung der Beschwerdeführer am 8. März 2017 gemäß § 349 Abs. 2 StPO beschlossen:
Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Würzburg vom 22. März 2016 werden verworfen. Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten S. wegen Untreue in mehreren Fällen sowie wegen Betrugs in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten, den Angeklagten M. ebenfalls wegen mehrerer Untreuetaten, von denen er einige als Täter, andere als Anstifter und wieder andere als Gehilfe verwirklicht hat, und gleichfalls wegen Betrugs in drei Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und drei Monaten verurteilt. Der Angeklagte T. ist teils wegen Anstiftung teils wegen Beihilfe zu mehreren Untreuetaten sowie wegen Betrugs in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt worden. Bezüglich aller Angeklagter hat das Landgericht festgestellt, dass diese jeweils näher bezifferte Vermögenswerte aus den verfahrensgegenständlichen Taten erlangt haben, Verfall aber wegen entgegenstehender Ansprüche Verletzter nicht angeordnet werden kann.
2
Die auf Sachrügen gestützten Rechtsmittel der Angeklagten bleiben ohne Erfolg.

I.


3
Nach den Feststellungen des Landgerichts haben die Angeklagten in mehreren Fällen, bei unterschiedlicher Form strafbarer Beteiligung, Untreue (§ 266 StGB) zu Lasten der Vermögen von Fondsgesellschaften und deren Anteilseignern begangen. Eine der hauptsächlich betroffenen Gesellschaften war die D. GmbH (nachfolgend: D. ), weitere die C. A. 4 GmbH & Co. KG (nachfolgend: C. 4) und die C. A. 5 GmbH & Co. KG (nachfolgend: C. 5). An den Fondsgesellschaften waren Privatanleger entweder in der Form einer atypischen stillen Beteiligung oder als Treuhandkommanditisten beteiligt. Die Anleger hatten ihren Beitritt zu den jeweiligen Fondsgesellschaften bereits vor dem im Jahr 2009 beginnenden Tatzeitraum vollzogen. Allerdings erbrachten zahlreiche Anleger nach dem Beitritt ihre Beteiligungsbeiträge ganz oder wenigstens zum Teil durch ratenweise Zahlungen in das Gesellschaftsvermögen. Die Zahlungen wurden auch nach der Begehung der verfahrensgegenständlichen Untreuetaten fortgesetzt, teilweise bis zur Verhaftung der Angeklagten im Dezember 2014.
4
In der Phase des Vertriebs der jeweiligen Beteiligungen war insbesondere in den entsprechenden Emissionsprospekten mit der Eignung der Anlageformen zum Zweck der Altersvorsorge und eines langfristigen Vermögensaufbaus geworben worden. Dadurch wurden entsprechende Erwartungen der Anleger geweckt. Die in Aussicht gestellten Renditen sollten durch Investitionen der eingezahlten Einlagen in verschiedenen Geschäftsfeldern, u.a. den Erwerb von Immobilien und Firmenbeteiligungen, realisiert werden.

II.


5
Das angefochtene Urteil hält rechtlicher Überprüfung sowohl in den Schuld- und Rechtsfolgenaussprüchen als auch in den Entscheidungen zur Vermögensabschöpfung stand.
6
1. Die auf einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung beruhenden Feststellungen tragen die Verurteilungen der Angeklagten wegen Untreue (§ 266 StGB) bzw. Teilnahme daran und die dafür verhängten Strafen.
7
a) Der Angeklagte S. war in den Fällen C.I.1.a) und C.I.1.b) als Geschäftsführer der R. P. GmbH (nachfolgend: R. ), einer 100-prozentigen Tochter der D. , in den Fällen C.II.1.a) und C.II.1.b) als Geschäftsführer der C. A. V. GmbH (nachfolgend : C. V. ), der Komplementärin der C. 4 und der C. 5, sowie im Fall C.II.1.c) der Urteilsgründe in seiner Eigenschaft als Geschäftsführer der B. GmbH, die ihrerseits Komplementärin der B. GmbH & Co. KG war, aufgrund dieser Stellung sowohl betreuungspflichtig gegenüber den Vermögen der Gesellschaften als auch gegenüber den Vermögen der Gesellschafter (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Februar 2012 – 1 StR 586/11, NStZ 2013, 38, 39 Rn. 14). Gleiches gilt für den Angeklagten M. in den Fällen C.I.1.a) und C.I.1.b) als Geschäftsführer der D. sowie im Fall C.I.1.c) als Geschäftsführer der R. , nachdem er den Angeklagten S. in dieser Position abgelöst hatte.
8
b) Für die Bestimmung des Umfangs der jeweils durch näher festgestelltes pflichtwidriges Verhalten der vorgenannten Angeklagten bewirkten Vermögensnachteile hat das Landgericht zutreffend auf die Zeitpunkte der Vornahme der Schädigungshandlungen abgestellt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 18. Februar 2009 – 1 StR 731/08, BGHSt 53, 199; vom 14. April 2011 – 2 StR 616/10, NStZ 2011, 638 und vom 23. Februar 2012 – 1 StR 586/11, NStZ 2013, 38, 39 Rn. 15). Maßgeblich ist der Vergleich des Vermögenswerts unmittelbar vor und nach den pflichtwidrigen Verhaltensweisen zu Lasten des bzw. der betroffenen Vermögen (vgl. BGH jeweils aaO). Von diesem rechtlichen Ausgangspunkt aus hat das Landgericht auf der Grundlage beweiswürdigend rechtsfehlerfreier Schlüsse jeweils näher ausgeführt, dass und in welchem Umfang die durch die Angeklagten S. und M. veranlassten Zahlungen aus den ihnen anvertrauten Vermögen nicht durch den wirtschaftlichen Wert der rechtlich erworbenen Gegenansprüche – regelmäßig – der Fondsgesellschaften ausgeglichen worden sind. Damit genügt das angefochtene Urteil den aus Art. 103 Abs. 2 GG resultierenden verfassungsrechtlichen Vorgaben, den Vermögensnachteil der Höhe nach zu beziffern und dessen Ermittlung in wirtschaftlich nachvollziehbarer Weise darzulegen (dazu BVerfG, Beschluss vom 23. Juni 2010 – 2 BvR 2559/08 u.a., BVerfGE 126, 170, 211). Soweit im Fall C.II.1.a) der Urteilsgründe bezüglich des Erwerbs einer nur eingeschränkt werthaltigen Immobilie der Vermögensnachteil der C. 5 und ihrer Kommanditisten nicht mit 3,2 Millionen Euro, sondern aus Gründen des subjektiven Tatbestands lediglich mit 1,9 Millionen Euro dem Schuldumfang zugrunde gelegt worden ist, hat sich dies ersichtlich nicht zu Lasten der Angeklagten ausgewirkt.
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c) Es bedurfte vorliegend auch in den verfahrensgegenständlichen Fällen , in denen dem Vermögen als Kommanditgesellschaft verfasster Gesellschaften und ihrer Gesellschafter Nachteile zugefügt worden sind, weder für den Schuldspruch noch für den strafzumessungsrelevanten Schuldumfang näherer Feststellungen zu der Anzahl der jeweils betroffenen Gesellschafter und dem Umfang ihrer jeweiligen Beteiligung an den Gesellschaftsvermögen. Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann zwar die Schädi- gung des Vermögens einer Kommanditgesellschaft lediglich zu einem gemäß § 266 StGB straftatbestandsmäßigen Vermögensnachteil führen, wenn sie gleichzeitig das Vermögen der Gesellschafter „berührt“ (siehe nur BGH, Beschluss vom 23. Februar 2012 – 1 StR 586/11, NStZ 2013, 38 f. Rn. 10; Urteil vom 10. Juli 2013 – 1 StR 532/12, NJW 2013, 3590, 3593 jeweils mit Nachw. auch zu Gegenauffassungen; aus gesellschaftsrechtlicher Perspektive siehe näher Karsten Schmidt, JZ 2014, 878 ff.). Nach den getroffenen Feststellungen ist für alle zur Verurteilung führenden Fälle aber ausgeschlossen, dass die jeweils nicht wertentsprechend ausgeglichenen Entnahmen aus dem Gesellschaftsvermögen sich nicht auch nachteilig auf die Vermögen der Gesellschafter ausgewirkt haben. Denn nach dem Anlagekonzept der betroffenen Fondsgesellschaften hing der Wert der Beteiligung daran von der Höhe des Gesellschaftsvermögens ab.
10
Auch für die jeweiligen Strafaussprüche waren keine weitergehenden Ausführungen zu dem Grad der Auswirkungen der Nachteilshandlungen auf das Vermögen der einzelnen Anleger als Kommanditisten oder sonst an den Gesellschaften (soweit Personengesellschaften) Beteiligten erforderlich. Der Gesamtumfang der den betroffenen Anlegern zugefügten Vermögensnachteile stimmt vorliegend jeweils mit der Höhe des Nachteils für die fragliche Fondsgesellschaft überein. Anders als in der dem Urteil des Senats vom 10. Juli 2013 (1 StR 532/12, NJW 2013, 3590 ff.) zugrunde liegenden Sachverhaltsgestaltung sind hier keine Zustimmungserklärungen von Gesellschaftern zu berücksichtigen , die sich auf die Höhe des verursachten Vermögensnachteils auswirken. Und abweichend von der für den Beschluss des Senats vom 23. Februar 2012 (1 StR 586/11, NStZ 2013, 38 ff.) maßgeblichen Konstellation wurden vorliegend ersichtlich keine Gesellschafter geschädigt, hinsichtlich derer ein das Antragserfordernis aus § 266 Abs. 2, § 247 StGB auslösendes Angehörigen- verhältnis zu den Angeklagten bestand. Von den damit rechtsfehlerfrei festgestellten Gesamthöhen des jeweiligen Vermögensnachteils für die Gesellschafter der betroffenen Fondsgesellschaften ausgehend, hat das Landgericht seine weiteren, sehr umfangreichen und sorgfältigen Strafzumessungserwägungen zu den Einzelstrafen wegen der Verurteilungen zu Untreue gemäß § 266 StGB und strafbarer Beteiligung daran entwickelt. Die Angeklagten benachteiligende Rechtsfehler enthalten diese nicht.
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2. Die Verurteilung aller drei Angeklagten jeweils wegen Betrugs durch Unterlassen (§§ 263, 13 Abs. 1 StGB) in drei Fällen zu Lasten der Anleger der Fondsgesellschaften D. , C. 4 und C. 5 ist im Ergebnis ebenfalls nicht zu beanstanden.
12
a) Das Landgericht hat die Angeklagten jeweils in eigener Person für verpflichtet gehalten, nach Abschluss der verfahrensgegenständlichen Untreuetaten zu Lasten der genannten Fondsgesellschaften und ihrer Anleger (C.I.1. und C.II.1. der Urteilsgründe), Letztere über die eingetretenen Vermögensnachteile zu informieren. Die entsprechende Pflicht im Sinne von § 13 Abs. 1 StGB finde für alle Angeklagten ihre Grundlage in dem vorangegangenen vermögensschädigenden Verhalten. Für die Angeklagten S. und M. trete als Quelle der Garantenpflicht der Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) hinzu.Als Geschäftsführer der D. (betreffend den Angeklagten M. ) sowie der C. V. (betreffend den Angeklagten S. ) als Komplementärin von C. 4 und C. 5 seien diese gemäß § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB zur Erfüllung der Pflichten der Gesellschaften im Verhältnis zu den Anlegern verpflichtet gewesen.
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Bei auf verschiedene – vom Landgericht näher dargestellte – Weisen möglicher Information der Anleger über die Vermögensschädigungen zu Lasten der Fondsgesellschaften wären diejenigen Anleger, die die Entgelte für ihre Beteiligung ratenweise entrichteten, dazu veranlasst worden, nicht weiter an die Fondsgesellschaften zu zahlen. Die Minderung des Vermögens der Anleger durch fortgesetzte Zahlungen nach den Untreuehandlungen ist nach Ansicht des Landgerichts nicht durch die „Erweiterung“ ihrer Beteiligungsrechte an den Fondsgesellschaften wirtschaftlich ausgeglichen worden. Denn nach den erheblichen Untreuehandlungen zu Lasten der Fondsgesellschaften erwarben die Anleger vor dem Hintergrund der mit den Anlagen erstrebten Zwecke der Altersvorsorge und des langfristigen Vermögensaufbaus etwas anderes, als sie mit der Beteiligung an den Gesellschaften vertragsgemäß erreichen wollten. Die Höhe der Leistungen periodisch einzahlender Anleger nach dem jeweiligen Abschluss der Untreuehandlungen hat das Landgericht – bei Reduktion der Einnahmesummen um 20 % als Sicherheitsabschlag – bezüglich der D. - Anleger mit gut 5,3 Millionen Euro, bezüglich der C. 4 mit gut 458.000 Euro und der C. 5 mit gut 4,7 Millionen Euro festgestellt.
14
b) Die Erwägungen des Landgerichts halten rechtlicher Überprüfung stand.
15
aa) Es ist im Ergebnis ohne Rechtsfehler von einer Täuschung der Anleger durch Unterbleiben ihrer Aufklärung über die den Gesellschafts- und den Gesellschaftervermögen in der Vergangenheit seitens der Angeklagten zugefügten erheblichen Vermögensnachteile ausgegangen. Zu einer solchen Aufklärung waren die Angeklagten aber im Sinne von § 13 Abs. 1 StGB rechtlich verpflichtet. Sie haben daher die Betrugstaten zu Lasten der Anleger durch Unterlassen verwirklicht.
16
(1) Diese Form der Verwirklichung eines Straftatbestandes ist gemäß § 13 Abs. 1 StGB nur dann strafbar, wenn der Täter rechtlich dafür einzustehen hat, dass der tatbestandliche Erfolg nicht eintritt, und wenn das Unterlassen der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes durch ein Tun entspricht. Zur Begründung der Strafbarkeit aus einem unechten Unterlassungsdelikt muss ein besonderer Rechtsgrund nachgewiesen werden, wenn jemand ausnahmsweise dafür verantwortlich gemacht werden soll, dass er es unterlassen hat, zum Schutz fremder Rechtsgüter positiv tätig zu werden. Die Gleichstellung des Unterlassens mit dem aktiven Tun setzt deshalb voraus, dass der Täter als „Ga- rant“ für die Abwendung des tatbestandlichen Erfolges einzustehen hat. Alle Erfolgsabwendungspflichten beruhen auf dem Grundgedanken, dass eine bestimmte Person in besonderer Weise zum Schutz des gefährdeten Rechtsguts aufgerufen ist und dass sich alle übrigen Beteiligten auf das helfende Eingreifen dieser Person verlassen und verlassen dürfen (BGH, Urteil vom 25. September 2014 – 4 StR 586/13, BGHSt 59, 318, 323 Rn. 19 mwN; siehe auch BGH, Urteil vom 25. Juli 2000 – 1 StR 162/00, NJW 2000, 3013, 3014).
17
(2) Auf der Grundlage dieser für sämtliche unechten Unterlassungsdelikte geltenden Anforderungen ist in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs anerkannt, dass eine Strafbarkeit wegen Betrugs durch Unterlassen entweder als Täter oder als Teilnehmer für alle Personen in Frage kommt, die eine von § 13 Abs. 1 StGB erfasste Pflicht zur Aufklärung anderer über vermögensrelevante Tatsachen haben (etwa BGH, Urteile vom 17. Juli 2009 – 5 StR 394/08, BGHSt 54, 44, 46 ff. Rn. 19 ff.; vom 25. September 2014 – 4 StR 586/13, BGHSt 59, 318, 323 ff. Rn. 19 ff. und vom 4. August 2016 – 4 StR 523/15, wistra 2016, 488 ff.; siehe auch Fischer, StGB, 64. Aufl., § 263 Rn. 38; Satzger in Satzger/Schluckebier/Widmaier, StGB, 3. Aufl., § 263 Rn. 81 jeweils mwN; ausführlich etwa Frisch, Festschrift für Herzberg, 2008, S. 729, 744 ff.). Die strafbarkeitsbegründende Pflicht zur Aufklärung eines Dritten über vermögensrelevante Umstände kann dabei aus verschiedenen Gründen herrühren (vgl.
dazu Frisch aaO S. 729, 744 f.; Satzger aaO § 263 Rn. 85; Hefendehl in Münchener Kommentar zum StGB, 2. Aufl., § 263 Rn. 161 jeweils mwN). Unabhängig vom Entstehungsgrund muss die Pflicht stets darauf gerichtet sein, unrichtigen oder unvollständigen Vorstellungen des Getäuschten über Tatsachen, die zu einer Vermögensschädigung führen können, durch aktive Aufklärung entgegenzuwirken (Satzger aaO § 263 Rn. 84; in der Sache ebenso Perron in Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl., § 263 Rn. 19).
18
(a) Nach diesen Maßstäben hat das Landgericht im Ergebnis ohne Rechtsfehler eine Pflicht jedes Angeklagten angenommen, die ihre Beteiligung ratenweise bedienenden Gesellschafter der Fondsgesellschaften über die im Umfang erheblichen Veruntreuungen zu informieren.
19
(aa) Diese Pflicht findet für den Angeklagten S. gegenüber den Anlegern der C. 4 und C. 5 ihre Grundlage in den gesellschaftsvertraglichen Beziehungen zwischen den Gesellschaften und ihren Gesellschaftern. Gleiches gilt für den Angeklagten M. im Verhältnis zu den Anlegern der D. . Darauf hat das Landgericht in der Sache abgestellt, auch wenn es – unterVerweis auf die vertraglichen Pflichten der Fondsgesellschaften – der Formulierung nach unmittelbar auf den Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) rekurriert hat (UA S. 110).
20
Der Bundesgerichtshof nimmt eine auf vertragliche Beziehungen gestützte Aufklärungspflicht bezüglich vermögensrelevanter Tatsachen sowohl bei bestehenden Vertrauensverhältnissen als auch bei der Anbahnung besonderer, auf gegenseitigem Vertrauen beruhender Verbindungen an, bei denen Treu und Glauben und die Verkehrssitte die Offenbarung der für die Entschließung des anderen Teils wichtiger Umstände gebieten (etwa BGH, Urteil vom 16. November 1993 – 4 StR 648/93, BGHSt 39, 392, 399; Beschlüsse vom 8. November 2000 – 5 StR 433/00, BGHSt 46, 196, 203 und vom 2. Februar 2010 – 4 StR 345/09, NStZ 2010, 502; Urteil vom 4. August 2016 – 4 StR 523/15, wistra 2016, 488 ff. mwN; siehe auch BGH, Urteil vom 9. Mai 2012 – IVZR 19/11, VersR 2013, 1042 ff. und Hebenstreit in Müller-Gugenberger, Wirtschaftsstrafrecht, 6. Aufl., § 47 Rn. 25 mwN). In der Strafrechtswissenschaft sind aus vertraglichen Beziehungen resultierende Vertrauensbeziehungen ebenfalls weithin als Quelle einer Aufklärungs- bzw. Informationspflicht anerkannt (Hefendehl aaO § 263 Rn. 161-168, Rn. 190 f.; Perron aaO § 263 Rn. 19 und 22 jeweils mwN); insbesondere bei Gesellschaftsverhältnissen (einschließlich stiller Beteiligungen) und bei Verträgen über Vermögensangelegenheiten (Hefendehl aaO § 263 Rn. 190; Perron aaO § 263 Rn. 22; Satzger aaO § 263 Rn. 107 jeweils mwN; vgl. auch Hebenstreit aaO). Dementsprechend hat die Strafrechtsprechung bei der Begründung gesellschaftsrechtlicher Rechtsverhältnisse eine Aufklärungspflicht über dafür vermögensrelevante Umstände angenommen (RG, Urteil vom 30. Januar 1931 - I 1387/30, RGSt 65, 106, 107; BGH, Urteil vom 4. August 2016 – 4 StR 523/15, wistra 2016, 488 ff.).
21
Unter den vom Landgericht festgestellten Verhältnissen der Fondsgesellschaften bestand eine in den gesellschaftsrechtlichen Beziehungen gründende Aufklärungspflicht über den erfolgten Entzug von Gesellschaftsvermögen für die Angeklagten S. und M. jeweils gegenüber den Anlegern der genannten Fondsgesellschaften. Das hier maßgebliche besondere Vertrauensverhältnis zwischen den Anlegern als an den Fondsgesellschaften Beteiligten und den Gesellschaften ergibt sich – wie das Landgericht rechtlich zutreffend angenommen hat – aus dem Konzept des sog. „blind pools“. Den Anlegern war weder bei Eingehen der Beteiligung noch während der Zeiträume der Erbringung der Anlagebeiträge bekannt, in welcher konkreten Weise die Anlagemittel durch die jeweils für die Fondsgesellschaften handelnden Perso- nen eingesetzt werden würden. Sie waren daher in besonderer Weise darauf angewiesen und normativ berechtigt, darauf zu vertrauen, dass die für die Fondsgesellschaften Handelnden die angelegten Gelder lediglich im Rahmen der mit dem Beitritt zu den Gesellschaften verfolgten, in den Emissionsprospekten benannten Zwecke der Altersvorsorge und des langfristigen Vermögensaufbaus einsetzen würden. Insoweit wohnt den gesellschaftsrechtlichen Beteiligungen der hier fraglichen Formen auch ein Beratungselement inne, bei dem der einzelne Anleger den Sachverstand der das Anlageprojekt auflegenden und verwaltenden (natürlichen) Personen in Anspruch nimmt. Verträge mit Beratungscharakter sind als Grundlage von betrugsstrafrechtlich bedeutsamen Aufklärungspflichten akzeptiert (siehe nur Hefendehl aaO § 263 Rn. 190; Satzger aaO § 263 Rn. 107).
22
Die Angeklagten S. und M. waren in eigener Person aufgrund ihrer Stellung als Vertretungsorgan der Fondsgesellschaft selbst (betreffend M. als Geschäftsführer der D. ) oder als Vertretungsorgan der die Gesellschaft vertretenden juristischen Person (betreffend S. als Geschäftsführer der C. V. als Komplementärin von C. 4 und C. 5) aufklärungspflichtig. Als natürliche Personen standen sie zwar in keiner unmittelbaren (gesellschafts)vertraglichen Beziehung zu den Anlegern der Fondsgesellschaften. Ihre Garantenstellung und ihre daraus folgende Aufklärungspflicht gegenüber den Anlegern findet ihre Grundlage aber in der tatsächlichen Übernahme der Stellung als Vertretungsorgan der Fondsgesellschaften selbst. In dieser Position waren sie für die Vornahme der Investitionsentscheidungen über das Fondsvermögen verantwortlich, auf die sich das berechtigte Vertrauen der Anleger in eine den Gesellschaftszwecken entsprechende Mittelverwendung bezog. Der Heranziehung von § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB, auf den das Landgericht insoweit abstellt, bedarf es nicht. Die Vorschrift ist auf unechte Un- terlassungsdelikte nicht anwendbar (zu den Gründen siehe Radtke in Münchener Kommentar zum StGB, 3. Aufl., § 14 Rn. 41 mwN). Die wie vorliegend begründete Aufklärungspflicht steht nicht in Widerspruch zu den Voraussetzungen der Vermögensbetreuungspflicht im Sinne von § 266 StGB (vgl. zum Problem Seelmann, NJW 1981, 2132; Perron aaO § 263 Rn. 19 jeweils mwN). Denn die Angeklagten waren aufgrund ihrer gesellschaftsrechtlichen Stellung gegenüber den Vermögen der Anleger als an den Gesellschaften Beteiligte ohnehin betreuungspflichtig.
23
Die Aufklärungspflicht bestand während des gesamten Zeitraums der gesellschaftsvertraglichen Bindung der Anleger als an den Fondsgesellschaften Beteiligte und nicht nur im Zeitpunkt der Anlageentscheidung. Jedenfalls unter den vorliegenden konkreten Verhältnissen von Fondskonzepten mit fortlaufenden Einzahlungen der Anleger in das Gesellschaftsvermögen blieb die im Gesellschaftsrechtsverhältnis wurzelnde Vertrauensbeziehung aufrechterhalten. Treten während des Zeitraums der Beteiligung Änderungen derjenigen tatsächlichen Umstände ein, die vermögensbezogen für die Anlageentscheidung maßgeblich waren, müssen die Anleger darüber informiert werden, um ihnen wegen der weiterhin periodisch erfolgenden Zahlungen auch zukünftig eine aufgeklärte Disposition über ihr Vermögen zu ermöglichen. Zu diesen Umständen gehören jedenfalls Schädigungen der Gesellschaftsvermögen, die – was das Landgericht rechtsfehlerfrei festgestellt hat – dazu führen, dass die Beteiligung an der Fondsgesellschaft nicht mehr die bei Aufnahme der Beteiligung versprochenen Zwecke des Vermögensaufbaus und der Altersvorsorge erreichen kann.
24
Für das besondere Vertrauensverhältnis zwischen einem Geldtransportunternehmen und seinen Geldtransporte beauftragenden Kunden hat der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs eine gemäß §§ 263, 13 Abs. 1 StGB strafbewehrte Aufklärungspflicht der für das Unternehmen Handelnden während laufender Geschäftsbeziehung begangener Veruntreuungen von transportierten Geldern angenommen (BGH, Urteil vom 9. Mai 2012 – IV ZR 19/11, VersR 2013, 1042 ff.). Das entspricht im rechtlichen Ausgangspunkt dem vorstehend Ausgeführten.
25
(bb) Soweit die Angeklagten S. und M. auch wegen Betrugs der Anleger solcher Fondsgesellschaften verurteilt worden sind, für die sie nicht oder nicht in allen verfahrensgegenständlichen Zeiträumen als Vertretungsorgan gehandelt haben, gründet sich ihre Aufklärungspflicht vorliegend auf ihr vorangegangenes gefährdendes Tun (Ingerenz) in Gestalt der Begehung von Untreuetaten (§ 266 StGB) zum Nachteil der Fondsgesellschaften und ihrer Anleger bzw. der strafbaren Teilnahme an diesen Taten. Gleiches gilt für den Angeklagten T. , der bei keiner der nachteilig betroffenen Gesellschaften gesetzlicher Vertreter oder Angehöriger des Vertretungsorgans war.
26
Ein pflichtwidriges Vorverhalten führt allerdings nur dann zu einer Garantenstellung aus Ingerenz, wenn dadurch die naheliegende Gefahr des Eintritts eines konkreten tatbestandsmäßigen Erfolgs verursacht worden ist (BGH, Urteile vom 23. September 1997 – 1 StR 430/97, BGHR StGB § 13 Abs. 1 Garantenstellung 14 und vom 17. Juli 2009 – 5 StR 394/08, BGHSt 54, 44, 47 Rn. 21; Beschluss vom 19. November 2013 – 4 StR 292/13, BGHSt 59, 68, 70 Rn. 7; siehe auch Dannecker/Dannecker JZ 2010, 981, 982). Der durch das Vorverhalten herbeigeführte Zustand muss so beschaffen sein, dass es zum Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolgs kommt oder ein bereits eingetretener Schaden vertieft wird (BGH, Urteil vom 3. Oktober 1989 – 1 StR 372/89, BGHSt 36, 255, 258; Beschluss vom 19. November 2013 – 4 StR 292/13, BGHSt 59, 68, 70 Rn. 7 mwN).
27
Eine auf pflichtwidrigem Vorverhalten beruhende Pflicht zur Aufklärung über vermögensrelevante Umstände wird auch in Teilen der Strafrechtswissenschaft im Grundsatz akzeptiert (etwa Kindhäuser in Nomos Kommentar zum StGB, 4. Aufl., § 263 Rn. 155; Perron aaO § 263 Rn. 20; Satzger aaO § 263 Rn. 100 jeweils mwN), meist aber an über das Vorgenannte hinausgehende Voraussetzungen geknüpft (Hefendehl aaO § 263 Rn. 165; Satzger aaO § 263 Rn. 101–103). Eine aus Ingerenz herrührende Aufklärungspflicht erfordere eine zuvor geschaffene Irrtumsgefahr (Kindhäuser aaO § 263 Rn. 155; Satzger aaO § 263 Rn. 100 aE; Hefendehl aaO § 263 Rn. 165; Dannecker/Dannecker JZ 2010, 981, 985). Diese soll in Betracht kommen, wenn der Täter vorgehend unvorsätzlich eine unrichtige Tatsache behauptet hat, nach Erkennen der Unrichtigkeit aber die Richtigstellung unterbleibt oder er vorgehend vorsätzlich Unrichtiges noch ohne Schädigungsvorsatz behauptet hat, den dadurch bewirkten Irrtum beim Erklärungsempfänger aber später nunmehr mit Schädigungsvorsatz ausnutzt (Kindhäuser und Satzger jeweils aaO; vgl. auch Perron aaO § 263 Rn. 20). Die Aufklärungspflicht aufgrund Ingerenz soll, wie betrugsstrafrechtlich relevante Aufklärungspflichten überhaupt, auf ein Vertrauenselement zurückgeführt werden. Das sei gegeben, wenn das pflichtbegründende Vorver- halten „den Charakter einer objektiven Täuschung in sich trägt“ und die Aufklä- rungspflicht gerade dem Vermögensschutz der Opfer dient (Satzger aaO § 263 Rn. 102 mwN).
28
Diese Voraussetzungen einer auf lngerenz gestützten Aufklärungspflicht sind insoweit zu eng, als sie relevantes Vorverhalten ausschließlich auf solches beschränken, das selbst objektiv Täuschungscharakter aufweist. Jedenfalls für die hier vorliegende Fallgestaltung trägt eine solche Restriktion dem hinter den Aufklärungspflichten zugunsten eines Vermögensinhabers stehenden Vertrauensgedanken nicht ausreichend Rechnung. Die in der Strafrechtswissenschaft erörterten, im vorstehenden Absatz dargestellten Konstellationen sind dadurch gekennzeichnet, dass durch objektiv täuschendes Verhalten des (möglichen) Täters der deshalb irrende Verfügende zu einem unbewusst selbstschädigenden Verhalten veranlasst wird. Der Getäuschte soll durch die nachträgliche Aufklärung über die Unrichtigkeit der für seine Vermögensdisposition bedeutsamen Information in die Lage versetzt werden, nunmehr auf informierter Grundlage über die weitere Verwendung seines Vermögens entscheiden zu können. Die Verantwortung des Täters für die Aufklärung rührt aus der Veranlassung des vermögensrelevanten Irrtums her. Wegen dieser Verantwortung für die Entstehung des Irrtums darf der Vermögensinhaber auf eine nachträgliche Richtigstellung seitens des zunächst objektiv Täuschenden vertrauen.
29
Jedenfalls in Fallgestaltungen wie den vorliegenden mit einer Entscheidung der betroffenen Vermögensinhaber für eine Geldanlage, bei der über einen langen Zeitraum periodisch wiederkehrend Einlagen in die Anlageform zu erbringen sind, werden die für die Anlageentscheidung maßgeblichen Umstände , wie etwa die Eignung zur Altersvorsorge und zum langfristigen Vermögensaufbau , aber nicht allein durch vorausgehendes objektiv täuschendes Verhalten beeinflusst. Vielmehr können sich die für eine Anlageentscheidung erheblichen tatsächlichen Umstände auch durch andere Verhaltensweisen in relevanter Weise verändern. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs täuschen die Betreiber eines Anlagemodells die (späteren) Anleger, wenn in den Emissionsprospekten eine sichere Anlage mit erheblichen Renditen in Aussicht gestellt wird, die Betreiber aber von Anfang an nicht vorhaben, diese Ziele zu erreichen, sondern stattdessen entschlossen sind, dem jeweiligen Fondsvermögen eigennützig Kapital in erheblichem Umfang zu entziehen (sie- he etwa BGH, Urteil vom 7. März 2006 – 1 StR 379/05, BGHSt 51, 10 ff.; Beschluss vom 18. Februar 2009 – 1 StR 731/08, BGHSt 53, 199 ff.; vgl. auch Dannecker in G/J/W, 2. Aufl., § 263 Rn. 305). Es liegt in solchen Konstellationen eine Täuschung der Anleger über die Art, den Zweck und die Qualität der Anlageform schlechthin vor (BGH aaO BGHSt 51, 10, 14 Rn. 14).
30
Erfolgt eine solche Täuschung durch die Betreiber des Anlagemodells nicht bereits vor der Anlageentscheidung, sondern entschließen sich diese erst nach dem Zeichnen der Beteiligung durch die Anleger dazu, dem Fondsvermögen Kapital in erheblichem Umfang zu eigenen Zwecken zu entziehen und heben damit die bisherigen Zwecke der Anlageform auf, stellt sich für die betroffenen Anleger jedenfalls dann keine andere Situation als vor der ursprünglichen Anlageentscheidung dar, wenn sie durch die ratenweise Erbringung immer wieder auf der Grundlage vermeintlich unveränderter, für das Verbleiben in der Anlage relevanter Umstände Vermögensverfügungen treffen. Die Pflicht zur Erteilung von Informationen über die in den Veruntreuungen zu Lasten des Fondsvermögens liegenden, veränderten Umständen trifft zumindest bei der hier vorliegenden Fallgestaltung diejenigen, die die Veränderung in ihnen zurechenbarer Weise herbeigeführt haben. Dies entspricht der dargestellten Wertung bei der Verantwortlichkeit für eine Garantenpflicht aus Ingerenz aufgrund objektiv täuschenden Vorverhaltens.
31
(b) Die so ausgelöste Garantenpflicht zur Aufklärung der Anleger trifft alle drei Angeklagten als an den Untreuetaten strafbar Beteiligte, soweit sie nicht ohnehin als Vertretungsorgane der betroffenen Fondsgesellschaften einer Aufklärungspflicht unterlagen.
32
(3) Soweit es hinsichtlich Betrugs durch Unterlassen bei auf Ingerenz gestützter Garantenstellung und daraus resultierender Aufklärungspflicht einer näheren Begründung der Gleichwertigkeit von Tun und Unterlassen (Modalitätenäquivalenz , § 13 Abs. 1 letzter Halbs. StGB) bedarf (dazu näher Maaß, Betrug verübt durch Schweigen, 1982, S. 32 ff.; Hefendehl aaO § 263 Rn. 226; Satzger aaO, § 263 Rn. 114), ist diese gegeben. Die Pflicht zur Information der Anleger bezog sich gerade auf solche für die Anlageentscheidung bedeutsamen Umstände, bezüglich deren Vorliegen im Zeitpunkt der Zeichnung der Fondsanteile eine Täuschung der Anleger durch positives Tun infolge unrichtiger Inhalte in den jeweiligen Emissionsprospekten (vor allem Eignung zur Altersvorsorge und zum langfristigen Vermögensaufbau) erfolgt wäre.
33
bb) Das Landgericht hat sich rechtsfehlerfrei von einem Irrtum sämtlicher betroffener Anleger der Fondsgesellschaften D. , C. 4 und C. 5 darüber überzeugt, dass ihre Beteiligungen während des gesamten Zeitraums ihrer periodischen Einzahlungen in das Gesellschaftsvermögen noch der Konzeption entsprachen, die ihnen bei Zeichnung der Beteiligung versprochen worden war. Beweiswürdigend genügte dafür die Vernehmung von neun Anlegern , um aus ihren den Irrtum bestätigenden Angaben auf einen solchen bei sämtlichen Anlegern schließen zu dürfen (zu den Anforderungen siehe nur BGH, Beschlüsse vom 4. September 2014 – 1 StR 314/14, NStZ 2015, 98, 99 f. und vom 1. Oktober 2015 – 3 StR 102/15, NStZ-RR 2016, 12, jeweils mwN).
34
cc) Die Überzeugung des Landgerichts, bei Information der Anleger über das dem Vermögen der Fondsgesellschaften nachteilige Verhalten entweder durch direktes Anschreiben unter Rückgriff auf die bei den Gesellschaften geführten Datenbanken, durch Information über das Internet oder durch Strafanzeige , wären weitere Vermögensverfügungen der Anleger durch fortlaufende Einzahlungen mit Sicherheit unterblieben, beruht ebenfalls auf einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung.
35
dd) Es ist rechtlich auch nichts dagegen zu erinnern, dass das Landgericht die mit den Einzahlungen der Anleger nach Abschluss der Untreuehandlungen einhergehenden Ansprüche der Gesellschafter wirtschaftlich als völlig wertlos betrachtet hat. Dies entspricht auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen zu den Verhältnissen der Fondsgesellschaften nach den Schädigungshandlungen der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Bezifferung des Vermögensschadens bei – phänomenologisch – Anlagebetrügereien (vgl. etwa BGH, Urteil vom 7. März 2006 – 1 StR 379/05, BGHSt 51, 10, 15 ff. Rn. 17 ff.; Beschluss vom 18. Februar 2009 – 1 StR 731/08, BGHSt 53, 199, 201 ff. Rn. 8 ff.).
36
ee) Die Annahme des Landgerichts, die Aufklärung der Anleger über die von den Angeklagten zu verantwortenden Schädigungen des Vermögens der Fondsgesellschaften und deren Anteilseigner sei den Angeklagten rechtlich zumutbar gewesen, ist ebenfalls nicht zu beanstanden. Die Entscheidung, ob ein bestimmtes, den strafrechtlich missbilligten Erfolg abwendendes Verhalten zumutbar ist, muss grundsätzlich von dem dazu berufenen Tatrichter im Rahmen einer wertenden Gesamtwürdigung des Einzelfalles getroffen werden, in die einerseits die widerstreitenden Interessen der Beteiligten und andererseits die Gefahr für das bedrohte Rechtsgut einzubeziehen sind (BGH, Urteil vom 19. Dezember 1997 – 5 StR 569/96, BGHSt 43, 381, 398 f.; siehe auch bereits Urteil vom 20. Dezember 1983 – 1 StR 746/83, NStZ 1984, 164; Kudlich in Satzger/Schluckebier/Widmaier aaO § 13 Rn. 44; Wohlers/Gaede in Nomos Kommentar zum StGB, 4. Aufl., § 13 Rn. 18). Ist mit der Vornahme der rechtlich gebotenen Handlung die Gefahr der Aufdeckung eigener Straftaten des Garanten verbunden, steht dies der Zumutbarkeit normgemäßen Verhaltens gerade wegen des eigenen rechtswidrigen Verhaltens im Vorfeld regelmäßig nicht entgegen (BGH, Urteile vom 1. April 1958 – 1 StR 24/58, BGHSt 11, 353, 355 f. und vom 19. Dezember 1997 – 5 StR 569/96, BGHSt 43, 381, 399; vgl.
auch Urteil vom 6. Mai 1960 – 4 StR 117/60, BGHSt 14, 282, 286 f.; Weigend in Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Aufl., § 13 Rn. 69; Kudlich aaO § 13 Rn. 44; Wohlers/Gaede aaO § 13 Rn. 18). Auch aus dem Verfassungsrecht lässt sich nicht ableiten, dass Selbstbegünstigung als Ausfluss persönlicher Freiheit stets straflos oder darüber hinausgehend sogar erlaubt sein müsse (BVerfG, Beschluss vom 29. Mai 1963 – 2 BvR 161/63, BVerfGE 16, 191, 194). Ebenso wenig schließt das Verfassungsrecht aus, Selbstbegünstigungshandlungen unter Strafe zu stellen, wenn durch diese strafrechtlich geschützte Rechtsgüter Dritter beeinträchtigt werden (vgl. BVerfG aaO BVerfGE 16, 191, 194; siehe auch BGH, Urteil vom 10. Februar 2015 – 1 StR 488/14, BGHSt 60, 198, 204 f. Rn. 35 f.).
37
Bei Anlegen dieser Maßstäbe hat es das Landgericht rechtsfehlerfrei für die Angeklagten als zumutbar erachtet, die Anleger über die erheblichen Schädigungen der Vermögen der Fondsgesellschaften zu informieren. Im Rahmen der geforderten Abwägung sind die Interessen der zahlreichen Anleger, nicht weiter „wertlose" Einzahlungen in die Fondsgesellschaften zu leisten, höher gewichtet worden als die Interessen der Angeklagten daran, sich nicht der Gefahr eigener Strafverfolgung auszusetzen. Diese Wertung ist nicht zu beanstanden. Ob anderes zu gelten hätte, wenn die rechtlich gebotene Handlung während eines laufenden Strafverfahrens notwendig mit einem Geständnis einherginge (dazu Wohlers/Gaede aaO § 13 Rn. 18), bedarf keiner Entscheidung. Eine solche Situation war vorliegend nicht gegeben.
38
ff) Ebenfalls nicht zu beanstanden ist, dass das Landgericht die Angeklagten jeweils als Täter der Unterlassungstaten verurteilt hat (vgl. zu den Kriterien BGH, Urteil vom 12. Februar 2009 – 4 StR 488/08, NStZ 2009, 321 f. mwN).
39
c) Die Zumessung der Strafen für die Betrugstaten ist rechtsfehlerfrei.
40
3. Gleiches gilt für die Entscheidungen über die Vermögensabschöpfung. Das Landgericht hat im Rahmen der gemäß § 111i Abs. 2 StPO i.V.m. § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB erfolgten Feststellungen zu dem durch die Angeklagten aus den Taten Erlangten auch die Voraussetzungen der Härtevorschrift des § 73c Abs. 1 StGB rechtsfehlerfrei erörtert. Graf Jäger Bellay Radtke Fischer
Nachschlagewerk: ja
BGHSt : ja
Veröffentlichung : ja
Den Leiter der Innenrevision einer Anstalt des öffentlichen
Rechts kann eine Garantenpflicht treffen, betrügerische Abrechnungen
zu unterbinden.
BGH, Urteil vom 17. Juli 2009 – 5 StR 394/08
LGBerlin–

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 17. Juli 2009
in der Strafsache
gegen
wegen Beihilfe zum Betrug
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Grund der Hauptverhandlung
vom 16. und 17. Juli 2009, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter Basdorf,
Richter Dr. Raum,
Richter Dr. Brause,
Richterin Dr. Schneider,
Richter Dölp
alsbeisitzendeRichter,
Bundesanwalt
alsVertreterderBundesanwaltschaft,
Rechtsanwältin
alsVerteidigerin,
Justizangestellte
alsUrkundsbeamtinderGeschäftsstelle,
am 17. Juli 2009 für Recht erkannt:
Die Revision des Angeklagten W. gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 3. März 2008 wird verworfen.
Der Angeklagte W. trägt die Kosten seines Rechtsmittels.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten W. wegen Beihilfe (durch Unterlassen) zum Betrug zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen verurteilt und angeordnet, dass als Entschädigung für die überlange Verfahrensdauer 20 Tagessätze als vollstreckt gelten. Die umfassend eingelegte und mit formellen und materiellen Beanstandungen geführte Revision dieses Angeklagten bleibt erfolglos.

I.


2
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen :
3
1. Der Angeklagte war seit 1989 als Volljurist bei den Berliner Stadtreinigungsbetrieben (im Folgenden: BSR) tätig und seit Anfang 1998 Leiter des Stabsbereichs Gremienbetreuung sowie Leiter der Rechtsabteilung. Zwischen 2000 und Ende 2002 war ihm zudem die Innenrevision unterstellt. Der BSR, einer Anstalt des öffentlichen Rechts, oblag in ihrem hoheitlichen Be- reich die Straßenreinigung mit Anschluss- und Benutzungszwang für die Eigentümer der Anliegergrundstücke. Die Rechtsverhältnisse waren zwar privatrechtlich ausgestaltet; für die Bestimmung der Entgelte galten jedoch das Äquivalenz- und das Kostendeckungsprinzip als öffentlich-rechtliche Grundsätze der Gebührenbemessung.
4
Nach den Regelungen des Berliner Straßenreinigungsgesetzes hatten die Anlieger 75 % der angefallenen Kosten für die Straßenreinigung zu tragen ; 25 % der Kosten verblieben beim Land Berlin (§ 7 Abs. 1). Die Aufwendungen der Reinigung für Straßen ohne Anlieger musste das Land Berlin im vollen Umfang tragen (§ 7 Abs. 6). Die Entgelte, die sich nach der Häufigkeit der Reinigung in vier Tarifklassen unterteilten, wurden für den Tarifzeitraum auf der Grundlage einer Prognose der voraussichtlichen Aufwendungen festgesetzt. Die von Vorstand und Aufsichtsrat zu verabschiedende Tarifbestimmung wurde durch eine Projektgruppe „Tarifkalkulation“ vorbereitet, die der Angeklagte W. leitete. Infolge eines Versehens wurden bei der Berechnung der Entgelte der Tarifperiode 1999/2000 auch die Kosten für die Straßen zu 75 % einbezogen, für die es keine Anlieger gab; diese hätte das Land Berlin vollständig tragen müssen. Der Berechnungsfehler wurde in der Folgezeit bemerkt, aber nicht korrigiert.
5
Für die Tarifperiode 2001/2002, den Tatzeitraum, wurde vom Gesamtvorstand der BSR eine neue Projektgruppe eingesetzt. Dieser gehörte der Angeklagte W. nicht mehr an. Sie wurde von dem früheren Mitangeklagten H. geleitet, der im Stabsbereich tätig und dem Angeklagten W. unmittelbar unterstellt war. Der Angeklagte W. nahm selbst unregelmäßig an den Sitzungen der neuen Projektgruppe teil, die zunächst den Rechnungsfehler aus der vergangenen Tarifperiode beheben wollte. Auf Weisung des früheren Mitangeklagten G. wurde dies jedoch unterlassen. Der Tarif, in dessen Berechnungsgrundlage auch die anliegerfreien Straßen einbezogen worden waren, wurde vom Vorstand und Aufsichtsrat der BSR gebilligt, wobei jeweils die Tarife erläutert wurden, ohne jedoch die Entscheidungsträger auf die Einbeziehung der anliegerfreien Straßen hinzuweisen. Der Angeklagte W. , der um den Berechnungsfehler wusste, war bei der Sitzung des Gesamtvorstands nicht anwesend. Bei der Sitzung des Aufsichtsrats führte er zwar Protokoll; eine weitere Beteiligung seinerseits konnte das Landgericht jedoch nicht feststellen. Der Angeklagte W. unterrichtete auch in der Folgezeit weder seinen unmittelbaren Vorgesetzten , den Vorstandsvorsitzenden D. , noch ein Mitglied des Aufsichtsrats. Die Senatsverwaltung genehmigte den Tarif. Dabei verpflichtete sie die BSR allerdings im Wege einer Auflage zu einer Nachkalkulation. Auf der Grundlage des genehmigten Tarifs wurden von den Eigentümern der Anliegergrundstücke um insgesamt 23 Mio. Euro überhöhte Entgelte verlangt , die auch überwiegend bezahlt wurden.
6
2. Das Landgericht hat das Verhalten des vormaligen Mitangeklagten G. im Blick auf die gesamte Tarifperiode 2001/2002 als (einheitlichen) Betrug in mittelbarer Täterschaft gewertet. Der Angeklagte W. habe hierzu Beihilfe geleistet. Ein aktives Handeln des Angeklagten W. , dem die falsche Tarifberechnung bekannt gewesen sei, lasse sich nicht zweifelsfrei feststellen. Er habe sich jedoch der Beihilfe durch Unterlassen schuldig gemacht. Eine Garantenstellung im Sinne des § 13 StGB ergebe sich daraus , dass er als Leiter der Tarifkommission den Bewertungsfehler in der vorigen Periode zu vertreten habe und dessen Behebung in der folgenden Tarifperiode hätte veranlassen müssen. Zudem komme ihm als Leiter der Innenrevision eine Garantenstellung zu. In dieser Eigenschaft, zumal als Bediensteter einer Anstalt des öffentlichen Rechts, sei er nämlich verpflichtet, die Einhaltung der gesetzlichen Regeln auch zum Schutz der Entgeltschuldner sicherzustellen. Da sich der Angeklagte W. dem Handeln des früheren Mitangeklagten G. untergeordnet habe, liege bei ihm lediglich ein Gehilfenvorsatz vor.

II.


7
Die Revision des Angeklagten W. ist unbegründet.
8
1. Die Verfahrensrügen bleiben ohne Erfolg.
9
a) Die Besetzungsrüge zeigt keinen Rechtsfehler auf. Wie der Senat im Beschluss vom 24. März 2009 (NStZ 2009, 342; hierzu Volkmer NStZ 2009, 371) seine eigene Besetzung betreffend ausgeführt hat, ist Verletzter im Sinne des § 22 Nr. 1 i.V.m. § 338 Nr. 2 StPO nicht bereits ein Mieter, auf den – abhängig von den vertraglichen Vereinbarungen – die Reinigungsentgelte umgelegt werden können. Entgegen der Auffassung der Revision begründet auch der Umstand, dass der Vater des Richters We. an einem in einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts organisierten Fonds beteiligt ist, keinen Ausschlussgrund. Dieser Fonds ist selbst nicht Eigentümer. Vielmehr wird das Eigentum treuhänderisch von einer GmbH gehalten. Eine über den Fonds und die Treuhand doppelt vermittelte und nur indirekte Berührung der wirtschaftlichen Interessen des Vaters des Richters We. ist – wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat – für einen Ausschluss nach § 22 Nr. 3 StPO nicht ausreichend.
10
b) Das Landgericht hat den Antrag auf Vernehmung des Zeugen R. rechtsfehlerfrei zurückgewiesen. Die Verteidigung hat die Vernehmung dieses Zeugen, der Nachfolger des Angeklagten als Leiter der Innenrevision war, zum Beweis für die Verhältnisse bei der Innenrevision und deren Anbindung an den Vorstand beantragt. Das Landgericht hat die beantragte Beweiserhebung abgelehnt, weil die Frage, wie die Innenrevision personell strukturiert war und welche Prüfaufträge dort abgearbeitet werden, für die Garantenstellung ohne Bedeutung ist.
11
Dies ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Für die Frage einer aus dieser Stellung folgenden Garantenpflicht ist es unerheblich, ob die In- nenrevision die Tarifbildung geprüft hat oder diese überhaupt aufgrund ihrer geringen personellen Ausstattung hätte prüfen können. Das Landgericht hat nämlich die Garantenstellung nicht aus einer konkret erfolgten Prüfung der Tarife hergeleitet, sondern sie vielmehr darauf gestützt, dass der Angeklagte als Leiter der Innenrevision eine besondere Pflichtenstellung innehatte, eine betrügerische Tarifbildung zu verhindern.
12
c) Ohne Erfolg rügt die Verteidigung, dass das Landgericht nicht sämtliche (ca. 170.000) Grundstückseigentümer als Zeugen über ihre jeweiligen Vorstellungen bei dem Erhalt der (rechtwidrig überhöhten) Abrechnungen der BSR gehört hat. Die Strafkammer hat diesen Antrag als bloßen Beweisermittlungsantrag angesehen.
13
aa) Diese Auffassung ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Entgegen der Auffassung der Verteidigung hat das Landgericht diesen Antrag schon deshalb zu Recht nicht als einen nach § 244 Abs. 3 StPO zu bescheidenden Beweisantrag angesehen, weil die Zeugen nicht mit Namen und vollständiger Anschrift genannt wurden. Dies ist aber erforderlich (BGHSt 40, 3, 7; Beschluss vom 28. Mai 2009 – 5 StR 191/09 – zur Veröffentlichung bestimmt in BGHR StPO § 244 Abs. 6 Beweisantrag). Eine Ausnahme gilt allenfalls insoweit, als der Antragsteller außerstande ist, die vollständige Anschrift zu benennen. Dies ist nicht ersichtlich. Abgesehen davon, dass der Angeklagte selbst in der Lage gewesen wäre, eine Reihe von Grundstückseigentümern mit vollständiger Adresse allein aus seinem Wissen zu bezeichnen und schon dies nicht getan hat, ist nicht erkennbar, dass er diese Daten nicht über seine Arbeitgeberin hätte besorgen und dem Landgericht vorlegen können.
14
bb) Auch in der Sache hätte das Landgericht der beantragten Beweiserhebung nicht nachkommen müssen. Bei einer im Wesentlichen auf eine Zahlungsanforderung beschränkten Erklärung reichte es – wie der Senat in seinem Beschluss vom 9. Juni 2009 bezüglich des Mitangeklagten G.
in derselben Sache bereits ausgeführt hat – für einen Irrtum im Sinne des § 263 StGB aus, wenn sich die Empfänger in einer wenngleich allgemein gehaltenen Vorstellung befanden, dass die Tarifberechnung in Ordnung sei. Ein differenziertes Vorstellungsbild bei den einzelnen Empfängern der Rechnungen liegt hier fern. Insoweit weicht die Fallkonstellation im vorliegenden Fall von den von der Revision in Bezug genommenen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs (BGHR StGB § 263 Abs. 1 Irrtum 9, 11) ab, die von den Geschädigten individuell zu bearbeitende Rechnungen oder Überweisungen zum Gegenstand hatten. Diese Fälle unterscheiden sich von dem hier vorliegenden schon dadurch, dass die Entgeltforderung hier für den jeweiligen Grundstückseigentümer eine wirtschaftlich nicht sehr gewichtige und auch völlig unauffällige Erklärung darstellte. Bei dem einzelnen Empfänger konnte deshalb nur das von dem sachgedanklichen Mitbewusstsein umfasste Vorstellungsbild entstanden sein, dass die Abrechnung jedenfalls nicht betrügerisch sei.
15
cc) Dieses von ihm angenommene und im Wesentlichen normativ geprägte Vorstellungsbild der Empfänger hat das Landgericht zudem erhärtet, indem es mehrere Zeugen einvernommen hat und in deren Aussagen dieses Ergebnis bestätigt fand. Angesichts dieses Befunds – zumal mit Blick auf die abgeurteilte einheitliche Tat – bedurfte es keiner weiteren Aufklärung durch die zusätzliche Vernehmung weiterer Zeugen. Dass das Landgericht in den Urteilsgründen nur die Aussage von drei dieser Zeugen wiedergegeben hat, verstößt nicht gegen §§ 261, 267 Abs. 1 Satz 2 StPO. Das Tatgericht ist nicht gehalten, sämtliche Zeugenaussagen zu dokumentieren.
16
2. Die Revision des Angeklagten zeigt auch mit der Sachrüge keinen durchgreifenden Rechtsfehler auf.
17
a) Soweit die Revision die strafrechtliche Würdigung der Haupttat als Betrug in mittelbarer Täterschaft angreift, verweist der Senat auf seine Entscheidung , die er am 9. Juni 2009 im Beschlusswege gegen den Mitange- klagten G. getroffen hat. Die Ausführungen der Verteidigung geben dem Senat keinen Anlass zu weiteren Ausführungen im Hinblick auf die Tatbestandsvoraussetzungen des Betrugs oder zum Nichtvorliegen der speziellen Strafvorschriften der §§ 352, 353 StGB.
18
Entgegen der Auffassung der Verteidigung ist bei dem Angeklagten auch die Kenntnis von der Haupttat belegt. Nach den Feststellungen des Landgerichts wurde der Angeklagte nämlich durch den ihm direkt unterstellten H. darüber in Kenntnis gesetzt, dass G. den Fehler so „laufen lassen wolle“. Im Übrigen führte der Angeklagte bei der entscheidenden Sitzung des Aufsichtsrats Protokoll, in der die unrichtig berechneten Tarife von G. vorgestellt und vom Aufsichtsrat schließlich gebilligt wurden.
19
b) Die Verurteilung des Angeklagten wegen Beihilfe zum Betrug hält im Ergebnis rechtlicher Überprüfung stand. Das Landgericht hat bei dem Angeklagten zu Recht eine Garantenstellung bejaht.
20
aa) Allerdings ergibt sich diese nicht schon daraus, dass der Angeklagte die Tarifkommission für die vorherige (nicht verfahrensgegenständliche ) Abrechnungsperiode geleitet hatte. Zwar unterlief dieser von ihm geführten Kommission bereits der Fehler, dass die anliegerfreien Grundstücke in den Tarif einbezogen wurden. Eine Garantenstellung folgt hieraus jedoch nicht.
21
In Betracht käme insoweit eine Garantenstellung aus der tatsächlichen Herbeiführung einer Gefahrenlage (Ingerenz). Ein (pflichtwidriges) Vorverhalten begründet aber nur dann eine Garantenstellung, wenn es die naheliegende Gefahr des Eintritts des konkret untersuchten, tatbestandsmäßigen Erfolgs verursacht (BGHR StGB § 13 Abs. 1 Garantenstellung 14; BGH NJW 1999, 69, 71, insoweit in BGHSt 44, 196 nicht abgedruckt; BGH NStZ 2000, 583). Eine solche nahe Gefahr bestand hier nicht. Der Umstand, dass die vorherige Tariffestsetzung fehlerbehaftet war, bedeutet nämlich nicht, dass sich dieser Fehler auch in die nächste Tarifperiode hinein fortsetzt. Dies gilt jedenfalls, sofern nicht – wofür hier nichts festgestellt ist – eine gesteigerte Gefahr bestand, dass die zunächst unerkannt fehlerhafte Berechnungsgrundlage ohne erneute sachliche Prüfung der neuen Festsetzung ohne weiteres zugrunde gelegt würde. Vielmehr wird in der nächsten Tarifperiode der Tarif uneingeschränkt neu bestimmt. Schon die ausschließliche Verantwortlichkeit der neuen Tarifkommission steht deshalb der Annahme einer Garantenstellung aus Ingerenz entgegen (vgl. Roxin, Strafrecht AT II 2003 S. 773). Zwar mag eine gewisse, eher psychologisch vermittelte Gefahr bestehen, zur Vertuschung des einmal gemachten Fehlers diesen zu wiederholen. Ein solcher motivatorischer Zusammenhang reicht jedoch nicht für die Begründung einer Garantenstellung aus. Der neue Tarif wird auf der Grundlage der hierfür maßgeblichen Rahmendaten selbständig festgesetzt. Seine Festsetzung erfolgt ohne Bindung an den Berechnungsmaßstab der Vorperioden, dessen Fehlerhaftigkeit nicht einmal zwangsläufig hätte aufgedeckt werden müssen. Auch ohne Eingreifen des Angeklagten wäre der Fehler nicht automatisch in die folgende Tarifperiode eingeflossen. Dies zeigt sich im Übrigen auch darin , dass die neue Tarifkommission bereits von sich aus diesen Fehler nicht wiederholen wollte, sondern hierzu erst durch die Einflussnahme des vormaligen Mitangeklagten G. veranlasst wurde.
22
bb) Dagegen hat das Landgericht zu Recht aus der Stellung des Angeklagten W. als Leiter der Rechtsabteilung und der Innenrevision eine Garantenstellung hergeleitet.
23
(1) Durch die Übernahme eines Pflichtenkreises kann eine rechtliche Einstandspflicht im Sinne des § 13 Abs. 1 StGB begründet werden. Die Entstehung einer Garantenstellung hieraus folgt aus der Überlegung, dass denjenigen , dem Obhutspflichten für eine bestimmte Gefahrenquelle übertragen sind (vgl. Roxin aaO S. 712 ff.), dann auch eine „Sonderverantwortlichkeit“ für die Integrität des von ihm übernommenen Verantwortungsbereichs trifft (vgl. Freund in MünchKomm StGB § 13 Rdn. 161). Es kann dahinstehen, ob der verbreiteten Unterscheidung von Schutz- und Überwachungspflichten in diesem Zusammenhang wesentliches Gewicht zukommen kann, weil die Überwachungspflicht gerade dem Schutz bestimmter Rechtsgüter dient und umgekehrt ein Schutz ohne entsprechende Überwachung des zu schützenden Objekts kaum denkbar erscheint (vgl. BGHSt 48, 77, 92). Maßgeblich ist die Bestimmung des Verantwortungsbereichs, den der Verpflichtete übernommen hat. Dabei kommt es nicht auf die Rechtsform der Übertragung an, sondern darauf, was unter Berücksichtigung des normativen Hintergrunds Inhalt der Pflichtenbindung ist (vgl. BGHSt 43, 82).
24
Die Rechtsprechung hat bislang in einer Reihe von Fällen Garantenstellungen anerkannt, die aus der Übernahme von bestimmten Funktionen abgeleitet wurden. Dies betraf nicht nur hohe staatliche oder kommunale Repräsentanten, denen der Schutz von Leib und Leben der ihnen anvertrauten Bürger obliegt (BGHSt 38, 325; 48, 77, 91), sondern auch Polizeibeamte (BGHSt 38, 388), Beamte der Ordnungsbehörde (BGH NJW 1987, 199) oder auch Bedienstete im Maßregelvollzug (BGH NJW 1983, 462). Eine Garantenpflicht wird weiterhin dadurch begründet, dass der Betreffende eine gesetzlich vorgesehene Funktion als Beauftragter übernimmt (vgl. OLG Frankfurt NJW 1987, 2753, 2757; Böse NStZ 2003, 636), etwa als Beauftragter für Gewässerschutz (§§ 21a ff. WHG), Immissionsschutz (§§ 53 ff. BImSchG) oder Strahlenschutz (§§ 31 ff. StrahlenschutzVO).
25
Die Übernahme entsprechender Überwachungs- und Schutzpflichten kann aber auch durch einen Dienstvertrag erfolgen. Dabei reicht freilich der bloße Vertragsschluss nicht aus. Maßgebend für die Begründung einer Garantenstellung ist vielmehr die tatsächliche Übernahme des Pflichtenkreises. Allerdings begründet nicht jede Übertragung von Pflichten auch eine Garantenstellung im strafrechtlichen Sinne. Hinzutreten muss regelmäßig ein besonderes Vertrauensverhältnis, das den Übertragenden gerade dazu veranlasst , dem Verpflichteten besondere Schutzpflichten zu überantworten (vgl. BGHSt 46, 196, 202 f.; 39, 392, 399). Ein bloßer Austauschvertrag genügt hier ebenso wenig wie ein Arbeitsverhältnis (Weigend in LK 12. Aufl. § 13 Rdn. 41). Im vorliegenden Fall kann nicht zweifelhaft sein, dass der Angeklagte aufgrund des übernommenen Aufgabenbereichs eine Garantenstellung innehatte. Entgegen der Auffassung der Verteidigung und des Generalbundesanwalts beschränkte sich seine Einstandspflicht jedoch nicht nur darauf , Vermögensbeeinträchtigungen des eigenen Unternehmens zu unterbinden , sondern sie kann auch die Verhinderung aus dem eigenen Unternehmen kommender Straftaten gegen dessen Vertragspartner umfassen.
26
(2) Der Inhalt und der Umfang der Garantenpflicht bestimmen sich aus dem konkreten Pflichtenkreis, den der Verantwortliche übernommen hat. Dabei ist auf die besonderen Verhältnisse des Unternehmens und den Zweck seiner Beauftragung abzustellen. Entscheidend kommt es auf die Zielrichtung der Beauftragung an, ob sich die Pflichtenstellung des Beauftragten allein darin erschöpft, die unternehmensinternen Prozesse zu optimieren und gegen das Unternehmen gerichtete Pflichtverstöße aufzudecken und zukünftig zu verhindern, oder ob der Beauftragte weitergehende Pflichten dergestalt hat, dass er auch vom Unternehmen ausgehende Rechtsverstöße zu beanstanden und zu unterbinden hat. Unter diesen Gesichtspunkten ist gegebenenfalls die Beschreibung des Dienstpostens zu bewerten.
27
Eine solche, neuerdings in Großunternehmen als „Compliance“ bezeichnete Ausrichtung, wird im Wirtschaftsleben mittlerweile dadurch umgesetzt , dass so genannte „Compliance Officers“ geschaffen werden (vgl. BGHSt 52, 323, 335; Hauschka, Corporate Compliance 2007 S. 2 ff.). Deren Aufgabengebiet ist die Verhinderung von Rechtsverstößen, insbesondere auch von Straftaten, die aus dem Unternehmen heraus begangen werden und diesem erhebliche Nachteile durch Haftungsrisiken oder Ansehensverlust bringen können (vgl. Bürkle in Hauschka aaO S. 128 ff.). Derartige Beauftragte wird regelmäßig strafrechtlich eine Garantenpflicht im Sinne des § 13 Abs. 1 StGB treffen, solche im Zusammenhang mit der Tätigkeit des Unternehmens stehende Straftaten von Unternehmensangehörigen zu ver- hindern. Dies ist die notwendige Kehrseite ihrer gegenüber der Unternehmensleitung übernommenen Pflicht, Rechtsverstöße und insbesondere Straftaten zu unterbinden (vgl. Kraft/Winkler CCZ 2009, 29, 32).
28
Eine derart weitgehende Beauftragung ist bei dem Angeklagten nicht ersichtlich. Nach den Feststellungen war der Angeklagte als Jurist Leiter der Rechtsabteilung und zugleich Leiter der Innenrevision. Er war unmittelbar dem Vorstandsvorsitzenden unterstellt. Zwar gibt es zwischen dem Leiter der Innenrevision und dem so genannten „Compliance Officer“ regelmäßig erhebliche Überschneidungen im Aufgabengebiet (vgl. Bürkle aaO S. 139). Dennoch erscheint es zweifelhaft, dem Leiter der Innenrevision eines Unternehmens eine Garantenstellung auch insoweit zuzuweisen, als er im Sinne des § 13 Abs. 1 StGB verpflichtet ist, Straftaten aus dem Unternehmen zu Lasten Dritter zu unterbinden.
29
Im vorliegenden Fall bestehen indes zwei Besonderheiten: Das hier tätige Unternehmen ist eine Anstalt des öffentlichen Rechts und die vom Angeklagten nicht unterbundene Tätigkeit bezog sich auf den hoheitlichen Bereich des Unternehmens, nämlich die durch den Anschluss- und Benutzungszwang geprägte Straßenreinigung, die gegenüber den Anliegern nach öffentlich-rechtlichen Gebührengrundsätzen abzurechnen ist. Dies hat für die Eingrenzung der dem Angeklagten obliegenden Überwachungspflichten Bedeutung. Als Anstalt des öffentlichen Rechts war die BSR den Anliegern gegenüber zu gesetzmäßigen Gebührenberechnungen verpflichtet. Anders als ein privates Unternehmen, das lediglich innerhalb eines rechtlichen Rahmens , den es zu beachten hat, maßgeblich zur Gewinnerzielung tätig wird, ist bei einer Anstalt des öffentlichen Rechts der Gesetzesvollzug das eigentliche Kernstück ihrer Tätigkeit. Dies bedeutet auch, dass die Erfüllung dieser Aufgaben in gesetzmäßiger Form zentraler Bestandteil ihres „unternehmerischen“ Handelns ist. Damit entfällt im hoheitlichen Bereich die Trennung zwischen einerseits den Interessen des eigenen Unternehmens und andererseits den Interessen außenstehender Dritter. Dies wirkt sich auf die Ausle- gung der Überwachungspflicht aus, weil das, was zu überwachen ist, im privaten und im hoheitlichen Bereich unterschiedlich ausgestaltet ist.
30
Die Überwachungspflicht konzentriert sich auf die Einhaltung dessen, was Gegenstand der Tätigkeit des Dienstherrn ist, nämlich den gesetzmäßigen Vollzug der Straßenreinigung, der auch eine gesetzmäßige Abrechnung der angefallenen Kosten einschließt. Der konkrete Dienstposten des Angeklagten umfasste die Aufgabe, die Straßenanlieger vor betrügerisch überhöhten Gebühren zu schützen, und begründete so auch eine entsprechende Garantenpflicht. Der Zuschnitt der vom Angeklagten zu übernehmenden Aufgabe ist dabei – was das Landgericht zutreffend ausgeführt hat – vor dem Hintergrund seiner bisherigen Funktionen für die BSR zu sehen. Dort galt er insbesondere als Tarifrechtsexperte und als das „juristische Gewissen“ der BSR (UA S. 7, 10, 46). Die zusätzliche Übertragung der Leitung der Innenrevision (UA S. 5, 22) war ersichtlich mit dieser Fähigkeit verbunden. Der dem Vorstandsvorsitzenden unmittelbar unterstellte Angeklagte sollte gerade als Leiter der Innenrevision verpflichtet sein, von ihm erkannte Rechtsverstöße bei der Tarifkalkulation zu beanstanden (UA S. 12), wobei die Beachtung der gesetzlichen Regelungen auch dem Schutz der Entgeltschuldner dienen sollte (UA S. 56). Auf dieser letztlich so ausreichenden Tatsachengrundlage durfte das Landgericht den Schluss ziehen, dass es zum wesentlichen Inhalt des Pflichtenkreises des Angeklagten gehören sollte (vgl. Fischer, StGB 56. Aufl. § 13 Rdn. 17), die Erhebung betrügerischer Reinigungsentgelte zu verhindern.
31
(3) Der Angeklagte war deshalb im Sinne des § 13 Abs. 1 StGB verpflichtet , von ihm erkannte Fehler der Tarifberechnung zu beanstanden. Dies gilt unabhängig davon, ob sich diese zu Lasten seines Dienstherrn oder zu Lasten Dritter ausgewirkt haben. Sein pflichtwidriges Unterlassen führt dazu, dass ihm der Erfolg, den er hätte verhindern sollen, strafrechtlich zugerechnet wird (vgl. BGH NJW 1987, 199). Insofern liegt – wie das Landgericht rechtsfehlerfrei ausgeführt hat – Beihilfe gemäß § 27 Abs.1 StGB vor, weil der Angeklagte lediglich mit Gehilfenvorsatz gehandelt und sich dem Haupttäter G. ersichtlich untergeordnet hat. Da der Angeklagte die betrügerische Handlung des Vorstands G. ohne weiteres durch die Unterrichtung des Vorstandsvorsitzenden oder des Aufsichtsratsvorsitzenden hätte unterbinden können und ihm dies auch zumutbar war, hat sich der Angeklagte einer Beihilfe zum Betrug durch Unterlassen strafbar gemacht. Da er alle Umstände kannte, ist hier auch die subjektive Tatseite zweifelsfrei gegeben (vgl. BGHSt 19, 295, 299). Dies hat das Landgericht in den Urteilsgründen zutreffend dargelegt.
32
c) Entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts kommt bei dem Angeklagten keine Untreue gemäß § 266 StGB zu Lasten der BSR in Betracht. Zwar trifft den Angeklagten eine Vermögensbetreuungspflicht gegenüber seinem Dienstherrn. Es fehlt jedoch an einem Nachteil im Sinne des § 266 StGB. Der BSR ist durch die betrügerische Tarifbildung ein Vorteil entstanden , weil so höhere Reinigungsentgelte vereinnahmt wurden, als ihr nach der gesetzlichen Regelung zustanden.
33
Der Generalbundesanwalt erwägt die Möglichkeit eines solchen Nachteils in den Ersatzansprüchen und Prozesskosten nach Aufdeckung des Betrugs. Ein solcher Schaden ist aber nicht unmittelbar (BGHSt 51, 29, 33; BGH NStZ 1986, 455, 456; Fischer aaO § 266 Rdn. 55). Er setzt nämlich mit der Aufdeckung der Tat einen Zwischenschritt voraus. Der für die Nachteilsfeststellung notwendige Gesamtvermögensvergleich hat aber auf der Grundlage des vom Täter verwirklichten Tatplans zu erfolgen.
34
d) Die Strafzumessung hält gleichfalls im Ergebnis revisionsrechtlicher Überprüfung stand. Die Bedenken gegen die vom Landgericht vorgenommene Schadensbewertung, die im Verfahren gegen den Angeklagten G. zu einer Aufhebung des Strafausspruchs in dem Senatsbeschluss vom 9. Juni 2009 geführt haben, bestehen hinsichtlich des Angeklagten W.
nicht. Ausweislich der Urteilsgründe hat das Landgericht bei diesem Angeklagten der Schadenshöhe ein geringeres Gewicht beigemessen.
35
Entgegen der Auffassung der Verteidigung hat das Landgericht sich mit der Motivlage des Angeklagten auseinandergesetzt. Es hat nämlich festgestellt , dass er sich aus falsch verstandener Loyalität dem Vorstand G. untergeordnet hat.
36
Ebenso wenig ist die für die rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung angesetzte Kompensation von 20 Tagessätzen zu beanstanden. Bei der vom Landgericht rechtsfehlerfrei festgestellten Verfahrensverzögerung von zehn Monaten war dieser Abschlag ausreichend, jedenfalls nicht rechtsfehlerhaft.
37
Das Landgericht war aus Rechtsgründen auch nicht gehalten, dem Angeklagten eine Strafrahmenverschiebung nach § 13 Abs. 2 StGB i.V.m. § 49 Abs. 1 StGB zu gewähren. Die hierfür gegebene Begründung, dass er über Monate hinweg Gelegenheit gehabt hätte, den Kalkulationsfehler aufzudecken , ist tragfähig. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Angeklagte in der Aufsichtsratssitzung anwesend war und das Protokoll führte , in der die unzutreffend berechneten Tarife vorgestellt wurden.
38
Die von der Revision vermisste Auseinandersetzung mit einer zusätzlichen fakultativen Strafrahmenverschiebung nach § 17 Satz 2 StGB i.V.m. § 49 Abs. 1 StGB war im vorliegenden Fall schon deshalb nicht erforderlich, weil sich der Angeklagte in keinem Verbotsirrtum befand. Es kommt nicht darauf an, dass der Angeklagte um die Strafbarkeit seines Verhaltens als Betrug wusste. Ein Verbotsirrtum ist bereits dann ausgeschlossen, wenn der Angeklagte die Rechtswidrigkeit seines Handelns (hier: seines Unterlassens) kennt (BGHSt 42, 123, 130; 52, 182, 190 f.; 52, 307, 313; BGHR StGB § 11 Amtsträger 14). Dem Angeklagten war nach den Urteilsgründen nämlich klar, dass die Berechnung der Tarife unter Verstoß gegen das Berliner Straßen- reinigungsgesetz erfolgte und er schon aufgrund seines Dienstverhältnisses verpflichtet war, seinen unmittelbaren Dienstvorgesetzten, den Vorstandsvorsitzenden , zu unterrichten.
39
Der vom Landgericht festgesetzte Tagessatz in Höhe von 75 Euro ist rechtsfehlerfrei bestimmt (vgl. dazu eingehend Häger in LK, 12. Aufl. § 40 Rdn. 54 ff.; ferner BGH wistra 2008, 19).
Basdorf Raum Brause Schneider Dölp

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 252/08
vom
13. November 2008
in der Strafsache
gegen
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
BGHR: ja
Zur Abgrenzung der Verantwortlichkeiten für einen Gebäudeeinsturz bei arbeitsteiliger
Erledigung der Bauleistungen durch verschiedene Gewerke.
BGH, Urteil vom 13. November 2008 – 4 StR 252/08 – LG Schwerin
1.
2.
wegen Verdachts der fahrlässigen Tötung
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 13. November
2008, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Tepperwien,
Richter am Bundesgerichtshof
Maatz,
Prof. Dr. Kuckein,
Richterin am Bundesgerichtshof
Solin-Stojanović,
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Mutzbauer
als beisitzende Richter,
Bundesanwältin
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger für den Angeklagten W. ,
Rechtsanwalt
als Verteidiger für den Angeklagten C. ,
Rechtsanwalt
als Vertreter des Nebenklägers K. -P. B. ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
I. Die Revisionen des Nebenklägers K. -P. B. gegen das Urteil des Landgerichts Schwerin vom 2. Juli 2007 werden verworfen.
II. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seiner Rechtsmittel und die dadurch den Angeklagten W. und C. entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat die Angeklagten W. und C. vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung und der fahrlässigen Körperverletzung aus tatsächlichen und rechtlichen Gründen freigesprochen. Hiergegen wendet sich der Nebenkläger K. -P. B. , Vater des bei dem verfahrensgegenständlichen Bauunglück vom 13. August 2004 ums Leben gekommenen U. B. , mit seinen auf die Sachrüge gestützten Revisionen. Diese Rechtsmittel haben keinen Erfolg.

I.


2
Das angefochtene Urteil betrifft ein Bauunglück vom 13. August 2004 in der Stadt G. (Landkreis P. ), bei dem fünf auf dem Bau tätige Arbeiter zu Tode kamen und fünf weitere Personen, darunter der Angeklagte C. , verletzt wurden, drei davon schwer.
3
Das Landgericht hat dazu folgende Feststellungen getroffen:
4
Gegenstand des von der Stadt G. als Bauherrin betriebenen Bauvorhabens war die Sanierung einer städtischen Schule, wobei u.a. im Erdgeschoss des Südostflügels auf der Fläche der bisher getrennten Räume R 123 und R 124 ein größerer Musikraum entstehen sollte. Dazu war der Abbruch der tragenden, 7,22 m langen und 3 m hohen Querwand zwischen den beiden Räumen sowie der Einbau einer Stahlkonstruktion geplant.
5
Den nach öffentlicher Ausschreibung erteilten Zuschlag für die Bauhauptleistungen erhielt als Unternehmer im Sinne der Landesbauordnung Mecklenburg -Vorpommern (LBauO M-V) der vom Landgericht in diesem Verfahren nach Verwerfung seiner Revision durch den Senat inzwischen rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe verurteilte frühere Mitangeklagte T. , der als Bauunternehmer eine Einzelfirma betrieb. Zum Leistungsumfang gehörten gemäß dem dem Vertrag zu Grunde liegenden Leistungsverzeichnis u.a. auch die Stahlbauarbeiten und Betonschneidearbeiten. Die Stahlbauarbeiten umfassten danach u.a. für die sog. Montageunterstützung "das Vorhalten, den Einbau und die Beseitigung von 300 Drehsteifen für den Einbau der Stahlträger zur Abfangung der Geschossdecken". Zu den Betonschneidearbeiten gehörten nach dem Leistungsverzeichnis auch das abschnittweise Abbrechen einer Wand aus bewehrtem Beton. Die Durchführung dieser Betonschneidearbeiten einschließlich des Abbruchs und der Entsorgung der tragenden Wand übertrug T. im Rahmen eines Subunternehmervertrages auf die Firma H. Betonbohr- und Sägetechnik, für die als Niederlassungsleiter der Angeklagte W. und als deren Arbeiter der Angeklagte C. vor Ort an der Baustelle tätig waren. Zum Leistungsumfang der Firma H. zählten danach aber nicht die notwendigen Absteifungsarbeiten; diese waren nach dem Leistungsverzeichnis vielmehr ausdrücklich im Titel "Stahlbauarbeiten" enthalten.
6
Nach der vom Bauplanungsbüro L. im Auftrag der Stadt G. erstellten statischen Berechnung für den Umbau war eine Grundabsteifung mit insgesamt 336 Stützen - davon 98 Stützen im Erdgeschoss bei einem Stützenabstand von 0,15 m - mit einer zulässigen Tragfähigkeit von jeweils 20 kN vorgesehen. Der Angeklagte C. informierte seinen Vorgesetzten, den Angeklagten W. , dass der vorgesehene Stützenabstand von 0,15 m ein Arbeiten mit der für die Betonschneidearbeiten verwendeten Wandsäge unmöglich mache. Nachdem der Angeklagte W. vergeblich versucht hatte, daraufhin T. zu erreichen und auf das Problem anzusprechen, wandte sich der Angeklagte C. auf Bitten des Angeklagten W. an T. , der darauf erwiderte, er werde bei dem Statiker nachfragen und klären, wie vorgegangen werden könne. Tatsächlich fragte T. bei dem Statiker aber nicht nach. Auf eine gelegentliche Nachfrage des Bauleiters G. äußerte sich T. jedoch dahin, dass die Hinzuziehung eines Statikers nicht erforderlich sei, da er mit den Festlegungen der Statik „klarkomme“, es sei alles gut beschrieben.
7
T. ließ am 4. und 5. August 2004 zwei seiner Arbeiter die Grundabsteifung durch Aufstellen der vor Ort vorhandenen Drehsteifen in der Weise vornehmen, dass im Erdgeschoss anstelle der in der statischen Berechnung vorgesehenen 98 Stützen beidseitig der tragenden Wand nur 29 Drehsteifen aufgestellt wurden, von denen auch nur eine einzige eine Tragfähigkeit in der vorgesehenen Größenordnung von 20 kN hatte, während die Tragfähigkeit der übrigen Steifen geringer war und überwiegend bei lediglich 16,5 kN lag. Insgesamt wurden von den in allen Geschossen laut statischer Berechnung vorgesehenen 336 Steifen in dem Gebäudeteil lediglich 98 Steifen aufgestellt. Die Abstützung der Decke in den zurückgebauten Abschnitten nahmen die Mitarbeiter von T. durch drei oder vier Drehsteifen anstelle der vom Statiker geforder- ten Kantholzsteifen 20/20 und durch ein 2,40 m langes Kantholz 15/25 anstelle eines Stahlunterzuges vor.
8
Vom 6. bis zum 12. August 2004 erledigte der Angeklagte C. den Rückbau der Abschnitte I, II und III der Wand. Am Morgen des 13. August 2004 teilte er T. mit, dass er noch an diesem Tage mit dem Herausschneiden des Teilstücks Abschnitt IV beginnen werde. Dabei sah T. , dass der Abschnitt III noch "abgesteift" werden musste, und wies seine Arbeiter an, dies zu erledigen, was unter Mithilfe des Angeklagten C. geschah. Erst danach nahm der Angeklagte C. den Abbruch des ca. 1,20 m breiten Abschnitts IV vor. Als er von der verbliebenen Wandverbindung ca. 30 cm abgestemmt hatte, hörte er erste Knackgeräusche. Unmittelbar danach kam es zum Einsturz des gesamten Mittelteils des Südostflügels des Schulgebäudes mit den bereits erwähnten schwer wiegenden Folgen. Als Ursachen für den Einsturz hat das sachverständig beratene Landgericht in erster Linie die zu geringe Anzahl der Steifen, die unterlassene Verwendung der für die Absteifung vorgegebenen Kantholzsteifen 20/20 und deren Ersatz durch Drehsteifen mit zu geringer Traglast festgestellt.

II.


9
Die Revisionen des Nebenklägers, mit denen er die Freisprüche der Angeklagten W. und C. angreift, bleiben im Ergebnis ohne Erfolg.
10
1. Das Landgericht hat nicht übersehen, dass der Angeklagte C. bei den durch seine Anstellungsfirma durchgeführten Betonschneidearbeiten durch das Herausstemmen des letzten Wandabschnitts den Einsturz des Gebäudes ausgelöst hat. Es hat jedoch eine Garantenstellung des Angeklagten W. , die dessen strafrechtliche Verantwortlichkeit für die aus der Bauausführung entstehenden Gefahren begründen könnte, verneintund gemeint, dass der Angeklagte C. ebenfalls für den Einsturz nicht verantwortlich sei.
11
Hinsichtlich des Angeklagten W. hat das Landgericht die Ansicht vertreten , eine Pflicht, die Absteifung zu überprüfen, habe für ihn weder nach dem Subunternehmervertrag bestanden, nach dem die notwendigen Absteifungen gerade nicht in den Aufgabenbereich Betonschneidearbeiten fielen, noch habe sie sich aus gesetzlichen Vorschriften ergeben. Die Überwachungspflicht nach den berufsgenossenschaftlichen Unfallverhütungsvorschriften richte sich nur an die Personen, denen die Bauleitung obliege. Zu diesem Personenkreis zähle - anders als T. - der Angeklagte W. nicht. Ihm habe auch nicht die Erstellung einer Abbruchanweisung oblegen. Denn es habe sich - wie der Sicherheits - und Gesundheitsschutzkoordinator M. als Zeuge bestätigt habe - um vergleichsweise einfache und begrenzte Arbeiten gehandelt, von denen bei ordnungsgemäßer Absteifung keine weiteren sicherheitstechnisch bedenklichen Auswirkungen zu erwarten gewesen seien. Eine Koordinierungspflicht - so das Landgericht - habe die Firma H. nur insoweit getroffen, als die Betonschneidearbeiten nur nach entsprechender Absteifung hätten vorgenommen werden dürfen. Dieser Verpflichtung sei der Angeklagte W. aber dadurch nachgekommen , dass entsprechend seiner Anweisung der Angeklagte C. die Arbeiter des T. jeweils aufgefordert habe, die Absteifungen vor den weiteren Betonschneidearbeiten vorzunehmen.
12
Hinsichtlich des Angeklagten C. hat das Landgericht ausgeführt, der Angeklagte habe nicht erkannt und auch nicht erkennen müssen, dass die Absteifung gegenüber der statischen Berechnung unzureichend war. Ihn habe auch keine Verpflichtung getroffen nachzuprüfen, ob die Erfordernisse der Sta- tik hinreichend beachtet worden seien. Ebenso sei ihm nicht vorzuwerfen, dass er nicht realisiert habe, dass vor dem Abbruch des Abschnitts IV ein Unterzug aus Stahl hätte eingebaut werden müssen.
13
2. Diese Begründung der Freisprüche der Angeklagten W. und C. vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung ist nicht frei von rechtlichen Bedenken. Gleichwohl haben die Freisprüche im Ergebnis Bestand.
14
a) Zu Unrecht hat das Landgericht eine Verantwortlichkeit dieser Angeklagten für das Einsturzgeschehen schon aus Rechtsgründen verneint.
15
aa) Zur Pflichtenstellung der Angeklagten W. und C. geht der Senat von Folgendem aus:
16
Nach anerkannten Rechtsgrundsätzen hat jeder, der Gefahrenquellen schafft oder unterhält, die nach Lage der Verhältnisse erforderlichen Vorkehrungen zum Schutz anderer Personen zu treffen (st. Rspr.; BGHZ 103, 338, 340; BGHR BGB § 823 Abs. 1 Verkehrssicherungspflicht 18). Diese Sicherungspflicht wird indes nicht bereits durch jede bloß theoretische Möglichkeit einer Gefährdung ausgelöst; da eine absolute Sicherung gegen Gefahren und Schäden nicht erreichbar ist und auch die berechtigten Verkehrserwartungen nicht auf einen solchen absoluten Schutz ausgerichtet sind, beschränkt sich die Verkehrssicherungspflicht auf das Ergreifen solcher Maßnahmen, die nach den Gesamtumständen zumutbar sind und die ein verständiger und umsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um Andere vor Schäden zu bewahren. Haftungsbegründend wirkt demgemäß die Nichtabwendung einer Gefahr erst dann, wenn sich vorausschauend für ein sachkundiges Urteil die nahe liegende Möglichkeit ergibt, dass Rechtsgüter anderer Personen verletzt wer- den können (st. Rspr.; vgl. BGHR BGB § 823 Abs. 1 Verkehrssicherungspflicht 31). Diese in der zivilrechtlichen Rechtsprechung entwickelten Grundsätze sind maßgebend auch für die Bestimmung der strafrechtlichen Anforderungen an die im Einzelfall gebotene Sorgfaltspflicht. Ausgangspunkt dafür ist jeweils das Maß der Gefahr mit der Folge, dass die Sorgfaltsanforderungen umso höher sind, je größer bei erkennbarer Gefährlichkeit einer Handlung die Schadenswahrscheinlichkeit und Schadensintensität sind (zur Abhängigkeit zwischen dem Maß der Gefahr und der Sorgfaltspflicht BGHSt 37, 184, 187; 47, 224, 230 f.; Landau, Das strafrechtliche Risiko der am Bau Beteiligten, wistra 1999, 47, 49).
17
bb) Ausgehend von diesen Grundsätzen hat die Strafkammer ihre Prüfung verkürzt, indem sie letztlich dem früheren Mitangeklagten T. die alleinige Verantwortung zugewiesen hat. Richtig ist, dass in erster Linie T. die Verantwortung für die Bauausführung trug und deshalb auch strafrechtlich für die Sicherung der von dem Abbruch der tragenden Wand im Erdgeschoß ausgehenden Gefahren haftete (vgl. BGHSt 19, 286, 288). Dieser Pflichtenstellung des T. im Verhältnis zu den Angeklagten W. und C. entsprach auch die Aufgabenverteilung nach dem von T. mit der Firma H. geschlossenen Subunternehmervertrag und dem diesem Vertrag zu Grunde liegenden Leistungsverzeichnis, demzufolge die Durchführung der Sicherung des Wandabbruchs durch die Absteifung in den Aufgabenbereich von T. als Bauunternehmer fiel. Dieser Umstand entließ indes die Firma H. und damit auch deren an dem Bau tätigen Mitarbeiter, die Angeklagten W. und C. , nicht von vornherein aus der Haftung. Denn die Firma H. war zuständig für den Abbruch und deshalb verpflichtet, Dritte vor den durch den Abbruch drohenden Gefahren zu schützen und die hierzu erforderlichen Vorkehrungen zu treffen (BGH (Z) VersR 1966, 165, 166). Diese Pflicht bestand grundsätzlich nicht nur gegenüber Außenstehenden, etwa befugten Besuchern der Baustelle, sondern auch gegenüber den an dem Bau tätigen Arbeitnehmern , die hier durch den Einsturz zu Schaden gekommen sind (vgl. BGH (Z) NJW 1971, 752, 753; OLG Naumburg (Str) NStZ-RR 1996, 229; Palandt-Sprau BGB 67. Aufl. § 823 Rdn. 191 m.N.).
18
cc) Blieb aber danach neben T. die Firma H. - wenn auch sekundär - verkehrssicherungspflichtig, so traf dies grundsätzlich auch für ihre Arbeitnehmer, die Angeklagten W. und C. zu, soweit diese - wie hier - den gefahrenträchtigen Abbruch der tragenden Wand zumindest weitgehend in eigener Verantwortung durchführten (vgl. OLG Stuttgart, Urt. vom 12. März 1999 – 2 U 74/98, Rdn. 61 m.w.N. [zit. nach juris]; anders u.U. für unselbständige weisungsgebundene Arbeitnehmer BGH (Z) BB 1954, 273 f; OLG Düsseldorf (Z) NJW-RR 1993, 1309; Palandt-Sprau aaO § 823 Rdn. 49, 191). Denn nach den in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen sind mehrere Personen (oder Firmen), die an einer gefahrenträchtigen Baumaßnahme beteiligt sind, untereinander verpflichtet, sich in zumutbarer Weise gegenseitig zu informieren und abzustimmen, um vermeidbare Risiken für Dritte auszuschalten. Insbesondere dann, wenn erkennbar Sicherungsmaßnahmen erforderlich sind, die vor Beginn der eigentlichen gefahrträchtigen Handlung durchgeführt werden müssen, muss sich der für die Gefahrenquelle Verantwortliche im Rahmen des ihm Zumutbaren vergewissern, dass der für die notwendige Sicherung Verantwortliche seine Aufgabe erfüllt hat, und darf nicht blindlings darauf vertrauen, dass dies auch zutrifft. Im vorliegenden Fall ergab sich dieses Zusammenwirken von Abbruchaufgabe (Firma H. ) und Sicherungsaufgabe (Bauunternehmen T. ) schon kraft Natur der Sache. Dabei waren die Sorgfaltspflichten nicht etwa auf die jeweils vertraglich geschuldeten Leistungen beschränkt, wovon das Landgericht ersichtlich ausgegangen ist. Denn für die Begründung von Sorgfaltspflichten genügt regelmäßig bereits die tatsächliche Übernahme eines entsprechenden Pflichtenkreises (vgl. BGHSt 47, 224, 229; Kühl, Anm. zu BGH NJW 2008, 1897, 1899; Fischer StGB 55. Aufl. § 222 Rdn. 12). Das war hier für die Firma H. schon deshalb der Fall, weil die besondere Gefahrenquelle eben in dem Abbruch der tragenden Wand lag.
19
b) Ihrer hiernach bestehenden – sekundären – Sicherungspflicht sind die Angeklagten W. und C. jedoch hinreichend nachgekommen.
20
Nachdem der Angeklagte C. auf Veranlassung des Angeklagten W. den Bauunternehmer T. darauf hingewiesen hatte, dass bezüglich der ursprünglich in der Statik vorgesehenen Stabilisierung der Decken durch die seitlichen Stützen eine Veränderung vorgenommen werden müsse, um die Wandsäge einsetzen zu können, hatte T. zugesagt, dies zu veranlassen und sich mit dem Statiker in Verbindung zu setzen. Auch wenn die Verringerung der Anzahl der Stützen gegenüber der ursprünglichen Planung erheblich war, erforderte die – sekundäre – Verkehrssicherungspflicht der Angeklagten nicht eine nochmalige Nachfrage, ob der Statiker die Änderungen auch tatsächlich gebilligt habe. Dies wäre nur dann erforderlich gewesen, wenn die mangelnde Eignung der angebrachten Abstützung und die dadurch bedingte besondere Gefahrenlage für die Angeklagten offensichtlich gewesen wäre. Gerade das hat das Landgericht aber nicht festgestellt. Vielmehr hat es in Übereinstimmung mit dem Bausachverständigen angenommen, dass ungeachtet der gegenüber der statischen Berechnung deutlich vergrößerten Stützenabstände jedenfalls für die Angeklagten nicht ohne Weiteres erkennbar war, dass die Absteifung unzureichend war. Dem entspricht, dass weder der Bauleiter G. noch der Sicherheitskoordinator M. auf die Einhaltung der ursprünglich vorgesehenen Stützenabstände gedrungen hatten, obwohl der Bauleiter in einer Besprechung auf der Baustelle noch am Tag vor dem Unglück, an der T. teilnahm, die Abstüt- zung der Decke erörtert hatte. Dass die Angeklagten W. und C. besondere Fachkenntnisse besaßen, die sie befähigt hätten, die Mangelhaftigkeit der von T. vorgegebenen Abstützung zu erkennen, hat das Landgericht nicht festgestellt und ergibt sich auch nicht allein auf Grund ihrer Erfahrungen auf dem Gebiet von Abbrucharbeiten. Auch mussten sie nicht von einer besonderen Unzuverlässigkeit oder Risikobereitschaft des T. ausgehen (zur Beschränkung der Sorgfaltspflichten durch den Vertrauensgrundsatz bei horizontaler Aufteilung einzelner Verantwortungsbereiche im Rahmen eines einheitlichen Arbeitsvorgangs vgl. BGH (Z) NJW 1999, 1779, 1780 [zum Zusammenwirken mehrerer Ärzte bei einer Operation]; Fischer aaO § 222 Rdn. 10, 14 m.w.N.). Dass die Angeklagten sich vielmehr ihrer Verantwortung für die Sicherheit des Bauwerks bewusst waren, wird daran deutlich, dass der Angeklagte C. noch am Morgen des Unfalltages gegenüber T. den Abbruch des Teilstücks IV der Wand ankündigte und mit der Fortsetzung seiner Tätigkeit aus Sicherheitsgründen zuwartete, bis der Unterzug hinsichtlich des Teilstücks III angebracht war. Unter diesen Umständen erübrigte sich für die Angeklagten W. und C. , bei T. noch einmal ausdrücklich nachzufragen, ob statischerseits Bedenken gegen die Fortsetzung der Abbrucharbeiten bestehen.
21
Fällt mithin den Angeklagten W. und C. ein strafrechtlich relevantes Versäumnis nicht zur Last, hat es bei den Freisprüchen des angefochtenen Urteils sein Bewenden.
Tepperwien Maatz Kuckein
Solin-Stojanović Mutzbauer

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 295/11
vom
21. Dezember 2011
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags durch Unterlassen
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 21. Dezember
2011, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Fischer
als Vorsitzender
und die Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Schmitt,
Dr. Berger,
Dr. Eschelbach
und die Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Ott,
Bundesanwältin
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Trier vom 17. Februar 2011 wird verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels einschließlich der notwendigen Auslagen der Nebenkläger zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags durch Unterlassen zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Hiergegen richtet sich seine auf die Sachbeschwerde gestützte Revision. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

I.

2
Nach den Feststellungen des Landgerichts war der Angeklagte seit dem Jahre 2006 mit der Geschädigten befreundet. Es entstand eine intime Beziehung , in der sich der Angeklagte dominant zeigte, während ihm die Geschädigte "in Hörigkeit und Liebe" zugetan war. Der Angeklagte war zeitweise aggressiv. Er demütigte die Geschädigte in diesen Phasen durch sexuell motivierte Machtspiele und betrieb "emotionale Erpressung". Die Geschädigte zog sich in ihrer Familie und im Freundeskreis immer mehr zurück. Sie verfolgte aber ihre Ausbildung zielstrebig und nahm zum Wintersemester 2008/2009 ein Studium in Trier auf. Vor diesem Hintergrund erklärten der Angeklagte und die Geschä- digte jeweils, dass sie ihre Beziehung beenden wollten. Der Angeklagte wandte sich einer neuen Freundin zu, mit der er sich verlobte. Er stand aber weiter mit der Geschädigten in Kontakt, rief sie am 7. Juni 2009 nach einem Streit mit seiner Verlobten an und vereinbarte mit ihr, dass beide einige Zeit gemeinsam in Trier verbringen würden, wo die Geschädigte über ein Zimmer in einer Wohngemeinschaft verfügte. Der Angeklagte nahm eine zu mehr als der Hälfte gefüllte Flasche "Cleanmagic" dorthin mit. Dabei handelte es sich um ein Reinigungsmittel mit dem Wirkstoff Gamma-Butyrolacton. Er hatte sich im Internet über die Wirkungsweise informiert und benutzte es sehr vorsichtig in genau dosierten Mengen als Drogenersatz. Er hatte auch der Geschädigten angeboten, ebenfalls dieses Mittel zu konsumieren, was aber nicht erfolgt war. Die Geschädigte wusste von der Gefährlichkeit des Mittels, ohne ebenso eingehend wie der Angeklagte darüber informiert zu sein. Der Angeklagte stellte die Flasche "Cleanmagic" im Zimmer der Geschädigten auf den Wohnzimmertisch. Das Paar verbrachte in den folgenden Tagen die meiste Zeit in diesem Zimmer und war mehrfach täglich miteinander intim. Die Geschädigte, die den Angeklagten als "die Liebe ihres Lebens" bezeichnete, hoffte wieder auf eine gemeinsame Zukunft.
3
Am 12. Juni 2009 erklärte ihr der Angeklagte jedoch, dass er weiter an seiner Verlobung mit einer anderen Frau festhalte. Die Geschädigte war darüber tief enttäuscht. Gegen 23.00 Uhr hörte W. , die in derselben Wohngemeinschaft lebte, laute Geräusche aus dem Zimmer der Geschädigten und erkundigte sich durch die geschlossene Zimmertür, ob alles in Ordnung sei, was die Geschädigte bejahte. Danach, jedenfalls aber vor 23.35 Uhr, nahm die Geschädigte, die nie zuvor Selbsttötungsgedanken geäußert hatte, aus einem spontanen Entschluss heraus die Flasche "Cleanmagic", schüttete vor den Augen des Angeklagten etwa 30 Milliliter des Reinigungsmittels in ein Glas, mischte dies mit einem Getränk und trank die Hälfte der Mischung, darunter 15 bis 25 Milliliter des Reinigungsmittels. Bereits 6 bis 7 Milliliter bewirken bei einer Person von ihrer Statur Bewusstlosigkeit, Verflachung der Atmung und Atemstillstand.
4
Der Angeklagte, der am Computer saß, hatte zuvor die Verzweiflung der Geschädigten bemerkt und wahrgenommen, dass sie aus der Flasche von "Cleanmagic" trank. Er erkannte an der verbleibenden Restmenge die erhebliche Dosis. Er wusste um die schnelle Resorption und die Lebensgefährlichkeit des Mittels für Menschen, die es trinken. Er forderte die Geschädigte auf, sich zu übergeben. Diese erbrach aber erst fünf Minuten nach dem Verschlucken des Reinigungsmittels einen Teil der Flüssigkeit und verfiel in Bewusstlosigkeit. Der Angeklagte suchte im Internet nach Informationen über Gegenmaßnahmen, unterließ es aber, notärztliche Hilfe zu rufen, und nahm dabei den Tod der Geschädigten in Kauf. Er beobachtete lediglich die Situation und recherchierte weiter im Internet. Hätte er unverzüglich einen Notarzt gerufen, so hätte die Geschädigte zumindest innerhalb einer halben Stunde nach Einnahme des Mittels gerettet werden können. Gegen 00.30 Uhr klopfte W. an der Zimmertür , um sich nach der Geschädigten zu erkundigen. Der Angeklagte hatte sich aber dazu entschlossen, keine fremde Hilfe heranzulassen und erklärte, dass sie schlafe. Um 01.55 Uhr beendete er seine Computerrecherchen und verließ die Wohnung. Danach entdeckten W. und deren Freund die leblose Geschädigte und riefen den Notarzt, der sie dann aber nicht mehr retten konnte.
5
Das Landgericht hat angenommen, der Angeklagte sei verpflichtet gewesen , unverzüglich ärztliche Hilfe zu rufen; dem stehe keine Eigenverantwortlichkeit der Geschädigten entgegen. Der Angeklagte habe seine Rettungspflicht mit bedingtem Tötungsvorsatz verletzt und den Tod des Opfers verursacht.

II.

6
Die Revision des Angeklagten ist unbegründet. Er hat sich des Totschlags durch Unterlassen schuldig gemacht (§§ 212 Abs. 1, 13 Abs. 1 StGB).
7
Nach allgemeinen Grundsätzen hat jeder, der Gefahrenquellen schafft, die erforderlichen Vorkehrungen zum Schutz anderer Personen zu treffen (vgl. BGHSt 53, 38, 42). Da eine absolute Sicherung gegen Gefahren nicht erreichbar ist, beschränkt sich die Verkehrssicherungspflicht auf das Ergreifen solcher Maßnahmen, die nach den Gesamtumständen zumutbar sind und die ein umsichtiger Mensch für notwendig hält, um Andere vor Schäden zu bewahren. Strafbar ist die Nichtabwendung einer Gefahr aus der vom Garanten eröffneten Gefahrenquelle dann, wenn eine nahe liegende Möglichkeit begründet wurde, dass Rechtsgüter anderer Personen verletzt werden können. Der Angeklagte hatte durch Abstellen der Flasche mit dem gefährlichen Mittel auf dem Wohnzimmertisch im Zimmer der Geschädigten eine erhebliche Gefahrenquelle geschaffen. Er hatte der Geschädigten früher den Konsum angeboten, weshalb auch die Möglichkeit bestand, dass sie davon trinken würde. Eine Handlungspflicht für den Angeklagten wurde in dem Augenblick begründet, in dem er wahrnahm, dass die Geschädigte tatsächlich davon trank. Da er nach den Feststellungen genau um die rasche Wirkung und die besondere Gefährlichkeit der Einnahme des Mittels durch Menschen wusste und erkannte, dass die Geschädigte eine erhebliche Menge des Mittels getrunken hatte, hätte er nachdem er bemerkt hatte, dass sie die Flüssigkeit nicht sogleich erbrach, unverzüglich den Notarzt rufen müssen. Diese Pflicht hat er schuldhaft nicht erfüllt. Das Unterlassen ist nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Landgerichts für den Tod der Geschädigten im Sinne einer hypothetischen Rettung bei unverzüglichem Herbeirufen des Notarztes ursächlich geworden.
8
Eine eigenverantwortlich versuchte Selbsttötung der Geschädigten lag nicht vor. Fehlt es an einer ernst gemeinten und freiverantwortlichen Entscheidung des Opfers sich zu töten, dann ist das Nichtverhindern des Todes durch einen Garanten als Totschlag durch Unterlassen zu beurteilen (vgl. Wessels/ Hettinger, Strafrecht Besonderer Teil, Bd. 1, 34. Aufl. 2010, Rn. 54). Das Landgericht hat rechtsfehlerfrei angenommen, dem spontanen Trinken des Reinigungsmittels habe kein ernstlicher Selbsttötungsentschluss zu Grunde gelegen. Da die Geschädigte in Anwesenheit des Angeklagten von dem Reinigungsmittel trank, ist davon auszugehen, dass sie dies tat, um auf sich aufmerksam zu machen. Es lag kein freiverantwortlicher Selbsttötungsentschluss zugrunde. Dies wird daraus deutlich, dass sie der Aufforderung des Angeklagten, sich zu erbrechen , Folge leistete.
Fischer Schmitt Berger Eschelbach Ott

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 354/16
vom
22. November 2016
BGHSt: ja
BGHR: ja
Nachschlagewerk: ja
Veröffentlichung: ja
_____________________________
Bei einer Körperverletzung durch Unterlassen mit Todesfolge ist der erforderliche
spezifische Gefahrzusammenhang regelmäßig – soweit nicht allgemeine Gründe für
einen Ausschluss der Zurechenbarkeit der schweren Folge eingreifen – gegeben,
wenn der Garant in einer ihm vorwerfbaren Weise den lebensgefährlichen Zustand
herbeigeführt hat, aufgrund dessen der Tod der zu schützenden Person eintritt.
BGH, Urteil vom 22. November 2016 – 1 StR 354/16 – LG Bamberg
ECLI:DE:BGH:2016:221116U1STR354.16.0

in der Strafsache gegen

wegen Mordes und versuchten Mordes
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 22. November 2016, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Graf als Vorsitzender,
die Richterin am Bundesgerichtshof Cirener, die Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Radtke, Prof. Dr. Mosbacher und die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Fischer,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt als Verteidiger,
Rechtsanwalt als Nebenklägervertreter,
Justizangestellte – in der Verhandlung –, Justizobersekretärin – bei der Verkündung – als Urkundsbeamtinnen der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Bamberg vom 10. Dezember 2015 mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtmittels, an eine andere als Schwurgerichtskammer zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen fahrlässiger Tötung in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt sowie seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Gegen dieses Urteil wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten, vor allem gegen die Beweiswürdigung des Tatgerichts gerichteten Revision.

I.


2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts traf der an einer Abhängigkeit von Opiaten, Benzodiazepinen, Amphetaminen und Gammabutyrolacton (letzteres nachfolgend: GBL) leidende Angeklagte in der Tatnacht in einem Bamberger „Club“ auf eine Gruppe, zu der auch die später Geschädigten G. und B. gehörten. G. lud die Gruppe und den Angeklagten dazu ein, in der Wohngemeinschaft des Geschädigten G. weiter zu feiern. Unmittelbar nach Eintreffen dort konsumierte der Angeklagte auf der Toilette GBL in einer Dosis von etwa 2 bis 2,5 ml. Die Konsummenge entnahm er mittels einer Spritze einer ½-Liter PET-Flasche, die mit unverdünntem und hochkonzentriertem GBL gefüllt war. Diese Flasche führte er in seiner Hosentasche mit sich.
3
Im Wohnzimmer stellte der Angeklagte die Flasche auf dem Boden neben seinen Füßen ab. Zumindest gegenüber einigen der in der Wohnung Anwesenden äußerte er, dass sich in der Flasche GBL befinde und dieses nur in ganz kleinen Konsumeinheiten eingenommen werden dürfe. Zwischen 4.45 Uhr und 5.00 Uhr nahm der zu diesem Zeitpunkt stark alkoholisierte später verstorbene G. die PET-Flasche des Angeklagten an sich und trank daraus eine nicht näher bekannte Menge GBL. Anschließend reichte er die Flasche an den ebenfalls erheblich unter Alkoholeinfluss stehenden ZeugenB. weiter. Dieser trank wenige Schlucke des GBL. Beiden war bewusst, dass sich GBL in der Flasche befand. Sie gingen jedoch jeweils von einer konsumfähigen, keine Lebensgefahr hervorrufenden Dosierung aus. Der Angeklagte hatte die Einnahme des GBL durch den Zeugen B. gesehen.Über den Konsum seitens des später verstorbenen Geschädigten G. unterrichteten ihn andere in der Wohnung Anwesende.
4
B. und G. hielten sich noch kurze Zeit im Wohnzimmer auf. Aufgrund der Wirkungen des GBL wurden sie jedoch müde und gingen in das Schlafzimmer von G. , wo sie alsbald einschliefen. In der Folgezeit begab sich der Angeklagte wie andere in der Wohnung befindliche Personen auch in das Schlafzimmer, um nach beiden zu sehen. Dabei hatten diese Personen nicht den Eindruck, die schlafenden B. und G. befänden sich in Lebensgefahr. Während seines Aufenthalts im Schlafzimmer erhielt der Angeklagte keine Informationen, die auf eine Verschlechterung des Zustands der beiden hätten hindeuten können. Im weiteren Verlauf des Geschehens wurden die beiden Geschädigten von den Zeugen Bu. undGr. auf dem Bett jeweils in eine stabile Seitenlage gebracht und beobachtet.
5
Einige Zeit später kehrte der Zeuge W. , ein weiteres Mitglied der Wohngemeinschaft, in die Wohnung zurück. Gemeinsam mit dem Angeklagten begab er sich in das Schlafzimmer des Geschädigten G. . Dort wurde der Zeuge über den GBL-Konsum der beiden unterrichtet. Der Zeuge W. erkannte keine gefährliche Situation für die Geschädigten. Veranlassung, Rettungskräfte zu verständigen, sah er daher nicht. Vielmehr ging er davon aus, dass die Zeugen Bu. und Gr. , den er – ebenso wie der Angeklagte – fälschlich für einen Sanitäter hielt, sich weiter um die Geschädigten kümmerten. Der Zeuge W. forderte die noch anwesenden Gäste auf, die Wohnung zu verlassen. Nachdem der Angeklagte noch einmal mit W. gesprochen hatte, kam er dessen Verlangen nach und verließ die Wohnung.
6
Als der Zeuge W. erneut in das Schlafzimmer des Geschädigten G. kam, sah W. , dass dessen Gesundheitszustand sich erheblich verschlechtert hatte und der Geschädigte sich in lebensbedrohlichem Zustand befand. Der Zeuge setzte einen Notruf ab. Beide Geschädigten wurden in ein Krankenhaus eingeliefert. Der Geschädigte G. war vor dem Transport dorthin durch einen Notarzt reanimiert worden. G. verstarb vier Tage später infolge des durch das GBL verursachten Atemstillstands und einer dadurch hervorgerufenen hypoxischen Hirnschädigung. Der Zeuge B. wurde zwischenzeitlich maschinell beatmet und konnte bereits an dem auf die Tat folgenden Tag ohne überdauernde gesundheitliche Beeinträchtigungen aus stationärer Behandlung entlassen werden.
7
2. Das Landgericht hat das Geschehen als durch den Angeklagten im Zustand erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit begangene fahrlässige Tötung (§ 222 StGB) zum Nachteil des getöteten G. in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung (§ 229 StGB) zu Lasten des Zeugen B. gewertet. Die Überzeugung vom Vorliegen eines bedingten Tötungsvorsatzes bei dem Angeklagten hat es sich weder bezogen auf den Zeitpunkt des Abstellens der Flasche mit dem GBL auf dem Fußboden des Wohnzimmers noch für den der Wahrnehmung des Konsums durch B. und G. oder auf einen späteren Zeitpunkt, etwa dem der Kenntnis des Angeklagten davon, dass die Geschädigten schlafend auf dem Bett lagen, zu bilden vermocht (UA S. 28). Insbesondere ergaben sich nach der Wertung des Landgerichts keine Umstände , aus denen ausreichend tragfähig darauf hätte geschlossen werden können, dass der Angeklagte den Tod der beiden Geschädigten bzw. eines von ihnen billigend in Kauf genommen hatte (UA S. 29 ff.).

II.


8
Die vom Generalbundesanwalt teilweise vertretene Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.
9
Die Erwägungen, mit denen das Landgericht eine Verurteilung des Angeklagten wegen Körperverletzung mit Todesfolge (§ 227 StGB) zum Nachteil des verstorbenen G. abgelehnt hat, weisen durchgreifende Rechtsfehler auf. Insbesondere ist vom Landgericht nicht erkennbar in den Blick genommen worden, dass nach den getroffenen Feststellungen als Grunddelikt der Erfolgsqualifikation des § 227 StGB eine Körperverletzung durch Unterlassen (§ 223 Abs. 1, § 13 Abs. 1 StGB) in Betracht kam. In Bezug auf Straftaten zum Nachteil des geschädigten Zeugen B. ist das Landgericht seiner Kognitionspflicht nicht in vollem Umfang nachgekommen, weil es die angeklagte Tat ausschließlich als durch positives Tun begangene fahrlässige Körperverletzung gemäß § 229 StGB, nicht aber unter dem Aspekt einer durch Unterlassen verwirklichten vorsätzlichen Körperverletzung gewürdigt hat.
10
1. Das Tatgericht hat eine Verurteilung wegen Körperverletzung mit Todesfolge gemäß § 227 Abs. 1 StGB zu Lasten des Geschädigten G. mit der Begründung verneint, es habe sich nicht von der Begehung einer vorsätzlichen Körperverletzung durch den Angeklagten überzeugen können (UA S. 34). Dies hält revisionsrechtlicher Überprüfung in mehrfacher Hinsicht nicht stand.
11
a) Ausdrückliche beweiswürdigende Erwägungen zu den Gründen, aufgrund derer das Landgericht eine solche Überzeugung nicht hat gewinnen können , enthält das angefochtene Urteil nicht. Aus dessen Gesamtzusammenhang lassen sich für das Revisionsgericht nachvollziehbar dargelegte Gründe dafür allenfalls insoweit entnehmen, als Körperverletzungsvorsatz für den Zeitpunkt bzw. Zeitraum vor dem Konsum des GBL durch die Geschädigten verneint wird. Nach den getroffenen Feststellungen und der zugrundeliegenden Beweiswürdigung hätte der Angeklagte zwar bei dem Abstellen der Flasche mit dem GBL im Wohnzimmer angesichts des Zustands der übrigen Gäste in der Wohnung damit rechnen müssen, dass die Kenntnis vom Vorhandensein des Stoffs „Neu- gierde und Begehrlichkeiten“ bei diesen wecken würde (UA S. 7). DasTatge- richt hat aber gerade nicht feststellen können, dass der Angeklagte bezogen auf das Abstellen der Flasche und die Mitteilung über ihren Inhalt, die Möglichkeit eines Konsums durch in der Wohnung Anwesende und dadurch bewirkter gesundheitlicher Beeinträchtigungen konkret erkannt hat. Diese Wertung wird durch die übrigen Feststellungen und die Beweiswürdigung insgesamt auch ohne nähere Ausführungen getragen.
12
b) Die tatrichterliche Beweiswürdigung lässt aber nicht erkennen, aus welchen Gründen es an einem jedenfalls auf das Merkmal der Gesundheitsschädigung i.S.v. § 223 Abs. 1 StGB bezogenen Vorsatz des Angeklagten für den Zeitraum nach dem von diesem beobachteten (bzgl. des geschädigten Zeugen B. ) bzw. ihm bekannt gewordenen (bzgl. des Geschädigten G. ) Konsum von GBL durch die Geschädigten fehlen soll. Das Landgericht hat – anders als bzgl. seiner Ausführungen zu einem durch Unterlassen (§ 13 Abs. 1 StGB) verwirklichten Totschlag (§ 212 StGB) oder Mord (§ 211 StGB) zum Nachteil von G. – die Möglichkeit einer Strafbarkeit wegen Körperverletzung durch Unterlassen zu Lasten beider Geschädigter aufgrund des Verhaltens des Angeklagten nach Kenntnis der durch Trinken aus der Flasche erfolgten Aufnahme von GBL nicht erkennbar in Betracht gezogen. Es fehlt dementsprechend an einer Beweiswürdigung, die die Wertung des Landgerichts stützen könnte, vom Vorliegen eines Körperverletzungsvorsatzes nicht überzeugt zu sein. Einer solchen Beweiswürdigung hätte es aber bedurft. Nach den im Übrigen getroffenen Feststellungen kam eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen Körperverletzung durch Unterlassen (§ 223 Abs. 1, § 13 Abs. 1 StGB) zu Lasten beider Geschädigter in Betracht.
13
aa) Vorsätzliche Körperverletzung gemäß § 223 Abs. 1 StGB kann durch einen Garanten verwirklicht werden, wenn er den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges trotz vorhandener Möglichkeit dazu pflichtwidrig nicht abwendet. Ein von § 223 Abs. 1 StGB erfasster Erfolg in Gestalt der Gesundheitsschädigung kann auch darin liegen, dass bei einem behandlungsbedürftigen Zustand einer Person die gebotene ärztliche Versorgung nicht bewirkt wird (vgl. BGH, Urteil vom 20. Juli 1995 – 4 StR 129/95, NStZ 1995, 589 mwN; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 10. Januar 1989 – 2 Ss 302/88, NStZ 1989, 269 f.; BeckOKStGB /Eschelbach, 32. Edition, § 223 Rn. 30 mwN; siehe auch BGH, Urteil vom 23. Oktober 2007 – 1 StR 238/07 [insoweit in NStZ 2008, 150 f. nicht abgedruckt ]).
14
(1) Eine solche Situation war auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen gegeben, nachdem die Geschädigten unverdünntes GBL in nicht genau bekannter Menge direkt aus der Flasche des Angeklagten getrunken hatten. Wie sich aus dem angefochtenen Urteil ergibt, bewirkt GBL im Verlaufe der Zeit eine Atemdepression und im Weiteren eine Unterversorgung des Gehirns mit Sauerstoff, wenn nicht rechtzeitig – wie beim geschädigten Zeugen B. – eine künstliche Beatmung erfolgt. Unterbleibt die gebotene ärztliche Behandlung , erweist sich die Verschlechterung des durch die Wirkung des GBL ohnehin hervorgerufenen pathologischen Zustands als Gesundheitsschädigung i.S.v. § 223 Abs. 1 StGB. Diese hätte durch das Herbeirufen ärztlicher Hilfe abgewendet werden können.
15
(2) Für die Abwendung dieses Erfolges der Körperverletzung hatte der Angeklagte gemäß § 13 Abs. 1 StGB auch rechtlich einzustehen. Dies resultiert aus seiner tatsächlichen Herrschaft über die von ihm in die Wohnung mitgebrachte und dort für andere zugängliche Flasche mit dem hochgradig gesundheits - und lebensgefährlichen GBL (BGH, Beschluss vom 5. August 2015 – 1 StR 328/15, BGHSt 61, 21 Rn. 9).
16
(3) Auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen war seine aus der Herrschaft über die Gefahrenquelle resultierende Pflicht zur Abwendung der vorstehend dargestellten Gesundheitsschädigung auch nicht durch eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung der Geschädigten B. und G. ausgeschlossen. Denn es mangelt bereits an der Eigenverantwortlichkeit der Selbstgefährdung beider. Diese setzt voraus, dass der sich selbst Gefährdende (oder Verletzende) das eingegangene Risiko für das betroffene eigene Rechtsgut jedenfalls in seinem wesentlichen Grad zutreffend erkannt hat (BGH, Beschluss vom 5. August 2015 – 1 StR 328/15, BGHSt 61, 21 Rn. 17; in der Sache ebenso bereits BGH, Urteil vom 28. Januar 2014 – 1 StR 494/13, BGHSt 59, 150, 169 f. Rn. 80), wenn ihm auch nicht sämtliche rechtsgutbezogenen Risiken im Einzelnen bekannt zu sein brauchen (so BGH, Beschluss vom 11. Januar 2011 – 5 StR 491/10, NStZ 2011, 341, 342; siehe zudem BGH, Urteil vom 28. Januar 2014 – 1 StR 494/13, BGHSt 59, 150, 169 f. Rn. 80 f.; BGH, Beschluss vom 5. August 2015 – 1 StR 328/15, BGHSt 61, 21 Rn. 17). Nach den tatgerichtlichen Feststellungen haben beide Geschädigte das Ausmaß des mit dem Trinken des GBL aus der Flasche verbundenen Risikos grundlegend verkannt. Sie gingen nämlich beide von einer Konzentration des Wirkstoffs in einer konsumfähigen Dosis (UA S. 7), d.h. in einer verdünnten Form aus. Angesichts des tatsächlich unverdünnten und hochkonzentrierten GBL war ihnen damit der wesentliche Grad des mit dem Konsum für ihre jeweilige Gesundheit verbundenen Risikos nicht bewusst. Bereits dies schließt die Eigenverantwortlichkeit aus. Zudem standen beide Geschädigte im Zeitpunkt der Einnahme unter nicht unerheblichem Einfluss von Alkohol sowie THC, Amphetamin und (insoweit nur der Geschädigte G. ) Methamphetamin (UA S. 10 f.). Das ist regelmäßig für die Fähigkeit zur Risikoeinschätzung von nicht unerheblicher Bedeutung.
17
bb) Drängte sich daher das Vorliegen des äußeren Tatbestandes von Körperverletzungen durch Unterlassen zum Nachteil beider Geschädigter auf, hätte das Landgericht den jeweils darauf bezogenen, wenigstens bedingten Vorsatz des Angeklagten beweiswürdigend näher erörtern müssen. Daran fehlt es.
18
cc) Beweiswürdigende Darlegungen zum Vorsatz einer Körperverletzung zu Lasten beider Geschädigter durch Unterlassen waren nicht deshalb verzichtbar , weil das Landgericht mit einer für sich genommen rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung einen (wenigstens) bedingten Tötungsvorsatz des Angeklagten hinsichtlich beider Geschädigter für den Zeitraum nach der Einnahme des GBL durch B. und G. ausgeschlossen hat (UA S. 28 ff.). Entgegen der Auffassung der Revision hat das Landgericht zwar, insbesondere aus den Wahrnehmungen der übrigen Gäste in der Wohnung und vor allem des Zeugen W. über den Gesundheitszustand der beiden Geschädigten, den möglichen Schluss gezogen, dass auch der Angeklagte aufgrund der ihm bekannten konkreten Umstände nach dem Konsum nicht von einer konkret lebensbedrohlichen Lage ausgegangen und den Tod beider nicht billigend in Kauf genommen hat (UA S. 29 und 30). Diese Erwägungen schließen jedoch einen (bedingten) Körperverletzungsvorsatz, der auf eine – nicht notwendig lebensbedrohliche – Verschlechterung des Gesundheitszustandes und der Möglichkeit von deren Abwendung gerichtet ist, nicht aus.
19
c) Hinsichtlich des Geschädigten G. kam darüber hinaus auch eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen Körperverletzung durch Unterlassen mit Todesfolge (§ 227 Abs.1, § 13 Abs. 1 StGB) in Betracht.
20
aa) Die Möglichkeit, § 227 StGB durch einen Garanten aufgrund einer Körperverletzung durch Unterlassen zu verwirklichen, ist in der Rechtsprechung (BGH, Urteile vom 30. März 1995 – 4 StR 768/94, BGHSt 41, 113, 118 und vom 20. Juli 1995 – 4 StR 129/95, NStZ 1995, 589 f.; Beschluss vom 20. Juli 2006 – 3 StR 244/06, StraFo 2006, 466 f.; vgl. auch Urteil vom 23. Oktober 2007 – 1 StR 238/07 Rn. 30 [insoweit in NStZ 2008, 150 f. nicht abgedruckt]) und der Strafrechtswissenschaft (siehe nur Ingelfinger GA 1997, 573 ff.; BeckOK-StGB/ Eschelbach aaO § 227 Rn. 3 und 11; Fischer, StGB, 63. Aufl., § 227 Rn. 1 und 6a; Hardtung in Münchener Kommentar zum StGB, Band 1, 3. Aufl., § 18 Rn. 47; Stree/Sternberg-Lieben in Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl., § 227 Rn. 1) anerkannt.
21
bb) Nach den bislang vom Landgericht getroffenen Feststellungen ist eine Strafbarkeit des Angeklagten gemäß § 227 Abs. 1, § 13 Abs. 1 StGB auch nicht aus rechtlichen Gründen ausgeschlossen. Weder die sogenannte Modalitätenäquivalenz (§ 13 Abs. 1 StGB „das Unterlassen der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes durch ein Tun entspricht“) noch der bei erfolgsqualifizierten Delikten erforderliche spezifische Gefahrzusammenhang stünden entgegen.
22
Dabei bedarf es keiner Entscheidung, ob der in dem Urteil des 4. Strafsenats vom 20. Juli 1995 (4 StR 129/95, NStZ 1995, 589 f.) geäußerten Rechtsauffassung, in Fällen, in denen die Körperverletzung durch Unterlassen verwirklicht werde, komme eine Strafbarkeit wegen Körperverletzung mit Todesfolge nur in Betracht, wenn erst durch das Unterbleiben der gebotenen Handlung eine Todesgefahr geschaffen wird, in dieser Allgemeinheit gefolgt werden könnte (BGH, Beschluss vom 20. Juli 2006 – 3 StR 244/06, StrafFo 2006, 466 f.). Denn der 4. Strafsenat hat in dem genannten Urteil entschieden, von den vorgenannten Voraussetzungen sei „ohne Weiteres in den Fällen auszugehen , in denen erst der Unterlassungstäter den zum Tode führenden Zustand verursacht hat“ (BGH aaO NStZ 1995, 589, 590). Dementsprechend hatte derselbe Senat in einer früheren Entscheidung die Verurteilungen der dortigen Angeklagten wegen Körperverletzung mit Todesfolge in einer Fallgestaltung nicht beanstandet, in der diese ihr Kind unzureichend versorgt und der dadurch hervorgerufene atrophische Zustand die unmittelbare Ursache für den später – bei dem Bemühen, nunmehrdas Kind mit Nahrung zu versorgen – eingetretenen Erstickungstod des Kindes bildete (BGH, Beschluss vom 18. März 1982 – 4 StR 12/82 bei Holtz MDR 1982, 624, zustimmendWolter GA 1984, 443, 446). Soweit in der Strafrechtswissenschaft das Urteil des 4. Strafsenats vom 20. Juli 1995 (aaO) dahingehend gedeutet wird, der Senat habe sämtliche Fallgestaltungen aus dem Anwendungsbereich von § 227 StGB226 StGB aF) ausnehmen wollen, in denen das Unterlassen an eine erhebliche lebensgefährliche Vorschädigung des später zu Tode Gekommenen anknüpft (Ingelfinger GA 1997, 573, 582), findet dies in dem Urteil selbst so keine Stütze. Vielmehr hat der 4. Strafsenat unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, vom Vorliegen des spezifischen Gefahrzusammenhangs stets bei Verursachung des zum Tode führenden Zustands durch den Garanten auszugehen (BGH aaO NStZ 1995, 589, 590). In Übereinstimmung damit ist der Senat der Auffassung, dass der spezifische Gefahrzusammenhang bei einer Körperverletzung durch Unterlassen mit Todesfolge (§ 227 Abs. 1, § 13 Abs. 1 StGB) regelmäßig – soweit nicht allgemeine Gründe eines Ausschlusses der Zurechenbarkeit der schweren Folge eingreifen – dann gegeben ist, wenn der Garant bereits in einer ihm vorwerfbaren Weise den lebensgefährlichen Zustand herbeigeführt hat, aufgrund dessen der Tod der zu schützenden Person eintritt. In welchen Konstellationen darüber hinaus die Voraussetzungen einer Körperverletzung durch Unterlassen mit Todesfolge gegeben sein können, bedarf vorliegend keiner Entscheidung.
23
Bei Anwendung der vorgenannten Maßstäbe kam eine Strafbarkeit des Angeklagten aus § 227 StGB zu Lasten des Geschädigten G. in Betracht. Diese hat das Landgericht aus den dargelegten Gründen mit rechtsfehlerhafter Begründung verneint.
24
2. Im Hinblick auf nach den getroffenen Feststellungen ernsthaft in Betracht kommende Straftaten zum Nachteil des geschädigten Zeugen B. ist eine solche – wie dargelegt – wegen Körperverletzung durch Unterlassen vom Landgericht unter Verstoß gegen seine Pflicht zur erschöpfenden Aburteilung der angeklagten Tat (§ 264 StPO) nicht erörtert worden.
25
3. Die teils rechtsfehlerhafte, teils unterbliebene Erörterung vorsätzlicher Körperverletzungsdelikte zum Nachteil beider Geschädigter führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils. Da das Landgericht bezüglich vorsätzlicher Körperverletzungsdelikte zu Lasten des verstorbenen Geschädigten G. einen solchen Vorsatz rechtsfehlerhaft verneint hat, bedarf es auch der Aufhebung der zugrunde liegenden Feststellungen (§ 353 Abs. 2 StPO). Um dem neuen Tatrichter widerspruchsfreie Feststellungen zu sämtlichen in Betracht kommenden Straftatbeständen zu Lasten der beiden Geschädigten zu ermöglichen , erfasst die Aufhebung sämtliche Feststellungen.

III.


26
1. Soweit die Staatsanwaltschaft sich dagegen wendet, dass das Tatgericht bedingten Tötungsvorsatz (auch) für den Zeitraum nach dem ihm bekannten Konsum des GBL durch die Geschädigten verneint hat, bliebe das Rechtsmittel ohne Erfolg. Wie in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts näher ausgeführt, enthält die zugrunde liegende Beweiswürdigung keine durchgreifenden Rechtsfehler (siehe auch bereits oben Rn. 17).
27
2. Dagegen hielte die Annahme durch den Konsum von Benzodiazepinen und GBL bei Tatbegehung bewirkter erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit (§ 21 StGB) des Angeklagten rechtlicher Überprüfung nicht stand. Das Landgericht hat sich im Rahmen der Beweiswürdigung letztlich darauf beschränkt , dem Gutachten des gehörten psychiatrischen Sachverständigen zu folgen, der aufgrund der Mischintoxikation vom Eingangsmerkmal der krankhaften seelischen Störung und „im vorliegenden Fall“ von erheblich geminderter Steuerungsfähigkeit ausgegangen ist (UA S. 32 f.). Es wäre aber geboten gewesen , die wesentlichen Anknüpfungspunkte und Darlegungen des Sachverständigen im Urteil so wiederzugeben, wie dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner Schlüssigkeit erforderlich gewesen wäre (st. Rspr.; etwa BGH, Beschlüsse vom 28. Januar 2016 – 3 StR 521/15, NStZRR 2016, 135 f.; vom 27. Januar 2016 – 2 StR 314/15 und vom 20. April 2016 – 1 StR 62/16, NStZ-RR 2016, 239 f. mwN).
28
3. Sollte das neue Tatgericht sich bezüglich Taten zum Nachteil des verstorbenen Geschädigten G. weder vom Vorliegen der Voraussetzungen eines Tötungsdelikts durch Unterlassen noch einer Körperverletzung durch Unterlassen mit Todesfolge überzeugen können, werden diejenigen einer Strafbarkeit wegen Aussetzung mit Todesfolge gemäß § 221 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. Abs. 3 StGB zu bedenken sein.
Graf Cirener Radtke
Mosbacher Fischer

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 328/15
vom
5. August 2015
BGHSt: ja
BGHR: ja
Nachschlagewerk: ja
Veröffentlichung: ja
_____________________________
Eine bewusste Selbstgefährdung lässt grundsätzlich die Erfolgsabwendungspflicht
des eintrittspflichtigen Garanten nicht entfallen, wenn sich das allein auf
Selbstge- fährdung angelegte Geschehen erwartungswidrig in Richtung auf den
Verlust des Rechtsguts entwickelt.
BGH, Beschluss vom 5. August 2015 - 1 StR 328/15 - LG München I
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags durch Unterlassen u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 5. August 2015 gemäß § 349
Abs. 2 StPO beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 19. Dezember 2014 wird verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags durch Unterlassen und wegen erpresserischen Menschenraubs in Tateinheit mit versuchter schwerer räuberischer Erpressung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt.
2
Seine dagegen auf die ausgeführte Sachrüge gestützte Revision ist unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

I.


3
Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen tragen den Schuldspruch wegen Totschlags durch Unterlassen (§ 212 Abs. 1, § 13 Abs. 1 StGB) im Fall B.II.1. der Urteilsgründe (Geschehen vom 18. April 2013). Das Landgericht hat ohne Rechtsfehler den Angeklagten für rechtlich verpflichtet gehalten, den Tod des später verstorbenen A. zu verhindern und hat ihm den eingetretenen Tod des Geschädigten zu seinem Vorsatz zugerechnet.
4
1. Nach den auf einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung beruhenden Feststellungen hatten sich mehrere Personen, u.a. der Angeklagte und A. , bereits im Verlaufe des Nachmittags getroffen und gemeinsam Alkohol sowie verschiedene Betäubungsmittel konsumiert. Gegen Abend begab sich die Gruppe in die in einem größeren Gebäudekomplex gelegene Wohnung des Angeklagten. Dort nahmen die Anwesenden weiterhin u.a. Alkohol, Amphetamin und Cannabis zu sich. Im Verlaufe des Abends bot der Angeklagte den übrigen Personen in der Wohnung an, Gammabutyrolacton (GBL) zu konsumieren. Dieser Stoff befand sich unverdünnt in einer im Besitz des Angeklagten befindlichen Glasflasche. Außer dem nicht revidierenden Mitangeklagten F. ging keiner der sonstigen Anwesenden auf das Angebot ein. Nachdem der Angeklagte und der Mitangeklagte etwa zwei bis drei Milliliter GBL, verdünnt in einem halben Liter Wasser, konsumiert hatten, blieb die Flasche mit dem GBL frei zugänglich in der Wohnung des Angeklagten stehen. Spätestens nach dem eigenen Konsum wies der Angeklagte seine Gäste darauf hin, dass GBL nicht unverdünnt zu sich genommen werden dürfe.
5
Einige Zeit danach setzte der später verstorbene A. die Flasche mit dem unverdünnten GBL direkt an und trank eine durch das Landgericht nicht mehr näher feststellbare Menge der Substanz. Der Angeklagte und der Mitangeklagte , die von der Aufnahme einer tödlich wirkenden Menge ausgingen, versuchten erfolglos, A. zum Erbrechen zu veranlassen. Dieser verlor vielmehr das Bewusstsein. Nachdem A. in eine stabile Seitenlage gebracht worden war, beschränkte sich der Angeklagte – wie auch die übrigen Anwesenden darauf – die Atemfrequenz des bewusstlosen Geschädigten zu kontrol- lieren. Spätestens als der Angeklagte wahrnahm, dass A. lediglich noch alle sechs bis acht Sekunden atmete, nahm er billigend in Kauf, dass der Geschädigte ohne das unverzügliche Herbeirufen von ärztlicher Hilfe an den Folgen der Einnahme des unverdünnten GBL versterben werde. Dennoch blieb er untätig. Hätte er zu diesem Zeitpunkt medizinische Hilfe angefordert, wäre das Leben des Geschädigten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gerettet worden. Auch nachdem – vom Angeklagten wahrgenommen – die Atemfrequenz von A. noch niedriger, die Atmung zudem unregelmäßig und geräuschintensiv wurde, leitete der Angeklagte zunächst weiterhin keine Rettungsmaßnahmen ein.
6
Später wurde, nicht ausschließbar auf die Initiative des Angeklagten, ein erster Rettungswagen verständigt. Als der Angeklagte beobachtete, dass dieser Rettungswagen abfuhr, ohne A. aufgenommen zu haben, ließ er einen zweiten Rettungswagen herbeirufen. Dessen Besatzung unternahm Wiederbelebungsversuche. Diese führten jedoch nicht zum Erfolg. A. verstarb an einem durch den Konsum von GBL ausgelösten Atemstillstand und der dadurch bewirkten Sauerstoffunterversorgung des Gehirns.
7
2. Nach diesen Feststellungen hat sich der Angeklagte wegen Totschlags durch Unterlassen strafbar gemacht.
8
a) Der Angeklagte hatte im Sinne von § 13 Abs. 1 StGB rechtlich dafür einzustehen, dass der Tod des Geschädigten A. nach dessen Konsum von GBL nicht eintritt. Diese Pflicht zur Abwendung des Todeserfolgs resultierte aus der tatsächlichen Herrschaft des Angeklagten über die in seinem Besitz befindliche und von ihm in seiner Wohnung für die übrigen dort Anwesenden frei zugängliche Flasche mit dem hochgradig gesundheits- und lebensgefährlichen GBL.
9
aa) In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist anerkannt, dass jeder, der eine Gefahrenquelle schafft oder unterhält, die nach Lage der Verhältnisse erforderlichen Vorkehrungen zum Schutz anderer Personen zu treffen hat (BGH, Urteil vom 13. November 2008 – 4 StR 252/08, BGHSt 53, 38, 41 f. Rn. 16 mwN; siehe auch BGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – 2 StR 295/11, NStZ 2012, 319). Die entsprechende Pflicht beschränkt sich auf das Ergreifen solcher Maßnahmen, die nach den Gesamtumständen zumutbar sind und die ein verständiger und umsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um Andere vor Schäden zu bewahren. Eine aus der Zuständigkeit für eine Gefahrenquelle folgende Erfolgsabwendungspflicht gemäß § 13 Abs. 1 StGB besteht allerdings lediglich dann, wenn mit der Eröffnung der Gefahrenquelle die nahe liegende Möglichkeit begründet wurde, dass Rechtsgüter anderer Personen verletzt werden können (vgl. bereits BGH, Urteil vom 13. November2008 – 4 StR 252/08, BGHSt 53, 38, 42 Rn. 16; BGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – 2 StR 295/11, NStZ 2012, 319). In welchem Umfang die Erfolgsabwendungs- pflicht besteht, bestimmt sich nach dem Grad der Gefahr. Die Anforderungen an den für die Gefahrenquelle Zuständigen sind umso höher, je größer bei erkennbarer Gefährlichkeit einer Handlung die Schadenswahrscheinlichkeit und Schadensintensität sind (BGH, Urteil vom 13. November 2008 – 4 StR 252/08, BGHSt 53, 38, 42 Rn. 16 mwN).
10
bb) An diesen Grundsätzen gemessen ist die rechtliche Würdigung des Tatgerichts, der Angeklagte sei Garant für das Leben des später verstorbenen A. gewesen, nicht zu beanstanden.
11
Die dem Konsum des unverdünnten GBL durch A. zeitlich vorausgegangenen Umstände legten die Möglichkeit nahe, dass es wegen des freien Zugangs aller in der Wohnung des Angeklagten Anwesenden zu einem Zugriff auf die Flasche mit dem GBL kommen werde. Alle sich dort Aufhaltenden und damit auch A. hatten bereits im Verlaufe des Nachmittags außerhalb der Wohnung unterschiedliche Suchtmittel zu sich genommen. In der Wohnung war es zu weiterem Konsum von Alkohol und verschiedenen Betäubungsmitteln gekommen. Angesichts dieses wahllosen Suchtmittelkonsumverhaltens der in der Wohnung anwesenden Personen war trotz der zunächst ausbleibenden Reaktion der Gäste auf die Aufforderung des Angeklagten, von dem GBL zu konsumieren, die Gefahr eines Zugriffs auch auf diese Substanz nahe liegend. Unabhängig von dem jeweils konkreten Umfang des Suchtmittelkonsums der verschiedenen Gäste und den jeweiligen individuellen Auswirkungen auf die Fähigkeit zur Risikoeinschätzung, entspricht eine enthemmende Wirkung von Suchtmittelkonsum allgemeiner Erfahrung. Dass es angesichts des bis zum Vorfallzeitpunkt von allen Anwesenden gezeigten Konsumverhaltens auch zu der Einnahme von GBL kommen würde, war daher eine voraussehbare Entwicklung.
12
Wegen der mit einer Einnahme des unverdünnt in der für jeden Anwesenden frei zugänglichen Flasche befindlichen GBL einhergehenden hohen Gefährlichkeit für das Leben und die Gesundheit von Konsumenten waren an den Angeklagten als Inhaber der Sachherrschaft über den gefährlichen Gegenstand hohe Sorgfaltsanforderungen zu stellen, um der Lebensgefährlichkeit des Konsums zu begegnen. Die ausgesprochene Warnung des Angeklagten, GBL nicht unverdünnt zu sich zu nehmen, genügte angesichts des frei zugänglichen Aufstellens der Flasche in der Wohnung in Anwesenheit mehrerer Personen, die bereits zuvor Alkohol und verschiedene Drogen konsumiert hatten, dazu nicht. Der Angeklagte hat daher als für die Flasche zuständiger Besitzer durch den geschilderten Umgang mit ihr eine Gefahrenquelle eröffnet. Dies begründete grundsätzlich seine Pflicht, dem von dieser Quelle für die Rechtsgüter Dritter ausgehenden Gefährlichkeitspotential durch geeignete und ihm zumutbare Maßnahmen zu begegnen.
13
b) Diese Pflicht entfiel – wie das Landgericht rechtsfehlerfrei angenommen hat – auch nicht deshalb, weil der später verstorbene A. trotz der ausgesprochenen Warnung des Angeklagten aus eigenem Entschluss das GBL unverdünnt zu sich genommen hat.
14
aa) Zwar unterfällt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine eigenverantwortlich gewollte und verwirklichte Selbstgefährdung grundsätzlich nicht den Tatbeständen eines Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts , wenn sich das mit der Gefährdung vom Opfer bewusst eingegangene Risiko realisiert. Wer eine solche Gefährdung veranlasst, ermöglicht oder fördert , kann daher nicht wegen eines Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts verurteilt werden; denn er nimmt an einem Geschehen teil, welches – soweit es um die Strafbarkeit wegen Tötung oder Körperverletzung geht – kein tatbestandsmäßiger und damit strafbarer Vorgang ist (siehe nur BGH, Urteil vom 28. Januar 2014 – 1 StR 494/13, BGHSt 59, 150, 167 Rn. 71 mit zahlr. Nachw.). Diese Grundsätze gelten sowohl für die vorsätzliche als auch die fahrlässige Veranlassung, Ermöglichung oder Förderung einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung oder Selbstverletzung (BGH, Urteil vom 28. Januar 2014 – 1 StR 494/13, BGHSt 59, 150, 168 Rn. 71).
15
bb) Eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung seines Lebens durch den Verstorbenen A. schloss jedoch die aus der Herrschaft über eine Gefahrenquelle resultierende Pflicht des Angeklagten zur Abwendung des drohenden Todeserfolgs gerade nicht aus, als sich nach der unverdünnten Einnahme von GBL gerade das Gefahrenpotential für das Leben A. s zu reali- sieren begann, das der Angeklagte durch das dem Zugriff seiner Gäste offene Abstellen der Flasche mit dem genannten Stoff gerade eröffnet hatte.
16
(1) Der Bundesgerichtshof hat bereits entschieden, dass die Erfolgsabwendungspflicht eines Garanten nicht entfällt, wenn sein Verhalten zunächst lediglich eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung derjenigen Person ermöglicht , für dessen Rechtsgut bzw. Rechtsgüter er als Garant rechtlich im Sinne von § 13 Abs. 1 StGB einzustehen hat (vgl. BGH, Urteile vom 27. Juni 1984 – 3 StR144/84, NStZ 1984, 452 und vom 9. November 1984 – 2 StR 257/84; im Ergebnis auch BGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – 2 StR 295/11, NStZ 2012, 319). Die Straflosigkeit des auf die Herbeiführung des Risikos gerichteten Verhaltens ändere nichts daran, dass für den Täter Garantenpflichten in dem Zeitpunkt bestehen, in dem aus dem allgemeinen Risiko eine besondere Gefahrenlage erwächst. Mit dem Eintritt einer solchen Gefahrenlage ist der Täter verpflichtet, den drohenden Erfolg abzuwenden (BGH, Urteile vom 27. Juni 1984 – 3 StR 144/84, NStZ 1984, 452 und vom 9. November 1984 – 2 StR 257/84; in der Sache ebenso BGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – 2 StR 295/11, NStZ 2012, 319).
17
(2) An diesen Grundsätzen ist jedenfalls dann festzuhalten, wenn – wie nach den tatrichterlichen Feststellungen hier (UA S. 22) – das Verhalten des Opfers sich in Bezug auf das Rechtsgut Leben in einer (möglichen) eigenverantwortlichen Selbstgefährdung erschöpft. Entgegen in der Strafrechtswissenschaft geäußerter Kritik (etwa Roxin, Strafrecht, AT/1, 4. Aufl., § 11 Rn. 112; Kühl in Lackner/Kühl, StGB, 28. Aufl., Vor § 211 Rn. 16; Fünfsinn StV 1985, 57 f.) ist es in diesen Konstellationen nicht wertungswidersprüchlich, zwar jegliche Beteiligung an der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung selbst für einen Garanten straffrei zu stellen, bei Realisierung des von dem betroffenen Rechts- gutsinhaber eingegangenen Risikos aber eine strafbewehrte Erfolgsabwendungspflicht aus § 13 Abs. 1 StGB anzunehmen. Denn anders als in den Selbsttötungsfällen erschöpft sich im Fall der Selbstgefährdung die Preisgabe des eigenen Rechtsguts gerade darin, dieses in einem vom Betroffenen jedenfalls in seinem wesentlichen Grad zutreffend erkannten Umfang (Kenntnis sämtlicher rechtsgutsbezogener Risiken des fraglichen Verhaltens wird nicht gefordert, vgl. BGH, Beschluss vom 11. Januar 2011 – 5 StR 491/10, NStZ 2011, 341, 342; siehe auch BGH, Urteil vom 28. Januar 2014 – 1 StR 494/13, BGHSt 59, 150, 169 f. Rn. 80 und 81) einem Risiko auszusetzen. Eine Hinnahme des als möglich erkannten Erfolgseintritts bei Realisierung des eingegangenen Risikos ist mit der Vornahme der Selbstgefährdung gerade nicht notwendig verbunden (siehe insoweit auch Freund in Münchener Kommentar zum StGB, 2. Aufl., § 13 Rn. 190; in der Sache anders dagegen Murmann NStZ 2012, 387, 388 f.).
18
Entwickelt sich das allein auf Selbstgefährdung angelegte Geschehen erwartungswidrig in Richtung auf den Verlust des Rechtsguts, umfasst die ursprüngliche Entscheidung des Rechtsgutsinhabers für die (bloße) Gefährdung seines Rechtsguts nicht zugleich den Verzicht auf Maßnahmen zum Erhalt des nunmehr in einen Zustand konkreter Gefahr geratenen Rechtsguts (vgl. Freund aaO). Eine Person, die nach den allgemeinen Grundsätzen des § 13 Abs. 1 StGB Garant für das bedrohte Rechtsgut ist, trifft dann im Rahmen des tatsächlich Möglichen und ihr rechtlich Zumutbaren die Pflicht, den Eintritt des tatbestandlichen Erfolgs abzuwenden.
19
Dem ist der Angeklagte nicht nachgekommen, weil er in dem Zeitraum, in dem noch die Möglichkeit der Abwendung des Todes von A. bestand, auf das Herbeirufen der lebensnotwendigen medizinischen Hilfe verzichtet hat.
20
(3) Ob für den Fall eines eigenverantwortlichen Suizids nach Verlust der Handlungsherrschaft des den Selbstmord Anstrebenden etwas anderes gilt (vgl. BGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – 2 StR 295/11, NStZ 2012, 319), bedarf keiner Entscheidung. Denn das Landgericht hat einen Selbsttötungswillen des Verstorbenen A. mit rechtsfehlerfreier Beweiswürdigung ausgeschlossen (UA S. 40).
21
c) Ohne Rechtsfehler hat das Landgericht, vor allem gestützt auf das rechtsmedizinische Sachverständigengutachten, festgestellt, dass A. bei rechtzeitigem Verständigen von medizinischer Hilfe mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit hätte gerettet werden können (UA S. 60–62).
22
d) Die Feststellungen zum bedingten Tötungsvorsatz werden durch eine umfassende, die Anforderungen an die Wissens- und die Willenskomponente dieser Vorsatzform berücksichtigende Gesamtwürdigung getragen (UA S. 63–

67).



II.


23
Der Schuldspruch wegen erpresserischen Menschenraubs in Tateinheit mit versuchter schwerer räuberischer Erpressung im Fall B.II.2. der Urteilsgründe (Geschehen vom 26./27. Mai 2013) weist ebenfalls keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.
24
1. Die getroffenen Feststellungen belegen die Tathandlung des SichBemächtigens im Sinne von § 239a Abs. 1 Halbs. 1 StGB spätestens ab dem Zeitpunkt des Verbringens des Nebenklägers in die Wohnung des (weiteren) nicht revidierenden Mitangeklagten J. . Sich-Bemächtigen liegt bereits vor, wenn der Täter die physische Herrschaft über einen anderen erlangt hat; dafür ist weder eine Ortsveränderung erforderlich noch muss der Tatbestand der Freiheitsberaubung erfüllt sein (BGH, Urteil vom 22. Oktober 2009 – 3 StR 372/09, NStZ 2010, 516). Die Umstände des Festhaltens in der fraglichen Wohnung (UA S. 26 und 27) ergeben die Erlangung physischer Herrschaft über den Nebenkläger. Dass es diesem zwischenzeitlich gelungen war, sich aus einer Fesselung durch Handschellen zu befreien, steht dem angesichts der sonstigen Umstände seines Festhaltens in der Wohnung nicht entgegen.
25
2. Soweit das Landgericht bezüglich § 239a StGB auf eine stabilisierte Bemächtigungslage abgestellt hat (UA S. 91), wäre es darauf nicht angekommen , weil der Angeklagte und sein nicht revidierender Mitangeklagter F. nach den getroffenen Feststellungen (auch) die Sorge des Vaters des geschädigten Nebenklägers um dessen Wohl zu einer Erpressung ausnutzen wollten. In solchen meist sog. Drei-Personen-Verhältnissen kommt nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs der Bemächtigungslage und deren Stabilisierung geringere Bedeutung zu als in sog. Zwei-Personen-Verhältnissen (Nachw. bei Fischer, StGB, 62. Aufl., § 239a Rn. 8b). Dass das Tatgericht sogar strengere Anforderungen an die Verwirklichung des Tatbestands gestellt hat, geht ersichtlich nicht zu Lasten des Angeklagten.

III.


26
Der Rechtsfolgenausspruch hält ebenfalls rechtlicher Prüfung stand.
27
Das Unterbleiben der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB hat das Landgericht ohne Rechtsfehler mit dem Fehlen eines Hangs des Angeklagten, alkoholische Getränke oder sonstige berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, begründet.
28
1. Hang im Sinne von § 64 StGB verlangt eine chronische, auf körperlicher Sucht beruhende Abhängigkeit oder zumindest eine eingewurzelte, auf psychischer Disposition beruhende oder durch Übung erworbene intensive Neigung , immer wieder Alkohol oder andere Rauschmittel im Übermaß zu sich zu nehmen. Ausreichend für die Annahme eines Hangs zum übermäßigen Genuss von Rauschmitteln ist jedenfalls, dass der Betroffene aufgrund seiner Konsumgewohnheiten sozial gefährdet oder gefährlich erscheint. Insoweit kann dem Umstand, dass durch den Rauschmittelgenuss bereits Gesundheit, Arbeits- und Leistungsfähigkeit erheblich beeinträchtigt sind, zwar indizielle Bedeutung für das Vorliegen eines Hangs zukommen; das Fehlen dieser Beeinträchtigungen schließt indessen nicht notwendigerweise die Bejahung eines Hangs aus (BGH, Beschluss vom 18. September 2013 – 1 StR 382/13, BGHR StGB § 64 Satz 1 Hang 1 mwN; Urteil vom 15. Mai 2014 – 3 StR 386/13 Rn. 10 [in NStZ-RR 2014, 271 nur LS]).
29
2. Diese Grundsätze hat das Landgericht zugrunde gelegt, sachverständig beraten jedoch die Voraussetzungen des Hangs weder im Sinne körperlicher Sucht noch psychischer Disposition, sondern lediglich einen schädlichen Gebrauch von Alkohol und sonstigen Mitteln festzustellen vermocht. Dabei hat es im rechtlichen Ausgangspunkt zutreffend berücksichtigt, dass vorhandene Beeinträchtigungen der Gesundheit sowie der Arbeits- und Lebensfähigkeit ebenso lediglich indizielle Bedeutung für den Hang haben wie umgekehrt das (bisherige) Fehlen solcher Beeinträchtigungen nur Indizien sind, die auf die Abwesenheit eines Hangs hindeuten können.
30
Da dem Landgericht die jeweils allein indizielle Bedeutung bewusst war, ist es rechtlich nicht zu beanstanden, dass es unter Berücksichtigung aller relevanten Aspekte vor allem aus dem geregelten Arbeitsleben des Angeklagten, seiner Fähigkeit, bisherige soziale Bindungen fortzuführen und neue zu knüpfen , sowie eingelegten Konsumpausen und dem Fehlen von Entzugserscheinungen nach der Festnahme in Übereinstimmung mit dem psychiatrischen Sachverständigen einen Hang verneint hat.
31
3. Angesichts des Vorstehenden kommt es nicht darauf an, ob auch – wie das Landgericht in Hilfserwägungen meint – der symptomatische Zu- sammenhang zwischen den begangenen Taten und einem (unterstellten) Hang fehlte.
Raum Jäger Radtke Mosbacher Fischer

(1) Der Arzt dient der Gesundheit des einzelnen Menschen und des gesamten Volkes.

(2) Der ärztliche Beruf ist kein Gewerbe; er ist seiner Natur nach ein freier Beruf.

5 StR 324/07

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 4. Dezember 2007
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes u. a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 4. Dezember
2007, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter Basdorf,
Richter Dr. Raum,
Richter Dr. Brause,
Richter Schaal,
Richter Prof. Dr. Jäger
alsbeisitzendeRichter,
Richterin
alsVertreterinderBundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
alsVerteidiger,
Justizangestellte
alsUrkundsbeamtinderGeschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Görlitz vom 4. Mai 2007 wird mit der Maßgabe verworfen, dass der Angeklagte zusätzlich wegen tateinheitlicher Beihilfe zur unerlaubten Einreise verurteilt ist.
2. Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels und die hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten zu tragen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten „wegen unerlaubter Einreise nach Ausweisung in Tateinheit mit unerlaubtem Aufenthalt nach Ausweisung“ zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt und unter Einbeziehung von vier anderweitig verhängter Freiheitsstrafen von jeweils einem Jahr und sechs Monaten – nach Auflösung der diese verbindenden Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren – auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten erkannt. Die Revision der Staatsanwaltschaft erstrebt mit der Sachrüge eine Verurteilung des Angeklagten wegen des Todes einer zur gleichen Zeit illegal eingereisten Ausländerin. Das Rechtsmittel erzielt in Übereinstimmung mit der Auffassung des Generalbundesanwalts lediglich die aus dem Urteilstenor ersichtliche geringfügige Schuldspruchkorrektur.
2
1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
3
Der Angeklagte, ein 26 Jahre alter arbeitsloser Diplomingenieur aus Moldawien, reiste erstmals 2003 nach Deutschland ein. Die Ausländerbehörde der Stadt Frankfurt am Main verfügte am 11. April 2003 die Ausweisung des Angeklagten und drohte ihm die Abschiebung in sein Heimatland an. Dorthin kehrte der Angeklagte zurück.
4
Er beabsichtigte Anfang 2005, zusammen mit seiner damals 18jährigen Verlobten D. von Moldawien über Polen nach Deutschland zu reisen. Er beschaffte sich gegen Zahlung von 200 Euro ein polnisches Visum bei einem moldawischen Landsmann, der vor der Abfahrt des Busses nach Polen am 27. Januar 2005 in Moldawien von dem Angeklagten verlangte, die 47 Jahre alte A. mit nach Krakau zu nehmen, wo der Angeklagte die Hotelkosten für die Frau verauslagen sollte; diese würden von ihr dann nach Ankunft in ihrem erstrebten Zielland Italien erstattet werden. Der Angeklagte, der über das Ansinnen seines Landsmannes sehr ungehalten reagierte, rief bei einer Agentur an und erkundigte sich, warum „man ihm die Frau angehängt“ habe, wo er doch selbst auch nur wenig Geld dabei habe. Der Angeklagte fuhr dennoch mit A. im Bus nach Krakau, wo die Verlobte des Angeklagten am 3. Februar 2005 ebenfalls eintraf. Am nächsten Tag reisten der Angeklagte und die zwei Frauen mit dem Bus weiter nach Zgorzelec. Von dort fuhren sie in einem Taxi nach Bokatynia, von wo aus sie auf Rat des Fahrers selbständig nach Deutschland gehen wollten. A. war mit in das Taxi eingestiegen und hatte sich mit zehn Euro zu einem Drittel an den Taxikosten beteiligt. Nach einigem Suchen fanden der Angeklagte und die beiden Frauen einen passierbaren Übergang des Grenzflusses Neiße, den sie gegen Mitternacht – das Wasser reichte bis zu den Oberschenkeln – gemeinsam ohne Einreiseerlaubnisse durchquerten. Sie zogen trockene Kleidung an und liefen in Richtung des Landesinneren.
5
Bei Tagesanbruch versteckten sie sich in der Nähe der Straße von Löbau nach Zittau in einem Wald. Der Angeklagte und seine Verlobte studierten eine Landkarte. Er rief einen in der Nähe von Frankfurt am Main wohnhaften Russen an, beschrieb ihm ihren Standort und bat um Abholung aller drei Personen. Der um Hilfe ersuchte Russe fand aber ihren Standort auf seiner Landkarte nicht und unternahm bis Mitternacht trotz zahlreicher Anrufe durch den Angeklagten nichts. Auf dem Weg in die nächste Ortschaft – dort sollte, weil die Mobiltelefone nicht mehr funktionierten, von einer Telefonzelle aus weitertelefoniert werden – stürzte A. gegen Mitternacht etwa 70 bis 80 m von der Bundesstraße 78 (Löbau/Zittau) entfernt auf freiem Feld. Sie sagte, sie könne nicht mehr weiter. Der Angeklagte und D. ermutigten sie weiterzulaufen. A. entgegnete jedoch, der Angeklagte und D. seien jünger und sollten allein weitergehen. Wenn sie den Russen erreicht hätten und dieser sie abholen komme, sollten sie zu ihr zurückkommen und sie abholen.
6
Der Angeklagte und seine Verlobte ließen die Frau schließlich in der auf minus 11 Grad Celsius abgekühlten Nacht in offenem Gelände zurück. Sie verstarb wahrscheinlich gegen 3.30 Uhr an Unterkühlung. Ein Eintritt des Todes bereits kurz nach dem Weggang des Angeklagten ist denkbar. A. hatte noch versucht, einen schneebedeckten Hang hoch zu kriechen.
7
Der Angeklagte und D. suchten in dem nur wenige 100 m entfernten Oberseiferdorf ohne Erfolg eine Telefonzelle. Erschöpft und desorientiert schliefen der Angeklagte und seine Verlobte gegen 2.00 Uhr am Straßenrand ein. Sie wurden von einem Zeugen geweckt und aufgefordert, wegen der Unfallgefahr diesen Ort zu verlassen. Später ließen sie ein Polizeiauto passieren und wollten nach einer Rast an einer Bushaltestelle zu A. zurückgehen; indes fanden sie den Weg dorthin nicht mehr. Sie ließen sich dann an einer anderen Bushaltestelle nieder. Gegenüber einem Autofahrer und einem Taxifahrer erklärten sie nichts über die im freien Gelände zurückgebliebene Frau. Mehrere Polizei- und Krankenwagen ließen sie passieren.
8
Der Angeklagte und D. fuhren mit dem Bus um 9.00 Uhr nach Löbau. Von dort reisten sie mit dem Zug nach Frankfurt am Main weiter , wo sie um 21.00 Uhr eintrafen. Am Morgen des 7. Februar 2005 rief der Angeklagte erneut bei seinem russischen Bekannten an, um gemeinsam mit ihm die Geschädigte abzuholen. Dies lehnte der Angesprochene aber ab.
9
Am Abend rief der moldawische Visabeschaffer bei dem Angeklagten an, teilte mit, dass A. verstorben sei, und verlangte die Zahlung von 5.000 Euro. Der Angeklagte lehnte jede Zahlung ab. Nach weiteren fordernden, zum Teil drohenden Anrufen überredete D. den Angeklagten zu zahlen, damit es endlich Ruhe gebe. Der Angeklagte lieh sich über einen Bekannten in Moskau 2.500 Euro. Dieser Betrag wurde dem Visabeschaffer übergeben.
10
2. Das Landgericht hat sich davon überzeugt, dass der Angeklagte für sein Tätigwerden bei der Einreise der A. keinen Vermögensvorteil erhalten oder sich hat versprechen lassen. Es hat – in Übereinstimmung mit der Einschätzung eines ermittelnden Polizeibeamten – die geleisteten und versprochenen Zahlungen dahingehend gewürdigt, dass vom Angeklagten kein Schleusungslohn zurückgezahlt worden ist, sondern dass es vielmehr näher liege, dass der Visabeschaffer durch den Tod der Frau A. einen Schaden (Nichterfüllung des Anspruchs auf Schleuserlohn) erlitten und einen Ausgleich durch Erpressung des Angeklagten beabsichtigt hat. Deshalb liege kein Einschleusen im Sinne des § 96 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG vor. Der Angeklagte habe auch nicht zugunsten von mehreren Ausländern gehandelt (§ 96 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG). Auf die Verlobte des Angeklagten dürfe nicht als zweite Ausländerin abgestellt werden.
11
Das Landgericht hat schließlich eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen eines Verdeckungsmordes durch Unterlassen verneint, weil sich eine Garantenstellung für das Leben der Verstorbenen weder aus dem rechtlichen Gesichtspunkt einer Gefahrengemeinschaft noch aus Ingerenz ergebe. Im Übrigen habe die Geschädigte auf sofortige Hilfe wirksam verzichtet.
12
3. Die Revision ist zulässig. Zwar enthalten weder die Revisionseinlegungsschrift noch die Revisionsbegründung den nach § 344 Abs. 1 StPO erforderlichen Revisionsantrag, durch den der Umfang der Urteilsanfechtung bezeichnet wird. Das Fehlen eines solchen Antrags ist aber dann unschädlich , wenn sich der Umfang der Anfechtung aus dem Inhalt der Revisionsbegründung ergibt (vgl. BGHR StPO § 344 Abs. 1 Antrag 5 m.w.N.). Dies ist hier noch der Fall.
13
Zwar legen die nach Obersätzen gegliederten Angriffe gegen die Subsumtion und der Vortrag, dass „auf dieser Tatsachengrundlage zumindest ein Urteilsspruch wegen Beihilfe zur vorsätzlich unerlaubten Einreise in Tateinheit mit vorsätzlichem unerlaubten Aufenthalt in Bezug auf die Geschädigte … (hätte) erfolgen müssen“, nahe, dass die getroffenen Feststellungen vom Revisionsangriff ausgenommen sind. Indes wird dem widersprechend auch die Beweiswürdigung angegriffen, weshalb der Senat den Willen der Revisionsführerin erkennt, dass diese ihr Ziel, eine Verurteilung wegen eines Kapitalverbrechens zu erreichen, auch hilfsweise unter Aufhebung der Feststellungen des landgerichtlichen Urteils erheischt. Damit ergibt sich aus der Revisionsbegründung noch ein bestimmter, nämlich der maximal mögliche Anfechtungsumfang.
14
4. Das Rechtsmittel hat lediglich Erfolg, soweit es das Landgericht unterlassen hat, die gemeinsame illegale Einreise unter dem Gesichtspunkt zu würdigen, dass der Angeklagte durch die bloße Mitnahme der später Verstorbenen und die Übernahme der Kosten für die Beschaffung von Unterkunft und Verpflegung in Krakau deren illegale Einreise gefördert hat. Dem- nach ist eine weitergehende tateinheitliche Verurteilung auch wegen Beihilfe zur unerlaubten Einreise gemäß § 95 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG, § 27 Abs. 1 StGB geboten.
15
Der Senat ändert den Schuldspruch in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO selbst (vgl. BGH NJW 2006, 1822, 1824). Im Anschluss an die Auffassung des Generalbundesanwalts ist der Senat der Überzeugung, dass die geringfügige Schuldspruchänderung keine Auswirkung auf den Strafausspruch haben kann. Die vom Landgericht gefundene Strafe ist im Sinn des hier verfassungsrechtlich unbedenklich (vgl. BVerfG NJW 2007, 2977) analog zugunsten des Angeklagten anzuwendenden § 354 Abs. 1a Satz 1 StPO (vgl. BGH aaO) angemessen.
16
5. Die weitergehende Revision ist unbegründet.
17
a) Die Angriffe auf die Beweiswürdigung versagen.
18
Die Revision macht geltend, das Landgericht habe die Beweise nicht erschöpfend gewürdigt und sich nicht mit einem sich aufdrängenden Alternativgeschehen auseinandergesetzt (vgl. dazu BGH NJW 2007, 384, 387), weil es unerörtert gelassen habe, dass die Geschädigte für den Fall, dass der Angeklagte die Führung der Gruppe nicht übernommen hätte, eine Einreise von Polen durch den Grenzfluss Neiße nach Deutschland unterlassen hätte. Insoweit handelt es sich aber nicht um ein sich aus den Urteilsfeststellungen aufdrängendes Alternativgeschehen, sondern eine urteilsfremde Erwägung. Das Landgericht hat sich auf Grund der Gesamtumstände der Reise fehlerfrei davon überzeugt, dass der Angeklagte die ihm aufgedrängte Mitreisende nicht „geführt“ hat, sondern dass sich die Frau den jüngeren illegal Einreisenden lediglich auf eigenes Risiko angeschlossen hat.
19
Die Würdigung der Zahlungen des Angeklagten an den unbekannt gebliebenen Schleuser ist revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden.
20
Eine lückenhafte Beweiswürdigung hinsichtlich des von A. erklärten Verzichts auf Hilfe hat sich auf das Ergebnis der Subsumtion des Landgerichts nicht ausgewirkt (siehe dazu näher sub b) dd)).
21
b) Die vom Landgericht vorgenommene rechtliche Würdigung hält der sachlichrechtlichen Prüfung stand.
22
aa) Vergeblich wendet sich die Revision gegen die Annahme des Landgerichts, dem Angeklagten sei keine Garantenstellung für das Leben der Verstorbenen aus dem Umstand erwachsen, dass die in einer Gruppe illegal eingereisten Personen in eine enge Gemeinschaftsbeziehung eingetreten sind. Die bloße Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft begründet noch keine gegenseitigen Hilfspflichten. Dafür wäre vielmehr die Übernahme einer Schutzfunktion gegenüber einem Hilfsbedürftigen aus dieser Gruppe vonnöten gewesen (vgl. BGHSt 48, 77, 91; BGH NJW 1987, 850 f.; Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil Bd. 2 S. 730 Rdn. 57). Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen hat der Angeklagte, dem A. gegen seinen Willen von dem moldawischen Schleuser aufgedrängt worden ist, bis zu seiner Zusage, sie in die für ihn und seine Verlobte vorgesehene Abholung einzubeziehen, weder ausdrücklich noch schlüssig erklärt, er werde für ihr Wohlergehen Sorge tragen.
23
bb) Eine Übernahme einer Schutzfunktion ergibt sich auch nicht daraus , dass der Angeklagte die später Verstorbene in sein weiteres Vorgehen einbezogen und ihr die Abholung und Weiterreise nach Frankfurt am Main versprochen hat. Diese Hilfszusage geht zwar an sich über die Erfüllung der allgemeinen Hilfspflicht gemäß § 323c StGB hinaus (vgl. Roxin aaO S. 731 Rdn. 61). Die Erfüllung dieser Pflicht stand indes unter der – vom Angeklagten nicht beeinflussbaren – aufschiebenden Bedingung des Eingreifens eines weiteren Hilfswilligen, des dem Angeklagten bekannten, in Frankfurt am Main wohnhaften russischen Staatsangehörigen. Nachdem indes dieser eine Reise an die ostdeutsche Grenze abgelehnt hatte, endete die vom Angeklagten gemachte Hilfszusage. Bei dieser Sachlage konnte sich aus der einmal zugesagten Hilfe auch keine fortwirkende Pflicht zur Vornahme einer weiteren Hilfsmaßnahme ergeben (vgl. Weigend in LK 12. Aufl. § 13 Rdn. 35; Roxin aaO S. 733 Rdn. 68). Der Angeklagte blieb demnach lediglich angehalten, seine allgemeine, sich aus § 323c StGB ergebende Hilfspflicht zu erfüllen.
24
cc) Eine Garantenstellung für das Leben der Verstorbenen ergab sich für den Angeklagten auch nicht aus einem gefahrerhöhenden Vorverhalten (vgl. BGHSt 37, 106, 115; BGHR StGB § 13 Abs. 1 Garantenstellung 7).
25
Zwar hat der Angeklagte durch seine Beihilfe zur illegalen Einreise der Verstorbenen ein gegen die Rechtsordnung verstoßendes Vorverhalten verwirklicht (vgl. Weigend aaO Rdn. 43 m.w.N.). Dies genügt aber zur Annahme einer Garantenstellung allein noch nicht, weil es zu vermeiden gilt, durch eine zu weite Ausdehnung der an das vorangegangene Vorverhalten anknüpfenden Handlungspflicht die von der Rechtsordnung – gemäß Art. 2 Abs. 1 GG – geschützte Handlungsfreiheit in größerem Umfang aufzuheben (vgl. NK-StGB Wohlers 2. Aufl. § 13 Rdn. 41). Zur Annahme einer Garantenstellung ist es deshalb darüber hinausgehend im Sinne einer Eingrenzung erforderlich , dass der Täter durch sein Vorverhalten über die bloße Erfolgsursächlichkeit und Pflichtwidrigkeit hinaus die nahe Gefahr für den Schadenseintritt geschaffen hat (vgl. BGHSt 37, 106, 115 f.; BGHR StGB § 13 Abs. 1 Garantenstellung 7; BGHR StGB § 27 Abs. 1 Unterlassen 3), was bei der Missachtung einer Vorschrift angenommen wird, die dem Schutz des betroffenen Rechtsguts dient (vgl. BGHSt aaO; Stree in Schönke/Schröder, StGB 27. Aufl. § 13 Rdn. 35a; Roxin aaO S. 770 Rdn. 171). Dazu zählt der vom Angeklagten verwirklichte Straftatbestand des § 95 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG i.V.m. § 27 Abs. 1 StGB nicht. Aus der in der Vorschrift des § 1 Abs. 1 AufenthG niedergelegten Zweckbestimmung des Aufenthaltsgesetzes folgt, dass dieses Gesetz keine Individualrechtsgüter schützt. Der vom Angeklagten insoweit verwirklichte Gesetzesverstoß kann demnach keine Garantenstellung für das Leben der illegal eingereisten Mitreisenden begründen.
26
dd) Auch eine Strafbarkeit nach § 323c StGB ist nicht gegeben.
27
Zwar beruhen die Erwägungen des Landgerichts, mit denen es einen Verzicht auf die Erfüllung der allgemeinen Hilfspflicht angenommen hat, auf einer bedenklich unvollständigen Auswertung der getroffenen Feststellungen (vgl. BGH wistra 2002, 260, 262; 2007, 18, 19 f.; 108, 109; BGH, Urteil vom 31. Januar 2007 – 5 StR 404/06 Rdn. 23 ff.; Brause NStZ 2007, 505, 507 m.w.N.). Es spricht nichts dafür – was das Landgericht letztlich voraussetzt –, dass A. , die nach Italien zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit reisen wollte, bei offensichtlicher Unmöglichkeit einer zeitnahen Rettung wegen des Risikos der Entdeckung der Begehung des eher geringfügigen Vergehens der illegalen Einreise in die Bundesrepublik Deutschland ihrem Leben hätte ein Ende setzen wollen. Dagegen spricht auch, dass Arbeitsmigranten sich offensichtlich eher abschieben oder wegen eines geringen Vergehens verurteilen lassen, als ihr Leben zu opfern.
28
Dieser Mangel bleibt indes jedenfalls ohne Auswirkung auf das vom Landgericht gefundene Ergebnis. Der Angeklagte war nach den fehlerfrei getroffenen Feststellungen naheliegend zur Hilfeleistung schon nicht mehr in der Lage. Er schlief ersichtlich erschöpft am Straßenrand und wurde von einem Zeugen gegen 2.00 Uhr in desorientiertem Zustand angetroffen. Jedenfalls war die ihm obliegende Hilfspflicht dadurch erloschen, weil der Tod – zugunsten des Angeklagten nicht ausschließbar – bereits kurze Zeit, nachdem der Angeklagte die Geschädigte verlassen hatte, eingetreten ist (vgl. BGHSt 32, 367, 381 m.w.N.).
29
ee) Eine Strafbarkeit wegen Einschleusens von Ausländern gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ist ebenfalls nicht gegeben.
30
Bei der vom Angeklagten gemeinsam mit seiner Verlobten geplanten und ausgeführten illegalen Einreise handelte der Angeklagte als Mittäter, was eine Bestrafung wegen Beihilfe (vgl. Renner, Ausländerrecht 8. Aufl. AufenthG § 96 Rdn. 5) an der nämlichen Tat ausschließt (vgl. Lackner/Kühl, StGB 26. Aufl. § 27 Rdn. 2).
Basdorf Raum Brause Schaal Jäger

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 540/16
vom
8. März 2017
in der Strafsache
gegen
wegen Untreue u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:080317B1STR540.16.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 8. März 2017 gemäß § 349 Abs. 2 StPO beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Würzburg vom 26. April 2016 wird als unbegründet verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Untreue in zehn Fällen sowie wegen Betrugs in zwei Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren und sechs Monaten verurteilt und ihn von zwei weiteren Untreuevorwürfen freigesprochen. Darüber hinaus hat es festgestellt, dass der Angeklagte „durch“ die Taten Vermögenswerte in Höhe von 111.079,17 Euro erlangt hat, Verfall aber wegen entgegenstehender Ansprüche Verletzter nicht angeordnet werden kann.
2
Der Angeklagte macht mit seiner Revision mehrere Verfahrensbeanstandungen geltend und erhebt die näher ausgeführte Sachrüge.
3
Das Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.

I.


4
Nach den Feststellungen des Landgerichts war der Angeklagte zwischen November 2009 und September 2012 alleiniger Vorstand der C. S. V. AG (nachfolgend: C. V. ). Deren Anteilseignerin waren nacheinander zwei Gesellschaften mit beschränkter Haftung, deren jeweiliger Geschäftsführer und jedenfalls bei einer der beiden Gesellschaften zudem Anteilseigner der Angeklagte war. Die C. V. hatte ihrerseits die Stellung einer Komplementärin sowohl bei der C. A. 4 AG & Co. KG (nachfolgend: C. 4) als auch bei der C. A. 5 AG & Co. KG (nachfolgend: C. 5) inne. Die beiden Fondsgesellschaften wurden später jeweils in die Rechtsform einer GmbH & Co. KG umgewandelt. Im Jahr 2015 erfolgte die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen beider Gesellschaften.
5
An den Gesellschaften C. 4 und C. 5 beteiligten sich Privatanleger zum Zwecke der Geldanlage entweder als atypisch stille Beteiligte oder als Treuhandkommanditisten. Die Anleger hatten ihren Beitritt zu den jeweiligen Fondsgesellschaften bereits vor dem im Jahr 2009 beginnenden Tatzeitraum vollzogen. Allerdings erbrachten zahlreiche Anleger nach dem Beitritt ihre Beteiligungsbeiträge ganz oder wenigstens zum Teil durch ratenweise Zahlungen in die Gesellschaftsvermögen. Die Zahlungen wurden auch nach der Begehung der verfahrensgegenständlichen Untreuetaten fortgesetzt, teilweise bis zur Verhaftung des Angeklagten im Dezember 2014.
6
In der Phase des Vertriebs der jeweiligen Beteiligungen war insbesondere in den entsprechenden Emissionsprospekten mit der Eignung der Anlageformen zum Zweck der Altersvorsorge und eines langfristigen Vermögensaufbaus geworben worden. Dadurch wurden entsprechende Erwartungen der An- leger geweckt. Die in Aussicht gestellten Renditen sollten durch Investitionen der eingezahlten Einlagen in verschiedene Geschäftsfelder, u.a. den Erwerb von Immobilien und Firmenbeteiligungen, realisiert werden.
7
Unmittelbar nach Erwerb der C. V. durch die vom Angeklagten beherrschte P. GmbH und die Übernahme der Vorstandschaft des Angeklagten bei der C. V. begann er damit, die bei den Fondsgesellschaften C. 4 und C. 5 vorhandenen und laufend weiter eingehenden Anlegergelder in beträchtlichem Umfang für eigene Zwecke zu nutzen oder von ihm geführten (weiteren) Unternehmen zum dauerhaften Verbleib zuzuführen. Dazu ging der Angeklagte u.a. stille Beteiligungen der Fondsgesellschaften an ihm gehörenden oder zumindest von ihm geleiteten Unternehmen ein. Unter Einsatz der aus den Beteiligungsmitteln der Fondsgesellschaften stammenden Gelder erwarb er für die von ihm beherrschten Unternehmen Immobilien oder Unternehmensbeteiligungen, ohne den Fondsgesellschaften ihrerseits Rechte an dem für seine Unternehmen Erworbenen einzuräumen. Soweit er die zuzuordnenden Unternehmen vertraglich zu periodischen Zahlungen und/oder zur Rückzahlung des für die stille Beteiligung Aufgewendeten an die Fondsgesellschaften verpflichtete, war er von Anfang an entschlossen , diesen Verpflichtungen nicht nachzukommen. So ging der Angeklagte beispielsweise im Namen der C. 5 im November 2009 eine stille Beteiligung an der im Vereinigten Königreich ansässigen Nebenbeteiligten E. Ltd. ein, deren alleiniger Inhaber und Director er war. In dem auf Seiten der Ltd. von seiner Lebensgefährtin unterzeichneten Vertrag verpflichtete sich die britische Gesellschaft – ohne Festlegung eines Fälligkeitszeitpunkts – zur Zahlung eines Jahresentgeltes von 10 % des Beteiligungsbetrags sowie zu einer Abfindung an die C. 5 für den Fall der Beendigung der Beteiligung in Höhe der von der C. 5 erbrachten Einlage. Bereits bei Abschluss der Beteiligung war der Angeklagte dazu entschlossen, als Director und Inhaber der Ltd. weder das Beteiligungsentgelt noch die Abfindung durch Leistung eines entsprechenden Geldbetrags an die C. 5 zu erbringen. Tatsächlich kam es auch nicht zur Zahlung des vertraglich Versprochenen in Geld (Fall C.I.1. der Urteilsgründe).

II.


8
Die erhobenen Verfahrensrügen dringen aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts genannten Gründen nicht durch.
9
Hinsichtlich der von Rechtsanwalt S. für den Angeklagten geltend gemachten und im Schriftsatz vom 16. Dezember 2016 nochmals aufgenommenen Beanstandungen rechtsfehlerhaften Umgangs des Landgerichts mit Beweisanträgen, die sich auf den wirtschaftlichen Wert von Anteilen an drei USamerikanischen Unternehmen (verkürzt: G. S. ) zum Jahreswechsel 2011/12 bezogen, weist der Senat ergänzend auf Folgendes hin: Ein Vermögensnachteil im Sinne von § 266 StGB ist durch einen (Wert)Vergleich des gesamten betroffenen Vermögens vor und nach der beanstandeten Verhaltensweise des vermögensbetreuungspflichtigen Täters zu bestimmen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 17. August 2006 – 4 StR 117/06, NStZ-RR 2006, 378, 379; vom 26. November 2015 – 3 StR 17/15, BGHSt 61, 48 ff.; siehe auch Beschlüsse vom 18. Februar 2009 – 1 StR 731/08, BGHSt 53, 199; vom 14. April 2011 – 2 StR 616/10, NStZ 2011, 638; vom 23. Februar 2012 – 1 StR 586/11, NStZ 2013, 38, 39 Rn. 15). Maßgeblich ist der Vergleich des Vermögenswerts unmittelbar vor und nach den pflichtwidrigen Verhaltensweisen zu Lasten des bzw. der betroffenen Vermögen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 18. Februar 2009 – 1 StR 731/08, BGHSt 53, 199; vom 14. April 2011 – 2 StR 616/10, NStZ 2011, 638; vom 23. Februar 2012 – 1 StR 586/11, NStZ 2013, 38, 39 Rn. 15). Bezogen auf diesen Zeitpunkt hat das Landgericht ohne Rechtsfehler in der Beweis- würdigung die wirtschaftliche Wertlosigkeit der Beteiligungen von C. 4 und C. 5 an dem Angeklagten gehörenden oder von ihm beherrschten Unternehmen festgestellt. So verhält es sich etwa im Fall C.I.1. der Urteilsgründe hinsichtlich der Nebenbeteiligten E. Ltd., bezüglich derer die stille Beteiligung der C. 5 im November 2009 vertraglich vereinbart wurde und in Erfüllung des Vereinbarten im selben Monat 300.000 Euro aus dem Vermögen der Fondsgesellschaft an die Nebenbeteiligte gezahlt wurden. Entgegen der Auffassung der Revision hat sich das Landgericht damit erkennbar nicht zu seiner Wahrunterstellung in Widerspruch gesetzt, dass der Wert der am 29. Dezember 2011 von der Nebenbeteiligten an die C. 5 veräußerten Anteile an der G. S. C. LLC zu diesem Zeitpunkt dem vereinbarten Kaufpreis von 363.500 Euro entsprach. Für den Schuldspruch wegen vollendeter Untreue kommt es auf den Wert der rund drei Jahre nach dem Eingehen der stillen Beteiligung an der Nebenbeteiligten übertragenen Anteile an dem genannten amerikanischen Unternehmen nicht an. Bei der Strafzumessung hat das Landgericht die Wahrunterstellung hinsichtlich des Wertes der – mittlerweile wertlosen – Beteiligung am Jahresende 2011 ausdrücklich ein- gehalten und zu Gunsten des Angeklagten berücksichtigt (exemplarisch UA S. 107).
10
Ebenso verhält es sich im Zusammenhang mit der Ausweitung der stillen Beteiligung von C. 5 an der Nebenbeteiligten Ende Januar 2010 sowie den den Verurteilungen in den Fällen C.I.2. und C.I.3. der Urteilsgründe zugrundeliegenden Unternehmensbeteiligungen.

III.


11
Das angefochtene Urteil hält auch sachlich-rechtlicher Überprüfung im Schuld- und Rechtsfolgenausspruch sowie im Ausspruch zur Vermögensabschöpfung Stand.
12
1. Die auf einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung beruhenden Feststellungen tragen die Verurteilungen des Angeklagten wegen Untreue (§ 266 StGB) in zehn Fällen und die dafür verhängten Strafen.
13
a) Der Angeklagte war im Tatzeitraum als Geschäftsführer derC. V. , der Komplementärin der C. 4 und der C. 5, aufgrund dieser Stellung sowohl betreuungspflichtig gegenüber dem Vermögen der Gesellschaften als auch gegenüber den Vermögen der Gesellschafter (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Februar 2012 – 1 StR 586/11, NStZ 2013, 38, 39 Rn. 14). Diese Pflicht hat er durch die im Einzelnen festgestellten Verhaltensweisen (etwa Eingehen wirtschaftlich wertloser stiller Beteiligungen, Veranlassung von Sonderzuwendungen ohne Sachgrund) verletzt und als Folge hieraus den zu betreuenden fremden Vermögen Nachteile zugefügt.
14
b) Für die Bestimmung des Umfangs der ebenfalls näher festgestellten Vermögensnachteile hat das Landgericht – wie angesprochen – zutreffend auf die Zeitpunkte der Vornahme der Schädigungshandlungen abgestellt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 17. August 2006 – 4 StR 117/06, NStZ-RR 2006, 378, 379; vom 26. November 2015 – 3 StR 17/15, BGHSt 61, 48 ff.; siehe auch BGH, Beschlüsse vom 18. Februar 2009 – 1 StR 731/08, BGHSt 53, 199; vom 14. April 2011 – 2 StR 616/10, NStZ 2011, 638; vom 23. Februar 2012 – 1 StR 586/11, NStZ 2013, 38, 39 Rn. 15). Maßgeblich ist der Vergleich des Vermögenswerts unmittelbar vor und nach den pflichtwidrigen Verhaltensweisen zu Lasten des bzw. der betroffenen Vermögen. Von diesem rechtlichen Ausgangspunkt aus hat das Landgericht auf der Grundlage beweiswürdigend rechtsfehlerfreier Schlüsse (zum Maßstab vgl. nur BGH, Urteil vom 16. Juni 2016 – 1 StR 50/16, NStZ-RR 2016, 318 [redaktioneller Leitsatz]) näher ausgeführt, dass und in welchem Umfang die durch den Angeklagten veranlassten Zahlungen aus den ihm anvertrauten Vermögen nicht durch den wirtschaftlichen Wert der rechtlich erworbenen Gegenansprüche der Fondsgesellschaften ausgeglichen worden sind. Damit genügt das angefochtene Urteil den aus Art. 103 Abs. 2 GG resultierenden verfassungsrechtlichen Vorgaben, den Vermögensnachteil der Höhe nach zu beziffern und dessen Ermittlung in wirtschaftlich nachvollziehbarer Weise darzulegen (dazu BVerfG, Beschluss vom 23. Juni 2010 – 2 BvR 2559/08 u.a., BVerfGE 126, 170, 211).
15
c) Es bedurfte vorliegend auch in den verfahrensgegenständlichen Fällen , in denen dem Vermögen als Kommanditgesellschaft verfasster Fondsgesellschaften und ihrer Gesellschafter Nachteile zugefügt worden sind, weder für den Schuldspruch noch für den strafzumessungsrelevanten Schuldumfang näherer Feststellungen zu der Anzahl der jeweils betroffenen Gesellschafter und dem Umfang ihrer jeweiligen Beteiligung an den Gesellschaftsvermögen. Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann zwar die Schädigung des Vermögens einer Kommanditgesellschaft lediglich zu einem gemäß § 266 StGB straftatbestandsmäßigen Vermögensnachteil führen, wenn sie gleichzeitig das Vermögen der Gesellschafter „berührt“ (siehe nur BGH, Be- schluss vom 23. Februar 2012 – 1 StR 586/11, NStZ 2013, 38 f. Rn. 10; Urteil vom 10. Juli 2013 – 1 StR 532/12, NJW 2013, 3590, 3593 jeweils mit Nachw. auch zu Gegenauffassungen; aus gesellschaftsrechtlicher Perspektive siehe näher Karsten Schmidt, JZ 2014, 878 ff.). Nach den getroffenen Feststellungen ist für alle zur Verurteilung führenden Fälle aber ausgeschlossen, dass die je- weils nicht wertentsprechend ausgeglichenen Entnahmen aus dem Gesellschaftsvermögen sich nicht auch nachteilig auf die Vermögen der Gesellschafter ausgewirkt haben. Denn nach dem Anlagekonzept der betroffenen Fondsgesellschaften hing der Wert der Beteiligung von der Höhe des Gesellschaftsvermögens ab.
16
Auch für die jeweiligen Strafaussprüche waren keine weitergehenden Ausführungen zu dem Grad der Auswirkungen der Nachteilshandlungen auf das Vermögen der einzelnen Anleger als Kommanditisten oder sonst an den Gesellschaften (soweit Personengesellschaften) Beteiligten erforderlich. Der Gesamtumfang der den betroffenen Anlegern zugefügten Vermögensnachteile stimmt vorliegend jeweils mit der Höhe des Nachteils für die fragliche Fondsgesellschaft überein. Anders als in der dem Urteil des Senats vom 10. Juli 2013 (1 StR 532/12, NJW 2013, 3590 ff.) zugrunde liegenden Sachverhaltsgestaltung sind hier keine Zustimmungserklärungen von Gesellschaftern zu berücksichtigen , die sich auf die Höhe des verursachten Vermögensnachteils auswirken. Und abweichend von der für den Beschluss des Senats vom 23. Februar 2012 (1 StR 586/11, NStZ 2013, 38 ff.) maßgeblichen Konstellation wurden vorliegend ersichtlich keine Gesellschafter geschädigt, hinsichtlich derer ein das Antragserfordernis aus § 266 Abs. 2, § 247 StGB auslösendes Angehörigenverhältnis zu dem Angeklagten bestand. Von den damit rechtsfehlerfrei festgestellten Gesamthöhen des jeweiligen Vermögensnachteils für die Gesellschafter der betroffenen Fondsgesellschaften ausgehend, hat das Landgericht seine weiteren , sehr umfangreichen und sorgfältigen Strafzumessungserwägungen zu den Einzelstrafen wegen der Verurteilungen zur Untreue gemäß § 266 StGB entwickelt. Diese enthalten keine den Angeklagten benachteiligenden Rechtsfehler.
17
2. Die Verurteilung des Angeklagten wegen Betrugs durch Unterlassen (§§ 263, 13 Abs. 1 StGB) in zwei Fällen zu Lasten der Anleger der Fondsgesellschaften C. 4 und C. 5 ist im Ergebnis ebenfalls nicht zu beanstanden.
18
a) Das Landgericht hat den Angeklagten für verpflichtet gehalten, nach Abschluss der verfahrensgegenständlichen Untreuetaten zu Lasten der genannten Fondsgesellschaften und ihrer Anleger (C.I.1.-6. der Urteilsgründe), Letztere über die eingetretenen Vermögensnachteile zu informieren. Die entsprechende Pflicht im Sinne von § 13 Abs. 1 StGB finde für den Angeklagten ihre Grundlage in dem vorangegangenen vermögensschädigenden Verhalten (sog. Ingerenz) und zudem in dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB). Als Geschäftsführer der C. V. , diese als Komplementärin von C. 4 und C. 5, sei er gemäß § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB zur Erfüllung der Pflichten der Gesellschaften im Verhältnis zu den Anlegern verpflichtet gewesen (UA S. 100 und 101).
19
Bei auf verschiedenen – vom Landgericht näher dargestellten – Weisen möglicher Information der Anleger über die Vermögensschädigungen zu Lasten der Fondsgesellschaften wären diejenigen Anleger, die die Entgelte für ihre Beteiligung ratenweise entrichteten, dazu veranlasst worden, nicht weiter an die Fondsgesellschaften zu zahlen. Die Minderung des Vermögens der Anleger durch fortgesetzte Zahlungen nach den Untreuehandlungen ist nach Ansicht des Landgerichts nicht durch die „Erweiterung“ ihrer Beteiligungsrechte an den Fondsgesellschaften wirtschaftlich ausgeglichen worden. Denn nach den erheblichen Untreuehandlungen zu Lasten der Fondsgesellschaften erwarben die Anleger vor dem Hintergrund der mit den Anlagen erstrebten Zwecke der Altersvorsorge und des langfristigen Vermögensaufbaus etwas anderes, als sie mit der Beteiligung an den Gesellschaften vertragsgemäß erreichen wollten. Die Höhe der Leistungen periodisch einzahlender Anleger nach dem jeweiligen Abschluss der Untreuehandlungen hat das Landgericht – bei Reduktion der Einnahmesummen um 20 % als Sicherheitsabschlag – bezüglich der C. 4 mit gut 2,1 Millionen Euro und der C. 5 mit gut 19,3 Millionen Euro festgestellt.
20
b) Die Erwägungen des Landgerichts halten rechtlicher Überprüfung stand.
21
Es ist im Ergebnis ohne Rechtsfehler von einer Täuschung der Anleger durch Unterbleiben ihrer Aufklärung über die den Gesellschafts- und den Gesellschaftervermögen in der Vergangenheit seitens des Angeklagten zugefügten erheblichen Vermögensnachteile ausgegangen. Zu einer solchen Aufklärung war der Angeklagte im Sinne von § 13 Abs. 1 StGB rechtlich verpflichtet. Er hat daher die Betrugstaten zu Lasten der Anleger durch Unterlassen verwirklicht.
22
aa) Diese Form der Verwirklichung eines Straftatbestandes ist gemäß § 13 Abs. 1 StGB nur dann strafbar, wenn der Täter rechtlich dafür einzustehen hat, dass der tatbestandliche Erfolg nicht eintritt, und wenn das Unterlassen der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes durch ein Tun entspricht. Zur Begründung der Strafbarkeit aus einem unechten Unterlassungsdelikt muss ein besonderer Rechtsgrund nachgewiesen werden, wenn jemand ausnahmsweise dafür verantwortlich gemacht werden soll, dass er es unterlassen hat, zum Schutz fremder Rechtsgüter positiv tätig zu werden. Die Gleichstellung des Un- terlassens mit dem aktiven Tun setzt deshalb voraus, dass der Täter als „Garant“ für die Abwendung des tatbestandlichen Erfolges einzustehen hat. Alle Erfolgsabwendungspflichten beruhen auf dem Grundgedanken, dass eine bestimmte Person in besonderer Weise zum Schutz des gefährdeten Rechtsguts aufgerufen ist und dass sich alle übrigen Beteiligten auf das helfende Eingreifen dieser Person verlassen und verlassen dürfen (BGH, Urteil vom 25. September 2014 – 4 StR 586/13, BGHSt 59, 318, 323 Rn. 19 mwN; siehe auch BGH, Urteil vom 25. Juli 2000 – 1 StR 162/00, NJW 2000, 3013, 3014).
23
bb) Auf der Grundlage dieser für sämtliche unechten Unterlassungsdelikte geltenden Anforderungen ist in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs anerkannt, dass eine Strafbarkeit wegen Betrugs durch Unterlassen entweder als Täter oder als Teilnehmer für alle Personen in Frage kommt, die eine von § 13 Abs. 1 StGB erfasste Pflicht zur Aufklärung anderer über vermögensrelevante Tatsachen haben (etwa BGH, Urteile vom 17. Juli 2009 – 5 StR 394/08, BGHSt 54, 44, 46 ff. Rn. 19 ff.; vom 25. September 2014 – 4 StR 586/13, BGHSt 59, 318, 323 ff. Rn. 19 ff.; vom 4. August 2016 – 4 StR 523/15, wistra 2016, 488 ff.; siehe auch Fischer, StGB, 64. Aufl., § 263 Rn. 38; Satzger in Satzger/Schluckebier/Widmaier, StGB, 3. Aufl., § 263 Rn. 81 jeweils mwN; ausführlich etwa Frisch, Festschrift für Herzberg, 2008, S. 729, 744 ff.). Die strafbarkeitsbegründende Pflicht zur Aufklärung eines Dritten über vermögensrelevante Umstände kann dabei aus verschiedenen Gründen herrühren (vgl. dazu Frisch aaO S. 729, 744 f.; Satzger aaO § 263 Rn. 85; Hefendehl in Münchener Kommentar zum StGB, 2. Aufl., § 263 Rn. 161 jeweils mwN). Unabhängig vom Entstehungsgrund muss die Pflicht stets darauf gerichtet sein, unrichtigen oder unvollständigen Vorstellungen des Getäuschten über Tatsachen, die zu einer Vermögensschädigung führen können, durch aktive Aufklärung entgegenzuwirken (Satzger aaO § 263 Rn. 84; in der Sache ebenso Perron in Schönke/ Schröder, StGB, 29. Aufl., § 263 Rn. 19).
24
cc) Nach diesen Maßstäben hat das Landgericht im Ergebnis ohne Rechtsfehler eine Pflicht des Angeklagten angenommen, die ihre Beteiligung ratenweise bedienenden Gesellschafter der Fondsgesellschaften über die im Umfang erheblichen Veruntreuungen zu informieren.
25
Diese Pflicht findet für den Angeklagten gegenüber den Anlegern der C. 4 und C. 5 ihre Grundlage in den gesellschaftsvertraglichen Beziehungen zwischen den Gesellschaften und ihren Gesellschaftern. Darauf hat das Landgericht in der Sache abgestellt, auch wenn es – unter Verweis auf die vertraglichen Pflichten der Fondsgesellschaften – der Formulierung nach auf den Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) rekurriert hat (UA S. 101).
26
Der Bundesgerichtshof nimmt eine auf vertragliche Beziehungen gestützte Aufklärungspflicht bezüglich vermögensrelevanter Tatsachen sowohl bei bestehenden Vertrauensverhältnissen als auch bei der Anbahnung besonderer, auf gegenseitigem Vertrauen beruhender Verbindungen an, bei denen Treu und Glauben und die Verkehrssitte die Offenbarung der für die Entschließung des anderen Teils wichtiger Umstände gebieten (etwa BGH, Urteil vom 16. November 1993 – 4 StR 648/93, BGHSt 39, 392, 399; Beschlüsse vom 8. November 2000 – 5 StR 433/00, BGHSt 46, 196, 203; vom 2. Februar 2010 – 4 StR 345/09, NStZ 2010, 502; Urteil vom 4. August 2016 – 4 StR 523/15, wistra 2016, 488 ff. mwN; siehe auch BGH, Urteil vom 9. Mai 2012 – IV ZR 19/11, VersR 2013, 1042 ff. und Hebenstreit in Müller-Gugenberger, Wirtschaftsstrafrecht , 6. Aufl., § 47 Rn. 25 mwN). In der Strafrechtswissenschaft sind aus vertraglichen Beziehungen resultierende Vertrauensbeziehungen ebenfalls weithin als Quelle einer Aufklärungs- bzw. Informationspflicht anerkannt (Hefendehl aaO § 263 Rn. 161-168, Rn. 190 f.; Perron aaO § 263 Rn. 19 und 22 jeweils mwN); insbesondere bei Gesellschaftsverhältnissen (einschließlich stiller Beteiligungen ) und bei Verträgen über Vermögensangelegenheiten (Hefendehl aaO § 263 Rn. 190; Perron aaO § 263 Rn. 22; Satzger aaO § 263 Rn. 107 jeweils mwN; vgl. auch Hebenstreit aaO). Dementsprechend hat die Strafrechtsprechung bei der Begründung gesellschaftsrechtlicher Rechtsverhältnisse eine Aufklärungspflicht über dafür vermögensrelevante Umstände angenommen (RG, Urteil vom 30. Januar 1931 - I 1387/30, RGSt 65, 106, 107; BGH, Urteil vom 4. August 2016 – 4 StR 523/15, wistra 2016, 488 ff.).
27
Unter den vom Landgericht festgestellten Verhältnissen der Fondsgesellschaften bestand eine in den gesellschaftsrechtlichen Beziehungen gründende Aufklärungspflicht über den erfolgten Entzug von Gesellschaftsvermögen für den Angeklagten jeweils gegenüber den Anlegern der genannten Fondsgesellschaften. Das hier maßgebliche besondere Vertrauensverhältnis zwischen den Anlegern als an den Fondsgesellschaften Beteiligten und den Gesellschaften ergibt sich – wie das Landgericht rechtlich zutreffend angenommen hat – aus dem Konzept des sog. „blind pools“. Den Anlegern war weder bei Eingehen der Beteiligung noch während der Zeiträume der Erbringung der Anlagebeiträge bekannt, in welcher konkreten Weise die Anlagemittel durch die jeweils für die Fondsgesellschaften handelnden Personen eingesetzt werden würden. Sie waren daher in besonderer Weise darauf angewiesen und normativ berechtigt, darauf zu vertrauen, dass die für die Fondsgesellschaften Handelnden die angelegten Gelder lediglich im Rahmen der mit dem Beitritt zu den Gesellschaften verfolgten, in den Emissionsprospekten benannten Zwecke der Altersvorsorge und des langfristigen Vermögensaufbaus einsetzen würden. Insoweit wohnt den gesellschaftsrechtlichen Beteiligungen der hier fraglichen Formen auch ein Beratungselement inne, bei dem der einzelne Anleger den Sachverstand der das Anlageprojekt auflegenden und verwaltenden (natürlichen) Personen in Anspruch nimmt. Verträge mit Beratungscharakter sind als Grundlage von betrugsstrafrechtlich bedeutsamen Aufklärungspflichten akzeptiert (siehe nur Hefendehl aaO § 263 Rn. 190; Satzger aaO § 263 Rn. 107).
28
Der Angeklagte war aufgrund seiner Stellung als Vertretungsorgan der die Gesellschaft vertretenden juristischen Person aufklärungspflichtig. Als natürliche Person stand er zwar in keiner unmittelbaren (gesellschafts)vertraglichen Beziehung zu den Anlegern dieser Gesellschaften. Seine Garantenstellung und die daraus folgende Aufklärungspflicht gegenüber den Anlegern findet ihre Grundlage aber in der tatsächlichen Übernahme der Stellung als Vertretungsorgan der Fondsgesellschaften selbst. In dieser Position war er für die Vornahme der Investitionsentscheidungen über das Fondsvermögen verantwortlich, auf die sich das berechtigte Vertrauen der Anleger in eine den Gesellschaftszwecken entsprechende Mittelverwendung bezog. Der Heranziehung von § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB, auf den das Landgericht insoweit abstellt, bedarf es nicht. Die Vorschrift ist auf unechte Unterlassungsdelikte nicht anwendbar (zu den Gründen siehe Radtke in Münchener Kommentar zum StGB, 3. Aufl., § 14 Rn. 41 mwN). Die wie vorliegend begründete Aufklärungspflicht steht nicht in Widerspruch zu den Voraussetzungen der Vermögensbetreuungspflicht im Sinne von § 266 StGB (vgl. zum Problem Seelmann, NJW 1981, 2132; Perron aaO § 263 Rn. 19 jeweils mwN). Denn der Angeklagte war aufgrund seiner gesellschaftsrechtlichen Stellung gegenüber den Vermögen der Anleger als an den Gesellschaften Beteiligte ohnehin betreuungspflichtig.
29
Die Aufklärungspflicht bestand während des gesamten Zeitraums der gesellschaftsvertraglichen Bindung der Anleger als an den Fondsgesellschaften Beteiligte und nicht nur im Zeitpunkt der Anlageentscheidung. Jedenfalls unter den vorliegenden konkreten Verhältnissen von Fondskonzepten mit fortlaufenden Einzahlungen der Anleger in das Gesellschaftsvermögen blieb die im Gesellschaftsrechtsverhältnis wurzelnde Vertrauensbeziehung aufrechterhalten. Treten während des Zeitraums der Beteiligung Änderungen derjenigen tatsächlichen Umstände ein, die vermögensbezogen für die Anlageentscheidung maß- geblich waren, müssen die Anleger darüber informiert werden, um ihnen wegen der weiterhin periodisch erfolgenden Zahlungen auch zukünftig eine aufgeklärte Disposition über ihr Vermögen zu ermöglichen. Zu diesen Umständen gehören jedenfalls Schädigungen der Gesellschaftsvermögen, die – was das Landgericht rechtsfehlerfrei festgestellt hat – dazu führen, dass die Beteiligung an der Fondsgesellschaft nicht mehr die bei Aufnahme der Beteiligung versprochenen Zwecke des Vermögensaufbaus und der Altersvorsorge erreichen kann.
30
Für das besondere Vertrauensverhältnis zwischen einem Geldtransportunternehmen und seinen Geldtransporte beauftragenden Kunden hat der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs eine gemäß §§ 263, 13 Abs. 1 StGB strafbewehrte Aufklärungspflicht der für das Unternehmen Handelnden während laufender Geschäftsbeziehung begangener Veruntreuungen von transportierten Geldern angenommen (BGH, Urteil vom 9. Mai 2012 – IV ZR 19/11, VersR 2013, 1042 ff.). Das entspricht im rechtlichen Ausgangspunkt dem vorstehend Ausgeführten.
31
dd) Zudem gründet sich – wie das Landgericht ebenfalls ohne Rechtsfehler angenommen hat – die Aufklärungspflicht des Angeklagten auch auf vorangegangenes gefährdendes Tun (Ingerenz) in Gestalt der Begehung von Untreuetaten (§ 266 StGB) zum Nachteil der Fondsgesellschaften C. 4 und C. 5 sowie ihrer Anleger (zu den Gründen näher BGH, Beschluss vom 8. März 2017 – 1 StR 466/16).
32
c) Das Landgericht hat sich rechtsfehlerfrei von einem Irrtum sämtlicher betroffener Anleger der Fondsgesellschaften C. 4 und C. 5 darüber überzeugt , dass ihre Beteiligungen während des gesamten Zeitraums ihrer periodischen Einzahlungen in das Gesellschaftsvermögen noch der Konzeption entsprachen , die ihnen bei Zeichnung der Beteiligung versprochen worden war.
Beweiswürdigend genügte dafür die Vernehmung von sechs Anlegern, um aus ihren den Irrtum bestätigenden Angaben auf einen solchen bei sämtlichen Anlegern schließen zu dürfen (zu den Anforderungen siehe nur BGH, Beschlüsse vom 4. September 2014 – 1 StR 314/14, NStZ 2015, 98, 99 f.; vom 1. Oktober 2015 – 3 StR 102/15, NStZ-RR 2016, 12, jeweils mwN).
33
d) Die Überzeugung des Landgerichts, bei Information der Anleger über das Vermögen der Fondsgesellschaften nachteilige Verhalten entweder durch direktes Anschreiben unter Rückgriff auf die bei den Gesellschaften geführten Datenbanken, durch Information über das Internet oder durch Strafanzeige, wären weitere Vermögensverfügungen der Anleger durch fortlaufende Einzahlungen mit Sicherheit unterblieben, beruht ebenfalls auf einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung.
34
e) Es ist rechtlich auch nichts dagegen zu erinnern, dass das Landgericht die mit den Einzahlungen der Anleger nach Abschluss der Untreuehandlungen einhergehenden Ansprüche der Gesellschafter wirtschaftlich als völlig wertlos betrachtet hat. Dies entspricht auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen zu den Verhältnissen der Fondsgesellschaften nach den Schädigungshandlungen der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Bezifferung des Vermögensschadens bei – phänomenologisch – Anlagebetrügereien (vgl. etwa BGH, Urteil vom 7. März 2006 – 1 StR 379/05, BGHSt 51, 10, 15 ff. Rn. 17 ff.; Beschluss vom 18. Februar 2009 – 1 StR 731/08, BGHSt 53, 199, 201 ff. Rn. 8 ff.).
35
f) Die Annahme des Landgerichts, die Aufklärung der Anleger über die von dem Angeklagten zu verantwortenden Schädigungen des Vermögens der Fondsgesellschaften und deren Anteilseigner sei ihm rechtlich zumutbar gewesen , ist ebenfalls nicht zu beanstanden. Die Entscheidung, ob ein bestimmtes, den strafrechtlich missbilligten Erfolg abwendendes Verhalten zumutbar ist, muss grundsätzlich von dem dazu berufenen Tatrichter im Rahmen einer wertenden Gesamtwürdigung des Einzelfalles getroffen werden, in die einerseits die widerstreitenden Interessen der Beteiligten und andererseits die Gefahr für das bedrohte Rechtsgut einzubeziehen sind (BGH, Urteil vom 19. Dezember 1997 – 5 StR 569/96, BGHSt 43, 381, 398 f.; siehe auch bereits BGH, Urteil vom 20. Dezember 1983 – 1 StR 746/83, NStZ 1984, 164; Kudlich inSatzger/ Schluckebier/Widmaier aaO § 13 Rn. 44; Wohlers/Gaede in Nomos Kommentar zum StGB, 4. Aufl., § 13 Rn. 18). Ist mit der Vornahme der rechtlich gebotenen Handlung die Gefahr der Aufdeckung eigener Straftaten des Garanten verbunden , steht dies der Zumutbarkeit normgemäßen Verhaltens gerade wegen des eigenen rechtswidrigen Verhaltens im Vorfeld regelmäßig nicht entgegen (BGH, Urteile vom 1. April 1958 – 1 StR 24/58, BGHSt 11, 353, 355 f.; vom 19. Dezember 1997 – 5 StR 569/96, BGHSt 43, 381, 399; vgl. auch BGH, Urteil vom 6. Mai 1960 – 4 StR 117/60, BGHSt 14, 282, 286 f.; Weigend in Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Aufl., § 13 Rn. 69; Kudlich aaO § 13 Rn. 44; Wohlers/Gaede aaO § 13 Rn. 18). Auch aus dem Verfassungsrecht lässt sich nicht ableiten, dass Selbstbegünstigung als Ausfluss persönlicher Freiheit stets straflos oder darüber hinausgehend sogar erlaubt sein müsse (BVerfG, Beschluss vom 29. Mai 1963 – 2 BvR 161/63, BVerfGE 16, 191, 194). Ebenso wenig schließt das Verfassungsrecht aus, Selbstbegünstigungshandlungen unter Strafe zu stellen, wenn durch diese strafrechtlich geschützte Rechtsgüter Dritter beeinträchtigt werden (vgl. BVerfG aaO BVerfGE 16, 191, 194; siehe auch BGH, Urteil vom 10. Februar 2015 – 1 StR 488/14, BGHSt 60, 198, 204 f. Rn. 35 f.).
36
Bei Anlegen dieser Maßstäbe hat es das Landgericht rechtsfehlerfrei für den Angeklagten zumutbar erachtet, die Anleger über die erheblichen Schädi- gungen der Vermögen der Fondsgesellschaften zu informieren. Im Rahmen der geforderten Abwägung sind die Interessen der zahlreichen Anleger, nicht weiter „wertlose" Einzahlungen in die Fondsgesellschaften zu leisten, höher gewichtet worden als die Interessen des Angeklagten daran, sich nicht der Gefahr eigener Strafverfolgung auszusetzen. Diese Wertung ist nicht zu beanstanden. Ob anderes zu gelten hätte, wenn die rechtlich gebotene Handlung während eines laufenden Strafverfahrens notwendig mit einem Geständnis einherginge (dazu Wohlers/Gaede aaO § 13 Rn. 18), bedarf keiner Entscheidung. Eine solche Situation war vorliegend nicht gegeben.
37
g) Die Zumessung der Strafen für die Betrugstaten ist rechtsfehlerfrei.
38
3. Gleiches gilt für die Entscheidungen über die Vermögensabschöpfung. Das Landgericht hat im Rahmen der gemäß § 111i Abs. 2 StPO i.V.m. § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB erfolgten Feststellungen zu dem durch den Angeklagten aus den Taten Erlangten auch die Voraussetzungen der Härtevorschrift des § 73c Abs. 1 StGB rechtsfehlerfrei erörtert.
Graf Jäger Bellay
Radtke Fischer
Nachschlagewerk: ja
BGHSt : ja
Veröffentlichung : ja
Die Garantenstellung des Arztes für das Leben seines Patienten
endet, wenn er vereinbarungsgemäß nur noch dessen
freiverantwortlichen Suizid begleitet.
BGH, Urteil vom 3. Juli 2019 - 5 StR 393/18
LG Berlin
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
5 StR 393/18
vom
3. Juli 2019
in der Strafsache
gegen
wegen Tötung auf Verlangen u.a.
ECLI:DE:BGH:2019:030719U5STR393.18.0

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 3. Juli2019, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Mutzbauer,
Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Sander, Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Schneider, die Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. König, Köhler
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof S. , Richter am Landgericht K.
als Vertreter des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,


für Recht erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 8. März 2018 wird verworfen.
Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels und die hierdurch verursachten notwendigen Auslagen des Angeklagten zu tragen.
- Von Rechts wegen -

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten von dem Vorwurf freigesprochen, sich durch die Förderung des Suizids der 44-jährigen D. sowie das spätere Unterlassen von Maßnahmen zu deren Rettung der Tötung auf Verlangen strafbar gemacht zu haben (vgl. KG, StV 2018, 304). Mit ihrer gegen den Freispruch gerichteten und auf die Sachrüge gestützten Revision erstrebt die Staatsanwaltschaft die Verurteilung des Angeklagten wegen versuchter Tötung auf Verlangen durch Unterlassen. Das vom Generalbundesanwalt nicht vertretene Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

I.

2
1. Das Landgericht hat festgestellt:
3
D. litt seit ihrem sechzehnten Lebensjahr an einem nicht lebensbedrohlichen, aber starke krampfartige Schmerzen verursachenden Reiz-Darm-Syndrom. Eine Besserung ihres Gesundheitszustands konnte sie auch durch das Ausschöpfen zahlreicher klassischer und alternativer Behandlungsmöglichkeiten nicht erlangen. Daneben litt sie seit ihrer Pubertät unter rezidivierenden Harnwegsinfektionen und wiederkehrenden Analfisteln und zeigte zudem psychische Auffälligkeiten. Im Laufe ihres Lebens war sie bei verschiedenen Psychotherapeuten in Behandlung. Aufgrund ihres Gesundheitszustands war sie – obgleich an sich lebenslustig – jedenfalls in der Zeit vor ihrem Tod reaktiv depressiv. Sie hatte mehrfach Suizidversuche unternommen und beschäftigte sich intensiv mit dem Thema Tod.
4
Da ihr das Leben unter diesen Umständen nicht mehr lebenswert erschien , wandte sie sich am 8. Februar 2013 mit der Bitte an den Angeklagten, ihren Hausarzt, sie bei ihrer Selbsttötung zu unterstützen. Der Angeklagte gab dieser Bitte nach, weil ihm die lange Kranken- und Leidensgeschichte sowie die erfolglosen Therapieversuche bekannt waren und er der Überzeugung war, dass ein Arzt eine Patientin, die er über Jahre behandelt hat, auch in einer solchen Situation nicht allein lassen dürfe. Er stellte zwei Privatrezepte über eine nicht näher bekannte Menge des Medikaments Luminal aus, von denen er mindestens eines selbst einlöste und der später Verstorbenen das Medikament übergab. Während seines letzten Hausbesuchs bei Frau D. am 15. Februar 2013 traf er diese tief verzweifelt und zur Selbsttötung fest entschlossen , aus seiner Sicht aber voll geschäftsfähig an. Bei diesem Besuch übergab Frau D.
dem Angeklagten ihre Wohnungsschlüssel und bat ihn, sie nach der Einnahme der Tabletten zu Hause zu betreuen und den Leichenschauschein auszufüllen. „Weder dem Angeklagten noch der später Verstorbenen war bekannt, über wel- chen exakten Zeitraum sich der Sterbeprozess erstrecken würde; sie gingen jedoch davon aus, dass dem Tod eine komatöse Phase vorausgehen würde“ (UA S. 5).
5
Am 16. Februar 2013, jedenfalls vor 14 Uhr, nahm Frau D. „bei klarem Verstand und in dem vollen Bewusstsein, was sie tat“ (UAS. 5), eine unbekannte, aber tödliche Menge Luminal ein. Den Angeklagten informierte sie hierüber, wie zuvor vereinbart, per Kurznachricht. Wenig später begab sich der Angeklagte in ihre Wohnung und fand sie in einem tief komatösen Zustand mit normalen Vitalwerten auf dem Rücken liegend in ihrem Bett vor. Da er sich dem Sterbewunsch D. s verpflichtet fühlte, unternahm er keine Rettungsversuche, sondern prüfte lediglich Puls, Pupillenreflexe und Atmung. Er suchte Frau D. noch einmal am Abend desselben Tages, zu drei Zeitpunkten am 17. Februar 2013 sowie zu drei weiteren Zeitpunkten am 18. Februar 2013 auf. Bei den beiden letzten Besuchen befand sich Frau

D.

bereits in einem präfinalen Zustand.
6
Zu einem nicht näher feststellbaren Zeitpunkt, aber jedenfalls nachdem Frau D. ins Koma gefallen war und vor ihrem Versterben, verabreichte der Angeklagte ihr mindestens einmal eine Ampulle Metoclopramid, um ein Erbrechen zu verhindern. Bei einem Erbrechen wäre es mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem früheren Todeseintritt gekommen, da die später Verstorbene entweder aufgrund der Rückenlage an dem Erbrochenen erstickt wäre oder aber das Erbrechen dazu geführt hätte, dass sie kurzzeitig nochmals eine größere Menge des Phenobarbitals (dem Wirkstoff von Luminal) hätte absorbieren können, was die Vergiftung beschleunigt hätte. Darüber hinaus spritzte der Angeklagte ihr Buscopan, ein in der Palliativmedizin eingesetztes krampflösendes Medikament. So wollte er sicherstellen, dass es nicht zu unnötigen Schmerzen bei der Sterbenden kommt.
7
Am Morgen des 18. Februar 2013 rief die Mutter der Suizidentin beim Angeklagten an und erklärte, die Zeugin P. , eine Freundin ihrer Tochter, mache sich Sorgen, weil sie diese nicht habe erreichen können, und habe sich auf den Weg zu deren Wohnung gemacht. Daraufhin informierte der Angeklagte die Mutter und die Zeugin P. darüber, dass Frau D. Tabletten eingenommen habe, im Sterben liege und nichts unternommen werden solle, weil sie dies nicht gewollt habe. Gegen 21 Uhr teilte Frau D. s Sohn, der Zeuge F. , der zuvor von seiner Großmutter über den Zustand der Mutter unterrichtet worden war, dem Angeklagten mit, dass er sofort aus Stuttgart anreisen wolle. Es wurde ein Treffen in Frau D. s Wohnung verabredet.
8
Am 19. Februar 2013 gegen 4:30 Uhr stellte der Angeklagte den Tod D. s fest und füllte den Leichenschauschein aus. Als Todesart kreuzte er „natürlicher Tod“ an und trug als Todesursachen handschriftlich „Nierenversagen“ , „Tabletten-Intoxikation“ und „Depression“ ein. Ob die Verstorbe- ne nach der Einnahme des Luminals bei sofortiger medizinischer Behandlung noch hätte gerettet werden können, ließ sich nicht mit Sicherheit feststellen.
9
2. Das Landgericht hat eine Strafbarkeit des Angeklagten unter sämtlichen in Betracht kommenden Gesichtspunkten jeweils aus rechtlichen Gründen verneint. Die Bereitstellung der Medikamente stelle sich als straflose Beihilfe zur eigenverantwortlichen Selbsttötung dar. Auch zu Rettungsbemühungen nach Eintritt der Bewusstlosigkeit Frau D. s sei der Angeklagte nicht verpflichtet gewesen. Denn deren freiverantwortliche Ausübung des Selbstbestimmungsrechts habe eine Pflicht des Angeklagten zur Abwendung ihres Todes entfallen lassen. Eine solche ergebe sich auch nicht aus § 323c Abs. 1 StGB, da eine freiverantwortliche Selbsttötung keinen Unglücksfall darstelle.

II.

10
Die Revision der Staatsanwaltschaft ist unbegründet. Der Freispruch des Angeklagten hält rechtlicher Überprüfung stand.
11
1. Der Angeklagte hat sich nicht wegen eines vollendeten Tötungsdelikts durch aktives Tun (§ 212 Abs. 1 StGB oder § 216 Abs. 1 StGB) strafbar gemacht.
12
a) Der im Verschaffen des Zugangs zu den todbringenden Medikamenten liegende Tatbeitrag des Angeklagten stellt sich bei der gebotenen normativen Betrachtung als straflose Hilfeleistung zur eigenverantwortlich verwirklichten Selbsttötung D. s dar.
13
aa) Für die Abgrenzung einer straflosen Beihilfe zur Selbsttötung von der täterschaftlichen Tötung eines anderen ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs maßgeblich, wer in Vollzug des Gesamtplans die Herrschaft über das zum Tode führende Geschehen ausübt (BGH, Urteile vom 14. August 1963 – 2 StR 181/63, BGHSt 19, 135, 139 f.; vom 7. Februar 2001 – 5 StR 474/00, BGHSt 46, 279, 284; vom 20. Mai 2003 – 5 StR 66/03, NJW 2003, 2326, 2327; vom 4. Juli 2018 – 2 StR 245/17, BGHSt 63, 161; Beschluss vom 25. November 1986 – 1 StR 613/86, NJW 1987, 1092). Begibt sich der Sterbewillige in die Hand eines Dritten und nimmt duldend von ihm den Tod entgegen, dann hat dieser die Tatherrschaft über das Geschehen. Nimmt da- gegen der Sterbewillige selbst die todbringende Handlung vor und behält er dabei die freie Entscheidung über sein Schicksal, tötet er sich selbst, wenn auch mit fremder Hilfe (vgl., jeweils mwN, BGH, Urteile vom 4. Juli 2018 – 2 StR 245/17, BGHSt 63, 161; vom heutigen Tag – 5 StR 132/18 zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen).
14
Letzteres ist hier der Fall. Frau D. übte, solange sie bei Bewusstsein war, allein die Herrschaft über das zu ihrem Tod führende Geschehen aus, indem sie freiverantwortlich die ihren Tod verursachende Dosis des Medikaments einnahm.
15
bb) Dem Angeklagten kann die Selbsttötungshandlung auch nicht nach den Grundsätzen der mittelbaren Täterschaft zugerechnet werden.
16
(1) Eine Benutzung des Suizidenten als „Werkzeug“ gegen sich selbst kann unter anderem gegeben sein, wenn dieser seinen Selbsttötungsentschluss aufgrund eines Wissens- oder Verantwortlichkeitsdefizits nicht freiverantwortlich gebildet hat (vgl. BGH, Urteile vom 5. Juli 1983 – 1 StR 168/83, BGHSt 32, 38, 41 f.; vom 28. Januar 2014 – 1 StR 494/13, BGHSt 59, 150, 168 und vom heutigen Tag – 5 StR 132/18; Beschlüsse vom 11. Januar 2011 – 5 StR 491/10, NStZ 2011, 341, 342; vom 16. Januar 2014 – 1 StR 389/13, StV 2014, 601, 602). Befindet sich der Suizident – vom „Suizidhelfer“ erkannt – in einer seine freie Willensbildung ausschließenden Lage, kann sich das Verschaffen der Möglichkeit des Suizids als in mittelbarer Täterschaft begangenes Tötungsdelikt darstellen (BGH, Urteil vom 28. Januar 2014 – 1 StR 494/13, BGHSt 59, 150, 168 f.; Beschluss vom 16. Januar 2014 – 1 StR 389/13).
17
Freiverantwortlich ist demgegenüber ein Selbsttötungsentschluss, wenn das Opfer die natürliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit für seine Entscheidung besitzt und Mangelfreiheit des Suizidwillens sowie innere Festigkeit des Entschlusses gegeben sind (vgl. BGH, Urteile vom 7. August 1984 – 1 StR 200/84, NStZ 1985, 25, 26; vom 7. Oktober 2010 – 3 StR 168/10, NStZ 2011, 340 f., und vom 21. Dezember 2011 – 2 StR 295/11, NStZ 2012, 319, 320; Beschluss vom 8. Juli 1987 – 2 StR 298/87, NJW 1988, 1532). Zum Ausschluss der Freiverantwortlichkeit müssen konkrete Umstände festgestellt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Januar 2014 – 1 StR 389/13, StV 2014, 601, 603). Als solche kommen insbesondere Minderjährigkeit des Opfers oder krankheits- sowie intoxikationsbedingte Defizite in Frage (vgl. BGH, Urteile vom 22. Januar 1981 – 4 StR 480/80, NJW 1981, 932; vom 28. Oktober 1982 – 1 StR 501/82, NStZ 1983, 72; vom 11. April 2000 – 1 StR 638/99, NStZ 2001, 205, 206; vom 29. April 2009 – 1 StR 518/08, BGHSt 53, 288, 290, und vom 7. Oktober 2010 – 3StR 168/10; Beschluss vom 11. Januar 2011 – 5 StR 491/10, NStZ 2011, 341, 342). Der Selbsttötungsentschluss kann auch dann mangelbehaftet sein, wenn er auf Zwang, Drohung oder Täuschung durch den Täter beruht (vgl. BGH, Urteile vom 5. Juli 1983 – 1 StR 168/83, BGHSt 32, 38, 43; vom 3. Dezember 1985 – 5 StR 637/85, JZ 1987, 474; Lackner/Kühl, StGB, 29. Aufl., Vor § 211 Rn. 13b; MüKo-StGB/Schneider, 3. Aufl., § 216 Rn. 22). Dasselbe gilt, wenn er einer bloßen depressiven Augenblicksstimmung entspringt, mithin nicht von innerer Festigkeit und Zielstrebigkeit getragen ist (vgl. BGH, Urteile vom 7. Oktober 2010 – 3 StR 168/10, NStZ 2011, 340, 341, und vom 14. September 2011 – 2 StR 145/11, NStZ 2012, 85, 86; MüKo-StGB/Schneider, aaO, Rn. 19).
18
(2) Gemessen hieran ist die auf rechtsfehlerfreien Feststellungen beruhende Wertung des Landgerichts, Frau D. habe ihren ernstlichen Entschluss, aus dem Leben zu scheiden, ohne Wissens- oder Verantwortlichkeitsdefizite freiverantwortlich gebildet und umgesetzt, im Ergebnis nicht zu beanstanden.
19
Die Strafkammer stützt sich insofern nicht allein auf die Einschätzung des Angeklagten, der Frau D. seit vielen Jahren behandelte und daher mit ihrer Persönlichkeit sowie ihrer Leidensgeschichte in besonderem Maße vertraut war. Es kann dahingestellt bleiben, ob für die Wertung der Freiverantwortlichkeit gleichwohl allein die Anschauung des – soweit erkennbar – nicht in den Bereichen der Psychiatrie und Psychologie ausgebildeten Angeklagten zur Wahrung der Kognitionspflicht genügen würde (vgl. dazu BGH, Urteile vom 26. Januar 2017 – 3 StR 479/16, NStZ 2017, 410; vom 20. September 2018 – 3StR 195/18; vom 10. Oktober 2018 – 2 StR 253/18; KK-StPO/Ott, 8. Aufl., § 264 Rn. 28). Denn die Strafkammer setzt sich darüber hinaus eingehend mit der mehrjährigen Krankheitsgeschichte der Suizidentin auseinander und zieht dabei die Aussagen von Angehörigen und Bekannten zur Entwicklung ihrer Krankheit und ihres seelischen Zustands heran. Auch ihnen gegenüber hatte Frau D. über jeweils längere Zeiträume unabhängig voneinander ihren Todeswunsch geäußert.
20
Zwar erscheint es danach nicht ausgeschlossen, dass Frau

D.

– durch ihrfortwährendes körperliches Leiden zermürbt – im Zeitpunkt ihrer Selbsttötung aufgrund einer „tiefen Verzweiflung“ psychisch beeinträchtigt war. Indes lassen sich dem Urteil keine Umstände entnehmen, die zur Annahme einer Aufhebung ihrer Einsichts- und Urteilsfähigkeit hätten zwingen müssen oder auf ein Handeln aus einer bloßen „depressiven Augenblicksstimmung“ hindeuteten. Vielmehr hatte sie sich intensiv mit dem Thema Tod auseinandergesetzt , im Laufe der Jahre bereits mehrere Selbsttötungsversuche unternommen , ihren Freundinnen sowie ihrer Mutter und ihrem Sohn mehrmals den Sterbewunsch mitgeteilt und sich bereits ab Dezember 2012 von ihren Freundinnen verabschiedet. Ihr Entschluss beruhte mithin auf einer über die Zeit hin-
weg entwickelten und durch ihr Leiden bedingten „Lebensmüdigkeit“ (vgl. UA S. 15); sie hatte einen „langjährigen ernsthaften Todeswunsch“ (UA S. 16).
21
(3) Auch unter Zugrundelegung der innerhalb des Schrifttums für einen freiverantwortlichen Suizidentschluss formulierten Kriterien ist von einem solchen auszugehen (dazu Urteil des Senats vom heutigen Tage – 5 StR132/18 mit zahlreichen Nachweisen; zusammenfassend auch MüKo-StGB/Schneider, aaO, Vor § 211 Rn. 37 ff.). Frau D. befand sich nicht in einem Zustand , der entsprechend §§ 19, 20, 35 StGB zu einem Verantwortlichkeitsausschluss führen würde. Vielmehr war sie nach Ausschöpfung sämtlicher, auf Linderung ihrer Schmerzen gerichteter Therapien fest entschlossen, aus dem Leben zu scheiden, weil es ihr unter diesen Umständen nicht mehr lebenswert erschien. Dieser durch das Landgericht als „Bilanzselbstmord“ (UA S. 16) gewertete , auf rationaler Reflexion beruhende Entschluss kennzeichnet eine durch Willensfestigkeit und Zielstrebigkeit geprägte innere Haltung und ist daher auch nach den Grundsätzen der Einwilligung als freiverantwortlich zu werten. Die dem Entschluss zugrundeliegende Motivation, über viele Jahre hinweg erduldeten Schmerzen ein Ende zu setzen, ist – wenn sie nicht ihrerseits auf eine die Einsichts- und Urteilsfähigkeit ausschließende Erkrankung zurückzuführen ist – einer näheren Überprüfung schon deshalb nicht zugänglich, weil sich das Empfinden von Schmerzen als innerer, höchstpersönlicher Vorgang der für eine wertende Beurteilung erforderlichen Objektivierung entzieht.
22
b) Das Verabreichen muskelentspannender Medikamente während des Sterbens war nach den Feststellungen bereits nicht kausal für den eingetretenen Todeserfolg. Die Medikamentengabe hat den Sterbeprozess weder beschleunigt , noch einen neuen tödlichen Kausalverlauf in Gang gesetzt.
23

c) Schließlich ist der Angeklagte auch nicht deswegen eines vollendeten, aktiv begangenen Tötungsdelikts schuldig, weil er die Zeugin P. und den Zeugen F. in Telefongesprächen über den jeweils aktuellen Zustand der Suizidentin und deren Todeswunsch unterrichtete. Er hat damit schon nicht in strafbarer Weise Rettungsbemühungen verhindert, weil die Zeugen keine solchen unternommen hatten, mithin kein rettender Kausalverlauf in Gang gesetzt war, der ohne das Eingreifen des Angeklagten zu einer unmittelbaren Rettung der Suizidentin geführt hätte (vgl. Schönke/Schröder/Eisele, 30. Aufl., Vor §§ 13 ff. Rn. 159; Otto, Grundkurs Strafrecht, Allgemeine Strafrechtslehre, 7. Aufl., § 9 Rn. 9; Gropp, Gedächtnisschrift Schlüchter, S. 173, 179). Vielmehr beschlossen die Zeugen nach den Telefonaten „jeder für sich …, den Wunsch der später Verstorbenen zu respektieren und untätig zu bleiben“ (UA S. 20).
24
2. Eine an das Unterlassen von Bemühungen zur Rettung der von ihm bewusstlos vorgefundenen Suizidentin anknüpfende Bestrafung des Angeklagten wegen vollendeter Tötung durch Unterlassen kam schon aus tatsächlichen Gründen nicht in Betracht. Das Landgericht hat nicht festgestellt, dass das Leben der Suizidentin durch alsbald nach der Einnahme von Tabletten eingeleitete Maßnahmen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit hätte gerettet werden können (vgl. BGH, Urteil vom heutigen Tage – 5 StR 132/19 mwN).
25
3. Der Angeklagte hat sich auch nicht wegen versuchter Tötung durch Unterlassen strafbar gemacht, denn er war nicht mehr Garant für Frau D. s Leben.
26
a) Allerdings hatte er Frau D. viele Jahre als Hausarzt betreut und befand sich aufgrund der Übernahme ihrer ärztlichen Behandlung und des damit einhergehenden Vertrauensverhältnisses zunächst in einer besonderen Schutzposition für deren Leib und Leben (vgl. BGH, Urteil vom 4. Juli 1984 – 3 StR 96/84, BGHSt 32, 367, 377; Schönke/Schröder/Bosch, aaO, § 13 Rn. 28a). Diese Pflichtenstellung als Hausarzt endete spätestens, als Frau D. ihren Sterbewunsch (nochmals) äußerte und diesen mit der von dem Angeklagten akzeptierten Bitte verband, er solle „sie nach Einnahme der Tabletten zu Hause betreuen“. Entsprechend dieser Vereinbarung oblag es ihm nur noch, als Sterbebegleiter etwaige Leiden oder Schmerzen während des Sterbens zu lindern oder zu verhindern (vgl. auch BGH, Urteil vom 3. Dezember 1982 – 2 StR 494/82, NStZ 1983, 117, 118; Beschluss vom 8. Juli 1987 – 2 StR 298/87, NJW 1988, 1532; LK-StGB/Rissing-van Saan, 12. Aufl., § 216 Rn. 29, 31 f.; MüKo-StGB/ Schneider, aaO, § 216 Rn. 66; SSW-StGB/Momsen, 4. Aufl., § 216 Rn. 11; Saliger, medstra 2015, 132, 136; Berghäuser, ZStW 2016, 741,

749).

27
b) Für diese Wertung sprechen folgende Erwägungen:
28
aa) Die (Patienten-)Autonomie, die Entscheidungen über das Geschehenlassen des eigenen Sterbens umfasst, hat in der jüngeren Vergangenheit in Abwägung mit dem Auftrag zum Schutz des menschlichen Lebens (vgl. BVerfGE 88, 203) eine erhebliche Aufwertung erfahren.
29
(1) Nach dem Grundgesetz ist jeder Mensch grundsätzlich frei, über den Umgang mit seiner Gesundheit nach eigenem Gutdünken zu entscheiden (BVerfG, NJW 2017, 53, 56). Die Rechtsprechung leitet aus dem Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 Satz 1 GG) und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) eine „Freiheit zur Krankheit“ ab, die es grundsätzlich einschließt, Heilbehandlungen auch dann abzulehnen, wenn sie medizinisch angezeigt sind (vgl. BVerfG, aaO; siehe auch BGH, Beschluss vom 17. September 2014 – XII ZB 202/13, BGHZ 202, 226, 236; jeweils unter Berufung auf Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG: BVerfGE 128, 282, 304; 129, 269, 280; 133, 112, 131). Selbst bei lebenswichtigenärztlichen Maßnahmen schützt das Selbstbestimmungsrecht des Patienten eine Entschließung , die aus medizinischen Gründen unvertretbar erscheint (vgl. BGH, Urteil vom 7. Februar 1984 – VI ZR 174/82, BGHZ 90, 103, 111). Das Grundgesetz garantiert dem Individuum das Recht, in Bezug auf die eigene Person aus medizinischer Sicht Unvernünftiges zu tun und sachlich Gebotenes zu unterlassen (vgl. LK-StGB/Rissing-van Saan, aaO, § 216 Rn. 26). Jeder einwilligungsfähige Kranke hat es danach in der Hand, eine lebensrettende Behandlung zu untersagen und so über das eigene Leben zu verfügen (vgl. Kutzer, ZRP 2012, 135, 136).
30
(2) Darüber hinausgehend gebietet es die Würde des Menschen, sein in einwilligungsfähigem Zustand ausgeübtes Selbstbestimmungsrecht auch dann noch zu respektieren, wenn er zu eigenverantwortlichem Entscheiden nicht mehr in der Lage ist (vgl. BGH, Beschluss vom 17. März 2003 – XII ZB 2/03, BGHZ 154, 205). Mit der gesetzlichen Regelung der Patientenverfügung in § 1901a BGB durch das Dritte Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts vom 29. Juli 2009 (BGBl. I 2286) hat der Gesetzgeber die Verbindlichkeit des Willens des Patienten für Behandlungsentscheidungen über den Zeitpunkt des Eintritts seiner Einwilligungsunfähigkeit hinaus klarstellend anerkannt, wobei es auf Art und Stadium der Erkrankung nicht ankommt (§ 1901a Abs. 3 BGB). Dabei ging auch er davon aus, dass das Selbstbestimmungsrecht des Menschen „das Recht zur Selbstgefährdung bis hin zur Selbstaufgabe und damit auch auf Ablehnung lebensverlängernder Maßnahmen unabhängig von der ärztlichen Indi- kation der Behandlung“ einschließt (BT-Drucks.16/8442, S. 8). Der Bundesge- richtshof hat demgemäß einen Behandlungsabbruch – losgelöst von der Begehungsform – als gerechtfertigt angesehen, wenn er in Ansehung von § 1901a BGB dem tatsächlichen oder mutmaßlichen Patientenwillen entspricht und dazu dient, einem ohne Behandlung zum Tode führenden Krankheitsprozess seinen Lauf zu lassen (vgl. BGH, Urteil vom 25. Juni 2010 – 2 StR 454/09, BGHSt 55, 191, 199, 203 f.).
31
(3) Weitergehend leitet der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) aus dem Recht auf Achtung des Privatlebens im Sinne von Art. 8 EMRK das Recht einer Person her zu entscheiden, wie und zu welchem Zeitpunkt ihr Leben enden soll (EGMR, NJW 2011, 3773, 3774; 2013, 2953,2955 f.). Auch wenn im Bereich der Konventionsstaaten derzeit kein Konsens hinsichtlich der Frage der Strafbarkeit eines assistierten Suizids besteht und deshalb den nationalen Gerichten in diesem Zusammenhang ein erheblicher Ermessensspielraum eingeräumt ist (EGMR, aaO), kommt der Auslegung der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten durch den EGMR im Rahmen der verfassungs- und konventionskonformen Anwendung der §§ 216, 13 StGB eine Orientierungs- und Leitfunktion zu (vgl. zu den Auswirkungen der Rechtsprechung des EGMR auf die Rechtsanwendung durch die nationalen Gerichte BVerfGE 111, 307, 320; 128, 326, 368 ff.; BVerfG, NJW 2019, 41, 43).
32
(4) Unter Berücksichtigung dieser Rechtsprechung des EGMR hat das Bundesverwaltungsgericht dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht das Recht eines schwer und unheilbar kranken Menschen entnommen, „zu entscheiden wie und zu welchem Zeitpunkt sein Leben enden soll, vorausgesetzt er kann seinen Willen frei bilden und entsprechend handeln.“ Hiermit sei die ausnahmslose Beschränkung des Zugangs zu die schmerzlose und sichere Selbsttötung ermöglichenden Betäubungsmitteln im Falle einer durch seine Krankheit begründeten extremen Notlage des Suizidwilligen unvereinbar (BVerwGE 158, 142, 152; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 28. Mai 2019 – 3 C 6/17).
33
(5) Die herrschende Auffassung im Schrifttum entnimmt dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Suizidenten einen unterschiedlich weitgehenden „Anspruch, in Ruhe sterben zu können“ (vgl. Maunz/Dürig/Di Fabio, 84. EL, Art. 2 Abs. 1 Rn. 205; Müller-Terpitz in Handbuch des Staatsrechts, 3. Aufl., § 147 Rn. 101; Roxin, NStZ 2016, 185, 186; Saliger, medstra 2015, 132, 135; Gärditz, ZfL 2017, 38, 41 f.). Deshalb könne ein Arzt oder ein Dritter, der den ernstlichen Wunsch nach Behandlungseinstellung achtet, nicht wegen eines Tötungsdelikts belangt werden (vgl. Maunz/Dürig/Di Fabio, aaO).
34
bb) In Anbetracht der solchermaßen im Laufe der rechtlichen Entwicklung gewachsenen Bedeutung der Selbstbestimmung des Einzelnen auch bei Entscheidungen über sein eigenes Leben kann in Fällen des freiverantwortlichen Suizids der Arzt, der die Umstände kennt, nicht mit strafrechtlichen Konsequenzen verpflichtet werden, gegen den Willen des Suizidenten zu handeln (vgl. LK-StGB/Rissing-van Saan, aaO, § 216 Rn. 26). Da Frau D. ihren ernstlichen Entschluss, aus dem Leben zu scheiden, ohne Wissens- oder Verantwortlichkeitsdefizits freiverantwortlich gebildet und umgesetzt hat und sich keine Hinweise auf eine Änderung ihres Sterbewillens ergeben , brauchte der Angeklagte Maßnahmen zu ihrer Rettung nicht zu ergreifen.
35
c) Dies gilt auch hinsichtlich einer etwaigen Garantenstellung aus vorangegangenem gefährlichem Tun, insbesondere dem Verschaffen der Medikamente. Denn Frau D. hat im Anschluss hieran die Tabletten freiverantwortlich selbst eingenommen, so dass das Risiko für die Verwirklichung der durch das Vorverhalten des Angeklagten gegebenenfalls erhöhten Gefahr allein in ihrem Verantwortungsbereich lag (vgl. hierzu sowie zur Garantenstellung aus Ingerenz im Übrigen BGH, Urteil vom heutigen Tag – 5 StR 132/18).
36
d) Der Senat weicht mit dieser Ansicht nicht in einer ein Anfrageverfahren nach § 132 Abs. 3 Satz 1 GVG erfordernden Weise von der Entscheidung des 3. Strafsenats vom 4. Juli 1984 (3 StR 96/84, BGHSt 32, 367, 374) ab. Mit der Beendigung der Garantenstellung als Hausarzt und der Vereinbarung einer bloßen Sterbebegleitung unterscheidet sich der vorliegende Fall in tatsächlicher Hinsicht von dem dem Urteil des 3. Strafsenats (aaO) zugrundeliegenden Sachverhalt, in dem eine abschließende Abrede über Fortbestand und Art des ArztPatienten -Verhältnisses noch nicht getroffen worden war.
37
4. Das Landgericht hat auch eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen unterlassener Hilfeleistung (§ 323c Abs. 1 StGB) zutreffend verneint. Entgegen seiner Rechtsansicht stellt die Situation einer Selbsttötung nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zwar auch im Falle ihrer Freiverantwortlichkeit einen Unglücksfall im Sinne von § 323c Abs. 1 StGB dar, der für jedermann in den Grenzen des Erforderlichen und Zumutbaren eine auf die Vornahme von Rettungshandlungen gerichtete Hilfspflicht begründet. Eine dem geäußerten Willen Frau D. s zuwiderlaufenden Hilfeleistung war dem Angeklagten aber nicht zumutbar (vgl. dazu BGH, Urteil vom heutigen Tag – 5 StR 132/18).
38
5. Eine Strafbarkeit des Angeklagten nach § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 Buchst. a und b i.V.m. § 13 Abs. 1 BtMG sowie § 1 Abs. 1 BtMG i.V.m. Anlage III zum Betäubungsmittelgesetz hat die Strafkammer ohne Rechtsfehler abgelehnt (UA S. 18). Mutzbauer Sander Schneider König Köhler

(1) Wer in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Als Teilnehmer bleibt straffrei, wer selbst nicht geschäftsmäßig handelt und entweder Angehöriger des in Absatz 1 genannten anderen ist oder diesem nahesteht.

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(1) Die Strafe und ihre Nebenfolgen bestimmen sich nach dem Gesetz, das zur Zeit der Tat gilt.

(2) Wird die Strafdrohung während der Begehung der Tat geändert, so ist das Gesetz anzuwenden, das bei Beendigung der Tat gilt.

(3) Wird das Gesetz, das bei Beendigung der Tat gilt, vor der Entscheidung geändert, so ist das mildeste Gesetz anzuwenden.

(4) Ein Gesetz, das nur für eine bestimmte Zeit gelten soll, ist auf Taten, die während seiner Geltung begangen sind, auch dann anzuwenden, wenn es außer Kraft getreten ist. Dies gilt nicht, soweit ein Gesetz etwas anderes bestimmt.

(5) Für Einziehung und Unbrauchbarmachung gelten die Absätze 1 bis 4 entsprechend.

(6) Über Maßregeln der Besserung und Sicherung ist, wenn gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, nach dem Gesetz zu entscheiden, das zur Zeit der Entscheidung gilt.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 289/16
vom
24. November 2016
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung
ECLI:DE:BGH:2016:241116U4STR289.16.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 24. November 2016, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof Sost-Scheible,
Richterin am Bundesgerichtshof Roggenbuck, Richter am Bundesgerichtshof Cierniak, Dr. Mutzbauer, Dr. Quentin als beisitzende Richter,
Staatsanwältin beim Bundesgerichtshof als Vertreterin des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt als Verteidiger,
die Nebenklägerin in Person,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Detmold vom 22. Februar 2016 wird verworfen.
2. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels und die der Nebenklägerin hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Hiergegen richtet sich seine auf Verfahrensrügen und sachlich-rechtliche Beanstandungen gestützte Revision. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

I.


2
1. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen :
3
Der 1986 geborene Angeklagte war mit der Nebenklägerin seit 2007 verheiratet. Nachdem die Ehe zunächst harmonisch verlaufen war, kam es 2008/2009 zu ersten Problemen, da sich die Nebenklägerin zu anderen Männern hingezogen fühlte und der Angeklagte aufbrausend reagierte, wenn er im Studium (Lehramt in Theologie und Mathematik) schlechte Noten bekam. In dieser Zeit wurde die Nebenklägerin an ihrer neuen Arbeitsstelle zudem „ge- mobbt“, woraufhin sie psychosomatische Beschwerden entwickelte und 20 kg abnahm. Nach einer vorübergehenden Besserung der Beziehung nach der Geburt ihrer Tochter im Jahr 2010 verschlechterte sich diese wieder während der zweiten Schwangerschaft der Nebenklägerin 2011/2012. Die Nebenklägerin nahm weiter ab und wog im Februar 2012 bei 157 cm Größe noch 57 kg. Im März 2012 gebar sie ihr zweites Kind. In der Folge zog sich der Angeklagte, der sich überfordert fühlte, immer mehr zurück; die Nebenklägerin hatte das Gefühl, er benötige sie nur mehr als Haushaltshilfe. Sie verlor weiter an Gewicht und wog im Mai 2012 lediglich 48 kg. Auch in den Folgemonaten nahm die Nebenklägerin weiter ab. Der Angeklagte bemerkte dies, begleitete die Nebenklägerin auch bei Arztbesuchen, kümmerte sich aber nicht weiter um sie, als die Ärzte die Ursache des Gewichtsverlustes nicht aufklären konnten. Vielmehr flüchtete er sich in seine 2012 aufgenommene Tätigkeit als Referendar, zog sich weiter zurück und befasste sich insbesondere mit der Unterrichtsvorbereitung und Computerspielen. Mit dem Haushalt und der Betreuung der Kinder wollte er nichts zu tun haben; dies war nach seiner Ansicht Aufgabe der Nebenklägerin. Schließlich lebten der Angeklagte und die Nebenklägerin nur noch nebeneinander her.
4
Die Nebenklägerin nahm währenddessen weiter ab. Hierauf von Familienangehörigen angesprochen erklärte sie den Gewichtsverlust mit Nahrungsmittelunverträglichkeiten. Schließlich stellte sie Ende 2012 den Kontakt zu ihren Schwestern völlig ein, nachdem diese sie immer wieder auf ihr Gewicht angesprochen hatten.
5
Ende April/Anfang Mai 2013 wog die Nebenklägerin nur noch 34,5 kg. Am 30. April 2013 aß sie Himbeeren und litt daraufhin in der Nacht und am fol- genden Tag an starken Bauchschmerzen und Durchfall. Dies bemerkte der Angeklagte , dem die Nebenklägerin hiervon auch erzählte. Am Morgen des 2. Mai 2013 verließ der Angeklagte nach 6 Uhr das Haus und fuhr zur Arbeit. Um den gesundheitlichen Zustand der Nebenklägerin kümmerte er sich nicht weiter, obwohl er gesehen hatte, dass es ihr schlecht ging und sie sehr schwach war. Tatsächlich war ihre Blutzuckerkonzentration bereits unter den aus medizinischer Sicht kritischen Wert vom 50 mg/dl gesunken, ihr Blutdruck war sehr niedrig, der Herzschlag war verlangsamt und die Körpertemperatur war erheb- lich abgesunken. Gleichwohl versorgte die Nebenklägerin „so gut es ging“ die Kinder, verbrachte aber den Rest des Tages „zumeist völlig erschöpft“ auf dem Sofa. Im Verlauf des Tages ging ihr Blutzuckerspiegel weiter zurück; auch die Körpertemperatur sank weiter und sie „strahlte eine ‚Leichenkälte’ aus“.
6
Der Angeklagte, der gegen 15.20 Uhr nach Hause kam, bemerkte den gegenüber dem Morgen deutlich verschlechterten Zustand der Nebenklägerin und erkannte, dass sie dringend ärztlicher Hilfe bedurfte. Er unternahm jedoch nichts, sondern befasste sich bis 19.34 Uhr mit einem Computerspiel. Als er danach ins Wohnzimmer zurückkehrte, lag die Nebenklägerin auf dem Sofa und fror. Der Angeklagte deckte sie zu und bemerkte dabei die Kälte, die von ihrem Körper ausging. Er erkannte, dass „die Lage ernst“ war, verdrängte diesen Ge- danken jedoch, insbesondere rief er keinen Arzt, sondern zog sich erneut zurück , um bis ca. 21 Uhr zu arbeiten. Anschließend setzte er sich neben die Nebenklägerin auf das Sofa und sah fern. Auch hierbei bemerkte er die Kälte, die von der Nebenklägerin, deren Körpertemperatur inzwischen auf ca. 33 Grad Celsius gesunken war, ausging. Er unternahm aber auch weiterhin nichts, sondern legte sich neben die Nebenklägerin, um am kommenden Schultag ausgeschlafen zu sein.
7
Gegen 2 Uhr wachte der Angeklagte auf, da die Nebenklägerin ein Getränk , dass er ihr vor dem Einschlafen auf ihren Wunsch hin gebracht hatte, verschüttet hatte, weil sie zu schwach war, um die Flasche zu halten. Daraufhin holte der Angeklagte ihr eine neue Decke und deckte sie zu. Hierbei berührte er sie erneut und spürte abermals die von ihr ausgehende „Leichenkälte“. Er be- merkte ferner, dass sie nur noch apathisch auf dem Sofa lag, kaum noch Kraft hatte, sich zu bewegen, und auf Ansprache kaum mehr reagierte. Spätestens jetzt erkannte er, dass sich die Nebenklägerin in Lebensgefahr befand. Gleichwohl unternahm er auch weiterhin nichts, obwohl ihm bewusst war, dass er als Ehemann Verantwortung für die Nebenklägerin trug und verpflichtet war, ihr zu helfen. Ihm kam es vielmehr darauf an, in Ruhe weiterschlafen zu können.
8
Gegen 6 Uhr wachte der Angeklagte erneut auf. Die Nebenklägerin hatte sich erbrochen und war nicht mehr ansprechbar; ihre Augen waren starr und ihre Pupillen reagierten – wie der Angeklagte erkannte – nicht mehr. Daraufhin verständigte der Angeklagte den Notarzt. Bei der Aufnahme der Nebenklägerin in die Klinik wies sie eine Blutzuckerkonzentration von 21 mg/dl auf; ihre Körperkerntemperatur betrug weniger als 33 Grad Celsius, die Temperatur der Haut war „deutlich geringer“. Aus medizinischer Sicht war zu diesem Zeitpunkt nicht sicher, dass ihr Leben gerettet werden kann. Tatsächlich stabilisierte sich der Zustand der Nebenklägerin nach und nach, auch nahm sie wieder zu, so dass sie bei ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus am 4. Juni 2013 35,5 kg wog.
9
In der Folgezeit erhob die Nebenklägerin schwere Vorwürfe gegen den Angeklagten, unter anderem wegen sexuellen Missbrauchs ihrer Tochter. Die daraufhin eingeleiteten Ermittlungsverfahren wurden jedoch von der Staatsanwaltschaft mangels Tatverdachts nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt.
10
2. Die Strafkammer hat das Verhalten des Angeklagten am 3. Mai 2013 um 2 Uhr als gefährliche Körperverletzung durch Unterlassen (§ 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB) bewertet. Die Nebenklägerin sei zu diesem Zeitpunkt aufgrund ihres erheblich geschwächten Gesundheitszustandes nicht mehr in der Lage gewesen , selbst Maßnahmen zu ergreifen, um dem bereits begonnenen Sterbeprozess entgegenzuwirken. Der deshalb bestehenden konkreten Handlungspflicht des Angeklagten sei dieser nicht nachgekommen, obwohl es ihm möglich gewesen wäre, ärztliche Hilfe zu holen. Durch das Unterlassen, das für die Nebenklägerin lebensgefährdend gewesen sei, habe sich ihr Gesundheitszustand weiter verschlechtert. Von all dem habe der Angeklagte gewusst.
11
3. Der Angeklagte beanstandet mit Verfahrensrügen, dass mehrere Urkunden (Kassenbelege von Einkäufen der Nebenklägerin, ein Gutachten aus dem familiengerichtlichen Verfahren) sowie ein hilfsweise gestellter Beweisantrag auf Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens bezüglich der Nebenkläge- rin im Urteil „keinerlei Berücksichtigung“ gefunden hätten und der Hilfsbeweisantrag „seitens des Gerichts gänzlich unberücksichtigt geblieben“ sei. Mit der Sachrüge macht der Revisionsführer unter anderem geltend, dass sich das Urteil nicht zu der für die Verurteilung erforderlichen Steigerung des körperlichen Unwohlbefindens der Nebenklägerin nach 2 Uhr verhalte. Auch sei die Blutzuckerkonzentration und Körperkerntemperatur der Nebenklägerin für den Angeklagten als medizinischen Laien nicht erkennbar gewesen, zumal die Strafkammer in unzulässiger Weise unterstellt habe, dass es zwischen dem Angeklagten und der Nebenklägerin zu einer Berührung bzw. Hautkontakt gekommen sei.

II.


12
Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
13
1. Die Verfahrensrügen sind – wie der Generalbundesanwalts in seiner Antragsschrift vom 8. Juli 2016 ausgeführt hat – bereits unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO), da die Revision weder die Urkunden vorlegt, deren Erörterung im Urteil sie vermisst, noch den Beweisantrag auf Erholung des Sachverständigengutachtens wiedergibt.
14
2. Das Urteil hält im Ergebnis auch der sachlich-rechtlichen Überprüfung stand.
15
Dabei geht die Strafkammer zutreffend davon aus, dass jedenfalls bei – wiehier – bestehender Lebensgemeinschaft die Ehegatten einander als Garanten zum Schutz verpflichtet sind (BGH, Urteil vom 24. Juli 2003 – 3 StR 153/03, JR 2004, 156 m. Anm. Rönnau). Ferner hat es rechtsfehlerfrei dargelegt , dass der Angeklagte aufgrund dieser Garantenstellung um bzw. kurz nach 2 Uhr am 3. Mai 2013 verpflichtet gewesen sei, ärztliche Hilfe für die Nebenklägerin herbeizurufen, er dies jedoch – vorsätzlich – unterlassen habe. Hierdurch sei – wie das Landgericht ebenfalls rechtsfehlerfrei festgestellt hat – auch eine lebensgefährliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Nebenklägerin eingetreten (§ 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB).
16
a) Insofern begegnet insbesondere die Beweiswürdigung der Strafkammer keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
17
aa) Die revisionsgerichtliche Überprüfung der Beweiswürdigung beschränkt sich allein darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind (§ 337 Abs. 1 StPO). Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn sie widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder an die Überzeugung von der Schuld des Angeklagten überhöhte Anforderungen stellt. Liegen solche Rechtsfehler nicht vor, hat das Revisionsgericht die tatrichterliche Überzeugungsbildung auch dann hinzunehmen, wenn eine abweichende Würdigung der Beweise möglich oder sogar näherliegend gewesen wäre (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteile vom 20. September 2012 – 3 StR 158/12, NStZ-RR 2013, 89, 90; vom 26. April 2012 – 4 StR 599/11 mwN). Gleichermaßen Sache des Tatrichters ist es, die Bedeu- tung und das Gewicht der einzelnen be- oder entlastenden Indizien in der Gesamtwürdigung des Beweisergebnisses zu bewerten. Ist diese Bewertung nach den dargestellten rechtlichen Maßstäben vertretbar, so kann das Revisionsgericht nicht auf der Grundlage einer abweichenden Beurteilung der Bedeutung einer Indiztatsache in die Überzeugungsbildung des Tatrichters eingreifen (BGH, Urteile vom 9. Juni 2005 – 3 StR 269/04, NJW 2005, 2322, 2326; vom 20. September 2012 – 3 StR 158/12, NStZ-RR 2013, 89, 90).
18
bb) Hiervon ausgehend weist die Beweiswürdigung der Strafkammer keinen Rechtsfehler auf.
19
Entgegen der Ansicht des Revisionsführers hat die Strafkammer ausreichende Feststellungen zum Gesundheitszustand der Nebenklägerin am 3. Mai 2013 um 2 Uhr getroffen und hinreichend dargelegt, dass sich dieser bis 6 Uhr weiter verschlechtert hat (vgl. u.a. UA S. 15: Steigerung des pathologischen und lebensbedrohlichen Zustandes um 2 Uhr bis zur akuten Lebensgefahr um 6 Uhr). Die Erkennbarkeit des lebensbedrohlichen Zustandes der Nebenkläge- rin bereits um 2 Uhr stützt die Strafkammer vor dem Hintergrund des auch für den Angeklagten deutlich erkennbaren und erkannten Gewichtsverlustes der Nebenklägerin (vgl. dazu auch BGH, Urteile vom 12. Juli 2005 – 1 StR 65/05, NStZ-RR 2006, 174, 175; vom 4. August 2015 – 1 StR 624/14, juris Rn. 24) und die ihm bekannten aktuellen gesundheitlichen Probleme der Nebenklägerin nach dem Genuss der Himbeeren rechtsfehlerfrei im Wesentlichen auf die entsprechenden Ausführungen des rechtsmedizinischen Sachverständigen. Dieser hat unter anderem dargelegt, dass nicht nur wegen der von der Nebenklägerin ausgehenden „Leichenkälte“ selbst für einen medizinischen Laien die bestehende Lebensgefahr „klar gewesen“ sein müsse (UA S. 17). Vielmehr sei auch der apathische Zustand der Nebenklägerin von dem eines bloßen Verschlafenseins , auf das sich der Angeklagte beruft (UA S. 19, 14 oben) „deutlich zu un- terscheiden“ (UA S. 19). Auch im Übrigen – etwa zu den vom Landgericht fest- gestellten Berührungen der Nebenklägerin – weist die Beweiswürdigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf und ist daher vom Revisionsgericht hinzunehmen.
20
Soweit der Generalbundesanwalt beanstandet, dass die Aussage der Nebenklägerin lediglich in Ansätzen mitgeteilt sei und sich das Landgericht mit der Aussage nicht differenziert auseinandersetze, vermag der Senat ebenfalls keinen durchgreifenden Rechtsfehler zu erkennen. Denn den Entscheidungsgründen sind die Angaben der Nebenklägerin hinreichend zu entnehmen (vgl. etwa UA S. 18/19, 20). Auch hat die Strafkammer sich mit diesen differenziert auseinandergesetzt und dabei unter anderem dargelegt, dass sie ihnen nur teilweise folgt (vgl. UA S. 18/19) und insbesondere die Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs der Tochter oder einer vorsätzlichen Tötung – aus rechtsfehlerfreien Erwägungen (UA S. 10 und 20) – für „haltlos“ bzw. nicht erwiesen erach- tet. Soweit der Generalbundesanwalt die Erörterung „offensichtlich durch die Strafkammer angehörter Zeugen“ vermisst, ist dies einer revisionsgerichtlichen Überprüfung allein auf die Sachrüge hin nicht zugänglich.
21
b) Das Urteil hält entgegen der Ansicht des Revisionsführers und des Generalbundesanwalts rechtlicher Überprüfung auch stand, soweit die Strafkammer – lediglich im Rahmen der Strafzumessung – auf die „erhebliche Mitverantwortung (der Nebenklägerin) für die Eskalation des Geschehens“ und darauf verweist, dass die Nebenklägerin den Gewichtsverlust „durch unzureichende Nahrungsaufnahme eigenverantwortlich herbeigeführt hat“ (UA S. 22 Mitte). Hierdurch hat sie im Ergebnis zu Recht bejaht, dass die Garantenpflicht des Angeklagten auch und trotz einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung der Nebenklägerin bestand.
22
aa) Zwar unterfällt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine eigenverantwortlich gewollte und verwirklichte Selbstgefährdung grundsätzlich nicht den Tatbeständen eines Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts , wenn sich das mit der Gefährdung vom Opfer bewusst eingegangene Risiko realisiert. Wer eine solche Gefährdung veranlasst, ermöglicht oder fördert , kann daher nicht wegen eines Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts verurteilt werden; denn er nimmt an einem Geschehen teil, welches – soweit es um die Strafbarkeit wegen Tötung oder Körperverletzung geht – kein tatbestandsmäßiger und damit strafbarer Vorgang ist (vgl. etwa BGH, Urteil vom 28. Januar 2014 – 1 StR 494/13, BGHSt 59, 150, 167 Rn. 71; Beschluss vom 5. August 2015 – 1 StR 328/15, NStZ 2016, 406 f.).
23
bb) Eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung ihres Lebens oder ihrer Gesundheit durch die Nebenklägerin schloss hier jedoch die Garantenpflicht des Angeklagten zur Abwendung der (zumindest) lebensgefährlichen Gesundheitsschädigung der Nebenklägerin nicht aus.
24
(1) Der Bundesgerichtshof hat bereits entschieden, dass die Erfolgsabwendungspflicht eines Garanten nicht stets schon dann entfällt, wenn sein Verhalten zunächst lediglich eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung derjenigen Person ermöglicht, für dessen Rechtsgut bzw. Rechtsgüter er als Garant rechtlich im Sinne von § 13 Abs. 1 StGB einzustehen hat (vgl. BGH, Urteile vom 27. Juni 1984 – 3 StR 144/84, NStZ 1984, 452 und vom 9. November 1984 – 2 StR 257/84, NStZ 1985, 319, 320; Beschluss vom 5. August 2015 – 1 StR 328/15, NStZ 2016, 406 f.). Die Straflosigkeit des auf die Herbeiführung des Risikos gerichteten Verhaltens ändert nichts daran, dass für den Täter Garantenpflichten in dem Zeitpunkt bestehen, in dem aus dem allgemeinen Risiko eine besondere Gefahrenlage erwächst. Mit dem Eintritt einer solchen Gefahrenlage ist der Täter verpflichtet, den drohenden Erfolg abzuwenden (BGH, Urteile vom 27. Juni 1984 – 3 StR 144/84, NStZ 1984, 452 und vom 9. November 1984 – 2 StR 257/84, NStZ 1985, 319, 320; Beschluss vom 5. August 2015 – 1 StR 328/15, NStZ 2016, 406 f.).
25
(2) An diesen Grundsätzen ist jedenfalls dann festzuhalten, wenn das Verhalten des Opfers sich in Bezug auf das Rechtsgut Leben und Gesundheit in einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung erschöpft (vgl. BGH, Beschluss vom 5. August 2015 – 1 StR 328/15, NStZ 2016, 406 f.). In diesen Fällen bleibt zwar die Beteiligung an der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung für einen Garanten an sich straffrei, bei Realisierung des von dem betroffenen Rechtsgutsinhaber eingegangenen Risikos besteht indes eine strafbewehrte Erfolgsabwendungspflicht aus § 13 Abs. 1 StGB. Denn anders als in den Selbsttötungsfällen erschöpft sich im Fall der Selbstgefährdung die Preis- gabe des eigenen Rechtsguts gerade darin, dieses in einem vom Betroffenen jedenfalls in seinem wesentlichen Grad zutreffend erkannten Umfang einem Risiko auszusetzen. Eine Hinnahme des als möglich erkannten Erfolgseintritts bei Realisierung des eingegangenen Risikos ist mit der Vornahme der Selbstgefährdung indes nicht notwendig verbunden. Entwickelt sich das allein auf Selbstgefährdung angelegte Geschehen daher erwartungswidrig in Richtung auf den Verlust des Rechtsguts, umfasst die ursprüngliche Entscheidung des Rechtsgutsinhabers für die (bloße) Gefährdung seines Rechtsguts nicht zugleich den Verzicht auf Maßnahmen zum Erhalt des nunmehr in einen Zustand konkreter Gefahr geratenen Rechtsguts. Eine Person, die nach den allgemeinen Grundsätzen des § 13 Abs. 1 StGB Garant für das bedrohte Rechtsgut ist, trifft dann im Rahmen des tatsächlich Möglichen und ihr rechtlich Zumutbaren die Pflicht, den Eintritt des tatbestandlichen Erfolgs abzuwenden (BGH, Beschluss vom 5. August 2015 – 1 StR 328/15, NStZ 2016, 406 f. mwN).
26
(3) Dies zugrunde gelegt, bestand für den Angeklagten eine Garantenpflicht , der er nicht nachgekommen ist, weil er um bzw. kurz nach 2 Uhr, als die Möglichkeit der Abwendung der (weiteren) lebensgefährlichen Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Nebenklägerin bestand, auf das Herbeirufen medizinischer Hilfe verzichtet hat.
27
(3.1.) Nach den vom Landgericht rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen war die Nebenklägerin um bzw. kurz nach 2 Uhr nicht (mehr) zu einer hinreichenden Risikobeurteilung und -abwägung in der Lage. Dies hatte zur Folge, dass der Angeklagte mangels Eigenverantwortlichkeit der sich bis dahin (allenfalls ) selbst gefährdenden Nebenklägerin die Tat- bzw. Handlungsherrschaft über das Geschehen erlangte (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Januar 2014 – 1 StR 389/13, BGHR StGB § 227 Beteiligung 4, Rn. 20, 31; ferner BGH, Be- schluss vom 11. Januar 2011 – 5 StR 491/10, JR 2011, 266, 267 m. Anm. Kotz; Urteil vom 28. Januar 2014 – 1 StR 494/13, BGHSt 59, 150, 168, Rn. 73 mwN).
28
Denn nach den getroffenen Feststellungen bemerkte der Angeklagte bereits um 2 Uhr nicht nur die von der Nebenklägerin ausgehende „Leichenkälte“, sondern auch, dass sie nur noch apathisch auf dem Sofa lag, kaum noch Kraft hatte, sich zu bewegen, und kaum auf Ansprache reagierte (UA S. 9, 18/19; zur entsprechenden Einlassung des Angeklagten: UA S. 14 oben). Dies entspricht in objektiver Hinsicht den vom rechtsmedizinischen Sachverständigen mitgeteilten Folgen eines erheblichen Gewichtsverlustes, nämlich fortschreitender Unterkühlung , Bettlägerigkeit, Apathie und Lethargie (UA S. 15). Die Annahme der Strafkammer, die Nebenklägerin sei zu diesem Zeitpunkt aufgrund ihres erheblich geschwächten Gesundheitszustandes nicht mehr in der Lage gewesen, selbst Maßnahmen zu ergreifen, um dem bereits begonnenen Sterbeprozess entgegenzuwirken und der Angeklagte habe (auch) dies erkannt (UA S. 21), begegnet daher keinen Bedenken.
29
(3.2.) Aus den vom Landgericht getroffenen Feststellungen ergibt sich ferner, dass der Gewichtsverlust der Nebenklägerin nicht von einem (ernsthaften ) Selbsttötungswillen getragen war.
30
Auch dies weist trotz ihres teilweise aggressiven und abweisenden Verhaltens , wenn sie hierauf angesprochen wurde, vor dem Hintergrund, dass die Nebenklägerin noch um 2 Uhr ein Getränk zu sich nahm, um das sie den Angeklagten zuvor gebeten hatte, ihres Engagements innerhalb der Familie trotz des Eindrucks, dass der Angeklagte sie nur noch als Haushaltshilfe benötige, sowie der von ihr für den Gewichtsverlust abgegebenen Erklärungen (psycho- somatische Beschwerden in Zusammenhang mit dem „Mobbing“, eine mit der Schwangerschaft verbundene Hormonumstellung und eine damit einhergehende Appetitlosigkeit, Nahrungsmittelunverträglichkeiten), keinen Rechtsfehler auf.
31
(3.3.) Die Nebenklägerin hat in ihre (weitere) Gesundheitsschädigung auch nicht wirksam eingewilligt (§ 228 StGB).
32
Denn dies setzt – unter anderem – voraus, dass sie einen entsprechenden Willen frei bilden und entsprechend handeln konnte (vgl. EGMR, Urteil vom 19. Juli 2012 – 497/12, NJW 2013, 2953, 2955 mwN; BGH, Beschluss vom 10. November 2010 – 2 StR 320/10, JR 2011, 316, 317 m. Anm. Olzen/Metzmacher ). Hieran fehlte es indes – wie oben ausgeführt – jedenfalls für den hier maßgeblichen Zeitpunkt am 3. Mai 2013 um bzw. kurz nach 2 Uhr.
33
c) Auch im Übrigen weist das Urteil keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler auf (vgl. zu § 13 Abs. 1 StGB etwa BGH, Urteil vom 4. August 2015 – 1 StR 624/14, juris Rn. 39).
Sost-Scheible Roggenbuck Cierniak Mutzbauer Quentin

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 328/15
vom
5. August 2015
BGHSt: ja
BGHR: ja
Nachschlagewerk: ja
Veröffentlichung: ja
_____________________________
Eine bewusste Selbstgefährdung lässt grundsätzlich die Erfolgsabwendungspflicht
des eintrittspflichtigen Garanten nicht entfallen, wenn sich das allein auf
Selbstge- fährdung angelegte Geschehen erwartungswidrig in Richtung auf den
Verlust des Rechtsguts entwickelt.
BGH, Beschluss vom 5. August 2015 - 1 StR 328/15 - LG München I
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags durch Unterlassen u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 5. August 2015 gemäß § 349
Abs. 2 StPO beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 19. Dezember 2014 wird verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags durch Unterlassen und wegen erpresserischen Menschenraubs in Tateinheit mit versuchter schwerer räuberischer Erpressung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt.
2
Seine dagegen auf die ausgeführte Sachrüge gestützte Revision ist unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

I.


3
Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen tragen den Schuldspruch wegen Totschlags durch Unterlassen (§ 212 Abs. 1, § 13 Abs. 1 StGB) im Fall B.II.1. der Urteilsgründe (Geschehen vom 18. April 2013). Das Landgericht hat ohne Rechtsfehler den Angeklagten für rechtlich verpflichtet gehalten, den Tod des später verstorbenen A. zu verhindern und hat ihm den eingetretenen Tod des Geschädigten zu seinem Vorsatz zugerechnet.
4
1. Nach den auf einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung beruhenden Feststellungen hatten sich mehrere Personen, u.a. der Angeklagte und A. , bereits im Verlaufe des Nachmittags getroffen und gemeinsam Alkohol sowie verschiedene Betäubungsmittel konsumiert. Gegen Abend begab sich die Gruppe in die in einem größeren Gebäudekomplex gelegene Wohnung des Angeklagten. Dort nahmen die Anwesenden weiterhin u.a. Alkohol, Amphetamin und Cannabis zu sich. Im Verlaufe des Abends bot der Angeklagte den übrigen Personen in der Wohnung an, Gammabutyrolacton (GBL) zu konsumieren. Dieser Stoff befand sich unverdünnt in einer im Besitz des Angeklagten befindlichen Glasflasche. Außer dem nicht revidierenden Mitangeklagten F. ging keiner der sonstigen Anwesenden auf das Angebot ein. Nachdem der Angeklagte und der Mitangeklagte etwa zwei bis drei Milliliter GBL, verdünnt in einem halben Liter Wasser, konsumiert hatten, blieb die Flasche mit dem GBL frei zugänglich in der Wohnung des Angeklagten stehen. Spätestens nach dem eigenen Konsum wies der Angeklagte seine Gäste darauf hin, dass GBL nicht unverdünnt zu sich genommen werden dürfe.
5
Einige Zeit danach setzte der später verstorbene A. die Flasche mit dem unverdünnten GBL direkt an und trank eine durch das Landgericht nicht mehr näher feststellbare Menge der Substanz. Der Angeklagte und der Mitangeklagte , die von der Aufnahme einer tödlich wirkenden Menge ausgingen, versuchten erfolglos, A. zum Erbrechen zu veranlassen. Dieser verlor vielmehr das Bewusstsein. Nachdem A. in eine stabile Seitenlage gebracht worden war, beschränkte sich der Angeklagte – wie auch die übrigen Anwesenden darauf – die Atemfrequenz des bewusstlosen Geschädigten zu kontrol- lieren. Spätestens als der Angeklagte wahrnahm, dass A. lediglich noch alle sechs bis acht Sekunden atmete, nahm er billigend in Kauf, dass der Geschädigte ohne das unverzügliche Herbeirufen von ärztlicher Hilfe an den Folgen der Einnahme des unverdünnten GBL versterben werde. Dennoch blieb er untätig. Hätte er zu diesem Zeitpunkt medizinische Hilfe angefordert, wäre das Leben des Geschädigten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gerettet worden. Auch nachdem – vom Angeklagten wahrgenommen – die Atemfrequenz von A. noch niedriger, die Atmung zudem unregelmäßig und geräuschintensiv wurde, leitete der Angeklagte zunächst weiterhin keine Rettungsmaßnahmen ein.
6
Später wurde, nicht ausschließbar auf die Initiative des Angeklagten, ein erster Rettungswagen verständigt. Als der Angeklagte beobachtete, dass dieser Rettungswagen abfuhr, ohne A. aufgenommen zu haben, ließ er einen zweiten Rettungswagen herbeirufen. Dessen Besatzung unternahm Wiederbelebungsversuche. Diese führten jedoch nicht zum Erfolg. A. verstarb an einem durch den Konsum von GBL ausgelösten Atemstillstand und der dadurch bewirkten Sauerstoffunterversorgung des Gehirns.
7
2. Nach diesen Feststellungen hat sich der Angeklagte wegen Totschlags durch Unterlassen strafbar gemacht.
8
a) Der Angeklagte hatte im Sinne von § 13 Abs. 1 StGB rechtlich dafür einzustehen, dass der Tod des Geschädigten A. nach dessen Konsum von GBL nicht eintritt. Diese Pflicht zur Abwendung des Todeserfolgs resultierte aus der tatsächlichen Herrschaft des Angeklagten über die in seinem Besitz befindliche und von ihm in seiner Wohnung für die übrigen dort Anwesenden frei zugängliche Flasche mit dem hochgradig gesundheits- und lebensgefährlichen GBL.
9
aa) In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist anerkannt, dass jeder, der eine Gefahrenquelle schafft oder unterhält, die nach Lage der Verhältnisse erforderlichen Vorkehrungen zum Schutz anderer Personen zu treffen hat (BGH, Urteil vom 13. November 2008 – 4 StR 252/08, BGHSt 53, 38, 41 f. Rn. 16 mwN; siehe auch BGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – 2 StR 295/11, NStZ 2012, 319). Die entsprechende Pflicht beschränkt sich auf das Ergreifen solcher Maßnahmen, die nach den Gesamtumständen zumutbar sind und die ein verständiger und umsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um Andere vor Schäden zu bewahren. Eine aus der Zuständigkeit für eine Gefahrenquelle folgende Erfolgsabwendungspflicht gemäß § 13 Abs. 1 StGB besteht allerdings lediglich dann, wenn mit der Eröffnung der Gefahrenquelle die nahe liegende Möglichkeit begründet wurde, dass Rechtsgüter anderer Personen verletzt werden können (vgl. bereits BGH, Urteil vom 13. November2008 – 4 StR 252/08, BGHSt 53, 38, 42 Rn. 16; BGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – 2 StR 295/11, NStZ 2012, 319). In welchem Umfang die Erfolgsabwendungs- pflicht besteht, bestimmt sich nach dem Grad der Gefahr. Die Anforderungen an den für die Gefahrenquelle Zuständigen sind umso höher, je größer bei erkennbarer Gefährlichkeit einer Handlung die Schadenswahrscheinlichkeit und Schadensintensität sind (BGH, Urteil vom 13. November 2008 – 4 StR 252/08, BGHSt 53, 38, 42 Rn. 16 mwN).
10
bb) An diesen Grundsätzen gemessen ist die rechtliche Würdigung des Tatgerichts, der Angeklagte sei Garant für das Leben des später verstorbenen A. gewesen, nicht zu beanstanden.
11
Die dem Konsum des unverdünnten GBL durch A. zeitlich vorausgegangenen Umstände legten die Möglichkeit nahe, dass es wegen des freien Zugangs aller in der Wohnung des Angeklagten Anwesenden zu einem Zugriff auf die Flasche mit dem GBL kommen werde. Alle sich dort Aufhaltenden und damit auch A. hatten bereits im Verlaufe des Nachmittags außerhalb der Wohnung unterschiedliche Suchtmittel zu sich genommen. In der Wohnung war es zu weiterem Konsum von Alkohol und verschiedenen Betäubungsmitteln gekommen. Angesichts dieses wahllosen Suchtmittelkonsumverhaltens der in der Wohnung anwesenden Personen war trotz der zunächst ausbleibenden Reaktion der Gäste auf die Aufforderung des Angeklagten, von dem GBL zu konsumieren, die Gefahr eines Zugriffs auch auf diese Substanz nahe liegend. Unabhängig von dem jeweils konkreten Umfang des Suchtmittelkonsums der verschiedenen Gäste und den jeweiligen individuellen Auswirkungen auf die Fähigkeit zur Risikoeinschätzung, entspricht eine enthemmende Wirkung von Suchtmittelkonsum allgemeiner Erfahrung. Dass es angesichts des bis zum Vorfallzeitpunkt von allen Anwesenden gezeigten Konsumverhaltens auch zu der Einnahme von GBL kommen würde, war daher eine voraussehbare Entwicklung.
12
Wegen der mit einer Einnahme des unverdünnt in der für jeden Anwesenden frei zugänglichen Flasche befindlichen GBL einhergehenden hohen Gefährlichkeit für das Leben und die Gesundheit von Konsumenten waren an den Angeklagten als Inhaber der Sachherrschaft über den gefährlichen Gegenstand hohe Sorgfaltsanforderungen zu stellen, um der Lebensgefährlichkeit des Konsums zu begegnen. Die ausgesprochene Warnung des Angeklagten, GBL nicht unverdünnt zu sich zu nehmen, genügte angesichts des frei zugänglichen Aufstellens der Flasche in der Wohnung in Anwesenheit mehrerer Personen, die bereits zuvor Alkohol und verschiedene Drogen konsumiert hatten, dazu nicht. Der Angeklagte hat daher als für die Flasche zuständiger Besitzer durch den geschilderten Umgang mit ihr eine Gefahrenquelle eröffnet. Dies begründete grundsätzlich seine Pflicht, dem von dieser Quelle für die Rechtsgüter Dritter ausgehenden Gefährlichkeitspotential durch geeignete und ihm zumutbare Maßnahmen zu begegnen.
13
b) Diese Pflicht entfiel – wie das Landgericht rechtsfehlerfrei angenommen hat – auch nicht deshalb, weil der später verstorbene A. trotz der ausgesprochenen Warnung des Angeklagten aus eigenem Entschluss das GBL unverdünnt zu sich genommen hat.
14
aa) Zwar unterfällt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine eigenverantwortlich gewollte und verwirklichte Selbstgefährdung grundsätzlich nicht den Tatbeständen eines Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts , wenn sich das mit der Gefährdung vom Opfer bewusst eingegangene Risiko realisiert. Wer eine solche Gefährdung veranlasst, ermöglicht oder fördert , kann daher nicht wegen eines Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts verurteilt werden; denn er nimmt an einem Geschehen teil, welches – soweit es um die Strafbarkeit wegen Tötung oder Körperverletzung geht – kein tatbestandsmäßiger und damit strafbarer Vorgang ist (siehe nur BGH, Urteil vom 28. Januar 2014 – 1 StR 494/13, BGHSt 59, 150, 167 Rn. 71 mit zahlr. Nachw.). Diese Grundsätze gelten sowohl für die vorsätzliche als auch die fahrlässige Veranlassung, Ermöglichung oder Förderung einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung oder Selbstverletzung (BGH, Urteil vom 28. Januar 2014 – 1 StR 494/13, BGHSt 59, 150, 168 Rn. 71).
15
bb) Eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung seines Lebens durch den Verstorbenen A. schloss jedoch die aus der Herrschaft über eine Gefahrenquelle resultierende Pflicht des Angeklagten zur Abwendung des drohenden Todeserfolgs gerade nicht aus, als sich nach der unverdünnten Einnahme von GBL gerade das Gefahrenpotential für das Leben A. s zu reali- sieren begann, das der Angeklagte durch das dem Zugriff seiner Gäste offene Abstellen der Flasche mit dem genannten Stoff gerade eröffnet hatte.
16
(1) Der Bundesgerichtshof hat bereits entschieden, dass die Erfolgsabwendungspflicht eines Garanten nicht entfällt, wenn sein Verhalten zunächst lediglich eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung derjenigen Person ermöglicht , für dessen Rechtsgut bzw. Rechtsgüter er als Garant rechtlich im Sinne von § 13 Abs. 1 StGB einzustehen hat (vgl. BGH, Urteile vom 27. Juni 1984 – 3 StR144/84, NStZ 1984, 452 und vom 9. November 1984 – 2 StR 257/84; im Ergebnis auch BGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – 2 StR 295/11, NStZ 2012, 319). Die Straflosigkeit des auf die Herbeiführung des Risikos gerichteten Verhaltens ändere nichts daran, dass für den Täter Garantenpflichten in dem Zeitpunkt bestehen, in dem aus dem allgemeinen Risiko eine besondere Gefahrenlage erwächst. Mit dem Eintritt einer solchen Gefahrenlage ist der Täter verpflichtet, den drohenden Erfolg abzuwenden (BGH, Urteile vom 27. Juni 1984 – 3 StR 144/84, NStZ 1984, 452 und vom 9. November 1984 – 2 StR 257/84; in der Sache ebenso BGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – 2 StR 295/11, NStZ 2012, 319).
17
(2) An diesen Grundsätzen ist jedenfalls dann festzuhalten, wenn – wie nach den tatrichterlichen Feststellungen hier (UA S. 22) – das Verhalten des Opfers sich in Bezug auf das Rechtsgut Leben in einer (möglichen) eigenverantwortlichen Selbstgefährdung erschöpft. Entgegen in der Strafrechtswissenschaft geäußerter Kritik (etwa Roxin, Strafrecht, AT/1, 4. Aufl., § 11 Rn. 112; Kühl in Lackner/Kühl, StGB, 28. Aufl., Vor § 211 Rn. 16; Fünfsinn StV 1985, 57 f.) ist es in diesen Konstellationen nicht wertungswidersprüchlich, zwar jegliche Beteiligung an der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung selbst für einen Garanten straffrei zu stellen, bei Realisierung des von dem betroffenen Rechts- gutsinhaber eingegangenen Risikos aber eine strafbewehrte Erfolgsabwendungspflicht aus § 13 Abs. 1 StGB anzunehmen. Denn anders als in den Selbsttötungsfällen erschöpft sich im Fall der Selbstgefährdung die Preisgabe des eigenen Rechtsguts gerade darin, dieses in einem vom Betroffenen jedenfalls in seinem wesentlichen Grad zutreffend erkannten Umfang (Kenntnis sämtlicher rechtsgutsbezogener Risiken des fraglichen Verhaltens wird nicht gefordert, vgl. BGH, Beschluss vom 11. Januar 2011 – 5 StR 491/10, NStZ 2011, 341, 342; siehe auch BGH, Urteil vom 28. Januar 2014 – 1 StR 494/13, BGHSt 59, 150, 169 f. Rn. 80 und 81) einem Risiko auszusetzen. Eine Hinnahme des als möglich erkannten Erfolgseintritts bei Realisierung des eingegangenen Risikos ist mit der Vornahme der Selbstgefährdung gerade nicht notwendig verbunden (siehe insoweit auch Freund in Münchener Kommentar zum StGB, 2. Aufl., § 13 Rn. 190; in der Sache anders dagegen Murmann NStZ 2012, 387, 388 f.).
18
Entwickelt sich das allein auf Selbstgefährdung angelegte Geschehen erwartungswidrig in Richtung auf den Verlust des Rechtsguts, umfasst die ursprüngliche Entscheidung des Rechtsgutsinhabers für die (bloße) Gefährdung seines Rechtsguts nicht zugleich den Verzicht auf Maßnahmen zum Erhalt des nunmehr in einen Zustand konkreter Gefahr geratenen Rechtsguts (vgl. Freund aaO). Eine Person, die nach den allgemeinen Grundsätzen des § 13 Abs. 1 StGB Garant für das bedrohte Rechtsgut ist, trifft dann im Rahmen des tatsächlich Möglichen und ihr rechtlich Zumutbaren die Pflicht, den Eintritt des tatbestandlichen Erfolgs abzuwenden.
19
Dem ist der Angeklagte nicht nachgekommen, weil er in dem Zeitraum, in dem noch die Möglichkeit der Abwendung des Todes von A. bestand, auf das Herbeirufen der lebensnotwendigen medizinischen Hilfe verzichtet hat.
20
(3) Ob für den Fall eines eigenverantwortlichen Suizids nach Verlust der Handlungsherrschaft des den Selbstmord Anstrebenden etwas anderes gilt (vgl. BGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – 2 StR 295/11, NStZ 2012, 319), bedarf keiner Entscheidung. Denn das Landgericht hat einen Selbsttötungswillen des Verstorbenen A. mit rechtsfehlerfreier Beweiswürdigung ausgeschlossen (UA S. 40).
21
c) Ohne Rechtsfehler hat das Landgericht, vor allem gestützt auf das rechtsmedizinische Sachverständigengutachten, festgestellt, dass A. bei rechtzeitigem Verständigen von medizinischer Hilfe mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit hätte gerettet werden können (UA S. 60–62).
22
d) Die Feststellungen zum bedingten Tötungsvorsatz werden durch eine umfassende, die Anforderungen an die Wissens- und die Willenskomponente dieser Vorsatzform berücksichtigende Gesamtwürdigung getragen (UA S. 63–

67).



II.


23
Der Schuldspruch wegen erpresserischen Menschenraubs in Tateinheit mit versuchter schwerer räuberischer Erpressung im Fall B.II.2. der Urteilsgründe (Geschehen vom 26./27. Mai 2013) weist ebenfalls keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.
24
1. Die getroffenen Feststellungen belegen die Tathandlung des SichBemächtigens im Sinne von § 239a Abs. 1 Halbs. 1 StGB spätestens ab dem Zeitpunkt des Verbringens des Nebenklägers in die Wohnung des (weiteren) nicht revidierenden Mitangeklagten J. . Sich-Bemächtigen liegt bereits vor, wenn der Täter die physische Herrschaft über einen anderen erlangt hat; dafür ist weder eine Ortsveränderung erforderlich noch muss der Tatbestand der Freiheitsberaubung erfüllt sein (BGH, Urteil vom 22. Oktober 2009 – 3 StR 372/09, NStZ 2010, 516). Die Umstände des Festhaltens in der fraglichen Wohnung (UA S. 26 und 27) ergeben die Erlangung physischer Herrschaft über den Nebenkläger. Dass es diesem zwischenzeitlich gelungen war, sich aus einer Fesselung durch Handschellen zu befreien, steht dem angesichts der sonstigen Umstände seines Festhaltens in der Wohnung nicht entgegen.
25
2. Soweit das Landgericht bezüglich § 239a StGB auf eine stabilisierte Bemächtigungslage abgestellt hat (UA S. 91), wäre es darauf nicht angekommen , weil der Angeklagte und sein nicht revidierender Mitangeklagter F. nach den getroffenen Feststellungen (auch) die Sorge des Vaters des geschädigten Nebenklägers um dessen Wohl zu einer Erpressung ausnutzen wollten. In solchen meist sog. Drei-Personen-Verhältnissen kommt nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs der Bemächtigungslage und deren Stabilisierung geringere Bedeutung zu als in sog. Zwei-Personen-Verhältnissen (Nachw. bei Fischer, StGB, 62. Aufl., § 239a Rn. 8b). Dass das Tatgericht sogar strengere Anforderungen an die Verwirklichung des Tatbestands gestellt hat, geht ersichtlich nicht zu Lasten des Angeklagten.

III.


26
Der Rechtsfolgenausspruch hält ebenfalls rechtlicher Prüfung stand.
27
Das Unterbleiben der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB hat das Landgericht ohne Rechtsfehler mit dem Fehlen eines Hangs des Angeklagten, alkoholische Getränke oder sonstige berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, begründet.
28
1. Hang im Sinne von § 64 StGB verlangt eine chronische, auf körperlicher Sucht beruhende Abhängigkeit oder zumindest eine eingewurzelte, auf psychischer Disposition beruhende oder durch Übung erworbene intensive Neigung , immer wieder Alkohol oder andere Rauschmittel im Übermaß zu sich zu nehmen. Ausreichend für die Annahme eines Hangs zum übermäßigen Genuss von Rauschmitteln ist jedenfalls, dass der Betroffene aufgrund seiner Konsumgewohnheiten sozial gefährdet oder gefährlich erscheint. Insoweit kann dem Umstand, dass durch den Rauschmittelgenuss bereits Gesundheit, Arbeits- und Leistungsfähigkeit erheblich beeinträchtigt sind, zwar indizielle Bedeutung für das Vorliegen eines Hangs zukommen; das Fehlen dieser Beeinträchtigungen schließt indessen nicht notwendigerweise die Bejahung eines Hangs aus (BGH, Beschluss vom 18. September 2013 – 1 StR 382/13, BGHR StGB § 64 Satz 1 Hang 1 mwN; Urteil vom 15. Mai 2014 – 3 StR 386/13 Rn. 10 [in NStZ-RR 2014, 271 nur LS]).
29
2. Diese Grundsätze hat das Landgericht zugrunde gelegt, sachverständig beraten jedoch die Voraussetzungen des Hangs weder im Sinne körperlicher Sucht noch psychischer Disposition, sondern lediglich einen schädlichen Gebrauch von Alkohol und sonstigen Mitteln festzustellen vermocht. Dabei hat es im rechtlichen Ausgangspunkt zutreffend berücksichtigt, dass vorhandene Beeinträchtigungen der Gesundheit sowie der Arbeits- und Lebensfähigkeit ebenso lediglich indizielle Bedeutung für den Hang haben wie umgekehrt das (bisherige) Fehlen solcher Beeinträchtigungen nur Indizien sind, die auf die Abwesenheit eines Hangs hindeuten können.
30
Da dem Landgericht die jeweils allein indizielle Bedeutung bewusst war, ist es rechtlich nicht zu beanstanden, dass es unter Berücksichtigung aller relevanten Aspekte vor allem aus dem geregelten Arbeitsleben des Angeklagten, seiner Fähigkeit, bisherige soziale Bindungen fortzuführen und neue zu knüpfen , sowie eingelegten Konsumpausen und dem Fehlen von Entzugserscheinungen nach der Festnahme in Übereinstimmung mit dem psychiatrischen Sachverständigen einen Hang verneint hat.
31
3. Angesichts des Vorstehenden kommt es nicht darauf an, ob auch – wie das Landgericht in Hilfserwägungen meint – der symptomatische Zu- sammenhang zwischen den begangenen Taten und einem (unterstellten) Hang fehlte.
Raum Jäger Radtke Mosbacher Fischer

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 289/16
vom
24. November 2016
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung
ECLI:DE:BGH:2016:241116U4STR289.16.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 24. November 2016, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof Sost-Scheible,
Richterin am Bundesgerichtshof Roggenbuck, Richter am Bundesgerichtshof Cierniak, Dr. Mutzbauer, Dr. Quentin als beisitzende Richter,
Staatsanwältin beim Bundesgerichtshof als Vertreterin des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt als Verteidiger,
die Nebenklägerin in Person,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Detmold vom 22. Februar 2016 wird verworfen.
2. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels und die der Nebenklägerin hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Hiergegen richtet sich seine auf Verfahrensrügen und sachlich-rechtliche Beanstandungen gestützte Revision. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

I.


2
1. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen :
3
Der 1986 geborene Angeklagte war mit der Nebenklägerin seit 2007 verheiratet. Nachdem die Ehe zunächst harmonisch verlaufen war, kam es 2008/2009 zu ersten Problemen, da sich die Nebenklägerin zu anderen Männern hingezogen fühlte und der Angeklagte aufbrausend reagierte, wenn er im Studium (Lehramt in Theologie und Mathematik) schlechte Noten bekam. In dieser Zeit wurde die Nebenklägerin an ihrer neuen Arbeitsstelle zudem „ge- mobbt“, woraufhin sie psychosomatische Beschwerden entwickelte und 20 kg abnahm. Nach einer vorübergehenden Besserung der Beziehung nach der Geburt ihrer Tochter im Jahr 2010 verschlechterte sich diese wieder während der zweiten Schwangerschaft der Nebenklägerin 2011/2012. Die Nebenklägerin nahm weiter ab und wog im Februar 2012 bei 157 cm Größe noch 57 kg. Im März 2012 gebar sie ihr zweites Kind. In der Folge zog sich der Angeklagte, der sich überfordert fühlte, immer mehr zurück; die Nebenklägerin hatte das Gefühl, er benötige sie nur mehr als Haushaltshilfe. Sie verlor weiter an Gewicht und wog im Mai 2012 lediglich 48 kg. Auch in den Folgemonaten nahm die Nebenklägerin weiter ab. Der Angeklagte bemerkte dies, begleitete die Nebenklägerin auch bei Arztbesuchen, kümmerte sich aber nicht weiter um sie, als die Ärzte die Ursache des Gewichtsverlustes nicht aufklären konnten. Vielmehr flüchtete er sich in seine 2012 aufgenommene Tätigkeit als Referendar, zog sich weiter zurück und befasste sich insbesondere mit der Unterrichtsvorbereitung und Computerspielen. Mit dem Haushalt und der Betreuung der Kinder wollte er nichts zu tun haben; dies war nach seiner Ansicht Aufgabe der Nebenklägerin. Schließlich lebten der Angeklagte und die Nebenklägerin nur noch nebeneinander her.
4
Die Nebenklägerin nahm währenddessen weiter ab. Hierauf von Familienangehörigen angesprochen erklärte sie den Gewichtsverlust mit Nahrungsmittelunverträglichkeiten. Schließlich stellte sie Ende 2012 den Kontakt zu ihren Schwestern völlig ein, nachdem diese sie immer wieder auf ihr Gewicht angesprochen hatten.
5
Ende April/Anfang Mai 2013 wog die Nebenklägerin nur noch 34,5 kg. Am 30. April 2013 aß sie Himbeeren und litt daraufhin in der Nacht und am fol- genden Tag an starken Bauchschmerzen und Durchfall. Dies bemerkte der Angeklagte , dem die Nebenklägerin hiervon auch erzählte. Am Morgen des 2. Mai 2013 verließ der Angeklagte nach 6 Uhr das Haus und fuhr zur Arbeit. Um den gesundheitlichen Zustand der Nebenklägerin kümmerte er sich nicht weiter, obwohl er gesehen hatte, dass es ihr schlecht ging und sie sehr schwach war. Tatsächlich war ihre Blutzuckerkonzentration bereits unter den aus medizinischer Sicht kritischen Wert vom 50 mg/dl gesunken, ihr Blutdruck war sehr niedrig, der Herzschlag war verlangsamt und die Körpertemperatur war erheb- lich abgesunken. Gleichwohl versorgte die Nebenklägerin „so gut es ging“ die Kinder, verbrachte aber den Rest des Tages „zumeist völlig erschöpft“ auf dem Sofa. Im Verlauf des Tages ging ihr Blutzuckerspiegel weiter zurück; auch die Körpertemperatur sank weiter und sie „strahlte eine ‚Leichenkälte’ aus“.
6
Der Angeklagte, der gegen 15.20 Uhr nach Hause kam, bemerkte den gegenüber dem Morgen deutlich verschlechterten Zustand der Nebenklägerin und erkannte, dass sie dringend ärztlicher Hilfe bedurfte. Er unternahm jedoch nichts, sondern befasste sich bis 19.34 Uhr mit einem Computerspiel. Als er danach ins Wohnzimmer zurückkehrte, lag die Nebenklägerin auf dem Sofa und fror. Der Angeklagte deckte sie zu und bemerkte dabei die Kälte, die von ihrem Körper ausging. Er erkannte, dass „die Lage ernst“ war, verdrängte diesen Ge- danken jedoch, insbesondere rief er keinen Arzt, sondern zog sich erneut zurück , um bis ca. 21 Uhr zu arbeiten. Anschließend setzte er sich neben die Nebenklägerin auf das Sofa und sah fern. Auch hierbei bemerkte er die Kälte, die von der Nebenklägerin, deren Körpertemperatur inzwischen auf ca. 33 Grad Celsius gesunken war, ausging. Er unternahm aber auch weiterhin nichts, sondern legte sich neben die Nebenklägerin, um am kommenden Schultag ausgeschlafen zu sein.
7
Gegen 2 Uhr wachte der Angeklagte auf, da die Nebenklägerin ein Getränk , dass er ihr vor dem Einschlafen auf ihren Wunsch hin gebracht hatte, verschüttet hatte, weil sie zu schwach war, um die Flasche zu halten. Daraufhin holte der Angeklagte ihr eine neue Decke und deckte sie zu. Hierbei berührte er sie erneut und spürte abermals die von ihr ausgehende „Leichenkälte“. Er be- merkte ferner, dass sie nur noch apathisch auf dem Sofa lag, kaum noch Kraft hatte, sich zu bewegen, und auf Ansprache kaum mehr reagierte. Spätestens jetzt erkannte er, dass sich die Nebenklägerin in Lebensgefahr befand. Gleichwohl unternahm er auch weiterhin nichts, obwohl ihm bewusst war, dass er als Ehemann Verantwortung für die Nebenklägerin trug und verpflichtet war, ihr zu helfen. Ihm kam es vielmehr darauf an, in Ruhe weiterschlafen zu können.
8
Gegen 6 Uhr wachte der Angeklagte erneut auf. Die Nebenklägerin hatte sich erbrochen und war nicht mehr ansprechbar; ihre Augen waren starr und ihre Pupillen reagierten – wie der Angeklagte erkannte – nicht mehr. Daraufhin verständigte der Angeklagte den Notarzt. Bei der Aufnahme der Nebenklägerin in die Klinik wies sie eine Blutzuckerkonzentration von 21 mg/dl auf; ihre Körperkerntemperatur betrug weniger als 33 Grad Celsius, die Temperatur der Haut war „deutlich geringer“. Aus medizinischer Sicht war zu diesem Zeitpunkt nicht sicher, dass ihr Leben gerettet werden kann. Tatsächlich stabilisierte sich der Zustand der Nebenklägerin nach und nach, auch nahm sie wieder zu, so dass sie bei ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus am 4. Juni 2013 35,5 kg wog.
9
In der Folgezeit erhob die Nebenklägerin schwere Vorwürfe gegen den Angeklagten, unter anderem wegen sexuellen Missbrauchs ihrer Tochter. Die daraufhin eingeleiteten Ermittlungsverfahren wurden jedoch von der Staatsanwaltschaft mangels Tatverdachts nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt.
10
2. Die Strafkammer hat das Verhalten des Angeklagten am 3. Mai 2013 um 2 Uhr als gefährliche Körperverletzung durch Unterlassen (§ 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB) bewertet. Die Nebenklägerin sei zu diesem Zeitpunkt aufgrund ihres erheblich geschwächten Gesundheitszustandes nicht mehr in der Lage gewesen , selbst Maßnahmen zu ergreifen, um dem bereits begonnenen Sterbeprozess entgegenzuwirken. Der deshalb bestehenden konkreten Handlungspflicht des Angeklagten sei dieser nicht nachgekommen, obwohl es ihm möglich gewesen wäre, ärztliche Hilfe zu holen. Durch das Unterlassen, das für die Nebenklägerin lebensgefährdend gewesen sei, habe sich ihr Gesundheitszustand weiter verschlechtert. Von all dem habe der Angeklagte gewusst.
11
3. Der Angeklagte beanstandet mit Verfahrensrügen, dass mehrere Urkunden (Kassenbelege von Einkäufen der Nebenklägerin, ein Gutachten aus dem familiengerichtlichen Verfahren) sowie ein hilfsweise gestellter Beweisantrag auf Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens bezüglich der Nebenkläge- rin im Urteil „keinerlei Berücksichtigung“ gefunden hätten und der Hilfsbeweisantrag „seitens des Gerichts gänzlich unberücksichtigt geblieben“ sei. Mit der Sachrüge macht der Revisionsführer unter anderem geltend, dass sich das Urteil nicht zu der für die Verurteilung erforderlichen Steigerung des körperlichen Unwohlbefindens der Nebenklägerin nach 2 Uhr verhalte. Auch sei die Blutzuckerkonzentration und Körperkerntemperatur der Nebenklägerin für den Angeklagten als medizinischen Laien nicht erkennbar gewesen, zumal die Strafkammer in unzulässiger Weise unterstellt habe, dass es zwischen dem Angeklagten und der Nebenklägerin zu einer Berührung bzw. Hautkontakt gekommen sei.

II.


12
Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
13
1. Die Verfahrensrügen sind – wie der Generalbundesanwalts in seiner Antragsschrift vom 8. Juli 2016 ausgeführt hat – bereits unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO), da die Revision weder die Urkunden vorlegt, deren Erörterung im Urteil sie vermisst, noch den Beweisantrag auf Erholung des Sachverständigengutachtens wiedergibt.
14
2. Das Urteil hält im Ergebnis auch der sachlich-rechtlichen Überprüfung stand.
15
Dabei geht die Strafkammer zutreffend davon aus, dass jedenfalls bei – wiehier – bestehender Lebensgemeinschaft die Ehegatten einander als Garanten zum Schutz verpflichtet sind (BGH, Urteil vom 24. Juli 2003 – 3 StR 153/03, JR 2004, 156 m. Anm. Rönnau). Ferner hat es rechtsfehlerfrei dargelegt , dass der Angeklagte aufgrund dieser Garantenstellung um bzw. kurz nach 2 Uhr am 3. Mai 2013 verpflichtet gewesen sei, ärztliche Hilfe für die Nebenklägerin herbeizurufen, er dies jedoch – vorsätzlich – unterlassen habe. Hierdurch sei – wie das Landgericht ebenfalls rechtsfehlerfrei festgestellt hat – auch eine lebensgefährliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Nebenklägerin eingetreten (§ 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB).
16
a) Insofern begegnet insbesondere die Beweiswürdigung der Strafkammer keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
17
aa) Die revisionsgerichtliche Überprüfung der Beweiswürdigung beschränkt sich allein darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind (§ 337 Abs. 1 StPO). Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn sie widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder an die Überzeugung von der Schuld des Angeklagten überhöhte Anforderungen stellt. Liegen solche Rechtsfehler nicht vor, hat das Revisionsgericht die tatrichterliche Überzeugungsbildung auch dann hinzunehmen, wenn eine abweichende Würdigung der Beweise möglich oder sogar näherliegend gewesen wäre (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteile vom 20. September 2012 – 3 StR 158/12, NStZ-RR 2013, 89, 90; vom 26. April 2012 – 4 StR 599/11 mwN). Gleichermaßen Sache des Tatrichters ist es, die Bedeu- tung und das Gewicht der einzelnen be- oder entlastenden Indizien in der Gesamtwürdigung des Beweisergebnisses zu bewerten. Ist diese Bewertung nach den dargestellten rechtlichen Maßstäben vertretbar, so kann das Revisionsgericht nicht auf der Grundlage einer abweichenden Beurteilung der Bedeutung einer Indiztatsache in die Überzeugungsbildung des Tatrichters eingreifen (BGH, Urteile vom 9. Juni 2005 – 3 StR 269/04, NJW 2005, 2322, 2326; vom 20. September 2012 – 3 StR 158/12, NStZ-RR 2013, 89, 90).
18
bb) Hiervon ausgehend weist die Beweiswürdigung der Strafkammer keinen Rechtsfehler auf.
19
Entgegen der Ansicht des Revisionsführers hat die Strafkammer ausreichende Feststellungen zum Gesundheitszustand der Nebenklägerin am 3. Mai 2013 um 2 Uhr getroffen und hinreichend dargelegt, dass sich dieser bis 6 Uhr weiter verschlechtert hat (vgl. u.a. UA S. 15: Steigerung des pathologischen und lebensbedrohlichen Zustandes um 2 Uhr bis zur akuten Lebensgefahr um 6 Uhr). Die Erkennbarkeit des lebensbedrohlichen Zustandes der Nebenkläge- rin bereits um 2 Uhr stützt die Strafkammer vor dem Hintergrund des auch für den Angeklagten deutlich erkennbaren und erkannten Gewichtsverlustes der Nebenklägerin (vgl. dazu auch BGH, Urteile vom 12. Juli 2005 – 1 StR 65/05, NStZ-RR 2006, 174, 175; vom 4. August 2015 – 1 StR 624/14, juris Rn. 24) und die ihm bekannten aktuellen gesundheitlichen Probleme der Nebenklägerin nach dem Genuss der Himbeeren rechtsfehlerfrei im Wesentlichen auf die entsprechenden Ausführungen des rechtsmedizinischen Sachverständigen. Dieser hat unter anderem dargelegt, dass nicht nur wegen der von der Nebenklägerin ausgehenden „Leichenkälte“ selbst für einen medizinischen Laien die bestehende Lebensgefahr „klar gewesen“ sein müsse (UA S. 17). Vielmehr sei auch der apathische Zustand der Nebenklägerin von dem eines bloßen Verschlafenseins , auf das sich der Angeklagte beruft (UA S. 19, 14 oben) „deutlich zu un- terscheiden“ (UA S. 19). Auch im Übrigen – etwa zu den vom Landgericht fest- gestellten Berührungen der Nebenklägerin – weist die Beweiswürdigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf und ist daher vom Revisionsgericht hinzunehmen.
20
Soweit der Generalbundesanwalt beanstandet, dass die Aussage der Nebenklägerin lediglich in Ansätzen mitgeteilt sei und sich das Landgericht mit der Aussage nicht differenziert auseinandersetze, vermag der Senat ebenfalls keinen durchgreifenden Rechtsfehler zu erkennen. Denn den Entscheidungsgründen sind die Angaben der Nebenklägerin hinreichend zu entnehmen (vgl. etwa UA S. 18/19, 20). Auch hat die Strafkammer sich mit diesen differenziert auseinandergesetzt und dabei unter anderem dargelegt, dass sie ihnen nur teilweise folgt (vgl. UA S. 18/19) und insbesondere die Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs der Tochter oder einer vorsätzlichen Tötung – aus rechtsfehlerfreien Erwägungen (UA S. 10 und 20) – für „haltlos“ bzw. nicht erwiesen erach- tet. Soweit der Generalbundesanwalt die Erörterung „offensichtlich durch die Strafkammer angehörter Zeugen“ vermisst, ist dies einer revisionsgerichtlichen Überprüfung allein auf die Sachrüge hin nicht zugänglich.
21
b) Das Urteil hält entgegen der Ansicht des Revisionsführers und des Generalbundesanwalts rechtlicher Überprüfung auch stand, soweit die Strafkammer – lediglich im Rahmen der Strafzumessung – auf die „erhebliche Mitverantwortung (der Nebenklägerin) für die Eskalation des Geschehens“ und darauf verweist, dass die Nebenklägerin den Gewichtsverlust „durch unzureichende Nahrungsaufnahme eigenverantwortlich herbeigeführt hat“ (UA S. 22 Mitte). Hierdurch hat sie im Ergebnis zu Recht bejaht, dass die Garantenpflicht des Angeklagten auch und trotz einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung der Nebenklägerin bestand.
22
aa) Zwar unterfällt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine eigenverantwortlich gewollte und verwirklichte Selbstgefährdung grundsätzlich nicht den Tatbeständen eines Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts , wenn sich das mit der Gefährdung vom Opfer bewusst eingegangene Risiko realisiert. Wer eine solche Gefährdung veranlasst, ermöglicht oder fördert , kann daher nicht wegen eines Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts verurteilt werden; denn er nimmt an einem Geschehen teil, welches – soweit es um die Strafbarkeit wegen Tötung oder Körperverletzung geht – kein tatbestandsmäßiger und damit strafbarer Vorgang ist (vgl. etwa BGH, Urteil vom 28. Januar 2014 – 1 StR 494/13, BGHSt 59, 150, 167 Rn. 71; Beschluss vom 5. August 2015 – 1 StR 328/15, NStZ 2016, 406 f.).
23
bb) Eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung ihres Lebens oder ihrer Gesundheit durch die Nebenklägerin schloss hier jedoch die Garantenpflicht des Angeklagten zur Abwendung der (zumindest) lebensgefährlichen Gesundheitsschädigung der Nebenklägerin nicht aus.
24
(1) Der Bundesgerichtshof hat bereits entschieden, dass die Erfolgsabwendungspflicht eines Garanten nicht stets schon dann entfällt, wenn sein Verhalten zunächst lediglich eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung derjenigen Person ermöglicht, für dessen Rechtsgut bzw. Rechtsgüter er als Garant rechtlich im Sinne von § 13 Abs. 1 StGB einzustehen hat (vgl. BGH, Urteile vom 27. Juni 1984 – 3 StR 144/84, NStZ 1984, 452 und vom 9. November 1984 – 2 StR 257/84, NStZ 1985, 319, 320; Beschluss vom 5. August 2015 – 1 StR 328/15, NStZ 2016, 406 f.). Die Straflosigkeit des auf die Herbeiführung des Risikos gerichteten Verhaltens ändert nichts daran, dass für den Täter Garantenpflichten in dem Zeitpunkt bestehen, in dem aus dem allgemeinen Risiko eine besondere Gefahrenlage erwächst. Mit dem Eintritt einer solchen Gefahrenlage ist der Täter verpflichtet, den drohenden Erfolg abzuwenden (BGH, Urteile vom 27. Juni 1984 – 3 StR 144/84, NStZ 1984, 452 und vom 9. November 1984 – 2 StR 257/84, NStZ 1985, 319, 320; Beschluss vom 5. August 2015 – 1 StR 328/15, NStZ 2016, 406 f.).
25
(2) An diesen Grundsätzen ist jedenfalls dann festzuhalten, wenn das Verhalten des Opfers sich in Bezug auf das Rechtsgut Leben und Gesundheit in einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung erschöpft (vgl. BGH, Beschluss vom 5. August 2015 – 1 StR 328/15, NStZ 2016, 406 f.). In diesen Fällen bleibt zwar die Beteiligung an der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung für einen Garanten an sich straffrei, bei Realisierung des von dem betroffenen Rechtsgutsinhaber eingegangenen Risikos besteht indes eine strafbewehrte Erfolgsabwendungspflicht aus § 13 Abs. 1 StGB. Denn anders als in den Selbsttötungsfällen erschöpft sich im Fall der Selbstgefährdung die Preis- gabe des eigenen Rechtsguts gerade darin, dieses in einem vom Betroffenen jedenfalls in seinem wesentlichen Grad zutreffend erkannten Umfang einem Risiko auszusetzen. Eine Hinnahme des als möglich erkannten Erfolgseintritts bei Realisierung des eingegangenen Risikos ist mit der Vornahme der Selbstgefährdung indes nicht notwendig verbunden. Entwickelt sich das allein auf Selbstgefährdung angelegte Geschehen daher erwartungswidrig in Richtung auf den Verlust des Rechtsguts, umfasst die ursprüngliche Entscheidung des Rechtsgutsinhabers für die (bloße) Gefährdung seines Rechtsguts nicht zugleich den Verzicht auf Maßnahmen zum Erhalt des nunmehr in einen Zustand konkreter Gefahr geratenen Rechtsguts. Eine Person, die nach den allgemeinen Grundsätzen des § 13 Abs. 1 StGB Garant für das bedrohte Rechtsgut ist, trifft dann im Rahmen des tatsächlich Möglichen und ihr rechtlich Zumutbaren die Pflicht, den Eintritt des tatbestandlichen Erfolgs abzuwenden (BGH, Beschluss vom 5. August 2015 – 1 StR 328/15, NStZ 2016, 406 f. mwN).
26
(3) Dies zugrunde gelegt, bestand für den Angeklagten eine Garantenpflicht , der er nicht nachgekommen ist, weil er um bzw. kurz nach 2 Uhr, als die Möglichkeit der Abwendung der (weiteren) lebensgefährlichen Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Nebenklägerin bestand, auf das Herbeirufen medizinischer Hilfe verzichtet hat.
27
(3.1.) Nach den vom Landgericht rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen war die Nebenklägerin um bzw. kurz nach 2 Uhr nicht (mehr) zu einer hinreichenden Risikobeurteilung und -abwägung in der Lage. Dies hatte zur Folge, dass der Angeklagte mangels Eigenverantwortlichkeit der sich bis dahin (allenfalls ) selbst gefährdenden Nebenklägerin die Tat- bzw. Handlungsherrschaft über das Geschehen erlangte (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Januar 2014 – 1 StR 389/13, BGHR StGB § 227 Beteiligung 4, Rn. 20, 31; ferner BGH, Be- schluss vom 11. Januar 2011 – 5 StR 491/10, JR 2011, 266, 267 m. Anm. Kotz; Urteil vom 28. Januar 2014 – 1 StR 494/13, BGHSt 59, 150, 168, Rn. 73 mwN).
28
Denn nach den getroffenen Feststellungen bemerkte der Angeklagte bereits um 2 Uhr nicht nur die von der Nebenklägerin ausgehende „Leichenkälte“, sondern auch, dass sie nur noch apathisch auf dem Sofa lag, kaum noch Kraft hatte, sich zu bewegen, und kaum auf Ansprache reagierte (UA S. 9, 18/19; zur entsprechenden Einlassung des Angeklagten: UA S. 14 oben). Dies entspricht in objektiver Hinsicht den vom rechtsmedizinischen Sachverständigen mitgeteilten Folgen eines erheblichen Gewichtsverlustes, nämlich fortschreitender Unterkühlung , Bettlägerigkeit, Apathie und Lethargie (UA S. 15). Die Annahme der Strafkammer, die Nebenklägerin sei zu diesem Zeitpunkt aufgrund ihres erheblich geschwächten Gesundheitszustandes nicht mehr in der Lage gewesen, selbst Maßnahmen zu ergreifen, um dem bereits begonnenen Sterbeprozess entgegenzuwirken und der Angeklagte habe (auch) dies erkannt (UA S. 21), begegnet daher keinen Bedenken.
29
(3.2.) Aus den vom Landgericht getroffenen Feststellungen ergibt sich ferner, dass der Gewichtsverlust der Nebenklägerin nicht von einem (ernsthaften ) Selbsttötungswillen getragen war.
30
Auch dies weist trotz ihres teilweise aggressiven und abweisenden Verhaltens , wenn sie hierauf angesprochen wurde, vor dem Hintergrund, dass die Nebenklägerin noch um 2 Uhr ein Getränk zu sich nahm, um das sie den Angeklagten zuvor gebeten hatte, ihres Engagements innerhalb der Familie trotz des Eindrucks, dass der Angeklagte sie nur noch als Haushaltshilfe benötige, sowie der von ihr für den Gewichtsverlust abgegebenen Erklärungen (psycho- somatische Beschwerden in Zusammenhang mit dem „Mobbing“, eine mit der Schwangerschaft verbundene Hormonumstellung und eine damit einhergehende Appetitlosigkeit, Nahrungsmittelunverträglichkeiten), keinen Rechtsfehler auf.
31
(3.3.) Die Nebenklägerin hat in ihre (weitere) Gesundheitsschädigung auch nicht wirksam eingewilligt (§ 228 StGB).
32
Denn dies setzt – unter anderem – voraus, dass sie einen entsprechenden Willen frei bilden und entsprechend handeln konnte (vgl. EGMR, Urteil vom 19. Juli 2012 – 497/12, NJW 2013, 2953, 2955 mwN; BGH, Beschluss vom 10. November 2010 – 2 StR 320/10, JR 2011, 316, 317 m. Anm. Olzen/Metzmacher ). Hieran fehlte es indes – wie oben ausgeführt – jedenfalls für den hier maßgeblichen Zeitpunkt am 3. Mai 2013 um bzw. kurz nach 2 Uhr.
33
c) Auch im Übrigen weist das Urteil keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler auf (vgl. zu § 13 Abs. 1 StGB etwa BGH, Urteil vom 4. August 2015 – 1 StR 624/14, juris Rn. 39).
Sost-Scheible Roggenbuck Cierniak Mutzbauer Quentin

(1) Wer bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not nicht Hilfe leistet, obwohl dies erforderlich und ihm den Umständen nach zuzumuten, insbesondere ohne erhebliche eigene Gefahr und ohne Verletzung anderer wichtiger Pflichten möglich ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer in diesen Situationen eine Person behindert, die einem Dritten Hilfe leistet oder leisten will.

Nachschlagewerk: ja
BGHSt : ja
Veröffentlichung : ja
1. Die Einfuhr und die Überlassung eines Betäubungsmittels sind nicht dadurch
gerechtfertigt oder entschuldigt, daß der Täter einem unheilbar
schwerstkranken Betäubungsmittelempfänger, dem er nicht persönlich
nahesteht, zu einem freien Suizid verhelfen will.
2. Das Überlassen eines Betäubungsmittels zum freien Suizid an einen
unheilbar Schwerstkranken, der kein Betäubungsmittelkonsument ist,
erfüllt nicht den Tatbestand der Betäubungsmittelüberlassung mit leichtfertiger
Todesverursachung gemäß § 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG.
3. Im besonderen Einzelfall kann sich das Ermessen des Tatrichters derart
verengen, daß allein eine Verwarnung mit Strafvorbehalt in Betracht
kommt, so daß das Revisionsgericht auf diese Sanktion erkennen kann.
Eine rechtskräftig verhängte Geldstrafe kann gemäß § 55 StGB in eine
Verwarnung mit Strafvorbehalt einbezogen werden.
BGH, Urt. v. 7. Februar 2001 - 5 StR 474/00
LG Berlin -
IM NAMEN DES VOLKES
5 StR 474/00
URTEIL
vom 7. Februar 2001
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln u. a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Hauptverhandlung
vom 6. und 7. Februar 2001, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin Harms,
Richter Häger,
Richter Basdorf,
Richter Dr. Raum,
Richter Dr. Brause
als beisitzende Richter,
Richterin am Landgericht
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
am 7. Februar 2001 für Recht erkannt:
Auf die Revisionen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 21. Dezember 1999 im Rechtsfolgenausspruch dahin geändert, daß der Angeklagte unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Nürnberg vom 15. Oktober 1998, dessen Gesamtstrafenausspruch entfällt, und unter Einbeziehung der Verwarnung mit Strafvorbehalt aus dem Urteil des Amtsgerichts Freudenstadt vom 27. Oktober 1998 verwarnt wird und die Verurteilung zu einer Gesamtgeldstrafe von 70 Tagessätzen zu je 120,- DM vorbehalten bleibt.
Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen. Jedoch wird die Gebühr um die Hälfte ermäßigt. Die Staatskasse trägt die dem Angeklagten durch sein Rechtsmittel entstandenen notwendigen Auslagen und die hierdurch entstandenen gerichtlichen Auslagen je zur Hälfte.
Die Staatskasse hat die Kosten der Revision der Staatsanwaltschaft und die dem Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in Tateinheit mit unerlaubtem Überlassen von Betäubungsmitteln zum unmittelbaren Verbrauch unter Einbeziehung der Sanktionen aus zwei früheren Verurteilungen, nämlich zweier Einzelgeldstrafen und einer Verwarnung mit Strafvorbehalt, zu einer Gesamtgeldstrafe von 70 Tagessätzen zu je 120,- DM verurteilt. Die früheren Verurteilungen betrafen Taten, die der vorliegenden Tat ähnlich waren. Jeweils allein auf die Sachrüge gestützt, begehrt der Angeklagte mit seiner Revision einen Freispruch, während die Staatsanwaltschaft mit ihrem vom Generalbundesanwalt vertretenen Rechtsmittel einen Schuldspruch auch wegen Überlassens von Betäubungsmitteln mit leichtfertiger Todesverursachung nach § 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG erstrebt. Die Revision der Staatsanwaltschaft hat keinen Erfolg. Sie führt zugunsten des Angeklagten (§ 301 StPO) wie dessen eigene Revision zu einer Ä nderung des Rechtsfolgenausspruchs, nämlich zum Ausspruch einer Verwarnung mit Strafvorbehalt. Im übrigen bleibt auch die Revision des Angeklagten ohne Erfolg.
Der jetzt 83jährige Angeklagte, Schweizer Staatsbürger, ist Theologe und Psychologe. Er war bis zum Jahre 1986 als evangelischer Gemeindepfarrer sowie zwischenzeitlich zwölf Jahre lang als Leiter einer „Entgiftungsstelle“ in Basel tätig. Seit langem beschäftigt sich der Angeklagte aktiv mit dem Problembereich „Sterbehilfe und Sterbebegleitung“. Auslösend hierfür war der Krebstod seines besten Freundes, dessen unmittelbar miterlebter, über mehrere Monate andauernder qualvoller Sterbeprozeß den Angeklagten zu der Überzeugung führte, daß man – nach seinen eigenen Worten – „solchen Menschen einfach helfen muß, wenn sie sterben wollen“. Von diesem Wunsch geleitet, gründete der Angeklagte im Jahr 1982 die Vereinigung „E “ als deren Generalsekretär er seitdem ehrenamtlich fungiert. In den Statuten dieser Vereinigung heißt es u. a.: „1. Die Vereinigung setzt sich in Wort und Schrift für das Selbstbestim- mungsrecht aller Menschen über ihre Gesundheit und ihr Leben, also für die ‚Therapie-Hoheit des Patienten h. für die staatliche Anerkennung der Freiheit selbstbestimmten menschenwürdigen Sterbens. 2. Darüber hinaus besteht der Vereinszweck darin, seinen Mitgliedern, die unter hoffnungsloser Krankheit oder unzumutbarer Behinderung leiden, im selbstbestimmten Sterben beizustehen. 3. Unter der Voraussetzung, daß sich alle Möglichkeiten erschöpft haben, welche aus Sicht des Betroffenen ein lebenswertes Leben erlauben würden, leisten Beauftragte der Vereinigung Freitodbegleitung, wobei ein ärztliches Zeugnis die hoffnungslose Krankheit oder die unzumutbare Behinderung bezeugen muß und Angehörige resp. Bezugspersonen dem Vorhaben des Betroffenen zustimmen. 4. Um jede Form des Mißbrauchs zu verhindern, gibt die Vereinigung keinerlei Freitod-Anleitungen oder -Medikamente ohne Assistenz ab.“ Über die Funktion des Generalsekretärs der Vereinigung hinaus übernahm der Angeklagte auch die Aufgaben eines „Freitodbegleiters“. Nach eigenen Angaben ist er inzwischen in über 300 Fällen entsprechend tätig geworden. Für s ein Tätigwerden verlangt er kein Entgelt, sondern lediglich die Vorauserstattung seiner Reisekosten. Bei seiner Tätigkeit als „Freitodbegleiter“ verwendete der Angeklagte regelmäßig (Natrium-)Pentobarbital. Dieses Mittel ist seit dem Jahr 1981 – mit im Detail unterschiedlichen Einzelregelungen – v erkehrsfähiges und verschreibungsfähiges Betäubungsmittel nach Anlage III zu § 1 Abs. 1 BtMG. Es handelt sich um ein hochwirksames und sehr schnell anflutendes Barbiturat, das normalerweise bei einer Dosierung von bis zu 100 mg als Schlafmittel, im übrigen zur Behandlung von Angst- oder Erregungszuständen zum Einsatz kommt. In hoher Dosierung führt dieses Mittel jedoch zu einem sicheren, vom Einnehmenden allerdings schon nicht mehr wahrgenommen Tod. Namentlich tritt im Falle einer Überdosierung zunächst – vergleichbar einer Narkose – eine Ausschaltung des Bewußtseins und erst danach eine tödliche Atemlähmung ein, wobei im Regelfall 3 g des Mittels die für einen Erwachsenen tödliche Dosis darstellen. Die minimale letale Dosis beträgt etwa 1 g. Danach stuft der Angeklagte das Mittel als „geradezu ideal geeignet“ zur Herbeiführung eines „sanften“ Todes ein, insbesondere im Vergleich zum Zyankali, welches beim Einnehmenden zwar ebenfalls schnell zum Tode führt, aber zuvor noch bei Bewußtsein des Sterbenden schwere krampfartige Schmerzen auslöst.
Die verstorbene Frau Dr. T , die lange Zeit als Ä rztin tätig gewesen war, litt an Multipler Sklerose. Nach progredientem Verlauf der Krankheit von 1982 bis 1998 war Frau Dr. T sc hließlich weitestgehend bewegungsunfähig. Sie verbrachte die Tage in ihrem Haus in Berlin größtenteils in Rückenlage. Sie war wegen einer Sehschwäche auf eine Leselupe angewiesen, die sie infolge ihrer nachlassenden Kräfte nur über einen sehr kurzen Zeitraum halten konnte, so daß ihr die Lektüre längerer Texte nicht mehr möglich war. Ein im Jahr 1997 unternommener Selbsttötungsversuch scheiterte am Einschreiten ihres Ehemannes. In monatelangen Diskussionen überzeugte Frau Dr. T ihren Ehemann, daß er sie „gehen lassen“ müsse. Sie wandte sich an die Vereinigung „E “ mit dem Wunsch nach einer „Sterbebegleitung“ und übersandte dem Angeklagten ein ärztliches Gutachten, in dem der Verlauf ihrer Krankheit beschrieben und deren Unheilbarkeit bestätigt war. Bei einem Besuch verschaffte sich der Angeklagte im persönlichen Gespräch mit der Verstorbenen und ihrem Ehemann die Überzeugung, daß diese im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte war und ihr Todeswunsch ernsthaft und nicht Folge eines auch nur entfernt erkennbaren äußeren Drängens war. Nach alledem faßte der Angeklagte den Entschluß, die gewünschte „Sterbebegleitung“ zu gewähren, nämlich in der Schweiz 10 g Natrium-Pentobarbital zu beschaffen, diese in die Bundesrepublik Deutschland einzuführen und hier der Verstorbenen zur entsprechenden Verfügung zu stellen. Dabei ging er davon aus, daß aufgrund der hohen Dosis und der schnellen Anflutung des Mittels schon ab dem Eintritt einer Bewußtlosigkeit für die Verstorbene keine Rettungsmöglichkeit mehr bestehen werde. Er nahm an, daß sein Verhalten nach deutschem Recht nicht strafbar sei. Dabei ging er von der Straflosigkeit der Teilnahme an einer Selbsttötung aus. Er wußte nicht, daß Pentobarbital dem deutschen Betäubungsmittelrecht unterliegt. Entsprechende Erkundigungen unternahm er nicht. In die Schweiz zurückgekehrt, übergab der Angeklagte einem „Vertrauensarzt“ der „E “ das von der Verstorbenen überlassene Gutachten zur Prüfung, ob eine im Sinn der Statuten der Vereinigung hoffnungslose Krankheit vorliege. Darauf stellte dieser das erforderliche Rezept aus, mit dem der Angeklagte in einer Schweizer Apotheke 10 g NatriumPentobarbital in Pulverform erwarb. Am 20. April 1998 reiste der Angeklagte mit dem genannten Betäubungsmittel aus der Schweiz in die Bundesrepublik Deutschland ein. Im Haus der Familie T v ersicherte der Angeklagte sich im Beisein ihres Ehemannes davon, daß Frau Dr. T in vollem Besitz ihrer geistigen Kräfte war und ihr Todeswunsch nach wie vor bestand. Sie füllte eine formularmäßig vorbereitete „Freitoderklärung“ aus. In Abwesenheit des Ehemannes löste der Angeklagte die 10 g Natrium-Pentobarbital in einem Glas Wasser auf und reichte dies der Frau Dr. T zur sofort erfolgten Einnahme. Infolge der schnell eintretenden Wirkung des Mittels wurde Frau Dr. T nach drei Minuten bewußtlos. Bereits zu diesem Zeitpunkt wären alsdann eingeleitete Rettungsversuche, namentlich ein Auspumpen des Magens, erfolglos verlaufen, da wegen der schnellen Anflutung bereits ein tödliche Konzentration des Mittels im Blut der Verstorbenen erreicht war, wovon auch der Angeklagte ausging. Der Tod trat binnen der nächsten halben Stunde ein.

I.


Die sachlichrechtliche Überprüfung des angefochtenen Urteils deckt betreffend den Schuldspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.
1. Der Angeklagte hat Betäubungsmittel (gemäß Anlage III zu § 1 Abs. 1 BtMG) nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG eingeführt und nach Nr. 6 lit. b aaO zum unmittelbaren Verbrauch überlassen. Ein Fall der ärztlichen Verabreichung oder Überlassung nach § 13 Abs. 1 Satz 1 BtMG liegt nicht vor.

2. Demgegenüber ergibt sich – entgegen der Ansicht der Revision des Angeklagten – weder aus dem Prinzip der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) noch aus dem Gesichtspunkt der Straflosigkeit der Hilfe zur Selbsttötung oder aus der jüngsten Rechtsentwicklung des Problemkreises „Sterbehilfe und Sterbebegleitung“ eine Einschränkung des Anwendungsbereichs des Betäubungsmittelgesetzes; auch eine Rechtfertigung oder Entschuldigung allgemeiner Art kann so hier nicht begründet werden.

a) Allerdings ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und der einhelligen Lehre die – theoretisch gegebene – Teilnahme an der Selbsttötung eines vollverantwortlich Handelnden mangels einer Haupttat straflos (Tröndle/Fischer, StGB 50. Aufl. vor § 211 Rdn. 10 m.N. der Rspr. und des Schrifttums). Ein solcher Fall liegt hier vor. Frau Dr. T nahm sich, wie die vom Landgericht umfassend festgestellten Einzelheiten ergeben, in voller Selbstverantwortlichkeit das Leben. Der Angeklagte half ihr hierbei. Die Straflosigkeit seines Verhaltens unter dem vorstehend genannten Aspekt beschränkt sich jedoch auf eben diesen und erstreckt sich nicht etwa auf das vom Angeklagten begangene Betäubungsmitteldelikt, mit dem andere Rechtsgüter gefährdet wurden. Der Verordnungsgeber hat mit der Entscheidung, Pentobarbital in die Liste der Betäubungsmittel gemäß § 1 Abs. 1 BtMG aufzunehmen, dem Gesichtspunkt Rechnung getragen, daß ein Umgang mit diesem Betäubungsmittel für die Volksgesundheit grundsätzlich gefährlich ist.

b) Zudem ist in der rechtswissenschaftlichen und rechtspolitischen Diskussion des Problemkreises „Sterbehilfe und Sterbebegleitung“ in jüngster Zeit eine Entwicklung in zweierlei Richtungen zu verzeichnen. Zum einen wird dem Gesichtspunkt der Patientenautonomie ständig zunehmende Bedeutung beigemessen (vgl. Taupitz, Gutachten für den 63. Deutschen Juristentag 2000; Otto, Gutachten für den 56. Deutschen Juristentag 1986; jeweils m.N., und die Sitzungsberichte der jeweiligen Tagungen des Deutschen
Juristentages). Zum anderen ist die sog. „indirekte Sterbehilfe“ nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGHSt 42, 301, 305; vgl. auch BGHSt 37, 376; 40, 257) und einem nahezu einhelligen Grundkonsens im Schrifttum zulässig (Kutzer NStZ 1994, 110, 114 f. m.N.). Dabei wird unter indirekter Sterbehilfe verstanden, daß die ärztlich gebotene schmerzlindernde Medikation beim tödlich Kranken nicht dadurch unzulässig wird, daß sie als unbeabsichtigte, aber unvermeidbare Nebenfolge den Todeseintritt beschleunigen kann. Soweit eine solche Medikation den Tatbestand eines Tötungsdeliktes durch bedingt vorsätzliche Verursachung eines früheren Todes verwirklicht, ist das Handeln des Arztes nach § 34 StGB gerechtfertigt, sofern es nicht – ausnahmsweise – dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des Patienten widerspricht (Kutzer aaO; vgl. auch die demnächst veröffentlichte Podiumsdiskussion „Sterbehilfe – Sterbebegleitung“ anläßlich der 50. Wiederkehr der Errichtung des Bundesgerichtshofs am 4. Mai 2000).

c) Weder aus diesen Rechtsgesichtspunkten noch aus sonstigen allgemeinen Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründen kann die Straflosigkeit des Umgangs des Angeklagten mit dem Betäubungsmittel hergeleitet werden. Der Angeklagte handelte weder als Arzt noch als Angehöriger der Verstorbenen oder als sonst persönlich Betroffener, auf dessen Gewissensentscheidung es ankommen könnte. Er agierte vielmehr als persönlich Unbeteiligter im Rahmen einer moralpolitisch getragenen Bewegung, deren Ziele anerkennenswert sein mögen. Sein Handeln war nicht primär vom Zweck der Schmerzlinderung (unter Inkaufnahme eines früheren Todeseintritts ) getragen. Vielmehr zielte seine Aktivität direkt auf den Tod.
Zur Beantwortung der Frage, ob solches Verhalten unter den Gesichtspunkten des § 34 StGB gerechtfertigt oder unter den Aspekten des § 35 StGB entschuldigt sein kann, ist von den Grundentscheidungen der Rechtsordnung auszugehen. Das Leben eines Menschen steht in der Werteordnung des Grundgesetzes – ohne eine zulässige Relativierung – an oberster Stelle der zu schützenden Rechtsgüter. Die Rechtsordnung wertet eine
Selbsttötung deshalb – von äußersten Ausnahmefällen abgesehen – als rechtswidrig (BGHSt 6, 147, 153), stellt die Selbsttötung und die Teilnahme hieran lediglich straflos.
Dieser grundsätzliche Vorrang des Lebensschutzes ist zu beachten, wenn wie hier in eine Abwägung ein auch in Art. 1 Abs. 1 GG angelegtes Recht des Einzelnen auf ein Sterben unter „menschenwürdigen“ Bedingungen einzustellen ist. Dabei muß auch die Grundentscheidung berücksichtigt werden, die aus der Vorschrift des § 216 StGB spricht, wonach die Tötung auf Verlangen des Getöteten lediglich eine Strafmilderung gegenüber dem Totschlag auslöst. Dies zeigt an, daß die Rechtsordnung die Mitwirkung eines anderen am Freitod eines Menschen grundsätzlich mißbilligt.
Es kann dahingestellt bleiben, ob Besonderheiten namentlich etwa für das Handeln naher Angehöriger eines Sterbewilligen gelten können. Für Außenstehende wie hier den Angeklagten, der im Rahmen einer Organisation ohne persönliches Näheverhältnis handelte, kann eine Abwägung der genannten Art grundsätzlich nicht zur Straflosigkeit des Umgangs mit Betäubungsmitteln führen. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem moralpolitischen Engagement des Angeklagten.
3. Das Landgericht hat angenommen, daß dem Angeklagten die Verbotenheit seines Tuns unter dem Gesichtspunkt des deutschen Betäubungsmittelrechts nicht bekannt war, daß der Angeklagte diesen Verbotsirrtum jedoch hätte vermeiden können; es hat demzufolge die Vorschrift des § 17 Satz 1 StGB für nicht anwendbar erachtet. Auch dies birgt keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten.

a) Das Pentobarbital ist seit dem Jahr 1981 in der Bundesrepublik Deutschland als Betäubungsmittel in Anlage III zu § 1 Abs. 1 BtMG erfaßt. Die Einzelheiten unterlagen mehreren Ä nderungen: Mit dem Gesetz zur Neuordnung des Betäubungsmittelrechts vom 28. Juli 1981 (BGBl I 681, 700)
wurde das Pentobarbital in die Anlage III B aufgenommen. Ausgenommen blieben Zubereitungen, die ohne ein anderes Betäubungsmittel (außer Codein) „je abgeteilte Form bis 110 mg Pentobarbital enthalten“; damit waren namentlich Tabletten mit geringer Dosierung gemeint; von dieser Ausnahme waren jedoch die betäubungsmittelrechtlichen Vorschriften über die Einfuhr (und andere Handlungsformen) wiederum ausgenommen. Durch die Vierte Betäubungsmittelrechts-Ä nderungsverordnung vom 23. Dezember 1992 (BGBl I 2483, 2485) erhielt die Position Pentobarbital in der Anlage III B folgende Fassung: „ausgenommen in Zubereitungen, die ohne“ ein weiteres Betäubungsmittel „je abgeteilte Form bis zu 100 mg Pentobarbital, berechnet als Säure, enthalten“; die Ausnahme von der Ausnahme betreffend die Einfuhr entfiel also. Aufgrund der Zehnten BetäubungsmittelrechtsÄ nderungsverordnung vom 20. Januar 1998 (BGBl I 74, 79), in Kraft seit dem 1. Februar 1998, ist das Pentobarbital ohne jede Einschränkung in der nunmehr nicht mehr untergliederten Anlage III enthalten. Damit ist insbesondere die Ausnahme für Zubereitungen mit bis zu 100 mg Pentobarbital je abgeteilter Form entfallen.

b) Auch in der Schweiz unterfällt das Pentobarbital dem Betäubungsmittelrecht. Das Mittel ist im „Verzeichnis aller Betäubungsmittel“ (Anhang a zu Art. 1 Abs. 1 bis 3 Betäubungsmittelgesetz), allerdings auch im „Verzeichnis der von der Kontrolle teilweise ausgenommenen Betäubungsmittel“ (Anhang b aaO) enthalten (Verordnung des Bundesamtes für Gesundheit über die Betäubungsmittel und psychotropen Stoffe vom 12. Dezember 1996).

c) Die Einfuhr und die Überlassung zum unmittelbaren Verbrauch von Pentobarbital in der hier vorliegenden Dosis von 10 g sind mithin seit dem Jahr 1981 in der Bundesrepublik Deutschland strafbar. Die oben genannten differenzierten Regelungen betreffend abgeteilte Formen mit geringer Dosierung des Mittels kannte der Angeklagte nicht. Jedes Argument seiner Revision aus dieser Rechtsentwicklung muß daher im Rahmen der Prüfung der Vermeidbarkeit des Verbotsirrtums versagen. Das verwendete Mittel unter-
fällt auch dem Betäubungsmittelrecht der Schweiz. Es kommt folgendes hinzu : Wie der Angeklagte wußte, kam es aufgrund der etwas „liberaleren“ Regelung des Umgangs mit Pentobarbital in der Schweiz, scil. wegen „strengerer“ Rechtslage außerhalb der Schweiz, zu einem „Sterbetourismus“ von Ausländern in die Schweiz. In Deutschland wurde der Angeklagte in etwa 50 Fällen in gleicher Weise „geradezu routiniert“ tätig (UA S. 9 f., 22). Er ging dabei mit einem in der jeweiligen Dosierung tödlichen Stoff um. Nach alledem hat das Landgericht rechtsfehlerfrei eine Rechtserkundigungspflicht des Angeklagten angenommen und den Verbotsirrtum des Angeklagten als vermeidbar erachtet.

II.


Das angefochtene Urteil ist nicht mit einem sachlichrechtlichen Fehler zugunsten des Angeklagten behaftet.
1. Insbesondere bleibt die einzige ausdrückliche Beanstandung der Staatsanwaltschaft, der Angeklagte sei zu Unrecht nicht auch wegen Überlassung von Betäubungsmitteln mit leichtfertiger Todesverursachung nach § 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG verurteilt worden, ohne Erfolg. Das Landgericht hat aus dem „Prinzip der Eigenverantwortlichkeit“ eine „teleologische Reduktion des Tatbestandes“ hergeleitet und deshalb die genannte Vorschrift für nicht anwendbar erachtet. Diese Beurteilung ist zutreffend.

a) Allerdings hat der Angeklagte der Frau Dr. T das Betäubungsmittel zum unmittelbaren Verbrauch überlassen und dadurch eine Ursache für deren Tod gesetzt. Der Kausalzusammenhang wurde nicht dadurch unterbrochen, daß die Empfängerin des Betäubungsmittels sich dieses Mittel selbst verabreichte (BGH NStZ 1983, 72; BGH, Urteil vom 3. Juni 1980 – 1 StR 20/80 –, bei Holtz MDR 1980, 985). Ihr Tod war auch vom Vorsatz des Angeklagten umfaßt. Jedenfalls in anderen Regelungszusammenhängen findet der Gedanke Verwendung, daß Vorsatz die Fahrlässigkeit und die
Leichtfertigkeit als mindere Verschuldensformen einschließt (vgl. BGHSt 39, 100; Tröndle/Fischer, StGB 50. Aufl. § 18 Rdn. 5).

b) Indes gelten für den hier vorliegenden Fall des Freitodes des Betäubungsmittelempfängers besondere Regeln.
aa) Es greift der Grundsatz der Selbstverantwortung des sich selbst eigenverantwortlich gefährdenden Tatopfers ein. Danach ist von folgendem auszugehen:
(1) Die eigenverantwortlich gewollte und verwirklichte Selbstgefährdung unterfällt grundsätzlich nicht den Tatbeständen eines Körperverletzungs - oder Tötungsdelikts, wenn das mit der Gefährdung vom Opfer bewußt eingegangene Risiko sich realisiert. Wer lediglich eine solche Gefährdung veranlaßt, ermöglicht oder fördert, macht sich danach nicht wegen eines Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts strafbar (st. Rspr. des Bundesgerichtshofs seit BGHSt 32, 262; siehe auch BGHSt 37, 179; 39, 322, 324; BGH NStZ 1985, 319 – insowiet in BGHSt 33, 66 nicht abgedruckt – m. Anm. Roxin; BGH NStZ; 1987, 406; 1992, 489; BGH NJW 2000, 2286). Dabei hat der Bundesgerichtshof darauf abgestellt, daß derjenige, der sich an einem Akt der eigenverantwortlich gewollten und bewirkten Selbstgefährdung beteiligt , an einem Geschehen teilnimmt, welches – soweit es um die Strafbarkeit wegen Tötung oder Körperverletzung geht – kein tatbestandsmäßiger und damit kein strafbarer Vorgang ist (BGHSt 32, 262, 265). Das Gesetz bedroht nur die Tötung oder Verletzung eines anderen mit Strafe. Die Strafbarkeit des sich Beteiligenden wegen Körperverletzung oder Tötung beginnt erst dort, wo dieser kraft überlegenen Sachwissens das Risiko besser erfaßt als der sich selbst Gefährdende.
(2) Allerdings kann dieser Grundsatz nicht ohne weiteres auf das Betäubungsmittelrecht übertragen werden (BGHSt 37, 179). Das durch die betäubungsmittelrechtlichen Strafvorschriften geschützte Rechtsgut ist nicht nur
die Gesundheit des Einzelnen, sondern auch die Volksgesundheit. Dieses universale Rechtsgut steht dem Einzelnen nicht zur Disposition (Franke /Wienroeder, BtMG 2. Aufl. § 30 Rdn. 35; Weber, BtMG § 30 Rdn. 125 f.).
bb) Das Merkmal der Leichtfertigkeit im Sinne des § 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG wird durch den Bundesgerichtshof dahin interpretiert, daß leichtfertig handelt, wer die Möglichkeit eines tödlichen Verlaufs des Geschehens „aus besonderem Leichtsinn oder aus besonderer Gleichgültigkeit“ außer acht läßt (BGHSt 33, 66, 67). Solches ist bei der hiesigen besonderen Fallgestaltung , in der die Empfängerin des Betäubungsmittels in jeder Hinsicht selbstverantwortlich handelte, nicht gegeben (vgl. BGH NJW 2000, 2286). Insoweit erfaßt der Vorwurf der Leichtfertigkeit – ausnahmsweise – nicht „erst recht“ auch vorsätzliches Handeln.
cc) Auch die Entstehungsgeschichte der vorgenannten Vorschrift spricht für eine restriktive Interpretation der Art, daß das Überlassen eines Betäubungsmittels zum Zweck des in jeder Hinsicht freien Suizids des Empfängers den Qualifikationstatbestand nicht erfüllt. Hintergrund und auslösender Umstand für die Schaffung der Verbrechensvorschrift war „die rasch ansteigende Zahl von Todesfällen als Folge von Rauschgiftmißbrauch“ (BT-Drucks. 8/3551 S. 37). Damit waren die Todesfälle von Betäubungsmittelabhängigen und gelegentlichen Betäubungsmittelkonsumenten gemeint. Als besonders strafwürdig wurde die Tatsache gewertet, daß die Todesverursachung auf ein Handeln zurückgeht, das in Kenntnis der großen Gefährlichkeit des Tuns „unter Hintanstellung aller Bedenken“ erfolgt (Endriß/Malek, Betäubungsmittelstrafrecht 2. Aufl. Rdn. 464; Hügel/Junge, Deutsches Betäubungsmittelrecht 7. Aufl. § 30 Rdn. 4.1). An einen demgegenüber ganz und gar untypischen Fall wie den vorliegenden hat der Gesetzgeber ebenso wenig gedacht, wie dies danach die Kommentatoren getan haben.
dd) Zudem spiegelt der Strafrahmen des § 30 Abs. 1 BtMG von zwei bis 15 Jahren Freiheitsstrafe – selbst eingedenk des Ausnahmestrafrahmens
von drei Monaten bis fünf Jahren Freiheitsstrafe für minder schwere Fälle (§ 30 Abs. 2 BtMG) – eine vom Gesetzgeber ins Auge gefaßte Unrechtsdimension , hinter der Fälle der vorliegenden Art von vornherein weit zurückbleiben. Auch dies indiziert eine restriktive Auslegung der Vorschrift im vorstehenden Sinn.
2. Schließlich birgt das Urteil auch sonst keinen sachlichrechtlichen Fehler zugunsten des Angeklagten.
Insbesondere folgt im Ergebnis keine strafrechtliche Haftung des Angeklagten aus Tötungsdelikten – begangen durch Unterlassen – daraus, daß er als Lieferant des tödlichen Betäubungsmittels unter dem Gesichtspunkt seines vorausgegangenen rechtswidrigen gefährdenden Tuns grundsätzlich Lebensgarant sein konnte (vgl. Jähnke in LK 11. Aufl. § 222 Rdn. 11 sub Betäubungsmittel und Rdn. 21 sub Selbstgefährdung m.N.; Hügel/Junge, aaO § 30 Rdn. 4.4). Eine Verantwortlichkeit des Angeklagten unter diesem Gesichtspunkt würde jedenfalls voraussetzen, daß in dem Zeitpunkt, als Frau Dr. T durch den Eintritt ihrer Bewußtlosigkeit die Kontrolle über das Geschehen verlor, noch eine Möglichkeit zur Rettung ihres Lebens bestand (vgl. BGH NStZ 1984, 452 m. Anm. Fünfsinn StV 1985, 57; BGH NStZ 1985, 319, 320; BGH NStZ 1987, 406). Hierzu hat das Landgericht festgestellt, daß in dem Zeitpunkt, als Frau Dr. T bewußtlos wurde, etwaige Rettungsversuche – wegen der bereits eingetretenen gravierenden Wirkung des Mittels – gescheitert wären. Davon ging nach den Feststellungen auch der Angeklagte aus, so daß selbst ein versuchtes (Unterlassungs-) Tötungsdelikt ausscheidet. Schließlich kommt danach auch eine unterlassene Hilfeleistung nach § 323c StGB nicht in Betracht (vgl. BGH NStZ 1983, 117, 118).

III.


Der Strafausspruch hat keinen Bestand. Es ist allein eine Verwarnung mit Strafvorbehalt nach § 59 StGB auszusprechen.
Allerdings hat die genannte Vorschrift Ausnahmecharakter (Gribbohm in LK 11. Aufl. § 59 Rdn. 1; Lackner/Kühl, StGB 23. Aufl. § 59 Rdn. 1; Stree in Schönke/Schröder, StGB 25. Aufl. § 59 Rdn. 1). Zudem ist durch die Verwendung des Wortes „kann“ auf der Rechtsfolgenseite der Ermessenscharakter der Regelung in besonderer Weise hervorgehoben (vgl. Gribbohm aaO Rdn. 17 f.). Indes kann sich aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalles das Ermessen des Tatgerichts derart verengen, daß allein eine Verwarnung mit Strafvorbehalt in Betracht kommen kann. In einem solchen Fall kann auch das Revisionsgericht auf die besondere Sanktion nach § 59 StGB erkennen (OLG Celle StV 1988, 109; Horn in SK – StGB 27. Lfg. § 59 Rdn. 14; ähnlich Lackner/Kühl aaO Rdn. 10; Stree aaO Rdn. 16; a.A. Gribbohm aaO Rdn. 18; zweifelnd Tröndle/Fischer, StGB 50. Aufl. § 59 Rdn. 2). So liegt es hier. Der Angeklagte ging mit dem Betäubungsmittel in altruistischer Weise unter relativ geringer Gefährdung Unbeteiligter in der Absicht um, der in schwerster Weise unheilbar kranken Empfängerin zu einem in jeder Hinsicht freien Suizid zu verhelfen, was seinem humanen Engagement entsprang.
Der Senat verwarnt deshalb wegen der hier abzuurteilenden Tat den Angeklagten und behält die Verurteilung zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 120,- DM (nämlich der vom Landgericht verhängten Einzelgeldstrafe ) vor. Ferner erkennt der Senat unter Einbeziehung der im hiesigen Urteilstenor genannten Sanktionen auf eine Verwarnung als Gesamtsanktion, wobei die Verurteilung zu einer Gesamtgeldstrafe von 70 Tagessätzen zu je 120,- DM (also in gleicher Höhe wie vom Tatrichter unbedingt verhängt) vorbehalten bleibt.

Im Gesetz (namentlich in § 59c StGB) ist die Frage nicht eindeutig geregelt , ob eine bei einer Verwarnung vorbehaltene Geldstrafe mit einer zuvor unbedingt verhängten Geldstrafe im Wege der Verwarnung als Gesamtsanktion zusammengeführt werden kann (so Horn aaO § 59c Rdn. 4) oder ob solches etwa ausgeschlossen ist (so Gribbohm aaO § 59c Rdn. 5; Tröndle /Fischer aaO § 59c Rdn. 1). Der Senat behandelt die Frage wegen der Parallelität zur entsprechenden Regelung bei der Freiheitsstrafe in § 58 Abs. 1 StGB trotz des besonderen Charakters der Verwarnung mit Strafvorbehalt im erstgenannten Sinn.
Die nach § 268a StPO zu treffende Entscheidung über die Dauer der Bewährungszeit bleibt dem Landgericht vorbehalten.
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(1) Wer bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not nicht Hilfe leistet, obwohl dies erforderlich und ihm den Umständen nach zuzumuten, insbesondere ohne erhebliche eigene Gefahr und ohne Verletzung anderer wichtiger Pflichten möglich ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer in diesen Situationen eine Person behindert, die einem Dritten Hilfe leistet oder leisten will.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der weiteren Beteiligten zu 2 und zu 3 wird der Beschluss der 3. Zivilkammer des Landgerichts Chemnitz vom 11. März 2013 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die außergerichtlichen Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Landgericht zurückverwiesen.

Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtsgebührenfrei (§ 131 Abs. 5 Satz 2 KostO).

Verfahrenswert: 3.000 €

Gründe

I.

1

Das Verfahren betrifft die betreuungsgerichtliche Genehmigung der Einwilligung des Betreuers in den Abbruch der künstlichen Ernährung einer einwilligungsunfähigen Betroffenen.

2

Die 1963 geborene Betroffene erlitt am 18. September 2009 eine Gehirnblutung mit der Folge eines apallischen Syndroms im Sinne eines Wachkomas. Sie wird über eine PEG-Magensonde ernährt; eine Kontaktaufnahme mit ihr ist nicht möglich.

3

Mit Beschluss vom 22. September 2009 bestellte das Amtsgericht den Ehemann und die Tochter der Betroffenen, die Beteiligten zu 2 und 3 (im Folgenden: Betreuer) im Wege der einstweiligen Anordnung zu deren Betreuern unter anderem für die Aufgabenkreise Gesundheits- und Vermögenssorge und die Vertretung gegenüber Ämtern und Behörden. Die Betreuung wurde mit Beschluss vom 12. April 2010 mit einer Überprüfungsfrist zum 1. April 2017 auch in der Hauptsache angeordnet. Am 27. Juli 2010 beantragten die Betreuer, ihnen zu genehmigen, in weitere lebenserhaltende ärztliche Maßnahmen nicht mehr einzuwilligen bzw. ihre Einwilligung in die Fortführung lebenserhaltender Maßnahmen zu widerrufen bzw. die Genehmigung zur Einstellung der künstlichen Ernährung zu erteilen. Am 29. September 2011 und am 15. Februar 2012 wiederholten sie diese Anträge und beantragten weiter hilfsweise festzustellen, dass die Einstellung der künstlichen Ernährung gemäß § 1904 Abs. 4 BGB nicht genehmigungsbedürftig sei. Mit der behandelnden Ärztin der Betroffenen bestehe Einvernehmen darüber, dass die Einstellung der künstlichen Ernährung dem Willen der Betroffenen entspreche.

4

Das Amtsgericht hat den Antrag und den Hilfsantrag abgelehnt. Das Landgericht hat die Beschwerde der Betreuer zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich ihre zugelassene Rechtsbeschwerde.

II.

5

Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.

6

1. Das Landgericht hat zur Begründung ausgeführt, es habe nicht zweifelsfrei festgestellt werden können, dass die Betroffene eine Einstellung der künstlichen Ernährung im hier vorliegenden Fall gewollt hätte. In der Entscheidung, die künstliche Ernährung über die PEG-Magensonde einzustellen, liege ein Widerruf der früheren Einwilligung der Betreuer in die Behandlung und eine Verweigerung der Zustimmung in die hierauf gerichtete Behandlung. Die Genehmigung zur Nichteinwilligung oder zum Widerruf der Einwilligung in einen ärztlichen Eingriff durch die Betreuer sei nach § 1904 Abs. 3 BGB zu erteilen, wenn dies dem Willen des Betreuten entspreche. In einem Fall, in dem - wie hier - keine Patientenverfügung vorliege, habe der Betreuer den mutmaßlichen Willen des Betroffenen festzustellen und auf dieser Grundlage zu entscheiden. An die Annahme des mutmaßlichen Willens seien erhöhte Anforderungen zu stellen, wenn zwar das Grundleiden des Betroffenen unumkehrbar sei und einen tödlichen Verlauf angenommen habe, aber der Tod nicht unmittelbar bevorstehe.

7

Auf der Grundlage des im Beschwerdeverfahren eingeholten Sachverständigengutachtens sei festzustellen, dass das Leiden der Betroffenen einen irreversiblen tödlichen Verlauf angenommen habe, ohne dass ihr Tod in kurzer Zeit bevorstehe. Da eine Kommunikation mit der Betroffenen aufgrund ihrer Erkrankung nicht möglich sei, sei für die vorliegend zu treffende Entscheidung auf ihren mutmaßlichen Willen abzustellen. Die Betreuer und die im Beschwerdeverfahren vernommenen Zeuginnen - die Mutter, die Schwester und die Freundin der Betroffenen - hätten grundsätzlich übereinstimmend und auch plausibel und nachvollziehbar berichtet, dass die Betroffene in der Vergangenheit mehrfach geäußert habe, keine lebenserhaltenden Maßnahmen in Anspruch nehmen, sondern für immer einschlafen zu wollen, wenn sie im Koma liege, ihren Willen nicht mehr äußern und am Leben nicht mehr aktiv teilnehmen könne. Der als Betreuer eingesetzte Ehemann der Betroffenen habe zudem dargetan, dass noch im September 2009 entsprechende Formulare für eine Patientenverfügung zu Hause gelegen hätten, man aber keine Zeit mehr gefunden habe, diese auszufüllen.

8

Es sei offenbar geworden, dass sich die Betroffene in der Vergangenheit bereits ernsthaft mit dieser Thematik auseinandergesetzt habe. Anlass hierfür sei meistens eine schwere Erkrankung Dritter gewesen, etwa die der Eltern der Betroffenen, der Nichte ihrer Freundin und weiterer fremder Personen, die aufgrund einer schweren Erkrankung auf einen (Liege-)Rollstuhl angewiesen gewesen seien. Auch wenn diese Meinungsäußerungen der Betroffenen sehr ernst zu nehmen seien, hätten sie gleichwohl nicht die Qualität und Tiefe von Erklärungen, die im Rahmen einer Patientenverfügung abgegeben werden. Soweit sich die Betroffene anlässlich der schweren Erkrankung ihres Vaters, der 2001 kurzzeitig ins Koma gefallen und sodann im Alter von 72 Jahren verstorben sei, zur Frage von lebenserhaltenden Maßnahmen geäußert habe, sei diese Situation mit der der Betroffenen nicht vergleichbar. Beim Vater der Betroffenen habe Todesnähe bestanden; zudem sei er wesentlich älter gewesen als die Betroffene. Den Äußerungen der Betroffenen anlässlich schwerer Schicksalsschläge Dritter komme nicht die Wertigkeit einer konkreten Selbstbestimmtheit für die Beendigung lebensverlängernder Maßnahmen beim Eintritt der jetzigen Situation zu. Die Freundin der Betroffenen habe dargelegt, dass die Frage, ob ein Anschluss an lebenserhaltende Geräte in jedem Fall ausgeschlossen werden solle oder nur, wenn es keine Chance auf Genesung und ein Wiedererwachen gebe, zwischen ihr und der Betroffenen nicht erörtert worden sei.

9

Der Ehemann der Betroffenen habe erklärt, dass die Betroffene keine lebenserhaltenden Maßnahmen gewollt habe, falls sie sich in einem Zustand des Leidens und der Qual befinde. Das Gericht habe jedoch nicht den Eindruck gewonnen, dass der derzeitige Zustand von der Betroffenen selbst als leidvoll oder quälend empfunden werde. Es habe daher nicht zweifelsfrei festgestellt werden können, ob für die Betroffene in der aktuell bestehenden Lebens- und Behandlungssituation lebenserhaltende Maßnahmen akzeptabel gewesen wären oder ob sie diese abgebrochen hätte. Gegen die Annahme, dass sich die Betroffene zu der hier relevanten Lebenssituation konkret und verbindlich positioniert haben könnte, spreche zudem der Umstand, dass mit dem Ehemann noch nicht tiefergehend darüber gesprochen worden sei, welches konkrete Formular der Entwürfe von Patientenverfügungen gewählt werden sollte.

10

2. Diese Ausführungen halten nicht in allen Punkten der rechtlichen Überprüfung stand.

11

a) Zutreffend ist das Beschwerdegericht zunächst davon ausgegangen, dass im vorliegenden Fall die von den Betreuern beabsichtigte Einwilligung in den Abbruch der künstlichen Ernährung der einwilligungsunfähigen Betroffenen nach § 1904 Abs. 2 BGB der betreuungsgerichtlichen Genehmigung bedarf. Denn es liegt weder eine wirksame Patientenverfügung gemäß § 1901 a Abs. 1 BGB vor noch besteht zwischen den Betreuern und dem behandelnden Arzt Einvernehmen darüber, dass die Nichterteilung oder der Widerruf der Einwilligung dem nach § 1901 a BGB festgestellten Willen der Betroffenen entspricht (§ 1904 Abs. 4 BGB).

12

aa) Gemäß § 1904 Abs. 2 BGB bedarf die Nichteinwilligung oder der Widerruf der Einwilligung des Betreuers in einen ärztlichen Eingriff der Genehmigung des Betreuungsgerichts, wenn die Maßnahme medizinisch angezeigt ist und die begründete Gefahr besteht, dass der Betreute auf Grund des Abbruchs der Maßnahme stirbt. Die Vorschrift ist Bestandteil einer umfassenden betreuungsrechtlichen Neuregelung einer am Patientenwillen orientierten Behandlungsbegrenzung durch das Dritte Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts vom 29. Juli 2009 (BGBl. I S. 2286) - so genanntes Patientenverfügungsgesetz. Das am 1. September 2009 in Kraft getretene Gesetz führt erstmals eine gesetzliche Regelung zur Genehmigungspflicht von Entscheidungen des Betreuers ein, wenn dieser in bestimmte medizinisch angezeigte Maßnahmen entsprechend dem Willen des Betroffenen nicht einwilligen oder eine früher erteilte Einwilligung widerrufen will (§ 1904 Abs. 2 bis 4 BGB). Zutreffend ist das Beschwerdegericht davon ausgegangen, dass der Widerruf der Einwilligung in die mit Hilfe einer PEG-Magensonde ermöglichte künstliche Ernährung vom Anwendungsbereich der Vorschrift erfasst wird und grundsätzlich der betreuungsgerichtlichen Genehmigung bedarf, wenn - wie hier - durch den Abbruch der Maßnahme die Gefahr des Todes droht (NK-BGB/Heitmann 3. Aufl. § 1904 Rn. 16; vgl. auch Senatsbeschluss BGHZ 154, 205 = FamRZ 2003, 748, 750).

13

bb) Der Abbruch einer lebenserhaltenden Maßnahme bedarf jedoch dann nicht der betreuungsgerichtlichen Genehmigung nach § 1904 Abs. 2 BGB, wenn der Betroffene einen entsprechenden eigenen Willen bereits in einer wirksamen Patientenverfügung (§ 1901 a Abs. 1 BGB) niedergelegt hat und diese auf die konkret eingetretene Lebens- und Behandlungssituation zutrifft.

14

Nach der Legaldefinition des § 1901 a Abs. 1 BGB ist eine Patientenverfügung eine schriftliche Willensbekundung eines einwilligungsfähigen Volljährigen, mit der er Entscheidungen über die Einwilligung oder Nichteinwilligung in noch nicht unmittelbar bevorstehende ärztliche Maßnahmen für den Fall der späteren Einwilligungsunfähigkeit trifft. Enthält die schriftliche Patientenverfügung eine Entscheidung über die Einwilligung oder Nichteinwilligung in bestimmte ärztliche Maßnahmen, die auf die konkret eingetretene Lebens- und Behandlungssituation zutrifft, ist eine Einwilligung des Betreuers, die dem betreuungsgerichtlichen Genehmigungserfordernis unterfällt, in die Maßnahme nicht erforderlich, da der Betroffene diese Entscheidung selbst in einer alle Beteiligten bindenden Weise getroffen hat (BT-Drucks. 16/8442 S. 14; BGHZ 154, 205 = FamRZ 2003, 748, 750; Palandt/Götz BGB 73. Aufl. § 1901 a Rn. 2; Bienwald/Sonnenfeld/Hoffmann Betreuungsrecht 5. Aufl. § 1901 a BGB Rn. 50; HK-BUR/Bauer [Stand: Juli 2011] § 1901 a BGB Rn. 27 f.; a.A. Erman/Roth BGB 13. Aufl. § 1901 a BGB Rn. 8; Albrecht/Albrecht MittBayNot 2009, 426, 432 f.). Dem Betreuer obliegt es in diesem Fall nur noch, dem in der Patientenverfügung niedergelegten Willen des Betroffenen Ausdruck und Geltung zu verschaffen (§ 1901 a Abs. 1 Satz 2 BGB).

15

Das Genehmigungserfordernis des § 1904 Abs. 2 BGB greift indes ein, wenn nicht sämtliche Voraussetzungen einer wirksamen Patientenverfügung nach § 1901 a Abs. 1 BGB vorliegen oder die Patientenverfügung nicht auf die konkret eingetretene Lebens- und Behandlungssituation zutrifft. Da in diesem Fall der Willensbekundung des Betreuten keine unmittelbare Bindungswirkung zukommt (BT-Drucks. 16/8442 S. 11; vgl. auch BeckOK BGB/G. Müller § 1901 a Rn. 23; Palandt/Götz BGB 73. Aufl. § 1901 a Rn. 17), hat der Betreuer nach § 1901 a Abs. 2 BGB die Entscheidung über die Einwilligung oder Nichteinwilligung in eine anstehende ärztliche Maßnahme zu treffen, wobei er den Behandlungswünschen oder dem mutmaßlichen Willen des Betroffenen Geltung zu verschaffen hat. Entschließt sich der Betreuer danach, in den Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen einzuwilligen, bedarf diese Entscheidung - vorbehaltlich der Regelung in § 1904 Abs. 4 BGB - der Genehmigung durch das Betreuungsgericht.

16

Im vorliegenden Fall hat die Betroffene nach den vom Beschwerdegericht getroffenen Feststellungen eine den formellen Anforderungen des § 1901 a Abs. 1 BGB genügende schriftliche Patientenverfügung nicht erstellt. Die Betroffene und ihr Ehemann hatten sich zwar noch im September 2009 entsprechende Formulare für eine Patientenverfügung beschafft. Diese wurden jedoch nicht mehr ausgefüllt.

17

cc) Eine betreuungsgerichtliche Genehmigung der Entscheidung des Betreuers ist gemäß § 1904 Abs. 4 BGB dann nicht erforderlich, wenn zwischen diesem und dem behandelnden Arzt Einvernehmen darüber besteht, dass die Nichterteilung oder der Widerruf der Einwilligung dem nach § 1901 a BGB festgestellten Willen des Betreuten entspricht.

18

(1) In § 1901 b BGB findet sich nunmehr eine klarstellende gesetzliche Regelung des zur Ermittlung des Patientenwillens erforderlichen Gesprächs zwischen dem behandelnden Arzt und dem Betreuer. Liegt eine schriftliche Patientenverfügung im Sinne des § 1901 a Abs. 1 BGB vor und besteht Einvernehmen zwischen dem Betreuer und dem behandelnden Arzt darüber, dass deren Festlegungen auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zutreffen, ist eine betreuungsgerichtliche Genehmigung bereits deshalb entbehrlich, weil es wegen des Fortwirkens der eigenen Entscheidung des Betroffenen keiner Nichteinwilligung und keines Widerrufs der Einwilligung in die ärztliche Maßnahme durch den Betreuer bedarf (BT-Drucks. 16/8442 S. 11). Für den Fall des Nichtvorliegens einer bindenden Patientenverfügung kommt es auf die Behandlungswünsche oder den mutmaßlichen Willen des Betroffenen gemäß § 1901 a Abs. 2 BGB an. Soweit der Betreuer und der behandelnde Arzt Einvernehmen darüber erzielen können, dass die Erteilung, die Nichterteilung oder der Widerruf der Einwilligung dem nach § 1901 a Abs. 2 BGB festgestellten Willen des Betroffenen entsprechen, werden die Entscheidungen des Betreuers nach § 1904 Abs. 4 BGB von der Genehmigungspflicht des Betreuungsgerichts ausgenommen (BT-Drucks. 16/8442 S. 18; vgl. auch BGHSt 55, 191 = FamRZ 2010, 1551 Rn. 17 sowie Bienwald/Sonnenfeld/Hoffmann Betreuungsrecht 5. Aufl. § 1904 BGB Rn. 137; Jurgeleit/Kieß Betreuungsrecht 3. Aufl. § 1904 BGB Rn. 97; Palandt/Götz BGB 73. Aufl. § 1904 Rn. 22; HK-BUR/Bauer [Stand: Juni 2013] § 1904 BGB Rn. 96; a.A. BtKomm/Roth E Rn. 24, demzufolge eine gerichtliche Genehmigung auch dann erforderlich ist, wenn Arzt und Betreuer übereinstimmend von einem mutmaßlichen Willen des Betroffenen ausgehen). Damit soll nach dem Willen des Gesetzgebers sichergestellt sein, dass eine gerichtliche Genehmigung nur in Konfliktfällen erforderlich ist. Liegt kein Verdacht auf einen Missbrauch vor, soll die Umsetzung des Patientenwillens nicht durch ein sich gegebenenfalls durch mehrere Instanzen hinziehendes betreuungsgerichtliches Verfahren belastet werden. Die Durchsetzung des Patientenwillens würde erheblich verzögert oder unmöglich gemacht, da für die Dauer des Verfahrens die in Rede stehenden ärztlichen Maßnahmen in der Regel fortgeführt werden müssten und damit gegebenenfalls massiv in das Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen eingegriffen wird. Dem Schutz des Patienten vor einem etwaigen Missbrauch der Betreuerbefugnisse wird zum einen dadurch Rechnung getragen, dass eine wechselseitige Kontrolle zwischen Arzt und Betreuer bei der Entscheidungsfindung stattfindet. Zum anderen kann jeder Dritte, insbesondere der Ehegatte, Lebenspartner, Verwandte oder Vertrauenspersonen des Betreuten, aufgrund des Amtsermittlungsprinzips im Betreuungsverfahren jederzeit eine betreuungsgerichtliche Kontrolle der Betreuerentscheidung in Gang setzen (BT-Drucks. 16/8442 S. 19).

19

Angesichts des schwerwiegenden Eingriffs ist allerdings die Schwelle für ein gerichtliches Einschreiten nicht zu hoch anzusetzen (Jurgeleit/Kieß Betreuungsrecht 3. Aufl. § 1904 BGB Rn. 13). Das Betreuungsgericht muss das Genehmigungsverfahren nach § 1904 Abs. 2 BGB immer dann durchführen, wenn einer der Handelnden Zweifel daran hat, ob das geplante Vorgehen dem Willen des Betroffenen entspricht (vgl. MünchKommBGB/Schwab 6. Aufl. § 1904 Rn. 53; Jürgens/Marschner Betreuungsrecht 5. Aufl. § 1904 BGB Rn. 14; vgl. auch BT-Drucks. 16/8442 S. 19). Das Verfahren bietet einen justizförmigen Rahmen, innerhalb dessen die rechtlichen Grenzen des Betreuerhandelns geklärt und der wirkliche oder mutmaßliche Wille des Betroffenen - im Rahmen des Möglichen - ermittelt werden kann. Dies vermittelt der Entscheidung des Betreuers damit eine Legitimität, die geeignet ist, den Betreuer subjektiv zu entlasten sowie seine Entscheidung objektiv anderen Beteiligten zu vermitteln, und die ihn vor dem Risiko einer abweichenden strafrechtlichen ex-post-Beurteilung schützen kann (Senatsbeschluss BGHZ 154, 205 = FamRZ 2003, 748, 755 mwN; vgl. Spickhoff Medizinrecht § 1901 a BGB Rn. 14). Daher ist die Prüfungskompetenz des Betreuungsgerichts auch dann eröffnet, wenn zwar ein Einvernehmen zwischen Betreuer und behandelndem Arzt besteht, aber gleichwohl ein Antrag auf betreuungsgerichtliche Genehmigung gestellt wird (Jurgeleit/Kieß Betreuungsrecht 3. Aufl. § 1904 BGB Rn. 77 f.).

20

Stellt das Gericht dieses Einvernehmen im Sinne von § 1904 Abs. 4 BGB fest, hat es den Antrag auf betreuungsgerichtliche Genehmigung ohne weitere gerichtliche Ermittlungen abzulehnen und ein sogenanntes Negativattest zu erteilen, aus dem sich ergibt, dass eine gerichtliche Genehmigung nicht erforderlich ist (LG Kleve FamRZ 2010, 1841, 1843; AG Nordenham FamRZ 2011, 1327, 1328; vgl. auch LG Oldenburg FamRZ 2010, 1470, 1471; MünchKommBGB/Schwab 6. Aufl. § 1904 Rn. 56; Jürgens/Marschner Betreuungsrecht 4. Aufl. § 1904 Rn. 13; HK-BUR/Bauer [Stand: Juni 2013] § 1904 Rn. 106; a.A. Jurgeleit/Kieß Betreuungsrecht 3. Aufl. § 1904 BGB Rn. 11; Palandt/Götz BGB 73. Aufl. § 1904 Rn. 22, wonach die Erteilung eines Negativattests nicht angezeigt sei). Gleiches gilt, wenn das Gericht trotz Einvernehmens zunächst einen Anlass für die Ermittlung des Patientenwillens mit den ihm zur Verfügung stehenden Ermittlungsmöglichkeiten sieht, aber nach der Prüfung zu dem Ergebnis gelangt, dass die Erteilung, die Nichterteilung oder der Widerruf der Einwilligung dem nach § 1901 a BGB festgestellten Willen entspricht. Bei unterschiedlichen Auffassungen oder bei Zweifeln des behandelnden Arztes und des Betreuers über den Behandlungswillen des Betreuten muss das Betreuungsgericht hingegen nach der Kontrolle, ob die Entscheidung des Betreuers über die Nichteinwilligung oder den Widerruf der Einwilligung tatsächlich dem ermittelten Patientenwillen entspricht, eine Genehmigung nach § 1904 Abs. 2 BGB erteilen oder versagen.

21

(2) Danach hat sich das Beschwerdegericht im vorliegenden Fall zu Recht nicht lediglich auf eine Prüfung nach § 1904 Abs. 4 BGB beschränkt, obwohl die Betreuer mit ihrem Antrag vom 15. Februar 2012 eine gemeinsame schriftliche Erklärung mit der behandelnden Ärztin der Betroffenen vorgelegt haben, wonach Einvernehmen darüber bestehe, dass die Nichterteilung oder der Widerruf der Einwilligung in die künstliche Ernährung dem Willen der Betroffenen entspreche. Nachdem ein Einvernehmen zwischen Betreuern und behandelnder Ärztin zunächst nicht vorgelegen hatte und die Gerichte Zweifel an einem entsprechenden Willen der Betroffenen hatten, waren sie aufgrund des Amtsermittlungsgrundsatzes gehalten, diesen im gerichtlichen Verfahren zu ermitteln (a.A. MünchKommBGB/Schwab 6. Aufl. § 1901 a Rn. 56, wonach das Gericht auch bei eigenem Missbrauchsverdacht ein Negativattest zu erstellen und dann ein Kontrollverfahren nach § 1908 i Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 1837 Abs. 2 bis 4 BGB einzuleiten habe). Jedenfalls im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung konnte darüber hinaus ein Einvernehmen zwischen Betreuern und behandelnder Ärztin nicht mehr festgestellt werden, nachdem die Betroffene in ein anderes Pflegeheim verlegt worden war und sich die Person der behandelnden Ärztin geändert hatte.

22

b) Ebenfalls zu Recht ist das Beschwerdegericht noch unter Bezugnahme auf den zur früheren Rechtslage ergangenen Senatsbeschluss vom 17. März 2003 (BGHZ 154, 205 = FamRZ 2003, 748, 751) zu dem Ergebnis gelangt, dass das Vorliegen einer Grunderkrankung mit einem „irreversibel tödlichen Verlauf“ nicht Voraussetzung für den zulässigen Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen ist. Nach neuer Rechtslage ist in § 1901 a Abs. 3 BGB klargestellt, dass es für die Verbindlichkeit des tatsächlichen oder mutmaßlichen Willens eines aktuell einwilligungsunfähigen Betroffenen nicht auf die Art und das Stadium der Erkrankung ankommt (BT-Drucks. 16/8442 S. 16; BGHSt 55, 191 = FamRZ 2010, 1551 Rn. 14 ff.; Fröschle/Guckes/Kuhrke/Locher Betreuungs- und Unterbringungsverfahren § 298 FamFG Rn. 19). Auch wenn die Grunderkrankung noch keinen unmittelbar zum Tod führenden Verlauf genommen hat, d.h. der Sterbevorgang noch nicht eingesetzt hat, ist das verfassungsrechtlich verbürgte Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen zu achten, gegen dessen Willen eine ärztliche Behandlung weder eingeleitet noch fortgesetzt werden darf. Der Abbruch einer lebenserhaltenden Maßnahme ist bei entsprechendem Willen des Betroffenen als Ausdruck der allgemeinen Entscheidungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) und des Rechts auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 GG) grundsätzlich zulässig. Der Betroffene darf eine Heilbehandlung auch dann ablehnen, wenn sie seine ohne Behandlung zum Tod führende Krankheit besiegen oder den Eintritt des Todes weit hinausschieben könnte (BT-Drucks. 16/8442 S. 9).

23

c) Soweit das Beschwerdegericht auf der Grundlage der von ihm getroffenen Feststellungen zu der Würdigung gelangt ist, dass der Abbruch der künstlichen Ernährung nicht dem mutmaßlichen Willen der Betroffenen entspricht, ist dies dagegen nicht frei von Rechtsfehlern. Zudem hat es sich nicht mit der vorrangigen Frage befasst, ob ein entsprechender Behandlungswunsch der Betroffenen vorliegt.

24

aa) Die betreuungsgerichtliche Genehmigung nach § 1904 Abs. 2 BGB ist zu erteilen, wenn die Nichteinwilligung oder der Widerruf der Einwilligung dem Willen des Betreuten entspricht, § 1904 Abs. 3 BGB. Das Betreuungsgericht hat die Entscheidung des Betreuers zum Schutz des Betreuten dahingehend zu überprüfen, ob diese Entscheidung tatsächlich dem ermittelten Patientenwillen entspricht. Gerichtlicher Überprüfungsmaßstab ist der individuelle Patientenwille, wobei für die Ermittlung des mutmaßlichen Willens die in § 1901 a Abs. 2 BGB genannten Anhaltspunkte heranzuziehen sind (BT-Drucks. 16/8442 S. 18). Dabei differenziert § 1901 a Abs. 2 Satz 1 BGB zwischen den Behandlungswünschen einerseits und dem mutmaßlichen Willen des Betroffenen andererseits.

25

(1) Behandlungswünsche im Sinne des § 1901 a Abs. 2 BGB können etwa alle Äußerungen eines Betroffenen sein, die Festlegungen für eine konkrete Lebens- und Behandlungssituation enthalten, aber den Anforderungen an eine Patientenverfügung im Sinne des § 1901 a Abs. 1 BGB nicht genügen, etwa weil sie nicht schriftlich abgefasst wurden, keine antizipierenden Entscheidungen treffen oder von einem minderjährigen Betroffenen verfasst wurden. Auch eine Patientenverfügung im Sinne des § 1901 a Abs. 1 BGB, die jedoch nicht sicher auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation des Betroffenen passt und deshalb keine unmittelbare Wirkung entfaltet, kann als Behandlungswunsch Berücksichtigung finden (Bienwald/Sonnenfeld/Hoffmann Betreuungsrecht 5. Aufl. § 1901 a BGB Rn. 57; Palandt/Götz BGB 73. Aufl. § 1901 a Rn. 28; Jürgens/Jürgens Betreuungsrecht 5. Aufl. § 1901 a BGB Rn. 16; HK-BUR/Bauer [Stand: Juli 2011] § 1901 a BGB Rn. 71). Behandlungswünsche sind insbesondere dann aussagekräftig, wenn sie in Ansehung der Erkrankung zeitnah geäußert worden sind, konkrete Bezüge zur aktuellen Behandlungssituation aufweisen und die Zielvorstellungen des Patienten erkennen lassen (MünchKommStGB/Schneider 2. Aufl. Vorbem. zu §§ 211 ff. Rn. 156). An die Behandlungswünsche des Betroffenen ist der Betreuer nicht nur nach § 1901 a Abs. 2 BGB, sondern bereits nach § 1901 Abs. 3 BGB gebunden (a.A. wohl Kutzer FS Rissing-van Saan 2011, 337, 353, wonach der lediglich mündlich geäußerte Behandlungswunsch den Betreuer nicht unmittelbar binde, sondern nur in die Würdigung der Gesamtsituation durch den Betreuer miteinzubeziehen sei).

26

(2) Auf den mutmaßlichen Willen des Betroffenen ist demgegenüber abzustellen, wenn sich ein auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation bezogener Wille des Betroffenen nicht feststellen lässt. Der mutmaßliche Wille ist anhand konkreter Anhaltspunkte zu ermitteln, insbesondere anhand früherer mündlicher oder schriftlicher Äußerungen (die jedoch keinen Bezug zur aktuellen Lebens- und Behandlungssituation aufweisen), ethischer oder religiöser Überzeugungen und sonstiger persönlicher Wertvorstellungen des Betroffenen (§ 1901 a Abs. 2 Satz 2 und 3). Der Betreuer stellt letztlich eine These auf, wie sich der Betroffene selbst in der konkreten Situation entschieden hätte, wenn er noch über sich selbst bestimmen könnte (Bienwald/Sonnenfeld/Hoffmann Betreuungsrecht § 1901 a BGB Rn. 67 ff.).

27

Allerdings kommt die Berücksichtigung eines solchen mutmaßlichen Willen des Betroffenen nur hilfsweise in Betracht, wenn und soweit der wirkliche vor Eintritt der Einwilligungsunfähigkeit geäußerte Wille des Betroffenen nicht zu ermitteln ist (Senatsbeschluss BGHZ 154, 205 = FamRZ 2003, 748, 752; BGHSt 55, 191 = FamRZ 2010, 1551 Rn. 17). Liegt eine Willensbekundung des Betroffenen vor, bindet sie als Ausdruck des fortwirkenden Selbstbestimmungsrechts den Betreuer. Der Wille des Patienten muss stets beachtet werden, unabhängig von der Form, in der er geäußert wird (BT-Drucks. 16/13314 S. 22 zu § 1901 b BGB). Die Willensbekundung für oder gegen bestimmte medizinische Maßnahmen darf vom Betreuer nicht durch einen "Rückgriff auf den mutmaßlichen Willen" des Betroffenen korrigiert werden (BGHZ 154, 205 = FamRZ 2003, 748, 752).

28

(3) Ebenso wie bei Vorliegen einer schriftlichen Patientenverfügung im Sinne des § 1901 a Abs. 1 BGB genügt auch der ermittelte Behandlungswunsch nicht, wenn sich dieser auf allgemein gehaltene Inhalte beschränkt.

29

Unmittelbare Bindungswirkung entfaltet eine Patientenverfügung im Sinne des § 1901 a Abs. 1 BGB nur dann, wenn ihr konkrete Entscheidungen des Betroffenen über die Einwilligung oder Nichteinwilligung in bestimmte, noch nicht unmittelbar bevorstehende ärztliche Maßnahmen entnommen werden können. Von vornherein nicht ausreichend sind allgemeine Anweisungen, wie die Aufforderung, ein würdevolles Sterben zu ermöglichen oder zuzulassen, wenn ein Therapieerfolg nicht mehr zu erwarten ist (HK-BUR/Bauer [Stand: Juli 2011] § 1901 a BGB Rn. 39; Spickhoff Medizinrecht § 1901 a BGB Rn. 7). Die Anforderungen an die Bestimmtheit einer Patientenverfügung dürfen aber auch nicht überspannt werden. Vorausgesetzt werden kann nur, dass der Betroffene umschreibend festlegt, was er in einer bestimmten Lebens- und Behandlungssituation will und was nicht. Maßgeblich ist nicht, dass der Betroffene seine eigene Biografie als Patient vorausahnt und die zukünftigen Fortschritte in der Medizin vorwegnehmend berücksichtigt (vgl. Palandt/Götz BGB 73. Aufl. § 1901 a Rn. 18). Insbesondere kann nicht ein gleiches Maß an Präzision verlangt werden, wie es bei der Willenserklärung eines einwilligungsfähigen Kranken in die Vornahme einer ihm angebotenen Behandlungsmaßnahme erreicht werden kann (vgl. Spickhoff FamRZ 2014, 1848 f.). Andernfalls wären nahezu sämtliche Patientenverfügungen unverbindlich, weil sie den Anforderungen an die Bestimmtheit nicht genügten (vgl. auch MünchKommStGB/Schneider 2. Aufl. Vorbem. zu §§ 211 ff. Rn. 146; Jürgens/Jürgens Betreuungsrecht 5. Aufl. § 1901 a BGB Rn. 8).

30

Ein vergleichbares Maß an Bestimmtheit ist auch bei der Beurteilung eines Behandlungswunsches im Sinn des § 1901 a Abs. 2 BGB zu verlangen. Wann eine Maßnahme hinreichend bestimmt benannt ist, kann nur im Einzelfall beurteilt werden. Ebenso wie eine schriftliche Patientenverfügung sind auch mündliche Äußerungen des Betroffenen der Auslegung zugänglich.

31

(4) Maßgeblich ist weiter, ob die entsprechenden Anweisungen, welche zu einem Zeitpunkt erteilt wurden, als ein bestimmter ärztlicher Eingriff noch nicht unmittelbar bevorstand, auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zugeschnitten sind (sog. Kongruenz von Patientenverfügung und ärztlich erforderlichem Eingriff).

32

bb) Diesen Grundsätzen wird die angegriffene Entscheidung nicht in vollem Umfang gerecht.

33

(1) Nachdem eine schriftliche Patientenverfügung im Sinn des § 1901 a Abs. 1 BGB nicht vorlag, hat das Beschwerdegericht zur Ermittlung des Willens der Betroffenen zutreffend auf § 1901 a Abs. 2 BGB abgestellt. Allerdings ist das Beschwerdegericht ohne weitere Differenzierung zwischen Behandlungswunsch einerseits und mutmaßlichem Willen andererseits davon ausgegangen, dass der mutmaßliche Wille der Betroffenen zu ermitteln sei. Hierbei hat das Beschwerdegericht, wie die Rechtsbeschwerde insoweit zu Recht rügt, die Bekundungen der Zeugin L.      nicht hinreichend berücksichtigt.

34

Das Beschwerdegericht hätte Anlass zur Prüfung gehabt, ob es sich bei der mündlichen Äußerung der Betroffenen gegenüber der Zeugin L.      um einen Behandlungswunsch im Sinne des § 1901 a Abs. 2 Satz 1 BGB handelte, mit dem sie Festlegungen für eine konkrete Lebens- und Behandlungssituation getroffen hat, welche mit der aktuellen Lebens- und Behandlungssituation übereinstimmt. Ein Rückgriff auf den mutmaßlichen Willen der Betroffenen wäre in Anbetracht dessen ausgeschlossen (vgl. auch BGHSt 55, 191 = FamRZ 2010, 1551 Rn. 5, 17).

35

Die Betroffene hatte sich nach den Angaben der Zeugin L.      auch anlässlich der Erkrankung von deren Nichte geäußert, die im Alter von 39 Jahren ins Wachkoma gefallen war. Ausweislich des Vermerks über die Anhörung der Zeugin L.      hat die Betroffene angegeben, dass sie selbst, sollte sie sich in einem Zustand wie die Nichte befinden, nicht künstlich am Leben erhalten bleiben wolle. Nach Auffassung des Beschwerdegerichts haben zudem beide Betreuer sowie die Zeuginnen übereinstimmend, plausibel und nachvollziehbar erklärt, dass die Betroffene in der Vergangenheit mehrfach geäußert habe, keine lebensverlängernden Maßnahmen in Anspruch nehmen zu wollen, wenn sie im Koma liege, ihren Willen nicht mehr äußern und am Leben nicht mehr aktiv teilnehmen könne.

36

(2) Die angegriffene Entscheidung begegnet zudem rechtlichen Bedenken, weil sie darüber hinaus erhöhte Anforderung an die Ermittlung und Annahme des mutmaßlichen Willens stellt, wenn der Tod des Betroffenen - wie hier - nicht unmittelbar bevorsteht.

37

Diese Auffassung steht nicht im Einklang mit § 1901 a Abs. 3 BGB, der in erster Linie klarstellen will, dass es für die Beachtung und Durchsetzung des Patientenwillens nicht auf die Art und das Stadium der Erkrankung ankommt. Aus § 1901 a Abs. 3 BGB folgt aber zugleich, dass keine höheren Anforderungen an die Ermittlung und die Annahme von Behandlungswünschen oder des mutmaßlichen Willens zu stellen sind, wenn der Tod des Betroffenen nicht unmittelbar bevorsteht. Für die Feststellung des behandlungsbezogenen Patientenwillens gelten beweismäßig strenge Maßstäbe, die der hohen Bedeutung der betroffenen Rechtsgüter - dem aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG und Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG folgenden Selbstbestimmungsrecht einerseits (vgl. insoweit auch BVerfG FamRZ 2011, 1927 Rn. 35 f.) und dem in Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG garantierten Schutz des Lebens andererseits - Rechnung zu tragen haben. Dies hat insbesondere zu gelten, wenn es beim Fehlen einer schriftlichen Patientenverfügung um die Feststellung eines in der Vergangenheit mündlich geäußerten Patientenwillens geht (vgl. auch BGHSt 55, 191 = FamRZ 2010, 1551 Rn. 38; BGH Beschluss vom 10. November 2010 - 2 StR 320/10 - FamRZ 2011, 108 Rn. 12). Insbesondere bei der Ermittlung des mutmaßlichen Willens des Betroffenen ist darauf zu achten, dass nicht die Werte und Vorstellungen des Betreuers zum Entscheidungsmaßstab werden. Die bei der Ermittlung und der Annahme des mutmaßlichen Willens zu stellenden strengen Anforderungen gelten aber unabhängig davon, ob der Tod des Betroffenen unmittelbar bevorsteht oder nicht (a.A. LG Kleve FamRZ 2010, 1841, 1843; AG Nordenham FamRZ 2011, 1327, 1328; MünchKommBGB/Schwab 6. Aufl. § 1901 a Rn. 50; Kutzer FS Rissing-van Saan, 2011, 337, 354; zur früheren Rechtslage: Senatsbeschluss BGHZ 154, 205 = FamRZ 2003, 748, 751 unter Bezugnahme auf BGH Urteil vom 13. September 1994 - 1 StR 357/94 - NJW 1995, 204).

38

Das Beschwerdegericht geht demgegenüber von einem falschen Maßstab aus, wenn es ausführt, an die Ermittlung und Annahme des mutmaßlichen Willens seien höhere Anforderungen zu stellen, wenn der Tod des Betroffenen noch nicht unmittelbar bevorsteht.

39

3. Die Entscheidung des Beschwerdegerichts kann demnach keinen Bestand haben. Bei seiner erneuten Prüfung wird das Beschwerdegericht etwaige Behandlungswünsche und gegebenenfalls den mutmaßlichen Willen der Betroffenen unter Berücksichtigung der Angaben der Zeugin L.      und unter Anlegung des korrekten Prüfungsmaßstabs erneut zu ermitteln haben. Der Senat weist dazu auf Folgendes hin:

40

a) Die Äußerung der Betroffenen ist auch nicht deswegen unbeachtlich, weil sie bei ihrem Gespräch mit der Zeugin L.     nicht im Einzelnen danach differenziert hat, ob lebenserhaltende Maßnahmen für alle Fälle ausgeschlossen werden sollten oder nur, wenn es keine Chance auf Genesung und ein Wiedererwachen gebe. Denn das Beschwerdegericht hat sich dem im Beschwerdeverfahren eingeholten Sachverständigengutachten angeschlossen, wonach das Leiden der Betroffenen einen irreversiblen tödlichen Verlauf angenommen habe. Weiter haben die Sachverständigen ausgeführt, dass - auch wenn es immer wieder vereinzelte Fallberichte zu klinischen Besserungen nach langer Zeit gebe - die Wahrscheinlichkeit für ein bewusstes, unabhängiges Leben bei 0 % liege, wenn der fortdauernde vegetative Status eines Patienten, wie bei der Betroffenen, länger als sechs Monate andauere.

41

b) Die mündlichen Äußerungen der Betroffenen werden nicht dadurch relativiert, dass die Betroffene keine schriftliche Patientenverfügung angefertigt hatte, obwohl entsprechende Vordrucke bei ihr zu Hause gelegen hatten. Diesem Umstand kann weder entnommen werden, dass die Betroffene von der Errichtung einer Patientenverfügung (vorerst) Abstand nehmen wollte, weil sie sich noch nicht konkret und verbindlich positionieren wollte, noch dass sie schon inhaltlich festgelegt wäre. Nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts kann lediglich als sicher angenommen werden, dass die Betroffene zu einem Zeitpunkt, als ihre Erkrankung noch gänzlich ungewiss war, eine Patientenverfügung erstellen wollte, aber noch keines der unterschiedlichen Formulare ausgewählt hatte, bevor sie unvorhersehbar erkrankte.

Dose                               Schilling                     Günter

            Nedden-Boeger                        Botur

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII ZB 61/16
vom
6. Juli 2016
in der Betreuungssache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
BGHR: ja
BGB §§ 1901 a, 1901 b, 1904
a) Der Bevollmächtigte kann in eine der in § 1904 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BGB genannten
Maßnahmen nur einwilligen, nicht einwilligen oder die Einwilligung widerrufen
, wenn der Vollmachttext hinreichend klar umschreibt, dass sich die Entscheidungskompetenz
des Bevollmächtigten auf die im Gesetz genannten ärztlichen
Maßnahmen sowie darauf bezieht, sie zu unterlassen oder am Betroffenen
vornehmen zu lassen. Hierzu muss aus der Vollmacht auch deutlich werden,
dass die jeweilige Entscheidung mit der begründeten Gefahr des Todes oder eines
schweren und länger dauernden gesundheitlichen Schadens verbunden sein
kann.
b) Einem für einen Betroffenen bestehenden Betreuungsbedarf wird im Zusammenhang
mit der Entscheidung zur Durchführung von lebensverlängernden Maßnahmen
im Sinne des § 1904 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BGB durch eine Bevollmächtigung
erst dann nicht ausreichend Genüge getan, wenn offenkundig ist, dass der
Bevollmächtigte sich mit seiner Entscheidung über den Willen des Betroffenen
hinwegsetzen würde.
c) Die schriftliche Äußerung, "keine lebenserhaltenden Maßnahmen" zu wünschen,
enthält für sich genommen nicht die für eine bindende Patientenverfügung notwendige
konkrete Behandlungsentscheidung des Betroffenen. Die insoweit erforderliche
Konkretisierung kann aber gegebenenfalls durch die Benennung bestimmter
ärztlicher Maßnahmen oder die Bezugnahme auf ausreichend spezifizierte
Krankheiten oder Behandlungssituationen erfolgen.
BGH, Beschluss vom 6. Juli 2016 - XII ZB 61/16 - LG Mosbach
AG Adelsheim
ECLI:DE:BGH:2016:060716BXIIZB61.16.0

Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 6. Juli 2016 durch den Vorsitzenden Richter Dose, die Richter Dr. Klinkhammer, Dr. Nedden-Boeger und Guhling und die Richterin Dr. Krüger
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der weiteren Beteiligten zu 2 wird der Beschluss der 3. Zivilkammer des Landgerichts Mosbach vom 26. Januar 2016 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen. Das Rechtsbeschwerdeverfahren ist gerichtskostenfrei. Wert: 5.000 €

Gründe:

A.

1
Die im Jahre 1941 geborene Betroffene erlitt Ende November 2011 einen Hirnschlag. Noch im Krankenhaus wurde ihr eine PEG-Sonde gelegt, über die sie seitdem ernährt wird und Medikamente verabreicht bekommt. Im Januar 2012 wurde sie in ein Pflegeheim aufgenommen. Die zu diesem Zeitpunkt noch vorhandene Fähigkeit zur verbalen Kommunikation verlor die Betroffene infolge einer Phase epileptischer Anfälle im Frühjahr 2013.
2
Aus der Ehe der Betroffenen mit ihrem - im Februar 2013 verstorbenen - Ehemann sind drei volljährige Töchter (die Beteiligten zu 1 bis 3) hervorgegangen. Bereits am 10. Februar 2003 hatte die Betroffene eine schriftliche "Patientenverfügung" folgenden Inhalts unterzeichnet: "Für den Fall, daß ich (…) aufgrund von Bewußtlosigkeit oder Bewußt- seinstrübung (…) nicht mehr in der Lage bin, meinen Willen zu äußern, verfüge ich: Solange eine realistische Aussicht auf Erhaltung eines erträglichen Lebens besteht, erwarte ich ärztlichen und pflegerischen Beistand unter Ausschöpfung der angemessenen Möglichkeiten. Dagegen wünsche ich, daß lebensverlängernde Maßnahmen unterbleiben , wenn medizinisch eindeutig festgestellt ist, - daß ich mich unabwendbar im unmittelbaren Sterbeprozeß befinde, bei dem jede lebenserhaltende Therapie das Sterben oder Leiden ohne Aussicht auf Besserung verlängern würde, oder - daß keine Aussicht auf Wiedererlangung des Bewußtseins besteht, oder - daß aufgrund von Krankheit oder Unfall ein schwerer Dauerschaden des Gehirns zurückbleibt, oder - daß es zu einem nicht behandelbaren, dauernden Ausfall lebenswichtiger Funktionen meines Körpers kommt. Behandlung und Pflege sollen in diesen Fällen auf die Linderung von Schmerzen, Unruhe und Angst gerichtet sein, selbst wenn durch die notwendige Schmerzbehandlung eine Lebensverkürzung nicht auszuschließen ist. Ich möchte in Würde und Frieden sterben können, nach Möglichkeit in meiner vertrauten Umgebung. Aktive Sterbehilfe lehne ich ab. Ich bitte um menschliche und seelsorgerische Begleitung."
3
In derselben Urkunde erteilte sie für den Fall, dass sie außerstande sein sollte, ihren Willen zu bilden oder zu äußern, der Beteiligten zu 2 (im Folgenden : Bevollmächtigte) als ihrer Vertrauensperson die Vollmacht, "an meiner Stelle mit der behandelnden Ärztin (…) alle erforderlichen Entscheidungen abzusprechen. Die Vertrauensperson soll meinen Willen im Sinne dieser Patientenverfügung einbringen und in meinem Namen Einwendungen vortragen, die die Ärztin (…) berücksichtigen soll."
4
Patientenverfügung und Vollmacht erneuerte die Betroffene am 18. November 2011 wortlautidentisch. Darüber hinaus erteilten die Betroffene und ihr Ehemann sich mit notarieller Urkunde vom 26. Februar 2003 gegenseitige Generalvollmacht und setzten als Ersatzbevollmächtigte an erster Stelle die Bevollmächtigte und an zweiter Stelle die Beteiligte zu 1 ein. In der Vollmachtsurkunde heißt es unter anderem: "Die Vollmacht berechtigt auch zur Vertretung in Fragen der medizinischen Versorgung und Behandlung, insbesondere im Sinne von § 1904 BGB. Der Bevollmächtigte kann auch in eine Untersuchung des Gesundheitszustandes , in eine Heilbehandlung oder in die Durchführung eines ärztlichen Eingriffs einwilligen, die Einwilligung hierzu verweigern oder zurücknehmen, Krankenunterlagen einsehen und in deren Herausgabe an Dritte einwilligen. (…) Die Vollmacht enthält die Befugnis, über den Abbruch lebensverlängernder Maßnahmen zu entscheiden. Wir wurden darüber belehrt, dass solche Entscheidungen unter bestimmten engen Voraussetzungen in Betracht kommen. Im Falle einer zum Tode führenden Erkrankung legen wir keinen Wert auf lebensverlängernde Maßnahmen, wenn feststeht, dass eine Besserung des Zustandes nicht erwartet werden kann. Die Vollmachtgeber wünschen eine angemessene und insbesondere schmerzlindernde Behandlung, nicht jedoch die künstliche Lebensverlängerung durch Gerätschaften. Die Schmerzlinderung hat nach Vorstellung der Vollmachtgeber Vorrang vor denkbarer Lebensverkürzung, welche bei der Gabe wirksamer Medikamente nicht ausgeschlossen werden kann."
5
Die Bevollmächtigte und die die Betroffene behandelnde Hausärztin sind übereinstimmend der Auffassung, dass der Abbruch der künstlichen Ernährung nicht dem in der Patientenverfügung geäußerten Willen der Betroffenen entspricht. Demgegenüber vertreten die beiden anderen Töchter, die Beteiligten zu 1 und zu 3, die gegenteilige Meinung.
6
Die Beteiligte zu 1 hat daher im März 2015 beim Betreuungsgericht die Anträge "auf Umsetzung der Patientenverfügung und auf Befolgung des Patientenwillens" sowie "auf Entzug des Betreuungsrechtes" der Bevollmächtigten gestellt; die Beteiligte zu 3 hat sich dem angeschlossen. Das Amtsgericht hat dies als Antrag auf Anordnung einer Kontrollbetreuung ausgelegt und diesen zurückgewiesen. Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 1 hat das Landgericht den amtsgerichtlichen Beschluss aufgehoben und die Beteiligte zu 1 "zur Be- treuerin mit dem Aufgabenkreis des Widerrufs der von der Betroffenen (…) er- teilten Vollmachten, allerdings nur für den Bereich der Gesundheitsfürsorge, bestellt."
7
Hiergegen wendet sich die Bevollmächtigte mit ihrer Rechtsbeschwerde, mit der sie die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung erstrebt.

B.

8
Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FamFG ohne Zulassung statthaft und auch im Übrigen zulässig. Insbesondere ist die Bevollmächtigte berechtigt, die Rechtsbeschwerde im eigenen Namen einzulegen. Dies folgt zwar entgegen der Annahme der Rechtsbeschwerde weder aus § 303 Abs. 4 FamFG, der lediglich die Befugnis des Bevollmächtigten zur Einlegung im Namen des Betroffenen regelt, noch aus einer unmittelbaren Beeinträchtigung eigener Rechte im Sinne des § 59 Abs. 1 FamFG (vgl. Senatsbeschluss vom 15. April 2015 - XII ZB 330/14 - FamRZ 2015, 1015 Rn. 9 mwN). Die Beschwerdeberechtigung ergibt sich aber aus § 303 Abs. 2 Nr. 1 FamFG, weil die Bevollmächtigte als Tochter der Betroffenen zu dem von dieser Vorschrift genannten Personenkreis gehört, in den vorhergehenden Rechtszügen beteiligt worden ist und die Rechtsbeschwerde jedenfalls auch im Interesse der Betroffenen eingelegt hat (vgl. Senatsbeschluss vom 4. März 2015 - XII ZB 396/14 - FamRZ 2015, 843 Rn. 6 ff. mwN).
9
Die Rechtsbeschwerde hat auch in der Sache Erfolg.

I.

10
Das Landgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, die materiellen Voraussetzungen für die Anordnung einer Betreuung lägen vor. Die Betroffene befinde sich seit zweieinhalb Jahren in einem Zustand massiver Beeinträchtigung der Hirnfunktion, unfähig zur Kommunikation mit der Umwelt. Die Vollmacht stehe der Bestellung eines Kontrollbetreuers nicht entgegen. Wie sich aus dem im Beschwerdeverfahren eingeholten Sachverständigengutachten ergebe, sei unwiederbringlich ein Dauerschaden am Gehirn der Betroffenen eingetreten. Mithin wäre es die Pflicht der Bevollmächtigten gewesen, den Willen der Betroffenen umzusetzen, die gewünscht habe, dass lebensverlängernde Maßnahmen - zu denen das Befüllen einer gelegten PEG-Sonde mit Nahrung gehöre - unterblieben. Denn es stehe fest, dass auf Grund von Krankheit ein schwerer Dauerschaden des Gehirns zurückbleibe. Für diesen Fall habe die Betroffene in der Patientenverfügung aber festgelegt, dass die Behandlung und Pflege nur noch auf die Linderung von Schmerzen, Unruhe und Angst gerichtet sein solle.
11
Davon, dass das Unterlassen der Nahrungszufuhr zu einem qualvollen Verhungern führen werde, sei nach dem Sachverständigengutachten nicht auszugehen. Die fehlende Flüssigkeitszufuhr habe den Ausfall der Nierenfunktion zur Folge, wodurch es zum urämischen Koma mit Bewusstlosigkeit und nachfolgender Beeinträchtigung der Herz-, Kreislauf- und Atemfunktion komme. Durch angemessene palliativmedizinische Versorgung könne unnötigem Leid im Rahmen des Sterbeprozesses wirksam begegnet werden.

II.

12
Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Das Landgericht hat zwar entgegen der Annahme der Rechtsbeschwerde eine so genannte Kontrollbetreuung im Sinne des § 1896 Abs. 3 BGB angeordnet, wie sich aus den Gründen des angefochtenen Beschlusses eindeutig ergibt. Es hat aber zu Unrecht das Vorliegen derer Voraussetzungen bejaht.
13
1. Rechtlich nicht zu beanstanden ist allerdings, dass das Landgericht die Beteiligte zu 2 als Bevollmächtigte der Betroffenen im Sinne des § 1896 Abs. 3 BGB für den Bereich der gesamten Gesundheitsfürsorge und insbesondere auch für Fragen im Zusammenhang mit Fortführung oder Abbruch der künstlichen Ernährung angesehen hat.
14
a) Mit der notariellen Urkunde vom 26. Februar 2003 hat die Betroffene der Beteiligten zu 2 eine Vorsorgevollmacht für den Bereich der Gesundheitsfürsorge erteilt, indem sie ihr die Vertretung in Fragen der medizinischen Versorgung und Behandlung übertragen hat.
15
Damit ist die Bevollmächtigte auch ohne weiteres ermächtigt, zu entscheiden , dass lebensverlängernde ärztliche Maßnahmen nicht beendet wer- den. Insoweit muss die Vollmacht nicht den Anforderungen des § 1904 Abs. 5 Satz 2 BGB genügen. Nach dieser Vorschrift ist einem Bevollmächtigten das Recht, in eine Untersuchung des Gesundheitszustands, in eine Heilbehandlung oder in einen ärztlichen Eingriff bei Vorliegen der in § 1904 Abs. 1 und 2 BGB genannten besonderen Gefahrensituation einzuwilligen, nicht einzuwilligen oder die Einwilligung zu widerrufen, nur unter der Voraussetzung eingeräumt, dass die Vollmacht diese Maßnahmen ausdrücklich umfasst und schriftlich erteilt ist. § 1904 Abs. 1 BGB erfasst die Einwilligung in Maßnahmen, mit deren Durchführung die begründete Gefahr des Todes oder eines schweren und länger dauernden gesundheitlichen Schadens verbunden ist. Dies ist bei der bloßen Fortführung einer lebenserhaltenden künstlichen Ernährung - anders als bei deren Abbruch (vgl. dazu Senatsbeschluss BGHZ 202, 226 = FamRZ 2014, 1909 Rn. 11 ff. mwN) - gerade nicht der Fall. § 1904 Abs. 2 BGB wiederum betrifft die Unterlassung oder Beendigung von lebenserhaltenden Maßnahmen, nicht jedoch deren Fortführung (zur strafrechtlichen Bewertung vgl. Haas JZ 2016, 714 ff.).
16
b) Die der Bevollmächtigten erteilte notarielle Vollmacht würde aber auch zur Abgabe des für die Beendigung der künstlichen Ernährung der Betroffenen erforderlichen Widerrufs der Einwilligung ermächtigen, weil sie die von § 1904 Abs. 5 Satz 2 BGB für die rechtliche Gleichstellung des Bevollmächtigten mit dem Betreuer (§ 1904 Abs. 5 Satz 1 BGB) geforderten Voraussetzungen erfüllt.
17
aa) Voraussetzung dafür, dass der Bevollmächtigte nach § 1904 BGB die Einwilligung, Nichteinwilligung und den Widerruf der Einwilligung des einwilligungsunfähigen Betroffenen rechtswirksam ersetzen kann, ist neben der Schriftform (§ 126 BGB) der Vollmacht, dass diese inhaltlich § 1904 Abs. 5 Satz 2 BGB genügt. Aus dem Sinn des Gesetzes, dem Vollmachtgeber die Tragweite der Bevollmächtigung deutlich vor Augen zu führen (vgl.
MünchKommBGB/Schwab 6. Aufl. § 1904 Rn. 75), folgt zwar nicht, dass der Wortlaut von § 1904 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 BGB wiedergegeben werden muss. Nicht ausreichend ist jedoch allein der Verweis auf die gesetzliche Bestimmung , weil ein solcher keine ausdrückliche Nennung der Maßnahmen beinhaltet und damit den mit § 1904 Abs. 5 Satz 2 BGB bezweckten Schutz des Vollmachtgebers (vgl. BT-Drucks. 13/7158 S. 34; HK-BUR/Bauer [Stand: Oktober 2015] § 1904 BGB Rn. 127) nicht gewährleisten kann (Staudinger/Bienwald BGB [2013] § 1904 Rn. 116). Der Vollmachttext muss vielmehr hinreichend klar umschreiben, dass sich die Entscheidungskompetenz des Bevollmächtigten auf die im Gesetz genannten ärztlichen Maßnahmen sowie darauf bezieht, diese zu unterlassen oder am Betroffenen vornehmen zu lassen (vgl. MünchKommBGB/ Schwab 6. Aufl. § 1904 Rn. 75).
18
Hierzu muss aus der Vollmacht auch deutlich werden, dass die jeweilige Entscheidung mit der begründeten Gefahr des Todes oder eines schweren und länger dauernden gesundheitlichen Schadens verbunden sein kann (LG Hamburg FamRZ 1999, 1613, 1614; HK-BUR/Bauer [Stand: Oktober 2015] § 1904 Rn. 127; Dodegge/Fritsche NJ 2001, 176, 181; Müller DNotZ 2010, 169, 186; tendenziell ebenso: jurisPK-BGB/Jaschinski [Stand: 7. September 2015] § 1904 Rn. 121; Knittel Betreuungsrecht [Stand: 1. März 2010] § 1904 Rn. 145; a.A. OLG Zweibrücken FamRZ 2003, 113, 114 zu § 1904 Abs. 2 BGB aF; MünchKommBGB/Schwab 6. Aufl. § 1904 Rn. 74; Diehn FamRZ 2009, 1958; Diehn/Rebhan NJW 2010, 326, 329; Müller DNotZ 1999, 107, 112 zu § 1904 Abs. 2 BGB aF).
19
(1) Dies legt bereits der Wortlaut der Vorschrift nahe. In § 1904 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 BGB werden als Maßnahmen nicht allgemein die den Bereich der Gesundheitsfürsorge beschreibenden Elemente der Untersuchung des Gesundheitszustands, der Heilbehandlung und des ärztlichen Eingriffs ge- nannt, sondern nur solche, bei denen die dort näher beschriebene begründete Gefahr besteht. Nur auf Maßnahmen mit dieser qualifizierten Gefahrensituation bezieht sich § 1904 BGB, und nur für solche schreibt § 1904 Abs. 5 Satz 2 BGB die besonderen Anforderungen an eine Bevollmächtigung vor.
20
(2) Das Erfordernis, dass diese Gefahrenlage in der Vollmacht zum Ausdruck kommt, ergibt sich jedenfalls eindeutig aus dem Gesetzeszweck. Zum einen soll dem Vollmachtgeber durch den Vollmachttext unmissverständlich vor Augen geführt werden, dass er dem Bevollmächtigten (auch) für Situationen, in denen die Gefahr des Todes oder schwerer und länger dauernder Gesundheitsschäden besteht, die Entscheidungsbefugnis überträgt, die dann gegebenenfalls auch Fragen der passiven Sterbehilfe umfasst. Zum anderen soll der Vollmachttext es auch Dritten ermöglichen, zweifelsfrei nachzuvollziehen, dass es dem Willen des Betroffenen entspricht, dem Bevollmächtigten die Entscheidung in Angelegenheiten der Gesundheitsfürsorge gerade auch in den von § 1904 BGB erfassten Situationen zu überantworten, in denen es buchstäblich um Leben oder Tod geht.
21
(3) Dies steht mit dem Willen des Gesetzgebers im Einklang.
22
Eine dem § 1904 Abs. 5 BGB vergleichbare Regelung wurde erstmals mit dem Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts und weiterer Vorschriften vom 25. Juni 1998 (BGBl. I S. 1580; Betreuungsrechtsänderungsgesetz - BtÄndG) eingeführt, mit dem der bis zum 31. August 2009 geltende Absatz 2 an § 1904 BGB angefügt wurde. Danach galt § 1904 Abs. 1 BGB auch für Bevollmächtigte, wobei die Einwilligung des Bevollmächtigten nur wirksam war, wenn die Vollmacht schriftlich erteilt war und die in Absatz 1 Satz 1 genannten Maßnahmen ausdrücklich umfasste. Nach den Gesetzesmaterialien sollte sich die Vollmacht "ausdrücklich - zumindest auch - auf Untersuchungen des Gesundheitszustandes, auf Heilbehandlungen oder ärztliche Eingriffe" beziehen (BT-Drucks 13/7158 S. 34). Die Bezeichnung der Gefahrensituation war in der Begründung des Gesetzentwurfs nicht genannt.
23
Selbst wenn sich daraus entnehmen ließe, dass der Gesetzgeber ursprünglich die Rechtsmacht zur Einwilligung in eine Maßnahme nach § 1904 Abs. 1 BGB nicht an die Bezeichnung der Gefahrenlage in der Vollmacht knüpfen wollte, wäre dies durch die weitere Gesetzgebung überholt. Mit der zum 1. September 2009 in Kraft getretenen Neuregelung durch das Dritte Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts vom 29. Juli 2009 (BGBl. I S. 2286; sog. Patientenverfügungsgesetz) hat der Gesetzgeber nicht nur in § 1904 Abs. 2 BGB Regelungen mit Blick auf die so genannte passive Sterbehilfe erlassen. Er hat darüber hinaus in § 1904 Abs. 4 BGB auch vorgesehen, dass bei Einvernehmen zwischen Betreuer oder Bevollmächtigtem und behandelndem Arzt das Erfordernis einer gerichtlichen Genehmigung entfällt, und zwar sowohl bei passiver Sterbehilfe als auch in den Fällen des weiter geltenden § 1904 Abs. 1 BGB. Mit der Änderung des § 1904 Abs. 5 BGB wollte der Gesetzgeber sicherstellen , dass von der Vollmacht "Entscheidungen nach den Absätzen 1 und 2 ausdrücklich umfasst sind" (BT-Drucks. 16/8442 S. 19). Solche Entscheidungen sind aber nur diejenigen, bei denen die qualifizierte Gefahrensituation besteht. Damit korrespondiert der Umstand, dass durch die Gesetzesänderung die einem Bevollmächtigten übertragbaren Befugnisse bei gleichzeitiger Einschränkung der gerichtlichen Kontrolle deutlich erweitert worden sind. Dies verstärkt die mit § 1904 Abs. 5 Satz 2 BGB verbundene Notwendigkeit erheblich, dem Vollmachtgeber die möglichen schwerwiegenden Konsequenzen der Vollmachterteilung und damit auch die besondere Gefahrenlage eindeutig vor Augen zu führen.
24
Diese inhaltlichen Anforderungen des § 1904 Abs. 5 Satz 2 BGB an die Vollmacht führen nicht zu einer ungerechtfertigten "Benachteiligung" des Bevollmächtigten gegenüber einem Betreuer (so aber wohl allgemein Spickhoff Medizinrecht 2. Aufl. § 1904 BGB Rn. 18). Denn die Vollmacht erteilt der Bevollmächtigte , ohne dass zuvor zwingend eine rechtliche Beratung oder gar eine gerichtliche Überprüfung hinsichtlich der Eignung des Bevollmächtigten erfolgt. Dann entspricht es aber dem wohlverstandenen Schutz des Vollmachtgebers , ihm durch die Vollmacht selbst zu verdeutlichen, dass er dem Bevollmächtigten die Entscheidung über sein Schicksal in ganz einschneidenden Gefahrenlagen anvertraut. Demgegenüber hat der Betreuerbestellung eine umfassende gerichtliche Prüfung vorauszugehen, wegen der es keines weiteren Schutzes vor einer unüberlegten Übertragung der entsprechenden Rechtsmacht auf den Betreuer als den Dritten bedarf.
25
bb) Ob die von der Betroffenen erteilten privatschriftlichen Vollmachten diesen inhaltlichen Erfordernissen gerecht werden, unterliegt Bedenken, kann aber letztlich dahinstehen. Denn jedenfalls die notarielle Vollmacht genügt den gesetzlichen Anforderungen.
26
(1) Indem die mit "Vollmacht" überschriebenen Texte vom 10. Februar 2003 und vom 18. November 2011 auf die jeweils in derselben Urkunde enthaltenen und von der Unterschriftsleistung mit erfassten "Patientenverfügungen" Bezug nehmen, in denen lebensverlängernde ärztliche Maßnahmen ebenso wie ihre Vornahme und ihr Unterbleiben ausdrücklich genannt sind, werden die Maßnahmen zwar in einer § 1904 Abs. 5 Satz 2 BGB genügenden Weise umschrieben. Der jeweilige Text der Vollmacht enthält jedoch lediglich die Ermächtigung , an Stelle der Betroffenen die erforderlichen Entscheidungen mit den Ärzten "abzusprechen". Dabei soll die Bevollmächtigte den in der Patientenver- fügung geäußerten Willen "einbringen" sowie "Einwendungen vortragen", die die Ärzte dann "berücksichtigen" sollen.
27
Dies könnte dahin zu verstehen sein, dass der Bevollmächtigten in diesen Urkunden nicht das Recht zur Letztentscheidung übertragen ist, das allein der Befugnis der (noch) einwilligungsfähigen Betroffenen entsprechen würde, im Außenverhältnis gegebenenfalls auch gegen ärztlichen Rat über die Frage von Erfolgen oder Unterbleiben der in § 1904 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 BGB genannten Maßnahmen zu entscheiden. Denn nach ihrem Wortlaut beinhaltet die Vollmacht jeweils lediglich die Ermächtigung der Bevollmächtigten zur Mitsprache in den in der Patientenverfügung genannten Fallgestaltungen , nicht aber zur Bestimmung der Vorgehensweise. Dies entspräche nicht der § 1904 Abs. 1 bis 4 BGB zugrundeliegenden Rechtsmacht des Betreuers, die (Nicht-)Einwilligung oder den Widerruf der Einwilligung abzugeben. Vielmehr würde es allenfalls die den Bevollmächtigten bei Vorliegen einer Patientenverfügung allgemein nach § 1901 a Abs. 1 Satz 2 und Abs. 5 BGB treffende Pflicht abdecken, dem Willen des Betroffenen Ausdruck und Geltung zu verschaffen.
28
(2) Jedenfalls die notarielle Vollmacht vom 26. Februar 2003 überträgt der Bevollmächtigten aber zweifelsfrei die Entscheidungsbefugnis im Bereich der Gesundheitsfürsorge und bedient sich dabei teilweise des Wortlauts von § 1904 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 BGB, indem Untersuchung des Gesundheitszustands , Heilbehandlung und ärztlicher Eingriff sowie die Einwilligung - nebst Verweigerung und Zurücknahme - benannt sind. Darüber hinaus ist in der Vollmacht ausdrücklich die Befugnis aufgeführt, über den Abbruch von lebensverlängernden Maßnahmen zu entscheiden, womit zugleich auch die mit dem Widerruf der Einwilligung verbundene begründete Gefahr des Todes und damit die von § 1904 Abs. 2 BGB insoweit erfasste besondere Gefahrensituation ausreichend deutlich im Text bezeichnet ist.
29
2. Im Grundsatz zutreffend geht das Landgericht weiter davon aus, dass gemäß § 1896 Abs. 3 BGB ein Betreuer zur Geltendmachung von Rechten des Betreuten gegenüber seinem Bevollmächtigten bestellt und unter bestimmten Voraussetzungen auch zum Widerruf der Vollmacht ermächtigt werden kann.
30
a) Mit einer Kontrollbetreuung kann im Falle einer wirksam erteilten Vorsorgevollmacht für eine Kontrolle des Bevollmächtigten gesorgt werden, wenn der Vollmachtgeber aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen , geistigen oder seelischen Behinderung nicht mehr in der Lage ist, den Bevollmächtigten zu überwachen und gegebenenfalls die Vollmacht zu widerrufen. Eine Kontrollbetreuung darf jedoch wie jede andere Betreuung (vgl. § 1896 Abs. 2 Satz 1 BGB) nur dann eingerichtet werden, wenn sie erforderlich ist. Da der Vollmachtgeber die Vorsorgevollmacht gerade für den Fall bestellt hat, dass er seine Angelegenheiten nicht mehr selbst regeln kann, um eine gerichtlich angeordnete Betreuung zu vermeiden, kann das Bedürfnis nach einer Kontrollbetreuung nicht allein damit begründet werden, dass der Vollmachtgeber aufgrund seiner Erkrankung nicht mehr selbst in der Lage ist, den Bevollmächtigten zu überwachen. Denn der Wille des Vollmachtgebers ist auch bei der Frage der Errichtung einer Kontrollbetreuung zu beachten (vgl. § 1896 Abs. 1a BGB). Daher müssen weitere Umstände hinzutreten, die die Errichtung einer Kontrollbetreuung erforderlich machen. Notwendig ist der konkrete, d.h. durch hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte untermauerte Verdacht, dass mit der Vollmacht dem Betreuungsbedarf nicht Genüge getan wird (Senatsbeschluss vom 23. September 2015 - XII ZB 624/14 - FamRZ 2015, 2163 Rn. 14 f. mwN).
31
Dies kann der Fall sein, wenn nach den üblichen Maßstäben aus der Sicht eines vernünftigen Vollmachtgebers unter Berücksichtigung des in den Bevollmächtigten gesetzten Vertrauens eine ständige Kontrolle schon deshalb geboten ist, weil Anzeichen dafür sprechen, dass der Bevollmächtigte mit dem Umfang und der Schwierigkeit der vorzunehmenden Geschäfte überfordert ist, oder wenn gegen die Redlichkeit oder die Tauglichkeit des Bevollmächtigten Bedenken bestehen. Ein Missbrauch der Vollmacht oder ein entsprechender Verdacht ist nicht erforderlich. Ausreichend sind konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Bevollmächtigte nicht mehr entsprechend der Vereinbarung und dem Interesse des Vollmachtgebers handelt (Senatsbeschluss vom 23. September 2015 - XII ZB 624/14 - FamRZ 2015, 2163 Rn. 16 mwN).
32
b) Dem Kontrollbetreuer kann auch der Aufgabenkreis Vollmachtwiderruf übertragen werden. Dies setzt tragfähige Feststellungen voraus, dass das Festhalten an der erteilten Vorsorgevollmacht eine künftige Verletzung des Wohls des Betroffenen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit und in erheblicher Schwere befürchten lässt. Sind behebbare Mängel bei der Vollmachtausübung festzustellen, erfordert der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz regelmäßig zunächst den Versuch, durch einen zu bestellenden (Kontroll-)Betreuer auf den Bevollmächtigten positiv einzuwirken. Nur wenn diese Maßnahmen fehlschlagen oder es aufgrund feststehender Tatsachen mit hinreichender Sicherheit als ungeeignet erscheint, drohende Schäden auf diese Weise abzuwenden, ist die Ermächtigung zum Vollmachtwiderruf, der die ultima ratio darstellt, verhältnismäßig (Senatsbeschluss vom 23. September 2015 - XII ZB 624/14 - FamRZ 2015, 2163 Rn. 17 mwN).
33
3. Entgegen der Annahme des Landgerichts sind bei Anlegung dieses rechtlichen Maßstabs die Voraussetzungen für eine Kontrollbetreuung mit Ermächtigung zum Vollmachtwiderruf hier aber nicht erfüllt. Ausreichende Anhaltspunkte dafür, dass dem für einen Betroffenen bestehenden Betreuungsbedarf nicht ausreichend genügt wird, und Umstände, die die Ermächtigung zum Widerruf einer Vollmacht rechtfertigen, können sich zwar grundsätzlich auch im Zusammenhang mit der Entscheidung des Bevollmächtigten zur Durchführung von lebensverlängernden Maßnahmen im Sinne des § 1904 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BGB ergeben (vgl. Staudinger/Bienwald BGB [2013] § 1904 Rn. 121). Hierfür müsste sich der Bevollmächtigte offenkundig über den - insbesondere in einer Patientenverfügung niedergelegten - Willen des Betroffenen hinwegsetzen. Das ist vorliegend jedoch nicht der Fall.
34
a) Die den Bevollmächtigten treffenden Pflichten bei der Entscheidung darüber, ob lebensverlängernde Maßnahmen erfolgen sollen, folgen aus der Systematik der §§ 1901 a, 1901 b, 1904 BGB.
35
aa) Der Bevollmächtigte muss nach § 1901 a Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 BGB prüfen, ob eine eigene, in einer Patientenverfügung im Sinne der Legaldefinition des § 1901 a Abs. 1 Satz 1 BGB niedergelegte Entscheidung des Betroffenen vorliegt und ob diese auf die aktuell eingetretene Lebens- und Behandlungssituation des Betroffenen zutrifft. In diesem Zusammenhang hat der Bevollmächtigte auch zu hinterfragen, ob die Entscheidung noch dem Willen des Betroffenen entspricht, was die Prüfung einschließt, ob das aktuelle Verhalten des nicht mehr entscheidungsfähigen Betroffenen konkrete Anhaltspunkte dafür liefert, dass er unter den gegebenen Umständen den zuvor schriftlich geäußerten Willen nicht mehr gelten lassen will, und ob er bei seinen Festlegungen diese Lebenssituation mitbedacht hat (vgl. BT-Drucks. 16/8442 S. 14/15). Dabei hat er gemäß § 1901 b Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 BGB die Maßnahme unter Berücksichtigung des Patientenwillens mit dem behandelnden Arzt zu erörtern; nach § 1901 b Abs. 2 und 3 BGB soll nahen Angehörigen und sonstigen Vertrauenspersonen des Betroffenen Gelegenheit zur Äußerung gegeben werden, wenn dies ohne erhebliche Verzögerung möglich ist (vgl. auch BT-Drucks. 16/8442 S. 15).
36
Liegt eine wirksame und auf die aktuelle Situation zutreffende Patientenverfügung vor, hat der Betroffene die Entscheidung selbst getroffen. Dem Bevollmächtigten obliegt es dann gemäß § 1901 a Abs. 1 Satz 2, Abs. 5 BGB nur noch, dem in der Patientenverfügung niedergelegten Willen des Betroffenen Ausdruck und Geltung zu verschaffen (Senatsbeschluss BGHZ 202, 226 = FamRZ 2014, 1909 Rn. 14 mwN). Anderenfalls hat der Bevollmächtigte gemäß § 1901 a Abs. 2 und 5 BGB die Behandlungswünsche oder den mutmaßlichen Willen des Betroffenen festzustellen (vgl. dazu Senatsbeschluss BGHZ 202, 226 = FamRZ 2014, 1909 Rn. 25 ff. mwN), hierbei wiederum §§ 1901 a, 1901 b BGB zu beachten und auf dieser Grundlage zu entscheiden.
37
Dabei kann es im Einzelfall schwierig oder auch unmöglich sein, den Behandlungswillen eines entscheidungsunfähigen Betroffenen festzustellen (BT-Drucks. 16/8442 S. 12). Kann ein auf die Durchführung, die Nichteinleitung oder die Beendigung einer ärztlichen Maßnahme gerichteter Wille des Betroffenen auch nach Ausschöpfung aller verfügbaren Erkenntnisquellen nicht festgestellt werden, gebietet es das hohe Rechtsgut auf Leben, entsprechend dem Wohl des Betroffenen zu entscheiden und dabei dem Schutz seines Lebens Vorrang einzuräumen (BT-Drucks. 16/8442 S. 16).
38
bb) Besteht zwischen dem Bevollmächtigten und dem behandelnden Arzt Einvernehmen darüber, welche Vorgehensweise dem Willen des Betroffenen nach § 1901 a Abs. 1 und 2 BGB entspricht, bedarf selbst eine Maßnahme im Sinne des § 1904 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BGB keiner gerichtlichen Genehmigung (§ 1904 Abs. 4 und Abs. 5 Satz 1 BGB). Einen Antrag auf betreuungsgerichtliche Genehmigung der Einwilligung in den Abbruch etwa einer künstlichen Ernährung als lebensverlängernder Maßnahme müsste das Betreuungsgericht dann ohne weitere gerichtliche Ermittlungen ablehnen und ein sogenanntes Negativattest erteilen, aus dem sich ergibt, dass eine gerichtliche Genehmigung nicht erforderlich ist (Senatsbeschluss BGHZ 202, 226 = FamRZ 2014, 1909 Rn. 20). Damit soll nach dem Willen des Gesetzgebers sichergestellt sein, dass eine gerichtliche Genehmigung nur in Konfliktfällen erforderlich ist.
39
Dem Schutz des Patienten vor einem etwaigen Missbrauch der Befugnisse des Bevollmächtigten wird zum einen dadurch Rechnung getragen, dass eine wechselseitige Kontrolle zwischen Arzt und Betreuer bei der Entscheidungsfindung stattfindet. Zum anderen kann jeder Dritte, insbesondere Ehegatte , Lebenspartner, Verwandter oder Vertrauensperson des Betreuten, aufgrund des Amtsermittlungsprinzips im Betreuungsverfahren jederzeit eine betreuungsgerichtliche Kontrolle der Entscheidung des Bevollmächtigten in Gang setzen (vgl. Senatsbeschluss BGHZ 202, 226 = FamRZ 2014, 1909 Rn. 18; BT-Drucks. 16/8442 S. 19).
40
cc) Darüber hinaus kann zum einen die Patientenverfügung Nähereszu den Pflichten des Bevollmächtigten bei der Entscheidung über lebensverlängernde Maßnahmen regeln, etwa dass sie trotz konkreter Entscheidungen nicht unmittelbar gelten soll, sondern der Bevollmächtigte immer die Entscheidung über die Behandlung zu treffen und welchen Entscheidungsspielraum er hierbei hat (BT-Drucks. 16/8442 S. 15). Zum anderen kann auch die Vollmacht weitere Pflichten des Bevollmächtigten festlegen oder Pflichten und Befugnisse in ihrem Umfang näher konkretisieren.
41
b) Bei der Beurteilung, ob mit der Vollmacht dem Betreuungsbedarf Genüge getan wird und ob bei Festhalten an der erteilten Vorsorgevollmacht sogar - wie für die Ermächtigung zum Vollmachtwiderruf erforderlich - eine künftige Verletzung des Wohls des Betroffenen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit und in erheblicher Schwere zu befürchten ist, muss die gesetzgeberische Wertung zum Pflichtenprogramm des Bevollmächtigten und zur gerichtlichen Kon- trolldichte von Entscheidungen bei lebensverlängernden Maßnahmen Berücksichtigung finden.
42
Der Gesetzgeber hat mit den Regelungen in §§ 1901 a und b, 1904 BGB das Ziel verfolgt, dem Betroffenen eine vorsorgende privatautonome Entscheidung der Fragen zu ermöglichen, die sich im Zusammenhang mit ärztlichen Maßnahmen zu einem Zeitpunkt stellen können, in dem der Betroffene zu einer eigenen rechtlich maßgeblichen Entscheidung mangels Einwilligungsfähigkeit nicht mehr in der Lage ist. Hierfür hat er einerseits die Möglichkeit der Patientenverfügung vorgesehen; andererseits kann der Betroffene eine Vertrauensperson mit der Umsetzung des Willens, aber auch mit einer eigenständigen Entscheidung auf der Grundlage des mutmaßlichen Willens des Betroffenen bevollmächtigen. Dem Grundsatz nach soll bei Vorliegen einer wirksamen Vollmacht eine betreuungsgerichtliche Befassung auf die Fälle des Konflikts zwischen Bevollmächtigtem und behandelndem Arzt beschränkt und ansonsten lediglich eine Missbrauchskontrolle vorzunehmen sein. Dieser gesetzgeberischen Wertung ist auch bei der Beurteilung der Frage, ob es einer Kontrollbetreuung - ggf. mit der Ermächtigung zum Widerruf der Vollmacht - bedarf, Rechnung zu tragen. Anderenfalls würde die durch die Instrumente der Vorsorgevollmacht und der Patientenverfügung erfolgte Stärkung des Selbstbestimmungsrechts des Betroffenen über den Umweg der Kontrollbetreuung wieder entwertet.
43
Daraus erhellt, dass ein Kontrollbetreuer erst dann bestellt werden darf, wenn offenkundig ist, dass der Bevollmächtigte sich mit seiner Entscheidung über den Willen des Betroffenen hinwegsetzen würde. Dies wird gerade bei Einvernehmen zwischen Bevollmächtigtem und behandelndem Arzt nur selten der Fall sein. Bedeutung erlangt insoweit zum einen, wie verlässlich der Wille des Betroffenen ermittelt werden kann und inwieweit seine Äußerungen einer Wertung zugänglich sind. Zum anderen ist auch in den Blick zu nehmen, ob der Betroffene die Bindungswirkung seiner etwaigen Willensäußerung für den Bevollmächtigten eingeschränkt hat.
44
c) Dass die Bevollmächtigte sich in dieser Weise über den Willen der Betroffenen hinwegsetzt, wenn sie in den Abbruch der künstlichen Ernährung mittels PEG-Sonde nicht einwilligt, wird von den Feststellungen des Landgerichts nicht getragen.
45
aa) Die Betroffene hat entgegen der der Beschwerdeentscheidung offensichtlich zugrunde liegenden Annahme keine Patientenverfügung im Sinne des § 1901 a Abs. 1 Satz 1 BGB erstellt, der sich eine in der aktuellen Lebens- und Behandlungssituation bindende Entscheidung für die Fortführung oder den Abbruch der künstlichen Ernährung entnehmen lässt.
46
(1) Unmittelbare Bindungswirkung entfaltet eine Patientenverfügung im Sinne des § 1901 a Abs. 1 BGB nur dann, wenn ihr konkrete Entscheidungen des Betroffenen über die Einwilligung oder Nichteinwilligung in bestimmte, noch nicht unmittelbar bevorstehende ärztliche Maßnahmen entnommen werden können. Von vornherein nicht ausreichend sind allgemeine Anweisungen, wie die Aufforderung, ein würdevolles Sterben zu ermöglichen oder zuzulassen, wenn ein Therapieerfolg nicht mehr zu erwarten ist. Die Anforderungen an die Bestimmtheit einer Patientenverfügung dürfen aber auch nicht überspannt werden. Vorausgesetzt werden kann nur, dass der Betroffene umschreibend festlegt , was er in einer bestimmten Lebens- und Behandlungssituation will und was nicht. Maßgeblich ist nicht, dass der Betroffene seine eigene Biografie als Patient vorausahnt und die zukünftigen Fortschritte in der Medizin vorwegnehmend berücksichtigt (Senatsbeschluss BGHZ 202, 226 = FamRZ 2014, 1909 Rn. 29).
47
Die Äußerung, "keine lebenserhaltenden Maßnahmen" zu wünschen, enthält jedenfalls für sich genommen keine hinreichend konkrete Behandlungsentscheidung (vgl. BT-Drucks. 16/8442 S. 15; Palandt/Götz BGB 75. Aufl. § 1901 a Rn. 5). Die insoweit erforderliche Konkretisierung kann aber gegebenenfalls durch die Benennung bestimmter ärztlicher Maßnahmen oder die Bezugnahme auf ausreichend spezifizierte Krankheiten oder Behandlungssituationen erfolgen.
48
(2) Danach kommen sowohl die beiden privatschriftlichen Schriftstücke als auch die in der notariellen Vollmacht enthaltenen Äußerungen nicht als bindende , auf den Abbruch der künstlichen Ernährung gerichtete Patientenverfügungen in Betracht. Sie beziehen sich nicht auf konkrete Behandlungsmaßnahmen , sondern benennen ganz allgemein "lebensverlängernde Maßnahmen". Auch im Zusammenspiel mit den weiteren Angaben ergibt sich nicht die für eine Patientenverfügung zu verlangende bestimmte Behandlungsentscheidung. Die notarielle Vollmacht bezeichnet mit einer "zum Tode führenden Krankheit" eine bei der Betroffenen nicht vorliegende Behandlungssituation. Die "Patientenverfügungen" stellen alternativ auf vier verschiedene Behandlungssituationen ab. Gerade die vom Landgericht angenommene eines schweren Dauerschadens des Gehirns ist so wenig präzise, dass sie keinen Rückschluss auf einen gegen konkrete Behandlungsmaßnahmen - hier die künstliche Ernährung mittels PEG-Sonde - gerichteten Willen der Betroffenen erlaubt.
49
bb) Die Bevollmächtigte hat bei der Ermittlung von auf den Abbruch oder die Fortsetzung der künstlichen Ernährung bezogenen Behandlungswünschen bzw. des mutmaßlichen Willens der Betroffenen (§ 1901 a Abs. 2 BGB) keine eine Kontrollbetreuung rechtfertigenden Pflichtverstöße begangen. Insbesondere ist sie ihrer aus § 1901 b Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 BGB folgenden Pflicht nachgekommen , die ärztliche Maßnahme mit der behandelnden Ärztin zu erörtern.
Nach den Feststellungen des Amtsgerichts steht sie mit dieser im engen Kontakt und hat die Entscheidung mit ihr abgesprochen, also Einvernehmen darüber erzielt, dass ein auf Abbruch der künstlichen Ernährung gerichteter Behandlungswunsch oder mutmaßlicher Wille der Betroffenen nicht feststellbar ist. Wie sich aus der erstinstanzlichen Entscheidung ergibt, besucht sie die Betroffene regelmäßig, so dass sie sich ein Bild über die aktuelle Situation machen kann.
50
Tatrichterliche Feststellungen dazu, ob die Bevollmächtigte auch nahen Angehörigen und sonstigen Vertrauenspersonen der Betroffenen Gelegenheit zur Äußerung gegeben und so § 1901 b Abs. 2 und 3 BGB genügt hat, liegen zwar nicht vor. Bei dieser Regelung handelt es sich nach dem eindeutigen Wortlaut jedoch lediglich um eine Soll-Vorschrift, deren Nichtbeachtung nicht zur Rechtswidrigkeit der (Nicht-)Einwilligung des Bevollmächtigten führt (MünchKommBGB/Schwab 6. Aufl. § 1901 b Rn. 9). Zudem erlegt die "Patientenverfügung" der Bevollmächtigten vorliegend nur eine Absprache mit der behandelnden Ärztin, nicht aber mit sonstigen Dritten auf (vgl. auch MünchKommBGB/Schwab 6. Aufl. § 1901 a Rn. 57).
51
cc) Die bislang getroffenen Feststellungen tragen nicht die Annahme, dass das von der Bevollmächtigten gefundene Ergebnis offenkundig dem - als Behandlungswunsch geäußerten oder mutmaßlichen - Willen der Betroffenen widerspricht.
52
(1) Ein auf den Abbruch der künstlichen Ernährung gerichteter Behandlungswunsch der Betroffenen im Sinne des § 1901 a Abs. 2 BGB ist vom Landgericht nicht festgestellt und insbesondere den von der Betroffenen unterzeichneten Schriftstücken nicht zu entnehmen.
53
Einen solchen Behandlungswunsch können alle Äußerungen eines Betroffenen darstellen, die Festlegungen für eine konkrete Lebens- und Behandlungssituation enthalten, aber den Anforderungen an eine Patientenverfügung im Sinne des § 1901 a Abs. 1 BGB nicht genügen, etwa weil sie nicht schriftlich abgefasst wurden, keine antizipierenden Entscheidungen treffen oder von einem minderjährigen Betroffenen verfasst wurden. Auch eine Patientenverfügung im Sinne des § 1901 a Abs. 1 BGB, die jedoch nicht sicher auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation des Betroffenen passt und deshalb keine unmittelbare Wirkung entfaltet, kann als Behandlungswunsch Berücksichtigung finden. Behandlungswünsche sind insbesondere dann aussagekräftig, wenn sie in Ansehung der Erkrankung zeitnah geäußert worden sind, konkrete Bezüge zur aktuellen Behandlungssituation aufweisen und die Zielvorstellungen des Patienten erkennen lassen. An die Behandlungswünsche des Betroffenen ist der Bevollmächtigte nach § 1901 a Abs. 2 und 3 BGB gebunden (Senatsbeschluss BGHZ 202, 226 = FamRZ 2014, 1909 Rn. 25). Für die Annahme eines Behandlungswunsches ist ein mit einer Patientenverfügung vergleichbares Maß an Bestimmtheit zu verlangen. Wann eine Maßnahme hinreichend bestimmt benannt ist, kann nur im Einzelfall beurteilt werden. Ebenso wie eine schriftliche Patientenverfügung sind auch mündliche Äußerungen des Betroffenen der Auslegung zugänglich (Senatsbeschluss BGHZ 202, 226 = FamRZ 2014, 1909 Rn. 30).
54
Hier fehlt es der in den beiden handschriftlichen Patientenverfügungen sowie in der notariellen Vollmacht enthaltenen Bezeichnung "lebensverlängernde Maßnahmen" auch unter Berücksichtigung der weiteren in den Schriftstücken enthaltenen Angaben an der für einen auf Abbruch der künstlichen Ernährung gerichteten Behandlungswunsch erforderlichen Bestimmtheit. Das Vorliegen eines mündlich geäußerten Behandlungswunschs hat das Landgericht nicht geprüft.
55
(2) Dass der mutmaßliche Wille der Betroffenen eindeutig auf den Abbruch der künstlichen Ernährung gerichtet wäre, ist derzeit nicht feststellbar.
56
Auf den mutmaßlichen Willen des Betroffenen ist abzustellen, wenn sich sein auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation bezogener Wille nicht feststellen lässt. Der mutmaßliche Wille ist anhand konkreter Anhaltspunkte zu ermitteln, insbesondere anhand früherer mündlicher oder schriftlicher Äußerungen (die jedoch keinen Bezug zur aktuellen Lebens- und Behandlungssituation aufweisen), ethischer oder religiöser Überzeugungen und sonstiger persönlicher Wertvorstellungen des Betroffenen (§ 1901 a Abs. 2 Satz 2 und 3 BGB). Der Bevollmächtigte stellt letztlich eine These auf, wie sich der Betroffene selbst in der konkreten Situation entschieden hätte, wenn er noch über sich selbst bestimmen könnte (Senatsbeschluss BGHZ 202, 226 = FamRZ 2014, 1909 Rn. 26).
57
Die Rechtsbeschwerde verweist hierzu mit Recht zum einen darauf, dass die Betroffene der künstlichen Ernährung mittels PEG-Sonde zu der Zeit, als sie selbst noch kommunikationsfähig war, nicht widersprochen hat, und zum anderen auf die von der Betroffenen bei der erstinstanzlichen Anhörung gezeigten Reaktionen, die im Übrigen auch der Schilderung der Betreuungsbehörde entsprechen. Hinzu kommt, dass die Betroffene nach dem Text der zuletzt im November 2011 und damit kurz vor dem Hirnschlag erteilten privatschriftlichen Vollmacht ihren in der "Patientenverfügung" geäußerten Willen lediglich in den Entscheidungsprozess eingebracht und berücksichtigt wissen wollte, woraus eine nur eingeschränkte Bindung und ein weiter Ermessensspielraum der Bevollmächtigten bei der im Dialog mit der behandelnden Ärztin zu findenden Entscheidung folgen. Zudem lässt die "Patientenverfügung" mit der Anknüpfung an die "Erhaltung eines erträglichen Lebens" und an die "angemessenen Möglichkeiten" sowie mit dem unscharfen Begriff des "schweren" Dauerschadens einen weiten Interpretationsspielraum. Dass die Bevollmächtigte diesen nur in dem vom Landgericht vertretenen Sinne, also auf den Abbruch der künstlichen Ernährung gerichtet, hätte ausfüllen dürfen, ist nicht ansatzweise ersichtlich.
58
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem im Beschwerdeverfahren eingeholten Sachverständigengutachten. Dass nach Einschätzung des Sachverständigen ein "Dauerschaden des Gehirns" der Betroffenen eingetreten und bei Einstellung der künstlichen Ernährung nicht mit einem "qualvollen Verhungern" zu rechnen ist, erlaubt keinen Rückschluss auf einen gegen die Fortführung der künstlichen Ernährung gerichteten mutmaßlichen Willen der Betroffenen.
59
d) Soweit das Landgericht die Kontrollbetreuung über die mit der Entscheidung über Abbruch oder Fortführung der künstlichen Ernährung zusammenhängenden Fragen hinaus auf die gesamte Gesundheitsfürsorge erstreckt hat, hat das aus Rechtsgründen ebenfalls keinen Bestand. Es wird weder im angefochtenen Beschluss aufgezeigt noch ist anderweitig ersichtlich, dass insoweit die Voraussetzungen für die Anordnung einer Kontrollbetreuung vorliegen. Der Begründung der Beschwerdeentscheidung sind Erwägungen allein im Zusammenhang mit der Entscheidung über lebensverlängernde Maßnahmen, nicht aber bezogen auf die übrige Gesundheitsfürsorge zu entnehmen. Dass die Bevollmächtigte ihre Vollmacht in den Angelegenheiten der sonstigen Gesundheitsfürsorge nicht zum Wohl der Betroffenen ausgeübt hätte, haben nicht einmal die Beteiligten zu 1 und zu 3 behauptet.

III.

60
Danach ist der angefochtene Beschluss gemäß § 74 Abs. 5 FamFG aufzuheben. Die Sache ist nicht zur Endentscheidung reif und daher gemäß § 74 Abs. 6 Satz 1 und 2 FamFG an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen.
61
Dieses wird der Frage nachzugehen haben, ob die in den schriftlichen Stellungnahmen der Beteiligten zu 1 und zu 3 sowie der Schwester und der Cousine der Betroffenen behaupteten Äußerungen der Betroffenen gefallen sind und ob sich ihnen Behandlungswünsche oder - falls das nicht der Fall ist - jedenfalls Hinweise auf den mutmaßlichen Willen der Betroffenen entnehmen lassen. Außerdem gibt die Zurückverweisung dem Landgericht die Gelegenheit, die - wie die Rechtsbeschwerde zutreffend rügt - bislang rechtsfehlerhaft im Beschwerdeverfahren unterbliebene persönliche Anhörung der Betroffenen nachzuholen. Nur wenn nach den weiteren Ermittlungen trotz des weiten Ermessensspielraums der Bevollmächtigten und der für die Auffassung der Bevollmächtigten sprechenden Umstände offenkundig sein sollte, dass die Bevollmächtigte sich über den auf den Abbruch der künstlichen Ernährung gerichteten Willen der Betroffenen hinwegsetzen würde, lägen die Voraussetzungen einer Kontrollbetreuung vor. Das Landgericht wird sich dann auch mit den Einwänden der Rechtsbeschwerde zur Betreuerauswahl und dazu, ob die Voraussetzungen für die Ermächtigung zum Widerruf der Vollmacht vorliegen, auseinanderzusetzen haben (vgl. Senatsbeschluss BGHZ 206, 321 = FamRZ 2015, 1702 Rn. 33 ff.).
Dose Klinkhammer Nedden-Boeger Guhling Krüger
Vorinstanzen:
AG Adelsheim, Entscheidung vom 14.10.2015 - XVII 39/15 -
LG Mosbach, Entscheidung vom 26.01.2016 - 3 T 7/15 -

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII ZB 107/18
vom
14. November 2018
in der Betreuungssache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
BGB §§ 1901 a Abs. 1, 1904 Abs. 2, 3 und 4

a) Die erforderliche Konkretisierung einer Patientenverfügung kann sich im Einzelfall
bei einer weniger detaillierten Benennung bestimmter ärztlicher Maßnahmen
durch die Bezugnahme auf ausreichend spezifizierte Krankheiten
oder Behandlungssituationen ergeben. Ob in solchen Fällen eine hinreichend
konkrete Patientenverfügung vorliegt, ist dann durch Auslegung der in der
Verfügung enthaltenen Erklärungen zu ermitteln (im Anschluss an Senatsbeschluss
BGHZ 214, 62 = FamRZ 2017, 748).

b) Urkunden über formbedürftige Willenserklärungen sind nach allgemeinen
Grundsätzen auszulegen. Außerhalb der Urkunde liegende Umstände dürfen
dabei aber nur berücksichtigt werden, wenn der einschlägige rechtsgeschäftliche
Wille des Erklärenden in der formgerechten Urkunde einen wenn auch
nur unvollkommenen oder andeutungsweisen Ausdruck gefunden hat.

c) Die vom Beschwerdegericht vorgenommene Auslegung einer Patientenverfügung
kann vom Rechtsbeschwerdegericht grundsätzlich nur darauf überprüft
werden, ob der Auslegungsstoff vollständig berücksichtigt worden ist, ob
gesetzliche oder allgemein anerkannte Auslegungsregeln, sonstige Erfahrungssätze
oder die Denkgesetze verletzt sind oder ob die Auslegung auf
Verfahrensfehlern beruht.
BGH, Beschluss vom 14. November 2018 - XII ZB 107/18 - LG Landshut
AG Freising
ECLI:DE:BGH:2018:141118BXIIZB107.18.0

Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 14. November 2018 durch den Vorsitzenden Richter Dose, die Richter Schilling, Dr. Günter und Dr. Botur und die Richterin Dr. Krüger
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde des weiteren Beteiligten zu 2 gegen den Beschluss der 6. Zivilkammer des Landgerichts Landshut vom 8. Februar 2018 wird zurückgewiesen. Das Rechtsbeschwerdeverfahren ist gerichtskostenfrei. Wert: 5.000 €

Gründe:

I.

1
Die im Jahr 1940 geborene Betroffene erlitt im Mai 2008 einen Schlaganfall und befindet sich seit einem hypoxisch bedingten Herz-Kreislaufstillstand im Juni 2008 in einem wachkomatösen Zustand (ICD-10: F03). Sie wird seitdem über eine Magensonde (PEG) künstlich ernährt und mit Flüssigkeit versorgt.
2
Bereits im Jahr 1998 hatte die Betroffene eine schriftliche "Patientenverfügung" folgenden Inhalts unterzeichnet: "Für den Fall, daß ich (...) aufgrund von Bewußtlosigkeit oder Bewußtseinstrübung (...) nicht mehr in der Lage bin, meinen Willen zu äußern, verfüge ich: Solange eine realistische Aussicht auf Erhaltung eines erträglichen Lebens besteht, erwarte ich ärztlichen und pflegerischen Beistand unter Ausschöpfung der angemessenen Möglichkeiten. Dagegen wünsche ich, daß lebensverlängernde Maßnahmen unterbleiben , wenn medizinisch eindeutig festgestellt ist, - daß ich mich unabwendbar im unmittelbaren Sterbeprozeß befinde , bei dem jede lebenserhaltende Therapie das Sterben oder Leiden ohne Aussicht auf Besserung verlängern würde, oder - daß keine Aussicht auf Wiedererlangung des Bewußtseins besteht , oder - daß aufgrund von Krankheit oder Unfall ein schwerer Dauerschaden des Gehirns zurückbleibt, oder - daß es zu einem nicht behandelbaren, dauernden Ausfall lebenswichtiger Funktionen meines Körpers kommt. Behandlung und Pflege sollen in diesen Fällen auf die Linderung von Schmerzen, Unruhe und Angst gerichtet sein, selbst wenn durch die notwendige Schmerzbehandlung eine Lebensverkürzung nicht auszuschließen ist. Ich möchte in Würde und Frieden sterben können, nach Möglichkeit in meiner vertrauten Umgebung. Aktive Sterbehilfe lehne ich ab. Ich bitte um menschliche und seelsorgerische Begleitung."
3
In derselben Urkunde erteilte sie für den Fall, dass sie außerstande sein sollte, ihren Willen zu bilden oder zu äußern, dem Beteiligten zu 1 (im Folgenden : Sohn) als ihrer Vertrauensperson die Vollmacht, "an meiner Stelle mit der behandelnden Ärztin (...) alle erforderlichen Entscheidungen abzusprechen. Die Vertrauensperson soll meinen Willen im Sinne dieser Patientenverfügung einbringen und in meinem Namen Einwendungen vortragen, die die Ärztin (...) berücksichtigen soll."
4
Zu nicht genauer festgestellten Zeitpunkten von 1998 bis zu ihrem Schlaganfall äußerte die Betroffene mehrfach gegenüber verschiedenen Familienangehörigen und Bekannten angesichts zweier Wachkoma-Patienten aus ihrem persönlichen Umfeld, sie wolle nicht künstlich ernährt werden, sie wolle nicht so am Leben erhalten werden, sie wolle nicht so daliegen, lieber sterbe sie. Sie habe durch eine Patientenverfügung vorgesorgt, das könne ihr nicht passieren.
5
Im Juni 2008 erhielt die Betroffene einmalig nach dem Schlaganfall die Möglichkeit, trotz Trachealkanüle zu sprechen. Bei dieser Gelegenheit sagte sie ihrer Therapeutin: "Ich möchte sterben."
6
Unter Vorlage der Patientenverfügung von 1998 regte der Sohn der Betroffenen im Jahr 2012 an, ihr einen Betreuer zu bestellen, und erklärte sich zur Übernahme der Betreuung bereit. Gleichzeitig bat er darum, den Beteiligten zu 2 (im Folgenden: Ehemann) zum Ersatzbetreuer zu bestellen. Das Amtsgericht bestellte daraufhin den Sohn und den Ehemann zu jeweils alleinvertretungsberechtigten Betreuern der Betroffenen.
7
Der Sohn der Betroffenen ist, im Einvernehmen mit dem bis dahin behandelnden Arzt, seit 2014 der Meinung, die künstliche Ernährung und Flüssigkeitszufuhr solle eingestellt werden, da dies dem in der Patientenverfügung niedergelegten Willen der Betroffenen entspreche. Ihr Ehemann lehnt dies ab.
8
Den Antrag der Betroffenen, vertreten durch ihren Sohn, auf Genehmigung der Therapiezieländerung dahingehend, dass künstliche Ernährung und Flüssigkeitszufuhr eingestellt werden sollten, hat das Amtsgericht abgelehnt. Die dagegen gerichtete Beschwerde der Betroffenen hat das Landgericht zurückgewiesen. Nach Aufhebung dieser Entscheidung durch den Senat (Senatsbeschluss BGHZ 214, 62 = FamRZ 2017, 748) und Zurückverweisung der Sa- che an das Landgericht hat dieses ein Sachverständigengutachten zu der Frage eingeholt, ob der konkrete Zustand der Betroffenen im Wachkoma ihr Bewusstsein entfallen lässt und ob in diesem Fall eine Aussicht auf Wiedererlangung des Bewusstseins besteht. Nachdem der Sachverständige sein Gutachten mündlich erläutert hatte, hat das Landgericht die Beschwerde der Betroffenen mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass eine gerichtliche Genehmigung nicht erforderlich ist. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde wendet sich der Ehemann der Betroffenen gegen diese Entscheidung.

II.

9
Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet.
10
1. Das Landgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, bei einer erneuten Auslegung der Patientenverfügung vom 25. Januar 1998 sei unter Berücksichtigung der Ausführungen in der vorangegangenen Entscheidung des Bundesgerichtshofs davon auszugehen, dass diese hinreichend bestimmt und damit wirksam sei. Sie beinhalte die Entscheidung der Betroffenen, dass sie in den Abbruch der künstlichen Ernährung und Flüssigkeitsversorgung einwillige, wenn bei ihr ein Zustand eingetreten sei, der ihr Bewusstsein entfallen lasse und auch keine Aussicht auf Wiedererlangung des Bewusstseins mehr bestehe. Nachdem diese in der Patientenverfügung genannte Lebensund Behandlungssituation aufgrund der durchgeführten Ermittlungen vorliege, sei eine Einwilligung des Betreuers in die Maßnahme, die dem betreuungsgerichtlichen Genehmigungserfordernis unterfalle, nicht erforderlich. Die Betroffene habe diese Entscheidung bereits selbst in einer alle Beteiligten bindenden Weise getroffen. Diesem in der Patientenverfügung niedergelegten Willen der Betroffenen habe der Betreuer Geltung zu verschaffen. Das Gericht habe in diesem Fall nur noch ein sogenanntes Negativattest zu erteilen.
11
Der Wortlaut der Patientenverfügung, wonach die Betroffene keine lebensverlängernden Maßnahmen wünsche, wenn medizinisch eindeutig feststehe , dass keine Aussicht auf Wiedererlangung des Bewusstseins bestehe, sei zwar recht pauschal. Aus der Bezugnahme auf die Behandlungssituation "keine Aussicht auf Wiedererlangung des Bewusstseins" ergebe sich jedoch konkret, in welcher medizinischen Situation dieser Wunsch Geltung beanspruchen solle. Der Wortlaut dieser Teile der Patientenverfügung deute zudem darauf hin, dass die Betroffene auch in den Abbruch derartiger Maßnahmen einwilligen wollte, wenn die beschriebene Behandlungssituation eintritt.
12
Dem könne allerdings die in der Patientenverfügung enthaltene Formulierung "Aktive Sterbehilfe lehne ich ab" widersprechen. Bei einer juristischen Betrachtungsweise falle der Abbruch der künstlichen Ernährung nicht unter den Begriff der aktiven Sterbehilfe. Aus Sicht der katholischen Kirche im Jahr 1998 müsse der Abbruch der künstlichen Ernährung dagegen als aktive Sterbehilfe gewertet werden. Für den Fall der theologischen Auslegung der Formulierung sei daher eine reine Wortauslegung der Patientenverfügung widersprüchlich, so dass weitere Umstände in die Auslegung einbezogen werden müssten.
13
Nach den durchgeführten Ermittlungen sei davon auszugehen, dass die Betroffene einer künstlichen Ernährung ablehnend gegenüber gestanden habe. Die Betroffene habe gegenüber mehreren Zeugen geäußert, dass sie nicht künstlich ernährt werden wolle und durch eine Patientenverfügung entsprechend vorgesorgt habe. Zwar sei von allen Zeugen übereinstimmend berichtet worden, dass über einen Abbruch einer bereits längere Zeit durchgeführten künstlichen Ernährung nicht gesprochen worden sei. Daraus könne jedoch nicht geschlossen werden, dass die Betroffene den Abbruch einer bereits eingeleiteten künstlichen Ernährung abgelehnt hätte. Daher könne ausgeschlossen werden , dass die Betroffene durch die Formulierung "Aktive Sterbehilfe lehne ich ab" ihren Wunsch, in den genannten Fällen keine künstliche Ernährung zu erhalten , habe unterlaufen wollen.
14
Aufgrund des eingeholten Sachverständigengutachtens stehe auch fest, dass bei der Betroffenen die Lebens- und Behandlungssituation "keine Aussicht auf Wiedererlangung des Bewusstseins" vorliege. Bei der Betroffenen bestehe eindeutig ein Zustand schwerster Gehirnschädigung, bei der die Funktionen des Großhirns - zumindest soweit es dessen Fähigkeit zu bewusster Wahrnehmung , Verarbeitung und Beantwortung von Reizen angehe - komplett ausgelöscht seien. Lediglich Strukturen und Funktionen des Gehirnstamms, die die Wachheit der Betroffenen generieren, seien erhalten und führten zu den beobachteten Spontanbewegungen und Reflexen auf äußere Reize, die jedoch keiner bewussten Steuerung unterlägen. In seiner ergänzenden Anhörung habe der Sachverständige betont, dass das Ergebnis seiner Begutachtung letztlich auf drei Säulen beruhe, nämlich dem damaligen Geschehen, der vergangenen Zeit und der Erkenntnisse aus seiner eigenen Untersuchung der Betroffenen. Jede Säule sei für sich bereits für das Ergebnis tragfähig gewesen, dass bei der Betroffenen keine Aussicht auf Wiedererlangung des Bewusstseins bestehe. In der Gesamtschau ergebe sich das gefundene Ergebnis erst Recht.
15
Da bei der Betroffenen somit keine Aussicht auf Wiedererlangung des Bewusstseins bestehe, sei im Ergebnis das sogenannte Negativattest zu erteilen.
16
2. Das hält rechtlicher Nachprüfung stand.
17
Zu Recht hat das Beschwerdegericht angenommen, dass es im vorliegenden Fall einer betreuungsgerichtlichen Genehmigung gem. § 1904 Abs. 2, 3 BGB nicht bedarf, weil in der von der Betroffenen errichteten Patientenverfügung gem. § 1901 a Abs. 1 BGB eine wirksame Einwilligung in den vom Sohn der Betroffenen erstrebten Abbruch der künstlichen Ernährung und Flüssigkeitsversorgung enthalten ist.
18
a) Der Abbruch einer lebenserhaltenden Maßnahme bedarf dann nicht der betreuungsgerichtlichen Genehmigung nach § 1904 Abs. 2 BGB, wenn der Betroffene einen entsprechenden eigenen Willen bereits in einer wirksamen Patientenverfügung (§ 1901 a Abs. 1 BGB) niedergelegt hat und diese auf die konkret eingetretene Lebens- und Behandlungssituation zutrifft. In diesem Fall ist eine Einwilligung des Betreuers, die dem betreuungsgerichtlichen Genehmigungserfordernis unterfällt, in die Maßnahme nicht erforderlich, da der Betroffene diese Entscheidung selbst in einer alle Beteiligten bindenden Weise getroffen hat. Dem Betreuer obliegt es in diesem Fall nach § 1901 a Abs. 1 Satz 2 BGB nur noch, dem in der Patientenverfügung niedergelegten Willen des Betroffenen Ausdruck und Geltung zu verschaffen (vgl. Senatsbeschlüsse BGHZ 214, 62 = FamRZ 2017, 748 Rn. 14 und BGHZ 202, 226 = FamRZ 2014, 1909 Rn. 13 f.).
19
Unmittelbare Bindungswirkung entfaltet eine Patientenverfügung im Sinne des § 1901 a Abs. 1 BGB allerdings nur dann, wenn ihr konkrete Entscheidungen des Betroffenen über die Einwilligung oder Nichteinwilligung in bestimmte , noch nicht unmittelbar bevorstehende ärztliche Maßnahmen entnommen werden können (Senatsbeschluss BGHZ 202, 226 = FamRZ 2014, 1909 Rn. 29). Neben Erklärungen des Erstellers der Patientenverfügung zu den ärztlichen Maßnahmen, in die er einwilligt oder die er untersagt, verlangt der Bestimmtheitsgrundsatz aber auch, dass die Patientenverfügung erkennen lässt, ob sie in der konkreten Behandlungssituation Geltung beanspruchen soll.Eine Patientenverfügung ist nur dann ausreichend bestimmt, wenn sich feststellen lässt, in welcher Behandlungssituation welche ärztlichen Maßnahmen durchgeführt werden bzw. unterbleiben sollen (Senatsbeschluss BGHZ 214, 62 = FamRZ 2017, 748 Rn. 17).
20
Danach genügt eine Patientenverfügung, die einerseits konkret die Behandlungssituationen beschreibt, in der die Verfügung gelten soll, und andererseits die ärztlichen Maßnahmen genau bezeichnet, in die der Ersteller einwilligt oder die er untersagt, etwa durch Angaben zur Schmerz- und Symptombehandlung , künstlichen Ernährung und Flüssigkeitszufuhr, Wiederbelebung, künstlichen Beatmung, Antibiotikagabe oder Dialyse, dem Bestimmtheitsgrundsatz. Die Anforderungen an die Bestimmtheit einer Patientenverfügung dürfen dabei jedoch nicht überspannt werden. Vorausgesetzt werden kann nur, dass der Betroffene umschreibend festlegt, was er in einer bestimmten Lebens- und Behandlungssituation will und was nicht (Senatsbeschluss BGHZ 202, 226 = FamRZ 2014, 1909 Rn. 29). Maßgeblich ist nicht, dass der Betroffene seine eigene Biografie als Patient vorausahnt und die zukünftigen Fortschritte in der Medizin vorwegnehmend berücksichtigt. Insbesondere kann nicht ein gleiches Maß an Präzision verlangt werden, wie es bei der Willenserklärung eines einwilligungsfähigen Kranken in die Vornahme einer ihm angebotenen Behandlungsmaßnahme erreicht werden kann (Senatsbeschlüsse BGHZ 214, 62 = FamRZ 2017, 748 Rn. 18; BGHZ 202, 226 = FamRZ 2014, 1909 Rn. 29 und vom 6. Juli 2016 - XII ZB 61/16 - FamRZ 2016, 1671 Rn. 46).
21
Nicht ausreichend sind jedoch allgemeine Anweisungen, wie die Aufforderung , ein würdevolles Sterben zu ermöglichen oder zuzulassen, wenn ein Therapieerfolg nicht mehr zu erwarten ist (Senatsbeschlüsse BGHZ 214, 62 = FamRZ 2017, 748 Rn. 19 und BGHZ 202, 226 = FamRZ 2014,1909 Rn. 29 mwN). Auch die Äußerung, "keine lebenserhaltenden Maßnahmen" zu wünschen , enthält jedenfalls für sich genommen keine hinreichend konkrete Behandlungsentscheidung (Senatsbeschluss vom 6. Juli 2016 - XII ZB 61/16 - FamRZ 2016, 1671 Rn. 46 f.; BT-Drucks. 16/8442 S. 15). Die erforderliche Konkretisierung kann sich im Einzelfall aber auch bei einer weniger detaillierten Benennung bestimmter ärztlicher Maßnahmen durch die Bezugnahme auf ausreichend spezifizierte Krankheiten oder Behandlungssituationen ergeben. Ob in solchen Fällen eine hinreichend konkrete Patientenverfügung vorliegt, ist dann durch Auslegung der in der Verfügung enthaltenen Erklärungen zu ermitteln (Senatsbeschluss BGHZ 214, 62 = FamRZ 2017, 748 Rn. 19 mwN).
22
b) Gemessen hieran hat das Beschwerdegericht zu Recht angenommen, dass die Betroffene in ihrer Patientenverfügung für die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation wirksam in den vom Sohn der Betroffenen erstrebten Abbruch der künstlichen Ernährung und Flüssigkeitsversorgung eingewilligt hat.
23
aa) Der Senat hat bereits in seinem Beschluss vom 8. Februar 2017 (BGHZ 214, 62 = FamRZ 2017, 748 Rn. 23 f.) ausgeführt, dass die Betroffene mit der Anknüpfung ihrer Regelungen zu den ärztlichen Maßnahmen, in die sie einwilligt oder nicht einwilligt, an die medizinisch eindeutige Feststellung, dass bei ihr keine Aussicht auf Wiedererlangung des Bewusstseins besteht, hinreichend konkret eine Lebens- und Behandlungssituation beschrieben hat, in der die Patientenverfügung Geltung beanspruchen soll.
24
Nach den vom Beschwerdegericht rechtsfehlerfrei durchgeführten weiteren Ermittlungen ist diese Lebens- und Behandlungssituation vorliegend gegeben. Das Beschwerdegericht hat nach Zurückverweisung der Sache durch den Senat ein neurologisches Sachverständigengutachten zu der Frage eingeholt, ob der konkrete Zustand der Betroffenen im Wachkoma ihr Bewusstsein entfallen lasse und in diesem Fall Aussicht auf Wiedererlangung des Bewusstseins bestehe. Nach Eingang des schriftlichen Gutachtens hat der Sachverständige sein Gutachten mündlich erläutert und ergänzend zu Fragen der Verfahrensbevollmächtigten des Ehemanns der Betroffenen Stellung genommen.
25
Danach besteht bei der Betroffenen eindeutig ein Zustand schwerster Gehirnschädigung, bei der die Funktionen des Großhirns - zumindest soweit es dessen Fähigkeit zu bewusster Wahrnehmung, Verarbeitung und Beantwortung von Reizen angeht - komplett ausgelöscht sind und dieser Zustand irreversibel ist. Aufgrund dieser rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellung ist die Auffassung des Beschwerdegerichts, dass bei der Betroffenen keine Aussicht auf Wiedererlangung des Bewusstseins besteht und damit die Lebens- und Behandlungssituation vorliegt, an die die Betroffene in ihrer Patientenverfügung den Wunsch geknüpft hat, dass lebensverlängernde Maßnahmen unterbleiben sollen, aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Hiergegen erinnert auch die Rechtsbeschwerde nichts.
26
bb) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist die vom Beschwerdegericht vorgenommene Auslegung der Patientenverfügung, wonach der dort niedergelegte Wunsch der Betroffenen, dass lebensverlängernde Maßnahmen unterbleiben sollen, wenn medizinisch eindeutig festgestellt ist, dass bei ihr keine Aussicht auf Wiedererlangung des Bewusstseins besteht, auch den Abbruch einer bereits eingeleiteten künstlichen Ernährung und Flüssigkeitsversorgung erfasst, frei von Rechtsfehlern.
27
(1) Die Auslegung von Willenserklärungen ist grundsätzlich Sache des Tatrichters. Dessen Auslegung ist für das Rechtsbeschwerdegericht bindend, wenn sie rechtsfehlerfrei vorgenommen worden ist und zu einem vertretbaren Auslegungsergebnis führt, auch wenn ein anderes Auslegungsergebnis möglich erscheint. Die Auslegung durch den Tatrichter kann deshalb vom Rechtsbeschwerdegericht grundsätzlich nur darauf überprüft werden, ob der Ausle- gungsstoff vollständig berücksichtigt worden ist, ob gesetzliche oder allgemein anerkannte Auslegungsregeln, sonstige Erfahrungssätze oder die Denkgesetze verletzt sind oder ob die Auslegung auf Verfahrensfehlern beruht (vgl. Senatsurteil vom 18. April 2018 - XII ZR 76/17 - NJW-RR 2018, 906 Rn. 31 mwN und Senatsbeschluss vom 6. November 2013 - XII ZB 434/12 - FamRZ 2014, 98 Rn. 19 mwN). Diese Beschränkung des Prüfungsmaßstabs im Rechtsbeschwerdeverfahren gilt auch für die Auslegung einer Patientenverfügung, unabhängig davon, ob diese rechtlich als eine einseitige, nicht empfangsbedürftige Willenserklärung (vgl. MünchKommBGB/Schwab 7. Aufl. § 1901a Rn. 8) oder nur als vorweggenommene Einwilligung oder deren Verweigerung in eine ärztliche Maßnahme zu verstehen ist (so etwa Staudinger/Bienwald BGB [Neubearbeitung 2017] § 1901a Rn. 54; Spickhoff FamRZ 2009, 1949, 1950).
28
(2) Solche rechtsbeschwerderechtlich relevanten Auslegungsfehler vermag die Rechtsbeschwerde nicht aufzuzeigen. Sie sind auch sonst nicht ersichtlich. Das Beschwerdegericht hat bei der Auslegung der Patientenverfügung weder wesentlichen Auslegungsstoff außer Acht gelassen noch allgemein anerkannte Auslegungsregeln verletzt.
29
Das Beschwerdegericht hat umfassend und sorgfältig die im vorliegenden Fall für die Auslegung der Patientenverfügung wesentlichen Umstände in seine Auslegungserwägungen einbezogen. Dabei hat es bei der Prüfung, ob die Patientenverfügung auch eine Einwilligung der Betroffenen in den Abbruch bereits eingeleiteter lebenserhaltender Maßnahmen beinhaltet, zu Recht den Aussagen der vernommenen Zeugen besondere Bedeutung beigemessen, nach denen sich die Betroffene vor ihrer eigenen Erkrankung mehrfach dahingehend geäußert hatte, dass sie nicht künstlich ernährt werden wolle. Zudem hat sich das Beschwerdegericht im Rahmen seiner Auslegungserwägungen eingehend mit der Frage befasst, ob die in der Patientenverfügung enthaltene Formulie- rung "Aktive Sterbehilfe lehne ich ab", dahingehend zu verstehen sein könnte, dass die Betroffene den Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen ablehnt, und den hierzu gehaltenen Vortrag der Beteiligten berücksichtigt.
30
Schließlich hat das Beschwerdegericht auch nicht gegen anerkannte Auslegungsregeln und -grundsätze verstoßen.
31
Die Rechtsbeschwerde rügt insoweit, das Beschwerdegericht habe bei der Auslegung der Patientenverfügung den anerkannten Auslegungsgrundsatz nicht beachtet, wonach bei der Auslegung formbedürftiger Willenserklärungen ein aus den Umständen außerhalb der Urkunde ermittelter Wille des Erklärenden in der Urkunde einen - wenn auch nur unvollkommenen - Ausdruck gefunden haben müsse. Das Beschwerdegericht habe aufgrund der Zeugenaussagen angenommen, dass die Betroffene in den Abbruch der künstlichen Ernährung eingewilligt habe, falls bei ihr keine Aussicht auf Wiedererlangung des Bewusstseins bestehe. Das Beschwerdegericht habe jedoch außer Acht gelassen, dass der auf diese Weise ermittelte Wille der Betroffenen in der Patientenverfügung selbst keinen Ausdruck gefunden habe.
32
Mit dieser Rüge kann die Rechtsbeschwerde nicht durchdringen.
33
Zutreffend ist allerdings ihr rechtlicher Ausgangspunkt. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind Urkunden über formbedürftige Willenserklärungen nach allgemeinen Grundsätzen auszulegen. Außerhalb der Urkunde liegende Umstände dürfen dabei aber nur berücksichtigt werden, wenn der einschlägige rechtsgeschäftliche Wille des Erklärenden in der formgerechten Urkunde einen wenn auch nur unvollkommenen oder andeutungsweisen Ausdruck gefunden hat (vgl. BGHZ 63, 359 = NJW 1975, 536; BGHZ 87, 150 = NJW 1983, 1610, 1611 und BGH Urteil vom 11. Februar 2010 - VII ZR 218/08 - NJW-RR 2010, 821 Rn. 12).
34
Im vorliegenden Fall ist der Text der Patientenverfügung insbesondere wegen der darin enthaltenen Formulierung "Aktive Sterbehilfe lehne ich ab" nach Auffassung des Beschwerdegerichts unvollkommen und daher auslegungsbedürftig. Das vom Beschwerdegericht gewonnene Auslegungsergebnis, dass die Betroffene trotz dieser Formulierung auch in den Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen eingewilligt hat, wenn bei ihr keine Aussicht auf Wiedererlangung des Bewusstseins besteht, kommt im Text der Patientenverfügung jedoch ausreichend in der Formulierung zum Ausdruck, dass die Betroffene in den von ihr bezeichneten Lebens- und Behandlungssituationen keine lebensverlängernden Maßnahmen wünscht. Hieran hat das Beschwerdegericht bei seinen Auslegungserwägungen angeknüpft und zu Recht darauf hingewiesen, dass dieser Teil der Patientenverfügung nach seinem Wortlaut auch den Abbruch bereits eingeleiteter lebensverlängernder Maßnahmen erfasst. Hinzu kommt, dass die Betroffene in ihrer Patientenverfügung nicht nur pauschal bestimmt hat, lebensverlängernde Maßnahmen sollen in den von ihr beschriebenen Behandlungssituationen unterbleiben. Im weiteren Text der Verfügung findet sich vielmehr auch eine Konkretisierung der ärztlichen Maßnahmen, die sie in diesen Fällen wünscht. Danach sollen Behandlung und Pflege auf Linderung von Schmerzen, Unruhe und Angst gerichtet sein, selbst wenn durch die notwendige Schmerzbehandlung eine Lebensverkürzung nicht auszuschließenist (vgl. schon Senatsbeschluss BGHZ 214, 62 = FamRZ 2017, 748 Rn. 23). Auch dies ist ein in der Urkunde niedergelegter Anhaltspunkt dafür, dass die Betroffene mit dem Abbruch bereits eingeleiteter Maßnahmen einverstanden ist.
35
c) Da das Beschwerdegericht somit rechtsfehlerfrei das Vorliegen einer bindenden Patientenverfügung festgestellt hat, die die vom Sohn der Betroffenen beantragte Therapiezieländerung erfasst, ist im vorliegenden Fall eine Einwilligung des Betreuers in diese ärztlichen Maßnahmen, die dem betreuungsgerichtlichen Genehmigungserfordernis nach § 1904 Abs. 2 und 3 BGB unterfällt, nicht erforderlich. Das Beschwerdegericht hat daher zu Recht ein sogenanntes Negativattest erteilt (Senatsbeschlüsse BGHZ 214, 62 = FamRZ 2017, 748 Rn. 26 und BGHZ 202, 226 = FamRZ 2014, 1909 Rn. 20). Dose Schilling Günter Botur Krüger
Vorinstanzen:
AG Freising, Entscheidung vom 10.07.2015 - XVII 157/12 -
LG Landshut, Entscheidung vom 08.02.2018 - 64 T 1826/15 -

(1) Wer bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not nicht Hilfe leistet, obwohl dies erforderlich und ihm den Umständen nach zuzumuten, insbesondere ohne erhebliche eigene Gefahr und ohne Verletzung anderer wichtiger Pflichten möglich ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer in diesen Situationen eine Person behindert, die einem Dritten Hilfe leistet oder leisten will.

(1) Beim Bundesgerichtshof werden ein Großer Senat für Zivilsachen und ein Großer Senat für Strafsachen gebildet. Die Großen Senate bilden die Vereinigten Großen Senate.

(2) Will ein Senat in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Senats abweichen, so entscheiden der Große Senat für Zivilsachen, wenn ein Zivilsenat von einem anderen Zivilsenat oder von dem Großen Zivilsenat, der Große Senat für Strafsachen, wenn ein Strafsenat von einem anderen Strafsenat oder von dem Großen Senat für Strafsachen, die Vereinigten Großen Senate, wenn ein Zivilsenat von einem Strafsenat oder von dem Großen Senat für Strafsachen oder ein Strafsenat von einem Zivilsenat oder von dem Großen Senat für Zivilsachen oder ein Senat von den Vereinigten Großen Senaten abweichen will.

(3) Eine Vorlage an den Großen Senat oder die Vereinigten Großen Senate ist nur zulässig, wenn der Senat, von dessen Entscheidung abgewichen werden soll, auf Anfrage des erkennenden Senats erklärt hat, daß er an seiner Rechtsauffassung festhält. Kann der Senat, von dessen Entscheidung abgewichen werden soll, wegen einer Änderung des Geschäftsverteilungsplanes mit der Rechtsfrage nicht mehr befaßt werden, tritt der Senat an seine Stelle, der nach dem Geschäftsverteilungsplan für den Fall, in dem abweichend entschieden wurde, zuständig wäre. Über die Anfrage und die Antwort entscheidet der jeweilige Senat durch Beschluß in der für Urteile erforderlichen Besetzung; § 97 Abs. 2 Satz 1 des Steuerberatungsgesetzes und § 74 Abs. 2 Satz 1 der Wirtschaftsprüferordnung bleiben unberührt.

(4) Der erkennende Senat kann eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung dem Großen Senat zur Entscheidung vorlegen, wenn das nach seiner Auffassung zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist.

(5) Der Große Senat für Zivilsachen besteht aus dem Präsidenten und je einem Mitglied der Zivilsenate, der Große Senate für Strafsachen aus dem Präsidenten und je zwei Mitgliedern der Strafsenate. Legt ein anderer Senat vor oder soll von dessen Entscheidung abgewichen werden, ist auch ein Mitglied dieses Senats im Großen Senat vertreten. Die Vereinigten Großen Senate bestehen aus dem Präsidenten und den Mitgliedern der Großen Senate.

(6) Die Mitglieder und die Vertreter werden durch das Präsidium für ein Geschäftsjahr bestellt. Dies gilt auch für das Mitglied eines anderen Senats nach Absatz 5 Satz 2 und für seinen Vertreter. Den Vorsitz in den Großen Senaten und den Vereinigten Großen Senaten führt der Präsident, bei Verhinderung das dienstälteste Mitglied. Bei Stimmengleichheit gibt die Stimme des Vorsitzenden den Ausschlag.

(1) Die in Anlage III bezeichneten Betäubungsmittel dürfen nur von Ärzten, Zahnärzten und Tierärzten und nur dann verschrieben oder im Rahmen einer ärztlichen, zahnärztlichen oder tierärztlichen Behandlung einschließlich der ärztlichen Behandlung einer Betäubungsmittelabhängigkeit verabreicht oder einem anderen zum unmittelbaren Verbrauch oder nach Absatz 1a Satz 1 überlassen werden, wenn ihre Anwendung am oder im menschlichen oder tierischen Körper begründet ist. Die Anwendung ist insbesondere dann nicht begründet, wenn der beabsichtigte Zweck auf andere Weise erreicht werden kann. Die in Anlagen I und II bezeichneten Betäubungsmittel dürfen nicht verschrieben, verabreicht oder einem anderen zum unmittelbaren Verbrauch oder nach Absatz 1a Satz 1 überlassen werden.

(1a) Zur Deckung des nicht aufschiebbaren Betäubungsmittelbedarfs eines ambulant versorgten Palliativpatienten darf der Arzt diesem die hierfür erforderlichen, in Anlage III bezeichneten Betäubungsmittel in Form von Fertigarzneimitteln nur dann überlassen, soweit und solange der Bedarf des Patienten durch eine Verschreibung nicht rechtzeitig gedeckt werden kann; die Höchstüberlassungsmenge darf den Dreitagesbedarf nicht überschreiten. Der Bedarf des Patienten kann durch eine Verschreibung nicht rechtzeitig gedeckt werden, wenn das erforderliche Betäubungsmittel

1.
bei einer dienstbereiten Apotheke innerhalb desselben Kreises oder derselben kreisfreien Stadt oder in einander benachbarten Kreisen oder kreisfreien Städten nicht vorrätig ist oder nicht rechtzeitig zur Abgabe bereitsteht oder
2.
obwohl es in einer Apotheke nach Nummer 1 vorrätig ist oder rechtzeitig zur Abgabe bereitstünde, von dem Patienten oder den Patienten versorgenden Personen nicht rechtzeitig beschafft werden kann, weil
a)
diese Personen den Patienten vor Ort versorgen müssen oder auf Grund ihrer eingeschränkten Leistungsfähigkeit nicht in der Lage sind, das Betäubungsmittel zu beschaffen, oder
b)
der Patient auf Grund der Art und des Ausmaßes seiner Erkrankung dazu nicht selbst in der Lage ist und keine Personen vorhanden sind, die den Patienten versorgen.
Der Arzt muss unter Hinweis darauf, dass eine Situation nach Satz 1 vorliegt, bei einer dienstbereiten Apotheke nach Satz 2 Nummer 1 vor Überlassung anfragen, ob das erforderliche Betäubungsmittel dort vorrätig ist oder bis wann es zur Abgabe bereitsteht. Über das Vorliegen der Voraussetzungen nach den Sätzen 1 und 2 und die Anfrage nach Satz 3 muss der Arzt mindestens folgende Aufzeichnungen führen und diese drei Jahre, vom Überlassen der Betäubungsmittel an gerechnet, aufbewahren:
1.
den Namen des Patienten sowie den Ort, das Datum und die Uhrzeit der Behandlung,
2.
den Namen der Apotheke und des kontaktierten Apothekers oder der zu seiner Vertretung berechtigten Person,
3.
die Bezeichnung des angefragten Betäubungsmittels,
4.
die Angabe der Apotheke, ob das Betäubungsmittel zum Zeitpunkt der Anfrage vorrätig ist oder bis wann es zur Abgabe bereitsteht,
5.
die Angaben über diejenigen Tatsachen, aus denen sich das Vorliegen der Voraussetzungen nach den Sätzen 1 und 2 ergibt.
Über die Anfrage eines nach Satz 1 behandelnden Arztes, ob ein bestimmtes Betäubungsmittel vorrätig ist oder bis wann es zur Abgabe bereitsteht, muss der Apotheker oder die zu seiner Vertretung berechtigte Person mindestens folgende Aufzeichnungen führen und diese drei Jahre, vom Tag der Anfrage an gerechnet, aufbewahren:
1.
das Datum und die Uhrzeit der Anfrage,
2.
den Namen des Arztes,
3.
die Bezeichnung des angefragten Betäubungsmittels,
4.
die Angabe gegenüber dem Arzt, ob das Betäubungsmittel zum Zeitpunkt der Anfrage vorrätig ist oder bis wann es zur Abgabe bereitsteht.
Im Falle des Überlassens nach Satz 1 hat der Arzt den ambulant versorgten Palliativpatienten oder zu dessen Pflege anwesende Dritte über die ordnungsgemäße Anwendung der überlassenen Betäubungsmittel aufzuklären und eine schriftliche Gebrauchsanweisung mit Angaben zur Einzel- und Tagesgabe auszuhändigen.

(1b) Abweichend von Absatz 1 dürfen die in Anlage III bezeichneten Betäubungsmittel durch Notfallsanitäter im Sinne des Notfallsanitätergesetzes ohne vorherige ärztliche Anordnung im Rahmen einer heilkundlichen Maßnahme verabreicht werden, wenn diese nach standardisierten ärztlichen Vorgaben handeln, ein Eintreffen eines Arztes nicht abgewartet werden kann und die Verabreichung zur Abwendung von Gefahren für die Gesundheit oder zur Beseitigung oder Linderung erheblicher Beschwerden erforderlich ist. Die standardisierten ärztlichen Vorgaben müssen

1.
den handelnden Notfallsanitätern in Textform vorliegen,
2.
Regelungen zu Art und Weise der Verabreichung enthalten und
3.
Festlegungen darüber treffen, in welchen Fällen das Eintreffen eines Arztes nicht abgewartet werden kann.

(2) Die nach Absatz 1 verschriebenen Betäubungsmittel dürfen nur im Rahmen des Betriebs einer Apotheke und gegen Vorlage der Verschreibung abgegeben werden. Diamorphin darf nur vom pharmazeutischen Unternehmer und nur an anerkannte Einrichtungen nach Absatz 3 Satz 2 Nummer 2a gegen Vorlage der Verschreibung abgegeben werden. Im Rahmen des Betriebs einer tierärztlichen Hausapotheke dürfen nur die in Anlage III bezeichneten Betäubungsmittel und nur zur Anwendung bei einem vom Betreiber der Hausapotheke behandelten Tier abgegeben werden.

(3) Die Bundesregierung wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates das Verschreiben von den in Anlage III bezeichneten Betäubungsmitteln, ihre Abgabe auf Grund einer Verschreibung und das Aufzeichnen ihres Verbleibs und des Bestandes bei Ärzten, Zahnärzten, Tierärzten, in Apotheken, tierärztlichen Hausapotheken, Krankenhäusern, Tierkliniken, Alten- und Pflegeheimen, Hospizen, Einrichtungen der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung, Einrichtungen der Rettungsdienste, Einrichtungen, in denen eine Behandlung mit dem Substitutionsmittel Diamorphin stattfindet, und auf Kauffahrteischiffen zu regeln, soweit es zur Sicherheit oder Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs erforderlich ist. Insbesondere können

1.
das Verschreiben auf bestimmte Zubereitungen, Bestimmungszwecke oder Mengen beschränkt,
2.
das Verschreiben von Substitutionsmitteln für Drogenabhängige von der Erfüllung von Mindestanforderungen an die Qualifikation der verschreibenden Ärzte abhängig gemacht und die Festlegung der Mindestanforderungen den Ärztekammern übertragen,
2a.
das Verschreiben von Diamorphin nur in Einrichtungen, denen eine Erlaubnis von der zuständigen Landesbehörde erteilt wurde, zugelassen,
2b.
die Mindestanforderungen an die Ausstattung der Einrichtungen, in denen die Behandlung mit dem Substitutionsmittel Diamorphin stattfindet, festgelegt,
3.
Meldungen
a)
der verschreibenden Ärzte an das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte über das Verschreiben eines Substitutionsmittels für einen Patienten in anonymisierter Form,
b)
der Ärztekammern an das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte über die Ärzte, die die Mindestanforderungen nach Nummer 2 erfüllen und
Mitteilungen
c)
des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte an die zuständigen Überwachungsbehörden und an die verschreibenden Ärzte über die Patienten, denen bereits ein anderer Arzt ein Substitutionsmittel verschrieben hat, in anonymisierter Form,
d)
des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte an die zuständigen Überwachungsbehörden der Länder über die Ärzte, die die Mindestanforderungen nach Nummer 2 erfüllen,
e)
des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte an die obersten Landesgesundheitsbehörden über die Anzahl der Patienten, denen ein Substitutionsmittel verschrieben wurde, die Anzahl der Ärzte, die zum Verschreiben eines Substitutionsmittels berechtigt sind, die Anzahl der Ärzte, die ein Substitutionsmittel verschrieben haben, die verschriebenen Substitutionsmittel und die Art der Verschreibung
sowie Art der Anonymisierung, Form und Inhalt der Meldungen und Mitteilungen vorgeschrieben,
4.
Form, Inhalt, Anfertigung, Ausgabe, Aufbewahrung und Rückgabe des zu verwendenden amtlichen Formblattes für die Verschreibung, das Verfahren für die Verschreibung in elektronischer Form sowie Form und Inhalt der Aufzeichnungen über den Verbleib und den Bestand der Betäubungsmittel festgelegt und
5.
Ausnahmen von § 4 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe c für die Ausrüstung von Kauffahrteischiffen erlassen werden.
Für das Verfahren zur Erteilung einer Erlaubnis nach Satz 2 Nummer 2a gelten § 7 Satz 2 Nummer 1 bis 4, § 8 Absatz 1 Satz 1, Absatz 2 und 3 Satz 1 bis 3, § 9 Absatz 2 und § 10 entsprechend. Dabei tritt an die Stelle des Bundesinstitutes für Arzneimittel und Medizinprodukte jeweils die zuständige Landesbehörde, an die Stelle der zuständigen obersten Landesbehörde jeweils das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte. Die Empfänger nach Satz 2 Nr. 3 dürfen die übermittelten Daten nicht für einen anderen als den in Satz 1 genannten Zweck verwenden. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte handelt bei der Wahrnehmung der ihm durch Rechtsverordnung nach Satz 2 zugewiesenen Aufgaben als vom Bund entliehenes Organ des jeweils zuständigen Landes; Einzelheiten einschließlich der Kostenerstattung an den Bund werden durch Vereinbarung geregelt.

(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer

1.
entgegen § 5 Absatz 1 ein Arzneimittel in den Verkehr bringt oder bei anderen anwendet,
2.
entgegen § 6 Absatz 1 in Verbindung mit einer Rechtsverordnung nach § 6 Absatz 2, jeweils auch in Verbindung mit einer Rechtsverordnung nach § 6 Absatz 3, ein Arzneimittel in den Verkehr bringt oder bei einem anderen Menschen anwendet,
2a.
(weggefallen)
2b.
(weggefallen)
3.
entgegen § 7 Abs. 1 radioaktive Arzneimittel oder Arzneimittel, bei deren Herstellung ionisierende Strahlen verwendet worden sind, in den Verkehr bringt,
3a.
entgegen § 8 Abs. 1 Nr. 1 oder Absatz 2, auch in Verbindung mit § 73 Abs. 4 oder § 73a, Arzneimittel oder Wirkstoffe herstellt, in den Verkehr bringt oder sonst mit ihnen Handel treibt,
4.
entgegen § 43 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 oder 3 mit Arzneimitteln, die nur auf Verschreibung an Verbraucher abgegeben werden dürfen, Handel treibt oder diese Arzneimittel abgibt,
5.
Arzneimittel, die nur auf Verschreibung an Verbraucher abgegeben werden dürfen, entgegen § 47 Abs. 1 an andere als dort bezeichnete Personen oder Stellen abgibt oder entgegen § 47 Abs. 2 Satz 1 bezieht oder
5a.
entgegen § 47a Abs. 1 ein dort bezeichnetes Arzneimittel an andere als die dort bezeichneten Einrichtungen abgibt oder in den Verkehr bringt.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(3) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter

1.
durch eine der in Absatz 1 bezeichneten Handlungen
a)
die Gesundheit einer großen Zahl von Menschen gefährdet,
b)
einen anderen der Gefahr des Todes oder einer schweren Schädigung an Körper oder Gesundheit aussetzt oder
c)
aus grobem Eigennutz für sich oder einen anderen Vermögensvorteile großen Ausmaßes erlangt oder
2.
in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 3a gefälschte Arzneimittel oder Wirkstoffe herstellt oder in den Verkehr bringt und dabei gewerbsmäßig oder als Mitglied einer Bande handelt, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Taten verbunden hat.

(4) Handelt der Täter in den Fällen des Absatzes 1 fahrlässig, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe.